Seewölfe 65 1
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Seewölfe 65 1
Fred McMason 1.
Die Kunde von dem fürchterlichen Schiff, das die Themse hinaufsegelte, in Richtung London, hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Reiter waren nach London geprescht, um dort zu erzählen, was sie bei Gravesend mit eigenen Augen gesehen hatten. Eine spanische Galeone, mit der englischen Flagge am Mast, hatte drei angreifende Segelschiffe und eine Barke vernichtet, sie in Grund und Boden geschossen, die Besatzungen zum Teil im Kampf von Mann zu Mann umgebracht und die Leichen über Bord geworfen. Und auf dem Achterdeck stand ein schwarzhaariger Teufel, der dieses Höllenschiff kommandierte. Die Reiter brauchten bei ihren Schilderungen nicht zu übertreiben. Was sie berichteten, trieb den Zuhörern das kalte Grauen in die Gesichter. Und jetzt näherte sich die wilde Galeone London, segelte tollkühn und stolz die Themse hinauf, der Hauptstadt entgegen! Daher herrschte an diesem 26. März 1580 verständlicher Aufruhr, der sich allmählich zur Panik steigerte, je näher sich das fremde Schiff auf die Stadt zuschob. Immer mehr Reiter preschten bis an die Stadttore. Die Pferde, die sie geritten hatten, schwitzten und zitterten. Die Männer hatten angstverzerrte Gesichter. Einer der Reiter verlangte den TowerHauptmann Bromley zu sprechen. Als Bromley endlich erschien, konnte der Mann kaum reden, so erregt war er. Bromley sah die Anzeichen, daß etwas passiert war, überdeutlich. Überall an den Ufern standen sie. Menschen, ganze Scharen, die aufgeregt durcheinander schnatterten, angstvoll zur Flußbiegung hinuntersahen und sich wild gestikulierend unterhielten. „Sir!“ stieß der Reiter hervor. „Eine Galeone segelt die Themse herauf, eine spanische Galeone, Sir. Ich habe genügend Männer, die bezeugen können, wie dieses Schiff drei englische Segler vernichtet hat. Sie haben die Galeone angegriffen und
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sind in einem mörderischen Kampf besiegt worden. Das Schiff ist außergewöhnlich stark armiert. Jeden, der sich ihm in den Weg stellt, schießt es erbarmungslos zusammen.“ Bromley begann vor Aufregung zu fiebern. Hart schluckend, starrte der Hauptmann auf seine Stiefelspitzen. „Wo war das?“ fragte er beunruhigt. „Bei Gravesend, Sir. Da ging es los. Jetzt segelt die Galeone mit dem Flutstrom nach London. Nicht mehr lange, und sie wird hier eintreffen.“ Ein paar andere Reiter erschienen und berichteten überstürzt das gleiche, die schrecklichen Kämpfe, die Versenkung der Schiffe und von dem Kampf an Bord. „Verdammt, dann muß ganz schnell etwas geschehen. Und Sie sind sicher, daß es ein Spanier ist?“ „Ja, ein Spanier. Allerdings führt das Schiff die englische Flagge am achteren Mast.“ „Das hat nichts zu bedeuten.“ Bromley winkte ab. „Im Gegenteil: Wohl jeder Spanier, der hier heraufsegelt, würde die englische Flagge führen, um die Leute zu verwirren.“ Bromley wurde ganz käsig im Gesicht. Seiner Ansicht nach konnte es kein Engländer sein, denn der würde nicht drei der eigenen Schiffe rücksichtslos versenken. Also ein Spanier, vielleicht sogar ein Spanier, der mit den Iren kooperierte und sich im Schutz der englischen Flagge London näherte, um die Stadt zu überfallen. Und wenn das Schiff so stark armiert war, dann ... Bromley mochte diesen Gedanken nicht zu Ende spinnen. Er mußte handeln, und zwar schnell. Der Spanier sollte einen Empfang erhalten, an den er noch lange denken würde. Er ließ die Männer stehen, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Und schon ein paar Minuten später versetzte er die ganze Stadt in Alarmbereitschaft. Eine unglaubliche Hektik begann. Ein Spanier in London! Das war nicht zu fassen. Die wildesten Gerüchte begannen
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zu kursieren, und jeder heizte sie noch ein wenig nach seinem eigenen Geschmack auf. Eine halbe Stunde später war die Stadt nicht wiederzuerkennen. Bromley hatte für den nötigen Aufruhr gesorgt. Die Tower-Besatzung war als erste gerüstet, am Kai wurden in hektischer Eile die Kanonen geladen, ausgerichtet und von grimmig blickenden Männern besetzt. Auf den Wehrtürmen und Gängen des Tower bezogen Bogenschützen Stellung. Gabelstützen für die schweren Arkebusen wurden herbeigeschleppt. Die Schützen luden ihre Hakenbüchsen und gingen ebenfalls in Stellung. Unterdessen wurde die Bürgerwehr mobilisiert. Gleichzeitig lösten sich vom Ufer kleine Kriegsfahrzeuge und segelten zur Strommitte. Sie kämpften sich mühsam voran, der Flutstrom war kaum auszusegeln. Die Stadt zog in den Krieg. So jedenfalls sah es aus, bis an die Zähne bewaffnet, als galt es, gegen ganz Spanien zu kämpfen. Dann hörten die entsetzten Einwohner nur noch gebrüllte Befehle. Soldaten der Stadtgarde rannten auf gescheucht durcheinander, von Befehlen bald hierhin, bald dorthin gelenkt. In dem ausbrechenden Chaos wußte keiner mehr so richtig, wer die Befehle gab, wem er zu gehorchen hatte und was er tun sollte, sobald der Spanier hier aufkreuzte. Sofort feuern, war die allgemeine Devise, mit allem was die Gewehre und Kanonen hergaben. Die Bogenschützen sollten das Schiff mit einem Hagel aus Pfeilen eindecken, Brandpfeile sollten in die Segel geschossen werden. Die Kriegsfahrzeuge sollten angreifen. Nein, hier brach der Spanier nicht durch. Das war völlig aussichtslos. Und wenn er noch so wild um sich schoß. Erst allmählich wurde es wieder ruhiger. Noch war der Spanier nicht in Sicht, noch konnte man planen, ändern und Kampfpositionen so besetzen, daß er nicht die geringste Chance hatte, die Stadt zu überfallen.
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Die Kriegsfahrzeuge verschwanden langsam um die Flußbiegung. Und da ging es erst richtig los. Bei Woolwich kreuzten andere Boote auf. Eine Mordsarbeit begann. Über der Themse wurde eine Kettensperre ausgelegt. In mühevoller Arbeit schleppten Boote die schweren Kettenglieder zum anderen Ufer hinüber. Acht Boote waren es, die in knochenbrechender Arbeit die Kettensperre zogen. Auf den Schiffen fluchten und schwitzten die Männer, brüllten Offiziere die Befehle, gelangte man nur unendlich langsam vorwärts. Und alles lauerte auf den Feind. Immer wieder flogen die Blicke zur Flußbiegung hinunter, ob die Masten des verdammten Spaniers nicht bald auftauchten und die ersten Breitseiten aufdröhnten, wenn die Kriegsschiffe heran waren. Die Kette war immer noch nicht am anderen Ufer. Verzweifelt mühten sie sich mit dem schweren Ding ab. Immer wieder brach eins der Boote aus dem Kurs und das Manöver mußte wiederholt werden. In London grassierte die Angst. Sie steigerte sich zur Panik, zur Hysterie, Männer und Frauen halfen verzweifelt mit, Kugeln und Pulver heranzuschleppen. Inzwischen waren auch die Befestigungsanlagen östlich der Stadt besetzt, die jetzt einem aufgescheuchten Ameisenhaufen glich. Diejenigen, die nichts zu tun hatten, halfen mit, die schwere Kettensperre mit Tauen weiter heranzuziehen, um die wie verrückt pullenden Männer in den Booten zu unterstützen, denn von dieser Sperre hing viel ab. Hier mußte sich der verdammte Spanier fangen. Dann war er ihnen hilflos ausgeliefert. Sie würden ihn in Grund und Boden schießen, diesen verfluchten Don, sein Schiff würde brennend untergehen, niemand würde den Untergang überleben. Endlich war es soweit. Die Kettensperre gelangte über die halbe Meile Distanz endlich ans Ufer. Gegenüber von Woolwich halfen jetzt kräftige Fäuste mit, die Kette zu verankern. Wieder preschten Reiter den Fluß hoch. Sie schrien sich die Kehlen heiser, brüllten
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ihre Worte in angsterfüllte, verzerrte Gesichter. „Die Spanier kommen! Die Spanier kommen!“ Die ersten Menschen verloren die Nerven. Die überall postierten Soldaten packten ihre Waffen fester, Auf den Wehrgängen und Befestigungsanlagen waren sie bereit, die Bogen zu spannen. Und unter ihnen, am Kai, glommen die ersten Lunten in unruhigen und schweißnassen Händen. Noch gut eine Meile war der Spanier jetzt entfernt, wie die Reiter berichteten. Er segelte mit der Flut und dem Wind. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er hier eintraf. Hälse reckten sich, ausnahmslos alle starrten zur Flußbiegung. Und jeder von ihnen bildete sich ein, zwischen Büschen und Bäumen deutlich die Mastspitzen des Spaniers erkennen zu können, der mit feuerbereiten Kanonen heransegelte, um London ins Verderben zu stürzen. 2. Auf dem Achterkastell, direkt an der Schmuckbalustrade der „Isabella V.“, stand breitbeinig der Seewolf. Sein sonnengebräuntes Gesicht war ernst und verschlossen, der Blick seiner eisblauen Augen nach vorn gerichtet. Philip Hasard Killigrew wurde von Sorgen geplagt, düstere Vorahnungen drängten sich in sein Gehirn und nisteten sich dort ein. Er hatte der Crew eingeschärft, auf der Hut zu sein, denn was sie hier, auf dem letzten Abschnitt ihrer langen Reise aus der Karibik erlebt hatten, setzte allem die Krone auf. Hier ging es fast noch wilder zu als in den südlichen Gefilden, wo sie sich mit den Spaniern herumgeschlagen hatten. Kurz vor dem Ziel waren sie überfallen worden, in Gravesend, als drei englische Segler die Galeone überfielen, sie entern wollten und sich anstelle des riesigen Schatzes nur blutige Köpfe holten.
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Das Schlimme daran war, daß die Zuschauer, die dem erbitterten Kampf vom Ufer aus beigewohnt hatten, sie für Spanier und die drei verdammten Flußpiraten für englische Schiffe hielten, die den Spanier angreifen wollten und dafür vernichtet worden waren. Ein Irrtum! Ein Irrtum, der verhängnisvolle Folgen haben konnte. Und das alles hatte dieser Themsepirat Noah Buckle eingefädelt, wie Hasard glaubte. Buckle, der hinterhältige Gastwirt und Mörder, der jetzt in der Vorpiek schmorte. Die Reiter, die am Themseufer entlanggeprescht waren und jetzt London alarmierten, bereiteten dem Seewolf Sorgen. Was würden sie berichten? Natürlich, daß ein spanisches Schiff drei englische Segler zusammengeschossen hätte. Wie würde man in London reagieren? Er zuckte mit den Schultern und sah zu den Segeln hoch. Die Fock- und Besansegel waren gebläht, der Wind, der seine schwarzen Haare flattern ließ, blies aus Nordost. Die Flut schob mit. „Noch eine gute Meile bis Woolwich“, hörte er neben sich Ben Brightons Stimme. „Wirst du auch von düsteren Ahnungen geplagt?“ Hasard lächelte nicht. Er nickte flüchtig. „Ja, obwohl man auf Ahnungen nicht viel geben soll.“ „Es gibt wohl keinen aus der Crew, dem es nicht ähnlich geht. In der Luft liegt Beklemmung, und die Männer spüren es. Es ist die Ungewißheit, die vor uns liegt.“ „Die Ungewißheit - ja“, wiederholte der Seewolf. „Ich denke schon seit Tagen darüber nach. Es erscheint mir, als wäre dies die letzte Reise der ‚Isabella', etwas Endgültiges, ein Abschied, wenn du so willst!“ Brighton konnte dazu nur düster nicken. Hier und heute würde die große Entscheidung fallen, die Wende im Leben jedes einzelnen der Seewolf-Crew. Sie hatten darüber schon ausgiebig gesprochen. Die „Isabella“ segelte weiter, ihrem ungewissen Schicksal entgegen.
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In Sheerness waren die Kameraden auf der Schaluppe zurückgeblieben. Carberry, der Profos, der das Kommando hatte, Big Old Shane, Batuti, der Gambianeger, von Nutten, Gary Andrews, Jeff Bowie, Blacky, der alte O'Flynn und Jean Ribault, der Franzose. Seit sie die Themse hinaufsegelten, hatte der Seewolf keine ruhige Minute mehr gehabt. Begegnete ihm einer aus der Crew, dann spürte er, daß derjenige genauso dachte. Die Fröhlichkeit und die Unbeschwertheit waren dahin. Selbst auf Donegal Daniel O'Flynn, das Bürschchen, schlug sich diese Stimmung nieder. Und auch Arwenack war nicht davon ausgenommen. Lustlos hockte der Affe im Großmars. Er fror und fletschte ständig die Zähne. Hasard sah, wie er zu Dan hinüberturnte. O'Flynn stand im Hauptmars auf Ausguck. Auf den Ausguck hatte der Seewolf noch nie verzichtet, selbst hier auf der Themse nicht. überall lauerten Gefahren, manche sichtbar, andere versteckt. Am Kolderstock stand Pete Ballie. Auch sein Gesicht war ernst und verschlossen, in seinem Kopf kreisten die Gedanken. Insgeheim fragte er sich das gleiche, was auch die anderen pausenlos beschäftigte. Was würde sie in London erwarten? Wie ging es weiter? Was kam danach, wenn sie die Schätze abgeliefert hatten? Ging jeder seiner Wege, wurden sie eingesperrt, auseinandergerissen? Hundert Fragen, auf die er keine Antwort fand. Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, stand in der Kuhl zusammen mit Morgan und Smoky. Sie unterhielten sich leise. Ab und zu wehten Wortfetzen zu Hasard und Ben Brighton herüber. Und dann peitschte plötzlich Dans Stimme über Deck. Die Worte kamen so plötzlich, daß die Männer unwillkürlich zusammenzuckten. „Segler voraus!“ brüllte das Bürschchen. „Direkt hinter der Flußbiegung. Etwa acht oder neun!“ Die „Isabella“ lief weiter in Strommitte.
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Hasard winkte Dan zu, daß er verstanden hatte. Noch sorgte er sich nicht wegen der Segler, denn was sollte hier, so dicht bei Woolwich, schon passieren? „Kleine Kriegsschiffe!“ brüllte Dan herunter. „Genau neun. Sie segeln in Strommitte.“ „Abfallen nach Steuerbord!“ rief der Seewolf dem Rudergänger zu. Gehorsam lief die Galeone leicht nach Steuerbord ab. „Jetzt geht die Scheiße los“, sagte Ben. „Was befiehlst du?“ Hasard blickte starr voraus. Noch sah er die Segler nicht. „Wir bleiben auf diesem Kurs!“ „Keine Gefechtsbereitschaft?“ „Nein! Wir wollen sie nicht provozieren, sonst halten sie uns tatsächlich für einen Spanier, der London erobern will.“ „Sie werden uns so oder so für einen Spanier halten. Diese Narren vermuten doch hinter allem irgendeinen Trick.“ „Wir segeln auf diesem Kurs weiter!“ „Aye, aye.“ In der Kuhl und auf dem Vordeck standen die Männer. In ihren Gesichtern stand bange Erwartung. Tucker hatte sich auf seine riesige Axt gelehnt. Der Wind strich durch seine roten Haare. Er sah wie eine Statue aus, wie ein riesiger Klotz, den jemand einfach an Deck gestellt hat. Er rührte sich überhaupt nicht. Hier verlief die Themse in einem leichten Bogen. Die „Isabella“ hatte ihn noch nicht richtig ausgefahren, als die Segler in Sicht gerieten. Neun waren es, wie Dan ganz richtig gezählt hatte. Kleine Kriegsfahrzeuge, armiert, mit uniformierten Besatzungen, die nur darauf brannten, gleich eine Heldentat zu begehen. Sie liefen der Galeone in den Kurs, die leicht nach Steuerbord abgefallen war. Die Kriegsfahrzeuge hatten etwas nach Backbord gedreht, drei andere segelten noch in der Strommitte, ohne richtig von der Stelle zu gelangen. Hasard sah das und preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch einen schmalen Strich bildeten. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte des Zorns, und die
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Männer die ihn kannten, wußten genau, daß der Seewolf kurz vor einer fürchterlichen Explosion stand. Ballie sah Hasard fragend an. Er lehnte sich an den Kolderstock und wollte etwas Druck geben, um den Seglern auszuweichen. Hasard musterte ihn nur kurz, ein Blick aus Augen, die so kalt waren wie bläuliches Polareis. „Wir liegen auf Kollisionskurs“, sagte Pete Ballie schluckend. „Wenn die Kerle nicht den Weg frei ...“ „Du bleibst auf dem jetzigen Kurs, Pete!“ Die Segler rückten näher. Sie stemmten sich gegen die Flut, kreuzten mitunter zur Flußmitte und fielen wieder ab. Überall an Deck standen bewaffnete Seesoldaten. Ihre Hakenbüchsen waren schußbereit. Auf dem ersten Schiff, das kühn heransegelte, erkannte Hasard einen Mann in Kürbishosen und einem kostbaren Wams. Er hob die Hand und deutete auf den stolzen Spanier, der stur seinen Kurs hielt. Für den Offizier Ihrer Königlichen Majestät war es ein schrecklicher und schöner Anblick zugleich. Die stolze Galeone, die da heranbrauste, die geblähten Segel, die verwegen aussehenden Kerle an Deck, der schwarzhaarige große Mann auf dem Achterkastell, der wie gemeißelt wirkte. Der Offizier konnte sich an dem Anblick nicht satt sehen. Er traute sich einfach nicht, das Kommando zum Feuern zu geben. Was tat es schon, wenn ein paar Schüsse dieses herrliche stolze Schiff trafen, das immer mächtiger und größer wurde, je näher es heransegelte. Er fühlte sich diesem Gegner hoffnungslos unterlegen. Geradezu jämmerlich kam er sich auf seinem kleinen Segler vor. Und dann war da noch die englische Flagge, die der Wind schnurgerade ausrichtete, die nur an den Enden leicht flatterte. Ihrer Majestät Flagge! Hasard sah, wie die Segler immer näher heranstaffelten. Ein paar segelten genau
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auf die „Isabella“ zu! Ihre Absicht, anzugreifen, war unverkennbar geworden. An Deck schien alles wie erstarrt. Tucker rührte sich immer noch nicht. Die anderen hatten ihr Schwätzchen unterbrochen. Stumm sahen sie den Schiffen entgegen. Gleich würde die „Isabella“ mitten in diesen Pulk wildgewordener Kerle hineinsegeln. Und dann gab es Kleinholz. Ein paar kleinere Kanonen waren auf den Kriegsfahrzeugen feuerbereit. Die Rohre richteten sich auf die Galeone. Daneben standen die Kanoniere mit glimmenden Lunten. Sie warteten nur noch auf den Feuerbefehl ihrer Vorgesetzten. Da platzte dem Seewolf endgültig der Kragen. Das Bangen auf beiden Seiten war schlagartig beendet, als seine Stimme erscholl. So laut hatte sie noch niemand von der Crew vernommen. Hinter dieser donnernden Löwenstimme konnte sich sogar noch der Profos verstecken, und der konnte brüllen wie kein anderer. „Gebt den Kurs frei!“ peitschte seine Stimme über die Themse. „Dies ist ein Schiff Ihrer Königlichen Majestät. Wer es wagt, anzugreifen, wird in Grund und Boden geschossen! Habt ihr das verstanden, ihr verdammten Holzköpfe! Dieses Schiff ist eine Prise für die Königin von England!“ Hasard brauchte die Worte nicht zu wiederholen. Auf den Seglern schlugen sie so hart und laut ein wie Siebzehnpfünder. Und die „Isabella“ dachte nicht daran, aus dem Kurs zu laufen. Mit schäumender Bugwelle lief sie weiter, einem Satan gleich, der keine Rücksicht kennt. Da geschah etwas, worüber die Crew nur noch fassungslos staunte. Der erste drehte hart ab, lief aus dem Kurs und so hart auf Land zu, als wollte er mit aller Gewalt stranden. Ein zweiter folgte. Ein dritter, nicht mehr weit vom Bug der Galeone entfernt, riß in letzter Sekunde das Ruder hart herum. Sie spritzten vor der heranbrausenden „Isabella“ so schnell auseinander, wie es ihnen möglich war. „Gebt den Kurs frei!“ brüllte der Seewolf noch einmal. Die Zornesader an seiner
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Stirn war geschwollen. Alle sahen, daß er sich nur noch äußerst mühsam beherrschte. Ferris Tucker erwartete jeden Augenblick den Befehl zum Feuern. So zornig hatte er den Seewolf seit langem nicht mehr gesehen. Der schien jetzt zum reißenden Wolf zu werden, zu einem Seewolf, der allen die Zähne zeigte. Einer der Segler schaffte es nicht mehr rechtzeitig, den Kurs zu ändern. Entweder war der Rudergänger zu stur, oder die Burschen reagierten einfach nicht. Die schwache Bugwelle der Galeone ließ den Segler tanzen. Von unten erscholl ein vielstimmiger Aufschrei herauf. Männer brüllten ihr Entsetzen hinaus, als der Segler die Welle emportanzte, als wolle er die „Isabella“ zu einem zärtlichen Kuß verführen. Zwei, drei Soldaten sprangen in blinder Panik über Bord. Der Rudergänger sprang hinterher, das Schiff legte sich quer und geriet vor den Bug der Galeone. Holz knallte an Holz, es krachte, aus dem Segler fetzten Planken heraus. Danach wurde er weitergeschoben, bis er sich auf die Seite legte. Jetzt sprängen auch die letzten Männer in das kalte Themsewasser. Einem knallte eine zersplitterte Planke an den Schädel. Er wurde mit Wucht auf den Grund des Flusses katapultiert und tauchte nicht wieder auf. Knirschend und mahlend schob sich der Bug der schweren Galeone über den Segler, mangelte ihn unter, machte Kleinholz aus ihm, zersplitterte ihn total bis auf das Heck, das in einem wilden Strudel aus kochendem Wasser verschwand. An der Bordwand der „Isabella“ schabte und rasselte es. Holzteile krachten von unten herauf an den Schiffsrumpf, Männer brüllten vor Schreck, gingen unter, tauchten wieder auf. Das Chaos, das sich anbahnte, schien perfekt zu werden. Im Kielwasser tauchten nur noch zerfetzte Planken auf, ein paar Köpfe, Männer, die verzweifelt mit den Armen ruderten. Es war ein nervenzerfetzender Anblick, aber Hasard ließ das Geschehen völlig kalt.
