Raumschiff Promet Classic
„Als der Fremde kam“ Die SF-Serie von Kurt Brand
Band 1
Vorwort Die Serie RAUMSCHIFF PROM...
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Raumschiff Promet Classic
„Als der Fremde kam“ Die SF-Serie von Kurt Brand
Band 1
Vorwort Die Serie RAUMSCHIFF PROMET erschien ursprünglich zwischen Anfang 1972 bis Pfingsten 1974 in den Verlagen Andromeda und Astro; beide Male im Heftformat, aber unter zwei verschiedenen Reihenbezeichnungen. Einmal startete sie als Arn Borul – Von Stern zu Stern (Andromeda-Verlag), zum anderen als Raumschiff Promet (Astro-Verlag). Für die Paperbackausgabe wurde auf die Serienbezeichnung des Astro-Verlags zurückgegriffen. Unter SF-Fans gilt die PROMET-Serie als erste Alternative zu den Sternenimperien und Schlachtkreuzern, die zur damaligen Zeit die Heftroman-SF beherrschten. Kurt Brand wich von diesem Schema ab: Die Erde ist immer noch in Nationalstaaten zerfallen. Die Abenteuer der PROMET-Besatzung dienen der Erforschung des Kosmos. Immer wieder stößt man dabei auf Spuren eines Volkes, das vor 1350 Jahren die Galaxis mit Tod und Verwüstung überzog. Peet Orell und Arn Borul versuchen, das Geheimnis um das Verschwinden dieser Rasse zu lüften. Wie auch bei der REN DHARK-Serie aus dem Bernt-Verlag wird auf eine totale Modernisierung und Angleichung der Handlung an heutige Gegebenheiten verzichtet, um die PROMET-Serie als interessantes Zeitdokument wiederzugeben. REN DHARK wurde als Zyklusserie konzipiert; aus diesem Grund kann die Bearbeitung dort großzügiger vonstatten gehen, d.h. es können mehr Kapitel gestrichen oder gekürzt werden. Bei RAUMSCHIFF PROMET musste es darum gehen, Fehler, stilistische Unebenheiten und Wiederholungen aus den eher abgeschlossenen Heftabenteuern zu nehmen und dabei doch den locker vorhandenen, roten Faden zu erhalten. Folgen Sie dem RAUMSCHIFF PROMET und seiner Besatzung auf ihrem abenteuerlichen Weg – Von Stern zu Stern. AD ASTRA
Prolog Der Planet Moran wurde von schwarzen Raumschiffen unbekannter Herkunft zerstört. Unbarmherzig hatten die Waffen der Fremden den friedlichen Planeten in eine Hölle verwandelt. Die wenigen überlebenden Moraner führen in einem Höhlensystem ein Leben am Rande des Todes; kaum etwas ist von ihrem Wohlstand, ihrer Zivilisation geblieben. Auf Moran zu leben bedeutet: den Tod zu erwarten. Aus uralten Dokumenten erfahren die Überlebenden dieser Katastrophe von Schedo, einem blauen Planeten in einem sternenarmen Spiralarm der Galaxis, der nur von einem Haufen Halbwilder bewohnt wird und ihnen eine Heimat bieten könnte, wo sie einen neuen Anfang machen, wo sie ihre Zivilisation wieder errichten könnten, und wo sie eine Zukunft haben würden. Tira heißt auf Moran Hoffnung – TIRA heißt auch das Schiff, dessen Kommandant Arn Borul ist. Es ist die Aufgabe der Besatzung der TIRA, Schedo zu finden und zu erkunden. Und Arn Borul weiß, dass auf seinen Schultern die Hoffnungen und Erwartungen aller noch lebenden Moraner, seiner Freundin Junici und seines Mentors Thosro Ghinu ruhen. Doch Schedo ist kein Planet der Halbwilden mehr; Schedo, das ist die Erde und diese steht an der Schwelle zum 22. Jahrhundert. Die Eroberung des Weltraums steht auf den Fahnen der noch immer in Machtblöcke und Nationalstaaten zerfallenen Menschheit. Doch das wissen die Moraner nicht, die Kurs auf Schedo, die Erde, nehmen …
1. Der Mann im federnden Drehsitz lehnte sich entspannt zurück, drehte dann seinen Kopf nach rechts und links, und sah aus seinen schrägstehenden, grünen Augen Ele Veek und Gol Zsal triumphierend an. Sie hatten es geschafft! Sie durchrasten das System, das sie so lange gesucht hatten, seit acht Zeiteinheiten, doch erst seit einem Birn waren sie sicher, dicht vor dem Ziel zu stehen. Eine helle Kugel stand strahlend im nachtschwarzen Weltraum. Schedo! Veek, einen halben Kopf kleiner als der breitschultrige, dennoch schlank wirkende Borul, blickte den Kommandanten des kleinen Raumschiffes fragend an: „Arn, bist du absolut sicher? Ist das der Planet, den unsere Ahnen vor rund sechzigtausend Gör einmal besucht und erforscht haben?“ Gol Zsal verfolgte das Gespräch und erinnerte sich an den Film, der aus dieser so weit zurückliegenden Zeit stammte. Er wusste, wenn sie in weniger als einem Birn auf Schedo gelandet waren, würden die Hordenwesen, die dort lebten, sie als Götter verehren. Arn Borul hatte mit einem schnellen Blick die Instrumente überflogen, wandte sich wieder Ele Veek zu, lächelte kurz und erwiderte: „Ich bin mir so sicher, Schedo vor mir zu haben, wie das Rechengehirn. Bereiten wir uns auf die Landung …“ Das letzte Wort kam nicht mehr über seine Lippen. In der TIRA heulten die Sirenen. Die Ortung hatte einen Fremdkörper erfasst, der sich ihnen näherte. Die drei Männer im Kommandoraum der TIRA fühlten, wie die Spannung in ihnen wuchs. Eine Begegnung mit einem anderen Raumschiff in diesem fremden System? Die Objekterfassung war noch nicht in der Lage, den Fremdkörper, der nicht besonders stark beschleunigte, auf einen der fünf Bildschirme zu bringen. Die Distanz war noch zu groß. Mit gleich bleibender Geschwindigkeit und unverändertem Kurs raste die TIRA weiter auf ihr Ziel zu. Schedo, die helle Planetenkugel im nachtschwarzen Raum, zog sie wie ein Magnet an. Arn Borul strich sich mit der linken Hand über
sein strahlendes Silberhaar. Nichts in seinem Gesicht verriet etwas von der Spannung in seinem Inneren. Sollte ihnen eine andere Rasse aus dem Sternenmeer zuvorgekommen sein und Schedo längst besiedelt haben? Er beugte sich vor. Sein Blick lag ausschließlich auf den beiden Instrumenten, die zur Objekterfassung gehörten. Chiu, dachte er, das ist ja ein Nichts, was da auf uns zukommt. Und wie langsam. Wenn es unseren Kurs gekreuzt hat, stehen wir dicht über Schedo. Er entspannte sich wieder und lehnte sich zurück. Mit der rechten Hand drückte er eine Taste an der langen Armaturenkonsole. Die Sirenen in der TIRA verstummten. Der Alarm war beendet. Der dritte auf ihrem Flug durch die Raumtiefen. Lautlos sprang hinter der dreiköpfigen Besatzung des Kommandoraumes das Schott auf, und Pare Mint, der kleinste von ihnen, stürmte herein. „Seit dem Alarm ist die Bordverständigung zusammengebrochen. Ich habe Empfang! Starken Empfang auf Sieben zwo.“ Arn Borul hatte sich mit seinem Drehsitz herumgewirbelt. Er blickte Pare Mint aus seinen schrägstehenden, grünen Augen scharf an, während hinter seiner hohen Stirn die Gedanken rasten. Funkempfang?! „Aus welcher Richtung, Pare?“, fragte Arn Borul. „Aus 23,7 – 0,38 und 45,0, Arn.“ Er hatte den letzten Zahlenwert kaum ausgesprochen, als Ele Veek lachte. „Von dem kleinen Ding, das so langsam durch den Raum schleicht.“ Borul lachte nicht. „Ich bin trotzdem besorgt. Wir haben in diesem System nicht mit dem Vorhandensein von Technik gerechnet.“ Ele Veek war und blieb Optimist und gewann auch jetzt wieder dieser undurchschaubaren Lage die besten Seiten ab. „Warum soll es neben uns nicht noch andere Rassen geben, die nach brauchbaren Planeten suchen?“ Arn Borul dachte angestrengt nach. Der Empfang auf Sieben lag dicht vor der Grenze, hinter der ihre Geräte nicht mehr arbeitsfähig waren. Pare Mint hatte von starkem Empfang gesprochen. Wie konnte das möglich sein; denn mit Sieben zwo konnte nur in
Ausnahmefällen einwandfreier Funkverkehr durchgeführt werden, und nur über kurze Distanzen. Hier jedoch war das Gegenteil der Fall! Irgendetwas in diesem System hatte sich in den letzten sechzigtausend Gör verändert. „Weiter beobachten, Mint.“ Der verschwand aus dem Kommandoraum, und das Schott schloss sich hinter ihm. „Schon wieder Ausfall der Bordverständigung“, murmelte Gol Zsal, der links vom Kommandanten saß und sich anschickte, die ersten Prüfungen vorzunehmen, um den Fehler zu finden. Die TIRA, die Hoffnung, näherte sich mit gleich bleibend hoher Geschwindigkeit dem Planeten – dem dritten, von der Sonne aus gerechnet, die gar keine Ähnlichkeit mit ihrem Muttergestirn hatte und geradezu klein und schäbig wirkte. Gol Zsal hatte den Fehler in der Bordverständigung schnell gefunden, und sofort meldete sich auch schon Pare Mint. „Empfang auf Sieben zwo zu Ende. Im gesamten Bereich Funkstille.“ Auf dem großen Bildschirm wurde die helle Kugel größer und größer. Die Distanz zwischen der TIRA und ihr schrumpfte schnell. Der Computer meldete sich und ließ Kontrolllampen aufflackern. In dreißig Hodd wurden die Triebwerke auf Landung geschaltet und in abermals dreißig Hodd die Landung eingeleitet. Die drei Männer schwiegen. Auf dem über fünfzig Tage langen Flug aus den Raumtiefen hatten sie sich alles gesagt, und seit vielen Zeiteinheiten war kein richtiges Gespräch mehr zustande gekommen. Es war höchste Zeit, dass dieser Flug zu Ende ging und sie mehr zu tun bekamen als abwechselnd Kurs und Instrumente zu kontrollieren. Arn Borul nahm die letzte Kurskorrektur vor der Landung vor. Das Rechengehirn nahm ihm fast alle Arbeit ab, aber als er die Landekoordinaten auf dem Streifen las, den der Computer ausgespuckt hatte, schüttelte er unzufrieden den Kopf. Auf einem der Pole von Schedo wollte er nicht landen. Ele Veek schaute ihm zu, wie er die Landekoordinaten an das Bordgehirn weitergab. Er war ein Mann mit einem phantastischen Zahlengefühl, und er erkannte auf einen Blick, dass Borul der TIRA einen anderen Landeplatz gab.
„Warum die Nachtseite von Schedo, Arn?“ Der zuckte mit den Schultern. „Wenn ich das wüsste, Ele. Seit wir die Begegnung mit dem Fremdkörper hatten, den wir nicht identifizieren konnten, weil wir zu weit entfernt waren, und ich an den Empfang denke, werde ich ein Gefühl der Unruhe nicht mehr los. Liegt es daran, dass ich den Karten nicht so recht traue, die man uns mitgegeben hat?“ Ele, der Optimist, schlug Arn auf die Schulter. „Dann landest du nach Sicht. Es wäre ja nicht das erste Mal, und wir …“ Alle drei im Kommandoraum lauschten. Ein Geräusch, wie sie es noch nie in der TIRA gehört hatten, wurde lauter und lauter. Drei Männer beugten sich vor und ein jeder kontrollierte in seinem Bereich die Instrumente. Unverständliche Laute kamen über Arn Boruls Lippen. Veek und Zsal starrten ihn entgeistert an. „Wir brennen …!“ Die TIRA konnte nicht brennen! Die TIRA war aus Teraro! „Der Kher brennt!“, stieß Arn Borul hervor. „Der Kher!“ Und die TIRA hatte längst zur Landung angesetzt. Sieben Hodd von dreißig lagen schon hinter ihnen. In drei Hodd war von Schedo nur noch ein Teil zu sehen. Die helle Kugel schickte sich schon an, über den Rand des Bildschirmes hinauszuwachsen. „Das Bild wird schlechter …“ Arn hatte schreien müssen, um sich verständlich zu machen; denn in der TIRA wurde der Kher lauter und lauter; der brennende Kher. „Gol, das Notboot klar machen. In die Anzüge!“ Er hieb auf die Taste und versuchte, Verbindung mit Pare Mint zu bekommen. Pare Mint meldete sich nicht. „Arn, die Triebwerke arbeiten nicht mehr regelmäßig …“, schrie Ele Veek. Welche Rolle spielte das noch. Arn wusste, dass die TIRA verloren war, und wenn sie das Raumschiff nicht schnell genug verließen, dann gingen auch sie in dieser entfesselten atomaren Hölle unter. Genau das war dicht vor dem Ziel eingetreten. Keiner der Techniker und Ingenieure, von denen die TIRA erbaut worden war, hatte damit gerechnet.
Sie hatten auf die Zuverlässigkeit und Betriebssicherheit des Kher geschworen. Und nun fraß das verdammte Ding, das sie doch bis dicht vor Schedo gebracht hatte, die TIRA auf. Arn Borul verlor die Nerven nicht, als die Beleuchtung schlagartig ausfiel. Ein Zeichen, welche Zerstörungen der durchgehende Kher im Triebwerksraum schon angerichtet hatte. Wenn gleich noch die Schwerkraftausgleicher versagten, mussten sie bereits in ihren Raumanzügen strecken oder sie schwebten schwerkraftlos durch den Kommandoraum. Als der Strahl aus Gol Zsals Handlampe aufleuchtete, durchzuckte Arn Borul eine furchtbare Erkenntnis. Warum sollte er sie seinen Begleitern vorenthalten? „Wir kommen ja gar nicht mehr aus dem Kommandoraum heraus! Wir kommen nicht ans Notboot heran. Die beiden Schotten lassen sich doch nicht mehr öffnen …“ Der Kher wurde noch lauter, und die TIRA begann zu zittern. „Welchen Sinn hat es dann, den Raumanzug anzuziehen, Arn?“, rief Ele Veek, der seine Todesangst mit Schreien übertünchte. Borul kehrte den Kommandanten hervor. „In die Anzüge! Ob es Sinn hat oder nicht! Ele Veek, ich befehle dir: in den Raumanzug!“ Es war ein sinnloser Befehl. Alle wussten es. Der Schutz, den ihnen dieser Anzug mit dem Klarsichthelm und den Versorgungsaggregaten bot, verzögerte ihr Sterben um eine Winzigkeit. Gegen die Strahlengluten des Khers kam er nicht an. Knapp fünfzig Schritte von ihnen entfernt fraß der Kher die TIRA auf. Wie ein hungriges Ungeheuer. Wie eine gnadenlose, blutgierige Bestie. Im Licht von Zsals Handlampe sah Borul, wie Veek seinen Klarsichthelm schloss. Armer Pare, dachte Arn. Pare Mint musste gleich allein sterben; ganz allein, und das war nach moranischer Denkweise besonders schwer. Da fielen die Schwerkraftausgleicher aus, die Triebwerke konnten nicht mehr arbeiten. Fühlte er nicht den Andruck? Kaum hatte sich Arn in Gedanken die Frage gestellt, als er über seinen Helmfunk Zsal schreien hörte: „Andruck! Wir stürzen auf Schedo zu!“
Durch die Explosion des Kher mussten die Triebwerke der TIRA in ihrem letzten Arbeitsgang auf Vollgas gejagt worden sein; denn nach dem Zeitplan war es für den letzten Teil der Landephase viel zu früh. Doch welche Rolle spielte das noch? „Man wird lange auf uns warten …“ Ele Veeks Bemerkung blieb unbeantwortet im Raum stehen. Ja, man würde auf ihre Rückkehr so lange warten, bis auch der Hoffnungsvollste seinen Glauben daran verlor. Der Andruck steigerte sich. Kam der Kher noch dazu, sie aufzufressen, oder verschlang sie statt dessen Schedo, der helle Planet? Das Ende kam wie ein Blitz. Der Kher riss die TIRA in einer Explosion auseinander. Greller als dieser Energiestrahl, der das Schiff aus fernen Raumtiefen in abertausend Fetzen zerriss, konnte die hellste Sonne nicht sein. Als Arn Borul wieder zu sich kam, stürzte er sich überschlagend in die Tiefe. Ich lebe! Ich lebe! Zu einem anderen Gedanken war er nicht fähig. Sein Sturz schien endlos zu sein. Dann dachte er an die anderen; an Ele, Gol und Pare. Über seinen Helmfunk rief er sie und erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Keine Antwort. Im Empfang rauschte es gleichmäßig. Mir ist schlecht … Ich kann kein Glied rühren … Ich stürze ab … Ich … Ich habe den Gürtel ja nicht eingeschaltet! Den Gürtel! Wie er es schaffte, ihn trotz des wahnsinnigen Andrucks einzuschalten, wusste er selbst nicht. Im gleichen Moment bremsten unsichtbare Kräfte seinen Sturz. Er glaubte, das Blut würde seinen Kopf und seine Glieder sprengen. Den nächsten Atemzug tat er in tiefer Bewusstlosigkeit. Dann kam die Besinnung noch einmal zurück. Er hörte sich unvorstellbar laut schreien. Er fühlte, dass er auf seinen Knien stand und langsam vornüberfiel. Ganz langsam wie in Zeitlupe. Ich bin auf Schedo! Auf Schedo! Er ja, aber die anderen, diese zweitausendfünfhundert, die auf seine Rückkehr warteten? Diese Frage, die auf ihn eingestürmt war, riss einen Film auf – einen Film, der nur aus Gedanken,
Erinnerungen und Erlebnissen bestand. Und wie rasend schnell dieser Film vor seinem geistigen Auge ablief! * Ako Shen war Eskimo. Darauf bildete er sich nichts ein, aber dass er der Chef der Kontrollstelle T-456 geworden war, zwang ihn jedes Mal, wenn er daran dachte, sich selbst zu gratulieren. Ako Shen tat es eben wieder, und er verharrte einige Sekunden in Gedanken, als ihn der Heulton der Sirene vom Stuhl riss. Raumalarm! Seit drei Jahren und vier Monaten, seit er bei der Raum-Überwachung tätig war, hatte er auf diesen Moment gewartet, und nun war er da. Er wusste, was er zu tun hatte, und die erforderlichen Handgriffe erledigte er wie im Schlaf. Kontakt mit T-457 und T-458; die anderen kamen für diesen Fall nicht in Frage. Roten Knopf drücken; Blitzverbindung mit der Zentrale in Montreal. Alle Tele-Geräte auf maximale Leistung schalten. Kontrolle der drei Konverter, die mit dem Alarm angefahren worden waren. Ako Shens Schlitzaugen wurden noch schmaler. Er grinste zufrieden, nachdem er in seinem vollklimatisierten Dienstraum alle Instrumente überflogen hatte. Bei ihm gab es in dieser Nacht keine Panne. Hier lief alles wie am Schnürchen. Die vier 3-D-Bildschirme standen auch. Sie hinkten immer um einige Sekunden hinterher. Warum? Dafür hatte sich Ako Shen noch nie interessiert. Man hatte es ihm auch nie erklärt. Plötzlich waren seine Augen keine Schlitze mehr, sondern fast kugelrund. Im leeren Raum hoch über der Erde und mitten in der Nacht stand über Alaska eine fremde Sonne, die ihre Strahlen nach allen Seiten ausspuckte. Eine fürchterlich grelle, fast weiße Sonne, die Shen in den Augen brannte. Eine Sonne, die durch die Vergrößerung in ihrer ganzen Wildheit gezeigt wurde. Von der Feldmembrane sprangen Worte in den warmen Raum hinein, der bis auf den einzigen Stuhl nur mit Technik bestückt war. „Kontrollstellen der Serie T auf Satelliten Pi-78 und Epsilon-09 schalten. Ich wiederhole …“ Ako Shen hatte die beiden Handgriffe durchgeführt.
In Montreal musste jetzt eine Kontrollleuchte aufflackern, die bestätigte, dass er T-456 auf die Satelliten geschaltet hatte. Die fremde Sonne raste auf die Erde zu. Traf sie Alaska? Machte sie mit dem verdammten Eis und der Kälte endlich ein Ende? Montreal hatte weitergeschaltet und Blitzverbindung bis Mexiko und zum Ural hergestellt. Achtzehn Himmelsspione hatten auf Computerimpuls ihre normale Aufgabe eingestellt und befassten sich nur noch mit der fremden Sonne, die mit hoher Geschwindigkeit aus dem Raum auf den nördlichen Teil der Erdkugel zuraste. Das große Rechengehirn warf die ersten Ergebnisse aus: ‘Kein Satellit! Alle Umläufer befinden sich auf ihrer Position! Einwandfrei atomarer Ausbruch.’ „Eins unserer Raumschiffe!“, stieß Doc Ginger, Chef der Zentrale in Montreal, aus. „Großer Himmel, die schaffen es nicht mehr zu landen.“ Er riss den Kopf nach rechts und schnauzte seinen Assistenten an: „Rufen Sie doch endlich die Standorte der Schiffe ab, die sich zu dieser Zeit im erdnahen Raum befinden. Wie lange soll ich darauf noch warten?“ Der riss seinen Blick vom Bildschirm los, auf dem sich ein Raumschiff als Sonne in rasender Fahrt der Erde näherte. Wenn es seinen Kurs beibehielt, musste es am Großen Sklavensee niederkommen. Wenn … Innerhalb von Sekunden gab der Großcomputer die Standorte aller Schiffe bekannt, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe im erdnahen Raum befunden hatten. Da meldete sich die T-Kontrollstelle 456, Leiter Ako Shen. „Beide Satelliten haben den Standort des Schiffes berechnet …“ Die Koordinaten liefen schon in Montreal ein. Auf den ersten Blick erkannte Ginger, dass das im Atomfeuer glühende Schiff weit außerhalb aller normalen Flugbahnen lag. Im nächsten Moment machte er über das Rechengehirn die Gegenkontrolle und starrte dann verblüfft auf den Streifen mit den Schlüsselzeichen, die er wie Klartext las. „Zum Teufel, welches Raumschiff brennt denn da oben?“, stieß er aus; er wurde abgelenkt und nahm vom Space Center die Meldung
entgegen, dass sich zurzeit kein Schiff der Raumfahrtindustrie in diesem Sektor befände. Das ließ das Rätsel noch größer erscheinen. „In zehn Minuten schlagen sie auf, wenn sie nicht vorher in der Atmosphäre verbrannt …“ Doch Ginger ging sein Assistent auf die Nerven, aber bevor er ihm ins Wort fallen konnte, klang es aus der Feldmembrane: „Unbekanntes, brennendes Raumschiff – leichte Diskusform mit wahrscheinlich angeflanschten Triebwerken … so genau kann man das nicht erkennen, Maße etwa fünfzehn Meter hoch und knapp fünfundfünfzig Meter Durchmesser – hat in den letzten drei Sekunden Geschwindigkeit stark erhöht. Mit der Möglichkeit, dass es explodieren wird, ist zu rechnen.“ Montreal konnte nichts anderes tun als beobachten. Der Großcomputer schaltete automatisch vier Hettbänder dazu, um mit den einlaufenden Meldungen und Daten fertig zu werden. Das Flackern der Kontrollleuchten an seinen beiden Instrumentenkonsolen hatte einen hektischen Rhythmus angenommen. Am Nachthimmel über dem nördlichen Amerika war der brennende Sarg jetzt mit bloßem Auge zu erkennen. Hunderttausende waren nach der TV-Nachricht über die Katastrophe nach draußen geeilt und verfolgten atemlos die Sonne, die der Erde zuraste. In Minuten musste alles zu Ende sein. Leben konnte es in dem Schiff nicht mehr geben, das, wie aus den Nachrichten zu entnehmen war, auf Funkrufe nicht geantwortet hatte. Plötzlich blähte sich der grelle Punkt auf. Ein paar Blitze schossen in den Raum, und dann gab es nur noch den Nachthimmel mit seinen fernen Sternen. Als es über Nordamerika Morgen wurde, hatte die Welt ihre Sensation. Kein irdisches Raumschiff war über Terra verglüht; kein Satellit war aus der Bahn geraten und abgestürzt. Es gab nur eine Antwort auf diese Frage: Besuch aus den Tiefen des Raumes! Fremde, die kurz vor der Landung Opfer einer Katastrophe geworden waren, die sich in ihrem Schiff abgespielt hatte! An einen Meteoriten zu denken, war Unsinn. Die Spektrallinien wiesen eindeutig auf einen atomaren Ausbruch hin, sie zeigten aber auch ein Novum: Im zweiten Drittel der phi-Linien tauchte neben
dem Cargonit ein Element auf, das auf Terra unbekannt war. Es blieb der Öffentlichkeit unbekannt, dass mehr als achtzig Gleiter mit Spezialausrüstung das riesige Gebiet um den Sklavensee nach Trümmern des verunglückten Raumschiffes absuchten. Ako Shen in T-456 war stolz auf seine fehlerlose Leistung und gratulierte sich wieder einmal, bevor er vom Spiegel zurücktrat, um sich schlafen zu legen. * Die Feier war schlicht. Peet Orell hatte es so gewünscht, und sein Wunsch wurde erfüllt. Hätte ein normaler Erdenbürger diese schlichte Feier bezahlen müssen, sein Jahresgehalt wäre restlos draufgegangen, und es wäre wahrscheinlich noch ein Berg Schulden übrig geblieben. Peet Orell gehörte nicht zu den normalen Bürgern, weil er so klug gewesen war, sich den richtigen Vater auszusuchen; und der hieß Harry T. Orell, Chef und Besitzer der HTO-Corporation, des größten Konzerns der Welt, der Raumschiffe baute. Der grauhaarige Riese, dem man seine 62 Lebensjahre nicht ansah, hatte die Corporation in einem Menschenalter zu diesem Riesenkonzern werden lassen und dabei darauf geachtet, dass sein Aktienbesitz nie unter einen bestimmten Prozentsatz glitt. Vierundachtzig Prozent der Aktien lagen in seinen Händen; innerhalb der Corporation hatte ihm niemand in die Arbeit hineinzureden, und es gab auch keinen Menschen, der dies wagte. Auch sein Sohn nicht, der eines Tages diesen Trust erben würde. Um die Corporation brauchte Harry T. Orell nicht zu fürchten; denn sein Sohn Peet war ebenso dynamisch und entscheidungsfreudig wie er. Noch mehr. Peet war Fachmann auf Gebieten, die ihm immer fremd geblieben waren, und in der schlichten Feier sollte die Große Lizenz, die er gestern in der Abschlussprüfung erworben hatte, gefeiert werden. Er machte kein Aufhebens davon, Examina in Kybernetik, Raumschiffbau, Astronavigation, Raumfunk, Ortungskunde und Astronomie abgelegt zu haben. Nur seine besten Freunde wussten davon, und nun hatte er auch noch das Patent in der
Tasche, von dem Abermillionen abenteuerlustiger Männer und Frauen träumten. Der strohblonde Peet Orell durfte auch den größten Raumer fliegen und Harry T. Orells Sohn mit dem Aussehen eines Wikingers hätte im Kommandoraum eine gute Figur abgegeben. Er prostete Vivien Raid zu, und man hätte beide für ein Liebespaar halten können; denn Peet sah seinem attraktiven, braunhäutigen, schwarz- und langhaarigen Gegenüber lange und tief in die weich schimmernden Augen, die einen leichten Grünton besaßen. Die kostbare LillomBluse mit dem passenden Ster-Rock kleideten sie wie eine zweite Haut, und die Bluse verriet, dass Vivien auch zu dieser Feier mal wieder keinen Büstenhalter trug. Sie konnte diese Dinger nicht ausstehen; viel lieber waren ihr elegante Maßanfertigungen die zugleich sexy wirkten. Vivien war nur Peets Freundin seit Jugendzeit. Man sah der langbeinigen Schönheit die hochgradige technische Begabung nicht an, ebenso nicht ihre notorische Faulheit. Sie hatte ein halbes Dutzend Disziplinen auf mehreren Colleges belegt, doch keine einzige mit einem Examen abgeschlossen. Als sie auf Peets tiefen Blick hin ein Lächeln zeigte, wurden ihre Lippen, die von Natur aus etwas breit geraten waren, noch breiter, aber sie gaben ihrem ovalen Gesicht einen Akzent, der sie noch bezaubernder erscheinen ließ. Und sie wusste, wie sie auf viele Männer wirkte; nur nicht auf Peet und seinen Freund Jörn Callaghan, der sich gerade mit Harry T. Orell unterhielt und auf die beiden nicht achtete. „Sir“, sagte Jörn Callaghan wenig begeistert, „ob ich will oder nicht, auf Peets Große Lizenz muss ich nun meinen Trinkspruch anbringen. Na, dann will ich mal …“ Das Schicksal griff ein, und Jörn Callaghan konnte sich seinen Trinkspruch für die nächste Feier aufsparen. Die Gäste und der Gastgeber schreckten auf, als aus dem Lautsprecher klang: „An Bord eines unbekannten Raumschiffes ist ein Atombrand ausgebrochen. Vorausberechnete Absturzstelle im Gebiet des Großen Sklavensees. Objekt ist mit freiem Auge am Himmel zu erkennen.“ Etwas Erregenderes konnte Peet Orell, Vivien Raid und Jörn Callaghan – alle drei gleich stark raumsüchtig – nicht treffen. Bevor die anderen Gäste sich von ihrer Überraschung erholt hatten,
befanden sich die drei schon auf der großen Terrasse und suchten den Himmel nach dem Unglücksschiff ab. „Da!“, stieß Jörn aus und deutete in Richtung des Großen Wagens. „Da ist es!“ Der grellstrahlende Punkt am Nachthimmel, der aus nördlicher Richtung der Erde zujagte, war nicht zu übersehen. „Ob darin noch jemand lebt?“, fragte Vivien Raid bestürzt. „Jetzt vielleicht noch, wenn der Atombrand nicht sofort das ganze Schiff ergriffen hat. Aber wenn sie in die Luftschichten kommen …“ Den Rest sprach er nicht mehr aus. Seine Freunde verstanden ihn auch so. Peet Orells Gäste scharten sich um sie. Jeder blickte unverwandt nach oben und niemand bemerkte, dass Peet seinem Freund ein Zeichen gab und dass beide sich entfernten. Peets Bungalow lag gut hundert Meter abseits. Sie durcheilten die beiden fürstlich eingerichteten Wohnräume, jagten die breite Treppe hinauf, eine Tür wurde aufgestoßen und dann saßen die beiden Männern schon in den Schwenksesseln vor einer Wand aus Instrumenten und Schaltern. Hastig blätterte Peet in einer Liste. „Welcher Satellit kann da in Frage kommen? Gamma-17 vielleicht? Nein, ich glaube Pi-78 ist näher. Jörn, versuch ihn anzuzapfen, damit wir von dem Schiff eine Ortsbestimmung machen können. Ich übernehme die Spektralanalyse. Okay?“ Der braunhaarige Mann mit den eisgrauen Augen, der Ruhe und Zurückhaltung ausstrahlte, nickte. Worte waren zwischen ihnen oft überflüssig. Seitdem sie sich bei Peets letztem Studium auf dem College kennen gelernt hatten, waren sie unzertrennliche Freunde geworden, und Jörns Verhältnis zu Vivien war das gleiche wie das von Peet zu der schwarzhaarigen Frau. Wenn die Überwachung dahinter kam, dass sie einen Satelliten anzapften, gab es wieder einmal Ärger; darum ging Jörn Callaghan mit größter Vorsicht zu Werke und schickte erst einmal einen Taststrahl über die Richtantenne, der von anderen Stationen kaum zu identifizieren war. „Ich hab’ ihn, Peet …“ Der starrte die Scheibe eines Oszillos an, die von innen heraus blau leuchtete und über die eigentümlich geformte Kurven wanderten. Auf einem zweiten Schirm rechts daneben kamen und verschwanden
Spektrallinien in den Farben des Regenbogens, und drei gekoppelte Kameras hielten farbecht diese Linien fest. „Aus! Explodiert!“, stieß Peet hervor, als Kurven und Spektrallinien im gleichen Moment verschwanden. Jörn lehnte sich zurück und schaltete das Ortungsgerät aus. „Zu früh für mich. Ich hatte erst zwei Werte hereingeholt. Na, für die da oben ist es jetzt zu Ende. Wie viele Menschen mögen da wieder umgekommen sein?“ Er wunderte sich, von Peet keine Antwort zu erhalten, drehte sich nach ihm um und entdeckte, dass der einen Film im Blitz-FixVerfahren durch den Projektor laufen ließ, und ihn schon nach kurzer Zeit stoppte, etwas zurückspulte, um dann auf Einzelbild zu schalten. „Da hatte ich doch richtig gesehen. Jörn, was ist das? Da, neben den Linien für Cargonit? Hm … phi-Linien. Hast du so etwas schon mal gesehen?“ Die glatten Brauen über Callaghans eisgrauen Augen erhielten kleine Falten, ebenso seine Stirn. „Hast du Vergleichsmaterial zur Hand?“ Peet hatte. Sie verglichen. Sie suchten und verglichen wieder und suchten erneut, um sich beide gleichzeitig fragend anzusehen. „Ein unbekanntes Element, Peet. Wenn es sich nicht in den phiLinien gezeigt hätte, wäre ich nicht so sicher. Neben dem CargonitSpektrum sticht es auffallend hervor.“ „Darum bin ich ja darüber gestolpert. Vielleicht hören wir morgen mehr darüber. Jörn, hast du Lust, schon wieder zurückzugehen?“ „Um meinen Trinkspruch loszuwerden? Rück’ eine Flasche ‘raus, und wir bleiben noch ein bisschen.“ Unter vier Augen benötigten sie keine Gläser, und aus der Flasche zu trinken, hatten sie lange genug geübt, um es perfekt zu können. „Was machst du denn jetzt?“, fragte Jörn, der die Beine auf dem Schaltpult liegen hatte und sich an der Flasche festhielt. „Ich habe den Massen-Sucher aufgeheizt. Vielleicht haben wir Glück und erwischen ein Trümmerstück des explodierten Kahns. Weit sind wir ja nicht vom Großen Sklavensee entfernt.“ „Nur zweihundertsieben Kilometer. Welche Antenne hast du eingesetzt?“
„Die Parabol …“ Dann hielt Peet sich an der Flasche fest. Die richtige Unterlage hatten sie sich mit dem vorzüglichen Essen verschafft. Der Alkohol konnte ihnen so schnell nichts anhaben. Als Peet einen Blick auf sein Chrono warf, stellte er erstaunt fest, dass sie schon über zwanzig Minuten in seiner Messbude saßen, die diesen Namen nicht verdient hatte; denn hier war für mehrere Millionen installiert worden. „Jetzt müssen wir aber …“ Da schlug das Haupt-Instrument des Massen-Suchers im PlusBereich aus. Der Sucher hatte ein Trümmerstück des explodierten Raumers erfasst. Es befand sich noch im Absturz. Peet und Jörn hatten die Gäste vergessen. Sie versuchten, die Aufschlagstelle zu bestimmen. Jörn Callaghan blieb ruhig; Peet war das Gegenteil davon, aber trotzdem nicht nervös. Er kaute an seinem Stift herum, beobachtete zwischendurch die Instrumente des Massen-Suchers und hielt sich plötzlich am linken Arm seines Freundes fest. „Aufgeschlagen, aber unheimlich langsam. Das begreife ich nicht. Als ob der Brocken sich selbst abgebremst hätte. Ich …“ Jörn jagte eine Reihe von Daten durch den kleinen Computer und schüttelte Peets Hand ab. „Sei mal einen Augenblick still.“ Das Rechengehirn arbeitete prompt und gab mit plus-minus dreihundert Metern die Aufschlagstelle an. „Vierzehn Kilometer von hier, Peet. Nordnordost. Da haben wir nur Wald. Das gibt morgen früh eine Sucherei …“ „Morgen? Gleich! Ab, Jörn …“ Er war schon an der Tür. „Ohne Massen-Sucher, Peet?“ Callaghans Frage stoppte den Draufgänger, aber dann bewies er sein technisches Geschick, als er mit einigen Handgriffen seinen Massen-Sucher ausbaute und auf beiden Armen die Treppe hinuntertrug. Niemand sah sie an der Terrasse vorbei zum Gleiter-Parkroom eilen. Lautlos fiel die Tür ins Schloss. Peet stellte den Kurs ein; vom Antigrav-Feld auf Nullgewicht gebracht, hatte das Triebwerk leichtes Spiel mit dem Gleiter. Der Wald tauchte vor ihnen auf. Sie sahen die Baumwipfel über Infrarot. Das neuartige UV-Verfahren wollten sie nicht benutzen. Man konnte es leicht orten, weil die
Ausstrahlung eigenartigerweise auf jedem Ortungsschirm als zerquetschte Doppel-Amplitude sichtbar wurde. Sie schwiegen, weil einer dem anderen nicht sagen wollte, wie gespannt er war. Was würden sie finden? Warum machten sie sich überhaupt diese Mühe? Warum waren sie nicht bei ihren Gästen geblieben? Peet Orell durchbrach das Schweigen. „Jörn, mir gehen die unbekannten Spektrallinien nicht aus dem Kopf.“ „Mir auch nicht. Ich denke die ganze Zeit daran.“ „Und was werden wir finden?“ Wieder breitete sich Schweigen aus. Peet Orell schaltete den Massen-Sucher ein, dessen Justierung er nicht verändert hatte. Das Gerät sprach jetzt nur auf den Körper an, den es an seiner Absturzstelle erfasst hatte. Jörn Callaghan sah sein Kopfschütteln. „Findet der Sucher das Trümmerstück nicht, Peet?“ „Hat er schon. Was mir zu denken gibt, Jörn – der Brocken, den wir geortet haben, ist kurz vor dem Aufschlag abgebremst worden. Verstehst du das?“ „In ein paar Minuten wissen wir es. Wir sind noch zwei Kilometer von der Aufschlagstelle entfernt.“ Er drosselte die Geschwindigkeit des Gleiters und beobachtete dabei die Bildwiedergabe. Ein Meer aus Baumwipfeln lag unter ihnen. „Um zwei Grad nördlicher, Jörn.“ Der Mann, der kompakter als sein Freund gebaut war, nahm die Kursänderung vor. „Immer noch nicht erkennbar, was du erfasst hast?“ „Nein … Da, eine Lichtung! Gehen wir ‘runter?“ Weich setzte der Gleiter auf; Triebwerk wie Antigrav-Feld schalteten sich ab. Jörn Callaghan stieß die Tür auf und sprang hinaus in die Nacht. Peet Orell folgte ihm mit dem Massen-Sucher auf dem Arm. Unter dem dichten Blätterdach konnten sie es sich erlauben, den Handscheinwerfer einzusetzen. Das Unterholz stand dicht, und nur langsam kamen die beiden Männer vorwärts. Ein großer Tümpel mit seinem morastigen Untergrund zwang sie zu einem Umweg. Jörn Callaghan ging mit der Stablampe in der Hand voraus. „Wir müssen bald die Aufschlagstelle erreicht haben, Jörn.“
Der blieb im gleichen Moment wie angewurzelt stehen. Peet Orell blickte ihm über die Schulter und hielt verblüfft den Atem an. Der gebündelte Lichtstrahl beleuchtete einen Menschen in einem ungewöhnlichen Raumanzug. Gekrümmt wie ein Fragezeichen lag der Unbekannte da. „Hast du schon mal so einen Raumanzug gesehen, Peet?“, fragte Callaghan, und seine Stimme vibrierte. Der Lichtstrahl wanderte darüber hinweg, verhielt am Helm, der überall schwarzgrau verschmiert war, als ob er hohen Hitzegraden ausgesetzt gewesen wäre. Ruckartig setzte Peet Orell sein Gerät ab, kniete sich neben den Mann im fremden Raumanzug und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, den Raumhelm zu öffnen. „Jörn, hilf mir doch …“ Der kniete nun an der anderen Seite, hatte den Lichtstrahl auf den Raumhelm gerichtet und durch eine winzige, nicht verschmierte Stelle traf er auf das linke Auge des Unbekannten. Der ruhige und zurückhaltende Mann zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als er dieses Auge in grüner Schockfarbe leuchten sah. „Mein Gott! Peet! Da!“ Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten hielt Orell den Atem an. Menschen mit solchen Augen gab es nicht! Aber hier lag einer vor ihnen – ein Mann mit einer Augenfarbe, die schockgrün war. Und schräg standen die Augen, sie erinnerten in ihrer Stellung dennoch nicht an Menschen mongolischen Typs. Was Peet gerade gedacht hatte, konnte nicht den Tatsachen entsprechen. Ein Mensch von einer anderen Welt war auf die Erde gekommen? „Jörn, er lebt … er atmet.“ Durch den nächtlichen, stillen Wald gellte der Schrei. „Verdammt, wie kriege ich den Raumhelm herunter …?“ Jörn Callaghan musste die gleichen Überlegungen wie sein Freund angestellt haben. „Und wenn er kein Sauerstoffatmer ist, Peet?“ Der drehte sich ruckartig um. „Dann …“ „Ja, wir müssen ihn zum Gleiter tragen und ins nächste Hospital fliegen. Mein Gott, ein fremdes Raumschiff fliegt die Erde an, und dicht vor dem Ziel geschieht an Bord eine Katastrophe …“
Der Kegel seines Lichtstrahls war gewandert und beleuchtete den eigenartigen Gürtel, den der Fremde von einer anderen Welt über seinen Raumanzug trug. Callaghan, der Mann mit den erstklassigen wissenschaftlichen Kenntnissen, war dennoch ein Techniker geblieben, und er hütete sich, an den drei auffallend farbigen Reglern, die sich in der Mitte des Gürtels befanden, etwas zu ändern. Hinter Peet Orells Stirn arbeitete es. „Wir fliegen ihn nicht ins nächste Hospital, Jörn. Wir fliegen ihn in unsere Werksklinik.“ Er schob beide Arme unter den Fremden, um im nächsten Augenblick einen Pfiff auszustoßen. Der Fremde wog so gut wie nichts! Beide begriffen, was den Absturz in der letzten Phase in ein Herabschweben verwandelt hatte. „Was hast du eigentlich vor, Peet?“, fragte Callaghan, als sie im Gleiter auf die Werksklinik der HTO-Corporation zurasten. „Willst du der Welt verschweigen, dass Terra Besuch von einem Außerirdischen bekommen hat?“ Der andere zögerte nicht, die Frage zu beantworten. „Vorrangig ist, dass dieser Fremde unter ärztliche Kontrolle kommt. Alles andere ergibt sich danach.“ „Hoffentlich bringen die Ärzte ihn durch. Mein Gott, da haben wir vergeblich in unserem Sonnensystem nach Intelligenzen gesucht und haben nun ein Wesen von einem anderen Stern auf der Erde.“ Der ruhige Jörn Callaghan berauschte sich an dieser Tatsache und vergaß darüber, seine geliebte Pfeife zu stopfen, die er unverwandt in der Hand hielt. Peet lehnte sich zurück. Soeben hatte er seinen Vater unterrichtet und Vivien gebeten, doch die Gäste zu unterhalten und sich eine glaubwürdige Erklärung auszudenken, warum sie plötzlich verschwunden waren. Als die beleuchteten, gigantischen Werfthallen der HTO auftauchten, standen in der Klinik die Ärzte schon bereit. Harry T. Orell, der fast ein Meter neunzig große und neunzig Kilo schwere Riese, hatte mit seinen Blitzorders dafür gesorgt, dass über die Einlieferung einer humanoiden Intelligenz aus einem anderen Sternensystem absolutes Stillschweigen bewahrt wurde. *
Wie in einem Film zog Arn Boruls Leben noch einmal an ihm vorbei, während sein Körper mit der heranschleichenden Bewusstlosigkeit kämpfte. Auf zwei Bahnen dachte er, aber die zweite, die ihn wissen ließ, dass er als Schiffbrüchiger sein Ziel erreicht hatte, war schwach und brach nach kurzer Zeit ab. Er glaubte, wieder auf Moran, seiner Heimatwelt, zu sein, und über dem zerstörten Planeten stand Kyl, die blaue Sonne. Sogar die Atmosphäre hatten die Ungeheuer aus dem Raum vergiftet. Sie war nicht mehr atembar. Sie hatte den letzten Halm, der dem Feuerschlag entgangen war, absterben lassen. Moran – Kyl – und Junici. Deutlich sah er ihr liebreizendes Gesicht und ihre silberglänzenden langen Haare, die er so gern gestreichelt hatte. ‘Junici!’ wollte er rufen, aber über seine Lippen kam kein Ton. Die Bewusstlosigkeit hatte ihn erreicht und von ihm Besitz ergriffen. Auf einem fremden Planeten, den die Moraner Schedo nannten, lag Arn Borul, der einzige, der sich durch ein unerklärliches Geschick der Katastrophe an Bord der TIRA hatte entziehen können – er war besinnungslos. Wie lange seine Bewusstlosigkeit gedauert hatte, konnte er nicht mehr bestimmen. Er fühlte sich aufgehoben und davongetragen. Mehr nahm er nicht wahr. Er befand sich wieder auf Moran, der toten Welt. Sie war einmal ein Paradies im Reigen der Sauerstoffplaneten gewesen und Mittelpunkt des moranischen Sternenreiches. Niemand hatte mit einem Überfall aus dem Raum gerechnet; denn es gab keine Intelligenzen, die sich mit ihnen messen konnten. Aber eines Tages tauchten die Ungeheuer mit ihren gigantischen schwarzen Raumschiffen über Moran auf, und ohne jede Warnung eröffneten sie nicht nur ein mörderisches Strahlfeuer, sie schickten auch gesteuerte Bomben nach unten und legten binnen weniger Zeiteinheiten einen Flammenteppich über die blühende Welt mit ihren herrlichen Städten und Siedlungen. Arn Borul war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren. Er kannte das alles nur vom Hörensagen, aber die Berichte waren schrecklich genug.
Der Film, der vor seinem geistigen Augen ablief, raste weiter. Ihm wurde in seinem Dahindämmern gar nicht bewusst, wie schnell die Szenen wechselten. Thosro Ghinu tauchte vor ihm auf – der große Ghinu. Ohne ihn hätte es auf Moran keine Überlebenden gegeben. Es war eine Handvoll. Etwas über zweitausendfünfhundert von den 4,8 Milliarden, die unter der blauen Sonne Kyl ein herrliches, ruhiges Leben geführt hatten. Ghinu, der Alte. Ghinu, der Einpeitscher, der Tyrann! Ghinu, der unzerstörbare Fels im Meer der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ein Mann, einem Roboter gleich. Der Mann, der mit der Strahlenwaffe achtzehn Meuterer erschossen hatte, als diese den Rat der Alten beseitigen wollten. Ghinu! schrien Arn Boruls Gedanken, und sie waren voller Hass. Er bewunderte und hasste ihn zugleich, aber er konnte den Alten nicht lieben, der ihn großgezogen hatte, nachdem seine Eltern sich kurz nach seiner Geburt in einem Anfall schwerster Depressionen das Leben genommen hatten. Und neben seinen Eltern, die er nie kennen gelernt hatte, gab es noch viele andere, die in dem hermetisch verschlossenen Höhlensystem unter den Paily-Bergen aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung Hand an sich gelegt hatten. Worauf sollten sie hoffen? Seit Ewigkeiten hatten die großen Empfänger geschwiegen. Das Rauschen der Statik wurde zur Höllenqual. Kein einziger Funkruf in die Weiten des Alls fand Antwort. Sie waren allein, dieser winzige Haufen verzweifelter Moraner, denen der harte Thosro Ghinu einredete, dass es doch noch Hoffnung und Rettung gab. Aus all den Planeten, die ihre Vorfahren auf ihren Reisen durchs All katalogisiert hatten, hatte sich Ghinu auf einen bestimmten festgelegt – Schedo. Er sagte Arn nie, weshalb gerade auf diesen einen. Immer und immer wieder sprach er vom hellen Planeten Schedo, und immer und immer wieder ließ er jenen Film ablaufen, den vor rund sechzigtausend Gör ihre Ahnen auf Schedo aufgenommen hatten. „Was wir benötigen, ist ein Sternenschiff. Eins, das die Abgründe aus Zeit und Raum überspringt!“
Thosro Ghinu war einer der wenigen Spitzenwissenschaftler gewesen, die vor der Zerstörung auf Moran noch Forschung betrieben hatten. Man gewährte es ihm unter mitleidigem Lächeln, und großzügig wurden seine Wünsche und Forderungen erfüllt. Wer wollte denn zwischen den Bergriesen des Paily-Massivs schon leben, wo es außer Regen, Sturm und Eis nur nackte Felsen gab? Und wer wollte zwischen kalten Wänden arbeiten, immer mit dem Gedanken, die Berge darüber könnten eines Tages einstürzen und Low, die Forschungsstätte, zu einem Massengrab werden lassen? Er, Arn, war im dritten Gör nach der Katastrophe geboren worden. Zu dieser Zeit hatten sich dreitausend Moraner im Low befunden, doch dann war die größte der vier Selbstmordwellen gekommen, und innerhalb von neun Gör sank die Kopfzahl auf etwas mehr als zweitausendeinhundert. Der einzige, der nicht verzweifelte und nicht hoffnungslos wurde, war Thosro Ghinu. Er hatte sich Arn Boruls angenommen, des kleinen, elternlosen Jungen, aber nicht als Vater und nicht als Freund. Als gnadenloser Lehrer! Ghinu hatte erkannt, welche Fähigkeiten in dem Jungen schlummerten. Er wollte sie wecken und mit dem oktroyierten Wissen wachsen lassen. Ghinu! dachte Arn Borul wieder im Unterbewusstsein und hatte nicht wahrgenommen, dass er in einem fremden Fahrzeug lag und zu einem neuen Ziel geflogen wurde. Er hatte keine Jugend gehabt. Er hatte nur alte Frauen und Männer um sich, die einander in seiner Unterrichtung ablösten. Man versuchte, ihn zu einem Wunderkind zu machen, und sie waren sprachlos, als er eines Tages aus diesem unsichtbaren Gefängnis ausbrach, ins Labor VI stürmte, um dort wie ein Vandale zu hausen. Als der Alarm die anderen auf den Plan rief, hatte er den größten Teil der Einrichtung in einem unbeschreiblichen Wutanfall zerstört. Von diesem Zeitpunkt an war sein Verhältnis zu Thosro Ghinu noch frostiger geworden, aber sein Gefühlsausbruch hatte dennoch etwas Gutes gehabt – Ghinu ließ die Zügel, an denen er Arn Borul führte, ein wenig schleifen.
Dann geschah bei einem Außenunternehmen ein Unglück, bei dem Junicis Vater unter ausgebrannten Trümmern begraben wurde, als er Metalle für das Raumschiff suchte, das langsam seiner Vollendung entgegenging. Arn schuftete bis zur Erschöpfung, brach bei den Bergungsarbeiten dreimal zusammen, und als alle anderen schon die Hoffnung aufgegeben hatten, den Verunglückten zu bergen, holte er ihn in einem lebensgefährlichen Einsatz heraus. Thosro Ghinu hatte für seine Tat nur eine kurze Bemerkung übrig: „Du hast jetzt selbst erlebt, dass man nie aufgeben darf.“ Beide fanden auch nicht zusammen, als Arn als Kommandant der TIRA ausgebildet wurde. Die Kindheitserinnerungen überschatteten alles. Arn Borul war nicht einmal stolz darauf, in manchen Disziplinen alten Experten überlegen zu sein. Als die große Schleuse fertig war, durch die die TIRA in die vergiftete Atmosphäre hinausgeschafft werden konnte, stand auch das Raumschiff vor seiner Vollendung und wurde zum ersten Probestart klargemacht. Drei Probeflüge wurden absolviert, dann starteten sie, um den hellen Planeten Schedo zu suchen. Die Koordinaten dieses Planeten lagen seltsamerweise nicht komplett vor; deshalb, und um einige andere Planeten auf ihre Lebensbedingungen zu überprüfen, suchte die Besatzung der TIRA in einem vorher genau besprochenen Gebiet. Und wieder glaubte Arn Borul, seine Geliebte zu sehen: Junici. Und sie weinte. Sie hatte ihn umschlungen und schluchzte an seiner Brust: „Du kommst nicht zurück. Ihr alle nicht. Ich fühle es, Arn.“ Sie hatte Recht behalten. Sie – Ele Veek, Pare Mint, Gol Zsal und er – sie kamen nicht mehr nach Moran zurück … ‘Zurück’ – und es hallte wie ein Echo in ihm. ‘Niemals zurück …!’ Und wieder schleuderte ihn tiefe Bewusstlosigkeit in einen unendlichen Abgrund. *
Der Fremde lag auf dem OP-Tisch der HTO-Werksklinik. Er war immer noch in seinen von Flammengluten angefressenen Raumanzug gehüllt, weil niemand den Klarsichthelm öffnen konnte, der diesen Ausdruck wirklich nicht mehr verdiente, denn bis auf eine winzige Stelle war er grauschwarz verschmiert. Peet Orell und Jörn Callaghan hielten sich im Hintergrund und beobachteten, wie zwei Medotechniker mit einem Elektronenbrenner versuchten, ein Loch in den Anzug des Fremden zu schneiden, um die Möglichkeit zu einer Analyse der Atemluft zu enthalten. Ein dritter Mann stand plötzlich neben ihnen – Peets Vater, der Chef der HTO-Corporation. Flüsternd unterrichtete Peet ihn. „Zwei oder dreimal auf dem Rückflug nach hier glaubten wir, er sei zur Besinnung gekommen, aber …“ Achselzuckend verstummte er. „Er schafft es!“, stieß Jörn Callaghan hervor, und sie sahen, wie der Techniker den Elektronenbrenner abschaltete, zur Seite legte, das in den Raumanzug gebrannte Loch mit dem Daumen verstopfte, um eine Plastikleitung mit einem Saugmundstück anzulegen. Das Resultat der ersten Schnellanalyse ließ hoffen: Die Zusammensetzung der Atemluft war fast identisch mit der Terras, nur die Edelgase waren in gehobenen Werten vertreten, und Argon schien darin zu fehlen. Chefarzt Hellbrook winkte Peet Orell herbei. „Wollen Sie es nicht doch noch einmal versuchen, Mr. Orell?“, und er deutete auf den verschmierten Helm des Fremden. Peet machte sich nichts vor, als er neben den OP-Tisch trat und nun zum x-ten Mal versuchte, den Raumhelm zu öffnen. „Einwandfrei Sauerstoff-Atmer.“ Es war erstaunlich, dass dieser Druckwert dem der von Menschen getragenen Raumanzüge glich. Darin schwankte der Druck zwischen 0,6 bis 0,7. „Ich …“ ‘Ich schaffe es nicht’, hatte Peet Orell sagen wollen und war sprachlos, wie leicht sich der Raumhelm nach einer winzigen Druckbewegung nach links unten zurückklappen ließ. Sieben Terraner standen dem ersten Humanoiden aus einem anderen Sonnensystem gegenüber. Zum Gaffen hatten die Mediziner keine Zeit.
„‘runter mit dem Ding! … Verdammt, geht es nicht schneller? Kidd, können Sie Puls feststellen?“ Doc Hellbrook drängte. Er wusste, dass nun Sekunden entscheiden konnten. Ihm und seinem Team durfte jetzt kein Kunstfehler unterlaufen und der Fremde unter den Händen sterben. Die Erde mit ihren Milliarden Menschen würde es ihnen nie verzeihen. „Wo hat er denn nur die Halsschlagader?“, knurrte Kidd hinter seinem Mundschutz. Noch half Peet Orell mit, den Unbekannten zu entkleiden. Leichter als gedacht ließ sich der Raumanzug abstreifen. Der breite Gürtel darüber schwebte gewichtslos im Raum und trieb langsam davon. Niemand sah ihm nach. „Schneller, Gentlemen! Kidd, haben Sie den Puls immer noch nicht gefunden?“ „Gerade … Hoffentlich ist das bei dem normal, sonst …“ Doch Hellbrook hatte seine Entscheidung schon getroffen. Nachdem feststand, dass der Unbekannte aus einer anderen Welt Sauerstoffatmer war, konnte er auch den Einsatz des Herzschrittmachers verantworten. „Her damit! … Und geben Sie ihm noch mehr Sauerstoff, Ben.“ Er hatten den Schrittmacher angesetzt und ging mit der Schlagfrequenz behutsam höher. Der Unbekannte verlor das letzte Kleidungsstück und lag nun nackt auf dem OP-Tisch. „Wie ein Mensch …“, stellte einer der Ärzte ungläubig fest. „Abwarten!“, orakelte Hellbrook. „Keine Brüche der Extremitäten?“ „Puls kommt …“ „Atmung wird intensiver …“ Der Sauerstoff zischte. Vom Schrittmacher war nichts zu hören. Die indirekte Beleuchtung ließ keine Schatten aufkommen. Der Augenspezialist zuckte zurück, als er das linke Lid des Bewusstlosen anhob und mit dem Schockgrün konfrontiert wurde. „Mein Gott, was ist denn das?“ Vielsagend sahen Peet und Jörn sich an. Ihre Erregung zeigten sie nicht. „Hellbrook, keine Brüche und – wie es im Moment aussieht – keine inneren Verletzungen festzustellen.“ Die Armvene war gefunden, dem Fremden mittels einer Vakuumspritze Blut entnommen worden.
„Das ist wenigstens rot“, stieß der Augenexperte aus, der mit der Bemerkung zurückgetreten war: „Bei seinen Augen stehe ich vor einem Rätsel.“ Seine Kollegen achteten nicht darauf. „Gehirnströme werden stärker …“ Da machte sich auch Harry T. Orell, der Konzernchef, bemerkbar. „Ich glaube, sie schaffen es …“ Dann hatten sie nicht mehr lange zu warten, bis der Humanoide aus einem anderen Sonnensystem wieder zu Bewusstsein kam. Aber wie! Er schrie auf. Bedeckte beide Augen mit seinen Händen. Schrie noch lauter, veränderte die Haltung seiner Hände und drückte mit den Daumen seine Gehörgänge zu. „Radi kan! Perni wen na! Wen na!“ Wieder und wieder kamen diese Worte über seine Lippen, und immer wilder, unbeherrschter warf er sich auf dem OP-Tisch hin und her, hielt sich aber nach wie vor die Augen und Ohren zu. Das Ärzteteam war ratlos. Die Verwirrung war von ihren Gesichtern abzulesen. „Radi kan! Perni wen na!“ Der Unbekannte brüllte die Worte in seiner Sprache. Grüne Augen in Schockfarbe! schoss es Peet Orell durch den Kopf. Augen, wie sie noch kein Mensch gesehen hatte. Sehen …? Sah der Fremde vielleicht anders? Hörte er auch anders? Peet wurde sich seines Handelns gar nicht bewusst, als er neben Doc Hellbrook stand und ihn am Ärmel herumdrehte. „Doc, ist es nicht möglich, dass der Fremde viel empfindlichere Sinnesorgane hat als wir Menschen?“ Der Arzt sah ihn zum ersten Mal vorwurfsvoll an. „Mr. Orell, Sie haben uns ein Kuckucksei ins Nest gelegt … Ja, Sie könnten recht haben … Licht aus bis auf einen Beleuchtungskörper.“ Nur half es nichts. Der Unbekannte begann zu wimmern. Eigentlich unvorstellbar, wenn man seinen muskulösen, durchtrainierten Körper betrachtete, an dem kein Gramm Fett war. Die Ratlosigkeit der Ärzte stieg. Harry T. Orell kaute an seiner Unterlippe, ein unverkennbares Zeichen, dass auch er erregt war. Jörn Callaghan blieb der ruhende Pol, aber er wusste auch nicht weiter. Das Wimmern des nackten Wesens auf dem OP-Tisch ging
allen unter die Haut. So konnte nur eine Intelligenz wimmern, die Höllenqualen durchmachte. Hellbrook traf eine Entscheidung. „Wir müssen es versuchen. Ob es hilft? Ich weiß es nicht! Schaffen wir ihn nach Ex-vier. Ist doch frei, ja?“ Ex-vier war einer der absolut licht- und schallsicheren Räume, die benötigt wurden, wenn an einem Patienten die moderne HerganTherapie angewandt wurde. „Dürfen wir mitkommen?“, fragte Harry T. Orell, dem nur zu gut bekannt war, dass er in der Klinik seiner Corporation nichts anderes als ein Besucher war. Hellbrook hatte dagegen nichts einzuwenden. Als die Doppeltür von Ex-vier magnetisch verriegelt wurde, hörte das Wimmern des Fremden schlagartig auf. Während jedem der Menschen die absolute Stille und Dunkelheit zur Belastung wurde, die sich immer mehr vergrößerte, schien sich der Unbekannte von einer anderen Welt merklich wohler zu fühlen. Ein Arzt kontrollierte über Handgriff seinen Puls. „Pulsfrequenz geht herunter …“ Hellbrook stellte eine Frage: „Ist er zusammengezuckt, als Sie sprachen?“ „Nein, liegt vollkommen ruhig. Ich möchte sagen, entspannt, Sir ...“ Hellbrook überlegte einen Moment und sagte dann: „Kidd, schalten Sie für ein paar Sekunden Ihre Handlampe ein. Aber sofort ausschalten, wenn der Patient unruhig wird.“ Der Strahl stand. Der Fremde zeigte keine Reaktion. Der Augenarzt nahm seinem Kollegen die Lampe aus der Hand und richtete den gebündelten Strahl auf die schockgrünen Augen. Schlagartig machte sich wieder Unruhe unter den Ärzten breit; denn das Verhalten des Unbekannten war anormal. Nicht einmal seine Lider zuckten. „Beleuchtung einschalten!“, ordnete Hellbrook an, und seine Stimme verriet seine Erregung. Als die indirekte Beleuchtung aufflammte, schien der Nackte dies nicht einmal wahrzunehmen.
„Hören Sie mich?“, fragte Hellbrook, der so neben ihm stand, dass der andere seine Mundbewegungen nicht erkennen konnte. Er wiederholte den Versuch noch einige Male; ohne Resultat. Er probierte es auf eine andere Art. Seine Hand legte sich um den Arm des Fremden, der nun den Kopf wandte, um ihn anzusehen. „Hören Sie mich?“, fragte Hellbrook mit überdeutlicher Lippenbewegung. Was dann folgte, ließ das Schlimmste befürchten. Der Humanoide, der in seinem Aussehen verblüffend einem Terraner mit brauner Haut glich, sah man von dem silberglänzenden Haar, der Augenstellung und der Augenfarbe ab, machte mit seinen Händen eindeutige Bewegungen, die ausdrückten, nichts zu hören. Hellbrook stutzte. „Bitte, Stimmbänder untersuchen!“ Der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist fragte: „Warum? Wir haben ihn doch eben rufen hören. Seine Stimme hat eine normale Tonlage. Vielleicht etwas klirrend, aber …“ „Untersuchen Sie!“, sagte Hellbrook wenig freundlich. Eigenartig, der Unbekannte öffnete den Mund. Der Facharzt nahm seine Untersuchung vor. Plötzlich zitterte seine Hand. Abrupt richtete er sich auf. Etwas wie Angst stand in seinen Augen. „Solche … Solche Stimmbänder habe ich noch nie gesehen. Sehen Sie es sich selbst an! Tun Sie’s!“ Fast flehentlich bat er darum, als ob er immer noch nicht glauben könne, was er gerade im Hals des Fremden gesehen hatte. Draußen wurde es schon bald hell, als Hellbrook eine phantastische Entdeckung machte, die sich so unglaubwürdig anhörte, dass ein Arzt lauthals lachte. Das Lachen verging ihm schnell! Zum ersten Mal wandte sich Doc Hellbrook an Harry T. Orell. „Sir, wenn gleich durch letzte Untersuchungen noch einmal alles bestätigt wird, dann stehen wir hilflos vor einer Tatsache …“ „Sie wollen sagen“, unterbrach ihn der Konzernchef, „dass dieser Fremde für uns Menschen stumm, taub und blind ist? Ich wollte während der Untersuchung nicht stören, aber bin ich das Opfer einer Täuschung geworden? Ich habe ihn doch schreien und wimmern gehört.“ „Wir alle, aber er hat mit den beiden anderen Stimmbandpaaren geschrien!“
„Soll das heißen, dass er vier Paar Stimmbänder besitzt?“ Hellbrook nickte schwer. „Ja, unter den beiden Bandstreifen, die wie bei jedem Menschen auch bei ihm zwischen den Aryknorpeln und der Innenfläche des Schildknorpels verlaufen, befinden sich zwei weitere Paare. Diese tiefer liegenden Paare erzeugen Tonschwingungen, die über 25.000 Hertz liegen, von unserem Ohr also nicht mehr aufgenommen werden können. Die Hörfähigkeit des Menschen endet bei rund 20.000 Hertz. Jetzt kommt das Verblüffende: Die normal sitzenden Paare werden durch Anblasen ebenso in Schwingungen versetzt wie die beiden tieferen. Wir haben gehört, wie er damit geschrien hat, aber er hat es nicht gehört. Sein Ohr spricht nur auf Schwingungen über 25.000 Hertz an. Wahrscheinlich ist seiner Rasse der uns normal erscheinende Gehöreindruck im Laufe von Abertausenden Generationen verkümmert. Wir haben in seinen Ohren davon nicht einmal mehr Ansätze feststellen können.“ „Und warum ist er auch noch für uns blind? Sieht er denn gar nichts?“ Schweigend und angespannt lauschend standen auch Peet Orell und Jörn Callaghan neben dem Doc. Sie begriffen allmählich, wie ungeheuerlich diese Entdeckung für die Ärzte war. „Er sieht wie Sie, nur in einem anderen Frequenzbereich. Die Zäpfchen seiner Augen geben eine Lichtempfindung weiter, die unter 0,4 Mikro liegt, also schon im ultravioletten Bereich. Wie weit es nach unten reicht, wissen wir noch nicht. Diese Tatsache ist auch der Anlass, warum er so geschrien hat. Unsere elektronischen Geräte, die zum größten Teil im kurzwelligen Bereich arbeiten, stellten sich ihm als eine ungeheure, kaum noch zu ertragende Lichtflut dar, die ihn an den Rand des Wahnsinns trieb. Und diese Geräte, die zum Teil auch noch Ultraschall erzeugen, waren für ihn eine Geräuschkulisse ähnlich der Stärke der Lichtflut.“ „Kurz gesagt, Doc, wir werden uns nie mit ihm verständigen können?“ „Doch, über Hilfsmittel. Aber wie er uns sieht und was er erlebt, das wissen wir nicht …“ Peet Orell war anderer Meinung. „Das weiß man doch, Doc.“ Er ignorierte die Überraschung des Arztes, wandte sich an seinen Vater und sagte: „Kann ich eins der physikalischen Werklabors
benutzen? Wenn ich dazu auch noch zwei oder drei Ingenieure bekomme, wird es mir möglich sein, bis Mittag ein Gerät zu bauen, mit dem wir auch im kurzwelligen Bereich sehen können. Und dann werden wir wissen, wie uns der Fremde sieht.“ „Bitte, Peet, ich habe nichts dagegen. Aber wollt ihr beiden nicht wenigstens ein bisschen schlafen?“ Die jungen Männer schmunzelten. Ihnen war nicht nach Schlaf zumute. „Wir fliegen zu den Labors hinüber, Daddy. Doc, sollte sich am körperlichen Zustand des Fremden etwas negativ verändern, rufen Sie uns bitte sofort an.“ Harry T. Orell und Doc Hellbrook sahen den beiden nach, die mit elastischen Schritten über den langen Gang der Klinik zum Antigrav-Schacht gingen. „Jung müsste man sein“, sagte der Arzt, und Harry T. Orell verstand ihn, denn beide waren hundemüde. * Arn Borul hatte alle Untersuchungen mit stoischer Ruhe über sich ergehen lassen und war glücklich, nicht länger diesem wahnsinnigen Ansturm von Licht und Geräuschen ausgesetzt zu sein. Seine plötzliche Verlegung in den schallisolierten Raum hatte ihn erkennen lassen, dass er es mit Wesen des blauen Planeten zu tun haben musste, die über medizinische Kenntnisse verfügten. Ein anderes Volk aus dem Raum war ihnen auf Schedo zuvorgekommen, und diesen anderen war er jetzt hilflos ausgeliefert, doch bösartig schienen sie ihm nicht gegenüberzustehen. Aber wieso konnten sie diese grausame Lichtflut und den Höllenlärm so leicht ertragen, und warum hatten sie kein einziges Wort an ihn gerichtet? Je länger er über diese Fragen nachdachte, umso mehr sah er Gefahr für sich heraufziehen. War das Schweigen der Fremden nicht ein tückischer Charakterzug? Man sprach doch mit jedem Gast, auch wenn man die Sprache des anderen nicht beherrschte. So war es früher auf Moran immer gewesen. Warum auf dieser Welt nicht? Unterschieden sich die Fremden von vielen anderen Rassen im Universum?
Ein wahnwitziger Gedanke schoss durch seinen Kopf. Waren diese Fremden vielleicht mit den Ungeheuern in den schwarzen Raumern identisch, die mit einem einzigen Feuerteppich Moran, seine Heimatwelt, vernichtet hatten? Es gab keine Beschreibung von ihnen. Es gab keinen einzigen der wenigen Überlebenden, der je einen Angreifer gesehen hatte. Man wusste nicht einmal, aus welchem Sektor des Alls die alles niederbrennenden Teufel gekommen waren. Götter Morans, dachte er und fühlte, wie die innerliche Unruhe ihn zu übermannen drohte, wenn es mit mir hier zu Ende geht, lasst das Ende schnell kommen. Er saß immer noch aufrecht auf dem frei schwebenden Medobett und hatte beide Arme um die angezogenen Knie gelegt. Wieder wanderte sein Blick durch den Raum und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie auffallend still es darin war. So ruhig war es an keinem Platz auf Moran jemals gewesen, bis auf die schallisolierten Räume, die für Versuchszwecke und als Krankenzimmer gebaut worden waren. Krankenzimmer …? Nichts deutete darauf hin, aber konnte er den Maßstab, den er von Moran her gewohnt war, auch hier anwenden? Plötzlich dachte er an Thosro Ghinu, seinen gestrengen Lehrer und … Der Hass wollte ihn wieder überfluten, doch diesen Ansturm wehrte er ohne große Anstrengungen ab. Was hatte ihm Ghinu noch gesagt, kurz vor dem Start der TIRA? „Arn, Mut kann manchmal die größte Dummheit sein. Mut ist etwas Starres, das, wenn es bricht, den Mutigen zerbricht. Erfordert es die Lage, passe dich an, auch wenn die Anpassung wie Feigheit aussieht.“ Hier auf Schedo wollte er sich anpassen. Er musste es. Er war der einzige, der die Katastrophe an Bord der TIRA überstanden hatte. Warum er vom Explosionsdruck nicht zerrissen worden war, blieb ihm ein Rätsel. Die Tür öffnete sich, und fünf Wesen von diesem Planeten traten ein. Ihre Gesichter hatte er sich eingeprägt. Es waren dieselben, die um ihn herumgestanden hatten, als er aus seiner Besinnungslosigkeit erwacht war, um sich in einer Licht- und Geräuschhölle wieder zu finden. Warum höre ich sie nicht sprechen? Sie bewegen doch ihre Lippen, und sie unterhalten sich. Ich bin doch nicht taub. Ich höre so gut wie eh und je. Auf einer
Schwebeplatte kamen die fremdartigen, ihm unheimlichen Geräte herein. Untersuchung, dachte er. Schon wieder eine Untersuchung. Bei allen Göttern Morans, sollen sie, und ergeben legte er sich zurück und verfolgte, wie an vielen Stellen seines Körpers Sonden, Reifen und Manschetten angelegt wurden. Was sollte das alles? Er fühlte sich gesund, nur etwas müde. Ein wenig Schlaf, und er war wieder der dynamische, energiegeladene Arn Borul. Da traf ein irrer Schrei seine Ohren. „Nein!“, schrie er aus Leibeskräften. „Stellt den Apparat ab. Wollt ihr mich denn mit aller Gewalt verrückt …?“ Er hatte die Handbewegung des schlanken Mannes gesehen, und im nächsten Augenblick herrschte wieder Stille. Arn wischte sich über die Stirn und streifte dabei das Band ab. Ach so, dachte er, hob es auf und streifte es sich wieder über. Aber was war an diesem Tun besonders? Warum starrte man ihn an, als ob er ein Ungeheuer wäre? Bis auf die Augen und deren Lage im Kopf glich er ihnen doch, sogar in der Größe. Der irre Schrei, der seinen Ausgangspunkt in einem der fremdartigen Geräte gehabt hatte, war kein zweites Mal mehr zu hören. Diese Untersuchung dauerte eine Ewigkeit. Für seinen Körper interessierte man sich nicht, nur für seinen Kopf? Warum nur? Gefielen den anderen seine Augen nicht? Seine Ohren? Sein Mund? Auf Moran hatte man ihn auf vielen Gebieten der Wissenschaft ausgebildet, die Medizin jedoch nur am Rande gestreift. Gol Zsal war ihr Bordarzt gewesen. Er war … Und nun musste er schon wieder den Mund aufmachen, und ein Tubus wurde eingeführt. Das Ding schmeckte scheußlich, und am liebsten hätte er es ausgespuckt. Leichter Brechreiz kam auf, doch der verging erstaunlich schnell. Mit stoischer Ruhe ließ Arn alles über sich ergehen, doch da schrie es in seinem Mund, dass er glaubte, seine Trommelfelle würden von innen heraus zerfetzt werden. Blitzschnell griff er mit der rechten Hand zu, und bevor ihn eines der fünf Wesen daran hindern konnte, krachte der Tubus gegen die Wand und löste sich beim Aufprall in viele Teile auf. „Ich lasse mich nicht verrückt machen. Ich lasse mich nicht mehr untersuchen …“
Bei den Cegiren, sie hatten doch gerade sein Toben gehört, warum hörte er von ihnen keinen Ton? Der Mann, der der Chef der kleinen Gruppe zu sein schien, stand nun neben ihm, bewegte seine Lippen, hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt und sah ihn unentwegt an. Jetzt klopfte er ihm leicht auf die Schulter, nickte, drehte sich um, und dann war der ganze Spuk vorbei. Arn lag wieder allein in seinem Raum, in dem es nur das frei schwebende Medobett gab. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, blickte zur Decke empor, sah auf einmal diese Kreise kommen, und bevor er begriff, was auf ihn zukam, war er eingeschlafen. Arn Borul vom Planeten Moran aus dem Kyl-System schlief zum ersten Mal auf dem Planeten Schedo. * In der Kontrollzentrale in Montreal sollte Doc Ginger, der in der vergangenen Nacht, als das brennende Raumschiff abgestürzt war, alle Fäden in der Hand gehalten hatte, der Presse und dem TV Rede und Antwort stehen. Der Raum, den sie sonst als Konferenzsaal benutzten, war zu klein, und nur ein Teil der Reporter hatte Einlass gefunden. Nach zehn Minuten begann Ginger zu schwitzen; denn ein unbarmherziges Kreuzfeuer an Fragen war bisher auf ihn niedergeprasselt. Bissige Zwischenbemerkungen hatten seine Stimmung nicht angehoben. Er hatte längst erkannt, dass er sich mit seinem stereotypen „Das wissen wir nicht“, keinen Lorbeerkranz umhing. „Sir, rief ihm der Nachrichtenmann von der TPP laut zu, „wollen Sie uns für dumm verkaufen? Wir haben ein paar hundert KontrollSatelliten oben. Diese Himmelsspione sind mit den modernsten Ortungsgeräten ausgerüstet. Selbst Körper von Walnussgröße fischen sie mit ihren Suchstrahlen auf, analysieren sie, bestimmen ihre Geschwindigkeit, Bahn und was weiß ich noch mehr, aber ein brennendes Raumschiff wollen sie erst dann erfasst haben, als die Flammen aus dem Raumboot schlugen? Das sollen wir Ihnen abnehmen, Sir? Im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen frage ich Sie: Was wird uns verschwiegen?“
Er hat ja recht, dachte Ginger, der dem Nachrichtenmann von der TPP aufmerksam zugehört hatte, aber verdammt noch mal, wir haben nichts zu verschweigen. Wir stehen selbst vor einem Rätsel. Ein Satellit kann versagt haben. Okay, auch zwei oder drei. Aber doch nicht alle in der fraglichen Zeit! Kein Wunder, dass man meinen Worten keinen Glauben schenkt. Müde erhob er sich, warf einen Blick auf die Mikrofonkonsole und empfand diese winzigen Ungeheuer, die nach Tonwellen gierten, als weitaufgerissene Rachen einer Hydra, von denen jeder ihn verschlingen wollte. „Ladies und Gentlemen, ich kann nur wiederholen, dass wir vor einem Rätsel stehen. Genauso wenig wie wir bis zur Stunde wissen, welches Schiff in der letzten Nacht brennend abstürzte, wissen wir, warum die Satelliten das Schiff so spät orteten. Alle Satelliten haben ab einem bestimmten Zeitpunkt, was das unbekannte Schiff angeht, versagt, ansonsten aber einwandfrei gearbeitet …“ Ein wütender Zuruf unterbrach ihn. „Glauben Sie allen Ernstes, dass wir Ihnen Ihre Story abnehmen? Sollen wir unseren Kunden erzählen, ein Raumschiff habe sich beim Anflug unsichtbar gemacht? Wir schreiben doch keine ‘Science Fiction’, sondern handeln mit Nachrichten, mit Tatsachen.“ Ginger resignierte; er warf einen Blick auf sein Chrono und erklärte mit müder Stimme: „In knapp zwei Stunden liegt Ihnen unser gesamtes Material, alle Messdaten, alle Meldungen aus den in Frage kommenden Stunden vor. Machen Sie sich dann selbst ein Bild. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen. Also – bis in zwei Stunden …“ Pfiffe ertönten, als er sich erhob und ging. Ginger hastete in sein Büro, holte eine Flasche Whisky aus dem Schrank, setzte sie an den Mund und trank gierig. „Verdammt“, stöhnte er, nachdem er sich über die Lippen gewischt hatte, „ich hätte diesem Ginger auch kein Wort geglaubt. Aber, wenn ihnen das Material vorliegt, bin ich auf ihre dummen Gesichter gespannt.“ Er stellte die Flasche zurück und suchte den Kontrollraum auf. Sein Assistent, der ihm in der letzten Nacht auf die Nerven gegangen war, kam ihm entgegen. Auch er war hundemüde und hatte sich schon zwei Injektionen verabreicht, um nicht im Stehen einzuschlafen.
„Nichts Neues, Sir. Die Suchgruppen haben bis jetzt nicht einmal einen Splitter gefunden …“ „Auch nicht den etwa hundert Kilo schweren Gegenstand, der auf seinem Absturz von Ortungsstrahlen erfasst wurde und in der Nähe des Großen Sklavensees niedergegangen sein muss?“ „Auch den nicht, Sir. Vor wenigen Minuten ist die Suche in diesem Gebiet abgebrochen worden. Man hat die besten Massen-Sucher eingesetzt … umsonst. Man glaubt, dass der Körper auf den letzten beiden Kilometern in der Atmosphäre verglüht ist, und über diese beiden Kilometer fehlen uns die Messdaten, weil die Gebirgszüge uns mal wieder einen Streich spielten und die Suchstrahlen nicht mehr wirksam werden ließen.“ „Okay. Sind die Vorbereitungen für den Reporter-Run abgeschlossen?“ „In einer guten Stunde. Übrigens, Zentrale Ural war vor dreißig Minuten auf der Phase. Die sind felsenfest davon überzeugt, dass Terra aus dem interstellaren Raum Besuch durch ein fremdes Raumschiff erhalten sollte. Die pochen unentwegt auf die Spektrallinien neben der des Cargonits, und wenn ich sie richtig verstanden habe, müssen sie gerade vom zweiten Drittel der phiLinien Bilder haben, die die unseren in den Schatten stellten.“ Ginger zuckte mit den Achseln. „Auch das hilft uns nicht weiter. Solange kein einziges Trümmerstück gefunden wird, können wir nur Vermutungen anstellen. Alle Aufnahmen, die von den Satelliten geschossen wurden, zeigten … na, Sie haben sie ja gesehen. Kein Physiker kann uns erklären, warum alle Bilder so unscharf sind, dass wir sie getrost in den Zerhacker werfen können. Wenn es soweit ist, dass wir die Reportermeute einlassen müssen, lasse ich mich wieder sehen.“ Er ging und legte sich im Aufenthaltsraum ein wenig hin. Als den Nachrichtenjägern später das gesamte Material vorgelegt wurde, war er nur noch Zuschauer und Zuhörer. „Doc“, sagte der Mann von der TPP impulsiv, „ich habe Ihnen Unrecht getan. Schade; denn damit ist die Sensation wie ein Luftballon zerplatzt. Viel lässt sich daraus nicht machen.“ *
Es gab aber zwei Menschen, die sich deswegen freuten. Dennoch sagte Jörn Callaghan nachdenklich zu seinem Freund Peet: „Wenn man dahinter kommt, was wir der Welt vorenthalten, dann hat das Konsequenzen.“ „Darum darf es nicht bekannt werden. Wenigstens jetzt noch nicht.“ Sie blickten sich an. „Peet, was versprichst du dir von deinem Verhalten? Wäre es für den Außerirdischen nicht besser, wenn er sich in den Händen der besten medizinischen Kapazitäten befinden würde?“ „Ich weiß nicht, was ich mir von unserem Vorgehen verspreche. Manchmal handelt man instinktiv oder intuitiv. Nenne es, wie du willst, aber deine Ansicht, der Fremde wäre in den Händen von Kapazitäten besser aufgehoben als bei uns, kann ich nicht teilen. Allein der Rummel, der um ihn herum entstehen würde … nein, solange es möglich ist, bleibt er bei uns im Verborgenen.“ „Mich wundert, dass dein Vater uneingeschränkt mitmacht.“ Peet Orell schmunzelte. „Mein Vater ist sein ganzes Leben ein Risiko nach dem anderen eingegangen, sonst hätte er die HTO-Corporation nicht aus dem Boden stampfen können, und dass er trotz seiner zweiundsechzig Jahre der Alte geblieben ist, hat er in dieser Nacht bewiesen. Gehen wir mal ‘rüber und sehen nach, wie weit man mit der Montage gekommen ist?“ Sie trafen Doktor Hellbrook im Labor an. Dem Chefarzt der HTOKlinik hatte es keine Ruhe gelassen. Dieser Fremde von einer anderen Welt faszinierte ihn als Wissenschaftler, und nun wollte er wissen, wie weit Peet Orell und Callaghan mit ihrem Transformer waren. Acht Ingenieure und vier Techniker waren mit den letzten Prüfungen beschäftigt. Über den eigenartigen Auftrag hatten sie sich nicht gewundert, weil sie sich das bei der HTO längst abgewöhnt hatten. Die unverkleidete Neuschöpfung sah nicht schön aus, aber darüber sah jeder hinweg; genauso wie darüber, dass sie auf dem Labortisch viel Platz einnahm.
Zwei Ingenieure steuerten gerade den Schallsender und -empfänger aus, während man auf den beiden anderen Sektoren Sprechen und Sehen noch durchprüfte. „Mr. Orell, wenn nichts dazwischen kommt, sind wir in etwa einer halben Stunde soweit. Sie hielten Wort. Die Wartezeit verbrachten sie mit Hellbrook, der sich immer noch wunderte, wie schnell die beiden dieses Gerät entwickelt hatten. Peet Orell wehrte ab. „Doc, wir haben auf Bekanntes zurückgegriffen, es wohl ein wenig abändern müssen, aber die Grundkonzeption konnten wir als Sprungbrett verwenden. Jedes andere physikalische Labor hätte es auch in so kurzer Zeit geschafft. Wie gefällt Ihnen unser Fremder?“ „An seine schockfarbigen Grünaugen muss ich mich noch gewöhnen. Dass in seinem Körper einige Organe anders platziert sind als beim Homo sapiens, ist nur für einen Mediziner von Interesse. Seine Reaktionen gleichen denen eines Menschen. Worauf ich gespannt bin? Ich möchte einmal genau wissen, wie er sieht, wenn er sieht. Gibt es für ihn Farben, Schattierungen? Gibt es für ihn Tag und Nacht, hell und dunkel? Ehrlich gesagt, ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass es ein intelligentes Wesen gibt, das im kurzwelligen Bereich sieht, in unserem Sehbereich von 0,4 bis etwa 0,75 Mikro aber nichts wahrnimmt.“ „Doc, denken Sie an die Infrarot-Nachtsichtgeräte“, warf Jörn Callaghan ein, und seine eisgrauen Augen blickten den Arzt ruhig an. „Wenn wir genaue Daten haben, in welchen Bereichen er hört, sieht und spricht … Doc, könnte der Fremde dann nicht durch eine oder mehrere Gehirnoperationen, denen er natürlich zustimmen müsste, auf die Frequenzen des Homo sapiens umgeschaltet werden?“ Der Arzt starrte ihn wie einen Geist an. „Wie stellen Sie sich das vor, Mr. Callaghan? Das Gehirn ist doch kein primitives Schaltzentrum, in dem man die Kontakte beliebig anders stecken kann, um andere Effekte zu erzielen.“ Hellbrooks Stimme war ein einziger Protest. Jörn Callaghan in seiner gelassenen Art zuckte mit den Schultern. „Wenn die Medizin es nicht kann, muss es die Physik schaffen. Mit anderen Worten, wir müssen aus dem Mammutapparat nebenan
ein Miniding bauen, das der Fremde sich umhängt, um mit uns in Verbindung zu treten. Aber ob das auf die Dauer bequem ist, bezweifele ich schon jetzt. Geht’s wirklich nicht mit operativen Eingriffen, Doc?“ Der wunderte sich über die Hartnäckigkeit von Peet Orells Freund, protestierte dieses Mal aber nicht, sondern sagte zurückhaltend: „Ich müsste einmal mit Gehirnspezialisten sprechen …“ „Tun Sie das, Doc“, gab Peet ihm den Rat. „Vielleicht kommt das Problem viel schneller auf uns zu, als wir jetzt ahnen.“ Er blickte zum Fenster hinaus und sah in der Ferne die gigantischen Werfthallen der HTO. Die Corporation war der Konkurrenz um Jahre voraus, der hohe Auftragsbestand bewies das. Die im Entstehen begriffene Raumpatrouille der Space-Police wurde ausnahmslos mit HTO-Schiffen ausgerüstet, und die beiden Raumer, die im Auftrag der Interplanetarischen Siedlungsgesellschaft regelmäßig zwischen den beiden Jupitermonden Ganymed und Kallisto und Terra pendelten, kamen auch aus der HTO-Werft. Mit einem Fassungsvermögen von 3.500 Passagieren waren sie die größten Schiffe, über die die Erde verfügte, und mit seiner Großen Lizenz war Peet Orell berechtigt, sogar diese Ungetüme zu fliegen. Ja, innerhalb des Sonnensystems waren fast überall terranische Schiffe anzutreffen, wenn man von Neptun und Pluto absah, aber noch war es ein Traum, eines Tages noch fernere Systeme zu erreichen. Auch Peet Orells kleine Raumyacht, die noch keinen Namen trug und noch getauft werden musste, weil er sie erst gestern von seinem Vater geschenkt bekommen hatte – als Belohnung für das Summa cum laude zu seiner ‘Großen Lizenz’ –, war nicht in der Lage, das Sonnensystem zu verlassen, aber er konnte mittels des verbesserten Triebwerkes bis zur Plutobahn vorstoßen. Ein Ingenieur trat ein und meldete das Gerät klar. In einem Gleiter flogen Peet und Jörn es zur vierzig Kilometer entfernten HTOKlinik. Als sie nach dem Fremden fragten, von dessen Anwesenheit nur die ins Vertrauen gezogenen Ärzte wussten, hörten sie, dass er schlief. „Dann nehmen wir hier auch eine Handvoll Schlaf“, entschied Peet und bat darum, geweckt zu werden, wenn der Außerirdische wieder wach sei.
Erst fünf Stunden später, als sie vor einem lukullischen Essen saßen, erreichte sie die Nachricht, dass der Fremde seinen Schlaf beendet hatte. Er richtete sich nicht einmal auf, als auf einer Schwebeplatte das für ihn tatsächlich primitiv aussehende Gerät hereingebracht wurde. Götter Morans, dachte Arn Borul, schon wieder eine Untersuchung. Bin ich denn ein Monster? Doch dann wunderte er sich, dass die Wesen, die ihn zeitweilig mit Licht und Geräuschen gefoltert hatten, Zuschauer spielten, während zwei andere, die er inzwischen auch vom Ansehen kannte, die aktiven waren. Was gab es an oder in seinem Kopf so Interessantes? Arn wurde stutzig, als mit einer kaum spürbaren Klammer um seinen Hals zwei kleine, runde Teller gegen seinen Kehlkopf gedrückt wurden, und er begann etwas zu ahnen, als man ihm behutsam elastische Gegenstände in beide Gehörgänge hineinschob. Zum Schluss hängte man ihm ein Gerät mit einer kleinen Scheibe um den Hals. Die Scheibe befand sich im Blickfeld seiner Augen. Was ist auf Schedo anders als auf Moran? fragte er sich und zuckte sichtlich zusammen, als er zum ersten Mal fremde Laute auf diesem Planeten vernahm. Unwillkürlich beugte er sich vor, als auf der Scheibe vor ihm ein Bild erschien. Bilder kannte er; er war ja nicht blind, aber solche Bilder … solche hatte er noch nie gesehen. Jemand schüttelte ihn, und Arn Borul sah auf. „P i t … O r e l“, hörte er, begriff aber nicht, was es hieß. „P i t … O r e l“, vernahm er abermals und sah, wie der andere auf sich deutete. „P-i-t“, dann eine auffallende Pause und dann: „O-r-el.“ Zum ersten Mal, seitdem er sich auf Schedo befand, lachte er, deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf sich und sagte: „Arn Borul“, und dann noch einmal mit Abstand zwischen Vorund Nachnamen: „Arn … Borul.“ Zehn Minuten später war das Eis gebrochen, und Arn fühlte, wie eine gewaltige, unsichtbare Last von ihm abgefallen war. Er lag längst nicht mehr auf seinem schwebenden Medobett, sondern stand zwischen Peet Orell und Jörn Callaghan, und wenn er auch von einem Planeten kam, auf dem die Technik eine andere Entwicklung genommen hatte, weil Moraner im kurzwelligen Bereich sahen, so
war doch auf Moran zwei mal zwei gleich vier, so wie auf Terra auch. Als Peet Orell einmal einen Blick auf sein Chrono warf, war er verblüfft. Sechs Stunden waren seit dem Moment verstrichen, an dem sie sich mit Namen vorgestellt hatten. Arn Borul hatte inzwischen erfahren, dass der Planet, auf dem er sich befand, Terra hieß und die Sonne Sol, und diese Terraner wussten, dass er von Moran, dem vierten von zehn Planeten kam, und sie ihre Sonne Kyl nannten. Mit einfachen Zeichnungen, die kein Missverständnis hatten aufkommen lassen, waren diese Einzelheiten gesagt worden. Längst hatte er begriffen, dass diese Terraner in anderen Bereichen sahen, hörten und sprachen, und zum ersten Mal seit der Katastrophe freute er sich von ganzem Herzen, die Havarie der TIRA überstanden zu haben. Die Hoffnung, Moran, seine Heimatwelt, eines Tages wieder zu sehen, brauchte er nicht zu begraben. Als Peet Orell und Jörn Callaghan den Transformer abschalteten, und er sie nicht mehr sprechen hörte, kam er sich wie ein Wesen vor, das ins Vakuum gestoßen worden war. Er blickt ihnen nach, als sie den schallisolierten Raum verließen, und er fragte sich, wann sie wiederkommen würden. Nachdenklich setzte er sich auf sein Medobett und seine Gedanken waren bei dem verwüsteten Planeten Moran und seine Phantasie zeigte ihm Junicis liebreizendes Gesicht. Junici, ich komme wieder, auch wenn es lange, lange dauert, gib nur die Hoffnung auf meine Rückkehr nie auf. Nie Junici! Und er war in diesem Augenblick überzeugt, dass seine Gedanken sie erreichten. * Die Herbstsonne ging am wolkenlosen Himmel langsam unter, und das Abendrot am Horizont gab dem scheidenden Tag einen romantischen Anstrich. Die beiden Männer, die auf der Terrasse saßen, hörten das durchdringende Pfeifen nicht, das vom Raumhafen zu ihnen herüber drang. Ein Raumschiff der HTO-Corporation startete zum ersten Testflug, ein Raumer der Klasse C-7, das vierte Schiff der neuen Serie mit
verbessertem DeGorm-Antrieb, der alles Bisherige in den Schatten stellte. B. W. DeGorm, ein genialer Ingenieur, dem die Menschheit diese Unterlicht-Triebwerke verdankte, war erst vor kurzem bei einem Testflug ums Leben gekommen. Harry T. Orell und sein Sohn, die beiden Männer auf der Terrasse, sahen dem Schiff nicht nach, das mit steigender Beschleunigung dem freien Raum entgegenraste und dabei kleiner und kleiner wurde. „Peet, weißt du, was du verlangst?“, fragte der grauhaarige Riese seinen einzigen Sohn, der eines Tages die Corporation erben würde. „Das alles kostet …“ „Ist mir bekannt, aber diese Investition wird sich auszahlen, Daddy“, ließ Peet seinen Vater nicht ausreden. „Das glaubst du. Nur kannst du dafür den Beweis nicht antreten.“ In Peet Orells dunkelblauen Augen blitzte es auf; seine sonst schwach angedeutete Habichtsnase trat plötzlich stärker in den Vordergrund. Das markante Kinn schien noch eckiger zu werden. Sein Vater deutete diese Zeichen richtig und bereitete sich innerlich auf einiges vor. Und das kam schon über die Lippen seines Sohnes. „Als du die Corporation aufbautest, hast du da nur gehandelt, wenn du sicher warst, hundertprozentig Erfolg zu haben, oder hast du meistens so viel riskiert, dass anderen über deine Lust am Wagnis schwindelig wurde?“ Harry T. Orell musste passen! „Aber mehr als zwei Milliarden Sol, Peet! Der Betrag belastet unser Budget ganz schön.“ „Doch nur kurzfristig, Daddy. Du bist doch selbst davon überzeugt, dass die Moraner auf ganz andere Weise das Problem der Antischwerkraft gelöst haben. Allein schon mit diesem neuen Antigrav-Regler schaffen wir ein Monopol auf dem Weltmarkt. Die Lizenzen bringen binnen Jahresfrist …“ „Wenn wir den Regler entwickelt haben. Über die Entwicklungskosten scheinst du dir noch keine Gedanken gemacht zu haben.“ Peet winkte ab, als handele es sich hier um Bagatellen. „Daddy, ohne das, was ich brauche, sind wir nicht in der Lage, die moranische Technik in die terranische zu übersetzen. Schaffen wir uns den Großcomputer und alles andere nicht an, dann stümpern wir herum, und eines Tages ist Arn Borul es leid, schmeißt uns den
Krempel vor die Füße und verlangt, sich einmal ohne Aufsicht Terra anzusehen. Dann haben wir es auch noch mit einem handfesten Skandal zu tun, der für die HTO bestimmt nicht von Vorteil ist.“ Harry T. Orell erhob sich. „Sprechen wir morgen noch einmal darüber. Auf einen Tag mehr kommt es doch wohl nicht an, wie?“ Peet Orell seufzte. „Bei all den Wochen, die vergangen sind, Daddy?“ Der nahm den leichten Vorwurf seines Sohnes nicht tragisch. „Diese Woche hast du mit Jörn und Vivien ausgenutzt, deine neue Yacht in den Griff zu bekommen. Darf man erfahren, wie dein Kahn heißt?“ „PROMET, Daddy. Prometheus war uns zu lang.“ Sein Vater flog zum Werk und wollte Arn Borul aufsuchen, als Doc Hellbrook mit seinem Gleiter vor der Terrasse landete. „Mr. Orell, Sie wollte ich sprechen.“ Beide nahmen Platz. Peet deutete den forschenden Blick des anderen richtig. „Keine Sorge, Doc, die akustische Glocke steht. Kein Mensch kann uns belauschen. Was gibt’s Interessantes?“ Der ließ sich Zeit mit der Antwort, setzte er seine Zigarette in Brand, inhalierte tief, betrachtete die Glutspitze intensiv und blickte wieder auf. „Mr. Orell, ich habe einen wissenschaftlichen Bericht gelesen, in dem beschrieben wird, wie man mit Erfolg zwei Irre, die im InfrarotBreich sahen, operativ umschaltete. Erst nach dieser geglückten Umschaltung konnte mit gezielter Therapie eine Heilung eingeleitet werden …“ Peet Orell blickte den Chefarzt der HTO-Klinik scharf an. „Bedenken Sie, Doc, dass Borul im Bereich des Hörens und Sehens umgeschaltet werden müsste …“ „Nach der nun vorliegenden Operationsmethode keine Schwierigkeit mehr.“ „Und wie groß ist die Gefahr, dass Borul darüber zum Idioten wird?“ „1:10, Mr. Orell.“ „Dann werde ich Arn nie den Rat geben, sich operieren zu lassen. Dann soll er doch lieber mit seinem Mini-Transformer herumlaufen.
