Klappentext Eigentlich ist Clark Kent ein ganz normaler Teenager, mit allem, was dazugehört. Seine Geduld wird auf eine...
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Klappentext Eigentlich ist Clark Kent ein ganz normaler Teenager, mit allem, was dazugehört. Seine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, als Lana Lang, seine heimliche große Liebe, sich wieder zu Whitney bekennt, der unerwartet nach Smallville zurückkehrt und somit Clarks schönsten Träumen ein jähes Ende bereitet. Aber da ist ja auch noch die neue Spanischlehrerin Lilia Sanchez. eine hinreißende Frau, die nicht nur dank ihres Aussehens, sondern auch wegen ihres bemerkenswerten Einfühlungsvermögens rasch zum Schwarm aller männlichen Highschool-Schüler aufsteigt. Auch Clark erliegt dem Charme der jungen Lehrerin, ohne zu ahnen, dass er damit Gefahr läuft, das Geheimnis seiner Superkräfte preiszugeben. Denn Lilia ist nicht nur schön, sondern verfügt, seit sie vor vielen Jahren in den berüchtigten Meteoritenhagel in Smallville geriet, über erstaunliche hellseherische Fähigkeiten. Doch das sind nicht Clarks einzige Probleme. Auch sein Freund Lex Luthor wirbt um die Gunst der betörenden Spanierin und kommt der Wahrheit über Clark dabei näher, als ihm lieb ist...
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Suzan Colón
Dunkle Vergangenheit Aus dem Amerikanischen von Thomas Ziegler
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Erstveröffentlichung bei DC Comics 2003 Titel der amerikanischen Originalausgabe: Smallville – Buried Secrets Smallville and all related names, characters and elements are trademarks of DC Comics © 2003. Das Buch »Smallville – Dunkle Vergangenheit« entstand parallel zur TVSerie Smallville, ausgestrahlt bei RTL. © 2003 Warner Bros. Television © RTL Television 2003, vermarktet durch RTL Enterprises GmbH
© der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft mbH, Köln 2003 Alle Rechte vorbehalten. Lektorat: Ralf Schmitz, Produktion: Wolfgang Arntz Umschlaggestaltung: Sens, Köln Satz: Greiner & Reichel, Köln Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-3260-0 Besuchen Sie unsere Homepage www.vgs.de
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Für Mom und Dad, die spitze sind; für Steve Korté, der ein großartiger Redakteur und Freund ist; und für Francesco Clark, der wirklich ein Supermann ist.
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Prolog SMALLVILLE, KANSAS, 1989 Es war einer der herrlichsten Tage, an die man sich in Smallville erinnern konnte. Der Himmel war unglaublich blau und klar; die Sonne strahlte und ließ die Maisfelder wie grüne Seide aussehen; ein milder Sommerwind strich über einen nahe gelegenen Teich, dessen Wasser sich leicht kräuselte. Ein perfekter Tag für ein Picknick. »Wunderschön hier draußen, nicht wahr?«, meinte ein Mann zu seiner Frau. »Nichts als frische Luft, Sonnenschein und Natur.« Seine Frau fuhr fort, Sandwichs zuzubereiten, und schwieg. »Carmen«, sprach er sie an und berührte ihren Arm. »Bitte. Sieh es dir an.« Sie blickte in dieselbe Richtung wie ihr Mann, aber sie sah etwas völlig anderes. Flache, endlose Felder aus Nichts. Der einzige Teil der Landschaft, der ihre Aufmerksamkeit erregte, war ihre neunjährige Tochter, die mit einem Fußball im Gras spielte. Aber sie behielt diese Gedanken für sich. »Befinden wir uns nicht auf dem Luthor-Anwesen?«, fragte sie besorgt. »Oder ist das noch immer das Land deines Vaters?« »Es ist noch immer das Land meines Vaters – der Teich bildet die Grenze zwischen den beiden Grundstücken. Sag mir ehrlich, Carmen«, bat der Mann und wandte sich seiner Frau zu, »gefällt es dir hier inzwischen besser?« Carmen hoffte, dass ihr Lächeln nicht zu gezwungen aussah. »Si, José, viel besser«, log sie. »Ich weiß, dass Smallville nicht so aufregend wie Madrid ist, Carmencita«, sagte José. »Ich weiß, dass du deine Dozentenstelle an der dortigen Universität vermisst. Aber 6
weißt du noch, wie ich sagte, als wir frisch verheiratet waren, dass ich eines Tages gerne nach Hause zurückkehren würde? Um das Land zu bestellen, wie mein Vater es getan hat?« Carmen nickte. »Si, si, José. Ich erinnere mich. Und ich habe mich einverstanden erklärt, hierher zu kommen, nicht wahr? Es ist eine Umstellung gewesen, ja. Aber ich weiß, wie gern du hier bist.« José seufzte erleichtert. Er hatte befürchtet, dass es Carmen nicht gefallen würde, in Smallville zu leben. Aber als sein Vater ihm die Familienfarm hinterlassen hatte – Morgen um Morgen fruchtbare Maisfelder –, hatte er die Chance ergriffen, seinen langweiligen Bürojob bei einer Versicherungsgesellschaft aufzugeben und nach Hause zurückzukehren. Jetzt, ein Jahr später, sagte seine Frau, dass sie glücklich war, und seine Tochter schien Smallville ebenso sehr zu lieben wie er. Er lächelte, während er zusah, wie sie mit dem Ball immer weiter im Feld verschwand. »Lilia«, rief Carmen ihrer Tochter zu, »lauf nicht zu weit weg.« »Entspann dich«, sagte ihr Mann. »Was könnte ihr hier schon zustoßen?« Lilia Sanchez hörte ihre Eltern nicht. Sie war völlig auf das Spiel mit dem Ball konzentriert. Da sie die ersten acht Jahre ihres Lebens in Madrid verbracht hatte, war sie mit Fußball im Fernsehen und in der Schule aufgewachsen. Der Sport war hier in den Vereinigten Staaten nicht so populär wie in Europa – noch nicht. Aber sie hatte mit ihrer Turnlehrerin gesprochen, die versprochen hatte, dass sie eine Fußballmannschaft zusammenstellen würde, wenn es ausreichend Interessenten in der Klasse gäbe. Und Lilia wollte bereit sein. Ich muss meine Knie hoch halten, dachte sie. Und treten – und TOOOOR! Die Menge rast! Lilia Sanchez hat wieder getroffen! 7
In diesem Moment hörte Lilia etwas, das wie Donner klang. In Kansas konnten Gewitter ziemlich beängstigend sein – dann verfinsterte sich der Himmel, Donner ließ das Haus erzittern, und Blitze schlugen in den Feldern ein. Aber als Lilia zum Himmel hinaufblickte, sah sie keine Wolken. Nur Feuer. Lilia starrte wie gebannt zum Himmel. »Lilia!«, schrie Carmen. »Lilia, lauf!« Carmen und José hatten noch nie etwas Derartiges gesehen. Sie hatten das ferne Grollen gehört und ebenfalls gedacht, dass ein Gewitter heraufzog. Aber als sie aufblickten, sahen sie riesige Bälle aus Feuer auf die Erde stürzen. Der erste Meteorit traf ein zwei Kilometer entferntes Maisfeld. Carmen und José spürten, wie der Boden unter dem Einschlag erbebte, und sahen Flammen und Rauch aus dem Maisfeld in die Höhe schießen. Dann schlug ein weiterer Meteorit ein, näher an der Stadt. Noch mehr Explosionen. Carmen schrie. José spähte ins Feld; seine Tochter war hingefallen und lag vom Schock wie gelähmt da. »Lilia!«, brüllte er. »Lauf zum Wagen!« Eilig rappelte sich Lilia auf. Ein kleiner, feuriger Meteorit stürzte vom Himmel ins Feld direkt neben sie. Die Explosion warf sie wieder zu Boden. Erneut sprang sie auf und lief zu ihren Eltern. Carmen rannte in Panik zu ihrer Tochter. Sie beobachtete, wie ein winziger Meteorit vom Himmel herunterraste... direkt auf Lilia zu. »Nein!«, schrie sie, als sich der Meteorit nur einen Meter hinter Lilia in den Boden bohrte. Er explodierte beim Einschlag und schleuderte Lilia durch die Luft. »Dios mio«, betete Carmen. »Bitte, lieber Gott, lass sie gesund sein.« Sie erreichte ihre Tochter als Erste und nahm sie in die Arme. Um sie herum lagen winzige Splitter des Meteoriten, die heiß und grün leuchteten. José war einen 8
Sekundenbruchteil später an ihrer Seite. »Lilia! Lilia, bist du verletzt?« Lilias Vater stützte ihren Kopf; dünne Blutfäden benetzten seine Hand, aber sie schien nicht schwer verletzt zu sein. Lilia stöhnte und ihre Lider flatterten. »Oh, dem Himmel sei Dank«, rief ihr Vater aus, während Carmen Lilia in den Armen hielt und tröstend summte. Dann, plötzlich, sprach Lilia. Aber sie sprach anders als sonst. Es klang, dachte José später, als würde ein anderer durch sie sprechen. »Ich hasse diesen Ort...«, intonierte Lilia. Ihre Augen waren jetzt offen und ihre Pupillen nach oben verdreht, und sie klang ernst und wütend. »Ich hasse es, die Frau eines Farmers zu sein! Ich war Dozentin in Madrid; wir waren dort glücklich. Warum konntest du nicht im Versicherungsbüro bleiben? Ich wollte nie hierher kommen! Ich hasse dieses gottverlassene Flachland, und jetzt sieh es dir an, sieh dir an, was unserer Tochter zugestoßen ist. Ich hasse Smallville; ich hasse es. ICH HASSE ES...«
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1 SMALLVILLE, 2003 »Clark! He, Sohn, kannst du mir hier mal helfen?« Clark Kent blickte von seinen Hausaufgaben auf. Er war auf den Heuboden der Scheune geklettert, wo sein Vater ein paar alte, bequeme Möbel, einen Tisch und Clarks Teleskop aufgestellt hatte. Es war eine kleine Zuflucht, in der Clark sitzen, nachdenken und herumhängen konnte; sein Vater nannte es seine »Festung der Einsamkeit«. Clark steckte den Kopf aus dem großen Fenster und sah seinen Dad vor dem Traktor stehen, der offensichtlich einen Platten hatte. »Bin sofort da«, rief er zurück. Jonathan Kent, Clarks Vater, hielt einen zerbrochenen Wagenheber in der Hand. »Ich wusste, dass dieses alte Ding früher oder später kaputtgehen würde«, seufzte er kopfschüttelnd. »Sohn, würdest du vielleicht...?« Clark lächelte. »Kein Problem, Dad.« Er bückte sich und hob ohne das geringste Zeichen von Anstrengung das Heck des Traktors hoch. Jonathan kniete neben dem Rad nieder und löste die Schrauben mit einem Schraubenschlüssel. »Es ist okay, Dad, ich mach das schon«, sagte Clark. Sein Vater lächelte und sah zu, wie sein sechzehnjähriger Sohn die fünf Zentimeter langen Schrauben mühelos mit den Fingerspitzen herausdrehte. Clark balancierte den Traktor auf der Schulter, wuchtete das platte Rad von der Achse und warf es zur Seite, als wäre es ein Fahrradreifen. Jonathan rollte schnaufend das neue zu Clark hinüber, der es mühelos anbrachte und binnen Sekunden die Schrauben festzog. »Ist das okay?«, fragte er seinen Vater. »Mal sehen«, sagte Jonathan. 10
Clark ließ den zwei Tonnen schweren Traktor sanft von der Schulter gleiten. Er schob ihn hin und her, um sich zu vergewissern, dass das Rad fest saß. Sein Vater lachte leise. »Ich bin wirklich froh, dass du das kannst«, sagte Jonathan und schlug seinem Sohn auf den Rücken, »und dass du es schnell machen kannst.«Er blickte zu der Straße hinüber, die zum Haus führte. Clark drehte den Kopf, um zu sehen, was sein Vater beobachtete, und grinste breit. Lana Lang, das Mädchen, das auf dem Anwesen neben der Kent-Farm lebte und zu Clarks engsten Freunden gehörte, joggte die Straße hinauf. Sie wohnt zwar in der Nähe, dachte er, aber nicht so nahe, wie ich es gerne hätte. Er winkte Lana zu, und sie winkte zurück, während sie der Straße zum Kent-Haus folgte. »Achte darauf, dass du so etwas nicht vor Lana machst, okay, Sohn?«, sagte Jonathan nur halb im Scherz. »Kein Problem«, erwiderte Clark. »Ich setzte auch sonst all meine Energie dafür ein, vor ihr nicht die Beherrschung zu verlieren.« Jonathan winkte Lana zu, als er auf den Traktor stieg und zu den Gemüsefeldern fuhr. »Hi, Mr. Kent«, rief Lana, als sie an ihm vorbeijoggte. Dann ging sie zu Clark hinüber. Nur Lana, dachte Clark, konnte in einer Trainingshose, ohne Make-up und das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, wunderschön aussehen. Sie hatte ein unglaubliches Lächeln, das ihre Mandelaugen noch exotischer wirken ließ, als sie ohnehin schon waren. Wenn dieses Lächeln so wie jetzt Clark galt, hatte er das Gefühl, fliegen zu können. »Hey«, sagte er. »Hi«, antwortete sie. »Bist du beschäftigt?« »Nein.« Er zuckte die Achseln. »Ich habe gerade meinem Dad geholfen, ein Rad zu wechseln. Was gibt’s?«
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»Ich hatte gehofft, mit dir über etwas reden zu können«, sagte Lana. Ihre Miene wurde etwas ernster. Clark führte Lana zu seinem Schlupfwinkel auf dem Heuboden. Durch das große Fenster hatte man irgendwie das Gefühl, in der freien Natur zu sein, und es bot einen herrlichen Blick auf den Sonnenuntergang, der jetzt die gesamte Scheune in ein leuchtendes Gold und Scharlachrot tauchte. Außerdem, dachte Clark, wäre es ungehörig, Lana mit in sein Zimmer zu nehmen. Es wäre ein wenig zu intim, wenn man bedachte, dass sie einen Freund hatte. Whitney Fordman war für Clark wie ein Stachel im eigenen Fleisch. Whitney war ein beliebter Sportler, der sich entschlossen hatte, Clark das Leben schwer zu machen, nachdem er bemerkt hatte, dass Clark ein Auge auf seine Freundin warf. Nicht dass Clark ein Leichtgewicht war; er war genauso groß wie Whitney. Aber da Clark über ungewöhnliche Kräfte verfügte, wagte er nicht, mit ihm zu kämpfen – nicht einmal nachdem Whitney und seine Kameraden aus dem Footballteam Clark einen Streich gespielt hatten, ihn wie eine Vogelscheuche an einen Pfosten auf dem Feld gebunden und mit Farbe ein großes rotes S auf seine Brust gesprüht hatten. Sie hätten Clark etwas Derartiges niemals antun können, wenn Whitney nicht Lanas Kette um Clarks Hals gelegt hätte. Sie wollten ihn nur kränken, doch für Clark hatte es lebensgefährliche Folgen gehabt, denn an der Kette hing ein kleiner grüner Meteoritensplitter. Lana trug sie im Gedenken an ihre Eltern, die bei dem Meteoritenhagel ums Leben gekommen waren, der vor vierzehn Jahren auf Smallville niedergegangen war. Die durchscheinenden grünen Meteoriten, die unheimlich aufleuchteten, wenn sich Clark in ihrer Nähe befand, waren das Einzige, das Clark verletzen konnte, soweit er und seine Eltern wussten. Allein in ihrer Nähe zu sein, zwang ihn in die Knie. 12
Aber seltsamerweise hatte sich sein Verhältnis zu Whitney entspannt. Zuerst hatte Whitney sein Footballstipendium verloren. Dann war sein Vater gestorben. Clark hatte Whitney bei der Beerdigung mit anderen Augen gesehen, und offenbar hatte er sich auch wirklich verändert. Nach dem Tod seines Vaters hatte er sich bei den Marines verpflichtet. Auf dem Brief, den Lana jetzt in der Hand hielt, war eine offizielle Briefmarke zu sehen – USMC für United States Marine Corps. »Ich habe einen Brief von Whitney bekommen«, sagte sie schlicht. Clark schämte sich, weil er sich sofort wünschte, dass Whitney geschrieben hätte, dass er sich von Lana trennte. Er hatte insgeheim gehofft, dass Whitneys Abwesenheit den Weg frei machen würde, damit er und Lana zusammen sein konnten. Sie hatte Whitney sogar ihre Meteoritenkette als Andenken an sie gegeben, sodass Clark nicht mehr dem gefährlichen Einfluss des Meteorits ausgesetzt war, wenn Lana in der Nähe war. Doch irgendwie hatten sich die Dinge nicht so entwickelt, wie er es sich wünschte. Vielleicht würde jetzt... Clark wartete, dass Lana sich setzte und fortfuhr. »Er schreibt hier einige Dinge, in die ich vielleicht zu viel hineindeute«, sagte Lana. »Ich habe mich gefragt, ob du vielleicht den Blickwinkel eines Jungen beisteuern könntest.« »Sicher«, nickte Clark. »Ich fange einfach mit den Stellen an, die ich nicht verstehe«, erklärte Lana und las dann laut vor: »Es tut mir Leid, dass ich so überstürzt abreisen musste, und ich weiß, dass du wegen einiger Dinge irritiert warst, als ich ging. Ich weiß noch, dass ich«Ich liebe dich»sagte, und erst später wurde mir bewusst, dass du nichts darauf erwidert hast...«
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Jetzt kommt es, dachte Clark. Sein Herz klopfte laut in seiner Brust. Er hatte Lana schon so lange aus der Ferne angebetet... War dies jetzt endlich seine Chance? »Aber in meinem Herzen«, fuhr Lana fort, »weiß ich, dass du Gefühle für mich hast, selbst wenn du dir nicht sicher bist, wie sie aussehen. Und ich weiß, dass du und ich füreinander bestimmt sind, für immer. Da ist ein Band zwischen uns, das nicht zerschnitten werden kann, und ich sehe eine wundervolle Zukunft für uns.« Lana schwieg eine Sekunde, um Atem zu holen. »Und wenn wir wieder zusammen sind, wird etwas passieren, das dafür sorgt, dass auch du es erkennst.« Sie schluckte, faltete den Brief zusammen und sah Clark an. Er war völlig verwirrt. Whitney hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er sich von Lana trennen wollte. Warum wirkte sie dann so aufgebracht? »Ich... ich verstehe nicht«, sagte Clark schließlich. »Ich schätze, ich möchte dich fragen«, sagte Lana, »was Whitney deiner Meinung nach... andeutet.« »Was er andeutet?«, wiederholte Clark. Ihm gefiel die Richtung nicht, in die sich das Gespräch bewegte. »Heirat«, sagte Lana. Clark sank das Herz. Das kann nicht wahr sein, dachte er. Lana konnte ihm unmöglich erzählen, dass sie Whitney heiraten würde. Er stand auf und drehte Lana den Rücken zu, damit sie nicht den schockierten Ausdruck auf seinem Gesicht sah. »Wow«, war alles, was er sagen konnte. »Äh... das ist ein ganz schöner Hammer.« »Denkst du, dass es das bedeutet?«, fragte Lana. »Ich meine, missverstehe ich, was Whitney schreibt? Ich könnte einen Riesenfehler machen.« Sie lachte matt. Whitney zu heiraten wäre ein Riesenfehler, dachte Clark. Er konnte es noch immer nicht über sich bringen, etwas zu
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erwidern. Die Worte konnten nicht den dicken Knoten in seiner Kehle passieren. Er liebte Lana schon seit einer Ewigkeit. Er hatte sogar schon ein Auge auf sie geworfen gehabt, als sie noch kleine Kinder gewesen waren. Sie hatte ihn damals wie einen Bruder behandelt, aber erst im letzten Jahr war seine Freundschaft zu ihr tiefer, enger und bedeutungsvoller geworden. Zwischen uns besteht ein besonderes Band, und nicht zwischen Lana und Whitney, dachte Clark. »Es ist nicht so, dass ich keine Gefühle für Whitney hätte«, sagte Lana. »Ich habe welche, sonst wäre ich nicht mit ihm zusammen, nicht wahr?« Clark betrachtete die Frage als rhetorisch. Wäre er nicht so aufgebracht gewesen, hätte er bemerkt, dass Lana sich diese Frage in Wirklichkeit selbst stellte. »Es ist nur so... ich meine, Liebe...«, fügte Lana hinzu. »Man kann das nicht einfach so zu jemand sagen. Man muss es wirklich meinen, und man muss wissen, was es bedeutet.« Aus den Augenwinkeln konnte Clark erkennen, dass Lana langsam auf und ab ging, als würde sie über etwas nachdenken. Er konnte es nicht über sich bringen, sie direkt anzusehen, und er hörte ihr auch nicht richtig zu. »Ich weiß es nicht«, sagte sie verzweifelt. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich weiß, was Liebe ist.« Sie kämpfte mit sich selbst und erwartete sichtlich etwas von Clark. Etwas, das er ihr im Moment nicht geben konnte. Ich weiß, was Liebe ist, dachte er bitter. Und jetzt tut sie weh. »Clark«, sagte sie und trat zu ihm. »Hast du... bist du... je durch deine Gefühle für einen anderen Menschen verwirrt worden?« Jetzt drehte sich Clark zu Lana um und blickte ihr tief in die Augen. Doch er konnte noch immer nicht ihren flehenden Ausdruck sehen. Ihre Augen waren so wunderschön. Kugeln 15
konnten ihn nicht verletzen, aber jetzt, in diesem Moment brachen ihm Lanas Augen das Herz. »Nein«, sagte Clark grimmig. »Ich habe immer genau gewusst, wie meine Gefühle aussehen.« Clark rannte. Er rannte so schnell er konnte, und für ein menschliches Auge war er nur ein schemenhafter Schatten, der sich mit hoher Geschwindigkeit bewegte. Nachdem Lana gegangen war, hatte Clark versucht, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, und hatte sich wieder an seine Hausaufgaben begeben. Das hatte etwa fünf Sekunden lang funktioniert, aber dann war seine Frustration übergekocht, und er hatte sein Buch zugeschlagen. Er hatte aus dem Fenster geblickt, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war und ihn beobachtete, war dann vom Heuboden gesprungen, zwei Stockwerke tiefer auf den Beinen gelandet und dann losgerannt. Es war das Einzige, das ihm einfiel, um dieses schreckliche Gefühl zu verdrängen. Er war wütend auf Lana, weil sie ihm überhaupt Whitneys Brief vorgelesen hatte, und vor allem war er wütend auf sich selbst. Lana war nicht zu Clark gekommen, um ihm etwas unter die Nase zu reiben, sondern weil sie den Rat eines Freundes brauchte. Und ich habe mich wie ein Idiot benommen, dachte er. Clark dämmerte, dass er vielleicht Lanas engster Freund war. Sie war eins der beliebtesten Mädchen in der Schule, immer von Menschen umgeben. Aber bei einer Gelegenheit hatte sie Clark erzählt, dass sie das Gefühl hatte, als würde nur er sehen, wer sie wirklich war. Und er hatte ihr gestanden, dass er genauso empfand. Aber warum kann sie dann nicht sehen, dass ich in sie verliebt bin?, fragte er sich, als er schließlich auf der staubigen Straße stehen blieb. Obwohl ihn kaum etwas anstrengte, war selbst er von dem schnellen, langen Lauf erschöpft. Er blickte 16
sich um und schätzte, dass er rund neunzig Kilometer von seinem Haus entfernt war. Eine Weile war Clark mit Lanas Freundschaft zufrieden gewesen. Wahrscheinlich, gab er innerlich zu, weil er gedacht hatte, dass schließlich mehr als nur Freundschaft daraus entstehen könnte. In Clarks Augen gaben er und Lana ein viel besseres Paar ab als sie und Whitney. Sicher, oberflächlich betrachtet schienen sie zueinander zu passen. Schließlich war Whitney der Kapitän des Footballteams und Lana die Anführerin der Cheerleader gewesen. Aber wenn man etwas tiefer bohrte, ergab es keinen Sinn. Whitney war glücklich gewesen, nur ein Sportler zu sein; Lana hatte die Cheerleadertruppe verlassen, weil sie wichtigere Dinge gefunden hatte, wie Lex Luthor zu überreden, die Restaurierung des alten Talon-Kinos zu finanzieren, in dem sich Lanas Eltern kennen gelernt hatten. Lana war tiefgründig, nachdenklich, sensibel. Clark war... Nur ihr Kumpel, dachte er. Das ist alles, was ich je für sie sein werde. Frustriert hob er einen Stein auf und schleuderte ihn zu Boden, sodass er sich über einen Meter tief in die Erde bohrte.
