Atlan - Der Held von Arkon Nr. 217
Duell mit dem Donnergott Chapat in Gefangenschaft - Atlan und Ischtar kämpfen um ih...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 217
Duell mit dem Donnergott Chapat in Gefangenschaft - Atlan und Ischtar kämpfen um ihren Sohn von Harvey Patton
Im Großen Imperium der Arkoniden steht es nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein wohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Auch jetzt, nach seiner abenteuerlichen, strapaziösen und gefahrvollen Rückkehr aus dem Mikrokosmos, ist der Kristallprinz natürlich sofort bereit, den Untergrund kampf gegen Orbanaschol, den Usurpator und Brudermörder, persönlich weiterzu führen. Doch die Möglichkeit dazu ist Atlan und seinen Gefährten noch nicht gege ben. Sie, die dem Untergang von Yarden entronnen sind, gelangen zu einer der Ver sunkenen Welten, weitab aller bekannten Raumflugrouten. Wenn sie wieder in das Geschehen im Reich der Arkoniden eingreifen wollen, müssen sie den Planeten ver lassen. Außerdem müssen sie einen Kampf gewinnen – das DUELL MIT DEM DONNER GOTT …
Duell mit dem Donnergott
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Ischtar - Der Arkonide und die Goldene Göttin kämpfen um ihren Sohn.
Chapat - Ein Baby wird entführt.
Fartuloon, Corpkor, Eiskralle und Crysalgira - Atlans Gefährten.
Wamloyt - Herr des Großen Donners.
Gitgur und Hotgor - Anführer der Herroffs.
1. In meinen Gliedern war jener unange nehm ziehende Schmerz, wie er als unlieb same Begleiterscheinung von Transitionen aufzutreten pflegte, und in meinem Kopf schien sich ein riesiger Schwarm brummender Insekten eingenistet zu haben. Oben drein war mir übel, und mich erfüllte eine Benommenheit, die meine Sinne völlig aus schaltete. Selbst mein Extrahirn, das sonst auch in Extremsituationen stets den Über blick behielt, schien wie paralysiert zu sein, denn es meldete sich nicht. Was war nur mit mir? Ich versuchte es zu ergründen, doch ich brachte nicht einen einzigen klaren Gedan ken zustande, und selbst das Zeitgefühl schi en mir abhanden gekommen zu sein. Ich be fand mich in einem Zustand vollkommener Desorientierung und wußte nicht einmal, ob ich lag, saß oder stand. Doch nun sprang mein Unterbewußtsein ein, von einem dumpfen Drang getrieben, mir Klarheit über die Lage zu verschaffen. Es bewirkte, daß ich rein automatisch die rhythmischen Atemübungen durchführte, die mir mein alter Lehrer Fartuloon quasi als Allheilmittel eingebleut hatte. Das half. Nach und nach ließen Schmerz und Übel keit nach, doch ich war noch immer weit vom Normalzustand entfernt. Auch das Brummen in meinem Schädel schwand all mählich, doch dafür nahmen nun meine Oh ren ein Geräusch auf, dessen Tonlage und Intensität mich aufs neue peinigten. »Warum stellt denn eigentlich niemand die Sirene ab?« murmelte ich schwach vor mich hin. »Tun Sie doch etwas, Morvoner Sprangk – das kann doch kein Mensch aushalten!«
Der Kommandant der FARNATHIA ant wortete nicht, die Sirene plärrte unentwegt weiter. Dann mischte sich auch noch ein kla gendes Stöhnen in diese Geräuschkulisse, meinen gepeinigten Nerven zerrte. Es schien wirklich schlecht um unser Schiff zu stehen, aber noch erinnerte ich mich an nichts. Ein höhnisches Gelächter klang auf, und ich fuhr zusammen, doch dann merkte ich, daß es nicht von außen kam, sondern in mei nem Kopf entstanden war. Mein Extrahirn war wieder erwacht und machte sich auf die se wenig taktvolle Weise bemerkbar. Auch seine erste Äußerung klang so überheblich wie meist. Steht es so schlimm um dich, daß du schon das simple Geschrei eines Kindes für eine Alarmsirene hältst, Kristallprinz? frag te es spöttisch an. Plötzlich schien in meinem Gehirn förm lich ein Relais einzurasten, übergangslos kehrte mein volles Bewußtsein zurück. Na türlich – ich konnte mich ja gar nicht an Bord meines Schiffes befinden! Eben war ich doch noch in Yarden gewesen, in der Ei sigen Sphäre und in Vargos Raumer, wo die ser Vargane versucht hatte, mich und mein kleines Gefolge in Sicherheit zu bringen. Ob es ihm gelungen war? Nun konnte ich endlich auch die Augen öffnen, doch ich sah so gut wie nichts. Um mich herum war es fast völlig dunkel, ich er kannte nur undeutlich einige Schemen, die mich umgaben. Dafür erkannte ich die ver meintliche Sirene jetzt als das klägliche Schreien meines Sohnes Chapat, doch auch das schmerzliche Stöhnen war keine Einbil dung gewesen. Es stammte zweifellos von Corpkor, der einige Schritte entfernt am Bo den zu liegen schien. Doch wo waren die an deren?
4 »Ischtar, Fartuloon?« fragte ich mit kräch zender Stimme. »Seid ihr da?« »Dumme Frage!« meldete sich umgehend der Bauchaufschneider. »Wo sollen wir denn sonst sein, he? Meinst du, wir hätten uns um dich bemüht, nur um dich wieder al lein zu lassen?« Ich reagierte nicht, sondern wandte mich zur anderen Seite, denn dort vernahm ich das Summen Ischtars, die unseren Sohn zu beschwichtigen versuchte. »Was ist mit Chapat?« fragte ich drängend. »Ist ihm et was zugestoßen?« Das Summen hörte auf, und gleichzeitig verstummte auch das klagende Geschrei des Kleinen. »Chapat ist in Ordnung, Atlan«, gab Ischtar leise zurück. »Er hat nur Hunger, das ist alles.« Das war verständlich, denn ich selbst spürte auch eine gähnende Leere in meinem Magen. Zuletzt hatten sich die Ereignisse derart überstürzt, daß keine Zeit mehr zum Essen geblieben war, und auch Chapat hatte nichts bekommen. Meine Befürchtung war also gegenstandslos, doch dafür tauchte so fort eine andere drängende Frage auf. »Wo befinden wir uns hier?« forschte ich unruhig. »Meinst du, daß es uns gelungen ist, dem Chaos in Yarden zu entkommen?« »Es scheint so«, gab die Varganin zurück. »In Vargos Schiff befinden wir uns jeden falls nicht mehr, und die reichlich unange nehmen Begleiterscheinungen sprechen da für, daß wir durch den Umsetzer gegangen sind. Ich glaube mit ziemlicher Sicherheit, daß wir uns wieder im Makrokosmos befin den.« »Ich weiß es bestimmt!« behauptete Far tuloon, der sich niedergebeugt hatte und mit dem verletzten Corpkor zu beschäftigen schien. »Das sagt mir mein sechster Sinn, und der hat mich noch selten getrogen.« Die beiden haben recht! meldete sich nun auch der Logiksektor meines Extrahirns. Wir befinden uns hier auf einem Planeten, davon zeugt die Schwerkraft, die eindeutig höher ist als in den Schiffen der Eisigen Sphäre. Für einen Transport zu einer Welt im Mikro-
Harvey Patton kosmos ist der Umsetzer nicht geeignet, also kann es gar keinen Zweifel mehr geben. Ich atmete erleichtert auf, und das, Gefühl unbeschreiblicher Erleichterung durchström te mich. Wo wir waren, wußte ich zwar noch immer nicht, aber in gewisser Weise war ich nun doch wieder zu Hause, in dem Univer sum, in das ich gehörte!
* In den nächsten Minuten klärte sich die Lage weiter. Es wurde zunehmend heller um uns her um. Ich erkannte einige große Fenster in et wa zwanzig Meter Entfernung, durch die das Licht einfiel, das von einem aufsteigenden Mond zu stammen schien. Wir befanden uns also in einem Gebäude und in einem ziem lich großen Raum. Außerdem waren wir vollzählig, denn nun meldeten sich auch Crysalgira und Eiskralle, die etwas länger gebraucht hatten, um die Folgen der Transmission aus dem Mikrokos mos zu überwinden. Der Chretkor begann prompt zu zetern und überschüttete uns mit Fragen, aber Fartuloon bremste ihn rasch. »Laß das unnütze Geschwätz«, knurrte er verweisend. »Hilf mir lieber, Corpkor ins Licht zu bringen, damit ich mich um seine Wunden kümmern kann.« Das wirkte, die Sorge um den Gefährten war stärker als Eiskralles Wißbegier. Die beiden nahmen den Tiermeister vorsichtig auf und trugen ihn zu einem der Fenster. Chapat war eingeschlafen, und Ischtar unter richtete Crysalgira über die Lage, während wir uns ebenfalls zur Außenfront des Raumes begaben. Die junge arkonidische Prinzes sin hielt sich bewundernswert. Ihre Liebe zu Chergost, die sie in Abenteuer getrieben hat te, an denen manches andere Mädchen zer brochen wäre, mußte wirklich groß sein. »Ich nehme stark an, daß wir uns hier auf einer der Versunkenen Welten befinden«, meinte Ischtar abschließend. »Vargo hat den Umsetzer zweifellos auf ein Ziel eingestellt, das ihm von früher her bekannt war.«
Duell mit dem Donnergott Ich nahm dasselbe an, doch ich dachte auch schon weiter. »Das Schlimmste haben wir überstanden, doch wie soll es nun weitergehen?« warf ich ein. »Wir haben zwar Waffen, dafür aber nichts zu essen, und ob die Anlagen in die sem Stützpunkt noch etwas hergeben, ist zu mindest fraglich. Nun, irgendwie werden wir uns wohl helfen können, draußen dürfte es jagdbare Tiere geben. Nur für Corpkor sieht es schlecht aus, ohne Medikamente und sonstige Hilfsmittel kann auch Fartu loon keine Wunder vollbringen. Schon sei netwegen müßten wir schleunigst weg von hier und Kraumon aufsuchen – aber wie?« Ischtar zuckte mit den Schultern und wollte etwas entgegnen, doch im gleichen Moment geschah etwas, das uns die künfti gen Probleme nachhaltig vergessen ließ. Plötzlich wurde es hell um uns herum – an der Decke des Raumes gingen zahlreiche Leuchtflächen an. Wir fuhren herum und blinzelten in die Helligkeit, doch vorerst gab es nicht viel zu sehen. Der Raum war recht eckig und durchmaß etwa fünfzehn mal zwanzig Meter, wir waren direkt an seiner rückwärtigen Wand herausgekommen, als wir aus dem Mikrokosmos auftauchten. Er war vollkommen leer, nur einige große Tü ren an der Innenfront und den seitlichen Wänden zeigten an, daß es dort ins Innere der Station ging. Fartuloon richtete sich blitzschnell auf und griff nach seiner Waffe, und auch wir zogen die varganischen Strahler, mit denen uns Vargo ausgerüstet hatte. Naturgemäß konzentrierte sich unsere Aufmerksamkeit auf die Türen – doch die Gefahr kam ganz woanders her. Plötzlich klangen hohl knarrende Ge räusche durch den Raum, und plötzlich schi en dort, wo wir zuerst gestanden hatten, der Fußboden lebendig zu werden. Zahlreiche Steinplatten hoben sich und kippten nach hinten weg, und in den so entstandenen Öff nungen tauchten die Köpfe von etwa einem Dutzend Varganen auf! Doch es blieb nicht bei den Köpfen –
5 Schultern und Arme folgten, und dann rich teten sich die Abstrahlpole von Impulswaf fen auf uns … »Hinlegen!« brüllte Fartuloon und riß den Chretkor zu Boden. Die beiden deckten Cor pkor mit ihren Körpern, und Ischtar folgte ihrem Beispiel, indem sie sich schützend über Chapat warf. Ich zog Crysalgira zu Bo den, und das geschah keinen Augenblick zu früh, denn schon zuckten die ersten Schüsse der Angreifer auf. Sie waren zu hoch gezielt und zerstörten nur das Glas der Fenster, von denen sich ein Splitterregen über uns ergoß. Ich achtete nicht darauf, sondern nahm denjenigen Mann aufs Korn, der sich mir am nächsten befand. Mit einem gurgelnden Laut kippte er nach unten weg, Ischtar und Fartuloon trafen zwei weitere Angreifer und töteten sie. Trotzdem war unsere Lage mehr als schlecht, denn es gab nicht die geringste Deckung für uns. Ich zielte und schoß ein zweites Mal, aber ich rechnete mir kaum Chancen für uns aus. Erst als ich nach zehn Sekunden immer noch lebte und auch keiner der anderen aus unserer Gruppe getroffen worden war, wurde ich stutzig. Mit den Varganen, die es auf uns abgese hen hatten, stimmte etwas nicht! Die Koor dination ihrer Bewegungen schien äußerst mangelhaft zu sein, denn nach der ersten Salve brauchten sie unverhältnismäßig lan ge, um neu zu zielen. Nach dem zweiten Schuß, der wieder einen der Angreifer erle digte, rollte ich mich ganz automatisch zur Seite weg, und Fartuloon und die sportlich trainierte Crysalgira taten es mir gleich. Das schien die Varganen vollkommen zu verwir ren, die Läufe ihrer Strahler schwankten un schlüssig hin und her, wogegen wir sofort wieder schossen. Plötzlich hatten wir nur noch drei Gegner vor uns, die zwar schossen, aber wiederum nicht trafen. Die Strahlbahnen ihrer Waffen verfehlten uns, denn sie gingen dorthin, wo wir Sekunden zuvor gelegen hatten, und schmolzen lediglich Löcher in die Wand des Raumes. Mein Logiksektor, der blitzschnell
6 die Folgerungen daraus zog, brachte mir die Aufklärung. Mangelhafte Reaktionsfähigkeit der Geg ner infolge körperlicher Indisposition! raun te er mir zu. Offenbar handelt es sich hier um uralte Körper, die in Lebenserhaltungs systemen der Station gelegen haben und eben erst von Flüchtlingen aus dem Mikro kosmos geistig übernommen worden sind. Ich nickte unwillkürlich, denn diese Er klärung war durchaus einleuchtend. Es war nicht das erste Mal, daß ich mit dieser Art lebender Leichname konfrontiert wurde, die vielleicht schon seit Jahrtausenden einem künstlichen Erhaltungsprozeß unterlagen. Sie waren eben erst wieder beseelt worden, und darum schien bei ihnen noch »Sand im Getriebe« zu sein, wie Fartuloon es aus drücken würde. Auch die letzten drei vergingen in unse rem Feuer, und trotzdem hatten wir nicht wirklich getötet. Nur die Körper waren ge storben, die Egos der aus Yarden gekomme nen Varganen dagegen hatten immer noch die Möglichkeit, sich neue Wirtskörper zu suchen, vorausgesetzt, daß es sie noch gab. In dieser Station schien dies jedoch nicht mehr der Fall zu sein, denn es tauchten kei ne weiteren Angreifer auf. Nach einer Minute angespannten Wartens erhob sich Fartuloon als erster und klopfte sich den Staub vieler Jahrhunderte von der Kleidung. »Diese Burschen haben zu früh angegriffen!« meinte er sachverständig. »Wenn sie noch eine Weile gewartet hätten, bis ihre Körper hundertprozentig kontrolliert werden konnten, hätten sie uns mühelos er ledigen können.« »Warum wollten sie uns eigentlich tö ten?« fragte Crysalgira und strich sich ihr Haar zurecht. »Sie hatten doch überhaupt keinen Grund dafür.« Ischtar zog eine Grimasse. »Sie wollten die Herrschaft über die Anla gen hier übernehmen, und dabei waren wir ihnen im Weg – das ist alles.« »Sie müssen schon einige Zeit vor uns an gekommen sein«, überlegte ich. »Das ist die
Harvey Patton einzige Erklärung dafür, daß sie sich bereits mit Waffen versehen hatten, als wir einge troffen waren. Vermutlich kannte minde stens einer von ihnen diese Station von frü her her, deshalb konnten sie so zielstrebig handeln.« »Wir müssen umgehend in die Station vordringen«, meinte der Bauchaufschneider mit einem Blick auf den am Boden liegen den, jetzt bewußtlosen oder schlafenden Corpkor. »Wenn ich seine Wunden nicht bald richtig versorgen kann, könnte es zu bösen Komplikationen kommen.« »Ausgeschlossen«, wehrte Ischtar sofort ab. »Ich kenne mich hier nicht aus, und es ist durchaus möglich, daß der Stützpunkt von einem varganischen Rebellen beherrscht wird, von dem wir ebenfalls kaum etwas Gutes zu erwarten hätten. Die Tatsache, daß es hier noch Energie gibt, spricht dafür. Doch auch im gegenteiligen Fall sollten wir abwarten, bis es Tag geworden ist. In diesen alten Bauten kann es zahlreiche Fallen ge ben, die wir im Dunkeln übersehen wür den.« »Leider hast du recht«, seufzte ich. »Gut, warten wir also ab, bis der Morgen kommt, ehe wir etwas unternehmen. Die paar Stun den muß Corpkor eben noch so durchstehen, und wir können uns inzwischen erholen und etwas schlafen.« Dabei blieb es dann auch. Die anderen ließen sich dort, wo der Steinboden frei von Glassplittern war, nieder und lehnten ihre Oberkörper gegen die Wand, während ich die Wache übernahm. Ich sah mich um und entdeckte neben einer Tür eine Schaltplatte. Ich ging darauf zu und warf dabei einen Blick in die Öffnungen im Boden, die aber dunkel waren und nicht er kennen ließen, was sich unter uns befand. Ich löschte das Licht in dem Raum und kehrte zu der Wand mit den Fenstern zu rück, durch die wohltuend kühle Luft her eindrang, die den Gestank von verbranntem Fleisch allmählich verschwinden ließ. Schon nach kurzer Zeit zeigten die tiefen Atemzü ge der anderen, daß sie eingeschlafen waren.