Doc, ich kann mich nicht einmal über Ihre Nachricht freuen. Um alles in der Welt, 1:10!“ „Sie wollten die Wahrheit hören, und ich habe Sie Ihnen gesagt“, erwiderte der Mediziner leicht pikiert. „Wenn es jemals gelingt, diese zweitausendfünfhundert Moraner auf die Erde umzusiedeln, werden sich alle der Operation unterziehen müssen.“ „Wenn …“, sagte Peet leicht aufbrausend. „Bis heute wissen wir nicht einmal, in welchem Sektor der Milchstraße die Sonne Kyl mit ihren zehn Planeten zu suchen ist. Und was das Wichtigste ist: Wir sind in dreißig Jahren nicht so weit, ein Triebwerk herzustellen, mit dem Transitionen durchgeführt werden können. Wir schleichen auch dann noch in unserem Sonnensystem herum.“ Das war die klare Aussage eines erfahrenen Experten. Er erhob sich. „Ich werde Arn gleich den Rat geben, sich der Operation nicht zu unterziehen. Noch eine Frage in diesem Zusammenhang: Verliert er durch die Operation seine Fähigkeit, in den ihm vertrauten Bereichen zu sehen, zu hören und zu sprechen?“ „Natürlich. Will er denn ständig Gefahr laufen, durch künstlich erzeugte elektromagnetische Schwingungen, durch Schwingungen im Bereich des Ultraschalls, zum Wahnsinn getrieben zu werden?“ „Daran habe ich nicht gedacht“, sagte Peet Orell leicht bestürzt. „Stimmt, seine Empfänglichkeit hat Arn schon mehrfach in Notlagen gebracht. Nun sieht die Sache wieder anders aus. Doc, ich werde gleich mit ihm reden und Ihnen seinen Entschluss mitteilen.“ * Der Moraner schaltete den Sensoriter ab, als er erkannte, wer eintrat. Er lächelte, als Peet Orell ihm gegenüber Platz nahm. In den Monaten, seit denen Arn Borul in seinem Haus lebte, waren sie sich näher gekommen, und Peet hatte gar nicht mehr den Eindruck, einem Menschen aus einem anderen Sonnensystem gegenüberzusitzen. Die Verständigungsschwierigkeiten der ersten Tage waren beseitigt. Mit unbegreiflicher Schnelligkeit hatte der Moraner mit Hilfe des Sensoriters die wichtigsten Sprachen der Erde gelernt und war nun damit beschäftigt, sich auch die technische Terminologie anzueignen.
Er sprach fast fehlerfrei und ohne Akzent. Seine schockfarbenen Grünaugen, die Arn Borul in der Öffentlichkeit hinter Haftschalen versteckte, ebenso sein Silberhaar, das er unter einer Perücke verbarg, blickten den anderen fragend an. „Was hat Ihr Vater entschieden, Peet? Wird er den Computer kaufen oder nicht?“ „Das letzte Wort darüber fällt morgen, Arn.“ Der machte eine menschliche Geste – und auch die hatte er sich beibringen lassen, um keine Missverständnisse zu erzeugen – und diese Geste drückte Hilflosigkeit aus. „Stumpfsinnig lerne und lerne ich. Tag für Tag. Hämmere mir alle technischen Ausdrücke ein, aber ich kenne ihre Bedeutung nicht. Was soll ich mir unter einem osteren Feld im ersten Tritudenbereich vorstellen? Peet, ich muss die Möglichkeit haben, Ihre Termini technici in die Sprache der moranischen Technik zu übersetzen. Solange ich das nicht kann, bin ich auch nicht in der Lage, Ihnen mit meinem technischen Wissen zu dienen …“ Das alles wusste Peet Orell. „Wir müssen den morgigen Tag abwarten, Arn. Meinen Vater unter Druck zu setzen, ist sinnlos, weil es bei ihm zu nichts führt, aber ich hoffe, dass er die nötigen Mittel freigibt. Sollten wir den Computer zur Verfügung haben, dann werden aber noch einmal vier Wochen vergehen, bis er so programmiert ist, um auch richtig mit ihm arbeiten zu können. Doch nun zu einem anderen Thema“, und er berichtete ihm, was Doc Hellbrook erzählt hatte. Arn Borul unterbrach ihn nicht; er war ganz und gar Moraner, als er das Verhältnis 1:10 vernahm, und zeigte in keiner Weise, ob er darüber bestürzt war. Das Laster des Rauchens hatte er sich nicht angewöhnt, aber Whisky und Getränke ähnlicher Art verschmähte er nicht. Er führte das Glas an die Lippen und trank. In diesem Moment hatte Peet seinen Bericht beendet. „Ich muss mich operieren lassen, Peet, selbst auf die Gefahr hin, dabei zum Idioten zu werden. Ich kann doch kein einziges terranisches Raumschiff betreten, wenn ich nicht Gefahr laufen will, durch eine furchtbare Lichtflut und ohrenbetäubende Geräusche zum Wahnsinn getrieben zu werden. Und ewig mit dem MiniTransformer vor der Brust herumzulaufen … nein, das behagt mir
auch nicht. Sollten wir außerdem eines Tages im Sternenmeer Moran finden, dann bleibt auch meinen Artgenossen nichts anderes übrig, als sich operieren zu lassen, oder Terra wäre eine Hölle für die Moraner. Bitte sagen Sie Doc Hellbrook, dass ich mich operieren lassen möchte.“ „Arn, bedenken Sie, welches Risiko Sie eingehen“, warnte Peet. Der andere schüttelte den Kopf, und sein Silberhaar bewegte sich wie eine Fahne im Wind. „Danke, Peet, für Ihre Warnung. Aber was macht’s denn aus, wenn ich durch die Operation zum Idioten werde? Ich selbst merke doch dann nichts mehr davon. Oder?“ „Arn, Sie allein tragen die Verantwortung für Ihren Entschluss …“ „Okay, Peet. Doch ich möchte Junici, Ghinu und alle anderen wieder sehen. Mit Ihnen und Jörn und Vivien. Glauben Sie nicht daran, dass wir Moran finden werden?“ Bei allem Draufgängertum, das Peet Orell manchmal an den Tag legte, blieb er doch Realist, auch in diesem Augenblick. Sie waren trotz terranischer Raumfahrt Gefangene ihres Sonnensystems. Der nächste Fixstern lag über vier Lichtjahre weit entfernt, und dieser Abgrund aus Zeit und Raum war unüberbrückbar. „Nur mit Ihrer Hilfe, Arn. Nur, wenn es gelingt, nach Ihren Angaben ein moranisches Triebwerk zu bauen; aber sagten Sie nicht selbst, in der Triebwerkstechnik kein Experte zu sein?“ Der Moraner nickte. „In der Praxis bin ich keiner, aber ich beherrsche den theoretischen Teil, und wenn einmal der Großcomputer mit meinem Wissen beschickt worden ist …“ „Wenn …“, unterbrach ihn Peet. „Ein scheußliches Wort. Arn, sind Sie fest entschlossen, sich operieren zu lassen?“ „Ja, und meine Entscheidung ist endgültig.“ „Dann will ich Doc Hellbrook davon in Kenntnis setzen.“
2. TV-North sorgte für die Sensation. Zur besten Sendezeit unterbrach TV-North sein Programm und kündigte eine brisante
Meldung an. Nach drei Minuten wurde diese Ankündigung wiederholt. Wer dazu in der Lage war, hatte laut Aufforderung der Großstation alle Nachbarn und Bekannten aufmerksam gemacht. Bevor der Nachrichtensprecher das erste Wort über die Lippen brachte, hatte TV-North ausgerechnet, dass in dieser Minute 1,3 Milliarden Menschen mit Spannung auf die angekündigte Sensation warteten, was eine Indexziffer von plus 23,6 ergab, einen Wert, der noch nie erreicht worden war. Alle Bildscheiben zeigten nur das eine Zeichen von TV-North. Es schien leer im Raum zu hängen. Es blieb, als eine für einen Roboter alter Bauart typische Stimme erklang – metallisch und doch warm. „Wer ist dieser Mann?“ Und dann nach einer Pause, die an die Nerven ging. „Wer ist er?“ Noch immer das TV-North-Zeichen auf dem Schirm. „Ein Mensch?“ Hundert Fragezeichen standen unsichtbar dahinter. Mit dem Echoeffekt hatte man es möglich gemacht. „Wirklich ein Mensch?“ TV-North schöpfte alle Tricks aus, um die Sensation bis aufs letzte Atom auszuschlachten. „Kein Mensch? Was dann …?“ Das TV-North-Zeichen flog auseinander, als sei darin ein Sprengkörper explodiert. Die Farben auf dem Bildschirm spielten verrückt und sausten in alle Richtungen. Unheimlich war die Tatsache, dass der Ton wieder fehlte. Und noch einmal klang die Roboterstimme auf:“ Wenn er kein Mensch ist, was ist er dann?“ Unter den 1,3 Milliarden Zuschauern gab es einige Millionen, denen der Schweiß auf der Stirn stand. Bei vielen war der Blutdruck hochgeschnellt. Kam TV-North mit seiner Sensation immer noch nicht? Da stand das Bild auf dem Schirm. Terra sah Arn Borul! Die Erde sah den ersten Moraner! „Wer ist dieser Mann?“ Die Roboterstimme ging unter die Haut. In der Regieabteilung von TV-North gingen die ersten Meldungen ein. Mit Vorrang wurden die von Nachrichtenagenturen
angenommen. TV-North begann, das Geschäft des Jahrzehnts zu machen. Ab fünf Millionen Sol war man verhandlungsbereit. Auch in der Werbeabteilung liefen die ersten Anfragen ein … Exklusiv? Diesen Begriff wollte TV-North noch nie gehört haben. „Wer ist er?“ Schrägstehende Augen in seinem Gesicht. Nichts Ungewöhnliches. Menschen dieses Typs gab es auf der Erde zu Milliarden. Aber die Farbe dieser Augen … schockgrün! Ein grässliches, hässliches, teuflisches Grün! Und dazu, wie eine Faust aufs Auge, das Silberhaar. Wie fließendes Silber. „Ein Mensch?“ Die Roboterstimme zerhackte gnadenlos die Pausen. In der Regie dachte man nicht daran, den Film über den Fremden mit den grünen Augen abzuspielen. Er blieb, wo er war – im Tresor. „Wirklich ein Mensch?“ Kein Kommentar dazu, nur die stereotype Wiederholung der Fragen. Und das Bild auf dem Schirm, das Brustbild eines Mannes, der so unheimlich fremd aussah, bewegte sich nicht. „Wenn er kein Mensch ist, was ist er dann?“ Das Foto war noch zehn Sekunden lang zu sehen, dann verschwand es und der allen bekannte Sprecher war jetzt auf dem Bildschirm. „Ladies und Gentlemen …“ Als er von der Katastrophe zu sprechen begann, erinnerten sich Abermillionen, vor Monaten am Nachthimmel ein brennendes Raumschiff gesehen zu haben, und er sprach lange und ausgiebig darüber, auch über die vergeblichen Bemühungen, ein Bruchstück des später explodierten unbekannten Raumschiffes auf der Erde zu finden. Die Regie in TV-North schuf ein Musterbeispiel, wie man eine gute Nachricht zu verkaufen hatte. Der Sprecher erwähnte einen Film über den Fremden mit den grünen Augen und dem Silberhaar, aber er kündigte weder an, ob der Film über den Schirm gehen würde, noch wo man ihn aufgenommen hatte. „Er lebt unter uns. Wir besitzen die absoluten Beweise, aber noch müssen wir uns etwas zurückhalten. Wollen Sie mehr darüber erfahren, dann vergessen Sie nicht, morgen um die gleiche Zeit TVNorth einzuschalten. Wir setzen jetzt unser normales Programm fort …“
Ein paar hundert Millionen Zuschauer fluchten und ließen an TVNorth kein gutes Haar, doch auch sie konnten das Männergesicht mit den grünen Augen und dem Silberhaar nicht vergessen. Das konnte nie und nimmer ein Mensch von der Erde sein. Aber wenn er nicht von der Erde war, dann musste … Und an diesem Punkt dachten viele Menschen nicht weiter, weil es ihnen trotz grüner Augen und Silberhaar zu unglaubwürdig erschien. Wenn Fremde von einem anderen Planeten auf Terra gelandet waren, warum hielten sie sich dann versteckt? Besaßen sie Intelligenz, dann mussten sie erkannt haben, dass die Terraner auf Besuch aus dem All geradezu warteten. Oder sollte TV-North sie mit der größten Ente der Geschichte bedient haben? * Doc Hellbrook aus der HTO-Klinik hatte Harry T. Orell alarmiert, und durch seine Information sahen auch Peet, Jörn, Vivien und Arn Borul die sensationelle Sendung. „Die Burschen haben nicht nur dieses ausgestrahlte Foto“, knurrte der Konzernchef, „die haben mehr. Ich kenne doch diese Brüder. Gib mir mal den Whisky ‘rüber, Jörn …“ Der tat ihm den Gefallen. „Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, auch nur aus der Ferne einen Reporter gesehen zu haben“, sagte Arn Borul nachdenklich. Harry T. Orell trank seinen Whisky noch nicht. „Die mache ich fertig“, stieß er aus, und mit diesem Ausspruch erinnerte er an den Harry T. Orell, als dieser noch auf dem Weg war, aus der HTO die Corporation zu machen. Der Abenteurer, der Selfmademan und der Pionier lebten immer noch in ihm. Seine Augen funkelten listig, aber das Lächeln um seinen Mund versprach nichts Gutes. „Vivien, gib mal her …“, und er meinte die Visophon genannte Sicht-Sprechanlage. Von diesen Funkgeräten gab es fest installierte Exemplare in Büros und Raumschiffen, aber auch tragbare, sogar handlich kleine in Chronogröße, etwas größer als eine Armbanduhr alter Zeiten. Allen Visophonen gemein war der Monitor, auf dem man sein Gegenüber sehen konnte.
Die Verbindung stand, das Bild auf dem Schirm wurde stabil. „Oh, Sie, Sir?“ „Jeff, haben Sie gerade die Sendung von TV-North …? „Ja, toll, was?“, fragte begeistert der junge Mann, der Jeff hieß. „Möglich. Ich habe einen Auftrag für Sie. In zwei Stunden sind Sie mit drei Exemplaren, wie TV-North uns eins serviert hat, hierher unterwegs. Haben Sie Fotos von dem Mann mit dem Silberhaar geschossen?“ „Natürlich, Sir, das ist doch mein Beruf, aber ich verstehe nicht …“ „Jeff, damit hat’s bei Ihnen schon öfters gehapert. Die genauen Körpermaße bekommen Sie in einer Minute. Bleiben Sie dran. Mein Sohn gibt Sie Ihnen durch …“ Peet Orell kannte die wichtigsten Körperdaten Arns, der sich auf einen Wink des Konzernchefs in eine Ecke verzogen hatte, um vom Objektiv des Sicht-Sprechgerätes nicht erfasst zu werden. „Jeff, die Leute, die Maskenbildner, müssen über etwas Verstand verfügen. Beachten Sie das. Wie lange Ihr Einsatz dauert, können wir jetzt noch nicht sagen. Nehmen Sie den schnellsten Gleiter, natürlich auf Rechnung der HTO. Können wir uns auf Sie verlassen?“ Jeff King schwor alle Meineide, und er hütete sich, einen Kunden von der Größenordnung Harry T. Orells nicht prompt zu bedienen. Prompt und – diskret. Arn war in Harry T. Orells Bungalow Mittelpunkt. Seit der gut überstandenen Operation hatte er schon mehrfach diese Rolle spielen müssen. Manchmal verstand er diese Terraner nicht, die so großes Interesse an ihm hatten, und manchmal entdeckte er, dass sie ihn nicht begriffen, und dann trat jedes Mal zu Tage, dass sie Menschen von verschiedenen Planeten waren. „Wie kann es zu dieser Entdeckung nur gekommen sein?“, fragte Vivien Raid. „Das ist zweitrangig“, warf Harry T. Orell ein. „Geschehen ist geschehen. Wahrscheinlich hat ein neugieriger Reporter Arn aus der Luft entdeckt, oder unsere jungen Herren waren mal wieder zu bequem, die Akustikglocke einzuschalten und wurden durch ein Richtmikrofon belauscht … Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Wichtig ist, der TV-North zu beweisen, dass ihre Sensation keinen
Sol wert ist, und das müssen wir mit Hilfe der drei Gentlemen schaffen, die uns Jeff bis in zwei Stunden zur Verfügung stellt. In dieser Zeit aber, Arn, dürfen Sie Ihre Tauchstation nicht verlassen.“ „Ich habe genug Arbeit mit dem Großcomputer, Mr. Orell.“ „Okay, Arn, dann möchte ich empfehlen, jetzt schon unterzutauchen. – Peet, hast du keinen Freund, der ein verrücktes Drehbuch über Monster geschrieben hat und es nie verkaufen konnte?“ „Ich habe eine Freundin, die drei oder sogar vier Scripts über dieses Thema geschrieben hat …“, warf Vivien ein. „Dann melde dich sofort bei ihr an. Nimm den schnellsten Vogel … äh, wo wohnt sie denn?“ „In Chicago.“ „Dann kannst du um Mitternacht wieder hier sein. Kauf ihr alles ab, aber sag’ nur nicht, für wen. Hast du genug Geld?“ Die letzte Frage wäre eine Beleidigung gewesen, wenn Harry T. Orell sie nicht gestellt hätte; denn Vivien Raids Eltern hatten sich nie einen geldlosen Zustand vorstellen können, und ihr Vater hatte alles getan, um den geerbten Mammon zu vervielfachen. Es war ihm gelungen. Und Harry T. Orell machte TV-North madig. Ohne Skrupel. Aber er übertrieb dabei nicht. Er klopfte dem Reporter anerkennend auf die Schulter, der aus mehr als zwanzig Kilometer Höhe den Film mit Arn Borul gedreht hatte. „Gute Leistung, Mister. Meine Corporation kann Leute Ihres Schlages gebrauchen. Dass Sie etwas können, haben sie bewiesen. Schmeckt Ihnen ein Job bei mir, der zwanzigtausend pro Monat abwirft? Aber dafür haben Sie auch zu schuften. Ein Wohltätigkeitsinstitut ist die HTO noch nie gewesen.“ Zwanzigtausend Sol? Das war mehr als das Doppelte dessen, was er bei TV-North verdiente. „Welche Kündigungsfrist haben Sie?“ „Sechs Wochen ab dem nächsten Ersten.“ „Okay, dann kündigen Sie ordnungsgemäß, und in der Zwischenzeit lassen Sie sich mal bei uns sehen. Man wird Ihnen sagen, was man von Ihnen und Ihrer Arbeit erwartet. Da soll sich die geplatzte Sensation wenigstens für Sie auszahlen.“
Niemand sah dem cleveren Harry T. Orell an, wie er sich insgeheim ins Fäustchen lachte und dabei mit todernstem Gesicht die drei Männer mit schockgrünen Augen und Silberhaar betrachtete, die vor einer technischen Kulisse in einem Monsterfilm, der teilweise auf dem Gelände der HTO gedreht werden sollte, eine kleine Rolle spielen sollten. „Welcher Filmgesellschaft?“, hatte Harry T. Orell erstaunt gefragt. „Muss man denn eine Filmgesellschaft haben, wenn man einen Film machen will? Mein Sohn Peet dreht ihn zu seinem Vergnügen …“ Der Reporter brauchte bei TV-North nicht mehr zu kündigen. Sie entließ ihn fristlos, aber sie kam nicht darum herum, ihm noch vierundzwanzigtausend Sol als Abfindung zu zahlen. Er mietete sich einen Gleiter mit Autopilot und flog zur HTO-Corporation zurück. * Die PROMET, Peet Orells nagelneue Raumyacht, die ihm sein Vater geschenkt hatte, weil er die Große Lizenz mit Summa cum laude bestanden hatte, lag seit drei Wochen wieder in der Werft und verfügte über kein Triebwerk mehr. „Zum Teufel“, knurrte Chefingenieur Harris, als er die Materialanforderungen las, die vom Privatkonto Harry T. Orells abgebucht werden sollten, „ich möchte allmählich wissen, was die beiden da zusammenbrauen. Wenn ich mir alle Bestellungen durchsehe und eine Position gegen die andere abstimme, kommt zum Schluss doch nichts Gescheites dabei heraus.“ Sein Mitarbeiter schmunzelte. „Harris, dann müssten Sie einmal dabei sein, wenn eine Frachtladung für Orell und Callaghan kommt. Du meine Güte, die machen aus der PROMET ein elektronisches Labor. Ich habe mir die Yacht erst vor ein paar Tagen noch einmal angesehen. Bis auf das fehlende Triebwerk ist darin alles so, wie es war.“ „Verdammte Geheimniskrämerei …“ „Und wer ist der dritte Mann, Harris?“ „Keine Ahnung. Gesund scheint er nicht zu sein, denn ich habe ihn schon ein paar Mal in unserer Klinik gesehen. Der Chefarzt scheint Sorgen mit ihm zu haben.“ „Wie geht’s denn Ihrer Frau, Harris?“
„Wir hoffen, dass sie in drei oder vier Tagen nach Hause entlassen wird.“ Peet Orell, Jörn Callaghan und Arn Borul ahnten nicht, welche Gedanken sich andere um sie und das Material machten, das sie angefordert hatten. Die PROMET erhielt ein neues Triebwerk – ein Triebwerk moranischer Technik, und es sollte das erste Sprungtriebwerk Terras werden, wenn sich Arn Borul bei dieser Aufgabe nicht übernommen hatte. Unmerklich war er über diese Arbeit mehr und mehr in den Vordergrund getreten und hatte mit seinem Wissen die Leitung der Entwicklungsarbeit an sich gerissen. Um eine Panne, wie sie mit der TV-North geschehen war, in Zukunft zu vermeiden, trug er ständig Haftschalen vor seinen grünen Augen und eine Perücke, unter der sein Silberhaar verborgen war. Sie benutzten eine Halle auf dem Versuchsgelände der Corporation, und dieser Trakt des riesigen Werks war so hermetisch abgeschirmt, dass nicht einmal eine Maus unerlaubt hinein oder heraus kommen konnte. Vivien Raids Sonderausweis öffnete alle Sperren. Vergeblich suchte sie Arn Borul. „Der?“, rief Jörn Callaghan von der zweiten Galerie. „Der steckt mal wieder bei seinem Computer und nimmt Übersetzungen vor, aber wenn du dich mit uns unterhalten willst, komm’ hoch.“ Kavalier spielte keiner von ihnen, aber das hätte Vivien sich auch verbeten. Ihre hohe technische Begabung machte es ihr oft leicht, Probleme zu lösen, doch auf der zweiten Galerie kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Worüber sprachen Peet und Jörn? Was in aller Welt war ein Kiff, ein Sholen oder Gyder? Hatte Peet sie auf den Arm genommen, als er ihr sagte: „Hier mit diesem Ghen beschleunigen wir in knapp zwei Stunden auf rund 1,2 Millionen Herk, schießen automatisch 850.000 Kiff hinzu und haben damit eine Energie zur Verfügung, die erstens den Massen-Regler konstant arbeiten lässt und zweitens noch so groß ist, um eine Transition von einem Lichtjahr durchzuführen. Leider ist dann damit der gesamte Energievorrat verbraucht. Mit anderen Worten, Vivien, Alpha Centauri ist nach wie vor so weit entfernt wie jetzt. Wir kommen nicht hin.“
Zwei Wochen intensiver Arbeit brachten ihr bei, was Gyder, Ghen, Herk oder Kiff waren. Als der Alarm auf dem Versuchsgelände ertönte, kam zweihundertzwanzig Minuten später die Vollzugsmeldung. Auch der letzte Mann hatte die Schutzbunker aufgesucht. Über Fernsteuerung fuhren Arn, Peet, Jörn und Vivien das neue Triebwerk an. Fünfeinhalb Stunden dauerte der erste Test. Fünfeinhalb Stunden unerhörter Spannung und Konzentration. Die Verbindung zu ihrem Großcomputer stand, und während dieser Zeit hatte er wieder und wieder von moranischer Technik in terranische zu übersetzen, eine Aufgabe, die nur ein Rechengehirn fertig brachte. Sechs Tage nach dem ersten Test wurde das neu entwickelte Triebwerk in die PROMET eingebaut. Die Ingenieure und Techniker, die die Arbeitsroboter steuerten, kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus; denn dieses neue Triebwerk gab über seine Funktionen nicht den geringsten Aufschluss. Alles daran, sogar die Anordnung der kontinuierlich arbeitenden Feldträger, war ihnen fremd, oder stellten die in Ringform angebrachten verkapselten Elemente gar keine Feldträger dar? „Ich möchte euch alle noch einmal wieder sehen“, sagte Harry T. Orell, als er am Abend vor dem Start mit ihnen in seinem Bungalow saß. Mit dem Besuch von Doc Hellbrook hatte niemand gerechnet, und warum wollte der Chefarzt mit dem Konzernherrn unter vier Augen sprechen? In Peet rasselte der Alarm, als er seinen Vater zurückkommen sah. Arn! zuckte es durch sein Gehirn. Es geht um Arn! Der grauhaarige Riese nahm schwerfällig Platz, schenkte sich einen Whisky ein und stürzte ihn die Kehle hinunter, dann krachte seine Faust auf den Tisch. „Verdammt“, sagte er laut und hart. Sein Blick brannte sich auf dem Moraner fest. „Arn, Doc Hellbrook ist hier. Der Doc möchte Sie sprechen. Er wartet in meinem Arbeitszimmer auf Sie. Bitte!“ Wortlos verließ der Moraner den Raum. Die Stille lastete schwer auf ihnen. Niemand wagte Harry T. Orell zu fragen, auch Vivien nicht, die es manchmal nicht so genau nahm. Der Boss der größten Raumschiffwerft Terras trank den zweiten Whisky.
„Die Operation, die an Arn vorgenommen wurde, ist nicht von dauerhaftem Erfolg. Nein, ganz im Gegenteil: Sie wird in wenigen Tagen aus Arn einen Idioten machen, wenn nicht durch eine zweite Operation der alte Zustand wieder hergestellt wird. Die beiden Patienten in jener Krankenanstalt sind nicht nur wieder Idioten geworden, sie werden sterben, weil sich ihre Gehirnmasse zersetzt.“ „Daddy, das darf doch nicht wahr sein“, flüsterte Peet Orell, der in diesem Moment begriffen hatte, wie nah er und Arn sich im Laufe der vergangenen Monate gekommen waren. „Ich bin kein Arzt!“, sagte der grauhaarige Mann hart. Vivien Raid nagte an ihren etwas zu breiten Lippen und blickte unverwandt einen Punkt auf dem Tisch an. „Ich kann es nicht glauben …“ Wütend fiel Harry T. Orell Jörn ins Wort. „Ich auch nicht. Aber der Doc bleibt bei seiner verdammten Behauptung. Das ist zugleich das Todesurteil für zweitausendfünfhundert Moraner, die alle Hoffnung auf die TIRA gesetzt haben. Schedo … Schedo! Terra … Sie werden die Erde nie sehen. Sie werden eines Tages wünschen, dass ihre Vorfahren nie jenen Ungeheuern hätten entkommen dürfen, und Arn wird zum Idioten, der …“ Der Moraner kehrte zurück. Ruhig, als wäre nichts geschehen, nahm er Platz. „Der Arzt irrt! Ich lasse mich nicht mehr operieren, damit man alles rückgängig machen kann. Peet, starten wir morgen, um das Triebwerk auf seine Sprungfähigkeit zu prüfen?“ „Die PROMET startet nicht!“, entschied Harry T. Orell, bevor Peet in der Lage war, Arns Frage zu beantworten. „Und wenn ich zurückbleibe, halten Sie dann das Startverbot auch noch aufrecht?“, fragte Borul mit fester Stimme, und etwas, das nicht irdisch war, klang mit – etwas, das man nicht definieren konnte. „Wenn Sie nicht mitfliegen, wird der Start der PROMET verschoben, Arn“, kam Peet seinem Vater zuvor. „Unsinn! Durch die Behauptung des Arztes bin ich zum größten Unsicherheitsfaktor geworden, aber das heißt doch nicht, dass deswegen der Test unterbleiben muss …“
„Arn, vielleicht kennen Sie die menschliche Mentalität doch noch nicht so genau. Es gibt ein einfaches Sprichwort: Alle für einen und einer für alle! Damit ist alles gesagt, oder?“, mischte Jörn sich ein. Der Moraner nickte und lächelte dünn. „Ich habe nicht gewusst, dass terranische Sprichwörter auch im alltäglichen Leben ganz konkret angewendet werden. Danke. Für mich, den Moraner, ist es etwas einmalig Neues. – Sir“, wandte er sich an Harry T. Orell, „kann ich erfahren, wann ich zum Schizophrenen werde?“ „Peet, hol’ den Doc herein.“ Hellbrook fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. „In acht bis zehn Tagen, Mr. Borul.“ Der Moraner nickte; seine Miene hatte sich nicht verändert. „Dann will ich innerhalb dieser Frist dem Computer noch so viel Daten wie möglich eingeben. Sie entschuldigen, wenn ich mich schlafen lege …“ „Arn“, sagte Peet mit deutlicher Erregung in der Stimme, „wenn Sie ein Beruhigungsmittel benötigen …“ „Aber, Peet, wozu denn? Weil Doc Hellbrook Unrecht hat, soll ich mich aufregen? Gute Nacht.“ Die Tür fiel hinter ihm zu. Vier Männer und eine junge Frau waren allein. – Fünf Wesen von Terra. „Will er sich mit seinen Behauptungen, Sie hätten Unrecht, Doc, Sicherheit suggerieren?“, wollte der Boss wissen. „Wahrscheinlich, Sir. Bestimmt. Zur Hölle, wenn er sich doch nur bereit erklären würde, sich noch einmal untersuchen zu lassen. Aber er lehnte es kategorisch ab.“ „Man müsste ihn an die zweitausendfünfhundert Moraner erinnern, die auf seine Rückkehr warten …“ „Ich sag’s ihm“, stieß Peet aus und verließ den Raum. Kurz darauf war er wieder zurück. „Arn hat mich ausgelacht. Dass ihm darüber nicht die Tränen kamen, wundert mich jetzt noch. Er behauptete, wir würden den Rest seines Volkes noch früh genug auf Terra sehen. Seine Sicherheit ist mir unheimlich geworden. Doc, können Ihre Kollegen in der Irrenanstalt sich nicht geirrt haben?“
„Nichts ist absolut, Mr. Orell, das wissen Sie so gut wie ich, aber genau an den Punkten, wo die Operationen ausgeführt wurden, hat die Zersetzung des Gehirns begonnen. Genau dort.“ „Und wie kommt es, dass Sie erst jetzt davon erfahren, Doc?“, fragte Harry T. Orell. „Die beiden Kollegen, mit denen ich in diesem Fall in Verbindung stand … der eine war in Urlaub und der andere krank. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen.“ „Dann warten wir ab!“, traf Harry T. Orell seine Entscheidung. Die PROMET startete am anderen Morgen nicht. * Arn Borul fühlte die versteckten Blicke seiner Freunde. Sie trafen ihn wie hochenergetische Strahlen und konnten ihm dennoch nichts anhaben. Er war sich seiner Sache sicher. Dieser Arzt irrte sich! Warum sollte er sein Gehirn noch einmal untersuchen lassen? Aber es tat ihm gut, die Sorge seiner Freunde zu fühlen. So etwas gab es auf Moran nicht, und ob es so etwas jemals gegeben hatte – er hatte nie davon gehört. Seine Liebe zu Junici zählte in diesem Zusammenhang nicht, denn das war etwas ganz anderes. Eigenartige Geschöpfe, diese Terraner. Früher hatten sie mit allen Mitteln versucht, sich gegenseitig zu vernichten. Heute führten sie keine Kriege mehr, stattdessen bekämpften sie sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Aggressivität schien dem Terraner wohl angeboren zu sein, aber wie kam er dann dazu, Mitgefühl mit einem anderen zu haben, den er doch erst so kurz kannte? Lernte man sich auf Terra gegenseitig so schnell und gut kennen? Wirklich, eine interessante Welt, und doppelt interessant deshalb, weil nicht Fremde im Laufe von sechzigtausend Gör diesen Planeten besiedelt hatten, sondern die Eingeborenen ihn sich unterworfen hatten. Aus Herdenwesen wurden denkende Wesen, und nun waren sie auf dem Weg zu den Sternen. Er war sich darüber im Klaren, dass er ohne ihre Hilfe nie nach Moran zurückfinden würde. Ich muss weiterarbeiten, unterbrach er seine Überlegungen. In drei bis vier Tagen soll ich schizophren sein! Doc Hellbrook, ich werde das Gegenteil beweisen, und dann startet die PROMET mit mir an Bord.
Arn Borul wurde zur Maschine. Im Unterbewusstsein steckte doch die Angst, Hellbrooks Prophezeiungen könnten sich erfüllen. Dem Moraner fiel es immer schwerer, sich zu konzentrieren, je näher er den Tagen seiner Krisis kam. Er schlug die Warnungen von Peet und Jörn in den Wind, aber Vivien Raids Blicke gaben ihm zu denken. Dass er mit seinen Körperkräften Raubbau trieb, war ihm klar, doch er fühlte sich so fit wie noch nie, und deutlicher denn je trat der Unterschied hervor, den er gar nicht sehen wollte, weil dabei Thosro Ghinu, sein alter Lehrer und Erzieher, nicht gut wegkam. Auf Terra lebte er in Freiheit und schuftete dennoch wie ein Roboter. Auf Moran hatte er sein ganzes Leben lang unter der Knute Ghinus arbeiten müssen. Nicht einmal jung hatte er sein dürfen. Und das konnte er Ghinu nicht vergessen, der sogar versucht hatte, einen Keil zwischen Junici und ihn zu treiben. Welchen Wert Freiheit hatte, wurde ihm auf Terra bewusst. Ein paar Stunden Schlaf hatten genügt, ihn wieder zum Großcomputer zu treiben. Ohne das Rechengehirn hätte die Übersetzung selbst der einfachsten moranischen Formel Wochen gedauert und ein paar Hundert Experten zur Verzweiflung getrieben, so ungeheuer groß waren die Schwierigkeitsgrade. Arn fasste sich an den Kopf. Wie hatte er nur vergessen können, die Position der Romd-Sonne anzugeben? Diese Daten waren unbedingt erforderlich, wenn man von Terra aus das Kyl-System wieder finden wollte. „Arn, ich lasse nach Ihrer Sonne suchen“, hatte ihm Harry T. Orell vor drei Wochen eröffnet, und nun entdeckte er, dass alles Suchen erfolglos bleiben musste, wenn die dem Computer gerade eingegebenen Daten nicht bekannt waren. Er stöhnte plötzlich und senkte den Kopf. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Als ob eine Messerklinge quer durch sein Gehirn gefahren wäre, so schmerzte es. Das sind die ersten Anzeichen! Alles in ihm bäumte sich dagegen auf. Alles! Langsam verebbte der Schmerz in seinem Kopf, und sein Gesicht erhielt wieder ein normales Aussehen. Seine schockfarbigen Grünaugen leuchteten erneut, und die feinen Schweißperlen auf seiner Stirn verschwanden. Die Harre-Togis. In der terranischen Hauptsprache gab es dafür keinen Ausdruck, und darum musste er neben vielen anderen aus der Sprache seines Volkes übernommen werden. Die Harre-Togis betraf
die Konvertierung der Raumspannungs-Bogen, etwas, das die terrestrische Wissenschaft nicht kannte. Man wusste nicht einmal, dass so etwas existierte. „Ein verdammtes Problem …“ Ihm wurde gar nicht bewusst, wie gut er schon fluchen konnte, und dann fluchte er noch kräftiger, als die Rotkontrolle am Schaltpult aufleuchtete und der Computer blockierte. ‘Daten sind unvollständig’, blinkte ihm das flackernde Rotlicht zu. Er rief alles über die Harre-Togis ab. „Ich Idiot …“ Da stieg erneut die Angst aus seinem Unterbewusstsein; die Angst, morgen oder übermorgen zum Idioten zu werden. Wie konnte ich diesen Fehler machen? Lässt meine Konzentration schon nach? Die Angst. Diese verdammte Angst! Dann erlosch die Rotkontrolle. Der Computer hatte alle Daten über die Konvertierung der Raumspannungs-Bogen gespeichert. Arme Terraner, dachte er mitfühlend und schrie gellend auf. In seinem Kopf war die Hölle ausgebrochen; eine Hölle aus Schmerzen und Schmerz erzeugenden Blitzen, die er auch dann noch sah, als er die Augen geschlossen hatte. Die Nottaste …! Wo war sie denn!? Er stand dicht vor dem Pult, an dem er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Mein Gehirn zerschmort! Mein Gehirn … Dass er zusammenbrach und als wimmerndes Bündel vor der Dateneingabe des Rechengehirns lag, wurde ihm nicht mehr bewusst. Er hörte auch sein Schreien nicht mehr, das alles Menschliche verloren hatte. So wie Arn Borul brüllte, konnte nur ein Verrückter schreien. Jörn Callaghan hörte in seinem Zimmer die Sirene aufklingen und bekam auch den Vibrationsalarm zu spüren. Sein Kopf flog hoch, sein Blick fiel auf die Kontrolltafel und eine unheimliche Ahnung ergriff ihn, als er erkannte, dass der Alarm aus dem Computerraum tief unter der Erde kam. Mit einem Satz war er auf dem Gang, warf sich gegen die zweiteilige Schwingtür und schleuderte sich in den Antigrav-Schacht. Viel zu langsam trug ihn die Minus-Sphäre nach unten.
Mein Gott, dachte er, was kann im Computerraum geschehen sein? Auf einmal lauschte er. Schrie da nicht jemand? Ein paar Sekunden später hörte er das grässliche Schreien deutlich, aber wer, um alles in der Welt, konnte so unmenschlich brüllen? Er wusste es, nur wollte er es nicht wahrhaben. Arn, der Moraner, war verrückt geworden. Doc Hellbrook hatte doch Recht behalten. Und dann stand Jörn Callaghan vor dem brüllenden Moraner, der sich auf dem Boden krümmte, Schaum vor dem Mund stehen hatte und mit beiden Fäusten gegen einen unsichtbaren Feind kämpfte. Jörn musste Obacht geben, von keinem Hieb getroffen zu werden! Peet benachrichtigen! Die Klinik alarmieren! Harry T. Orell informieren! Fast unmöglich bei Arn Boruls Schreien, der sich wie eine Schlange am Boden wand und nun auch noch um sich trat. „Wir kommen …“ Das war die Rückantwort aus der HTO-Klinik. Sie trafen ein paar Minuten vor Peet Orell ein. Arn Borul lag gefesselt auf einem der schwebenden Medobetten und schrie nicht mehr. Er hatte sofort auf die Injektionen angesprochen, die Hellbrook ihm verabreicht hatte. „Das ist erstaunlich … Das hätte ich nie erwartet!“, hatte der Arzt seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, und dann gab es keine Zeit mehr für lange Gespräche. Gegen den ausdrücklichen Willen des Moraners wurde das Gehirn einer exakten Untersuchung unterzogen. Die Projektion flammte auf und zeigte Boruls Gehirn. Für Peet und Jörn ein Labyrinth, in dem sie sich nicht zurechtfanden. Sie saßen in einer Ecke und schwiegen. Sie vermieden es, sich gegenseitig anzublicken. Peet hatte die Hände ineinander gelegt und drückte sie so fest, dass die Handknöchel weiß wurden. Jörn Callaghan rieb den Kolben seiner geliebten Pfeife und verriet dadurch seine Nervosität. Es darf nicht wahr sein! sagten sich beide in ihren Gedanken immer wieder, aber im Grunde hatten sie keine Hoffnung mehr. Arn Boruls Gesicht war grau, schmutziggrau, aber er sah trotzdem nicht wie ein Verrückter aus. Mein Gott, wie lange brauchen denn die Ärzte? fragte sich Peet und warf wieder einen Blick auf sein Chrono. Als er aufschaute,
stand sein Vater vor ihnen, der den Zeigefinger auf die Lippen legte und wortlos neben ihnen Platz nahm. Was hatte Doc Hellbrooks Geste zu bedeuten, der die Schultern angehoben und dann ruckartig wieder gesenkt hatte? Verzweiflung? Hilflosigkeit? Warum kam er nicht zu ihnen und informierte sie? Die Untersuchung Arn Boruls ging weiter – in die zweite Stunde. Hin und wieder summte eins der komplizierten Mess- und Durchleuchtungsgeräte. Immer noch stand die Projektion und zeigte nun zum x-ten Mal einen bestimmten Gehirnteil. Da stieß einer der Ärzte einen Ruf aus, der hypnotische Kraft besaß; denn die drei Männer in der Ecke starrten nun unverwandt diesen Mediziner an, der mit seinen Kollegen erregt flüsterte. Mit herrischer Geste schob der Chefarzt seine Mitarbeiter zur Seite, setzte ein Gerät auf Arn Boruls Brustkorb an und fauchte: „Einschalten! Diagrammwerfer auch!“ Es knackte im Raum und dann wurde das Summen immer heller. Mitten in der Luft entstand die Projektion, eine materielose Wand, gräulich, und auf der Fläche ein verwirrendes Diagramm, das sich ständig änderte, aber eine gewisse Grundform beibehielt. „Großer Himmel, ja … Tubtin, Vonco und Allasbal injizieren! Her mit der Tubtin-Pistole!“ Dann zischte schon der Druckstrahl aus der Düse und das Tubtin, intramuskulär injiziert, verschwand in Arn Boruls linkem Oberschenkel. Vonco und Allasbal erhielt er intravenös. „Da, Gentlemen …“ Aber es klang nicht triumphierend, und Doc Hellbrook schüttelte den Kopf, als ob er resigniere. Plötzlich stand Harry T. Orell neben ihm, und der grauhaarige Riese überragte den Mediziner um Haupteslänge. Er wirkte neben dem schmalen Mann wie ein kompaktes Denkmal. „Wie sieht es aus, Doc?“ Der warf ihm einen Blick zu, der nicht zu deuten war. „Gut, Sir.“ „Was heißt das?“ „In einer Viertelstunde kann ich Ihnen mehr sagen. Bitte …“ Harry T. Orell, einer der reichsten und erfolgreichsten Männer Terras, ging wieder zu seinem Sohn und dessen Freund zurück. Diese Viertelstunde wurde zur Ewigkeit. Dann verblasste das
Diagramm; die Projektion wurde ausgeschaltet und die Messstrecken von Arn Borul abgenommen. Hellbrook schien einen innerlichen Kampf mit oder gegen sich selbst auszufechten, denn er benötigte viel Zeit, bis er auf die kleine Gruppe zukam. „Arn Borul wird nicht verrückt werden. Das steht fest, Gentlemen. Wie Sie wissen, hat sein körperlicher Aufbau nur eine gewisse Ähnlichkeit mit dem des Menschen, darum reagiert er auch anders als der Homo sapiens. Unser Freund von einem anderen Planeten hat nichts anderes als radikalen Raubbau mit seinen Verstandeskräften betrieben. Die stundenlange, außerordentlich strapaziöse Konzentration hat die Durchblutung seines Herzens derart gestört, dass die sensitiven …, äh, ich will mich anders ausdrücken: dass die Alarmzeichen in seinem Gehirn eine völlige Blockierung des TheraTrakts auslösten. Wir sahen darin zuerst den Beginn einer Gehirnzerstörung, bis Kollege Dirk entdeckte, was mit Arn Boruls Herzen los war.“ „Mit anderen Worten: Arn reagiert bei Ausfallerscheinungen ganz anders als ein Mensch?“, unterbrach ihn Harry T. Orell. „Ja.“ „Und sein Herzschaden …?“ „Er hat keinen. Er hat nur eine Durchblutungsstörung, und als diese Störung nicht beseitigt wurde, blockte der Thera-Trakt alle Kräfte verbrauchenden Funktionen in dem Moraner ab. Der Zusammenbruch muss für ihn fürchterlich gewesen sein, und ich hoffe, er wird ihm auch eine so ausdrückliche Lehre werden, dass er niemals mehr wagen wird, sich in dieser Form zu übernehmen. Wenn keine Komplikationen eintreten, wird er nach dem zwanzigbis fünfundzwanzigstündigen Zwangsschlaf wieder topfit sein.“ „Danke“ sagte Harry T. Orell knapp. „Ich werde ihm, wenn er wieder auf den Beinen ist, einige Kleinigkeiten erzählen.“ Und Harry T. Orell hielt Wort. Was er Arn Borul zu sagen hatte, erfuhr niemand. Zu Peet Orell sagte der Moraner später: „Peet, Ihr Vater ist ein wundervoller Mensch. Hätte doch Thosro Ghinu nur ein Hundertstel davon gehabt.“ *
Der Flug der PROMET war angemeldet und genehmigt. Die Raum-Kontrollbehörde wagte es nicht, sich mit der HTOCorporation anzulegen, und der Konzern lieferte ihr auch keine Handhabe dazu. Die fünfundvierzig Meter lange PROMET, die Tropfenform mit abgestumpftem Heck besaß, war mit ihrem maximalen Durchmesser von neunzehn Metern nicht mehr als eine Yacht und wurde im Register auch unter dieser Klasse geführt. Die PROMET startete und landete waagerecht aus ausfahrbaren Teleskopstützen und besaß vier Decks. Die Kommando-Zentrale befand sich im Bugteil, getrennt von Funkraum und Astro-Lab. Sicht in der Zentrale war über fünf Bildschirme möglich; der Sichtwinkel war dabei umfassend bis zu 360°. Niemand sah dem im Blauglanz schillernden Rumpf an, dass die PROMET einmalig zwischen den Planeten der Sonne Sol war, aber außer dem Chef der Corporation, seinem Sohn – dem Eigner der Yacht –, dessen beiden Freunden und Vivien Raid wusste nicht einmal die dreiköpfige Besatzung, die aus Funker, Ingenieur und Astronavigator bestand, mit welchem Triebwerk der kleine Raumer flog. Peet Orell hatte drei Männer der HTO-Flotte als Besatzung der PROMET ausgesucht die er durch verschiedene Aktionen schon einige Jahre kannte und denen er vertraute. Auf die Minute genau hob das Schiff von der Piste ab. Der Start wurde kaum beachtet, denn auf dem werkseigenen Hafen herrschte ein ununterbrochenes Starten und Landen von Schiffen aller Typen, die jemals bei der HTO vom Band gelaufen waren. Gus Yonker, der Funker, glaubte zu träumen, als ein Mann mit schockgrünen Augen und Silberhaar seinen Funkraum betrat. Er besaß plötzlich nicht mehr die Kraft aufzuspringen, obwohl er es gern getan hätte. Da legte sich eine Hand auf seine linke Schulter, und eine Stimme, die ihm vertraut war, sagte: „Yonker, ich bin der Mann aus der TVNorth-Sendung, und der einzige, der sich aus dem unbekannten, brennenden Raumschiff retten konnte. Ich bin der einzige Fremde auf Terra.“ „Mein Gott …“ Mehr brachte Gus Yonker nicht mehr über die Lippen und konnte es immer noch nicht fassen.
Nicht viel anders erging es Ingenieur Pino Tak und dem Astronavigator Szer Ekka, dessen Ahnen Eskimos und Indianer gewesen waren; aber die PROMET hatte nicht einmal die Mondbahn passiert, als sie sich bereits an sein auf den ersten Blick so ungewöhnliches Äußeres gewöhnt hatten. Luna III meldete sich und Gus Yonker bestätigte noch einmal, dass die PROMET bis zum Neptun vorstoßen wolle. „Wie lange wollt ihr denn unterwegs bleiben?“, fragte der neugierige Kontrollbeamte auf dem Mond, der froh war, sich mal wieder unterhalten zu können. „Keine Ahnung“, erwiderte Yonker wahrheitsgemäß. „Ich habe auch nicht danach gefragt. Achtung, ich strahle jetzt auf 33,8 einen Peilstrahl ab und um 17:42 Standardzeit, wenn wir schon auf die Marsbahn zufliegen, noch einmal. Bitte festhalten.“ „Ist schon fixiert. Warum denn jetzt schon diese genaue Kursbestimmung? Der Neptun ist noch eine Ewigkeit entfernt.“ Der Beamte in Luna III hatte Recht, aber mit seiner Frage kam er bei Yonker nicht weit. „Keine Ahnung. Der Captain hat es angeordnet, und ich habe es durchzuführen. Achtung, Peilstrahl steht …“ Im kleinen Kommandoraum der PROMET ereignete sich nichts Besonderes, aber die Spannung darin war fast greifbar. Der ruhende Pol hieß Arn Borul. Er kontrollierte die Instrumente, die das Triebwerk des Schiffes überwachten. Zum dritten Mal fuhr er die fünf Hastings-Bänke an, schaltete sie nacheinander hoch und nahm ihnen über die Dämpfer die entwickelten Energien ab. Auf einem Oszillo wurde der Ausschlag der Amplituden immer stärker. „Zufrieden, Arn?“, fragte Peet Orell, der ihm über die Schulter sah. „Sehr. Hastings-Bänke oder etwas Ähnliches, das hatten wir nicht in unserer TIRA, und auch die Technik der Dämpfung war uns in dieser Form unbekannt.“ „Dafür haben wir keine Ahnung, wie man eine Transition durchführen kann, Arn.“ Peet winkte ab. „So toll ist es mit unserer Raumfahrttechnik wirklich nicht.“ Jörn Callaghan ließ seine Pfeife qualmen. Er mischte sich ein. „Wir haben uns nie die Frage gestellt, welchen Wirbel wir auslösen werden, wenn man zum ersten Mal die Schockwellen
anmisst, die wir beim Verlassen des Raum-Zeit-Kontinuums erzeugen werden.“ „Man wird alles Mögliche vermuten, aber niemals darauf kommen, dass die PROMET sie hervorgerufen hat.“ Der bedächtige Jörn Callaghan war anderer Meinung. „Peet, man hat zuviel über das neue Triebwerk gemunkelt. Wir mit unseren ungewöhnlichen Materialanforderungen haben die anderen ja geradezu mit der Nase darauf gestoßen, dass wir was Neues entwickeln.“ „Aber doch kein Transitionstriebwerk, Jörn!“, hielt ihm Peet entgegen und wurde in diesem Moment durch Arn Borul unterbrochen. „Ist es üblich, dass sich Schiffe im freien Raum so dicht anfliegen, Peet? Ich habe einen Raumer in der Ortung, und der ist keine viertausend Kilometer entfernt. Wenn er seine Flugbahn nicht ändert, dann fliegt er auf Kollisionskurs.“ „Moment …“ Peet schwang sich mit seinem Sessel herum, schaltete Distanz- und Massen-Ortung ein, stellte Kontakt zum Bordcomputer her und entdeckte auf beiden Bildscheiben den strahlend hellen Punkt, der bewegungslos im Raum zu stehen schien. Über die Bordsprechanlage rief er zum Funker durch. „Nein, Mr. Orell, nur Luna III hat mit uns gesprochen. Okay, ich schalte durch, wenn wir einen Anruf erhalten.“ Vivien Raid war mit der automatischen Feineinstellung des großen Bildschirms nicht zufrieden und stellte manuell nach; dabei hatte sie auf maximale Vergrößerung geschaltet. Sie kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und holte tief Luft. „Freunde“, rief sie verblüfft aus, „wenn das nicht eins der ersten Schiffe der Space-Police ist …“ „Polizei?“, vergewisserte sich Arn. „Dann muss ich meine Maske wieder anlegen.“ „Warum?“, fragte Peet. „Was geht uns ein Boot der Space-Police an? Unser Flug ist ordnungsgemäß gemeldet und genehmigt. Was kann uns da schon …?“ In der Bordsprechanlage knackte es. Gus Yonker rief aus seiner Funk-Zentrale, die er gerne im Gespräch als Funk-Z abkürzte, durch: „Space-POL-Kreuzer B 2 fordert PROMET auf zu stoppen. Bordkontrolle ist gemeldet worden.“
„Gus, haben Sie den Spruch bestätigt?“, fragte Peet Orell hastig. „Noch nicht …“ „Dann schalten Sie den Funk aus! Wir haben den Ruf nie empfangen. Ende.“ Im Kommandoraum knisterte die Spannung. Pino Tak, der Bordingenieur wunderte sich, wieso das Triebwerk hochgefahren wurde. Plötzlich brummten die Hastings-Bänke, und die großen Transformer ließen ihr Bassrauschen erklingen. Vor dem Schott zum Triebwerksraum flackerten fünf Rotkontrollen, und die Aufschrift ‘Achtung, tödliche Strahlung!’ war nicht zu übersehen. Der auffallend schlanke Mann mit dem glattrasierten Schädel, der sich seit Jahren schon nicht mehr über sein schwarzes Kraushaar zu ärgern hatte, war auch jetzt nicht aus der Ruhe zu bringen. Warum sollte Peet Orell das Triebwerk nicht hochschalten? Einmal musste es doch im freien Raum die höchste Belastung durchstehen. Nur, dass er keine Ahnung hatte, welche Änderungen man am Triebwerk vorgenommen hatte, schmeckte ihm nicht. „Space-POL-Schiff bleibt zurück …“, meldete Arn Borul mit ruhiger Stimme. Die Beschleunigung stieg schnell, aber mehr als ein g Andruck kam nicht auf; dafür sorgten die lautlos arbeitenden AndruckAbsorber. „Große Milchstraße“, meldete sich Yonker aus seiner Funk-Z, mein Kollege aus dem Polizeischiff schreit sich die Kehle heiser.“ „Schreien lassen, Gus …“, ordnete Peet Orell an; dann wandte er sich an Arn Borul und sagte: „Ich gehe jetzt auf maximale Leistung …“ „Dann weiß morgen die ganze Welt, wie schnell die PROMET ist“, warnte Jörn, der seine Pfeife stopfte. „Ich kann es nicht ändern, genauso wenig wie wir auf Dauer Arn Borul vor der Welt verstecken können.“ Er hatte nun keine Zeit mehr, sich zu unterhalten. Die Instrumentenkonsole in seinem Blickfeld nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Dass über die großen Bildschirme der Weltraum mit seinen gleißenden Lichtpunkten zu ihnen in den Kommandoraum kam, sah er nicht mehr. Das Triebwerk lief mit 95 Prozent Leistung und näherte sich der Hunderter-Marke. Drei
syntisch gesteuerte Regler sorgten dafür, dass Missweisungen nicht aufkamen, und der Bordcomputer, der jeden Kommandoimpuls kontrollierte, zeigte nach wie vor grün. „Distanz zum Space-POL-Schiff schon zwanzigtausend Kilometer“, sagte Arn Borul ruhig. Er hätte eigentlich innerlich froh sein sollen, dass er innerhalb so kurzer Zeit, ein knappes Jahr nach dem Absturz, schon wieder in einem Raumschiff saß, und zwar dem schnellsten terranischen Schiff, aber er freute sich nicht. Wo hatte man das Kyl-System zu suchen, in dem es den Planeten Moran gab? In welchem Sektor der Galaxis? „Mit hundert Prozent stabil …“ In seiner Begeisterung schlug Peet Orell dem Moraner auf die Schulter. „Arn, ohne Sie hätten wir das nie geschafft. Jetzt bin ich überzeugt, dass wir auch die erste Transition erfolgreich hinter uns bringen. Wir könnten eigentlich daran denken, mit dem normalen Dienstbetrieb zu beginnen, und das hieße dann auch, unseren Leuten reinen Wein einzuschenken.“ Sie nahmen es gelassener auf, als Peet und seine Freunde es erwartet hatten. „Transition?“, sagte Szer Ekka nachdenklich. „Okay, dann erleben wir es also jetzt auch. Ein Sprung durch das Parakon in Nullzeit … Verlassen des Raum-Zeit-Gefüges und Wiedereintritt … Ich bin gespannt, wie das mit dieser Nullzeit ist.“ Arn Borul, Jörn Callaghan und Vivien Raid stiegen ein Deck höher, dorthin, wo ihre Wohnkabinen lagen. „Wir haben die richtigen Leute an Bord“, sagte Jörn, der seine kalt gewordene Pfeife in die Tasche steckte. „Ehrlich gesagt, ich habe mit Schwierigkeiten gerechnet. Schließlich wäre es unsere Pflicht gewesen, sie vor dem Start zu informieren. Na, dann gute Nacht.“ Als Stäubchen in der Unendlichkeit des Raumes raste die PROMET mit immer schneller steigender Geschwindigkeit der fernen Marsbahn zu. Das Schiff der Space-Police war längst der Reichweite ihrer Ortungsgeräte entkommen. Die einzigen Menschen, die in der Yacht nicht schliefen, waren Peet Orell und Pino Tak, der Bordingenieur. Sie saßen nebeneinander im Kommandoraum und kontrollierten die Instrumente. Auf dem Bildschirm sahen sie, wie Terra, der blaue Planet, allmählich immer kleiner wurde. Der Mond war hinter der Erdkugel verschwunden. Vor ihnen lag das Sternenmeer.
* Raumstation 45 stand in 72 000 Kilometern Entfernung über der Erde und ließ Terra unter sich rotieren. Die gewaltige Tele-StereoAnlage schwebte über der Station frei im Raum und schien mit ihrem komplizierten Antennenschirm ein Schutzdach zu bilden. Poul Ederson nahm eine neue Einstellung vor. Während die T-StAnlage auf einen anderen Punkt der Milchstraße ausgerichtet wurde, ließ der hagere Mann, der hier seine Freizeitstunden verbrachte, seinen Gedanken freien Lauf. Harry T. Orells 25-Millionen-Sol-Spende hatte Raumstation 45 fast aus ihrer Lage gebracht. Niemand hatte von solch einer Summe auch nur zu träumen gewagt. Die Spende war mit einer einzigen Auflage verbunden: Im Gebiet um den Ringnebel der Leier nach einem System, das zehn Planeten besaß und dessen Sonne wahrscheinlich vom Typ W war, zu suchen. Über diese Suche war absolutes Stillschweigen zu bewahren. Poul Ederson, hier oben auf Station 45 der Chef, nickte. Für 25 Millionen Sol konnte man schon ein bisschen suchen und auch schweigen, nur von der Suche versprach er sich nichts; denn die Koordinaten, die Harry T. Orell ihnen geliefert hatte, waren nicht viel wert, und zu behaupten, im Gebiet um den Ringnebel der Leier zu suchen, war eine unwahrscheinliche Untertreibung. Dieser Ringnebel war der einzige fixe Punkt. Der T-St-Antennenschirm war neu justiert, und Poul Ederson stoppte seinen Gedankenflug. Er überließ dem kleinen Computer die Weitersteuerung und drückte die Taste für den Projektor. Ein Teil der Milchstraße mit ihren Abermilliarden Sonnen schien in Raumstation 45 einzubrechen. Grelle Lichtpunkte überdeckten die Leier mit ihrem Ringnebel. _Der Schichtentrenner wurde wirksam, und plötzlich waren nur noch die Sterne bis zu einer Entfernung von hundert Lichtjahren zu sehen. Alle anderen waren durch den Schichtentrenner absorbiert. Eine Spezialkamera nahm die Wiedergabe auf und hielt das Bild fest. Ederson, der das alles gewohnt war, wollte sich gerade abwenden, als ein Blitz den Weltraum zu zerreißen schien; ein Blitz, der von der Projektion zu ihm in den klimatisierten Raum
eingeschlagen war. Völlig erstarrt – denn so etwas hatte er noch nie erlebt – wartete Poul Ederson auf den Donner, bis er auf einmal böse lachte und über sich den Kopf schüttelte. Aber was hatte er gesehen? Die Explosion eines Sterns? Seit wann verliefen sie in dieser Form? Oder hatte es einen Defekt an der T-StAntenne gegeben, der diesen Blitz erzeugt hatte? Die kleine Sirene der Sprechanlage heulte auf. Ederson drückte die Taste und meldete sich. Reeder von der Erde rief an. „Ederson, vor genau fünfunddreißig Sekunden brachen alle Messgeräte, die Werte über Raumstrahlungen hereinholen sollten, für einen winzigen Augenblick zusammen. Haben Sie zufällig etwas im Raum gesehen, das damit in Zusammenhang stehen könnte? Seit zwanzig Sekunden geht es bei uns drunter und drüber. Von überall treffen Meldungen über einen kurzfristigen Geräteausfall ein.“ Ederson erzählte von dem Blitz, der tief aus dem Weltraum in die Station 45 gekommen war. „Ein Blitz?“, fragte Reeder ungläubig. „Wann genau, Ederson?“ Der Zeitpunkt, vom Computer geliefert, stimmte mit dem Ausfall der Messgeräte auf den Sekundenbruchteil überein. „Die Raumkoordinaten, Ederson. Ich rufe dann wieder an.“ Er gab sie durch. Die Verbindung nach Terra brach wieder ab. Ederson ließ der Vorfall jetzt keine Ruhe mehr, und er begann mit den ersten Untersuchungen. Er bemerkte nicht, wie die Zeit verstrich, und als er die Sirene wieder hörte, sah er nicht einmal auf sein Chrono. Er sprach abermals mit Reeder. „Keine Station, kein Mensch hat einen Blitz bemerkt, wie Sie ihn gesehen haben wollen. Sie müssen einem Nervenreflex Ihrer Augen zum Opfer gefallen sein und …“ „Der dann aber nie von der Spezialkamera hätte gefilmt werden können, Reeder. Ich habe diesen Blitz auf Film!“ Von der Erde kam als Antwort nur Schweigen. „Sind Sie noch da, Reeder?“ Der hatte sich zu einem Entschluss durchgerungen. „Strahlen Sie den Teil des Films, auf dem der Blitz zu sehen ist, sofort ab. Wir warten darauf. Damit wird es ja noch verrückter …“ Diese letzte Bemerkung schien nicht mehr für Ederson bestimmt zu sein, doch er griff sie auf. „Was ist denn noch los, Reeder?“
„Wenn wir das wüssten. Wir wissen nur, dass sich in der Nähe der Marsbahn etwas bisher Einmaliges abgespielt hat. Etwas, und der Verdacht wird stärker, je mehr Daten wir erhalten, etwas, das mit Überlichtgeschwindigkeit bis zur Erde durchgekommen ist.“ „Mit Überlichtgeschwindigkeit? Überlichtgeschwindigkeit in unserem Raum-Zeit-Gefüge, Reeder?“ Mit anderen Worten ausgedrückt hieß die Frage: ‘Sind Sie übergeschnappt, Reeder?’ „Ja, in unserem Raum-Zeit-Kontinuum, und zwar dicht vor der Marsbahn. Machen Sie sich selbst einen Vers darauf. Wir können es nicht. Und nun den Filmausschnitt.“ Der kam, und in der Zentrale der Space-Labs in Rio rang man bald die Hände. Es hatte diesen Blitz tatsächlich gegeben. Doch nach drei Stunden war der Spuk schon wieder vorbei. Auf Raumstation 45 wurde Poul Ederson aus dem Bett geholt und hatte mit Reeder zu sprechen. „Ihr Blitz ist ein fauler Apfel gewesen, Ederson.“ Der wusste mit diesem eigenartigen Vergleich nichts anzufangen. „Ederson, als der Überlicht-Stoß oder was es in drei Teufels Namen gewesen ist, Ihre Antennen-Anlage erreichte, gab es im Antennen-Sektor Kappa 17, wo sich die Rioden befinden, einen Kurz-Kurzschluss … verdammtes Wort! Also einen KurzKurzschluss, und der sprang als Blitz dann von Ihrer Projektionswand.“ „Das steht absolut sicher fest, Reeder?“, fragte Ederson noch misstrauisch. „Steht fest, Ederson. Gott sei dank, dass es wenigstens Ihren verdammten Blitz nicht mehr gibt. Das hätte alles noch schlimmer gemacht.“ „Weiß man denn inzwischen, worum es sich handelt?“ „Nein, kein Mensch auf Terra hat auch nur annähernd eine Vermutung. Vor der Marsbahn knallt etwas, und im selben Moment spielen auf und über der Erde ein paar tausend Messgeräte verrückt. Alle gleichzeitig. Alle ohne die geringste Zeitabweichung. Ob wir jemals herausfinden, was das gewesen ist?“ „Hat man denn kein Raumschiff in Marsch gesetzt?“ „Drei, Ederson, drei, aber die benötigen doch eine halbe Ewigkeit, bis sie den Ort erreicht haben, an dem es geknallt hat …“
„Im leeren Raum und knallen, Reeder?“ Der fauchte von der Erde zur Station 45 hoch. „Eine Redewendung von mir; und Ihre Frage: Im leeren Raum und knallen … ist auch nicht gerade elegant formuliert. Ende, Ederson, Ende.“ Nachdenklich legte sich Ederson wieder ins Bett. An alles glaubte er, was Reeder ihm erzählt hatte, aber an die Sache mit dem überlichtschnellen Impuls nie und nimmer. Überlichtgeschwindigkeit in ihrem 4-D-Gefüge gab es nicht! * Arn Borul hatte an Bord der PROMET die dritte Wache übernommen und sich nicht gewundert, dass das Triebwerk der Yacht nach wie vor mit maximaler Leistung arbeitete. Die Temperaturen in den Feldkammern waren und blieben niedrig, die Leistung des Hauptkonverters reichte aus, die erforderlichen Energien zu erzeugen, und die beiden kleineren Notaggregate hatten noch nicht eingesetzt werden müssen. Szer Ekka, der Astronavigator, betrat den Kommandoraum. Der schwarzhaarige, dreißigjährige Mann, der mit einem Meter fünfundsechzig etwas klein geraten war, gehörte zu dem Typ Mensch, den man erst bemerkte, wenn man ihn sprechen hörte. Dass er neben der Astronautik noch ein Experte auf weiteren Astro-Gebieten war, sah man ihm nicht an. Wortlos ließ er sich im Ko-Sitz nieder, schaltete den Computer um und bestimmte, ohne vom Monitor Notiz zu nehmen, den Standort der Raumyacht. Er steckte ihn auf der Karte ab, nahm mit dem Rechengehirn einige Berechnungen vor und wandte sich dann an Arn Borul. „Wenn der Plan durchgeführt werden soll, müssen die Vorbereitungen zur Transition in knapp zwei Stunden beginnen, sonst fliegen wir über den Absprungpunkt hinaus, oder wir müssten mit der Geschwindigkeit heruntergehen.“ Arn Borul zeigte ein menschliches Lächeln. Er amüsierte sich über den kleinen, kaum sechzig Kilo schweren Mann, der sich in größerer Gesellschaft immer etwas linkisch benahm.
„Szer, Sie sprechen über Transition, als ob es für Sie etwas Alltägliches wäre.“ Der andere sah ihn einen Moment lang prüfend an. „Warum sollte ich anders darüber reden? Ich kann mir diese Nullzeit – also den zeitlosen Ablauf – währen der Transition nicht erklären. Können Sie mir sagen, wie so etwas möglich ist?“ „Weil der Sprung im Parakon stattfindet. Er unterliegt dadurch nicht mehr den Gesetzen der Zeitkonstante des 4-D-Gefüges.“ „Hm …“, der Astronavigator rieb sich nachdenklich das Kinn. „Aber zwischen Absprung und Wiedereintauchen in unser Kontinuum muss doch eine gewisse Zeit vergehen. Eine Mikro- oder Nano-Sekunde.“ „Wäre das der Fall, könnte eine Transition nie stattfinden, Szer, denn erst der Nullzeit-Effekt macht sie möglich; vorausgesetzt, dass die erforderlichen Energien zur Verfügung stehen.“ Zum zweiten Mal brummte Szer sein „Hm … Und wenn diese Massen-Kontrolle versagt?“ „Dann hat Ihr antiker Einstein wieder Recht. Dann dehnt sich die Masse der PROMET bei Erreichen der Lichtgeschwindigkeit ins Unendliche aus. Wir werden zum Energieblitz und hören auf zu existieren. Wir bemerken bestimmt nichts davon.“ „Ist das moranischer Humor?“, fragte der Astro-Experte mit einer kleinen Spitze. „Ich wollte nichts ins Lächerliche ziehen, Szer. Die Einsteinschen Gesetze sind Ihnen doch bekannt …“ Der andere unterbrach ihn. „Natürlich; aber was ich nicht begreifen kann, ist die Wirksamkeit der Massen-Kontrolle, die Masse in Form von Energie abstrahlt, um so eine konstante Masse zu schaffen, die auch durch die Lichtgeschwindigkeit nicht mehr verändert wird. Und dann dieser ominöse Hyperraum oder Parakon, wie Sie dazu sagen … Was habe ich mir darunter vorzustellen?“ „Nichts, Szer; aus dem einfachen Grund, weil es bis zum heutigen Tag keinen Moraner gegeben hat, der das Gefüge des Parakons oder Hyperraumes erkennen konnte.“ „Wie? Wir benutzen ein unbekanntes Medium, um in Nullzeit Lichtminuten, -Tage oder sogar -Jahre zurückzulegen?“
„Nach terranischer Zeitrechnung benutzen wir Moraner dieses Para-Kontinuum seit mehr als vierzigtausend Jahren.“ Das beeindruckte Ekka. „Und wie werden wir die Transition erleben, Arn?“ „Das kann ich nicht voraussagen, denn ich nehme an, dass ich als Moraner darauf anders reagiere als ein Mensch. In ein paar Stunden werden wir es wissen.“ „Eine ziemlich dürftige Informationsstunde“, stellte Szer Ekka trocken fest und verließ den Kommandoraum, um Peet Orell, Jörn Callaghan und Vivien Raid zu wecken. Dann liefen die letzten Vorbereitungen. Gus Yonker strahlte den mit Harry T. Orell vereinbarten Kurzimpuls nach Terra ab. Das letzte Funkzeichen von der PROMET vor dem mit Spannung erwarteten Experiment. In 18,453 Minuten hatte die Raumyacht den Punkt erreicht, den Arn Borul als Transitionsort bestimmt hatte. „Arn, aber dann haben wir doch noch gar keine Lichtgeschwindigkeit?“, fragte Vivien Raid, die auch im – natürlich hautengen – Overall eine gute Figur machte. Doch die Männer an Bord sahen es schon gar nicht mehr. Arns Gesten wurden immer menschlicher. Er verdrehte seine schockgrünen Augen und spielte den Verzweifelten. „Vivien, ich sage es noch einmal: Unsere erhöhte Absprungenergie gleicht das Minus an Geschwindigkeit aus.“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre dunklen Haare bewegten sich wie eine Fahne im Wind. „Wie leicht man das sagen kann, nur möchte ich es auch gern einmal begreifen.“ Das dachten alle anderen im Kommandoraum auch. Arn Borul wehrte ab, als der Vorschlag laut wurde, in die Raumanzüge zu steigen. „Sinnlos“, sagte er. „Wenn der Versuch misslingt, helfen uns auch die Raumanzüge nicht. Glückt er – und davon bin ich überzeugt –, benötigen wir sie nicht.“ Seine Worte gaben den Ausschlag. Das Kommando über die PROMET führte jetzt er. Noch fünf Minuten. Auch Bordingenieur Pino Tak hatte sich in der RaumyachtZentrale eingefunden. Voller Spannung, aber zur Untätigkeit
verdammt, saßen sie in den gefederten Drehsesseln. Der einzige, der hin und wieder einen Handgriff tat, war der Moraner. Jörn Callaghan begann seine Pfeife zu stopfen. „Jetzt willst du rauchen, Jörn?“, fragte Peet, und seine Stimme klang schärfer als gewohnt. Der Mann mit dem dunkelbraunen Haar und den eisgrauen Augen nickte gemütlich. „Warum nicht? Das bisschen Qualm kann die Transition bestimmt nicht verhindern.“ Dann flammte sein Feuerzeug auf, und der blaue Dunst breitete sich in der kleinen Zentrale aus. Noch zwei Minuten. Nun war auch der Moraner arbeitslos geworden. „Eigenartig“, stellte er fest, „als wir mit der TIRA euer Sonnensystem anflogen und in regelmäßiger Folge transitierten, habe ich mir nicht ein einziges Mal etwas dabei gedacht. Jetzt bin ich voller Spannung, dazu aber überzeugt, dass uns der Sprung gelingt …“ „Und wenn wir mitten im Eisplaneten Pluto rematerialisieren?“, unkte Jörn und erntete dafür einen zornigen Blick seines Freundes Peet. „Auch das ist schon vorgekommen“, antwortete Arn vollkommen ruhig. „Wir Moraner vermuteten jedes Mal solche Katastrophen, wenn Schiffe bei der Rückkehr aus dem Parakon zwar im Raum-Zeitgefüge rematerialisiert, aber doch spurlos verschwunden sind. Darum führt man nie eine Transition durch, die ein Schiff zu nah an einen Planeten oder an eine Sonne bringt. Gleich ist es soweit. Noch dreißig Sekunden.“ Es schien fast so, als hätte die PROMET seine Zeitangabe verstanden; denn im gleichen Moment drang aus dem Triebwerksraum urweltliches Brüllen, Brummen und Rauschen durch, das von Sekunde zu Sekunde lauter wurde. Das Schiff machte sich klar zur Transition. Alle Energieerzeuger waren auf maximale Leistung geschaltet worden. Die Massen-Kontrolle übertönte mit ihrem schrillen Pfeifen alle anderen Geräusche. Von den Andruck-Absorbern war nichts zu hören. Arn, Peet und Jörn sahen starr auf die Instrumente, die erst vor Sekunden aktiv geworden waren – Instrumente, die die letzte Phase
vor dem Sprung anzeigten. Von den Bildschirmen leuchtete das Sternenmeer der Galaxis zu ihnen herein. Pluto stand als Ziel vor ihnen. Noch eine Sekunde. Schlagartig war jede Spannung von Arn Borul abgefallen. Er wusste, dass der Sprung durch das Parakon gelingen würde. Da riss der Weltraum auseinander! Brach das Raum-Zeit-Gefüge um die PROMET herum auf? Dicht vor der Marsbahn gab es plötzlich keine Raumyacht mehr. Im Universum war es totenstill. * Harry T. Orell hatte die dritte Konferenz kurzfristig abgesagt. Seit achtzehn Stunden hatte er keine Nachricht mehr von der PROMET: Immer wieder ließ er bei der leistungsstarken Werksfunkanlage nachfragen. Immer wieder erhielt er die stereotype Antwort: „Keine Nachricht von der PROMET.“ Mr. Raid, Viviens Vater, rief an. Harry T. Orell konnte ihm nur die nackte Wahrheit sagen. „Wir können keine Funkverbindung zur PROMET herstellen, Mr. Raid.“ „Soll das heißen …?“ Das leicht schwammige Gesicht auf dem kleinen 3-D-Bildschirm wurde blass. Der Chef über mehr als dreihunderttausend Angestellte und Ingenieure, nicht eingerechnet die Arbeitsroboter, ließ Raid nicht aussprechen. „Das heißt gar nichts, Mr. Raid.“ „Wie können Sie so etwas sagen? Wann haben Sie den letzten Spruch von der PROMET erhalten?“ Harry T. Orell gab ihm den Zeitpunkt an. „Und wo befand sich da die Raumyacht?“ „Sie flog auf die Marsbahn zu.“ Mr. Raid schrie ihn an. „Und da wagen Sie zu sagen, ich solle mir keine Sorgen machen? Wissen Sie denn nicht, was vor achtzehn Stunden gerade in diesem Raumsektor passiert ist? Alle Astro-Physiker sprechen von nichts anderem …“
Harry T. Orell, in einem lebenslangen Kampf hart geworden, erwiderte ruhig: „Was soll die PROMET damit zu tun haben, Mr. Raid? Noch weiß niemand, was sich dort im Raum abgespielt hat.“ „Aber auch auf dem Mond, dem Mars und der Venus haben alle Messgeräte, die Daten über verschiedene Raumstrahlungen hereinholen sollten, zur gleichen Zeit für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt.“ „Ja und, Mr. Raid? Wollen Sie dieses noch unerklärliche Phänomen der PROMET in die Schuhe schieben? Bitte, behalten Sie doch Ruhe. Ich rufe Sie sofort an, wenn die Yacht sich meldet. Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass an Bord die Funkgeräte ausgefallen sein könnten und die Reparatur sich über Stunden hinzieht?“ Er glaubte selbst kein Wort von dem, was er da sagte, aber es war jetzt seine Pflicht, den besorgten Vater zu beruhigen. Er verstand das Schweigen der PROMET selbst nicht. „Hoffentlich kommt in den nächsten zwei, drei Stunden Ihre Nachricht, dass Sie wieder Verbindung mit dem Schiff haben. Es ist ja auch ein Leichtsinn ohnegleichen gewesen, bis zum Pluto vorstoßen zu wollen.“ Jetzt hatte Harry T. Orell seinen Sohn zu verteidigen. „Die PROMET ist für lange Strecken eingerichtet, und mein Sohn als Captain ist der Garant dafür, dass Leichtsinn aus dem Spiel bleibt, Mr. Raid.“ „Mir bleibt nichts anderes übrig, als auf Ihren Anruf zu warten.“ Aber auch dem grauhaarigen Riesen blieb das Warten nicht erspart. Als er sich sechs Stunden später im Gleiter zu seinem Bungalow fliegen ließ, hatte er der HTO-Funkstation die Order gegeben, ihn unverzüglich zu benachrichtigen, wenn die PROMET sich meldete, egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Aber von der PROMET kam kein Lebenszeichen. * Mr. Reeder konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Diese letzten vierundzwanzig Stunden hatten ihn und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter unwahrscheinlich viel Kraft gekostet,
doch sie durften nicht müde werden, sollten sie nicht den Ruf verlieren, Angehörige des besten astrophysikalischen Instituts Terras zu sein. Maurice Sandol gehörte erst seit zwei Monaten zum Institut und war frisch vom College zu ihnen gekommen. Seine Abschlussexamina konnten sich sehen lassen, aber die meisten Kollegen mochten den jungen Mann nicht, der auch noch niemals sein Licht hatte leuchten lassen. Maurice Sandol stand vor der projizierten Sternenkarte und ging noch einmal alle Orte durch, an denen die Messgeräte für eine bestimmte Dauer ausgefallen waren, ohne zu bemerken, dass Reeder neben ihm stehen geblieben war. „Überlichtgeschwindigkeit gibt es in unserem Gefüge nicht“, hörte Reeder ihn murmeln, und er nickte beifällig; denn das war auch seine Meinung. Überlichtgeschwindigkeit passte nicht ins normale Gefüge. Im nächsten Moment horchte er auf. „Muss sich denn etwas bewegt haben, um überall die Messgeräte zu stören …?“ Reeder starrte seinen jungen, rothaarigen Mitarbeiter entgeistert an, wurde plötzlich von starker Erregung ergriffen, fasste ihn am Arm und drehte ihn halb zu sich herum. „Sandol, was haben Sie damit gemeint? Wissen Sie, was Sie gerade gesagt … gefragt haben? Sich gefragt haben?“ „Natürlich, Reeder, natürlich, aber ich kann mir auf meine eigene Frage keine Antwort geben. Was gibt es denn in unserem Universum, das überall existent ist und keinen Wellencharakter besitzt, also von der Lichtgeschwindigkeit nicht begrenzt wird?“ Wortlos zog Reeder den jungen Wissenschaftler mit sich, verließ mit ihm den Computerraum und steuerte sein Büro an. „Nehmen Sie Platz“, sagte er fast barsch, blieb am Fenster stehen und sah Sandol an, als ob er auf ihn wütend wäre. „Sandol, Sie suchen also etwas, das überall im Raum existent ist und keinen Wellencharakter besitzt?“ „Ja, überall, Reeder, aber die Antworten auf diese Fragen sind nicht besonders exakt.“ „Wie lauten sie? Geben Sie die Antworten, auch wenn sie nicht exakt sind!“ Es war ungewöhnlich, dass ein Kollege dem anderen bei einer wissenschaftlichen Diskussion Befehle gab, doch Sandol nahm das
Ungewöhnliche der Situation gar nicht wahr. Und ohne zu zögern antwortete er: „Gravitation und die Zeit, Reeder, nur verschandeln die beiden Fragezeichen dahinter das gesamte Bild.“ „Ich sehe Ihre Fragezeichen nicht, Sandol“, erwiderte Reeder schroff. „Aber ich sehe endlich eine Möglichkeit, dem Phänomen auf die Spur zu kommen …“ „Auf dieser unklaren Basis, Reeder?“ Der winkte lässig ab. „Sandol, wenn Sie mal zehn Jahre Praxis hinter sich haben, werden Sie erfahren, dass man nie den ersten Schritt in Neuland tut, wenn man sich auf absolut fundierte Grundlagen verlässt. Gravitation oder Zeit … Zum Teufel, sehen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an, aber können Sie mir verraten, wie unsere Physik die Schwerkraft und die Zeit definiert, exakt definiert?“ „Das kann niemand, Sir …“ „Lassen Sie das Sir! Überlegen Sie schneller. Angenommen, vor der Marsbahn ist ein neuartiger Gravitationsversuch gemacht worden … ob gelungen oder nicht, ist von zweitrangiger Bedeutung … könnte man den genauen Zeitpunkt des Versuchs dann überall in unserem Sonnensystem zur gleichen Zeit feststellen?“ „Damit würden Sie behaupten, dass Howthorns Theorie richtig ist?“ „Verdammt noch mal, ist sie denn falsch? Hat man ihn widerlegen können, Sandol?“, stellte Reeder die Gegenfrage. Reeder stand nicht mehr am Fenster, sondern drehte Kreise um seinen Schreibtisch, die Hände auf dem Rücken. „Ist sie falsch, Sandol?“ „Sie wird zurzeit auf Terra überprüft …“ „Ich weiß … ich weiß, Sandol, und überall bleibt man dort hängen, wo Howthorn mutig Neuland betreten hat, nämlich an dem Punkt, an dem er behauptet, die Gravitation des Raumes … nicht die Abart, die wir bei Antigrav-Liften benutzen … habe keinen Wellencharakter und sei eine in sich geschlossene Einheit, die nicht der Begrenzung durch die Lichtgeschwindigkeit unterliege. Wenn wir das als richtig hinstellen, dann hätten wir doch die Lösung. Dann hätten wir die Erklärung, warum zur gleichen Zeit auf der Venus, auf dem Mars, auf dem Mond und auf der Erde eine Reihe von
Messgeräten für eine bestimmte, exakt gleiche Zeitspanne, die noch nicht einmal im Nanosekundenbereich differiert, ausgefallen sind.“ Sandol war trotz seiner erstklassigen Examina noch zu stark mit dem College verbunden, um Reeder auf seinem waghalsigen Gedankenflug folgen zu können. Sie wurden gestört. Ein weiterer Mitarbeiter trat ein. „Reeder, nun steht mit absoluter Sicherheit fest, dass sich zur fraglichen Zeit in dem Sektor vor der Marsbahn nur die Raumyacht PROMET aufgehalten hat. Wie die Space-Police in Erfahrung bringen konnte, ist die Raumyacht seit dem uns bekannten Zeitpunkt verschollen. Der starke Sender der HTO schickt fast ununterbrochen Suchrufe in den Raum. Eigenartigerweise sind die Richtstrahlen auf den Pluto gerichtet.“ „Weiter nicht?“, unterbrach Reeder barsch. „Wer hat denn dann diesen Unsinn ausgebrütet?“ Der andere ließ sich nicht einschüchtern. „Reeder, Sie haben mich missverstanden. Die Suchrufe der HTO gehen mit Richtstrahlen quer durch unser Sonnensystem und sind eindeutig auf den Pluto ausgerichtet, was noch lange nicht bedeutet, dass der Planet Pluto damit angesprochen werden soll.“ „Wer befindet sich an Bord der PROMET?“ Er hörte die Namen und stutzte über den Namen Arn Borul. „Klingt fremdartig. Weiß man mehr über diesen Mann?“ „Nein, Reeder, auch die Space-Polizei tappt im Dunkeln. Orell ist befragt worden, gab aber nur an, dass Borul ein Freund seines Sohnes sei. Und nun kommt ein sehr interessantes Detail, Reeder: Auf Terra ist ein Arn Borul nicht bekannt. Erinnern Sie sich noch an das unbekannte Raumschiff, das vor knapp zwölf Monaten über Nordamerika verbrannte und explodierte? Erinnern Sie sich an die Sendung von TV-North, die zuerst eine Riesensensation war, dann aber als eine Ente hingestellt wurde? Die World-Police hat herausgefunden, dass Harry T. Orell mit Hilfe von drei maskierten Männern, die sich schockgrüne Augen und Silberhaarperücken zugelegt hatten, die ganze Welt bluffte. Diesen grünäugigen Mann, den ein Reporter von TV-North filmte, scheint es doch zu geben, und zwar an Bord der PROMET.“ „Das wird ja zu einem Kriminalfall“, sagte Reeder keineswegs begeistert. „Arn Borul … grüne Augen und silbernes Haar … und
die PROMET und ein Experiment vor der Marsbahn, das das ganze Sonnensystem erschüttert …?“ Sein Blick schweifte in die Ferne, kehrte wieder in die Gegenwart zurück, und nach einem tiefen Atemzug sagte er entschlossen: „Wir stellen alle Untersuchungen ein und warten weitere Informationen der World-Police wie der Space-Police ab …“ Er dachte auch an die 25-Millionen-Spende. Sein Visophon meldete sich. „Reeder“, sagte ein weiterer Mitarbeiter, „seit einer Stunde schickt die HTO-Funkstation keine Suchrufe mehr ab. Von der Space-Police ist aber die Meldung durchgekommen, dass ein superschnelles Schiff der Corporation vom Typ C-7, das sich zwischen Jupiter und Asteroidengürtel auf dem Rückflug nach Terra befand, den Kurs gewechselt hat und nun mit Höchstgeschwindigkeit in den äußeren Bereich des Sonnensystems jagt. Behält das Schiff den Kurs bei, dann erreicht es Pluto …“ „Aber da war doch noch nie ein terranisches Raumschiff!“, warf Reeder ein. „Dann wird vielleicht ein Schiff der HTO-Corporation als erstes auf der Eiskugel landen.“ „Allmählich möchte ich doch wissen, was hier gespielt wird!?“, sagte Reeder, aber er sprach dabei mehr mit sich selbst, als mit irgendeinem seiner Mitarbeiter. Noch nicht einmal Harry T. Orell hätte ihm auf seine Frage eine Antwort geben können. Das Raumschiff, das auf seine Anweisung Pluto entgegenjagte, war sein letzter verzweifelter Schritt, die PROMET aufspüren zu lassen. Doch viel Hoffnung, dass man die Raumyacht seines Sohnes finden würde, hatte er nicht mehr. * Arn Borul hörte sich stöhnen, aber er war nicht in der Lage, die Augen zu öffnen. Bleierne Müdigkeit, die bedrohliche Ausmaße hatte, lähmte ihn. Er konnte nicht einmal einen klaren Gedanken fassen. Was war nur geschehen? Eine Antwort darauf fand er nicht. Er dämmerte vor sich hin und spürte nicht, wie viel Zeit verstrich.
Licht? Er hatte die Augen geöffnet, und sein müder Blick fiel auf die Instrumente. Was sollten sie hier? Was bedeuteten sie? „Götter Morans …!“ Schlagartig begriff er. Die Transition! Was war während des Sprunges nicht ordnungsgemäß abgelaufen? Woher kam die bleierne Schwere in seinen Gliedern? Warum lagen alle anderen bewusstlos in ihren Sesseln? Er konnte noch immer keine Hand heben; er konnte gerade wieder ein wenig denken und sogar das fiel ihm unheimlich schwer. Der Computer hatte nicht versagt. Laut Programm hatte er nach der Rematerialisierung in den Normalraum das Triebwerk der PROMET und alle nicht lebenswichtigen Aggregate abzuschalten. Luftversorgung, Heizung, Beleuchtung, Schwerkraftregelung … das alles war bestehen geblieben. Die Bildschirme, die Augen der PROMET, zeigten auf samtschwarzem Grund die grellen Punkte des Sternenmeeres. Allmählich kehrten Arn Boruls Kräfte wieder zurück. Zunächst war er nur nicht in der Lage, sich aufrecht hinzusetzen, doch schon wenig später stand er neben Peet Orell, ging weiter zu Jörn Callaghan und kehrte zuletzt von Pino Tak wieder zu seinem Platz zurück. Er musste sich in Geduld üben. Es hatte keinen Sinn, mit einer Injektion die Besinnungslosen in die Wirklichkeit zurückzuholen. Ihre Bewusstlosigkeit, die durch die Transition ausgelöst worden war, schien zu tief zu sein. Das Transitionstriebwerk, das nach seinen Angaben gebaut worden war, hatte doch nicht das gehalten, was er von ihm erwartet hatte. Irgendwo musste ein gravierender Fehler stecken; anders war die schwere Schockwirkung nicht zu erklären. Regte sich denn immer noch niemand? Als er Jörn Callaghan fluchen hörte, wusste er, dass er nicht mehr allein war. Kurz danach kamen auch die anderen zu Bewusstsein, und erstaunlicherweise war Vivien Raid die dritte, die die Augen aufschlug und sich halb entsetzt und halb verwirrt umblickte, bis auch sie begriff, wo sie sich befanden. „Arn, wenn das bei jeder Transition so ist … na, ich danke!“, sagte Jörn Callaghan mit schleppender Stimme und rieb über seine Augenlider; denn die Sehstörungen klangen bei ihm nur langsam ab.
Endlich konnte die PROMET gecheckt werden, und die Stimmung in der kleinen Zentrale stieg, als in einem fort die Grünkontrollen aufflammten. Die Raumyacht hatte den Sprung durch den Hyperraum weit besser überstanden, als die Menschen in ihr. Von Szer Ekka war nichts zu hören. Der kleine Astronavigator schien seinen Berechnungen nicht zu trauen; er wiederholte sie nun schon zum dritten Mal, aber dann, nachdem er abermals das gleiche Ergebnis vorliegen hatte, gab er auf. „Captain“, rief er Peet Orell zu, „halten Sie sich fest. Wir befinden uns nicht vor Pluto, sondern dahinter. Der Planet ist 38 560 Kilometer von uns entfernt. Ich sehe gerade Charon, Plutos Begleiter, hinter Pluto aufgehen …“ Arn Borul federte herum und starrte ihn an. „Wir befinden uns hinter Pluto? Bestimmt?“ „Ich habe dreimal mit Hilfe des Computers alles durchgerechnet“, verteidigte sich Ekka. „Das Ergebnis ist immer das gleiche geblieben. Ich glaube, wir haben Glück gehabt …“ „Und demnach können wir es nicht wagen, durch einen Sprung nach Terra zurückzukehren“, sagte der Moraner. „Wir müssen die alte Reisemethode benutzen. Eine Transition kann ich nicht mehr verantworten.“ Die Menschen sahen ihn etwas hilflos an. Nur Arn Borul war in der Lage, den Fehler zu finden, der sie fast 40.000 Kilometer über Pluto hinaus gebracht hatte. „Mr. Orell, wann nehmen wir wieder Fahrt auf?“ „Wenn wir mit dem Checken fertig sind. Warum?“ „Weil wir uns genau im Funkschatten von Pluto befinden und keinen Spruch nach Terra durchbekommen.“ „Dort wird man uns doch nicht vermissen. Ist bei Ihnen alles klar, Gus?“ „Anlage okay.“ Das kurze Gespräch war zu Ende. Jörn Callaghan testete zusammen mit Vivien Raid die Ortungen, mit denen der Moraner ganz und gar nicht zufrieden war; mit Wehmut dachte er an die Ortungsgeräte der explodierten TIRA. Vivien stieß Jörn an. „Da … hast du das gesehen? Da war es schon wieder!“
Sie warteten ab, bis der Fächer seine 360-Grad-Wanderung beendet hatte, und Jörn Callaghan hatte in der Zwischenzeit die Massen-Ortung hochgeschaltet, aber er kam nicht mehr dazu, sie auf das kleine Objekt zu justieren, das Vivien entdeckt hatte. Es tauchte kurz auf dem Schirm auf und verschwand wieder. „Gibt’s was?“, fragte Arn Borul, der einen siebten Sinn für Ungewöhnliches zu entwickeln schien. Jörn sah nicht auf, als er antwortete: „Wenn wir nicht wüssten, dass Pluto keinen Mond besitzt, dann würde ich jetzt schwören, dass er doch einen hat, einen Mini-Mond. Aha jetzt habe ich ihn auch mit der Massen-Ortung. Klein, aber schwer! Großer Himmel, seht euch doch nur die Tonnenangaben an! Das kann doch nicht stimmen?“ „Geh auf zehn hoch sechs“, schlug Peet vor, „die vielen Nullen machen einen ja verrückt.“ Der Megatonnen-Wert war abzulesen. Nullen gab es eine ganze Menge weniger, aber damit hatte sich das Gewicht des Fremdkörpers hinter dem Pluto nicht verändert. „Durchmesser dreihundertsiebenundachtzig Meter“, gab Vivien bekannt. „Entfernung von der Pluto-Oberfläche 168 751 Kilometer.“ „So klein und doch so schwer?“, fragte Arn Borul ungläubig. „Dann würde dieser Mond ja ein spezifisches Gewicht von mindestens hundertzwanzig bis hundertdreißig haben.“ Der Computer berechnete das spezifische Gewicht genauer und kam auf 142,09. Peet schüttelte den Kopf. „Am Rand unseres Sonnensystems ein Mini-Mond vom Pluto, und der hat ein spezifisches Gewicht von 142,09? Ekka, was sagen Sie dazu?“ Der Astro-Experte, der sich so spielend leicht unsichtbar machen konnte, verzog seinen Mund zu einem Lächeln. „Wenn Pluto etwas Besonderes wäre, dann könnte ich an diese 142,09 glauben. So muss ich annehmen, dass die Ortung uns einen Streich gespielt hat.“ Sie wurde nachgereicht, doch nach der nächsten Messung warf der Computer abermals 142,09 aus. „Wir sehen uns diesen Mini-Mond einmal aus der Nähe an“, traf Peet Orell seine Entscheidung. „Pluto läuft uns in der Zwischenzeit
nicht davon, und wir werden später unsere Füße auf sein Eis stellen. Arn, kann ich schnell die neuen Kursdaten haben?“ Der Moraner nickte, trat an den Bordcomputer und übertrug ihm die neue Aufgabe. In der Zwischenzeit versuchte Jörn vergeblich, den Planeten Pluto sichtbar zu machen, aber das Licht der Sonne, die fast fünfeinhalb Lichtstunden von dieser Eiskugel entfernt war, reichte dazu nicht mehr aus. Darum schaltete Callaghan auf Infrarot um, und im gleichen Moment war der äußerste Planet des Sonnensystems auf drei Schirmen zu sehen. Eine schmutziggraue Eiskugel; der uninteressanteste Planet. Darum war auch noch kein terranisches Schiff darauf gelandet. Einstimmig waren alle Astro-Wissenschaftler der Meinung, dass Pluto die Kosten einer groß angelegten Expedition nie wieder hereinbringen würde. „Trist …“, stellte Vivien fest. „Und vom Aufbau her soll er genauso langweilig sein“, erklärte Peet kurz. „Man hat ihn doch vor rund dreißig Jahren mit einigen hundert Sonden beschossen, und schon damals war der Aufwand hinausgeworfenes Geld; denn von wissenschaftlicher Seite aus betrachtet erbrachten die Sondenuntersuchungen nichts nennenswert Neues. Er besteht aus morschem Gestein und ist von einer Eisschicht bedeckt, die stellenweise über hundert Kilometer dick ist.“ „Peet, die Daten“, unterbrach ihn der Moraner, und nach langer Pause begann das Triebwerk der PROMET wieder zu arbeiten. Für einen Augenblick kam der Andruck durch, aber im nächsten Moment hatten ihn die Absorber, die sich automatisch hochgefahren hatten, verschluckt. In weitem Bogen schwang die Yacht in die Tiefe des Raums herum und nahm Kurs auf das unbekannte Objekt, das trotz seines geringen Durchmessers unglaublich schwer war. Die kleine Besatzung nahm gar nicht mehr wahr, dass sie sich in der Unendlichkeit bewegte, und doch warfen die Menschen immer wieder einen Blick auf einen der Bildschirme und empfanden das Leuchten von Abermilliarden ferner Sonnen als immerwährende Lockung. Und eine dieser Sonnen trug den Namen Kyl, den ihr die Moraner vor Äonen einmal gegeben hatten. Ob Arn Borul seine blaue Sonne jemals wieder sehen würde? Und schien sie dann für
ihn, den terranische Ärzte doch umgeschaltet hatten, auch noch in blauem Licht? * Harry T. Orell fühlte sich um Jahre gealtert. Die letzte Meldung von der HTO-234, dem Raumschiff, das er zum Pluto geschickt hatte, um dort nach der PROMET zu suchen, war vor knapp einer Stunde eingegangen: ‘Auf unserem Kurs zwischen Uranus und Neptun von der PROMET keine Spur.’ Vom Panoramafenster seines Arbeitsraumes blickte er über die gigantischen Werfthallen der Corporation. Für wen hatte er sein Leben lang geschuftet, wenn Peet nicht aus dem Raum zurückkam – wenn ihn der Raum, dem er verfallen war, verschlungen hatte? Wer sollte einmal dieses Imperium regieren, wer dem Trust neue Impulse geben? Er durfte nicht daran denken – und auch nicht an den Fremden, an Arn Borul. Raid rief ihn an, Viviens Vater. „Ich kann Ihnen nichts sagen, Mr. Raid. Ich habe selbst keine Hoffnung mehr … Wie? … Nein! Die 234 sucht jetzt zwischen Neptun und Pluto. Vor einer guten Stunde meldete sich das Schiff … Ihre einzige Tochter; mein einziger Sohn und all die anderen … Ja, ich rufe Sie an. Bestimmt! Egal, was die 234 meldet … Bestimmt!“ Er war so müde, und zum ersten Mal wurde er sich seiner dreiundsechzig Lebensjahre bewusst. Die Polizei wollte ihn sprechen? Schon wieder? Harry T. Orell ließ bitten. Zwei hohe Beamte der Space-Police suchten ihn auf. „Sir, wir verstehen, dass die Ärzte Ihrer Klinik sich auf ihre Schweigepflicht berufen, aber Sie haben auszusagen, und hier, in diesem Zimmer werden Sie uns jetzt Rede und Antwort stehen. Ist Arn Borul ein Wesen von der Erde?“ „Nein! Arn Borul stammt nicht von der Erde. Arn Borul kommt auch nicht aus unserem Sonnensystem. Er kommt von einem Planeten irgendwo in der Galaxis und ist der einzige, der letztes Jahr der Katastrophe über der Erde entging.“ Jeder Satz hatte die Wirkung eines Hammerschlages. Bei jedem Satz waren die Beamten sichtlich zusammengezuckt. Schweigen machte sich breit. Harry T. Orell stand diese Zeit durch. Er hatte in seinem Leben schon viel schwierigere Situationen erlebt.