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2 ALS CLARK AM NÄCHSTEN TAG zur Schule ging, hatte er das, was er mit Lana erlebt hatte, ein Dutzend Mal durchdacht, und jedes Mal hatte er eine andere Lösung gefunden. Zuerst wollte er zu ihr laufen und sich entschuldigen. Dann sagte er sich, dass er vielleicht von ihr eine Entschuldigung einfordern sollte. Nein, das kam ihm nicht richtig vor... Vielleicht sollte es einfach so sein, und sie würden ein für alle Mal ihre eigenen Wege gehen... »Clark, Mann, hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Pete Ross und fuchtelte mit einer Hand vor Clarks Gesicht herum, um ihn aus seinen Tagträumen zu reißen. »Hal-lo, Erde an Clark...« »Tut mir Leid, Pete«, murmelte Clark, während sie sich durch den Schulkorridor schlängelten, der von Jugendlichen auf dem Weg zum Unterricht überfüllt war. »Was hast du gesagt?« Pete seufzte und tat so, als wäre er verärgert. »Ich habe gesagt, dass wir einen neuen Spanischlehrer bekommen haben.« »Tatsächlich?«, fragte Clark. »Was ist mit Mr. Hector?« »Du meinst Señor Hector«, betonte Pete. »Hast du es nicht gehört? Er hat sich drei Wochen Bildungsurlaub oder so etwas genommen. Ich persönlich denke, dass er bei dem Gedanken, ein weiteres Schuljahr diese Verben in meinen Kopf zu hämmern, einfach schreiend davongelaufen ist.« Clark lachte, während er seine Bücher in den Spind legte, aber Pete schüttelte den Kopf. »Ich meine es ernst, Mann. Wenn ich meine Spanischnoten nicht verbessere, werde ich noch in der Sommerschule landen. Und mein Dad wird davon nicht begeistert sein.«
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»Keine Sorge, Pete, du schaffst das schon«, versicherte Clark und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mal sehen, wer uns an Stelle von Mister – äh, Señor Hector foltern wird.« Als Clark und Pete in ihrer Spanischklasse eintrafen, schrieb eine junge Frau etwas an die Tafel – PROFESORA LILIA SANCHEZ. Sie war klein, hatte glatte, glänzende, dunkle Haare, die ihre Schultern sanft umschmiegten, wenn sie sich bewegte. Sie trug einen roten Pullover und einen weißen, mit Rosen gemusterten Rock. Es war eine ziemlich nette Aufmachung für eine Lehrerin, mehr etwas, das eine Schülerin tragen würde. Dann legte sie die Kreide zur Seite, drehte sich um und... Wow, dachte Clark. Die Lehrerin konnte nicht älter als drei- oder vierundzwanzig sein, weitaus jünger als all seine anderen Lehrer in der Smallville High. Und sie war einfach atemberaubend. Sie sah wie eine Mischung aus Penelope Cruz und Jennifer Lopez aus. »Hola«, begrüßte sie Clark und Pete. »Oh, äh – ich meine hola«, stotterte Clark. Er war sich nur vage bewusst, dass Pete hinter ihm kicherte. Er bemerkte auch nicht, dass er einfach dastand und starrte, bis die Lehrerin, diese wunderschöne Frau, wieder das Wort ergriff. »Me llamo Profesora Sanchez«, sagte sie und trat auf sie zu. »¿Yusted?« »Yo, Clark«, soufflierte Pete ihm. »Ich glaube, sie fragt nach deinem Namen.« In Wahrheit verstand Clark genau, was sie sagte. Er hatte im Allgemeinen keine Probleme mit Spanisch oder irgendeinem anderen Unterrichtsfach, was das betraf. Er wusste nicht, ob er wegen seiner besonderen Kräfte ein guter Schüler war, aber die Tatsache, dass er in weniger als einer Minute ein Lehrbuch lesen konnte, schadete wahrscheinlich nicht. Allerdings konnte er im Moment nicht richtig denken und fühlte sich ein wenig 19
benommen – etwas, das einem Jungen, der eine Kugel in die Brust bekommen hatte und weiterleben konnte, um beim Abendessen davon zu erzählen, selten widerfuhr. All dies passierte in nur wenigen Sekunden, aber für Clark war es, als würde sich alles um ihn herum in Zeitlupe bewegen – wie in jenen Momenten, wenn er in den Supergeschwindigkeitsmodus schaltete. Aber als Clark Kichern um sich herum hörte, riss er sich zusammen. »Uh, me llamo Clark Kent«, antwortete er und sagte sich, dass er sich jetzt besser an seinen Pult setzte. Er hörte vage, wie sich Pete auf Spanisch vorstellte. »Sientense, por favor.« Die Lehrerin lächelte. »Setzt euch bitte und lasst uns anfangen.« Später beim Abendessen berichtete Clarks Vater, was er heute getan hatte, unterbrach sich aber, als er bemerkte, dass sein Sohn still vor sich hinlächelte. »Ich hätte nicht gedacht, dass Dünger so amüsant ist«, sagte Jonathan scherzhaft. Clark blickte auf. »Tut mir Leid, Dad. Was hast du gesagt?« »Ich denke, dass du wahrscheinlich einen interessanteren Tag gehabt hast als ich«, erklärte Jonathan und griff nach dem Salat. »Ist heute in der Schule etwas Gutes passiert?« Clarks Lächeln verstärkte sich blitzartig. »Äh... das könnte man sagen«, erwiderte er. Jonathan und Martha Kent wechselten einen Blick und lächelten. Sie dachten beide dasselbe: Es musste etwas mit Lana Lang zu tun haben. Aber offenbar war Clark noch nicht bereit, es ihnen zu erzählen. »Ist noch was von dem Hackbraten übrig, Mom?«, fragte er unschuldig.
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»Clark, Mann, warum hast du’s so eilig?«, rief Pete, während er versuchte, mit seinem Freund Schritt zu halten. »Es ist bloß der Spanischunterricht, kein Freiflug zum Mond.« »Ich will nur nicht zu spät kommen, das ist alles«, sagte Clark und wurde etwas langsamer. Die Wahrheit war, dass er es nicht erwarten konnte, in den Spanischunterricht zu kommen, jetzt da Ms. Sanchez dort war. Es war erst ihr dritter Tag in der Schule, aber Clark musste insgeheim zugeben, dass sie ihm gefiel. Clarks Gedanken wurden unterbrochen, als ihn auf dem überfüllten Korridor jemand versehentlich anrempelte; es war Daniel Huang, ein weiterer Schüler aus Clarks und Petes Spanischklasse. »Oh, tut mir Leid, Clark«, sagte Daniel. »Ich habe dich nicht gesehen.« »Ist schon gut«, erwiderte Clark und blickte Daniel nach, als er durch den Korridor zum Klassenzimmer eilte. Clark wandte sich an Pete. »Er sah irgendwie aufgelöst aus.« Pete nickte. »Ich dachte, ich hätte Schwierigkeiten mit Spanisch, aber er flippt völlig aus«, antwortete er. »Es ist das einzige Fach, mit dem er Probleme hat, und es verschlechtert seinen Notendurchschnitt dramatisch. Seine Eltern sind nicht besonders erfreut darüber. Ich kann es total verstehen. Er wird richtig nervös, wenn Noten vergeben werden.« Daniel las konzentriert in seinem Spanischbuch, als Clark und Pete das Klassenzimmer betraten und sich setzten. Ms. Sanchez schrieb die Tagesaufgabe an die Tafel und wandte den Schülern den Rücken zu. Mitten im Satz drehte sie sich um und ging zu Daniels Pult. Obwohl sie flüsterte, konnte Clark hören, wie sie Daniel bat, nach dem Unterricht noch einen Moment zu bleiben, damit sie mit ihm reden könne. Normalerweise gehörte das nicht zu den Dingen, die ein Schüler von einem Lehrer hören wollte, doch ihr Lächeln war freundlich und Daniel schien sich zu entspannen. 21
Später im Unterricht war Pete an der Reihe, in Schweiß auszubrechen. Die Tagesaufgabe war, auf Spanisch zu sagen, womit sich die Eltern ihren Lebensunterhalt verdienten, und Ms. Sanchez hatte Pete aufgerufen. Clark hatte Mitleid mit seinem Freund. Pete hatte nicht nur wenig Vertrauen in seine Sprachkenntnisse, sondern seine Familie hatte auch noch die Buttermaisfabrik, die ihnen jahrelang gehört hatte, an Lionel Luthor verloren, der sie gekauft und in eine Düngemittelfabrik verwandelt hatte. Seitdem machten Petes Eltern schwere Zeiten durch. Ms. Sanchez konnte unmöglich gewusst haben, dass dies für Pete ein doppelt peinlicher Moment war. Er seufzte und begann tapfer: »Mi padre, äh, mi padre y...« Quälende Sekunden verstrichen. Clark versuchte, seinem Freund, der sich nervös die Hände rieb, einen beruhigenden Blick zuzuwerfen. »Mi padre...« »Geh es langsam an, Pedro«, mahnte Ms. Sanchez sanft. »Wenn du sagen willst ›Meinem Vater und meinem Onkel hat eine Maisfabrik gehört, aber...‹« Sie verstummte abrupt und sah Pete mitfühlend an, als wäre ihr gerade etwas klar geworden. »Es ist okay, Pedro. Du kannst es ein anderes Mal übersetzen. Wie steht’s mit dir, Gina?« Gina sah Pete an, der sowohl erleichtert als auch verwirrt war. »Hast du Ms. Sanchez von deiner Familie erzählt?«, fragte Clark Pete, als sie nach dem Unterricht zu ihren Spinden gingen. »Hm«, machte Pete. »Ich denke nicht, dass sie irgendetwas davon weiß. Zuerst dachte ich, sie hätte bloß Mitleid mit mir, aber es war fast so, als wüsste sie, warum ich ins Schwitzen geriet, und hätte mich deswegen vom Haken gelassen.« Pete lächelte. »Und ich weiß nicht, ob sie es wusste oder woher sie es wusste, aber Ms. Sanchez ist gerade meine Lieblingslehrerin geworden.«
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»Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finde«, sagte Clark zu seiner Freundin Chloe Sullivan, als er das Büro der Schülerzeitung betrat. »Wo sollte ich auch sonst sein?«, gab sie mit einem leicht gezwungenen Lächeln zurück. »Es ist Donnerstag, Abgabetag.« Clark setzte sich und verfolgte, wie Chloes Finger über die Tastatur ihres Computers flogen. »Nun, was erscheint diese Woche auf der Titelseite der Fackel? Irgendetwas Interessantes?« »Schlechte Nachrichten und öde Nachrichten«, sagte Chloe und lehnte sich von dem Computermonitor zurück. »Unser Aufmacher ist, dass die Schüler doch keine Woche frei bekommen werden, da die Reparaturarbeiten am Dach fast abgeschlossen sind. Und die zweite heiße Story ist, dass jeder die neue Spanischvertretungslehrerin liebt.« Sie stieß entnervt die Luft aus. »Ms. Sanchez?«, sagte Clark und setzte sich abrupt aufrecht hin. »Du hast sie interviewt?« »Nachrichtenmäßig war die Woche öde«, erwiderte Chloe. »Wo sind die Kerle, die mit ihren Gedanken Gegenstände bewegen können, und die gespenstischen psychotropen Blumen, die die Menschen in den Wahnsinn treiben, wenn man sie braucht?« Chloe, die Chefredakteurin der Zeitung, war bereits eine erfahrene Journalistin, deren Gespür für Nachrichten vor allem auf paranormale Ereignisse gerichtet war, die in der Umgebung von Smallville ziemlich normal waren. In ihrem Büro befand sich das, was sie die »Wand der Merkwürdigkeiten« nannte, eine ganze Wand voller Zeitungsausschnitte über seltsame Zwischenfälle, die seit dem Meteoritensturm in der Stadt und ihrer Umgebung passiert waren. »Und was hat Ms. Sanchez gesagt?«, fragte Clark neugierig.
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Chloe verdrehte die Augen. »Nicht auch noch du«, stöhnte sie. »Nicht auch noch ich was?« »Alle sind total in sie verliebt – offenbar vor allem die Jungs«, erklärte Chloe. »Sie ist erst seit drei Tagen hier, und die Kids in ihren Klassen stehen völlig auf sie, wenn man die Dinge bedenkt, die ich über sie gehört habe.« Sie drehte sich zu Clark um, der jetzt hinter ihr stand, damit er das Foto von Ms. Sanchez auf Chloes Computer sehen konnte. Die einzige gute Sache an Clarks intensiver Konzentration auf das Bild auf ihrem Computer war, dachte Chloe, dass er nicht den verletzten Ausdruck auf ihrem Gesicht sehen konnte. Sie hatte das ganze letzte Jahr über ein Auge auf Clark Kent geworfen, obwohl sie wusste, dass sein Herz Lana Lang gehörte. Sie hatte den Eindruck gehabt, endlich seine Zuneigung zu gewinnen, als er sie zum Junior-Abschlussball eingeladen hatte. Aber das war die Nacht gewesen, in der die Tornados die Stadt verwüstet hatten, und Clark war während des Balls davongelaufen, um Lana zu suchen. Um zu verhindern, dass ihr Ego weitere Schrammen abbekam, hatte Chloe vorgeschlagen, dass sie und Clark nur Freunde bleiben sollten; er hatte zugestimmt – sehr schnell sogar, wie sie sich schmerzlich erinnerte. Und jetzt war da eine andere Frau, die Clarks Aufmerksamkeit erregt hatte. Sicher, jede andere, nur nicht ich, dachte Chloe düster. Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass Clarks Freundschaft besser als nichts war. Es funktionierte nicht immer. »Ich nehme an«, sagte Chloe sarkastisch, um ihre wahren Gefühle zu maskieren, »dass ich dich auf die Liste ihrer Fans setzen kann?« »Das könnte man sagen«, gestand Clark, als er zu seinem Stuhl zurückkehrte. »Ich meine, ich finde, sie ist eine wirklich gute Lehrerin.« 24
»Darf ich dich vielleicht zitieren?« Chloe lächelte. »Du sagst mir damit nichts Neues. Ich habe das schon ein Dutzend Mal gehört. Oh, und die anderen Sprüche, die ich immer wieder höre: ›Sie scheint genau zu wissen, was mir Schwierigkeiten macht‹ und ›Sie ist total heiß.‹« Clark zuckte die Schultern und lächelte. »Das stimmt alles. Ich fürchte, ich kann dem nichts Interessanteres hinzufügen.« »Eigentlich« – Chloe dachte eine Sekunde nach – »hat Ms. Sanchez mir eine interessante Geschichte erzählt.« »Wenn du sie interessant fandest, muss irgendetwas Merkwürdiges passiert sein.« »Ich werde das ignorieren«, entgegnete Chloe und strich sich ihre blonden Locken aus den Augen. »Aber du hast Recht. Wusstest du«, begann Chloe und beugte sich näher zu Clark, »dass Ms. Sanchez fast von einem Meteoriten getroffen wurde?«
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3 OH NEIN, DACHTE CLARK, eine weitere Meteoritengeschichte. Hoffentlich ist sie nicht zu schrecklich. Clark hasste es, Geschichten über das zu hören, was den Leuten während des Meteoritensturms passiert war, der Smallville verwüstet hatte. Es gab eine Menge derartiger Geschichten, und es ging in ihnen fast immer um Angst, Chaos, Zerstörung und Tod. Und Clark fühlte sich für all das verantwortlich. Feurige Meteoriten waren nicht die einzigen Dinge gewesen, die an jenem Tag auf die Erde gestürzt waren. Ein kleines Raumschiff hatte sie begleitet. In ihm befand sich ein etwa drei Jahre altes Kind. Es war ein Rätsel, woher das Raumschiff gekommen war, warum sich das Kind an Bord befunden und wer es geschickt hatte. Meine leiblichen Eltern, dachte Clark. Leute, die ihn entweder nicht gewollt oder die ihn aus irgendeinem Grund weggeschickt hatten. Und wenn dies der Fall war, waren diese Leute inzwischen wahrscheinlich tot. Das Raumschiff und die Meteoriten waren auf die Erde gestürzt und in Smallville eingeschlagen. Jonathan und Martha Kent war es mit knapper Not gelungen, ihren Truck aus dem Wirkungsbereich einer gewaltigen Explosion zu steuern. Der Truck hatte sich überschlagen, und als sie wieder zu sich gekommen waren, fanden sie sich kopfüber in der Kabine wieder und sahen draußen einen kleinen Jungen. Er stand in der Mitte eines feurigen Kraters, völlig unversehrt, und lächelte sie an. Er hatte dann spielerisch nach der Beifahrertür gegriffen und sie aus dem Truck gerissen. Jonathan und Martha, die so lange für ein Kind gebetet hatten, hatten eilig das Raumschiff in ihrem Sturmkeller
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versteckt und den Jungen adoptiert. Sie nannten ihren neuen Sohn Clark. Er hatte immer gewusst, dass er adoptiert war, und er hatte gewusst, dass er ein wenig anders war – die unglaubliche Kraft, die Fähigkeit, schneller als jedes Auto zu rennen, und ein paar neue, unheimliche Talente wie die plötzliche Gabe, durch Wände zu sehen, eine Art Röntgenblick. Aber Clarks Eltern hatten ihm erst im letzten Jahr von dem Raumschiff erzählt. Das hatte genügt, um Clarks Welt zu erschüttern, aber es war nichts im Vergleich zu den Gefühlen, die ihn bewegten, als er begriffen hatte, dass er ein Teil der Katastrophe gewesen war, die so viele Menschen betroffen hatte. Lana Langs Eltern waren bei dem Meteoritenschauer getötet worden. Clarks Freund Lex Luthor, dessem Vater halb Smallville gehörte, war in einem Maisfeld gewesen, als in seiner unmittelbaren Nähe ein Meteorit eingeschlagen war. Seitdem war er unerklärlicherweise kahlköpfig und deswegen extrem befangen. Und all das ist meine Schuld, dachte Clark unglücklich. Und Ms. Sanchez, seine wunderschöne Spanischlehrerin – war sie auch ein Opfer des Meteoritenschauers? »Yep«, sagte Chloe. »Sie ist fast von einem Meteoriten erschlagen worden.« Clark zuckte zusammen. »Erzähl mir, was passiert ist«, bat er. »Okay, aber ich fange von Anfang an. Wie du wahrscheinlich weißt, kommt Ms. Sanchez aus Madrid. Aber ihre Familie ist nach Smallville gezogen, nachdem ihr Großvater starb und die Familienfarm Ms. Sanchez’ Vater hinterlassen hat. Sie war damals neun.« »Erzähl weiter«, sagte Clark und nickte. »Hier kommt der interessante Teil. Die Sanchez’ waren draußen und machten ein Picknick, als der Meteoritenschauer einsetzte. Ms. Sanchez wurde nur um einen knappen Meter von 27
einem verfehlt. Offenbar zersplitterte er beim Einschlag hinter ihr.« Clark lehnte sich mit einem Seufzer der Erleichterung zurück. Niemand war gestorben, und Ms. Sanchez war offenbar nicht verletzt worden. »Wow«, sagte er. »Das ist erstaunlich.« »Ich weiß«, nickte Chloe mit einem zufriedenen Lächeln. »Ich habe all das in einem nur zehnminütigen Interview aus ihr herausbekommen!« Einen Moment lang ließ ihr Stolz sie ihre Gefühle für Clark vergessen. »Heute die Fackel in der Smallville Highschool; morgen der Daily Planet in Metropolis.« Sie drückte auf eine Taste an ihrem Computer, um ihren Artikel zu speichern. »Du kannst es lesen, wenn du willst.« Es waren einige Tage vergangen, seit Lana auf den Heuboden gekommen war, um Whitneys Brief vorzulesen, und sie und Clark hatten noch immer nicht miteinander gesprochen; ein gelegentliches »Hi« im Korridor der Schule war alles gewesen, sah man von der einen Gelegenheit ab, bei der Lana an Clarks Spind vorbeigekommen war und ihn gefragt hatte, wie es ihm gehe. Aber sie waren nur eine Sekunde allein gewesen, bevor Pete und Chloe zu ihnen gestoßen waren, und dann hatte Lana gesagt, dass sie gehen müsste. »Haben wir irgendetwas gesagt, das sie vertrieben hat?«, fragte Chloe. Clark wollte ihnen nicht die ganze Geschichte erzählen und hatte sich eine Entschuldigung für Lanas überstürzten Weggang ausgedacht – er hatte behauptet, dass sie sich um ihren Managerjob im Talon kümmern müsste. Clark hasste dieses unbehagliche Gefühl zwischen ihnen, und er vermisste es, mit Lana zu reden. Und so wollte er an diesem Abend ins Talon gehen, Lana bitten, eine Pause zu machen, und sich bei ihr entschuldigen. Außerdem hatte er einen perfekten Vorwand für seinen Besuch – der Bioapfelkuchen 28
seiner Mutter war das meistverkaufte Dessert im Talon, und heute war Liefertag. Clark steuerte seinen Truck um die Ecke. An der Markise des Talon stand SAMSTAGABEND POESIEWETTBEWERB. Von außen sah das Gebäude noch immer wie ein altes Kino aus, aber im Innern hatte Lana (mit Lex’ finanzieller Hilfe) das verfallene Lichtspielhaus restauriert und es in ein sehr cooles Lokal verwandelt. Überall standen große Stühle und Couchen, der Boden war mit einem dunkelroten Teppich ausgelegt und die indirekte Beleuchtung sorgte für eine gemütliche Atmosphäre. Die Gäste tranken Milchkaffee, unterhielten sich und tippten auf ihren Laptops. Lana stand hinter der Theke an der Capuccinomaschine, als Clark hereinkam. »Lieferung«, sagte er fröhlich und stellte die Kuchenkiste auf die Theke. Lana drehte sich um und lächelte zögernd. »Hey«, grüßte sie ihn. »Ich dachte, deine Mom hätte gesagt, sie würde die Lieferung bringen.« Sie nahm die Kuchen aus der Kiste und stellte sie beiseite. »Ich wollte ihr die Fahrt ersparen«, erwiderte Clark. »Das ist doch okay, oder?« Lana grinste. »Natürlich ist es okay«, versicherte sie. »Ich habe das Gefühl, als hätte ich seit Jahren nicht mehr mit dir gesprochen.« »Ich auch«, sagte Clark und ließ sich auf einem Hocker an der Theke nieder. »Hör mal, Lana... es tut mir wirklich Leid, wie ich mich da verhalten habe.« Lana schüttelte den Kopf. »Du musst dich für nichts entschuldigen, Clark. Ich habe dich in meine Privatangelegenheiten hineingezogen, und das hätte ich nicht tun sollen.« »Aber das ist nicht...« Clark verstummte, nicht sicher, wie er fortfahren sollte. Er spürte jenen vertrauten Sog des Gefühls, 29
das ihn an Lana band, und es machte ihm Mut. Ich werde es tun, dachte er. Ich werde ihr sagen, was ich empfinde. Ich habe nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. »Die Sache ist«, begann Clark, »ich wollte dich wissen lassen...« In diesem Moment spürte Clark eine schwere Hand auf seiner Schulter. »Hey, Clark«, sagte eine vertraute Stimme. Clark drehte sich um und sah einen hoch gewachsenen blonden Mann in Uniform hinter ihm stehen. »Whitney«, sagte Clark geschockt.
