Katharina Scherke Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie
Katharina Scherke
Emotionen al...
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Katharina Scherke Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie
Katharina Scherke
Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie
Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Die Drucklegung des Buches wurde finanziell unterstützt durch die Abteilung für Wissenschaft und Forschung des Landes Steiermark und die Karl-Franzens-Universität Graz
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich | Jens Ossadnik VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: www.zwiebelfisch.at Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15616-3
Inhaltsverzeichnis
I
Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften ..................... 9
1. Einleitung .................................................................................................................... 11 2. Rationalität oder Emotionalität als Maximen menschlichen Handelns? – Ein kurzer Überblick über eine lang währende Debatte .......................................... 2.1. Verschiedene Sichtweisen des Verhältnisses zwischen Rationalität und Emotionalität ................................................................................................ 2.1.1. Der konventionelle Zugang ............................................................................ 2.1.2. Der kritische Zugang ...................................................................................... 2.1.2.1. Neurobiologische Belege für den kritischen Zugang ................................ 2.1.3. Der radikale Zugang ....................................................................................... 2.2. Die Haltungen der soziologischen Klassiker zum Verhältnis zwischen Rationalität und Emotionalität ............................................................................. 3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung ......................... 3.1. Biowissenschaftliche Grundlagen ....................................................................... 3.1.1. Die Plastizität des Gehirns .............................................................................. 3.1.2. Emotionen und neuronale Prozesse ................................................................ 3.2. Zur Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit im Rahmen der Emotionsforschung ....................................................................
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II Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘ ........................................................... 55 1. Einleitung .................................................................................................................... 57 2. ‚Soziologie der Emotionen‘ – eine Begriffsklärung ................................................... 58 3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale .................................................... 3.1. Emotionen als allgemeine relativ unspezifische Voraussetzungen sozialer Handlungen – Oder: Die emotionale Konstruktion der Wirklichkeit .... 3.1.1. ‚Emotionale Energie‘ als Handlungsantrieb ................................................... 3.1.2. Die Ausdrucksdimension des Emotionalen als Basis der emotionalen Konstruktion der Wirklichkeit ................................................... 3.2. Beispiele für Emotionen als aktiv gestalterische Kraft im Rahmen sozialer Zusammenhänge .................................................................................... 3.2.1. Vertrauen ......................................................................................................... 3.2.2. Angst ............................................................................................................... 3.3. Forschungspraktische Konsequenzen ..................................................................
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Inhaltsverzeichnis
4. Die Prägung der Emotionen durch das Soziale ........................................................... 81 4.1. Der positivistische Ansatz ................................................................................... 82 4.1.1. Macht und Status als Determinanten des Gefühls – Theodore D. Kemper ................................................................................... 82 4.1.2. Kritik und Erweiterung des Kemper’schen Modells ...................................... 87 4.2. Der konstruktivistische Ansatz ............................................................................ 90 4.2.1. Das Management des Emotionsausdrucks – Arlie Hochschild .......................................................................................... 92 4.2.2. Kritik und Erweiterung des Hochschild’schen Ansatzes ................................ 98 4.3. Forschungspraktische Konsequenzen ................................................................ 105 5. Beispiele für Syntheseversuche ................................................................................. 108 5.1. Die Eigendynamik emotionaler Prozesse: Das Konzept der Scham-Wut-Spirale von Thomas Scheff ..................................................... 108 5.2. Emotionen aus Sicht der Systemtheorie ............................................................ 112 III Die Vernachlässigung beziehungsweise Wiederentdeckung des Themas der Emotionen in der (deutschsprachigen) Soziologie ......................................... 119 1. Einleitung .................................................................................................................. 121 2. Mögliche Gründe für die Vernachlässigung beziehungsweise Wiederentdeckung der Emotionen durch die Soziologie .......................................... 123 2.1. Der Einfluss des ‚Zeitgeistes‘ ............................................................................ 124 2.2. Der Einfluss institutioneller Strukturen des Wissenschaftsbetriebes ................. 126 3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung – Oder: Warum werden bestimmte Themen gewählt und andere vernachlässigt? ................. 129 3.1. Einleitung .......................................................................................................... 129 3.2. Exogene Faktoren des Wissenschaftssystems als Ursachen für den Themenwandel in den Wissenschaften ................................................. 132 3.2.1. ‚Generationslagerung‘, ‚Denkstil‘ und ‚Habitus‘ als Konzepte zur Veranschaulichung der Wirksamkeit des Zeitgeistes im Rahmen der Wissensproduktion ........................................................................................ 132 3.3. Endogene Faktoren des Wissenschaftssystems als Ursachen für den Themenwandel in den Wissenschaften ................................................. 136 3.3.1. Objektives Wachstum der Wissenschaft oder Paradigmenstreit? .................. 136 3.3.2. Die Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems ................................... 141 3.3.3. Professionalisierungsprozesse ...................................................................... 151 3.4. Weiterführende Fragestellungen ........................................................................ 157 4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie ................................................. 4.1. Operationalisierungsfragen ................................................................................ 4.2. Die Soziologie bis 1933 ..................................................................................... 4.2.1. Die Frühphase ............................................................................................... 4.2.2. Soziologie als Einzelwissenschaft oder als Perspektive? .............................
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Inhaltsverzeichnis
4.2.3. Die Phase der beginnenden Etablierung in den 1920er-Jahren .................... 4.2.4. Außeruniversitäre Etablierungsschritte ......................................................... 4.2.5. Die Soziologie – eine etablierte Disziplin bereits vor 1933? ........................ 4.3. Die Soziologie 1933–1945 ................................................................................ 4.4. Die Soziologie nach 1945 .................................................................................. 4.4.1. Die Dreigestalt der westdeutschen Nachkriegssoziologie ............................ 4.4.2. Außeruniversitäre Etablierungsschritte ........................................................ 4.4.3. Die Geschichte der ausgewählten soziologischen Fachzeitschriften ............ 4.4.4. Die thematische Entwicklung der deutschsprachigen Nachkriegssoziologie in den Fachzeitschriften ............................................ 4.4.5. Die Zeitphasen der Fachentwicklung im Überblick ..................................... 4.5. Jüngste Entwicklungen ...................................................................................... 4.6. Die Soziologie in den USA – eine Vergleichsperspektive ................................. 5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie – eine Bestandsaufnahme .......................................................................................... 5.1. Vorgangsweise ................................................................................................... 5.2. Ergebnisse .......................................................................................................... 5.2.1. Themengruppen mit geringer Relevanz für die Emotionsthematik .............. 5.2.1.1. ‚Zufriedenheit‘ ........................................................................................ 5.2.1.2. ‚Vertrauen‘ .............................................................................................. 5.2.1.3. Artikel mit der Titelsilbe ‚-psych‘ ........................................................... 5.2.1.4. ‚Rationalität‘, ‚rational‘ und ‚Vernunft‘ .................................................. 5.2.2. Ergebnisse nach Zeitschriften ....................................................................... 5.2.3. Generelle Verbreitung des Themas ............................................................... 5.2.3.1. Allgemeine und konkrete Emotionsbezeichnungen ................................ 5.2.3.2. Institutionalisierungsverlauf der Disziplin und Entwicklung der Emotionsthematik ................................................ 5.2.4. Detailüberblick ............................................................................................. 5.2.5. Einige Kennzeichen der Beschäftigung mit der Emotionsthematik in der deutschsprachigen Soziologie .............................. 5.3. Ergebnisse der Vergleichsrecherche in der Datenbank SOLIS .......................... 5.4. Resümee ............................................................................................................
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IV Zusammenfassung ................................................................................................... 289 V Literatur ................................................................................................................... 295 Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik I (1949–2003) .............................................. 321 Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik II (2004–2008) ............................................. 325 Tabellenverzeichnis .......................................................................................................... 327 Register ............................................................................................................................ 329
I Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
1. Einleitung
„Emotions, as we shall see, together with their associated bodily themes, have their own secret history within sociology itself. As with so much other sociological inquiry, the work, implicitly or explicitly, is ‚already there‘; it just needs re-reading in a new more emotionally informed, corporeal light.“1 (Simon J. Williams)
In den letzten Dekaden lässt sich ein verstärktes Interesse an Emotionen in wissenschaftlichen Kontexten, aber auch der alltäglichen Lebenswelt feststellen. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen schenken den Emotionen derzeit erhöhte Aufmerksamkeit. Die Palette reicht von der Neurobiologie, der Philosophie, der Geschichtswissenschaft bis hin zur Anthropologie.2 Auch im außerwissenschaftlichen Bereich lassen sich zahlreiche Indizien für ein erhöhtes Interesse an den Emotionen des Menschen finden.3 Es existiert eine Fülle an entsprechender Ratgeberliteratur: Man denke etwa an das von Daniel Goleman seit Mitte der 1990er-Jahre verbreitete Konzept und Trainingsprogramm der ‚Emotionalen Intelligenz‘4 oder das seit Kurzem (2006) erscheinende deutschsprachige Magazin unter dem Titel ‚Emotion‘, das die Palette der populärwissenschaftlich orientierten psychologischen Magazine um ein explizit auf die Frage „Warum wir fühlen, wie wir fühlen“ ausgerichtetes Journal ergänzt und damit auf das offenbar gestiegene Bedürfnis nach Informationen zu dieser Thematik reagiert.5 In der Werbung wurde stets versucht, die Gefühle potentieller Publikumsschichten anzusprechen. Seit Ende der 1990er-Jahre spiegelt sich dies bereits in der Bezeichnung der Produkte
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Williams, Emotion and Social Theory, S. 3. Hier sei nur auf einige neuere Werke unterschiedlicher disziplinärer Herkunft hingewiesen: Vgl. De Sousa, Die Rationalität des Gefühls (1987 engl., 1997 dt.); – Damasio, Descartes’ Irrtum (1994 engl., 1995 dt.); – Stearns, Lewis (eds.), An emotional history of the United States (1998); – Turner, On the Origins of Human Emotions (2000); – Benthien, Fleig, Kasten (Hg.), Emotionalität (2000). Die Wissenschaftlichkeit der neu entstandenen Spezialgebiete, die die Emotionen ins Zentrum ihrer Untersuchung rücken, ist teilweise umstritten, wie etwa die Diskussionen um die Psychohistorie zeigen. Dieser Ansatz, der die Untersuchung von Motivationsmustern im Rahmen historischer Prozesse zum Gegenstand hat, wurde teils heftiger Kritik unterzogen. Vgl. deMause, Foundations of Psychohistory; – deMause, Die Eigenständigkeit der Psychohistorie; – Nyssen, Jüngst, Kritik der Psychohistorie. Vgl. hierzu auch Williams, Emotion and Social Theory, S. 8–12. Vgl. zur Frage, ob es sich bei dem gestiegenen Interesse an den Emotionen bereits um einen ‚emotional turn‘ handelt: Scherke, Emotionen in aller Munde?; – Becker, Rationalisierungen des Gefühls. Vgl. hierzu auch Neckel, Emotion by design, S. 423; – Sieben, Management und Emotionen, S. 198–288. Vgl. http://www.emotion.de/. Vgl. dazu aber auch http://www.presseportal.de/story.htx?nr=785841&ressort=5 (5.1.2009).
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
wider: Für so unterschiedliche Gebrauchsartikel wie Mineralwasser6, Autos7 oder Parfums8 wird mit dem Wort „Emotion“ und somit durch bereits semantisch hergestellte Gefühlsassoziationen auf Plakaten, Internetseiten und Fernsehspots geworben.9 Rührende, freuden- und tränenreiche Szenen gehören zum täglichen Angebot der TV-Sender, wobei hier nicht nur die Emotionen fiktionaler Personen in Fernsehfilmen gemeint sind, sondern ebenso das emotionale Verhalten ‚realer‘ Personen in Talk-, Spielshows und Nachrichtensendungen, das via Bildschirm – und fast in Echtzeit – in die Wohnzimmer der Zuschauer geliefert wird.10 Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass das Emotionale offenbar eine wachsende Aufmerksamkeit im Alltag erfährt. Umstritten ist allerdings die Frage, ob dieses ‚Mehr‘ an Öffentlichkeit für das Emotionale auch mit einer größeren Bedeutung der Emotionen für den Lebensalltag der Menschen einhergeht oder ob die freiere – eventuell hemmungslosere – Äußerung und Darstellung von Emotionen in den Medien vielleicht sogar ein Indiz für die Abstumpfung des emotionalen Empfindens oder eine Synthetisierung von Emotionen ist, wie dies etwa von Stjepan Meštrović in seiner ‚Postemotional Society‘ beschrieben wird.11 Angesichts der allgemein wachsenden Aufmerksamkeit für das Emotionale stellt sich die Frage, inwieweit auch die Soziologie an diesem Boom partizipiert bzw. darauf reagiert. Vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum lässt sich seit ca. 30 Jahren eine stärkere soziologische Beschäftigung mit der Emotionsthematik feststellen.12 In der American Sociological Association wurde beispielsweise bereits 1986 eine eigene Sektion Sociology of Emotions gebildet. Im deutschen Sprachraum setzt hingegen erst langsam ein stärkeres Inter-
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2001 benannte der Römerquelle-Konzern seine neue Mineralwasserlinie ‚Römerquelle Emotion‘. Vgl. http:// www.roemerquelle.at/de/unternehmen/unternehmensgeschichte.php (5.1.2009). Die Firma SEAT bewirbt ihre Autos seit dem Jahr 2000 unter dem Markenslogan „SEAT auto emoción“. Vgl. http://www.portak.de/seat/?action=seat_historie (5.1.2009). Laura Biagiotti vermarktet ein Parfum seit 2001 explizit unter dem Namen ‚Emotion‘. Vgl. http://www.cosmeticmall.com/product_detail.aspx?product_id=113446&aid=10273839&pid=3166444& (5.1.2009). Pierre Cardin griff 2005 ebenfalls den Namen ‚Emotion‘ für eines seiner Parfums auf. Parfums wie ‚Desire for man‘ (Dunhill, 2000), ‚Desire for Woman‘ (Dunhill, 2001), ‚Happy‘ (Clinique, 1997) und ‚Happy for man‘ (Clinique, 1999) sind nur einige weitere Beispiele für dieses werbetechnische Spiel mit Gefühlen bzw. Gefühlstermini. Vgl. http://de.osmoz.com/Parfums/Alle-Parfums (5.1.2009). Zum Einsatz der Gefühle in der Werbung vgl. auch Neckel, Emotion by design, S. 420. Vgl. hierzu auch Reichertz, „Ich liebe, liebe, liebe Dich“. Meštrović bezieht sich in seinem Buch (das nicht nur als Zeitdiagnose konzipiert ist, sondern auch als Kritik an bestimmten Strömungen der Postmoderne verstanden werden kann) auf die von den Medien derzeit praktizierte Aufbereitung bestimmter Nachrichten und Sendeformate mit Emotionen aus ‚zweiter Hand‘ bei gleichzeitig existierenden weitverbreiteten Strategien zur Vermeidung bzw. Ignorierung realer heftiger Gefühlsreaktionen des alltäglichen Lebens. Vgl. Meštrović, Postemotional Society, insbesondere S. 61–65. – Die Debatte über die Zurückdrängung der Gefühle bzw. deren Fort- oder Wiederaufleben im Rahmen des Zivilisationsprozesses hat bereits eine lange Geschichte und wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Autoren immer wieder durch neue Facetten bereichert. Eine Nachzeichnung der Konjunktur dieses Themas würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Hier sei nur exemplarisch auf den Versuch Hans-Peter Duerrs verwiesen, Norbert Elias’ These von der zunehmenden Affektkontrolle im Verlauf des Zivilisationsprozesses zu widerlegen. Vgl. Duerr, Der Mythos vom Zivilisationsprozeß; – Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Zu nennen wären etwa die Bücher von Kemper, A Social Interactional Theory of Emotions (1978); – Hochschild, The Managed Heart (1983); – Denzin, On Understanding Emotion (1984); – Kemper (ed.), Research Agendas (1990); – Barbalet, Emotion, Social Theory (1998); – Vgl. auch Williams, Emotion and Social Theory, S. 1.
1. Einleitung
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esse am Gefühlsleben des Menschen ein, wobei zum Teil die These einer bisher kompletten Vernachlässigung dieser Thematik durch die Soziologie vertreten wird (welche im weiteren Verlauf dieser Arbeit einer genauen Prüfung unterzogen werden soll).13 Ganz neu ist das Thema freilich nicht. Bereits die Klassiker widmeten den Emotionen des Menschen Aufmerksamkeit, wie in den letzten Jahren etwa anhand der Arbeiten Max Webers, Emile Durkheims oder Georg Simmels gezeigt wurde.14 Die Analysen der soziologischen Klassiker zum Thema der Emotionen fanden jedoch keine unmittelbare Fortsetzung. Im 20. Jahrhundert kam es zu einer allmählichen Ausklammerung der Gefühle aus soziologischen Diskussionen, die bis in die 1970er-Jahre hinein anhielt.15 Erst seitdem kann man von einer Wiederentdeckung des Themas durch die Soziologie – vor allem im anglo-amerikanischen Raum – sprechen. Diese lange Ausklammerung des emotionalen Geschehens aus soziologischen Erörterungen ist ein erklärungsbedürftiges Faktum, wenn man den zentralen Gegenstandsbereich dieses Faches bedenkt. Soziologie als Wissenschaft vom menschlichen Handeln, der es – im Sinne Max Webers – darum geht, menschliches Handeln in seinen sozialen Bezügen zu verstehen und zu erklären, muss den Menschen als handelnden Akteur ins Zentrum ihrer Betrachtungen stellen.16 Es genügt, sich gedanklich in einfache Alltagssituationen hineinzuversetzen, um zu erkennen, dass die zahlreichen Facetten des menschlichen Gefühlshaushaltes bei der Erörterung sozialen Handelns (inklusive des Sinns, den Menschen damit verbinden) eigentlich nicht ausgeklammert werden können. Große Teile unseres Gefühlslebens resultieren aus unserer sozialen Existenz, d. h. aus unserer unmittelbaren Interaktion oder unseren Erfahrungen mit anderen. Wenn wir mit anderen interagieren, reagieren wir (bewusst oder unbewusst) auch gefühlsmäßig auf diese, etwa mit Sympathie oder Antipathie. Wir streben die Zuneigung bestimmter Personen an, während wir uns von anderen abzugrenzen versuchen oder ihren Zorn fürchten. Wir trösten Trauernde, schämen uns für eigene Missgeschicke oder sind peinlich berührt über die Missgeschicke anderer. Wir freuen uns über die Erfolge unserer Freunde und weinen mit ihnen über das traurige Ende eines Kinofilms. Ein guter Teil unserer Gedanken und unseres Strebens richtet sich auf emotionale Belange. Unsere soziale Existenz ‚erzeugt‘ aber nicht nur bestimmte Gefühle in uns (die dann gewissermaßen als rein persönliche Belan-
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Emotionen werden in unterschiedlichen Kontexten zwar zunehmend beachtet – Publikationen zu einer Soziologie der Emotionen im engeren Sinne gab es bis vor Kurzem jedoch im deutschen Sprachraum kaum. Als Beispiel für das dennoch vorhandene Interesse verweise ich hier auf die relativ frühe Thematisierung der Emotionen im Kontext der Politischen Soziologie vgl. Klein, Nullmeier, Masse – Macht – Emotionen (1999). Hinzuweisen ist auch auf die beiden bisher einzigen deutschsprachigen Werke, die sich explizit der Soziologie der Emotionen widmen: Gerhards, Soziologie der Emotionen (1988); – Flam, Soziologie der Emotionen (2002). Zur These der kompletten Vernachlässigung des Themas in der deutschsprachigen Soziologie vgl. Flam, The Emotional Man, S. 153. Zur Bedeutung der Klassiker für die Soziologie der Emotionen vgl. auch Kemper, Themes and Variations, S. 5; – Williams, Bendelow, Introduction, S. XV; – Flam, The Emotional Man, S. 154. Als Beispiel für eine relativ frühe Kritik an dieser ‚Gefühlsferne‘ der Soziologie kann auf Dennis H. Wrong verwiesen werden. Bereits 1961 kritisierte Wrong den kognitiven Bias in der durch die Dominanz des Struktur-Funktionalismus geprägten Soziologie (wobei er auch innerhalb der mikrosoziologisch ausgerichteten Kritiker des Struktur-Funktionalismus einen derartigen Bias feststellte). Wrongs Plädoyer für eine stärkere Beschäftigung mit der menschlichen Natur und einer psychologischen Fundierung soziologischer Studien fand jedoch zunächst keine breitere Resonanz. Vgl. Wrong, Introduction, S. X–XI; – Wrong, The Oversocialized, S. 36–38, S. 46; – Wrong, Human Nature, S. 55–56. Zum Folgenden vgl. auch Scherke, Emotionen – ein soziales Phänomen?
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
ge betrachtet werden könnten), diese Gefühle haben auch einen wesentlichen Einfluss auf die Art unserer Handlungen und damit auf den weiteren Verlauf der sozialen Interaktion. Soziologie als Wissenschaft des sozialen Handelns hätte also jeden Grund, sich intensiv mit dem Thema der Gefühle und Stimmungen des Menschen auseinanderzusetzen. Und tatsächlich finden sich bei vielen frühen Vertretern dieses Faches Hinweise auf das Gefühlsleben des Menschen. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts schrumpfte der Stellenwert der Gefühle in soziologischen Erörterungen allerdings erheblich. Das Ausmaß dieses Perspektivenwandels für die deutschsprachige Soziologie aufzuzeigen und mögliche Erklärungen für die wechselnde Konjunktur der Emotionsthematik anzubieten, ist ein Ziel der vorliegenden Arbeit. Diese Problemstellung wirft generelle Fragen der Wissenschaftsentwicklung auf. Welche Faktoren sind für inhaltliche Kontinuitäten oder Diskontinuitäten in wissenschaftlichen Disziplinen verantwortlich? Wovon hängt die Themen- und Modellwahl der in einer bestimmten Disziplin tätigen Forscher und Forscherinnen ab? Anhand des Themas der Emotionen in der Soziologie sollen einige dieser Fragen erörtert werden. Eine derartige wissenschaftsgeschichtliche und -soziologische Aufarbeitung der Fachgeschichte der Soziologie im Hinblick auf die Emotionsthematik soll außerdem, im Sinne von Endreß, dabei helfen, ein „Reservoir von Warnschildern vor intellektuellen Kurzschlüssen“17 zur Verfügung zu stellen. Das Aufzeigen bisheriger Sichtfeldeinschränkungen (und der dafür möglicherweise verantwortlichen Gründe) wird daher ergänzt durch eine systematische Erörterung der prinzipiellen Relevanz der Emotionsthematik für die Soziologie. Die vorliegende Arbeit wird keine neuartige Soziologie der Emotionen vorschlagen, jedoch versuchen zu zeigen, welche Rolle die Soziologie bei der Erörterung des Emotionsgeschehens im ‚Konzert der Wissenschaften‘ zu spielen in der Lage ist. Für diesen Zweck wurde eine Systematik unterschiedlicher Typen einer Soziologie der Emotionen erstellt, um hierdurch die prinzipielle ‚Spannweite‘ soziologischer Betrachtungen der Gefühlsthematik abzustecken und auch die Unterschiede zu entsprechenden Arbeiten anderer Disziplinen aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund lässt sich besser verdeutlichen, welche Einschränkungen es im Lauf der Geschichte der Soziologie hinsichtlich des Emotionsthemas – insbesondere im deutschen Sprachraum – gegeben hat und gleichzeitig das Potential abschätzen, das eine intensivere Beschäftigung mit der Emotionsthematik für die Soziologie bieten könnte. Ein derartiges Unterfangen setzt die Beachtung der enormen Zahl in den letzten Jahren erschienener biowissenschaftlicher Arbeiten zur Emotionsthematik voraus. Die Sozialwissenschaften und insbesondere die Soziologie sollten diese Ergebnisse – etwa der Neurowissenschaften – aus verschiedenen später noch näher darzustellenden Gründen nicht ignorieren. Anliegen der folgenden Erörterungen ist es daher auch, Schnittstellen zwischen der Soziologie und den Biowissenschaften aufzuzeigen und dadurch möglicherweise ein künftiges interdisziplinäres Zusammenwirken bei der Erforschung des menschlichen Gefühlslebens zu initiieren. Beschäftigt man sich mit Emotionen, kommt man nicht umhin, zunächst den Gegenstandsbereich näher zu beschreiben. Im Folgenden werde ich mich daher mit dem Verhältnis von Rationalität und Emotionalität und den verschiedenen dazu innerhalb der Soziologie vorhandenen Positionen beschäftigen. Anschließend werden einige neuere Erkenntnisse der
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Endreß, Zur Historizität soziologischer Gegenstände, S. 85.
1. Einleitung
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Biowissenschaften zum Thema Emotionen präsentiert, die auch für die Soziologie von Belang sein können. Es folgt ein systematischer Überblick über das Feld der Soziologie der Emotionen. Für KennerInnen dieses Feldes wird dieser Überblick wenig Neues beinhalten, er versteht sich hier jedoch als Einführung in das Feld und soll gleichzeitig den Boden für die im weiteren Verlauf des Buches erfolgende Erörterung der Geschichte der Emotionsthematik im deutschen Sprachraum aufbereiten. Es werden sodann mögliche Gründe für die Vernachlässigung bzw. Wiederentdeckung der Emotionsthematik in der Soziologie erörtert und einer wissenschaftssoziologischen Vertiefung unterzogen. Ein historischer Abriss der Fachentwicklung im deutschen Sprachraum steckt schließlich den Rahmen ab für die im darauffolgenden Kapitel präsentierte Bestandsaufnahme des Stellenwertes, den die Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie eingenommen haben bzw. derzeit einnehmen. Im Rahmen dieser Bestandsaufnahme wurde für den Zeitraum 1949–2003 eine Inhaltsanalyse einiger deutschsprachiger Fachzeitschriften, die als repräsentativ für den mainstream des Faches angesehen werden können, erstellt. Ein ergänzender Überblick über die weitergehende Konjunktur der Emotionsthematik zwischen 2004–2008 rundet diesen Abschnitt ab. Es ist eine doppelte Motivation, die mich zu der Beschäftigung mit der Entwicklung der Emotionsthematik geführt hat: Einerseits wird in der vorhandenen Literatur zur Soziologie der Emotionen die These einer kompletten Vernachlässigung der Thematik im deutschen Sprachraum vertreten – diese These galt es einer empirischen Überprüfung zu unterziehen, um hierbei auch möglicherweise bisher übersehene Beiträge einer neuen Beachtung zuzuführen. Andererseits ist derzeit, wie oben kurz skizziert, ein regelrechter Boom des Emotionsthemas in wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Kontexten feststellbar – wodurch ebenfalls der Eindruck bisheriger Vernachlässigung vonseiten der Wissenschaft genährt wird. Die Angemessenheit dieses Eindrucks sollte durch die vorliegende Untersuchung für die deutschsprachige Soziologie überprüft werden. Ich konzentriere mich vor allem auf die Fachentwicklung in Deutschland, da die Entwicklungen des Faches in Österreich und in der Schweiz auf die Entwicklungen in Deutschland bezogen werden können, und weil ich davon ausgehe, dass die von mir für die Bestandsaufnahme herangezogenen Fachzeitschriften auch repräsentativ für den mainstream dieser beiden Länder sind. Es wird im Folgenden immer wieder aus Vergleichsgründen auf die Entwicklung der Soziologie der Emotionen im anglo-amerikanischen Raum verwiesen, dies geschieht jedoch lediglich zu heuristischen Zwecken und auf Basis entsprechender nicht von mir selbst empirisch überprüfter Angaben in der Literatur. Für die detaillierte Nachzeichnung der Konjunktur des Themas im englischen Sprachraum wäre eine separate Untersuchung erforderlich, die jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein soll. Die mittlerweile stattfindende Internationalisierung des Faches soll nicht bestritten werden, jedoch kann festgestellt werden, dass die Praxis wissenschaftlicher Akteure im 20. Jahrhundert lange Zeit durch Sprachgrenzen und national divergente Wissenschaftstraditionen bestimmt war und teilweise immer noch ist. Im Rahmen wissenschaftssoziologischer Erörterungen dürfen derartige, aus dem konkreten Kontext der Wissensproduktion resultierende Faktoren bei der Nachzeichnung der Konjunktur eines Themas nicht vernachlässigt werden; die Konzentration auf die deutschsprachige Soziologie im Rahmen dieser Arbeit erscheint daher gerechtfertigt. Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im August 2006 an der Universität Graz eingereicht wurde.
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
Mein Dank gilt daher an dieser Stelle all jenen, die mich bereits im Zuge der Verfassung der Habilitationsschrift unterstützt haben. Für wertvolle Anregungen, Hinweise und Kommentare zum Manuskript möchte ich mich herzlich bei Karl Acham, Gerald AngermannMozetič, Christian Fleck und Franz Höllinger bedanken. Für die Mühe des sorgfältigen Korrekturlesens gilt mein Dank Monika Erkinger und Elisabeth Klöckl-Stadler. Elisabeth Klöckl-Stadler hat auch das Layout des vorliegenden Buches vorgenommen und damit sehr zum Gelingen der Publikation beigetragen. Für ihr Verständnis danken möchte ich allen Freunden und Freundinnen, die in der Entstehungszeit der Habilitationsschrift häufig auf meine emotionale Zuwendung verzichten mussten. Meiner Mutter, die meine ersten Gefühlsregungen wahrgenommen hat, und die mich seither stets liebevoll unterstützt hat, soll diese Arbeit gewidmet sein.
2. Rationalität oder Emotionalität als Maximen menschlichen Handelns? – Ein kurzer Überblick über eine lang währende Debatte
Emotionen wurden in den letzten Jahrzehnten in den Biowissenschaften eingehenden Untersuchungen unterzogen; hervorzuheben sind hier vor allem die Ergebnisse der Hirnforschung und Biochemie. Die Erforschung der Emotionen des Menschen kann heute noch keineswegs als abgeschlossen angesehen werden. Was sich jedoch bereits jetzt aus den biowissenschaftlichen Erkenntnissen ableiten lässt, ist, dass die in der Philosophie und den Sozialwissenschaften lange Zeit vorherrschende Vorstellung eines Gegensatzes von Rationalität und Emotionalität nicht länger haltbar ist. Es konnte seit den 1980er-Jahren nachgewiesen werden, dass auf der neuronalen Ebene bei menschlichen Denkprozessen sowohl der Neocortex als auch ältere, mit dem Gefühlshaushalt der Menschen assoziierte Hirnregionen (Hypothalamus, Hypophyse) aktiviert werden.1 Auch auf der endokrinologischen Ebene konnte gezeigt werden, dass Botenstoffe (Neurotransmitter, Hormone), die den Gefühlshaushalt regulieren, überall im Körper, d. h. auch im Gehirn, erzeugt und rezipiert werden.2 Eine Wechselwirkung zwischen Denken und Fühlen ist also sehr naheliegend (Näheres zu den biowissenschaftlichen Befunden siehe Kapitel I, 3.1.). Durch diese Erkenntnisse wird das in den Sozialwissenschaften vertretene Menschenbild vor neue Herausforderungen gestellt. Auch die Soziologie kann den Befund, dass Rationalität und Emotionalität eng miteinander verknüpft sind, nicht ignorieren. Im Folgenden sollen daher zunächst ganz allgemein verschiedene Positionen zum Verhältnis Rationalität – Emotionalität skizziert werden, bevor näher auf die bisher hierzu innerhalb der Soziologie vertretenen Sichtweisen eingegangen wird.
2.1. Verschiedene Sichtweisen des Verhältnisses zwischen Rationalität und Emotionalität Das Verhältnis zwischen Rationalität und Emotionalität ist seit Langem Thema wissenschaftlicher Erörterungen. Zur Strukturierung der Debatte erweisen sich die von Jack Barbalet vorgeschlagenen folgenden drei möglichen Haltungen als sehr nützlich: der konventionelle Zugang zum Thema, der in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt wurde, der kritische Zugang, der in jüngster Zeit vor allem durch einen Einbezug neurowissenschaftlicher
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Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, insbesondere S. 123–161; – LeDoux, Das Netz der Gefühle, insbesondere S. 149–183. Vgl. Pert, Moleküle der Gefühle, S. 99–102. Oxytocin ist beispielsweise ein derartiges Hormon, das sowohl im Gehirn als auch in den Geschlechtsorganen produziert wird und in engem Zusammenhang mit menschlichen Nahebeziehungen steht. Vgl. auch http://www.apa.org/monitor/feb08/oxytocin.html (5.1.2009).
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
Erkenntnisse gekennzeichnet ist und eine enge Verbindung von Rationalität und Emotionalität postuliert, und der radikale Zugang, der die Unterscheidung zwischen Emotionalität und Rationalität komplett aufgibt.3 Diese Unterscheidung verschiedener Zugänge erscheint mir aus Gründen der Übersichtlichkeit hilfreich für die folgenden Erörterungen. Es muss jedoch beachtet werden, dass eine derartige Gliederung nur eine idealtypische sein kann, da beispielsweise die Arbeiten einzelner Autoren (z. B. David Humes) durchaus mehreren der hier unterschiedenen Ansätze zugerechnet werden können.
2.1.1. Der konventionelle Zugang Aus konventioneller Sicht sind Rationalität und Emotionalität zwei getrennte Bereiche menschlichen ‚In-der-Welt-Seins‘. Emotionen stellen diesem Ansatz zufolge außerdem zumeist eine Behinderung für rationales Handeln dar. Diese Denkrichtung hat eine lange Tradition. Erste Wurzeln eines derartigen Verständnisses der Affekte finden sich bereits in der Antike. Die negative Einschätzung der Vorsokratiker, die die Weckung von Affekten zu vermeiden rieten, wird etwa auch von Platon vertreten, wiewohl dieser bereits ein differenziertes, nicht ausschließlich negatives Bild der Affekte zeichnet und Lust in Eintracht mit der Vernunft als wesentlichen Teil des Lebensglücks betrachtet. Auch Aristoteles strebt nicht die vollkommene Freiheit von Affekten an, sondern sieht im rechten Maß derselben eine erstrebenswerte Tugend.4 Die eher negative Sicht der Affekte als zu vermeidende vernunftwidrige Regungen findet sich sodann vor allem bei den Vertretern der Stoa. Während beispielsweise Zenon fehlerhafte Verstandesurteile als Ausgangspunkt der Affekte sieht, die er jedoch als von der Vernunft prinzipiell zu unterscheidende Phänomene betrachtet, sind für Chrysippos Affekte nicht von der Vernunft zu trennen, aber als mangelhafte Ausübung derselben zu bewerten: „Der Affekt ist Vernunft (...), der nur schlecht und zügellos ist infolge eines üblen und verfehlten Urteils, das von Ungestüm und Heftigkeit befallen ist.“5 Im Mittelalter wird diese Haltung aufgegriffen und auf die Frage hin zugespitzt, inwieweit Affekte bewusste Willensentscheidungen zu beeinflussen vermögen. Thomas von Aquin betont die körperliche Dimension der Affekte: An sich seien die Affekte weder gut noch böse; wenn sie von der Vernunft im rechten Maß gehalten werden, würden sie zur Tugend gehören, wenn nicht, würden sie zur Sünde führen, wobei sie dem menschlichen Willen nicht vollständig unterworfen seien.6 Das in der Antike und dem Mittelalter teilweise noch vorhandene umfassende Verständnis der Affekte sowohl als – plötzlich hervorgerufene oder dauerhaft anhaltende – Zustände der Seele als auch als Strebungen derselben, wird in der neuzeitlichen Diskussion allmählich differenzierter, indem zwischen den dauerhafteren Begierden des Menschen und seinen spontanen Gemütsbewegungen deutlicher unterschieden wird.7 Die bei manchen antiken
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Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 29. Vgl. Lanz, Affekt, S. 89. – Vgl. auch Wassmann, Die Macht der Emotionen, S. 15–19. Lanz, Affekt, S. 90. Vgl. Lanz, Affekt, S. 92–93. Vgl. Lanz, Affekt, S. 93–95.
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Denkern8 und auch bei Thomas von Aquin noch vorhandene Vorstellung einer weitgehenden Einheit von Leib und Seele wird in der Folgezeit außerdem durch die Vorstellung einer strikteren Trennung der beiden abgelöst. Barbalet beschreibt daher auch die konventionelle Auffassung des Verhältnisses von Rationalität und Emotionalität unter Rückgriff auf Descartes.9 Descartes’ ‚cogito ergo sum‘ rückt aus Sicht Barbalets den Verstand ins Zentrum der menschlichen Existenz, während Emotionen nun vor allem in Relation zum Verstand und in ihren möglichen destruktiven Wirkungen für denselben betrachtet werden. Der Wille müsse die leidenschaftlichen, vom Körper ausgehenden Impulse in den Griff bekommen.10 Emotionen und Verstand werden in dieser Sichtweise als konträre Phänomene aufgefasst, wobei der mit dem freien Willen des Menschen assoziierte Bereich – der Verstand – Wertschätzung erfährt, während die Emotionen als körperliche, vernunfthemmende Phänomene zu unterdrücken seien. Nicht übersehen werden darf bei dieser Darstellung der descartesschen Sichtweise der Emotionen jedoch, dass Descartes sich sehr ausführlich mit den körperlichen Prozessen des Emotionsgeschehens beschäftigt hat. Die Wertschätzung des Verstandes also nicht mit einer Vernachlässigung der (oder einem mangelnden Interesse an) Emotionen verknüpft war.11 Descartes schreibt zur Möglichkeit der Beherrschung der Leidenschaften durch den Willen: „Es ist wahr, daß es sehr wenig Menschen gibt, die so schwach und unentschlossen sind, daß sie nur das wollen, was ihnen die Leidenschaft diktiert. Die meisten haben bestimmte Urteile, denen gemäß sie zum Teil ihre Handlungen regeln. Obgleich nun diese Urteile oft falsch sind und selbst auf Leidenschaften gegründet, von denen sich der Wille vorher hat besiegen oder auch verleiten lassen, kann man diese Urteile doch als seine eigenen Waffen ansehen, weil die Leidenschaft, aufgrund welcher er diesen Urteilen folgt, wenn sie sie auch verursacht hat, abwesend ist. Man kann also folgern, dass die Seele stärker oder schwächer ist, je nachdem sie mehr oder weniger ihren Willensurteilen folgt oder den gegenwärtigen ihnen entgegengesetzten Leidenschaften widerstehen kann.“12 Zu beachten ist auch, dass die Seele in der Lage ist, durch die Vorstellung von Umständen, die den aktuellen Leidenschaften entgegengesetzt sind, entsprechende körperliche Mechanismen in Gang zu setzen und somit die unerwünschten Leidenschaften in den Griff zu bekommen.13 In der Rezeption Descartes’ wurde die in seinem Werk eigentlich angelegte grundlegende Verbindung von Körper und Seele (die auch die Beherrschung der Leidenschaften erst ermöglicht) häufig übersehen und einseitig seine Darstellung der Leidenschaften als vernunftwidriger Phänomene betont.14 Barbalet zeigt die Spuren
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Die Vorstellung einer Verbindung von Leib und Seele findet sich etwa bei Plotin: „Meinungen der Seele (...) (Vorstellungen des Guten oder Bösen) erzeugen Erregungszustände des Leibes und umgekehrt.“ Lanz, Affekt, S. 91. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 33–34. Die der Seele zugehörigen Gedanken lassen sich nach Descartes in zwei Gruppen aufteilen: „Und zwar sind die einen Tätigkeiten der Seele, die anderen ihre Leiden. Ihre Tätigkeiten nenne ich alle unsere Willensakte, weil wir erfahren, daß sie unmittelbar aus unserer Seele kommen und als allein von ihr abhängig erscheinen. Im Gegenteil dazu kann man allgemein alle Arten von Wahrnehmung oder Kenntnissen ihre Leiden nennen, die sich in uns finden, weil es eigentlich nicht unsere Seele ist, die sie so macht, wie sie sind, und weil die Seele sie immer von Dingen erhält, die durch sie vorgestellt werden.“ Descartes, Die Leidenschaften, S. 33. Vgl. hierzu auch Wassmann, Die Macht der Emotionen, S. 20–25; – Ulich, Mayring, Psychologie der Emotionen, S. 16–18. Descartes, Die Leidenschaften, S. 84–85. Vgl. Descartes, Die Leidenschaften, S. 71–75. Vgl. Descartes, Die Leidenschaften, S. 51.
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eines einseitig die Vernunftwidrigkeit der Emotionen betonenden ‚cartesianischen‘ Denkens in den Arbeiten Sigmund Freuds und Max Webers auf sowie, im Hinblick auf Weber, auch dessen partielles Abrücken von dieser strikten Trennung von Verstand und Gefühl.15 Die konventionelle Sicht erwies sich in den vergangenen Jahrhunderten als dominante Vorstellung des Verhältnisses von Rationalität und Emotionalität (trotz des Vorhandenseins anderer Sichtweisen).16
2.1.2. Der kritische Zugang Die kritische Sicht des Verhältnisses von Rationalität und Emotionalität betont der konventionellen Vorstellung gegenüber, dass Emotionen der Kognition, d. h. der rationalen Überlegung, überhaupt erst ein Ziel geben. Gefühl und Verstand werden zwar auch in dieser Sichtweise als zwei verschiedene Phänomene betrachtet, allerdings wird eine engere Zusammenwirkung zwischen ihnen angenommen. Auch für diese Vorstellung lassen sich bereits Vorläufer in der Antike und im Mittelalter finden. Barbalet beschreibt diese Vorstellung jedoch vor allem unter Bezugnahme auf David Hume. Das cartesianische Menschenbild wurde im 18. Jahrhundert vonseiten der schottischen Moralphilosophen kritisiert, die eine Rehabilitation der Sinne und Leidenschaften des Menschen anstrebten, wie etwa Streminger feststellt: „Die Leidenschaften der Menschen galten nun als die lebendigen Impulse, die das seelische Geschehen als Ganzes erst anregen und in Gang halten. Von allen Seiten erschallt im 18. Jahrhundert der Ruf nach einer Emanzipation der Sinnlichkeit. Der Stoizismus des vorangegangenen Jahrhunderts wird von einer stark epikureisch gefärbten Grundstimmung abgelöst.“17 Hume ging davon aus, dass die Leidenschaften den Willen steuern und somit menschliches Handeln auf ein Ziel hin ausrichten. Darüber hinaus findet sich bei Hume bereits auch die Grundidee des weiter unten vorgestellten radikalen Ansatzes, derzufolge Rationalität selbst als ein bestimmtes Gefühl betrachtet werden kann (siehe dazu Kapitel I, 2.1.3.).18 Aus Sicht des kritischen Ansatzes sind Emotionen also notwendig, um den Verstand zu dirigieren, was vor allem auch im Hinblick auf eine Revision der modernen Rational-Choice-
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Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 34. Barbalet stellt im Hinblick auf Webers Arbeit zur protestantischen Ethik fest, dass die protestantische Betonung der Rationalität selbst auf einer als emotional zu bezeichnenden Haltung – dem Hass auf die Sünde – beruhe, was auch von Weber erkannt, aber im Wesentlichen als religiöse Einstellung beschrieben wurde, wodurch der emotionale Gehalt dieser Einstellung in den Hintergrund geriet. „The apparent inconsistency of Puritan suppression of emotion on the one hand, and hatred of sin on the other, is not solved by describing such particular emotions as attitudes.“ Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 38. – Im Hinblick auf die Weberinterpretation Barbalets kritisiert Flam, dass dieser zwar die Bedeutung, die Weber den Emotionen bemaß, erkannt hat, ansonsten aber Weber als Vertreter eines cartesianischen Menschenbildes beschreibt, was der tatsächlichen Ausrichtung der Arbeiten Webers, aus Sicht Flams, nicht gerecht werde. „In der Protestantischen Ethik hat Weber (...) eine Verbindung zwischen Ideen und Emotionen sowie Emotionen und Ideen herausgearbeitet, eine häufig übersehene Tatsache.“ Flam, Soziologie der Emotionen, S. 51. – Schon Gerhards, auf dessen Arbeiten sich Flam bezieht, hatte festgestellt, dass Angst vor Verdammung und Hass der Sünde aus Sicht Webers zwei wesentliche ‚Motoren‘ für die vom Calvinismus vorangetriebene Rationalisierung der Lebensführung waren, weshalb Weber nicht als Vertreter eines einseitig rationalistischen Menschenbildes betrachtet werden könne. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 31. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 54–61. Streminger, David Hume, S. 184. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 31.
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Theorien von Bedeutung sein kann. In einer Art Arbeitsteilung zwischen emotionalen und rationalen Komponenten des menschlichen ‚In-der-Welt-Seins‘ wird es möglich, Ziele zu bestimmen und diese dann mittels vernünftiger Handlungen anzustreben. Menschen haben es häufig mit widersprüchlichen Zielen zu tun, zwischen denen eine rationale Entscheidung kaum möglich ist. In vielen Situationen stehen ihnen außerdem nur unvollständige Informationen zur Verfügung, die ein vernünftiges Handeln zusätzlich erschweren. Emotionen können in diesen Fällen einen wichtigen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten, indem sie eine klare Bewertung der verschiedenen Ziele und die Auswahl eines davon, trotz mangelnder Hintergrundinformationen, ermöglichen. Sie gewährleisten auf diese Art auch langfristige soziale Kooperationen – unter Umgehung egoistischer kurzfristiger Nutzenbefriedigung.19 Emotionen erlauben also auch moralische Ziele, die letztlich mit einem höheren Nutzen für alle an einer Gemeinschaft Beteiligten verbunden sind, zu verwirklichen.
2.1.2.1. Neurobiologische Belege für den kritischen Zugang Im Folgenden soll der kritische Zugang zum Thema noch etwas näher erläutert werden, da er aus meiner Sicht am ehesten auch für soziologische Handlungsmodelle von Interesse zu sein scheint. In jüngster Zeit haben vor allem die Erkenntnisse der Biowissenschaften Belege für den kritischen Zugang erbracht, die mittlerweile unter anderem auch in der Ökonomie Gehör gefunden haben.20 Durch bildgebende Verfahren, wie etwa die Magnetresonanztomographie, ist es möglich geworden, das Gehirn lebender Personen zu studieren und so neue Informationen über dessen Arbeitsweise zu sammeln. Lange Zeit hatte die einzige Möglichkeit, etwas über die Funktionsweise des Gehirns zu erfahren, darin bestanden, neurologisch auffällige Patienten nach deren Tod zu obduzieren. Anhand ihres Krankheitsbildes und der später im Rahmen der Obduktion sichtbar gewordenen Hirnschädigungen konnten Rückschlüsse auf die Funktion bestimmter Hirnregionen gezogen werden. Auch für die Neurobiologen Antonio und Hanna Damasio stellten solche Patientengeschichten einen ersten Ausgangspunkt dar. Die oftmals zitierte Fallgeschichte des Phineas Gage nimmt in Damasios Überlegungen eine prominente Rolle ein und soll daher hier kurz skizziert werden: Während einer Explosion im Zuge eines Arbeitsunfalls durchschlug 1848 eine Eisenstange die linke Wange des Eisenbahnarbeiters Gage, sie wurde durch seine Schädelbasis getrieben, durchbohrte den vorderen Teil seines Gehirns und trat durch das Schädeldach wieder aus. Gage verlor bei diesem Vorfall nicht das Bewusstsein und zeigte laut Zeitzeugenberichten auch unmittelbar nach dem Unfall keine der angesichts des Ausmaßes der Wunde erwartbar gewesenen Störungen (wie etwa den Verlust der Sprache oder des Gedächtnisses etc.). Was sich jedoch veränderte, war die Persönlichkeit Gages, der im sozialen Kontakt fortan eigentümliche Gefühlsreaktionen zeigte (etwa seine Mitmenschen unangemessen beschimpfte) und gleichzeitig unfähig dazu war, Handlungspläne zu fassen bzw. konsequent umzusetzen. Es schien so, als ob er die Fähigkeit verloren hätte, die Konsequenzen seiner Handlungen, vor allem für seinen sozialen Kontext, vorauszusehen und in sein Handeln einzukalkulieren. Alle neuen Verhaltensweisen von Gage standen im kompletten Gegensatz zu
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Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 40. Vgl. auch Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 39; – Elster, Emotions and Economic Theory, S. 47–74; – Frank, Die Strategie, S. 52–53, S. 104–106, S. 172–177.
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seiner früheren Persönlichkeit. Zeitzeugen hatten berichtet, dass Gage, der auch Vorarbeiter des Eisenbahntrupps gewesen war, stets sehr besonnen agiert hätte. Er sei angenehm und freundlich im Umgang mit seinen Mitmenschen gewesen. Nach dem Unfall verstrickte sich Gage während der Arbeit in Details, war unfähig eine Aufgabe zu Ende zu führen und auch im Kontakt zu anderen Menschen konnte er keine längerfristigen Bindungen mehr eingehen. Seinen Lebensunterhalt deckte er in weiterer Folge durch Gelegenheitsarbeiten und durch Zuwendungen seiner Verwandten. Gages Gesundheitszustand verschlechterte sich allmählich und er litt offenbar auch an epileptischen Anfällen. 1861, also 13 Jahre nach dem tragischen Unfall, starb er.21 Damasio schließt aus diesem frühen Beispiel, dass es offenbar Systeme im menschlichen Gehirn gibt, „die mehr mit dem Denken, vor allem mit seinen persönlichen und sozialen Dimensionen, befaßt sind als mit anderen Tätigkeiten. Wie dieser Fall zeigt, können infolge einer Hirnschädigung soziale Konventionen und moralische Regeln ihre Verbindlichkeit verlieren, ohne daß allem Anschein nach grundlegende geistige und sprachliche Fertigkeiten beeinträchtigt sind. Gages Beispiel zeigte, daß Teile des Gehirns für spezifisch menschliche Eigenschaften zuständig sind, unter anderem für die Fähigkeit, die Zukunft vorwegzunehmen und sie in einem komplexen sozialen Umfeld angemessen zu planen, für das Verantwortungsgefühl sich selbst und anderen gegenüber, und für das Vermögen, das eigene Überleben nach Maßgabe des freien Willens zu organisieren.“22 Welche Erklärung gibt es für das eigenartige Sozialverhalten von Gage? Es wäre denkbar, dass bei Gage das in speziellen Hirnregionen gespeicherte Wissen über soziale Konventionen zerstört worden war. Eine weitere Hypothese wäre, dass zwar nicht das Wissen selbst zerstört wurde, aber die Denkstrategien zur Aktivierung dieser Wissensbestände durch den Unfall behindert wurden. Damasio verfolgte darüber hinaus noch eine weitere Hypothese: Es könnte sein, dass jene Gehirnteile, die bei Gage zerstört worden waren, vorrangig für Gefühlsreaktionen zuständig seien und Gage aufgrund seines Defizits in diesem Bereich unfähig wurde, adäquate Entscheidungen in alltäglichen Zusammenhängen zu treffen bzw. umzusetzen. Zur Klärung dieser Hypothesen verglich Damasio Gages Fall mit den Krankengeschichten einiger eigener Patienten, die ähnliche Hirnschädigungen, ebenfalls ohne gröbere Beeinträchtigungen – abgesehen von einem Wandel ihrer Persönlichkeit – überlebt hatten. Diese Patienten waren – ähnlich wie Gage – nicht in der Lage, ihre Zukunft zu planen, eine Tätigkeit systematisch zu Ende zu führen, geschweige denn längere Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen. Außerdem konnte bei diesen Patienten eine Abschwächung ihres Gefühlslebens beobachtet werden. Sie reagierten zumeist gelassen auf ihre Umwelt, zeigten kaum Lachen, Weinen oder andere gefühlsmäßige Reaktionen. Über das Gefühlsleben von Gage gab es kaum Berichte, zumindest dürften aber bei ihm die Gefühle Scham und Peinlichkeit durch den Unfall beeinträchtigt worden sein, wie aus den dokumentierten sozial unangemessenen Reaktionen geschlossen werden kann. Damasio führte bei den ‚modernen‘ Patienten verschiedene psychologische Tests durch. In Intelligenz- und Gedächtnistests schnitten seine Patienten gut ab, allerdings stellte er bei ihnen eine auffallende Gefühlsarmut fest. Damasio schloss daraus, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser Gefühlsarmut und der Schwäche im Entscheidungsverhalten geben
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Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, S. 25–31. Damasio, Descartes Irrtum, S. 34.
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müsse. Sein Patient Elliot etwa hatte keine Probleme, in Tests zum sozialen Entscheidungsverhalten akzeptable Antworten zu liefern, obwohl er im realen Leben permanent gegen soziale Konventionen verstoßen hatte. Unter Laborbedingungen war er fähig, für komplizierte moralische Probleme mögliche Handlungsoptionen zu entwerfen, d. h. sein Wissensstand und seine Denkstrategien waren nicht beeinträchtigt. Im realen Leben jedoch reichte dieser Wissensstand allein nicht aus, um angemessene Handlungen zu setzen.23 Jede Handlungsalternative kann zahlreiche Reaktionen anderer Beteiligter hervorrufen, die in die Auswahl der Handlungsoptionen einbezogen werden müssen und eine entsprechend spontane Anpassung der eigenen Handlungspläne in der Interaktion erforderlich machen. Diese Offenheit sozialer Situationen fehlt unter Laborbedingungen. Der Defekt, den Elliot und andere erlitten hatten, machte sich offensichtlich dort bemerkbar, wo es um reales Entscheidungshandeln geht. Damasio zufolge sind es die Gefühle, die in realen Entscheidungssituationen die rasche Auswahl einer bestimmten Handlungsoption erlauben. Gefühlsbeeinträchtigungen hindern Patienten daran, die verschiedenen erdachten Handlungsmöglichkeiten zu bewerten und auf diese Weise eine davon auszuwählen und umzusetzen. Ein Mangel an Gefühlen kann also das konkrete Entscheiden und Handeln erheblich behindern. Im Gegensatz zur konventionellen Auffassung, die ein Zuviel an Emotionen als hinderlich für rationales Entscheiden ansieht, ist offenbar das Fehlen von Emotionen ebenso kontraproduktiv für rationales Handeln. Entscheidungsprozesse laufen laut Damasio folgendermaßen ab (vgl. hierzu auch Kapitel I, 3.1.): Das Wissen wird im Gehirn nicht in speziellen Regionen gespeichert, sondern das Gehirn erzeugt Vorstellungsbilder (die aus einem Zusammenspiel der bei einer bestimmten Sinneswahrnehmung aktivierten Neuronen bestehen), die ihrerseits Impulse an die Motorik senden und so eine bestimmte Reaktion oder Handlung einleiten. Als sogenannte ‚dispositionelle Repräsentationen‘ werden die Sinneseindrücke als Muster (der aktivierten Nervenbahnen) abgespeichert. Durch neue Sinneseindrücke können diese Muster wieder aktiviert und die mit den Vorstellungsbildern verknüpften Reaktionsmöglichkeiten neu kreiert werden. Für diese Aktivierung bedarf es einer Kombination unterschiedlicher Prozesse im Gehirn – Wahrnehmung, Erinnerung, Denken. Bei all diesen Prozessen sind stets mehrere Gehirnregionen aktiv.24 Damasio unterscheidet zwischen angeborenen Aktivitätsmustern, die die evolutionär älteren Gehirnabschnitte – Hypothalamus, Gehirnstamm – aktivieren, unser Überleben sicherstellen sollen und vor allem physiologische Mechanismen (wie zum Beispiel die Herzfrequenz) kontrollieren, und erworbenen Aktivitätsmustern. Zu den angeborenen Aktivitätsmustern gehören auch die sogenannten primären Gefühle (zum Beispiel Furcht, Angst, Freude), die ebenfalls von den älteren Gehirnarealen gesteuert werden. Die vom Menschen im Laufe seines Lebens zusätzlich erworbenen Aktivitätsmuster sind in den evolutionär jüngeren Gehirnabschnitten aktiv (Großhirnrinde). Die erworbenen Aktivitätsmuster erlauben dem Menschen ein flexibles Reagieren auf die komplexe soziale Umwelt (die Emotionen Scham oder Peinlichkeit gehören zu diesen erworbenen Aktivitätsmustern und werden daher von Damasio auch den sekundären Gefühlen zugerechnet). Bei der Aktivierung der erlernten Aktivitätsmuster werden neben der Großhirnrinde auch die älteren Gehirnregionen benötigt, da sich auch Erlerntes auf basale biologische Aktivitätsmuster und die mit ihnen verknüpften körperlichen Reaktionen stützen muss.25 Plant der Mensch eine Hand-
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Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, S. 64–76. Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, S. 145–146. Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, S. 158.
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lung, so erzeugt er Vorstellungsbilder über die möglichen Konsequenzen seiner Handlungen; dieser Vorgang aktiviert nicht nur das Großhirn, sondern auch den Hirnstamm und jene Regionen, die für (primäre) Gefühle zuständig sind. Jedes Vorstellungsbild wird auf diese Weise mit bestimmten körperlichen Gefühlszuständen (zum Beispiel Herzrasen, Schweißbildung) belegt, die eine Beurteilung der Vorstellungsbilder als angenehm oder unangenehm erlauben (abhängig von ihrem potentiellen Beitrag zum Überleben des Organismus bzw. den bereits erlebten, ‚abgespeicherten‘ positiven oder negativen Erfahrungen). Diese Koppelung von Vorstellungsbildern mit Gefühlszuständen erlaubt eine schnelle Auswahl möglicher Erfolg versprechender Handlungsoptionen. Damasio spricht in diesem Zusammenhang auch von ‚somatischen Markern‘.26 Damasios Konzept der somatischen Marker beinhaltet auch die Möglichkeit, dass sich Marker in Zusammenhängen ausbilden und wirksam werden, die keine Gefahr für das Überleben darstellen. Es kann also zu einer Übertragung negativer Reaktionen auf Situationen kommen, nur weil sie eine gewisse Ähnlichkeit zu ‚abgespeicherten‘ früheren Situationen und deren negativen Konsequenzen haben. Prinzipiell können die gefühlsmäßigen Reaktionen, die durch somatische Marker eingeleitet werden, den Menschen somit auch von günstigen Entscheidungen abbringen, was als Beleg für die ältere These über den hemmenden Einfluss der Emotionen für rationale Entscheidungen gewertet werden kann. Damasios Arbeiten zeigen aber auch die positive unverzichtbare Funktion der Emotionen im Rahmen ebendieser Entscheidungsprozesse auf.27 In der kritischen Sicht kommt Emotionen also eine wichtige Rolle bei der Erreichung bestimmter Ziele zu, sie werden gewissermaßen von dem Vorwurf, nur destruktive Wirkungen auf die Verstandesleistungen zu haben, entlastet; ihre die Vernunft manchmal untergrabende Rolle wird jedoch nicht völlig ausgeblendet, woran deutlich wird, dass Emotion und Kognition weiterhin als distinkte Phänomene betrachtet werden.
2.1.3. Der radikale Zugang Die radikale Sicht geht davon aus, dass Rationalität und Emotionalität nichts grundlegend Verschiedenes sind, sondern dass Rationalität selbst als Konglomerat spezieller Emotionen angesehen werden kann. Die Vorstellung einer untrennbaren Verbundenheit von Vernunft und Affekt fand sich bereits, wie oben erwähnt, in negativer Konnotation bei Chrysippos. Bei den Denkern der Aufklärung lässt sich mitunter ebenfalls diese Verknüpfung von Verstandesleistung und Affekt, zum Teil in positiver Wertung der durch den Affekt angeleiteten Welterkenntnis, finden. Im Hinblick auf das Gefühl als Ausdruck für sinnliche Erfahrungen findet sich beispielsweise eine solche Vorstellung bei Alexander Gottlieb Baumgarten. Für ihn kann die aus der gefühlsmäßigen ästhetischen Weltvergegenwärtigung resultierende Erkenntnis als etwas zur Verstandeserkenntnis Analoges gesehen werden.28 Auch in der Diskussion der
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Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, S. 237–238. Kritiker Damasios weisen darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Gefühlen nicht klar getroffen werden kann. Weitgehend anerkannt werden jedoch seine Vorstellungen zur körperlichen Dimension der Gefühle, d. h. zur automatischen Bewertung von Vorstellungsbildern gemäß der Aspekte angenehm oder unangenehm. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 44. Vgl. Franke, Oesterle, Gefühl, S. 83–84.
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sogenannten moralischen Gefühle kommt dem Gefühl eine Erkenntnisfunktion im weitesten Sinne zu.29 Gefühle werden hier zum eigentlichen Träger menschlicher Entscheidungen und erhalten damit eine mitunter als der Verstandeserkenntnis überlegen angesehene Bedeutung, etwa bei Anthony Ashley Cooper Shaftesbury oder Francis Hutcheson.30 Auch in der Phänomenologie Max Schelers findet sich eine derartige emotionale Fundierung gewisser Erkenntnisleistungen.31 Sander schreibt hierzu: „Scheler sieht Rationalität in einer affektiv-ethischen Befähigung der Menschen fundiert, das Seiende in seinem Selbstwert und nicht nur unter der Rücksicht eines partikularen Interesses wahrzunehmen.“32 Gefühle spielen vor allem bei der Erschließung von Werten und darauf aufbauenden sittlichen Entscheidungen eine wichtige Rolle.33 Scheler schreibt etwa unter Bezugnahme auf Pascals Vorstellung einer ‚Logik des Herzens‘ (in der bereits die Bedeutung des Gefühls gegenüber dem Verstand hervorgehoben wurde, was jedoch aus Sicht Schelers häufig im Hinblick auf eine nur den Verstand ergänzende Funktion der Gefühle fehlinterpretiert wurde): „Es gibt eine Erfahrungsart, deren Gegenstände dem ‚Verstande‘ völlig verschlossen sind; für die dieser so blind ist wie Ohr und Hören für die Farbe – eine Erfahrungsart aber, die uns echte objektive Gegenstände, und eine ewige Ordnung zwischen ihnen, zuführt, eben die Werte; und eine Rangordnung zwischen ihnen.“34 (Hervorhebung im Original) Dieser durch Gefühle bzw. das Fühlen gegebene eigenständige Wirklichkeitsbezug ist ausschlaggebend für Schelers Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Verstand. Die radikale Position, die Barbalet unter Bezugnahme auf Hume und William James schildert, geht über eine gleichrangige Sichtweise bzw. eine Höherbewertung des Gefühls (wodurch Gefühl und Verstand im Prinzip weiterhin als distinkte Phänomene betrachtet werden) hinaus, indem Verstand und Gefühl – vor allem aufgrund ihrer Gebundenheit an den Körper – quasi eine Gleichsetzung erfahren. Hume erörterte das Verhältnis von Verstand und Affekt vor allem im Zusammenhang mit dem menschlichen Willen. „Es erscheint demnach als das Prinzip, welches unserem Affekt entgegentritt, nicht die Vernunft selbst; dies Prinzip wird nur in uneigentlichem Sinne so genannt. Wir drücken uns nicht genau und philosophisch aus, wenn wir von einem Kampf zwischen Affekt und Vernunft reden. Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte und soll es sein; sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.“35 In diesem Zitat Humes klingt deutlich die Rehabilitierung der Affekte an (die weiter oben als zentrales Motiv der kritischen Position geschildert wurde). Folgt man Hume weiter, wird deutlich, dass hinter der herkömmlichen Gegenüberstellung von Verstand und Affekt ein Missverständnis bezüglich der eigentlichen Triebkraft menschlichen Willens steht, die in den Affekten zu suchen sei. Hume meinte, dass Tätigkeiten des Geistes, die mit Besonnenheit und Ruhe ausgeführt werden, als Vernunft bezeichnet würden. Hinter dieser Bezeichnung würde jedoch das Wirken der ruhigen Leidenschaften – die nicht weniger als die heftigen Leidenschaften zu den Affekten zäh-
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Vgl. Franke, Oesterle, Gefühl, S. 86. Vgl. Pohlmann, Gefühl, moralisches, S. 96. Vgl. Sander, Max Scheler, S. 25–29. Sander, Max Scheler, S. 30–31. Vgl. Sander, Max Scheler, S. 43–45. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, S. 269. Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, S. 153.
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len – verborgen bleiben.36 „Unter Vernunft verstehen wir Gemütsbewegungen, die gleicher Art sind, wie die Affekte, die aber ruhiger wirken und keinen Aufruhr in der Gemütsverfassung hervorrufen. Diese Ruhe verleitet uns zu einem Irrtum über ihr Wesen, d. h. sie läßt uns dieselben als reine logische Leistungen (...) unserer intellektuellen Vermögen erscheinen. Sowohl die Ursachen, wie die Wirkungen jener heftigen, ebenso wie dieser ruhigen Affekte, sind ziemlich veränderlich und hängen größtenteils von dem speziellen Temperament und der Stimmung des einzelnen Individuums ab.“37 (Hervorhebung im Original) James wies zudem auf die körperlichen Veränderungen hin, die vor sich gehen, wenn wir bestimmte Emotionen erleben. Seiner Meinung nach kann der Geist des Menschen nicht losgelöst von diesen körperlichen Zuständen betrachtet werden. Insofern ist auch Rationalität durch bestimmte Körperempfindungen gekennzeichnet. Das Gefühl der Rationalität ist laut James vor allem durch eine Ausrichtung auf den gegenwärtigen Moment gekennzeichnet, der nicht weiter rechtfertigungs- oder erklärungsbedürftig erscheint und somit die Konzentration des Denkens gestattet.38 „The transition from a state of puzzle and perplexity to rational comprehension is full of lively relief and pleasure. (...) This feeling of the sufficiency of the present moment, of its absoluteness, – this absence of all need to explain it, account for it, or justify it, – is what I call the Sentiment of Rationality.“39 Gleichzeitig weist Rationalität jedoch auch eine auf die Zukunft gerichtete Komponente auf, die darin besteht, dass die diesbezügliche Ungewissheit reduziert und der Fortgang der Handlung ermöglicht wird.40 In Situationen, in denen wir eine unmittelbare Entscheidung treffen müssen, haben Gefühle die Funktion, Gegenwart und Zukunft miteinander zu verbinden. ‚Hintergrundgefühle‘ sind auf diese Weise quasi untrennbar mit menschlichem Handeln verknüpft. Eine positive Haltung der Zukunft gegenüber führt zu anderen Konsequenzen als eine negative Haltung. „The truths cannot become true till our faith has made them so.“41 James spielt hier, ganz im Sinne des Pragmatismus, auf den stets vorhandenen Einfluss subjektiver Haltungen auf die Ergebnisse praktischer Handlungen an. Es ist unmöglich, die subjektive Basis allen Handelns auszuklammern und abstrakt anzugeben, was gewissermaßen das Beste wäre, da für das Zustandekommen des Besten eine vorhergehende diesbezügliche Überzeugung wesentliche Voraussetzung ist. James illustrierte dies anhand eines Bergsteigers: Wenn er sich in einer gefahrvollen Situation verstiegen hat, muss er eine Entscheidung treffen und einen großen Sprung wagen, um weiterzukommen. Wenn ihn Gefühle der Zuversicht und Hoffnung dominieren, wird er den Sprung schaffen. Dominieren hingegen die Gefühle der Angst und des Misstrauens, wird er zögern, den Sprung eventuell nicht schaffen, einen anderen Ausweg suchen müssen und sich dabei vielleicht noch hoffnungsloser versteigen.42 Welche Emotion beteiligt ist, hat also maßgeblichen Einfluss darauf, wie das weitere Verhalten aussieht. Das ‚Gefühl der Rationalität‘ stellt Sicherheit her und gewährleistet auf diese Weise den Fortgang des Handelns, der andernfalls nicht zustande gekommen wäre, oder wie Barbalet es ausdrückt: „The role of emotion in practical rationality, then, is to permit action which would
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Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 31; – Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, S. 155–156. Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, S. 176. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 46. James, The Sentiment of Rationality, S. 63–64. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 47–48. James, The Sentiment of Rationality, S. 96. Vgl. James, The Sentiment of Rationality, S. 96–97.
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be inhibited if it were to rely on logic or calculation alone. The emotional contribution to rationality is to provide a feeling of certainty concerning the future, which is necessary if action is to occur and the actor to proceed.“43 Rationalität ist in dieser Sichtweise lediglich eine spezielle Form der gefühlsmäßigen Ausrichtung auf die Zukunft (als von Gelassenheit und Ruhe gekennzeichnet beschreibbar), jedoch nicht prinzipiell von anderen gefühlsmäßigen Ausrichtungen auf die Zukunft zu unterscheiden. Die von Barbalet als ‚radikal‘ bezeichnete Sichtweise des Verhältnisses von Emotionalität und Rationalität trägt dazu bei, die vernachlässigte Bedeutung der Emotionen für menschliches Handeln – vor allem auch für rationales Handeln – deutlich zu machen. Allerdings ist – folgt man den an James anknüpfenden Überlegungen – keine Unterscheidung mehr zwischen rational angeleiteten und durch andere Emotionen angeleiteten Handlungen möglich, da beide nur als unterschiedliche Ausformungen emotionalen Erlebens zu betrachten sind. Alltagshandlungen haben aber, wie auch das Beispiel des Bergsteigers zeigt, offensichtlich unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, welche Art des ‚Hintergrundgefühls‘ daran beteiligt ist. Zur systematischen Erforschung dieser unterschiedlichen Qualitäten, die sich auch in unterschiedlich erfolgreichen Ergebnissen des Handelns niederschlagen, erscheint eine begriffliche Unterscheidung zwischen den verschiedenen durch ‚Hintergrundgefühle‘ angeleiteten Handlungsarten erforderlich, die sich jedoch nicht mehr wie bisher an der Dichotomie ‚rational-emotional‘ orientieren kann. Eventuell könnte die Unterscheidung Humes zwischen ruhigen und heftigen Leidenschaften hierfür aufgegriffen werden. Ob aus dieser Position allerdings zusätzlicher Erkenntniswert für das Verständnis menschlichen Handelns resultiert, der über denjenigen der kritischen Position, die bereits den notwendigen Beitrag der Gefühle zur menschlichen Entscheidungsfindung aufgezeigt hat, hinausreicht, erscheint aus meiner Sicht fraglich. Wenn man die lange Zeit – vor allem in der Alltagssprache – praktizierte Gleichsetzung von Rationalität mit gefühlsferner logischer Kalkulation bedenkt, scheint die radikale Position allerdings ein interessantes Gedankenexperiment für sozialwissenschaftliche Diskussionen zu sein. Stärker noch als die kritische Sicht ist sie geeignet, der emotionalen Fundierung menschlichen Handelns Aufmerksamkeit zu verschaffen.
2.2. Die Haltungen der soziologischen Klassiker zum Verhältnis zwischen Rationalität und Emotionalität In den verschiedenen, in den letzten Jahren erschienenen Werken zur Soziologie der Emotionen wurden – sicherlich auch aus Legitimationsgründen – die Stellungnahmen der Klassiker zu den Emotionen mehr oder weniger ausführlich recherchiert.44 An dieser Stelle soll daher lediglich ein grober Überblick gegeben werden, der der Frage nachgeht, wie die sogenannten Klassiker der Soziologie45 das Verhältnis von Emotionalität und Rationalität einstuften.
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Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 49. Vgl. etwa die ausführlichen Erörterungen der Werke Durkheims, Webers oder Simmels in: Gerhards, Soziologie der Emotionen; – Flam, Soziologie der Emotionen; – Barbalet, Emotion, Social Theory. Ohne an dieser Stelle der Frage nachzugehen, was einen Autor oder eine Autorin als ‚KlassikerIn‘ auszeichnet, werden hier die entsprechenden Zuordnungen einschlägiger Übersichtswerke aufgegriffen, vgl. etwa Käsler (Hg.), Klassiker der Soziologie.
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll im Folgenden anhand einiger Originalzitate gezeigt werden, dass Gefühle von den soziologischen Klassikern – wenn auch in unterschiedlicher Konnotation – durchaus thematisiert wurden. Hierbei können zwei Diskussionsebenen unterschieden werden: die von den Klassikern jeweils vertretene Einschätzung des sogenannten Zivilisationsprozesses (d. h. der als möglich erachteten Veränderung der Bedeutung von Emotionalität und Rationalität für menschliches Handeln im Verlauf des Modernisierungsprozesses) einerseits und andererseits ihre Analysen konkreten menschlichen Handelns. In diesem zweiten Bereich wurde den Emotionen von den meisten Klassikern Beachtung geschenkt, auch wenn sie etwa im Hinblick auf den ersten Bereich von einem zunehmenden Rationalisierungsprozess im Verlauf der Moderne überzeugt waren. Man kann die soziologischen Klassiker weitgehend dem konventionellen Zugang im Sinne Barbalets zuordnen. Emotionalität und Rationalität werden von ihnen als zwei getrennte bzw. trennbare Phänomene behandelt. Im Laufe der Moderne kommt es, so die vorherrschende soziologische Sichtweise des beginnenden 20. Jahrhunderts, außerdem zu einer zunehmenden Rationalisierung der Lebensführung, wobei dies nicht notwendigerweise als eine komplette Verdrängung gefühlsmäßiger Einstellungen und Werthaltungen aufgefasst wurde. Weber sprach etwa von der ‚Entzauberung der Welt‘ und meinte damit die Zurückdrängung des Religiösen, Mystischen aus dem Alltag des Menschen. „Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also (...) das Wissen und den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt.“46 (Hervorhebung im Original) Der Mensch erfährt im Lauf der Moderne also, dass es möglich ist, das Leben auf rationale Weise und mithilfe der Wissenschaft zu meistern. Dieser Intellektualisierungs- und Rationalisierungsprozess erlaubt es, auf alle metaphysischen Welterklärungen, und damit zugleich auf alle nicht vernunftmäßig rechtfertigbaren Haltungen zur Welt, zu verzichten. Weber beschäftigte sich bekanntermaßen ausführlich mit möglichen Ursachen, Konsequenzen und gegenläufigen Tendenzen dieses Prozesses und strebte keineswegs, wie noch Auguste Comte in seinem teleologischen Geschichtsbild, einen durch reine Vernunft gekennzeichneten Endzustand der menschlichen Entwicklung an. Comte hatte in seinem ‚Dreistadiengesetz‘ eine stete Weiterentwicklung des Menschen konstatiert, die gekennzeichnet sei durch eine zunehmend durch Beobachtung geprägte Haltung zur Welt. Im sogenannten positiven oder wissenschaftlichen (und zugleich letzten) Stadium des Entwicklungsganges der Menschheit würde schließlich auf metaphysische Erklärungen überhaupt verzichtet werden können und die Orientierung an beobachteten Tatsachen zum Kennzeichen aller Wissenschaften und auch der Politik werden.47 Comte scheint mit dieser Darstellung eines strikt vernunftgeleiteten Weltbildes auf den ersten Blick ein Klassiker zu sein, in dessen Werk Emotionen keine Rolle spielten. Weiter unten wird jedoch gezeigt werden, dass auch er die Phänomene des Gefühlslebens einer näheren Betrachtung unterzog. Der Hinweis auf die Rationalisierung als Kennzeichen der Moderne findet sich auch bei Simmel. Obwohl er sich ausführlich mit Gefühlen beschäftigt hat, konstatiert auch er eine
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Weber, Wissenschaft als Beruf, S. 86–87. Vgl. Comte, Der Plan der wissenschaftlichen Arbeiten, S. 74–79.
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zunehmende Zurückdrängung der gefühlsmäßigen Verhaltensweisen in der Moderne. Das Zusammenleben in den modernen Großstädten beispielsweise kann ihm zufolge nicht anders organisiert werden: Es ist dem Einzelnen unmöglich, auf alle Reize und Begegnungen in der Großstadt gefühlsmäßig zu reagieren; eine abgestumpfte Haltung48 sei die Lebensweise, die am ehesten den gleichmäßigen Ablauf aller Handlungen im urbanen Umfeld gewährleisten würde. Der Einzelne würde in der Großstadt, die bei Simmel stellvertretend für die moderne Lebensweise überhaupt steht, nicht als selbständige Persönlichkeit wahrgenommen, sondern tendenziell in der Masse untergehen. Das Geld bzw. die Geldwirtschaft wird von Simmel als symbolischer Ausdruck dieser nivellierten sozialen Beziehungen herangezogen.49 Schon Marx hatte auf den Warencharakter der sozialen Beziehungen – und damit auf den Verlust ihrer gefühlsmäßigen Qualitäten – hingewiesen, den sie im Zuge der Ausbreitung des Kapitalismus erhalten: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung‘. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt (...).“50 Man könnte die Liste derer, die eine zunehmende Rationalisierung im Lauf der Moderne konstatieren – häufig verknüpft mit der Entwicklung und Ausbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsweise – noch beliebig fortsetzen. Hier soll als Beispiel für einen ‚jüngeren‘ der klassischen Autoren nur noch auf die Arbeiten von Norbert Elias verwiesen werden, der eine Verlängerung der Handlungsketten in der Moderne, die zu einer stärkeren Rationalisierung des Lebens führe, feststellte. In komplexen sozialen Gebilden ist die Voraussehbarkeit des Verhaltens anderer eine Grundvoraussetzung für den geordneten Ablauf aller Begegnungen. Je mehr sich im Laufe der Zeit die gesellschaftlichen Funktionen differenzieren, umso größer wird auch die Zahl der Menschen, von denen der Einzelne abhängig ist, und deren potentielles Verhalten er in seine eigenen Entscheidungen mit einkalkulieren muss. Diese Abstimmung des eigenen Verhaltens auf das anderer führt zu einem Wandel der psychischen Selbststeuerung in Richtung einer immer größeren Langsicht und einer strengeren Regulierung der triebhaften Augenblicksimpulse. Wichtig ist hierbei, dass diese Regulierung des Verhaltens vom Einzel-
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Barbalet hat darauf hingewiesen, dass diese abgestumpfte Haltung der Blasiertheit ebenfalls als gefühlsmäßige Orientierung betrachtet werden kann. „For Simmel (...) rationality arises in the control of emotion. In containing emotion, it is guided by an alienated emotion of distance, remiteness, and indifference to excitement and pleasure, namely the emotions expressed through the blasé feeling.“ Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 55. „Das Wesen der Blasiertheit ist die Abstumpfung gegen die Unterschiede der Dinge, nicht in dem Sinne, daß sie nicht wahrgenommen würden, wie von einem Stumpfsinnigen, sondern so, daß die Bedeutung und der Wert der Unterschiede der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig empfunden wird. (...) Diese Seelenstimmung ist der getreue subjektive Reflex der völlig durchgedrungenen Geldwirtschaft; indem das Geld alle Mannigfaltigkeiten der Dinge gleichmäßig aufwiegt, alle qualitativen Unterschiede zwischen ihnen durch Unterschiede des Wieviel ausdrückt, indem das Geld, mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz, sich zum Generalnenner aller Werte aufwirft, wird es der fürchterlichste Nivellierer, es höhlt den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Unvergleichbarkeit rettungslos aus.“ Simmel, Die Großstädte, S. 124. – Zur zunehmenden Vorherrschaft des Intellekts und der Geldwirtschaft im Lebensstil der Moderne vgl. auch Simmel, Philosophie des Geldes, S. 480–484. Marx, Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 464
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nen nicht bewusst vollzogen wird, sondern durch eine Art automatischen, in der Sozialisation erworbenen Selbstzwang zustande kommt.51 Erst das Aufkommen von Gewaltmonopolen ermöglichte die Ausbildung eines solchen Selbstzwangapparates. In Gesellschaften mit stabilen Gewaltmonopolen sind meist auch die Funktionsteilungen und damit die Abhängigkeiten des Einzelnen groß. Das Individuum ist vor plötzlicher körperlicher Gewalt weitgehend geschützt, es muss aber gleichzeitig auch die eigenen Leidenschaften, den eigenen Willen zur Gewalt, unterdrücken.52 Wie diese Beispiele zeigen, wird also in unterschiedlicher Art und Weise von den Klassikern der Soziologie eine zunehmende Rationalisierung in der Moderne konstatiert. Dies hinderte die Klassiker jedoch nicht daran, sich näher mit den Emotionen zu beschäftigen. Die genannten Autoren sollen hier nicht als ‚Väter‘ einer Soziologie der Emotionen vereinnahmt werden – hierzu wäre eine detaillierte Analyse ihres Schaffens im Hinblick auf den tatsächlichen Stellenwert der Emotionen darin erforderlich.53 Es soll im Folgenden lediglich gezeigt werden, dass Emotionen von frühen Vertretern der Soziologie durchaus thematisiert und in ihrem Beitrag zum Sozialen für erwähnenswert befunden wurden. Bei Comte findet sich eine Beschäftigung mit dem Gefühlsbereich im Rahmen der Erörterung des Stellenwertes der Fantasie während des Überganges vom metaphysischen zum positiven Stadium. Auch wenn es im Verlauf des Entwicklungsganges der Menschheit schließlich zur reinen Orientierung an beobachteten Tatsachen komme, leiste die Fantasie einen wichtigen Beitrag, um den Übergang in diesen positiven bzw. wissenschaftlichen Zustand zu beschleunigen. Die Fantasie befördert den Übergang, indem sie für die Masse eine gefühlsmäßige Ausmalung einer besseren Zukunft ermöglicht. Der Entwicklungsgang der Menschheit auf das positive Stadium hin ist zwar gesetzmäßig vorgegeben, jedoch können Verzögerungen auf dem Weg in dieses Stadium durch die von der ‚positiven Politik‘ angeleitete Kunst vermieden werden, die die Leidenschaften der Masse auf den neuen Zustand ausrichtet. „Man wird niemals die Masse der Menschen für irgendein System leidenschaftlich erregen, indem man ihnen beweist, daß es dasjenige ist, dessen Einführung der Gang der Kultur seit seinem Beginn vorbereitet hat und welches dieser Gang heute erfordert, um die Gesellschaft zu leiten. Eine derartige Wahrheit spricht zu einer viel zu kleinen Anzahl von Köpfen und erfordert selbst von deren Seite eine allzu lange Reihe intellektueller Operationen, als daß sie jemals die Leidenschaften erregen könnte. (...) Das einzige Mittel, um diese letzte Wirkung hervorzubringen, besteht darin, den Menschen das lebendige Bild der Verbesserungen vorzulegen, welche das neue System im menschlichen Zustande hervorrufen muß (...) Dieses ist insbesondere die Aufgabe, welche den schönen Künsten bei der allgemeinen Unternehmung der sozialen Reorganisation zufällt.“54 Weber behandelt Emotionen beispielsweise im Rahmen seiner Idealtypen des sozialen Handelns. Affektuelles Handeln wird von Weber als ein Handeln geschildert, das durch aktuelle Affekte oder Gefühlslagen motiviert ist, womit es sich an der Grenze zum bewusst sinn-
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Vgl. Elias, On Human Beings, S. 344–350. Vgl. Elias, Über den Prozeß, Band 2, S. 323–347. Wie das Beispiel Max Weber zeigt, zu dem es bereits ausführliche diesbezügliche Analysen gibt, gehen die Meinungen über seine Position als Vorläufer einer Soziologie der Emotionen stark auseinander. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 38; – Flam, Soziologie der Emotionen, S. 51. Comte, Der Plan der wissenschaftlichen Arbeiten, S. 113–114.
2. Rationalität oder Emotionalität als Maximen menschlichen Handelns?
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haften Verhalten befindet.55 „Affektuell handelt, wer sein Bedürfnis nach aktueller Rache, aktuellem Genuß, aktueller Hingabe, aktuell kontemplativer Seligkeit oder nach Abreaktion aktueller Affekte (gleichviel wie massiver oder wie sublimer Art) befriedigt.“56 Weber zeigt mit der Konzeption der Idealtypen sozialen Handelns, dass ihm die Beachtung anderer als rein zweck-rationaler Handlungsmotive notwendig erscheint; allerdings räumt er der Zweckrationalität und ihrer Bedeutung in der Moderne einen wichtigen Stellenwert in seinen Schriften ein. Auch im Rahmen seiner Herrschaftstypologie berücksichtigt Weber emotionale Komponenten,57 so etwa beim Typus der charismatischen Herrschaft, die durch eine gefühlsmäßige Bindung an den Führer und den Glauben an seine außeralltäglichen Qualitäten legitimiert wird: „Das Charisma (...) ruht in seiner Macht auf Offenbarungs- und Heroenglauben, auf der emotionalen Überzeugung von der Wichtigkeit und dem Wert einer Manifestation religiöser, ethischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, politischer oder welcher Art immer, auf Heldentum sei es der Askese oder des Krieges, der richterlichen Weisheit, der magischen Begnadung oder welcher Art sonst.“58 Für die Moderne charakteristisch ist aus Sicht Webers allerdings die legale Herrschaft, die im rationalen Vollzug der Rechtsordnung ihre Legitimation findet und durch die Bürokratie als rationales Vollzugsorgan unterstützt werde.59 Auf die Bedeutung, die dem Faktum der Angst vor religiöser Verdammnis – als zentralem Motiv der durch die protestantische Ethik angeleiteten Rationalisierung der Lebensführung – in Webers Schriften zukommt, wurde weiter oben bereits verwiesen. Von Marx werden Gefühle im engeren Sinne kaum thematisiert, allerdings beschäftigten sich andere Vertreter des marxistischen Ansatzes mit diesem Thema. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise Antonio Gramsci. Er sieht Gefühle und ihre Überzeugungskraft für die Masse in ähnlicher Weise wie Comte. Auch Gramsci will über eine die Gefühle ansprechende Literatur die Masse letztlich für die marxistische Weltsicht gewinnen. Im Kampf um die Hegemonie, verstanden als die Dominanz im Überbau, müsse die marxistische Bewegung die Alltagskultur analysieren und schließlich ihr eigenes Anliegen auf ihr aufbauend verbreiten (er hat sich im Rahmen seiner diesbezüglichen literaturkritischen Studien etwa mit dem Genre des Trivialromans beschäftigt).60 In seiner Diskussion der Rolle der Intellektuellen kommt Gramsci ebenfalls auf Gefühle zu sprechen, wie Kebir feststellt: „Eine wesentliche Voraussetzung des Verschmelzens von Alltags- und fortschrittlicher Hochkultur sah Gramsci in der Notwendigkeit der Rückgewinnung des integralen Erkenntnisvorgangs, ein nahtloses Übergehen ‚vom Wissen zum Verstehen, zum Fühlen und umgekehrt, vom Fühlen zum Verstehen, zum Wissen (…)‘.“61 Gramsci hierzu: „Das volkstümliche Element ‚fühlt‘, aber versteht oder weiß nicht immer, das intellektuelle Element ‚weiß‘, aber es versteht und insbesondere ‚fühlt‘ nicht immer. (...) Ohne (...) Leidenschaft macht man keine Politik und Geschichte, d. h. ohne diese gefühlsmäßige Verbindung zwischen den Intellektuellen und dem Volk und der Nation.“62
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Vgl. auch Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 25–27. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 12. Vgl. hierzu auch Flam, Soziologie der Emotionen, S. 56–60. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 666. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 833–845. Vgl. Gramsci, Marxismus und Kultur, S. 33–35, S. 112–114, S. 127. – Vgl. auch Kebir, Gramscis Zivilgesellschaft, S. 121–124, S. 141–144. Kebir, Gramscis Zivilgesellschaft, S. 132. Gramsci, Marxismus und Kultur, S. 93–94.
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Simmel hat sich ausführlich mit den durch Gefühle ausgelösten Wechselwirkungen zwischen Akteuren beschäftigt. Nicht umsonst ist Simmel einer jener Klassiker, die im Rahmen der Wiederentdeckung des Emotionalen durch die jüngere Soziologie ausführlich diskutiert wurden (vgl. hierzu Kapitel III, 5.).63 Simmels Sicht der Gefühle und ihrer Konsequenzen für soziale Zusammenhänge kommt beispielsweise sehr gut in seinen Abhandlungen zum Streit als Form der Vergesellschaftung zum Ausdruck. Er zeigt nicht nur, wie unvermeidbar verschiedene Formen des Streites für das Gemeinschaftsleben sind, sondern beschäftigt sich auch ausführlich mit den den Streit begleitenden bzw. verursachenden Gefühlszuständen.64 Für Elias schließlich ist das Thema der Affekte und deren Regulierung, wie bereits die obigen Bemerkungen zeigten, ein zentrales Anliegen seines Schaffens. Die These einer zunehmenden Rationalisierung im Laufe der Moderne hinderte Elias nicht daran, gerade die Auswirkungen dieser Rationalisierung auf den Affekthaushalt der Einzelnen einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Die von Barbalet konstatierte Dominanz des konventionellen Zugangs zum Thema Rationalität – Emotionalität bis weit in das 20. Jahrhundert hinein lässt sich auch, wie die genannten Beispiele zeigen, in der frühen Soziologie finden. Die Vorstellung einer zunehmenden Rationalisierung (ungeachtet dessen, ob diese positiv bewertet wird oder nicht) setzt eine gewisse Unabhängigkeit von Gefühl und Verstand voraus. Nur so ist es möglich, dass eines der beiden Phänomene im Zuge der Moderne die Oberhand gewinnen kann. Bei den frühen soziologischen Autoren lassen sich neben dieser konventionellen Vorstellung jedoch auch Ansatzpunkte für eine kritische oder radikale Sicht finden. Comte und Gramsci etwa beschrieben im weitesten Sinne die Motivationsfunktion der Gefühle für menschliches Handeln (die im kritischen Ansatz betont wird). Sie vertraten hierbei allerdings eine elitäre Sichtweise, indem lediglich für die Masse eine derartige über einen Appell an die Gefühle erreichbare Verhaltenssteuerung auf das jeweils angestrebte politische Idealbild hin angenommen wurde (im Gegensatz zu denjenigen, die über vernunftgemäße Einsicht in den Gang der Geschichte verfügen). Auf den über die konventionelle Sichtweise hinausgehenden Ansatz Schelers wurde bereits weiter oben verwiesen. Auch in den Arbeiten von Weber, Simmel und Elias lassen sich über den konventionellen Ansatz hinausreichende Ansatzpunkte finden, die die Bedeutung der Gefühle auch in der modernen, eigentlich rationalisierten Gesellschaft aufzeigen und somit auf die vom kritischen Ansatz beschriebene Motivationsfunktion der Gefühle hindeuten.65 Zusammenfassend kann man festhalten, dass Emotionen in den frühen Arbeiten der Soziologie unter folgenden Aspekten diskutiert wurden: Zum einen wurde eine Zurückdrängung der Gefühle und emotionalen Reaktionsweisen in der Moderne konstatiert. Rationalität würde dem modernen Menschen die Bewältigung seines Alltages ermöglichen (wobei z. T. auch auf die Nebeneffekte66 und negativen Konsequenzen dieser Verdrängung der Gefühle hingewiesen wurde oder der Wandel des Affekthaushaltes im Rahmen der zunehmenden Rationa-
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Vgl. zu Simmels Bearbeitung der Gefühlsthematik auch Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 43–51. Vgl. Simmel, Soziologie, insbesondere S. 186–188. Vgl. hierzu Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 38, S. 55. Zum Egoismus als Konsequenz des Überwiegens des Intellektes und der Geldwirtschaft im modernen Lebensstil vgl. etwa Simmel, Philosophie des Geldes, S. 489–496.
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lisierung eingehend thematisiert wurde, wie etwa bei Elias). Zum anderen werden Emotionen einer näheren Betrachtung unterzogen, wenn es um die Erklärung konkreten menschlichen Handelns geht, das ohne seine affektiven Komponenten nicht vollständig beschreibbar ist. Emotionen werden beispielsweise dann näher thematisiert, wenn sie zum Erreichen bestimmter Ziele nutzbar gemacht werden können (Comte, Gramsci), womit ebenfalls ihre Bedeutung für menschliches Handeln unterstrichen wird. Wenn man bedenkt, dass Gefühle – trotz der Betonung einer allmählichen Rationalisierung vieler Lebensbereiche – in soziologischen Schriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts selbstverständlich Erwähnung fanden, handelt es sich bei dem weitgehenden ‚Verschwinden‘ der Emotionen aus dem soziologischen mainstream in der Folgezeit um ein erklärungsbedürftiges Faktum. Inwieweit diese These eines ‚Verschwindens‘ der Gefühlsthematik auf die deutschsprachige Soziologie zutrifft und welche Gründe dafür angeführt werden können, wird Gegenstand des Abschnitts III sein. Wie bereits die Bemerkungen in diesem Kapitel zeigten, wurden Emotionen im Verlauf der Geistesgeschichte in unterschiedlicher Weise thematisiert. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird nur ein relativ kurzer Zeitabschnitt der Geschichte der Soziologie näher auf seinen Umgang mit der Emotionsthematik hin analysiert werden, wobei versucht werden wird, mögliche Erklärungen für die wechselhafte Konjunktur der Thematik zu finden. Allerdings darf dieser Zeitabschnitt nicht völlig losgelöst von den vorangehenden Debatten über die Emotionalität oder Rationalität des Menschen betrachtet werden. Seit der Antike kann eine wechselnde Konjunktur der Emotionsthematik beobachtet werden, die auch mit einer je unterschiedlichen Einschätzung der Bedeutung der Affekte für menschliches Denken und Handeln verbunden war. Die Dominanz eines rationalen Menschenbildes, die als kennzeichnend für das 20. Jahrhundert angesehen wird, ist keineswegs eine neue Haltung, ebenso wenig wie die stärkere Beachtung der Leidenschaften des Menschen kein Phänomen ausschließlich der letzten 30 Jahre ist. Bei oberflächlicher Betrachtung der Diskussionen zur Thematik legt sich der Verdacht einer Pendelbewegung nahe: Auf Zeiten, die die rationalen Aspekte der menschlichen Existenz betonten, folgten immer wieder Zeiten, die den Affekten des Menschen mehr Aufmerksamkeit schenkten; der Rationalismus der Aufklärung wurde beispielsweise durch den Versuch einer ‚Emanzipierung der Sinnlichkeit‘ im 18. Jahrhundert abgelöst. Haben wir es bei dieser Pendelbewegung also etwa mit einem Phänomen zu tun, das in Analogie zu Simmel auf ästhetische Grundbedürfnisse des Menschen zurückgeführt werden kann, die den regelmäßigen Ausgleich zwischen Extremen anstreben? Das menschliche Leben ist aus Sicht Simmels durch die Wiederkehr weniger Grundtöne gekennzeichnet, ästhetisch ausgedrückt: in der Symmetrie und Asymmetrie und ihrem je unterschiedlichen Mischungsverhältnis. Nicht nur der Wandel von Kunststilen, sondern auch die Faszination für verschiedene Gesellschaftsmodelle kann aus Simmels Sicht auf den ihnen jeweils zugrunde liegenden ästhetischen Modus zurückgeführt werden: „Am Anfang aller ästhetischen Motive steht die Symmetrie. (...) Die formgebende Macht des Menschen gegenüber der Zufälligkeit und Wirrnis der bloß natürlichen Gestaltung wird damit auf die schnellste, sichtbarste und unmittelbarste Art versinnlicht. In symmetrischen Bildungen gewinnt der Rationalismus zuerst sichtbare Gestalt. So lange das Leben überhaupt noch triebhaft, gefühlsmäßig, irrational ist, tritt die ästhetische Erlösung von ihm in so rationalistischer Form auf. Wenn Verstand, Berechnung, Ausgleichung es erst durchdrungen haben, flieht das ästhetische Bedürfnis wiederum in sei-
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nen Gegensatz und sucht das Irrationale und seine äußere Form, das Unsymmetrische.“67 Ohne an dieser Stelle näher auf die Simmel’sche These und den Kontext, in dem sie vorgetragen wurde, einzugehen,68 stellt sich also die Frage, ob der beobachtbare Wechsel in der Bevorzugung von Rationalität bzw. Emotionalität auf einen derartigen Grundmodus zurückzuführen ist: ob also die (Über)Betonung der Rationalität stets einen Ausgleich verlangt, im Sinne einer (erneuten) Hinwendung zur Wertschätzung des Affektiven als zentraler Antriebskraft menschlichen Handelns. In der folgenden Arbeit soll das Wirken derartiger Mechanismen – im Sinne langfristiger Wellen- oder Pendelbewegungen eines Themas – nicht völlig ausgeschlossen werden, jedoch lässt sich zeigen, dass zumindest die Rahmenbedingungen des wissenschaftlichen Systems der letzten 100 Jahre einen wesentlichen Einfluss darauf hatten, welche Erklärungsmodelle in einer bestimmten Phase zur Durchsetzung gelangen konnten – dass jene also gewissermaßen daran beteiligt waren, den Eindruck einer Einseitigkeit der Betrachtungsweise und damit das mögliche Bedürfnis nach Ausgleich erst entstehen zu lassen. Deutlich wird in der Betrachtung des von mir gewählten Untersuchungszeitraumes auch, dass die Einseitigkeit der Betrachtung niemals vollständig gegeben war, sondern dass im Hinblick auf die Bedeutung der Affekte für Denken und Handeln von Akteuren eine Parallelexistenz unterschiedlicher Menschenbilder möglich war. Die Frage, warum einige davon zeitweise mehr Wertschätzung und damit Sichtbarkeit erfuhren als andere, bedarf zusätzlicher Erklärungen und kann nicht restlos durch das Bild einer Pendelbewegung wissenschaftlichen Interesses beschrieben werden.
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Simmel, Soziologische Ästhetik, S. 81. Vgl. hierzu Scherke, Die These von der ‚Ästhetisierung der Lebenswelt‘.
3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung
Welche Gründe für die allmähliche Verdrängung der Gefühlsthematik aus soziologischen Diskussionen genannt werden können, und wann es zu einer Wiederentdeckung des Themas kam, wird Gegenstand von Abschnitt III sein. Zuvor soll noch ein kurzer Einblick in die Geschichte der Emotionsforschung außerhalb der Soziologie gegeben werden. Die Affekte beschäftigten bereits, wie oben skizziert, die antike Philosophie und die Denker der Aufklärung ebenso wie jene des 19. Jahrhunderts.1 Im Zuge der Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems, die Ende des 19. Jahrhunderts die Ablösung der Psychologie von der Philosophie mit sich brachte, erfolgte eine systematische Beschäftigung mit den Affekten sodann vor allem innerhalb dieser entstehenden ‚neuen‘ Disziplin. Im Laufe der letzten 150 Jahre wurden in der Psychologie unterschiedliche Theorien über die Frage des Zustandekommens von Emotionen aufgeworfen und teils experimentell überprüft. Die Geschichte der Emotionsforschung innerhalb der Psychologie kann jedoch hier nicht detailliert nachgezeichnet werden. Die folgende Übersicht konzentriert sich auf die Frage, welche Bedeutung physiologischen Faktoren für das Emotionsgeschehen zugeschrieben wurde. Anhand einiger ‚Meilensteine‘ auf dem Weg zum heutigen, stark durch die Neurowissenschaften geprägten und damit an physiologischen Faktoren orientierten Emotionsbild sollen verschiedene Standpunkte hierzu skizziert werden. Zu nennen wäre etwa die James-Lange-Theorie, die die Bedeutung physiologischer Erfahrung für emotionales Empfinden betonte. William James ging (wie etwa zeitgleich auch Carl Lange) Ende des 19. Jahrhunderts davon aus, dass wir eine Situation keineswegs zunächst kognitiv bewerten, bevor eine emotionale Reaktion entsteht (wir sehen einen Bären, erkennen die von ihm ausgehende Gefahr, bekommen Angst und laufen davon), sondern dass unsere körperlichen Erfahrungen es sind, die unsere Emotionen bestimmen (wir sehen einen Bären, laufen davon und sind deshalb ängstlich, d. h. deuten unser Davonlaufen als Angstreaktion). Das bewusste Erleben einer Emotion ist also den körperlichen Prozessen nachgereiht. Häufig wurde dies dahin gehend interpretiert, dass jede Emotion durch eine spezifische physiologische Signatur gekennzeichnet sei.2 In den 1920er-Jahren wurde diese Annahme von der Cannon-Bard-Theorie aufgegriffen und modifiziert. Dieser von Walter Cannon und Philip Bard entwickelten Theorie zufolge sind es lediglich allgemeine Erregungszustände (basierend auf als einförmig angenommenen Reaktionen des sympathischen Nervensystems), die einer kognitiven Bewertung unterworfen werden können. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Emotionen allein aufgrund dieser körperlichen Reaktionsmuster sei daher nicht möglich. Cannon und Bard gingen davon aus, dass die physiologische Erregung und die bewusste Wahrnehmung einer Emotion
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Vgl. Lanz, Affekt, S. 89–95. Vgl. hierzu LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 48–50; – Ulich, Mayring, Psychologie der Emotionen, S. 21– 22; – Wassmann, Die Macht der Emotionen, S. 42–44.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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gleichzeitig erfolgen, also nicht, wie noch von James und Lange angenommen wurde, der bewusst wahrgenommene Gefühlszustand lediglich eine Folgeerscheinung des körperlichen Erregungszustandes sei. Die körperlichen Reaktionen würden vor allem für die Intensität und Dringlichkeit einer empfundenen Emotion verantwortlich sein, nicht jedoch deren spezifische Ausprägung bestimmen.3 Im Zuge der Dominanz des Behaviorismus in der Psychologie wurden die Emotionen – als der direkten Beobachtung nicht zugängliche Phänomene des Bewusstseins – sodann bis in die 1950er-Jahre hinein kaum erörtert. Dies änderte sich im Zuge der ‚kognitiven Revolution‘, die der bewussten Informationsverarbeitung im menschlichen Geist zunehmend Aufmerksamkeit schenkte. Gegenüber den behavioristischen Reiz-Reaktions-Modellen wurde der Geist des Menschen ‚rehabilitiert‘ und wieder zum Gegenstand der Psychologie. Dies geschah jedoch, wie LeDoux kritisiert, mitunter unter Vernachlässigung der körperlichen (vor allem der neuronalen) Voraussetzungen menschlicher Informationsverarbeitung.4 Stanley Schachter und Jerome Singer schlossen sich beispielsweise in den 1960er-Jahren der Cannon-Bard-Theorie des allgemeinen Erregungszustandes an, bereicherten diese jedoch durch die These, dass neben der Wahrnehmung des körperlichen Erregungszustandes auch die Wahrnehmung der realen Umgebung einen Einfluss auf die letztlich zustande kommende Emotion hat. Insbesondere das soziale Umfeld wurde von Schachter und Singer als ausschlaggebend für die Art der entstehenden Emotionen beschrieben.5 Kognitive Vorgänge sind dieser Sichtweise zufolge also entscheidend am Zustandekommen unterschiedlicher Gefühlszustände beteiligt, ohne dass jedoch die physiologische Basis dieser kognitiven Prozesse näher betrachtet wurde (bzw. aufgrund noch unterentwickelter Methoden der Neurowissenschaften nicht betrachtet werden konnte). Kognitive Bewertungen sind es auch, die, wie Magda Arnold in den 1960er-Jahren feststellte, überhaupt den Ausgangspunkt für das emotionale Geschehen liefern. James, Cannon und auch noch Schachter/Singer hatten in unterschiedlicher Art und Weise die Bedeutung körperlicher Prozesse, die als gegeben angenommen und nicht näher auf ihr Zustandekommen hin analysiert wurden, für das Emotionsgeschehen hervorgehoben (dann jedoch zum Teil deren kognitiver Bewertung Aufmerksamkeit geschenkt). Arnold rückte demgegenüber die Auslöser jener körperlichen Prozesse in den Mittelpunkt der Betrachtung. Im Rahmen eines kognitiven Bewertungsprozesses würden vom Individuum Einschätzungen seiner aktuellen (Umwelt-)Situation vorgenommen, und zwar im Hinblick auf den möglichen Schaden oder Nutzen derselben. Die in einer Situation auftretende Emotion sei, wie LeDoux die Arnold’sche These beschreibt, „die ‚empfundene Tendenz‘ zu etwas hin, das als gut bewertet wird, oder von etwas fort, das als schlecht bewertet wird. Der Bewertungsprozeß selbst vollzieht sich zwar unbewußt, doch seine Folgen werden als emotionales Gefühl im Bewußtsein registriert.“6 Arnold und andere Vertreter der Bewertungstheorie gingen davon aus, daVV die für die Ausbildung einer Emotion verantwortlichen Prozesse dem Bewusstsein
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Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 50–51. LeDoux stellt etwa fest, dass im Rahmen der kognitiven Theorien die Beteiligung physiologischer Prozesse am Emotionsgeschehen (etwa im Gehirn) weitgehend vernachlässigt wurde. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 29ff, S. 58. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 52–54. – Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel II, 4.1.2. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 55.
3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung
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prinzipiell zugänglich sind, weshalb auch auf Introspektion beruhende Selbstauskünfte als Quelle zur Erforschung des Emotionsgeschehens herangezogen werden können.7 LeDoux schließt sich demgegenüber den Überlegungen Robert Zajoncs an, der in den 1980er-Jahren vom langen Primat der Kognition abgerückt war und eine komplexere Beziehung zwischen kognitiven und emotionalen Prozessen postulierte, in der vor allem Prozesse unbewusster Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle spielten. Ausschlaggebend für Zajoncs Überlegungen waren Experimente, in denen Versuchspersonen emotionale Präferenzen für nur kurze Zeit dargebotene (und daher nicht bewusst wahrnehmbare) Reize gebildet hatten. Diese nicht bewusst verlaufende Informationsverarbeitung im Gehirn stellte den Ausgangspunkt für LeDouxs Untersuchungen dar.8 „Manchmal kommt wenig dabei heraus, wenn man die Ursachen von emotionalen Zuständen introspektiv zu ergründen sucht, besonders wenn die Versuchspersonen gebeten werden, nachträglich über eine Episode nachzudenken. Und die wahre Ursache erkennen sie vielleicht auch dann nicht, wenn man sie direkt während des Erlebnisses fragt. An einer Emotion ist sehr viel mehr zu erklären als das, was man durch die dem Bewußtsein zugänglichen Gedanken über die Situation rückblickend herausbekommen kann.“9 Diese Auffassung kann als kennzeichnend für LeDouxs Arbeiten zum Emotionsgeschehen betrachtet werden, in denen er sich vor allem den unterschiedlichen bei der Informationsverarbeitung im Körper beteiligten neuronalen Prozessen gewidmet hat. Bereits seit den 1950er-Jahren wurden bestimmte Gehirnregionen (das sogenannte limbische System) als zentrale Schaltstelle des emotionalen Empfindens betrachtet.10 Aus LeDouxs Sicht sind nicht die als limbisches System bezeichneten Gehirnregionen für Emotionen verantwortlich, sondern es liegt ein komplexer Verarbeitungsprozess der eintreffenden Sinnesinformationen vor, in dem unterschiedliche körperliche (und somit auch neuronale) Systeme aktiviert werden. LeDoux konzentriert sich in seinen Arbeiten auf Furcht. Zentrales Ergebnis hierbei ist, verkürzt ausgedrückt, dass gewissermaßen ein doppelter Prozess der Informationsverarbeitung im Gehirn vorliegt. Sinneswahrnehmungen gelangen als Nervenimpulse zum Thalamus und von dort sowohl zum Neocortex (in dem die kognitive Bewertung stattfindet) als auch zur Amygdala (die die Körperreaktionen steuert). Die bei der Amygdala eintreffenden Nervenimpulse können dabei manchmal bereits Körperreaktionen in Gang setzen, noch bevor eine kognitive Bewertung der Sinneswahrnehmungen vorgenommen wurde.11 Die kognitive Bewertungstheorie wird durch diesen Ansatz also insofern bereichert, als auch eine Erklärung für die schnelle, unbewusst verlaufende Bewertung gewisser Situationen angeboten werden kann. Im Rahmen der Diskussion des Emotionsgeschehens spielte – neben der Frage des Zusammenwirkens von Physiologie und Kognition – immer wieder auch der Evolutionsgedanke eine wichtige Rolle, d. h. menschliche Emotionen wurden im Hinblick auf ihre Funktionen
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Die kognitiven Emotionstheorien befinden sich mit dieser Annahme im Einklang mit der Bewusstseinspsychologie des 19. Jahrhunderts, etwa Franz Brentanos und Alexius Meinongs. Vgl. Reisenzein, Meyer, Schützwohl, Einführung in die Emotionspsychologie, S. 19–20. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 58–60, S. 64–69. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 73–74. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 105; – Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 268–271. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 167–175. – Vgl. hierzu auch Wassmann, Die Macht der Emotionen, S. 64–65.
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
als Anpassungsvorteile analysiert.12 Eng verbunden mit diesen evolutionären Überlegungen ist auch die Vorstellung eines universalen Ausdrucksbildes der Emotionen. Diese bereits 1872 von Charles Darwin geäußerte Vermutung wurde in den 1960er-Jahren von Paul Ekman aufgegriffen und in verschiedenen kulturvergleichenden Studien näher belegt,13 wobei allerdings auch deutlich wurde, dass es kulturspezifische Darbietungsregeln gibt, die das offene Zeigen bzw. das Verbergen bestimmter Emotionen fordern.14 Mit der Diskussion des kulturübergreifenden Status der Emotionen und ihrer evolutionären Funktionen ist auch die Vorstellung der Existenz bestimmter Grundemotionen oder primärer Emotionen verbunden, wobei die Meinungen über Art und Zahl derselben bis heute auseinandergehen.15 Die Komplexität des menschlichen Emotionsgeschehens, das biologische, soziale und kulturelle Komponenten umfasst, führte seit den 1960er-Jahren auch zu systemtheoretisch ausgerichteten Emotionstheorien – etwa bei Carroll E. Izard oder Silvan S. Tomkins –, die das Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Komponenten zu beschreiben trachten.16 In jüngerer Zeit spielt die Analyse neuronaler Prozesse auch in den systemtheoretisch ausgerichteten Emotionstheorien eine wichtige Rolle. Das öffentliche Interesse für die aktuellen neurowissenschaftlichen Befunde zeigt, dass derzeit (im Unterschied etwa zu den durch die Kognitionswissenschaften geprägten Debatten der 1960er- und 1970er-Jahre) die körperliche Dimension des Emotionsgeschehens wieder sehr stark im Vordergrund wissenschaftlicher Aufmerksamkeit steht. Im Rahmen der im folgenden Abschnitt vorgestellten Systematik einer Soziologie der Emotionen wird es unter anderem darum gehen zu zeigen, welcher Stellenwert dieser körperlichen Dimension im Vergleich zu anderen Dimensionen des Emotionsgeschehens in soziologischen Debatten zukommt. Es können folgende das Emotionale betreffende Dimensionen unterschieden werden (denen allerdings in den zahlreich existierenden Definitionsversuchen des Emotionalen jeweils unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird):17 Erstens, die körperliche Dimension, die sich auf alle im Zusammenhang mit Emotionen ablaufende physiologische Prozesse bezieht (von neuronalen bis hin zu endokrinologischen Prozessen reichend). Zweitens, die Ausdrucksdimension, die sich auf das für andere Personen sichtbare körperliche Erscheinungsbild einer Emotion, das teilweise aktiv von der betroffenen Person beeinflusst werden kann, bezieht. Drittens, die Erlebnisdimension, die das bewusste Erleben (und teilweise auch dessen Verbalisierung) einer Emotion durch die Person, die sie verspürt, umfasst.
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Erst kürzlich hat etwa Turner auf die Funktionen von Emotionen im Rahmen der Ausbildung und Bewahrung sozialer Bindungen als Evolutionsvorteil hingewiesen. Vgl. Turner, On the Origins, S. 19–21. Neben der Mimik gibt auch die menschliche Stimme eindeutige Hinweise auf die emotionale Verfassung der jeweils Sprechenden, wobei auch hier, wie etwa Arbeiten Klaus Scherers zeigten, Emotionen kulturübergreifend erkannt werden können. Vgl. Wassmann, Die Macht der Emotionen, S. 36–37. Vgl. Eckman, Expression; – Wassmann, Die Macht der Emotionen, S. 28–40. Vgl. Ulich, Mayring, Psychologie der Emotionen, S. 36–37, S. 132–133. Vgl. Ulich, Mayring, Psychologie der Emotionen, S. 46–47; – Mandl, Huber, Theoretische Grundpositionen, S. 51. Zur Vielzahl der Definitionsversuche von Emotionalität bzw. Emotionen vgl. Mandl, Huber, Theoretische Grundpositionen, S. 4.
3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung
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Viertens, die Bewertungsdimension, die einen Bezug zur Umwelt herstellt, indem äußere Reize eine Einstufung erfahren, d. h. im einfachsten Sinne als angenehm/unangenehm bewertet werden. Die Bewertungsdimension kann sich auch auf das Individuum selbst beziehen, indem beispielsweise das subjektive Erleben einer Emotion eine derartige weitere emotionale Bewertung erfährt.18 Und schließlich, fünftens, die Handlungsdimension, die sich auf die aus einer Emotion folgende Motivation oder Tendenz zu einem bestimmten zukünftigen Verhalten bezieht. Diese fünf Dimensionen sind auf unterschiedliche Art und Weise miteinander verknüpft, wobei die Meinungen in der Literatur darüber auseinandergehen, ob und welche determinierenden Beziehungen zwischen ihnen existieren. Die körperliche Dimension ist – aufgrund der Leiblichkeit des Menschen – naturgemäß mit allen anderen Dimensionen verknüpft, allerdings kann keine einseitige Wirkung ihrerseits auf die anderen Dimensionen festgestellt werden. Das Ausdrucksbild einer Emotion (etwa in der Mimik) basiert natürlich auf physiologischen Voraussetzungen (etwa der Gesichtsmuskulatur und ihrer Steuerung durch neuronale und endokrinologische Prozesse). Die Facial-Feedback-These zeigt aber, dass auch die willentliche Präsentation eines bestimmten Ausdrucksbildes (bei der bestimmte Gesichtsmuskeln bewegt werden, ohne dass aktuell ein entsprechendes Gefühl vorliegt) physiologische Mechanismen und teilweise schließlich auch das Erleben der damit assoziierten Gefühle auslösen kann.19 Auch die Erlebnisdimension, d. h. das subjektiv bewusste Empfinden eines Gefühlszustandes kann weitere körperliche Mechanismen in Gang setzen bzw. beeinflussen, wie die Arbeiten der Psychoneuroimmunologie nahelegen.20 Ausdrucksund Erlebnisdimension wiederum müssen nicht miteinander übereinstimmen, wie die Studien zur Manipulation des Gefühlsausdrucks gemäß kulturellen oder sozialen Gefühlsregeln belegen.21 Bewertungs- und Erlebnisdimension wiederum sind eng miteinander verknüpft, wenn man etwa den Annahmen von Arnold folgt, jedoch kann auch eine emotionale Bewertung der Umgebung vorgenommen werden, ohne dass sich dies im bewussten subjektiven Erleben der Person niederschlägt (man denke an die entsprechenden Experimente Zajoncs). Die Handlungsdimension, d. h. die durch eine Emotion ausgelöste Verhaltenstendenz kann ebenfalls mit einem bewussten Erleben der Emotion einhergehen bzw. von diesem ausgelöst werden, aber, wie etwa die Studien LeDouxs zur automatischen Furchtreaktion auf konditionierte Reize zeigen, auch unbewusst ablaufen.22 Ähnlich wie die körperliche Dimension
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Zu denken wäre hier etwa an die von Thomas Scheff skizzierten Scham-Scham-Spiralen, in denen das subjektive Erleben der Emotion Scham seinerseits wiederum Scham auslöst. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel II, 5.1. – Die Vertreter und Vertreterinnen der Bewertungstheorie der Emotionen in der Psychologie (etwa Magda Arnold oder Richard S. Lazarus) gehen davon aus, dass die Bewertungsfunktion das Hauptcharakteristikum von Emotionen ist (nicht zuletzt auch aufgrund der angenommenen adaptiven Funktion von Emotionen). Dies spielt vor allem im Zusammenhang mit den Techniken der Gefühlsarbeit eine Rolle. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel II, 4.2. Zur Psychoneuroimmunologie vgl. auch die Ausführungen in Kapitel III, 3.3.2. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel II, 4.2. Zu beachten sind hierbei die Studien Ekmans zum universalen Ausdrucksbild der Emotionen, die zumindest kurzfristig die Übereinstimmung zwischen Erlebnis und beispielsweise Gesichtsausdruck belegen, d. h. zeigen, dass Techniken der Gefühlsmanipulation erst zeitverzögert zu wirken beginnen. Vgl. hierzu Kapitel II, 3.1.2. Zu den Studien LeDouxs vgl. die Ausführungen in Kapitel I, 3.1. Zu beachten ist, dass die durch unbewusste Furchtreaktionen ausgelösten Handlungen nachträglich mit einem subjektiven Empfinden der Furcht verbunden werden können, wie es bereits in der Theorie von James angedeutet wurde. Die Zeit, die vergeht, bis die
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ist auch die Handlungsdimension (die für die Soziologie von besonderem Interesse ist) eng mit allen anderen Dimensionen verknüpft, wobei emotionale Verhaltenstendenzen auch darin bestehen können, keine offensichtlichen Handlungsschritte zu setzen, was aber ebenfalls entscheidende Konsequenzen für den Akteur bzw. seine soziale Umgebung haben kann. Bei allen genannten Dimensionen des Emotionsgeschehens muss die soziale Existenz des Menschen mitberücksichtigt werden. Physiologie, Ausdrucksbild und Erleben einer Emotion werden durch unsere sozialen Erfahrungen und Lernprozesse entscheidend beeinflusst.23 Wir reagieren auf unsere soziale Umgebung, indem wir diese emotional bewerten und wir handeln in dieser Umgebung auf der Grundlage unserer emotionalen Gestimmtheiten, wobei die erlernten sozialen und kulturellen Regeln eine wichtige Rolle für die Art und Weise unserer Bewertungen und Handlungstendenzen spielen. Worüber wir uns beispielsweise ärgern, hängt eng mit den von uns erlernten Gerechtigkeitsvorstellungen zusammen, deren Verletzung erst zu unserem Gefühl des Ärgers führt. Ob es sodann gestattet ist, diesen Ärger offen auszuleben, oder ob wir gezwungen sind, ihn zu unterdrücken, hängt ebenfalls von der Zeit und Gesellschaft, in der wir leben, ab. Eine Soziologie der Emotionen muss sich also damit beschäftigen, den Zusammenhang der genannten fünf Dimensionen mit unserer sozialen Existenz zu beleuchten. Wie die im folgenden Abschnitt II präsentierte Übersicht zeigen wird, wurden von den verschiedenen bisherigen Ansätzen einer Soziologie der Emotionen manche der fünf Dimensionen stärker berücksichtigt als andere. Gleiches gilt im Übrigen auch für die im Bereich der Psychologie vorgelegten Emotionstheorien. In Abschnitt III wird die institutionelle Struktur des Wissenschaftssystems als einer der Gründe für diese zum Teil einseitige Betrachtung des Emotionsgeschehens dargelegt. Emotionen haben neben den genannten Dimensionen auch zeitliche Charakteristika; es kann sich dabei um kurzfristige, auf eine spezifische Situation bezogene Gefühlszustände handeln, aber auch um länger andauernde Stimmungen einer Person. In dieser Arbeit wird zunächst auf eine Unterscheidung zwischen Stimmungen und kurzfristigen Gefühlszuständen verzichtet, da für eine Soziologie der Emotionen beide von Relevanz sein können. Die Worte ‚Affekt‘, ‚Emotion‘ oder ‚Gefühl‘ werden daher auch weitgehend synonym verwendet. Die fünf unterschiedenen Dimensionen des Emotionsgeschehens werden im Folgenden auf ihre Bedeutung für verschiedene Ansätze einer Soziologie der Emotionen hin analysiert werden. Deutlich wird dabei, dass die körperliche Dimension in diesen Ansätzen bisher eine untergeordnete Rolle gespielt hat, während alle anderen Dimensionen (unterschiedlich stark) von der Soziologie beachtet wurden. Während es zwischen der Psychologie (die in ihrer experimentell orientierten Version immer schon eine Nahestellung zu den biowissenschaftlichen Disziplinen aufgewiesen hat) und etwa den Neurowissenschaften mittlerweile eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten und gemeinsam verfolgten Fragestellungen gibt,
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automatische Furchtreaktion auch ein bewusstes Erleben der Furcht auslöst, ist allerdings äußerst kurz. In sozialen Situationen dürfte daher der zeitliche Abstand zwischen Handlungs- und Erlebnisdimension vernachlässigbar sein (wenn man die unbewusste Auslösung von Handlungstendenzen durch Furchtreaktionen auch für soziale Stimuli annimmt). Man denke hierbei etwa an die Plastizität des Gehirns (d. h. an die je nach gebotenen Anregungen veränderbaren neuronalen Strukturen des Gehirns – vgl. hierzu Kapitel I, 3.1.1.) oder die im Prozess der Sozialisation erlernten Darbietungsregeln bestimmter Emotionen (wann welche Emotion gezeigt werden darf und wann sie zu unterdrücken und das Zeigen ihres Ausdrucksbildes zu vermeiden ist, wird von klein auf gelernt, wobei hierbei natürlich auch je nach sozialem, kulturellem und historischem Kontext variierende Normen eine Rolle spielen).
3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung
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scheint für die Soziologie biowissenschaftliches Terrain immer noch weitgehend Fremdland zu sein. Die Grenze zwischen den ‚zwei Kulturen‘24 erweist sich in diesem Bereich – trotz interdisziplinärer Bekundungen – als äußerst widerstandsfähig. Nur sehr wenige Vertreter der Soziologie der Emotionen haben bisher in ihren Arbeiten zumindest auf biowissenschaftliche Diskussionen verwiesen (etwa Theodore Kemper oder Jack Barbalet). In umgekehrter Richtung fällt die Bezugnahme meines Wissens ebenso mager aus.25 Eine systematische Auseinandersetzung zwischen Soziologie und Biowissenschaften im Hinblick auf die Emotionen und ihre sozialen Bezüge steht bis heute noch aus.26 Einige der derzeit in den Biowissenschaften diskutierten Forschungsergebnisse sollen daher im folgenden Abschnitt vorgestellt werden.
3.1. Biowissenschaftliche Grundlagen In der Fachliteratur zum Thema Emotionen herrscht derzeit weitgehende Einigkeit darüber, dass ein ganzes Konglomerat an sozialen und biologischen Faktoren beim Zustandekommen von Emotionen beteiligt sein dürfte. Die Zusammenhänge innerhalb dieses Faktorenbündels näher zu erhellen, stellt eine besondere Herausforderung für interdisziplinäre Forschungsgruppen dar. Im Sinne interdisziplinärer Anschlussfähigkeit sollen in der vorliegenden Arbeit mögliche Schnittstellen etwa zur Neurophysiologie und Biochemie zumindest mitbedacht werden, daher soll an dieser Stelle ein kurzer Überblick über einige aktuelle biowissenschaftliche Befunde gegeben werden. Als Soziologin bewege ich mich hierbei in ‚fremden Gefilden‘ und muss mich daher vorrangig auf Literatur stützen, die von den bio-
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Der Begriff der ‚zwei Kulturen‘ wird hier in Anlehnung an die 1959 gehaltene Rede-Lecture von Charles Percy Snow verwendet, in der sehr plakativ die Verständnisschwierigkeiten und mangelhafte wechselseitige Wahrnehmung zwischen Naturwissenschaftlern und ‚literary intellectuals‘ beschrieben wurde. Snows Diagnose löste bereits unter Zeitgenossen eine kontrovers geführte Debatte aus, was zumindest als Hinweis auf die damalige Aktualität des Themas gewertet werden kann. Es soll an dieser Stelle nicht näher auf die Schlussfolgerungen Snows eingegangen oder geprüft werden, inwieweit die Kluft zwischen den Wissenschaften in der beschriebenen Weise existiert(e), die Thematik an sich hat jedoch nach über 40 Jahren nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, wenn man an die stets neu aufflammende Diskussion über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten interdisziplinärer Forschung denkt. Vgl. Snow, The Two Cultures. Es gibt durchaus allgemein gehaltene Aussagen zur Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit vonseiten biowissenschaftlicher Fachvertreter und -vertreterinnen. (Vgl. etwa die Überlegungen Edward O. Wilsons zu den Vorteilen einer Allianz zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften und der Biologie: Wilson, Die Einheit des Wissens, insbesondere S. 18–22.) Gemeinsame Projekte mit den Sozialwissenschaften resultieren hieraus jedoch nur selten. Was sich auch feststellen lässt, ist, dass Vertreter bzw. Vertreterinnen verschiedener biowissenschaftlicher Disziplinen in ihren Modellbildungen manchmal auf sozialwissenschaftliche Theorien zurückgreifen. Es handelt sich hierbei jedoch zumeist um theoretische Analogien, ohne dass tatsächlich disziplinübergreifende Zusammenarbeiten initiiert würden. Als Beispiel für die analogieartige Adaption sozialwissenschaftlicher Theorien im Bereich der Biowissenschaften sei hier auf die sogenannte ‚Proteinsoziologie‘ verwiesen. Biologen wie Giulio Superti-Furga beschreiben neuerdings die Arbeitsweise von Proteinen in Analogie zu sozialen Organisationsformen. Vgl. Abbott, Proteomics. Auch die Arbeiten der vergleichenden Verhaltensforschung oder der Soziobiologie (die sich beide ebenfalls mit den Emotionen des Menschen beschäftigen) versuchen das Sozialverhalten des Menschen im Wesentlichen durch das Wirken evolutionsbiologischer Prinzipien zu erklären, was keine systematische Bezugnahme auf soziologische Theoriebildungen darstellt, sondern eher als Versuch betrachtet werden kann, den universalen Erklärungsanspruch biowissenschaftlicher Paradigmen zu untermauern.
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wissenschaftlichen Fachvertretern und -vertreterinnen für ein breiteres Publikum verfasst wurde. Es ist nicht mein Anspruch, fachspezifische Diskussionen – beispielsweise in den Neurowissenschaften – detailliert und in letzter Aktualität nachzuvollziehen, sondern einige der biowissenschaftlichen Befunde über die Genese und Wirkungsweise von Emotionen für sozialwissenschaftliche Zwecke zusammenzufassen.
3.1.1. Die Plastizität des Gehirns Die Plastizität des Gehirns, d. h. seine ständige Veränderung während der Lebensspanne eines Menschen, rückte dieses Organ in den letzten Jahren in das Zentrum interdisziplinärer Aufmerksamkeit. Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil die Hoffnung bestand, über ein besseres Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns in Zukunft auch bessere Erklärungen für das Zusammenwirken von angeborenen und erworbenen Fähigkeiten erhalten zu können (womit allerdings indirekt auch ein Primat der Neurowissenschaften in der oft diskutierten Hierarchie der Wissenschaften nahegelegt wird). John Ratey formuliert dies folgendermaßen: „Auseinandersetzungen darüber, ob die Genetik, die Kultur oder die Umwelt die wahre Ursache für das Phänomen X ist, sind oft reine Zeitverschwendung. Das Bindeglied zwischen allen diesen Faktoren ist das Gehirn. Im Laufe seiner Entwicklung wirkt sich zunächst jede dieser Komponenten allein aus. Ist aber ein bestimmter Grad der Komplexität erreicht und tritt die Umwelt zunehmend in den Vordergrund, fangen die einzelnen Teilbereiche des Gehirns an, intensivere Verbindungen zueinander zu knüpfen. Paradoxerweise wird das menschliche Gehirn damit womöglich selbst zum Katalysator eines interdisziplinären Reifungsprozesses, in dessen Verlauf Psychologie, Anthropologie, Linguistik und Philosophie aufeinander zugehen.“27 In der Erforschung des menschlichen Gehirns sind in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte erzielt worden. Zum Teil ist dies auch auf die Entwicklung neuer bildgebender Verfahren (z. B. der Magnetresonanztomographie oder der Positronen-Emissions-Tomographie)28 zurückzuführen, die es ermöglicht haben, Aufbau und Funktionsweise des Gehirns bei lebenden Personen zu beobachten, sodass sich Analysen dieses Organs nicht mehr nur auf post mortem-Befunde stützen müssen. Neurologische Untersuchungen können heute beispielsweise auch mit psychologischen Tests kombiniert werden, wodurch disziplinübergreifende Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns und seine Beteiligung an psychischen Prozessen möglich werden. Bereits Sigmund Freud hatte die Hoffnung gehegt, durch eine bessere Kenntnis der Arbeitsweise des Gehirns auch psychische Prozesse erklären zu können. Allerdings standen die Neuroanatomie und -biologie zu seiner Zeit erst an ihren Anfängen, und Freud wandte sich nach eigenen Studien in diesem Bereich, wie Gerhard Roth feststellt, „enttäuscht von der Neurobiologie ab und äußerte sich später an vielen Stellen skeptisch bis ablehnend über die Möglichkeiten, das Psychische neurobiologisch erklären zu können.“29 Freud war unter anderem im physiologischen Labor Ernst Brückes tätig gewesen, wo er mit Sigmund Exner und Josef Breuer zusammentraf, die beide später wesentlich zur Weiterentwicklung der Phy-
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Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 20. Vgl. Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 82; – Jäncke, Methoden der Bildgebung, S. 11–21. Roth, Wie das Gehirn die Seele macht, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth.pdf (5.1.2009).
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siologie und Neurologie beigetragen haben.30 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren – auch aufgrund der noch fehlenden labortechnischen Verfahren – die Kenntnisse über die elektrophysiologischen und neurochemischen Prozesse im Gehirn noch sehr marginal bzw. unausgeprägt. Die Gehirnanatomie und die Lokalisation bestimmter Funktionen im Gehirn, über die es schon genauere Vorstellungen gab, erschien Freud nach anfänglichen diesbezüglichen Überlegungen31 nicht geeignet, um tiefere Einblicke in die Psyche des Menschen zu erlangen. Es verwundert daher nicht, dass sich Freud, obwohl er prinzipiell die Bedeutung des Gehirns auch für ‚seelische‘ Tätigkeiten akzeptierte, von der Neurobiologie abwandte. Heutige Arbeiten auf dem Gebiet der Neurobiologie erlauben hingegen möglicherweise einen Brückenschlag zu Freuds späteren psychoanalytischen Thesen. Gerhard Roth hat sich ausführlich damit beschäftigt, Freuds Konzepte des Bewussten bzw. Unbewussten, des ‚Ich‘, der Steuerung des ‚Ichs‘ durch das Unbewusste sowie die mögliche Wirkungsweise psychoanalytischer Therapien mit aktuellen neurobiologischen Kenntnissen in Einklang zu bringen.32 Roth beschreibt die Annäherung zwischen den ehemals scheinbar unvereinbaren Paradigmen folgendermaßen: „Zwischen den Neurowissenschaften und der Psychoanalyse hat Jahrzehntelang eine erbitterte Feindschaft bestanden. Für die Psychoanalytiker war die Hirnforschung das abschreckende Beispiel reduktionistischen Vorgehens oder (...) eine völlig überflüssige empirische Beigabe zur ‚wahren Lehre‘. Für die Neurowissenschaftler (ebenso wie für viele andere empirisch-experimentell arbeitende Wissenschaftler) galt die Psychoanalyse als Inbegriff unwissenschaftlicher Theoriebildung des Psychischen, während man gleichzeitig selbst überhaupt nicht wusste, wie man mit empirisch-experimentellen Mitteln das Psychische angehen könnte. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert, und die Strukturen und Funktionen des limbischen Systems bzw. die neuronalen Grundlagen der Affekte und Emotionen sind zu einem hochaktuellen neurowissenschaftlichen Forschungsgegenstand geworden.“33 In der Neuropsychoanalyse bzw. der Neuropsychologie hat die Kombination beider Ansätze mittlerweile auch einen institutionalisierten disziplinären Ort gefunden. Das Gehirn besteht aus einer enormen Anzahl von Nervenzellen (Ratey spricht von 100 Millionen Nervenzellen), die über antennenartige Fortsätze (Axione und Dendriten) miteinander in Kontakt stehen. Dendriten sind jene Nervenbahnen, über die Informationen in die Nervenzelle gelangen, während Axione jene Bahnen sind, über die die Nervenzelle selbst Informationen an andere Nervenzellen weiterleitet (wobei jede Nervenzelle zwar mehrere Dendriten haben kann, jedoch nur ein Axion). Es sind die synaptischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die die Plastizität des Gehirns ausmachen. Regelmäßige Aktivierung be-
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Vgl. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 41. – Vgl. auch Mühlleitner, Psychoanalyse, S. 176–177. – Zur Bedeutung der zeitgenössischen neuromorphologischen und hirnphysiologischen Arbeiten für die Entwicklung der Freud’schen Lehre vgl. auch Seitelberger, Hirnforschung, S. 414. – Zu Brücke vgl. Tuppy, Physiologie und Biochemie, S. 237–245. – Zum Verhältnis Breuers und Freuds und ihrer späteren Abgrenzung voneinander vgl. Tuppy, Physiologie und Biochemie, S. 258–259. 31 1896 hatte Freud eine Schrift mit dem Titel „Entwurf einer Psychologie“ verfasst, in der er versuchte, die Funktionsweise des ‚seelischen Apparates‘ mithilfe der gerade erst entwickelten Neuronentheorie zu beschreiben. Die Arbeit erschien erst posthum im Jahr 1950. Vgl. Roth, Wie das Gehirn die Seele macht, http://www. lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth.pdf (5.1.2009). 32 Vgl. Roth, Wie das Gehirn die Seele macht, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth.pdf (5.1.2009); – sowie Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 430–441. 33 Roth, Wie das Gehirn die Seele macht, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth.pdf (5.1.2009).
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stimmter Nervenbahnen stärkt ihre synaptische Verbindung, während mangelnde Verwendung zum ‚Absterben‘ bestimmter Verbindungen führen kann.34 Der Kontakt zwischen zwei Nervenzellen wird über chemische Botenstoffe – die Neurotransmitter – hergestellt. Im Zuge der Informationsweiterleitung werden die als elektrische Impulse in der Nervenzelle vorhandenen ‚Informationen‘ gewissermaßen in chemische ‚Botschaften‘ umgewandelt und in Form der Neurotransmitter in den synaptischen Spalt (den kleinen Abstand zwischen dem Axion der einen und dem Dendriten der anderen Nervenzelle) emittiert. Die Neurotransmitter werden sodann auf Seite des Dendriten von Rezeptoren aufgenommen und – falls es sich um erregend wirkende Neurotransmitter handelt – wieder in elektrische Impulse umgewandelt, um an eine andere Nervenzelle weiter‚gefeuert‘ werden zu können.35 Durch regelmäßige Aktivierung bestimmter synaptischer Verbindungen wird die Leistungsfähigkeit von neuronalen Verschaltungen des Gehirns gesteigert, was dazu führt, dass im Zuge der Informationsverarbeitung diese bereits vorhandenen Muster schneller aktiviert werden können und somit beispielsweise eine raschere Reaktion auf bestimmte Umweltreize möglich ist. Damit verbunden sind aber auch gewisse ‚Stereotypenbildungen‘, da bestimmte, früher bereits regelmäßig aktivierte neuronale Muster bevorzugt wieder aktiviert werden.36 Die ‚Plastizität‘ des Gehirns gestattet jedoch auch ein Ausbrechen aus diesen ‚Denkroutinen‘, da durch veränderte Ausgangsreize auch andere neuronale Verschaltungen gestärkt werden können.37 Diese Mechanismen bieten eine Erklärung dafür, wie Umweltreize und genetische Ausstattung des Menschen miteinander interagieren. Die generelle Lernfähigkeit des Menschen und auch seine Möglichkeit, nach Hirnverletzungen zahlreiche Funktionen wieder erlernen zu können, basieren auf der Fähigkeit des Gehirns neue synaptische Verbindungen (zulasten nicht verwendeter Synapsen) aufzubauen.38 Ratey formuliert dies so: „‚Gemeinsam feuernde Neuronen verschalten sich auch‘ – das bedeutet, je öfter wir dieselben Handlungen und Gedanken wiederholen (sei es das Trainieren eines Tennisaufschlags oder das Auswendiglernen von Multiplikationstabellen), desto stärker fördern wir die Bildung bestimmter Verknüpfungen und desto mehr ‚verdrahten‘ sich die neuronalen Schaltkreise im Gehirn, die für diese bestimmte Aufgabe zuständig sind. ‚Was nicht benutzt wird, geht verloren‘ ist die logische Schlußfolgerung: Wenn Schaltkreise des Gehirns nicht trainiert werden, verlieren sie ihre Anpassungsfähigkeit, werden schwächer und gehen möglicherweise zugrunde.“39 Die Art der Verschaltungen eines Gehirns und auch ihre Effektivität hängen davon ab, welche Anregungen dem Gehirn geboten werden, d. h. welche Aufgaben
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Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 27–28, S. 34–35 sowie S. 41. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 34. Die bereits von Alfred Schütz beschriebene Wirksamkeit von Alltagsroutinen (zu denen auch soziale Rollenvorstellungen gehören), die uns ein rasches Reagieren auf unsere Umwelt gestatten (ohne jedes Mal komplexe interaktive Deutungsprozesse auszuführen), kann eventuell auf derartige, durch Routine entstandene neuronale Verschaltungen zurückgeführt werden. Für die Soziologie interessant wäre die Frage, ob derartige Mechanismen auch bei der Vorurteilsbildung bzw. deren Überwindung zum Tragen kommen. Können stereotype Denkmuster, die möglicherweise im Zusammenhang mit ingroup-outgroup-Grenzen in der Sozialisation erlernt und später stets neu aktiviert werden, die Dauerhaftigkeit von Vorurteilen erklären helfen? In welcher Häufigkeit müssen sodann alternative Wahrnehmungen gemacht werden, um derartige Denkroutinen zu durchbrechen? Hier böte sich ein weites Feld möglicher Kooperation zwischen Neurowissenschaften und Soziologie. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 41. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 42.