„Warum haben Sie Arn Borul der Welt vorenthalten, Sir?“ „Weil er darum bat, als wir uns mit ihm verständigen konnten.“ Sie zuckten wieder zusammen. „Er spricht unsere Sprache?“ „Unsere gut; einige andere leidlich.“ „Welches Experiment war vor der Marsbahn geplant, Sir?“ Harry T. Orell richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Seine Stimme war voller geworden, tiefer in ihrem Bass. „Mein Sohn Peet Orell, Inhaber der Großen Lizenz, pflegt im Weltraum keine Experimente zu machen.“ „Aber die Raumyacht Ihres Sohnes befand sich doch in diesem Sektor der Marsbahn, als …“ Er konnte es sich leisten, auch hohe Beamte der Space-Police zu unterbrechen. „Ist man ein Dieb, wenn nebenan gestohlen wird? Haben Sie einen einzigen Beweis, dass die PROMET ursächlich mit diesem Vorgang im Bereich der Marsbahn in Zusammenhang steht? Ja? Bitte, dann heraus damit! Ich möchte auch allmählich klar sehen. Wissen Sie, was es die HTO kostet, nach der PROMET bis vor Pluto suchen zu lassen? Mit hundert Millionen Sol komme ich nicht aus!“ „Sir, der Verdacht …“ „Belästigen Sie mich damit nicht, aber ich habe eine Frage an Sie zu richten: Wenn mein Sohn tatsächlich die Vorgänge an der Marsbahn ausgelöst haben sollte, was wirft man ihm dann vor? Welches Verbrechen? Welches Vergehen? Gegen welchen Paragraphen der Raumordnung hat er verstoßen? Darauf verlange ich sofort eine Antwort! Bitte …“ „Sir, wir haben den Auftrag …“ „Wessen klagt man meinen Sohn an? Ich will nicht wissen, in wessen Auftrag Sie handeln; ich will wissen, was man Peet Orell vorwirft. Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.“ Sie kamen sich plötzlich klein und hässlich vor, und sie begannen zu verstehen, wie dieser Mann die HTO-Corporation hatte aufbauen können. Er war ein riesenstarker Sender, der pure Dynamik emittierte, eine Dynamik, die jeden Widerstand brach. „Sir, gegen Ihren Sohn ist noch keine Anklage erhoben worden.“ Harry T. Orell stand auf, ging zur Tür und blieb davor stehen. „Gentlemen, ich habe leider keine Zeit mehr. Darf ich bitten?“
Fünf Minuten später sprach er mit seiner Rechtsabteilung. Mr. Fox, der diesen Namen zu Recht trug, stürmte zu ihm herein. Orell wollte keine Paragraphen zitiert haben und noch weniger die Kommentare zu diesen Paragraphen erfahren. „Fox, können Space- oder WorldPolice gegen meinen Sohn oder gegen mich vorgehen, sei es wegen Arn Borul oder wegen der Vorkommnisse auf der Höhe der Marsbahn?“ „Sie können in keinem Fall, Sir …“ „Okay, dann bin ich für beide Institutionen nicht mehr zu sprechen.“ „Bedenken Sie, dass die Space-Police Produktionsaufträge stornieren kann.“ „Darauf lasse ich es ankommen, Fox. Ich danke Ihnen.“ Er war wieder allein; allein mit seinen Sorgen und Ängsten um seinen Sohn Peet. Ob die 234 die PROMET finden würde? * Die PROMET bewegte sich im freien Fall. In der KommandoZentrale fiel kein Wort. Alle starrten den großen Bildschirm an. Sie sahen Plutos Mini-Mond. Die Scheinwerfer der PROMET hatten ihn aus dem ewigen Dunkel des Raums ins Licht gerissen. Es hatte ihm nichts ausgemacht, und auch die irgendwann wiederkehrende Dunkelheit würde ihm nichts ausmachen. „Unvorstellbar …“, flüsterte Peet Orell, während sich Arn Boruls Blick an dem Objekt festbrannte. Er suchte. Er suchte mit der ganzen Besessenheit eines Moraners, der wieder seine Heimat sehen wollte, um den Rest seiner einst so stolzen Rasse in Sicherheit zu bringen. Er suchte nach einem einzigen bekannten Zeichen, aber er entdeckte nur Fremdes, das ihm so fremd war, wie er der Erde. „Peet, können wir ihn nicht umfliegen?“, fragte er, und zum ersten Mal hörten ihn die Terraner mit zitternder Stimme reden. Fragende Blicke trafen ihn von allen Seiten; er erwiderte keinen. Langsam nahm die PROMET Fahrt auf, und beinahe unmerklich schob das Triebwerk die Yacht herum.
„Ein Loch … Ja doch, ein Loch. Ein riesiges Loch …“, stieß Vivien aus und suchte Schutz bei dem Moraner, hielt sich an seinem Arm fest und konnte kaum noch atmen. Das Loch wurde immer größer, je weiter die PROMET herumschwang und die gebündelten Lichtkegel ihrer Scheinwerfer immer mehr Einzelheiten enthüllten – Einzelheiten, die auch Arn Borul fremd blieben. Der Mini-Mond des Pluto war ein kugelrundes, teilzerstörtes, fremdes Raumschiff, ein Gigant, wie es Menschenaugen noch nie gesehen hatten, eine Metallkugel mit einem Durchmesser von fast vierhundert Metern! „Solche Schiffe sind auf Moran nie gebaut worden.“ Er spürte die Enttäuschung, die seine Feststellung ausgelöst hatte, aber er konnte es nicht ändern. „Acht Decks sind aufgerissen, wenn ich mich nicht verzählt habe“, sagte Gus Yonker. „Und wie viele sind nicht zu sehen?“ Die Zelle des fremden Raumschiffs war im Bereich der Öffnung überall ungefähr acht Meter dick, im Gegensatz zu den Decks, die überraschen dünn gehalten waren. Peet Orell steuerte die PROMET langsam näher an die Öffnung heran, und immer mehr Einzelheiten wurden sichtbar. Welche Höllenenergien hatten dieses mehr als hundert Meter breite und über 32 Meter hohe Loch entstehen lassen? An den Rändern waren deutlich die wiedererstarrten Bahnen flüssigen Metalls zu erkennen. Peet Orell justierte das Scheinwerfersystem neu ein, und die Lichtflut schoss als ein einziges Strahlenbündel ins Innere des zerstörten Kugelraumers. Leere Decks, soweit das Auge reichte. „Ausgebrannt“, sagte Arn Borul lakonisch. „So etwas kann ausbrennen, Arn?“ Jörn glaubte ihm kein Wort. „Alles kann brennen, wenn man die erforderlichen Energien verfügbar hat, Jörn, alles. Auch meine moranischen Ahnen beherrschten einmal ausgezeichnet dieses kriegerische Handwerk.“ Begeistert schien er davon nicht zu sein; im Gegenteil, seine Stimme hatte einen bitteren Klang angenommen.
Bis auf hundert Meter war die PROMET mittlerweile an die Öffnung herangeflogen. Die tropfenförmige Yacht war gegenüber diesem Kugelriesen ein Nichts. Der Lichtkreis wanderte über die Außenhaut, die im leichten Rotton schimmerte. Glatt, blank, wie poliert. Nirgendwo war eine Schweißnaht zu sehen; nirgendwo auch nur eine Spur, dass Platte an Platte gesetzt worden war. Platten von mehr als acht Metern Dicke! Platten aus einem Metall, das Arn Borul ebenso unbekannt war, wie den Terranern. In Jörns eisgrauen Augen flammte es auf, als Peets Blick auf ihn und Vivien fiel. „Ihre beide bleibt an Bord, während Arn und ich zum Raumschiff hinüberfliegen.“ Vivien wollte in ihrer temperamentvollen Art protestieren, als Arn ihr zuvorkam. „Ich bleibe zurück, Peet, und Jörn geht an meiner Stelle mit Ihnen.“ „Nein“, widersprach Peet Orell. „Vivien und Jörn wissen, warum sie hier bleiben müssen. Die Yacht kommt auch ohne uns wieder nach Terra zurück, wenn uns in dem fremden Raumschiff etwas zustoßen sollte. Machen wir uns fertig, Arn.“ Wie auf der TIRA, dachte der Moraner. Dort widersprach man mir, dem Captain, auch nicht, wenn ich einen Befehl erteilte, der den anderen nicht passte. Sie streiften die Raumanzüge über, checkten sie durch und schlossen dann die Klarsichthelme. Gus Yonker war aus der Kommando-Zentrale verschwunden und steckte schon in seiner Funk-Z, um die Verbindung zu Orell und dem Moraner aufzubauen. Beide hatten die innere Schleusentür erreicht und warteten auf den Druckausgleich in der Schleuse. Als die Grünkontrolle vor ihnen in Augenhöhe aufleuchtete, teilte sich wie von Geisterhand das Schott. Gemeinsam traten sie ein. Peet drückte auf die selbstleuchtende Taste. Das innere Schleusenschott schloss sich. Das Arbeiten der TirbelPumpen, die die Luft absaugten, hörten sie unter ihrem Klarsichthelm nicht. Und dann, als Sekunden später das Außenschott
aufsprang, lag vor ihnen der Abgrund aus Raum und Zeit, und nur noch ein Schritt trennte sie von ihm. Sie taten ihn, und kaum dem Bereich der PROMET entronnen, erfasste sie die Schwerelosigkeit. Fast zur gleichen Zeit schalteten sie die Steuerdüsen an ihren Tornistergeräten ein, und langsam trieben sie auf die riesige Öffnung in dem fremden Raumschiff zu. An einer zerfetzten Strebe hielt sich Peet Orell fest, während der Moraner Halt an einer aufgewölbten Decksplanke fand. „Angekommen!“, meldete Peet Orell über Helmfunk zur PROMET hinüber. „Könnt ihr uns sehen?“ „Ausgezeichnet“, erwiderte Jörn Callaghan, „was habt ihr vor?“ „Wir wollen über dieses Deck einen Blick ins Innere des Schiffes werfen.“ „Okay, aber seid vorsichtig.“ Beide schalteten ihre Scheinwerfer ein und machten beim ersten Schritt die betrübliche Feststellung, dass ihre Magnetsohlen nicht hafteten. Ein Beweis, dass das unbekannte Material antimagnetisch war. Jetzt konnte ihnen nur noch ihr Antigrav-Gürtel helfen, und als das Messinstrument im vorstehenden Halsbord 0,5 g anzeigte, waren sie einsatzklar. „Die Decks sind gut vier Meter hoch“, stellte der Moraner fest. „Bei allen Göttern, was ist das für ein Schiff!“ Der Strahl ihrer Scheinwerfer stieß ins Leere. Die Lichtkegel erreichten das andere Ende des Kugelraumers nicht. Überall leuchtete es rötlich. Nacktes Metall grinste sie an. Langsam und vorsichtig gingen sie nebeneinander weiter und blieben an der ersten Gangkreuzung stehen. Rechtwinklig zweigte nach beiden Seiten ein Korridor ab. Peets Scheinwerferstrahl wanderte an der Wand hoch, ging über die Decke und kam an der anderen Seite wieder zum Boden. „Arn, haben Sie im Innern schon Spuren von einer Feuersbrunst gesehen?“ „Nein, und das ist mir unbegreiflich. Auch die vollständige Leere auf diesem Deck und das Fehlen von Türen oder ähnlichen Einlässen. Was befindet sich hinter den Metallwänden?“
„Gehen wir weiter, vielleicht lösen wir unterwegs das Rätsel leichter, als wir es jetzt hoffen.“ Der Antigrav-Gürtel mit 0,5 g machte ihnen das Gehen leicht. Ihnen kam nicht zu Bewusstsein, wie tief sie schon in das fremde Schiff eingedrungen waren, als ein riesiger, kreisrunder Schacht sie aufhielt, der die senkrechte Achse des Raumers darzustellen schien. „Wohl ein Antigrav-Schacht, Peet. Über dreißig Meter Durchmesser. Hier hat man nicht mit den Zentimetern geknausert …“ Entwickelte Arn Borul tatsächlich einen siebten Sinn für ungewöhnliche Situationen, oder war es Zufall, dass er sich umdrehte? „Peet“, stieß er fast tonlos aus, „Peet, hinter uns hat sich eine Deckschleuse geschlossen.“ Peet wirbelte herum und vergaß dabei, dass er in diesem Torso keine einundachtzig Kilo mehr wog wie auf Terra, sondern nur noch die Hälfte. Das Unglück wollte es, dass er auf den kreisrunden Schacht zustürzte, davor keinen Halt mehr fand und über die Kante kippte. Arn Borul kam um den Bruchteil einer Sekunde zu spät und sah Peet Orell in die Tiefe wirbeln. „Peet, der Antigrav-Gürtel! Der Antigrav-Gürtel!“ Der eigene Schrei gellte ihm in den Ohren, und dann wurden Sekunden zur Ewigkeit, bis Peets heiseres „Okay, Arn“ kam. „Wo steckst du, Peet?“ Das Sie zwischen Ihnen gab es plötzlich nicht mehr. „Komm’ herunter! Ich glaube, ich habe endlich etwas Interessantes entdeckt.“ Der Moraner stieß sich ab, schaltete an seinem Gürtel und ließ sich langsam tiefer tragen. Peets Scheinwerfer gab ihm das Ziel an. An sieben leeren Decks schwebte er vorbei, um dann mit Hilfe der Steuerdüse den Partner zu erreichen. In ihrem Helmfunk hörten sie Vivien Raids erregte Stimme. „Alles okay“, beruhigte Peet sie. „Das da, Arn! Was kann das sein?“ Fremd für den Moraner wie für den Terraner und rätselhaft. „Verdammt, eben war das Deckschott noch offen und jetzt ist auch das hier geschlossen!“, stieß Orell erschreckt über seine Lippen. „Kann denn in diesem Schiff noch etwas funktionieren?“
„Haben wir es nicht zum zweiten Mal erlebt, Peet? Etwas im Schiff hat uns geortet. Die Ortung hat es weitergegeben, und als Reaktion wurde das Schott geschlossen. Einige Aggregate, die Energie erzeugen, scheinen … nein, sie müssen noch arbeiten.“ Der Moraner zuckte plötzlich zusammen, das war trotz des plumpen Raumanzugs zu bemerken gewesen. „Peet, in welcher Richtung zum Loch befinden wir uns jetzt?“ Beide hatten nicht darauf geachtet. „Peet, wenn wir uns in diesem Schiff verlaufen, kann es unser Ende sein. Wir gehen dann an Sauerstoffmangel elend zugrunde. Ich schlage vor, so schnell wie möglich zur PROMET zurückzukehren, um anschließend nach Terra zurückzufliegen.“ „Dieses Raumschiff einfach aufgeben? Die größte Entdeckung seit der Entstehung der Welt wie eine heiße Kartoffel fallen lassen? Arn, du bist kein Terraner und weißt darum nicht …“ Arn legte ihm die Hand auf die Schulter. „Doch, ich weiß es, Peet. Ich weiß es, weil ich wieder nach Moran will. Als ich deine Sprache lernen musste, habe ich mich so nebenbei über alles Mögliche informiert, und wenn ich richtig unterrichtet bin, dann gehört ein verlassenes Raumschiff demjenigen, der es findet.“ Peets bissiges Lachen verwirrte ihn leicht, und durch die Klarsichtscheibe seines Helmes sah er ihn erstaunt an. „Arn, deine Information ist nur zum Teil richtig. Derjenige wird Eigentümer eines verlassenen Raumers, dem es gelingt, das Schiff auf einem terranischen Raumhafen zu landen. So sieht die Wirklichkeit aus.“ „Dann bin ich noch mehr dafür … Hallo PROMET, hört ihr uns? Hallo PROMET …?“ Die PROMET schwieg. Fragend blickten sich die beiden Männer an, der eine von Terra, der andere vom Planeten Moran, irgendwo in der Milchstraße, vom Schicksal zu einer Einheit verschmolzen. Abermals hatte Arn Borul einen siebten Sinn für ungewöhnliche Situationen bewiesen. „Peet, wenn wir nicht sofort versuchen, das Gespensterschiff zu verlassen, wird es noch unser Sarg!“ Ihre Scheinwerferstrahlen stießen in den Schacht. „Mein Gott …!“
„Götter Morans …!“ Die Decks vor und unter ihnen wurden schlagartig unerreichbar. Im Rotton leuchtende Schotten hatten den Antigrav-Schacht geschlossen! Sie standen an der Kante und leuchteten in die anderen Decks hinein. Geschlossen! Ein Stöhnen quälte sich über Peet Orells Lippen. Der Moraner blieb stumm. Er hatte begriffen, warum sie keine Sprechverbindung mehr zur PROMET bekamen. Das unbekannte, antimagnetische Metall, aus dem dieses riesige Kugelraumschiff erbaut worden war, schirmte alles ab. Hilfe von Jörn Callaghan, Vivien Raid und den anderen war nicht zu erwarten. „Peet, wenn wir uns jetzt nicht selbst helfen, sehen wir die Sterne nie mehr wieder.“ Der andere nickte schwer. „Wie nur? Wie in diesem fremden Schiff? Da sieht man ein riesiges Loch und glaubt, alles sei zerstört, und sitzt plötzlich in der Falle … Verdammt!“ „Wir haben noch für dreieinhalb Tage Sauerstoff, Peet. Bis dahin müssen wir es geschafft haben. Wir müssen es schaffen!“ In diesem Moment war der Moraner, der Mann mit den schockgrünen Augen und dem Silberhaar, der Stärkere geworden. „Wir müssen es schaffen, hier herauszukommen. Schauen wir uns doch das Deckschott mal näher an. Hexen konnten die Erbauer dieses Schiffes auch nicht.“ „Aber Fallen bauen … Fallen aus einem unbekannten Metall.“ Dann setzte auch er sich in Bewegung und ging hinter Arn Borul her, der schon vor dem geschlossenen Schott stand. * Gus Yonkers mandelförmige Augen waren weit geöffnet, und seine Nasenflügel bebten. „Ich höre sie nicht mehr. Beide nicht. Auf einmal setzte der Empfang aus.“ „Sie werden sich schon melden“, versuchte Jörn den leicht erregbaren Mann zu beruhigen, der trotz seines amerikanischen Namens ein Sohn der schönen Insel Sumatra war.
Aber der Blick, den Callaghan Vivien Raid zuwarf, strafte seine Worte Lügen. Über den Bildschirm sahen sie nur noch einen Teil der riesigen Öffnung in dem fremden Schiff; denn bis auf zehn Meter war die PROMET im freien Fall herangetrieben. Die Zeit verging. Sie hörten mit, wie Gus vergeblich versuchte, Kontakt mit Peet Orell und Arn Borul zu erhalten. „Ich kann sie nicht einmal anpeilen. Als ob sie Raumanzüge ohne Funkanlage hätten. Zur Hölle, das gibt es doch nicht! Langsam aber sicher machte Yonker die beiden Menschen in der Kommmando-Zentrale nervös, und Callaghan war schon bereit, ihn anzufahren, als der Funker erneut zu ihnen durchrief. „Ich habe die 234 im Empfang. Das Schiff ruft ununterbrochen die PROMET und fordert uns auf, uns sofort zu melden.“ „Ein Schiff der Corporation, Gus?“, erkundigte sich Jörn Callaghan. „Ja. Sie lassen ein Band ablaufen. Sie rufen ununterbrochen. Hier, hören Sie selbst …“ „234 ruft PROMET! Sofort antworten! Wir sind auf Empfang! 234 ruft PROMET! Sofort antworten! Wir sind auf Empfang! 234 ruft …“ „Was hat das zu bedeuten, Jörn?“ Der verzog sein Gesicht. „Keine Ahnung, aber wir hätten einen Spruch zur Corporation abstrahlen sollen, bevor wir uns zu diesem unheimlichen Mini-Mond aufmachten …“ Er beugte sich vor und schaltete das Mikrofon ein. „Gus, ich will mit der 234 sprechen. Stellen Sie durch!“ „Durchgestellt!“ Jörn Callaghan meldete sich, wiederholte per Automatikschaltung die Meldung ein Dutzend Mal und schwieg dann. Nachdenklich sagte er: „Wenn wir Pech haben, trifft die Antwort erst in einer Stunde ein. Es kommt darauf an, wie tief das Schiff im System steht. Vivien, dir steht ja der Schweiß auf der Stirn!“ Sie machte ein unglückliches Gesicht. „Weil Peet und Arn sich nicht melden. Es muss ihnen etwas zugestoßen sein …“ Er legte seine Hand auf ihren Arm.
„Nun dreh’ du nicht auch noch durch. Gus mit seinen Faxen reicht mir. Beide haben für über fünfzig oder sogar sechzig Stunden Sauerstoff, und dann darf ich dich daran erinnern, wie lange Peet und ich vor zwei Jahren auf dem Mars verschollen waren, und trotzdem leben wir noch. Peet traue ich ja einiges zu, aber Arn keine einzige Unvorsichtigkeit, und was soll ihnen in dem leergeblasenen Schiff schon passieren?“ „Du musst im Lügen noch ein bisschen üben, Jörn …“ Da meldete sich die HTO-234, das Schiff der Corporation. „Hier 234. Spruch von PROMET empfangen. Antwort in Kode TT, Frequenz ergibt sich daraus. Kommen!“ „Jetzt verstehe ich langsam gar nichts mehr, Vivien. Kode TT, hast du schon mal davon gehört? Und aus dem Kode ergibt sich die Frequenz, die wir benutzen sollen?“ Er rief zu Gus Yonker durch. Der wusste Bescheid. „Der Kode müsste im Tresor liegen …“ Jörns Faust krachte auf den Rand der Instrumentenkonsole. „Und Peet hat den Schlüssel in der Tasche!“ „Nein, den habe zufällig ich. Der lässt ja überall alles liegen.“ „Gesegnete Unordentlichkeit!“, stieß Jörn Callaghan hervor und hob die Hände wie zum Gebet. „Den Schlüssel, Vivien.“ Mit dem Kodebuch unter dem Arm kam er zurück, schlug es auf und erstickte beinahe. „Das ist nur mit dem Computer zu schaffen. Großer Himmel, warum nur diese Geheimniskrämerei von der 234. Wir haben doch kein Raumschiff ausgeplündert. Und das ist die Frequenz, die wir benutzen müssen? Damit kommt der Sender ja keine drei Millionen Kilometer weit …“ „Das bedeutet aber auch, dass uns niemand abhören kann, Jörn.“ Gus Yonker, in seinem Beruf die Zuverlässigkeit in Person, sagte auch seine Meinung dazu, aber dann stellte er die Anlage auf die gewünschte Frequenz ein und koppelte sie gleichzeitig mit dem Computer. Die darauf folgende Zwangspause nutzte er, um Peet Orell und Arn Borul zu rufen. Er erhielt keine Antwort. In der Kommando-Zentrale verfassten Jörn und Vivien ihren Bericht an die HTO-234, ließen ihn durch den Computer laufen, der für kurze Zeit mit dem TT-Kode gefüttert worden war und ihn nach
einem bestimmten Zeitraum automatisch in seinem Speicherteil wieder löschen würde. Dann strahlte der Sender der PROMET den Bericht auch noch zerhackt und gerafft in mehreren Kurzimpulsen ab. „Gus, immer noch kein Kontakt zu den beiden im toten Schiff?“ „Nein, ich versuche sie mit der Funk-Ortung zu fassen, aber ich kann nicht einmal eine halbe Amplitude erwischen. Sollte nicht doch einer von uns ‘rüberfliegen und nachsehen?“ „Noch nicht, Gus. Dafür ist es noch zu früh.“ Vivien, die mit den Fingern der rechten Hand auf die Kante der Instrumentenkonsole trommelte, begann, ihn nervös zu machen. Konnte sie das nicht bleiben lassen? Die Antwort der 234 lief ein, und der Computer entschlüsselte sie. Jörn Callaghan und Vivien Raid warfen sich Blicke zu, die Verzweiflung und Verständnislosigkeit ausdrückten. Was sollten sie getan haben? Mit ihrer Transition eine Erschütterung im Gefüge des Sonnensystems ausgelöst? Eine Zeile weiter sprach man von einer Belastung der Gravitation durch den Sprung der PROMET. „Wer ist denn hier verrückt, Vivien?“ „Aber es muss etwas dran sein, Jörn. Der Zeitpunkt, in dem die Störung auftrat, fällt mit unserer Transition zusammen.“ „Okay, okay, Vivien, das ist jetzt nicht unsere Aufgabe. Hier steht die Order, sofort zu starten und die 234 anzufliegen, die uns jenseits der Plutobahn erwartet. Das können wir doch gar nicht. Arn und Peet fehlen doch. Wie die sich das denken …“ Er ließ den Streifen, den der Bordcomputer ausgespuckt hatte, sinken, und sein Blick fiel zufällig auf den großen Bildschirm. Callaghan glaubte zu träumen. Er schloss schnell die Augen und presste fest die Lider zusammen, öffnete sie wieder und blickte auf die Scheibe. Er träumte nicht. Der Torso der Riesenkugel vor ihnen war nicht tot. Keine zehn Meter neben dem geschmolzenen und wiedererstarrten Rand, dem riesigen Loch, öffnete sich facettenförmig etwas. Und etwas wölbte sich heraus. Deutlich konnte er die Rundung erkennen, die sich umso stärker wölbte, je größer die Öffnung wurde.
„Vivien. Mein Gott, siehst du es auch?“ Und mit ausgestrecktem Arm deutete er auf die Stelle auf dem Bildschirm, die ihm Entsetzen unter die Haut jagte. Die schwarzhaarige, junge Frau brachte keinen Ton über ihre Lippen. Wie hypnotisiert starrte sie den Schirm an. Immer größer wurde die Öffnung in der fugenlosen Haut des fremden Raumers. Immer stärker wölbte sich etwas anderes aus der Öffnung, und das andere schimmerte nicht im Rotton. Es war schwarz – so schwarz wie der lichtlose Raum um sie herum. „Jörn, was ist das? Was kann das nur sein?“ Was sollte er darauf antworten? Zusammen mit ihr sah er, wie die schwarze Wölbung sich nun in der Öffnung drehte und sie anzublicken schien. Da meldete Gus Yonker aus seiner Funkzentrale: „Noch immer kein Kontakt zu Arn und Peet …“ Und ein Ding, rund wie eine Halbkugel aus der Öffnung des fremden Raumers ragend, starrte sie unverwandt an. Was kam nun? Was geschah jetzt …?
3. Harry T. Orell blickte auf, als das Kop-Gerät neben seinem Schreibtisch summte. Lautlos schrieb der Laser-Script eine Meldung im Klartext auf die Endlosrolle. Sein Blick wurde starr und unwillkürlich hielt er den Atem an. Eine Nachricht vom Raumschiff HTO-234. ‘Funkkontakt mit der PROMET – Standort 168 751 Kilometer hinter Pluto – Teilzerstörtes, unbekanntes Kugelraumschiff, ca. 390 Meter durchmessend, von PROMET entdeckt – gez. Captain Worner’ Harry T. Orell las die Meldung noch einmal, dann drückte er den Löschknopf; im gleichen Moment war der Platz auf der Endlosrolle wieder leer und schimmerte im leichten Blauton. Er trat ans Fenster, und sein Blick schweifte über die gigantischen Hallen, in denen die HTO die modernsten, schnellsten und sichersten Raumschiffe der Erde baute.
Die Sorge um seinen Sohn Peet gab es nicht mehr. Vivien Raids Vater konnte er benachrichtigen lassen, dass seine Tochter wohlauf war. Damit war dieses Kapitel abgeschlossen. Ein neues hatte sich aufgetan, und mit ihm Probleme, die kaum zu bewältigen waren, aber Harry T. Orell hatte zeit seines Lebens Widerstände bekämpft und besiegt; doch würde er sie auch in diesem Fall beseitigen können? Die PROMET hatte ein unbekanntes, teilzerstörtes Kugelraumschiff entdeckt! Er ahnte, was das zu bedeuten hatte. Wenn sich nur noch Reste des Maschinenparks in dem Raumgiganten befanden, dann wurde der HTO-Corporation die einmalige Chance geboten, mittels dieser Fremdtechnik auf bestimmten Gebieten jeder Konkurrenz um Jahrzehnte voraus zu sein. Das bedeutet aber auch, Aggregate zu demontieren und zur Erde zu schaffen – und das wiederum heimlich. Die Space-Police durfte davon keinen Wind bekommen, und die World-Police auch nicht. Und gerade diese beide Institutionen ließen, wie er aus sicherer Quelle wusste, den gesamten Funkverkehr zwischen der HTO und den Corporation-Schiffen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln überwachen, um endlich zu klären, welche Störung die Raumyacht seines Sohnes innerhalb des Sonnensystems ausgelöst hatte. Harry T. Orell, der grauhaarige Riese, lachte verhalten. Den Computerkode der HTO konnte niemand knacken. Die Überwachung des Funkverkehrs der Corporation durch die Police war Zeitverschwendung, dennoch war ihm klar, dass der HTO beim Ausschlachten des Fremdraumers kein Fehler unterlaufen durfte, sollte die gesamte Aktion nicht durch einen Eingriff der SpacePolice gestoppt werden. Sein Organisationstalent entwickelte schon einen Demontageplan, obwohl er sich der Tatsache bewusst war, dass er erst einmal ausführlichere Informationen von der PROMET erhalten musste. Er verließ den Platz am Fenster und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Über die abhörsichere Leitung stellte er Kontakt mit der Funkzentrale seines Werkes her. Er musste entweder mit dem Captain der 234 oder mit seinem Sohn Peet auf der PROMET sprechen.
Er wusste um die Schwierigkeiten mit dem Funkverkehr über diese weiten Distanzen, darum ordnete er an, eventuell die HTO-234 als Relaisstation zu benutzen. „Okay, Sir. Ruf geht sofort raus.“ Dann hatte auch Harry T. Orell sich zu gedulden, denn der Funkspruch zum Pluto benötigte rund fünf Stunden und achtundvierzig Minuten. Geduld war jedoch schon immer Harry T. Orells Stärke gewesen. * Poul Ederson starrte vor sich hin. Er begriff nicht, warum Harry T. Orell nach einem Sonnensystem im Gebiet des Ringnebels der Leier suchen ließ, das zehn Planeten besitzen und eine Sonne vom Typ W haben sollte. Zudem hatte diese Suche absolut diskret durchgeführt zu werden. Er dachte an die 25-Millionen-Sol-Spende von Harry T. Orell. Eigentlich sollte ihm dessen Auftrag egal sein. Aber jetzt, wo die Raumstation 45, die in 72 000 Kilometer Höhe über der Erde stand, Resultate erbringen sollte, versagte sie. Zum wievielten Mal Poul die gewaltige Tele-Stereo-Anlage neu justierte, konnte er schon nicht mehr sagen. Bisher war die Suche ergebnislos verlaufen. Er hatte zuwenig Anhaltspunkte, die er nutzen konnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf seine Ausdauer zu vertrauen und auf einen glücklichen Zufall zu hoffen. Während seiner Suche fiel ihm wieder das seltsame Versagen sämtlicher Messgeräte ein. Noch immer rätselten die Wissenschaftler daran herum. Nur eines wussten sie mit Bestimmtheit: Die PROMET musste die Ursache gewesen sein! Was suchte Harry T. Orell im Gebiet des Ringnebels der Leier? Wollte er eine neue Welt entdecken? Aber der Ringnebel lag doch viele Lichtjahre von ihnen entfernt. In einem Gebiet, das für sie unerreichbar war! Poul wusste von Harry T. Orell, dass er sein Geld nicht zum Fenster hinauswarf. Irgendetwas musste hinter der Sache stecken, das war ihm längst klar.
Er fluchte vor sich hin, erledigte einige Routinearbeiten und fütterte den kleinen Computer mit Daten. Plötzlich fühlte er sich müde und erschöpft und suchte seine Kabine auf. Er warf sich auf sein Bett. Aber schlafen konnte er nicht. Die Einsamkeit machte sich bemerkbar. Sie hatte ihn von Anfang an am meisten bedrückt. Um ihn herum gab es nur schwarzen Weltraum und das unendliche Sternenmeer. Erst in einem Monat ging sein Dienst auf der Station 45 zu Ende, erst dann würde er mit einer Fähre zur Erde zurückfliegen. Aber was, um alles in der Welt, suchte Harry T. Orell im Sektor des Ringnebels der Leier? Das Funkgerät sprach an. Reeder, der Chef des Astro-Instituts in Rio und auch sein Boss, verlangte ihn zu sprechen. Vom Bett aus drückte er die Taste, und auf dem kleinen Bildschirm war Reeders Gesicht deutlich zu erkennen. „Nein“, erwiderte Poul Ederson langsam, „hier hat sich nichts Neues ergeben.“ „Auch nichts über die Störungen, die die PROMET ausgelöst haben soll?“ Ederson schnaufte und machte mit der Hand eine Bewegung, die Hilflosigkeit ausdrückte. „Reeder, was Sie mit den großen Stationen auf der Erde nicht erreicht haben, schaffe ich mit unserer relativ kleinen Anlage auf 45 auch nicht. Ehrlich gesagt, ich habe mich auch nicht mehr darum bemüht, das Rätsel zu lösen, nachdem ich im Funk gehört habe, wer sich auf Terra damit befasst.“ „Vergessen Sie nicht, Harry T. Orells 25-Millionen-Spende“, mahnte Reeder. „Ich habe sie nicht vergessen. Das Geld kommt uns allen zugute, aber Wunder lassen sich damit auch nicht vollbringen. Können Sie Wunder schaffen, Reeder?“ „Das nicht, aber darauf hoffen. Danke, mehr wollte ich nicht wissen.“ Dann hatte er auf der Erde abgeschaltet und Poul Ederson in der Raumstation 45 versuchte, endlich Schlaf zu finden. *
Vivien Raid wusste in diesen Sekunden nur eins: Sie hatte Angst, nichts als nackte Angst. Unbewusst klammerte sie sich an Jörn Callaghan. Auch dieser schaute dem grausigen Schauspiel zu. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unentwegt starrte er das riesige Auge auf der Oberfläche des Fremdraumers an. Es hatte einen Durchmesser von rund sechs Metern. In diesem Augenblick meldete sich Gus Yonker. „Hallo, warum antworten Sie nicht? Die 234 ruft uns. Wir sollen Kurs auf sie nehmen. Ist das zu diesem Zeitpunkt überhaupt möglich?“ Jörn schluckte, sein Hals war ausgetrocknet. „Gus, wie stellen Sie sich das vor? Wir können Peet und Arn doch nicht im Stich lassen. Kommen Sie in die Kommando-Zentrale!“ Viviens Augen hingen immer noch wie hypnotisiert an dieser einmaligen Erscheinung. Gus Yonker betrat die Kommando-Zentrale und blieb abrupt stehen, als er das Gebilde auf dem Bildschirm sah. „Was ist denn das?“ „Ein Auge“, antwortete Vivien nur kurz. „Aber das war doch vorher nicht da! Ein Auge? Ein Auge, das uns anschaut?“ „Was willst du tun?“, wandte sich Vivien an Jörn. „Wir müssen etwas unternehmen!“ „Weißt du, was?“ Sie schüttelte resigniert den Kopf. „Ich werde mit Eric Worner sprechen. Vielleicht weiß er Rat.“ Gus Yonker starrte immer noch das unheimliche Auge an. Er strich über seine Augen. Der Spuk auf dem Bildschirm blieb. Es war keine Halluzination. „Stellen Sie eine Verbindung mit der 234 her, Gus“, sagte Jörn. „Ich möchte Worner sprechen.“ Yonker begab sich in den Funkraum und stellte die Verbindung mit Captain Worner her; dann stellte er zum Kommandoraum durch. „Na endlich“, sagte Jörn Callaghan, als Worner sich gemeldet hatte, „ich glaubte schon, Sie seien gar nicht an Bord.“ „Was ist denn los, Callaghan?“ Yonkers Anruf war unter höchster Dringlichkeitsstufe an Bord der HTO-234 eingegangen.
Eric Worner hatte sich einen Moment zu gedulden, bis er Jörn Callaghans Antwort hörte. Die Bildverbindung war nicht besonders gut. Auf dem Schirm konnte er das Gesicht des anderen kaum erkennen. „Arn und Peet befinden sich auf dem Fremdraumer, Captain Worner. Alles verlief okay, bis schlagartig der Funkverkehr mit ihnen abbrach. Seit dieser Zeit bemühen wir uns vergeblich, mit ihnen wieder Kontakt zu erhalten. Sie können sicher verstehen, dass wir in Sorge sind.“ „Mit anderen Worten, Callaghan, Sie benötigen unsere Hilfe.“ „Genau. Aber inzwischen ist noch etwas anderes passiert. Auf einer Stelle an der Oberfläche des Kugelraumers hat sich irgendetwas gebildet, das wie ein Auge aussieht. Lachen Sie nicht. Vielleicht schätzen wir dieses Ding, das einen Durchmesser von rund sechs Metern hat, falsch ein, aber wenn ich jetzt wieder einen Blick auf den Bildschirm werfe und es sehe, läuft es mir kalt den Rücken herunter.“ „Was? Ich denke, der Kasten ist leer? Haben Sie nicht mitgeteilt, er sei teilzerstört?“ „Stimmt auch, und dennoch ist dieses Gebilde auf der Oberfläche des Kugelraumers entstanden. Machen Sie Ihr Beiboot flott, und kommen Sie so schnell wie möglich zur PROMET. Wir benötigen Hilfe. Packen Sie so viele Leute wie möglich in das Beiboot. Wann können Sie eintreffen?“ „Moment“, klang es von Bord der 234. Die Bildverbindung war inzwischen besser geworden, und Callaghan sah Worners nachdenkliches Gesicht. Er wappnete sich mit Geduld. Dann vernahm er die Stimme des Captains wieder. „Callaghan, rechnen Sie damit, dass wir in rund einer Stunde anlegen. Ende. Oder haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“ „Nein, im Moment nicht. Ich schalte ab.“ Dann drehte er sich nach Vivien um, sah sie für einen Augenblick nachdenklich an, und meinte: „Eine Stunde warten. Wenn wir in dieser Zeit doch wenigstens Funkkontakt mit Arn und Peet bekämen. Und dazu dieses verdammte Auge … ist es überhaupt ein Auge oder bilden wir es uns nur ein?“ Vivien zuckte mit den Schultern. Dann schüttelte sie den Kopf. Darunter konnte Jörn sich alles Mögliche vorstellen …
* Captain Eric Worner gab das Kommando über sein Raumschiff an seinen ersten Offizier, Captain Murdock, ab. Er selbst ordnete den Einsatz des Raumbootes an. Über Visophon-Bordsprech unterrichtete er die Männer, die an seinem Unternehmen teilnehmen sollten. Vor dem Beiboot-Hangar, schon im Raumanzug, erwartete er seine Leute. Der Klarsichthelm war noch geöffnet und nach hinten geklappt. Acht Mann machten diesen Einsatz mit. „Sind alle Raumanzüge gecheckt?“ Sein Blick wanderte von einem zum anderen, und nacheinander nickten die Männer zustimmend. Dann betätigte er den dritten Knopf der Steueranlage zum Innenschott des Hangars. Lautlos glitt das schwere Schott auf und gab ihnen den Eintritt frei. Indirektes Licht aus den Gängen zeigte das kleine Raumboot, das immerhin einen Aktionsradius von 500 000 Kilometern besaß. Der kreisrunde Einstieg war geöffnet, und seine Leute folgten Eric Worner in das Beiboot. Er hatte am Steuersitz Platz genommen und den Hauptstromkreis eingeschaltet. Nacheinander flackerten an der Instrumentenkonsole die ersten Grünkontrollen auf. Vom Einstieg kam die Meldung, dass das Luk geschlossen und gesichert sei. Die Verbindung zur Kommandozentrale der 234 stand. Captain Worner drückte eine Reihe von Tasten, kontrollierte dabei Instrumente und Geräte, drehte sich kurz um und rief seinen Männern zu: „In drei Minuten klar zum Start. Die Pumpen saugen schon die Luft ab.“ An der Druckkontrolle verfolgte er, wie der Luftdruck im Hangar immer tiefer sank. Als der Zeiger die Rotmarkierung erreicht hatte, öffnete eine automatische Steuerung das Außenschott. Der kleine Bildschirm direkt in Augenhöhe zeigte, wie sich das Hangarschott langsam bewegte und das doppelflügelige Tor rechts und links in der fußdicken Schiffswandung verschwand.
Im gleichen Moment begannen die beiden Triebwerke mit minimaler Leistung zu laufen. Sämtliche Ortungen zeigten grün. Worner meldete seiner Zentrale, dass er klar zum Start sei. Er erhöhte die Triebwerksleistung und schaltete den Antigrav dazu; unmerklich hob das Raumboot vom Boden ab, machte eine Drehung um 20 Grad, und mit der stumpfen Nase voraus schwebte es ganz langsam auf das geöffnete Schott zu. Vor ihnen lag die Unendlichkeit des Alls und das strahlend breite Band der Milchstraße. Millionen Sterne funkelten in der Ferne. Die Männerund Frauen im Raumboot, die dieses Bild längst gewohnt waren, hatten keinen Blick dafür. Angeschnallt in ihren Kontursitzen, den Raumhelm immer noch geöffnet, dösten die meisten vor sich hin. In der Zwischenzeit hatte das Raumboot den Hangar der 234 verlassen und begann, sich mit steigender Beschleunigung immer schneller von seinem Mutterschiff zu entfernen. Pluto, die Eiskugel, von der Sonne spärlich mit Licht versorgt, stand als drohender Schatten, schwach grau schimmernd vor dem samtschwarzen Hintergrund des Universums. Im Triebwerksraum begannen die beiden Aggregate mit ihrem sonoren Summen. Ein Zeichen, dass sie mit maximaler Leistung arbeiteten. Gelassen saß Eric Worner im Pilotensitz und rührte keine Hand mehr, nachdem er den Kurs eingestellt hatte. Er beobachtete nur noch die Instrumente. Im weiten Bogen schwang das Raumboot um Pluto herum, geriet in seinen Schatten, und als es diese Grenze erreicht hatte, wurde automatisch die letzte Kurskorrektur durchgeführt. Mehr als 160 000 Kilometer vor ihnen im Weltraum befand sich die PROMET in der Nähe eines Fremdraumers, der sich ein Auge zugelegt haben sollte. Um dieses Auge kreisten Worners Gedanken. Ohne zu wissen, schüttelte er hin und wieder den Kopf. Ein Auge? Er konnte sich nicht vorstellen, dass Jörn Callaghan hysterisch geworden war. Aber was war dieses Auge, wenn es kein Auge war?
Auf den drei Bildschirmen des Beibootes war von der HTO 234 nichts mehr zu sehen. Es war ein supermodernes Schiff der Corporation, erst vor kurzem vom Stapel gelaufen, und befand sich offiziell auf dem Jungfernflug. Auch dieser Raumer hatte Tropfenform mit einem Durchmesser von 75 Metern, bei einer Länge von 180 Metern. Sieben neuartige DeGorm-Triebwerke verliehen der 234 eine bis dahin nie erreichte Höchstgeschwindigkeit. Diese Unterlichttriebwerke waren, ebenso wie die der PROMET, nach Prüfung durch Arn Borul verbessert worden. Das abgeflachte Heck gehörte zu den typischen Kennzeichen der HTO-Schiffe. Es war das größte Schiff, das die HTO-Corporation bisher gebaut hatte, und als Frachter ausgelegt. Über Funk meldete sich die PROMET. Der Funker Gus Yonker stellte die Verbindung mit Jörn Callaghan her. Worner bestätigte auf dessen Anfrage, dass er in knapp einer halben Stunde längsseits liegen werde. „Captain Worner, wir haben immer noch keinen Funkkontakt mit Peet und Arn, und das verdammte Auge schaut über die Bildschirme zu uns herein. Ich kann nur sagen: Scheußlich. Und besonders wohl fühlen wir uns alle nicht. Wir sind froh, wenn Sie bei uns sind.“ Nachdenklich schaute Eric Worner vor sich hin. Jörn Callaghans Worte hatten ihm zu denken gegeben. Er kannte diesen Mann nur flüchtig, aber er schätzte ihn als ruhig und besonnen ein; wenn Callaghan sagte, dass er sich unbehaglich fühlte, dann musste die Situation bedrohlich sein. Er warf einen Blick aufs Chrono. In achtundzwanzig Minuten sind wir bei euch, dachte er und fragte sich, was sie dort bei der PROMET erwarten würde. * Eric Worner war mit 33 Jahren einer der jüngsten Raumschiffkapitäne der HTO. Die wenigsten wussten, dass er und seine 52 Mann starke Besatzung zu den vertrauenswürdigsten und verschwiegensten Männern der Corporation zählten. Zusammen hatten sie schon oft neuartige Triebwerke getestet oder neue
Aggregate überprüft, deren Leistungen oder Konstruktion der Konkurrenz unbedingt verborgen bleiben mussten. Auch Worner starrte den Bildschirm an, auf dem das Auge zu sehen war. Und wiederum fragte er sich: Ist das wirklich ein Auge? „Wir wissen es noch immer nicht“, gab Jörn Callaghan zu. Dann lauschte er ungläubig, was Worner ihm zu sagen hatte. „Wie? Was sollen wir ausgelöst haben?“ „Durch die Transition der PROMET vor der Mars-Bahn eine Erschütterung im 4-D-Gefüge.“ „Und diese Erschütterung wurde zur gleichen Zeit überall im gesamten Sonnensystem, wo wir Messgeräte stehen haben, registriert? Überall zur gleichen Zeit?“ „Ja. Die Wissenschaftler stehen Kopf. Niemand kann sich diese Erscheinung erklären. Die letzten Nachrichten, die wir aufgefangen haben, besagen, dass man die PROMET eindeutig als Ursache dieser Störung eingekreist hat. Nach Ihrer Rückkehr müssen Sie sich einiges einfallen lassen, um die Wissenschaftler zu überzeugen.“ „Wir haben andere Sorgen, Captain Worner. Sehen Sie sich einmal das gigantische Loch in dem Fremdraumer an; ich schalte den Bildschirm etwas um. So sehen Sie es besser. Na …?“, sagte Jörn. Das Loch in der Außenhülle des Fremschiffes erstreckte sich über acht Decks. Irgendwann musste das Schiff mit unglaublichen Energien beschossen und zerstört worden sein. Worner riss seinen Blick von den verbogenen Gestängen und Trägern los. „Callaghan, sind Sie überzeugt, dass in diesem Schrotthaufen noch irgendwelche Maschinen und Aggregate intakt sind und arbeiten?“ Peet Orells Freund zuckte die Schulter. „Überzeugt? Das ist zuviel gesagt. Ich … wir an Bord der PROMET vermuten es. Nachdem der Funkkontakt plötzlich abgebrochen war, wollte ich schon hinüber, um zu erfahren, was der Grund der Funkstörung war, aber dann blieb ich doch an Bord, weil Peet es so angeordnet hatte. Was ich seitdem mitgemacht habe, können Sie sich sicher vorstellen.“ Eric Worner starrte vor sich hin. Er war auffallend schlank und gut aussehend, und man sah ihm an, dass er ein verschlossener Typ war. Er besaß auch die Eigenart, anderen gegenüber in gewissen Situationen reserviert zu sein.
Einen Erfolg konnte er Harry T. Orell gegenüber verbuchen: Der Boss hatte ihn mit der 234 hinausgeschickt, die PROMET zu suchen, und er hatte sie gefunden. Aber mit Auffinden der PROMET war Harry T. Orells einziger Sohn an Bord des Fremdraumers verschollen, und mit ihm Arn Borul, der Humanoide von einem anderen Stern. „Callaghan, Sie selbst haben beobachtet, wie dieses Auge auf der äußeren Hülle des Kugelraumers entstanden ist?“ „Ja. Kurz nachdem wir den ersten Funkkontakt mit Ihrem Schiff hatten, Worner, fiel mein Blick zufällig auf den Bildschirm. Ich glaubte zu träumen. Ich sah zum ersten Mal, dass die Riesenkugel kein Schrotthaufen war. Wie Sie sehen, befindet sich keine zehn Meter neben der riesigen Öffnung dieses facettenförmige Etwas. Und dieses Etwas begann sich herauszuwölben. Die Rundungen wurden immer deutlicher, je stärker es sich wölbte, und je größer die Öffnung im Mittelpunkt wurde. Und dann diese teuflisch schwarze Farbe. Wir haben das Ding Auge genannt. Und – ich glaube, ich brauche mich nicht zu schämen –, ich habe vor diesem verdammten Auge Angst. Als dann Vivien dieses Etwas auch sah, war sie außer sich.“ Der Captain der 234 zuckte leicht zusammen. Auch er fühlte sich in Gegenwart dieses Auges unwohl. Er presste die Lippen gegeneinander, bis sie wie ein Strich wirkten. In diesem Augenblick betrat Vivien Raid den kleinen Kommandoraum der PROMET. Trotz der bedrohlichen Lage strahlte sie auch jetzt ihren Charme aus. Ihre langen schwarzen Haare flatterten wie eine Fahne hinter ihr her. Die samtgrünen Augen in ihrem braunen, ovalen Gesicht ließen sie noch faszinierender erscheinen. Lächelnd und äußerst liebenswürdig kam Vivien näher, reichte ihm die Hand. „Hallo, Commander Worner, lange nicht mehr gesehen. Dass wir beide uns hinter dem Pluto treffen würden, hätten Sie bestimmt auch nicht gedacht.“ Worner lächelte zurück, aber seine Augen blieben dabei ernst. „Stimmt, antwortete er, da wurde er auch schon unterbrochen; aus der Funk-Z meldete sich Gus Yonker.
„Nach wie vor kein Kontakt mit Peet Orell und Arn Borul, aber die 234 hat einen Funkspruch von der HTO-Corporation weitergeleitet. Order von Harry T. Orell persönlich. In kurzer Zeit schickt er weitere Raumer zum Pluto hinauf. Mit der Demontage der Aggregate in dem fremden Raumschiff soll sofort begonnen werden. Falls es mit den vorhandenen Werkzeugen und Geräten nicht möglich ist, sollen wenigstens die Vorbereitungen zur Demontage getroffen werden.“ Yonker gab dazu keinen Kommentar. „Wie stellt Harry T. Orell sich das vor?“, fragte Callaghan langsam. Vivien Raid war neben dem Computer stehen geblieben. Dem Bildschirm hatte sie den Rücken zugekehrt. Sie konnte das Auge auf der Außenhaut des Fremdraumers nicht mehr anschauen. „Ich lasse die 234 hierher kommen, vor Pluto hat sie sowieso keine Aufgabe zu erfüllen.“ Völlig unerwartet für die anderen hatte Worner sich erhoben und den kleinen Kommandoraum der PROMET verlassen. Das Schott blieb hinter ihm geöffnet. „Vivien, ich glaube, ich werde mit Worner niemals richtig warm werden.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Wer kann das schon, Jörn?“ „Aber eigentlich ist er ein feiner Kerl, der Captain“, sagte Szer Ekka hinter ihnen. Es war wie immer. Ekka bemerkte man erst, wenn er sprach.
4. Peet starrte den Moraner an. Aber Arn Borul wich seinem Blick aus und wandte sich um. Seit Stunden saßen sie fest. Eingesperrt. Wie oft hatten sie schon alle Schotten abgelaufen! „Arn, was sollen wir noch tun?“ Arn Borul stand hochaufgerichtet vor ihm und sah ihn aus seinen schockgrünen Augen an. Dieser Blick war unergründlich. Jetzt, in
diesen Sekunden, spürte Peet wieder, dass Arn, der Humanoide, von einem anderen Stern kam. „Vor allen Dingen dürfen wir nicht aufgeben. Wir müssen weitersuchen, Peet.“ „Aber wo und wie?“ „Wo ein Schott ist, da müssen auch Mechanismen sein, die es wieder öffnen.“ „Leicht gesagt, aber wie du mittlerweile weißt, gibt es nichts dergleichen. Haben wir nicht alles getan, um etwas zu finden?“ Beide schwiegen einen Augenblick. Peet Orell war besorgt, dass man sie suchen würde und dann in die gleiche Falle geriet. Wie aber konnte er die anderen daran hindern? Der Funkverkehr war zusammengebrochen. Wenn Arn Borul auch ruhig erschien, er war nicht weniger erregt. Er hatte schon soviel gewagt, um seinem Volk eine neue Heimat zu suchen. Junici … In diesen Sekunden stieg die Sehnsucht zu ihr heiß in ihm auf. Er dachte an seine Heimat, das unterirdische Höhlensystem auf dem Planeten Moran, an die Sonne Kyl, die PailyBerge und Thosro Ghinu. Die Ruhe und Stille stellten eine starke Nervenbelastung dar. Warum machte Peet ihm keine Vorwürfe? Er war es doch gewesen, der die PROMET umbauen ließ, der sie bis hierhin geleitet hatte. Sie beide waren in das fremde Raumschiff eingedrungen. Es war alles seine Schuld. „So sag doch etwas!“, stieß Peet plötzlich aus. „Großer Gott, das Raumschiff ist doch nicht mehr betriebsfähig, warum arbeitet es trotzdem noch? Warum haben sich sämtliche Schotten hinter uns geschlossen?“ „Ich weiß es auch nicht.“ Sie standen unschlüssig da. Es gab keinen Anhaltspunkt. Nichts ließ darauf schließen, dass sie je wieder aus diesem Labyrinth herauskämen. Plötzlich erinnerte sich Peet wieder an seinen Sturz durch den stillgelegten Antigrav-Schacht. Er hatte doch etwas gesehen, auf einem Vorsprung. Einen Metallgegenstand.
Ohne Arn zu unterrichten, ging er zurück. Der Moraner sah ihm nach, dann folgte er ihm. Peet war als erster an Ort und Stelle. Arn kam näher. „Suchst du etwas, Peet?“ „Ja! Aber etwas, was ich nicht kenne. Ich habe vorhin einen mir unbekannten Metallgegenstand gesehen. Er muss dort auf dem Vorsprung liegen. Da!“ Sie beugten sich beide darüber. Es war ein seltsamer Gegenstand. Er hatte die Dicke und Länge eines Unterarmes, und sein Ende lief in einen Kolben aus. Arn kniete nieder und wischte mit seinen Raumhandschuhen die dünne Staubschicht ab. Der Gegenstand begann in ihrem Scheinwerferlicht zu funkeln. Rotblau! Der Farbe nach schien er aus einem anderen Metall gefertigt zu sein als das Raumschiff. Die dem Kolbengriff entgegengesetzte Seite war konvex, also nach innen gewölbt – parabolisch gekrümmt. Einen direkten Mittelpunkt konnten sie aber nicht ausmachen. Peet war ratlos. Was könnte der Gegenstand wohl für eine Bedeutung haben? Sie würden es bestimmt nie erfahren. Arn Borul kniete immer noch davor und starrte das Ding an. Seine Augen waren plötzlich ganz schmal. Ein harter Zug umspielte seinen Mund. Seine Gedanken überschlugen sich. Wo hatte er so einen Gegenstand schon einmal gesehen? Ghinu hatte ihm einmal davon erzählt und Abbildungen gezeigt. Es musste etwas Bedeutendes sein, mit Kleinigkeiten gab sich Thosro Ghinu niemals ab. „Gehen wir weiter“, schlug Peet vor. „Suchen wir die Entriegelung für die Schotten, das ist zweckmäßiger, als hier vor diesem Stück Metall zu stehen und doch nicht zu wissen, was es bedeutet.“ Seine Stimme war rau. „Noch einen Augenblick, Peet.“ „Warum?“ „Ich weiß nicht, aber das Ding kommt mir bekannt vor.“ Und plötzlich stand alles wieder vor seinen Augen. Er sah Ghinu vor sich, dann die Abbildung.
Und dann wusste er, was es war. Er erinnerte sich. Es war eine Strahlwaffe. Ihre Ahnen sollten sie einmal besessen haben, doch alles Wissen darüber war verloren gegangen. Regelrechte Geschichten rankten sich darum. Doch eine neue Frage tat sich auf: Wie kam die Waffe in diesen Kugelraumer? „Ich hab’s, Peet.“ „Ja?“ „Es ist eine Strahlwaffe meiner Ahnen.“ Verständnislos blickte Peet ihn an. Arn versuchte, seinem Freund die Strahlwaffe zu erklären. Er war aufgestanden und einen Schritt zurückgetreten. Als sich Peet nach der Waffe bücken wollte, riss er ihn zurück. „Vorsicht! Das Ding kann noch funktionieren.“ „Hoffentlich“, meinte Peet verbissen. „Lass mich mal sehen. Es sieht nach nichts aus.“ Arn suchte vergeblich nach einem Kontakt. Er fand ihn nicht. Auch nach mehreren Versuchen war er keinen Schritt weiter. Er begann innerlich über seinen Misserfolg zu fluchen. Peet ging zurück und suchte zum x-ten Male an den Wänden vor einem Schott nach verborgenen Schaltungen, fand aber wieder nichts. Seine Unruhe steigerte sich. Er hatte keine Hoffnung mehr. Er lehnte sich gegen die rötlich schimmernde Metallwand. Im Licht ihrer Scheinwerfer wirkten die Gänge gespenstisch, weit und unheimlich. Götter Morans, warum kommen mir nicht die richtigen Gedanken? fragte sich Arn. Langsam begann er, innerlich über seinen Misserfolg zu toben. Hätte er doch nichts von der Waffe gesagt! Nun besaßen sie eine, die ihnen vielleicht die Freiheit hätte wiedergeben können, und er, Arn, versagte auf ganzer Linie. Noch hielt er den seltsamen Gegenstand in der Hand. Die Strahlwaffe, die dann doch keine war, weil sie kein Feuer spie.
Zorn erfasste ihn, wild riss er die Waffe herum, richtete sie auf das Schott, und sein Wunsch, das Feuer auf dieses verdammte Schott zu eröffnen, wurde übermächtig. Kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, als ein grellgelber Strahl, heller als ein Blitz, im Raum stand und gegen das Schott prallte. Peet, von dem Schein geblendet, wich instinktiv zurück und warf sich zu Boden. Peet Orell blickte sich um und suchte Arn Borul, den Moraner. Er konnte ihn nirgends entdecken. In seinem Helmfunk prasselte und knackte es. „Arn! Arn, hörst du mich?“ Das Knacken und Rauschen war keine Antwort. Ein Blitz zuckte über seinen Kopf hinweg. Ein Blitz im Vakuum? Eine Energiebahn in einem toten Raumschiff? „Arn!“, schrie er wieder ins Helmmikrofon. In grellem Gelb zuckten die Blitze und prallten gegen das Schott. Peet blieb plötzlich erstarrt stehen. Er sah Arn. Hochaufgerichtet, das Gesicht hell erleuchtet, die schockgrünen Augen weit aufgerissen. Ein Leuchten stand darin. Peet begriff noch immer nicht, was diese Energieflut ausgelöst hatte. Nun musste der Moraner ihn bemerkt haben, denn er nickte ihm zu. Peet riss seine Augen weit auf. Jetzt verstand er, woher die Energiebahn kam. Arn Borul hielt die Waffe, die er in diesem Schiff gefunden hatte, in der Hand. Und von der konvexen Fläche emittierte sie diesen grellen Strahl, der das geschlossene Schott vor ihm aufschnitt, als sei es aus Pappe. Arn Borul triumphierte. Jetzt wusste er, wie er die Strahlwaffe einsetzen konnte. Sie reagierte auf Gedankenimpulse! Eben hatte er sich, kochend vor Wut, gewünscht, dieses verdammte Ding solle doch endlich das Schott aufschmelzen, und im gleichen Moment war der Strahl gegen das Schott geprallt. Der Strahl fraß sich langsam am Schott hoch, Metall schmolz und erstarrte in Sekundenschnelle.
Ein Viereck, zwei Meter hoch und fast ebenso breit, zeichnete sich ab. Peet fand sich inzwischen hinter Arn und verfolgte das Schauspiel, das seine Phantasie ihm nicht erklären konnte. Arn ging auf das Schott zu. Mit dem schweren Schuh seines Raumanzuges trat er gegen das Viereck aus Metall. Wie von Geisterhand erfasst flog das Stück, das Tonnen schwer sein musste, davon. Nur an einer Stelle glühte das Metall noch. Peet schnellte herum. Ein Instrument seines Raumanzuges zeigte an, dass der ganze Raum von letaler r-Strahlung geschwängert worden war. Sie musste entstanden sein, während Arn mit der Strahlwaffe arbeitete. Doch sein Wissen, dass die Raumanzüge selbst diese hohen Strahlungswerte abschirmten, ließ ihn die Ruhe nicht verlieren. Arn Borul wandte sich um und lachte. Er gab ihm ein Zeichen, seinen Helmfunk wieder einzuschalten, den beide wegen der Störungen ausgeschaltet hatten. Im gleichen Augenblick vernahm er die Stimme Gus Yonkers. Der Funkkontakt zur PROMET bestand wieder. Die Lautsprecher der PROMET knackten. Yonker hatte auf Konferenzschaltung gestellt. Pino Tak, Szer Ekka, Jörn, Vivien und Captain Worner hörten mit. Im ersten Augenblick glaubten sie, Yonker sei verrückt geworden. Er schrie laut: „Ich hab sie wieder, ich hab Verbindung mit ihnen!“ Callaghan stürzte vor und rief: „Was? Funkkontakt mit Peet und Arn?“ „Ja! Einwandfreie Verständigung. Ich schalte durch.“ Für einen kurzen Augenblick hielten alle den Atem an. Dann sagte Jörn Callaghan: „Hallo Peet, alles in Ordnung? Wie geht es euch?“ „Prächtig, warum sollte es uns anders gehen?“, erwiderte Peet. Arn und Peet sahen sich für einen Augenblick stumm an. Arn umfasste den Kolbengriff fester, und beide stiegen durch die entstandene Öffnung. Im Vorbeigehen sahen sie noch, dass an den Rändern des schwarzen Lochs bereits das gerade noch flüssige Metall erstarrte, kaum dass die Raumkälte es berührte.
Jetzt und in diesen Sekunden fühlten sie sich von jeder seelischen Belastung befreit. Sie eilten den Gang entlang; sie wollten aus dem Schiff heraus. „Schickt uns den Peilstrahl, damit wir überhaupt wissen, wo wir uns befinden“, rief Arn und presste die Waffe an sich. Die Durchsuchung des Raumers hatte sich also doch gelohnt! Der Peilstrahl kam, und im gleichen Augenblick stellten sie fest, dass sie auf das Loch zuliefen, das acht Decks hoch war. Sie wollten noch abbremsen, aber der Schwung war zu gewaltig, sie waren einfach zu schnell. Sie wurden weit über den Abgrund der Unendlichkeit hinausgetragen. Peet sah sich nach Arn um, aber dieser hatte schon die Steuerdüsen an seinem Raumanzug eingeschaltet. Peet machte es ihm nach. Und plötzlich sahen sie die PROMET wieder vor sich. Aber ihre Augen wurden größer, als sie neben der PROMET ein modernes Superschiff der HTO sahen. Wie zum Teufel war das denn hierher gelangt? Auch Arn war überrascht und fragte über Helmfunk. Aber Peet konnte ihm keine Antwort geben. Dann befanden sie sich vor dem Außenschott der PROMET und ließen sich einschleusen. Schweigend gingen sie den Gang zur Zentrale entlang. Helligkeit schlug ihnen entgegen. Ein Schatten kam auf Peet zugeflogen. Er wollte ihm ausweichen, doch es war zu spät. Und zu seiner größten Überraschung fühlte er, wie Vivien ihm um den Hals fiel. Arn lachte belustigt auf. Aber das rettete auch ihn nicht davor, von Vivien ebenso stürmisch begrüßt zu werden. Ziemlich verwirrt schob er sie sanft von sich. Jörn Callaghan und auch die anderen standen im ersten Augenblick nur stumm da und waren froh, die beiden wieder in ihrer Mitte zu sehen. „Wir haben uns ganz schön Sorgen gemacht“, sagte Pino Tak und strich sich über seinen glattrasierten Schädel.
Arn Borul begann seinen Raumanzug abzustreifen. Szer Ekka wollte ihm helfen und ihm den seltsamen Gegenstand abnehmen, den er in der Hand hielt, aber der Moraner wich zurück. „Vorsicht, nicht berühren!“ Alle starrten Arn Borul an. Captain Worner schluckte, als er die schockgrünen Augen des Fremden gewahrte. „Das ist eine Strahlwaffe“, sagte Peet. „Wir haben sie gefunden und damit das verdammte Schott aufgeschweißt, das sich urplötzlich hinter uns geschlossen hat.“ „Komisches Ding“, meinte Gus Yonker, trat näher und sah Arn fragend an. „So kann man es auch nennen. Das Dumme an der Sache ist nur, das Ding reagiert auf Gedankenimpulse. Wenn man …“ Er brach ab und hielt inne. Alle wichen zurück. Plötzlich war es jedem ziemlich heiß geworden, oder schien es ihnen nur so? Verdammt, das war ja ein schönes Kuckucksei, das der Fremde vom Planeten Moran ihnen da mitgebracht hatte. „Also, ihr wisst Bescheid“, sagte Peet ernst. „Na, denn mal Prost“, meinte Captain Worner trocken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Scheint sich hier wohl um einen Ausflug zu handeln, oder irre ich mich?“, fragte Peet. „Du irrst dich“, sagte Jörn. „Aber das alles zu erklären, ist eine lange Geschichte. Ich schlage vor, ihr esst erst einmal eine Kleinigkeit. Wenn mich nicht alles täuscht, müsst ihr doch einen mächtigen Hunger haben!“ „Jörn, du hast mir aus der Seele gesprochen“, sagte Peet lachend. Gemütlich ging man den langen Gang entlang zum Aufenthaltsraum. Peet legte einen Arm um Viviens Schulter. „Na, wieder beruhigt? Deine Sorge ehrt uns ungemein.“ Vivien Raid sah ihn strahlend an: „Ihr habt ganz schön in der Patsche gesessen, mein Lieber. Jörn wollte schon ‘rüber kommen, um euch rauszuholen.“ „Wäre ihm schwerlich geglückt.“ Captain Worner, der hinter ihnen ging, lächelte. Diese Art von Vertrautheit hatte es an Bord seiner Schiffe nie gegeben. Selbst
wenn er gewollt hätte, Gefühle konnte er vor Fremden schlecht zeigen. Peet und Arn aßen, und die anderen sahen ihnen dabei zu. Eine gelöste Stimmung herrschte unter ihnen; alle sprachen gleichzeitig. Arn und Peet wollten das Neueste hören, und umgekehrt wollten die anderen von den Erlebnissen auf dem fremden Raumschiff erfahren. Peet Orell lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an. Nun fühlte er sich schon merklich wohler. „Kann mir endlich einer sagen, warum die 234 hier ist?“ Captain Worner lachte auf. „Weil wir Sie suchen sollten. Sie wurden vermisst. Außerdem hat Ihre Transition einigen Wirbel nach sich gezogen.“ Und er fuhr fort: „Sie haben zwar die erste Transition erfolgreich hinter sich gebracht, aber in diesen Sekunden fielen bestimmte Messgeräte aus. Mit der Transition wurde eine Erschütterung im Gefüge des Sonnensystems ausgelöst. Kein Wunder also, dass die Space-Police daraufhin verrückt zu spielen begann. Sie waren und blieben verschwunden. In dieser Situation erhielt ich von Mr. Orell die Order, die PROMET mit der 234 zu suchen. Allein aus diesem Grund bin ich jetzt hier“, schloss Worner seinen Bericht. Arn Borul machte ein nachdenkliches Gesicht. Je mehr Einzelheiten er erfuhr, desto klarer zeichnete sich für ihn ab, dass der Fehler nur im Sprungtriebwerk der PROMET liegen konnte. Und dieser Fehler ging ausschließlich auf sein Konto. Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Er wurde in seinen Überlegungen gestört, als Vivien Raid plötzlich wieder an das Auge erinnerte. Auf dem großen Bildschirm in der Kommandozentrale war es immer noch zu sehen. Peet Orell zeigte sich genauso entsetzt davon wie die anderen. Arn Borul kniff seine Augen zusammen. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte, aber ihm gefiel die Sache keineswegs. Irgendwie ließ ihn die Ahnung nicht los, dass ihnen von dem Auge Gefahr drohte. Er überprüfte noch einmal die mitgebrachte Strahlwaffe. Sie war 27 Zentimeter lang, hatte einen Durchmesser von 8,4 Zentimeter und war 6,2 Kilogramm schwer. Sie war also bei weitem nicht so schwer wie das Metall, aus dem der fremde Raumer gebaut war. Wer hatte sie dort zurückgelassen? Die Wesen, die das Schiff gebaut hatten?
Fragen über Fragen. Borul versuchte seine Gefährten zu beruhigen, aber dennoch wurden sie die Sorgen nicht los. Ein unbedachter Gedankenimpuls, womöglich von Emotionen verstärkt, und die Strahlenwaffe würde feuern. Aber wie die Waffe zu sichern war, konnte der Moraner auch nicht sagen. Es blieb ein Rätsel, so intensiv er auch darüber nachdachte. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als äußerst vorsichtig mit ihren Gedanken umzugehen. Peet Orell und Arn Borul waren erschöpft und fühlten sich alles andere als topfit. Captain Worner begab sich zur Schleuse. Er wollte zur 234 hinüber und Harry T. Orell Bericht erstatten. * Später traf von der 234 ein weiterer Funkspruch bei Harry T. Orell ein. Automatisch wurde der Text über den Computer entschlüsselt: Arn und Peet in Sicherheit. Auf dem Raumer wurde fremdartige Waffe entdeckt. Das war der erste Satz eines langen Funkspruches. Je mehr Harry T. Orell las, umso straffer wurden seine Schultern. Eine Zentnerlast fiel von ihm ab. Jetzt gab es für ihn kein Zurück mehr, denn diese Chance, die sich ihm hinter Pluto anbot, war einmalig. Was würde man nicht alles aus dem unbekannten Raumschiff bergen können? Irgendwo mussten sich doch auch Maschinen befinden. War dies nicht der beste Ansatzpunkt zu einer machtvollen Demonstration der HTO-Corporation? Damit wollte er beweisen, dass seine Werft die besten, schnellsten und zuverlässigsten Raumschiffe baute. Harry T. Orell sah alles schon vor seinem geistigen Auge ablaufen. Auch die Demontage der Aggregate in dem fremden Raumschiff. Alles sollte nach Terra zur Corporation gebracht werden. Hier würden Techniker und Ingenieure herausfinden müssen, welche Funktionen die Geräte dieser Fremdtechnik hatten. Und dann zum Schluss das Wrack selbst. Konnte man es nicht verschrotten, um das Metall mit dem unglaublich hohen spezifischen Gewicht für den Bau eigener Raumschiffe zu verwenden?
Über die Haussprechanlage ordnete er an, dass sich sein Planungsstab in einer Stunde im kleinen Saal einzufinden habe. Bevor er selbst zu der von ihm angeordneten Sitzung ging, informierte er noch Vivien Raids Vater, dass seine Tochter wohlauf war. Orell konnte die Steine hören, die dem Mann vom Herzen fielen, aber er brach das Gespräch sehr schnell ab, denn den Eigentümer der HTO trieben andere Dinge an. Es waren über zwanzig Personen, die sich kurze Zeit später im Konferenzsaal versammelt hatten. Die besten Techniker, Ingenieure, Physiker und Mathematiker. Alle nahmen an dem ovalen Tisch Platz und verstummten, als Harry T. Orell den Raum betrat. Ein Riese an Gestalt; seine 63 Jahre sah man ihm nicht an. Nur seine Haare waren frühzeitig ergraut, verliehen ihm aber ein eindrucksvolles Aussehen. „Ladies und Gentlemen, ich brauche Sie, Ihr Können, Ihre Phantasie und Ihre absolute Verschwiegenheit. Ich brauche Sie alle dringender denn je. Im Großen und Ganzen wissen Sie von dem Raumflug der PROMET. Die 234 hat sie hinter dem Pluto gefunden. Aber nicht das ist das Wichtigste. Die PROMET hat ein fremdes Raumschiff entdeckt. Wir müssen dieses Schiff technisch erobern. Es kann der Schlüssel zu einer rasanten Entwicklung sein. Darum werden wir es ausschlachten und alles Brauchbare nach Terra bringen lassen, um es in der Corporation auf seine Funktionen zu testen. Was wir nicht aus eigener Macht begreifen können, wird uns Arn Borul vielleicht zu erklären wissen. Noch weiß die Welt nichts von unserem Fund, und sie darf auch nichts davon erfahren.“ Er schwieg und sah sie der Reihe nach an. Jeder kannte den Chef, aber was er jetzt vorhatte, das erschien ihnen einfach zu gigantisch, so, als wollte er es mit der ganzen Welt aufnehmen. Ihnen blieb buchstäblich der Atem weg. „Wir werden so schnell wie möglich die größten Transport-Raumer bauen und auf den Weg zum Pluto schicken. Sämtliche Arbeit konzentriert sich ausschließlich auf dieses Projekt.“ „Wird die Space-Police nicht auf uns aufmerksam werden? Sie widmet sich uns doch sowieso schon ziemlich stark. Die Frage ist, wie können wir unbemerkt hinter den Pluto kommen?“ Daran hatte bisher keiner gedacht.
Im Saal herrschte Schweigen. Schon der Flug der PROMET hatte Aufregung verursacht. Musste man nicht misstrauisch werden, wenn die HTO weitere Schiffe in den Raum entsandte? „Wir müssen uns etwas einfallen lassen“, murmelte er. „Wir müssen sie alle täuschen, um unbemerkt zu Werke gehen zu können.“ Tina Park, eine Astrophysikerin, meldete sich zu Wort: „Mir kam gerade ein Gedanke: Die Corporation könnte behaupten, im Asteroidengürtel einen Planetoiden aufgespürt zu haben, der das hochwertige Marson enthält.“ „Schön wär’s“, brummte eine Ingenieurin dazwischen. „Weiter“, rief Harry T. Orell gespannt. Schnell begann er zu begreifen, worauf Park hinauswollte. „Aus dem Asteroidengürtel mit über 50 000 Planetoiden verschiedenster Größe kann niemand so schnell unseren Planetoiden herausfinden, um festzustellen, ob wir die Wahrheit gesagt haben. Dass wir die genaue Lage nicht bekannt geben, ist natürlich logisch. Wie wir ja wissen, ist das hochwertige Marson-Metall, das bisher nur auf dem Mars gefunden worden ist, für den Raumschiffbau wichtig. Wer sollte also misstrauisch werden, wenn wir dieses Metall auf einem Planetoiden abbauen wollen? Sind nicht alle auf der Suche danach? Wir fliegen also in Richtung Mars und sind dann für die meisten Radarstationen unerreichbar. Haben wir diese Schwierigkeit erst einmal ausgeräumt, dürfte alles andere leicht abzuwickeln sein.“ Tina Park endete und sah in die Runde. „Alle sind an ihre Schweigepflicht gebunden, stärker denn je, sonst ist unser Plan nicht durchführbar“, sagte Orell. Als Harry T. Orell wieder alleine war, verspürte er keinen Triumph mehr. Keiner wusste besser als er, was an Organisation, Arbeit, Anstrengung und Geld aufgebracht werden musste, um den phantastischen Plan Wirklichkeit werden zu lassen. Auf seine Wissenschaftler, Ingenieure und Planer konnte er sich verlassen, aber gab es auch keine undichte Stelle? Er stellte eine Verbindung zu Crook, dem Chef seines Werkschutzes her. Kurz darauf saß dieser ihm gegenüber, ein kleiner schlanker Mann mit einem dunklen Haarkranz, wasserblauen Augen und einer leicht gebogenen Nase.
„Überprüfen Sie diese Frauen und Männer nach den strengsten Maßstäben“, sagte Orell und schob ihm die Liste der Personen zu, die mit dem geheimen Projekt zu tun hatten. „Wer ein unsicherer Kandidat ist, wird mir sofort gemeldet. Er wird dann in einer anderen Abteilung beschäftigt.“ Harry T. Orell hatte immer nach festen Grundsätzen gehandelt und Widerstände auf diese Art beseitigt. Darum gab es die HTO-Corporation. * Die HTO-Corporation demonstrierte der Welt ihre Möglichkeiten, und für vierundzwanzig Stunden war sie Gesprächsthema Nummer eins. Drei computerverschlüsselte Funksprüche hatten den Anstoß dazu gegeben, die Peet Orell über den Sender der 234 zur Erde abgestrahlt hatte. Darin war in gedrängter Form eine Unmenge an Details über den riesigen Raumer enthalten. Für den Konzernboss ein Beweis, dass man sich hinter dem Pluto nicht mit Kartenspielen die Zeit vertrieb, sondern hart arbeitete. Diese Funksprüche verlangten kategorisch, diese einmalige Chance nicht leichtfertig zu verspielen, sondern sie mit allen Mitteln zu nutzen. Was das für seine Corporation bedeutete, war dem dynamischen Mann klar; auch was die Finanzierung des Unternehmens anbelangte. Die flüssigen Geldmittel reichten bei weitem nicht aus, um die Aktion erfolgreich abzuschließen. Unter anderem bedeutete es, die Ablieferung in Auftrag gegebener Raumschiffe hinauszuschieben, denn, wenn das Wirklichkeit werden sollte, was sich hinter dem Pluto anbahnte, dann benötigte er Frachtraum. Ältere Schiffe konnte er dafür nicht einsetzen, denn ihr Aktionsradius reichte nicht so weit. Nur die allerneuesten Schiffe mit den verbesserten DeGormTriebwerken schafften diese Distanzen und waren so konstruiert, dass die Frachträume bis auf den letzten Kubikmeter ausgenutzt werden konnten.
Parks Idee, einen der fünfzigtausend Asteroiden als Alibi zu gebrauchen, indem die HTO das Gerücht verbreiten ließ, im Asteroidengürtel ein mächtiges Marson-Erzvorkommen entdeckt zu haben, würde den tatsächlichen Anlass der Aktivitäten verschleiern. Das Marson-Erz hatte den Mars erst für die Menschheit interessant gemacht, aber zum Leidwesen der Raumschiffindustrie waren die Vorkommen auf der rotleuchtenden Planetenkugel nicht besonders groß. Und gerade auf dieses Metall war man angewiesen, das leichter war als Stahl und dennoch einen Schmelzpunkt von 9.870 Grad Celsius besaß. Gar nicht zu reden von seiner hundertprozentigen antimagnetischen Eigenschaft oder seiner unwahrscheinlichen Belastbarkeit. Die Hülle eines nur aus Marson gebauten Raumschiffes wog bis zu vierzig Prozent weniger, kostete dafür aber über das Doppelte. Trotzdem gab es nicht genug Marson, um alle in Auftrag gegebenen Schiffe daraus herzustellen. Und mit diesem Köder, im Asteroidengürtel Marson gefunden zu haben, wollte Harry T. Orell die gesamte Weltöffentlichkeit täuschen. Eine Konferenz löste die andere ab. Der Planungsstab musste wieder einmal alles über den Haufen werfen. In der Finanzabteilung bekamen einige Experten graue Haare und waren über den Wagemut ihres Chefs leicht verstört, der unmissverständlich verlangt hatte, schon jetzt vorsorglich mit den Banken zu verhandeln, damit für die HTO jederzeit zwei Milliarden auf Abruf bereitlagen. Mit Kleinigkeiten gab sich Peet Orells Vater wirklich nicht ab. Die Space-Police hatte unter dieser Aktion auch zu leiden, und ihr Aufbau geriet ins Stoppen. Ihr wurde mitgeteilt, dass ihre Raumschiffe aufgrund einiger bedeutender technischer Neuerungen erst noch einmal von Werksseite auf Herz und Nieren geprüft werden müssten. Man sei leider nicht in der Lage, den Ablieferungstermin genau anzugeben.
Die Nachricht von der HTO löste im Stab der Space-Police Ärger aus, aber niemand brachte diese Nachricht mit dem Flug der PROMET in Zusammenhang. Und dann lief auch schon das Gerücht um die Welt, die HTO habe auf einem Asteroiden ein mächtiges Marson-Lager entdeckt. Die Arbeiter und Techniker der Orell-Werften bemerkten nicht, was sich innerhalb der gigantischen Hallen anbahnte. Dass plötzlich die Fertigstellung einer Reihe von Raumschiffen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorwärtsgetrieben wurde, hatte man doch schon oft erlebt. Auch, dass man mit einer selten hohen Zahl computergesteuerter Roboter arbeitete, war kein Novum. Der Chef der Personalabteilung und der Sicherheitschef der Corporation kamen aus den Kleidern nicht mehr heraus. „Ladies und Gentlemen“, hatte Orell ihnen klipp und klar gesagt, „ich benötigte für die Schiffe, die für die Aktion Pluto vorgesehen sind, Besatzungen, die absolut verschwiegen sind. Ein einziger Schwätzer an Bord, und alles fliegt auf. Die vorzeitige Aufdeckung unserer Pläne könnte den Bankrott der Corporation zur Folge haben. Handeln Sie danach!“ Sie fluchten, wenn der Computer mal diese Frau oder jenen Mann als nicht zuverlässig eingestuft hatte, und der schon begrenzte Personenkreis, aus dem sie Raumschiffsbesatzungen zusammenstellen konnten, immer kleiner wurde. An den kleinen, schnellen Schiffen, die für die Space-Police bestimmt waren, ging die Arbeit schleppend weiter. Harry T. Orell war nicht daran interessiert, sich mit der Lieferung dieser Schiffe zusätzliche Aufpasser heranzuziehen. Neugierige Menschen konnte er bei der Aktion Pluto nicht gebrauchen. Die Visophon-Sicht-Sprechverbindung zu seinem Arbeitszimmer riss immer nur für Sekunden ab, wenn die Zentrale auf eine andere Leitung schaltete. Der Chef der HTO war zu einem menschlichen Computer geworden. Die Raumüberwachung wunderte sich nicht, als die Corporation Flugerlaubnis für sechs Schiffe beantragte. Werksflug! Test aller lebenswichtigen Aggregate im Raum! Die Erlaubnis wurde kurz darauf erteilt.
Auf sechs Frachtschiffen wunderte man sich nun nicht mehr, aber selbst die Kommandanten begriffen nicht, warum gewisse Besatzungsmitglieder ausgetauscht worden waren, und warum dieser Austausch so unwahrscheinlich schnell abgewickelt worden war. Doch dann gingen ihnen die Augen über, als sie im Verwaltungsgebäude der Corporation plötzlich Harry T. Orell gegenüberstanden, der sie bei seinem Eintritt mit knappem Kopfnicken begrüßte und sie über sein Vorhaben aufklärte. „Sie wissen nun, worum es geht. Sie haben nun auch verstanden, warum gewisse Personen auf Ihren Schiffen ausgewechselt wurden. Vergattern Sie Ihre Mannschaften zu absolutem Schweigen. Was auf dem Spiel steht, habe ich Ihnen gesagt, danke.“ * Aber auch an einem anderen Ort war Pluto das Gesprächsthema Nummer eins, in Kapstadt nämlich, in der Space Rocketts Company. Während die Schiffe der HTO noch im Orbit um die Erde kreisten, gab die Company gegen 13:30 Uhr bekannt: „Das Raumschiff INTERPLAN, ein Neubau der Space Rocketts Company, wird heute um 16 Uhr zu einem Flug zum sonnenfernsten Planeten Pluto starten. An Bord befinden sich hundertacht Wissenschaftler der verschiedensten Fakultäten. Das Schiff ist für diesen Forschungszweck unter Aufsicht der Experten ausgerüstet worden.“ Das war die Bombe, die urplötzlich bei der HTO einschlug. Der Traum, heimlich hinter Pluto ein fremdes Raumschiff ganz allein auszuschlachten, war nun ausgeträumt. Unbeweglich saß Harry T. Orell eine Zeitlang hinter seinem Schreibtisch und starrte durch das Panoramafenster in die Weite. Mit diesem Zwischenfall hatte er nicht gerechnet. Und ihm waren die Hände gebunden. Auch mit der Macht der HTO hinter sich verfügte er über keine Mittel, den Start der INTERPLAN zu verhindern. Es machte ihm nichts aus, sich haarscharf an der Grenze der Legalität zu bewegen und alle Mittel anzuwenden, die man einsetzen musste, um Erfolg zu haben, aber ein Mann, der mit verbrecherischen Gedanken spielte, war er noch nie gewesen.
Er musste die PROMET und die 234 unterrichten, was aber sollte er mit den sechs Frachtern machen, die im Orbit um Terra kreisten? Sollte er sie auf dem Werkshafen landen lassen? Eine Erklärung dafür, warum sie nicht in den freien Raum vorstießen, war schnell zu finden. Die Entscheidung schob er vor sich her und unterrichtete erst einmal die Handvoll Männer und Frauen, die über die Aktion Pluto informiert waren. „Sir, sind Sie sicher, dass …?“ Er war sicher, dass die Nachricht aus Kapstadt keine Seifenblase war. In etwas mehr als zwei Stunden würde die INTERPLAN vom dortigen Raumhafen zum Flug nach Pluto abheben. Die Funkzentrale seiner Werft hatte Verbindung zu ihm. Die beiden Männer, die dort ihren Dienst verrichteten, waren die Zuverlässigkeit selbst, dennoch wunderten sie sich, als sie ein vom Boss eigenhändig verschlüsselter Spruch erreichte, den sie in Richtung Pluto abzustrahlen hatten. Harry T. Orell atmete tief durch, schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und sagte sich dann selbst: „Man muss auch mal mit Anstand verlieren können.“ * Aha, dachte Gus Yonker, als die an den Empfänger gekoppelte Maschine den kleinen Computer fütterte, die HTO hat uns mal wieder an der Funkleine, und die kleine Relaisstation, die die 234 ein paar hunderttausend Kilometer weit in den Raum gesetzt hat, macht sich bezahlt. In der nächsten Sekunde erstarrte er förmlich. Pluto bekam Besuch. Aber nicht von einem HTO-Schiff. Von der INTERPLAN, und die INTERPLAN gehörte der Company, dem stärksten Konkurrenten der Corporation. „Wissenschaftler an Bord“, stöhnte Yonker. „Über Hundert! Großer Himmel, die haben uns gerade noch gefehlt.“ Schon hatte er die Taste zur Sichtsprechverbindung gedrückt. Rundruf an alle! Jörn Callaghan meldete sich als erster. „Was ist denn los, Yonker?“
Peet Orell hatte sich eingeschaltet. Der Moraner und Vivien Raid ließen sich Zeit, aber dann bekamen auch sie die Nachricht mit. Das kleine Team traf sich in der Zentrale. Mit Captain Worner und seinen Offizieren bestand Funkkontakt. Dort hatte die Nachricht vom Start der INTERPLAN auch wie eine Bombe eingeschlagen. Nur Arn Borul zeigte keine Gemütsregung. Er blieb auch still, als die Diskussion der anderen immer lebhafter wurde. „Arn, deine Nerven möchte ich haben“, hielt Peet Orell ihm etwas heftig vor, weil ihn das Verhalten des anderen zusätzlich aufregte, denn Boruls Ruhe war nicht menschlich. Die schockgrünen Augen blickten ruhig. „Es wäre für uns alle besser, wenn du auch wieder deine Ruhe finden würdest, Peet. Es wird eine ganze Reihe von Tagen vergehen, bis die INTERPLAN ihr Ziel erreicht.“ Peet, der in dem Kugelraumer gewesen war, wusste, welche Arbeit auf sie zukam, bis die INTERPLAN den Pluto erreichen würde. Er ordnete einige Stunden Ruhe an und teilte die Wachen ein. Arn Borul konnte allerdings keinen Schlaf finden. Er suchte in seinem Gedächtnis nach Lösungen für die Probleme, die mit dem Kugelraumer in Zusammenhang standen. Kurz schaute er in den kleinen Kommandoraum der Yacht, sah Jörn und vernahm, dass es nichts Neues gab. Dann begab er sich in seine Kabine und legte sich schlafen. Die Müdigkeit übermannte schließlich auch ihn. Sieben Stunden später weckte ihn Callaghan über Visophon, damit er ihn ablöste. „Und jetzt lege ich mich aufs Ohr“, brummte Callaghan und schlurfte aus dem Kommandoraum. Vivien Raid trat ein, und sah auf den Bildschirm, der den Kugelraumer zeigte. Sah sie etwas, was es gar nicht geben konnte? Unwillkürlich hielt Vivien Raid den Atem an, riss die Augen weit auf und starrte auf das Auge, das sich unbemerkt verändert hatte. Es strahlte violett. Es war ein Leuchten, das ihr unter die Haut ging. Arn! wollte sie schreien, aber ein pulsierender Strahl, der blitzartig aus dem Auge heraus- und die PROMET ansprang, besaß anscheinend hypnotische Kraft und lähmte ihre Stimmbänder.
Nur knapp um einen Meter verfehlte die sich in ihrem Durchmesser unentwegt verändernde Energiebahn den Triebwerksteil der Raumyacht. „Arn, da …!“, brachte sie über die Lippen und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Schirm, der die erschreckenden Vorgänge im Raum kristallklar wiedergab. Der Kopf des Moraners flog hoch. Er blickte in die angedeutete Richtung und schien im nächsten Moment mechanisch zu handeln. Bevor Vivien Raid begriff, was er getan hatte, fing sie den Raumanzug schon auf, den er ihr zugeworfen hatte, und er selbst schlüpfte in einen zweiten. „Klarsichthelm schließen, Vivy …!“ Der Strahl änderte die Richtung, aber nach wie vor war der Triebwerkssektor der Yacht sein Ziel. Sein Pulsieren wurde stärker, der maximale Durchmesser größer. Die Energiebahn schien an Kraft gewonnen zu haben. Dieses Augen war ihm vom ersten Augenblick an unheimlich gewesen. Genau wie das teilzerstörte Raumschiff, das sich ihnen zunächst als Torso präsentiert und ihm und Peet dann bewiesen hatte, dass in seinem Innern doch noch immer einzelne Sicherheitseinrichtungen funktionierten. Die Waffe! Die Strahlwaffe aus dem Kugelraumer! Verdammt, wo war sie? Er hatte sie doch auf den Transformer gelegt. „Haarscharf vorbei, Arn …“, stieß Vivien aus, die wie gebannt auf den Bildschirm sah. Ihr Keuchen war durch den Helmfunk deutlich zu hören. Da lag doch die Waffe. Er riss sie an sich, wirbelte herum, wusste, in welcher Richtung er das Auge zu suchen hatte, und wenn bei dem Strahlschuss gleich die Wandung der PROMET an einer Stelle durchlöchert wurde, was zählte es! Er musste das verdammte Auge, das sich als Abstrahlpol entpuppt hatte, vernichten, und wenn er dabei dem Fremdraumer ein Stück Außenhaut fortriss. Genau wie vor kurz zuvor im Kugelschiff beherrschte ihn das Verlangen, das Auge mit einem Strahlschuss zu zerstören, und der ganze Hass, dessen der Moraner fähig war, lag in seinem Wunsch.