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Er hatte Mühe, seinen unbändigen Zorn nicht zu offen zu zeigen. „Pech“, sagte er lakonisch zu Ben. „Die Kerle sind zu lahmarschig, sonst wäre das nicht passiert.“ „Klar, sie hatten Zeit genug. Dreh dich mal um, wie vorsichtig die jetzt hinterhersegeln.“ Hasard blickte über das Heck. Auf der Themse sah es aus, als hätte ein Regen aus Holzteilen sie überschwemmt. Sogar zwei Fässer schaukelten im Wasser. Und hinter ihnen segelten die Kriegsfahrzeuge Ihrer Majestät, verdammt bescheiden geworden und ungeheuer beeindruckt von dem, was eben geschehen war. Einer der Segler fischte die Soldaten aus dem Wasser und nahm sie an Bord. Die anderen wirkten wie junge Schwäne, die dem großen, stolzen Schwan demütig hinterherschwammen und sich sogar außerhalb seines Kielwassers hielten. Ben Brighton verzichtete auf weitere Kommentare. Hierüber gab es nicht viele Worte zu verlieren. Außerdem hatte der Seewolf immer noch den harten eisigen Blick, und da war es besser, man ließ ihn mit seinen Gedanken allein. Nur Dan O'Flynn im Hauptmars konnte seine vorlaute Klappe wieder einmal nicht halten. „Dem haben wir aber die Ohren abgesegelt, was, wie?“ schrie er zur Kuhl hinunter. „Ich wette, wir haben nicht mal eine Schramme am Rumpf!“ „Peil du lieber die Lage!“ brüllte Tucker hinauf. „Wir haben das ja schließlich alle selbst gesehen.“ »He! Du rothaariger Affe hast das doch gar nicht mitgekriegt!“ „Na warte, Bürschchen!“ grollte Tucker. „Komm du mir nur vom Hauptmars 'runter! Dann wirst du was erleben!“ „Ha! Wenn ich unten bin, werde ich dir die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch abziehen!“ schrie Dan. Alle wußten, wie es gemeint war. Sogar Tucker, den Dan eben noch als rothaarigen Affen bezeichnet hatte, mußte grinsen. Für eine kurze Zeit war es den Männern, als habe jemand den Stein, der ihnen allen auf
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der Seele lag, ein wenig angehoben, damit sie wieder freier atmen konnten. Aber das dauerte wirklich nur eine winzige Spanne, dann war es vorbei. Der Ernst ihrer Lage wurde ihnen schlagartig sofort wieder bewußt, als Dans Stimme erklang. Die Stimme kippte fast über. „Kettensperre voraus!“ schrie er. „Sie zieht sich über den ganzen Fluß. Auf beiden Seiten stark verankert!“ „Was sagst du da?“ schrie Hasard zurück. „Eine Kettensperre? Wie weit ist sie noch entfernt?“ Blitzschnell nahm er das Spektiv zur Hand, wollte es ausziehen. Aber Dan winkte mit der Hand ab. „Ihr könnt sie noch nicht sehen. Eine knappe Meile, mehr nicht. Gut acht Kabellängen!“ Hasard konnte sich auf Dan blindlings verlassen. Was der mit seinen scharfen Seeadleraugen sah, das existierte und war real. Dan hatte sich noch nie getäuscht. Er hatte die schärfsten Augen an Bord. Acht Kabellängen, entschied Hasard. Das reichte noch zu einem blitzschnellen Spurt in die Wanten. Er wollte sich persönlich von der Stärke dieser Sperre überzeugen. Er enterte so schnell hoch, daß Dan vor Staunen die Luft wegblieb. Allerdings blieb sie dem Seewolf auch weg, als er sah, in welches Verhängnis sie hineinsegelten. Die Sperre war deutlich zu erkennen. Hinter ihr lagen mehrere Boote, die sie über den Fluß geschleppt haben mußten. Sie glitzerte im Wasser und schwappte auf und nieder wie ein langes Seeungeheuer, das sich zum Tauchen anschickt. Hasards Gesicht verhärtete sich wieder. Waren diese Engländer denn von allen guten Geistern verlassen? Sie mußten sich in den Gedanken verbohrt haben, die Galeone auf Biegen oder Brechen zu vernichten. Jetzt war eine schnelle Entscheidung notwendig. Hasard ging die Möglichkeiten, die ihnen blieben, in Sekunden durch. Fock und Besan reichten nicht aus, die Sperre zu überrennen. Dazu lief die „Isabella“ zu wenig Fahrt. Sie mußte zwangsläufig an der schwimmenden Kette
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hängenbleiben und hilflos querschlagen. Dann würden die Segler neuen Mut fassen, sobald das Schiff hilflos war. Umkehren? Diesen Gedanken verwarf er sofort wieder. Er mußte gegen Flut und Strömung kämpfen, das Schiff würde kaum noch Fahrt laufen und ebenfalls abgetrieben werden. Der Endeffekt war der gleiche. Sie würden wiederum an der Sperre hängenbleiben. Wenn Hasard daran dachte, überlief ihn ein Schauder. Sie, die sich die Beute so hart und listenreich erkämpft, die jedem Sturm getrotzt und lange gefahrvolle Reisen hinter sich hatten, sie würden an einer lächerlichen Kettensperre hilflos hängenbleiben. Bei dem Gedanken empfand er Scham, brennende Scham. Wie eine dumme Schafherde würde sich die ganze Crew fühlen, der Lächerlichkeit preisgegeben, hilflos auf der Themse treibend. „Runter an Deck, Dan!“ schrie er Dan an. „Aber wie der Blitz!“ O'Flynn raste schon hinunter, hing sich in die Webeleinen der Wanten, ließ sich fallen, griff wieder zu, bis er an Deck stand. Über ihm keckerte protestierend der Affe Arwenack, aber für den hatte jetzt niemand einen Blick übrig. Es ging wieder einmal um ihr Leben, und jetzt war eine blitzschnelle Entscheidung notwendig, die Hasard innerlich längst getroffen hatte. „Alles Zeug hoch, Männer! An die Brassen, an die Schoten! Jeden Fetzen Leinwand setzen. Hoch mit allem, so schnell es nur geht. Nur Pete bleibt am Ruder, alle anderen packen an. Wir werden diese verdammte Sperre durchbrechen!“ „Arwenack!“ brüllte Smoky. Ein Wutschrei erscholl aus allen Kehlen an Bord. „Ar —we — nack!“ Dieser Schrei ließ das Deck erzittern und fuhr den hinterher segelnden Soldaten gehörig in die Knochen. Weitere Befehle erübrigten sich. Tucker oder Brighton sagten kein Wort. Eine knallharte Arbeit begann, aber die Crew war so gut darauf eingespielt, daß sich
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Befehle von selbst verboten. Jeder Mann wußte, was er zu tun hatte, jeder wußte, um was es ging. Ho, sie wollten es diesen verdammten Kerlen mit ihrer Kettensperre schon zeigen, das schwor sich jeder in dieser Minute. Die aufgegeiten Segel rauschten herab und wurden ausgetrimmt. Wie besessen arbeiteten und schufteten die Männer an den Schoten und Brassen. Der Wind knallte in die Segel, ein lauter flatternder Schlag, dann standen sie und blähten sich stolz auf. Der Seewolf packte mit an. Tucker klarierte die Nagelbank, die anderen schwitzten und keuchten. Die Seesoldaten hinter ihnen waren stumm vor Staunen. Das, was man ihnen jahrelang eingedrillt hatte und immer noch nicht so richtig klappte, erlebten sie hier in einer Art, die allen unverständlich schien. Eine Handvoll Männer hatte in allerkürzester Zeit alles an Zeug gesetzt, was die Galeone tragen konnte. Der vermeintliche Spanier hatte sich von einem leicht dahinsegelnden Schiff in einen Riesenschwan verwandelt, der jetzt eine mächtige Bugwelle vor sich her schob und immer schneller wurde. Da fielen selbst die kleineren Segler hoffnungslos ab. Am Ufer standen wieder Neugierige. Vor ihren Augen schien sich eine Blüte zu unvorstellbarer Pracht zu entfalten, so sah es jedenfalls aus, als sich die gelohten Segel knatternd entfalteten und mit Wind füllten. „Kurs Strommitte halten!“ rief Hasard dem Rudergänger zu. Die „Isabella“ drängte machtvoll nach vorn, dazu kam die Flut, die immer noch kräftig mitschob. Wie ein Ungeheuer mit geblähten Nüstern lief sie auf die Sperre zu. Jetzt, nachdem die Segel standen, war die Kettensperre deutlich zu erkennen. Dort, wo sie an Land verankert war, standen Hunderte und erwarteten den Anprall. Soldaten mit schußbereiten Musketen hatten Stellung bezogen. Hasard beobachtete sie durch das Spektiv.
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An Bord herrschte wieder diese gespannte Stimmung. Den Männern lief der Schweiß über die Gesichter von der harten Knochenarbeit, die sie soeben vollbracht hatten. Jetzt legten sie sich mit dem Teufel an, und jeder stellte sich die bange Frage, was passieren würde, wenn die Galeone mit dieser rauschenden Fahrt auf die Sperre zulief. Wenn sie hängenblieben, war alles aus, darüber war der Seewolf sich im klaren. Noch dreihundert Yards, zweihundert. Die ersten Neugierigen am Ufer zogen sich zurück. Das Schiff fuhr, als würde es vom Teufel persönlich gesegelt, der in der Gestalt eines riesigen, schwarzhaarigen Mannes auf dem Achterkastell stand und dem Hindernis verächtlich entgegenblickte. Ab und zu hob er das Spektiv ans Auge. Ruhig, als ginge ihn das alles gar nichts an, schob Hasard es wieder zusammen. Er hatte, noch weit hinter der Kettensperre, eine Batterie kleinerer Kanonen erkannt. Drei Stück waren es, die nur darauf warteten, daß sich die Galeone in der Sperre verfing. Die grenzenlose Wut, die den Seewolf gepackt hatte, sah man nur, wenn man auf seine Hände blickte. Sie öffneten und schlossen sich, krampften sich um die Leiste der Schmuckbalustrade, als wollten sie das starke Holz zerquetschen. Fünfzig Yards noch. Schneller noch als vorher lief jetzt die „Isabella“. Das Rauschen der Bugwelle wurde immer lauter, das Wasser, das sie vor sich herschob, schien zu kochen. „Festhalten!“ schrie der Seewolf seinen Männern zu. „Weg von der Reling, damit mir keiner über Bord geht!“ Jetzt mußte es sich entscheiden, ob die Galeone es schaffte, das Hindernis zu überrennen, oder ob die tonnenschwere Kettensperre vielleicht die Bugbeplankung durchschlug. So oder so, es würde ein harter Anprall werden. Jeder suchte sich einen Halt, um nicht unversehens über Bord gerissen zu werden.
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Und dann war es soweit Die letzten paar Yards. An den Ufern hielten die Menschen den Atem an. Drohend schob sich der große Bug näher und wurde immer gewaltiger. Schäumend und brausend wie ein wütender Riesenschwan stieß die „Isabella“ in die Kettensperre. Hallende, prasselnde Schläge folgten, ein unerhört harter Ruck zitterte durch das Schiff, das sich leicht aufbäumte. Er donnerte mit der Wucht einer gigantischen Ramme in die Glieder und dehnte sie bis zum Bersten. Auf der Steuerbordseite, wo die Kette am Ufer verankert war, löste sie sich krachend und riß die Befestigungen aus dem Erdreich, daß es dröhnte und die Menschen voller Angst und Panik davonstürzten. Die Kette pfiff durch die Luft, schnellte wie eine große, glitzernde Schlange zur Strommitte und donnerte aufs Vorschiff der „Isabella“. Es gab ein paar Fetzen, Holzstücke splitterten aus der Reling, Männer duckten sich unter dem gewaltigen Hieb, den ein Riese mit einer gigantischen Geißel auszuteilen schien. Die Riesenschlange wand sich zuckend und schleifend über das Deck des Vorschiffs, die Galeone drängte machtvoll weiter und streifte die Sperre wie ein lästiges Hindernis ab, das an der Bordwand entlangratschte und sich dann den Weg zurück ins Wasser suchte. Wie ein bleicher Geist tauchten an der Backbordseite hinter dem Schanzkleid Kopf und Rumpf Buck Buchanans auf. Etwas hatte ihn außenbords gefegt, aber er -hatte sich noch an einem Tampen festhalten können. Er fluchte und stieg schwerfällig an Deck. Hinter der Galeone fiel die Sperre ins Wasser und sank auf den Grund der Themse. Buck Buchanan schüttelte nur den Kopf, als begreife er das alles nicht. Ein Aufatmen ging hörbar durch das große Schiff. Sie alle hatten sich von der wütend zuschlagenden Kette in Sicherheit bringen können - bis auf Buchanan, aber der war ja nun wieder da. Sie hatten sich angstvoll unter dem Hieb geduckt und das ekelhafte
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Pfeifen und Schaben vernommen, danach das Kratzen und Schleifen an der Bordwand. Danach folgte die Erleichterung, aber die dauerte nur Sekunden. Am Ufer blitzte es lohend auf. Eine Kanone entlud sich krachend. Aus dem Mündungsrohr brach schwarzgrauer Pulverqualm hervor. Hasard, der jetzt an der Five Rail stand, duckte sich instinktiv. Gleich darauf hörte er es hinter dem Heck klatschen. Ein Neunpfünder hatte geschossen, aber nicht den Vorhaltewinkel berechnet. Vermutlich wollte er die Kugel ins Achterschiff donnern. Knapp zehn Yards hinter dem Schiff stieg eine Fontäne hoch und fiel wieder in sich zusammen. „Diese verdammten Idioten“, stöhnte der schwarzhaarige Mann erbittert. „Sind die denn hier alle wahnsinnig geworden! Hier weiß offensichtlich kein Mensch mehr, was er tut.“ „Ich würde am liebsten mit allen Rohren zurückfeuern“, sagte Ben neben ihm. „Jetzt haben wir glücklich das erste Hindernis genommen, und schon beginnt das nächste.“ Hasard hob drohend die Faust. Der Zorn fraß ihn bald auf, er erstickte fast daran. Gab es solche hirnverbrannten Idioten denn? Natürlich würde sich kein echter Spanier trauen, die Themse in Richtung London hochzusegeln. Eine einzelne Galeone gegen ganz England? Das war Wahnsinn, sie würde nicht weit gelangen, niemals. Aber diese bornierten Militärhengste dachten wohl anders darüber. In ihren Hohlköpfen' spukten ständig die Spanier herum. Das war bei Taunton, dem Hafenkommandanten von Sheerness, so gewesen, und das war hier genau das gleiche. „Wir können nichts daran ändern“, sagte Ben Brighton. „Für die sind wir Spanier. Nur müßte es doch langsam in den Holzköpfen dämmern, daß wir nicht zurückfeuern. Ein echter Spanier hätte längst alles mit Breitseiten eingedeckt,
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wenn er die Kühnheit besessen hätte, nach London zu segeln.“ „Deshalb feuern wir auch nicht, obwohl es mich in den Fäusten juckt, diesen hirnlosen Affen eins überzuziehen. Verdammt in allen Höllen sollen sie sein!“ Er wandte sich an Pete Ballie. „Nach Backbord abfallen, Pete. Auf der Steuerbordseite stehen drei Kanonen am Ufer.“ „Aye, aye. Die stehen schon mit glimmenden Lunten bereit.“ Die „Isabella“ lief nach Backbord. Noch war die Themse verhältnismäßig breit, aber das würde sich bald ändern. Und je schmaler sie wurde, desto mehr vergrößerte sich die Gefahr, von den Kanonen am Ufer getroffen zu werden. Ein einzelner Musketenschuß dröhnte herüber. Hasard sah ein kurzes Aufblitzen. Gleich darauf pfiff ein Bleibrocken über das Achterkastell. „Verfluchter Mistkerl!“ brüllte Tucker von der Kuhl zum Land hinüber. Er hob drohend und hilflos seine mächtigen Fäuste. „Sollen wir denen nicht wenigstens einen Warnschuß vor die Schnauzen setzen, Hasard?“ fragte Ferris. Diese Hilflosigkeit nagte an ihm genauso wie an den anderen Männern. Zorn, Wut und Enttäuschung standen in den Gesichtern geschrieben. „Nein, wir feuern nicht zurück, Ferris. Das würde diese Hammel nur noch mehr in ihrem Verdacht bestärken, einen Spanier vor sich zu haben. Noch sind es nur einzelne, denen die Nerven durchgehen oder die sich einen Orden verdienen wollen. Sobald wir jedoch zurückfeuern, wird man uns massiert und mit allen Mitteln angreifen.“ Das leuchtete Tucker natürlich ein und den anderen auch. Dennoch war es beschämend, ständig von irgendwelchen Idioten unter Feuer genommen .zu werden, ohne sich wehren zu können. Die Crew war das harte Kämpfen gewöhnt. Sie waren nicht die Kerle, die sich von einem Gegner beharken ließen und dann schüchtern den Kopf einzogen. Sie zahlten
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immer zurück, sie blieben nichts schuldig, kein blaues Auge, keine ausgeschlagenen Zähne und keine Messerstiche. Nur hier mußten sie grollend alles einstecken und schlucken, was ihnen serviert wurde. Und das nagte an ihren Kämpferherzen. Anderseits sahen sie ein, daß der Seewolf nur so und nicht anders handeln konnte. Obwohl er vor Zorn nur so kochte, beherrschte er sich doch und begnügte sich mit einem Fluch oder der drohend emporgereckten Faust. Arwenack, dem das alles nicht geheuer war, turnte mit schlenkernden Armen zum Achterdeck hoch. Hasard strich ihm gedankenverloren über den Kopf. „Bring ihn unter Deck, Smoky, ich möchte nicht, daß ihn eine verirrte Kugel erwischt.“ Smoky packte den sich sträubenden Affen an der Hand und wollte ihn nach vorn ziehen. Arwenack ging auch schließlich gehorsam mit, bis Smoky ihn nicht mehr so fest packte. Dann riß er sich mit einem wilden Satz los, keckerte höhnisch und verschwand in den Wanten. Dort sah Smoky verdattert den Schimpansen, der ihn anzugrinsen schien. Seine Wurstfinger fuhren an die Stirn, er tippte ein paarmal dagegen, entblößte seine länglichen Zähne und war dann irgendwo zwischen den geblähten Segeln verschwunden. Nur gut, daß der Strolch nicht reden kann, dachte Smoky. Der hätte ihm sonst die übelsten Schimpfwörter an den Kopf geworfen. Hilflos mit den Schultern zuckend wandte er sich ab. Dem Affen nachzujagen, war sinnlos. Der war schneller als die gesamte Crew. Am Ufer liefen unterdessen immer noch die Menschen wie aufgescheuchte Hühner durcheinander. Soldaten mit Arkebusen und Musketen hasteten zwischen ihnen, rammten ihre Gabelstützen in den Boden und wollten auf die Galeone anlegen. Meist schafften sie es nur, der „Isabella“ eine Ladung hinterherzujagen, denn bis sie
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ihre schweren Waffen in Anschlag gebracht hatten, war das Schiff schon ein Stück weiter. Der Schreck saß ihnen allen noch in den Knochen, als sie Zeugen wurden, wie der vermeintliche Spanier die schwere Kettensperre mühelos durchbrochen hatte. Das wäre keinem anderen Schiff gelungen, und daher nistete sich in ihren Schädeln der Gedanke ein, daß die ganze Crew mit dem Teufel im Bunde stand, wenn er nicht sogar persönlich an Bord war und das Schiff segelte. Hasard ließ sich zu ausgiebigen Flüchen hinreißen. Irgendwie mußte er seine Wut abreagieren. Immer wieder knallte und krachte es am Ufer, doch bisher hatte noch kein einziger Schuß etwas beschädigt, oder einen der Mannschaft getroffen. Jetzt geriet die Batterie, bestehend aus drei Geschützen, deutlicher ins Blickfeld. Die ersten Häuser von Blackwell tauchten auf. Auch hier spielte alles verrückt. Menschen schrien, rannten durcheinander. Reiter standen am Ufer. Die Themse beschrieb einen Bogen nach Süden.' Hinter der Galeone segelte der Pulk von Kriegsschiffen. Die Situation wurde immer heikler. Und dann ging es los, genauso wie Hasard es erwartet hatte. Wenn es gute Kanoniere waren, die an ihren Geschützen lauerten, bis die „Isabella“ in die Zielrichtung lief, mußte es zwangsläufig ein paar Treffer gehen. „Ben“, sagte Hasard gepreßt, und seine Stimme klang, als würde er sich auf die Zunge beißen vor Wut. „Laß sofort an allen Toppen die englische Flagge setzen. Ich weiß nicht, was wir sonst noch tun können. Und achte auf die Kanonen. Wenn es irgendwo aufblitzt, dann geh in Deckung. Und bei Gott“, knirschte der Seewolf, „falls es auch nur einen von meinen Männern erwischt, dann werden diese Himmelhunde mich kennenlernen. Ich werde denen ein paar Breitseiten verpassen und die Kerle hinter uns mit den Drehbassen beharken, bis nichts mehr von ihnen übrigbleibt.“
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So war er, der Seewolf, dachte Ben, nachdem er den Befehl, an allen Toppen zu flaggen, an Stenmark weiter- gegeben hatte. Für seine Crew ging er durchs Feuer, mitten hinein in die heißeste Hölle, und wenn er dort dem Satan persönlich in die Feuerkessel spucken würde. Und seine Crew hielt ebenso unverbrüchlich zu ihm. Das war es, was sie miteinander verband, auf Biegen oder Brechen. Sie waren ein zusammengeschmiedeter Haufen Eisen, ein einziges Stück, aus dem sich nichts herausbrechen ließ. An den Toppen entfalteten sich knatternd die Flaggen Ihrer Majestät, der Königin. Der Wind ließ sie schlagen und flattern, weithin sichtbar. Den Kanonieren am Ufer war immer noch kein Licht aufgegangen. Als die englischen Flaggen sich entfalteten, dröhnte der erste Schuß auf. Er hatte noch nicht das Rohr verlassen, als sich die zweite Lunte glimmend nach unten senkte. Wildes Brüllen veranlaßte die Seewölfe, in Deckung zu gehen. Die erste Eisenkugel orgelte hart am Besanmast vorbei. Hasard konnte ihren Flug mit den Augen verfolgen. Nur eine Handbreit fehlte, dann hätte sie getroffen und den Besan abrasiert. Ohnmächtig vor Zorn starrte er zu den Kanonieren hinüber. Schon senkte sich die dritte Lunte, und das erste Geschütz wurde in aller Eile nachgeladen. Da folgte der zweite Eisenbrocken. Er pfiff so dicht über das Achterkastell, daß Hasard glaubte, er würde noch in das Schanzkleid einschlagen. Die Kugel klatschte jedoch ins Wasser, hüpfte einmal hoch und verschwand dann in der Themse. Der dritte Treffer lag voll im Ziel. Am Ufer waren alle drei Kanonen in schwärzlichen Qualm gehüllt, als auch die dritte Kugel das Rohr verlassen hatte. Sie schlug mit unglaublicher Wucht ein. Hasard bewunderte insgeheim den Schützen am Rohr. Nur hatte er nicht die „Isabella“ getroffen, sondern den ersten der Segler aus dem Pulk der Kriegsfahrzeuge, die dicht hinter der Galeone standen.
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Ein ohrenbetäubendes Bersten. Ein wilder Schrei. Holzplanken flogen durch die Luft, tanzten einen wilden Reigen und knüppelten Kapitän und Mannschaft erbarmungslos zusammen. Die Kugel war auf der Steuerbordseite eingedrungen und hatte alles zerschlagen, Reling, Schanzkleid, ein Teil des Decks. Auf der anderen Seite raste sie wieder hinaus und hinterließ ein Riesenleck unter der Wasserlinie. Auf dem Segler wälzten sich Soldaten in ihrem Blut, die von den berstenden Holzplanken niedergemäht worden waren. Die Verwundeten schrien und stöhnten. Ihr Kapitän weinte Tränen hilfloser Wut, weil die eigenen Leute so dämlich waren und die Galeone nicht trafen, ihnen dafür aber ein Ding verpaßt hatten, das augenblicklich den Untergang ihres Schiffes einleitete. Der Segler soff ab, mitten in der Fahrrinne ging er unter. Die anderen versuchten verzweifelt, dem plötzlichen Hindernis auszuweichen. Einer, der es nicht mehr. schaffte, um den absaufenden Segler herumzulaufen, streifte ihn und legte sich quer. Der Teufel war los auf der Themse. Die Hölle selbst schien sich aufgetan zu haben. Mehrfaches Geheul und lautes Fluchen und Brüllen drangen zu Hasard herüber. Auf den Kriegsschiffen herrschte heillose Verwirrung. Die Kapitäne schüttelten die Fäuste zum Ufer hin. Ihre Mannschaften brüllten zornig und unbeherrscht. In der Kuhl und auf dem Vorschiff stimmten die Seewölfe ein wahres Freudengeheul an. „Gebt es ihnen!“ riefen sie höhnend zum Ufer hinüber. „Noch eine Salve, ihr Arschlöcher! Schießt euch selbst in Grund und Boden, die Queen wird euch einen dicken Orden verpassen, einen aus Hanf! Den wird man euch um die Hälse hängen!“ Noch einmal feuerte der erste Kanonier. Entweder war er wahnsinnig, oder er wollte den Schaden wieder gutmachen. Aber er traf die „Isabella“ nicht mehr. Der Schuß platschte müde ins Wasser, mitten zwischen die Kriegsfahrzeuge, ohne Schaden anzurichten.
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Die Soldaten wurden dadurch in ihrer grenzenlosen Wut nur noch mehr angestachelt. Ein Hitzkopf packte in seinem rasenden Zorn eine schwere Muskete und feuerte auf die Kanoniere einen Schuß ab. Schadenfrohes Gelächter brandete über die Kuhl. Ferris Tucker riß die Arme hoch. Das war das schönste, was sie bis jetzt erlebt hatten. Die Kerle beharkten sich gegenseitig! Ein Zeichen, daß sie überhaupt nicht mehr denken konnten, sondern nur noch blindlings handelten und schossen. Auf dem Achterdeck stand Hasard und sah dem Irrsinn kopfschüttelnd zu. Zum erstenmal grinste er flüchtig, danach wurde sein Gesicht wieder ernst und hart. „So ist es richtig!“ Ben Brighton rieb sich schadenfroh die' Hände. „Diese Vollidioten wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Ein kopfloser Haufen, der von dämlichen Vorgesetzten kommandiert wird. „Deckung!“ brüllte er gleich darauf. Der Seewolf warf sich auf die Planken. Pete Ballie am Kolderstock duckte sich tief. In der Kuhl warfen sich die Männer blitzschnell hinter das Schanzkleid. Eine neue Gefahr war aufgetaucht. Auf dem linken Themseufer hätten sich zwölf Soldaten zusammengerottet. Sie schossen mit den Musketen stehend freihändig auf die Galeone, obwohl die Waffen ein beachtliches Gewicht hatten und sie schlecht zielen konnten. Sechs von ihnen drückten ab. Der harte Rückschlag ließ sie zurücktaumeln. Eine Wolke aus Pulverrauch hüllte sie ein. In aller Eile luden sie nach. Danach schossen die sechs anderen, nachdem ein Offizier die Hand nach unten gesenkt hatte. Jetzt luden sie gleich wieder nach. Zweimal prasselte es in die Bordwand. Die anderen Schüsse lagen zu kurz. Beim zweiten Feuern wurde das Focksegel getroffen. Ein gezacktes Loch erschien darin. Auch auf dem anderen Ufer hatten sie sich inzwischen formiert. Die Scharte mußte ausgewetzt werden, die Soldaten wollten
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sich nicht länger der Lächerlichkeit preisgeben. Der Themsebogen schwang nach Norden. Die Segel mußten leicht angebraßt werden, aber Hasard konnte die Männer jetzt nicht an die Brassen schicken. Die Gefahr, von den Musketen erwischt, zu werden, war zu groß. Sie hatten sich hinter das Schanzkleid in Deckung geworfen, die Hände schützend um die Köpfe gelegt, hilflos in ohnmächtiger Wut den Bleigeschossen preisgegeben. Ein Glück, daß sie nicht aus den Gabelstützen feuerten. Dann hätten die Schüsse sicherlich besser im Ziel gelegen. Aber da die „Isabella“ so schnell segelte, war es den Kerlen hinderlich, ihre schweren Stützen mitzuschleppen. So begnügten sie sich damit, ihre Musketen und Hakenhüchsen stehend abzufeuern. Tucker hob einmal den Schädel über das Schanzkleid. Seine roten Haare leuchteten wie eine Fackel. Sekundenlang war das Feuer verstummt. Er hob die Faust und drohte zum Ufer. „Ihr verfluchten Hornochsen!“ brüllte er. „Merkt ihr denn nicht, daß wir Engländer sind, ihr Rübenschweine!“ Aber sie merkten es nicht, oder sie wollten es nicht merken. Tucker hatte sein Gebrüll noch nicht beendet, als die nächste Salve krachte. Da zog der Schiffszimmermann erbittert den Kopf ein. Ein Wahnsinn, so kurz vor dem Ziel noch verrecken zu müssen, dachte er. Nach allem, was sie durchgestanden hatten, war das reine Idiotie. Wieder knallten drei Schüsse in die Bordwand. 3. Blackwell lag nun hinter ihnen. Das konzentrierte Feuer hatte aufgehört, nur noch vereinzelte Musketenschüsse dröhnten vom Ufer herüber. Aber die Schützen trafen nicht oder nur sehr selten. Die „Isabella“ segelte jetzt westlichen Kurs, dem Lauf des Stromes folgend.
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Südlich von ihnen lag Tower Hamlets. Bis zum Tower waren es noch zwei Meilen. Die Menschenmenge am Ufer hatte sich verdichtet. Von überall her waren sie erschienen, um das Schauspiel zu erleben. Die Kunde von dem wild um sich feuernden Spanier war wie ein Lauffeuer durch das ganze Land geeilt. „Rahsegel aufgeien!“ erscholl Hasards Kommando über Deck. Tucker, Smoky, Stenmark und Dan O'Flynn gingen an das Bramfall. Die Blöcke und Taljen knarrten, als das dritte Segel, von Deck aus gerechnet, aufgegeit wurde. Ein wenig von der Vortriebskraft wurde aus dem Schiff genommen. Die „Isabella“ wurde langsamer. Zwei weitere Segel wurden aufgegeit. Diesmal geschah es nicht in rasender Eile. Ruhig verrichteten die Männer ihre Arbeit. Zum Schluß standen nur noch Focksegel und Besan. Wieder dröhnte ein einzelner Schuß herüber. Weit hinter dem Schiff klatschte das Blei ins Wasser. Der Kerl am Ufer, der geschossen hatte, packte seine Muskete und eilte der Galeone nach. „Nun sieh dir diesen Idioten an“, sagte Tucker zu Smoky. „Der will wohl mit uns um die Wette laufen, was?“ Der Mann gewann kaum Vorsprung. Wenn er stehenblieb, um seine Muskete umständlich nachzuladen, war das Schiff schon ein ganzes Stück weiter. „Ein Held, ein richtiger Held“, höhnte Smoky. „Der schwitzt sich noch tot, wenn er so rennt. Bis der seine Knarre nachgeladen hat, sind wir schon wieder auf der Rückfahrt.“ Der Held, der so gern einer werden wollte, verzweifelte fast an sich und seiner Muskete. Als ein Hohngelächter von der Crew zu ihm herüberscholl, zuckte er zusammen, schmiß die Muskete auf den Boden und angelte nach einer Pistole in seinem Gürtel. Er zielte und zielte, und als Tucker sich breitbeinig hinstellte und die Arme hoch über den Kopf hob, drückte er ab.