Duell mit dem Donnergott Das war kein Wunder, denn wir alle hatten in der letzten Zeit im Mikrokosmos aller hand durchgemacht. Nur Chapat wimmerte zuweilen leise im Schlaf, ab und zu stöhnte auch Corpkor auf, sonst war alles ruhig. Doch es war eine trügerische Ruhe – schon der kommende Tag konnte uns wieder neue Ungelegenheiten bringen! Wir waren dem Chaos in Yarden glück lich entronnen, doch der unfreundliche Emp fang hier in unserer Dimension hatte meine Freude darüber bereits sehr gedämpft. Ich ahnte, daß uns auch hier schwere Tage be vorstanden, denn wir befanden uns auf einer Welt, über die wir nicht das geringste wuß ten. Ich lehnte mich auf eine Fensterbrüstung und sah durch den leeren Rahmen nach draußen. Zwei große silberne Monde zogen ihre Bahn über den Himmel, doch ihr Licht reichte nicht aus, um mich viel von der Um gebung dieses Gebäudes erkennen zu lassen. Nicht weit davor schien der spärlich be wachsene Boden stark abzufallen, dort be fand sich offenbar eine Schlucht oder Senke, die ich nicht einsehen konnte. Dahinter türmten sich steile Felsen auf, die vom Mondlicht übergossen waren. Wie weit sie entfernt waren, ließ sich bei dem diffusen Licht nicht abschätzen. Dumpfe Laute von Nachttieren erschollen zuweilen und waren die einzige Abwechs lung während meiner einsamen Wache. Die Monde sanken langsam dem Horizont entge gen und verschwanden aus meinem Sichtbe reich, und bald darauf kam draußen Nebel auf, der hereinwehte und mich frösteln ließ. Wie auch Crysalgira, trug ich noch immer den flexiblen tejonthischen Metallanzug, der kaum Schutz gegen Kälte bot. Nach etwa vier Stunden kam der Morgen, und als die ersten Sonnenstrahlen in die Fen ster fielen, weckte ich die anderen.
2. »Wie geht es Ihnen, Corpkor?« fragte
7 Fartuloon besorgt. Der ehemalige Kopfjäger sah schlecht aus, doch er schien sich inzwi schen wieder leidlich erholt zu haben. Der Bauchaufschneider hatte irgendwo in seiner Kleidung noch eine schmerzstillende Kapsel gefunden und sie ihm gegeben; nun setzte er sich auf und lächelte schwach. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich halte schon durch«, sagte er leise. »Ich habe in meinem Leben schon viel mitgemacht, also werde ich auch das noch überstehen.« Das klang zwar gut, aber er konnte uns nicht täuschen. Die Eisnarben, die er wäh rend seines selbstlosen Einsatzes für uns im Mikrokosmos davongetragen hatte, bedurf ten einer baldigen Behandlung, wenn er mit dem Leben davonkommen sollte. Ischtar war an eines der Fenster getreten und winkte mich zu sich heran. Ich trat hin ter sie und legte einen Arm um sie und unse ren noch immer schlummernden Sohn. Sie schmiegte sich an mich und zeigte nach draußen. »Der Nebel verzieht sich, man kann jetzt schon Einzelheiten erkennen. Die Station muß direkt in einen Berghang hineingebaut sein, wir befinden uns ganz an ihrer Periphe rie. Sieh doch, da unten im Tal scheint es ei ne Ansiedlung zu geben!« Ich strengte meine Augen an und sah dann tatsächlich tief unter uns eine Anzahl von Hütten liegen. Sie waren primitiv aus Holzstämmen, Lehm und Stroh errichtet, doch ihre Anordnung verriet einiges System. Die Wesen, die sie bewohnten, schienen be reits über eine beachtliche Intelligenz zu verfügen. »Es ist eigentlich seltsam, daß sie sich so nahe an diesem Stützpunkt angesiedelt ha ben«, überlegte ich halblaut. »Das könnte bedeuten, daß die Station schon seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt ist.« Fartuloon war zu uns getreten und nickte. »Das glaube ich auch«, meinte er nach ei nem kurzen Rundblick. »Die Hütten sind be wohnt, davon zeugt der Rauch, der aus den Kaminen aufsteigt. Ich würde dazu raten, daß wir uns zuerst dorthin begeben, ehe wir
8 uns auf den Weg in die Station machen.« »Warum das?« fragte Eiskralle, der eben falls herangekommen war. Der Bauchauf schneider sah ihn mit müdem Grinsen an. »Ja, warum wohl?« knurrte er. »Weil es dort unten etwas zu essen gibt, du Dumm kopf! Wir alle haben Hunger, und vor allem Chapat muß etwas in den Bauch bekommen. Ob wir drinnen im Stützpunkt etwas Eßbares finden, ist dagegen sehr fraglich.« Der Chretkor schwieg beleidigt, und ich klopfte ihm tröstend auf die Schulter. Dann sah ich Crysalgira an, die sich inzwischen erstaunlich gut hergerichtet hatte. Die Prin zessin aus dem Geschlecht der Quertamag ins bot einen erfreulichen Anblick und hätte mich unter anderen Umständen vielleicht schwach werden lassen. Doch sie ließ nie einen Zweifel daran aufkommen, daß sie nach wie vor nur Chergost liebte, und das bewahrte sie auch vor Ischtars Eifersüchte leien, die sonst unausbleiblich gewesen wä ren. »Sollen wir alle gehen?« fragte sie mit ei nem Blick auf den Tiersprecher, der sich in zwischen auch erhoben hatte. Corpkor nick te entschieden. »Ich habe jetzt keine Schmerzen, und da der Weg bergab führt, werde ich es schon schaffen. Vielleicht gibt es da unten sogar einen Medizinmann, der mich heilen kann«, setzte er scherzhaft hinzu. Ich hatte mit zorniger Empörung von Sei ten des Bauchaufschneiders gerechnet und war sehr verblüfft, als Fartuloons Gesicht einen genau gegenteiligen Ausdruck zeigte. »Die Idee ist so gut, daß sie von mir stam men könnte«, meinte er lächelnd. »Primitive Wesen verstehen oft erstaunlich viel von Heilkunst. Wenn uns die Verständigung mit ihnen gelingt, kann Corpkor dadurch sehr wahrscheinlich entscheidend geholfen wer den.« »Gut, dann brechen wir sofort auf«, be stimmte ich. »Wir beide gehen voran, Crys algira und Eiskralle helfen Corpkor, Ischtar mit dem Kleinen geht am Schluß. Die Waf fen bleiben vorerst stecken, wir dürfen den
Harvey Patton Eingeborenen keinen Grund zu der Annah me geben, daß wir sie angreifen möchten.« Da der Raum keinen Ausgang zum Berg hang hin besaß, stiegen wir durch die Fen ster und machten uns auf den Weg. Über eine Distanz von fünfzig Meter hin weg war der Boden fast eben, dann begann der Abhang. Er war nicht sonderlich steil, aber sehr zerklüftet, und viele Felsbrocken sahen so aus, als würden sie beim geringsten Anstoß in die Tiefe stürzen. Offenbar war das Tal jedoch früher von der Station aus zu weilen aufgesucht worden, denn am rechten Rand des kleinen Plateaus gab es eine etwa fünf Meter breite Felsrinne, die frei von Ge röll war. Dort waren auch jetzt noch deutlich erkennbare Stufen in den Stein gehauen worden, die uns einen zwar nicht bequemen, aber doch gefahrlosen Abstieg ermöglichten. Ich warf einen Blick zurück, doch von dem varganischen Stützpunkt war so gut wie nichts zu sehen. Nur der saalartige Raum, in dem wir uns zuvor befunden hatten, war aus dem Berg herausgebaut worden, vermutlich hatte er den Stationsbewohnern als Ausblick gedient. Das Tal lag etwa 200 Meter tiefer, es durchmaß ungefähr einen Kilometer, und ein schmaler Wasserlauf schlängelte sich in ihm dahin. An seinen Ufern wuchsen Bäume und Büsche, zwischen denen die Eingeborenen ihre Hütten errichtet hatten. Es gab, soweit der Boden das zuließ, auch Gärten und Fel der, auf denen fremdartige Gewächse kulti viert wurden. Jenseits des Tales befand sich ein Berg, der meine Aufmerksamkeit erregte. Er stieg steil auf, besaß jedoch weder Kuppe noch Gipfel, sondern sah aus, als wäre er in halber Höhe einfach abgeschnitten worden. Da durch war eine große ebene Plattform ent standen, und ich konnte mir gut vorstellen, wozu sie geschaffen worden war. Auch Ischtar schien derselben Auffassung zu sein. »Denkst du auch, was ich denke?« fragte sie. »Vermutlich hat dieser Berg einst als Landeplatz für Schiffe meiner Rasse ge dient! Doch jetzt ist er leer – es gibt dort
Duell mit dem Donnergott kein Fahrzeug, mit dem wir diesen Planeten verlassen könnten.« Ich lächelte entsagend. »Das wäre ja auch zu einfach, um wahr zu sein«, gab ich zurück. »Es verstieße gewis sermaßen gegen die fundamentalen Gesetze, denen ich unterliege – nichts, was ich auch immer anfange, pflegt einfach zu sein! Jedem Schritt, den ich tue, um meinem Ziel näherzukommen, Orbanaschol zu entmach ten, folgt unweigerlich einer, der mich wie der zurückwirft.« »Suche dir einen besseren Zeitpunkt, um dein Selbstmitleid zu pflegen, Kristallprinz«, meinte der Bauchaufschneider unwillig. »Es ist ohnehin unangebracht, denn in meinen Augen bist du der größte Glückspilz, den es unter Arkons Sonnen gibt. Wer sonst hätte wohl diese Kette von Abenteuern, die du bis jetzt schon überstanden hast, lebend hinter sich gebracht? Man kann auch unangeneh men Dingen noch gute Seiten abgewinnen, es kommt nur auf den Standpunkt an, von dem aus man sie betrachtet. Der Pessimist sagt …« »Ich kenne dein weises Sprüchlein zur Genüge«, unterbrach ich ihn, ehe er sich in Eifer reden konnte. »Los, machen wir uns auf den Weg, die Eingeborenen scheinen be reits auf uns aufmerksam geworden zu sein.«
* Das war tatsächlich der Fall, wie wir wäh rend unseres Abstiegs bemerkten. Zuerst waren nur einzelne Gestalten zwischen den Hütten zu sehen gewesen, doch nach und nach wurden es immer mehr. Schließlich schien sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes im Freien zu befinden und starrte zu uns empor. »Eine ausgesprochen fruchtbare Rasse, wie es scheint«, bemerkte Fartuloon, der sich trotz seiner massigen Gestalt ausgespro chen geschmeidig bewegte. »Es sind nur vierzig Hütten, aber ich zähle mindestens dreihundert Individuen, darunter eine ganze
9 Menge von Kindern. Sie sind auch gar nicht scheu, sie tun gerade so, als bekämen sie alle Tage Besuch von Fremden.« »Vielleicht tauchen gleich einige auf, die uns Souvenirs verkaufen wollen«, lachte Crysalgira, die jetzt, da unsere Abenteuer im Mikrokosmos beendet waren, wieder regel recht auflebte. Noch ehe wir unten angelangt waren, kam uns bereits eine regelrechte Prozession ent gegen. Die Planetarier hatten zwar eine durchaus arkonoide Gestalt, aber aus der Nähe er kannte man doch gravierende Unterschiede. Sie waren durchweg nicht größer als andert halb Meter, und ihre bräunliche Haut wirkte lederartig. Ihre Beine waren relativ kurz, ih re Arme mit den vierfingrigen Händen dafür um so länger. Die Gesichter waren klein und voller Falten, die ihnen ein runzliges Ausse hen gaben, die dunklen Augen saßen unter weit vorstehenden Knochenwülsten. Anstel le von Nasen besaßen sie Atemschlitze, die zwischen den Augen begannen und fast bis zum Mund reichten. Ihre Münder waren breit und lippenlos, und wenn sie sie öffne ten, waren gezackte Knochenreihen zu er kennen, die sie anstelle von Zähnen besaßen. Die zwanzig Männer und Frauen gaben uns ausreichend Gelegenheit, ihre Beiß werkzeuge zu bewundern, die jeden Zahn arzt zum Aufgeben seines Berufs bewogen hätten. Sie öffneten ihre Münder und began nen einen zwar monotonen, aber vokalrei chen und durchaus wohlklingenden Sings ang. Der Bauchaufschneider stieß mich an und grinste breit. »Die Leutchen wissen, was sie einem hochgeborenen Besuch schuldig sind«, meinte er launig. »Eine Prinzessin, eine Gol dene Göttin und ein Kristallprinz – soviel Prominenz auf einem Haufen muß ja Be wunderung erregen! Oh, es kommt noch schöner, sie haben auch jede Menge Ge schenke für uns.« Das stimmte, wenn diese Gaben auch ih ren Verhältnissen angepaßt waren. Sie be standen aus eilig angefertigten Blumenge
10 binden und verschiedenen faust- bis kopf großen Früchten, bei deren Anblick mir das Wasser im Mund zusammenlief. Allerdings mußte ich meinen Appetit noch zügeln, um den Ablauf des uns zuge dachten Zeremoniells nicht zu stören. Der Gesang verstummte, als wir den Talboden erreicht hatten, die kleinen Leute warfen sich zu Boden und sahen erwartungsvoll zu uns auf. Als ich ihnen aber bedeutete, daß sie aufstehen sollten, gab es für sie kein Hal ten mehr. Im Nu waren wir von den halbnackten Gestalten umgeben und mußten uns tief hin abneigen, damit uns die Blumenkränze um gehängt werden konnte. Diesen Vorgang be gleitete ein zwitscherndes Geplapper, das aus den Atemschlitzen kam, in denen eine Art von Membrane zu sitzen schien, mit der die Laute erzeugt wurden. Dann war die Darreichung der Früchte an der Reihe, doch ich zögerte und warf einen Blick auf Fartu loon. Jetzt hätten wir einen Bio-Analysator ge braucht, um sie auf ihre Genießbarkeit testen zu können. Was diese Eingeborenen täglich zu sich nehmen, konnte für uns pures Gift sein! Doch Fartuloons sachverständige Blicke brauchten nur Sekunden, dann nickte er zufrieden. »Keine Sorge, Atlan, diese Appetithappen sind in Ordnung. Nun greif schon zu, sonst sind die Leute am Ende noch beleidigt, und das könnte von Schaden für uns sein.« Ich legte mein Gesicht in möglichst freundliche Falten, nahm eine rotgelbe faust große Frucht aus der Hand des Mannes, der vermutlich der Dorfälteste war, und biß herzhaft hinein. Meine Skepsis wich schnell, denn die Frucht ähnelte nicht nur einem arkonidi schen Gefram, sondern schmeckte auch so ähnlich, vielleicht sogar noch besser. Sie war saftig und mehlig zugleich, eine wahre Wohltat für Gaumen und Magen, die lange genug hatten darben müssen. Daraufhin folgten die anderen meinem Beispiel, und es schien ihnen ebenfalls aus-
Harvey Patton gezeichnet zu munden. Ein aufgeregtes Ge zwitscher der Eingeborenen, die sich offen sichtlich freuten, begleitete den Vorgang, und dann stimmten sie einen neuen Gesang an, und sie bewegten sich mit gravitätischen Schritten im Kreis um uns herum. Plötzlich geschah jedoch etwas, das die sem Zeremoniell ein jähes Ende setzte. Der Gesang brach abrupt ab, die kleinen Leute blieben wie gelähmt stehen, als sie erkann ten, was nun erfolgte. Corpkor brach zusammen! Von Crysalgira und Eiskralle gestützt, hatte er den Abstieg verhältnismäßig gut überstanden, doch nun war er mit seinen Kräften am Ende. Die angebissene Frucht entfiel seinen Händen, er sackte zusammen und fiel zu Boden, ehe ihn jemand halten konnte. Der Bauchaufschneider reagierte so fort und war mit schnellen Schritten bei ihm. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Ge sicht tiefernst. »Jetzt ist genau das eingetreten, was ich befürchtet habe«, knurrte er. »Die Wunden haben begonnen, sich zu entzünden, und der Kreislauf macht auch nicht mehr mit! Jetzt muß schnell etwas geschehen, wenn Corp kor mit dem Leben davonkommen soll.« Das war inzwischen auch den Eingebore nen klargeworden, wie sich gleich darauf zeigte. Aus ihrer Mitte löste sich die Gestalt ei nes älteren, untersetzten Mannes, der ebenso wie der Älteste einen besonders farbenfreu digen Lendenschurz trug, an dem zahlreiche Vogelfedern prangten. Er eilte auf den Tier meister zu und zwitscherte dabei etwas, das wir natürlich nicht verstehen konnten, doch seine Absicht war eindeutig. Sein Zwitschern ging in ein monotones Summen über, während er gleichzeitig mit den Händen seltsame Figuren in die Luft zeichnete. Offenbar sollte das so etwas wie eine Geisterbeschwörung sein, doch er ver geudete nicht viel Zeit damit. Schon nach wenigen Sekunden hockte er sich neben Corpkor nieder und begann ihn zu betasten, seine Augen wurden groß, als er die Eisnar
Duell mit dem Donnergott ben sah. Dann verstummte sein Summen, er richtete sich wieder auf und wandte sich mit aufgeregtem Zwitschern an Fartuloon. Der Bauchaufschneider hörte ihm gedul dig zu, doch sein Gesicht blieb verständnis los. Der Medizinmann begriff schnell, daß sich auf diese Weise keine Verständigung erreichen ließ, und ging zur Zeichensprache über. Das klappte besser, und bald war klar, daß er uns ersuchte, den Besinnungslosen ins Dorf schaffen zu dürfen, wo er ihn ver arzten wollte. »Können wir es riskieren, Corpkor diesem Wilden anzuvertrauen?« erkundigte ich mich skeptisch. »Etwas anderes bleibt uns kaum übrig«, erwiderte Fartuloon, »weil ich nichts habe, mit dem ich ihn behandeln kann. Ich glaube jedoch, daß dieser Mann sein Fach versteht. Außerdem werde ich ihm natürlich streng auf die Finger sehen.« Gleich darauf winkte der Medizinmann vier Männer herbei, die den Tiersprecher aufnahmen und sich mit ihm in Bewegung setzten. Wir folgten nach, und die übrigen Mitglieder des Empfangskomitees schlossen sich uns in gebührendem Abstand an. So hielten wir unseren Einzug in die Siedlung, von einem Spalier gaffender Eingeborener umgeben, die eifrig ihre kurzen Hälse reck ten. Daß Chapat, der inzwischen erwacht war, dazu sein kräftiges Schreien ertönen ließ, trug nicht gerade zur Hebung unserer Stimmung bei.