Aber die konvexe Fläche emittierte keine Strahlbahn. Die Waffe funktionierte nicht mehr. „Götter Morans“ Arn Borul presste die Lippen zusammen. Vivien sollte von seiner Bestürzung nichts mitbekommen, doch sie sah, wie er mit mutloser Geste die Waffe sinken ließ. „Funktioniert sie nicht, Arn?“ Er schüttelte den Kopf. „Du, Vivien, da …!“, stieß Arn hervor und deutete auf den Bildschirm. Wie zwischen Peet und ihm brachte die Notlage das Du über seine Lippen. Der Strahl war schwächer geworden. Er war zudem während der letzten zehn Sekunden aus der Richtung gewandert und ging weit an der Raumyacht vorbei ins All. Oder war dieses Schwächerwerden mit einem tiefen Luftholen zu vergleichen, um dann erneut mit geballter Energie die PROMET anzugreifen? „Das Auge … Arn, das Auge …“ Das violette Leuchten verblasste im gleichen Maße, wie der pulsierende Strahl immer dünner wurde. Sein Durchmesser verringerte sich immer seltener, und das Leuchten war kaum noch zu erkennen. Und dann gab es diesen Spuk nicht mehr. Sie klappten ihre Klarsichthelme auf. Beide wischten sich den Schweiß von der Stirn. „Das war knapp!“, stieß der Moraner hervor und blickte die Strahlwaffe an, die ihn im Stich gelassen hatte, als sei sie ein Wesen mit einem eigenen Verstand. „Verdammtes Ding!“ „Hätte sie funktioniert, wäre ein hübsches Loch in der PROMET, Arn“, meinte Vivien. „Das schnell wieder geschlossen worden wäre.“ Er drehte die Waffe prüfend in den Händen. „Keine Energiekammer zu erkennen. Kein Ladeanschluss. Oder die Waffe wird durch einen MikroKonverter versorgt. Warum funktioniert sie nicht? Warum nicht?“ „Dann ist sie gar nicht so gefährlich, wie wir dachten?“ „Allem Anschein nach nicht. Sie scheint nur unter bestimmten Umständen auf klare Gedankenimpulse anzusprechen, aber auf welche? Und wann?“ Er legte sie auf die Sitzfläche des freien Sessels. „Dieses Auge, dieser Abstrahlpol, Vivien … weißt du, was
der mir mit seinem pulsierenden Strahl gesagt hat? Los, das Schiff durchsuchen. Durchforschen vom untersten Deck an. Und das wird nicht Tage in Anspruch nehmen, das wird Wochen verschlingen. Und wir müssen die Aggregate finden, die noch Energie liefern, sonst erleben wir das violette Wunder wieder … Das Auge entwickelt sich jetzt zurück, seine Wölbung wird flach und der Durchmesser kleiner. Da gibt es also doch noch Aggregate und Steuerungen, die erstklassig funktionieren. Nein, Vivien, im Augenblick brauchen wir bestimmt nichts mehr zu befürchten.“ * Besatzung und Passagiere der INTERPLAN gingen sich vornehm aus dem Weg. William Shellock, mit achtunddreißig Jahren einer der besten Kommandanten der Space Rocketts Company, hatte damit begonnen. Er mochte keine Eierköpfe; er konnte Theoretiker nicht ausstehen. Der Mensch fing für ihn beim Praktiker an und hörte auch damit auf. Aber seit sechzehn Stunden hatte er keine Zeit mehr gefunden, über die Wissenschaftler an Bord eine abfällige Bemerkung zu machen. Der Asteroidengürtel, den sie endlich hinter sich gebracht hatten, hatte ihnen einige haarige Kursmanöver abverlangt, um nicht mit einem der Steinbrocken unterschiedlichster Größe zu kollidieren. „Das hätten wir …“, sagte der Captain gerade, als in der Zentrale der Alarm schon wieder zu hören war. Der erste Offizier brachte die INTERPLAN blitzschnell auf einen anderen Kurs. „Durchmesser zwo Komma drei Kilometer“, sagte der Mann an der Massen-Ortung, der vor Müdigkeit die Augen kaum noch aufhalten konnte. „Hoffentlich war das der letzte Planetoid“, knurrte William Shellock, dessen Gesicht ebenfalls von den hinter ihnen liegenden Anstrengungen gezeichnet war. „Wann müssen wir den nächsten Spruch nach Kapstadt ins Center abstrahlen?“ „In einer Stunde vierzig Minuten, Sir …“
In der Zentrale herrschte eine ebenso gute Stimmung wie unter den hundertacht Wissenschaftlern, die aus allen nur erdenklichen AstroFakultäten stammten. Die Besatzung war stolz darauf, ein Schiff zu fliegen, das in der Lage war, Pluto zu erreichen, und die Wissenschaftler waren glücklich darüber, mit ihren Geräten und Instrumenten der Eiskugel am Rande des Sonnensystems einmal gründlich zu Leibe gehen zu können. Die Frauen und Männer, die William Shellock Eierköpfe nannte, hatten mit ihren Instrumenten den Flug durch den Asteroidengürtel verfolgt und waren glücklich darüber, diese Gefahrenstelle im Raum hinter sich lassen zu können. Nicht wenige unter ihnen hatten für Shellocks kluges Manövrieren Lobesworte übrig gehabt, und man gratulierte sich dazu, mit einem solch erfahrenen Captain fliegen zu können. Da blickte ein Experte misstrauisch und heimlich seinen Nebenmann an. Es stank! Da schnupperte der andere und blickte misstrauisch und heimlich den an, der ihn im Verdacht hatte. Dann sagten beide wie aus einem Mund: „Pfui Teufel, wie das auf einmal hier stinkt …“ In der Kommando-Zentrale gähnte Shellock herzhaft und laut und verzichtete darauf, die Hand vor den Mund zu legen. „Noch zehn Minuten, und ich gebe ab“, sagte er danach seinem Ersten. Sein Blick flog über die Instrumente. Wunderbar, wie die Triebwerke arbeiteten. „Na, benötigen wir mehr als drei Tage, bis wir auf Pluto landen können?“ Der Erste grinste gemütlich. „Ich kann Ihnen die Minute nennen, in der wir aufsetzen werden, Captain, aber …“ Der schnupperte, verzog sein Gesicht und blickte um sich. „Verdammt, da hat sich doch jemand daneben benommen.“ „Ich rieche es auch, und ich hätte fast gewettet, Sie seien es.“ „Sind denn hier zur Feier, dass wir den Asteroidengürtel hinter uns haben, Stinkbomben geworfen worden?“, rief William Shellock laut. Der Geruch war kaum noch zu ertragen. Der erste Mann stürzte zum WC und übergab sich; drei weitere standen Schlange. Auch Shellock kämpfte gegen den Brechreiz an. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu …“
Bei den Wissenschaftlern war es nicht anders, und es war gleichgültig, ob sie sich in ihren Kabinen oder in den Labor- und Konferenzräumen aufhielten. Die INTERPLAN stank vom Bug bis zum Heck. Der Erste Offizier erkannte als einziger die Gefahr. Er, dem schon schwarz vor Augen wurden, versuchte, sein Wissen an den Mann zu bringen. „Captain … Captain …“ Und dann kam nur noch ein Gurgeln, und danach brach der Erste zusammen. Zehn Minuten später lag auch das letzte Besatzungsmitglied am Boden. Der Gestank in der INTERPLAN wurde immer stärker. * Das Center der Space Rocketts Company lag sechzig Kilometer von Kapstadt-City entfernt und gehörte dennoch verwaltungsmäßig zu diesem Ballungsraum. Man hatte sich das Bürogebäude einiges kosten lassen und auch mit der Inneneinrichtung nicht gespart. Die Funkzentrale war ein Beispiel dafür, wie man Millionen nutzbringend investieren konnte, denn sie durfte den Anspruch erheben, die modernste und leistungsstärkste Anlage dieser Art überhaupt zu sein. Man hatte dies mit dem Flug der INTERPLAN zum Pluto unter Beweis gestellt. Die beiden diensttuenden Funker hatten einen ruhigen Zeitabschnitt erwischt. Nur ab und zu musste ein Gespräch, das zwischen den nahen Planeten geführt wurde, vermittelt werden. Plötzlich jedoch blickte der Mann, der an der Funk-Ortung saß, auf. „Ist der Spruch der INTERPLAN nicht überfällig?“ „Doch“, erwiderte sein Kollege. „Die werden ihn vergessen haben. Genau wie gestern auch. Vielleicht ist er später abgeschickt worden. Wie lange braucht der Spruch denn, um die Erde zu erreichen?“ Der Mann am Funk-Orter sah auf den Plan. „Etwa neununddreißig Minuten. Wenn die nicht den scheußlichen Asteroidengürtel zu durchqueren hätten, würde ich mir keine Gedanken machen.“
„Shellock ist ein alter Hase, der beste Mann, den wir in der Company haben, sonst hätte die HTO nicht schon ein paar Mal versucht, ihn zu sich herüberzuholen. Mach dir also keine Gedanken.“ „Warum Harry T. Orell seine sechs Kähne wohl im Orbit lässt? Das kostet doch einen Haufen Geld …“ „Wer weiß, warum. Was machst du denn heute Abend?“ Und dann waren sie beim Thema Nummer eins angekommen, und an die INTERPLAN und den ausgebliebenen Funkspruch dachten beide nicht mehr. Aber zwei Stunden später schlugen sie Alarm, und zu ihrem Entsetzen wurden die drei Manager der Company unterrichtet. Von diesem Moment an hatten die beiden Männer in der Funkzentrale keine ruhige Minute mehr. Die vier größten Funkstationen Terras wurden angerufen und die Kursdaten der INTERPLAN durchgegeben, mit dem Hinweis, dass diese Angaben schon über fünf Stunden alt seien und keinen Anspruch auf Genauigkeit mehr hätten. Die gigantischen Parabolantennen wurden justiert, und untereinander bestätigte man die Winkeleinstellung der eigenen Anlage. Das Steuerzentrum auf den Bahamas gab zum Schluss sein „Okay“, und mit aller zur Verfügung stehender Energie wurde die INTERPLAN angerufen. „Terra ruft INTERPLAN! Over! Terra ruft INTERPLAN! Over!“ Ununterbrochen ging der Spruch hinaus. Dann wartete man. Mehr als achtzig Minuten. Früher konnte die Antwort vom Schiff nicht einlaufen. In der Zwischenzeit hatte die Leitung der Company die beiden Funker entlassen und hoffte, je mehr Zeit verging, dass die INTERPLAN endlich antworten würde. Die Verbindung zum Steuer-Zentrum auf den Bahamas riss nicht ab, aber von dort konnte man Kapstadt immer noch nichts sagen. „Die Antwort müsste doch längst eingelaufen sein“, rief Jabbock, der etwas beleibte Manager, ins Mikrophon. „Nach unseren Berechnungen …“ Er wurde unterbrochen. „Die INTERPLAN hat bis jetzt nicht geantwortet. Mehr können wir Ihnen nicht sagen. Wir haben eine Bitte: Unterlassen Sie die
unentwegten Anrufe. Wir melden uns sofort, wenn wir Nachricht von Ihrem Schiff …“ „Aber es muss doch jetzt schon etwas getan werden für den Fall, dass auf der INTERPLAN eine Katastrophe passiert ist.“ Einen Augenblick hatten die leitenden Männer der Company zu warten, dann vernahmen sie die Stimme eines anderen Mannes, der kühl erklärte: „Auf Höhe der Marsbahn befinden sich drei Schiffe der Space-Police.“ „Aber das dauert doch Tage, bis man die INTERPLAN erreicht haben kann, und wenn die INTERPLAN … Mein Gott, mein Gott!“, stöhnte der beleibte Manager und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und abermals hörte er: „Wir können nur abwarten, Gentlemen.“ Mehr hatte ihnen die Steuer-Zentrale auf den Bahamas nicht zu sagen. Eine Etage tiefer diskutierten die Ingenieure, die die INTERPLAN konstruiert hatten. Sie standen vor den Projektionen der Konstruktionszeichnungen und suchten nach Schwachstellen, aber jede Abteilung, die für ein bestimmtes Gebiet zuständig war, weigerte sich einzugestehen, beim Bau etwas falsch gemacht zu haben. Dennoch kristallisierte sich der Verdacht mehr und mehr auf zwei Anlagen – den Funk und die Triebwerke mit ihren Konvertern, Transformern und Umspulbänken. „Aber mit den drei Notsendern müsste die INTERPLAN in der Lage sein, einen Funkspruch nach Terra zu schicken.“ Der Funkingenieur wurde unterbrochen. „Der Spruch erreicht Terra nur dann, wenn die Antenne des Notgerätes bis auf drei Grad Missweisung genau justiert ist.“ „Auch das ist keine Schwierigkeit! Nein, die Funkanlage kommt für das Schweigen des Raumschiffes nicht in Frage. Meiner Meinung nach muss auf der INTERPLAN das Triebwerk – oder Teile davon – hochgegangen sein …“ „Nonsens!“, warf ein anderer Ingenieur ein. „Die Funkgeräte hängen an einem separaten Stromkreis. Die große Sendeanlage kann in Extremfällen sogar auf den Bug-Konverter geschaltet werden. Ich bin der Meinung, dass wir mit unseren Überlegungen nur Zeit verschwenden. Wir müssen abwarten …“
„Bis es zu spät ist.“ Dasselbe sagte man eine Etage höher auch. Da meldete sich das Steuer-Zentrum auf den Bahamas. „Gentlemen, in relativer Nähe der INTERPLAN befinden sich drei Raumer der HTO. Zwei vor dem Asteroidengürtel mit Kurs auf Terra und ein Schiff – alle drei auf Werksflug – mit Fahrtrichtung auf die Saturnbahn …“ „Kommt nicht in Frage! Wir lehnen Hilfsangebote der HTO Corporation strikt ab!“ „Gentlemen, es geht um rund hundertsechzig Menschenleben“, hielt man Pohl, Jabbock und Hughes, den Managern der Space Rocketts Company eindringlich vor. „Wir haben mit Mr. Orell gesprochen. Er ist damit einverstanden, dass seine drei Schiffe sofort den Kurs ändern, um die INTERPLAN zu suchen.“ „Das könnte der HTO so passen …“ Im Steuer-Zentrum auf den Bahamas schüttelte man über soviel Engstirnigkeit den Kopf. Der Chef, der dem Gespräch mit Kapstadt zugehört hatte, ergriff die Initiative und setzte sich mit der SpacePolice in Verbindung. „Die Space Rocketts Company lehnt es ab, die INTERPLAN durch Raumer der HTO suchen zu lassen. Man stellt die Interessen der Company über den Wert von hundertsechzig Menschenleben.“ „Liegt eine Bereitschaftserklärung der HTO vor?“, wollte man bei der Space-Police wissen. „Ja. Harry T. Orell ist bereit, seine drei Schiffe sofort auf Suchkurs gehen zu lassen.“ Der Mann, der bei der Space-Police die Entscheidung zu fällen hatte, überlegte nicht lange. „Was die Company gern haben möchte oder nicht, interessiert uns nicht. Okay, wir setzen uns mit der HTO in Verbindung und bitten die Corporation, unverzüglich die Suche nach der INTERPLAN aufzunehmen. Ich danke für den Anruf.“ Kapstadt wurde nicht einmal unterrichtet. Der gebündelte Funkstrahl der vier großen Terra-Stationen jagte in den Raum, um drei Handelsfrachter, die in wenigen Tagen an ihre zukünftigen Besitzer geliefert werden sollten, auf Suchkurs zu schicken.
Niemand ahnte, wie recht Harry T. Orell dieser Auftrag war, und in Gedanken sah er schon, wie seine Schiffe die INTERPLAN zum nächsten Raumhafen schleppten. Er spielte auch mit dem Gedanken, seinen Schiffskommandanten nahe zu legen, den Weiterflug des Company-Raumers zum Pluto unter allen Umständen zu verhindern, falls nur der Ausfall der Funkanlage das Schweigen der INTERPLAN erklärte. Doch so verlockend diese Möglichkeit zunächst auch schien, der grauhaarige Riese erlag ihrer Versuchung nicht und wischte alle derartige Gedanken mit einem Kopfschütteln beiseite.
5. Captain Eric Worner zeigte sich von seiner sturen Seite, als Peet Orell mit seinem Vorschlag an ihn herantrat, den fremden Kugelraumer systematisch zu durchforschen, und dabei die Forderung stellte, ihnen geeignete Männer mitzugeben. „Mr. Orell, wissen Sie, was Sie da verlangen? Haben Sie vergessen, in welcher Lage Sie und der Moraner steckten? Und der Angriff auf die PROMET, als das Auge sich als Abstrahlpol entpuppte? Sorry, aber ich muss ablehnen. Die Verantwortung ist mir zu groß.“ „Meinen Sie?“, fragte der strohblonde Mann, der an einen Wikinger erinnerte, und in seinen blauen Augen blitzte es auf. „Ob mein Vater Sie verstehen würde, Captain? Ich erinnere mich dunkel, dass in seiner letzten Funkorder unter anderem zu lesen stand, dass Sie und die Besatzung der 234 sich zu unserer Verfügung zu halten hätten. Gehe ich nicht das gleiche Risiko ein wie Ihre Männer, die Mr. Borul und mich ins Schiff begleiten?“ Die Lage hinter dem Pluto unterschied sich in vielerlei Hinsicht von gefährlichen Situationen früherer Zeiten, wenn etwa neue technische Geräte auf einem Raumschiff getestet wurden und diese explodierten oder ganze Decks in Brand setzten. Nach Worners Ansicht war es Wahnsinn, ohne ausreichende Rückendeckung noch einmal das unbekannte Raumschiff aufzusuchen, und eine Absicherung, die auch wirkte, gab es hier nicht. Er akzeptierte, dass
Harry T. Orells Erbe und der Moraner sich auch in Gefahr begaben, aber er konnte nicht verantworten, ihnen Männer seiner Crew zur Verfügung zu stellen. Die Diskussion über diesen Punkt, die brisant zu werden drohte, wurde durch eine Nachricht unterbrochen. „Mr. Borul befindet sich im Raum und schwebt auf das fremde Schiff zu.“ „Ihr Freund wird doch wohl keinen Alleingang machen, Mr. Orell?“, fragte Eric Worner, der plötzlich gar nicht mehr so abgeneigt war, selbst an der Erforschung des unheimlichen Schiffes teilzunehmen. „Keine Ahnung. Kann man ihn nicht auf den Schirm bekommen, Captain?“ Über Visophon gab er der Bild-Erfassung die Anweisung, und dann sahen zwei Männer atemlos zu, was der Moraner plante und durchführte. * Arn Borul schwebte auf den Kugelraumer zu. Seine Gedanken kreisten um die hochenergetische Strahlwaffe, die Peet und er im Fremdraumer gefunden hatten. Vivien Raid und Jörn Callaghan hatten ihn erstaunt angesehen, als er im Raumanzug, aber mit geöffnetem Klarsichthelm, die kleine Kommando-Zentrale der PROMET betreten hatte. Ihr Staunen war gewachsen, als Arn Borul die Strahlwaffe an sich nahm. Dann hatte er das Schweigen durchbrochen. „Bis Peet sich mit dem Captain geeinigt hat, schaue ich mir die Stelle auf der Außenhaut des Schiffes an, an der wir das Auge gesehen haben. Ich schätze, dass ich in einer knappen Stunde zurück bin. Meinen Helmfunk lasse ich laufen.“ Nachdem sich das äußere Schott der Schleuse geöffnet hatte, stieß er sich ab und bremste seine Saltos mit Hilfe der Steuerdüsen an seinem Tornistergerät. Er umkurvte die PROMET im Heckbereich, erkannte im diffusen Licht die Abstrahlflächen der DeGormTriebwerke und grinste wie ein zufriedener Terraner, weil man dem Schiff an den außenliegenden Teilen der Antriebsaggregate nicht ansehen konnte, dass es über das erste Transitionstriebwerk der Erde verfügte.
Und nun näherte sich der Moraner dem Kugelraumer, der teilzerstört und voller Rätsel im All stand. Plötzlich entstand ein heller Kreis dicht neben ihm. Er wanderte einmal nach rechts, entfernte sich, kam zurück und erfasste Arn. Arn Borul drehte sich nicht einmal um. Nur die 234 konnte ihm diese Beleuchtung spendieren. Dort musste man seinen Exkurs zum Fremdraumer entdeckt haben und sorgte nun für ausreichende Helligkeit. Die Hülle des Kugelriesen schimmerte und spiegelte das grelle Licht wider. Als er seinen Kurs änderte, um in die Nähe des Auges zu kommen, folgte ihm der Lichtkreis. Verdammtes Ding, dachte er und richtete die konvexe Fläche unwillkürlich auf die Stelle der Schiffshaut, die einmal ein Auge hervorgebracht hatte, um es nach dem erfolglosen Angriff wieder verschwinden zu lassen. Ich könnte dir ein Auge herausschneiden, wenn die Waffe … Weiter kam er nicht. Ein grellgelber Strahl stand im Raum! Seine Waffe emittierte Energie! Und die fraß sich in das Schwermetall, als ob es weich wie Butter wäre. Feuer! Feuer! dachte er ununterbrochen. Metall glühte auf und begann sich zu verflüssigen. Der Energiestrahl brannte sich immer tiefer in das Material hinein. Plötzlich spie es einen weißen Blitz aus, der wie ein explodierender Sprengkörper nach allen Seiten auseinander flog und für Sekundenbruchteile das All um ihn herum zum Tag machte. Eine Schrecksekunde wurde Arn Borul nicht gegönnt. In einer lautlosen, gewaltigen Explosion flog der gesamte Bereich, in dem sich das Auge befinden musste, auseinander. Metallplatten von unterschiedlicher Größe und Dichte, die stellenweise in Schichten übereinander lagen, wirbelten davon. Gefahr! signalisierte das Unterbewusstsein des Moraners, und dann hielt das Schicksal die Hand dazwischen, als eine Metallplatte haarscharf an ihm vorbei in die Tiefen des Raums raste. Absetzen! Seine Strahlwaffe schoss seit dem Moment der Explosion nicht mehr. Die Steuerdüsen arbeiteten mit höchster Leistung. In seinem Helmfunk herrschte schlagartig ein unentwirrbares Tohuwabohu. Vivien Raid schrie so laut wie Peet Orell, Captain Worner und Jörn Callaghan. Kein einziger Satz war zu verstehen.
Er ließ sie schreien und rufen. Sie würden bald einsehen, dass sie mit Stentorstimmen nichts erreichten, wenn jeder zur selben Zeit ins Mikrofon brüllte. Das riesige Loch, in dem einmal das bewusste Auge gesteckt hatte, gebar eine Explosion nach der anderen, und Arn Borul erkannte langsam, was diese Kettenreaktion veranlasst haben konnte. Das Auge musste durch einen Konverter mit Energie versorgt worden sein, und dieser Konverter war jetzt anscheinend kritisch geworden und erzeugte die nicht enden wollende Serie von Explosionen. Abrupt brach das höllische Spiel ab. Glühende Metallbahnen erloschen und erstarrten in der Raumkälte. In diesem Augenblick konnte der Moraner Peet Orell verstehen. „Nein, Peet, mir ist nichts passiert, und aus dem Gefahrenbereich habe ich mich abgesetzt. – Nein, ich komme noch nicht zurück. Ich muss noch einen Versuch mit der Strahlwaffe machen, denn ich habe auch jetzt noch keine Erklärung dafür, warum sie in der KommandoZentrale der PROMET versagte und auf meinen Gedankenimpuls nicht ansprach.“ „Existiert das Auge nicht mehr, Arn?“ Peet Orell ging über die Bemerkung des Moraners hinweg. „Wenn ich keiner falschen Vermutung aufgesessen bin, dann hat mein hochenergetischer Beschuss einen Konverter explodieren lassen. Ähnliche Vorgänge kenne ich von alten Filmen, die mir mein Lehrmeister immer wieder vorführte. Unsere Ahnen haben früher mit solchen Aggregaten hin und wieder auch Unfug angestellt. Ich melde mich gleich wieder, doch tut mir einen Gefallen und schaltet den Schiffsscheinwerfer ab. Es ist kein Vergnügen, unentwegt geblendet zu werden. Der Scheinwerfer meines Raumanzugs reicht voll und ganz.“ Der Lichtkreis von der 234 erlosch und der Moraner schaltete seinen Brustscheinwerfer ein. Mitten im lichtlosen Schwarz des Weltraums sah er die gigantische Kugel wieder, die wohl vor Abertausenden von Jahren hier hinter dem Pluto durch Strahlbeschuss teilzerstört worden war und seit dieser Zeit wie ein Mond den sonnenentferntesten Planeten umlief. Der leergeblasene Raumer ließ sich bei seinem Umlauf Zeit; wenn ihre Berechnungen stimmten, benötigte er mehr als zwei Jahre und vier Monate dazu.
Wie eine Feder trieb Arn Borul auf die riesige Öffnung zu, die acht Decks hoch war. Mit Hilfe der Steuerdüsen stoppte er seine Fahrt, nahm zum zweiten Mal die Strahlwaffe hoch und richtete sie auf den zerfetzten Rand der Öffnung. Feuer! Wegschmelzen … Und der grellgelbe Lichtstrahl stand wieder im nachtschwarzen Raum und schlug bei dem Metall mit dem unwahrscheinlich hohen spezifischen Gewicht ein. Das verstehe, wer will, dachte der Moraner und wunderte sich nicht, dass die konvexe Fläche der rätselhaften Waffe mit dieser in Gedanken gestellten Frage keine Strahlen mehr emittierte. Noch mal Feuer! Sie schoss zum dritten Mal und machte für Arn Borul das Rätsel noch größer. Ich muss sparsam mit der gespeicherten Energie umgehen, dachte er, und der grellgelbe Strahl war verschwunden. Unwahrscheinlich gefährlich, überlegte er, und welches Unheil kann man damit anrichten, wenn man nur mit dem Gedanken spielt, sie als Waffe zu benutzen. Aber bei diesem Gedanken reagierte sie nicht. Arn machte noch einen Versuch. Die Sache wurde ihm immer unheimlicher. Konnte diese Waffe genau unterscheiden, wann man sie benutzen wollte und wann nicht? „Arn“, vernahm er Peet Orell im Helmfunk, „man hört von dir nichts mehr …“ „Mir hat die energetische Kanone die Sprache verschlagen, Peet. Ich muss noch ein paar Versuche machen. Ich habe nämlich die Befürchtung, dass diese Waffe genau unterscheiden kann, ob man sie benutzen muss, oder ob man nur mit dem Gedanken spielt, mit ihr zu schießen, und in letzterem Fall scheint sie nicht zu reagieren.“ Er hörte einen tiefen Atemzug. „Reichlich unglaublich, was du uns da erzählst. Und deine Theorie hat einen Fehler, mein Lieber. Warum hat die Waffe nicht reagiert, als du sie in der KommandoZentrale der PROMET gegen das Auge einsetzen wolltest?“ „Wenn ich darauf eine Antwort wüsste, hielte ich mich jetzt nicht im Raum auf.“ Er machte noch drei weitere Versuche, aber klüger wurde er dadurch auch nicht. Etwas später rief ihn Peet Orell an.
„Brich deine Experimente ab, Arn. Hier sind wir soweit. Vier Mann von der 234 machen unsere zweite Exkursion in den Kugelraumer mit.“ „Okay, dann komme ich ‘rüber.“ * Die Transformer heulten im Diskant und die Umspulbänke brummten auch nicht gerade in reiner Tenorlage. Trotz Schallisolierung drangen die Geräusche aus dem Triebwerksraum der XO-18 bis in die Kommando-Zentrale durch. Bei Frachtraumern legte man Wert auf große Ladekapazität und schrieb Komfort klein. Die Besatzung, alles Angestellte der HTO, war gar nicht begeistert gewesen, als sie von der Space-Police die Order erhielt, unverzüglich den Kurs der INTERPLAN anzufliegen und, wenn sie das Schiff gefunden hatten, unter allen Umständen zu versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Dieser Befehl, der noch durch eine Anweisung der Corporation unterstrichen worden war, verdonnerte sie alle zu einem wenigstens eine Woche längeren Aufenthalt im Raum, und mehr als ein Dutzend Verabredungen auf Terra waren damit geplatzt. „Verdammter Kahn!“, fluchte der Mann an der Distanz-Ortung, der gemütlich im Schwenksessel saß und hin und wieder einen Blick auf den blau leuchtenden Schirm warf, über den im gleichmäßigen Rhythmus ein Fächer huschte. Er dachte an seine Frau, die er nun noch länger vermissen musste. Drei Meter weiter saß der Funker und döste. Es hatte ja doch keinen Sinn, auf einen Funkspruch der INTERPLAN zu warten, weil der Raumer keinen einzigen Anruf beantwortet hatte. Der Mann an der Distanz-Ortung beugte sich plötzlich vor. Auf seinem Schirm war links oben dicht unter dem Rand ein gleißender Punkt aufgetaucht. „Das könnte das Company-Schiff sein …“ Gekonnt schaltete er den Bordcomputer dazu und gab gleichzeitig eine Nachricht zum Kommandostand durch. „Haben Sie ihn auf dem Schirm?“, hörte er die raue Stimme des Captains. „Vermutlich, Sir. Moment, der Computer spuckt …“
Eine entschlüsselte Nachricht erschien auf dem Bildschirm und der Mann von der Distanz-Ortung las sie. Mit der Sicherheit eines Blinden, dem jeder Handgriff in Fleisch und Blut übergegangen ist, brachte er zwanzig Schalter in eine andere Stellung, um weitere Ortungen einzuleiten. Das Bild auf dem Schirm veränderte sich. Der Computer schluckte automatisch die neuen Feinwerte und rechnete sie durch. „Moment noch, Sir, ich warte auf Ergebnisse der Feineinstellung.“ Dann lag das Resultat vor. Die XO-18, ein Raumer der neuen Serie, hatte die INTERPLAN mit der Distanz-Ortung erfasst und ließ sie nicht mehr los. Der Funker gähnte demonstrativ. „Bei mir rührt sich immer noch nichts. Denen ist bestimmt die gesamte Funkanlage ausgefallen.“ „Und die Notsender auch?“, fragte der Kollege von der DistanzOrtung bissig, weil ihm diese Störung nicht passte und zudem der Captain auf die Daten der Feineinstellung wartete, die in diesem Moment auch in der Zentrale vorlagen. Er hörte den Captain murmeln: „Dann könnten wir in rund dreißig Minuten längsseits liegen …“ Der Mann an der Massen-Ortung hatte auf einmal alle Hände voll zu tun. Die erfassten Werte gab er unverzüglich an die Zentrale weiter. „Die Triebwerke der INTERPLAN arbeiten nicht mehr? Bestimmt?“, vergewisserte sich der Captain. „Sind abgeschaltet, Sir. Das Schiff treibt im freien Fall dahin.“ Damit bekam die Angelegenheit ein anderes Gesicht. Der Kommandant der XO-18 beriet sich mit seinen Ingenieuren. Dem Für und Wider machte er durch seine Entscheidung schnell ein Ende. „Erst längsseits gehen, dann versuchen, durch Klopfzeichen mit der Besatzung in Verbindung zu treten. Klappt das auch nicht“ Kurzes Achselzucken: „Dann müssen wir uns überlegen, wie wir in den Kahn kommen.“ „Keinen Spruch zur HTO oder zur Space-Police?“ „Erst, wenn wir Genaueres wissen. Bis jetzt sind wir doch nur auf Spekulationen angewiesen.“
Der Abstand zur INTERPLAN schrumpfte zusammen, und dann dauerte es nicht mehr lange, und das Schiff erschien auf dem großen Kontrollschirm der XO-18. „Rettungskommando Nummer 1 klar zum Einsatz!“, lief die Meldung in der Zentrale ein. „Okay, letzte Order abwarten“, sagte der zweite Ingenieur, der über Visophon mit der Distanz-Ortung in Verbindung stand. Der lang gestreckte Rumpf der INTERPLAN war nun deutlich zu erkennen. Auf der Backbordseite gab es auch nicht die Spur einer Beschädigung. „Was gibt’s?“, fragte der Captain beim Funk an. „Nichts, Sir. Keine Antwort!“, kam die Erwiderung. Das Rettungskommando begann, sich auszuschleusen und seine Geräte in den freien Raum zu stoßen, die durch Plastikseile daran gehindert wurden, davonzutreiben. Für die Männer von der HTO war diese Aktion nichts Neues. Sie, die immer wieder auf anderen Schiffen flogen und die Neubauten im Raum auf Herz und Nieren prüfen mussten, waren schon oft im Raum gewesen, um Pannen zu beheben, und mittels ihrer Ausrüstung waren sie fast jedem Zwischenfall gewachsen. McGer, ein junger Ingenieur, leitete das Team. Seine Leute mochten ihn, weil er sich nie an Vorschriften festhielt und bei Einsätzen oft Entscheidungen traf, die eigentlich nicht mehr in seinem Kompetenzbereich lagen. Der erzielte Erfolg entschuldigte hinterher alles. Die Geschwindigkeit der XO-18 war nun genauso groß wie die der INTERPLAN. Beide Schiffe schienen im nachtschwarzen Raum auf der Stelle zu stehen. Sie hatten keinen Anhaltspunkt im Lichtermeer der Milchstraße, wie schnell sie wirklich flogen. Die beiden Männer, die sich am weitesten rechts und links der auseinander gezogenen Kette bewegten, erreichten die INTERPLAN, ließen die Steuerdüsen an ihrem Tornister noch arbeiten, nahmen dann einen tellergroßen Gegenstand vom Gurt und drückten ihn gegen die Schiffswandung. Im gleichen Moment spritzte durch mehr als hundert feine Düsen ein Adhäsiv gegen die polierte Oberfläche der INTERPLAN, um während dieses Vorganges den Aggregatzustand zu wechseln und fest zu werden. Das Spezial-Adhäsiv der HTO war das Mittel, um sich an einem Körper im freien Raum anzuleinen.
„Kontakt!“, kam über Helmfunk zu McGer durch. „Hammer einsetzen!“, ordnete der jungen Ingenieur an. Man befand sich in der Höhe der Kommando-Zentrale der INTERPLAN. Zwei Männer, die unter dem Schiff durchgetaucht waren, meldeten, dass der Company-Raumer auch Steuerbord unbeschädigt sei. Der Fall INTERPLAN wurde immer interessanter. Der Hammer sah eigentlich nach nichts aus; ungewöhnlich war allenfalls, dass er einer Halbkugel glich. Mit der Kreisfläche wurde er gegen die Marson-Zelle der INTERPLAN gedrückt, und abermals sorgte das Adhäsiv dafür, dass er daran kleben blieb. „Hammer morst, Sir …“ Über Funkimpuls hatte ihn eine der Frauen aus dem Rettungskommando betätigt und im Morsekode wurde angefragt, warum das Schiff sich nicht melde. Noch bevor die Anfrage ganz durchgegeben war, wusste McGer schon, dass sie keine Antwort aus dem Schiff erhalten würden. Hochleistungsmikrofone, die auch mit Marson-Schiffswänden spielend leicht fertig wurden, hatten nicht das leiseste Geräusch aus dem Raumer übermittelt. „Sir, das Schiff antwortet auf Morse-Anfrage nicht!“ McGer setzte sich mit seinem Captain in Verbindung. „Sir, es gibt nur eine Möglichkeit, ins Schiff zu kommen: Es im Bereich der Schleusen aufzubrechen. Einverstanden?“ „Einverstanden. Ich schicke Ihnen noch Trupp zwo und drei hinaus …“ Über dem Abgrund von Zeit und Raum wurden im Bereich der beiden Hauptschleusen die Vorbereitungen getroffen, gewaltsam in die INTERPLAN einzudringen. Die XO-18 begann, ihre schenkeldicken Trossen abzuspulen und zur INTERPLAN hinüberzuschicken. Trupp drei steuerte sie um das andere Schiff herum und führte sie zum Corporation-Raumer zurück. Die XO-18 schleuste Elektronenbrenner, zwei kleine Konverter und einen Computer aus. Der Abstand zwischen den beiden Schiffen wurde immer kleiner, als die Trossen wieder zur XO-18 zurückgekommen waren. Unmerklich holte der Frachtraumer das andere Schiff zu sich heran. Im Helmfunk war kaum etwas zu hören. Die Kommando-Zentrale der XO-18 störte die Bergungskommandos nicht durch unnötige
Fragen. Mit nachtwandlerischer Sicherheit begann man, die beiden großen Außenschotten der INTERPLAN mit Elektronenbrennern schwersten Kalibers aufzuschneiden. Die beiden Konverter versorgten die Geräte mit Energie, und der kleine Computer steuerte sie zusätzlich. Für die Männer selbst gab es kaum körperliche Arbeit. Die Vorgänge waren von der XO-18 nicht zu verfolgen, weil sich die Arbeiten hinter einer dicken Plastikfolie abspielten, die selbstklebend mit ihrem Rand rund um das Schott lag. Eine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung, um einem möglichen Druckabfall in der INTERPLAN vorzubeugen, falls eins der Innenschotten gegen jede Regel offen stand. „In zehn Minuten sind wir soweit, Sir …“, meldete McGer. Die Männer und Frauen, die mit dem Aufbrechen der Backbordschleuse beschäftigt waren, hatten schnellere Arbeit als ihre Kollegen auf der anderen Seite geleistet. „Steuerbord“, rief McGer sie an, „Schluss machen! Wir sind hier durch!“ Das herausgeschnittene Stück wurde in die Schleuse gestoßen. Die sichernde Plastikfolie hatte sich nicht aufgebläht, ein Beweis, dass das Innenschott geschlossen war. „Aggregate zur Seite räumen …“ McGer konnte mit seinem Team zufrieden sein. Die OkayMeldung nahm er nur mit halbem Ohr wahr. Die Elektronenbrenner und der Konverter wurden samt ihren Kabelverbindungen zur Seite geschafft. Drei Mann kontrollierten die herausgeschnittene Öffnung, die groß genug war, um zwei Personen zugleich Eintritt zu gewähren. McGer bestimmte drei Mann und eine Frau aus dem Team, ihm zu folgen. Die Scheinwerfer ihrer Raumanzüge flammten auf, als sie die große Schleuse betraten. Die Kontrollen leuchteten. Demnach schien der Energiehaushalt der INTERPLAN in Ordnung zu sein. „Aber was, zum Teufel, ist in dem Kahn passiert?“, murmelte McGer, als er an der Schleusensteuerung drei Knöpfe drückte, die das Innenschott öffnen sollten. Im gleichen Moment fluchte er. Das Innenschott sprach auf die Impulse nicht an. Die Sensoren hatten festgestellt, dass sich im Außenschott ein Loch befand. „Umweg-
Schaltung?! Wer kennt sich damit aus?“, fragte er über Helmfunk seine Leute. „Ich, Sir“, meldete sich die jüngste des Teams, stellte sich neben McGer, kramte ein paar Spezialwerkzeuge aus ihrer aufgesetzten Tasche am linken Oberschenkel und knurrte: „Ein Trost, dass wenigstens die Dinger auf allen Kähnen genormt sind.“ Damit hatte sie eine bedeutungsvolle Wahrheit gesagt, denn erst jetzt war man auf der Erde dabei, die lebenswichtigsten Teile aller Raumschifftypen – egal auf welcher Werft die Schiffe gebaut wurden – zu normen. Initiator und Impulsgeber auf diesem Gebiet war wieder einmal die HTO-Corporation gewesen. „Scheiße!“, sagte die junge Frau aus übervollem Herzen, weil sie an Leitungen arbeiten musste, die unter vollem Saft standen, und einen Kurzschluss durfte sie sich jetzt unter keinen Umständen leisten, sonst war an dieser Schleuse nichts anderes mehr zu tun, als sie zu räumen, und sich einen neuen Weg in die INTERPLAN zu bahnen. Überaus vorsichtig arbeitete sie weiter. Niemand störte sie. In der XO-18 wusste man, dass man den Mund zu halten hatte. Von dem brandneuen Handelsraumer kam keine einzige Anfrage. „So …!“, stöhnte die junge Frau und trat zurück. „Mal sehen …“ Sie hatte, wie McGer vorher, ein paar Steuerknöpfe betätigt, und kaum hatte sie ihre Bemerkung gemacht, als sich das zweiflügelige Innenschott öffnete. Im gleichen Moment blähte sich über dem herausgeschnittenen Loch des Außenschotts die sichernde Plastikfolie zu einer prallen Kugel auf. Ein Druckabfall in der INTERPLAN war damit verhindert worden. Die vier Männer um McGer blickten auf das Hauptdeck, das bis in die letzte Ecke hinein hell erleuchtet war. Von draußen kam über Funk die Meldung: „Plastikfolie an allen Stellen dicht.“ Ein Mann nahm es als Aufforderung, den Klarsichthelm zu öffnen, und niemand hinderte ihn daran, weil er der letzte der kleinen Gruppe war. „Zur Zentrale …“, entschied McGer, der sich wunderte, warum das Hauptdeck der INTERPLAN menschenleer war, als er in seinem Funk starkes Röcheln hörte. Er und die anderen drei drehten sich um
und sahen den Mann mit verzerrtem Gesicht, beide Hände an der Halsgegend, langsam zu Boden gehen. Die Augen weit aufgerissen und vergeblich versuchend, noch einen Laut über die Lippen zu bringen, brach er zusammen. Mit einem Satz kniete McGer neben ihm, klappte seinen Helm zu und rief über seinen Funk die XO-18: „Zwischenfall! Gryters hat seinen Klarsichthelm geöffnet und liegt bewusstlos am Boden. Der Mann muss sofort in ärztliche Behandlung …“ „Zum Teufel, McGer“, fauchte der Kommandant, „haben Sie denn vorher nicht den Luftdruck im Schiff geprüft?“ „Natürlich. Der Druck beträgt 0,7 normal. Temperatur im Schiff ebenfalls normal …“ Er drehte sich um, kümmerte sich nicht mehr darum, dass man jedes Wort auf der XO-18 verstand, und er ordnete an: „Lasst ihn zur XO-18 schaffen. Die Leute sollen ihn abtransportieren. Sofort zurückkommen.“ Er blickte den beiden Männern nach, die den Bewusstlosen durch die Schleuse zerrten. Was war gerade vor ihren Augen geschehen? Der Mann hatte seinen Klarsichthelm geöffnet, konnte höchstens drei oder vier Atemzüge getan haben, um dann unter typischen Erstickungserscheinungen zusammenzubrechen. McGer warnte seine Leute. Die nickten unter ihren Helmen. Diese Demonstration reichte ihnen. „Zur Zentrale …“ Auf halbem Weg erreichten sie eines der drei Sicherheitsschotten. Es sprang auf, kaum dass McGer den Kontakt betätigt hatte. „Auch hier kein Mensch zu sehen“, stellte er fest. Sie eilten weiter. Niemand sprach es aus, aber jedem war unheimlich zumute. Dann öffnete er das Schott zur Zentrale. „Großer Himmel …“, stieß ein Mann aus und hielt sich an der Schottkante fest. Da lagen sie! Alle ohne Bewusstsein. Die Scheiben der Oszillos leuchteten, und es flackerten unzählige Kontrolllämpchen, auf die keiner mehr achtete. McGers Schrecksekunde dauerte nicht lange. Wie ein Automat erstattete er seinem Kommandanten Bericht.
„Okay, McGer“, erwiderte der Captain knapp. „Das Lazarett ist schon unterrichtet. Wir schicken sofort zwei Spezialisten hinüber. Unternehmen Sie nichts mehr …“ McGer widersprach: „Doch, Captain. Wir sehen uns im Schiff um. Einen Mann lasse ich als Kontrolle in der Zentrale zurück.“ Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Mit zweien hastete er zurück. Funkraum! Das gleiche Bild: die beiden Funker regungslos am Boden. Und wie bei der Besatzung der Zentrale hatten sich auch ihre Gesichter grünlich verfärbt. Weiter! Die nächsten beiden Türen waren verschlossen. „Hier, Sir …“, gellte es im Helmfunk und der Mann an der großen Tür winkte erregt mit dem rechten Arm. Sie blickten in den Aufenthaltsraum. Sie sahen Männer und ein paar Frauen am Boden liegen oder verkrümmt in Sesseln sitzen; alle hatten die gleiche grüne Gesichtsfarbe. „Zum Teufel!“ Sie befanden sich schon im Triebwerksraum und hatten auch hier sechs Besatzungsmitglieder entdeckt, die keine Aussage mehr machen konnten. McGer, unter keinen Umständen den Raumhelm öffnen! Haben Sie mich verstanden, unter keinen Umständen …“, warnten die Spezialisten. Der junge Ingenieur erwiderte bissig: „Halten Sie uns für Selbstmörder? Verraten Sie uns lieber, was Ihre Analyse der Luft in diesem fliegenden Sarg ergeben hat.“ „Raptan, wenn die Gegenprobe das gleiche Resultat auswirft. Raptan, McGer …“ Der sagte nur noch leise: „Amen …“, und sein Amen galt den Menschen in der INTERPLAN. Raptan war ein übles Gift, das in hoher Dosierung tödlich wirkte, und hier sah es so aus, als ob es nur noch Tote geben würde. Der Captain der XO-18 hatte sich mit seinem Bordlazarett in Verbindung gesetzt, und von dort kam die nächste Alarmnachricht. „Wir haben ja nur ein paar Sauerstoffgeräte an Bord. Wir kommen noch nicht einmal mit unserem Serum aus. Wer ist denn schon auf
solch eine Schweinerei vorbereitet? Wir brauchen Hilfe, Captain, Hilfe … haben Sie mich verstanden?“ Und ob er verstanden hatte. Ein Funkspruch jagte aus den Antennen der XO-18. Die XO-16 meldete sich postwendend; sie war eines der beiden Schiffe, das hinter dem Asteroidengürtel schon wieder auf Kurs Terra gewesen war. „Wir sind in einer halben Stunde längsseits …“ Die Ärzte auf den Schiffen setzten sich miteinander in Verbindung. „Kollege, warten Sie, die ersten Opfer kommen gerade an Bord. Ich muss sie mir ansehen …“ Das Warten dauerte ein paar Minuten. „Kollege, drei der vier Männer sind tot. Eindeutig RaptanVergiftung. Unsere Leute schuften wie die Verrückten. Bereiten Sie alles vor. Wie viel Sauerstoffgeräte besitzen Sie?“ „Zwölf …“ Alle Beiboote des Frachtraumers waren im Einsatz. Im Schiff selbst gab es nur noch sieben Mitglieder, die ihre Stationen nicht verlassen konnten, abgesehen von der Besatzung der Lazarettstation. Da brach die XO-16 aus dem nachtschwarzen Raum, und während die grellen Lichtkreise ihrer Scheinwerfer sich auf den Raumer der Company richteten, legte sie neben dem Schwesterschiff an. Die Nachricht davon, was man in der INTERPLAN gefunden hatte, war nach Terra sowohl zur HTO, wie auch zur Space-Police unterwegs. In der INTERPLAN wurde die Suche nach dem Raptangas-Leck forciert, während man die letzten Bewusstlosen von Bord schaffte. „Wir können das Schiff noch nicht entlüften. Erst müssen wir herausfinden, woher das Gas kommt“, wehrte sich ein Ingenieur gegen den Vorschlag und betrachtete die drei großen Tanks, die Raptangas enthielten, das zur Kühlung benutzt wurde. Der Prüfer wanderte langsam an den Nähten der Tanks entlang. Kein Befund. Das Einfüll-Ventil mit seinen beiden Sicherungen war auch okay. Der Flansch mit den dicken Leitungen auch. „Tank zwo ist komplett leer …“, kam die Durchsage über Helmfunk. Der Ingenieur, der sämtliche Mechanismen und hydraulischen Anlagen der HTO-Schiffe wie im Schlaf kannte, musste sich auf dem Company-Schiff wie ein Blinder vorwärtstasten, denn er wusste
natürlich nicht, wie die Leitungen verlegt, oder wo Verteilerbatterien angebracht worden waren, und vieles andere mehr. Wieder einmal hieß es, aber mittlerweile schon mehr als dreißig Meter von der Tankkammer entfernt: „Gitter abschrauben!“ Das kostete Zeit. Auf den beiden XO-Schiffen waren die Ärzte nicht untätig geblieben. Für vierundzwanzig Personen der INTERPLAN kam jede Hilfe zu spät. Sie waren Opfer des Raptangases geworden. „Zur Hölle, warum haben denn die Filter nicht angesprochen?“, fauchte ein Arzt, nachdem er sich von der letzten Leiche abgewandt hatte. Das wollte der Ingenieur auf der INTERPLAN auch endlich wissen. Und dann erfuhr er es. Er konnte sich nicht einmal die Haare raufen, weil ihn der geschlossene Raumhelm daran hinderte. Sein Prüfer umkreiste unentwegt eine bestimmte Stelle der dicken Raptangas-Leitung. Ununterbrochen brannte die Rotkontrolle. Hier, an dieser Stelle, war der Gasaustritt erfolgt. Ein Materialfehler, bestimmt erst während des Fluges aufgetreten, hatte das tückische Gas ausströmen lassen. Er kroch zurück und kam zu dem Zeitpunkt wieder auf die Füße, als seine Kollegen gerade feststellen, dass die Raptangas-Leitung an dieser Stelle den Abzugskanal der Entlüftung kreuzte. „Was …?“, stöhnte er. Es wurde noch schlimmer. Die Ingenieure begriffen immer noch nicht, warum denn alle Menschen an Bord durch Raptan vergiftet worden waren. Die Filter in der Entlüftung hätten das Gas absorbieren müssen. Unbedingt. Sie bauten die Filteranlagen aus. „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben … Sieben Filter schön hintereinander. Verdammt noch mal, aber wo ist denn der Raptan-Filter?“ Der fehlte, dafür gab es den Stickstofffilter gleich zweimal! „Murks …!“ Diese Fahrlässigkeit hatte mehr als zwanzig Menschen das Leben gekostet, und ob nicht einige der Überlebenden bleibende Schäden davontragen würden, stand noch in den Sternen. Der Captain der XO-18 nahm einen Funkspruch der Space-Police entgegen. Darin wurde er aufgefordert, die INTERPLAN, falls möglich, zum nächsten Stützpunkt zu fliegen. Von der gesetzlichen
Seite her bedeutete es, dass die INTERPLAN mit erfolgreicher Landung dann in den Besitz der HTO übergehen würde. Die Corporation jedoch konnte nicht frei darüber verfügen, sondern hatte dieses geborgene Schiff laut Gesetz zuerst einmal dem ehemaligen Eigner, also der Space Rocketts Company in Kapstadt, zum Rückkauf anzubieten. Sollte die daran nicht interessiert sein, konnte die HTO damit machen, was sie wollte. Der Schaden in der INTERPLAN war nach drei Stunden behoben. Dann entlüftete man das Schiff und mit einer achtköpfigen Notbesatzung nahm der Forschungsraumer wieder Kurs auf Terra. Mit der Unterstützung der XO-16 und XO-18 war nicht zu rechnen, denn beide Raumer jagten längst mit Höchstbeschleunigung zur Erde zurück, um die Giftgasopfer so schnell wie möglich in Spezialkliniken einzuliefern. Ein Unternehmen Pluto gab es nicht mehr. Die Menschen hinter der Eiskugel und Harry T. Orell brauchten unliebsame Störungen vorerst nicht zu fürchten. * Gus Yonker hatte den Empfang in die kleine Kommando-Zentrale der PROMET hinüber gelegt. Vivien Raid und Jörn Callaghan verfolgten über den Bildschirm, wie schnell Peet Orell und Arn Borul mit ihren Leuten im Fremdraumer weiterkamen. Die Verständigung war ausgezeichnet, und sie verstanden jedes Wort, das zwischen den Expeditionsteilnehmern gewechselt wurde. Jörn, der besonnene Mann, ließ seine Sorge nur schwach durchschimmern. Ihm war das Tempo, das man im fremden Kugelraumer vorlegte, zu hoch. Gerade hatten sie das aufgeschnittene Schott erreicht, das Arn und Peet um ein Haar zur Falle geworden wäre, hätte der Moraner die unbekannte Strahlwaffe nicht dagegen eingesetzt, als Callaghan und Vivien durch Gerard gestört wurden. „Sie kommen extra von der 234 herüber?“, fragte Jörn erstaunt und blickte den Wissenschaftler verwundert an. Der schälte sich aus seinem Raumanzug, griff in die aufgesetzte Tasche und holte einen Stapel Datenträger hervor.
„Lieber Himmel“, stöhnte Vivien und machte eine abwehrende Geste, „Computerkost. Wie sehr ich für dieses synthetische Gemüse schwärme …“ Gerard ließ sich nicht beeindrucken. „Miss Raid, es wird Sie gleich aus dem Sessel heben. Wollen Sie nicht einmal sehen?“ Sie wollte. Gerard war Altersbestimmungs-Spezialist und er hatte sich die Arbeit gemacht, unter anderem mit der C-14-Analyse zu bestimmen, wie alt der teilzerstörte Kugelraumer war. Auch Jörn Callaghan zuckte zusammen, als er die Zahl las. „Gerard, stimmt die?“ „Mit zehn Jahren plus/minus.“ „Dann …“ Vivien verstummte; diese Vorstellung schien einfach zu phantastisch. „Ja, der Raumer ist 1350 Jahre alt! An diesem Ergebnis lässt sich nicht rütteln. Ich habe die Analyse sechsmal gemacht und bin immer zum gleichen Resultat gekommen.“ Gerards Augen leuchteten vor Stolz. „Moment“, sagte Callaghan, „das muss ich Mr. Orell und dem Moraner mitteilen.“ Die beiden waren auch überrascht, aber dann sah man in der Kommando-Zentrale der PROMET, wie Peet Orell abwinkte, und schon kamen dazu seine Worte: „Später! Die Nachricht ist ja höchst interessant, aber wir haben jetzt beim besten Willen keine Zeit, uns damit zu beschäftigen.“ Für sie taten es Vivien Raid, Jörn Callaghan und Gerard. „Demnach hat unser Sonnensystem vor 1350 Jahren Besuch aus dem Weltraum gehabt, Mr. Gerard?“, tastete sich Vivien vorsichtig an den Komplex heran. „Ja, Miss Raid. Entweder befand sich dieser Kugelraumer auf dem Anflug in unser System oder er wurde beim Verlassen von einem anderen Schiff gestellt und … na ja, wir haben ja den aufgerissenen Brocken vor uns.“ „Vor 1350 Jahren Besuch aus dem Weltraum und fast zur selben Zeit ein Kampf zwischen zwei Schiffen, die einer Supertechnik entstammen?“, zweifelte Jörn Callaghan. Gerard nickte. „Ich hatte ebensolche Zweifel, Mr. Callaghan“ „Angenommen, Ihre Analyse ist richtig, warum ist der Besuch einer fremden Intelligenz …“ Jörn verstummte und rieb sich
überrascht sein Kinn. „Sie könnten Recht haben. Dieser Kugelraumer kann ja vor dem Einflug in unser System bei einem Angriff zerstört worden sein. Okay, nehmen wir das einmal als Tatsache an. Damit würde eine Reihe von Fragen als erledigt zu betrachten sein, doch eine verlangt noch ungeduldig nach Antwort: Warum haben Peet Orell und Arn Borul nicht eine Leiche in dem Schiff gefunden? Warum keinen einzigen Einrichtungsgegenstand, sehen wir einmal von der Strahlwaffe ab?“ Gerard schüttelte den Kopf und spielte dabei mit den Datenträgern des Bordcomputers der 234. „Die Frage kann nur an Bord des Raumers der Fremden beantwortet werden. Was wir hier tun, ist Spekulation betreiben. Die Zahl der Vermutungen, die man darüber allein in der 234 anstellte, geht über ein Dutzend. Man lässt der Phantasie die Zügel schießen …“ „Hoffentlich …, warf Vivien Raid ein. Sie musterte Gerard. „Wie meinen Sie das, Miss Raid, mit ihrem hoffentlich …?“ „Hoffentlich reicht unsere Phantasie aus, um uns vorzustellen, was sich hier vor 1350 Jahren abspielte. Sind wir Menschen nicht zu sehr erdverbunden? Wir haben doch noch gar kein Gefühl für die unendliche Weite des Universums, und dieser Torso kommt aus dessen Tiefen. Wir …“ Der Funker Gus Yonker unterbrach die Unterhaltung. „Ich habe gerade eine interessante Meldung aufgefischt. Gott sei Dank hat Captain Worner die Relaisstation auf einer Position seitlich des Pluto zurückgelassen, sonst hätten wir die Nachricht gar nicht empfangen können. Ein Schiff der HTO hat Besatzung und Passagiere der INTERPLAN bewusstlos vorgefunden. Von Raptangas-Vergiftung ist die Rede. Die XO-18, das Schiff der HTO, hat einen offenen Spruch an die Space-Police abgestrahlt und nach weiteren Direktiven verlangt …“ Auch Peet und der Moraner hatten mitgehört. Das Lachen Arn Boruls klang menschlich, und in der Zentrale der PROMET hörte man ihn zu seinem Partner Orell sagen: „Jetzt begreife ich die Redeweise, die ihr auf Terra benutzt, wenn ihr sagt: Ich habe Schwein gehabt … Peet, jetzt haben wir Schwein gehabt …“ Im Helmfunk schrie jemand auf, aber es klang weder nach Furcht noch Entsetzen, sondern es war ein Jubelschrei.
„Ich hab’s …! Ich hab’s …!“ Doch was der Mann hatte, das sagte er nicht. Arn Borul brüllte dazwischen, und mit Erstaunen konstatierten auch Vivien Raid und Jörn Callaghan, dass der Moraner eine perfekte Sergeantenstimme besaß. „Sir … Sir …“, stotterte der Mann, „Sir … ich haben den Schalter gefunden, mit dem man … Da! Sehen Sie …?“ Er war der Ansicht, eine Demonstration sei tausendmal besser als viele Worte. Aus dem Fremdraumer kam nur noch lautes Atmen. Niemand sprach mehr. Einer der Männer, die zusammen mit Peet Orell und Arn Borul zu dem Kugelraumer hinübergeflogen waren, hatte den Schalter zu den Schotten gefunden, den die beiden so verzweifelt und vergeblich gesucht hatten. „Das ist ja unheimlich …“, presste Jörn Callaghan hervor, als sich das Schott vor den sechs Personen wieder, wie von Geisterhand bewegt geöffnet hatte. „Das bedeutet doch, dass noch ein Haufen Aggregate im Fremdschiff Energie liefern.“ Denselben Eindruck musste auch Peet Orell im Schiff haben, denn er zeigte keine Begeisterung über diese Entdeckung, nach der man so lange geforscht hatte. Er wandte sich an den Moraner. „Arn, vergiss das Auge nicht. Nach deiner Ansicht verfügt es über einen eigenen Konverter …“ Der Humanoide aus dem Kyl-System, irgendwo im Sektor des Leier-Ringnebels, zeigte sich nicht beeindruckt, denn für ihn waren Konverter, die nach 1350 Jahren immer noch wartungsfrei arbeiteten, nichts Besonderes. „Wahrscheinlich verfügt auch jedes Schott in diesem Schiff über eine unabhängige Kraftstrom-Anlage, doch trotz aller Perfektion, die man uns hier demonstriert, scheint vieles in diesem Schiff nicht mehr zu funktionieren. Ich möchte jetzt gern einmal feststellen, ob wir die Schotten, die den Antigrav-Schacht gesperrt haben, ebenfalls wieder öffnen können. Peet, kommst du mit, oder übernimmst du die Rückendeckung?“ Mit Hilfe der steuerbaren Antigrav-Gürtel erreichten sie das Schott. Der Mann, der unter den knopfartigen Erhebungen den Kontaktschalter gefunden hatte, war bei ihnen.
Deutlich konnte man ihm die Spannung ansehen, als er nun an dieser Stelle danach suchte. „Ich …“ Das schwere Schott war schneller als er sprechen konnte und zuckte zweiteilig in die metallene Wandung hinein. Wenig später lag der gewaltige Antigrav-Schacht frei vor ihnen. Das Licht ihres Scheinwerfers reichte nicht aus, die beiden Enden auszuleuchten. Bis zum Schachtrand waren die anderen nachgekommen, und Arn Borul, Peet Orell und der dritte Mann kehrten zu ihnen zurück. In der 234 wie in der PROMET beobachtete man atemlos über Bildschirme, wie sich die kleine Expedition vorwärts bewegte. Schotten, die sich vor und hinter ihnen schlossen, gab es keine mehr. Die Gruppe hatte das Hauptdeck, das sich als sechsstrahliger Stern zeigte, erreicht. Nicht das Vakuum im Schiff machte alles so gespenstisch, sondern die absolute Leere auf den Decks, die atemberaubende Maße aufwiesen. Hier hatte man mit Metern nicht gegeizt, sondern man war direkt verschwenderisch umgegangen. Und auch hier kein Toter. Nichts! „Dreizehn Meter breit und acht Meter hoch, Sir …“, sagte einer der Männer, der das Hauptdeck ausgemessen hatte. Peet Orell musste daran denken, welche Miniraumschiffe die Menschen im Gegensatz dazu bauten und noch stolz darauf waren. Ob sie Minderwertigkeitskomplexe bekommen würden, wenn sie diesen Raumgiganten zu sehen bekamen? „Keine Türen, Peet … Keine einzige Tür …“ Die beiden Wände waren glatt, nur hin und wieder in unregelmäßigen Abständen durch I-Träger verstärkt. Sie waren glatt und nackt, wie alles in diesem Gerippe aus einem unbekannten Schwermetall. Wer hatte die Decks leergeblasen? Wer hatte auch das letzte Teil hinaus in den freien Raum gefegt? Und wo hatten sie die Türen zu suchen? Es musste doch Räume in diesem Kugelgiganten geben, der erst vor 1350 Jahren erbaut worden war. Der Moraner zuckte leicht zusammen, und dann drehte er sich zu seinem Partner um und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Peet,
wenn dieses Schiff nach eurer Zeitbestimmung 1350 Jahre alt ist, dann heißt es noch lange nicht, dass es schon vor 1350 Jahren in der Nähe des Pluto angegriffen und zerstört wurde. Die Zerstörung kann ebenso gut erst vor hundert oder noch weniger Jahren erfolgt sein …“ „Müssten dann nicht alle Konverter im Schiff einwandfrei arbeiten, Arn? kam seine Gegenfrage. Der Moraner zuckte die Schultern. „Ich habe keine Ahnung, auf welcher Basis man die Konverter konstruiert hat …“ „Aber es gibt doch nur eine Möglichkeit!“, warf Peet Orell vorschnell ein. „Meinst du?“, erwiderte Arn Borul und ließ damit alles offen. Sie standen immer noch in der Nähe des Antigrav-Schachtes, der einmal die Hauptverkehrsstraße in diesem Kugelgiganten gewesen war. Nach kurzer Verständigung mit Borul wählte Peet einen Mann aus, und mit Hilfe ihrer Antigrav-Gürtel übersprangen sie die gewaltige Röhre, die sozusagen die Polachse des Schiffes bildete. Die grellen Lichtfinger ihrer Scheinwerfer eilten ihnen voraus. Dann setzten sie auf der anderen Seite des sechsstrahligen Sterns auf und standen wieder auf dem Hauptdeck. „Sir“, sagte der Mann von der 234, „man kommt sich hier fast verloren vor. Ich hatte mir die Expedition doch etwas anders vorgestellt.“ Ich auch, hätte Peet Orell am liebsten gesagt, doch in diesem Moment wurden die Züge seines Wikingergesichts starr. Vorsichtig gab er dem Strahlfinger seines Scheinwerfers eine andere Richtung, und was er gerade nur undeutlich wahrgenommen hatte, sah er nun klar und deutlich. Sein gebündelter Scheinwerferstrahl stieß in einen Raum hinein! Über Helmfunk rief er die anderen herbei. Vorsichtig näherte man sich dem Raum. „Nein …“ Die anderen schwiegen, auch der Moraner. Das hatten sie nicht erwartet! Der quadratische Raum, dessen Kantenlänge mehr als dreißig Meter betragen musste, war – leergeblasen! „Das gibt’s doch nicht, verdammt noch mal!“, fluchte Peet Orell. „Das Schiff kann doch nicht komplett leer sein. Wenn überall im
Weltraum zweimal zwei gleich vier ist, dann muss es in diesem Ding noch Räume geben, die …“ „So, Peet, muss …?“, warf Arn Borul ein und sah seinen Partner aus seinen schockgrünen Augen warnend an. Denn eines hatte er von Thosro Ghinu, seinem Lehrer, gelernt: Dass man mit seinen Behauptungen vorsichtig sein musste. Peet Orell hatte den Blick verstanden und war in Schweigen verfallen. Er lenkte sich ab und suchte nach der Tür zu diesem großen Raum, der eine Grundfläche von neunhundert Quadratmetern hatte. Von einer Tür keine Spur. Er trat als einziger wieder auf das Hauptdeck und ohne sich etwas dabei zu denken, presste er seine Handfläche gegen die Wand. In der PROMET und der 234 war sein Aufschrei deutlich zu hören. Die kleine TV-Kamera, die er ebenso wie Arn trug, übermittelte das Geschehen, und in den beiden Beobachtungsschiffen riss es die Leute vor den Bildschirmen von ihren Sitzen. Die zweiflügelige Tür zu dem großen Raum hatte sich blitzartig geschlossen. Arn Borul und seine vier Männer waren in dem Raum eingesperrt! Und Peet Orell stand vor der glatten Wand und suchte sich die Augen nach einer Fuge, nach einem Haarriss aus. Er, der so schnell nicht zu erschüttern war, fühlte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach, und es kostete ihn keine Anstrengung, sich vorzustellen, was die Leute hinter der schweren Metalltür jetzt dachten. Großer Himmel, tobte er in Gedanken und presste die Hände gegen die Fläche, die sich als zweiflügelige Tür entpuppt hatte, um im gleichen Moment schon wieder aufzuschreien, denn beide Hände wurden zur Seite geschleudert, und er sah Arn Borul und die vier Männer von der 234 vor sich stehen. „Besten Dank für diese Überraschung“, sagte der Moraner mit Ironie in der Stimme und stutzte, als er Orells blasses Gesicht entdeckte. „War es keine, Peet?“ „Verdammt, nein. Dieses Schiff kostet Nerven. Ich weiß nicht einmal …“ Er verstummte. Wie ein Mensch, der aus einem Alptraum erwachte, schaute er sich um. Zuerst die Öffnung zu dem großen, leeren Raum, dann den Moraner, und dann gab er sich einen Ruck und presste die linke Handfläche gegen die glatte Wand – die Hand,
die in seinem Raumanzug steckte. Im Vakuum gibt es keine Geräusche, und dennoch glaubte er, einen Knall zu vernehmen, als die doppelflügelige Tür aus den beiden Wänden schoss und sich fugendicht in der Mitte der Öffnung traf. „Pulsfrequenz, Peet …“ „Dich scheint wohl nie etwas zu erschüttern, Arn …“, meinte Peet gereizt. „Doch, meine Dummheit, Peet. Ich hätte es wissen müssen. Auf meiner Heimatwelt gehörte es einst zu den Alltäglichkeiten. Lass mich mal heran.“ Es funktionierte. Bei allen anderen auch. Peet hielt seinen Freund fest. „Aber du hast doch einen ganz anderen Pulsschlag als wir Terraner?“ Lächelte Borul? „Ich habe mich eben nicht exakt ausgedrückt, Peet, dennoch möchte ich dich bitten, vorerst mit dieser Erklärung zufrieden zu sein. In einem Experiment werde ich dir zeigen, was das Öffnen und Schließen der Tür auslöst.“ Peet Orell begriff die Geheimniskrämerei seines Freundes nicht, aber er akzeptierte sie. Jagdfieber breitete sich plötzlich in ihnen aus. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf, und vorsichtshalber wurden die PROMET und die 234 davon unterrichtet. Die Männer sagten es nicht, aber es war ein beruhigendes Gefühl, Funk- und Bildkontakt mit den Schiffen zu haben. Arns Gruppe machte die erste Entdeckung. Was man zuerst als Verstärkung des inneren Aufbaus angesehen hatte, und was an ITräger erinnerte, war nichts anderes als der Mittelteil einer doppelflügeligen Tür. Und der Moraner legte wieder einmal an einer Stelle seine behandschuhte Handfläche dagegen und sprang, durch den Schock dazu gezwungen, einen Schritt zurück. Vier spitzwinklige Dreiecke – zwei, die mit der Spitze auf dem Kopf standen und zwei in normaler Lage – waren in die Wandung verschwunden. Sie hatten ein Tor aufspringen lassen, das bis zur Decke reichte und eine Größe von acht mal acht Meter besaß. Drei Scheinwerfer stachen in den dunklen Raum. Zwei Terraner hielten den Atem an. In den schockgrünen Augen des Humanoiden breitete sich gespannte Neugier aus.
„Peet, kannst du mit deinen Leuten ‘rüberkommen?“, fragte er über Helmfunk an. „Hast du etwas gefunden?“ „Ja, komm.“ Sie kamen und staunten. „Was ist das?“ Sie sahen Kugeln, größere und kleine, sämtlich fest mit dem Boden verbunden, und alle schimmerten in einem satten Rot. Nirgendwo war eine Leitung zu sehen, keine einzige Kabelstrecke. Der Verdacht lag nahe, dass die Verbindungen durch den Boden liefen, aber ebenso gut konnte das alles nicht stimmen. Die Halle schien kein Ende zu nehmen. Vorsichtig bewegte man sich zwischen den Kugeltanks – oder was sie sonst darstellen mochten. „Da …!“ Die Scheinwerfer trafen sich auf demselben Kugelkörper. „Mein Gott, mehr als dreißig Meter Durchmesser“, presste Peet Orell über seine Lippen, und in Gedanken fragte er sich, wie man dieses Ungetüm von Bord schaffen könnte. Das, was ein lukratives Geschäft werden und der HTO einfach in den Schoß fallen sollte, entpuppte sich nun als ein äußerst schwieriges Unternehmen. Wie hat man diese Kugeltanks ins Schiff gebracht? fragte sich Peet Orell und versuchte, die Höhe der Decke zu schätzen. Vierzig Meter hoch oder sogar fünfzig? Dieser Raum umfasste mehrere Decks, aber mit Platzproblemen hatte man hier wohl nie etwas zu tun gehabt. Rot schimmerte der Boden. Rot glänzte jede Fläche. Rot war die Farbe, die in dem Kugelgiganten dominierte. Wurde er zum großen Geschäft für die Corporation? Gab er das her, was man von ihm erwartete? Technische Erkenntnisse über eine Rasse, die irgendwo im Sternenmeer wohnte und irgendwann einmal vor der Plutobahn ein Schiff verloren hatte? Die Enttäuschung war groß, als man den dritten Saal entdeckte, in dem es auch nur diese Kugeln unterschiedlicher Größe gab. „Das sieht schlecht aus, Arn“, machte Peet Orell seine Bemerkung und blieb am Ende der Halle, die schon in der Nähe der Außenhaut des Fremdraumers liegen musste, stehen.
Der Moraner nickte. Sein silberglänzendes Haar war unter dem Raumhelm kaum zu sehen, umso stärker aber leuchteten seine schockgrünen Augen. „Peet, da ist noch ein Portal.“ Der drehte sich um, blickte in die angedeutete Richtung und machte kein besonders begeistertes Gesicht. Was würden sie in der vierten Halle finden? Auch wieder diese Kugeln, die nicht preisgaben, was in ihnen steckte? Peet näherte sich lustlos dem Moraner, der seine Handflächen gegen die Metallwand presste, und zum vierten Mal verschwanden vier spitzwinklige Dreiecke in der Wand, um ein großes Portal zu öffnen. Wieder fraßen sich die Scheinwerferstrahlen durch das Dunkel. „Keine Kugeln, Peet …“ Der große Raum schien leer zu sein. Plötzlich bekamen drei Lichtkegel zugleich einen Gegenstand zu fassen und ließen ihn nicht mehr los. Ein kleines Raumschiff! Unverkennbar! Auch wenn es aus zwei aufeinander gesetzten, dicken Scheiben bestand. Die kreisrunde, mehr als zwei Meter durchmessende Schleuse, die geöffnet war, deutete schon darauf hin. Arn Borul war ebenso überrascht wie Peet Orell. Beide hatten nicht mehr zu hoffen gewagt, einen Fund dieser Art zu machen, und der Moraner sah sich schon mit diesem kleinen Raumschiff unterwegs zu seinem Sonnensystem, um den wenigen Verzweifelten die herrliche Nachricht zu bringen, dass Schedo – Terra – ihre neue Heimat werden würde. Peet Orell hielt es nicht mehr aus, und er war es, der in den Hangar stürmte. Weit kam er nicht, weil sich abermals etwas ereignete, was sie bisher im Schiff noch nicht erlebt hatten. Alle Wände begannen zu leuchten, die Decke wie der Boden. Irisierendes Licht ging von ihnen aus, ein Licht, dessen Farbe man nicht bestimmen konnte, aber ein Licht, das auch den letzten Winkel aufhellte. Und inmitten der Helligkeit lag das Zwei-Scheiben-Raumschiff. Startbereit? Diese Lichtflut hatte den letzten Mann zum Halten gebracht. Etwas ungläubig und staunend betrachtete jeder den Kleinraumer, dessen Durchmesser man auf fünfzehn bis achtzehn Meter schätzte, während jede Scheibe eine Dicke von drei Metern hatte. Aber dort,
wo die beiden Scheiben sich berührten, gab es einen Wulst, der im Gegensatz zu den Rotmetall grau und stumpf aussah. Ein in seinem Durchmesser um ein Drittel kleinerer Ring, der von knapp ein Meter langen Teleskopstützen ausgefahren worden war, stellte die Landevorrichtung dar. Ein kaum sichtbares Widerspiel des irisierenden Lichtes auf dem Ring verriet, dass er keineswegs starr, sondern in sich durch viele zusammenhängende Glieder elastisch war. „Arn …“ Mehr brachte Peet vor Erregung nicht über die Lippen, und auch der Moraner zeigte unverhüllt, wie es in ihm wühlte. „Komm, Peet!“ Ihre Begleiter blieben zurück. Sie liefen auf die Schleuse zu, stemmten sich mangels einer Treppe oder Rampe hoch, und dann packte Peet die Hand des Moraners und riss ihn zu sich. Hier benötigten sie ihre Scheinwerfer wieder. Im Kleinraumer gab es kein Licht, das aus den Wänden sprang. Es war eigenartig, dass sich weder Arn Borul noch Peet Orell über die Lichtquellen Gedanken machten. Ein Raumschiff entdeckt zu haben, wischte alles andere hinweg. Sie fanden nicht einmal die Zeit, die Fragen von der PROMET und der 234 zu beantworten. „Peet, bei all meinen Göttern …!“ Der Moraner hatte das Gefühl, gerade einen Schock erlitten zu haben. Ihr Klein-Raumschiff war nur noch Schrott! Vandalen hatten seine Inneneinrichtung total zerstört. Überall waren erstarrte Schmelzflüsse zu sehen. Der Platz, der einmal die beiden Pilotensitze dargestellt hatte, war ein Klumpen undefinierbaren Metalls, das in allen nur erdenklichen Farben leuchtete. „Nichts hat man unbeschädigt gelassen! Nichts! Verdammt noch mal, warum das?“, stieß Peet Orell deprimiert aus, obwohl er wusste, dass es auf seine Frage keine Antwort gab. Die Wesen, die hinter dem Pluto diesen Raumer angegriffen und aufgeschnitten hatten, mussten von unvorstellbarer Grausamkeit gewesen sein, und neben der Grausamkeit gehörte sinnlose Zerstörungswut zu ihren Charaktermerkmalen. Was einmal eine Treppe zum oberen Deck gewesen war, zeigte sich als erstarrter Schmelz. Die beiden Männer ließen ihre Lichtkegel wandern. Auf der PROMET und in der 234 hörte man
nur ihr schweres Atmen. Dort wagte man keine Fragen mehr zu stellen. „Vandalen … Tobsüchtige …! Peet, hier haben wir nichts mehr zu suchen.“ Noch nie hatte es sich gelohnt, einen Haufen Schrott anzuschauen. * Harry T. Orell, Chef und Besitzer der HTO-Corporation, ließ sich nichts anmerken, als seine Chefsekretärin während der Besprechung hereinplatzte, wortlos neben ihn trat und ihm eine geschlossene Mappe vorlegte. Die drei Gentlemen, mit denen er gerade den Produktionsplan besprach, kannten diese Mappe, und es fiel kein Wort mehr, als Harry T. Orell sie aufklappte. Gewohnt, schnell zu lesen und viele Zeilen mit einem Blick zu erfassen, erfuhr Orell das Neueste über die Entwicklung jenseits der Plutobahn. Die Enttäuschung, die in diesem Funkspruch lag, war nicht zu übersehen. ‘Im Kugelschiff einen Kleinraumer entdeckt, doch die gesamte Inneneinrichtung sowie sämtliche Anlagen sind nur noch Schrott.’ Auch diese Nachricht konnte ihn nicht enttäuschen. Das Leben hatte ihn gelehrt, nicht viel zu erwarten. Welche Eigenschaften dieses rotschimmernde Schwermetall auch besaß, allein es stückweise nach Terra zu bringen, würde sich lohnen und die Vormachtstellung der Corporation festigen. ‘Analyse des Rotmetalls bis jetzt nicht möglich gewesen.’ Darüber wunderte sich Harry T. Orell nicht, denn die Mittel auf der 234 waren beschränkt. ‘Versuche, mit Elektronenbrenner das Fremdmetall zu zerschneiden, positiv verlaufen.’ Mehr hatte er gar nicht erwartet. Er schloss die Mappe, nahm sie unter den Arm, entschuldigte sich und verließ den Konferenzraum. In seinem Arbeitszimmer ließ er sich mit der Funkzentrale seines Werkes verbinden. „Ich muss sofort den Kommandanten der XP-3 sprechen.“ Das Warten nutzte er, um den Funkspruch noch einmal zu lesen. Erst ein Zwanzigstel des Schiffes war durchforscht, die Triebwerksanlage noch nicht gefunden. Die Durchsuchung sollte in vierundzwanzig Stunden fortgesetzt werden. Damit schloss der
Bericht, der die lange Reise quer durch das Sonnensystem bis nach Terra hinter sich hatte. „Sir“, meldete sich die Funkzentrale, „der Captain der XP-3 ist sprechbereit. Wünschen Sie auch ein Bild?“ „Nein, nur Tonphase.“ Harry T. Orell schob die Mappe zur Seite, wandte sich dem Mikrofon zu und meldete sich. „Sir, Sie wünschen?“, klang es vom Frachter XP-3, dem dritten Schiff der neuen Serie, das mit den anderen im Orbit die Erde umlief. „Captain, ab sofort gilt für Sie Order HTO-B. Ich wiederhole: Ab sofort gilt für die XP-3 die Order HTO-B.“ „Verstanden, Sir.“ Damit war das Gespräch zu Ende. Harry T. Orell war sich darüber im Klaren, dass Abertausende neugierige Ohren diesen offenen Funkverkehr mitgehört hatten, und das war nebenbei der zweite Zweck des Anrufs, denn damit sollte dem Gerücht, die Corporation habe im Asteroidengürtel Marson gefunden, zusätzlich Nahrung gegeben werden. Harry T. Orells Rechnung ging auf. Kurz nachdem er die Besprechung mit seinen Planungsspezialisten abgeschlossen hatte, unterrichtete ihn die Informationsstelle seines Werkes, dass die großen TV-Stationen der Erde an auffallender Stelle die Nachricht verbreitet hätten, die Corporation habe im Planetoidenbereich einen bedeutenden Marsonfund gemacht. Die XP-3 wurde in einigen Nachrichten besonders erwähnt. Der alte Fuchs, der es immer verstanden hatte, seine wahren Absichten genial zu verschleiern, nickte nicht einmal zufrieden, weil er ja gar nichts anderes erwartet hatte. Und mit diesen TVNachrichten war auch der Space-Police für die nächste Zeit Sand in die Augen gestreut worden. Dann bereitete er den Text einer Botschaft an die PROMET und die 234 vor. Er gab ihn eigenhändig in den Computer, ließ ihn verschlüsseln und dann durch die Funkzentrale zum Pluto schicken. Das Unternehmen Pluto der HTO lief an. Das der Space Rocketts Company war längst zu Ende. In vier Tagen war mit der Landung der INTERPLAN auf der Werkspiste
der Corporation zu rechnen. „Raptan …“, sagte er vor sich hin und schüttelte nur den Kopf. An Bord der XO-16 hatte es inzwischen den dreißigsten Toten gegeben, und die drei Ärzte hatten schon vor achtundvierzig Stunden einen dringenden Hilferuf abgestrahlt, der postwendend von der Space-Police beantwortet worden war. Wenn bei der Kontrollbehörde alles nach Plan lief, dann musste in den nächsten Stunden ein Patrouillenboot bei den beiden Frachtern XO-16 und XO-18 eintreffen, und neben Spezialmedikamenten auch RaptanExperten ausschleusen, die sich dann der Vergifteten annehmen würden. Dass die Space Rocketts Company in Kapstadt sich noch nicht gemeldet hatte, wunderte den Boss der HTO-Corporation nicht, und er dachte nicht daran, sich bei ihnen zu melden. Seine Gedanken wurden durch einen Anruf unterbrochen. „Sir, Lloyds, London, möchte Sie gern wegen der INTERPLAN sprechen.“ Er verzog keine Miene. Bei Lloyds hatte er auch alle Schiffe der Corporation versichert. „Ich habe keine Zeit. Geben Sie das Gespräch an Watkins weiter. Der weiß, welche Marschrichtung er einzuschlagen hat.“ Damit war der Fall für ihn erledigt. Dass die HTO mit der Bergung der INTERPLAN einige Millionen verdient hatte, berührte ihn kaum. Was waren bei einem Trust von der Größenordnung der HTO schon einige Millionen? * Captain Eric Worner hielt sich zufällig in der Funkzentrale seines Schiffes auf, als Harry T. Orells Spruch einlief. „Was?“, platzte er los, als er die ersten Zeilen gelesen hatte. „Die XP-3 ist unterwegs, um mit dem Ausschlachten des Kugelraumers zu beginnen? Allmächtiger, und der Spruch ist vom Boss persönlich. Wie der sich das bloß vorstellt?“ Nur Peet Orell, der einzige Sohn des Konzernchefs, konnte die Sache noch stoppen. Der junge Mann, der einst die HTO erben würde, fand bei seinem Vater immer ein offenes Ohr. Aber bis auf
Pino Tak schlief alles auf der PROMET. Eric Worner zeigte sich von der ungeduldigen Seite. „Die Sache duldet keinen Aufschub. Los, Mann, richten Sie Tak aus, dass er Peet Orell weckt und an den Funk holt.“ Der war über diese Störung begeistert! Halb ausgeschlafen betrat er den kleinen Funkraum der PROMET und setzte sich vor das BildSprechgerät. „Hallo“, stieß er überrascht aus, nachdem ihm Worner den Funkspruch vorgelesen hatte, „da hat mein alter Herr aber mal wieder Dampf abgelassen …“ Worner war über die Reaktion enttäuscht. Er hatte von Peet Orells Seite her Protest erwartet. „Warum sollte ich protestieren, Worner? Die HTO gehört meinem Vater, nicht mir.“ „Aber der Einsatz der XP-3 ist doch verfrüht, Mr. Orell. Wir experimentieren doch noch immer daran herum, welche Methode die beste … Was ist los?“ Der Captain der 234 war unterbrochen worden. Peet Orell hörte Stimmengewirr. Worners Gesicht war vom Schirm verschwunden, doch nun tauchte es wieder auf. Gutes hatte er nicht zu melden. Das sah Peet ihm an. „Mr. Orell, es ist nicht zu fassen. Gerade erhalte ich die Nachricht, dass drei von meinen Leuten seit Stunden nicht mehr an Bord sind.“ Peet dachte sich noch nicht viel dabei. Worner umso mehr. „Mr. Orell, die drei Vermissten können nur auf eigene Faust eine Durchforschung des Fremdraumers vorgenommen haben.“ „Und?“, fragte Peet ungeduldig. Der Captain der 234 nahm sich zusammen. „Vor einer halben Stunde wurde ihr Fehlen festgestellt. Seit diesem Zeitpunkt wird versucht, mit ihnen in Funkkontakt zu treten. Sie melden sich nicht. Peet Orell war schon längst hellhörig geworden. Er erinnerte sich daran, wie es ihm und Arn gegangen war, als sich im Schiff vor und hinter ihnen die Schotten geschlossen hatten und sie weder vor noch zurück konnten, aber auch nicht mehr in der Lage gewesen waren, über Funk Verbindung aufzunehmen. „Schöne Geschichte, Worner. Okay, ich wecke Arn Borul und melde mich dann wieder.“ Keiner hatte mehr Zeit, an die anfliegende XP-3 zu denken.
* Leichtsinn und Gier hatte sie zum Fremdraumer getrieben. Zwei Männer und eine Frau, die vielfach durch die HTO überprüft worden waren und sich bei pannenreichen Werksflügen bewährt hatten, waren schwach geworden. Die Strahlwaffe, die von Peet Orell und Arn Borul im Raumer gefunden worden war, hatte ihren Verstand vernebelt. Was ihnen zuerst selbst undenkbar schien, war ihnen geglückt. Unbemerkt hatten sie zusammen mit einem kleinen Materialtransport, der zur PROMET hinüberging, den Frachter verlassen, waren unter dem Raumschiff entlang bis zum Heck geschwebt, um sich dann außerhalb der Erfassungswinkel der Optik zum Kugelgiganten treiben zu lassen. Ein Plastikseil verhinderte, dass sie sich in dem nachtschwarzen Raum, der so erbärmlich von der Sonne mit Licht versorgt wurde, verloren. Ihnen war nicht klar, welchen Unsinn sie mit ihrem leichtfertigen Handeln machten. Sie steigerten sich in die Vorstellung hinein, auch eine Strahlwaffe zu finden, um sie dann heimlich zur Erde zu schaffen. Warum sollte ihr Ausflug auch entdeckt werden? Ihre nächste Wache hatten sie erst in achtzehn Stunden anzutreten, und zu diesem Zeitpunkt wollten sie längst wieder an Bord der 234 sein. Zur gleichen Zeit erreichten sie das gewaltige Loch, das diesem Schiff irgendwann einmal bei einem Energieangriff zugefügt worden war. Noch kamen sie mit den heimlich beschafften Infrarot-Brillen aus, denn das Sternenlicht reichte dreißig Meter tief in die gewaltige Öffnung hinein. Weil sie wussten, dass ihnen Funkverkehr zum Verhängnis werden konnte, verzichteten sie darauf und verständigten sich durch Handzeichen. Nach einer guten Minute waren die Infrarot-Brillen nutzlose Geräte geworden, aber sie konnten sie nicht mehr absetzen. Pedar war der erste, der seinen Scheinwerfer einschaltete, die Blende daran aber so eingestellt hatte, dass nur ein nadeldünner Strahl austrat. Er reichte aus, ihnen den Weg zum Antigrav-Schacht zu zeigen.
Sie passierten die erste Schleuse. Comes, der älteste, versuchte seine Komplizen aufzuhalten, um gemeinsam mit ihnen nach dem Kontakt zu suchen, mit dem die Schleusen zu öffnen oder zu schließen waren, doch die beiden wollten davon nichts wissen, winkten ab und eilten weiter. Ohne Störung erreichten sie den gewaltigen Antigrav-Schacht, stellten ihre Antigrav-Gürtel ein und ließen sich nach oben tragen. Innerhalb der Röhre hatte auch der letzte seinen Scheinwerfer eingeschaltet, und jeder empfand, dass ihre Reise nach oben in einer gespenstischen Beleuchtung stattfand. Sie passierten ein Deck nach dem anderen. Jedes war leer und sah aus wie die, die sie gerade hinter sich gebracht hatten. Ab und zu schauten sie sich an. Wohl war ihnen längst nicht mehr, und Pedar hatte sich in Gedanken schon ein paar mal einen Vollidioten genannt und den Moment verflucht, in dem er die 234 verlassen hatte. Aber nun gab es kein Zurück mehr, wollte er sich bei seinen Komplizen nicht lächerlich machen. Comes drückte seinen Raumhelm gegen den von Gringer und hatte so die Möglichkeit, sich mit ihr zu unterhalten. „Wollen wir zuerst bis zum obersten Schachtende, Gringer?“ „Da war doch noch keiner. Warum nicht von oben mit der Suche beginnen, Comes?“ Auch Pedar, der die Aufgabe übernommen hatte, die Decks zu zählen, an denen sie vorbeischwebten, war damit einverstanden. „Gleich ist Schluss!“, machte Gringer ihren Komplizen Pedar darauf aufmerksam, und über ihnen war das Ende des AntigravSchachtes zu sehen. Kann doch nicht stimmen, dachte Pedar, aber er hatte sich mit der Wirklichkeit abzufinden. Rötlich leuchtete das Fremdmetall, das den Abschluss des Schachtes bildete. Dann hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen. Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer wanderten hin und her und beleuchteten plötzlich ein offen stehendes Portal. Sie sahen Maschinen in rotschimmernder Metallverkleidung, sie sahen Leitungen und armdicke Kabel im Licht ihrer Scheinwerfer. Das Neue, das Unbekannte reizte sie. Hier mussten doch Strahlwaffen zu finden sein – Schusswaffen des Typs, wie sie der
Moraner in Besitz hatte. Die dünne Staubschicht auf dem Boden, in der sich ihre Fußabdrücke deutlich abzeichneten, übersahen sie. Wie auf ein Kommando näherten sie sich dem Portal, durchschritten es und taten den ersten Schritt in den gewaltig großen Maschinenraum hinein. Was Gringer veranlasste sich umzudrehen, konnte sie nicht sagen. Ihr Scheinwerferstrahl machte die Drehung mit. Dann hörte sich die Frau von der 234 gellend schreien. Hinter ihnen hatte sich das riesige Portal geschlossen. Es wirkte wie aus einem Guss. Sie wirbelte herum, hielt ihre beiden Begleiter fest, zerrte an ihnen und dann begriffen auch sie, dass sie in einer Falle saßen. Sie pressten ihre Raumhelme aneinander. „Wir müssen um Hilfe funken“, hörten Pedar und Comes die dumpf klingende Stimme von Gringer. „Wir müssen, sonst ist dieses Raumschiff bald unser Sarg …“ Die beiden waren einverstanden. Gringer schaltete den Helmfunk ein, der auf der Frequenz der 234 stand. Sie rief lauter und lauter, als sie keine Antwort erhielt. Dann war sie nicht mehr die einzige, die ihren Sender in Betrieb gesetzt hatte. Doch es half alles nichts. Weder von der 234 noch von der PROMET kam Antwort. Sie gaben auf. Sie wussten, was das Schweigen der beiden Raumschiffe zu bedeuten hatte: Man hörte sie nicht. Das Fremdmetall, von dem sie umgeben waren, ließ keine einzige Amplitude in den freien Raum dringen. Und plötzlich rannten sie auf die Wand zu, in der einmal ein Portal gewesen war. * „Vivy, du übernimmst die vierte Gruppe, Worner die fünfte und sein erster Ingenieur Forster die sechste. Mehr Leute können wir uns nicht leisten einzusetzen. Hm …“ Er rieb sein Kinn. „Mir gefällt es aber nicht, dass keiner von uns auf der PROMET zurückbleibt …“ Jörn Callaghan fiel ihm ins Wort. „Glaubst du nicht, dass Pino Tak die PROMET allein zur Erde zurückbringen könnte, Peet?“ Von der 234 kam die Nachricht, dort startklar zu sein.
Worner kochte vor Wut, denn der genaue Zeitpunkt, wann diese drei Narren die 234 heimlich verlassen hatten, war noch immer unbekannt. Nur soviel stand fest, dass sie schon länger als zwölf Stunden unterwegs sein mussten. Aber wo in dem gewaltigen Kugelraumer steckten sie? Lebten sie überhaupt noch? Die Scheinwerfer der PROMET genügten, um allen Leuten den Weg zum Fremdschiff auszuleuchten. Eric Worner trat den Beweis an, wie streng er seine Besatzung gedrillt hatte, und es gab kein Durcheinander, als die Männer sich zu ihren Gruppen einfanden. An der ersten Schleuse stoppten alle. Der Moraner zeigte mehrfach, wie man den Kontakt zu suchen hatte, und es ging erst weiter zum Antigrav-Schacht, als auch der letzte Teilnehmer des Suchtrupps informiert war. Hier trennten sich die einzelnen Gruppen. Vivien Raid schwebte bis zum Hauptdeck hinauf und begann dort mit der Suche. Peet Orell begab sich mit seinen zwei Begleitern ganz nach unten. Von oben her wollte der Moraner beginnen. Jörn und Worner waren sich noch nicht einig, wo sie anfangen wollten. Forster, der erste Ingenieur der 234 war mit seinen beiden Leuten schon verschwunden. Obwohl überall der Helmfunk lief, gab es im Empfang kein wüstes Durcheinander. Disziplin wurde bei diesem Unternehmen groß geschrieben. Die Gruppe Borul setzte sich ab. Nicht einmal Peet Orell dachte daran, den Moraner zu bitten, ihm bei dieser Suche die Strahlwaffe zu überlassen. Er war vernünftig genug, sich zu sagen, dass sie bei dem Humanoiden in besten Händen war. Arn Borul und seine beiden Leute verloren keine Zeit. Sie hatten ihre Antigrav-Gürtel hochgeschaltet und jagten buchstäblich durch den Zentralschacht nach oben. Aufmerksam beobachtete der Moraner dabei seinen einfachen Distanz-Orter. „Nanu!“, stieß er aus, als er das Ende des Schachtes ausmachte. „Das kann doch nicht stimmen.“ Aber es stimmte. Der Antigrav-Schacht war, vom Hauptdeck aus gesehen, nach oben hin um ein Fünftel kürzer als nach unten. Über seinen Helmfunk informierte er die anderen Gruppenführer. Seine Leute, die sonst im Triebwerksteil der 234 Dienst machten, sahen
ihn gespannt an, aber nachdem sie bei dem Moraner keine Reaktion feststellen konnten, beruhigten sie sich schnell wieder. „Stopp, Leute!“ Er hatte die Abdrücke in der feinen Staubschicht am Boden bemerkt, sie nicht. „Hier sind sie also gewesen und …“ Der Fremde aus einem anderen Sonnensystem hatte sich erstklassig auf der Erde assimiliert und fluchte plötzlich wie der Pilot eines Luftgleiters. Das geschlossene Portal gefiel ihm ganz und gar nicht. Es erinnerte ihn an die Schotten, die Peet und ihm um ein Haar zum Verhängnis geworden wären. Und jetzt führten die Fußspuren der drei Männer auf eine scheinbar fugenlose Wand zu. Was das zu bedeuten hatte, war klar. Hier oben arbeiteten noch Konverter, die automatisch Schotten öffneten und schlossen. „Aufpassen, Leute! In jedem Fall hinter mir bleiben! Verstanden?“ Sie nickten. Darauf allein verließ sich Arn nicht. Als er sich der fugenlosen Wand näherte, drehte er sich um und sah die beiden rechts und links von ihm abgesetzt folgen. Vom Zentralschacht aus maß das Deck bis zu seinem Ende weniger als fünfzig Meter, ein Zeichen, dass sich im Oberteil des Schiffes wahrscheinlich die Maschinenanlage befand. Er presste die rechte Handfläche gegen die rotschimmernde Wandung und richtete sich dann unwillkürlich auf, als sich nichts tat. Sollten in diesem Teil des Fremdschiffes die Portale nicht auf die Pulsfrequenz ansprechen? „Sir, aber hier muss doch eine Tür aufgestanden haben, oder Comes, Gringer und Pedar haben sich mit Hilfe ihrer AntigravGürtel entfernt.“ Diese Möglichkeit bestand, nur fiel es dem Moraner schwer, daran zu glauben, und dieses Daran-Nicht-Glauben-Können hatte ein Schuhabdruck ausgelöst. Ein halber Abdruck! Die andere Hälfte musste sich unter der Tür befinden, und das war für ihn der Beweis, dass die drei an dieser Stelle eine Öffnung passiert hatten, die dann durch irgendeinen Umstand geschlossen worden war. Er warf seiner Strahlwaffe einen forschenden Blick zu und schüttelte den Kopf. Ihm war der Gedanke, hier ein Loch in die Metallwand zu brennen, reichlich unsympathisch, weil er immer noch nicht herausbekommen hatte, über wie viel Energie seine Waffe noch verfügte.
Er bewunderte die Leute, die ihm von der 234 zugeteilt worden waren. Sie hatten Positionen bezogen und störten ihn in seinen Überlegungen nicht. Es sprach jeder Logik Hohn, dass es hier keinen Kontakt geben sollte, wie bei allen anderen Schotten oder Türen. Aber wenn seine Vermutung richtig war, sich im Bereich der Maschinenanlage zu befinden, dann konnte es möglich sein, dass man hier völlig andere Wege gegangen war. Mit seinem terranischen Wissen kam er nicht weiter. Arn Borul schaltete auf seine Kenntnisse um, die ihm Thosro Ghinu mitgegeben hatte. „Arn“, hatte ihm Ghinu eingehämmert, „es gibt nur eine Logik. Glaubst du, ein Problem sei nicht zu lösen, versuche, es mit der Logik zu bezwingen!“ Und hier versuchte er es. Er versuchte, an Technik nicht mehr zu denken! Er versuchte, das Problem auf den einfachen Nenner zurückzuführen. Ja, da kam etwas aus der Tiefe des Unterbewusstseins heran. Unmerklich. Es besaß noch keine Form; es hatte auch keinen Ausdruck, aber es hatte etwas Reales an sich, nur hätte Arn in diesem Moment nicht sagen können, wie das Reale beschaffen war. Es existierte nur in seinem Unterbewusstsein. Die Logik war der Schlüssel zu allem. Und die Logik hatte ihm gesagt, dass in den Maschinensälen des Raumschiffes höchstens Roboter tätig waren und Lebewesen sie nur zu Kontrollzwecken betreten hatten. Nichts war wichtiger und wertvoller als Leben. Es zu schützen war die größte Pflicht. „Ich versuche es“, murmelte der Moraner und konzentrierte sich im gleichen Moment. Vor ihm riss die Wand auseinander. Ein großer Saal mit verkleideten Aggregaten lag vor ihnen. Drei Personen blickten in das Herz des Kugelriesen. „Sir, wie haben Sie das gemacht?“, hörte er im Helmfunk die Frage.