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Mindestens zwanzig Yards vor dem Schiff klatschte die Kugel ins Wasser. Lautes Gelächter erklang. Der Held kriegte einen knallroten Kopf und schlich beschämt davon. Der Tower am Nordufer rückte näher. Hasard sah besorgt auf die Festungen, die stark armiert waren. Auf den Wehrgängen lauerten Bogenschützen, die Stadtgarde war aufgezogen. Am Tower Kai standen die Artilleristen klar bei Lunte. Und dort mußten sie anlegen. „Hoffentlich gehen keinem die Nerven durch“, meinte Ben. Voller Sorge sah er auf die bis an die Zähne bewaffneten Männer, die Offiziere, die zur Galeone starrten, die jeden Augenblick den Befehl zum Feuern geben konnten, gerade jetzt in diesem Augenblick, da die „Isabella“ anluven mußte. Hasard entgegnete nichts darauf. Er konnte nur noch hoffen, daß sie sich passiv verhielten, obwohl es nicht danach aussah. „Wir luven an, Pete! Etwas höher an den Wind mit der alten Tante!“ Seine Stimme klang heiser und klirrte ein wenig. Der Seewolf hatte die Lippen zusammengepreßt. Jeden Moment erwartete er eine Salve aus den feuerbereiten Kanonen. Langsam ging die Galeone dichter an den Wind. Der Winkel zwischen Kurs und Windrichtung verkleinerte sich. In einer langgezogenen Schleife drehte die „Isabella“ gegen Flut und Windrichtung hoch. Ballie legte das Schiff so in den Strom, daß es fast vierkant auf den Tower Kai zutrieb. Eine fieberhafte Erregung hatte sie gepackt. Die Männer auf der „Isabella“ genauso wie jene, die an Land standen und bis an die Zähne bewaffnet waren. Die Galeone zeigte keinerlei Anstalten zum Feuern. Die Stückpforten waren geschlossen, die Seewölfe hatten ernste Gesichter. Niemand war bewaffnet. Da dröhnte Hasards Stimme auf. Sie klang wie splitterndes Eis, und man hörte ihr deutlich die Erregung an. „Nicht schießen!“ rief er laut. „Dieses Schiff ist eine Prise. Wir führen Fracht für
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die Königin von England. Nicht feuern! Wir sind nicht bewaffnet!“ Die Luft schien zu knistern. Es war, als würde sich jeden Moment ein unheilvolles Gewitter blitzartig und tobend entladen. Hasard spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn. Wenn jetzt ein Idiot feuerte und seine Männer zusammenschoß! Männer, die unbewaffnet waren und keine Anzeichen von Feindseligkeit zeigten, die nichts weiter wollten als die sagenhaften Schätze der Königin zu übergeben. Dann, das schwor sich Hasard, würde er so viele von den Kerlen umbringen, wie er nur konnte. Sie mußten ihn verstanden haben, denn jetzt war das Schiff nur noch ein paar Yards vom Tower Kai entfernt. Es war genau zu jener Stelle gesegelt, die die Order des Ersten Lordadmirals bestimmt hatte. Sie hatten ihn auch verstanden, aber ihre Nerven flatterten. Immer noch wurde ein ganz übler Trick der Spanier vermutet. Und waren viele von den Kerlen an Bord nicht auch schwarzhaarig? Die Spannung stieg mit jeder Sekunde weiter. Da waren die dunklen Schlünde der Kanonen genau auf den Segler gerichtet, da standen die Kanoniere mit den glimmenden Lunten in der Hand, in den Augen ein unruhiges Flackern. Da standen die Bogenschützen oben auf den Wehrgängen. Die Bogen waren gespannt, die Pfeilspitzen drohten auf die Männer der Crew. Da stand die Stadtgarde, geladene Waffen in den Händen, Arkebusen, Musketen, Pistolen. Wenn einer die Nerven verlor —pausenlos jagte dieser Gedanke Hasard durch den Kopf. Das Blutbad, das dann angerichtet wurde, war nicht auszudenken. Sein Blick wanderte kurz zu Ben hinüber. Der Bootsmann hatte seltsam starre Augen. Alle anderen sahen mehr oder weniger ruhig den Männern in die Augen, die so schwer bewaffnet waren. Hasard konnte sich gegen das Gefühl der Scham und Hilflosigkeit nicht wehren. Er kam sich wie ein dummer Junge vor, der zwar eine beachtliche Arbeit geleistet
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hatte, die aber zu seinem Erstaunen von niemanden anerkannt, ja, für die er noch bestraft wurde. Dieser Gedanke bohrte in ihm und ließ ihn vor Wut und Ärger zittern. Auf der anderen Seite war man ratlos, als der Seewolf seine Worte noch einmal wiederholte. Die Offiziere sahen sich an, die Kanoniere blickten ratlos zurück. Die Menschenmenge, die sich langsam zurückgezogen hatte, war perplex und schwieg. Die Stille wurde nur von dem leisen Rauschen unterbrochen, mit dem die „Isabella“ das Anlegemanöver an den Kai fuhr. Noch sieben Yards, noch fünf, dann nur noch drei. Langsam schob sie sich näher und näher heran. Und dann passierte es. Die Welt schien von einer Sekunde zur anderen unterzugehen. Einer hielt die fürchterliche Anspannung, die an seinen Nerven riß und zerrte, nicht mehr aus. Seine Nerven brachen wie morsche Taue, die die Ratten angenagt hatten. Ein Kanonier war es, einer dessen Augen ständig flackerten, einer von der Sorte, die nie wußten, wie sie sich zu verhalten hatten, einer der plötzlich durchdrehte. Er glaubte in den Augen seines Vorgesetzten so etwas wie Zustimmung gesehen zu haben. Oder war es ein Kopfnicken gewesen? Oder hatte der Offizier ganz offiziell den Befehl zum Feuern gegeben? Sein Mund verzog sich zu einem klaffenden Spalt. Schon vorher hatte er kein Geräusch mehr vernommen, nur noch Nebel hin und her wogen sehen. Seine Hand mit der Lunte fuhr nach unten. Alle waren wie erstarrt, niemand konnte es verhindern, als sich der Funke in das Pulver fraß. Von da an war das Geschehen nicht mehr aufzuhalten. Alles nahm seinen verhängnisvollen Lauf. Hasard, der vom Achterdeck genau in die Mündung der Kanone blicken konnte, sah das alles wie in einem verrückten Traum ablaufen. Den durchdrehenden Mann, die glimmende Lunte, den Funken, der das
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Pulver in Brand setzte, das verzerrte Gesicht des Mannes. Gab es das, oder stand die Zeit still? Sah er Trugbilder? Rein instinktiv warf er sich zur Seite. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie sich Tucker auf dem Vordeck duckte, um an Land zu springen und das Schiff zu vertäuen, weil sich am Ufer niemand rührte. Da ging der Schuß los. Ein Dröhnen, so laut, daß jeder glaubte, ihm müßten die Trommelfalle platzen. Alles explodierte in einem wilden Reigen, alles schien wie in einem riesigen Kaleidoskop in sich zusammenzufallen. Der Schuß krachte auf das Achterdeck. Ein Pfosten der Galerie zur Kuhl wurde aus seiner Verankerung gerissen, wirbelte hoch, legte sich quer, knallte dem Seewolf vor die Beine und riß ihn mit einem letzten Knirschen über Bord. Hasard war so schnell verschwunden, als hätte der Teufel persönlich ihn geholt. Die verkrampfte Situation löste sich in einem so wilden Aufschrei bei den Seewölfen, daß die Bogenschützen erschreckt ihre Pfeile sinken ließen. Alle anderen sperrten hilflos die Münder auf. Ein paar Männer bekreuzigten sich hastig. Da drehten die Seewölfe durch. Was sie erlebt hatten, war so ungeheuerlich, daß nichts und niemand sie mehr hielt. Sie barsten vor Wut. Stenmark fegte mit einem wilden Satz über das Schanzkleid, übersprang die letzten zwei Yards, die das Schiff noch vom Kai trennten, und war mit zwei weiteren Riesensätzen bei dem Kanonier, dem die Nerven durchgegangen waren und der den verhängnisvollen, Schuß abgefeuert hatte, der Hasard über Bord riß. Zwei Hände wie Eisenklammern umspannten den Mann, ein Griff, in dem alle Wut der Welt lag, hob ihn hoch. Stenmark zerriß ihn buchstäblich in der Luft. Sein Gesicht war von Haß verzerrt, seine Augen glühten vor Zorn. „Wünsch dir lieber, die Pest wäre über London gekommen“, knirschte er. „Die hätte dich Schwein vielleicht verschont!“
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Der Mann war dem eisenharten Griff hilflos ausgeliefert. Ihm war, als hätte man starke Eisenbänder um seinen Körper geschlungen, die sich nicht mehr lösen ließen. Stenmark drehte ihn noch in der Luft um, ließ ihn einmal um seine eigene Achse rotieren und donnerte ihn an die Kanone. Der Kanonier fiel wie ein Bündel Lumpen in sich zusammen. Pete Ballie und Smoky brachten überhastet zwei Festmacher aus und legten sie um die steinernen Poller. Dann fegte ein Orkan über die Tower Pier, ein Unwetter, wie es sich niemand hätte träumen lassen. Die Seewölfe waren los. Sie rasten und schäumten vor Wut! Es gab für sie kein Halten mehr. Es schien, als seien sie nur geboren, um die Hölle loszulassen. Von dem Augenblick an, als der Seewolf über Bord ging, rissen auch bei ihnen die Nerven. Ben Brighton stand hilflos auf der Kuhl, als die wilde Meute brüllend und schreiend an Land tobte. Plötzlich war jeder bewaffnet. Spaken, Belegnägel und Entermesser hielten sie in den Fäusten. Wem sollte Brighton jetzt noch erklären, daß alles vermutlich nur der Irrtum eines einzelnen Mannes war? Dem, lächerlich genug, einfach der 'Faden gerissen war, und der damit das Inferno entfesselt hatte, das jetzt losging. Er war machtlos, ebenso Ferris Tucker. Da konnten- sie tun, was sie wollten, ihre Autorität zog in diesem Fall nicht mehr. Sie hatten Hasard über Bord gehen sehen, und da hakte es bei ihnen aus. Sogar der sonst so besonnene Kutscher raste wie ein Teufel. Er hatte sich mit einem Belegnagel bewaffnet, Schaum vor dem Mund, und mit aufgerissenen Augen stürzte er über die Kuhl, flankte wie ein Wilder über das Schanzkleid und suchte sich ein Opfer. Er fand genügend. Sein Belegnagel pfiff durch die Luft. Wie ein Verrückter brüllte er: „Arwenack! Arwenack!“
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Eine Horde entfesselter und tobsüchtiger Männer stimmte ihren Schlachtruf an, der bis weit in die Stadt zu hören war. „Ar - we - nack! Ar - we - nack!“ „Um Himmels willen!“ stöhnte Brighton, der noch die Nerven behalten hatte. „Das gibt eine Gemetzel!“ Tuckers Gesicht hatte sich verkniffen. Es war weiß vor Wut. Seine Augen suchten blitzschnell die Wasseroberfläche nach dem Seewolf ab. Er war nirgends zu sehen. Ein gefährlicher Zorn stieg in ihm auf. War Hasard ertrunken? Oder hatte der Pfosten ihn erschlagen, hatte die Kugel ihn etwa getroffen? Er sah Brighton an. Unnatürlich ruhig fragte er dann: „Auf was warten wir eigentlich noch, Ben?“ „Ja, auf was warten wir noch?“ fragte Ben zurück. Tucker griff zu seiner mörderischen Axt, aber Ben Brighton schüttelte schnell den Kopf. „Nimm dir lieber einen Belegnagel, Ferris. Sonst gibt es hier zu viele Tote.“ Wutentbrannt stürzten sie vom Schiff an Land. Auf dem Kai herrschte mittlerweile ein furchtbares Getümmel. Die rasende Horde schlug alles kurz und klein. Tucker schlug auf jeden Kopf, der sich zeigte. Sein schwerer Belegnagel pfiff durch die Luft. Schnaubend entriß er einem Soldaten die schußbereite Muskete und schlug sie ihm so lange um die Ohren, bis sie nur noch aus Splittern bestand und der Soldat längst röchelnd am Boden lag. Schreie der Überraschung und des Zorns erklangen am Kai, als die Seewölfe loslegten. In ihrer rasenden Wut fielen sie über alles her, was sich in ihrer Nähe befand. Dan O'Flynn hatte sich einen Artilleristen geschnappt, der angesichts der rasenden Teufel kampflos verschwinden wollte. Der Mann hielt beide Hände über seinen Schädel, aber Dan knallte ihm die Handspake vor die Brust, und als der Mann zusammensank, empfing er den nächsten Schlag auf den Schädel.
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Tucker hieb sich eine Gasse frei, bis er bei Stenmark war, der sich mit einem Kanonier prügelte. Der Kanonier zog den kürzeren. Seufzend klappte er zusammen. Die Crew raste und tobte über den Kai wie eine Horde losgelassener, tobender Höllenhunde. Das, was sie hier erlebten, stachelte ihren Zorn immer mehr an. Die Demütigungen, die sie erfahren hatten, die Borniertheit ihrer eigenen Landsleute, die Unverschämtheiten, das alles ergab einen Berg aus Zorn und Wut. Und die ließen sie jetzt gründlich aus. Keiner hatte je den Kutscher so erlebt. Der tobte und wütete unter den Männern wie ein Wahnsinniger. Wie hatten sie sich alle abgerackert, geschuftet, gekämpft, um die Schätze für Englands Krone zusammenzutragen. Und wie reagierten diese Engländer? Ihre eigenen Landsleute? Sie schossen auf ihren Kapitän, sie legten auf die Männer an. Sie machten sich so unbeliebt, wie es nur ging. Der Kutscher fühlte sich verraten und verkauft, in die Pfanne gehauen. Deshalb war er so erbittert. Und schließlich hatten alle mit angesehen, wie der Seewolf über Bord gegangen war. „Arwenack!“ brüllte er, „Arwenack!“ Matt Davies, der Mann mit den über Nacht ergrauten Haaren, fluchte pausenlos vor sich hin. Seine Haare waren schlagartig grau geworden, als er die fürchterlichste Nacht seines Lebens durchgestanden hatte. Diese höllische Nacht mit den Haien, den wahnsinnigen Kampf auf der schwankenden Gräting mit dem verfluchten Portugiesen, diese Nacht, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Und alles für die Krone! Und die Krone dankte es ihnen jetzt mit Stadtgarden, Bogenschützen und Kanonen. Mit der Hakenprothese holte er einen Kanonier zu sich heran. Er riß ihm die Kleidung auf, schlug ihm die Stirn ins Gesicht und schickte ihn mit einem mörderischen Schlag zu Boden. Sofort wandte er sich dem nächsten zu. So sehr die überraschten Artilleristen sich auch zur Wehr setzten, nachdem sie den
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ersten Schreck überwunden hatten - es nutzte ihnen nichts. Sie wurden nach Strich und Faden verprügelt, zusammengeschlagen und von den rasenden Teufeln auch noch in die Themse geworfen. Ebenso kannte Brightons Zorn keine Grenzen mehr. Pausenlos pflückte er sich die Burschen heraus, ohne Rücksicht, und auch als er einen Hauptmann von der Stadtgarde erwischte, zögerte er nicht, ihm den schweren Belegnagel auf den Kopf zu donnern. Der Hauptmann ging röchelnd zu Boden. Ein Teil seiner stark lädierten Leute ergriff die Flucht. „Jetzt rennen diese Scheißer auch noch weg!“ brüllte Tucker, außer sich vor Wut. Er hetzte mit langen Sprüngen zwei Uniformierten nach, griff noch im Laufen nach ihnen und -packte sie an den Jacken. „Ihr verdammten Mistkerle!“ rief er. „Ihr lausigen Rübenschweine! Erst feuern und dann abhauen, was?“ Die beiden wurden am Hals gepackt, den Belegnagel ließ er einfach fallen, und dann krachte es. Zwei Köpfe knallten zusammen, zwei Augenpaare wurden glasig. Die beiden sackten wie Puppen zusammen. Tucker schnappte sich seinen Belegnagel und stürmte weiter. Links und rechts hieb er um sich. Er sah in entsetzte, fassungslose Gesichter, aber das kümmerte den Riesen nicht. Was zwischen seine Hände geriet oder mit dem Nagel konfrontiert wurde, das hielt sich nicht lange auf den Beinen. Buck Buchanan und Smoky hatten sich etwas abgesondert. Sie suchten hinter dem Heck die Wasseroberfläche ab. Buchanan entdeckte den zerschossenen Galeriepfosten. „Da vorn treibt er, Smoky!“ sagte Buchanan erregt. „Der Pfosten, aber nicht der Seewolf, Mann! Ich kann ihn nirgends sehen.“ Hinter einer der Kanonen regte sich etwas. Smoky sah es nur aus den Augenwinkeln. Ängstlich verbarg sich einer der
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Kanoniere, der vor der rasenden Meute geflüchtet war. Smoky war schon da, riß den Kerl an den Haaren hoch und trieb ihn mit zwei Schlägen quer über den Kai. Buchanan fing den taumelnden Soldaten ab. Mit einem gewaltigen Fußtritt beförderte er ihn in die Themse. Ihre Gegner waren geschrumpft. Überall auf dem Kai lagen Verwundete herum. Manche stöhnten und hielten sich die Schädel, die mit den harten Spaken schmerzhafte Bekanntschaft geschlossen hatten. Andere rührten sich überhaupt nicht mehr. Die paar, die sich noch wehrten, wurden von den Seewölfen erbarmungslos zusammengeschlagen. Die kurze, aber harte Schlacht sollte später in die ruhmreichen Annalen eingehen als die Schlacht vom Tower Kai, in der Engländer gegen Engländer kämpften. Ein verhängnisvoller Irrtum, der erst später aufgeklärt wurde. Jetzt wurde der Irrtum zum Wahnsinn, denn ein paar Männer der Stadtgarde stürzten sich ebenfalls in das Gefecht. Ben Brighton konnte Ferris Tucker nur mit Mühe davon abhalten, seine mörderische Axt zu holen. Der Schiffszimmermann raste. Wie die Teufel gingen sie die Stadtgardisten an. Es waren elf Männer mit schußbereiten Musketen. Sie kamen nicht zum Feuern. Das Risiko, ihre eigenen Leute zu treffen, war einfach zu groß. Die Seewolf-Crew verstand es, die Männer immer 'wieder zusammenzutreiben, ihnen die Musketen zu entreißen, sie ihnen um die Ohren zu schlagen. Der Kai wurde leergefegt, die Soldaten zusammengeknüppelt. Aber auch bei den Seewölfen floß Blut. Smoky hatte einen Kolbenhieb hinnehmen müssen. Der Kutscher hatte eine Platzwunde an der Stirn. Sein Hemd war zerfetzt, die Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Er kochte vor Zorn. Der „Arwenack“-schreiende Dan O'Flynn konnte ebenfalls zahlreiche Blessuren
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aufweisen. Am liebsten hätte Dan sich mit den Kerlen ganz allein angelegt. Für die Kanoniere und Artilleristen stand es ausgesprochen. schlecht. Kaum jemand war noch auf den Beinen. Dann brüllten plötzlich Schüsse auf. *
In dem Augenblick, als der Kanonenschuß aufdröhnte, fühlte Hasard sich, als sei er an dem ganzen Geschehen überhaupt nicht beteiligt. Der gewaltige Mündungsblitz schien direkt in seinem Gesicht aufzuflammen. Vor ihm krachte etwas in das Deck. Etwas, das er zunächst nicht definieren konnte, knallte ihm mit unvorstellbarer Wucht vor die Beine. Augenblicklich zuckte ein rasender Schmerz durch seinen Körper. Wie von einer gigantischen Faust fühlte er sich angehoben. Der Himmel raste auf ihn zu, er versuchte Halt zu finden, aber er griff nur in die Luft. Der Stützpfosten der Galerie riß ihn mit einem wilden Schwung über Bord. Er spürte noch, wie er ins Wasser klatschte, der Balken ihn zu erdrücken schien und wie dann alles pechschwarz um ihn herum wurde. Wasser drang in seine Lungen. Alles ging so schnell und lief so rasend ab, daß er sich benommen fragte, was denn jetzt eigentlich passiert sei. Erst das kalte Wasser ließ ihn wieder zu sich kommen. Da befand er sich schon ein Stück hinter der „Isabella“. Der Balken schwamm hinter ihm her, verfing sich dann aber am Ruderblatt und drehte sich im Kreis, von der Flut immer wieder herumgedrückt. Instinktiv versuchte er zu schwimmen. Es ging nicht. Sein ganzer Unterkörper war wie gelähmt. Er konnte die Beine nicht bewegen. Er paddelte mit den Händen, um sich über Wasser zu halten, und da drang noch einmal ein Schwall Themsewasser in seine Lungen. Der Seewolf hustete und spuckte. Der Schmerz zuckte in Intervallen durch seinen Körper.