* »Das kannst du doch unmöglich zulassen, Bauchaufschneider«, zeterte Eiskralle lauthals los. »Atlan, sprich ein Machtwort! Die Brüder bringen Corpkor ganz bestimmt endgültig um.« So ganz wohl war mir auch nicht ange sichts der Prozedur, welcher der ehemalige Kopfjäger von den Eingeborenen unterzogen wurde. Sie hatten ihn in einen Raum der Hütte gebracht, die der Medizinmann bewohnte,
11 und waren dann zusammen mit diesem für eine Weile verschwunden. Als sie zurück kehrten, brachten sie einen großen Packen verschiedenartiger Blätter mit, außerdem einen hölzernen Behälter mit einer schwarz braunen Masse, die wenig vertrauener weckend roch. Ein Teil davon war in einen irdenen Topf umgefüllt worden und wurde anschließend auf dem primitiven Steinherd erhitzt. Inzwischen hatte Gitgur – so hieß der Ein geborenendoktor, wie wir inzwischen her ausbekommen hatten – Corpkors Verletzun gen unter eifrigem Absingen endloser Be schwörungsformeln mit dicken Lagen von Blättern bedeckt. Nun war er daran gegan gen, seinen ganzen Körper mit der dampfen den Masse einzustreichen, und das war es, was die Erregung des Chretkors hervorrief. Da aber Fartuloon keinerlei Einwände er hob, sagte ich auch nichts dagegen, und das brachte das Blut des Kleinen erst recht in Wallung. Man konnte deutlich sehen, wie die Adern unter seiner durchsichtigen Haut pulsierten, als er auf Gitgur zustürzen woll te, um ihn an seinem Werk zu hindern, wo bei er eine neue Schimpfkanonade vom Sta pel ließ. »Man soll immer nur über Dinge reden, von denen man auch etwas versteht«, ver setzte er mutig. »Da du jedoch von Medizin nicht mehr verstehst als ein Hubbakel vom Garrabospiel, solltest du lieber den Mund halten, klar?« Eiskralle zappelte wild, doch es gelang ihm nicht, sich aus dem Griff Fartuloons zu befreien. Dafür begann er nun erneut zu pro testieren. »Bei allen Göttern – das kann doch gar nicht gut abgehen! Dieser Dreck da ist doch so heiß, daß Corpkor von ihm regelrecht verbrüht werden muß. Dazu stinkt er auch noch geradezu penetrant …« »Gerade dieser Geruch sagt mir, daß das Zeug für Corpkor genau das richtige ist«, meinte der Bauchaufschneider gelassen. »Das ist Schlamm, in dem schweflige Ver bindungen und Jod enthalten sind, zwei alt
12 bekannte Naturheilmittel, deren desinfizie rende Wirkung durch die Erwärmung noch gesteigert wird. Die Wärme erweitert die Poren, so daß diese Stoffe besser in den Körper eindringen können. Zweifellos ent halten auch die Blätter heilende und entzün dungshemmende Stoffe, davon bin ich fest überzeugt. Du siehst also, daß hier in Ge gensatz zu deiner durch keinerlei Sachkennt nis getrübten Meinung tatsächlich alles ge schieht, um Corpkor zu helfen.« »Ist das wahr?« wandte sich der Chretkor nun an mich. Ich nickte, denn ich verstand genügend von Medizin, um Fartuloons Aus führungen als stichhaltig zu erkennen. Erst jetzt beruhigte sich Eiskralle wieder, und in zwischen hatte auch der Medizinmann seine Arbeit vollendet. Sein Gesang brach ab, er kam zu uns herüber und begann mit einem leisen Gezwitscher, das von erklärenden Ge sten begleitet wurde. Der Bauchaufschneider hörte ihm eine Weile zu und klopfte dann dem kleinen Mann anerkennend auf die Schulter. »Gitgur sagt, daß wir uns um Corpkor keine Sorgen mehr zu machen brauchen«, erklärte er uns dann. »Er wird jetzt einen Tag lang schlafen, der Medizinmann wird bei ihm bleiben und die Packungen noch ei nige Male erneuern. Er hat mir versichert, daß Corpkor anschließend wieder so gut wie neu sein wird.« »Kannst du denn verstehen, was der Bur sche sagt?« erkundigte ich mich verblüfft. Fartuloon grinste leicht und strich sich wohl gefällig über sein kahles Haupt. »Sogar schon eine ganze Menge«, erklärte er. »Ich war einmal einige Zeit auf einer Welt, deren Bewohner zwar ganz anders aussahen, sich aber ähnlicher Verständi gungsformen bedienten. Ihr Entwicklungs stand entsprach in etwa dem der hiesigen Eingeborenen, und da gibt es bei dem noch sehr begrenzten Wortschatz zwangsläufig weitgehende Übereinstimmungen. Diese Leutchen hier nennen sich übrigens Herroffs, was etwa soviel wie Bewohner des schönen Tales bedeutet.«
Harvey Patton Wir verließen die stickige Hütte und be gaben uns ans andere Ende der Siedlung, wo Crysalgira und Ischtar mit Chapat unterge bracht worden waren. Die ihnen überlassene Hütte diente offenbar als Gästehaus, denn sie war voll ausgestattet, stand aber leer, ob wohl alle anderen Behausungen überfüllt waren. Das Mobiliar bestand aus vier höl zernen Liegen mit Strohpolstern und groben Decken aus Pflanzenfasern, einem großen Tisch und mehreren niedrigen Hockern. Runde Fensteröffnungen ließen gerade so viel Licht ein, daß man sich darin orientieren konnte. Die Mehrzahl der Herroffs hatte sich in zwischen verlaufen und ging vermutlich den täglichen Verrichtungen nach. Nur eine An zahl eifrig zwitschernder Kinder trieb sich draußen herum und umgab uns sofort. Als wir die Hütte betraten, blieben sie jedoch zu rück. »Wie steht es um Corpkor?« fragte Ischtar sofort. Seit ihrem Aufenthalt im Mikrokosmos und den wenig erfreulichen Ereignissen bei der Begegnung mit ihren Rassegefährten hatte sie sich in mancher Hinsicht verändert. Ihre strahlende Schönheit als unsterbliche Goldene Göttin war geblieben, aber ihr Ver halten uns gegenüber hatte sich gewandelt. Jetzt gehörte sie ganz zu uns, und sie akzep tierte diese Tatsache voll, was früher nicht immer der Fall gewesen war. Irgendwie hat te sie uns immer ihre Überlegenheit spüren lassen, doch jetzt war davon nichts mehr zu bemerken! Fartuloon erklärte ihr, was Gitgur getan hatte, um den Tiermeister zu kurieren, und ich sah indessen nach meinem Sohn. Chapat schlief friedlich, er sah satt und zufrieden aus. Worauf das zurückzuführen war, erfuhr ich wenig später von Ischtar, die zu mir kam. »Die Eingeborenenfrauen haben sich förmlich darum gerissen, ihn zu betreuen«, erklärte sie. »Ich brauchte ihnen erst gar nicht begreiflich zu machen, worum es ging, sie wußten es auch so. Eine von ihnen, die
Duell mit dem Donnergott selbst ein Kleinkind hat, hat ihn an ihre Brust gelegt …« »Einfach so?« erkundigte ich mich ver blüfft, und Ischtar lächelte vergnügt. »Einfach so!« bestätigte sie gelassen. »Chapat hat sich in keiner Weise gesträubt, sondern eifrig getrunken, als wäre es schon immer so gewesen, und es ist ihm augen scheinlich ausgezeichnet bekommen.« Diese Aussage beschwichtigte meine an fängliche Skepsis. Unser wiederum aufge kommener Hunger wurde durch Früchte und kaltes Fleisch beschwichtigt, die die Einge borenen auf dem Tisch bereitgestellt hatten, und hier hatte auch Eiskralle keine Einwän de mehr auf Lager. Als wir dann gesättigt waren, lenkte ich das Gespräch sofort auf je ne Fragen, die mich naturgemäß am meisten bewegten. »Wir müssen so lange bei den Herroffs bleiben, bis Corpkor einigermaßen wieder hergestellt ist«, erklärte ich. »Das soll relativ schnell gehen, wenn man Fartuloon und dem Medizinmann glauben darf, aber mit zwei Tagen Aufenthalt müssen wir rechnen. Doch was soll dann geschehen? Wir müssen ir gendeinen Weg finden, um von diesem Pla neten wieder wegzukommen, das ist klar. Ich habe nicht die Absicht, hier den Rest meines Lebens zu verbringen, während viel leicht inzwischen das arkonidische Imperi um infolge der Unfähigkeit meines vielge haßten Onkels von den Maahks zerschlagen wird!« Ischtar nickte. »Ich weiß, worauf du hinauswillst«, er klärte sie ohne Zögern. »Falls es überhaupt eine Möglichkeit gibt, von dieser Welt zu entkommen, müßte sie in der Station im Berg zu finden sein.« »Falls diese nicht noch bewohnt ist!« er innerte uns Eiskralle sofort. »Wenn das der Fall sein sollte, könnte ihr Besitzer einiges dagegen haben, daß wir über sein Eigentum verfügen wollen, das seht ihr doch wohl ein.« Fartuloon richtete seine massige Gestalt auf und griff demonstrativ nach seinem
13 Skarg. »Wer viel fragt, bekommt viele Antwor ten«, meinte er in dozierendem Tonfall. »Er riskiert, daß eine dieser Antworten in einem krassen ›Nein‹ besteht, also dürfte es erheb lich besser sein, erst gar nicht zu fragen, wenn es in dem Stützpunkt noch einen Herrn gibt! Wir gehen einfach hinauf und zeigen ihm unsere Strahlwaffen, diese Spra che kann er nicht ignorieren.« Ich lachte stoßartig auf. »Wir gehen einfach hinauf …«, imitierte ich seinen Tonfall. »Wie stellst du dir das nur vor, Bauchaufschneider? Hast du schon wieder vergessen, über welche technischen Möglichkeiten der Besitzer einer solchen Station verfügt? Deine Erfahrungen auf Ysath'Thor, Noghmura und Kryrot sollten dir doch hinreichend bewiesen haben, wie es darum steht.« Fartuloon wischte diesen Einwand mit ei ner Handbewegung weg. »Erfahrungen bringen es mit sich, daß man daraus lernt!« bemerkte er. »Wir wis sen jetzt, daß die varganischen Rebellen in folge ihrer langen Einsamkeit alle mehr oder weniger verrückt sind, und können uns da nach richten. Im Notfall haben wir dann im mer noch Ischtar, die sich im Umgang mit diesen Brüdern auskennt. Irgendwie müssen wir es schaffen, in den Besitz eines raum tüchtigen Fahrzeugs zu gelangen, ob mit List und Tücke oder durch Gewalt, ist gleich.« Dieser Feststellung gab es nichts hinzuzu fügen, und ein langes nachdenkliches Schweigen trat ein. Schließlich nickte Ischt ar langsam. »Fartuloon hat recht, Atlan, daran gibt es nichts zu rütteln. Gut, warten wir also ab, bis Corpkor wieder auf den Beinen ist – dann geht es hinauf zum Stützpunkt!«
3. Am Abend dieses Tages waren wir um ei niges klüger geworden. Wir waren noch einige Male gegangen,
14 um nach Corpkor zu sehen, um den sich der Medizinmann mit einer geradezu rührenden Hingabe kümmerte. Beim zweiten Male ka men wir gerade zurecht, um einer Erneue rung der Heilpackungen beizuwohnen, und Fartuloon bestätigte verblüfft, daß ihre Wir kung geradezu frappierend war. Die Entzün dungen waren erheblich zurückgegangen, und die Wunden begannen sich zu schlie ßen. Allerdings würde der Tiermeister für den Rest seines Lebens von den Eisnarben gekennzeichnet sein. Fartuloon nutzte jede Gelegenheit, sich mit Gitgur und anderen Herroffs zu unter halten. Während alle anderen – und ich machte hier keine Ausnahme – nicht über ei nige Grundbegriffe des Gezwitschers des Eingeborenen hinauskamen, lernte er ihre Sprache mit geradezu verblüffender Schnel ligkeit. Es gelang ihm so gut, ihre Laute nachzuahmen, daß sich Eiskralle schließlich spöttisch erkundigte, ob er sich nicht Flügel wachsen lassen wolle, um den Rest seines Lebens als Vogel zu verbringen. Der Bauchaufschneider zog eine Grimas se. »Sei froh, daß es unter uns wenigstens einen gibt, der mit den Herroffs reden kann, denn ich habe viel von ihnen erfahren. So weiß ich jetzt zum Beispiel auch, weshalb sie uns als vollkommen fremde und dazu auch noch erheblich unterschiedliche Wesen so überaus freundlich empfangen haben! Wir sind für sie aus dem Berg gekommen, und so halten sie uns für Abgesandte des Großen Donners.« Ich sah ihn verwundert an. »Abgesandte des Großen Donners?« wie derholte ich. »Was soll das nun wieder sein?« Fartuloon zuckte mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, ist der Sprach schatz der kleinen Leute ziemlich begrenzt. Er beinhaltet nur Basisbegriffe, aber noch keine Abstraktionen, feinere Unterscheidun gen oder Synonyme sind ihnen noch völlig unbekannt. Ein Geräusch, das für sie wie ein Donner klingt, bleibt ein Donner, ganz