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der Mensch im Verlauf seines Lebens zu lösen hatte. Aus diesen Überlegungen folgt auch, dass es keine zwei Gehirne gibt, in denen die Informationsverarbeitung in gleicher Weise abläuft. Die im Rahmen bildgebender Verfahren aufgedeckten typischen Aktivierungsmuster bei bestimmten Tätigkeiten (z. B. Dolmetschen) können somit stets nur als Richtwerte betrachtet werden. Abweichungen von den ‚typischen‘ Mustern bedeuten nicht automatisch, dass eine Aufgabe von dem betroffenen Individuum weniger gut gelöst würde. Forschungen haben außerdem gezeigt, dass abhängig vom Grad der Routine, mit der eine bestimmte Aufgabe bewältigt wird, sich ebenfalls die Verschaltungen des Gehirns (und damit auch die im Rahmen bildgebender Verfahren sichtbaren Aktivierungsmuster) ändern. Komplizierte motorische Aufgaben werden beispielsweise, sobald sie zur Routine geworden sind, in subcorticale Bereiche verlagert, wo sie quasi automatisch ablaufen können, während sich der Cortex neuen Herausforderungen widmen kann.40 Die Plastizität des Gehirns ist allerdings nicht völlig unbegrenzt – eine wesentliche Beschränkung liegt darin, dass es für das Erlernen bestimmter Fertigkeiten sogenannte ‚Zeitfenster‘ im Rahmen der menschlichen Entwicklung gibt. Erfolgt innerhalb dieses Zeitfensters keine Aktivierung des vorhandenen Grundstocks an synaptischen Verbindungen, sterben diese ab und können nachher nur teilweise ersetzt werden. Diese Zeitfenster gelten beispielsweise für das Erlernen der Muttersprache, aber auch für eine ganze Reihe sensorischer und motorischer Fähigkeiten.41 Bezüglich der Plastizität des mit dem emotionalen Empfinden in Zusammenhang stehenden limbischen Systems bestehen unterschiedliche Meinungen. Roth weist darauf hin, dass die neuronalen Verknüpfungen in diesen Teilen des Gehirns deutlich langsamer umorganisiert werden als beispielsweise im corticalen Bereich. Daraus folgert er auch, dass emotionale Umlernvorgänge ebenfalls sehr langsam vonstattengehen bzw. sehr veränderungsresistent sind, allerdings sind Modifikationen nach Roth in diesem Teil durchaus möglich, worauf auch die Wirksamkeit mancher psychotherapeutischer Verfahren beruht. LeDoux zweifelt hingegen die Veränderbarkeit des limbischen Erfahrungsgedächtnisses grundsätzlich an. Im Rahmen der Therapie von Angststörungen kommt es nach LeDoux lediglich dazu, dass es nach langer Übung dem Cortex gelingt, die Handlungssteuerung zu übernehmen und unangebrachte phobische Reaktionen einzudämmen, die jedoch als jederzeit wieder aktivierbares Erfahrungsmuster im limbischen System gespeichert bleiben.42
3.1.2. Emotionen und neuronale Prozesse Für die Soziologie der Emotionen von besonderer Bedeutung ist die von der Hirnforschung nachgewiesene Beteiligung des Gehirns bzw. bestimmter Gehirnregionen an emotionalen Prozessen. Dabei ist allerdings, wie auch Ratey feststellt, zu beachten, „daß Emotionen das Ergebnis aus dem Zusammenspiel multipler Gehirn- und Körpersysteme sind, die den ganzen Menschen durchdringen“,43 und somit keine Erklärung des emotionalen Geschehens unter Bezugnahme allein auf neuronale Prozesse möglich ist.
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Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 49–50. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 52–55. Vgl. Roth, Wie das Gehirn die Seele macht, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth.pdf (5.1.2009). – Vgl. auch LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 219 und S. 284–286. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 267.
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Das sogenannte limbische System – darüber sind sich Emotionsforscher und -forscherinnen heute weitgehend einig – ist als jener Teil des Gehirns zu betrachten, der eine zentrale Rolle im Rahmen emotionaler Prozesse spielt.44 Zum limbischen System gehören unter anderem die Amygdala, der Hippocampus, der anteriore und mediale Thalamus, der Nucleus accumbens und das basale Vorderhirn. Über den Gyrus cinguli sind all diese Regionen mit dem frontalen Cortex, in dem ein Großteil der höherwertigen kognitiven Prozesse abläuft, verbunden. Das limbische System befindet sich außerdem in unmittelbarer Nähe zum Bewegungssystem, wodurch sich die Bedeutung motorischer Aktivitäten für den Ausdruck der meisten Emotionen erklärt (man denke hierbei etwa auch an die oben erwähnte Facial-Feedback-These, derzufolge mimische Aktivitäten auch entsprechende emotionale Gestimmtheiten zu bewirken in der Lage sind).45 Im Folgenden sollen vor allem die Funktionen der Amygdala und des Hippocampus näher betrachtet werden. Zwischen den Sinnesorganen und dem Gehirn besteht eine komplexe Wechselwirkung. Die Sinnesorgane liefern dem Organismus Umweltinformationen, die allerdings erst während der Verarbeitung im Gehirn eine entsprechende Bedeutung für das Individuum erhalten.46 Bei der Verarbeitung der eintreffenden Informationen spielen frühere Erfahrungen und die dabei aktivierten Nervenzellen eine wichtige Rolle. „Die Eindrücke – oder Qualia – aus der Außenwelt werden in Kategorien oder Konstrukte eingeordnet, die wir erlernt haben. (...) Je öfter ein bestimmtes Muster als Reaktion auf einen Reiz befeuert wird, desto stärker wird dieser Nervenkomplex.“47 Hieraus erklärt sich auch, wie z. B. optische Täuschungen zustande kommen: Eindrücke werden aufgrund der bisherigen Erfahrungen wahrgenommen, leichte Abweichungen von den Erwartungen werden dabei vielfach ‚übersehen‘ oder erst bei ‚genauem‘ Hinsehen deutlich. Der Grund hierfür ist, dass bei Wahrnehmungsprozessen die Details der Sinnesinformationen (z. B. Bewegung, Farbe, Form eines Objektes) von verschiedenen Nervenzellen verarbeitet werden und durch das gleichzeitige ‚Feuern‘ dieser Nervenzellen ein bestimmtes Aktivierungsmuster entsteht, welches auch abgespeichert wird. Treffen in weiterer Folge ähnliche Detailreize ein, so werden die abgespeicherten Muster erneut aktiviert und dies auch dann, wenn nur einige der Detailinformationen mit den ab-
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LeDoux ist einer jener Forscher, die der Idee des limbischen Systems skeptisch gegenüberstehen. Seine Einwände beziehen sich unter anderem auf die bisher unklare Definition der Bestandteile des limbischen Systems und auf die häufig vertretene Annahme, dass das limbische System nicht an höherwertigen Denkprozessen beteiligt sei. In den letzten Jahren sei es gelungen zu zeigen, dass einige der dem limbischen System zugerechneten Gehirnareale Verbindungen zu allen Teilen des Nervensystems aufweisen, darunter auch zum Neocortex, der üblicherweise als Ort der höherwertigen Informationsverarbeitung betrachtet wurde, und somit sei eine logische Unterscheidung des limbischen Systems von anderen Gehirnzentren nicht mehr möglich. Der Haupteinwand LeDouxs bezieht sich auf die, von Vertretern der Theorie des limbischen Systems versuchte, Zuordnung aller emotionalen Prozesse zu lediglich einem (wenn auch aus mehreren Bestandteilen bestehenden) Gehirnzentrum. Seiner Ansicht nach haben die einzelnen Emotionen sehr unterschiedliche Funktionen für den Organismus, weshalb es auch sinnvoller wäre, von verschiedenen emotionalen Zentren im Gehirn auszugehen. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 106–111. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 272. – Vgl. auch Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 24– 25. – Zur allmählichen Entwicklung der heutigen Vorstellung vom limbischen System vgl. auch Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 256–284. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 63–69. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 71.
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gespeicherten übereinstimmen.48 Die Fähigkeit des Gehirns Wahrnehmungen auf diese Art zu korrigieren und auch bei Vorhandensein unvollständiger Informationen Gesamteindrücke der Außenwelt entstehen zu lassen, erlaubt dem Menschen einerseits ein rasches Reagieren auf bestimmte Standardsituationen, andererseits macht es ihn auch anfällig für bestimmte Täuschungen oder Fehlwahrnehmungen.49 Zu den abgespeicherten Mustern gehört auch die von der Amygdala vorgenommene emotionale Bewertung der eintreffenden Sinneswahrnehmungen. Das limbische System ist die „zentrale Schaltstelle für Emotionen, Gedächtnis, Lust und Lernen.“50 Eintreffende Informationen werden im limbischen System mit ‚emotionalen Etiketten‘ versehen, wie Ratey dies ausdrückt; d. h. die Sinnesinformationen werden von der Amygdala durch Bewertungen (angenehm, unangenehm) ergänzt, die aus vergangenen Erlebnissen in ähnlichen Situationen herrühren. Auf diese Weise wird die Richtung der Aufmerksamkeit gesteuert. „Da der Mandelkern [die Amygdala, K. S.] Ereignisse vorausnimmt, ihnen einen emotionalen Wert zuschreibt und dabei unsere Erinnerungen zu Rate zieht, können wir die Welt sofort beurteilen und entsprechend reagieren. Wenn ein Reiz als gefährlich eingestuft wird, sorgt der Mandelkern dafür, daß wir ganz aufmerksam und hellwach sind.“51 Die Amygdala erzeugt sehr allgemeine primitive Kategorisierungen der ihr zugänglichen sensorischen Informationen, um damit eine unmittelbare Reaktion auslösen zu können. Hierbei aktiviert sie neben dem motorischen System auch das autonome Nervensystem sowie das endokrine System, gleichzeitig sendet sie Informationen an den Cortex, der eine weitergehende Bewertung der Daten vornimmt und seinerseits Impulse an die Amygdala zurückschickt, die entweder zur Beruhigung oder weiteren Aktivierung der Amygdala beitragen.52 In manchen Situationen kommt es dazu, dass die Amygdala bereits Reaktionen in Gang setzt, noch bevor eine Rückmeldung aus dem Cortex vorliegt. Insbesondere in Gefahrensituationen stellt diese Möglichkeit zu reagieren, bevor noch die Quelle der Gefahr genauestens identifiziert wurde, einen wesentlichen Überlebensvorteil dar.53 LeDoux hat sich ausführlich mit Furchtreaktionen beschäftigt und gezeigt, dass der sensorische Thalamus (der
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Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 70–76. Hier ergibt sich für die Soziologie wiederum die Frage, ob derartige Mechanismen auch bei der oben bereits erwähnten Dauerhaftigkeit von Vorurteilen am Werke sind, d. h. die ständige Neuaktivierung derselben vorurteilsbeladenen Denkmuster auch bei Vorliegen zum Teil abweichender Wahrnehmungen, die aber im Sinne der eben skizzierten Prozesse nicht bewusst als Abweichung registriert werden, erklärbar ist. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 72–73. LeDoux wies etwa auf die Probleme hin, die sich durch die konditionierungsartige Festschreibung bestimmter Furchtreize im Gedächtnissystem ergeben können, wie zum Beispiel unangemessene emotionale Reaktionen auf bestimmte Reize oder Situationen in Form von Angststörungen. Verantwortlich für diese Prozesse ist ebenfalls die Fähigkeit des Gehirns, ausgehend von einzelnen Reizen komplette neuronale Reaktionsmuster aktivieren zu können (sowohl im Cortex als auch in mit dem emotionalen Geschehen assoziierten Regionen – etwa in der Amygdala). Dieses quasi automatische Reagieren auf bestimmte eingelernte Furchtreize kann einerseits dem Überleben dienlich sein, andererseits jedoch auch – etwa im Fall von Panikattacken – kontraproduktive Folgen zeitigen. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 267–281. – „Die Fähigkeit, rasch Erinnerungen von Reizen zu bilden, die mit Gefahren zusammenhängen, sie lange (vielleicht unbegrenzt) zu behalten und automatisch zu nutzen, wenn künftig ähnliche Situationen auftreten, ist eine der mächtigsten und wirksamsten Lern- und Gedächtnisfunktionen des Gehirns.“ LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 286. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 80. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 148. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 273–274. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 279–280.
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
die Weiterverarbeitung der über die Sinnesorgane einlangenden Informationen koordiniert) sowohl direkte Nervenverbindungen zum Cortex als auch zur Amygdala aufweist. Im Falle der Wahrnehmung eines als gefährlich eingelernten Reizes können über die Verbindung zur Amygdala körperliche Furchtreaktionen (Veränderungen des Blutdruckes, der Muskelspannung usw.) eingeleitet werden. Die Amygdala erhält sowohl vom sensorischen Thalamus als auch vom sensorischen Cortex Informationen. Der Weg zwischen Thalamus und Amygdala ist jedoch der kürzere, sodass die Amygdala bereits zu arbeiten beginnen kann, noch bevor genauere Informationen aus dem Cortex (der eine detaillierte Abwägung der eintreffenden Sinnesinformationen vornimmt) bei ihr eingetroffen sind.54 Zu den Sinneswahrnehmungen, die relativ unmittelbar körperliche Reaktionen auslösen, ohne dass die Verarbeitung der Signale (inklusive ihrer allgemeinen emotionalen Bewertung durch die Amygdala) in der Großhirnrinde abgewartet wird, gehören z. B. die Informationen des Geruchssinns. Der Geruchssinn ist phylogenetisch gesehen einer der ältesten Sinne des Menschen. Zwischen ihm und den Gedächtniszentren des Gehirns (zu denen etwa der Hippocampus gehört) gibt es eine sehr kurze Verbindung. Dies ist der Grund, warum allein die Wahrnehmung eines bestimmten Geruchs (dank der Fähigkeit des Gehirns, ausgehend von einzelnen Detailreizen komplexe Muster gemeinsam feuernder Nervenzellen zu aktivieren) die Erinnerung an vergangene Erlebnisse wecken kann, wobei auch die damals verspürten Emotionen reaktiviert werden. Die über die Nasenschleimhaut eintreffenden Impulse werden nicht nur unmittelbar zu den Gedächtniszentren des Gehirns weitergeleitet, sondern auch zum olfaktorischen Cortex und zur Amygdala (die beide auch zum limbischen System gerechnet werden), wodurch eine rasche Reaktion auf als gefährlich eingestufte Gerüche, ohne Impulse vonseiten des frontalen Cortex abwarten zu müssen, möglich wird. Im Rahmen der Evolution dürfte sich dies als entscheidender Überlebensvorteil erwiesen haben. Die Fähigkeit, rasch auf Geruchsreize aus der Umwelt reagieren zu können, spielt(e) sowohl bei der Gefahrenabwehr als auch bei der zwischenmenschlichen Kommunikation (über Pheromone) eine wichtige Rolle. 55 Wie aus dem eben Beschriebenen deutlich wird, sind emotionale Prozesse und das Gedächtnis eng miteinander verbunden. „Das Gedächtnis ist die zentripetale Kraft, die Lernen, Verstehen und Bewußtsein zusammenhält.“56 Man geht heute davon aus, dass es keinen speziellen Gedächtnisspeicher im Gehirn gibt, in dem Erfahrungen gewissermaßen ‚abgelagert‘ werden und auf ihren neuerlichen ‚Abruf‘ warten. Es sind zwar bestimmte Gehirnregionen für einzelne Prozesse der Informationsverarbeitung und -speicherung im Sinne einer funktionellen Arbeitsteilung zuständig, jedoch lassen sich keine Orte im Gehirn bestimmen, in denen einzelne konkrete Erfahrungen (z. B. die Erinnerung an die eigene Großmutter) gespeichert sind.57 Die These, dass Informationen als eine Art Engramme im Gehirn abgelagert werden, wurde im 19. Jahrhundert von den sogenannten Lokalisationisten vertreten, die davon ausgingen, dass jeder Gehirnbereich für
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Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 169–179. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 79–86. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 221. Vgl. Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 102–107.
3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung
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spezielle Funktionen zuständig sei.58 In den letzten Jahren wurden diese Vorstellungen von jener einer parallel-seriell vernetzt erfolgenden Informationsverarbeitung abgelöst. Hierbei geht man von einer Kombination seriell und parallel verlaufender Einspeicherungsprozesse aus. Seriell verläuft die Einspeicherung entlang der Hierarchie der Gedächtnissysteme;59 unter paralleler Einspeicherung wird die gleichzeitige Informationsspeicherung in verschiedenen Gedächtnissystemen verstanden.60 Im Zuge des Erinnerns werden annährend dieselben (und zwar stets mehrere) Gehirnregionen aktiviert, die zum Teil auch schon während des tatsächlichen Erlebens einer früheren Situation aktiv waren. Neuronale Muster werden als Repräsentationsvorstellungen bei jeder Erinnerung quasi ‚neu‘ aktiviert bzw. rekonstruiert,61 woraus sich auch mitunter die mögliche Veränderung von Erinnerungen im Laufe der Zeit erklären lässt. Bei jedem ‚Neuaufbau‘ können – abhängig von den konkreten Umständen, z. B. den aktuellen Stimmungen des Erinnernden – die alten Muster variiert werden. Bei allen weiteren Erinnerungen werden dann diese Variationen aktiviert und nicht das ursprüngliche Muster.62 Wie die Prozesse des Ordnens, Reaktivierens und Komprimierens der Erinnerungen ablaufen, ist derzeit noch nicht genau erforscht. Lern- und Gedächtnisprozesse dürften aber denselben Prinzipien unterliegen. Jede neue Erfahrung aktiviert ein bestimmtes Muster von Nervenzellen, das im Kurzzeitgedächtnis ‚abgespeichert‘ wird. Je häufiger ein und dieselbe Erfahrung gemacht wird, desto stärker ist die synaptische Verbindung der entsprechenden Nervenzellen und desto leichter kann diese auch als Erinnerung reaktiviert werden. Die sogenannte Langzeitpotenzierung sorgt dafür, dass die synaptischen Verbindungen erhalten bleiben. Sie ist „der Zellmechanismus, der Synapsen veranlaßt, ihre Verbindung zu verstärken, indem sie ein Ereignis, einen Reiz oder eine Idee als Serie von Verbindungen kodieren. Wenn ein Reiz empfangen wird, markiert LTP [die Langzeitpotenzierung] eine neue Bahn entlang einer Reihe von Neuronen, so daß es nachfolgenden Botschaften leichter fällt, auf derselben Bahn zu feuern.“63 Der Neurotransmitter Glutamat dürfte eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Langzeitpotenzierung spielen und für die Dauerhaftigkeit von Lern- und Erinnerungsprozessen (mit)verantwortlich sein. Während des Schlafes dürfte es zur Einübung (d. h. regelmäßigen Aktivierung) von Gedächtnismustern kommen, um diese ins Langzeitgedächtnis aufnehmen zu können. Bei der Übertragung von Informationen ins Langzeitgedächtnis spielen der Hippocampus und andere Teile des limbischen Systems eine wichtige Rolle, was auf den engen Zusammenhang zwischen Emotionen und Gedächtnis schließen lässt.64 Vor allem die Rolle des Hippocampus wurde in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Er gilt heute als jener Ort im
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Vgl. hierzu Peiffer, Hirnforschung, S. 25–28. Die Hierarchie der Gedächtnissysteme wurde u. a. von Endel Tulving vorgeschlagen: Das episodisch-autobiographische Gedächtnis repräsentiert die höchststehende/komplexeste Form des Gedächtnisses, darunter wird das semantische Gedächtnis (auch Wissenssystem oder Faktengedächtnis) verortet, ebenfalls tiefer stehend unterscheidet Tulving außerdem noch das prozedurale Gedächtnis und die Priming-Form des Gedächtnisses. Vgl. Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 88. Vgl. Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 102–107. Die von Damasio beschriebenen somatischen Marker funktionieren nach diesem Prinzip. Vgl. Damasio, Descartes Irrtum, S. 237–238. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 218–223; – Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 75f., S. 83f. sowie S. 108f.; – LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 224–227; – Loftus, Memory, S. 77–84. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 228. – Vgl. auch LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 231–239. Vgl. Ratey, Das menschliche Gehirn, S. 230; – Markowitsch, Dem Gedächtnis auf der Spur, S. 19, S. 27 und S. 110–134.
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Gehirn, der die zentrale Koordination der Gedächtnisprozesse vornimmt und dabei auch eine Brückenfunktion zwischen emotionalen und kognitiven Systemen ausübt.65 Offenbar sind es vor allem emotionale Markierungen bestimmter Reize oder Situationen, die eine langlebige Speicherung bzw. leichte Reaktivierung von Erinnerungen gestatten.66 LeDoux geht – im Sinne der oben bereits beschriebenen These der parallel-seriell vernetzten Informationsverarbeitung – davon aus, dass Situationen oder Reize stets in mehreren Gedächtnissystemen gleichzeitig eingelagert werden. Neben dem deklarativen Gedächtnis, das die bewusst erlebten Komponenten einer Situation umfasst, spielt das implizite emotionale Gedächtnissystem, das die Bewertungen einer Situation als angenehm/unangenehm oder freudig/traurig usw. umfasst, eine wichtige Rolle. Die parallele Existenz dieser Gedächtnissysteme konnte anhand von Patienten mit Gedächtnisstörungen gezeigt werden, bei denen zwar das deklarative Gedächtnis gestört, jedoch trotzdem eine ‚emotionale‘ Erinnerung an bestimmte Reize als unangenehm vorhanden sein kann.67 LeDoux illustriert die parallele Funktionsweise der beiden Gedächtnissysteme anhand des Beispiels eines Verkehrsunfalls. Das Erlebnis selbst und die es begleitenden Reize (z. B. Dauerton einer beschädigten Hupe) werden sowohl im impliziten als auch im expliziten Gedächtnissystem abgespeichert. Kommt es später zu Erinnerungen an den Unfall (die zum Beispiel durch das Geräusch einer Hupe ausgelöst werden), so werden beide Gedächtnissysteme aktiviert. Die Wahrnehmung des Huptons, der auch zu einem konditionierten Furchtreiz geworden ist, aktiviert die Amygdala, die entsprechende körperliche Angstreaktionen auslöst. Der Hupton aktiviert aber auch den Cortex und das dort abgelagerte, explizite Gedächtnis an den Unfall (die Fakten und Begleitumstände des Unfalls treten in Erinnerung). Ohne die gleichzeitige Aktivierung der Amygdala wäre die explizite Erinnerung an den Unfall emotional neutral gehalten. Die Tatsache, dass die meisten Menschen bei solchen Erinnerungen auch emotionale Reaktionen zeigen, ist auf die Aktivierung des Furcht-Gedächtnissystems zurückzuführen. Umgekehrt kann es aber auch vorkommen, dass etwa ein allgemeines Gespräch über Verkehrsunfälle die explizite Erinnerung aktiviert und die Fakten des selbst erlebten Unfalls ins Bewusstsein treten lässt. Auch in solchen Situationen verspüren die meisten Menschen eine emotionale Erregung (Beschleunigung des Herzschlages usw.), ohne dass ein konditionierter Furchtreiz (etwa der Hupton), der zu einer raschen Reaktion der Amygdala führen würde, zugegen ist. LeDoux erklärt diese emotionale Reaktion durch die ebenfalls existierenden Verbindungen zwischen dem expliziten emotionalen Gedächtnissystem und der Amygdala, die die entsprechenden körperlichen Reaktionen auslösen können.68 Welche Rolle die hier beschriebenen neuronalen Prozesse für von der Soziologie behandelbare Fragestellungen spielen können, gilt es in den nächsten Jahren festzustellen. Aus den aktuellen Debatten der Neurowissenschaften wird aber deutlich, dass die Umwelt (und insbesondere auch die soziale Umwelt) eines Menschen entscheidenden Einfluss auf seine physiologische Ausstattung (man denke an die Plastizität des Gehirns) und deren Funktionsweise haben kann.
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Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 212–215. Für das bereits mehrmals angesprochene und für die Soziologie interessante Beispiel sozialer Vorurteile wäre auch hier zu fragen, wie die Dauerhaftigkeit negativer Stereotype mit der emotionalen ‚Codierung‘ von diesbezüglichen Erinnerungen zusammenhängt. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 192–195. Vgl. LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 217.
3. Die Bedeutung physiologischer Faktoren in der Emotionsforschung
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3.2. Zur Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit im Rahmen der Emotionsforschung Die Biowissenschaften haben sich, wie eben gezeigt, in den letzten Jahren intensiv mit den Emotionen des Menschen befasst, und insbesondere die Hirnforschung hat neue Perspektiven für das Verständnis dieses Bereichs eröffnet. Die Sozialwissenschaften allgemein und die Soziologie im Besonderen tun gut daran, an den Befunden der Biowissenschaften nicht vorbeizusehen. Die Euphorie, mit der einzelne Befunde (etwa zum Beispiel die Anfang der 1990er-Jahre von Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti entdeckten sogenannten Spiegelneuronen)69 aufgenommen werden, erscheint vielfach übertrieben, insbesondere, wenn man die Kurzlebigkeit ähnlich enthusiastisch aufgegriffener früherer Forschungsergebnisse und Erklärungsmodelle bedenkt. Biowissenschaftler selbst sind in ihren Aussagen zumeist vorsichtig und weisen darauf hin, dass wir uns beim Verständnis des menschlichen Organismus erst am Anfang befinden. Es wird noch sehr viel Grundlagenforschung notwendig sein, um das komplexe Zusammenspiel genetischer, neuronaler und endokrinologischer Faktoren durchschauen zu können. Nichtsdestotrotz unterliegt ‚biowissenschaftliches ExpertInnenwissen‘ derzeit einem starken Nachfrageboom vonseiten der Öffentlichkeit, wobei allerdings manchmal der Boden seriöser Berichterstattung und Diskussion verlassen wird. Mancherorts entsteht so auch der Eindruck, dass die Erklärung menschlichen Verhaltens allein durch die Lösung bestimmter biowissenschaftlicher Forschungsprobleme (etwa die Entschlüsselung des menschlichen Genoms) erreichbar sei. Im Gegensatz zur Skepsis früherer Jahrzehnte gegenüber überzogenen biowissenschaftlichen Erklärungsansprüchen und technokratischen Überlegungen kann derzeit in Teilen der Öffentlichkeit – bedingt auch durch medienwirksam aufbereitete Forschungsergebnisse – ein eher unbefangener Umgang mit biowissenschaftlichen Befunden verzeichnet werden.70 Die genaue Dokumentation und Erklärung dieses hier nur angedeuteten Einstellungswandels soll – obwohl ein spannendes Thema – nicht Gegenstand der folgenden Abhandlungen sein.71 Festzuhalten bleibt, dass ein Ignorieren biowissenschaftlicher Befunde durch die Soziologie die Chancen des Faches, im auf die Öffentlichkeit (und nicht zuletzt auf die öffentliche Forschungsförderung) ausgerichteten Konzert der Wissenschaften ernst genommen zu werden, sicher nicht erhöhen würde. Statt pauschaler Berührungsängste gegenüber den Biowissenschaften und des (im Prinzip richtigen) Hinweises auf die Komplexität sozialer Phänomene (die eine einfache Erklärung mittels neuronaler oder genetischer Faktoren verbietet) ist sicherlich eine intensivere Auseinandersetzung mit den Schnittstellen zwischen bio-
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Vgl. hierzu auch Bauer, Warum ich fühle, S. 21–32; – Rauch, Gehirnjogging, S. 29; – Rauch, Der Spiegelprinz; – Degen, Nervenbrücke. Vgl. hierzu auch: Becker et al, Bescheidenes Wissen – unbescheidene Ansprüche, S. 6–10. Bühl verwies bereits 1974 auf die wechselhafte Konjunktur, der die Wertschätzung der Wissenschaft unterliegt, und verglich diese mit einer Pendelbewegung (in Anlehnung an Stephen Toulmins Vorstellungen einer zyklisch wiederkehrenden Wissenschaftsfeindlichkeit), die in den 1970er-Jahren zuungunsten der öffentlichen Wertschätzung der Wissenschaft ausfiel. „So scheint heute, im Gegensatz zur Zeit noch vor zehn Jahren, als die Wissenschaft noch heroisiert wurde, das Pendel nach der Seite einer weitverbreiteten Wissenschaftsfeindlichkeit auszuschlagen – auch wenn diese amorph bleibt und sich nur gelegentlich zu einer ausgeprägten Anti-Wissenschaftsbewegung formieren kann.“ Bühl, Einführung, S. 12. Um bei der Pendelmetapher zu bleiben: Es könnte derzeit sicherlich ein Ausschlagen des Pendels in Richtung stärkerer Wissenschaftsgläubigkeit (jedenfalls im Hinblick auf die Biowissenschaften) konstatiert werden.
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I. Zur ‚Aktualität‘ des Themas der Emotionen in den Wissenschaften
wissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Befunden angebracht (und dies nicht nur aus disziplinären Vermarktungsgründen). Allerdings weisen derartige – im Grunde interdisziplinäre – Unterfangen eine Reihe von Schwierigkeiten auf, die von der unterschiedlichen Terminologie, dem fehlenden Grundlagenwissen über die Methoden des jeweils anderen Fachs bis hin zu problematischen institutionellen Rahmenbedingungen reichen und wahrscheinlich produktiv nur in größeren Forschungsteams gelöst werden können. Im Rahmen individueller Forschungsprojekte wird eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit biowissenschaftlichen Befunden außerdem durch die manchmal nur kurze ‚Halbwertszeit‘ dieser Befunde erschwert. Ein Rückgriff auf innerhalb der Biowissenschaften bereits als überholt eingestufte Studien würde nicht zum Ansehen der Soziologie bzw. zur Brauchbarkeit ihrer Überlegungen beitragen. (Als Beispiel verweise ich auf die Arbeiten Kempers, der einer der wenigen Soziologen war, der explizit biochemische Befunde im Rahmen seiner Überlegungen berücksichtigt hat, die allerdings mittlerweile teilweise als überholt angesehen werden können, siehe dazu Kapitel II, 4.1.1.). Soziologen stehen also vor der Wahl, sich entweder auf ihre eigene Disziplin zu beschränken und dabei Ignoranz gegenüber biowissenschaftlichen Fächern an den Tag zu legen, die wahrscheinlich nicht zur Erhellung des Gegenstandsbereichs beiträgt und auch nicht dem derzeit gegenüber den Biowissenschaften günstigen öffentlichen Klima entspräche, oder aber zu versuchen, die Kompatibilität ihrer Fragestellungen mit biowissenschaftlichen Befunden sicherzustellen. Im letzteren Fall setzen sie sich (abgesehen vom ungeheuren Aufwand und dem fraglichen Erfolg eines Sicheinarbeitens in fremde Fächer) allerdings der Gefahr aus, ständig hinter den Fortschritten der rezipierten Disziplinen hinterherzuhinken. Angesichts dieser Pattsituation verwundert es nicht, dass die Berücksichtigung biowissenschaftlicher Befunde in den Arbeiten einer Soziologie der Emotionen erst am Anfang steht.72 Gleichzeitig wurden auch die Arbeiten der Soziologie der Emotionen im Rahmen biowissenschaftlicher Forschungsprojekte bisher nicht aufgegriffen.73 Wie kann diese wechselseitig erfolgende mangelhafte Wahrnehmung zwischen Bio- und Sozialwissenschaften überwunden
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Die Bezugnahmen auf die Biowissenschaften vonseiten der Vertreter und Vertreterinnen der Soziologie der Emotionen beschränken sich meist auf sehr allgemeine Bemerkungen über die biologische Basis menschlicher Affekte, ohne tiefer gehende Erörterungen dieser vorzunehmen. Vgl. etwa Hochschild, The sociology of emotion as a way of seeing, S. 6. – Neben den schon erwähnten Arbeiten Kempers, kann in jüngerer Zeit auch bei einigen anderen Vertretern der (anglo-amerikanischen) Soziologie der Emotionen allerdings ein beginnendes Interesse für neuere biowissenschaftliche Befunde festgestellt werden, so etwa bei Barbalet und Collins. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 75–78; – Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 42–45. – Auch der kürzlich von Turner und Stets geschriebenen Einführung zur Soziologie der Emotionen wird ein Plädoyer der Autoren für eine stärkere Beachtung biowissenschaftlicher Befunde vorangestellt. Vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 4–9, auch S. 314–315. – In der deutschsprachigen Soziologie wäre die 1991 erschienene Arbeit von Vester zu nennen, der für eine stärkere multidisziplinäre Orientierung bei der Erforschung des Emotionalen eintritt und auf diesbezügliche Versuche in der Stressforschung verweist. Vgl. Vester, Emotion, Gesellschaft und Kultur, S. 21, S. 47–53. Bezugnahmen auf die Sozialwissenschaften in den neueren biowissenschaftlichen Arbeiten zum Emotionsgeschehen bleiben ähnlich allgemein und oberflächlich wie soziologische Bemerkungen zur biologischen Basis menschlicher Affekte. Gerhard Roth skizziert beispielsweise recht grob das Menschenbild des homo sociologicus, als das aus seiner Sicht dominante anti-individualistische Menschenbild der Sozialwissenschaften und stellt dies den neueren Erkenntnissen der Hirnforschung gegenüber, die seiner Meinung nach die Unhaltbarkeit einer Vorstellung belegen, die den Menschen ausschließlich durch gesellschaftliche Normen gesteuert ansieht. Arbeiten einer Soziologie der Emotionen werden von ihm ebenso wenig berücksichtigt wie allgemein Arbeiten des verstehenden oder interpretativen Paradigmas in den Sozialwissenschaften, die eine
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werden? Sicherlich nicht durch überzogene Erklärungsansprüche für den jeweils eigenen Zugang bei Ignoranz gegenüber demjenigen der anderen, jedoch auch nicht durch ein aufwendig betriebenes Dilettieren in fremden Fächern. Aus meiner Sicht erfordert die Anerkennung der Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit bei der Erforschung des emotionalen Geschehens sehr genaue Überlegungen darüber, was die spezifischen Leistungen der einzelnen Fächer bei der Behandlung dieses Themas sein können. Im Hinblick auf die Soziologie der Emotionen wäre also festzustellen, welche Aspekte der menschlichen Emotionen mit soziologischen Methoden und Erklärungsansätzen erfasst werden können, und in welchen Bereichen eine engere Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen erforderlich ist.74
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soziologische Alternative gegenüber einem strikt normativen Ansatz darstellen. Vgl. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 554–560. Dieser Hinweis, der auch die im folgenden präsentierte Systematik prägen wird, erfolgt in prinzipieller Anerkennung des von van den Daele et al. festgestellten Widerstands wissenschaftlicher Disziplinen gegenüber interdisziplinärer Arbeit. Van den Daele et al. legen im Falle interdisziplinärer Problemstellungen die Behandlung von separierbaren Einzelaspekten des Problems durch die einzelnen Disziplinen als Lösungsmöglichkeit nahe: „Due to their complexity, social problems usually span several disciplines. As a rule, particular aspects of problems are worked on separately in different disciplines and are subsequently integrated ‚additively‘, as is the case with the chemical, biochemical, and micro-biological aspects of biotechnology or the biological, chemical and physical aspects of environmental studies. This method indicates that disciplines can in fact assimilate aspects of the complex problem. On the other hand it also points to some resistance of scientists to working in inter-disciplinary teams, either because they fear that communication will be inadequate or that overcoming communication barriers demands too great an effort.“ Van den Daele et al., The political direction, S. 239. – Zur Problematik interdisziplinärer Arbeit vgl. auch Feichtinger, Mitterbauer, Scherke, Interdisziplinarität – Transdisziplinarität.
II Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
1. Einleitung
„In fact, the study of emotions is now at the forefront of microsociology (...), and, increasingly, emotions are seen as a crucial link between micro and macro levels of social reality.“1 (Jonathan H. Turner, Jan E. Stets)
Was kann die Soziologie zum besseren Verständnis menschlicher Emotionen beitragen bzw. was bringt es der Soziologie, wenn sie den Gefühlshaushalt des Menschen bei ihren theoretischen oder empirischen Arbeiten explizit berücksichtigt? Diese Frage muss gestellt werden, wenn man die Relevanz dieses Themas für das Fach erfassen und Erklärungen für seine wechselnde Konjunktur liefern möchte. Zur Beantwortung dieser Fragen soll im Folgenden ein Überblick über bisherige Arbeiten auf dem Gebiet der Soziologie der Emotionen gegeben werden. Die Auswahl der hier vorgestellten Arbeiten erfolgt geleitet von dem Anliegen, verschiedene Typen innerhalb der Soziologie der Emotionen zu unterscheiden und damit – auch im Sinne einer Einführung in die Thematik (von denen es im deutschen Sprachraum bisher nur wenige gibt) – einen systematischen Überblick über dieses Forschungsgebiet zu gestatten. Die Soziologie der Emotionen wirkt, betrachtet man die unterschiedlichen unter diesem ‚Etikett‘ erschienenen Arbeiten, mitunter sehr unübersichtlich, was nicht zuletzt auch mit dem interdisziplinären Charakter des Themenbereiches der Emotionen zusammenhängt. Es lässt sich häufig eine Vermischung ‚soziologischer‘ mit ‚sozialpsychologischen‘, ‚psychologischen‘ oder anderen Perspektiven im Rahmen der Arbeiten zur Soziologie der Emotionen feststellen. Der folgende Überblick beabsichtigt daher, jeweils den ‚soziologischen Kern‘ der unterschiedenen Typen einer Soziologie der Emotionen herauszuarbeiten und dadurch auch die Überlappungsbereiche zu anderen Disziplinen klarer markieren zu können. Die verschiedenen Typen werden anhand von markanten Beispielen aus der bisherigen Literatur zum Thema vorgestellt. Die Spannweite soziologischen Arbeitens zum Thema ‚Gefühle‘ soll mithilfe dieser Systematik erkennbar werden und damit auch eine Hintergrundfolie für die in den weiteren Abschnitten diskutierte unterschiedliche Konjunktur des Themas zur Verfügung gestellt werden (die jeweils auch als Bevorzugung/Vernachlässigung eines bestimmten Typs der Soziologie der Emotionen gesehen werden kann). Es wären andere Formen der Klassifikation der ‚Soziologie der Emotionen‘ denkbar und wurden auch in den bisherigen Einführungen zum Thema vorgenommen. Es soll nicht der Wert dieser alternativen Systematisierungsversuche infrage gestellt werden.2 Die hier vorgeschlagene Klassifikation scheint für die Ausrichtung dieser Arbeit lediglich besonders zielführend zu sein.
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Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 1. Etwa jenes kürzlich von Turner und Stets vorgelegten Systematisierungsversuchs, der verschiedene theoretische ‚Cluster‘ innerhalb der Soziologie der Emotionen unterscheidet. Vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
2. ‚Soziologie der Emotionen‘ – eine Begriffsklärung
Der Arbeitsbereich der Soziologie der Emotionen ist mittlerweile – vor allem im anglo-amerikanischen Raum – sehr weit und unübersichtlich geworden. Neben theoretischen Abhandlungen zur Frage, wie das Emotionale mit dem Sozialen verknüpft ist, kann man eine Fülle an empirischen Arbeiten, die die Rolle von Emotionen in unterschiedlichen Bereichen des sozialen Lebens thematisieren, auf dem englischsprachigen wissenschaftlichen Zeitschriftenund Buchmarkt finden. In Anbetracht dieser Fülle gestaltet es sich schwierig, einen systematischen Überblick über die Soziologie der Emotionen zu geben.1 Im Folgenden sollen daher zunächst zwei Hauptrichtungen in der Soziologie der Emotionen unterschieden werden: eine Richtung, die die soziale Entstehung der Gefühle thematisiert, und eine andere, die die sozialen Wirkungen von Gefühlen untersucht.2 Diese Aufteilung ist aus meiner Sicht insofern sinnvoll, als sie es erlaubt, zwischen jenen Themen, bei denen unweigerlich eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen erforderlich ist und jenen, in denen die Soziologie relativ eigenständig agieren kann, zu unterscheiden. Emotionen haben unabhängig davon, wie sie zustande kommen (sozial und/oder biologisch bedingt), Konsequenzen für soziale Situationen. (In der Erforschung dieser Konsequenzen tut sich für die Soziologie ein besonderer Aufgabenbereich auf, in dem ihr eine Leitfunktion anderen Disziplinen gegenüber zugesprochen werden kann. Hieraus rechtfertigt sich auch die separate Betrachtung der Ansätze mit dieser Ausrichtung im Rahmen dieser Arbeit.) Emotionen werden von Autoren, die sie als durch gesellschaftliche Strukturen geprägt bzw. veränderbar betrachten, auf ihr Zustandekommen hin analysiert. Sie werden dabei nicht als etwas biologisch Vorgegebenes aufgefasst, sondern als durch das soziale und/oder kulturelle Umfeld entscheidend (mit)geprägtes Phänomen verstanden (wobei prinzipiell alle der oben unterschiedenen fünf Dimensionen des Emotionsgeschehens auf derartige soziale Prägungen hin analysiert werden können). Die Frage nach dem ‚Wesen‘ der Emotionen, d. h. nach ihren grundlegenden Eigenschaften und Erscheinungsformen steht im Hintergrund dieser Arbeiten. Hierbei handelt es sich um ein Anliegen, das auch Gegenstand anderer Disziplinen ist, weshalb sich in diesem Bereich zahlreiche interdisziplinäre Schnittstellen finden lassen. Man kann innerhalb der Soziologie der Emotionen jedoch auch Arbeiten finden, die die Wirkung der Emotionen auf soziale Situationen analysieren. Emotionen werden diesem Ansatz zufolge weitgehend als gegeben angenommen (ohne dass dabei eine Vorentscheidung über ihre biologische und/oder soziale Bedingtheit getroffen würde). Die Frage des Zustandekommens der Emotionen wird hier zurückgestellt und stattdessen die Wirkung von Emotionen für die Strukturierung sozialer Zusammenhänge thematisiert. Auch dieser
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Oder wie Helena Flam es ausdrückt: „Im Grunde genommen ist sie (die Soziologie der Emotionen, K. S.) pluralistisch orientiert und erweist wenig formelle Koordination.“ Flam, Soziologie der Emotionen, S. 165. Vgl. auch Scherke, Editorial, S. 7–11.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
2. ‚Soziologie der Emotionen‘ – eine Begriffsklärung
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Ansatz weist prinzipiell Schnittstellen zu anderen Disziplinen auf, diese können allerdings forschungspragmatisch in etwas stärkerem Maße vernachlässigt werden, als es bei dem zuerst genannten Ansatz der Fall ist. Oder anders ausgedrückt: Neue biowissenschaftliche Erkenntnisse über das Zustandekommen von Emotionen machen nicht notwendigerweise eine Revision soziologischer Erklärungen für die sozialen Auswirkungen emotionalen Verhaltens notwendig. Die sozialen Konsequenzen von Emotionen können gewissermaßen als Aufgabenbereich der Soziologie im engeren Sinne betrachtet werden. Ich sehe diese Überlegung in Analogie zu der von Simmel getroffenen Beschreibung des Aufgabenbereiches der Soziologie: Simmel hielt es für notwendig, der Soziologie innerhalb des sich differenzierenden Wissenschaftssystems einen eigenen, klar von anderen Fächern abgegrenzten Forschungsbereich zuzuweisen. Die Aufgabe der Soziologie im engeren Sinne sah er in der Analyse der Formen der Vergesellschaftung. Die solcherart als Einzelwissenschaft konzipierte Soziologie wurde von einer Soziologie im weiteren Sinne unterschieden, bei der die Soziologie als Methode in anderen Disziplinen zum Einsatz gelangt.3 Die von Simmel getroffene Beschreibung der Soziologie muss vor dem Hintergrund des Universitätssystems des beginnenden 20. Jahrhunderts und der Etablierungsbemühungen vieler gerade erst entstandener Disziplinen zu dieser Zeit gelesen werden.4 Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, liegen im Wissenschaftssystem andere Rahmenbedingungen vor: Die Soziologie kann ebenso wie viele ihrer Nachbarfächer als fix etabliert betrachtet werden. Gleichzeitig wird die strikte Abgrenzung zwischen den Fächern nun als überholt bzw. hinderlich für den Erkenntnisfortschritt angesehen. Kaum ein Projektantrag kann derzeit ohne interdisziplinäre Bezüge auskommen, und es lassen sich mittlerweile zahlreiche Beispiele erfolgreich praktizierter Interdisziplinarität im Wissenschaftsbetrieb finden.5 Auch die Erforschung der menschlichen Gefühlswelt erfordert, wie bereits dargelegt, unweigerlich interdisziplinäre Zusammenarbeit.6 Die von mir getroffene Unterteilung der Soziologie der Emotionen in einen Ansatz mit größerem und einen mit geringerem Bedarf an interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgt lediglich aus pragmatischen Überlegungen. Nicht die institutionelle Abgrenzung von anderen Disziplinen steht im Hintergrund der hier vorgenommenen Definition eines Aufgabenbereiches der Soziologie im engeren Sinne, sondern gerade das Bestreben, den spezifischen Beitrag dieses Faches im Rahmen möglicher interdisziplinärer Forschungsprojekte zum Thema Emotionen besser umreißen zu können.7
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Vgl. Simmel, Grundfragen der Soziologie, S. 17, S. 27. Vgl. Simmel, Grundfragen der Soziologie, S. 6. An dieser Stelle soll nicht näher auf die Interdisziplinaritätsdiskussion eingegangen werden. Für weiterführende Überlegungen vgl.: Feichtinger, Mitterbauer, Scherke, Interdisziplinarität – Transdisziplinarität, S. 11– 16. – Für Beispiele erfolgreich praktizierter Interdisziplinarität vgl. auch Sherif, Sherif, Interdisciplinary Coordination, S. 16–17. Zur Notwendigkeit der Interdisziplinarität bei der Erforschung menschlicher Emotionen vgl. auch Kemper, Social Relations and Emotions, S. 230–231. Die vorliegende Systematik weist starke Ähnlichkeit zu der bereits von Jürgen Gerhards getroffenen Einteilung der Soziologie der Emotionen auf. Allerdings spielte für Gerhards das Aufspüren interdisziplinärer Schnittstellen eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund seiner Arbeit stand letztlich die soziale Prägung/ Veränderung von Emotionen, wobei er die diesbezüglichen Ansätze noch dahin gehend unterschied, ob sie sozialstrukturelle Entstehungsbedingungen von Emotionen thematisieren oder die kulturellen Hintergründe und Deutungsmuster beim Zustandekommen von Emotionen betonen (womit weitgehend die u. a. auch von Helena Flam getroffene Einteilung in einen konstruktivistischen und positivistischen Ansatz anklingt). Auch in der vorliegenden Systematik der Soziologie der Emotionen wird diese zusätzliche Differenzierung beachtet,
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
Man kann die getroffene Unterscheidung auch dahin gehend beschreiben, dass Emotionen einmal als abhängige und das andere Mal als unabhängige Variable soziologischer Untersuchungen fungieren. Emotionen als unabhängige Variable zu betrachten, wurde in der Etablierungsphase des Faches, so meine im nächsten Abschnitt näher diskutierte These, eher vermieden. Heute stellt dieser Zugang hingegen eine Möglichkeit dar, die spezifischen Leistungen soziologischen Arbeitens über Emotionen herauszuarbeiten. Es liegt hier gewissermaßen ein Paradox vor: Das Thema bzw. jener Ansatz, der früher offensichtlich gemieden wurde, um den Status des Faches abzusichern, entpuppt sich heute als zentraler Bereich für die Relevanz des Faches in interdisziplinären Zusammenhängen. Die Wandelbarkeit wissenschaftlicher Themenstellungen in Abhängigkeit von den jeweils aktuellen institutionellen Rahmenbedingungen wird hier deutlich. Die nähere Erforschung der sozialen Konsequenzen von Emotionen scheint auch in Anbetracht der aktuellen Möglichkeiten einer biotechnologischen Beeinflussung des Emotionshaushaltes sehr wichtig zu sein. Francis Fukuyama hat sehr eindringlich den derzeitigen Boom der Neuropharmakologie und die damit verbundenen Eingriffe in die biochemischen Strukturen des Körpers (inklusive des Gefühlshaushaltes) beschrieben.8 Die medikamentöse Verhaltenskontrolle, die durch Präparate wie Prozac, Ritalin usw. möglich wird, wirft eine ganze Reihe von Fragen für die Sozialwissenschaften auf. Hierzu gehört etwa die Frage nach den sozialen Rahmenbedingungen, unter denen der Einsatz dieser Produkte wünschenswert erscheint. Eine soziologische Analyse dieser Frage müsste sowohl ökonomische Aspekte (etwa die Rolle der an Profiten interessierten Pharmaindustrie) als auch die Wirkung kultureller Deutungsmuster, denen zufolge bestimmte Verhaltensideale erstrebenswerter erscheinen als andere, berücksichtigen. Auch die Genese dieser Deutungsmuster (inklusive der hegemonialen Auseinandersetzungen um sie) wäre in diesem Zusammenhang näher zu untersuchen. Andererseits stellt sich für die Soziologie auch die Frage, wie eine Gesellschaft aussehen würde, in der Selbstwertgefühl und andere als positiv eingestufte Gefühlszustände von Individuen in großem Maßstab medikamentös erzielt werden können. Welche Folgen hätte die Dominanz erwünschter ‚positiver‘ Emotionen im Alltag der Menschen für verschiedene soziale Prozesse? Oder, anders formuliert, inwieweit sind auch ‚negative‘ Emotionen unverzichtbar für die Leistungsfähigkeit von Einzelnen oder ganzen Gesellschaften?9 Während sich Fukuyama vor allem für die Frage einer sozialen und politischen Kontrolle der medizinisch-technischen Errungenschaften interessiert,10 könnte es Aufgabe einer Soziologie
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jedoch halte ich es für wichtig, zunächst die Aufmerksamkeit auf den Hauptunterschied der verschiedenen soziologischen Ansätze zu legen (nämlich Emotionen entweder als abhängige oder als unabhängige Variable zu betrachten), bevor weitere Differenzierungen vorgenommen werden. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 22. Vgl. Fukuyama, Das Ende des Menschen, S. 67ff. Fukuyama verweist etwa auf die mögliche Kopplung von aggressiven Impulsen mit dem Erfolgsstreben des Menschen; ohne ein gewisses Maß an Aggressivität wären viele Höchstleistungen (sei es im sportlichen Bereich, aber auch im Berufsleben) nicht zu erbringen. Vgl. Fukuyama, Das Ende des Menschen, S. 143. – Ein anderes Beispiel wäre der Zusammenhang von Melancholie und Kreativität. (Vgl. hierzu: Lepenies, Melancholie und Gesellschaft.) Offenbar sind es nicht nur die von den meisten als angenehm empfundenen Emotionen, die die Basis für kreative Leistungen darstellen, sondern das gesamte Spektrum des menschlichen Gefühlslebens stellt einen unverzichtbaren Motivationsfaktor menschlichen Handelns dar. „Was uns Sorgen machen kann und sollte, ist der Einsatz derartiger Medikamente für eine ‚kosmetische Psychopharmakologie‘, zur Verbesserung oder Vervollkommnung ansonsten normaler Verhaltensformen, oder
2. ‚Soziologie der Emotionen‘ – eine Begriffsklärung
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der Emotionen sein, die weitergreifenden sozialen Konsequenzen einer großflächigen medikamentösen Manipulation von Emotionen aufzuzeigen. Je stärker die Entstehung von Emotionen manipuliert werden kann, desto wichtiger dürfte es sein, zu wissen, was Emotionen (seien sie ‚natürlich‘ zustande gekommen oder pharmakologisch bedingt) bewirken können. Beide Hauptrichtungen der Soziologie der Emotionen sollen im Folgenden anhand einiger exemplarischer Arbeiten – zumeist der neueren, in den letzten ca. 30 Jahren im anglo-amerikanischen Kontext entwickelten Soziologie der Emotionen zurechenbar – vorgestellt werden. Obwohl sich manche Autoren und Autorinnen darum bemühen, die beiden hier getrennt skizzierten Ansätze zu kombinieren, kann in einzelnen Forschungsarbeiten zumeist dennoch eine Konzentration auf den einen oder anderen Zugang beobachtet werden, was mit der Komplexität des Phänomens zusammenhängt, die eine solche Schwerpunktsetzung unausweichlich macht. In einer systematischen Darstellung bietet die getrennte Darstellung der beiden Zugänge zudem den Vorteil, die jeweiligen Prämissen der Ansätze und ihre forschungspraktischen Konsequenzen idealtypisch unterscheiden zu können. Am Ende dieses Kapitels werde ich jedoch einige aus meiner Sicht vielversprechende Syntheseversuche der beiden Richtungen präsentieren. Anzumerken ist zum folgenden Überblick auch, dass sich selbstverständlich immer wieder Autoren und Autorinnen, die nicht der soziologischen Disziplin angehören, mit den sozialen Ursachen bzw. Konsequenzen von Emotionen beschäftigt haben. Teilweise bieten deren Arbeiten sehr viel an soziologischer Einsicht, ohne dass dies innerhalb der Disziplin entsprechend gewürdigt würde. Innerhalb des folgenden Überblicks aktueller Strömungen einer Soziologie der Emotionen können diese nicht-soziologischen Arbeiten leider nur ansatzweise Erwähnung finden. Ein Desiderat künftiger Forschung wäre es aber, derartige Arbeiten systematisch auf ihren soziologischen Gehalt hin zu prüfen und in die Erörterungen der Disziplin mit einzubeziehen.11 Gleiches gilt natürlich auch für manche Autoren des 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts, die weder damals noch im heutigen Rückblick als Vertreter der soziologischen Disziplin angesehen wurden bzw. werden und dennoch in ihren Arbeiten für eine Soziologie der Emotionen möglicherweise brauchbare Ansätze lieferten.12 Im Rahmen der Soziologie der Emotionen ergeben sich – wie der folgende Überblick zeigt – vor allem Überschneidungen zum Bereich der Sozialpsychologie. Der Unterschied zwischen soziologischen und sozialpsychologischen Arbeiten, die sich beide auf soziale Faktoren beziehen, ist dabei hauptsächlich einer der unterschiedlichen Perspektive, mit der sich diese Disziplinen den sozialen Faktoren nähern – dies gilt auch für die Arbeiten zur Emotionsthematik.13 Der Ausgangsstimulus ist ein je anderer: Während für die Sozialpsy-
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zur Umwandlung eines normalen Verhaltens in ein anderes, von dem irgendwer meint, es sei gesellschaftlich vorzuziehen.“ Fukuyama, Das Ende des Menschen, S. 83. Im Rahmen der Datenbankanalyse in Kapitel III, 5.3. wird dies durch die Berücksichtigung der Datenbank SOLIS (in der auch soziologische Arbeiten anderer disziplinärer Herkunft enthalten sind) ansatzweise versucht. Zu denken wäre etwa an manche Arbeiten Freuds bzw. seiner Nachfolger, die sich im Rahmen des psychoanalytischen Kontextes auch mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Affekthaushaltes beschäftigt haben. Imogen Seger beschreibt diesen Unterschied, wie folgt: „Versuchen wir, soziale Tatsachen und Vorgänge zu verstehen, indem wir die kleinsten Einheiten, die Wechselbeziehungen zwischen einigen wenigen in direkter Interaktion miteinander stehenden Individuen, in ihrer Abhängigkeit von der sozialen Struktur beobachten so
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
chologie die soziale Situation der Ausgangspunkt ist, um die Reaktionen und Verhaltensweisen der Individuen darin näher zu analysieren, ist für die Soziologie der Ausgangsstimulus das Verhalten von Individuen, aus dem Rückschlüsse auf die Struktur und Entwicklung der sozialen Situation (etwa der Entstehung von sozialen Normen und Institutionen) gezogen werden. Zur Beschreibung des jeweiligen Ausgangsstimulus sind die beiden Disziplinen im Prinzip auf Kenntnisse der jeweils anderen angewiesen.14 Nicht von ungefähr spielen sozialpsychologische Arbeiten daher auch eine wichtige Rolle innerhalb der Soziologie der Emotionen. Das Ziel der Soziologie, wenn sie sich mit Emotionen befasst, liegt jedoch gemeinhin in einem besseren Verständnis sozialer Regelmäßigkeiten (und der Rolle, die Emotionen dabei zukommt), während die Sozialpsychologie die Ausgestaltung des Empfindens Einzelner unter dem Einfluss sozialer Rahmenbedingungen vor Augen hat. Dieser prinzipielle Unterschied gerät im Studium konkreter sozialer Felder manchmal außer Sichtweite, sollte jedoch in einer systematischen Einführung mitbedacht werden, um die spezifischen Leistungen einzelner Disziplinen für das Verständnis menschlicher Emotionalität besser unterscheiden zu können.
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treiben wir Soziologie. Versuchen wir dagegen, das Verhalten und die Entwicklung von Individuen zu verstehen, indem wir beobachten, wie andere Individuen auf sie einwirken, dann treiben wir Sozialpsychologie.“ Seger, Knaurs Buch der modernen Soziologie, S. 129. – Vgl. hierzu auch Allport, The Historical Background, S. 3. Vgl. Sherif, Sherif, Interdisciplinary Coordination, S. 8–13.
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
Die Grundidee der im folgenden Abschnitt beschriebenen Ansätze ist, dass Emotionen soziale Situationen prägen und wesentlich die Art und den Ablauf von Interaktionen beeinflussen können. Ich halte diese Art der Betrachtung für die interessantere innerhalb der Soziologie, weshalb sie auch zuerst dargestellt werden soll. Es mag zwar für den Einzelnen persönlich ein reizvolles Gedankenspiel sein, sich zu fragen, wie soziale Situationen am Zustandekommen seiner augenblicklichen Gefühlslage beteiligt sind. Das Ergebnis dieser Überlegungen hat jedoch hauptsächlich Relevanz für das Individuum bzw. die Mikroebene (ego ist depressiv, weil ...), es sei denn, es werden systematische Regelmäßigkeiten von der Art aufgedeckt, dass unter den Mitgliedern einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe das Überwiegen einer bestimmten Gefühlslage festgestellt wird, deren Ursache auf die Beschaffenheit dieser Gruppe oder allgemeiner gesellschaftlicher Rahmenbedingungen zurückgeführt werden kann. Dann können sich an den Befund über das Zustandekommen bzw. die Dominanz einer Gefühlslage auch (kritische) Überlegungen über den generellen Zustand der betroffenen Gruppe/Gesellschaft knüpfen, d. h. die Mikro-Analyse in eine Makro-Analyse überführt werden (ego, alter und die anderen sind depressiv, weil ...).1 Davon abgesehen ist es aber für die Soziologie vor allem wichtig zu wissen, wie die Gefühlslage von Menschen (die durchaus soziale Ursachen haben kann) ihre weiteren Handlungen, Interaktionen und damit auch die soziale Struktur einer Gruppe beeinflusst (ego ist depressiv und deshalb ...). Kurz: Es macht sicherlich einen Unterschied, ob Akteure in einer bestimmten Situation Ärger oder Freude empfinden, und Aufgabe der Soziologie kann es sein zu analysieren, wie sich dieser Unterschied auf die weiteren Interaktionen des Akteurs, seine soziale Position und die Struktur seiner Gruppe auswirkt. Wie Jack Barbalet festgestellt hat, ist die Frage nach den sozialen Konsequenzen von Emotionen die innerhalb der Soziologie umstrittenere; es verwundert daher nicht, dass sich viele der bisher vorgelegten Arbeiten einer Soziologie der Emotionen eher auf die Frage des Zustandekommens von Emotionen und die Rolle, die soziale Zusammenhänge dabei spielen können, konzentriert haben.2 Das Vermeiden der Frage nach der Auswirkung von Emotionen für soziale Zusammenhänge dürfte mit einem alten, auf Durkheim zurückgehenden Bestreben der Soziologie
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Zu denken wäre hier etwa an die von Arlie Hochschild getroffenen Schlussfolgerungen. Hochschild hat sich ausführlich mit der heute für diverse Berufsgruppen typischen Gefühlsarbeit beschäftigt und dabei Kritik an den neuen Ausbeutungsformen des kapitalistischen Systems geübt, die nicht mehr nur die Arbeitskraft der Menschen ausnutzen, sondern ihnen auch Gefühlsarbeit abverlangen, die zu einer problematischen Ausdünnung ihres emotionalen Empfindens beitragen kann. (Siehe dazu Kapitel II, 4.2.1.) Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 9. – Vgl. hierzu auch Kemper, Predicting emotions, S. 62.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
zusammenhängen, Soziales nur durch Soziales zu erklären.3 Emotionen wurde kein Erklärungswert bei der Erforschung des Sozialen zugeschrieben, da sie lange Zeit als rein intra-individuelles Phänomen gesehen wurden. Die Vermeidung der Frage nach den sozialen Auswirkungen von Emotionen ist, wie später noch dargestellt werden wird, auf disziplinäre Abgrenzungserfordernisse zurückzuführen. Wenn sich die Soziologie, die als eigene Disziplin an den Universitäten Fuß fassen wollte, auf Erklärungsvariablen bezogen hätte, die stark mit dem Innenleben von Individuen, und damit traditionellerweise einem der Psychologie zugesprochenen Bereich assoziiert waren, wäre ihr die Etablierung als Disziplin vermutlich schwerer gefallen. Für mich ergibt sich daraus die Hypothese, dass auch Soziologen, die sich dem ohnehin gemiedenen Thema der Emotionen zuwandten, dies – wenn überhaupt – eher in einem mit den disziplinpolitischen Erwägungen kompatiblen Weg taten (sich also mit dem Zustandekommen von Emotionen und dem sozialen Anteil daran beschäftigten). Emotionen wurden in der Etablierungsphase der Soziologie, so meine These, nicht oder nur kaum als unabhängige Variable (also als Erklärungsfaktor für soziale Tatbestände) betrachtet.4 Allerdings gab es durchaus einige Autoren, die diesen Weg beschritten haben und heute auch in Arbeiten der Soziologie der Emotionen als ‚Vorläufer‘ oder ‚Klassiker‘ dieses Ansatzes betrachtet werden, z. B. Erving Goffman. Dieser betonte in seinen verschiedenen Arbeiten zum Interaktionsgeschehen, dass im Rahmen von Interaktionen auf die Gefühle der jeweils anderen explizit Rücksicht genommen wird. Viele der dramaturgischen Aktivitäten im Rahmen von Alltagshandlungen dienen der ‚Wahrung des Gesichts‘ der Beteiligten, also dem Versuch, ihnen Gefühle der Verlegenheit oder Scham zu ersparen bzw. diese zu minimieren, und somit auch einen produktiven Fortgang der Interaktion zu gestatten.5 Goffman zur Bedeutung der Emotionen für das Verständnis alltäglicher Handlungsabläufe: „Es ist klar, daß in diesem Reaktionsablauf Emotionen eine gewisse Rolle spielen, z.B: wenn man Schmerz ausdrückt über das, was man dem Image eines anderen angetan hat, oder Zorn über das, was dem eigenen zugefügt wurde. Ich möchte betonen, daß diese Emotionen als Handlungsschritte fungieren und genau in die Logik des rituellen Spiels passen, so daß es schwierig würde, es ohne sie zu verstehen.“6 Techniken der Imagepflege (aufgrund aus dem Lot geratener Emotionen) haben in Goffmans Analysen nicht nur Konsequenzen für das Selbstbild der jeweils Betroffenen (im Sinne eines Emotionsmanagements), sondern dienen letztlich auch der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit sozialer Ordnung. Im Zentrum der im Folgenden dargestellten Ansätze steht ebenfalls die Frage, wie Emotionen den weiteren Verlauf von Interaktionen (und damit auch die Ausgestaltung sozialer Strukturen) beeinflussen, d. h., es wird nicht nur untersucht, wie z. B. Scham entsteht, sondern auch die Frage gestellt, wie sich eine soziale Situation entwickelt, wenn bei einem oder mehreren Akteuren Scham aufgekommen ist.
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Hierbei darf allerdings nicht übersehen werden, dass Durkheims Werk zahlreiche Ansatzpunkte für die soziologische Erforschung von Emotionen bietet, vgl. hierzu etwa Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 27. Im Rahmen der in Kapitel III, 5. präsentierten Zeitschriftenanalyse wird diese These im Hinblick auf die deutschsprachige Soziologie überprüft. Vgl. Goffman, Interaktionsrituale, insbesondere S. 14–20, S. 112–123. – Vgl. auch Lenz, Erving Goffman, S. 33–35, S. 47. Goffman, Interaktionsrituale, S. 29.
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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Die Ansätze, die den Einfluss von Emotionen auf das Soziale analysieren, können noch weiter in solche unterteilt werden, die Gefühlszustände als allgemeine Voraussetzungen menschlichen Handelns (und damit auch sozialen Handelns) diskutieren, und in solche, die sich mit den durch konkrete Emotionen ausgelösten unterschiedlichen sozialen Konsequenzen beschäftigen (wobei hier sowohl der Einfluss von Gefühlen auf die Handlungen einzelner Akteure (Mikroebene), als auch ihr Einfluss auf ganze Interaktionszusammenhänge bzw. soziale Strukturen (Meso- und Makroebene) Gegenstand der Untersuchung sein kann). Es wird im Folgenden vor allem darum gehen, die Grundidee einer solchen Ausrichtung der Soziologie der Emotionen zu verdeutlichen. Der weiter unten dargestellte Typus einer Soziologie der Emotionen, der sich mit dem Zustandekommen von Emotionen und dem Anteil des Sozialen daran beschäftigt, ist mittlerweile innerhalb des Spezialgebietes recht gut etabliert und weist auch eine stärkere Ausdifferenzierung in verschiedene ‚Schulen‘ oder ‚Orientierungen‘ auf. Eine derartig ausdifferenzierte Struktur liegt beim hier zuerst betrachteten Typus einer Soziologie der Emotionen noch nicht vor.
3.1. Emotionen als allgemeine relativ unspezifische Voraussetzungen sozialer Handlungen – Oder: Die emotionale Konstruktion der Wirklichkeit Aus Sicht des interpretativen Ansatzes innerhalb der Soziologie der Emotionen wird Gefühlen eine maßgebliche Rolle bei der Konstruktion der Wirklichkeit zugeschrieben. Um diesen Ansatz zu illustrieren, wird im Folgenden unter anderem auf die Arbeiten von Randall Collins und daran geübter Kritik bzw. Ergänzungen vonseiten anderer Autoren und Autorinnen eingegangen. Unterstützung findet die Vorstellung einer emotionalen Konstruktion der Wirklichkeit auch durch die von Barbalet beschriebenen sogenannten background emotions, jenen ‚Gefühlen‘, die durch ihre Ausrichtung auf die Zukunft wesentliche Voraussetzungen sozialen Handelns darstellen – auch des scheinbar ‚rationalen‘ Handelns. Das Wirken der ‚Hintergrundgefühle‘, zu denen u. a. Vertrauen zu rechnen ist, wird häufig übersehen. Eine Soziologie der Emotionen müsse, wie Barbalet schreibt, vor allem auch die Funktion dieser oft wenig spektakulären und daher übersehenen Gefühle deutlich machen: „These (background emotions, K. S.) are absolutely necessary for instrumental rationality; nevertheless, these are seldom acknowledged and always regarded as attitudes, customs, or as belonging to some other category which obscures their fundamental emotional nature.“7 Gefühle prägen soziale Situationen in der Weise, dass sie zu einer (zumeist non-verbalen) Strukturierung von sozialen Situationen beitragen, indem das Spektrum möglicher Sinnstiftungen in Interaktionen reduziert wird. Emotionen bilden somit einen Teil der unhinterfragten Voraussetzungen sozialer Situationen, die alltägliche Abläufe erst ermöglichen. Der soziale Raum wird beispielsweise aus der Sicht Collins’ wesentlich durch ingroup-outgroupGrenzen, die durch emotionale Erfahrungen gestärkt werden, strukturiert, und die weiteren Interaktionen der Akteure richten sich an diesem impliziten Deutungsschema aus. Gemäß dem interpretativen Paradigma der Soziologie verständigen sich Menschen im Zuge ihrer Interaktionen durch den Austausch von Symbolen (verbaler, non-verbaler oder
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Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 29–30.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
auch materialisierter Art) mit anderen. Die Interpretation der ‚ausgetauschten‘ Symbole bildet die Grundlage für das weitere Handeln der Akteure und trägt letztlich auch zur Konstituierung sozialer Ordnung auf der Makroebene bei.8 Wirklichkeit ist dieser Sichtweise zufolge nicht etwas unveränderbar Gegebenes, sondern entsteht erst im aktiven Interpretationsprozess der handelnden Individuen. Allerdings greifen Akteure in alltäglichen Interaktionen auf bestimmte Interpretations- und Handlungsmuster zurück, sodass der zeitaufwendige Prozess des Interpretierens und des erst daran anschließenden Handelns verkürzt werden kann. Bereits Alfred Schütz hatte eine Unterscheidung zwischen alltäglichem und wissenschaftlichem Verstehen getroffen und damit die Grundlage für die Richtungen des sogenannten interpretativen Paradigmas gelegt. Der alltägliche Wissensvorrat bildet nach Schütz die Voraussetzung für das Deuten der Welt und das entsprechende Handeln der Menschen. Im Alltag kommt es zu Typisierungen von Situationen, d. h. gegenseitiges Verstehen und die darauf folgenden Handlungen laufen quasi automatisch ab, da man auf erlernte Muster zurückgreift. Vor allem in Fällen, in denen ein rasches Reagieren erforderlich ist, erlaubt das Zurückgreifen auf derart erlernte Interpretationsmuster einen reibungslosen Ablauf der Interaktionen ohne größeren Koordinationsaufwand. Emotionen können im Zusammenhang mit derartigen Mechanismen eine wichtige Rolle spielen. Gerhards wies auf die diesbezügliche Argumentation von Agnes Heller hin, die den Emotionen eine Funktion der Weltaneignung zuschrieb.9 Auch Emotionen beinhalten, ähnlich wie Denken und Handeln, eine intentionale Gerichtetheit auf die Welt sowie andere Menschen und sind von daher geeignet, im Rahmen der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit zum Einsatz zu gelangen.10 Durch mimische Gesten – und Emotionen drücken sich vor allem in der Mimik aus – werden anderen grundlegende Haltungen zur Welt und zur aktuellen Situation übermittelt und hierdurch der stets mit Unsicherheit verbundene Deutungsspielraum in Interaktionen reduziert. Anders ausgedrückt: Ein mit einem Lächeln vorgetragener Satz bekommt eine andere Bedeutung zugeschrieben als der gleiche mit ärgerlichem Tonfall und entsprechender Mimik geäußerte Satz. Ohne den Satzinhalt genau zu analysieren, wird vom jeweiligen Interaktionspartner bereits auf die emotionale Färbung der Botschaft reagiert werden, was den weiteren Gang der Interaktion in eine bestimmte Richtung lenken wird. Emotionen und die emotionale Form der Sinnstiftung können insofern in Interaktionen zur Verhaltenssicherheit und damit zum effizienten Handeln beitragen. Sie ermöglichen die schnelle Auswahl einer Option aus dem prinzipiell offenen Deutungshorizont des sprachlich-kognitiven Modus der Weltkonstruktion und gestatten – auch losgelöst von diesem Modus – die schnelle wechselseitige Konstruktion einer Situation. Im Alltag müssen viele Handlungen aus Zeitgründen quasi automatisch ablaufen. Es wäre sehr umständlich, den Sinnzusammenhang jedes Mal von Neuem explizit sprachlich auszuhandeln. Erst wenn alltägliche Selbstverständlichkeiten durchbrochen werden (beispielsweise durch die Garfinkel’schen Krisenexperimente oder andere Formen des Zuwiderhandelns gegen sozial erwartete Verhaltensmuster), kommt es zur tatsächlichen
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Collins, auf dessen Überlegungen weiter unten genauer eingegangen wird, versucht etwa ausgehend von der Mikroebene (alltäglichen Interaktionsritualen) letztlich soziale Makrophänomene (etwa gesellschaftliche Segregation) zu erklären. Vgl. Collins, Stratification, Emotional Energy, S. 28–29; – Collins, Ritual Interaction Chains, S. 103–105. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 59; – Heller, Theorie der Gefühle. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 62.
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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Aushandlung der Situation in Form von wechselseitigen Interpretationsschritten durch die Betroffenen. Gefühle und ihr Ausdruck spielen, folgt man dem Collins’schen Ansatz, eine wesentliche Rolle sowohl bei der routinemäßigen als auch bei der außeralltäglichen Strukturierung von Interaktionssituationen, wobei Collins sein Augenmerk weniger auf im Sinne eines Kommunikationsaktes ausgedrückte einzelne Emotionen legt, sondern vor allem am Wirken eines längerfristigen Gefühlszustandes (der emotional energy) in sozialen Situationen interessiert ist. Für die an der emotionalen Konstruktion der Wirklichkeit interessierten Ansätze spielt vor allem die Handlungsdimension des Emotionalen eine wichtige Rolle, weil sie es ist, die eine Verknüpfung zwischen einer gegenwärtigen Situation und künftigem Handeln herstellt. Die Bewertungs- und Ausdrucksdimension müssen hierbei allerdings ebenso beachtet werden, da sich die Akteure in sozialen Situationen (willentlich oder unwillentlich) ihren jeweiligen emotionalen Zustand signalisieren, dessen Interpretation durch die Gegenüber erst zum Ausgangspunkt für weitere Interaktionen werden kann. Physiologische Aspekte11 und – interessanterweise – auch die Erlebnisdimension des Emotionalen (d. h. das subjektiv bewusste Empfinden einer Emotion) wurden bei den Diskussionen dieses Ansatzes hingegen bisher kaum beachtet.
3.1.1. ‚Emotionale Energie‘ als Handlungsantrieb (Alltägliche) Interaktionsrituale spielen eine wichtige Rolle für Collins’ Arbeiten. Er bezieht sich bei der Ausarbeitung seines diesbezüglichen Modells auf Vertreter des interpretativen Paradigmas (allen voran Erving Goffman), aber auch auf Durkheim. Er schließt sich Durkheims Fragestellung nach den Ursachen von Solidarität und Zusammenhalt in einer Gesellschaft an. Es sind laut Collins vor allem Emotionen, die das Funktionieren gesellschaftlicher Gebilde gestatten. „What holds a society together – the ‚glue‘ of solidarity – and what mobilizes conflict – the energy of mobilized groups – are emotions; so is what operates to uphold stratification – hierarchical feelings, whether dominant, subservient, or resentful. If we can explain the conditions that cause people to feel these kinds of emotions, we will have a major part of a core sociological theory.“12 Anhand des Zitates wird auch deutlich, dass Collins beide von mir systematisch unterschiedenen Varianten einer Soziologie der Emotionen berücksichtigt. Er interessiert sich neben den sozialen Konsequenzen von Emotionen auch für das Zustandekommen derselben. Die Konsequenzen der Emotionen stellen allerdings das Hauptanliegen seiner Arbeiten dar: Emotionen motivieren aus Sicht von Collins Menschen dazu, in Interaktion miteinander zu treten; außerdem gewährleisten sie die Solidarität von Gruppen, wodurch sie auch zur Strukturierung des sozialen Raumes beitragen. Neben den kurzfristig wirksamen Emotionen (z. B. Angst oder Zorn) sind es laut Collins vor allem die länger andauernden Gefühle oder gefühlsmäßigen Stimmungen, die soziale Strukturen beeinflussen. Diese längerfristigen Emotionen werden im Rahmen von Ritualen
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Biowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge gehen alle Bewusstseinsprozesse mit emotionalen Befindlichkeiten einher. Daraus kann heute sehr plausibel gefolgert werden, dass emotionale Komponenten auch bei der sinnhaften Konstruktion der Wirklichkeit, d. h. bei der Entwicklung von alltäglichen Deutungs- und Erklärungsmustern, eine Rolle spielen müssen. Collins, Stratification, Emotional Energy, S. 29.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
erzeugt. Hierfür müssen sich mindestens zwei Menschen in unmittelbarer physischer Gegenwart zueinander befinden,13 ihre Aufmerksamkeit auf ein gleiches Objekt oder eine gemeinsame Tätigkeit richten und sich dieser gemeinsamen Ausrichtung schließlich bewusst werden. Außerdem werden durch ein derartiges Ritual Grenzen gegenüber Nichtteilnehmern gezogen. Durch die gemeinsame Ausrichtung der Aufmerksamkeit können sich die gefühlsmäßigen Stimmungen der Akteure aneinander angleichen.14 Collins bezieht sich hier auf den bereits von Durkheim betonten kollektiven Erregungszustand als Ergebnis von Gruppenritualen.15 Collins spricht von rhythmic entrainment und meint damit ein über Ausübung gleicher Verhaltensweisen sowie über physiologische Prozesse entstehendes Einschwingen der Stimmungen der Beteiligten im Rahmen eines erfolgreich ausgeführten Rituals.16 Gelingt dieses Einschwingen auf eine gemeinsame Stimmung, werden nicht nur die Gefühle der Einzelnen verstärkt, sondern es wird auch Gruppensolidarität hergestellt. Beispielsweise können Beerdigungen, bei denen Gefühle der Trauer durch die einzelnen Akteure ausgedrückt werden, gerade durch das gemeinsam ausgeführte Ritual nicht nur die Trauergefühle der Einzelnen verstärken, sondern auch Solidarität innerhalb der Trauergemeinde erzeugen bzw. festigen. Das langfristige Ergebnis der Interaktionen eines Rituals ist also einerseits die Aufwertung der Gruppensolidarität (inklusive der diesbezüglich positiven Aufladung von Gruppensymbolen und auf die Gruppe bezogener Normen),17 andererseits die Erhöhung der sogenannten emotional energy der Individuen.18 Emotionale Energie beschreibt die von den Akteuren verspürten Gefühle: „a feeling of confidence, elation, strength, enthusiasm, and initiative in taking action.“19 Diese emotional energy hält auch noch an, wenn das Ritual längst beendet ist; sie stellt die längerfristige gefühlsmäßige Bindung des Individuums an eine Gruppe sicher und motiviert zur Aufnahme neuerlicher Interaktionen.20 Gefühle sind, wie Collins plausibel darlegt, also ein wesentlicher ‚Motor‘ für soziale Handlungen.
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Die physische Ko-Präsenz wird von Collins als wesentliche Erleichterung für das erfolgreiche Zustandekommen von Ritualen angesehen, er schließt jedoch ähnliche Wirkungen von medial vermittelten gemeinsamen Aktivitäten nicht aus. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 53–64. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 23–24, S. 35–36, S. 48. Durkheims diesbezügliche Erwägungen finden derzeit in unterschiedlichen Kontexten der Soziologie der Emotionen Widerhall. So hat z. B. Andreas Pettenkofer kürzlich sehr plausibel gezeigt, wie sich soziale Protestbewegungen durch ritualartig aufgeladene Gruppenereignisse und die dabei bzw. in der Erinnerung daran ausgelösten Gefühle konsolidieren können. Vgl. Pettenkofer, Die Euphorie des Protests. Die Erlebnisdimension des Emotionalen könnte hierbei eine Rolle spielen, ohne dass dies von Collins explizit thematisiert würde. Collins stellt an anderer Stelle sogar fest, dass Emotionale Energie, als langfristiges Ergebnis erfolgreicher Rituale, dem Akteur nicht bewusst sein muss. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 119. Collins hierzu: „Persons who are full of emotional energy feel like good persons; they fell righteous about what they are doing.“ Collins, Interaction Ritual Chains, S. 109. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 36–38; – Collins, Stratification, Emotional Energy, S. 32. Zur Kritik am Begriff der Emotionalen Energie vgl. Gerhards, Ein Literaturbericht, S. 767. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 49. Man kann hier Ähnlichkeiten zur Vertrauensthematik feststellen, die derzeit vor allem in den Wirtschaftswissenschaften, aber auch der Soziologie behandelt wird. Vertrauen wurde lange nicht als Emotion wahrgenommen, sondern unter seinen kognitiven Aspekten diskutiert. Eine wesentliche Funktion des Vertrauens liegt darin, eine gefühlsmäßig positive Einstellung des Akteurs gegenüber der Zukunft zu gewährleisten, die für den weiteren Ablauf sozialer Interaktionen unverzichtbar ist. Die Überlegungen von Collins zur Emotionalen Energie als Handlungsantrieb für die Aufnahme sozialer Interaktionen können fast nahtlos in diese Vorstellung des Vertrauensbegriffs eingegliedert werden. Vgl. auch Collins, Interaction Ritual Chains, S. 108. – Auf
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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Collins geht von einem Marktmodell sozialer Interaktionen aus. Emotionale Energie wird als erstrebenswerte Ressource innerhalb des sozialen Raumes angesehen. Innerhalb der Interaktionsrituale unterscheidet Collins (weitgehend in Übereinstimmung mit dem weiter unten dargestellten Ansatz von Kemper) zwischen Status- und Machtritualen. Ein je unterschiedliches Ausmaß Emotionaler Energie kann aufseiten der mit Macht bzw. Status bereits ausgestatteten Beteiligten bzw. aufseiten derer ohne solche Ressourcen im Rahmen von Ritualen zustande kommen. Collins zeigt auf diese Weise, wie gesellschaftliche Segregation sich in alltäglichen Interaktionsritualen widerspiegelt und durch aufeinanderfolgende Ketten derartiger Interaktionsrituale verfestigt werden kann.21 Der Begriff der Emotionalen Energie tritt hier gewissermaßen in die Nähe des Prestigebegriffs (wer über Status oder Macht verfügt, verfügt auch über ein hohes Maß Emotionaler Energie, die ihn oder sie für andere als Interaktionspartner interessant macht – und somit ihm oder ihr auch die weitere Sammlung Emotionaler Energie gestattet). Collins scheint den Begriff der Emotionalen Energie auch als Alternative zum Nutzenbegriff einzusetzen, was nicht unbedingt zur Klarheit seines Konzeptes beiträgt. Er präsentiert ein Menschenbild, das das Bedürfnis nach sozialer Interaktion und den dabei generierbaren Emotionen in den Vordergrund stellt – der Mensch gewissermaßen als ,Interaktions-Junkie‘: „I would suggest, (...) that the most important feature of human biology is that humans are hard-wired not simply for genital pleasure or the tendency to propagate one’s genes but, above all, for the kinds of pleasure in emotional entrainment and rhythmic synchronization that make humans pursuers of interaction rituals.“22 Im Rahmen des Interaktionsmarktes spielen die aus vorhergehenden Transaktionen (erfolgreich durchgeführten Interaktionsritualen) resultierenden emotionalen Kosten-Nutzen-Bilanzen eine wichtige Rolle und sollten es für den sozialwissenschaftlichen Beobachter letztlich auch erlauben, die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens und den Ausgang neuerlicher Interaktionsrituale abschätzen zu können. Die Erfüllung des menschlichen Bedürfnisses nach Nähe und Bestätigung spiegelt sich in einem hohen Maß Emotionaler Energie wider und kann gewissermaßen als Nutzen, der aus Interaktionen gezogen wird, interpretiert werden. Collins nimmt hier eine Modifikation des Rational-Choice-Ansatzes vor, indem er Emotionale Energie als langfristige Motivation von Akteuren betrachtet und somit auch Verhaltensweisen, die innerhalb dieser Theorie bisher nur unbefriedigend erfasst werden konnten, einer Erklärung zuzuführen versucht (beispielsweise altruistisches Verhalten).23 Der mit dem Konzept der Emotionalen Energie verknüpfte sehr weitgehende Erklärungsanspruch ist aus meiner Sicht einer der fragwürdigen Punkte in Collins’ Ansatz. Der Begriff Emotionale Energie, so plausibel dessen Schilderung als Antriebskraft menschlicher Handlungen auch ist, stellt ein schwer zu operationalisierendes Konstrukt dar (in dem noch dazu die ebenfalls schwer operationalisierbaren Vorstellungsinhalte des Prestiges und des Nutzenbegriffs integriert sind). Offen bleibt auch, wie der Transfer Emotionaler Energie von einem Gruppenkontext in einen anderen in einer modernen, durch zahlreiche parallel existierende Gruppenzugehörigkeiten jedes Einzelnen gekennzeichneten Gesellschaft funktioniert.
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die Ähnlichkeit des Collins’schen Begriffs der emotional energy und des Vertrauensbegriffs hat auch Barbalet verwiesen. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 82–87. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 111–122, S. 131–133. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 227. – Vgl. auch Collins, Interaction Ritual Chains, S. 373–374. Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 142–149.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
Die Integration in eine dieser Gruppen (und dabei eventuell erfolgreich generierte Emotionale Energie) garantiert noch nicht den erfolgreichen Einsatz dieser Energie in anderen Gruppen. Vereinfacht ausgedrückt: Das emotionale Hochgefühl der Mitgliedschaft in einem Fußballfanclub ermöglicht für ein Mitglied dieses Fanclubs – das aus Sicht Collins’ erfolgreich mit Emotionaler Energie aufgeladen sein müsste – noch nicht automatisch das Reüssieren in Interaktionsritualen mit anderen Gruppen, etwa dem Verein der Opernfreunde. Wenn jedoch, wie Collins auch feststellt, soziale Segregation durch Interaktionsrituale untermauert wird (man ist geneigt, vor allem wieder in Rituale mit jenen Gruppen einzusteigen, die bereits bisher erfolgreichen Aufbau von Emotionaler Energie ermöglicht haben),24 dann muss die Funktion Emotionaler Energie als ‚universale Währung‘, die die Erklärungsprobleme des Rational-Choice-Ansatzes zu lösen vermag, in Frage gestellt werden. Extreme Formen altruistischen Verhaltens (z. B. die Selbstaufgabe des eigenen Lebens für einen anderen) würden dann weiterhin nur gegenüber der eigenen Gruppe plausibel sein, nicht jedoch gegenüber Gruppenfremden.25 Collins strebt mit seinen Arbeiten nicht nur das bessere Verstehen vergangener Situationen und der Rolle, die Emotionen für das Zustandekommen und den Ablauf derselben gespielt haben, an, sondern erhebt auch den Anspruch, künftiges Verhalten prognostizieren zu können. Es bleibt abzuwarten, ob die Unklarheiten seines Konzeptes der Emotionalen Energie überwunden werden können. Die Gefahr bei Collins’ Ansatz liegt darin, dass Gefühle lediglich als zusätzliche, aber eigentlich inhaltsleere Variablen in Rational-Choice-Modelle integriert werden,26 wenn die empirische Erfassung aktueller und vergangener Gefühlszustände nicht hinreichend geklärt wird.27 So wie aus der erfolgten Wahl einer Handlung mitunter auf das Vorliegen entsprechender Bedürfnisse geschlossen wird, würde also vom Eintreten oder Nichteintreten eines bestimmten Verhaltens auf das Vorliegen entsprechender Emotionaler Energie oder den Mangel derselben geschlossen werden, wobei der einzige Beleg für diesen Energiezustand die bereits vollzogene/nicht vollzogene Handlung selbst darstellt.28
3.1.2. Die Ausdrucksdimension des Emotionalen als Basis der emotionalen Konstruktion der Wirklichkeit Gerhards kritisiert an Collins’ Konzeption zu Recht, dass sein Emotionsbegriff sehr vage ist und er außerdem das Empfinden von Emotionen und deren Ausdruck nicht näher unterscheidet. Emotionen unterliegen allerdings einem kognitiven Filter, d. h. selbst wenn beispielsweise Gefühle der Antipathie empfunden werden, gelingt es den Menschen mitunter,
24 25 26
27 28
Vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 156–158. Zum Altruismusproblem vgl. Collins, Interaction Ritual Chains, S. 168–170. Ein ähnliches Problem liegt z. B. auch beim Ansatz Hartmut Essers vor. Kürzlich unternahm Esser den Versuch, sein Modell der Frame-Selektion mit Emotionen – insbesondere auch ihren neurophysiologischen Grundlagen – zu verbinden. Es wird zwar sehr plausibel gezeigt, an welcher Stelle Emotionen in das Modell integriert werden könnten, ohne jedoch die empirische Überprüfbarkeit dieses Modells zu diskutieren. Vgl. Esser, Affektuelles Handeln. Vgl. auch Schnabel, Sind Emotionen rational? Zu empirischen Arbeiten, die möglicherweise mit dem Ansatz von Collins vereinbar sind, vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 85–89, S. 98–99. Vgl. hierzu auch die diesbezüglich ähnliche Kritik am Rational-Choice-Ansatz in: Haller, Soziologische Theorie, S. 402.
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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diese, falls die Situation es erfordert, zu unterdrücken bzw. zu verbergen. Für Collins spielen diese sozialen bzw. kulturellen Modulationen von Emotionen keine Rolle. Sie wären jedoch, wenn man sich mit den Konsequenzen emotionaler Modi der Weltkonstruktion für die Bildung/Verfestigung sozialer Strukturen beschäftigt, mitzubeachten.29 Während Collins die Handlungsdimension des Emotionalen betont, legt Gerhards also Aufmerksamkeit auf die Ausdrucks- und implizit auch auf die Bewertungsdimension. Emotionen unterscheiden sich, wie Gerhards betont, von sprachlich vermittelten Formen der Weltkonstruktion durch ihren simultanen Charakter der Informationsübermittlung.30 Gemäß dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, können emotionale Gesten und die Mimik eine Fülle an Informationen – wenn auch in diffuser Form – in einem Atemzug vermitteln, deren sprachlicher Ausdruck eine wesentlich längere Zeitspanne benötigen würde (oder oft auch überhaupt nicht möglich ist, wie bei überwältigenden Gefühlen der Trauer oder des Glücks, die durch Tränen oder Ähnliches sehr leicht ausgedrückt, jedoch kaum in Worte gefasst werden können).31 Voraussetzung für die Auffassung von Emotionen als Kommunikationsmittel und die damit verknüpfte situationsstrukturierende Funktion von Emotionen bildet die Annahme, dass das Ausdrucksbild der einzelnen Emotionen universale Gültigkeit hat, d. h. auch von Menschen verschiedener Kulturen gleich verstanden wird. Nur wenn man dies voraussetzt, können Emotionen – im Vergleich zu sprachlichen Äußerungen – als effizientere Möglichkeiten der Weltkonstruktion aufgefasst werden.32 Bereits Darwin war davon ausgegangen, dass das Ausdrucksbild der Emotionen weltweit gleich ist. Paul Ekman hat dies in jüngerer Zeit durch entsprechende Versuchsreihen zu bestätigen versucht. Einschränkend muss man hier allerdings festhalten, dass es kulturell zu unterschiedlichen Kodierungen von Emotionen kommen kann – ein und dasselbe Ereignis kann mit unterschiedlichen Emotionen verbunden werden. Außerdem kann es auch im Ausdrucksbild der Emotionen zu kulturellen Modifikationen kommen – das freie Zeigen von Gefühlen wird zum Beispiel kulturell je unterschiedlich toleriert. Ekman zeigte dies anhand eines Experimentes mit japanischen und amerikanischen Studierenden. Beiden Versuchsgruppen wurde ein grausamer Film vorgeführt. Die Gesichtsreaktionen der Studierenden wurden dabei aufgezeichnet. Beide Gruppen zeigten zunächst denselben von Ekel gekennzeichneten Gefühlsausdruck. Wenn jedoch ein Versuchsleiter bei der Abspielung des Filmes anwesend war, zeigten die japanischen Studierenden im Vergleich zu den amerikanischen lediglich ein unverbindliches höfliches Lächeln und nicht den vorher beobachteten Gesichtsausdruck. Mit Zeitlupenaufnahmen konnte jedoch nachgewiesen werden, dass die ursprünglichen Gefühle kurz auf den Gesichtern der Japaner auftauchten, dann aber sofort durch das neutrale Lächeln ersetzt wurden. Ohne die zeitverzögerte Aufnahme der Gesichter wäre es für einen normalen Interaktionspartner jedoch nicht möglich gewesen, diese Gefühle bewusst wahrzunehmen.33
29 30 31 32 33
Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S.67f. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 73 sowie S. 79f. Vgl. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 124. Vgl. auch Kemper, Themes and Variations, S. 224–225. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 89–92. – Vgl. hierzu auch LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 127–128. Inwieweit Emotionales auch unbewusst wahrgenommen werden kann und entsprechende Reaktionen erzeugt – Stichwort: Priming – stellt ein separates Forschungsproblem dar, mit dem sich derzeit vor allem die Gedächtnisforschung beschäftigt.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
In einer Alltagssituation wird auf das präsentierte emotionale Ausdrucksbild reagiert, was zu entsprechenden Reaktionen des Interaktionspartners führt (und eventuell auch zu Missverständnissen, wenn das Ausdrucksbild – gemäß unterschiedlicher kultureller Herkunftskontexte der Interaktionspartner – nicht dem in einer bestimmten Situation erwarteten entspricht). Collins ist insofern zu folgen, als Emotionen eine Grundlage der Weltdeutung bilden, die die Ausrichtung des Einzelnen auf soziale Situationen bestimmen. Man könnte sich ihren prägenden Einfluss in sozialen Situationen jedoch am besten gemäß dem ThomasTheorem erklären. Gemäß William Isaac Thomas sind in einer Situation nicht deren objektive Gegebenheiten wichtig, sondern deren subjektive Interpretationen durch die Akteure: Wenn Menschen eine Situation als real definieren, ist sie somit auch in ihren Konsequenzen real. Auf die Emotionsthematik übertragen würde dies heißen, dass es nicht so sehr darauf ankäme, welche Emotion von einem Interaktionspartner empfunden wurde, sondern vor allem darauf, wie das präsentierte Ausdrucksbild der Emotion durch die jeweiligen Gegenüber wahrgenommen, gedeutet und beantwortet wird. Nimmt alter an, dass eine ablehnende Emotion, wie Feindseligkeit oder Hass, bei ego vorliegt, so wird diese eine entsprechende Beantwortung finden (etwa feindselige Reaktionen von alter) und u. U. ihrerseits tatsächlich Ablehnung auf der Seite von ego bewirken. Emotionen haben wesentliche Folgen für soziale Situationen, allerdings kommen bei ihnen ebenso wie bei sprachlichen Mitteilungen kulturell und sozial bedingte Deutungsmuster zum Einsatz, die den weiteren Interaktionsverlauf maßgeblich bestimmen. Die gesamte Bandbreite der Emotionen hat somit jeweils unterschiedliche Konsequenzen für soziale Situationen, weshalb deren spezifische Wirkungen auch separat analysiert werden müssen und nicht unter der Sammelbezeichnung ‚Emotionale Energie‘ (die einmal höher und einmal niedriger sein kann) subsumiert werden dürfen. Inwieweit Emotionen manchmal auch unmittelbare (und unbewusste) emotionale Gegenreaktionen (im Sinne quasi instinktmäßigen Verhaltens) bewirken können, ohne durch soziale/kulturelle Codes (und entsprechende kognitive Prozesse) gefiltert zu werden, wird seit Langem diskutiert. Insbesondere die mit Furcht verbundenen somatischen Prozesse dürften relativ automatisch ablaufen, da sie – evolutionär gesehen – dem Überleben dienen und schnelle Reaktionen (Flucht oder Erstarrung) ermöglichen sollten. Ob die Mechanismen der Furchtkonditionierung auch in sozialen Situationen eine Rolle spielen, ist allerdings fraglich. In sozialen Situationen mag es eventuell auch über emotionale Modi quasi automatisch gesteuertes Verhalten geben, was jedoch erst durch entsprechende Versuchsreihen zu zeigen wäre. Die Wirksamkeit des Thomas-Theorems ist in jedem Fall plausibel und lässt genügend Spielraum für die Analyse kulturell wirksamer Filter des Emotionsausdrucks.34
34
Barbalet hat unter Bezug auf die Studien von Thomas Scheff über Scham darauf hingewiesen, dass Emotionen den Akteuren keineswegs bewusst sein müssen, um Wirksamkeit in dem Sinne zu entfalten, dass sie dem Akteur eine bestimmte Handlungsrichtung nahelegen. Scham ist Scheff zufolge eine Emotion, die in modernen Gesellschaften zwar in vielen alltäglichen Situationen auftritt, dabei aber kaum sichtbar wird, und dennoch erhebliche Konsequenzen für soziale Situationen in Form der Scham-Wut-Spirale haben kann. (Siehe mehr dazu weiter unten). Man könnte dies folgendermaßen skizzieren: Aktivitäten von ego deuten alter gegenüber eine Minderbewertung an (auch hier könnte man im Sinne des Thomas-Theorems behaupten: unabhängig davon, ob sie so gemeint waren oder nicht), bei alter entsteht Scham (aufgrund der negativen Bewertung durch ego und der Folgen, die dies für das Selbstgefühl von alter hat, immer vorausgesetzt alter und ego teilen dieselben Vorstellungen über angemessenes Verhalten) und Wut über ego (der als Auslöser des negativen Gefühls gesehen wird). Daraufhin nimmt alter gegenüber ego eine abwertende Haltung ein, der eine ähnliche Scham-Wut-Spirale durchläuft. In solchen Fällen sind es Emotionen, die den weiteren Fortgang der Interakti-
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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3.2. Beispiele für Emotionen als aktiv gestalterische Kraft im Rahmen sozialer Zusammenhänge Während bisher die Funktion von Emotionen in sozialen Zusammenhängen eher im Bereich grundsätzlicher Strukturierungsleistungen bzw. unter einem allgemeinen Motivationsaspekt beschrieben wurde, soll nun anhand einiger spezifischer Emotionen gezeigt werden, inwieweit diese Gefühle unterschiedliche soziale Konsequenzen haben. Neben den hier behandelten könnten für eine ganze Reihe weiterer Gefühle derartige Wirkungen aufgezeigt werden. Für die Demonstration der prinzipiellen Ausrichtung verschiedener Typen einer Soziologie der Emotionen ist es allerdings nicht notwendig, Vollständigkeit in der Besprechung des Gefühlsspektrums und seiner sozialen Wirkungen anzustreben. Auf die Diskussion der sozialen Konsequenzen beispielsweise von Scham35 oder Neid36 soll deshalb hier verzichtet werden.
3.2.1. Vertrauen Jack Barbalet hat sich mit einer Reihe von konkreten Gefühlen beschäftigt, um zu zeigen, inwieweit Gefühle – die häufig von der Soziologie als individuelles Phänomen betrachtet wurden – tatsächlich soziale Relevanz haben und soziales Handeln bzw. soziale Strukturen beeinflussen können. In der bisherigen Literatur zum Thema wurde aus Sicht Barbalets die gefühlsmäßige Komponente des Vertrauens vernachlässigt, obwohl Vertrauen alle für ein Gefühl typischen Kennzeichen aufweist. „The feeling of confidence has characteristic content and tone which is both experienced subjectively (...) and expressed behaviorally (...). Those who feel confident are likely also to report bodily sensations of muscular control, deep and even breathing, and other sensations of well-being. In addition to feeling, sensation and expression, emotion typically includes cognitive and motivational components.“37 Insbesondere diese letztere Komponente ist es, die Barbalet interessiert und die er anhand bisheriger Literatur zum Thema (reichend von Darwin über Simmel bis zu Kemper) zu beschreiben versucht. Vertrauen ist geeignet, das Gefühl der Unsicherheit gegenüber der Zukunft für den einzelnen Akteur zu reduzieren (wobei die situationsstrukturierende Funktion des Vertrauens dem Betroffenen keineswegs bewusst sein muss). Vertrauen, verstanden als auf das Selbst und seine Handlungsfähigkeit bezogene Emotion, kommt in sozialen Situationen dann auf, wenn Akteure Akzeptanz und Wertschätzung durch andere erfahren. Je höher das Ausmaß
35
36
37
on beeinflussen, und zwar, ohne dass die zugrunde liegende Emotion der Scham als solche für die beteiligten Akteure erkennbar oder bewusst sein muss. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 114–115. Scham ist sicherlich eine der von Soziologen und Soziologinnen meistbesprochenen Emotionen. In Kapitel II, 5.1. wird sie in Zusammenhang mit Scheffs Ansatz noch näher erörtert werden, weshalb an dieser Stelle auf eine nähere Diskussion dieses Gefühls verzichtet wird. Zum Thema Scham und ihrer sozialen Konsequenzen vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 103–125. Neid wurde ebenso wie Scham sehr häufig im Hinblick auf seine sozialen Konsequenzen diskutiert, etwa bereits von Adam Smith. In der deutschsprachigen Soziologie widmete sich Helmut Schoeck in den 1960erJahren vergleichsweise früh (wenn man die sonstige Emotionsferne der Disziplin in dieser Zeit bedenkt, siehe dazu mehr in Kapitel III, 5.) dem Thema Neid und zeigte auch dessen langes Dasein als ‚blinder Fleck‘ der Sozialwissenschaften auf. Vgl. Schoeck, Der Neid, S. 115–122. – Zu den sozialen Konsequenzen des Neides vgl. auch Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 73–79. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 84.
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dieser Akzeptanz, desto eher werden Akteure zukünftig erneut in ähnlich gelagerte Interaktionen eintreten (hier wird die soziale Entstehung des Vertrauens deutlich und zugleich, dass Vertrauen zwar einen bestimmten Zustand des Selbst anzeigt, damit aber auch auf konkrete andere, die die Erreichung dieses Zustandes ermöglicht haben und ,auf die man vertraut‘, gerichtet ist).38 Vertrauen ist nicht nur ein Hoffen auf eine günstige zukünftige Entwicklung, sondern gewissermaßen eine aus bisherigen Erfahrungen abgeleitete (Selbst-)Sicherheit, die die Basis für künftiges Handeln bildet. Ausgehend von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen und dem daher in der Gegenwart herrschenden Gefühlszustand wird also eine Projektion in die Zukunft vorgenommen, und zwar derart, dass eine prinzipielle Weiterführung des bisherigen Verhaltens angenommen und als möglich erachtet wird. Vertrauen verknüpft auf diese Weise Vergangenheit und Gegenwart mit der Zukunft (und hat somit auch Konsequenzen für soziale Zusammenhänge). Grundideen eines derartigen Verständnisses von Vertrauen sind bereits bei John Maynard Keynes zu finden, dessen Werk von Barbalet im Hinblick auf die darin implizit enthaltene Handlungstheorie analysiert wird. Gefühle spielen bei Investitionsentscheidungen aus Sicht von Keynes eine entscheidende Rolle, wie er in seiner Arbeit The General Theory of Employment, Interest and Money feststellt: „most (...) of our decisions to do something positive (...) can only be taken as a result of animal spirits – of a spontaneous urge to action rather than inaction, and not as the outcome of a weighted average of quantitative benefits multiplied by quantitative probabilities.“39 Gefühle sind eben nicht nur bei Börsenpaniken von Bedeutung, sondern haben in ihrer zukünftige Handlungen ermöglichenden Funktion auch einen wichtigen Anteil am Zustandekommen ‚normalen‘ (wirtschaftlichen) Handelns. Barbalet beschäftigt sich unter anderem damit zu zeigen, inwieweit Investitionsentscheidungen wirtschaftlicher Akteure durch staatliche Maßnahmen beeinflusst werden. Er greift hierbei die in der Ökonomie geführte Diskussion der Frage auf, inwieweit Staatsausgaben private Investitionsentscheidungen positiv oder negativ beeinflussen können, und bietet durch den Hinweis auf die emotionale Fundierung wirtschaftlichen Handelns eine ergänzende Erklärung hierzu. Regierungspolitik beeinflusst seiner Sichtweise zufolge zunächst vor allem die Beziehung der wirtschaftlichen Akteure zum Staat, von dem sie sich besser oder schlechter verstanden fühlen. Erst aus dieser Beziehung ergibt sich ein bestimmtes Maß an Vertrauen als Voraussetzung von Investitionsentscheidungen. Es sind also weniger die durch staatliches Handeln geschaffenen konkreten Rahmenbedingungen des Marktes, die Investitionen begünstigen oder erschweren, sondern vor allem die durch Regierungshandeln den Unternehmern entgegengebrachte Wertschätzung, die deren Vertrauen erhöht und solchermaßen zukünftiges (Investitions-)Handeln gewährleistet.40 Barbalet beschäftigt sich vor allem mit Vertrauenseffekten auf der Makroebene sozialer Prozesse. Wendet man sich dieser Emotion auf der Mikroebene zu, so wird deutlich, dass Vertrauen hier häufig in einer speziellen Mischung mit anderen Gefühlen auftritt, weshalb auch die spezifischen Strukturierungsleistungen des Vertrauens für das Soziale bisher übersehen worden sein dürften. Vertrauen kann beispielsweise eine wesentliche Komponente von Liebesbeziehungen sein. Liebe kann gewissermaßen als die Gewährung eines Vertrauensvorschusses an einen bestimmten anderen betrachtet werden, der zukünftiges Handeln
38 39 40
Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 86. Keynes zit. nach: Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 92; – vgl. außerdem auch Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 90–94. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 102.
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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in dem von Barbalet beschriebenen Sinne ermöglicht (in diesem Falle also dabei hilft, die Fortdauer der Beziehung zu imaginieren und entsprechende Handlungen zu setzen). Liebe kommt jedoch, wenn man an von Beginn an durch Eifersucht gekennzeichnete Beziehungen denkt, auch ohne oder mit nur geringem Vertrauensvorschuss aus. Im Sinne Barbalets bilden bisherige erfolgreiche Interaktionen mit anderen die Basis für die Entstehung von Vertrauen. Fehlen derartige Erfahrungen, wird es auch Liebenden schwerfallen, ihren (neuen) Partnern Vertrauen entgegenzubringen. Liebe gestattet dennoch die Fortsetzung der Interaktion, sprich: der Zweierbeziehung – zumindest für eine gewisse Zeit –, allerdings werden die Interaktionen der Liebenden die Herstellung von Sicherheit zum Ziel haben, während in von Vertrauen gekennzeichneten Beziehungen ein derartiges explizites Aushandeln der Situation nicht nötig ist. Die Berücksichtigung der Anwesenheit oder des Fehlens von Vertrauen in sozialen Situationen (manchmal gleichzeitig mit anderen Emotionen) kann möglicherweise zum besseren Verständnis der jeweiligen Interaktionszusammenhänge beitragen. (Näheres zum Thema Vertrauen siehe auch Kapitel III, 5.2.1.2.)
3.2.2. Angst Während Vertrauen also ein Gefühl ist, das Handlungen ermöglicht, wird Angst in der Literatur häufig als Hindernis für Handlungen angesehen, da sie zu Erstarrung und Passivität der Akteure führen kann. Allerdings sieht Barbalet auch die Angst als eine Emotion an, die dazu angetan ist, Gegenwart und Zukunft miteinander zu verknüpfen und die somit bedeutende Handlungsrelevanz hat. Neben der Erzeugung von Passivität führe Angst, wie schon Darwin feststellte, entweder zur Flucht oder zum Kampf. Barbalet zeigt, dass es daneben noch eine dritte Handlungsmöglichkeit gibt, nämlich Aktionen, die der Eindämmung der Furcht dienen. Es gibt eben nicht nur Angst, die deutlich sichtbar ist infolge eines Schocks oder einer Überraschung, sondern auch andere Formen der Angst, denen nicht mit (spontaner) Flucht oder Kampf begegnet werden kann und deren Verarbeitung/Bewältigung durchaus positive Konsequenzen für soziale Zusammenhänge haben kann, indem beispielsweise sozialer Wandel eingeleitet wird.41 Aus Sicht Barbalets ist es notwendig, zwischen dem Objekt der Angst und der Ursache der Angst zu unterscheiden. Das Objekt der Angst ist dasjenige, worauf man in dem Zustand der Angst konzentriert ist. Die Ursache der Angst liegt nicht in den Eigenschaften dieses Objektes, sondern in der Unfähigkeit, mit der potentiellen, von ihm ausgehenden Gefahr umzugehen – also letztlich im Selbst und seinem (Handlungs-)Potenzial. Die Ursache des Gefühls der Angst in sozialen Zusammenhängen kann daher häufig in bisherigen Interaktionen des Akteurs bzw. in der bisherigen Struktur seiner sozialen Beziehungen gesucht werden, welche eine nicht ausreichende Basis für zukünftiges Handeln darstellen – also, ohne dass Barbalet dies thematisieren würde, für das Fehlen von (Selbst-)Vertrauen verantwortlich sind. Die Orientierung der Zukunft gegenüber spielt auch bei dem Gefühl der Angst und den daraus resultierenden sozialen Konsequenzen eine Hauptrolle. Diesmal ist es allerdings im Gegensatz zum Vertrauen (das eine positive Ausrichtung auf die Zukunft nahelegt), eine negative Haltung der Zukunft gegenüber, die aus einer gegebenen Situation folgt. Befürchtungen, eine
41
Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 151.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
Situation nicht bewältigen zu können, sind die Folge, wenn neue, in den bisherigen Erfahrungsschatz nicht integrierbare Wahrnehmungen gemacht werden. Insofern kann unerwarteter sozialer Wandel das Objekt der Angst sein. Die Ursache hierfür ist aber nicht im Wandel selbst zu suchen, sondern in der vom Akteur antizipierten Möglichkeit der Nichtbewältigung der neuen Situation. Angenommene mangelnde künftige Bewältigungsmöglichkeiten beruhen dabei auf bisherigen Erfahrungen und geringen (oder als gering empfundenen) Fähigkeiten des Akteurs.42 Da Angst lange Zeit vor allem als Reaktion auf physische Gefahren im weitesten Sinne diskutiert wurde, wurde ihre Bedeutung für soziale Situationen übersehen. Sozial ist das Gefühl der Angst nicht nur, weil bisherige Interaktionen, die eine schwache Position des Akteurs zur Folge hatten, an dessen Entstehung beteiligt sind bzw. weil die soziale Position des Akteurs bedroht sein kann, was Angst erzeugt. Sozial ist das Gefühl der Angst auch, weil sein Auftreten in einer Gruppe zur Verstärkung der von den Gruppenmitgliedern verspürten Gefühle führen kann bzw. weil es zur Entstehung eines entsprechenden emotionalen Klimas kommen kann. Angst hat, so verstanden, auch Konsequenzen auf der makrosozialen Ebene, indem beispielsweise kollektives Handeln, und damit sozialer Wandel, durch sie eingeleitet wird.43 Barbalet führt das Beispiel der Angst vor Arbeitslosigkeit an, die potentiell die gesamte Gruppe der Arbeiterschaft betrifft und unterschiedliche Konsequenzen haben kann (reichend von der Gewerkschaftsgründung bis hin zur Resignation der einzelnen Arbeiter). An dieser Stelle kann eine Berücksichtigung der sozialen Ursachen der Angst näheren Aufschluss darüber bringen, in welchen Situationen es eher zu der einen als zu der anderen Konsequenz kommen wird. In bestimmten Phasen der historischen Entwicklung war die stets vorhandene Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes eine Emotion, die aufgrund des Klassenbewusstseins der Arbeiterschaft mit kollektivem Handeln im Sinne der Gewerkschaftsgründung beantwortet werden konnte. Ausgehend von dem in regelmäßigen Interaktionen gleichermaßen Betroffener aufgebauten Gruppenklima wurden die Chancen, sich gegenüber der als unsicher bzw. bedrohlich eingeschätzten zukünftigen Situation zur Wehr zu setzen, positiv eingeschätzt. Kampfbereitschaft war die Folge. In jüngerer Zeit, in der Klassenbindungen in Auflösung begriffen sind, wird die Bewältigung der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, aufgrund der als mangelhaft wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten (auch als Gruppe), schwieriger. Nicht Gewerkschaftsbildung und Kampf sind die Folge, sondern Verzweiflung und Handlungsunfähigkeit der Arbeiter und Arbeiterinnen und damit Schwächung ihrer realen Position gegenüber der Unternehmensseite. Angst kann auch aufseiten der eigentlich sozial Stärkeren verspürt werden, wie Barbalet feststellt. Es handelt sich dabei um die Furcht vor dem Verlust der eigenen dominanten Position, die sich aus einer relativen Verschiebung in den zur Verfügung stehenden Ressourcen zwischen Machthabenden und Untergebenen ergibt. Die Frage ist, wie die Konsequenzen dieser Angstgefühle aussehen werden. Barbalet legt das Schwergewicht seiner Analyse auf Beispiele für den durch Angst der Machthabenden eingeleiteten sozialen Wandel zur Bewäl-
42 43
Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 154–157. Betrachtet man Gruppen und deren emotionales Klima, so muss allerdings beachtet werden, dass nicht alle Mitglieder der Gruppe notwendigerweise ein Gefühl im selben Ausmaß verspüren: „An emotional climate is not a blanket which equally covers each member of the group associated with it. Each group member will contribute differently to the formation of the climate and will experience it in terms of their particular place in the group.“ Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 160.
3. Die prägende Kraft der Emotionen für das Soziale
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tigung der Angst (er bezieht sich hierbei unter anderem auf die Sozialgesetzgebung Großbritanniens während des Ersten Weltkrieges, die in Reaktion auf die zu dieser Zeit stark gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft, deren Streikpotential als Bedrohung der Regierungspläne angesehen wurde, zustande kam).44 Allerdings wäre hierbei wiederum zu beachten, dass es sehr auf die Ausgangssituation ankommt, ob sozialer Wandel (und vor allem welche Art desselben) durch die Elite, die um ihre Position fürchtet, eingeleitet wird. Durch die Elite eingeleiteter sozialer Wandel setzt voraus, dass der Elite tatsächlich entsprechende Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (also etwa eine Anpassung des bisherigen Herrschaftssystems durch Reformen möglich ist, ohne die eigene Machtposition zu verlieren). Ist dies nicht der Fall, kann auch Repression der als Bedrohung eingestuften aufsteigenden Gruppen eine Reaktion der Elite sein. Sozialer Wandel, im Sinne einer grundlegenden Veränderung des Systems, ist sodann erst nach einem entsprechenden realen Machtanstieg bei den bisher Untergebenen zu erwarten. Angst, und dies muss aus meiner Sicht ebenfalls betont werden, motiviert Barbalet zufolge die Machthabenden zu entsprechenden, die Angst eindämmenden Handlungen, noch bevor ein realer Verlust ihrer Position eingetreten ist, und zwar auch dann, wenn ein derartiger Verlust nicht unbedingt wahrscheinlich ist (ansonsten könnte man ihr Verhalten als rationale Reaktion zur Erhaltung ihrer bisherigen Position darstellen, wobei aber auch hierbei natürlich Angst als wesentlicher Motivationsfaktor mitzubeachten wäre). Das von Barbalet gewählte Beispiel der britischen Sozialgesetzgebung angesichts eines real gewachsenen Streikpotentials der Arbeiterschaft illustriert diesen Faktor nicht deutlich genug. Ein eventuell besser passendes Beispiel wären die von manchen Berufsgruppen ergriffenen Maßnahmen der sozialen Schließung gegenüber gruppenfremden Aspiranten für die entsprechende Tätigkeit. Der Entwurf ausgeklügelter Zulassungssysteme dient der Eindämmung der Angst vor dem eigenen Privilegienverlust (und zwar bereits bevor die Zahl neuer Berufsanwärter tatsächlich ein bedrohliches Ausmaß angenommen hat). Gleichzeitig wird durch derartige Zulassungssysteme aber auch ein Beitrag zur Professionalität der eigenen Berufsgruppe geleistet, indem etwa Ausbildungsstandards festgelegt werden, und somit die Qualität der von der Berufsgruppe angebotenen Leistungen gesteigert wird. Während Barbalet eher an den makrosozialen Folgen der Angst interessiert ist und hierbei ein Schwergewicht auf durch Angst induzierten sozialen Wandel legt, widmet sich Flam dem mikrosozialen Bereich und hier vor allem der Frage, wie Entscheidungen von Individuen durch Angstgefühle in eine bestimmte Richtung gelenkt bzw. auch gehemmt werden. Angst hält beispielsweise in repressiven Regimes Individuen davon ab, bestimmte ihren normativen Überzeugungen entsprechende Entscheidungen zu treffen, wie in retrospektiven Interviews, die Flam mit ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Partei Polens geführt hat, deutlich wird. Die betroffenen Akteure zeigten ein weites Spektrum an Strategien der Rollendistanz, die ihnen dabei halfen, ihr Selbstbild als jemand, der die Probleme des Regimes erkannt hat und den Entschluss zum Parteiaustritt treffen müsste, mit dem aufgrund der Angst vor Repressionen immer wieder verzögerten Handeln (d. h. dem nicht vollzogenen Parteiaustritt) in Einklang zu bringen. Flam weist darauf hin, dass der Gehorsam der Partei gegenüber auch mit den materiellen und ideellen Interessen der Individuen zusammenhängt, d. h. mit Vorteilen, die innerhalb des Regimes zu erreichen waren oder aber mit dem Wunsch,
44
Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 161–168.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
das bisherige Selbstkonzept aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung, eine oppositionelle Rolle einzunehmen oder nicht einzunehmen, kann jedoch nicht nur durch ein rationales Abwägen dieser Interessen erklärt werden, sondern muss die aufseiten der Akteure verspürten Gefühle der Angst mitbeachten. In Flams Konzeption der Angst kommt stärker der passivitätsfördernde Charakter dieses Gefühls zum Ausdruck. Nichthandeln in Situationen, die ein bestimmtes Handeln aufgrund verinnerlichter normativer Überzeugungen nahelegen, kann eine Bedrohung für das Identitätsgefühl des Einzelnen sein. Je nachdem, welche Form der Angst überwiegt: jene vor dem Verlust des Selbstrespekts oder jene vor möglichen Repressionen, wird ein anderes Verhalten die Folge sein. Der Kontakt zu anderen Abweichenden kann den Entscheidungsprozess insofern erleichtern, als hier eine Bezugsgruppe zur Verfügung steht, die die Durchsetzung eines bestimmten normativen Selbstkonzeptes – den Angstgefühlen zum Trotz – unterstützen kann.45 Ob Angst zu Handlungen führt, die letztlich sozialen Wandel einleiten können, hängt also auch bei Flam, ähnlich wie in Barbalets Beispiel der Angst vor Arbeitslosigkeit, von zur Verfügung stehenden sozialen Bezügen ab.
3.3. Forschungspraktische Konsequenzen Emotionen als Handlungshintergrund müssten im Prinzip in Studien zu menschlichem Entscheidungsverhalten konsequent mitberücksichtigt werden. Es können sehr unterschiedliche Handlungen gesetzt werden, wie die vorangegangenen Beispiele deutlich machten, je nachdem, welche Emotion von den Beteiligten verspürt wird. Neben der Kenntnis der objektiven Handlungsmöglichkeiten eines Akteurs ist es für eine sozialwissenschaftliche Analyse daher auch notwendig, Informationen über den emotionalen Ausgangszustand eines Akteurs (und in weiterer Folge natürlich auch über dessen Zustandekommen) zu besitzen. Nur so können Entscheidungen plausibel nachvollzogen und erklärt werden. Rationales Kalkül möglicher Kosten und möglichen Nutzens verschiedener Handlungsalternativen reicht, wie auch die entsprechenden Diskussionen im Bereich der RationalChoice-Theorie zeigten, nicht aus, um menschliches Handeln vollständig beschreiben oder gar prognostizieren zu können. Die emotionale Konstruktion der Wirklichkeit bestimmt entscheidend die Bandbreite der von einem Akteur als real erachteten Handlungsmöglichkeiten, d. h. die Zahl und Beschaffenheit der Alternativen, zwischen denen gewählt werden kann, variiert mit seinem Gefühlszustand. Auf den ersten Blick suboptimale Entscheidungen von Akteuren werden verständlich, wenn man ihre durch spezifische Gefühle bedingte Weltsicht mitberücksichtigt. Eine Herausforderung für künftige Studien stellt allerdings die Frage dar, wie die emotionale Ausgangssituation der Akteure empirisch adäquat erfasst werden kann. Die soeben besprochenen jüngeren Arbeiten aus dem Bereich der Soziologie der Emotionen plädieren zwar sehr plausibel für die stärkere Beachtung der Emotionen im beschriebenen Sinne, die empirische Umsetzung dieser Forderung steht allerdings erst am Anfang.46 Innerhalb der Soziologie der Emotionen gibt es eine Reihe sehr ausgefeilter theoretischer Konzepte zu den
45 46
Vgl. Flam, The emotional man, S. 54–65, S. 81–93. Zur mangelhaften empirischen Umsetzung einiger neuerer theoretischer Konzepte der Soziologie der Emotionen vgl. auch Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 85, S. 157, S. 258; – sowie Ellis, Flaherty, An Agenda, S. 2–5.
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Konsequenzen von Emotionen in sozialen Zusammenhängen, die jedoch bisher kaum durch empirische Arbeiten ihrer Vertreter – die auch als ‚armchair‘-theorists47 bezeichnet werden können – ergänzt wurden. Gleichzeitig existiert eine Fülle von empirischen Arbeiten über unterschiedliche soziale Felder (reichend von sozialen Bewegungen bis hin zu Wirtschaftsunternehmen), in denen eine ganze Reihe von empirischen Methoden zum Einsatz gelangt und in denen die sozialen Ursachen (sowie manchmal auch die sozialen Konsequenzen) von Emotionen detailliert beschrieben werden,48 die allerdings nur selten mit über das konkrete Feld hinausgehenden theoretischen Überlegungen verknüpft wurden. Eine zukünftige stärkere Integration theoretischer und empirischer Ansätze sowie eine Klärung der im Zusammenhang mit der Erfassung des Emotionsgeschehens auftretenden methodischen Probleme erscheinen jedenfalls wünschenswert. Hierzu gehört die Klärung der Frage, wie emotionale Zustände – zumal den Akteuren selbst nicht bewusste Gefühlszustände – wissenschaftlich adäquat erfasst werden können. Jack Katz’ Arbeit bietet hierfür einige Ansatzpunkte. Er gehört zu jenen Autoren und Autorinnen, deren Arbeiten gewissermaßen quer zu dem von mir gewählten Darstellungsschema liegen. Katz beschäftigt sich nicht vorrangig mit der Prägung der Emotionen durch soziale Situationen oder ihren sozialen Konsequenzen, sondern vor allem mit der phänomenologischen Beschreibung verschiedener im sozialen Kontext auftretender emotionaler Zustände. Bei dieser Darstellung greift er auf unterschiedliches empirisches Material zurück, das er gemäß der Frage, was eigentlich passiert, wenn wir fühlen, analysiert – so kombiniert er zum Beispiel die Analyse von Bildmaterial (Videos bzw. Fotografien) mit der Analyse von Gesprächstranskripten oder ethnographischen Feldnotizen.49 Der systematische Einbezug von in Selbstbeobachtung gewonnenen Daten stellt eine weitere Möglichkeit dar, soziologisches Wissen über Emotionen zu erweitern. Carolyn Ellis hat in dieser Weise in verschiedenen Schriften die Bedeutung der lange Zeit innerhalb der Sozialwissenschaften verpönten Methode der Introspektion für die Erforschung emotionaler Befindlichkeiten unterstrichen.50 Retrospektive Interviews, die beispielsweise von Flam verwendet werden, stellen eine Möglichkeit dar, auf Grundlage von Selbsteinschätzungen der Betroffenen ihre Gefühlszustände im Rahmen vergangener Entscheidungssituationen nachzuzeichnen und somit ein sinnhaftes Verstehen ihres Verhaltens zu ermöglichen. Zu klären wäre allerdings, inwieweit etwa die von LeDoux beschriebenen nicht-bewussten und daher auch nicht-verbalisierbaren emotionalen Erfahrungen im Rahmen von solchen Interviews erfassbar sind. Die von Helen Lewis vorgenommenen Versuche, nach (verbalen oder non-verbalen) ‚Markern‘ für verbor-
47 48
49 50
Vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 170. Es werden hierbei beispielsweise sowohl Inhaltsanalysen von Medienprodukten oder autobiographischem Material vorgenommen, Beobachtungen durchgeführt oder Befragungen (strukturierter und nicht-strukturierter Art) zu in realen oder experimentellen Situationen aufgekommenen Emotionen abgehalten. Zu derartigen empirischen Ansätzen vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 34ff, S. 42ff, S. 138ff, S. 240ff, S. 250ff. – Ein relativ neues Verfahren im Zusammenhang mit der empirischen Erhebung von Emotionen stellt die Metapher-Analyse dar, vgl. hierzu Steger, Was Metaphern über Gefühle sagen. Vgl. Katz, How Emotions work, insbesondere S. 8–12. Vgl. Ellis, Flaherty, An Agenda, S. 2–5. – Zur lange Zeit praktizierten Vermeidung des Einbezugs subjektiver Erfahrungen der Forscher und Forscherinnen in empirische Studien vgl. auch Holman, Building Connections. – Für einen Überblick über neuere sozialwissenschaftliche Ansätze, die sich mit introspektiven Verfahren beschäftigen vgl. Ellis, Bochner, Autoethnography, S. 739–743.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
gene Scham Ausschau zu halten,51 stellen eine Möglichkeit dar, derartige nicht-bewusste Emotionen empirisch zu erfassen. Es wäre zu klären, ob derartige ‚Marker‘ auch für andere latent vorhandene Emotionen existieren. Turner und Stets verweisen auf einige Verfahren, mit denen das Maß der physiologischen Aktivierung erhoben werden kann und die auch in soziologischen Studien zum Einsatz gelangen könnten (etwa Messungen des Hautwiderstandes oder der Herzfrequenz), um Rückschlüsse auf emotionale Zustände der Akteure (die ihnen nicht unbedingt bewusst sein müssen) ziehen zu können.52 Allerdings existieren längst nicht für alle Emotionen Annahmen über die mit ihnen einhergehenden körperlichen Erregungszustände.53 Außerdem ist fraglich, ob derartige Messungen bei ex post Befragungen der Akteure entsprechende Ergebnisse liefern.54 Im Rahmen der empirischen Erhebung von Gefühlszuständen wurden die Erkenntnisse der Biowissenschaften bisher kaum beachtet, obwohl gerade durch sie neue methodologische Fragen aufgeworfen werden. So wäre etwa die Frage zu stellen, ob die Beeinflussung der Erinnerung durch aktuelle Gefühle und Stimmungslagen auch bei der Konzeption von Fragebögen bzw. Tiefeninterviews zu beachten ist? Wie kann die Validität dieser sozialwissenschaftlichen Erhebungsverfahren erhöht werden, indem man die spezielle emotionale Situation, in der die Erinnerungen verbalisiert werden, mitbeachtet? Insbesondere bei der Erhebung von Gefühlszuständen der Akteure müssten diese Aspekte berücksichtigt werden, um valide Ergebnisse erzielen zu können. Emotionale Faktoren der Erhebungssituation sind derzeit zwar bereits Gegenstand methodologischer Überlegungen der qualitativen Sozialforschung, allerdings bisher noch weitgehend ohne Beachtung biowissenschaftlicher Erkenntnisse.55
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Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kapitel II, 5.1. sowie Lewis, Shame and Guilt, S. 196–198. Vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 314–315. Vgl. hierzu auch die diesbezüglich zu Kempers Ansatz vorgebrachte Kritik in Kapitel II, 4.1.2. Die in Kapitel I, 3.1.2. präsentierten Arbeiten von LeDoux weisen zumindest auf eine entsprechende körperliche Aktivierung beim Erinnern und Reden über Angsterlebnisse hin. Vgl. hierzu etwa: Carter, Delamont, Qualitative Research. – Die Geschichtswissenschaft hat bereits zum Teil neurowissenschaftliche Ergebnisse der Gedächtnisforschung aufgegriffen: vgl. Fried, Geschichte und Gehirn; – Fried, Der Schleier der Erinnerung.
4. Die Prägung der Emotionen durch das Soziale
Emotionen wurden in diesem Abschnitt bisher als maßgeblich für den weiteren Verlauf von Interaktionen aufgefasst, umgekehrt werden aber auch durch soziale Strukturen bzw. Interaktionssituationen ganz bestimmte Emotionen erzeugt bzw. das Ausdrucksbild der Emotionen beeinflusst. Es ist eine Grundannahme der im Folgenden dargestellten Ansätze, dass Emotionen im Wesentlichen soziale bzw. kulturelle Produkte sind und daher in sozialen Situationen erzeugt bzw. moduliert werden. Im Vordergrund dieser Ansätze stehen die Ausdrucks- und die Erlebnisdimension des Emotionalen, zwischen denen durchaus auch Diskrepanzen bestehen können, die zu entsprechenden Anpassungen entweder des gezeigten Emotionsausdrucks oder des eigenen Empfindens gemäß sozialen oder kulturellen Normen führen können. Die für die oben dargestellten Ansätze wichtige Handlungsdimension des Emotionalen spielt bei den mit der sozialen Prägung der Emotionen beschäftigten Ansätzen kaum eine Rolle (es sei denn, man subsumiert die auf das Selbst gerichteten Techniken des Emotionsmanagements unter die Handlungskategorie, was hier jedoch nicht der Fall sein soll). Innerhalb der Zugänge, die sich mit der Prägung der Emotionen durch soziale Strukturen und Interaktionen beschäftigt haben, kann man einen positivistischen und einen konstruktivistischen Ansatz unterscheiden, zwischen denen Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre eine ausführliche Debatte im anglo-amerikanischen Raum geführt wurde.1 Die Mikroebene steht bei beiden Ansätzen im Vordergrund. Der Bezug zur Makroebene wird im konstruktivistischen Ansatz durch normative Gefühlsregeln hergestellt, die die Art und Weise des Emotionsausdruckes regulieren und das Bindeglied zwischen sozialem bzw. kulturellem Kontext (sowie seiner historischen Entwicklung) und den von den Individuen verspürten Gefühlen bilden. In Interaktionen zwischen Beteiligten kommt es zur Aushandlung darüber, welche Emotionen jeweils empfunden werden bzw. empfunden werden dürfen. Aspekte der sozialen Kontrolle spielen bei der Modulation der Emotionen eine wichtige Rolle (in Form von Sanktionen anderer oder aber in Form internalisierter Selbstkontrollen, die im Laufe der Sozialisation erlernt werden).2 Der kulturelle Kontext prägt dabei ganz entscheidend die Art des Emotionsausdrucks, wie ethnologische Studien der letzten Jahre gezeigt haben.3 Zu beachten ist außerdem, dass sich Gefühlsregeln historisch gesehen verändern. Eine ganze Reihe von Arbeiten beschäftigt sich mit der durch sozialen Wandel initiierten Entstehung bzw. Veränderung von (neuen) Gefühlskonzepten; z. B. etwa mit der Idee der
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Vgl. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 117. Vgl. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 127–128. Vgl. Röttger-Rössler, Emotion und Kultur, S. 147–162; – Flam, Soziologie der Emotionen, S. 136–137; – Lutz, Unnatural Emotions, S. 5–13. – Zu kulturell variierenden Gefühlsregeln vgl. auch Hochschild, The sociology of emotion as a way of seeing, S. 7–8.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
romantischen Liebe, die weitgehend ein ‚Produkt‘ des 19. Jahrhunderts ist und die Art, wie Paarbeziehungen seitdem ausgestaltet werden, entscheidend mitbeeinflusst hat.4 Der positivistische Ansatz geht davon aus, dass Emotionen mehr oder weniger direkt durch die sozialstrukturelle Position bzw. Relation der Interaktionspartner zueinander hervorgerufen werden. Zum Teil, vor allem bei Theodore D. Kemper, impliziert diese Vorstellung auch eine enge Kopplung zwischen sozialstrukturellen Positionen, physiologischen Mechanismen und erlebten Gefühlen. Auch dieser Ansatz bezieht sich vorrangig auf die Mikroebene, indem modellartig mögliche Interaktionssituationen zwischen zwei Personen bzw. in Kleingruppen hinsichtlich ihrer Macht- und Statusrelation skizziert und auf ihre emotionalen Konsequenzen hin analysiert werden. Der Bezug zur Meso- bzw. Makroebene kann jedoch auch bei diesem Ansatz hergestellt werden, da der soziale Standort gesellschaftlicher Gruppierungen (also etwa auch ein gesellschaftliches Segregationsmodell) in die Analyse einbezogen werden kann. Im Folgenden sollen beide Zugänge anhand der Arbeiten ihrer Hauptvertreter und -vertreterinnen und daran anknüpfender Diskussionen vorgestellt werden, um die Grundideen dieser Art einer Soziologie der Emotionen verdeutlichen zu können.
4.1. Der positivistische Ansatz 4.1.1. Macht und Status als Determinanten des Gefühls – Theodore D. Kemper Für Kemper, der mit seiner 1978 erschienenen Social Interactional Theory of Emotions zu den Gründervätern der neueren Soziologie der Emotionen zählt, sind Emotionen das Ergebnis realer oder vorgestellter sozialer Beziehungen. Dieser Ansicht zufolge führen spezifische soziale Situationen zu spezifischen physiologischen Zuständen, die als spezielle Emotionen empfunden werden.5 Es lässt sich hier eine Nähe zur Bewertungstheorie der Emotionen und die an William James anschließende Debatte erkennen, in der die Frage, ob es die somatischen Zustände sind, die uns eine bestimmte Emotion empfinden lassen, oder unsere kognitiven Bewertungen dieser Zustände, behandelt wurde. Kemper definiert Emotionen in Anlehnung an Magda Arnolds Konzept: „Emotion is a relatively short-term evaluative response essentially positive or negative in nature involving distinct somatic (and often cognitive) components.“6 Im Vordergrund stehen bei Kemper primäre Emotionen (z. B. Angst, Wut oder Freude), die kulturübergreifend weitgehend gleich ausgedrückt und wiedererkannt werden und bei denen eine entsprechend universale physiologische Verankerung vermutet wird. Daneben spielen aber auch sekundäre Emotionen (wie Schuld, Scham, Stolz) eine wichtige Rolle in sozialen Beziehungen, allerdings sind diese Emotionen weit kulturabhängiger als die primären Emotionen, d. h. ihr bewusstes Erleben setzt aus Sicht Kempers kognitive Bewertungsprozesse der zugrundeliegenden physiologischen Muster voraus. Kemper konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Analyse der sozialstrukturellen Ausgangsbedingungen, unter denen physiologische Erregungsmuster entstehen und auch eine
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Vgl. Illouz, Der Konsum der Romantik. – Zu früheren Wurzeln und zur allmählichen Entwicklung des Konzeptes der Liebesheirat vgl. auch Saße, Die Ordnung, S. 13–59. Zum Folgenden vgl. auch Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 124–137. Kemper, Interactional Theory, S. 47.