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Niemand schenkte ihm Beachtung, als er weitertrieb, ein hilfloser Mann, der die Beine nicht bewegen konnte, der wie gelähmt war. Aber er sah noch, was sich auf dem Kai abspielte. Da war im Nu der Teufel los. Zwei Festmacher wurden an Land gebracht, ein irrsinniger Schrei brach los, und dann stürmte eine Meute an Land, die wie ein tobender Hurrikan brüllend und wild um sich schlagend zwischen die Artilleristen fuhr. Hasard trieb hilflos weiter. Sein Kopf ragte nur ein kleines Stück aus dem Wasser heraus. Er hatte alle Mühe, sich zu halten. Die Flut zog ihn weiter mit sich fort, und im Abtreiben dachte Hasard nur noch eins: War das jetzt das Ende ihrer großen, abenteuerlichen Fahrt? Hatten sie dafür gekämpft, sich herumgeschlagen und abgeschunden? War das der Dank? Hilflos und von Bitterkeit erfüllt, trieb er weiter. Er hörte das wilde Gebrüll, den Kampfschrei der Seewölfe. „Ar — we — nack!“ hallte es bis zu ihm hin. „Wahnsinn!“ sagte er laut. „Der reinste Wahnsinn! Die schlachten uns im eigenen Land ab.“ Langsam fraß sich das kalte Themsewasser in seinen Körper. Und er konnte sich nicht bewegen. 4. Es war, als erwachten die Seewölfe aus einem fürchterlichen Alptraum. Abrupt blieben sie stehen. Es gab nichts mehr zu kämpfen. Der Tower Kai war mit Menschenleibern übersät. Ab und zu kam einet zu sich, taumelte benommen hoch und verschwand dann unter vielen Flüchen. „Wer sich auch nur einen Schritt bewegt, wird auf der Stelle erschossen!“ hallte eine Stimme über den Kai. Der Towerhauptmann Mark Bromley hatte eine Salve abfeuern lassen, zur Abschreckung. Seine Leute waren
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schändlich verprügelt worden, und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Brighton sah hoch. Neben ihm stand Ferris Tucker. Sie ließen die Belegnägel, Spaken und Fäuste sinken und sahen sich an. Die Tower- und Stadtgarde hatte den Kai von links und rechts abgeriegelt. Ihre Musketen waren auf die blessierten Seewölfe gerichtet, die wie erstarrt dastanden. Erst jetzt, nachdem sich der erste Zorn ausgetobt hatte, ging ihnen auf, was passiert war. Sie hatten sich eine erbitterte Schlacht mit den eigenen Landsleuten geliefert, und diese Landsleute lagen jetzt, zu Krüppeln geschlagen, auf dem Kai. Über Bromleys Gesicht huschte ein zufriedenes Grinsen, als er sah, daß sie seinen Befehl befolgen. Er reckte die Brust heraus und näherte sich den Seewölfen, die ihm finster entgegenblickten. „Die Waffen fallen lassen!“ schrie er. Spaken und Belegnägel polterten zu Boden. „Weg mit dem Haken!“ herrschte er Matt Davies an, der an Stelle des Armes die Prothese mit dem Eisenhaken hatte. „Das ist mein künstlicher Arm, du Blödmann!“ brüllte Matt Davies wütend zurück. Hauptmann Bromley trat noch näher. Mit einem schnellen Blick vergewisserte er sich, daß seine Garde schußbereit dastand. Sie warteten mit harten Gesichtern nur noch auf sein Zeichen. Neben Tucker erhob sich ächzend und stöhnend ein Kanonier. Er stützte sich auf die Hände und wollte sich erheben. Tucker trat ihm in den Hintern. Mit einem langen Seufzer streckte sich der Mann wieder auf dem Pflaster aus. Ben Brighton löste sich aus der Meute heraus. Sein Gesicht war vor Zorn und Wut verzerrt, seine Augen schossen Blitze, als er auf den Hauptmann zutrat. Er musterte ihn so scharf, als wolle er ihm jeden Augenblick an den Hals fahren. Sekundenlang flackerte es in Bromleys Augen angstvoll auf. „Hier, Sir“, fauchte er mit einer Stimme, an der er vor Wut fast erstickte. Sein
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Finger deutete auf die Galeone. „Hiermit melde ich die Rückkehr Ihrer Majestät Schiff, der ‚Isabella V.'. Als Prise in der Karibischen See gekapert, von Leuten die den Teufel nicht fürchten, geführt von dem besten Kapitän, der jemals für Ihre Majestät, die Königin von England, gesegelt ist.“ Seine Stimme hob sich noch mehr, am liebsten hätte er sich auf den Towerhauptmann gestürzt, so erregt war er. „Und auf den Ihre verdammten Scheißkerle geschossen haben, und die Sie befehligen, Sie verfluchter Vollidiot!“ Nach Bens Worten herrschte auf dem Tower Kai eine unnatürliche Stille. Niemand rührte sich. Bromley prallte erschrocken zurück, als ihm die Anklage ins Gesicht geschleudert wurde. Aus weit aufgerissenen Augen sah er Ben Brighton an, der vor ihm stand, breitschultrig, braungebrannt und vor Wut kochend. Und er sah die harten blutverschmierten Gesichter der Seewölfe. Er schluckte trocken und blickte sich irritiert um. „Ich - ich verstehe überhaupt nichts mehr“, sagte er lahm. „Kein Wunder!“ fauchte Ben ihn an. „Sie schießen erst und fragen später. Die Hauptsache, Ihre Hampelmänner können erst mal ihre Kanonen abfeuern. Dann kann man ja immer noch dämliche Fragen stellen. Ich verlange die Königin von England zu sprechen, oder zumindest den Ersten Lordadmiral.“ „Sie sind ja wahnsinnig, Mann!“„ ächzte der Hauptmann. Sein Gesicht, erst weiß und käsig, lief rot an. „Die Königin! Den Lordadmiral! Wer sind Sie, daß Sie solche Forderungen stellen, daß Sie es wagen ...“ Brighton ließ ihn gar nicht erst ausreden. Mit der rechten Hand hieb er wütend durch die Luft.' „Der Kapitän dieser spanischen Galeone ist Philip Hasard Killigrew, der Mann, den Sie vielleicht umgebracht haben. Ich bin der Erste Offizier, Brighton. Wir gehörten dem Verband Kapitän Drakes an, der im Jahre
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1577 aus Plymouth ausgelaufen ist. Kapitän Drake ist seitdem verschollen, wir haben es nach unsäglichen Strapazen geschafft, bis zur Themse hochzusegeln. Und was erwartet uns hier? Ein paar Ochsen, die uns pausenlos unter Feuer nehmen!“ „Francis Drake?“ Bromleys Stimme hing ganz dünn in der Luft. Er wußte selbst nicht mehr, was er von diesen Männern und dem Schiff halten sollte. Waren das nicht Verrückte? Bromley fühlte, wie ihm hier etwas über den Kopf wuchs, das sich immer mehr ausdehnte und Dimensionen annahm, die er allein nicht mehr bewältigen konnte. Diese Kerle hier unter Drakes Kommando? Und jetzt segelten sie die Themse hinauf und stellten Forderungen, nachdem sie die halbe Stadtgarde halbtot geprügelt hatten. Das war doch nicht zu fassen. Bromley griff sich an den Schädel. „Sie glauben mir nicht?“ fragte Ben erbittert. „Fragen Sie die Männer hier und überzeugen Sie sich selbst, was wir an Bord haben. Die Augen werden Ihnen übergehen. Wir haben eine Schatzbeute für Ihre Majestät, wie sie sich niemand vorstellen kann. Es sind unermeßliche Werte, sie lassen sich kaum beschreiben.“ War Bromley vorher schon leicht verunsichert, so wurde er jetzt immer verwirrter. Er schaltete auf stur und flüchtete sich in seinen sicheren Schutz als Hauptmann der Towergarde. „Tut mir leid“, schnarrte er. „Das alles wird sich ja später herausstellen. Ich bin der Towerhauptmann, und in meiner militärischen Eigenschaft komme ich nicht umhin, Sie und Ihre Kerle festnehmen zu lassen.“ „Festnehmen – uns?“ fragte Ben empört. „Aus welchem Grund?“ „Sie haben ganz London in einen Hexenkessel verwandelt, Mister! Sie haben Widerstand geleistet und völlig grundlos meine Leute angegriffen, die nur ihre Pflicht taten. Und Sie haben drei englische Küstensegler mit Ihren Bordkanonen vernichtet. Ehrenwerte Männer haben dabei ihr Leben gelassen. Außerdem sehe
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ich mich gezwungen, Ihr Schiff zu beschlagnahmen.“ Das war der Höhepunkt. Ben schnappte nach Luft, Neben sich hörte er, wie die Männer aufatmeten. Viel hätte nicht gefehlt, und sie hätten sich auf den Hauptmann gestürzt. Nur Bens harter Blick hielt sie noch davor zurück. Brighton stieß ein höhnisches Gelächter aus. „Ehrenwerte Männer, Sir! Sie reißen vielleicht Witze! Einen der ehrenwerten Männer haben wir in der Vorpiek eingesperrt. Er ist zur Besichtigung freigegeben. Der wird Ihnen erklären können, was es mit den drei Küstenseglern auf, sich hatte. Das waren Piraten, Sir, ehrenwerte Themsepiraten und seriöse Mörder, die versucht haben, die Prise Ihrer Majestät zu kapern.“ Bromley griff sich an den Kopf. Er sah verzweifelt aus, aber aus seiner Sturheit riß ihn das nicht heraus. Er wurde nur noch zugeknöpfter und noch sturer. „Ich habe meine Befehle!“ schnarrte er. „Klar, verschanzen Sie sich nur hinter Ihren Befehlen. Und das Schiff wollen Sie beschlagnahmen? Bitte sehr, Sie können den verdammten Kasten haben!“ Ben trat noch einen Schritt weiter vor. Bromley schluckte und wich zurück. Er sah sich nach seinen Leuten um, die sich immer noch nicht rührten. Wie festgemeißelt standen sie da, die Musketen und Hakenbüchsen schußbereit. In der Crew kochte und brodelte es. Die Stimmung strebte einem gefährlichen Höhepunkt entgegen. Brighton ballte die Hände. „Ein herrlicher Empfang“, donnerte er den Hauptmann an. „Ihr sitzt hier auf euren Ärschen und verschanzt euch hinter eurer Sturheit, ihr bornierten Ochsen. Außer dem Tower und dem nächsten Themsebogen habt ihr nichts gesehen. Wir haben gekämpft, um der Krone diesen Schatz bringen zu können, unsere Männer sind gefallen, verwundet, von Haien zerrissen worden. Wir haben drei Jahre harten Kampf gegen die Spanier hinter uns. Aber
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die Spanier waren ein Scheißdreck gegen das, was hier passiert!“ Bromley wich noch weiter zurück. Dieser Mann sah so aus, als würde er jeden Augenblick mit einer fürchterlichen Gewalt explodieren. Ja, er und seine Kerle sahen aus wie harte Kämpfer. Sie sahen nicht nur so aus, sie hatten es eben ja in aller Deutlichkeit unter Beweis gestellt. Immer noch lagen Bewußtlose und Verwundete auf dem Tower Kai herum. „Ferris! Smoky!“ brüllte Ben. „Kommt mit!“ Er ließ den restlos verunsicherten Hauptmann stehen, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte mit Ferris Tucker und Smoky an Bord der „Isabella“. Niemand schoß hinter ihnen her. Keiner sprach ein Wort. Bromley starrte den drei Männern belämmert nach. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rasten sie in die Frachträume hinunter. „Den Halunken werden wir es zeigen!“ schrie Ben, weiß vor Wut. „Dieser dreimal verfluchte Hauptmann! Ich könnte die ganze Welt umbringen.“ Tucker rang hörbar nach Luft. „Wir sollten diesen Bastarden eine Breitseite aufbrummen“, knurrte er, „hier alles in Stücke schießen, die ‚Isabella' nehmen und wieder in die Karibik zurücksegeln. Was hast du vor, Ben?“ „Wir schmeißen ihnen den ganzen Krempel vor die Füße. Los, faßt mit an. Die Kisten mit den Perlen und Diamanten, alle drei!“ Tucker nickte nur. Smoky konnte kein Wort sagen, er spürte nur, wie ihm immer wieder die Galle hochstieg und er würgen mußte, um nicht an all dem Ärger zu ersticken. Die Kisten waren schwer, sehr schwer sogar. Aber in ihrer Wut hoben die Männer sie an, stemmten sie auf Deck, als ob sie kaum Gewicht hätten. Wie drei Irre benahmen sie sich und wuchteten die Kisten an den Tower Kai. „Heb hoch, Ferris!“ brüllte Ben. Sie griffen zu, jeder auf einer Seite, packten die schweren Schatztruhen mit den
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eisernen Beschlägen und stemmten sie hoch über ihre Köpfe. Ganz London schien in dieser Sekunde den Atem anzuhalten. Es war, als befände sich kein Mensch um sie herum. Die Stille war geisterhaft am Tower Kai. „Runter damit!“ befahl Ben. Die erste Schatztruhe knallte mit aller Wucht auf das Pflaster und zerbarst splitternd. Was sich dann über das Pflaster des Kais ergoß, hatte noch niemand gesehen. Es war einmalig. Ein ganzer Regen schimmernder Perlen, Diamanten und goldener Schmuckstücke brach wie eine Flut aus der zertrümmerten Truhe und ergoß sich, nach allen Seiten fließend, über den Kai. Tucker begann dröhnend zu lachen. Es klang wie das verzweifelte Gelächter eines Wahnsinnigen. Sofort stürmte er los, holte mit Ben die zweite Kiste und warf sie voller Wut auf das Pflaster. Auch sie zerplatzte und ihr Inhalt, wertvoller Goldschmuck, mattschimmernde, erbsengroße Perlen und funkelnde Diamanten, ergoß sich nach allen Seiten. „Hier ist die Beute für die Königin!“ schrie Ben. „Hier sind die Schätze aus der Neuen Welt. Wir haben noch mehr davon!“ Die dritte Kiste zerplatzte. Sintflutartig ergoß es sich wiederum in alle Richtungen. Die drei Männer standen in den Perlen, dem Schmuck, den Diamanten, grölten und traten um sich. Bromley starrte mit hervorquellenden Augen auf die unschätzbaren Werte, die sich über das schmutzige Pflaster verteilten. Unfähig sich zu rühren, so stand er da, starrte nur immer wieder die Perlen an, dann die Männer, die hohnlachend in der goldenen Flut standen, und er begriff gar nichts mehr. Die Garde war erstarrt. Neugierige sperrten die Mäuler auf. Das hatte London noch nicht erlebt, das hatte es noch nie gegeben. In die bewegungslos dastehenden Seewölfe geriet urplötzlich Leben. Sie begriffen, was Ben, Ferris und Smoky da demonstrierten. Irgendwie mußten sie ihre Wut
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abreagieren. Sie mußte sich entladen, und wenn es noch so unsinnig war. „Sollen sie doch den Scheißdreck haben!“ rief Dan. „Sollen sie doch sehen, was los ist! Los, wir holen das andere Zeug auch noch!“ Angesichts der glitzernden Pracht war alles wie gelähmt. Niemand hielt die Seewölfe auf, als sie mit einem irren Gebrüll auf ihr Schiff stürzten. Und dann ging es erst richtig los! Die Schlägerei, die sie vorhin entfesselt hatten, krönten sie nun, indem sie in die Laderäume rasten. Dort wurde Kiste um Kiste in fieberhafter Eile nach oben gehievt. Sie schienen tausend Hände zu haben, die Seewölfe. Ein Rausch hatte sie gepackt. „Jawohl!“ brüllte Dan O'Flynn und drohte mit der Faust. „Drei Jahre gegen die Dons, gegen Stürme und Piraten, das war gar nichts gegen diesen Empfang. Hoch mit den Kisten!“ Eine nach der anderen zerplatzte unter ohrenbetäubendem Knallen auf dem Pflaster. Eine Horde wild brüllender, um sich schlagender, tobender und irr lachender Männer wälzte sich in dem Schmuck, trat mit den Stiefeln darin herum, feuerte Truhe um Truhe auf den Kai, schlug alles kaputt, zerfetzte die Kisten bis auf die letzte. Sie warfen Gold- und Silberbarren hinterher, trampelten auf dem Zeug herum, schrien und tobten bis zur Erschöpfung. Der Kutscher brüllte „Arwenack“„ die anderen fielen ein. Dan O'Flynn warf mit Goldbarren um sich, flitzte wieder in die Frachträume, holte auch noch den allerletzten Rest heraus und knallte ihn in den riesigen Haufen Perlen und Diamanten hinein. Dann faßten sie sich bei den Händen, grölten, tanzten um den riesigen Haufen herum, schlugen sich auf die Schenkel und wollten sich halbtot lachen. „Seht euch diese Blödiane an!“ schrie der Kutscher mit überkippender Stimme. „Seht diese Idioten! So was haben die noch nie gesehen. Und uns wollen diese Arschlöcher festnehmen, unser Schiff
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wollen sie beschlagnahmen, diese verdammten Hurensöhne! Das ist ein Empfang, genauso haben wir ihn verdient!“ Er trat mit den Stiefeln in der funkelnden Pracht herum, griff nach unten, riß Hände voller Perlen hoch. Hohnlachend schüttete er sie über seinen Kopf, badete darin. Die anderen taten es ihm nach. Sie bewarfen sich gegenseitig. Demütigungen, Scham und Erniedrigung hatten sie hier in der Heimat erdulden müssen. Jetzt rächten sie sich auf ihre Art, indem sie ganz England die Beute harter Jahre vor die Füße warfen. Als sie sich ausgetobt hatten, klang der Rausch ab. Ein leeres Gefühl blieb in ihnen zurück. Die Schmach“ die sie erlitten hatten, brannte sich in ihre Seelen. Verächtlich spuckten sie vor der Stadt- und Towergarde aus, als die sich endlich aus ihrer Erstarrung lösten und die Musketen auf sie richteten. Bromley rückte näher. Seine Augen glitzerten. Er starrte diesen unermeßlichen Reichtum an und konnte nicht verhindern, daß die Gier immer mächtiger in seinen Augen aufloderte. „Verhaftet sie!“ befahl er seinen Leuten. „Und dann ab in den Tower mit den Kerlen!“ „Und vergiß Noah Buckle in der Vorpiek nicht!“ höhnte Ben. „Den ehrenwerten Herrn Lotsen, dem wir drei Schiffe in Grund und Boden geschossen haben.“ Die Crew ließ sich widerstandslos festnehmen. Sie alle hatten die Schnauze voll. Alles' um sie herum kotzte sie an. Wenn ihr Lohn für Treue, Tapferkeit und Mut darin bestand, daß sie in den Tower gesperrt wurden, dann hatte es auch keinen Zweck mehr, noch weiterzukämpfen. Ihre Freiheit? Sie waren längst nicht mehr frei, seit sie England erreicht hatten. Frei waren sie in der Karibik, draußen auf dem Meer, bei Wind und Wetter. Ihr Lohn? Sie erhielten ihn gerade ausgezahlt. Verbittert und restlos enttäuscht ließen sie sich abführen. Die Köpfe gesenkt, marschierten sie vor den Bewaffneten her. Sie fühlten nur noch
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tiefe Erniedrigung — und die Musketenläufe, die man ihnen ins Kreuz drückte. Sie holten auch den zitternden Noah Buckle aus der Vorpiek und führten ihn ab, um ihn in eine Einzelzelle zu bringen. Aber selbst das interessierte sie nicht mehr. Das Feuer in ihnen schien erloschen. Die große Flamme war heruntergebrannt. Zurück blieb nur noch ein Haufen Asche. Die Köpfe tief gesenkt, marschierten sie ins Tower-Gefängnis. 5. Die Flut hatte den Seewolf bis südlich der Westminster Abbey getragen. Immer wieder war er drauf und dran gewesen, erbärmlich zu ersaufen, weil er seine Beine nicht mehr spürte. Mit den Händen hatte er gepaddelt, um sich halten zu können. Jetzt kroch er am Ufer hoch. Sein Körper war tot und kalt. Er war restlos erschöpft. In seinem Inneren war auch alles leer und kalt. Etwas in ihm war gestorben, ausgebrannt, erloschen. Er gab sich keinen Illusionen mehr hin. Eine knappe halbe Stunde blieb er an der Uferböschung liegen, bis er sich einigermaßen wieder erholt hatte. Was mochte inzwischen mit seinen Männern geschehen sein? Die Sorge um sie und ihr Schicksal gab ihm neue Kräfte und trieb ihn wieder an. Um ihn herum gab es keine Menschen. Was auf den Beinen war, hatte sich in der Nähe des Tower Kai versammelt. Er schlich durch die leeren Straßen. Die Kälte setzte ihm zu, seine Zähne schlugen aufeinander. Seine Klamotten tropften, und in seinen Beinen fühlte er kaum etwas. Sie erschienen ihm wie zwei Klumpen Blei, die er mitschleppen mußte. Er brauchte nochmals eine halbe Stunde, bis er die Gegend um den Tower Kai erreicht hatte. Er lehnte sich an eine Hauswand, atmete tief durch und preßte mit den Händen Themsewasser aus seiner Kleidung, die sich schwer anfühlte und klatschnaß war.
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Er gelangte bis an die Menschenmenge heran, ohne daß ihn jemand beachtete. Alle Augen blickten gebannt auf das, was sich da am Tower Kai abspielte. Hasard versetzte es einen schmerzhaften Stich. Er mußte an sich halten, um nicht laut aufzuschreien. Da gingen sie, seine Männer. Die Gesichter grau, ausdruckslos, eingefallen. Sie wirkten um Jahre gealtert, alte Männer, gebeugte Gestalten, nicht mehr die wilden, verwegenen Seewölfe. Sie hatten resigniert. Hasard preßte die Lippen zusammen. Tucker und Brighton marschierten an der Spitze des traurigen Zuges, Musketenläufe im Kreuz, Da ging Den O'Flynn mit einem Gesicht, als müßte er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Matt Davies, Stenmark, Ballie, der Kutscher, Smoky, Morgan, Buchanan, die anderen. Verquollene, zerschlagene Gesichter, hängende Köpfe, so gingen sie vor der Stadtgarde her. Dem Seewolf zerriß es vor Qual fast das Herz, als er diese traurige, geschlagene, an Leib und Seele geschundene Mannschaft sah. Regungslos, mit hängenden Armen, blieb er stehen. Sein Blick verschleierte sich, als die Männer in den Tower geführt wurden und aus seinem Gesichtskreis verschwanden. Er drängte sich durch die Menge, die schweigend dastand, die automatisch Platz machte, ohne ihn zu beachten. Er wollte sich einen Überblick verschaffen. Die Gaffer ließen ihn durch, spürten nicht seine nasse Kleidung, mit der er sie streifte. Er registrierte alles, was um ihn herum vorging, nichts, keine Einzelheit entging ihm, obwohl er mit seinen Gedanken bei den Männern war, die hinter der dicken Mauer verschwunden waren. Auf dem Kai glitzerte und funkelte s in unvorstellbarer Pracht. Dort häuften sich Goldbarren, Perlen, Edelsteine, Diamanten, zerschlagene und noch heile Kisten. Dort
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lag Goldschmuck in einem wüsten Durcheinander herum. Die Stadtgarde hatte den gesamten Kai abgesperrt. Und die Menschenmenge an der Südzufahrt hatte so gierige Augen, daß sich die angehäuften Schätze darin widerspiegelten. Sein Blick suchte die „Isabella“, wanderte am Rumpf entlang, um an dem goldenen Anker hängenzubleiben. Dieser Anker bestand aus purem Gold, ein spanischer Kapitän hatte ihn nach Hause schmuggeln wollen, und damit er nicht auffiel, hatte das alte Schlitzohr ihn mit einem Bleiüberzug versehen. Kein Mensch wäre auf den Gedanken verfallen, daß der Anker aus reinem Gold war. Durch den Bleiüberzug und den Teeranstrich sah er aus wie jeder andere Anker auch. Hasard registrierte das alles kühl und sachlich, ohne jede innere Anteilnahme. In seinem Innern blieb alles kalt und leer. Was bedeuteten schon alle Schätze der Welt, wenn seine Crew gefangen im Tower saß? Die Sorge um sie nagte und fraß in seiner Seele. Wie hatten sie sich das alles vorgestellt, und was war jetzt daraus geworden? Hier wollten sie den goldenen Anker einschließlich der anderen kostbaren Schätze der Königin vor die Füße legen. Hier in London sollte das alles geschehen — und jetzt? Jetzt stapelte sich die gewaltige und unschätzbare Beute auf dem Kai, den lüsternen Augen aller preisgegeben. Und wie ihre Augen daran hingen! Gier stand darin, wenn sie gekonnt hätten, würde jeder soviel an sich raffen, wie es nur ging. Hasards Lippen verzogen sich verächtlich. Hatte er zuviel gewagt? Er versuchte, den pausenlosen Ansturm der Gefühle besser zu kontrollieren. Er mußte einen kühlen Kopf bewahren, sich konzentrieren. Kühl und sachlich schätzte er seine Lage ein. Die Chancen standen schlecht. Er grübelte noch darüber nach, was er wohl falsch angepackt haben mochte, aber ihm fiel nichts ein. Er hatte das getan, was in seinen Kräften stand - und noch mehr. Manch
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anderer hätte diese Strapazen nicht auf sich genommen. Er schrak aus seinen Gedanken, als die Männer der Garde daran gingen, die ersten Kisten hinter die Mauern des Tower zu schleppen. In Sicherheit? Oder würden sich die ersten dreckigen Finger bereits gierig nach, den Schätzen ausstrecken? So kühl und sachlich er auch blieb, der Gedanke ärgerte ihn immer mehr. Dafür hatten sie gekämpft, sich geopfert, unvorstellbare Strapazen auf sich genommen, die Spanier überlistet, gegen Piraten wie Caligu gekämpft, sich mit Kannibalen herumgeschlagen, mit Sträflingen, mit gierigen Haien! Nur, um diese Schande zu erleben? Drei lange Jahre, eine Zeit voller Stürme, SchiffsUntergängen, verlorenen Kameraden. Stück für Stück hatten sie erbeutet, den Spaniern abgerungen - und das war die traurige Bilanz: der Dank des Vaterlandes war ihnen gewiß, wie man sie jetzt eingesperrt hatte, und wie man ihnen' vielleicht noch den Prozeß machen würde. Hasard biß sich in ohnmächtiger Verzweiflung auf die Unterlippe. Nein, das war nicht gerecht! Das war eine Schande für ganz England, eine schmähliche Niederlage für seine tapfere Mannschaft. Das hielt kein Mann aus, der noch einen Funken Ehre im Leib hatte. Das war weitaus schlimmer als das erbärmliche Schicksal eines Galeerensträflings. Ich werde euch da 'rausholen, dachte er. Dafür stehe ich mit meinem Wort ein, und wenn ich den ganzen verdammten Tower einschließlich der Stadtgarde in die Luft sprengen muß. Das lassen wir uns nicht bieten, so wahr man mich den Seewolf nennt! Er wollte sich abwenden, als ihm ein schmächtiger Mann mit Ziegenbart den Weg verstellte. Sein Gesicht war vor Haß verzerrt, er schrie und geiferte vor Wut, als er Hasard anblickte. Den Seewolf traf fast der Schlag. Baldwyn Keymis, der Friedensrichter und Intrigant! Der Kerl, der ständig gegen sie intrigiert hatte. Er wollte etwas sagen, doch da