Harvey Patton gleich, auf welche Weise er entsteht. Habe ich mich allgemein verständlich ausge drückt?« Ich mußte grinsen, aber Ischtar hakte so fort ein. »Ich wüßte schon eine passende Erklä rung«, bemerkte sie nachdenklich. »Vermutlich haben die Herroffs – oder zu mindest ihre Vorfahren – hier öfters den Start von Raumschiffen miterlebt, wobei es bekanntlich nicht ohne eine entsprechende Geräuschkulisse abgeht. Das dürfte wohl der Donner sein, mit dem sie uns in Zusammen hang bringen.« »Also könnte es gut möglich sein, daß es oben im Stützpunkt noch betriebsbereite Schiffe gibt«, überlegte ich. »Das ist keine schlechte Nachricht für uns! Mach so weiter, Fartuloon, vielleicht bekommst du noch her aus, was es damit auf sich hat. Ein vargani sches Doppelpyramidenschiff ist so unver kennbar, daß es auch die Wilden beschrei ben können, wenn man sie daraufhin an spricht.« Der Bauchaufschneider sah mich verwei send an. »Du solltest sie nicht immer Wilde nen nen, Atlan! Zwar stehen sie einige Entwick lungsstufen unter dem Niveau eines arkoni dischen Kristallprinzen, aber dafür können sie ja schließlich nichts. Auf jeden Fall könnte, was Freundlichkeit und Hilfsbereit schaft anbelangt, jeder Arkonide von ihnen noch eine Menge lernen …« Natürlich hatte mein alter Lehrer und Pflegevater recht, wie fast immer, und ich konnte nur stumm nicken. Am Abend besuchten wir alle zusammen Corpkor, und wir waren freudig überrascht. Der Tiersprecher war wieder bei Bewußtsein und sah uns mit klaren Blicken entgegen. Er hatte keine Schmerzen mehr und fühlte sich gekräftigt, aber Gitgur bestand darauf, daß er zumindest noch bis zum nächsten Morgen in seiner Behandlung blieb. Fartuloon akzeptierte das ohne langes Überlegen, und wir gingen wieder. Draußen trafen wir auf Hotgor, den Dorfältesten, und
Duell mit dem Donnergott der Bauchaufschneider begann sofort ein langes Palaver mit ihm. Das Ergebnis blieb allerdings unbefriedigend. »Er begreift einfach nicht, was ich mei ne«, stellte Fartuloon schließlich seufzend fest. »Wenn ich ihn nach einem Raumschiff frage, versteht er immer nur Vogel, ganz gleich, wie ich es auch anfange. Da sich aber während des ominösen Donners meist auch ein paar Vögel in der Luft befinden …« Er verstummte resignierend, und wir be gaben uns zum Gästehaus zurück. Dort standen wieder neue Nahrungsmittel für uns bereit, und Chapat sog mit genüßli chem Schmatzen an der voluminösen Brust einer Eingeborenenfrau. Als die Dunkelheit hereinbrach, wurde es auch in der Siedlung still, und so legten wir uns gleichfalls schla fen. Es gab zwar nur vier Betten für uns, aber Ischtar machte mir gern auf ihrem La ger Platz … Wir schliefen gut in dieser Nacht – zu gut sogar! Niemand bemerkte das, was vermutlich während des ersten Morgengrauens geschah und sich in völliger Lautlosigkeit vollzog. Wir hatten uns ganz auf die Gastfreund schaft der Herroffs verlassen und keine Wa che aufgestellt, und das rächte sich nun bit ter. Nicht einmal der stets mißtrauische Far tuloon hatte damit gerechnet, daß es irgend welche Zwischenfälle geben konnte. Um so verstörter waren wir dann, als uns ein Schrei Crysalgiras aus dem Schlaf riß: »Ischtar, Atlan – Chapat ist verschwunden!« Augenblicklich waren wir alle auf den Beinen. Der Bauchaufschneider griff sofort nach dem Skarg, das an seinem Lager lehnte und sah sich mit wild rollenden Augen um, doch es war niemand da, den er bekämpfen konnte. Alles schien still und friedlich, aber Chapat, der neben der Prinzessin geschlafen hatte, war nicht mehr da … Das erschien uns allen unbegreiflich, und ich vermutete zuerst, daß er lediglich vom Lager gefallen wäre, deshalb bückte ich mich und sah darunter nach. Doch dort war nichts von ihm zu sehen, und nun begriff ich
15 endgültig, daß mein Sohn entführt worden war. Doch wer konnte das getan haben? Den freundlichen Eingeborenen traute ich eine solche Tat einfach nicht zu, und sonst gab es hier doch niemanden, der dafür in Frage kam. Oder sollte während der Nacht jemand aus der Station ins Dorf gekommen sein, ein Vargane oder ein Roboter? Daß ein vargani sches Kind bei seinen Rassegefährten ein begehrtes Objekt war, hatten wir ja in der Vergangenheit zur Genüge erfahren. Diesen Gedanken hatte offenbar auch Ischtar, die reglos dastand, die Hände gegen den Mund gepreßt. Ich nahm sie in den Arm und strich über ihr schreckverzerrtes Ge sicht, als sich plötzlich Eiskralle meldete. »Vielleicht hat ihn eine der Frauen geholt, um ihn zu stillen«, meinte er. »Die Herroffs stehen bestimmt sehr früh auf, und sie wollte uns nicht wecken – wahrscheinlich ist es so, und wir machen uns ganz umsonst Sorgen um den Kleinen.« »Das könnte stimmen«, gab ich zögernd zu. »Falls Chapat wirklich entführt worden wäre, wüßte er es. Er würde sich dann sofort telepathisch mit Ischtar oder mir in Verbin dung setzen, um uns Hinweise auf die Ent führer und seinen Aufenthaltsort zu geben.« »Das klingt plausibel«, räumte auch der Bauchaufschneider ein. »Gehen wir also hinaus und sehen nach, dann wissen wir es ganz genau.« Wir kleideten uns rasch an und verließen die Hütte.
* Schon wenige Minuten später war uns klargeworden, daß die optimistische Vermu tung des Chretkors nicht zutraf. Nicht nur Chapat allein war verschwunden – das ganze Dorf war wie leergefegt! Weit und breit war kein einziger Herroff zu sehen, obwohl die Sonne bereits eine Handbreit über dem Horizont stand. Wir rannten von einer Hütte zur anderen und spähten hinein, aber vergeblich. Alle Be
16 wohner der Siedlung waren einfach fort, mit Kind und Kegel! Die Feuerstellen auf den Herden waren kalt, also mußten sie sich schon vor Stunden entfernt haben. Doch warum – und vor allem, warum hat ten sie den Kleinen mitgenommen …? Das war das größte Rätsel für uns, das um so erschreckender wirkte, weil er nichts von sich hören ließ. Sowohl Ischtar wie auch ich versuchten alles, um eine gedankliche Ver bindung zu ihm herzustellen, aber es blieb umsonst. Schließlich kamen wir zur Hütte des Me dizinmanns, und Fartuloon stürzte hinein. Gleich darauf erschien sein Kopf wieder zwischen den Bastfasern, die vor dem Ein gang hingen, und er winkte uns. »Kommt alle herein«, rief er uns zu. »Gitgur ist auch weg, aber Corpkor ist noch da, und er will uns einiges erklären.« Der Tiermeister befand sich noch auf sei nem Lager, von Kopf bis Fuß von Heil schlamm bedeckt. Die Packung war noch feucht, also mußte sie vor nicht allzulanger Zeit nochmals erneuert worden sein. Nun setzte er sich auf, und große Fladen davon fielen ab, doch er störte sich nicht daran. »Was hat es gegeben, Corpkor?« drängte ich. »Reden Sie schon, jede Minute kann kostbar für uns sein!« Der ehemalige Kopfjäger zuckte mit den Schultern. »Gitgur war bei mir geblieben und weckte mich bei Sonnenaufgang, um die Schlammpackung zu erneuern; es sollte das letzte Mal sein, wie er sagte. Er war eben damit fertig, als ein anderer Herroff hereingestürzt kam, ihm hastig etwas zurief und dann sofort wieder verschwand. Darauf hin erklärte mir der Medizinmann, daß er mich nun allein lassen müßte, weil die Zeit des Großen Donners gekommen sei. Er ließ alles stehen und liegen und entfernte sich hastig, dann hörte ich draußen eiliges Fuß getrappel, und seitdem ist alles still geblie ben, bis Sie kamen.« »Hat er sonst keine Erklärungen gege ben?« forschte ich unruhig. Corpkor, der die Gabe besaß, selbst mit Tieren sprechen zu
Harvey Patton können, konnte kaum Schwierigkeiten ge habt haben, das einfache Idiom der Herroffs zu begreifen. »Hat er etwas davon gesagt, daß sie auch Chapat mitnehmen wollten, und warum?« Der Tiersprecher sah mich bestürzt an. »Der Junge ist auch verschwunden?« fragte er tonlos. Er las die Antwort aus unseren Gesichtern und schüttelte den Kopf. »Nein, Gitgur hat Chapat mit keinem Wort erwähnt. Er hat mir auch keine Erklärung dafür gege ben, woher die Eingeborenen wußten, daß der Donner kommen würde und wohin sie gehen wollten. Er war so verstört, daß mit ihm nicht mehr vernünftig zu reden war.« Fartuloon stieß ein unwilliges Knurren aus. »Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn dieser idyllische Zustand hier lange gedauert hätte«, meinte er mit verkniffenem Gesicht. »Ganz gleich, was jetzt auch kommt, wir müssen uns sofort auf die Suche nach Cha pat begeben. Fühlen Sie sich wieder kräftig genug, um uns begleiten zu können?« Corpkor nickte, und der Bauchaufschnei der machte sich mit raschen Griffen daran, ihn aus seinem Panzer von Blättern und Schlamm zu befreien. Erstaunt sahen wir, daß die Verletzungen weitgehend abgeheilt waren, wenn auch die Eisnarben vermutlich nie ganz verschwinden wurden. Immerhin war er nun wieder einsatzfähig, und Fartu loon warf ihm seine Kleidung zu, als er sich von dem Lager erhoben hatte. »Gehen Sie zum Fluß und waschen Sie sich gründlich«, ordnete er an, dann wandte er sich an mich. »Komm, Atlan – du auch, Eiskralle! Wir kämmen jetzt die gesamte Umgebung durch, allzuweit können die Her roffs kaum weg sein. Und wenn wir sie ge funden haben, dann werde ich ihnen etwas erzählen, woran sie ihr Leben lang denken werden! Ich habe nichts gegen sie, aber wenn sie anfangen, kleine Kinder zu entfüh ren, dann kann ich verdammt ungemütlich …« Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, denn genau in diesem Augenblick setzte der
Duell mit dem Donnergott Große Donner ein. Ein dumpfes Rollen und Grollen begann, das sich innerhalb weniger Sekunden zu ei ner Geräuschkakophonie steigerte, in der kein anderer Laut mehr zu hören war. Wir stürzten aus der Hütte, und draußen überfiel uns der Donner erst mit voller Wucht. Es klang, als ob pausenlos Tausende von Naats ihre riesigen Trommeln schlagen würden, die für ihre seltsame Auffassung von Musik im gesamten Großen Imperium bekannt und gefürchtet waren. Doch auf dem Planeten der Herroffs gab es diese Zyklopen nicht, und wir erkannten bald, daß das unerträgliche Geräusch aus der Höhe des Berges erscholl, von dem wir ge kommen waren. Dort schien sich eine Öff nung aufgetan zu haben, und aus ihr kam nicht nur der Donner allein. Dunkle Rauch wolken stiegen auf, hüllten das gesamte Massiv ein und wälzten sich langsam auch bis ins Tal hinab. »Was ist das?« schrie Eiskralle. Ischtar antwortete ihm, aber auch ihr fiel es schwer, dieses Gedröhn zu übertönen. »Zweifellos eine Maschine«, rief sie uns zu. »Der Bewohner des Stützpunkts hat of fenbar im Berg eine Anlage installiert, die von Zeit zu Zeit automatisch in Betrieb ge setzt wird, um die Herroffs in Angst und Pa nik zu versetzen. Wahrscheinlich will er sie auf diese Weise davon abhalten, sich der Station zu nähern, um nicht von ihnen belä stigt zu werden.« Ich nickte, denn diese Erklärung schien durchaus einleuchtend. Allerdings zerstörte sie zugleich auch eine Hoffnung, die wir bis her noch genährt hatten. Wir brauchten ein Raumschiff, um diesen Planeten verlassen zu können. Bis dahin hat ten wir geglaubt, der Große Donner könnte von einem solchen Fahrzeug stammen, das auf dem künstlich geschaffenen Plateau über uns landen würde und dessen wir uns mit List und Tücke bemächtigen könnten. Nun war diese Hoffnung wie eine Seifenblase ge platzt, und die Enttäuschung überfiel uns nicht weniger wuchtig als der Donner.