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4 »ALTER, WIE GEHT’S DIR?«, fragt Whitney lächelnd. Er schüttelte Clarks Hand und legte seinen anderen Arm um Clarks Schultern. Clark war zu überrascht, um etwas anderes zu tun als Whitneys Hand zu schütteln, ihm auf den Rücken zu klopfen und erneut ungläubig »Whitney!« hervorzustoßen. »Was machst du hier?« »Ich habe Wochenendurlaub«, sagte er grinsend. »Wie meine ganze Kaserne, da sich herausgestellt hat, dass wir in diesem Monat die besten Schützen sind.« Clark war wie benommen. Was für ein unglaubliches Timing, dachte er. Gerade als ich Lana sagen wollte, dass ich sie liebe, taucht Whitney auf. »Außerdem«, fuhr Whitney fort, »vermisse ich alles – meine Mom, meine Freunde« – er drehte sich um und sah Lana bedeutungsvoll an – »und eine Person ganz besonders.« Lanas Lächeln wirkte gequält, fand Clark, aber wahrscheinlich nicht so gequält wie sein eigenes. Sie blickte zum Eingang des Talon hinüber, wo gerade eine Gruppe von Leuten hereingekommen war. »Verdammt«, sagte sie. »Die Pflicht ruft.« Sie verließ Clark und Whitney, der sich auf den Hocker neben Clark setzte. Clark versuchte sich zu fassen. »Nun, wie läuft’s, Whitney?« »Es läuft großartig«, antwortete er. »Ich liebe die Marines. Es ist hart, versteh mich nicht falsch – ich dachte schon, die Grundausbildung würde mich umbringen.« Er lachte. »Aber endlich habe ich das Gefühl – ich will dich nicht nerven, Clark –, aber endlich habe ich das Gefühl, dass ich eine Arbeit mache, die etwas bedeutet. Als würde ich etwas bedeuten.« Während Clark zuhörte, wurde ihm klar, dass sich Whitney wirklich verändert hatte. Es lag nicht allein an seiner gestärkten Uniform oder seinem kurzen Haarschnitt oder seiner kerzengeraden Haltung, obwohl all das Whitney mehr wie 31
einen Mann und weniger wie den Highschooloberstufenschüler aussehen ließ, den Clark gekannt hatte. Da war ein anderer Ausdruck in seinen Augen. »Ich habe immer gedacht, dass es mich zu etwas Besonderem macht, der Kapitän des Footballteams zu sein«, sagte Whitney. »Aber jetzt weiß ich, dass das – nun, es hat Spaß gemacht, aber es bedeutete nicht, dass ich ein Mann war. Doch genug von mir.« Whitney lächelte. »Wie geht’s dir, Clark?« Clark wollte Whitney liebend gern erzählen, wie er Lana vor den gewaltigen Tornados gerettet hatte, die Smallville an dem Tag, als Whitney zur Grundausbildung abgereist war, verwüstet hatten. Er wollte ihm von den erstaunlichen Dingen erzählen, die er tun konnte und die mindestens so bedeutend waren wie das, was Whitney sagte. Aber er wagte es nicht; dies war kein Wettbewerb, den er gewinnen konnte, ohne sein Geheimnis zu enthüllen. »Gut.« Clark zuckte die Schultern. »Du weißt schon, nur das normale Leben in Smallville.« Whitney sah über seine Schulter zu Lana hinüber, die noch immer Kaffeebestellungen annahm. »Und Lana...«, sagte er. »Ist sie okay?« »Ja«, bestätigte Clark. »Ihr geht’s gut.« »Ich weiß wirklich zu schätzen, dass du auf sie aufpasst«, erklärte Whitney. »Ich weiß, dass ich damit viel von dir verlange, Clark, aber du bist der Einzige, dem ich wirklich vertraue.« Clark holte tief Luft. Das war alles zu viel für ihn. Zuerst hatte ihm Lana den Brief vorgelesen, dann war Clark gekommen, um ihr die Wahrheit über seine Gefühle für sie zu sagen – genau an dem Tag, an dem Whitney nach Smallville zurückkehrte. Ich habe eben unglaubliches Glück, dachte Clark. Und wenn Whitney jetzt noch anfing, ihm von Lana vorzuschwärmen, würde er vielleicht die Beherrschung verlieren. 32
»Es ist nur so, dass Lana ein wenig zugeknöpft wirkt«, fuhr Whitney fort. »Ich fürchte, sie hat vielleicht... Vorbehalte.« »Tja.« Clark seufzte. Whitney schwieg eine Sekunde und legte dann eine Hand auf Clarks Schulter – aber nicht auf dieselbe Weise wie vorhin, als er Clark begrüßt hatte. »Einen Moment«, sagte Whitney mit steinernem Gesicht. »Was meinst du mit ›Tja‹? Kent, weißt du etwas, das ich nicht weiß?« »Nein!«, stieß Clark hastig hervor. »Nein, ich... Lana erwähnte... ich meine, ich habe nur vermutet...« Whitney wirkte verletzt und zornig. »Hat Lana dir etwas über uns erzählt? Über ihre Gefühle für mich?« »Mann, kann denn niemand mehr einen normalen Kaffee bestellen?«, sagte Lana scherzhaft, als sie zur Theke zurückkehrte. Sie wurde von Whitneys schockiertem und Clarks hilflosem Gesichtsausdruck begrüßt. »Was ist los?«, fragte sie misstrauisch. »Kent wollte gerade gehen«, sagte Whitney spitz, »damit du und ich eine Weile allein sein können.« Clark verließ das Talon mit schwerem Herzen. Er war hergekommen, um sich bei Lana zu entschuldigen und ihr sogar zu sagen, was er wirklich für sie empfand, und stattdessen hatte er dafür gesorgt, dass sie Ärger mit Whitney bekam. Schlimmer noch, jetzt würde Lana wahrscheinlich wütend auf ihn sein, weil er ihr Vertrauen enttäuscht hatte, indem er mit Whitney über ihre Gefühle gesprochen hatte, auch wenn er kaum ein Wort gesagt hatte. Er stellte die leere Kuchenkiste in den Laderaum seines Trucks und wunderte sich darüber, dass alles in weniger als fünf Minuten so total schief gehen konnte. »Du siehst aus wie ein Mann, der nicht den besten Tag auf der Welt hat«, sagte eine Stimme hinter ihm. 33
»He, Lex.« Clark rang sich ein mattes Lächeln ab, als er sich zu seinem Freund umdrehte. Mit seinem Kahlkopf, seinem teuren dunklen Anzug und seinem glänzenden silbernen Porsche war Lex Luthor für einen vierundzwanzigjährigen Mann eine beeindruckende Erscheinung. Er schaute vorbei, vermutete Clark, um wie jede Woche die Buchhaltungsunterlagen von Lana abzuholen. Er hatte das Talon auf Lanas Drängen hin von Lanas Tante Nell gekauft, um zu verhindern, dass es abgerissen und in einen Parkplatz verwandelt wurde. Das Talon war für Lex eine Art Hobby; als Sohn von Lionel Luthor und einziger Erbe der LuthorCorp, eines Milliarden Dollar schweren Konzerns, hatte Lex wahrscheinlich eine Tonne anderer, wichtigerer Geschäftsprojekte, die seine Aufmerksamkeit erforderten. Aber Lex bewunderte Lanas harte Arbeit im Talon, und er wollte sie ermutigen. Außerdem konnte es die Reputation der Luthors nur verbessern, wenn er half, eins von Smallvilles Wahrzeichen zu retten. Die Luthors hatten einen schlechten Ruf in Smallville. Lex und sein Vater waren die reichen Leute, denen die örtliche Bank, die Düngemittelfabrik und viele andere Unternehmen in der Stadt gehörten und deren Geschäftsgebaren im besten Fall zweifelhaft war. Jedenfalls Lionels. Es war fast zwei Jahre her, dass Lionel Lex mit der Leitung der Düngemittelfabrik beauftragt hatte, damit er das Familiengeschäft erlernte, und Lex hatte einen Großteil seiner Zeit und Energie investiert, um die Bürger von Smallville davon zu überzeugen, dass er nicht der Schuft war, für den ihn alle hielten, oder dass er zumindest nicht so ein herzloser Schurke wie sein Vater war. Obwohl Clark in Lex einen engen Freund sah, war Lex auf der Kent-Farm kaum willkommen. Clarks Vater teilte das allgemeine Misstrauen der Stadt gegen die Luthors und zog sich meistens zurück, wenn Lex vorbeikam. Aber Clark war froh, Lex zu sehen, vor allem in diesem Moment. 34
»Weißt du, wie Schuhe schmecken, Lex?«, fragte Clark. »Ich weiß es bestimmt. Denn ich habe gerade einen gewaltigen Tritt bekommen.« »Lass mich raten«, sagte Lex ruhig. »Es hat etwas mit Lana und der Sportskanone zu tun.« Lex nannte Whitney nur selten bei seinem Namen. Er wusste von Clarks Gefühlen für Lana und hatte Clark stets ermutigt, sie zu umwerben, trotz der Tatsache, dass sie einen Freund hatte. Lex schien nicht das rücksichtslose Geschäftsgebaren seines Vaters zu teilen, aber er besaß eindeutig das Luthor-Gen für »Gewinne, ganz gleich, was es kostet!« Clark nickte. »Lana hat mir etwas anvertraut, und ich denke, ich habe es Whitney gerade verraten.« Er versuchte zu lächeln. »Ich würde mir deswegen keine allzu großen Sorgen machen. Es wird wahrscheinlich nur das Gespräch erzwingen, das sie ohnehin führen müssen. Es hat nie einen Sinn, irgendetwas zu verbergen, Clark«, sagte Lex, als er das Talon betrat. »Die Wahrheit kommt immer heraus.« Während Clark nach Hause fuhr, dachte er über Lex’ Worte nach. Er hatte vermutlich Recht; die Wahrheit kam früher oder später immer heraus. Und eines Tages – ob sie nun mit Whitney zusammen war oder nicht – würde Clark Lana seine wahren Gefühle für sie anvertrauen. Aber, dachte Clark bedrückt, er würde nie in der Lage sein, Lex in einer völlig anderen Angelegenheit die Wahrheit zu sagen. Clark erinnerte sich noch deutlich an den Tag vor zwei Jahren, als er Lex Luthor kennen gelernt hatte. Lex hatte auf einer Brücke die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Er war mit einer Geschwindigkeit von neunzig Kilometern pro Stunde durch das Brückengeländer gebrochen und in den Fluss darunter gestürzt.
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Clark hatte auf dieser Brücke gestanden. In dem einen Moment hatte er ins Wasser gestarrt, tief in Gedanken versunken, und im nächsten hatte er quietschende Reifen gehört und Lex’ Wagen auf sich zurasen gesehen. Clark erinnerte sich, wie der Wagen ihn gerammt hatte – ein Schock – und er dann durch die Luft geflogen war. Das Letzte, was er gesehen hatte, bevor der Wagen durch die Seite der Brücke gebrochen war und ihn ins kalte Wasser geschleudert hatte, war Lex’ entsetztes Gesicht gewesen. Er hatte keine Zeit zum Nachdenken gehabt. Clark hatte das Dach des Wagens abgerissen, um Lex zu retten, der bewusstlos war und zu ertrinken drohte. Clark hatte erst später bemerkt, nachdem der Krankenwagen Lex abtransportiert und Jonathan Kent Clark nach Hause gebracht hatte, dass er völlig unversehrt war. Er hatte nicht einmal eine Schramme oder einen Kratzer. Aber Lex hatte es auch bemerkt. Es nagte an ihm und ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und so sehr sich Clark auch bemüht hatte, Lex davon zu überzeugen, dass der Wagen ihn knapp verfehlt hatte und er ins Wasser gesprungen war, um ihn zu retten, wusste Lex doch – er wusste es –, dass er den Teenager mit voller Wucht gerammt hatte. Und es gab keine Erklärung für das Wagendach, das wie der Deckel einer Konservenbüchse abgeschält worden war. Trotz ihrer Uneinigkeit, was wirklich an jenem Tag passiert war, waren Clark und Lex Freunde geworden. Sie bewunderten einander, und Clark sah in Lex manchmal einen älteren Bruder. Doch hin und wieder passierte etwas Seltsames, das Lex’ Misstrauen neue Nahrung gab. Obwohl Clark niemals an Lex’ Freundschaft zweifelte, fragte er sich, als er in die Auffahrt seines Hauses bog, ob dieses Misstrauen jemals verschwinden würde. In dieser Nacht riskierte Clark ein Telefonat mit Lana. Er musste mit ihr reden; er konnte nicht warten, bis er sie am 36
Montag in der Schule sah, um herauszufinden, was zwischen ihr und Whitney vorgefallen war, und er wagte es nicht, sie in ihrem Haus zu besuchen, solange Whitney da war. »Hallo?«, meldete sich Lana. »Hi, ich bin’s«, sagte Clark. »Kannst du reden?« »Eigentlich nicht. Ich meine, nur einen Moment. Whitney und einige seiner Freunde sind auf dem Weg hierher.« Clark zögerte und wusste nicht so recht, wie er anfangen sollte. »Ich wollte mich nur entschuldigen«, erklärte er. »Hast du Ärger bekommen?« »Nun«, sagte Lana, »wir haben eigentlich noch nicht darüber gesprochen – ich war im Talon zu beschäftigt. Aber das ist wahrscheinlich das Beste. Es gibt eine Menge Dinge, über die Whitney und ich reden müssen, und das hat irgendwie die Tür geöffnet. Und du kennst die Redensart – was uns nicht umbringt, macht uns nur noch stärker.« Lana versuchte unbeschwert zu klingen. Clark schwieg; er wusste nicht, was er sagen sollte. »Ich muss gehen«, erklärte Lana schließlich. »Whitney ist da.« »Okay«, sagte Clark und legte erst auf, als er das Klicken am anderen Ende hörte. Nun, dachte er, entweder werden sich Lana und Whitney trennen, oder Lana wird am Montag mit einem Verlobungsring am Finger in die Schule kommen. Clark seufzte und lehnte sich auf seinem Bett zurück. Das einzig Gute, das in dieser Woche passiert war, war die Tatsache, dass Ms. Sanchez nach Smallville gekommen war. Nur an sie zu denken zauberte ein Lächeln auf Clarks Gesicht. Er hatte zumindest einen Grund, sich auf die Schule am Montag zu freuen.
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5 ZU CLARKS AUFGABEN an den Samstagnachmittagen gehörte die Zusammenstellung der Kisten mit Gemüse von der Farm seiner Eltern, die an verschiedene Geschäfte in der Stadt geliefert wurden. Jede Kiste wog über hundert Pfund; Clark hob sie hoch, als wären sie leere Pappkartons. »Hi, Mom«, sagte er, als er Martha im Türrahmen stehen sah. »Ich bin hier fast fertig.« »Das kann ich sehen.« Sie lächelte. »Übrigens, Lana hat angerufen.« Clark zuckte die Schultern. »Wo sollen diese Kisten hin?« Martha runzelte fragend die Stirn. »Dort drüben«, sagte sie. »Anrufe von Lana lösen bei dir normalerweise etwas mehr Begeisterung aus.« Clark zuckte nur erneut die Schultern. »Habt ihr Streit gehabt?«, fragte Martha. »Irgendwie schon«, gestand Clark, »und es ging dabei um Whitney.« Er seufzte. »Ich denke, ich will einfach nichts mehr davon hören, ganz gleich, was es ist.« »Ich verstehe«, sagte seine Mom. »Außerdem«, fuhr Clark fort, während er mühelos die letzte Kiste auf die anderen stellte, »habe ich nachgedacht, und weißt du, was mir klar geworden ist? Lana Lang ist nicht das einzige Mädchen in Smallville.« »Oh?«, sagte Martha. »Und wer ist dieses andere Mädchen?« Clark lächelte. »Das«, erwiderte er, während er seine Mom auf die Wange küsste, »ist ein Geheimnis.« In dieser Nacht hob sich die Mondsichel wie ein Lächeln vor dem schwarzen Hintergrund einer Million Sterne ab, und Lana und Whitney fuhren ziellos durch die Gegend. Es hätte ein fröhlicher Ausflug sein sollen. Es war das erste Mal seit gestern, als Whitney nach Hause gekommen war, dass sie 38
allein waren. In der Zwischenzeit hatte er sich um seine Freunde und Verwandten kümmern müssen, die ihn alle sehen und über das Leben bei den Marines ausfragen wollten. Lana war die meiste Zeit an Whitneys Seite gewesen, lächelnd wie die pflichtbewusste, treue Freundin. Schließlich waren alle wieder gegangen, sodass Whitney und Lana etwas Zeit allein verbringen konnten. Während der Fahrt hatte Schweigen geherrscht, nur durchbrochen von Whitneys Frage: »Möchtest du Radio hören?«, und Lanas Antwort: »Mach was du willst.« Schließlich hielt Whitney den Truck auf einem wunderschönen Hügel an, wo sie zusammen gepicknickt hatten, bevor er zur Grundausbildung abgereist war. Sie hatte an jenem Tag befürchtet, dass er ihr einen Antrag machen wollte, aber statt einen Ring aus seinem Proviantbeutel zu ziehen, hatte er seine Einberufungsunterlagen zum Vorschein gebracht. Lana befürchtete nicht, dass Whitney ihr jetzt einen Antrag machen würde. Sie versuchte einen Weg zu finden, das verlegene Schweigen zwischen ihnen zu beenden. »Es ist wunderschön hier draußen«, sagte sie. Whitney blickte zu den Sternen auf und seufzte. »Lana, was ist los?«, fragte er sanft. Sie zögerte. »Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll.« Whitney drehte sich zu ihr um. »Mit uns, Lana. Ich muss wissen, was mit uns los ist. Irgendwie fühlt es sich anders an, und Clark sagte gestern, dass du Vorbehalte hast.« Lana blickte ehrlich überrascht drein. »Clark hat das gesagt?« »Nicht mit so vielen Worten«, erwiderte Whitney. »Ich habe erwähnt, dass ich etwas Derartiges befürchte, und er hat irgendwie zugestimmt. Hast du Clark etwas über uns erzählt? Etwas, das du vielleicht mir hättest sagen sollen?« Er wirkte jetzt nicht mehr zornig, nur verletzt.
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Lana hatte nicht vor, Whitney zu belügen, aber sie wollte ihm auch nicht verraten, dass sie seinen Brief anderen Leuten laut vorgelesen hatte. Sie suchte nach den richtigen Worten. »Clark ist mein Freund, Whitney«, sagte sie. »Manchmal erzähle ich ihm Dinge über mich, Dinge, die mich verunsichern.« »Bist du...«, Whitney holte tief Luft, »bist du wegen uns verunsichert?« Lana wandte den Blick von Whitney ab, sah hinauf zum Himmel und wünschte sich, dass ihr die Sterne die Antwort geben würden. Warum konnte sie sich ihrer Gefühle nicht sicherer sein? Sie wusste, dass sie sich auf eine undefinierbare Weise zu Whitney hingezogen fühlte. Aber wie konnte sie dann derart intime Gespräche über ihre privatesten Gedanken und Gefühle mit Clark führen? Am besten verwirre ich die Dinge nicht noch mehr, indem ich Clark hineinziehe, dachte Lana. Dann gestand sie Whitney die Wahrheit. »Ich kann dir nur sagen, dass sich meine Gefühle für dich nicht verändert haben«, begann sie. »Es ist nur so... Ehrlich, es ist schwer für mich zu erklären, was meine Gefühle sind. Aber du weißt, dass ich Gefühle für dich habe.« Whitney nickte ruhig. »Okay«, sagte er. »Solange du noch immer Gefühle für mich hast, kann ich darauf warten, dass du dir über sie im Klaren wirst.« Sie blickten wieder zum Nachthimmel auf. Lana fühlte sich ein wenig beruhigter, ein wenig entspannter. Whitney hatte akzeptiert, was sie gesagt hatte. Es gab nur noch eine Sache, die sie noch immer nicht verstand. »Whitney, kann ich dir eine Frage stellen?« »Sicher«, nickte er. »In deinem Brief hast du geschrieben, dass beim nächsten Mal, wenn wir zusammen sind, etwas passieren wird, durch das ich erkenne, dass wir füreinander bestimmt sind«, sagte Lana.