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geiferte der Schmächtige los, als sei er von Sinnen. „Spion! Verräter!“ kreischte er mit überkippender Stimme. „Ein Mörder. Haltet den Kerl fest, er ist ein Verräter!“ Die Menge schien zu erstarren. 6. Hasard hatte von hinterhältigen Typen, Intriganten, Verschwörern und Lumpen genug. Für ihn war das Maß voll. Er sah das geifernde Gesicht vor sich, diese Fratze mit dem Ziegenbart, den Kerl, der aus einer geballten Ladung Haß und Gift und Galle bestand. Eiskalt und mit beherrschter Wut schlug er blitzschnell zu. Zweimal kurz hintereinander knallten dem Ziegenbart Hasards eisenharte Fäuste ins Gesicht. Keymis überschlug sich halb in der Luft und landete gurgelnd und stöhnend auf den Katzenköpfen. Hasard kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er mußte raus aus dieser Menschenmenge, so schnell wie möglich. Bevor sie reagierte, bahnte er sich mit den Ellenbogen einen Weg zurück. Er drückte die Menge beiseite, schob, stoß und trat und warf einen Mann um, der ihm den Weg verstellte. Hinter sich hörte er Keymis schreien, diesen widerlichen Halunken, dem der Seewolf schon mehrmals seine Pläne durchkreuzt hatte. Die Stimme gellte und geiferte durch die Menge. „Das war ein spanischer Spion, Leute!” schrie er hysterisch. „Ein Verräter und Mörder. Ein spanischer Spion!“ Die Leute, die sich gegenseitig auf die Füße traten und sich behinderten, gerieten in Bewegung. Ein spanischer Spion? Das war der zündende Funke. Ein paar drehten durch, rannten los, kreischten wie verrückt. „Dort vorn läuft er, der Spion!“ „Haltet den Mörder fest!“ „Holt die Polizei!“ Das war Keymis' Stimme. Dem Seewolf blieb nichts erspart. Er hetzte weiter, fluchend, obwohl seine Beine sich
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immer noch lahm anfühlten. Zum Glück war die Stadt wie ausgestorben, weil der größte Teil sich beim Tower versammelt hatte. Das war seine Chance, vielleicht konnte er ihnen noch einmal entwischen. Hinter ihm war Bewegung, unentwegt wurde nach der Polizei gebrüllt. Menschen stürmten hinter ihm her. Hasard lief in eine schmale Gasse. Dicht an dicht gebaute Häuser standen hier, weitere verwinkelte Gassen zweigten ab. Er hielt sich weiter nach links, flankte über einen Holzzaun und durchquerte einen Hinterhof voller Gerümpel. Ein angeketteter Köter kläffte ihm aufgeregt nach. Er blieb stehen und sah sich um. Nein, noch war die Meute nicht da, aber es konnte nicht mehr lange dauern. Hastig schwang er sich auf einen niedrigen Dachrand, kroch geduckt die Dachschräge hinauf und entdeckte in den verschachtelten Dächern ein ideales Versteck. Dorthin würden sie ihm nicht so schnell folgen, dachte er. Zwischen zwei Kaminen verbarg er sich und spähte nach unten. Das Geschrei nach der Polizei war immer noch nicht verebbt. Er hörte die Volksmeute durch die Gassen trampeln. Vorsichtig ließ er sich nieder, den Rücken gegen den einen Schlot gelehnt, die Beine leicht ausgestreckt nach dem anderen. Wohltuende Wärme breitete sich auf seinem Rücken aus, die Sohlen seiner Stiefel erwärmten sich ebenfalls langsam. Er lehnte auch den Kopf an und wärmte sich von der Hitze, die aus irgendwelchen beheizten Wohnräumen unter ihm aufstieg. Nach und nach begann seine Kleidung zu trocknen. Über London legten sich die ersten Schleier der Dämmerung. Ab und zu, wenn er den Kopf vorstreckte, sah er sie als undeutliche Schemen durch die Gassen huschen. Polizisten, Stadtgarde, Bürgerwehr, alles war auf den Beinen, alle suchten in der Umgebung des Towers die verwinkelten Gassen nach ihm ab. Nach
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ihm, dem spanischen Spion, dem Verräter und Mörder. Wenn es nicht bitterer Ernst gewesen wäre, hätte er gelacht. So aber lehnte er sich nur zurück, schloß die Augen und dachte nach. Es waren keine guten Gedanken, die durch seinen Kopf gingen. Nur die Erinnerung war gut, die Vergangenheit. Die Gegenwart war scheußlich, hart und grausam. Und wenn er an seine Crew dachte, überfiel ihn ein Frösteln, das seinen ganzen Körper durchschüttelte. 7. Kurz vor Mitternacht hatte er sein Versteck verlassen. Längst war der Lärm in den Gassen abgeflaut, die Sucher hatten aufgegeben. Hasard hatte sich bis an die hohe Westmauer des Tower herangeschlichen. Im Schutz der Dunkelheit hatte ihn niemand bemerkt. Seine Kleidung war noch immer etwas klamm und zerknittert. Am Kai marschierten sie auf und ab. Soldaten der Garde, die die „Isabella“ bewachten und ihre Runden gingen. Hasard sah sie nur als verzerrte Schatten. Seine Augen brannten, als er die stolze Galeone sah. Seine „Isabella“, die ihm jetzt nicht mehr gehörte, die sie ihm abgenommen hatten. Deutlich hoben sich ihre Umrisse ab. Der Seewolf schluckte hart, als er daran dachte, was sie alle mit diesem Schiff verband. Jetzt war der Traum ausgeträumt, die stolzen, unbesiegbaren Seewölfe hockten in den kalten Verliesen des Tower, geschlagen, gedemütigt, in ihrer Menschenwürde verletzt und erniedrigt. Der Seewolf ballte die Hände zu Fäusten. Sein Plan stand fest. Er hatte auf dem Dach Zeit zum Überlegen gehabt. Vorsichtig, ohne ein Geräusch zu verursachen, schlich er weiter zum Ufer der Themse. Ein letzter Blick galt der „Isabella“. An Bord war alles dunkel, kein Licht brannte. Er hörte die Soldaten miteinander reden. Der leichte Wind trug Wortfetzen zu ihm
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hin, die keinen Sinn ergaben, Bruchstücke einer Unterhaltung. Sichernd blickte er sich nach allen Seiten um, ehe er sich vorsichtig in das kalte Wasser gleiten ließ. Sofort drang Kälte durch seine noch nicht ganz trockene Kleidung. Es war wie ein Schock. Er biß die Zähne zusammen und schüttelte sich. Ganz langsam trug ihn der Ebbstrom fort– zum Schiff. Die Schwimmbewegungen die ihn an die Bordwand trugen, waren so vorsichtig und leise, daß ihn niemand hörte. Er fühlte das harte Eichenholz an seinen tastenden Händen, spürte die Beplankung, griff nach dem Ruderblatt und hielt sich fest. Sanft aber stetig zog der Ebbstrom an seinem Körper. Hasard vermutete, daß sich mindestens ein Posten an Bord befand. Er durfte kein Geräusch verursachen, wenn er den Kerl nicht alarmieren wollte. Unendlich langsam zog er sich am Heck hoch, an der Steuerbordseite. Seine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt. Das Aufentern fiel ihm schwer. Seine Hände waren kalt und klamm, die schwere, nasse Kleidung behinderte ihn. Er spannte alle Muskeln an, bis sein Körper sich verkrampfte. Auf der Achtergalerie kauerte er sich zusammen und blickte über das Schiff. Den Mann entdeckte er gleich. Er hockte in kauernder Stellung am Steuerbordschanzkleid, den Kopf auf die Brust gesenkt. Er schlief. Hasard vernahm leise Schritte. Ein weiterer Posten befand sich an Bord. Er mußte auf dem Vorschiff gewesen sein und dort reglos verharrt haben. Jetzt ging er in die Kuhl hinunter. Hatte er ihn bemerkt? Oder hatte er ein Geräusch vernommen? Der Posten ging weiter durch die Kuhl, bis dicht an die Stufen, die zum Achterkastell hinaufführten. Schon wollte Hasard sich auf den Mann stürzen, da drehte der Posten sich wieder um und ging zurück. In der Kuhl marschierte er dann auf und ab, hin und
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zurück. Die beiden wechselten sich anscheinend ständig ab. Wenn der eine pennte, drehte der andere seine Runden, wachte der auf, konnte der andere sich ausruhen. Er wartete, bis der Posten wieder den Weg zum Vordeck nahm und ihm den Rücken zuwandte. Den kurzen Augenblick nutzte Hasard aus. Er kannte sich auf seinem Schiff aus. Er hätte in totaler Finsternis alles und jedes auf Anhieb gefunden, was er suchte. Lautlos drang er ins Achterkastell ein. Den Niedergang hinunter, den kurzen Gang entlang, bis er vor seiner Kammer stand. Zufrieden stellte er fest, daß sie nicht verschlossen war. Vermutlich hatte auch niemand diesen Raum betreten. Er zog sich ganz aus, rieb dann seinen Körper trocken, bis er brannte, und holte sich frische Kleidung aus dem Schrank. Er verursachte kein Geräusch dabei, niemand hörte ihn. Hasard wählte warme Kleidung, denn noch immer hatte er sich nicht so richtig von der Kälte erholt. Aus der Rumflasche nahm er einen kräftigen Zug, bis der Alkohol wie Feuer durch alle seine Glieder rann. Den Hunger, den er verspürte, unterdrückte er. Etwas zu essen fand er nur im Vorschiff, und den Weg dorthin wollte er jetzt nicht riskieren. Nachdem er sich einigermaßen wohl fühlte, beschäftigte er sich mit der doppelschüssigen Reiterpistole. Sehr sorgfältig lud und prüfte er sie, nahm dann Pulver und Kugeln, dazu ein Messer mit breiter Klinge und steckte alles ein. Jetzt war er bereit, seinen gefaßten Plan in die Tat umzusetzen. Und wenn über London die Hölle aufbrach, ihm war es egal. Er ließ sich nicht länger demütigen und jagen, er ließ es nicht zu, daß seine rauhen Gesellen im Tower hockten, daß sie vielleicht ausgepeitscht oder gefoltert wurden, statt daß man sie mit Achtung behandelte, daß man ihnen den Lohn für ihre Kämpfe zahlte, den sie sich redlich verdient hatten. Er schlich übers Achterkastell, nachdem er die Tür hinter sich nur angelehnt hatte. Ein
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Blick zur Tower Pier belehrte ihn darüber, daß auch hier die Posten nicht schliefen. Zwar waren sie etwas von dem Schiff entfernt, aber unnötige Geräusche durfte er nicht verursachen, wenn sie nicht hellhörig werden sollten. Lautlos stieg er die Stufen hinunter, lehnte sich hinter der Nagelbank an die Taue und wartete. Nicht einmal ein Schatten war von ihm zu sehen. Der Posten drehte am Ende der Kuhl um und kehrte wieder zurück. Der andere pennte immer noch. Hasard ließ ihn heran, bis er an der Nagelbank vorbei war. Da sprang er einen Schritt vor. Mit dem harten Griff der Reiterpistole schlug er einmal kräftig zu. Der Posten gab keinen Mucks von sich, er sank nur schlaff zusammen. Hasard fing ihn auf und hielt ihn fest, damit es keine Fallgeräusche gab. Erst dann ließ er den Mann langsam auf die Planken gleiten. Da hörte er ein trockenes Geräusch. Blitzschnell drehte er sich um. Der andere Posten! Aber der lag bereits lang ausgestreckt an Deck und rührte sich zu Hasards Verwunderung nicht mehr. Und dann fegte etwas durch die Kuhl und sprang ihn an. Ein dunkler Schatten. Haarige Arme legten sich um seinen Hals. Arwenack! Der Seewolf war gerührt. Seine Arme legten sich um den haarigen Gesellen und drückten ihn liebevoll. Es war, als wüßte der Schimpanse genau, was hier vorging. Er keckerte nicht, er blieb ganz still, aber er zappelte vor Freude und wollte auf dem Deck hin und her springen, um seine Freude zu bekunden, daß er endlich einen der Crew wieder gefunden hatte. Hasard legte ihm die Hand auf den Mund. „Ganz ruhig bleiben, alter Junge, ganz ruhig“, raunte er dicht an seinem Ohr. Arwenack verstand ihn. Seine flinken Hände fuhren dem Seewolf durch die schwarzen Haare, immer wieder patschten sie über sein Gesicht, kraulten ihn. Den armen Kerl hatten sie total vergessen, dachte Hasard. Als das große Theater
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losging, hatte er sich oben im Hauptmars versteckt und sich nicht mehr blicken lassen. Niemand hatte sich mit dem Schimpansen befassen können, denn von einer Sekunde zur anderen war der Teufel los gewesen. Hasard mußte sich jetzt erst um den langausgestreckten Schläfer kümmern. Er beugte sich zu ihm hinunter, bereit zum Zuschlagen. Neben dem Mann lag ein Belegnagel an Deck. Hasard schüttelte erstaunt den Kopf, denn daß der Posten sich den Belegnagel nicht selbst auf den Schädel geschlagen hatte, war ihm klar. Sollte Arwenack? Er sah den Affen an und konnte es kaum glauben, obwohl der Schimpanse mitunter direkt menschlich reagierte. Natürlich, es gab keine andere Lösung. Arwenack hatte Hasard erkannt, instinktiv hatte er gespürt, was hier vorging. Und als Hasard den ersten Posten ausgeschaltet hatte, war der Affe herangesaust, hatte sich einen Belegnagel gegriffen und ihn dem Schlafenden auf den Schädel geschmettert. Mehr als hundert Male hatte er es den Männern abgeguckt. Bei Prügeleien, bei Angriffen, beim Entern. Hasard wußte, daß die Affen die Menschen gern kopierten, ihnen nacheiferten und alles das taten, was auch ein Mensch tat. Und Arwenack war ein gelehriger Schüler. „Prächtig gemacht“, raunte er, und zum erstenmal nach langer Zeit huschte ein leichtes Grinsen über sein Gesicht. Mit einem Tau verschnürte er den Burschen, den Arwenack ins Reich der Träume geschickt hatte, so fest, daß er sich nicht mehr rühren konnte, wenn er wieder aufwachte. Dann schleppte er ihn nach vorn, unter Deck in den Gang, der zur Vorpiek führte. Und damit der Kerl später nicht schreien konnte, verpaßte der Seewolf ihm noch einen Knebel, einen alten Lappen aus der Kombüse, den er ihm zwischen die Zähne stopfte und festband. Der Kerl war versorgt. Hasard ging ein paar Schritte weiter zur Vorpiek, wo Noah Buckle eingesperrt war.
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Der Riegel lag nicht mehr vor, das Schott war angelehnt, wie er feststellte. Entkommen war der alte Gauner nicht, folglich hatten sie ihn also auch mitgenommen und in den Tower gesperrt. Der war auch der einzige, der es verdient hatte, dachte Hasard, der sollte so lange im Tower hocken, bis er schwarz wurde: Arwenack folgte ihm auf Schritt und Tritt, und Hasard mußte ihm immer wieder gut zureden. Der Affe spürte, daß er hierbleiben mußte, und er war traurig darüber. „Du wirst sie alle bald wiedersehen“, murmelte der Seewolf. Er strich dem Schimpansen die Segeltuchjacke glatt, die er wegen der Kälte trug, holte ihm ein paar Früchte aus des Kutschers Vorräten in der Kombüse und sah noch einmal nach dem Posten, der unverändert im Gang lag. Dann beschäftigte er sich mit dem zweiten Mann. Jetzt konnte der Teufelstanz beginnen. 8. Ein paar Minuten später kam der Mann zu sich. Er wollte sich aufrichten und ächzte leise dabei. Seine fürchterlichen Kopfschmerzen verschwanden schlagartig, als er das Gesicht vor sich und die doppelläufige Pistole sah, die auf seinen Schädel zielte. Der Mond beleuchtete dieses Gesicht für Augenblicke, und dem erwachten Posten schien es, als habe er nie ein schrecklicheres Gesicht als dieses gesehen. Er starrte in eisblaue Augen, in denen eine unglaubliche Härte stand, in harte Züge, die kein Erbarmen kannten, in ein kantiges, entschlossenes Gesicht, und damit wußte er, daß dieser Mann von einem unbezwingbaren Willen beseelt und zum Äußersten entschlossen war. Ja, er würde töten, wenn man ihm nicht gehorchte, bedingungslos, ohne jeglichen Kompromiß. Die Angst fraß ihn fast auf, er stöhnte unterdrückt, wagte aber nicht, sich weiter zu bewegen. Er war so leicht nicht
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einzuschüchtern, doch diesmal hatte er nackte, erbärmliche Angst. Der Teufel persönlich schien vor ihm zu stehen, und seine Stimme klang wie das Prasseln des Fegefeuers. „Steh auf, du Bastard!“ befahl Hasard kalt. „Schrei nicht, oder ich jage dir auf der Stelle beide Kugeln durch den Schädel. Hast du das kapiert?“ „Ja“, sagte der Posten zähneklappernd. Mehr brachte er nicht heraus. Schwerfällig stand er auf, und immer, wenn er in die eisblauen Augen sah, spürte er hautnah den Sensenmann neben sich. Er zitterte am ganzen Körper. „Wie heißt der Towerhauptmann?“ fragte Hasard. „Bromley, Sir, Mark Bromley.“ Die Antwort flitzte nur so aus ihm heraus. „Sehr schön, Bromley heißt das Schwein also. Du wirst mich jetzt zu ihm führen, auf der Stelle, klar?“ „Sofort, Sir. Aber am Kai stehen Wachen.“ „Die sollen mich nicht kümmern, ich habe ja dich als Geisel. Wenn die auf dumme Gedanken verfallen, dann fliegt dein Gehirn bis zum anderen Ufer der Themse. Wie ein grauer Spatz wird es aus deinem Schädel fliegen, mein Freund, und du kennst dann nicht mal mehr deinen eigenen Namen. Auch kapiert?“ „Ich tue alles, was Sie wollen, Sir. Sie müssen der Seewolf sein.“ „Ich bin es auch“, erklärte Hasard ruhig. „Und ich werde jetzt ganz London meine Zähne zeigen. Bei deinem stinkenden Hauptmann fangen wir an. Also los!“ Arwenack unternahm noch einen letzten Versuch, sich von Bord zu schleichen und hinter Hasard herzulaufen. Aber der Seewolf sagte nur ein paar Worte, dann verzog Arwenack sich in den Großmars. „Du gehst vor mir her und führst mich auf dem kürzesten Weg direkt zu Bromley. Wenn er nicht in der Wachstube ist, dann bringst du mich in sein Zimmer!“ „Alles, was Sie wollen, Sir!“ Hasard dirigierte seine Geisel über Bord, bis sie auf dem Kai standen. Die Pistole drückte er dem Posten in den Rücken.
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Zwei der anderen Posten wurden sofort aufmerksam, als sie die beiden Männer über den Kai gehen sahen. Sie traten näher heran. Die Wolkenfetzen am Himmel gaben das Mondlicht frei, und so konnten sie jede Einzelheit erkennen. „Wer ist da?“ fragte der eine. „Ich bin es“, gab Hasard gelassen zurück. „Und ich gebe euch den guten Rat, kein Geschrei zu veranstalten. Ich habe euren Freund hier als Geisel, und ich drücke ab, wenn ihr nicht pariert!“ Der Mann vor ihm schwitzte Blut und Wasser. Er hob die Muskete leicht an, als er Hasards spöttisches Lachen hörte. „Versucht es nur“, sagte er kalt. „Euer Freund ist dann eine Leiche, und einen von euch nehme ich auch noch mit. Und jetzt geht zur Seite, ihr Helden!“ Widerspruchslos gehorchten die beiden. Dieser wilde, schwarzhaarige Teufel war zu allem entschlossen, ein Kerl, der sofort feuern würde. Sie ließen ihre Musketen sinken, starrten ihm unentschlossen nach und schluckten krampfhaft. Der Kerl nahm sich einfach eine Geisel und spazierte seelenruhig mitten durch die Wache hindurch. Vor soviel unglaublicher Kaltblütigkeit kapitulierten sie. Wie zwei Salzsäulen blieben sie stehen. „Lauter freundliche, nette Leute“, sagte Hasard höhnisch. „Du scheinst hier sehr beliebt zu sein, mein Freund!“ Der „Freund“ zuckte zusammen. Die Worte, lässig dahingesprochen, verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Seewolf schien sich den Teufel darum zu kümmern, ob man hinter ihm herschoß. Der Posten empfand eine unerklärliche Angst vor diesem Mann. Sein Magen krampfte sich zusammen, und er mußte ein paarmal hart schlucken, damit er sich nicht übergab. Niemand hielt sie auf. Da die Seewölfe alle sicher im Tower saßen, glaubte man die Gefahr gebannt. Die Posten unten am Kai genügten. Sie marschierten einen Gang entlang, bogen nach rechts ab zu einer Tür, die in die Wachstube führte. Die Wachstube war leer. Der diensthabende Korporal befand sich wieder
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mal zwei Türen weiter bei einem Schwätzchen. „Bromley hat oben seine Zimmer“, hauchte der Posten. „Er schläft vermutlich schon.“ „Weiter! Wir werden ihn schon wach kriegen“, versprach Hasard. Diese unbestimmte Drohung, die von dem Seewolf ausging, ließ den Mann schon wieder zittern. So ruhig konnte doch kein Mensch bleiben, dachte er immer wieder, das gab es doch gar nicht. Der Seewolf bewies ihm das Gegenteil, eiskalt und stur. Es ging eine Treppe hinauf, an kühlen, dumpf riechenden Mauern vorbei, bis zu einer Tür. „Ohne Anklopfen eintreten!“ befahl Hasard. Eine eiskalte Ruhe war in ihm, eine Ruhe, wie er sie schon lange nicht mehr an sich kannte. In dem Zimmer brannte und blakte eine Ölfunzel, die auf einem niedrigen Tisch stand. Eins der Fenster war leicht geöffnet, kühle Luft drang herein. Hasard befahl dem Posten, den Docht hochzuschrauben. Als er das getan hatte, und es heller in dem Raum wurde, sagte er ausdruckslos: „Setz dich dort auf den Boden und bleibe sitzen!“ Der Posten gehorchte sofort. Selbst wenn Hasard keine Waffe gehabt hätte, er hätte auch dann gehorcht. Diesem wilden Kerl mußte man einfach gehorchen, es ging nicht anders. In einem breiten Bett an der rechten Wandseite lag Bromley und schnarchte vor sich hin. Irgendwie erinnerte er Hasard an Taunton, den Hafenkommandanten von: Sheppy. Auch der hatte dieses dicke, rote Nußknackergesicht, das eckige Kinn und die roten dicken Finger. Hasard hielt die Reiterpistole in der einen Hand. Mit der anderen schlug er Bromley leicht ins Gesicht. Der Hauptmann fuhr mit einem leisen Schrei hoch und setzte sich aufrecht hin. Er riß die Augen auf, schnappte nach Luft und lief knallrot an.
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„Der Seewolf!“ stammelte er, denn er hatte Hasard deutlich gesehen, als der noch auf dem Achterkastell stand. Und sein Name hatte sich in Windeseile herumgesprochen. „Deshalb brauchst du keinen Schlaganfall zu kriegen“, sagte Hasard kalt. „Ich will dir nur kurz die Lage erklären, Hauptmann. Ich habe hier einen Posten als Geisel und dann vor allem dich! Du bist der allererste, den ich umlege, wenn du nicht spurst.“ „Aber ich ...“ Hasard schlug ihm mit dem Handrücken quer über das Gesicht. Bromley fiel mit einem Ächzlaut in die Kissen zurück. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Zitternd lag er im Bett und starrte den Seewolf aus großen Augen an. „Ich habe doch ...“ wimmerte er. Um zu demonstrieren, wer hier das Sagen hatte, schlug Hasard ein zweites Mal zu. „Du hast vor allem die Schnauze zu halten, Hauptmann“, erklärte Hasard mit einer Stimme, die Bromley zusammenzucken ließ. „Die Bedingungen stelle ich allein, und kein anderer.“ Er griff nach einer Sanduhr am Kopfende des Bettes, drehte sie um und ließ sich wieder auf die Bettkante sinken. Die Reiterpistole hielt er Bromley hart ans rechte Ohr. „Diese Sanduhr läuft fünf Minuten, Hauptmann. Wenn sie abgelaufen ist, bist du tot, dann steckt eine Kugel in deinem Kopf. Und innerhalb dieser Zeit sind alle meine Männer hier, jeder, verstanden? Und nun schrei nach deinem Korporal, aber laut, ganz laut! Sieh dir die Sandkörner an! Deine Zeit läuft!“ Bromley verzog sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse. Er starrte auf die Sanduhr, sah, wie der staubfeine Sand rieselte und an seinem Leben nagte. Seine Zähne klapperten, er öffnete den Mund, und dann schrie er so laut, daß es in den Mauern des Tower widerhallte: „Koporal Blake! Korporal Blake!“ Hasard lächelte, nur seine Augen veränderten sich nicht. Die blieben kalt und eisig.
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„Du hast eine wunderbare Stimme, Hauptmann“, lobte' er. „Ruf lieber noch einmal, sieh dir den Sand an!“ Ein Schrei nach dem Korporal Blake brandete erneut durch den Tower. Er mußte bis zum Kai zu hören sein. Hasard blickte auf den Posten. Der hockte immer noch so da, als sei er festgewachsen. Und Bromley lag in den Kissen, peilte immer wieder die Sanduhr an und wimmerte leise. Immer mehr Sekunden tropften von seinem Leben ab und peinigten ihn entsetzlich. „Hoffentlich hast du meine Männer gut behandelt“, sagte der Seewolf gefährlich leise. „Sie werden dich sonst bei lebendigem Leibe rösten, wenn sie kommen.“ Bromley wurde weiß vor Angst. Der Schweiß lief ihm jetzt in Strömen über das Gesicht. Und die Uhr lief immer weiter ab. Da ging die Tür auf, und der Korporal trat ein. Er überblickte die Situation mit einem Schlag. Sein Gesicht verzerrte sich erschreckt. Steif blieb er stehen. „Sag deinen Spruch auf, Bromley!“ forderte Hasard. Bromley haspelte sein Sprüchlein so schnell herunter, daß der Korporal ihn kaum verstand. Seine Worte überschlugen sich vor Angst. „Laß sofort meine Leute frei, Korporal“, sagte Hasard. „Bringe sie alle hierher. Wenn die Uhr abgelaufen ist, stirbt euer Hauptmann, falls die Männer dann noch nicht da sind!“ „Beeilen Sie sich!“ kreischte Bromley. „Er meint es so, wie er es sagt. Los doch, verdammt!“ Der Korporal nickte hastig. Er verschwand wie ein geölter Blitz. Hasard ließ den Dicken weiterschwitzen, der wie ein großer Pudding im Bett lag, die Pistolenmündung dicht am Ohr, als lausche er einer fernen Musik. „Keine Angst, du wirst den Knall nicht hören, Hauptmann. Das geht alles ruckzuck. Die Kugel fliegt durch deinen Schädel und auf der anderen Seite wieder heraus. Hoffentlich gibt es kein Loch in dem schönen Leinentuch!“
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Bromley verlor fast das Bewußtsein. Eine derartige Angst hatte er in seinem Leben noch nie kennengelernt. Mit hervorquellenden Augen lauschte er dem ersten Klingen der Todesmelodie, denn jetzt war die Uhr zur Hälfte abgelaufen. Das Präludium begann, steigerte sich langsam zu einem grellen Crescendo und würde bald das gewaltige Finale einleiten. Und dieser Teufel hockte an seinem Bett und grinste kalt, mit einer Ruhe, wie sie kein Mensch in dieser Lage besitzen konnte. Bromley war schon so gut wie tot, als der letzte Sand nach unten rieselte. Ein winziges Häufchen blieb im Glas stehen. Der Seewolf schnippte lässig mit dem Finger dagegen, der Sand rieselte weiter. Bromley betete und fluchte, er wand sich, wimmerte und keuchte. Da vernahm er Getrappel. Männerstiefel polterten Stufen hoch, den Gang entlang. In diesem Augenblick spannte der Seewolf auch den anderen Hahn. Bromley sank bewußtlos in die Kissen zurück. Angeführt von dem Korporal stürmte die Crew in das Zimmer. Ein wilder Schrei brach sich an den Wänden, ein Freudengeheul ertönte, das Bromley wieder erwachen und angstvoll um sich blicken ließ. Der Raum füllte sich mit Männern, deren Freude keine Grenze mehr kannte. Sie alle jubelten. Ja, das war ein Kerl, ihr Seewolf! Der holte sie allein aus der finstersten Hölle wieder heraus. Der riß dem Teufel die Haare einzeln aus, segelte ihm die Ohren ab, mangelte ihn unter. Gegen den hatte der Teufel keine Chance. „Ihr seid frei, Männer“, sagte Hasard bewegt. „Aber, wie zum Teufel, seht ihr denn aus? Was hat man mit euch gemacht?“ Sie sahen wirklich zerschunden und zerschlagen aus. Aber ihre Augen leuchteten trotz allem, was sie erlitten hatten. Nur langsam konnten sie sich beruhigen, und als ihre Blicke auf Bromley fielen, funkelte Haß in den Augen — und Wut.