17 Sie war auch Fartuloon anzusehen, aber er stellte sich mit der bei ihm üblichen Ge schmeidigkeit sofort auf diese neue Lage ein. Er bedeutete Corpkor, sich ungeachtet aller eventuell noch kommenden Ereignisse erst einmal zu waschen, und der Tiermeister gehorchte und begab sich zum Bach. Nun wandte sich der Bauchaufschneider wieder uns zu. »Wir müssen etwas tun, um diesen Radau abzustellen«, klang seine Stentorstimme auf. »Wenn uns das gelingt, beweisen wir den Eingeborenen, daß wir mächtiger sind als der künstliche Donner! Sein Aufhören wird sie zweifellos dazu veranlassen, in die Sied lung zurückzukehren, und dann bringen sie uns auch Chapat zurück.« Ischtar sah ihn skeptisch an. »Hoffentlich irren Sie sich da nicht«, gab sie zurück. »Ich könnte mir gut vorstellen, daß sie den Kleinen nur entführt haben, um ihn dem Donnergott zu opfern und ihn da durch zu besänftigen! Bei Wesen, die sich noch auf einer so niedrigen Entwicklungs stufe befinden wie die Herroffs, ist diese Möglichkeit nicht auszuschließen.« »Dann müssen wir ihnen eben zuvorkom men!« versetzte Fartuloon grimmig. »Komm, Atlan, wir machen uns gleich auf den Weg.« »Ich komme mit«, rief Ischtar, aber der Bauchaufschneider winkte energisch ab. »Das kommt gar nicht in Frage! Sie und die Prinzessin bleiben hier, um sich um Chapat zu kümmern, falls ihn die Herroffs zurück bringen, was ja immerhin möglich ist. Eis kralle bleibt bei Ihnen, um Sie notfalls zu schützen, denn Corpkor können wir noch nicht zuviel zumuten. Nein, protestieren Sie nicht – es bleibt dabei!«
* Wir suchten noch einmal unsere Unter kunft auf, wuschen uns notdürftig und aßen noch ein paar Bissen. Schon fünf Minuten später machten wir uns auf den Weg. Das Donnergrollen hielt mit unverminderter
18 Stärke an, und erste Rauchschwaden hatten inzwischen das Tal erreicht. Sie verdunkel ten die Sonne, rochen nach irgendwelchen Chemikalien und reizten uns zum Husten. Die anderen standen vor den ersten Hütten und begleiteten uns mit sorgenvollen Blicken. Wir wandten uns wieder der Felsrinne zu, durch die wir heruntergekommen waren. Daß man uns von oben her entdecken wür de, war nicht zu befürchten, denn der Qualm entzog uns den Blicken etwaiger Beobach ter. Auch wir konnten nur gerade die näch sten Stufen im Fels erkennen, doch das war nicht unser Hauptproblem. Der Große Don ner machte uns am meisten zu schaffen. Je höher wir stiegen, um so unerträglicher wurde er für uns. Der ganze Berg schien im Rhythmus der pausenlosen Detonationen zu schwingen, und bald waren wir halb taub. Der Bauchaufschneider machte mir ein Zei chen, hielt an und riß von den am Rand der Felsrinne wachsenden kümmerlichen Pflan zen eine Handvoll Blätter ab. Er drückte sie zusammen und formte daraus Kugeln, die er sich in die Ohren stopfte, und ich folgte sei nem Beispiel. Das half etwas, machte dafür allerdings jede akustische Verständigung zwischen uns unmöglich. Wir waren etwa fünfzig Meter hoch ge stiegen, als mich plötzlich ein scharfer Im puls meines Extrahirns zusammenzucken ließ. Gefahr – eine Steinlawine geht ab! lau tete die Warnung, und ich sah mich hastig nach allen Seiten hin um. Tatsächlich, etwa zwanzig Meter links von uns war das lose Gestein durch die dau ernden Erschütterungen gelöst worden! Un deutlich sah ich durch den Rauch hindurch, wie sich metergroße Felsblöcke lösten, den Hang hinabrollten und dabei immer neue Steine mit sich rissen, bis schließlich der ganze Berg in Bewegung zu kommen schi en. Auch Fartuloon war nun aufmerksam ge worden, doch er winkte nur ab, denn für uns bestand keine Gefahr. Ich wollte mich schon umwenden, um weiterzusteigen, als sich
Harvey Patton mein Extrasinn ein zweites Mal mit voller Stärke meldete. Denk an die anderen, du Narr! Sie kön nen die Lawine weder sehen noch hören – sie wird sie alle zerschmettern! Ein jäher Schreck durchzuckte mich. Ich konnte Ischtar und die anderen nicht mehr sehen, aber vermutlich standen sie immer noch am gleichen Fleck und starrten zum Berg hinauf. Sie befanden sich genau dort, wo die Lawine zu Tal kommen mußte, und bis sie durch den Rauch hindurch die Gefahr erkennen würden, war es bestimmt zu spät für eine Flucht … Diese Überlegung lief innerhalb von Se kundenbruchteilen ab, und schon begann ich zu handeln. Ich riß den varganischen Ener giestrahler vom Gürtel und feuerte einen mehrere Sekunden dauernden Impulsstrahl hinunter ins Tal. Er konnte meine Gefährten nicht in Gefahr bringen, doch sie mußten ihn sehen, denn seine feurige Bahn ließ den Qualm in weitem Umkreis aufleuchten! Der Bauchaufschneider sah mich zuerst verständnislos an, aber er begriff sehr schnell und feuerte nun gleichfalls. Wir war teten noch einige Sekunden lang, dann ver siegte der Strom der Felsbrocken, und nun rannten wir los, zurück ins Tal. Wir waren noch nicht ganz unten, als wir bereits das Ausmaß der Zerstörungen sahen, die durch den Felssturz angerichtet worden waren. Blöcke aller Größen hatten sich in ei ner etwa dreißig Meter breiten Bahn ins Tal ergossen und alles mitgerissen, was ihnen im Weg gewesen war. Eine mächtige Staub wolke hatte sich erhoben, und aus ihr und dem Gewirr der Felsbrocken ragten die kümmerlichen Überreste einiger Hütten, die sich in ihrer Bahn befunden hatten. Doch wo waren unsere Gefährten? Hatten sie rechtzeitig begriffen, oder lagen sie jetzt mit zerschmetterten Gliedern unter den Stei nen …? Ich hielt auf der untersten Stufe an und versuchte, die Wolken von Qualm und Staub mit meinen Blicken zu durchdringen. Fartu loon stürmte an mir vorbei, doch er war
Duell mit dem Donnergott kaum unten angekommen, als er plötzlich Luftsprünge zu machen begann, die jedem Colbisbock zur Ehre gereicht hätten. Kein Wunder – er befand sich genau dort, wo un sere Energiestrahlen aufgetroffen waren und der Boden noch glühend heiß war! Er rettete sich mit einem gewagten Sprung, und ich konnte nicht anders, ich mußte einfach schadenfroh grinsen. Das konnte ich mit gutem Gewissen, denn eben kamen von der anderen Seite her Ischtar, Crysalgira und die anderen beiden zum Vor schein, alle unversehrt. Nur Eiskralle zog ein besorgtes Gesicht, wahrscheinlich fürchtete er wieder einmal, daß er zerschmelzen wür de. Fartuloon sah sie ebenfalls, drehte sich zu mir herum, und dann lief sein Gesicht fast violett an. »Laß das Grinsen, du Grünschna bel!« brüllte er so laut, daß ich es trotz des Donners und der verstopften Ohren deutlich hören konnte. »Ist das der Dank dafür, daß ich dir sogar in den Mikrokosmos gefolgt bin, um dir zu helfen? Das zahle ich dir heim, verlaß dich darauf!« Ich kannte diese Drohungen zur Genüge und stufte sie einmal mehr als Theaterdon ner ein, den ich unbesorgt ignorieren konnte. Ich übersprang die heiße Bodenstelle, ging auf Ischtar zu und nahm die Blätter aus den Ohren. »Wie ist es euch ergangen?« erkun digte ich mich hustend. »War es knapp?« Die Goldene Göttin nickte. »Sehr knapp sogar«, schrie sie zurück. »Wir sahen die Strahlschüsse und glaubten zuerst an einen Angriff, und so sind wir zum Bach hin da vongelaufen. Die Warnung kam keine Se kunde zu früh, denn im nächsten Moment krachten die ersten Felsblöcke dorthin, wo wir eben noch gestanden hatten! Ich bin dir sehr dankbar, Atlan – wir alle sind es.« Der Bauchaufschneider warf sich in die Brust. »Im Grunde habt ihr diese Rettung nur mir zu verdanken«, behauptete er. »Ich war es schließlich, der ihn ausgebildet hat, ich habe ihm beigebracht, in gefahrvollen Situa tionen stets richtig zu handeln! Stimmt das
19 etwa nicht, du verhinderter Kristallprinz?« »Natürlich stimmt es«, bestätigte ich tod ernst. »Doch damit genug der Elogen – denk an Chapat und an das, was immer noch vor uns liegt! Wir müssen nach oben, wenn wir etwas erreichen wollen, also komm.«
4. Der Lärm betäubte uns fast. Wir hatten uns, ehe wir zum zweiten Mal an den Aufstieg gingen, Tonkügelchen in die Ohren gestopft, die ihren Zweck besser erfüllten als zuvor die Blätter. Das Getöse war jedoch derart infernalisch, daß wir ernstlich befürchten mußten, taub zu wer den, wenn es noch lange anhielt. Deshalb beeilten wir uns, die Öffnung im Berg zu er reichen, aus der es kam. Sie lag etwa dreißig Meter tiefer als das uns bekannte Gebäude, und ungefähr fünfzig Meter weiter links. Dort gab es auch eine fast ebene Fläche, die wir jedoch erst sehen konnten, als wir uns in ihre unmittelbare Nä he vorgearbeitet hatten. Hier oben war der Qualm so dicht, daß wir kaum fünf Meter Sicht hatten, und der Gestank so unerträg lich, daß wir pausenlos husten mußten und unsere Augen überliefen. Wir hatten uns Tü cher vor Mund und Nase gebunden, aber sie nützten uns praktisch nichts. Zum Glück gab es hier kein loses Gestein mehr, es war restlos mit der Lawine abge gangen. Wir fanden an Unebenheiten genü gend Halt, und schließlich schoben wir un sere Köpfe vorsichtig über die Kante, an der das kleine Plateau begann. Nun sahen wir die Maschine, von der der Große Donner ausging. Sie besaß etwa die Ausmaße eines einstöckigen Hauses und stand halb im Freien, halb zwischen zwei riesigen metallenen Torflügeln, die von au ßen her durch künstliche Felsgebilde hervor ragend getarnt gewesen waren. Sie war im Grunde nicht mehr als ein plumper Kasten auf Rädern, an dem sich vorn eine Klappe geöffnet hatte, und dort erfolgten pausenlos und unter immenser Rauchentwicklung die
20 Detonationen. Primitiver ging es kaum, ich mußte unwillkürlich den Kopf schütteln, als ich daran dachte, daß sich ein Vargane diese Vorrichtung ausgedacht hatte. Doch sie war eben nur dazu da, um primitive Eingeborene zu beeindrucken, und diesen Zweck erfüllte sie ausreichend. Wir wischten uns das Wasser aus den Au gen und spähten wachsam umher, denn es war durchaus möglich, daß dieses Ungetüm von Robotern bedient wurde. Doch wir sa hen nichts dergleichen, und schließlich nick te mir Fartuloon zu und hob den Arm. Wir zogen uns über die Kante nach oben, nur noch von dem Drang beseelt, diese Quelle eines unbeschreiblichen Getöses endlich zum Verstummen zu bringen. Sekunden später fraßen sich die Strahlen der varganischen Energiewaffen in die Ma schine. Das Metall begann aufzuglühen, ein Funkenregen stob hoch in die rauchige Luft, dann rannen breite Bäche weißglühenden Schmelzflusses davon. Plötzlich erfolgte eine gewaltige Verpuf fung, deren Druckwelle uns fast von den Beinen riß. Instinktiv warfen wir uns zu Bo den, und das war gut so, denn im nächsten Augenblick zischte ein Regen von Trüm merstücken über uns hinweg. Wir hatten es geschafft – die Maschine des Großen Don ners gab ihren mechanischen Geist auf! Vorerst merkten wir das aber nur daran, daß die Erschütterungen, die das kleine Fels plateau durchliefen, aufhörten. In unseren Ohren dröhnte es nach wie vor weiter, und ich befürchtete schon, tatsächlich taub ge worden zu sein. Es dauerte mehrere Minu ten, bis der Nachhall des Getöses allmählich abebbte und in ein Zischen und Singen über ging, das fast noch unangenehmer war. Inzwischen hatten sich die Bahnen glü henden Metalls verlaufen, aber aus den Überresten der Maschine stieg immer noch übelriechender Qualm auf. Nur langsam wurde er von einem aufkommenden Wind weggetrieben und gab den Blick über das Plateau und in die Öffnung hinter dem Un getüm frei.
Harvey Patton Natürlich wollte ich wissen, wie es jen seits der Torflügel aussah, also erhob ich mich halb und spähte nach drinnen. Im nächsten Moment zuckte ich jedoch zusam men und ergriff Fartuloon am Arm. »Sieh doch nur – dort drüben sind Her roffs!« stieß ich hervor. Daß ich laut geschrien hatte, wurde mir erst bewußt, als ich meine eigene Stimme vernahm. Mein Gehör funktionierte also wieder, und auch Fartuloon hatte meine Worte vernommen, das zeigte seine Reakti on. Er nahm die Tonpfropfen aus den Ohren und sah mich vorwurfsvoll an. Rasch mach te ich ebenfalls meine Gehörgänge frei, und dann vernahm ich seine gezischten Worte. »Nicht so laut, verdammt noch mal! Daß sich diese Burschen hier oben aufhalten, muß etwas zu bedeuten haben – aber was? Sie sind aus dem Dorf geflohen, um dem Großen Donner zu entgehen, und dafür tau chen sie jetzt ausgerechnet hier auf …« Die vier Eingeborenen schienen ihr Gehör vollkommen verloren zu haben, denn nichts in ihrem Benehmen wies darauf hin, daß sie mich gehört hatten. Sie waren aus dem Raum hinter der Maschine gekommen – was mochte sie wohl bewogen haben, sich aus gerechnet dorthin zu begeben? Im nächsten Moment schlug mein Logik sektor Alarm. Ist das wirklich so schwer zu erraten? Sie haben Chapat in den Stützpunkt gebracht, um ihn dem »Donnergott« zu opfern – an ders kann es gar nicht sein! Einen Moment lang stand ich wie betäubt da, alles in mir sträubte sich gegen diese Deutung. Und doch war sie, obwohl grau sam, durchaus folgerichtig. Ich packte den Bauchaufschneider an der Schulter und schob ihn vorwärts. »Komm, schnell, wir müssen sie aufhal ten!« Fartuloon setzte sich in Bewegung, und ich erklärte ihm mit kurzen Worten die Schlußfolgerung meines Extrahirns. Das spornte ihn an, und wir spurteten auf die Herroffs zu, die etwa zwanzig Meter vor uns
Duell mit dem Donnergott neben den Überresten der Donnermaschine standen und sie mit scheuen Blicken be trachteten. Hotgor war bei ihnen, und das beseitigte meine letzten Zweifel. Er war es auch, der sich plötzlich um wandte und uns sah. Er zuckte zusammen und begann nun ebenfalls zu rennen, und die anderen drei folgten ihm. Sie bewegten sich seitlich von uns weg, auf den Rand der Fel senbühne zu. Fartuloon brüllte und fuchtelte mit seinem Schwert durch die Luft, doch das schien sie wenig zu beeindrucken. Katzengewandt schwangen sie sich über die Kante und lie fen im Zickzack davon, bis sie in die Deckung einiger großer Felsblöcke gelang ten, hinter denen sie sich zu Boden warfen. »Denen werden wir es zeigen!« knurrte mein alter Lehrer und schickte sich umge hend an, ihnen zu folgen. Er hielt sich links und bedeutete mir, mich von rechts an die Felsen heranzuarbeiten, so daß wir sie in die Zange nehmen und ihnen den Weg ab schneiden konnten. Es blieb allerdings bei der Absicht, denn schon nach wenigen Sekunden mußten wir schleunigst in Deckung gehen. Die Herroffs tauchten aus ihren Verstecken hoch, und dann flogen uns große Steine entgegen. Sie wurden mittels lederner Schleuderinstru mente auf den Weg gebracht, die ihnen eine beträchtliche Geschwindigkeit verliehen und sie zu gefährlichen Geschossen machten. »Verdammtes Gesindel!« schimpfte Far tuloon, dessen massiger Körper durch einen länglichen Felsblock nur unzulänglich ge schützt war. Neue Steine kamen geflogen, zersplitterten an der Felswand und über schütteten uns mit einem Hagel von Bruch stücken. Eines davon traf den Bauchauf schneider am Gesäß, er stieß einen Schmerz laut aus und sprang dann auf die Beine. »Denen werde ich es zeigen!« brüllte er und riß seinen Impulsstrahler hervor, doch ehe er zielen konnte, schlug ich die Waffe zur Seite. »Laß den Unsinn«, sagte ich energisch. »Die Herroffs haben Angst, der Donner hat
21 sie vollkommen durcheinandergebracht, das ist alles. Sie jetzt einfach abzuschießen, wä re glatter Mord – lassen wir sie laufen.« Die Eingeborenen hatten sich wieder in Bewegung gesetzt und turnten mit affenarti ger Behendigkeit den Abhang hinunter. Far tuloon rieb sich die schmerzende Kehrseite, steckte den Strahler weg und nickte. »Natürlich hast du recht«, gab er brum mig zu. »Außerdem würden wir an ihnen nur unnütz unsere Zeit vergeuden – wir müssen jetzt schleunigst nach oben zurück und auf die Suche nach deinem Sohn ge hen!«
* Der Raum, der die Donnermaschine be herbergt hatte, war vollkommen leer. Er war unbeleuchtet, doch die Sonne schien hinein, und in ihrem Licht erkannten wir am Ende des Raumes eine große rechteckige Tür, die halb offenstand. Wir hielten die Energie strahler schußbereit und liefen auf sie zu. Dabei hielten wir uns an der linken Wand, so daß uns die Tür Deckung bot. Dicht vor ihr warf ich mich zu Boden und spähte dann vorsichtig durch die Öffnung. Ich sah in einen mit einer Kunststoffmas se ausgekleideten Korridor, der ebenfalls leer war. Er war etwa zwanzig Meter lang und mündete in einen größeren Raum, der von hellem bläulichem Licht erfüllt war. Darin erkannte ich einige niedrige vitrinen artige Behälter, doch von Lebewesen war nichts zu sehen, und so winkte ich dem Bauchaufschneider. »Komm, wir können es riskieren. Die Luft scheint rein zu sein.« »Hoffen wir es!« meinte Fartuloon skep tisch, und ich konnte seine Besorgnis verste hen. Wir hatten beide schon ausreichend Er fahrungen mit alten varganischen Stationen auf den Versunkenen Welten gesammelt, und sie waren fast durchweg ausgesprochen unerfreulicher Natur gewesen. Der Korridor war gewölbt, etwa fünf Me ter breit und an seinem höchsten Punkt rund