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»Ich will nicht darauf herumreiten, aber... was hast du damit gemeint?« Whitney lächelte sie warm an, ein Lächeln, das Lana nur zu gut kannte. Es war das Beste an Whitney, ein Lächeln, das von Herzen kam. »Komm her«, sagte er, »und ich werde es dir zeigen.« Er streckte seine Arme nach ihr aus. Langsam beugte sich Lana zu ihm und ließ sich von ihm umarmen. Sie entspannte sich und legte ihren Kopf an seine Schulter. Es war, als wäre sie von einer großen warmen Decke umhüllt. »Siehst du«, sagte Whitney. »Das habe ich gemeint.« Lana schloss die Augen, und sie fühlte sich so, wie sie sich immer in Whitneys Armen fühlte: sicher.
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6 DER MONTAG WAR NORMALERWEISE nicht der Lieblingstag der Schüler der Smallville High, aber Clark hatte seine Gewohnheiten geändert. In der letzten Unterrichtsstunde an diesem Tag hatte er Spanisch, und er hatte das ganze Wochenende damit verbracht, an Lilia Sanchez zu denken, und sich den ganzen Tag darauf gefreut, sie zu sehen. Er legte eilig seine anderen Bücher in den Spind, warf die Tür zu und ging (schnell für alle anderen – für ihn fühlte es sich langsam an) zum Klassenzimmer. Er sah Chloe auf dem Korridor, doch er blieb nicht stehen, um mit ihr zu reden. Er warf ihr nur ein flüchtiges »Hi!« zu, bevor er weitereilte. Er war nicht der Einzige, der neue Begeisterung für den Spanischunterricht zu entwickelt haben schien. Für jeden, der Schwierigkeiten mit dem Fach hatte, war es eine quälende Peinlichkeit gewesen, vor allen anderen nach den richtigen Worten zu suchen. Nicht dass Mr. Hector, ihr normaler Lehrer, ein Schleifer war, aber er konnte ziemlich fordernd sein. Aber Ms. Sanchez war viel einfühlsamer und ermutigender, lachte mit den Schülern und verbreitete eine viel angenehmere Atmosphäre. Sie schien außerdem die unheimliche Gabe zu haben, sofort zu wissen, wenn jemand ein Problem hatte, vor allem die nervöseren Schüler. Ms. Sanchez hatte vermutet, dass Patricia Kaye vielleicht Schwierigkeiten hatte, zu Hause zu lernen, während sie von einer großen Familie umgeben war; niemand hatte ihr erzählt, dass Patricia mit fünf jüngeren Brüdern in einem kleinen Haus lebte. Ms. Sanchez hatte angeboten, nach der Schule eine Stunde länger zu bleiben und eine Art »Hausaufgabenclub« einzurichten; Patricia konnte in Frieden und Ruhe lernen, und Ms. Sanchez konnte Tests korrigieren und ihren Unterricht vorbereiten – ihre eigene Hausaufgabe, wie sie scherzte. 42
Und dann war da noch Daniel Huang. Er hatte Pete erzählt, dass Ms. Sanchez ihn gebeten hatte, nach dem Unterricht zu bleiben; sie hatte korrekterweise vermutet, dass seine Eltern Einwanderer waren und zu Hause meistens Chinesisch sprachen. Sie nahm ihn für sich ein, indem sie ihm von ihren eigenen Eltern erzählte, die zu Hause meistens Spanisch sprachen, und von ihrem ersten Jahr in Smallville und ihren Versuchen, Englisch zu sprechen. Dann hatte sie vorgeschlagen, dass Daniel versuchen sollte, seinen Eltern das Spanisch beizubringen, das er in der Schule lernte, um so sein eigenes Verständnis zu verbessern. Er war im Unterricht schon viel entspannter, fand Clark. Ms. Sanchez war erst seit einer Woche hier, und doch kannte sie die Schüler bereits besser als die Lehrer, die sie schon Monate unterrichteten. Wenn es für mich nur einen Weg geben würde, sie besser kennen zu lernen, dachte Clark, als er das Klassenzimmer erreichte. Er spürte, wie ihm das Herz in der Brust etwas schneller als gewöhnlich klopfte (und das liegt nicht daran, dass ich mich beeilt habe, dachte er), und er strich nervös mit der Hand über sein dichtes dunkles Haar, bevor er den Raum betrat. Ms. Sanchez schrieb die Tagesaufgabe an die Tafel. »Hola, Señor Kent«, sagte sie. Clark konnte nicht sicher sein, aber er hatte das Gefühl, dass sie es gesagt hatte, bevor sie sich umgedreht und gesehen hatte, wer da war. »Buenos dias, Profesora«, antwortete er. Sie grinste ihn an und ging dann zu seinem Pult hinüber, als er sich setzte. Sie beugte sich zu ihm, um mit ihm zu sprechen, und ihre Nähe war für Clark fast berauschend. Um genau zu sein, er fühlte sich sogar ein wenig benommen, und sein Magen machte einen Sprung. Aber es störte ihn nicht, da er viel zu sehr damit beschäftigt war, jedes Detail von ihr in sich aufzunehmen: das Erdbraun ihrer Augen, überschattet von langen dunklen Wimpern, der leichte Zimtton ihrer Haut, das seidige braune 43
Haar, in dem er sich glücklich verlieren würde. Er konnte sogar ihren Duft riechen, einen frischen, an Blumen erinnernden Geruch. Himmlisch. Und dann sagte sie die Worte, die zu hören Clark gehofft hatte. »Clark, ich möchte dich bitten, nach dem Unterricht noch einen Moment zu bleiben«, sagte sie sanft. »Ich würde gern mit dir über etwas reden.« »Sicher«, war alles, was Clark sagen konnte. Wenn Clark jemals einen Preis für Aufmerksamkeit im Unterricht gewinnen sollte, dann würde es heute geschehen. Allerdings galt seine Aufmerksamkeit mehr Ms. Sanchez und weniger dem Unterricht. Der einzige Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, war, über was sie mit ihm reden wollte. Warum forderten die Lehrer einen Schüler normalerweise auf, länger zu bleiben? Im Geiste ging er die Möglichkeiten durch. Es konnte bei ihm nicht um irgendwelche Schwierigkeiten gehen wie bei den anderen Jugendlichen, mit denen sie gesprochen hatte – er war ein Einser-Schüler in Spanisch. Hatte er im Unterricht geschwätzt? Nein. War er zu spät gekommen? Er lächelte vor sich hin. Nicht wahrscheinlich, wenn man mit einer Geschwindigkeit von neunzig Kilometern pro Stunde rennen konnte. Vielleicht... vielleicht will sie einfach mit mir reden, dachte er. Vielleicht wusste sie, dass er sie mochte, so wie sie Dinge über andere Schüler wusste. Vielleicht... Clark wagte es nicht, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Dies war das zweite Mädchen in der Woche, das gebeten hatte, mit ihm zu reden, nach Lana. Die Ergebnisse dieses Gesprächs waren eine totale Katastrophe gewesen. Hoffentlich will Ms. Sanchez mit mir nicht über irgendeinen anderen Kerl sprechen, dachte Clark.
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Wie sich herausstellte, wollte Ms. Sanchez über einen anderen Kerl sprechen, aber nicht auf die Art, die Clark befürchtet hatte. »Du bist mit Pete Ross eng befreundet, nicht wahr?«, fragte sie. Sie ging hinter das Pult, nahm ihren Stuhl und stellte ihn vor Clark hin. Während sie dies tat, wurde Clark erneut ganz leicht im Kopf zu Mute. Das war irgendwie unheimlich; er hatte gehört, wie Leute gesagt hatten, dass man in der Nähe eines anderen Menschen, den man liebte, das Gefühl bekommen konnte, ohnmächtig zu werden, aber er hatte nicht geglaubt, dass es wirklich passieren würde. Vor allem nicht ihm. »Ja«, bestätigte Clark in der Hoffnung, dass ihm seine Verwirrung nicht anzusehen war. »Er ist einer meiner besten Freunde.« »Das dachte ich mir.« Ms. Sanchez lächelte. »Und weil er dein Freund ist, kannst du mir helfen, ihm zu helfen. Pete hat einige Probleme mit den Verben. Ich kann sehen, dass sie ihn nervös machen. Er steht unter zu großem Druck. Weißt du, was ich meine?« Clark nickte und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was Ms. Sanchez sagte, statt ihre Haare, ihren Hals... einfach alles an ihr zu bewundern. »Ich denke, Pete wird die Konjugationen besser verstehen können«, fuhr Ms. Sanchez fort, »wenn sich jemand mit ihm auf Spanisch unterhält. Jemand, der die Sprache gut genug versteht, um mit ihm über normale Dinge zu reden. Und ich denke, dass du diese Person bist, Clark.« »Ich?«, fragte Clark, als ihm bewusst wurde, dass sie ihm gerade ein Kompliment gemacht hatte. »Si. Dein Spanisch ist sehr gut, gut genug, um deinem Freund zu helfen. Du bist der Klasse weit voraus. Aber«, sagte sie, ihre Worte mit einem Lächeln mildernd, »an deinem Akzent könntest du noch etwas arbeiten. Und ich denke, je
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mehr Spanisch du sprichst, desto mehr wird sich dein Akzent verbessern.« »Also werden Pete und ich uns in Wirklichkeit gegenseitig helfen«, sagte Clark nickend. »Exacto«, bestätigte Ms. Sanchez. »Du bist also damit einverstanden? Ich möchte nicht, dass Pete zurückfällt, und ich dachte, wenn du ihm den Vorschlag machst, würde es ihm nicht so peinlich sein.« »Natürlich werde ich es tun«, versicherte Clark, der nur zu begierig darauf war, ihr zu gefallen. »Außerdem sind Freunde dafür da.« »Ich wusste, dass du der Richtige bist, um darüber zu reden«, sagte Ms. Sanchez. Und dann tat sie etwas, das Clark lange Zeit nicht vergessen würde: Sie streckte den Arm aus, legte ihre Hand auf seine und drückte sie sacht. Es war nur eine schlichte Geste, aber Clark war erstaunt, wie viel sie ihm im Moment bedeutete. Er spürte die Wärme ihrer Hand, den leichten Druck ihrer Finger. Und er hatte das Gefühl, tausend winzige Vögel in seinem Bauch zu haben, die alle mit den Flügeln schlugen, um herauszukommen. »Du bist ein ganz besonderer Mensch, Clark«, sagte Ms. Sanchez. »Ich kann das spüren.« Wie berauscht ging Clark die Treppe seiner Schule hinunter. Supergeschwindigkeit stand außer Frage; er bewegte sich superlangsam. Wow, dachte er. Wow. Wow. Sie hat mich berührt. Sie hat sich wirklich zu mir gebeugt und mich berührt. Und dann, erinnerte er sich, ihre Worte genießend, hat sie gesagt, dass ich etwas Besonderes bin. Er lächelte verstohlen. Wenn sie nur wüsste, wie besonders ich bin. Dann traf ihn plötzlich ein Gedanke wie ein Blitz: Was war, wenn Ms. Sanchez es tatsächlich irgendwie wusste?
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Er blieb abrupt stehen. Sie schien so viel über andere Menschen zu wissen, ohne dass sie es ihr erzählt hatten. War es möglich, dass sie all diese Dinge nur richtig vermutet hatte? Oder war sie aus irgendeinem Grund unglaublich intuitiv? Clark ging auf dem leeren Schulhof nervös auf und ab, während ihm die Gedanken durch den Kopf schossen. Unmöglich. Ms. Sanchez konnte keine Gedanken lesen... oder doch? Es gab kein Anzeichen dafür, dass sie über jeden private Dinge wusste. Clark versuchte sich an die Situationen zu erinnern, in denen sie Dinge über andere Leute erahnt hatte. Sie wusste, dass Patricia zu Hause nicht lernen konnte; Patricia war fast in Tränen ausgebrochen, als Ms. Sanchez sie beiseite genommen hatte, um ihr vorzuschlagen, dass sie in der Schule lernen sollte. Daniel hatte Pete vor dem Unterricht erzählt, dass er sich wegen seiner Zensuren Sorgen machte, und kurz nach diesem Unterricht hatte Ms. Sanchez mit ihm darüber gesprochen, wie er seine Zensuren verbessern konnte. Und Pete – sie hatte Pete vom Haken gelassen, als es darum ging, auf Spanisch von seiner Familie zu erzählen, als hätte sie gewusst, was ihn so ins Schwitzen brachte. Sie hatte gewusst, dass Clark an der Tür war, noch bevor sie sich von der Tafel umgedreht hatte. Und ich war wegen ihr ein wenig nervös gewesen, als ich ankam, dachte er. Es schien nur eine Gemeinsamkeit zu geben: sie wusste Dinge über Leute, die nervös und aufgeregt waren. Aber wieso? Chloe hatte ihm am nächsten Tag erzählt, dass Ms. Sanchez den Meteoritenschauer miterlebt hatte. Konnte es sie auf irgendeine bizarre Weise verändert haben? Abrupt lachte Clark auf. Mann, komm wieder runter, mahnte er sich kopfschüttelnd. Eine Menge seltsamer Dinge passierten in Smallville, aber das war ein wenig zu weit hergeholt. Nur weil seine Spanischlehrerin ungewöhnlich empfindsam war, machte dies sie nicht automatisch zu einer Art Freak mit Meteoriten verstärkten Fähigkeiten. Und außerdem hatte sie 47
Clark gegenüber mit keiner Silbe angedeutet, dass sie mehr über ihn wusste als die Tatsache, dass... Dass sie mich für etwas Besonderes hält, dachte er. Es war eine sehr gute Sache, dass er allein war, dämmerte ihm, als er langsam den Schulhof verließ, denn so konnte niemand das breite, alberne Lächeln auf seinem Gesicht sehen. Einen Moment später kam Lilia Sanchez aus der Schule. Sie blieb vor der Tür stehen und suchte in ihrer Handtasche nach den Autoschlüsseln. Die verdammten Dinger schienen sich immer irgendwo tief unten zu verstecken. Selbst wenn sie sie fand, dachte sie, bestand nur eine fünfzigprozentige Chance, dass ihr billiger Gebrauchtwagen anspringen würde. Die halbe Zeit bewegte er sich wie ein fauler Hund nicht von der Stelle. Sie war so abgelenkt, dass sie nicht das Knirschen hörte, das von dem Gerüst vier Stockwerke über ihrem Kopf herrührte. Die ganze Woche über waren an den Ziegeln auf dem Dach der Schule Reparaturarbeiten vorgenommen worden. Heute war der letzte Tag, und die Arbeiter waren gerade damit fertig geworden, eins der Gerüste abzubauen und auf einen Truck zu verladen. Auf den Holzbrettern eines anderen Gerüsts, das noch immer an der Seite des Schulgebäudes stand, kippten Eimer mit hart gewordenem Beton langsam um, als sich die Seile aus ihren Metallhalterungen lösten und nachgaben. Clark drehte sich um und sah Ms. Sanchez aus der Schule kommen und in ihrer Handtasche nach irgendetwas suchen. Er fühlte sich plötzlich verlegen – er wollte nicht, dass sie dachte, er hätte auf sie gewartet, und er hatte sich nicht so in seinen Gedanken verlieren wollen, dass er herumbummelte. Toll, jetzt sehe ich wie ein totaler Spanner aus, dachte er peinlich berührt. Er wollte gerade mit Supergeschwindigkeit davonlaufen, als er ihr einen letzten Blick zuwarf...
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Und er sah, dass sich das Gerüst, das am Dach des Schulgebäudes befestigt war, gelöst hatte und einzustürzen drohte – direkt auf Ms. Sanchez.
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7 ALS CLARK IN DEN SUPERGESCHWINDIGKEITSMODUS schaltete, sah alles um ihn herum fast so aus, als würde es stillstehen. Während er wie ein Schemen zu Ms. Sanchez rannte und die Distanz von hundert Metern in einer Hundertstelsekunde zurücklegte, beobachtete er, wie sie das Knirschen des Gerüsts hörte und nach oben blickte; er sah, wie es auf sie niederstürzte, und dann erreichte er sie und schirmte sie mit seinem Körper ab. Er spürte, wie er von dem Gerüst getroffen wurde und es mit einem lauten Krachen zerbrach, als er sich mit Ms. Sanchez in den Armen von der Treppe und ins Gras warf. Als sie zu Boden fielen, hörte er, wie Teile der Plattform auf der Treppe aufschlugen und die Holzbretter zersplitterten. Die schweren Eimer schlugen als Nächstes laut krachend auf, und Betonbrocken regneten auf sie nieder. Obwohl er wusste, dass er nicht verletzt sein konnte, fühlte sich Clark plötzlich ein wenig krank. Es war dasselbe Gefühl, das ihn immer erfasste, wenn er sich in der Nähe von Meteoritensteinen befand, aber bei weitem nicht so intensiv. Was geht hier vor?, fragte er sich. Er konnte keine Meteoriten sehen, aber er konnte sie spüren. Clark kniff die Augen zusammen und setzte seinen Röntgenblick ein. Sein Blickfeld war ein wenig verschwommen, doch jetzt konnte er sie erkennen: winzige Meteoritensplitter, die wahrscheinlich gemahlen und als Füllmittel in den Beton gerührt worden waren. Glücklicherweise waren sie nicht groß oder zahlreich genug, um etwas anderes zu bewirken als das Gefühl, in der Magengegend Achterbahn zu fahren. Doch selbst ohne die Meteoriten hätte sich Clark ein wenig seltsam gefühlt. Zum einen war Ms. Sanchez fast getötet worden. Er sah auf sie hinunter; sie war benommen und stöhnte 50
leise mit geschlossenen Augen. Sie war von winzigen Bruchstücken des glitzernden Betons bedeckt – sie waren auf ihrem Gesicht, in ihren Haaren. Zum anderen dämmerte Clark errötend, dass er auf Ms. Sanchez lag und sie wie ein Footballspieler gerammt hatte, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Aber er hatte zu große Angst, dass sie verletzt worden war, um sich deswegen wirklich Sorgen zu machen. »Ms. Sanchez?«, fragte er mit einem Hauch von Panik in der Stimme. »Ms. Sanchez, sind Sie okay?« Clark schaltete wieder in den Röntgenblickmodus, um sie nach etwaigen gebrochenen Knochen zu untersuchen; dort, eingebettet in Ms. Sanchez’ Schädel, waren winzige Meteoritensplitter zu sehen. Wie waren sie dorthin gelangt? Blutete sie? Clark fuhr sacht mit der Hand über ihren Hinterkopf – kein Blut. Er untersuchte sie erneut. Die Splitter waren so klein, dass er sie kaum erkennen konnte, vor allem da sein Blickfeld von den Meteoritenscherben um ihn herum getrübt wurde und sie so tief in ihrem Schädel steckten, dass es aussah, als befänden sie sich schon sehr lange dort. Seit sie klein war, dachte er. Seit dem Meteoritenschauer. Chloe hatte ihm von dem Meteoriten erzählt, der hinter Ms. Sanchez explodiert war. Diese winzigen Fragmente mussten sich damals in ihren Schädel gebohrt haben, so klein, dass sie sie nicht hatten verletzen können. Oder Clark verletzen konnten, vor allem, wenn er ein paar Schritte von ihr entfernt war wie im Unterricht. Aber bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen er ihr nah gewesen war, hatte er sich ein wenig benommen, ein wenig krank gefühlt. Er hatte dies seiner Zuneigung zu ihr zugeschrieben, aber dies erklärte es ein wenig besser. Clark versuchte vorsichtig, die Krümel aus Meteoritenstein und Beton aus ihren Haaren zu streichen. Als er sie berührte, brannten sie etwas. Zumindest schien sie nicht gesehen zu 51
haben, wie er ihr mit Supergeschwindigkeit zu Hilfe geeilt war. Er wusste nicht, wie er ihr den Zwischenfall hätte erklären sollen, wenn... Ihre Augenlider öffneten sich flatternd. »Wenn sie es beobachtet hätte«, sagte sie verträumt. »Ms. Sanchez?«, sagte Clark. »Was...« »Was wäre, wenn sie von meinen Kräften wüsste...?«, murmelte Lilia. »Sie kann es nicht herausgefunden haben, kann es niemandem erzählen, kann mein Geheimnis nicht kennen...« Clark brach am ganzen Körper der kalte Schweiß aus. Oh nein, durchfuhr es ihn. Das kann nicht sein. Ms. Sanchez kann gerade nicht gesagt haben, was ich denke, das sie gesagt hat. Jetzt hatte Clark wirklich das Gefühl, dass er krank werden würde. Langsam ließ er sie los und wich zurück, und während er dies tat, hörte er, wie die Arbeiter zu ihnen rannten und besorgt etwas riefen. Während Clark sich von den Meteoritensplittern entfernte, fühlte er sich besser – zumindest körperlich. »He, Junge!« Einer der Arbeiter kam zu ihm herüber, während sich zwei andere über Ms. Sanchez beugten. »Bist du in Ordnung?« »Mir geht’s gut«, versicherte Clark. »Wir wurden nicht getroffen.« Er verfolgte, wie sie Ms. Sanchez auf die Beine halfen. Unter Schock stehend versuchte Clark das Geschehene zu verarbeiten. Sie konnte die Gedanken anderer Menschen lesen. Die winzigen Meteoritensplitter in ihrem Schädel mussten etwas damit zu tun haben. Und sie hatte gerade die Gedanken des Menschen in Smallville gelesen, der wahrscheinlich das größte Geheimnis zu verbergen hatte. Kalte Furcht packte ihn, als er beobachtete, wie sich Ms. Sanchez den Staub abklopfte, sich umschaute und ihn dann ansah. Was würde sie sagen?