4. Die Prägung der Emotionen durch das Soziale
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bestimmte Deutung erfahren. Diese Konzentration auf quasi von außen beobachtbare und theoretisch rekonstruierbare Faktoren der Situation hängt mit Kempers Ziel zusammen, ein Modell zu erstellen, das die Prognose emotionalen Verhaltens gestattet.7 Die Perspektive der Akteure selbst, d. h. ihre subjektive Deutungsleistung, wird hierbei – im Gegensatz zum konstruktivistischen Zugang – vernachlässigt und im Sinne der Modellökonomie durch möglichst wenige ‚von außen‘ zu beschreibende Faktoren zu ersetzen versucht. Voraussetzung für Kempers Herleitung der Emotionen aus sozialen Ursachen ist ein Modell zwischenmenschlicher Interaktion, das von zwei Grunddimensionen ausgeht: Status und Macht.8 Es sind bestimmte (meistens gemeinsame) Ziele, die Menschen miteinander interagieren lassen und deren Erreichung sowohl die Lösung einer Reihe ‚technischer‘ Probleme im weitesten Sinne verlangt als auch die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zu koordinieren und aufrechtzuerhalten. Kemper knüpft hier an die bereits von Vertretern des StrukturFunktionalismus getroffene Unterscheidung zwischen ‚expressiven‘ und ‚instrumentellen‘ Aufgaben im Rahmen der Interaktion an. Die Zusammenarbeit bei der Aufgabenbewältigung kann entweder freiwillig geschehen oder von einer Seite erzwungen werden. Macht wird von Kemper im Sinne Max Webers als die Chance verstanden, den eigenen Willen auch gegen Widerstand anderer durchsetzen zu können; sie impliziert – um dieses Ziel zu erreichen – auch Handlungen, die auf die Ausübung von Zwang, Gewalt, Drohung und Bestrafung gerichtet sind, und denen der Interaktionspartner vermutlich zu entkommen versuchen wird. Status unterscheidet sich laut Kemper von Macht durch den Aspekt der Freiwilligkeit. In den von Status gekennzeichneten Beziehungen tauschen Menschen Gunstbeweise miteinander aus, d. h., sie kooperieren freiwillig miteinander, was auch die zeitweilige freiwillige Unterordnung der eigenen Bedürfnisse unter jene des wertgeschätzten Anderen inkludiert. In jeder Interaktion werden Macht- und/oder Statusressourcen aktiviert und dabei auch entweder vermehrt oder verringert. Hierbei kann es dazu kommen, dass manche Akteure weniger (oder auch mehr) Status (in Form von Gunstbeweisen) erhalten als sie sich erwarteten.9 Kemper folgt hier den Konzepten der klassischen Austauschtheorie, wie sie George Caspar Homans oder Peter Blau vorgelegt haben. Allerdings betont Kemper, dass für ihn nicht die aus der Interaktion für den einzelnen Akteur ableitbaren Belohnungen oder Bestrafungen im Vordergrund der Analyse stehen, sondern vor allem die Art, wie diese Belohnungen/Bestrafungen erzielt wurden, d. h., ob sie aus einer freiwilligen oder erzwungenen Kooperation stammen. „Although the behavior of one actor may be rewarding to another actor, that behavior may be an act of love or the bitterest gall to the actor who performs it. (…) It makes a very great difference for the course of the relationship and the emotions engendered if the ‚rewarding‘ behavior is given as status or is coerced by power.“10 Geht man von einer einfachen Zweierbeziehung aus, gilt es zunächst, den Status von ego und alter sowie die Macht von ego und alter zu bestimmen. Im Rahmen der Interaktion können nun sowohl ego als auch alter Machtgewinne bzw. -verluste und Statusgewinne bzw. -verluste erleiden oder auch ihr jeweiliges Macht- und Statusniveau stabilisieren. Hierbei ist selbstverständlich zu beachten, dass ein Gewinn oder Verlust von Macht/Status bei ego das
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Zur Aufgabe der Soziologie, eine Prognose von Emotionen (als Resultat bestimmter sozialer Situationen) vorzunehmen, vgl. auch Kemper, Predicting emotions, S. 59–60. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 26ff, S. 36–42. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 29–34; – Kemper, Social Relations and Emotions, S. 211–212. Kemper, Interactional Theory, S. 35.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
genaue Gegenteil bei alter bewirkt. Man muss außerdem noch unterscheiden, wer als der Initiator einer Interaktion empfunden wird (ego, alter oder ein Dritter). Die Frage, wer eine Interaktion, in der es zum Austausch von Ressourcen kommt, beginnt, hat entscheidenden Einfluss darauf, welche Emotionen von den Beteiligten empfunden werden. Ein Beispiel hierfür: A liebt B. Wenn B sich abwendet und die Liebe von A nicht erwidert, stellt es einen Unterschied für die Emotionen, die A empfinden wird, dar, je nachdem, ob er sich selbst die Schuld für die Ablehnung durch B gibt, ob er B’s Wankelmütigkeit als ausschlaggebend ansieht, oder ob er gar die Abwendung B’s auf einen Einfluss von C zurückführt. A wird wahrscheinlich Schuldgefühle empfinden, wenn er die Ablehnung von B auf sich selbst zurückführt. Gibt er B die Schuld, wird er vermutlich Ärger empfinden. Sieht er C als Urheber der Zurückweisung durch B an, wird er vermutlich Eifersucht verspüren.11 Kemper unterscheidet drei Typen von Emotionen, die im Zusammenhang mit den Macht-Status-Relationen der Akteure auftreten können. Strukturelle Emotionen leiten sich aus relativ stabilen Status- und Machtbeziehungen ab. Die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, die die beteiligten Akteure hinsichtlich ihrer Macht-Status-Beziehung verspüren, bildet den Ausgangspunkt für die folgenden Interaktionen und färbt diese entsprechend. Antizipatorische Emotionen ergeben sich aus im Voraus erdachten strukturellen Veränderungen in Beziehungen, die Folge eines noch nicht in Gang gesetzten, aber geplanten Interaktionsprozesses sein können. Resultierende Emotionen sind schließlich das Ergebnis einer tatsächlich durchgeführten Interaktion und der sich daraus ergebenden veränderten Macht-Status-Beziehung.12 Hinsichtlich der strukturellen Emotionen, die hier etwas ausführlicher dargestellt werden sollen, um die prinzipielle Ausrichtung des Kemper’schen Ansatzes zu verdeutlichen, kann man ego und alter unter dem Gesichtspunkt beschreiben, ob sie aus ihrer Sicht jeweils zu viel, zu wenig oder adäquat mit Macht/Status ausgestattet sind, und ob sie sich jeweils selbst oder den anderen für die Macht-/Statusausstattung verantwortlich machen. Kemper weist darauf hin, dass die subjektive Einschätzung der Ressourcenausstattung als maßgeblich für die entstehenden Gefühle angenommen wird, und nicht die Sicht eines an der Interaktion nicht beteiligten, ‚neutralen‘ Beobachters, der eventuell zu völlig anderen Beurteilungen kommen könnte (wie dies jedoch empirisch umgesetzt werden kann, bleibt bei Kemper offen).13 Empfindet ego zum Beispiel die eigene Machtposition als adäquat, so wird ego Sicherheit gegenüber alter verspüren, da er/sie glaubt, sich in Auseinandersetzungen auf die eigenen Ressourcen verlassen zu können (an dieser Orientierung an möglichen zukünftigen Interak-
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Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 44–47. Auf diesem Weg führt Kemper auch indirekt die Situationsdeutungen von Akteuren in seine Matrix ein, ohne sich über die Frage, wie diese von der Sozialforschung valide erfasst werden können, Gedanken zu machen. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 49. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 51. Hier wird bereits ein methodisches Problem des Kemper’schen Ansatzes deutlich: Im Rahmen empirischer Überprüfungen müssten zuerst Informationen von den Akteuren über ihre persönliche Ressourceneinschätzung eingeholt werden, um dann eine Prognose ihrer wahrscheinlich in bestimmten Interaktionen verspürten Gefühle vornehmen zu können. Bei der Ex-Post-Analyse von Studiendaten (die Kemper als Beleg für seine Theorien verwendet), werden diese Informationen jedoch zumeist nicht separat erhoben, sondern aus der Situationseinschätzung vonseiten des wissenschaftlichen Beobachters abgeleitet (es werden z. B. Statusunterschiede zwischen Experimentator und Klient angenommen, ohne zu überprüfen, ob dies auch der Einschätzung der Beteiligten entspricht).
4. Die Prägung der Emotionen durch das Soziale
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tionen wird der fließende Übergang zwischen strukturellen und antizipatorischen Emotionen deutlich). Verfügt ego über mehr Macht als alter und sieht er sich selbst als verantwortlich für diesen Machtüberschuss, könnte ein Gefühl der Schuld das Resultat sein. Wird hingegen alter als verantwortlich für das zu große Machtpotential von ego gesehen, könnte ein Gefühl des Größenwahns das Resultat sein. Eine übersteigerte Machtposition erzeugt – eine typische Sozialisation vorausgesetzt – Kemper zufolge normalerweise Schuldgefühle beim Inhaber dieser Position. Je nachdem, wer als Auslöser für eine übersteigerte Machtausübung gesehen wird, können diese Schuldgefühle jedoch unterschiedlich zum Ausdruck gelangen bzw. kompensiert werden. Größenwahn ist aus Sicht Kempers ein Versuch, die eigenen Schuldgefühle zu kompensieren, indem dem ‚Opfer‘ eine Mitschuld am eigenen, übersteigerten Machtgebrauch attestiert und somit das unangenehme Gefühl der Schuld gemildert wird. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass das Opfer als bestrafungswürdig angesehen, und ego selbst auf diese Weise nur zum Werkzeug der gerechten Bestrafung wird.14 Neben den verschiedenen Kompensationsformen von Schuld spielt auch Angst in Situationen mit übersteigertem Machtgebrauch eine wichtige Rolle, da der die Macht gebrauchende Akteur theoretisch jederzeit mit der Rache des unterlegenen anderen konfrontiert sein kann. Angst entsteht auch, wenn ego das eigene Machtpotential als ungenügend empfindet. In Anlehnung an Freud beschreibt Kemper die Emotion der Angst als ein Resultat der möglichen Unterdrückung eigener Wünsche (bei Freud vor allem sexueller Art) durch andere. Auch hier macht es nach Kemper einen Unterschied, wer von ego als verantwortlich für das eigene ungenügende Machtpotential angesehen wird. Führt ego seine Unterlegenheit auf sich selbst zurück, sind es vor allem Gefühle der Unsicherheit und Hilflosigkeit, die das Gefühl der Angst begleiten. Wird der andere als verantwortlich für die geringe Machtausstattung gesehen (indem in den vorhergegangenen Interaktionen, die die Grundlage für die aktuelle Machtausstattung bilden, ein übermäßiger Machtgebrauch von alter angenommen wird), so kann das Gefühl der Angst durch Ärger und Feindseligkeit dem anderen gegenüber begleitet sein, was schließlich auch zu einem anarchisch-rebellischen Verhalten (das seinerseits wieder ein Machtverhalten ist) führen kann; d. h. trotz der geringen Machtausstattung versucht ego gegen die Wünsche oder Forderungen des anderen aufzutreten. Ein typisches Beispiel hierfür wäre die Rebellion Jugendlicher gegen die elterliche Autorität. Kemper sieht in diesen Versuchen, Macht auch bei ungünstiger Ausgangslage mit Gegenmacht zu beantworten, eine Chance, den Machtgebrauch des anderen einzudämmen. Übersteigerter Machtgebrauch vonseiten des anderen tritt vor allem dann auf, wenn der potentiell Unterlegene seine mangelnde Möglichkeit zur Gegenwehr sichtbar werden lässt.15 Hier ergibt sich ein Bezug zum oben beschriebenen Größenwahn – wenn der andere keinen Widerstand zeigt, fällt es dem Macht gebrauchenden ego um so leichter, dem anderen die Schuld für dessen Unterlegenheit zuzuschieben und somit das potentiell aufkommende Gefühl eigener Schuld zu kompensieren; weiterer übermäßiger Machtgebrauch kann die Folge sein. Fatale Kreisläufe übermäßigen Machtgebrauchs können demzufolge ausgelöst werden, wenn der unterlegene Akteur seine Machtlosigkeit auf seine eigene Hilflosigkeit zurückführt und nicht als überzogenen Machtgebrauch von alter erkennt.16
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Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 50–55. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 57–58. Derartige Mechanismen dürften auch bei Mobbing-Prozessen zum Tragen kommen, in denen die Betroffenen Zeit benötigen, um zu erkennen, dass es sich bei den gegen sie gerichteten Handlungen um ein ungerecht-
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
Bei der Analyse der Statusdimension geht Kemper ähnlich vor wie bei der Diskussion der Machtdimension und ihrer emotionalen Konsequenzen. Je nachdem, wer als verantwortlich für die eigene mangelnde oder überlegene Ausstattung mit Status (in Form freiwilliger Gunstbeweise anderer) angesehen wird, ergeben sich unterschiedliche Gefühlszustände. Wird der eigene Status als adäquat empfunden, verspürt ego Freude. Dabei ist es nach Kemper wichtig, dieses Adäquat-Empfinden – ähnlich wie in der klassischen Austauschtheorie – immer als Ausdruck eines relativen Gerechtigkeitsempfindens zu sehen, d. h. einer Orientierung an dem, was einem im Vergleich mit gleichwertigen Anderen verdienterweise zusteht.17 Wer ein Zuviel an Status erhält, wird ein Gefühl der Scham empfinden. Depression ist aus Sicht Kempers die Konsequenz, wenn jemand zu wenig Status zugewiesen bekommt. Auch hier erhält das Grundgefühl eine entsprechende Färbung, die davon abhängig ist, ob sich ego selbst für den Mangel an freiwilliger Zuwendung durch andere verantwortlich macht oder die Ursache dafür bei den anderen sucht. Alter ist zwar immer der notwendige Geber der Gunstbeweise, es macht jedoch einen Unterschied aus, wie seine Gunstverweigerung von ego gedeutet wird. Apathie, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind die Folge, wenn ego sich selbst als Ursache der mangelnde Aufmerksamkeitsbezeugungen anderer sieht – gewissermaßen sich als einer besseren Behandlung trotz entsprechender Erwartungen letztendlich als unwürdig empfindet. Das depressive Gefühl kann hingegen in Ärger und Feindseligkeit umschlagen, wenn alter als verantwortlich für den Mangel an gerechterweise erhofften Gunstbeweisen gesehen wird – wobei die Feindseligkeit nicht unbedingt direkt gegen den anderen, sondern zum Teil auch gegen das Selbst gerichtet sein kann (vor allem dann, wenn ego aus Angst vor weiterem Statusentzug seinen Ärger gegenüber alter nicht offen zeigen kann).18 Kemper verbindet mit seinem Modell den Anspruch universeller Gültigkeit, das heißt, Macht und Status sollten die zentralen Faktoren bei der Erklärung von Gefühlszuständen infolge sozialer Beziehungen sein (unabhängig von Geschlecht, Alter, der ethnischen oder klassenmäßigen Zugehörigkeit der Akteure).19 Auch kulturelle Unterschiede sollen – dem Anspruch nach – bei der Aktivierung bestimmter Emotionen durch spezifische Macht-Status-Relationen keine Rolle spielen. So ist es nach Kemper zwar möglich, dass die Trauerzeit und die Art des Ausdrucks der Trauer nach dem Tod eines geliebten Menschen kulturell variieren, jedoch würde der Verlust (der auch ein Verlust im Sinne des Statusbegriffs ist, da Zuwendungen – materieller oder immaterieller Art – vonseiten des Verstorbenen unwiederbringlich verloren sind) überall mit Trauer beantwortet werden.20 Aus Kempers Sicht sind es also
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fertigtes Verhalten anderer handelt, sodass sie erst spät – nachdem die Situation bereits eskaliert ist, d. h. ein übermäßiger Machtgebrauch alters vorliegt – professionelle Hilfe suchen. Zum Thema Mobbing und Emotionen vgl. Mittelstaedt, Mobbing. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 59. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 63–66. Vgl. Kemper, Social Relations and Emotions, S. 224– 225. Kemper skizziert hier sehr holzschnittartig die möglichen emotionalen Konsequenzen eines durch den Tod geliebter Menschen herbeigeführten Statusverlustes. Trauer kann, abhängig von den jeweiligen Umständen des Todes, auch mit anderen Emotionen vermischt oder sogar von ihnen überlagert werden. Denkbar wäre beispielsweise auch ein Gefühl der Wut über die unwiederbringlich verlorenen ‚Gunstbeweise‘ des geliebten anderen. ‚Irrationale‘ Wut auf den Verstorbenen, der einen (zwar unwillentlich aber doch) verlassen hat, ist ebenso denkbar wie Wut auf Dritte (etwa Ärzte), die nicht ausreichende Vorkehrungen für das Überleben des Geliebten getroffen haben. Selbst wenn man Kempers Interpretation des Todes als Statusverlust für die
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eindeutig sozialstrukturelle Beziehungen, die Emotionen (und deren körperliche Symptome) bewirken, und nicht kulturelle Muster. Allerdings entfalten kulturelle Normen sehr schnell Wirksamkeit, indem sie unmittelbar nach einer Veränderung der Status-/Machtbeziehung unterschiedliche Coping-Strategien aktivieren können.21 Im Vordergrund von Kempers Analysen steht die Bewertungsdimension des Emotionalen, d. h. die emotionale Reaktion eines Akteurs auf seine Umgebung auf der Grundlage von Status- und Machtbeziehungen. Kemper beachtet hierbei explizit auch die körperliche Dimension des Emotionsgeschehens, während die Erlebnisdimension und die Ausdrucksdimension vernachlässigt werden. Die Handlungsdimension spielt nur indirekt eine Rolle, da Emotionen ein bestimmtes Verhalten zur Folge haben können, das auch die weiteren Macht-StatusBeziehungen verändern kann.
4.1.2. Kritik und Erweiterung des Kemper’schen Modells Berücksichtigt man außer den strukturellen Emotionen auch noch die antizipatorischen22 und die resultierenden Emotionen, so kommt man den Berechnungen von Kemper zufolge letztendlich auf 252 mögliche Beziehungskonstellationen, die sich rein schematisch in einer Zweierbeziehung ergeben können.23 Obwohl Kemper einige Modifikationen seines Modells vorschlägt und eine Reihe von Konstellationen als vernachlässigbar bezeichnet, bleibt auch in seinem reduzierten Modell eine kaum zu handhabende Zahl an Beziehungskonstellationen übrig. Ein Problem hierbei ist, wie Kemper selbst auch feststellt, die Tatsache, dass zwar prinzipiell alle möglichen Macht-Status-Kombinationen zwischen ego und alter und die daraus resultierenden Gefühlszustände modellierbar sind, dass es jedoch schwierig sein wird, die sich in der Matrix ergebenden Gefühlszustände auch sprachlich adäquat zu benennen. Neben der prinzipiellen Frage, ob der Mensch nur dazu fähig ist, das zu fühlen, was er auch sprachlich repräsentieren kann, oder ob er auch jenseits des sprachlichen Bewusstseins Wahrnehmungen (vor allem affektiver Art) haben kann, ergibt sich hier ein erhebliches empirisches Problem: Es fällt den meisten Menschen nicht besonders leicht, über ihre Gefühle
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Hinterbliebenen akzeptiert, lässt sich keine zwingende Argumentation für Trauer als einzig sich ergebendem Gefühl ableiten. Vgl. Kemper, Social Relations and Emotions, S. 227– 228. Antizipatorische Emotionen spielen aus Sicht Kempers vor allem dann eine Rolle, wenn eine gegebene MachtStatus-Relation nicht als adäquat empfunden wird und mit Veränderungsversuchen von ego oder alter in nächster Zukunft gerechnet werden muss. Antizipatorische Emotionen können als gefühlsmäßige Haltungen gegenüber dieser Zukunft beschrieben werden, die von zwei Komponenten bestimmt werden. Eine Grundlage bilden die vergangenen Erfahrungen (Erfolge oder Misserfolge), die entweder zu einer optimistischen oder pessimistischen Haltung gegenüber der Zukunft führen. Man könnte diese, aus vergangenen Erfahrungen resultierende Komponente auch mit den oben beschriebenen, von Collins/Barbalet näher diskutierten Hintergrundgefühlen, die eine Voraussetzung für soziale Situationen bilden, vergleichen. Neben diesem gefühlsmäßigen Grundton gegenüber der Zukunft spielen auch die aktuellen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle für die letztendlich verspürten antizipatorischen Emotionen. Das Resultat der Abwägung dieser Rahmenbedingungen ist entweder ein grundsätzliches Vertrauen oder ein Misstrauen gegenüber der eigenen Fähigkeit, sich in den wahrscheinlich folgenden Interaktionen durchzusetzen. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 74–75. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 80. – Vgl. auch Gerhards Zweifel an der empirischen Umsetzbarkeit des Kemper’schen Modells: Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 133.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
zu sprechen; wie viel schwerer muss es ihnen erst fallen, wenn sie korrekte sprachliche Ausdrücke für die von Kemper modellierten und möglicherweise tatsächlich von ihnen verspürten Gefühlsschattierungen in empirischen Befragungen finden sollen?24 Was die Prognose von in bestimmten Situationen aller Wahrscheinlichkeit nach auftretenden Emotionen anbelangt, ergeben sich, wie bereits erwähnt, einige Probleme für die empirische Umsetzung des Kemper’schen Modells. In konkreten Situationen kommt es darauf an, die tatsächlichen Deutungen der Individuen und ihre Vorstellungen darüber, wer z. B. als verantwortlich für eine bestimmte Ressourcenausstattung gesehen wird, zu erfassen. Aus der Perspektive eines Außenstehenden mögen sich manche Sachverhalte anders ausnehmen als aus der Perspektive von Betroffenen, die stets auch bereits vergangene Situationen (ihre bisherige Beziehungsgeschichte und daraus resultierende Ressentiments etwa), die einem Außenstehenden möglicherweise nicht bekannt sind, in ihre gegenwärtigen Einschätzungen miteinbeziehen. Ob die von Kemper erörterten kulturellen und sozialstrukturellen Verortungen der Individuen eine hinreichende Grundlage für exakte Prognosen typischer emotionaler Reaktionen liefern können, sei hier dahingestellt. Die Länge einer bisher zwischen zwei Personen bestehenden Beziehung kann die (auch über Macht- und Statusressourcen beschreibbare) Struktur der Beziehung zwischen den Handelnden gegenüber vergleichbaren kürzeren Beziehungen stark modifizieren. (Man denke an die eindeutig durch Status- und Machtunterschiede gekennzeichnete Beziehung zwischen einem Hausangestellten und seinem Arbeitgeber. Ein lange bestehendes Arbeitsverhältnis, das auch mit gefühlsmäßigen Bindungen einhergeht, kann dem Statusuntergebenen ein anderes (u. U. durch geringere Gunstbeweise gekennzeichnetes) Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber erlauben als etwa vergleichbare kürzere Beziehungen.) Ohne die Kenntnis der bisherigen Beziehungsstruktur sind Fehlprognosen daher sehr wahrscheinlich.25 In Kempers stark vereinfachendem Modell sind Emotionen relativ fixe Phänomene, die sich als Resultat bestimmter struktureller Beziehungsgeflechte ergeben. Variationen im Emotionsausdruck (zum Beispiel die Unterdrückung von Emotionen aufgrund sozialer Konventionen) oder gar die Folgen der Emotionen für die weiteren Interaktionen werden von Kemper kaum berücksichtigt. Die Starrheit seiner Konzeption ergibt sich nicht zuletzt aufgrund der von ihm angenommenen fixen physiologischen Verankerung der Emotionen, womit er einer der wenigen Soziologen ist, der relativ früh versuchte, die Erkenntnisse der Biowissenschaften in seine Konzeption mit einzubeziehen.26 Kemper interessierte sich vor allem für die Koppelung bestimmter Hormone mit spezifischen emotionalen Zuständen, so etwa der Verbindung des Noradrenalins mit Ärger und des Adrenalins mit Furcht oder Angst, wie es noch 1955 von David Funkenstein angenommen wurde.27 Wie Gerhards al-
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Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 82–85. Vergleichbar ist dieses Argument der notwendigen Berücksichtigung der zeitlichen Dauer von Beziehungen mit der von Gerhards vorgenommenen Ergänzung der Kemper’schen Ideen im Hinblick auf die Kategorie der Distanz. Neben den Macht- und Statusunterschieden werden die in bestimmten Situationen aufkommenden Gefühle sich auch dahin gehend unterscheiden, ob sich ego und alter in einem Naheverhältnis zueinander befinden oder nicht. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 142–145. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 230–231. Vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 217.
4. Die Prägung der Emotionen durch das Soziale
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lerdings feststellt, sind die physiologischen Befunde, auf die Kemper sich stützte, mittlerweile überholt.28 Vor allem die behauptete Hervorrufung einer bestimmten Emotion durch die Ausschüttung eines speziellen Hormons wurde durch verschiedene Versuche infrage gestellt. Kritik des Kemper’schen Ansatzes kam vor allem aus dem Lager der interaktionistisch orientierten Soziologen, die eine fixe Verknüpfung bestimmter Emotionen mit einer bestimmten sozialstrukturellen Position der Akteure ablehnen. Interaktionistische Emotionskonzepte gehen davon aus, dass die Aktivierung von Emotionen das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses ist. Die Interaktion selbst hat einen entscheidenden Einfluss darauf, welche Emotionen gespürt und letztlich gezeigt werden, und zwar relativ unabhängig von den sozialstrukturellen (und auch physiologischen) Vorbedingungen. Es ist – verkürzt gesagt – eben nicht nur die Status-Macht-Relation, die entscheidet, welche Emotionen verspürt werden, sondern ein ganzes Arsenal an Bedingungsfaktoren, die in konkreten Interaktionen die Art der aufkommenden Gefühle und der letztlich dem Gegenüber gezeigten Emotionen beeinflussen. Status- und Machtbeziehungen können hierbei natürlich eine wichtige Rolle spielen, jedoch sind es nicht diese strukturellen Beziehungen selbst, die bestimmte Emotionen auslösen, sondern die Interpretationsleistungen der Betroffenen, die sich, gewissermaßen als Filter, zwischen die Sozialstruktur und die entstehenden Gefühle schieben (und hierbei auch die von Kemper kaum beachtete Ausdrucks- und Erlebnisdimension des Emotionalen bestimmen).29 Insbesondere die physiologische Determination der Emotionen (die für Kemper allerdings nur eine Nebenannahme war, um seine Idee der sozialstrukturellen Bedingtheit der Emotionen auch biowissenschaftlich zu untermauern) wird durch den interaktionistischen Ansatz infrage gestellt. Man stützt sich hierbei auf sozialpsychologische Experimente, die zeigten, dass bei emotionalen Zuständen eine gewisse, allerdings relativ unspezifische Form der physiologischen Erregung vorliegt. Die bewusst empfundene Emotion sei nicht das Resultat eines hormonellen Zustandes, sondern Ergebnis sozial bzw. kulturell gesteuerter Deutung und Bewertung dieses Erregungszustandes. Stanley Schachter und Jerome E. Singer (1962) hatten in ihren Experimenten, wie bereits erwähnt, festgestellt, dass ein hoher Adrenalinpegel allein noch nicht zwingend festlegt, welche Emotion empfunden wird. Der Adrenalinspiegel steigt sowohl bei Ärger als auch bei Freude an. Wie ein Individuum diesen Anstieg interpretiert, hängt nach Meinung der Vertreter des interaktionistischen Ansatzes in der Emotionssoziologie davon ab, welche Interpretation ihm die soziale Situation, in der es sich befindet, nahelegt.30 In der berühmt gewordenen Studie wurde Versuchspersonen Adrenalin gespritzt (den Probanden wurde mitgeteilt, es handle sich dabei um ein Vitaminpräparat). Die Teilnehmer des Versuchs wurden daraufhin in einem Warteraum untergebracht und durch einen einseitig durchsichtigen Spiegel beobachtet. Unter den Probanden befand sich jeweils eine eingeschleuste Person, die in einer Gruppe versuchte, Verärgerung zu erzeugen, indem sie sich negativ über die Wartezeit und das Experiment im Allgemeinen äußerte. In einer anderen Gruppe versuchte die eingeschleuste Person gute Stimmung zu verbreiten, indem
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Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 136–137. – Vgl. hierzu auch Izard, Die Emotionen, S. 424– 425. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 140. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 169–170.
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sie Späße machte. Die Reaktionen der Probanden wurden beobachtet und auch sie selbst anschließend mittels Fragebogen über ihren augenblicklichen Gefühlszustand befragt. Das Ergebnis war, dass tatsächlich nicht das Quantum des Adrenalins, das bei allen gleich war, über die empfundene Emotion entschied, sondern das soziale Umfeld (die Versuchspersonen in der Gruppe des Spaßmachers äußerten Gefühle der Freude und Euphorie, während ihre Kollegen in der Gruppe des Miesmachers glaubten, Ärgergefühle zu verspüren). Schachter und Singer schlussfolgerten daraus, dass die Stärke einer Emotion durch die physiologische Erregung (vor allem die Hormonausschüttung) festgelegt wird, dass aber der Umstand, welche Emotion tatsächlich empfunden wird, von der kognitiven Interpretation der Ursache der Erregung abhänge, die wesentlich durch das soziale Umfeld beeinflusst wird. Die Ergebnisse von Schachter und Singer waren zum Teil sehr umstritten, vor allem das genaue Ausmaß der körperlichen Erregung, die notwendig ist, um eine bestimmte Emotion zu erzeugen, wurde infrage gestellt.31 Für die Soziologie bleibt jedoch der interessante Aspekt der prinzipiell möglichen Deutung/Umdeutung von Emotionen aufgrund des sozialen Umfeldes als Schlussfolgerung aus diesen Experimenten bestehen.
4.2. Der konstruktivistische Ansatz Vertreter eines konstruktivistischen bzw. interaktionistischen Ansatzes beschäftigen sich mit der konkreten Ausformung, Prägung und Modulation von Emotionen in sozialen Interaktionen. Im Hintergrund dieser Arbeiten steht die Überzeugung, dass Emotionen keine fixen ‚Programme‘ sind, die, einmal aktiviert, unabänderlich ablaufen, sondern dass Emotionen und vor allem ihr Ausdruck soziale bzw. kulturelle Filter durchlaufen und in der Interaktion einer Deutung durch die Akteure unterliegen, wie es auch bei anderen Kommunikationsinhalten der Fall ist.32 Basierend auf den Grundannahmen des verstehenden oder interpretativen Paradigmas in der Soziologie wird Wirklichkeit hierbei also prinzipiell als deutungsbedürftig aufgefasst. Im Gegensatz zum weiter oben präsentierten Ansatz von Collins geht es in diesem Abschnitt jedoch nicht um die Frage, wie Emotionen grundlegend zur Prägung sozialer Situationen beitragen, sondern um die Frage, was mit Emotionen in diesen Situationen geschieht, wie sie wahrgenommen, gedeutet und bewusst manipuliert und letztlich durch derartige soziale Praxen erst konstituiert werden. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Ansatz auch die Analyse der sprachlichen Repräsentationen des Emotionsgeschehens, inklusive ihres Wandels. Dahinter steht die Idee, dass es letztlich das ‚Reden‘ über Emotionen ist – das jeweils zugleich auch Ausdruck einer bestimmten kulturellen und sozialen Praxis ist –, das der sozialwissenschaftlichen Analyse zugänglich ist und auch die Ausgestaltung emotionalen
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Vgl. hierzu auch LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 52–54. – Zur ausführlichen Diskussion der Ergebnisse Schachters und Singers durch Kemper vgl. Kemper, Interactional Theory, S. 174–187. Kemper argumentiert sehr plausibel, dass in der gewählten Versuchsanordnung nicht die gewünschten zu beobachtenden Emotionen stimuliert worden waren, sondern Macht- und Statusressourcen der Versuchsteilnehmer auf unterschiedliche Weise durch das Verhalten der Versuchsleiter (z. B. korrekte oder nicht korrekte Informationen über die nach der Injektion spürbaren körperlichen Veränderungen zu geben) tangiert wurden, was entsprechende Gefühlszustände (inklusive ihrer physiologischen Signatur) zur Folge hatte. So sei in der Gruppe des Miesmachers beispielsweise bei den uninformierten Versuchsteilnehmern realer Ärger (und nicht nur durch das Vorbild des Miesmachers entstandener Ärger) über den mit der Situation verbundenen Statusentzug aufgekommen. Vgl. hierzu auch Shott, Emotion and Social Life, S. 1320–1323; – Harré, An Outline, S. 4–8.
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Erlebens im Alltag wesentlich bestimmt. Deutlich wird, dass die Erlebnisdimension im Gegensatz zu den bisher präsentierten Ansätzen hier eine wichtige Rolle spielt. Es ist eine Grundannahme des interpretativen Paradigmas, dass Menschen auf der Grundlage der Bedeutung, die andere Menschen und Dinge für sie haben, handeln.33 Dies gilt auch für Emotionen, die in sozialen Interaktionen auftreten, sie werden diesem Ansatz zufolge erst durch die Bedeutung, die ihnen von den Handelnden zugeschrieben wird, relevant für die jeweilige soziale Situation. Die Entstehung der Bedeutungen ist auch im Fall der Emotionen ein sozialer Schöpfungsakt, d. h. das Ergebnis eines wechselseitigen Interpretations- und Deutungsprozesses. Gefühlsäußerungen werden also von den Akteuren auf die jeweils vorliegende Situation bzw. die bisherige Beziehungsgeschichte hin gedeutet und erhalten erst hierdurch ihre eigentliche Bedeutung. Da vor allem aus Zeitgründen im Alltag Bedeutungen und Situationsinterpretationen nicht immer neu ausgehandelt werden können, orientieren sich die Akteure in vielen Interaktionen allerdings an ‚vorgefertigten‘ Bedeutungsmustern, die aus den Regelmäßigkeiten des Verhaltens heraus entstanden sind und im Sinne von Normen, Rollenvorgaben und Ähnlichem ein gewisses, von konkreten Interaktionssituationen losgelöstes Eigenleben gewonnen haben. Diese Bedeutungsmuster werden im Laufe der Sozialisation vermittelt und sollen den reibungslosen Ablauf alltäglicher Interaktionen gestatten, indem die Handlungen der Akteure bis zu einem gewissen Maß vorhersehbar, berechenbar werden. Eine Grundannahme des konstruktivistischen Ansatzes in der Soziologie der Emotionen ist es, dass sich auch für Emotionen solche, von einer Gemeinschaft akzeptierte, Bedeutungsmuster bilden. Diese Bedeutungsmuster oder Gefühlsregeln grenzen den Spielraum, was und wie in einer bestimmten Situation gefühlt werden soll, ab. Nicht vergessen werden darf hierbei allerdings, dass auch bei der Aktivierung von Bedeutungsmustern der Ausgang einer sozialen Situation nicht vorhergesagt werden kann. Es kann in konkreten Interaktionen immer zu einer Variation vorgegebener Muster kommen bzw. es kann die unhinterfragte Selbstverständlichkeit des Handelns durch außergewöhnliche Ereignisse oder Handlungen einzelner Individuen durchbrochen werden und eine neue Interpretation der Situation erforderlich machen. Auch Emotionen werden daher nicht gemäß den in einer bestimmten sozialen Gruppe herrschenden Gefühlsregeln ausgelebt, sondern immer nur gemäß den Interpretationen und tatsächlichen Aktivierungen dieser Regeln durch die handelnden Akteure. Dies gerät allerdings angesichts der mitunter als sehr strikt erlebten Gefühlsregeln – beispielsweise in bestimmten Dienstleistungsunternehmen – manchmal in Vergessenheit. Ausgeschlossen ist diesem Ansatz zufolge auch (wie oben bereits erwähnt), dass Emotionen einfach durch sozialstrukturelle Bedingungen ausgelöst werden. Die sozialstrukturellen Bedingungen und die gefühlsmäßige Reaktion auf diese unterliegen ebenfalls einem Deutungsprozess durch die Handelnden. Bevor auf die konstruktivistischen Ansätze der Soziologie der Emotionen näher eingegangen wird, soll anhand eines frühen Vertreters des interpretativen Paradigmas gezeigt werden, dass Gefühle bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb dieses Paradigmas explizit berücksichtigt wurden. Charles H. Cooley erwähnt in seiner Diskussion des looking-glass-self explizit das Selbstgefühl des Einzelnen, das dieser aus dem Kontakt mit anderen und seiner Interpretation
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Vgl. Blumer, Symbolic Interactionism, S. 2.
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der Meinung, die diese anderen über ihn haben, entwickelt. Dieses Selbstgefühl (etwa Stolz oder Verlegenheit) wird abgeleitet aus unserer Vorstellung darüber, wie bestimmte andere uns sehen und einschätzen, wobei in diese Vorstellung Annahmen über den jeweils anderen mit einfließen. Hält man den anderen beispielsweise für jemanden, der besonders tapfer ist, so wird das eigene feige Verhalten in einer bestimmten Situation und die vermutete Geringachtung, die dies beim anderen auslöst, zu einem Gefühl der Verlegenheit führen; spiegelt man sich hingegen in den Augen eines anderen, der selbst nicht besonders tapfer ist, wird eventuell nicht Verlegenheit, sondern ein anderes Gefühl die Folge sein. Nicht wie die anderen uns ‚wirklich‘ sehen, ist ausschlaggebend für das entstehende Gefühl, sondern unsere Vorstellungen darüber, wie sie uns sehen.34 Während hier den Vorstellungen über die anderen (d. h. kognitiven Akten) große Bedeutung beigemessen wird und sie als ausschlaggebend für das Aufkommen bestimmter Gefühle angenommen werden, gibt es auch Stellen in Cooleys Arbeiten, in denen Gefühle einen selbständigen Ausgangspunkt für kognitive Leistungen bilden. Die richtige Verwendung der Ausdrücke ‚mein‘ und ‚mich‘ im frühkindlichen Alter wird aus Sicht von Cooley vor allem in der Beziehung zu anderen und durch die bei ihnen beobachteten Gefühle erlernt. Cooley beschäftigt die Frage, wie ein Kleinkind die adäquate Verwendung des Wortes ‚mein‘ erlernen kann, da dieses Personalpronomen – je nachdem, wer es ausspricht – jeweils etwas anderes bezeichnet. Aus Sicht Cooleys bilden bestimmte Wünsche und Bedürfnisse des Kindes sowie die diese Wünsche begleitenden Gefühle, die ein Kind nicht nur selbst verspürt, sondern auch an anderen beobachten kann, die Grundlage für das Erlernen des Personalpronomens. Bei Cooley findet sich hier also explizit der Hinweis auf die Ausdrucksdimension des Emotionalen, deren Interpretation durch die anwesenden Akteure, in diesem Fall durch das Kind, entsprechende Konsequenzen hat und auch zur Erlebnisdimension des Kindes in Bezug gesetzt wird. Das, worauf das Wort ‚mein‘ verweist, ändert sich mit dem jeweils Sprechenden, was jedoch gleich bleibt, ist die gefühlsmäßige Bedeutung dieses Wortes, die ein bestimmtes Streben, einen Besitzwunsch und damit ein Selbstgefühl zum Ausdruck bringen soll. Cooley geht noch weiter und stellt fest, dass die Ausdrücke für sämtliche Emotionen auf ähnliche Weise erlernt werden: Das Kind kennt ein bestimmtes Gefühl aus seinem eigenen Erleben, es beobachtet dieses Gefühl an anderen und lernt von ihnen die adäquate Bezeichnung dafür. „In other words the meaning of ‚I‘ and ‚mine‘ is learned in the same way that the meaning of hope, regret, chagrin, disgust, and thousands of other words of emotion and sentiment are learned: that is, by having the feeling, imputing it to others in connection with some kind of expression, and hearing the word along with it.“35
4.2.1. Das Management des Emotionsausdrucks – Arlie Hochschild Der konstruktivistische Ansatz in der Soziologie der Emotionen soll im Folgenden anhand der Arbeiten einer seiner Hauptvertreterinnen näher erläutert werden. Wie auch im vorigen Kapitel kann in dieser Arbeit nicht der Anspruch auf Vollständigkeit hinsichtlich aller Facetten des konstruktivistischen Ansatzes erhoben werden. Es sollen vielmehr die Grundprinzipien dieser Art einer Soziologie der Emotionen anhand des Hochschild’schen Ansatzes und
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Vgl. Cooley, Human Nature, S. 183–185. Cooley, Human Nature, S. 192.
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der daran geübten Kritik bzw. seiner Weiterentwicklung verdeutlicht werden. Mit dem Erscheinen von Hochschilds Buch The managed heart, im Jahr 1983 (in deutscher Übersetzung 1990), wurde ein Grundstein für die seit damals andauernde Beschäftigung mit Emotionen in der Soziologie der Arbeitswelt (und damit auch für eine stärkere Beachtung von Emotionen durch die Soziologie allgemein) gelegt. Der konstruktivistische Ansatz beinhaltet die Vorstellung, dass Menschen gemäß den in ihrem sozialen Umfeld gültigen Gefühlsregeln Emotionsmanagement betreiben. Passt das eigene Empfinden nicht zu den sozial erwarteten Gefühlsäußerungen, werden Anpassungsschritte gesetzt.36 ‚Sich ein Lächeln verkneifen‘, ‚die Tränen unterdrücken‘ oder ‚die Wut hinunterschlucken‘ sind sprachliche Hinweise auf die Existenz dieser Art von Gefühlsmanagement. Die Beachtung von Gefühlsregeln stellt einen Teil der Anerkennungs- und Respektbekundungen im Rahmen des sozialen Austausches dar. Oder wie Hochschild dies ausdrückt: „Wir verbeugen uns nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Herzen voreinander.“37 Normalerweise versuchen Akteure ihr Empfinden und Verhalten auf die im jeweiligen sozialen Kontext gültigen Gefühlsregeln abzustimmen. Im Rahmen dieser Aktivitäten bemühen sie sich vor allem, Diskrepanzen zwischen dem von ihrer Umgebung erwarteten Gefühlsausdruck und ihrem tatsächlichen Empfinden zu minimieren. Allgemein kann man sagen, dass es Prozesse sozialer Kontrolle sind, die im Rahmen der Sozialisation und in konkreten Alltagssituationen für die Einhaltung und Verfestigung der Gefühlsregeln sorgen. Ähnlich wie bei anderen nicht kodifizierten Normen des alltäglichen Verhaltens wird ihre Einhaltung vor allem durch informelle Sanktionen erwirkt, indem etwa den abweichenden Akteuren gegenüber (verbal oder non-verbal) Missbilligung zum Ausdruck gebracht wird oder sie vom sozialen Kontakt ausgeschlossen werden.38 Gefühlsregeln stehen in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Rollenvorstellungen. Sie stellen Richtlinien dafür dar, welcher Gefühlsausdruck in speziellen Situationen (etwa bei einer Hochzeit oder bei einer Beerdigung) zu zeigen ist, und variieren zudem nach der jeweils eingenommenen Rolle (so gibt es etwa geschlechts-, alters- und berufsgruppenspezifische Gefühlsregeln). Ein Wandel der Rollenbilder hat zumeist auch einen Wandel der Gefühlsnormen zur Folge.39 Hochschild hat sich kaum mit der Nachzeichnung des historischen Wandels von Gefühlsregeln beschäftigt, wenn man einmal von ihren Erörterungen geschlechtsspezifischer Gefühlsregeln und deren Aktualisierung in heutigen Paarbeziehungen absieht.40 Zum Wandel von Gefühlsre-
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Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 74–76. – Zum Folgenden vgl. auch Flam, Soziologie der Emotionen, S. 127–134. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 85. Dieser Ausschluss vom sozialen Kontakt aufgrund eines nicht adäquaten Gefühlsmanagements kann bis hin zur Pathologisierung eines bestimmten Verhaltens reichen. In diesem Zusammenhang kann etwa auf die ‚Modekrankheit‘ der vorletzten Jahrhundertwende, die Hysterie, verwiesen werden, als deren Ursache vor allem unkontrollierte bzw. überkontrollierte Lustgefühle vermutet wurden. Auf die umfangreiche Literatur zur Hysterie, zu ihrem vorrangig geschlechtsspezifischen Erscheinungsbild und ihrem Status als ‚zugeschriebener‘ Krankheit kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden; für weitere Literaturhinweise vgl. Weickmann, Rebellion der Sinne; – sowie Israël, Die unerhörte Botschaft. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 83. – Zu geschlechtsspezifischen Gefühlsregeln vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 134–141. Vgl. Hochschild, Ideology and Emotion Management. – Zur Kritik an Hochschild im Hinblick auf die geringe Beachtung historischer Veränderungen von Gefühlsregeln und der damit verbundenen veränderten Gefühlsarbeit vgl. Wouters, Informalisierung, S. 146–149.
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geln gibt es allerdings umfangreiche Arbeiten vor allem von Historikern – hier sei etwa auf die Arbeit von Stearns und Lewis verwiesen.41 Neben dem historischen Wandel wird von Hochschild auch die Frage, wie es überhaupt zur Ausbildung von Gefühlsregeln kommt, kaum behandelt. In der von ihr skizzierten kommerziellen Gefühlsarbeit sind es vor allem die Profitüberlegungen von Unternehmen, die zur Ausbildung von Gefühlsnormen für die Angestellten führen. Zurückzuführen ist diese Kurzsichtigkeit der Hochschild’schen Perspektive auf die Konzentration ihrer Arbeit auf Face-to-Face-Beziehungen bzw. die Mikroebene sozialer Prozesse. Formationssoziologische Überlegungen – etwa im Sinne von Norbert Elias – wären hier eine sinnvolle Ergänzung des konstruktivistischen Ansatzes, da sie es erlauben, in historischer Perspektive die Genese und den Wandel von Affektregulationen theoretisch nachzuzeichnen und somit die längerfristig wirkenden makrosoziologischen Umstände der Entstehung von Gefühlsregeln aufzudecken. Hochschild unterscheidet im Rahmen des von ihr untersuchten alltäglichen Emotionsmanagements zwei grundlegende Arten von Aktivitäten: das deep-acting und das surface-acting. Ziel des deep-acting ist es, die erwarteten Emotionen mit der eigenen Befindlichkeit in Einklang zu bringen. Im Unterschied dazu versucht man beim surface-acting nur nach außen hin den Eindruck der passenden Emotion zu vermitteln – vergleichbar mit Goffmans Ausdruckskontrolle und den von ihm beschriebenen Selbstinszenierungen.42 Prozesse des deep-acting, aber auch des surface-acting, spielen bei zahlreichen modernen Dienstleistungsberufen eine wichtige Rolle. Hochschild prägte den Ausdruck Gefühlsarbeit für diese Tätigkeiten und unterschied diese somit von Beeinflussungen des Gefühlsausdruckes im privaten Bereich: „Ich benutze den Ausdruck Gefühlsarbeit (emotional labor) im Sinne eines Managements der Gefühle, das darauf bedacht ist, einen öffentlich sichtbaren Körper- und Gesichtsausdruck herzustellen; Gefühlsarbeit wird gegen Lohn verkauft und besitzt daher Tauschwertcharakter. Der Ausdruck Gefühlsmanagement (emotion management) bezieht sich auf dieselben Handlungen der Gefühlsbeeinflussung im privaten Bereich, in dem ihnen ein Gebrauchswertcharakter zukommt.“43 (Hervorhebungen im Original) Beschäftigte in Berufsgruppen, die sich durch starken Kundenkontakt auszeichnen, sind besonders von der Notwendigkeit betroffen Gefühlsarbeit zu leisten. Der Beruf der Flugbegleiterin ist ein Beispiel für eine solche Tätigkeit. Der Erfolg einer Fluglinie hing zur Zeit des Erscheinens von Hochschilds Buch stark davon ab, dass sich die Fluggäste an Bord wohlfühlen, weshalb Kundenfreundlichkeit eine der wichtigsten Maximen der Unternehmen darstellte. Hochschild illustriert, wie Gefühlsarbeit von den Angestellten explizit gefordert wird, anhand der in den 1970erJahren üblichen Schulungsprogramme einer Fluglinie, in denen Stewards und Stewardessen darauf vorbereitet wurden, auch in schwierigen Situationen ‚die Nerven zu behalten‘ und freundlich zu bleiben. Hierbei wurde auf Prozesse des deep-acting zurückgegriffen: Die Angestellten lernten dabei eine Situation umzuinterpretieren, um die von ihrer Fluglinie gewünschten Gefühle erzeugen zu können. Stewardessen wurden z. B. dazu angehalten, sich vorzustellen, sie seien in der Rolle einer privaten Gastgeberin, die es sich zum Ziel mache, alle ihre Gäste zufriedenzustellen und es als persönliches Versagen empfinden würde, wenn
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Vgl. Stearns, Lewis, An emotional history of the United States. – Vgl. hierzu auch die Hinweise bei Flam, Soziologie der Emotionen, S. 145–149. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 53. – Vgl. auch Goffman, Wir alle spielen Theater, S. 48–54. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 30.
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ihr dies nicht gelänge. In den Gesichtern der Kunden sollte nach Ähnlichkeiten mit Freunden oder Verwandten Ausschau gehalten werden, um sympathische Gefühle leichter erwecken bzw. vorspielen zu können. Belästigungen vonseiten der Fluggäste sollten in der Art uminterpretiert werden, dass sie als Ausdruck verdeckter Angst vor dem Fliegen und der Suche nach Aufmerksamkeit zu sehen seien. Auf diese Weise sollte es den Stewardessen erleichtert werden, Gefühle des Ärgers zu unterdrücken und Freundlichkeit aufrechtzuerhalten.44 Während Stewardessen Beispiele für Gefühlsarbeiterinnen sind, die vorwiegend positive Gefühle erzeugen müssen, sind Angestellte in Inkassobüros oder Rechnungsabteilungen Beispiele für Berufsgruppen mit einer gegenläufig ausgerichteten Gefühlsarbeit. Für Mitarbeiter von Inkassobüros überwiegt im Umgang mit zahlungssäumigen Kunden die Notwendigkeit, negative Gefühle auszudrücken und beispielsweise Ängste aufseiten des Kunden zu erzeugen, die diesen zur Zahlung des fehlenden Betrages veranlassen.45 Wouters hat auf die mittlerweile auch bei Fluglinien veränderte Rekrutierungs- und Schulungspraxis des Personals verwiesen.46 Hochschilds Ausführungen sind daher heute vor allem als idealtypische Beispiele für die Art, wie kommerzielle Gefühlsarbeit aussehen kann, zu lesen. Von Bedeutung sind hierbei vor allem jene Gefühlsmanagement-Techniken, in denen durch bestimmte Vorstellungen versucht wird, das eigene Empfinden zu verändern.47 Die kognitiv-willentliche Beeinflussung des Gefühlslebens steht hier also im Vordergrund. Im Prinzip arbeiten auch die derzeit stark nachgefragten Selbstmanagementprogramme, wie etwa das neurolinguistische Programmieren (NLP) oder die Trainingsangebote aus dem Umkreis des ‚Emotionale-Intelligenz‘-Konzeptes, mit ähnlichen kognitiven Techniken der Selbstüberzeugung.48 Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Strategien, die beim deepacting zum Einsatz gelangen können. In den letzten Jahren sind vor allem jene Methoden, bei denen über eine Manipulation der Physiologie eine Veränderung des Gefühlserlebens erreicht werden soll, diskutiert worden. Im Sinne der Facial-Feedback-Hypothese kann bereits die Veränderung des Gesichtsausdruckes (das Zeigen eines Lächelns) die eigene Stimmung in einer Situation verändern. Surface-acting geht hier in deep-acting über. Die Bandbreite der möglichen physiologischen Manipulationen reicht außerdem von Entspannungstechniken bis hin zum Einsatz von Psychopharmaka.49 Im letzten Fall wäre zu fragen, ob das Schlucken von Medikamenten noch ‚Gefühlsmanagement‘ im Sinne Hochschilds darstellt, da hier nicht der Akteur aktiv am Gefühl(-sausdruck) arbeitet, sondern auf das Wirken eines Medikamentes vertraut – welches allerdings motiviert durch den Wunsch, kulturell und sozial er-
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Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 100–106. Hochschild zeichnet ein sehr plakatives Bild der geschlechtsspezifischen Verteilung von Gefühlsarbeit, das weder in den 1970er-Jahren in dieser Eindeutigkeit existierte, noch nahtlos in die heutige Zeit transferiert werden kann. Allerdings ist dieses Bild geeignet, um die prinzipiell auch geschlechtsspezifisch mit jeweils anderen Problemen verbundenen Mechanismen der Gefühlsarbeit aufzudecken. So bereiten die traditionellen Geschlechtsrollen, aus Sicht Hochschilds, Mädchen und Jungen auf eine jeweils andere Art der Gefühlsarbeit vor. Während der Typ der von Stewardessen geforderten Gefühlsarbeit Teil traditioneller weiblicher Sozialisation ist, erfahren Jungen in ihrer auf traditionelle männliche Tugenden der Stärke, Durchsetzungsfähigkeit usw. abzielenden Sozialisation eher eine Vorbereitung auf die Gefühlsarbeit vom Typ des Inkassoangestellten. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S 112–118, S. 133. Vgl. Wouters, Informalisierung, S. 146ff. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 171–179. Vgl. Neckel, Emotion by design, S. 424–425. Vgl. Gerhards, Emotionsarbeit, S. 53. – Zur pharmakologischen Manipulation des Gefühlshaushaltes vgl. Fukuyama, Das Ende des Menschen, S. 66–87.
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wünschte Befindlichkeiten zu erzielen, eingenommen wird. ‚Emotion by design‘ hat Sighart Neckel diese heute scheinbar selbstverständliche ständige Modellierung von Emotionen mit unterschiedlichen – teilweise auch medikamentösen – Mitteln genannt.50 Die Strategien des Gefühlsmanagements funktionieren nicht immer, aber die Tatsache, dass sie in vielen Fällen zu gewünschten Resultaten führen, kann als Beleg für die prinzipielle Modellierbarkeit von Emotionen herangezogen werden. Die Notwendigkeit zur Gefühlsarbeit und die damit einhergehenden ‚Kosten‘ sind aus Sicht Hochschilds unterschiedlich über die Gesellschaftsmitglieder verteilt. Da Gefühlsarbeit vor allem in Dienstleistungsberufen zu erledigen ist und diese zu einem großen Teil von Frauen ausgeübt werden, sind es auch zumeist Frauen, die von den persönlichen Kosten der Gefühlsarbeit betroffen sind. Hinzu kommt, dass Frauen auch aufgrund ihrer traditionellen Geschlechtsrolle häufig Gefühlsarbeit im Austausch gegen ökonomische Sicherheit im Rahmen privater Beziehungen praktizier(t)en, indem sie sich um das Wohlbefinden ihrer Ehemänner und Familien kümmer(t)n, was hohe Gefühlskompetenz (sowohl was das Einfühlen in andere als auch die Modulation des eigenen Gefühlsausdruckes betrifft) auf ihrer Seite voraussetzt.51 Nicht von ungefähr kommt es daher dazu, dass Frauen als besonders qualifiziert für jene Berufe angesehen werden, die kommerzielle Gefühlsarbeit erfordern, und in diesen auch überrepräsentiert sind. Allerdings sind Berufe, in denen personenbezogene Dienste geleistet werden, oftmals mit niedrigem Ansehen verbunden.52 Frauen sind in diesen Berufen zusätzlichen problematischen Situationen ausgesetzt. Sie sind nicht nur mit geringem beruflichen Ansehen (und oftmals entsprechend geringen Lohnzahlungen) konfrontiert, sondern müssen auch mit der geringen Achtung, die ihnen und ihren Gefühlen aufgrund ihrer Geschlechtsrolle entgegengebracht wird, fertig werden, wie Hochschild feststellt. Im Beruf der Stewardess bedeutet dies, dass nicht nur generell Ärger über unzufriedene und entsprechend lästige Kunden vermieden werden muss (was in gleicher Weise auch von den männlichen Kollegen erwartet wird), sondern dass Kunden gegenüber Stewardessen ein tatsächlich schwierigeres, durch weniger Achtung gekennzeichnetes Verhalten an den Tag legen als gegenüber deren männlichen Kollegen. In diesem Bereich kann das Wirken von self-fulfilling-prophecies festgestellt werden: Die Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen haben bestimmte Vorstellungen über die ihnen aufgrund ihres Berufs und ihrer Geschlechtsrolle zustehende Autorität derart verinnerlicht, dass auch ihr Auftreten entsprechend geprägt ist und beispielsweise Flugbegleiter Beschwerden vonseiten der Fluggäste – basierend auf ihrer männlichen Geschlechtsrolle – heftiger abwehren als ihre Kolleginnen, was zur Folge hat, dass sie auch weniger oft Schwierigkeiten haben, sich unter den Fluggästen Respekt zu verschaffen.53 Es wären weitere Untersuchungen notwendig, die den teilweise erfolgten Wandel der Geschlechtsrollen(-bilder) mitberücksichtigen, um zu zeigen, ob derartige Mechanismen heute noch wirksam sind bzw. ob neue Formen geschlechtsrollenspezifischer Eigen- und Fremderwartungen möglicherweise zu für Frauen ebenfalls problematischen ‚double-bind‘-Situationen führen
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Vgl. Neckel, Emotion by design. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 35, S. 43–44; – Gerhards, Emotionsarbeit, S. 57. – Vgl. auch Badura, Interaktionsstreß, S. 327. Zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes vgl. u. a.: Kreimer, Arbeitsteilung als Diskriminierungsmechanismus; – Heintz et al., Ungleich unter Gleichen. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 144–148.
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können.54 Hinzu kommt, dass auch Männer mit Gefühlsarbeitsanforderungen konfrontiert sind, was in Hochschilds Studie allerdings kaum thematisiert wird. Wie Männer mit derartigen Situationen umgehen, die zum Teil im Widerspruch zur traditionellen männlichen Geschlechtsrolle stehen können, und welche speziellen Coping-Probleme sich daraus für sie ergeben, wäre eine weitere ergänzende Fragestellung für empirische Arbeiten. Neben der holzschnittartigen Analyse der geschlechtsspezifischen Verbreitung und Spezialisierung von Gefühlsarbeit widmet sich Hochschild – ähnlich idealtypisch vorgehend – auch den schichtspezifischen Unterschieden hinsichtlich der Ausübung kommerziellen Gefühlsmanagements. Mitglieder unterer Schichten sind, aus Sicht Hochschilds, seltener in Dienstleistungsberufen anzutreffen. Entsprechend seltener sind sie auch von der Notwendigkeit betroffen, kommerzielle Gefühlsarbeit zu leisten. Allerdings müssen auch sie ein Management ihrer Gefühle betreiben, was aber eher darin gesehen wird, an den durch Monotonie und Fremdbestimmung gekennzeichneten Arbeitsplätzen Gefühle der Frustration, des Ärgers oder der Angst zu unterdrücken.55 Hochschild scheint sich hier auf den Gegensatz zwischen Fabrikarbeit und Büroarbeit zu beziehen, lässt dabei aber außer Acht, dass der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor bereits zum Zeitpunkt des Erscheinens ihres Buches enorm angestiegen war und keineswegs nur Personen höherer Schichten Beschäftigung bot. Auch hier wäre, insbesondere für die heutige Zeit, eine differenzierte Betrachtung der sich möglicherweise im Zusammenhang mit Gefühlsarbeit ergebenden schichtspezifischen Probleme und ihres historischen Wandels notwendig. In Anbetracht der Diskussionen über die Auflösung herkömmlicher Schichtungsmodelle56 wäre auch die Frage zu stellen, ob die von verschiedenen Autoren propagierten Milieus – als neue Formen horizontaler gesellschaftlicher Segregation – ebenfalls durch besondere Typen der Gefühlsarbeit oder des geforderten Gefühlsmanagements gekennzeichnet sind. Die Problematik der Gefühlsarbeit sieht Hochschild in der damit einhergehenden Entfremdung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen von ihrem eigenen Gefühlsleben. Sie ortet hier Parallelen zu der von Marx thematisierten Entfremdung der Fabrikarbeiter.57 „Bei allen Unterschieden zwischen Handarbeit und Gefühlsarbeit gibt es eine Ähnlichkeit in den mög-
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Ich denke hier etwa an ‚double-bind‘-Situationen, wie sie Jean-Claude Kaufmann bei der Analyse der Arbeitsteilung und der Geschlechtsrollenvorstellungen in modernen Paarbeziehungen beschrieben hat. Frauen stehen heute vielfach vor dem Problem, dass zwar herkömmliche Rollenvorstellungen an Legitimation verloren haben, sich jedoch die Rahmenbedingungen des Geschlechterverhältnisses noch nicht entsprechend geändert haben und ‚alte‘ Verhaltensmuster sehr veränderungsresistent sind. Diese Situation kann sich als ‚Falle‘ für Frauen erweisen, die den Zwiespalt zwischen eigenen Ansprüchen und mangelnden Realisierungsmöglichkeiten individuell bewältigen müssen. „Der Ursprung der Falle besteht in der historisch neuartigen Bildung zweier unterschiedlicher und oftmals widersprüchlicher Ebenen: derjenigen des Bewußtseins, welches mehr und mehr von der Idee der Gleichheit beherrscht wird, und derjenigen der Verhaltensmuster mit ihrer Beharrungskraft. Die Falle schnappt über der Frau zusammen und führt zu einer Spaltung ihrer Existenz, weil die Idee der Gleichheit zwar gesellschaftlich machtvoll, aber individuell unerreichbar ist.“ Kaufmann, Schmutzige Wäsche, S. 265. – Im Hinblick auf die Flugbegleiterinnen wäre heutzutage nachzuprüfen, inwieweit ein ähnliches Auseinanderklaffen eigener Ansprüche und im Berufsalltag nicht realisierbarer Gleichheitsforderungen auch neuartige Anforderungen an das damit einhergehende Emotionsmanagement aufwirft. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 123. Vgl. etwa: Müller-Schneider, Schichten- und Erlebnismilieus; – Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. – Vgl. auch Scherke, Kulturelle Transfers. Vgl. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, S. 510–522.
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lichen Kosten, die die Arbeit verursacht: der oder die Arbeitende kann von dem Teil seines Selbst entfernt oder entfremdet werden, der für die Arbeit benutzt wird – egal ob es sich um seinen/ihren Körper oder um die Psyche handelt.“58 (Hervorhebung im Original) Wie kann sich dieses Problem äußern? Aus Sicht von Hochschild besteht häufig eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Empfinden der Betroffenen und den von ihnen im Berufsalltag geforderten Gefühlsdarstellungen. Das Management dieser Diskrepanz stellt einen mühevollen Prozess dar, der häufig nicht entsprechend honoriert und als Arbeit anerkannt wird. Das beruflich ständig betriebene Gefühlsmanagement kann zudem teilweise auch den Gefühlshaushalt der Betroffenen selbst verändern. Problematisch wird dies, wenn die Orientierungsfunktion, die Gefühle aus Sicht Hochschilds haben,59 auf diese Weise nicht mehr erfüllt werden kann. Insbesondere wenn bei der Gefühlsarbeit auf Techniken des deep-acting zurückgegriffen wird, d. h. die innere Einstellung verändert wird, könnte es zu Einschränkungen dieser Art kommen. Gefühle signalisieren dem Einzelnen normalerweise, welche subjektive Bedeutung bestimmte Ereignisse oder Wahrnehmungen für ihn oder sie haben, indem aktuelle Wahrnehmungen in Sekundenbruchteilen zum bisherigen Erfahrungsschatz in Bezug gesetzt werden. Wird mittels Gefühlsarbeit das Aufkommen bzw. Ausleben bestimmter Gefühle unterdrückt, könnten die Sensibilität für diesen Typus von Gefühlen und die damit verbundenen Informationen generell verloren gehen. Anders ausgedrückt: Inwieweit ist die Stewardess fähig, im Privatleben noch unvoreingenommen ihren Gefühlen zu folgen, ohne diese sofort gemäß den einstudierten Verhaltensweisen zu manipulieren, bzw. inwieweit lässt sie überhaupt noch einen bestimmten Typus von Gefühlen aufkommen? Gewohnt, anderen gegenüber zuvorkommend aufzutreten und auch auf offensichtliche Provokationen nicht wütend zu reagieren, könnte es ihr auch im Privatleben schwerfallen, eigene Interessen gegen Widerstand anderer durchzusetzen. Diese mögliche Konsequenz von Gefühlsarbeit, d. h. die Veränderung der Person als Gesamtes, wird von Hochschild im Rahmen ihrer Diskussion der Kosten der Gefühlsarbeit angedeutet, ohne dass sie konkrete Beispiele für derart weitgreifende Persönlichkeitsveränderungen anführt.
4.2.2. Kritik und Erweiterung des Hochschild’schen Ansatzes Wie lassen sich Kosten der Gefühlsarbeit empirisch nachweisen? Hochschild bezieht sich vor allem auf Aussagen der Betroffenen, die über ihre Schwierigkeiten berichten, nach Dienstende die Gefühlsarbeit zu beenden. „Manchmal komme ich vollkommen fertig von einem langen Flug nach Hause, aber ich kann mich nicht entspannen. Ich kichere und quassele viel herum und rufe Freunde an. Es ist, als ob ich mich von einer künstlich erzeugten Hochstimmung, die mich während des Fluges oben hielt, nicht befreien könnte.“60 Allerdings äußert dieselbe Berufsanfängerin die Hoffnung, diese Situation besser bewältigen zu können, sobald
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Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 31. – Trotz der prinzipiellen Analogie zum Werk von Marx weist Hochschild darauf hin, dass Gefühlsarbeit nicht nur in kapitalistischen Systemen vorkommt. Auch sozialistische Staaten setzen Gefühlsstandards und verlangen entsprechende Gefühlsarbeit von ihren Staatsangehörigen. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 35. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 44–49. – Bei der Beschreibung der Funktionen der Gefühle bezieht sich Hochschild u. a. auf Sigmund Freud, vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 177–178. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 28.
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sie etwas länger in ihrem Beruf tätig ist. Im Sinne eines professionelleren Umgangs mit der Gefühlsarbeit hofft sie also, später eine bessere Trennung zwischen Privat- und Berufsleben vollziehen zu können.61 Gerade dieses Wiederherstellen eines ausgeglichenen Empfindens im Privatleben macht einen wesentlichen Teil der Gefühlsarbeit aus.62 Nicht so sehr die tatsächliche Veränderung des Selbst, sondern die mangelnde Anerkennung und Sichtbarkeit der mit der Gefühlsarbeit verbundenen Mühen (auch nach Dienstende) ist es, die von Hochschild kritisiert wird. Sie berichtet von Fällen, in denen Flugbegleiterinnen die einstudierten Verhaltensregeln missachten und ihrem Ärger (wenn auch manchmal nur auf subtile Art und Weise) Luft machen.63 Diese Beispiele können durchaus so gedeutet werden, dass die Umformung der Persönlichkeit und der Verlust des Gespürs für die eigentlich empfundenen Emotionen (nämlich den Ärger über einen lästigen Fluggast) nicht in allen Fällen stattfinden und Stewardessen durchaus in der Lage sind, zwischen den beruflich erforderlichen Emotionsdarstellungen und ihrem eigenen Empfinden zu unterscheiden, d. h., Rollendistanz zu praktizieren. Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass Gefühlsarbeit auch zu Veränderungen der Persönlichkeit führen kann. Diese empirisch nachzuweisen, dürfte jedoch sehr schwierig sein. Man müsste hierfür zwischen jenen Modifikationen des Selbst, die durch beruflich bedingte Gefühlsarbeit verursacht werden, und jenen, die durch anderes Gefühlsmanagement bedingt sind, unterscheiden können. Außerdem müsste man die Auswirkungen eines veränderten Selbst operationalisieren können. Woran soll man beispielsweise die beeinträchtigte Signalfunktion der Gefühle von Flugbegleiterinnen messen? Man müsste Informationen darüber haben, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten haben, bevor sie den Beruf der Flugbegleiterin aufnahmen, und diese mit aktuellen Verhaltensweisen vergleichen. Hierfür ist man zumeist auf die Selbstaussagen der Betroffenen angewiesen, denen ein potentieller Wandel ihrer Persönlichkeit nicht bewusst sein muss und die in Interviews ein kohärentes, auf Kontinuität ausgerichtetes Selbstbild präsentieren.64 Und selbst wenn sie einen markanten Unterschied in ihrem Reagieren auf bestimmte Situationen vor und nach der Aufnahme ihrer Tätigkeit beschreiben, wäre es immer noch äußerst schwierig, diesen Unterschied allein auf den ausgeübten Beruf und nicht auf andere Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung oder des sozialen Umfeldes zurückzuführen. Hochschild äußert sich nicht näher zu diesen methodischen Problemen. Die Problematik des empirischen Nachweises einer Veränderung des
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Den Aspekt der Professionalität, mit der ein durch Gefühlsarbeit charakterisierter Beruf ausgeübt wird, und ihr Einfluss auf die Fähigkeit Rollendistanz zu praktizieren, d. h. im Beruf den gewünschten Gefühlsausdruck herzustellen, ohne dies als Entfremdung vom eigenen Gefühlsleben zu empfinden, hat Stefan Laube in einer qualitativen Studie zur Gefühlsarbeit in Callcentern hervorgehoben, vgl. Laube, Der Kunde ist König, S. 107. Zu den strukturellen Hindernissen beim Aufbau derartig professionellen Umgangs mit Gefühlsarbeit vgl. auch Egger de Campo, Laube, Barrieren, Brücken und Balancen, S. 33–38. Hochschild beschreibt dies folgendermaßen: „In ihrem Privatleben, wenn sie von ihren Einsätzen zurückfliegen, wenn sie in Ruhe mit einem geliebten Menschen sprechen und wenn sie in gelegentlichen persönlichen Gesprächen untereinander den Ärger im Job ausklammern, spalten sie die firmenoffizielle Deutung des Ärgers und die Codierungen des Unternehmens für die Gefühle von ihrer eigenen Wahrnehmung ab. Sie versuchen, ihre Gefühle zu reorganisieren, das ‚gekaufte Herz‘ für sich zurückzugewinnen. Diese Kämpfe und der damit verbundene emotionale Aufwand bleiben unsichtbar. Diese Gefühlsarbeit wird von denen, die uns sagen, was Arbeit ist, nur selten auch als Arbeit anerkannt.“ Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 154. Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 109. Zur Problematik der fiktiven Konstruktion einer biographischen Geschichte und eines kontinuierlichen IdealIchs im Rahmen narrativer Interviews vgl. Bude, Der Sozialforscher als Narrationsanimateur, S. 332–333.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
Selbst soll hier deshalb auch nicht weiter verfolgt werden (ebenso wenig wie die prinzipielle Frage, ob ein ‚wahres Selbst‘ jenseits aller sozialen Bezüge und entsprechenden Prägungen überhaupt existiert), da Hochschilds Anliegen aus meiner Sicht ohnehin komplexer ist: Sie konstatiert für die heutige Zeit ein Selbstkonzept, in dem Authentizität, Echtheit und Unmanipuliertheit des Selbst bzw. seiner Gefühle betont werden. Gerade in einer Zeit sich ständig verändernder sozialer Verhältnisse und einer dadurch bedingten Auflösung herkömmlicher Normen und Orientierungsmuster steigt aus Sicht Hochschilds die Bedeutung, die den eigenen Gefühlen als Verhaltensmaßstab beigemessen wird. Das Fehlen äußerer Orientierungshilfen führt aus ihrer Sicht zu einer „zunehmenden Wertschätzung nichtmanipulierter Gefühle“.65 Erst vor diesem Hintergrund werden die Kosten, die sich für ein Individuum ergeben, das scheinbar keinen unmanipulierten Zugang mehr zur eigenen Gefühlswelt hat, abschätzbar: Das gängige Selbstkonzept eines möglichst ‚authentischen Ichs‘ steht im markanten Gegensatz zum Ausmaß der ständigen Manipulation von Gefühlen im Berufs- und Alltagsleben. Der Ruf nach Echtheit und Spontaneität des Gefühls dürfte jenen problematisch vorkommen, die einen Großteil des Tages damit verbringen, ihre Gefühle gemäß den Wünschen einer Firma zu regulieren und denen diese Gefühle daher als ‚unecht‘ und nicht als Teil ihres Selbst erscheinen. Allerdings handelt es sich hierbei vor allem um ein Problem auf der Ebene der Idealbilder des Selbst. Hochschild geht es offensichtlich nicht vorrangig um die Frage, ob es ein ‚wahres Selbst‘ wirklich gibt und wie dies durch Gefühlsarbeit in Mitleidenschaft gezogen wird, sondern sie setzt sich – ganz im Sinne eines konstruktivistischen Zugangs – mit den Diskursen und Vorstellungen über das ‚wahre Selbst‘ auseinander, d. h. mit kulturellen Deutungsmustern und den Möglichkeiten ihrer Realisierung. Wenn das derzeit gängige Idealbild verlangt, möglichst ‚authentisch‘ aufzutreten und auf seine ‚wahren‘ Gefühle zu hören, dann wird sich eine große Zahl von Individuen darum bemühen, diesem Ideal gerecht zu werden und demzufolge auch die Gefühlsarbeit als Manko bei der Erreichung dieses Ideals empfinden. Und zwar unabhängig davon, ob es so etwas wie ein ‚wahres Selbst‘ jenseits des auch außerhalb des Berufslebens ständig praktizierten Gefühlsmanagements tatsächlich gibt. Hochschild bleibt in diesem Punkt allerdings ambivalent, ihre kapitalismuskritischen Äußerungen zur Fremdbestimmtheit der Gefühlsarbeit werden sowohl mit im weitesten Sinne diskursanalytischen Argumenten über die derzeit verbreiteten Selbstkonzepte vermischt als auch mit essentialistisch anmutenden Äußerungen über das ‚wahre Selbst‘ und seine Veränderung durch Gefühlsarbeit. Von Kritikern wurde insbesondere die von ihr getroffene Unterscheidung zwischen einem ‚wahren‘ authentischen Selbst, das im Privatbereich verortet wird, und dem manipulierten Selbst der Arbeitswelt bemängelt.66 Der Text von Hochschild gibt an mehreren Stellen Anlass zu dieser Kritik, insbesondere, weil sie bei der Darstellung des alltäglichen Gefühlsmanagements im Privatleben den Eindruck erweckt, dass diese Art der Gefühlsmanipulation eine grundlegend andere Qualität aufweise, als die in der Berufswelt geforderte. Wir nehmen jedoch von klein auf eine Anpassung unserer Gefühle an die Vorgaben unseres jeweiligen gesellschaftlichen Umfeldes vor, und zwar unabhängig von kommerziellen Belangen. Auch im Alltag dürfte die Grenze zwischen uns noch bewussten ‚Darstellungen‘ und bereits in ‚Fleisch und Blut‘ übergegangenen Gefühlsmanipulationen
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Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 45. Vgl. Wouters, Informalisierung, S. 144–145.
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verschwimmen.67 In späteren Aufsätzen hat Hochschild auf die Kritik ihrer Überbetonung der Arbeitswelt reagiert und sich insbesondere mit dem Gefühlsmanagement im Privatleben näher beschäftigt, wobei sie ebenfalls den Aspekt der durch die Kultur des Kapitalismus bedingten Idealvorstellungen im Hinblick auf adäquate Gefühlsempfindungen – beispielsweise im Bereich der Liebe – und der nur schwer möglichen Einlösbarkeit dieser Ideale unter den sozialen Rahmenbedingungen des modernen Kapitalismus betont.68 Hochschilds Fokus liegt wiederum auf den Kosten, die diese Situation für die Individuen mit sich bringen kann. „But the stance of emotional entrepreneur is in no way a natural one. We need to feel attached to others, and we dread the loss of attachment in a very pre-modern way. In such late modern times, it requires an extreme degree of emotion-work to feel ‚normal‘. For as we begin each relationship, we are forever practising the end ‚just in case‘. This is the emotional insurance policy, the emotional hardening required of the postmodern hunter and gatherer of love.“69 (Hervorhebung K. S.) Auch in dieser Analyse konzentriert sich Hochschild nicht nur auf die Analyse der Idealbilder der Liebe und ihrer Realisierungsmöglichkeiten bzw. -schwierigkeiten unter den derzeitigen Rahmenbedingungen, sondern lässt wiederum die Vorstellung von einem ‚natürlichen‘ Umgang mit Gefühlen anklingen, der heute in Mitleidenschaft gezogen sei. Ihre u. a. aus Sicht der Zivilisationstheorie70 zu kritisierende teilweise quasi-naturalistische Haltung tritt hier wiederum deutlich zutage. Die Leistung von Hochschilds Arbeit liegt sicherlich darin, die grundlegende Bedeutung von Gefühlsarbeit für viele moderne Dienstleistungsberufe herausgearbeitet zu haben. Im Anschluss an Hochschilds Arbeit entstanden eine ganze Reihe von Studien zur Arbeitswelt, in denen die Konsequenzen von Gefühlsarbeit für das Wohlbefinden der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen näher untersucht wurden. Diese weiterführenden Arbeiten sind im Hinblick auf die Kosten von Gefühlsarbeit sehr aufschlussreich, insofern sie ein differenziertes Bild der Belastungen an bestimmten Arbeitsplätzen liefern. Zu erwähnen wären etwa die Studien über die emotionalen Anforderungen in Callcentern.71 Emotionale Dissonanz wurde u. a. in einer Studie von Dormann et al. neben aufgaben-, organisationsbezogenen
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Vgl. Hochschild, Das gekaufte Herz, S. 64–65. – Vgl. hierzu auch die Kritik Flams, die auf die Arbeiten von Norbert Elias zum Zivilisationsprozess verwies, um die Nichtexistenz eines ‚unmanipulierten‘ Selbst bzw. authentischer Gefühle zu unterstreichen. Vgl. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 204. Um die solcherart paradoxen Situationen (etwa die Diskrepanz zwischen dem Ideal, eine perfekte erfüllende Liebesbeziehung zu haben, und dem gleichzeitigen ständigen Wissen über die Fragilität von Beziehungen im Lebensalltag des flexiblen Kapitalismus) bewältigen zu können, müssen die Individuen entsprechendes Gefühlsmanagement leisten, das häufig ebenso paradoxe Formen annehmen kann. So kann es dazu kommen, dass gerade in einer Zeit, in der es beispielsweise möglich ist und sogar idealerweise erwartet wird, Liebe hemmungslos auszuleben, besondere Zurückhaltung in Liebesdingen geübt wird, um nicht zu viel Gefühl in eine möglicherweise durch Scheitern bedrohte Beziehung zu investieren. „For the uncertain, destabilized intimate life is a life of potential profit and loss. The task of emotion management is to rise to the opportunity, and prepare for the loss.“ Hochschild, Sociology of emotions as a way of seeing, S. 11. – Das Idealbild offen gezeigter tiefer Gefühle (welches selbst Produkt bestimmter sozialer und historischer Bedingungen ist, auf die Hochschild allerdings nicht näher eingeht) kann also unter den derzeitigen sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen kaum gelebt werden. Hochschild, The sociology of emotion as a way of seeing, S. 11. Vgl. Wouters, Informalisierung, S. 144–145. Vgl. hierzu etwa Dormann, Zapf, Isic, Emotionale Arbeitsanforderungen, S. 203; – Laube, Der Kunde ist König, S. 37–40.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
und sozialen Stressoren explizit als weiterer Stressor berücksichtigt. In Callcentern müssen vorrangig positive Gefühle am Telefon ausgedrückt und gleichzeitig die teilweise negativen Emotionen der Kundschaft toleriert bzw. ignoriert werden. Dieses Herstellen eines positiven Klimas während der Telefonate erfordert ausgeprägte Gefühlsarbeit. Verbunden mit anderen Faktoren des Arbeitsplatzes (z. B. geringe Entscheidungsspielräume für die Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Zeitressourcen oder in inhaltlichen Belangen), kann dies als äußerst belastend empfunden werden. Berücksichtigt wurde von Dormann et al. aber auch, dass im Sinne der Facial-feedback-Hypothese das Zeigen positiver Emotionen die eigene Stimmung heben kann, was eine Milderung der Stressreaktionen zur Folge haben könnte. Eine Verschärfung der Stressreaktionen wurde hingegen im Zusammenhang mit der möglichen Stimmungsübertragung oder ‚Ansteckung‘ vermutet. Im Sinn der Theorie des ‚emotional contagion‘ kann sich die Gefühlslage anderer in der eigenen Stimmung niederschlagen.72 Beim telefonischen Kundenkontakt und der dabei erwarteten Fähigkeit, sich in den Kunden und seine Emotionen einzufühlen, kann dies dazu führen, dass sich die negative Stimmung der Kunden auf die Beschäftigten überträgt. Die Beschäftigten unterliegen daher möglicherweise einem erhöhten Ausmaß an Stress, da sie permanent gegen diese negative Stimmungslage, die im Widerspruch zu der von ihnen erwarteten Gefühlsarbeit steht, ankämpfen müssen.73 Die Ergebnisse der empirischen Studie von Dormann et al. belegten, dass das Zeigen positiver Emotionen am Arbeitsplatz in direktem Zusammenhang mit Stressreaktionen steht, der tendenziell stimmungshebende Effekt also keine Stress mindernde Wirkung hat. Allerdings geht der häufige Einsatz positiver Emotionen am Arbeitsplatz mit einer Verringerung psychosomatischer Beschwerden einher. Je höher die Sensitivitätsanforderungen (d. h. die Anforderungen, sich in den Kunden einzufühlen), desto mehr psychosomatische Beschwerden wurden hingegen verzeichnet (ganz im Sinne der ‚emotional-contagion‘-These). Emotionsarbeit erweist sich also als wichtiger Faktor bei der Analyse der Belastungen in Dienstleistungsberufen. Interessant ist es dabei, dass bei jenen Beschäftigten, die den Kunden gegenüber negative Emotionen zeigen müssen (ähnlich den Inkassobüroangestellten), ein positiver Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl verzeichnet wurde. Auf Basis der Arbeiten von Dormann et al. muss insofern eine Revision von Hochschilds Thesen vorgenommen werden, als Gefühlsarbeit offensichtlich sowohl positive als auch negative Konsequenzen für das Befinden der Betroffenen haben kann.74 Flam hat den Ansatz von Hochschild, die sich vorrangig der Emotionsarbeit der Angestellten widmete, durch den Hinweis auf die auf unterschiedlichen Hierarchieebenen von Organisationen zu leistende Gefühlsarbeit ergänzt. Formale Organisationen werden zumeist als rational organisierte problemlösende Instanzen betrachtet. Hinter dieser Oberfläche lässt sich jedoch zeigen, dass ein weites Spektrum an Emotionen (die eigentlich keinen Platz innerhalb von modernen ‚rationalen‘ Organisationen der Arbeitswelt haben sollten) bei den Organisationsmitgliedern aktiviert wird und von diesen bewältigt werden muss. Darüber hinaus können auch die jeweiligen Organisationsziele selbst, wie Flam betont, als Intentionen, bestimmte Gefühle zu wecken bzw. zu kanalisieren, gelesen werden. „Viele Treuhandfonds,
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Ein Phänomen, mit dem sich bereits Hume ausführlich beschäftigt hat. Vgl. Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, S. 48, S. 103–106. – Vgl. auch Streminger, David Hume, S. 190. Vgl. Dormann, Zapf, Isic, Emotionale Arbeitsanforderungen, S. 204. Vgl. Dormann, Zapf, Isic, Emotionale Arbeitsanforderungen, S. 212.
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philanthropische Stiftungen, Wohlfahrtsorganisationen und Regierungsbehörden lassen sich als Organisationen verstehen, die etabliert worden sind, damit das sonst flüchtige, willkürliche und ungeplante Mitgefühl für die Bedürftigen einer Stabilisierung, Systematisierung und Reglementierung unterworfen wird.“75 Im Rahmen dieser Reglementierung kommt es zu weitgehenden Transformationen der Gefühle, deren Ausdruck durch die Organisationsmitglieder mehr oder weniger strikten Gefühlsregeln unterliegt. Insbesondere die Manager von Wirtschaftsunternehmen müssen – als Repräsentanten der Organisation – ihren Gefühlsausdruck gemäß der Bewahrung des von der Organisation angestrebten Selbstbildes kontrollieren. Entgegen dem bis vor Kurzem in der Organisationssoziologie verbreiteten Bild des Managers als rational agierendem Entscheidungsträger weist Flam darauf hin, dass die Entscheidungen von Managern maßgeblich unter dem Einfluss verschiedener Emotionen zustande kommen. So gehören neben dem Enthusiasmus für das Firmenziel (und der Fähigkeit, diesen an die anderen Mitarbeiter übertragen zu können) auch Versagensängste zu den typischerweise bei Managern (zumindest indirekt) zu beobachtenden Emotionen, die ihnen eine entsprechende Gefühlsarbeit abverlangen, um ihre Rolle adäquat (weiter-)spielen zu können.76 Bei der Gefühlsarbeit auf der Managementebene wären in künftigen Studien möglicherweise auch vorhandene geschlechtsspezifische Unterschiede des Umgangs mit diesen Arbeitsanforderungen zu beachten. Zu den in verschiedenen Studien beschriebenen Coping-Strategien der Angestellten gehören unter anderem Humor und Nostalgie, um mit der teilweise entstehenden emotionalen Dissonanz am Arbeitsplatz fertig zu werden.77 Flam betont, dass, im Gegensatz zu der von Hochschilds Arbeit nahegelegten Sicht, Angestellte durchaus die Möglichkeit haben, sich gegen die oftmals von ihnen geforderte Gefühlsarbeit zur Wehr zu setzen. „Sie haben nicht nur die Wahl zwischen echtem Gefühlsmanagement oder Oberflächenhandeln, sondern können innovativ, distanziert und zynisch viele Mischformen entwerfen. Nur wenige lassen es zu, dass der Job ihre Gefühle beeinflusst oder sogar modifiziert.“78 Auch bezüglich der durch die Gefühlsarbeit entstehenden Kosten plädiert Flam also für eine Revision des von Hochschild präsentierten Bildes von weitgehend wehrlosen, um ihre ‚wahren Gefühle‘ betrogenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.79
Neben diesen Ergänzungen zu Hochschilds Ansatz, die vorrangig das von ihr zunächst betonte Thema der Gefühle im Arbeitsalltag aufgreifen, wurde in den letzten Jahren auch dem
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Flam, Soziologie der Emotionen, S. 175. Vgl. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 180–187. – Vgl. auch Flam, Corporate emotions, insbesondere S. 94–98. Vgl. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 196–200. Flam, Soziologie der Emotionen, S. 203. Putnam und Mumby haben ebenfalls auf die diversen Coping-Stategien von Angestellten hingewiesen, die ihnen den Umgang mit der emotionalen Dissonanz am Arbeitsplatz erleichtern und auch als Belege dafür herangezogen werden können, dass Akteure sich bewusst mit der von ihnen erwarteten Gefühlsarbeit auseinandersetzen und keineswegs passiv dem Druck des Arbeitsplatzes und seiner jeweiligen Anforderungen nachgeben (was auch dazu führen kann, dass bestimmte Organisationsziele nicht wie erwartet von ihnen erfüllt werden). Vgl. Putnam, Mumby, Organizations, Emotion and the Myth of Rationality, S. 38–39, S. 45–47.
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privaten Gefühlsmanagement erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt.80 Eva Illouz’ Arbeit kann als eine Weiterentwicklung der bei Hochschild bereits angelegten Ideen betrachtet werden, der zufolge gesellschaftliche Idealbilder (d. h. kulturelle Deutungsmuster) eine prägende Wirkung für das Gefühlsleben von Akteuren besitzen, wobei Illouz konsequenter als Hochschild die rein diskursanalytische Perspektive verfolgt, ohne essentialistisch anmutende Vorstellungen über die Existenz ‚wahrer‘ unmanipulierter Gefühle in ihre Arbeiten einzubauen. Verkürzt könnte man Illouz’ Ansatz als eine Ergänzung zu Hochschilds Arbeit unter Einbezug der Perspektiven der Kritischen Theorie und von Pierre Bourdieu bezeichnen, wodurch ein sehr komplexes Bild des Gefühls der Liebe in der Gegenwart entsteht. In ihrem 1997 auf Englisch und 2003 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch analysiert Illouz vor dem Hintergrund der Klassenverhältnisse des Spätkapitalismus die Beziehungen zwischen den Vorstellungen von ‚romantischer Liebe‘ und den tatsächlichen Alltagspraktiken der Subjekte im Rahmen ihrer Liebesbeziehungen. Sie analysiert die Verbreitung der ‚Liebesvorstellungen‘ über die Massenmedien und vor allem die hierbei wirksam werdende kulturell hegemoniale Stellung der mittleren und oberen Schichten. Der prägende Einfluss des Sozialen für die Art und Weise, wie Gefühle ausgelebt werden und wie Vorstellungen über das adäquate Ausgestalten von Liebesbeziehungen zustande kommen, steht im Vordergrund der Überlegungen. Mit diesem Zugang sind jedoch keinerlei deterministische Vorstellungen verbunden. Es ist Illouz ein Anliegen – ganz im Sinne eines an Pierre Bourdieu orientierten Soziologieverständnisses – auf die Vielfalt konkreter sozialer Praktiken hinzuweisen, die die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nur in gebrochener Form widerspiegeln und zum Teil transformieren. Für die Soziologie sind aus Sicht von Illouz Gefühle nur in Form der Diskurse, d. h. subjektiver Äußerungen, zugänglich. Konsequenterweise stützen sich ihre Analysen daher auch auf umfangreiches empirisches Material in Form von Interviews, in denen die Gewährspersonen gebeten wurden, zu ihren eigenen Liebeserfahrungen und ihren Vorstellungen darüber, was ‚romantische Liebe‘ sei, Stellung zu nehmen. Was Liebe ist, lässt sich nicht ein für alle Mal normativ festsetzen, sondern kann nur aus den jeweiligen Aussagen konkreter Akteure erschlossen werden, und erweist sich dabei als durchaus wandlungsfähiges Konzept. Welche Faktoren die Vorstellungen darüber, was Liebe ist, beeinflussen, ist eine der Fragen, die Illouz zu beantworten versucht. Im Prinzip scheint gerade das Konzept der ‚romantischen Liebe‘ der am Eigennutz orientierten Logik des Kapitalismus entgegenzustehen. Marxistische Kritik am Kapitalismus bezog sich daher auch immer wieder darauf, dass die Werte und Denkweisen der Ökonomie in die intimen Beziehungen Eingang fänden und diese zu Warenbeziehungen transformieren würden. Von den Vertretern der Frankfurter Schule wurde daher auch gefordert, die Liebe und das erotische Verlangen „von den psychischen Anforderungen des kapitalistischen Produktionssystems“81 zu befreien. Dieser Kritik schließt sich Illouz nicht nahtlos an, da sie sich zunächst nur mit der Nachzeichnung der Zusammenhänge zwischen der kapitalistisch organisierten Medienwelt und den Liebespraktiken der Individuen beschäftigt. Zwar findet eine Reproduktion der kapitalistischen Verhältnisse im Rahmen von Liebesbeziehungen statt, in den Praktiken der Akteure können hierbei aber auch befreiende Momente enthalten sein
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So spielt Gefühlsmanagement insbesondere bei der Verarbeitung diverser kritischer Lebensereignisse eine wichtige Rolle, wie etwa Angelika Kofler für das Beispiel von Migrationsprozessen zeigt. Vgl. Kofler, Migration. Illouz, Der Konsum der Romantik, S. 9.
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(etwa eine stärkere Individualisierung der Partnerwahl), die eine rein am Warencharakter der romantischen Liebe und ihren klassenmäßigen hegemonialen Hintergründen orientierte Kritik übersieht.82 Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde durch die Medien (allen voran durch die Werbung) ein enger Zusammenhang zwischen dem Thema der romantischen Liebe und Konsumhandlungen hergestellt. Die Liebesromantik wurde dazu benutzt, ein breites Spektrum an Waren, deren Konsum vorrangig zum Lebensstil der Mittelschichten gehörte, zu bewerben. Auf diese Weise wurde nicht nur der Konsum bestimmter Waren gedanklich mit romantischen Handlungen verknüpft, sondern auch ‚verborgener‘ Konsum (z. B. der gemeinsame Besuch eines Restaurants oder des Kinos sowie der gemeinsam verbrachte Traumurlaub – also allesamt Aktivitäten, die mit finanziellem Aufwand verbunden sind) als zentraler Bestandteil von Liebesbeziehungen in den Vorstellungen der Menschen verankert.83 Aufgrund der in der Gesellschaft unterschiedlich verteilten Realisierungschancen eines derartigen Konsums, erhält auch das in den Medien verbreitete Bild der Romantik klassenspezifischen Charakter. Illouz legt ein Plädoyer für eine differenzierte Sicht der Vor- und Nachteile der Veränderungen der Liebespraktiken und -mythen im Rahmen des Kapitalismus vor (die sowohl als Verluste, aber auch als Gewinne gedeutet werden können). Eine einseitige Verdammung des Kapitalismus aufgrund seiner Neigung zur Vereinnahmung auch der intimsten Beziehungen in den ökonomischen Bereich der Warenwirtschaft, wie sie noch von Theodor W. Adorno und anderen Vertretern der Kritischen Theorie vorgenommen wurde, liegt Illouz fern. Das Schwergewicht ihrer Analyse liegt auf dem Einfluss der Ökonomie (d. h. des Sozialen) auf kommunizierte Gefühle von Akteuren. Die Erlebnis- und die Handlungsdimension des Emotionalen stehen bei diesem Ansatz also im Vordergrund. Die in Hochschilds Analysen besonders beachtete Ausdrucksdimension spielt in Illouz’ Ansatz hingegen nur eine untergeordnete Rolle.
4.3. Forschungspraktische Konsequenzen Im Vordergrund der Ansätze, die sich mit Gefühlsmanagement beschäftigen, steht die Frage, wie Gefühle gemäß vorgegebenen Gefühlsregeln im Berufs-, aber auch im Privatleben modelliert werden. Es geht hier also darum, die Art und Weise, wie die aus dem sozialen Umfeld stammenden Vorgaben von Akteuren umgesetzt werden, zu analysieren und zu untersuchen, wie soziale Normen die Art des gezeigten Gefühls und möglicherweise auch des tatsächlichen Empfindens beeinflussen. Kulturelle Deutungsmuster bilden den Hintergrund der Entstehung von Gefühlsnormen und müssen bei deren Analyse mitberücksichtigt werden. Wichtig ist dabei, dass die bloße Existenz von Gefühlsregeln noch nicht ausreicht, um das tatsächliche Verhalten von Akteuren prognostizieren zu können. Es kommt – ganz im Sinne eines interaktionistischen Ansatzes – darauf an, wie diese Gefühlsregeln zum Einsatz gelangen, d. h., wie die Akteure ihre Handlungen in konkreten Situationen auf diese Regeln abstimmen, aber auch, wie sie ihnen auszuweichen trachten, empirisch nachzuzeichnen.
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Vgl. Illouz, Der Konsum der Romantik, S. 143–146. Vgl. Illouz, Der Konsum der Romantik, S. 42ff.
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Zu beachten ist, dass es bei den in diesem Abschnitt diskutierten Ansätzen gilt, nicht nur den emotionalen Zustand von Akteuren (gewissermaßen als Ergebnis sozialer Situationen) zu erfassen, um auf diese Weise die Thesen zur Wirkung sozialer Situationen auf das Emotionsgeschehen zu überprüfen, sondern es muss auch die soziale Ausgangssituation empirisch adäquat abgebildet werden (d. h., es muss beispielsweise die Macht/Statusrelation der Akteure oder der konkrete Interaktionsverlauf adäquat erfasst werden), wofür auf das diesbezüglich vorhandene Methodenarsenal der Soziologie zurückgegriffen werden kann. Größere Schwierigkeiten dürfte, wie bereits auch in Kapitel II, 3.3. gezeigt, die Erfassung des emotionalen Zustandes von Akteuren bereiten. Die Erlebnis- und Ausdrucksdimension (teilweise auch die Handlungsdimension) des Emotionalen spielen im Rahmen der hier diskutierten Ansätze eine wichtige Rolle. Erst wenn deren empirische Erfassung sichergestellt ist, können die theoretischen Annahmen zum Einfluss des Sozialen auf das Emotionsempfinden bzw. seinen Ausdruck überprüft werden. Jack Katz’ Arbeit bietet, wie oben bereits angedeutet, für die Erfassung des emotionalen Zustandes von Individuen (d. h. der Erlebnisund Ausdrucksdimension) einige Ansatzpunkte.84 Auch die in sozialpsychologischen Studien bereits eingesetzten Methoden zur Erfassung von Emotionen (beispielsweise anhand des Gesichtsausdrucks) können im Rahmen soziologischer Studien Verwendung finden, müssten hierbei aber zum Teil im Hinblick auf die Anwendung außerhalb von Laborsituationen adaptiert werden.85 Was die Techniken des Gefühlsmanagements betrifft, die zum Teil bewusst (etwa gemäß den Gefühlsregeln von Unternehmen) eingesetzt werden, kann durchaus auf Interviews, und damit Selbstbeschreibungen von Akteuren, als empirisches Material zurückgegriffen werden. Unbewusstes, quasi automatisch ablaufendes Gefühlsmanagement kann damit jedoch kaum aufgedeckt werden. Hierfür wären andere Methoden notwendig, in denen etwa auch physiologische Prozesse (als Indikatoren für affektive Erregungszustände trotz äußerlich neutralem Verhalten) erfasst würden, die wiederum jedoch außerhalb von Labors kaum aufgezeichnet werden können. Es bietet sich, wie diese Hinweise zeigen, bei der Frage der adäquaten Erfassung emotionaler Zustände auch ein weites Betätigungsfeld für interdisziplinäre Diskussionen.86 Die in diesem Kapitel anhand verschiedener Ansätze beschriebene Variante einer Soziologie der Emotionen, die sich mit der sozialen Entstehung von Emotionen befasst, weist eine starke Konzentration auf die soziale Mikroebene auf. In diesem Bereich gibt es, wie auch etwa der von Kemper gewählte Ansatz zeigt, zahlreiche Schnittstellen zu anderen Disziplinen, die sich ebenfalls mit der Frage der Entstehung des Emotionalen beschäftigen. Eine intensivere Zusammenarbeit, in der die in experimentellen Versuchsanordnungen der Biowissenschaften erzielten Ergebnisse über hormonelle oder neuronale Mechanismen mit den Einsichten der Soziologie über die Beschaffenheit sozialer Strukturen kombiniert werden, könnte dabei helfen, die Kluft zwischen Bio- und Sozialwissenschaften zu mildern. Allerdings ergeben sich für eine solche Zusammenarbeit auch Probleme, da insbesondere
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Vgl. Katz, How Emotions work. Vgl. hierzu Ekman, Friesen, Ellsworth, Gesichtssprache. – Die systematische Verwendung von Videoaufzeichnungen und die Entwicklung entsprechender Analyseverfahren hierfür (wie sie derzeit bereits im Zusammenhang mit entwicklungspsychologischen Studien diskutiert werden) erscheint auch für den Bereich der Soziologie der Emotionen unvermeidbar. Vgl. Pantoja, A Narrative-Developmental Approach. Zur Bedeutung eines adäquaten Einsatzes empirischer Methoden in der Soziologie der Emotionen vgl. auch Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 316.
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manche Formen des konstruktivistischen Zugangs eine Konzentration auf Diskurse, d. h. die verbalisierbaren Vorstellungsbilder von Emotionen, vornehmen und kaum an physiologischen Mechanismen interessiert sind. Die von ihnen verwendete Theoriebildung (etwa poststrukturalistischer Art) dürfte wiederum eine Rezeption dieser Arbeiten (und ihrer Thesen zur sozialen Emotionsmodulation) durch die Biowissenschaften erschweren. Umgekehrt sind manche der in den Biowissenschaften zum Einsatz gelangenden Verfahren nur unter Laborbedingungen einsetzbar, die sich massiv von realen sozialen Situationen unterscheiden. So erfordern EEG-Messungen beispielsweise ein weitgehendes Stillsitzen während der Messung, was den Einsatz dieses Instrumentariums im Zuge sozialer Interaktionen (die stets auch ein körperliches Reagieren aufeinander – durch Gesten oder Augenbewegungen – implizieren) verunmöglichen dürfte – ähnliche Schwierigkeiten bringt das Instrumentarium der Magnetresonanztomographie mit sich. Es bleibt also abzuwarten, wie derartige methodische Hindernisse der Zusammenarbeit überwunden werden können. Turner und Stets äußern sich sehr (eventuell zu) optimistisch, was eine diesbezügliche Weiterentwicklung der Soziologie der Emotionen betrifft: „It is likely that a more general and robust sociological theory of emotions can be developed in the next decades. The adoption of newer technologies (e. g., easy-to-use brain imaging techniques), the adoption of underutilized instruments (such as audiovisual technologies), and the increased use of the oldest research technique of all (our eyes and ears) can allow sociologists to measure the full range of emotions, from the most to least intense, as well as the substance of emotions.“87
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Turner, Stets, The Sociology of Emotions, S. 317.
5. Beispiele für Syntheseversuche
Bisher wurden zwei Grundtendenzen innerhalb der Soziologie der Emotionen idealtypisch unterschieden. Entweder wird der Einfluss des Sozialen auf die Gefühle untersucht oder umgekehrt die Bedeutung von Gefühlen für soziale Phänomene thematisiert, wobei jeweils – wenn überhaupt – nur andeutungsweise die jeweils andere Fragestellung mitbehandelt wird. Diese Reduktion des Arbeitsbereiches hat mit der Komplexität der Thematik zu tun, die unweigerlich eine solche Konzentration der Analyse bedingen dürfte. Im Folgenden möchte ich jedoch einige Ansätze präsentieren, die aus meiner Sicht auf eine vielversprechende Weise versuchen, beide von mir – der Übersichtlichkeit halber – systematisch getrennten Fragestellungen einer Soziologie der Emotionen zu verbinden, indem die Wechselwirkungen zwischen der sozialen Entstehung und der Wirkung von Emotionen im sozialen Kontext explizit thematisiert werden.
5.1. Die Eigendynamik emotionaler Prozesse: Das Konzept der Scham-Wut-Spirale von Thomas Scheff Thomas Scheff beschäftigt sich in seinen Arbeiten nicht nur damit, das Auftreten bestimmter Gefühle bei den Individuen auf die Wirkung sozialer Zusammenhänge zurückzuführen, sondern er versucht auch die Folgen dieser Emotionen für den Fortgang der sozialen Interaktionen darzustellen. Die Mechanismen sozialer Kontrolle werden aus seiner Sicht erst verständlich, wenn man ihre emotionale Basis berücksichtigt. Scheff hat sich daher eingehend mit Scham und Stolz als Emotionen, die Auskunft über den Status sozialer Bindungen in einer Gemeinschaft geben können, beschäftigt. Verhält sich der Einzelne konform zu den Gruppennormen, wird er Stolz verspüren (der nicht zuletzt aufgrund der antizipierten positiven Bewertungen seines Verhaltens durch andere zustande kommt), dessen Aufkommen zugleich als Zeichen für intakte soziale Bande gewertet werden kann. Verstößt hingegen der Einzelne gegen Gruppennormen, so werden negative Bewertungen anderer die Folge sein oder zumindest von ihm als deren mögliche Reaktionen antizipiert. Ein Gefühl der Scham ist das Resultat, wodurch zugleich die Bedrohung sozialer Bande sichtbar wird. Das Vermeiden dieses negativen Gefühlszustandes (was zu konformem Verhalten führt) spielt eine wesentliche Rolle für das Handeln von Akteuren.1
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Scheff versucht hier gewissermaßen eine Erklärung für die Wirkungsweise des schon von Durkheim diskutierten Kollektivbewusstseins zu liefern. Gefühle sind es, die die Antriebskräfte für die Einhaltung bestimmter sozialer Regeln bilden, und zwar auch dann, wenn keine unmittelbare formale Belohnung oder Bestrafung stattfindet (im Extremfall also auch, wenn das Individuum allein eine Entscheidung trifft und sich hierbei die Reaktionen anderer sowie das durch diese möglicherweise hervorgerufene eigene zukünftige Befinden vorstellt). Vgl. Scheff, Microsociology, S. 74–77. – Die Wirkungsweise des ‚Selbstzwanges‘ im Elias’schen Ansatz beruht auf einem ähnlich automatisierten, in der Sozialisation angeeigneten Mechanismus. Während
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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Soziale Bindungen weisen einen fragilen Charakter auf, da sie in der Interaktion mit anderen immer wieder bestätigt werden müssen. Hierbei kann es zur Stärkung oder Schwächung des sozialen Bandes kommen. „Society is possible to the extent that its members are able to connect with each other (...). Society is endangered by anarchy to the extent that interacting members fail to find attunment (sic!), lack connectedness (...).“2 Optimal ist aus Sicht Scheffs ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen den Gruppenmitgliedern. Intakte soziale Bande erlauben auch die Austragung von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten, da die anderen als Personen trotz der Meinungsverschiedenheiten weiterhin Wertschätzung erfahren.3 Destruktiv werden Konflikte für eine Gruppe erst dann, wenn derartige basale Anerkennungsbekundungen unterbleiben, d. h. die sozialen Bindungen geschwächt sind, und die anderen lediglich als Konfliktgegner, aber nicht mehr gleichzeitig als Teil der eigenen Gruppe wahrgenommen werden. Neben den durch zu starke Individualisierung gekennzeichneten (und daher geschwächten) sozialen Bindungen sind auch durch zu starke Bindungen gekennzeichnete Gruppen, in denen es zu einer Übermacht des Kollektivs gegenüber dem Individuum kommt, nach Scheff negativ einzuschätzen: Die in diesen Kollektiven geforderte und praktizierte absolute Konformität gegenüber Gruppennormen würde notwendigen sozialen Wandel und damit die Anpassungsfähigkeit der Gruppe unterbinden. Gefühle kommen also in sozialen Situationen auf – sie sind sozial bedingt und signalisieren den aktuellen Zustand sozialer Bindungen, gleichzeitig haben sie aber auch erhebliche Konsequenzen für den Fortbestand bzw. die Gefährdung dieser Bindungen. In Anlehnung an Arbeiten von Darwin und anderen Autoren bzw. Autorinnen weist Scheff darauf hin, dass Scham auch unter Erwachsenen eines der dominanten, jedoch häufig nicht offen sichtbaren Gefühle sei. Egos Scham ist die Folge angenommener oder erlebter negativer Reaktionen/ Bewertungen egos durch andere. Cooley hat in seinem Konzept des looking-glass-self bereits diese die Bewertungen anderer antizipierenden Gefühle angesprochen und deren Konsequenzen für das Selbstgefühl egos (das durch Scham oder Stolz gekennzeichnet sein kann) erörtert. Obwohl derartige Selbstgefühle in vielen alltäglichen Situationen entstehen können, sind, wie Scheff feststellt, Scham und Stolz bei Erwachsenen kaum offen zu beobachten. Im Gegenteil, das offene Zeigen von Stolz führt seinerseits unter Erwachsenen manchmal zu Schamgefühlen.4 Versuche, Gefühle zu unterdrücken, können nach Scheff zu sogenannten Scham-SchamSpiralen bzw. Scham-Wut-Spiralen führen, die sowohl in ego selbst als auch zwischen den Akteuren ablaufen können und somit erhebliche Konsequenzen für den weiteren Interaktionsverlauf haben werden. Ego fühlt sich beispielsweise durch eine Bemerkung von alter erniedrigt, er verspürt Scham, wird aber auch wütend auf alter, der diese Scham ausgelöst hat, zugleich verspürt er möglicherweise Scham über diesen Ärger auf alter (etwa wenn es sich bei alter um eine nahestehende Person handelt, deren Bemerkung nicht per se böse gemeint gewesen sein muss, und in solchen Fällen die erlernten Verhaltensregeln eine Unterdrückung des Ärgers nahelegen) und sodann Ärger auf sich selbst, weil er sich aufgrund einer Nich-
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für Elias jedoch die Analyse der makrosozialen Rahmenbedingungen als Ursachen der Ausbildung/Zunahme dieses Selbstzwanges eine wichtige Rolle spielt, konzentriert sich Scheff stärker auf die Nachzeichnung der auf der Mikroebene ablaufenden durch Emotionen in Gang gehaltenen Prozesse. Scheff, Microsociology, S. 97. Vgl. Scheff, Microsociology, S. 4–8. Vgl. Scheff, Socialization of Emotions, S. 281–284.
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II. Varianten einer ‚Soziologie der Emotionen‘
tigkeit derart aufgeregt hat, was Anlass zu weiteren Schamgefühlen geben kann. Der Akteur verstrickt sich auf diese Weise in einen sehr schmerzvollen Kreislauf des Unwohlfühlens, aus dem der Ausstieg schwierig ist. Hinzu kommt, worauf Neckel hingewiesen hat, dass durch die aufkommende Scham egos Selbstbild (als souveräne, von anderen unabhängige Persönlichkeit) verletzt wird. Wut, um eine ‚Maskierung‘ der Schamgefühle – die die Verletzlichkeit der Person anzeigen – zu erreichen, kann die Folge sein. Nachdem eine soziale Situation die Scham-Wut-Spirale bei ego in Gang gesetzt hat, ist es naheliegend, dass seine weiteren Handlungen eine ähnliche Spirale auch bei dem anderen beteiligten Akteur entstehen lassen: „(1) A insults B who (2) is ashamed, then (3) almost instantaneously angry. As a result, (4) B insults A, who (5) is ashamend, then (6) angry. At this point, the circle can begin again.“5 Diese von Scheff idealtypisch beschriebenen Prozesse können im Alltag derart schnell ablaufen, dass häufig die Schamgefühle, die letztlich den Anlass für eine ganze Reihe gegenseitiger Erniedrigungen gegeben haben, nicht deutlich sichtbar werden. Entscheidend ist also, dass die Scham-Wut-Spirale zwischen A und B sowie die damit verbundenen wechselseitigen Interpretationen und Reaktionen derart schnell ablaufen, dass ein möglicherweise hemmender Einfluss der jeweils in B und A ablaufenden Scham-Scham-Spiralen nicht zur Wirkung gelangen kann. Der Ärger B’s führt zu entsprechenden Handlungen, die für A beleidigenden Charakter haben und so zur Fortsetzung der Auseinandersetzung führen, ohne Rücksicht auf die möglicherweise kurzfristig bei B aufkommenden Gefühle der Scham und Reue über sein vorschnelles Reagieren (welche allerdings nach dem ‚Gegenschlag‘ von A sofort durch neuerlichen Ärger überdeckt werden). Zu beachten ist hierbei auch, dass der Versuch des Vermeidens der schmerzvollen Schamgefühle einen zusätzlichen Antrieb für die Scham-Wut-Spirale darstellt, indem eine Maskierung der Scham durch Ärger stattfindet.6 Scheff überträgt die These der Scham-Wut-Spirale auch auf die Makro-Ebene, wenn er annimmt, dass sich zwischen verschiedenen sozialen Gruppen ebenfalls solche Prozesse wechselseitiger Beschämung, daraus entstehender Revanche und neuerlicher Beschämung usw. entspinnen können, wodurch er die Langlebigkeit mancher sozialen Konflikte zu erklären versucht.7 Das Durchbrechen solcher Scham-Wut-Spiralen ist sehr schwierig, zumal die dem Konflikt zugrundeliegende Scham häufig verborgen und daher nicht als solche in der Interaktion deutlich wird. Scheff erstellte seine Überlegungen nicht nur unter Bezugnahme auf verschiedene soziologische Klassiker (reichend von Durkheim über Cooley bis hin zu Goffman),
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Scheff, Socialization of Emotions, S. 285. Vor allem die Verdrängung und Unsichtbarkeit von Scham und Stolz bereitet bei der empirischen Erforschung der beiden Gefühle und der von ihnen in Gang gesetzten sozialen Prozesse erhebliche Schwierigkeiten. Ein Weg, sich diesen Gefühlen bei der Beobachtung realer Situationen anzunähern, ist es, nach verbalen und nonverbalen Markern von verborgener Scham Ausschau zu halten, wie es zum Beispiel die Psychologin Helen B. Lewis getan hat, auf deren Arbeiten sich Scheff bezieht. Lewis unterscheidet drei Arten der Scham, jene, die dem Subjekt bewusst ist und von ihm akzeptiert wird, jene, die dem Subjekt bewusst ist, jedoch von ihm nicht als solche akzeptiert wird, und jene, die dem Subjekt nicht bewusst ist und umgeleitet wird. Im alltäglichen Sprachgebrauch verfolgen Akteure eine ganze Reihe von Strategien, um die von ihnen erlebten Schamgefühle als solche für sich selbst und andere umzuinterpretieren. So wird es beispielsweise bei der Beschreibung beschämender Situationen vermieden, die Schamgefühle explizit auszusprechen, und stattdessen auf Entpersönlichungsstrategien zurückgegriffen. Begleitet werden diese Scham verbergenden Aussagen häufig auch durch entsprechende non-verbale Verhaltensweisen (erröten, Blick senken, das Gesicht berühren usw.). Eine Umleitung der Schamgefühle (d. h. ihre nicht bewusste Akzeptanz) kann durch Hyperaktivität herbeigeführt werden. Vgl. Lewis, Shame and Guilt, S. 196–198; – Scheff, Socialization of Emotions, S. 287–289. Vgl. Scheff, Socialization of Emotions, S. 286.
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sondern auch im Hinblick auf psychoanalytische Konzepte. Es verwundert daher nicht, dass er zur Durchbrechung von Scham-Wut-Spiralen ebenfalls einen im weitesten Sinne psychotherapeutischen Standpunkt einnimmt und die Anerkennung der zugrundeliegenden Scham sowie deren offene Entladung als Ausweg aus derart destruktiven Kreisläufen ansieht.8 Weshalb kommt es aus Sicht Scheffs überhaupt zur Verdrängung und ‚Unsichtbarkeit‘ der Scham? Soziale Bindungen sind letztlich, ähnlich wie im Ansatz von Collins, das zentrale Thema für Scheff. Er postuliert ein menschliches Grundbedürfnis nach sozialen Bindungen, dessen Erfüllung in einer modernen fragmentierten Gesellschaft allerdings nicht gesichert ist. Diese ständige Unsicherheit wird dadurch bewältigt, dass das Bedürfnis nach sozialen Bindungen negiert und die mit ihnen assoziierten Gefühle unterdrückt würden – dass also gewissermaßen dem Ideal der Individualität gehuldigt werde. Das offene Zeigen von Stolz und Scham, und damit das Eingestehen der Bedeutung sozialer Bindungen für den Einzelnen, scheint in modernen Gesellschaften unangebracht zu sein. Die Unterdrückung der Scham hat aber, wie oben geschildert, massive Konsequenzen für sich potentiell entwickelnde destruktive Konfliktkreisläufe. Neckel ergänzt die Argumentation Scheffs zur in modernen Gesellschaften unsichtbaren bzw. unterdrückten Scham durch den wichtigen Hinweis auf die in diesen Gesellschaften verbreiteten Idealbilder des Selbst, die Individualität und Eigenständigkeit der Persönlichkeit zu höchsten Tugenden werden ließen und somit ein Schamtabu bewirken: Schamgefühle, die die Abhängigkeit vom Urteil anderer signalisieren, können als Beweis mangelnder individueller Souveränität gesehen werden, was jedoch den derzeit verbreiteten idealen ‚Selbstkonzepten‘ zuwiderläuft.9 Scham-Angst ist die Folge, da Scham einem Eingeständnis von Unterlegenheit gleichkommt. Gleichzeitig werden Schamgefühle bzw. deren Weckung bei anderen in modernen Gesellschaften zu wichtigen Mechanismen der Macht, durch die soziale Ungleichheit unterstrichen bzw. festgeschrieben werden kann. Wenn danach getrachtet wird, Scham um jeden Preis zu vermeiden, steht mit der Weckung dieser Emotion (und den Ausweichstrategien, die dies bei den Betroffenen bewirkt) ein mächtiges Instrument sozialer Kontrolle zur Verfügung. Scheff bietet zwar eine plausible Erklärung für die Unterdrückung des Scham- bzw. Stolzgefühles in der heutigen Öffentlichkeit an (und hat sich an anderer Stelle auch ausführlich mit den diesbezüglich im Sozialisationsprozess von Eltern an ihre Kinder übertragenen Verhaltensweisen beschäftigt),10 er skizziert allerdings den Wandel von der traditionalen zur
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Vgl. hierzu auch Scheff, Microsociology, S. 88. In einer Re-Analyse der Asch-Studie über Gruppenkonformität weist Scheff auf die unterschiedlichen Auswirkungen von unterdrückter bzw. offen gezeigter Scham hin und versucht das Abweichen von der Gruppenmeinung durch Einzelne (die ebenso wie diejenigen, die sich der offensichtlich falschen Gruppenmeinung anschlossen, Schamgefühle äußerten) auf deren hohes Maß an Selbstachtung zurückzuführen. Sowohl das offene Zeigen der Scham als auch das Aushalten der potentiellen Konfliktsituation mit der Gruppe war bei denjenigen mit hoher Selbstachtung möglich. Ein derartiges Management der Situation stand denjenigen mit geringer Selbstachtung nicht zur Verfügung und machte sie anfälliger dafür, sich in durch verdrängte Schamgefühle initiierte schmerzvolle Scham-Scham- bzw. Scham-Wut-Spiralen zu verstricken. Die Konsequenz davon war, dass sie derartige Spiralen um jeden Preis zu vermeiden trachteten (also auch bereit waren, sich wider besseres Wissen falschen Gruppenmeinungen anzuschließen). Auch in dieser Analyse wird also die ‚heilende‘ Wirkung, die Scheff offen gezeigter und anschließend verarbeiteter Scham zuschreibt, deutlich. Vgl. Scheff, Microsociology, S. 89–94. Vgl. Neckel, Status und Scham, S. 178–182. – Vgl. Scheff, Microsociology, S. 11–18. Vgl. Scheff, Socialization of Emotions, S. 296–301.
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modernen Gesellschaft recht holzschnittartig. Offen bleibt, wie es zur Gefährdung der sozialen Bande kommt. Scheffs wenige Bemerkungen zur fortschreitenden gesellschaftlichen Differenzierung könnten durch einen figurationssoziologischen Ansatz im Sinne Elias’ vertieft werden, der die historische Genese aktueller gesellschaftlicher Strukturen stärker berücksichtigt und auf diese Weise auch eine systematische Verbindung der Analyse von Mikro- und Makroebene ermöglicht.11 Neben dem historischen Wandel der Bedeutung sozialer Bindungen (inklusive deren Wahrnehmung) bleibt auch die Frage kultureller Unterschiede in der Analyse Scheffs unterberücksichtigt. Er postuliert die universale Wirksamkeit seines deference-emotion-system und der damit verbundenen Konfliktpotentiale, ohne die möglicherweise sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen, unter denen diese aktiviert werden, anzusprechen.12 Das Unterdrücken der Schamgefühle (und damit der Bedeutung sozialer Bande) kann beispielsweise in verschiedenen kulturellen Kontexten in unterschiedlichem Maße der Fall sein. Die Auswirkungen dieser Unterschiede, etwa bei kulturübergreifenden Kontakten, müssten näher berücksichtigt werden, vor allem dann, wenn man sich für die makrosoziale Dimension sozialer Konflikte interessiert.13
5.2. Emotionen aus Sicht der Systemtheorie Während Scheff zwar sowohl soziale Ursachen als auch Konsequenzen von Scham beachtet und diese durch das Konzept der Scham-Scham- bzw. Scham-Wut-Spirale auch miteinander verbindet, hierbei aber zum Teil historische und kulturelle Aspekte vernachlässigt, soll im Folgenden noch kurz auf einige systemtheoretisch gehaltene Versuche hingewiesen werden, die die genannten Dimensionen stärker miteinander zu kombinieren trachten. Bei diesen zumeist aus jüngerer Zeit stammenden Ansätzen geht es nicht nur um eine Integration der von mir unterschiedenen Varianten einer Soziologie der Emotionen, sondern auch um ein bewusstes Einbeziehen kultureller, physiologischer und psychologischer Faktoren. Im Rahmen systemtheoretischer Ansätze kommt es dabei konsequent zu disziplinübergreifenden Kontakten und Kooperationen (etwa mit Vertretern und Vertreterinnen der Sozialpsychologie und -psychiatrie oder der Kognitionswissenschaft), die sich durch das verbindende theoretische Rahmenwerk der allgemeinen Systemtheorie offenbar einfacher gestalten als andere derartige Kooperationsversuche. Ansatzpunkte eines solchen integrativen Ansatzes lassen sich bereits in der strukturfunktionalen Theorie von Talcott Parsons finden, die allerdings in der Parsons-Rezeption bis vor Kurzem keine Rolle gespielt haben.14 Jürgen Gerhards hat in seiner 1988 erschienenen
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Scheffs diesbezügliche Vorstellungen konzentrieren sich auf die Übertragung in mikrosoziologischen Bereichen gewonnener Einsichten auf Makrophänomene, ohne etwa die mögliche eigenständige Dynamik sozialer Prozesse auf der Makroebene ausreichend zu beachten. Vgl. Scheff, Microsociology, S. 83–84. Eine derartige Berücksichtigung kultureller Unterschiede scheint für Scheff allerdings keineswegs ausgeschlossen zu sein, wie auch seine Mitgliedschaft im advisory board der ‚Human Dignity and Humiliation Studies‘ (HumanDHS) zeigt, eines seit 2003 regelmäßig aktiven wissenschaftlichen Netzwerkes, das sich dem Studium zwischen Kulturen auftretender auf gegenseitiger Erniedrigung basierender Konflikte und deren Überwindungsmöglichkeiten widmet. Vgl. http://humiliationstudies.org/whoweare/whoweare.php. Zur mangelhaften Berücksichtigung der im struktur-funktionalen Ansatz enthaltenen affektiven Komponenten in der Parsonsrezeption vgl. Staubmann, Handlung und Ästhetik.
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Arbeit versucht, eine Integration des positivistischen und des konstruktivistischen Ansatzes einer Soziologie der Emotionen vorzunehmen und dabei in Anlehnung an Parsons konstatiert, dass Organismus, Persönlichkeit, Sozialsystem und Kultur in je spezifischer Weise zur Ausgestaltung emotionalen Empfindens beitragen und daher auch systematisch in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Gerhards hält fest, dass Emotionen „sich nicht reflexartig aus sozialstrukturellen Bedingungen, kulturellen Regeln oder Impulsen des Organismus ergeben, sondern immer nur aus der Interpretation dieser Bedingungen durch die Akteure. Empirischer Bezugspunkt der Untersuchung von Emotionen können nur die Bedeutungsstiftungen der Akteure sein.“15 Wie diese Interpretationen vorgenommen werden, hängt wesentlich von der Struktur des ‚psychischen Systems‘ (der Identität der Einzelnen) ab, das in ständiger Interaktion mit seiner sozialen Umgebung steht. Sozialstrukurelle Parameter und kulturelle Emotionsregeln stellen ‚Umwelten‘ des psychischen Systems dar, die am Zustandekommen von Emotionen Anteil haben. Der Organismus ist für Gerhards der Ausgangspunkt des Interpretationsprozesses, d. h. dieses System liefert eine diffuse physiologische Erregung als ‚Output‘ an das Bewusstsein des Persönlichkeitssystems und setzt somit den weiteren Deutungsprozess in Gang. Die vom Organismussystem ausgehende physiologische Erregung kann sich sowohl aus der Eigenlogik dieses Systems ergeben als auch als Reaktion dieses Systems auf von anderen Systemen (Sozial-, Kultur-, oder Persönlichkeitssystem) kommende Anregungen. Zu beachten ist, dass keine der Systemebenen aufeinander reduziert werden kann, d. h., dass sich beispielsweise eine Herleitung des ‚Emotionalen‘ allein aus physiologischen Mechanismen genauso verbietet wie die Annahme einer lediglich kulturellen Determination des Emotionsgeschehens.16 Gerhards interessiert sich vor allem für die theoretische Fassung der Entstehung von Emotionen und wendet die von Parsons entlehnten Kategorien im Hinblick auf diese Fragestellung an, wobei er eine Konzentration der Soziologie auf die Analyse des Sozial- und Kultursystems einfordert (Letzterem wendet er besondere Aufmerksamkeit zu). Die Analyse von Organismussystem und Persönlichkeitssystem kommt aus seiner Sicht jeweils anderen Disziplinen zu: der Physiologie bzw. der Psychologie. Emotionen als Faktoren, die – einmal entstanden und in einer sozialen Situation anderen Akteuren ‚mitgeteilt‘ – ihrerseits Einfluss auf die verschiedenen Systemebenen haben, werden von Gerhards zwar mitgedacht, jedoch kaum einer näheren Betrachtung unterzogen. Gerade diese Frage wird in dem Ansatz der ‚fraktalen Affektlogik‘ von Luc Ciompi jedoch aufgegriffen und systematisch berücksichtigt. Ciompi hat sich unter anderem ausführlich mit Emotionen als ‚blindem Fleck‘ der Systemtheorie Luhmanns beschäftigt17 und dabei zu zeigen versucht, inwieweit sein eigener systemtheoretisch gehaltener Ansatz geeignet ist, Grundlagen für eine Soziologie der Emotionen zu bieten. Bevor dieser Ansatz kurz skizziert wird, soll noch auf die Wurzeln einer derartigen Sichtweise des Emotionalen in der Theorie Parsons hingewiesen werden. Helmut Staubmann hat die Nahestellung des Ansatzes von Ciompi zu demjenigen von Parsons herausgearbeitet und somit gezeigt, dass Parsons’ allgemeine Handlungstheorie bereits Grundlagen für eine Soziologie der Emotionen bieten kann. Während Gerhards sich auf die von Parsons unterschiedenen Systemebenen bezieht und sie zur Erklärung des Emotions-
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Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 191. Vgl. Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 194–210. In einem eigens der Gefühlsthematik gewidmeten Heft der Zeitschrift Soziale Systeme wurde diese These Ciompis einer eingehenden Diskussion unterzogen. Vgl. hierzu insbesondere Baecker, Einleitung; – Ciompi, Ein blinder Fleck; – Staubmann, Der affektive Aufbau.
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geschehens heranzieht, widmet sich Staubmann den auf den verschiedenen Systemebenen gültigen Handlungslogiken und stellt dabei fest, dass emotionale Komponenten auf allen Systemebenen von Bedeutung sind. Die kognitiv-instrumentelle und die affektiv-kathektische sind die beiden primären Handlungsdimensionen für Parsons, die beide den jeweils Handelnden zu seiner Situation in Bezug setzen und sich hierbei eines je eigenen Kommunikationscodes bedienen. Diese Handlungsdimensionen wirken parallel zueinander und können nicht aufeinander reduziert werden. Stratifikation innerhalb des Sozialsystems kann somit beispielsweise in instrumenteller Weise beschrieben werden (etwa im Sinne ökonomischer Hierarchien), sie kann aber auch in expressiver Weise durch an unterschiedliches Prestige geknüpfte Hierarchien ausgedrückt werden.18 Staubmann vergleicht die Idee der Eigenständigkeit der Handlungsdimensionen bzw. ihrer gegenseitigen Nicht-Reduzierbarkeit mit der Luhmann’schen Vorstellung autopoietischer Systeme. Dies hat für eine Soziologie der Emotionen die Konsequenz, „dass Emotionen als soziale Phänomene eben nicht ‚zurückführbar‘ sind auf normative oder sinnhafte Regulierung oder auf ökonomisch-materielle Anforderungen.“19 (Hervorhebung im Original) Parsons’ Theorie bietet somit wichtige Grundlagen für eine Soziologie der Emotionen, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Emotionalen für alle sozialen Prozesse lenkt und damit konsequent einer Sichtweise des Emotionsgeschehens als eines rein intra-personalen Phänomens widerspricht.20 Ciompi greift die schon bei Parsons angelegte Vorstellung einer Eigenständigkeit des emotionalen Bereichs bzw. emotionaler Handlungslogiken ebenso auf wie die Unterscheidung unterschiedlicher Systemebenen (etwa Persönlichkeits- oder Sozialsystem). Er rekurriert außerdem auf das Luhmann’sche Konzept der Autopoiesis, d. h. die Idee, wonach Systeme die Elemente, aus denen sie bestehen, ständig selbst produzieren. Autopoietische Systeme sind zwar gewissermaßen ‚autark‘, durch strukturelle Koppelungen zu anderen Systemen (von denen sie Anregungen erhalten) jedoch auch mit diesen verbunden. Wie sie auf diese Anregungen reagieren, hängt jedoch von systeminternen Faktoren ab und wird nicht von der systemexternen Umwelt determiniert.21 Für Luhmann ist in Sozialsystemen Kommunikation die zentrale systembildende interne Operation (in Bewusstseinssystemen übernimmt das Denken diese Funktion). Gefühle spielen in seinem Werk hingegen eine untergeordnete Rolle. Selbst dort, wo Luhmann sich mit Gefühlen befasst, geschieht dies, indem er die Kommunikation von Gefühlen thematisiert und nicht die Emotionen selbst (die aus seiner Sicht nicht Gegenstand der soziologischen Be-
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Vgl. Staubmann, Der affektive Aufbau, S. 152–153. Staubmann, Der affektive Aufbau, S. 155. Die Vorstellung einer Eigenwertigkeit der emotionalen Handlungsdimension findet sich auch bei Vester. Um der Emotionsthematik gerecht zu werden, die ein multidisziplinäres Vorgehen erfordert, schlug er vor, Emotionen unter einem biopsychosozialen Paradigma zu betrachten. Die Interaktion biologischer, psychischer, sozialer und kultureller Faktoren des Emotionsgeschehens (die bereits für Gerhards von Bedeutung war) wird hier konsequent aufgegriffen und analytisch durch die Betrachtung von Emotionen als lebendigen Systemen abgebildet. Ohne an dieser Stelle näher auf Vesters Analysen (die sich im Weiteren stark auf die kulturelle Codierung von Emotionen bzw. die Entstehung eines emotionalen Klimas konzentrieren) oder die allgemeine Theorie lebender Systeme einzugehen, wird es durch die den Emotionen von Vester zugeschriebene eigenständige Position möglich, Emotionen sowohl als abhängige als auch als unabhängige Variablen zu betrachten. Von Emotionen ausgehende Effekte auf andere Systeme als auch Effekte in umgekehrter Richtung werden somit konsequent analysierbar. Vgl. Vester, Emotion, Gesellschaft, S. 21–22, S. 40–41. Vgl. Ciompi, Ein blinder Fleck, S. 23–24.
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trachtung sein können). Liebe ist für ihn beispielsweise ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, das in der modernen Gesellschaft eine bestimmte Aufgabe übernommen hat, nämlich die „kommunikative Behandlung von Individualität zu ermöglichen, zu pflegen, zu fördern.“22 In der modernen, durch unpersönliche Beziehungen gekennzeichneten Gesellschaft erhält Liebe gewissermaßen die Funktion, die Weltsicht des anderen zu bestätigen, ihn in seiner Individualität anzuerkennen und das ‚Leben‘ derselben zu ermöglich. Die Diskrepanz zwischen Nahweltbedarf und Individualisierung wird in der modernen Gesellschaft nach Meinung Luhmanns auf diese Weise gelöst. „In diesem Sinne ist das Medium Liebe selbst kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.“23 Luhmann rückt die Ausdrucksdimension des Emotionalen in den Vordergrund (und zwar im Hinblick auf Gefühlsdiskurse und deren Funktionen in der modernen Gesellschaft), die weitgehend losgelöst von anderen Dimensionen des Emotionalen betrachtet wird. Ciompi kritisiert diese ‚Gefühlsferne‘ Luhmanns, die eine ganze Reihe von wichtigen Aspekten des Emotionalen (vor allem auch physiologischer Art)24 unbeachtet lässt. Die fraktale Affektlogik Ciompis stellt demgegenüber eine Kombination unterschiedlicher systemtheoretischer Konzepte dar (reichend von der Autopoiesis bis hin zu Elementen der Chaostheorie), die dazu verwendet werden, das Zusammenwirken der verschiedenen Dimensionen des Emotionalen zu beschreiben. Emotionen werden in dieser Sicht, ähnlich wie bei Luhmann, in ihrer Operatorwirkung für den Erhalt eines Systems (und zwar bei Ciompi sowohl des individuellen als auch des sozialen Systems) betrachtet. Allerdings wendet Ciompi der auch über physiologische Prozesse stattfindenden motivierenden Wirkung der Emotionen (sprich: der Handlungsdimension des Emotionalen) größere Aufmerksamkeit zu als Luhmann.25 „Emotionen werden einerseits von der Wahrnehmung von Ereignissen und deren Interpretation ausgelöst. Andererseits aber beeinflussen sie über eine Vielzahl von allgemeinen und speziellen sog. Operatorwirkungen ihrerseits alles Wahrnehmen und Denken.“26 Von Emotionen ausgehende Effekte sind prinzipiell sowohl auf der individuellen als auch auf der sozialen Ebene gleichartig (wodurch die Überbrückung von Mikro- und Makroebene ermöglicht wird). Emotionen weisen, als relativ eigenständige Phänomene verstanden, jedoch auch eine Eigenlogik auf. Diese Affektlogik kann in ihren Wirkungen durchaus mit der Scham-Wut-Spirale Scheffs verglichen werden. Ciompi denkt hier beispielsweise an bestimmte affektive Störungen, deren Verlaufsformen durch eine Emotion (etwa Angst) vorgezeichnet sind und nicht auf andere Faktoren reduziert werde können, aber auch an Konfliktkreisläufe auf der Makroebene.27 Chaostheoretische Überlegungen erlauben es Ciompi, plötzlich auftretende – d. h. nicht linear verlaufende – Veränderungen innerhalb einer Affektlogik zu beschreiben. Gemeint ist damit, dass es, wenn eine emotionale Spannung einen bestimmten Wert übersteigt, zum Umschlag in einen anderen Zustand kommt (Liebe sich etwa in Hass verwandelt). „Aus der Sicht der Affektlogik stellen biologische, psy-
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Luhmann, Liebe als Passion, S. 15. Luhmann, Liebe als Passion, S. 23. Ciompi spricht hier explizit die Plastizität des Gehirns und psychoimmunologische Mechanismen an. Vgl. Ciompi, Der blinde Fleck, S. 36. Vgl. Ciompi, Der blinde Fleck, S. 28–32. Ciompi, Der blinde Fleck, S. 30. Vgl. Ciompi, Der blinde Fleck, S. 32; – Ciompi, Die emotionalen Grundlagen, S. 179–182.
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chische und soziale Prozesse je eigengesetzliche autopoietische Systeme dar, die sich zwar gegenseitig beeinflussen, nicht aber 1:1 aufeinander reduzierbar sind. (...) So haben etwa soziale Spannungen erst von einem bestimmten Schwellenwert an klare psychische oder körperliche Auswirkungen. Umgekehrt übertragen sich psychische und körperliche Gegebenheiten (z. B. emotionale Belastungen, Krankheit, Hunger etc.) ebenfalls erst von einem kritischen Punkt an auf die soziale Ebene.“28 Es soll an dieser Stelle nicht näher auf die weiteren Überlegungen Ciompis, der eigentlich in der Medizin bzw. Sozialpsychiatrie tätig ist, eingegangen werden. Trotz der von Ciompi skizzierten Beispiele einer Anwendung der fraktalen Affektlogik in der psychotherapeutischen Praxis bleibt der Eindruck bestehen, dass es sich bei seinem Ansatz vorwiegend um ein Begriffssystem handelt, mit dem die Interaktion der verschiedenen Dimensionen des Emotionsgeschehens plausibel beschrieben werden kann. Ob diese theoretische Fassung des Emotionalen zusätzlichen Erkenntnisgewinn für die Soziologie bringen kann, wäre erst durch entsprechende empirische Arbeiten zu klären.29 Für die Soziologie bringen seine Überlegungen etwa die Frage mit sich, wie der Spannungsanstieg, der einen Phasensprung in einen anderen Zustand bewirkt, empirisch operationalisiert werden kann. Für die Soziologie wichtig – und in Ciompis Ansatz ebenfalls unterberücksichtigt geblieben – ist auch die kulturelle Ebene. Lassen sich auf dieser ähnliche, als Phasensprünge darstellbare Prozesse feststellen? Deutlich wird anhand des Ansatzes von Ciompi, dass in jüngerer Zeit offenbar die bisherige Konzentration verschiedener Emotionstheorien (sei es inner- oder außerhalb der Soziologie) auf einzelne Dimensionen des Emotionalen Unzufriedenheit erzeugt hat, die man nun zu überwinden trachtet.30 Emotionen sind äußerst dynamische Phänomene – sie entstehen mitunter plötzlich und setzen ebenso schnell weitere Prozesse (sei es beispielsweise im Körper des betroffenen Individuums oder im es umgebenden Sozialsystem) in Gang. Die empirische Analyse dieser Vorgänge ist zumeist nur im Nachhinein möglich, woraus sich eine ganze Reihe weiter oben angedeuteter methodischer Probleme ergeben.31 Ein Begriffssystem wie die Systemtheorie ermöglicht es, sich derartige Prozesse – im Sinne einer Zeitlupenaufnahme und einer theoretischen Integration von Detailerkenntnissen – zu veranschaulichen und kann somit einen Ausgangspunkt für ein besseres Verständnis emotionaler Abläufe nicht nur im Individuum selbst, sondern auch zwischen Individuen bieten.