22 drei Meter hoch. Er bot uns keinerlei Deckung und so durchmaßen wir ihn im Laufschritt und hielten erst an, als wir seine Einmündung erreichten. Von dort aus sahen wir in eine geräumige Kuppelhalle, in der sich Dutzende der vitrinenartigen Behälter befanden. Im Hintergrund zweigten drei weitere Korridore ab, die schräg in den Berg hineinführten. Nirgends rührte sich etwas, und so betra ten wir schließlich zögernd den Raum. Wir gelangten zu dem ersten Behälter, sahen durch den gläsernen Deckel hinein, und fuh ren dann unwillkürlich zurück. In dieser Vi trine lag ein Herroff! Er war zweifellos tot, doch sein nackter Körper zeigte weder Verfallssymptome noch Mumifizierungserscheinungen. Er wirkte so, als wäre er eben erst in den Behälter gelegt worden, doch eine Staubschicht auf dem Glas bezeugte das Gegenteil. Seine dunklen Augen standen weit offen und schienen in unergründliche Fernen zu sehen, die Kno chenzacken bleckten aus dem halb geöffne ten Mund, so daß er uns anzugrinsen schien. Fartuloon schüttelte sich. »Diese verdammten varganischen Rebel len!« äußerte er heiser. »Es gehört schon ei ne gehörige Menge Verdrehtheit dazu, sol che makabren Scherze zu treiben.« Ich nickte stumm, denn ich mußte ihm recht geben. Bisher waren wir auf den Versunkenen Welten kaum auf einen Varganen gestoßen, der noch völlig normal gewesen war. Sie waren Flüchtlinge aus dem Mikrokosmos, die sich vor ihren Rassegefährten verbergen mußten und ein Einsiedlerdasein zu führen gezwungen waren. Auch untereinander hat ten sie kaum noch Kontakt und lebten Jahr hunderte und Jahrtausende völlig allein, nur von der mehr oder weniger erhaltenen Tech nik und seelenlosen Robotern umgeben. So war es im Grunde kein Wunder, daß sich ihr Geist im Laufe der Zeit verwirrte, was sich dann in allen nur möglichen Formen äußer te. Wir blickten in die nächststehenden Be-
Harvey Patton hälter, und auch darin befanden sich Einge borene dieser Welt. Es waren nicht nur Män ner, sondern auch Frauen und Kinder aller Altersgruppen, alle in dem gleichen Zu stand. Es mochten etwa dreißig sein, doch wir verzichteten darauf, in alle Vitrinen zu sehen. Jede ungenutzt verstreichende Minute könnte höchste Gefahr für Chapat bringen, der sich nun vermutlich in den Händen eines der verrückten Varganen befand! Doch wohin sollten wir uns nun wenden? Es gab drei weiterführende Korridore, wel cher davon mochte der richtige sein? Schließlich entschieden wir uns für den mittleren, denn nur an seinem Ende war Licht zu sehen, während die beiden anderen in völliger Dunkelheit lagen. Eilig durch querten wir die Kuppelhalle und drangen in den Gang ein. Er war rechteckig, ungefähr drei Meter breit und vier Meter hoch. Fartuloon drückte sich an die linke Wand, ich an die rechte, und wir starrten angestrengt nach vorn. Der Korridor selbst war dunkel, aber wenn sich in dem dahinterliegenden Raum jemand be fand, mußte er uns im Gegenlicht unbedingt sehen! Unser Leben war also in dieser Zeit nicht viel wert. Doch wir kamen unbehelligt bis ans Ende des Ganges, und dort tat sich vor uns ein weiterer Kuppelraum auf, ebenfalls von hel lem bläulichem Licht erfüllt. Er schien ein Gegenstück zu dem ersten zu sein, denn wieder erblickten wir eine Reihe von Vitri nen, und der Bauchaufschneider stieß ver ächtlich die Luft durch die Zähne aus. »Es ist fast ein Wunder, daß es unten im Tal überhaupt noch Eingeborene gibt«, knurrte er. »Offenbar mußten sie dem Herrn dieser Station jedesmal einen der Ihren als Opfer bringen, um ihn dazu zu bewegen, daß er seine verdammte Höllenmaschine wieder abstellte. Wenn ich den vor meinen Strahler kriege …!« »Ruhig!« zischte ich, denn ich hatte vor uns ein Geräusch gehört. Auf der rechten Seite des Raumes, die wir nicht einsehen konnten, mußte sich jemand
Duell mit dem Donnergott aufhalten. Von dorther klangen undefinier bare Geräusche zu uns heraus, Klappern und Klirren, zuweilen von monotonem Surren begleitet. Vorsichtig schob ich meinen Kopf um die Ecke der Gangmündung, und dann erstarrte ich vor Schreck. Ich erblickte vier annähernd menschen ähnliche Roboter, und zwei von ihnen mach ten sich an einem anscheinend leeren Behäl ter zu schaffen. Die beiden anderen waren dabei, eine Antigravplattform dorthin zu di rigieren – und auf dieser befand sich mein Sohn Chapat! Er lag auf einer flauschigen Unterlage, und man hatte eine transparente Glocke über ihn gestülpt. Er rührte sich nicht, doch ich konnte über die Distanz von 25 Metern nicht unterscheiden, ob er noch lebte oder bereits tot war. Eines stand aber jedenfalls fest: Die Maschinenwesen hatten den Auftrag, ihn in die Vitrine zu legen und damit demsel ben Schicksal zu überantworten, das auch die in diesen Räumen befindlichen Herroffs ereilt hatte! Fartuloon schielte ebenfalls um die Ecke, und auch er begriff die Sachlage sofort. Er ließ ein zorniges Knurren hören, und auch ich sah rot, doch ein Impuls meines Logik sektors bewahrte mich vor Unbesonnenhei ten. Bringe Chapat nicht in Gefahr! warnte er mich. Wenn ihr auf die Roboter schießt, be steht die Möglichkeit, daß er auch getroffen wird. Das war leider nur zu wahr, und so stopp te ich mitten in der Bewegung ab, mit der ich vorwärtsstürzen und feuern wollte. Ich hielt auch den Bauchaufschneider zurück, doch leider bewirkte ich damit genau das Gegenteil des von mir erstrebten Effekts … Fartuloons schwergewichtiger Körper war mit einem Arm nicht so leicht zu bremsen, wenn er sich mit vollem Elan vorwärtsstür zen wollte. Es gelang mir zwar mit einiger Mühe, aber dabei kam das Skarg an seiner Hüfte in heftige Bewegung, schlug gegen die Gangwand und erzeugte einen weithin hörbaren metallischen Klang.
23 Die Roboter ließen alles stehen und lie gen, fuhren herum, und schon drohten uns die spiralig geformten Läufe unbekannter Waffen. Sie waren nicht groß, wirkten aber trotzdem ausreichend gefährlich, und so zo gen wir unsere Köpfe rasch wieder in den Gang zurück. Im nächsten Moment zischten fingerdicke bläuliche Energiestrahlen zu uns herüber und schlugen in die linke Wand des Korri dors ein. Wo sie auftrafen, bildeten sich sofort tiefe Löcher, der Fels glühte auf und begann zu schmelzen. Eine Hitzewelle schlug uns ent gegen und zwang uns dazu, uns einige Schritte weit zurückzuziehen. Dort befanden wir uns zwar im toten Winkel und damit au ßer Gefahr, aber damit war trotzdem keines falls ein Idealzustand erreicht. Ihr müßt schnellstens etwas tun! drängte auch sofort mein Extrahirn. Die Roboter werden jetzt zwar ihre Tätigkeit abbrechen, aber dafür ist damit zu rechnen, daß sie Chapat nun weiter ins Innere der Station verschleppen. Diese Gefahr lag tatsächlich sehr nahe. Die Maschinenwesen hatten zwar ihr Feu er gleich wieder eingestellt, doch schon nach wenigen Sekunden bewiesen uns aufklin gende Geräusche, daß sie eine neue, fast hektische Aktivität entwickelten. Gleichzei tig klang ein Alarmsummer auf, mit dem vermutlich Verstärkung herbeigerufen wer den sollten, und das komplizierte die Lage weiter. Wenn wir nicht augenblicklich etwas unternahmen, kamen wir vielleicht nie mehr dazu! Zwischen Fartuloon und mir bedurfte es nicht vieler Worte, um uns zu verständigen. Der Großteil meiner kämpferischen Fähig keiten stammte von ihm, wir waren weitge hend aufeinander eingespielt. Ein Blick und ein kurzer Wink genügten, und dann warfen wir uns vorwärts, in den Kuppelsaal hinein. Wir stürmten einige Meter weit vor, strebten dabei auseinander und nahmen hinter den Vitrinen Deckung. Ein schneller Blick während des Laufens
24 genügte mir zur Orientierung. Die Roboter waren dabei, sich mit der Antigravplattform zu einer Tür in der rechten Seitenwand des Raumes abzusetzen. Natürlich hatten ihre Geräuschsensoren unser Vordringen regi striert, und das veranlaßte sie zu sofortigen Gegenmaßnahmen. Einer setzte unbeirrt seinen Weg fort und schob die Plattform mit meinem Sohn vor sich her. Die anderen drei jedoch wirbelten herum, rissen ihre Waffen hoch und eröffne ten wieder das Feuer auf uns. Knallend zerbarsten die Glaswände der Vitrinen, ein Hagel von Splittern sirrte durch die Gegend. Nur der Umstand, daß die Sockel der Behälter aus massivem Stein be standen, bewahrte uns davor, getroffen zu werden. Doch auch wir blieben nicht untätig! Eine rasende Wut, aus der Sorge um mei nen Sohn geboren, hatte mich erfaßt. Blitz schnell rollte ich mich zur Seite hin ab, ge langte so hinter den nächsten Behälter, und nun schoß ich zurück. Ich traf einen Roboter in die Brust, und dort lag vermutlich sein Energiezentrum, denn er verging augen blicklich in einer heftigen Explosion. Seine Trümmer flogen weit durch den Raum und richteten in den Reihen der Vitri nen beträchtlichen Schaden an. Sie trafen auch die ihm zunächst stehende Maschine und beschädigten offenbar wichtige Teile, denn sie geriet außer Kontrolle. Fartuloon schoß den dritten Roboter ab, der noch einmal zu einem Fehlschuß gekom men war, doch der vierte ließ sich nicht beir ren. Er hatte nun schon fast die Tür erreicht – und auf ihn zu schießen konnten wir nicht wagen, wenn Chapats Leben nicht gefährdet werden sollte! Ihr müßt versuchen, ihn noch vor Errei chen der Tür zu stellen! sagte mein Extra sinn. Er wird wertvolle Sekunden verlieren, wenn er sie öffnet, also habt ihr durchaus noch eine Chance. Ich winkte Fartuloon, und wir machten uns sprungbereit; doch im gleichen Augen blick veränderte sich die Situation rapide zu
Harvey Patton unseren Ungunsten. Überall im Hintergrund des Kuppelraums glitten Türen auf, und durch diese bewegten sich mindestens zwei Dutzend weitere Roboter in den Raum … »Aussichtslos!« sagte Fartuloon mit mü der Stimme. »Schnellstens hier heraus, sonst sind wir verloren.«
5. Die nächsten Minuten glichen einem Alp traum. Wir sprangen auf und eilten zurück, wäh rend wir mit unseren Strahlern ungezielt den Raum bestrichen. Wir erzielten einige Zu fallstreffer und konnten vier Roboter ver nichten, aber das Gros der Maschinen blieb heil und schoß sofort zurück. Sie trafen jedoch nicht, denn wir liefen im Zickzack und erreichten heil den Korridor. Wir stürmten ihn entlang, innerlich darauf gefaßt, jeden Augenblick getroffen zu wer den, aber auch jetzt hatten wir noch Glück. Die Roboter kamen von verschiedenen Sei ten, keiner direkt in gerader Linie zu dem Gang, und die überall herumstehenden Be hälter behinderten sie entscheidend. Als end lich die ersten Strahlschüsse durch den Kor ridor fauchten, hatten wir ihn bereits hinter uns gelassen und befanden uns im nächsten Raum. Dort trennten wir uns sofort und schlän gelten uns zwischen den Vitrinen hindurch auf den Ausgang zu. Trotzdem rechnete ich mir keine nennens werte Chance für ein Entkommen aus. Der gewölbte Tunnel, der hinaus aufs Plateau mit der Donnermaschine führte, war zwan zig Meter lang, also würden wir etwa drei Sekunden brauchen, bis wir ihn hinter uns gebracht hatten. Er lag in einer Linie mit dem Zugangskorridor zu dem zweiten Kup pelraum – wenn die Roboter nur einfach darin stehenblieben und von dort aus auf uns schossen, waren wir schon so gut wie tot! Und doch hetzten wir mit eingezogenen Köpfen durch den Gang – und als wir ihn hinter uns gebracht hatten, lebten wir immer
Duell mit dem Donnergott noch … Völlig außer Atem erreichten wir den Raum, in dem die Donnermaschine stand, und warfen uns rechts und links einfach zu Boden. Ich war vollkommen erledigt, und auch Fartuloon ließ ein Schnaufen hören, das gut von einem urweltlichen Saurier hätte stammen können. Wir gönnten uns einige Sekunden der Erholung und lauschten auf die Laufgeräusche uns verfolgender Roboter – doch sie kamen nicht! »Verstehst du das?« brachte der Bauch aufschneider schließlich heiser hervor. Ich zuckte mit den Schultern, doch schon mel dete sich wieder mein Logiksektor. Begrenzte Programmierung der Maschi nenwesen! stellte er kurz fest. Ihre Aufgabe dürfte sich darauf beschränken, Eindringlin ge abzuwehren, nicht aber, sie auch zu ver folgen. Möglicherweise sind sie auch ange wiesen, keine Beschädigungen der mit Her roffs belegten Vitrinen zuzulassen, die un weigerlich verursacht werden müßten, wenn es jetzt noch zu einem Kampf mit euch kom men würde. Ich unterrichtete Fartuloon über diese Schlußfolgerungen, und er nickte gedanken voll. »Wahrscheinlich hat dein Extrasinn recht«, meinte er, während er sich langsam erhob. »Der Herr dieses Stützpunkts scheint ein Herroff-Sammler zu sein, und kein pas sionierter Sammler hat es gern, wenn seine Exemplare beschädigt werden … Nun, uns kann es nur recht sein, diesem Umstand ver danken wir immerhin unser Leben. Doch wie soll es jetzt weitergehen?« Ich stand ebenfalls auf und hob mutlos die Schultern. »Das weiß ich nicht«, bekannte ich resi gniert. Wir warteten noch eine Weile, aber hinter uns blieb alles still, also war die Gefahr vor bei. Dann bewegten wir uns nach draußen, an den Trümmern der zerstörten Maschine vorbei, doch unsere Gedanken waren mehr als unerfreulich. Wir waren unserem Ziel so nahe gewesen,
25 und doch hatten wir nichts erreicht! Chapat befand sich nach wie vor in der Station, und was weiter mit ihm geschehen würde, moch ten allein die Götter wissen. »Kopf hoch, Junge!« meinte der Bauch aufschneider und klopfte mir tröstend auf die Schulter. »Die bei der Auseinanderset zung entstandenen Schäden im zweiten Kuppelraum sind zweifellos so schwer, daß vorerst nicht daran zu denken ist, daß man Chapat dort hinterlegt. Für die nächsten Stunden dürfte er außer Gefahr sein, und in dieser Zeit werden wir nicht untätig bleiben. Der Weg in diesen Sektor der Station ist uns versperrt, aber wir haben immer noch die Möglichkeit, dort in sie einzudringen, wo wir zuerst herausgekommen sind. Die dort oben liegenden Räume scheinen verlassen zu sein, sonst hätte man unser Gefecht mit den Wiedererweckten bemerkt.« Ich nickte. »Hoffen wir, daß du recht hast«, gab ich zurück. »Leider bin ich gar nicht so sicher wie du, was meinen Sohn betrifft. Er hat da gelegen wie leblos, also ist es durchaus nicht gesagt, daß er überhaupt noch am Leben ist.« »Chapat lebt!« klang da eine Stimme vor uns auf. Ischtar stand draußen auf der Felsenbüh ne, aber ich sah mich vergeblich nach den drei anderen um. Nahm sie an, daß jetzt nach der Zerstörung der Maschine bereits al le Gefahr vorüber wäre? Daß sie nun allein zu uns kam, war ausgesprochener Leicht sinn, und ich hätte sie am liebsten sofort wieder weggeschickt. Versuche es doch! spöttelte mein Extra hirn. Sie würde dir schon normalerweise nicht gehorchen, viel weniger erst jetzt, wo es um ihr Kind geht. Ich wurde durch diesen Einwurf abge lenkt, aber Fartuloon fragte sofort: »Was weißt du von Chapat? Hat er sich bei dir ge meldet?« Die Goldene Göttin nickte, ihr Gesicht war von höchster Besorgnis überschattet. »Ich empfing vor etwa zwanzig Minuten
26 einen telepathischen Impuls von ihm. Er gab an, sich in der Station zu befinden, wo sich Roboter mit ihm beschäftigen würden. Dann brach die Mitteilung jedoch übergangslos ab, als ob man eine Psi-Sperre über ihn ge legt hätte. Tot kann er aber nicht sein, das hätte ich empfinden müssen.« »Vermutlich wurde euer Kontakt unter brochen, als die Robots die transparente Glocke über ihn stülpten«, überlegte ich. »Der Beherrscher des Stützpunkts muß also seine telepathische Gabe irgendwie regi striert haben, und er hat sofort entsprechen de Maßnahmen ergriffen. Ich glaube nicht, daß er darauf aus war, ihn zu töten, dafür sind die Maschinen viel zu sehr bemüht ge wesen, ihn zu schützen.« »Ihr habt ihn gesehen?« fragte Ischtar er regt, und ich berichtete ihr von unserem mißglückten Versuch, den Jungen zu befrei en. Ich sah, wie Tränen in ihre Augen traten, doch als ich sie tröstend umfassen wollte, schob sie meinen Arm energisch fort. Sie war zum äußersten entschlossen, das zeigte ihr Gesicht ganz klar. »Hat Chapat eine Erklärung dafür gege ben, wie er in die Station kam?« erkundigte sich der Bauchaufschneider, aber sie ver neinte. »Er ist erst erwacht, als er sich bei den Robotern befand. Vermutlich haben ihm die Eingeborenen zu Beginn der Entführung et was eingegeben, das ihn betäubt hat. Dafür spricht auch, daß der Kontakt mit ihm nur sehr schwach war.« Fartuloon schüttelte nachdenklich den Kopf. »Irgendwie paßt das alles nicht zusam men«, meinte er mit verkniffenem Gesicht. »Überlegt doch nur: Zuerst werden wir von den Herroffs wie halbe Götter empfangen, sie verhätscheln uns förmlich und tun alles, daß Corpkor wieder gesund wird. Dafür er greifen sie in der Nacht die Gelegenheit, ent führen den Jungen und bringen ihn hinauf in den Berg – wie reimt sich das zusammen?« Ich lachte bitter auf. »Oh, das dürfte im Grunde ganz einfach
Harvey Patton zu erklären sein. Die Eingeborenen wußten oder vermuteten zumindest, daß die Donner maschine bald wieder in Tätigkeit treten würde. Sie brauchten also ein Opfer, um den Großen Donner zu beschwichtigen, und da für kam ihnen Chapat gerade recht! Ihn konnten sie in ihre Gewalt bringen, was ih nen bei einem von uns körperlich weit über legenen Erwachsenen wohl kaum gelungen wäre. So konnten sie es sich ersparen, einen aus ihrer Mitte zu opfern.« »Dann haben sie uns also von Anfang an getäuscht«, knurrte der Bauchaufschneider, aber Ischtar unterbrach ihn sofort. »Das stimmt vermutlich, spielt jetzt aber weiter keine Rolle mehr. Für uns ist jetzt nur wichtig, daß wir möglichst rasch erneut in den Stützpunkt eindringen, um Chapat her auszuholen.« »Damit hast du natürlich recht«, räumte ich ein. »Allerdings kann das nur auf Um wegen geschehen, denn dieser Eingang wird sicher durch die Robots total abgesichert. Wir werden also weiter nach oben steigen müssen, wo wir zuerst …« Ich unterbrach mich, denn Ischtar ergriff meinen Arm. »Ich glaube, es gibt eine bessere Möglich keit. Etwa zwanzig Meter weiter unten ist durch den Abgang der Steinlawine ein klei nes Tor aus den Angeln gerissen worden, das konnte ich eben beim Aufstieg sehen. Dahinter gibt es einen dunklen Stollen, ver mutlich einen Notausgang, der nicht über wacht werden dürfte. Dort müßten wir ohne große Schwierigkeiten eindringen können.« »Na also!« grinste Fartuloon. »Worauf warten wir noch?«
* Wir hatten gerade den Rand des kleinen Plateaus erreicht, als hinter unseren Rücken ein peitschendes Geräusch aufklang und uns zusammenfahren ließ. Unwillkürlich warfen wir uns zu Boden und suchten Deckung hin ter den hier wachsenden kümmerlichen Pflanzen, was natürlich blanker Unsinn war.