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»Clark!«, stieß Ms. Sanchez atemlos hervor. »Du... du hast mich aus dem Weg gestoßen! Bist du verletzt?« »Nein«, erwiderte Clark. Er stand eilig auf und trat an ihre Seite. »Sind Sie in Ordnung?« »Mir geht es gut, dank dir«, sagte sie mit einem dankbaren Lächeln. »Du hast mir das Leben gerettet, Clark.« Sie ergriff seine Hände. »Du bist wirklich ein erstaunlicher Mensch.« Clark fühlte sich wieder leicht benommen, aber er war nicht sicher, ob es diesmal an den Meteoriten lag. »Das war alles?«, fragte Jonathan Kent. »Das war alles, was sie gesagt hat?« Clark saß mit seinem Eltern am Abendtisch. Seine Mutter hatte ihre Spezialität gekocht, Spaghetti mit Fleischbällchen. Als er erzählt hatte, was mit Ms. Sanchez passiert war, hatten seine Eltern das Abendessen unterbrochen und ihn entgeistert angestarrt. »Das ist alles, was sie gesagt hat – wenigstens zu mir.« Clark zuckte die Schultern. »Sie schien sich an nichts erinnern zu können. Ich habe sogar Andeutungen gemacht und sie gefragt: ›Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern können?‹ Sie sagte, sie wüsste nur, dass sie nach ihren Autoschlüsseln gesucht hätte, und das Nächste, was sie mitbekam, war, dass die Arbeiter ihr hochhalfen.« Clark schwieg einen Moment, um die Schüssel mit Spaghettis von seiner Mutter entgegenzunehmen, die die letzten fünf Minuten dagestanden, sie in der Hand gehalten und zugehört hatte. Sie setzte sich und ließ, Clark seinen Teller füllen. »Du sagst also«, begann Martha bedächtig, »dass Ms. Sanchez wirklich die Gedanken anderer Menschen lesen kann?« Sie sah Jonathan an, der jetzt besorgt dreinblickte. »Nun«, erwiderte Clark, »es klang eindeutig so, als würde sie sagen, was ich gedacht habe.« Er schlang mit einem Bissen ein ganzes Fleischbällchen hinunter. 53
»Du scheinst dir deswegen keine großen Sorgen zu machen«, stellte Jonathan fest. Clark kaute und antwortete dann. »Ich gebe zu, dass ich zuerst ziemlich entsetzt war, aber vielleicht... vielleicht habe ich mich geirrt. Oder vielleicht wird sie sich nie mehr daran erinnern.« Oder vielleicht mache ich mir keine Sorgen, weil ich noch immer daran denken muss, wie sie meine Hand gehalten hat, dachte Clark und hoffte, dass nicht auch noch seine Eltern seine Gedanken lesen konnten. Lex folgte einer der gewundenen Straßen, die zum LuthorAnwesen führten, als er in der Ferne eine Gestalt neben der Straße stehen und auf ein Feld hinausschauen sah. Als er näher kam, konnte er erkennen, dass es eine zierliche Frau mit glänzend schwarzen Haaren war. Sie winkte ihm zu, und er hielt neben ihr an. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Lex, als er aus seinem Wagen stieg. Die Frau lächelte. »Sind Sie Lex Luthor?«, fragte sie. Sobald irgendjemand Lex diese Frage stellte, verspannte er sich leicht. Er wusste nie, was die Leute sagen oder wessen sie ihn beschuldigen würden. Vorsichtig antwortete er: »Ja...« Die Frau, die hinreißend hübsch war, wie Lex bemerkte, reichte ihm die Hand. »Dann muss ich mich bei Ihnen entschuldigen.« Sie lächelte. »Ich fürchte, dass ich unbefugt Ihr Grundstück betreten habe. Ich bin einfach durch die Gegend gefahren, um einen klaren Kopf zu bekommen, und dann hier gelandet.« Lex schüttelte ihre Hand. Nein, nicht hübsch, dachte er. Sie ist wunderschön. »Dies scheint mir ein merkwürdiger Ort zu sein, um mein Grundstück zu betreten. Es gibt hier nicht viel zu sehen.«
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»Oh, früher war es hier sehr hübsch«, erklärte sie. »Diese Lehmmulde hinter uns war ein Teich. Und das« – sie wies auf das Feld vor ihnen – »war früher das Land meines Vaters.« Lex drehte sich mit einem verlegenen Gesichtsausdruck zu ihr um. »Äh... mein Vater hat doch nichts Böses getan, um das Land von Ihrem Vater zu bekommen, oder?« »Oh, nein, nein«, wehrte die Frau lachend ab. »Nichts in der Art! Mein Vater hat das Land freiwillig verkauft. Meine Familie ist damals nach Madrid gezogen.« Puh, dachte Lex. »Sie haben mir noch nicht Ihren Namen verraten«, sagte er. »Lo siento. Tut mir Leid«, erwiderte sie. »Ich bin Lilia Sanchez. Ich bin die neue Spanischvertretungslehrerin in der Highschool.« »Nun, Lilia Sanchez, willkommen in Smallville«, sagte Lex. »Aber ich muss Sie bedauerlicherweise informieren, dass auf unbefugtes Betreten meines Grundstücks eine kleine Strafe steht.« Lilia drehte sich zu ihm um, nicht sicher, was er meinte. »Sie werden sich bereit erklären müssen, morgen mit mir zu Abend zu essen«, sagte Lex.
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8 AM NÄCHSTEN TAG am Ende des Spanischunterrichts packte Clark seine Bücher bewusst langsam ein. Er wollte noch einen Moment bleiben und mit Ms. Sanchez reden, und er wollte nicht, dass noch jemand dabei war. Allmählich lehrte sich das Klassenzimmer. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte Clark. »Sind Sie nach gestern okay?« »Si. Mir geht es gut«, erwiderte Ms. Sanchez. »Ich war ein wenig aufgelöst, gebe ich zu. Aber ich bin durch die Gegend gefahren, um einen klaren Kopf zu bekommen, und danach ging es mir viel besser. Und außerdem habe ich unterwegs einen Freund von dir getroffen.« »Wen?«, fragte Clark. »Lex Luthor«, antwortete Ms. Sanchez. »Er fuhr vorbei und hielt an, um mit mir zu reden. Er sagte mir, dass er vielleicht bereit sein wird, für die gesamte Klasse eine Reise nach Spanien zu finanzieren.« Sie sah erfreut aus. »Wow«, machte Clark. »Aber das überrascht mich nicht. Lex ist sehr großzügig.« »Er scheint sehr nett zu sein«, meinte Ms. Sanchez mit einem geistesabwesenden Blick. Clark hatte das Gefühl, dass mehr dahinter steckte, als sie sagte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Lex, der keine Freundin hatte, einer Frau begegnete, die so hübsch wie Ms. Sanchez und etwa in Lex’ Alter war. Nun, was würdest du an seiner Stelle tun?, durchfuhr es Clark. Er versuchte den Gedanken abzuschütteln und hoffte, dass er nicht herausfinden würde, dass Lex hinter Ms. Sanchez her war. Das wäre ein richtiger Hammer... »Clark, was du gestern getan hast, ist sehr mutig gewesen«, sagte Ms. Sanchez und riss Clark aus seinen Überlegungen. »Du hast mir das Leben gerettet, und ich bin – nun, ich bin 56
mehr als dankbar. Ich würde am liebsten den Leuten – den Zeitungen, allen – davon erzählen.« Clark schluckte. »Aber«, fuhr Ms. Sanchez fort, »ich dachte, dass du vielleicht die Art Mensch bist, der keine Aufmerksamkeit will. Habe ich Recht?« Clark nickte. »Nicht diese Art Aufmerksamkeit«, meinte er mit einem matten Lächeln. »Warte, lass es mich noch mal versuchen«, bat Pete. »La ropa está dura.« Clark lächelte seinen Freund an. »Okay, das heißt ›Die Kleidung ist hart.‹ Ich denke, du wolltest mir sagen, dass sie trocken ist. Entweder das, oder du musst mehr Weichspüler benutzen.« Sie waren im Keller des Ross-Hauses, und Clark hatte getan, um was ihn Ms. Sanchez gebeten hatte, und mit Pete auf Spanisch über alltägliche Dinge gesprochen. Eigentlich hatte es Pete ziemlich gut gemacht und meistens die richtigen Antworten gegeben, während er seine Arbeiten im Haus verrichtete. »Trocken, trocken... lass mich überlegen.« Pete dachte laut nach, während er seine Hemden faltete. »Oh! Ich weifs1 es: La ropa está seca.« »Muy bien«, nickte Clark. »Du wirst immer besser. Wenn ich jetzt nur noch meinen Akzent verlieren könnte, damit ich nicht wie ein totaler Gringo klinge...« »Du machst dir zu viele Sorgen«, wehrte Pete ab. »Du bist toll in Spanisch. Und außerdem bist du der Liebling der Lehrerin. Ms. Sanchez liebt dich.« »Oh, davon weiß ich nichts...«, sagte Clark. Pete kicherte. »Was?« Clark lachte und warf ein Handtuch nach Pete. »Komm schon, Clark, gib’s zu. Es ist völlig klar, dass du sie magst.« Pete lächelte.
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»Pete!« Clark runzelte unschuldig die Stirn. »Sie ist unsere Lehrerin. Sie ist keine Cheerleaderin oder so.« Aber er musste gegen seinen Willen lächeln. »So? Sie ist auch nicht das, was ich eine alte Schachtel nennen würde – das Mädchen hat gerade den Abschluss am College gemacht, also ist sie nicht so viel älter als wir, und sie ist ziemlich heiß. Um genau zu sein, wenn du sagen würdest, dass du sie nicht magst, würde ich sagen, dass du kein Mann bist.« Jetzt musste Clark lachen; Pete konnte nicht wissen, dass das, was er gesagt hatte, ziemlich ironisch war. »Aaah, ich wusste es«, rief Pete und schlug seinem Freund auf den Rücken. »Erwischt. Du stehst total auf sie.« »Vielleicht ein wenig«, räumte Clark ein und hoffte, dass er nicht rot wurde. »Aber ich bin nicht der Einzige.« »Wie, du hast bereits Konkurrenz?«, fragte Clark. »Wer?« »Lex«, antwortete Clark. »Sie haben sich zufällig getroffen. Ich denke, er hat sie vielleicht gefragt, ob sie mit ihm ausgeht. Sie hat heute mit mir über ihn gesprochen.« Pete runzelte die Stirn, was er immer tat, wenn Lex’ Name fiel. »Clark, Mann, ich kann nicht glauben, dass du zulässt, dass Lex Luthor mit Ms. Sanchez ausgeht. Er ist ein übler Typ. Ich hoffe, du hast sie über ihn aufgeklärt.« »Pete, Lex ist kein schlechter Kerl«, widersprach Clark. »Er hat nur wegen seinem Vater einen schlechten Ruf.« Aber Pete wollte davon nichts hören, und sein Gesicht war ernst. »Hör zu, Clark, ich weiß, dass Lex dein Freund ist und alles – ich weiß nicht, warum er dein Freund ist, aber wie auch immer – ich mag ihn einfach nicht. Du weißt, was die Luthors meiner Familie angetan haben.« Clark wusste es. Er und Pete waren kleine Kinder gewesen, als Lex’ Vater die Buttermaisfabrik der Rosses gekauft, in eine Düngemittelfabrik verwandelt und die Rosses völlig ausgebootet hatte. Es war für Lionel bloß ein weiteres Geschäft gewesen, aber für Lex ein Problem, mit dem er leben musste. 58
Manchmal, so wie jetzt, fühlte sich Clark zwischen seinen Freunden hin- und hergerissen. »Weißt du, was dein Problem ist, Clark?«, fragte Pete. Clark sah ihn an und wunderte sich, worauf er hinauswollte. »Du bist einer dieser netten Kerle«, sagte Pete. Er grinste und schlug ihm auf den Rücken. »Du willst einfach mit jedem befreundet sein und keinen Ärger haben.« »Das siehst du völlig richtig«, bestätigte Clark. Clark fuhr von Petes Haus heim, als er Lex am Straßenrand joggen sah. Er drückte auf die Hupe und fuhr rechts ran. »He, Lex.« Clark lächelte. »Sag mir nicht, dass deine Mitgliedschaft im Fitnessclub abgelaufen ist.« Es war ein Scherz; die Fitnessgeräte im Luthor-Anwesen würden jedes Olympiateam vor Neid sabbern lassen. Lex lachte. »Eigentlich hat mich mein Landschaftsarchitekt gebeten, mir etwas anzusehen«, erwiderte er, während er langsamer wurde und Clark seinen Truck anhielt. »Ich dachte, wenn ich schon mal dabei bin, könnte ich ein wenig laufen.« Auf einer Seite der Straße befand sich ein wunderschönes grünes Feld; auf der anderen klaffte ein großer Krater im Boden. Er war in der Mitte etwa zweieinhalb Meter tief, mit sanften Hängen an den Seiten. An den Rändern standen mehrere große Bäume, von sich denen einige diagonal über die Mulde neigten. Es sah aus, als hätte ein Riese hier einen großen, schlammigen Fußabdruck hinterlassen. »Ist es das?«, fragte Clark. »Sieht nicht nach viel aus, was?«, sagte Lex. »Jemand hat mir erzählt, dass früher ein schöner Teich mit Fischen darin war, aber die Meteoriten haben die Fische verbrannt und den Teich in, nun, das hier verwandelt.« Er blickte frustriert in das Schlammloch. Die beiden umrundeten langsam das Schlammloch. Ein paar Momente vergingen schweigend, während Clark nach einem 59
Weg suchte, etwas zur Sprache zu bringen, ohne dass es merkwürdig klang. Aber es lag ihm am Herzen, und schließlich sagte er: »Also... du hast meine Spanischlehrerin kennen gelernt.« Lex lächelte. »Neuigkeiten verbreiten sich schnell, nicht wahr?« »Scheint so... Wirst du, äh, mit ihr ausgehen oder so?«, fragte Clark. »Nun, ich habe sie zum Abendessen eingeladen«, sagte Lex. »Aber ich denke, ›ausgehen‹ bedeutet in der Highschool etwas anderes.« Clark spürte, wie seine Wangen erröteten. Es hatte ein wenig herablassend geklungen, aber er war sicher, dass Lex es nicht so gemeint hatte. »Also, wirst du es mir erzählen?«, fragte Lex. Clark sah ihn verständnislos an. »Was Lilia gesagt hat«, erklärte Lex. »Hat sie nach mir gefragt?« »Oh, ja«, sagte Clark nickend. »Sie wollte wissen, ob all die Horrorgeschichten über dich wahr sind.« Lex wirkte plötzlich alarmiert. Wenn Clark jemand anders aus der Stadt gewesen wäre, hätte er es vielleicht genossen, Lex so in der Defensive zu sehen. Aber Clark war nicht der Typ, der einen Freund quält, und er musste nur verschmitzt lächeln – ihre Kurzversion für Erwischt, ich mache nur Witze – , damit Lex sich entspannte. »Der war gut, Clark«, sagte er, nun wieder selbstbewusst. »Einen Moment lang bin ich darauf reingefallen. Okay, also was hat Lilia über mich gesagt?« Lilia. Clark gefiel nicht, dass Lex Ms. Sanchez’ Vornamen benutzte, vor allem, wenn von ihm verlangt wurde, sie mit Profesora Sanchez anzureden. »Sie hat mich nur gefragt, ob ich dich kenne.« »Oh«, machte Lex. Dann, aus dem Nichts: »Und hast du ihr erzählt, wie wir beide uns kennen gelernt haben?«
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»Nein«, gestand Clark. Warum musste Lex ständig jenen Tag auf der Brücke erwähnen? »Wohin gehst du mit ihr zum Abendessen?«, fragte Clark in dem Versuch, das Thema zu wechseln. »Wir essen bei mir«, erklärte Lex. »Warum in eine Pizzeria gehen, wenn es im Luthor-Anwesen einen französischen Koch gibt? Und außerdem Abendessen im großen Esszimmer, mit den Kerzen und dem Kandelaber – es ist nicht gerade schäbig.« Clark sah Lex an, der vor sich hin lächelte. »Nun, denk immer daran«, sagte Clark, »Ms. Sanchez – ich meine Lilia – ist nicht wie die Frauen, mit denen du sonst ausgehst. Sie ist anders.« Lex blieb abrupt stehen. »Was meinst du damit, ›die Frauen, mit denen ich sonst ausgehe‹?« »Nichts«, erwiderte Clark. »Es ist nur so... nun, ich weiß, dass du nicht gerade viele ernsthafte Beziehungen gehabt hast. Ich will nur nicht, dass Ms. Sanchez verletzt wird, das ist alles.« Jetzt war Lex an der Reihe, verletzt und überrascht dreinzublicken. Clark spürte, dass er eine Grenze überschritten hatte, aber es war zu spät, um die Bemerkung zurückzunehmen. Ein nicht besonders freundliches Lächeln huschte über Lex’ Gesicht. »Ohhhh, jetzt verstehe ich«, sagte Lex. »Jemand ist scharf auf seine Lehrerin, nicht wahr?« Er lachte. »Nun, ich hasse es, dir deine Illusionen zu nehmen, mein Freund, aber Ms. Sanchez ist nicht in deiner Liga. Warum läufst du nicht weiter Lana Lang wie ein Schoßhündchen hinterher? Ich denke, das ist mehr dein Stil.« Clark hatte in seinem Leben nur ein paar Mal Wut empfunden, meistens wenn jemand seine Eltern bedrohte. Was er jetzt empfand, war ein ganz anderes Gefühl – heißer Zorn, gemischt mit Demütigung. Er dachte nicht nach, als er sich mit
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Supergeschwindigkeit auf Lex stürzte und die Hände ausstreckte, um ihn zu packen.
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9 LEX SPÜRTE ETWAS– einen plötzlich Wind? – und sah nur einen Schemen. Aber in diesem Sekundenbruchteil, unbemerkt von Lex, kämpfte Clark eine der größten Schlachten seines jungen Lebens. Clark hatte immer gewusst, dass er anders war als die anderen. Als kleiner Junge hatten seine Eltern ihr Bestes getan, um dafür zu sorgen, dass ihr adoptierter Sohn nicht etwas tat, das Aufmerksamkeit auf ihn lenkte und die Leute dazu brachte, Fragen zu stellen. Dann, als er alt genug geworden war, um es zu verstehen, hielt er seine besonderen Fähigkeiten so gut er konnte verborgen. Die meiste Zeit wünschte sich Clark, wie alle anderen zu sein, sich einfach einfügen zu können. Wenn er normal wäre, müsste er nicht so geheimnistuerisch sein, nicht ständig auf seine Kräfte achten. Aber es gab auch Zeiten, in denen Clark es liebte, Superkräfte zu haben. Es war so cool, einen Zaunpfosten von der Größe eines Baumstamms mit einem Faustschlag in den Boden hämmern zu können; einen Felsbrocken in winzige Splitter zu zertrümmern, für dessen Abtransport ein normaler Mensch einen Truck brauchen würde und einen zwei Tonnen schweren Traktor zu heben, wie er es neulich getan hatte. Aber da war eine Gefahr, eine potenzielle dunkle Seite, vor der seine Eltern Clark wiederholt gewarnt hatten. Handeln, ohne nachzudenken, hatten sie gesagt, konnte katastrophale Folgen haben. Clarks Vater hatte ihm sogar verboten, einer der Sportmannschaften der Smallville High beizutreten, aus Furcht, dass Clark sich vergessen, die Beherrschung verlieren und jemand verletzen würde.
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All das würde nur eine Sekunde dauern, hatte sein Vater gesagt. Ich weiß, dass du es nicht mit Absicht tun würdest, aber du könntest jemanden töten. In diesem Augenblick am Schlammloch konnte Lex vor sich nur einen Schemen sehen. Aber Clark konnte sich in Zeitlupe beobachten, wie er sich mit Zorn im Herzen auf Lex stürzte und mit zwei superstarken Händen nach seinem Freund griff. Plötzlich hielt Clark inne. Nein. Jeder andere Junge wäre in der Lage gewesen, einem Freund, der sich schlecht benahm, die Art Stoß zu geben, die nur Hör auf damit bedeutete, aber keinen körperlichen Schaden anrichtete. Wenn Clark das tat, wie er es jetzt tun wollte, würde er Lex wahrscheinlich durch die Luft schleudern. Er konnte – wollte – niemals jemanden verletzen, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Vor allem nicht einen Freund wie Lex. Es hatte nur einen Sekundenbruchteil und einen oder zwei Schritte gedauert, aber Clark war so entsetzt von dem, was er fast getan hätte, dass er nicht bemerkte, dass er zum Stehen gekommen war und mit den Händen Lex’ Trainingspullover gepackt hielt. Für Lex schien es, als hätte sein Freund gerade einen riesigen, unglaublich schnellen Schritt gemacht und ihn ergriffen. Überrumpelt reagierten seine Reflexe: Er stieß Clark mit aller Kraft von sich. Hätten sie sich auf ebenem Boden befunden, hätte Lex’ Stoß nicht genügt, um Clark auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen. Aber sie standen am Rand des Schlammlochs, und Clark verlor überrascht den Halt. Ehe er wusste, wie ihm geschah, rollte er den schlüpfrigen Hang hinunter. »Clark!«, schrie Lex. Der Sturz selbst war nichts. Sogar ein kleines Kind hätte sich nur den Schmutz von der Kleidung geklopft und gelacht. Aber 64
als Clark zum Grund des Schlammlochs rutschte, schoss etwas durch seinen Körper, das sich wie ein Blitz anfühlte. Er schrie in plötzlicher Qual auf. Clark war ein paar Meter vor einem massigen Felsbrocken, der etwa seine halbe Größe hatte, zum Stillstand gekommen. Selbst unter der Dreckschicht konnte Clark sehen, dass er grün aufleuchtete – ein Meteorit, der größte, den er je gesehen hatte. Schon winzige Meteoriten wie jener an Lanas Kette konnten einen derartigen Schmerz entfachen, dass Clark sich wünschte, ohnmächtig zu werden, um ihn nicht mehr spüren zu müssen. Aber dieser hier... Clark hatte das Gefühl, von tausend sengenden Nadeln durchbohrt zu werden, als würde jede seiner Zellen in Stücke gerissen. Als würde er sterben. »Clark!«, schrie Lex. »Clark, bist du okay?« Lex hielt sich an einem kleinen Baum fest, der am Rand des Hanges wuchs, und stieg in den Krater hinunter. Dreck und kleine Kiesel gaben unter seinen Freizeitschuhen nach, und er musste sich an Unkrautbüscheln fest halten, um nicht ebenfalls zum Grund hinunterzurutschen. Während ihn seine vorsichtigen Schritte näher zu Clark brachten, konnte Lex seinen Freund keuchen hören. Alarm stieg in seiner Brust auf, als er sah, wie sich Clark vor Schmerzen krümmte. Lex hatte Clark noch nie so erlebt – hatte er sein Rückgrat verletzt? Ihm eine Rippe gebrochen, die seine Lunge durchbohrt hatte? Lex brach am ganzen Körper der Schweiß aus, und er hörte die düstere Stimme seines Vaters in seinem Kopf: Jetzt steckst du in Schwierigkeiten, nicht wahr, Sohn? Zur Hölle mit meinem Vater, dachte Lex. »Clark! Nimm meine Hand!«, schrie er und fragte sich gleichzeitig, wie er Clark, der größer als er war, aus dem Schlammloch ziehen
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sollte. Ich bin kein Superheld, dachte er bitter. Aber ich muss es versuchen. Clark hatte das Gefühl, als würde jede seiner Adern im nächsten Moment platzen. Er konnte sogar sehen, wie sie unter seiner Haut pulsierten. Aber irgendwie durchschnitt Lex’ Stimme den Schmerz, und mit letzter Kraft hob er seinen Arm und griff nach Lex’ ausgestreckter Hand. Lex packte Clarks Handgelenk und zog so fest er konnte. Er sah zu dem Unkrautbüschel zurück, an dem er hing. Du solltest besser ein paar tiefe Wurzeln haben, erklärte er in Gedanken dem Unkraut, oder ich mache aus diesem ganzen Ort einen Parkplatz. Wundersamerweise hielt es. Schon die paar Zentimeter, die Lex Clark von dem Meteorstein wegzog, verringerten den Schmerz so weit, dass Clark seine Arbeitsstiefel in die Seite des Hanges bohren und nach oben klettern konnte, während Lex zog. Beide versuchten, mit den Füßen Halt im Dreck und Schlamm zu finden, während sie weiter hinaufkletterten. Clark hatte das Gefühl, dass mit jedem Zentimeter, den er sich von diesem grünen Meteoriten entfernte, das Leben in seinen Körper zurückkehrte. Er hatte fast das Ende des Abhangs erreicht und zog sich dann über den Rand, aber Lex ließ Clarks Arm nicht los, bis sie beide in Sicherheit waren und keuchend im Dreck lagen. Zu diesem Zeitpunkt ging es Clark wieder gut; er war weit genug von dem Felsen entfernt, um das Gefühl zu haben, als wäre nichts passiert, obwohl er ziemlich sicher war, dass er die Intensität des Schmerzes, den er gerade erlitten hatte, niemals vergessen würde. Er blickte über die Schulter in die Grube. Das war nicht bloß ein Meteorit. Es war praktisch ein ganzer Felsbrocken. Mit seinem Röntgenblick suchte Clark das Schlammloch ab. Er konnte etwa ein Dutzend Meteoriten unter dem Dreck erkennen. Sie waren alle viel kleiner als der große, aber sie 66
waren da. Ich bin mir nicht sicher, ob mich irgendetwas anderes auf dieser Erde verletzen kann, dachte er, aber diese Dinger können mich umbringen. Er machte sich im Geist eine Notiz, sich von diesem Ort fern zu halten. Lex, noch immer alarmiert, beugte sich über Clark. »Bist du in Ordnung? Was ist passiert? Brauchst du einen Krankenwagen? Ich kann...« »Mir geht’s gut, mir geht’s gut.« Clark winkte Lex weg von sich. »Wirklich, ich bin okay.« »Okay? Du hast ausgesehen, als würdest du dort unten sterben! Was ist passiert?«, fragte Lex. Clark dämmerte, dass Lex beobachtet hatte, welche Schmerzen ihm die Meteoriten bereiteten. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen. »Ich... ich denke, ich hatte einen Muskelkrampf«, sagte er. Dann, überzeugender, versuchte er aufzustehen. »Au!« »Das war mehr als ein Muskelkrampf. Ich bringe dich ins Krankenhaus«, sagte Lex entschlossen. »Nein!«, widersprach Clark und ergriff Lex’ Arm. »Ich... ich hasse Krankenhäuser. Ehrlich. Ich denke, ich habe mir nur einen Muskel in meinem Rücken oder so gezerrt. Vielleicht könntest du mich einfach nach Hause fahren.« Lex blickte skeptisch drein. Clark hielt den Atem an und wartete darauf, ob Lex ihn erneut herausforderte. Er wusste, dass Lex ihm wahrscheinlich nicht glaubte. Aber Lex lud seinen Freund nur vorsichtig in Clarks Truck, und sie fuhren schweigend zum Kent-Haus.