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Ciompi, Der blinde Fleck, S. 35. Einen diesbezüglichen Versuch hat kürzlich Elke Endert unternommen, die ausgehend von Ciompis Affektlogik die Attraktivität rechtsextremen Gedankengutes unter Rückgriff auf dessen emotionale Botschaften zu erklären versucht hat. Jedoch handelt es sich hierbei um keine systematisch-empirische Überprüfung der Theorie Ciompis. Vgl. Endert, Über die emotionale Dimension. Auch innerhalb der Psychologie werden derzeit systemtheoretische Ansätze vertreten, zu nennen wäre etwa die differentielle Emotionstheorie von Izard. Im Unterschied zu Ciompis Ansatz konzentriert sich Izard jedoch auf die Analyse der menschlichen Persönlichkeit, die als Interaktion von sechs Subsystemen (darunter das Emotionssystem) dargestellt wird. Rückkopplungen mit dem Sozialsystem werden hierbei nicht konsequent berücksichtigt. Vgl. Izard, Die Emotionen, S. 64–73. In Interviews können beispielsweise zwar vergangene emotionale Zustände und die entsprechenden sozialen Situationen, in denen sie auftraten, beschrieben werden, die sie begleitenden physiologischen Prozesse lassen sich im Nachhinein jedoch nicht adäquat aufzeichnen. Aus Laboruntersuchungen abgeleitetes Wissen über physiologische Mechanismen kann wiederum nur bedingt auf reale soziale Situationen übertragen werden. Die Wechselwirkungen zwischen Organismus, Bewusstsein, sozialer und kultureller Umgebung im Hinblick auf das Emotionsgeschehen sind also jeweils nur ‚stückweise‘ und sukzessiv empirisch analysierbar.
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Das Wissenschaftssystem ist derzeit offenbar in der Lage, genügend Raum für komplexe, mehrere Disziplinen umfassende Ansätze zur Verfügung zu stellen. Man könnte den systemtheoretischen Ansatz innerhalb der Soziologie der Emotionen auch als transdisziplinäres Konzept im Sinne Stichwehs sehen, das Integration zwischen den sich spezialisierenden und damit ‚auseinanderentwickelnden‘ Disziplinen herstellen kann. Zu den transdisziplinären Konzepten, die in der Lage sind, derartige Integrationsleistungen zu vollbringen, zählt Stichweh die Logik, die Mathematik, aber auch den Strukturalismus und die Systemtheorie. In ihrem Erklärungsanspruch und ihrer Anwendbarkeit sind diese Konzepte nicht auf eine einzelne Disziplin beschränkt und können deshalb als eine Art Bindeglied zwischen den Disziplinen fungieren.32 Die durch die Systemtheorie zur Verfügung gestellte gemeinsame ‚Sprache‘ gestattet es Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Disziplinen, sich zumindest über den gemeinsamen Gegenstandsbereich zu verständigen und dynamische Prozesse – wie beispielsweise das Gefühlsleben – besser zu veranschaulichen. Hornung beschreibt die Vorteile eines systemtheoretischen Zugangs im Hinblick auf die Erforschung emotionaler Phänomene (im speziellen Fall des Glücksgefühls) folgendermaßen: „Systems theory (...) is (...) needed for conceptualizing and explaining what is going on between system and environment in a situation in which not only the environment, the social world, is highly dynamic and permanently changing but in which also the reference system itself, the personality and psychological system of a human being, is permanently and sometimes rapidly changing.“33 Die von der Systemtheorie verfolgte Einbeziehung unterschiedlicher Aspekte des Organismus, der Persönlichkeit, des sozialen und kulturellen Umfeldes findet sich auch im Ansatz von Jonathan H. Turner, ohne dass dieser sich explizit dem systemtheoretischen Denken zuordnet. In einer Art Metatheorie des Emotionalen kombiniert Turner sowohl evolutionsbiologische Befunde (die die Entstehung der Emotionen auf die notwendige Stärkung sozialer Bindungen in den nur lose miteinander verbundenen Gruppen unserer hominoiden Vorfahren in der afrikanischen Savanne zurückführen und ihnen damit Anpassungsvorteile im Rahmen der natürlichen Selektion zuschreiben)34 als auch neuroanatomische Befunde über die im Zusammenhang mit Emotionen ablaufenden körperlichen Prozesse mit Analysen der kulturellen Umgebung und der sozialen Struktur. Die Zielsetzung seiner umfassenden Theorie ist es, vorhandene (soziologische) Theorien über das Emotionale zu integrieren und damit ein mögliches Rahmenwerk für weitere soziologische Überlegungen zu den Emotionen zu liefern. Die nächsten Jahre werden sicherlich eine – auch von Turner geforderte – Weiterentwicklung der vorhandenen theoretischen Ansätze innerhalb der Soziologie der Emotionen bringen, parallel hierzu muss aus meiner Sicht jedoch auch eine intensivere Beschäftigung mit der Frage, wie Emotionen empirisch-soziologisch adäquat erfasst werden können, stattfinden. Die diesbezüglichen Ansätze sind – wie weiter oben bereits dargelegt – innerhalb der Soziologie der Emotionen noch unausgeprägt, jedoch essentiell, um soziologische Analysen des Emotionalen zu verbessern.
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Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 37. Hornung, Happiness, S. 327. Vgl. Turner, Human Emotions, S. 14–27.
III Die Vernachlässigung beziehungsweise Wiederentdeckung des Themas der Emotionen in der (deutschsprachigen) Soziologie
1. Einleitung
„Ein Leben ohne Emotionen ist kaum denkbar. Wir leben für sie, indem wir die Umstände so einrichten, daß sie uns Lust und Freude schenken, und indem wir Situationen meiden, die zu Enttäuschung, Kummer oder Leid führen.“1 (Joseph LeDoux)
Die Bedeutung des Emotionalen für das menschliche Leben kommt in diesem kurzen Zitat des Neurobiologen LeDoux sehr gut zum Ausdruck. Es liegt eigentlich auf der Hand, dass ein derart zentrales Movens menschlichen Handelns auch in der Soziologie Beachtung finden müsste. Um so erstaunlicher ist es, dass über lange Zeit hinweg Gefühle aus soziologischen Erörterungen weitgehend ausgeklammert wurden – und dies, obwohl sie bei den Gründervätern der Soziologie durchwegs Beachtung erfuhren. Simon J. Williams und Gillian Bendelow beschrieben dieses Phänomen 1998 folgendermaßen: „Despite their obvious importance to a range of issues within the social sciences, emotions, like the body to which they are so closely tied, have tended to enjoy a rather ‚ethereal‘ existence within sociology, lurking in the shadows or banished to the margins of sociological thought and practice. Certainly, it is possible to point towards implicit if not explicit emotional themes in classical sociological writing. (...) None the less, in conjunction with the recent upsurge of interest in the body and society (...), it is really only within the last decade or so that a distinct ‚corpus‘ of work, mostly American in origin, has begun to emerge in the sociology of emotions.“2 Man darf bei der Beurteilung solcher Befunde natürlich nicht vergessen, dass die Geschichte von Disziplinen immer aus Sicht der Gegenwart geschrieben wird und sich zu einem späteren Zeitpunkt, und bei einer anderen Auswahl der Referenzautoren und -autorinnen, möglicherweise ein völlig anderes Bild ergeben würde. Ungeachtet der Möglichkeit einer solchen Revision der Soziologiegeschichtsschreibung hat die Frage, wieso die soziologische Beschäftigung mit den Affekten des Menschen im derzeit als mainstream betrachteten Teil des Faches eine derart lange Sistierung erfahren hat, ihre Berechtigung. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Versuch der Aufarbeitung der jüngeren Fachgeschichte in wissenschaftssoziologischer Perspektivierung. Durch die Rekonstruktion der zu bestimmten Zeiten erfolgten Einschränkungen des ‚Möglichkeitsspielraumes‘ soziologischer Forschungen und der dabei wirksamen Faktoren soll ein Beitrag zur Selbstreflexion der Disziplin geleistet werden; oder wie Endreß es ausdrückt: „Soziologiegeschichtliche Forschung sollte (...) stets auch darüber Auskunft geben, was hätte möglich sein können, d. h. welche theoretischen Anstöße und welche Forschungsoptionen nicht entwickelt oder – obwohl naheliegend, angedacht oder thematisiert – nicht verfolgt wurden, welche Weichenstellungen
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LeDoux, Das Netz der Gefühle, S. 25–26. Williams, Bendelow, Introduction, S. XV.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
(aufgrund intellektueller Trends, institutioneller Konstellationen, dem thematischen Zuschnitt von Forschungsförderungsprogrammen, unterschiedlicher Positionierungen im entsprechenden Diskursfeld etc.) erfolgten und welche disziplinären Strukturierungen dabei auf Kosten anderer Möglichkeiten präferiert und realisiert wurden. Eine solchermaßen angelegte Form von soziologiegeschichtlicher Forschung stellte sich gleichsam als Geschichte ihres objektiven Möglichkeitsraumes ex negativo dar.“3 Neben dem Interesse an der konkreten Entwicklung des Themas der Emotionen wirft diese Art der Betrachtung auch generelle Fragen der Wissenschaftsentwicklung auf. Gestaltet sich das Wachstum einer Wissenschaftsdisziplin in einem Prozess der kumulativen Anhäufung von Kenntnissen oder sind sprunghafte, durch größere Themenbrüche gekennzeichnete Entwicklungsprozesse generell typisch für den ‚Fortschritt‘ der Wissenschaft? Wissenschaftssoziologische Studien haben gezeigt, dass die Vorstellung eines linearen Fortschritts der Wissenschaft den realen, häufig durch Perspektivenwechsel gekennzeichneten Prozessen der Wissenschaftsentwicklung nicht gerecht werden kann. Im Folgenden sollen anhand des Themas der Emotionen in der Soziologie einige Faktoren benannt und dargestellt werden, die die Wissenschaftsentwicklung maßgeblich mitbestimmen. Einleitend werden die im Rahmen der aktuellen Literatur zur Soziologie der Emotionen herangezogenen Erklärungen für die wechselhafte Konjunktur des Themas dargestellt, danach werden diese Argumente einer wissenschaftssoziologischen Vertiefung unterzogen werden. Vorweggeschickt werden muss hier, dass unter dem ‚Thema der Emotionen in der Soziologie‘ sowohl gemeint sein kann, dass konkrete Emotionen (Freude, Wut, Trauer usw.) Gegenstand soziologischer Betrachtung sind, als auch, dass andere Themen auf der Basis eines affektive Komponenten beachtenden Menschenbildes bearbeitet werden. Die oben konstatierte Vernachlässigung der Emotionen durch die Soziologie bezieht sich auf beide Möglichkeiten, was auch bei den folgenden Erörterungen beibehalten werden soll.
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Endreß, Zur Historizität soziologischer Gegenstände, S. 72–73.
2. Mögliche Gründe für die Vernachlässigung beziehungsweise Wiederentdeckung der Emotionen durch die Soziologie
Man kann zwei Begründungen für die Ausklammerung der Emotionen aus der soziologischen Debatte bzw. für deren Wiederentdeckung in der Literatur finden: Häufig wird der „Zeitgeist“ zur Erklärung für die Konjunktur wissenschaftlicher Themen herangezogen. Diesem Argument zufolge sind es vor allem allgemeine gesellschaftliche Veränderungen gewesen, die dazu führten, dass Emotionen durch die Soziologie vernachlässigt und später wiederentdeckt wurden. Grundlage dieses Ansatzes ist implizit die auf Karl Mannheim zurückgehende wissenssoziologische These von der Seinsgebundenheit allen Denkens, die insbesondere als auf soziologisches Denken zutreffend erachtet wird.1 Es besteht eine enge Interdependenz zwischen dem Objektbereich der Soziologie und der Erforschung desselben, weshalb der Einfluss lebensweltlicher Veränderungen auf die Arbeitsschwerpunkte und vorwiegenden Erklärungsansätze der Soziologie angenommen werden kann. Ein anderer Erklärungsansatz versucht in der institutionellen Struktur des Wissenschaftssystems Gründe für die Vernachlässigung bzw. Wiederentdeckung der Emotionen zu finden. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden insbesondere diese wissenschaftssoziologischen Argumente näher diskutiert und im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit für die Erklärung der wechselhaften Konjunktur der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie überprüft werden. Festzuhalten ist, dass natürlich beiden Argumentationsketten Relevanz zukommt. Während jedoch die ‚Zeitgeistargumente‘ in der Literatur zur Soziologie der Emotionen bisher häufig vertreten wurden, wurden die institutionellen Argumente eher selten bearbeitet – daher auch meine Konzentration auf diesen Themenkomplex. Er erscheint mir wichtig, um das vielfach konstatierte ‚Nachhinken‘ der deutschsprachigen Soziologie im Vergleich zur anglo-amerikanischen, was die Beschäftigung mit den Emotionen anbelangt, erklären zu können.
2.1. Der Einfluss des ‚Zeitgeistes‘ Theodore D. Kemper hat in dem 1990 von ihm herausgegebenen Sammelband Research Agendas in the Sociology of Emotions auf die allgemeine Dominanz eines rationalen Menschenbildes in den Wissenschaften seit den 1930er-Jahren hingewiesen.2 Diese Dominanz
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Vgl. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 227. – Der Hinweis auf die besondere Beziehung der Sozialwissenschaften zu ihrem Gegenstandsbereich, die sie von den Naturwissenschaften unterscheidet, kann selbstverständlich in eine wesentlich längere Tradition eingebettet werden. Wilhelm Diltheys Gegenüberstellung der Natur- und Geisteswissenschaften im Hinblick auf ‚erklären‘ versus ‚verstehen‘ wäre hier ebenso zu erwähnen wie Heinrich Rickerts Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften im Hinblick auf ihren nomothetischen bzw. idiographischen Charakter. Kemper, Themes and Variations, S. 3.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
habe eine nähere Beschäftigung mit den Emotionen vonseiten der Soziologie verhindert. Ein Zeitalter, in dem Großorganisationen das Leben der Menschen prägen und ihnen vorausschauende Verhaltensweisen abverlangen (in der Art, dass der Einzelne die Vielzahl der anderen Akteure bei der Planung seiner Handlungen mitberücksichtigen muss), führe auch in den Sozialwissenschaften3 zu einem rationalen Menschenbild, das die Vorausberechenbarkeit des Handelns anderer zum impliziten Ziel habe. Aus dieser Perspektive ist der Erfolg von sozialwissenschaftlichen Ansätzen verständlich, die menschliches Handeln auf Basis einfacher Gesetzmäßigkeiten zu erklären versuchen (zu denken wäre hier etwa an den Behaviorismus oder die Verhaltenstheorie).4 Gefühle, diese häufig als irrational bezeichneten und kaum ‚messbaren‘ Phänomene, wären in der Welt moderner, rational kalkulierender Akteure zunehmend vernachlässigbar erschienen. Die Zeit zwischen 1930 und 1970 wird daher von Barbalet auch als ‚kognitive‘ Phase beschrieben, in der sich die Soziologie vorrangig mit den Denkleistungen von Akteuren im Rahmen der Planung und Durchführung ihrer Handlungen beschäftigte.5 Erst die Infragestellung des rationalen Menschenbildes durch verschiedene soziale Bewegungen in den 1960er-Jahren hätte in den Wissenschaften wieder zu einer Beschäftigung mit der emotionalen Seite des Menschen geführt, wie von verschiedenen Autoren und Autorinnen betont wird: Von der Frauenbewegung, dem Black Movement, aber auch der Friedensbewegung wurden Identitätsfragen erörtert, die der emotionalen Befindlichkeit des Menschen einen neuen Stellenwert einräumten und die allumfassende Rationalität menschlichen Verhaltens in Zweifel zogen.6 Gerhards beschreibt den Zusammenhang zwischen lebensweltlichen Veränderungen und den Interessenschwerpunkten der Soziologie folgendermaßen: „Man gewinnt den Eindruck, als hätte sich wissenschaftsintern wiederholt, was Max
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Barbalet ist einer der wenigen Autoren, die auf vergleichbare Entwicklungen in anderen Disziplinen hinweisen. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 16. – Zur Entwicklung des Interesses an Emotionen im Bereich der Management-Forschung vgl. auch Sieben, Management und Emotionen. Im Hinblick auf den deutschen Sprachraum wäre im Rahmen derartiger ‚Zeitgeist-Argumente‘ auf Helmut Lethens Überlegungen zum frühen Aufkommen der sogenannten ‚Verhaltenslehren der Kälte‘ in der ‚Kulturkrise‘ der 1920er- und 1930er-Jahre zu verweisen (Lethen spürt diesen Verhaltenslehren in den Arbeiten von Helmuth Plessner, aber auch literarischen Abhandlungen der Zeit nach). Systematische Direktiven für das Handeln (die nicht selten von der Wissenschaft erwartet wurden, sich jedoch auch in einem Boom alltäglicher Ratgeberliteratur niederschlugen) sollten gewissermaßen die fehlenden bzw. nach dem Ersten Weltkrieg in Misskredit geratenen Autoritäten ersetzen. Gemeinsam ist den beschriebenen Verhaltenslehren, dass sie auf eine ‚Balance der Person‘ ausgerichtet sind, also starke Gefühlsregungen jeglicher Art zu vermeiden trachteten. Vgl. Lethen, Verhaltenslehren der Kälte, S. 54–58, S. 64, S. 76–77, S. 238–239. Die Zurückdrängung des Themas der Emotionen aus der Wissenschaft war jedoch auch in dieser Phase niemals vollständig. Auch in der ‚kognitiven‘ Phase gab es Autoren, die den Emotionen einen größeren Stellenwert beimaßen, jedoch keine allgemeine Beschäftigung mit dem Thema durchsetzen konnten (als Beispiele werden von Barbalet genannt: George Homans, C. Wright Mills, Neil Smelser, Alvin Gouldner, Erving Goffman). Barbalet plädiert solcherart für eine Neubetrachtung der Geschichte der Soziologie, in der jene Autoren, die sich abseits des kognitiven mainstreams bewegten, einer Würdigung unterzogen werden sollten. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 3, S. 16–20. Vgl. Williams, Bendelow, Introduction, S. XXII; – Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 21–22; – Flam, The Emotional Man, S. 5–7; – Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 53; – Williams, Emotion and Social Theory, S. 8. – Vgl. auch Kemper, Themes and Variations, S. 3. – Zur neuen Priorität des Gefühls in der Jugendkultur vgl. auch Berger, Berger, Kellner, Das Unbehagen, S. 174. – Auch im Umkreis verschiedener neuer religiöser Bewegungen (man denke etwa an die New-Age-Bewegung) wird seit den späten 1960er-Jahren die Dominanz der Rationalität in der Moderne kritisiert und durch stärker gefühlsmäßige Orientierungen zu ersetzen versucht. Vgl. Haneke, Einleitung, S. 15.
2. Mögliche Gründe für die Vernachlässigung
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Weber und Norbert Elias mit den Begriffen Rationalisierung und Prozeß der Affektkontrolle als typische Strukturmerkmale der Entstehung der Moderne beschrieben haben: Emotionen wurden als Gegenstandsbereich von Wissenschaft im allgemeinen und von Soziologie im speziellen in weiten Teilen ausgeblendet. Zugleich erscheint es vielleicht kein Zufall zu sein, daß die ersten Schritte der Entwicklung einer Emotionssoziologie zeitlich zusammenfallen mit sozialen Prozessen der Informalisierung und der Lockerung der Affektkontrolle.“7 Als Wendepunkt für eine Wiederentdeckung des Emotionalen durch die Soziologie nennt Kemper das Jahr 1975, ein Jahr, in dem zahlreiche wichtige Publikationen zum Thema erschienen sind. Derartige Werke benötigen einige Vorlaufzeit, weshalb Kemper schlussfolgert, dass es wahrscheinlich seit den frühen 1970er-Jahren ein neues Interesse an Emotionen in der Soziologie gegeben hat. „It is tempting to speculate that sociologists were responding to the Zeitgeist of the decade of the 1960s, with its attack on linear logic, its emphasis on the importance of expressiveness, and its concentrated focus on the self.“8 (Hervorhebung K. S.) Diese zeitliche Verortung der Wiederentdeckung der Emotionen deckt sich mit den Beobachtungen anderer Autoren und Autorinnen.9 Neben der Kritik des rationalen Weltbildes durch verschiedene soziale Strömungen der 1960er-Jahre wird von Williams und Bendelow auch auf die sich unter dem Einfluss technischen Fortschrittes beschleunigt verändernde alltägliche Erfahrungswelt hingewiesen. Die mediale Vernetzung der Welt durch Internet und Cyberspace würde neue Formen der Lebensgestaltung und Identitätsbildung ermöglichen, wodurch sich heute auch die Frage nach der möglicherweise veränderten emotionalen Befindlichkeit des Menschen in dieser neuen Welt stelle und als Thema Relevanz für die Sozialwissenschaften erlange.10 Helena Flam betont in diesem Zusammenhang vor allem die Veränderungen der Arbeitswelt im ausgehenden 20. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre in den meisten westlichen Industriestaaten die ‚Normalbiographie‘ auf das Erwerbsleben hin orientiert gewesen.11 Ab den 1970er-Jahren sei es allmählich zu einer Auflösung dieser ‚Normalbiographie‘ und der damit verbundenen Vorhersehbarkeit typischer Lebensverläufe von Männern und Frauen gekommen. Das Leben sei seitdem wesentlich unsicherer geworden. Man könne nicht mehr davon ausgehen, lebenslang in einem bestimmten Beruf zu verbleiben. Phasen der Arbeitslosigkeit und Neuorientierung würden heute für immer mehr Menschen zu einem fixen Bestandteil des Lebens. Aus diesen Entwicklungen folgert Flam, dass sich auch die Soziologie mit der veränderten Lebenswelt und den durch sie generierten Emotionen auseinandersetzen müsse. Zu untersuchen wäre etwa, wie die Menschen mit den neuen Unsicherheiten umgehen oder wie sie mit den Anforderungen des ‚Emotionsmanagements‘ in den modernen Dienstleistungsunternehmen zurechtkommen.12
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Gerhards, Soziologie der Emotionen, S. 760. Kemper, Themes and Variations, S. 4. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 20; – Flam, The Emotional Man, S. 3–4. – Vgl. auch Franks, Emotions, Sociology of, S. 4477; – Marshall, Dictionary, S. 190. Vgl. Williams, Bendelow, Introduction, S. XIX. Vgl. Flam, The Emotional Man, S. 3. Die Infragestellung des rationalen Menschenbildes seit den 1960er-Jahren hat natürlich nicht nur den Emotionen als Thema der Soziologie neuen Auftrieb verliehen. Die Wiederentdeckung der historischen Soziologie oder der Kultursoziologie wie auch der phänomenologischen Soziologie kann ebenfalls vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Dekaden verstanden werden. Eine durch die Vorstellungen des ‚homo oeconomicus‘ oder des Struktur-Funktionalismus geprägte Soziologie erweist sich demnach als
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Seit den 1980er-Jahren hat sich die Soziologie der Emotionen Kemper zufolge in der anglo-amerikanischen Debatte soweit etabliert, dass man sich zunehmend spezielleren Fragen widmen kann.13 Die Neuzuwendung zu den Emotionen schlug sich auch in der Gründung entsprechender Organisationen nieder, die sich die Erforschung dieses Bereichs zum Thema setzten. Zu nennen wären hier zum Beispiel die 1984 gegründete International Society for Research on Emotions, die 1986 gegründete ASA Sektion und die 1989 folgende Study Group of Emotion der BSA. Erst kürzlich (2004) wurde ein entsprechendes Research Network der European Sociological Association gegründet.14 So plausibel die hier kurz – in Anlehnung an verschiedene Einführungswerke in die Soziologie der Emotionen – skizzierte Verankerung soziologischen Denkens in der alltäglichen Lebenswelt15 ist, so wenig reicht diese für sich genommen aus, um die Konjunktur bestimmter Themen in der Soziologie erklären zu können. Ich werde im Folgenden zu zeigen versuchen, dass die institutionelle Struktur des Wissenschaftssystems eine entscheidende zusätzliche Bedingung für den Wandel soziologischen Denkens darstellt.
2.2. Der Einfluss institutioneller Strukturen des Wissenschaftsbetriebes Kemper, der vor allem auf den ‚Zeitgeist‘ als Grund für die unterschiedliche Konjunktur der Emotionen in der Soziologie verwiesen hat, zieht teilweise auch die Strukturen des Wissenschaftsbetriebes zur Erklärung der wechselnden Interessengebiete von Soziologen und Soziologinnen heran. Er sieht vor allem im Wachstum der Wissenschaft einen Grund für die zunehmende Spezialisierung und dadurch bedingte Divergenz soziologischer Fragestellungen. Die ursprünglich noch sehr komplexe Ausrichtung der Klassiker der Soziologie, die gleichermaßen dem Individuum und seinen sozialen Bezügen Beachtung schenkten (also
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unfähig dazu, adäquate Antworten auf die durch die veränderten Lebensverhältnisse entstandenen Fragestellungen zu liefern. Michael Bock beschreibt die heutigen Herausforderungen der Sozialwissenschaften folgendermaßen: „Man tritt den Sozialwissenschaftlern und Ökonomen wohl nicht zu nahe, wenn man feststellt, daß sie schon mit den Fragen der deutschen Wiedervereinigung überfordert waren und jetzt mit den Fragen der Zukunft Ost- und Südosteuropas erst recht nichts mehr anfangen können. Wer z. B. nur das ‚System‘ der sozialen Marktwirtschaft im Kopf hat und die Kriterien und Indikatoren, an welchen man es erkennt, wird schon deshalb mit seinen Rezepten scheitern, weil die kulturellen Prägungen des Arbeitsethos, die Lebensstile und Mentalitäten, die religiösen Bindungen und die politischen Empfindlichkeiten, die bisher in den Randbedingungen seiner Gleichungen ein Schattendasein fristeten, in den neu erwachten Nationen eine objektiv gesteigerte Bedeutung erhalten.“ Bock, Die Entwicklung, S. 182. – Auch Volker Kruse schließt sich dieser Einbettung soziologischer Ansätze in gesellschaftliche Herausforderungen an, wenn er die heutige Bedeutung der ‚historischen Soziologie‘ folgendermaßen schildert: „Gerade die historische Soziologie birgt wie kaum eine andere sozialwissenschaftliche Tradition unentdeckte und ungenutzte kognitive Potentiale in sich, die geeignet sind, eine oft ziellos spezialisierte, in Forschungsroutine erstarrte, den heraufziehenden großen Herausforderungen der Zeit kategorial nicht gewachsene Disziplin neu zu beleben.“ Kruse, Historisch-Soziologische Zeitdiagnostik, S. 397. – Zur einseitigen Rezeption der historischen Soziologie unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen und wissenschaftstheoretischer Diskussionen der 1950er-Jahre vgl. Kruse, Historische Soziologie, insbesondere S. 98–101. Vgl. Kemper, Themes and Variations, S. 4. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 21; – http://www.britsoc.co.uk/new_site/index.php?area=specialis ms&id=47 (22.7.2005); – http://www.valt.helsinki.fi/esa/emotions.htm (22.7.2005). Zur angenommenen Verknüpfung zwischen soziologischem Denken und lebensweltlichen Veränderungen vgl. auch Smelser, External Influences, S. 44.
2. Mögliche Gründe für die Vernachlässigung
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Mikro- und Makroperspektive miteinander verbanden), wäre im Laufe der Etablierung der Soziologie zugunsten einer stärkeren Spezialisierung auf jeweils einen der beiden Bereiche aufgegeben worden. „Individual happiness, suicidal despair, alienation, conscience, religious fervor, the nuances of love, self-regard – all found a place in early sociological work. (...) But the growth of knowledge and its complexity also promoted the specialization and segregation of scholarly interests into either macro or micro-sociology questions and careers.“16 Kemper diskutiert die Konsequenzen dieser Spezialisierung für die Soziologie der Emotionen trotz einiger Andeutungen nicht im Detail17 (wie überhaupt die Frage nach den Gründen für die Vernachlässigung/Wiederentdeckung der Emotionen bei ihm und anderen Autoren und Autorinnen aus dem Umkreis der neueren Soziologie der Emotionen keine Priorität zu haben scheint). In Vorgriff auf Kapitel III, 3.3. soll daher an dieser Stelle kurz die mögliche Wirkung des Wachstums der soziologischen Disziplin (inklusive ihrer zunehmenden Spezialisierung) auf das Thema der Emotionen skizziert werden. Aus meiner Sicht dürfte das Ringen um die Etablierung als universitäres Fach eine wichtige Rolle bei der allmählichen Verdrängung der Gefühle aus soziologischen Betrachtungen gespielt haben. Die Soziologie steht, wie andere Sozialwissenschaften auch, vor dem Problem, dass ihre kognitive Trennschärfe – im Gegensatz zu derjenigen der meisten naturwissenschaftlichen Disziplinen – nicht sehr hoch ist. Die Erkenntnisgegenstände und Methoden der Soziologie deckten sich von Beginn an zum Teil mit denjenigen anderer Disziplinen. Gerade im traditionellen akademischen Kontext des deutschen Sprachraumes dürfte dies in der Phase der Etablierung der Soziologie als eigener Fachbereich an den Universitäten zu besonders rigiden disziplinären Abgrenzungsversuchen geführt haben.18 Gegenstandsbereiche, die offensichtlich auch in das Arbeitsfeld anderer Wissenschaften fielen – wie zum Beispiel die Emotionen in den Bereich der Psychologie –, wurden in dieser Phase vom soziologischen mainstream gemieden. Das international wiedererwachte Interesse an den Emotionen in der Soziologie könnte man sodann mit dem Modell der Verzweigung der Wissenschaftsentwicklung nach Michael J. Mulkay erklären. Wenn sich eine akademische Disziplin ausweitet, ist es notwendig, neue Reputationen versprechende Analyse- und Aufgabenbereiche für die wachsende Zahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu finden.19 Auch Randbereiche, die bisher entweder als unwichtig galten oder die bewusst, aufgrund von Etablierungsbemühungen, gemieden wurden, können nun einer genaueren Analyse unterzogen werden.20 Emotionen können unter diesem Blickwinkel wieder zu einem Thema in der Sozio-
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Kemper, Themes and Variations, S. 5. Beispielsweise lässt er die Frage, wieso auch die auf den Mikrobereich spezialisierten Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen Emotionen zeitweise aus ihren Erörterungen verbannten, an dieser Stelle unbeantwortet. Zum Problem der disziplinären Abgrenzungsversuche in der Etablierungsphase einer Disziplin vgl. auch Merton, Notes on Problem-Finding, S. 36: „When (...) early modern sociologists were engaged in trying to establish a distinct intellectual identity, they placed great emphasis upon the autonomy of the field and largely ignored the methods, ideas, and data of related disciplines.“ Vgl. Mulkay, Drei Modelle der Wissenschaftsentwicklung, S. 56–57. – Vgl. auch Kemper, Themes and Variations, S. 3. – Zur austauschtheoretischen Sicht der Bedeutung von Reputationen als Anreiz für wissenschaftliche Leistungen vgl. auch Weingart, On a sociological theory, S. 56–61. Hierbei wäre auch auf Bourdieus Vorstellungen zum Prozess der Kapitalakkumulation in sozialen Feldern zu verweisen, der zufolge sich Subfelder ausbilden können, in denen das Reüssieren gerade durch die Verletzung althergebrachter Normen des Hauptfeldes möglich ist. Vgl. Bourdieu, Manet and the Institutionalization.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
logie werden. Laut Mulkay ist es ein Kennzeichen von sich verzweigenden Wissenschaftsgebieten, dass nach einer Phase relativ lose miteinander in Kontakt stehender Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich für ein neues Themengebiet interessieren, sich allmählich eine festere Gemeinschaft herausbildet. Es entsteht Konsens über die zu lösenden Fragestellungen, theoretischen Ansätze und adäquaten Forschungstechniken.21 Die Soziologie der Emotionen kann heute als auf dem Weg zu einer Institutionalisierung als Spezialbereich der Soziologie betrachtet und daher ihre Entstehung auch vergleichbar zur Entwicklung anderer Spezialbereiche beschrieben werden.22 In der heutigen Literatur zur Soziologie der Emotionen gibt es, wie Williams schreibt, a „variety of competing perspectives and multiple research agendas“.23 Neben dieser Themen- und Methodenvielfalt lassen sich aber auch bereits Prozesse einer stärkeren Konsensbildung beobachten: Die Entstehung entsprechender Gesellschaften (ISRE) bzw. Forschungssektionen (in der ASA und BSA) wäre ein Beleg dafür. Auffallend ist auch, dass es scheinbar Einigkeit über die als zitierfähig und -notwendig erachteten frühen Arbeiten auf dem Gebiet der Soziologie der Emotionen gibt. Bücher bzw. Artikel von Arlie Hochschild, Randall Collins und Norman K. Denzin sowie einiger weniger anderer Autoren und Autorinnen werden einheitlich in den neueren Übersichtswerken als Ausgangspunkte einer Soziologie der Emotionen genannt.24 Das Etikett: ‚Soziologie der Emotionen‘ hat sich außerdem für soziologische Arbeiten zur Emotionsthematik durchgesetzt (wobei derzeit unter diesem Etikett, wie erwähnt, noch Arbeiten sehr unterschiedlicher theoretischer und empirischer Ausrichtung subsumiert sind). Die Tatsache, dass es mittlerweile Einführungen und Reader zur Soziologie der Emotionen gibt, kann als Beleg für die stattfindende Institutionalisierung als Spezialbereich ebenso herangezogen werden wie die vorhandenen Einträge zur Soziologie der Emotionen in verschiedenen Nachschlagewerken, etwa der International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences.25
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Vgl. Mulkay, Drei Modelle der Wissenschaftsentwicklung, S. 57. – Vgl. hierzu auch Lemaine et al., Introduction, S. 5–7. Zu den möglichen Kriterien für die Feststellung der Institutionalisierung eines Spezialfeldes vgl. van den Daele, Weingart, Resistance and Receptivity, S. 255–258. – Vor allem im Hinblick auf den Bereich der Reproduktion, d. h. der Heranbildung und Rekrutierung wissenschaftlichen Nachwuchses, der im Bereich der Soziologie der Emotionen bisher nicht geregelt ist, kann noch von keiner Institutionalisierung dieses Spezialgebietes gesprochen werden. Andere Kriterien, wie z. B. das Vorhandensein wissenschaftlicher Gesellschaften, die die Kommunikation innerhalb der spezialisierten scientific community systematisieren, erfüllt die Soziologie der Emotionen hingegen bereits, und es kann somit zumindest von einer beginnenden, kognitiven Institutionalisierung gesprochen werden. Zum Unterschied kognitiver und sozialer Institutionalisierung vgl. Whitley, Cognitive and social institutionalization, S. 69–72. Williams, Emotion and Social Theory, S. 1. – Vgl. Flam, The Emotional Man, S. 153–155. Vgl. Kemper, Themes and Variations, S. 4; – Williams, Emotion and Social Theory, S. 2; – Flam, Soziologie der Emotionen, S. 9. Vgl. Franks, Emotions, Sociology of. – Ein entsprechender Eintrag findet sich auch im Oxford Dictionary of Sociology, vgl. Marshall, Dictionary, S. 190. – Heise erwähnt die Soziologie der Emotionen in seinem Beitrag für die Encyclopedia of Sociology zum Thema „Affect Control Theory and Impression Management“, vgl. Heise, Affect Control, S. 15.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung – Oder: Warum werden bestimmte Themen gewählt und andere vernachlässigt?
3. 1. Einleitung „The ship of sociology charts its course both according to what those on board decide to do and in response to changes in its environment.“1 (Martin Bulmer)
Im folgenden Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, wovon die Themenwahl der in einem Fachbereich arbeitenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen abhängt. Sind es die Entdeckungen und Ideen anderer, die zu neuen weiterführenden Gedankengängen anregen? Sind es praktische Erfordernisse, die quasi von außen als Aufgaben an die Wissenschaft herangetragen werden und den Ausschlag für die Beschäftigung mit einem Thema geben? Ist es der sogenannte schwer definierbare Zeitgeist, der die Themenwahl beeinflusst? Sind es die Strukturen des Wissenschaftssystems, die die Bearbeitung bestimmter Themen naheliegender erscheinen lassen als anderer? Oder sind es persönliche Motive der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die aus ihrer Biographie und ihrer sozialen Herkunft abgeleitet werden können, die die inhaltliche Ausrichtung ihrer Arbeiten prägen? Im folgenden Abschnitt soll kein erschöpfender Überblick über die Entwicklung der Wissens- bzw. Wissenschaftssoziologie gegeben,2 sondern einige für die Geschichte der Emotionen in der Soziologie wesentliche Aspekte hervorgehoben werden. Den folgenden Abhandlungen vorausgeschickt werden muss der Hinweis, dass alle Modelle, die von einer rein sachlogisch motivierten Wissensentwicklung ausgehen, und auch all jene Modelle, die einen kumulativen Wissensfortschritt oder eine zufällige Wissensvermehrung annehmen, von der Analyse ausgeschlossen werden.3 Es wird demgegenüber die These vertreten, dass ein Zusammenhang zwischen bestimmten, näher zu spezifizierenden sozialen Strukturen (seien sie wissenschaftsintern oder -extern) und der Produktion von Ideen, Theorien und Methoden besteht.4
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Bulmer, The Growth, S. 341. Zur historischen Entwicklung der Wissens- bzw. Wissenschaftssoziologie verweise ich auf: Bühl, Einführung; – Storer, The Social System of Science, S. 5–9; – Merton, The Sociology of Knowledge; – Weingart, Wissenschaftsforschung, S. 26–38. Vgl. Bühl, Einführung, S. 58–60. Vgl. Lemaine et al., Introduction, S. 17. – Vgl. auch Weingart, On a sociological theory, S. 45–48.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Wissensproduktion, darin stimmen Autoren und Autorinnen ansonsten sehr verschiedener Denkschulen überein, erfolgt ab einem bestimmten Entwicklungsstand der Gesellschaft und ihrer damit verbundenen arbeitsteiligen Organisation in relativ autonomen gesellschaftlichen Teilbereichen, wobei an dieser Stelle nicht näher auf die terminologischen und sonstigen Unterschiede zwischen den verschiedenen Theorien gesellschaftlicher Differenzierung (etwa der Bourdieu’schen Feldtheorie oder der Systemtheorie Luhmanns) eingegangen werden soll. Betrachtet man die Wissenschaft auf diese Weise als einen relativ autonomen gesellschaftlichen Teilbereich, so kann man die Genese und den Wandel von Forschungsinteressen entweder auf exogene Faktoren (d. h. außerhalb des Wissenschaftssystems gelegene Bedingungen und Umstände) oder auf endogene Faktoren (d. h. aus den Strukturen des Wissenschaftssystems selbst resultierende Bedingungen) zurückführen. Exogene Faktoren können entweder direkte thematische Vorgaben vonseiten des gesellschaftlichen Umfeldes der Wissenschaft sein (z. B. Forschungsaufträge)5 oder auch Faktoren, die auf indirekte Art und Weise das Forschungshandeln der wissenschaftlich Tätigen beeinflussen (etwa die Prägung durch ein bestimmtes Herkunftsmilieu oder den allgemeinen ‚Zeitgeist‘ einer Epoche, die zwar den einzelnen Akteuren im Gegensatz zu direkten Einflüssen nicht vorschreiben, welche Themen verfolgt werden sollten, jedoch die Bearbeitung bestimmter Themenkomplexe naheliegender erscheinen lassen als anderer). Endogene Faktoren sind Effekte, die durch das Wissenschaftssystems selbst erzeugt werden, d. h. beispielsweise durch die Art und Weise seiner institutionellen Struktur oder – ganz allgemein – seiner Größe,6 die die Art der Interaktionen der wissenschaftlichen Akteure prägen kann. Auch hier kann wiederum zwischen direkten Effekten (z. B. Forschungsgruppen, die für die Bearbeitung spezieller Themengebiete eingerichtet werden) und indirekten Effekten unterschieden werden. Zu den indirekten endogenen Effekten gehört neben der institutionellen Struktur des Wissenschaftssystems (die z. B. die Bearbeitung bestimmter disziplinübergreifender Themen erleichtern oder erschweren kann) vor allem das jeweilige System der Reputationsvergabe, an dem die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre persönlichen Karrierebestrebungen (und damit auch ihre Themenwahl) ausrichten. Belohnt dieses System der Reputationsvergabe beispielsweise innovative Leistungen, so kann die Aufnahme eines noch unbearbeiteten Themenkomplexes für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen reizvoll erscheinen, wird hingegen die exakte Ausarbeitung vorhandenen Wissens stärker belohnt als innovative Leistungen, wird sich die Aufmerksamkeit eher auf den Bereich traditioneller Themengebiete konzentrieren. Bereits Thomas Kuhn zeigte, dass der Wandel von Forschungsthemen bzw. Paradigmen auf andere als nur rein sachlogisch begründbare Faktoren zurückzuführen ist. Auch wenn der Kuhn’sche Paradigmabegriff, auf dessen vielfältige Kritik und Revision hier nicht eingegangen werden kann,7 mehr impliziert als lediglich die Themenwahl eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin, so kann der Prozess der Themenwahl in weitgehender Anlehnung
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Vgl. hierzu auch die ‚Political-Economic Theory‘ in: Cappel, Gutenbrock, Visible Colleges, S. 267. – Zu Ablauf und Wirkungsweise direkter externer Einflüsse auf die Wissenschaft vgl. auch: van den Daele, Weingart, Resistance and Receptivity; – van den Daele et al., The political direction, S. 219–222. – Als direkte exogene Einflüsse auf das Wissenschaftssystem wären natürlich auch gesetzliche Forschungsverbote zu beachten. Vgl. Price, The Exponential Curve; – Line, Roberts, The size, growth and composition. Vgl. zu Kuhns eigener Überarbeitung des Paradigmabegriffs sein Postskriptum zur ‚Struktur wissenschaftlicher Revolutionen‘ aus dem Jahr 1969: Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 193–203; – sowie auch Kuhn, Neue Überlegungen.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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an das Kuhn’sche Modell des Paradigmenwandels beschrieben werden. Der Glaube an ein Paradigma bildet die Grundlage produktiver Wissensentfaltung, gleichzeitig verhindert diese grundlegende Überzeugung von der Richtigkeit des gerade verfolgten Paradigmas einen raschen Wechsel zu einer anderen Weltsicht. Paradigmenveränderungen oder wissenschaftliche Revolutionen verlaufen daher sehr langsam und werden letztlich nur vollzogen, weil im Rahmen eines ‚Bekehrungsprozesses‘ eine ausreichende Zahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen von der Nützlichkeit des neuen Paradigmas überzeugt wird. Im Rahmen dieses Bekehrungsprozesses kommen andere als rein sachliche Gründe zum Tragen, da aufgrund unterschiedlicher epistemologischer Voraussetzungen ein direkter Qualitätsvergleich der Paradigmen oft nicht möglich ist. Während bei Kuhn noch die Analyse der im Rahmen der Überzeugungsarbeit vorgebrachten Argumente für oder gegen ein bestimmtes Paradigma überwog (also wissenschaftsinterne erkenntnistheoretische Debatten im Vordergrund standen),8 wurde in seiner Nachfolge auch anderen Argumenten, die den Übertritt zu einem neuen Paradigma bewirken können, Aufmerksamkeit geschenkt – allen voran den Karrierebestrebungen von aufstrebenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich durch die Übernahme eines Erfolg versprechenden neuen Paradigmas Belohnungen vonseiten der wissenschaftlichen Gemeinschaft, insbesondere in Form von Anerkennungen und Aufstiegschancen, erwarten.9 Derartige ‚soziale‘ Faktoren haben nicht nur einen Einfluss auf die methodologische Ausrichtung eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin, sondern dürften auch die Wahl von Forschungsthemen maßgeblich mitbestimmen. Diese ‚sozialen‘ Argumente machen deutlich, dass die hier vorgenommene Trennung zwischen endogenen und exogenen Faktoren nur eine idealtypische sein kann. Das Streben nach Anerkennung stellt einen Faktor dar, der in seiner konkreten Umsetzung einerseits vom System der Anerkennungsvergabe innerhalb des Wissenschaftssystems abhängig ist, andererseits aber auch mit wissenschaftsexternen Faktoren (etwa der Sozialisation in einem bestimmten, besonders aufstiegsorientierten Milieu) verknüpft sein kann. Ebenso hängen die institutionelle Struktur der Wissenschaft und das in ihr gültige System der Anerkennungsvergabe natürlich mit außerwissenschaftlichen Vorgaben zusammen (etwa gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Wissensproduktion oder der Wertschätzung, die Wissenschaft vonseiten der Gesellschaft erfährt usw.).10 Die im Folgenden separat erfolgende Betrachtung exogener und endogener Faktoren der Themenwahl soll es erleichtern, konkrete Forschungsperspektiven im Hinblick auf das Handeln wissenschaftlicher Akteure zu benennen, jedoch nicht als Missachtung der prinzipiellen Interaktion dieser Faktoren verstanden werden.
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Vgl. hierzu auch Kuhn, Vorwort, S. 37–38. Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 159–170. – Vgl. hierzu auch die ‚Professional Power Theory‘ in: Cappel, Gutenbrock, Visible Colleges, S. 267. Zur Unmöglichkeit der exakten Abgrenzung zwischen ‚Wissenschaft‘ und ‚Gesellschaft‘, zwischen wissenschaftsinternen und -externen Entwicklungen vgl. auch Bühl, Einführung, S. 33–34; – Krohn, Küppers, Die Selbstorganisation, S. 7–10; – Smelser, External Influences, S. 44.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
3.2. Exogene Faktoren des Wissenschaftssystems als Ursachen für den Themenwandel in den Wissenschaften 3.2.1. ‚Generationslagerung‘, ‚Denkstil‘ und ‚Habitus‘ als Konzepte zur Veranschaulichung der Wirksamkeit des ‚Zeitgeistes‘ im Rahmen der Wissensproduktion Im Folgenden werde ich mich auf einige indirekte exogene Faktoren des Themenwandels konzentrieren, da direkte exogene Einflüsse auf die Sozialwissenschaften (etwa im Sinne öffentlicher Forschungsaufträge) im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung der Emotionsthematik nicht sehr wahrscheinlich sind und sich auch in der bisherigen Literatur keinerlei Hinweise auf derartige externe Forschungsvorgaben finden. Sehr wohl wird aber von Autoren und Autorinnen aus dem Umkreis der Soziologie der Emotionen immer wieder auf den Einfluss des sogenannten ‚Zeitgeistes‘ verwiesen, der für die unterschiedliche ‚Konjunktur‘ der Emotionen in der Soziologie verantwortlich sein soll. Anhand einschlägiger wissenssoziologischer Werke wird die mögliche Wirkungsweise des äußerst vagen Konzeptes des ‚Zeitgeistes‘ theoretisch zu fassen versucht. Außerdem werden mögliche Forschungsfragen zu diesem Themenbereich skizziert werden, die allerdings im Rahmen der vorliegenden Arbeit – die sich in weiterer Folge vor allem mit endogenen Faktoren des Wissenschaftssystems beschäftigen wird – nicht weiter verfolgt werden können. Die Prägung wissenschaftlichen Denkens durch andere als nur wissenschaftsinterne Gründe ist seit Langem Gegenstand wissenssoziologischer Diskussionen. Im Folgenden sollen einige Konzepte näher erörtert werden, die dafür geeignet erscheinen, den möglichen Ablauf der Prägung des soziologischen Denkens im Hinblick auf das Interesse/Desinteresse an der Erforschung der menschlichen Emotionen zu beschreiben.11 Karl Mannheim beschäftigte sich in verschiedenen seiner Schriften mit der prinzipiellen Seinsverbundenheit bzw. Standortgebundenheit allen Denkens, so u. a. in Das Problem einer Soziologie des Wissens (1925) und in Ideologie und Utopie (1929). Seinsverbundenheit bezeichnet bei Mannheim den Umstand, dass außertheoretische, aus den Lebensumständen herrührende Bedingungen einen massiven Einfluss auf das jeweilige Denken des Menschen haben können.12 Auch wissenschaftliches Denken unterliegt einer derartigen Prägung durch lebensweltliche Einflüsse. Mannheim ging mit seinen Thesen zur Seinsgebundenheit des Denkens über die Thesen von Marx zum Einfluss der sozio-ökonomischen Basis auf den Bereich der Gedankenwelt (Überbau) hinaus, indem er nicht nur die Stellung der Menschen im Produktionsprozess als ausschlaggebend für deren Denken beachtete, sondern den zusätzlichen Einfluss anderer ‚Seinsfaktoren‘, wie er es nannte, konstatierte. Zu diesen Faktoren, die Form und Inhalt des Denkens bestimmen können, gehören unter anderem die verschiedenen Aspekte der Generationslagerung. Mit dem Begriff ‚Generationslagerung‘ beschreibt Mannheim die potentielle Partizipation einer Gruppe gleichaltriger Individuen an denselben Ereignissen, was zu potentiell gleichen Erlebnisinhalten führt. Bei einem Generationszusammenhang handelt es sich sodann um die Umsetzung dieser potentiellen Gelegenheiten in Form konkreter Auseinandersetzungen mit dem gemeinsamen Schicksal. Eine noch konkretere Form der Ver-
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Für einen ausführlichen Überblick über die Geschichte der Wissenssoziologie vgl. Meja, Stehr, Der Streit um die Wissenssoziologie. Vgl. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 227.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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bindung wäre sodann die Generationseinheit. Als Beispiele für Generationseinheiten verweist Mannheim auf die liberal-rationalistische und die romantisch-konservative Jugendbewegung ab 1800, die beide demselben Generationszusammenhang angehörten, jedoch unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem alle betreffenden Schicksal vornahmen.13 Jüngere Beispiele für soziale Bewegungen, die in der Mannheim’schen Perspektive auch als Generationseinheiten analysiert werden könnten, wären etwa die verschiedenen Strömungen innerhalb der Frauenbewegung oder der Grünbewegung seit den 1960er-Jahren. Neben den Aspekten der Generation kann, laut Mannheim, auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe oder Schule wesentlichen Einfluss auf das Denken eines Menschen haben.14 Nach Mannheim lassen sich auch kollektive Denkstile – ähnlich den datierbaren Kunststilen – feststellen: „Auf Grund der immer genauer werdenden Erkenntnis der phänomenologischen Merkmale, durch die die einzelnen Denkweisen voneinander unterschieden werden können, gelingt es auch immer mehr, genau so, wie man Bilder datieren kann, Denkweisen zu datieren und mit Hilfe der puren Analyse der Denkstruktur festzustellen, wann und wo die Welt sich dem hinter der Aussage stehenden Subjekt in dieser und nur in dieser Gestalt gab (...).“15 An dieser Stelle soll die teilweise erfolgende Fortführung der Mannheim’schen Gedanken durch Pierre Bourdieu, als Beispiel für die mangelhafte Rezeption Mannheims trotz Fortlebens seiner Konzepte, beleuchtet werden.16 Zwischen dem von Mannheim beschriebenen Phänomen der Denkstile und dem von Bourdieu skizzierten Begriff des Habitus bestehen zahlreiche Parallelen.17 Laut Bourdieu ist es möglich, durch den Begriff des Habitus den Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Lagen und individuellen Handlungen zu veranschaulichen. Der Habitus stellt gewissermaßen ein Bindeglied dar, zwischen den gesellschaftlichen Regelmäßigkeiten und Strukturen auf der einen und den Verhaltensweisen und Alltagserfahrungen der Subjekte auf der anderen Seite. Gegenstand der Bourdieu’schen Habitustheorie ist die Frage, wie soziale Praxis zustande kommt – wie Akteure diese Praxis wahrnehmen, erkennen und interpretieren.18 Hinter dem Habitus verbirgt sich die dominie-
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Vgl. Mannheim, Das Problem der Generation, S. 542–544. Vgl. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 237. Die Liste der Seinsfaktoren müsste heute durch weitere, von Mannheim selbst nicht erwähnte, Kategorien ergänzt werden: beispielsweise die Kategorie Gender, verstanden als die soziale, d. h. im Rahmen der Sozialisation angeeignete Geschlechtsidentität. Die seit den 1980erJahren geführten Diskussionen um den sogenannten Differenzfeminismus können als Beispiele für die im Rahmen der Wissenschaftssoziologie und -philosophie erfolgende Heranziehung der Kategorie Gender als ‚Seinsfaktor‘, dem ein prägender Einfluss auf die Ausgestaltung von Erkenntnisprozessen zugeschrieben wird, genannt werden. Vgl. hierzu Schiebinger, Frauen forschen anders, S. 13–19. – Vgl. auch Fox Keller, Longino, Feminism and Science. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 233–234. – Mannheim entwickelte diese Vorstellung von Denkstilen in Anlehnung an Alois Riegls Arbeiten zur Stilgeschichte bzw. dessen weitergehende Überlegungen zum ‚Kunstwollen‘. Das ‚Kunstwollen‘ stellt nach Riegl das prägende Prinzip sämtlicher formaler Charakteristika einer Kunstepoche dar, das in unterschiedlichen Bereichen des Kunstschaffens (vom Ornament bis hin zur Architektur) nachgewiesen werden kann. Vgl. Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, S. 8, S. 24–25. – Zu Riegl vgl. auch Scherke, Der formale Ansatz Alois Riegls. Zur mangelnden Beachtung Mannheims bei Bourdieu oder Knorr-Cetina und der Rolle, die Merton bei der Tradierung der Mannheim’schen Konzepte gespielt hat vgl. Pels, Karl Mannheim, S. 35–37. Auch Mannheim erwähnt den Habitus, allerdings repräsentiert dieser bei ihm die Gesamterscheinung einer Person und wird noch nicht, wie später bei Bourdieu, auf eine kollektive Basis rückbezogen. Vgl. Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, S. 16. Vgl. Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 165. – Vgl. auch Scherke, Der Begriff des kulturellen Feldes, S. 210–226.
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rende Grundhaltung einer Gruppe, das heißt, die eine Gruppe prägenden Wahrnehmungsund Denkschemata, die sich zwar jeweils in den Handlungen einzelner Subjekte verwirklichen, aber dennoch eine kollektive Basis zur Grundlage haben. Der Habitus der Einzelnen ist gesellschaftlich bedingt und hängt eng mit der jeweiligen sozialen Stellung des Individuums bzw. der Stellung der sozialen Klasse, der das Individuum angehört, innerhalb des sozialen Raumes zusammen. Individuen handeln in alltäglichen Situationen im Rahmen des von ihrem Habitus vorgegebenen Möglichkeitsspielraumes.19 Der Habitus ist aus Sicht Bourdieus gewissermaßen jener ‚Ort‘, an dem ‚Zeitgeist‘ oder ‚Weltanschauung‘ ihre Übersetzung in individuelle Handlungen und Denkweisen finden. Ähnlich wie bei Mannheim der Denkstil einer Epoche, muss auch bei Bourdieu der Habitus aus den individuellen Objektivationen herausgelesen werden, wobei der methodologische Weg hierzu ein äußerst schwieriger ist, da der Habitus stets mehr als nur die Summe der Einzelerscheinungen verkörpert.20 Individuelle Handlungen, Verhaltensweisen oder auch intellektuelle Leistungen werden bei Bourdieu – ganz im Sinne Mannheims – als etwas über sie selbst Hinausweisendes analysiert: als Verweise auf das hinter ihnen wirksame gemeinsame Prinzip oder die ‚generative Grammatik‘ des Habitus.21 Dabei kommt letztlich dem Interpreten oder der Interpretin die Aufgabe zu, die Synthese aus den Einzelerscheinungen herzustellen und diese als Habitus zu benennen bzw. zu beschreiben. Im Prinzip bewegt man sich bei dieser Interpretation auf einer Art von hermeneutischem Zirkel, oder wie Mannheim es ausdrückt: „Aus den Einzeldokumentationen erfasse ich den Geist der Epoche, und aus dem Geist der Epoche lerne ich die Dokumentationen als Teilmoment desselben zu verstehen.“22 An dieser Stelle kann nicht näher auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Bourdieu und Mannheim eingegangen werden (interessant wäre auch eine genauere Aufarbeitung der verbindenden Funktion, die die Arbeiten Erwin Panofskys zwischen Mannheim und Bourdieu einnehmen).23 Aus meiner Sicht erscheinen sowohl das Konzept des Denkstils als auch jenes des Habitus geeignet, um die Einbettung des Wissenschaftlers bzw. der Wissenschaftlerin in außerwissenschaftliche Bezüge darzustellen. Für Individuen herrscht in alltäglichen Situationen nie völlige Entscheidungsfreiheit. Auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind nicht vor einer Prägung ihrer alltäglichen Handlungen (und damit
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Vgl. Bourdieu, Satz und Gegensatz, S. 26f. – Vgl. hierzu auch Schwingel, Bourdieu zur Einführung, S. 53– 69. – Vgl. auch Scherke, Der Begriff des kulturellen Feldes, S. 210–226. Vgl. Bourdieu, Der Habitus, S. 133–136. Vgl. Bourdieu, Der Habitus, S. 150. – Vgl. hierzu auch Mannheims Ausführungen zum Dokumentsinn der Kulturgebilde: Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, S. 13–14. Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, S. 36. Bourdieu bezieht sich in seiner Darstellung des Habituskonzeptes u. a. auf die ikonologischen Arbeiten Erwin Panofskys. Vgl. Bourdieu, Der Habitus, S. 130–137. – Panofsky hat seine dreistufige Methode der ikonologischen Interpretation u. a. in Auseinandersetzung mit Mannheims Arbeiten entwickelt bzw. verfeinert (später spielten auch Ernst Cassirers Überlegungen zur Symbolik eine wichtige Rolle für ihn). Mannheim selbst hatte wiederum in der 1923 erschienenen Fassung seiner Schrift zur Weltanschauungsanalyse Bezug auf Panofskys frühe Vorstellungen zum Sinngehalt von Kunstwerken genommen (die dieser in Auseinandersetzung mit Alois Riegls Begriff des ‚Kunstwollens‘ bereits 1920 publiziert hatte) und diese einer Modifikation unterzogen. Die enge, disziplinübergreifende Verflechtung der Kulturwissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird anhand dieser wenigen Bemerkungen bereits deutlich. Vgl. Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, S. 25, S. 28; – Panofsky, Sinn und Deutung, S. 38–42. – Vgl. hierzu auch Pochat, Der Symbolbegriff, S. 166–177.
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auch ihrer Arbeit) durch den Habitus (im Sinne Bourdieus) oder den Denkstil (im Sinne Mannheims) gefeit. Die Wissenssoziologie hat nach Mannheim die Aufgabe, gerade in der modernen Welt, in der es viele voneinander unabhängige Gruppen gibt (die widersprüchliche Ansichten über die Welt vertreten), durch eine genaue Analyse der Denkinhalte auf ihre Standortgebundenheit hin zum besseren Verständnis der einzelnen Gruppen beizutragen.24 Die Wissenssoziologie kann jedoch nicht nur bei Konflikten weltanschaulicher Art eine vermittelnde, aufklärende Funktion übernehmen, sondern gerade auch im Feld der Wissenschaft selbst die Standortgebundenheit von Erkenntnissen und damit mögliche ‚Denkbeschränkungen‘ aufzeigen. Eine solche ‚Denkbeschränkung‘, die möglicherweise auf bestimmte Seinsfaktoren im Umfeld der ‚Denkenden‘ zurückgeführt werden kann, ist die im 20. Jahrhundert lange Zeit praktizierte Ausklammerung der Affekte bzw. überhaupt des Körpers aus den theoretischen Erörterungen der Sozialwissenschaften. Verschiedene Autoren und Autorinnen versuchen diese ‚Scheuklappen das Emotionale betreffend‘ auf das die Sozialwissenschaften dominierende, rationale Menschenbild zurückzuführen. Im Sinne eines kollektiven Denkstils, der näher auf seine konkreten Entstehungsbedingungen hin analysiert werden müsste, konzentrierten sich die Arbeiten der Sozialwissenschaften im 20. Jahrhundert einseitig auf die Analyse rationalen Handelns und blendeten dabei die Verbindungen dieses Handelns mit den Emotionen des Menschen aus ihren Untersuchungen aus. Die soeben geschilderten Faktoren – von mir den exogenen Faktoren der Themenwahl subsumiert – können Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bereits prägen, noch bevor sie ihre konkrete Tätigkeit überhaupt aufgenommen haben.25 Es ist jedoch auch möglich, dass ein bestimmter Denkstil erst innerhalb des wissenschaftlichen Systems selbst übernommen wird, in das die jeweiligen Aspiranten wissenschaftlicher Reputation hineinsozialisiert werden. Das Konzept des Denkstils (und Gleiches gilt für das Konzept des Habitus) lässt sich nicht ausschließlich auf die wissenschaftsexterne Welt beschränken; im Gegenteil: Bourdieu weist explizit auf die Bedeutung wissenschaftlicher Schulzusammenhänge für die Ausbildung eines bestimmten Habitus hin. Im Hinblick auf die Beachtung bzw. Nicht-Beachtung der Emotionen in der Soziologie ergeben sich aus den eben geschilderten, hier als ‚exogen‘ bezeichneten Faktoren folgende Forschungsfragen: Welche prägenden Erfahrungen (im Sinne einer Generationslagerung) könnten sich auf die Beachtung oder Vermeidung des Themas der Emotionen ausgewirkt haben? Lassen sich hier zudem zwischen dem deutschen und dem anglo-amerikanischen Sprachraum maßgebliche Unterschiede feststellen? Der Zweite Weltkrieg, die unmittelbare Nachkriegszeit und auch die 1960er-Jahre dürften in den USA und in Deutschland sehr unterschiedlich erlebt worden sein. Neben der Perspektive von Kriegssiegern bzw. -verlierern wäre hier auch an die unterschiedliche sozio-ökonomische Position (Stichwort: ‚Marshallplangeber‘ und ‚-empfänger‘), aber auch an die unterschiedliche Verarbeitung des Holocausts zu denken. Neben diesen zeitgeschichtlichen Hintergründen wären außerdem die unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen, in die die Sozialwissenschaftler hineinsoziali-
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Vgl. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 241. In dieser Weise müssen auch beispielsweise die Argumente Kempers gelesen werden, wenn er die Wiederentdeckung der Emotionen teilweise auf einen prägenden Einfluss der sozialen Bewegungen der 1960er-Jahre – also explizit wissenschaftsexterne Faktoren – zurückführt.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
siert wurden, zu beachten: Der durch theoretisch-philosophische Grundlagendiskussionen gekennzeichneten deutschen Tradition steht eine eher anwendungsbezogene Orientierung der amerikanischen Sozialwissenschaften gegenüber. Der Erfahrungshintergrund deutschsprachiger und amerikanischer Sozialwissenschaftler bietet reichhaltige Ansatzpunkte, um eine je andere Generationslagerung und einen je anderen kollektiven Denkstil derselben annehmen zu können. Bereits aus diesen wenigen Bemerkungen könnte man auf einen sehr unterschiedlichen Umgang mit dem Thema der Emotionen (vor allem, was den Zeitpunkt seiner Wiederentdeckung betrifft) diesseits und jenseits des Atlantiks schließen. Weitere Fragestellungen, die sich vor allem aus einer Beachtung des Habituskonzeptes ergeben könnten, werden in Kapitel III, 3.4. angedeutet.
3.3. Endogene Faktoren des Wissenschaftssystems als Ursachen für den Themenwandel in den Wissenschaften In der Wissenschaft können bestimmte Lehrmeinungen und theoretische Ansätze, wie soeben gezeigt, auf außerwissenschaftliche Faktoren – auf Seinsfaktoren im Sinne Mannheims – zurückgeführt werden. Daneben kann jedoch auch das Wissenschaftssystem selbst eine Eigendynamik entfalten, die das Denken der Forscher und Forscherinnen und somit ihren weiteren Erkenntnisprozess beeinflusst. Im Folgenden sollen einige Aspekte der Wirkung dieser endogenen Faktoren auf die Themenwahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erörtert werden. Den in diesem Abschnitt behandelten Faktoren kommt aus meiner Sicht auch bei der Erörterung der Konjunktur des Themas der Emotionen in der Soziologie eine wichtige Rolle zu, weshalb im Folgenden etwas ausführlicher als im vorangegangen Abschnitt auf die einzelnen Faktoren eingegangen werden soll. Auch hier werden wiederum die indirekten Faktoren im Vordergrund stehen, da direkte Effekte (im Sinne wissenschaftsinterner Forschungsvorgaben) im Hinblick auf die Beachtung/Vernachlässigung der Emotionsthematik als vernachlässigbar angesehen werden.
3.3.1. Objektives Wachstum der Wissenschaft oder Paradigmenstreit? Die Arbeiten der Wissenschaftssoziologie widersprechen – bei allen Unterschieden im Untersuchungsdesign – jenen Vorstellungen, die eine strikte Objektivität der Wissenschaft und einen durch diese angeleiteten ‚Fortschritt der Wissenschaften‘ konstatieren. Robert King Merton hat diese Vorstellungen und den damit zusammenhängenden Werte- und Normenkanon der Wissenschaft 1942 erstmals idealtypisch zusammengefasst.26 Im Folgenden sollen einige Aspekte der im Anschluss an Mertons Arbeit geführten Diskussion darüber, wie wissenschaftliches Wachstum zustande kommt, beschrieben werden. Wachstumsprozesse, d. h. Veränderungen der kognitiven und/oder sozialen Gestalt des Wissenschaftssystems, sind wichtige wissenschaftsinterne Einflussfaktoren für die Themenwahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen – wobei allerdings thematische Diskontinuitäten in Wissenschafts-
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Merton publizierte seine Gedanken zum Ethos der Wissenschaft 1942 unter dem Titel „Science and Technology in a Democratic Order“; dieser Aufsatz wurde später mehrfach, z. T. leicht überarbeitet, wieder abgedruckt. Vgl. Merton, The normative structure of science, S. 3–16. – Vgl. auch Bühl, Einführung, S. 104–124.
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disziplinen durch verschiedene Wachstumsmodelle unterschiedlich gut erklärt werden können.27 Das sogenannte Modell der Offenheit ist durch das von Merton beschriebene Ethos der Wissenschaft gekennzeichnet, d. h. durch die Prinzipien des Universalismus, des Kommunalismus, der Uneigennützigkeit und des organisierten Skeptizismus. Grundidee dieser Prinzipien ist, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unter Absehung von außerwissenschaftlichen Faktoren stets bemüht seien, zum Fortschritt der Wissenschaft beizutragen. Theorien und Erkenntnisse würden auf Basis dieser Prinzipien einer kritischen Prüfung unterzogen, um ein kontinuierliches Wachstum der Wissenschaft zu gestatten.28 Persönliche Eigenschaften (wie etwa Nationalität, Religions- oder Klassenzugehörigkeit) dürften keine Rolle bei der Beurteilung der von Forschenden vorgelegten Ergebnisse spielen. Sämtliche Ergebnisse müssten zudem der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur weiteren Prüfung und Ergänzung zur Verfügung gestellt werden, wobei diese wissenschaftliche Prüfung und Weiterentwicklung bar jeden Eigeninteresses zu erfolgen habe. Merton verwies selbst auf mögliche dem Ethos der Wissenschaft entgegenstehende Verhaltensweisen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen; prinzipiell bilde der von ihm skizzierte Normenkanon jedoch die implizite Leitlinie wissenschaftlicher Praxis.29 Die Wissenschaftssoziologie hat allerdings die häufige Nicht-Beachtung der Prinzipien des Ethos der Wissenschaft in der konkreten Forschungspraxis aufgezeigt.30 Allein schon das exponentielle Anwachsen wissenschaftlicher Produktion steht einem Prozess der gemeinschaftlichen, kritischen Validierung der Ergebnisse entgegen. Für den einzelnen Wissenschaftler oder die einzelne Wissenschaftlerin ist es heute nicht mehr möglich, sein oder ihr Fachgebiet vollständig zu überblicken. Insofern ist bei vielen Publikationen auch eine entsprechende kritische Diskussion derselben nicht sichergestellt, womit aber nicht ausgeschlossen ist, dass sie aufgrund anderer als rein wissenschaftlicher Faktoren innerhalb der Disziplin weiter verbreitet und für gültig gehalten werden.31 In der Wissenschaftssoziologie herrscht daher heute weitgehende Einigkeit darüber, dass das Ethos der Wissenschaft eine Idealvorstellung verkörpert, die vor allem nach außen hin zur Rechtfertigung wissenschaftlicher Tätigkeit vertreten wird. Eventuell findet auch innerhalb der Wissenschaft eine Beachtung dieser Norm statt, jedoch werden durch Mertons Modell wesentliche Aspekte des Prozesses der Wissensproduktion (der vor allem gerade auch durch Abweichungen von Mertons Normen gekennzeichnet ist) ausgeblendet. Mertons Modell wurde insbesondere durch Thomas Kuhns – 1967 erstmals vorgelegtes – Modell der Geschlossenheit der Wissenschaftsentwicklung in Zweifel gezogen.32 Ausgangspunkt für die Kuhn’sche Argumentation ist der Begriff des Paradigmas. Es handelt sich dabei um von einer scientific community anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die ihr für eine gewisse Zeit die maßgeblichen Probleme und Lösungsansätze für
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Zur mitunter ungleichzeitigen Entwicklung kognitiver und sozialer Prozesse in der Wissenschaft vgl. Weingart, On a sociological theory, S. 63–65. Vgl. Cappell, Gutenbrock, Visible Colleges, S. 266. Vgl. Merton, The normative structure of science, S. 5. Als Beispiel sei hier etwa auf den Widerstand gegen kreative Ideen verwiesen, der sich vorrangig auf Eigenschaften der Person, die diese Ideen vorlegt, beziehen kann; vgl. Bühl, Einführung, S. 175–179. – Zu weiteren Problemen des Ethos der Wissenschaft vgl. Storer, Kritische Aspekte. Vgl. Bühl, Einführung, S. 180–183. Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. – Vgl. auch Bühl, Einführung, S. 128–137.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
ihre Arbeit vorgeben.33 Ein Paradigma repräsentiert eine bestimmte Sicht der Welt, die sich sowohl in entsprechenden Theorien als auch Methoden niederschlägt. Die sogenannte ‚normale Wissenschaft‘ beruht laut Kuhn darauf, ein anerkanntes Theoriegebäude, d. h. ein Paradigma, zu erweitern. Die Anwendbarkeit dieses Paradigmas soll für möglichst viele Bereiche aufgezeigt werden. Dieser Prozess, der auch als ‚Rätsel lösen‘ bezeichnet wird, führt dazu, dass Lösungen für bestimmte, vom Paradigma definierte Probleme gesucht werden und hierbei ein geordnetes Anwachsen des Wissensbestandes erzielt wird.34 Die Reife einer Wissenschaft erweist sich anhand des Vorhandenseins eines solchen forschungsleitenden Paradigmas. Sollten im Rahmen der Forschung Anomalien, d. h. unlösbare Probleme, auftreten, wird zunächst versucht, diese durch Ad-hoc-Modifizierungen des Paradigmas zu erklären. Paradigmen weisen so ein erhebliches Beharrungsvermögen auf. Kuhn stellt einen erheblichen Widerstand der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gegen eine Änderung ihrer Forschungsausrichtung fest. Sie geben das von ihnen vertretene Paradigma vor allem deswegen nicht auf, weil dies vielfach auch andere, bereits von ihnen scheinbar gelöste Forschungsfragen wieder virulent machen könnte.35 Erst wenn sich die Anomalien häufen und es zu einer allgemeinen Krise im betroffenen Wissenschaftsgebiet kommt, kann allmählich ein neues Paradigma entstehen. Der Bruch mit dem alten Paradigma – im Sinne einer Revolution – und die Neuausrichtung der Forschung können die Folge sein. Wissenschaftlicher Fortschritt muss laut Kuhn nicht als ein allmähliches Kumulieren von Wissen, sondern vor allem als Bruch mit der bisherigen Weltsicht gesehen werden. Das, was wahrgenommen wird, hängt wesentlich vom jeweils vertretenen Paradigma ab. Fortschritt wird laut Kuhn daher auch durch das Aufgeben bisheriger Sichtweisen erzielt.36 Es gibt allerdings keine Metaebene, von der aus man die Wahl eines Paradigmas rechtfertigen könnte (Inkommensurabilitätsthese). Jedes repräsentiert die Welt aus einer bestimmten Perspektive; der Übertritt zu einem neuen Paradigma erfolgt nicht, weil dieses tatsächlich größere Nähe zur ‚Wahrheit‘ aufweist, sondern ist hauptsächlich auf Überzeugungsarbeit bereits ‚Übergetretener‘ zurückzuführen.37 Wissenschaftliche Revolutionen werden durch die Lehrbücher einer Disziplin allerdings häufig unsichtbar gemacht, indem in ihnen nur das jeweils siegreiche, neue Paradigma dargestellt wird.38 Die Neigung, den Fortschritt der Wissenschaft kumulativ zu betrachten, resultiert hieraus. Übersehen wird dabei, dass ein Paradigmenwechsel eine völlig neue Sichtweise der Welt bedeutet und keine Fortschreibung bisheriger Forschungen ist. Nach einer Revolution ändert sich die Blickrichtung der Wissenschaftler; neue und andere
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Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 10. Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 38–47. Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 70–72. – Zum Widerstand von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gegenüber neuen Entdeckungen vgl. auch Barber, Resistance. In einer anderen Arbeit wies Kuhn allerdings darauf hin, dass auch die Arbeit im Rahmen der ‚normalen Wissenschaft‘ wissenschaftliche Fortschritte bringe und die einseitige Betonung wissenschaftlicher Revolutionen, als Wege zum Neuen, am Wesen der Wissensproduktion – das über lange Zeit hinweg vor allem durch ‚normale Wissenschaft‘ gekennzeichnet ist – vorbeisehe. Vgl. Kuhn, Die grundlegende Spannung, S. 308–310. Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 159–169. – Auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Kuhn’schen Ansatzes zu demjenigen Karl Poppers – etwa im Hinblick auf die Frage, mit welchen Argumenten die Wahl eines Paradigmas gerechtfertigt werden kann – kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, vgl. hierzu aber: Kuhn, Logik oder Psychologie. – Zu den ‚Wittgenstein’schen Wurzeln‘ des Kuhn’schen Ansatzes vgl. Pels, Karl Mannheim. Vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 25 und S. 147ff.
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Phänomene werden nun erklärbar. Dies heißt jedoch noch nicht, dass man sich der ‚Wahrheit‘ weiter angenähert hätte. Der Paradigma-Begriff Kuhns impliziert die Existenz relativ homogener wissenschaftlicher Gemeinschaften, die ein bestimmtes Paradigma vertreten und deren Vorhandensein erst die, von einem Wissenschaftler allein nicht zu bewerkstelligende, weitgehende Diffusion der mit diesem Paradigma im Zusammenhang stehenden Ideen, Methoden und Theorien sicherstellt. In der Nachfolge Kuhns wurde die Vorstellung homogener, nach außen geschlossener Gemeinschaften als soziale Basis wissenschaftlichen Arbeitens abgelehnt. Die Bindung an eine wissenschaftliche Gemeinschaft und die Bindung an ein bestimmtes Paradigma können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Nach Bühl lassen sich vier Typen (Diffusion, Migration, Feldwechsel, Mobilität) möglicher Zusammenhänge zwischen sozialer und paradigmatischer Einbindung des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin unterscheiden.39 Wissenschaftlicher Fortschritt hängt in dieser Perspektive also immer auch eng mit sozialen Prozessen (etwa der Gruppenbildung, der Konkurrenz in und zwischen Gruppen usw.) zusammen. Es können zum Teil gerade Außenseiter wissenschaftlicher Gruppen sein, die neue Perspektiven in die Diskussion einbringen bzw. den ‚Rest‘ der ‚Gemeinschaft‘ zur Schärfung seiner wissenschaftlichen Aussagen motivieren und somit zur fruchtbaren Weiterentwicklung der Wissenschaft beitragen. Es lassen sich außerdem häufig Mehrfachzugehörigkeiten von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu verschiedenen Diskussionszirkeln feststellen, die durchaus produktiven Ideenaustausch ermöglichen können. Die Existenz solcher, vom strikten Kuhn’schen Gemeinschaftsmodell abweichender Phänomene ist aus Sicht Bühls auch dafür verantwortlich, dass es nicht notwendigerweise zu wissenschaftlichen Revolutionen im Sinne eines Bruchs mit einem unproduktiv gewordenen Paradigma kommen muss, da vielfältige Formen des Übergangs bzw. der Parallelexistenz von Paradigmen angenommen werden können.40 Neben den Organisationsaspekten des Wissenschaftssystems – d. h. den sich häufig personell überlappenden, aber auch miteinander in Konkurrenz stehenden wissenschaftlichen Gemeinschaften oder Diskussionszirkeln – spielen aus Sicht Bühls auch die Motive einzelner Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die letztlich zustande kommende Wissensproduktion.41 Die bei Kuhn noch weitgehend erkenntnistheoretisch gehaltene Kritik am Modell der Offenheit wurde in seiner Nachfolge also durch explizit soziologische Argumente ergänzt, wobei das Kuhn’sche Modell der Geschlossenheit der Wissenschaftsentwicklung einer Revision aufgrund der im Wissenschaftssystem ablaufenden sozialen Prozesse unterworfen wurde. Insbesondere die Vorstellung wissenschaftlicher Revolutionen ist in Anbetracht der von Bühl skizzierten vielfältigen Möglichkeiten der Übergänge und Verflechtungen zwischen Wissenschaftsgemeinschaften nicht haltbar.
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Vgl. Bühl, Einführung, S. 134–137. – Zur nicht ständig vorhandenen Deckungsgleichheit kognitiver Strukturen (z. B. in Form von Paradigmen) und sozialer Strukturen des Wissenschaftssystems vgl. auch Weingart, On a sociological theory, S. 64: „The fact that cognitive orientation complexes do not sufficiently predetermine cognitive behaviour just as social norms do not entirely predetermine social behaviour is the reason that in science cognitive and social structure, although they analytically correspond to one another, do not need to in reality.“ Vgl. Bühl, Einführung, S. 137–140. – Zur Kritik am normativen Modell wissenschaftlicher Gemeinschaften vgl. auch Böhme, Cognitive Norms, S. 129–131. Vgl. Bühl, Einführung, S. 147–151.
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Michael J. Mulkay weist daraufhin, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen keineswegs an ein einziges Paradigma bzw. eine einzige wissenschaftliche Gemeinschaft gebunden sind und schlägt daher ein Modell der Verzweigung zur Beschreibung der Entwicklung der Wissenschaft vor. Aus Sicht von Mulkay sind es nicht Revolutionen, die die Entwicklung der Wissenschaft bestimmen, sondern es kommt aufgrund der wachsenden Zahl der in einem Fachgebiet Tätigen und ihrer Karrierebestrebungen zu einer Verzweigung oder Diversifikation der Disziplin, ohne dass alte Paradigmen oder Fragestellungen völlig aufgegeben werden müssen.42 Die Randbereiche der Disziplin sind für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen deshalb attraktiv, weil sie hier leichter akademische Anerkennungen erringen können als in etablierten Gebieten. Revolutionen kommen nur dort zustande, wo keine Verzweigung einer Disziplin mehr möglich ist. Mulkay berücksichtigt in seinem Modell auch die Tatsache, dass es durchaus zum Transfer von Ideen eines Spezialgebietes in ein anderes kommen kann und auf diese Weise – gewissermaßen durch gegenseitige Befruchtung der Spezialgebiete – wissenschaftliches Wachstum zustande kommt. Kuhns Modell relativ geschlossener Wissenschaftsgemeinschaften kann derartige Phänomene nicht angemessen berücksichtigen. Bereits Merton hat darauf hingewiesen, dass Spezialisierungsprozesse innerhalb der Soziologie (die eine Konzentration der Fragestellungen auf wenige, als relevant erachtete Probleme bewirkten) stets von Phasen abgelöst wurden, die eine Korrektur dieses verengten Themenspektrums vornahmen, indem bisher vernachlässigte Bereiche (wieder) aufgegriffen wurden.43 Merton sieht diese Korrekturprozesse weitgehend als Begleiterscheinungen des Wachstums einer Disziplin an, ohne mögliche Motivationen der Akteure im Rahmen dieser Wachstums- und Spezialisierungsprozesse zu diskutieren. Mulkay bietet durch seinen Hinweis auf die in Randbereichen erzielbaren Reputationen einen konkreten Ansatz zum Verständnis des auf die Korrektur bisheriger einseitiger Fragestellungen ausgerichteten Handelns wissenschaftlicher Akteure. Die in der Soziologie beobachtbare Neuzuwendung zu den Emotionen kann durchaus als ein derartiger Verzweigungsprozess verstanden werden. Durch einen neuen Spezialbereich werden Möglichkeiten des Reputationsgewinns geschaffen, die in den bereits etablierten und von vielen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bearbeiteten Spezialbereichen nur schwer zu erzielen sind. Das Aufgreifen klassischer Ansätze, die die Emotionsthematik beachteten, erleichtert zudem – im Sinne einer Legitimierungsstrategie – die Etablierung des neuen Spezialbereiches. Eine derartige Entwicklung wird auch durch die Schaffung eines bestimmten ‚Markennamens‘ unterstützt, der die Kohärenz der unter diesem Etikett vertretenen Ansätze nach außen hin andeuten und zur Sichtbarkeit des Spezialbereiches beitragen kann. In dem Terminus ‚Soziologie der Emotionen‘, der für unterschiedliche Ansätze seit den 1970er-Jahren verwendet wird, steht ein solches Etikett zur Verfügung. Die Vielfalt der unter dem Etikett vertretenen Ansätze weist zugleich auf die andauernde Parallelexistenz von Paradigmen auch nach der Verzweigung einer Disziplin hin.44 Die Soziologie der Emotionen
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Vgl. Mulkay, Einige Aspekte, S. 90–94. – Zum ‚Weiterleben‘ von Spezialgebieten vgl. auch: Lemaine et al., Introduction, S. 7. „As corrective emphases of theory develop, attention is redirected toward problems once on the forefront of inquiry and temporarily muted or put aside.“ Merton, Notes on Problem-Finding, S. 37. Zur Frage des vor-paradigmatischen Zustandes der Sozialwissenschaften bzw. ihrer poly-paradigmatischen Struktur vgl. auch Lammers, Mono- and poly-paradigmatic developments, S. 123–125. Zu den aus der quasi hegemonialen Stellung des Struktur-Funktionalismus in den 1950er-Jahren hervorgegangenen Hoffnungen
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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repräsentiert in ihrer derzeitigen Fassung kein einheitliches neues Paradigma, sondern stellt weitgehend ein neues (altes) Anwendungsfeld für bereits vorhandene soziologische Ansätze (etwa des Symbolischen Interaktionismus oder der Austauschtheorie)45 dar, die allerdings im Zuge ihrer Anwendung auf die Emotionsthematik eine Weiterentwicklung und Modifizierung erfahren.46 Während mit Mulkay also die Entstehung neuer Spezialbereiche einer Disziplin im Sinne der Verzweigung der Wissenschaft gut beschrieben werden kann (wodurch die Wiederentdeckung der Emotionen durch die Soziologie erklärt werden kann), sollen im folgenden Abschnitt Prozesse rund um die Entstehung von Disziplinen selbst und ihr Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Disziplinen näher beleuchtet werden (wodurch vor allem die lange Vernachlässigung des Emotionsthemas plausibel wird).
3.3.2. Die Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems Zu den maßgeblichen endogenen Faktoren des Wissenschaftssystems, die Einfluss auf die Themenwahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen haben können, gehört seine institutionelle Struktur. Im Folgenden sollen einige Prozesse, die zur institutionellen Ausgestaltung des Wissenschaftssystems (und damit auch zur Entstehung neuer wissenschaftlicher Gemeinschaften und zur Verzweigung der Wissenschaft) beitragen, näher beschrieben werden. Endogene Wirkungszusammenhänge des Wissenschaftssystems und ihre Folgen für die Forschungsausrichtung einzelner Fächer lassen sich aus Sicht der Systemtheorie sehr gut beschreiben (dort, wo es im Folgenden aus Gründen der Anschaulichkeit sinnvoll erscheint, werden auch Parallelen zum Bourdieu’schen Denken hergestellt, ohne an dieser Stelle jedoch eine systematische Diskussion der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesem und dem systemtheoretischen Denken vorzunehmen).47 Betrachtet man das Phänomen Wissenschaft aus einer systemtheoretischen Perspektive, so müssen zwei Prozesse klar voneinander unterschieden werden: der Prozess der Ausdifferenzierung der Wissenschaft und jener der Innendifferenzierung. Während Ausdifferenzierung der Wissenschaft die Entstehung der Wissenschaft als autonomes Handlungssystem, das sich von anderen Systemen wie Religion, Politik oder Ökonomie klar unterscheidet, bezeichnet, ist mit Innendifferenzierung der Wissenschaft die Entstehung von klar voneinander getrennten Disziplinen gemeint. Der Vorteil der Institutionalisierung wissenschaftlicher Beschäftigung liegt darin, dass eine Vertiefung
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auf eine mono-paradigmatische Entwicklung der soziologischen Disziplin vgl. Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 80; – Tenbruck, Deutsche Soziologie, S. 87–91, S. 96–98. Zu verschiedenen in der Soziologie der Emotionen in dieser Weise vertretenen theoretischen Ansätzen vgl. Turner, Stets, The Sociology of Emotions. Man könnte den Wandel des soziologischen Studien zugrundeliegenden Menschenbildes von einem rationalen Typus hin zu einem Typus, der die Affekte des Menschen in den Vordergrund stellt, als ‚klassischen‘ Paradigmenwandel darstellen. Allerdings läge auch in dieser Fassung des Begriffs Paradigma (vorrangig bezogen auf das jeweils forschungsleitende Menschenbild) in der Soziologie derzeit keine wissenschaftliche Revolution vor, sondern die Parallelexistenz eines rationalen und eines emotionalen Paradigmas. Zur Frage eines emotional turn in den Wissenschaften vgl. auch Becker, Rationalisierungen des Gefühls, S. 64–65; – Scherke, Emotionen in aller Munde?, S. 19–20. Für einen näheren Vergleich der beiden Ansätze verweise ich auf Nassehi, Nollmann, Bourdieu und Luhmann, insbesondere auf den Beitrag von Kneer, Differenzierung, S. 25–56.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
und Spezialisierung der Arbeit möglich wird, die auch den weiteren Erkenntnisfortschritt beschleunigen kann. Durch die Institutionalisierung wird ein intensiverer Austausch von Ideen und Wissensbeständen ermöglicht, und es kann zu einer kontinuierlichen Ausweitung derselben kommen. Dieser Prozess der Institutionalisierung kann auch mit dem Prozess des Autonom-Werdens eines Feldes im Bourdieu’schen Sinne verglichen werden (mehr dazu siehe unten). Neben dieser Verselbständigung des wissenschaftlichen Systems – gemessen vor allem am Vorhandensein eines eigenen Berufs: des Hochschullehrers –, die die Unabhängigkeit von kirchlichen, aber auch staatlichen Instanzen brachte, kam es innerhalb des entstehenden Systems zu weiteren Ausdifferenzierungsschritten durch die Bildung von Disziplinen. Disziplinen können laut Stichweh als die soziale Institutionalisierung kognitiver Differenzierungsprozesse angesehen werden.48 Die sich im Laufe der Wissenschaftsentwicklung ausbildenden inhaltlichen und methodischen Schwerpunktsetzungen (Spezialisierungen auf unterschiedliche, zum Teil von der außerwissenschaftlichen Umwelt akzentuierte Problembereiche) finden im Rahmen der Disziplinbildung eine Verankerung in explizit von einander unterschiedenen Fächern.49 Disziplinen erkennt man am Vorhandensein eines relativ homogenen Kommunikationszusammenhanges (scientific community) sowie an einem Korpus eines von dieser Gemeinschaft akzeptierten Wissens, der auch in Form von Lehrbüchern vorliegt und somit die ‚Lehrbarkeit‘ des Faches ermöglicht. Disziplinen zeichnen sich außerdem durch einen Set von problematischen Fragestellungen und speziellen Forschungsmethoden bzw. paradigmatischen Problemlösungen aus. Schließlich müssen Disziplinen durch eine entsprechende interne Karrierestruktur und institutionalisierte Sozialisationsprozesse die Ausbildung und Selektion des Nachwuchses sicherstellen können. Ein weiterer wichtiger Schritt, der der Disziplinendifferenzierung dient, ist die Entstehung von Fachjournalen, die die wissenschaftliche Kommunikation im Spezialgebiet fördern sollen.50 In Deutschland kam es im Zuge der Reorganisation der Universitäten im 19. Jahrhundert zu einer verstärkten Disziplinenbildung. Dieser Prozess veränderte die kognitive Landschaft der Wissenschaft, indem er dazu beitrug, dass Themen, die nicht eindeutig einer der sich entwickelnden Disziplinen zugeordnet werden konnten, entweder einer der jeweiligen Disziplinen assimiliert wurden oder, falls dies nicht möglich war, in Vergessenheit gerieten.51 Den Emotionen dürfte das Schicksal des Vergessenwerdens im Zuge des Disziplinenbildungsprozesses widerfahren sein. Emotionen wurden teilweise der Psychologie zugeordnet bzw. von ihr assimiliert, wie Stichweh dies ausdrücken würde. Dabei wurden jedoch einige Aspekte der Emotionen, vor allem ihre soziale Prägung und ihre Wirkung auf soziale Zusammenhänge, weitgehend aus der wissenschaftlichen Betrachtung ausgeklammert, da die Psychologie diese Fragen nicht zum Kernbereich ihres Faches zählte. Stichweh verweist auf die Geschichte der Chemie, um ein ähnliches Phänomen zu illustrieren. Die Analyse des Zusammenhanges von chemischen und physikalischen Bindungskräften spielte – im Gegensatz zu früheren Überlegungen – im 19. Jahrhundert zunächst kaum noch eine Rolle in der
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Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 15–17. Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 208. Vgl. Stichweh, Ausdifferenzierung der Wissenschaft, S. 177. Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 18–19. – Zur ‚institutional resistance‘ wissenschaftlicher Disziplinen gegenüber kognitiven Neuerungen, die sich nicht innerhalb der bisherigen disziplinären Grenzen diskutieren lassen, vgl. auch van den Daele, Weingart, Resistance and Receptivity, S. 271.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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Chemie, die im Zuge ihrer disziplinären Ausdifferenzierung bemüht war, sich von der Physik abzugrenzen. Erst als im Zuge der Debatte um die Thermodynamik der Einfluss von Wärme auf den Ablauf chemischer Reaktionen thematisiert wurde, kam es zu einer neuerlichen Ausweitung des Problembereiches der Chemie. In der entstehenden Subdisziplin ‚physikalische Chemie‘ fanden die Fragen nach dem Zusammenhang physikalischer und chemischer Prozesse einen neuen institutionalisierten Diskussionsrahmen.52 Die Subdisziplinenbildung ist aus Sicht Stichwehs notwendig, damit sich Innovationen stabilisieren können. „Diese Subsysteme der Wissenschaft, die im Wissenschaftssystem den Prozeß der Systembildung wiederholen, fungieren als in irgendeinem Sinne dauerhafte ökologische Nischen, in denen unwahrscheinliche Hypothesen, riskante Theorien und komplizierte Methoden für einige Zeit gegen eine wissenschaftliche Umwelt geschützt werden können, die anderenfalls einen zu schnellen Verschleiß von Hypothesen, Theorien und Methoden mit sich bringen würde.“53 Weitere Beispiele für derartige Subdisziplinbildungen wären die Biopsychologie (oder physiologische Psychologie), die sich mit dem Zusammenhang zwischen biologischen Strukturen und Vorgängen (etwa des kardiovaskulären, endokrinologischen und immunologischen Systems) und psychischen Erscheinungen beschäftigt, oder auch die Psychoneuroimmunologie,54 die Zusammenhänge zwischen Immunsystem, Zentralnervensystem und psychischen Prozessen thematisiert. Derartige Subdisziplinen können eine ganze Reihe von Disziplinenbildungskennzeichen aufweisen (zum Beispiel im Lehrplan eines Faches verankert werden), ohne dass sie notwendigerweise tatsächlich als separates Studienfach an den Universitäten etabliert werden müssen.55 Was die Thematik der Emotionen und ihrer sozialen Bezüge betrifft, so fand sie teilweise Aufnahme im Feld der ‚Sozialpsychologie‘. Alfred Vierkandt erwähnt beispielsweise 1931 in seinem Artikel „Sozialpsychologie“ im von ihm herausgegebenen Handwörterbuch der Soziologie verschiedene Gefühle ganz selbstverständlich im Zusammenhang mit den Anwendungsgebieten der Sozialpsychologie. Die Sozialpsychologie wird bei ihm jedoch in enger Verknüpfung zur Psychologie gesehen und nicht etwa zur Soziologie.56 Das Verhältnis von Soziologie, Sozialpsychologie und Psychologie war immer wieder Gegenstand von Abgrenzungsdiskussionen,57 die sich unter anderem um die Frage drehten, ob eine zumindest heuristische Übertragung individualpsychologischer Kategorien auf die Analyse der Gesellschaft möglich und zulässig sei. Die unter anderem von Johann Friedrich Herbart, einem der frühesten Vertreter der Psychologie im deutschen Sprachraum, erhobene Analogizitätsannahme zwischen individuellem und kollektivem Geistesleben fand in der Folgezeit im-
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Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 19. Stichweh, Variationsmechanismen, S. 85. Vgl. Pert, Moleküle der Gefühle, S. 268–270; – Hennig, Psychoneuroimmunologie, S. 32ff. Im Prinzip können derartige Subdisziplinenbildungen auch im Sinne Mulkays als Verzweigung der Disziplin vor dem Hintergrund der Reputationssuche wissenschaftlicher Akteure beschrieben werden. Vgl. Vierkandt, Sozialpsychologie, S. 545. – Zu den Aufgaben der analytischen Sozialpsychologie, die sich explizit mit der Interaktion sozialer Bezüge und emotionalen Empfindens befassen soll, vgl. auch Brückner, Fortschritte, S. 676–677. Zu den Schwierigkeiten der Definition des Gegenstandsbereichs der Sozialpsychologie vgl. u. a. Laucken, Sozialpsychologie, S. 23–26; – Brandstätter, Sozialpsychologie, S. 313; – Bornewasser et al., Einführung, S. 17–30.
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mer wieder Unterstützung, aber auch Kritik.58 Das Thema wurde beispielsweise auch in der Kölner Zeitschrift eingehend diskutiert. Seit 1955 trägt die Kölner Zeitschrift den Ausdruck ‚Sozialpsychologie‘ im Titel, woraus eigentlich ein größeres Naheverhältnis zwischen Soziologie und Sozialpsychologie abgeleitet werden könnte. René König, verantwortlich für die Namensänderung, lässt jedoch in verschiedenen Artikeln keinen Zweifel darüber aufkommen, dass zwischen Soziologie und Sozialpsychologie eine strikte Unterscheidung zu treffen sei. 1961 wendet er sich beispielsweise scharf und polemisch gegen die spezifisch deutsche, geisteswissenschaftliche Tradition der Sozialpsychologie und fordert die stärkere Orientierung dieses Faches am Ausland (insbesondere den USA) im Hinblick auf die Konstitution als empirisch ausgerichteter analytischer Wissenschaft. Kritisiert wird von König vor allem die, wie er meint, bei manchen pädagogisch orientierten Sozialpsychologen vorkommende Vermengung praktischer Ambitionen und theoretischer Begriffe. König arbeitet auf eine explizite Unterscheidung zwischen Soziologie und Sozialpsychologie hin: „Mit der Fixierung des zentralen Gegenstandes der Sozialpsychologie in der sozial-kulturellen Person ist auch definitiv die Gefahr gebannt, daß sich Sozialpsychologie gewissermaßen nur als eine verkleinerte Duplizierung der allgemeinen Soziologie mit psychologischen Kategorien darstellt.“59 Dieser Abgrenzungsversuch ist bemüht darum, die soziologische und die sozialpsychologische Perspektive als nicht aufeinander reduzierbar darzustellen und somit dem zwischen Soziologie, Sozialpsychologie und Psychologie immer wieder diskutierten wechselseitigen Reduktionismusproblem zu entgehen. Was die Emotionen (inklusive ihrer sozialen Bezüge) anbelangt, so lässt sich feststellen, dass diese – obwohl zwar teilweise als Aufgabengebiet der Sozialpsychologie gesehen – lange Zeit nur ein Schattendasein in den verschiedenen Konzeptionen von Sozialpsychologie60 im deutschen Sprachraum führten. Vor allem bei einer am Vorbild der Naturwissenschaften orientierten experimentellen Ausrichtung des Faches kann eine tendenzielle Vernachlässigung des Themas der Emotionen festgestellt werden. Erst die Entwicklung bildgebender Verfahren, die eine ‚Sichtbarmachung‘ von Gefühlszuständen bzw. deren neuronalen Äquivalenten möglich machte, führte auch in der experimentellen Sozialpsychologie zu einer stärkeren Beachtung von Emotionen. Zwar hatte es bereits früh Versuche vonseiten der experimentellen Psychologie gegeben, Erlebnisinhalte über die Messung von Gehirnströmen ‚sichtbar‘ zu machen, im Hinblick auf das emotionale Geschehen erwiesen sich jedoch erst die mittels Magnetresonanztomographie erzielbaren Darstellungen als geeignete Mittel, um die in tiefer gelegenen Regionen des Gehirns ablaufenden, mit dem Emotionsgeschehen assoziierten Prozesse darstellen zu können.61
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Vgl. hierzu Laucken, Sozialpsychologie, S. 28ff, S. 36–39, S. 58, S. 202–203. König, Sozialpsychologie heute, S. 2. Man kann eine grobe Einteilung der Sozialpsychologie danach treffen, ob die jeweiligen Ansätze eher dem Gebiet der Soziologie oder dem Gebiet der Psychologie nahestehen, woran sich nochmals der Stellenwert der Sozialpsychologie als Subdisziplin, mit jedoch unsicherem institutionellen Standort, sehr deutlich zeigt. Die Vernachlässigung der Emotionen und ihrer sozialen Einbettung lässt sich vor allem in der stärker an der Psychologie als an der Soziologie orientierten individualistischen Sozialpsychologie feststellen, die lange Zeit durch die Vorherrschaft kognitionstheoretischer Zugänge bestimmt war. Vgl. Lauken, Sozialpsychologie, S. 223–225. – Vgl. auch Graumann, Eigenart, S. 187–188. Zu frühen gehirnphysiologisch ausgerichteten Versuchen in der Psychologie vgl. Benetka, Guttmann, Akademische Psychologie, S. 145–147.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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Mit der Konzeption der Emotionen als Resultate verdrängter Konflikte, bei denen das Über-Ich und dessen Prägung durch gesellschaftliche Normen und Werte eine wichtige Rolle spielte, hätte in der Psychoanalyse ein Modell zur Verfügung gestanden, das dem Emotionalen und seinem sozialen Kontext mehr Aufmerksamkeit hätte schenken können. Vonseiten der Sozialpsychologie erfuhr diese Konzeption jedoch lange Zeit Widerstand, da der Wissenschaftscharakter des psychoanalytischen Instrumentariums angezweifelt wurde, was auch im Zusammenhang mit der nur allmählichen Etablierung der Psychoanalyse als anerkanntem wissenschaftlichen Ansatz gesehen werden muss.62 Aus Sicht von Brandstätter stand der Übernahme psychoanalytischer Kategorien durch die Sozialpsychologie aber auch die starke Ausrichtung der Psychoanalyse auf den Einzelmenschen im Wege: „Die Psychoanalyse in ihrer klassischen Form begreift den Menschen nicht primär als soziales Wesen. Vielmehr stehen die individuelle Triebbefriedigung und die Wandlungen der individuellen Triebenergie – dabei vor allem deren neurotische Störungen – im Zentrum des Interesses. Die frühkindlichen sozialen Erfahrungen und die dadurch vorgeprägten sozialen Erfahrungen und Handlungen des Erwachsenen erscheinen ganz im Sog dieses innerpsychischen Kräftefelds.“63 (Hervorhebung K. S.) Lediglich in einer an der Psychoanalyse orientierten sozialpsychologischen Konzeption, wie sie im Umfeld der Frankfurter Schule vertreten wurde, fand zum Teil eine Erörterung von Gefühlszuständen inklusive ihres sozialen Kontextes statt. Die analytische Sozialpsychologie Fromms ging beispielsweise von folgenden Grundlagen aus: „Die libidinöse Struktur [der Gesellschaft, K. S.] ist das Produkt der Einwirkung der sozial-ökonomischen Bedingungen auf die Triebtendenzen, und sie ist ihrerseits ein wichtiges bestimmendes Moment für die Gefühlsbildung innerhalb der verschiedenen Schichten der Gesellschaft wie auch für die Beschaffenheit des ‚ideologischen Überbaus‘.“64 Fromm unternahm gewissermaßen den Versuch, marxistische und psychoanalytische Überlegungen zu integrieren,65 wobei nicht die Analyse des einzelnen Individuums im Vordergrund stand, sondern auf Basis psychoanalytischer Begriffe eine umfassende Gesellschafts- und Kapitalismuskritik angestrebt wurde. Fromm wandte sich 1939, nach seiner Trennung vom Kreis um Horkheimer und Adorno, allerdings verstärkt der klinischen Arbeit zu und nahm dabei auch eine Revision der Lehre Freuds vor, die in dieser Weise weder von Adorno noch von Horkheimer geschätzt wurde. Die adäquate Auslegung der Freud’schen Lehre stand in weiterer Folge im Vordergrund der Diskussionen zwischen Fromm und anderen Mitgliedern des Horkheimer-Kreises, darunter vor allem Herbert Marcuse.66 Die im Umkreis der Frankfurter Schule entstandenen sozialpsychologischen Beiträge beachteten zwar das Thema Gefühle (auf Basis psychoanalytischer Kategorien), jedoch nahm dieses in Anbetracht ihres gesellschaftskritischen Unterfangens nur eine untergeordnete Stellung ein. In den Studien zum autoritären Charakter werden beispielsweise Vorurteile auf die Wirksamkeit bestimmter Erziehungspraktiken im frühen Kindesalter zurückgeführt, die wie-
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Vgl. zum Etablierungsprozess der Psychoanalyse, Mühlleitner, Psychoanalyse, S. 181–204. Brandstätter, Sozialpsychologie, S. 327. Fromm, Über Methode und Aufgabe, S. 34. – Vgl. auch Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, S. 194; – Jay, Dialektische Phantasie, S. 120–121. Zur versuchten Integration von Marxismus und Psychoanalyse durch die Frankfurter Schule vgl. Jay, Dialektische Phantasie, S. 113–142; – Görlich, Psychoanalyse und Soziologie, S. 154–155. Vgl. Jay, Dialektische Phantasie, S. 131–142.
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derum durch das jeweilige Gesellschaftssystem bestimmt sind, d. h., gesellschaftliche Strukturvariablen werden als ausschlaggebend für das Aufkommen bestimmter Verhaltensweisen und Vorurteile angesehen.67 Die mit diesen Vorurteilen und Verhaltensweisen assoziierten Gefühlszustände, etwa des Hasses auf eine Minderheit, finden zwar im Zusammenhang mit der erstellten Typologie der Vorurteilsbehafteten Erwähnung, werden selbst jedoch keiner näheren Analyse, etwa im Hinblick auf ihre soziale Entstehung, unterzogen, sondern auf Basis des psychoanalytischen Modells als Ergebnis der Charakterstruktur betrachtet.68 An dieser Stelle kann keine detaillierte Nachzeichnung des Umgangs mit der Gefühlsthematik in der Sozialpsychologie vorgenommen werden. Festgehalten werden soll hier lediglich, dass die Zuweisung der Emotionen in das Subfeld der Sozialpsychologie, bei gleichzeitiger konzeptioneller Trennung desselben von der Soziologie, die Vernachlässigung der Emotionsthematik durch die Soziologie mit sich brachte (wobei auch innerhalb des – beispielsweise von Vierkandt – für zuständig erklärten Subfeldes die sozialen Bezüge des Emotionalen kaum thematisiert wurden). Die Ausdifferenzierung der Wissenschaft und die Innendifferenzierung derselben lassen sich sehr gut auch mit Bourdieus Begriff des sozialen Feldes und seiner ‚Unterfelder‘ darstellen. Der Vorteil dieser Blickerweiterung unter Zuhilfenahme Bourdieu’scher Konzepte liegt darin, dass durch diesen Ansatz veranschaulicht werden kann, wie sich strukturelle Zwänge im konkreten Forschungshandeln einzelner Individuen niederschlagen können, also sozusagen die Akteursperspektive im Rahmen der Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems Beachtung erlangt. Bourdieu hat sich in verschiedenen Arbeiten mit dem wissenschaftlichen Feld auseinandergesetzt, so u. a. in seinem Buch Homo academicus (franz. 1984; dt. 1988), aber auch in zahlreichen Essays und Interviews.69 Soziale Felder allgemein sind jene sozialen Strukturen, die durch den alltäglichen Kontakt der Individuen in Form der gesellschaftlichen Praxis entstehen und die die Handlungen der Akteure, einem sie umgebenden Kraftfeld vergleichbar, beeinflussen. Die Entstehung eines Feldes, auch als Autonom-Werden des Feldes bezeichnet, kann wie oben angedeutet mit dem Prozess der Institutionalisierung verglichen werden. Aus Bourdieus Sicht handelt es sich hierbei um einen Prozess, im Zuge dessen das Feld zunehmend selbstbezüglich wird, d. h., seine Akteure sich den Ansprüchen anderer Felder (etwa des Feldes der Macht oder des ökonomischen Feldes) entziehen und ihre Zielsetzungen, Normen oder Werte nur noch (oder weitgehend) in Auseinandersetzung mit anderen Akteuren des eigenen Feldes entwickeln können. Das Konzept des Feldes (ebenso wie das Konzept des Habitus) und die Beschreibung der Wechselwirkungen zwischen allen Angehörigen eines Feldes sollen aus Sicht Bourdieus dazu beitragen, die Produkte dieses Feldes (im Falle des wissenschaftlichen Feldes also etwa die darin erzeugten Ideen, Theorien und Methoden) einerseits in ihrer Determiniertheit durch die jeweiligen ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen, andererseits auch in ihrer
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Vgl. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, S. 7–15. – Vgl. auch Laucken, Sozialpsychologie, S. 208– 209. Zum weitgehenden Fehlen einer expliziten Emotionstheorie bei Freud und zur ‚Rationalisierung der Emotionen‘ durch die Psychoanalyse vgl. Jensen, Freuds unheimliche Gefühle, S. 136–138, S. 151–152. Vgl. hierzu u. a. Bourdieu, Vom Gebrauch der Wissenschaft. – Zur Feldtheorie allgemein und zur Dialektik von Habitus und Feld vgl. Scherke, Der Begriff des kulturellen Feldes.
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gleichzeitigen Eigenständigkeit zu begreifen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse wirken nie direkt auf das wissenschaftliche Produkt ein, sondern stets gebrochen durch das intellektuelle Kräftefeld, weshalb sich auch eine simple Rückführung bestimmter wissenschaftlicher Aktivitäten auf den sozialen Standort der Ausführenden verbietet. Die konkrete Ausprägung der wissenschaftlichen Praxis kann nur verstanden werden, wenn man neben dem Habitus der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auch dem sie in einer bestimmten historischen Periode umgebenden Feld und der darin gültigen Logik der Praxis Aufmerksamkeit schenkt. Einem Mikrokosmos gleich entwickeln sich im wissenschaftlichen Feld bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die zwar mit den außerhalb des Feldes gültigen Regeln der Praxiserzeugung (etwa im ökonomischen Feld) verbunden, aber eben nicht völlig identisch mit diesen sind. Abhängig vom Grad der Autonomie des wissenschaftlichen Feldes (als Ergebnis historischer Entwicklungsprozesse), kann es den Akteuren des Feldes gelingen, sich den von anderen Feldern ausgehenden Ansprüchen oder Zwängen (etwa vonseiten des politischen Feldes) zu entziehen. Jedes soziale Feld ist geprägt von Wettkämpfen der Angehörigen um die Akquirierung relevanter Kapitalformen und damit um die Vorherrschaft im Feld. Bei der Analyse verschiedener sozialer Felder sind daher nicht nur die diffizilen Transfermöglichkeiten zwischen den einzelnen Kapitalformen zu beachten, sondern auch die Tatsache, dass innerhalb der verschiedenen Felder für die Erreichung dominanter Stellungen je andere Kapitalformen ausschlaggebend sind. Wie Bourdieu in der Analyse des künstlerischen Feldes gezeigt hat, kann etwa der Besitz ökonomischen Kapitals, d. h. einer Kapitalsorte, die im ökonomischen Feld den Aufstieg ermöglicht, im kulturellen Feld kontraproduktiv sein. Von Vertretern des ‚L’art pour l’art‘ im literarischen Kräftefeld des 19. Jahrhunderts wurde beispielsweise das ‚weltliche Scheitern‘ von Kunstschaffenden im Sinne der autonomen Erfolgskriterien des kulturellen Feldes als Zeichen der ‚Auserwähltheit‘ und besonderen künstlerischen Autorität betrachtet, während kommerzieller Erfolg Skepsis bezüglich ebendieser Eigenschaften der Betroffenen hervorrief. Je größer der Grad der Autonomie eines Feldes ist, desto geringer ist die Bedeutung äußerer Hierarchisierungsprinzipien, d. h. von anderen Feldern vorgegebener Prinzipien der Rangreihung von Akteuren aufgrund ihres Kapitalbesitzes. Die Beziehungen zwischen den internen und externen Hierarchisierungsprinzipien, die mitunter – wie eben angedeutet – divergieren können, sind äußerst komplex und bedürfen einer detaillierten historischen Analyse. Im derzeitigen wissenschaftlichen Feld können zwei Kapitalformen unterschieden werden, die es gestatten, dominierende Stellungen einzunehmen. Eine Form des Kapitals besteht aus der Anerkennung von Fachkollegen und -kolleginnen, die sich in unterschiedlich objektivierten Formen niederschlägt (Erwähnungen in Zitations-Indizes, Preisverleihungen usw.) und von Bourdieu dem symbolischen Kapital zugerechnet wird.70 Daneben existiert jedoch auch eine Form des Kapitals, die als institutionelle Macht bezeichnet werden könnte, die mit dem Besitz gehobener Positionen in wissenschaftlichen Fachgesellschaften oder Institutionen verbunden ist und nicht selten auch ein Naheverhältnis zu dominierenden Stellungen im politischen oder ökonomischen Feld mit sich bringt. Das Verhältnis der beiden Kapitalformen zueinander kann sich im Verlauf der Zeit wandeln: Symbolisches Kapital kann beispielsweise dabei dienlich sein, institutionelle Macht zu erlangen, es kann jedoch – etwa in Phasen wissenschaftlicher Neuerungen (oder ‚wissenschaftlicher Revolutionen‘ in der Kuhn’schen Terminologie) – zu einem Auseinanderklaffen beider Kapitalformen kommen,
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Vgl. Bourdieu, Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 23.
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und zwar in der Art, dass „die großen Neuerer (etwa Braudel, Lévi-Strauss, Dumezil in den Sozialwissenschaften) von der Institution mit dem Stigma der Häresie gebrandmarkt und aufs Heftigste bekämpft werden.“71 In diesen Fällen kann es zur Ausbildung eines neuen Unterfeldes kommen, in dem die innovativen Leistungen Anerkennung erfahren, während im restlichen Feld die Anerkennung und damit auch institutionelle Macht zunächst versagt bleiben. Dieser Prozess kann als Ausgangspunkt für eine Subdisziplinenbildung im Sinne Stichwehs bzw. eine Verzweigung der Disziplin im Sinne Mulkays gesehen werden. Die ausreichende Verfügung über ‚Kapital‘ verleiht dem Besitzer letztlich die Autorität, die Logik des Feldes maßgeblich mitzubestimmen und damit das Feld selbst zu verändern.72 Dabei muss die Ausbildung verschiedener Machtpole im Feld beachtet werden. Die Festlegung jener Forschungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Bedeutung innerhalb des Feldes haben, gelingt vor allem jenen, die über institutionelles Kapital verfügen (und damit beispielsweise auch die Aufstiegsmöglichkeiten von Nachwuchsforschern und -forscherinnen direkt beeinflussen können). Die Inhaber und Inhaberinnen symbolischen Kapitals hingegen können zwar im Sinne der Vorbildwirkung ebenfalls eine Prägung nachfolgender Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bewirken, sofern sie jedoch nicht über zusätzliches institutionelles Kapital verfügen, bleibt ihr Einfluss unbestimmter als jener der Besitzer institutioneller Machtpositionen.73 Für einen einzelnen Akteur kann es, wenn er nicht mit entsprechendem ‚Kapital‘ ausgestattet ist, schwierig sein, sich der Logik des Feldes zu entziehen und sich beispielsweise mit Themenfeldern jenseits der von den dominanten Forschern und Forscherinnen vorgegebenen zu befassen. Jedoch ist eine solche Beschäftigung mit ‚unorthodoxen‘ Themenfeldern durchaus möglich, woraus sich im Hinblick auf die Soziologie der Emotionen der Umstand erklären lässt, dass auch während der ‚kognitiven Phase‘ der Soziologie Arbeiten zu diesem Bereich erstellt wurden. Aus systemtheoretischer Perspektive lässt sich keine elegante Erklärung für dieses ‚Weiterleben‘ des Themas anbieten, da systemtheoretische Überlegungen in Bezug auf die Handlungsebene unspezifisch bleiben müssen bzw. den Systembildungsprozessen zuwiderlaufende Handlungen (solange sich daraus keine neuen Subdisziplinen bilden) lediglich als ‚unerklärte‘ Restkategorien behandelt werden können. Der Bourdieu’sche Ansatz bietet hier, durch seinen Versuch der Synthese zwischen der Strukturanalyse einerseits und den Relevanzsetzungen der Akteure andererseits, größere Freiheitsgrade in der Erklärung ‚unorthodoxen‘ Handelns. Es gilt also, die Positionen der Akteure im Feld zu bestimmen (gemäß den jeweils gültigen Kriterien der Kapitalakkumulation), um abschätzen zu können, inwieweit ihre Forschungsansätze zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Teil des Feldes durchsetzungsfähig sind oder nicht. Im Rahmen ihrer Aktivitäten im Feld sind die Akteure nicht strikt an dessen vorgegebene Strukturen gebunden, sie können auch Handlungen setzen, die ihrem eigenen Aufstieg im Feld (im Sinne des Erwerbs institutioneller Macht) entgegenstehen, ihnen aber auf Basis ihres Habitus als naheliegend erscheinen bzw. das Reüssieren nur im Rahmen eines Subfeldes erlauben. Die Wahl von Themen, die nicht den von den Herrschenden des Feldes gewählten Themen entsprechen, ist also durchaus möglich und vor dem Hintergrund eines bestimmten Modus der Praxisgenerierung auch verständlich. Das
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Bourdieu, Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 32. Vgl. Bourdieu, Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 21–22. Vgl. Bourdieu, Homo academicus, S. 18–19.
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Handeln der Akteure ist gemäß dem Bourdieu’schen Ansatz zwar an den Strukturen des Feldes ausgerichtet, bleibt jedoch in seinen konkreten Abläufen letztlich nicht determiniert.74 Hieraus folgt auch, dass die Art der betriebenen Forschungen sich zwar gemeinhin nach der Logik des Feldes ausrichten wird, jedoch immer Spielräume für Abweichungen (die auch zur Bildung von Unterfeldern führen können) vorhanden sind. Eine noch stärkere Einbeziehung der Akteursperspektive in die Analyse wissenschaftlicher Entwicklungen nahm Karin Knorr-Cetina 1981 in ihrem Buch Die Fabrikation von Erkenntnis vor. Die grundlegende Theoriekonstituiertheit von Beobachtungen und die darauf fußende Unmöglichkeit, eine ‚objektive‘ Entscheidung zwischen zwei konkurrierenden Theorien vornehmen zu können, bilden den Ausgangspunkt für Knorr-Cetinas Analyse konkreter Prozesse der Wissenserzeugung in Forschungslabors.75 Unter Einsatz ethnologischer Methoden beschreibt sie detailliert die Praxis wissenschaftlicher Akteure und zeigt dabei, dass häufig situationsspezifische, d. h. personelle, finanzielle oder karrieremäßigem Kalkül entsprungene Faktoren für die Ausgestaltung von Forschungsprozessen verantwortlich sind. Die Analyse des Wirkens dieser Faktoren muss sich an dem ‚Mikrokosmos‘ einzelner Labors oder Forschungseinrichtungen und deren konkreten Umweltbezügen, aber auch an deren informellen internen Strukturen orientieren.76 Innovationen können beispielsweise entstehen, indem eine Analogie zwischen verschiedenen, ansonsten nicht miteinander verbundenen Wissensbereichen hergestellt wird.77 Es sind also eine ganze Reihe situativer Faktoren, die am Zustandekommen einer Innovation beteiligt sind. Jene situativen Faktoren sind es auch, die die Realisierungsmöglichkeit einer Innovation einschränken können. Im Zuge des sogenannten Analogie-Räsonierens mag ein Wissenschaftler eventuell auf eine neue Idee oder ein neues Thema gestoßen sein, die Rahmenbedingungen des transwissenschaftlichen Feldes können jedoch die weitere Verfolgung dieser Idee maßgeblich behindern.78 Während Bourdieu auf die Logik des Feldes als Leitlinie für die Handlungen der Einzelnen verweist (also eine größere Nähe zu ‚normativen‘ Ansätzen aufweist),79 versucht Knorr-Cetina die Logik des Feldes aus der Mikroebene heraus zu rekonstruieren, wobei sie Generalisierungen im Sinne einer allgemeinen Handlungstheorie vermeidet. Wie kann innerhalb des wissenschaftlichen Feldes Neuheit entstehen? Offenbar sind die Strukturen des Wissenschaftssystems – auch wenn das Maß der idealtypisch angenommenen Stärke dieser Faktoren variiert – sowohl bei Stichweh und Bourdieu als auch bei Knorr-Cetina wesentliche Bestimmungsfaktoren für die Ausgestaltung der letztlich vorgelegten Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit. Bei allen drei Autoren, deren Arbeiten hier als Beispiele für
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Vgl. Bourdieu, Homo academicus, S. 241. Knorr-Cetina bezieht sich in ihrer Arbeit auf ein reichhaltiges Spektrum an Vordenkern, darunter Kuhn, Feyerabend, Peirce, aber auch Bourdieu. Vgl. Knorr-Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis, S. 18–19, S. 54. – Zur aus Sicht von Pels mangelnden Beachtung Mannheims durch Knorr-Cetina vgl. Pels, Karl Mannheim, S. 35–37. Vgl. Knorr-Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis, S. 84. Vgl. Knorr-Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis, S. 93–99, S. 112–113. Vgl. Knorr-Cetinas Ausführungen zur Metapher-/Analogie-Theorie des Fehlschlags, Knorr-Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis, S. 118–123. Zum Spannungsfeld der normativen und interpretativen Ansätze in der Wissenschaftssoziologie vgl. Law, Theorie and Methods, S. 222–223.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
den Einfluss institutioneller Strukturen des Wissenschaftssystems dargestellt wurden, wird die Kreativität des wissenschaftlichen Akteurs durch die Strukturen des Wissenschaftssystems gelenkt. Das Zustandekommen einer wissenschaftlichen Publikation kann also als Ergebnis einer Reihe abgestufter Selektionsvorgänge (im Sinne des Aufgreifens/Weiterverfolgens bestimmter Gedanken und des Fallenlassens anderer) betrachtet werden: Selektionen, die zunächst der einzelne Wissenschaftler aufgrund seines Habitus, seiner Sozialisation oder seiner bisherigen Forschungserfahrungen trifft (ohne dass diese Selektionen notwendigerweise bewusst oder planmäßig kalkuliert ablaufen müssen); Selektionen, die der Wissenschaftler sodann in Beachtung/Nichtbeachtung der in der scientific community gültigen Normen und in Anbetracht situativer Realisierungsmöglichkeiten trifft (hier kann, muss jedoch nicht eine bewusste, planmäßige Kalkulation – etwa im Sinne der Aufstiegsorientierung – im Hintergrund stehen); und Selektionen, die von jenen Akteuren getroffen werden, die als Gatekeeper innerhalb einer Disziplin (z. B. als Zeitschriftenherausgeber oder -herausgeberin) fungieren (bei denen der Selektionsprozess – die Auswahl der zu veröffentlichenden Artikel – gemäß ihrer Funktion durchaus bewusst und planmäßig erfolgt, jedoch auch von nicht bewussten Vorlieben/ Abneigungen geprägt sein kann).80 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden vor allem die beiden letzten Typen von Selektionen näher beachtet. Die zu einem bestimmten Zeitpunkt als gültig anerkannten Normen einer scientific community lassen sich anhand der – im Sinne einer Selbstpositionierung – über das Fach geführten Diskussionen und der im weitesten Sinne ‚wissenschaftspolitischen‘ Äußerungen der Fachvertreter und -vertreterinnen rekonstruieren. Es stellt sich im Anschluss daran allerdings die Frage, welche Wissenschaftler ihre Arbeiten eher gemäß diesen ‚normativen‘ Vorgaben ausrichten werden, und welche sich diesen Vorgaben widersetzen können. Oder anders formuliert: Welchem Typus des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin wird am ehesten die Erbringung innovativer Leistungen zugetraut? Dem gemäß den gültigen Regeln arbeitenden Forscher oder dem Außenseiter des Systems, der in der Lage ist, den vorgegebenen Rahmen zu überschreiten und neue Perspektiven in die Diskussion einzubringen? Hierzu existieren in der wissenschaftssoziologischen Literatur sehr unterschiedliche Ansichten. Bourdieu legt durch seine Trennung der ‚Herrschenden‘ des Systems in solche mit symbolischer und solche mit institutioneller Macht, die Ansicht nahe, dass die institutionellen Machtinhaber (zu denen auch die Herausgeber und Herausgeberinnen der anerkannten Zeitschriften zu rechnen wären) aufgrund ihrer Stellung an einer Einhaltung der orthodoxen Regeln (vor allem in Zeiten noch geringer oder gerade erst erfolgter Institutionalisierung des Feldes) interessiert sein müssen und insofern zu jenen gehören, die neuartigen Perspektiven unter Ausnützung ihrer Gatekeeper-Funktion Hindernisse in den Weg legen werden. Von den Regeln abweichende Arbeiten führen dieser Sichtweise zufolge zu Außenseiterpositionen ihrer Vertreter, die allerdings – so sie lange genug aufrechterhalten werden können – die Ausbildung von ‚ökologischen Nischen‘ oder Unterfeldern zur Folge haben können, in denen den ‚Außenseitern‘ Anerkennung zuteilwird, und sie solcherart symbolische Macht lukrieren können. Einer anderen Sichtweise zufolge kann gerade der institutionell anerkannte Status von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen dazu führen, dass sie sich über die gültigen Re-
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Vgl. Stichweh, Variationsmechanismen, S. 80–82.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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geln des Feldes hinwegsetzen können und auf diese Art und Weise das Potential aufbringen, unorthodoxe Themen aufzugreifen bzw. deren Aufgreifen dem von ihnen geförderten Nachwuchs nahelegen, wie Lemaine et al. vermuten.81 Innovationen wären demgemäß weniger von Außenseitern zu erwarten, sondern würden von Vertretern und Vertreterinnen des mainstreams initiiert werden, die auf diese Weise letztlich auch zur Verzweigung der Disziplin beitragen. Im Hinblick auf die Soziologie der Emotionen kann in der vorliegenden Arbeit, die sich in weiterer Folge auf die Analyse von Zeitschriften als Indikator für den mainstream eines Faches konzentrieren wird, überprüft werden, ob und in welchem Ausmaß es der Thematik gelang, Eingang in die Zeitschriften zu finden, d. h., ob und zu welchen Zeiten die Gatekeeper (die zu den Herrschenden des Feldes gerechnet werden können) ein Aufgreifen dieses Themas zuließen und sich somit gegenüber Neurungen aufgeschlossen zeigten. Ob es daneben oder früher eine stärkere Beschäftigung mit der Emotionsthematik – etwa in ‚ökologischen Nischen‘ oder heterodoxen Unterfeldern – gegeben hat, bedarf einer über eine Analyse der Zeitschriften hinausgehenden Erhebung, wie sie etwa durch die Berücksichtigung der Datenbank SOLIS in Kapitel III, 5.3. ansatzweise vorgenommen wurde.
3.3.3. Professionalisierungsprozesse Neben den Prozessen der Disziplinenbildung und der Verzweigung derselben können auch Professionalisierungsprozesse eine wichtige Rolle für die von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verfolgten Fragestellungen spielen. Im Rahmen der Ausbildung eines relativ autonomen gesellschaftlichen Teilbereichs, in dem wissenschaftliche Arbeit geleistet wird, entwickeln sich nicht nur innerhalb dieses Teilbereichs bestimmte Binnenstrukturen (Disziplinen und Subdisziplinen), sondern es werden auch die Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen in bestimmter Weise strukturiert. Professionalisierungsprozesse dienen dieser Strukturierung der Außenbeziehungen des Wissenschaftssystems und zugleich der Absicherung der weitgehend autonomen Stellung desselben. Im Folgenden sollen einige Kennzeichen derartiger Professionalisierungsprozesse (u. a. wiederum unter Rückgriff auf systemtheoretische Überlegungen) dargestellt werden. Professionalisierungsprozesse tragen dazu bei, die Autonomie des wissenschaftlichen Systems, das tendenziell auf die Unterstützung anderer gesellschaftlicher Teilbereiche (Politik, Ökonomie) angewiesen ist, abzusichern, indem die rein fachinterne Kontrolle über Standards und Nachwuchsausbildung als notwendige Qualitätsgarantie für die produzierten Erkenntnisse bzw. die Anwendung derselben unterstrichen wird. Die Ausübung einer spezialisierten Tätigkeit wird an die Beherrschung bestimmter Standards, deren Einhaltung von den Vertretern der Profession überwacht wird, gebunden. Eine wissenschaftliche Ausbildung dient gewissermaßen als Gütekriterium für die adäquate Ausübung eines bestimmten Berufs, wobei die Nützlichkeit dieses Berufs bzw. seiner professionellen Ausübung gegenüber außerwissenschaftlichen Bereichen gerechtfertigt werden muss. Professionalisierungsprozesse stellen somit eine Gratwanderung dar: zwischen der Abgrenzung von der außerwissenschaft-
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Vgl. Lemaine et al., Introduction, S. 5. – Zur Frage des Innovationspotentials ‚marginaler‘ oder ‚zentraler‘ Akteure vgl. auch Stichweh, Variationsmechanismen, S. 86–87.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
lichen Umwelt einerseits (durch den Hinweis auf die nur intern zu lösenden Qualitätsfragen) und dem Beweis der Nützlichkeit dieser abgegrenzten Tätigkeit für eben diese Umwelt.82 Die im Zuge der Professionalisierung aufkommenden Diskussionen über die Aufgaben der Wissenschaft allgemein bzw. einer speziellen Disziplin im Besonderen und über ihr Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Bereichen (etwa der Politik) und die einzuhaltenden Fachstandards können auch maßgeblichen Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung eines Faches haben. Die Verfolgung anwendungsbezogener Fragestellungen (auch in der Ausbildung) kann als Argument dazu herangezogen werden, die Nützlichkeit des Faches gegenüber der außerwissenschaftlichen Umwelt zu rechtfertigen und somit die Berufschancen der Absolventen und Absolventinnen in der Praxis zu erhöhen bzw. auch den Status des Faches an den Universitäten, die auf Finanzierung von außen angewiesen sind, abzusichern. Eine zu starke Anwendungsorientierung kann jedoch als potentielle Gefährdung der Autonomie und wissenschaftlichen Legitimität des Faches empfunden werden und deshalb vor allem aufseiten der universitären Vertreter und Vertreterinnen des Faches auf Widerstand stoßen.83 Die Legitimität einer neu entstandenen wissenschaftlichen Disziplin kann also entweder durch den Nachweis ihrer Wissenschaftlichkeit in Bezug auf die Standards bereits etablierter Fächer erreicht werden oder durch den Hinweis auf die von ihr zu erbringenden Leistungen für die außerwissenschaftliche Umwelt, wobei zwischen diesen beiden Strategien jedoch ein prinzipielles Spannungsverhältnis besteht. Vor allem die akademischen Professionen in Deutschland durchliefen einen komplexen Prozess der allmählichen Institutionalisierung ihrer Expertise, der gekennzeichnet war sowohl durch das Ringen um akademische Anerkennung im wissenschaftlichen Feld (wobei auch die Konkurrenzsituation zwischen den Fakultäten eine Rolle spielte) als auch durch den Versuch, die praktische Nützlichkeit der von der jeweiligen Profession angebotenen Leistungen gegenüber potentiellen Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberinnen der Absolventen und Absolventinnen und auch gegenüber dem Staat als dem Anbieter von Berufslaufbahnen im Staatsdienst (und als Financier der Universitäten) unter Beweis zu stellen.84 Als Beispiel sei hier auf die Entwicklung der Psychologie und die im Rahmen ihrer Institutionalisierung erfolgende Auseinandersetzung über den Stellenwert der empirisch-experimentellen Methoden verwiesen. Inhaber philosophischer Lehrstühle (beispielsweise Franz Brentano)85 begannen Ende des 19. Jahrhunderts für die Erforschung der menschlichen Psyche eine Orientierung an naturwissenschaftlichen Methoden einzufordern. Eine naturwissenschaftliche, zum Teil experimentelle86 Ausrichtung der Psychologie wurde durch die Einrichtung psychologischer Laboratorien (etwa des von Wilhelm Wundt 1879 in Leipzig
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An Professionalisierungsprozessen kann sehr gut auch die fruchtbare Ergänzung differenzierungstheoretischer durch akteurstheoretische Analysen aufgezeigt werden. Professionalisierungsprozesse dienen nicht nur der Absicherung gesellschaftlicher Segmentierung, sondern können immer auch auf konkrete Interessen einzelner Individuen bzw. Gruppen zurückgeführt und im Hinblick auf durch deren Interessen bedingtes Interaktionshandeln hin analysiert werden. Vgl. Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 230–231. Vgl. hierzu auch Merton, Social Problems, S. 43–44. Vgl. Ash, Psychology in Twentieth-Century Germany, S. 293. Zu Brentano vgl. Benetka, Guttmann, Akademische Psychologie, S. 84–93. Zur häufig falschen Gleichsetzung von naturwissenschaftlicher und experimenteller Ausrichtung vgl. Benetka, Guttmann, Akademische Psychologie, S. 83–84.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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gegründeten)87 unterstützt, die auch der Studierendenausbildung dienen sollten. Allerdings stießen diese Entwicklungen unter Vertretern der Philosophie teilweise auf Skepsis, da der Einzug naturwissenschaftlicher Methoden als Bedrohung der humanistischen Grundlagen der Psychologie betrachtet und wohl auch die entsprechende Konkurrenz bei der Besetzung von Lehrstühlen befürchtet wurde. Ausdruck dieses Bedrohungsgefühls war unter anderem eine 1913 erlassene Petition von Hochschullehrern des Faches Philosophie, die sich gegen die weitere Berufung experimentell verfahrender Psychologen auf philosophische Lehrstühle richtete.88 Die institutionelle Trennung der Psychologie von der Philosophie – durch die Errichtung eigener Lehrstühle für dieses Fach – und damit die Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen wäre die logische Folge dieses Interessenkonfliktes gewesen, stieß bei Staatsvertretern jedoch vor dem Ersten Weltkrieg auf wenig Rückhalt. Hieran konnten auch die Versuche, die praktische Nützlichkeit des Faches Psychologie zu beweisen, nichts ändern. Ash beschreibt die Situation folgendermaßen: „Wundt concluded in 1913 that neither experimental psychology’s scientific standing nor applied psychology’s potential was sufficient as yet to persuade German state officials to fund independent chairs of psychology at all universities. The only way the field could justify its existence in the university system was to remain part of the general philosophical education of Gymnasium and university teachers.“89 Aus dieser Situation erklärt sich das weitere Überwiegen einer philosophisch-pädagogischen Ausrichtung der Psychologie an den Universitäten, während experimentelle Verfahren bzw. eine stärker anwendungsbezogene Ausrichtung in Deutschland vor allem in den neu errichteten psychologischen Abteilungen der Technischen Hochschulen zur Geltung kamen. Der Einsatz psychologischer Tests und Verfahren im Ersten Weltkrieg und die spätere Gründung einer eigenen psychologischen Sektion in der Reichswehr unterstützten die Professionalisierung der Psychologie in Deutschland, was allerdings das Problem der unklaren universitären Position des Faches, als Teil der Philosophie, zunächst nicht lösen konnte.90 Diese wenigen Hinweise zeigen bereits die Problematik der Situation auf, die sich für sich aus einem traditionellen akademischen Kontext heraus professionalisierende Disziplinen ergibt, die auch inhaltliche Konsequenzen für die Ausrichtung dieser Fächer haben kann. „German psychologists’ wish to maintain traditional links with philosophy until the 1940s – in contrast to American psychologists’ urge for independence – was not only based on institutional constraints but had deep historical roots. They hoped to draw from one of the most respected wellsprings of traditional authority in their culture. The problem was that it was not possible to acquire this particular form of cognitive authority with experimental methods.“91
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Die Psychologie in Österreich war ebenfalls von Beginn an stark durch ein naturwissenschaftliches Wissenschaftsideal geprägt, dies äußerte sich auch in der frühen Errichtung eines experimentalpsychologischen Laboratoriums 1894 durch Alexius Meinong in Graz. Vgl. Benetka, Guttmann, Akademische Psychologie, S. 93. Vgl. Ash, Psychology in Twentieth-Century Germany, S. 290–293; – Benetka, Denkstile, S. 162–163. – Vgl. auch Geuter, Die Professionalisierung, S. 86–88. Ash, Psychology in Twentieth-Century Germany, S. 293. Vgl. Ash, Psychology in Twentieth-Century Germany, S. 293–295. – Zur weiteren Professionalisierung der Psychologie in Deutschland vgl. Geuter, Die Professionalisierung. – Zu der auch in Österreich sehr spät erfolgenden institutionellen Ablösung der Psychologie von der Philosophie vgl. Benetka, Guttmann, Akademische Psychologie, S. 117–133, S. 158–159. Ash, Psychology in Twentieth-Century Germany, S. 302.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Im Fall der Soziologie stand im deutschen Sprachraum zunächst die Institutionalisierung der Disziplin im Vordergrund der von den ersten Fachvertretern geführten Diskussionen; Professionalisierungsfragen spielten hier zunächst keine Rolle. Die Disziplinbildung stand etwa im Vordergrund der Aktivitäten der DGS, wie die Protokolle der ersten Soziologentage zeigen; daneben wurden auch Fragen der wissenschaftlichen Lehre der Soziologie, d. h. die Frage der Nachwuchsausbildung, diskutiert. Professionsfragen, im Sinne einer Orientierung an einer außeruniversitären Berufsrolle, stehen bis heute kaum auf der Tagesordnung der DGS. 1976 kam es zur Gründung des Berufsverbandes Deutscher Soziologen (BDS), der hinkünftig diese professionelle Interessenvertretung übernahm. Bei der 1950 gegründeten Österreichischen Gesellschaft für Soziologie handelt es sich um eine Mischform zwischen akademischer und professioneller Interessenvertretung. Die Professionalisierung der Soziologie im deutschen Sprachraum ist ein sehr junger, noch keineswegs abgeschlossener Prozess. Dies hängt vor allem mit dem bis heute unklaren Berufsbild des Soziologen zusammen, wie es auch schon von Alemann beschrieben wurde. Während der Disziplinbildungsprozess der Soziologie als erfolgreich eingestuft werden kann, ist der Professionalisierungsprozess bisher noch unterentwickelt. Es gibt zwar mittlerweile sehr viele Absolventen und Absolventinnen soziologischer Studienrichtungen, jedoch nach wie vor nicht das klassische außeruniversitäre Berufsbild eines Soziologen. Deutlich wird dieser Befund auch, wenn man sich den Vertretungsgrad in den entsprechenden disziplinären bzw. professionellen Gesellschaften ansieht: Im Berufsverband (BDS) ist nur eine Minderheit aller seit der Einführung entsprechender Studiengänge ausgebildeten Soziologen und Soziologinnen vertreten: Von den mehr als 20.000 Soziologie-Absolventen der deutschen Universitäten waren, einer Untersuchung aus dem Jahr 1991 zufolge, lediglich ca. 500 (d. h. 3 %) im BDS vertreten. Der Organisationsgrad bei den wissenschaftlich ausgerichteten Soziologen und Soziologinnen hingegen, die in der DGS ihr traditionelles Vertretungsorgan haben, ist wesentlich höher und lag nach Schätzungen von Alemanns 1991 zwischen 40–50 % aller Promovierten des Faches; aktuellen Angaben der Homepage der DGS zufolge liegt er derzeit bei vier Fünfteln aller promovierten Soziologen und Soziologinnen Deutschlands.92 Im Unterschied zu der nach wie vor geringen Professionalisierung der Soziologie in Deutschland bzw. im deutschen Sprachraum wird für die US-amerikanische Soziologie eine frühere und stärkere Professionalisierung konstatiert.93 Zu diesem häufig vorgetragenen Argument ist anzumerken, dass zum Teil Institutionalisierungs- und Professionalisierungsprozesse der Soziologie nicht explizit unterschieden werden und so die frühere Institutionalisierung der Soziologie an den amerikanischen Hochschulen bereits auch mit deren früherer Professionalisierung gleichgesetzt wird. In Hardins Studie über den Vergleich der Professionalisierung der Soziologie in den USA und Deutschland befinden sich beispielsweise unter den Kriterien, die als Indiz für eine Professionalisierung der Soziologie herangezogen werden, auch solche, die eigentlich die Institutionalisierung der Soziologie an den Hochschulen widerspiegeln und nicht explizit auf die Entwicklung außeruniversitärer Berufsrollen ausgerichtet sind. Aussagen über die zeitlich frühere oder zahlenmäßig stärkere Professionalisierung der US-amerikanischen Soziologie sind somit mit Vorsicht zu betrachten. Hardin
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Vgl. Alemann, Berufschancen und Berufsfelder, S. 275–288. – Vgl. auch http://www.soziologie.de/ (4.3.2009). Zur Professionalisierung der US-amerikanischen Soziologie vgl. Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 20–42.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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sieht die US-amerikanische Soziologie vor allem im Hinblick auf die Existenz formalisierter Ausbildungsrichtlinien und den höheren Spezialisierungsgrad als stärker professionalisiert an als die deutsche Soziologie und macht u. a. folgende Faktoren für diese unterschiedliche Entwicklung der Soziologie als Profession verantwortlich: „(1) the different intellectual traditions of the two countries, (2) the two related but different university systems, (3) a lack of continuous development in Germany, (4) the later institutionalization of sociology in Germany.“94 Es kann jedenfalls festgehalten werden, dass sich die US-amerikanische Soziologie von derjenigen im deutschsprachigen Raum durch eine andere Einstellung gegenüber anwendungsbezogenen Fragestellungen und außeruniversitären Berufskarrieren ihrer Absolventen und Absolventinnen kennzeichnen lässt. Die Lösung sozialer Probleme der modernen Gesellschaft stand im Zentrum der Interessen der frühen Fachvertreter der Soziologie in den USA; diese anwendungs- oder problembezogene Haltung erleichterte auch zunächst die Institutionalisierung des Faches an den Hochschulen. In der Folge führte aber diese praxisbezogene Ausrichtung der Soziologie in den USA, die tendenziell in akademischen Kreisen Skepsis bezüglich der Wissenschaftlichkeit dieses Faches hervorrief, auch zu akademischen Legitimierungsversuchen der Fachvertreter. „There were pressures to define itself and to become scientific and pressures to maintain the posture which had helped in getting established.“95 Die Folge davon war, dass zwar weiterhin die praktische Nützlichkeit der Disziplin demonstriert wurde, gleichzeitig aber durch die Entwicklung abstrakter Theorien und ausgefeilter empirischer Methoden die Wissenschaftlichkeit des soziologischen Unterfangens (zum Teil in Anlehnung an das Vorbild der Naturwissenschaften) abgesichert werden sollte. Die im deutschen Universitätssystem von Anfang an notwendige, zu allererst akademische Legitimierung des Faches spielte in der amerikanischen Soziologie somit relativ spät (nach dem Ersten Weltkrieg) eine Rolle, wobei jedoch die Praxisorientierung nie völlig aufgegeben wurde.96 Hardin belegt diese Haltung anhand einer Aussage von Edward Ross, des vierten Präsidenten der American Sociological Association: „Sociologists follow the methods of Science but they are by no means content to seek Knowledge for her own sake. They are not ashamed to avow an overmastering purpose and this is – to better human relations. They confess that they are studying how to lesson the confusion, strife and mutual destruction among man and to promote harmony and team work.“97 Tendenziell, wie anhand der US-amerikanischen Soziologie nachweisbar, führen Professionalisierungsprozesse zu einer Öffnung des Faches gegenüber praktischen Fragen, um die Nützlichkeit des Faches gegenüber der außerwissenschaftlichen Umwelt zu beweisen. Professionalisierung kann somit für Fragestellungen, die im Zuge der Disziplinbildung aus den Erörterungen der Disziplin verbannt wurden, positive Effekte haben – zumindest wenn diese Fragestellungen in irgendeinem Bezug zu außerwissenschaftlichen Interessen stehen. Im Hinblick auf die Soziologie der Emotionen wäre zu klären, ob diese geeignet ist, bei der Lösung praktischer Fragen der außerwissenschaftlichen Praxis behilflich zu sein. Die von
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Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 11–12. Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 90. Vgl. Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 91. Zur Praxisorientierung des amerikanischen Wissenschaftssystems und ihrer produktiven Auswirkungen auf die (Weiter-)Entwicklung der empirischen Sozialforschung vgl. auch Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 33–43. Edward Ross zit. nach Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 91.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Flam vorgebrachten Argumente für eine stärkere Beachtung der Soziologie der Emotionen – vor dem Hintergrund neuer Aufgabenfelder der Soziologie in der modernen Welt – können durchaus in dieser Richtung verstanden werden.98 Meine eigenen Analysen zeigen außerdem, dass im deutschen Sprachraum die Soziologie der Emotionen im Zusammenhang mit Studien zu den neuartigen Belastungen der modernen Arbeitswelt (Stichwort: Stress) durchaus in der Lage ist, derart anwendungsbezogenes Wissen zu liefern. Die zu diesen Themen in den Zeitschriften veröffentlichten Arbeiten lassen eine allmählich stärkere Beachtung von Emotionen erkennen, auch wenn sie teilweise einen noch sehr programmatischen Charakter aufweisen.99 Beginnende Professionalisierungsprozesse und damit einhergehendes Interesse für praktische Fragestellungen benötigen offenbar längere Zeit, um ein günstiges Klima für das Thema der Emotionen zu schaffen, wie auch die lange Absenz dieses Themas in der durchaus auf ‚praktische‘ Fragen ausgerichteten Sozialindikatorenforschung im deutschen Sprachraum zeigt (vgl. dazu Kapitel III, 5.2.1.1.). Die Professionalisierung eines Faches kann, wie bereits erwähnt, auf zwei Wegen vorangetrieben werden: Es kann einerseits vor allem akademische Legitimierung gesucht werden, in der Art und Weise, dass vor allem die Wissenschaftlichkeit der sich professionalisierenden Disziplin unterstrichen wird und hierzu auf bereits vorhandene wissenschaftliche Standards zurückgegriffen wird. Mit dieser Strategie verbunden ist ein hemmender Einfluss auf die Verfolgung unorthodoxer Themenstellungen. Der zweite Weg, über den die Professionalisierung einer Disziplin vorangetrieben werden kann, ist der Nachweis der Nützlichkeit des Faches gegenüber einer außerwissenschaftlichen Umwelt, womit gleichzeitig eine gewisse Offenheit gegenüber neuartigen Fragestellungen verbunden ist, die sich für einen derartigen Nachweis eignen. Welche der Strategien vorherrschen wird, hängt wesentlich auch von der konkreten historischen Entwicklung eines bestimmten Wissenschaftssystems ab. In akademischen Kontexten wie dem deutschsprachigen, in denen die Professionalisierung der Soziologie nicht besonders weit fortgeschritten, dafür aber eine lange universitäre Tradition vorhanden ist, sind die Strategien der wissenschaftlichen Akteure offenbar vorrangig darauf ausgerichtet, die Wissenschaftlichkeit des eigenen Faches unter Beweis zu stellen. Themen, die im Zuge der Disziplinbildung aus der fachlichen Debatte ausgeklammert wurden, werden, da sie nicht zur Abgrenzung des Faches gegenüber anderen Fächern geeignet erschienen, somit auch im Zuge der Professionalisierung weiterhin vernachlässigt. Die anglo-amerikanische Soziologie hat von Anbeginn, wie berichtet, weniger Berührungsängste gegenüber der außerwissenschaftlichen Praxis gehabt und kann als insgesamt stärker professionalisiert bezeichnet werden. Akademische Legitimierungsprozesse spielten hier im Vergleich zum deutschsprachigen Kontext eine sekundäre Rolle, weshalb eine größere Offenheit gegenüber neuartigen Fragestellungen in der amerikanischen Soziologie (zumal, wenn sie eine Nahestellung zu Anwendungsbereichen aufweisen) vermutet werden kann. Die Soziologie
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Vgl. Flam, The Emotional Man, S. 3. Dieser programmatische Charakter lässt sich beispielsweise in einem 1975 publizierten Artikel von Schmidt und Pontzen feststellen, die zwar auf emotionale Belastungen in der Arbeitswelt verweisen, dies jedoch noch nicht zum Anlass für eine systematische Diskussion derselben nehmen, vgl. Schmidt, Pontzen, Zur Psychodynamik, S. 453. – Eine stärker mit einer Soziologie der Emotionen in Verbindung zu bringende Perspektive nimmt 1985 Badura in seinem Artikel zur Stressbewältigung ein, in dem er für eine systematischere Beachtung emotionaler Aspekte durch die soziologische Handlungstheorie, vor dem Hintergrund praktischer Fragen des Gesundheitssystems, plädiert, vgl. Badura, Zur Soziologie der Krankheitsbewältigung, S. 344.