Duell mit dem Donnergott Sie boten kaum Schutz gegen die Blicke von Verfolgern, viel weniger erst gegen gutge zielte Strahlschüsse. Doch der erwartete Angriff blieb aus, und als wir die Köpfe hoben und zu den Überre sten der Donnermaschine hinübersahen, er kannten wir die Ursache für das seltsame Geräusch. Vor dem Eingang in den Berg hatte sich ein grünlich schimmernder Ener gievorhang aufgebaut und versperrte den Zugang zur Station. »Sieh an, der Herr des Stützpunkts wird aktiv«, meinte der Bauchaufschneider. »Hoffentlich sichert er jetzt nicht alle Zu gänge auf diese Weise ab.« Zum Glück war das nicht der Fall, denn der von Ischtar entdeckte Stollen erwies sich als frei. Sehr bald erkannten wir auch, wa rum das so war. Er mußte uralt sein und war offenbar längst in Vergessenheit geraten. Die ein Stück weiter unten hängengebliebene, von außen mit Felsimitation verkleidete Tür wies auf ihrer Innenseite starke Rostspuren auf, und die abgebrochenen Angeln waren eben falls stark angefressen. Auch der Stollen selbst befand sich in ausgesprochen schlechtem Zustand. Er war so schmal und niedrig, daß er gerade nur ei ner Person Platz bot, und Fartuloon spähte mißtrauisch hinein. Die Sonne stand günstig, so daß ein Teil des Ganges ausgeleuchtet war. »Hier ist unter Garantie seit Jahrhunder ten niemand mehr gewesen«, behauptete der Bauchaufschneider überzeugt. »Die Tür muß schon seit längerer Zeit undicht gewe sen sein, denn es ist eine Menge Staub ein gedrungen und bedeckt den Boden fast fin gerhoch. Darin sind keine Spuren zu sehen, also ist dieser Stollen seit langem nicht mehr benutzt worden.« Wir blickten noch einmal ins Tal zurück und entdeckten dort die winzig anmutenden Gestalten unserer Gefährten, die zu uns hochsahen und uns zuwinkten. Wir winkten zurück, dann traten wir den Weg ins Unge wisse an. Fartuloon ging voran, dann folgte
27 ich, und Ischtar bildete den Schluß. In ihrem Gesicht standen Sorge und mühsam unter drückte Ungeduld. Die Luft in dem Gang war muffig und auch der Zustand der Decke und Wände ließ zu wünschen übrig. Eingedrungenes Sicker wasser hatte die Spritzverkleidung unter wandert und stellenweise abblättern lassen, und bei der geringsten Berührung fielen wei tere Stücke davon zu Boden. Wir arbeiteten uns ungefähr zehn Meter weit vor, dann hielt Fartuloon plötzlich an. »Hier ist eine weitere Tür«, unterrichtete er uns über die Schulter hinweg. »Rückt mal etwas zur Seite, ich brauche Licht, um sie untersuchen zu können.« Wir kamen seinem Verlangen nach und drückten uns gegen die Wand des Stollens, aber das half nicht viel. Bis hierher drang nur noch ein schwaches Streulicht vor, in dem sich kaum etwas erkennen ließ, und der Bauchaufschneider ließ ein unmutiges Brummen hören. »Solider Stahl ohne merkliche Korrosi onserscheinungen«, erklärte er schließlich. »Es ist kein sichtbarer Öffnungsmechanis mus vorhanden, offenbar kann die Tür nur von innen geöffnet werden. Wahrscheinlich werden wir sie mit den Strahlern aufbrennen müssen, aber das ist angesichts dieser Enge alles andere als ideal.« Damit hatte er recht, denn die Impulsbün del der varganischen Strahlwaffen ent wickelten eine höllische Hitze, die unwei gerlich auf den Schützen zurückschlagen mußte, weil sie in allen anderen Richtungen keinen Abfluß fand. Deshalb machte ich ihm einen anderen Vorschlag. »Versuche es doch erst einmal mit dem Skarg! Vermutlich ist der Fels auch hier schon bröckelig, es könnte dir also gelingen, damit etwas auszurichten.« »Das grenzt ja schon fast an Arbeit …«, nörgelte Fartuloon, befolgte aber trotzdem meinen Rat. Er zückte sein uraltes Schwert, das uns immer wieder neue Rätsel aufgab und weit mehr als eine gewöhnliche Hieb und Stichwaffe war. In seinem Knauf gab es
28 eine seltsame eingearbeitete Figur, doch bis her war es noch niemandem gelungen, her auszubekommen, was sie eigentlich darstell te. Ihre Konturen schienen ständig zu flie ßen, und je länger man sie ansah, um so stär ker wurde dieser Eindruck. Der Bauchaufschneider wich allen diesbe züglichen Fragen beharrlich aus, und auch, über die Herkunft des Skarg hüllte er sich in Schweigen. Dafür überraschte er uns zuwei len mit Kostproben der seltsamen Fähigkei ten, die diese ungewöhnliche Waffe besaß. Mit ihr konnte er durch bloße Berührung Strukturlücken in bestimmten Energieschir men schaffen, und einmal hatte das Schwert sogar einen Blitz aufgefangen und seine Energien mühelos absorbiert, ohne daß Far tuloon dabei zu Schaden kam. Jetzt wurde es allerdings für eine ausge sprochen profane Tätigkeit benutzt, aber auch hier erfüllte es seinen Zweck. Mein Pflegevater ächzte und stöhnte dabei, denn seine Leibesfülle behinderte ihn zusätzlich, doch bald polterten die ersten Felsbrocken zu Boden. Er arbeitete etwa eine Viertel stunde lang unermüdlich drauflos, dann stieß er einen triumphierenden Ruf aus. »Geschafft!« verkündete er befriedigt. Er setzte das Skarg ein letztes Mal an und stemmte sich mit aller Macht dagegen, dann ertönte das Geräusch von berstendem Me tall, und gleich darauf öffnete sich die Tür. Heller Lichtschein schlug uns entgegen, wir schlossen unwillkürlich die Augen und wichen zurück. Unsere Hände hoben die Strahler, und auch der Bauchaufschneider vertauschte rasch das Schwert gegen diese Waffe. Unsere Position in dem engen Stol len war alles andere als gut, aber wir waren entschlossen, unser Leben so teuer wie mög lich zu verkaufen, falls uns hier jemand ent gegentrat. Doch das war nicht der Fall – bis jetzt schien niemand unser Eindringen bemerkt zu haben! Eine fast bedrückende Stille um gab uns, in der unsere schweren Atemzüge als einziges Geräusch zu hören waren, und wir öffneten unsere Lider wieder.
Harvey Patton Wir sahen in einen kleinen, völlig kahlen Raum, der durch eine Leuchtfläche an der Decke erhellt wurde. Auch hier war der Bo den staubbedeckt und wies keinerlei Fuß spuren auf. Das interessierte uns allerdings nur am Rande, unser Hauptaugenmerk galt einer weiteren, erheblich größeren Tür am anderen Ende des Raumes. Auch sie war geschlossen, und vor ihr flimmerte unübersehbar der Vorhang eines grünlichen Energieschirms … »Aus!« sagte Ischtar mutlos, und es klang wie ein Schluchzen. Fartuloon dagegen stieß ein grimmiges Knurren aus. »Das wollen wir erst einmal sehen!« be merkte er ungerührt.
* Wir untersuchten die Wände lange und sorgfältig, doch es gab nur diesen einen Zu gang zum Innern des Stützpunkts. Ich schlug vor, den Energieschirm durch gleichzeitigen Beschuß mit allen drei Strahlern zum Zu sammenbruch zu bringen, aber der Bauch aufschneider winkte sofort ab. »Wir könnten es dadurch vielleicht schaf fen, doch ich halte das für wenig ratsam. Diese Station scheint noch gut in Schuß zu sein, und zweifellos gibt es irgendwo eine Positronik, die über alle technischen Anla gen wacht. Sie würde augenblicklich die Energieemissionen unserer Waffen registrie ren, und damit wäre unser Eindringen schnell verraten. Nein, das muß ganz anders gehandhabt werden.« »Was können wir denn tun?« fragte Ischt ar zweifelnd. Fartuloon strich sich selbstge fällig über den Bart. »Den Schutzschirm knacken!« verkündete er mit einem satten Grinsen. »Dieses Ener giefeld ist nicht besonders groß, folglich ist seine Kapazität begrenzt, mehr als zwei Pro jektoren dürfte es hier kaum geben. Natür lich wäre es falsch, es ganz zum Zusammen bruch zu bringen, denn das würde die Po sitronik sofort alarmieren. Nein, das werden
Duell mit dem Donnergott wir ganz anders anfangen!« Ich begann zu lächeln, denn ich ahnte be reits, wie mein alter Lehrer vorzugehen ge dachte. Die Varganin dagegen sah mich fragend an. »Was hat er vor?« erkundigte sie sich, aber ich winkte nur kurz ab. »Warte nur ein paar Sekunden, dann wirst du es wissen«, entgegnete ich, während der Bauchaufschneider bereits das Schwert in die Hand nahm. »Geht möglichst weit zurück«, bestimmte er, während er mit den Augen bereits Maß nahm. »Es könnte gleich heiß hergehen, und ich habe nichts gegen Brandblasen da.« Wir befolgten seinen Rat und zogen uns ans jenseitige Ende des Raumes zurück, wo gegen er zwei Schritte vor dem Energie schirm stehenblieb. Er hob das Skarg, und sekundenlang konnte ich die seltsame Figur im Knauf sehen, die plötzlich ein gespensti sches Eigenleben zu entwickeln schien. Langsam näherte Fartuloon die Schwert spitze dem Energievorhang, und Ischtar um krallte meinen Arm. »Was tut er da?« flüsterte sie mit weit auf gerissenen Augen. »Das muß doch eine Ka tastrophe geben – das Feld wird ihn zu Asche verbrennen!« Ich schüttelte nur den Kopf und sah ge bannt zu, wie das Skarg Kontakt mit dem grünen Leuchten bekam. Das Feld begann kaum merklich zu flackern, und gleichzeitig glühte die Klinge des Schwertes auf, zuerst hellrot, dann in grellem Weiß. Der Knauf blieb dagegen dunkel, doch nun ging von ihm eine unbestimmbar schimmernde Aura aus, die den Bauchaufschneider wie ein In dividual-Schutzschirm umgab. Ohne sie wä re Fartuloon wohl tatsächlich verbrannt, denn selbst wir konnten spüren, wie sich die Temperatur in dem Raum schlagartig erhöh te. Er aber grinste nur und führte die Schwertspitze so an dem Feld entlang, daß sie ein großes Rechteck beschrieb. Als sie wieder zum Ausgangspunkt zurückgekehrt war, erlosch der Schirm innerhalb dieses
29 Rechtecks, und Fartuloons Grinsen wurde noch breiter. Nun schob er das Skarg mit ei nem Ruck nach vorn und berührte damit die Stahltür, die augenblicklich aufzuglühen be gann. Zuerst war es nur ein kleiner Punkt, doch er wurde schnell größer. Schließlich glühte die ganze Tür, und plötzlich fing das Metall an zu, schmelzen! Ein Loch entstand, dehnte sich rasch aus, und mit leisem Zischen rann der flüssige Stahl über den Felsboden davon. Bald umgab er Fartuloons Füße wie eine feurige Lache, doch mein Pflegevater schien nichts davon zu spüren. Nach wie vor stand er breitbeinig da, führte das Skarg an den Resten der Tür entlang und brachte auch sie zum Schmelzen. Ischtar stöhnte ungläubig auf, aber auch ich war fasziniert, obwohl ich etwas Ähnliches schon erlebt hatte. Die Hitze in dem kleinen Raum war fast unerträglich geworden, und wir mußten uns in den Stollen zurückziehen, durch den ein kühler Luftzug hereinwehte. Auch der Bauchaufschneider ging nun langsam rück wärts, doch die Schwertklinge glühte noch immer, und nach wie vor umgab ihn die schimmernde Aura. Dann zog er den Skarg zurück, und übergangslos baute sich der Energievorhang wieder vor der Türöffnung auf. Nun hatte es Fartuloon plötzlich sehr ei lig, mit großen Sprüngen kam er auf uns zu. Wir konnten auch sehen, warum, denn das Glühen der Klinge ließ nun rapide nach, und gleichzeitig verschwand auch das Feld, das ihn so lange geschützt hatte. Als er den Stol len erreicht hatte, war alles wieder wie eini ge Minuten zuvor, und Ischtar schüttelte fas sungslos den Kopf, daß ihr langes goldenes Haar flog. »Wie ist das nur möglich?« fragte sie lei se. »Welche Apparatur verbirgt sich in die sem alten Schwert?« Der Bauchaufschneider lächelte listig. »Kein Kommentar!« gab er fröhlich zurück. »Es gibt bekanntlich Dinge, die ihren Zau ber verlieren, wenn man darüber spricht, das sollte auch eine Goldene Göttin wissen. Auf
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jeden Fall kann keine Überwachungsauto matik diesen Vorgang registriert haben, denn das Skarg hat dem Schirmfeld nur so viel Energie entzogen, wie ihm ständig zu geführt werden muß, um es zu erhalten. Da für sind wir aber die Tür los – der Weg in die Station ist frei!«
6. Wir mußten eine ganze Weile warten, denn der geschmolzene Stahl brauchte eini ge Zeit, um soweit abzukühlen, daß wir uns darüber hinweg bewegen konnten. »Wie sieht es hinter der Tür aus?« erkundigte ich mich indessen, aber Fartuloon hob die brei ten Schultern. »Ich habe nicht viel erkennen können, die Blendung war zu stark. Hinter dem Schirm feld liegt ein größerer Raum, der ebenfalls beleuchtet ist; er scheint technische Anlagen zu enthalten, aber mehr als vage Konturen konnte ich nicht sehen. Lebewesen oder Ro boter scheint es dort jedoch nicht zu geben, sonst hätten sie sich schon bemerkbar ge macht.« Dann war es endlich soweit. Der Bauch aufschneider machte einige Schritte in den Raum hinein, sog prüfend die Luft ein und winkte uns zu. Wir folgten ihm, es war noch immer sehr warm, aber durchaus erträglich. Erneut trat das Skarg in Aktion und schuf eine Strukturlücke, durch die wir schlüpfen konnten. Fartuloon beschrieb anschließend mit dem Schwert einen Kreis in der Luft, und übergangslos erlosch das Leuchten der Klinge. Während sich hinter uns das Schirmfeld wieder aufbaute, sahen wir uns bereits in dem neuen Raum um. Wir hatten unsere Waffen gezogen, doch es gab keine Ziele für sie. Es sah tatsächlich ganz so aus, als wäre es uns gelungen, voll kommen unbemerkt hier einzudringen, und das gab uns wieder neue Hoffnung für Cha pats Rettung. Nun befanden wir uns in einem Maschi nensaal, der voll von Aggregaten unter schiedlicher Art und Größe war, doch nichts