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10 »WAS IST PASSIERT?«, fragte Martha Kent mit besorgtem Gesicht. An der Tür der Küche stand ihr Sohn und hielt sich mit der Hand den Rücken, als hätte er Schmerzen, an seiner Seite Lex Luthor, der Clark offenbar stützte. »Es ist nichts«, wehrte Clark ab und ging ins Wohnzimmer, während Lex ihn weiter stützte. »Ich bin nur gestürzt.« Lex half Clark vorsichtig auf die Couch. »Gestürzt? Was...« Jonathan Kent war völlig verwirrt, als er sich neben Clark niederkniete. »Sohn, bist du verletzt?« Lex ergriff schließlich das Wort, obwohl er sich wünschte, es nicht tun zu müssen. »Er sagt, es ist nur ein Muskelkrampf, aber ich denke, er sollte ins Krankenhaus fahren.« Jonathan Kent warf Lex einen durchdringenden Blick zu, sodass er sich wie ein kleiner Junge fühlte. »Nur um sicher zu sein«, fügte Lex leise hinzu. »Ehrlich, mir geht’s gut«, sagte Clark. »Nichts, das sich nicht mit ein paar Stunden auf der Couch und einer Pizza kurieren ließe. Du kennst mich doch«, sagte er, um den Ärger seines Vaters zu mildern, »ich bin immer auf der Suche nach einem Weg, mich vor dem Heueinbringen zu drücken.« Clark hatte gehofft, dass zumindest seine Mutter über den matten Scherz lachen würde, aber die gespannte Szene vor seinen Augen veränderte sich nicht: das besorgte Gesicht seiner Mutter, das anklagende Funkeln seines Vaters und Lex, der aussah, als wünschte er sich, wieder in das Schlammloch zu fallen. Schließlich kam ihm Mom zu Hilfe. »Lex, wir kümmern uns von jetzt an um ihn«, sagte sie und durchquerte den Raum, um ihn sanft nach draußen zu drängen. »Danke, dass Sie Clark nach Hause gebracht haben.« Durch die Fliegengittertür konnte Clark erkennen, wie Lex Jonathan schuldbewusst ansah, 68
obwohl er nichts Falsches getan hatte. Er hörte, wie Lex ein paar Schritte ging und dann davonjoggte. »Er ist weg«, sagte Martha. »Bist du wirklich verletzt?« »Nein«, erwiderte Clark und stand von der Couch auf. »Mir geht’s gut. Ich konnte nur Lex nicht wissen lassen, dass es mir gut geht.« »Sohn, was ist passiert?«, fragte Jonathan. Widerwillig erzählte Clark es ihnen. Er konnte sehen, wie mit jedem Moment der Ärger seines Vaters stärker wurde. Clark versuchte den Zwischenfall herunterzuspielen, aber als er fertig war, schlug sein Vater gegen die Wand. »Gestürzt?«, schrie Jonathan. »Bist du sicher, dass er dich diesen Hang nicht hinuntergestoßen hat?« »Jonathan«, sagte Martha mahnend, mehr wegen dem Ausdruck auf Clarks Gesicht und weniger, weil sie bezweifelte, was ihr Mann andeutete. »Dad, Lex würde so etwas nie...«, begann Clark. »Woher willst du wissen, zu was er fähig ist?«, donnerte sein Vater. »Er ist schließlich ein Luthor...« »Dad...« »Um Himmels willen, er hat dich mit seinem Wagen angefahren...« »Dad!« Clark hob gegenüber seinen Eltern selten die Stimme, und sein Vater blickte überrascht drein. »Lex hat mich nicht diesen Hang hinuntergestoßen. Er war...« Clark zögerte. »Er hat mich weggestoßen.« Jonathan und Martha sahen Clark an und versuchten zu verstehen, was ihr Sohn sagte. »Ich bin wütend geworden«, erklärte Clark. »Ich... ich habe irgendwie die Beherrschung verloren.« Der Ausdruck auf den Gesichtern seiner Eltern schmerzte Clark fast so sehr, wie es die Meteoriten getan hatten. »Ich habe ihn nicht verletzt!«, sagte er hastig. »Ich habe mich noch
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rechtzeitig gebremst! Ich... ich habe nur eine Sekunde lang die Beherrschung verloren.« Kaum hatte Clark die Worte ausgesprochen, wünschte er, er könnte sie zurücknehmen. Das waren fast genau die warnenden Worte seines Vaters: All das würde nur eine Sekunde dauern... Seine Eltern wechselten einen Blick, und Clark beobachtete, wie eine Million Botschaften zwischen ihnen hin- und herflogen. Trotz all seiner erstaunlichen Kräfte konnte er die Sprache der Augen seiner Eltern nicht entziffern, obwohl er sofort begriff, dass es dabei nur um ihn ging. Sein Vater brach das Schweigen. »Ich... muss in die Futtermittelhandlung, bevor sie schließt«, murmelte er. Clark zuckte innerlich zusammen; normalerweise fragte ihn sein Vater, ob er mitkommen wollte. Wie um es wieder gutzumachen, sagte Martha schnell: »Clark, warum bleibst du nicht hier und erledigst deine Hausarbeiten?«, doch er war bereits durch die Tür gegangen. Martha Kent fand ihren Sohn in der Scheune, wo er schweigend Heuballen stapelte. Sie bemerkte, dass er langsam und methodisch arbeitete; es war eine Aufgabe, die Clark mit seiner Stärke und Schnelligkeit normalerweise in Sekunden erledigen konnte. Sie räusperte sich, obwohl sie wusste, dass er gehört hatte, wie sie hereingekommen war. »Warum ist Dad wütend auf mich?«, sagte er mit verletzter Stimme. »Schatz, er ist nicht wütend auf dich«, erwiderte Martha. »Es ist nur so...« »Es ist nur so, dass er es satt hat, einen Freak als Sohn zu haben?« Clark ließ einen Heuballen fallen. »Clark«, sagte Martha. »Komm her. Setz dich.« Sie setzten sich beide auf den Heuballen. Martha legte einen Arm beschützend um Clarks Schultern.
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»Dein ganzes Leben lang, seit wir dich dort draußen gefunden haben, bist du etwas... Besonderes gewesen«, sagte Martha, ihre Worte sorgfältig wählend. »Dein Vater und ich haben versucht, dafür zu sorgen, dass es durch deine Kräfte zu keinen Unfällen kam. Aber weißt du was?« Clark blickte auf. »Wir hatten niemals wirklich Grund zur Sorge. Du bist ein guter Mensch, Clark. Wir wissen, dass du niemals jemanden verletzen würdest.« »Aber warum ist Dad dann so wütend?«, fragte Clark. »Warum ist er nach draußen gestürmt?« Martha seufzte. »Er hat Angst«, sagte sie. »Angst, dass eines Tages irgendetwas passiert, das dich dazu zwingen wird, deine besonderen Kräfte einzusetzen, und dass jemand dich sehen und...« Martha verstummte. Es war ein Szenario, über das in der Kent-Familie selten laut gesprochen wurde, aber es hing in der Luft, rumorte immer in ihren Hinterköpfen. Jemand würde Clark dabei beobachten, wie er etwas Erstaunliches und Unerklärliches tat. Das würde zu Fragen führen – wie konnte ein minderjähriger Junge über derart unglaubliche Kraft verfügen oder in der Lage sein, eine Explosion zu überleben, ohne verletzt zu werden, oder eine Kugel von seiner Haut abprallen lassen? –, und dann, unausweichlich, würden die Männer von der Regierung kommen. Sie würden das Raumschiff finden, das im Sturmkeller versteckt war, und sie würden Clark mitnehmen. Als Clark etwa zehn Jahre alt gewesen war, hatten seine Eltern den Film E. T. ausgeliehen. Sie hatten alle den Film bis zu der Stelle genossen, wo die Bösen – die Leute von der Regierung – E. T. wegschafften, um ihn zu untersuchen. Alle waren bei dieser Szene still geworden. Clark hatte gefragt, warum sie E. T. weggebracht hatten; seine Mutter hatte vorsichtig geantwortet, weil er anders sei. Clark hatte damals noch nichts von dem Raumschiff gewusst, das im Sturmkeller
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versteckt war, aber er wusste, dass er anders war als die anderen Kinder, die er kannte. In dieser Nacht hatte Clark geträumt, dass er seinen Eltern weggenommen und von Männern in Laborkitteln in einen riesigen weißen Raum gebracht wurde, wo sie versuchten, ihn zu sezieren. Der Traum war sehr real gewesen. Noch jetzt schauderte Clark bei der Erinnerung. Martha umarmte ihren Sohn. »Keine Sorge, Schatz. Es wird nichts passieren. Und dein Vater ist nicht wütend auf dich. Er hat nur Angst, dass er nicht in der Lage sein wird, dich zu beschützen.« »Es ist komisch«, sagte Clark. »All die Dinge, die mir nichts anhaben können, und Dad macht sich trotzdem Sorgen, wie er mich beschützen kann.« Martha lachte. »Das ist etwas, das sich nie ändern wird, selbst wenn du aufs College gehst, selbst wenn du erwachsen bist, und selbst wenn du nach Metropolis ziehst.« Sie war glücklich zu sehen, dass ihr Sohn wieder lächelte. »Nun«, fuhr sie fort, »warum hast du dich mit Lex über deine Spanischlehrerin gestritten?« »Äh, Mom...« Clark spürte, wie er errötete.
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11 ALS LEX SCHLIEßLICH DAS LUTHOR-ANWESEN erreichte, sah er nicht gut aus und fühlte sich auch nicht besonders wohl. Er war mit Schlamm und Schweiß bedeckt und erschöpft. Und der lange Weg nach Hause hatte auch nicht geholfen, ihn vergessen zu lassen, was mit Clark passiert war. Der ganze Nachmittag war schlecht verlaufen; er mochte es nicht, mit seinem Freund zu streiten, und irgendwie war Clark am Ende verletzt gewesen, obwohl er es abgestritten hatte. Und die Art, wie ihn Jonathan Kent angesehen hatte, erweckte in Lex den Wunsch, sich mit noch mehr Dreck zu bedecken, bis er völlig darunter begraben war. Jetzt blieb Lex nur noch eine Stunde, um sich zu waschen und umzuziehen, bevor Lilia auftauchte, Clarks hübsche Lehrerin, und er war nicht in geselliger Stimmung. Im Innern erwarteten ihn weitere schlechte Neuigkeiten. Der Butler händigte Lex eine Nachricht aus. Lex’ Vater hatte angerufen und gedroht, in den nächsten Tagen »vorbeizuschauen«, um Lex’ Buchhaltung zu überprüfen. Die Übersetzung war einfach: Lionel Luthor wollte versuchen, Lex etwas Wichtiges wegzunehmen, etwa die Kontrolle über die Fabrik. Und wie er Lionel kannte, würde er sich keine Gelegenheit entgehen lassen, Lex dabei vor anderen Leuten zu demütigen. Er glaubte, dass dies seinen Sohn stärker machte. Zum Teufel damit, dachte Lex. Und zum Teufel mit ihm. Angewidert knüllte Lex die Nachricht zusammen und warf sie auf den Boden. Als die große Uhr in dem marmornen Gang achtmal geschlagen hatte und Lilia Sanchez eingetroffen war (mit der Limousine, die Lex geschickt hatte, um sie abzuholen), sah Lex
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zumindest gefasst aus, obwohl er von dem Nachmittag noch ein wenig mitgenommen wirkte. Aber bei Lilia Sanchez’ Anblick fühlte er sich sofort besser. Sie trug ein schlichtes, aber hübsches schwarzes Kleid und lächelte offen und freundlich. Die Menschen lächelten Lex gewöhnlich nicht auf diese Weise an. Sie lächelten furchtsam oder gierig, aber nicht warm wie diese Frau. Er hatte sie beeindrucken, ein wenig angeben wollen, indem sie das Abendessen im Hauptesszimmer einnahmen, das ein wenig an König Artus’ Tafelrunde erinnerte. Aber als er nach ein paar Minuten bemerkt hatte, wie unprätentiös und praktisch denkend Lilia war, flüsterte Lex seinem Butler zu, dass das Abendessen stattdessen auf dem Balkon serviert werden sollte, wo ein kleiner, intimer Tisch mit Kerzen stand. Lex kannte sich gut genug mit Frauen aus, um sehr deutlich die Spiele durchschauen zu können, die sie mit ihm trieben. Er wusste, dass die meisten, wenn nicht alle, weit mehr von seinem Geld statt von seinem Aussehen oder seiner Persönlichkeit angezogen wurden. Es verhinderte, dass er irgend jemandem traute. Doch in Lilias Gegenwart spürte Lex, wie sein Misstrauen schwand. Sicher, er dachte zuerst, dass sie etwas von ihm wollte – er hatte sie zu diesem Essen mit ihm überredet, indem er ihr versprochen hatte, eine Reise von Lilias Schülern nach Spanien zu finanzieren. Aber sie brachte dieses Thema auf ungezwungene Weise zur Sprache. »Es wäre großartig für die Kinder«, sagte Lilia. »Und für Sie«, erwiderte Lex. Lilia tat seine Bemerkung mit einem Wink ihrer Hand ab. »Ich bin nur die Vertretung, bis Mr. Hector zurückkommt; Sie sollten die Reise finanzieren, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wer die Schüler begleitet.« »Das ist eine sehr selbstlose Geste von Ihnen«, sagte Lex.