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„Dieses Schwein hat uns foltern lassen, Hasard“, berichtete Ben und zeigte mit dem Finger verächtlich auf den Hauptmann, der wie ein Ladestock in seinem Bett lag. Hasard wandte sich Bromley zu, der glasige Augen hatte. „Das wird dir noch leid tun, du Schwein“, sagte er nur. „Weshalb hat man euch gefoltert?“ „Das war die Rache von diesem Mistkerl, weil wir seine Artilleristen zusammengeschlagen haben, als der Schuß losging.“ Hasard drehte sich um und gab Bromley eine Ohrfeige, daß ihm fast der Kopf von den Schultern flog. „Zweitens hat er uns verdächtigt, wir hätten noch Beutegut auf der ‚Isabella' versteckt“, führte Brighton weiter aus. Hasard drehte sich wieder leicht zur Seite. Der nächste Schlag ließ Bromleys Gesicht wie Hefeteig aufquellen. „Und drittens versicherte er uns, eine Folter gehöre ganz automatisch zu jeder Voruntersuchung eines zweifelhaften Falles, wie es unserer angeblich sei.“ Hasard stand auf und holte zum dritten Mal aus. Diesmal zerbrach fast das Bett unter Bromley, als er in den Lattenrost gequetscht wurde. Er schrie nicht mehr, er winselte nur noch wie ein Hund. Ferris Tucker trat einen Schritt vor. Seine rechte Augenbraue war geplatzt, eine Peitsche hatte Striemen in seinem Gesicht hinterlassen. „Ich habe die größten Stiefel an, Hasard“, sagte er. „Und ich habe noch einen Wunsch: Ich möchte diesem Bastard stellvertretend für uns alle einmal in den Arsch treten!“ „Dafür habe ich volles Verständnis“, erwiderte Hasard. Er trat zur Seite und wies auf das Bett. „Bitte, bediene dich, Ferris. Der Tritt ist gestattet! Ich kann mir vorstellen, daß es euch seelisch erleichtert.“ Tucker holte seelenruhig den schlotternden Mann aus dem Bett. Bromley bot in seinen langen Unterhosen keine gute Figur. Den
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Tritt in den Achtersteven nahm er lieber hin als den Schuß in den Schädel. Tucker baute ihn auf, richtete ihn hoch, als sein Kreuz durchsackte und holte dann aus. Und Ferris Tucker hatte verdammt große Stiefel an. Bromley hatte das Gefühl, aus einer riesengroßen Kanone abgefeuert zu werden, einer Kanone, wie sie noch nie gebaut worden war, und in die man mehr als einen Zentner Pulver hineingestopft hatte. Er schoß durch den Raum wie eine Kanonenkugel und bohrte seinen Holzkopf in die gegenüberliegende Wand. Er brauchte lange, bis er wieder zu sich kam. Die Männer grinsten erleichtert. Tucker rieb sich zufrieden die Hände und nickte anerkennend. „Die Zeit drängt, Männer“, sagte Hasard. „Wir haben noch viel zu tun. Ich behalte vorläufig die Kerle als Geiseln hier. Ihr geht jetzt hinunter und sperrt die gesamte Besatzung des Tower in die Kerkerverliese. Verprügelt sie nicht, sperrt sie nur ein. Vier Torwachen ausgenommen, die können auf ihrem Posten bleiben.“ Er wandte sich Al Conroy zu. „Du, Al, suchst die Pulverkammern im Tower. Wenn du sie gefunden hast, die Wachen werden dir gern dabei helfen, legst du eine Lunte aus. Eine andere glimmende Lunte hältst du bereit, bis ich dir den Befehl zum Zünden gebe.“ Conroy grinste seit langem wieder. „Ich weiß, wo die Pulverkammern sind, wir liefen daran vorbei. Und wie geht es weiter?“ „Das wirst du dann schon sehen. Fangt an, Männer! Ben bleibt bei mir, die anderen entwaffnen die Besatzungen. Der Posten wird euch begleiten und die notwendigen Erklärungen abgeben, falls jemand auf dumme Gedanken verfällt.“ Der Posten vom Schiff führte sie, wie es schien, sogar mit der größten Bereitwilligkeit. Er wollte dafür sorgen, daß es ohne Blutvergießen abging, denn diesen wilden Teufeln widerstand ja doch niemand auf die Dauer.
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Dann ging es los, Schlag auf Schlag. Die Wachen wurden entwaffnet und in jene Verliese gesperrt, die die Seewölfe mittlerweile schon zur Genüge kannten. Es gab kaum Widerstand, als sie erfuhren, wie es um sie stand. Zwei, die unbedingt die Heldenrolle spielen wollten, wurden kurzerhand zusammengeschlagen und zu den anderen gesperrt. Vier Wachen blieben vor dem Tor, nachdem Tucker ihnen eingeschärft hatte, wie es weiterging. Conroy und Stenmark hatten die Lunten gelegt. Die riesigen Vorräte, die der Tower beherbergte, reichten aus, um den gesamten Festungskomplex restlos zu Staub zu zerblasen. Etwas später gingen in Bromleys Schlafzimmer die ersten Vollzugsmeldungen ein. Bromley selbst stand an der Wand, ein Häufchen Unglück, ein Nervenbündel, völlig gebrochen. Hinsetzen konnte er sich vorerst nicht mehr, denn Tuckers Stiefel war tatsächlich ein paar Nummern zu groß gewesen. Sein Hintern fühlte sich an wie ein Berg Hackfleisch, das der Metzger gründlich durchgeklopft hatte, von seinem Kopf gar nicht zu sprechen. „So, und nun zu Ihnen, Korporal“, sagte Hasard zu Blake. Er hatte nichts gegen den Mann, er war einer von der Sorte, die wußten, wann sie verloren hatten und dann auch wirklich aufgaben, ohne irgendwelche hinterhältigen Gedanken. „Ich möchte den Lordadmiral, den Schatzkanzler und den Lordkanzler sprechen. Alle drei haben hier im Tower zu erscheinen. Wie Sie die Gentlemen aus den Betten trommeln, ist mir gleichgültig, das ist Ihr Problem. Machen Sie den Gentlemen klar, daß sie spätestens innerhalb von drei Stunden hier im Tower sind. Richten Sie meine Worte genau aus. Erscheinen die Gentlemen nicht, dann sehe ich mich leider gezwungen, den gesamten Tower in die Luft zu blasen. Es wäre nicht die erste Festung, die wir hochgehen ließen, wir haben Erfahrung darin. Und denken Sie an die riesige Schatzbeute. Sie haben sie selbst gesehen. Wenn der Tower; einschließlich der gefangenen Wachen, in
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die Luft fliegt, wird es in London Perlen, Diamanten, Edelsteine und Goldbarren regnen. Die ganze Stadt wird davon profitieren. Jubel wird unter dem Volk ausbrechen. Sagen Sie das den Gentlemen, bitte!“ Der Korporal salutierte zu Brightons Verblüffung vor Hasard. „Ich weiß, Sie meinen es ernst, Sir. Ich werde Ihre Worte genau ausrichten. Ich möchte unnötiges Blutvergießen vermeiden!“ „Sie scheinen der einzige, vernünftige Mann hier zu sein. Versuchen Sie deshalb nicht, uns mit einem Trick zu überlisten. Wir sitzen am längeren Hebel. Besorgen Sie sich ein Pferd. Meine Männer werden Sie durchlassen.“ „Sehr wohl, Sir!“ Korporal Blake riß noch einmal die Hacken zusammen. Bromley, der gebrochen an der Wand lehnte, beachtete er nicht. Der war sowieso erledigt. Von dem würde kein Hund mehr ein Stück Brot nehmen. Er raste los, um die drei Gentlemen zu wecken. An ihm sollte es nicht liegen, wenn etwas schiefging. 9. Als der Korporal abgezogen war, scharte Brighton ein paar Männer um sich, den Kutscher, Tucker, Buchanan und Luke Morgan. „Anordnung von Hasard“, sagte er kurz. „Wir gehen zum Tower Pier und machen die ‚Isabella' seeklar.“ „Das ist ja prächtig“, sagte Buchanan erleichtert. „Ich bin froh, wenn wir unserem eigenen Land den Rücken kehren.“ „So wird es wohl allen ergehen“, murmelte. Tucker. Während die Männer verschwanden, ließ Hasard bei dem Towerhauptmann Smoky und Larsen als Wachen zurück. Er selbst ging mit Dan O'Flynn durch die Gänge des Tower, Treppen hinab, Gänge entlang, bis sie sich tief unter dem riesigen Festungskomplex befanden.
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„Bromley kann von Glück sagen“, erklärte Dan, „daß Ed Carberry ihm nicht den Tritt verpaßt hat. Dessen Stiefel sind noch mindestens zwei Nummern größer.“ Hasard verzog nur die Lippen. Er leuchtete mit der Fackel durch den Gang, an dem links und rechts Türen abzweigten. Es war nicht leicht, sich in dem großen Komplex zurechtzufinden. Alle paar Yards steckten blakende Fackeln in Wandhalterungen. Sie verzerrten die Schatten, die die beiden Männer warfen, und ließen sie wie auf und ab tanzende Fledermäuse erscheinen. Vor der Pulverkammer stießen sie auf Al Conroy. „Alles in Ordnung, Al?“ fragte Hasard. Conroy nickte. In der Hand hielt er die Lunte. Demonstrativ blies er sie an. Sofort glühte es hellrot auf. „Ich habe nichts weiter zu tun, als sie durch die versperrte Tür zu stecken“, meldete er, „Dann bleiben uns etwa fünf Minuten Zeit, um zu verschwinden. Mit dem Pulver können wir den Tower so sprengen, daß kein Stein auf dem anderen bleibt. Wo wollt ihr jetzt hin?“ „Nach der Schatzbeute sehen“, erwiderte Hasard. Wo die Beute lagerte, hatten sie erfahren. Den erforderlichen Schlüssel hatte Hasard dem Hauptmann abgenommen. Der Gang verzweigte sich, sie folgten dem rechten Tunnel, in dem es stockfinster war. Dan O'Flynn riß eine der letzten Fackeln aus der Wand. Vor einer schweren Tür mit eisernen Beschlägen blieben sie stehen. Hasard öffnete, sie leuchteten hinein. Hier ruhte die Beute wie in Abrahams Schoß, fest und sicher. Bei ihrem Eintritt funkelte es gleißend auf. Hasard blickte auf die zertrümmerten Kisten, die Säcke mit den Perlen, die Lederbeutel mit den Diamanten, den indianischen Goldschmuck und die vielen anderen Kostbarkeiten. Es war ein Anblick, der sie immer wieder aufs neue faszinierte. Man konnte sich an den Schätzen nicht satt sehen. „Wir haben die Kisten auf dem Kai vor Wut zertrümmert und zerschlagen, als uns
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dieser verdammte Hauptmann erklärte, wir seien verhaftet und die ‚Isabella' beschlagnahmt. Ben hatte eine mörderische Wut im Leib, und wir anderen natürlich auch. Deshalb schmissen wir alles an Land.“ „Das kann ich mir vorstellen. Bist du sicher, daß keine Perlensäcke ins Wasser gefallen sind? Oder Goldbarren? Waren es nicht mehr, als hier liegen?“ „Ins Wasser ist nichts gefallen, das weiß ich genau. Nur die Goldbarren haben ein paar Kratzer abbekommen.“ Hasard prüfte, untersuchte und schüttelte dann den Kopf. „Die Fracht war größer, Dan, ich weiß es genau. Wir haben sie in Sheerness noch umgeladen. Selbst wenn man unseren Anteil abzieht, fehlt hier immer noch einiges. Mindestens zwanzig Goldbarren sind zuwenig, ebenso fehlen Perlen, Diamanten und Edelsteine.“ „Bromley?“ fragte Dan zweifelnd. „Das werden wir gleich feststellen. Komm mit!“ Sie gingen durch die endlosen Gänge wieder nach oben, bis sie Bromleys Zimmer erreichten. Smoky und Larsen bewachten den Nußknacker, der Hasard mit großen, ängstlichen Augen entgegensah. Hasard entdeckte die Tür, die ins andere Zimmer führte. Vorhin hatte er ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt öffnete er sie, nahm zwei Talglichter mit und stellte sie auf den Tisch des Wohnzimmers. Durch die angelehnte Tür sah er, daß Bromley jede seiner Bewegungen voll atemloser Spannung verfolgte. Hasard riß den ersten Schrank auf. Seine Augen wurden groß. Zur selben Zeit vernahm er links von sich Dans Stimme. „Manen, o Mann, ich werde verrückt“, staunte O'Flynn. „Das Schwein hat aber eingesackt.“ Ja, das hatte Bromley. Er hatte reichlich eingesackt, zu reichlich. Da stapelten sich Goldbarren in den Schränken, daß sich die Bretter schwer nach unten bogen. Da lagen die Säckchen mit den Perlen, Diamanten, Edelsteinen.
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Der Seewolf wurde weiß vor Wut. Kein Wunder, daß die Beute da unten so geschrumpft war, ein großer Teil befand sich hier oben! Und dieser Mistkerl sahnte einfach ab. Das, was sie sich schwer erkämpft hatten, fast immer unter Lebensgefahr, unter Entbehrungen und Opfern, das nahm sich dieser Fettwanst mit der größten Dreistigkeit. Jeff Bowie hatte seine Hand verloren, Matt Davies über Nacht graue Haare gekriegt, Männer waren im Kampf gegen Spanier und Piraten gefallen, sie hatten die schwersten Stürme abgeritten und immer wieder kämpfen müssen. Und das alles, um der Königin von England den Schatz zu bringen. Dafür hatten sie es getan, aber nicht, daß sich ein Schwein wie Bromley, der fett und behäbig auf seinem dicken Hintern saß, daran mühelos bereicherte. Hasard raste ins Schlafzimmer zurück, riß den winselnden Bromley hoch und schlug ihm links und rechts pausenlos in das bleiche Gesicht, bis es immer mehr aufquoll und Bromley um Gnade winselte. Hasard ließ ihn angeekelt los. Bromley landete mit blutenden Lippen und geschwollener Nase auf dem Boden. „Diese Drecksau“, sagte Dan empört. „Der klaut Teile unserer Beute und stapelt die Schränke voll. Wir tun die Dreckarbeit, und der kassiert. Und zum Dank dafür, daß er uns beklaut hat, läßt er uns auch noch foltern.“ Ehe Larsen und Smoky etwas sagen konnten, schlug Dan O'Flynn in blinder Wut ebenfalls zu. „Ich will alles sagen“, wimmerte der Hauptmann. „Schlagt mich nicht mehr. Unter der Falltür. liegt noch mehr. Ich gebe es euch zurück. Im Wohnzimmer ...“ Hasard lief zurück, weiß vor Wut und Erregung. Im Wohnzimmer befand sich eine Falltür im Boden. Er öffnete sie und starrte in einen kleinen Raum hinunter. Mit dem Talglicht leuchtete er nach unten. Es verschlug ihm die Sprache. Was in Bromleys Schränke nicht hineingepaßt hatte, das war hier verstaut. Goldbarren,
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bunt durcheinandergeworfen, dazwischen die Lederbeutel mit den Perlen. „Sollen wir es nach unten bringen?“ fragte Dan wutschnaubend. „Nein, es bleibt alles so, wie es ist.“ Hasards Stimme zitterte vor Wut, er beherrschte sich nur noch- mühsam. „Das brauchen wir als Beweis gegen Bromley.“ „Dem macht doch hier sowieso keiner den Prozeß“, knurrte Dan. „Die sahnen doch alle selbst ab, von diesen Hurensöhnen ist einer immer schlimmer als der andere.“ „So sieht es aus, Dan! Mein Gott, was sind das nur für Menschen!“ stöhnte der Seewolf. „Geh jetzt mit Smoky in die Verliese und hole diesen Noah Buckle. Ich will genau wissen, wie das alles zusammenhängt, wer uns so verraten und verkauft hat.“ Hasard ließ sich im Wohnzimmer auf einen Stuhl sinken und dachte über die Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit dieser Welt nach. Es war beschämend, was sie erdulden mußten. Er fühlte sich wie ein Aussätziger. Überall wurde geklaut, korrumpiert, intrigiert. Er schüttelte sich. Lange konnte er das nicht mehr mit ansehen. Da brachten sie Noah Buckle. Mit verschlagenen Augen sah er sich um, erblickte den demoralisierten Bromley und stöhnte unterdrückt, als ein Blick aus eiskalten Augen ihn traf. Hasard erhob sich. Smoky schleuderte ihm den falschen Lotsen direkt vor die Füße. „Da ist der Scheißkerl“, sagte er. Hasard stand vor ihm, eiskalten Zorn in den blauen Augen. „Pack aus, Buckle“, sagte er drohend. „Alles, was du weißt! Woher hast du von der Schatzbeute gewußt, die wir an Bord haben?“ Buckle gab sich noch nicht ganz geschlagen. Er grinste hinterhältig, sah den Seewolf aber nicht an. „Das habe ich nur geahnt“, antwortete er. „Mister Brighton hat dich anscheinend noch nicht genug verprügelt. Aber wir können das ja nachholen.“
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Buckle trat einen Schritt zurück. Er prallte gegen Dan, der ihn gleich am Kragen packte und wieder nach vorn stieß. „Hier wird nicht gekniffen, du Hurenbock!“ sagte er grimmig. Buckle stolperte dem Seewolf entgegen. Er hatte ihn noch nicht erreicht, als eine eisenharte Faust in seinem Magen explodierte. Der schwergebaute Mann stöhnte und knockte in den Knien ein. Verdammt! Dieser Brighton hatte ihn schon halbtot geprügelt, aber einen Schlag wie diesen hatte er noch nie erhalten. Sein Gesicht begann sich grünlich zu verfärben, er kriegte keine Luftmehr. Schweratmend blieb er halb gekrümmt stehen. Hatte der schwarzhaarige Kerl mit einem Stück Eisen zugeschlagen, oder war es tatsächlich dessen Faust gewesen? Er konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn schon hob ihn der zweite Schlag aus den Stiefeln. Wieder ein Treffer in den Magen. Buckle gab auf. Es hatte keinen Zweck mehr. Diesem Kerl widerstand er nicht, niemals. Der war ein Block aus Granit, von dem sich nichts absplittern ließ. „Wer hat die Schriftstücke gefälscht, Buckle?“ riß ihn die harte Stimme hoch. „Und wer hat die Idee mit dem Lotsen gehabt? Los, rede, oder ich schlage dich tot!“ „Keymis“, brach es gequält über seine Lippen. „Baldwyn Keymis hat das alles aufgezogen und geplant. Er fälschte die Schriftstücke und das Siegel, er wußte alles über die ‚Isabella' und ihre Fracht, alles.“ „Weiter! Was sollte geschehen?“ Buckle hielt beide Hände vor den Bauch gepreßt. Beim Sprechen keuchte er, unterbrach sich immer wieder. Die zwei harten Schläge hatten ein Kardeel seiner schwarzen Seele getroffen. „Die Männer in der Barke sollten das Schiff übernehmen, es ausplündern und versenken.“ Hasard sah Keymis vor sich, in Gedanken, wie er geiferte und sein todbringendes Gift nach allen Seiten verspritzt. Keymis, immer wieder Keymis, der Friedensrichter, der ihn erkannt hatte, als er in der
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Menschenmenge stand, der den Seewolf auslöschen wollte um jeden Preis. Keymis steckte hinter allem und jedem, bei jeder krummen Aktion hatte er seine dürren Finger im Spiel. Keymis, der Kerl, der langsam zum Alptraum aller wurde. Es fiel Hasard unsagbar schwer, sich zu beruhigen. Dann fiel ihm noch etwas ein. „Was ist mit Tauntons Boten geschehen? Habt ihr ihn umgebracht?“ Die Antwort erfolgte erst, als Hasards Arm vorschoß. „Ja! Ich hab ihn umgebracht, erstochen. Keymis hat das Gespräch am Kai belauscht. Wir fingen den Boten ab, und dann ...“ „ ... habt ihr ihn erstochen und seine Leiche in die Themse geworfen. War es so?“ Buckle nickte schwerfällig. „War es so?“ brüllte Hasard. „Sprich laut und deutlich, Kerl!“ „Ja, so war es! Ich habe die Leiche ins Wasser geworfen.“ „Ihr habt das Geständnis gehört“, sagte Hasard zu Dan, Smoky und Larsen, die mit großen Augen auf den falschen Lotsen starrten, den Ben Brighton so überraschend entlarvt hatte. „Bringt den Kerl wieder in eine Zelle. Nehmt Bromley mit, werft ihn ebenfalls in eine Einzelzelle. Wenn ich die Kerle noch länger ansehe, steigt mir die Galle hoch, oder ich vergesse mich!“ Hasard hatte von diesem wahnsinnigen Spiel endgültig genug. Es kotzte ihn an, aus allen Ecken, von überall. Er wollte nur noch die Beute übergeben, seine Männer mitnehmen und davonsegeln, irgendwohin, wo es noch Freiheit gab, statt Muff und Mief, wo ein Kerl noch ein Kerl war und kein Scheißer, wo es keine Höflinge und Intriganten gab, wo man frei atmen konnte. Er wußte auch schon, wo das war, dort, wo das Abenteuer und die weite blaue See lockten, genau dort wollte er wieder hin. Und seine Männer ebenfalls. 10. Hasards Ultimatum war noch nicht abgelaufen, als eine prächtige Kutsche auf
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den Tower Kai rollte. Sechs Reiter der Königlichen Garde eskortierten sie. Die Kutsche war verhangen, man sah die Insassen nicht. Das Mondlicht beleuchtete die Umrisse der Reiter, die nicht weit entfernt von der „Isabella“ anhielten. Während der Erste Lordadmiral, Charles Howard, umständlich und steifbeinig hinauskletterte, stand Al Conroy mit der glimmenden Lunte in der Hand neben der Zündschnur zu den Pulverkammern. Die Gentlemen hatten es eilig, nach oben zu kommen. Die sechs Männer der Königlichen Garde begleiteten sie zu Bromleys Räumen. Hasard waren die Gentlemen schon gemeldet worden. Um seine Lippen glitt ein kaum merkliches Lächeln. Er stand auf, als sie eintraten, und deutete eine leichte Verneigung an, gerade soviel, daß er den Kopf etwas bewegte. Lordadmiral Howard musterte ihn indigniert. Es war ein knöchern wirkender alter Bursche, der sich leicht auf seinen vergoldeten Krückstock stützte. Er trug einen schmalkrempigen Hut, dunkelgrüne Kürbishosen, darunter seidene weiße Strumpfhosen und einen dunklen Wams. Am Hals lugte eine spitzenbesetzte Krause hervor. Um die Schultern trug er ein dunkles, kurzes Cape. Die beiden anderen, der Schatzkanzler und der Lordkanzler, trugen die gleiche Kleidung, nur in den Tönen etwas heller. „Mein Name ist Philipp Hasard Killigrew“, stellte sich der Seewolf vor. „Ich bitte die Gentlemen, Platz zu nehmen!“ Die ehrenwerten Männer nahmen Platz, der Lordadmiral hob seine linke Augenbraue leicht an. „Killigrew?“ fistelte er. „Der Name ist mir nicht geläufig. Ihnen etwa, Sir Pembroke, oder Ihnen, Sir Battersby?“ „Nein, nie gehört“, sagte der Schatzkanzler Pembroke und hüstelte leicht hinter der vorgehaltenen Hand. Auch Battersby verneinte hoheitsvoll. Hasard ließ sich nicht beirren. Er hatte keine Angst vor diesen leicht angestaubten Burschen, ihrer Kurzsichtigkeit und ihrem weltfremden Benehmen. Die verstaubten
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hier langsam aber sicher zwischen ihrem Plüsch, bei Samt und Seide. Vielleicht wußten sie nicht einmal, wie es außerhalb von London aussah. „Ähem, Mister Killigrew.“ Der Lordadmiral hüstelte. „Kommen wir bitte gleich zum Thema. Es ist mitten in der Nacht. Sie haben sich erkühnt, uns ein erpresserisches Ultimatum zu stellen, indem Sie androhten, den Tower zu sprengen. Vermutlich sind Sie sich über diese folgenschweren Konsequenzen nicht im klaren. Bitte, nehmen Sie dazu Stellung, unsere Zeit ist begrenzt!“ „Meine Zeit auch, Sir, ganz besonders hier in London“, sagte Hasard kühl und zurückhaltend. „Ich möchte Ihnen zunächst eine Erklärung abgeben, dazu einen chronologischen Bericht über unsere Reise. Keine Sorge, es wird nicht lange dauern. Das Ultimatum habe ich einzig aus dem Grund gestellt, um einmal angehört zu werden. Bisher sind wir nur Spitzbuben und Verbrechern in die Hände gefallen. Bei Hofe ist man über diese ungeheuerlichen Vorfälle vermutlich nicht einmal unterrichtet.“ Die drei Männer sahen ihn an. Ihre Mienen blieben verschlossen. Die Müdigkeit stand noch in ihren Augen. Das schimpfliche Gefühl, mitten in der Nacht von einem unbekannten Killigrew aus dem Schlummer gerissen worden zu sein, nagte heimlich in ihnen. „Welche Vorfälle meinen Sie?“ fragte der Lordadmiral. „Darüber werde ich noch sprechen, Sir!“ Hasard blieb beherrscht und ruhig, kühl und distanziert. Wenn er sprach, geschah es leidenschaftslos, ohne Emotionen. „Wir liefen im Jahre 1577 aus Plymouth unter dem Kommando Kapitän Francis Drakes aus“, begann er seinen chronologischen Abriß. „Das ist jetzt drei Jahre her, drei lange Jahre, in denen einiges passiert ist. Stürme, Piraten, Spanier und feindliche Stämme haben die Mannschaft immer mehr dezimiert. Unter Kapitän Drake haben wir für die Krone unermeßliche Schätze aus der Neuen Welt zusammengetragen.“
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„Kapitän Drake ist uns bekannt“, unterbrach der Lordadmiral. „Waren Sie von Anfang an dabei, junger Mann?“ „Ich glaube, das schon bemerkt zu haben“, sagte Hasard kalt, aber in seiner Stimme klang eine leichte Schärfe mit, die den ehrenwerten Sirs nicht entging. Hasard hatte das Gefühl, als würde der Lordadmiral sich leicht ducken. Er faßte jeden einzelnen scharf ins Auge und berichtete weiter. Er ließ nichts aus. Er erzählte von Doughty, dem verräterischen Mann, der nach dem Urteil Drakes enthauptet worden war. Er berichtete von der Durchfahrt durch die Magellanstraße, von den Kaperfahrten gegen die Spanier, von den Kämpfen mit Piraten und Indianern, von Stürmen, Unwettern und Schiffsuntergängen. Auch die Heimtücker, die ihnen immer wieder zugesetzt hatten, vergaß er nicht. Er berichtete von Doughtys Bruder und dessen Mordanschlag auf Edwin Carberry sowie der Weigerung Francis Drakes, Doughty dafür zur Rechenschaft zu ziehen, und von dem Bruch mit Drake, der die Folge davon war. Er erzählte, daß Männer seiner Besatzung nachts hinterhältig über Bord gestoßen worden seien und berichtete auch über John Killigrew auf Arwenack, den alten Sir John, der eine miese Rolle in dem ganzen Drama spielte. Einmal unterbrach er sich. Er sah die drei Männer an, die ihm mit offenen Mündern zuhörten. Ihre Müdigkeit war vergessen, sie hörten von Ländern, Schätzen, Abenteuern, von verwegenen Männern, die den Teufel nicht fürchteten, und sie schienen keinen blassen Schimmer von jener Welt zu haben, die sich hinter ihrer Welt aus Staub und vermoderten Traditionen auftat. Die Machtverhältnisse und die Besitznahme der Spanier über ganze Kontinente waren ihnen neu. Und das alles erfuhren sie aus dem Mund eines Mannes, der nur halb so alt war wie sie. Hasards Erzählung war zugleich auch eine Anklage. Hatte seine Stimme anfangs leidenschaftslos geklungen, so wurde sie mit der Zeit immer schärfer, und dennoch
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lag eine gewisse Zurückhaltung in ihr, eine Distanz, in der sich ganze Welten trennten. „Das war ein kurzer Abriß, rein zur Information gedacht, meine Herren“, sagte er kühl. „Bis zu diesem Zeitpunkt konnten wir uns immer selbst zur Wehr setzen. Da haben wir gegen Feinde gekämpft, die uns offen entgegentraten. Sie nahmen unsere Schiffe, wir die ihren. Sie schlugen uns — wir schlugen zurück. Mit Waffen oder unseren Fäusten, meine ehrenwerten Herren, nicht mit Intrigen, wie sie uns seit unserer Ankunft in England tagtäglich begegneten. Wir haben der Krone einen Schatz erkämpft, wie ihn in England noch nie jemand gesehen hat. In unseren Frachträumen lagen Werte von unvorstellbarem Wert. Dafür haben wir die Köpfe hingehalten, dafür haben sich Männer massakrieren lassen, wurden verstümmelt, starben. Diese Schätze haben wir trotz aller Widrigkeiten hierher nach London gebracht. Sie befinden sich hier im Tower.“ Der Lordadmiral ruckte umständlich von seinem Stuhl hoch. Seine Augen blickten Hasard ungläubig an. „Die Schätze befinden sich hier im Tower?“ fragte er atemlos. „Ja“, sagte Hasard schneidend scharf. „Wir alle sitzen buchstäblich darauf. Hat der Korporal das nicht ausgerichtet?“ „Er sagte etwas davon, daß es Perlen und Diamanten über London regnen würde“, murmelte Charles Howard, „falls der Tower gesprengt würde.“ Er setzte sich wieder, ziemlich betroffen. Hasard fuhr hoch. Seine Augen schossen Blitze. „Und der Towerhauptmann Bromley? Hat der dem Hof nicht gemeldet, welche Fracht wir für Ihre Majestät, die Königin, an Bord haben?“ „Nein“, wurde kläglich erwidert. „Von Schätzen war nicht die Rede, lediglich das Schiff, eine spanische Galeone, wurde von ihm erwähnt. Hauptmann Bromley berichtete dem Hofe lediglich, daß die Vorfälle mit der Isa — äh ...“ „,Isabella` heißt die Prise.“
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„Richtig. Daß die Vorfälle erst von ihm untersucht werden müßten.“ Hasard lachte höhnisch. Die drei Herren schauten sich betroffen an und schüttelten die grauen Köpfe. „Man hat mir in Sheerness eine Order des Ersten Lordadmirals überbracht, die besagte, daß wir die Prise unverzüglich an den Tower Kai zu bringen hätten. Diese Order war von Baldwyn Keymis, dem ehemaligen Friedensrichter von Falmouth, gefälscht worden. Keymis und auch Burtons Plan sahen vor, die Prise zu überfallen, die Beute zu entwenden, das Schiff zu versenken. Ein falscher Lotse auf unserem Schiff hat den Plan in die Tat umgesetzt und uns auf der Themse angegriffen. Wir schossen die Piraten zusammen, wurden dafür von den Engländern selbst unter Feuer genommen. Wir überwanden eine Kettensperre und gelangten an die Tower Pier. Dort wurden wir erneut angegriffen, obwohl auf meinem Schiff an jedem Mast die englische Flagge wehte und ich laut darum bat, nicht das Feuer zu eröffnen. Man tat es trotzdem. Bromley ließ das Schiff beschlagnahmen. Meine Leute wurden in den Tower gesperrt und gefoltert. Und Ihr Hauptmann Bromley hat gleich zugegriffen und sich seinen Anteil von dem gesichert, was der Königin zusteht.“ Battersby sah irritiert hoch. „Ihre Anschuldigungen sind unerhört, Mister Killigrew. Ohne Beweise ...“ Hasards kalte, schneidende Stimme ließ ihn schlagartig verstummen. „Wenn ich jemanden anklage, Sir, dann habe ich auch die erforderlichen Beweise. Wir haben das Geständnis des Noah Buckle. Vor ein paar Stunden hat er ausgepackt, meine Herren! Und wenn Sie noch weitere Beweise benötigen — hier sind sie!“ Mit einem Satz war der Seewolf auf den Beinen. Mit beiden Händen riß er die Wandschränke auf, nahm die Kerze und hielt sie hinein. Mit Genugtuung sah er, wie die ehrenwerten Grauköpfe die Farbe wechselten. Alle drei standen auf.