Würden die beiden Terraner ihm glauben, wenn er ihnen erklärte, das Portal in der Metallwand kraft seiner Gedanken geöffnet zu haben? Würden sie ihm glauben, wenn er behauptete, dass die Logik ihn auf diese Möglichkeit gestoßen habe? Er ging das Risiko nicht ein und erwiderte: „Haben Sie es denn nicht gesehen?“ Und vor ihnen waren die Abdrücke von drei Paar Füßen im feinen Staub zu erkennen, und auch der eine halbe Abdruck war nun komplett. Ihre Scheinwerferstrahlen huschten hin und her. In diesem Moment blitzte es an der Decke grell auf, und eine Strahlbahn schlug dicht neben Arn Borul in den Metallboden. Gleich einer zerplatzenden Fontäne zischten die Energiemassen nach allen Seiten, und der Moraner hatte es nur seinem Raumanzug zu verdanken, dass er noch lebte. Im Fallen hörte er die gellenden Schreie seiner Begleiter. Er bekam keine Gelegenheit, sich nach ihnen umzusehen, denn von der Decke zischten gleichzeitig drei Bahnen tödlicher Energie. In dieser Lage bewies er, dass er kein durchschnittlicher Moraner war, sondern eine harte Schule ihn geprägt hatte. Vom Aufprall spürte er nichts. Er lag noch nicht vollständig, als er bereits seine Strahlwaffe hochriss, die konvexe Fläche den drei Abstrahlpolen an der Decke zukehrte und mit einer für einen Menschen unvorstellbaren Energie dachte: Weg damit! Der grellgelbe Strahl fiel mit dem dritten Strahlangriff von der Decke her zusammen. Der große Maschinenraum schien in wabernde Lohe gehüllt zu sein, und Arn Borul konnte die Hand nicht mehr vor den Augen sehen, doch im nächsten Moment schien die gesamte Decke in einer stummen Lichtorgie auseinander zu fliegen, und flüssiges Rotmetall begann von der Decke zu tropfen. Wir sind in eine Energiefalle gelaufen, dachte er, als er in seinem Helmfunk einen gurgelnden Schrei vernahm. Sich umzudrehen – dazu bekam er keine Zeit. Mitten in den Explosionen in der Decke schien dort oben die Hölle auszubrechen. Von allen Seiten zugleich zischten Energiebahnen von blendender Helligkeit. Borul kam mit seiner Strahlwaffe gar nicht mehr zum Schießen. Er kauerte hinter einem Aggregat, presste sich gegen die Verkleidung
und wusste, dass hier sein Leben zu Ende ging. Aus dieser Falle kam er nicht mehr heraus?! Lebten seine beiden Begleiter noch? Er riss mit einer Geste, die jeder Moraner als Verzweiflung gedeutet hätte, noch einmal die Strahlwaffe hoch, um den Abstrahlpol über dem Portal, der ihn nun zum dritten Mal beinahe vernichtet hätte, herauszubrennen. Er kam nicht zum Schuss. Ein neues Ereignis hinderte ihn daran. Schlagartig wurden die hochenergetischen Bahnen blasser, kraftloser. Es steckte kein Saft mehr dahinter. Arn Borul hatte seine Augen zu Schlitzen werden lassen. Brach in diesem Teil des Schiffes die Energieversorgung zusammen? War das alles nach mehr als 1350 Jahren nur ein letztes Aufflackern gewesen? Er drehte den Kopf und presste die Lippen zusammen. Die beiden halb geschmolzenen Haufen hinter ihm sagten ihm genug. Er war allein im oberen Teil des Kugelraumers. Seine beiden Begleiter von der 234 lebten nicht mehr. Sie waren Opfer der Energiefalle geworden. Die Blitze flackerten immer stärker, und die Zielvorrichtung, die sie steuerte, schien immer ungenauer zu arbeiten. Arn verfolgte diesen Vorgang mit angehaltenem Atem. Sollte es ihm doch noch gelingen, hier im letzten Moment herauszukommen? Da wollte sich das riesige Portal, das aus vier spitzwinkligen Dreiecken bestand, schließen! Aber im Zeitlupentempo, und das schien ihm wiederum nicht normal zu sein. Nicht schließen! Nicht schließen, bis ich es befehle! Den Begriff Angst gab es in dieser Lage nicht; nicht einmal die Angst vor dem Sterben. Nicht schließen! Und das Portal gehorchte seinem Gedankenbefehl. Er sprang auf, die Strahlwaffe in der linken Hand, um in drei Sprüngen aufs Deck zu gelangen. Ein Sprung! Der zweite, und mitten im dritten erwischte ihn eine Energiebahn, riss ihm die Waffe aus der Hand, wirbelte ihn herum, und das letzte, was der Moraner mit seinen Sinnen aufnahm, war eine riesige Sonne, auf deren Zentrum er zustürzte. *
Alle im Fremdraumer, die nach den drei Vermissten suchten, hörten den gellenden Aufschrei, auch diejenigen, die auf den beiden Schiffen hatten zurückbleiben müssen. „Arn, melde dich! Arn, sofort melden!“, schrie Peet Orell in seinen Helmfunk und verzog das Gesicht, als er das Prasseln und Knacken schwerster Störung vernahm. Von dem Moraner war kein Wort zu hören. Peet setzte sich mit seinen Freunden Jörn und Vivien in Verbindung. Sie waren nach wie vor eine verschworene Gemeinschaft und hatten noch gar nicht so richtig begriffen, dass sie Arn Borul voll und ganz darin aufgenommen hatten. „Arn meldet sich nicht. Suche abbrechen und über Zentralschacht nach oben! Keine Zeit verlieren …“ Er wartete die Bestätigung nicht ab, gab seinen beiden Männern mit der Hand ein Zeichen, und so schnell sie nur konnten, eilten sie zum Antigrav-Schacht. „Peet, wir sind unterwegs!“, meldete sich Vivien. Ihr heftiges Atmen war deutlich zu hören. „Kommen diese Störungen aus dem Sektor, in dem du Arn vermutest?“ „Ich weiß es nicht genau … Hallo, Jörn …“ „Wir sehen den Zentralschacht schon, Peet. Bei uns alles okay.“ Die Lichtkegel der Scheinwerfer tanzten vor ihnen her und beleuchteten eine Kulisse, die ihnen jetzt teuflisch vorkam. Zum ersten Mal hatte Peet Orell den Eindruck, sich in einem ausgeblasenen Skelett zu bewegen, dem man sogar das Mark aus den Knochen gezogen hatte. Dann war der Schacht erreicht, und er und seine Männer warfen sich in die gigantische Röhre. Sie fielen keinen Meter, als ihre Antigrav-Gürtel wirksam wurden und sie nach oben rissen. Was erwartete sie dort? Tote? Darunter auch der Moraner? Peet konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass Arn tot sei. Vivien hatte mit ihren beiden Leuten den Schacht zuerst erreicht und sah ihr Ziel vor sich, als die zweite Gruppe sich erst hineinstürzte. Jeder im Fremdraumer hörte, wie sie ihre Begleiter zur Ruhe aufforderte. „Wir gehen kein Risiko ein. Ich verlange, dass Sie hinter mir bleiben und …“
„Aber das geht doch nicht, Miss …“ „Was getan werden muss, bestimme ich. Klar?!“ Vivien setzte sich durch. Sie riss den rechten Arm hoch und gab damit das Stoppzeichen. Ein Blitz war durch die lichtlose Dunkelheit zu ihnen in den Schacht geschossen. Dass die Gesichter der beiden Männer fahl wurden, beachtete sie nicht. Sie krauste die Stirn. Der Blitz machte ihr Sorgen, und noch mehr Arn, der Moraner. Dreißig Meter trennten sie noch vom oberen Ende des Schachts. Jetzt noch zehn. „Klarmachen zum Aussteigen …“ Sie war der Boss. Die beiden Männer von der 234 wagten nicht mehr zu protestieren. An der Kante blieb sie stehen. „Eine Kette bilden … weit auseinander gezogen …“ Sie kommandierte wie ein Sergeant. Ihr Blick lief dem Lichtkegel nach, durch das geöffnete Portal, und dann weiteten sich ihre Augen. Träumte sie? Machte sie sich etwas vor? Oder war das, was sie sah, grausame Wirklichkeit? Von der Decke einer riesigen Halle tropfte verflüssigtes Rotmetall. Und die Decke glühte! Glühen im Vakuum? Sie bewegte sich allein vorwärts und kam dem Inferno immer näher. Immer stärker pochte ihr Herz, aber Angst hatte darin keinen Platz. Und die junge Frau, die sonst keinem Vergnügen aus dem Weg ging, kniff leicht die Augen zusammen, als sie dicht vor dem Portal eine verkrümmt liegende Gestalt im Raumanzug erkannte. Ein Raumanzug aus den Beständen der PROMET! Wurde das Leuchten und Glühen der Decke nicht blasser? Nahm das Strahlen des verflüssigten Rotmetalls nicht ab? Einen Schritt vor dem Portal war sie stehen geblieben. Irgendetwas hinderte sie daran, weiterzugehen. Da lagen zwei Tote! Die Männer, die zu Arn gehört hatten? Im Funk meldete sich Jörn Callaghan, der nach Informationen verlangte. Und sie hatte sie zu geben. „Ist Arn tot, Vivy?“, fragte er bestürzt. „Ich weiß es nicht. Ich kann nicht zu ihm. Noch brennt oder glüht die Decke in dem Maschinensaal, in dem er liegt …“ „Glüht …? Brennt …? Weißt du, was du damit sagst, Vivy?“
„Und ob, Jörn. Hier muss eine hochenergetische Hölle getobt haben. Genau so sieht es hier aus. Dicke Schmelzbahnen, und noch immer tropft es von der Decke.“ Sie stand nicht mehr allein vor dem Portal. „Miss Raid, warum gehen wir nicht hinein?“ Beinahe wütend erwiderte sie: „Genügt es nicht, wenn drei Mann in den Tod gelaufen sind, bloß weil sie zu spät eine Energiefalle entdeckten?“ Man fragte sie nicht mehr, und dann stand Jörn Callaghan neben ihr. „Mein Gott!“, stieß er aus und tat auch keinen Schritt. Die Decke der Maschinenhalle glühte immer noch, nur Metall tropfte nicht mehr zu Boden, und die letzten Schmelzflüsse erstarrten und stellten damit ihr Leuchten ein. „Wir müssen Arn doch helfen …“ Sein Blick schweifte wieder zur Decke. Er konnte sich gut vorstellen, welche Gewalten hier gewütet haben mussten, um ihr das Aussehen einer Mondlandschaft zu geben. Und in dieser Energieorgie hatten Borul und seine beiden Begleiter einen aussichtslosen Kampf um ihr Leben geführt. Drei Schritte neben dem Moraner lag die Strahlwaffe, und der Humanoide im Raumanzug bewegte sich nicht. „Wir sind gleich bei euch …“, meldete Peet Orell sein Kommen an. Da konnte Vivien Raid ihren Freund nicht mehr daran hindern, den Maschinenraum zu betreten. „Jörn …!“, schrie sie auf, doch der kniete schon neben Borul, drehte ihn auf die Seite und starrte durch das Sichtfenster des Helms in sein Gesicht. Und der andere blickte ihn aus seinen schockgrünen Augen an. „Lassen Sie mich noch ein paar Minuten liegen, Jörn, dann bin ich wieder fit“, hörte er den Moraner mit kraftloser Stimme sagen. „Sie gehören in die Obhut eines Arztes, Arn …“ „So schnell geht ein Moraner nicht zum Arzt. Noch ein paar Minuten …“ Er hielt sein Versprechen, und dann genügten zwei Energietabletten, um ihn wieder topfit zu machen. Selbst für Peet Orell war er zum Rätsel geworden. Ein Terraner hätte Stunden benötigt, bis der Schock und die Wirkung des Treffers abgeklungen wären.
Arn Borul war es auch, der darauf drängte, die drei Vermissten zu suchen. Man fand sie am Ende der Maschinenhalle. Verbrannt! Auch sie waren Opfer der Energiefalle geworden, mit der die Konstrukteure dieses Raumschiffes den Maschinenteil abgesichert hatten. Nur diesen, nicht die nachfolgenden Räume, die sich als halbzylindrischer Ring von fünfzig Metern Breite um den AntigravSchacht herumzogen. „Arn, hast du gesehen, wie die Aggregate mit dem Boden verbunden sind?“ Peet Orell stieß den Moraner in die Seite. Die genial einfachen Spannverschlüsse erhöhten die Verlockung, diese unbekannten Maschinen auszubauen, aber nach wie vor war das Problem ungelöst, wie man die teilweise gigantischen Aggregate aus dem Schiff schaffen sollte. Manche waren in ihrem Ausmaß dreimal größer als der Durchmesse des Zentralschachts. Vivien Raid konnte die letzte Entdeckung für sich verbuchen. Als auch das äußere Schleusentor vor ihr aufsprang, blickte sie in den Weltraum hinaus. Hinter ihr lag ein Maschinensaal, und nun war auch klar, wie die Erbauer des Kugelraumers ihre sperrigen Aggregate ins Schiff bekommen hatten. Tatsächlich, die XP-3 traf keinen Tag zu früh hinter dem Pluto ein.
6. Wie ein Feuerauge stand die Sonne Kyl über dem zerstörten Planeten Moran, und mit ihrem grellen Licht schuf sie eine Wirklichkeit, die an das Verbrechen erinnerte, das man an der vierten Welt dieses Systems begangen hatte. Moran, das Paradies, existierte nicht mehr. Moran, die friedliche Welt mit ihren Milliarden Intelligenzen war in einem atomaren Feuerschlag vernichtet worden. Aus den Tiefen des Raumes waren die Mörder gekommen, und wieder in die Unendlichkeit des Alls verschwunden, nachdem sie einen blühenden Planeten in eine leblose Wüste verwandelt hatten. Weniger als dreitausend Moraner hatten diese Katastrophe überlebt. Dass sie nicht auch zu den Toten zählten, verdankten sie
dem greisen Thosro Ghinu, der im Höhlensystem der Paily-Berge Low, die große Forschungsstation mit universellem Charakter eingerichtet hatte. Als dann der unerwartete Angriff auf Moran erfolgte, war sie der einzige Ort, den die unbekannten Mörder nicht entdeckt hatten. Eine winzige Oase, in der man leben konnte; aber durfte man diesen Zustand wirklich leben nennen? Tag um Tag in einem hermetisch verschlossenen Höhlensystem eingesperrt zu sein. Ewig und immer dieselben Gesichter um sich sehen. Die Speisenfolge kannte jeder schon auswendig; den Arbeitsplatz auch. Stumpfsinn hoch zehn, sagten manche; andere sagten gar nichts mehr. Sie suchten sich ein stilles Plätzchen und machten dort ihrem Leben ein Ende. Und diese neue Selbstmordepidemie breitete sich lautlos, aber schnell, aus. Man wollte nicht mehr. Man war ohne jede Hoffnung. Mit dem Start der TIRA war die Hoffnung unter den Überlebenden noch einmal hochgeschnellt. Die TIRA sollte Schedo, den Planeten ihrer Hoffnung, wieder finden, den ihre Ahnen vor langer, langer Zeit einmal besucht hatten, und der mit seinen Verhältnissen auf der Oberfläche geradezu ideale Werte besaß; doch seit dem Start des Raumschiffes, das nach alten Plänen unter schwierigsten Bedingungen gebaut worden war, hatte man zuletzt nur noch gehört, dass die TIRA das fremde Sonnensystem mit dem hellen Planeten Schedo erreicht hatte. Götter Morans, wie viel Zeit war seit dem letzten Hyperfunkspruch vergangen? Und war es nicht lächerlich, dass der verkalkte Thosro Ghinu ihnen weismachen wollte, Arn Borul würde trotz seines Schweigens zurückkehren und sie alle nach Schedo bringen? Tso, der junge Funker, warf seinem Kollegen Dreb einen fragenden Blick zu, den der andere nicht bemerkte. Er saß im Kugelsessel und starrte gelangweilt die Instrumente an, die doch nichts anzeigten. Nutzlos wurde hier die Zeit vertan. Das Schott sprang auf, und beide Hyperfunker drehten sich um, denn wer kam noch zu ihnen, um zu fragen, ob die TIRA sich gemeldet habe? Sie erkannten Thosro Ghinu, den Alten, der noch an die Zukunft der Moraner glaubte, und der auch an Boruls Rückkehr glaubte. Ein Narr, ein alter, verkalkter Narr, der sich selbst belog.
„Nein“, sagte Dreb und schüttelte den Kopf. „Unser Dienst in der Funkzentrale ist grausam. Wir sitzen hier, warten und warten, aber nichts geschieht. Wir warten auf einen Funkspruch der TIRA, der nie mehr erfolgen wird.“ Der alte, hagere Mann richtete sich merklich auf. In seinen Augen leuchtete es. „Dreb, wer so spricht, nimmt den Zweiflern und Unsicheren unter uns die letzte Hoffnung. Die TIRA wird sich melden. Ich weiß es, und ich bin derjenige, der Arn am besten von allen kennt.“ „Wenn es die TIRA überhaupt noch gibt, Ghinu“, hielt ihm Tso vor. Alle drei drehten sich um, denn hinter ihnen waren Schritte aufgeklungen. Junici stand hinter ihnen, das Mädchen, das mit allen Fasern ihres Herzens an Arn Borul hing und Tag um Tag hoffte, er würde sich in einem Hyperfunkspruch melden. Sie musste Tsos letzte Bemerkung gehört haben; ihr Gesichtsausdruck verriet es. „Tso, Sie reden Unsinn!“, herrschte Ghinu den Mann an. „Es gibt nicht einen Beweis, dass die TIRA …“ Junici hatte vergessen, das Schott hinter sich zu schließen, nachdem sie die Funkzentrale betreten hatte, und durch dieses Schott stürmten drei junge Männer herein, schrien gellend auf, schleuderten das Mädchen zur Seite – und bevor jemand sie daran hindern konnte, standen Laserstrahlen im Raum und begannen, die Instrumentenwand und die beiden Konsolen zu zerstören. Ihr Götter! konnte Thosro Ghinu nur noch denken, ihr Götter, wir verlieren jetzt die letzte Verbindung zu den Sternen! Mit dem Mut eines Verzweifelten stürzte er sich auf den nächsten Attentäter, und was niemand dem alten Mann noch zugetraut hätte, er schleuderte den offenbar irrsinnig gewordenen mit einem Haken zu Boden. Die Waffe wirbelte durch den Raum und schlug krachend gegen ein Instrument. Dreb, der Funker im Kugelsessel, rührte sich nicht mehr. Ein Strahlschuss hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. Tso kam aus seiner Deckung hoch, warf sich in Richtung der Strahlwaffe, die beim Aufschlag ein kostbares Instrument zerstört hatte, riss sie hoch und schoss.
Im gleichen Moment hatte Junici wie eine Katze den dritten Attentäter von hinten angesprungen, hielt sich an seinen Haaren fest und versuchte, ihn zu Boden zu reißen. Da schrie Thosro Ghinu auf. Wie von einem Faustschlag getroffen, ging der Wissenschaftler in die Knie und drohte der Länge nach zu Boden zu stürzen. Sein Aufschrei war für das Mädchen gleichbedeutend mit einem Startschuss. Junicis rechtes Knie zuckte hoch und krachte dem Attentäter mit voller Wucht ins Kreuz. Dessen Widerstand erlahmte schlagartig, und als sie ihm noch einmal mit Gewalt den Kopf nach hinten riss, verlor er das Gleichgewicht und kippte zur Seite. Junici hörte Tsos Warnschrei, aber sie konnte ihre Aktion nicht mehr stoppen. Sie trat ihrem Opfer die Strahlwaffe aus der Hand und machte ihn dann mit einem Handkantenschlag kampfunfähig. Haarscharf zischte ein Strahlschuss an ihrem Kopf vorbei, und ihr wurde klar, dass sie in diesem Moment dem Tod noch einmal entkommen war. Tso riss die erbeutete Waffe hoch, richtete sie blitzschnell auf sein neues Ziel, und dann gab es eine krachende Explosion in der Funkzentrale, als die Laserwaffe blitzartig ihre gesamte, gespeicherte Energie freigab. Der Funker nutzte die Chance, stürzte sich auf sein Opfer, funktionierte seine Waffe in ein Schlagwerkzeug um und schaltete damit auch den dritten Mann aus. „Bei den Cegiren, Ghinu, Sie sind verwundet?“, stieß Tso aus und sah an der linken Schulter Blut aus einer Wunde fließen. Der greise Wissenschaftler schüttelte den Kopf. „Sorgen Sie dafür, dass diese Männer kein weiteres Unheil mehr anrichten können. So schlimm hat es mich nicht getroffen.“ Der Moraner, der von Ghinu zu Boden gebracht worden war, versuchte, auf die Beine zu kommen. „Liegenbleiben, oder …“, drohte Tso und hielt die Strahlenwaffe auf ihn gerichtet. „Du Shaga!“, fluchte der Mann, und der Wahnsinn stand deutlich in seinen Augen. „Du bist genauso ein Shaga wie Arn Borul, Ele Veek, Gol Szal oder Pare Mint. Aufhängen muss man euch alle. Auch Ghinu. Den zuerst, und diese verdammte Katze, die immer noch an die Rückkehr der TIRA glaubt. Wenn …“ Tso schloss ihm rigoros den Mund.
Junici alarmierte über das Kommunikationssystem die Ärzte. „Aber Sie haben über den Zwischenfall in der Funkzentrale absolutes Stillschweigen zu bewahren!“ Sie bemerkte den bewundernden Blick nicht, den Thosro Ghinu ihr zuwarf. Er hatte im Kugelsessel Platz genommen und hielt seine linke Schulter. Die Übersicht und Entschlossenheit, die das Mädchen an den Tag gelegt hatte, waren mehr als lobenswert.“ Im Laufschritt näherten sich drei Ärzte der Funkzentrale. Für Dreb kam jede Hilfe zu spät. Die drei Attentäter befanden sich wenig später jenseits von Gut und Böse. Injektionen hatten sie in einen Zwangsschlaf versetzt. Thosro Ghinu ließ sich nur einen SteelVerband aufsprühen und verzichtete auf die Anwendung schmerzstillender Mittel. „Der Zwischenfall darf in Low unter keinen Umständen bekannt werden. Ich übernehme es, Drebs Frau zu unterrichten. Wenn man im Höhlensystem erfährt, dass die Hyperfunkstation zerstört worden ist, kommt eine noch größere Selbstmordwelle auf uns zu. Ob es sich dann für diejenigen, die immer noch hoffen, lohnt weiterzuleben, wage ich zu bezweifeln.“ Tso sagte kein Wort. Er hatte nichts mehr zu sagen, nachdem er entdeckt hatte, dass Strahlschüsse die drei unersetzlichen Kero-Wan zerschmolzen hatten. Damit lag nicht nur der Sendeteil still, sondern auch der Hyperfunkempfang. Ihre einzige Verbindung zu den Sternen und der TIRA bestand nicht mehr. Woher kamen die Schritte? Tso wirbelte herum, und dann sah er sie stehen, die Neugierigen, die von den Schreien angelockt worden waren oder vielleicht die drei Ärzte gesehen hatten, als sie im Laufschritt durch das Höhlensystem zur Funkzentrale eilten. Tso und auch Ghinu überlegten noch, was sie sagen sollten, um die Bewohner des Höhlensystems nicht in brodelnde Unruhe und letale Hoffnungslosigkeit zu stoßen, als sie Junici hörten: „Gerade als wir mit der TIRA sprachen und ihr mitteilen wollten, wie klar wir sie hörten, kamen diese drei Irren herein …“ Im nächsten Augenblick schien es den toten Dreb, die Attentäter und die zerstörte Funkzentrale nicht mehr zu geben. „Die TIRA hat sich endlich gemeldet …?“ „Hat die Besatzung Schedo, den hellen Planeten, gefunden …?“ „Bei allen Göttern, endlich ein Zeichen von der TIRA?“
Alle redeten. Bald war kein Wort mehr zu verstehen. Thosro Ghinu wurde von den Wissbegierigen umringt, und auch Junici war zum Mittelpunkt geworden. Die drei Ärzte machten das falsche Spiel mit und zeigten ebenfalls Begeisterung. Begeistert war der Wissenschaftler von Junicis Geistesgegenwart. Er hatte erkannt, dass sie mit ihrer unwahren Behauptung den einzig richtigen Weg gegangen war, um den Rest eines einstmals stolzen Volkes vor dem möglichen Untergang zu bewahren. „Wir wissen nicht, warum die TIRA so lange geschwiegen hat. Wir hatten ja gerade erst Verbindung mit dem Schiff“, erklärte Ghinu und deckte mit seinem Körper Tso ab, der damit beschäftigt war, die automatisch arbeitenden Empfangsaufnahmen, die das Attentat unversehrt überstanden hatte, auf Null zu schalten und den letzten Teil der Folie zu löschen. Kaum war er damit fertig, als er ruckartig den Kopf hoch warf und mit lauter Stimme Ghinu ins Wort fiel: „Bei den götterlosen Cegiren, Ghinu, wir können den kurzen Spruch nicht abspielen. Sehen Sie doch! Einer der Irren muss im Kampfgetümmel die Empfangsaufnahme gelöscht haben. Alles steht auf Null.“ Man beachtete seine Worte kaum. Wen interessierte es? Nicht einmal Drebs tragischer Tod wirkte sich bei den anderen aus. Die TIRA hatte sich endlich gemeldet! Die TIRA hatte Schedo, den hellen Planeten, gefunden! Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, und der Exodus nach Schedo würde beginnen. Welche Rolle spielte es jetzt noch, dass die Hyperfunkanlage ausgefallen und nicht mehr zu reparieren war? Die TIRA würde zurückkommen. Arn Borul und seine drei Begleiter hatten es doch geschafft! Die Zukunft hatte die Tore wieder für sie geöffnet, und sie schimmerte im herrlichsten Licht. Als Thosro Ghinu mit Junici und Tso allein war, sagte er nur: „Man wird uns drei eines Tages steinigen, wenn die Wahrheit bekannt wird.“ „Ghinu, man wird uns nicht steinigen, denn Arn kommt zurück. Ich fühle, dass er lebt, und ich fühle, dass er an uns denkt“, sagte Junici trotzig. Der alte Mann war weise genug, nichts darauf zu erwidern.
7. Den Weg vom Wrack zur PROMET oder umgekehrt hatten sie in den letzten Wochen ein paar hundert Mal zurückgelegt, und die unendliche Tiefe um sie herum beeindruckte niemand mehr. Arn schälte sich aus seinem Raumanzug und ließ ihn über die Füße zu Boden gleiten. Das hautnahe Zusammenarbeiten mit Peet und Jörn, und manchmal auch mit Vivien, hatte ihn deren Redensarten und Verhalten annehmen lassen. „Verdammter Mist!“, sagte er herzhaft und ließ sich dabei in den Sessel fallen. „Diese Konverter machen mich noch krank.“ Peet Orell blickte ihn spöttisch an. Arn übertrieb wieder einmal, denn mit dem Konverter-Problem war man doch inzwischen fertig geworden. Diese Energie-Erzeuger, die 1350 Jahre wartungsfrei gearbeitet hatten, konnten ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen, und Schotten, die sich aufgrund einer Bordsteuerung heimtückisch schlossen, gab es nicht mehr. Orell verstand trotzdem, warum der Moraner gerade fluchte. Die Demontage-Techniker der HTO konnten gar nicht genug Konverter aus dem Wrack bringen; sie waren gierig darauf, wie ausgehungerte Raubtiere, doch nur in vereinzelten Fällen war es bisher gelungen, diese Energieerzeuger auszubauen. Manchmal drängte sich der Eindruck auf, dass die Konstrukteure des Kugelschiffes immer wieder neue Einbaumethoden benutzt hätten. „Ja, Arn?“, fragte Peet Orell, als er den fragenden Blick des Moraners auf sich ruhen fühlte. Der hatte es sich in der kleinen Messe der PROMET gemütlich gemacht und es störte ihn nicht, dass sein Raumanzug neben ihm auf dem Boden lag. In einer Stunde musste er ja doch wieder hineinsteigen und zum Wrack hinüberschweben. „Ich möchte eines gerne wissen … Komisch, dass ich erst jetzt daran denke … Gemessen an euren Strahltriebwerken, die alles andere als gut sind, habt ihr Terraner ein Verhältnis zur Schwerkraft, das einfach erstaunlich ist. Wer hat das Problem bei euch gelöst, und wann wurde es gelöst?“ Peet Orell zögerte einen Moment lang mit seiner Antwort; er räusperte sich, rückte in seinem Sessel etwas nach rechts, griff nach dem Glas und trank einen Schluck Fruchtsaft.
„Das Schwerkraft-Problem einschließlich der Anti-Schwerkraft ist innerhalb einer Woche gelöst worden. Der Mann, dem wir diese Erkenntnis zu verdanken haben, hieß Prom Eggers. Er lebt nicht mehr. Prom Eggers war ein Genie und ein Idiot. Als Idiot geboren, ist er als Idiot gestorben. Eines Tages – er lebte nur in geschlossenen Anstalten, weil man seine Gemeingefährlichkeit nicht unter Kontrolle bringen konnte – beobachtete man ihn, wie er Notizen machte. Diese Notizen hütete er wie seinen Augapfel, und mit einer geradezu fanatischen Verbissenheit wachte er darüber, dass niemand Einblick darin nehmen konnte. Neun Tage und neun Nächte lang schrieb er sie nieder und nahm in dieser Zeit nur flüssige Nahrung zu sich. So spontan er mit der Niederschrift begonnen hatte, so abrupt beendete er sie, ließ alles stehen und liegen, suchte sein Zimmer auf und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Ein Arzt nahm die Papiere an sich, sah, dass die Folien mit verrückten Formeln vollgekritzelt waren, und wollte sie schon in den Zerhacker werfen, als ihm die Idee kam, sie einem Mathematiker zu zeigen. Damit begann die Kugel, die Eggers mit seiner Niederschrift gestellt hatte, rasend schnell zu rollen. Ein geistig umnachteter Mensch von vierzig Jahren, der nachweislich nie Rechnen gelernt hatte, hatte das Problem der Schwerkraft lückenlos gelöst und zugleich den Weg gewiesen, wie man die Anti-Schwerkraft beherrschen konnte.“ Arn Borul schüttelte den Kopf. „Ein geistig umnachteter Mensch, Peet …?“ „Ja. Nach dieser Leistung hat Eggers noch sieben Jahre gelebt und nie wieder ein Wort oder ein Zeichen niedergeschrieben. Er hat nach seiner Arbeit nie mehr gefragt.“ Der Moraner atmete tief durch. „Unwahrscheinlich … unglaublich, Peet …“ „Ich weiß. Und es gibt keine wissenschaftliche Erklärung dafür. Welcher Experte sich auch daran versuchte, er scheiterte letztlich doch. Das Phänomen Eggers ist bis zum heutigen Tage ungelöst geblieben. Es gibt in der Geschichte der Medizin auch keinen Parallelfall, wenigstens keinen in dieser extremen Art.“ „Und die von Eggers benutzten Formelzeichen waren die allgemein üblichen, Peet?“ „Das kam auch noch dazu, Arn.“ Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. „Ich habe auf dem College Eggers’ Arbeiten kennen
gelernt. Es hat mich unmenschliche Anstrengungen gekostet, ihm folgen zu können. Drei Formeln hängen frei im Raum. Mit ihnen weiß man nichts anzufangen, weil es niemanden gibt, der sie versteht.“ „Auch mit einem Computer ist ihnen nicht beizukommen?“ Das Interesse des Moraners war erwacht. „Sämtliche darauf angesetzten Großrechner haben versagt.“ „Kennst du diese Formeln, Peet?“ „Sagt es dir genug, wenn ich dir verrate, dass eine über einen Meter lang ist?“ „Ist sie an Bord zu finden?“ „Nein. Ich glaube, nicht einmal die HTO hat sie im Archiv. Als man mit den drei Formeln nichts anzufangen wusste, hat man sie vom Gesamtkomplex abgetrennt. Aber nun von meiner Seite eine Frage, Arn: Ist die Art, wie wir Schwerkraft und Anti-Schwerkraft beherrschen, weiterentwickelt als bei euch auf Moran?“ „Eggers hat das Problem viel eleganter gelöst. Ist dieser Mann bestimmt ein Idiot gewesen?“ „Hm … Er wusste nicht einmal, dass er lebte.“ Arn erhob sich und verließ wortlos die Messe. Gus Yonker, der Funker, gähnte gerade herzhaft, als Arn die Funkkabine betrat. „Sir, der dritte Frachter ist startklar und wird in knapp einer Stunde auf Kurs Terra gehen.“ In den schockgrünen Augen des Moraners blitzte es auf. „Yonker, versuchen Sie, den Start um eine Stunde zu verschieben. Geben Sie mir die Antwort des Captains in die Messe herein.“ Yonker war wieder allein und rief das Schiff der Klasse C-7 an. „No, Sir, Mr. Borul hat keinen Grund angegeben, warum Sie später abfliegen möchten.“ „Hm … eine Stunde? Okay, die können wir unterwegs wieder herausholen, wenn wir den Asteroidengürtel flach anfliegen. Ich warte so lange und bin gespannt, was der Moraner auf dem Herzen hat.“ Der saß wieder Peet Orell gegenüber. „Ich war gerade bei Gus und wollte einen Spruch zur HTO absenden lassen und darum bitten, mir die drei Formeln bekannt zu geben. Ich hab’s nicht getan, Peet, weil mir eine Idee durch den Kopf schoss. Was hältst du von dem Plan, den Hangar, in dem das zerstörte Kleinboot liegt, als Basis und Depot für die PROMET
einzurichten? So mit allem Drum und Dran, einschließlich normaler Luftverhältnisse.“ Das Wikingergesicht des HTO-Erben wurde noch kantiger, und die blauen Augen unter den buschigen Brauen verdunkelten sich. „Deine Idee ist Gold wert, Arn.“ „Okay, das freut mich, dass du mit meinem Plan einverstanden bist. Und jetzt kann ich auch dem Captain sagen, warum …“ Gus Yonker meldete sich über Visophon. „Mr. Borul, der Captain des C-7-Schiffes ist bereit, eine Stunde mit dem Start zu warten.“ Daraus wurden vier. Vier dicke Trossen waren mit dem zerstörten Kleinraumer im Hangar verbunden. Sämtliche Scheinwerfer des C7-Raumers leuchteten die letzte Ecke des Großraumers aus. Zwanzig Schritte abseits standen Arn, Peet und Jörn und beobachteten das Abschleppmanöver. Das Kleinboot sollte in den freien Raum geschafft werden, um der PROMET Platz zu machen. Die Triebwerke des Frachters begannen anzulaufen, und die vier Trossen spannten sich. Zentimeter um Zentimeter wurde ein Kleinraumer bewegt, der 1350 Jahre in diesem Hangar gestanden hatte. Langsam näherte er sich dem gewaltigen Schott, und dann kam der Moment, wo er den freien Raum erreichte und das C-7Schiff schneller wurde, um mit seiner Last tiefer im Raum zu verschwinden. Eine knappe halbe Stunde später kam vom Frachter der Funkspruch, dass die letzte Trosse gelöst worden sei und das schrottreife Boot abtreibe. „PROMET kommen!“, gab Peet Orell über Helmfunk durch und erhielt von Gus Yonker die Bestätigung. Pino Tak, der Bordingenieur, der so selten aus der Ruhe zu bringen war, steuerte die Yacht mit unnachahmlicher Gelassenheit auf ihren Liegeplatz und setzte sie stoßfrei auf. Die kleine Schleuse öffnete sich, und im Raumanzug sprang Vivien Raid von Bord. Über Funk ließ sie ihrer Verwunderung freien Lauf, und was die Männer beim Einfliegen der Yacht gedacht hatten, sprach sie aus. „Hier haben ja noch zwei Schiffe vom Typ PROMET Platz …“ Peet und Arn gingen zusammen zur riesigen Schleuse, deren Konverter nicht ausgebaut worden war. Im Gegenteil, der Moraner hatte bei dem vor Stunden gestarteten C-7-Schiff eine Anleihe getätigt und die fast leergebrannten
Konverter mit neuer Energie beschickt, die aus der Reserve des Frachters stammte. Die beiden Schleusenflügel schoben sich mit gleich bleibender Geschwindigkeit aus der an dieser Stelle mehr als zwei Meter dicken Schiffshaut des Kugelraumers heraus, um an der Stoßkante einen winzigen Haarriss zu bilden. Die PROMET hatte ihren neuen Liegeplatz eingenommen. * Ike Biggs, einer der leitenden Ingenieure bei der HTO-Corporation, war allerlei gewöhnt, aber diese Anforderung brachte bei ihm ein anhaltendes Kopfschütteln zustande. „Du lieber Himmel, was wollen die mit diesen Tanks voll verflüssigter Atemluft? Haben die vielleicht vor, damit einen hohlen Kleinmond aufzublasen?“ Für diese Fracht kam nur ein Schiff des XO-Typs in Frage, und das lag auf Platz acht der lang gestreckten Werkspiste in Sperrkreis I. Die HTO besaß drei gegen Betriebsspionage besonders abgeschottete Sperrkreise. Dann kratzte sich Biggs den Kopf, als er die Aufstellung auf dem Anforderungsformular zu Ende las. „Wo bekomme ich so schnell Tirbel-Pumpen mit diesem Leistungsvermögen her? Pro Sekunde sollen diese Pumpen …?“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, stellte durch Knopfdruck eine Verbindung mit dem Archiv her und rief in den Apparat, bevor die Bildscheibe stabil wurde: „Geben Sie mir die technischen Daten für die größten Tirbel-Pumpen herein. Aber sofort. Hier brennt’s!“ Fünf Minuten später besaß er nicht einmal mehr die Kraft zu fluchen, weil es Tirbel-Pumpen mit diesem Leistungsvermögen nicht gab. Aber Ike Biggs ließ sich dadurch nicht umwerfen, sondern bewies wieder einmal, dass er sein Geld wert war. Wieder stand die Verbindung mit dem Archiv: „Wie viele Pumpen vom Typ 100-FT haben wir auf Lager?“ „Acht, Sir …“ „Dann alle acht klar machen zum Verladen auf die XO-12 …“ „Aber wir benötigen doch laut Arbeitsplan schon in drei tagen zwei der 100er Ausführung für eine C-7 …“
„Dann beschaffen Sie sich welche“, erwiderte Biggs knapp. „Soll ich Ihnen noch verraten, dass der Boss persönlich diese Pumpen angefordert hat?“ Das zog, und zufrieden schaltete Biggs ab. Er war sicher, dass in zwei Stunden die acht Aggregate in einem Laderaum der XO-12 lagen. Die angeforderten Tanks, die Leitungen und die Filtersätze stellten kein Problem dar, auch nicht die vielen Tonnen verflüssigter Luft, aber er hätte doch zu gern gewusst, wozu Harry T. Orell das alles benötigte. Ike Biggs, obwohl einer der leitenden Ingenieure in der HTO, gehörte nicht zu dem kleinen Personenkreis, der über die Existenz eines Kugelraumschiffes hinter dem Pluto unterrichtet war. Gegen 21 Uhr hob die XO-12 vom Werkshafen der Corporation ab, um laut Starterlaubnis den Asteroidengürtel anzufliegen. * Der Hangar hatte die Druckprobe erfolgreich bestanden, und die unbequeme Methode, den Raumanzug benutzen zu müssen, fiel endlich weg. Der Antigrav-Gürtel erlaubte es ihnen, sich normal in dem gewaltigen Raum zu bewegen, und das war bei der Arbeit, die vor ihnen lag, ein großer Vorteil. Während draußen die Frachter der Corporation anlegten und die Laderäume voll packten, herrschte im Hagar eine stille, aber rege Betriebsamkeit. Arn Borul war zum Antreiber geworden, und selbst die abgestellten Techniker, die nicht den blassesten Schimmer von einem Transitionstriebwerk hatten, wurden von dem Elan, den der Moraner zeigte, angesteckt. Sie packten mit an, und mit Hilfe von zwei Hebebühnen und acht Zweckrobotern wurde das letzte Drittel des Triebwerks ausgebaut. Am dritten Tag lag es, in Einzelteile auseinander genommen, um die PROMET herum. Von diesem Zeitpunkt an war Borul nur noch selten im Hangar zu finden, dafür hielt er sich um so öfter im Computerraum eines der Frachter auf, um noch einmal alles durchzurechnen und dabei wiederum von moranischer Technik auf terranische zu übersetzen. Hin und wieder holte er sich Peet Orell als Unterstützung heran, und obwohl dieser der Eigner der supermodernen Yacht war, fügte er sich jeder Anordnung des
Moraners, denn ihm war klar, dass sie ohne ihn nie zu einem Sprungtriebwerk gekommen wären. „Fertig, Peet. Wir können wieder zur PROMET ‘rüber.“ Dann standen sie im Hangar vor dem Hyper-Rotbeschleuniger und Arn Borul nahm sich dieses Aggregat vor, das ihm schon so viele Schwierigkeiten bereitet hatte. Zu allem Überfluss wollte Vivien auch noch wissen, wie es arbeitete. „Wie das Aggregat funktioniert, Vivy …? Im 4-D-Bereich hat der Beschleuniger nur eine stabilisierende Aufgabe. Er verhindert durch seine gesteuerten Gax-Felder, dass die korpuskulare Strahlung ausbrechen kann, was in jedem Fall eine Leistungsminderung von mehr als fünfzig Prozent zur Folge hätte. Verstanden?“ „Verstanden, Arn; und wie wirkt der Hyper-Rotbeschleuniger im Parakon?“, meinte sie nur. „Das weiß ich nicht. Das hat mir Thosro Ghinu nie erklärt. Vielleicht konnte er es nicht, weil er es selbst nicht wusste. Ich darf daran erinnern, dass mein Volk schon seit Jahrhunderten keine Raumschifffahrt mehr betreibt, und Low, die Forschungsstätte in den Paily-Bergen, hat nie ein besonders überragendes Archiv besessen“, meinte Arn und versetzte mit dieser Antwort alle in Erstaunen. „Aber du hast doch diesen Rotbeschleuniger gebaut, Arn“, bohrte Vivien weiter. „Und wenn schon. Deswegen muss ich doch seine Wirkung im 5D-Raum nicht kennen. Kann ich zum Beispiel einen Hypersender bauen? Leider nicht. Dieser Teil der Technik gehörte zu Gol Szals Aufgaben … und Szal ist tot.“ Sie wussten alle, was hinter seiner letzten Bemerkung steckte, und sie wussten auch, warum Arn Borul sich so oft überforderte, wenn Probleme auftauchten. Er hatte die Hoffnung, in naher Zukunft seine Heimatwelt Moran zu finden und wieder zu sehen, nie aufgegeben. Im Triebwerksteil des Fremdraumers gingen die Demontagearbeiten immer besser vonstatten. Die drei Teams, die sich untereinander ablösten, hatten mittlerweile eine zeitsparende Technik entwickelt, so dass die Liegezeiten der Frachter immer kürzer wurden. *
Die große Ortungsstation auf dem Mars hatte die Zentrale der Space-Police auf Terra mal wieder an der Funkangel. „Ich stelle durch“, sagte der diensttuende Beamte und vermittelte die Bild-Sprechverbindung weiter. „Hier, Endres, Mars zwo. Wir haben schon wieder zwei HTOFrachter in der Ortung, die einen Kurs fliegen, der abermals Rätsel aufgibt.“ „Strahlen Sie die Koordinaten der beiden Schiffe ab“, wurde er von der Erde aus aufgefordert. Der Großrechner wurde damit gefüttert, und er war noch mit der Lösung der Aufgabe beschäftigt, als Colonel Stewart eintrat und sich erkundigte: „So? Wieder mal HTO-Schiffe?“ Wenig später saß der Colonel dem Chef der Space-Police gegenüber. „Warum hängt sich keines unserer Patrouillenboote an ein Corporation-Schiff, Sir?“ Der schwere Mann mit den grauen Augen verzog den Mund. „Warum wir es nicht tun, Colonel? Weil wir für diesen Zweck kein einziges Boot zur Verfügung haben. Ja, wenn die verdammte HTO die letzten Raumboote pünktlich geliefert hätte, wie es bei der Vergabe des Auftrages vereinbart worden war. Sie wissen doch selbst, dass wir mit dem Aufbau der Flotte gegenüber dem starken Raumschiffverkehr kaum noch nachkommen. Wir sind doch nicht einmal in der Lage, alle Verstöße im Raum zu erfassen. Was sagt denn der Computer zu dem Problem?“ Der Colonel zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Der Großrechner bezweifelt mit einer Wahrscheinlichkeit von sechsundfünfzig Prozent …“ „Geschenkt!“, fiel ihm sein Chef ins Wort. „Großer Himmel, sechsundfünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit. Aufgrund dieser Vermutung kann ich es mir nicht erlauben, eins unserer Boote einem HTO-Schiff nachzuschicken. Da müssen Sie mir schon mit hieb- und stichfesten Beweisen kommen, dass die Raumer der Corporation unter Missbrauch der Starterlaubnis Ziele im System anfliegen, die unter normalen Umständen als Zielpunkt nie genehmigt werden würden.“ „Die Beweise haben wir leider nicht, Sir.“
„Und ich kein Schiff! Hätten wir die drei Boote, auf deren Übergabe wir schon seit Wochen warten, dann könnten wir es versuchen. Aber statt sie zu sehen, hören wir von der Corporation, dass sie aufgrund technischer Neuerungen erst hart im Raum getestet werden müssten. In der letzten Zeit hege ich hin und wieder den Verdacht, dass dieser Harry T. Orell der größte Lügner im Sonnensystem ist.“ „Können wir denn nichts über die World-Police erfahren?“ Der Chef winkte heftig ab. „Die schlafen doch seelenruhig.“ Die Visophonverbindung hatte sich eingeschaltet und das Gespräch unterbrochen. „Noch einmal, bitte!“, verlangte der Chef der Space-Police. „Sir, in der letzten Zeit …“ „Präziser!“ „Seit siebzehn Tagen starten alle HTO-Raumer mit Starterlaubnis für den Asteroidengürtel mit vollen Laderäumen.“ „Und was wird transportiert?“, bellte er ins Mikrofon. „Maschinenteile aller Art. Unter anderem hat die XO-12 einige hundert Tonnen verflüssigter Luft, Tirbel-Pumpen von größter Leistung, Flüssigkeitstanks und Leitungen …“ Der Chef der Space-Police lief rot an. Er atmete tief durch und ließ dann Dampf ab. „Mann, leiden Sie vielleicht unter dem Wahn, dass auf einem Planetoiden von zwanzig Kilometer Durchmesser Atemluft vorhanden ist? Was Sie mir gerade erzählt haben, spricht dafür, dass die Raumer der HTO doch zum Gürtel fliegen. Verflüssigte Luft, Tirbel-Pumpen und so weiter, und so weiter … Wenn man darauf abbauen will, muss man zuerst einmal die Möglichkeiten dazu schaffen. Sonst noch was?“ Er hatte seinen Mitarbeiter verschreckt, und der zog es vor, sich vorübergehend schweigend zu verhalten. „Colonel, da sehen Sie … wir fangen an, uns selbst nervös zu machen, aber …“ Ihm gefiel der Fall HTO auch nicht, aber was sollte er ohne Handhabe gegen diesen Industriegiganten ausrichten? Harry T. Orell machte ihm höchstens noch Feuer und sägte ihm die Beine des Sessels ab, auf dem er saß. „Colonel, weisen Sie alle großen Ortungsstationen an, besonders scharf auf HTO-Frachter und
deren Kurs zu achten. Vielleicht erwischen wir in kurzer Zeit doch mal einen Kahn auf nicht genehmigtem Kurs.“ „Sir, haben Sie auch von dem Gerücht gehört, die HTO-Schiffe würden über verbesserte DeGorm-Triebwerke verfügen, mit denen sie bis hinter den Pluto fliegen könnten?“ Wieder winkte der andere heftig ab. „Das habe ich schon vor zehn Jahren gehört. Kommen Sie mir nicht mit Gerüchten. Bis jetzt besitzt die Erde nur ein Raumschiff, das nicht von der HTO gebaut worden ist, mit dem man Pluto erreichen kann … Die INTERPLAN, und die hat sich die HTO unter den Nagel gerissen, und wir haben ihr auch noch dabei geholfen …“ Besonders vornehm drückte sich der Chef der Space-Police nicht aus, doch sein Colonel hatte volles Verständnis dafür. „Weisen Sie alle großen Ortungsstationen an, auf HTO-Schiffe zu achten. Auch die Stationen auf den Jupitermonden Ganymed und Kallisto sollen ihren Winterschlaf vorzeitig beenden …“ „Sir, die stehen doch mit Jupiter auf der anderen Seite der Sonne und können …“ „Was die technisch leisten können, ist auch mir bekannt, Colonel. Dennoch bestehe ich darauf, dass sie sich an der Raumüberwachung beteiligen.“ Damit war der Colonel entlassen. Die HTO und deren Frachter lagen ihm wie Blei im Magen. * Peet Orell blickte sich verwundert um, als er nach Tagen wieder einmal den gigantischen Triebwerksraum des Fremdschiffes betrat und sich erstaunt fragte, was man denn bisher ausgebaut habe. Er schaltete seinen Antigrav-Gürtel höher, übersprang ein fast haushohes, verkleidetes Aggregat und erreichte die Schleuse im oberen Polbereich des Schiffes. Von dort aus sah er zu, wie mittels kleiner, mobiler Triebwerke drei Aggregate zum nächsten Frachter hinübergeflogen wurden. Neben ihm tauchte ein Ingenieur auf, erkannte ihn und grüßte. „Kommen wir nicht schnell vorwärts?“, fragte er mit einem gewissen Stolz. Die Helmfunkverbindung war gut. „Und ich habe eben gedacht, hier sei noch gar nichts hinausgeschafft worden.“
Der Ingenieur lachte. „Mir ergeht es manchmal genauso, Sir, aber wenn ich mir vor Augen halte, wie viele tausend Tonnen wir schon nach Terra geflogen haben – und wie schwer dieses Rotmetall ist, wissen Sie so gut wie ich –, dann kann ich nur sagen, dass hier schnelle und gute Arbeit geleistet wurde. Aber eines, Sir … Ich möchte nicht zu den armen Teufeln gehören, die auf der Erde herausfinden sollen, welche Funktionsweise die einzelnen Aggregate haben.“ Arme Teufel hatte er diese Experten genannt, und im Stillen gab ihm Peet Orell Recht. „In etwa einem Monat wird auch der letzte Raum im Schiff durchsucht worden sein. Man sollte sich aber keine Hoffnung machen. Bisher wurde nicht ein einziger Gegenstand gefunden. Das Rätsel, warum und wie man das Schiff restlos leerte, ist in der letzten Zeit noch größer geworden. Nach meinen Informationen nimmt man sich in den nächsten Tagen das untere Drittel des Schiffes vor. Leider haben wir zu wenige Leute hier, um dieses Unternehmen beschleunigt zu beenden.“ Der Helmfunk quakte dazwischen, und der Ingenieur entschuldigte sich, beim Frachter benötigt zu werden. Über den Zentralschacht kehrte Orell zum Liegeplatz der PROMET zurück. Die Kontrolle in der Schleuse sagte ihm, dass der Hangar im Augenblick entlüftet war, und den Grund dafür erkannte er schnell. In der Zwischenzeit hatte ein Frachter vor der Außenschleuse angelegt, und man war dabei, ihn mit Hilfe von Arbeitsrobotern und einigen Monteuren zu entladen. Die Corporation hatte sich nicht kleinlich gezeigt, und manche Teile, die nur in einer Ausfertigung bestellt worden waren, lagen nun mehrfach vor. Der Stapel in der hinteren Ecke, der noch sortiert und gelagert werden musste, machte sich gut. Als Orell die frisch ausgeladenen Maschinenteile betrachtete, kam der Moraner zu ihm, der zufrieden grinste. „Alle Achtung, Peet, wie uns die HTO versorgt. Ich habe mich ein bisschen revanchiert …“ „Wie denn?“, fragte Orell überrascht.
Leichthin erwiderte Arn Borul: „Ich habe das Trennschneidverfahren etwas verbessert. Man kommt jetzt mit anderthalb Metern pro Sekunde Schnitt an der Außenwand unseres Kugelraumers weiter.“ Das war es wieder einmal. Als ob der Moraner seine technischen Verbesserungen einfach aus dem Ärmel schütteln würde! Aber gar nicht selten musste er zugeben, von bestimmten Dingen keine Ahnung zu haben, und dann berief er sich auf seine toten Kollegen, die auf diesen und jenen Gebieten Experten gewesen waren. „Arn, wie ist der Check des Triebwerkraumes verlaufen?“ „Gut, nur …“ Er machte eine kurze Pause. „Nur wissen wir, dass uns alle Tests nicht Endgültiges sagen können. Erst nach der nächsten Transition werden wir mehr wissen.“ „Dann könnten wir die PROMET klar zum Start machen? Hier sind wir doch überflüssig, und mir graust schon beim dem Gedanken, unser Depot einzurichten. Die Arbeit überlasse ich doch lieber den Robotern.“
8. Der Start der PROMET hatte sich dennoch um ein paar Tage verzögert, weil Harry T. Orell, der als einziger von dem Testflug der Raumyacht wusste, in einem Funkspruch darauf bestanden hatte, alle lebenswichtigen Funktionen des supermodernen Schiffes noch einmal zu testen. Erst wenn das geschehen war, würde er gegen den Flug, der in Richtung Alpha Centauri führen sollte, nichts mehr einzuwenden haben. Man hatte der Forderung des Konzern-Bosses nachgegeben, und nun stand die PROMET einige Kilometer vom Kugelraumer entfernt im Raum. Zu besprechen gab es nichts mehr. Dennoch knisterte die Luft in der PROMET vor Spannung. Nur der Moraner schien davon nicht berührt zu werden. Er strahlte wohltuende Ruhe aus. Mit den beiden Raumern und dem Arbeitskommando im Kugelschiff wurden über Funk die letzten Worte gewechselt, dann ließ Arn Borul die DeGorm-Triebwerke der PROMET anlaufen, und mit steigender
Beschleunigung trat die Yacht den Flug ins Unbekannte an. Die Besatzung wusste, dass diese Reise, die aus dem Sol-System hinausführte, in die Annalen der Raumschifffahrt eingehen würde, war die PROMET doch das erste terranische Schiff, das in den interstellaren Raum vorstieß. Vivien Raid hockte auf dem Reservesitz und hatte die Aufgabe übernommen, die Instrumente zu überwachen, deren Kontrolle durch die drei Männer nicht möglich war. „Arn, Massen-Ortung klappt nicht einwandfrei. Differiert um zwanzig Prozent …“ Der Moraner stieß einen Seufzer aus. Dann erbrachte er den Beweis dafür, dass er terranische Geschichte gepaukt hatte. „Eure terranischen Ortungsanlagen sind tiefstes Mittelalter … Vivy, ruf Tak an, der sich darum kümmern muss.“ Er wandte sich an Jörn. „Noch alles klar bei Ihnen, Callaghan?“ Warum sie beide sich noch siezten, hätten sie wahrscheinlich nicht sagen können. „Das thermodynamische Gleichgewicht zwischen Ortho- und ParaWasserstoff gefällt mir nicht. Hier …“ Er deutete auf ein ovales Instrument, das sieben Zeiger besaß. Sechs davon standen dicht vor dem Rotbereich. Der Moraner warf einen kurzen Blick darauf und murmelte dann: „Das werden wir gleich haben.“ Am komplizierten Steuerpult nahm er einige neue Einstellungen vor, und langsam setzten sich sechs leicht zitternde Zeiger vom Rotbereich ab. „Gleichgewicht kommt wieder …“, gab Jörn Callaghan kurz durch. Das Summen der Speicherbänke, der Transformer und anderer Aggregate im schallisolierten Triebwerksteil war lauter geworden und nun deutlich in der kleinen Kommando-Zentrale der PROMET zu hören. Eine Geräuschkulisse, die allen vertraut war und etwas Beruhigendes an sich hatte. Pino Tak meldete sich und behauptete, den Fehler an der Massen-Ortung beseitigt zu haben. „Stimmt“, sagte Vivien Raid nach kurzer Überprüfung. „Jetzt zeigt das Gerät die Masse des Fremdraumers wieder genau an. Was ist denn damit los gewesen, Tak?“ „Im zweiten Kreis arbeitete eine Tunnelode nicht mehr einwandfrei. Ich habe sie ausgewechselt.“ Der fünfte Bildschirm wurde umgeschaltet, weil vom Fremdraumer und den Lichtfingern der Frachter nichts mehr zu sehen war, und auf
das schimmernde Band der Galaxis ausgerichtet. Diesem Sternenmeer aus Milliarden Sonnen flog die PROMET als erstes irdisches Schiff entgegen. Vor ihnen lag der Abgrund aus Zeit und Raum, aber die Insassen der Yacht hatten dafür kein Gefühl. Szer Ekka meldete sich. Einen besseren Astronavigator, der dazu auch noch auf anderen Astro-Gebieten Experte war, hätte Peet Orell nicht finden können. „Mr. Borul, wir liegen bei Grün nicht genau auf geplantem Kurs. Auf 89:03: gehen … Ja … Dreizehn – zwölf – elf … Kurs stimmt jetzt. Ende.“ Die Zeit verging, und die PROMET beschleunigte ununterbrochen. Pluto, die Eiskugel des Sonnensystems blieb immer weiter hinter ihnen zurück und war längst nicht mehr auszumachen. Irgendwo vor ihnen leuchtete Alpha Centauri, die Sonne, die dem solaren System am nächsten Stand und dennoch 4,3 Lichtjahre entfernt war. Noch vor einem Jahr konnten die Menschen nur davon träumen, einmal Alpha Centauri aus der Nähe zu sehen oder sogar ins System einzufliegen. Nun stand dieser Traum vor der Realisation. „Ich lasse das Sprung-Triebwerk anlaufen …“ Es klang so, als ob der Moraner gesagt hätte: Ich gehe essen. Ein halbes Hundert Instrumente wurde aktiv. Das Dröhnen aus dem Triebwerksteil wurde lauter. Der Bordcomputer übernahm die PROMET. „X-Zeit läuft …“ Peet Orell drückte seine Zigarette im Aschenbecher auf seiner Instrumentenkonsole aus und schnallte sich an. „Für alle Fälle …“, hatte Arn Borul vor einer Minute gesagt. Traute er seinem Transitions-Triebwerk immer noch nicht hundertprozentig? X minus 300 … „Energieverbrauch normal …“, meldete Pino Tak. Bei X minus 250 lief die Meldung aus der Funk-Z ein: „Bekommen Peilton vom Fremdraumer klar herein …“ Nur Ekka meldete sich nicht, obwohl er es bei minus 200 hätte tun sollen. Sein Schweigen hieß, dass die PROMET genau auf Kurs lag. Alpha Centauri war ihr Zielstern. Bei X minus 60 jagte die Spannung im Schiff hoch.
Die Sekunden bis Null schienen dahinzurasen … noch schneller abzulaufen, als die PROMET in das unendliche All gestoßen wurde. Von den fünf Bildschirmen leuchtete das Sternenmeer in die Zentrale. Einer der Lichtpunkte war die Sonne Alpha Centauri. X minus zehn … Die Sprunggeschwindigkeit war fast erreicht. Und dann … X minus Null! Der Ort, an dem sich gerade noch die Raumyacht PROMET befunden hatte, war leer. * Der Traum trieb sie nach oben, ganz langsam, und trug Farben heran, unvorstellbar schöne, leuchtende Farben. Farben, die es so grell in der Natur nicht gab. Und das war kein Wunder, denn die Farben kamen aus dem Nichts und blieben im Nichts des Traums. Aber der Raum war auch schräg. Schräg wie eine Rampe mit sanfter Steigung. Und die Rampe war unendlich lang. Sie schien weder Anfang noch Ende zu besitzen. Darauf trug sie der Traum nach oben. Langsam, mit Verzögerung. Warum auch schnell? Im Traum gibt es die Zeit nicht. Aber sie lief wieder, als sie nacheinander die Augen aufschlugen, sich fragend anblickten und sich zulachten, weil sie sich pudelwohl fühlten. Nur der Moraner lachte nicht. Er ignorierte, dass in ihm die Euphorie langsam abklang. Er kannte dieses Auftauchen aus der Tiefe eines Traums nicht, der voller leuchtender Farben gewesen war. Mit dem Triebwerk der PROMET stimmte noch immer etwas nicht. Transitionen mit der TIRA hatten ihnen ein Blitz durch den Körper gejagt und einen grellen Schmerzstoß dazu. Beides war eben nicht geschehen. Schweigend schauten die anderen zu, was er machte. Er befragte den Computer. „Vier Sekunden hat unser Traum gedauert. Vier Sekunden benötigen wir, um das Bewusstsein wiederzuerlangen …“ „Was gefällt dir daran nicht, Arn?“, fragte Peet Orell. „Auf der PROMET ist bei einer Transition alles anders, als auf der TIRA!“, erwiderte er heftig. „Ganz anders …“ Jörn Callaghan musste den Humanoiden an eine bestimmte Stelle erinnern. „Borul, Sie haben vergessen, dass Sie nicht mehr derselbe
Mann wie auf der TIRA sind. Nach ihrem Absturz wurden Sie im Bereich des Sehens und Hörens – wenn ich mich so ausdrücken darf – umgeschaltet, damit sie genau dieselben Sinneseindrücke wie wir erhielten. Ich glaube, das müssten Sie bei der Beurteilung oder bei Ihren Vergleichen berücksichtigen.“ „Callaghan, Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. Okay, im Bereich des Sehens und Hörens wurde ich umgeschaltet, aber mein Gefühlsleben nicht. Und das ist hier Vergleichsmaßstab gewesen … Verdammt noch mal, dieses Auftauchen aus dem Nichts nach erfolgter Transition …“ Er atmete hastig. „Haben wir überhaupt eine Transition durchgeführt?“ Das Aussehen der Milchstraße auf den Bildschirmen hatte sich kaum verändert. Ringsherum war fast alles geblieben wie zuvor. Orell setzte sich mit ihrem Astronavigator in Verbindung. „Ich bin noch dabei, unseren Standort zu berechnen, Mr. Orell. Ich melde mich sofort, wenn die Koordinaten vorliegen …“ Pino Tak hatte sich dazwischen geschaltet und verlangte den Moraner zu sprechen. „Mr. Borul, ich komme hier nicht klar. Wir haben von einem Moment zum anderen achtundvierzig Prozent der Energie aus den Speicherbänken verloren. Achtundvierzig Prozent, Mr. Borul!“ Diese Meldung alarmierte auch die anderen. Was war im Triebwerksraum geschehen? Wieso konnte diese gewaltige Energiemenge verschwinden? Der Moraner hielt die Hand vor die Augen und dachte angestrengt nach. „Tak, ich kann Ihnen im Moment noch nichts sagen. Zuerst müssen mir die Koordinaten der PROMET vorliegen. Dann schauen wir, ob wir in Ihrem Fall weiterkommen.“ Er schaltete ab, überflog die wichtigsten Instrumente, warf den Bildschirmen einen Blick zu und knurrte dann wieder einmal über die miesen terranischen Ortungs-Anlagen. „Warum haben Sie denn nie den Versuch unternommen, uns moranische Ortungsgeräte zu bauen?“, fragte Callaghan provozierend. „Weil ich davon keine Ahnung habe. Auf der TIRA war Pare Mint unser Experte für Ortungen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man sogar auf der PROMET in mir ein Wundertier sieht, dabei bin ich nichts anderes als ein ganz normaler Moraner, der nur das Pech
hatte, in die Hände eines Lehrers zu geraten, der aus mir etwas Großes machen wollte. Ich glaube, dass es dem lieben Thosro Ghinu nicht gelungen ist, sonst hätte ich wenigstens ein ordentlich funktionierendes Transitions-Triebwerk gebaut.“ Die Proteste der anderen ließ er nicht gelten. „Woher kommt der hohe Energieverbrauch, Peet? Oder können Sie es mir sagen, Callaghan? Ich weiß es nicht. Ich kann es mir nicht einmal erklären …“ „Ist damit die Gefahr gegeben, nicht mehr zurückzukommen, Arn?“ Er sah Vivien Raid aus seinen schockgrünen Augen erstaunt an. „Wie kann man nur so etwas denken, Vivy? Unsere Konverter sind vor dem Start frisch beschickt worden, und in wenigen Stunden sind unsere Speicherbänke wieder randvoll …“ Ekka stürmte herein. Er schwenkte mehrere Folien und legte einen Elan an den Tag, den man bei diesem Mann nicht gewohnt war. „Wir sind über zwei Lichtjahre tief in den interstellaren Raum gesprungen!“ Im nächsten Augenblick war er von Peet Orell, Jörn Callaghan und Vivien Raid umringt. Nur Arn Borul hatte keine Anstalten gemacht, seinen Sessel zu verlassen. Götter Morans, dachte er, was sind schon zwei Lichtjahre? Das ist doch eine Distanz, über die es sich nicht zu sprechen lohnt. „Nein, nein“, hörte er Ekka sagen, „ich habe keinen Fehler begangen, aber unsere Ortungstechnik ist im interstellaren Raum kaum noch zu benutzen …“ „Jetzt fangen Sie auch noch damit an“, machte ihm Peet den leichten Vorwurf, während der Astronavigator keine Ahnung hatte, wer vor ihm schon über die terranischen Ortungen gemeckert hatte. „Aber sie sind ja kaum zu verwenden, Mr. Orell, sonst müsste ich doch in der Lage sein, angeben zu können, ob die PROMET 2,3 oder 2,5 Lichtjahre weit gesprungen ist. Und eine Differenz von 0,2 Lichtjahren … na, ich weiß nicht, ob das nicht gelegentlich mal ins Auge gehen könnte und ein Raumschiff in einer Sonne rematerialisiert.“ Was ist nur mit ihnen los? fragte sich Arn Borul, als er feststellte, dass niemand auf Ekkas Hinweis einging. Auch Peet Orell hatte sich anstecken lassen und fragte nun zum dritten Mal, ob auch exakt
feststünde, dass die Yacht eine Transition von 2,3 Lichtjahren hinter sich gebracht habe. „Mr. Orell, 2,3 Lichtjahre haben wir geschafft, und Alpha Centauri liegt um diese Distanz näher, immer noch genau vor uns. Aber sie wollen doch damit nicht sagen …?“ Dem Astronavigator war in diesem Augenblick ein ungeheuerlicher Verdacht gekommen. „Mr. Orell, Sie wollen doch damit nicht andeuten, dass wir versuchen, Alpha Centauri zu erreichen?“ Im Kommandoraum der PROMET konnte man die berühmte Stecknadel fallen hören. Wie ein Verzweifelter blickte der kleine Astro-Experte sie der Reihe nach an, auch den Humanoiden, der sich langsam aus seinem Kontur-Schwenksessel erhob und zu der Gruppe hinter den Bordkonverter trat, der den Kommandoraum separat mit Energie versorgte. Er legte Ekka die Hand auf die Schulter, blickte ihn aus seinen schockgrünen Augen an und sagte: „Wir werden Alpha Centauri nicht anfliegen, weil ich es mit unserem Sprungtriebwerk nicht verantworten kann.“ Als ob Weltraumkälte in das Innere der PROMET eingebrochen wäre und alle erstarrt seien, so standen sie und blickten den Moraner an. Peet Orell war der erste, der sich wieder fing. „Aber … aber wir müssen doch wieder zurück! Wir müssen doch transitieren, Arn!“ Der gab darauf keine Antwort, durchquerte die Zentrale und verschwand. Pino Tak wunderte sich nicht über sein Auftauchen im Triebwerksraum. „Was ich als erstes benötige, Tak, das sind die Diagramme vor und nach der Transition. Ach, da liegen sie ja …“ Er nahm neben Tak in dem kleinen, spartanisch eingerichteten Raum Platz, zog die Diagramme heran und studierte sie. Eine Kurve hatte Tak schon mit dem Rotstift gekennzeichnet, und Arn Borul gefiel sie auch nicht. „Was hat das zu bedeuten, Tak?“ Der zuckte die Schultern und blieb stumm. Ein TransitionsTriebwerk war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. „Tak, rufen Sie zur Zentrale durch. Ich benötige die Computerkontrolle …“
Daraus wurden vier Stunden intensiver Arbeit. In der Zwischenzeit raste die kleine, supermoderne Raumyacht immer tiefer ins All hinein, aber die Milchstraße schien ihnen um nichts näher zu kommen. Peet Orell, Jörn Callaghan und Vivien Raid waren sich einig, den zweiten Sprung in Richtung Alpha Centauri trotz des hohen Energieverbrauches zu wagen. Ihre Weltraumsüchtigkeit war spontan wirksam geworden, und alle drei ließen ein Wenn und Aber nicht gelten. „Peet, du bist doch der Eigner und Kommandant der PROMET!“, streute Vivien Gift in das Gespräch. Der junge Mann mit dem Wikinger-Gesicht schüttelte den Kopf. „Vivy, mit solchen Karten wollen wir doch nicht spielen. Ohne Arn wären wir nie so tief in den interstellaren Raum gekommen, und gegen Arns Rat werde ich nicht darauf bestehen, den Flug nach Alpha Centauri fortzusetzen. Wohl werde ich versuchen, ihn umzustimmen, doch die Tatsache, dass ich Eigner der Yacht bin, werde ich nicht ins Gespräch bringen.“ „Also Umkehr! Zurück zum schönen Fremdraumer. Nur gefällt mir das wirklich nicht.“ Ihr Gespräch verklang. Nacheinander suchten sie die Messe auf. Nur Arn kam nicht. „Keine Zeit!“, hatte er durch Pino Tak mitteilen lassen. Die PROMET schien im lichtlosen Dunkel des Universums still zu stehen. Unverändert hart leuchteten die Punktspitzen von Abermilliarden Sonnen, und Sol, die Lebensspenderin der Erde, gehörte auch dazu. Sie war eine von vielen geworden. Zwei Komma drei Lichtjahre sind wir von unserem System entfernt, dachte Peet Orell, der vor den Bildschirmen der kleinen Zentrale saß und sie betrachtete. 2,3 Jahre benötigt das Licht von der Stelle aus, an der wir uns im Moment befinden, um die Erde zu erreichen. Zwei Jahre und vier Monate! Und sie hatten diese Distanz in Nullzeit zurückgelegt. Die PROMET und alles, was sich darin befand, war entmaterialisiert und durch das Parakon geschleudert worden, um mit der Rückkehr ins Normalgefüge wieder zu rematerialisieren und existent zu sein. Moranischer Technik hatten sie es zu verdanken – und einem
Moraner. Dem einzigen, dem es gelungen war, Schedo, den hellen Planeten, zu erreichen. Hinter Orells Rücken klangen Schritte auf. Arn Borul kam aus dem Triebwerksraum zurück. Wortlos nahm er neben Peet Platz. Sein Blick flog über die Bildschirme, dann nahm er den Partner an seiner Seite ins Visier. „Was habt ihr beschlossen, Peet?“ Der inhalierte, stieß den blauen Dunst zur Decke und schaute der Rauchwolke nach, die sich langsam auflöste. „Arn, du hast das Sprung-Triebwerk getestet. Du allein. Nicht wir. Und nun, mein Lieber?“ „Ich habe keinen Anhaltspunkt gefunden, warum wir soviel Energie aus den Speicherbänken verloren haben. Ich weiß nur, dass die spurlos verschwundene Energiemenge für einen Sprung über zweihundert Lichtjahre ausgereicht hätte. Du kannst dir also vorstellen, dass ich es kaum wage, noch an Alpha Centauri zu denken …“ „Aber so oder so, Arn … wir müssen transitieren. Wir erreichen Pluto nur in einer Transition, oder der Raum hält uns für Jahre fest. Und ob das die PROMET durchhält, wage ich zu bezweifeln. Gehen wir eigentlich ein größeres Risiko ein, wenn wir statt zum Pluto zum Alpha Centauri-System springen? Die verlorene Energie schaffen wir mit unseren Konvertern in ein paar Stunden wieder heran.“ „Was sagen Jörn Callaghan und Vivy? Was Gus Yonker und Szer Ekka? Die Besatzung muss doch auch gefragt werden, Peet.“ Orell stutzte, musterte den Humanoiden. „Soll das heißen, dass du …?“ Arn Borul nickte. „Wenn alle einstimmig dafür sind, Peet …“ Bei dem Inhaber der Großen Lizenz für Raumschiffe brach das Verantwortungsgefühl durch. „Arn, während du bei Tak stecktest, habe ich mich mit Ekka unterhalten. Wir haben hin und her gerechnet, zig Male die gleichen Messungen wiederholt, aber wir konnten nicht exakt feststellen, wie weit der Sprung der PROMET tatsächlich war. Die Differenz von 0,2 Lichtjahren bleibt. Könnte diese Tatsache nicht die Gefahr mit sich bringen, dass wir beim folgenden Sprung in der Sonne Alpha Centauri rematerialisieren?“
„Diese Möglichkeit ist unwahrscheinlich klein; noch kleiner, als mit einem Meteor im freien Raum zu kollidieren. Im Sprung sehe ich keine Gefahr, aber was wird, wenn wir bei der nächsten Transition zu hundert Prozent die Energie aus den Speicherbänken verlieren?“ Peet Orell krauste leicht die Stirn. „Benötigen wir eigentlich alle Speicherbänke zur Transition, oder können wir nicht ein paar abschalten, sozusagen als stille Reserve?“ Der Moraner brauchte nicht zu überlegen. „Daran habe ich nicht gedacht. Okay, wir können die Bänke 3, 6 und 7 abschalten und durch Computersteuerung wieder ans Versorgungsnetz hängen, sowie wir aus der Transition heraus sind. Damit ist gewährleistet, dass die wichtigsten Funktionen des Schiffes aktiv bleiben.“ Der Flug nach Alpha Centauri fand doch statt. Holger Racks war ahnungslos, als er den langen Folienstreifen aus dem Gravitations-Manometer in den Auswerter schob. Er stopfte in genüsslicher Ruhe seine Pfeife, blickte dabei durchs Fenster zum Jupiter hoch, der als Riesenkugel am Himmel über Kallisto stand, und dachte dabei an seinen Urlaub, den er in vier Tagen antreten würde, um ihn auf Terra zu verbringen. Mit Hin- und Rückflug würde er den großen Jupitermond für mehr als zwei Monate nicht mehr sehen, und diese Tatsache bereitete ihm eine unbeschreibliche Freude. Auf der Erde mal wieder spazieren zu gehen, egal, ob die Sonne schien oder ob es regnete, und im Meer zu baden, wenn es nicht zu sehr verschmutzt war, oder einen ordentlich hinter die Binde zu gießen, das aber am liebsten in Europa, wo es immer noch das beste Bier gab. Holger Racks ging ganz in seinen Träumereien auf und vergaß darüber, seine geliebte Pfeife in Brand zu setzen. Scheußliches Rasseln riss ihn aus seiner herrlichen Traumwelt, und verdutzt blickte er den Auswerter an, der diese hässlichen Geräusche von sich gab. Und wie grell die Rotkontrolle flackerte. „Was ist denn da los?“, murmelte der leicht verstörte Holger Racks, legte die Pfeife zur Seite und beugte sich über den Auswerter, der neben seinem Schreibtisch stand. Die Augen des Mannes wurden unnatürlich groß, als er auf den blau leuchtenden Schirm blickte und ein Zeichen entdeckte, das er schon einmal gesehen hatte. „Mein Gott, schon wieder …?“
Er drückte mit zitternder Hand den Knopf, bekam die Verbindung und verlangte die große Funkstation Kallisto 3, die sich prompt meldete. „Hier Seleno-Institut Martin Bode, Holger Racks, können Sie mich sofort mit Ganymed, Seleno-Institut Biszra verbinden?“ „Wer zahlt?“, fragte man unbeteiligt zurück. „Wir natürlich. Haben wir bei Ihnen keinen Sol Kredit?“ „Ihren Namen noch einmal. Bitte, buchstabieren Sie.“ Den Gefallen tat Holger dem anderen auch. Dann wartete er und blickte den bläulich leuchtenden Schirm am Auswerter an. Er hatte längst begriffen, warum das Gerät bei der Auswertung des Folienstreifens an einer bestimmten Stelle Alarm geschlagen hatte. Das Seleno-Institut Biszra auf Ganymed meldete sich. Dort klappte es mit den Querverbindungen nicht, und teure fünf Minuten vergingen, bis Racks mit dem zuständigen Kollegen sprechen konnte. „Nein, Racks, wir werten erst in drei Stunden aus …“ Der unterbrach den anderen. „Tun Sie’s sofort! Sie werden Ihr blaues Wunder erleben. Wir haben mal wieder einen Schwerkraftstoß in unserem Sonnensystem angemessen. Um genau 14:22:06 Uhr Terra-Standardzeit hat unser Gravitations-Manometer für einen Sekundenbruchteil ausgesetzt... – Ja! Diese irre Amplitude ist deutlich bei uns auf dem Schirm zu sehen. – Rufen Sie mich an, wenn Sie ausgewertet haben?“ Der andere versprach es, aber Holger Racks Elan ließ es nicht zu, dass er untätig wartete. Er setzte sich mit seiner Direktion in Verbindung, denn die Gespräche mit dem Mars, der Venus und der Erde wollte er sich selbst doch nicht genehmigen. „Sie können die Gespräche führen, Mr. Racks, aber erst dann, wenn Ganymed Ihre Beobachtungen bestätigt hat.“ Und Ganymed bestätigte sie. Drei Stunden später hatten die Experten wieder ihre Sensation. Und sie wurde noch größer, als sämtliche Vergleichswerte von allen Planeten und Monden vorlagen. Reeder, der Chef des Astro-Instituts Space Labs in Rio hatte seinen Mitarbeitern die Unterlagen projiziert, und man saß nun in einer lebhaften Diskussion zusammen, die immer wieder durch Gespräche, die rund um den Erdball kamen, unterbrochen wurde.
Das Bild zeichnete sich deutlicher und deutlicher ab. Um 14:22:06 Uhr war das Sonnensystem von einem Gravitationsstoß von bisher nie erlebter Stärke getroffen worden, und alle aufgestellten Gravitations-Manometer hatten diesen Stoß zur selben Zeit registriert, indem sie einfach ausgefallen waren. „Mr. Reeder, da muss jemand gefährliche Gravitationsexperimente machen. Vielleicht hat dieser Jemand … Mein Gott, wenn das wahr wäre …?“ Reeder war nicht in der Stimmung, Rätsel zu lösen, darum fauchte er seinen Mitarbeiter an: „Sprechen Sie sich doch aus! Lassen Sie keine unvollständigen Bemerkungen in der Luft hängen!“ „Mr. Reeder“, sagte der Wissenschaftler und fühlte die Blicke seiner Kollegen auf sich ruhen, „wenn es nun jemanden gelungen ist, mit Prom Eggers letzten drei Formeln zu arbeiten?“ Sie sind doch verrückt! wollte Reeder dem anderen zurufen und bremste sich selbst im letzten Moment, denn so verrückt hörte sich das doch gar nicht mehr an. Die Eggersschen Formeln! Bis zum heutigen Tag hatte kein Wissenschaftler damit etwas anfangen können, weil sie nicht zu verstehen waren. Weil sie die einzigen Formeln waren, zu denen Prom Eggers die Gegenkontrolle nicht auch mitgeliefert hatte. „Hoffentlich haben Sie den Teufel nicht an die Wand gemalt …“ Die Diskussion kam aus den Unterbrechungen nicht mehr heraus. Die Luna-Grav-Station wollte unbedingt mit Reeder sprechen, und dazu musste er den Nebenraum aufsuchen. Vier Minuten später kam er, leicht blass, wieder zu seinen Mitarbeitern zurück. „Luna-Grav hat eben den Funkspruch eines Forschungsschiffes erhalten, das sich zwischen Jupiter und Uranus befindet. An Bord waren um die fragliche Zeit drei Gravitations-Manometer in Tätigkeit. Unter anderem das moderne Poer-Gerät. Es ist als einziges nicht ausgefallen, sondern hat den Stoß exakt aufgezeichnet. Hier … ich habe versucht, eine Skizze von dem Blip zu machen. Sehen Sie sich das an, Gentlemen.“ Die Folie mit der Skizze wanderte von Hand zu Hand. Die Beurteilung war einstimmig. „Gentlemen, wenn es keine Schwerkraft-Amplitude ist, was ist es dann?“ Reeders Frage blieb im Raum stehen.
„Experimentiert man doch mit den drei Eggersschen Formeln?“ Ein ergrauter Experte schüttelte den Kopf und brummte ziemlich deutlich: „Wir sind bereit, alle Gravitationskenntnisse über den Haufen zu werfen, Gentlemen, ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass die Gravitationskonstante unveränderlich ist …“ „Sein soll … sein soll, Kollege!“, rief ihm ein Mittdreißiger aggressiv zu. „Wer möchte sich zusammen mit mir mit den drei letzten Formeln von Prom Eggers beschäftigen?“ Niemand meldete sich. Chef Reeder hatte dafür Verständnis, denn er verspürte auch keine Lust, nutzlos die Zeit zu vergeuden, und diplomatisch wie er manchmal sein konnte, sagte er seinem Mitarbeiter, der sich an den Formeln die Zähne ausbeißen wollte: „Kollege, ich glaube nicht, dass wir Ihnen für diese Arbeit einen Computer zur Verfügung stellen können.“ Damit war der Vorschlag schon begraben. Und dann fiel der Name PROMET. Reeder dachte an Harry T. Orells 25-Millionen-Sol-Spende, die mit der Auflage verbunden war, in Richtung auf den Ringnebel der Leier nach einer Sonne vom Typ W zu suchen. Die PROMET gehörte Harry T. Orells Sohn Peet und sie stand im Verdacht, damals vor der Marsbahn den ersten angemessenen Schwerkraftstoß ausgelöst zu haben, der überall gleichzeitig im Sonnensystem registriert worden war. Gegen seine Überzeugung warf er ein: „Wir haben damals unseren Verdacht nicht bestätigen können, und wir wollen nun nicht ins Blaue hinein Vermutungen anstellen …“ „Sir, vielleicht kann uns die Space-Police sagen, wo sich die PROMET im Moment befindet.“ Die Space-Police konnte keine Auskunft geben. „Wir haben seit Wochen keine Ahnung, wo sich die Yacht befindet. Wir wissen nur aus zuverlässiger Quelle, dass die HTOCorporation sie nicht vermisst.“ Reeder machte der nutzlosen Diskussion ein Ende. „Gentlemen, wir kommen wegen des Schwerkraftstoßes erst dann wieder zusammen, wenn neue Erkenntnisse vorliegen.“ Wohl war ihm bei dieser Entscheidung nicht, und dann, als er allein im Besprechungsraum stand, ertappte er sich dabei, an die Raumyacht PROMET zu denken, und auch daran, dass sich
unbestätigten Gerüchten zufolge an Bord des Raumschiffes ein Außerirdischer befinden sollte. Plötzlich schlug sich Reeder gegen die Stirn. Wie Schuppen war es ihm von den Augen gefallen, und eine Sache hatte er nun endlich durchschaut. Er wusste nun, warum sein Institut Space Labs nach einer Sonne vom Typ W suchen sollte! Die Heimatwelt des Fremden drehte sich unter einer Sonne, die Ähnlichkeit mit Gamma im Sternenbild des Schiffes Argo hatte. „Und Orell lässt sich die Suche 25 Millionen Sol kosten? Da steckt doch mehr dahinter! Der schmeißt doch sonst keine Millionen zum Fenster hinaus … Der Außerirdische … die Orell-Spende … die PROMET vor der Marsbahn und der erste Schwerkraftstoß … und nun der zweite. Großer Himmel, stellt man irgendwo zwischen den Planeten Experimente an, die das gesamte System im Bereich der Gravitations-Konstante erschüttern?“ Reeder fühlte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. „Verdammt“, fluchte er dann, als er begriff, dass ihm 25 Millionen Sol die Hände gebunden hatten. Er konnte seine Erkenntnisse nicht einmal an die Wissenschaftler anderer Institute weitergeben. Oder konnte er es doch? * Im Sperrbezirk der HTO-Corporation hatte man andere Sorgen, und einen Teil davon hatte Harry T. Orell zu tragen. Mit seinem Entschluss verschaffte er dem kleinen Kreis der Eingeweihten Luft, die nicht mehr wussten, wie sie im Schutz der Dunkelheit die Frachter, die aus dem Bereich Pluto gekommen waren, entladen sollten. „Frachter auch am Tag entladen, aber nicht im Freien, sondern in Halle F-6!“, war Harry T. Orells knappe Order. Wenige Stunden nach dieser Anordnung überraschte er seine leitenden Ingenieure mit einer weiteren Order. „Ladies und Gentlemen, alle unsere Schiffe, die wir auf Kurs Pluto schicken, haben ab sofort eine bestimmte Menge Marsonerz mitzuführen. Der Spaß kostet uns einiges, aber er zahlt sich sofort aus, wenn es irgendjemand gelingen sollte, in unseren Sperrbezirk einzudringen. Hoffentlich entdeckt ihn unser Werkschutz früh genug, und die Frachtbesatzung kann alarmiert werden, um das
mitgeführte Marson auszuladen. Und das Erz in seiner unverkennbaren Farbe wird wohl ausreichen, um den Schnüfflern Sand in die Augen zu streuen.“ „Sir“, gab eine der Ingenieurinnen zu bedenken, „das belastet aber das Budget der HTO außerordentlich.“ „Das dürfte wohl mehr meine Sorge sein, Ladies und Gentlemen. Veranlassen Sie alles.“ Kurz darauf hielt ihn die elektronische Sicherung vor dem Sperrgebiet auf. Zwei stationäre Roboter forderten ihn auf, nicht näher zu kommen. Der Besitzer der größten Raumschiffswerft der Welt kam der Anordnung nach, schob seinen Ausweis aus Spezialfolie in den Schlitz der Kontrolle und wartete ab. „Prints-Vergleiche“, sagte die Roboterstimme, und Harry T. Orell legte die rechte Handfläche auf die milchige Scheibe über dem Schlitz. Sein Ausweis fiel in den Auffangkorb, und die Robotstimme war erneut zu hören. „Identifiziert. Sie können passieren.“ Hinter dem Hauptportal zu den Test-Labs wurde er noch einmal angehalten, und obwohl ihn die beiden Werksschutzbeamten kannten, hatte er sich wiederum auszuweisen und seine Fingerabdrücke kontrollieren zu lassen. Erst von diesem Moment an konnte er sich in dem langen, achtgeschossigen Trakt frei bewegen. Und dann stand er bei den Experten, die hinter dem Pluto von einem Demontageingenieur arme Teufel genannt worden waren. Niemand begrüßte ihn. Er hatte diese Sitte selbst eingeführt. Wer angestrengt geistig arbeitete, sollte nicht durch unwichtige Gesten aus dem Konzept gebracht werden. „Endstufe einschalten …“ Ein Konverter aus dem Fremdraumer, den man in mühsamer Arbeit auseinander genommen und dann wieder zusammengebaut hatte, wurde getestet. „Hochfahren …!“ Die beiden Techniker auf der Bühne sprangen ab und unterliefen die zwanzig Zentimeter dicke Scheibe aus transparentem Thirr-Glas, das praktisch unzerstörbar war. Langsam schob sich die Scheibe aus der Decke und setzte dann mit einem dumpf klingenden Stoß auf dem Boden auf. „Konverter 3 fährt hoch!“
Neben dem Chefingenieur blieb der Konzernboss stehen, stellte aber keine Frage. Der Versuch lief. Hinter der Instrumentenwand tickten Relais, wurden Kontakte geschlossen und aufgehoben. Zitternde Nadeln bewegten sich über farbige und graue Skalen. Auf Oszillos erschienen Amplituden. Zwei Computer waren nichts anderes als Sicherungen, die jeden Zwischenfall zu verhindern hatten. Zählwerke verschiedenster Konstruktionen hielten die Leistungsabgabe des Energieerzeugers fest, der von einer unbekannten Rasse geschaffen worden war. „Maximum erreicht …!“, kam die Meldung durch. Mehr als dreißig Ingenieure und Techniker verfolgten vor der Instrumentenwand die Anzeigen der Messgeräte. Hier und da war Kopfschütteln zu sehen. Da fühlte der Chefingenieur den fragenden Blick seines Bosses auf sich ruhen. „Sir“, sagte er halblaut, um mit seinem Bericht nicht zu stören, „Sie werden gleich verstehen, warum Sie noch keinen Bericht erhalten haben. Und Sie werden auch verstehen, warum einige meiner Mitarbeiter immer wieder den Kopf schütteln. Sir, was man uns da zur Erde gebracht hat, ist phantastisch. Ach, was sage ich! Der Ausdruck phantastisch trifft nicht den Kern der Sache. Wir testen gerade den dritten Konverter. Einer ist wie der andere, aber wir haben immer noch nicht begriffen, warum sie diese unvorstellbar hohe Leistung bringen, und das Konstruktive birgt noch manches Rätsel, das gelöst werden muss.“ So viele Einzelheiten wollte der Chef der Corporation gar nicht wissen. „Können wir sie nachbauen?“ Ein Strahlen lief über das Gesicht des hageren Chefingenieurs. „Das ist ja gerade das Verblüffende, Sir! Diese Konverter sind in ihrer Konstruktion so einfach angelegt, dass es uns ein Rätsel ist, warum sie so viel leisten. In Abteilung 134 baut man gerade aus eigenen Mitteln einen Konverter, den ich Ihnen gerne zeigen möchte.“ Er ahnte nicht, was hinter Harry T. Orells Stirn vor sich ging. Der Chefingenieur war enttäuscht, als sich sein Boss für den ersten Eigenbau nicht begeistern konnte, sich aber für die Kosten interessierte, die für den Energieerzeuger veranschlagt worden waren.
„Wenn man ihn in Serie herstellt … in einer Großserie von zehntausend Stück … wie hoch würde dann der Stückpreis liegen?“ Das konnte ihm in der Abteilung 134 niemand sagen. Darum tauchte Orell in der Kalkulation auf, gab die Unterlagen, aus denen ein Uneingeweihter nichts entnehmen konnte, ab und verlangte, bis zum Schichtwechsel die Preise auf seinem Schreibtisch liegen zu haben. Kurz vor 18 Uhr reichte sie ihm seine Chefsekretärin, Eleni Demetrios, herein. „Sir, ein Mr. Reeder vom Astro-Institut in Rio hat schon ein paar Mal versucht, Sie zu sprechen.“ „Ist das der Mann, dem wir die 25 Millionen Sol übergeben haben, damit er … na, Sie wissen schon, Eleni …“ „Ja, Sir …“ „Ich habe keine Zeit für ihn, es sei denn, seine Mitarbeiter hätten diese W-Sonne im Gebiet des Ringnebels der Leier gefunden.“ Die 45jährige Frau griechischer Abstammung, die schon seit mehr als zwanzig Jahren für die HTO arbeitete hatte verstanden, wie sie sich Mr. Reeder gegenüber zu verhalten hatte und verließ leise Orells großen Arbeitsraum. Der Konzernboss hatte sich in die Kalkulation vertieft. „Donnerwetter!“, entfuhr es ihm, als er den Stückpreis las, und vor seinen Augen tauchte das größte Geschäft auf, das die HTO jemals gemacht hatte. Milliarden rollten auf die Corporation zu. Allein das Geschäft mit den Konvertern machte den Einsatz hinter Pluto zehnmal bezahlt, und das binnen weniger Jahre. Und die Konverter aus dem Raumschiff waren ja nur ein Aggregat. Zahlreiche weitere Geräte warteten darauf, demontiert zu werden. Dass jeder Fund, der hinter dem Pluto gemacht wurde, ein geschäftlicher Volltreffer sein würde, erwartete Harry T. Orell nicht, aber selbst für ihn war es beruhigend, jetzt schon zu wissen, dass er das Geld gut angelegt hatte. Eine Großserie von zehntausend Konvertern, die vor allen Dingen völlig wartungsfrei arbeiteten und damit allein schon ein Novum darstellten, musste sich spielend leicht innerhalb eines Jahres verkaufen lassen. In der Zwischenzeit würde es seinen Experten bestimmt gelingen, die Funktion von diesem und jenem anderen Aggregat ebenfalls zu erkennen, um es dann nachzubauen.