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der Emotionen, als ein Thema im Graubereich verschiedener Disziplinen, fand in den USA offenbar einen fruchtbareren, weniger durch dogmatische Diskussionen geprägten Boden vor als im akademischen Kontext des deutschen Universitätssystems, in dem noch dazu die Professionalisierung der Soziologie bis heute nicht besonders weit fortgeschritten ist.100
3.4. Weiterführende Fragestellungen Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es nicht möglich, sämtliche Aspekte der Themenwahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen abzuhandeln, daher werden im Folgenden die endogenen Faktoren in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt werden. An dieser Stelle sollen jedoch noch einige Bemerkungen zu den von mir nicht näher behandelten wissenschaftssoziologischen Aspekten der Thematik erfolgen. In der vorwiegend anglo-amerikanischen Literatur zur Soziologie der Emotionen wurden die von mir als exogene Faktoren bezeichneten Aspekte der biographischen bzw. milieuspezifischen Prägung der Arbeit von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vor allem unter dem Aspekt des ‚Zeitgeistes‘ mitberücksichtigt. Weiterführende Fragestellungen zu diesem Themenkomplex wären etwa: Gibt es zeitinvariante, persönliche Motive, sich dem Thema der Emotionen zu widmen – etwa im Sinne der Sublimierung bestimmter biographischer Erfahrungen? Stellt die soziale Herkunft der Soziologen und Soziologinnen (und der durch sie generierte Habitus) eine Ursache für die Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung mit dem Thema dar? Gibt es bestimmte akademische Kohorten oder Generationen, die sich speziell mit den Emotionen beschäftigt haben oder dies aus Gründen ihrer Generationslagerung vermieden haben? Im Hinblick auf die deutsche Soziologie wäre etwa die Frage der Verarbeitung bzw. Nicht-Verarbeitung der NS-Zeit und des Holocausts eine solche die Generationslagerung bestimmter akademischer Kohorten prägende Erfahrung, deren Einfluss auf die Wahl wissenschaftlicher Themen untersucht werden könnte.101 Ebenso könnte man für die Zeit der 1920er- und 1930er-Jahre prüfen, inwieweit die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der sich daran schließenden ‚Kulturkrise‘ Einfluss auf die Themenwahl bestimmter Kohorten von Intellektuellen hatten.102 Der Einfluss der Biographie – auch in ihrer kollektiven Typik – wird von mir im Zusammenhang mit dem Thema der Emotionen zunächst nicht näher behandelt werden. Emotionen wurden von der Soziologie im deutschsprachigen Raum lange Zeit vernachlässigt. Es gibt also relativ wenige explizite Vertreter und Vertreterinnen einer Soziologie der Emotionen im deutschen Sprachraum, deren persönliche Lebensumstände zum Thema entsprechender Interviews gemacht werden könnten. Interviews würden es zwar erlauben, erste Hypothesen
100 Zur tendenziellen Interdisziplinarität anwendungsbezogener Fragestellungen vgl. van den Daele, The political direction, S. 230, S. 239. 101 Vgl. hierzu auch die Bemerkungen in Kap. III, 4.4.1. – Tilmann Moser hat sich mit der Nichtverarbeitung des Holocausts und der dadurch bewirkten Tabuisierung bestimmter Gefühle beschäftigt, die auch von der Psychoanalyse als wissenschaftlicher Disziplin lange Zeit nicht thematisiert wurden. Vgl. hierzu Moser, Derealisierung als Abwehr, insbesondere S. 72; – Moser, Nationalsozialismus im seelischen Untergrund von heute, insbesondere S. 34–35. 102 Als Beispiel sei hier auf die Arbeit von Lethen verwiesen, der die in den 1920er-Jahren aufgekommenen sogenannten ‚Verhaltenslehren der Kälte‘ auf derartige lebensweltliche Erfahrungen zurückzuführen versucht. Vgl. Lethen, Verhaltenslehren der Kälte, S. 72–75.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
über den Zusammenhang zwischen biographischen Umständen und Interesse an der Emotionsthematik zu entwickeln, die Diskontinuität des Themas in der deutschsprachigen Soziologie ließe sich hierdurch jedoch kaum erklären. Eine kollektiv-biographische Analyse der in Deutschland während des von mir gewählten Zeitraumes tätigen Soziologen und Soziologinnen (basierend etwa auf markanten Eckdaten ihres Ausbildungsweges oder ihrer Berufslaufbahn) würde zwar Aufschluss über die zu bestimmten Zeiten in Deutschland typischen Berufsverläufe oder etwa die typische soziale Herkunft der Soziologen und Soziologinnen erbringen,103 würde aber hinsichtlich der Gründe für die Vernachlässigung des Themas der Emotionen wenig Erklärungskraft besitzen. Nicht näher beachtet werden im Folgenden auch die von Lemaine et al. als möglich erachteten Einflüsse anerkannter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die ihre Protegés ermutigen, neue unbeachtete Gebiete zu bearbeiten (beschreibbar als direkte endogene Effekte des Wissenschaftssystems).104 Hierzu wären ebenfalls Interviews mit den wenigen Vertretern der Soziologie der Emotionen notwendig, in denen dieser Frage nachgegangen werden könnte.105 Ein derartiger, an einzelnen Wissenschaftlerkarrieren und subjektiven Aussagen der entsprechenden Akteure orientierter Zugang soll hier zugunsten eines die Strukturen des wissenschaftlichen Systems in den Blick nehmenden Ansatzes zurückgestellt werden. Mulkay hat darauf hingewiesen, dass Interviews mit Betroffenen zwar eine wertvolle Quelle für die Nachzeichnung der Entwicklung einer Disziplin darstellen können, dass jene jedoch auch Probleme mit sich bringen. Zu groß ist die Gefahr, dass in der subjektiven Verarbeitung Diskontinuitäten der Fachentwicklung aufgrund selektiver Erinnerungen bzw. Darstellungen unbeachtet bleiben. Es besteht auch die Gefahr, dass der Einfluss einzelner Akteure in den Interviews überbetont wird, wohingegen die Parallelentwicklung von Ansätzen, wie sie für die Frühphase von Spezialgebieten typisch ist – in denen die einzelnen Akteure noch wenig Kenntnis voneinander haben –, verborgen bleibt. Aussagen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wären daher aus Sicht Mulkays immer durch andere Daten (etwa Zitationsanalysen, die in ihrer Aussagekraft jedoch auch beschränkt sind) zu ergänzen.106 „So if the interviewer takes their accounts [die der Wissenschaftler] of intellectual development as complete, he is likely to get a misleading impression of steady, undeviating advance toward the state of knowledge which now exists. (...) On the whole, they miss out the slow, groping development which often occurs. Instead, they tend to take a fairly stereotyped form; they note major discoveries which occurred early on, and then they skip quickly through to the current framework of knowledge – as if all that happened in between was part of an inevitable progression.“107 Im Folgenden nicht näher beachtet werden auch all jene Aspekte, die im Sinne Mertons auf den ‚Fortschritt der Wissenschaften‘ zurückzuführen sind. Die Kritik an Mertons Modell der
103 Als Beispiel für derartige, im weitesten Sinne kollektiv-biographische Versuche, d. h. Versuche, die ‚Sozialgestalt‘ einer Disziplin zu erfassen, verweise ich auf: Ringer, Die Gelehrten. 104 Zum Einfluss angesehener Wissenschaftler auf die Entwicklung neuer Spezialbereiche vgl. Lemaine et al., Introduction, S. 5. 105 Zum Interview als Methode der Wissenschaftssoziologie vgl. Mulkay, Methodology, S. 209. 106 Vgl. Mulkay, Methodology, S. 210–211. 107 Mulkay, Methodology, S. 212.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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Offenheit der Wissenschaft wurde oben bereits kurz referiert. Selbstverständlich ist es prinzipiell möglich, dass Themen auch deswegen aufgegriffen werden, weil sie eine Fortsetzung der Arbeiten anderer darstellen. Im Fall der Emotionen lässt sich kein derart kontinuierliches ‚Wachstum der Beschäftigung‘ mit diesem Gegenstandsbereich beobachten. Es geht mir im Folgenden gerade um die Erklärung der Brüche in der wissenschaftlichen Entwicklung, die dazu führten, dass die bei den Klassikern noch vorhandenen Aussagen zu den Emotionen des Menschen keine direkte Fortsetzung erfuhren. Auf einen Aspekt des ‚Wachstums der Wissenschaft‘ (beschreibbar als indirekten endogenen Effekt des Wissenschaftssystems) möchte ich jedoch an dieser Stelle hinweisen: Betrachtet man die Wissenschaftsentwicklung als kumulatives Wachstum, so ist es prinzipiell auch möglich, dass nicht nur Ergebnisse von Fachkollegen und -kolleginnen neue Arbeiten motivieren, sondern auch Ergebnisse anderer Disziplinen Beachtung erfahren und Eingang in die wissenschaftliche Arbeit anderer Fächer finden. Ein Wachstum der Wissenschaft unter diesem Aspekt setzt jedoch eine relativ sichere Verankerung einer Disziplin in der Wissenschaftslandschaft voraus, die eine derartige interdisziplinäre Offenheit erst ermöglicht.108 Als Beispiel für diese Art von Wachstumsprozessen sei hier auf Erkenntnisse der Neurowissenschaften verwiesen, die Aufnahme in anderen Wissenschaftsdisziplinen erfuhren: Barbalet zog beispielsweise biowissenschaftliche Erkenntnisse über das Zusammenwirken kognitiver und emotionaler Prozesse im Gehirn als Ausgangspunkt für seine Aufarbeitung der Geschichte des Verhältnisses von Rationalität und Emotionalität im Menschenbild der Sozialwissenschaften heran.109 In diesem Sinne kann hier von einem (fächerübergreifenden) Fortschritt der Wissenschaft gesprochen werden. Eine derartige Überwindung von Fachgrenzen im Sinne eines umfassenderen Verstehens des Erkenntnisgegenstandes ist jedoch erst möglich, wenn eine gewisse institutionelle Absicherung der einzelnen Disziplinen stattgefunden hat. Man könnte dieses Wachstum quer über Disziplinen aus Sicht der Systemtheorie mit Stichweh folgendermaßen erklären: Nach der in Form der Disziplinenbildung stattfindenden Spezialisierung im Wissenschaftssystem muss das System darum bemüht sein, wiederum Integration herzustellen. Zur Disziplinenbildung und entsprechenden Spezialisierung (d. h. zur Innendifferenzierung der Wissenschaft) kommt es, nach Stichweh, aufgrund von Problemvorgaben aus einer systemexternen Umwelt. Bei der Innendifferenzierung der Wissenschaft handelt es sich um eine Differenzierung kognitiver Ungleichheit bei sozialstruktureller Gleichheit der einzelnen Einheiten. Kognitiv erfolgt eine Orientierung an unterschiedlichen Ausschnitten aus der Systemumwelt. Das Sozialsystem der Wissenschaft (d. h. die Universität inklusive ihrer Positionsstruktur, ihrer Aufgabenteilung in Forschung und Lehre usw.), in dem die ungleichen Einheiten verankert sind, ist jedoch durch tendenziell gleiche Vorgaben für alle gekennzeichnet.110 Das kognitiv sehr divergente Wissenschaftssystem steht daher vor der Notwendigkeit, Integration zwischen den verschiedenen Einheiten herzustel-
108 Nassehi, Nollmann sprechen auch von neuen Freiheitsgraden, die die Etablierung der Soziologie für die Theoriendiskussion mit sich bringt: „Hier hat sich vielmehr ein Fach eingerichtet, das sich theoretische Debatten früherer Tage nicht mehr leisten muss, weil es bis zur Gesichtslosigkeit erfolgreich geworden ist. Wie die Soziologie mit der Gesellschaft hat diese mit ihrer Soziologie zu leben gelernt. (...) Dass damit freilich auch Freiheitsgrade für die Soziologie entstehen, ist evident.“ Nassehi, Nollmann, Einleitung, S. 8. 109 Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 41–45. 110 Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 21–25.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
len, um das Sozialsystem Wissenschaft als solches aufrechterhalten zu können. Die Umwelt verlangt vom Wissenschaftssystem und seinen einzelnen Einheiten – den Disziplinen – die Lösung kompakter Probleme, die zumeist nicht von einer der Disziplinen allein bewerkstelligt werden kann. Neben dieser von außen vorgegebenen Notwendigkeit zur Kooperation und Integration der Disziplinen, um die weitere (vor allem finanzielle) Unterstützung des Sozialsystems Wissenschaft durch die Systemumwelt sicherzustellen, kommt es auch durch die für alle Disziplinen gleichermaßen notwendige Abgrenzung von Nicht-Wissenschaft (d. h. den anderen ausdifferenzierten gesellschaftlichen Funktionsbereichen, wie z. B. Politik, Religion usw.) zu einer Integration des Systems. Die Integration des Wissenschaftssystems – trotz vorhandener Spezialisierung und damit tendenziell verknüpfter anomischer Arbeitsteilung – ist außerdem notwendig, um Innovationstransfer zwischen den einzelnen Disziplinen gewährleisten zu können.111 Die Zahl der Probleme, die ein Spezialgebiet aus seiner internen Dynamik heraus produzieren kann, ist begrenzt und Stagnation kann die Folge sein. Wissenschaftliches Wachstum kommt zustande, weil im Zuge des Differenzierungsprozesses jedes Spezialgebiet Anregungen von einer wachsenden Zahl anderer Spezialgebiete erhält. Dieser Prozess führt zu einer tendenziellen Entdifferenzierung der Disziplinen, da die Übernahme von Innovationen durch andere Spezialgebiete voraussetzt, dass man gemeinsame Grundlagen erkennt und anerkennt, d. h., die Differenzierung bis zu einem gewissen Grad überwindet. Stichweh spricht hier auch von der Reversibilität wissenschaftlicher Differenzierungsprozesse, die sich in anderen Systemen nicht in dieser Art finden lassen.112 Er sieht daher die Einbettung verschiedener soziologischer Theorietraditionen in interdisziplinäre Milieus (etwa die der Rational-Choice-Theorie in den Bereich der Ökonomie oder die der Systemtheorie in den Bereich der Biologie) im Sinne einer Erhaltung der Diversität der Disziplin als positiv an.113 Die im deutschen Sprachraum seit den 1980er-Jahren vor allem in wissenschaftspolitischen Zusammenhängen erfolgenden Debatten über Interdisziplinarität können vor diesem Hintergrund verstanden werden.114 Dem herkömmlichen disziplinären Wissenschaftsbetrieb wird von seiner Systemumwelt (vor allem vom politischen System) nicht mehr die adäquate wissenschaftliche Bewältigung der Probleme moderner Gesellschaften zugetraut. Interdisziplinarität soll die als Problem erkannte Spezialisierung überwinden helfen. (Allerdings handelte es sich bei diesen Aufrufen zur Interdisziplinarität zumeist um programmatische Bekenntnisse, die die realen Schwierigkeiten der Überwindung disziplinärer Strukturen und Karrieremuster nicht ausreichend reflektierten.) Die interdisziplinäre Öffnung des Faches sorgt nicht nur für Innovationsmöglichkeiten, sondern dürfte auch die (Wieder-)Aufnahme jener Themen erlauben, die als Querschnittsthematik im Rahmen der Disziplinenbildungsprozesse keinen institutionalisierten Ort im Wissenschaftssystem fanden und daher zunehmend vernachlässigt wurden. Die Thematik der Emotionen stellt eine solche Querschnittsthematik dar, deren Erforschung – wie weiter oben dargelegt – interdisziplinäre Arbeit erfordert. Seit den 1980er-Jahren findet diese Thema-
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Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 29. Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Profession, S. 47. Vgl. Stichweh, Systemtheorie und Rational Choice Theorie, S. 405. Vgl. beispielsweise die Beiträge der 1986 am Bielefelder Zentrum für Interdisziplinäre Forschung abgehaltenen Tagung zum Thema „Ideologie und Praxis der Interdisziplinarität. Schelskys Konzept und was daraus wurde“ in: Kocka, Interdisziplinarität.
3. Wissens- und wissenschaftssoziologische Vertiefung
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tik in verschiedenen Disziplinen, aber auch in von vornherein interdisziplinär konzipierten Arbeitsgruppen Beachtung.115 Auch andere Themenbereiche, die einen ähnlich inter- bzw. eventuell auch transdisziplinären Zugang erfordern, werden seit den 1980er-Jahren verstärkt von der deutschsprachigen Soziologie aufgegriffen. Hinzuweisen wäre etwa auf die Kultursoziologie,116 die im deutschen Sprachraum zwar bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte117, dann jedoch weitgehend in Vergessenheit geriet und erst seit den 1980er-Jahren eine Wiederentdeckung (auch unter Einbezug neuer theoretischer Perspektiven, die in anderen Sprachkontexten bzw. Disziplinen entwickelt wurden) erfuhr. An dieser Stelle soll keine vollständige Erörterung der Hintergründe des sogenannten cultural turn in den Sozialwissenschaften erfolgen, eine seiner Voraussetzungen muss jedoch sicherlich in den weitgehend abgeschlossenen, disziplinären Konsolidierungsprozessen gesehen werden, die ein fächerübergreifendes Vorgehen, ohne die Gefahr des Verlustes akademischer Positionen und Anerkennung, erst ermöglichten.118 Eine im Weiteren nicht behandelte, aber sicherlich ebenfalls wichtige, zum Themenkomplex des ‚Fortschritts der Wissenschaft‘ gehörige Fragestellung besteht daher darin, die Interaktionen zwischen den unterschiedlichen, seit den 1980er-Jahren in den Sozialwissenschaften (wieder-)entdeckten theoretischen Strömungen zu analysieren. Die nahezu zeitgleiche Wiederentdeckung der Kultursoziologie, der historischen und phänomenologischen Soziologie sowie der Emotionsthematik böte hier ein weites Betätigungsfeld.119 Derartige inhaltliche Wechselwirkungen (die damit den sachlogisch motivierten endogenen Faktoren des Wissenschaftssystems zugerechnet werden können) werden jedoch im Verlauf der folgenden Arbeit zugunsten der Analyse institutioneller Rahmenbedingungen zurückgestellt.
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Hinzuweisen wäre etwa auf eine derartige, am ZIF in Bielefeld eingerichtete Arbeitsgruppe oder ein, auf Initiative der Jungen Akademie Berlin zustande gekommenes, interdisziplinäres Projekt. Vgl. dazu die Hinweise in Kap. III, 5.4. Zum interdisziplinären Charakter der Kultursoziologie vgl. Gebhardt, Vielfältiges Bemühen, S. 5. Zur Bedeutung des Themas Kultur für die deutschsprachigen Klassiker der Soziologie und bis in die 1920erJahre hinein vgl. Gebhardt, Vielfältiges Bemühen, S. 1. Zur Entwicklung der Kultursoziologie im deutschen Sprachraum vgl. Gebhardt, Vielfältiges Bemühen; – Kirchberg, Wuggenig, Jumping of the Shoulders; – Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie, insbesondere S. 59–76; – Lichtblau, Soziologie als Kulturwissenschaft. – Zur inhaltlichen Entwicklung des cultural turn allgemein vgl. auch: Reckwitz, Die Transformation der Kulturtheorien. – Ähnlich wie bei der Soziologie der Emotionen geriet selbstverständlich auch die Kultursoziologie nicht völlig aus dem Blickfeld der Soziologen, jedoch waren es bis Ende der 1970er-Jahre nur einige wenige Autoren, die diesem Themenfeld Beachtung schenkten, wie etwa Alfred von Martin. In diesem Zusammenhang wäre auch das Verhältnis der deutschsprachigen Soziologie zur in anderen Disziplinen mittlerweile intensiv diskutierten ‚Postmoderne‘ einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Vester stellt erst seit Anfang der 1990er Jahre ein beginnendes Interesse an der Postmoderne aufseiten der deutschsprachigen Soziologie fest. Vgl. Vester, Soziologie der Postmoderne, S. 6–7. – Vieles, was im Zusammenhang der Postmoderne an Kritik am rationalistischen Wissenschaftsbild der Nachkriegszeit vorgebracht wurde, korrespondiert mit den im Umkreis der (wiederentdeckten) interpretativen Soziologie geführten Debatten. Eine nähere Aufarbeitung des Zusammenhanges dieser Strömungen für die deutschsprachige Soziologie steht derzeit jedoch noch aus. Zum begrifflichen Verhältnis von Modernisierung, Moderne und Postmoderne vgl. auch Celestini, Scherke, Die Zentraleuropäische Moderne, S. 348–355.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
Bevor ich mich näher mit der Geschichte der deutschsprachigen Soziologie und der Beachtung, die die Emotionen in dieser erfahren haben, beschäftige, sollen noch einige allgemeine Überlegungen zur Operationalisierung der Ausdrücke Etablierung, Institutionalisierung und Professionalisierung in der vorliegenden Arbeit erfolgen. Die Unterscheidung zwischen diesen Ausdrücken ist häufig sehr vage, teilweise werden sie auch deckungsgleich verwendet. Daher soll an dieser Stelle in Abgrenzung von einschlägigen anderen Werken expliziert werden, in welcher Weise die Ausdrücke im Folgenden Verwendung finden. Shils hob bereits die Bedeutung von Institutionalisierungsprozessen für die Entwicklung eines wissenschaftlichen Faches hervor. Durch die Institutionalisierung wird ein intensiverer Austausch von Ideen und Wissensbeständen ermöglicht und es kann zu einer kontinuierlichen Ausweitung derselben kommen. Shils versteht ganz allgemein unter Institutionalisierung einer geistigen Tätigkeit die „relativ enge Interaktion von Personen, die diese Tätigkeit ausüben. (...) Ein hohes Maß von Institutionalisierung geistiger Tätigkeit hat zur Folge, daß Lehre und Forschung im Rahmen einer geplanten, systematisch verwalteten Organisation stattfinden. Die Organisation regelt die Zulassung durch Prüfung der Qualifikation, sorgt für eine organisierte Bewertung der Leistung, für Einrichtungen, Gelegenheiten zur Leistung und ihre Belohnung, – zum Beispiel durch Studium, Lehrtätigkeit, Forschungsaufträge, Publikation, Ernennungen und so fort.“1 Institutionalisierung allein ist zwar nach Shils noch keine Garantie für die systematische Verbreitung von Ideen, erleichtert diese jedoch wesentlich. Durch die Institutionalisierung kommt es zur Konzentration wissenschaftlicher Tätigkeit, die Kommunikationsdichte erhöht sich und die Wechselwirkung zwischen Ideen wird gefördert.2 Institutionalisierung bezieht sich also, folgt man Shils, weitgehend auf die Entstehung von universitären Strukturen. Gegenüber einer derartigen Ausrichtung des Begriffs ist anzumerken, dass es auch im außeruniversitären Bereich zu einer Institutionalisierung geistiger Tätigkeit kommen kann – etwa in Form von wissenschaftlichen Gesellschaften und Berufsverbänden (wobei Letztere jedoch zumeist die Existenz eines entsprechenden Studienfaches und von ihm hervorgebrachte Absolventen und Absolventinnen voraussetzen). Auch die außeruniversitären Institutionen tragen, wenn man beispielsweise an die frühen Aktivitäten der DGS denkt, zu einer Verbreitung von Ideen, Qualitätsprüfung und Standardisierung von Forschungsgegenständen und -methoden bei. Außeruniversitäre Forschungsinstitute können die Institutionalisierung einer geistigen Tätigkeit ebenfalls fördern, indem sie explizit an der Einhaltung bestimmter wissenschaftlicher Standards mitwirken bzw. sich diese (aus Gründen der Professionalisierung) zum Ziel setzen. Offensichtlich kann die Institutionalisierung geistiger Tätigkeit auf unterschiedliche Weise sozial organisiert werden, wobei die Grenzen
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Shils, Geschichte der Soziologie, S. 72. – Vgl. auch Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 140–141. Vgl. Shils, Geschichte der Soziologie, S. 88.
K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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zur Professionsbildung fließend sind. Shils vertritt implizit die Vorstellung einer chronologischen Beziehung zwischen Institutionalisierung und Professionalisierung, indem Professionalisierung als ‚Triumph der Institutionalisierung‘ bezeichnet wird.3 Allerdings bleiben in dieser Sichtweise die Wechselwirkungen zwischen außer- und inneruniversitären Entwicklungen unberücksichtigt (etwa die aus Professionalisierungsüberlegungen heraus erhobenen Ansprüche außeruniversitärer Fachvertreter an die Hochschullehrer des Faches im Hinblick auf die Praxisrelevanz der Nachwuchsausbildung, die in Zeiten noch geringer Institutionalisierung des Faches zu Legitimierungsschwierigkeiten desselben innerhalb der Hochschulen führen können). Whitley schlägt zur genaueren Bestimmung des Begriffs Institutionalisierung vor, zwischen einer kognitiven und einer sozialen Institutionalisierung zu unterscheiden.4 Kognitive Institutionalisierung bezieht sich auf den Grad der geistigen Übereinstimmung zwischen Wissenschaftlern über Inhalte und Methoden ihres Forschungsgebietes. Soziale Institutionalisierung bezieht sich demgegenüber auf den Grad der sozialen Schließung einer Wissenschaftsgemeinschaft, ihrer klaren formalen Abgrenzung gegenüber anderen Gemeinschaften und ihrer koordinierten Aktivitäten der Ressourcen- sowie Nachwuchsakquirierung. Kognitive und soziale Institutionalisierung können zwar eng miteinander verknüpft sein, müssen es jedoch nicht. Auch wenn man einen nur oberflächlichen Blick in die Geschichte der Soziologie im deutschen Sprachraum wirft, wird bereits deutlich, dass beide Prozesse sich tatsächlich scheinbar in unterschiedlicher Geschwindigkeit und teilweise auch nicht unbedingt linear entwickelten. Die Integration in universitäre Strukturen muss nicht immer mit einem hohen Grad an kognitiver Übereinstimmung verbunden sein, wie die zu Zeiten bereits relativ erfolgreicher sozialer Institutionalisierung (etwa in den 1960er-Jahren) aufgekommenen methodologischen Streitigkeiten in der deutschen Soziologie zeigen. Eine separate Betrachtung kognitiver und sozialer Institutionalisierungsprozesse erlaubt es, die parallele Existenz verschiedener Paradigmen innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft besser verstehen zu können. Whitley hierzu: „(...) it is not necessarily the case that, for example, invisible college social formations are always associated with monistic, closed, complete ‚paradigms‘ covering all aspects of scientific thought.“5 Allerdings sind die Kriterien, die Whitley für die Feststellung kognitiver Institutionalisierung angibt, recht vage gehalten (z. B. degree of consensus, ohne dass spezifiziert würde, woran dieser ‚degree‘ zu erkennen wäre). Zudem bleiben Unterschiede zwischen außer- und inneruniversitären Entwicklungen unberücksichtigt. In der vorliegenden Arbeit soll sich aus Gründen der begrifflichen Klarheit der Ausdruck Institutionalisierung definitionsgemäß ausschließlich auf die Entstehung entsprechender universitärer Strukturen beziehen. Prozesse kognitiver Institutionalisierung sollen im weiteren Verlauf aufgrund ihrer schwierigen Abgrenzung von anderen Institutionalisierungsschritten nicht unter dem Terminus Institutionalisierung subsumiert werden. Wenn es um die Entwicklung kohärenter Gedankengebäude und eines durch sie gestützten disziplinären Einverständnisses geht, wird dies auch als solches sprachlich kenntlich gemacht werden. Institutionalisierungsprozesse im außeruniversitären Bereich werden durch den Ausdruck ‚Professionalisierung‘ gekennzeichnet werden (wobei hier zu beachten ist, dass die Zielsetzungen dieser Professionalisierungsprozesse durchaus auf die Hochschulen bezogen
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Vgl. Shils, Geschichte der Soziologie, S. 133. Vgl. Whitley, Cognitive and social institutionalization, S. 69–72. Whitley, Cognitive and social institutionalization, S. 72.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
sein können – so lag beispielsweise bei der frühen DGS, die eine zwar von Hochschullehrern getragene, aber eindeutig außeruniversitäre Organisation war, das Ziel vor, die Bedeutung der Soziologie an den Hochschulen zu heben und die Entwicklung universitärer Strukturen einzufordern). Der Ausdruck Professionalisierung soll sich also auf das Entstehen außeruniversitärer (Berufs-)Organisationen und Forschungseinrichtungen beziehen. Der Ausdruck Etablierung soll sich gleichermaßen auf inner- und außeruniversitäre Institutionalisierungsprozesse beziehen: Erst wenn sowohl universitäre Strukturen vorhanden sind als auch das Fach außerhalb der Universitäten Aufmerksamkeit erfährt bzw. in entsprechenden Organisationen (seien es Berufsverbände, Forschungsinstitute u. Ä.) vertreten ist, kann von einer erfolgreichen Etablierung einer Disziplin gesprochen werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten: – Institutionalisierung von Wissenschaft bezieht sich zunächst allgemein auf die Ausdifferenzierung eines eigenen gesellschaftlichen Teilbereiches, in dem wissenschaftlicher Tätigkeit nachgegangen wird. – Institutionalisierung einer Disziplin bezieht sich, als Mechanismus der Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems, auf die Errichtung eigener Lehrstühle, Institute und Studiengänge für ein bestimmtes Fach. – Professionalisierung von Wissenschaft bezieht sich im Zuge der Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems zunächst auf die Entwicklung der Berufsrolle des Hochschullehrers als anerkannter und von außeruniversitären Instanzen geschätzter Tätigkeit. – Professionalisierung der Soziologie kann sich sodann auf die Entwicklung der Berufsrolle des soziologischen Hochschullehrers und – ebenfalls auf die Tätigkeit von Soziologen und Soziologinnen in anderen Berufsfeldern beziehen, wobei in der vorliegenden Arbeit der Ausdruck ‚Professionalisierung‘ für die Entstehung von außeruniversitären Organisationen, in denen die Interessen von Soziologen und Soziologinnen vertreten werden bzw. soziologische Forschung durchgeführt wird, verwendet werden soll. Professionalisierung und Institutionalisierung werden als miteinander in Wechselwirkung stehende Prozesse aufgefasst, weshalb sich eine zeitlich hierarchische Darstellung derselben verbietet.
4.1. Operationalisierungsfragen Es ergeben sich auch bei den oben getroffenen definitorischen Abgrenzungen eine Reihe von Operationalisierungsfragen: Reicht das Vorhandensein einer (näher zu bestimmenden) Anzahl von Lehrstühlen des Faches, um von seiner Institutionalisierung zu sprechen? Oder muss ein Fach auch als eigener Studiengang an den Universitäten repräsentiert sein? Im ersten Fall kann man sicher von einer beginnenden Institutionalisierung der deutschen Soziologie in der Weimarer Zeit sprechen. Falls man das zweite Kriterium heranzieht, wäre es überhaupt erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Institutionalisierung der Soziologie
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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gekommen.6 Offen bleiben auch einige Fragen hinsichtlich der Professionalisierung: Welche Anzahl von außeruniversitären Forschungsinstituten oder Gesellschaften ist notwendig, um von der Professionalisierung eines Faches sprechen zu können? Hinsichtlich der Forschungsinstitute und wissenschaftlichen Gesellschaften kann man ebenfalls für die Weimarer Zeit von einer zumindest beginnenden Professionalisierung sprechen. Wie sieht es außerdem mit Publikationen und der Entstehung von Fachzeitschriften, die einem neuen wissenschaftlichen Bereich zuzuordnen sind, aus? Sowohl Publikationen als auch Fachzeitschriften ermöglichen die Zirkulation von Ideen und dienen dem universitären wie auch außeruniversitären Fachpublikum als Diskussionsforum und sind daher als ein zusätzliches Kriterium heranzuziehen, wenn es darum geht, den Etablierungsgrad eines Faches festzustellen. Bereits seit 1902 gab es in Deutschland eine Zeitschrift, die im Titel einen Bezug zur Soziologie aufwies – die „Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie“; die „Monatsschrift für Soziologie“ folgte 1909. Die 1921 gegründeten „Kölner Vierteljahreshefte für Sozialwissenschaften“ wurden 1923 in „Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie“ umbenannt. 1929 erschien erstmals das „Archiv für angewandte Soziologie“ in Berlin.7 Die Liste ließe sich noch um jene Zeitschriften verlängern, in denen soziologische Themen erörtert wurden, ohne dass die Zeitschrift den Ausdruck ‚Soziologie‘ im Titel trug. Käsler rechnet zum Beispiel die „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“, die seit 1844 erschien, die seit 1862 erschienenen „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik“, die 1898 gegründete „Zeitschrift für Socialwissenschaft“ und das ab 1904 erscheinende „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ (in Nachfolge des „Archiv für Soziale Gesetzgebung und Statistik“ (1888–1904)) zu den frühen, für die Soziologie relevanten Zeitschriften im deutschen Sprachraum.8 Die von Käsler zusammengetragene Liste der Lehrbücher im Bereich der Soziologie zwischen 1909 und 1934 enthält zahlreiche Werke, die den Namen ‚Soziologie‘ bereits im Titel tragen bzw. sich der näheren Definition dieses Gegenstandsbereiches widmen. Zu nennen wären etwa der „Grundriß der Soziologie“ von Ludwig Gumplowicz (1885), Rudolf Eislers Buch „Soziologie. Die Lehre von der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft“ (1903) oder Albert Schäffles Werk „Abriß der Soziologie“ (1906).9 Ab wann, d. h. bei Vorhandensein wie vieler Werke, kann von einer Etablierung der Soziologie gesprochen werden? Hinzu kommt, dass inner- und außeruniversitäre Entwicklungen der Soziologie miteinander verknüpft und daher in einer Darstellung der Geschichte des Faches gleichermaßen zu beachten sind. Während sich inneruniversitär bestimmte Strukturen (Lehrstühle, Fachbereiche etc.) und Standards (Übereinkunft über Fragestellungen und Methoden des Faches, Inhalt von Studiengängen, Eingangsvoraussetzungen usw.) herausbilden und als Indiz für die allmähliche Institutionalisierung als Disziplin gewertet werden können, laufen auch außeruniversitär Professionalisierungsprozesse ab. Im Fall der Soziologie war vor allem die empirische Sozialforschung in Deutschland zunächst an außeruniversitären Instituten, die aufgrund kommerzieller Finanzierungsbemühungen eine entsprechende Nähe zu politisch-
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Vgl. Matthes, Einführung in das Studium, S. 25. Vgl. Siefer, Die Institutionalisierung, S. 260. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 623–625. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 613–617. – Diese Liste zeigt auch die frühe personelle Verbindung der Österreichischen und Deutschen Soziologie.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
praktischen Fragestellungen aufwiesen, verankert gewesen, bevor sie unter dem Erfordernis, Berufsperspektiven für die steigende Studierendenzahl zu schaffen, auch verstärkt Eingang in den universitären Bereich fand. Von Bedeutung sind außerdem die außeruniversitären Diskussionszirkel und Gesellschaften, die besonders in der Frühphase der Fachentwicklung Möglichkeiten boten, sich über die Aufgaben und die Methoden des sich entwickelnden Faches zu verständigen. Gut erkennbar ist dies an der DGS, die maßgeblich an der Entwicklung gemeinschaftlich vertretener wissenschaftlicher Standards beteiligt war. In der Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, ab wann in Deutschland die Soziologie einen Beruf, d. h. eine professionelle außeruniversitäre Tätigkeit, darstellte. Ich sehe die Existenz außeruniversitärer Institutionen, die sich der soziologischen (empirischen) Forschung widmeten, als den Beginn der Professionalisierung der Soziologie an. Diese Institutionen waren zwar Forschungszwecken gewidmet, daneben wurden aber auch im weitesten Sinne kommerzielle Aufgaben übernommen, womit ansatzweise auch die Basis für außeruniversitäre Berufsrollen (etwa in der Markt- und Meinungsforschung) gelegt wurde. Die 1925 gegründete ‚Österreichische Wirtschaftspsychologische10 Forschungsstelle‘ (wobei dieses Gründungsdatum umstritten ist und von Fleck nicht vor 1931 angesetzt wird) könnte als Paradebeispiel für ein derartiges, außeruniversitäres Institut angeführt werden, das sich teilweise über private Aufträge zu finanzieren suchte.11 Neben kommerziellen Marktforschungsprojekten wurden an der Forschungsstelle auch Themen aufgegriffen, die ‚ jenseits des Marktes‘ lagen. Erinnert sei hier nur an die Untersuchung über die ‚Arbeitslosen von Marienthal‘, die erstmals sozialpsychologische Folgen langdauernder Arbeitslosigkeit zum Thema hatte und auch heute noch – nicht nur aufgrund des damals erfolgreich eingesetzten Methodenmixes – als bahnbrechendes Werk in diesem Bereich gilt.12 Gerade anhand des Falls der ‚Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle‘ kann aber auch der Bruch, den der österreichische Ständestaat bzw. später das NS-Regime in der professionellen Entwicklung der Soziologie bewirkte, sehr gut aufgezeigt werden: Die führenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Forschungsstelle gingen in die Emigration, wo sie, wie z. B. Lazarsfeld in den USA, später maßgeblich zur Weiterentwicklung der empirischen Sozialforschung und Etablierung derselben beitragen konnten, während in Österreich und Deutschland erst sehr spät an die frühen Wurzeln im Bereich der außeruniversitären empirischen Sozialforschung angeknüpft werden konnte. Sieht man von diesen außeruniversitären Aktivitäten vor 1933, die als erste Schritte zu einer Professionalisierung der Soziologie betrachtet werden können, ab, so setzen erst mit der Gründung des entsprechenden Berufsverbandes (BDS) in den 1970er-Jahren verstärkte Professionalisierungsprozesse der Soziologie im deutschen Sprachraum ein.
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Wie bereits dieser Titel der Forschungsstelle andeutet und sich anhand der Ausbildung ihrer Mitarbeiter belegen lässt, waren die Anfänge der empirischen Sozialforschung auch in Österreich stark von der Psychologie bzw. Sozialpsychologie geprägt. Vgl. Höllinger, Empirische Sozialforschung, S. 389. – Zur anfänglichen Dominanz der Psychologie in der empirischen Sozialforschung vgl. auch Schad, Empirical Social Research, S. 97–99. Vgl. Zeisel, Der Anfang der modernen Sozialforschung, S. 43–46. – Vgl. hierzu auch Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 159–171. Vgl. Höllinger, Empirische Sozialforschung, S. 398–401; – Müller, Marienthal.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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Diese wenigen Bemerkungen zeigen, wie schwierig es ist, die Etablierung eines Faches zeitlich genau einzugrenzen. In der vorhandenen Literatur wird daher auch eher von Prozessen der Institutionalisierung bzw. Professionalisierung gesprochen und eine Festlegung auf konkrete Jahreszahlen vermieden. Die Etablierung einer Disziplin ist ein langwieriges Geschehen – zeitliche Angaben können hierbei stets nur als Richtwerte fungieren und müssen inhaltlich unter Bezugnahme auf markante Ereignisse plausibilisiert werden. Für die Soziologie im deutschen Sprachraum können folgende Entwicklungsphasen festgestellt werden, die im Hinblick auf die darin erfolgten Institutionalisierungs- und Professionalisierungsschritte im Folgenden noch näher dargestellt werden: Bis 1921: Frühphase der Soziologie im deutschen Sprachraum. 1921–33: Phase der beginnenden Etablierung (markiert einerseits durch die Gründung der Kölner Vierteljahreshefte für Sozialwissenschaften, andererseits durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland). 1933–45: Phase der Stagnation (markiert durch Beginn und Ende der NS-Zeit). 1945–55: Phase des Neubeginns (markiert durch das Kriegsende einerseits und die Übernahme der Herausgeberschaft der Kölner Zeitschrift durch René König andererseits). 1955–69: Etablierungsphase (markiert durch den Beginn der Herausgeberschaft Königs bei der Kölner Zeitschrift einerseits und die Gründung der Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld andererseits). 1969–80: Phase der Öffnung des Faches (markiert durch die Fakultätsgründung in Bielefeld einerseits und den 20. Deutschen Soziologentag in Bremen andererseits). Seit 1980: Phase der Verzweigung der Disziplin. Die hier konstatierten Zeitgrenzen verstehen sich als Richtwerte. Es wurden markante Ereignisse gesucht, die sich als Wegscheidemarken eignen, um die Entwicklung der Disziplin zeitlich zumindest grob zu verorten. Diese Zeitphasen hinsichtlich der Etablierung der Soziologie werden von mir zunächst anhand einiger einschlägiger Publikationen zur Geschichte der Soziologie in Deutschland näher dargestellt. Das sich aus der vorhandenen Literatur ergebende Bild über die Entwicklungsphasen der deutschsprachigen Soziologie wird sodann in einem nächsten Schritt durch eigene Analysen hinsichtlich der Beachtung/Nichtbeachtung des Themas der Emotionen in den Entwicklungsphasen der Nachkriegszeit ergänzt werden. Die Geschichte der Soziologie kann unter unterschiedlichsten Aspekten geschrieben werden. Käsler unterscheidet etwa zwischen einer ‚Klassiker-‘, ‚Schulen-‘, ‚Ideen-‘ und ‚Wissenschaftsgeschichte‘ sowie einer ‚Geschichte mit Pointe‘ und einer ‚Milieugeschichte‘ und erörtert ausführlich die Vor- und Nachteile dieser verschiedenen Ansätze.13 Ziel meiner Arbeit ist keine allgemeine Geschichte der Soziologie im deutschen Sprachraum, daher werde ich auch nicht auf die verschiedenen Aspekte einer Fachgeschichte näher eingehen. Die Konjunktur des Themas der Emotionen wird für einen relativ großen Zeitraum nachgezeichnet, dies führt notwendigerweise auch zu einigen Abstrichen, was die Feinheit der Analyse anbelangt. Vielen interessanten Fragestellungen zur Entwicklung der Soziologie in Deutschland bzw. den mitunter kontrovers geführten Debatten in der einschlägigen Literatur hierzu kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Im Folgenden werde ich mich auf jene Aussagen aus der vorhandenen Literatur zur Geschichte der Soziologie konzentrieren,
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Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 106. – Zu unterschiedlichen Möglichkeiten der Konzeption von Fachgeschichten der Soziologie vgl. auch Endreß, Zur Historizität soziologischer Gegenstände, S. 70–71, S. 81–83.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
die sich mit dem Institutionalisierungs- bzw. Professionalisierungsprozess der Soziologie beschäftigen. Folgende Hypothesen zur Entwicklung der Emotionsthematik sollten anhand der Zeitschriftenanalyse überprüft werden. Für die Phase des ‚Neubeginns‘ zwischen 1945–55 wurde angenommen, dass die Emotionsthematik in dieser Phase durch das Fach durchaus noch beachtet wurde, da nach Kriegsende erst allmählich wieder die Etablierungsdiskussionen der Weimarer Zeit aufgenommen werden konnten und somit noch größere Offenheit gegenüber ‚Randthemen‘ geherrscht hat.14 In der ‚Etablierungsphase‘ zwischen 1955–69 wurden Emotionen vom soziologischen mainstream aufgrund der verstärkten Institutionalisierungs- und Professionalisierungsbemühungen sodann weitgehend vernachlässigt. Erst in der Phase der ‚Öffnung des Faches‘ zwischen 1969–80 wurden Emotionen aufgrund der Konsolidierung der Disziplin allmählich wieder thematisiert – zumindest im Rahmen der Speziellen Soziologien. Seit 1980, in der Phase der ‚Verzweigung der Disziplin‘, erfahren Emotionen schließlich, vor dem Hintergrund der Diversifikation der Fachinhalte und forschungsleitenden Ansätze, eine stärkere Beachtung innerhalb des Faches. Die Entwicklungen der Soziologie in Österreich und der Schweiz werden im Folgenden nur dort erwähnt, wo sich länderspezifische Sonderwege hinsichtlich der Institutionalisierung des Faches ergeben haben. Aufgrund des auch von Lüschen festgestellten intensiven personellen und sachlichen Austausches15 mit der deutschen Soziologie wird ansonsten von einer tendenziell ähnlichen Entwicklung in diesen Ländern ausgegangen. Hierdurch soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass eine separate Aufarbeitung der Fachgeschichte in den anderen (im Hinblick auf die Schweiz: teilweise) deutschsprachigen Ländern nicht sinnvoll wäre. Auch kann, was die inhaltliche Ausrichtung der Soziologie betrifft, die These von der tendenziell gleichen Entwicklung im deutschen Sprachraum keineswegs flächendeckend aufrechterhalten werden – man bedenke nur die zum Teil unterschiedliche geistesgeschichtliche Tradition in den entsprechenden Ländern.16 Für die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung erschien jedoch eine detaillierte (auch inhaltliche) Nachzeichnung der Geschichte des Faches in Österreich und der Schweiz aus folgenden Gründen verzichtbar: Die Entwicklung wissenschaftlicher Disziplinen verläuft nur bedingt entlang nationalstaatlicher Grenzen. Im Falle der deutschsprachigen Soziologie lässt sich bereits in der Frühphase ein intensiver Austausch im Hochschulbereich zwischen den verschiedenen Ländern feststellen, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Fortsetzung fand. Die gewählten, in Deutschland ansässigen Fachzeitschriften sind als Publikationsorgane auch für Wissenschaftler und
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Während die Hypothesen zu den späteren Entwicklungsphasen anhand der Zeitschriftenanalyse bestätigt werden konnten, konnte die Hypothese eines ‚Neubeginns‘ und einer dadurch geprägten größeren inhaltlichen Offenheit der Disziplin gegenüber der Emotionsthematik nach 1945 anhand der vorliegenden Untersuchung nicht bestätigt werden. Die Phase des ‚Neubeginns‘ nach 1945 war offenbar – zumindest im Hinblick auf die Emotionsthematik – keineswegs so thematisch unvoreingenommen, wie anfänglich vermutet. Vgl. hierzu Kapitel III, 5.2.3. Vgl. Lüschen, Anmerkungen, S. 3. – Zur Entwicklung der schweizerischen Soziologie seit den 1960er-Jahren und ihrer weitgehenden Orientierung an der deutschen Soziologie vgl. auch Morandi, Soziologie in der Schweiz. – Zur Orientierung der österreichischen Nachkriegssoziologie an derjenigen Deutschlands vgl. Langer, Einleitung, S. 30. Zur inhaltlichen Entwicklung der Soziologie in Österreich vgl. Knoll [u. a.], Der österreichische Beitrag; – Torrance, Die Entstehung, insbesondere S. 443–444; – Langer, Einleitung, insbesondere S. 15–26; – Mozetič, Soziologische Theorie.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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Wissenschaftlerinnen der anderen Länder sehr attraktiv, wenn man allein bedenkt, dass die jeweiligen ‚nationalen‘ Fachorgane keine derartige Breitenwirkung (auch im Hinblick auf den Impact-Faktor) aufweisen. Angestrebt wurde eine erste Nachzeichnung der groben Entwicklungslinien der Emotionsthematik in soziologischen Fachzeitschriften vor dem Hintergrund der Institutionalisierung der Soziologie als selbständiger universitärer Disziplin. Für dieses Ziel reicht eine Darstellung der generellen Tendenzen der Fachgeschichte im deutschen Sprachraum unter Absehung von Detailunterschieden aus.17 Nicht berücksichtigt wird in der folgenden Übersicht auch die Entwicklung der Soziologie in der DDR. Da ich mich in weiterer Folge auf die zentralen deutschsprachigen Zeitschriften konzentrieren werde, die zwar im Untersuchungszeitraum 1949–2003 sehr wohl Beiträge von schweizerischen und österreichischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen abdruckten und insofern auch als Indikatoren für die Fachentwicklung in diesen Ländern herangezogen werden können, jedoch kein Diskussions- bzw. Publikationsforum für Angehörige der DDR – solange diese existierte – darstellten, erscheint diese Exklusion aus pragmatischen Gründen unumgänglich. Inwieweit in der am Historischen Materialismus orientierten, weitgehend systemkonformen Soziologie der DDR18 Gefühle systematisch erörtert wurden, wäre eine interessante Fragestellung, die jedoch eine andere Art der Erhebung voraussetzen würde.19
4.2. Die Soziologie bis 1933 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich vor allem auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, daher soll an dieser Stelle nur ein grober Überblick über die frühe Fachentwicklung gegeben werden, wobei ich mich auf jene Literatur zur Fachgeschichte konzentrieren werde, in der die Aspekte der Institutionalisierung und Professionalisierung besonders beachtet wurden.
4.2.1. Die Frühphase Die Frühphase, oder mit Eisenstadt und Curelaru gesprochen: die ‚Vorläuferphase‘20 der Soziologie, war gekennzeichnet durch Autoren, die sich im weitesten Sinne mit Fragestellungen befassten, die wir heute unter Soziologie subsumieren, ohne dass diese Autoren jedoch in irgendeiner engeren institutionellen Verbindung zueinander standen. Der Versuch, die neu ent-
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Für weiterführende Untersuchungen wäre es sodann jedoch unverzichtbar, auch auf länderspezifische und Traditions-Unterschiede einzugehen. Beispielsweise könnte es interessant sein, im Fall der österreichischen Soziologie zu prüfen, inwieweit die spezielle geistesgeschichtliche Tradition (gekennzeichnet durch die frühe psychologische, psychoanalytische und sozialpsychologische Tradition, aber auch den logischen Empirismus des Wiener Kreises) einen Einfluss auf die Beachtung/Nichtbeachtung der Emotionsthematik gehabt hat. Vgl. Sparschuh, Dokumentarische Interpretation, S. 15; – Ludz, Einleitung, S. XII–XIII. Durch eine Vergleichsanalyse in der Datenbank SOLIS, die auch über 6.000 Einträge unveröffentlichter Forschungsberichte und sonstiger ‚Grauer Literatur‘ der DDR-Soziologie beinhaltet, konnte zumindest ansatzweise versucht werden, auch möglichen Arbeiten zu einer Soziologie der Emotionen im Schaffen der DDR-Soziologie nachzuspüren. Dieser Einbezug der Datenbank SOLIS kann jedoch nicht als systematische Analyse der marxistisch-leninistischen Soziologie im Hinblick auf die Frage des Stellenwertes der Emotionsthematik darin betrachtet werden. Vgl. Eisenstadt, Curelaru, The Form of Sociology, S. 23.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
stehende Wissenschaft Soziologie von anderen Disziplinen abzugrenzen, wird von Eisenstadt/ Curelaru als zentrales Anliegen der frühen Autoren gesehen. Dies wurde teilweise dadurch angestrebt, dass die Analyse der Gesellschaft mithilfe von an den Naturwissenschaften orientierten wissenschaftlichen Methoden vorgenommen wurde, um die ‚Wissenschaftlichkeit‘ des neuen Faches abzusichern und den Einzug desselben in den Kanon der bestehenden Disziplinen zu ermöglichen.21 Es existierte jedoch, trotz der zum Teil an den Naturwissenschaften orientierten Ansätze, ein weites Spektrum an Fragestellungen, das in dieser Frühphase im Bereich der Soziologie verfolgt wurde – reichend von geschichtsphilosophischen Entwürfen bis hin zu ökonomischen oder staatswissenschaftlichen Erörterungen. Deutlich wird die Vielfalt der vertretenen Ansätze auch an der institutionellen Zugehörigkeit der Autoren, die sich der Soziologie zuwandten, die sowohl auf philosophischen als auch auf staatswissenschaftlichen oder juridischen Fakultäten beheimatet waren. Für den deutschen Sprachraum werden, laut der Analyse Käslers, vor allem folgende Autoren immer wieder als ‚Vorläufer‘ der Soziologie genannt: Lorenz v. Stein, Karl Marx, Friedrich Engels, Wilhelm Heinrich Riehl, Paul v. Lilienfeld, Albert Schäffle, Ludwig Gumplowicz und Gustav Ratzenhofer.22 Prägend für die Entwicklung der Soziologie an den Universitäten war von Beginn an die Auseinandersetzung mit Nachbardisziplinen wie etwa Psychologie, Geschichte, Ökonomie und Jurisprudenz. Diese erfolgte nicht nur hochschulpolitisch, sondern spiegelte sich auch im Lehr- und Forschungsprogramm der ersten Fachvertreter wider, die, wie erwähnt, an verschiedenen Fakultäten beheimatet waren und sehr unterschiedlich bezeichnete Lehrstühle innehatten. Ihre Fragestellungen und die von ihnen eingesetzten Methoden unterschieden sich zum Teil erheblich voneinander. Gemeinsam war den ersten Fachvertretern lediglich das Interesse an soziologischen Themen im weitesten Sinne und der Versuch, dieses entstehende Fach von anderen Disziplinen abzugrenzen. Mit dieser Situation ging eine relativ große Freiheit hinsichtlich der Bestimmung der Inhalte soziologischer Forschungen einher.23 Nicht zuletzt dürfte dieses diffuse und vielfältige Bild der frühen deutschen Soziologie die – dann nach dem Ersten Weltkrieg vonseiten der Politik vorgebrachten – Erwartungen hinsichtlich des universalen Status des Faches genährt haben. Shils sieht den Widerstand, den die vorhandenen universitären Strukturen dem aufkommenden Fach entgegensetzten, als maßgeblichen Grund für dessen geringe Institutionalisierung in der Frühphase der Soziologie an.24 Die Schaffung eines neuen Lehrstuhls an einer Universität war u. a. von der Zustimmung der anderen Professoren der Fakultät abhängig, deren Entscheidung zu einem nicht unerheblichen Teil durch Konkurrenzängste und Rivalität um knappe Geldmittel bestimmt gewesen sein mag. Shils stellt demzufolge fest, dass die Errichtung soziologischer Lehrstühle in Deutschland vorrangig an neugegründeten Universitäten stattfand. Das flexibler gestaltete Universitätssystem der USA, in dem insbesondere den Professoren eines Fachbereichs keine Entscheidungsbefugnis über die Gründung neuer Lehrstühle zufiel, gestattete der Soziologie, aus Sicht von Shils, dort eine frühere Institutionalisierung.25
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Vgl. Eisenstadt, Curelaru, The Form of Sociology, S. 25. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 302. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 50–51. Vgl. hierzu auch Siefer, Die Institutionalisierung, S. 259. – Vgl. hierzu auch Matthes, Einführung in das Studium, S. 27. Vgl. Shils, Geschichte der Soziologie, S. 91.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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Die Debatte über die Positionierung der Soziologie an den Universitäten wurde vor allem auf den Soziologentagen der 1909 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziologie geführt. Käsler zufolge herrschte auf dem Soziologentag 1910 noch ein „Zustand der ‚Uneinigkeit‘, ja der ‚Verworrenheit‘“ und es ließen sich zu diesem Zeitpunkt „noch keine dominanten Soziologie-Definitionen feststellen.“26 Dieses Bild änderte sich auch nicht auf dem zweiten Soziologentag 1912. Das Prinzip der Werturteilsfreiheit und die Frage, wie die Soziologie einen ihr gebührenden Platz an den deutschen Hochschulen erreichen könnte, wurden auf diesem Soziologentag heftig diskutiert. Max Weber wies beispielsweise explizit auf die bis dato marginale Stellung der Soziologie in der deutschen Hochschullandschaft hin: „Unsere Mitglieder (...) sind vorwiegend solche Gelehrte, welche außerhalb der Ordinariate der Universität tätig sind oder erst künftig in solche einzurücken die Chance haben.“27 Der Vorstand der DGS habe daher beschlossen, „Erwägungen anzustellen, auf welchem Wege am besten dem jetzt in Deutschland offiziell an den wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen noch gänzlich unvertretenen Fach der Soziologie den ihm gebührenden Platz und Rang als ein reguläres Lehrfach zu erringen wäre.“28 Die Werturteilsfreiheit schien für einige prominente Vertreter das probate Mittel der Erringung akademischer Anerkennung zu sein. Allerdings war innerhalb der DGS diese Werturteilsfreiheit nicht unumstritten und die Dispute darüber führten 1913 auch zum Rücktritt Max Webers, Georg Simmels und Alfred Vierkandts aus dem Vorstand der DGS.29 In Deutschland und Österreich wurden also schon vor dem Ersten Weltkrieg Forderungen nach der Einführung der Soziologie als reguläres Lehrfach laut. 1912 diskutierte beispielsweise der 31. Deutsche Juristentag in Wien die Aufnahme der Soziologie in den Lehrplan des juristischen Studiums.30 Die Philosophische Fakultät der Universität Wien und die Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Graz beantragten wenig später beim österreichischen Unterrichtsministerium die Einführung der Soziologie als Lehrfach und die Errichtung soziologischer Lehrstühle. 1914 forderte auch die DGS die Einführung der Soziologie als eigenständiges Lehrfach an den deutschen Universitäten.31 An verschiedenen Hochschulstandorten war es zwar bereits möglich gewesen, soziologische Lehrveranstaltungen zu absolvieren, jedoch nur als Wahl- oder Nebenfach. Die Initiative der DGS scheiterte zunächst jedoch aufgrund des Kriegsausbruchs.32
4.2.2. Soziologie als Einzelwissenschaft oder als Perspektive? Im Rahmen der Diskussionen über den zukünftigen Stellenwert der Soziologie an den Universitäten kann man zwischen einer Position, die der Soziologie den Status einer einzelwissenschaftlichen Disziplin zuweisen wollte, und einer Position, die die Soziologie hauptsäch-
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Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 54. Weber Max, Verhandlungen des zweiten deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin, Tübingen 1913, S. 78f., zit. nach: Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 56. Weber Max, Verhandlungen des zweiten deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin, Tübingen 1913, S. 78 f., zit. nach: Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 56. Vgl. Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 218. Vgl. Matthes, Einführung in das Studium, S. 215–217; – Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 62–63. Vgl. auch Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 148–150. Vgl. Matthes, Einführung in das Studium, S. 26–29.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
lich als Methode sah, die auch in anderen Disziplinen Einzug halten sollte, unterscheiden. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf einen Text Georg Simmels aus dem Jahr 1917 verwiesen, in dem er sehr klar den Unterschied dieser beiden möglichen Positionen nachzeichnet.33 Simmel weist der Soziologie – unter Anerkennung ihres möglichen Beitrages als Perspektive in anderen Disziplinen – eindeutig einen eigenen Gegenstandsbereich zu, nämlich die Formen der Vergesellschaftung.34 Auch Leopold von Wiese plädierte 1926 für den einzelwissenschaftlichen Charakter der Soziologie, wobei er jedoch Simmels Konzeption einer ‚formalen‘ Soziologie aufgrund möglicher Missverständnisse bezüglich dieses Terminus nicht übernimmt.35 Von Wieses Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte sieht – im Sinne der von Käsler als ‚Geschichte der Soziologie mit Pointe‘ bezeichneten Argumentationslinie – die von ihm vertretene Beziehungslehre als Endergebnis eines längeren Prozesses der disziplinären Selbstvergewisserung.36 Über die Leistungen seiner ‚soziologischen‘ Vorläufer schreibt Wiese: „Nur sehr weniges aus diesem Schrifttum ist mit Denkmitteln und Darstellungshilfen geschaffen worden, die nicht anderen Wissenschaften entnommen sind. Das Objekt mag immer die Gesellschaft sein; die Optik aber, in der diese gesellschaftlichen Erscheinungen geschaut werden, ist zumeist nicht soziologisch. Wie die Sozialforscher in den ersten drei Vierteln des 19. Jahrhunderts entweder als Biologen, Historiker oder Geschichtsphilosophen das Zusammenleben der Menschen behandelt haben, so sind auch bei den Modernen Psychologen, Ethnologen, Metaphysiker, Ethiker, Sozialökonomen, Juristen, Ästhetiker usw. geschäftig, über das Gesellschaftsleben das auszusagen, was sie von ihrem Fachstandpunkte aus darüber geschaut haben. Oder es sind bei ihnen Intuitionen, die zu einem ganz persönlichen, einmaligen und eigenartigen Schauen eines Stückes des inneren Zusammenhanges von Mensch und Gruppe geführt haben. Zwischen all diesen oft hervorragenden Einzelleistungen besteht wenig Zusammenhang.“37(Hervorhebung im Original) Dieser unsystematischen Behandlung des Gesellschaftlichen stellt von Wiese seine Konzeption der Beziehungslehre gegenüber, die auf der Anwendung einer spezifisch soziologischen Methode beruht.38 In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg häuften sich derartige Bemühungen, den einzelwissenschaftlichen Charakter der Soziologie zu unterstreichen.39 Die zunehmende Aufsplitterung der Wissenschaft in Spezialfächer bzw. die von außerhalb der Universität an sie herangetragenen Nützlichkeitserwägungen bedingten nach dem Ersten Weltkrieg zudem ein Klima, in dem der Ruf nach einer neuen, einheitlichen Perspektive in den Wissenschaften – vor allem vonseiten der Wissenschaftspolitik – laut wurde.40 Carl Heinrich Becker, der spätere preußische Kultusminister, sprach sich beispielsweise 1919 in seiner Schrift Gedanken zur Hochschulreform für eine Etablierung der Soziologie als Grundlagenwissenschaft aus, die dabei helfen sollte, dem entstandenen Partikularismus
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Vgl. Simmel, Grundfragen der Soziologie. Die Skizzierung der Vergesellschaftung als Gegenstandsbereich der Soziologie findet sich bereits früher, nämlich 1908, in Simmels Buch „Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung“. Vgl. Wiese, Soziologie, S. 31, S. 46–48. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 168. Wiese, Soziologie, S. 91. Vgl. Wiese, Soziologie, S. 93. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 52. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 40.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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in den Wissenschaften zu begegnen.41 Die Soziologie sollte gewissermaßen das Erbe der Philosophie antreten. Diese Hoffnungen erfüllten sich bis zum Zweiten Weltkrieg jedoch nicht. Hemmend stellten sich den vielfältigen Erwartungen an die neue Disziplin, aus Sicht von Krekel-Eiben, die bereits etablierten Disziplinen – die für sich ebenfalls universale Ansprüche erhoben –, die Struktur der Ordinarienuniversitäten – in der es wenig Platz für neue Lehrstühle gab – und die Bildungspolitik – die Lehrstuhlbenennungen zu einem Politikum erhob – entgegen. Hinzu kamen sozialpolitische Gründe: Die Soziologie wurde auch wegen der vermuteten Nähe ihrer Vertreter zur Sozialdemokratie auf universitärer Ebene mitunter abgelehnt.42
4.2.3. Die Phase der beginnenden Etablierung in den 1920er-Jahren Neben den wissenschaftspolitischen Diskussionen wurden auch aufseiten der Soziologie selbst nach dem Ersten Weltkrieg die Debatten über die Grundlagen des Faches fortgesetzt. Die DGS vertrat nach dem Ersten Weltkrieg eine stärker anwendungsorientierte Ausrichtung, die auch in der 1920 modifizierten Satzung des Vereins ihren Niederschlag fand. Glatzer schreibt hierzu: „Die explizite Erwähnung von angewandter Soziologie und Sozialpolitik indiziert – verglichen mit der ersten Satzung – eine markante Veränderung, die als eine partielle Wiederanpassung an die Prinzipien des Vereines für Sozialpolitik gesehen werden muß.“43 Nicht zuletzt dürften die Erwartungen von Wissenschaftspolitikern wie Becker und auch der Einfluss außeruniversitärer, anwendungsorientierter Institute zu diesem Wechsel der Ausrichtung beigetragen haben. Die Grundsatzdiskussionen inner- und außerhalb der DGS über den Praxisbezug der Soziologie müssen natürlich auch vor dem Hintergrund der häufig als ‚Krise der Geisteswissenschaften‘ bezeichneten Situation der 1920er-Jahre gelesen werden. Es ging zwar – und dies ist der Aspekt, der in dieser Arbeit besonders betont werden soll – in diesen Grundsatzdiskussionen um die Institutionalisierung des Faches, daneben spielten aber die Versuche, dem Verlust bzw. der Unglaubwürdigkeit der vor dem Ersten Weltkrieg unter Gelehrten noch weit verbreiteten Bildungsideale (und der damit verknüpften Hoffnungen auf einen ständigen ‚Kulturfortschritt‘) entgegenzuwirken bzw. Alternativen dafür zu suchen, sicherlich eine nicht zu unterschätzende Rolle in dieser Zeit.44 Michael Bock hat eine Typologie der in den 1920er-Jahren versuchten soziologischen Antworten auf diese ‚Krise‘ erarbeitet, die die Bandbreite der in der Weimarer Zeit vertretenen Soziologieentwürfe veranschaulicht.
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Die Forderung Beckers stieß innerhalb der Wissenschaftslandschaft auch auf Kritik, wie etwa die Stellungnahmen des Historikers Georg von Below zeigen. Below sah die Soziologie weniger als eine neue Universalwissenschaft, sondern als Perspektive, die von den bereits bestehenden Disziplinen weiterentwickelt werden könnte. Vgl. Lepsius, Die Soziologie der Zwischenkriegszeit, S. 12; – Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 79–80. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 41, S. 53. Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 218. Zum Verlust der Bildungsideale und allgemein zur Krise der Geisteswissenschaften in den 1920er-Jahren vgl. Bock, Die Entwicklung, S. 166–168; – Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie, insbesondere S. 407–419; – sowie Lethen, Verhaltenslehren der Kälte, S. 35–38. – Zum Lebensgefühl der 1920er-Jahre und dessen Folgen für die Ausrichtung der Sozialwissenschaften vgl. auch Acham, Historische Umbrüche, insbesondere S. 535– 540, S. 543–547.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Der formalsoziologische oder beziehungswissenschaftliche Ansatz, der in der Institutionalisierung der Soziologie als Einzelwissenschaft eine Chance der Überwindung der Krise sah, stellte nur eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung dar und darf – aufgrund der späteren, tatsächlichen Etablierung des Faches – in seiner zeitgenössischen Bedeutung nicht überschätzt werden.45 Auch Volker Kruse zeichnet ein sehr deutliches Bild von der inhaltlichen Vielfalt soziologischer Ansätze der 1920er-Jahre, wobei er insbesondere die historisch orientierten Ansätze – gewissermaßen als Gegenspieler der systematisch-formalistischen Ansätze – einer näheren Analyse unterzogen hat. Die „‚historische Soziologie‘ entstand um 1900 als Synthese von nomothetischen Wissenschaftsauffassungen (Positivismus, Marxismus, theoretische Nationalökonomie) und den (atheoretischen) historischen Schulen (insbesondere historische Nationalökonomie). (...) Sie zeichnete sich durch einen weiten geschichtlichen Horizont, vielfältiges theoretisches Instrumentarium, interdisziplinäre Integrationskraft, Wirklichkeitsnähe und zeitdiagnostischen Impetus aus.“46 Diese historische Soziologie, der von Kruse so unterschiedliche Autoren wie Karl Mannheim, Alfred und Max Weber, Norbert Elias oder Alfred von Martin zugerechnet werden, erfährt erst jüngst eine Wiederentdeckung in der deutschsprachigen Soziologie. Die mangelnde Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg ist auf vielfältige Faktoren zurückzuführen, darunter die persönlichen Emigrationsschicksale Einzelner ihrer Vertreter. Nicht vernachlässigt werden darf jedoch auch die von Kruse angesprochene interdisziplinäre Ausrichtung dieser Autoren, die in das Bild einer sich als Einzelwissenschaft verstehenden deutschen Nachkriegssoziologie nicht nahtlos eingefügt werden konnten und von daher nicht nur keine unmittelbare Fortsetzung fanden, sondern offensichtlich auch im Rückblick in ihrer Bedeutung für die Weimarer Soziologie lange Zeit unterschätzt wurden. 1922 fand der dritte deutsche Soziologentag statt, wodurch nach der Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg die Aktivitäten der DGS wieder aufgenommen wurden. Ferdinand Tönnies zog während dieser Zusammenkunft eine positive Bilanz über die Etablierungsbemühungen der Soziologie, die im universitären Bereich fester verankert und auch auf Interesse von öffentlicher Seite gestoßen sei.47 Die Einengung der ursprünglich vielgestaltigen Ausrichtung der Soziologie auf eine einzelwissenschaftliche Konzeption von Soziologie, dominiert durch einen formalen Ansatz, fand auf diesem Soziologentag ihre Fortsetzung. Wieses Konzeption von Soziologie, die er später explizit von der Psychologie, der Wirtschaftwissenschaft, der Philosophie (einschließlich der Sozialphilosophie) sowie von praktischen Wertungen abgrenzte, entwickelte sich – folgt man wie Käsler den Verhandlungen der deutschen Soziologentage – zur dominanten Richtung.48 Gänzlich unumstritten war diese Vorstellung von Soziologie freilich nicht. Es wurde vor allem die Abstraktheit der Beziehungslehre, die vielen gesellschaftlichen Problemen nicht gerecht werden könne, kritisiert. Max Adler meinte beispielsweise: „Die Einengung der Soziologie auf eine bloße Beziehungslehre ist eine charakteristische bürgerliche Beschränkung des soziologischen Problems (...). Es liegt nämlich
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Vgl. Bock, Die Entwicklung, S. 168–174. Kruse, Historisch-Soziologische Zeitdiagnostik, S. 375. – Zur Charakterisierung der historischen Soziologie vgl. auch Kruse, Historisch-Soziologische Zeitdiagnostik, S. 377–378, S. 394–395. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 69. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 71–92.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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in dieser Beschränkung der Soziologie auf eine bloße Formenlehre ein Verzicht auf die eigentliche Aufgabe der Soziologie, (...) die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung zu bestimmen, um in dieselbe bewußt einzugreifen.“49 Neben Adler, als einem Vertreter einer marxistischen Konzeption von Soziologie, kritisierten auch Vertreter anderer Lager die beziehungswissenschaftliche Schule, so unter anderem Andreas Walther, der auf die Praxisnähe der amerikanischen Soziologie im Vergleich zur deutschen hinwies. Bei aller Kritik konnten sich jedoch, laut Käsler, im Verlauf der ersten sieben deutschen Soziologentage jene Soziologen durchsetzen, die eine praxisferne, akademische Konzeption von Soziologie forcieren wollten.50 Von ‚Durchsetzung‘ kann auch im Hinblick auf die Unterstützung vonseiten der Wissenschaftspolitik gesprochen werden. Auf dem siebten Soziologentag 1930 hatte der ‚Preußische Staatsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung‘, Adolf Grimme, festgestellt, dass die Soziologie aus dem Feld der Wissenschaften nicht mehr wegzudenken sei, und den versammelten Soziologen weitere Unterstützung beim universitären Ausbau der Disziplin zugesichert. Abzulesen ist der Bedeutungsgewinn der Soziologie unter anderem an der Zahl der Lehrstühle. Betrachtet man die von Käsler erstellte Übersicht der Professuren an deutschsprachigen Hochschulen, bei denen die Bezeichnung ‚Soziologie‘ verwendet wurde, so sieht man, dass die Soziologie seit 1919 explizit an den deutschsprachigen Hochschulen vertreten war. In diesem Jahr wurden an den Universitäten Frankfurt, Köln und Berlin Lehrstühle eingerichtet, die die Zusatzbezeichnung ‚Soziologie‘ im Titel trugen. Franz Oppenheimer wurde o.ö. Prof. für Theoretische Nationalökonomie und Soziologie in Frankfurt, Leopold v. Wiese wurde o.ö. Prof. für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Soziologie in Köln, Max Scheler o.ö. Prof. für Philosophie und Soziologie ebenfalls in Köln und Heinrich Cunow a.o. Prof. für Soziologie in Berlin. 1920 wurde an der Universität Zürich die erste ordentliche Professur ausschließlich für Soziologie an Abroteles Eleutheropulos vergeben.51 Bis 1933 wuchs die Zahl der Professuren, die den Ausdruck ‚Soziologie‘ explizit im Titel trugen, laut Käsler auf 40 an. Man kann also einen kontinuierlichen Ausbau der Soziologie an den deutschsprachigen Universitäten bis 1933 feststellen, wobei die Schwerpunkte dieser Entwicklung in Berlin (6 Professuren), Köln und Frankfurt (je 5 Professuren) lagen.52 Ausschließlich der Soziologie gewidmete Lehrstühle gab es an den Universitäten Zürich (1920, Eleutheropulos), Leipzig (1924, Freyer), Hamburg (1927, Walther), an der Handelshochschule Nürnberg (1927, Rumpf), an der Technischen Hochschule Braunschweig (1929, Geiger), an der Universität Frankfurt (1930, Mannheim), an der Wirtschaftshochschule
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Adler Max, Verhandlungen des vierten deutschen Soziologentages am 29. und 30. September 1924 in Heidelberg, Tübingen 1925, S. 101, zit. nach: Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 73–74. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 77. – Vgl. auch Käsler, Der Streit um die Bestimmung, S. 239– 242. – Käsler im Hinblick auf die Dominanz der Wiese-Schule zu dieser Zeit: „Betrachtet man das Geschehen dieses Siebten Deutschen Soziologentages (...) sowohl in theoretischer als auch in sozialer Hinsicht, so zeigt sich, daß das Vereins‚establishment‘, Tönnies und v. Wiese, die Deutsche Gesellschaft für Soziologie und die auf den Soziologentagen stattfindenden ‚Theoriediskussionen‘ fest in der Hand haben.“ Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 88. Zur frühen Entwicklung der Soziologie in der Schweiz vgl. Zürcher, Unterbrochene Tradition; – speziell zu Eleutheropulos vgl. Zürcher, Unterbrochene Tradition, S. 60–69. – Vgl. auch Morandi, Soziologie in der Schweiz. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 626–628.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Berlin (1932, Eulenburg) und an der Universität Halle-Wittenberg (1932, Hertz).53 Die Angaben in der Literatur zur Lehrstuhlentwicklung sind – aufgrund anderer Definitionen der als relevant betrachteten Positionen – uneinheitlich; Lepsius spricht beispielsweise von 55 Lehrstühlen im Jahr 1932/33.54 Festhalten lässt sich jedoch, dass die Soziologie es bis 1933 geschafft hatte, an einigen bedeutenden Hochschulen in Form von entsprechend gewidmeten Lehrstühlen Fuß zu fassen. Somit wurde in der Zeit zwischen 1919 und 1933 ein wichtiger Institutionalisierungsschritt gesetzt. Begleitet waren die Grundlagendiskussionen über den Charakter des Faches auch von fortgesetzten Forderungen, die Soziologie als Lehrfach an den Universitäten einzuführen bzw. auszubauen. Von Wiese hat sich wiederholt damit beschäftigt, die Vertretung der Soziologie als Lehrfach an den deutschen Hochschulen zu erheben,55 und auch die DGS beschäftigte sich mehrmals mit der Frage der Lehrfacheinführung und richtete bis 1932 entsprechende Aufrufe an die zuständigen Stellen.56 Käsler nennt in seiner Aufstellung der deutschsprachigen Hochschulen, an denen Soziologie im Zeitraum zwischen 1909 und 1934 – wenn auch teilweise nur als Wahl- oder Nebenfach – gelehrt wurde, immerhin 33 Einrichtungen.57 Die Institutionalisierung wurde auch durch die Funktion der Beziehungslehre als einheitliches, standardisiertes Begriffssystem für die wachsende Zahl der im Bereich der Soziologie tätigen Wissenschaftler, wie Käsler sehr plausibel dargelegt hat, unterstützt. Gerade die Sicherheit über Gegenstand und Methode der Soziologie dürfte ein wichtiges Argument im Rahmen der universitären Institutionalisierung und Abgrenzung von anderen Disziplinen gewesen sein. Von Wiese selbst sah diese Sicherheit auch als Voraussetzung für die Beschäftigung mit speziellen Fragen der Soziologie bzw. des Sozialen.58 Betont wurde auf dem siebten Soziologentag 1930 auch noch einmal die Notwendigkeit der Grenzziehung, und zwar zur Sicherung der Soziologie als Disziplin. Rudolf Heberle formulierte dies folgendermaßen: „[I]ch glaube, daß die begriffliche Begrenzung des Erkenntnisobjektes der Soziographie auf die im speziellen Sinne soziologischen Probleme uns vor der Gefahr des Uferloswerdens bewahrt, das wir an der amerikanischen Soziologie beobachten können. Die Amerikaner haben keinen Begriff der Soziologie. Sie treiben alles mögliche unter dem Namen Soziologie.“59 Das Zitat deutet bereits sehr deutlich die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der deutschen und amerikanischen Soziologie an. Der praxisnahe Weg, der von den Amerikanern beschritten wurde, war den deutschen Soziologen offensichtlich versperrt. Die lange geisteswissenschaftliche Tradition der deutschen Universitäten bewirkte einerseits
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Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 297. Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 26; – Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 79; – Matthes, Soziologie, S. 217. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 151–155. – Vgl. auch Matthes, Einführung in das Studium, S. 217–235. Vgl. hierzu Lepsius, Die Soziologie der Zwischenkriegszeit, S. 13–14; – Matthes, Einführung in das Studium, S. 248–252. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 629–632. Vgl. Wiese Leopold v., Verhandlungen des siebten deutschen Soziologentages vom 28. September bis 1. Oktober 1930 in Berlin, Tübingen 1931, S. 123f., zit. nach: Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 84. Heberle Rudolf, Verhandlungen des siebten deutschen Soziologentages vom 28. September bis 1. Oktober 1930 in Berlin, Tübingen 1931, S. 225, zit. nach Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 85–86.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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von vornherein einen stärkeren Hang zur Begriffsbestimmung und Grundlagenreflexion,60 andererseits brachte sie für eine neue Wissenschaft das Erfordernis mit sich, den Wissenschaftscharakter der Disziplin durch standardisiertes Vorgehen und genaue Begrifflichkeiten zu beweisen. Das Fehlen einer solchen Tradition erlaubte in der amerikanischen Soziologie eine größere Breite in der Themenwahl und methodischen Vorgangsweise.61 Bereits 1928 hatte Karl Mannheim auf dem sechsten Soziologentag der DGS ein positives Bild von der Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Schulen der deutschen Soziologie gezeichnet und damit zugleich die auch im deutschsprachigen Raum vorhandene theoretische und methodische Vielfalt deutlich gemacht.62 Allerdings setzte sich auf der für die Institutionalisierung wichtigen organisatorischen Ebene aus der Vielfalt an Ansätzen die Wiese-Schule durch, wie Käsler festgestellt hat: „Gerade die Propagierung einer einzelwissenschaftlichen Soziologie, mit dem ‚Anspruch‘ der Vertretung im akademischen Unterricht auf den Hochschulen, die Abwehrhaltung gegenüber den etablierten Fächern, wie gegenüber neu heraufkommenden Fächern, die Propagierung eines einheitlichen Begriffsystems, die Kodifizierung über Lehrbücher und Zeitschriften, die institutionelle Absicherung durch Forschungsvorhaben und den Einfluß auf die Deutsche Gesellschaft für Soziologie und die von ihr veranstalteten Soziologentage, waren jene Momente, die dafür maßgeblich einzuschätzen sind, daß diese Richtung sich bis etwa zum Jahr 1933 – zumindest auf der sozialorganisatorischen Ebene – ‚durchzusetzen‘ vermochte.“63 Wenn auch die Dominanz der Wiese-Schule nicht unumstritten war, so waren auch die in der DGS mit ihr konkurrierenden Strömungen allesamt eher durch eine Ferne von politischem Engagement und dem Versuch, durch theoretische Grundsatzdiskussionen die Etablierung der Soziologie als Wissenschaft zu fördern, gekennzeichnet. Das Bild der frühen deutschen Soziologie zwischen sozialen Problemlagen, die den Impuls für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und ihrer Organisation gaben, und dem bewussten Abstandnehmen von praktischen Fragestellungen, um den Einzug des Faches in die Universitäten zu erreichen, zeichnet Käsler wie folgt: „Die vielfältigen gesellschaftlichen Antagonismen, die Konflikte zwischen den Klassen, Schichten, Konfessionen, Regionen, Ideologien und Nationen wurden dabei einerseits zur gesellschaftlichen Voraussetzung des Entstehens der ‚soziologischen Betrachtungsweise‘, andererseits versuchte sich ‚die‘ Soziologie, als ‚Wissenschaft von der Gesellschaft‘, diesen Widersprüchen und Konflikten dadurch zu entziehen, daß sie sich der Position einer ‚objektiven‘, ‚werturteilsfreien‘ Wissenschaftlichkeit, dem Ideal der ‚Gelehrsamkeit‘ verschrieb.
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Vgl. Brittain, Cultural Boundaries, S. 106. Auch Raymond Aron hat auf den Hang der deutschen Soziologie zur philosophischen Grundlagenreflexion verwiesen, was er durch deren Einbettung in das geisteswissenschaftliche Klima der deutschen Hochschulen zu begründen versuchte. Vgl. Aron, Die deutsche Soziologie, S. 151–154, S. 163–165. Vgl. auch die Ausführungen von Fleck zum Us-amerikanischen Universitätssystem im Unterschied zu den deutschen Hochschulen: Fleck, Transatlantische Bereicherungen, vor allem S. 22–64. Vgl. Mannheim Karl, Der sechste deutsche Soziologentag in Zürich, in: Frankfurter Zeitung Nr. 745 (5.10.1928), zit. nach: Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 306–307. – König hat in seiner Beurteilung der Weimarer Soziologie vor allem der von Karl Mannheim vertretenen Position bedeutendes Innovationspotential zugeschrieben (dessen Weiterentwicklung in Deutschland nach 1933 allerdings nicht mehr möglich war) und somit der These Schelskys vom ‚Ende der Soziologie in der Weimarer Zeit‘ widersprochen. Vgl. König, Soziologie in Deutschland, S. 353, S. 356–364. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 314.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
(...) Die Beschäftigung mit der ‚Sozialen Frage‘, dem zentralen Thema der ‚Vorläufer‘ der Soziologie, trat immer stärker in den Hintergrund und wurde durch die allmähliche Konstituierung abstrakter, vermeintlich normativ indifferenter, sozial-‚wissenschaftlicher‘ Theoreme ersetzt.“64 (Hervorhebung im Original) Dieses von Käsler angesprochene ‚Ideal der Gelehrsamkeit‘ und die dadurch ausgelösten Grundsatzdiskussionen führten zu einer Einengung des Faches auf jene Themen, die in der Konkurrenzsituation mit den etablierten Disziplinen geeignet waren, der Soziologie einen unumstrittenen Platz im akademischen Feld einzuräumen. Die Beziehungslehre war ein solches konkurrenzfreies Thema. Die ursprüngliche thematische Breite der soziologischen Beschäftigung mit der Gesellschaft innerhalb der DGS – als einem mit der Etablierung der Disziplin beschäftigten Organ – ging unter dem Erfordernis, akademische Anerkennung erreichen zu müssen, weitgehend verloren. Deutlich wird dies insbesondere, wenn man die Entwicklung der Soziologie in den USA als Vergleich heranzieht. Die fehlende akademische Tradition ermöglichte der Soziologie dort die unmittelbare Reaktion auf die aus dem alltäglichen Lebenszusammenhang an sie herangetragenen Probleme. Im deutschsprachigen Kontext war ein unmittelbares Reagieren der Soziologie auf praktische Probleme der Gesellschaft oder auf vom ‚Zeitgeist‘ geprägte Themen problematisch, da die institutionelle Struktur der akademischen Landschaft eine Absicherung der soziologischen Perspektive durch entsprechende Grundlagendiskussionen erforderlich machte. Neben der Ausklammerung der unmittelbar praktisch-politischen Themen führten die akademischen Selbstbehauptungsprozesse auch zur Vermeidung jener Themen, auf die andere Disziplinen bereits einen Anspruch erhoben hatten oder die sich gar in der Grauzone zwischen den Disziplinen befanden. Die Institutionalisierungsbemühungen und die sie begleitenden Grundsatzdiskussionen wurden auch begleitet von einem abnehmenden Interesse an empirischer Sozialforschung, wie Susanne P. Schad festgestellt hat. Während in der Frühphase der Soziologie von verschiedenen Vertretern dieses Ansatzes auch unterschiedliche empirische Projekte betrieben wurden (etwa im Rahmen der vom Verein für Sozialpolitik initiierten Untersuchungen),65 kann man in der Phase der allmählichen Institutionalisierung an den Universitäten eine Betonung theoretischer Fragen durch die Vertreter der akademischen Soziologie feststellen. Schad führt dies vor allem auf die bestehende Fächerstruktur der deutschen Universitäten zurück. Empirische Sozialforschung wurde bereits von verschiedenen anderen Fächern erfolgreich betrieben, und für die im Entstehen begriffene neue Disziplin war es, aus Sicht Schads, notwendig, sich eine eigene, konkurrenzfreie Nische zu suchen. Die theoretische Orientierung und die Dominanz sozialphilosophischer Themen können auf diese Rahmenbedingungen zurückgeführt werden.66
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Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 250–251. Zum Selbstverständnis des Vereins für Sozialpolitik und seiner Haltung zur empirischen Sozialforschung vgl. Schäfer, Historische Nationalökonomie, S. 20–30. – Zu den sozialwissenschaftlichen Erhebungen des Vereins vgl. auch Oberschall, Empirische Sozialforschung, S. 40–57. Vgl. Schad, Empirical Social Research, S. 97–99; – Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 160–163.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
179
4.2.4. Außeruniversitäre Etablierungsschritte Während die Institutionalisierung an den Universitäten in der Frühphase der Soziologie nur allmählich vorankam und um die Anerkennung der anderen Disziplinen gerungen werden musste, waren es vor allem außeruniversitäre Institutionen, die der Soziologie breiteren Raum gaben. Zu nennen wären unter anderem die Aktivitäten des schon 1873 gegründeten Vereins für Sozialpolitik, der ein erstes Forum für die Diskussion soziologischer Fragen bot, wobei hier stets eine Nähe zu politischen Fragestellungen vorhanden war.67 1909 wurde die Deutsche Gesellschaft für Soziologie gegründet. (Bereits 1907 war die Wiener Soziologische Gesellschaft gegründet worden, deren Mitglieder jedoch eine noch geringere Verankerung im universitären Bereich vorzuweisen hatten als die der DGS).68 Vor 1933 übernahm die DGS, wie oben bereits gezeigt, eine zentrale Kommunikationsfunktion nicht nur unter den deutschen Soziologen, sondern auch unter den österreichischen und schweizerischen Kollegen, was sich unter anderem anhand der Abhaltung der Soziologentage in Wien (1926) und Zürich (1928) ersehen lässt; eigene nationale soziologische Gesellschaften wurden in diesen Ländern erst in den 1950er-Jahren gegründet (1950 Österreichische Gesellschaft für Soziologie, 1955 Schweizer Gesellschaft für Soziologie). Die von der DGS veranstalteten Soziologentage boten den an der Soziologie Interessierten die Möglichkeit, diesen Gegenstandsbereich und die Methode, durch die er zu erforschen sei, genauer abzustecken, und auf diese Weise zur weiteren Etablierung der Soziologie im deutschen Sprachraum beizutragen, wobei die DGS teilweise in Abgrenzung zum Verein für Sozialpolitik zunächst bemüht war, von politischen Fragen Abstand zu nehmen.69 Vor allem den neu gegründeten, teilweise auf außeruniversitäre Initiative zurückgehenden Forschungsinstituten fiel eine wichtige Rolle bei der allmählichen Etablierung der Soziologie in Deutschland zu. 1919 wurde in Köln das Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften70 und 1924 an der Universität Frankfurt das Institut für Sozialforschung71 gegründet. Beide Forschungsinstitute wiesen zwar Schnittstellen zu den Universitäten auf, waren aber auf Initiative von außen hin entstanden. Käsler nennt außerdem als weitere relevante Forschungsinstitute im Bereich der Soziologie das 1925 aus der „Unterrichtsanstalt zur Ausbildung praktischer Volkswirte“ (1920–1923) hervorgegangene „Forschungsinstitut für Organisationslehre und allgemeine vergleichende Soziologie“ in Münster, das 1924 gegründete „Institut für angewandte Soziologie“ in Berlin, die „Österreichische Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle“, die 1925 (bzw. 1931, siehe mehr dazu weiter oben) in Wien gegründet wurde, und das „Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre an der Technischen Hochschule Charlottenburg“, das 1928 gegründet wurde.72 Die Institute wiesen eine gewisse Nähe zur
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Vgl. Schäfer, Historische Nationalökonomie, S. 20ff. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 149. – Zur Wiener Soziologischen Gesellschaft vgl. auch Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 41–55. Vgl. Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 217. Vgl. auch Scheuch, Von der deutschen Soziologie, S. 35. Zur Entstehungsgeschichte des Institutes für Sozialforschung vgl. Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, S. 19–35. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 621–622. – Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang auch das 1924 gegründete Heidelberger „Institut für Sozial- und Staatswissenschaften“ bzw. die ihm angegliederten Einrichtungen, die ebenfalls wesentlich zur frühen Etablierung der Soziologie in Deutschland beigetragen
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
empirischen Sozialforschung und zu praktisch-politischen Fragen auf und bereicherten dadurch das Themenspektrum der neuen Wissenschaft. Sämtliche der genannten Einrichtungen stellten jedoch ihre Tätigkeit nach 1933 bzw. 1938 ein. Rosenmayr wies auf den Umstand hin, dass in Österreich, anders als in Deutschland, die frühen Vertreter der Soziologie nicht an der Ausbildung einer separaten Wissenschaftsdisziplin interessiert gewesen seien bzw. sich die gesellschaftspolitischen Umstände nach dem Zerfall der Monarchie als hinderlich für eine Institutionalisierung der Soziologie erwiesen hätten. In Österreich verblieben die Ansätze „von Ratzenhofer, Gumplovicz (sic!) und Jerusalem bewußt im Rahmen einer erweiterten Erkenntnislehre und Staatsphilosophie, die Forschungen Bernfelds um 1920 – bei aller Relevanz für die Soziologie – eine Erweiterung der Psychoanalyse, und selbst Lazarsfeld fühlte sich in seiner österreichischen Zeit in den späten 20er und frühen 30er Jahren als Psychologe und Sozialpsychologe. O. Spann war Nationalökonom, E. K. Winter und A. M. Knoll waren theologisch engagierte Ideenhistoriker mit soziologischen Interessen und Zielvorstellungen. Diese Tatsache zeigt wohl in der intellektuellen Vielfalt des Interessensansatzes die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten der Soziologie in Österreich, es wird aber deutlich, daß in dem kleinen und von inneren Krisen erschütterten Nachfolgestaat der Monarchie, der keinen Zuzug aus seinem früheren Kulturbereich mehr hatte und der einer finanziellen Forschungsförderung für die Soziologie entbehrte, die intellektuelle Kraft gehemmt war, nach der einen oder anderen Richtung dezidiert voranzuschreiten.“73 Dieser eher pessimistischen Äußerung Rosenmayrs im Hinblick auf die Entstehung der Disziplin in Österreich kann entgegen gehalten werden, dass gerade das weite Ideenspektrum der Zeit vor 1934 auch durch beginnende außeruniversitäre Etablierungsbemühungen gekennzeichnet war, die im historischen Rückblick nicht vernachlässigt werden dürfen. So waren für die Entwicklung des soziologischen Denkens in Österreich die zahlreichen, teilweise von politischen Organisationen oder der katholischen Kirche geförderten, Vortragsund Diskussionszirkel von Bedeutung.74 Die ausgeprägte politische Lagerbildung der Ersten Republik bildete den Hintergrund für diese außeruniversitären Institutionen. Karl Acham unterscheidet drei weltanschauliche Lager – das konservative, das austromarxistische und das liberale Lager –, die die Soziologie im Österreich der Zwischenkriegszeit prägten und mitunter auch die Fachentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg weiter beeinflussten. Zu beachten ist hierbei, dass die ‚Anhänger‘ der verschiedenen Lager unterschiedlich stark in den Universitäten vertreten waren; teilweise – wie etwa bei den Austromarxisten – war eher eine Konzentration auf den außeruniversitären Bereich feststellbar.75 Die inhaltliche und methodische Ausrichtung der im weitesten Sinne soziologischen Arbeiten bzw. Diskussionen der Vertreter dieser Lager verlief zum Teil quer zu den aus politischen Ansichten resultierenden Divergenzen.76 Zudem wiesen diese außeruniversitären Diskussionszirkel eine ausgeprägte
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haben. Im Vergleich zu den anderen genannten Einrichtungen lag hier allerdings eine andere Ausgangslage vor, da die Aktivitäten des Institutes sich primär auf den universitären Bereich richteten. Vgl. Blomert, Eßlinger, Giovannini, Einleitung, S. 11–13. Rosenmayr, Soziologie heute und morgen, S. 3. Vgl. Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 23. Vgl. Acham, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 668–670, S. 683–688. Vgl. etwa Achams Ausführungen zum methodologischen Individualismus, der als konstitutives Prinzip sowohl bei liberalen Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie als auch bei Vertretern des austromarxistischen Lagers, wie etwa Max Adler, zu finden war. Acham, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 670–672. – Zu inhaltlichen Übereinstimmungen, aber auch Differenzen, die teilweise quer zu den aus po-
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‚Interdisziplinarität‘ auf, die auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die wissenschaftliche Arbeit der entsprechenden Teilnehmer hatte, wie Acham feststellt.77 Im Hinblick auf die im Umfeld des Austromarxismus stattfindenden ‚interdisziplinären‘ Aktivitäten stellt Mozetič fest: „Einen Vorzug hatte das komprehensive Bild der Sozialwissenschaften, wie wir es bei den Austromarxisten vorfinden, auf jeden Fall: Es war eine Selbstverständlichkeit, alle sozialen Phänomene als historische Erscheinungen zu betrachten, ihren Zusammenhang mit der Ökonomie herauszuarbeiten und jede Möglichkeit zu nutzen, die sich aufgrund der Fortschritte in der Psychologie, der Arbeitswissenschaft, der Sprachwissenschaft usw. für eine differenzierte Analyse des Sozialen anbot. Insofern lag den austromarxistischen Studien etwas zugrunde, was sich die heutige Soziologie – autonomisiert, institutionalisiert, in Bindestrich-Königreiche zersplittert – erst wieder mühsam und mit ungewissen Erfolgschancen zurückerobern muß: die Überzeugung von der notwendigen Einheit der Sozialwissenschaften.“78 Obwohl die Austromarxisten – nicht zuletzt aufgrund dieser breiten sozialwissenschaftlichen Orientierung – kein ausgeprägtes Interesse an einer Institutionalisierung der Soziologie als universitärer Disziplin hegten, können ihre Aktivitäten (etwa im volksbildnerischen Bereich)79 als wichtige Grundsteine für die Entwicklung der Soziologie in Österreich betrachtet werden. Als Beispiel für die Bedeutung sozialdemokratischer Aktivitäten im Hinblick auf eine allmähliche Institutionalisierung der Soziologie wäre auf den bereits 1895 von Sozialdemokraten gegründeten Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein in Wien zu verweisen. Dieses Diskussionsforum bot den an der Soziologie im weitesten Sinne Interessierten die Möglichkeit des Ideenaustausches, was durchaus ein erster Schritt der Kohärenzbildung und damit Grundstein für eine weitergehende Institutionalisierung der Disziplin hätte sein können. Allerdings stand die Diskussion der ‚sozialen Frage‘ – gemischt mit entsprechenden politischen Ambitionen – im Vordergrund der Vereinsaktivitäten, während im engeren Sinne akademische Belange kaum debattiert wurden. Fleck weist darauf hin, dass in der Ersten Republik vonseiten der Sozialdemokratie offenbar kein Interesse an einer akademischen Institutionalisierung des Faches Soziologie bestanden hat.80 Fragen der ‚Sozialreform‘ wurden auch von den Mitgliedern der 1907 unter Rudolf Goldscheid gegründeten Wiener Soziologischen Gesellschaft (aufgelöst 1934)81 intensiv diskutiert. Diese Gesellschaft – auch wenn, wie Fleck zeigt, deren tatsächliche Beiträge zur Institutionalisierung als gering erachtet werden müssen82 – kann nichtsdestotrotz ebenso als eine erste Vorläuferinstitution einer sich etablierenden Disziplin in Österreich genannt werden.
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litischen ‚Lagerhaltungen‘ resultierenden Divergenzen verliefen, vgl. auch Mozetič, Soziologische Theorie, S. 377. Vgl. Acham, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 677. – Zur Bedeutung der außeruniversitären Diskussionszirkel für die Entwicklung der österreichischen Soziologie vgl. auch Müller, Hochzeit der Sozialwissenschaften, S. 59–61. Mozetič, Der austromarxistische Beitrag, S. 236. – Zur Bedeutung des Austromarxismus für die Entwicklung der Soziologie in Österreich vgl. auch Torrance, Die Entstehung, S. 452–463. Zu den Initiativen im Bildungsbereich vgl. Mozetič, Der austromarxistische Beitrag, S. 228–229. Vgl. Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 37–40. Vgl. Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 44. Vgl. Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 49, S. 54–55.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Auch jenseits von Wien existierte in Österreich frühes soziologisches Interesse, wie die zwischen 1908–1935 tätige Grazer Soziologische Gesellschaft zeigt,83 deren Mitglieder, die anders als die der Wiener Gesellschaft stärker im universitären Kontext verankert waren, auch vor dem Ersten Weltkrieg bereits regelmäßig soziologische Lehrveranstaltungen an der juridischen Fakultät in Graz abhielten. Anhand der österreichischen Situation kann im Zusammenhang mit den außeruniversitären Etablierungsbemühungen der Soziologie noch auf ein weiteres Faktum hingewiesen werden. Nicht selten wurde bestimmten Gruppen von Wissenschaftlern bewusst der Zugang zu universitären Karrieren und Ressourcen verweigert, die solcherart genötigt waren, sich andernorts nach entsprechender Unterstützung für ihre Forschungsinteressen umzutun. In Österreich betraf dies sowohl Wissenschaftler jüdischer Herkunft als auch jene mit sozialdemokratischer Orientierung.84 Inwieweit die außeruniversitären Gründungen somit hauptsächlich aufgrund des verweigerten Zutritts zu den traditionellen akademischen Institutionen entstandene ‚Notlösungen‘ waren, die nicht auf inhaltliche Vorbehalte gegenüber dem neuen Gebiet der Soziologie zurückgeführt werden können, ließe sich nur in entsprechenden Detailstudien der Lebens- und Karriereverläufe einzelner Wissenschaftler klären. Vieles deutet darauf hin, dass eine Mischung beider Umstände – die Zugehörigkeit der jeweiligen Forscher zu einer diskreditierten Gruppe und das Vertreten eines neuen, noch nicht etablierten Faches – bei der Entstehung außeruniversitärer Forschungsinstitutionen angenommen werden kann. Festzuhalten bleibt jedoch, dass ohne adäquate Berücksichtigung außeruniversitärer Organisationen und Institutionen eine Fachgeschichte vor der Gefahr steht, wichtige Entwicklungsschritte zu übersehen.
4.2.5. Die Soziologie – eine etablierte Disziplin bereits vor 1933? Hinsichtlich des Status der deutschsprachigen Soziologie als bereits vor 1933 institutionalisierte bzw. professionalisierte Disziplin existieren widersprüchliche Positionen in der Literatur – und zwar nicht nur unter den unmittelbaren Zeitzeugen. Die Spannweite dieser Positionen soll im Folgenden kurz skizziert werden. Vor 1933 kann, laut Krekel-Eiben, noch nicht von einer Institutionalisierung der Soziologie als eigenständige Disziplin innerhalb der Universitäten gesprochen werden; durch die ersten Lehrstuhlgründungen hätte sie lediglich das Stadium einer ‚entstehenden Wissenschaft‘ erreicht.85 Die Anfangsphase der Soziologie war, aus Krekel-Eibens Sicht, „durch einen amateur-wissenschaftlichen Status, beruhend auf der Initiative einzelner, geprägt“.86 Die dem Bereich der Soziologie zurechenbaren Wissenschaftler waren um Anerkennung innerhalb der Universitäten bemüht.87 Eine zu große Nähe zu sozialpolitischen Fragestellungen und damit zur empirischen Forschung wurde vermieden, da diese dem immer noch vorherrschenden akademischen Bildungsideal nicht entsprochen hätte. Der Werturteilsstreit kann als symptomatisch für diesen Versuch, sich aus politischen Fragen herauszuhalten, gesehen
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Vgl. Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 55–57. Vgl. Fleck, Rund um ‚Marienthal‘, S. 31, S. 45. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 54. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 57. Vgl. hierzu auch Eisenstadt, Curelaru, The Form of Sociology, S. 29–30.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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werden. Der Wissenschaftscharakter des neuen Faches Soziologie sollte durch allzu starke politische Ambitionen seiner Vertreter nicht gefährdet werden. Konträr dazu verlief die Entwicklung im Bereich der außeruniversitären Forschung. Hier wurde aktiv, sicherlich auch aufgrund von Finanzierungserfordernissen, die Nähe zu praktischen Fragestellungen gesucht. Es waren vor allem außeruniversitäre Institutionen wie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie, die Forschungsinstitute in Köln und Frankfurt und die ersten Fachzeitschriften, die schließlich zu einer allmählichen Konsolidierung des Faches in Deutschland beitrugen. Edward Shils sah es für die Entwicklung der Soziologie in Deutschland als problematisch an, dass es in der Frühphase, der er Tönnies, Max Weber und Simmel zurechnet, keine wirkliche Institutionalisierung des Faches gegeben hat. Die meisten Soziologen hätten keine für das Fach gewidmeten Lehrstühle bekleidet und damit keine Möglichkeit zur laufenden Weitergabe ihrer Ideen an Studierende gehabt. Außerdem stand bis 1920 keine einschlägige Fachzeitschrift zur Verfügung. Die Ideen der heute als Mitbegründer der Soziologie angesehenen Autoren hätten so keine unmittelbare Weiterführung und fachwissenschaftliche Diskussion gefunden, was für den Misserfolg der frühen deutschen Soziologie mitverantwortlich sei. Der Schule von Wieses steht Shils skeptisch gegenüber, da er dessen Ideen nicht als entwicklungsfähig betrachtete.88 Shils berücksichtigt allerdings die außeruniversitären Aktivitäten nicht genügend und hinsichtlich seiner Einschätzung der Bedeutung von Wieses schließe ich mich der Kritik Käslers an: Shils übersieht den Einfluss, den von Wiese auf die frühe Soziologie und deren Etablierung gehabt hat, und widerspricht damit seiner eigenen Argumentation von der Wichtigkeit institutioneller Verankerungen für die Ausbreitung der Soziologie. Von Wiese hatte, wie Käsler gezeigt hat, die institutionellen Voraussetzungen, um zur Etablierung der Soziologie beizutragen, und nutzte diese auch entsprechend. Dass die Beziehungswissenschaftliche Schule, aus Sicht von Shils, inhaltlich unfruchtbar war, ändert nichts an ihrer Bedeutung für die institutionelle Entwicklung des Faches. Während Krekel-Eiben und Shils hinsichtlich der Etablierung der Soziologie vor 1933 die Situation an den Universitäten eher skeptisch bewerten (was sich auch weitgehend mit dem von Eisenstadt/Curelaru gezeichneten Bild der Gründerphase der Soziologie deckt), von Krekel-Eiben aber zumindest die Bedeutung des außeruniversitären Bereiches betont wird, nimmt Glatzer eine andere Position hinsichtlich der Bewertung der Weimarer Zeit ein. In dieser „Take-off-Phase“ gelangen der Soziologie durch die Besetzung von Lehrstühlen und die Entstehung außeruniversitärer Forschungsinstitute seiner Meinung nach erste Etablierungsschritte. Der Neubeginn der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg wäre ohne die Erfolge der Weimarer Zeit schwieriger gewesen. Die Soziologie konnte so auf einen vorhandenen Stock an Lehrstühlen und Forschungsinstituten aufbauen.89 Käsler zeichnet ebenfalls ein positives Bild der Weimarer Zeit hinsichtlich der Etablierung des Faches. Seiner Sichtweise zufolge könnte eine steigende Kommunikations- und Interaktionsdichte unter den an der Soziologie interessierten Wissenschaftlern (als Indikator hierfür wird u. a. die Entstehung der DGS 1909 herangezogen) und die Herausbildung von Schulen festgestellt werden, die bis 1930 das Bild der deutschsprachigen Soziologie bestimmt haben. Diesen Prozess führt Käsler vor allem auf den Erfolg der Institutionalisierungsbemühungen der Vertreter des von ihm definierten ‚Kernes‘ und ‚inneren Randes‘ der
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Vgl. Shils, Geschichte der Soziologie, S. 78ff. – Vgl. auch Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 141– 142. Vgl. Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 219.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
frühen deutschen Soziologie zurück.90 Allen voran wären hier Ferdinand Tönnies und Leopold von Wiese zu nennen. Beide vertraten eine einzelwissenschaftliche Konzeption von Soziologie, die eine entsprechende universitäre Institutionalisierung als Ziel hatte. Um diese zu erreichen, waren beide um die Anerkennung der bereits etablierten Disziplinen bemüht, die sie durch größtmögliche politische Neutralität und ein durch Objektivität geprägtes Wissenschaftsideal zu erzielen versuchten.91 Dieses Unterfangen war von Erfolg gekrönt: 1932/33 gab es bereits 55 haupt- und nebenamtliche Vertreter der Soziologie an den Universitäten.92 Das widersprüchliche Bild der Soziologie vor 1933 in der Literatur hängt stark mit der in der Fachgeschichte ebenfalls umstrittenen weiteren Entwicklung des Faches zwischen 1933 und 1945 zusammen. Die Einschätzung der Soziologie der 1920er-Jahre wurde häufig aus einem durch die Erfahrung des Nationalsozialismus geprägten Blickwinkel vorgenommen (auch von den Spätergeborenen).93 Die These von der Stagnation der Soziologie zwischen 1933–45 bzw. überhaupt der Zweifel am Grad der erreichten Institutionalisierung vor 1933 sind (ebenso wie die von Schelsky vertretene These eines bereits erfolgten Niedergangs der Soziologie gegen Ende der Weimarer Zeit)94 vor dem Hintergrund zu sehen, dass die jeweiligen zeitgenössischen Vertreter dieser Thesen einen möglichst schnellen, friktionsfreien Neubeginn des Faches nach 1945 erreichen wollten. Die These einer bereits erfolgreich institutionalisierten Disziplin vor 1933 und deren Kontinuität bis 1945 hätte eine stärkere Aufarbeitung möglicher persönlicher und disziplinärer Verstrickungen in das NS-Regime erforderlich gemacht, die durch die schlichte Negierung der Existenz des Faches Soziologie vor 1933 bzw. zwischen 1933–45 vermieden werden konnte.95 Der Erfolg der Bemühungen um eine (Wieder-)Institutionalisierung der Soziologie nach 1945 führte außerdem dazu, dass die von den maßgeblichen Akteuren dieses Erfolges vertretenen Thesen über die Fachentwicklung vor 1945 in der Soziologiegeschichtsschreibung lange Zeit unhinterfragt blieben. Es verwundert daher nicht, dass es erst relativ spät zu einer Würdigung der Soziologie der 1920er-Jahre im Hinblick auf deren Beitrag zur Etablierung der Disziplin gekommen ist.
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Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 48. – Käsler stützt sich bei der Bestimmung des für ihn relevanten ‚Kerns‘ bzw. ‚Inneren Randes‘ der frühen deutschen Soziologie vor allem auf eine Analyse der Tagungsberichte der DGS – als Gradmesser für die Bedeutung der einzelnen Persönlichkeiten wurde die Häufigkeit ihrer Nennung in den Tagungsprotokollen herangezogen. Zum ‚Kern‘ gehören nach Käsler: Franz Oppenheimer, Werner Sombart, Ferdinand Tönnies, Max Weber und Leopold v. Wiese; zum ‚Inneren Rand‘: Max Adler, Paul Barth, Karl Dunkmann, Hans Freyer, Hans Kelsen, Karl Mannheim, Max Scheler, Georg Simmel, Othmar Spann, Hans Lorenz Stoltenberg, Richard Thurnwald, Ernst Troeltsch, Alfred Vierkandt und Alfred Weber (vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 42–43). Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 70. Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 26; – Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 52–53. Vgl. hierzu auch Bock, Die Entwicklung, S. 159. Vgl. Schelsky, Ortsbestimmung, S. 36–37; – sowie seine späteren Erläuterungen hierzu: Schelsky, Rückblicke, S. 16–19. – Vgl. hierzu auch die kritische Diskussion von Schelskys Thesen in Klingemann, Heimatsoziologie, S. 282–285. Vgl. hierzu auch Klingemann, Heimatsoziologie, S. 281–282.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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4.3. Die Soziologie 1933–1945 Die Frage, inwieweit es in der Zeit des Nationalsozialismus einen Fortbestand der Soziologie in Deutschland gegeben hat, ist eine der umstrittensten der deutschen NachkriegssoziologieGeschichtsschreibung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zunächst die These des Endes der Soziologie in Deutschland nach 1933 (bedingt nicht zuletzt durch die erzwungene Emigration vieler Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen) vertreten und die Zeit zwischen 1933 bis 1945 somit als irrelevant für die Fachgeschichtsschreibung betrachtet. Die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erschienenen Publikationen wurden entweder überhaupt nicht beachtet oder hinsichtlich der darin enthaltenen Soziologieauffassung kritisiert und somit als nicht zum Fach gehörig eingestuft.96 Bei der Ausklammerung dieser Periode aus der Fachgeschichte spielte der Versuch der jeweiligen Interpreten, die eigene Disziplin (und zum Teil auch die eigene Person) von dem Verdacht einer Parteinahme für den Nationalsozialismus freizusprechen, sicherlich eine wichtige Rolle. Die These vom Ende der Soziologie unter dem Nationalsozialismus erlaubte es, wie oben bereits angedeutet, sich nach 1945 für einen raschen (Wieder-)Aufbau dieser Disziplin einzusetzen, ohne eine komplexe Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Faches vornehmen zu müssen.97 Erst in den 1980er-Jahren kam es zu einer intensiveren Aufarbeitung der Fachgeschichte zwischen 1933 und 1945, etwa in den Arbeiten von Otthein Rammstedt und Carsten Klingemann. Zu dieser Zeit wurden auch von zwei Hauptvertretern der deutschen Nachkriegssoziologie – Helmut Schelsky und René König – teilweise sehr emotional gehaltene und einander widersprechende Einschätzungen dieses Zeitraumes publiziert.98 Im Folgenden kann es – wie auch im vorherigen Kapitel – nicht um eine detaillierte Darstellung der Soziologie zwischen 1933 und 1945 oder der diesbezüglichen Auffassungsunterschiede in der Literatur gehen. Es sollen lediglich einige wichtige – die Institutionalisierung des Faches betreffende – Entwicklungen dieses Zeitraumes skizziert werden. Käsler hat ausführlich, anhand der Korrespondenz aus dem Tönnies-Nachlass, die Vorbereitungen für den – dann schließlich nicht mehr stattfindenden – achten Soziologentag der DGS nachgezeichnet und das Vereinsgeschehen bis 1934 anhand derselben Quellen dokumentiert. Es kam zu mehrmaligen Verschiebungen des achten Soziologentages und innerhalb des Vereines zu Debatten über eine Umgestaltung der Vereinsführung, die dann schließlich 1933 – mit der Übernahme der Vereinsführung durch Hans Freyer – auch umgesetzt wurde.99 Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Aktivitäten einer Gruppe von Soziologen, die unter dem nationalsozialistischen Staat einen neuen Aufschwung der Soziologie erhofften und für 1934 – in offener Opposition zum alten, als ‚einseitig liberalistisch‘ empfundenen DGS-Vorstand – zu einem ‚Treffen der deutschen Soziologen‘ in Jena eingeladen hatten. Die Übergabe der Vereinsführung an Freyer erschien von Wiese und Tönnies offenbar als Ausweg gegenüber einer möglicherweise anstehenden ‚Gegengründung‘ durch den Kreis dieser ‚völ-
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Vgl. Klingemann, Heimatsoziologie, S. 273–275. Ein ähnliches Verhalten der eigenen Fachvergangenheit gegenüber legten im Übrigen auch Vertreter anderer Disziplinen – etwa der Psychologie – an den Tag, die ebenfalls erst sehr spät die Zeit zwischen 1933–45 einer Aufarbeitung zuführten, vgl. Geuter, Die Professionalisierung, S. 19. Vgl. Schelsky, Rückblicke; – König, Soziologie in Deutschland. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 513–527. – Vgl. auch die sehr ausführliche Darstellung der entsprechenden Ereignisse in: Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 11–32.
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kisch gesinnten‘ Soziologen.100 Es herrscht in der Literatur Uneinigkeit darüber, inwieweit die DGS auch nach 1933 ihre Aktivitäten fortsetzte.101 Es kam jedenfalls zu keiner formellen Auflösung des Vereines. Die Nichtaktivität Freyers im Hinblick auf eine Weiterführung der Vereinstätigkeit wird von Käsler, in Übereinstimmung mit Lepsius, als effektive Möglichkeit gesehen, die DGS vor nationalsozialistischer Kompromittierung zu bewahren.102 Rammstedt weist diese Interpretation im Hinblick auf die auch von Freyer getragenen Versuche, der Soziologie Aufnahme in die „Akademie für Deutsches Recht“ zu verschaffen und auf diese Weise aktiv an der Gestaltung des neuen Staatswesens mitzuwirken, zurück. Inwieweit mit diesem Unterfangen der Plan verbunden war, die DGS in der Akademie aufgehen zu lassen, lässt sich laut Rammstedt anhand der vorhandenen Quellen nicht rekonstruieren. Jedenfalls habe die DGS unter der Leitung Freyers auch nach 1933 weiterexistiert.103 Rammstedt weist auch auf das seiner Ansicht nach falsche Bild der Zeit nach 1933 als zahlenmäßiger Zäsur in der Entwicklung der Disziplin hin. Er bezieht sich hierbei auf die Angaben in Kürschners Gelehrtenkalender, die Selbstzuordnungen zu einer bestimmten Disziplin darstellen und insofern Einblick in das einer Disziplin zu einem bestimmten Zeitpunkt zukommende Prestige erlauben. Gemäß diesen Angaben verzeichnete die Soziologie in der ersten Hälfte der 1930erJahre sogar einen Zuwachs, der von Rammstedt auf Wissenschaftler anderer Disziplinen zurückgeführt wurde, die sich nun – wohl auch unter dem Eindruck der mit der ‚neuen‘, völkisch orientierten Soziologie verknüpften Aufstiegshoffnungen im System – als Soziologen bezeichneten. Erst nachdem deutlich wurde, dass die Erwartungen eines institutionellen Aufstiegs der Soziologie überzogen waren, kam es zum Absinken der Zahl jener, die sich als Soziologen bezeichneten. Während 1935 im Kürschner 147 Personen als Soziologen geführt wurden, waren es 1940/41 nur noch 57.104 Die Heranziehung dieser Selbstdefinitionen ist zwar durchaus plausibel, beschränkt man sich bei der Definition des für die Institutionalisierung maßgeblichen Kreises von Soziologen jedoch auf die Inhaber von Hochschulpositionen, bleibt das von Lepsius gezeichnete Bild einer eindeutigen, auch zahlenmäßigen Zäsur bestehen. Die Soziologie existierte zwar weiterhin an den deutschen Universitäten, und es gab auf Basis eines völkischen Soziologieverständnisses auch Bemühungen, die weitere Etablierung dieser Disziplin zu erwirken, jedoch waren, wie Lepsius feststellt, „zwei Drittel der haupt- und nebenamtlichen Lehrer der Soziologie durch die politischen Ereignisse aus den Hochschulen vertrieben“105 worden. Insofern kann die Zeit zwischen 1933–45 sehr wohl als Einschnitt in der Entwicklung des Faches gesehen werden. Die Art der Soziologie, wie sie vor 1933 existierte und nach 1945 wiederaufgegriffen wurde, gab es nicht mehr, zu beachten ist jedoch, dass an ihre Stelle ein Verständnis dieser Wissenschaft als Gehilfin bzw. als Leitdisziplin für die Errichtung des neuen Staates getreten ist. Rammstedt formuliert dies unter Bezugnahme auf Aussagen damals tätiger Soziologen folgendermaßen: „Die Deutschen Soziologen machten sich glauben, mit der nationalsozialistischen Machtergreifung habe die ‚Stunde der Soziologie‘ eingesetzt, ‚wo sie (...) als Wis-
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Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 520–522. Vgl. hierzu Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 219–221. Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 29; – Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 526. Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 15–19. – Zur Rolle Freyers vgl. auch Schelsky, Rückblicke, S. 23– 29. 104 Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 96–99. 105 Lepsius, Die Entwicklung, S. 26.
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senschaft von der Gemeinschaft die Zentralwissenschaft einer ganzen Zeit werden kann, weil sie entschlossen ist, Wissenschaft des Dienstes zu sein‘. Denn die Soziologie sei die Wissenschaft, auf die sich ‚der Eifer, die Arbeit, die Hoffnung einer ganzen Epoche‘ richtet. Sie sei ‚lebendiger Ausdruck ihrer Zeit, ihrer Wünsche wie ihrer Nöte‘.“106 Die in Deutschland verbliebenen und dem System nicht abgeneigten Soziologen witterten also durchaus neue Chancen für das Fach und eine Stärkung ihrer Position an den Hochschulen. Allerdings erfüllten sich diese Hoffnungen nicht; die NSDAP forderte im Rahmen der rigider werdenden Kontrolle der Wissenschaften die grundsätzliche Unterwerfung unter die Parteilinie.107 Damit wurden auch die universal-wissenschaftlichen Ansprüche einiger Soziologen nach 1933 enttäuscht. Toleriert und zahlenmäßig ausgebaut wurde hingegen eine empirisch orientierte, anwendungsbezogene Soziologie. Insbesondere im Zusammenhang mit der Errichtung neuer Institute und Studiengänge zur sogenannten „Auslandswissenschaft“, die sich der Analyse der Lebensverhältnisse und Werthaltungen in anderen Ländern widmen und hierbei auch prüfen sollten, ob diese ‚für deutsche Werte ansprechbar‘ seien, erfuhr die Soziologie einen Auftrieb. Rammstedt erwähnt außerdem die Gründung einer ganzen Reihe außeruniversitärer Institute, die auch soziologische Forschungsstellen aufwiesen, als Hinweis auf das wachsende Bedürfnis des NS-Staates nach soziologischem Wissen. Mit dem Interesse für anwendungsbezogene Fragestellungen wuchs auch das Interesse an Methodenfragen, was zu einer Rezeption entsprechender Arbeiten der US-amerikanischen Soziologie führte, wobei jedoch, aus Sicht Rammstedts, einseitig deren methodische Aspekte rezipiert wurden, während deren theoretische oder inhaltliche Dimensionen vernachlässigt wurden.108 Die zu dieser Zeit betriebene Soziologie lässt sich am ehesten als engagementfreie, theorieferne Sozialtechnik charakterisieren und bestand zu einem wesentlichen Teil in Informationsbeschaffung für die politischen Instanzen, woran nochmals die vollzogene Unterordnung unter das Parteiregime deutlich wird.109 In dieser Ausrichtung der Soziologie in der NS-Zeit wird von Rammstedt eine wesentliche Voraussetzung für die nach dem Zweiten Weltkrieg dominierende Praxisorientierung der Soziologie gesehen; er schreibt: „Die vorherrschende Ausrichtung der ‚wiedererstandenden‘ Soziologie nach 1945 an praktischen Fragen mittels Empirie wird in Abhängigkeit gesehen von der Rezeption der amerikanischen Soziologie. Aber ließ sich diese Rezeption nicht deshalb so konflikt- und alternativlos umsetzen, weil die Deutsche Soziologie vor 1945 praxisorientiert und empirisch war?“110 Wenn man von der grundlegend anderen Art der ‚Praxis‘, auf die sich die Soziologie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ausrichtete oder auszurichten hatte, absieht, scheint diese Hypothese einer leichteren Durchsetzung der empirisch ausgerichteten Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg, auf Basis der bereits in der NS-Zeit in dieser Richtung vollzogenen Schritte, durchaus plausibel. Vor allem wenn man bedenkt, daß es Vertretern der empirischen Soziologie – so sie nicht politisch kompromittiert waren – qua ihrer Theorieferne, und damit ideologischen
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Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 59. – Vgl. hierzu auch Klingemann, Heimatsoziologie, S. 278. Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 130–131. Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 133–136, S. 160–161. Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 141–147. Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie, S. 167. – Zu dieser Diskussion vgl. auch Bock, Die Entwicklung, S. 161. – Im Hinblick auf die politische Vergangenheit einiger bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wieder wissenschaftlich tätiger Mitarbeiter der Sozialforschungsstelle Dortmund vgl. Weyer, Westdeutsche Soziologie, S. 297–306; – König, Soziologie in Deutschland, S. 421–424.
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Unverdächtigkeit, leicht gefallen sein dürfte, ihre soziologische Tätigkeit nach dem Kriege relativ kontinuierlich fortzusetzen. Als Folge der Zeit zwischen 1933–45 für die Etablierung der Disziplin kann festgehalten werden – ohne an dieser Stelle auf die Rolle der in Deutschland verbliebenen Soziologen im Nationalsozialismus bzw. die verschiedenen Formen der inneren Emigration näher eingehen zu können –, dass die DGS als eine der wesentlichen treibenden Kräfte der Etablierung vor 1933 bis 1946 ihre Aktivitäten, den bisherigen Quellen zufolge, aller Wahrscheinlichkeit nach einstellte. Nach 1933 kam es zur Emigration vieler Soziologen aus dem deutschen Sprachraum.111 Auch die wichtigsten außeruniversitären Zentren der neu entstehenden Disziplin wurden geschlossen (so das Forschungsinstitut in Köln) oder aus Deutschland verlegt (wie das Frankfurter Institut für Sozialforschung). Die ersten Fachjournale mussten ihr Erscheinen einstellen (z. B. die „Zeitschrift für Sozialforschung“ und die „Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie“).112 Von den in den 1920er-Jahren vertretenen und die erste Etablierungsphase der Soziologie dominierenden inhaltlichen Positionen konnte keine eine entsprechende Fortsetzung innerhalb der offiziell im NS-Staat betriebenen Soziologie erfahren. Die von Rammstedt erwähnten Institutsgründungen und die Indienstnahme der Soziologie durch den NS-Staat sowie die damit einhergehende Ausbildung eines quasi professionalisierten Berufsbildes für Soziologen müssen zwar innerhalb der deutschen Soziologiegeschichtsschreibung durchaus Berücksichtigung finden, im Hinblick auf die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin darf jedoch das grundlegend andere Wissenschaftsverständnis der zwischen 1933–45 betriebenen Soziologie nicht außer Acht gelassen werden. Den Zeitraum als Zäsur, was die langfristige Institutionalisierung und Professionalisierung der Disziplin betrifft, zu betrachten, erscheint also durchaus gerechtfertigt, wenn man zudem bedenkt, dass nach 1945 erst langsam wieder an die Tradition der 1920er-Jahre angeknüpft werden musste und von der zwischen 1933–45 in Deutschland betriebenen Soziologie aus verständlichen Gründen weder die neugegründeten Institutionen noch die ‚völkische Soziologie‘113 in dieser Form weiterexistierten. Einzig die möglicherweise leichtere Durchsetzung eines empirischen Soziologieverständnisses nach 1945, auf Basis vorhergehender Arbeiten der NS-Zeit, könnte als überdauerndes Erbe dieser Zeit und indirekter Beitrag zum kontinuierlichen Ausbau der Disziplin betrachtet werden. Hierbei muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass bereits in den 1920er-Jahren an den außeruniversitären Forschungsinstituten eine allmähliche Etablierung der empirischen Sozialforschung begonnen hatte, deren Aufleben nach 1945 also durchaus auch als Anknüpfung an die Weimarer Tradition gesehen werden kann und nicht allein auf die in der NS-Zeit praktizierte Sozialtechnik zurückgeführt werden muss. Im Rahmen der Zeitschriftenanalyse in Kapitel III, 5. soll die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einer genaueren Analyse unterzogen werden; diese zeitliche Einschränkung geschieht vor allem aus pragmatischen Gründen. Nähere Analysen der Zwischenkriegszeit und der frühen Soziologie im Hinblick auf die Beachtung des Themas der Emotionen wären wichtige Desiderate künftiger Arbeiten, die hier aus folgenden Gründen nicht näher behandelt werden sollen:
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Zu den entsprechenden Emigrationswellen aus Österreich 1934 und 1938 vgl. Fleck, Vertrieben und Vergessen, S. 265–270; – Acham, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 679–682. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 56. Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 27.
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(1) Bis 1933 befand sich die Soziologie in einer Phase der beginnenden Institutionalisierung an den Hochschulen. Die Wissenschaftler, die sich diesem neuen Fach zuwandten, wiesen unterschiedliche Ausbildungsprofile auf, und entsprechend breit war das inhaltliche Spektrum der von ihnen vorgelegten Arbeiten. Anhand einiger Autoren lässt sich zeigen, dass Affekte durchaus eine Rolle im soziologischen Denken der Zeit spielten. (Ich verweise hier auf die entsprechenden Hinweise in Kapitel I, 2.) Eine systematische Vermeidung des Emotionsthemas erscheint jedenfalls in Anbetracht der Arbeiten so unterschiedlicher Autoren wie Max Weber, Georg Simmel oder Max Scheler als unwahrscheinlich. Diese These müsste selbstverständlich durch eine genauere Definition des damaligen mainstreams sowie deren entsprechende Operationalisierung im Hinblick auf zentrale Publikationsorgane (vergleichbar zu der für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg getroffenen Operationalisierung) überprüft werden.114 Für den Zweck dieser Arbeit wird die Beachtung des Emotionsthemas durch einige, heute als ‚Klassiker‘ des Faches angesehene Autoren jedoch als ausreichender Beleg für die These eines zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch vorhandenen soziologischen Interesses am Emotionsthema angesehen. (2) Was den Zeitraum 1933–45 anbelangt, so wäre es im Hinblick auf die Emotionsthematik interessant, der Frage nachzugehen, wie sich die durch den NS-Staat unterstützte Form der Soziologie als ‚Sozialtechnik‘ dem Thema gegenüber verhielt; inwieweit etwa das politische Interesse an den Möglichkeiten der Massenmanipulation auch Interesse für die Emotionsthematik aufseiten der Soziologie mit sich brachte. Die von Rammstedt zusammengestellte Übersicht von in der NS-Zeit erschienenen soziologischen Publikationen lässt aufgrund der Publikationstitel zumindest den Schluss zu, dass im weitesten Sinne psychologische Fragestellungen durchaus Beachtung erfuhren.115 Ob hierbei auch Emotionen eine Rolle spielten, müsste jedoch speziell geprüft werden. Da die Zeit zwischen 1933–45 im Hinblick auf die Institutionalisierung des Faches, wie oben dargelegt, als Unterbrechung gewertet werden kann, soll in dieser Arbeit jedoch auf eine nähere Analyse des Schrifttums dieser Zeit verzichtet werden.