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Ungläubig traten sie näher und starrten mit hervorquellenden Augen auf das, was sich ihren Blicken darbot. Da lagen Goldbarren, da stapelten sich die Perlensäcke, da funkelten die Diamanten in strahlend weißblauem Feuer, da lag kostbarer indianischer Goldschmuck, wie sie ihn noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Hasard donnerte die Schranktüren wieder zu. „Dort, unter der Falltür, hat der ehrenwerte Hauptmann noch mehr versteckt. Das ist nur ein Bruchteil der Schätze, die unten im Tower lagern. Vielleicht wird Ihre Einstellung jetzt etwas realistischer.“ Sie sagten kein Wort. Pembroke sah den Lordadmiral an, der starrte Hasard an, dann Sir Battersby. Seine Kinnlade sank herab, er zitterte zum Tisch zurück und mußte sich setzen. Das alles war mehr, als sie verkraften konnten. Sie brauchten eine Weile, bis sie es verstanden. Hasard ließ ihnen Zeit. Sie sollten überlegen, nachdenken, vielleicht kamen sie doch, noch darauf, wer hier im Recht war, und daß man so mit ihnen nicht umspringen konnte. Als sie immer noch nichts sagten, legte sich ein verächtlicher Zug um Hasards Mundwinkel. „Ich übergebe Ihnen hiermit die Schätze, Gentlemen! Sie stehen zu Ihrer Verfügung. Wir haben sie unter vielen Opfern zusammengetragen, für England, für Ihre Majestät, die Königin.“ Sie sahen ihn an. Alte Augen, müde Blicke. Welten trennten sie in diesem Moment voneinander. „Sie sagen nichts, Gentlemen? Na schön, ich habe wohl zuviel erwartet. Ich verlange auch nichts, außer einer beschämend kleinen Belanglosigkeit: Ich verlange freien Abzug mit meinen Männern, mehr wünsche ich nicht. Selbstverständlich werde ich die ,Isabella' ebenfalls der Krone zur Verfügung stellen. Ich werde sie in Sheerness an der Town Pier vertäuen und dem Hafenkommandanten Taunton übergeben.“
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Hasard sah die drei erwartungsvoll an. War das etwa auch noch zuviel verlangt? Freier Abzug? Der Lordadmiral räusperte sich leise. Seine knöchernen Finger klopften dreimal hintereinander auf die Tischplatte. „So einfach geht das nicht, Mister Killigrew.“ Seine Stimme hatte wieder einen überheblichen Ton angenommen. Er hob den rechten Zeigefinger und deutete auf Hasard. Die anderen nickten zustimmend. „So nicht“, wiederholte er. „Sicher, Sie haben eine ganz annehmbare Leistung vollbracht, wirklich ganz passabel, aber vorerst müssen Sie sich zu unserer Verfügung halten. Sie und Ihre Männer! Sie haben vermutlich Erfahrungen gesammelt, niemand bestreitet das. Wir brauchen einen genauen schriftlichen Bericht von Ihnen, in allen Einzelheiten, Sie müssen Ihre Erfahrungen schriftlich niederlegen. Natürlich werden wir uns bei Ihrer Majestät, der Königin von England, für Sie verwenden. Eine Privataudienz wäre eventuell in Erwägung zu ziehen, man könnte ...“ Das andere rauschte ungehört an Hasards Ohren vorbei. Hochaufgerichtet stand er da, ein großer, schwarzhaariger Mann mit eisig blickenden Augen, mit Augen, die die Weiten des Meeres gesehen hatten, ein unerschütterlicher Freibeuter und Rebell. Seine harte, kalte Stimme peitschte auf die Männer nieder, die sich unwillkürlich duckten. Sie traf den Lordkanzler wie ein Degenhieb, sie ließ den Schatzkanzler schlucken und Lord Battersby zusammenfahren. „Ich bedaure“, sagte er schneidend scharf und mit jenem Splittern, wie es krachendes Eis hinterläßt. Verächtlich sah er auf die drei schrumpfenden Gestalten in ihrer muffigen Kleidung, die weltfremden, an ihre toten Traditionen gebundenen Männer. „Niemand kann meine Freiheit kaufen, und die Freiheit meiner Männer ebenso wenig. Sie ist nicht für Geld zu haben, auch nicht für den Kronschatz, selbst die Königin von England wird sie mir nicht nehmen, bei
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aller Verehrung. Ich kann nicht die Luft eines Landes atmen, in dem Männer wie der Friedensrichter Burton, der korrupte Keymis, der Herrscher über Cornwall Sir John Killigrew oder der Towerhauptmann Bromley sich die Taschen füllen. In diesem Land weht der Pesthauch der Korruption, hier herrscht die Engstirnigkeit, hier fehlt der Überblick, meine ehrenwerten Gentlemen. Hier muß jeder ehrliche Mann qualvoll ersticken!“ Sie duckten sich wie unter einer Geißel, die erbarmungslos auf sie einpeitschte. „Aus Ihren wenigen Worten klingt Unverständnis heraus. Sie wissen nicht, wie es ist, frei zu sein und frei zu bleiben, ohne den Bürokratismus, ohne ewiges Mißtrauen. Die Leistung, die wir vollbracht haben, dringt überhaupt nicht in Ihre Gehirne. Ihre Knochen werden über Akten und Niederschriften morsch, Sie haben nie den Hauch fremder Welten gespürt, Sie können gar nicht mitreden!“ „Mister Killigrew!“ Es war ein schwacher Protest des Lordadmirals, der die Wahrheit nicht vertrug und hinter dem Mond lebte. Er wagte kaum, den Blick zu heben. Die flammenden eisblauen Augen zwangen ihn tiefer herab. „Das ist Rebellion“, hauchte der Schatzkanzler erschüttert. Hasard hatte nur ein verächtliches Lachen für ihn übrig. „Natürlich ist das Rebellion. Sie jedenfalls legen es so aus, weil Sie es nicht verstehen, weil Ihr Gehirn vermodert ist. Wir verhelfen England zu Reichtum und Ansehen und verlangen weiter nichts dafür als unsere Freiheit! Selbst das ist zuviel verlangt. Laßt mal frischen Wind durch eure morschen Knochen wehen!“ Hochaufgerichtet stand der Seewolf da. Seine Augen blickten durch die alten Männer hindurch, die sich hinter ihrer Bürokratie und ihrer Unfähigkeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen, schamvoll versteckten. Noch niemand hatte so mit ihnen gesprochen. Keiner hatte es gewagt. Da mußte erst ein unbekannter Kapitän
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kommen, ein Killigrew, ein Pirat, Freibeuter und Rebell. Und der donnerte sie zusammen, daß es nur so rauchte. Seine Worte gingen ihnen unter die Haut, lösten Panik aus. Wie konnte dieser Mann es wagen, sich so zu erdreisten? Der ließ sich nicht an die Kette legen, der blieb immer oben, der ging nie unter. Den Lordadmiral überlief ein kühler Schauer. Ein unbekanntes Tor zu einer unbekannten Welt öffnete sich sekundenlang für ihn - und schloß sich gleich wieder. Fast hätte er dem jungen Killigrew recht gegeben, aber er war nicht in der Lage, die Patina einer verstaubten Epoche von sich zu schütteln. Ihm fehlte der Durchblick. Keiner wagte einen Einwand. Sie sahen sich untereinander nicht mehr an, sondern blickten nur beschämt und verärgert zugleich auf die Tischplatte. Hasard umrundete den Tisch. Er hatte genug, es gab nichts mehr zu sagen. Sie begriffen ihn ja doch nicht, es ließ sich nicht in ihre Schädel hämmern. Was verstanden sie schon davon, frei und unabhängig zu sein? Frei und keine Sklaven wie ihre Untertanen, auf denen sie herumtraten, wo jeder Schritt beobachtet wurde, wo jeder jedem mißtraute und wo nur die Höflinge und Schranzen, die Bürokraten und Korrupten die Macht ausübten. Des Lordadmirals fistelnde Stimme drang kaum an Hasards Ohr, so leise klang sie. „Was werden Sie jetzt tun, Mister Killigrew?“ „Davonsegeln“, sagte Hasard scharf. „Und ich werde jeden Fetzen Leinwand setzen lassen, damit wir London so schnell wie möglich hinter uns lassen. Für meine Crew und mich ist kein Platz in diesem Land, wir wollen ungehindert Luft holen können. Ich danke Ihnen, Gentlemen, ich bin wieder um eine Erfahrung reicher geworden.“ Damit drehte er sich um. Er raunte Smoky ein paar Befehle zu, daß sich die Mannschaft sofort an der Tower Pier einzufinden hätte.
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Sie alle kamen. Conroy löschte die Lunte. Sie brauchten den Tower nicht in die Luft zu blasen. Wer sollte sie jetzt noch aufhalten? Drei alte Männer? 11. Über London krochen die ersten Lichter der morgendlichen Dämmerung. Auf der Themse bildeten sich Nebelfetzen, als er mit seinen Männern zum Tower Kai hinunterging. Er drehte sich ein letztes Mal um, und da glitt ein verächtliches Lächeln um seine Mundwinkel. Lordkanzler, Lordadmiral und Schatzkanzler folgten ihnen zur Pier. Drei müde, alte Männer, mit grauen, übernächtigten Gesichtern, . die mageren Hälse in den Halskrausen vorgereckt wie gerupfte Hühner. Hasard flankte mit einem Satz an Bord. „Alles vollzählig?“ fragte er. „Fehlt niemand?“ „Alle Mann an Bord“, meldete Brighton. „Ich habe vorsichtshalber die Culverinen laden lassen. Ebenso die Drehbassen. Wir sind für alle Fälle feuerbereit!“ Das sah Hasard sofort. Die „Isabella“ war seeklar. Hinter den geschlossenen Stückpforten lauerten die schweren Mündungen der Siebzehnpfünder. Sie würden vermutlich nicht zum Einsatz kommen. Arwenack raste wie ein Irrer an Deck herum, verfolgt von den neugierigen Blicken der drei hohen Herren, die jetzt immer näher traten. Im Hintergrund stand die verhangene Kutsche mit den zwei unruhig scharrenden Gäulen. Und von rechts und links ritten langsam die Reiter der Königlichen Garde heran. Um den Tower lag ein großer Schleier aus Nebel. Er hüllte die Schätze ein, er umwob die gefangengesetzte Garde und er versteckte die Korruption hinter den Mauern gnädig. „Fiert den Anker auf den Kai!“ befahl der Seewolf.
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Tucker, Dan, dem dauernd der Affe nachlief, Stenmark und ein paar andere begannen damit, den goldenen Anker mit Hilfe der Fockrah auf die Pier zu hieven, den goldenen Anker für die Königin, der aus massivem Gold bestand. Die alten Männer sahen zu, sie hatten keine Erklärung für das, was da vorging. Es war ein mühseliges Stück Arbeit, den Anker auszubringen. Der Lordadmiral wich um keinen Zoll zurück, als der schwere Anker direkt vor seine Füße gehievt wurde. Er senkte den Blick und starrte den Anker an. Dann blickte er verbiestert zu Hasard hoch. „Dieser Anker, ehrenwerter Sir Lordadmiral“, brüllte Hasard vom Achterkastell hinunter, „ist mein ganz persönliches Geschenk an Ihre Majestät, die Königin von England. Ich bitte Sie, Ihrer Majestät den Anker vor die Füße zu legen. Er soll ein Symbol sein, ein Symbol meiner unerschütterlichen Treue zur Königin von England und gleichzeitig ein Ausdruck meiner tiefen Verankerung im Herzen Ihrer Majestät.“ Der Lordadmiral stierte auf den Anker. Seine Augen kniffen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Während er noch den großen Anker musterte, sah Hasard seine Männer grinsen. Sie grinsten wie die Teufel. Der Schatzkanzler sah es, Lord Battersby sah es und auch der Lordadmiral sah dieses Grinsen auf den harten Gesichtern der Mannschaft. Es war wie festgewachsen. Zorn mischte sich in sein anfängliches Erstauen. Er hob die magere Faust in die Höhe. „Treiben Sie Ihre Scherze nicht zu weit, Mister Killigrew!“ rief er empört. „Sie beleidigen nicht nur uns, Sie beleidigen damit auch Ihre Majestät. Ich warne Sie, junger Mann!“ Hasard lachte nur, wild und verwegen. Er roch die Freiheit, die ganze Anspannung hatte sich gelöst. Seine Zähne blitzten. Der alte Mann am Kai begriff nicht. Was wollte dieser Killigrew mit dieser Unverschämtheit bezwecken? Ein billiger, schwarzer Anker! Na und? Wollte er die
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Königin mit diesem schlechten Scherz wirklich beleidigen? Jedes Schiff hatte ähnliche Anker, wenn sie auch nicht immer so groß waren. Oder wollte dieser Rebell ihn und die anderen nur verulken? Auch Lord Battersby und der Schatzkanzler Pembroke begriffen nicht, was Hasard mit diesem „Geschenk“ bezweckte. Ebenso wenig Verständnis brachten die sechs Reiter der Königlichen Garde auf, die sich zwar vornehm und erhaben zurückhielten, deren Blicke aber immer wieder auf dem abgefierten Anker hängen blieben. Der Seewolf wollte sie nicht länger auf die Folter spannen. Seine rechte Hand griff langsam zum Gürtel, wo das breite Messer steckte. Mit einem Ruck zog er es heraus, holte mit dem Arm aus und warf das Messer dem Lordadmiral genau vor die Füße. Der stand wie erstarrt, sein Gesicht verlor alle Farbe. „Kratzen Sie mal an dem Anker, Sir!“ forderte ihn Hasards laute Stimme auf. „Hoffentlich tut er es“, meinte Brighton. „Seine Lordschaft ist schon etwas steif im Kreuz.“ Unentschlossen stand der Lordadmiral da. Dann, wie unter einem inneren Zwang, beugte er sich stöhnend und hob das Messer auf. Immer noch grinsten die Seewölfe. Seine Lordschaft stocherte an dem Anker herum, kratzte an dem Überzug aus Teer und Blei, zog wütend eine Furche. Der Teer löste sich; das Blei ebenfalls. Was darunter erschien, konnte der Lordadmiral im ersten Augenblick nicht glauben. Gold! Pures Gold! Es blinkte schwach. Und jetzt begann auch Hasard zu grinsen, als der Lordadmiral sich schwerfällig auf die Knie niederließ, das Messer mit beiden Händen packte und wie ein Wilder am Ankerschaft kratzte. „Das Gold macht selbst ihn munter“, lästerte Ferris Tucker.
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Alle drei fielen buchstäblich über den Anker her. Das Morgenlicht, noch schwach und diesig, hob das Gold trotzdem hervor. Charles Howard sah andächtig den Schatzkanzler an. „Gold!“ stammelte er. „Der Anker ist aus purem Gold.“ Staunend gafften sie das kostbare Stück an. Ihre Augen quollen aus den Höhlen. Ihr Blick führ hoch und suchte den schwarzhaarigen Mann auf dem Achterkastell, dessen Haare wieder leicht im Wind flatterten. Hasard hatte keinen Blick mehr für sie übrig. Die Kluft, die sie trennte, war zu tief. Sie hatten keine gemeinsame Basis. Sie waren nicht in der Lage, durch das Fenster in die Welt zu blicken. „Fock und Besan setzen!“ erklang sein Kommando. Verächtlich wandte er den Männern den Rücken zu. Der Lordadmiral hob schwach die Hand und winkte zaghaft. Ferris Tucker spuckte auf den Kai, saftig und breit, wie nur ein Schiffszimmermann seiner Güteklasse spucken konnte. Die Focksegel gingen hoch, der Besan folgte. Sie hatten ablaufendes Wasser, Ebbe, der Wind stand günstig. „Leinen los!“ Vorn und achtern flogen die Festmacher los. Die Segel füllten sich mit Wind, blähten auf. Am Kolderstock stand wieder Pete Ballie. Er grinste, als er das Ruder leicht nach Backbord bewegte. Auch er spürte wieder die Freiheit, die nun näher rückte. Und am Kai standen drei alte Männer, scharten sich um den Anker, kratzten den Bleiüberzug ab und starrten gebannt auf das blanke Gold, das darunter erschien. „Vereinnahmen, registrieren, feststellen“, höhnte Brighton. „Damit sind sie jetzt wochenlang beschäftigt, diese alten, verstaubten Knacker. Was Gold ist, wissen sie, nur nicht was einem Mann die Freiheit bedeutet.“ Auch er spuckte verächtlich aus. Langsam legte sich die „Isabella“ an den Wind, bis sie in der Strommitte stand. In der Kuhl stand Dan O'Flynn, den Affen fest umklammert, und der Affe hatte Dan
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so fest umklammert, als wollte er ihn nie mehr loslassen. Der Kutscher versorgte die Wunden der Männer, die sie bei den Folterungen erlitten hatten. Tuckers geplatzte Augenbraue wurde gesäubert und versorgt, einer nach dem anderen kam an die Reihe. Es waren keine schwerwiegenden Wunden, aber sie mußten doch behandelt werden. Hasard schritt auf dem Achterkastell auf und ab. Die Arme hatte er hinter dem Rücken verschränkt wie seinerzeit Francis Drake, wenn er über etwas nachdachte. Er verspürte immer noch keinen Hunger. Er war satt bis obenhin, ihm reichte es. „Du hast die hohen Herren ganz schön auflaufen lassen“, meinte Ben. „Die haben ja ausgesehen wie ihre eigenen Großväter. Was hast du ihnen gesagt, Hasard?“ „Was ich ihnen gesagt habe? Ich hielt ihnen einen kleinen Vortrag über die Freiheit, und was sie für einen Mann bedeutet. Es hat ihnen nicht sonderlich gefallen, nehme ich an.“ „Vermutlich haben sie es nicht begriffen. Mann, was bin ich froh, wenn wir die Themse hinter uns haben. Wie sehen deine Pläne aus, Hasard?“ Der Seewolf starrte ins Wasser, in den Strom, über den zäh und wolkig die Nebel trieben. Ihn fröstelte, es war kalt. „Zunächst habe ich vor, ein kleines Rumfaß zu opfern. Unsere wiedererlangte Freiheit sollten wir mit einem kleinen Schluck begrüßen. Außerdem ist es kalt, und ein kleiner Schluck wird uns bestimmt erwärmen.“ „Eine gute Idee“, sagte Brighton. „Und was kommt dann?“ Hasard lächelte breit. Seine Augen blitzten. Er hatte den Staub von Old London abgeschüttelt, er fühlte sich, als hätte man ihn von einem Alptraum befreit. „Das steht in den Sternen. Zunächst muß ich wissen, wie es Gwen geht, unser Nachwuchs wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Und danach? Ich weiß es wirklich noch nicht.“ Gwen, dachte Brighton, die Frau des Seewolfs. Von ihr hatten sie lange nichts
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mehr gehört. Er sah, daß Hasard immer noch in Gedanken versunken war. „Ich gehe den Rum holen“, sagte er und verschwand unter Deck. Mit gutem Wind lief die „Isabella“ themseabwärts. Hinter ihnen verschwanden im Dunst des Morgens die Türme des Tower, die Häuser. Alles löste sich auf, wurde unwirklich. „Ferris!“ rief der Seewolf. „Laß jeden Fetzen Leinwand setzen, den wir haben. Voll auftakeln, auch die Blinde hoch.“ Tucker strahlte. Er war wieder in seinem Element. „Aye, aye, Sir!“ donnerte seine Stimme über Deck. „Habt ihr gehört, Männer! An die Brassen, an die Schoten, hoch mit dem Zeug. Je schneller wir segeln, desto schneller haben wir diesen verdammten Traum hinter uns gebracht. Dan, du enterst auf, zur ersten Ausguckwache, damit wir nicht noch ein paar unangenehme Überraschungen erleben. Hier müssen wir auf alles Mögliche gefaßt sein.“ Am Großmast gingen die ersten Segel hoch. Die Männer arbeiteten voller Freude und Lust. Gut, sie hatten hier Unbill erlitten, aber die wollten sie so schnell wie möglich vergessen. Nur weg von diesen bornierten Hornochsen, weg von London, die Themse runter und wieder das Meer riechen. Das war der Gedanke von jedem. Immer schneller lief die Galeone vor dem Wind. Ihre Bugwelle war grau und schäumend, wurde immer höher, je mehr Fahrt das stolze Schiff lief. Sogar die Blinde wurde gesetzt. Den Männern war es recht. Jeder freute sich darauf, nach Sheerness zu kommen, wo Batuti, Carberry und die anderen warteten. Brighton erschien auf dem Achterkastell. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, das Rumfaß persönlich anzuschleppen. „Doppelte Portion Rum für alle!“ verkündete der Seewolf. „Ihr habt es redlich verdient.“ Ein Hurragebrüll brandete über Deck, aber in das Gebrüll mischte sich auch ein wenig Wehmut. Jeder fragte sich, wie es
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weitergehen sollte. Was folgte danach, wenn sie Sheerness anliefen? Die Männer tranken dem Seewolf zu, dem unerschütterlichen Kerl, der. sie hinter den dicksten Mauern hervorgeholt hatte, die London besaß. Er ganz allein hatte sie befreit, und das würden sie ihm nie vergessen. „Ein Hoch auf den Seewolf!“ brüllte Tucker, als die Becher mit Rum gefüllt waren. „Ein Hoch auf den Seewolf!“ schrien auch die anderen. Hasard rann der Alkohol wärmend in den Magen. „Bringt mich nicht in Verlegenheit, ihr verdammten Kerle. Hättet ihr an meiner Stelle nicht auch so gehandelt? Ich habe nur das getan, was jeder einzelne von euch auch getan hätte. Trinken wir auf die ‚Isabella', es wird unsere letzte Reise mit ihr sein.“ Sie tranken auf die „Isabella“. „Und dann könnt ihr langsam damit beginnen, eure Klamotten zu packen“, sagte Hasard. „So leid es mir tut, dieses schöne Schiff zu verlieren - es geht nicht anders. Es ist eine Prise, die der Königin von England zusteht. So haben wir es versprochen, und so werden wir es auch halten. Wir liefern unsere gute alte Seekuh in Sheerness ab und steigen auf die Schaluppe um. In Sheerness werden wir auch beraten, wie es weitergehen soll. Dort erhält jeder seinen Anteil, und dort kann jeder selbst entscheiden, ob er an Land bleiben oder weiter mitfahren will.“ Die Männer nickten bekümmert. Ja, Sheerness war der Wendepunkt. Er war es schon einmal gewesen, jetzt würde dort die Entscheidung fallen. Sie tranken ihre Becher leer. „Werdet bloß nicht wehleidig, ihr verdammten Affenärsche“, sagte Ferris Tucker. „Und damit euch die Zeit nicht zu lang wird, werden wir die alte Seekuh noch ein letztes Mal auf Hochglanz bringen. Damit fangen wir nachher an. Der Kasten soll blitzen bis in die letzte Fuge. Wir wollen uns nicht nachsagen lassen, daß unser Schiff nicht in Ordnung ist.“
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„Vergiß nur nicht, dich gleich mitzuwaschen!“ rief Dan aus dem Großmars herunter. „Wer weiß, ob deine Haare wirklich rot sind, vielleicht sind sie blond!“ Tucker drohte mit der Faust hinauf, wo Dan und der Schimpanse in stiller Eintracht hockten. Aber er meinte es nicht böse, er lachte leise dabei. Am Ufer standen diesmal keine Menschen. Alles wirkte grau, öde und trostlos. Immer noch schwebten Nebelbänke auf dem Fluß. An Bord ahnte niemand, daß sie noch einen blinden Passagier im Schiff hatten. * Der Posten, den Hasard geknebelt und gefesselt hatte, hörte von Anfang an das Geschrei an Deck. Er wußte nicht, was los war. Er hatte grenzenlose Angst vor den Männern. Wenn die ihn hier fanden, würden sie ihn bestimmt ermorden, dachte er immer wieder, denn schließlich waren die Männer geladen wie noch nie. Er entnahm den nahenden Schritten und dem Gepolter an Deck, daß man sie befreit hatte. Etwas später hörte er diese Stimme, die nur dem schwarzhaarigen Mann gehören konnte, dem Seewolf. Verzweifelt versuchte er, seine Fesseln zu lösen, den Knebel auszuspucken, an dem er fast erstickte. In seinem Schädel tanzten tausend kleine Teufel. Dort, wo ihn der Hieb getroffen hatte, brannte und schmerzte es. Jeden Augenblick konnte einer von diesen wilden Kerlen in den Gang treten und ihn entdecken. Die Fesseln saßen stramm, er konnte sie zwar etwas lockern, doch abstreifen konnte er sie nicht. Er wälzte sich in dem schmalen Gang herum, bog seinen Körper zusammen wie ein Wurm und robbte weiter nach hinten. Da war es stockfinster, Eine Tür war angelehnt, oder ein Schott, wie immer diese Kerle es bezeichneten. Dahinter gähnte pechschwarze Finsternis, und wenn es ihm gelang, dort hineinzukommen, glaubte er sich vorerst in Sicherheit.