Ausgereifte Aggregate, die keine Reklamationen erwarten ließen! Und der eiskalte Harry T. Orell rieb sich in Gedanken die Hände. * Wieder trug sie ein Traum zur Oberfläche, und abermals war der Traum von unwirklich hellen und leuchtenden Farben begleitet. Die Rampe gab es auch. Drei Minuten und achtunddreißig Sekunden hatten sie dieses Mal benötigt, um nach der Transition das Bewusstsein wiederzuerlangen. Der vorprogrammierte Computer hatte störungsfrei gearbeitet und sofort mit dem Wiedereintauchen in das normale Raum-Zeit-Gefüge die Speicherbänke 3, 6 und 7 an die Versorgung geschaltet. Sie sahen über die Bildschirme der Zentrale Alpha Centauri! Sie waren die ersten Menschen, die ein fremdes Sonnensystem erreicht hatten. Als Scheibe stand eine tiefgelbe Sonne, etwas kleiner als Sol und auch um 1500 Grad kälter, im nachtschwarzen Raum. Alpha Centauri! Es hatte sie gepackt, und niemand wagte die Stille zu durchbrechen. 4,3 Lichtjahre lag ihr Heimatsystem hinter ihnen. Eine Ewigkeit trennte sie von der Erde. Arn Borul störte sie nicht. Er konnte die Terraner verstehen, aber sie mussten auch begreifen, dass ihm der Anblick einer fremden Sonne kaum noch etwas sagte. Auf seinem Flug von Moran zum hellen Planeten Schedo hatten er und seine Begleiter eine ganze Reihe fremder Systeme aus relativer Nähe gesehen. Und nun hatten die Terraner den ihrer Sonne am nächsten befindlichen Fixstern erreicht. Sie waren zu weit gesprungen. Sie waren mitten im System wieder in den Normalraum gekommen. Ekka, ihr Astro-Experte, meldete sich. Seine Stimme klirrte leicht vor Erregung. „Sir, ich kann es noch nicht beschwören, aber wenn mich nicht alles täuscht, und die Ortungen mich nicht im Stich gelassen haben, dann besitzt Alpha Centauri elf oder zwölf Planeten, und wir stehen im Moment zwischen dem elften und zehnten Umläufer, oder zwischen dem zehnten und neunten.“
„Stopp!“, mischte sich der Moraner ein, als er entdeckte, dass man mit auf Volllast laufenden Triebwerken tiefer einfliegen wollte. „Ich glaube, es ist an der Zeit, zuerst einmal die PROMET zu checken.“ Dabei sah er bedeutungsvoll Peet Orell an, der, wenn auch leicht widerwillig, zustimmend nickte. „Wir erreichen das Zentrum des Systems noch früh genug“, sagte Borul weiter. „Callaghan, Vivy, darf ich bitten?“ Er hatte schon in seinem Pilotensessel Platz genommen, und die Verbindung zu Funk, Astro-Navigation und Triebwerk stand. Er rief Pino Tak an, der sich noch nicht gemeldet hatte. „Wie steht es mit dem Energieverlust der Speicherbänke, Tak?“ „Liegt dieses Mal bei unter vierzig Prozent. Den genauen Wert habe ich noch nicht.“ „Geben Sie ihn ‘rein, wenn Sie ihn vorliegen haben. Ekka …?“ „Ja, Sir!“ „Unser Abstand zu Alpha Centauri?“ Statt Worte kam Stöhnen. „Sir, Sie müssen nichts Unmögliches verlangen. Ich bin noch dabei, meine Messungen durchzuführen …“ Der Moraner nickte: „Ortungsanlagen wie zu Großmutters Zeiten …“ Er konnte sich mit diesen Geräten, die alle auf der Basis der Lichtgeschwindigkeit arbeiteten und unzulängliche Werte lieferten, nicht anfreunden. Mit Bedauern dachte er an die Ortungen der TIRA, die ihm längst verraten hätten, wie viele Planeten dieses System besaß und auch, wie weit sie von der fremden Sonne entfernt waren. Gus Yonker meldete sich, ohne dazu aufgefordert zu sein. „Heilige Stille auf allen Frequenzen. Überwache sie ständig.“ Dann wurde die PROMET gecheckt. Ein kompliziertes und langwieriges Verfahren, aber es war erforderlich, und Peet Orell nahm dem Moraner einen großen Teil der Arbeit ab. Darüber vergingen die Stunden, und mit gleich bleibender Geschwindigkeit jagte die Yacht tiefer in das Alpha Centauri-System hinein. Auf dem zweiten Bildschirm tauchte ein Planet auf, ein Drittel so groß wie Jupiter. Ob er Monde hatte, war noch nicht festzustellen. „Wir passieren ihn in einem Abstand von 1,7 Millionen Kilometer“, gab Ekka der Zentrale bekannt. Und dann lieferte er die Überraschung. „Der Computer und ich haben uns aufgrund
unrichtiger Werte geirrt. Die PROMET befindet sich zwischen der zwölften und elften Planetenbahn, und der Umläufer vor uns ist der elfte Planet. Das Tele-Thermo gibt seine Oberflächentemperatur mit minus 210 bis 220 Grad Celsius an.“ Die Männer in der Zentrale sahen sich nachdenklich an. Vivien sprach aus, was alle dachten. „Bei diesen Fehlern bleibt uns nichts anderes übrig, als uns vorsichtig hineinzumogeln, sonst kann es uns passieren, dass wir gegen einen Planeten fliegen.“ Das war zwar eine Übertreibung, aber ihre Worte kennzeichneten deutlich die Situation. „Arn, Triebwerk zwo ist gecheckt. Alles okay. Mache bei Nummer vier weiter.“ Der Moraner nickte. Der eiskalte, elfte Planet war auf dem Bildschirm nach links weitergewandert und erreichte den Rand des Schirmes. Ein Zeichen, dass sie sich auf seiner Höhe befanden, ihn aber in 1,7 Millionen Kilometer Entfernung passierten. Aus dem Triebwerksraum gab Pino Tak durch, dass dieses Mal der Energieverlust der Speicherbänke exakt 37,4 Prozent betragen habe. „Das verstehe ich nicht“, murmelte der Moraner. „Das können höchstens die Götter begreifen. Wo bleibt die Energie? Warum fließt sie während der Transition ab?“ Peet hatte ihn verstanden, ging aber auf seine Bemerkung nicht ein. Er sah in diesem unerklärlichen Energieschwund eine Sache von sekundärer Bedeutung, hatten sie doch inzwischen über ihre Konverter den Verlust fast wieder ausgeglichen. Astronavigator Ekka hatte nun genaue Werte vorliegen. „Was, Ekka? Sind Sie sicher …?“, fragte der Moraner scharf. Auf dem Bildschirm der Visophon-Bordverständigung war zu sehen, wie der Mann sein Gesicht verzog. „Borul, hat man seit Jahrzehnten von der Erde aus die Entfernung bis Alpha Centauri falsch gemessen? Ich kann mich doch nur an diese 4,3 Lichtjahre halten. Einen anderen Maßstab besitze ich doch nicht.“ „Dann hätten wir also mit der zweiten Transition entweder 1,8 oder genau 2 Lichtjahre zurückgelegt, Ekka?“ „Ja, Sir, und wären damit um zehn Prozent weitergesprungen, als Sie vorgesehen hatten.“
„Dann hätten wir wieder diese Differenz von 0,2 Lichtjahren … Ekka, ich komme zu Ihnen ‘rüber, sowie ich hier abkömmlich bin.“ Deutlich zeigte Peet Orell seine Unzufriedenheit; in Gedanken bezeichnete er das Verhalten des Moraners als Kleinigkeitskrämerei. „Arn, ich für meine Person nehme an, dass die Entfernungsangabe zwischen Sol und Alpha Centauri um 0,2 Lichtjahre falsch ist.“ Von Jörn erhielt er keine Schützenhilfe. „Peet, kannst du diese Behauptung beweisen, denn schließlich ist gerade die Distanz zu Alpha Centauri immer wieder neu ausgemessen worden. Irgendein Astronom wäre eines Tages darauf gekommen, dass seine Vorgänger sich vermessen hätten.“ Da stellte sich auch noch Vivien Raid auf Callaghans Seite. „Jörn hat Recht, Peet. Wir sollten diese 0,2 Lichtjahre nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn schließlich wollen wir ja eines Tages wieder in unserem Sonnensystem sein, und ich würde es gar nicht lustig finden, wenn wir nach der zweiten Transition um 0,2 oder sogar um 0,4 Lichtjahre dahinter ins Normal-Universum kämen. Das wäre dann ein Wiedereintritt in Richtung auf die Sonnen L 726 A oder B.“ Arn Borul war klug genug, in dieser Form seinem Freund Orell nicht entgegenzutreten, und in dieser Situation bewies er wieder, wie geschickt er dafür sorgen konnte, Spannungen abzubauen. „Wir werden uns mit diesem Punkt noch beschäftigen müssen, wenn wir uns in diesem System umgesehen haben. Vielleicht liefert uns in der Zwischenzeit ein Zufall die Gewissheit, dass die Sprünge der PROMET exakt waren, aber die festgelegte Entfernung zwischen Sol und Alpha Centauri nicht stimmte. Ich schlage vor, das Thema vorerst zurückzustellen, oder spielt jemand mit dem Gedanken, im Centauri-System eine Transition durchzuführen?“ „Danke, Arn“, meldete sich Vivien Raid zu Wort, „so scharf bin ich auf diese minutenlangen Farbträume auch wieder nicht.“ Die Geschwindigkeit der Raumyacht blieb konstant. Ab und zu meldete sich Ekka, aber überraschende Nachrichten hatte er keine mehr abzugeben. Gus Yonker überprüfte eine Frequenz nach der anderen, schaute dabei gelangweilt den Oszillo an und wurde sich nicht bewusst, dass er seit der Transition zum Kettenraucher geworden war. Nur der Air-Condition hatte er es zu verdanken, nicht längst im blauen Dunst erstickt zu sein.
Im Alpha Centauri-System ist aber auch gar nichts los, dachte er, denn den Besuch in einem unbekannten Sonnensystem hatte er sich doch etwas anders, etwas abenteuerlicher vorgestellt. Im Sol-Bereich hatte er hin und wieder einige Funksprüche auffangen können, aber hier rauschte nicht einmal die Statik aus der Feldmembrane. Absolute Funkstille, wenn er von den Frequenzen absah, die die elektrisch-magnetischen Schwingungen der Alpha-Sonne heranbrachten. Die hatte er schon in den ersten zehn Minuten nach den Sprung identifiziert. Die Automatik des Empfangs spielte sich auf die nächste Frequenz ein, als der Funker wie von einer Tarantel gestochen aufsprang und blitzschnell nacheinander der Feldmembrane und dem Oszillo einen entgeisterten Blick zuwarf. Ein heller und hoher Dauerton war in seiner Funkkabine zu hören! Und auf dem gleichgeschalteten Oszillo war in regelmäßiger Folge eine Doppelamplitude zu sehen, die über den Schirm von links nach rechts verlief. Manuelle Feineinstellung der Frequenz. In diesem Punkt verließ sich Yonker nicht auf die Automatik. Peilantenne aktivieren! Funk-Ortung einschalten! Gus Yonker begriff nicht, dass er in diesen Sekunden wie ein Roboter handelte. Erste Gegenkontrolle! „Das wird ja immer toller …“, flüsterte er und dachte noch nicht daran, die Kommando-Zentrale zu unterrichten. Erst musste er einmal Klarheit haben, worum es sich hier handelte. Dass ein Sender die PROMET anrief, stand fest. Daran gab es nichts zu rütteln. „Verdammt, hat der Saft drauf …“, und Gus Yonker wurde von der ungewöhnlich starken Sendeleistung beeindruckt. Seines Wissens gab es im gesamten Sonnensystem keinen Sender mit dieser phantastischen Leistung. „Gerichtet … ganz sauber gerichtet, aber dieser Ton … Mann, der tut mir in den Ohren weh.“ Yonker regulierte die Lautstärke, aber das durchdringende Pfeifen blieb. Höchste Zeit, die Zentrale zu unterrichten! Da standen schon Arn Borul und Jörn Callaghan hinter ihm, und sie bekamen gerade noch mit, wie Dauerton und Doppelamplitude sich veränderten. Der Ton näherte sich dem Ultraschall-Bereich; die Doppelamplitude aber schob sich mehr und mehr zusammen.
„Interferenz …“, sagte Jörn Callaghan. „Vielleicht …“, erwiderte der Moraner. „Yonker, kann man den scheußlichen Pfeifton nicht leiser stellen?“ Der tat ihm den Gefallen, dabei hatte er alle Hände voll zu tun, denn über die Peilantenne kamen die Koordinaten herein. Aber auf welcher Karte sollte er sie eintragen? Sie kannten doch das Alpha Centauri-System nicht. „Geben Sie her, Yonker …“, forderte der Moraner ihn ungeduldig auf, nahm die Sternenkarte an sich, warf einen Blick darauf und schob sie wieder zur Seite. Dann stand die Verständigung zu Ekka. „Spielen Sie mir Ihre Sternenkarte zu, Ekka. Ich habe einen Standort einzutragen.“ Im nächsten Moment war sie auf dem Bildschirm zu sehen. Wieder einmal zahlte sich aus, dass Arn Borul der Schüler des greisen Thosro Ghinu gewesen war, und in diesem Fall gab es zwischen moranischer und terranischer Kartentechnik keinen Unterschied, wenn man von den Zahlensymbolen absah. Der Lichtstift huschte über die Millimeterfolie, am Rand wurden Standardwerte, gültig für das Alpha Centauri-System, eingetragen, und dann hatte Arn Borul den Standort des Senders, der sie anpeilte, fixiert. In der Kommando-Zentrale waren Peet Orell und Vivien Raid auch nicht untätig geblieben. Sie ließen Massen-, Distanz- und EnergieOrtung laufen, erhielten aus der Funk-Z die Koordinaten und konnten danach ihre Geräte genau einstellen. „Doch Interferenz!“, stieß Jörn Callaghan aus und deutete auf den Oszillo. Die Doppelamplitude hatte sich soweit einander genähert, dass die eine die andere abdeckte, und war in diesem Moment vom blauleuchtenden Schirm verschwunden. „Hm …“, brummte der Moraner und rieb sich das Kinn. „Interferenzerscheinungen gibt es bei monochromatischem Licht einer bestimmten Wellenlänge und einer Phasenverschiebung mit zweihundert Grad … Callaghan, und das soll sich hier auch abgespielt haben? Ist das nicht ein bisschen zu einfach? Aber was kann die Amplituden ausgelöscht haben?“ Er warf der Feldmembrane, die nach wie vor den durchdringenden Pfeifton abgab, der den gesamten Raum ausfüllte, einen forschenden Blick zu.
„Was kann das sein …? Yonker, haben Sie schon versucht, ein Antwortzeichen abzustrahlen? … Nein? Tun Sie es!“ Der Funker ließ es sich nicht zweimal sagen, brachte eine Reihe Schalter in eine andere Lage und drückte den Hauptkontakt. „Wir werden ein paar Stunden warten müssen, bis wir darauf eine Antwort erhalten, wenn überhaupt eine kommt, Mr. Borul.“ Der nickte. „Wenn man mit Wellen arbeitet, die die Lichtgeschwindigkeit nicht überschreiten können … Manchmal erscheint mir terranische Technik wie ein Klotz am Bein.“ Zu dritt horchte man im Funkraum auf. Was war mit der PROMET los? Die Geräuschkulisse aus dem Triebwerksraum hatte sich verändert. „Peet wird doch wohl nicht …?“, fragte Jörn ahnungsvoll, ohne seine Frage vollständig auszusprechen. * Peet Orell hatte in Sekunden einen Entschluss gefasst. Die Koordinaten der Funk-Ortung hatte er nur bestätigen können, aber als er dann mit den anderen Ortungen versuchte, den Planeten zu finden, auf dem die leistungsstarke Station stehen musste, stießen sie ins Leere. „Das kann doch nicht sein, Peet. Hier muss ein Fehler vorliegen“, hielt ihm Vivien vor. „So? Dann noch einmal alles wiederholen, Vivy …“ Die Ortungen erfassten nichts. Nicht einmal einen Meteoriten. Sie stießen in den Raum, verloren sich in der Leere und wurden nicht reflektiert. „Und jetzt, Peet?“ „Ich will mir das einmal aus der Nähe ansehen, Vivy. Lies mir die Koordinaten vor, damit ich den Computer damit füttern kann.“ Peet hatte im Pilotensitz Platz genommen, gab dem Großrechner die Angaben ein und wartete dann das Aufleuchten der GrünKontrolle ab. Kaum war sie zu sehen, als er diverse Schalter in eine andere Stellung brachte. Pino Tak im Triebwerksraum horchte überrascht auf, als Transformer und Speicherbänke lauter wurden. An den Messinstrumenten erkannte er, dass die Raumyacht nicht nur stark
beschleunigte, sondern auch auf neuen Kurs ging. Nun, er hatte keine Kommandogewalt über das Schiff, und schulterzuckend nahm er seinen Kontrollgang zwischen den Aggregaten wieder auf. Arn Borul aber raste in die Kommando-Zentrale und begriff, was sich hier tat, als er Peet im Pilotensitz sitzen sah. „Ich hoffe, du bist einverstanden, dass wir uns den Standort des Senders einmal aus der Nähe ansehen, Arn, oder?“ Vivien musterte ihren Jugendfreund erschrocken. Etwas an seiner Stimme gefiel ihr nicht. War Peet darauf aus, mit dem Moraner Streit zu bekommen? „Warum sollte ich mit deinem Entschluss nicht einverstanden sein, Peet?“, erwiderte Arn gelassen und nahm im Ko-Sitz Platz. „Kontrolle drei übernehme ich. Okay? Aber wenn ich etwas vorschlagen darf, Peet, wir sollten nicht so stark beschleunigen. Vergiss nicht, dass wir immer tiefer in ein uns unbekanntes System hineinfliegen …“ „Das sich doch nur durch die Zahl seiner Planeten vom Sol-System unterscheidet. Oder hast du auf deinem Flug durch fremde Systeme etwas Außergewöhnliches erlebt, Arn?“ „Nein“, erwiderte der Moraner, der einsah, dass es jetzt keinen Zweck hatte, mit Peet zu debattieren. Was war nur mit ihm los? Woher kamen die Aggressionen? Er war doch sonst nicht so. Die Zeit verrann. Die PROMET flog inzwischen mit mehr als 200 000 Kilometer in der Sekunde und näherte sich der Umlaufbahn des zehnten Planeten. Jörn Callaghan hatte sich inzwischen auch wieder in der Zentrale eingefunden und saß neben Vivien hinter dem Konverter. Seit vielen Minuten war kein Wort mehr gefallen. Ab und zu tickten Relais, flackerten hier und da Kontrollen auf, aber sonst passierte nichts. Arn stellte Verbindung zur Funk-Z her, um Yonker aufzufordern, die Übertragung des Pfeiftones zu beenden. Nur meldete Gus Yonker sich nicht. Er wird die Toilette aufgesucht haben, dachte der Moraner und schaltete zu Szer Ekka durch. Auch keine Antwort! Das gibt es doch nicht! Er wurde hellwach, als er Peet musterte. Wie sah er aus? Der döste mit offenen Augen vor sich hin. Arn warf einen Blick auf sein Chrono. Unwahrscheinlich, wie schnell die Zeit vergangen war. Vor drei
Stunden hatte Gus Yonker plötzlich die unbekannte Station empfangen, und seit dieser Zeitspanne war auch der Pfeifton zu hören. War das nicht egal? War es nicht gleichgültig, dass sie den Planeten nicht hatten finden können, auf dem der leistungsstarke Sender stehen musste? Kaum hatte sich Arn Borul diese Frage gestellt, als er zusammenzuckte. War er verrückt geworden, allem gleichgültig gegenüberzustehen? Was war mit ihm los? Warum interessierte ihn nichts mehr? Es kostete ihn Kraft, sich nach Vivien Raid und Jörn Callaghan umzudrehen. Sie saßen hinter dem Konverter und starrten dumpf vor sich hin! „Pino Tak! Hallo, Pino Tak, melden!“ Pino Tak, der Bord-Ingenieur, meldete sich nicht. Und Peet hatte nicht einmal aufgesehen, als er mit ihm sprechen wollte. „Peet …!“ Er stieß ihn an. Peet Orell zeigte keine Reaktion. Er bewegte nicht einmal den Kopf. Zusammengefaltet lagen seine Hände im Schoß. Da rüttelte der Moraner ihn. Er löste damit nichts aus. Bei allen Göttern, warum berührt mich das kaum? fragte sich der Humanoide und spürte ganz leicht, dass ihm die Antwort gleichgültig war. Die anderen in dumpfer Lethargie und er gleichgültig? Ich muss in den Funkraum! Ich muss das verdammte Pfeifen abstellen! Er dachte es, aber er führte seine Idee nicht durch. er blieb sitzen, wo er saß. Er sah Peet Orell an, und er wunderte sich gar nicht mehr, dass dieser keine Reaktionen mehr zeigte. Wie still es im Schiff geworden war. Den Pfeifton hörte er kaum noch. Arn, dann bist du gleich auch soweit! Etwas Einsicht war ihm noch geblieben, und dieses Etwas brachte es fertig, dass er sich erhob. Aber er wollte doch gar nicht die Zentrale verlassen. Er wollte sitzen bleiben. Bei den Cegiren, was ist das, was nach mir greift? Er schwankte an Vivien Raid und Jörn Callaghan vorbei, die nicht aufsahen. Er betrat den Funkraum und sah Gus Yonker teilnahmslos vor der Anlage sitzen. Nach wie vor kam der Pfeifton aus der Feldmembrane. Abstellen! Abschalten! Den Empfänger still legen!
Welche Kraft es ihn kostete, diese einfachen Handgriffe zu tun! Unsichtbare Gewalt versuchte ihn daran zu hindern, aber da bäumte sich etwas in Arn Borul auf, und mit diesem Sich-zur-Wehr-Setzen bewies er wieder einmal, dass er kein Sohn der Erde war, sondern aus einem anderen System kam. Die Schalter kippten in Null-Stellung. Der Pfeifton verstummte. Die Feldmembrane spie ihn nicht mehr aus. „Ihr Götter …“, stöhnte er und erwähnte nicht die Cegiren, die bösartigen Dämonen der moranischen Götterwelt. Eine unsichtbare Last fiel von ihm ab. Er war wieder der alte dynamische Moraner. Es gab nichts mehr, das ihn in einen lethargischen Zustand pressen wollte. Er griff nach Yonker und schüttelte ihn. „Yonker!“, rief er ihn an. „Yonker, hören Sie mich nicht?“ Auch Peet Orell hörte ihn nicht. Niemand! Er ließ sich in den Sessel fallen und warf einen Kontrollblick auf die Instrumente. Die PROMET, vom Computer gesteuert, flog nach wie vor mit hoher Geschwindigkeit die Koordinaten an, die die Funk-Ortung ausgeworfen hatte. Was hatte er nun zu tun? Wie sollte er seine Partner und die übrigen Besatzungsmitglieder behandeln? In der Terra-Medizin war er ein blutiger Laie, und seine Kenntnisse der moranischen waren auch minimal. Was soll ich tun? fragte er sich wieder. Und fluchend wie ein Terraner noch einmal: Verdammt, was soll ich tun? Es gab niemand, der ihm antworten konnte.
9. Der Gravitationsstoß, der zum zweiten Mal das gesamt Sol-System getroffen hatte, zog immer weitere Kreise und machte auch vor der Space-Police nicht halt. Als dem Chef dieser Behörde die Eingabe der Experten aus den eigenen Reihen auf den Tisch flatterte, ahnte er, dass er einer Entscheidung nicht mehr ausweichen konnte. „Ich bin um 11 Uhr für die Wissenschaftler zu sprechen“, gab er ihnen bekannt und bereitete sich innerlich auf das Schlimmste vor.
Seine Befürchtungen wurden noch übertroffen, und als er zum vierten Mal sagte: „Ladies und Gentlemen, ich bitte Sie zum letzten Mal, sich so auszudrücken, dass ich Ihre Ausführungen auch verstehen kann“, war er drauf und dran, die Besprechung platzen zu lassen, weil er es satt hatte, einer Sprache zu lauschen, die er nicht verstand. Professor Keller zeigte sich unbeeindruckt. „Sir, wir sind nicht in der Lage, von einem Augenblick zum anderen eine neue physikalische Terminologie zu schaffen, aber wir sind gern bereit, Ihnen im Rahmen des Möglichen Erklärungen zu geben …“ „Und die verstehe ich dann wiederum nicht!“, bellte der Chef der Space-Police los. „Fahren Sie in Ihrem Vortrag fort.“ Das tat Professor Keller auch. „Ich habe eine Information erhalten, und Sie werden verstehen, dass ich weder den Namen des Informanten preisgeben darf, noch die komplette Information, die wiederum sofort auf den Betreffenden hinweisen würde. Ich stimme mit meinem Informanten überein, dass auch der zweite Schwerkraftstoß zu Lasten der Raumyacht PROMET geht!“ Die Bombe war explodiert. Professor Keller schürte geschickt sein Feuer. „Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass man an Bord der PROMET Gravitations-Experimente macht, die die drei letzten Eggersschen Formeln als Basis haben. Mein Verdacht gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man sich vor Augen hält, dass sich an Bord der Orellschen Yacht der Außerirdische Arn Borul befindet – ein Humanoide, der aus einem fernen Sonnensystem kommt.“ Das interessierte auch den Chef der Space-Police. „Und was schlagen Sie vor, Professor?“, wollte er wissen. „Nach der PROMET suchen lassen. Sie, wenn es erforderlich ist, bis hin zum Pluto suchen. Ich kann mir vorstellen, dass gerade Pluto der ideale Planet ist, um dort diese gefährlichen Experimente zu machen.“ Niemand widersprach ihm, und das beeindruckte den Chef der Space-Police. „Professor, was habe ich unter den drei letzten Eggersschen Formeln zu verstehen?“
Man klärte ihn auf. Aber dann stellte er eine Frage, die ihm niemand beantworten konnte: „Und Sie vermuten, dass es dem Außerirdischen gelungen ist, die Bedeutung einer dieser drei Formeln zu erkennen, um anschließend diese Versuche zu machen?“ Danach erhob er sich und unterbrach die Sitzung bis 16 Uhr. „Ladies und Gentlemen, ich habe mit meinem Stab zu beraten und werde Ihnen den Entschluss der Space-Police mitteilen.“ * Harry T. Orell verzichtete auf sein Mittagessen. Die Nachricht von der unterbrochenen Konferenz bei der Space-Police erreichte ihn auf dem Weg zu seinem Bungalow. Er ging mit seinem Gleiter auf Gegenkurs und flog zur Corporation zurück. Er wusste, wie man eine diffizile Angelegenheit in die Hand zu nehmen hatte, um keine Spuren zu hinterlassen. Seine Chefsekretärin verzog keine Miene, als er ihr den Auftrag erteilte, fünf namentlich benannte Chefingenieure und -ingenieurinnen in sein Arbeitszimmer zu bitten. Es war selbstverständlich, dass sie kein Außenstehender dabei sehen durfte. In seinem ganzen Leben war der Konzern-Chef nie kleinlich im Gebrauch von Tricks gewesen, und er dachte auch jetzt nicht daran, darauf zu verzichten. Offen legte er den Ingenieuren das Problem dar. Niemand dachte daran, Harry T. Orell darauf hinzuweisen, dass er sich auf ein gefährliches Gebiet begab. Im Gegenteil, sein Schwung und seine Risikobereitschaft steckten alle an. Ein halbes Dutzend technischer Ausdrücke fielen. „Ladies und Gentlemen, überlegen Sie sich, was am besten zu verwerten ist. In diesem Punkt muss ich mich voll und ganz auf Sie verlassen, denn Sie sind die Experten, nicht ich. Und vergessen Sie nicht, dass die Space-Police auch über hervorragende Fachleute verfügt. Wenn wir unseren Trick starten, darf er nicht erkennbar sein. Er muss also allen technischen Kontrollen standhalten. Ist das überhaupt zu schaffen?“ Nach einer Viertelstunde hatten sich die fünf Chefingenieure auf den Trido-Former und den Sharon-Plasman geeinigt.
„Warum halten Sie diese Aggregate für die besten?“ Eine Ingenieurin erklärte es ihrem Boss, der daraufhin zu schmunzeln begann. „Danke. Alles andere wird von hier aus in die Wege geleitet. Ich bitte Sie aber, ihre vertrauenswürdigsten Mitarbeiter schon darauf vorzubereiten, welche Arbeiten in den nächsten Tagen anfallen werden. Aber man sollte es nicht an die große Glocke hängen, denn sonst könnte die Konkurrenz noch erfahren, dass uns technische Fehler unterlaufen sind.“ Von der nahen Piste startete ein Frachter der XO-Klasse zum Flug hinter den Pluto. * Ahnungslos legte der Chef der Space-Police Messer und Gabel zur Seite, als ihm ein Fernschreiben überreicht wurde. Seine Offiziere achteten nicht darauf, denn Störungen dieser Art waren selbst beim Mittagessen etwas Normales. Normal war nur nicht dieser Kettenfluch, der aus der untersten Etage stammte, und mancher Stabsoffizier sah seinen Chef konsterniert an. „Dieser Gauner …! Dieser Kartenschläger! Dieser …“ Der Chef der Space-Police fand das richtige Schimpfwort nicht. Wütend knallte er das Fernschreiben auf den Tisch und fauchte: „Der wird sich wundern! Wundern wird er sich, dieser …“ Colonel Stewart wagte zu fragen: „Sir, von wem sprechen Sie?“ In dessen Augen blitzte es auf. „Von wem schon? Von Harry T. Orell. Der hat mal wieder Wind davon bekommen, was in diesem Gebäude besprochen wurde. Da! Lesen Sie selbst! Führen Sie sich selbst zu Gemüte, mit welchem billigen Trick er versucht, uns davon abzuhalten, Patrouillenschiffe zum Pluto zu schicken, um nach der PROMET zu suchen.“ Aber so billig war Harry T. Orells Trick gar nicht. Die POL-23 lag auf dem Raumhafen, und sie wurde postwendend in die Werft der Space-Police beordert. Arbeits-Roboter unter der Leitung von einigen Ingenieuren bauten den Trido-Former aus, um ihn auf den Prüfstand zu schaffen. Er wurde an die Energieversorgung angeschlossen und dann gestartet.
„Schön sieht das nicht aus“, sagte ein Ingenieur, der ein Diagramm durchmusterte, „und nach regelmäßigen Unregelmäßigkeiten sieht das auch nicht aus. Wer kann eigentlich einen Trido-Former reparieren?“ Fragend sah er seine Kollegen an; alle schüttelten den Kopf, auch der Mann, der von der HTO zur Space-Police übergewechselt war. „Ich habe mit Trido-Formern nie zu tun gehabt, aber ich weiß, dass sie ein Erzeugnis der Corporation sind. Es gibt sie nur auf Schiffen, die die HTO gebaut hat …“ „Mann, drücken Sie sich deutlicher aus! Kann man so einen Former reparieren oder nicht?“ „Das kann nur die HTO!“ „Wird der Chef sich freuen …“, sagte der Ingenieur, dem die Leitung dieser Prüfung oblag. Der Chef freute sich nicht; er bekam einen Tobsuchtsanfall. „Sind Sie sich Ihrer Sache absolut sicher? Haben Sie eine Ahnung, was für die Space-Police auf dem Spiel steht? Ich glaube immer noch, dass Orell uns mit einem Trick von unserem Plan abbringen will. Warum reißen Sie diesen Former nicht auseinander und überprüfen mit Ihren Mitarbeitern, ob tatsächlich eine technische Störung vorliegt, und wenn es soweit ist, will ich wissen …“ „Sir …“, versuchte der Ingenieur den anderen zu unterbrechen, durfte sich aber für diesen Versuch anhören. „Dazwischenreden können Sie immer noch. Wenn es soweit ist, will ich wissen, ob die Störung zu einer Gefahr für die Besatzung unserer Patrouillenschiffe werden kann. Und was wollten Sie eben sagen?“ Die Muskeln in seinem Gesicht zitterten und seine Augenlider flackerten. Am liebsten hätte er diesen Orell in der Luft zerrissen. „Sir“, sagte der Ingenieur halblaut und versuchte dabei, seiner Stimme hypnotische Kraft zu geben, um seinen Chef zu beruhigen, „nur die HTO kann einen Trido-Former auseinander nehmen und reparieren. Dieses Aggregat ist ein Erzeugnis der Corporation. Sie hat sogar darauf verzichtet, ein weltweites Patent dafür anzumelden, sagt Ihnen das nicht genug?“ Der Chef der Space-Police holte tief Luft. „Dann machen Sie noch einen Test. Heute noch!“ „Sir“, sagte der andere und ihm wurde warm, „wir haben Feierabend, und meine Kollegen sind schon auf dem Heimweg.“
Eine Schlange konnte nicht besser zischen als der Chef der SpacePolice. „Und wenn sie sich auf dem Mond befinden … holen Sie sie zurück! In dieser Nacht wird der zweite Test gemacht, und ich verlange, dass man mich unverzüglich benachrichtigt … Äh, was ist eigentlich mit diesem Shär-Plan oder wie das Ding heißt?“ „Sharon-Plasman, Sir … Wir haben noch keine Zeit gefunden, es zu testen.“ „Ach … keine Zeit gefunden? Keine Zeit? Dabei brennt sie mir auf den Nägeln! Haben Sie sich schon einmal überlegt, welche Verantwortung ich damit übernommen habe, unsere Patrouillenboote aus dem Raum nicht zurückzurufen, weil ich den Verdacht habe, dass Harry T. Orell uns an einem bestimmten Unternehmen hindern will? Und wenn mein Verdacht nun nicht stimmt, und alle unsere POL-Boote gefährdet sind … Mann, haben Sie nun begriffen, in welcher Situation ich mich befinde?“ Der hatte begriffen. Kurz nach 23 Uhr wurde der ausgebaute Trido-Former ein zweites Mal getestet, aber schon beim Anlaufen zeigten sich wieder diese auffallenden Unregelmäßigkeiten – genau die Unregelmäßigkeiten, auf die die HTO die Space-Police aufmerksam gemacht hatte. In der Zwischenzeit war auch der Sharon-Plasman ausgebaut und auf einen anderen Prüfstand gebracht worden. Sein Testlauf begann, als der am Trido gerade abgeschlossen war. „Abschalten! Aus …! Der Plasman läuft ja wie eine Sieben …“ So sah auch das Diagramm aus. „Der Plasman kann jeden Augenblick den Geist aufgeben …“ „Ich unterrichte den Chef …“ Der dachte noch nicht daran, die Waffen zu strecken, weil er Orell alles zutraute, und trotz der Nachtstunde schaffte er es, sich mit drei Experten über Visophon in Verbindung zu setzen. Er erlebte die nächste Niederlage. „Sir, Trido-Former und Sharon-Plasmane sind nur in der HTO zu überholen, aber dürfte ich einmal wissen, welche Störungen vorliegen?“ Der Wunsch des Fachmannes konnte erfüllt werden. Der Chef der Space-Police zeigte ihm die Diagramme. Dann hatte er sich einige Zeit zu gedulden, bis er eine Antwort erhielt.
„Sir, ich würde der Bitte der HTO sofort nachkommen und alle POL-Schiffe aus dem Verkehr ziehen.“ Das gab den Ausschlag. Er opferte noch einen Teil der Nachtruhe, und über die Zentrale erhielten alle, bis auf drei Boote, die Order, sofort den Heimathafen anzufliegen. Über Fernschreiber wurde die HTO unterrichtet, dass ab dem kommenden Tag die ersten Patrouillenboote zur Verfügung stünden. Mit diesem Fernschreiben in der Hand wurde Harry T. Orell am anderen Morgen empfangen. Der schmunzelte wieder einmal. Sein Trick hatte Erfolg gehabt, und die Techniker und Ingenieure der Space-Police waren auf die Unregelmäßigkeiten am Trido-Former und Sharon Plasman hereingefallen, die in Wirklichkeit nichts anderen als ein Charakteristikum der Aggregate waren, aber spurlos verschwanden, wenn sie über mehrere Stunden in Betrieb gehalten wurden. In Rio erfuhr der Chef des Astro-Institutes Space Labs, Mr. Reeder, dass die Space-Police sich aufgrund eines unerwarteten Umstandes außerstande sähen, nach der PROMET zu suchen, und man diese Aktion auf die nächsten Wochen verschieben müsse. Dass dabei Harry T. Orell die Hand im Spiel hatte, ahnte Reeder nicht. Die Triebwerke der PROMET arbeitete nur noch mit einem Fünftel Leistung. Arn hatte sie heruntergeschaltet, weil es ihm einfach zu gefährlich war, als einziger aktionsfähiger Mensch im Schiff durch ein fremdes System zu rasen. Der Zustand der anderen hatte sich nicht mehr geändert. Wie geistesabwesend saßen sie unbeweglich da und starrten nach wie vor dumpf vor sich hin. Was war mit ihnen geschehen? Und was hatte versucht, ihn so teilnahmslos zu machen? Er sah den Schatten an seiner rechten Seite, und der Schatten wurde von Peet Orells Hand gebildet, die plötzlich um seinen Hals lag und versuchte, ihn zu erwürgen. Der Überfall hatte den Moraner überrascht, und bevor er eine einzige Abwehrreaktion starten konnte, versuchte Orell, ihm mit den gespreizten Fingern der anderen Hand die Augen in den Kopf zu stoßen. Er stieß beide zu Fäusten geballten Hände vor. Mit der linken landete er einen Haken, mit der rechten verfehlte er um Zentimeter sein Ziel. Peet Orell reagierte nicht. Seine Hand war zur Klammer
um den Hals des Moraners geworden, und der hörte es in seinen Ohren rauschen und dröhnen. In diesem Augenblick besann er sich moranischer Verteidigungstechniken, und aus seiner Sitzposition heraus gelang es ihm, den Gegner über seinen Schoß zu werfen, doch Peet ließ seinen Hals immer noch nicht los. Jetzt konnte nur noch der Bly-Griff helfen, der schmerzvollste von allen, aber Arn Borul blieb keine andere Wahl. Seine rechte Hand stieß vor, bekam den Partner zu fassen, und dann geschah das Entsetzliche, dass Peet keinen Laut über die Lippen brachte, als er wie ein gefällter Baum zu Boden ging. Arn keuchte und massierte mit beiden Händen seinen Hals, als er hinter seinem Rücken Schritte herankommen hörte. Vivien Raid zog ihm ihre Fingernägel durchs Gesicht. Jörn Callaghan schwang die Strahlenwaffe aus dem Fremdraumer und versuchte, ihm den Schädel einzuschlagen. Die Augen seiner Freunde, die ihn nun töten wollten, waren ohne jeden Ausdruck. Arn Borul warf sich aus dem Sessel und kam neben Peet Orell zu liegen. Da warf sich Vivien Raid über ihn. Sie schien zu einer Raubkatze geworden zu sein, denn ihre Zähne schlugen sich in seinen linken Oberarm. An Bord der PROMET war der Wahnsinn ausgebrochen! Vivien flog wie ein Ball in die Ecke und krachte gegen die Konsole der Instrumentenwand. Gefährlicher als sie war Jörn Callaghan geworden, aber der schien den Blick seines Opfers nicht gedeutet zu haben, denn Arn konnte gezielt einen Uppercut anbringen und dann benutzte er den Bly-Giff ein zweites Mal. Der vierundachtzig Kilo schwere Mann war zwar nicht ausgeschaltet, hatte aber seine Strahlwaffe fallen lassen müssen. Mit roboterhaft starrem Gesicht wirbelte er herum, drückte sich mit einer Hand ab und warf sich auf den Moraner, der fest damit gerechnet hatte, seinen Gegner losgeworden zu sein. In diesem Moment verwandelte sich die kleine Zentrale der PROMET in ein Irrenhaus. Gus Yonker, Pino Tak und Szer Ekka stürzten herein, und Pino Tak hielt seinen Blaster, eine Laserpistole, in der Hand. Er war der gefährlichste. Mit dieser Strahlwaffe konnte er die PROMET vernichten! Jörn Callaghans Kopf flog zur Seite. Das Bein, das Arn ihm stellte, sah er nicht. Dumpf dröhnte es auf, als er mit der Stirn gegen die
metallene Kante schlug. Arn Borul wirbelte herum, leistete sich einen Hechtsprung und landete vor Pino Tak, umfasste dessen Beine und riss daran, dass der Bordingenieur über ihm zu liegen kam. Ich muss den Blaster haben! Ich muss den Blaster haben! zuckte es durch Arns Hirn, der keine Zeit erhielt, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ein Tritt gegen seinen Kopf nahm ihm fast die Besinnung. Er sah Tausende Sterne platzen, und die Geräusche um ihn herum wurden schlagartig leiser. Zentnerlast lag plötzlich auf seiner Brust und Faustschläge landeten in seinem Gesicht. Der Moraner bäumte sich auf und drehte sich dabei zur Seite. Pino Tak, nicht mehr Herr seiner Sinne, rollte vor ihm herunter und kam vor dem Sessel zu liegen, in dem eben noch Vivien gesessen hatte. Ein Volltreffer schaltete ihn aus. Arn Borul blieb keine Zeit zu verschnaufen. Kaum stand er auf seinen Beinen, als Gus Yonker und der kleine Szer Ekka an ihm hingen. „Ihr Idioten …“, brüllte der Moraner auf, dessen Kopf nach hinten flog, weil Ekka sich in seinem langen Silberhaar verkrallt hatte, und trat aus. Damit wurde er den Astro-Experten los, der plötzlich gekrümmt am Boden lag und sich nicht mehr rührte. Er blutete aus einer Platzwunde am Kopf. Arn sah es nicht. Der Funker war Punchingball geworden und brach Sekunden später unter dem Trommelfeuer seiner Hiebe zusammen. Der Moraner bückte sich nach dem Blaster, nahm danach die fremde Strahlenwaffe an sich, stieg über die regungslos am Boden liegenden Gestalten hinweg und eilte schwer atmend aus der Zentrale. Er musste sich absichern, wenn er nicht noch einmal von diesen Irren angegriffen werden wollte, denen nackte Mordlust im Gesicht gestanden hatte. Arn zog die Nase hoch und wischte dann mit dem Handrücken darüber. Blut! Seine Oberlippe sah auch nicht mehr wie sonst aus, sein linkes Auge brannte ebenso wie seine Schulter, und wenn er tief atmete, spürte er Stiche in der Lunge. Eine Rippe schien angeknackst zu sein. Aber er war dennoch zufrieden, nicht mehr Federn gelassen zu haben. Er riss die Tür zum Werkzeugschrank auf, stopfte die Waffen hinein, die er im Schiff doch nicht einsetzen konnte, und nahm kurze
Plastikseile an sich. Mit diesen Hilfsmitteln eilte er zur Zentrale zurück, weil er nicht sagen konnte, wie lange der einzelne im Zwangsschlaf verblieb. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihnen eine Injektion zu verabreichen, aber seine mangelhaften Kenntnisse über terranische Medizin ließen ihn die Idee verwerfen. Arn Borul arbeitete wie ein Tierbändiger und verschnürte selbst Vivien Raid zu einem Paket, so dass auch sie kein Glied mehr rühren konnte. Er ließ sie liegen, wo sie lagen. Dann nahm er im Sessel Platz und holte erst einmal tief Luft. „Au, tut das weh …“, stieß er aus und hielt sich die linke Seite seines Brustkorbs. Er warf einen Blick auf die fünf Bildschirme, überflog die Instrumente und konnte zufrieden sein. Die PROMET flog langsam tiefer ins Centauri-System hinein. Weit und breit gab es nichts, was dem Schiff hätte gefährlich werden können. Seine Nase blutete nicht mehr, aber mit dem linken Auge würde er in den nächsten Tagen noch Schwierigkeiten haben. Doch wer ihm den Faustschlag darauf gegeben hatte, konnte er nicht sagen. Es spielte auch keine Rolle. Hübsches System! stellte er in Gedanken fest und fand zum ersten Mal Zeit zu überlegen, was geschehen war. Irgendetwas im Alpha Centauri-System hatte die PROMET als fremden Raumer identifiziert und dieses Etwas musste im gleichen Moment seine Abwehr aktiviert haben. Gut gemacht! erkannte der Moraner vorurteilslos, und ihm wurde langsam klar, welch eine raffinierte Abwehrmethode man eingesetzt hatte. Das wiederum war der Beweis, dass im Alpha CentauriSystem technisch hoch entwickelte Intelligenzen lebten. Über den Peilstrahl, der die PROMET erfasst hatte, war ein TeleHypnosestrahl ins Schiff geschickt worden, und … dann mussten die anderen ja auch erkannt haben, dass er rassemäßig nicht zur Besatzung der Yacht gehörte und ein Wesen von einem anderen Planeten war. Aber konnte es so etwas geben? Doch war das Geschehen, das hinter ihm lag, nicht der Beweis genug, dass man allen den hypnotischen Befehl erteilt hatte, ihn umzubringen? „Na wartet!“, murmelte er, und seine Begleitgedanken zu dieser Bemerkung waren ausgesprochen unfreundlich und aggressiv.
Er sollte umgebracht werden, und wahrscheinlich sollten sie sich anschließend gegenseitig auslöschen. Auch eine Methode, ungebetene Gäste nicht ins System einfliegen zu lassen. Aber stimmten seine Vermutungen? Lag nicht alles ganz anders? Er hatte Zeit zu grübeln und kam immer wieder zu seinem Verdacht zurück. Hier war mit Tele-Hypnose gearbeitet worden. Um ein Haar wäre auch er ihr Opfer geworden, wenn es ihm nicht im letzten Moment gelungen wäre, den Funk und die Ortungen abzuschalten. Damit hatte er verhindert, dass der Hypnosestrahl weiterhin im Schiff wirksam war. Er war weniger anfällig gewesen als die Terraner, wieder ein Beweis, dass er nicht nur dem Aussehen nach ein Humanoide von einem anderen Planeten war, und diese Feststellung behagte dem Moraner. „Binde mich los, du Lump!“ Jörn Callaghan zerrte vergeblich an seinen Fesseln und war nicht einmal in der Lage, sich aufzurichten. Wie ein Wissenschaftler, der eine Diagnose stellen sollte, beobachtete Arn Borul den anderen, dessen Gesichtsausdruck ihm immer noch fremd war. Und in Callaghans Augen gab es kein Leben. Irgendwie wirkten sie wie tot. „Du dreckiges Schwein, du sollst mich losbinden!“ Ausdrücke, die er von Jörn Callaghan noch nie gehört hatte. Was ging in dem Kopf des Mannes, der doch stets Ruhe und Zurückhaltung an den Tag gelegt hatte, vor sich? „Du verdammter Kerl, du sollst mich losbinden, und dann schlage ich dir den Schädel ein …“ Das war doch nicht normal. Arn Borul rührte sich nicht in seinem Sessel und studierte Callaghans Gesichtszüge. Sie blieben starr, und die Augen wirkten nach wie vor tot. Was, bei den Cegiren, sprach aus dem sonst so ausgeglichenen Mann? Welche Macht beherrschte ihn und machte ihn immer noch zur Mordmaschine? Dem Moraner wuchs das Alpha Centauri-System mit seiner teuflischen Abwehr immer enger ans Herz. Ein Mann allein konnte die PROMET nicht fliegen. Das hieß also, dass er dazu verdammt war, in diesem System zu bleiben – zusammen mit Idioten, die nichts anderes im Sinn hatten, als ihn umzubringen. Gus Yonker war der nächste, der wach wurde, und sein Wortschatz stammte aus der Gosse, und Arn Borul lernte eine Menge Flüche, die
ihm aber unheimlich waren, weil er solche Wörter noch nie gehört hatte. Dann umgab ihn wieder die Atmosphäre eines Irrenhauses, nur, dass die gefesselten Irren, die alle nach Freilassung verlangten, ihm nicht mehr gefährlich werden konnten. Vivien Raid war mit ihren unfeinen Ausdrücken genauso wenig zurückhaltend wie die Männer, und auch sie blieb ihm mit ihren starren Gesichtszügen und den toten Augen fremd. Arn Borul handelte instinktiv, als er die Aufnahme einschaltete und das Toben und Fluchen der Gefesselten damit festhielt. Wieder ein Kontrollblick zu den Instrumenten und den Schirmen. Er wagte immer noch nicht, eine Ortung zu aktivieren, weil er befürchten musste, dass über diese Frequenz dann wieder die Tele-Hypnose ins Schiff drang. Ungefährlich war es nicht, aber musste denn das Alpha Centauri-System auch einen Asteroidengürtel besitzen wie das SolSystem? Für kurze Zeit verließ der Moraner die Zentrale, um in der Messe eine Erfrischung zu sich zu nehmen, nachdem er die Fesseln noch einmal kontrolliert hatte. Als er zurückkam, hatte sich alles verändert. Man brüllte sich gegenseitig an. Man tobte und raste, und man sagte unmissverständlich, dass jeder jeden umbringen wollte. Arn Borul war nicht erfreut, dass sich sein Verdacht auch im zweiten Punkt bestätigt hatte. „Höllen-System!“, sagte er nur, und eine Ahnung beschlich ihn, dass sie noch eine Reihe böser Überraschungen zu erwarten hatten. Sie …? Die anderen konnte man doch nicht mehr als normale Menschen einstufen. Auf ihn allein warteten diese Überraschungen, und in diesem Moment erlebte er noch einmal, wie die TIRA in den hohen Luftschichten der Erde explodierte, und ihn ein Wunder unverletzt in den Raum schleuderte. Damals war er auch allein gewesen. Damals, als er und seine Begleiter geglaubt hatten, in kurzer Zeit auf Schedo, dem hellen Planeten, zu landen. Und heute war er wieder allein. Und die PROMET flog immer tiefer ins Alpha Centauri-System hinein. *
Die Männer und Frauen in den Raumanzügen wirkten plump, doch daran hatten sie sich längst gewöhnt, und auch die Trostlosigkeit der Decks in dem Fremdraumer machte keinen Eindruck mehr auf sie. Das glaubten sie wenigstens, und doch änderte sich jedes Mal ihr Verhalten, wenn sie die systematische Durchsuchung des Kugelschiffes fortsetzten. Sie sprachen kaum. In ihrem Helmfunk war häufiger die im oberen Drittel des Kugelraumers eingerichtete Kontrollstelle zu hören, als Bemerkungen der achtzehnköpfigen Gruppe. Leon Mys führte sie an, ein drahtiger Dreißiger, der in dem Ruf stand, oft viel zu riskieren, aber nie ein hundertprozentiges Risiko einzugehen. Doch was gab es in diesem leergeblasenen Schiff zu wagen, nachdem sich keine Schotten mehr automatisch schlossen? Gemeinsam übersprang die Gruppe den Zentralschacht mit Hilfe ihrer Antigrav-Gürtel und landete sicher auf der anderen Seite. Achtzehn superstarke Spezialscheinwerfer hellten das vor ihnen liegende Deck auf. Leon Mys nahm die Karte in die Hand und vergewisserte sich, dass sie am Anfang des richtigen Decks standen. Über den Helmfunk hörte er sagen: „Leon, Deckbezeichnung keine!“ Eine Routinemeldung und doch auch eine Kontrollmeldung, denn in der ersten Zeit, als man hin und wieder versäumt hatte, sofort jedes Deck im Bereich des Zentralschachtes mit einem Spezialstift zu kennzeichnen, war es vorgekommen, dass zweimal dasselbe Deck durchforscht worden war. Leon Mys schrieb zu beiden Seiten an die Wand: GH-3/45, dieselbe Zahl, die auch auf seinem Plan vermerkt war. Jetzt erst begann die stumpfsinnige Arbeit, Raum für Raum zu kontrollieren, und jeder der achtzehn Frauen und Männer wusste, dass alle leer sein würden. Sie fragten sich nicht mehr, warum man das Schiff mit einer unheimlichen Systematik auch seines letzten Einrichtungsgegenstandes beraubt hatte, weil es auf diese Frage keine Antwort gab und wahrscheinlich nie eine geben würde. Wie die Leute es gewohnt waren, verteilten sie sich. „Leon“, kam über Helmfunk nach wenigen Minuten der Durchruf, „hier sieht es aber anders aus, als auf den anderen Decks …“ „Was ist denn los?“, fragte Mys, der gleichgültig geblieben war.
„Wir stehen in einer riesigen, aber nur deckhohen Halle, so groß wie ein Footballplatz …“ Das war eine Übertreibung, aber, abgesehen vom Hangar und dem Triebwerksteil des Schiffes, hatten sie einen unglaublich großen Raum entdeckt. Und auch der war leer. Leon Mys trug ihn auf seiner Karte ein. Auch Routinearbeit. Nur kam er nicht dazu, sie zu Ende zu führen, denn im Helmfunk war plötzlich der Teufel los, und man konnte kein Wort mehr verstehen. Aus dem oberen Drittel des Schiffes mischte sich auch noch die Kontrollstelle ein und machte damit das Tohuwabohu noch größer. „Ruhe …!“, brüllte Leon Mys dazwischen und bekam im gleichen Moment Angst um sein Trommelfell. Die Ruhe trat ein. „Leon, kommen Sie! Kommen Sie schnell! Wir haben einen Zoo entdeckt … ja, einen richtigen Zoo.“ Die Frau, der das durchgegeben hatte, musste übergeschnappt sein, denn in einem Raumschiff, in dem es kein einziges Sauerstoffatom gab, konnte kein Zoo existieren. „Wirklich, Leon, wir stehen vor einem Zoo! Nun kommen Sie doch endlich …“ Leon Mys hatte Bedenken, sich allein einer Verrückten zu nähern und gab Order, dass ihn vier Mann begleiten sollten. Sie stampften über das leere Deck, ließen die grellen Lichtfinger ihrer Scheinwerfer spielen und sahen dann an der Grenze des Lichtbereiches zwei Frauen stehen, die lebhaft winkten. Als ob sie die Ankunft der anderen nicht erwarten könnten, setzten sie sich in Bewegung und kamen ihnen entgegen, obwohl sie das, was sie vielleicht zu sagen hatten, bequem per Helmfunk übermitteln konnten. Mit seiner Begleitung konnte Leon Mys zufrieden sein, und die lässige Haltung seiner Männer täuschte nicht darüber hinweg, dass sie bereit waren, die beiden Verrückten, die einen Zoo entdeckt haben wollten, blitzschnell zu überwältigen. Aber benahmen sich so Verrückte? Eine hatte Mys’ Arm gepackt und sagte erregt: „Kommen Sie, Leon! Kommen Sie, und Ihnen werden vor Staunen die Augen aus dem Kopf fallen.“ Unmerklich wurden die beiden von den anderen eingekreist, aber weil Leon Mys das verabredete Stichwort nicht nannte, griffen sie nicht ein.
„Leon, alle Türen waren geschlossen, an denen wir vorbeigingen, und wir sollten ja vom Deckende mit unserer Kontrolle beginnen. Da kamen wir an einer vorbei, die knapp einen halben Meter weit aufstand, und so etwas haben wir doch im ganzen Schiff nie beobachtet. Klar, dass es uns komisch wurde, und wir wollten Sie zuerst alarmieren, als ich doch meinen Kopf hineinsteckte und dann … Aber sehen Sie es sich selbst an.“ Das klang zwar verrückt, aber es hatte doch ein Mensch mit all seinen gesunden Sinnen gesprochen. Die im Rotton schimmernde metallene Tür stand immer noch knapp einen halben Meter offen. Leon Mys schob sich durch den Spalt, hielt dabei einen Scheinwerfer fest und blieb wie angewurzelt stehen. „Das ist ja verrückt … Das ist doch …“ Es hatte ihm die Sprache verschlagen, und sein Blick glitt im Licht des Scheinwerferkegels über einen Skelettberg! Skelette, wohin er sah! Skelette von Tieren, denn stellenweise besaßen sie noch Fellteile. Hinter Leon Mys’ Stirn wirbelten die Gedanken. Verweste Tiere? Skelette mit Fellteilen? Und die Tür zu diesem Raum hatte offen gestanden? Leon Mys begriff gar nichts mehr, nur das eine brannte sich in seinem Gehirn fest, dass er von dieser sensationellen Entdeckung sofort Mitteilung machen musste. Er rief die Kontrollstelle; dort hatte man mitgehört und über die beiden Zoo-Entdeckerinnen schallend gelacht, aber das Lachen verging ihnen schnell. „Zur Hölle“, fauchte Mys über den Funk, „wir haben einen Skelettzoo entdeckt, und was wir jetzt brauchen, ist jemand, der davon etwas versteht.“ Die Nachricht von dieser Entdeckung schlug wie eine Bombe ein, und abermals wurde eine Frage laut, die nicht zu beantworten war: Warum hatte man ausgerechnet diesen Zoo nicht auch von Bord gebracht? Die Kontrollstelle rief Leon Mys an, der sich selbst die Aufgabe übertragen hatte, die Fundstelle zu bewachen. „Vor drei Stunden haben zwei Frachter angelegt. Auf der XO-3 befindet sich ein Techniker, der sich in seiner Freizeit mit terranischer Fauna beschäftigt …“ Der Techniker mit Namen Roneld traf eine halbe Stunde später ein.
* „Sie werden staunen, Mann …“, prophezeite Mys, aber Roneld wollte nicht staunen. Hinter Mys zwängte er sich durch den Türspalt, richtete langsam seinen Scheinwerfer aus und staunte nun doch. „Das ist ja ein Skelettberg, Mys!“ Dann verlangte er nach besserer Ausleuchtung, und Mys beorderte noch drei Mann heran, während Roneld schon vor den ersten Skeletten stand und sie musterte. „Tiere von der Erde!“, murmelte er. „Mein Gott, ein Gorilla!“ Auf den beiden HTO-Frachtern war man gespannt, und der letzte Mann im Fremdraumer hörte mit, aber von keiner Seite kam ein Zwischenruf. Mys legte dem Hobby-Zoologen die Hand auf die Schulter. „Sind Sie sicher, dass diese Tiere von der Erde stammen, Roneld?“ „Was ich bis jetzt gesehen habe … Da, das gefleckte Fell … Mein Gott, die Katze gehört ja nach Südamerika … das ist ein Puma, der heute noch in den Anden lebt, aber fast ausgestorben ist.“ Leon Mys wurde von der Erregung des Mannes angesteckt. „Das würde ja bedeuten, dass dieser Kugelraumer einmal auf der Erde gelandet ist, Roneld …“ „Ja, und wie ich es bis jetzt sehe, hat er eine Landung in Afrika und eine in Südamerika oder auch Mittelamerika durchgeführt.“ Sie waren vor einem Skelett stehen geblieben, dessen Fell besonders gut erhalten war. Plötzlich kniete Roneld davor, schob zwei große, gekrümmte Knochen vorsichtig zur Seite und legte den gut erhaltenen Kopf einer Raubkatze frei, dessen Fangzähne ein erschreckendes Aussehen besaßen. Leon Mys konnte sich nicht entsinnen, jemals ein Tier mit solchen Fangzähnen gesehen zu haben. „Was ist denn das für eine Bestie, Roneld?“ Kaum zu verstehen war die Antwort des anderen. „Ich kenne sie nicht, Mys, ich habe ein Tier mit solchem Gebiss noch nie gesehen … noch nie davon gehört. Großer Gott, hier darf nichts mehr angerührt werden. Wir müssen filmen und …“ Und dann gurgelte er und deutete mit ausgestrecktem Arm nach rechts. Mys sah auch dort Skelette. „Was gibt’s denn da, Roneld?“
Der sprang auf, ergriff Mys’ Arm und zog ihn hinter sich her. Leon Mys wurde es unter dem Klarsichthelm warm, als er die Skelette von Menschen erkannte. Acht, neun, elf, insgesamt fanden sie dreizehn, und fast alle waren nicht mehr in einwandfreiem Zustand. „Die Tiere sind über sie hergefallen, Mys“, erklärte Roneld, und dem anderen lief ein Schauer über den Rücken. „Hier! Sie sehen es an dem zermalmten Knochen … dem Oberschenkelknochen.“ „Hören Sie auf, Mann!“, stieß Mys aus. „Das würde ja heißen, dass die Wesen, die mit dieser Riesenkugel der Erde einen Besuch abgestattet haben, die Menschen auch für Tiere hielten …“ „Möglich ist es, Mys, aber wird es darauf jemals eine Antwort geben? Doch nun ist es an der Zeit, Filmaufnahmen zu machen. Ich möchte mir später nicht anhören, dass man mich fahrlässigen Handelns bezichtigt.“ „Aber wie wollen Sie denn diesen Berg filmen. Das ist doch ein wüstes Durcheinander.“ „Lassen Sie es meine Sorge sein, Mys. Sie sind verantwortlich, dass ohne meine Genehmigung niemand mehr diesen Raum betritt.“ Zwei Stunden später liefen die ersten Aufnahmen, und Roneld entpuppte sich auch auf diesem Gebiet als Könner, nur auf der XO-3 fluchten einige Monteure, weil sie die Spezialfilmeinrichtung des Schiffes fast komplett auszubauen und zum Fremdraumer in den Zoo zu schaffen hatten. Drei Tage lang kamen Roneld und sein Team kaum zum Schlafen, dann hatten sie auch das letzte Skelett im Kasten. Der Captain der XO-3 wunderte sich nicht, dass Roneld übernächtigt aussah und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, doch dessen Forderung bereitete ihm Erstaunen. „Roneld, wissen Sie, was Sie da verlangen?“ „Ja“, sagte der Hobby-Zoologe. „Und ich muss darauf bestehen, den Film sofort zur HTO zu funken …“ „Leicht gesagt, Roneld. Darf ich mir erlauben, Sie an die Geheimhaltungsvorschriften zu erinnern, und gegen die verstoßen wir, wenn wir den Film zur Erde abstrahlen. Wetten, dass wir eine Woche später die Space-Police hier haben …“ „Nicht, wenn wir den Film durch den Computer verschlüsseln lassen.“
Der Captain der XO-3 ließ sich in den Sessel fallen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Mann“, stammelte er. „Mann, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Haben Sie eine Ahnung, was es heißt, einen Film von 2,4 Kilometern Länge durch einen Computer zu verschlüsseln. Ist die ganze Geschichte denn plötzlich so brandeilig? Es hat doch noch Zeit, dass wir …“ Er verstummte, denn Roneld hielt ihm die geöffnete rechte Hand hin, in der ein grauweißer, knapp fünf Zentimeter durchmessender Knochen lag. „Was bedeutete das denn, Roneld?“ „Das ist der Halswirbel eines Tieres, das vor tausend Jahren in Südamerika ausgestorben ist. Ich habe mich vor einigen Jahren einmal intensiv damit beschäftigt. Darum bin ich mir meiner Sache absolut sicher. Captain, die Zoologen könnten nun sehr genau bestimmen, wann der Kugelraumer auf der Erde gelandet ist.“ „Hm … Roneld, Sie machen es so spannend und spielen alles so hoch, als ob der Bestand Terras davon abhängen würde … In Gottes Namen, ich will mir später nichts vorwerfen lassen … Okay, Ihr Film wird computerverschlüsselt abgestrahlt. Sollten die beiden Programmierer Sie aber in den nächsten Tagen ermorden, dann braucht die Polizei nicht mehr nach einem Motiv zu suchen.“ Roneld kam mit dem Leben davon. * Die HTO-Corporation hatte die sieben Zoologen zu absolutem Schweigen verpflichtet, und die Wissenschaftler, die nur zögernd auf diese Forderung eingegangen waren, begriffen bald, warum der Trust auf Erfüllung dieser neuen Bedingung bestanden hatte. Und warum auch zwei Anthropologen anwesen waren, verstanden sie nun auch, als sie im ersten Teil des Films die menschlichen Skelette zu sehen bekamen. „Einwandfrei Indianer und Neger!“, hatten die Anthropologen behauptet. „Menschen zusammen mit Bestien eingesperrt … bedeutet es nicht, dass die Invasoren sie auch zu den Geschöpfen der niedrigen Entwicklungsstufe zählten?“, fragte eine Expertin.
„Man könnte aufgrund dieses Fundes zu der gerade gehörten Vermutung kommen, doch man sollte auch überlegen, dass die Neger und Indianer schon tot gewesen sein könnten, als man sie zu den Bestien brachte.“ Die Anthropologen beteiligten sich nicht an diesem Gespräch. Sie ließen sich noch einmal einen bestimmten Teil des Filmes vorspielen. Roneld hatte erstklassige Arbeit geleistet, und die Wissenschaftler hatten schon darüber gesprochen, dem Laien Roneld für diese außergewöhnlich gute und wissenschaftlich einwandfreie Leistung den Ehrendoktor zu verschaffen. „Da … das ist es! Stimmen Sie mir nicht zu, dass wir ein B-465-k vor uns haben, Ladies und Gentlemen?“ Der weißhaarige Wissenschaftler hatte den Film stoppen lassen, und ein Skelett, das zu drei Vierteln noch mit seinem Fell bedeckt war, stand auf der Wand. B-465-k war nichts anderes als ein Notbehelf. In einer Kulthöhle bei Johannesburg, die man vor acht Jahren wieder entdeckt hatte, war unter den wunderbar erhaltenen Wandmalereien ein Raubtier zu sehen, das jedem Wissenschaftler unbekannt war, und aus der Not heraus hatte man dem unbekannten Wesen die Katalognummer B465-k gegeben. B-465-k war für die Zoologen deshalb so interessant, weil die Kulthöhle laut C-14-Analyse über 1200 Jahre nicht mehr benutzt worden war. Der Mann von der HTO, der einzige Laie unter den Anwesenden, hatte dennoch begriffen, warum gerade B-465-k so interessant war. Er trat zu den Anthropologen, und mischte sich in das Gespräch ein. „Mr. Terwood“, sagte der weißhaarige Wissenschaftler, „wir haben keinen Grund, die Wandmalereien in der Kulthöhle als Phantasieprodukt eines Künstlers anzusehen, denn bis auf B-465-k sind uns alle Tiere bekannt, die er dazu in originalgetreuen Farben wiedergegeben hat. Diese Bestie mit den unheimlichen Fangzähnen scheint schon damals von den Negern erbarmungslos verfolgt und dann ausgerottet worden zu sein. Kein Wunder, hält man sich vor Augen, dass das Untier den Löwen in der Größe um das Doppelte übertraf.“ Terwood hatte Harry T. Orells Auftrag nicht vergessen und hakte nach.
„Können Sie einwandfrei belegen, dass diese Kulthöhle vor 1200 Jahren zum letzten Mal benutzt wurde?“ Der weißhaarige Wissenschaftler schmunzelte. „Da wir der Corporation zu tiefstem Dank verpflichtet sind, ist es nicht mehr als recht, dass ich mein Archiv anrufe und man uns die Unterlagen über die Kulthöhle zuspielt. Entschuldigen Sie mich für einen Moment.“ Aber er ging doch noch nicht. „Ich werde auch eine Farbkopie von B-465-k übermitteln lassen.“ Als die Unterlagen schließlich vorlagen, hatten die Experten Orells Beauftragten, der zugleich ihr Gastgeber war, schon wieder vergessen, so sehr interessierte sie der Fall. „Mr. Terwood, wir sind natürlich erst dann in der Lage, zu einem tatsächlich abschließenden Urteil zu kommen, wenn wir Gelegenheit gehabt haben, das auf dem Fremdraumer gefundene Skelett zu studieren.“ Harry T. Orell hatte seinen Mitarbeiter befugt, darüber Entscheidungen zu treffen. „Ladies und Gentlemen, ich habe das Vergnügen, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie bald den gesamten Skelett-Fund zur Auswertung vorliegen haben. Sie werden verstehen, dass wir die Skelette im Bereich der Corporation aufbewahren …“ * Auf der PROMET herrschte wieder Frieden, und niemand war glücklicher darüber als der Moraner, doch nun waren die anderen misstrauisch, nachdem sie fassungslos zugehört hatten, wie sie gemeinsam Arn Borul beschimpft hatten, um sich im zweiten Teil des verhinderten Dramas gegenseitig umbringen zu wollen. „Okay“, stimmte Arn endlich zu, weil die anderen darauf bestanden, „aber gern tue ich es nicht.“ Peet legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich an deiner Stelle würde mich auch nicht besonders wohl fühlen, aber ist die Garantie gegeben, dass wir nicht mehr dem hypnotischen Befehl unterstehen? Wenn nun diese teuflische Tele-Hypnose uns oktroyiert hat, nach einer gewissen Zeit noch einmal einen Anschlag auf dich auszuüben …? Arn, du hast nicht immer soviel Glück!“ Das gab den Ausschlag, und die ersten vier Freiwilligen suchten ihre Kabinen auf, ließen sich auf das Bett fesseln und einschließen,
nachdem man auch den letzten Gegenstand entfernt hatte, der als Waffe benutzt werden konnte. Außer Arn Borul, der sich stark gemacht hatte, zweimal vierundzwanzig Stunden Dienst zu verrichten, blieben nur Pino Tak im Triebwerksteil und Jörn Callaghan in der Zentrale handlungsfähig. Letzterer hielt die Vorsicht des Moraners, kein einziges Ortungsgerät einzuschalten, für übertrieben, doch Arn ließ sich nicht beeinflussen und drückte sich unmissverständlich aus. „Andernfalls, Callaghan, müsste ich Sie derart in ihrem Sessel fesseln, dass Sie nicht in der Lage sind, die Ortungsschalter zu betätigen.“ Der nahm es dem Humanoiden nicht übel und nickte. „Ein scheußlicher Gedanke, wenn man sich selbst nicht mehr trauen kann, aber ich sehe ein, dass Sie mit Ihrer Vorsicht Recht haben.“ Der friedliche Zustand in der PROMET änderte sich nicht mehr, und Arn Borul hätte längst das Spiel mit der Fesselung und dem Einschließen aufgegeben, wenn eigenartigerweise Peet Orell nicht darauf bestanden hätte, es fortzuführen. „Was ist denn los mit dir?“, fragte ihn Arn scharf, dessen Misstrauen nun auch wieder wach geworden war. „Fühlst du, dass du immer noch anders als früher bist? Leidest du unter Ahnungen, Peet? Dann raus mit der Sprache, denn du weißt, dass wir uns auf keinem Spaziertrip befinden.“ Peet Orell zuckte mit den Schultern. „Ich kann nichts sagen, Arn. Ich kann nicht einmal erklären, warum ich darauf bestehe, dass stets vier Personen gefesselt und eingeschlossen werden. Ich kann nichts an mir feststellen, und manchmal begreife ich nicht, warum ich darauf bestehe, diese Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Der Teufel soll’s holen …“ Die dritte Ablösung erfolgte, und damit war Arn Borul seit vierundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen, aber Müdigkeit verspürte er nicht. Nach wie vor flog die PROMET computergesteuert, und er verließ sich voll und ganz auf den Großrechner, und dachte nicht daran, Funk oder eine der Ortungen einzusetzen. Die Triebwerke der Yacht arbeiteten mit neunzig Prozent und stießen das Schiff immer tiefer in das unheimliche Alpha CentauriSystem hinein.
Eine Stunde vor Erreichen des Zieles, in dessen Bereich sich die starke Sendestation befinden musste, die den Tele-Hypnosestrahl über ein paar Milliarden Kilometer abgestrahlt hatte, warnte sie der Computer. Über die Visophon-Bordsprechanlage informierte Arn Borul die anderen, auch die, die gefesselt in ihren Kabinen lagen. Niemand ahnte, welche Gedanken der Moraner sich machte. Körperlich hielt er sich auf der PROMET auf, aber in seinen Gedanken befand er sich auf Moran. In dieser Sekunde wünschte er sich ein Gespräch mit seinem alten Lehrer Thosro Ghinu, um von ihm zu erfahren, wie Strahlgeschütze zu bauen waren. Aber hatte ihm Ghinu nicht einmal beiläufig gesagt, das Wissen darüber sei schon vor langer Zeit verloren gegangen? Peet Orell saß im Ko-Sitz und übernahm die Yacht, als Arn Borul für kurze Zeit die Zentrale verließ und in der Funk-Z noch einmal kontrollierte, ob dort alles abgeschaltet war. Das Unheil hatte sich von dort aus in der PROMET breit gemacht, und er wollte es nicht noch einmal erleben. Die Andruck-Ausgleicher im Raumer arbeiteten mit Zweidrittel Leistung, denn das Schiff wurde heruntergebremst, weil Arn nicht das Risiko eingehen wollte, mit wahnsinnig hoher Fahrt auf sein Ziel zu stoßen. Die nächste halbe Stunde verging schnell, aber es waren auch dreißig Minuten voller Nerven zerreißender Spannung, obwohl sich der Moraner nichts anmerken ließ. Die Sonne Alpha Centauri war als tiefgelbe Scheibe auf zwei Schirmen zu sehen, deren Blenden fast geschlossen waren, um die Lichtflut nicht in die Zentrale zu lassen, aber von dem Planeten, auf dem der Hypno-Sender seinen Standort haben musste, was nicht ein Schimmer zu entdecken. Arn hatte sich zu einem Entschluss durchgerungen, aber bevor er ihn in die Tat umsetze, wollte er sich Peets Zustimmung einholen. „Okay, Arn, unterrichten wir die anderen. Wir müssen es wagen … Du!“ Ihm war ein Einfall gekommen. „Ist dir oder deinem Volk vielleicht bekannt, dass es außer unsichtbaren Sonnen auch unsichtbare Planeten gibt?“ „Es wurde einmal behauptet, aber dann konnte der Beweis für diese Behauptung nicht angetreten werden. Du glaubst nun …?“
„Unter Milliarden Sonnen sollte eigentlich alles möglich sein, Arn.“ „Dafür ist mir dieses System zu normal, Peet. Ich informiere jetzt die anderen.“ Von ihrer Seite kam kein Widerspruch zu dem Versuch. Laut Zeitplan stand die PROMET achtundzwanzig Minuten vor dem Planeten, von dem nichts auf den Schirmen zu entdecken war. Die Geschwindigkeit der Raumyacht betrug nur noch 1000 Kilometer pro Sekunde, und das Schiff konnte bei dieser Fahrt innerhalb von dreißig Sekunden auf null gebracht werden. Arn Borul beugte sich vor, legte die Hände auf die Kante der Instrumentenkonsole, überflog noch einmal die wichtigsten Kontrollgeräte und schaltete dann hintereinander alle Ortungen ein. Nur die Funk-Ortung sprach an. Sie machte einen Sender mit Superleistung aus, aber alle anderen Ortungen zeigten null! Vor der PROMET war kein Planet. Aber das war absurd! „Peet, was machst du da?“, fragte der Moraner hastig. „Das Gitter justieren. Ich messe gerade ein Magnetfeld an, eines von solcher Stärke, dass es zwei Instrumente nicht verdauen können …“ In Arn Borul rasselte der Alarm. Ein Magnetfeld? Und vor ihnen der Leerraum ohne einen Planeten, auf dem ein Sender stehen sollte? „Arn, was sagt die Funk-Ortung?“ „Hat Koordinaten bestätigt. Mehr nicht …“ „Dann schalte sie doch aus. Denk an die Tele-Hypnose …“ Unruhe klang in Orells Stimme, die so stark heraus zu hören war, dass der Moraner seinem Freund einen forschenden Blick zuwarf. Peet beugte sich ruckartig nach vorn, brachte seine Augen dicht vor eine Instrumentenreihe und stieß dann laut den Atem durch die Nase. „Arn, wir fliegen ein gigantisches Magnetfeld an, das im freien Raum steht. Hier – liest du etwas anderes aus der Angabe der Instrumente heraus?“ Im nächsten Augenblick hatte der Moraner die Triebwerke umgeschaltet und binnen dreißig Sekunden würde die PROMET im freien Fall stehen.
Fragend blickte Peet Orell, der nicht erkennen konnte, was der Mann von einem anderen Planeten plante, ihn an. Der hatte die Verbindung zum Triebwerksraum hergestellt und sprach mit Pino Tak. „Sind alle Andruck-Ausgleicher hundertprozentig klar, Tak?“ „Sind okay. Sie können sich darauf verlassen.“ „An alle“, gab Borul durch und klärte sie auf, dass in den nächsten Minuten ein starker Andruck durch die Yacht jagen könne. „Zum Teufel“, fragte Orell ungeduldig, weil er immer noch keine Ahnung hatte, welchen Plan Arn ausführen wollte, „was willst du ausprobieren?“ Der andere lachte hart auf. „Wenn du schon den Teufel ins Spiel gebracht hast, Peet … ich will dieses Magnetfeld zum Teufel jagen. Schalte mal die Trore-Brücke aus und blockiere die Sicherung dazu …“ Peet starrte den anderen wie ein Gespenst an. „Das wagst du? Weißt du, was du damit riskierst?“ „Weniger als du annimmst, wenn alle Andruck-Ausgleicher ansprechen. Ich belaste die Zelle der PROMET höchstens um das Dreifache über normal.“ Peet stöhnte auf. „Höchstens dreifache Belastung über normal. Und was soll das alles? Warum …“ Weiter kam er nicht. „Du wirst es erleben. Trore-Brücke abgeschaltet und Sicherung blockiert?“ „Ja! Sonst noch was für eine prachtvolle Himmelfahrt …?“ Arn ließ noch einmal kurz die Funk-Ortung spielen und ging erneut das Risiko ein, dass dadurch die Tele-Hypnose ins Schiff gelangte. Der Computer hatte seine Aufgabe in Sekundenbruchteilen gelöst und behauptete, die Yacht befände sich nur 8000 Kilometer vor dem Magnetfeld im freien Raum. Ruckartig drehte sich Peet Orell um, als er sah, wie Arn den Rechner programmierte, aber dieses Mal wagte er ihn nicht nach der Bedeutung seiner Handlung zu fragen. Der Moraner versuchte, auch das allerletzte Risiko auszuschalten und übertrug dem Großrechner die Steuerung des Schiffes. Die PROMET schwang herum und kehrte dem obskuren Magnetfeld, dessen Funktion ihnen inzwischen klar geworden war, ihr Heck zu.
Es war nichts anderes als eine steuerbare Relaisstation, die von irgendeinem der zwölf Planeten dieses Systems aus justiert wurde, wenn ein Fremdraumer den Versuch unternahm, Alpha Centauri einen unangemeldeten Besuch abzustatten. Und über diese Relaisstation wurde der Tele-Hypnosestrahl über einen Peilstrahl in das unerwünschte Schiff geschleust. Arn hatte die letzten Vorbereitungen beendet und zu Peet Orells Entsetzen auch selbst zwei energetische Sperren beseitigt und ein halbes Dutzend wichtiger Sicherungen blockiert. Außer der Speicherbank 2 war alles am Versorgungsnetz hängen geblieben. Die letzte Kontrolle der Andruck-Ausgleicher hatte stattgefunden. „Und nun wollen wir mal sehen …“, presste der Moraner über die Lippen, und schlagartig wurden die Triebwerke der PROMET bis zur maximalen Leistung hochgefahren. Schrie die Zelle unter der anomalen Belastung nicht auf? Riss das Schiff nicht auseinander? Wann explodierten die Konverter, wann schmolzen die schenkeldicken Leitungen im Schiff? Andruck schlug durch und drohte alle bewusstlos werden zu lassen, doch da hatte der Computer schon eingegriffen und alles auf null geschaltet. Keuchend lag Peet Orell im Ko-Sitz, der Moraner beugte sich vor und stieß einen unartikulierten Laut aus, der sich aber wie Triumphgeschrei anhörte. „Ist es nicht mehr, Arn …?“, fragte Peet keuchend, der noch den Andruckschmerz zu überwinden hatte. „Es ist nicht mehr, Peet. Der Energieausbruch unserer Strahltriebwerke hat es zerfetzt. Das Feld schickt uns keinen Hypnosestrahl mehr …“ Peet Orell blickte auf, weil der Moraner nicht mehr weitersprach. Was war jetzt wieder los? Unwillkürlich blickte er in die gleiche Richtung wie Arn Borul, und das Entsetzen machte sich in der Kommando-Zentrale der PROMET breit. Das Alpha Centauri-System lieferte es ihnen kostenlos ins Schiff. Draußen im lichtlosen Dunkel des Leerraums baute sich das zerstörte Magnetfeld wieder auf!
10. Harry T. Orell ereichte ein Funkspruch von einem der XOFrachter, die hinter dem Pluto neben dem Fremdraumer lagen. Darin wurde kurz mitgeteilt: „Die C-14-Analyse der Skelette haben ein Alter von 1340 Jahren erbracht. Mit einer Fehlschätzung von plus/minus fünfzig Jahren kann gerechnet werden. gez. Briron, Kommandant der XO-4.“ Harry T. Orell überlegte, während er die entschlüsselte Meldung dem Zerhacker übergab. Rund 1350 Jahre war der Kugelraumer alt, der zurzeit hinter dem Pluto stand. Nur um zehn Jahre jünger waren die Knochen, die man in einem Raum des sonst völlig leeren Schiffes gefunden hatte, sah man von dem möglichen Unsicherheitsfaktor von plus/minus fünfzig ab. Demnach hatte die Erde vor etwa 1340 Jahren Besuch aus dem Weltraum bekommen. Aber außer diesem Kugelraumer musste sich noch das Schiff einer anderen intelligenten Rasse im Bereich des Sonnensystems befunden haben, und dieses Sternenschiff der Anderen hatte den Kugelraumer hinter der Eiskugel Pluto raumflugunfähig gemacht, um ihn dann anschließend bis auf die Maschinen im Triebwerksteil auszuplündern. Was hatte das Drama hinter dem Pluto ausgelöst? Woher waren die Angehörigen zweier raumfahrender Rassen gekommen? Aus den Tiefen des Raumes, vielleicht von der anderen Seite der Galaxis, oder aus den relativ nahen Systemen? Und warum war nach ihnen nie mehr ein Raumschiff nach Terra gekommen? Harry T. Orell wurde durch einen Anruf abgelenkt. Mit bewegter Stimme, die ihre innere Erregung verriet, teilte ihm eine Metallurgin mit, dass man mit dem Verhütten des Rotmetalls, aus dem der Fremdraumer gebaut war, erste, viel versprechende Erfolge erzielt habe. „Sir, wenn uns die Erwartungen nicht täuschen, dann erhalten wir aus der Legierung von Marson und Rotmetall einen Stoff, der alles bisher Bekannte in Bezug auf gute Eigenschaften, wie man sie im Zellenbau der Raumschiffe gerne hätte, in den Schatten stellt.“
Der Konzernchef zeigte sich unbewegt. „Wenn wir so viel Marson wie Rotmetall hätten … Trotzdem freut mich diese Nachricht. Wann, glauben Sie, mit den Forschungsarbeiten fertig zu sein?“ Schlicht erwiderte die Wissenschaftlerin: „Sir, vielleicht in sechs Monaten, aber bestimmt in einem Jahr.“ Nachdenklich blickte Harry T. Orell die grau gewordene Bildscheibe an. Vielleicht in sechs Monaten, aber bestimmt in einem Jahr, klang es in seinen Ohren nach. Zeit muss man haben, dachte er, viel Zeit. * Die PROMET hatte sich vor der wieder aufgebauten, gigantischen Feldmembrane in den freien Raum abgesetzt. Arn dachte nicht daran, auch nur das geringste Risiko einzugehen. Peets Schicht war zu Ende, und er wurde von Jörn Callaghan abgelöst. Der Funk war mit Gus Yonker besetzt, der aber nur die Aufgabe hatte, in der Zentrale einzuspringen, wenn es erforderlich war, denn der Moraner fühlte, dass er langsam aber sicher dem körperlichen Zusammenbruch entgegensteuerte, und welche verheerenden Folgen sein Zusammenbruch haben konnte, war ihm bestens bekannt. Jörn, der seine Pfeife stopfte und dabei den Blick ununterbrochen über die fünf Bildschirme gleiten ließ, wurde seiner inneren Unruhe nicht mehr Herr. „Arn, stehen wir nicht zu dicht neben dem Magnetfeld? Kann es uns aus dieser kurzen Distanz nicht mit der vollen Wucht seiner gesamten Energie treffen?“ Der Moraner blickte den Partner aus seinen schockgrünen Augen nachdenklich an. „Darin sehe ich keine Gefahr, Callaghan, doch sie wird riesengroß, wenn wir auch nur für einen Moment die Ortungen laufen lassen, oder den Empfang einschalten. Damit machen wir der Tele-Hypnose den Weg ins Schiff frei.“ Jörn Callaghans Pfeife brannte, aber der Tabak schmeckte ihm nicht, weil er die Situation so unbehaglich fand. „Hypnose … Tele-Hypnose, seit wann benötigt Hypnose einen elektromagnetischen Leiter, Arn?“
Die Antwort des Moraners verblüffte ihn. „Wenn sie künstlichen Ursprungs ist. Wenn sie mittels einer Maschine erzeugt wird. In der Wirkung gleich der natürlichen Hypnose, ist sie im Gegensatz zu dieser an einen Träger gebunden. Dadurch ist sie jedoch nicht weniger gefährlicher. Wir haben es ja am eigenen Leib zu spüren bekommen …“ „ … und Sie sind eigenartiger Weise weniger anfällig als wir Menschen von der Erde.“ Er nahm die Hand vor den Mund und gähnte laut, dabei wunderte er sich, wie stark sein Gähnzwang war, den er nicht mehr unterdrücken konnte. Hinter ihnen flog das Schott auf. Das konnte nur Yonker, der Funker, sein. Ahnungslos drehte Callaghan sich um. Sein Warnschrei kam zu spät. Szer Ekka, der eigentlich gefesselt in seiner versperrten Kabine liegen müsste, schleuderte einen schweren Metallgegenstand durch die Zentrale, und das klobige Wurfgeschoss streifte Arn Borul am Kopf. Ohne einen Ton über die Lippen zu bringen, brach der Moraner besinnungslos im Pilotensitz zusammen. Callaghans Pfeife lag am Boden, und er zertrat sie, als er aufsprang, herumwirbelte und in drei Sätzen Szer Ekka erreichte, der nach seiner unverständlichen Tat bewegungslos im geöffneten Schott stehen geblieben war und den anderen herankommen ließ. „Ekka …“, stieß Callaghan aus, winkelte den rechten Arm an, machte aus seiner Hand eine Faust und schlug den Astronavigator nieder. Er stieg über Szer Ekka hinweg, einen schrecklichen Verdacht hegend, rannte zur Funkkabine, stieß die Tür auf und stellte mit Entsetzen fest, dass der Empfang lief! Tele-Hypnose im Schiff! Wieder einmal! Von Gus Yonker war nichts zu sehen. Jörn Callaghan fühlte, wie das Undefinierbare von ihm Besitz ergreifen und ihn daran hindern wollte, den Empfang abzuschalten. Mit seinen letzten seelischen Kräften stemmte er sich dagegen, wurde nicht mehr gewahr, dass er schwankend auf den Empfänger zuging und dann sprang der Hauptschalter aus der Arretierung. Der Tele-Hypnose war der Weg in die PROMET wieder versperrt. Wie im Halbschlaf sank Callaghan in den Sessel, starrte den Boden an und glaubte, der würde sich langsam bis in die Unendlichkeit zurückziehen.
Arn! drang ein klarer Gedanke in ihm bis zur Oberfläche vor! Und noch einmal: Arn Borul! Der Gedanke hatte die Wirkung einer Zündung. Mich hat es wieder, stellte Jörn Callaghan fest. Mich hat es schon wieder gepackt, aber ich muss doch wach bleiben. Ich muss! Es war Gift für ihn, im Sessel sitzen zu bleiben! Aufstehen! er musste sich regelrecht befehlen, es zu tun. Dann wankte er in die Zentrale zurück, in der Ekka im geöffneten Schott lag. Er zerrte ihn zur Seite, schloss das Schott und verriegelte es magnetisch. Aus dem Schiff konnte keine Gefahr mehr kommen! Er hob den Kopf des Moraners an und starrte in dessen Gesicht. An einer Stelle war das silberglänzende Haar des Humanoiden rot gefärbt, aber es lief kein Blut mehr aus der Platzwunde. „Borul …“ Er schüttelte ihn. „Arn Borul, verdammt noch mal, mach deine Augen auf!“ Das er den Moraner duzte, fiel Callaghan nicht auf. Entsetzen packte ihn, als er flüstern hörte: „Ich möchte, aber ich krieg’ sie nicht auf, Jörn …“ Das durfte nicht wahr sein. Wer konnte ihm jetzt helfen? Er hielt den Moraner immer noch an den Schultern fest und starrte ihn fragend an, dann glitten seine Arme nach unten, und sein Mund öffnete sich leicht. In der Kommando-Zentrale der PROMET gab es keinen Menschen mehr, der noch Eigeninitiative entwickeln konnte. Alpha Centauri hatte wieder zugeschlagen. * Die HTO hatte Wort gehalten. Die von der Corporation eingeweihten Zoologen, die von der Existenz eines fremden Raumers hinter dem Pluto wussten, kamen aus ihrem euphorischen Zustand nicht mehr heraus, als sie vor den Plastikschalen standen, in die der Techniker Roneld die Skelette mit wissenschaftlicher Akribie hineingepackt hatte. Acht Tiere hatten sie inzwischen registriert, die der Wissenschaft unbekannt waren, darunter befand sich aber nicht B-465-k. Es bedurfte keiner großartigen Untersuchung, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Neger und Indianer ausnahmslos von den Bestien angefallen und umgebracht worden waren, als die
Fremdintelligenzen sie ebenfalls in den Zoo gestopft hatten. Zermalmte und fehlende Knochen, die Roneld, wie er mitgeteilt hatte, trotz intensiver Suche nicht mehr hatte finden können, deuteten darauf hin. „Demnach haben die Fremden Schwarze und Indianer zu den Tieren der Erde gezählt … Hm, keine angenehme Vorstellung, aber auch ein Hinweis, dass diese Fremden sich mit der Fauna der Erde als Wissenschaftler nicht besonders intensiv beschäftigt haben.“ „Vielleicht waren nur Techniker an Bord …“ „Ziemlich unwahrscheinlich, Kollege. Wenn man bedenkt, dass das Kugelschiff einen Durchmesser von rund dreihundertneunzig Metern hat, und wenn man sich einmal die Mühe macht, auszurechnen, wie groß das Volumen des unbekannten Schiffes ist, dann kommt man dahinter, dass zehntausend Personen an Bord den Raumer immer noch nicht überfüllt hätten. Es hätte an Bord nicht einmal Gedränge gegeben. Also, Kollege, ich kann mich in diesem Punkt Ihrer Annahme nicht anschließen.“ Trotz aller Vorsicht begannen sich auf der Erde einige Menschen über die Kollegen langsam zu wundern, weil sie gezielte Anfragen erhalten hatten, die eindeutig darauf hinwiesen, dass man irgendwo auf der Erde fündig geworden war und dabei auf unbekannte Tiere gestoßen war. Es stellte schon eine Sensation ersten Ranges dar, dass man das komplette Skelett eines B-465-k gefunden hatte. Die Kap-Verwaltung war hellhörig geworden, und auch die WorldPolice spitzte die Ohren. Noch ahnte man bei der HTO nicht, dass eine Fahndung eingeleitet worden war und sich die World-Police immer stärker dafür zu interessieren begann, wo Angestellte der HTO dieses Skelett hätten ausgraben können. Als einwandfrei feststand, dass man im Bereich der Kulthöhle keine Grabungen durchgeführt hatte und die Angestellte der HTO seit Jahren nicht mehr in diesem Gebiet gewesen waren, weiteten sich die Nachforschungen automatisch auf ein tausendmal größeres Gebiet aus. Als Terwood über einen dunklen Kanal davon erfuhr, setzte er sofort Harry T. Orell davon in Kenntnis, der die Nachricht mit größter Gelassenheit hinnahm. „Terwood, die Corporation unternimmt in diesem Fall nichts. Ich möchte auch nicht, dass wir den Tier-Experten irgendwelche
Beschränkungen auferlegen, nur greifen Sie den lebensfremden Männern beim Lügen mal etwas unter die Arme, denn eines Tages müssen sie Farbe bekennen und angeben, wo sie die alten Knochen ausgegraben haben.“ Terwood lachte und bedankte sich für das Vertrauen, dass sein Chef in ihn setzte. „Ist nicht jeder von uns gezwungen, hin und wieder zu lügen, Terwood?“ Die Begeisterung der Zoologen übertraf seine Erwartungen, und sie kamen ihm in diesem Moment wie kleine Kinder vor, als sie ihn baten, einige Storys zu erfinden, die glaubwürdig erklärten, wo sie die Tierskelette ausgegraben hatten. Der weißhaarige Experte gab unumwunden zu, für diesen Fall nicht die erforderliche Phantasie aufzubringen. „Mr. Terwood, bestimmen können Sie viel besser lügen als wir.“ Um ein Haar hätte Terwood ob dieses Lobes auch noch Danke gesagt. Verrückte Welt! dachte er, als er die Halle, in der die alten Knochen lagerten, verließ. * Der Moraner begriff, was mit ihm geschehen war, und das Misstrauen sich selbst gegenüber war riesengroß geworden. Die PROMET und ein Mann! Und die PROMET befand sich im System Alpha Centauri, und Alpha Centauri hatte sie zum zweiten Mal angegriffen. Er hielt sich den brummenden Schädel und fühlte die Platzwunde, die er erlitten hatte, als ihm das Eisenstück an den Kopf geflogen war. Und in diesem Moment war auch er das Opfer der TeleHypnose geworden; die unheimliche Macht hatte ihn daran hindern wollen, die Augen zu öffnen, nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Arn begriff. Im Zustand körperlicher Schwäche war auch er für Hypnose im höchsten Maße anfällig. Der Gedanke daran machte ihm keine Sorgen mehr. Nachdem er nun wusste, wie er unter den Einfluss der künstlich erstellten Hypnose geraten konnte, war diese Gefahr längst nicht mehr von Bedeutung. Er hatte jetzt nur die Aufgabe, alle Maßnahmen zu treffen, dass der PROMET nichts Nachteiliges geschehen konnte, wenn auch er ausfallen sollte, und
sich im Schiff keine Hand mehr rührte. Beinahe liebevoll betrachtete er den Computer, denn dass man Computer hypnotisieren könne, davon hatte er noch nie gehört. Dass sein Kopf quälend brummte, ignorierte er einfach. Er brachte die erstaunliche Leistung fertig, sich mit größter Intensität auf seine Aufgabe zu konzentrieren, und ihm wurde nicht einmal bewusst, wie sehr er sich in seiner Denkweise den Menschen schon angepasst hatte, als er voll eiskalter Wut dachte: Na wartet, wir werden euch schon erwischen – und dann Gnade euch Gott! Warum hatte man sie überhaupt in dieser niederträchtigen Form angegriffen, und warum machte man sich ein teuflisches Vergnügen daraus, ihnen den Hypnose-Befehl zu erteilen, sich gegenseitig umzubringen? Dass der letzte Tele-Einbruch nicht voll zum Tragen gekommen war, hatten sie Jörn Callaghan zu verdanken, der wahrscheinlich im allerletzten Augenblick den Empfänger abgeschaltet hatte. Aufatmend lehnte sich der Moraner zurück. Die Programmierung stand, und das nächste Abenteuer konnte beginnen. Er wagte es, allein die PROMET noch tiefer in dieses gefährliche System zu fliegen, und er brachte es nur mit Hilfe des Großrechners fertig, der von sich aus die Raumyacht sofort auf Gegenkurs steuern würde, wenn Arn nicht alle zehn Minuten eine bestimmte Kontrolltaste drücken würde. An die anderen, die er narrensicher in ihren Kabinen eingesperrt hatte und die wieder zu verschnürten Paketen geworden waren, dachte er nicht. Der dritte oder der zweite Planet des Alpha Centauri-Systems war sein Ziel. Auf dem dritten oder zweiten Umläufer musste die Sendestation stehen, die TeleHypnose zur Feldmembrane hochstrahlte, die frei im Leerraum stand. Er glaubte der Behauptung des Computers, die dieser mit einer Wahrscheinlichkeit von zweiundachtzig Prozent ausgeworfen hatte. Die Triebwerke der PROMET liefen mit maximaler Leistung. Das Brummen und Dröhnen der Transformer war deutlich in der Kommando-Zentrale zu hören. Alpha Centauri, die tiefgelbe Sonne, wurde unmerklich größer, und die Blenden vor den Bildschirmen schlossen sich mehr und mehr, um dem einfallenden Licht jede Blendwirkung zu nehmen. Der Moraner fühlte keine Unruhe, nur nach Sicht zu fliegen, und an einen Zusammenstoß mit einem Meteor dachte er kein einziges Mal.
Die Handvoll Schlaf, die er sich gegönnt hatte, nachdem auch der letzte an Bord eingesperrt worden war, zahlte sich aus. Er fühlte sich frisch und traute sich zu, so lange es erforderlich war, wach zu bleiben und alle zehn Minuten die Kontrolltaste zu drücken. Ein Segen, dachte er, dass die Terraner leistungsfähige Computer entwickelt haben! Stunden vergingen, und der Flug verlief störungsfrei. Damit hatte der Moraner nicht gerechnet, sondern sich innerlich auf eine Reihe von Zwischenfällen vorbereitet, weil nach seinen Überlegungen Intelligenzen, die mit Tele-Hypnose zu arbeiten verstanden, bestimmt noch einige hundert wirkungsvolle Abwehrmethoden zur Hand hatten. Oder wollte man freundlicherweise die PROMET so tief ins System locken, dass ihr von einem bestimmten Standort aus keine Gelegenheit mehr zur Verfügung stand, zu fliehen? Er grinste bei diesen Gedanken und dachte gleichzeitig an den Computer, der bei solch einem Zwischenfall den Auftrag hatte, die PROMET in einer Transition aus dem System zu schleudern. Arn Borul hatte alle Möglichkeiten einkalkuliert. Eine Planetenbahn nach der anderen wurde gekreuzt. Drei der Umläufer waren auf den Schirmen groß geworden und langsam wieder in der Schwärze des Alls verschwunden. Hoh! Der Moraner zuckte zusammen, da er sich dabei erwischt hatte, gedöst und dadurch um Haaresbreite vergessen zu haben, die Taste zu drücken. Es war nicht gut, von seiner Heimatwelt Moran zu träumen und an Junici zu denken! Langsam machte sich Müdigkeit bei ihm bemerkbar. Er warf einen Blick auf sein Chrono, sah, dass er noch acht Minuten Zeit hatte, um die Taste zu drücken, und eilte in die Messe, um etwas Trinkbares zu holen. Als er an Peet Orells Kabine vorbeikam, hörte er diesen rufen. „Arn, ich bin wieder fit. Komm und binde mich los …“ Er dachte nicht daran. Über diesen Punkt konnte man vielleicht nach zehn weiteren Stunden sprechen. Und dann war es soweit. Die PROMET hatte die vierte Planetenbahn hinter sich gebracht und näherte sich dem dritten Umläufer, der als schwacher Lichtpunkt schon auf dem großen Bildschirm zu erkennen war. Druck der Kontrolltaste! Danach erhob sich Arn, schob den Blaster in die Tasche und verließ den Kommandoraum.