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Lilia lächelte sanft. »Sie müssen daran gewöhnt sein, dass die Menschen etwas von Ihnen wollen.« Lex zuckte die Schultern. »Die meisten Leute können ziemlich gierig sein, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen.« »Oh, ich weiß nicht«, erwiderte Lilia. »Ich denke, die Menschen haben grundsätzlich ein gutes Herz. Es sind nur die Umstände, die sie dazu bringen, sich schlecht zu benehmen. Meinen Sie nicht auch?« Ich denke, Sie sind wahrscheinlich der einzige wirklich gute Mensch hier, durchfuhr es Lex, der plötzlich etwas Ungewöhnliches spürte: eine Art angenehmes Schwindelgefühl. War er wirklich nervös? Er hatte dieses schöne, aufgeregte Gefühl, das entstand, wenn er mit jemand zusammen war, den er mochte, schon seit langer Zeit nicht mehr gehabt. »Ich versuche, ein guter Mensch zu sein«, sagte Lilia, während sie hinaus in den dunklen Wald blickte. »Aber ich weiß, dass ich nicht immer gut sein kann. Niemand kann das.« Lex war überrascht. Es war, als würde sie seine Gedanken lesen. Zufall, sinnierte er. »Ich habe eine Karte von Spanien in meinem Arbeitszimmer«, erklärte Lex. »Warum zeigen Sie mir nicht, wohin Sie mit der Klasse fahren wollen?« Lex hatte die Karte auf seinem Schreibtisch ausgebreitet, und Lilia zeigte ihm begeistert einen Ort nach dem anderen – wo sich bestimmte Museen befanden, das Haus, das der Künstler Gaudi gebaut und bewohnt hatte, Picassos Atelier. Ihre Aufregung war ansteckend, und ein Teil von Lex fragte sich einen Moment lang, was sein Vater davon halten würde, sein Multi-Milliarden-Unternehmen einem Sohn anzuvertrauen, dem es viel mehr Spaß machte, einer Schullehrerin bei der Planung einer Reise für eine Horde von Kindern zu helfen, als 75
eine riesige Firma zu leiten. Lex stand neben Lilia, nahe genug, um ihr Haar zu riechen. Sie war hinreißend schön. »Und ich möchte gerne, dass sie Barcelona sehen«, sagte sie. »Es ist eine große Stadt voller Kultur... ooh, was ist das?« Lilia zeigte auf einen kantigen grünen Stein auf Lex’ Schreibtisch. »Das? Mein Landschaftsarchitekt hat ihn mir heute Morgen gegeben«, erwiderte Lex. »Es ist ein Meteorit aus diesem Teich, neben dem Sie gestern gestanden haben. Er meinte, ich könnte ihn als Briefbeschwerer benutzen.« Er nahm den Stein und hielt ihn Lilia hin. »So sehen sie also aus. Mir war nicht klar, dass sie so hübsch sind«, sagte sie, als sie danach griff. Als Lilias Finger den Stein berührten, streifte Lex ihre Hand mit seiner. Er hatte gehofft, ihre Hand zu halten, ihre sanfte Berührung zu spüren. Stattdessen verfolgte er entsetzt, wie sie plötzlich die Augen verdrehte. »Mein Vater...«, intonierte Lilia mit leiser, gutturaler Stimme. »Ich hasse meinen Vater... ich hasse ihn, hasse ihn; warum, warum muss er hierhin kommen? Was will er von mir? Warum kann er mich nicht einfach lieben? Warum kann er mich nicht so lieben, wie Clark von seinen Eltern geliebt wird? Warum...« Lex war wie betäubt. Lilia sah aus, als hätte sie eine Art Anfall; ihre Augen waren nach oben verdreht, ihr Körper steif vor Schock. Aber sie redete. Ihre Stimme klang, als würde sie alles vor sich hin plappern, was ihr in den Sinn kam. Aber es waren nicht ihre Gedanken, dämmerte Lex mit wachsender Sorge. Es waren seine. »Clark«, sagte Lilia.»Clark, warum kann ich nicht aufhören, mir den Kopf über dich zu zerbrechen? Warum ist Clark ein derartiges Rätsel? Dieser Tag auf der Brücke, warum komme ich nicht darüber hinweg? Bin ich eifersüchtig auf Clark? Er ist mein Freund, aber da ist etwas an ihm, das ich nicht durchschauen kann. Warum kann ich es nicht einfach 76
vergessen? Ich werde es nicht vergessen, niemals, niemals, NIEMALS...« Mein Gott, dachte Lex. Sie liest meine Gedanken. »Lilia!«, schrie Lex. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Der Meteorit fiel zu Boden, während Lilia verstummte. Langsam öffnete sie die Augen. »Oh«, murmelte sie, sich an Lex’ Schultern fest haltend. »Ich... was ist passiert?« »Hier«, sagte Lex und zog für sie einen Stuhl heran. »Sie sollten sich besser setzen. Geht es Ihnen gut? Ich denke, Sie hatten einen Anfall – soll ich einen Arzt rufen?« »Nein, nein«, wehrte Lilia ab und setzte sich langsam wieder hin. »Mir geht es gut; ich bin okay. Das ist früher schon passiert. Es ist nichts Ernstes – manchmal habe ich ein paar Sekunden lang eine Art Black-out.« Sie lächelte. »Wirklich, ich bin okay. Das ist für Sie heute schon das zweite Mal, dass so etwas passiert, nicht wahr?« Lex kniete neben ihr nieder. Sein Herz hämmerte nervös. »Wie meinen Sie das?« Lilia blickte verwirrt drein. »Haben Sie nicht erwähnt, dass ein Freund von Ihnen heute einen Unfall hatte? Jemand, der verletzt wurde?« »Nein«, sagte Lex. »Das habe ich nicht.« Er war zu aufgelöst, um zuzugeben, dass sie Recht hatte – er hatte Clark nach seinem Sturz ins Krankenhaus bringen wollen. Aber er war sich ganz sicher, dass er ihr nichts davon erzählt hatte. »Ich muss an jemand anders denken«, meinte Lilia. »Wirklich, mir geht es gut. Ich denke, ich sollte jetzt besser nach Hause gehen.« Tausende von Nächten in seinem Leben, und Clark hatte nie Probleme mit dem Einschlafen gehabt. Aber in der einen Nacht, in der er sich wünschte, einfach einnicken und einen 77
langen, unerfreulichen Tag vergessen zu können, weigerten seine Augen sich zu schließen. Der ganze merkwürdige Nachmittag mit Lex war schon schlimm genug gewesen. Dann schien sein Vater wütend auf ihn geworden zu sein – auch wenn Mom behauptete, dass er sich nur Sorgen machte. Nachdem Jonathan von der Futtermittelhandlung zurückgekommen war, hatte er beim Abendessen kaum gesprochen. Und um das Fass voll zu machen, war da noch die Sache mit Lana. Kein Wunder, dass er nicht schlafen konnte. Nun, dachte Clark, wenn er schon wach bleiben würde, konnte er zumindest versuchen, alles zu vergessen und stattdessen an etwas Angenehmes zu denken. Und Lilia Sanchez war das Erste, was ihm in den Sinn kam. »Mi profesora«, sagte Clark und lächelte im Dunkeln vor sich hin. Er dachte daran, wie sie an jenem Tag in der Schule seine Hand ergriffen hatte. War das nicht etwas, das die Mädchen taten, wenn sie einen mochten? Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Ähnliches für einen anderen Menschen empfunden zu haben, sah man von Lana ab. Doch, dämmerte Clark, die Gefühle, die er jetzt für Ms. Sanchez – Lilia – hatte, waren dieselben, die er für Lana hatte. Er war auf Lex genauso eifersüchtig gewesen, wie er auf Whitney eifersüchtig war, und es konnte nicht allein an den mikroskopischen Meteoritensplittern in Lilias Schädel liegen, dass Clark derartige Schmetterlinge (eher Hubschrauber, dachte er) im Bauch hatte, wenn er in ihrer Nähe war. Aber dies unterschied sich von der quälenden Sehnsucht nach Lana, die wahrscheinlich niemals ihm gehören würde. Es war mehr wie eine fantastische Vorfreude, die er spürte, wenn er an Lilia dachte. Vielleicht fühlt die Liebe sich so an, dachte Clark. Clark fragte sich, wie es wohl wäre, mit ihr allein zu sein, wie es wohl wäre, sie zu küssen, sie an sich zu ziehen und... 78
Lächelnd schlief er ein. In seinem Traum stand Lilia vor ihm. Sie trug ein weißes Kleid. Sie sah ätherisch, engelsgleich aus; sie schien sogar zu schweben. Clark... Und in dem Traum griff sie nach ihm, wie sie es in der Schule getan hatte. Aber nicht auf dieselbe Weise wie in der Schule; dies war irgendwie anders. Wundervoll. Sie lächelte ihn an und bedeutete ihm, näher zu kommen... Clark... Und Clark griff nach ihr und wartete darauf, ihre warme Berührung zu spüren, wartete darauf... »Clark!« Die Stimme seines Dads – was? – wie viel Uhr war es? Clark schreckte aus dem Schlaf hoch und drehte den Kopf, um einen Blick auf seinen Wecker zu werfen. Er war nicht da – und sein Nachttisch auch nicht. Wo... Er drehte seinen Kopf weiter. Da waren der Wecker und sein Nachttisch und sein Bett... alles war über einen Meter unter ihm. »Clark? Was war das? Sohn, geht es dir gut?« Kaum dämmerte Clark, dass er über seinem Bett schwebte, krachte er nach unten, fiel über die Kante und landete auf dem Boden. Das war nicht das erste Mal, dass es passiert war, diese Sache mit dem Schweben. Er hatte einmal von Lana geträumt und war über seinem Bett schwebend aufgewacht. Aber nur weil es früher schon einmal geschehen war, machte es die Sache nicht weniger unheimlich, und Clark brauchte eine Sekunde und einen weiteren Ruf seines Vaters von unten, um zu antworten. »Mir geht’s gut, bin gleich unten!« Wow. Besondere Fähigkeiten zu haben, wie seine Mom es nannte, machte das Leben zweifellos interessant. In dem einen Moment hatte man Kopfschmerzen, und im nächsten Moment
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konnte man durch feste Gegenstände sehen. Und jetzt dieses Schweben... Clark fand es beunruhigend, bis er sich an den Traum erinnerte, der den Vorfall ausgelöst hatte. Plötzlich hob sich seine Stimmung etwas. »Bist du noch immer bereit, für mich den Lieferanten zu spielen?«, fragte Clarks Mom. »Ich habe heute eine Million Dinge zu erledigen, und es wäre mir eine große Hilfe, wenn du nach der Schule das Gemüse ausliefern könntest.« »Kein Problem, Mom«, sagte Clark, als er in den Kühlschrank nach dem Orangensaft griff. »Wo muss ich hin?« »Nur zum Biomarkt und zu den Andersens... und Lex’ Haus«, antwortete sie, während sie ihre Jacke überstreifte. Lex bekam jede Woche eine Kiste mit Gemüse von der Kent-Farm geliefert. Clark wollte gerade einen großen Schluck Orangensaft trinken, aber er stellte das Glas stattdessen weg. »Mom... nach dem, was gestern passiert ist, kann ich nicht zu Lex gehen. Er und ich... nun, wir haben im Moment Probleme miteinander.« Clark blickte leicht gequält drein. »Ich weiß, Schatz«, sagte Martha. »Aber es hat keinen Sinn, die Sache in die Länge zu ziehen. Am besten redest du einfach mit Lex offen über das, was dich bewegt. Außerdem, so wie dein Vater ihn gestern angesehen hat, solltest du hinübergehen und Lex wenigstens wissen lassen, dass du okay bist.« Clark hielt am Hintereingang des Luthor-Anwesens an und hoffte, dass er auf diese Weise Lex nicht sehen musste. Er hatte seinen Besuch den ganzen Nachmittag hinausgezögert und ihn zum letzten Halt auf seiner Liefertour gemacht. Aber als er die Kiste mit dem Gemüse in der Küche abstellte, fühlte er sich schuldig. So ging man nicht mit einem Freund um. Er wandte sich zur Bibliothek und spähte durch die offene Tür. 80
Clark klopfte leise. »Hi.« »Hi«, sagte Lex und blickte von seinem Schreibtisch auf. »Komm rein. Was macht dein Rücken?« Lex’ Stimme verriet ehrliche Sorge. »Dem geht’s gut«, antwortete Clark, der nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Lex blickte ebenfalls unbehaglich drein. »Hör zu, Clark«, begann Lex, »wegen gestern...« »Es tut mir Leid«, stieß Clark hervor. »Es war alles meine Schuld. Ich habe mich wie ein Vollidiot benommen, und dann wurde ich verletzt« – eine Lüge, aber eine, die er aufrechterhalten musste – »und die ganze Sache war allein meine Schuld.« »Nun«, brummte Lex, stand auf und trat hinter dem Schreibtisch hervor, »ich würde nicht sagen, dass du ein Vollidiot warst. Vielleicht ein Halbidiot...« Er musste unwillkürlich grinsen, und Clark grinste zurück. »Außerdem«, fuhr Lex fort, »denke ich, dass ich mich ebenfalls entschuldigen muss. Ich habe dich gereizt und Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen.« Clark erinnerte sich, dass Lex gesagt hatte, er würde wie ein Schoßhündchen hinter Lana herlaufen. »Nichts, das nicht wahr war«, murmelte er und sah zu Boden. »Weder wahr noch nett, mein Freund«, erklärte Lex. »Du bist nicht der Einzige in der Stadt, der ein Idiot sein kann.« Er schlug Clark auf den Rücken. Clark entspannte sich, dankbar, dass der Streit zwischen ihm und Lex beigelegt war. »Sie ist wirklich etwas Besonderes, nicht wahr?«, sagte Lex, als er an seinen Schreibtisch zurückkehrte. »Lana?«, fragte Clark. »Ich meinte Ms. Sanchez«, korrigierte Lex. »Du musst sie sehr mögen, wenn du dich deswegen mit einem Luthor anlegst.« Er lächelte, um Clark zu bedeuten, dass es ein Scherz gewesen war. 81
Clark steckte seine Hände in die Taschen. »Ich muss völlig den Verstand verloren haben, dass ich dachte...«, begann er. »Ich meine, sie ist meine Lehrerin. Es ist total lächerlich... richtig?« Insgeheim – nun, eigentlich ganz offen, räumte er sich selbst gegenüber ein – hoffte Clark, dass Lex so etwas sagen würde wie: »Lächerlich? Natürlich ist es nicht lächerlich, dass du dich in deine Lehrerin verliebt hast!« Und dann würde ihm Lex irgendeine tolle Geschichte erzählen, wie er sich im Internat in seine Chemielehrerin oder so verliebt und dass es funktioniert hatte – dass sie sich ebenfalls in ihn verliebt hatte. Lex würde sagen: »Clark, ich habe eine Idee«, und er würde irgendeinen genialen Plan entwickeln, wie Clark Lilia für sich gewinnen konnte, sodass alles gut wurde. Lex konnte praktisch zaubern. Hatte er nicht eines Abends das Metropolis-Sharks-Footballteam nach Smallville geholt, damit Whitneys Vater sehen konnte, wie sein Sohn mit den Profis spielte, bevor er starb? Hatte er nicht für Clarks erste Party in Abwesenheit seiner Eltern ein Feuerwerk organisiert, das Tausende von Dollar gekostet haben musste? Hatte er nicht... Clarks Gedanken wurden unterbrochen, als Lex freundlich lachte. »Ja, es ist irgendwie lächerlich«, sagte er. »Aber süß. Ich habe in der Schule auch ein Auge auf die eine oder andere ältere Frau geworfen. Aber diese Dinge entwickeln sich nicht so, wie man es gerne hätte, Clark.« »Ja«, seufzte Clark und fühlte sich plötzlich wieder unbehaglich. »Ich schätze, die Leute können auf ziemlich verrückte Gedanken kommen.« Er sah Lex an, der jetzt nachdenklich die Stirn runzelte. »Stimmt etwas nicht?« Lex blickte auf. »Manchmal können die Leute auch auf die ziemlich verrückten Gedanken anderer Leute kommen.« »Wie meinst du das?«
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Lex lächelte, aber er dachte noch immer über irgendetwas nach. Nicht über mich, hoffe ich, durchfuhr es Clark. »Glaubst du, dass es Menschen gibt, die Gedanken lesen können, Clark?«, fragte Lex.
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12 CLARK ZUCKTE INNERLICH ZUSAMMEN, aber er versuchte es nicht zu zeigen und lächelte seinen Freund an. »Jetzt fängst du an, wie Chloe zu klingen, wenn sie etwas Neues für ihre Wand der Merkwürdigkeiten sucht.« »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Lex. »Hältst du es für möglich, dass deine Gedanken gelesen werden können? Dass ein anderer Mensch deine Geheimnisse, deine persönlichsten Zwiegespräche mit dir selbst mithört?« Alarmiert fragte sich Clark, worauf Lex hinauswollte. Sie hatten gerade den Vorfall von gestern Nachmittag geklärt, aber Clark konnte erkennen, dass der Teil von Lex, der besessen davon zu sein schien, die Wahrheit über Clark herauszufinden – manchmal sogar auf Kosten ihrer Freundschaft –, gerade neu erwacht war. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Clark vorsichtig. »Ich glaube an Intuition, aber Gedankenlesen? Das klingt für mich ziemlich unglaubwürdig.« »Mmm«, machte Lex, während er langsam vor seinem Schreibtisch auf und ab ging. »Als Lilia gestern Abend hier war« – er sah Clark an, um zu zeigen, dass er es aufrichtig meinte – »und ich versichere dir, dass es ein absolut harmloser Abend war, sagte sie einige... interessante Dinge.« Oh nein. Clark versuchte gelassen zu erscheinen. »In welcher Hinsicht interessant?« »Interessant in der Hinsicht, dass es Dinge waren, die sie unmöglich wissen konnte«, sagte Lex, »sofern sie nicht ein Zimmer in meinem Kopf gemietet hatte.« Innerlich seufzte Clark vor Erleichterung. Lex hatte vielleicht von Lilias besonderer Gabe erfahren, aber er schien sich nicht auf Clark oder sein Geheimnis zu beziehen. »Vielleicht hat sie etwas mitgehört, als sie hereinkam«, sagte er. 84
»Vielleicht«, murmelte Lex und blieb vor Clark stehen. »Ist etwas Ähnliches schon mal mit dir passiert? Ich meine, mit dir und Lilia?« Clark erstarrte – jener Tag in der Schule, als er Lilia vor dem einstürzenden Gerüst gerettet hatte. Kurz nach diesem Unfall hatte es einen Moment gegeben, in dem sie genau das gesagt hatte, was Clark dachte. Es war fast wie der Scherz eines unheimlichen Bauchredners mit einer lebenden Puppe gewesen. Irgendwie musste dasselbe mit Lex passiert sein, als Lilia bei ihm gewesen war. Und obwohl Clark, soweit er wusste, nicht über die Fähigkeit des Gedankenlesens verfügte, sah er plötzlich sehr klar den Gedanken, der in Lex’ Kopf aufblitzte. Er denkt, dass Lilia etwas über mich weiß, durchfuhr es ihn. »Nein«, sagte Clark. »So etwas ist mir nicht passiert.« Lex schien ihn lange Zeit anzusehen. Für Clark fühlte es sich fast an, als versuchte Lex, ein Loch in seinen Kopf zu bohren, um festzustellen, ob er die Wahrheit sagte. »Weißt du, was ich denke, Clark?«, fragte Lex. Clark antwortete nicht. »Ich denke, dass all die seltsamen Dinge, die in dieser Stadt passieren, nun auch mich erreicht haben.« Lex lächelte. Clark ging durch den langen Marmorkorridor, der aus dem Luthor-Anwesen führte. Er war froh, dass er und Lex endlich die Sache zwischen ihnen geklärt hatten, aber gleichzeitig machte ihn Lex’ Entdeckung von Lilias einzigartiger Gabe nervös. Wenigstens, dachte Clark, hat Lex nichts von Lilia erfahren, das mit mir oder meinen Fähigkeiten zu tun hat. Hoffe ich. Während er durch den Korridor ging, kam ihm ein Butler auf dem Weg in die Bibliothek entgegen. Clark, ganz in Gedanken, bemerkte kaum die kleine schwarze Geschenkschachtel, die der Butler in der Hand hielt. 85
»Hi«, sagte Clark, obwohl das Personal des LuthorAnwesens selten antwortete. Der Butler blieb seinem Ruf treu und nickte nur steif, als er Clark passierte. Und urplötzlich wurde Clark von einer Welle der Übelkeit erfasst. Er fühlte sich eine Sekunde lang benommen... und dann war es vorbei, und er war wieder normal. Was zum...?, dachte er. Er drehte sich um und sah dem Butler nach, der bereits die Tür von Lex’ Büro hinter sich schloss. Merkwürdig, dachte Clark. Es schienen sich keine Meteoriten in der Nähe zu befinden, die dieses Gefühl hätten auslösen können, und es war so kurz gewesen... Seltsam, dachte Clark, aber was soll’s. Er war in der letzten Zeit so oft dieser bösartigen Meteoritenenergie ausgesetzt gewesen, dass er sich fragte, ob er es sich nur eingebildet hatte. Ihm dämmerte, dass er zu spät zum Abendessen kam, und er lief aus dem Luthor-Anwesen zu seinem Truck. Hätte Clark einen Moment gewartet und seinen Röntgenblick eingesetzt, hätte er durch die Tür von Lex’ Büro gesehen, wie der Butler Lex die Schachtel gab. In der Schachtel lag ein Armband, die Spezialanfertigung eines Juweliers in der Stadt. Es bestand aus kleinen polierten Steinen an einer dünnen Silberkette. Jeder, der die Steine ohne Röntgenblick betrachtete, würde sie für Smaragde halten, so leuchtend grün waren sie. Lex blickte durch das Buntglasfenster der Bibliothek und beobachtete, wie Clark davonfuhr. Sein Vater hatte ihm viele Dinge beigebracht – eins davon war, wie man feststellen konnte, ob eine Person log oder nicht. Und als Clark gesagt hatte, dass Lilia Sanchez niemals seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, hatte Clark eindeutig gelogen. Dessen war sich Lex sicher.
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Er war sich jedoch nicht sicher, was Lilia in Clarks Bewusstsein gesehen hatte oder ob sie sich daran erinnern würde. Sie hatte Lex gegenüber in keiner Weise angedeutet, dass sie sich an das erinnerte, was sie gestern Abend gesagt hatte. Sie glaubte einfach, einen vorübergehenden Black-out gehabt zu haben. Alles schien so unglaubwürdig. Lilia war wahrscheinlich nur ungeheuer intuitiv. Und bei Clark hatte sie nur gespürt, dass er in sie verliebt war, und – Lex lächelte vor sich hin – er war vermutlich nicht der Erste. Aber nein, es schien mehr dahinter zu stecken. Lex hatte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen und den Zwischenfall in seinem Kopf immer wieder durchgespielt. Zuerst hatte sie richtig vermutet, dass er Schwierigkeiten hatte, anderen Menschen zu vertrauen. Um das zu erkennen, musste man kein Raketenwissenschaftler sein. Aber später, als die Worte – seine Worte, seine genauen Gedanken über seinen Vater und über Clark! – aus ihr hervorgesprudelt waren, fast unaufhaltsam... Lex starrte aus dem Fenster und strich geistesabwesend mit den Fingern über die schwarze Geschenkschachtel auf seinem Schreibtisch. Er hatte geglaubt, dass sie einen Anfall hatte, bevor ihm klar geworden war, was sie sagte. Er hatte sie in die Arme genommen, damit sie nicht hinfiel. Selbst als sie versichert hatte, dass es ihr gut ging, hatte er sie nicht loslassen wollen... Konzentriere dich, dachte Lex. Da war noch etwas anderes. Etwas über Clark... Lex ließ seine Gedanken schweifen. Was war, wenn etwas Ähnliches mit Clark und Lilia passiert war? Was war, wenn es ihr irgendwie gelungen war, in sein Bewusstsein zu blicken und seine Gedanken so deutlich zu lesen, wie sie Lex’ gelesen hatte?
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Was ist, wenn sie etwas darüber weiß, was an dem Tag, an dem mein Wagen von der Brücke stürzte, wirklich passiert ist?, fragte er sich. Wenn dem so war und Lex einen Weg finden konnte, es Lilia zu entlocken, würde das Rätsel, das ihn verfolgte, endlich gelöst sein. Und, dachte er, er konnte den einzigen engen Freund verlieren, den er je gehabt hatte, und er konnte auch das Mädchen verlieren. Lex seufzte. Alles Wertvolle hatte gewöhnlich ein großes Preisschild. Aber war er bereit, Clark zu verlieren? Schließlich hatte Clark Lex das Leben gerettet, ganz gleich, wie er es gemacht hatte. Lex schuldete ihm eine Menge dafür. Aber seine wiederholten Fragen und Nachforschungen über diesen Tag hatten ihre Freundschaft auf die Probe gestellt. Und was war mit Lilia? Selbst wenn Lex einen Weg fand festzustellen, ob sie Clarks Gedanken lesen konnte, würde es ihr nicht schaden? Zweifellos konnten diese Anfälle, die sie in dieser Trance hatte, nicht harmlos sein. Fast sofort hatte Lex eine Gefühlsreaktion: Ich will ihr nicht schaden. Mir ist es egal, was ich herausfinden könnte. Er war über sich selbst überrascht. Sein Vater wäre angewidert gewesen. Aber allein der Gedanke an Lilia vertrieb jede Absicht, Clark und Lilia irgendein verrücktes Sciencefiction-Experiment aufzuzwingen, aus Lex’ Kopf. Stattdessen entwickelte Lex eine ganz andere Fantasie. Dazu gehörte, aus dem skrupellosen Unternehmen LuthorCorp auszusteigen, seinen Vater und alles, was er kannte und hasste, hinter sich zu lassen und zusammen mit Lilia davonzulaufen, irgendwohin. Von draußen hörte Lex das leise Grollen eines Gewitters in der Ferne. Es klang, als würden ihn die Götter auffordern, sich von seinem Vater und seinem Schicksal abzuwenden.