4.4. Die Soziologie nach 1945 Auch in diesem Kapitel werde ich mich zunächst vorrangig auf jene Werke aus der vorhandenen Literatur beziehen, die die Frage der Institutionalisierung und Professionalisierung der Soziologie nach 1945 in den Vordergrund rücken; die damit einhergehenden thematischen Veränderungen der Soziologie werden weiter unten im Zusammenhang mit der Geschichte der Fachzeitschriften angeschnitten werden.
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Hierbei müsste eventuell auch eine Präzisierung der These im Hinblick auf die Phase ab 1921 vorgenommen werden, in der es zu einer beginnenden Etablierung des Faches und damit möglicherweise auch zu einer Vernachlässigung der Emotionsthematik kam. Die ab den 1920er-Jahren intensivierten Bemühungen zur Vereinheitlichung des Faches im Umkreis der Wiese-Schule deuten auf eine derartige für die Emotionsthematik ungünstige Situation hin. Vgl. Rammstedt, Deutsche Soziologie. – Vgl. auch die Kritik Königs an der von Rammstedt erstellten Bibliographie, insbesondere im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Werke zur ‚Soziologie‘, vgl. König, Soziologie in Deutschland, S. 392–397.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Wie bereits in den vorangegangenen Abschnitten stellt die Frage der Auswahl der herangezogenen Referenzliteratur auch in diesem Kapitel ein Problem dar. Es ist im Rahmen dieser Arbeit nur möglich einige allgemeine Entwicklungslinien des Faches aufzuzeigen, die gewissermaßen den Vergleichshintergrund für die von mir vorgenommene Zeitschriftenanalyse zur Emotionsthematik bilden. Die in der Fachgeschichtsschreibung geführten Kontroversen über die Bedeutung einzelner Entwicklungen für die Disziplin können hier nicht detailliert geschildert, geschweige denn empirisch überprüft werden. Es besteht somit die Gefahr, dass ‚Stereotype der Fachgeschichtsschreibung‘,116 wie Weyer es bezeichnet hat, in dieser Arbeit weiter tradiert werden. Dem kann nur entgegengehalten werden, dass die Zeitschriftenanalyse in Kapitel III, 5. eine systematisch geprüfte empirische Basis dafür bietet, zumindest im Hinblick auf die Entwicklung der Emotionsthematik vorhandene Stereotype zu hinterfragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte nur langsam an die Bemühungen einer Etablierung der Soziologie in der Weimarer Zeit angeknüpft werden. Getragen wurde dieser ‚Neubeginn‘ vor allem von den Vertretern der inneren und äußeren Emigration. Kennzeichnend für die Soziologie in Deutschland war in dieser Zeit die Abstinenz von politischen Fragen (darunter vor allem auch jener mit einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Zusammenhang stehender Fragen). Dies bescherte vor allem der empirischen Sozialforschung einen starken (Neu-)Aufschwung. Die zurückgekehrten Emigranten hatten sich während ihres Exils zum Teil verstärkt mit empirischen Fragen beschäftigt. Dies galt vor allem für jene, die in den USA tätig gewesen waren, wo die Soziologie von Beginn an einen stärkeren Bezug zur sozialen Praxis aufgewiesen hatte als in Deutschland. Mithilfe der Rockefeller Foundation kam es 1946 zur Gründung der Sozialforschungsstelle Dortmund,117 womit die Vorkriegstradition außeruniversitärer Institutionen im Bereich der empirischen Sozialforschung eine Fortsetzung fand. Neben der Sozialforschungsstelle in Dortmund waren für die empirische Soziologie auch das Forschungsinstitut in Köln und das in Frankfurt wiedereröffnete Institut für Sozialforschung von Bedeutung.118 Im Wesentlichen waren es einzelne Forscherpersönlichkeiten, die in Verbindung mit diesen Institutionen für einen Bedeutungszuwachs der empirischen Forschung, aber auch der Soziologie insgesamt, im Nachkriegsdeutschland verantwortlich waren: Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in Frankfurt, René König in Köln und Helmut Schelsky in Münster bzw. Dortmund.119 Neben diesen Schulengründern, die auch die Basis für die häufig geäußerte These von der ‚Dreigestalt‘ der westdeutschen Nachkriegssoziologie bilden (siehe dazu weiter unten), dürfen jedoch auch die Institutionalisierungsaktivitäten Leopold von Wieses und anderer Vertreter der Soziologie der 1920er-Jahre (wie etwa Alfred Weber, Alfred Vierkandt oder Richard Thurnwald) nicht außer Acht gelassen werden.120 Lepsius schildert die Situation folgendermaßen: „So wurde die Soziologie in den ersten Nachkriegs-
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Vgl. Weyer, Westdeutsche Soziologie, S. 23. Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 16. Vgl. Hopf, Müller, Zur Entwicklung der empirischen Sozialforschung, S. 52. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 64; – Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 15. 120 Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 29–31; – Sahner, Theorie und Forschung, S. 66. – Zu Alfred Weber in diesem Zusammenhang vgl. Blomert, Eßlinger, Giovannini, Einleitung, S. 21–22; – Demm, Alfred Weber, S. 113–115.
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jahren wieder belebt von den Vertretern einer Generation, die zwischen 1865 und 1885 geboren worden war, den Nationalsozialismus und den Krieg in Deutschland überlebt hatte und in den liberalen Traditionen der zwanziger Jahre wurzelte. Die Beschränkungen in der Zeit vor der Währungsreform setzten ihnen enge Spielräume, und doch ist ihnen der Anstoß für die Neubegründung der Soziologie zu verdanken, auch wenn sie darauf keinen inhaltlich prägenden Einfluß mehr ausüben konnten.“121 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich die Unterbrechung der in den 1920er-Jahren begonnenen Institutionalisierung der Soziologie in Österreich schwerwiegender als in Deutschland auswirkte, insofern es zu so gut wie keiner Re-Migration der aus Österreich vertriebenen Sozialwissenschaftler kam.122 Die Diskussion über die theoretische Orientierung der Soziologie wurde im universitären Bereich Deutschlands erst allmählich begonnen. Beteiligt daran war auch die unter dem maßgeblichen Einfluss Leopold von Wieses neu gegründete Deutsche Gesellschaft für Soziologie, die 1946 ihre Aktivitäten wieder aufnahm.123 Zunächst war der Verein jedoch durch ein eher disparates Bild gekennzeichnet gewesen. Die ersten Soziologentage wurden nur von einigen wenigen Wissenschaftlern besucht, die zum Teil auch keine Soziologen im engeren Sinne waren. Lüschen beschreibt dies, wie folgt: „Durchaus typisch diskutierten auf dem Soziologentag 1954 Vertreter der Entwicklungspsychologie, Pädagogik und Kinderheilkunde Probleme des Kindes. Das war wohl der Tiefpunkt im Verständnis von Soziologie, in ihrem Gegenstand und ihrer Theorie. Die Beziehungslehre war am Ende, und es gab kaum etwas an neuer wissenschaftlicher Information.“124 Erst allmählich wurden Diskussionen über den Stellenwert der Soziologie an den Universitäten aufgenommen, wobei beide Vorkriegsperspektiven wieder eine Rolle spielten: Soziologie als Einzelwissenschaft oder Soziologie als generelle Methode. Aus dieser Diskussion erwuchs auch die Frage, ob die Soziologie lediglich als Nebenfach oder als eigener Studiengang an den Universitäten geführt werden sollte.125 Die Tatsache, dass die Soziologie vor 1933, etwa aus Sicht von Lepsius oder Krekel-Eiben, noch nicht den Status einer etablierten Disziplin erreicht hatte, wirkte sich in der Phase des Wiederaufbaus der Universitäten zunächst negativ aus. Vorrangiges Ziel der meisten Universitäten war es, an die vorangegangene Tradition anzuknüpfen. Neuerungen, wie etwa der Schaffung zusätzlicher soziologischer Lehrstühle oder Studiengänge, kam zunächst keine Priorität zu, sodass die Soziologie vor allem dort wiederbelebt werden konnte, wo bereits vor 1933 derartige Lehrstühle existiert hatten. Bis 1955 konnte aus Sicht von Lepsius etwa der Stand von 1932 wieder erreicht werden.126 Auch Lüschen sieht die Situation der Soziologie im deutschen Hochschulwesen nach 1945, ähnlich wie Krekel-Eiben, als den „Aufbau einer Wissenschaft aus dem Nichts“.127 Lüschen und Krekel-Eiben vernachlässigen in ihren Darstellungen zwar die relativ weit gediehenen Entwicklungsschritte der Soziologie in der
121 Lepsius, Die Entwicklung, S. 31. 122 Vgl. Fleck, Rückkehr unerwünscht. – Vgl. auch Acham, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 683–688. 123 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 58–59; – Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 221–223. 124 Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 16. 125 Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 44–45. – Vgl. auch Siefert, Die Institutionalisierung, S. 261. 126 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 60; – Lepsius, Die Entwicklung, S. 26, S. 32–33. 127 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 11.
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Weimarer Zeit, haben aber insofern recht, als nach der NS-Zeit ein Neuanfang der Soziologie in Deutschland notwendig war. Trotz der unterschiedlichen Beurteilungen der Rollen einzelner Soziologen im NS-Staat und ihrer Gleichschaltungsbemühungen hatte die Soziologie allein vom personellen Umfang her in der Zeit zwischen 1933–45 ein Schattendasein an den deutschen Hochschulen geführt. Zudem waren außeruniversitäre Aktivitäten, wie oben erwähnt, völlig zum Erliegen gekommen oder nur in einer dem NS-Staat dienlichen Form betrieben worden. Die Situation nach 1945 kann also sehr wohl als ‚Neustart‘ bezeichnet werden. Maßgeblich getragen wurde dieser Neustart jedoch von einzelnen Wissenschaftlern, die bereits in der Weimarer Zeit eine führende Rolle bei den Bemühungen um die Etablierung der Soziologie eingenommen hatten. Allerdings bezog sich deren Beitrag vorrangig auf institutionelle Maßnahmen (beispielsweise die Neugründung der DGS), nicht jedoch auf eine Wiederaufnahme inhaltlicher Etablierungsdiskussionen.128 Unmittelbar nach Kriegsende wurde die Hauptaufgabe der Soziologie in der Lösung praktischer Probleme gesehen. Lüschen schreibt hierzu: „Wanderungen deutscher und anderer Nationalitäten auf deutschem Boden, die Teilung in vier Besatzungszonen mit eingeschränkter Mobilität, Verlust und Auseinanderbrechen, unter denen Familien zu leiden hatten, die Notwendigkeit, Bildung und andere Institutionen nach ihrer vormaligen Politisierung zu ändern, eine Währung ohne realen Wert, Knappheit an Lebensmitteln, die oft nur im direkten Tausch mit den Bauern zu beschaffen waren und dazu zerstörte Städte und engste Wohnverhältnisse: all diese sozialen Probleme verursachten einen erheblichen Druck auf die Sozialwissenschaften, die Bedeutung dieser Probleme zu erfassen und durch genaue Information sowie wissenschaftliches Verständnis beim Wiederaufbau der Gesellschaft mitzuhelfen. Mehr als alles andere legten praktische Probleme und nicht Theorien und intellektuelle Brillanz der Vergangenheit einen angewandten und empirischen Ansatz für die Soziologie nahe.“129 Schon vor 1933 hatten maßgebliche Vertreter der Soziologie, wie oben erwähnt, immer wieder den wissenschaftlichen Charakter der Soziologie dadurch betont, dass sie eine wertneutrale, ideologiefreie Ausrichtung des Faches zu forcieren versuchten. Der Einsatz moderner empirischer (vor allem quantitativer) Methoden, die nach 1945 aus den USA importiert wurden und kraft ihrer dortigen Wertschätzung nun auch geeignet erschienen, den Status des Faches in Deutschland zu untermauern, kann durchaus als eine zeitgemäße Fortsetzung dieser Institutionalisierungsbemühungen gesehen werden. Die Weimarer Zeit war durch eine gewisse Empirieferne gekennzeichnet gewesen. Dies vor allem, wie ich oben zu zeigen versuchte, aufgrund der geisteswissenschaftlichen Tradition der Universitäten, in der die Soziologen reüssieren wollten. Empirische Sozialforschung wies in dieser Zeit einen zu nahen Bezug zur Praxis und damit zur Politik auf, der nicht geeignet erschien, zum akademischen Status der Soziologie beizutragen. Hinzu kam, dass andere Disziplinen bereits empirische Forschungen betrieben und somit dieses Feld zunächst als ungeeignet für eine Institutionalisierung und Abgrenzung der Soziologie von anderen Fächern erscheinen musste.130 Nach 1945 lagen jedoch veränderte Rahmenbedingungen vor. Der Einfluss des amerikanischen Universitätssystems darf hierbei nicht unterschätzt wer-
128 Vgl. hierzu auch Schelsky, Ortsbestimmung, S. 39. 129 Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 14–15. 130 Vgl. Schad, Empirical Social Research, S. 97–99.
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den.131 Zahlreiche emigrierte deutschsprachige Sozialwissenschaftler hatten in den USA Aufnahme gefunden und zur Bereicherung der dortigen akademischen Landschaft beigetragen. Wissenschaftler wie Paul Lazarsfeld und andere, die vor ihrer Emigration an außeruniversitären Organisationen empirisch tätig gewesen waren, konnten diese Tätigkeiten in den amerikanischen Hochschulen fortsetzen und zur Verfeinerung der empirischen Methoden beitragen. Auch zunächst theoretisch orientierte Soziologen, wie Theodor Adorno, erwarben in den USA durchaus Erfahrungen in empirischer Forschung, die sie nach ihrer Rückkehr in die deutsche Soziologie einzubringen bereit waren (zum widersprüchlichen Verhältnis Adornos zur empirischen Sozialforschung siehe weiter unten). Fleck hat zudem auf einige Aspekte der institutionellen Organisation im amerikanischen Hochschulsektor hingewiesen, die die Entwicklung der empirischen Sozialforschung in den USA gefördert hatten. Das ‚Projekt‘ als Organisationsform für empirische Forschung kam in den USA vor allem unter dem Einfluss philanthropischer Stiftungen zustande, die auf eine entsprechende Evaluation der Forschungen Wert legten und auf diese Weise indirekt zur Qualität der Forschungen und der dabei eingesetzten Methoden beitrugen. In der Organisationsform des ‚Projektes‘ liegt somit ein von frühen deutschsprachigen Vorbildern empirischer Forschung unabhängiger Beitrag der USA zur Entwicklung der empirischen Sozialforschung vor.132 Das höhere Prestige der empirischen Sozialforschung in der deutschsprachigen Soziologie nach 1945 ist nicht zuletzt auf diesen institutionell bedingten Qualitätszuwachs zurückzuführen. Die Konzentration auf empirische Fragestellungen und die nur allmähliche Konsolidierung an den Hochschulen führten dazu, dass die Nachkriegssoziologie in Deutschland zunächst durch eine große Bandbreite an Themen und Ansätzen gekennzeichnet war. Im Gegensatz zur Weimarer Zeit, die, folgt man der Argumentation Käslers, vor allem gegen Ende hin durch eine Dominanz der Schule von Wieses bzw. der Vertreter formalsoziologischer Ansätze zumindest innerhalb der DGS geprägt war, kann insofern von einer Öffnung des Faches nach 1945 und somit durchaus von einem Neuanfang gesprochen werden. Anhand der Themenstellungen der ersten Nachkriegssoziologentage der DGS lässt sich das breite Spektrum an Ansätzen sehr gut zeigen.133 Bezüglich der Thematik der Emotionen ergibt sich hieraus auch die Vermutung einer gewissen Offenheit gegenüber diesem Thema in der ersten Nachkriegsphase. Erst mit dem 14. Soziologentag 1959, der erstmals den Charakter eines Fachkongresses hatte, wird aus Sicht von Lepsius eine neue Phase eingeleitet.134 Im Rahmen der allmählichen Konsolidierung des Faches an den Universitäten kam es nun zu stärkeren methodologischen und theoretischen Diskussionen, die im Positivismusstreit der 1960er-Jahre gipfelten. Der allmähliche Etablierungsprozess der Soziologie nach 1945 kann sehr gut an der langsam wachsenden Zahl von Studierenden abgelesen werden. Selbständige Studiengänge und -abschlüsse wurden laut Matthes zuerst in Berlin, Hamburg, Köln und Frankfurt am Main
131 Zu den Aktivitäten amerikanischer Stiftungen, wie etwa der Rockefeller Foundation, im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Soziologie im deutschsprachigen Raum nach 1945 vgl. auch Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 428–456. 132 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 41, S. 456. 133 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 16; – Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 228. – Im Hinblick auf die Emotionsthematik erwies sich die unmittelbare Nachkriegssoziologie, wie die Zeitschriftenanalyse in Abschnitt III, 5. zeigt, allerdings nur bedingt als derart offen. 134 Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 43.
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eingeführt.135 Lüschen gibt an, dass 1953 etwas mehr als 200 Studierende der Soziologie in Deutschland zu verzeichnen waren, während sich diese Zahl bis 1960 nahezu verdoppelte.136 Anfang der 1970er-Jahre war die Zahl der Studierenden bereits auf 8.000 Hauptfachstudenten angewachsen.137 Begleitet war dieser Anstieg der Studierendenzahlen von einem entsprechenden Anstieg der Zahl der Universitätslehrer im Fach Soziologie. Lüschen spricht von 131 ordentlichen und gleich vielen außerordentlichen Professuren in Westdeutschland und Westberlin Anfang der 1970er-Jahre.138 Krekel-Eiben konstatiert in Übereinstimmung mit Lepsius für die Zeit zwischen 1960 bis 1970 einen Anstieg der Zahl der Soziologieprofessuren von 35 auf 190, und einen Anstieg der Assistenten von 50 auf 450.139 Die Divergenz der absoluten Zahlen zwischen den verschiedenen Erhebungen ist auf die Berücksichtigung je unterschiedlicher personalrechtlicher Kategorien und Hochschulstandorte (z. B. Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen) zurückzuführen. Der Gesamttrend eines Zuwachses sowohl hinsichtlich der Studierenden als auch der Lehrenden im Fach Soziologie in den 1960er-Jahren tritt jedoch deutlich zutage. Vor allem in den neugegründeten Universitäten hatte die Soziologie die Chance, auf akademischem Boden Fuß zu fassen. Allerdings wurde der Zuwachs an Studierenden von einzelnen Mitgliedern der Disziplin keineswegs nur positiv bewertet. Der Vorstand der DGS empfahl 1969 sogar, keine weiteren Diplomstudiengänge im Fach Soziologie mehr einzurichten. Wie widersprüchlich die damalige Situation wachsender Studierendenzahlen eingeschätzt wurde, zeigt die Tatsache, dass im selben Jahr, 1969, eine eigene Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld gegründet wurde.140 Das quantitative Wachstum der Disziplin hatte neben der Institutionalisierung auch inhaltliche Konsequenzen in der Weise, dass es zu einer zunehmenden Spezialisierung und thematischen Differenzierung des Faches kam, die sich auch im Lehrangebot niederschlug, wie Rolf Klima feststellte.141 Neben den inhaltlichen Unterschieden verstärkten die neu entstandenen unterschiedlichen Studiengänge (verbunden mit verschiedenen akademischen Abschlüssen) das diffuse Bild der Soziologie, was in den frühen 1970er Jahren Diskussionen über die zumindest in der Ausbildung anzustrebende Vereinheitlichung des Faches und seiner Ansätze bewirkte.142
135 Vgl. Matthes, Einführung in das Studium, S. 44. 136 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 18. – Zu den mit unterschiedlichen Studienabschlüssen verbundenen Studiengängen der Soziologie – reichend vom Diplomsozialwirt über den Dr. phil. bis hin zum Dr. rer. pol. vgl. Siefert, Die Institutionalisierung, S. 261–263. – Auch in Österreich wurde Soziologie von jeher in sehr verschiedenen Ausrichtungen gelehrt, was sich in der späteren Konzeption der Studiengänge niederschlug. Mozetič verweist etwa auf die staatswissenschaftlichen und philosophischen Wurzeln der Soziologie in Österreich, vgl. Mozetič, Soziologische Theorie, S. 353–354. 137 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 18. – Hinsichtlich der Entwicklung der Studierendenzahlen werden von verschiedenen Autoren unterschiedliche Werte genannt, was auf den Einbezug der Inskriptionszahlen je unterschiedlicher Typen von Studiengängen zurückzuführen sein dürfte – der Gesamttrend eines deutlichen Zuwachses an Studierenden bleibt jedoch der gleiche. So kommt Siefert gegen Ende der 1960er-Jahre beispielsweise auf eine Zahl von ca. 4.500 Studierenden der Soziologie, vgl. Siefert, Die Institutionalisierung, S. 263. – Zur Zahl der Soziologieabsolventen in Deutschland bis 1991 vgl. auch Alemann, Berufschancen und Berufsfelder, S. 273–276. 138 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 18; – Lüschen, Anmerkungen, S. 5. 139 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 61; – Lepsius, Die Entwicklung, S. 49. 140 Vgl. Rammstedt, Helmut Schelsky, S. 39. 141 Vgl. Klima, Die Entwicklung der soziologischen Lehre, S. 223, S. 234–235. 142 Zur Uneinheitlichkeit des Bildes der Nachkriegssoziologie und den fehlenden einheitlichen Vorstellungen über die Nachwuchsausbildung bzw. die Ausrichtung akademischer Studiengänge vgl. auch Hardin, The Pro-
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Durch die wachsenden Studierendenzahlen und den Versuch, diesen Berufsmöglichkeiten zu bieten, wurde zusätzlich die Position der empirischen Sozialforschung, die einen unmittelbaren Praxisbezug suggerierte, an den Universitäten gestärkt. Lüschen konstatiert einen beachtlichen Prestigegewinn der Soziologie in den 1950er- und 1960er-Jahren, der vor allem von den verschiedenen Schulen und ihren führenden Vertretern wie König, Schelsky oder Horkheimer getragen wurde. Neben den Genannten erwähnt Lüschen auch die Berliner, Göttinger und die Mannheimer Schule.143 Auch in Österreich konnte in den 1960er-Jahren ein Prestigegewinn der Sozialwissenschaften verzeichnet werden, der sich u. a. in der Gründung des Institutes für Höhere Studien und wissenschaftliche Forschung 1963 in Wien niederschlug, in dem neben anderen Sozialwissenschaften auch die Soziologie eine Verankerung fand.144 Dieses öffentliche Interesse ging in Österreich, ähnlich wie bei der Gründung entsprechender außeruniversitärer Institute in Deutschland, einher mit einer Vorstellung der empirischen Sozialforschung als Wissenslieferantin für staatliche Planungsinstanzen. Oder wie Acham es ausdrückt: „Dieses Institut war es vor allem, das im Bewußtsein der politisch maßgeblichen Öffentlichkeit die Auffassung verankern konnte, daß es in der Soziologie nicht sosehr um Theoriediskussion, sondern um Krisenintervention gehe, wobei die beste Art der Problemlösung im Sinne einer praxisrelevanten Sozialwissenschaft die Aufbereitung von Datensätzen für die politischen Entscheidungsträger sei.“145 Höpflinger sieht auch in der Schweiz seit den 1960er-Jahren eine verstärkte gesellschaftliche Nachfrage nach soziologischem Wissen (im Hinblick auf die Erforschung sozialer Problemlagen des sich modernisierenden Staates), die die institutionelle Verankerung von entsprechenden Studiengängen gefördert hat.146 Neben der inhaltlichen Vielfalt der Schulen und dem Zuwachs an akademischem Personal und Studierenden kam es in den 1950er- und 1960er-Jahren zu verstärkten methodologischen und theoretischen Diskussionen. Hierbei ging es nicht nur um den alten Zwiespalt von theoretischer und empirischer Orientierung, sondern auch um den Versuch, das Fach zu vereinheitlichen und aus der Vielfalt an Ansätzen eine dominante Richtung herauszukristallisieren.147 Schon auf dem 13. Soziologentag der DGS 1956 war der bereits die Weimarer Soziologie kennzeichnende Konflikt zwischen Empirikern und eher theoretisch ausgerichteten Fachvertretern wieder offen debattiert worden.148 Im Rahmen des Positivismusstreites
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fessionalization of Sociology, S. 147–154. – Vgl. auch die von Siefert geschilderten Diskussionen um die von der DGS 1967 vorgeschlagene Rahmenstudienordung, Siefert, Die Institutionalisierung, S. 265–266. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 21. Vgl. Knorr, Haller, Zilian, Sozialwissenschaftliche Forschung, S. 19. Acham, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 691. Vgl. Höpflinger, Soziologie in einem multi-kulturellen Kleinstaat, S. 9–11. Krekel-Eiben hierzu: „Der Zeitraum bis zum Ende der 60er Jahre wurde von theoretischen sowie methodologischen Diskussionen beherrscht, die in dem sogenannten ‚Positivismusstreit‘ gipfelten und die vorher schon dual institutionalisierten Positionen der empirischen Sozialforschung und der theoretischen Orientierung in ihrer Unvereinbarkeit bestärkten.“ Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 66. Oder wie Lepsius es ausdrückt: „Innerhalb der Soziologie war der Gegensatz zwischen Vertretern einer empirisch fundierten ‚soziologischen Theorie‘ und einer hermeneutisch explorativen ‚Theorie der Gesellschaft‘ bedeutsam für das Selbstverständnis, er wirkte in den späten sechziger Jahren polarisierend.“ Lepsius, Die Entwicklung, S. 25. Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 17.
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(1963–65) wurden die Konflikte über das Verhältnis von Empirie und Theorie auf das Theorie-Praxis-Problem hin zugespitzt und vor allem wissenschaftstheoretisch erörtert, bevor die Problematik im Rahmen der Studentenbewegung aufgegriffen wurde und sich gegenüber ihren ursprünglichen Inhalten verselbständigte.149 Einen letzten Höhepunkt der fachinternen Auseinandersetzung bildete der 16. Soziologentag, der 1968 in Frankfurt zum Thema Spätkapitalismus und Industriegesellschaft stattfand. Auf diesem Soziologentag prallten nicht nur die Positionen der Kölner und Frankfurter Schule sowie die Systemtheorie Luhmanns aufeinander, auch zwischen Professoren- und Studentenschaft kam es zu massiven Konflikten.150 In den 1970er-Jahren beruhigte sich die Diskussion zwischen den unterschiedlichen ‚Schulen‘ insofern, als ein Nebeneinander der verschiedenen Ansätze, vor dem Hintergrund der zahlenmäßigen Konsolidierung des Faches an den Hochschulen, offenbar akzeptabler erschien als noch in den 1950er- und 1960er-Jahren.151 Die ‚neutralere‘, auf einen systematischen Vergleich unterschiedlicher theoretischer Positionen ausgerichtete, Diskussion zeigt sich beispielsweise auch an den Theorienvergleichs-Diskussionen der deutschen Soziologentage bzw. entsprechend informeller Arbeitstagungen zwischen 1974 und 1977. Deutlich wird der ‚neutralere‘ Umgang miteinander in der von Matthes geschriebenen Einleitung zum diesbezüglich herausgegebenen Sammelband: „Zwar haben sich wohl alle, die sich bislang an der Diskussion zum Theorienvergleich beteiligt haben, mit ihren Beiträgen in irgendeiner Form in der Kontinuität der neueren grundlagentheoretischen Kontroversen in der deutschsprachigen Soziologie [gemeint ist der Positivismusstreit, K.S.] stehend empfunden. Doch weder ist die Diskussion jemals mit dem Bedürfnis geführt worden, jenen Kontroversen ‚Lösungen‘ nachschieben zu wollen oder zu sollen, – noch ist die bisherige Diskussion durch sonderliche Bereitschaft, sich auf die Anlage und den Stil jener Kontroversen einzulassen, gekennzeichnet gewesen.“152 Aus der Sicht von Matthes ging es in der Diskussion „allein um Abklärungen, Verständigungen, gemeinsame Sicherung von Voraussetzungen für sozialwissenschaftliche Theoriebildung.“153
4.4.1. Die Dreigestalt der westdeutschen Nachkriegssoziologie An dieser Stelle soll das bereits erwähnte Bild der ‚Dreigestalt‘ der westdeutschen Nachkriegssoziologie nachgezeichnet werden, um auch die inhaltlichen Differenzen, die die Nachkriegssoziologie bis in die 1960er-Jahre hinein prägten, kurz zu skizzieren. Die Kölner Schule, die Frankfurter Schule und die sich um Helmut Schelsky formierende Schule werden als die drei prägenden Strömungen der westdeutschen Nachkriegssoziologie betrachtet.154
149 Vgl. hierzu auch Korte, Einführung in die Geschichte, S. 189, S. 207–209. 150 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 22; – Korte, Einführung in die Geschichte, S. 212– 214. 151 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 67. 152 Matthes, Die Diskussion, S. 7. 153 Matthes, Die Diskussion, S. 7. 154 Vgl. u. a. Sahner, Theorie und Forschung, S. 26; – Matthes, Soziologie, S. 220–222. Vgl. ergänzend hierzu auch Lepsius, Die Entwicklung, S. 36.
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Helmut Schelsky, als eines der drei auch als Schulengründer bezeichneten Mitglieder der Gründergeneration, spielte eine wichtige Rolle bei der Reform des deutschen Hochschulsystems und hatte auch bedeutenden Einfluss auf die Gründung der Bielefelder Universität, an der – wie schon erwähnt – 1969 erstmals eine eigene Fakultät für Soziologie eingerichtet wurde.155 Während Schelsky solcherart vor allem die Institutionalisierung der Soziologie innerhalb Deutschlands prägte, war René König darum bemüht, der deutschen Soziologie auch international Anerkennung zu verschaffen. Gekrönt wurde dieses Engagement mit der ISA-Präsidentschaft, die König von 1962 bis 1966 innehatte.156 Mit König gewann auch jene Richtung in der Soziologie Auftrieb, die „das Ziel einer empirischen, objektiven Grundlage soziologischen Wissens“157 anstrebte. Die Methoden der empirischen Sozialforschung sollten diese objektive Grundlage soziologischen Wissens liefern. Durch die verschiedenen im Umfeld der Kölner Schule erschienenen Publikationen auf diesem Gebiet (z. B. die Bände des Handbuchs der empirischen Sozialforschung) und seine Tätigkeit als Herausgeber der Kölner Zeitschrift trug König maßgeblich zum akademischen Image der Soziologie als empirischer Einzelwissenschaft bei. Es war vor allem die quantitative Sozialforschung, die von der Kölner Schule forciert wurde.158 Gegenpositionen hierzu bildeten, wenn auch je von einem unterschiedlichen Ausgangspunkt her, die Frankfurter Schule und der Ansatz Schelskys. Bei der folgenden Darstellung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulen handelt es sich um eine relativ grobe Skizzierung der Divergenzen innerhalb der deutschen Nachkriegssoziologie, die lange Zeit das Bild des mainstreams geprägt haben. Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Schulen jenseits dieser Unterschiede werden an dieser Stelle ebenso vernachlässigt, wie die Geschichte der erst allmählichen Entwicklung dieser Gegensätze in der Nachkriegszeit.159 Bereits König skizzierte die ‚Dreiteilung‘ der deutschen Nachkriegssoziologie, indem er seine eigene Auffassung von einer Soziologie als empirischer Einzelwissenschaft von einer ‚Theorie der Gesellschaft‘ rechter und linker politischer Prägung unterschied.160 Soziologie sei von geschichts- und sozialphilosophischen Überlegungen und – aus Sicht Königs – damit jeweils verbundenen ideologischen Vereinnahmungen abzugrenzen. Die Soziologie sollte es vermeiden, aus ihren empirischen Beobachtungen Sollensaussagen zu generieren und sich solcherart in politische Diskussionen einzubringen. Mit diesem Wissenschaftsverständnis versuchte König vor allem den Status der Soziologie als eigenständiger Wissenschaft zu untermauern, die sich durch einen eigenen Gegenstandsbereich, den sie mittels objektiver Methoden zu analysieren vermag, auszeichnet und sich aufgrund dieser wissenschaftlichen Methoden auch von politischen Strömungen, die ebenso ein theoretisches Interesse am Sozialen hegen, unterscheidet. Königs Plädoyer für eine ‚Soziologie, die nichts als Soziologie sein will‘,161 erinnert an Durkheims Forderung, ‚Soziales nur durch Soziales zu erklären‘,
155 Vgl. Kaufmann, Die Institutionalisierung, S. 13, S. 17, S. 28–29; – Lepsius, Die Entwicklung, S. 39. 156 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 20. – Vgl. auch http://www.rene-koenig-gesellschaft.de/index.asp?menu=biografie (7.1.2009). 157 Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 20. 158 Vgl. Hopf, Müller, Zur Entwicklung der empirischen Sozialforschung, S. 54. 159 Für eine detaillierte Aufarbeitung der Divergenzen innerhalb der deutschen Nachkriegssoziologie, die auch die Gemeinsamkeiten und Überlappungen der verschiedenen Positionen in ihrer zeitlichen Entwicklung beachtet, vgl. Albrecht et al, Die intellektuelle Gründung. 160 Zum Folgenden vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 26–31. 161 Vgl. König, Einleitung, S. 8. – Vgl. auch Lepsius, Die Entwicklung, S. 36.
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und dürfte – obwohl wesentlich später vorgelegt – demselben Anliegen (einer Etablierung der Disziplin als unabhängiger Wissenschaft) entsprungen sein. Mit Durkheim ist König auch die Orientierung an kollektiven Tatbeständen gemeinsam, die der Gegenstandsbereich der Soziologie sein und diese somit von anderen Disziplinen abgrenzbar machen sollten. Königs Konzeption von Soziologie weist in ihrer Ausrichtung außerdem Ähnlichkeiten zum Struktur-Funktionalismus von Parsons auf, wie das folgende Zitat anschaulich belegt: „Viele Disziplinen, Denksysteme und Doktrinen, die häufig ziemlich wahllos in engster Verbindung mit der Soziologie auftreten, werden sorgsam von ihr getrennt. Das gilt in mehreren Beziehungen, die jedoch alle dahingehend zusammenwirken, daß am Schluß eine Soziologie sichtbar wird, die nichts als Soziologie ist, nämlich die wissenschaftlich-systematische Behandlung der allgemeinen Ordnungen des Gesellschaftslebens, ihrer Bewegungs- und Entwicklungsgesetze, ihrer Beziehungen zur natürlichen Umwelt, zur Kultur im allgemeinen und zu den Einzelgebieten des Lebens und schließlich zur sozial-kulturellen Person des Menschen“162 (Hervorhebung im Original). Zwar weist Sahner darauf hin, dass es nur wenige direkte Bezugnahmen Königs auf Parsons gibt und dass von König auch der Theoriecharakter des Struktur-Funktionalismus hinterfragt wurde – einer programmatischen Zuordnung Königs zur strukturell-funktionalen Theorie widerspricht aber auch er nicht.163 Kritik erfuhr Königs empirische Konzeption von Soziologie vor allem vonseiten der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, die in der bewusst praktizierten Enthaltsamkeit gegenüber sozialphilosophischen und erst recht gegenüber politischen Fragen die Gefahr einer Einvernahme der Soziologie durch externe Interessen witterte bzw. den konservativen Charakter einer Soziologie, die die bloße Nachzeichnung der teilweise als problematisch empfundenen Realität betrieb, bemängelte. Erste Wurzeln der Kritischen Theorie bzw. der Frankfurter Schule gehen auf das 1924 gegründete und zunächst von Carl Grünberg geleitete Frankfurter Institut für Sozialforschung zurück, wobei der heute als Frankfurter Schule bezeichnete Kreis um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der Frühphase des Institutes nur eine untergeordnete Rolle spielte und erst in der Emigrations- und vor allem Nachkriegszeit seine eigentliche Wirkung entfaltete.164 Auch der Begriff ‚Kritische Theorie‘ als Sammelbecken für die wissenschaftlichen und weltanschaulichen Positionen der Frankfurter Schule ist eine ‚Erfindung‘ der Emigrationszeit und fand erst in den 1960er-Jahren breitere Resonanz.165 Nach dem Zweiten Weltkrieg war es vor allem Horkheimer, der den institutionellen Ausbau und die Etablierung des Institutes für Sozialforschung in der Bundesrepublik forcierte. Teilweise unterzog er dabei die Inhalte seiner frühen marxistischen Schriften einer kritischen Revision.166 Albrecht hat gezeigt, inwieweit die ambivalente Haltung Horkheimers gegenüber seinen früheren Positionen als Re-
162 König, Einleitung, S. 8. 163 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 30. 164 Vgl. hierzu Bock, Lästige Verwandtschaft, S. 37. – Zum Folgenden vgl. auch Sahner, Theorie und Forschung, S. 31–37. 165 Zur komplexen Entstehungs-, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule vgl. Albrecht, Die Erfindung, insbesondere S. 25–30. 166 Vgl. zum Beispiel Horkheimers Zögern gegenüber einem Neuabdruck seiner, in der Zeitschrift für Sozialforschung in den 1930er- und 1940er-Jahren erschienenen, Arbeiten. Vgl. Horkheimer, Brief an den S. Fischer Verlag. – Zur Kritischen Theorie als einziger zeitdiagnostischen Strömung der Zwischenkriegszeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Position in der deutschsprachigen Soziologie behaupten konnte, vgl. Bock, Die ‚kritische Theorie‘ als Erbin, insbesondere S. 226, S. 236, 245.
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flex auf die veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit verstanden werden kann und auch vor dem Hintergrund des persönlichen Emigrationsschicksals gesehen werden muss. „Der entscheidende Unterschied, der das politische Handelns in den 50er Jahren bestimmte, war die Frage, ob man sich die allseits gewünschte Humanisierung der Gesellschaft nur auf der Grundlage einer sozialistischen Wirtschaftsform vorstellen konnte. Für die Linke bestimmte diese Frage die politische Haltung zur entstehenden Bundesrepublik in den Fronten des Kalten Krieges. Im Gegensatz zu den Ostemigranten (Bloch, Mayer, Grossmann) standen Horkheimer und Adorno im Kalten Krieg eindeutig auf der Seite des Westens und damit des westdeutschen Staates als Glacis.“167 Diese Haltung und der Wunsch, das Institut für Sozialforschung in der Bundesrepublik zu etablieren, erklären auch Horkheimers erfolgreiche Kontakte zu verschiedenen politischen Entscheidungsträgern Nachkriegsdeutschlands, die keineswegs dem ‚linken‘ Lager zugerechnet werden können.168 Albrechts Arbeit zeigt sehr gut, dass die Ende der 1960er-Jahre von manchen Rezipienten vorgenommene nachträgliche Rekonstruktion einer einheitlichen Entwicklungsgeschichte der Frankfurter Schule seit den 1920er-Jahren nicht den realen Entwicklungen entsprach, sondern eher auf die konkreten (politischen) Interessen der Rezipienten selbst zurückzuführen ist.169 Die bereits angedeutete Problematik jeder Soziologiegeschichtsschreibung – nämlich die Darstellung vergangener Entwicklungen stets aus einem Blickwinkel der Gegenwart vornehmen zu müssen (was nicht selten unhinterfragt bleibt) – wird anhand der Frankfurter Schule und ihrer Rezeptionsgeschichte besonders deutlich. Der in der Literatur immer wieder zitierte Gegensatz zwischen Kölner und Frankfurter Schule spitzte sich der Arbeit Albrechts zufolge somit auch erst im Verlauf der 1950er- und vor allem 1960er-Jahre zu.170 Die Kritische Theorie unterscheidet sich von Königs Ansatz vor allem durch ein grundlegend anderes Wissenschaftsverständnis als Basis der soziologischen Arbeit. Nicht die Suche nach überprüfbaren Gesetzmäßigkeiten dominierte die Arbeiten Horkheimers, sondern das Bewusstsein, dass – in Anbetracht des Wandels historischer Gegebenheiten – das Verhältnis von Subjekt, Theorie und Gegenstand mit dem Ziel einer Besserung des gesellschaftlichen Zustandes ständig zu modifizieren sei.171 In den 1920er-Jahren richtete sich dieses flexible Theorieverständnis gegen eine an den Naturwissenschaften orientierte Konzeption der Sozialwissenschaften und wurde wesentlich auch in Auseinandersetzung mit dem logischen Empirismus entwickelt. Das Bestreben der Vertreter der Kritischen Theorie war es aber auch später, nicht nur die Wirklichkeit abzubilden, sondern auch die Frage nach deren Vernünftigkeit zu stellen. Der Kritischen Theorie war also stets ein moralischer Anspruch inhärent, dem es, neben der Beschreibung der sich historisch wandelnden gesellschaftlichen Organisationsformen, auch um eine Beurteilung der sozialen Verhältnisse im Hinblick auf den Stellenwert der Freiheit in ihnen ging. Die empirische Forschung wurde aus dieser Perspektive heraus unterschiedlich beurteilt.172 Von
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Albrecht, Vom Konsens der 50er zur Lagerbildung, S. 135–136. Vgl. Albrecht, Vom Konsens der 50er zur Lagerbildung, S. 137–145, S. 152–153. Vgl. hierzu auch Albrecht, Vom Konsens der 50er zur Lagerbildung, S. 136, S. 166. Vgl. Albrecht, Vom Konsens der 50er zur Lagerbildung, S. 157–168; – Albrecht, Wie das IfS zur Frankfurter Schule wurde, S. 174–175. 171 Vgl. Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, S. 160, S. 190–191. 172 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 34; – Albrecht, Wie das IfS zur Frankfurter Schule wurde, S. 176– 184.
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Adorno wird einerseits das demokratische Potential empirischer Sozialforschung hervorgehoben und vor allem als mögliches Korrektiv für die geisteswissenschaftliche Tradition der deutschen Soziologie betrachtet, der er teilweise eine reaktionäre, auf Bewahrung der herrschenden Verhältnisse ausgerichtete Haltung vorwirft. Empirische Forschung hätte demgegenüber die Aufgabe, durch die schonungslose Darstellung der Verhältnisse wie sie sind, zur Aufklärung und Freiheit beizutragen.173 Die anfänglich noch positive Haltung zur Empirie wandelte sich, wie Sahner feststellt, allmählich in Richtung einer größeren Skepsis, was das Potential der empirischen Sozialforschung bei der Darstellung der sozialen Verhältnisse anbelangt: Im Prinzip könnten empirisch stets nur Teile der Realität erfasst werden, während es der Kritischen Theorie aber gerade um das gesellschaftliche Ganze ginge, d. h. um die dialektische Erfassung der Abhängigkeiten der gesellschaftlichen Einzelerscheinungen von einem historischen Gesamtzusammenhang.174 Fleck hat ausführlich die Diskussionen zwischen Lazarsfeld und Adorno rund um das Princeton Radio Research Project (1937–1941) analysiert, wobei Adornos ambivalente Haltung zu den Methoden der empirischen Sozialforschung bereits in seiner Zeit in den USA deutlich wird.175 Die marxistische Ausrichtung der Frankfurter Schule und ihr Plädoyer für eine kritische Hinterfragung der gesellschaftlichen Verhältnisse fanden starken Widerhall in der auf Kritik der Elterngeneration und ihrer Werte ausgerichteten Studierendengeneration der 1960er-Jahre.176 (Der 1968er-Bewegung standen allerdings die Vertreter der Frankfurter Schule selbst zum Teil skeptisch bis ablehnend gegenüber.)177 Auch innerhalb der soziologischen Fachdiskussionen blieben die im Umkreis der Frankfurter Schule propagierten Ansätze, bei aller ihnen entgegengebrachten Kritik, nicht wirkungslos. Aus Sicht Kortes wurden zwei Themenkreise durch die Frankfurter Schule in den Vordergrund sozialwissenschaftlicher Debatten gerückt: die Ökonomie178 und die Psychoanalyse.179 „Für welche theoretische Ausrichtung man sich auch entschied, von nun an war es nicht mehr möglich, über gesellschaftliche Verhältnisse zu diskutieren, ohne sowohl nach den ökonomischen Bedingungen als auch den psychischen Potentialen der beteiligten Men-
173 Zur Bedeutung empirischer Forschungsprojekte im Rahmen des Wiederaufbaus des Frankfurter Institutes vgl. auch Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, S. 479–492, S. 503. 174 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 35–36; – Lepsius, Die Entwicklung, S. 37. 175 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 264–352. 176 Für ein differenziertes Bild der Rezeption der Frankfurter Schule – vor allem der von ihr befürworteten Art der Vergangenheitsbewältigung – in den unterschiedlichen Generationskohorten der Studierenden der 1960erJahre vgl. Albrecht, Die Frankfurter Schule in der Geschichte, insbesondere S. 498–506. 177 Vgl. Korte, Einführung in die Geschichte, S. 206–208. 178 Bei dieser Einschätzung Kortes über die Wirkung der Frankfurter Schule darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die ökonomische Basis sozialer Prozesse keineswegs eine Neuentdeckung der ‚Frankfurter‘ war, sondern bereits seit dem 19. Jahrhundert regelmäßig Bestandteil sozialwissenschaftlicher Diskussionen ist. Durch die Frankfurter wurde lediglich eine Akzentuierung dieses Themas vorgenommen, die es auch für Vertreter anderer Ansichten über die bedingenden Variablen sozialer Prozesse notwendig machte, sich zu dieser Thematik zu äußern. 179 Auch im Hinblick auf die Psychoanalyse müsste man Kortes Einschätzung insofern ergänzen, als die Psychoanalyse bereits in den 1920er-Jahren in sozialwissenschaftlichen Debatten des deutschen Sprachraums Beachtung gefunden hatte, dann jedoch – nicht zuletzt aufgrund der Emigration vieler ihrer Vertreter und Vertreterinnen in der NS-Zeit – ins Abseits geriet und erst durch die Aktivitäten der ‚Frankfurter Schule‘ in den sozialwissenschaftlichen Diskussionen Nachkriegsdeutschlands neuen Auftrieb, aber auch mitunter heftige Kritik erhielt. Zur Rezeption der Psychoanalyse in den 1920er-Jahren vgl. Laier, Das Frankfurter Psychoanalytische Institut, insbesondere S. 48–50.
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schen zu fragen.“180 Die von Vertretern der Frankfurter Schule aufgeworfenen Fragen nach dem Zusammenhang von gesellschaftlichen Makro- und individuellen Mikrostrukturen kamen, wie Korte es etwa im Hinblick auf Herbert Marcuse schildert, offenbar einem Bedürfnis von Teilen der Öffentlichkeit entgegen. „Seine Analyse der Zusammenhänge von Produktion und Kultur, Triebstruktur und Gesellschaft brachten das Unbehagen an dem mittlerweile für viele Menschen deutlich gewordenen Mißverhältnis von übersteigerter gesellschaftlicher Formierung und individuellen Handlungsmöglichkeiten auf den Punkt.“181 Jener ‚Zeitgeist‘, der von Kemper im Hinblick auf die USA als Auslöser eines neuen, soziologischen Interesses am Mikrobereich und damit auch an den Emotionen des Menschen geschildert wurde, war offenbar auch in Deutschland am Werke. In den psychoanalytisch ausgerichteten Arbeiten der Frankfurter Schule fand dieses Interesse einen entsprechenden Angelpunkt. Die durch die Frankfurter erfolgende Kanalisierung des Interesses an der Interaktion psychischer und sozialer Phänomene in Richtung Psychoanalyse muss mitbeachtet werden, wenn man die verspätete Etablierung einer Soziologie der Emotionen im deutschen Sprachraum betrachtet. Die Erörterung der Persönlichkeitsstruktur und ihrer gesellschaftlichen Prägung, wie sie etwa von Marcuse, aber auch von Fromm betrieben wurde, nahm möglicherweise jenen Platz in der kognitiven Landschaft ein, der andernorts durch eine weniger schulen- bzw. paradigmagebundene Betrachtung des Emotionalen besetzt wurde. Die ‚Dreigestalt‘ der deutschen Soziologie mit ihren diversen Konfliktlinien könnte sich im Hinblick auf die systematische Erörterung emotionaler Belange durch die Soziologie insofern hemmend ausgewirkt haben, als das Terrain des ‚Psychischen‘ gewissermaßen durch die Frankfurter besetzt wurde (und hierbei vor allem psychoanalytisch bearbeitet wurde), und, zusammen mit ihren sonstigen, von den anderen zwei ‚Schulen‘ kritisierten, methodologischen Positionen, im Rest des soziologischen mainstreams auf Ablehnung stieß.182 Hinzu kam, dass auch die Psychoanalyse Ende der 1960er-/Anfang der 1970er-Jahre zum Teil in der Öffentlichkeit kritisch beurteilt wurde. Dazu beigetragen hat unter anderem die beginnende Beschäftigung mit der Vergangenheitsbewältigung vonseiten der Psychoanalytiker. Das 1967 erschienene Buch von Margarete und Alexander Mitscherlich Die Unfähigkeit zu trauern und die darin enthaltenen psychoanalytisch begründeten Thesen zur unbewältigten Vergangenheit der Deutschen beziehen sich unter anderem auf die Verdrängung negativer Gefühle wie Schuld, Scham und Angst im Zusammenhang mit dem NS-Regime.183 Die Thematisierung dieser Gefühle war lange Zeit tabuisiert worden. Folgt man der These Mitscherlichs, ist dies auf einen kollektiven Verdrängungsprozess zurückzuführen – einen Verdrängungsprozess, von dem im Übrigen auch die Psychoanalyse selbst nicht ausgenom-
180 Korte, Einführung in die Geschichte, S. 209. 181 Korte, Einführung in die Geschichte, S. 212. 182 Matthes beschreibt den Gegensatz zwischen der Kölner und der Frankfurter Schule folgendermaßen: „Erschien König die dialektische Gesellschaftstheorie Adornos und Horkheimers mit ihrem Bekenntnis zur utopischen Methode und zur Unablösbarkeit der Theorie von der gesellschaftlichen Praxis wie ein ständiges spekulatives Ausweichen vor den strengen Maßstäben erfahrungswissenschaftlicher Prüfung, so erschien andererseits den Dialektikern die Orientierung Königs an den strikten Regeln einer erfahrungswissenschaftlich verfahrenden Soziologie als ein Fetischismus der Tatsachen, der die Theorie ihrer gesellschaftsbildenden und gesellschaftsverändernden Kraft beraubt.“ (Hervorhebung im Original) Matthes, Soziologie, S. 221. 183 Vgl. Mitscherlich, Mitscherlich, Die Unfähigkeit, insbesondere S. 34–43. – Vgl. auch Albrecht, Die Frankfurter Schule in der Geschichte, S. 514–519.
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men war, wie Tilmann Moser gezeigt hat.184 Die Frankfurter Schule hatte stets Bezüge zur Psychoanalyse aufgewiesen und sich auch früh dem Thema der Vergangenheitsbewältigung gewidmet,185 allerdings konnte, wie Albrecht feststellt, das Thema der NS-Vergangenheitsbewältigung erst unter der Protestgeneration der späten 1960er-Jahre – die selbst nach dem Krieg geboren worden war – entsprechenden Widerhall finden.186 Die enge Koppelung von Psychoanalyse und Frankfurter Schule erhielt in den 1960er-Jahren durch die im Anschluss an das Erscheinen von Mitscherlichs Buch auch öffentlich geführte Debatte über die mangelnde Vergangenheitsbewältigung der Deutschen zusätzlichen Auftrieb in der Außenwahrnehmung der Frankfurter Schule (ohne dass Auffassungsunterschiede zwischen Mitscherlich und Horkheimer/Adorno entsprechend berücksichtigt wurden).187 Die Ablehnung und der gleichzeitige auflagenstarke Erfolg von Mitscherlichs Buch bildeten, so meine These, eine Gemengelage, die auch auf die Wahrnehmung der Psychoanalyse insgesamt abfärbte und eine neutrale Beurteilung derselben erschwerte, was bei den Kritikern möglicherweise auch zur Vermeidung der mit ihr assoziierten Themen bzw. der mit ihr assoziierten Frankfurter Schule beitrug.188 Schelsky, der dritte Schulengründer innerhalb der deutschen Nachkriegssoziologie, beschreibt die Situation der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls als durch drei Gruppen gekennzeichnet. Er verweist einerseits auf eine (vorrangig durch die König-Schule repräsentierte) Sicht der Soziologie als funktionsanalytische Erfahrungswissenschaft, die sich am Vorbild der Soziologie in den USA und der dort vorherrschenden struktur-funktionalen Sichtweise der Gesellschaft orientiere. Andererseits erwähnt er eine Sichtweise der Soziologie als Kultursoziologie oder Sozialphilosophie (vor allem im Kreis um Horkheimer und Adorno vertreten), die „den Zusammenhang des sozialen und geschichtlichen Lebens als ganzen zu deuten“ beabsichtige und damit aktuell bestehenden Orientierungsbedürfnissen nachzukommen versuche.189 Den beiden mit der doppelten Herkunft der Soziologie – sowohl aus der Ökonomie als auch aus der Philosophie – verknüpften Ansätzen stellt er seinen eigenen Entwurf einer „transzendentalen Theorie der Gesellschaft“ entgegen, der gewisserma-
184 Vgl. Moser, Nationalsozialismus im seelischen Untergrund von heute, S. 34–35. 185 Vgl. u. a. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit; – auch Peisker, Vergangenheit, S. 140. 186 Vgl. Albrecht, Die Frankfurter Schule in der Geschichte, S. 524–527. – Zu den Beziehungen Mitscherlichs zu Vertretern der Frankfurter Schule vgl. Berger, Zur ‚Biographie‘, insbesondere S. 352–357. 187 Die Veränderung in der Haltung Horkheimers und Adornos gegenüber der Psychoanalyse zwischen den 1930er- und den 1960er-Jahren sowie etwa auch die bisweilen kritische Distanz zwischen Mitscherlich und Adorno/Horkheimer spielten in der Außenwahrnehmung der Frankfurter Schule – als Ort der Integration von Psychoanalyse, materialistischer Gesellschaftsanalyse und Vergangenheitsbewältigung – kaum eine Rolle. Zur veränderten Haltung Horkheimers und Adornos zur Psychoanalyse nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Badré, Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, S. 156–160. 188 Moser beschreibt die stark emotional geprägte Rezeption von Mitscherlichs Buch etwa folgendermaßen: „Als Ursache der auch von Mitscherlich beklagten Wirkungslosigkeit des Buches könnte dabei die apodiktische Moral eine Rolle gespielt haben, die die Rezeption weniger auf ein wissenschaftliches als auf ein publizistisch-polemisches Terrain geführt hat. So war das Buch vermutlich auch als eine aufrüttelnde Beschwörung im Sprachgewand der Psychoanalyse gedacht gewesen, was dazu führte, daß es für die Achtundsechziger zur Kampfschrift werden konnte und auf der Gegenseite bis heute zu gehässigen, drohenden oder geradezu unflätigen Angriffen führte.“ Moser, Derealisierung als Abwehr, S. 69–70. – Vgl. auch Peisker, Vergangenheit, S. 183–185. 189 Vgl. Schelsky, Ortsbestimmung, S. 20–22.
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ßen als eine Art Synthese der widerstreitenden beiden anderen Positionen aufgefasst werden kann.190 Schelsky will seine ganzheitliche Theorie der Gesellschaft mit einem empirischen Forschungsansatz verbinden. Aufgabe der empirischen Sozialforschung sei die Beschreibung der sozialen Wirklichkeit, und zwar ohne sich dabei ideologischen Gesinnungen, welcher Art auch immer, zu beugen. Das Bedürfnis nach dieser Art von empirischer Sozialforschung nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland wird von Schelsky folgendermaßen beschrieben: „Der Aufschwung der empirischen Soziologie nach 1945 in Westdeutschland bezieht seine Geltung vor allem aus einem antiideologischen Realitäts- und Orientierungsbedürfnis (...) Das Bedürfnis, die eigenen Tat- und Denkbestände in Formen und Methoden zu überprüfen, die einer unmittelbar persönlichen Erfahrung möglichst angenähert sind und universale Gesamtdeutungen in ihrer Ideenverführung möglichst vermeiden, entspringt aus dem Schicksal des deutschen Volkes gegenwärtig als ein Grundverlangen seines sozialen Bewußtseins. Es muß verstanden werden aus den Orientierungsbedürfnissen nach einer sozialen und politischen Katastrophe, die unsere Gesellschaft bis in die Grundfesten erschüttert, alle gewohnten sozialen Beziehungen geradezu umgestülpt hat und in ihren Ursachen auf ideologische Verkennung der Wirklichkeit und Ideenbetrug zurückgeführt werden muß.“191 Über die gesellschaftlich anzustrebenden Ziele könne die Soziologie als empirische Erfahrungswissenschaft nichts aussagen und ebenso wenig könne die empirische Sozialwissenschaft die Verwendung ihrer Forschungsergebnisse vonseiten der Vertreter der politischen Praxis kontrollieren. Was sie jedoch tun könne, sei der Versuch, gesellschaftliche Erkenntnis jenseits der Primärerfahrungen der Akteure anzustreben, also eine „entsubjektivierte Beschreibung der sozialen Wirklichkeit“.192 Die empirischen Fakten sollten dabei aus Sicht einer transzendentalen Theorie der Gesellschaft verstehend gedeutet und verarbeitet werden, wodurch eine ganzheitlichere Erkenntnis möglich und dem häufig gegenüber empirischer Forschung erhobenen Vorwurf, eine bloße Verdoppelung der Realität zu betreiben, entgegengetreten werden könne.193 Ziel Schelskys war letztlich die Überprüfung bzw. Kritik des soziologischen Weltverständnisses und seiner Handlungstheorie auf Basis einer philosophischen Anthropologie, die gerade auch die biologische Verfasstheit des Menschen bei der Analyse sozialer Handlungsformen und kultureller Gebilde beachtet.194 „Die Grenzen des soziologischen Denkens zu bestimmen, heißt seine Voraussetzungen in dem Sinne aufzuweisen, daß das gesamte Welt- und Seinsverständnis der soziologischen Denkprinzipien und Kategorien offenbar, einsichtig und damit kritisch distanzierbar wird.“195 Diese Aufgabe, die Grundlagen soziologischer und damit auch empirischer Forschung zu reflektieren, kann aus Sicht Schelskys nur von einem Standpunkt außerhalb der Soziologie vorgenommen werden.196 Die von Schelsky vorgelegte meta-soziologische, philosophisch-anthropologische Reflexion der sozialen Bedingungen menschlicher Existenz und der Erkenntnis derselben wurde u. a. von
190 Vgl. Matthes, Soziologie, S. 221. 191 Schelsky, Ortsbestimmung, S. 55–56. 192 Schelsky, Ortsbestimmung, S. 77; – vgl. auch Schelsky, Ortsbestimmung S. 64–65, S. 68, S. 75. – Zum mit der empirischen Forschung aus Sicht Schelskys notwendigerweise verbundenen ‚Wertfreiheitsanspruch‘ vgl. S. 125. 193 Vgl. hierzu auch Schelsky, Ortsbestimmung, S. 83. 194 Vgl. Schelsky, Ortsbestimmung , S. 91–92, S. 95–96. – Vgl. auch Sahner, Theorie und Forschung, S. 37–47. 195 Schelsky, Ortsbestimmung, S. 96. 196 Vgl. Schelsky, Ortsbestimmung, S. 98–99.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Ralf Dahrendorf heftig kritisiert.197 Trotz seines durchaus umstrittenen Ansatzes und seines späteren Rückzugs auf eine als ‚Antisoziologie‘ titulierte Kritik an den Fehlentwicklungen des Faches gehörte Schelsky – unter anderem durch seine extensiv betriebene Habilitationspraxis – zu jenen Nachkriegssoziologen, die wesentlichen Anteil am institutionellen Ausbau der Soziologie hatten.198 Zwischen den drei Schulengründern bestand eine Hauptkonfliktlinie (die vor allem ab dem Soziologentag 1959 virulent wurde)199 in der Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Empirie, wobei auch Schelsky, trotz oder gerade wegen seiner Zwischenposition, von den beiden anderen Schulen Kritik erfuhr. Adorno hielt dem Theorieverständnis Schelskys, ebenso wie jenem Königs, entgegen, dass reine Empirie nie die Basis theoretischer Systeme sein könne, da die jeder empirischen Forschung zugrundeliegenden theoretischen Positionen solcherart verschleiert würden.200 Schelskys Versuch einer theoretischen, anthropologischen Fundierung der soziologischen Perspektive trat aus Sicht Adornos also durch die gleichfalls bei Schelsky vorhandene Wertschätzung der empirisch-analytisch betriebenen Soziologie (und der damit aus Sicht Adornos stets verbundenen Gefahr der bloßen Affirmation bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse) in den Hintergrund. Für König wiederum waren die theoretischen Bezüge Schelskys, ebenso wie jene Adornos, vor dem Hintergrund seiner erfahrungswissenschaftlichen Konzeption von Soziologie unhaltbar, zumal er Schelsky gegenüber auch „stets einen gewissen Dilettantismus im Einsatz des Methodenapparates der empirischen Sozialforschung vorzuwerfen geneigt war.“201 Im Zuge des sogenannten Positivismusstreites fanden die grundlegenden Differenzen der Schulen über das Verhältnis von Empirie und Theorie sodann eine auch öffentlich wahrgenommene Zuspitzung.202 In den 1970er-Jahren kam es durch den Einzug einer jüngeren Generation von Fachvertretern und -vertreterinnen in die Hochschulen zu einer allmählichen Auflösung bzw. Diversifizierung dieser drei Schulen. Diese von verschiedenen Autoren vertretene Ansicht203 bezieht sich vor allem auf die Neuentdeckung der interpretativen bzw. phänomenologischen Soziologie, den Aufstieg der Systemtheorie sowie auch allgemein den Zuwachs jener Strömungen, die sich gegen ein strikt empirisch-nomologisches Wissenschaftsverständnis richteten, wobei sich dieses Nebeneinander sehr unterschiedlicher Theorien und Soziologieentwürfe auf Basis einer zahlenmäßig konsolidierten und mittlerweile institutionalisierten Disziplin offenbar friktionsfreier gestaltete als die Koexistenz der drei Schulen der ‚Gründergeneration‘ in den 1950er- und 1960er-Jahren. Die ‚neutralere‘ Theoriediskussion seit Mitte der 1970er-Jahre hatte, aus Sicht Kortes, auch Vorteile für die Professionalisierung des Faches, das nach Abebben der methodologischen Grundsatzdiskussionen nun in der Lage war, sich stärker auf verschiedene Praxisfelder zu konzentrieren.204 Während die Diskussion der methodolo-
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Vgl. Dahrendorf, Die drei Soziologien. Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 39; – Matthes, Soziologie, S. 228. Vgl. Albrecht, Wie das IfS zur Frankfurter Schule wurde, S. 178–181. Vgl. Matthes, Soziologie, S. 221, S. 226. Matthes, Soziologie, S. 221. Vgl. Albrecht, Wie das IfS zur Frankfurter Schule wurde, S. 183–184. Vgl. den Überblick bei Sahner, Theorie und Forschung, S. 113. – Vgl. auch Matthes, Soziologie, S. 222, S. 231. 204 Vgl. Korte, Einführung in die Geschichte, S. 214.
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gischen Unterschiede innerhalb des Faches in den Hintergrund trat, erlebte die Aufarbeitung der Fachgeschichte zwischen 1933–45 in den 1980er-Jahren, wie bereits erwähnt, einen Aufschwung, der teilweise sehr emotional gehalten war und als Wiederbelebung bzw. Fortsetzung des ‚Schulenzwistes‘ der Nachkriegszeit gelesen werden kann (wenn man etwa an die diesbezüglichen Aussagen Königs und Schelskys denkt, die sich als Zeitzeugen an dieser Diskussion beteiligten). Das Interesse für die Geschichte des eigenen Faches kann außerdem als Etablierungskennzeichen betrachtet werden – bis in die 1970er-Jahre hinein musste offensichtlich noch über Aufgaben und Grundlagen des Faches gerungen werden, demgegenüber die Beschäftigung mit der Fachgeschichte nur als sekundäres Anliegen erschien. Erst Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre konnten wissenschaftshistorische Interessen breiteren Raum innerhalb des Faches finden. Hinsichtlich der Zeit des Nationalsozialismus muss man außerdem die insgesamt lange Tabuisierung bedenken, die dieses Thema in der deutschen Öffentlichkeit erfahren hat. Erst durch die Generation der 1968er wurde eine entsprechende öffentliche Aufarbeitung – mit allen damit zunächst verbundenen Widerständen – forciert. Es verwundert nicht, dass auch innerhalb der Soziologie die Auseinandersetzung mit der Zeit zwischen 1933–45 erst spät systematisch in Angriff genommen wurde und die nach dem Zweiten Weltkrieg dominierenden Thesen hierzu erst in den 1980er-Jahren einer Überprüfung unterzogen wurden.205 Das Interesse an der Geschichte des eigenen Faches bezog sich jedoch nicht nur auf die Zeit des Nationalsozialismus. Seit Mitte der 1970er-Jahre kann auch ein verstärktes Interesse an einer Aufarbeitung der Leistungen der deutschsprachigen ‚Klassiker‘ der Soziologie festgestellt werden; hinzuweisen wäre etwa auf die ab 1976 erfolgende Erarbeitung der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke Max Webers206 und auf die 1976 erschienene, sich im Gegensatz zur früheren Auflage (1969) rasch verkaufende Taschenbuchausgabe von Elias’ Werk „Der Prozeß der Zivilisation“.207 Die Weber-Renaissance hatte freilich schon früher, mit dem Soziologentag 1964 unter dem Titel „Max Weber und die Soziologie heute“, einen ersten Höhepunkt erlebt. Eine systematische Elias-Rezeption setzte hingegen erst in den 1970er-Jahren ein208 und führte schließlich ab 1995209 auch zur (Neu-)Bearbeitung seines Schrifttums in einer Gesamtausgabe. Ähnlich verhält es sich mit Georg Simmel, dessen Werk vor allem im Rahmen des neuen Interesses an der Kultursoziologie Interesse fand und seit 1988 als Gesamtausgabe210 herausgegeben wird.211
205 Hinzuweisen ist hier vor allem auf das 1981 erschienene entsprechende Sonderheft der Kölner Zeitschrift, vgl. Lepsius, Soziologie in Deutschland und Österreich. 206 Vgl. Käsler, Max Weber, S. 114. 207 Vgl. Korte, Norbert Elias, S. 160. 208 Zur Rezeptionsgeschichte von Elias vgl. Kilminster, Introduction, S. 213–215. 209 1995 konstituierte sich das Herausgebergremium der im Suhrkamp-Verlag erscheinenden Gesammelten Schriften von Norbert Elias. Vgl. http://www.norberteliasfoundation.nl/index_ND.htm (24.2.2006). 210 Vgl. http://www.simmel-gesellschaft.de/00_simmel/gsg.htm (28.2.2006). 211 Die Wiederentdeckung dieser Klassiker muss im Zusammenhang mit der Renaissance der historischen Soziologie der 1920er-Jahre in den letzten Dekaden gesehen werden. Zur Rezeptionsgeschichte der historischen Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Kruse, Historische Soziologie; – Acham, Historische Umbrüche, S. 559–562.
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4.4.2. Außeruniversitäre Etablierungsschritte Lepsius hebt die Bedeutung außeruniversitärer bzw. nur lose mit den Universitäten verbundener Forschungseinrichtungen in der Phase der ‚Neubegründung‘ der Soziologie zwischen 1950–55 hervor. Durch diese teilweise mit finanzieller Unterstützung der Siegermächte errichteten Institute wurde vor allem die Etablierung der empirischen Sozialforschung gefördert.212 Zu erwähnen wären die 1946 gegründete Sozialforschungsstelle Dortmund an der Universität Münster,213 das 1949 gegründete Institut für sozialwissenschaftliche Forschung in Darmstadt oder das UNESCO-Institut für Sozialwissenschaften in Köln (1951–58). Hinzu kamen auch diverse nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Meinungsforschungsinstitute wie etwa das Emnid-Institut in Bielefeld (1945), das Institut für Demoskopie in Allensbach (1947) und das DIVO in Frankfurt (1951), die der ersten Nachkriegsgeneration von Soziologen und Soziologinnen Möglichkeiten der Erfahrungssammlung und Berufsperspektiven boten.214 Die ‚Erfolgsgeschichte‘ der empirischen Sozialforschung nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelt sich auch in der Gründung von zum Teil durch die öffentliche Hand finanzierten Einrichtungen wider, die vor allem Koordinations- und Informationsaufgaben für die wachsende Zahl von mit empirischer Forschung beschäftigten Institutionen übernehmen sollten. Mit der Errichtung des Zentralarchiv für empirische Sozialforschung (ZA) im Jahr 1960 (zunächst als Einrichtung der Universität Köln geführt, ab 1986 getragen von der Kölner Gesellschaft für Sozialforschung e. V.)215 wurde eine Reihe von Aktivitäten eingeleitet, die einer besseren Vernetzung empirischer sozialwissenschaftlicher Forschungen im deutschen Sprachraum dienen sollten: 1969 folgte das Informationszentrum Sozialwissenschaften (IZ) in Bonn,216 1974 schließlich das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA)217 in Mannheim. 1986 wurden diese drei Institute zu Gründungsmitgliedern der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e. V. (GESIS), welche die Aktivitäten zur Förderung und Intensivierung der sozialwissenschaftlichen Forschung im deutschen Sprachraum noch besser koordinieren sollte. Die Servicefunktion der GESIS wird von staatlicher Seite (von Bund und Ländern) in Deutschland gefördert.218 An der Struktur dieser Institute und Dachinstitute wird deutlich, dass die empirische Forschung neben den Universitäten stets auch Schnittstellen zu außeruniversitären Forschungsinstituten und zur Politik aufgewiesen hat bzw. aufweist.
212 Zu den Erwartungen der Siegermächte – insbesondere der Amerikaner – im Hinblick auf die Rolle der Soziologie im Prozess der Re-Education vgl. Korte, Einführung in die Geschichte, S. 188. Zu den im Rahmen der Re-Education in Deutschland nach 1945 von den Amerikanern geplanten Aktivitäten vgl. auch Gerhardt, Soziologie der Stunde Null, S. 71–137. 213 Schelsky wies auf die – von Lepsius nicht erwähnten – Aktivitäten des Deutschen Gewerkschaftsbundes und einiger Industrieunternehmen hin, die die Errichtung der Sozialforschungsstelle Dortmund maßgeblich unterstützen. Vgl. Schelsky, Rückblicke, S. 49. – Vgl. zur Gründungsgeschichte der Sozialforschungsstelle auch Weyer, Westdeutsche Soziologie, insbesondere S. 207–214. 214 Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 34–35. – Zur Bedeutung außeruniversitärer Institutionen und Forschungseinrichtungen für die Etablierung der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. auch Rammstedt, Formierung und Reformierung, S. 265–267. 215 Vgl. http://www.gesis.org/Organisation/ZA/zainfo.htm (16.2.2006). 216 Vgl. http://www.gesis.org/Organisation/IZ/ueber_das_iz.htm (16.2.2006). 217 Vgl. http://www.gesis.org/Organisation/ZUMA/zuma_uebersicht.htm (16.2.2006). 218 Zur Entwicklung der GESIS vgl. auch Mohler, Zapf, GESIS, S. 255–257.
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In Österreich wurde 1954 die Sozialwissenschaftliche Forschungsstelle der Universität Wien gegründet, deren Arbeiten teilweise auch durch Finanzierung öffentlicher Stellen ermöglicht wurden.219 Bereits 1952 war das Institut für kirchliche Sozialforschung (IKS) gegründet worden, das sich als eine der ersten Institutionen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg mit demographischen und empirisch-soziologischen Studien beschäftigte und dabei auch „Hinweise für praktisch-gesellschaftliche Maßnahmen – vorwiegend, aber nicht ausschließlich im kirchlichen Bereich“ anstrebte.220 Die vom IKS, aber auch von anderen Einrichtungen der empirischen Sozialforschung (etwa dem 1957 gegründeten Institut für Raumplanung)221 durchgeführten Arbeiten zeigen auch in Österreich die für das Nachkriegsdeutschland als typisch skizzierte Verzahnung empirischer Forschungseinrichtungen mit der Politik und anderen gesellschaftlichen Institutionen.222 Zu den außeruniversitären Entwicklungsschritten der Soziologie gehört auch die Entstehung weiterer Interessensvertretungen. In den 1950er-Jahren entstanden in Österreich und der Schweiz derartige Organisationen: 1950 die ÖGS und 1955 die SGS. Beide Gesellschaften verstanden sich als allgemeine Interessens- und Berufsverbände, die die Soziologie sowohl in wissenschaftlicher als auch in berufspolitischer Hinsicht vertreten wollten. Die DGS hingegen hatte sich von Anfang an stärker als wissenschaftliche Vereinigung verstanden. Daher kam es 1976 auch zur Gründung des Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen, der nun explizit die Vertretung der beruflichen und berufspolitischen Interessen der Absolventen und Absolventinnen soziologischer und verwandter Studienrichtungen anstrebte und sich somit ein Aufgabenfeld jenseits des von der DGS wahrgenommenen setzte.223 1976 könnte insofern als eine Wegscheidemarke im Hinblick auf die fortschreitende Professionalisierung der Soziologie, im Sinne der Entwicklung und Vertretung außeruniversitärer Berufsrollen, angesehen werden.224
219 Vgl. Rosenmayr, Soziologie gestern und heute, S. 5. Zur Bedeutung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Bereich der empirischen Sozialforschung im Österreich der Nachkriegszeit vgl. Höllinger, Empirische Sozialforschung, S. 403–405. 220 Vgl. Rosenmayr, Die Institutionalisierung, S. 48. 221 Vgl. Rosenmayr, Die Institutionalisierung, S. 61. 222 Vgl. hierzu auch Rosenmayr, Die Institutionalisierung, S. 53–59. – Zur prägenden Wirkung des Katholizismus auf die Nachkriegssoziologie in Österreich vgl. auch Mozetič, Soziologische Theorie, S. 378. 223 Vgl. http://www.bds-soz.de/Ziele_und%20Aufgaben.html (2.9.2003). 224 Bereits 1962 war der Berufsverband deutscher Marktforscher gegründet worden, der 1980 in Berufsverband deutscher Markt- und Sozialforscher umbenannt wurde. Die Vorläuferorganisationen dieses zunächst im engeren Sinne auf die kommerzielle Marktforschung ausgerichteten Verbandes reichen bis in das Jahr 1955 zurück und sollten zunächst der kontinuierlichen Weiterbildung und dem Erfahrungsaustausch dienen. Vgl. http://www.bvm.org/user/kongess2005/presse/pressemappe_bvm_trend_monitor.pdf (16.2.2006). Allmählich wurde die Arbeit dann im Sinne einer beruflichen Interessensvertretung umgewandelt. Auch diese Aktivitäten im Bereich der Marktforschung, eines jener Praxisfelder, die viele Soziologieabsolventen und -absolventinnen seit dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen haben, können als Schritt zur Professionalisierung der Soziologie in Deutschland gesehen werden. Dieser Berufsverband strebt heute übrigens explizit auch die Vertretung der in der Schweiz bzw. Österreich ansässigen Marktforscher und -forscherinnen an und ist vor allem an Fragen der Qualitätssicherung im Bereich der Markt- und Sozialforschung interessiert. Vgl. http://www.bvm.org/Profil_12_0_0.html (16.2.2006). Im Hinblick auf die Professionalisierung der Soziologie stellt aber sicherlich die Gründung des explizit auf diese Disziplin ausgerichteten Berufsverbandes im Jahr 1976 einen wichtigeren Schritt dar.
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Viele der außeruniversitären Institutionen und Gesellschaften im Bereich der deutschsprachigen Soziologie weisen eine organisatorisch durchaus unterschiedlich gestaltete Verzahnung mit der universitären Soziologie auf (reichend von lediglich einzelnen Personen, die sowohl in der Universität als auch im Berufsverband verankert sind, bis hin zu einem programmatischen Wirkungsbereich, der sich sowohl auf universitäre als auch außeruniversitäre Forschung bezieht).225 Die von diesen außeruniversitären, aber häufig mit den Hochschulen verbundenen Institutionen erbrachten Aktivitäten zur Etablierung des Faches nach dem Zweiten Weltkrieg dürfen in einer Darstellung der Fachentwicklung nicht vernachlässigt werden. Hinzuweisen wäre etwa auf die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e. V. im Vorfeld der Errichtung von Studiengängen in den 1950er-Jahren.226 Lüschen stellte 1979 einen relativ hohen Anteil öffentlicher Mittel für Sozialforschung fest, die der Soziologie zugutekommen. „Die günstigen Verhältnisse in der Forschungsförderung sind offenbar auch dadurch bedingt, daß es unabweisbare soziale Probleme gibt, die ohne das Forschungspotential der Soziologie nicht bewältigt werden können, und daß die Disziplin schließlich in wichtigen Forschungsgremien und Ausschüssen mit ihren besten und kompetentesten Kräften gut vertreten ist.“227 Diese auf die öffentlich nützliche Rolle der empirischen Sozialforschung abzielende Wertschätzung der Soziologie – die fachintern keineswegs unumstritten war, wie die Diskussionen im Umkreis der Frankfurter Schule zeigten – kann als Beweis ihrer außeruniversitären Etablierung in den 1970er-Jahren herangezogen werden. Nicht zuletzt schlug sich dieses öffentliche Interesse an Sozialplanung auch in außeruniversitären Stellen für Soziologen in der städtischen oder regionalen Verwaltung nieder. Auch in Österreich äußerte sich das öffentliche Interesse an der Soziologie in der Gründung außeruniversitärer, jedoch auch mit der Universität verzahnter Organisationen (so etwa, wie bereits erwähnt, 1963 in der Gründung des Institutes für Höhere Studien und Wissenschaftliche Forschung in Wien, in dem neben anderen Sozialwissenschaften auch die Soziologie eine Verankerung in einer explizit auf bereits Graduierte ausgerichteten Ausbildungsinstitution fand).228
4.4.3. Die Geschichte der ausgewählten soziologischen Fachzeitschriften Für die Analyse der deutschsprachigen Nachkriegssoziologie im Hinblick auf die Beachtung der Emotionsthematik wurden die Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, die Soziale Welt und die Zeitschrift für Soziologie ausgewählt. Ich gehe davon aus, dass diese Zeitschriften geeignet sind, den mainstream der deutschsprachigen Soziologie widerzuspiegeln,229 und habe daher auf den Einbezug anderer Organe (etwa der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie oder der Schweizer Zeitschrift für Soziologie) verzichtet. Hinzu kommt,
225 Als Beispiel hierfür verweise ich auf die Selbstdarstellung der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e. V. vgl.: http://www.gesis.org/asi/asi1.html (15.2.2006). 226 Vgl. http://www.gesis.org/asi/info/institutionalisierung.html (15.2.2006). 227 Lüschen, Anmerkungen, S. 9. – Zum öffentlichen (vor allem politischen) Interesse an der Soziologie in den 1950er- und 1960er-Jahren vgl. auch Schelsky, Rückblicke, S. 44. 228 Vgl. Knorr, Haller, Zilian, Sozialwissenschaftliche Forschung, S. 19. 229 Zum unumstrittenen Status der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie und der Sozialen Welt als wichtigste deutschsprachige, soziologische Fachzeitschriften in den 1960er-Jahren vgl. auch Anger, Scherer, Tendenzen, S. 150.
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dass diese Auswahl Vergleiche mit den früheren Arbeiten von Krekel-Eiben,230 Sahner231 und Lüschen232 ermöglicht, in denen eine Nachzeichnung der thematischen Schwerpunkte der deutschen Nachkriegssoziologie vorgenommen wurde – allerdings ohne den Fokus speziell auf die Behandlung der Emotionen zu richten. Es soll zunächst die Geschichte der Fachzeitschriften kurz dargestellt werden, bevor anhand ausgewählter Publikationen die inhaltliche Entwicklung der durch die Fachzeitschriften repräsentierten deutschsprachigen Nachkriegssoziologie umrissen wird. Die Kölner Vierteljahreshefte für Sozialwissenschaften (ab 1923 Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie) wurden ab 1921 von Leopold von Wiese und Hugo Lindemann herausgegeben.233 Im Mittelpunkt der Hefte stand von Anfang an eine Konzeption der Soziologie als theoretische Wissenschaft, die sich von der reinen Sozialpolitik abzugrenzen habe. Von Wiese ordnete die Zeitschrift damit jenem Lager im Verein für Sozialpolitik bzw. in der DGS zu, das im Rahmen des Werturteilsstreites für eine stärkere Abstinenz der Soziologie von politischen Fragen eingetreten war. Die Grundlagen des Faches Soziologie sollten in den Vierteljahresheften diskutiert werden. Über die Person von Wieses waren die Vierteljahreshefte sowohl mit der DGS als auch mit dem in Köln gegründeten Forschungsinstitut verknüpft. In der Gründung des Institutes hatte sich das wachsende öffentliche Interesse an der Soziologie widergespiegelt. Bei der Gestaltung des Institutes spielten, zumal es von öffentlicher Seite forciert und finanziert wurde, auch politische Fragen bzw. Positionen eine Rolle. Man war allerdings darauf bedacht, das Institut nicht durch eine einzige politische Richtung dominieren zu lassen, weshalb auch eine Dreiteilung der Institutsaufgaben beschlossen wurde. Die Leiter der drei Abteilungen waren unterschiedlichen politischen Lagern zuzurechnen. Von Wiese vertrat die liberale Position und leitete die Abteilung für Soziologie. Lindemann war der sozialdemokratischen Position zuzurechnen und vertrat im Institut die sozialpolitische Abteilung, während Scheler die Position des Zentrums vertrat und die sozialrechtliche Abteilung leitete. Das öffentliche Interesse an der Soziologie, das auch die Institutsgründung ermöglicht hatte, fand zunächst kaum eine Ergänzung im universitären Bereich. Die Soziologie hatte hier lediglich eine Randposition inne, und die Auseinandersetzung um den wissenschaftlichen Status dieses Faches mit den traditionellen Fächern war zu Beginn der 1920er-Jahre noch nicht abgeschlossen. Die durch von Wiese festgelegte theoretische Orientierung der Vierteljahreshefte sollte einerseits den wissenschaftlichen Stellenwert der Soziologie untermauern und andererseits wohl auch einen Ausgleich zur eher anwendungsbezogenen Orientierung des Institutes darstellen. Es muss allerdings daraufhin gewiesen werden, dass von Wiese über die Zeitschrift hauptsächlich seine eigene theoretische Konzeption von Soziologie als allgemeinen Standard für das Fach verbreiten wollte. 1934 mussten die Vierteljahreshefte ihr Erscheinen einstellen und wurden erst 1949 als Kölner Zeitschrift für Soziologie wieder gegründet. Von Wiese, der auch maßgeblich an dieser zweiten Gründung beteiligt war, wollte nach dem Zweiten Weltkrieg durch die
230 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften. 231 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung. 232 Vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie; – Lüschen et al., Die Entwicklung der deutschen Soziologie. 233 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 77–80.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Zeitschrift eine neuerliche Verklammerung von Forschungsinstitut und DGS herstellen. Die theoretische Orientierung wurde ebenfalls beibehalten und erst 1950/51 durch eine Rubrik „Soziologisches Laboratorium“, die sich stärker anwendungsbezogenen Problemen widmete, ergänzt. Ab 1955 übernahm René König die Herausgabe der Zeitschrift. Er bewirkte nicht nur eine Titeländerung in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, sondern veränderte auch das Grundkonzept des Journals. Die inhaltliche Dominanz der beziehungswissenschaftlichen Von-Wiese-Schule wurde gebrochen und die Zeitschrift einem breiten Spektrum theoretischer Positionen geöffnet. Daneben sollte auch der empirischen Sozialforschung ein größerer Raum innerhalb der Zeitschrift eingeräumt werden. Während von Wiese noch eine Vereinheitlichung der soziologischen Perspektive angestrebt hatte, wurde von König eine stärkere Öffnung des Faches betrieben, was sich auch in der vermehrten Publikation von Artikeln zu sogenannten Bindestrich-Soziologien, aber auch zur Sozialpsychologie oder Psychoanalyse niederschlug.234 König, aus dessen Sicht es unmittelbar nach dem Krieg durchaus sinnvoll war, an die Tradition der Weimarer-Soziologie anzuknüpfen, hat den Richtungswechsel der Zeitschrift in seinem Herausgebervorwort des Jahres 1955 folgendermaßen angekündigt: „Damit ist der Moment gekommen, da sich die soziologische Produktion in Deutschland von ihren früheren Leistungen und Leitideen in den zwanziger Jahren trennen kann und wohl auch trennen muß, wenn nicht die unterdessen aufgegangenen neuen Keime und Ansätze in ihrer originellen Entwicklung doch recht empfindlich beeinträchtigt werden sollen. (...) Wenn wir auf die Situation der zwanziger Jahre zurückschauen, die durch einen ausgesprochenen Neo-Hegelianismus charakterisiert war und genau wie die alte Hegelnachfolge des vorigen Jahrhunderts in eine Rechte und eine Linke zerfiel, etwa bezeichnet durch die mehr oder weniger aufgezwungene Wahl zwischen Wilhelm Dilthey und Karl Marx, so können wir heute durchaus sagen, daß sich unsere Diskussion jenseits dieser Antinomie bewegt, die durch den Nationalsozialismus und den Krieg zerschmolzen und verbrannt worden ist. Hier führt die formale Soziologie nicht mehr weiter, die doch an sich der Ausdruck eines Strebens nach Gleichgewicht zwischen den beiden radikalen Entscheidungen von Rechts und von Links gewesen war. Im Augenblick nämlich, da diese Antinomie wegfällt, verschwindet auch jeder tiefere Grund für eine formale Soziologie im alten Sinne. Dagegen erhebt sich eine neue Möglichkeit, nämlich die anfallenden Probleme zunächst durch die Tat zu lösen, das heißt durch die unmittelbare empirische Sozialforschung, die jenseits aller systematischen Aporien auf das Nächstliegende zurückgreift. Es gibt wohl keine Leitidee, die wir lieber aufnehmen möchten als diese, die ebenfalls am Ende der zwanziger Jahre zum ersten Male bedeutsam lebendig geworden war. Ihr entspricht die Einsicht, daß es an realen und brennenden Problemen im Nachkriegs-Deutschland wahrhaftig nicht mangelt.“235 (Hervorhebung im Original) Bei aller Betonung der empirischen Forschung vernachlässigt König die theoretische Fundierung einer solchen nicht völlig, er erwartet diese aber weniger von der bisherigen deutschen Tradition, sondern eher von einer strukturfunktionalistischen Theorie im Sinne Talcott Parsons’.236 Seit 1972 wurde Königs Herausgebertätigkeit durch die Mitarbeit von Günter Albrecht, Fritz Sack und Alphons Silbermann ergänzt, ab 1978 trat
234 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 80. – Vgl. auch König, Vorbemerkung, S. 3–4. 235 König, Vorbemerkung, S 1–2. 236 Vgl. König, Vorbemerkung, S. 3.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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dann Friedhelm Neidhardt als Koherausgeber neben König, und ab 1979 weist die Zeitschrift jeweils drei Herausgeber auf. Es wurde dadurch auch die enge Koppelung der Zeitschrift an das Kölner Institut gelockert, was zur weiteren inhaltlichen Öffnung des Journals beitrug. Die Soziale Welt, die 1949 erstmals erschien, war ebenfalls sehr eng an außeruniversitäre Forschungsinstitute gekoppelt, nämlich an die Sozialforschungsstelle Dortmund an der Universität Münster und an die Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e. V. Das Grundkonzept der Sozialen Welt unterschied sich jedoch sehr von der anfangs eher theoretisch orientierten Kölner Zeitschrift. Otto Neuloh, als einer der Initiatoren der Zeitschrift, forderte von Anfang an einen engen Bezug zur Praxis, was sich auch im ersten Untertitel der Zeitschrift widerspiegelte: Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis des sozialen Lebens.237 Die Zeitschrift entsprach damit der allgemeinen Orientierung der deutschen Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg, die vor allem die Nützlichkeit dieser Wissenschaft für die Lösung sozialer Probleme betonen und bewusst ideologische Debatten vermeiden wollte. Die Zeitschrift wandelte erst ab 1956 allmählich ihre Orientierung, indem in ihr nun vermehrt auch theoretische Artikel abgedruckt wurden. Ab 1961 übernahm Helmut Schelsky die Herausgeberschaft und wandelte den Untertitel in Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis um. Während in den ersten Jahren der Zeitschrift nicht nur soziologische Artikel erschienen waren, erhielt die Zeitschrift nun stärker den Charakter eines Fachorgans. Im Vordergrund standen nicht mehr soziale Probleme allgemein, sondern soziologische Erörterungen dieser Probleme. In den 1970er-Jahren wurde die Fachorientierung noch stärker, indem nun verschiedene soziologische Theorien diskutiert und auch den Methoden der empirischen Sozialforschung ein breiterer Raum gegeben wurde.238 Seit 1980 hat auch die Soziale Welt jeweils zwei Herausgeber. Die Zeitschrift für Soziologie erschien erstmals 1972, in einer Phase, in der die Soziologie bereits an den Universitäten Fuß gefasst und eine Vermehrung von Soziologieprofessuren eingetreten war. Damit einher ging auch eine wachsende Bedeutung der Soziologie im universitären und außeruniversitären Bereich. Für den akademischen Bereich sollte die Zeitschrift ein offenes Forum bieten, das nicht durch eine einzige Schule dominiert wird, sondern in dem unterschiedliche theoretische Ansätze diskutiert werden können. Für den außeruniversitären Bereich kam der Zeitschrift eine besondere Aufgabe zu: Für die wachsende Zahl von Absolventen und Absolventinnen mussten Praxisfelder erschlossen werden. Die Zeitschrift sollte diese Professionalisierung der Soziologie begleiten. Die Mitarbeiter und Gründungsmitglieder der Zeitschrift rekrutierten sich hauptsächlich aus der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld. Da diese teilweise aus der Sozialforschungsstelle Dortmund hervorgegangen war, die ein enges Naheverhältnis zur Sozialen Welt aufwies, waren auf diese Weise auch die beiden Zeitschriften anfangs personell verzahnt.239 Die Zeitschrift für Soziologie verfolgte von Beginn an die Linie eines modernen Fachorgans. Um die Dominanz einer Schule zu vermeiden, wurde ein Herausgebergremium aus fünf Mitgliedern gebildet, die in diskursiver Verständigung über die Annahme oder Ableh-
237 Vgl. http://www.gesis.org/asi/info/institutionalisierung.html (15.2.2006). 238 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 80–82. 239 Zur Gründungsgeschichte der Zeitschrift für Soziologie vgl. auch Hirschauer, Winterhager, Die Zeitschrift für Soziologie, S. 100–102.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
nung von Beiträgen zu entscheiden hatten. Zudem wurde ein System externer Gutachter und Gutachterinnen eingerichtet, die die Qualität der eingereichten Arbeiten beurteilen sollten. Durch diese Maßnahmen sollten sowohl die theoretische und empirische Vielfalt der Zeitschrift als auch die wissenschaftliche Qualität der Beiträge gesichert werden.240
4.4.4. Die thematische Entwicklung der deutschsprachigen Nachkriegssoziologie in den Fachzeitschriften Mittlerweile liegen einige Arbeiten (zum Beispiel von Krekel-Eiben, Sahner, Lüschen et al., Schoepflin/Härtel und Best/Ohly) zur thematischen Entwicklung der deutschsprachigen Fachzeitschriften vor, die unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Datensätze und Quellenmaterialien versuchen, so etwas wie den Wandel der ‚kognitiven Gestalt‘ der Disziplin nachzuzeichnen. Jenseits der Detailunterschiede zwischen den Studien ergibt sich ein relativ übereinstimmendes Bild der allgemeinen Entwicklungstendenzen der deutschsprachigen Soziologie im Verlauf der Nachkriegszeit, das im Folgenden kurz skizziert werden soll.241 Ab Mitte der 1950er-Jahre setzte eine stärkere Fachorientierung der Zeitschriften ein – sowohl die Kölner Zeitschrift als auch die Soziale Welt entwickelten sich in dieser Zeit zu Organen, in denen die theoretische und empirische Breite des Faches wissenschaftlich diskutiert wurden. Von Wiese hatte sich zwar vorher bereits bemüht, der Soziologie eine einheitliche wissenschaftliche Richtung zu geben, hatte hierbei jedoch die Vielfalt des Faches (insbesondere seine Anwendungsgebiete) vernachlässigt. Die Soziale Welt hatte sich andererseits bis in die 1950er-Jahre nicht auf soziologische Themen im engeren Sinne konzentriert und konnte von daher nicht als Fachorgan gewertet werden. Der Etablierungsprozess der Soziologie als Disziplin dürfte, wie die Geschichte der Fachzeitschriften zeigt, ab Mitte der 1950er-Jahre forciert worden sein. Die folgende Zeit war gekennzeichnet durch Beiträge, die den Gegenstandsbereich und die adäquate Methodik der Disziplin diskutierten. KrekelEiben stellt ein Sinken des Anteils der Speziellen Soziologien in den Zeitschriften zwischen 1959–1969 fest, wobei festzuhalten ist, dass der Anteil von Artikeln, die sich mit dem Bereich der Bindestrich-Soziologien bzw. mit konkreten Anwendungsbereichen der Soziologie beschäftigten, ihren Berechnungen zufolge im gesamten Zeitraum nie unter 60 % sank. Die von Krekel-Eiben zur Kategorie Spezielle Soziologien gerechneten Artikel enthalten auch genuin nicht-soziologische Erfahrungs- und Praxisberichte, was insbesondere in den 1950erJahren eventuell eine leichte Verzerrung des Bildes der deutschen Soziologie als zunächst stark anwendungsbezogen bewirkt haben kann.242 Jedoch stellt auch Sahner für die frühen 1950er-Jahre eine starke Orientierung der Soziologie an angewandter Forschung fest, wes-
240 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 82–85. 241 Die Vergleichbarkeit der vorhandenen Studien ist in den Details nur bedingt gegeben. Die verwendeten Kategorien zur inhaltlichen Klassifikation der erschienenen Artikel (z. B. Methodologie, fachspezifische Grundlagen) sind zum Teil nicht deckungsgleich und es ist nicht sichergestellt, dass bei der Zuordnung der Artikel zu den verschiedenen Kategorien einheitlich vorgegangen wurde. Auf diese Weise kommen teilweise recht divergierende Einschätzungen des quantitativen Anteils einzelner Themengruppen an der Gesamtproduktion der deutschsprachigen Soziologie zustande. Außerdem wurden in den verschiedenen Studien jeweils unterschiedliche Zeiträume abgedeckt. 242 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 113–115.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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halb Krekel-Eibens Darstellung als zutreffend angesehen werden kann.243 „Der rückläufige Anteil spezieller Soziologie Anfang der 60er Jahre läuft parallel zu einem Anstieg in der Rubrik fachspezifische Grundlagen.“244 (Hervorhebung K. S.) Hierunter versteht Krekel-Eiben Artikel, die der Herstellung eines fachlichen Grundkonsenses gewidmet sind. „Die in der Kategorie spezielle Soziologie enthaltene Themenvielfalt wird auf einer speziellen Grundlage, ausgedrückt in der Definition ihrer Begriffe (allgemeine Soziologie), in der Bestimmung dem Fach angehöriger Personen (Klassiker) und über die Diskussion spezifischer soziologischer Forschungsmethoden (Methodologie) reduziert.“245 Die Diskussion der fachspezifischen Grundlagen im Zeitraum 1959–69 dürfte mit dem Positivismusstreit im Zusammenhang stehen.246 Diese Auseinandersetzung über die Frage, inwieweit die Soziologie lediglich eine objektive Beschreibung der sozialen Welt leisten oder auch Kritik an dieser üben solle, fand auch Eingang in die Fachzeitschriften. Das Abebben der Grundsatzdiskussion verlief parallel zum Anstieg der Studierendenzahlen des Faches Soziologie. Krekel-Eiben schildert diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Anwachsende Studentenzahlen in Haupt- und Nebenfach sowie eine partikular betriebene Soziologie, mit verschiedensten soziologischen Inhalten von Universität zu Universität machten eine Reduktion soziologischer Inhalte auf allgemein verbindliche Maßstäbe notwendig.“247 In den Fachzeitschriften spiegelte sich diese Entwicklung in einem Anstieg der Artikel mit methodisch-empirischer und theoretischer Orientierung wider.248 Diese Beobachtungen Krekel-Eibens werden teilweise durch die Arbeit von Schoepflin und Härtel bestätigt, die eine bibliometrische Analyse der deutschsprachigen Soziologie anhand der Datenbank SOLIS vorgenommen haben und hierbei einen Anstieg der Methodologieartikel zwischen 1965–70 und ein allmähliches Abflauen des methodologischen Themas von 1973 bis in die 1980er-Jahre feststellten.249 Auch Sahner konstatiert, nach den wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen der 1960er-Jahre, ab 1975 einen grundlegenden Wandel hinsichtlich der thematischen Ausrichtung der Fachzeitschriften, den er als Versuch, „eine Theoriediskussion in Gang zu bringen, die möglichst alle wichtigen theoretischen Modelle umfaßte“,250 beschreibt; auch die vorher polarisierend geführten Debatten wurden nun durch eine neutralere Diskussion der theoretischen Grundlagen und Differenzen zwischen den einzelnen Paradigmen abgelöst. Ab den 1980er-Jahren, nachdem die Etablierung der Soziologie an den Universitäten vollzogen war, begann aus Sicht Krekel-Eibens die Phase der Öffnung des Faches für neue Themen, was sich in einem erneuten Anstieg der Artikel zu Speziellen Soziologien (diesmal allerdings in einem stärker fachspezifischen Sinne)251 widerspiegelt.252
243 244 245 246
247 248 249 250 251 252
Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 138. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 115. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 115. Diese Einschätzung Krekel-Eibens deckt sich mit den Ergebnissen Sahners, der den Zeitraum 1960–70 als durch wissenschaftstheoretische Grundlagendiskussionen geprägt beschrieben hat. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 156. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 119. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 120–123. Vgl. Schoepflin, Härtel, Zur Geschichte der Soziologie, S. 570. Sahner, Theorie und Forschung, S. 152. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 138. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 121.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Hinzuweisen ist auf die vor allem anfänglich bestehende Dominanz einzelner Herausgeberpersönlichkeiten, die weitgehend die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschriften bestimmten. Erst in der Konzeption der Zeitschrift für Soziologie wurde durch die Fünfzahl der Herausgeber ein anderes Modell verfolgt. Sahner konnte jedoch zeigen, dass auch in dieser Zeitschrift inhaltliche Präferenzen des Herausgebergremiums ihren Niederschlag fanden. Zwischen 1972–80 stellt er bei einem Vergleich der abgelehnten und der angenommenen Artikel eindeutig höhere Diffusionschancen jener Artikel fest, die sich einem „naturwissenschaftlichen Paradigma verpflichtet fühlen“.253 Artikel mit interpretativer oder marxistischer Ausrichtung wurden in diesem Zeitraum, im Vergleich zur Zahl der eingereichten Artikel mit dieser Orientierung, eindeutig seltener publiziert. Artikel mit funktionalistischer oder systemtheoretischer Ausrichtung verfügten über wesentlich höhere Durchsetzungschancen. Der Grund hierfür könnte gerade in dem von der Zeitschrift verfolgten Gutachterprozess liegen. „Möglicherweise ist gerade dieses System für Innovationen – und der Untersuchungszeitraum ist ja durch einen Anstieg erst des marxistischen und dann des interpretativen Paradigmas gekennzeichnet – besonders undurchlässig. Ein Autor, der hinsichtlich Problemwahl, theoretischer Fundierung und Analyseverfahren von den etablierten Standards abweicht, bleibt in einem derartigen Netz eher hängen als bei einem einzelnen Herausgeber.“254 Als Beleg hierfür verweist Sahner auf seine Analyse der Kölner Zeitschrift und der Sozialen Welt, die im genannten Zeitraum durch eine „Dominanz des interpretativen und des marxistischen Paradigmas (Kritische Theorie, Historischer Materialismus)“255 gekennzeichnet gewesen seien. Arbeiten, die ein neues Paradigma vertraten, konnten sich bei diesen beiden Zeitschriften also offenbar leichter durchsetzen als im Begutachtungsprozess der Zeitschrift für Soziologie. Nachdem für die Kölner Zeitschrift und die Soziale Welt jedoch nur eine Analyse der veröffentlichten Artikel vorgenommen wurde und keine Informationen über die eingereichten Arbeiten vorliegen, könnte dieses sehr unterschiedliche Bild der Zeitschriften auch auf unterschiedliche Einreichquoten hinsichtlich der verschiedenen Paradigmen zurückgeführt werden. Möglicherweise wurden bei der Kölner Zeitschrift und der Sozialen Welt kaum Artikel funktionalistischer oder systemtheoretischer Ausrichtung von entsprechender Qualität eingereicht, was das Überwiegen der anderen Paradigmen erklären würde. Die hier angeschnittene Problematik zeigt jedenfalls die wesentliche Funktion von Herausgebern bzw. Herausgeberinnen und Gutachtern bzw. Gutachterinnen als gate-keeper – denn schon allein das Antizipieren ihrer möglichen inhaltlichen Präferenzen vermag eventuell aufseiten der Autoren und Autorinnen eine entsprechende Einreichpraxis zu bewirken. Dieser ‚vorauseilenden Anpassung‘ des Publikationsverhaltens kann auch die Anonymisierung der Manuskripte vor dem Begutachtungsprozess – die beispielsweise von der Zeitschrift für Soziologie ab 1992 eingeführt wurde, um den Verdacht der personenbezogenen Selektivität zu entkräftigen256 – nicht entgegenwirken. Will man das thematische Gesamtbild eines Faches nachzeichnen, ist es daher unumgänglich, mehrere Publikationsorgane zu analysieren, wie es Krekel-Eiben oder Sahner257 getan haben.
253 Sahner, Zur Selektivität, S. 87. 254 Sahner, Zur Selektivität, S. 89. 255 Sahner, Zur Selektivität, S. 89. – Vgl. hierzu auch Hischauer, Winterhager, Die Zeitschrift für Soziologie, S. 106–107. 256 Vgl. Hirschauer, Winterhager, Die Zeitschrift für Soziologie, S. 108. 257 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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Die von Krekel-Eiben getroffene Feststellung einer in den 1970er-Jahren feststellbaren Pluralisierung theoretischer Modelle vor dem Hintergrund einer Beruhigung der fachinternen Auseinandersetzungen258 findet in der Arbeit von Best/Ohly eine weitere Bestätigung. Der Zeitraum 1984–1991 war deren Einschätzung gemäß „gekennzeichnet durch eine Konsolidierung der Disziplin bei nachlassender Öffentlichkeitswirkung und einer Beruhigung innerdisziplinärer Konflikte.“259 Best und Ohly, die das thematische Profil von sechs deutschsprachigen Fachzeitschriften (darunter auch die von mir bearbeiteten) für den oben genannten Zeitraum erhoben haben, stellen eine zunehmende Ähnlichkeit – bei gleichzeitiger Ausweitung des Themenspektrums – der deutschsprachigen Fachzeitschriften fest.260 Die Autoren sind unschlüssig darüber, ob es sich bei diesem Prozess um einen „Prozeß professioneller Integration“ oder den „Ausdruck einer Entwicklung hin zu ‚postmoderner kultureller Anomie‘“261 handelt. Ich würde – auch im Lichte meiner eigenen Analysen – diesen Prozess einer tendenziellen Ähnlichkeit der in den Fachjournalen diskutierten Inhalte, bei einer Erweiterung der Bandbreite abgedeckter Themen, durchaus als Etablierungssignal deuten. Es wird seit Mitte der 1980er-Jahre offenbar nicht mehr als notwendig empfunden, sich über die Grundlagen des Faches zu verständigen, sondern eine zunehmend größere Zahl von Anwendungsgebieten wird einer soziologischen Perspektive unterzogen. Dieser – auch als Öffnung des Faches beschreibbare – Prozess erhöht, so meine These, auch die Chancen für bisher vernachlässigte Themen, Aufmerksamkeit im mainstream der Disziplin zu finden. In den bisher erörterten Studien wurde nur eine grobe Einteilung der untersuchten Zeitschriftenartikel getroffen, daher soll hier in Ergänzung auch noch die Arbeit von Sahner, der die publizierten Artikel zusätzlich gemäß ihrem paradigmatischen Ansatz klassifiziert hat, dargestellt werden. Sahner beschreibt ausführlich die von verschiedenen Autoren und Autorinnen vertretene These von der dominierenden Stellung dreier Schulen in der deutschen Nachkriegssoziologie (der mit dem Namen René Königs verbundenen Kölner Schule, der Frankfurter Schule unter Theodor Adorno und Max Horkheimer und der sich um Helmut Schelsky formierenden Schule), wobei er die mangelnde empirische Überprüfung dieser These der ‚Dreigestalt‘ der deutschen Soziologie bis in die 1980er-Jahre hinein kritisiert.262 In seiner eigenen Arbeit unterzieht Sahner daher die Artikel der drei Zeitschriften Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Soziale Welt und Zeitschrift für Soziologie einer näheren Analyse, mit dem Ziel der Kategorisierung der einzelnen Beiträge nach ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu einem der großen ‚meta-theoretischen Paradigmen‘ der deutschen Nachkriegssoziologie, wie er es nennt. Sahner stellt anhand der von ihm vorgenommenen Zeitschriftenanalyse einen deutlichen Rückgang der beziehungswissenschaftlichen Tradition Leopold von Wieses zwischen 1950–55 fest, was sich nach der Übernahme der Herausgeberschaft der Kölner Zeitschrift durch René König noch beschleunigt hat.263 Der Rückgang der Beziehungslehre in den zwischen 1950–55 erschienenen Artikeln wird als ein Indikator für den angeblichen Rückgang
258 259 260 261 262 263
Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 138. Best, Ohly, Entwicklungstendenzen, S. 582. Vgl. Best, Ohly, Entwicklungstendenzen, S. 583. Vgl. Best, Ohly, Entwicklungstendenzen, S. 588. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 26, S. 69. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 138–139.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
der geisteswissenschaftlichen Tradition in dieser Periode herangezogen. Hierzu wäre aus heutiger Sicht anzumerken, dass die Definition, was unter geisteswissenschaftlicher Tradition zu verstehen sei, explizit gemacht werden müsste. Gerade die Beziehungslehre scheint mit ihrem formal-klassifikatorischen Ansatz nicht unbedingt als Beispiel einer derartigen Orientierung geeignet zu sein.264 Erst wenn das Fehlen einer empirisch-anwendungsbezogenen Perspektive als Hauptindikator für die Zugehörigkeit einer soziologischen Strömung zur geisteswissenschaftlichen Tradition angesehen wird, wird die Aussage Sahners verständlich. Als weiteres Beispiel verweist Sahner auf die Entwicklung der Phänomenologie, bei der ebenfalls zwischen 1950–55 ein Rückgang zu verzeichnen ist. Bei allen Vorbehalten bezüglich der Frage, ob diese Entwicklungen einen allgemeinen Rückgang der geisteswissenschaftlichen Tradition widerspiegeln (es könnte auch sein, dass das Publikationsverhalten geisteswissenschaftlich orientierter Forscher und Forscherinnen sich eher den Monographien zugewandt hat), bleibt jedoch festzuhalten, dass in den Zeitschriften offenbar die traditionellen, d. h. vor dem Zweiten Weltkrieg aufgekommenen Strömungen ab 1950 weniger stark vertreten waren und allmählich durch neue Orientierungen ersetzt wurden. Insbesondere die Periode zwischen 1955–65 ist durch einen markanten Aufstieg des Struktur-Funktionalismus zu einem forschungsleitenden Paradigma gekennzeichnet.265 Allerdings handelte es sich bei diesem Aufstieg um keine dauerhaftere Etablierung des Struktur-Funktionalismus in den Zeitschriften, denn bereits zwischen 1965–70 wurde von Sahner eine allmähliche Zurückdrängung dieser Orientierung festgestellt, während die Kritische Theorie und marxistische Ansätze einen größeren Stellenwert in den Publikationsorganen einzunehmen beginnen als der Struktur-Funktionalismus.266 Umstritten ist die These der Amerikanisierung der deutschen Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg.267 Sahner schreibt etwa, dass sich der Struktur-Funktionalismus, und mit ihm ein an naturwissenschaftlichen Theorieidealen orientiertes Soziologieverständnis amerikanischer Prägung, in Deutschland durchgesetzt habe. Als wichtigster Förderer einer empirischen und praxisnahen Orientierung der deutschen Nachkriegssoziologie wird gemeinhin René König angesehen. Sahner ergänzt jedoch, dass der Aufstieg dieses Soziologieverständnisses bereits mit Helmut Schelskys praxisnaher Konzeption von Soziologie in den frühen 1950er-Jahren begonnen hat. Dieses Faktum wird auch durch die von Sahner durchgeführte Zeitschriftenanalyse bestätigt.268 Zu erwähnen wäre hier allerdings, dass Schelsky zwar ein praxisnahes Verständnis von Soziologie zu fördern beabsichtigte, dies jedoch nicht in einfacher Nachahmung der US-amerikanischen Soziologie zu erreichen versuchte, sondern eine Konzentration auf die Praxisprobleme der eigenen Gesellschaft forderte.269 Schelsky und König haben sich, jeder auf seine Art, also bereits sehr früh für die Etablierung einer empirisch ausgerich-
264 Zur Vielfalt der geisteswissenschaftlichen Tradition der 1920er-Jahre jenseits der Beziehungslehre, insbesondere im Hinblick auf die historische Soziologie vgl. Bock, Die Entwicklung, S. 168–174. 265 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 140. 266 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 146, S. 151. 267 Zum Folgenden vgl. auch Sahner, Theorie und Forschung, S. 133–148. 268 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 133, S. 138. 269 Vgl. Schelsky, Ortsbestimmung, S. 27–28. Schelsky warnte beispielsweise vor einem unreflektierten Anschluss an den Stand der Forschung in den USA: „In dieser Weise könnte die deutsche Soziologie innerhalb unserer Gesellschaft zu einem Instrument der Amerikanisierung, zumindest aber eines sozialen Konformismus zur amerikanischen sozialen Entwicklung werden und den belanglosen Provinzialismus einer Wissen-
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teten Soziologie eingesetzt. Nachdem wichtige Vertreter und Vertreterinnen der deutschsprachigen empirischen Sozialforschung unter dem Nationalsozialismus zur Emigration gezwungen worden waren und vor allem in den USA, deren Sozialwissenschaften von jeher durch ein offeneres Verhältnis zur empirischen Forschung gekennzeichnet waren, Aufnahme gefunden hatten, kommt es nicht von ungefähr, dass die Propagierung eines empirisch ausgerichteten Soziologieverständnisses in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als ‚Amerikanisierung‘ gedeutet wurde. Die europäischen Wurzeln der empirischen Sozialforschung wurden dabei allerdings häufig übersehen.270 Als Medium für den amerikanischen Einfluss auf die deutschsprachige Soziologie diente bereits recht früh die Soziale Welt, wie Sahner feststellt.271 In verschiedenen programmatischen Artikeln wird in dieser Zeitschrift Anfang der 1950er-Jahre die Orientierung an der amerikanischen Soziologie gefordert sowie einem stärkeren Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis das Wort geredet. Entsprechend waren in der Sozialen Welt auch anwendungsbezogene Themen der Speziellen Soziologien anfangs sehr stark vertreten. Bei der Orientierung an der amerikanischen Soziologie wurde nach Meinung Sahners allerdings durchaus selektiv vorgegangen, sodass das Bild der US-amerikanischen Soziologie anhand der deutschen Rezeption nur verzerrt nachgezeichnet werden kann.272 Skepsis über die tatsächliche Reichweite des Einflusses der US-amerikanischen Soziologie auf die deutschsprachige Nachkriegssoziologie wird etwa von William J. Goode geäußert, der 1959 bedauernd (und außerdem unter Verkennung des frühen Einflusses der deutschsprachigen Soziologie auf die amerikanische) polemisch feststellte: „Im Gegensatz zu der Meinung sowohl deutscher als auch amerikanischer Soziologen hat die Soziologie der Vereinigten Staaten nur wenig Einfluß auf die deutsche Soziologie gehabt, und diese hat auf die amerikanische Soziologie überhaupt keine Wirkung ausgeübt. Sowohl Coca Cola als auch die Comic Books haben in Deutschland leichter Eingang gefunden als die amerikanische Soziologie, obgleich diese sicherlich von größerem Nutzen gewesen wäre.“273 Aus Sicht Goodes ist dieser Umstand, neben dem Sprachproblem, vor allem auf das verbreitete Vorurteil gegenüber der amerikanischen Soziologie zurückzuführen, dass diese weniger theoretisch fundiert sei als die europäische. Lepsius legt ein differenzierteres Bild, was die Rezeption der amerikanischen Soziologie betrifft, vor: „Es erscheint nicht gerechtfertigt, von einer ‚Amerikanisierung‘ der Soziologie zu sprechen, wenn man damit nicht nur die Übernahme der neueren Methoden der empirischen Sozialforschung bezeichnen will. Die amerikanische Soziologie wurde eher kritisch rezipiert und in den industriesoziologischen wie den schichtungstheoretischen Arbeiten schon früh als Problemstellung ausgeweitet und begrifflich überschritten.“274 Der Terminus der ‚Amerikanisierung‘ bezog sich also hauptsächlich auf die Entwicklung einer empirisch ausgerichteten Soziologie und die theoretische Orientierung am Struktur-Funktionalismus, andere Aspekte der amerikanischen Soziologie wurden hingegen viel-
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schaft damit in einen fundamentaleren Provinzialismus der Gesellschaft und ihrer sozialen Selbstbesinnung verwandeln helfen.“ Schelsky, Ortsbestimmung, S. 27. Zur Geschichte der empirischen Sozialforschung vgl. Oberschall, Empirische Sozialforschung. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 136. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 138. Goode, Die Beziehungen, S. 166. Lepsius, Die Entwicklung, S. 51.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
fach ausgeblendet bzw. nicht rezipiert. Tenbruck schildert sehr ausführlich die Situation, die der Rezeption der amerikanischen Soziologie zugrunde lag: „Die eigentliche Faszination der amerikanischen Soziologie lag (...) in ihrem auf die Verbindung mit der Sozialforschung gestützten Anspruch, durch zwingende Verfahren eine akkumulative Theorie der Gesellschaft aufzubauen, welche die realen Gesetze und Zusammenhänge in jedem Fall eindeutig zu ermitteln und eventuell die gesellschaftlichen Probleme vollständig zu lösen in der Lage sein werde, ja nahezu bereits in der Lage sei. Ohne diesen Anspruch wäre die Parsonsianische Theorie geduldig gewogen und eingeordnet worden. (...) Mit aller Deutlichkeit muß daran erinnert werden, daß der rapide und vollständige Sieg des Struktur-Funktionalismus auch in Amerika, ja doch überhaupt der Aufstieg des Konzeptes einer zur Reife gediehenen systematischen Sozialwissenschaft kein bloß innerwissenschaftliches Ereignis war. Dem unerschütterlichen Vertrauen, daß nun in den Sozialwissenschaften der entscheidende wissenschaftliche Durchbruch gelungen sei, entsprach der immer wieder verkündete Anspruch, die gesellschaftlichen und politischen Probleme seien nunmehr prinzipiell durch den Einsatz der Wissenschaft lösbar geworden.“275 Als in den 1960er-Jahren der Fortbestand gesellschaftlicher Krisen und Missstände die Unhaltbarkeit dieses Anspruches deutlich werden ließ,276 kam es auch zur vermehrten Kritik des Struktur-Funktionalismus und eines auf die Planbarkeit gesellschaftlicher Praxis – ohne theoretische Reflexion derselben – ausgerichteten Soziologieverständnisses. Ab Mitte der 1960er-Jahre sah sich also der Struktur-Funktionalismus wachsender Kritik ausgesetzt, die freilich bereits in den 1950er-Jahren vonseiten des konflikttheoretischen Paradigmas aus eingesetzt hatte. Sahner fasst die Kritikpunkte folgendermaßen zusammen: „Utopisches Gesellschaftsbild, mangelnde empirische Überprüfbarkeit, Gleichgewichtsannahme, vor allem aber Vernachlässigung sozialen Wandels und ideologischer Konservativismus waren die Topoi, um die sich die Kritik rankte.“277 Im Zuge des Frankfurter Soziologentages 1968 fanden die Auseinandersetzungen zwischen den Paradigmen der Frankfurter Schule und den Vertretern eines vom Struktur-Funktionalismus geprägten Soziologieverständnisses einen Höhepunkt. Die zu dieser Zeit florierende Kritische Theorie unterlag allerdings in der Folgezeit ebenfalls einem Interesserückgang in den Zeitschriften. Ab 1975 konstatiert Sahner für die Zeitschriften den Versuch, eine umfassendere Theoriediskussion in Gang zu bringen278 und damit die in der Zeit davor praktizierte Ächtung des jeweils anderen Paradigmas durch eine neutraler gehaltene Diskussion der theoretischen Grundlagen und jeweiligen Differenzen abzulösen. Auch der Struktur-Funktionalismus wurde ab 1975 einer Neubewertung unterzogen. Nach dem Abflauen des Booms der Kritischen Theorie in den Zeitschriften nach 1975 wurde, aus Sicht Sahners, das methodologische Schisma der deutschen Soziologie, das in den 1960er-Jahren so heftig diskutiert wurde, keineswegs aufgelöst, sondern lediglich verlagert. Das Bedürfnis nach einer Sinngebung für das soziologische Tun jenseits unmittelbar praktischer Erfordernisse wird seiner Ansicht nach ab Mitte der 1970er-Jahre in einer Rückbesinnung auf die deutsche Kultursoziologie gesucht.279 Außerdem setzte ab 1975 auch
275 276 277 278 279
Tenbruck, Deutsche Soziologie, S. 87–88. Vgl. Tenbruck, Deutsche Soziologie, S. 96. Sahner, Theorie und Forschung, S. 150. Sahner, Theorie und Forschung, S. 152. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 163.
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die Renaissance der ‚verstehenden‘ oder interpretativen Soziologie ein, die als eine Art ReImport traditioneller deutscher Ansätze aus den USA verstanden werden kann, die sich nun freilich jedoch hinter den Etiketten des Symbolischen Interaktionismus oder der Ethnomethodologie verbargen. Die verstehende Soziologie war andererseits stets auch in Deutschland vertreten worden, etwa von Friedrich Tenbruck, über den zusätzlichen Import US-amerikanischer Strömungen erhielt diese jedoch einen neuen Auftrieb.280 Zusammenfassend kann man aus Sahners Analysen ableiten, dass bis 1975 stets die Dominanz eines bestimmten theoretischen Paradigmas in den deutschen Fachzeitschriften feststellbar war. War es zunächst die Beziehungslehre, die vom Struktur-Funktionalismus abgelöst wurde, so wurde dessen Vormachtstellung wiederum durch den Aufschwung der Kritischen Theorie beendet. Ab Mitte der 1970er-Jahre trat ein grundlegender Wandel diesbezüglich ein. Sahner konstatiert 1982: „Kein Modell hat heute eine solch vorherrschende Stellung, wie sie in der Vergangenheit die genannten Modelle hatten.“281 Am ehesten schreibt er noch der Systemtheorie eine dominante Stellung zu, allerdings seien die Vertreter dieses Zugangs hinsichtlich ihres grundsätzlichen Soziologieverständnisses wesentlich heterogener als es die Autoren der zuvor dominanten Richtungen waren. Systemtheorie wird in unterschiedlichsten Zusammenhängen betrieben, sowohl als naturwissenschaftliche als auch als phänomenologische Variante. „Kurz, die augenblickliche Situation (1982, K. S.) ist durch eine modelltheoretische Vielfalt gekennzeichnet.“282
4.4.5. Die Zeitphasen der Fachentwicklung im Überblick Lepsius gliedert die Entwicklung der westdeutschen Nachkriegssoziologie in folgende Phasen: Erstens, die ‚Wiederbelebung‘ der Soziologie zwischen 1945–49, im Wesentlichen getragen durch einzelne Vertreter der Weimarer Soziologie, die die Nachkriegssoziologie zwar nicht mehr inhaltlich prägen konnten, jedoch den Grundstein für ihren institutionellen Neuanfang legten; zweitens, die ‚Neubegründung‘ der Soziologie zwischen 1950–55, die durch den Aufbau von Forschungseinrichtungen und Hauptfachstudiengängen gekennzeichnet war und in der die Basis für die inhaltlichen Kontroversen der Folgezeit gelegt wurde.283 Der 14. Soziologentag 1959 wird von Lepsius, drittens, als Wendepunkt in der Entwicklung der Nachkriegssoziologie insofern gedeutet, als es sich hierbei um den ersten Fachkongress im engeren Sinne gehandelt hat, der den Übergang von der ‚Gründergeneration‘ hin zur ‚Nachkriegsgeneration‘ einleitete.284 Lüschen et al. kommen in ihrer Analyse zu folgender Periodisierung der deutschen Soziologie nach 1945: Die Phase bis 1950 wird von ihnen als „Phase des organisatorischen Neubeginns, gesellschaftlicher Bezüge und der Wiederaufnahme klassischer Themen“ bezeichnet. Abgelöst wurde diese von einer „Phase der Neuorientierung zur empirisch begründeten Soziologie“ (1951–1956). 1957–1962 wird sodann als „Phase der teil-theoretischen
280 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 218, S. 223. 281 Sahner, Theorie und Forschung, S. 217. – Zur nicht mehr vorhandenen Dominanz einer einzigen ‚Großtheorie‘ seit den 1970er-Jahren vgl. auch Korte, Einführung in die Geschichte, S. 214. 282 Sahner, Theorie und Forschung, S. 218. 283 Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 29–36. 284 Vgl. Lepsius, Die Entwicklung, S. 43–44.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Diskussionen und sozial-relevanter Empirie“ bezeichnet, auf sie folgte die „Phase des methodologischen Schismas“ (1963–1968), der sich eine „Phase der andauernden Desintegration, der Theorie und des Gesellschaftsbezuges“ (1969–1974) anschloss.285 Je näher man bei der historischen Analyse einer Disziplin der eigenen Gegenwart kommt, desto schwieriger wird es, aus der Vielzahl aktueller Strömungen und Diskussionen Schwerpunkte und allgemeine Leitlinien herauszulesen. Vor diesem Problem standen auch Lüschen et al., die 1979 schreiben: „Die Phase seit 1975 ist in ihrer Bedeutung derzeit schwer einzuschätzen und erscheint als weitere Konsolidierung der in der vergangenen Periode zu beobachtenden Tendenzen in der Theorie-Diskussion, in der Rolle der Soziologie und von Soziologen in der sozialen Planung.“286 Diese Analyse von Lüschen et al. deckt sich teilweise mit den Periodisierungen anderer Autoren. Klima stellt beispielsweise im Hinblick auf die Entwicklung des Lehrangebotes – als Indikator für einen veränderten institutionellen Status der Disziplin – folgende Zeitphasen fest: Zwischen 1950–1960, von Klima als „Gründungsjahrzehnt“ bezeichnet, kann eine Entwicklung von einem relativ schwach differenzierten Lehrangebot – bestehend hauptsächlich aus Einführungen mit allgemein gehaltenen Lehrveranstaltungstiteln und einem deutlichen Mangel an Methodenkursen – hin zu einer Ausweitung des Lehrangebotes im Bereich der Methoden der empirischen Sozialforschung und einem deutlichen Rückgang an Lehrveranstaltungen zu den Themen Kultursoziologie, Religionssoziologie, Rechtssoziologie, Sozialpolitik und Wirtschaftssoziologie festgestellt werden. „In diesen Verschiebungen deutet sich an, daß die Soziologie der Bundesrepublik begonnen hat, sich von ihren traditionellen Mutterdisziplinen (Philosophie, Staats- und Wirtschaftswissenschaften) zu trennen und den Weg zur akademischen Institutionalisierung als empirische Einzelwissenschaft zu beschreiten. Begleitet ist dieser Prozeß von einer verstärkten Reflexion über den epistemologischen Status der soziologischen Wissenschaft, was sich an der überproportionalen Zunahme wissenschaftstheoretischer Veranstaltungen ablesen läßt.“287 (Hervorhebung im Original). Im „Ausbaujahrzehnt“ (1960–1970) stellt Klima sodann zwar eine Verdreifachung des Lehrangebotes fest, jedoch bei gleichbleibenden inhaltlichen Tendenzen. Neu hinzu kommen einige sogenannte Bindestrichsoziologien bzw. Spezielle Soziologien, wie etwa Erziehungssoziologie, Regionalsoziologie oder Entwicklungssoziologie. In den 1970er-Jahren kommt es zum Ausbau dieser Bindestrichsoziologien, vor allem jener, die im Zusammenhang mit gesellschaftlichen ‚Planungsproblemen‘ auch als neue Praxisfelder der Soziologie dienen konnten. Gleichzeitig ist jedoch auch ein Wachstum makrosoziologischer Fragestellungen (vor allem marxistisch-kapitalismuskritischer Ausrichtung) und der Lehrveranstaltungen zur Politischen Ökonomie feststellbar, die gewissermaßen ein kritisch-reflexives Gegengewicht zu den praktisch verwertbaren Bindestrichsoziologien darstellten.288 Die Fachentwicklung seit Ende der 1970er-Jahre wird von verschiedenen Autoren als eine Art Diversifizierung der Disziplin beschrieben, bei der es, neben der Zunahme der Spe-
285 Vgl. Lüschen et al., Die Entwicklung der deutschen Soziologie, S. 173–176. 286 Lüschen et al., Die Entwicklung der deutschen Soziologie, S. 176. 287 Klima, Die Entwicklung der soziologischen Lehre, S. 242. – Vgl. hierzu auch Lepsius, Die Entwicklung, S. 49. 288 Vgl. Klima, Die Entwicklung der soziologischen Lehre, S. 242–243.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
221
ziellen Soziologien, zu einer Neuentdeckung der interpretativen bzw. phänomenologischen Soziologie ebenso kam wie zu einem Aufstieg der Systemtheorie.289 In der folgenden Übersicht wurden die soeben beschriebenen von verschiedenen Autoren bzw. Autorinnen konstatierten Phasen der Fachentwicklung nochmals schematisch zusammengestellt. Es ergibt sich aus meiner Sicht folgendes Bild der Fachentwicklung nach 1945 im deutschen Sprachraum: Bis 1955 kann von einer Phase des ‚Neubeginns‘ der Soziologie gesprochen werden, in der erste Institutionalisierungsschritte (Lehrstuhlbesetzungen, Fachzeitschriftengründungen) gesetzt und Traditionen der 1920er-Jahre zum Teil wiederaufgegriffen wurden. 1955, markiert durch die Übernahme der Herausgeberschaft der Kölner Zeitschrift durch René König, scheint aus meiner Sicht als Zeitpunkt geeignet zu sein, um den Übergang zu einer neuen Phase der Fachentwicklung – in der ein quantitativer Ausbau der Disziplin ebenso einsetzte wie intensivere Diskussionen über Aufgaben und theoretische Orientierung der Soziologie – zu beschreiben. Lepsius erwähnt erst den Soziologentag von 1959 als Wegscheidemarke in diesem Sinne. Ich würde demgegenüber – im Anschluss an Sahners Feststellung des Aufstiegs des Struktur-Funktionalismus ab 1955 – bereits ab diesem Zeitpunkt den Beginn der ‚Etablierungsphase‘ der Soziologie ansetzen. Die von manchen Autoren separat hervorgehobene Phase der ‚Krise der Soziologie‘ oder des ‚methodologischen Schismas‘ sehe ich als Höhepunkt dieser Etablierungsphase. Ab 1969 setzt aus meiner Sicht sodann eine Phase der ‚Öffnung des Faches‘ ein, in der sich, wie in der Literatur beschrieben, eine Pluralisierung theoretischer Modelle durchsetzt. Das Jahr 1980, mit dem 20. Deutschen Soziologentag in Bremen, erscheint mir geeignet zu sein, um den Übergang in eine neue, bis heute anhaltende Phase der Fachentwicklung zu beschreiben, die ich als ‚Verzweigung der Disziplin‘ bezeichne (siehe dazu Kapitel III, 4.5.).
289 Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 113; – Matthes, Soziologie, S. 222, S. 231.