Peet blickte ihn wütend an, als er vor seinem Bett stand. „Hast du dir schon mal darüber Gedanken gemacht, dass jeder Mensch auch hin und wieder ein Bedürfnis zu erledigen hat?“ Arn blickte auf seine Uhr. „Ich habe noch acht Minuten Zeit, dann muss ich die Kontrolltaste drücken. Beeil dich also, wenn wir aus Alpha nicht durch eine Transition hinauskatapultiert werden wollen. Wie fühlst du dich?“ „Vor zehn Stunden war ich schon topfit …“ Dann verschwand er auf die Toilette, und als er zurückkam, stellte er mit Grimm fest, schon wieder eingesperrt zu sein. Dass Arn Borul über mehr als zwei Tage die einsamste Person an Bord gewesen war, dieser Gedanke kam ihm nicht. Dann musste er sich gefallen lassen, in der Zentrale erneut an den Sessel gefesselt zu werden. „Peet“, sagte der Moraner scharf, „ich denke nicht daran, noch einmal das kleinste Risiko einzugehen.“
11. Sie näherten sich dem dritten Planeten, der inzwischen zur Kugel geworden war und die ersten Einzelheiten seiner Oberfläche zeigte. Peet und Jörn gefiel diese Welt nicht. Die Vergrößerung war auf maximale Leistung geschaltet worden, und die Feineinstellung brachte hohe Gebirgszüge scharf heran, die einen Augenblick später verschwanden, als ob ein Leichentuch sie zugedeckt hätte. „Großer Himmel“, stieß Jörn Callaghan aus, „über diese Welt rasen ja Stürme von unvorstellbarem Ausmaß.“ Der Moraner war mit der Spektralanalyse dieses Planeten beschäftigt, und der Großrechner leistete ihm dabei wertvolle Hilfe. „Wir können auf neuen Kurs gehen. Die Methan-Wasserstofflinien im Spektrum dominieren. Ich bin gespannt, wie sich uns der zweite Planet zeigt.“ Die PROMET wanderte auf Blau nach 48:33:72 aus, und der Methan-Wasserstoffplanet verschwand von allen Bildschirmen. Die Stimmung in der Zentrale war nicht gut, aber Arn Borul sah darüber hinweg. Ungeheure Spannung hatte sich in ihm breit gemacht, und
diese Spannung wurde von geradezu menschlicher Neugier begleitet. Alpha Centauri hatte sie mit teuflischen Hypnose-Angriffen empfangen, und nun tat sich seit anderthalb Tagen nichts mehr. Der Moraner hatte seine Partner nicht im unklaren belassen und ihre Zustimmung eingeholt, falls erforderlich, das System bis zum ersten Planeten zu durchfliegen, um danach erst auf Heimatkurs zu gehen. Die tiefgelbe Sonne wollten sie in einer Transition hinter sich bringen. „Arn“, sagte Peet Orell zum fünften Mal, „binde uns doch endlich los! Du musst doch selbst festgestellt haben, dass wir dieser Hypnose nicht mehr unterworfen sind.“ Der schüttelte den Kopf. „Das habe ich einmal geglaubt und dafür die Quittung erhalten. Peet, in eurem Interesse darf ich euch noch nicht die Fesseln abnehmen. Verstehe es doch!“ Der warf ihm einen wütenden Blick zu. „Hoffentlich kann ich dir dein Verhalten mal bei passender Gelegenheit zurückzahlen …“ Der Moraner überhörte es. „Ich muss, obwohl ich nicht will, die Distanz-Ortung für ein paar Sekunden einschalten, um die genaue Entfernung zum zweiten Planeten zu erhalten. Ich bitte euch, dass jeder sich während dieser Sekunden genau beobachtet, und ich nehme doch an, dass ich wahrheitsgemäß eure Beobachtungen erfahre.“ Auf seine Bemerkung erhielt er kein Echo. Arn beugte sich vor, kippte drei Schalter um, und auf dem Ortungs-Schirm wurde eine Amplitude sichtbar, die allen vertraut war. „Ortungsstrahlen, die nur lichtschnell sind … nicht zu fassen“, ließ Arn Borul sich wieder darüber aus, und in diesem Moment verstanden ihn auch die anderen, weil sie am eigenen Leib erfahren hatten, welche Gefahren mit Ortungsstrahlen in diesem System verbunden waren. „Ortung aus … Und nun abwarten, bis der reflektierte Strahl zurückkommt. Ein schönes Rätselspiel …“, sagte der Moraner sarkastisch. Ohne den Computer, der mit der Wahrscheinlichkeitsberechnung arbeitete, hätte Arn Borul das Problem nicht bewältigen können. „Verdammt“, stieß Peet aus, „ich muss schon wieder gähnen …“, und hinter ihm gähnte Vivien auch. Nur Jörn Callaghan hatte an sich nichts festgestellt.
„Und ich muss die Distanz-Ortung in zehn Sekunden noch einmal einschalten“, machte sie Arn aufmerksam. „Können wir denn nicht wie bisher nach Sicht fliegen, Arn? Muss das denn sein?“, fragte Peet Orell ungehalten, der deutlich erkannt hatte, dass ihn schon wieder ein Tele-Hypnosestoß getroffen hatte. „Wir können auch umkehren, Peet. Du bist der Kommandant.“ Der betrachtete verbissen den Plastikstrick, der ihn an seinen Sessel fesselte, und noch bissiger erwiderte er: „Das bemerke ich jetzt besonders deutlich!“ „Ortung …!“ Acht Sekunden lang arbeitete sie, dann lag sie wieder still. Neben dem Moraner sagte Callaghan leise: „Arn, jetzt hat es mich auch erwischt. Zum Teufel, lässt die uns denn überhaupt nicht mehr los?“, und dann setzte auch bei ihm das typische Zwangsgähnen ein. Arn Borul war wieder ohne jede Hilfe. Für die nächsten Stunden konnte er Peet, Jörn und Vivien abschreiben. Der Computer warf die Distanz zum zweiten Planeten aus und hatte gleichzeitig durchgerechnet, wie lang die Flugzeit der PROMET bei der zurzeit bestehenden Geschwindigkeit war: Acht Stunden und dreiundzwanzig Minuten. Eine halbe Stunde später machte Peet eine eigenartige Bemerkung: „Arn, ich fühle keinen Hypnose-Einfluss mehr. Auch der Gähnzwang ist nicht mehr vorhanden. Besteht die Möglichkeit, dass man gegen Hypnose immun wird?“ „Nein, Peet“, erwiderte der Moraner, ohne nachgedacht zu haben. „Du kannst aber den hypnotischen Befehl erhalten haben, dich stundenlang pudelwohl zu fühlen, um dann in einem bestimmten Moment voll der Hypnose zu unterliegen und dem Befehl entsprechend zu handeln.“ „Reizvolle Aussichten …“, knurrte Peet bissig und ergab sich in sein Schicksal. Der Moraner kontrollierte noch einmal das Befinden von Ekka, Yonker und Tak und fand sie in bester Stimmung vor, was ihm wiederum verdächtig erschien, denn keiner bat darum, losgebunden zu werden. Sie befanden sich in einem Höllensystem, das versuchte, sie mit einem tückischen Abwehrmittel zu vernichten. Als er an Vivien Raid vorbei ging, zuckte er zusammen, denn ihr Gesicht zeigte wieder diesen unbeschreiblich maskenhaften Ausdruck, während Peet und Jörn normal zu sein schienen.
„Binde mich los, du Lump, damit ich dir den Schädel einschlagen kann!“, tobte Vivien und zerrte wie eine Irre an der Fesselung. „Du sollst mich losbinden, du dreckiger Moraner …“ Er betrachtete sie, wie ein Arzt seinen Patienten beobachtet, und es tat ihm leid, dass er Vivien nicht helfen konnte, deren Augen kein Leben mehr zeigten, obwohl sie wie ein Straßenmädchen fluchte. „Vivy hat’s voll erwischt“, sagte Peet teilnahmsvoll, der sie interessiert anschaute. „Arn, haben wir das letzte Mal, als wir dir ans Leben wollten, alle so ausgesehen?“ „Ja, Peet.“ „Na, ein schöner Anblick ist das für dich ja nicht gewesen. Mein Gott, wie mögen diese Wesen aussehen, die solch eine infame Abwehrwaffe geschaffen haben …?“ Der Moraner warf ihm einen fragenden Blick zu. „Soll das heißen, wir kehren um, Peet?“ „Nein, Arn. Solange wir die kleinste Chance haben, uns doch noch mit den Centauris in Verbindung zu setzen, um sie von unserer Harmlosigkeit zu überzeugen, möchte ich, dass wir den Flug fortsetzen. Wir haben ja immer noch unseren Computer, der das Schiff transitieren lässt, wenn man uns aus dem Vollen angreifen sollte. Jörn, wie denkst du darüber?“ „Wir sollten es versuchen, Peet …“ Es kam der Augenblick da der zweite Umläufer die gesamte Fläche des großen Bildschirmes in Anspruch nahm. Er zeigte sich als Kugel, die ähnlich wie Terra in blauem Licht schimmerte. „Eine Sauerstoff-Welt“, sagte Arn, der seine Spektralanalyse durchgeführt hatte. „Das Gas-Spektrum hat starke Ähnlichkeit mit dem Terras …“ Zwei Triebwerke der PROMET wurden durch den Computer umgeschaltet und die Raumyacht von ihrem Tempo heruntergeholt. Arn bestätigte die Feineinstellung der Vergrößerung, und drei Kontinente, die aber nicht besonders groß waren, tauchten auf. Der kleinste von ihnen war nur so groß wie Grönland, aber die Gebirge auf ihm von einer Höhe, wie sie auf Terra unbekannt war. Die zwei anderen, keiner größer als Australien, hatten unterschiedliches Aussehen; der eine war vage eiförmig, der andere erinnerte an eine Sichel. Weite Ebenen dominierten auf den beiden Landmassen.
Planet zwei lag im vollen Licht der Centauri-Sonne und zeichnete sich scharf gegen den schwarzen Raum ab. Vivien Raid tobte nicht mehr, sondern saß unbeweglich in ihrem Sessel und blickte starr zu Boden. Sie begriff nicht, dass sie dicht vor dem Ziel ihres abenteuerlichen Fluges standen. Die vom Computer gesteuerte PROMET wurde noch stärker abgebremst. Für einen Augenblick kam schwacher Andruck durch. „Hab’ ich geschlafen …?“ Drei Männer, die den Andruckschock noch in den Gliedern spürten, drehten sich überrascht nach Vivien um, die sie fragend anblickte. „Eigenartig“, stellte Jörn Callaghan fest, „ich fühle mich anders, als die ganze Zeit über …“ „Mir ergeht es ebenso“, sagte Peet Orell. „Seit der Andruck für ein paar Sekunden schwach durchkam …“ „Um so besser …“ Der Moraner wunderte sich immer noch über den Wandel, der mit Vivien vor sich gegangen war und dachte angestrengt nach. Doch was er durch Ghinu über künstlich erzeugte Hypnose erfahren hatte, passte nur zum Teil in das Bild, das er hier zu sehen bekommen hatte – und es passte gar nicht zum Verhalten von Vivien. Durfte er es wagen, noch einmal die Distanz-Ortung einzusetzen, um bis auf den Meter genau die Entfernung zum Planeten zwei zu erhalten? Zögernd gab Peet seine Zustimmung. Arn schaltete sie ein und ließ sie laufen, bis der reflektierte Strahl wieder zurück war. „Keine Beobachtungen gemacht …“, erklärte Jörn. „Ich habe nichts gespürt“, sagte Vivien, und dann teilte Peet mit, sich genauso wie nach dem Andruckschock zu fühlen. Hatte man auf Planet zwei endlich eingesehen, dass man mit Tele-Hypnose das Raumschiff nicht ausschalten konnte? „Ich muss sagen“, gab der Moraner preis, „dass mich diese Welt unheimlich neugierig gemacht hat, und noch neugieriger bin ich auf die Bewohner dieses Planeten. Schade, dass in der letzten Stunde starke Bewölkung aufgekommen ist und wir dadurch nur noch wenig zu sehen bekommen.“ „Schalte doch Infrarot ein, Arn, dann erhältst du ein klares Bild.“
„Und wenn wir damit Tele-Hypnose hereinkommen lassen, Peet …?“ „Ich würde es wenigstens versuchen … Abschalten kannst du dann immer noch.“ „Okay …“ Schlagartig wurde das Bild auf dem großen Schirm klar, und der Kontinent, der einer Sichel glich, zeigte sich ihnen in seiner gesamten Größe. Auffallend waren die spinnwebdürren Linien, die sich kreuz und quer über die Landmasse zogen. „Straßen …?“, fragte Jörn Callaghan, der Sehnsucht nach seiner geliebten Pfeife hatte, die aber leider nicht mehr existierte. „Wahrscheinlich …“ Aber Arn Borul entdeckte die Doppellinien und sagte impulsiv: „Aber Straßen, die Schatten werfen …? Gibt es das?“ Er blickte Peet fragend an, und der verstand, was der Moraner wissen wollte. „Mein Zustand ist unverändert …“ Auch Vivien hatte das gleiche zu sagen. Demnach schien Infrarot kein Träger zu sein, der Tele-Hypnose ins Schiff hereinließ. Wieder erfolgte ein schwacher Andruckstoß, als das letzte Strahltriebwerk der PROMET umgeschaltet wurde, und stark verzögernd stieß die Yacht durch die oberen Luftschichten von Centauri zwei. Arn hatte nichts zu tun, denn alle Steuermanöver wurden vom Großrechner durchgeführt, der gerade Antigrav eingeschaltet hatte, um der Anziehungskraft des Planeten entgegenzuarbeiten. „Arn, mein Gott, Arn, sieh doch …!“, stieß Jörn Callaghan aus, und mangels Bewegungsfreiheit deutete er mit einer Kopfbewegung an, worauf er aufmerksam machen wollte. Und jetzt sahen alle drei Männer das Unwahrscheinliche. Eine Riesenstadt auf dem eiförmigen Kontinent! Eine Stadt, in der 20 bis 30 Millionen Intelligenzen leben mussten. Eine Stadt von einer Ausdehnung, wie man sie auf Terra nicht kannte. „Was gibt es zu sehen?“, fragte Vivien von ihrem Sessel aus. Peet unterrichtete sie. „So habe ich mir das immer vorgestellt“, erwiderte sie mit sarkastischem Unterton. „Da fliegt man zum ersten Mal in seinem Leben einen Planeten eines fremden Sonnensystems an, und dann sitzt man gefesselt da und kann nicht einmal einen Blick auf den Bildschirm werfen …“
Die Männer hatten nur mit halben Ohr zugehört. Ihre Aufmerksamkeit galt der im hellen Cremeton leuchtenden Stadt, die durch fünf strahlenartig verlaufende Ausfallstraßen aufgeteilt wurde. Arn hatte ihnen nur einen kurzen Blick zugeworfen. Er sah jetzt auch die Stadt nicht mehr. Wo lagen die Strahlgeschützstellungen? Aus welcher Richtung konnte Gefahr kommen? Er sah nur die Ebene, die die Riesenstadt von allen Seiten umschloss, und er sah die Ausfallstraßen, die Schatten warfen, aber er konnte keinen einzigen Hinweis entdecken, der ihm Gefahr signalisierte. Drei Instrumente zeigten an, dass die PROMET durch Antigrav so leicht wie ein Blatt geworden war und nun durch den Schub der Triebwerke mit niedriger Geschwindigkeit nach unten getrieben wurde. Die Erregung in der Kommando-Zentrale hatte Höchstwerte erreicht. Selbst der Moraner konnte seine Unruhe nicht mehr völlig verbergen. „Kein Raumschiff zu sehen …“ Höhe der PROMET noch dreiundzwanzig Kilometer! „Fünf Riesenbauten im Zentrum der Stadt, und dann nur Flachbauten einer so hoch wie der andere …“ Aber die wolkenstürmenden Bauwerke mussten tausend Meter und mehr hoch sein und mit ihrer Lage gaben sie dem Platz, den sie umstanden, Kreisformat. Höhe achtzehn Kilometer! Ein einziges Mal hatte Arn Borul in die Steuerung eingegriffen und die PROMET auf das Zentrum der City Kurs nehmen lassen. Höhe zehn Kilometer! Die Vergrößerung holte alles so nah heran, als ob die Menschen und der Moraner in der Raumyacht nur hundert Meter entfernt stünden. „Jörn, Arn … leere Straßen. Nirgendwo Bewegung. Überall diese Leere. Und jetzt weiß ich auch, warum die Ausfallstraßen Schatten werfen … Seht ihr es auch? Sie schweben über den Flachdächern … und draußen auf dem freien Land, da schweben sie auch!“ Abgehackt waren Peet die Sätze über die Lippen gekommen. „Unheimlich …“, sagte Jörn leise. „Unheimlich, diese Leere …“ Auch der Moraner wurde davon beeindruckt, und wieder und wieder suchte er, von Sorgen gepeinigt, im weiten Umkreis nach etwas, hinter dem er eine Strahlgeschützstellung vermuten konnte,
doch das flache Land lieferte ihm keinen einzigen Hinweis. Wie war das in Bezug auf die Tele-Hypnose-Angriffe zu verstehen? Die PROMET brach in die dichten Luftschichten ein und schwebte im senkrechten Anflug tiefer. Die fünf gigantischen Bauwerke schienen ihnen entgegenzukommen, und ihre Flachdächer spiegelten das Licht der Centauri-Sonne wider. Höhe dreitausend Meter! Wunderbar, wie der Computer das Schiff steuerte. Der Moraner brauchte keine Hand zu rühren. Der Platz musste einen Durchmesser von zwei Kilometer haben und passte mit seiner Größe zu den fünf Riesenbauten. Aber wie ein Menetekel die unheimliche Leere des Platzes! „Es muss doch jemand in der Stadt leben …“ Dann hatte die PROMET die Dachhöhe der Hochhäuser erreicht. Die Fenster erschienen ihnen als dunkle Löcher, und dieses Dunkel erschien den Leuten in der PROMET fast wie eine Drohung. „Nicht zu fassen …! Einfach nicht zu begreifen …“, stieß Peet Orell aus. Er hatte in der letzten Stunde ganz und gar vergessen, dass er gefesselt in seinem Sessel saß. Die Fallgeschwindigkeit der Yacht betrug nur noch zehn Meter in der Sekunde, und über die Vergrößerung erkannten die Männer, dass die fünf Hochbauten aus eine Guss hergestellt worden waren. Aber nirgendwo Bewegung … kein einziges Fahrzeug zu sehen … kein Gleiter und kein Raumschiff … Jörn kniff seine Augen zusammen, weil er glaubte, rechts am Bildrand ein Aufblitzen bemerkt zu haben. „Da war doch …“ Mehr brachte er nicht mehr über seine Lippen. Alle drei sahen es. Und es spiegelte das Licht der Centauri-Sonne wider! Es kam aus der Ebene über die schwebende Ausfallstraße in die Stadt. „Großer Himmel“, schrie Peet Orell auf, „da ist ja auf jeder Straße so ein Ding zu sehen …!“ Der Moraner hatte die Lippen aufeinander gepresst, und von seinen grünen Augen war nicht mehr viel zu sehen. Der Angriff auf ihr Schiff lief an. Diese Welt, diese Stadt, die sich ihnen als tote Stadt zeigte, war nicht ausgestorben. Sie schlug zurück … sie griff mit diesen blitzenden Fahrzeugen, die mit hoher Geschwindigkeit über die Schwebestraßen rasten, an.
„Sind das nicht …? Ist das nicht …?“ Jörn ließ seinen Freund Peet nicht aussprechen. „Das sind Staubwolken … Riesenstaubwolken, die diese Dinger aufwirbeln … Aber, bei allen Sternen, wieso wirbeln die den Staub vor sich und nicht hinter sich auf? Das ist doch nicht normal.“ Arn Borul setzte den linken äußeren Bildschirm ein, schaltete ihn auf maximale Vergrößerung und erfasste mit der Magnetlinse eines der heranrasenden Fahrzeuge. Die Höhe der PROMET betrug noch dreihundert Meter. Zum Greifen nah lag der leere Riesenplatz unter ihnen. Aber auf den fünf Schwebestraßen rasten diese staubaufwirbelnden Fahrzeuge mit unheimlicher Geschwindigkeit heran und hatten eindeutig den kreisrunden Platz als Ziel. „Arn“, stieß Peet aus, „willst du in dieser Lage tatsächlich eine Landung wagen?“ Wie geistesabwesend murmelte der: „Weiß ich noch nicht … Moment, bitte störe mich jetzt nicht …“ Die Fahrzeuge, jedes auf einer anderen Schwebestraße, hatten zum gleichen Zeitpunkt die Peripherie der Riesenstadt erreicht und näherten sich ihrem Ziel. Es waren plumpe, das Licht reflektierende Metallkörper, und sie wirbelten vor sich gewaltige Staubwolken auf, doch hinter ihnen war keine Spur von Staub zu sehen. Galten auf Centauri zwei andere physikalische Gesetze als sonst im Weltall? Jörn Callaghan wirbelte herum. „Arn, ich würde nicht landen. Die unheimlichen Fahrzeuge sind doch in einer halben Minute auf dem Platz.“ In diesem Moment lehnte sich der Moraner weit im Sessel zurück und begann schallend zu lachen. War er übergeschnappt …? Sah er nicht die Bestürzung in Peets und Jörns Augen? Wann hörte er endlich mit dem schallenden Gelächter auf? Endlich tat er ihnen den Gefallen und schlug ihnen dafür mit der Hand auf die Schulter. „Habt ihr immer noch nicht begriffen, was da herankommt? Großer Himmel, sonst kapiert ihr doch schnell … Peet, Jörn … die Staubwolke ist vor den Fahrzeugen und nicht hinter ihnen …“ „Glaubst du, das ist uns nicht aufgefallen?“, giftete Peet, der die Spannung kaum noch ertragen konnte. „Aber ihr habt nicht begriffen, was ihr seht … Auf Moran hat es diese Fahrzeuge auch mal gegeben … Peet, Jörn, warum lassen wir
diese Straßen-Staubsauger herankommen?“
nicht
in
aller
Gemütsruhe
12. In der PROMET verfolgten verblüffte Menschen diesen Reinigungsvorgang. Gleichzeitig aber drängte sich jedem die Frage auf, warum nur diese Aggregate zu sehen waren, und warum es in der Riesenstadt auf der zweiten Welt des Alpha Centauri-Systems absolut keinen Verkehr gab? „Sie halten an!“, stieß Vivien Raid aus, die zwischen Peet Orell und Jörn Callaghan stand und den großen Bildschirm in der Zentrale nicht aus den Augen ließ. An der Peripherie des großen Platzes, dessen Durchmesser fast zwei Kilometer betrug, standen die Straßen-Staubsauger einen Moment still. Dann drehten sich die unförmigen Maschinen, die Staub zigtonnenweise schlucken konnten, und erzeugten deutlich sichtbar ein Luftkissen, auf dem sie in knapp einem Meter Höhe über die schwebenden Ausfallstraßen davonflogen. Der Staub, der den kreisrunden Platz fußhoch bedeckte, war von ihnen nicht beseitigt worden. „Verrückt …“, sagte Peet Orell und schüttelte den Kopf. „Hoffentlich ist auf diesem Planeten nicht alles so verrückt.“ Der Moraner schwieg sich aus und bewunderte wieder und wieder die freischwebenden Hochstraßen, die in einer sanften Steigung vom Platz aus wegführten und die Riesenstadt in fünf gleichgroße Teile aufteilten. Soweit er sehen konnte, gab es nirgendwo einen einzigen Stützpfeiler, nirgendwo eine tragende Konstruktion. Die Straßen hingen einfach in gut fünfzig Meter Höhe in der Luft. Sanft war die Steigung vom Platzrand aus, und gedämpft, unter dem Licht der Centauri-Sonne, schimmerte der Straßenbelag in einem matten Lindgrün. „Scheußlich!“ Wieder war es Peet Orell gewesen, der diese Bemerkung gemacht hatte. „Scheußlich diese Leere, diese Stille. Über die Außenmikrofone kommt kein einziger Ton herein. Selbst die Staubsauger sind nicht zu hören.“
Die erste Landung auf einer Sauerstoffwelt eines fremden Sonnensystem hatten sich alle anders, abenteuerlicher vorgestellt. Hier empfing sie eine Riesenstadt, in deren Häusermeer kein Leben zu sein schien. War der fußhohe Staub auf dem Platz nicht Beweis genug, dass hier Leere und Stille und Verlassenheit zu Hause waren? Nirgendwo zeichnete sich eine Spur ab. In sanften Wellen verlief die Stauboberfläche. „Ob es hier nie regnet?“, wollte Vivien wissen. „Ich habe andere Sorgen“, warf Peet Orell ein. „Darf man wissen, welcher Art sie sind, Peet?“, fragte Jörn. „Man darf, Jörn. Als wir ins System einflogen, versuchte man, uns durch Tele-Hypnose zu beeinflussen; wir sollten uns gegenseitig umbringen. Jetzt befinden wir uns im Zentrum einer Gespensterstadt und stehen vor einem Rätsel, das sich aber auch durch gar nichts aufzulösen scheint, und diese Tatsache macht mir nicht nur Sorgen, sie versetzt mich geradezu in Angst; Angst vor Alpha Centauri.“ Er drehte sich nach Arn Borul, dem Moraner um. „Wie siehst du das alles, Arn?“ Der ließ seinen Blick von einem Bildschirm zum anderen schweifen. Alle fünf Schirme zeigten dieselbe Verlassenheit und Stille. Und diese Stille war so komprimiert, dass jeder in der PROMET das Gefühl hatte, sie greifen zu können. „Unter keinen Umständen das Schiff verlassen. Mehr kann ich im Moment nicht sagen.“ Vivien nickte. „Komisch, mich reizt es auch nicht, nach draußen zu gehen, und was würde mit uns im Freien passieren, wenn uns dort ein neuer Hypnose-Stoß erreichen würde?“ Wie ein Damoklesschwert hing diese Gefahr über ihnen, und wie gefährlich sie war, hatten sie alle beim Anflug am eigenen Leib zu spüren bekommen. „Riddle …“, sagte Peet und hatte damit dem zweiten Planeten dieses Systems den Namen gegeben: Rätsel. Jörn Callaghans eisgraue Augen veränderten sich nicht, als er etwas ungeduldig sagte: „Aber wir können doch nicht einfach herumsitzen und nichts tun.“ „Stimmt“, gab ihm Arn Borul Recht. „Wir sollten zuerst eine Analyse der Atmosphäre vornehmen. Vielleicht ergibt sich daraus ein Hinweis, warum wir weit und breit keine Lebewesen sehen …“
„Die es aber geben muss“, warf Vivien ein, „denn irgendein Riddler muss doch diese Staubsauger in Marsch gesetzt haben.“ Der Moraner musste widersprechen; für ihn waren es einfach wartungsfreie Maschinen, die einer alten Programmierung folgten. „Na, schön“, sagte Vivien lustlos, „dann muss es also keine Riddler mehr geben. Jörn, hilfst du mir bei der Analyse?“ Callaghan, kompakter gebaut als sein Freund Orell, strich über sein dunkelbraunes Haar, warf Arn und Peet noch einen fragenden Blick zu und erhob sich. Ein Moraner und ein Terraner waren in der kleinen Zentrale der PROMET allein. Schweigend betrachteten sie die Hochbauten, die anscheinend in einem einzigen Gussvorgang erstellt worden waren, und das cremefarbige Aussehen der Fronten wirkte auf die Dauer einschläfernd. Eintausendzweihundertachtundsiebzig Meter ragten sie in den Himmel. Keiner der Wolkenkratzer war so groß wie der andere. Bei klarer Sicht mussten sich auch noch aus hundert Kilometer Entfernung mit bloßen Augen zu sehen sein. Was befand sich in diesen Hochhäusern? War von dort aus diese Riesenstadt einmal verwaltet worden? „Ich begreife es nicht …“, murmelte Peet Orell. „Was nicht?“, fragte der Moraner. „Man muss unsere Landung doch geortet haben, genauso wie man uns ortete, als wir ins System einflogen, und dann den TeleHypnose-Stoß ins Schiff hineinschmuggelte, aber niemand zeigt sich jetzt, und nichts tut sich. Das Ganze gefällt mir nicht, Arn.“ Peet blickte ihn beinahe herausfordernd an. „Vielleicht wartet man nur darauf, dass wir wieder starten und einen Erkundungsflug unternehmen. Vielleicht ist die Abwehr dieses Planeten so eingerichtet, dass sie im Bereich der Stadt nicht wirksam werden kann.“ „Damit werden unsere Aussichten ja noch schöner. Sag mal, war deine Heimatwelt Moran, bevor sie zerstört wurde, auch in dieser Form abgesichert?“ Arn schüttelte den Kopf. „Meine Rasse fühlte sich im Kyl-System absolut sicher, und als lange Zeit kein Angriff aus dem Raum mehr erfolgte, vernachlässigte man nicht nur die planetarischen Forts, man demontierte sie sogar. Diese Abwehrstellungen sollen damals in der
Lage gewesen sein, jeden Punkt auf der Oberfläche Morans zerstrahlen zu können. Das Hauptprogramm aber trat als fast unüberwindbare Sicherung dazwischen und sollte verhindern, dass Siedlungen und Städte unter energetischen Beschuss genommen werden konnten. War aber einmal das Hauptprogramm vom Notprogramm abgelöst, dann war nichts mehr vor der Abwehr sicher. Doch als sie hätte eingesetzt werden müssen, um die mörderischen Angreifer aus dem Raum zu vertreiben, existierte sie nicht mehr.“ Unwillkürlich musste Peet Orell an die Erde denken. Was konnten sie tun, wenn sie aus dem Raum überfallen wurden? Nichts! Die Handvoll Raketen war wahrscheinlich nicht einmal in der Lage, ein einziges feindliches Raumschiff abzuschießen. Und von energetischen Strahlwaffen, von denen Arn Borul wie etwas Alltäglichem gesprochen hatte, wagte man auf der Erde höchstens zu träumen. Die Wissenschaft war längst noch nicht soweit, diese Vorhaben realisieren zu können. Und mit dem Laser war nicht viel anzufangen. Die Vorschusslorbeeren, die man ihm erteilt hatte, waren längst verwelkt. Mit Hilfe von Lasertechnik konnte man keine planetaren Abwehrforts bauen. „Hoffentlich erlebt die Erde nicht das gleiche Schicksal wie deine Heimatwelt, Arn. Aber ich kann nicht begreifen, dass deine Ahnen alle Forts demontierten!“ „Das begreift heute niemand mehr.“ Peet warf den Kopf in den Nacken und drehte ihn dann hin und her, als ob er etwas Unbestimmtes suchen würde. Er verzog sein Gesicht. „Komisches Kribbeln“, sagte er und rieb seinen Nacken. „Ich spüre es auch. Vor ein paar Sekunden hat es angefangen“, sagte der Moraner und zeigte dennoch keine Unruhe. Das Kribbeln hatte von seinem ganze Körper Besitz genommen und war schon in Zehen und Fingern zu spüren. An Stärke nahm es nicht zu. Da flog das Schott hinter ihnen auf, und Vivien Raid stürmte herein. In ihren Augen stand unverhohlene Angst. „Fühlt ihr auch das Kitzeln, dieses Kribbeln?“, rief sie erregt, und ihr Blick pendelte von einem zum anderen. „Ja, vor etwa einer halben Minute setzte es ein“, erwiderte Peet. „Wir können es uns nicht erklären.“
Von Arn Borul kam kein Kommentar, denn er saß vor den Ortungen und beobachtete die Instrumente. Zufällig fiel sein Blick auf den kleinen linken Schirm, und unmerklich zuckte er zusammen, als er auf dem Flachdach des Hochhauses, das der PROMET genau gegenüberlag, einen rotierenden Gegenstand erkannte, auf dem sich das Licht der Centauri-Sonne spiegelte. „Ortung vom Dach des Hochhauses aus! Peet, den großen Schirm darauf justieren.“ Mit einem Satz stand der andere neben ihm, schaltete blitzschnell um, benutzte Tele und besorgte dann selbst die Feineinstellung. Auf dem Bildschirm war eine Kugel zu sehen, deren Oberfläche ein Netzwerk von Facetten sein musste, denn an immer anderen Stellen brach sich das Sonnenlicht. Jörn Callaghan hatte inzwischen auch die Zentrale betreten, weil ihm das Alleinsein mit dem kribbelnden Gefühl unheimlich geworden war. Wortlos starrte er auf den großen Bildschirm. „Eine schöne, tote Welt …“, murmelte Orell. „Dreht sich die Kugel auf dem Dach jetzt nicht schneller?“ Die Zahl der Reflexe war größer geworden, aber konnte das nicht auch andere Ursachen als eine verstärkte Rotation haben? „Arn, du machst die PROMET startklar?“ „Ja, sicher ist sicher! Jetzt verstärkt sich das Kribbeln auch noch.“ In diesem Fall war er feinfühliger als die Terraner, die keine Veränderung feststellen konnten. Im Schiff begannen die Transformer zu brummen. Die Triebwerke wurden von Speicherbänke und Konvertern mit Energie beschickt. „Anti-Schwerkraft!“, sagte der Moraner und hatte geschaltet. Im gleichen Moment war die PROMET gewichtslos geworden. Im Schiff liefen Andruck-Absorber und Schwerkraft-Ausgleicher an. Die Raumyacht hob ruckfrei vom staubigen Boden des Riesenplatzes ab. Das Kribbeln spürten sie alle nach wie vor. Vom großen Bildschirm her blitzte das Spiel der reflektierten Sonne in die Zentrale hinein. „Was mögen die anderen in ihren Kabinen jetzt denken?“, stellte Vivien die Frage und erinnerte daran, dass Tak, Ekka und Yonker in ihren Kabinen eingeschlossen waren. Niemand hatte Zeit, ihr darauf eine Antwort zu geben. Die PROMET, von Borul gesteuert, flog
direkt auf den Riesenbau zu, blieb aber dabei dicht über der Staubschicht des Platzes. Bevor Peet Orell dem Moraner eine Frage stellen konnte, sagte dieser: „Ich will versuchen, hinter das Hochhaus zu kommen und so nah wie möglich an der Rückwand zu landen. Vielleicht befinden wir uns dann im toten Winkel des Ortungsgeräts.“ Die Raumyacht änderte leicht ihren Kurs. Über die Bildschirmanlage sah es aus, als ob sie in Tuchfühlung an der Hausfront vorbeigleiten würde. Kurswechsel um hundert Grad. Im rechten Winkel nach links abbiegen. Der große Platz verschwand hinter ihnen, und vorbei an einer der flach ansteigenden Rampen der freischwingenden Ausfallstraße jagte das Schiff mit erstaunlich hoher Geschwindigkeit auf die nächste Hausecke zu. Das Kribbeln hörte jedoch immer noch nicht auf. „Eine unheimliche Überraschung nach der anderen …“, sagte Jörn Callaghan. „Arn, ich glaube, dass du mit deinem Versuch Erfolg haben wirst … Das Kribbeln ist fort. Ich fühle es nicht mehr.“ Da nahm die PROMET den letzten Kurswechsel vor, und zum ersten Mal sahen die Menschen im Schiff aus nächster Nähe eine Hinterfront der Hochbauten. Sie war eine einzige, durch nichts unterbrochene, fensterlose Fläche. Der Andruck kam schwach durch und war im nächsten Moment verschwunden. Mit einem leichten Stoß setzte das Schiff wieder auf. Die PROMET hatte ihren neuen Liegeplatz erreicht. „Was war das?“, fragte Peet Orell und rieb sich immer noch den Nacken; dabei warf er dem großen Bildschirm einen misstrauischen Blick zu, doch von der rotierenden Kugel auf dem Dach des Hochhauses war nichts mehr zu sehen. „Eine Art von Ortung“, erwiderte der Moraner und er schien sich seiner Sache sicher zu sein, „aber was man damit erreichen wollte, bleibt mir rätselhaft …“ „Mit anderen Worten: Man hat uns die ganze Zeit beobachtet, und man wollte nun ein bisschen mehr über uns wissen. Aber warum zeigt sich niemand?“ Fragend blickte Peet sich um. Auch der Moraner zuckte mit den Schultern. „Der Planet Riddle scheint eine harte Nuss zu sein. Was hat eigentlich die Luftanalyse erbracht, Vivy?“
„Sauerstoffgehalt liegt hier um zwei Prozent höher. Argon scheint völlig zu fehlen. Kein Hinweis, warum auf diesem Planeten nichts mehr leben soll. Aber wo bleiben die Riddler?“ Die gleiche Frage, die kurz vorher von Orell gestellt worden war, stand wieder im Raum. Arn Borul legte Callaghan die Hand auf die Schulter. „Und?“, fragte dieser. „Fällt dir nichts Besonderes auf, Jörn?“ Auch Borul blieb jetzt Callaghan gegenüber beim freundschaftlichen Du. Er deutete auf die beiden Bildschirme, die die Bungalows zeigten, die alle im gleichen Stil und mit dem gleichen Grundriss erbaut worden waren. Flachdächer, so weit der Blick reichte, und kein Wohnhaus überragte die frei schwingende Ausfallstraße, die sich als breites Band zum Horizont hinzog. „Was meinst du, Arn?“, fragte Callaghan, der keine Ahnung hatte, worauf der Moraner ihn aufmerksam machen wollte. „Ich kann weder ein Insekt, noch einen Vogel entdecken …“ „Aber steril ist die Luft nicht“, warf Vivien Raid ein. „Verschmutzungsgrad weit unter einem Prozent.“ „Das bringst uns auch nicht weiter“, murmelte Arn und stellte einen Schirm auf die fensterlose Hausfront ein. Die Magnetlinse der Optik erfasste immer wieder neue Teile der Wand, aber außer der Cremefarbe war darauf nichts zu sehen. Nicht einmal das kleinste Insekt. Und ein Planet ohne Insekten war eine tote Welt. Bei den Cegiren, dachte der Moraner und brachte die Dämonen seiner Heimatwelt ins Spiel, wer hat uns denn das Kribbeln ins Schiff geschickt? Immer deutlicher fühlte er, dass der Moment näher rückte, an dem sie sich zu entscheiden hatten. Sollten sie ins Sonnensystem zurückkehren oder versuchen, diesen Planeten, dem sie den Namen Riddle gegeben hatten, zu erforschen? Das bedeutete aber auch, die PROMET zu verlassen, und es bedeutete, sich ungeschützt in Gefahr zu begeben, vom Hypnose-Strahl getroffen zu werden. Peet Orell setzte sich ruckartig auf. „Sind wir nicht ein bisschen zu vorsichtig? Ich erinnere mich, dass wir beim Anflug eine Flora auf dieser Welt gesehen haben. Eine Flora bedingt, dass es auch eine Fauna gibt, um den Bestäubungsprozess …“
Arn musste ihn leider unterbrechen. Er, der auf dem Flug aus dem Kyl-System zur Erde eine Reihe von Planeten gesehen hatte, die auch Sauerstoffwelten – wenn auch schlechte – gewesen waren, hatte damals erkannt, dass Flora gleichzeitig Fauna sein kann – also Pflanze und Tier vereint in einer Form. „So, das gibt’s?“, sagte Peet wenig beeindruckt. „Dann bereite ich mich innerlich auf einiges vor. Warum gibt es auf den Wegen zwischen den Häusern nirgendwo eine Pflanze, oder meinetwegen auch eine Tierpflanze zu sehen?“ Seine Frage blieb im Raum hängen. Schneller als Arn vermutet hatte, war der Augenblick gekommen, in dem die Besatzung der PROMET sich endgültig zu entscheiden hatte. „Endlich!“, stieß Jörn Callaghan erlöst aus, als einstimmig die Entscheidung getroffen war, das Rätsel des Planeten Riddle zu lösen. * Die PROMET flog über der freischwebenden Ausfallstraße, die nach Süden führte. Die Spannung, die im Schiff geherrscht hatte, wich mehr und mehr, denn weder dieses ominöse Kribbeln trat auf, noch war auf einem Flachdach eine rotierende Kugel zu sehen, die das Licht der Centauri-Sonne widerspiegelte. Und der Hypnose-Stoß war auch nicht mehr aufgetreten. Rechts und links der Straße breitete sich das Häusermeer aus. Zu ihrem Erstaunen stellte die Besatzung fest, dass, trotz gleichen Aussehens, keine Monotonie im Häuserbild aufkam. Vielleicht lag es daran, dass die weißen Bauten nicht in Fluchtlinien standen, sondern gegeneinander versetzt waren. Von der gewaltigen Ausdehnung war auch der Moraner beeindruckt. Er konnte die anderen gut verstehen, die sich an diesem Städtebild nicht sattsehen konnte. Am stärksten aber sprach sie das Wunderwerk der freischwebenden Ausfallstraße an. Unbegreiflich, dass es auch nicht einen einzigen Stützpfeiler gab. „Und keins der Häuser ist beschädigt“, stellte Vivien fest, die dicht vor dem kleinen Bildschirm hockte und den Winkel der Magnetlinse
laufend verstellte. „Alles sieht so aus, als seien sie vor ein paar Tagen erst farbgespritzt worden.“ Arn Borul flog die Raumyacht, die knapp zwanzig Meter über der Ausfallstraße langsam der Peripherie entgegensteuerte. Pino Tak, Gus Yonker und Szer Ekka verrichteten wieder ihre Dienste. Das Kribbeln, das auch sie überfallen hatte, war von ihnen als äußerst unangenehm empfunden worden, weil sie dazu noch in ihrer Kabine eingesperrt und gebunden auf dem Bett gelegen hatten. Yonker hatte den strikten Befehl erhalten, unter keinen Umständen den Funk einzuschalten, wie er ebenso die Funk-Ortung nicht benutzen durfte. „Ich bin doch kein Selbstmörder“, hatte er ziemlich unfreundlich zu Arn Borul gesagt, als dieser energisch die Anordnung gegeben hatte. Riddle war ein relativ warmer Planet, denn seine Durchschnittstemperatur betrug 20,1 Grad Celsius, auch wenn die Messungen nicht berichtigt werden mussten, die beim Anflug aus dem Raum durchgeführt worden waren, dann war er nur um hundert Kilometer kleiner als die Erde. Sollte es auf der Nachtseite keine weiteren Kontinente geben, dann war Riddle als Wasserwelt zu bezeichnen, denn dann betrug die Landmasse nur 7,3 Prozent. „Alle Straßen sind leer. Nicht einmal abgestellte Fahrzeuge sind zu sehen. Aber wenn ich mich an die Staubsauger erinnere, kann ich nur den Kopf schütteln. Warum existieren sie noch? Warum führen sie stur die ihnen programmierte Aufgabe durch?“ Fragen dieser Art waren nicht zu beantworten, das wusste Peet Orell ebenfalls, aber er hatte sie schon wieder gestellt. „Und was ich auch vermisse und nirgendwo entdecken kann … Habt ihr schon ein einziges Geschäft gesehen oder etwas, das dem Aussehen nach eines sein könnte?“, bemerkte Vivien Raid. „Vielleicht waren die Riddler Luftesser und liefen nackt herum“, sagte Arn Borul ernst. „Alle Achtung“, erwiderte Vivy, „du kannst ja Witze machen.“ „Dahinten ist der Stadtrand zu sehen …“, wechselte Arn Borul das Thema. „Bis jetzt haben wir ungefähr fünfzig Kilometer zurückgelegt und bis zur Peripherie sind es bestimmt noch zehn. Mir ist das alles ein bisschen zu groß“, sagte Jörn Callaghan und hatte Sehnsucht nach seiner Pfeife, aber die war zerbrochen.
Die Straße war ihre Leitbahn. Erschütterungsfrei flog die PROMET und ein Triebwerk genügte, um sie voranzubringen. „Welche Umlaufzeit mag Riddle besitzen?“ „Viel langsamer oder schneller als Terra rotiert er bestimmt nicht“, meinte der Moraner und kam damit der Wirklichkeit sehr nahe, denn wenig später konnte man sie mit 22:10:11 Stunden bestimmen. Die schwebende Ausfallstraße verlor sich am Horizont, als die PROMET neben den letzten Häusern landete und weich aufsetzte. „Sind das nicht Bungalows im Bau?“ Vivien Raid hatte ihrer Neugier hemmungslos die Zügel schießen lassen und die Magnetlinse genau auf ein Objekt ausgerichtet, das nun klar und deutlich auf ihrem Schirm zu sehen war. „Auch das werden wir uns noch ansehen“, sagte der Moraner, der gelassen dem Unbekannten gegenüberstand, während seine terranischen Freunde ihre Aufregung kaum noch meistern konnten. „Pflanzen …“ Soweit das Auge reichte, dehnte sich ein Teppich aus Pflanzen aus. Eine jungfräuliche Welt. Eine Welt, die mit dieser Unberührtheit zeigte, dass sie leer und verlassen war. Dieser Planet trug den einzig richtigen Namen: Riddle – Rätsel. Irgend etwas zwang Jörn Callaghan, in Richtung des Stadtzentrums zu sehen, und unwillkürlich duckte er sich, als ob er sich vor einem Hieb mit einer Peitsche schützen wollte, denn auf allen fünf Flachdächern der Hochbauten blitzte und blinkte es wieder auf, und kaum hatte er diese Beobachtung gemacht, als er das Kribbeln auch schon wieder in seinem Körper verspürte. Alpha Centauri und Riddle griffen wieder an! „Vivien, Tele-Vergrößerung auf die Hochhäuser ausrichten!“ Das Gesicht des Moraners war maskenhaft geworden. „Verdammt“, sagte Peet Orell, „man hat uns schon wieder …“ Auf dem großen Bildschirm tauchten die oberen Regionen der Hochhäuser auf. Niemand wunderte sich, die rotierenden Kugelkörper zu sehen, in deren Facetten sich das Licht der Centauri-Sonne widerspiegelte. Veränderte sich das Kribbeln in ihren Körpern nicht? Arn Borul glaubte ein An- und Abschwellen festzustellen, doch als er die anderen befragte, konnten sie seine Beobachtungen nicht bestätigen.
„Demnach muss es doch Lebewesen in der Stadt geben …“, behauptete nun Jörn Callaghan. Arn sah die beiden mit leichtem Vorwurf an. „Gab es im Kugelraumer eine Besatzung? Und doch schlossen sich vor und hinter uns die Schotten und sperrten uns ein. Solange sich uns niemand zeigt, glaube ich an automatische Steuerung.“ „Der Gedanke daran ist mir noch unheimlicher, als mir Wesen vorzustellen, die sich uns nicht zeigen“, gab Peet Orell von sich. Vivien Raid hielt sich plötzlich mit beiden Händen den Kopf, krümmte sich im Sessel und stöhnte laut auf: „Das ist ja kaum noch zum Aushalten …“ Der Stoß war unerwartet und ohne jede Ankündigung gekommen. Aus dem Kribbeln wurden Schmerzen, aber Schmerzen, die überall am Körper auftraten. Landen! dachte der Moraner und begriff nicht mehr, wie er die PROMET so weich hatte aufsetzen können. Dann sah er bunte Kreise vor seinen Augen, doch diese Kreise überlagerten alles, und dann wurden sie auch noch von einer unsichtbaren Macht in sich zerdrückt. Das Letzte, was Borul wahrnahm, war eine Farbstraße, die sich im Nichts verlor. Dann gab es in der Raumyacht keinen handlungsfähigen Menschen oder Moraner mehr. Auf den Flachdächern der fünf Hochhäuser rotierten nach wie vor die Kugelkörper, und aufblitzend reflektierten sie das Licht ihrer Sonne. * Poul Ederson kontrollierte, ob die Justierung der Tele-StereoAntennen stimmte, nickte einmal und ging mit Hilfe seiner Magnetschuhe ans Panzerglasfenster. Er blickte auf die Erde, die sich unter der Station 45 drehte. Terra – das war Sonne, Wind, Regen, Wärme, Kälte und auch Gestank in der Luft. Wie gerne wäre er jetzt durch die Abgaswolke eines Industriegebietes gegangen, nur um wieder einmal etwas anderes zu riechen als die sterile Luft der Raumstation. Warum habe ich mich bloß um diesen Posten beworben? fragte er sich und hätte spielend leicht die Antwort darauf geben können: Um mehr Sol zu verdienen, um seinem Bankkonto ein anderes Gesicht zu geben. Aber es wurde mit der Zeit ein hartes
Geldverdienen. Raumstationen fraßen Frauen und Männer und ihre Kräfte. Er fühlte, dass mit ihm nicht mehr viel los war. Kein einziger Auftrag aus den Space Labs reizte ihn noch. Wahrscheinlich hatte Chef Reeder auch schon festgestellt, wie träge die Resultate von hier bei ihm einliefen. Stumpfsinnige Arbeit. Spektraluntersuchungen der Weißen Riesen im dritten galaktischen Arm der Ostseite. Bis übermorgen Erdzeit sollte dieser interessante Kugelhaufen aus Weißen Riesen durchgemustert und spektral erfasst werden. Das war doch eine Aufgabe für automatisch arbeitende Kameras und Computer, aber doch nichts für einen Astrophysiker oder einen Astronomen, der unter seinen Kollegen einen ausgezeichneten Ruf hatte. Ich werde damit Carlo und Buster eine Freude machen, und er dachte an seine beiden Assistenten, die ihm vor Freude darüber bestimmt nicht um den Hals fallen würden. Unmissverständlich deutlich zeigten sie ihm ihre Unzufriedenheit über seinen Auftrag. Es ging ihm nicht einmal unter die Haut. Auf dem Weg zu seiner Arbeitskabine fiel ihm Harry T. Orell und dessen 25-Millionen-Sol-Spende wieder ein, und dass damit der Auftrag verbunden war, in Richtung auf den Ringnebel in der Leier nach einer Wolf-Rayet-Sonne zu suchen, die zehn Planeten haben sollte. „Zehn Planeten …?“, hörte Ederson sich sagen und war am Kreuzungspunkt in der Station stehen geblieben. Rechts und links ging es zu den Wohn-, Aufenthalts- und Schlafräumen. Alles andere in der Station war mit Technik voll gepfropft. „Woher kann Orell wissen, dass es in dieser Richtung eine W-Sonne mit zehn Planeten geben soll? Das kann ihm doch nur dieser Humanoide gesagt haben, der sich angeblich als einziger aus seinem explodierenden Raumschiff retten konnte.“ Das Selbstgespräch nahm ein wenig den undefinierbaren Druck, der ihn belastete und so arbeitsunlustig machte. Mit diesem Humanoiden aus einem anderen Sonnen-System hatte sich Harry T. Orell ein einmaliges Stück geleistet und ihn nicht nur der Weltöffentlichkeit vorenthalten, sondern auch noch mit der Yacht seines Sohnes Peet in den Raum geschickt, so dass er bis zur Rückkehr nicht erreichbar war.
Ederson erinnerte sich noch der Funkaufnahmen, die Harry T. Orell erst nach Drängen freigegeben hatte. Bis auf die leicht schrägstehenden Augen in grüner Schockfarbe und das silberglänzende, schulterlange Haar sah dieser Mann von einem fernen Planeten nicht einmal schlecht aus. Zwei- oder dreitausend von seiner Rasse sollten auf einem Planeten leben, der von Unbekannten aus dem Raum überfallen und dessen Oberfläche dabei restlos zerstört worden war. Die Wolf-Rayet-Sonne … Auf einem besonders im kurzwelligen Bereich, sehr hellen, kontinuierlichen Spektrum breite helle Emissionslinien des Wasserstoffs und Heliums, wie auch des Kohlenstoffs, Sauerstoffs und Stickstoffs … Das alles konnte er wie ihm Schlaf heruntersagen. „Hm …“ Poul Ederson stand immer noch am Kreuzungspunkt. Der Koch, der eben vorbeigegangen war, hatte ihm nur einen fragenden Blick zugeworfen und ihn glücklicherweise nicht angesprochen, denn er bemerkte, dass seine Gedanken, die er in den letzten Minuten einfach hatte spazieren gehen lassen, ihm merkbar Erleichterung verschafften. Warum sich in sein Arbeitszimmer verkriechen und Diagramme, Aufnahmen und Tabellen auswerten? Warum nicht den zweiten Satz der Tele-Stereo-Antennen, die zurzeit nicht benutzt wurden, einschalten, um mal wieder ein wenig in Richtung des Ringnebels in der Leier nach dieser W-Sonne zu suchen? Er ging zurück, nahm im Schwenksessel Platz und justierte den zweiten T-St-Satz. Ederson musste wieder an Harry T. Orell denken. Er hätte doch nur mit dem kleinen Finger winken müssen, und sämtliche Stationen der Erde hätten sich auf den Ringnebel gestürzt, um nach der W-Sonne zu suchen. Warum gab er 25 Millionen Sol aus und verband die Spende mit dem als Bitte vorgetragenen Auftrag, Ausschau nach einer Wolf-Rayet-Sonne zu halten? Poul Ederson erkannte noch nicht, wie er durch sein systematisches Überlegen immer näher an den Kern der Frage herankam. Ederson sah die flackernden Grün-Kontrollen an seinem Schaltpult nicht. Er war plötzlich zu einem Jäger geworden, der einer Idee nachjagte. Aber statt die Idee zu sichten, tauchte das Gesicht des Humanoiden vor ihm auf. „Darum!“, stieß er aus. „Und wenn der
Mann von dem anderen Planeten einem Harry T. Orell 25 Millionen Sol wert ist, dann ist sein tatsächlicher Wert das Hundertfache.“ Mit der Spende hatte Harry T. Orell dem Fremden Sand in die Augen gestreut und sich ihm gegenüber als scheinbar selbstloser Mensch hingestellt, der auch immense Kosten nicht scheute, um nach dem Heimatsystem des Grünäugigen suchen zu lassen. Ich muss mit Reeder sprechen, schoss es Ederson durch den Kopf. Er schien Reeder mit seinem Funkspruch gestört zu haben, denn sein Chef machte ein unzufriedenes Gesicht. Ederson sah großzügig darüber hinweg und berichtete, was das Resultat seiner Überlegungen war. Reeders Interesse wurde auf einmal so stark, dass er den anderen in der Raumstation 45 unterbrach, und zu seinem Erstaunen hörte Ederson, wie sein Chef mehrere Personen bat, ihn vorübergehend allein zu lassen. „Sir“, berichtete Ederson dann weiter, „wenn dieser Fremde dem Trustbesitzer Orell 25 Millionen Sol wert ist, welche technischen Erkenntnisse hat er dann der HTO wohl schon kostenlos überlassen?“ Reeder gab sein Erstaunen unverhüllt preis. „Ederson, ich gratuliere zu Ihrer Gedankenarbeit. Sie haben Recht. Sie müssen Recht haben. Eins passt ins andere. Dadurch erst wird Orells Verhalten verständlich. Er will gar nicht, dass wir diese WSonne in Richtung auf den Ringnebel finden, sonst hätte er doch alle astronomischen Stationen gebeten, sie zu suchen. Und man hätte es ohne Millionen-Spende getan. Er will diesen Humanoiden benutzen, um …“ Er stockte, und auf seinem Bildschirm sah Ederson, wie sein Chef sich den Kopf hielt. „Ederson, die PROMET hat diese uns unbekannte Störung im Sonnensystem ausgelöst! Ederson, die Raumyacht muss über eine Technik verfügen, von der wir auf der Erde alle noch keine Ahnung haben. Aber wir haben von Orell die 25 Millionen bekommen, und damit hat er nicht nur dem Humanoiden Sand in die Augen gestreut, sondern auch uns, den Space Labs, die Hände gebunden. Ich fühle wieder einmal die Handschellen …“ Den letzten Satz seines Chefs begriff Ederson nicht, dennoch stellte er keine Frage. „Sir, ich bin gerade dabei, nach dieser W-Sonne zu suchen …“
„Tun Sie es, aber lassen Sie sich Zeit dabei. Sehr viel Zeit. Vielleicht wird es uns Orell noch einmal mit einer Spende danken. Und nun begreife ich auch, warum er seinem Sohn diese phantastische Raumyacht geschenkt hat. Die PROMET ist nichts anderes als ein Labor, in dem die Technik dieses Fremden getestet wird.“ Ederson atmete tief durch. „Sir, eine Technik, die es fertig bringt, im Sonnensystem überall zum gleichen Zeitpunkt eine Störung auftreten zu lassen?!“ „Ederson, Sie wundern sich? Vergessen Sie doch bitte nicht, dass der Humanoide aus einem fernen Sonnensystem zur Erde unterwegs war, und vergessen Sie ebenfalls nicht, dass diese Wesen die Transitionstechnik durch den Hyperraum perfekt beherrschen. Was glauben Sie, zu welch einem Mammut sich die HTO entwickeln wird, wenn sie eines Tages Sprungtriebwerke anbietet?“ Wie ein Prophet erwiderte Ederson: „Dann kann er jeden Preis dafür verlangen. Dann sind die 25 Millionen, die er uns geschenkt hat, ein Trinkgeld gewesen.“ „Und das wird Harry T. Orell bestimmt tun, nur können wir mit unserem gesamten Wissen nichts anfangen. Vom rechtlichen Standpunkt betrachtet, hat sich der Konzernchef keiner Übertretung schuldig gemacht …“ „Aber moralisch dem Humanoiden gegenüber, Sir …“ „Ich habe noch nie gehört“, winkte sein Chef ab, „dass man mit Moral Geschäfte machen kann.“ Das Gespräch zwischen Erde und Raumstation war zu Ende. Weder Ederson noch Reeder ahnten, dass die Space-Police mitgehört und mitgeschnitten hatte. * „Arn!“, hörte der Moraner die Stimme aus weiter Ferne, aber er war nicht in der Lage zu antworten. „Arn!“, klang sie wieder auf, und etwas schüttelte ihn hin und her. „Arn, hörst du mich nicht? Arn, gib doch wenigstens ein Zeichen, dass du mich verstehst …!“
Er konnte nicht einmal den kleinen Finger bewegen. Die Stimme kam näher. Nicht schnell, aber sie klang nun lauter in seinen Ohren. „Was machen wir mit ihm?“ „Das nächste Mal kommt ein Arzt mit an Bord. Man kommt sich ja hilflos wie ein kleines Kind vor.“ Borul verstand jedes Wort. Ein Teil seines Gehirns arbeitete wieder, aber der andere Teil, der die Kommandoimpulse an Muskeln und Sehnen weitergab, lag noch still. Kribbelte es noch in ihm? Er konnte nichts mehr feststellen, doch darauf war jetzt kein Verlass. „Versuchen wir es mit Rum …“ „Den mag er doch nicht …“ „Gerade drum!“ Endlich erkannte er, wer sprach. Die letzte Bemerkung hatte Vivien Raid gemacht. Dann blieb es still. Sein Zeitgefühl war ihm auch abhanden gekommen. Es kümmerte ihn nicht. Er machte sich keine Gedanken über seinen Zustand. Etwas Flüssiges ergoss sich in seinen Mund und brannte wie Feuer. Und lief wieder heraus. „Peet, Arn kann nicht einmal schlucken!“ Vivien klang besorgt. Warum machte sie sich Sorgen? Er hatte keine. Da platzte etwas Dunkles in seinem Kopf auseinander; etwas, das viel mehr Volumen beanspruchte, als sein Kopf besaß. Und darum flog es aus seinem Kopf heraus und riss alles Schwarze mit sich. Geblendet schloss er die Augen wieder. Pfui Teufel, man hatte ihm Rum in den Mund geschüttet. Den letzten Rest spuckte er aus. Dann sah er sie an: Peet Orell, Jörn Callaghan und Vivien Raid. Sie sagten kein Wort. „Was ist eigentlich passiert?“ Niemand konnte exakte Auskunft geben. Es musste mit den rotierenden Kugeln auf den Flachdächern und dem Kribbeln zu tun gehabt haben. „Seit anderthalb Stunden versuchen wir alles mit dir, Arn, aber du hast nicht reagiert“, sagte Callaghan. Der Moraner wusste nur, dass er mit letzter Kraft die PROMET gelandet hatte, und das war vor gut drei Stunden gewesen. Die Kugeln auf den Flachdächern waren nicht mehr zu sehen. Auch Teleeinstellung schaffte sie nicht mehr auf den großen Bildschirm. Die Hochbauten standen in der Ferne, als ob sie nur gebaut worden wären, um das Zentrum zu markieren.
„Riddle … Rätsel! Dieser zweite Planet ist tatsächlich ein Rätsel. Ich begreife meine lange Bewusstlosigkeit nicht. Ich fühle mich topfit.“ „Arn“, erwiderte Jörn, „uns war speiübel, als wir nacheinander wach wurden.“ „Dann habt ihr nicht den Eindruck gehabt, etwas Großes und Schwarzes würde aus eurem Gehirn herausfliegen?“ „Wir glaubten, Blitze zu sehen. Grelle Blips, und die rissen uns schockartig ins Bewusstsein zurück.“ * Gus Yonker schob Wache in der Zentrale und ließ die fünf Flachdächer der Wolkenkratzer nicht aus den Augen, weil er ihnen misstraute. Als er daran dachte, dass Borul, Orell, Callaghan und Vivien Raid in einer Stunde zum ersten Mal den Boden dieses unheimlichen Planeten betreten wollten, kroch es ihm kalt über den Rücken, obwohl Pino Tak und auch Szer Ekka in der Lage waren, die PROMET mit Hilfe des Computers zu fliegen. Aber was half das, wenn die vier Personen keine Möglichkeit mehr hatten, an Bord zu kommen? Und im schlimmsten Fall, wie war das mit dieser Transition? Diese Technik beherrschte weder Tak noch Ekka, und von den Berechnungen vorher hatten sie auch keine Ahnung. „Das verdammte Kribbeln …“, knurrte Gus Yonker und drückte die Zigarette im Ascher aus. Das Schott öffnete sich, und Pino Tak, der Bordingenieur, trat ein. „Sie stehen schon an der Schleuse, Gus. Wir sollen sie über die beiden kleinen Bildschirme beobachten.“ „Okay“, sagte der Funker und schaltete um, aber noch war von den vieren nichts zu sehen. Tak hatte neben ihm Platz genommen und fuhr alles auf Wartestellung hoch. „Warum denn das?“, wollte Yonker wissen. „Für den Fall, dass wir einen Notstart ausführen müssen. Borul hat es verlangt. Für diesen Extremfall fliegen wir mit Computersteuerung.“ „Schöne Aussichten …“ Begeistert klang es nicht.
Dann war auch Szer Ekka bei ihnen, und Gus Yonker wurde in die Rolle gedrängt, Hilfsarbeiten zu verrichten. Ein unbehagliches Gefühl ließ ihn vor den nächsten Stunden bangen. * Die Vier hatten über die kleine Rampe die PROMET verlassen. Drei Terraner setzten als erste Menschen ihren Fuß auf den Sauerstoffplaneten eines anderen Sonnensystems. Vivien Raid atmete tief die würzige Luft ein. „Großer Himmel, wie es duftet“, sagte sie, und die Männer nickten zustimmend. Der Pflanzenwuchs unter ihren Füßen war so elastisch, wie ein dicker Teppich. Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie feststellen, keine Spuren zu hinterlassen. Es war warm, obwohl es schon Nachmittag war. Es war windstill. Zwanzig Meter von der PROMET entfernt war die kleine Gruppe stehen geblieben und schaute zu den Stadtrandbungalows hinüber. „Sehen wir uns doch zuerst einmal diesen halbfertigen Bau an“, schlug Jörn Callaghan vor. Peet legte dem Moraner die Hand auf die Schulter. „Jetzt behagt es mir gar nicht mehr, dass wir zum Schiff keinen Funkkontakt haben. Ich weiß, woran du denkst, an die Tele-Hypnose, doch wenn sie uns erwischen, sind wir so oder so erledigt, aber wir könnten bei Funkkontakt im letzten Moment unsere Leute im Schiff warnen.“ „Peet, du bist der Kommandant …“ Der wehrte ab. „Und du bist der Mann mit dem größeren Wissen. Wir alle möchten wieder heil zur Erde zurückkommen. Also: Ja oder nein zu meinem Vorschlag?“ „Ja.“ Peet gab mit der Hand ein Zeichen, das man in der PROMET auf dem Bildschirm sehen musste, dann hob er sein umgehängtes Funkgerät hoch und machte eine Geste, die eindeutig aufforderte, den Funk in Betrieb zu setzen. „PROMET, Yonker“, meldete sich der Funker nach einer knappen Minute aus seiner Funkbude. „Draufbleiben!“, sagte Orell knapp und folgte den anderen, die einige Schritte voraus waren. „Auch hier keine Insekten …“ Dafür
wurde schon nach wenigen Minuten die Stille zur Belastung, der sich auch Arn Borul nicht entziehen konnte. Eine kleine Bodenwelle hatten sie hinter sich gebracht. Arn blickte sich abermals um und verstand noch immer nicht, warum sie mit ihren Schritten keine einzige Pflanze zertraten. Nicht die Andeutung einer Spur im Teppich verriet, dass sie von der PROMET gekommen waren. Sie näherten sich dem unfertigen Bungalow, der am weitesten vorgeschoben lag. Drei Zwischenwände machten den Eindruck, als ob der obere Rand geschmolzen sei, denn erstarrte, dicke Bahnen des Baumaterials waren darauf zu sehen. Einige reichten sogar bis zum Boden. „Was steht denn da?“, stieß Peet aus und griff willkürlich zum Blaster, den er aber nicht zog. Vier Maschinen sahen sie. Vier Metallverkleidungen, aber nur aus einer führte ein Rohr, das im Bau endete. Abwartend war die kleine Gruppe stehen geblieben, und der Moraner fühlte die forschenden Blicke, die ihn trafen, aber er war kein Überwesen von einem anderen Planeten und ebenso ratlos wie seine Partner. „Es hilft nichts, wir müssen herangehen“, schlug er vor. Und dann hatten sie die Maschinen erreicht. Drei tonnenschwere Aggregate, die dicht bei dem vierten standen, das mehr als zwanzig Tonnen wiegen musste. „Düsenöffnungen?“, fragte Jörn Callaghan und deutete auf die Metallspitzen, die aus der grauen Metalloberfläche herausragten. Als er sie anfasste, verbogen sie sich unter dem Druck seiner Hand, schnellten aber in ihre alte Stellung zurück, nachdem er sie losgelassen hatte. Schulterzucken ringsum. „Und das hier? Sieht wie ein Anschluss aus“, machte Vivien den Moraner aufmerksam und war hinter eines der drei Aggregate getreten. „Was wird daran angeschlossen? Ich sehe nur diese dicke Leitung, die aus dem schweren Kasten ins Haus führt.“ Peet Orell wischte sich den Schweiß von der Stirn, den aber nicht die Hitze hervorgerufen hatte, sondern seine innere Erregung. Vorsichtig, als ob sie jeden Moment eine böse Überraschung erwarteten, gingen sie auf das Haus zu, blieben dabei dicht neben
der Leitung, die gut einen halben Meter Durchmesser hatte. „Da!“, stieß Arn Borul überrascht aus und deutete auf das Ende der Leitung in dem halbfertigen Raum, doch das Ende bestand aus drei gleichstarken Leitungsstutzen, die den Durchmesser der Anschlussstelle an den drei Aggregaten besaßen. Bevor die anderen reagierten, hatte der Moraner schon den Durchmesser ausgemessen und eilte zurück. „Stimmt genau …“, hörte man ihn über Funk sagen. Der halbfertige Bungalow gab ihnen das erste Geheimnis preis, um gleichzeitig ein neues Rätsel in die Welt zu setzen. Das große Aggregat vor der Baustelle lieferte das Baumaterial, und die drei angeschlossenen Roboter an den Leitungsstutzen erstellten in einem phantastischen Spritzverfahren Decken und Wände, um gleichzeitig alle Installationen durchzuführen. Wie sie das machten, war wiederum so einmalig, dass sogar Arn seiner Begeisterung freien Lauf ließ. „Bei den Göttern Morans … Seht euch das an! Die Roboter konnten das flüssige Baumaterial während der Verarbeitung ändern! Gehen diese Rohrleitungen mit den Wänden nicht eine eindeutige Verbindung ein …? Und hier …?“ Er bemerkte gar nicht, dass seine Stimme zitterte. „Hier wurde das Baumaterial in elektrische Leiter verwandelt …“ Sie mussten es glauben. Demonstrativ zeigten es die halbfertigen Wände. Es gab nicht den geringsten Zweifel. Auf dem Planeten beherrschte man eine Bautechnik, die ans Phantastische grenzte. Der Schmutz, wie er an Baustellen zu finden war, existierte hier nicht. Nur eine dicke Staubschicht lag auf dem Boden, und nun hinterließen ihre Schuhe Spuren. „Diese drei Roboter sollen ganz allein dieses Haus gebaut haben?“, zweifelte Vivien wieder. „Allmählich begreife ich, wie man diese Riesenstadt hat bauen können“, erwiderte Arn und wischte damit ihre Zweifel beiseite. Alle anderen Häuser dahinter schienen bewohnt gewesen zu sein. Sie waren verschlossen. Nirgendwo war ein offen stehendes Fenster zu sehen. Nirgendwo ein Fenster, dessen Scheibe zersprungen war. Und durch keines der Fenster konnte man in einen Raum hineinblicken.
Peet und Jörn eilten zum Raumschiff, um die beiden kleinen Elektronenbrenner zu holen. Gegen eine Hausfront gelehnt, warteten Arn und Vivien auf ihre Rückkehr. Sie rauchte aus Nervosität, und blauer Dunst stieg langsam vor ihr hoch. Unheimliche Stille herrschte wieder um sie herum, nur wenn sie die Füße bewegte, knirschte leise der Sand, der zwischen den Häusern an manchen Stellen bis zu einem Meter hoch lag. Sand mit einer makellosen Oberfläche, und der Sand verriet auch an dieser Stelle, dass schon lange niemand mehr hier vorbeigekommen war. „Je länger ich darüber nachdenke, Arn, um so unheimlicher wird mir diese Welt. Ein Volk, das einen ganzen Planeten bewohnt, kann sich doch nicht einfach in Luft auflösen. Wenn man wenigstens Spuren von Verwüstungen sehen könnte. Doch hier ist alles heil. Nichts deutet auf Gewaltanwendung hin.“ Er schöpfte aus dem Wissen seiner Ahnen, das ihm durch Thosro Ghinu, seinen strengen Lehrer und Erzieher auf Moran, übermittelt worden war, als er antwortete: „Vivy, man muss nicht zerstören, um zu vernichten. Es gibt viele Methoden, ein Volk auszurotten, und es gibt Methoden, da benötigt man keine Stunde, um alles tierische Leben auf einem Planeten auszulöschen. Hier scheint man so gehandelt zu haben. Darum haben wir bisher auch kein einziges Insekt gefunden …“ „Aber doch Pflanzen, Arn …“, warf sie erregt ein. „Und das sind Pflanzen, die mir ein Rätsel aufgeben. Wahrscheinlich haben sie sich als Mutation erst nach der Katastrophe entwickelt, und um zu existieren, mussten sie sich darauf einrichten, sich selbst zu befruchten.“ „Mussten sich darauf einrichten …? Arn, diese Pflanzen sollen sich selbst bis zu dieser Form entwickelt haben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist mir zu weit hergeholt.“ „Dann wirst du auch nicht an die Existenz der Esper glauben, und diese Esper, mit denen meine Vorfahren Bekanntschaft machten, waren Pflanzen. Pflanzen, die sich selbst teleportieren konnten, und die sich ohne Schwierigkeiten durch Gedankenübertragung mit meinen Ahnen verständigten. Nähere dich einer Pflanze auf Terra mit offener Flamme, und wenn man an ihr vorher die erforderlichen Messinstrumente angebracht hat, wirst du ablesen, wie die elektrischen Werte in ihr steigen, je näher du damit herankommst.“
Er verblüffte sie abermals mit seinem Wissen über die Erde. Er, der im hilflosen Zustand von Peet und Jörn nach der Explosion der TIRA aufgefunden worden war, hatte es in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes unter Menschen verstanden, sich ein ungeheures Wissen zu verschaffen, das nicht nur Technik zum Inhalt hatte – wie es gerade von ihm demonstriert worden war. Peet und Jörn kamen mit den Elektronenbrennern heran. Jeder von ihnen hatte einen Plastiksack über der Schulter, an dem sie schwer trugen. Viel leichter als auf Terra waren auf Riddle die Lasten nicht, denn mit 0,9 g unterschied sich dieser Planet kaum von der Erde. Zwei Mini-Konverter erbrachten die erforderliche Energie. Die glatte Türfläche schien aus dem gleichen Material gefertigt zu sein, wie die Einweg-Fensterscheiben. Peet hatte den Elektronenbrenner angesetzt, schaltete ihn nach ein paar Augenblicken ganz hoch und knurrte unzufrieden, weil sich das Material unter der Belastung nicht veränderte. Völlig unerwartet wurde es auf einmal flüssig, und ein Loch entstand, das knapp fünf Zentimeter Durchmesser besaß. „Hölle und Teufel …“, fluchte Orell, der sich zur Seite geworfen hatte, um dem übel riechenden Luftstrahl auszuweichen, der durch diese Öffnung ins Freie schoss. Und dann bekamen die anderen von diesem zweifelhaften Vergnügen auch einiges mit, so dass auch sie zur Seite gingen und abwarteten, bis der Überdruck im Haus nicht mehr bestand. Das Loch in der Tür wurde größer, der Gestank war inzwischen mit Überwindung zu ertragen, dann musste Orell mit dem Elektronenbrenner wohl den Türverschluss herausgebrannt haben, denn sie schwang auf einmal langsam zurück. Und mit dem Öffnen kam erneut der Gestank. Von Klimaanlagen schien man in diesen Prachtbungalows noch nichts gehört zu haben. „Durchzug?“, sagte Peet bissig zu seinem Freund Jörn. „Woher soll hier der Durchzug kommen? Draußen weht doch kein Lüftchen.“ Ungeduldig wartete man lange Minuten, und dann konnte Vivien es ob ihrer Neugier nicht mehr aushalten und trat ein. Sie sah zerlumptes Material am Boden liegen, ein Material, das bei der schwächsten Berührung zerfiel. Die anderen waren ihr gefolgt, stießen Türen auf, die sich im Gegensatz zur Haustür kaum bewegen
wollten, und aus allen Räumen kam Gestank und noch einmal Gestank. Überall herrschte eine beispiellose Unordnung. Das meiste war vom Zahn der Zeit vermodert oder zerfressen. Arn Borul riss einen Plastikschrank auf, und ein einziger Haufen Unrat kam ihnen entgegen. In den Räumen, die einmal zum Schlafen gedient hatten, grinsten sie leere Lagerstätten an. Nach dem Besuch des dritten Bungalows hatten sie genug. In jedem das gleiche Bild. Die Unordnung schrie zum Himmel, und die Unordnung verriet, dass die Bewohner ihre Häuser in panischer Hast verlassen hatten. „Aber es muss doch wenigstens eine Leiche geben. Ein Skelett“, sagte Peet Orell ungehalten, trat mit dem Fuß gegen einen halbzerfallenen Ballen und sah dann durch den Staub etwas schimmern. Er bückte sich und wollte es aufheben, aber im gleichen Moment machte der Gegenstand einen Satz und sprang bis zur anderen Wand. „Vorsicht!“, warnte Borul. Peet hörte nicht darauf. Das springende Ding hatte ihn neugierig gemacht. Er stand wieder davor, betrachtete es und sah eine kleine Halbkugel, die sechs Beine zu haben schien. Wider versuchte er, das Ding zu ergreifen. Abermals kam er bis auf Handbreite heran, und dann erneut dieser Satz, der genau in die Richtung führte, in der Callaghan stand. Reaktionsschnell griff er zu. Die Zeit, in der er intensiv Sport betrieben hatte, lag noch nicht weit zurück. Er schrie auf und schleuderte das Ding ohne jegliche Kontrolle mit Schwung gegen die Wand. Es krachte metallisch, fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr. Zum dritten Mal versuchte Peet Orell, es aufzuheben und hatte dieses Mal Erfolg damit. Er drehte es herum, entdeckte sechs Beine, die alle mehrere Glieder hatten und dann einen winzigen Mechanismus in der Halbkugel, deren Bodenplatte abgesprungen war. „Das ist doch wohl nicht …?“ Es wanderte von Hand zu Hand, und jeder sah in dem Ding dasselbe – ein Kinderspielzeug. Ein Spielzeug, das auf Körperwärme reagierte, oder über die Körperwärme die Energie zugeführt erhielt,
die es für einen Sprung benötigte. Zweifelnd blickte Orell den Moraner an, der soeben diese Erklärung abgegeben hatte. „Arn, manchmal mutest du uns mit deinen Erläuterungen aus moranischem Wissen ein bisschen viel zu. Ein Kinderspielzeug, das seine Sprungenergie aus der Körperwärme bezieht …? Wenn ich das allen Ernstes auf der Erde behaupte, untersucht man mich auf meinen Geisteszustand und …“ Da meldete sich die PROMET. Pino Tak war erregt. „Ortung. Anfliegende Körper aus Südsüdwest. Ihr Kurs scheint die City zu sein … oder wir.“ Wie man in der PROMET dazu gekommen war, die Ortung einzuschalten, konnte später geklärt werden. Arn Borul hatte das Gespräch an sich gerissen. „Tak, Alarmstart! Ortung weiterhin laufen lassen! Bringen Sie das Schiff zwischen den Bungalows zu Boden, und nach dem Aufsetzen alles abschalten, auch die Ortungen.“ Die kleine Gruppe rannte nach draußen und kam gerade rechtzeitig, um die PROMET starten zu sehen, die dann Fahrt aufnahm und über dem ersten Bungalow stehen blieb. „Tiefer in den Randbereich einfliegen, Tak!“, rief Borul ihm über sein tragbares Funkgerät zu. „Verlieren Sie keine Zeit!“ Pino Tak hatte seine Sternstunde. Er handelte auf eigene Faust, und während das Triebwerk der Yacht hochgeschaltet wurde, drehte sich der tropfenförmige Körper mit dem abgestuften Heck und nahm Kurs auf die freischwebende Ausfallstraße. Atemlos blickten vier Personen dem Schiff nach. „Das ist die einzige Möglichkeit!“, stieß der Moraner aus, und in diesem Augenblick verhielt er sich wie ein Terraner: er rieb sich vor Freude die Hände. Tak hatte die PROMET abgebremst und ließ das Schiff, das von gesteuerten Antigravfeldern gehalten wurde, langsam unter die Straße einschweben. In der Luft wurde ein Pfeifen laut, das in Sekundenschnelle zu einem ohrenbetäubenden Lärm wurde. Aus dem klaren Himmel stießen neun silberglänzende Projektile auf die Peripherie der Stadt herunter. Die Flugkörper, die einen Moment lang die Größe eines Punktes besessen hatten, erwiesen sich schnell als lang gestreckte Gebilde in Torpedoform. Nach ersten Messungen
betrug die Länge dieser Flugkörper etwas mehr als zwölf Meter, der Durchmesser cirka zweieinhalb. Drei Menschen und ein Moraner hielten den Atem an. Kam jetzt das Ende der PROMET? Hatten sie dann keine Chance mehr, die Erde jemals wieder zu sehen? Das Sprungtriebwerk brauchte nur von einem einzigen Treffer beschädigt zu werden, und sie konnten auch die letzte Hoffnung begraben. Wie mochte den drei Männern in der Raumyacht zumute sein, die sich im Schutz der Ausfallstraße nicht mehr rührte? Tak meldete sich mit brüchiger Stimme. „Kommen genau auf uns zu … aber haargenau!“ Vom Absturzkurs waren die Projektile in Waagerechtflug übergegangen und rasten nun mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit heran. Erschreckend schnell wurden sie größer. Im Licht der Sonne waren an ihrer Spitze drei dunkle Punkte zu sehen. Zünder, oder sogar Kleinraketen mit eigenem Sprengkopf? Was keinem terranischen Raumschiff möglich war, brachten die neun Raketen fertig. Von einem Moment zum anderen gingen sie mit ihrer Geschwindigkeit fast auf Null herunter, und einen Augenblick später löste sich der eng gestaffelte Verband auf und begann, die PROMET unter der Ausfallstraße einzukreisen. Wie Raubkatzen, die sich unendlich langsam in der Luft bewegen können, schlichen sie sich an ihr harmloses Opfer, das nicht eine einzige Strahlwaffe besaß, heran. Aus dem Kommandoraum der PROMET kam kein Wort mehr. Drei Männer und eine Frau im Eingang eines aufgebrochenen Bungalows versuchten, lautlos zu atmen. Wann verglühte die Raumyacht unter einem neunfachen Energiestoß? „Keine dreihundert Meter mehr …“, gab Pino Tak durch. „Alle Kameras laufen. Möchte bloß wissen, für wen …?“ Galgenhumor? Vivien schüttelte sich und suchte Schutz bei Peet, der seinen Arm um sie legte und sie an sich zog. Er ersparte es sich, ihr zu sagen, dass nichts passieren würde. „Sie stehen auf der Stelle. Haben genau Höhe der PROMET eingenommen. Aber warum schießen diese Biester nicht? Warum lassen sie uns so lange darauf warten?“ Wer sollte Tak diese Fragen beantworten? In der PROMET hatte einer der drei Männer einen Schrei ausgestoßen. Dann erklang wieder Taks verzweifelte Stimme auf.
„Etwas zerrt an dem Raumschiff. Etwas versucht, uns unter der Straße herauszuziehen. Ich habe schon das dritte Triebwerk auf Volllast laufen, damit wir auf der Stelle … Nun kommt der gigantische Zugstrahl auch von der anderen Seite … Ich werde euch …!“ Die Funkverbindung bestand nicht mehr. Deutlich war zu erkennen, wie die PROMET hin und her schwankte. Jetzt drehte sie sich leicht nach links … und dann schrien drei Männer und eine Frau auf, als die PROMET dicht unter der Schwebestraße in Richtung Süden davonraste. Pino Tak hatte alles auf eine Karte gesetzt. Er spielte den letzten, lächerlichen Trumpf aus. „Peet, sie setzen nach …“ Vivien Raid hatte richtig beobachtet. Die Projektile schwenkten herum, sammelten sich wieder zu einem eng gestaffelten Verband und rasten los – nach Süden! Arn Borul hielt sein Funkgerät vor den Mund. „Tak, Projektile haben Verfolgung aufgenommen …“ „Haben wir uns gedacht. Aber ich habe meine fünf Sinne auch noch zusammen …“ Was war in der PROMET los? Dort tobte Pino Tak in eiskalter Wut. „So schnell sollen sie uns nicht kriegen! Mal sehen, wer das Katzund Maus-Spiel gewinnt … Gus, Mann, reiß dich zusammen! Hast du immer noch nicht begriffen, dass die Strahlraketen nicht schießen, solange wir uns unter der Schwebestraße bewegen? Mann, das ist unsere Chance!“ „Mistchance!“, widersprach Szer Ekka neben ihm. „Vorhin haben sie mit ihren Zugstrahlen, oder was das war, um ein Haar die PROMET auseinander gerissen, als sie uns von zwei Seiten zu fassen bekamen …“ „Sind nur noch zehn Kilometer hinter uns!“, bellte Yonker von der Distanz-Ortung. Der Computer musste eingreifen. Tak schaltete ihn um. Alle Triebwerke bremsten plötzlich. Andruck schlug durch, Yonker und Tak wurden in die Gurte ihrer Sitze gepresst und keuchten. Schafften sie es? Konnten sie auf Gegenkurs gehen, bevor die
Abfangjäger wieder mit ihren unsichtbaren Strahlen nach dem Schiff griffen? „Verband hat gestoppt, löst sich auf und kommt heran. Genauso, wie vor der Stadt …“ Pino Tak knirschte mit den Zähnen, überflog die wichtigsten Instrumente, schleuderte die Arme hoch und brüllte: „Wir schaffen es. Wir schaffen es!“ Die PROMET drehte unter der Schwebestraße auf der Stelle. Die Raumyacht ging auf Gegenkurs, bevor die Strahlraketen ihre Umzingelung durchgeführt hatten. Schlagartig brüllten wieder die Transformer und Speicherbänke im Schiff auf. Titanfäuste schleuderten die PROMET zur Stadt zurück. Unter ihr raste die Ebene immer schneller vorbei. „Was ist denn los, Gus?“, fauchte Tak den Funker an. „Nichts. Noch nichts. Die stehen!“ Nach einer Minute wurde Tak dieser Zustand unheimlich. In der Ferne tauchte das Häusermeer schon wieder auf, und die fünf Wolkenkratzer waren deutlich zu erkennen. „Abbremsen! Die PROMET wenden und abwarten.“ Wenn diese robotgesteuerten Biester doch wenigstens graue Haare bekommen würden, dachte er voller Grimm, beugte sich zum dritten Schirm hinüber und presste die Lippen zusammen. Gus brauchte ihm nichts zu sagen. Er sah es. Sie waren wieder zu ihnen unterwegs. Das Höllenspiel begann erneut. An Angriffen herrschte im Alpha Centauri-System kein Mangel. Und irgendwo mussten die Urheber stecken und aus sicherer Position versuchen, sie auszuschalten. „Pino … Pino, seh’ ich schlecht?“, stammelte Gus Yonker und rang die Hände, dann deutete er wieder auf seine Distanz-Ortung, die behauptete, dass der gestaffelte Verband aus neun Strahlraketen gerade abgedreht hatte, um Kurs Süden zu fliegen. „Ein Trick. Bestimmt ein gemeiner Trick“, presste Szer Ekka über die Lippen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Daran glaubte Tak auch, der keinen trockenen Faden mehr am Körper hatte. „Bleiben auf Südkurs … Steigern das Tempo …“ „Ist dir auch keine Krähe entkommen, Gus? Ich möchte so’n Ding nicht plötzlich neben uns auftauchen sehen.“
Der Funker beschwor, dass der Verband aus neun Strahlraketen bestünde. Ekka stieß den Bordingenieur an, der gerade sein Meisterstück abgeliefert hatte. „Wir müssen Orell und die anderen informieren …“ Tak schaltete den Funk ein und hatte sofort Verbindung zur kleinen Gruppe. „Halten Warteposition ein, um jederzeit wieder im Schutz der Schwebestraße flüchten zu können.“ Eine volle Stunde verging. Über Riddle drohte es Abend zu werden. Die Centauri-Sonne schickte sich an, hinter dem Horizont zu verschwinden. Von den Strahlraketen weit und breit keine Spur. Da entschloss sich Pino Tak, zur Gruppe am Stadtrand zurückzufliegen. Das Lob von Peet Orell und Arn Borul wehrte er ab. „Wir sind froh, zu leben. Himmel und Hölle, waren das heiße Minuten“, und ein verkrampftes Lächeln flog über sein abgespanntes Gesicht. Die erste Nacht auf Riddle kam auf sie zu. Eine Nacht im Schutz der massiven Konstruktion der Ausfallstraße, die nach Süden verlief. Jörn und Vivien schoben die erste Wache in der Zentrale. Alle Ortungen liefen, aber sie zeigten nichts an. Riddle, die tote Welt, schien den Nachtfrieden einzuhalten. In der Messe saßen Peet Orell und der Moraner. Das demolierte Kinderspielzeug lag neben ihnen. Beide tranken Tee, der inzwischen kalt geworden war. „Arn, sind dir unsere Mayas bekannt, die Ureinwohner Mittelamerikas?“ Der nickte. „Du spielst auf ihre verlassenen Städte an, die sie aufgrund von Prophezeiungen ihrer Priester aufgaben. Ich kenne diese Geschichte dieses hoch entwickelten und recht eigenartigen Volkes, aber …“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir haben hier nur diese eine Riesenstadt entdeckt. Hätten die Riddler sich so verhalten wie seinerzeit eure Mayas, dann müssten sie an anderer Stelle eine neue Stadt gebaut haben. Vielleicht haben wir einen schweren Fehler begangen, weil wir vor der Landung Riddle nicht erst ein paar Mal umflogen. So wissen wir nicht, was sich auf der anderen Planetenseite befindet. Dennoch kann ich mich deiner Theorie nicht anschließen, Peet.“
„Deutet in den Häusern, die wir aufgebrochen haben, nicht alles auf einen panischen Auszug hin?“ „Hat man dann trotz der Panik noch Zeit, jedes Haus zu verschließen?“, lautete die Gegenfrage. „Wir haben durch den Zwischenfall mit den Strahlraketen zu wenig Zeit erhalten, uns genauer umzusehen. Übrigens, findest du nicht auch den unerwarteten Abflug der Projektile eigenartig?“ Peet klatschte mit der flachen Hand gegen die Tischplatte. „Was ist auf diesem Planeten nicht verrückt, Arn? Ich glaube, wir müssen Taks Bericht Glauben schenken, in dem er davon sprach, dass die PROMET in Gefahr war, von unsichtbaren Zugstrahlen auseinander gerissen zu werden. Warum hat man es nicht zu Ende geführt?“ Nachdenklich blickte ihn der Moraner an. „Weil es eine Möglichkeit gab. Die nämlich, dass die PROMET bei Auseinanderreißen explodiert wäre und durch die atomare Explosion die Schwebestraße zerstört worden wäre. Wenn das Programm der Raketen darauf abgestellt ist, dann konnten sie ihr Vorhaben nicht zu Ende führen.“ „Und warum setzten sie sich auf einmal ab? Ich bin gespannt, ob du auf diese Frage auch eine Antwort bereit hast?“ „Passe!“, sagte der Moraner und trank den Rest Tee aus. „Um Mitternacht haben wir beide Wache in der Zentrale. Ich möchte noch ein paar Stunden schlafen. Bis dann, Peet.“ Kurz nach ihm verließ auch Peet Orell die Messe der PROMET. * Die XO-2, ein Raumfrachter der C-7-Klasse, hatte eine Bombe an Bord, aber eine Bombe spezieller Art, und sie war nach einer Idee von Harry T. Orell entwickelt worden. Vor gut einem Tag hatte die XO-2 den Asteroidengürtel mit Kurs auf Terra wieder verlassen und zuvor in einem offenen Spruch der HTO-Corporation mitgeteilt, Ladung übernommen zu haben und ihre Rückkehr für den 23. den Monats angemeldet. Der moderne Frachter, mit verbesserten DeGormStrahltriebwerken ausgerüstet, flog auf computerberechneter Bahn seinen vorgeschriebenen Kurs, und der Captain und sein Erster
wischten sich den Schweiß ab, als sie den Asteroidengürtel eine Million Kilometer weit hinter sich wussten. „Wir haben es in drei Stunden noch mit vier weiteren Brocken zu tun“, sagte der Captain zu seinem Ersten. „Pech, dass wir Nummer 34 082 auf dreißigtausend Kilometer Abstand passieren …“ „Keine Sorge, Sir, der kratzt uns nicht.“ Der Vorbeiflug verlief ohne Zwischenfälle, und der Asteroid mit der Nummer 34 082 blieb immer weiter hinter der XO-2 zurück. Als die nächste Wache aufzog, hatte der Raumer fast seine Höchstgeschwindigkeit erreicht und jagte der Marsbahn zu. Sie war kaum überquert, als ein Funkspruch einlief: „Space-Police an HTO-Frachter XO-2. Abbremsen und auf den Koordinaten 23:10:45 Grün, 76:05:83 Blau und 100:40:66 Rot POL-Raumer 11 erwarten. Bordkontrolle.“ Es war ungewöhnlich, dass der Captain seine Besatzung von diesem Spruch unterrichtete. Es war aber auch ungewöhnlich, dass der Captain seinem Ersten auf die Schulter klopfte und ihm vertrauensselig zublinzelte. Und der Erste schmunzelte auch. Sonst lösten Anordnungen dieser Art auf Handelsraumern immer Serienflüche aus. Der Frachter bremste stärker und stärker ab, und dann waren die Positionslichter der POL-11 schon zu sehen. Der Funkverkehr beschränkte sich auf das Notwendigste, denn der Space-Police war bestens bekannt, wie beliebt sie bei Frachterbesatzungen war, und dass man es immer als eine Ehre betrachtete, durch dieses Kontrollorgan gezwungen zu werden, zwei Tage später als vorgesehen die Erde zu erreichen. Der Captain und sein Erster empfingen das Kommando mit ausdrucklosem Gesicht. Kontrolle der Frachtpapiere in der Kapitänskajüte. Starterlaubnis? Okay, war einwandfrei. Energievorrat der Konverter? Auch in Ordnung. „Welche Ladung?“ „Welche schon?“, fragte der Captain knurrig. „Wir kommen aus dem Gürtel, und was gibt’s da außer Marson zu holen?“ „Kontrolle der Ladung …“ „Sind Sie verrückt …?“ Er verstummte und sagte hastig: „Sorry! Das kostet uns ja Stunden, Sir …“
„Captain, bitte!“, sagte der uniformierte Beamte, der stolz auf seine drei Goldknöpfe auf den Schulterrücken war. In den Augen des Frachterkommandanten blitzte es auf. Er kehrte dem Captain abrupt den Rücken zu und rief den Lademeister über die Visophon-Bordverständigung. „Man will unsere Ladung kontrollieren. Sagen Sie unseren Leuten, dass sie keine dummen Bemerkungen fallen lassen sollen, aber sagen Sie ihnen auch, dass sie keine Hand zu rühren brauchen.“ Wütend fiel ihm der Captain der Space-Police ins Wort: „Dann dauert die Kontrolle zehn Stunden länger. Ich warne Sie!“ „Na, und?“, stellte der Frachter-Kommandant gleichmütig die Gegenfrage. „Auf jeden Fall rühren meine Leute keine Hand, und dass Ihre Zentrale eine gesalzene Beschwerde von meiner Corporation erhält, dürfte wohl außer Zweifel stehen. Lademeister, bringen Sie diese Ladies und Gentlemen zu den Laderäumen. Ich habe zu tun.“ Bebend vor Wut ging das Kontroll-Kommando. Die Wut steigerte sich noch, als die Besatzung keine Anstalten machte, ihnen bei der Untersuchung der Ladung zu helfen. Die Schwerelosigkeit in den Frachthallen der XO-2 kam den Beamten zustatten, aber ein Vergnügen, sich durch Marson-Erzberge zu wühlen, war es nicht. „Na“, hetzte der Lademeister bei dem Captain der Space-Police, „gibt es auf dem Mars ein Marson von besserer Qualität? Ist das nicht eine einwandfreie, saubere Ware?“ Dabei streichelte er einen der drei Dutzend Arbeitsroboter, die unbeweglich und abgeschaltet herumstanden. Elf Stunden und achtzehn Minuten dauerte die Kontrolle der XO-2, dann erhielt sie die Erlaubnis, ihren Flug fortzusetzen. Ein vor Wut kochender Captain kehrte mit seinem Kommando auf die POL-11 zurück. Seinem Kommandanten machte er eine bissige Meldung; der versuchte danach vergeblich, seinen Kollegen zu beruhigen. Der wollte gar nicht beruhigt werden. „In meinem Funkspruch an die Zentrale werde ich mir erlauben anzufragen, welche Spinner wir dort sitzen haben! Warum will dort niemand glauben, dass die HTO im Asteroidengürtel mit Marson fündig geworden ist?“ „Aber beruhigen Sie sich doch …“
„Dafür, dass die Zentrale uns diese blödsinnigen Aufträge gibt? In der Zwischenzeit sind uns sechs Frachter unkontrolliert durchgegangen.“ „Sieben, und drei davon waren HTO-Schiffe, die in den Gürtel flogen.“ Der Captain stand dicht vor der Explosion. „Und mich sollte es nicht wundern, in den nächsten Tagen den Befehl zu erhalten, HTOSchiffe in Richtung Gürtel zu kontrollieren, weil man sie im Verdacht hat, sie würden Marson dorthin bringen …“ Er ahnte gar nicht, wie nah er der Wahrheit gekommen war, noch weniger ahnte er, einem raffinierten Trick Harry T. Orells aufgesessen zu sein, der die XO-2 mit vollen Laderäumen vom Werksgelände zu den Asteroiden geschickt hatte, und dann war dort alles getan worden, dass die XO-2 von der Space-Police gestoppt und untersucht wurde. Der Mann, dem die HTO gehörte, wusste, wie viel ihm der Kugelraum hinter dem Pluto wert war. * Dort ging die Demontage ununterbrochen weiter, nur sah man kaum, dass aus dem Riesenschiff etwas entfernt worden war. Auch das Loch im Schiff schien nicht größer geworden zu sein, obwohl inzwischen mehr als hundert Männer und Frauen in ihren Raumanzügen in Wechselschichten damit beschäftigt waren, das Rotmetall, aus dem die Zelle bestand, Stück um Stück abzubrennen. Das von Arn Borul verbesserte Trennverfahren erbrachte eine dreifach höhere Ausbeute als vorher, dennoch war auch hier keine auffallende Veränderung zu entdecken. Hatten einige unüberlegt behauptet, in einigen Monaten sei von dem Kugelraumer nichts mehr vorhanden, so stimmten sie heute denjenigen zu, die sagten, man würde noch in fünf Jahren hier Arbeit haben. Aber ob die HTO es schaffen würde, ihren Fund geheim zu halten? Würden nicht eines Tages modernste POL-Schiffe – von der HTO gebaut – hinter dem Pluto auftauchen und sich umsehen? Es sah nicht danach aus, als ob Orell diesen Fall in seine Berechnungen einbezogen hatte, denn die Frachter, die von Terra eintrafen, nachdem sie zuvor im Asteroidengürtel untergetaucht
waren, brachten immer mehr Ausrüstungsgegenstände für die BASIS heran, wie man nüchtern den Hangar bezeichnete, der zum Liegeplatz der PROMET eingerichtet wurde. Die Tirbel-Pumpensätze waren inzwischen vollständig installiert und in der Lage, binnen weniger Minuten die Luft aus dem Hangar abzusaugen, oder darin wieder normale Verhältnisse zu schaffen. Zwei Bühnen mit Antigrav-Einrichtungen, ein Dutzend spezialprogrammierte Arbeits-Roboter, Prüfstände und was alles erforderlich war, eine Raumyacht gut zu warten, war nun vorhanden. Das alles schien Harry T. Orell aber nicht genug zu sein, denn von der XO-10 schwebten gerade drei Strahltriebwerke herüber, die im tronischen Bereich eine revolutionäre Verbesserung erfahren hatten. War es doch durch diese Weiterentwicklung nun möglich, dreimal stärker als bisher zu beschleunigen. Wie Gerüchte behaupteten, sollten in absehbarer Zukunft auch alle XO-Raumer der Klasse C-7 damit ausgerüstet werden, und Gerüchte dieser Art stimmten meistens mit den Tatsachen überein. Der leergeblasene Kugelraumer war nach wie vor ein Rätsel, genau wie der im unteren Teil entdeckte Zoo. Skelette von Tieren, die einwandfrei von der Erde stammten, und zudem noch von Negern und Indianern, hatten die Frage noch komplizierter werden lassen, warum und weshalb das Fremdschiff restlos seiner Einrichtung beraubt worden war, man den Zoo aber nicht mitgenommen hatte! Die HTO hatte es ihren Technikern und Ingenieuren nicht befohlen, doch die wussten auch so, was sie im gigantischen Triebwerksteil finden sollten. Die Hyperfunkanlage, mittels der man in Nullzeit über Hunderte von Lichtjahren hinweg sofort mit der Gegenstation sprechen konnte. Die Transitionstriebwerke, denn man war sich klar, dass ein Kugelriese von 387 Metern Durchmesser davon zehn oder zwanzig haben musste. Antigrav-Regler und Andruck-Absorber. Aber wie sahen solche Aggregate aus, und wo hatte man sie zu suchen? Nur der Zufall konnte helfen. Mit Fleiß und Nachdenken war nichts zu erreichen, denn die Verkleidungen ließen fast achtzig Prozent der Maschinen ziemlich gleich aussehen. Erst auf der Erde, in den Labors der HTO, war es möglich, festzustellen, welche Aufgabe dieses oder jenes Aggregat
einst zu erfüllen hatte – wenn diese Feststellung gelang. Aber es gelang fast nie. * Resignierend gab Tilman mal wieder auf. Missmutig blickte er das Aggregat an, und ein Fluch kam über seine Lippen. Da hatte er nun alles versucht, das Ding durchgeprüft, versucht, seine Schaltung zu erkennen, und einen Plan erstellt. Er wusste, dass es drei Stromkreise und dazu etwas besaß, was der irdischen Technik vollkommen fremd war, und gerade dieses Etwas vernebelte ihm die Erkenntnis, welche Aufgabe dieses Aggregat im Fremdraumer zu erfüllen gehabt hatte. Die Tür war geöffnet worden, und Dr. Bunard trat ein. „Auch hier absoluter Stillstand?“, fragte er. „Uns kann nur noch einer helfen – der Außerirdische Arn Borul“, sagte Tilman. Bunard lehnte sich gegen eine Prüfbank, schlug ein Bein über das andere, nickte zustimmend und sagte: „Sie sind innerhalb der letzten halben Stunde die dritte Person, die sich den Moraner herbeiwünscht, aber ob er uns weiterhelfen kann, möchte ich bezweifeln. Er hat doch ausgesagt, dass ihm die Technik im Kugelraumer vollkommen fremd sei. Er weiß doch selbst nicht, warum die Strahlwaffe, die man im Schiff gefunden hat, nur ab und zu funktioniert. Und wie sie wieder aufzuladen ist, ist ihm ein Rätsel geblieben.“ Tilman nahm seine Hände hoch, als ob er vor einer Laserwaffe stehen würde. „Wenn dem so ist, können wir einpacken. Bis auf den Fremdkonverter, von dem wir wussten, dass es einer war, treten wir ununterbrochen auf der Stelle. In allen Abteilungen. Hätte doch einer von uns Erfolg. Da sitzen wir herum, prüfen, kontrollieren, untersuchen, testen, und was kommt dabei heraus? Nichts! Halle II ist voll gepackt mit Maschinen aus dem Kugelschiff. Halle III wird Ende des Monats nichts mehr aufnehmen können … Ich möchte mich in die Versuchsabteilung zurückversetzen lassen. Das hier ist kein Job für mich. Hier wird man ja stumpfsinnig!“ Dr. Bunard empfand genau, was in seinem Mitarbeiter vor sich ging, aber er konnte auf Tilman nicht verzichten, denn er gehörte zu
den Menschen, die einfach nicht aufgeben können, wenn sie sich einmal in eine Aufgabe verbissen haben. Es war nun seine Aufgabe, den depressiven Zustand des anderen zu beseitigen. „Tilman, anderthalb Jahre lang wurde versucht, die DeGormTriebwerke in ihrer Leistung zu verbessern. Anderthalb Jahre lang gab es einen Rückschlag nach dem anderen, um dann von einer Stunde zur anderen zu entdecken, dass die Beschleunigungssteigerung nur im tronischen Bereich zu erzielen ist. Seit einer Woche befinden sich die DeGorm-Triebwerke in der Fließband-Anfertigung. Wir alle haben gelernt und neue Erkenntnisse erworben. Wer von uns wusste vor einem Monat von der Syndo-Ago-Schaltung? Wer hatte eine Ahnung, dass es tritäre Schwingungen im gesteuerten Paral gibt? Soll ich noch mehr Kleinigkeiten aufzählen, Tilman?“ „Okay, ich hab’s nicht vergessen. Doch das sind alles nur winzige Lichtpunkte …“ Er unterbrach ihn. „Aber sie stellen Licht dar, Tilman, und diese winzigen Lichtquellen werden uns eines Tages den Weg zum Ziel leuchten! Was andere Intelligenzen konnten, werden wir doch auch einmal meistern.“ „Okay“, sagte er müde. „Also versuchen wir es weiter …“ Für die nächsten Wochen blieb Tilman den Labors als Mitarbeiter erhalten. * Alpha Centauri stieg jenseits des Horizonts auf. Die erste Nacht auf dem zweiten Planeten eines fernen Sonnensystems war für die Besatzung der PROMET ohne Zwischenfall zu Ende gegangen. Die Ortungen hatten keinen Alarm ausgelöst. Es schien weder Tele-Hypnose noch Strahlraketen zu geben. Es gab Riddle, und der Planet war in der letzten Nacht eine friedliche Welt gewesen. Der Tag wurde heller, und im Westen zeigten sich dunkle Wolkenbänder, die aber still zu stehen schienen. Draußen stieg die Temperatur schnell an, und es kam Wind auf.