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13 AM NÄCHSTEN NACHMITTAG wartete Lex, bis der Schulbus weggefahren war, ehe er um die Ecke zur Frontseite der Smallville Highschool bog. Es war ein seltsames Gefühl, sich vergewissert zu haben, dass Clark nicht mehr da war, aber er wollte ihm nicht begegnen und erklären, was er hier machte. In seiner Tasche steckte die kleine schwarze Geschenkschachtel, die sein Butler ihm am Vortag gebracht hatte. Nach ein paar Minuten wurde Lex’ Geduld belohnt. Lilia Sanchez kam aus dem Gebäude (blieb stehen, wie er bemerkte, um aus irgendeinem Grund zum Dach hinaufzublicken) und stieg die Treppe hinunter. Als sie Lex sah, winkte und lächelte sie. Lex versuchte, das breite Grinsen zu unterdrücken, das dabei war, ihn völlig zu verraten. »Das ist eine nette Überraschung«, sagte Lilia. »Was führt Sie hierher?« »Ich wollte sehen, ob es Ihnen nach jenem Abend gut geht.« »Ja«, versicherte sie. »Mit geht es hervorragend. Aber Sie hätten nicht den ganzen Weg hierher kommen müssen, nur um...« »Das habe ich auch nicht«, unterbrach Lex. »Ich bin den ganzen Weg hierher gekommen, weil ich etwas für Sie habe.« Lex hielt ihr die elegante schwarze Schachtel hin, die mit einem roten Seidenband verschnürt war. Lilia lächelte ihn an, zögerte jedoch. »Lex...«, sagte sie. Er drückte sie ihr sanft in die Hand. »Nun machen Sie schon.« Er lächelte. »Öffnen Sie sie.« Langsam öffnete Lilia die Schachtel. In ihr lag das Armband. Seine polierten Steine leuchteten grün. »Lex...«, sagte Lilia und hielt ihm die Schachtel hin. »Ich kann das nicht annehmen.« 89
»Ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun«, erwiderte Lex. »Es sind schließlich keine Diamanten oder so. Diese Steine liegen überall in Smallville herum. Sie sind ziemlich hübsch, aber, nun... sie sind auch ziemlich wertlos.« Vielleicht war das Geschenk ein Fehler gewesen, dachte er und wünschte sich, er hätte stattdessen Smaragde gekauft. Aber Lilias Lächeln vertrieb seine Befürchtungen. »Vielleicht«, sagte sie, nahm das Armband aus der Schachtel und streifte es über ihr Handgelenk. »Aber sie haben zumindest für mich einen Wert.« Lex, der immer stolz darauf gewesen war, eine kühle, selbstbewusste Fassade aufrechtzuerhalten, spürte, wie sein Herz ein wenig dahinschmolz. Lex stand neben Lilias Wagen, als sie einstieg. »Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht überreden kann, mich zum Abendessen zu besuchen?«, fragte er. »Zum Ausgleich für jene Nacht.« »Das würde ich gern, aber ich kann nicht«, erwiderte sie, während sie versuchte, den Wagen anzulassen. »Clark hat eins seiner Bücher in meinem Klassenzimmer vergessen, und ich will es auf meinem Weg nach Hause auf der Kent-Farm abgeben. Und danach habe ich einen Berg Hausaufgaben zu korrigieren.« Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss, aber erneut sprang der Motor nicht an. »Zum Teufel mit dieser Kiste«, fluchte sie frustriert. Lex musterte ihren ramponierten Wagen. »Ich denke, diese Antiquität hat schon bessere Tage gesehen, Lilia.« »Nein, er muss anspringen...« Sie versuchte es wieder. Nichts. Lex öffnete die Tür. »Ms. Sanchez, es wäre mir ein Vergnügen, sie zu Clarks Farm und dann nach Hause zu fahren. Außerdem würde ich mich nicht darauf verlassen, dass dieses Ding sie sicher irgendwohin bringt. Vor allem bei diesem Wetter«, sagte Lex und blickte besorgt zu den 90
aufziehenden Wolken auf. »Heute Nachtmittag soll es ein schweres Gewitter geben.« Lilia lächelte und stieg aus dem Wagen. »Gracias, Señor Luthor«, sagte sie. Während Lex und Lilia der Straße folgten, die zu Clarks Haus führte, verfinsterte sich der Himmel, der vor einer Stunde noch nur bewölkt gewesen war, auf bedrohliche Weise. Grollende, wütend aussehende Wolken zogen schnell vorbei, und der Wind peitschte die Bäume. »Wow«, machte Lex, »das sieht beeindruckend aus.« In diesem Moment erhellte ein Blitz den Himmel, gefolgt von einem unheimlichen Donnerschlag. Der Regen fiel in Strömen und verschleierte die Windschutzscheibe; es war kaum noch etwas zu erkennen. »Tempestad«, flüsterte Lilia, als der Regen hart gegen die Windschutzscheibe trommelte. Lex warf ihr einen Blick zu. »Das heißt Gewitter auf Spanisch«, erklärte sie. »Ich denke, wir brauchen vielleicht ein stärkeres Wort«, sagte Lex, während er verfolgte, wie die Straße überflutet wurde. Clark kam völlig durchweicht ins Haus. »Wow, was für ein Unwetter«, sagte er, ohne zu bemerken, dass seine Mom telefonierte. »Dad, ich habe die Scheune sorgfältig verrammelt.« Jonathan nickte, während er die Sturmfenster schloss. »In Ordnung, ich werde dafür sorgen, dass er Sie anruft, wenn er vorbeikommt«, sagte Martha, bevor sie auflegte. »Das war Lex’ Butler«, wandte sie sich an Clark. »Er wollte wissen, ob Lex zu uns gekommen ist.« Clark blickte verwirrt drein. »Er wollte hier vorbeischauen?« »Nun, er sagte, Lex hätte erwähnt, dass er zur Highschool fahren wollte. Der Butler hat versucht, Lex zu erreichen, um ihn vor dem Sturm zu warnen – der Blitz ist in einem 91
Poolschuppen auf ihrem Grundstück eingeschlagen, und einige der Straßen sind überflutet –, aber Lex’ Handy scheint nicht zu funktionieren. Er dachte, Lex wäre vielleicht hierher gekommen, um Schutz zu suchen.« »Das ist komisch. Ich habe Lex nicht in der Schule gesehen...«, murmelte Clark. Dann fiel ihm der Grund dafür ein. »Er hat wahrscheinlich Ms. Sanchez besucht.« Clark spürte einen eifersüchtigen Stich, gefolgt von Trauer, dass sein Freund ihm aus dem Weg gehen musste, um jemanden zu besuchen, den er mochte. Dann kam ihm ein ernsterer Gedanke, als seine Mutter sagte: »Ich hoffe, sie sind jetzt nicht irgendwo dort draußen.« Clark spähte durch das Fenster, aber er konnte kaum etwas erkennen, weil der schwere Regen gegen die Scheibe trommelte. Ein weiterer Donnerschlag ließ das Haus erzittern.
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14 »DENKEN SIE, wir sollten stattdessen zu Ihrem Haus fahren?«, fragte Lilia mit einem nervösen Unterton in der Stimme. Lex dachte einen Moment nach und versuchte das Lenkrad ruhig zu halten, ohne dass es zu sehr auffiel. Er war langsamer geworden, aber der Wagen schlingerte noch immer; der Regen hatte die Straße in kürzester Zeit in einen Fluss verwandelt, und das Wasser rauschte auf sie zu. »Nun, wir sind meinem Anwesen näher als der Kent-Farm«, sagte Lex, während er sich bemühte, seine Besorgnis zu verbergen. »Keine Angst, wir werden...« »Lex, passen Sie auf!«, schrie Lilia. Lex drehte den Kopf und blickte gerade rechtzeitig aus dem Fenster auf seiner Seite, um eine Wand aus schlammigem Wasser zu sehen, die den Hang herunterrollte. Sie riss kleine Bäume und Felsen mit sich und raste direkt auf den Wagen zu. Er trat aufs Gaspedal, um ihr zu entkommen. Der Wagen schlingerte, und dann hatte die Wand aus Schlamm sie erreicht und drückte sie zur Seite. Die Straße schien unter ihnen nachzugeben. Das Letzte, was Lex hörte, bevor er an der Seite seines Kopfes einen scharfen Schmerz spürte – knack! –, war Lilias Schrei. »Clark, du wirst bei diesem Unwetter nicht nach draußen gehen«, sagte Jonathan Kent nachdrücklich. Aber Clark wandte sich bereits zur Tür. Er hatte in der Schule angerufen, um zu fragen, ob Lex und Ms. Sanchez noch dort waren. Ihr Wagen war da, aber Lex’ nicht, und sie waren nirgendwo zu finden. »Dad, ich muss gehen«, antwortete er. »Sie sind vielleicht irgendwo dort draußen. Mir wird schon nichts passieren, aber 93
wenn sie irgendwo auf der Straße festsitzen, kann ihnen alles Mögliche zustoßen.« Jonathan seufzte und nickte. Er wusste, dass sein Sohn Recht hatte, aber er machte sich noch immer Sorgen. Martha wusste ebenfalls, dass es praktisch nichts gab, das ihren Sohn verletzen konnte, doch sie ergriff einen Moment lang seinen Arm. »Clark – sei bitte vorsichtig«, mahnte sie ihn. »Das werde ich, Mom«, versprach er ihr und drückte sie kurz an sich. Als er die Tür öffnete, war der Wind so stark, dass er Martha zurückweichen ließ, und Jonathan musste sich gegen die Tür stemmen, um sie hinter ihm zu schließen. Martha sah aus dem Fenster wie ihr Sohn zu einem superschnellen Schemen wurde, gefolgt von einer Wasserfontäne. Obwohl sich Lilia die Ohren mit den Händen zuhielt, konnte sie den Donner und das wütende Trommeln des Regens auf der Kühlerhaube des Wagens hören. Als sie die Augen öffnete, ließ ihr das, was sie sah, den Atem stocken. Zu ihrer Linken war Lex, ohnmächtig, und er blutete an der Stelle, wo sein Kopf gegen das Fenster auf der Fahrerseite geschlagen war. Das Fenster war zerbrochen, und Schlamm und Wasser strömten herein. Der Pegel stieg rasch. Zu ihrer Rechten, direkt vor ihrer eingebeulten Tür, befand sich ein mächtiger Baum. Der Wagen war von der Schlammlawine gegen den Baumstamm gedrückt worden, der, wie Lilia jetzt erkennen konnte, am Rand eines Kraters in der Erde wuchs. Dios mio, dachte sie. Ich bin wieder hier. Wir sind an dem Teich, wo die Meteoriten eingeschlagen sind. Erinnerungen an den Meteoritenschauer überfielen sie. Und sie war an dem Tag hierher gekommen, an dem sie und Lex sich kennen gelernt hatten, und hatte die Felder betrachtet. Sie waren an jenem Tag wunderschön gewesen; jetzt waren sie eine reißende Flut aus Schlamm. 94
»Lex«, sagte sie drängend. »Lex, wachen Sie auf!« Aber er lag zusammengesunken auf seinem Sitz, jetzt bis zur Hüfte in dem wässrigen Schlamm, der den Wagen füllte. Lilia streckte die Hand aus, um seinen Kopf nach hinten zu drücken, aus Angst, dass er in dem strudelnden Wasser ertrinken würde. Ich werde nicht in Panik geraten, dachte sie. Das Handy. Ich muss Hilfe rufen. Sie hielt Lex’ Kopf mit einer Hand hoch, streifte ihre Schuhe ab und suchte mit den Füßen nach ihrer Handtasche. Ihr Handy befand sich in ihr, und wenn es durch ein Wunder noch trocken war... Nichts. Ihre Handtasche musste bei dem Unfall durch den Wagen geschleudert worden sein und steckte jetzt irgendwo im Schlamm. Sie wagte nicht, ihren Sicherheitsgurt zu lösen, um nach ihm zu suchen – das Auto stand schief und konnte durch jede plötzliche Bewegung kippen und den Hang hinunterrutschen. Der Schlamm im Wagen stieg bis zu ihrem Hals. Lilia atmete tief durch und versuchte ruhig zu bleiben. Sie tastete über die Armlehne der eingebeulten Autotür und suchte nach dem Knopf für den elektrischen Fensterheber. Irgendwie funktionierte der Mechanismus noch; die Fenster glitten nach unten, und der Schlamm ergoss sich nach draußen, sodass der Pegel wieder auf Brusthöhe sank. Zumindest würden sie nicht im Auto ertrinken. Ihre Erleichterung währte nur eine Sekunde, bevor der Wagen sich knirschend neigte. Das strudelnde Wasser spülte den Boden unter ihnen aus und brachte den Baum zum Kippen. In diesem Moment tat Lilia das Einzige, was sie konnte. Sie schrie. »Hilfe! Irgendjemand muss uns helfen!« Das Grollen des Donners übertönte ihre Stimme.
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15 CLARK WAR FRÜHER SCHON im prasselnden Regen gelaufen, als er ein Kind gewesen war, weil es Spaß machte, mit neunzig Kilometern pro Stunde ins Rutschen zu geraten. Jetzt achtete er sorgfältig darauf, dass seine Füße festen Halt fanden. Er suchte den Horizont nach Lex’ silbernem Porsche ab. Lex war mit Sicherheit auf der Straße geblieben. Vielleicht war er an den Rand gefahren, als er gesehen hatte, wie schlimm das Unwetter wurde. Clark folgte der Straße und hielt nach beiden Seiten hin Ausschau. Er musste ein paar Mal stehen bleiben, weil der Regen derart stark niederrauschte, dass er nur einige Schritte weit sehen konnte. Clark rannte weiter die Straße hinunter, die an einer Stelle abknickte. Direkt vor ihm war das Schlammloch, in das er an dem Tag gestürzt war, an dem er sich mit Lex gestritten hatte. Es war der letzte Ort auf der Welt, wo er sein wollte, da sich am Grund dieser riesige Meteorit befand. Aber dort am Rand stand Lex’ Wagen, gegen einen mächtigen Baum gepresst, der sich jetzt diagonal neigte. Von der anderen Seite drückten Schlamm und Wasser gegen das Auto. In diesem Moment hörte Clark Lilia schreien. »Clark!«, stieß Lilia atemlos hervor. »Clark, Gott sei Dank! Lex ist verletzt – schaff ihn hier raus!« Clark konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, die Autotür aus den Angeln zu reißen. Es wäre ein Kinderspiel für ihn gewesen, aber er hätte Lilia und Lex schwerlich erklären können, wie er es gemacht hatte. Stattdessen blockierte er den reißenden Strom aus schlammigem Wasser mit seinem Körper und öffnete die Tür. Lilia beugte sich zu Lex und löste seinen Sicherheitsgurt, und Clark zog ihn aus dem Wagen.
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Clark musste eine Stelle finden, wo er Lex ablegen konnte, ohne dass er ertrank oder davongespült wurde. Ein paar Meter weiter den Hügel hinauf war ein Felsen, und Clark lehnte seinen Freund dagegen. »Clark!« Lilias durchdringender Schrei verriet Panik. Clark blickte über seine Schulter und sah, dass der Wagen jetzt langsam mit dem Heck voran ins Rutschen geriet und in das Schlammloch zu stürzen drohte. Als er Lex herausgeholt hatte, hatte das Auto sein Gleichgewicht verloren. Lilia war noch immer im Innern und konnte jeden Moment davongeschwemmt werden. Er rannte zurück zum Wagen und erreichte ihn einen Augenblick später. Er packte das Auto mit einer Hand und griff mit der anderen hinein. »Lilia!«, rief er. »Halten Sie sich an mir fest!« Vorsichtig ergriff sie Clarks ausgestreckte Hand. In seiner Panik sah Clark nicht, wie die grünen Steine an dem Armband an Lilias Handgelenk aufleuchteten. Er umklammerte ihr Handgelenk. Der Schmerz schoss durch seinen Arm, dann durch seinen ganzen Körper. Eine Sekunde lang glaubte er, von einem Blitz getroffen worden zu sein. Aber selbst ein Blitz schmerzte nicht so sehr. NEIN!, durchfuhr es Clark. Meteoriten...! Sein Keuchen wurde zu einem Schmerzensschrei. Clark biss die Zähne zusammen, um seinen Schrei zu unterdrücken. Aber er hörte noch immer jemanden schreien... Es war Lilia. Clark konnte wegen dem Schmerz, der von dem Armband an Lilias Handgelenk durch seine Hand schoss, kaum atmen. Er schnitt durch seinen ganzen Körper und ließ seine Adern pochen, als würden sie im nächsten Moment unter seiner Haut explodieren. Dann sah er Lilia an, deren Gesicht ebenfalls vor 97
Qual verzerrt war. Er verstand es nicht – sie war nicht verletzt worden. Aber eine Sekunde später wurde es klar, als Lilia den Mund öffnete und Clarks Gedanken wie einen Sturzbach hervorsprudelte. »Nein, nein, nein, es tut weh, es tut weh! Die Meteoriten, nein, bitte, es muss aufhören. Ich sterbe. Nein, nein, ich kann nicht zulassen, dass sie mich so sehen; sie werden, sie werden die Wahrheit über mich herausfinden. Es tut weh. Ich muss loslassen, kann nicht loslassen, muss LOSLASSEN...« Clark war entsetzt. Der Schmerz, den er spürte, war schon schlimm genug, aber die Furcht, dass Lex womöglich hörte, was Lilia sagte – er würde es unmöglich erklären können. Er drehte sich um und sah, dass Lex allmählich wieder zu sich kam. Clark rutschte aus und fiel zu Boden. Seine Kraft ließ nach, wurde ihm von den Meteoriten an Lilias Handgelenk ausgesaugt. Er konnte kaum atmen, konnte kaum den Wagen halten. Noch eine Sekunde, und er würde den Hang hinunterrutschen. Ich kann sie nicht loslassen, dachte Clark. Aber ich muss es tun. Und in dieser Sekunde tat er es. Mit Supergeschwindigkeit ließ Clark Lilias Arm los, packte aber vorher das Armband und riss es von ihrem Handgelenk. Die Berührung der Meteoriten schickte sengenden Schmerz in seine Hand – und dann fiel das Armband aus seiner Hand und in das strudelnde Wasser. Clark sah, wie es durch das Fenster hinter Lilia gespült wurde. Sofort spürte Clark seine Kraft zurückkehren. Blitzartig sprang er wieder auf, stemmte seine Füße in den glitschigen Boden und packte erneut Lilias Handgelenk. »Lilia!«, schrie Clark über das Grollen des Donners, um sie aus ihrer Benommenheit zu reißen. »Ihr Sicherheitsgurt!« 98
Lilia schüttelte die Benommenheit ab, griff dann in den Schlamm nach dem Verschluss des Sicherheitsgurts und befreite sich. Clark zog sie aus dem Wagen und auf den Boden, wo er schützend einen Arm um sie legte. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht, sodass sie nicht sah, wie er Lex’ Porsche losließ. Es gab ein Knarren, als der Baum schließlich nachgab, und der Wagen rutschte den Hang hinunter und überschlug sich dabei. Clark trug Lilia den Hügel hinauf, weg von dem schlammigen Hang, und beide sanken zu Boden. Während Clark beobachtete, wie der Wagen von Schlamm überdeckt wurde, setzte er seinen Röntgenblick ein, um den Grund des Kraters abzusuchen. Es gab keine Spur von den Meteorsteinen, nicht einmal von dem großen, der ihn fast getötet hätte. Sie waren alle von dem Unwetter fortgeschwemmt worden. Er seufzte erleichtert, ebenso Lilia, die ihre Augen geschlossen und ihren Kopf an Clarks Schulter gelegt hatte. Er verspürte leichten Schwindel, den die Meteoritensplitter in ihrem Schädel auslösten; trotzdem erlaubte er sich, wenn auch nur einen Moment lang, sie in seinen Armen zu halten, zu spüren, wie sie sich an ihn schmiegte. Dann standen sie auf und kümmerten sich um Lex.
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16 AM NÄCHSTEN TAG saß Clark im Café Beanery, als Lex draußen vorbeiging. Er klopfte an die Scheibe und bedeutete Lex hereinzukommen. »Ich bin überrascht, dich hier zu sehen«, sagte Lex, als er sich auf den Lehnstuhl neben Clark setzte. »Hängst du für gewöhnlich nicht im Talon herum?« »Ich schätze, ich habe eine Abwechslung gebraucht«, antwortete Clark, der ihm nicht die ganze Whitney-und-LanaGeschichte erzählen wollte. »Ms. Sanchez erging es offenbar genauso. Mr. Hector war heute wieder in der Schule, eine Woche früher als geplant.« Lex nickte. »Lilia hat mich angerufen, bevor sie abgereist ist, um zu fragen, wie es mir geht«, erklärte er und berührte den Verband an der Seite seiner Stirn. »Sie hat mir gesagt, dass sie nach Madrid zurückkehrt. Selbst sie musste zugeben, dass nach einem Meteorschauer, einem Gerüsteinsturz und einer Schlammlawine diese Stadt für sie nur Pech bereitzuhalten scheint.« Lex rang sich ein mattes Lächeln ab, seufzte dann und sah aus dem Fenster. Clark tat sein Freund Leid. Trotz all dem Geld, das Lex hatte, schien es in seinem Leben nur Enttäuschungen zu geben – sein schreckliches Verhältnis zu seinem Dad, sein schlechter Ruf in Smallville, und jetzt schien Lex auch noch kein Glück in der Liebe zu haben. Clark hoffte, dass Lex bald etwas in seinem Leben finden würde, das ihn glücklich machte. Diese ständigen Frustrationen konnten einen Menschen eines Tages wirklich verbittert und böse machen. »Das habe ich fast vergessen«, sagte Lex und wandte sich wieder Clark zu. »Lilia bat mich, dir etwas auszurichten.« »Und zwar?«
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»Sie sagte ›Mach aus dem, was in deinem Herzen ist, kein begrabenes Geheimnis. Wenn du dein Herz offen hältst, wird die Liebe zu dir kommen.‹« Lex schwieg einen Moment. »Sie sagte, du wirst schon wissen, was das bedeutet.« Clark ließ Lilias Worte in sich einwirken. Es war ihr Geschenk für ihn, und er hoffte, dass er es eines Tages verstehen würde. Er betrachtete Lex’ bedrückte Miene. »Kann ich dir einen Milchkaffee ausgeben?« Lex lächelte. »Mach einen doppelten daraus.« Clark war auf dem Heuboden der Scheune und saß an seinem Teleskop, aber er beobachtete nicht die Sterne, sondern starrte nur ins Leere. Wie ging noch mal jenes Lied, das seine Mom manchmal sang? Was für einen Unterschied ein Tag ausmachen kann. Gestern war der Himmel dunkel wie Eisen gewesen, Regen war auf das Land niedergerauscht, und das Wasser hatte alles überflutet. Heute war die Sonne herausgekommen und der Tag wunderschön gewesen. Gestern hatte er ständig an eine Frau denken müssen, die sich fast zwischen ihn und einen engen Freund gestellt hatte; heute flog sie nach Spanien zurück, er und Lex waren wieder Freunde, und alles war wieder normal. Fast. Clark lächelte, als er die vertrauten Schritte auf der Treppe hörte; er erkannte sie sofort: Lana. Er drehte sich um, und dort war sie, stand zögernd am Ende der Holztreppe. »Hi«, sagte sie und wartete auf Clarks Reaktion. Als sie sein breites, freundliches Lächeln sah, trat sie auf ihn zu. »Du kommst gerade rechtzeitig«, sagte Clark und wies auf die untergehende Sonne. Der Himmel war orange verfärbt und von purpurnen Wolken gefleckt. »Und wir haben die besten Plätze im Haus.« Lana setzte sich neben ihn und gab einen stummen Seufzer der Erleichterung von sich. 101
Sie saßen einen oder zwei Momente in behaglicher Stille da. Dann sagte Lana: »Clark... ich weiß, die Dinge zwischen uns sind in der letzten Zeit... nun, ein wenig seltsam gewesen. Aber ich wollte dich nur wissen lassen...« Clark streckte den Arm aus und ergriff Lanas Hand. »Ich weiß«, unterbrach er. Er lächelte sie an, und sie lächelte zurück und drückte sacht seine Hand. Ihm fiel auf, dass sie keinen Ring am Finger trug, aber er wollte den Moment nicht ruinieren, indem er sie fragte, was passiert war. Er würde es schon früh genug erfahren. In diesem Moment verstand er endlich die Geheimsprache der Augen, mit der sich seine Eltern verständigten. Es passierte, wenn man mit jemand zusammen war, der einen völlig verstand, wenn auch nur in diesem Moment. Man wusste vielleicht nicht alles über einander, und man wusste vielleicht nicht, was in der Zukunft passieren würde, aber in diesem Moment... Alles ist einfach so, wie es jetzt sein sollte, dachte Clark. Es ist perfekt. »He, wir verpassen den besten Teil«, sagte Lana. Sie blickte in die untergehende Sonne. »Auf keinen Fall«, erwiderte Clark, der noch immer Lanas Hand hielt. »Das ist der beste Teil.«
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