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Sich windend, robbte er weiter, aus dem schwachen Lichtkreis heraus, der in den Gang führte. Kurz vor dem Schott richtete er sich an der Wand auf und blieb schweratmend stehen. Dann humpelte er hinein. Mit dem angewinkelten Ellenbogen drückte er das Schott zu. Absolute Dunkelheit umgab ihn. Er sah nichts, konnte sich nicht orientieren. Oben an Deck wurde das Getrappel lauter. Er hörte Schritte in dem Gang und duckte sich eng an die Wand. Hoffentlich entdecken sie mich nicht, dachte er immer wieder. Ihr Zorn kannte keine Grenzen. Er hatte gesehen, wie diese harten Burschen sämtliche Artilleristen am Kai und ein paar Männer der Stadtgarde so mir nichts dir nichts zusammengeschlagen hatten. Das waren Teufel in Menschengestalt, fand er. Die Schritte entfernten sich wieder. Stimmen klangen durcheinander, ein Mann sagte etwas. Er verstand es nicht. Zitternd hockte er in seinem stockdunklen Verlies. Er hörte leise das Rauschen am Schiff, der Bug hob sich etwas hoch und Wasser umspülte seine Beine. Wie, zum Teufel, sollte es weitergehen! Legten die Kerle etwa schon ab? Dann mußte er mitfahren, ob er wollte oder nicht. Er überlegte fieberhaft, wie er es anstellen sollte, ungehindert das Schiff zu verlassen. Er wollte diesen Kerlen nicht in die Hände fallen. Lieber sprang er blitzschnell über Bord. Den Strom konnte er dann durchschwimmen. „Fock und Besan setzen!“ vernahm er überdeutlich eine klare, laute Stimme. Und dann, etwas später das Kommando: „Leinen los!“ Der Posten zitterte jetzt. Das bedeutete, daß sie jetzt lossegelten. Ihm wurde ganz flau zumute. Wenn er wenigstens ein einziges Mal nur einen schnellen Blick an Deck werfen könnte, dann wäre ihm bedeutend wohler gewesen. Er riß an seinen Fesseln, blieb plötzlich irgendwo hängen und zerrte weiter. Unter
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Schmerzen zerrte er weiter. Ganz langsam gaben die Stricke nach. Wieder hörte er Kommandos. Jeder Fetzen Leinwand sollte gesetzt werden. Er hörte dicht vor sich das Rauschen, mit dem der Bug der Galeone das Wasser durchpflügte. Ja, sie hatten längst abgelegt und bewegten sich jetzt vermutlich mitten auf der Themse. Eine qualvolle halbe Stunde verging, dann hatte er den Strick so weit gelockert, daß er nachgab. Minuten später hatte er die Hände frei. Der Rest war kein Kunststück. Er riß sich den Lappen aus dem Mund und befreite seine Beine von den Fesseln. Da näherten sich schon wieder Schritte. Diesmal kamen sie bis dicht an das Schott heran. Hatten sie etwas bemerkt? Schweiß brach ihm aus allen Poren. „Welcher Idiot hat denn das Schott zur Piek offen gelassen?“ vernahm er eine Stimme direkt neben sich. Er entschloß sich, alles auf eine Karte zu setzen. Das Schott aufreißen, den Mann anspringen, nach oben rasen und mit einem gewaltigen Satz über Bord hechten. Danach war ihm alles egal, Hauptsache, er fiel diesen Burschen nicht in die Hände. Er sprang auf. Genau auf das Schott zu. Der Kutscher knallte es in diesem Augenblick ganz zu und wollte gerade den Riegel vorlegen, als der dumpfe Anprall erfolgte. Ein Mann flitzte ihm entgegen, sprang ihn an, das Gesicht angstverzerrt. Der Kutscher warf sich mit einem wilden Satz zur Seite. Der Mann raste vor ihm. den Gang entlang wie ein Wilder. Der Kutscher war völlig verblüfft, und den anderen Männern ging es genauso. Sie waren an Deck damit beschäftigt, die Taue aufzuschießen, ein paar andere waren am Schrubben und Säubern. Auf der „Isabella“ erstarrten sie. Fassungslos sahen sie einen Mann aus dem Vorschiff an Deck stürzen. Er sah sich mit irren Augen nach ¬einem Fluchtweg um, sprang aufs Vorschiff, sah sich einem rothaarigen Hünen gegenüber und kehrte wieder um.
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„Bei allen Teufeln“, sagte Tucker. „Wo kommt denn dieser Affe so plötzlich her?“ „Er sprang mir aus der Vorpiek entgegen“, murmelte der Kutscher, dem der Schreck immer noch in den Knochen saß. „Halt! Bleib stehen!“ brüllte Ferris. Der Mann hörte nicht. Er hatte panische Angst. Er sprang in die Kuhl hinunter, durchraste sie, entdeckte den schwarzhaarigen Mann auf dem Achterdeck und glaubte, seine letzte Stunde habe geschlagen. „Keine Angst!“ rief Hasard. „Ihnen geschieht nichts, bleiben Sie stehen, Mann!“ Er hatte den Posten sofort erkannt, obwohl er sein Gesicht nur ganz kurz gesehen hatte. Es konnte kein anderer sein, er sah es auch an der Uniform. Jetzt dachte der Kerl sicher, sie würden ihn voller Zorn an die Rah hängen. Hasards Rufen nutzte nichts. Der Bursche nahm Anlauf, breitete die Arme aus und hechtete in die Themse. Die Seewölfe schauten sich ungläubig an. Sie glaubten, ihren Augen nicht zu trauen. Der Kerl drosch auf das Wasser ein, durchpflügte es fast noch schneller als die Galeone und hatte sich ziemlich rasch vom Schiff entfernt. Schräg gegen die Strömung schwimmend, gelangte er schnell voran. Hasard brauchte kein Wendekommando zu geben. Der Kerl war ein ausgezeichneter Schwimmer, und er war sicher heilfroh, daß ihm niemand folgte. „Den habe ich ganz vergessen“, sagte Hasard unter dem plötzlich losbrechenden Gelächter der Seewölfe. „Er bewachte das Schiff. Ich habe ihn geschnappt und gefesselt in den Gang zur Piek gelegt. Dort hat er sich vor Angst versteckt.“ „Der Kerl hat Land erreicht“, tönte Dans Stimme aus dem Ausguck. „Er entert gerade hoch!“ „Der schwimmt schneller als wir“, sagte Ben lachend. Sie sahen, wie der Posten triefend am Ufer hochstieg, sich wie ein nasser Hund schüttelte, die Faust drohend erhob und dann losrannte, als hätte er Angst, das Schiff würde ihm folgen.
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Das Gelächter nahm kein Ende, und der Kutscher schmückte die Geschichte noch aus, indem er haarklein erzählte: von seinem Schreck, von einem wilden Mann, der ihn aus der Vorpiek anfiel. Nur langsam beruhigten sich die Seewölfe. Inzwischen war das Deck geschrubbt, alles aufgeklart und die ersten Segel niedergeholt. Mit Fock und Besan segelten sie weiter, bis Dans brüllendes Organ aus dem Mast erklang. „Schaluppe voraus!“ Hälse reckten sich hoch, Erwartung machte sich in den Gesichtern der Seewölfe breit. Noch sahen sie die Schaluppe, auf der ihre Freunde und Kampfgenossen warteten, nicht, aber schon bald tauchte die Schaluppe in ihrem Blickfeld auf. Die „Isabella“ segelte der Town Pier von Sheerness entgegen, unter dem brüllenden Hurra der zurückgebliebenen Männer. An Deck stand der riesenhafte Batuti. Er hob beide Arme, sprang und tanzte und schrie sich die Kehle heiser. „Ho, ihr Rübenschweine, ihr seht ja prächtig aus!“ grölte Ed Carberry, der die Taue im Empfang nahm und sie um die Poller legte. Die fetzten Segel fielen, und jeder hatte dabei das gleiche Empfinden. Eine schöne, wilde, abenteuerliche Zeit hatte ihren Abschluß gefunden, jedenfalls was die „Isabella“ selbst betraf. „Wir haben uns auch anständig herumgeprügelt“, erwiderte Dan O'Flynn. Dann ging der Jubel los. Die wilden Kerle schlugen sich auf die Schultern, boxten sich in die Rippen, hieben sich vor Freude gegenseitig die Fäuste ins Kreuz. Arwenack begrüßte die Männer von der Schaluppe mit lautem Gekecker und flitzte aufgeregt von einem zum anderen. Batuti konnte sich kaum beruhigen. „Kleines Dan wieder zurück“, murmelte er. „Hat kleines Dan auch die Königin gesehen?“ „Klar“, log O'Flynn, ohne rät zu werden. „Wir saßen alle an ihrer Tafel. Old Lissy hat jedem die Hand geschüttelt, ganz besonders mir. Und weißt du, was sie dann
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getan hat?“ „Was hat Queen getan?“ wollte Batuti wissen, der angesichts der hohen Ehre, die Dan zuteil geworden war, nur noch staunte. „Sie hat eigenhändig Tee für uns aufgebrüht, ein teures Getränk, das es nur bei Hofe gibt. Und stell dir vor, sie trug den goldenen Anker um den Hals, den wir mitgebracht hatten.“ „Sie hat goldenes Anker ...“, stammelte Batuti fassungslos. „Klar, deswegen ging sie auch so gebeugt!“ Der Gambianeger sah das Bürschchen an, blickte zu den anderen Männern und sah das unverschämte Grinsen auf ihren Gesichtern. „Kleines Dan lügen wieder!“ grollte er. „Hab ich dich schon mal belogen?“ empörte sich Dan. „Ich hab ihr die ganze Nacht von dir erzählt, wie gut du mit dem Bogen schießen kannst, wie groß du bist, und daß du für dein Leben gern Bananen frißt.“ Dann mußte Dan zusehen, daß er verschwand, denn Batuti raste hinter ihm her, schnaubend und grollend wie ein Gewitter. Hasard berichtete in kurzen Worten, was in London passiert war. Carberrys Gesicht verfinsterte sich immer mehr. Old Shane, der hünenhafte Schmied von Arwenack, und Dans Vater, der alte Donegal Daniel O'Flynn mit dem Holzbein, sahen ihn ungläubig an. Old Shane legte Hasard seine mächtigen Hände auf die Schultern. „Nimm es nicht so schwer, Junge“, sagte er leise und bewegt. „Ich weiß, wie tief es euch getroffen haben muß und wie beschämend es war. Kein Mann kann das vergessen.“ „Und der Dank?“ knirschte Carberry, dem die Zornesader auf der Stirn immer mehr anschwoll. Sein Rammkinn hatte sich' vorgeschoben, er spuckte verächtlich über Bord. „Dank?“ Hasard wischte mit der Hand durch die Luft. „Das war der Dank für unsere Arbeit. Der Dank für drei harte
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Jahre. Man hat sie alle eingesperrt, gefoltert, sich an den Schätzen vergriffen. Kein Mensch hat sich bedankt.“ Sie konnten es nicht fassen, was sie da hörten. „Ich finde keine Worte mehr“, sagte Jean Ribault, der Franzose. „Wir haben doch eine ungeheure Leistung vollbracht, ohne groß anzugeben. Man hätte euch uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringen müssen, man hätte euch loben müssen, ihr hättet eine Auszeichnung verdient. Und wie sieht die Wirklichkeit aus?“ meinte er bitter. „Man sperrt euch ein, schießt auf euch, klaut einen Teil der Beute und foltert die Männer, die sich jahrelang dafür herumgeschlagen haben, um England zu Macht und Reichtum zu verhelfen. Es tut mir leid“, sagte er leise. „Ich schäme mich für dieses Land.“ Nach seinen Worten war es still. Dann sah der Profos den Franzosen an. „Du hast recht, ich schäme mich mit und die anderen auch. Wir haben weiter nichts als Demütigungen erfahren. Hoffentlich führt mich keine Fahrt mehr hierher.“ Hasard berichtete von den Überfällen, von dem falschen Lotsen und den angreifenden Seglern, vom Kampf Mann gegen Mann. Kopfschüttelnd hörten sie zu, ließen sich immer wieder jede Einzelheit berichten. Hasard schloß seinen Bericht, und als er geendet hatte, blieb es wieder eine Zeitlang still. „Entscheidet jetzt gemeinsam, was wir tun“, sagte er. „Ihr alle seid reich, ihr seid freie Männer, ihr habt Gold, Schmuck, Diamanten und Perlen. Damit könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Wenn jemand hierbleiben will, soll er es sagen, er erhält seinen Anteil gerecht ausgezahlt. Wie sieht es mit dir aus, Ben?“ „Hierbleiben?“ dehnte Brighton. „Ich möchte meine Mutter in Gravesend besuchen, wenn du gestattest, es wird nicht lange dauern. Ich will ihr soviel geben, daß sie in ihrem Leben nie wieder Sorgen haben muß. Im übrigen segele ich mit dir weiter.“
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„Danke, Ben. Die Bitte ist gewährt. Batuti, was meinst du?“ Der Neger warf sich in die Brust, seine Augen strahlten. „Batuti immer bleiben bei Seewolf. Wenn Seewolf in die Hölle segeln, Batuti segeln mit, kneifen Teufel in Schwanz.“ Das war sein ganzer Kommentar. Es erübrigte sich für Hasard, die anderen zu fragen. „Siehst du denn nicht, daß diese Rübenschweine alle mitwollen, Hasard?“ sagte Carberry, „die können doch gar nicht anders. Die wollen doch mit aller Gewalt die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen gezogen haben. Ich werde es ihnen schon besorgen. Wir segeln weiter, in die Hölle oder sonst wohin, zusammen, gemeinsam. Das jedenfalls meint der alte Carberry, so wahr ich der Profos bin.“ Hasard lächelte. Ja, so waren sie, diese verdammten Halunken, die Seewölfe. Sie gingen nicht auseinander, sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, sie würden den Teufel wieder und immer wieder herausfordern. „Ich danke euch allen“, sagte er. „Dann bleibt es also dabei. Wir bleiben zusammen, wir haben unser Ziel unter großen Opfern erreicht, aber dafür sind wir frei, so frei wie niemand auf dieser Welt. Und jetzt gehen wir gemeinsam zu unserer alten ,Isabella' und nehmen unser Eigentum mit. Anschließend übergeben wir sie dem Inselkommandanten. Sie gehört dann der Königin von England.“ Die Seewölfe hatten seltsam starre Gesichter. Ausnahmslos alle befanden sich jetzt an Bord der Galeone, einschließlich Arwenack, der den Abschied ebenfalls zu ahnen schien und ein letztes Mal in den Masten und Rahen herumturnte, und der nachsah, ob er in seinen Verstecken nicht auch noch eine Banane oder Kokosnuß zurückgelassen hatte. Sie inspizierten jeden Raum, nahmen die Lebensmittel mit, die Rumfässer, ihre persönliche Habe. Mit der alten „Isabella“ waren sie gut gefahren, sie hatte sie sicher durch alle Stürme getragen, sie hatte sich hervorragend bewährt. Ein gutes Schiff,
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ein stolzes Schiff, von einem Meister gebaut, der sein Handwerk verstand. Sie lebte, die Galeone, sie hatte eine Seele. Für die Männer war sie kein toter Gegenstand oder eine Sache, die man einfach beiseite schob, wenn man sie nicht mehr benötigte. Die harten Kerle schluckten beim Abschied. Es war, als verlöre man einen guten Freund, einen, der nie jemanden im Stich ließ, der immer für sie da war. Sie glaubten es aus den Spanten, Planken und Beschlägen zum Abschied knistern zu hören. Ja, sie hatte eine Seele, sie lebte. Und sie empfand den Abschied genauso wie die Männer auch. Es tat ihr weh, verlassen zu werden, jeder fühlte das überdeutlich. Tucker, der sie liebevoll gepflegt und gehegt hatte, der ihre Wunden ausgebessert hatte, wenn sie verletzt worden war, der sich um sie sorgte und kümmerte, der sie vom Kiel bis zum letzten Kupfernagel genau kannte, blieb bis zuletzt. Er sah nach, ob ihr auch nichts fehlte, und er wußte genau, daß sie sich ebenso hundsmiserabel fühlte wie er selbst. Da ging auch er von Bord, gedrückt, immer wieder einen Blick zurückwerfend auf das stolze Schiff, und er sah sie an und dachte, sie sieht aus wie ein armer, kranker Hund, den sein Herr verlassen hat. Dreimal klopfte er gegen die Reling. „Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, altes Mädchen“, sagte er leise. „Wer kann das schon wissen.“ Als Letzter stieg er auf die Schaluppe über. Da eilte Taunton über die Pier, der Hauptmann mit dem Nußknackergesicht. Er strahlte, seine anfängliche Sturheit hatte sich rasch in Hilfsbereitschaft umgewandelt. Sein Blick hing an der „Isabella“, und er grinste wieder, als er den Seewolf sah. „Guten Morgen, Sir. Erfolgreich. zurück? Es muß doch ein wunderbares Gefühl für Sie gewesen sein, bei Hofe empfangen zu werden, die Königin zu sehen und ihr die Prise zu übergeben. Ich beneide Sie darum, Sir!“
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„Ja“, sagte Hasard grimmig lächelnd. „Es war ein einmaliges Gefühl, es läßt sich kaum beschreiben. Meine Männer sind jetzt noch ganz aufgeregt.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ Taunton strahlte in dümmlicher Unbefangenheit. „Sicher hat man Sie ausgezeichnet, Sir!“ „Sicher, Hauptmann Taunton. Ich berichtete natürlich, daß Sie es waren, der uns so hilfreich unterstützt hat!“ „Wirklich, Sir?“ Taunton schob die Brust raus. Sein Name war bei Hofe erwähnt worden, es war nicht zu fassen! Das ging ihm runter, das erfüllte ihn mit nie gekanntem Stolz. Das färbte auf ihn ab! Solche Männer wie ihn brauchte die Königin! Auf ihn war Verlaß! „Darf ich an Bord kommen, Sir?“ „Bitte“, forderte ihn der Seewolf auf. Taunton sah nicht das hinterhältige Grinsen der Männer, die sich heimlich über ihn amüsierten. Er musterte schnell den Affen, der auf der Schaluppe hockte. Jetzt hatte er auch keine Angst mehr vor Arwenack. Was wollte dieser Affe schon von ihm, dessen Name bei Hof genannt worden war? Carberry schüttelte nur den Kopf. Zu Tucker gewandt sagte er: „Jetzt glaubt dieser Klotzkopf natürlich, die Königin kommt nächste Woche auf ein Tässchen Tee in Sheerness vorbei und plaudert angeregt mit ihm.“ Tucker nickte. Carberry fiel auf, daß er ständig zur „Isabella“ hinüberstarrte. Er sagte nichts, er wußte genau, wie es um den Schiffszimmermann stand, der nahm immer noch in Gedanken Abschied. „Hauptmann Taunton“, sagte Hasard zu dem Nußknacker. „Ich übergebe Ihnen hiermit die ‚Isabella V.' als Prise. Sie sind dafür verantwortlich, daß das Schiff in genau dem sauberen Zustand den zuständigen Stellen übergeben wird, in dem es sich zur Zeit befindet. Man wird es hier abholen, wann das ist, weiß ich noch nicht.“ „Sir!“ schrie Taunton und knallte die Hacken zusammen. „Ich werde die Galeone bewachen lassen, Tag und Nacht. Ich bürge mit meinem Kopf dafür, Sir!“
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„Noch etwas, Hauptmann. Ihr Bote, den Sie zur Königin schickten, wurde abgefangen und ermordet. Von einem gewissen Noah Buckle, einem Gastwirt aus Gravesend.“ Taunton nickte erblassend. „Ich weiß, Sir. Wir haben gestern Snyders Leiche am Ufer gefunden. Man hat ihn erstochen, der Mörder war uns nicht bekannt.“ „Er sitzt in London im Tower, wir haben ihn da abgeliefert. Er wird seine Strafe erhalten.“ „Und Ihre Order, Sir? Ist sie trotzdem angelangt?“ Der Seewolf hatte keine Lust, diesem begriffsstutzigen Kerl zu erklären, was alles vorgefallen war. „Ja, natürlich“, entgegnete Hasard. „Jedenfalls war man in London schon unterrichtet.“ „Das freut mich für Sie, Sir! Ich werde einen Bericht verfassen und ihn nach London schicken, Sir.“ „Tun Sie das, Taunton. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Wir werden in einer Stunde auslaufen. Wenn Sie uns noch Trinkwasser besorgen würden ...“ „Selbstverständlich, Sir. Das wird sofort erledigt. Sie erhalten alles, was Sie benötigen.” „Danke, wir brauchen nur Wasser, mehr nicht.“ Taunton verabschiedete sich großartig. Sheerness würde glänzen, er selbst in aller Munde sein. Schließlich bewachte er eins der großartigsten Schiffe, die es gab. Etwas später wurden die Wasserfässer übernommen. Die Schaluppe wurde seeklar gemacht. An der Pier stand Taunton, stolz, mit vorgereckter Brust und leuchtenden Augen sah er abwechselnd zu der „Isabella“ und dann wieder zu der Schaluppe hin. „Leinen los!“ rief der Seewolf. Taunton selbst machte die Schaluppe los, das ließ er sich einfach nicht nehmen. Die Segel füllten sich mit Wind, langsam wandte die jetzige „Isabella VI.“ den Bug von der Pier.
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Dann glitt sie sanft wie eine Feder davon, ein stolzer Schwan, aber längst nicht so herrlich wie die alte „Isabella“, die jetzt einsam und verlassen am Kai lag. Der Ebbstrom nahm sie mit, der Wind füllte die Segel des zweimastigen Schiffes. Die Seewölfe waren frei, sie atmeten die Luft der weiten See, der sie immer näher kamen. Da gleiten sie dahin, dachte Taunton benommen. Wilde, stolze Kerle. mit einem unbeugsamen Willen, vom Wind umtost, frei wie der Vogel in der Luft. Und reich waren sie, aber das konnte Taunton natürlich nicht wissen, sie waren reicher als die reichsten Männer Englands. Langsam entschwand das Schiff seinen Blicken. Die Seewölfe blickten nicht zurück. Sie hatten die Vergangenheit hinter sich gelassen. Sie fuhren in die Zukunft hinein, die Welt gehörte ihnen. 11. Ein paar Tage später wurde in London energisch durchgegriffen. Die Fahndung nach Baldwyn Keymis lief an. Im ganzen Lande wurde nach ihm gesucht. Doch der Friedensrichter blieb wie vom Erdboden verschwunden. Hauptmann Bromley wurde degradiert und verurteilt. Die Krone schickte ihn für zehn Jahre in den Kerker, weil er sich am Kronschatz der Königin vergriffen hatte, wie die offizielle Verlautbarung hieß. Der nächste, den die Gerechtigkeit ereilte, war Burton, der Friedensrichter von Plymouth. Ein Bote brachte ihm das versiegelte Schreiben des Lordkanzlers. Burton, dessen Leben von Korruption und Betrug bestimmt war, öffnete das Schreiben, las entsetzt, daß man ihn einer gerichtlichen Untersuchung wegen nach London befahl und griff sich ans Herz. Er erlitt einen Schlaganfall, der ihn total lähmte. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Sie brachten ihn ins Hospital, den feisten Burton, und da blieb er,
Ein Anker für die Königin
dahinsiechend, gelähmt, ohne Sprache, hilflos wie ein Kind. John Killigrew, das alte Schlitzohr von Arwenack, hatte rechtzeitig Wind davon gekriegt, daß gegen ihn etwas vorlag und er ebenfalls gesucht wurde. Er verschwand wieder einmal, im allerletzten Augenblick konnte er sich der gerechten Strafe entziehen. Als die Boten von London eintrafen, war der ehrenwerte Sir John nicht mehr anwesend. Er befand sich zu dieser Zeit mit seinem Schiff in der Irischen See, überfiel die Küstenorte, plünderte und enterte Schiffe. Gegen Noah Buckle lautete die Anklage auf mehrfachen Mord, Piraterie auf der Themse, Überfall, Totschlag und Diebstahl. Vier Tage später führten sie ihn aus dem Tower. Er wußte, was ihm bevorstand. Im Hof stand der Galgen. Buckle, der mehrfache Mörder, schrie und zeterte seine grenzenlose Angst in die Welt hinaus. Er fühlte sich unschuldig, von anderen mißbraucht und verführt. Leiser Trommelwirbel erklang, als zwei Henkersknechte ihn die dreizehn Stufen zum Galgen führten. Sie mußten Gewalt anwenden, denn Noah Buckle wehrte sich verzweifelt. Er, der bedenkenlos andere umgebracht hatte, begann wie ein Hund zu winseln, als es an sein eigenes Leben ging. Der Henker streifte ihm mit einer blitzschnellen Bewegung die Schlinge mit dem dicken Knoten um den Hals. Sie wurde straffgezogen. Die Henkersknechte traten zurück. Der Scharfrichter gab das Zeichen. Unter Buckles Füßen öffnete sich eine Falltür. Der schwere Mann raste hinunter, das Seil straffte sich und brach ihm das Genick. Er war auf der Stelle tot. Der Seewolf und seine Männer wußten nichts davon. Sie fuhren einem ungewissen Schicksal entgegen, das in den Sternen lag; wie Philip Hasard Killigrew ganz richtig bemerkte.
Fred McMason
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Die Freiheit war ihnen wichtiger als alles
andere.
ENDE
Ein Anker für die Königin