1980– Phase der Verzweigung der Disziplin
1969–1980 Phase der Öffnung des Faches
1955–1969 Etablierungsphase
1945–1955 Phase des Neubeginns
1960–1967 Ausbaujahrzehnt; Zunahme der Studierenden und Lehrenden, Vielfalt theoretischer Perspektiven; (Positivismusstreit 1963–65)
1959 Einleitung einer neuen Phase durch Abhaltung des ersten Fachkongresses der DGS im engeren Sinne
1950–1955 Neubegründung
Lepsius (1979) Allgemeine Entwicklung des Faches 1945–1949 Wiederbelebung, Institutionalisierungsbemühungen durch Vertreter der Soziologie der 1920er Jahre
1969–1974 Phase der andauernden Desintegration, der Theorie und des Gesellschaftsbezuges
1963–1968 Phase des methodologischen Schismas
1957–1962 Phase der teiltheoretischen Diskussionen und sozial-relevanter Empirie
1951–1956 Phase der Neuorientierung zur empirisch begründeten Soziologie
Lüschen et al. (1979) Allgemeine Entwicklung des Faches 1945–1951 Phase des organisatorischen Neubeginns, gesellschaftlicher Bezüge und der Wiederaufnahme klassischer Themen
1975–1982 Rückgang der Kritischen Theorie, umfassende Theoriediskussion, Renaissance der interpretativen Soziologie, modelltheoretische Vielfalt
1970–1975 weiterer Aufstieg des Marxismus und der Kritischen Theorie, hoher Anteil wissenschaftstheoretischer Beiträge
1965–1970 allmählicher Rückgang des Struktur-Funktionalismus, Aufstieg der Kritischen Theorie und wissenschaftstheoretischer Beiträge, ‚Krise der Soziologie‘
1950–1955 Rückgang der Beziehungslehre bzw. der geisteswissenschaftlichen Tradition, hoher Anteil Spezieller Soziologien 1955–1965 Aufstieg des StrukturFunktionalismus
Sahner (1982) Zeitschriftenentwicklung
222 III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Tafel I: Phasen der Fachentwicklung nach AutorInnen
1980– Phase der Verzweigung der Disziplin
1969–1980 Phase der Öffnung des Faches
1955–1969 Etablierungsphase
1945–1955 Phase des Neubeginns
1980–1990 neuerlicher Anstieg der Artikel zu Speziellen Soziologien in den Fachzeitschriften
1970–1980 Diskussion methodischer Grundlagen und Pluralisierung theoretischer Modelle
1959–1969 Sinken des Anteils Spezieller Soziologien in den Fachzeitschriften, Anstieg der Artikel zu ‚fachspezifischen Grundlagen‘ und ‚theoretischen Analysen‘
1950–1959 Neuorientierung der Soziologie, hoher Anteil Spezieller Soziologien
Krekel-Eiben (1990) Zeitschriftenentwicklung
1970–1979 Weiterer Ausbau der Bindestrichsoziologien (Schwerpunkt gesellschaftliche Planung), parallel dazu Ausbau der Makrosoziologie und Politischen Ökonomie
1960–1970 Verdreifachung des Lehrangebotes bei gleichbleibenden inhaltlichen Tendenzen wie im vorhergehenden Jahrzehnt, d. h. weiterer Ausbau von Methoden der empirischen Sozialforschung und Wissenschaftstheorie und Neuauftauchen verschiedener Bindestrichsoziologien
1950–1960 Zunahme von Lehrveranstaltungen zu Methoden der empirischen Sozialforschung und zur Wissenschaftstheorie, Abnahme der Lehrinhalte der ‚traditionellen Mutterdisziplinen der Soziologie‘ (Philosophie, Staatsund Wirtschaftswissenschaften)
Klima (1979) Lehrentwicklung
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
223
224
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
4.5. Jüngste Entwicklungen Der Betrachtungszeitraum der bisher herangezogenen Referenzwerke zur Geschichte der Soziologie endet zumeist spätestens mit den 1980er-Jahren. An dieser Stelle soll daher noch eine kurze Skizzierung der Tendenzen der letzten 25 Jahre vorgenommen werden. Dies geschieht in dem Bewusstsein der Tatsache, dass eine die eigene Gegenwart (bzw. erst jüngst miterlebte Vergangenheit) betreffende Darstellung von Entwicklungsprozessen der Gefahr unterliegt, die Bedeutsamkeit bestimmter Tendenzen zu über- oder zu unterschätzen. In Anbetracht der Tatsache, dass es wenige sonstige Werke gibt, die die jüngste Fachgeschichte zum Thema machen und als Vergleichsquellen herangezogen werden könnten, können die folgenden Bemerkungen nur ein sehr grobes Muster zeigen, benötigen aber sicherlich eine spätere Korrektur. Oder anders ausgedrückt: Im Folgenden sollen einige derzeitige Entwicklungen skizziert werden, deren Auswirkungen die Disziplin und ihre Fachgeschichtsschreibung, meiner Meinung nach, in den nächsten Jahren noch beschäftigen werden. Ich beziehe mich hierbei vor allem auf Abhandlungen von Fachvertretern und -vertreterinnen zur aktuellen Positionierung des Faches, die auch Rückschlüsse auf den Status der Institutionalisierung bzw. Professionalisierung der Disziplin erlauben. In inhaltlicher Hinsicht wären folgende Entwicklungen der letzten 30 Jahre als bedeutsam für die Disziplin anzusehen: Die Konsolidierung der Disziplin und Beruhigung innerdisziplinärer Konflikte in den 1970er-Jahren fand aus Sicht verschiedener Autoren bzw. Autorinnen in den 1980er- und 1990er-Jahren eine Fortsetzung.290 Korte hierzu: „Die Soziologie war gegen Mitte der 1980er Jahre ein ruhig dahinfließender Fluss, der langsam breiter – und damit an einigen Stellen auch flacher wurde. Das führte einerseits zu einem größeren Spektrum soziologischer Professionalisierung, andererseits wurde die Vielfalt der soziologischen Ansätze von Aussenstehenden oft als widersprüchlich-verwirrend wahrgenommen.“291 Das Jahr 1980 wurde von mir weiter oben als ‚Wegscheidemarke‘ für den Beginn einer Phase der Verzweigung der Disziplin herangezogen. Der 20. Deutsche Soziologentag in Bremen, 1980, scheint geeignet zu sein, den Übergang zu einer neuen Phase der Fachentwicklung zu beschreiben. Im Einleitungsreferat nahm der damalige Vorsitzende der DGS, Joachim Matthes, zur Lage der Disziplin und zur an ihr in der vorangegangenen Zeit geäußerten Kritik Stellung. Er bezog sich hierbei auf die, in je unterschiedlicher Weise, von Schelsky292 und Tenbruck vorgetragenen Bedenken bezüglich der öffentlichen Rolle der Soziologie und der daraus resultierenden Probleme für das Fach. Der Erfolg der Soziologie bringe ein Ausufern soziologischer Begriffe und Betrachtungsweisen in die alltägliche Lebenswelt mit sich, wodurch die Soziologie die Kontrolle über ihren Gebrauch verliere – so der Tenor der Kritik. Matthes reagierte darauf folgendermaßen: „Ja, bei Licht betrachtet, haben unsere heutigen Bemühungen um eine akademische wie außerakademische Durchsetzung und Festigung der Soziologie schon immer das mit zur Voraussetzung, was in der Diagnose unserer Kritiker zur Sprache kommt: Wir kämpfen eigentlich weniger um die Anerkennung der Soziologie als vielmehr gegen die Folgen, die uns heute aus der Überdehnung und dem Ausufern der Soziologie in den sechziger Jahren im Wissenschaftsbetrieb wie im öffentlichen Bewußtsein
290 Vgl. Best, Ohly, Entwicklungstendenzen, S. 582; – Korte, Einführung in die Geschichte, S. 232. 291 Korte, Einführung in die Geschichte, S. 232. 292 Vgl. auch Schelsky, Die Arbeit, S. 254–259.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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entgegentreten. (...) In allen unseren heutigen Bemühungen um die Durchsetzung und Festigung der Stellung der Soziologie steckt auch ein Moment des Kampfes um die Wahrung unserer Seriosität angesichts mancher Verballhornung und Instrumentalisierung, die die soziologische Perspektive, wenn es sie denn gibt, im Zuge ihrer Übernahme in andere Disziplinen erfahren hat (...) Wie man es auch dreht und wendet: in einem haben Schelsky und Tenbruck sicherlich recht: wenn sie uns eindringlich auf den Identitätsverlust der Soziologie aufmerksam machen, der mit der Übernahme ihrer Perspektive durch andere einhergeht.“293 Deutlich wird an den Aussagen Matthes’ die tatsächlich als erfolgreich zu bezeichnende Etablierung des Faches, die aber auch – insbesondere aus Sicht der Professionsvertreter – Gefahren für den Status des Faches mit sich bringen kann, wenn seine Inhalte der professionellen Kontrolle entzogen werden. Auch dem zweiten skizzierten Kritikpunkt stimmt Matthes prinzipiell zu; die soziologische Sichtweise hat Eingang in den Alltagsverstand gefunden: „Die Sozialwissenschaften haben – nolens volens – dazu beigetragen, ihren eigenen Gegenstand, die gesellschaftlichen Beziehungen, in den Köpfen derer, die ihn ausmachen, zu reifizieren, – und das hat Folgen. Folgen zunächst für die Gesellschaftsmitglieder selber, die die Erfahrung ihrer gesellschaftlichen Existenz auch für sich selber – und nicht erst in der Befragung durch uns – nur mehr in objektivierten Kategorien auszudrücken vermögen.“294 Folgen ergäben sich aber auch für die sozialwissenschaftliche Forschung, insofern sie ihre eigenen Wirkungen auf den untersuchten ‚Gegenstand‘ mitzubedenken habe. Matthes steht den sich solchermaßen für das Fach stellenden öffentlichen Herausforderungen optimistisch gegenüber, er ortet aber auch Gefahren durch die zunehmende Spezialisierung und ‚Sektenbildung‘ innerhalb des Faches, die für den Fortschritt der Gesamtdisziplin nicht dienlich seien.295 Die auch im Zitat von Korte, weiter oben, deutlich gewordene Vielfalt der Disziplin seit den 1980er-Jahren wird hier angesprochen und dürfte sich in den Folgejahren zu einem Kennzeichen soziologischer Fachdiskussionen entwickelt haben. Seit den 1980er-Jahren kann inhaltlich eine allmähliche Abkehr von Grundsatzfragen hin zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit Fragen des sozialen Wandels und von Gegenwartsproblemen auf den Soziologentagen der DGS beobachtet werden.296 Das Theorienspektrum der deutschsprachigen Soziologie wurde außerdem vom linguistic turn der 1970erJahre und dem cultural turn der 1980er-Jahre beeinflusst.297 Nicht vergessen werden darf, dass auch die Diskussion der Modernisierungstheorien – vor dem Hintergrund der auch in anderen Disziplinen geführten Debatte über ‚Moderne‘, ‚Postmoderne‘, ‚Zweite Moderne‘ – nicht spurlos an der Soziologie vorbeigegangen ist, obwohl gerade die deutschsprachige Soziologie durch gewisse Vorbehalte der Postmoderne gegenüber gekennzeichnet ist. Vieles, was innerhalb der Soziologie an Kritik an einem rein logozentrischen Weltbild seit den späten 1960er-Jahren diskutiert wurde, findet sich in ähnlicher, zum Teil zugespitzter Form, auch in der Debatte um die Postmoderne, ohne dass dies
293 294 295 296 297
Matthes, Soziologie: Schlüsselwissenschaft, S. 20. Matthes, Soziologie: Schlüsselwissenschaft, S. 21. Vgl. Matthes, Soziologie: Schlüsselwissenschaft, S. 24. Vgl. Glatzer, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, S. 224–228. An dieser Stelle kann keine Nachzeichnung der inhaltlichen Komponenten dieser ‚turns‘ vorgenommen werden; für diesbezügliche Hinweise – auch zu deren Wirkung im deutschen Sprachraum – verweise ich auf: Reckwitz, Die Transformation der Kulturtheorien, S. 15–57; – Knoblauch, Das Ende der linguistischen Wende, S. 581–584.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
vonseiten der Soziologie entsprechend reflektiert würde.298 Der Zusammenbruch der DDR 1989 führte, aus Sicht Kortes, zu einer verstärkten Diskussion der Modernisierungstheorien und der Frage, inwieweit der Entwicklungsverlauf westlicher moderner Gesellschaften auf andere Teile der Welt – insbesondere die östlichen ‚Transformationsländer‘ – übertragbar sei.299 Schon auf dem 25. Deutschen Soziologentag 1990, in Frankfurt am Main, hatten beispielsweise derartige Themen auf der Tagesordnung gestanden. Korte stellt hierzu im Rückblick fest: „Dies war der Startschuss ebenso heftiger wie vielschichtiger Debatten über die ‚richtige‘, die ‚zweite‘, die ‚andere‘ Moderne und die Antworten der Soziologie. Sie halten unvermindert an. Manches schien bereits abgeklärt, doch nach dem 11. 09. 2001 und dem Irak-Krieg steht die Frage nach den Institutionen und ihren Wirkungen aufs neue auf der Tagesordnung.“300 Im Hinblick auf die Methoden der empirischen Sozialforschung wirkte sich die sich ab der Mitte der 1970er-Jahre vollziehende Renaissance der verstehenden oder interpretativen Soziologie insofern aus, als ein Aufschwung qualitativer Methodologie seit dieser Zeit stattgefunden hat. Aus Sicht von Hopf/Müller spielten die Nachwirkungen des Positivismusstreites und die damit einhergehende Kritik an einem rationalistischen Wissenschaftsideal bei der in den 1970er-Jahren aufkommenden Kritik an den Messverfahren der quantitativen Sozialforschung eine wichtige Rolle.301 Die damit einhergehende ‚Lagerbildung‘ verlief zum Teil durchaus polemisch bis feindlich.302 Erst kürzlich (2003) fand die qualitative Sozialforschung innerhalb der DGS eine institutionelle Verankerung – durch die Erhebung der seit 1997 bestehenden Arbeitsgruppe Qualitative Sozialforschung zu einer eigenen Sektion der DGS.303 Diese institutionelle Trennung kann durchaus als Schritt in Richtung einer Befriedung zwischen den Lagern gesehen werden. Rehberg sieht außerdem die auf breiter Basis erarbeitete Empfehlung des DGS-Vorstandes zur Methodenausbildung (beschlossen am 6. 10. 2002) als wichtigen „Schritt zu einer wirklich integrierten Methodenausbildung“,304 da in dieser Empfehlung die Kenntnis sowohl quantitativer als auch qualitativer Methoden als unverzichtbarer Bestandteil der Soziologieausbildung dargelegt wird. Eine friedlichere Koexistenz beider ‚Lager‘ der empirischen Sozialforschung, bei anerkanntem Status qualitativer Verfahren, kündigt sich also in letzter Zeit an.305
298 Zum Vorbehalt der deutschsprachigen Soziologie der Postmoderne gegenüber vgl. Vester, Soziologie der Postmoderne, S. 2–3, S. 6–7. 299 Zur Entwicklung der Modernisierungsdiskussion seit den 1950er-Jahren, insbesondere auch im Hinblick auf ihr Verhältnis zur ‚Postmoderne‘ vgl. Celestini, Scherke, Die Zentraleuropäische Moderne, S. 348–355. 300 Korte, Einführung in die Geschichte, S. 233. 301 Vgl. Hopf, Müller, Zur Entwicklung der empirischen Sozialforschung, S. 54, S. 62. 302 Vgl. Rehberg, Zu aktuellen Fragen, S. 23; – sowie: „Stellungnahme zur Gründung der Arbeitsgruppe ‚Methoden der qualitativen Sozialforschung‘“ auf der Homepage der DGS-Sektion: Methoden der empirischen Sozialforschung: http://www.uni-konstanz.de/FuF/Verwiss/Schnell/Methodensektion/ (15.2.2006). 303 Vgl. http://www.soziologie.de/sektionen/m04/index.htm (15.2.2006). 304 Rehberg, Zu aktuellen Fragen, S. 23. 305 Im anglo-amerikanischen Raum hat die Soziologie der Emotionen mittlerweile auch eine intensivere Diskussion emotionaler Aspekte qualitativer Feldforschung erbracht. Vgl. Carter, Delamont, Qualitative Research. – Im deutschen Sprachraum steht eine vergleichbare explizite Aufmerksamkeit für die zum Beispiel auch emotional gefärbte Beziehung zwischen Interviewerin und Interviewtem noch aus, obgleich die Interaktionssituation im Rahmen qualitativer Interviews selbstverständlich ein zentrales Thema auch der methodologischen Debatte im deutschsprachigen Raum ist.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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Während die Studierendenzahlen seit den 1970er-Jahren kontinuierlich anwachsen oder zumindest gleich hoch blieben, zeichnete sich im institutionellen Bereich in den 1980er-Jahren eine Stagnation insofern ab, als das Wachstum der Studierendenzahlen nicht von einem adäquaten Wachstum der Lehrstühle und sonstigen universitären Stellen begleitet war. Lamnek/ Ottermann skizzieren die Situation folgendermaßen: „Bis Mitte der 70er Jahre fand rund die Hälfte aller Soziologie-Absolventen im Wissenschaftsbetrieb eine Beschäftigung. Ende der 70er Jahre waren es gerade noch 20–25% der Graduierten, die von sozialwissenschaftlichen Fachbereichen absorbiert wurden.“306 Es kam notgedrungen zu einer stärkeren Diffusion der Absolventen und Absolventinnen in außeruniversitäre Berufsfelder. Nicht umsonst fällt die Gründung von stärker mit der Berufsvertretung befassten Gesellschaften in die 1970er-Jahre. Wie sich die derzeitige durch steigende Absolventenzahlen und nicht im gleichen Ausmaß mitwachsende universitäre Strukturen (die lange Zeit das Hauptberufsfeld von Soziologen und Soziologinnen darstellten) gekennzeichnete Situation auf das Fach Soziologie auswirken wird – vor allem im Hinblick auf die für jetzige und zukünftige Absolventen und Absolventinnen kaum noch zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Karrieremuster –, lässt sich nur vage abschätzen. Feststellbar ist eine Diffusion von Soziologen und Soziologinnen in unterschiedliche Bereiche der außeruniversitären Praxis; im Sinne der weiter oben beschriebenen Mechanismen ‚sekundärer Professionalisierung‘ ist mit einer Fortsetzung dieser Tendenz unter den jetzigen Rahmenbedingungen zu rechnen. Es herrscht zum Teil allerdings Skepsis darüber, inwieweit diese Diffusion in die Praxis tatsächlich als Professionalisierungskennzeichen der Soziologie gewertet werden kann; Siefert stellt hierzu fest: „Wenn wir heute Absolvent(inn)en unserer Institute als Rundfunkreporter, Gefängnisdirektoren, Krankenhausplaner, Finanz-Senatoren, SPIEGEL-Redakteure, Umweltminister oder als Personalchefs großer Firmen wie auch als selbständige Groß- und Kleinunternehmer wiederfinden, dann ist das sicher ein Hinweis auf die große Flexibilität derer, die Soziologie studiert haben. Ob und in welchem Ausmaß sie ihren Beruf speziell dem Soziologiestudium verdanken, diese Frage muß wohl offen bleiben.“307 Hinzu kommt, laut Lamnek/Ottermann, eine für die Soziologie im deutschen Sprachraum als ungünstig empfundene Startposition insofern, als in der Öffentlichkeit Vorurteile gegenüber der Soziologie existierten, deren Wurzeln bis in die 1960er-Jahre zurückverfolgt werden könnten. „Das Vorurteil vom Soziologen als ‚Revoluzzer‘ und ‚Sozialschmarotzer‘ ist ein Erbe der 68er-Bewegung. Als Zerrbild eines Images formuliert: ‚Soziologen sind links, radikal und streben eine Veränderung der Gesellschaft an. Eine wichtige Aufgabe sehen sie darin, auf Straßen oder in Hörsälen zu randalieren (...). Soziologiestudenten ziehen ihr Studium auf Kosten der Steuerzahler übermäßig in die Länge. Sie sind schlampig gekleidet, langhaarig, ungepflegt, haben ein schnoddriges Auftreten und spotten allen bürgerlichen Konventionen.‘“308 Unabhängig davon, ob es sich bei diesem von Lamnek/Ottermann dargestellten Vorurteil um eine treffende Skizzierung der ‚öffentlichen‘309 Sichtweise der Soziologie handelt, ist interessant, dass dieses Vorur-
306 307 308 309
Vgl. Lamnek, Ottermann, Professionalisierung, S. 27. – Vgl. auch Rehberg, Zu aktuellen Fragen, S. 18. Siefert, Die Institutionalisierung, S. 269. Lamnek, Ottermann, Professionalisierung, S. 27. Wobei hier selbstverständlich die Frage anzuschließen wäre, welche Teile der ‚Öffentlichkeit‘ als Verbreitungsort des skizzierten Vorurteils gemeint sein könnten. Nicht vergessen werden darf nämlich, dass im Gegensatz zu der bildungsferneren ‚Öffentlichkeit‘ der 1960er-Jahre heute ein nicht unwesentlicher Teil jener zwar mittlerweile gealterten, aber die Hochschulexpansion selbst miterlebt habenden Generation zur Öffent-
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
teil zum Ausgangspunkt eines Plädoyers für ein selbstbewussteres Auftreten der Fachvertreter und -vertreterinnen gemacht wird. Offensichtlich wird der professionelle Status der Soziologie derzeit noch – trotz der erfolgreichen Diffusion vieler Soziologieabsolventen und -absolventinnen in die außeruniversitäre Praxis seit den 1970er-Jahren – als unterentwickelt eingeschätzt, was die oben beschriebene These der noch nicht abgeschlossenen Professionalisierung der Soziologie auch für die jüngste Zeit bestätigt.310 In dieser Weise ist auch der Aufruf zu verstehen: „Soziologen müssen ihre Produkte und Potentiale zu verkaufen lernen, um sowohl die eigene Existenz als auch die des Faches zu sichern; und das setzt das Wissen um die fachspezifischen Kompetenzen und die Bereitschaft, für diese die ‚Werbetrommel zu rühren‘ voraus.“311 (Hervorhebung K. S.) Es stellt sich die Frage, wie sich eine selbstbewusste Vermarktung soziologischer Produkte auf die Inhalte soziologischer Forschung und Lehre – also die kognitive Gestalt der Disziplin – auswirken wird. Nach der Phase einer Öffnung des Faches gegenüber neuen Feldern der Praxis und interdisziplinären Aktivitäten könnte sich in derartigen Aufrufen zur Besinnung auf die fachspezifischen Kompetenzen eine Phase eines wiederum stärkeren Rückbezugs auf die eigene Disziplin andeuten. Bei derartigen Aufrufen könnte es sich natürlich auch um ein Beispiel für jene ‚Rituale‘ handeln, wie sie Christiane Funken beschrieben hat, die weniger tatsächliche Schwierigkeiten des Faches andeuten, sondern eher als Symptom der mittlerweile erreichten Selbstbezüglichkeit des Faches angesehen werden müssen.312 Die aktuellen Fragen der Professionalisierung der Soziologie müssen auch im Zusammenhang mit dem derzeitigen ‚Bologna-Prozess‘ betrachtet werden, d. h. der geplanten europaweiten Angleichung der Studienstrukturen, die eine tendenzielle Vereinheitlichung soziologischer Studiengänge erwarten lässt. Ob diese Vereinheitlichung, über rein formale Anpassungen (Einführung von Bakkalaureats- und Masterstudiengängen) hinaus, auch inhaltliche Angleichungen (und wenn ja, in welcher Richtung?) mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Im Sinne der oben angedeuteten Professionalisierungsbemühungen könnte diese Studienreform durchaus zu einer Herausarbeitung ‚soziologischer Kernkompetenzen‘ genutzt werden. Damit einher geht jedoch auch die Gefahr einer inhaltlichen Ausdünnung des Faches in der Weise, dass als ‚Luxusgebiete‘ betrachtete, interdisziplinär orientierte (und damit zur disziplinären Absicherung nicht geeignete) Themenstellungen, die im deutschen Sprachraum gerade erst im Entstehen begriffen waren, wegrationalisiert werden. Interdisziplinäre Orientierungen erfahren in den letzten Jahren zwar vermehrt Wertschätzung, gleichzeitig werden innerhalb der Soziologie immer wieder Rufe nach einer stärkeren disziplinären Positionierung des Faches gegenüber seinen Nachbardisziplinen und den neu entstehenden Subdisziplinen laut. Smelser hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass soziologische Spezialgebiete, die als Reaktion auf neue soziale Problemstellungen entste-
lichkeit gerechnet werden muss, der das Zerrbild des ‚schmarotzenden Studenten‘ vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen dieser Zeit sicherlich zu relativieren weiß. Eine stärkere Differenzierung des öffentlichen Images der Soziologie nimmt Alemann vor, der zwar auch ein ‚Negativimage‘ in der breiten Öffentlichkeit sieht, jedoch auch auf das teilweise positive Image der Soziologen in der akademischen Welt und bei politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungsträgern verweist. Vgl. Alemann, Berufschancen und Berufsfelder, S. 278. 310 Vgl. hierzu auch Alemann, Berufschancen und Berufsfelder, S. 293. 311 Lamnek, Ottermann, Professionalisierung, S. 29. 312 Vgl. Funken, Einleitung, S. 8–11.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
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hen, häufig mit disziplinären Grenzüberschreitungen in der Art verbunden sind, dass in diesen Spezialgebieten mit verschiedenen anderen Disziplinen zusammengearbeitet wird und auch neuartige multidisziplinär zusammengesetzte Institute entstehen. Das Problem dieser neuartigen Formen der Zusammenarbeit, etwa im Bereich der ‚area studies‘, liegt in deren mangelnder Abstimmung auf disziplinäre Erfordernisse: „(...) they confuse any correspondence between disciplinary boundaries and organizational realities (...), because they are established on problem-oriented, multidisciplinary bases.“313 So wichtig die Beteiligung der Soziologie an derartigen multidisziplinären Unternehmungen ist, so problematisch werden die Konsequenzen dieser Aktivitäten für die Disziplin selbst eingeschätzt. In derartig interdisziplinär zusammengesetzten Instituten oder Forschungsgruppen entwickelte Erkenntnisse würden nicht einem einzelnen Fach zugerechnet und könnten insofern auch nicht zur weiteren Profilierung der Disziplin genutzt werden. Calhoun sieht als zusätzliches Problem zunehmender interdisziplinärer Aktivitäten und Subdisziplinbildungen, dass die Arbeiten dieser neuen Gebiete in den ‚Mutterdisziplinen‘ nicht entsprechend rezipiert werden und somit auch nicht zum Erkenntnisfortschritt in diesen beitragen könnten. Grundlage für diese These bildete eine von Calhoun vorgenommene Zitationsanalyse einschlägiger amerikanischer Fachjournale, die zeigte, dass Gebiete wie die ‚area studies‘, obwohl unter Beteiligung der Soziologie entstanden, nur sehr selten in soziologischen Fachjournalen zitiert werden.314 Der von Krekel-Eiben festgestellte Anstieg Spezieller Soziologien in den 1980er-Jahren in den deutschsprachigen Fachzeitschriften – der als Öffnung des Faches gegenüber Randgebieten und Nachbardisziplinen ebenso wie als Wiederaufnahme einer stärker anwendungsbezogenen Perspektive interpretiert werden kann, mitunter aber auch als Fragmentierung und Zersplitterung der Disziplin kritisiert wird315 – hat in den letzten 20 Jahren eine Fortsetzung erfahren. Calhoun hat für die amerikanische Soziologie einen ähnlichen Entwicklungsverlauf festgestellt: „The frequency with which sociologists cite articles from outside the discipline declined from the late 1940s to the middle 1950s, remained low throughout the 1960s, then rose gradually through the 1970s and 1980s, returning to just a slightly higher level than at the beginning of the period.“316 Hinzu kam aus Calhouns Sicht, dass die Grenzziehung zwischen verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, obwohl extensiv betrieben, sich in den letzten Jahren immer stärker aufgrund des gemeinsamen Gegenstandsbereiches als unhaltbar erweist. Insbesondere die Abgrenzung zur Psychologie, die seit Durkheim immer wieder betrieben wurde, um der Soziologie einen eigenen Gegenstandsbereich zu verschaffen, wird in ihrer Künstlichkeit deutlich, wenn man beachtet, dass die Psychologie, der Analyse Calhouns zufolge, aus der Gruppe anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen die am häufigsten in soziologischen Artikeln zitierte ist.317 Trotzdem wird, vor allem in standespolitischen Äußerungen von Soziologen, immer noch die Grenzziehung zu anderen Disziplinen (auch und gerade zur Psychologie) aufrechterhalten. „While the disciplinary division of labor does protect a certain pluralism, it ironically encourages an interdisciplinary monism – that
313 Smelser, External Influences, S. 50. 314 Vgl. Calhoun, Sociology, Other Disciplines, S. 141. Vgl. auch die entsprechende Problemsicht bei Crane, Small, American Sociology, S. 230–233. 315 Vgl. Funken, Einleitung, S. 10; – Fleck, Fragmentierung, S. 50. 316 Calhoun, Sociology, Other Disciplines, S. 143. 317 Vgl. Calhoun, Sociology, Other Disciplines, S. 172.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
is, an attempt to give a singular und unitary definition to sociology or any other discipline. For the most part, I think sociologists intuitively recognize this, and have come to tolerate a high level of internal pluralism. The tension between this and the idea that in principle there must be some principle unity to the field, however, often leads us to keep a certain amount of bad faith with ourselves.“318 Dieses Faktum, zumindest im Hinblick auf die nach wie vor stattfindenden Verteidigungsaufrufe319 gegenüber Grenzverwischungen zu anderen Disziplinen, kann auch im deutschen Sprachraum beobachtet werden, wie die Stellungnahmen verschiedener Fachvertreter der letzten Jahre zeigen. Die Frage des Umgangs mit der vom Gegenstandsbereich her oft sinnvollen, standespolitisch gesehen aber problematischen Interdisziplinarität wird die Soziologie in den nächsten Jahren sicherlich noch beschäftigen. Ob die Lösung in Richtung einer stärkeren Betonung der Fachgrenzen gehen wird, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen. An dieser Stelle möchte ich eine vor dem Hintergrund der Entwicklung der Emotionsthematik in der Soziologie aus meiner Sicht als sinnvoll erachtete Möglichkeit des standespolitischen Umgangs mit interdisziplinären Orientierungen skizzieren: Man wird hinter ein gewisses Maß an inter- bzw. transdisziplinärer Orientierung – auch unter Berücksichtigung entsprechender diesbezüglicher Forderungen vonseiten staatlicher bzw. europäischer Wissenschaftspolitik – nicht zurückgehen können. Die Soziologie könnte – unter Anerkennung der nur gemeinsam mit anderen Disziplinen zu lösenden Forschungsfragen einer komplexer werdenden Welt – die derzeitige Situation dazu nützen, ihren Beitrag zur Problembewältigung durch eine stärkere Konturierung der Schnittstellen zu Partnerdisziplinen zu spezifizieren. Man könnte dies analog zu den in Abschnitt II skizzierten, verschiedenen Zugängen zur Emotionsthematik sehen: Emotionen (und auch andere Gegenstandsbereiche) wurden von der Soziologie lange Zeit als abhängige Variable analysiert, d. h. es wurde zu zeigen versucht, inwieweit Emotionen sozial bedingt sind bzw. inwieweit auch andere Gegenstandsbereiche als sozial verursacht betrachtet werden können. In Zeiten einer erst allmählich fortschreitenden Institutionalisierung kann ein derartiges Verhalten durchaus sinnvoll sein, um die Legitimation des eigenen Faches kraft seiner Wichtigkeit für die Analyse und das Verständnis unterschiedlicher Gegenstandsbereiche zu erhöhen. Mit dieser Vorgangsweise einher geht jedoch auch ein gewisses, quasi imperialistisches Verhalten durch die Vereinnahmung von Gegenstandsbereichen für die Soziologie und des Versuchs einer Verdrängung der Erklärungsansprüche anderer Disziplinen (die in Zeiten eines sich ausdifferenzierenden Wissenschaftssystems übrigens ein gleichartiges Konkurrenzverhalten an den Tag legen). Ein derartig sich abkapselndes Vorgehen ist angesichts der Einsicht in die nur in interdisziplinärer Kooperation zu klärenden Forschungsfragen nicht mehr sinnvoll, gleichzeitig besteht nach wie vor – in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen für den Wissenschaftsbereich sogar erhöhter – Legitimierungsbedarf für das eigene Fach. In dieser Situation könnte eine Perspektive, die den Anteil der Soziologie an den nur im Verbund mit anderen Wissenschaften gemeinsam zu lösenden Forschungsfragen aufzeigt, zum einen den
318 Calhoun, Sociology, Other Disciplines, S. 184. 319 Funken beschreibt dies folgendermaßen: „Die Vorstellung, daß die Grenzen zwischen den Disziplinen durchlässiger werden, löst bei vielen Fachvertretern eher Unbehagen als Begeisterung aus. Wir haben es heute gleichzeitig mit einer enthemmten Rhetorik der Interdisziplinarität und mit einem gesteigerten Bemühen um sichere Disziplingrenzen zu tun.“ Funken, Einleitung, S. 14–15.
4. Die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie
231
jeweiligen Forschungsgegenständen besser gerecht werden und zum anderen eine adäquatere Möglichkeit der Profilbildung im Wissenschaftsbetrieb bieten.
4.6. Die Soziologie in den USA – eine Vergleichsperspektive Im Folgenden sollen einige markante Unterschiede im Hinblick auf den Institutionalisierungsprozess der Soziologie in den USA und in Deutschland skizziert werden. Eine umfassende Aufarbeitung der Soziologieentwicklung in den USA würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.320 Für mich von Interesse sind vor allem die unterschiedlichen Rahmenbedingungen im Hochschulwesen, die zu einer jeweils anderen Entwicklung der Soziologie in den USA und in Deutschland führten.321 Amerikanische Wissenschaftler verbrachten Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts häufig Studien- und Forschungsaufenthalte in Deutschland und wurden hierbei nicht nur mit den im deutschen Sprachraum diskutierten Forschungsfragen konfrontiert, sondern konnten auch die universitären Strukturen des deutschsprachigen Hochschulsystems kennenlernen. Die US-amerikanischen graduate schools orientierten sich zunächst daher auch an deutschen Vorbildern.322 Allerdings übernahmen die USA nicht das Ordinariensystem der deutschen Hochschulen, bei dem die Inhalte und Fragestellungen eines universitären Faches weitgehend durch den Inhaber des entsprechenden Lehrstuhls vorgegeben wurden. Die inhaltliche Ausrichtung eines Faches wurde an den US-amerikanischen Universitäten von den Mitgliedern eines Departments gemeinsam vorgenommen. Diese stärkere Teamorientierung führte von Beginn an zu einer größeren Breite der Forschungsinhalte und Fragestellungen innerhalb der Departments und damit auch innerhalb der Disziplinen.323 Hinzu kommt, dass die Universitäten in den USA eine kürzere Tradition aufzuweisen hatten als die europäischen Hochschulen, was eine schnellere Etablierung der Soziologie an den Universitäten – ohne den mühevollen Prozess der Anerkennungsgewinnung vonseiten bereits etablierter Disziplinen durchlaufen zu müssen – ermöglichte. Hardin weist auf die lange geisteswissenschaftliche Tradition in Deutschland hin, die eine Separierung eines eigenen akademischen Feldes für die Soziologie dort zunächst erschwerte. „German universities developed a system of institutionalized and verified ‚Geisteswissenschaften‘ which, in dealing with several aspects of culture and history, were also concerned with and used to considering social conditions and facts. Germany has had a highly developed brand of disciplines which had appropriated after their own function the study of society through the foci of culture and history. (...) the remarkable achievements of ‚Geisteswissenschaften‘ worked against a separation of
320 Auch Hardin weist auf die Schwierigkeiten hin, jene Faktoren herauszuarbeiten, die als prägend für die USamerikanische Soziologie betrachtet werden können: „The uniqueness of American sociology today is not to be seen as a product of differential growth rates or purely that of different intellectual traditions, but rather a product of so many factors that it is impossible to isolate and evaluate them all.“ Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 43. 321 Zur Bedeutung von Organisationszusammenhängen für die Produktivität von Wissenschaftssystemen vgl. auch Ben-David, Scientific Productivity, S. 326–328. 322 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 43. – Vgl. auch Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 44–45. 323 Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 45.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
‚society‘ from culture and history.“324 Von Beginn an nahm im Gegensatz dazu in den USA die empirische Forschung, mit dem Ziel der Lösung der durch die modernen Lebensverhältnisse entstandenen sozialen Fragen, einen wichtigen Stellenwert in der Soziologie ein.325 Die Sozialplanungserfordernisse der modernen industrialisierten Großstadt standen etwa im Zentrum der frühen Arbeiten der Chicago School. Fleck wies zudem auf den marktwirtschaftlichen Charakter hin, dem die Genehmigung neuer Studiengänge in den USA unterlag und der die Einführung neuer Studien (im Gegensatz zu den durch staatliche Genehmigungsverfahren geregelten Bildungssystemen, die nicht besonders flexibel sind) erleichterte.326 In den USA konnte bereits 1892, für Albion W. Small, ein erster Lehrstuhl für Soziologie an der University of Chicago eingerichtet werden. In Deutschland waren hingegen erst ab 1919 Lehrstühle, die die Bezeichnung ‚Soziologie‘ im Titel trugen, an den Hochschulen vertreten.327 Als weitere Etablierungsschritte der Soziologie in den USA können genannt werden: Die Gründung des American Journal of Sociology (1896) sowie die 1905 gegründete American Sociological Society.328 In Summe gesehen weist die frühe Soziologie ein thematisch breites und auf die empirische Erforschung sozialer Probleme konzentriertes Profil auf. Hardin beschreibt dies folgendermaßen: „There was the general intellectual concern about the state of the social sciences, there were concerns about the present situation and the future of society, there were influences of European thought, there were changing political and economic factors, there was a new definition of humanity along with a liberal religious movement and, added to this, the growth in the university systems (...)“.329 Auch Bulmer beschreibt die frühe USamerikanische Soziologie als stark empirisch und anwendungsorientiert, was bis heute einen Hauptunterschied zur europäischen Soziologie darstellt. Bulmer betont hierbei auch die Rolle diverser Stiftungen, die die wissenschaftliche Erforschung sozialer Problemlagen finanziell unterstützten und damit einen wesentlichen Einfluss auf die Anwendungsorientierung der Soziologie hatten.330 Auf den institutionellen Beitrag der US-amerikanischen Soziologie zur Entwicklung der empirischen Sozialforschung durch die ‚Erfindung‘ der projektorientierten Forschung wurde bereits weiter oben hingewiesen. Diese von Fleck ausführlich beschriebene institutionelle Voraussetzung empirisch anwendungsbezogener Forschung kann als weiteres Charakteristikum des Hochschulsystems der USA gesehen werden, das eine größere Flexibilität gegenüber dem Aufkommen neuer Themenbereiche bedingte.331 Wenn man Erklärungen für das Wieder-Aufgreifen der Emotionen als Thema der Soziologie in den späten 1960er-Jahren sucht, muss die von Beginn an stärker anwendungsorientierte Ausrichtung der Soziologie in den USA – neben anderen Gründen – mitbeachtet werden. Mit dieser Orientierung ging eine größere Offenheit gegenüber neuen Themen einher und sie war auch der Ausbildung von Nischen, in denen neuartige Ansätze weiter entwickelt werden konnten, dienlich.
324 325 326 327 328 329 330 331
Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 72. Vgl. auch Hardin, The Professionaliszation of Sociology, S. 89–91. Vgl. Fleck, Fragmentierung, S. 50–51. Vgl. Käsler, Die frühe deutsche Soziologie, S. 626–628. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 46–47. Hardin, The Professionalization of Sociology, S. 47. Vgl. Bulmer, The Growth, S. 321, S. 327–335. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 41, S. 456.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie – eine Bestandsaufnahme
Die Geschichte der Soziologie wird häufig als Klassikergeschichte, d. h. anhand der Arbeiten der aus verschiedenen Gründen als ‚wichtig‘ empfundenen Vertreter und Vertreterinnen des Faches erzählt. Die Auswahl der ‚Klassiker‘ eines Faches erfolgt jedoch zumeist nach Kriterien der Gegenwart und es besteht somit die Gefahr, dass zu ihren Lebzeiten bedeutende Autoren oder Autorinnen, die aus verschiedenen Gründen später keine weitere Beachtung innerhalb des Faches erfuhren, vernachlässigt werden. Das spiegelverkehrte Problem existiert natürlich ebenfalls: Jene, die nach gegenwärtigen Kriterien wichtige Beiträge zur Fachentwicklung geleistet haben, müssen unter ihren Zeitgenossen keineswegs ein derartiges Ansehen genossen haben. An dieser Stelle soll nicht näher auf die Frage, ob es universale, überzeitlich gültige Kriterien gibt, nach denen die ‚Klassiker der Soziologie‘ bestimmt werden können, eingegangen werden. Interessiert man sich für die Geschichte eines bestimmten Themas in der Soziologie, erweist sich nämlich der Klassikerzugang jedenfalls als ungeeignet. Zu groß ist die Gefahr, dass man Arbeiten, die das gewählte Thema behandeln, übersieht, und zwar einzig und allein aus dem Grund, weil sie nicht von einem ‚Klassiker‘ des Faches vorgelegt wurden. Das folgende Kapitel möchte den Versuch unternehmen, die Geschichte der deutschsprachigen Soziologie als Themengeschichte darzustellen, genauer gesagt, die Soziologiegeschichte unter dem Fokus des Themas der Emotionen näher zu betrachten. Themen werden allerdings immer von konkreten Personen propagiert oder vernachlässigt. Letztlich ist daher die Gefahr groß, wieder eine Art Klassikergeschichte zu schreiben und in diesem Fall die Geschichte der Klassiker der Soziologie der Emotionen zu erzählen. Die verdienstvollen Arbeiten von Barbalet, Gerhards, Flam und anderen verfolgten zum Teil ein solches Vorgehen, indem sie die Werke herkömmlicher ‚Klassiker‘ der Soziologie analysierten bzw. auf Autoren und Autorinnen aufmerksam machten, die für die Soziologie der Emotionen wichtige Bezugspunkte bilden können, ohne dass sie bisher als Klassiker des Faches betrachtet wurden (wie etwa William James). Durch diese Analysen wurde der Boden für eine stärkere Beachtung der Soziologie der Emotionen bereitet. Aus einer Perspektive, die von den ‚Größen‘ des Faches oder eines Themas ausgeht, erhält man jedoch keine Erklärungen für die Brüche und Diskontinuitäten in der Verfolgung dieses Themas. Mein Ziel war es, die unterschiedliche Konjunktur der Emotionen in der Soziologie zu erklären. Ich habe daher für meine Arbeit eine Vorgangsweise gewählt, die die Entwicklung des Themas anhand der hauptsächlichen Kommunikationsorgane der Disziplin nachzuzeichnen versucht. Fachzeitschriften stellen ein Korrektiv für eine reine Klassikergeschichte dar, da sie – gebrochen durch den Filter der Herausgeberentscheidungen – den Diskussionsstand des mainstreams einer Disziplin widerspiegeln können und hierbei auch Arbeiten jener Autoren und Autorinnen enthalten, die später nicht in das ‚Klassiker-Pantheon‘ aufgenommen wurden. Sobald nicht mehr nur eine überschaubare Gruppe einzelner Forscher und Forscherinnen in einem Fachgebiet arbeitet, sondern sich eine – nicht mehr durch reine Face-toface-Beziehungen gekennzeichnete – wissenschaftliche Gemeinschaft entwickelt hat, ist K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9_13, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
es notwendig, den Ideenaustausch in irgendeiner Weise zu organisieren. Fachzeitschriften stellten und stellen in dieser Hinsicht wichtige Medien des wissenschaftlichen Austausches dar. Ab einer gewissen Größe der Disziplin und einem anerkannten Status des Fachjournals übersteigt allerdings die Zahl der bei einer Fachzeitschrift eingereichten Arbeiten das Maß der produktionstechnisch bewältigbaren Artikel. Es ergibt sich nicht zuletzt deshalb die Notwendigkeit einer näheren Selektion unter den eingereichten Arbeiten. Die Herausgeber bzw. Herausgeberinnen und Gutachter bzw. Gutachterinnen üben eine Art Gate-keeper-Funktion für die Disziplin aus, indem sie wesentlichen Einfluss darauf haben, welche Artikel und Themen vom Rest der Disziplin wahrgenommen werden.1 Die Veröffentlichung einer Arbeit ist – aufgrund des Erfolges während des Auswahlverfahrens und der Durchsetzung gegenüber anderen eingereichten Arbeiten – nicht nur geeignet, die Reputation des Autors oder der Autorin zu erhöhen, sondern auch jene des von ihm oder ihr behandelten Themas. Artikel, die neue Themen oder methodische Ausrichtungen aufweisen, werden – so ist zu vermuten – zunächst kaum Eingang in ein Fachorgan finden. Sie werden entweder aufgrund eines anderen wissenschaftlichen Verständnisses der Herausgeber oder der thematischen Ferne zu den sonstigen Inhalten der Zeitschrift abgelehnt. Was sich über eine inhaltliche Analyse der Fachzeitschriften daher feststellen lässt, ist, ab wann es Artikeln mit einer bestimmten thematischen Ausrichtung – zum Beispiel im Hinblick auf eine Soziologie der Emotionen – gelang, Anerkennung bei den Verantwortlichen der Zeitschriften zu finden. Durch die Zeitschriftenanalyse allein können jedoch noch keine Aussagen über das tatsächliche allgemeine Interesse an einem Thema getroffen werden. Es kann entweder sein, dass Artikel zu einem bestimmten Thema zwar eingereicht wurden, aber keine Anerkennung fanden, oder aber, dass bestimmte Themen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft vorher tatsächlich nicht berücksichtigt wurden. Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, eine inhaltliche Analyse der abgelehnten Artikel vorzunehmen (wie sie beispielsweise Sahner für den Zeitraum 1972–80 mit Unterstützung der Herausgeber der Zeitschrift für Soziologie für ebendiese Zeitschrift erstellt hat),2 weshalb es auch schwierig ist, festzustellen, ab wann – abgesehen vom Erscheinen der ersten Artikel – das Thema der Emotionen Interesse unter den deutschsprachigen Soziologen und Soziologinnen, die in Fachzeitschriften publizieren, erregt hat. Hinzu kommt, dass nach wie vor ein großer Teil soziologischer Literatur in anderen Publikationsformen (Monographien, Sammelbänden) erscheint. Aufgrund der Unüberschaubarkeit der „Flut der mittlerweile erscheinenden soziologischen Buchpublikationen“3 hatten bereits Lüschen et al. 1979 eine Konzentration ihrer Analyse auf Zeitschriftenartikel – verstanden als ‚professionellen Kern‘ soziologischer Publikationen – vorgenommen. Es kann allerdings sein, dass sich neuartige Themen erst sehr spät innerhalb dieses ‚professionellen Kerns‘ soziologischer Publikationen durchsetzen. Möglicherweise fand also das Thema der Emotionen in Monographien eine frühere oder kontinuierlichere Beachtung als in den Fachzeitschriften. Für eine Überprüfung dieser Annahme wurde neben der Zeitschriftenanalyse auch eine Recherche in elektronischen Datenbanken vorgenommen, mit dem Ziel, die im Untersuchungszeitraum erschienenen Monographien und sonstigen Publikationsformen zum Thema erfassen zu können. Aufgrund der Datenmenge wurde allerdings im Rahmen der vorliegenden Arbeit lediglich
1 2 3
Zur Gate-keeper-Funktion der Herausgeber bzw. Gutachter vgl. u. a.: Lindsey, The Scientific Publication System, S. 61ff.; – Sahner, Zur Selektivität, S. 82. Vgl. Sahner, Zur Selektivität, S. 83. Lüschen et al., Die Entwicklung der deutschen Soziologie, S. 170–171.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
235
eine quantitative Übersicht dieser Publikationen zum Thema Emotionen (im Hinblick auf deren Erscheinungsdaten) erstellt und auf eine nähere inhaltliche Analyse der entsprechenden Arbeiten (vergleichbar zu jener im Rahmen der Zeitschriftenanalyse) verzichtet.
5.1. Vorgangsweise Im Rahmen der Zeitschriftenrecherche wurde zunächst nach Artikeln gesucht, die sich in irgendeiner Weise mit Emotionen beschäftigen. Die Auswahl wurde bewusst sehr breit angelegt. Erst in einem weiteren Analyseschritt sollte geprüft werden, ob die gefundenen Publikationen auch einer ‚Soziologie der Emotionen‘ zugerechnet werden können. Zunächst wurden all jene Zeitschriftenbeiträge (unter Absehung von Rezensionen und sonstigen Mitteilungen) gesucht, die bereits im Titel Hinweise auf eine Auseinandersetzung mit Emotionen lieferten.4 Die Inhaltsverzeichnisse der Zeitschriften wurden hierfür in Papierform durchgesehen. Auf die Verwendung von Datenbanken bzw. online-Archiven wurde aus zwei Gründen verzichtet: Zum einen sind elektronische Suchfunktionen nicht bei allen ausgewählten Zeitschriften vorhanden oder decken nur einen Teil des Untersuchungszeitraumes ab, zum anderen bot die Beschäftigung mit den Inhaltsverzeichnissen die Möglichkeit, gewissermaßen induktiv und schrittweise das verwendete Schlagwortregister zu erweitern.5 Neben dem Wort Emotion, als allgemein gehaltene Bezeichnung für Gefühle, wurden auch sprachliche Äquivalente wie Affekte, Gefühle oder Gemütsbewegungen sowie konkrete Emotionsbezeichnungen im Rahmen der Titelrecherche beachtet. Die Schlagwortliste wurde zudem im Zuge der Arbeit auch durch weitere Ausdrücke, wie etwa Zufriedenheit, Vertrauen und Stress, ergänzt, die ebenfalls Bezüge zur Emotionsthematik vermutet ließen. Die Beschäftigung mit Gefühlen wird häufig mit dem Fach Psychologie assoziiert, weshalb auch Artikel, die im Titel die Silbe psych- enthielten, berücksichtigt wurden. Angenommen wurde außerdem, dass auch Abhandlungen, die die Worte bzw. Silben Rationalität, rational- und Vernunft im Titel tragen, sich in der einen oder anderen Weise mit Gefühlen (wenn vielleicht auch in abgrenzender Form) beschäftigen. Die endgültige Schlagwortliste enthielt folgende Ausdrücke: Affekt, Aggression, Angst, Antipathie, Ärger, Depression, Ekel, Emotion, Freude, Frustration, Furcht, Gefühl, Gemütsbewegung, Hass, Leidenschaft, Liebe, Lust, Melancholie, -psych, Ratio, rational, Scham, Schuld, Stress, Sympathie, Trauer, Überraschung, Verlegenheit, Vernunft, Vertrauen, Wut, Zufriedenheit.6 Die Inhaltsverzeichnisse wurden aufgrund des sich ständig erweiternden Schlagwortregisters mehrmals durchsucht. In Summe wurden auf diese Weise – für den Zeitraum
4
5
6
Zur Verwendung von Schlagwortrecherchen in den Titeln von Zeitschriftenbeiträgen, um das Wachstum eines wissenschaftlichen Feldes zu beschreiben, und den damit verbundenen Operationalisierungsschritten vgl. Woolgar, The Identification, S. 238–241. Teilweise (vor allem bei einigen erst kürzlich erschienenen Jahrgängen der Sozialen Welt) liegen Unterschiede zwischen den im elektronischen Archiv gespeicherten Aufsatztiteln und den tatsächlich publizierten Artikeln im Hinblick auf die Titelgebung vor. Berücksichtigt wurden für die vorliegende Analyse nur jene Artikel, die im publizierten Inhaltsverzeichnis und im tatsächlich erschienenen Beitrag ein Emotionswort im Titel aufwiesen. Zum Teil wurden auch die englischen Übersetzungen sowie weitere Äquivalente der Ausdrücke (z. B. Freude – fröhlich) beachtet. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Schlagworte sowohl in der Singular- als auch in der Pluralform (z. B. Aggression/Aggressionen) berücksichtigt wurden.
236
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
1949–2003 – 244 Artikel (von insgesamt 5.468 in diesem Zeitraum in den ausgewählten Zeitschriften erschienenen Artikeln, d. h. 4,5 % dieser Veröffentlichungen) gefunden, die aufgrund des Titels eine nähere Beschäftigung mit Emotionen vermuten ließen. 88-mal enthielten die Titel die Worte Rationalität, rational- und Vernunft, die sich in weiterer Folge als weitgehend nicht relevant erwiesen (siehe dazu weiter unten). Ein Artikel aus dieser ‚Rationalitätsgruppe‘ enthielt auch die Titelworte ‚Emotionalität‘ und ‚Gefühle‘, weshalb also in Summe 87 Artikel (d. h. 1,6 % aller Veröffentlichungen dieses Zeitraumes) in die später nicht weiter berücksichtigte ‚Rationalitätsgruppe‘ entfielen. 157 Artikel (d. h. 2,9 % aller Veröffentlichungen dieses Zeitraumes) enthielten somit Schlagworte im Titel, die dem Emotionskontext zugerechnet werden können. Zu folgenden Schlagworten fanden sich im Untersuchungszeitraum keine Artikel: Antipathie, Ärger, Depression, Ekel, Gemütsbewegung, Melancholie, Trauer, Überraschung, Wut.
Anzahl der Nennungen pro Schlagwort:
Affekt 4 Aggression 6 Angst 2 Emotion 9 Freude 2 Frustration 1 Furcht 1 Gefühl 6 Hass 2 Leidenschaft 1 Liebe 9 Lust 1 Psych70 Scham 2 Schuld 1 Stress 6 Sympathie 1 Verlegenheit 1 Vertrauen 17 Zufriedenheit 20 Summe 1628
7
8
Rationalität 24 rational 61 Vernunft 5 Summe 907
In zwei Fällen fanden sich im Titel zwei Schlagworte aus dem ‚Rationalitätskontext‘, in einem Fall lag eine Überschneidung mit der Gruppe der ‚Emotionalitätsausdrücke‘ vor, sodass in Summe 87 Artikel auf die ‚Rationalitätsgruppe‘ entfallen. In fünf Fällen fanden sich im Titel zwei Schlagworte aus dem Emotionskontext, sodass in Summe 162 Nennungen auf 157 Artikel entfallen.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
237
Es wurde zunächst eine nähere Analyse aller 244 Abhandlungen vorgenommen. Die Beiträge wurden hierbei in Artikel, die sich mit Emotionen im engen Sinne und im weiteren Sinne beschäftigen, unterteilt.9 Im ‚engen Sinne‘ bezieht sich darauf, dass Emotionen und ihr Zusammenhang mit dem Sozialen (theoretisch oder empirisch begründet) das zentrale Thema des Artikels darstellen oder – im Fall rein empirischer Studien – Emotionen als zentrale Variable behandelt werden.10 Es wurde jedoch nicht vorausgesetzt, dass vom Autor oder der Autorin seine/ihre Abhandlung auch als eine ‚Soziologie der Emotionen‘ bezeichnet wurde. Das Label ‚Soziologie der Emotionen‘ wird in der deutschsprachigen Soziologie erst seit Kurzem verwendet und ist daher kein geeigneter Indikator um (frühe) Arbeiten zur Emotionsthematik aufzuspüren. Im ‚weiten Sinne‘ bezieht sich auf jene Arbeiten, die das Thema der Emotionen in irgendeiner Weise streifen, ohne dass die Emotionen das Hauptthema des Artikels sind, oder dass sie die einzige relevante Variable darstellen. In diese Kategorie wurden vor allem Arbeiten eingereiht, die den Speziellen Soziologien zugeordnet werden können. Es geht in diesen Arbeiten zumeist um die Bedeutung konkreter Emotionen für bestimmte soziale Sachverhalte, wie z. B. Devianz oder Arbeitslosigkeit. Auch Artikel, die sich mit den Gefühlszuständen des Vertrauens und der Zufriedenheit beschäftigten, wurden zum Teil dieser Kategorie zugeordnet. Bei der Zuordnung der Artikel zu den verschiedenen Kategorien ergaben sich selbstverständlich Graubereiche. In Zweifelsfällen, bei denen nicht klar entschieden werden konnte, ob ein Artikel Emotionen im ‚engen‘ oder im ‚weiten‘ Sinne diskutiert, wurde als zusätzliches Kriterium überprüft, inwieweit sich der Autor oder die Autorin auf ‚klassische‘ Werke aus der Literatur zur Soziologie der Emotionen bezogen hat.11 Das Vorhandensein solcher Literaturverweise wurde als Indiz dafür gewertet, einen Artikel der ‚engen‘ Kategorie zuordnen zu können. Folgende Überlegungen führten zu dieser Unterteilung der Artikel in eine ‚enge‘ und eine ‚weite‘ Kategorie: Es wurde angenommen, dass zur Entwicklung einer expliziten Soziologie der Emotionen ein wie auch immer geartetes Bewusstsein in der scientific community über die Bedeutung von Affekten für soziale Zusammenhänge vorhanden sein muss. Ob sich dieses Bewusstsein auch in einer systematischeren Beschäftigung mit der Rolle der Affekte im Sozialen niederschlägt (wie es für die Artikel der ‚engen‘ Kategorie zutrifft), hängt – so meine These – auch von den Rahmenbedingungen des wissenschaftlichen Systems ab. Es wurde also vermutet, dass Artikel, die sich im ‚weiten‘ Sinne mit Emotionen befassen, bereits sehr früh und über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg gefunden werden können und gewissermaßen auch den Boden für eine Soziologie der Emotionen vorbereiten, während Artikel der ‚engen‘ Kategorie gehäuft in den letzten Jahren auftreten dürften, die durch ein Nachlassen der Abgrenzungserfordernisse gegenüber anderen Disziplinen und in-
9
10 11
Während ein Artikel zwar mehrere verschiedene Titelworte aufweisen kann und es deshalb in diesem Bereich auch zu Doppelzählungen kam, kann er nur einmal danach klassifiziert werden, ob er Emotionen im ‚engen‘ oder ‚weiten‘ Sinne behandelt bzw. für dieses Thema ‚nicht relevant‘ ist. Es wurden hierbei sowohl Arbeiten berücksichtigt, die sich mit emotionalem Geschehen per se beschäftigen, als auch solche, die vor allem die semantischen Korrelate emotionaler Befindlichkeiten behandelten. Gemeint sind hiermit Arbeiten u. a. von Denzin, Scheff oder Hochschild, die bereits von Kemper als ‚StartBeiträge‘ zu einer Soziologie der Emotionen beschrieben wurden und die in einschlägigen Übersichtswerken seither regelmäßig zitiert werden. Vgl. Kemper, Themes and Variations, S. 4; – Williams, Emotion and Social Theory, S. 2; – Flam, Soziologie der Emotionen, S. 9.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
terdisziplinären Querschnittsthemen sowie die allmähliche Etablierung des Spezialgebietes Soziologie der Emotionen gekennzeichnet sind. Die dritte Kategorie ‚nicht relevant‘ bezog sich auf jene Artikel, die zwar die oben genannten Schlagwörter aus dem Kontext der Emotionen im Titel aufweisen, die sich jedoch inhaltlich – wie eine nähere Analyse ergab – nicht mit Emotionen befassten bzw. nur kurze Hinweise auf diese (allerdings ohne deren soziale Dimensionen zu beachten) enthielten. In diese Kategorie fielen vor allem die Artikel aus der ‚Rationalitätsgruppe‘, die sich zumeist nicht mit Gefühlen – auch nicht in abgrenzender Weise – beschäftigen. Bei der Klassifikation der Artikel wurde – soweit möglich – eine zusätzliche Beurteilung dahingehend vorgenommen, ob die Artikel Emotionen als abhängige oder unabhängige Variable betrachten oder ob eine Synthese beider Sichtweisen versucht wird. Eine weitergehende inhaltliche Beurteilung der Artikel wurde nicht angestrebt (etwa im Hinblick darauf, inwieweit das vorgelegte Emotionsmodell für die soziologische Analyse von Gefühlen geeignet erscheint, oder inwieweit die Interpretation eines Klassikers im Lichte der Emotionssoziologie dem Werk dieses Klassikers gerecht wird usw.). Grundlegende Annahme bei der gewählten Vorgangsweise war, dass die Gestaltung der Beitragstitel soziologischer Zeitschriften bereits Rückschlüsse auf den Inhalt des jeweiligen Artikels zulässt. Durch die Titelgestaltung wird – so die Annahme – dem Artikel ein ‚Etikett‘ verliehen, das das Interesse der potentiellen Leserschaft wecken und auf den ersten Blick eine thematische Einordnung des Beitrages erlauben soll. Aufsatztitel können zudem als Art ‚Bekenntnis‘ der Autoren und Autorinnen zu den aus ihrer Sicht als wesentlich einzustufenden Inhalten ihrer Arbeit gelesen werden. Die Verwendung von Worten aus dem Emotionskontext scheint daher geeignet zu sein, als Hinweis für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Emotionen im jeweiligen Artikel zu dienen. Es könnte hier natürlich eingewendet werden, dass die Titelgestaltung wissenschaftlicher Arbeiten bestimmten stilistischen Modeerscheinungen unterliegt oder mit dem Formalisierungsgrad wissenschaftlicher Kommunikation im Allgemeinen variiert. Emotionsworte im Titel könnten also beispielsweise auch als Hinweis auf ein informelleres Verhalten der Autoren und Autorinnen und einen damit verbundenen ‚lockeren‘ Schreibstil gewertet werden. In Zeiten eines expandierenden Wissenschaftssystems stehen auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor der Notwendigkeit, sich speziell um die Aufmerksamkeit des durch die Quantität des Angebotes ständig überforderten Lesepublikums zu bemühen. Emotionsworte im Beitragstitel sind geeignet, die Neugier der Leser und Leserinnen zu wecken und können somit durchaus verwendet werden, ohne dass der Beitrag sich mit Gefühlen beschäftigt (ein Beispiel für ein solches Vorgehen wäre etwa der Artikel von Reiner Grundmann in der Zeitschrift für Soziologie (1999) „Wer hat Angst vor F. Nietzsche?“, in dem keineswegs das Faktum der Angst näher thematisiert wird, sondern es sich um eine Replik auf eine zuvor erschienene Kritik an Grundmanns Ansatz der Risikosoziologie handelt). Die nähere Prüfung der aufgrund des Titels ausgewählten Beiträge ergab jedoch, dass in den meisten mit eindeutigen Emotionsworten12 gekennzeichneten Artikeln sowie beim Titelwort ‚Stress‘ (in Summe also bei 54 Artikeln, d. h. bei 1 % der Zeitschriftenveröffentlichungen des
12
Als eindeutige Emotionsworte wurden folgende, nach Abzug der Leermeldungen verbliebene Schlagworte betrachtet: Affekt, Aggression, Angst, Emotion, Freude, Frustration, Furcht, Gefühl, Hass, Leidenschaft, Liebe, Lust, Scham, Schuld, Sympathie, Verlegenheit.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
239
Untersuchungszeitraumes) tatsächlich Emotionen thematisiert wurden und nur ein kleiner Teil dieser Beiträge als nicht relevant ausgeschieden werden musste. Artikel mit Schlagworten bzw. Silben, die sich nicht eindeutig auf Emotionen beziehen, bei denen jedoch ein Naheverhältnis dazu angenommen wurde (Rationalität, rational-, Vernunft sowie Artikel mit der Silbe psych- im Titel), erwiesen sich in den meisten Fällen als nicht relevant für die Thematik. Auch Artikel mit den Schlagworten ‚Zufriedenheit‘ und ‚Vertrauen‘, die sich eigentlich auf Gefühlszustände beziehen müssten, erwiesen sich sehr häufig als nicht relevant. Nur bei wenigen dieser Beiträge konnten Bezüge zur Emotionsthematik festgestellt werden (Näheres hierzu siehe weiter unten). Das Schlagwort ‚Stress‘ wurde in die Recherche aufgenommen, da hier ähnlich wie bei ‚Vertrauen‘ und ‚Zufriedenheit‘ ein Naheverhältnis zur Emotionsthematik vermutet wurde, was in diesem Fall auch bestätigt werden konnte (lediglich zwei der sechs Artikel aus dieser Gruppe wurden als nicht relevant eingestuft). Das Vorhandensein eindeutiger Emotionsschlagworte – im Gegensatz zu nur vage oder gar nicht mit dem Thema verbundenen Titelworten – kann somit als relativ sicherer Indikator für die inhaltliche Beschäftigung des Artikels mit Emotionen angesehen werden. Es ist davon auszugehen, dass – da bereits bei den vage mit der Emotionsthematik assoziierten Titelworten nur eine Minderzahl relevanter Beiträge (mit der Ausnahme der ‚Stressgruppe‘) gefunden werden konnte – auch unter jenen Artikeln, deren Titel keinerlei Naheverhältnis zum Emotionsthema andeutet, kaum Beiträge gefunden werden dürften, die sich in relevanter Weise mit Emotionen auseinandersetzen.13 Die Titelrecherche wurde somit als geeignet betrachtet, einen Überblick über die Verbreitung des Themas der Emotionen in den einschlägigen deutschsprachigen Fachzeitschriften zu erstellen. Wobei zu beachten ist, dass – wie bereits erwähnt – hiermit noch keine Aussagen über die Verbreitung des Themas in der Disziplin insgesamt formuliert werden können, da Monographien und andere Publikationsformen nicht berücksichtigt wurden. Im Weiteren konzentriert sich die Analyse vor allem auf die 54 im engen Sinne mit der Emotionsthematik befassten Artikel, zu denen auch die Artikel mit dem Schlagwort ‚Stress‘ gerechnet wurden (vgl. Tabelle 1).
13
Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass Artikel sich zwar dem Thema der Emotionen widmen, dies jedoch nicht im Titel ankündigen. Aufgrund der vorhandenen Daten und der Unterrepräsentation relevanter Artikel in den nur vage mit der Thematik verbundenen Titelwortgruppen wurde jedoch auf eine weitergehende Recherche verzichtet. Denkbar wäre es beispielsweise, eine systematische Stichprobe aus allen im Untersuchungszeitraum erschienenen Artikeln zu ziehen (unabhängig von deren Titelgestaltung) und diese auf die Behandlung des Themas der Emotionen hin zu analysieren. Der zusätzliche Erkenntnisgewinn einer solchen, sehr aufwendigen Recherche wurde allerdings – in Anbetracht des Zieles der vorliegenden Untersuchung, einen ersten groben Überblick über die Geschichte des Themas in den deutschsprachigen Fachzeitschriften zu geben – als gering eingestuft. Hinzu kommt, dass schon durch die mit der hier gewählten Vorgangsweise gefundenen Artikel das in der Literatur verbreitete Bild von der bisherigen ‚Emotionsferne‘ der deutschsprachigen Soziologie revidiert werden kann.
240
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Tabelle 1: Anzahl der Artikel nach Bezug zur Emotionsthematik und Zeitschrift (verschiedene Teildatensätze im Vergleich) Gesamterhebung (ohne die Schlagworte bzw. Silben: Rationalität, rational, Vernunft) eng Soziale Welt
weit
nicht relevant
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Summe
13
11
5
22
3
22
55
17
157
9
33 (21 %)
30 (19 %)
94 (60 %)
(reduziert um die Schlagworte bzw. Silben: psych-) eng
weit
nicht relevant
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Summe
9
12
11
4
8
2
9
20
15
90
32 (35,5 %)
14 (15,5 %)
44 (49 %)
(reduziert um die Schlagworte bzw. Silben: Zufriedenheit) eng
weit
nicht relevant
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Summe
9
12
11
4
7
0
5
11
11
70
32 (45,7 %)
11 (15,7 %)
27 (38,6 %)
(reduziert um die Schlagworte bzw. Silben: Vertrauen) eng
weit
nicht relevant
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Summe
9
12
11
4
7
0
4
3
4
54
32 (59,2 %)
11 (20,4 %)
11 (20,4 %)
Bei der hier gewählten Operationalisierung lag das Bemühen vor, durch die Beachtung möglichst vieler Schlagworte gewissermaßen das Netz sehr weit auszuwerfen, um auch frühe, eventuell in Vergessenheit geratene Arbeiten über Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie entdecken zu können. Die quantitativen Angaben über die Zahl der in den jeweiligen Kategorien aufgefundenen Artikel spiegeln Tendenzen wider, dürfen jedoch nicht im Hinblick auf das absolute Ausmaß der Arbeiten zur Emotionsthematik in der deutschsprachigen Sozi-
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
241
ologie überinterpretiert werden.14 Ablesbar sind an meinen Daten allgemeine Verlaufskurven des Themas, die Ansatzpunkte für weiterführende Untersuchungen liefern können. Insbesondere ein Vergleich der Verlaufskurve des Themas mit dem Institutionalisierungsverlauf der Soziologie als Disziplin erschien mir sinnvoll, um Hypothesen zur möglichen Wirkung von Institutionalisierungsprozessen auf die Beachtung oder Nichtbeachtung dieses Themas überprüfen zu können. Die Titelrecherche ermöglicht einen ersten groben Überblick über die Verbreitung des Themas der Emotionen in einschlägigen deutschsprachigen Fachzeitschriften und die Entwicklung von Erklärungsansätzen für die wechselnde Konjunktur dieses Themas. Darüber hinaus ist es auch möglich zu zeigen, ab wann in den Fachzeitschriften explizit von einer Soziologie der Emotionen die Rede ist. Ob es bereits vorher außerhalb der gewählten Zeitschriften eine Soziologie der Emotionen im deutschen Sprachraum gegeben hat (und welche inhaltliche Ausrichtung hierbei verfolgt wurde), könnte nur anhand weiterführender Recherchen und Analysen, die insbesondere auch Monographien und sonstige Publikationsformen stärker berücksichtigen als es in der vorliegenden Arbeit möglich war, festgestellt werden. Hinzuweisen ist auch darauf, dass eine vergleichbare Operationalisierung der Untersuchung im Hinblick auf den englischen Sprachraum sich wesentlich schwieriger gestalten würde. Die Entscheidung, welche Zeitschriften in die Analyse einbezogen werden sollten, würde ein diffiziles Entscheidungsproblem darstellen. Der anglo-amerikanische Raum weist eine wesentlich höhere Zahl an Fachzeitschriften mit einem noch dazu höheren Spezialisierungsgrad auf.15 Der soziologische mainstream im deutschen Sprachraum kann hingegen sehr gut über die ausgewählten Zeitschriften erfasst werden. In der vorliegenden Arbeit wurde also auf eine explizite Prüfung der These der früheren und stärkeren Verbreitung der Soziologie der Emotionen im anglo-amerikanischen Raum anhand von Zeitschriften verzichtet, sondern lediglich das gängige Urteil darüber aus der Literatur übernommen.
14
15
Dieses Problem stellt sich im Übrigen auch für die Analyse thematischer Entwicklungen in den Naturwissenschaften. Woolgar stellte beispielsweise im Rahmen einer Arbeit zum Wachstum des Themenbereichs der Radiofrequenzstrahlung fest, dass die Wachstumskurven des Themas abhängig von seiner konkreten Operationalisierung sehr unterschiedlich aussehen können und derartige Daten daher nur entsprechend vorsichtig interpretiert werden sollten. Vgl. Woolgar, The Identification, S. 243. Es würde beispielsweise nicht ausreichen, lediglich bedeutendere US-amerikanischen Zeitschriften (American Journal of Sociology, American Sociological Review, Social Forces) in die Analyse mit einzubeziehen, wie es Krekel-Eiben für ihre Arbeit getan hat, da auch in Großbritannien, Kanada oder Australien frühe Beiträge zu einer Soziologie der Emotionen verfasst wurden, wie bereits ein Blick in die Autorenverzeichnisse der Bände von Kemper und Bendelow/Williams zeigt, und es eine ganze Reihe weiterer gut etablierter soziologischer Fachzeitschriften im englischen Sprachraum gibt. Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 90; – Bendelow, Williams, Emotions in Social Life, S. IX–XII; – Kemper, Research Agendas, S. 335.
242
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
5.2. Ergebnisse
5.2.1. Themengruppen mit geringer Relevanz für die Emotionsthematik Die ausgewählten Titelworte erwiesen sich – wie bereits beschrieben – als unterschiedlich gut geeignet, um soziologische Analysen zum Thema Emotionen im weitesten Sinne aufzudecken.
5.2.1.1. ‚Zufriedenheit‘ Trotz der häufigen Zuordnung der Artikel mit den Titelworten ‚Zufriedenheit‘ und ‚Vertrauen‘ zu den nicht relevanten Artikeln ist es interessant, sich diese Themenkomplexe näher anzusehen. Es zeigt sich, dass im deutschen Sprachraum zwar offensichtlich Themen bearbeitet wurden, die gemäß einer wörtlichen Interpretation der Titelworte die Befindlichkeit von Akteuren in den Mittelpunkt der Analyse stellen müssten – und es somit auch naheliegend erschien, in diesen Artikeln eine nähere Auseinandersetzung mit den affektiven Komponenten des Sozialen zu finden –, in der tatsächlichen Ausrichtung der Arbeiten jedoch keine nähere Analyse subjektiver Befindlichkeiten im Hinblick auf emotionale Qualitäten vorgenommen wurde. Artikel mit dem Titelwort ‚Zufriedenheit‘ tauchen, von einer Ausnahme aus dem Jahr 1958 abgesehen, vor allem im Zeitraum zwischen 1975–1993 auf – in einer Zeit also, die gemäß den Kemper’schen Überlegungen im englischen Sprachraum durch eine Neuzuwendung zu den Emotionen gekennzeichnet war. Eine gleichartige Thematisierung emotionaler Aspekte kann in den deutschsprachigen Artikeln mit dem Titelwort Zufriedenheit jedoch nicht festgestellt werden. Sie beschäftigen sich vorrangig mit Phänomenen der Arbeitswelt, wobei der Zustand der Zufriedenheit durch die Bewertung unterschiedlicher Aspekte des Arbeitsplatzes erhoben wird. Emotionale Komponenten dieses Bewertungsprozesses werden hierbei außer Acht gelassen (im Gegensatz übrigens zu einigen in jüngerer Zeit (1989–1992) erschienenen, thematisch ähnlich gelagerten Artikeln aus dem Bereich der Stressforschung).16 Das Wohlbefinden oder Unwohlsein am Arbeitsplatz wird in den Studien zur Arbeitszufriedenheit nicht näher analysiert, d. h., es fehlen Fragen zur Erfassung dieser Zustände, etwa zu möglichen depressiven Verstimmungen oder psychosomatischen Erkrankungen usw. Auch soziale Komponenten, die einen Einfluss auf die Zufriedenheit haben könnten, treten in diesen Studien im Vergleich zu ‚objektiven‘ Aspekten des Arbeitsplatzes (etwa der Einkommenshöhe) in den Hintergrund. Diese Ausrichtung der Artikel entspricht weitgehend dem in der Sozialindikatorenforschung der 1970er-Jahre vorherrschenden Bild. Durch standardisierte Messinstrumente wurden verschiedene Faktoren der Lebensqualität (objektive und subjektive)17 empirisch quantitativ erhoben, um eine wissenschaftlich begründete Grundlage
16
17
Zur Relevanz der Emotionen in der Stressforschung vgl. auch Vester, Emotion, Gesellschaft und Kultur, S. 47–68. – Bei der Stressforschung handelt es sich im Übrigen um ein Gebiet, das multidisziplinäre Zusammenarbeit voraussetzt und das daher – aus ähnlichen Gründen wie die Emotionsthematik – erst in jüngerer Zeit reüssieren konnte; vgl. hierzu auch Schedlowski, Streß, S. 19–29. Zur untrennbaren Interaktion objektiver und subjektiver Indikatoren der Lebensqualität vgl. Strosberg, Lebensqualität, S. 108.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
243
für sozial- und gesellschaftspolitische Entscheidungen liefern zu können. Im Hinblick auf die Arbeitswelt ging es hierbei u. a. darum, Wertvorstellungen und Erwartungen der Arbeitnehmer mit den realen Arbeitsbedingungen bzw. der Wahrnehmung derselben zu kontrastieren und hierdurch Unzufriedenheitspotentiale deutlich zu machen und so in weiterer Folge eventuell zu deren Behebung im Sinne einer ‚Humanisierung der Arbeitswelt‘ beitragen zu können.18 Die methodischen Probleme eines ‚Messens‘ subjektiver Befindlichkeiten wurden, wie etwa die Diskussionen der Sektion „Soziale Indikatoren“ der DGS zeigen, bereits damals eingehend erörtert.19 Allerdings spielte dabei das Thema der ‚kognitiven Verkürzung‘ der Einstellungsproblematik (d. h. der mangelnden Berücksichtigung von affektiven Werthaltungen und daraus resultierenden Handlungstendenzen)20 zunächst kaum eine Rolle. Seit Ende der 1980er-Jahre wird ein weites Spektrum an Themen (reichend von der Zufriedenheit mit professionellen Berufsvertretungen über die Lebenszufriedenheit alter Menschen bis hin zur Wohnzufriedenheit) unter dem Schlagwort Zufriedenheit abgehandelt; allerdings überwiegt dabei, wie schon in den frühen Artikeln zur Arbeitszufriedenheit, weiterhin eine Ausrichtung, die die gefühlsmäßigen Komponenten des Themas Zufriedenheit vernachlässigt.21 Dass Arbeitsplatzzufriedenheit auch emotionale Komponenten umfasst, kann anhand eines Artikels von Schmidt und Pontzen deutlich gemacht werden, der unter der Titelsilbe psych- gefunden wurde. 1975 kommen die Autoren zu dem Schluss, dass physische und psychische Belastungen durch die strukturellen Wandlungen des industriellen Produktionsprozesses im Zunehmen begriffen sind: „Dabei gilt es nicht nur, die senso-motorischen Überforderungen, sondern auch die sozial-emotionalen Verstrickungen zu beachten, weil das Ausmaß beider Belastungsarten die jeweils individuelle Kompensationsbreite mitbestimmt.“22 In ihrer Analyse beachten die Autoren explizit subjektive Spannungszustände und operationalisieren auf diese Weise das Konzept ‚Zufriedenheit‘ breiter als die etwa gleichzeitig erschienenen Artikel aus der soeben beschriebenen Titelwortgruppe. Auch bei anderen Artikeln aus der Gruppe der psych-Titelworte lässt sich eine Beachtung emotionaler Aspekte der Arbeitsplatzsituation beobachten.23 In der Gruppe der Artikel mit dem Titelwort ‚Zufriedenheit‘ tauchen erst 1985/86 erste Arbeiten auf, die emotionale Komponenten des Zufriedenheitskonzeptes zumindest mitbeachten und von mir daher der ‚weiten‘ Kategorie zugeordnet wurden. 1985 widmet sich Franz der Frage des Regierungsvertrauens, das er auch als ‚emotionale Staatszuwendung‘ bezeichnet, und verweist hierbei auf die Bedeutung, die die psychische Verarbeitung objektiver Existenzbedingungen für die Entstehung von Zufriedenheit hat. Emotionale Aspekte werden in diesem Artikel zwar erwähnt, aber nicht näher ausgearbeitet.24 Ein ähnliches Vorgehen kann im Artikel von Habich 1986 festgestellt werden. In diesem Artikel wird eine Kritik herkömmlicher Operationalisierungen von Arbeitsplatzzufriedenheit vorgenommen und
18 19 20 21 22 23 24
Vgl. Bunz, Schacht, Subjektive Indikatoren, S. 167–168. – Zu den Zielen der Sozialindikatorenforschung vgl. auch Noll, Sozialindikatorenforschung, S. 449–450. Vgl. Zapf (Hg.), Soziale Indikatoren II+III. Vgl. Meyer, Arbeitszufriedenheit, S. 35. Vgl. etwa Birkelbach, Ärzteverbände; – Alpheis, Das Wohnquartier. Schmidt, Pontzen, Zur Psychodynamik, S. 453. Vgl. z. B. Becker-Schmidt, Lebenserfahrung und Fabrikarbeit; – Rothenbacher, Die subjektive und sozialpsychologische Dimension; – Mansel et al., Problematische Lebenssituationen. Vgl. Franz, Zeitreihenanalyse.
244
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
eine stärkere Beachtung subjektiver Komponenten gefordert. Emotionale Aspekte werden hierbei erwähnt, allerdings ebenfalls nicht substantiell in die Analyse miteinbezogen.25 Im Artikel von Schilling und Wahl aus dem Jahr 2002 werden schließlich bei der Erhebung der Lebenszufriedenheit alter Menschen affektive Komponenten explizit berücksichtigt.26 Die größere Offenheit gegenüber Emotionen konnte jüngst also auch in den Bereich der ‚Zufriedenheitsartikel‘ Eingang finden. Die Sozialindikatorenforschung, der in den 1980er-Jahren, wie Noll feststellt, wenig Aufmerksamkeit zukam, erfreut sich seit den 1990er-Jahren wieder vermehrten Interesses, wobei in der Konzeptualisierung von Zufriedenheit bzw. Lebensqualität eine Annäherung an die vor allem in den USA vertretene ‚quality of life‘-Forschung festgestellt werden kann, der zufolge das subjektive Erleben ein konstitutives Element von Lebensqualität ist.27 Eine größere Offenheit dieses Konzeptes von Lebensqualität gegenüber einer systematischen Berücksichtigung von Emotionen kann vermutet werden und dürfte sich in den nächsten Jahren auch in der ‚Zufriedenheitsforschung‘ des deutschen Sprachraums niederschlagen.
5.2.1.2. ‚Vertrauen‘ Vertrauen wird in den Zeitschriften vor allem im Zusammenhang mit Rational-ChoiceAnsätzen diskutiert.28 Hierbei wird allerdings zumeist auf eine nähere phänomenologische Beschreibung des Zustandes des Vertrauens (und damit seiner emotionalen Komponenten) verzichtet und das Vertrauensproblem weitgehend als kognitiv zu lösendes Entscheidungsproblem von Akteuren konzipiert. In Risikosituationen, in denen aufgrund mangelnder Informationen Unsicherheit über das zukünftige Verhalten anderer Akteure besteht, sorgt Vertrauen dafür, dass Akteure eine einseitige und damit für sie risikobehaftete Vorleistung erbringen, die erst den weiteren Fortgang der Interaktion (z. B. eines Tauschgeschäftes) ermöglicht. Jemandem zu vertrauen, kann sich also als sinnvoll für die Erreichung des eigenen Nutzens (z. B. den Abschluss einer Geschäftstransaktion) erweisen. Ob man vertraut oder nicht, kann als Entscheidungsproblem aufgefasst werden, bei dessen Analyse ähnliche Komponenten zu beachten sind wie bei anderen Entscheidungsproblemen auch. Allerdings sind im Bereich des Vertrauens einige aus der Entscheidungstheorie bekannte Strategien zur Reduktion der Entscheidungsunsicherheit (soll ich vertrauen oder nicht?) von vornherein kontraproduktiv: So kann die zusätzliche Informationseinholung über den potentiellen Partner oder die Kalkulation von Sanktionsmöglichkeiten bei Missbrauch des Vertrauens das Zustandekommen eben desselben maßgeblich behindern. Solcherart sperrt sich das Phänomen des Vertrauens gegen eine simple entscheidungstheoretische Modellierung. Oder wie Preisendörfer es beschreibt: „Im Zuge der Problembearbeitung wird man (...) nicht umhin können, personenbezogene Regelhaftigkeiten, normative Regulierungen, kulturelle Codes
25 26 27 28
Vgl. Habich, Arbeitswerte. Vgl. Schilling, Wahl, Familiäre Netzwerke und Lebenszufriedenheit. Vgl. Noll, Sozialindikatorenforschung, S. 454. Dieser Befund ist im Einklang mit der allgemeinen Debatte zum Thema zu sehen, derzufolge RationalChoice-Theorien „auf die mittlerweile zahlreichen Theorien des Vertrauens einen enormen Einfluss ausgeübt haben und selbst da noch in die Grunddefinition des Vertrauens eingeflossen sind, wo gar kein Anknüpfen an sie beabsichtigt war.“ Hartmann, Einleitung, S. 17.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
245
und strukturelle Kanalisierungen systematisch in die Analyse einzubeziehen.“29 Emotionen dürften eine nicht zu unterschätzende Rolle im Rahmen dieser Analysen spielen, wurden bisher in den untersuchten Zeitschriften aber nicht explizit als Aspekte der Vertrauensthematik beachtet. Eine zweite Gruppe an Beiträgen, vorrangig der politischen Soziologie zuordenbar, behandelt Vertrauen als Einstellungskomponente, d. h. als Zeichen der Anerkennung staatlicher Legitimität, wobei auch in diesen Studien emotionale Aspekte weitgehend unberücksichtigt bleiben.30 Zur Illustration der mangelnden Beachtung emotionaler Aspekte in den Untersuchungen zum Thema Vertrauen verweise ich auf einen Artikel von Diekmann und Wyder,31 die sich mit Vertrauen im Rahmen von Internetauktionen beschäftigt haben. Ausgangspunkt für die Autoren ist das Faktum, dass eine gute Reputation zu haben von jeher eine Voraussetzung dafür darstellte, erfolgreich in wirtschaftliche Transaktionen eingebunden zu werden. Wer sich im Rahmen bisheriger Transaktionen fair und vertrauenswürdig verhalten hat – noch dazu wenn dieses Faktum einer relevanten Öffentlichkeit bekannt wurde –, kann damit rechnen, auch in Zukunft Geschäftspartner zu finden. Dieses schon seit langer Zeit in Handelsbeziehungen beobachtbare Prinzip wird auch von Internetauktionshäusern imitiert, indem die Handelspartner nach erfolgter Transaktion aufgefordert werden, ihre jeweiligen Partner zu bewerten. Die auf diese Weise entstehenden und für potentielle zukünftige Geschäftspartner einsehbaren Reputationsindizes stellen einen Anreiz dar, sich auch bei Transaktionen mit weitgehend anonymen Partnern fair zu verhalten, um so auch weiterhin von der Internetgemeinschaft als potentieller Geschäftspartner akzeptiert zu werden. Sämtliche möglicherweise mit Internetauktionen verbundenen emotionalen Aspekte werden in diesem Artikel allerdings ausgeklammert. Die mögliche Wut über unfair agierende anonyme Geschäftspartner und deren Effekte für die weiteren Aktionen des Betroffenen im Internet werden ebenso wenig erörtert wie die Ängste, sich auf weitere Internetgeschäfte einzulassen, nachdem bereits negative Erfahrungen gemacht wurden usw. Einerseits liegt dies am verwendeten Datenmaterial, das lediglich ‚objektive‘ Parameter der Kauftransaktionen enthält, andererseits wird jedoch auch in der Diskussion der Ergebnisse die Frage, worauf die Wirksamkeit der Reputationsindizes eigentlich zurückzuführen ist, nicht gestellt bzw. lediglich implizit anhand eines Kosten-Nutzen-Modells beantwortet. Auch in der kritischen Stellungnahme zu diesem Artikel von Brinkmann und Meifert wird zwar die unklare Definition des Vertrauens- bzw. Reputationskonzeptes bemängelt, allerdings wiederum ohne möglicherweise vorhandene emotionale Aspekte in die Debatte einzubringen.32 Die bei den Artikeln zum Thema Zufriedenheit feststellbare ansatzweise erfolgende Einbeziehung affektiver Komponenten steht für das Thema Vertrauen offenbar noch aus. Eine Ergänzung bisher vorrangig nutzentheoretisch aufgebauter Ansätze in dieser Richtung könnte sich in den nächsten Jahren jedoch als vielversprechendes Betätigungsfeld für eine Soziologie der Emotionen erweisen. Erste Ansatzpunkte für eine derartige Einbeziehung emotionaler Aspekte in die Diskussion der Vertrauensthematik liefern 2003 Krämer und Schneider in einem Artikel, der unter
29 30 31 32
Preisendörfer, Vertrauen als soziologische Kategorie, S. 269. Vgl. Döring, Aspekte des Vertrauens; – Manow, Individuelle Zeit. Vgl. Diekmann, Wyder, Vertrauen. Vgl. Brinkmann, Meifert, Vertrauen. – Zur Debatte über die adäquate Beschreibung des Vertrauensbegriffs siehe auch: Petermann, Psychologie des Vertrauens, S. 9–16; – Hartmann, Einleitung, S. 23–34.
246
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
der Titelsilbe psych- gefunden wurde. Die Autoren interessieren sich für die Auswirkung von Gefühlen (z. B. von Neid) auf die Effizienz von Entscheidungssituationen und versuchen im Rahmen eines experimentellen Settings die Praktikabilität spieltheoretischer Modelle zur fairen Aufteilung an sich unteilbarer Güter zu überprüfen. Allerdings verlassen auch Krämer und Schneider den Kontext des nutzentheoretischen Ansatzes nicht völlig. Sie stellen zwar fest, dass individualpsychologische Faktoren, wie etwa ‚Sicherheitsbedürfnis‘ oder ‚antisoziale Einstellung‘ (operationalisiert durch entsprechende psychologische Skalen), einen wesentlichen Einfluss auf die Wahl eines Verfahrens zur Aufteilung knapper Güter haben und somit insbesondere bei Verhandlungen zwischen Streitparteien zu berücksichtigen seien, bei der Umsetzung des schließlich gewählten Verfahrens konstatieren sie jedoch ein nutzenmaximierendes Vorgehen der Teilnehmer. Auch unterbleibt in ihrer Studie eine nähere phänomenologische Beschreibung der sich hinter den als relevant erachteten psychologischen Skalen verbergenden Gefühlszustände. Nichtsdestotrotz stellt ihre Studie einen interessanten Versuch dar, entscheidungstheoretische Modellentwürfe sozialpsychologisch experimentell zu evaluieren und hierbei emotionale Aspekte mit einzubeziehen, weshalb dieser Artikel auch der ‚weiten‘ Kategorie zugeordnet wurde.33
5.2.1.3. Artikel mit der Titelsilbe ‚psych-‘ Bei vielen Artikeln mit der Silbe psych- im Titel konnte kein Bezug zur Emotionsthematik festgestellt werden. Es handelt sich hierbei zum Teil um Beiträge aus dem Bereich der experimentellen (Sozial-)Psychologie34 oder der klinischen Psychologie,35 jedoch auch um Beiträge mit Bezug zur Psychoanalyse. Gerade bei Letzteren könnte man einen engeren Bezug zur Emotionsthematik vermuten, was durch die vorhandenen Daten jedoch nicht bestätigt wurde. Teilweise ist dies auf die wissenschaftspolitische Ausrichtung einiger dieser Artikel zurückzuführen, die sich mit dem Stellenwert der Psychoanalyse in den Wissenschaften bzw. mit ihrem Verhältnis zur Soziologie befassen. Als Beispiel für einen derart ‚wissenschaftspolitisch‘ ausgerichteten Artikel, der das Thema der Emotionen jedoch zumindest ansatzweise streift, verweise ich auf einen entsprechenden Beitrag von Leopold von Wiese. Er thematisiert 1951 die Bedeutung der Psychoanalyse für die Soziologie in der Kölner Zeitschrift für Soziologie in einer Abhandlung über Roger Bastides Buch zum Verhältnis von Soziologie und Psychoanalyse. Von Wiese unterstreicht dabei die Bedeutung der Psychoanalyse, grenzt diese von der Soziologie ab und kommt dabei auch auf den Bereich der Gefühle zu sprechen: „Wenn auch ihr (gemeint ist die Soziologie, K. S.) eigentlicher Gegenstand nicht das Innenleben des Einzelmenschen ist, sondern die durch Beobachtung von außen feststellbaren Einwirkungen von Mensch auf Mensch und von Gruppe auf Gruppe, so ist doch diese ihre Aufgabe gar nicht lösbar, ohne daß das eine der beiden Elemente der sozialen Prozesse, die Haltung, ausgiebig studiert wird. Aber die Haltung erklärt sich wieder zur einen Hälfte aus den Motiven des beteiligten Menschen. Die Motive aber gehören teilweise der Ratio, teilweise der Sphäre der Gefühle und Triebe an, wobei wieder Eros und Sexus weite Felder der Seele, jedoch keineswegs allein, beherrschen.
33 34 35
Vgl. Krämer, Schneider, Faire Formeln. Vgl. z. B. Kenyon, Loy, Soziale Beeinflussung. Vgl. z. B. Wyatt, Die sozialen Entwicklungslinien.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
247
Daß dieser eine Bereich der Seele, die Geschlechtlichkeit, von der Psychoanalyse in einigen seiner Erscheinungsweisen so stark beleuchtet worden ist, macht trotz allen Übertreibungen und Abirrungen ihre Bedeutung für die Soziologie aus.“36 Interessant ist, dass Emotionen auch in jenen Artikeln, die sich mit psychoanalytischen Fragen beschäftigten, nicht explizit erwähnt wurden. Eventuell gehören in der Nachfolge Freuds Annahmen über den Emotionshaushalt und dessen Störungen derart selbstverständlich zum Repertoire psychoanalytischer Diskussionen, dass eine nähere Erörterung emotionaler Aspekte nicht mehr als notwendig erachtet wird, sondern die emotionale Basis bestimmter psychischer Störungen unhinterfragt vorausgesetzt wird.37 Eine andere Deutung dieses Befundes könnte auf das von Jensen beschriebene Fehlen einer ausgeprägten Emotionstheorie im Werk Freuds aufbauen; die konstatierte ‚Rationalisierung der Emotionen‘ durch die Psychoanalyse wirkt offenbar auch in den psychoanalytisch gehaltenen Beiträgen der deutschsprachigen soziologischen Zeitschriften noch nach.38 Abgesehen von dem auffälligen Fehlen emotionaler Bezüge bei einigen psychoanalytisch ausgerichteten Artikeln, ließen sich ansonsten, was die Beachtung oder Nichtbeachtung von Emotionen betrifft, keine eindeutigen Tendenzen in der Gruppe der ‚psych-Artikel‘ ausmachen. Sowohl sozialpsychologische als auch psychoanalytisch zu bezeichnende Abhandlungen enthalten nur fallweise Hinweise auf Emotionen. Die ‚psych-Artikel‘ wurden wegen des relativ hohen Anteils nicht relevanter Artikel aus der näheren Analyse ausgeschlossen, dennoch soll an dieser Stelle auf einige interessante Aspekte dieser Artikelgruppe eingegangen werden. Auffallend ist, dass die ersten, der engen Kategorie zuordenbaren Artikel aus den 1960er-Jahren stammen und somit eine sehr frühe Thematisierung emotionaler Aspekte in soziologischen Zeitschriften darstellen. Der erste Artikel aus der Gruppe der ‚psych-Artikel‘, der von mir der engen Kategorie zugeordnet wurde, stammt aus dem Jahr 1963 und behandelt die scheinbare Schamkultur der Dogon in Westafrika. Da im Titel dieses Artikels auch das Wort ‚Scham‘ verwendet wird, das zu jenen Wörtern gehört, die mit hoher Sicherheit eine Auseinandersetzung mit Emotionen im jeweiligen Artikel andeuten, wird weiter unten näher auf diesen Beitrag eingegangen. Ebenfalls der ‚engen‘ Kategorie zugeordnet wurde der Artikel von Moeller aus dem Jahr 1969, in dem sich der Verfasser mit Prüfungsangst als Beispiel für psychosoziale Konfliktsituationen auseinandersetzt. Die während der Prüfungssituation erzeugte Angst steht im Zentrum des Artikels, was seine Einordnung in die enge Kategorie bewirkt hat.39 Artikel der weiten Kategorie finden sich, mit dem bereits erwähnten Artikel von Wieses, relativ früh in dieser Kategorie (1951) und erscheinen auch während des ganzen Untersuchungszeitraumes in unregelmäßigen Abständen. Ab 1990 überwiegen die Artikel dieser Kategorie sogar die nicht relevanten Artikel (von neun Artikeln zwischen 1990 und 2003 sind lediglich drei nicht relevant). Dies kann durchaus als Indiz einer größeren Offenheit in jüngerer Zeit gegenüber dem Themenbereich der Emotionen gedeutet werden.
36 37
38 39
Wiese, Soziologie und Psychoanalyse, S. 469. Als Beispiel verweise ich auf den Artikel von Kempf, der zwar Angst und Aggression als Folgen des Lageraufenthaltes von Ausländern anspricht, diese jedoch in seiner Abhandlung nicht näher analysiert. Vgl. Kempf, Soziologische, sozialpsychologische und sozialpsychiatrische Probleme. Vgl. Jensen, Freuds unheimliche Gefühle, S. 136–138, S. 151–152. Vgl. Moeller, Die Prüfung.
248
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
5.2.1.4. ‚Rationalität‘, ‚rational-‘ und ‚Vernunft‘ Bei der Analyse der Artikel, die die Worte bzw. Silben Rationalität, rational- und Vernunft im Titel trugen, zeigte sich, dass in den meisten von ihnen Emotionen in keiner Weise thematisiert wurden. Bei keiner anderen der berücksichtigten Titelwortgruppen kann eine derart durchgängige Ausklammerung emotionaler Komponenten festgestellt werden. Auffallend ist hierbei, dass Emotionen in diesen Artikeln auch nicht in abgrenzender Weise thematisiert werden. Eine Verteidigung des rationalen Menschenbildes gegenüber möglichen anderen Konzepten scheint offenbar im Untersuchungszeitraum nicht als notwendig erachtet worden zu sein. Man könnte dies als einen Beleg für den von Kemper konstatierten Siegeszug des rationalen Menschenbildes heranziehen. Insbesondere zur Rational-Choice-Theorie sind seit den 1980er-Jahren zahlreiche Artikel in deutschen Zeitschriften erschienen. Trotz der erkannten Beschränkungen eines rein rationalen Handlungsmodells wird in dem Ringen um Modifikationen dieses Ansatzes das Thema der Affekte gemieden – offensichtlich handelt es sich hierbei um einen blinden Fleck in der Diskussion. Entscheidungshandeln wird zumeist als rein kognitiver Bewertungsprozess dargestellt, affektive Komponenten (oder gar biologische Prozesse) im Rahmen dieser Bewertungsprozesse werden nicht beachtet. Es wird zwar etwa eine nähere Untersuchung des Zustandekommens von Präferenzen im Rahmen von Sozialisationsprozessen in Betracht gezogen, jedoch die Rolle, die emotionale Erfahrungen bei der Bewertung von Situationen spielen können, außer Acht gelassen.40 Eine Ausnahme stellt ein Artikel von Eichener aus dem Jahr 1989 dar, der neben dem Wort ‚Ratio‘ auch das Wort ‚Emotion‘ im Titel trägt und eine Kritik des Rational-ChoiceModells auf Basis der Zivilisationstheorie von Elias beinhaltet. Die starke Verbreitung eines strikt rationalen Menschenbildes im Rahmen der Rational-Choice-Ansätze wird von Eichener, vergleichbar mit den weiter oben illustrierten ‚Zeitgeistargumenten‘, auf bestimmte Kennzeichen der Gegenwartsgesellschaft zurückgeführt: „Das rationale Entscheidungshandeln, das dem individuell-utilitaristischen Nutzenkalkül folgt, stellt in der Gegenwartsgesellschaft, insbesondere in der ‚scientific community‘, ein Ideal dar. So ist es kaum verwunderlich, daß in der heutigen Theoriebildung die individualistische Theorie des rationalen Handelns eine so wichtige Rolle spielt, leben wir doch in einer Gesellschaft, in der Individualismus, Liberalismus und Rationalität hochgeschätzte, wenn auch unerreichte Ideale darstellen.“41 Eichener versucht die Einseitigkeit dieser rationalen Ansätze durch Propagierung eines integrativen Ansatzes zu überwinden, indem Affekte, neben erlernten Reaktionsmechanismen und rationaler Überlegung, als Bestimmungsgründe menschlichen Verhaltens berücksichtigt werden. Der Anteil der drei Komponenten am letztlich zustande kommenden Verhalten wird im Laufe des Zivilisationsprozesses als variabel angesehen. Dieser Artikel kann als Beleg für eine allmähliche Lockerung des strikt rationalen Menschenbildes im Hinblick auf eine stärkere Berücksichtigung affektiver Komponenten betrachtet werden. Eine weitere Ausnahme von einem strikt rationalen Menschenbild liegt im 2003 erschienenen Artikel von de Haan und Vos vor, die explizit auf die Bedeutung von Emotionen für das deviante Verhalten jugendlicher Straftäter eingehen und hiermit eine Kritik des nutzentheoretisch ausgerichteten Ansatzes zur Erklärung von Devianz vornehmen.42 Bei diesem
40 41 42
Vgl. Raub, Vertrauen in dauerhaften Zweierbeziehungen, S. 262. Eichener, Ratio, Kognition, S. 346. Vgl. de Haan, Vos, Widersprüchliche Gefühle.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
249
Artikel handelt es sich um die deutsche Übersetzung einer zunächst auf englisch erschienenen Abhandlung von in den Niederlanden tätigen Autoren. Der in seiner Ausrichtung auf das Emotionale für den deutschen Sprachraum untypische Artikel stellt somit eine Art Importprodukt dar und kann als Hinweis für die beginnende Sensibilität gegenüber dem Thema der Emotionen gewertet werden. Zwei Artikel, die eine Kritik des Rational-Choice-Modells unter Einbezug affektiver Komponenten vornehmen, stellen in Anbetracht von insgesamt 87 Artikeln der Rationalitätsgruppe jedoch eine verschwindend kleine Minderheit dar. Beachtet werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass es zwar möglicherweise Artikel gibt, in denen Kritik am Rational-Choice-Ansatz bei gleichzeitiger Beachtung affektiver Komponenten geübt wird, die allerdings in der vorliegenden Analyse nicht beachtet wurden, da im Titel weder Hinweise auf den ‚Rationalitätskontext‘ noch auf Emotionen zu finden waren. Allerdings kann das weitgehende Fehlen des Themas der Emotionen in den Artikeln zum Thema Vertrauen, die sich als dem Themenkomplex des Rational-Choice-Ansatzes nahestehend erwiesen haben, als weiterer Indikator für die ‚Emotionsferne‘ der Diskussion um Rational-Choice im deutschen Sprachraum gewertet werden.
5.2.2.Ergebnisse nach Zeitschriften In der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie wurden alle Abhandlungen, ausführlichere Literaturberichte (keine Rezensionen) und Diskussionen berücksichtigt, die zwischen 1948/49 und 2003 in der Zeitschrift selbst, in den Schwerpunktheften und in den Sonderheften (ab 1956) veröffentlicht wurden. Die Schwerpunkt- bzw. Sonderhefte wurden in die Analyse miteinbezogen, da es um das möglichst vollständige Aufspüren jener Arbeiten des soziologischen mainstreams ging, die sich in irgendeiner Weise mit Emotionen beschäftigen und eventuell gerade in diesen Heften auch eine Auseinandersetzung mit ansonsten vernachlässigten Themen bzw. Erklärungsansätzen vermutet wurde.43 Die Gesamtzahl der pro Jahrgang berücksichtigten Artikel ist vor allem abhängig vom jeweiligen Umfang der Sonderhefte sehr unterschiedlich (vgl. auch Tabelle 8). Die Titelrecherche (1949–2003) ergab 90 Artikel, die sich im Titel in irgendeiner Form auf Emotionen bzw. die Psychologie bezogen (vgl. Tabelle 2). Bei 55 dieser Artikel erwies sich nach näherer Analyse, dass sie sich nicht mit Emotionen befassen. Von den restlichen 35 beziehen sich 13 im engen Sinne und 22 im weiten Sinne auf Emotionen. Es verwundert nicht, dass die Kölner Zeitschrift im Vergleich zu den beiden anderen Zeitschriften die meisten Beiträge mit der Titelsilbe psych- aufweist, da sie seit 1955 explizit auch den Hinweis auf ‚Sozialpsychologie‘ im Titel trägt. Sehr früh wurde in dieser Zeitschrift das Verhältnis von Soziologie, Sozialpsychologie und Psychoanalyse zueinander diskutiert, wobei – wie im Fall des 1951 erschienenen Artikels von Wieses – auch Gefühle als möglicher Forschungsgegenstand dieser Fächer thematisiert wurden.
43
Anders als bei Heinrich Best und Renate Ohly wird in dieser Arbeit kein thematisches Gesamtprofil der untersuchten Zeitschriften erstellt, weshalb auch der Einbezug der Sonderhefte – wodurch die Bedeutung einzelner Themen im jeweiligen Jahrgang wesentlich erhöht wird, und somit eine Verzerrung des Gesamtprofils zustande käme – keine Verzerrungsgefahr für die Analyse darstellt. Vgl. Best, Ohly, Entwicklungstendenzen, S. 579.
250
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
In der Sozialen Welt wurden sämtliche Abhandlungen und Berichte (abgesehen von Rezensionen) berücksichtigt, die zwischen 1949/50 und 2003 in der Zeitschrift selbst oder in einem Sonderband (ab 1982, wobei Band 10 nicht erschienen ist) veröffentlicht wurden.44 Die Bandzählung der Sozialen Welt bezieht sich (vor allem in den Anfangsjahren) teilweise auf zwei Jahre, in der Tabelle wird die Gesamtzahl der Artikel dem jeweils zuerst genannten Jahr zugeordnet (vgl. Tabelle 8). Die Titelrecherche ergab 36 Artikel, die sich im Titel in irgendeiner Form auf Emotionen bzw. die Psychologie bezogen. Bei 22 dieser Artikel lag, wie die Analyse ergab, keine nähere Beschäftigung mit dem Thema der Emotionen vor. Von den restlichen 14 befassen sich neun im engen Sinne und fünf im weiten Sinne mit Emotionen. In der Zeitschrift für Soziologie wurden alle Abhandlungen, Diskussionen und Essays (ohne Mitteilungen und Nachrufe) des Zeitraumes 1972–2003 berücksichtigt. Die Titelrecherche ergab für diesen Zeitraum 31 Artikel, die sich im Titel in irgendeiner Form auf Emotionen bzw. die Psychologie bezogen. Bei 17 dieser Artikel erwies sich nach näherer Analyse, dass sie sich nicht mit Emotionen befassen. Von den restlichen 14 befassen sich elf im engen und drei im weiten Sinne mit Emotionen. Während die Kölner Zeitschrift durch den relativ hohen Anteil von Artikeln, die sich im weiten Sinne mit Emotionen beschäftigen, auffällt (bedingt vor allem durch die zahlreichen in dieser Zeitschrift erschienenen Artikel mit der Titelsilbe psych-), sticht die Zeitschrift für Soziologie durch den höchsten Anteil der Artikel hervor, die sich im engen Sinne mit Emotionen befassen (35,5 %). Dieser Befund ist konsistent mit dem selbstgegebenen Profil der Zeitschrift, die „quer zu den vorhandenen theoretischen Orientierungen und substantiellen Interessensgebieten allen Soziologen dieses Sprachraums offenstehen und die Kommunikation zwischen ihnen (...) fördern soll.“45 Offenbar wirkt sich die derart anvisierte theoretische Offenheit im Hinblick auf das Thema der Emotionen insofern fördernd aus, als es bereits relativ früh in dieser Zeitschrift auch systematisch diskutiert werden kann. Während die Kölner Zeitschrift mit dem 1957 erschienenen Artikel von Andrew F. Henry zum Thema Affekt und Delinquenz den ersten Artikel des Untersuchungszeitraumes aufweist, der sich dem Thema der Emotionen im engen Sinne widmet, wird in der Sozialen Welt 1980 erstmals im deutschen Sprachraum das Wort ‚Emotion‘ im Titel eines Beitrages verwendet. Der Ausdruck ‚Soziologie der Emotionen‘ wird sodann 1986 erstmals im Titel eines Beitrages verwendet, und zwar in der Kölner Zeitschrift. Obwohl es interessant wäre, die Publikationsstrategie der drei Zeitschriften im Hinblick auf das Thema der Emotionen einer näheren Analyse zu unterziehen, soll bei den weiteren Analysen – auch angesichts der insgesamt geringen Verbreitung des Themas – auf eine Differenzierung nach Zeitschrift verzichtet werden.
44 45
Der Einbezug der Sonderbände scheint aus denselben Gründen wie bei der Kölner Zeitschrift methodisch gerechtfertigt. Vgl. http://www.uni-bielefeld.de/soz/zfs/info.htm (30.1.2006).
251
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
Tabelle 2: Anzahl der Artikel nach Bezug zur Emotionsthematik und Zeitschrift (Gesamterhebung ohne Rationalitätsgruppe) eng
weit
nicht relevant
Summe
KZfSS
13 (14,5 %)
22 (24,4 %)
55 (61,1 %)
90 (100 %)
Soziale Welt
9 (25,0 %)
5 (13,9 %)
22 (61,1 %)
36 (100 %)
ZfS
11 (35,5 %)
3 (9,7 %)
17 (54,8 %)
31 (100 %)
Summe
33
30
94
157
5.2.3. Generelle Verbreitung des Themas Wie schon erwähnt, wurden insgesamt in 157 Artikeln Emotionsworte im Titel verwendet, was 2,9 % der Gesamtproduktion des Untersuchungszeitraumes entspricht. Nach einer näheren Analyse der Artikel wurden jene Titelwörter und die entsprechenden Artikel ausgeschieden, die nur einen geringen tatsächlichen Bezug zur Emotionsthematik aufwiesen. Die verbliebenen 54 Artikel repräsentieren somit knapp 1 % (0,99 %) der Zeitschriftenartikel des Untersuchungszeitraumes (vgl. Tabelle 3). Von diesen 54 Artikeln beschäftigten sich 32 (59,2 %) mit Emotionen im engen Sinne und elf (20,4 %) mit Emotionen im weiten Sinne.46 Weitere elf (20,4 %) erwiesen sich als nicht relevant; schließt man diese Artikel ebenfalls aus der Analyse aus, so verbleiben 43 Artikel, die sich zwischen 1949–2003 mit Emotionen beschäftigt haben, das sind 0,8 % aller Zeitschriftenartikel dieses Zeitraumes. 74 % (32) dieser Artikel können der ‚engen‘ Kategorie zugerechnet werden und 26 % (11) der ‚weiten‘ Kategorie. Von den letztlich relevanten 43 Artikeln beinhalten 18 allgemeine Emotionsbezeichnungen (Affekt, Emotion, Gefühl) im Titel. In 21 Artikeln werden konkrete Emotionsbezeichnungen verwendet, und in vier Artikeln kommt das Titelwort Stress vor. Die nähere Auswertung der letztlich relevanten Artikel bestätigt auch die weiter oben bereits geäußerte Annahme, dass das Vorhandensein eindeutiger Emotionsschlagworte – im Gegensatz zu nur vage mit dem Thema verbundenen Titelworten – als relativ sicherer Indikator für die inhaltliche Beschäftigung des Artikels mit Emotionen angesehen werden kann. Dies trifft insbesondere auf die allgemeinen Emotionsbezeichnungen Affekt, Emotion und Gefühl zu, deren Vorhandensein im Titel ein eindeutiger Indikator für die inhaltliche Ausrichtung des Artikels darstellt. Auch einige konkrete Emotionsausdrücke erwiesen sich nach näherer Analyse als relativ sichere Indikatoren. Bei folgenden Titelworten liegt auf Basis der vorliegenden Daten ein unmittelbarer inhaltlicher Bezug des Artikels zur Emotionsthematik vor: Affekte, Emotion, Frustration, Furcht, Gefühle, Lust, Scham, Schuld, Sympathie, Verlegenheit.47
46
47
Für den weiter unten dargestellten Vergleich mit der Datenbank SOLIS wurde außerdem noch der Anteil der Artikel mit Bezug zur Emotionsthematik im Zeitraum 1960–2003 berechnet: Von insgesamt 4.638 Zeitschriftenartikeln in diesem Zeitraum beinhalten 52 Titelworte aus dem Emotionsbereich, das sind 1,12 %. Nimmt man diese Titelworte als Grundlage, d. h. bereinigt man die Daten nochmals um jene Titelwortgruppen, die sich nach der näheren Analyse als keine eindeutigen Indikatoren für die Emotionsthematik erwiesen
252
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Tabelle 3: Gegenüberstellung – Gesamtzahl der Artikel und letztlich relevante Artikel jeweils nach Bezug zur Emotionsthematik und Zeitschrift Gesamterhebung eng
weit
nicht relevant
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Summe
9
13
11
5
24
4
58
83
37
244
33 (13,5 %)
33 (13,5 %)
178 (73 %)
(reduziert um die Schlagworten bzw. Silben der Rationalitätsgruppe, psych-, Zufriedenheit, Vertrauen) eng
weit
nicht relevant
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Summe
9
12
11
4
7
0
4
3
4
54
ZfS
Summe
32 (59,2 %)
11 (20,4 %)
11 (20,4 %)
(reduziert um die ‚nicht relevanten‘ Artikel) eng
weit
nicht relevant
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
Soziale Welt
KZfSS
ZfS
9
12
11
4
7
0
32 (74 %)
Soziale Welt
KZfSS
43
11 (26 %)
Im Folgenden soll ein Überblick über den sich aus den Daten ergebenden Entwicklungsverlauf des Themas der Emotionen skizziert werden, wobei einerseits die Gesamterhebung (ohne die Artikel der ‚Rationalitätsgruppe‘) und der Teildatensatz der unmittelbar für das Thema relevanten Titelworte (d. h. ohne die Titelworte bzw. -silben der ‚Rationalitätsgruppe‘, Vertrauen, Zufriedenheit und psych-) miteinander verglichen werden. Ausgeschlossen wurden in der folgenden Analyse auch die als ‚nicht relevant‘ eingestuften Artikel (vgl. Tabelle 4). Man sieht, dass bis in die 1970er-Jahre hinein nur sehr wenige Artikel, die das Thema Emotionen im engen bzw. weiten Sinne behandeln, erschienen sind – noch dazu mit jeweils re-
haben (es sind dies: Aggression, Angst, Freude, Hass, Leidenschaft, Liebe, Stress), da sich auch Artikel darunter fanden, die als nicht relevant eingestuft wurden, so kommt man auf folgende Werte, die insbesondere für den späteren Vergleich mit der Datenbankrecherche wichtig sind: 26 Artikel von 5.468 zwischen 1949–2003 erschienenen Artikeln (d. h. 0,48 %) und 24 von 4.638 zwischen 1960–2003 erschienenen Artikeln enthielten eindeutige Emotionsworte im Titel (d. h. 0,52 %).
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
253
lativ großem zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Erscheinungsjahren. Ab 1973/74 erscheinen regelmäßig alle ein bis zwei Jahre Artikel zur Thematik, wobei die Gesamtzahl der Artikel pro Jahr bis auf eine Ausnahme (1962) nie höher als zwei ist. 1988–95 kann als vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung betrachtet werden: In diesem Zeitraum erschienen fast jedes Jahr mehrere Artikel zur Thematik. Ab 1996 sind wiederum kürzere Abstände zwischen den Erscheinungen feststellbar. Es bietet sich folgende Periodisierung an: Die Phase bis 1955 zeichnet sich durch das weitgehende Fehlen relevanter Artikel zur Thematik aus, diese Tendenz setzt sich auch in der Phase 1956–1971 fort, allerdings erscheinen in dieser ‚Orientierungsphase‘ – wenn auch mit jeweils größerem zeitlichen Abstand – erstmals Artikel mit einem engen Bezug zur Thematik. Die Phase 1972–1987 könnte sodann als ‚Vorbereitungsphase‘ einer stärkeren Beachtung des Themas bezeichnet werden, während in der ‚Durchsetzungsphase‘ Phase 1988–2003 schließlich regelmäßig mehrere Artikel pro Jahr zur Thematik erscheinen. Auf diesen Zeitraum entfallen 50,8 % (bzw. 58,1 %) aller zur Emotionsthematik publizierten Artikel seit 1949 (vgl. Tabelle 5). Interessant ist, dass es schon seit den späten 1950er-Jahren Artikel gab, die sich in einem engen Sinne mit Emotionen befassten. Die oben geäußerte These, dass die Thematik zunächst in einem weiten Sinne behandelt worden sei, bevor es auch Artikel gegeben habe, die sich systematischer dem Thema widmen, kann nur teilweise – nämlich im Hinblick auf den Gesamtdatensatz (ohne die Rationalitätsgruppe), der zwei Artikel der frühen 1950er-Jahre, die sich im ‚weiten‘ Sinne mit Emotionen beschäftigen, aufweist – bestätigt werden. Im Hinblick auf den Teildatensatz der für Emotionen unmittelbar relevanten Titelworte (d. h. ohne die Titelworte bzw. -silben der ‚Rationalitätsgruppe‘, Vertrauen, Zufriedenheit und psych-) wird jedoch deutlich, dass es offenbar keiner ‚vorbereitenden‘ Beschäftigung mit Affekten im weiten Sinne bedarf, um das Thema auch im engeren Sinne in der Soziologie diskutieren zu können (vgl. Tabelle 4). Offenbar stehen die ‚enge‘ und die ‚weite‘ Kategorie in keinem zeitlichen Abhängigkeitsverhältnis, sondern können beide als Indikatoren für ein Interesse an den emotionalen Aspekten des Sozialen gedeutet werden. Artikel der ‚weiten‘ Kategorie tauchen im Gesamtdatensatz (ohne die Rationalitätsgruppe) zwar früher auf und erscheinen auch in den späteren Perioden mit größerer Regelmäßigkeit, hinsichtlich der Periodisierung lässt sich jedoch ansonsten kein markanter Unterschied zwischen Artikeln der ‚engen‘ und der ‚weiten‘ Kategorie feststellen.
254
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Tabelle 4: Entwicklungsverlauf des Themas Gesamterhebung (ohne Rationalitätsgruppe und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel) gesamt
eng
weit
Teildatensatz (ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit und psych- und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel) gesamt
eng
1
1
1
1
1
1
1
1
weit
1948 1949 1950 1951
1
1
1
1
1952 1953 1954 1955 1956 1957
1
1958
1
1959
1
1 1 1
1960 1961 1962
3
3
1963
2
1
2
2
1
1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973
1
1
1974
1
1
1975
1
1
1976
1
1977
1
1978
1
1 1
1
1
1 1 1
255
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
Gesamterhebung (ohne Rationalitätsgruppe und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel) gesamt 1979
1
1980
2
eng
Teildatensatz (ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit und psych- und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel)
weit
gesamt
1
1
2
eng
weit 1
2
2
2
2
1981 1982
1
1983
1
2
2
1985
3
2
1
2
2
1986
5
4
1
4
4
1988
4
4
4
4
1989
3
3
1990
3
1
1991
2
1984
1987
1992
5
1993
1
2
1994
2
1
1995
2
2
3
3
2
2
1
2
1
3
4
1
1
1
2
1
2
2
1 1
2
2 1 1
1996 1997
1
1
1998
1
1
1
1
1999 2000 2001
2
2
2002
1
2003
5
2
Summe
63
33
2
2
3
3
2
1
30
43
32
11
1
256
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Tabelle 5: Prozentueller Anteil der einzelnen Perioden am Entwicklungsverlauf Gesamterhebung (ohne Rationalitätsgruppe und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel)
bis 1955
Teildatensatz (ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit und psychund ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel)
2 (3,2 %)
-
1956–1971 (Orientierungsphase)
10 (15,9 %)
1972–1987 (Vorbereitungsphase)
19 (30,1 %)
14 (32,6 %)
1988–2003 (Durchsetzungsphase)
32 (50,8 %)
25 (58,1 %)
Summe
63 (100 %)
43 (100 %)
4
(9,3 %)
Die ‚Vorbereitungsphase‘ ab 1972 fällt in einen Zeitraum, in dem sich aus dem ‚methodologischen Schisma‘ (Lüschen) der ausgehenden 1960er-Jahre in der Soziologie allmählich eine intensivere Theoriediskussion, bei gleichzeitig weitgehender Akzeptanz der modelltheoretischen Vielfalt, herauszubilden begann. Dieses Klima – zusammen mit der für den Zeitraum ab 1975 von Sahner konstatierten Renaissance des interpretativen Paradigmas – dürfte nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass auch der Stellenwert der Emotionen für soziale Zusammenhänge neu erkannt und thematisiert wurde. Bereits in dieser Phase wurden auch erste Ansätze einer Soziologie der Emotionen aus dem anglo-amerikanischen Raum in den Zeitschriften des deutschen Sprachraumes publik gemacht – freilich ohne dass das Echo hierauf allzu groß gewesen wäre. Der von mir als ‚Durchsetzungsphase‘ bezeichnete Zeitraum 1988–2003 ist in der deutschsprachigen Soziologie gekennzeichnet durch eine zunehmende Spezialisierung und interdisziplinäre Öffnung des Faches, die gemäß den in Kapitel III, 4.5. beschriebenen Entwicklungen, und wie die vorliegenden Daten bestätigen, auch dem Thema der Emotionen zugutekam. Der gemäß der vorliegenden Analyse bis 2003 beobachtbare Trend fand auch in den letzten vier Jahren eine Fortsetzung, wie eine zusätzliche Recherche in den jüngsten Jahrgängen der Zeitschriften erbrachte. Zwischen 2004–2008 erschienen in Summe 24 Artikel, die Emotionsworte im Titel trugen (in 3 Artikeln wurden hierbei zwei Titelworte aus dem Emotionskontext verwendet). Interessant ist dabei, dass nach 2004 erstmals auch neue Emotionsbezeichnungen in den Titeln der Zeitschriftenartikel auftauchen, nämlich Empfindung bzw. empfinden und Befindlichkeit. Verzichtet man aus Gründen der Vergleichbarkeit auf die Zählung dieser Artikel, so verbleiben 20 Artikel mit Emotionsworten im Titel. Reduziert man diese Zahl noch um die Artikel mit den Titelworten bzw. -silben Vertrauen, Zufriedenheit, -psych, so bleiben 13 Artikel (bzw. 9, wenn man auch die neuen Titelworte nicht berücksichtigt), die in der Titelgebung einen Hinweis auf die Emotionsthematik beinhalten (siehe die Liste der Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik II im Anhang).
257
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
5.2.3.1. Allgemeine und konkrete Emotionsbezeichnungen Untergliedert man den Teildatensatz noch näher, so fällt zunächst auf, dass Artikel, die allgemeine Emotionsbezeichnungen (Emotion, Affekt, Gefühl, Lust) im Titel tragen, vorwiegend im letzten, von mir als ‚Durchsetzungsphase‘ benannten Zeitraum (1988–2003) erscheinen. Die Artikel, die konkrete Emotionsbezeichnungen im Titel tragen, wurden für die folgende Übersicht noch weiter in eine Gruppe, die positive Emotionsworte (Freude, Liebe, Sympathie) und eine, die negative Emotionsworte (Aggression, Angst, Furcht, Frustration, Hass, Scham, Schuld, Stress, Verlegenheit) im Titel trägt, gegliedert. Artikel aus der Gruppe der negativen Emotionsworte erscheinen, ähnlich wie Artikel aus der Gruppe der allgemeinen Emotionsbezeichnungen, vor allem in den letzten Jahren. Artikel aus der Gruppe der positiven Emotionsworte erschienen gehäuft im Zeitraum 1972–1987. Aufgrund der insgesamt geringen Fallzahlen pro Gruppe ist von näheren inhaltlichen Interpretationen dieses Befundes Abstand zu nehmen, die generelle Tendenz einer weitgehenden Vernachlässigung der Emotionen in den 1950er- und 1960er-Jahren, eines beginnenden Interesses in den 1970er- und 1980er-Jahren, und einer Kumulation dieses Interesses in den letzten ca. 20 Jahren kann jedoch auch nach der Gruppenuntergliederung aufrechterhalten werden. Tabelle 6: Artikel zur Emotionsthematik nach Emotionsgruppe (Teildatensatz ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit, psych- und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel)
bis 1955
allgemeine Emotionsbezeichnungen
negative Emotionsbezeichnungen
positive Emotionsbezeichnungen
-
-
-
1956–1971
1 (5,3 %)
2 (13,3 %)
1 (11,1 %)
1972–1987
6 (31,6 %)
3 (20,0 %)
5 (55,6 %)
1988–2003
12 (63,1 %)
10 (66,7 %)
3 (33,3 %)
Summe
19 (100 %)
15 (100 %)
9 (100 %)
5.2.3.2. Institutionalisierungsverlauf der Disziplin und Entwicklung der Emotionsthematik Nach diesem ersten groben Überblick, bei dem Intervalle von jeweils 16 Jahren betrachtet wurden, soll im Folgenden noch ein genauerer Vergleich der Entwicklung der Emotionsthematik mit dem – aus der bisherigen Literatur zur Geschichte der Soziologie im deutschen Sprachraum erstellten – Institutionalisierungsverlauf der Soziologie vorgenommen werden. Die hierbei zum Einsatz gelangenden Quellen wurden bereits in Abschnitt III, 4.4. ausführlich diskutiert. Während Krekel-Eiben und Klima ein relativ grobes Entwicklungsraster verwenden, das sich weitgehend auf Jahrzehntintervalle konzentriert, finden sich bei Lepsius,
258
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Lüschen und Sahner kürzere Entwicklungsschritte in fünf- bzw. sechsjährigen Intervallen. Im Folgenden soll die Entwicklung der Emotionsthematik, wie sie sich nach der vorliegenden Zeitschriftenanalyse darstellt, den in der bisherigen Literatur beschriebenen Institutionalisierungsphasen gegenübergestellt werden. Wie man der folgenden Tabelle 7 entnehmen kann, gab es zwar ab 1955 stets einige wenige Artikel zum Thema Emotionen, ein größeres Interesse an dieser Thematik kann hingegen erst – wie auch in Tabelle 5 ersichtlich – nach 1981 festgestellt werden. Das offenere Klima ab den 1980er-Jahren, das sich laut Krekel-Eiben vor allem in einem größeren Anteil Spezieller Soziologien in den Zeitschriften niederschlug, kam offensichtlich – wie bereits dargelegt – auch der Thematik der Emotionen zugute. Die oben vermutete Offenheit der deutschsprachigen Soziologie gegenüber dem Thema der Emotionen in der Phase der Neubegründung bis 1955 kann durch die vorliegenden Daten nicht bestätigt werden. Die bereits in den 1920er-Jahren vollzogenen Etablierungsschritte, verbunden mit einer inhaltlichen Konzentration auf die Beziehungslehre und Abgrenzungsversuchen von anderen Disziplinen, wirkten offenbar in dieser Periode noch nach. Neben dem Wiederaufbau der institutionellen Strukturen der Soziologie und der beginnenden Ausrichtung auf die empirische Sozialforschung hin bestand offenbar wenig Interesse daran, sich mit der als nicht unmittelbar zum Fach gehörig angesehenen Querschnittsthematik der Emotionen zu beschäftigen, die noch dazu als Aufgabenbereich anderer Fächer betrachtet werden kann. Als symptomatisch für diese Haltung kann der Artikel von Wieses aus dem Jahr 1951 gesehen werden, der zwar durchaus das Thema Emotionen erwähnt, dieses jedoch als Arbeitsgebiet der Psychoanalyse sieht.48 Die Perioden bis 1980 – charakterisiert vor allem durch die Zunahme theoretischer Beiträge in den Zeitschriften, methodologischer und wissenschaftstheoretischer Diskussionen und einer erst allmählichen Pluralisierung theoretischer Modelle –, von denen angenommen wurde, dass sie sich als besonders ungünstig für ein Wiederaufgreifen der Emotionsthematik erweisen würden, zeigten tatsächlich den erwarteten Effekt. Das Thema blieb bis 1980 eine Randthematik, die zwar durchaus in Zeitschriften Eingang finden konnte, aber im Hinblick auf die absolute Zahl an erschienenen Artikeln als marginal zu bezeichnen ist. Betrachtet man in Anlehnung an die Periodisierungen von Lepsius, Lüschen und Sahner jeweils Fünfjahresintervalle, wird deutlich, dass sich vor allem der Zeitraum zwischen 1960–75 als eine Periode erweist, in der die Emotionsthematik kaum Eingang in die Zeitschriften finden konnte. Dieser Befund bestätigt meine Vermutung, dass fachinterne Auseinandersetzungen und wissenschaftstheoretische Debatten über Ziel und Aufgaben der Soziologie – im Sinne einer disziplinären Selbstvergewisserung – sich gegenüber der Verfolgung von Randthemen durch Mitglieder des mainstreams der Disziplin als besonders hinderlich erweisen. Die von mir als ‚Öffnung des Faches‘ beschriebene Institutionalisierungsperiode zwischen 1970–1980 zeigt zwar den erwarteten Anstieg von Artikeln zur Emotionsthematik, allerdings wird deutlich, dass dieser erst ab Mitte der 1970er-Jahre schlagend wird, weshalb dieser Zeitraum im Hinblick auf die Emotionsthematik noch als ‚Vorbereitungsphase‘ bezeichnet wurde. Die von Krekel-Eiben konstatierte ‚Pluralisierung theoretischer Modelle‘ benötigte offenbar einige Zeit, bevor sie sich auch förderlich für dieses Thema erweisen konnte.
48
Vgl. Wiese, Soziologie und Psychoanalyse.
259
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
Tabelle 7: Prozentueller Anteil der Artikel zur Emotionsthematik je Institutionalisierungsperiode (Teildatensatz ohne ‚Rationalitätsgruppe‘, Vertrauen, Zufriedenheit, -psych)
Scherke Emotionsthematik
Scherke Institutio.phasen
KrekelEiben/ Klima
bis 1955
bis 1954 (Neubeg.)
1950–60
1956–71 (Orient.phase)
4 (9,3 %)
1972–87 (Vorber.phase)
14 (32,6 %)
1988–03
25 (58,1 %)
1955-69 (Etabl.phase) 1970-80
2 (4,7 %) 1950–54
4 (9,3 %) 1961–70
6 (14,0 %)
1971–80
1955–60
2 (4,7 %)
2 (4,7 %) 1961–64
1 (2,3 %)
1965–70
1 (2,3 %)
6 (13,9 %) 1971–74
1 (2,3 %)
1975–80
5 (11,6 %)
(Öffnung d. Faches) ab 1981 (Verzw.)
33 (76,7 %)
(Durchs.phase)
Summe
Lepsius/ Lüschen/ Sahner
43 (100 %)
43 (100 %)
1981–90
17 (39,5 %) Rest
Rest
16 (37,2 %)
43 (100 %)
33 (76,7 %)
43 (~100 %)
Die als ‚Verzweigung der Disziplin‘ bezeichnete Institutionalisierungsphase ab 1981 lässt sich unter Rückgriff auf die Emotionsthematik noch näher aufgliedern. Das offenere Klima der Disziplin gegenüber Randbereichen und Querschnittsthematiken konnte sich offenbar erst nach einer Vorlaufzeit auch für die Emotionsthematik fruchtbar auswirken. Erst ab 1988 kann eine stärkere Vertretung dieses Themas in der deutschsprachigen Soziologie (‚Durchsetzungsphase‘) festgestellt werden – was auch ein Indiz für die seit den 1990er-Jahren weiter fortschreitende Spezialisierung der Disziplin darstellt. Die vorliegenden Daten zeigen sehr deutlich, dass seit 1980 die Emotionsthematik auch in der deutschsprachigen Soziologie einen allmählichen Auftrieb zu verzeichnen hat. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass es bereits in den vorhergegangenen Perioden entsprechende Beiträge in den deutschsprachigen Zeitschriften gegeben hat. Insofern ist Flam zu widersprechen, die schrieb: „The sociology of emotions plays no role in Germany whatsoever. Neither sociological conferences nor journals mention it.“49 Flam bezog sich mit dieser Aussage, wie sie in einer Fußnote ergänzt, auf den Zeitraum 1987–97, für den sie die Kölner Zeitschrift und die Soziologische Revue durchgesehen hat. Meinen Recherchen zufolge erschienen in diesem Zeitraum immerhin 13 Artikel der ‚engen‘ Kategorie. Das Ausein-
49
Flam, The Emotional Man, S. 153.
260
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
anderklaffen dieser Befunde ist auf die unterschiedliche Operationalisierung der jeweiligen Erhebung zurückzuführen. Mit der Sozialen Welt und der Zeitschrift für Soziologie befinden sich in meiner Datengrundlage, neben der Kölner Zeitschrift, zwei weitere Fachzeitschriften, während Flam, neben der Kölner Zeitschrift, mit der Soziologischen Revue ein Organ herangezogen hat, in dem vorwiegend Buchbesprechungen veröffentlicht werden. Hinzu kommt, dass Flam, die keine näheren Angaben zur Art ihrer Erhebung macht, offenbar nach Artikeln gesucht hat, die sich explizit auf die Soziologie der Emotionen beziehen. Anliegen meiner Erhebung war hingegen, auf einer möglichst breiten Basis nach Beiträgen zu suchen, die die Thematik der Emotionen (inklusive ihrer sozialen Bezüge) berücksichtigen. Flams ‚Leermeldung‘ für die Jahre 1987–97 muss auf Basis meiner Daten jedoch selbst dann revidiert werden, wenn man eine enge Definition relevanter Artikel heranzieht. Ich verweise auf die 1988 erschienenen Arbeiten von Gerhards zur sozialen Entstehung von Emotionen (Zeitschrift für Soziologie) und zur Gefühlsarbeit (Soziale Welt) und auf den ebenfalls 1988 erschienenen Artikel von Dunkel zum gleichen Thema (Soziale Welt), die allesamt einer Soziologie der Emotionen zugerechnet werden können. Die Beiträge von Denzin und Strauss et al. aus dem Jahr 1980 sowie der Literaturbericht von Gerhards aus dem Jahr 1986 (die ebenfalls einem engen Verständnis einer Soziologie der Emotionen gerecht werden dürften) belegen zusätzlich, dass die deutschsprachigen Zeitschriften auch früher nicht ganz so ‚emotionsfern‘ waren, wie von Flam konstatiert. Betrachtet man allerdings die insgesamt geringe Zahl an Beiträgen zur Thematik (0,8 % der ausgewählten Zeitschriftenproduktion meines Untersuchungszeitraumes), so kann Flams Formulierung als durchaus treffende Skizzierung der Marginalität des Themas in der deutschsprachigen Soziologie gesehen werden. Will man die Geschichte eines Themas in der Soziologie darstellen, so ist es notwendig, sich nicht nur auf dessen ‚Blütephasen‘ zu konzentrieren, sondern gerade auch Brüche oder Diskontinuitäten in der Behandlung der Thematik aufzuzeigen und auch der – angesichts des möglicherweise anders orientierten mainstreams – verdeckten Kontinuität bestimmter Fragestellungen nachzuspüren. Nicht auszuschließen ist hierbei, dass im Sinne von Simon Williams eine Neuschreibung der Geschichte der Soziologie erfolgen kann: „Emotions, as we shall see, together with their associated bodily themes, have their own secret history within sociology itself. As with so much other sociological inquiry, the work, implicitly or explicitly, is ‚already there‘; it just needs re-reading in a new more emotionally informed, corporeal light.“50 Bereits mit der hier getroffenen Operationalisierung kann gezeigt werden, dass Emotionen – trotz einer über lange Zeit hinweg andersgearteten Ausrichtung des mainstreams – durchaus in der deutschsprachigen Soziologie behandelt wurden. Es kann angenommen werden, dass über die in dieser Untersuchung ‚aufgedeckten‘ Beiträge zur Emotionsthematik hinaus auch in anderen Artikeln noch zur Affektivität des Menschen Stellung genommen wurde. Es muss weiteren Untersuchungen überlassen bleiben, zu überprüfen, inwieweit auch bei Artikeln zu anderen Themen, z. B. aus dem Bereich der Familiensoziologie (einem Bereich, in dem Face-to-Face-Beziehungen und damit verbundene Affekte eine Rolle spielen können), Emotionen beachtet wurden, ohne dass sich dies in einer entsprechenden Titelgestaltung niederschlug.
50
Williams, Emotion and Social Theory, S. 3.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
261
5.2.4. Detailüberblick Im Sinne einer im obigen Zitat von Williams angedeuteten ‚Neuschreibung‘ der Geschichte der Soziologie sollen im Folgenden die Artikel der ‚engen‘ Kategorie (Teildatensatz ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit und -psych) kurz vorgestellt werden, wobei vor allem die Frage beachtet werden wird, ob in den jeweiligen Artikeln Emotionen als unabhängige oder als abhängige Variable thematisiert werden bzw. ob ein Syntheseversuch beider Perspektiven vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass nur in sehr seltenen Fällen die Autoren und Autorinnen selbst zum systematischen Stellenwert ihrer Analyse im Hinblick auf die Emotionen Stellung nehmen. Es handelt sich im Folgenden also um den Versuch einer Einstufung der Artikel gemäß meiner in Abschnitt II vorgestellten Systematik, der – wie jede Form der Codierung von schriftlichen Artefakten – einen Interpretationsspielraum aufweist. In der folgenden Beschreibung wird daher versucht werden, die Gründe, die zu der jeweiligen Zuordnung der Artikel führten, offenzulegen und somit die Analyse nachvollziehbar zu machen. Auf die konkreten Thesen bzw. empirischen Ergebnisse der einzelnen Artikel wird im folgenden Überblick nicht näher eingegangen. Eine inhaltliche Beurteilung der Artikel wurde, wie weiter oben dargelegt, im Rahmen dieser Untersuchung – die sich zum Ziel setzte, einen allgemeinen Überblick über die Verbreitung des Themas der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie zu geben – nicht angestrebt und wird daher auch nicht Gegenstand des folgenden Kapitels sein.51 Der erste Artikel zur Thematik im engen Sinne stammt 1957 von Andrew F. Henry, einem amerikanischen Soziologen, der einige neuere Studien über den Zusammenhang zwischen Affekten und Delinquenz vorstellte. 1954, also nur drei Jahre zuvor, hatte Henry zusammen mit James F. Short ein Buch mit dem Titel: „Suicide and Homicide. Some economic, sociological and psychological aspects of aggression“ veröffentlicht. Der im Sonderheft zur ‚Soziologie der Jugendkriminalität‘ der Kölner Zeitschrift erschienene Artikel, der sich zum Teil auf das zuvor veröffentlichte Buch bezieht, zeigt, dass in den 1950er-Jahren ausgewählte US-amerikanische Arbeiten relativ rasch im deutschen Sprachraum rezipiert werden konnten. Natürlich darf hierbei die steuernde Funktion von Vermittlern, die gemäß ihren eigenen Forschungsinteressen auch die Rezeption der US-amerikanischen Soziologie prägten, nicht außer Acht gelassen werden. Im Fall der Kölner Zeitschrift dürfte es René Königs Interesse an einer Internationalisierung der deutschsprachigen Soziologie gewesen sein, das die Übersetzung und den Abdruck aktueller Beiträge anderer Sprachkontexte förderte.52 Der Artikel von Henry wurde zudem von Peter Heintz, einem Habilitanden Königs, übersetzt, der zwei Jahre später einen eigenen Beitrag zur Thematik publizierte. Henry legte in seinem Artikel die komplexe Beziehung zwischen biochemischen, psychologischen und sozialen Prozessen dar. Delinquente Akte (vornehmlich bezogen auf aggressives Verhalten) wurden von Henry auf die Entladung negativer Affekte nach außen zurückgeführt. Er bezog sich in seinen Überlegungen u. a. auf die Ergebnisse der ‚Glueck-Studie‘53 zu jugendlicher Delinquenz, die bei Delinquenten – im Vergleich zu einer nicht delinquenten Kontrollgruppe – eine niedrigere Frustrationsschwelle und eine geringere Fähigkeit, non-konforme Verhaltensmotivationen zu
51 52 53
Die bibliographischen Angaben der folgenden Artikel finden sich, wenn nicht separat zitiert, im Anhang. Zu Königs internationalen Interessen vgl. Lüschen, 25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie, S. 20. Glueck, Glueck, Unravelling Juvenile Delinquency, 1950, zit. nach: Henry, Affekt, Interaktion, S. 64.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
unterdrücken, festgestellt hatten. Außerdem wurde von Henry die Arbeit David H. Funkensteins54 über kardiovaskuläre Mechanismen im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten rezipiert, derzufolge nach außen gerichteter Ärger mit einer Noradrenalinausschüttung korreliert, während nach innen gerichtete, negative Emotionen (Ärger, Angst) mit einem erhöhten Adrenalinspiegel korrelieren. Hinzu kamen Annahmen zum elterlichen Erziehungsstil, die als mögliche Ursache späterer, nach außen entladener Ärgergefühle angenommen wurden, wobei (in Anlehnung an Überlegungen Simmels) die sich in der Triade Vater-Mutter-Kind abspielenden Interaktionen bzw. Koalitionen besonders beachtet wurden. Die Analyse des Zusammenspiels all dieser Faktoren bildete den Hintergrund verschiedener Studien Henrys, die im Artikel in der Kölner Zeitschrift zusammengefasst werden. An dieser Stelle soll nicht im Detail auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen eingegangen werden, da viele der Annahmen über physiologische Mechanismen und über geschlechtsspezifische Erziehungsstile heute als überholt betrachtet werden müssen. Seine Arbeiten stellen nichtsdestotrotz einen frühen Versuch einer Überwindung disziplinärer Schranken dar, insofern darin systematisch versucht wurde, physiologische und soziologische Befunde in Beziehung zueinander zu bringen. Nicht zuletzt dürften die naturwissenschaftliche Orientierung Henrys und seine auf quantitativen Untersuchungen basierenden Annahmen über die Zusammenhänge der skizzierten Faktoren auch dem von König – als Herausgeber der Zeitschrift – vertretenen Wissenschaftsideal der Soziologie entsprochen haben. Im Hinblick auf Emotionen als abhängige oder unabhängige Variable liegt hier ein frühes Beispiel eines Syntheseversuchs vor: Emotionen werden einerseits als durch soziale Situationen (Interaktion in der Familie) bedingt dargestellt, aber gleichzeitig auch in ihren Konsequenzen für den weiteren Fortgang der familialen Interaktion bzw. des späteren delinquenten Verhaltens beachtet. 1959 widmen sich Erich Saarbourg und Peter Heintz, ebenfalls in der Kölner Zeitschrift, dem Thema Anspruchsniveau, Frustration und Autoritarismus, wobei sie auf die Arbeiten Henrys Bezug nehmen. Saarbourg hatte 1958 eine Dissertation zum Thema „Frustration und Autoritarismus“ an der Universität Köln eingereicht, die offensichtlich eine Basis für den späteren Artikel darstellte. Heintz wiederum hatte sich unter René König mit einer Arbeit über „Die Autoritätsproblematik bei Proudhon. Versuch einer immanenten Kritik“ (erschienen 1956) habilitiert.55 Heintz hatte sich außerdem bereits 1957 in einem in der Kölner Zeitschrift erschienenen Artikel ausführlich mit der im deutschen Sprachraum am Konzept der „Authoritarian Personality“ geübten Kritik auseinandergesetzt, wobei er zwar den Grundgedanken eines Zusammenhanges zwischen Persönlichkeitsstruktur und Vorurteilsbehaftetheit akzeptierte, jedoch unter anderem eine Erweiterung des Modells insofern forderte, als nicht nur die prägende Wirkung des Kindesalters beachtet werden müsse, sondern auch spätere Frustrationserfahrungen in die Analyse miteinbezogen werden sollten.56 Der gemeinsam mit Saarbourg verfasste Artikel greift die Thematik der Frustration und ihrer möglichen Verhaltenskonsequenzen (darunter Aggression und Angst) auf und setzt diese in Bezug zum Konzept der autoritären Persönlichkeit. Wie schon bei Henry, spielen auch bei diesen beiden Autoren die durch den elterlichen Erziehungsstil initiierten Emotionen Jugendlicher eine wichtige Rolle für ihr späteres Verhalten und vor allem für die Ausbildung der Persönlichkeitseigenschaft Autoritarismus. Im Rahmen einer quantitativen Untersuchung wurde das
54 55 56
Funkenstein, King, The Experimental Evocation of Stress, 1953, zit. nach: Henry, Affekt, Interaktion, S. 63. Vgl. http://www.unizh.ch/wsf/in_Memoriamde.html (22..3.2009). Vgl. Heintz, Zur Problematik der ‚Autoritären Persönlichkeit‘, S. 43–44.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
263
Zusammenspiel dieser Faktoren näher analysiert. Der im Artikel von Henry noch vorhandene Syntheseversuch im Hinblick auf die Stellung der Emotionen als abhängige und unabhängige Variable fehlt im Artikel von Saarbourg und Heintz. Affekte werden als Resultat familiärer Interaktionssituationen dargestellt, mögliche Konsequenzen dieser Affekte für den weiteren Fortgang der familiären Interaktion werden lediglich angedeutet, jedoch keiner expliziten Erörterung unterzogen. Auf diese ersten beiden Artikel, die Emotionen in einem engen Sinne diskutierten, folgt 1963, ebenfalls in der Kölner Zeitschrift, Paul Parin mit einer Abhandlung über die scheinbare Schamkultur der Dogon in Westafrika. Parin, von der Ausbildung her Neurologe und Psychoanalytiker,57 beleuchtet in diesem Artikel unter Zuhilfenahme psychoanalytischer Methoden die Rolle von Schuld- bzw. Schamgefühlen bei den Dogon, wobei er die auf Margaret Mead zurückgehende Unterscheidung zwischen Schuld- und Schamkulturen aufgreift und im Hinblick auf seine eigenen ethnologischen Beobachtungen überprüft. Im Zentrum dieses Artikels steht – gemäß der Frage der Betrachtung der Emotionen als abhängige oder unabhängige Kategorie – wiederum die soziale Prägung des Gefühlslebens, die auch entsprechend internalisierte Verhaltensanpassungen zur Folge haben kann. Die Konsequenzen dieser Verhaltensanpassung für das soziale Gefüge werden im Artikel keiner näheren Betrachtung unterzogen. Die Arbeiten der 1950er-Jahre können als Belege für ein erstes Interesse an Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie (unterstützt durch den Herausgeber König, der den Abdruck dieser Artikel ermöglichte) herangezogen werden. Emotionen stehen zwar im Zentrum der jeweiligen Artikel, es handelt sich dabei jedoch noch um keine explizit auf die Entwicklung einer Soziologie der Emotionen ausgerichteten Arbeiten. Während Henry als Amerikaner und Parin als Psychoanalytiker nicht zum engeren Kreis der deutschsprachigen Soziologie gerechnet werden können, befinden sich im Kreis der ersten Autoren, die sich mit emotionalen Aspekten in den deutschsprachigen Fachzeitschriften beschäftigt haben, jedoch mit Saarbourg und Heintz auch zwei Fachvertreter im engeren Sinne. Bei beiden bildete diese frühe Auseinandersetzung mit affektiven Komponenten des Sozialen jedoch keinen Grundstein für eine systematisch betriebene Soziologie der Emotionen; Heintz, der ab 1966 einen Lehrstuhl in Zürich inne hatte, widmete sich in weiterer Folge einer ganzen Bandbreite von Themen (u. a. der Problematik der Entwicklungsländer); in den vorhandenen bibliographischen Quellen finden sich jedoch keine Hinweise auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Emotionen in seinem Œuvre.58 Saarbourg scheint ebenfalls keine weiteren Arbeiten zu diesem Bereich publiziert zu haben; in der Datenbank SOLIS scheinen unter seinem Namen in weiterer Folge vor allem Beiträge über empirische Forschungsmethoden auf. Nachdem die erste Phase von der Kölner Zeitschrift dominiert wurde, erschien 1969 erstmals in der Sozialen Welt ein Artikel, der sich mit Emotionen in einem engen Sinne auseinandersetzt. Axel Gehring diskutiert hierin die Bedeutung der Sympathie als soziale Kategorie und nimmt dabei Bezug auf Georg Simmel sowie einige andere Klassiker der Soziologie. Man könnte dies als einen ersten Versuch betrachten, dem Thema der Emotionen, unter Rückbezug auf die Klassiker der Soziologie, neue Aktualität in der deutschsprachigen Soziologie
57 58
Vgl. http://www.paul-parin.info/deutsch/biographie (22.3.2009). Vgl. http://www.unizh.ch/wsf/in_Memoriamde.html (22.3.2009).