Die Raumyacht, von Antigrav-Kräften gehalten, presste sich leicht mit dem höchsten Punkt der Außenhülle gegen die massive Konstruktion der schwebenden Ausfallstraße.
13. Der Flug zur Südküste begann. Die PROMET flog im Schutz der Ausfallstraße auf den Riddle-Ozean zu. Das Land unter ihnen machte mit seinem Pflanzenteppich einen vollkommen unberührten Eindruck. Leichte Bodenwellen boten einen Anhaltspunkt. Dieser Kontinent war eine einzige Ebene. Über ihnen zog sich freischwebend das größte technische Wunder dahin, das Menschenund Moraner-Augen jemals gesehen hatten. Die Versuche, herauszufinden, welche Kräfte die Ausfallstraße hielten, hatten zu keinem Ergebnis geführt. Der Verdacht, dass man hier mit Antigrav arbeiten würde, war ad absurdum geführt worden. Mit gleich bleibender Geschwindigkeit flog die PROMET immer weiter nach Süden. Sämtliche Ortungen liefen, aber sie zeigten nichts an. Gus Yonker konnte keinen einzigen Blip auf seinen Oszillo bekommen. Im Funk war nur das Rauschen der Statik zu hören. Im gesamten Alpha Centauri-System schien es keinen einzigen Sender zu geben. Die Besatzung der PROMET wusste es besser. Sie hatte weder den Hypnose-Angriff noch den zweimaligen Überfall, der das Kribbeln ausgelöst hatte, vergessen. Und auch nicht die neun strahlgetriebenen Raketen. Dann sahen sie es alle zur gleichen Zeit, aber sie wussten noch nicht, was sie sahen. Ein Kreuz weit vor ihnen? In der Zentrale trat Schweigen ein. Die Raumyacht kam dem Kreuz näher und näher. Arn ging mit der Geschwindigkeit herunter, und das einzig arbeitende Triebwerk lief nur noch mit zehn Prozent Leistung. Unwillkürlich richteten sich die vier Personen im Kommandoraum auf, als sie nun klar erkennen konnten, was sie für ein Kreuz gehalten hatten. Von der Schwebestraße führte rechts und links je eine Abzweigung mit sanftem Gefälle nach unten. Sie endeten im Nichts, denn dort, wo sie aufhörten, gab es nur den gleichen Pflanzenteppich, wie überall. Die Magnetlinsen der Bild-
Erfassung drehten sich langsam, aber sie brachten nichts Besonderes auf die Bildschirme. „Abzweigungen, die sinnlos erscheinen“, sagte Vivien. „Und beide sind so breit wie unsere Schwebestraße.“ Nachdenklich erwiderte Peet: „Vielleicht war hier der Bau einer neuen Stadt geplant, und er kam nicht mehr zur Ausführung.“ Das Schiff beschleunigte wieder, und langsam wurde die kreuzförmige Abzweigung hinter ihnen kleiner. In regelmäßigen Abständen gab der Funker durch, dass nichts zu melden sei. Die Strahlraketen, auf die jeder wartete, erschienen nicht. Versuchte Alpha Centauri, sie in Sicherheit zu wiegen, um sie dann mit einem Schlag zu vernichten? Jeder dachte es; niemand sprach es aus. Es gab Fragen genug, die ohne Antworten blieben. Szer Ekka, der Astronavigator, hatte nichts zu tun und kam in die Zentrale, um neben Vivien Raid Platz zu nehmen. „Es gibt eine Möglichkeit, warum wir auf Riddle keine Lebewesen antreffen …“ Überrascht sah man ihn an, denn man hatte noch nie erlebt, dass Ekka freiwillig bereit gewesen wäre, einen Vortrag zu halten. „Und?“, munterte ihn Peet auf, der seinen zuverlässigen Astronavigator am besten kannte und sein Erstaunen verbarg. „Wenn man davon ausgeht, dass die Ausfallstraße ein technisches Wunderwerk darstellt, dann kann man auch an einen Riesenstaubsauger denken, mit dem Invasoren, die überfallartig Riddle besetzen, alles was kreuchte und fleuchte, einsammelten. Vielleicht haben sie vorher mit Hypnose oder Suggestion gearbeitet oder mit einer uns unbekannten Methode, die die Riddler zwang, panikartig ihre Häuser zu verlassen, um dann schutzlos im Freien aufgesammelt zu werden. Das gleiche Schicksal erlitten alle Fahrzeuge …“ „Und die drei Arbeits-Roboter und diese Maschine, die das Baumaterial lieferte, Ekka?“, fragte Jörn mit leichtem Spott in der Stimme. Der hatte eine einfache, aber plausible Antwort zur Hand. „Übersehen worden, Sir, oder vielleicht nicht mehr in den Saugstrom geraten.“ „Zwischen den Sternen ist alles möglich. Das zu glauben, hat mich mein alter Lehrer Thosro Ghinu gelehrt. Wie sich die Katastrophe
auf Riddle abgespielt hat, werden wir wahrscheinlich nie erfahren, wenn wir nicht auf Überlebende stoßen. Halten wir die Augen auf, damit wir sie entdecken, denn bei ihnen wird sich von Generation zu Generation die Geschichte vom Untergang ihres Volkes ebenso fortgepflanzt haben, wie bei uns auf Moran, und dass sie unheilbar misstrauisch jedem Wesen gegenüber sind, das von den Sternen kommt … Könnte man es ihnen verdenken? Würden wir uns nicht genauso verhalten und alles tun, um nicht entdeckt zu werden?“, stand der Moraner Ekka bei. Nur er konnte so reden. Nur er stammte von einer Welt, die im tiefsten Frieden plötzlich von mörderischen Invasoren überfallen worden war. „Das Meer …!“ In der Ferne war ein blauer Streifen zu erkennen, der von Minute zu Minute breiter wurde. Kurz vor der Küste wölbte sich der Boden ein wenig auf, als wolle er einen Schutzwall vor den anbrechenden Wellen errichten. Die Schwebestraße näherte sich unmerklich mehr und mehr dem Boden, und der Augenblick kam, in dem die PROMET ihren Schutz verlassen musste. Borul steuerte sie nach links, und dann standen sie in knapp zwanzig Meter Höhe über einem Steilufer, und die Besatzung sah in dessen Schutz in unregelmäßigen Abständen eine Kette von Bungalows stehen. Die Straßen, wahrscheinlich vom ständigen Wind freigehalten, leuchteten im leichten Braunton zu ihnen herauf. Die Riddler schienen eine Rasse gewesen zu sein, die frohe Farben liebte. „Keine Ortung?“ Gus Yonker hatte nichts zu melden. Zwischen einer weiten Häuserlücke landete die PROMET. Wenig später wehte würzige Luft durch die Räume und Kabinen des Schiffes. Am Fuß der kleinen Rampe standen Peet Orell, Arn Borul und Vivien Raid. Die anderen hatten an Bord ihren Posten bezogen. Wie am Tag zuvor war die Yacht klar zum Notstart. Die Funkverbindung zu der dreiköpfigen Gruppe hielt Yonker aufrecht. Auf dem Bildschirm der Zentrale waren die drei deutlich zu sehen. Vivien Raids schwarze, lange Haare wehten wie eine Fahne im Wind, und auch die beiden Männer empfanden die würzige Meeresluft als Wohltat. Langsam gingen sie die Straße entlang,
deren Belag erstaunlicherweise federte. Woher diese Wirkung kam, konnte vielleicht später einmal untersucht werden. Orell und Borul trugen Tornister, die mit technischem Gerät gefüllt waren. Sie hatten aus den Erfahrungen der vergangenen Tage ihre Lehren gezogen. Das Rauschen der Brandung war nichts besonders laut, und die anbrandende Welle nicht hoch. Der Strand bestand aus feinem weißen Sand, der an vielen Stellen glitzerte, als ob er Glasstücke enthielte. Die Steilküste hinter den Bungalows bestand aus nacktem, grauem Fels, auf dem eine Erdschicht von wenigen Metern Dicke lag. Nirgendwo war eine Pflanze zu sehen. Der Pflanzenteppich endete oben an der Kante. „Auch hier werden wir keine Seele antreffen“, prophezeite Peet. Der dritte Bungalow war ebenso versperrt wie die beiden ersten. Die Straße machte einen Bogen und führte etwas bergan. Als sie um die nächste Ecke blickten, blieben sie wie auf ein Kommando stehen. Auf dem kleinen Platz, der von vier Bungalows umrahmt wurde, stand eine Plastik, auf der sich das Licht Alpha Centauris spielte. „Ein Mensch …?“, flüsterte Vivien, aber niemand hörte sie, denn das Rauschen der Brandung hatte ihre Frage übertönt. Plötzlich eilten sie vorwärts. Die Plastik zeigte sich ihnen immer deutlicher, und dann standen sie davor und schwiegen. Blickten sie in das stilisierte Gesicht eines Riddlers? „An irgendetwas erinnert mich das Gesicht, aber woran bloß?“, sagte Peet Orell. Als er die Frage stellte, wusste Vivien, was Peet meinte, aber nicht benennen konnte. „An die Steingesichter auf der Osterinsel, Peet.“ Überrascht sah er seine Jugendfreundin an. „Stimmt! Diese Strenge, diese Härte im Gesicht … hier wie dort. Dann waren die Riddler in ihrem Aussehen uns ähnlich.“ War es ein Mann, der durch die Plastik dargestellt wurde? Man konnte es nicht erkennen, obwohl die Kleidung hauteng am Körper lag. Hände und Füße waren nackt, nur angedeutet und zeigten weder Finger noch Zehen. „Auffallend breit die Hände und Füße“, sagte der Moraner, der die Plastik gerade umkreist hatte, um auf dem Sockel nach
irgendwelchen Schriftzeichen zu suchen, aber der gelbe Sockel, aus demselben Material gefertigt wie die Figur, war blank und frei von jeder Glyphe. Der Riddler hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt und schien zu den fernen Sternen hinaufzublicken. „Was mögen die beiden Vertiefungen rechts und links unter der Kinnlade zu bedeuten haben?“ Kaum hatte Peet Orell diese Frage gestellt, als er sich klar wurde, dass man auch sie nicht beantworten konnte. „Es könnten Kiemen sein“, sagte der Moraner mit ruhiger Stimme. „Kiemen …?“, kam die Frage von rechts und links. „Warum nicht? Behauptet die terranische Evolutionstheorie nicht, dass der Mensch aus dem Meer gekommen ist?“ Die Männer aus der PROMET meldeten sich und baten darum, ihnen die Plastik von allen Seiten zu zeigen. Vivien Raid übernahm per Visophon diese Aufgabe, und sie hörte plötzlich Callaghans erstaunten Ausruf, der in der Bitte endete, die linke Seite der Figur noch einmal zu erfassen. Ahnungslos kam Vivien seinem Wunsch nach. „Mein Gott, seht ihr das nicht auch?“, fragte Jörn voller Erregung. „Was denn? Was sollen wir sehen?“ „Schriftzeichen in der Höhe des linken Ellenbogens. Einwandfrei Glyphen!“ Drei Personen standen auf dem quaderförmigen Sockel, und jeder bemühte sich, diese Glyphen, die Callaghan auf dem Bildschirm entdeckt haben wollte, zu sehen. Sie fanden keine! Das Metall, aus dem das Standbild gefertigt war, war glatt und ohne jedes Zeichen. Jörn Callaghan in der Zentrale der PROMET verlor etwas von seiner sprichwörtlichen Ruhe. „Wollt ihr uns zum Narren halten? Wir sehen sie ganz deutlich. Es sind sieben scharf voneinander getrennte Zeichen. Vivy, richte das Objektiv noch einmal auf den Ellbogen... und schärfer einstellen … So! Und wenn ihr gleich zurück seid, dann spiele ich euch den Film vor. Dann seht ihr Zeichen, die ihr jetzt nicht sehen wollt.“ Arn, Peet und Vivien standen wieder auf dem kleinen Platz. Die Glyphen blieben für sie unsichtbar.
„Halten wir uns damit nicht auf“, schlug Peet vor, denn er brannte darauf, einen Bungalow zu betreten. „In der Zwischenzeit gehe ich zum Strand ‘runter, um herauszufinden, warum er so blitzt“, sagte Vivien. Die Gischt auf den Wellenkämmen sah so aus wie die Gischt auf der Erde. Das Rauschen der leichten Brandung klang auch nicht anders. An den Anblick der weißen Bungalows mit ihrem eigenartigen Stil hatte sie sich inzwischen schon gewöhnt. Sie sprang über einen Graben, kam auf der anderen Seite federnd auf und wirbelte beim Aufkommen herum. Was hatte im Graben geblitzt? Sie sprang in den Graben und stellte zu ihrem Entsetzen fest, dass ihre Füße keinen Halt fanden. Wie in einem Moor sank sie mit gleichmäßigem Tempo tiefer und tiefer und steckte schon bis über die Knie im Riddleboden. Der Versuch, sich an dem hervorspringenden Stein Halt zu verschaffen, misslang, denn der Stein brach aus und begann auch im Boden zu versinken. Vivien begriff, in welcher Gefahr sie sich befand, aber sie war jetzt zu trotzig, um über Funk um Hilfe zu rufen. Sie drückte sich von der Grabenböschung ab und warf sich auf das Blitzende zu, das Harte und Kalte, und vergaß dabei, dass im gleichen Moment ihr Visophon abgedeckt wurde. „Vivien“, hörte sie Callaghans Stimme, „wir bekommen kein Bild mehr von dir. Wo steckst du eigentlich? In einem Sumpf?“ Sie konnte ihm keine Antwort geben, weil sie beide Hände benötigte, um sich auf das Harte zu ziehen, das sich auch unter ihrem Körpergewicht nicht bewegt hatte. Natürlich hatten Borul und Orell mitgehört. Peet rief nun nach ihr. Vivien beeilte sich, um sich aus der Patsche zu befreien und Entwarnung zu geben. Da bekam sie auch schon ihr linkes Bein frei, zog das rechte nach, kniete sich hin und riskierte es, sich auf das Harte unter ihren Füßen zu stellen. „Vivien, wir erhalten ein total verschmiertes Bild“, hörte sie Jörn aus der PROMET durchsagen. Sie drückte sich ab, kam halb gegen die Böschung des Grabens zu liegen und fand mit beiden Händen Halt, um sich herauszuziehen.
Mit ihrem Taschentuch säuberte sie die Linse der Bild-Erfassung, blickte an sich herunter. Sie sah, dass ihre Stiefel und die Hosenbeine ihres bequemen Overalls teerschwarz waren. Das Zeug klebte, war schmierig und stank. Aber der Riddleboden im Graben sah grau und völlig harmlos aus. Woher kam dieser Dreck? Lag er unter der grauen Schicht? Sie rümpfte die Nase, denn der Gestank wurde von Sekunde zu Sekunde stärker, und wozu gab es das Wasser, das keine fünfzig Meter mehr entfernt war? Der Sand gab unter ihren Füßen kaum nach. Sie lief den anlaufenden Wellen entgegen, wagte sich aber nicht zu weit vor und schaute zu, wie das Wasser nach ihr griff und halb ihre Oberschenkel erreichte. Sie schrie gellend auf. Im nächsten Moment konnte sie nichts mehr sehen. Sie stand in einer pechschwarzen Dampfwolke. Der Dampf war aus dem Bereich ihrer Beine und Stiefel gekommen. Der schwarze Dreck hatte in Verbindung mit Wasser eine ungeahnte chemische Reaktion ausgelöst. Vivien glaubte, in der schwarzen Wolke zu ersticken. Sie war nicht mehr in der Lage zu husten. Sie hatte keine Ahnung, wo sich der rettende Strand befand. Eine unsichtbare Faust schnürte ihr die Kehle zu. Die Welle, der sie entgegengelaufen war, rollte wieder ab. Das zeigte der verzweifelten jungen Frau die Richtung zum Strand an. Mit letzter Kraft machte sie eine halbe Drehung nach rechts, als die schwarze Wolke vor ihr auseinander riss und der weiße Strand wieder zu sehen war. Atmen! Und wie gierig sie Luft in ihre gequälten Lungen brachte. Der Schweiß rann über ihr Gesicht. Was riefen Jörn, Peet und Arn? Sie konnte ihnen nicht antworten. Sie musste erst einmal wieder zu Kräften und Verstand kommen. Großer Himmel, was war eben bloß geschehen? Und warum waren ihre Füße so warm? Sie blickte an sich herunter, und wieder schrie sie auf, und abermals vor Entsetzen.
Sie besaß keine Stiefel mehr. Ihre Füße waren nackt, und die Hosenbeine ihres Overalls waren bis in Kniehöhe verschwunden! „Vivy, nun melde dich doch endlich!“ Der Schock saß tief, und sie meldete sich. Wenige Augenblicke später standen die beiden Männer vor ihr und hatten zu glauben, was sie sahen, aber sie verstanden es trotzdem nicht. Sie zeigte ihnen den Graben, sie deutete auf das Blitzende darin, machte auf den grauen Boden aufmerksam und erzählte ihre Story zum dritten Mal. Die schwarze Nebelwolke hatten Peet und Arn beobachtet, sich ihre Entstehung aber nicht erklären können und sie vor allen Dingen nicht mit Vivien in Zusammenhang gebracht. „Du musst sofort zum Schiff zurück, Vivy“, ordnete Peet an. „Und du musst sofort ein desinfizierendes Bad nehmen. Lass deine Beine und Füße von Tak behandeln …“ „Die sind doch okay, Peet“, versuchte sie zu trotzen. Die Blitze aus seinen blauen Augen trieben sie zum Schiff zurück. „Hoffentlich hat es keine Folgen für sie“, sagte Peet dumpf. „Und kein Arzt an Bord …“ Sie verspürten kein Verlangen, das Blitzende im Graben zu erforschen. Viviens Erlebnis hatte sie gelehrt, dass der Planet Riddle nicht ohne Gefahren war. Arn ließ den weißen Sand durch die Finger rieseln. Manche Sandkörner besaßen eine glasige Oberfläche und spiegelten das Sonnenlicht wider. Daher das Aufblitzen, das überall zu sehen war. „Leer!“, sagte der Moraner neben ihm. „Nur Sand zu sehen, Peet.“ Beide trennten sich, und jeder ging ein Stück in die entgegengesetzte Richtung. Ihre Blicke suchten den Strand ab. Keine Muschel war zu sehen, kein Fisch oder etwas, was Ähnlichkeit damit gehabt hätte. Keine einzige Alge. Nichts! Nur Leere! Auch der Strand war tot, wie die Riesenstadt tot war. Riddle – ein Rätsel. Orell und Borul standen in einem Bungalow, den sie auch mit dem Elektronenbrenner hatten öffnen müssen.
Wie in der Stadt empfing sie Gestank, wilde Unordnung, die von einem panischen Aufbruch sprach, und dann standen sie vor der zweiten Plastik, die in einem Raum wiederum fest mit dem Boden verbunden war. War es die originalgetreue Wiedergabe eines Riddlers, dann war die auffallend schlanke humanoide Rasse durchschnittlich zwei Meter und zwanzig groß gewesen. Das Gesicht wies dieses Mal nicht die überaus harten Züge auf, wie man sie auf der Plastik im Freien beobachtet hatte, sondern zeigte eine gewissen Weichheit, so dass die beiden Männer glaubten, vor dem Standbild einer Riddlerin zu stehen, auch wenn keine sekundären Geschlechtsmerkmale zu erkennen waren. Bissig meinte Peet: „Wir können bald einen Fragenkatalog zusammenstellen.“ Hatte der Moraner es überhört? Er deutete auf die Kinnpartie: „Auch hier die Vertiefungen rechts und links … Kiemen – keine Kiemen? Das ist die Frage.“ Die PROMET meldete sich und gab durch, dass Vivien ein desinfizierendes Bad und eine Behandlung ihrer Beine hinter sich habe. Alle Kontrollen waren negativ. Alpha Centauri und sein zweiter Planet schienen sich über Nacht für den Frieden entschlossen zu haben. Naserümpfend betraten die beiden Männer den Schlafraum des Bungalows und blieben vor dem stehen, was einmal Lagerstätte oder Bett gewesen sein musste. Fast einen dreiviertel Meter war das fugenlose, viereckige Gesell hoch, das mitten im Raum stand und dadurch sehr viel Platz beanspruchte. Von weichen Unterlagen, Decken oder ihren Resten keine Spur, während sonst diese Dinger in allen Ecken herumlagen. „Sollten wir uns nicht die Zeit nehmen, eine C-14-Analyse vorzunehmen?“, schlug der Moraner vor. Der Funkruf vom Raumschiff machte diesen Plan zunichte. „Distanz-Ortung hat einen Abfangjäger erfasst!“ Peet Orell und Arn Borul stürmten aus dem Bungalow und liefen auf die PROMET zu.
14. Der Bericht der POL-11 hatte bei der Space-Police für einigen Wirbel gesorgt und eine Konferenz nach sich gezogen. „Mit diesen aufwendigen Durchsuchungen verschlechtern wir rasant das ohnehin schon schlechte Klima zwischen uns und den Raumfrachtern“, gab ein Psychologe zu bedenken. „Wir erzeugen damit Spannungen, die eines Tages zu einem gefährlichen Zusammenstoß führen können. Ich will es einmal ganz krass ausdrücken: Möglicherweise erzeugen wir eine Hasspsychose, die sich irgendwann gewaltsam entlädt!“ Die Offiziere im aktiven Dienst hatten ihrem Psychologen noch nie gerne zugehört. Er sprach ihnen zu geschwollen. Man sollte Nägel mit Köpfen machen und allen Gesellschaften, die mit Raumfrachtern ihr Geld verdienten, klar zu erkennen geben, dass sich die Space-Police nicht auf der Nase herumtanzen ließ. „Meine Damen und Herren“, sagte der überschlanke, große Offizier mit den struppigen Augenbrauen, „wir müssen darauf drängen, den Strafkatalog umgehend zu ändern. Was erreichen wir denn mit Strafen ab tausend Sol? Wenn wir klar herausstellen, dass die Sicherheit in jedem Fall Vorrang hat und wir damit nur Menschenleben schützen wollen, muss auch mit der Zeit der bösartigste Frachterkommandant erkennen, dass er am kürzeren Hebel sitzt. Wir müssen uns zum Ziel setzen, Ordnung auch im Weltraum herrschen zu lassen …“ Lieber Himmel, dachte der Psychologe. Wenn solche Männer mit ihren Ansichten durchkommen, werden sie bald die Stunde verfluchen, in der die Regierungen ihren Vorschlägen zugestimmt haben. Die Kontrolle der XO-2 wurde noch einmal vorgebracht. „Einspruch!“, warf auf einmal ein bulliger Offizier ein und erhob sich. „Wir wollen doch bei den nackten Fakten bleiben. Der XO-2Raumer ist durch unsere aufwendige Kontrolle sechsunddreißig Stunden später als geplant auf der Erde gelandet. Die sehr intensiv durchgeführte Kontrolle hat keine Beanstandung ergeben. Ich muss darauf aufmerksam machen, dass HTO-Raumer in den seltensten Fällen mit Strafe belegt wurden …“
„Weil die Frachter schneller als unsere POL-Schiffe sind. Auch ihre Reichweite ist größer. Warum zum Teufel liefert die HTO die bestellten POL-Schiffe nicht aus? Warum bekommen wir stets neue Entschuldigungen zu hören, wenn die Corporation auf Lieferung gedrängt wird?“ „Aber das ist doch nicht Gegenstand der Konferenz“, versuchte der Chef seine Offiziere wieder zum Thema zurückzuführen. „Unser Misstrauen der HTO gegenüber, das eigentlich erst durch das Experiment der PROMET vor der Marsbahn existent wurde, dürfte durch die Kontrolle der XO-2 aus der Welt geschafft sein, wenn man davon absieht, dass die Schiffe der Klasse C-7 über die besten Triebwerke verfügen. Der Marsonfund der Corporation im Asteroidengürtel ist bei uns aktenkundig. Beenden wir damit endgültig dieses Thema und wenden uns dem nächsten Tagespunkt zu …“ Als sie nach drei Stunden gingen, blieb der Psychologe als einziger im Konferenzraum zurück. Er blickte den aktiven Offizieren nach. Idioten, dachte er voller Grimm. Der erste tätliche Zusammenstoß zwischen einer Frachterbesatzung und der eines POL-Schiffes lag in der Luft. * Der Abfangjäger stand einsam über dem Ozean von Riddle und war als blitzender Punkt am Himmel mit freiem Auge gerade auszumachen. Die PROMET war klar zum Notstart. Maximale Bildschirmvergrößerung hatte die Strahlrakete so dicht herangeholt, als sei sie kaum hundert Meter entfernt. „Absoluter Stillstand“, murmelte Arn. „Bei den Cegiren, was hat das nun wieder zu bedeuten?“ Die Strahlrakete, die sich ihnen entlang der Küste genähert hatte, war plötzlich von ihrem Kurs abgegangen, hatte die offene See angeflogen und den Abstand zur PROMET dabei größer werden lassen, um nun in 78 Kilometer Entfernung still in der Luft zu stehen. Genau der Raumyacht gegenüber. Und Gus Yonker hatte bis jetzt keine einzige Amplitude auf seinem Oszillo entdecken können. Irgendwelche Ortungsstrahlen waren auch nicht bemerkt worden.
Weder Kribbeln, noch Tele-Hynose. Nur dieser Abfangjäger vor ihnen. „Zermürbungstaktik …“, sagte Jörn Callaghan. Peet polterte los. „Jörn, das haben die doch gar nicht nötig. Aber wenn uns die Riddler schon zeigen, was sie alles können, warum versuchen sie nicht, sich mit uns in Verbindung zu setzen? Wir haben ihnen doch unzählige Beweise geliefert, wie harmlos wir sind.“ „Vielleicht haben sie alles missverstanden. Wer kennt die Gedanken eines Riddlers?“ Jörn blieb ruhig. „Und jetzt?“ Der Abfangjäger hatte sich in Bewegung gesetzt. Die DistanzOrtung der PROMET hielt ihn unbarmherzig fest. „Setzt er sich ab …?“ Fragen über Fragen. Er setzte sich ab. Er verschwand – und mit seinem Verschwinden ließ er ein weiteres Fragezeichen zurück. „Hier halte ich es nicht mehr aus“, sagte Orell heftig. „Arn, wir wollten doch eine C-14-Analyse machen …“ * Seit einer halben Stunde war die Strahlrakete verschwunden, und die Ortungen standen alle wieder auf Null. Arn Borul und Peet Orell hielten sich zum zweiten Mal zwischen den Bungalows auf, die allem Anschein nach als kleines Erholungszentrum gedient hatten. Die Funkverbindung zur PROMET stand ununterbrochen. Die beiden Männer bemerkten nicht, wie die Zeit verging. Hin und wieder gaben sie Werte durch, die der Bordcomputer zu verarbeiten hatte. Dann hatten sie auf das Resultat des Großrechners zu warten. Sie saßen im Schatten der Plastik. „Amphibische Humanoide, Arn … Dann hätten die Riddler auch ebenso gut im Wasser leben können …?!“ „Ja …“ Es klang nicht gut. „Und am Strand haben wir weder eine Muschel, noch eine Alge oder einen toten Fisch gefunden. Es gibt keine Vögel auf dieser Welt und keine Insekten. Und es gibt auch keine toten Riddler. Wenn nun das Meer bis in seine Tiefen auch tot ist?“
Peet gab keine Antwort. Die Vorstellung, dass der gewaltigen Ozean so leer sein sollte, wie die Oberfläche leer war, überstieg seine Phantasie. So etwas konnte es nicht geben. Keine Rasse war dazu in der Lage. In dieser Form ließ sich die Natur auch durch Intelligenzen nicht vernichten … Er zuckte zusammen und fasste sich an den Kopf. Wie lange war es denn her, dass Atlantik, Pazifik und Indischer Ozean Gefahr liefen, unter einer schmutzigen Ölschicht zu ersticken? War die Katastrophe nicht unter Aufwendung von Milliarden-Summen erst in letzter Minute verhindert worden? „Und wenn die Riddler sich durch ihre eigene Dummheit selbst vernichtet haben, Arn? Könntest du dir solch eine Möglichkeit vorstellen?“ Aus schockgrünen Augen traf ihn ein vielsagender Blick. „Das müsste dir als Terraner doch viel leichter fallen als mir. Erinnere dich eurer Probleme, die ihr mit der Umweltverschmutzung hattet.“ Orell redete, als führte er ein Selbstgespräch: „Die Atmosphäre Riddles ist verseucht. Die amphibischen Humanoiden flüchten in Panik ins Meer zurück. Dort finden sie ebenfalls eine Verseuchung vor und sterben … Aber nein, das kann nicht stimmen, oder sollten sie auch ihre Fahrzeuge restlos mit ins Wasser genommen haben?“ Die Antwort aus der PROMET ersparte es dem Moraner, darauf einzugehen. Sie hatten drei C-14-Analysen durchgeführt und damit ein riesiges Tor ausgerissen, das abermals nur Fragen bereithielt. „Hört mal gut zu“, kündigte Jörn Callaghan seine Sensation an. „Bei der ersten Analyse kommt der Computer auf 1429 Jahre, bei der zweiten nur noch auf 1390 und bei der dritten auf 1350 Jahre. Sagt euch das etwas?“ Beide, der Moraner wie der Terraner, glaubten in diesem Moment, die teilzerstörte Kugel hinter dem Pluto im nachtschwarzen Raum zu sehen. Das Alter des Fremdraumers war durch eine Analyse auch auf 1350 Jahre bestimmt worden! Es gab einen Zusammenhang zwischen ihm und Riddle! Es gab mehr als einen Zusammenhang, nur waren alle an Bord der PROMET mit Blindheit geschlagen gewesen. War Riddle, ein fast erdgroßer Planet, nicht genauso leergefegt, wie alle Räume des Kugelschiffes leer waren? „Peet, wir müssen Kontroll-Analysen durchführen. Wir dürfen jetzt nicht das Opfer eines Irrtums werden.“
Aber es gab keinen Irrtum. Zwei von drei Analysen bestimmten das Alter der getesteten Gegenstände auf 1350 Jahre plus/minus! Betroffen von dieser Entdeckung, gingen Borul und Orell zum Schiff zurück. „Man hat zuerst den Kugelraumer hinter dem Pluto zerstört und ausgeplündert, um dann diese Welt zu vernichten und ihre Bewohner verschwinden zu lassen …“ „Oder es war umgekehrt, Arn! Die Invasoren holten das Raumschiff, mit dem den letzten Riddlern die Flucht gelungen war, kurz vor unserem Sonnensystem ein und zerstörten es.“ Beide Männer ahnten nicht, dass es auf der Erde und hinter dem Pluto eine Handvoll Männer gab, die beweisen konnte, dass die von Orell aufgezeigte Möglichkeit nicht richtig war. Als es Abend wurde, begann Vivien über Kopfschmerzen und Übelkeit zu klagen. 39,9 Grad Körpertemperatur. Keines der fiebersenkenden Mittel half. Peet und Jörn wälzten medizinische Handbücher, und nacheinander schleuderten sie sie in die Ecke. Auf dem Planeten Riddle mussten sie selbst entscheiden, was zu tun war. Peet hob Viviens Decke hoch, um sich ihre Füße und Beine anzusehen. Die Haut war bis zu den Knien grün! Und sie war eiskalt, während der Rest von Viviens Körper glühte. Sie verlangte zu trinken. Immer mehr Flüssigkeit, und sie gab keinen Tropfen von sich. „Schluss damit“, entschied Peet, der seine Sorge zu verbergen suchte. Er saß auf der Bettkante und hielt Viviens schweißnasse Hand fest. „Du darfst nichts mehr trinken, Vivy …“ „Ich muss aber, Peet. Ich verdurste. Ich verbrenne. Sind meine Beine immer noch grün?“ Sie waren grün und bis zu den Knien eiskalt. Er kniff in ihre Wade. Vivien reagierte darauf nicht. Er kniff stärker hinein. „Spürst du denn nichts, Vivy?“ Sie blieb liegen, wie sie lag. „Was soll ich denn spüren, Peet?“ 40,1 Grad Fieber. Eigenartig, dass sie noch nicht phantasierte. Peet eilte zu den anderen in der Zentrale zurück. Irgendjemand musste doch helfen können. Er war mit seinem Latein schon lange am Ende. Szer Ekka, dessen Anwesenheit meistens erst dann bemerkt wurde, wenn er sprach, versuchte verzweifelt, sich eines Hausmittels zu erinnern,
das seine Urgroßmutter immer angewandt hatte, wenn ein Familienmitglied an etwas nicht klar Diagnostizierbarem erkrankt war. „Ich muss mal in die Kombüse …“, sagte er. In der Kombüse riss er ein Sperrfach nach dem anderen auf. Hineinblicken und schließen … Hineinblicken und schließen … Und ein Deck höher kämpfte Vivien mit einer unbekannten Krankheit, und ihre Temperatur stieg unaufhaltsam! Grüne Beine! Eiskalte Beine! Beine, die auf Schmerzen nicht mehr reagierten! Ekka zuckte zusammen. Da war doch einmal Onkel Doe verunglückt und halb erfroren aus einer Eisspalte geholt worden. Die Urgroßmutter hatte allein seine Pflege übernommen, und was hatte er, Szer, damals tun müssen? Was hatte er damals getan, als Onkel Does Beine auf Kälte und Hitze, auf Drücken und Kneifen nicht mehr ansprachen? Er hatte zum Drugstore laufen müssen. Mein Gott, ja, und hoffentlich half es bei Vivien auch. Reines Tranöl fand er; ein Wunder, dass es das an Bord der PROMET gab. Der Schnellsieder hatte schon kochendes Wasser bereit, aber Ekka suchte noch nach weiteren Gewürzen. Wo, bei allen Sternen, musste er suchen? Peet öffnete die Tür, schob den Kopf durch den Spalt und sagte bedrückt: „Vivien phantasiert. Ihre Beine beginnen anzuschwellen und sind grün wie zuvor“. Er fragte nicht, was der Astronavigator in der Kombüse suchte. Als die Tür wieder zufiel, hatte Ekka die gesuchten Gewürze gefunden. Woher sollte er wissen, welche Mengen zu nehmen waren? Sein Messgefäß war der Esslöffel. Das Tranöl befand sich schon im Topf. Umrühren, und dann kochendes Wasser dazu. Die Blitzplatte glühte schon. Den Topf darauf und rühren. Szer Ekka krauste die Nase und schnupperte. Hatte es damals in Urgroßmutters Küche nicht ebenso pestilenzialisch gerochen? Der Sud wallte auf. Der üble Geruch zog in die letzte Ecke der Kombüse. Ekka begannen die Augen zu tränen, aber er blieb beim Topf und rührte. „Was jetzt im Topf ist, wird durch ein Tuch geschüttet, und den Inhalt im Tuch darf man nicht drücken …“ Ekka hatte das Gefühl, Urgroßmutter würde in diesem Augenblick neben ihm stehen und ihn aus ihren gütigen Augen ansehen. Wie
hatte er damals geweint, als sie eines morgens tot im Bett aufgefunden wurde, und wie viele Jahre hatte es gedauert, bis er ihren Verlust ganz überwunden hatte. „Ja, Urgroßmutter, den Inhalt im Tuch nicht auspressen …“ Er kam sich gar nicht lächerlich vor, als er begriff, mit einer Toten gesprochen zu haben, und aus dem Tuch tropfte eine grünschwarze Brühe, zähflüssig wie Leim und mit dem Aussehen von ranzigem Schmieröl, das jahrelang in einer Ecke gelegen hatte. Mit dem kleinen Becher in der Hand stieß er die Tür zu Viviens Kabine auf. Peet Orell und Jörn Callaghan standen an ihrem Bett und hielten die Tobende fest, die versuchte, mit den Armen um sich zu schlagen. Entsetzt blickte Szer Ekka in ein ihm fremdes, hohlwangiges Gesicht, das feuerrot war. „Wir können das noch versuchen …ein Hausmittel meiner Urgroßmutter!“, flüsterte Ekka. Peet Orell hatte nur das Wort Hausmittel verstanden, und er griff danach wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm. Da stieg ihm der Duft in die Nase. Sein Kopf flog zurück und um ein Haar hätte er den Arm der tobenden Vivien losgelassen. „Was ist denn das für eine Brühe, Ekka …?“ Dem brannte der Boden unter den Füßen. „Sir, der Sud muss warm getrunken werden, sonst wirkt er nicht.“ Die Blicke zweier Männer kreuzten sich. Vivien phantasierte sinnloses Zeug. Callaghan kniete sich über sie und presste ihre Arme gegen das Bett. Mit seinem Oberschenkel hinderte er sie daran, den Körper hin und her zu werfen. Peet Orell hatte ihren Kopf in die Armbeuge genommen, und sperrte mit der anderen Hand ihren Mund auf. Dass sie ihm in ihrem Wahn mit aller Kraft in die Finger biss, ließ er sich nicht anmerken. Szer Ekkas Hand war so ruhig wie ein Roboterarm geworden. Den Becher an ihre Unterlippe setzen. Ein Blick zu Peet Orell. Der hatte verstanden, obwohl ihm der rasende Schmerz in den Fingern die Tränen in die Augen treib. Becher kippen. Vivien Raids Mund schließen. Sie musste trinken! Sie musste schlucken! Ekka wandte das rabiateste Mittel an und hielt ihr die Nase zu. Da schluckte sie. Deutlich hatte er es gesehen. Und noch einmal sah er es. „Sie hat es getrunken, Sir …“ Und dann kam das Warten: drei Männer wachten
über Vivien, die unverändert laut phantasierte und mit nachlassenden Kräften versuchte, sich freizumachen. Temperatur 40,5 Grad Celsius. Wenn sie weiter anstieg, war der Exitus nicht fern. Mit dem Gefühl grenzenloser Ohnmacht ging der Moraner wieder, der vor einer halben Stunde hereingekommen war, und Vivien Raids Sterben ließ ihn an Junici denken – Junici, die ihn sehnsüchtiger als alle anderen Moraner zurückerwartete. Yonker und Tak sahen ihn fragend an, als er die Zentrale wieder betrat. „Hoffnungslos“, sagte er dumpf. „Man sollte Vivy ein leichtes Sterben wünschen.“ Der Planet Riddle wurde für eine von ihnen zum Grab. Alpha Centauri hatte wieder zugeschlagen. In ihrer Kabine sagte Peet Orell: „Fieber steigt nicht mehr, sinkt aber auch nicht.“ Vivien war ruhiger geworden. Es war auch nicht mehr erforderlich, sie festzuhalten. Die Zweifel in Ekka wurden größer, je mehr Zeit verging, aber hatte es damals bei Onkel Doe nicht auch Stunden gedauert, bis sich die ersten Anzeichen einer Besserung seines Zustandes zeigten? Und was hatten die drei Ärzte gesagt, die trotz des Protestes der Urgroßmutter zu Rate gezogen worden waren? „Aussichtslos, Spätestens morgen früh ist er tot!“ Aber das war damals hoch im Norden Alaskas passiert, auf der Erde. Diese Welt, auf der sie sich befanden, war der Planet Riddle. Und Onkel Doe hatte nie grüne Beine gehabt, nur erfrorene. „Ekka, was ist mit Ihnen los?“, fragte Jörn Callaghan. „Seit zehn Minuten sehen Sie erschreckend blass aus. Sind Sie auch krank?“ Der Mann, in dessen Adern Blut von Eskimos und Indianern floss, versuchte ein Lächeln, das völlig misslang. „Sir, mir fehlt nichts, aber ich frage mich, ob mein Mittel bei Miss Raid hilft …“ Der kompakte Mann mit den eisgrauen Augen legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ekka, machen Sie sich keine Vorwürfe. Wir haben getan, was wir konnten.“ Bahnte sich eine Stunde später ein Wunder an? Temperatur 40,1 Grad. Das Fieber sank! Aber die drei Männer in ihrer Kabine machten sich nichts vor, denn Viviens Gesicht wurde immer kleiner. Es schien zusammenzuschrumpfen. Von einer Ahnung getrieben,
prüfte Peet ihren Puls. Der flatterte. Kaum jetzt auch noch Herzversagen dazu? Aber dagegen hatten sie doch Injektionen in der Bordapotheke. Er füllte die Injektionsspritze, las noch einmal die Angaben auf dem Beipackzettel, und dann schlug der hochkomprimierte Strahl, scharf wie eine Nadel, in Viviens rechten Oberarm ein. „Puls kommt wieder …“, sagte Jörn Callaghan leise, der diese Kontrolle übernommen hatte. Kurz nach drei Uhr morgens schlug Vivien die Augen auf. Sie benötigte ein paar Minuten, bis sie begriff, wo sie war und was mit ihr geschehen war. Ihre Stimme erinnerte an die eines Kindes. „Sind meine Beine immer noch grün …?“, piepste sie. Bestürzt blickten die Männer sich an. Danach zu sehen, hatten sie in ihrer Aufregung vergessen. Peet schlug die Decke zurück. Vivien Raids Beine waren bis zu den Knien nur noch schwach grün. Die Farbe hatte an Kraft verloren, und die Beine waren auch nicht mehr eisig kalt. Peet kniff sie fest in die Wade. „Au …!“, stieß Vivien mit ihrer Piepsstimme aus. „Warum kneifst du mich denn?“ Spielte es eine Rolle, dass sie nicht verstand, warum die drei Männer in ihrer Kabine lachten? Als sie zum zweiten Mal auf Riddle die Centauri-Sonne aufgehen sahen, befand sich Vivien Raid außer Lebensgefahr. Mit ihrem kleingewordenen Gesicht lag sie in den Kissen und schlief tief. * Die Kugel aus Marsonerz sank noch einmal um tausend Meter tiefer. Damit standen fünftausendfünfhundert Meter Wasser über ihnen. Aber der Marsonkugel, die auf zehntausend Meter geeicht war, machte diese Tauchtiefe nichts aus. Jörn Callaghan und Arn Borul hatten die Tauchkugel eingesetzt, um den Ozean von Riddle zu untersuchen. Sie arbeiteten mit Infrarot und erhielten ausgezeichnete Bilder, nur war darauf nichts zu sehen. Der Ozean des Planeten Riddle war absolut steril. Es gab kein Leben in ihm. Er war eine tote Flüssigkeit. Der Aufstieg zur Oberfläche dauerte knapp eine Stunde. Als wieder Funkkontakt aufgenommen werden konnte, hob die
PROMET an der Küste ab und flog ihnen entgegen, um sie mitsamt der Tauchkugel an Bord zu nehmen. Ihre erste Frage galt Vivien. „Schwach, aber fieberfrei“, gab Peet Auskunft. „Verfärbung an den Beinen kaum noch zu sehen. Appetit mäßig. Ihr Durst macht mir Sorgen. Sie trinkt, und wenn ich ihr nichts zu trinken gebe, tobt sie.“ „Toben lassen, Peet“, gab Jörn ihm den nicht gerade feinen Rat. „Ich verschwinde ins Labor und nehme mir das Meereswasser vor. Vielleicht finden wir Spuren darin, warum es im Ozean kein Leben gibt.“ Er fand nichts, außer, dass das Wasser steril war. Grübelnd saß er vor den Resultaten. Er wusste, wie schwer es war, eine größere Menge Wasser über längere Zeit keimfrei zu halten. Hier wurde ein Ozean keimfrei gehalten. Ergo musste es etwas geben, das diesen Zustand aufrecht hielt – eine Quelle, die einen Stoff absonderte, der in milliardenfacher Verdünnung dafür sorgte, dass im Meer kein neues Leben entstand. Er atmete schwer, denn er versuchte, sich die Ungeheuer vorzustellen, die auf diesem Planeten alles Leben mit einer teuflischen Lust vernichtet hatten. Und damit waren sie nicht einmal zufrieden gewesen: sie hatten auch Sorge getragen, dass in Zukunft kein neues Leben aus dem Meer entstehen konnte. War es vorstellbar, dass es Intelligenzen dieser Art gab? Sahen sie darin den Sinn ihres Lebens, anderes Leben gnadenlos auszurotten? Mit den Resultaten der Meerwasser-Analyse kehrte er in die Zentrale zurück. „Etwas Ähnliches hatte ich erwartet“, sagte der Moraner. „Jörn, manchmal ziehe ich Vergleiche zwischen Riddle und Moran, und manchmal habe ich den Verdacht, Riddle, Moran und auch der Kugelraumer hinter dem Pluto sind von denselben Bestien zerstört worden.“ „Möglich, Arn. Du hast uns ja selbst einmal gesagt, dass zwischen den Sternen alles möglich sei. Aber wollen wir trotz der Gefahr durch die Abfangjäger zum Himalaya-Kontinent hinüberfliegen?“ „Und danach, wenn keine neuen Zwischenfälle eintreten, den dritten Kontinent kurz besuchen, um anschließend nach einer Umrundung des Planeten auf Heimatkurs zu gehen?“ „Sind die Abfangjäger tatsächlich gefährlich?“, stellte der Moraner die Gegenfrage. „Hätten sie die PROMET nicht schon ein paar Mal vernichten können? Und gaben sie mit dem Einsatz der Zugstrahlen
nicht sofort auf, als Gefahr bestand, sie würden unser Schiff auseinander reißen? … Ich weiß, Jörn, das sind alles nur Vermutungen, aber wenn wir gar kein Risiko eingehen, wird uns Riddle immer ein unbekannter Planet bleiben.“ * Der Sprung zum Himalaya-Kontinent war getan. Der Moraner, der bei seinem Flug über Tausende von Lichtjahren zur Erde manchen Planeten gesehen hatte, wenn die TIRA nach der Transition im Normal-Kontinuum weiterflog, war regelrecht erschüttert, als er diese phantastische Gebirgswelt vor sich liegen sah. Gipfel, die über sechzehntausend Meter hoch ragten! Langgestreckte, zerrissene Massive, zwölftausend und mehr Meter hoch! Viele Täler, schmal und tief, und in der Tiefe herrschte das Dunkel, weil die Centauri-Sonne mit ihrem Licht nicht hinein konnte. Die Gletscher spiegelten das Licht wider, und je nach Einfallwinkel schien es, als ob es eine Sonnenfläche auf Riddle geben würde, die mit ihrer grellen Lichtflut jedes Auge blendete. Ein Kontinent von einer Wildheit, die lebensfeindlich war. Ein Kontinent, der mit seiner grausamen Schönheit jeden warnte, sich hier niederzulassen. Über den großen Bildschirm sahen sie Lawinen zu Tal gehen; Lawinen von einer Größe, die es nicht einmal im Himalaja auf der Erde gab. Lawinen, die mit ihren Massen halbe Täler zuschütteten. Und wie lange der Schneestaub als dichte Wolke in der Luft stehen blieb und weite Teile des Kontinents verschleierte. Die Männer in der PROMET sprachen nicht. Von dem gigantischen Ereignis betroffen, hatte es ihnen die Sprache verschlagen. Ein Kontinent, der ein einziges Gebirge war! Der Moraner hatte recht mit seinem Ausspruch, dass zwischen den Sternen alles möglich sei. „Wollen wir ihn nicht einmal umrunden?“, machte Jörn Callaghan den Vorschlag.
Niemand wollte sich so schnell von diesem Bild trennen; jeder wollte wissen, wie der Gebirgskontinent von der anderen Seite her aussah. Gefahr lag nicht in der Luft, denn alle Ortungen zeigten Nullwerte an. Von den Abfangjägern weit und breit keine Spur. Nur eines der Strahltriebwerke der PROMET arbeitete. Antigrav hielt das Schiff konstant auf gleicher Höhe. „Dahinten links, dieser Gipfel, sieht er nicht wie der Turm einer gotischen Kathedrale aus?“ Peet Orells Frage ließ Begeisterung durchklingen. Selbst wenn sie nichts weiteres mehr auf Riddle entdecken, dann waren schon der Anblick der Riesenstadt, die freischwebende Ausfallstraße und dieser Himalaya-Kontinent alle Gefahren wert gewesen, denen sie entkommen waren. Das Schiff wurde unmerklich schneller und blieb über der Steilküste, die an manchen Stellen mehr als zweitausend Meter senkrecht hinabfiel. Ein unzerstörbares Bollwerk für die anbrandenden Wellen. Vor ihnen tauchte ein gewaltig breiter Einschnitt auf, wie sie ihn bisher noch nicht gesehen hatten. Ein Tal mit mehr als zehn Kilometern Breite, und die Talsohle lag kaum hundert Meter über dem Wasserspiegel. Ruckartig schob sich der Moraner näher an den Bildschirm heran, als er in der rechten Bergflanke einen Krater zu sehen glaubte. „Feineinstellung, Jörn …“, stieß er hervor, doch der hatte das Objekt auch schon bemerkt. Das Bild wurde gestochen scharf. „Das ist doch nie … Das ist doch nie ein Krater! Das ist … ein Sprengtrichter!“ Peets Behauptung hing in der Luft. Arn Borul manövrierte die PROMET näher an das rätselhafte Objekt heran. Kleine Einzelheiten wurden auf dem Bildschirm deutlicher. „Geschmolzenes Gestein … Lange Schmelzbahnen! Wollt Ihr sie nicht sehen?“ Peets Stimme klang angriffslustig. Callaghan und Borul enthielten sich einer Stellungnahme. Im Bereich von Vulkanen waren Bahnen geschmolzenen Gesteins das Normale.
„Und rechts neben der kurzen dicken Bahn, ist das nicht geschmolzenes und wiedererstarrtes Metall?“ Peet forderte sie mit seinen Fragen heraus, aber sie gingen nicht darauf ein. War das nun ein Sprengtrichter oder ein Krater, dieses Loch in der Bergflanke, das sich in fast fünftausend Meter Höhe befand? Abermals eine Frage, die ohne Antwort blieb. „Yonker, wie sieht es im Funk aus?“ Der Moraner konnte die Abfangjäger nicht vergessen, die ihnen schon manche Nerven zermürbende Stunde verschafft hatten. „Nicht ein Blip zu erwischen, Sir. Absolute Funkstille. Wenn es hier einen Sender gibt, haben die alle dichtgemacht.“ Es war beruhigend und beunruhigend zugleich. Warum hatten sie den Großsender nicht orten können, der sie unter seine TeleHypnose hatte bringen wollen? Warum war die Station nicht ausfindig zu machen gewesen, die ihnen mit Hilfe der rotierenden Kugeln auf den Flachdächern der fünf Hochhäuser das scheußliche Kribbeln ins Schiff und in ihre Körper geschickt hatte? Und wo sich die Basis der Abfangjäger befand, war auch schleierhaft. Die Steilküste hatte jeden Kilometer ein anderes Aussehen. Die Männer in der PROMET erhielten den Eindruck, als ob hier die Natur versucht habe, alle Variationsmöglichkeiten auszuschöpfen. Und dann tauchte der nächste Krater oder Sprengtrichter auf, und in seinem Aussehen hatte er viel Ähnlichkeiten mit dem ersten – ein Loch von knapp einem Kilometer Durchmesser und einer Tiefe von rund dreihundert Metern. Rundherum, in seinem unteren Bereich, die Schmelzbahnen des wiedererstarrten Gesteins. Als sie hundert Kilometer Küste hinter sich gebracht hatten, lag der vierte Trichter hinter ihnen. Weder Jörn noch Arn verstanden, warum Peet sich mit dem Computer beschäftigte. Als die Folie aus dem Schlitz fiel, nahm er sie hastig an sich, warf einen Blick darauf und sagte erregt: „Ich hab’s doch gewusst! Aber ihr wolltet es ja nicht glauben. Hier! Überzeugt euch! Der Computer hat es berechnet. Jeder Krater ist vom anderen fünfundzwanzig Komma drei Kilometer entfernt.“ Die Aussage des Computers gab dem Fall nun ein ganz anderes Gesicht, denn die Natur mit ihren Vulkanketten hielt sich nicht an
gleich bleibende Abstände. Sie ließ ihre Feuer speienden Berge entstehen, wo sie Lust hatte. „Wenn es stimmt, Peet, dann müssten wir nach drei Kilometern den nächsten Trichter sehen“, sagte Jörn seinem Freund. Sie sahen ihn. Sein Abstand zum letzten betrug exakt 25,3 Kilometer! Der Moraner hatte das Schiff gestoppt. Drei der fünf Bildschirme in der Zentrale zeigten ihnen eine teilzerstörte Anlage, die zerfetzt, verbogen und zerrissen an den Wänden der Sprengtrichters zu erkennen war. Peet zeigte sein Triumphgefühl nicht. Warum sollte er sich als den klugen Mann hinstellen? Er hatte mit seinen Vermutungen auch schon oft genug danebengetippt. Nach wie vor zeigten die Ortungen Nullwerte. Yonker hatte ebenfalls nichts zu berichten, dennoch fiel es den drei Männern in der Zentrale schwer, eine Entscheidung zu treffen, denn die Gefahr, dass die Abfangjäger jeden Moment auftauchen konnten, bestand weiterhin. Arn Borul machte eine Vorschlag. „Wenn alles schief geht, könnte die PROMET auf Yonker und mich gut verzichten. Ihr hättet euch nur an die Speicherung des Großrechners zu halten, um Transitionen in Richtung Sol-System einzuleiten …“ Jörn unterbrach. „Mit anderen Worten, du und Yonker, ihr beide wollt euch allein diesen Sprengtrichter ansehen, Arn?“ „Ja.“ „Eine Frage“, sagte Peet, der von Arns Vorschlag nicht begeistert war, weil er an Bord bleiben sollte, „wo könnte das Schiff hier denn laden? Ich sehe nur Abstürze, Risse, Kamine, aber nirgendwo eine Fläche.“ „Eine Landung ist nicht erforderlich, Peet. Wir bringen das Schiff dicht über den Sprengtrichter, und dann verlassen Yonker und ich es mit Hilfe der Antigrav-Gürtel. Um für alle Fälle abgesichert zu sein, benutze ich meinen moranischen Gürtel.“ * Zehn Minuten später verließen beide die PROMET. Über den großen Bildschirm sahen Peet und Jörn, wie sie der Sohle des Trichters zusteuerten. Dabei mussten sie sich schweigend eingestehen, dass Arn Borul mit dem Antigrav-Gürtel seiner
Heimatwelt genauere Kursänderungen vornehmen konnte als Gus Yonker, der stets hinterherhinkte. Szer Ekka hatte inzwischen Gus Yonkers Platz in der Funk-Z eingenommen und beobachtete den Oszillo, aber der zeigte keinen einzigen Blip. In diesem Augenblick drehte sich der Moraner nach seinem Begleiter um und sagte ihm über Funk: „Nach rechts, wo diese halbrunde Konstruktion zu sehen ist, Yonker.“ „Verstanden, Sir.“ Ihre Antigrav-Gürtel ließen sich relativ leicht steuern, und über einen Abgrund von mehr als zweihundert Metern schwebten sie auf die rechte Seite des gewaltigen Trichters zu. Was hier auch immer geschehen war, diese Explosion hatte nicht die gleiche Wirkung gehabt, wie die an den vier anderen Stellen. Hier gab es an einer Stelle das Teil eines Decks, und damit war offenkundig, dass sich in dieser Bergflanke einmal eine technische Großanlage befunden hatte. Borul ließ die Männer im Schiff nicht im Unklaren, was er und Yonker sahen. „Nähern uns einem Reflektor, der nicht nur einen MaschenDoppelspiegel besitzt, sondern auch fünf Abstrahlpole aufweist, die auf einem Kreisrand montiert sind. Einwandfrei Strahlbeschuss zu erkennen. Überall metallene Schmelzbahnen sichtbar. Wir fliegen nun ein Stück tiefer und auf ein Aggregat zu, dessen Seite wahrscheinlich durch den Explosionsdruck abgerissen worden ist. Größe des Aggregates: Länge achtzig Meter, Breite wohl um zwanzig und Höhe um die dreißig … alles geschätzte Werte.“ Auch er musste an die Riesenaggregate im Fremdraumer hinter dem Pluto denken, die von den Leuten der HTO in Wechselschichten demontiert wurden, um zur Erde gebracht zu werden. „Nein“, erwiderte er auf Anfrage, „ich habe keine Ahnung, wozu es dienen könnte. Was hier erhalten geblieben ist, macht einen vollkommen fremden Eindruck. Selbst dieser Reflektor mit seinem Maschen-Doppelspiegel ist ein Rätsel.“ Sie schwebten zur anderen Seite hinüber und ließen ihre Tornistertriebwerke, die aus drei Düsen bestanden, mit maximaler Leistung laufen. Ihre Antigrav-Gürtel schützten sie vor dem Absturz.
Dann standen sie auf dem Rest des Decks, und zum ersten Mal stellten die beiden Männer fest, wie dünn die Luft und wie eisig es in diesen Höhen war. „Peet, wie steht es mit den Ortungen?“ Die Abfangjäger ließen auch den Moraner nicht zur Ruhe kommen. „Nullwerte, Arn.“ Der Deckrest besaß eine Länge von mehr als hundert Metern, und an drei Stellen trug die stabile Metallkonstruktion noch Räume, deren Schiebetüren eingedrückt und verbogen waren. Borul schaltete seinen starken Scheinwerfer ein und betrat den ersten Raum. Technik starrte ihn an. Instrumente, deren Bedeutung ihm fremd waren. Vier Wände, und alle voller Instrumente und Hebel, die für seine Hand nicht geformt waren, als er seine Finger darum legte. Dann glitt der Lichtkegel über den Boden und suchte jede Ecke ab, aber die Hoffnung, hier auf ein Skelett zu stoßen, erfüllte sich nicht. In den beiden anderen Räumen sah es nicht viel anders aus. Technik, wohin der Blick fiel. Das meiste war zerstört – zerfetzt von einem wahnsinnig starken Explosionsdruck. Hatte diese Druckwelle vielleicht auch die letzten Riddler in Fetzen gerissen, dass nichts mehr von ihnen zu finden war? Arn Borul gab seinen Bericht an die PROMET ab. „Ich möchte behaupten, dass wir es bei dem Sprengtrichter mit zerstörten planetarischen Abwehrforts zu tun haben, und wenn wir hier eine C-14-Analyse durchführen, würden wir bestimmt einen Wert von 1350 Jahren erhalten …“ „Arn, warum tust du es nicht? Du hast doch das Testgerät bei dir“, machte Callaghan in der PROMET den Vorschlag. „Weil mir diese Abfangjäger nicht aus dem Kopf gehen. Okay, ich gehe das Risiko ein … Yonker, schauen Sie sich gut um, und sollten Sie etwas Wichtiges entdecken, lotsen Sie mich über Funk heran.“ Nur zwei Sekunden später: „Arn, Abfangjäger geortet! Alle neun kommen von der See her im Tiefflug auf uns zu!“ Was der Moraner die ganze Zeit befürchtet hatte, war eingetreten. Die Strahlraketen hatten sich aufgrund der schlechten OrtungsAnlagen der Raumyacht buchstäblich in Meereshöhe herangeschlichen und flogen mit einem Tempo, das einen Notstart der PROMET sinnlos machte. Es spielte keine Rolle mehr, ob sie in
einigen hundert Metern Höhe oder hoch über Riddle zusammengeschossen wurden. In der jetzigen Lage ergab sich sogar noch der Hoffnungsschimmer, dass der eine oder andere im letzten Moment abspringen und sich mit seinem Antigrav-Gürtel retten konnte. „Ich muss Vivy den Gürtel umlegen …“, schrie Peet seinem Freund zu, als er das Schott schon erreicht hatte. Taks Stimme aus der Funkbude klirrte. „Keine Blips. Absolute Funkstille.“ Dann werden sie eben auf einer Frequenz miteinander in Verbindung stehen, dachte Callaghan, die wir nicht kennen. Wie sehr er in diesem Augenblick seine geliebte Pfeife vermisste! Deutlich waren die heranrasenden Strahlraketen als klare Punkte auf dem Schirm zu sehen. Jetzt teilte sich der eng gestaffelte Verband und löste sich zu einem Fächer auf. Drei Raketen stiegen senkrecht in den Himmel, die übrigen sechs behielten ihren Kurs bei. Abstand nur noch hundertacht Kilometer. „Kein Notstart?“, rief der Moraner. „Ist doch sinnlos“, erwiderte Jörn Callaghan, der sich innerlich auf alles vorbereitet hatte. „Alpha Centauri schlägt wieder zu – und wir haben für unseren Leichtsinn zu bezahlen. Entfernung noch achtunddreißig Kilometer … Himmel noch mal, drei Jäger sind ja schon hoch über uns!“ Peet kam zurück. „Vivy hat den Gürtel …“ Er starrte den großen Bildschirm an, der auf die See ausgerichtet war, und erkannte, wie dicht die sechs Abfangjäger vor ihnen standen. „Bremsen sie ab …? “ Blieb ihnen noch soviel Zeit, um es genau festzustellen? Sie bremsten ab! „Und die auch, Peet …“ Der hatte keine Ahnung, wovon sein Freund sprach. „Von den dreien, die uns überflogen haben. Jetzt hat man uns erstklassig umzingelt.“ Und sie schoben sich langsam näher heran, diese Ungeheuer einer Welt, die überall tödliche Einsamkeit zu verschenken hatte, aber mit ihren neun Abfangjägern harmlosen Wesen von zwei anderen Planeten das Leben zur Hölle machten. Distanz acht Kilometer!
* Arn Borul und Gus Yonker konnten sie vom Deck des zerstörten planetarischen Forts aus deutlich erkennen. Sie standen nicht still in der Luft. Sie schoben sich langsam, aber sicher immer näher heran. Auch die drei, die über dem Himalaya-Kontinent schwebten. Es gab kein Entrinnen für die PROMET. Der Schreck fuhr dem Moraner durch die Glieder. Ihre Funkgeräte waren eingeschaltet. Damit hatten sie den Strahlraketen verraten, dass sich im Trichter zwei Fremde aufhielten. Aber der Schreck verschwand sofort, denn was spielte das alles noch für eine Rolle? Auf Riddle gab es doch nichts zu essen. Riddle war eine Hungerhöhle, die jedem den Tod brachte. Nicht einmal einen Fisch gab es im Ozean des zweiten Centauri-Planeten! Darum ließ er den Funk eingeschaltet. Besser, zusammen mit den anderen zu sterben, als elend langsam und allein zu verhungern! Ob Yonker ahnte, dass sie ihr Testament zu machen hatten? Der mit seinem harmlosen Gemüt fragte: „Sir, ich verstehe nicht, warum die Abfangjäger nicht angreifen?“ Was war auf Riddle überhaupt zu verstehen, zu begreifen? Nichts! „Strahlraketen stehen jetzt. Distanz 772 Meter. Keine FunkOrtung.“ Peets Stimme klang gelassen. Warum sollte er sich aufregen? Der Moraner drehte sich um, spähte in die Höhe und sah dicht vor der Bergflanke den siebten Abfangjäger; die beiden letzten konnte er nicht ausmachen. „Los, Yonker, wir schweben zum Schiff zurück!“ Der staunte den Moraner wie ein Weltwunder an. Er bewunderte den Humanoiden, der auch in dieser aussichtslosen Lage seine Beherrschung und seine Kaltblütigkeit nicht verlor. Ob alle Moraner so waren wie Arn Borul? Sie stießen ab, der Antigrav wurde wirksam, und dann jagten die drei Düsen ihrer Tornister hochkompromierte Pressluft hinaus. Ihr Rückflug zur PROMET begann.
* Harry T. Orell ließ sich von seiner Chefsekretärin Eleni das Gespräch hereingeben. Mr. Raid verlangte eine Unterredung. Orell wusste, worum es sich handelte, und Raid kam sofort zur Sache. „Ich warte wieder einmal auf ein Lebenszeichen meiner Tochter, Mr. Orell. Besitzen Sie Nachrichten über die PROMET?“ Der grauhaarige Riese, dem jeder Trick recht war, wenn er Vorteile für seine HTO-Corporation brachte, zögerte einen Augenblick, denn er wollte einen besorgten Vater nicht mit einer direkten Lüge abspeisen. „Mr. Raid“, sagte er auffallend ruhig, „ich habe keine Nachricht von der PROMET vorliegen. Bitte, lassen Sie mich erklären …“ Er sprach plötzlich hastiger, weil der andere ihm ins Wort fallen wollte, und wie erregt Mr. Raid war, konnte er deutlich auf dem kleinen Bildschirm seines Visophons erkennen. „Wäre der PROMET auf ihrem Testflug etwas zugestoßen, dann würde einer der drei zusätzlich eingebauten und getrennt installierten starken AutomatSender einen Notspruch abgestrahlt haben. Das ist nicht der Fall. Darum können Sie sich wieder beruhigen, Mr. Raid, denn nicht nur Ihre Tochter befindet sich an Bord der Yacht, sondern, wie Sie wissen, ja auch mein einziger Sohn.“ Hätte Peet Orell diesem Gespräch lauschen können, er hätte sich vergeblich gefragt, wo es an Bord seines Schiffes denn diese drei Automat-Sender gäbe. Harry T. Orelles Anspielung auf seinen Sohn wirkte wie eine Beruhigungsspritze auf Mr. Raid. „Aber Sie unterrichten mich sofort, wenn Sie eine Meldung von der PROMET haben?“ „Natürlich, Mr. Raid. Das ist doch letztlich meine Pflicht.“ Ein beruhigter Vater hatte abgeschaltet, ein anderer Vater war aber nicht ruhig. Harry T. Orell machte sich die größten Sorgen um die PROMET. Er verstand nicht, dass man den Test der Triebwerke auf diesen langen Zeitraum ausdehnte. Er wollte die Vorstellung nicht wahrhaben, dass das moranische Triebwerk irgendwo tief im All ausgefallen war und das Schiff erst in einigen Jahren heimfinden würde.
In dieser Minute hatte Harry T. Orell vergessen, dass er der Besitzer der HTO-Corporation war. * Arn Borul schloss die innere Schleuse, streifte sein Tornistergerät ab und folgte dann Gus Yonker, der in seiner Funkbude verschwunden war, um selbst die Zentrale aufzusuchen. Die Lage hatte sich nicht geändert. Ihr Rückflug zur PROMET war von den Abfangjägern nicht gestört worden. Unterwegs hatte der Moraner das terranische Sprichwort vom Spießrutenlauf begriffen. Was sollten sie machen? Bewegte sich die PROMET nicht? Arn warf Peet und Jörn einen fragenden Blick zu, doch die hatten scheinbar nicht bemerkt, dass die Raumyacht unmerklich langsam auf die Bergflanke zutrieb und dabei auch höher stieg. Zugstrahlen? Wieder einmal, wie vor zwei Riddle-Tagen, als Pino Tak eine Meisterleistung als Pilot des Schiffes erbracht und sich unter der Schwebestraße in Sicherheit gebracht hatte? Da meldete sich Pino Tak aus dem Triebwerksraum. „Was ist los? Wir steigen bei einer Triebwerksleistung, bei der es gar nicht möglich sein könnte …“ Er hatte es auch bemerkt. Orell und Callaghan schreckten zusammen. Nun wurde ihnen die Ruhe des Moraners unheimlich. „Wir sollten nicht eingreifen …“ War das zuviel verlangt? Plötzlich brüllte ihn Peet Orell an: „Noch bin ich Eigner und Kommandant des Schiffes …“ In Arn Boruls schockgrünen Augen blitzte es nicht auf. „Als ob das irgend jemand schon einmal in Frage gestellt hätte. Aber im Augenblick führen andere das Kommando über die PROMET, und wir sollten nicht eingreifen.“ Das Schiff stand schon zweihundert Meter höher als bisher, und der Abstand zu der steil aufragenden Felsflanke war bis auf achtzig Meter zusammengeschrumpft. Diese Bewegung schien aber zum Stillstand gekommen zu sein, und Arn Borul, in seiner unnachahmlich ruhigen Art, machte Orell und Callaghan darauf aufmerksam.
Nur als Peet wieder aufbrausend eine bissige Antwort gab, wurde seine Stimme etwas lauter. „Oder hätten sie uns nicht längst zusammenschießen könne, Peet? Willst du nicht erkennen, dass man im Moment nichts Böses gegen uns im Schilde führt?“ „Woher willst du das wissen?“ Mit Orell war nicht zu reden, aber der Mann des Ausgleiches – Jörn Callaghan – verhielt sich völlig neutral. Er weigerte sich sogar, Stellung zu beziehen. „Götter Morans“, stieß Arn aus, „warum versucht ihr denn keinen Notstart? Los! Lasst doch die PROMET in den Himmel jagen! Wir können es doch …!“ Und verbissen kam die Antwort: „Und ich werde es beweisen …“ Peet Orell konnte den Beweis nicht vollständig antreten, denn sein Schiff lag in einem Kreuzfeuer von Zugstrahlen, die es festhielten. Pino Tak gab aus dem Triebwerksteil Alarm. „Wir reißen uns das Schiff auseinander und …“ In diesem Moment schlug die Tele-Hypnose zu, aber mit einer Macht, wie sie es noch nie erlebt hatten. Selbst der Moraner, nicht so anfällig wie seine terranischen Freunde, war nicht mehr in der Lage einzugreifen und die Tele-Hypnose daran zu hindern, ins Schiff zu gelangen. Peet Orell gehorchte schon und schaltete mit ein paar Handgriffen die auf Volllast laufenden Triebwerke ab. In Arn Boruls Kopf blitzte es auf; dass jeder im Schiff das Gleiche an sich feststellte, ahnte er nicht. Er sah einen Plan! Er sah einen Grundriss! Er sah etwas überaus Kompliziertes mit einer unbeschreiblichen Klarheit, und schlagartig verstand er alle Zusammenhänge. Es brannte sich alles unvergesslich in sein Gehirn ein. Tele-Hypnose vermittelte ihm in einem Bruchteil einer Sekunde ein Wissen, das zu erlernen er unter normalen Umständen Wochen und Monate benötigt hätte. „Bei allen Göttern …“, hörte er sich sagen, und mit schwerer Hand wischte er sich über seine Stirn, doch die war trocken. Gab es den hypnotischen Eingriff nicht mehr?
Sie hatten alle dasselbe gesehen. Für diesen unerklärlichen Vorgang fanden sie keine Lösung. Arn Borul allein stellte fest, wie sehr er sich von einem Terraner unterschied. Er beobachtete wieder die neun Abfangjäger, aber alle anderen taten so, als seien die Jäger gar nicht mehr vorhanden. Die Raketen hielten die PROMET immer noch in ihren Zugstrahlen. Das Schiff trieb langsam über die wilden Gipfel und Grate des gigantischen Gebirges hinweg, mit dem verglichen der irdische Himalaja ein harmloser Felshaufen war, in dem sich jeder ungefährdet bewegen konnte. Peet Orells Raumyacht war von neun Strahlraketen eingeschlossen und wurde zu einem unbekannten Ziel gebracht. Arn lauschte nach rechts. Gerade hatte Jörn Callaghan eine interessante Bemerkung gemacht. „Und wenn wir in der nächsten halben Stunde wieder versuchen, uns gegenseitig umzubringen?“ Heftig widersprach Peet. „Dieser Eingriff war anders; ganz anders, Jörn. Und was mag dieser Grundriss, dieser Plan zu bedeuten haben, den man uns sehen ließ? Es gibt also doch noch Riddler, die die Katastrophe vor 1350 Jahren überlebten … Himmel noch mal, wir befinden uns ja mitten über dem Himalaya-Kontinent!“ Und dann sahen sie auch wieder die Strahljäger, die die PROMET eskortierten. Erneut kam Unruhe auf, und auch Tak, Ekka und Yonker meldeten Bedenken an. „Warum diese Aufregung?“, fragte Arn. „Wir haben doch keinen Grund dazu. Hätte man uns nicht als harmlos eingestuft, wäre uns nie der Plan gezeigt worden, und man hat ihn uns auf höchst originelle Art zu sehen gegeben. Ich habe die kleinste Kleinigkeit behalten.“ Ließen sie sich wirklich so leicht ablenken, wie sie zeigten? Arn wurde nun misstrauisch, denn Peet und Jörn begeisterten sich daran, alles behalten zu haben, was sie für den Bruchteil einer Sekunde in ihrem Kopf gesehen hatten. Die augenblickliche Lage interessierte sie nicht. Von der wilden Schönheit unter ihnen ergriffen und auch bestürzt, schloss Arn für einen Augenblick die Augen, um sich dann mit allen Gefühlen diesem unbeschreiblichen Panorama hinzugeben, das wahrscheinlich einmalig unter den Sternen war. Aber auf diesem
Kontinent hatte auch kein Riddler leben können. Diese Gletscherwelt mit ihren grausamen und nackten Bergriesen war lebensfeindlich – und darum der einzige Platz auf diesem Planeten, der absolute Sicherheit vor einem Angriff aus dem Raum bot. Diese Sicherheit war an der Küste schon nicht mehr gegeben. Die zerstörten planetarischen Forts bewiesen es. Wie mögen die Riddler aussehen, fragte sich der Humanoide, und es kam ihm natürlich vor, dass er sich auf diese Begegnung freute. Dann würde auch die Frage beantwortet werden, warum sie drei Riddle-Tage mit der Besatzung der PROMET Versteck gespielt hatten. In der Ferne tauchte ein Riesengletscher auf, wenigstens zehnmal so groß wie der größte, den sie bis jetzt zu Gesicht bekommen hatten. In einem Winkel von sechzig bis siebzig Grad stieg er aus der Talsohle herauf und bedeckte mit seiner glitzernden Eisschicht eine Flanke, die sich über sechzig Kilometer von Westen nach Osten erstreckte und mit ihren bizarren Türmen eine Höhe von fast zehntausend Meter erreichte. „Die Tiefkühltruhe dieses Planeten …“ Und diese Bemerkung von Peet machte den Moraner abermals misstrauisch. Was war mit den Terranern passiert, als sie der TeleHypnose-Stoß getroffen hatte? Welche Gefühle waren durch diesen Eingriff überlagert worden? Die Sorglosigkeit, die Peet Orell und Jörn Callaghan an den Tag legten, beunruhigte den Humanoiden. Da löste sich der Ring um die PROMET auf, den die neun Strahljäger gebildet hatten, und nur ein Projektil blieb über der Raumyacht stehen. Antigrav höher schalten, schoss es Borul durch den Kopf, und kaum hatte er sein Vorhaben durchgeführt, als auch die neunte Strahlrakete sich absetzte. Alle flogen auf die Gletscherwand zu! Dieser Vorgang riss Orell und Callaghan endlich aus ihrer rätselhaften Lethargie. Stille herrschte in der Zentrale. Sechs Augenpaare, die sich an dem großen Bildschirm festbrannten, sahen, wie die Abfangjäger auf die Eiswand zurasten. In den nächsten Sekunden mussten sie daran zerschellen! Plötzlich stöhnte man im kleinen Kommandoraum der PROMET. Der Gletscher hatte ein Loch – ein dunkles, schwarzes Loch.
Schlagartig war es vorhanden, und auf dieses Loch flog der gestaffelte Verband zu und – verschwand darin. Die schwarze Öffnung im Gletscher blieb. „Nein“, sagte Peet Orell, „ich flieg’ nicht ein. Ich denke nicht daran, mich in dieser Truhe bis zum jüngsten Tag einfrieren zu lassen.“ In Arn Borul wurde eine Erkenntnis wach. Er sah den Plan wieder, und enthielt der Plan nicht einen breiten, hohen und langen Gang oder eine Schneise? Mit seinem Argument kam er bei Jörn und Peet nicht durch. Sie sind durch die Hypnose doch verändert worden, stand nun für den Humanoiden fest. Da schob sich ein Abfangjäger aus der dunklen Öffnung heraus, flog die PROMET an, umflog sie, blieb kaum hundert Meter entfernt vor ihr stehen; dann war wieder die Wirkung eines Zugstrahls zu beobachten. „Heißt das nicht eindeutig, dass wir auch einfliegen sollen?“, stellte Arn Borul in energischem Ton die Frage. „Wenn du willst …“ Mit Peet und Jörn stimmte wirklich etwas nicht. Borul flog in die Öffnung ein, und für ein paar Sekunden sah er den Gletscherpfropfen, der das Loch in der Eiswand freigelegt hatte, von turmdicken Teleskoparmen gehalten, an der linken Seite des Tunnels. Vor dem Abfangjäger flammte Licht aus den Wänden auf, und hinter dem abgeflachten Heck der PROMET erlosch es wieder. Die Wände des Tunnels waren spiegelglatt, als ob man sie zusätzlich noch bearbeitet hätte. Nach fast drei Kilometern mündete der Tunnel in einen gigantischen Hangar, dem Startdepot für ein paar hundert Abfangjäger, aber so weit auch das Auge in dieser gewaltigen Halle reichte, außer den neun war keine weitere Strahlrakete zu sehen. Auch dieses Depot war in der Zeichnung angegeben gewesen, die die Tele-Hypnose sie hatte sehen lassen. Peet war es, der Jörn und Arn darauf aufmerksam machte, und endlich entwickelte er wieder jene Aktivität, die Arn Borul von seinem terranischen Freund gewohnt war.
Das Los, an Bord zu bleiben und gegebenenfalls auch Vivien Raid zu versorgen, fiel auf Pino Tak, der darüber keineswegs begeistert war. Er brachte einen Wunsch vor. „Wenn Sie den Riddlern begegnen, bitte, lassen Sie mich diese Begegnung am Bildschirm miterleben.“ Man versprach es ihm.
15. Das Startdepot war nicht nur mit würziger Luft gefüllt, sondern auch beheizt. Mit Energie schien man hier nicht zu sparen. „Warum sollen die Riddler, die sich hierher geflüchtet haben, auch frieren?“, meinte Jörn Callaghan und warf den Jägern, die sie gerade passierten, einen misstrauischen Blick zu. Jeder von ihnen kannte den Weg in die Zentrale der tief im Gebirge gelegenen Station. „Antigrav-Schacht …“, sagte Arn Borul lakonisch, als sie die mehr als zehn Meter durchmessende Röhre entdeckten, die von der Decke aus senkrecht nach oben führte. Als sie in den Bereich der Öffnung kamen, wurden sie vom Plusfeld erfasst und mit gleich bleibender Geschwindigkeit nach oben getragen. Alle, auch der Moraner, erlebten diesen Vorgang zum ersten Mal. Obwohl Terra die Gravitation beherrschte, war das Problem der Antigrav-Schächte noch nicht gelöst worden. Über ihnen flammte Licht aus der Röhrenwand auf, und hinter ihnen erlosch es wieder. Die Spannung knisterte zwischen ihnen und sprang wie ein Zündfunken über. Ein transparentes Feld aus flimmernden Farben, die ununterbrochen durcheinander liefen, jagte ihnen zunächst Angst ein, denn Arn, der allen ein Stück voraus war, verschwand, als er durch dieses Feld trat. Dann passierte Jörn dasselbe, zunächst von ihm unbemerkt, aber die, die hinter ihm liefen, wurden mit dem unheimlichen Verschwinden konfrontiert.
Szer Ekka fasste sich an den Kopf, als er begriff, worauf er stand. Er stand auf dem transparenten Feld, das nun auf seiner oberen Seite stabil war. Er blickte an sich herunter und sah die Farben unter seinen Füßen ununterbrochen zusammenfließen und sich wieder trennen. Ein gleich bleibender Kreislauf, der in allen eine Ahnung aufkommen ließ, dass sie eine Supertechnik erwartete. Sie standen in einem Kuppelbau, dessen Wölbung mehr als hundert Meter hoch reichte, nur der Moraner sah es nicht. Etwas anderes hatte seinen Blick wie ein Magnet angezogen. Auf halber Strecke zum Kuppeldach schwebte die Plastik eines Riddlers, zehnmal größer als sie bisher gesehen hatten, und auch dieser Riddler in seiner hautengen Kleidung hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt. Er schien zu den Sternen hinaufzublicken – und deutlicher denn je waren die Vertiefungen unter seinem Kinn zu sehen, und klarer denn je deuteten sie auf Kiemen hin. Amphibien – aber selbst die Tiefe ihres Meeres hatte sie nicht vor der Vernichtung schützen können. „Wo bleiben sie denn?“, fragte Szer Ekka ungeduldig, nachdem er sich an der freischwebenden Plastik sattgesehen hatte und seinen Blick durch den Kuppelsaal wandern ließ, der einen Durchmesser von mehr als zweihundert Metern besaß. Warum kamen die Riddler nicht, um sie zu begrüßen? Warum ließen sie immer noch auf sich warten? Arn Borul war wortkarg geworden und beteiligte sich kaum noch an der Unterhaltung. Er versuchte vergeblich, ein Instrument an den Wänden zu entdecken, aber wohin er auch sah, er fand kein einziges. Vollkommenste Automatisation?! Vollklimatisiert und beheizt war dieser Kuppelbau, und der Boden, der unter jedem Schritt leicht federte, staubfrei. Die Unterhaltung verstummte mehr und mehr, je länger sie an den Wänden entlangschritten und nichts anderes zu sehen bekamen, als Farbflächen verschiedenster Form und Größe. Diese Flächen reichten bis zum höchsten Punkt der Kuppel. Leises Summen, das aber in Stärke und Tonlage nicht beständig war, begleitete sie.
Sie – die auf das Erscheinen der Riddler mit schmerzhafter Spannung warteten. Und wieder bildete der Humanoide eine Ausnahme. „Hier finden wir nichts“, durchbrach er das Schweigen. „Suchen wir die Etage auf, die unter uns liegt.“ Niemand ahnte, was er suchte. Keine Riddler! Die transparente Fläche, die eben noch stabil gewesen war, gab nun unter ihrem Gewicht nach, und von der Minus-Sphäre erfasst, schwebten sie im Schacht tiefer, um bei Erreichen der nächsten Etage von einem schwachen Zugfeld auf einen der strahlenförmig abgehenden Gänge gebracht zu werden. Licht flammte auf, kaum dass Peet Orell wieder Boden unter seinen Füßen fühlte. Arn Borul erinnerte sich der deformierten Schiebetüren im zerstörten planetarischen Fort, und diese Schiebetüren gab es hier auch, nur dass sie sich automatisch öffneten, als sie knapp einen Meter entfernt davor standen. „Großer Himmel!“, stieß Jörn Callaghan aus, und mit ihm starrten die anderen die Instrumentenwand an, die sich ihnen im reflexfreien Licht zeigte. Welche Bedeutung besaßen diese Messgeräte? Wer wartete sie? Wer las sie ab? Doch nur die Riddler selbst! Aber warum spielten sie immer noch Versteck? Arn Borul legte eine Eile an den Tag, die man nicht an ihm kannte. Er trieb seine Partner von Raum zu Raum, und als sie den siebten oder achten betraten, bat er sie: „Lasst mich bitte allein. Bitte …“ Er gab keine Erklärung für seine eigenartige Bitte ab, und dann war er glücklich, allein zu sein. Er wusste, wo er sich befand, aber er konnte nicht sagen, woher er dieses Wissen hatte, und über die Anomalität der Situation versuchte er keine Erkenntnis zu gewinnen. „Moran … Junici …“, und dann, mit Verzögerung, „Thosro Ghinu.“ Er hatte ihn einmal gehasst, seinen Lehrer und Erzieher. Er hatte ihn gehasst, weil er nie hatte Kind sein dürfen. Er hatte ihn gehasst, weil er glaubte, der Alte würde an ihm die Lust auslassen, ihn zu beherrschen und zu unterdrücken. Längst hatte er erkannt, dass Thosro Ghinu nicht anders hatte handeln können, sollte einmal der Traum Wirklichkeit werden, dass
der Rest der Moraner auf Schedo ein neues Leben beginnen konnte. Und um Schedo wieder zu finden, den ihre Ahnen vor langer Zeit einmal besucht hatten, hatte er nicht nur das Raumschiff TIRA bauen lassen, sondern auch Arn Borul zu dem Moraner geformt, der die Gewähr bot, Schedo tatsächlich wieder zu finden. Er hatte Schedo gefunden – die Erde. Aber Schedo, der helle Planet, war nicht unbewohnt, wie seine Ahnen behaupteten. Terra wusste kaum noch der Bevölkerungsexplosion Herr zu werden. Und von hier, von Riddle, aus wollte er Moran anrufen, und alle Moraner sollten erfahren, dass trotz allem Schedo ihre neue Heimat werden würde. Und er wollte mit Junici sprechen. Ja, von diesem Raum aus. Von hier aus konnte er die Hyperfunkanlage betätigen und dann in Nullzeit Verbindung mit Low, dem Höhlensystem in den Paily-Bergen, erhalten. Ihm brauchte niemand zu helfen. Auch kein Riddler, die es ohnehin nicht mehr gab. Er wusste, dass sie nicht mehr existierten, und wiederum hätte er nicht sagen können, woher er dieses Wissen bezog. War es von Bedeutung? Er schaltete das Hyperfunkgerät ein, fand die Steuerung der Antennen, die sich in den bizarren Hohltürmen über der Gletscherwand frei drehen konnten, und dann zeigten sie mit ihrer abstrahlenden Seite in Richtung des Ringnebels in der Leier. Ein Gefühlssturm, wie er ihn noch nie erlebt hatte, ergriff ihn – und Entsetzen dazu. Würde er, den irdische Mediziner im Bereich des Hörens und Sehens umgestellt hatten, gleich die Antwort von Moran vernehmen? Ein Lächeln stahl sich wenig später über sein Gesicht. Ich Narr, dachte er, ich brauche doch nur die beiden Frequenzbereiche der Bildschirmanlage und der Lautsprecher umzuschalten … und diese Stufe hier besorgt die Modulation. Es tat ihm gut, sich selbst sprechen zu hören. Die Hyperfunkanlage war auf volle Leistung geschaltet. Niemand störte ihn. „Arn Borul eig Moran! Arn Borul eig Moran! Ple killons, Moran!“ Im Empfang rauschte die Statik. Und er wiederholte:
„Arn Borul ruft Moran! Arn Borul ruft Moran! Bitte kommen, Moran!“ Nichts! „Bei den Göttern, stimmt die Hyperfrequenz nicht? Aber Tso oder Dreb müssten doch umstellen, wenn sie die Hyperamplituden auf dem Schirm sehen?“ Die Frequenz stimmte. „Arn Borul eig Moran! Arn Borul eig Moran! Ple killons, Moran … Ple killons, Moran!“ Aber Moran antwortete nicht. Moran, die winzige Lebenszelle im Höhlensystem der Paily-Berge, konnte nicht antworten, und Arn Borul konnte nicht wissen, dass Wahnsinnige die unersetzliche Hyperfunkanlage in Low zerstört hatten. Etwas war in dem Humanoiden zerbrochen. Etwas, das seine Wirkung erst viel später zeigen würde. „Junici …“ Wie gerne hätte er, der Einsame, ihre Stimme wieder einmal gehört. Wie gerne hätte er knapp zweitausendfünfhundert Moranern wieder Hoffnung gegeben. Jetzt gehörte auch er zu den Hoffnungslosen. Er schaltete alles ab und verließ den Raum. Er begann, diesen Planeten zu hassen, der ihm die Hoffnung geraubt hatte. Tira, das hieß: Hoffnung – und war mit der Explosion der TIRA hoch über der Erde nicht jede Hoffnung zerbrochen? Peet hatte auf dem Gang auf ihn gewartet. „Ich habe die Hoffnung aufgegeben, hier auf Riddler zu stoßen. Ich bin überzeugt, dass vor 1350 Jahren alle umgebracht wurden.“ „Ich auch“, erwiderte der Moraner kurz. „Aber warum haben uns dann die Abfangjäger regelrecht gezwungen, diese Zentrale, über die die planetarischen Forts gesteuert wurden, aufzusuchen?“ Arn Borul blickte seinen terranischen Freund nachdenklich an. „Waren nicht wir es, die diesem fremden Planeten den Namen Riddle gaben?“ * Die Zeit drängte. Sie mussten zurück, wollten sie nicht eine raumweite Suchaktion nach der PROMET auslösen. Um zwei Tage
hatten sie ihren Zeitplan schon überschritten. Schon vor zwei Tagen wollten sie wieder auf der BASIS hinter Pluto eingetroffen sein. Die PROMET ließ den Planeten Riddle hinter sich und wurde im freien Raum immer schneller. In der Zentrale herrschte gute Stimmung. Die einzige Kranke an Bord futterte wie ein ausgehungerter Wolf, und nach jedem Essen behauptete Vivien Raid, sich nun noch besser zu fühlen. Peet Orell brachte seine Idee vor, auf dem Planeten Riddle einen zweiten Stützpunkt anzulegen, um von hier aus Vorstöße in das Weltall zu unternehmen. „BASIS I im Fremdraumer und BASIS II in Alpha Centauri …“ Arn Borul dachte an die Hyperfunkanlage unter dem Gletscher und stimmte zu, weil er hoffte, beim nächsten oder übernächsten Versuch Verbindung mit Moran zu erhalten. „Das wäre ein erstklassiger Absprungpunkt, Peet, aber was wird seine Einrichtung kosten?“ Zu Geld hatte Harry T. Orells Sohn noch nie ein Verhältnis gehabt. Großartig winkte er ab, und dann verging ihm jede Freude. Neun Abfangjäger waren im Anflug auf die PROMET. „Verdammt noch mal, geht es schon wieder los?“, polterte Peet, und das gleiche fragte sich jeder an Bord. Es dauerte nicht lange, bis sie begriffen. Neun Abfangjäger geleiteten die Raumyacht aus dem Alpha Centauri-System hinaus. Peet rang die Hände. „Dieser zweite Planet bringt mich noch um den Verstand! Erst versucht man, Mörder aus uns zu machen, und jetzt fliegen wir unter Geleitschutz …“ Sie hatten eben die Bahn des dritten Planeten hinter sich gelassen, als die neun Strahlraketen die PROMET umkreisten, um danach wieder Kurs auf Riddle zu nehmen. Innerhalb weniger Minuten waren sie aus der Ortung verschwunden. „Ist das zu fassen?“, rief Jörn Callaghan, und dann rissen alle an Bord der Raumyacht die Augen weit auf. Jeder vernahm es zur selben Zeit, aber es war keine Stimme, die zu ihnen sprach. Etwas in ihren Gehirnen formte sich zu einer klaren Frage. ‘KOMMT IHR... WIEDER...?’