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
zu verschaffen. Sympathie, d. h. die Fähigkeit zum Mit-Leiden und Mit-Fühlen mit anderen, wird von Gehring als eine grundlegende Voraussetzung gesellschaftlicher Prozesse betrachtet, wobei er dieses bereits den Klassikern bekannte Faktum noch weiter präzisiert im Hinblick auf die komplexitätsreduzierende Funktion der Sympathie, die zur Orientierung in der modernen Welt mit ihrer Vielzahl von Kommunikationspartnern beiträgt. Sympathie bezieht sich dabei auf eine positive Bewertung der nicht durch Rolle und Position des Interaktionspartners vorgegebenen Verhaltensweisen; kommt es zu häufigeren Interaktionen mit solcherart eingestuften Partnern, kann Sympathie insofern entlastend wirken, als auf die Kontinuität der bisherigen Verhaltensweisen des anderen vertraut wird und die Interaktion reibungslos fortgesetzt werden kann. In diesem Artikel wird also Sympathie im Hinblick auf ihre Konsequenzen für den weiteren sozialen Verkehr diskutiert – das affektive Befinden gewissermaßen als unabhängige Variable betrachtet. Die deutschsprachige Soziologie schien jedoch zu diesem Zeitpunkt für eine (Wieder-) Einführung des Themas der Emotionen und für eine explizite Diskussion von Emotionen als unabhängige Variable noch nicht bereit zu sein. Gehrings Arbeit wurde in der Zeitschrift keiner weiterführenden Diskussion unterzogen und hatte offensichtlich auch keinerlei Vorbildwirkung in dem Sinne, dass sie andere Autoren oder Autorinnen motiviert hätte, ihrerseits eine soziologische Analyse emotionaler Aspekte vorzunehmen. Auch vom Autor selbst, der 1968 an der Universität Hamburg mit einer Arbeit unter dem Titel „Genie und Verehrergemeinde. Eine soziologische Analyse des Genieproblems“ dissertiert hatte, sind keine weiterführenden Arbeiten in Richtung einer Soziologie der Emotionen bekannt. 1976 diskutiert sodann Peter Ludes, ebenfalls in der Sozialen Welt, die Rolle der Liebe bei der Reduktion von Entfremdung. Ich würde dies, nach dem Artikel von Gehring, als den zweiten Versuch in der deutschsprachigen Soziologie bezeichnen, das Thema der Emotionen unter Rückbezug auf die Klassiker der Soziologie (und auch auf Abhandlungen von Autoren der klassischen Antike) wiederaufzugreifen. Ähnlich wie Gehring widmet sich auch Ludes der sozialen Funktion des von ihm untersuchten Gefühls, wobei er explizit einen weiteren sozialen Kreis, jenseits der Dyade bzw. Kleingruppe, im Blick hatte. Ausgehend von einem Literaturüberblick widmet sich Ludes der Analyse einiger Romane (sowohl der klassischen Literatur als auch der Trivialliteratur), um seine These der potentiellen gesellschaftlichen Entfremdungsreduktion durch Liebe zu stützen. Im Sinne eines Wechsels der Sinnprovinz (Schütz) kann es Liebenden gelingen, die Strukturmerkmale ihrer dyadischen Beziehung in die Alltagswelt zu übertragen und auf dieser Basis eine Kritik der bestehenden Ordnung vorzunehmen. „Und genau in dieser Qualität der Liebe, einer Sinnprovinz, eingebettet in die Alltagswelt, liegt der politische Charakter der Liebe. Liebe zeigt, was möglich ist, und daß es möglich ist: ein Leben ohne Entfremdung, ohne die Regel, immer die effektivsten Mittel zu benutzen. Die Art der Beziehungen, die in der Welt der Liebe erfahren wird, kann genutzt werden als ein Interpretationsschema zur Neuinterpretation und Neu-Anordnung der Beziehungen der Alltagswelt.“59 Ludes nimmt in diesem Artikel neben einer Analyse der sozialen Rahmenbedingungen, unter denen sich Liebesbeziehungen entfalten können, auch eine Betrachtung der potentiellen sozialen Konsequenzen des Gefühlszustandes der Liebe vor, ohne jedoch eine systematische Verzahnung beider Perspektiven nahezulegen. Auch dieser Artikel initiierte keine breitere Beschäftigung mit dem Thema in den soziologischen Zeit-
59
Ludes, Liebe, S. 396–397.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
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schriften. Ludes wandte sich in weiterer Folge dem Bereich der Medien- und Kommunikationswissenschaft zu und ist derzeit Professor of Mass Communication an der International University Bremen.60 Seine Publikationsliste weist im Jahr 1986 einen weiteren Eintrag auf, der im Titel eine inhaltliche Beschäftigung mit der Emotionsthematik andeutet: „Erscheinungsformen und gesellschaftliche Bedeutung von Liebesbeziehungen“ (in: Die Mitarbeit, 35, 3, 1986, S. 256–268). Die fehlende Bezugnahme auf die ersten Artikel zur Emotionsthematik in den Zeitschriften sollte für sich genommen nicht als mangelndes Interesse an der Thematik überinterpretiert werden. Zeitschriftenartikel als wissenschaftliche Kommunikationsakte sind, wie die Praxis zeigt, in den meisten Fällen relativ isolierte Individualleistungen. Nur äußerst selten finden in den ausgewählten Zeitschriften Fachdiskussionen in der Weise statt, dass auf Vorgängerartikel durch Repliken oder Erwiderungen Bezug genommen wird.61 Die mangelnde inhaltliche Bezugnahme auf die Artikel von Parin, Gehring oder Ludes wäre für sich genommen also noch kein Indikator für ein Desinteresse an der Emotionsthematik. Jedoch zeigen die großen zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Artikeln, dass die ‚kritische Masse‘ jener, die sich aus soziologischer Sicht mit Affekten beschäftigten, offensichtlich noch zu gering war, um für eine stärkere Vertretung des Themas in den Zeitschriften zu sorgen. Man könnte vermuten, dass der Publikationserfolg Einzelner, die sich einem Randgebiet der Soziologie widmen, ‚Nachfolger‘ motivieren würde, ebenfalls Aspekte dieses Gebietes – wenn auch unabhängig von den durch ‚Vorgänger‘ präsentierten Inhalten – aufzugreifen. Bis zur Mitte der 1970er-Jahre kann jedoch keine derartige ‚Motivationswirkung‘ festgestellt werden (wobei, wie bereits oben erwähnt, keine Informationen über möglicherweise eingereichte, aber von den Verantwortlichen abgelehnte Arbeiten zur Verfügung stehen). 1980 erschien schließlich auch in der Zeitschrift für Soziologie der erste Artikel zur Thematik im engen Sinne. Der Autor, Norman Denzin, gehört mit seinem 1984 erschienenen Buch „On understanding emotion“ zur Gruppe jener Autoren, die einer Soziologie der Emotionen im anglo-amerikanischen Raum Auftrieb verschafften.62 In dem 1980 erschienenen Artikel weist Denzin auf die Notwendigkeit einer phänomenologischen Analyse von Emotionen hin und kritisiert die bisherige Überbetonung kognitiver Phänomene durch den Symbolischen Interaktionismus. Denzin plädiert gewissermaßen für eine analytische Synthese der sozialen Ursachen und Konsequenzen von Emotionen und bezieht sich dabei u. a. auf Arbeiten von William James, Edmund Husserl und Max Scheler. Im Rahmen von Interaktionssituationen werden nicht nur Emotionen zum Ausdruck gebracht, sondern die Akteure nehmen auch eine wechselseitige Deutung ihres emotionalen Befindens vor. Emotionale Reaktionen auf die antizipierten oder wahrgenommenen Emotionen anderer können dadurch eingeleitet werden bzw. es kann auch zur ‚emotionalen Ansteckung‘ kommen. Dieses gemeinsame Gefühlserlebnis kann, aus Sicht Denzins, wiederum zur Kohäsion der Gesellschaft beitragen. Die Gesellschaft setzt dem Einzelnen jedoch auch Grenzen, was das Ausleben bestimmter
60 61
62
Vgl. http://www.iu-bremen.de/directory/02762/ (21.4.2009). Die Frage, inwiefern es sich bei dieser Beobachtung um ein Charakteristikum der deutschsprachigen Fachzeitschriften handelt oder ob mangelnde inhaltliche Bezugnahmen auf Vorgängerartikel im gleichen Medium ein generelles Kennzeichen von Zeitschriftenaufsätzen sind, soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Vgl. Barbalet, Emotion, Social Theory, S. 20.
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Gefühle betrifft, und belegt Verstöße dagegen mit negativen Sanktionen. Emotionen sind dieser Sichtweise zufolge also sowohl sozial geprägt als auch mit sozialen Konsequenzen verbunden. Ebenfalls im Jahr 1980 erschien in der Kölner Zeitschrift ein Beitrag, der einige im englischen Sprachraum im Zusammenhang mit Emotionen diskutierte Aspekte für den deutschen Sprachraum aufbereitete. Der von Anselm Strauss et al. stammende Artikel stellt die Thematik der Gefühlsarbeit dem deutschen Fachpublikum vor. Im Zentrum der Arbeit steht der Nachweis der Bedeutung von Gefühlsarbeit im Krankenhaus. Die Autoren und Autorinnen zeigen, dass neben rein medizinischen Maßnahmen eine ganze Reihe von emotionalen Aspekten vom Krankenhauspersonal beachtet werden muss, um einen möglichst reibungslosen Behandlungsverlauf sicherstellen zu können. Die Berufssoziologie muss nach Meinung von Strauss et al. Gefühlsarbeit stärker als integralen Bestandteil verschiedener Berufstätigkeiten beachten, um ein adäquates Bild des Anforderungsprofils verschiedener Berufe zeichnen zu können. Die Prägung der Emotionen durch soziale Zusammenhänge – in diesem Fall durch die Gefühlsmanagement-Strategien des Krankenhauspersonals – steht im Vordergrund des Artikels, wohingegen die Konsequenzen von Emotionen (z. B. mögliche durch den Krankenhausaufenthalt oder das Verhalten des Personals hervorgerufene Ängste und entsprechend unkooperatives Verhalten des Patienten im Rahmen der weiteren Behandlung) nur angedeutet werden. Mit diesen zwei bereits im Jahr 1980 erschienenen Artikeln kann nachgewiesen werden, dass die deutschsprachige Soziologie keineswegs verspätet über neuere Entwicklungen aus dem englischen Sprachraum informiert wurde. Der Abdruck der beiden Übersetzungen kann sogar eher – in Anbetracht der sonstigen Absenz des Themas der Emotionen in den Zeitschriften – als Ausdruck relativer Offenheit der Herausgeber für neuere Strömungen des Auslandes gewertet werden. Die oben gewählte Bezeichnung für den Zeitraum 1972–87 als ‚Vorbereitungsphase‘ erscheint angesichts dieser Vermittlungsarbeit der Zeitschriften durchaus gerechtfertigt. Während in der Kölner Zeitschrift schon früh Arbeiten erschienen, die die Thematik der Emotionen ins Zentrum rückten, allerdings per se keiner systematischen Diskussion unterzogen, fällt die Zeitschrift für Soziologie durch den Abdruck des programmatisch gehaltenen Artikels von Denzin insofern auf, als hiermit eine theoretisch anspruchsvollere Diskussion des Stellenwertes der Emotionen in der Soziologie aufgegriffen wurde. Man könnte die Aktivitäten der Zeitschriften folgendermaßen beschreiben: Während in der Kölner Zeitschrift bis 1980 Arbeiten publiziert wurden, die zwar durchaus Emotionen ins Zentrum der Betrachtung rückten, dies jedoch unter Blickwinkeln taten, die dem von König geprägten Profil der Zeitschrift – als Publikationsforum von Arbeiten der empirischen Sozialforschung (durchaus mit Bezug zu praktischen Anwendungsbereichen der Soziologie) sowie der Sozialpsychologie und Psychoanalyse – entsprachen,63 fanden in der Sozialen Welt Arbeiten Eingang, die die Emotionsthematik anhand der Klassiker des Faches aufbereiteten und hierbei mitunter auch eine kultursoziologische Perspektive einnahmen. Die Zeitschrift für Soziologie wiederum zeichnete sich, ebenfalls ihrem selbst gewählten Profil entsprechend, durch eine Anknüpfung an eine systematisch-theoretische Diskussion der Emotionsthematik in der Soziologie aus.
63
Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 80. – Vgl. auch König, Vorbemerkung, S. 3–4.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
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1983 widmet sich mit Birgitta Nedelmann wiederum eine in Deutschland tätige Autorin den Emotionen. Ihr Beitrag über Simmel, der das Wort ‚Emotion‘ explizit im Titel trägt, ist der dritte Versuch innerhalb der deutschsprachigen Zeitschriften, das Thema der Emotionen von den Klassikern her wieder aufzurollen – nun erstmals auch in der Kölner Zeitschrift. Nedelmanns Artikel beinhaltet beide Perspektiven: Emotionen als abhängige und als unabhängige Variable, was angesichts des Hauptbezugsautors von Nedelmann – Georg Simmel – nicht verwundert. Simmel äußerte in seinen Schriften sowohl Interesse an den im Rahmen sozialer Wechselwirkungen erzeugten Befindlichkeiten von Individuen als auch an der Frage, welche Konsequenzen diese Befindlichkeiten für den sozialen Kontext mit sich bringen. Das Thema der Emotionen spielt auch in späteren Arbeiten Nedelmanns, die sich u. a. mit Fragen der politischen Soziologie beschäftigt hat, eine Rolle. So zum Beispiel 1988 in einem Beitrag mit dem Titel „‚Psychologismus‘ oder Soziologie der Emotionen. Max Webers Kritik an der Soziologie Georg Simmels“ in einem von Otthein Rammstedt herausgegebenen Sammelband („Simmel und die frühen Soziologen: Nähe und Distanz zu Durkheim, Tönnies und Max Weber“). Ebenfalls 1983 brachte die Zeitschrift für Soziologie die Arbeit von Andrea Leupold heraus, die sich mit Formen der Codierung von Liebe bzw. Partnerschaft beschäftigt. Dieser Artikel basiert offensichtlich auf der 1982 in Bielefeld eingereichten Diplomarbeit der Autorin zum Thema „Formen der Codierung von Ehen“. Leupold beschäftigt sich in diesem Artikel vor allem mit der Semantik der Liebe, d. h. der Art und Weise, wie die Gefühlswelt in Partnerbeziehungen sprachlich dargestellt wird und welchem Wandel diese Darstellungen unterliegen. Die systemtheoretische Sicht Luhmanns auf die Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften bildet den Ausgangspunkt für Leupolds Erörterungen der Liebe. Liebe wird, diesem Bezugsrahmen gemäß, weniger als affektiv-somatisches Phänomen verstanden, sondern als Kommunikationsmedium für Intimbeziehungen dargestellt. Diese Erörterung des Aufkommens der Semantik der ‚romantischen Liebe‘ bzw. der ‚Partnerschaft‘ im Zuge des gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses kann jener Gruppe von Beiträgen zugeordnet werden, die die gesellschaftliche Prägung von Emotionen – in diesem Fall ihres semantischen Ausdrucks – thematisieren (d. h. Emotionen als abhängige Variable betrachten). Gleichzeitig impliziert dieser Ansatz aber auch die Fragestellung, in welcher Weise die jeweilige Semantik der Liebe (d. h. der Code für emotionales Geschehen) zur Strukturierung von Sozialsystemen beiträgt. Der systemtheoretische Ansatz ist per se auf eine Synthese beider Sichtweisen hin angelegt, was auch in der Arbeit von Leupold zum Ausdruck kommt. Zwei Jahre später, 1985, folgte ein weiterer Beitrag zum Thema Liebe von Anne Drescher und Wolfgang Fach, in dem sie das Aufkommen des Ideals ‚romantischer Liebe‘ als Folge gesellschaftlichen Wandels darstellen und die Konsequenzen dieses Ideals im Hinblick auf rückläufige Geburtenraten und diesbezüglich hilflose Familienpolitik aufzeigen. Auch in diesem Beitrag sind somit beide Sichtweisen (Emotionen als abhängige und als unabhängige Variable) vertreten, wobei wiederum nicht so sehr die Emotion Liebe als affektiv-somatisches Phänomen im Vordergrund der Analyse steht, sondern die Semantik der Liebe und ihre makrosozialen Konsequenzen. Im selben Jahr, 1985, veröffentlicht die Zeitschrift für Soziologie auch einen Artikel von Bernhard Badura, in dem die Rolle von Emotionen im Rahmen der Krankheitsbewältigung thematisiert wird. Badura unterstreicht in diesem Artikel deutlich die ‚Doppelgesichtigkeit‘ von Emotionen als sozial bedingte und gleichzeitig das Soziale strukturierende Phänomene. „Der hier umrissene Ansatz geht davon aus, daß das emotionale Befinden einen erheblichen Einfluß auf die Wahrnehmung und Wertung von
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Alltagssituationen und auf das soziale Handeln hat. Das emotionale Befinden wiederum ist abhängig von Prozessen der Selbst- und Weltdeutung, die ihrerseits durch elementare Sozialprozesse im alltäglichen Umgang bestärkt oder erschüttert werden können.“64 In diesem programmatisch gehaltenen Artikel fordert Badura außerdem eine stärkere Beachtung der bisher seiner Ansicht nach von der Soziologie vernachlässigten emotionalen Dimension sozialen Handelns. Die Zeitschrift für Soziologie setzt mit den Beiträgen von Leupold, Drescher/Fach und Badura die 1980 begonnene systematisch-theoretische Diskussion im Zusammenhang mit der Emotionsthematik fort, wobei die von der Zeitschrift angestrebte Vielfalt theoretischer Perspektiven durch das Nebeneinander theoretisch und empirisch derart unterschiedlich ausgerichteter Beiträge unterstrichen wird. 1986 kann als erster Höhepunkt der Beschäftigung mit Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie bezeichnet werden. Stephen Mennell beschäftigte sich in diesem Jahr in der Zeitschrift für Soziologie mit der Zivilisierung der Esslust und setzt sich dabei intensiv mit der Elias’schen Theorie der Ausbildung einer Selbstzwangapparatur zur Gefühlsregulierung auseinander. In der Sozialen Welt erscheint zeitgleich, 1986, ein Beitrag von Helmut Kuzmics, der sich ebenfalls der Elias’schen Zivilisationstheorie im Vergleich zum Goffman’schen Ansatz widmet und dabei das Thema Verlegenheit in den Vordergrund stellt. Mit diesen Beiträgen zu Elias werden die Arbeiten eines mittlerweile den Klassikern der Soziologie zugerechneten Autors unter dem Blickwinkel der Emotionen aufbereitet, wobei in beiden Beiträgen jene Sichtweise überwiegt, die (im Einklang mit der Elias’schen Zivilisationstheorie) die soziale Prägung des Gefühlshaushaltes in den Vordergrund rückt. Ebenfalls 1986 widmet sich in der Sozialen Welt Elisabeth Beck-Gernsheim dem Wandel von Liebesbeziehungen und greift dabei wiederum das Thema der ‚romantischen Liebe‘ auf, allerdings in einer Perspektive, die nicht nur die Ausbildung dieser Vorstellung im Rahmen des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses analysiert, sondern vor allem die aktuellen Auswirkungen dieses Ideals im Rahmen zeitgenössischer Geschlechterbeziehungen thematisiert: Hohe Erwartungen hinsichtlich eines emotional erfüllten Partnerverhältnisses werden – vor dem Hintergrund einer individualisierten Gesellschaft – zunehmend enttäuscht und schlagen sich in entsprechenden Scheidungsraten und der Suche nach ‚emotionalen Ankern‘ jenseits der Partnerschaft nieder. In der Kölner Zeitschrift erschien schließlich 1986 auch Jürgen Gerhards Literaturbericht über aktuelle anglo-amerikanische Entwicklungen auf dem Gebiet der Soziologie der Emotionen, in dem er dem deutschsprachigen Publikum die Arbeiten von Kemper, Hochschild und Collins nahezubringen versucht. Durch die Auswahl der Referenzautoren ist sichergestellt, dass in diesem Literaturbericht Emotionen sowohl als abhängige als auch als unabhängige Variable thematisiert werden. Derselbe Autor publiziert zwei Jahre später, 1988, einen weiteren Artikel zur Emotionsthematik in der Zeitschrift für Soziologie, der stärker modelltheoretischen Charakter hat und auf seiner 1987 an der Universität Köln zum Thema Soziologie der Emotionen eingereichten Dissertation basiert. In diesem Artikel wird – im Rahmen des Versuchs einer Verbindung des sozialstrukturellen Ansatzes (Kemper) und des symbolisch-interaktionistischen Ansatzes (Hochschild) – vor dem Hintergrund der struktur-funktionalen Theorie die soziale Prägung von Emotionen thematisiert. Mit diesen Artikeln und seinem 1988 erschienenen Buch „Soziologie der Emotionen. Fragestellun-
64
Badura, Zur Soziologie der Krankheitsbewältigung, S. 344.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
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gen, Systematik und Perspektiven“ gehört Gerhards zu jenen Soziologen, die sich für eine stärkere Beachtung der Soziologie der Emotionen im deutschen Sprachraum einsetzten, wie auch Flam feststellt.65 Man könnte sagen, dass 1986 die Emotionsthematik – eingedenk ihrer, quantitativ gesehen, immer noch marginalen Stellung in der deutschsprachigen Soziologie – in allen drei Zeitschriften systematisch diskutiert wird. Auch die Kölner Zeitschrift bringt nun erstmals mit dem Artikel von Gerhards einen systematischen Überblick über die neuere Soziologie der Emotionen, während die Soziale Welt die Reihe jener Artikel, die sich mit klassischen Autoren unter dem Blickwinkel der Emotionsthematik beschäftigen, fortsetzt. 1988 erscheinen in der Sozialen Welt drei weitere Artikel, die der Emotionsthematik zugerechnet werden können. Jürgen Gerhards und Wolfgang Dunkel beschäftigen sich in je einem eigenen Artikel mit dem Thema Gefühlsarbeit und legen hierbei Argumente für eine stärkere Beachtung dieses Konzeptes im Rahmen von Studien zur Arbeitswelt vor. In beiden Artikeln überwiegt das Thema der gesellschaftlichen Prägung von Emotionen bzw. des Emotionsausdrucks. Jo Reichertz widmet sich in seinem Artikel öffentlich zum Ausdruck gebrachten Gefühlen und untersucht dabei, wie das Ideal romantischer Liebe, durch seine öffentliche Inszenierung, auch in Zeiten zunehmender Individualisierung aufrechterhalten wird. Auch diese Arbeit rückt die gesellschaftliche Prägung von Gefühlen bzw. des ‚Redens über Gefühle‘ in den Vordergrund. 1989 wird die Reihe von Arbeiten zur Emotionsthematik in der Zeitschrift für Soziologie fortgesetzt mit einem Beitrag von Volker Eichener, in dem er sich kritisch mit der Rational-Choice-Theorie auseinandersetzt und unter Rückbezug auf den Eliasschen Ansatz die Bedeutung von Gefühlen für die Segregation des Wohnungsmarktes beschreibt. In diesem Beitrag werden sowohl soziale Ursachen emotionalen Befindens als auch dessen Konsequenzen beachtet. Gerhard Vowinckel beschäftigt sich, ebenfalls in der Elias’schen Tradition stehend, mit Prozessen des Gefühlsmanagements, d. h. den Veränderungen der Standards für den körperlichen Ausdruck von Affekten in der Zeit vom 17. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein, wobei die Sichtweise, Emotionen als abhängige Variable zu betrachten, überwiegt. In der Kölner Zeitschrift erschien 1989 ein Artikel von Bernhard Badura und Holger Pfaff zum Thema Stress. Sie widmen sich hierin u. a. dem Burnout-Syndrom und zeigen, inwiefern dies als Konsequenz emotionalen Interaktionsstresses, d. h. als Konsequenz eines Auseinanderklaffens von sozial erwünschten und tatsächlich empfundenen Gefühlen gesehen werden kann. Es wird außerdem festgestellt, dass positive Emotionen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung belastender Situationen spielen können. Badura und Pfaff folgern daraus, dass im Rahmen der Stressforschung Gefühlen stärkere Beachtung geschenkt werden müsse, zumal sie eine Zunahme des emotionalen Stressniveaus im Verlauf des Modernisierungsprozesses vermuten. Im Vordergrund dieses Artikels stehen wiederum die soziale Prägung des Gefühlshaushaltes und deren negative Konsequenzen für den einzelnen. Dieselbe Thematik greift Badura auch in einem 1990 in der Zeitschrift für Soziologie erschienenen Artikel auf. 1992 folgt in der Zeitschrift für Soziologie ein eher programmatisch gehaltener Artikel zur Emotionsthematik. Gesa Lindemann widmet sich hierin der Frage, inwieweit Gefühle
65
Vgl. Flam, The Emotional Man, S. 153.
270
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
und ihre körperlichen Prozesse zur Konstruktion der sozialen Realität beitragen, was anhand der Konstruktion von Geschlechtsidentitäten aufgezeigt wird. Eine Schlussfolgerung des Artikels ist, dass Gefühle, wie überhaupt leibliche Phänomene, in der Soziologie bis dato eine Leerstelle bilden würden und eine stärkere Beachtung erfahren sollten.66 1992 kam es auch zu einer der wenigen direkten Bezugnahmen auf Vorgängerartikel in der Kölner Zeitschrift. Der 1989 erschienene Artikel von Badura und Pfaff hatte Heinz-Günter Vester bereits 1991 zu einer kritischen Stellungnahme angeregt, in der er sich jedoch nicht der Thematik der Gefühle widmete, sondern den Autoren eine mangelnde Beachtung makrosozialer Prozesse vorwarf. 1992 antworteten Badura und Pfaff auf diese Kritik und betonten hierbei nochmals die Notwendigkeit, in der Stressforschung vermehrt emotionale Faktoren zu beachten. Auch in der 1992 in der Kölner Zeitschrift abgedruckten Antwort Vesters auf die Erwiderung von Badura und Pfaff geht dieser schließlich – wenn auch nur am Rande und daher von mir der ‚weiten‘ Kategorie zugeordnet – auf die Thematik der Emotionen ein.67 1994 greift Jo Reichertz in der Sozialen Welt erneut das Thema Liebe auf. Er beschäftigt sich diesmal mit über das Massenmedium Fernsehen kommunizierten Gefühlsäußerungen und geht der Frage nach, inwieweit die Semantik der Liebe durch den Gebrauch dieses Mediums verändert wird. Wie schon im Artikel des Autors aus dem Jahr 1988 steht die Prägung des Gefühls bzw. Gefühlsausdrucks im Vordergrund der Erörterungen. 1995 widmet sich Hilde Weiss, ebenfalls in der Sozialen Welt, dem Wandel von Liebesvorstellungen in zeitgenössischen Partnerschaften, wobei sie insbesondere dem veränderten Geschlechterverhältnis und seinen Konsequenzen für die emotionale Ausgestaltung von Paarbeziehungen Beachtung schenkt. Auch hier werden Emotionen weitgehend als abhängige Variable thematisiert. In der Zeitschrift für Soziologie wird die eher programmatisch-theoretisch gehaltene Auseinandersetzung mit Emotionen 1995 durch einen Artikel von Helmut Staubmann fortgesetzt, der sich der affektiv-kathektischen Handlungsdimension in der Parsons’schen Theorie widmet. In diesem Beitrag wird nicht nur die Bedeutung von Affekten für eine soziologische Handlungstheorie aufgezeigt, sondern auch eine Revision des weitverbreiteten rationalistischen Parsons-Bildes vorgenommen. Emotionen werden hierbei als integraler Bestandteil der Parsons’schen Handlungstheorie nachgewiesen und sowohl in ihrer sozial geprägten als auch das Soziale aktiv gestaltenden Funktion dargelegt. Nach einer längeren Pause wird 2001 in der Kölner Zeitschrift die Thematik der Emotionen, konkret der Liebe, im Sonderheft zum Thema „Geschlechtersoziologie“ wieder aufgegriffen. Günter Burkart und Cornelia Koppetsch widmen sich der Soziologie des Paares und analysieren dabei Emotionen als zentrales Mittel zur Strukturierung von Partnerschaften, wobei der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Geschlechtsnormen sowie ihr jeweiliger Wandel berücksichtigt werden. Annette Schnabel wiederum beschäftigt sich mit Emotionen im Rahmen sozialer Bewegungen, konkret der Frauenbewegung, und unterzieht
66 67
Zur bisherigen weitgehenden Vernachlässigung des Körpers in der Soziologie und dessen ‚Wiederentdeckung‘ seit den 1980er-Jahren vgl. auch Shilling, The Body, S. 26–35. Wie vorsichtig man bei der Interpretation der Zeitschriftenartikel sein muss, zeigt sich gerade an den Artikeln von Vester. Dieser Autor hat sich 1991 in einer Monographie sehr ausführlich mit Emotionen auseinandergesetzt. In der Diskussion mit Badura/Pfaff ging es ihm jedoch um einen anderen Aspekt, weshalb er auf die Emotionsthematik in seiner Kritik nicht Bezug nahm. Es wäre daher jedoch falsch, ihn gemäß der vorliegenden Zeitschriftenanalyse dem ‚emotionsfernen‘ Lager der deutschsprachigen Soziologie zuzurechnen. Vgl. Vester, Emotion, Gesellschaft und Kultur.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
271
dabei die Theorie der rationalen Wahl einer Revision. Auch in diesem Beitrag steht die Funktion von Emotionen für soziale Zusammenhänge (in diesem Fall die Entstehung einer sozialen Bewegung) im Vordergrund der Analyse. 2003 kommt es in zwei Beiträgen der Kölner Zeitschrift zu einer Kritik des RationalChoice-Ansatzes unter Rückgriff auf emotionale Komponenten, und zwar bei Willem de Haan und Jaco Vos bzw. John Hagan und Bill McCarthy. Beide Beiträge erscheinen im Sonderheft „Soziologie der Kriminalität“ und diskutieren die Bedeutung von Affekten im Rahmen delinquenten Verhaltens. Hagan und McCarthy stellen dabei die sich aus polizeilichen Labelingprozessen ergebenden Schamspiralen und den durch diese erschwerten Ausstieg aus kriminellen Karrieren in den Mittelpunkt der Betrachtung. De Haan und Vos wiederum versuchen, auf einer allgemeinen Ebene, die Brauchbarkeit der Theorie rationalen Handelns für die Erklärung delinquenten Verhaltens in Frage zu stellen. Delinquenz kann aus Sicht der Autoren, ohne dass die dabei aufkommenden Emotionen und das von den Tätern vollzogene Gefühlsmanagement beachtet würden, nicht adäquat verstanden werden. Emotionen spielen in beiden Artikeln eine wichtige Rolle für die Art des Fortganges sozialer Interaktionen. Ergänzend sollen an dieser Stelle auch die Artikel, die sich den Emotionen in einem ‚weiten‘ Sinne widmeten, vorgestellt werden. Bei diesen Artikeln handelt es sich zumeist um Arbeiten aus dem Bereich der Speziellen Soziologien, die neben der Hauptthematik auch emotionale Aspekte berücksichtigen. Die jeweilige Behandlung dieser emotionalen Aspekte steht im Vordergrund der folgenden Übersicht, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass Emotionen in den Artikeln lediglich ein Randthema darstellten, weshalb auch die Prüfung, ob Emotionen als abhängige oder unabhängige Variable behandelt werden, erschwert ist und daher nicht Gegenstand des folgenden Überblicks sein soll. 1974, also in dem von mir als ‚Vorbereitungsphase‘ bezeichneten Zeitraum, erscheint in der Sozialen Welt der erste Artikel der ‚weiten‘ Kategorie. Roland Naul und Hans Voigt widmen sich darin dem Thema Aggressionen im Sport. Die aus der Verhaltenstheorie bekannte ‚Frustrations-Aggressions-Hypothese‘ wird in diesem Artikel hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit im Rahmen sportpsychologischer Studien diskutiert und dabei einer Revision unterzogen. Die Autoren fordern eine stärkere Integration psychologischer und soziologischer Theorien, um ein adäquates Bild der Rolle von Aggression im Sport zeichnen zu können. Durch ein konfliktsoziologisches Modell soll es gelingen, die sozialen Bedingungen aggressiven Verhaltens im Mannschaftssport zu skizzieren. Aggressives Verhalten wird dabei als zu erklärendes Faktum vorausgesetzt und keiner näheren phänomenologischen Beschreibung unterzogen; emotionale Faktoren werden im Rahmen der Modelldiskussion lediglich implizit angesprochen. 1977 folgt in derselben Zeitschrift ein weiterer Artikel zur Aggressionsthematik. Ali Wacker widmet sich darin der Frage, inwieweit Arbeitslosigkeit und andere Desintegrationserscheinungen, die eine Art Affektstau bewirken, zu verschiedenen Formen der Aggressionsentladung (entweder gegen das Selbst oder gegen andere gerichtet) und einem Anstieg der Kriminalitätsrate führen können. Desorganisationserscheinungen, wie Arbeitslosigkeit, können sich aus Sicht der Autoren vor allem in urbanen Ballungszentren, die eine Kumulation dieser Erscheinungen aufweisen, negativ auf die Kriminalitätsentwicklung auswirken. Affekte werden im Artikel explizit thematisiert, jedoch überwiegt die Erörterung der Rolle von Desintegrationserscheinungen im Zusammenhang mit Kriminalität. Ebenfalls in der Sozialen Welt folgt 1979 der nächste Artikel der ‚weiten‘ Kategorie. Holm Gottschalch widmet sich darin einem Überblick bisheriger Studien zum Thema ‚Ar-
272
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
beitsfreude‘. In dieser Arbeit wird die ansonsten eher emotionsfern behandelte Thematik der Arbeitszufriedenheit (siehe dazu weiter oben) durch Gefühlsaspekte ergänzt. Frühe empirische Studien zu diesem Thema beachteten in stärkerem Maße explizit die Befindlichkeiten der Arbeitnehmer als die in den 1970er-Jahren im deutschen Sprachraum vorgelegten Untersuchungen aus dem Umkreis der Sozialindikatorenforschung. Obwohl der Artikel diesen Aspekt nicht in den Vordergrund rückt, ist der Hinweis darauf bemerkenswert, dass Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts offenbar weniger Scheu vor der Einbeziehung affektiver Aspekte in die Erörterung der ‚Arbeitsfreude‘ geherrscht hat. Die ‚Wiederentdeckung‘ dieser frühen Arbeiten im Jahr 1979 fügt sich sehr gut in das Bild des Zeitraumes 1972–1987 als der ‚Vorbereitungsphase‘ einer stärkeren Beachtung der Emotionen in der Soziologie ein. 1990 wurde die Reihe der Arbeiten zur Aggressionsforschung in der Kölner Zeitschrift durch einen Beitrag von Eugen Lupri fortgesetzt. Lupri widmet sich ehelicher Gewalt und beleuchtet dabei auch die Funktion von Gefühlen wie Ärger, Frustration, Zorn oder Zuneigung in partnerschaftlichen Interaktionen. 1991 erschien in derselben Zeitschrift ein Artikel von Sylvia Gräbe zum Thema Stress, in dem sie die Bedeutung emotionaler Unterstützung im Rahmen von Familiennetzwerken für die psychische und physische Gesundheit unterstreicht. 1992 erschien die kurze Erwiderung Vesters im Rahmen der bereits erwähnten Debatte mit Badura/Pfaff, die aufgrund der diesmal expliziten Bezugnahme auf die von Badura und Pfaff skizzierte Bedeutung emotionaler Komponenten für das Thema Stress von mir der ‚weiten‘ Kategorie zugeordnet wurde. 1992 widmet sich außerdem Karl-Heinz Reuband in der Kölner Zeitschrift einem Vergleich der Kriminalitätsfurcht in der Bundesrepublik Deutschland und den USA. Das Bedrohungsgefühl der Bevölkerung wird in diesem Zusammenhang zwar erwähnt, aber nicht systematisch auf seine emotionalen Aspekte hin analysiert, weswegen der Beitrag der ‚weiten‘ Kategorie zugeordnet wurde. 1993 folgt in der Kölner Zeitschrift ein Artikel von Alois Hahn und Herbert Willems zum Thema Schuld. Die Beichte als Form des Umgangs mit Schuldgefühlen steht im Zentrum der Erörterungen. 1994 erscheint in der Sozialen Welt wiederum ein Beitrag aus dem Bereich der Aggressionsforschung. Jürgen Mansel und Klaus Hurrelmann widmen sich darin den unterschiedlichen Formen der Stressverarbeitung Jugendlicher, die zum Teil aggressive Formen annehmen kann. 1998 erscheint in der Kölner Zeitschrift ein Beitrag aus dem Bereich der politischen Soziologie, der sich den ‚Vertretenheitsgefühlen‘ der Bürger widmet. Frank Brettschneider und Daniel Rölle erörtern hierin u. a. die Rolle affektiver Bindungen im kommunalpolitischen Bereich. 2003 wird schließlich in der Kölner Zeitschrift von Tim Hope und Alan Trickett das Thema Angst im Zusammenhang mit Neighbourhood-Watch-Programmen erörtert.
5.2.5. Einige Kennzeichen der Beschäftigung mit der Emotionsthematik in der deutschsprachigen Soziologie Die Zeitschriftenrecherche zeigte deutlich, dass es im deutschen Sprachraum bereits früh einzelne Arbeiten zur Emotionsthematik gegeben hat und dass auch entsprechende Publikationen des englischen Sprachraums hier relativ früh rezipiert wurden. Allerdings handelte es sich bei diesen Arbeiten um seltene Ausnahmen innerhalb des ansonsten mit anderen Problembereichen beschäftigten mainstreams des Faches. Betrachtet man den Entwicklungsverlauf des Themas in den Zeitschriften in der hier getroffenen Operationalisierung, so wird deutlich, dass – abgesehen von einzelnen Ausnahmen – erst ab den späten 1980er-Jahren die
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
273
Emotionsthematik stärkeren Eingang in die Zeitschriften fand. Warum sich Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen einem bestimmten Forschungsthema zuwenden, kann durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren (die in Kapitel III, 3. ausführlich diskutiert wurden) erklärt werden. Das gehäufte Interesse an einem Thema zu bestimmten Zeitpunkten bzw. Perioden – wie es in der Zeitschriftenanalyse deutlich wird – legt es nahe, auf kollektiver Ebene nach Erklärungen für dieses Phänomen zu suchen. In der bisherigen Literatur zur Soziologie der Emotionen wurde häufig das vage definierte Konzept des ‚Zeitgeistes‘ zu diesem Zweck herangezogen. In Kapitel III, 3.3. bemühte ich mich zu zeigen, dass die institutionelle Verankerung einer Disziplin bei derartigen Erklärungen jedenfalls mitzubeachten ist. Betrachtet man den Institutionalisierungsverlauf der deutschsprachigen Soziologie, so wird deutlich, dass die Phase des gehäuften Interesses an Emotionen in eine Periode fällt, die durch eine zahlenmäßige Konsolidierung und Verzweigung der Disziplin in Spezialbereiche gekennzeichnet ist. Es liegt nahe, in diesen Faktoren Rahmenbedingungen zu sehen, die auch das Interesse an der Emotionsthematik fördern, die nun als Nische bzw. Spezialgebiet innerhalb des Faches Raum finden kann. Umgekehrt waren die vorhergehenden Perioden durch institutionelle Rahmenbedingungen gekennzeichnet, die der Beschäftigung mit einem Thema, das aufgrund seiner multidisziplinären Bezüge nicht zur Abgrenzung eines Kernbereiches der Soziologie geeignet ist, nicht dienlich sein konnten. Auf der Tagesordnung der mainstreamSoziologie standen in den ersten Nachkriegsperioden grundsätzliche Fragen der Etablierung des Faches in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft. Die Perspektive, unter der Soziologie betrieben wurde, richtete sich über die verschiedenen diese Phasen dominierenden Schulen hinweg, entsprechend auf Problembereiche, die mit einer solchen Etablierung im Einklang standen. Emotionen, die, wie in Kapitel II dargelegt, zwar prinzipiell Relevanz für soziologische Fragestellungen haben, jedoch vor allem auch in der Psychologie – von der die Soziologie sich von Anbeginn bemühte Abstand zu halten – bearbeitet werden, sind für derartige Etablierungsbemühungen schlecht geeignet. Vor allem jene, die mit der Entwicklung bzw. Bewahrung des Status der Disziplin befasst sind (d. h. die bereits etablierten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen), werden sich daher kaum intensiv dieser Thematik zuwenden. Selbst wenn also der Zeitgeist in Richtung einer stärkeren Beachtung des mikrosozialen Bereiches und der Affekte des Menschen wirkt, heißt dies noch nicht, dass sich dies auch unmittelbar in der mainstream-Soziologie (repräsentiert durch die Fachzeitschriften) widerspiegeln wird. Erst wenn die entsprechenden institutionellen Voraussetzungen vorhanden sind – und eine Auffächerung der Disziplin in verschiedene Spezialbereiche sowie Toleranz gegenüber einem Nebeneinander unterschiedlicher Theorieentwürfe existiert – ist es auch möglich, dass vom Zeitgeist motivierte Themen Eingang in die Zeitschriften finden. Und auch ohne Wirkung des Zeitgeistes liegt es in solchen Situationen nahe, dass sich im mainstream des Faches neue Nischen bzw. Spezialgebiete für die wachsende Zahl von Fachvertretern bzw. -vertretrinnen ausbilden werden. Im Fall der Emotionen kann ein Zusammenwirken derartiger institutioneller und durch das allgemeine Geistesklima der Zeit bedingter Ursachen für deren Wiederentdeckung seit den 1980er-Jahren angenommen werden. Die vorher bereits vereinzelt vorliegenden Arbeiten zur Emotionsthematik zeigen, dass selbstverständlich immer auch persönliche und situative Faktoren zur Beschäftigung mit einem Thema führen und auch die Herausgeber ihre Entscheidungen von derartigen Faktoren abhängig machen können. Einzelarbeiten dürfen jedoch nicht über den Einfluss institutioneller Strukturen auf die kognitiven Inhalte von Fachdiskussionen hinwegtäuschen, die allerdings erst sichtbar werden, wenn man aggregierte Daten betrachtet.
274
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Im Folgenden sollen noch einige inhaltliche Charakteristiken der Beschäftigung mit der Emotionsthematik im deutschen Sprachraum aufgezeigt werden. Es lassen sich aus den ausgewählten Zeitschriften folgende Kennzeichen der deutschsprachigen Soziologie im Hinblick auf die Behandlung der Emotionsthematik extrahieren: Die Auseinandersetzung mit dem Werk verschiedener Klassiker (vor allem Simmel, Elias und auch Parsons) im Hinblick auf deren Beachtung der Affekte spielt bereits relativ früh (Gehring 1969) eine Rolle in der deutschsprachigen Soziologie und wird auch während des gesamten Untersuchungszeitraumes fortgesetzt. Früh und über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg werden auch anglo-amerikanische Arbeiten, die sich den Emotionen widmen, in den Zeitschriften abgedruckt. Relativ früh lassen sich zudem Beispiele von Artikeln finden, die offensichtlich aus wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten hervorgegangen sind (Saarbourg, Leupold, Gerhards), was als Zeichen dafür gedeutet werden kann, dass gegenüber einer soziologischen Behandlung der Emotionsthematik im Bereich der Ausbildung des Nachwuchses keine allzu großen Vorbehalte vorhanden waren. Die oben geäußerte These, dass neuartige Themen vor allem von jenen Akteuren des wissenschaftlichen Feldes aufgegriffen werden, die außerhalb des mainstreams stehen oder noch nicht entsprechend etabliert sind, während die ‚Herrschenden‘ des Feldes an der Aufrechterhaltung des Kanons interessiert sind, kann insofern bestätigt werden. Die Behandlung der Emotionsthematik in wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten stieß aufseiten der Betreuer allerdings auf wenig Vorbehalte, sofern diese in einer Art und Weise bearbeitet wurden, die der gängigen Forschungspraxis zumindest nicht zuwiderlief. Die in den Zeitschriften veröffentlichten, auf Diplomarbeiten oder Dissertationen beruhenden Arbeiten standen in der Umsetzung des Themas durchaus im Einklang mit Perspektiven des mainstreams, etwa wenn Gerhards in der nach dem Zweiten Weltkrieg wertgeschätzten Theorie Parsons’ eine Möglichkeit sieht, eine Soziologie der Emotionen auf eine systematische Grundlage zu stellen, oder wenn Leupold die systemtheoretische Sicht Luhmanns auf das Thema Liebe anwendet. Auch Saarbourgs frühe Arbeit steht durch ihre stark quantitative Ausrichtung in der entsprechenden Kölner Tradition. Die Arbeiten können insofern durchaus auch als Ausweitung eines bestimmten forschungsleitenden Paradigmas auf einen neuen Themenbereich betrachtet werden. Ob diese Ausweitung auf Anregung der jeweiligen Betreuer zustande kam und somit Effekte, wie die von Lemaine et al. konstatierten, vorliegen, ließe sich nur durch entsprechende Recherchen (Interviews) belegen.68 Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg finden sich außerdem Arbeiten, die eine integrative Sicht von Emotionen als abhängige und unabhängige Variable anstreben. Die angesichts von Institutionalisierungsbemühungen denkbare Haltung (der Autoren bzw. Herausgeber) Emotionen wenn, dann vorrangig als abhängige Variable zu behandeln, findet durch die vorliegenden Daten keine Bestätigung. Allerdings ist auffällig, dass Artikel, die ausschließlich die sozialen Konsequenzen von Emotionen in den Vordergrund rücken, im gesamten Untersuchungsraum sehr selten erscheinen. Offenbar muss die genannte These dahingehend umformuliert werden, dass in Zeiten einer noch nicht abgeschlossenen Institutionalisierung die Emotionsthematik nicht ausschließlich in der Weise erörtert werden kann, dass Emotionen – als möglicherweise nicht unmittelbar in das Aufgabengebiet der
68
Zum Einfluss angesehener Wissenschaftler auf die Entwicklung neuer Spezialbereiche vgl. Lemaine et al., Introduction, S. 5.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
275
Soziologie fallende Phänomene – die unabhängige Variable darstellen. Wenn Emotionen in dieser Zeit aufgegriffen werden, geschieht dies unter Hinweis auf die prägende Wirkung des Sozialen (was durchaus durch Hinweise auf die umgekehrte Wirkrichtung und entsprechende Syntheseversuche beider Sichtweisen ergänzt werden kann). Erst seit den 1990er-Jahren – d. h. seit einer Zeit der disziplinären Öffnung – erscheinen vermehrt Artikel, die vorrangig die Konsequenzen emotionalen Verhaltens für das Soziale in den Vordergrund rücken. Die beobachteten frühen Syntheseversuche könnten zudem auf eine Besonderheit der deutschsprachigen Soziologie zurückgeführt werden, die – folgt man etwa den Beschreibungen von Aron69 – vor allem durch ein Überwiegen theoretischer Grundlagendiskussionen gegenüber angewandten Fragestellungen charakterisiert ist. Das starke Interesse an integrativen Sichtweisen im Hinblick auf die Emotionsthematik (ebenso wie das Interesse an einer Aufarbeitung der theoretischen Beiträge der Klassiker hierzu) könnte somit als Charakteristikum dieses akademischen Kontextes verständlich werden. Interessant ist, dass relativ häufig im weitesten Sinne kulturwissenschaftliche Ansätze im Zusammenhang mit Emotionen vertreten wurden. Nicht Gefühlszustände per se sind hierbei Gegenstand der theoretischen oder empirischen Analyse, sondern die kulturelle Deutung und der symbolische Ausdruck von Gefühlen stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Der Wandel der Liebessemantiken bzw. allgemein die Codierung von Gefühlen, die in verschiedenen Arbeiten behandelt wurde, ist ein Beispiel für einen solchen Zugang. Dieses Interesse an den symbolischen Korrelaten von Gefühlen kann als konsequente Umsetzung der Erkenntnis gesehen werden, dass das, was Soziologen und Soziologinnen aus dem Bereich der Gefühlswelt zugänglich ist, die Aussagen von Akteuren über Gefühle sind, weshalb konsequenterweise auch nur auf deren Basis empirische Arbeit betrieben werden kann. Eine ganze Reihe der in der Artikelliste vertretenen Autoren und Autorinnen weist in ihrem sonstigen Schaffen eine Nähe zu kultursoziologischen Fragestellungen auf, so z. B. Gerhards, Lindemann oder Reichertz. Bei Reichertz, ebenso wie bei Ludes, liegt außerdem ein Bezug zur Medien- und Kommunikationswissenschaft vor, die ebenfalls seit Kurzem Gefühlen verstärkte Aufmerksamkeit schenken.70 Die Nähe zu kultursoziologischen Fragestellungen im Rahmen der Arbeiten zur Emotionsthematik kommt nicht von ungefähr, handelt es sich hierbei doch um eine Ausrichtung, die selbst erst seit den 1980er-Jahren eine Renaissance in der deutschsprachigen Soziologie erlebte. Die Offenheit gegenüber interdisziplinären Fragestellungen, die für die Kultursoziologie kennzeichnend ist,71 wirkt sich scheinbar auch positiv gegenüber anderen Themen, die ‚zwischen‘ den Disziplinen zu verorten sind, aus. Anhand des Aufschwungs der Kultursoziologie und der Thematik der Emotionen, die vielfach auch im Zusammenhang mit kultursoziologischen Fragestellungen diskutiert wurde, wird der von Sahner beschriebene Wandel der kognitiven Gestalt der Disziplin auf eine größere modelltheoretische Vielfalt72 hin deutlich.
69 70 71 72
Vgl. Aron, Die deutsche Soziologie, S. 151–154, S. 163–165. Vgl. Döveling, Emotionen – Medien, S. 52–116. Zum interdisziplinären Charakter der Kultursoziologie vgl. Gebhardt, Vielfältiges Bemühen, S. 5. Vgl. Sahner, Theorie und Forschung, S. 218.
276
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
Tabelle 8: Anzahl der Artikel mit Emotionsworten im Titel (Gesamterhebung ohne ‚Rationalitätsgruppe‘) im Vergleich zur Gesamtzahl der Zeitschriftenartikel pro Jahrgang und Zeitschrift Jahrgang
1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987
Gesamtzahl der Artikel mit Emotionswörtern im Titel 0 0 3 2 1 0 2 1 3 3 3 0 1 8 3 0 1 1 0 1 5 1 0 1 5 3 4 4 3 6 3 3 2 1 4 1 8 7 0
Gesamtzahl der Artikel
Gesamtzahl der Artikel
Gesamtzahl der Artikel
Soziale Welt 59 53 59 52
KZfSS
ZfS
45 43 58 44 40 39 41 25 32 25 19 24 21 22 24 28 29 32 26 28 27 26 26 24 24 24 26 46 45 23 44 39 48
30 26 22 20 23 24 31 43 36 40 43 27 47 54 70 40 53 57 46 44 81 54 56 66 50 49 62 38 58 47 52 56 51 63 57 54 29 52 57
29 26 32 32 29 31 29 32 29 28 26 23 30 39 34 32
277
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
Jahrgang
Gesamtzahl der Artikel mit Emotionswörtern im Titel
1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
7 3 7 4 7 3 7 5 0 1 3 4 1 4 3 9 1621
Gesamtzahl der Artikel
Gesamtzahl der Artikel
Gesamtzahl der Artikel
Soziale Welt 55 40 49 27 50 26 62 26 24 39 49 55 23 23 21 51 1910
KZfSS
ZfS 54 69 49 32 59 52 43 44 49 45 45 47 51 49 48 48 2592
38 34 34 33 32 35 29 30 27 27 27 28 27 26 29 29 966
1 Inklusive Doppelnennungen von Emotionsworten im Titel.
Es gibt ein weiteres Themenfeld, bei dem eine ähnliche Interaktion mit der Emotionsthematik beobachtet werden kann. Seit den 1980er-Jahren erhielten Fragen des Geschlechterverhältnisses Auftrieb innerhalb der deutschsprachigen Soziologie. Einige der in der vorliegenden Untersuchung zur Emotionsthematik recherchierten Artikel sind ebenfalls dem Wandel von Paarbeziehungen bzw. dem Wandel der Geschlechterverhältnisse gewidmet (etwa die Artikel von Beck-Gernsheim, Lindemann, Weiss, Burkart/Koppetsch). Es handelt sich sowohl bei der Geschlechtersoziologie als auch der Soziologie der Emotionen um Querschnittsthematiken, die einen inter- bzw. transdisziplinären Zugang erfordern, der offensichtlich erst in dieser Phase der ‚modelltheoretischen‘ Vielfalt breitere Resonanz bei den Zeitschriftenherausgebern und -herausgeberinnen finden konnte. Geschlechtersoziologie und Soziologie der Emotionen weisen prinzipiell auch eine Nahestellung zum Thema ‚Körper‘ auf, das ebenfalls (auch international gesehen) erst seit den 1980er-Jahren verstärkt von der Soziologie aufgegriffen wurde, wiewohl es erste Ansätze hierzu bereits seit den 1960er-Jahren im Umkreis der feministischen Soziologie gegeben hat.73 Die Wechselwirkungen zwischen der Frauenbewegung, dem akademischen Interesse an Fragen der Geschlechtsidentität und damit verbunden auch an der Körperthematik wurden von verschiedenen Autoren und Autorinnen bereits als Entstehungshintergrund der anglo-
73
Vgl. Shilling, The Body, S. 26, S. 28–30.
278
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
amerikanischen Soziologie der Emotionen skizziert.74 Eine ähnliche Wirkung kann, wie die Zeitschriftenanalyse zeigt, auch für die deutschsprachige Soziologie angenommen werden. Allerdings bezieht sich dies vorrangig auf die Kopplung der Geschlechts- mit der Emotionsthematik. Die Körperthematik spielt hierbei nur im Artikel von Lindemann eine größere Rolle, während sich die restlichen Artikel zur Genderthematik vorrangig mit dem Wandel von Paarbeziehungen bzw. dem Wandel der Liebessemantiken beschäftigen. Die körperliche Dimension des Emotionalen spielte in der deutschsprachigen Soziologie recht früh eine Rolle (man denke an den Artikel von Henry, 1957), wurde dann jedoch bis in die 1980er-Jahre vernachlässigt. Erst im Zusammenhang mit der Diskussion der psychosomatischen Folgen von Stress taucht die Körperthematik wieder in den ausgewählten Zeitschriften auf. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten Baduras, der sich seit 1985 in verschiedenen Artikeln für eine stärkere Beachtung der körperlichen Dimension ausgesprochen hat.75 Ein weiteres Kennzeichen der Artikel zur Emotionsthematik im deutschen Sprachraum stellen jene Arbeiten dar, die dem Ansatz von Norbert Elias gewidmet sind bzw. in seiner Tradition stehen (Mennell, Kuzmics, Vowinckel, Eichener). Elias, in dessen Werk Emotionen bzw. der Wandel des Affekthaushaltes eine zentrale Rolle spielen, erhielt erst seit den 1980er-Jahren verstärkte Aufmerksamkeit im deutschen Sprachraum, wodurch gleichzeitig auch das Emotionsthema entsprechenden Auftrieb fand.
74 75
Vgl. die entsprechenden Bemerkungen in Kapitel III, 2.1.; – sowie Williams, Bendelow, Introduction, S. XXII; – Williams, Emotion and Social Theory, S. 8. Auch außerhalb der Zeitschriften wurde die körperliche Dimension des Emotionalen in der deutschsprachigen Soziologie seit den späten 1980er-Jahren aufgegriffen, etwa in der 1991 erschienenen Monographie von Vester, vgl. Vester, Emotion, Gesellschaft und Kultur.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
279
5.3. Ergebnisse der Vergleichsrecherche in der Datenbank SOLIS Um einen Überblick über die Aktualität des Themas der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie zu bekommen, wurde in Ergänzung zu der detaillierten Analyse der mainstreamZeitschriften auch eine Erhebung in der Datenbank SOLIS, die sich mit über 300.000 Einträgen als eines der zentralen deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Informationsmedien versteht, vorgenommen.76 In dieser Datenbank sind Informationen über die deutschsprachige fachwissenschaftliche Literatur der Sozialwissenschaften enthalten, wobei nicht nur Zeitschriftenaufsätze katalogisiert werden, sondern auch Beiträge aus Sammelbänden, Monographien und teilweise auch graue Literatur. Die Bestände der Datenbank konzentrieren sich auf die Zeit nach 1960. Ein Vorteil ist, dass in SOLIS auch österreichische und schweizerische Zeitschriften sowie teilweise auch bisher nicht veröffentlichte Materialien der ehemaligen DDR-Soziologie enthalten sind, sodass über die Recherche in SOLIS auch diese Bereiche der deutschsprachigen Nachkriegssoziologie zumindest ansatzweise erschlossen werden können. Die Recherche wurde im WISO-Net (Informationsportal für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) auf die Datenbank SOLIS eingeschränkt und bei der konkreten Suche wurde die Klassifikation SOZIOLOGIE in Kombination mit den bereits im Rahmen der Zeitschriftenanalyse verwendeten TITELWORTEN aus dem Emotionsbereich verwendet. Dieses Vorgehen impliziert ein Vertrauen auf die Verschlagwortungsroutine der jeweils für die Dateneingabe zuständigen Personen.77 Es wurde bewusst keine nähere Einschränkung in der Weise unternommen, dass die gefundenen Beiträge nochmals etwa auf die institutionelle Verankerung der Verfasser und Verfasserinnen im Bereich der Soziologie geprüft wurden. Dieses Vorgehen – bei dem also auch Beiträge anderer disziplinärer Herkunft, jedoch mit soziologischer Ausrichtung, berücksichtigt wurden – scheint gerechtfertigt, weil im Rahmen dieser Recherche die Bedeutung des Emotionsthemas gerade auch jenseits des engeren soziologischen mainstreams (für dessen Analyse ich mich auf die Fachzeitschriften konzentriert habe) erfasst werden sollte. Es ist auffällig, dass – obwohl sämtliche der gefundenen Beiträge als ‚Soziologie‘ klassifiziert wurden – ein Großteil davon in genuin nicht-soziologischen Zeitschriften (z. B. politikwissenschaftlichen oder pädagogischen Publikationsorganen) erschienen ist. Außerdem wird deutlich, dass auch in der Geschichtswissenschaft, der Politikwissenschaft oder der Psychologie soziologisch ausgerichtete Arbeiten verfasst werden. Es sollte bei der Datenbankrecherche darum gehen abzuschätzen, zu welchen Zeiten in der deutschsprachigen Soziologie ein günstiges Klima für Emotionen als Forschungsthema (im weitesten Sinne) vorhanden war, um die Ergebnisse der Zeitschriftenanalyse in einen weiteren Rahmen einzubetten. Die Verwendung von ‚Emotionswörtern‘ im Titel wissenschaftlicher Beiträge wurde als Indikator für das Interesse an Emotionen gewertet. Natürlich ergibt sich auch bei der Datenbankrecherche die Problematik, dass manche der Arbeiten eventuell zwar Emotionsworte im Titel aufweisen, sich inhaltlich jedoch nicht mit der Emotionsthematik beschäftigen. Eine nähere Analyse der über die Datenbankrecherche gefundenen Arbeiten war schon aus Gründen der Zugänglichkeit nicht möglich, daher wurde durch
76 77
Vgl. http://www.gesis.org/Information/SOLIS/ Zur Problematik der Verschlagwortung vgl. auch Best, Ohly, Entwicklungstendenzen, S. 576–577.
280
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
folgende Annahmen versucht, dieser Problematik zu begegnen: Für die Datenbankrecherche wurden nur jene Titelworte verwendet, die sich nach der Zeitschriftenrecherche und der genaueren Prüfung der dabei gefundenen Artikel als sehr gute Indikatoren für die inhaltliche Ausrichtung des Artikels auf den Emotionskontext erwiesen haben. Es waren dies folgende Titelworte: Affekt, Emotion, Frustration, Furcht, Gefühl, Lust, Scham, Schuld, Sympathie, Verlegenheit. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich – aufgrund der geringen Fallzahlen pro Titelwort in der Zeitschriftenanalyse – bei der guten Indikatorenwirkung dieser Worte um ein rein zufälliges Ergebnis handelt. Aus pragmatischen Gründen – und in Anbetracht des stark explorativen Charakters der Datenbankrecherche – soll dieser Unschärfebereich jedoch als vernachlässigbar betrachtet werden. In Summe befanden sich in der Datenbank zum Erhebungszeitpunkt78 116.479 Einträge unter der Klassifikation ‚Soziologie‘ (bezogen auf den Zeitraum 1960 bis 2003). Von diesen Einträgen wiesen 273 Dokumente Emotionsworte im Titel auf, d. h. 0,23 % der deutschsprachigen, im weitesten Sinne soziologischen, Literatur sind diesem Bereich zuzuordnen. Die Zeitschriftenanalyse hat ergeben, dass das Interesse an Emotionen erst nach 1960 anzusteigen begann, es scheint also durchaus gerechtfertigt, die Ergebnisse der SOLISDatenbankrecherche mit jenen der Zeitschriftenanalyse zu vergleichen. Hierfür wurden die Daten der Zeitschriftenanalyse noch auf die Jahre 1960–2003 eingeschränkt. Bei Berücksichtigung aller Titelworte des eingeschränkten Datensatzes (also ohne die Worte des Rationalitätskomplexes, ohne Vertrauen, Zufriedenheit und ohne die Artikel mit der Silbe -psych, aber inklusive jener Emotionsworte, bei denen manche Artikel im Zuge der Detailanalyse als nicht relevant eingestuft wurden) entfielen von insgesamt 4.638 Zeitschriftenartikeln im Zeitraum 1960–2003 52 Artikel auf den Emotionsbereich, was 1,12 % der gesamten Zeitschriftenproduktion dieses Zeitraumes entspricht. Berücksichtigt man nur die Titelworte, die nach der Analyse einen unmittelbaren Bezug zur Emotionsthematik aufwiesen und daher auch die Grundlage für die Datenbankrecherche boten, so kommt man auf 24 von 4.638 Artikeln zwischen 1960–2003, die einen Bezug zur Emotionsthematik aufweisen,79 das sind 0,52 % der gesamten Zeitschriftenproduktion dieses Zeitraumes. Stellt man dieses Ergebnis dem Ergebnis der Datenbankrecherche (0,23 %) gegenüber, so fällt zunächst auf, dass innerhalb der Datenbank Artikel zur Emotionsthematik zu einem geringeren Prozentsatz vertreten sind als in den soziologischen Fachzeitschriften. Dieses Ergebnis verwundert, insofern angenommen wurde, dass eventuell außerhalb des soziologischen mainstreams – operationalisiert über die ausgewählten Zeitschriften – ein früheres und möglicherweise zahlenmäßig stärkeres Interesse an der Emotionsthematik bestehen könnte. Die Gesamtzahl der in SOLIS gefundenen Beiträge zur Emotionsthematik (273 Beiträge) liegt zwar erwartungsgemäß weit über den in den Zeitschriften erschienenen Beiträgen (24) und spricht für ein Produktionsausmaß, das heute nicht mehr übersehen werden kann. Betrachtet man dies allerdings in seinem Verhältnis zum gesamten soziologischen
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Die abschließende Recherche in der Datenbank SOLIS wurde am 12. 2. 2006 durchgeführt. Es sind dies die Worte: Affekt, Emotion, Frustration, Furcht, Gefühl, Lust, Scham, Schuld, Sympathie, Verlegenheit.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
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Publikationsschaffen, so nimmt die Thematik auch außerhalb des soziologischen mainstreams lediglich eine marginale Stellung im Fach ein.80 Die geringere Vertretung der Thematik der Emotionen in der Datenbank bleibt im Übrigen auch bestehen, wenn man die aufgrund der Problematik der Titelgestaltung vorgenommene Einschränkung auf die gemäß der Zeitschriftenanalyse eng mit Emotionen verbundenen Titelworte aufhebt: Berücksichtigt man alle Emotionstitelworte (außer den Artikeln der Rationalitätsgruppe bzw. den Artikeln mit den Titelworten bzw. -silben Vertrauen, Zufriedenheit und -psych), so finden sich in der Datenbank zwischen 1960–2003 711 Einträge, das sind 0,61 % aller Einträge dieses Zeitraumes. Vergleicht man diesen Prozentsatz mit jenem der Zeitschriftenrecherche (1,12 %), so liegt auch er eindeutig unter diesem. Hebt man schließlich auch noch die in der Datenbankrecherche getroffene Einschränkung auf die KLASSIFIKATION ‚Soziologie‘ auf, so ändert sich ebenfalls nichts an dem sich bereits aus den vorhergehenden Analysen ergebenden Bild. In der Datenbank SOLIS befinden sich im Zeitraum 1960–2003 306.766 Einträge, davon entfallen 0,2 % (617 Einträge) auf die nach der Zeitschriftenrecherche als gute Indikatoren für die Emotionsthematik angenommenen Titelworte, und 0,5 % (1.544 Einträge) auf alle Emotionstitelworte (außer den Artikeln der Rationalitätsgruppe und Artikeln mit den Titelworten bzw. -silben Vertrauen, Zufriedenheit und -psych). Es hätte sein können, dass im Bereich der allgemein den Sozialwissenschaften zugerechneten Literatur die Thematik der Emotionen besser vertreten ist als nur in den als ‚Soziologie‘ klassifizierten Publikationen. Dies ist nach der durchgeführten Recherche jedoch nicht der Fall. Tabelle 9 veranschaulicht diese Befunde nochmals. Gründe für den geringeren prozentualen Anteil der Beiträge mit Emotionsworten im Titel an allen Beiträgen der Datenbank SOLIS, im Vergleich zu den ausgewählten soziologischen Fachzeitschriften, können u. a. darin zu sehen sein, dass in der Datenbank unter den als ‚Soziologie‘ klassifizierten Artikeln Beiträge aus verschiedenen Fachgebieten aufgenommen wurden (Soziologie, Politikwissenschaft, Sozialpolitik, Sozialpsychologie, Bildungsforschung, Kommunikationswissenschaften, Demographie, Ethnologie, Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie aus weiteren interdisziplinären Gebieten der Sozialwissenschaften, wie z. B. Frauenforschung, Freizeitforschung, Gerontologie oder Sozialwesen).81 Möglicherweise nimmt innerhalb dieser Fachgebiete die Emotionsthematik einen noch niedrigeren Stellenwert ein als in der Soziologie, woraus sich der geringe Anteil der Beiträge mit Emotionsworten im Titel an den insgesamt als ‚Soziologie‘ klassifizierten Beiträgen erklären würde. Selbstverständlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Titelgestaltung wissenschaftlicher Beiträge in den anderen Fachgebieten divergenten Konventionen folgt, sodass inhaltliche Auseinan-
80
81
Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass auch beispielsweise auf die ‚Rationalitätsgruppe‘ lediglich 1,6 % der Zeitschriftenartikelproduktion bzw. 0,4 % (das sind 483 Artikel, die die Worte Rationalität, rational oder Vernunft im Titel tragen) der in SOLIS enthaltenen Literatur entfallen. Der Anteil der ‚Rationalitätsgruppe‘ an der gesamten – im Rahmen der Zeitschriftenrecherche berücksichtigten bzw. in SOLIS enthaltenen – soziologischen Literatur ist also ebenfalls nicht besonders hoch. In Zeiten einer sich spezialisierenden Wissenschaftsdisziplin entfallen auf sämtliche Themen jeweils nur geringe Prozentsätze der Gesamtproduktion. Zum Vergleich sei hier noch auf die Anzahl bzw. den Prozentsatz in SOLIS vertretener Artikel einiger anderer Themenbereiche verwiesen. Es fanden sich zum Titelwort ‚Arbeit‘ 2.445 Artikel (2,1 %) in SOLIS; zum Titelwort ‚Familie‘ 1.662 Artikel (1,4 %), zum Titelwort ‚Politik‘ 1.665 Artikel (1,4 %), zum Titelwort ‚Kultur‘ 1.549 Artikel (1,3 %). Vgl. http://www.wiso-net.de/r_zdzi/SOLI.htx?START=AE0&WID=67752-2400206-50224_3 (12.2.2006).
282
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
dersetzungen mit der Emotionsthematik sich nicht in der Verwendung von Titelworten aus dem Emotionskontext widerspiegeln. Festzuhalten bleibt, dass erstaunlicherweise die soziologischen Fachzeitschriften – gemessen an der Titelgestaltung der Beiträge und dem Vorhandensein von Emotionsworten in denselben – einen vergleichsweise hohen Anteil von Beiträgen zur Emotionsthematik aufweisen. Die durch die Fachzeitschriften repräsentierte Soziologie erweist sich gegenüber Neuerungen und Randthemen aufgeschlossener als gedacht. Es liegt hiermit ein Beleg dafür vor, dass gemäß meiner These von der Bedeutung institutioneller Rahmenbedingungen für die Wiederentdeckung der Emotionsthematik gerade innerhalb der Fachzeitschriften – verstanden als Spiegelbilder des mainstreams und damit der Interessen der Etablierten einer Disziplin – sich ab dem Zeitpunkt fortgeschrittener Institutionalisierung Nischen und Spezialgebiete auszubilden beginnen bzw. auch von den Herausgebern und Herausgeberinnen, die sich solcherart ab diesem Zeitpunkt als Innovationsförderer und -fördererinnen verstehen, unterstützt werden. Tabelle 9: Anteil der Beiträge mit Emotionsworten im Titel an der Gesamtproduktion (1960–2003) – Datenbank SOLIS im Vergleich zur Zeitschriftenanalyse Datenbank SOLIS
1 2 3 4
Zeitschriftenanalyse
Teildatensatz, alle Emotionsworte1 [Klassifikation Soziologie]
0,61 % (711 von 116.479 Einträgen)
1,12 % (52 von 4.638 Artikeln)
Teildatensatz, nur Emotionsworte mit ‚engem‘ oder ‚weitem‘ Bezug zur Thematik gemäß Zeitschriftenanalyse2 [Klassifikation Soziologie]
0,23 % (273 von 116.479 Einträgen)
0,52 % (24 von 4.638 Artikeln)
Teildatensatz, alle Emotionsworte3 [SOLIS gesamt]
0,50 % (1.544 von 306.766 Einträgen)
1,12 % (52 von 4.638 Artikeln)
Teildatensatz, nur Emotionsworte mit ‚engem‘ oder ‚weitem‘ Bezug zur Thematik gemäß Zeitschriftenanalyse4 [SOLIS gesamt]
0,20 % (617 von 306.766 Einträgen)
0,52 % (24 von 4.638 Artikeln)
Beinhaltet folgende Titelworte: Affekt(e), Aggression, Angst, Emotion(en), Freude, Frustration(en), Gefühl(e), Hass, Leidenschaft(en), Liebe, Lust, Scham, Schuld, Stress, Sympathie, Verlegenheit. Beinhaltet folgende Titelworte: Affekt(e), Emotion(en), Frustration, Furcht, Gefühl(e), Lust, Scham, Sympathie, Verlegenheit. Beinhaltet folgende Titelworte: Affekt(e), Aggression, Angst, Emotion(en), Freude, Frustration(en), Gefühl(e), Hass, Leidenschaft(en), Liebe, Lust, Scham, Schuld, Stress, Sympathie, Verlegenheit. Beinhaltet folgende Titelworte: Affekt(e), Emotion(en), Frustration, Furcht, Gefühl(e), Lust, Scham, Sympathie, Verlegenheit.
Furcht, Schuld, Furcht, Schuld,
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5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
Betrachtet man die Verlaufskurve der Publikationen zur hier behandelten Thematik, so bestätigt sich die bereits im Zusammenhang mit der Zeitschriftenrecherche erstellte Entwicklung auch anhand der Datenbankrecherche: wenige Beiträge in der ‚Orientierungsphase‘, allmähliches Ansteigen der Beiträge in der ‚Vorbereitungsphase‘ und der bisherige Höhepunkt – mit 62,3 % der Beiträge – in der ‚Durchsetzungsphase‘. Auch wenn – aufgrund des eingeschränkten Untersuchungszeitraumes (1960–2003) und der möglicherweise gerade für die ersten Jahrgänge nicht vollständig durchgeführten Aufnahme soziologischer Publikationen in die Datenbank – die Datenbankzahlen nur bedingt mit den Ergebnissen der Zeitschriftenrecherche verglichen werden können, lässt sich zumindest keine dramatische Abweichung zwischen den Verlaufskurven feststellen, was als Hinweis auf die Richtigkeit der oben präsentierten Annahme einer beginnenden Durchsetzung der Emotionsthematik gedeutet werden kann. Tabelle 10: Gegenüberstellung: Entwicklungsverlauf gemäß Zeitschriftenanalyse und gemäß Datenbank SOLIS Gesamtdatensatz (ohne Rationalitätsgruppe und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel)
Datenbank SOLIS (ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit und psych-)1
2 (3,2 %)
-
-
1956–1971
10 (15,9 %)
4 (9,3 %)
9 (1,3 %)
1972–1987
19 (30,1 %)
14 (32,6 %)
259 (36,4 %)
1988–2003
32 (50,8 %)
25 (58,1 %)
443 (62,3 %)
Summe
63 (100 %)
43 (100 %)
711 (100 %)
bis 1955
1
Teildatensatz (ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit und psych- und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel)
In der Datenbank SOLIS sind Einträge erst ab 1960 enthalten.
284
III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
5.4. Resümee Die These von Kemper, derzufolge Emotionen in der Soziologie während der 1950er- und 1960er-Jahre weitgehend vernachlässigt wurden, kann auch für die deutschsprachige Soziologie im Großen und Ganzen bestätigt werden. In den 1970er-Jahren – einer Zeit, in der in den USA erste Versuche, eine Soziologie der Emotionen zu etablieren gestartet wurden – führt die Thematik in der deutschsprachigen Soziologie weiterhin ein Schattendasein, obwohl es (wie auch in den Jahrzehnten zuvor) einige wenige Artikel zur Thematik gegeben hat. Seit 1980 kann dann auch für die deutschsprachige Soziologie ein beginnendes, stärkeres Interesse an Emotionen festgestellt werden. In dem von mir als ‚Vorbereitungsphase‘ bezeichneten Zeitraum werden in den deutschsprachigen Zeitschriften auch einige neuere Arbeiten des anglo-amerikanischen Raums zur Soziologie der Emotionen veröffentlicht. Seit 1988 taucht die Thematik der Emotionen regelmäßig in den Fachzeitschriften auf, es handelt sich dabei zwar immer noch um ein Randthema der Soziologie, das sich aber gemessen an seiner nun stärkeren Vertretung in den Zeitschriften auf dem Weg zur Durchsetzung befindet. Begleitet ist dieser Durchsetzungsprozess auch von Aktivitäten außerhalb der Zeitschriften. Zu erwähnen wären einige wichtige seit 1988 erschienene Monographien und Einführungswerke zur Thematik, die für eine stärkere Sichtbarkeit der Soziologie der Emotionen im deutschen Sprachraum sorgten.82 Jürgen Gerhards’ 1988 veröffentlichtes Buch: „Soziologie der Emotionen. Fragestellungen, Systematik und Perspektiven“ nimmt eine Bestandsaufnahme vorliegender Ansätze einer Soziologie der Emotionen des anglo-amerikanischen Sprachraums vor und ergänzt diese durch einen Integrationsversuch auf Basis der strukturfunktionalen Theorie Parsons’. 1991 nimmt Heinz-Günter Vester mit seinem aus seiner Habilitationsschrift hervorgegangenen Buch „Emotion, Gesellschaft und Kultur. Grundzüge einer soziologischen Theorie der Emotionen“ den Versuch einer systemtheoretischen Fundierung der soziologischen Betrachtung von Emotionen vor, wobei er sich ausführlich auch mit biowissenschaftlichen Befunden – etwa zum Stressgeschehen – auseinandersetzt. Im aus seiner Dissertation hervorgegangenen Buch „Status und Scham“ nimmt, ebenfalls 1991, Sighard Neckel eine Diskussion des Schamgefühls im Rahmen der Reproduktion sozialer Ungleichheit vor, wobei er ausführlich – wie auch Gerhards oder Vester – neben den Klassikern (vor allem Simmel und Elias) auch auf einige im anglo-amerikanischen Raum verbreitete Werke der Soziologie der Emotionen Bezug nimmt. Auffällig ist, dass wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten nicht nur in den Zeitschriften, sondern auch im Bereich der Monographien zu jenen Beiträgen gehören, in denen relativ früh eine Auseinandersetzung mit der Emotionsthematik vorgenommen wird. Die oben geäußerte These, dass sich einer neuen Thematik vorrangig noch nicht etablierte Forscher und Forscherinnen zuwenden, findet hier eine weitere Bestätigung. Helena Flam hat mit zwei Büchern in der letzten Zeit versucht, der Soziologie der Emotionen stärkere Beachtung im deutschsprachigen Raum zu verschaffen. Die Aufsatzsammlung „The emotional ‚man‘ and the problem of collective action“, 2000 erschienen,
82
Auch vor 1988 sind bereits Monographien im deutschen Sprachraum erschienen, die den Emotionen gewidmet waren bzw. deren Bedeutung für die Analyse moderner Gesellschaften unterstrichen. Man denke beispielsweise an Schoecks 1966 erschienenes Buch über den Neid. Vgl. Schoeck, Der Neid. – Seit den späten 1980er-Jahren kann jedoch eine Häufung von Büchern zur Emotionsthematik festgestellt werden, die zum Teil nun auch das Etikett ‚Soziologie der Emotionen‘ verwenden.
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
285
und „Soziologie der Emotionen. Eine Einführung“, 2003 erschienen, beleuchten auf je unterschiedliche Art und Weise die Möglichkeit, soziologisches Denken durch eine ‚emotionale‘ Perspektive zu bereichern. Während das Buch aus dem Jahr 2000 vor allem die Korrektur des in der Soziologie bis dato als vorherrschend betrachteten rationalen Menschenbildes anstrebt, gibt die Einführung aus dem Jahr 2003 einen Überblick über im Rahmen der Soziologie der Emotionen behandelbare Fragestellungen. Der von Rainer Schützeichel 2006 herausgegebene Sammelband „Emotionen und Sozialtheorie“ gibt zudem nicht nur einen guten Überblick über aktuelle soziologische Arbeiten zur Emotionsthematik, sondern zeigt auch das interdisziplinäre Umfeld der soziologischen Emotionsforschung auf. Neben diesen theoretisch einführenden Überblickswerken sind vor allem in den letzten Jahren Studien zu unterschiedlichen konkreten soziologischen Themenfeldern erschienen, was als Indiz der weiteren Diffusion des Themas gewertet werden kann.83 Als Zeichen für die mittlerweile stattfindende Durchsetzung des Themas in der deutschsprachigen Soziologie kann auch die Aufnahme des ‚emotional man‘ in ein Einführungsbuch zur soziologischen Handlungstheorie gesehen werden. Uwe Schimank diskutiert in seinem – im Jahr 2000 in erster Auflage erschienenen – Buch, unter Bezug auf Arbeiten von Helena Flam, das Akteursmodell des ‚emotional man‘ ganz selbstverständlich – neben jenem des homo sociologicus bzw. oeconomicus – als eine weitere Möglichkeit der Konzeptualisierung sozialen Handelns.84 Schon 1993 hatte Arlie Hochschilds Konzept der Gefühlsarbeit Eingang in ein deutschsprachiges Lehrbuch gefunden: Annette Treibel beschrieb in ihrer „Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart“ dieses auch durch geschlechtsspezifische Aspekte gekennzeichnete Konzept im Kapitel über Geschlechterverhältnisse.85 Neben dem Bereich der Publikationen stellt die Überprüfung der Einbindung von deutschsprachigen Soziologen und Soziologinnen in einschlägigen Organisationen eine weitere Möglichkeit dar, ihre Verbundenheit mit dem Thema der Emotionen zu überprüfen. Im Mitgliederverzeichnis der International Society for Research on Emotions, die 1984 gegründet wurde, scheint kein Mitglied auf, das als Adresse ein soziologisches Institut innerhalb des deutschen Sprachraums angegeben hat (Stand Dezember 2005).86 Es sind zwar zahlreiche Soziologen und Soziologinnen Mitglieder dieser Society ebenso wie auch zahlreiche deutschsprachige Psychologen und Psychologinnen sowie Angehörige anderer Wissenschaftsdisziplinen, nicht jedoch Vertreter oder Vertreterinnen der deutschsprachigen Soziologie. In den deutschsprachigen soziologischen Fachgesellschaften findet sich – im Gegensatz zu ihren anglo-amerikanischen Schwestergesellschaften – keine eigene Sektion zu einer Soziologie der Emotionen. Im Hinblick auf die Institutionalisierung der Soziologie der Emotionen als disziplinäres Spezialgebiet besteht in der deutschsprachigen Soziologie also noch Aufholbedarf. Was im institutionellen Bereich derzeit ebenfalls noch fehlt, ist eine stärkere Beteiligung von Soziologen und Soziologinnen an interdisziplinären Projekten zum Thema Emotionen, von denen einige in letzter Zeit initiiert wurden. Hinzuweisen wäre hier auf die am Biele-
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Ich verweise hier exemplarisch auf die Werke von Endert, Über die emotionale Dimension sozialer Prozesse oder Döveling, Emotionen – Medien – Gemeinschaft. Vgl. Schimank, Handeln und Strukturen, S. 107–143. Vgl. Treibel, Einführung in soziologische Theorien, S 263–269. Vgl. http://facpub.stjohns.edu/~booner/ISRE/ISRE_Memb_dir.html (22.7.2005).
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III. Vernachlässigung und Wiederentdeckung
felder ZIF im Jahr 2004/2005 tätige Arbeitsgruppe „Emotionen als bio-kulturelle Prozesse“87 und die Sommerakademie der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in der Villa Vigoni (2002/2003) zum Thema „Emotionale Wende? Die Junge Akademie der Gefühle“.88 In der Konzeption beider Arbeitsgruppen wurde dem Faktum, dass es sich bei Emotionen um eine Querschnittsthematik handelt, die sinnvoll nur interdisziplinär bearbeitet werden kann, Rechnung getragen, wobei die geringe Beteiligung von Soziologen und Soziologinnen in beiden Fällen als weiteres Indiz für die derzeit noch marginale Stellung der Thematik im Fach bzw. die geringe Sichtbarkeit der vorhandenen soziologischen Ansätze in den Augen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit herangezogen werden kann. Der Aussage Flams: „The sociology of emotions plays no role in Germany whatsoever“,89 der im Hinblick auf die Vertretung des Themas in den Fachzeitschriften widersprochen werden musste, kann also im Hinblick auf die institutionelle Stellung dieses Spezialgebietes durchaus zugestimmt werden. Allerdings zeichnen sich in letzter Zeit einige Aktivitäten im Organisationsbereich ab, die auch eine stärkere institutionelle Verankerung der Emotionsthematik in der deutschsprachigen Soziologie erwarten lassen. Beispielsweise fand im Rahmen des DGS-Kongresses 2005 eine von Helena Flam organisierte Ad-Gruppe zum Thema: „Ungleich – Unterschiedlich – Emotional? Soziale Ungleichheit und kulturelle Unterschiede aus emotionssoziologischer Perspektive“ statt.90 Einige der seit den 1980er-Jahren in der deutschsprachigen Soziologie mit der Emotionsthematik beschäftigte Autoren und Autorinnen verfügen mittlerweile über institutionelle Voraussetzungen – in Form von Lehrstühlen –, die eine weitere Verbreitung der Thematik wahrscheinlich erscheinen lassen. Interessant ist hierbei, dass sowohl Gerhards, Neckel oder Vester (allesamt mittlerweile Lehrstuhlinhaber), deren frühe Beiträge zur Emotionsthematik aus Qualifikationsarbeiten hervorgegangen sind, hinsichtlich ihrer weiteren Laufbahn durch das Aufgreifen dieses Themas offenbar nicht behindert wurden. Die Emotionen führten zwar lange ein Schattendasein in der deutschsprachigen Soziologie, jedoch war dies scheinbar vorrangig ein Problem der Ausrichtung des mainstreams auf andere Themen und Problemfelder und nicht prinzipieller Vorbehalte gegenüber der Thematik. Die Emotionen stellten lange Zeit einen blinden Fleck der mainstream-Soziologie dar, und zwar obwohl – wie die Zeitschriftenanalyse zeigt – recht früh Interesse an dieser Thematik und entsprechende Publikationen auch im deutschen Sprachraum (entgegen dem bisherigen Eindruck eines Fehlens derartiger Arbeiten) vorhanden waren. Allerdings reichten die wenigen vorhandenen Arbeiten nicht, um ein größeres Interesse an den Emotionen im Fach durchzusetzen. Sieht man, wie in der vorliegenden Arbeit praktiziert, von Einzelautoren bzw. -autorinnen (deren Interesse an der Thematik durch wissenschaftsexterne Faktoren bedingt sein kann und im Sinne der in Kapitel III, 3.3. geschilderten Mechanismen durchaus auch Freiräume innerhalb des Wissenschaftssystems finden kann) ab und wendet sich den Kommu-
87
88 89 90
Vgl. http://www.uni-bielefeld.de/(de)/ZIF/FG/2004Emotions/fellows.html (27.12.2005); – sowie den aus dem Projekt hervorgegangenen kürzlich erschienenen Sammelband Röttger-Rössler, Engelen (Hg.), Tell me about love. Vgl. http://www.diejungeakademie.de/veranstaltungen/index.htm (27.12.2005); – sowie den Ergebnissammelband: Grau, Keil (Hg.), Mediale Emotionen. Flam, The Emotional Man, S. 153. Vgl. http://www.dgs-kongress.lmu.de/ad-hoc-gruppen.htm (15.3.2006).
5. Die Geschichte der Emotionen in der deutschsprachigen Soziologie
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nikationsorganen einer Disziplin (die die Interessenschwerpunkte einer Disziplin aggregiert widerspiegeln) zu, so wird es möglich, den Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf die kognitive Entwicklung der Disziplin aufzudecken. Im Einzelfall gelang es Artikeln Eingang in die Zeitschriften zu finden, in Summe gesehen stellten diese jedoch Ausnahmen dar, in einer Zeit, in der wissenschaftsinterne Debatten über Stellung und Aufgaben des Faches auf der Tagesordnung standen und einige wenige dominante Schulen das Bild der Soziologie prägten. Die Überzeugung Einzelner von der Sinnhaftigkeit einer soziologischen Beschäftigung mit Emotionen und ein entsprechender – durch Kritik am rationalistischen Menschenbild gekennzeichneter – Zeitgeist waren im deutschsprachigen Raum durchaus bereits seit den 1960er-Jahren vorhanden. Die institutionellen Rahmenbedingungen des Universitätssystems, die zu einer relativ späten Etablierung der Disziplin geführt hatten, standen jedoch zunächst einer zahlenmäßig stärkeren Beschäftigung mit dem Thema zu dieser Zeit im Wege. Mittlerweile sind die Rahmenbedingungen, die eine Etablierung der Soziologie der Emotionen als Spezialbereich der Soziologie ermöglichen (zu denen neben einer zahlenmäßigen Konsolidierung die Offenheit des Faches gegenüber neuartigen Themen gehört) auch im deutschen Sprachraum vorhanden. Es existiert zudem eine Reihe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen (die auch über entsprechenden institutionellen Einfluss verfügen), die als Vermittler und Vermittlerinnen zur weiteren Durchsetzung des Themas beitragen können. Die Voraussetzungen für eine Etablierung als Spezialgebiet der Soziologie scheinen somit derzeit auch im deutschen Sprachraum vorhanden zu sein.
IV Zusammenfassung
,V. Zusammenfassung
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Die Emotionen des Menschen erfahren derzeit erhöhte Aufmerksamkeit in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Es sind vor allem biowissenschaftliche Arbeiten, die in den letzten Jahren – auch aufgrund neuer Forschungstechnologien, wie etwa bildgebender Verfahren – neue Einsichten in die menschliche Emotionalität ermöglicht haben. Aber auch innerhalb der Soziologie – vor allem der anglo-amerikanischen – lässt sich ein neues Interesse an den Emotionen beobachten, die lange Zeit als rein intra-individuelle (und damit nicht zum Kernbereich der Soziologie gehörige) Phänomene gegolten haben. Ein Anliegen der vorliegenden Arbeit war, zu überprüfen, ob auch in der deutschsprachigen Soziologie ein derartiger ‚Boom‘ des Emotionalen festgestellt werden kann. Zur Klärung dieser Frage wurde für den Zeitraum 1949–2003 eine Inhaltsanalyse deutschsprachiger Fachzeitschriften, die als repräsentativ für den mainstream des Faches angesehen werden können, erstellt. Es gab zur Entwicklung der Emotionsthematik in der deutschsprachigen Soziologie bisher nur exemplarische Hinweise, die sich vor allem auf die Arbeiten der Klassiker der Soziologie bezogen. Durch die systematische Analyse der zentralen Kommunikationsorgane der Disziplin wurde insofern Neuland betreten. Hierdurch sollte auch die in der Literatur vertretene These einer weitgehenden Vernachlässigung der Emotionsthematik durch die Soziologie des deutschen Sprachraums geprüft und möglicherweise unter Hinweis auf bisher übersehene Beiträge zum Thema revidiert werden. Die wissenschaftshistorische Analyse wurde ergänzt durch wissenschaftssoziologische Überlegungen zu den möglichen Gründen für die wechselhafte Konjunktur von Forschungsthemen in der Soziologie allgemein bzw. in der deutschsprachigen Soziologie im Besonderen. Der eigentlichen Analyse wurde ein systematischer Überblick über die sogenannte Soziologie der Emotionen vorangestellt, in dem unterschiedliche Typen von Forschungsausrichtungen innerhalb dieses Spezialgebietes anhand exemplarischer bisheriger (zumeist aus dem anglo-amerikanischen Bereich stammender) Arbeiten vorgestellt wurden. Der einführende Charakter dieses Kapitels sollte es gestatten, sowohl die prinzipielle Spannweite soziologischen Arbeitens zum Thema ‚Gefühle‘ als auch Schnittstellen zu den Arbeiten anderer Disziplinen aufzuzeigen. Es wurden zwei Hauptrichtungen in der Soziologie der Emotionen unterschieden: Ansätze, die die soziale Entstehung der Gefühle thematisieren, und Ansätze, die die sozialen Wirkungen von Gefühlen untersuchen. Man kann die getroffene Unterscheidung auch dahingehend beschreiben, dass Emotionen einmal als abhängige und das andere Mal als unabhängige Variable soziologischer Studien fungieren. Die Emotionsthematik stellt ein klassisches interdisziplinäres Forschungsfeld dar. Es ist daher notwendig, den spezifischen Beitrag, den die Soziologie zur Erforschung dieses Bereiches leisten kann, zu umreißen. Während sich bei der Erforschung der Entstehung von Gefühlen zahlreiche Überlappungen zu den Arbeiten anderer Disziplinen ergeben, kann der Soziologie im Hinblick auf die zweite Gruppe von Ansätzen (jenen, die die sozialen Wirkungen von Gefühlen analysieren – Gefühle also als unabhängige Variable betrachten) eine Leitfunktion anderen Disziplinen gegenüber zugesprochen werden. In einer systematischen Darstellung bietet die getrennte Diskussion der beiden Zugänge den Vorteil, die jeweiligen Prämissen der Ansätze, ihre interdisziplinären Schnittstellen und ihre forschungspraktischen Konsequenzen idealtypisch unterscheiden zu können. Nach dem einleitenden Überblick über verschiedene Typen einer Soziologie der Emotionen und der damit verbundenen Darstellung der prinzipiellen Sinnhaftigkeit einer Beachtung von K. Scherke, Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-91739-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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,V. Zusammenfassung
Affekten durch die Soziologie wurde der Frage nachgegangen, weshalb dieses Thema innerhalb des Faches derart lange vernachlässigt bzw. erst kürzlich wiederentdeckt wurde. In dem Kapitel zur wissenschaftssoziologischen Vertiefung dieser Fragestellung wurde der Einfluss verschiedener exogener und endogener Faktoren des Wissenschaftssystems auf die Genese und den Wandel von Forschungsinteressen von Wissenschaftlern bzw. Wissenschaftlerinnen diskutiert. Es wurde hierbei vor allem der Einfluss von Institutionalisierungs- und Professionalisierungsprozessen für die inhaltliche Ausrichtung von Disziplinen beachtet. Im Hinblick auf die Fachentwicklung im deutschen Sprachraum können derartige Prozesse als wesentliche Gründe für die lange Vernachlässigung bzw. erst kürzliche Wiederentdeckung der Emotionen als Forschungsgegenstand der Soziologie genannt werden. In der bisherigen Literatur zur Soziologie der Emotionen wurde vor allem der ‚Zeitgeist‘ für die unterschiedliche Konjunktur dieses Forschungsthemas verantwortlich gemacht. Dieser Erklärungsansatz wurde von mir durch den Hinweis auf den Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen des Wissenschaftssystems ergänzt. Dieser Hinweis erscheint mir insbesondere wichtig, um das vielfach konstatierte ‚Nachhinken‘ der deutschsprachigen Soziologie im Vergleich zur anglo-amerikanischen, was die Beschäftigung mit den Emotionen anbelangt, erklären zu können. Anhand bisheriger Literatur zur Geschichte der Soziologie wurde zunächst der Etablierungsverlauf der Soziologie im deutschen Sprachraum nachgezeichnet. In einem weiteren Schritt wurde dieser dann der sich aus der Inhaltsanalyse der mainstream-Zeitschriften ergebenden Entwicklung der Emotionsthematik in der deutschsprachigen Soziologie gegenübergestellt. Das sich dabei ergebende Bild soll hier nochmals zusammenfassend dargestellt werden: In der Frühphase der Soziologie in Deutschland stammten viele Wissenschaftler aus Nachbardisziplinen. Aufgrund des Fehlens etablierter Definitionen, was unter Soziologie zu verstehen sei, waren die Wissenschaftler relativ frei in der Bestimmung der Inhalte ihrer Forschung und mussten sich nicht nach den Erwartungen der Disziplinkollegen richten. Zudem begann die bewusste Abgrenzung von anderen Disziplinen erst allmählich eine Rolle zu spielen. So konnte eine ganze Bandbreite von Themen von den Klassikern (etwa Max Weber oder Georg Simmel) bearbeitet werden und ihre Sozialtheorien schlossen, obwohl auch um die Erklärung von Makrophänomenen bemüht, eine Behandlung der Emotionen noch nicht aus. Die Phase der Etablierung der Soziologie auf universitärer Ebene in Deutschland (intensiviert ab ca. 1921) war sodann stark durch die Auseinandersetzung mit ihren Nachbardisziplinen gekennzeichnet. Man war vor allem bestrebt, den wissenschaftlichen Charakter der neuen Disziplin Soziologie zu unterstreichen. Zur Ausdifferenzierung einer Disziplin aus dem vorhandenen wissenschaftlichen Kanon gehört es, dass sie kognitive Trennschärfe entwickelt – d. h. sich hinsichtlich ihrer Erkenntnisgegenstände, Methoden und wissenschaftlichen Kriterien von anderen Fächern unterscheidet; nur so wird ihre Institutionalisierung und Professionalisierung möglich. Emotionen, die auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen bearbeitet werden, eignen sich nicht für eine derartige Abgrenzung der Soziologie von anderen Disziplinen. Gerade diese Abgrenzung und die Fundierung eines eigenen, unumstrittenen Gegenstandsbereiches stellen aber im akademischen Kontext Voraussetzungen für die Rekrutierung universitärer Ressourcen (Lehrstühle etc.) dar. Erst nach der erfolgreichen Etablierung als Disziplin können auch wieder Themen aus dem Grenzbereich zu anderen Wissenschaften (wie beispielsweise die Emotionen) als Forschungsgegenstand der Soziologie aufgegriffen werden.
,V. Zusammenfassung
293
Durch die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg wurden die Etablierungsversuche der Soziologie in Deutschland zunächst unterbrochen und erst nach dem Krieg wieder aufgegriffen. Nach 1945 wurde unter Einfluss der amerikanischen Soziologie vor allem der Ausbau der empirischen Sozialforschung forciert. Verstärkte Diskussionen über die theoretischen und methodischen Grundlagen des Faches begannen Mitte der 1950er-Jahre und wurden später im Rahmen des sogenannten Positivismusstreites (der als Wiederaufnahme der zu Beginn des Jahrhunderts – ebenfalls unter Etablierungsbemühungen – geführten Werturteilsdebatte interpretiert werden kann) heftig geführt. Mit dem Bildungsboom der 1960er-Jahre und dem damit einhergehenden Universitätsausbau kam es auch im Bereich der Soziologie zu einem Zuwachs an Lehrkräften und Studierenden. In dieser Etablierungsphase standen Auseinandersetzungen über den Aufgabenbereich der Soziologie und ihre theoretische Fundierung auf der Agenda der Vertreter und Vertreterinnen des mainstreams des Faches. Erst seit Mitte der 1970er-Jahre kam es zu einer Beruhigung dieser fachinternen Debatten und einem weitgehend akzeptierten Nebeneinander unterschiedlicher theoretischer Modelle. Erst in diesem aufgeschlossenen Klima können auch Randthemen bzw. Themen mit interdisziplinären Bezügen (wie etwa die Emotionen) erfolgreich aufgegriffen werden. In den USA kam es schon viel früher zu einer Etablierung der Soziologie, sie musste auch keine Unterbrechung des Etablierungsprozesses durch die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg, wie es in Deutschland der Fall war, hinnehmen. Außerdem war die Soziologie in Amerika von Beginn an stärker empirisch-praktisch ausgerichtet, sodass theoretische Diskussionen, wie sie in Deutschland im Rahmen der Werturteilsdebatte oder des Positivismusstreites eine Rolle gespielt haben, nicht aufkamen. Ein Beleg hierfür ist auch der von Krekel-Eiben festgestellte, zwischen 1945 und 1985 gleichmäßig hohe Anteil von Artikeln aus dem Gebiet der Speziellen Soziologien in den wichtigsten amerikanischen Fachzeitschriften (über 70 %).1 Die Öffnung gegenüber Randthemen fällt in einem solchen Klima leichter als in den stärker durch die Abgrenzung akademischer Disziplinen gekennzeichneten deutschsprachigen Hochschulen. Auch die Soziologie der Emotionen konnte von diesen anderen institutionellen Rahmenbedingungen in den USA profitieren, wo ab ca. 1975, verschiedenen Autoren zufolge, dieses Spezialgebiet Auftrieb erlangte. Die vorliegende Zeitschriftenrecherche zeigt deutlich, dass es im deutschen Sprachraum – entgegen bisheriger Vermutungen – zwar bereits früh (seit den 1950er-Jahren) einzelne Arbeiten zur Emotionsthematik gegeben hat. Allerdings handelte es sich bei diesen Arbeiten um seltene Ausnahmen innerhalb des ansonsten mit anderen Problembereichen beschäftigten mainstream des Faches. Betrachtet man den Entwicklungsverlauf des Themas in den Zeitschriften, so wird deutlich, dass – abgesehen von einzelnen Ausnahmen – erst ab den späten 1980er-Jahren die Emotionsthematik stärkeren Eingang in die deutschsprachigen Fachzeitschriften fand. Die Phase bis 1955 zeichnet sich durch das weitgehende Fehlen relevanter Artikel zur Thematik aus, diese Tendenz setzt sich auch in der Phase 1956–1971 fort, allerdings erscheinen in dieser ‚Orientierungsphase‘ – wenn auch mit jeweils größerem zeitlichen Abstand – erstmals Artikel mit einem engen Bezug zur Thematik. Die Phase 1972–87 wurde von mir als ‚Vorbereitungsphase‘ einer stärkeren Beachtung des Themas bezeichnet, während in der ‚Durchsetzungsphase‘ 1988–2003 schließlich regelmäßig mehrere Artikel pro Jahr zur Thematik erschienen. Die ‚Vorbereitungsphase‘ ab 1972 fällt in einen Zeitraum, in dem sich aus dem ‚methodologischen Schisma‘ (Lüschen) der ausgehenden 1960er-Jahre 1
Vgl. Krekel-Eiben, Soziologische Wissenschaftsgemeinschaften, S. 127–129.
294 I9. Zusammenfassung in der Soziologie allmählich eine weitgehende Akzeptanz der modelltheoretischen Vielfalt (vor dem Hintergrund des mittlerweile als erfolgreich einzustufenden Etablierungsprozesses der Disziplin) herauszubilden begann. Dieses Klima – zusammen mit der gleichzeitig stattfindenden Renaissance des interpretativen Paradigmas – dürfte nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass auch der Stellenwert der Emotionen für soziale Zusammenhänge neu erkannt und thematisiert wurde. Bereits in dieser Phase wurden auch erste Ansätze einer Soziologie der Emotionen aus dem anglo-amerikanischen Raum in den Zeitschriften des deutschen Sprachraumes publik gemacht. Der von mir als ‚Durchsetzungsphase‘ bezeichnete Zeitraum 1988–2003 ist in der deutschsprachigen Soziologie gekennzeichnet durch eine zunehmende Spezialisierung und interdisziplinäre Öffnung des Faches, die auch dem Thema der Emotionen zugutekam. Der gemäß der vorliegenden Analyse bis 2003 beobachtbare Trend fand auch in den letzten vier Jahren eine Fortsetzung, wie eine zusätzliche Recherche in den jüngsten Jahrgängen der Fachzeitschriften (2004–2008) erbrachte. Warum sich Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen einem bestimmten Forschungsthema zuwenden, kann durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren (die in Kapitel III, 3. ausführlich diskutiert wurden) erklärt werden. Das gehäufte Interesse an einem Thema zu bestimmten Zeitpunkten bzw. Perioden – wie es in der Zeitschriftenanalyse deutlich wird – legt es nahe, auf kollektiver Ebene nach Erklärungen für dieses Phänomen zu suchen. Betrachtet man den Institutionalisierungsverlauf der deutschsprachigen Soziologie, so wird deutlich, dass die Phase des gehäuften Interesses am Emotionsthema in eine Periode fällt, die durch eine zahlenmäßige Konsolidierung und Verzweigung der Disziplin in Spezialbereiche gekennzeichnet ist. In diesen institutionellen Faktoren können Rahmenbedingungen gesehen werden, die auch das Interesse an der Emotionsthematik fördern, die nun als Nische bzw. Spezialgebiet innerhalb des Faches Raum finden kann. Umgekehrt waren die vorhergegangenen Perioden durch institutionelle Rahmenbedingungen gekennzeichnet, die der Beschäftigung mit einem Thema, das aufgrund seiner multidisziplinären Bezüge nicht zur Abgrenzung eines Kernbereiches der Soziologie geeignet ist, nicht dienlich sein konnten. Auf der Tagesordnung der mainstream-Soziologie standen in den ersten Nachkriegsperioden grundsätzliche Fragen der Etablierung des Faches in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft. Emotionen, die, wie in Kapitel II dargelegt, zwar prinzipiell Relevanz für soziologische Fragestellungen haben, jedoch vor allem auch in der Psychologie – von der die Soziologie sich von Anbeginn bemühte Abstand zu halten – bearbeitet werden, sind für derartige Etablierungsbemühungen schlecht geeignet. Im Fall der Emotionen dürfte ein Zusammenwirken institutioneller und durch das allgemeine Geistesklima der Zeit bedingter Ursachen für deren Wiederentdeckung seit den frühen 1970er-Jahren vorliegen. Die institutionellen Rahmenbedingungen erlaubten jedoch erst ab den späten 1980er-Jahren eine intensivere Vertretung des Themas in der durch die Fachzeitschriften repräsentierten deutschsprachigen Soziologie. Die fast über den gesamten Untersuchungszeitraum vereinzelt auffindbaren Arbeiten zur Emotionsthematik zeigen, dass immer auch persönliche und situative Faktoren zur Beschäftigung mit einem Thema führen. Einzelarbeiten dürfen jedoch nicht über den Einfluss institutioneller Strukturen auf die kognitiven Inhalte von Fachdiskussionen hinwegtäuschen, die allerdings erst sichtbar werden, wenn man aggregierte Daten betrachtet.
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Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1948/49–2003 W – 1951
Soziologie und Psychoanalyse (Wiese Leopold von)
W – 1955
Der unsichtbare Vater. Ein Problem für Psychoanalyse und Soziologie, (Mitscherlich Alexander)
E – 1957
Affekt, Interaktion und Delinquenz (Henry Andrew F.) in: Sonderheft 2
W – 1958
Zur Problematik der Massenpsychologie (Sodhi Kripal Singh)
E – 1959
Anspruchsniveau, Frustration und Autoritarismus (Saarbourg Erich, Heintz Peter)
W – 1962
Sozialpsychologische Probleme der Führung (Bornemann Ernst)
W – 1962
Sozialpsychologische Aspekte eines psychodiagnostischen Tests (Meistermann-Seeger Edeltrud)
W – 1962
Psychologische Beiträge zum Verständnis der Beeinflussung (Salber Wilhelm)
W – 1963
Fortschritte der analytischen Sozialpsychologie in Deutschland (Brückner Paul)
E – 1963
Eine scheinbare „Schamkultur“. Psychologische Betrachtung über die Regulatoren des Verhaltens im Gesellschaftsgefüge der Dogon in Westafrika (Parin Paul)
E – 1969
Die Prüfung als Kernmodell psychosozialer Konflikte (Moeller M. L.)
W – 1973
Psychologische und soziologische Aspekte der Wohnsanierung (Harloff Hans Joachim)
E – 1980
Gefühlsarbeit. Ein Beitrag zur Arbeits- und Berufssoziologie (Strauss Anselm, Fagerhaugh Shizuko, Suczek Barbara, Wiener Carolyn)
W – 1982
Lebenserfahrung und Fabrikarbeit: psychosoziale Bedeutungsdimensionen industrieller Tätigkeit (Becker-Schmidt Regina) in: Sonderheft 24
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Georg Simmel. Emotion und Wechselwirkung in intimen Gruppen (Nedelmann Brigitta) in: Sonderheft 25
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Soziologie der Emotionen. Ein Literaturbericht (Gerhards Jürgen)
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Streß, ein Modernisierungsrisiko? Mikro- und Makroaspekte soziologischer Belastungsforschung im Übergang zur postindustriellen Zivilisation (Badura Bernhard, Pfaff Holger)
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Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik I (1949–2003)
W – 1990
Harmonie und Aggression. Über die Dialektik ehelicher Gewalt (Lupri Eugen)
W – 1990
Die subjektive und sozialpsychologische Dimension in der Geschichte der empirischen Sozialforschung (Rothenbacher Franz)
W – 1991
Reziprozität und Streß in ‚Support‘-Netzwerken. Neue Perspektiven in der familiensoziologischen Netzwerkforschung (Gräbe Sylvia)
W – 1991
Problemtische Lebenssituationen und Symptome der psychosozialen Belastung bei polnischen und deutschen Jugendlichen. Eine kulturvergleichende jugendsoziologische Analyse (Mansel Jürgen, Hurrelmann Klaus, Wlodarek Jan)
E – 1992
Für einen subjektorientierten Ansatz in der soziologischen Streßforschung. Erwiderung auf Heinz-Günter Vester (Badura Bernhard, Pfaff Holger)
W – 1992
Modernisierung und Streß. Replik auf Bernhard Badura und Holger Pfaff (Vester Heinz-Günter)
W – 1992
Objektive und subjektive Bedrohung durch Kriminalität. Ein Vergleich der Kriminalitätsfurcht in der Bundesrepublik Deutschland und den USA 1965–1990 (Reuband Karl-Heinz)
W – 1993
Schuld und Bekenntnis in Beichte und Therapie (Hahn Alois, Willems Herbert) in: Sonderheft 33
W – 1997
Biographie und Krankheit. Belastende Ereignisse und Faktoren pathogener Sozialisation bei psychisch und psychosomatisch Kranken (Motzkau Heidrun, Rudolf Gerd)
W – 1998
Parteien als Vertreter von Bürgerinteressen. Modelle zur Erklärung von Vertretenheitsgefühlen am Beispiel des Großprojektes „Stuttgart 21“ (Brettschneider Frank, Rölle Daniel)
E – 2001
Geschlecht und Liebe. Überlegungen zu einer Soziologie des Paares (Burkart Günter, Koppetsch Cornelia) in: Sonderheft 41
E – 2001
Frauenbewegung, Emotionen und die Theorie der rationalen Wahl (Schnabel Annette) in: Sonderheft 41
W – 2002
Familiäre Netzwerke und Lebenszufriedenheit alter Menschen in ländlichen und urbanen Regionen (Schilling Oliver, Wahl Hans-Werner)
E – 2003
Widersprüchliche Gefühle. Rationalität und Emotionalität im Entscheidungsverhalten von jugendlichen Straftätern (de Haan Willem, Vos Jaco) in: Sonderheft 43
E – 2003
The Shame in Their Game. Homelessness, Youth Crime and Transitions Toward Work (Hagan John, McCarthy Bill) in: Sonderheft 43
W – 2003
Angst essen Seele auf ... But it Keeps Away the Burglars! Private Security, Neighbourhood Watch and the Social Reaction to Crime (Hope Tim, Trickett Alan) in: Sonderheft 43
Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik I (1949–2003)
323
W – 2003
Faire Formeln. Psychologische und prozedurale Einflussfaktoren auf die Lösung von distributiven Konflikten (Krämer Ulrike Sabrina, Schneider Gerald)
W – 2003
„Ich war gezwungen, alles mit der Faust zu regeln“ – Delinquenz unter jugendlichen Aussiedlern aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie (Schmitt-Rodermund Eva, Silbereisen Rainer K.) in: Sonderheft 43
Soziale Welt 1949/50–2003 E – 1969
Sympathie. Ein Mechanismus der Bewertungsentlastung (Gehring Axel)
W – 1974
Aggression und Sport. Zu einem konfliktsoziologischen Modell sportspezifischer Aggressionsforschung (Naul Roland, Voigt Hans)
W – 1975
Zur Psychodynamik der industriellen Arbeitsplatzsituation (Schmidt D., Pontzen W.)
E – 1976
Liebe für sich als Aufhebung der Entfremdung (Ludes Peter)
W – 1977
Arbeitslos und aggressiv? (Wacker Ali)
W – 1979
Historische Stationen auf dem Leidensweg der Arbeitsfreude im Spiegel psychologischer Theorien und empirischer Erhebungen. Materialsammlung und Typologie zum Arbeitsbewußtsein (Gottschalch Holm)
E – 1986
Verlegenheit und Zivilisation. Zu einigen Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Werk von E. Goffman und N. Elias (Kuzmics Helmut)
E – 1986
Von der Liebe zur Beziehung? Veränderungen im Verhältnis von Mann und Frau in der individualisierten Gesellschaft (Beck-Gernsheim Elisabeth) in: Sonderband 4
E – 1988
Wenn Gefühle zum Arbeitsgegenstand werden. Gefühlsarbeit im Rahmen personenbezogener Dienstleistungstätigkeiten (Dunkel Wolfgang)
E – 1988
Emotionsarbeit. Zur Kommerzialisierung von Gefühlen (Gerhards Jürgen)
E – 1988
„Die großen starken Gefühle zum Sterben verurteilt?“ – Privates in der Öffentlichkeit der ‚Fröhlichen Guten-Tag-Anzeige‘ (Reichertz Jo) in: Sonderband 6
W – 1994
Außen- und Innengerichtete Formen der Problemverarbeitung Jugendlicher. Aggressivität und Psychosomatische Beschwerden (Mansel Jürgen, Hurrelmann Klaus)
E – 1994
„Ich lieb, liebe, liebe Dich“. Zum Gebrauch der Fernsehsendung „Traumhochzeit“ durch die Kandidaten (Reichertz Jo)
E – 1995
Liebesauffassungen der Geschlechter – Veränderungen in Partnerschaft und Liebe (Weiss Hilde)
324
Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik I (1949–2003)
Zeitschrift für Soziologie 1972–2003 E – 1980
A Phenomenology of Emotion and Deviance (Denzin Norman K.)
W – 1985
Zeitreihenanalyse zu Wirtschaftsentwicklung, Zufriedenheit und Regierungsvertrauen in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung eines dynamischen Theorieansatzes zur Konstitution der Legitimität einer Regierung (Franz Gerhard)
E – 1983
Liebe und Partnerschaft: Formen der Codierungen von Ehen (Leupold Andrea)
E – 1985
Lieben für den Staat? Über das Dilemma konservativer Familienpolitik (Drescher Anne, Fach Wolfgang)
E – 1985
Zur Soziologie der Krankheitsbewältigung. Oder: Das emotionale Defizit soziologischer Handlungstheorie (Badura Bernhard)
W – 1986
Arbeitswerte, Arbeitsplatzrealität und Arbeitszufriedenheit. Ein Beitrag zum Problem der Anspruchsgewichtung bei der Erklärung von Arbeitszufriedenheit (Habich Roland)
E – 1986
Über die Zivilisierung der Eßlust (Mennell Stephen)
E – 1988
Die sozialen Bedingungen der Entstehung von Emotionen. – Eine Modellskizze (Gerhards Jürgen)
E – 1989
Ratio, Kognition und Emotion. Der Modus menschlichen Handelns als abhängige Variable des Gesellschaftsprozesses (Eichener Volker)
E – 1989
Zivilisationsformen der Affekte und ihres körperlichen Ausdruckes (Vowinckel Gerhard)
E – 1990
Interaktionsstress – zum Problem der Gefühlsregulierung in der modernen Gesellschaft (Badura Bernhart)
W – 1992
Belastungen Jugendlicher bei Statusübergängen. Eine Längsschnittanalyse zu Psychosomatischen Folgen beruflicher Veränderungen (Mansel Jürgen, Hurrelmann Klaus)
E – 1992
Die leiblich-affektive Konstruktion des Geschlechts. Für eine Mikrosoziologie des Geschlechts unter der Haut (Lindemann Gesa)
E – 1995
Handlung und Ästhetik: Zum Stellenwert der „affektiv-kathektischen Handlungsdimension“ in Parsons’ Allgemeiner Theorie des Handelns (Staubmann Helmut)
Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik II (2004–2008) (ohne Rationalitätsgruppe)
Artikel mit nach 2004 erstmalig verwendeten Emotionsworten im Titel sind kursiv gehalten.
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 2004–2008 2004 – Kooperationsnetzwerke und Karrieren an deutschen Hochschulen. – Der Weg zur Professur am Beispiel des Faches Psychologie (Lang Frieder R., Neyer Franz J.) 2004 – Kognitionspsychologie und Umfrageforschung: Altersabhängige Kontexteffekte (Schwarz Norbert, Knäuper Bärbel) in: Sonderheft 44 2005 – Liebe: Medium der Kommunikation oder symbolisches Kapital der sozialen Reproduktion? Ein Vergleich zwischen Systemtheorie und Feldsoziologie (Becker Thomas) 2005 – Vertrauen bei Internetauktionen und die Rolle von Reputation, Informationen, Treuhandangebot und Preisniveau (Berger Roger, Schmitt Katharina) 2005 – Gefühlvolle Entscheidung und entscheidende Gefühle. Emotionen als Herausforderung für Rational Choice-Theorien (Schnabel Annette) 2006 – Psychosozialer Stress und Gesundheit. Belastungen durch Erwerbsarbeit, Hausarbeit und soziale Beziehungen (Wolf Christof) in: Sonderheft 46 2006 – Soziale Exklusion und Exklusionsempfinden (Bude Heinz, Lantermann Ernst-Dieter) 2006 – Kriminalitätsfurcht. – Ausdruck generalisierter Ängste und schwindender Gewissheiten? Untersuchung zur empirischen Bewährung der Generalisierungsthese in einer österreichischen Kommune (Hirtenlehner Helmut) 2006 – Kriminalitätsfurcht im urbanen Raum. Eine Mehrebenenanalyse zu individuellen und sozialräumlichen Determinanten verschiedener Dimensionen von Kriminalitätsfurcht (Lüdemann Christian) 2007 – Grenzüberschreitender Austausch und Vertrauen. Ein Test der Transaktionsthese für Europa (Delhey Jan) in: Sonderheft 47 2007 – Eignen sich Stadtteile für den Nachweis von Kontexteffekten? Eine empirische Analyse am Beispiel von Disorder und Kriminalitätsfurcht (Nonnenmacher Alexandra) 2007 – Der ökonomische Wert sozialer Beziehungen. Eine empirische Analyse zum Verhältnis von Vertrauen, sozialen Netzwerken und wirtschaftlichem Wachstum im interkulturellen Vergleich (Stadelmann-Steffen Isabelle, Freitag Markus) 2008 – Entlassungen: Gerechtigkeitsempfinden und Folgewirkungen. Theoretische Konzepte und empirische Ergebnisse (Struck Olaf, Krause Alexandra, Pfeifer Christian)
326
Zeitschriftenartikel zur Emotionsthematik II (2004–2008)
2008 – Akkulturation: Theoretische Ansätze und Perspektiven in Psychologie und Soziologie (Nauck Bernhard) in: Sonderheft 48 2008 – Akzeptanz oder Ablehung von Andersartigkeit. Die Beziehung zwischen Zuwanderern und Einheimischen aus einer sozialpsychologischen Perspektive (Mummendey Amélie, Kessler Thomas) in: Sonderheft 48
Zeitschrift für Soziologie 2004–2008 2005 – Die EU-Osterweiterung als Mobilisierungsschub für ethnozentrische Einstellungen? Die Rolle von Bedrohungsgefühlen im Kontext situativer und dispositioneller Faktoren (Rippl Susanne, Baier Dirk, Kindervater Angela, Boehnke Klaus) 2006 – Psychosoziale Beratung im Spiegel soziologischer Theorien (Großmaß Ruth) 2007 – Befindlichkeit – eine Determinante im Antwortverhalten? (Bachleitner Reinhard, Weichbold Martin)
Soziale Welt 2004–2008 2004 – Entscheidungen und Karrieren. Organisationssoziologische Betrachtungen zu den Geschehnissen einer psychosomatischen Abteilung (Vogd Werner) 2004 – Die Transformation religiöser Empfindungen im Bengalen des 19. Jahrhunderts (Raychaudhuri Tapan) in: Sonderband 15 2005 – Erwartbarkeit, Glück und Vertrauen. Zum Wandel biographischer Sicherheitskonstruktionen in der Moderne (Bonß Wolfgang, Zinn Jens) 2005 – The Politics of Fear: Strategies of Exclusion in Gared Communities (Low Setha) in: Sonderband 16 2007 – Der unheimliche Muslim – Staatsbürgerschaft und zivilgesellschaftliche Ängste (Schiffauer Werner) in: Sonderband 17 2008 – Glocalized Dioxin – Regulatory Science and Public Trust in a Double Risk Society (Chou Kuei-Tien)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Anzahl der Artikel nach Bezug zur Emotionsthematik und Zeitschrift (verschiedene Teildatensätze im Vergleich) ................................................... 240 Tabelle 2: Anzahl der Artikel nach Bezug zur Emotionsthematik und Zeitschrift (Gesamterhebung ohne Rationalitätsgruppe) ................................................ 251 Tabelle 3: Gegenüberstellung – Gesamtzahl der Artikel und letztlich relevante Artikel jeweils nach Bezug zur Emotionsthematik und Zeitschrift ............... 252 Tabelle 4: Entwicklungsverlauf des Themas .................................................................. 254 Tabelle 5: Prozentueller Anteil der einzelnen Perioden am Entwicklungsverlauf ......... 256 Tabelle 6: Artikel zur Emotionsthematik nach Emotionsgruppe (Teildatensatz ohne Rationalitätsgruppe, Vertrauen, Zufriedenheit, -psych und ohne die ‚nicht relevanten‘ Artikel) ............................................ 257 Tabelle 7: Prozentueller Anteil der Artikel zur Emotionsthematik je Institutionalisierungsphase (Teildatensatz ohne ‚Rationalitätsgruppe‘, Vertrauen, Zufriedenheit, -psych) .............................. 259 Tabelle 8: Anzahl der Artikel mit Emotionsworten im Titel (Gesamterhebung ohne ‚Rationalitätsgruppe‘) im Vergleich zur Gesamtzahl der Zeitschriftenartikel pro Jahrgang und Zeitschrift .......................................... 276 Tabelle 9: Anteil der Beiträge mit Emotionsworten im Titel an der Gesamtproduktion (1960–2003) – Datenbank SOLIS im Vergleich zur Zeitschriftenanalyse ................................................................ 282 Tabelle 10: Gegenüberstellung: Entwicklungsverlauf gemäß Zeitschriftenanalyse und gemäß Datenbank SOLIS ...................................... 283
Tafel I:
Phasen der Fachentwicklung nach AutorInnen .............................................. 222
Register
Acham Karl 16, 180–181, 195 Adler Max 174–175, 180, 184 Adorno Theodor W. 105, 145, 190, 193, 198– 200, 202, 204, 215 Albrecht Clemens 198–199, 202 Albrecht Günter 210 Alemann Heine von 154 Aquin Thomas von 18–19 Aristoteles 18 Arnold Magda 36, 39, 82 Aron Raymond 177, 275 Ash Mitchell G. 153 Badura Bernhard 267–270, 272, 278 Barbalet Jack M. 17, 19–20, 25–29, 32, 41, 52, 63, 65, 69, 72–78, 87, 124, 159, 233 Bard Philip 35–36 Barth Paul 184 Bastide Roger 246 Baumgarten Alexander Gottlieb 24 Beck-Gernsheim Elisabeth 268, 278 Becker Carl Heinrich 172–173 Below Georg von 173 Bendelow Gillian 121, 125, 241 Best Heinrich 212, 215, 249 Blau Peter 83 Bock Michael 126, 173 Bourdieu Pierre 104, 127, 130, 133–135, 141– 142, 146–147, 149–150 Brandstätter Hermann 145 Brentano Franz 37 Brettschneider Frank 272 Breuer Josef 42–43 Brinkmann Ulrich 245 Brücke Ernst 42 Bühl Walter L. 51, 139 Bulmer Martin 129, 232 Burkart Günter 270, 278 Calhoun Craig 229 Cannon Walter 35–36 Cassirer Ernst 134
Chrysippos 18, 24 Ciompi Luc 113–116 Collins Randall 52, 65–72, 87, 111, 128, 268 Comte Auguste 28, 30–33 Cooley Charles H. 91–92, 109–110 Cunow Heinrich 175 Curelaru Miriam 169–170, 183 Daele Wolfgang van den 53 Dahrendorf Ralf 204 Damasio Antonio 21–24, 49 Damasio Hanna 21 Darwin Charles 38, 71, 73, 75, 109 Denzin Norman K. 128, 237, 260, 265–266 Descartes René 19 Diekmann Andreas 245 Dilthey Wilhelm 123, 210 Dormann Christian 101–102 Drescher Anne 267–268 Duerr Hans-Peter 12 Dunkel Wolfgang 260, 269 Dunkmann Karl 184 Durkheim Émile 13, 63–64, 67–68, 108, 110, 197–198, 267 Eichener Volker 248, 269, 278 Eisenstadt Shmuel N. 169–170, 183 Eisler Rudolf 165 Ekman Paul 38, 71, 106 Eleutheropulos Abroteles 175 Elias Norbert 12, 29, 32–33, 94, 101, 109, 112, 125, 174, 205, 248, 268, 274, 278, 284 Ellis Carolyn 79 Endreß Martin 14, 121 Engels Friedrich 170 Erkinger Monika 16 Esser Hartmut 70 Eulenburg Franz 176 Exner Sigmund 42
330 Fach Wolfgang 267–268 Flam Helena 20, 58–59, 77–79, 101–103, 125, 156, 233, 259–260, 269, 284–286 Fleck Christian 16, 166, 177, 181, 193, 200, 232 Franz Gerhard 243 Freud Sigmund 20, 42–43, 61, 85, 98, 145–146, 247 Freyer Hans 175, 184–186 Fromm Erich 145, 201 Fukuyama Francis 60 Funken Christiane 228, 230 Funkenstein David H. 88, 262 Gage Phineas 21–22 Gallese Vittorio 51 Garfinkel Harold 66 Gehring Axel 263–265, 274 Geiger Theodor 175 Gerhards Jürgen 20, 59, 66, 70–71, 88, 96, 112–114, 124, 233, 260, 268–269, 274–275, 284, 286 Glatzer Wolfgang 173, 183 Goffman Erving 64, 67, 94, 110, 124 Goldscheid Rudolf 181 Goleman Daniel 11 Goode William J. 217 Gottschalch Holm 271 Gouldner Alvin 124 Gräbe Sylvia 272 Gramsci Antonio 31–33 Grimme Adolf 175 Grünberg Carl 198 Grundmann Reiner 238 Gumplowicz Ludwig 165, 170, 180 Haan Willem de 248, 271 Habich Roland 243 Hagan John 271 Hardin Bert 154–155, 231–232 Härtel Gundula 212–213 Heberle Rudolf 176 Heintz Peter 261–263 Heise David 128 Heller Agnes 66 Henry Andrew F. 250, 261–263, 278 Herbart Johann Friedrich 143 Hertz Friedrich 176 Hochschild Arlie 63, 92–105, 128, 237, 268, 285 Höllinger Franz 16
Register
Homans George Caspar 83, 124 Hope Tim 272 Hopf Christa 226 Höpflinger Francois 195 Horkheimer Max 145, 190, 195, 198–199, 201–202, 215 Hornung Bernd 117 Hume David 18, 20, 25, 27 Hurrelmann Klaus 272 Husserl Edmund 265 Hutcheson Francis 25 Illouz Eva 104–105 Izard Carroll E. 38, 116 James William 25–27, 35–36, 39, 82, 233, 265 Jerusalem Wilhelm 180 Käsler Dirk 165, 167, 170–172, 174–179, 183–186, 193 Katz Jack 79, 106 Kaufmann Jean-Claude 97 Kebir Sabine 31 Kelsen Hans 184 Kemper Theodore D. 52, 69, 73, 80, 82–90, 106, 123, 125–127, 135, 201, 237, 241, 248, 268, 284 Kempf Erwin 247 Keynes John Maynard 74 Klima Rolf 172, 194, 220, 256–257 Klingemann Carsten 185 Klöckl-Stadler Elisabeth 16 Knoll August M. 180 Knorr-Cetina Karin 133, 149 König René 144, 167, 177, 185, 189–190, 195, 197–199, 201–202, 204–205, 210–211, 215– 216, 221, 261–263, 266 Koppetsch Cornelia 270, 278 Korte Hermann 200–201, 204, 224–226 Krämer Ulrike Sabine 245 Krekel-Eiben Elisabeth M. 173, 182–183, 191, 194–195, 209, 212–215, 229, 241, 257–258, 293 Kruse Volker 126, 174 Kuhn Thomas 130–131, 137–140, 149 Kuzmics Helmut 268, 278 Lamnek Siegfried 227 Lange Carl 21, 35–36 Lazarsfeld Paul F. 166, 180, 193, 200
331
Register
Lazarus Richard S. 39 LeDoux Joseph 36–37, 39, 45–47, 50, 79–80, 121 Lemaine Gerard 151, 158, 274 Lepsius Rainer M. 176, 186, 190–191, 193–195, 206, 217, 219, 221, 257–258 Lethen Helmut 124, 157 Leupold Andrea 267–268, 274 Lewis Helen 79, 110 Lewis Jan 94 Lilienfeld Paul von 170 Lindemann Gesa 269, 275, 278 Lindemann Hugo 209 Ludes Peter 264–265, 275 Luhmann Niklas 114–115, 130, 196, 267 Lupri Eugen 272 Lüschen Günther 168, 191–192, 194–195, 208– 209, 212, 219–220, 234, 256, 258, 293
Nollmann Gerd 159
Mannheim Karl 123, 132–136, 149, 174–175, 177, 184 Mansel Jürgen 272 Marcuse Herbert 145, 201 Martin Alfred von 161, 174 Marx Karl 29, 31, 132, 170, 210 Matthes Joachim 176, 193, 196, 201, 224–225 McCarthy Bill 271 Mead Margaret 263 Meifert Matthias 245 Meinong Alexius 37, 153 Mennell Stephen 268, 278 Merton Robert King 133, 136–137, 140, 158 Meštrovic Stjepan 12 Mills C. Wright 124 Mitscherlich Alexander 201–202 Mitscherlich Margarete 201 Moeller Michael Lukas 247 Moser Tilmann 157, 202 Mozetič Gerald 16, 181, 194 Mulkay Michael J. 127, 140–141, 143, 148, 158 Müller Walter 226
Rammstedt Otthein 185–189, 267 Ratey John 42–45, 47 Ratzenhofer Gustav 170, 180 Rehberg Karl-Siegbert 226 Reichertz Jo 269–270, 275 Reuband Karl-Heinz 272 Rickert Heinrich 123 Riegl Alois 133–134 Riehl Wilhelm Heinrich 170 Rizzolatti Giacomo 51 Rölle Daniel 272 Rosenmayr Leopold 180 Ross Edward 155 Roth Gerhard 42–43, 45, 52 Rumpf Max 175
Nassehi Armin 159 Naul Roland 271 Neckel Sighard 96, 110–111, 284, 286 Nedelmann Birgitta 267 Neidhardt Friedhelm 211 Neuloh Otto 211 Nietzsche Friedrich 238 Noll Gerd 244
Ohly Renate 212, 215, 249 Oppenheimer Franz 175, 184 Ottermann Ralf 227 Panofsky Erwin 134 Parin Paul 263, 265 Parsons Talcott 112–114, 198, 210, 218, 270, 274 Pascal Blaise 25 Pettenkofer Andreas 68 Pfaff Holger 269–270, 272 Platon 18 Plessner Helmuth 124 Plotin 19 Popper Karl 138 Preisendörfer Peter 244
Saarbourg Erich 262–263, 274 Sack Fritz 210 Sahner Heinz 198, 200, 209, 212–219, 221, 234, 256, 258, 275 Sander Angelika 25 Schachter Stanley 36, 89–90 Schad Susanne P. 178 Schäffle Albert 165, 170 Scheff Thomas 39, 72–73, 108–112, 115, 237 Scheler Max 25, 32, 175, 184, 189, 209, 265 Schelsky Helmut 177, 184–185, 190, 195–197, 202–206, 211, 215–216, 224–225 Scherer Klaus 38 Schilling Oliver 244 Schimank Uwe 285
332 Schnabel Annette 270 Schneider Gerald 245 Schoeck Helmut 73, 284 Schoepflin Urs 212–213 Schütz Alfred 44, 66, 264 Schützeichel Rainer 285 Seger Imogen 61 Shaftesbury Anthony Ashley Cooper 25 Shils Edward 162–163, 170, 183 Short James F. 261 Siefert Helmut 194, 227 Silbermann Alphons 210 Simmel Georg 13, 28–29, 32–33, 59, 73, 171– 172, 183–184, 189, 205, 262–263, 267, 274, 284, 292 Singer Jerome E. 36, 89–90 Small Albion W. 232 Smelser Neil J. 124, 228 Smith Adam 73 Snow Charles Percy 41 Sombart Werner 184 Spann Othmar 180, 184 Staubmann Helmut 113, 114, 270 Stearns Peter N. 94 Stein Lorenz von 170 Stets Jan 57, 80, 107 Stichweh Rudolf 142–143, 148–149, 159–160 Stoltenberg Hans Lorenz 184 Strauss Anselm 260, 266 Streminger Gerhard 20 Tenbruck Friedrich 218–219, 224–225 Thomas William Isaac 72 Thurnwald Richard 184, 190 Tomkins Silvan S. 38 Tönnies Ferdinand 174–175, 183–185, 267 Toulmin Stephen 51
Register
Treibel Annette 285 Trickett Alan 272 Troeltsch Ernst 184 Tulving Endel 49 Turner Jonathan H. 38, 57, 80, 107, 117 Vester Heinz-Günter 52, 114, 161, 242, 270, 272, 278, 284, 286 Vierkandt Alfred 143, 146, 171, 184, 190 Voigt Hans 271 Vos Jaco 248, 271 Vowinckel Gerhard 269, 278 Wacker Ali 271 Wahl Hans-Werner 244 Walther Andreas 175 Weber Alfred 174, 184, 190 Weber Max 13, 20, 28, 30–32, 83, 125, 171, 174, 183–184, 189, 190, 205, 267, 292 Weiss Hilde 270, 278 Weyer Johannes 190 Whitley Richard 163 Wiese Leopold von 172, 174–177, 183–185, 189–191, 193, 209–210, 212, 215, 246–247, 258 Williams Simon J. 11, 121, 125, 128, 241, 260–261 Wilson Edward O. 41 Winter Ernst Karl 180 Wouters Cas 95 Wrong Dennis H. 13 Wundt Wilhelm 152–153 Wyder David 245 Zajonc Robert 37, 39 Zenon von Kition 18