davon schien in Betrieb zu sein. Ischtar sah sich prüfend um und nickte dann. »Das hier ist eine Nebenzentrale«, erklär te sie. »Sie wird nur im Notfall in Betrieb genommen, und das kommt nur ganz selten vor. Zumindest, solange die Station noch in gutem Zustand ist«, schränkte sie dann ein, »aber das scheint hier ja der Fall zu sein.« Der Bauchaufschneider sah sich bereits wieder unternehmungslustig um. Sobald es irgendwie nach Abenteuer und Gefahren roch, konnte er die Nase nie voll genug be kommen, und das war auch etwas, das ich nie ganz begreifen konnte. Schließlich war er früher nichts weiter als der Leibarzt mei nes Vaters gewesen – woher hatte er seine vielfältigen Kenntnisse und Fertigkeiten in Dingen, die keinesfalls zum Aufgabenbe reich eines arkonidischen Bauchaufschnei ders gehörten? »Dieser Saal besitzt drei Ausgänge«, stell te er fest und kratzte sich im Genick. »Die beiden an den Seiten sind klein und führen wahrscheinlich nur in unwichtige Nebenräu me. Wir sollten sie ignorieren und gleich den großen da drüben benutzen.« »Damit wir schneller in des Teufels Kü che kommen?« fragte ich spitz, aber Fartu loon lachte nur dröhnend auf. »Nur keine Bange, mein Junge, ich bin ja bei dir! Oder haben Sie auch Einwände, Ischtar?« Die Goldene Göttin schüttelte den Kopf. »Die Seitentüren führen lediglich in Lager räume, die für uns uninteressant sind, inso fern haben Sie schon recht. Das große Tor dagegen dürfte den Zugang zu den zentralen Sektoren des Stützpunkts bilden.« »Und genau dort müssen wir hin«, er gänzte der Bauchaufschneider lakonisch. »Irgendwo dort muß sich jetzt Chapat befin den, nachdem ihn die Roboter unserem Zu griff entzogen haben, und dort hält sich ver mutlich auch der Herr der Station auf. Ihm möchte ich gern ein paar dringende Fragen stellen, die sich auf eingelegte Eingeborene und ähnliche Dinge beziehen.« Ich konnte seinen Optimismus nicht voll
Duell mit dem Donnergott teilen, denn ich kannte die Ausmaße dieser varganischen Rebellenstützpunkte. In die sem Berg mußte es eine Unzahl verschiede ner Stockwerke geben, unter Umständen konnten wir tagelang suchen, bis wir am Ziel waren. Einige kleine Hindernisse in Ge stalt von kampfwütigen Robotern und ande ren unerfreulichen Dingen mußten oben drein auch noch einkalkuliert werden. Doch hier ging es um das Leben Chapats, und jede ungenutzt verstreichende Minute konnte es in neue Gefahr bringen. Das allein gab den Ausschlag, und so verzichtete ich auf jeden weiteren Einwand. Stumm durchquerten wir den etwa hun dert Meter langen Raum und standen dann vor dem großen Tor. Im Licht der unter der hohen Felsendecke angebrachten Kunstson nen zeigte es einen stumpf blauen Schim mer, es bestand also vermutlich aus mole külverdichtetem Schwerstahl. Diesem war auch mit den varganischen Strahlwaffen kaum beizukommen, und ein Energiefeld, das Fartuloon mit dem Skarg anzapfen konnte, gab es hier nicht. Ich sah mich aufmerksam um, konnte aber nirgends einen manuellen oder sonsti gen Öffnungsmechanismus entdecken. Auch Fartuloon schien ratlos zu sein, doch nun er griff Ischtar die Initiative. Sie ging zielstre big auf die Wand rechts von dem Portal zu und legte ihre Hand auf eine bestimmte Stel le, die sich etwa in Augenhöhe befand. Einige Sekunden lang ereignete sich nichts, dann jedoch klang ein leises Summen auf. Wie von Geisterhand bewegt, schob sich das Tor nach links in die Wand. Es han delte sich also um ein simples Wärme schloß, wie es auch bei uns Arkoniden längst bekannt war, nur mußte man wissen, wo es zu finden war! Wir waren hastig zur Seite hin ausgewi chen, um uns in Deckung zu bringen, aber auch hier drohte uns keine Gefahr. Wir sa hen in einen geräumigen Korridor, in dem es an beiden Seiten Türen und Nebengänge gab. Auch hier brannten Kunstsonnen, und wir erkannten in ihrem Licht etwa fünfzig
31 Meter vor uns die Röhre eines Antigrav schachts. Wir lauschten eine Weile, aber alles blieb still. Nur das leise Rauschen einer Belüf tungsanlage und das gedämpfte Summen weit entfernter Energieerzeuger war zu ver nehmen. »Vorwärts!« knurrte Fartuloon, und wir setzten uns in Bewegung. Die Seitentüren waren sämtlich geschlos sen, und wir beachteten sie nicht. Um so mehr Aufmerksamkeit schenkten wir den seitlich abzweigenden Gängen, doch auch darin rührte sich absolut nichts. Es sah ganz so aus, als ob diese tief gelegene Etage der Station vollkommen verlassen wäre, und im Grunde war das auch kein Wunder. Vermut lich hatte der Stützpunkt nur einen einzigen Bewohner, und dieser hielt sich natürlich fast immer in der Nähe seiner Wohnräume und der zentralen Überwachungspositronik auf. Unbehelligt erreichten wir den Antigrav schacht. Seine Transportfelder waren einge schaltet, und man konnte darin sowohl wei ter nach unten wie auch in höher gelegene Stockwerke gelangen. Ischtar, die über die besten Ortskenntnisse verfügte, hatte jetzt die Führung übernommen, und sie überlegte nicht lange. »Nach oben!« bestimmte sie kurz.
* Wir schwangen uns aus dem Schacht, ver teilten uns blitzschnell nach links und rechts und sahen uns um. Wir waren in einer geräumigen runden Halle herausgekommen, und hier sah es schon erheblich anders aus. Wände und Decke waren mit skurrilen bunten Fresken verziert, auch den Kunststeinboden schmückten entsprechende Einlegearbeiten. Wer auch immer diese Station errichtet ha ben mochte, gewisse musische Qualitäten waren ihm nicht abzusprechen. Wie vereinbarte sich das aber damit, daß er andererseits erbarmungslos die gewiß
32 harmlosen Herroffs tötete und durch seine Roboter in die Vitrinen legen ließ? Einsamkeitskoller! sagte mein Extrahirn lakonisch. Wer weiß, was du alles anstellen würdest, wenn du ein paar Jahrtausende lang allein auf einer Welt bist … Ich zog eine Grimasse. Ich war nun ein mal kein Unsterblicher und würde es gewiß nie sein. Ohne mich ablenken zu lassen, sah ich mich in der Halle um, die durchaus nicht leer war. Hier gab es zur Abwechslung wieder ein mal Vitrinen, nur waren sie nicht so groß wie die ersten und enthielten auch keine Eingeborenen. Ich trat an die nächststehende heran und sah hinein, und dann wurden mei ne Augen groß. Ich erblickte eine Kollektion erlesener blauer Edelsteine, die schönsten, die ich je gesehen hatte! Hier drin lag ein wahrer Schatz, der ein Vermögen wert war. Alle Steine waren lu penrein, von gleicher Farbe und gleichem Schliff, nur die Größen differierten. Ich zählte zweiunddreißig Stück, und jede Dame der arkonidischen Adelsschichten hätte sich glücklich geschätzt, sie besitzen zu dürfen. Ich vernahm einen Laut der Überraschung aus Ischtars Mund. Sie war zu einer anderen Vitrine getreten und starrte fast verzückt hinein. Ich trat neben sie und sah, daß die Steine in diesem Glaskasten noch unvergleichlich schöner und wertvoller waren als die ande ren. Sie gleißten in blaugrünem Feuer, wa ren zu Oktaedern verarbeitet und in Form ei ner 8 angeordnet. In deren Schnittpunkt ruh te ein fast faustgroßer Stein, der in seiner Form von den anderen abwich. Seine Ober fläche war mit einer Vielzahl von Facetten überzogen, und im hellen Licht der Kunst sonnen strahlte er so sehr, daß einem fast die Augen weh taten. »Schön!« sagte Ischtar leise, und ihre goldfarbigen Augen glänzten. »Wer auch immer diesen Stützpunkt bewohnt, er muß ein Liebhaber der Schönheit und ein Kenner sein.« Fartuloons Stimme riß uns aus unserer
Harvey Patton Versunkenheit. »Sind das eure ganzen Sorgen?« erkun digte er sich gewollt barsch. »Ich möchte euch empfehlen, möglichst schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukom men, die alles andere als erfreulich sind! Dieser saubere Herr hatte schließlich viele Jahrhunderte Zeit, um diesen Planeten abzu suchen, und wer weiß, wieviel Blut an die sen Steinen kleben mag. Inzwischen hat er sich umgestellt und sammelt Herroffs und kleine Kinder – ein schöner Liebhaber ist mir das!« Augenblicklich schwand die Verzaube rung und machte wieder den harten Realitä ten Platz. Wir setzten uns in Bewegung und gingen an den langen Reihen der Behälter entlang, ohne mehr als flüchtige Blicke hin einzuwerfen. Jede Vitrine enthielt Steine in einer anderen Farbschattierung, alle von vollendeter Schönheit, aber nun vermochten sie uns nicht mehr in ihren Bann zu schla gen. Wir hatten den Raum etwa zur Hälfte durchquert, als uns eine plötzlich aufbrüllen de Stimme zusammenfahren ließ. Sie kam aus übersteuerten Lautsprechern, die sich ir gendwo unter der Decke des Kuppelraums befinden mußten, und klang entsprechend undeutlich und verzerrt. Wir konnten aber doch erkennen, daß es sich bei dem Sprecher um einen Mann handeln mußte, der sich of fenbar in höchster Erregung befand. »Jetzt reicht es mir aber!« schrie der ver mutliche Herr der Station. »Ich habe euch von Anfang an beobachtet, und die Art und Weise, auf die der Bärtige die Energiesperre überwunden hat, war selbst mir neu und hat mich eine Weile lang beeindruckt. Ich hatte gehofft, in euch dreien eine angenehme Ge sellschaft zu bekommen, die mir etwas Ab wechslung bringen würde, aber nun habt ihr alles verdorben! Ich will euch nicht in mei nem Stützpunkt haben – zieht euch augen blicklich zurück, oder ich lasse euch töten.« Er bediente sich der varganischen Spra che, die Fartuloon und ich inzwischen gut beherrschten, über seine Herkunft konnte es
Duell mit dem Donnergott also keinen Zweifel mehr geben. Trotzdem dachten wir keinen Augenblick lang daran, seiner Aufforderung zu folgen. Ischtar übernahm es, ihrem Rassegenos sen zu antworten. Sie tat das auf eine sehr kühle und be herrschte Art, die mir einmal, mehr Bewun derung abnötigte, denn schließlich wußte ich sehr gut, was sie empfand und wie sehr sie sich um unseren Sohn sorgte. Sie sprach ein fach in die Luft, aber zweifellos gab es hier überall versteckte Kommunikationsanlagen, so daß der Beherrscher der Station sie hören konnte. »Hier spricht Ischtar, ich gehörte eben falls zu den Rebellen gegen die Eisige Sphä re. Ich bin zusammen mit meinen Begleitern direkt aus Yarden hierher gelangt und kann Ihnen deshalb mitteilen, daß Sie nicht mehr um Ihr Leben zu fürchten brauchen. Die Ei sige Sphäre existiert nicht mehr, sie wurde im Zuge einer großen Katastrophe vernich tet! Es gibt also keinen Grund mehr dafür, daß Sie sich weiter auf dieser Welt verber gen müssen wie bisher.« Es entstand eine Pause, in der wir deutlich die schweren Atemzüge des Varganen ver nehmen konnten. Diese Nachricht über raschte ihn nicht nur, sie eröffnete ihm auch ganz neue Perspektiven. Als er sich dann wieder meldete, klang seine Stimme rauh und belegt. »Das ist die erste gute Nachricht seit vie len Jahrhunderten für mich«, gab er zurück. »Jetzt erkenne ich Sie auch wieder, Ischtar, obwohl es schon eine Ewigkeit her ist, seit wir uns zuletzt begegnet sind. Ich bin Wam loyt, erinnern Sie sich an mich?« Die Goldene Göttin überlegte kurz und nickte dann. »Doch, ich entsinne mich. Wir haben uns zuletzt auf Brodargon getroffen, nicht wahr? Oder war es Maran'Thor?« »Maran'Thor, der Planet mit den feurigen Ringen«, erwiderte Wamloyt, und in seiner Stimme schien so etwas wie Wehmut mitzu klingen. Wahrscheinlich dachte er an besse re Zeiten, als er noch kein Rebell gewesen war, der sich vor den eigenen Rassegefähr
33 ten verbergen mußte. Doch seine Stimmung schlug rasch wieder um, was darauf hinwies, daß er ein psychisch ausgesprochen instabi ler Mann war. Seine nächsten Worte klan gen bereits wieder schroff und unpersönlich. »Das ändert jedoch alles nichts daran, daß ich Sie erneut auffordern muß, meine Stati on zu verlassen. Sie sind gegen meinen Wil len hier eingedrungen, und der bärtige Pri mitive hat mich beleidigt, als er abfällig von meiner herrlichen Edelsteinsammlung sprach. Entfernen Sie sich umgehend wie der, oder ich setze meine Roboter gegen Sie ein und lasse Sie töten.«
* Ischtar stand einen Augenblick lang wie erstarrt da, doch dann kam wieder Leben in ihre Gestalt. Sie reckte sich hoch auf und schleuderte zornige Blicke in die Gegend, aus der Wamloyts Stimme kam. »Ich denke nicht daran!« rief sie erregt aus. »Die Eingeborenen haben Ihnen meinen Sohn gebracht, und wir sind gekommen, um ihn zurückzuholen. Geben Sie ihn wieder heraus, dann werden wir gehen – anderen falls werden wir solange kämpfen, bis wir ihn wiederhaben!« Wamloyt ließ ein heiseres Gelächter hö ren. »Das haben die Herroffs gut gemacht«, kicherte er vergnügt. »Ich bin ihr Herr, und bald werden meine Roboter auch eine neue Donnermaschine gebaut haben, die sie das nicht vergessen läßt. Ich werde es ihnen dan ken, indem ich gnädig ihre Opfer annehme, um sie in meiner Sammlung zu verewigen.« In diesem Sinne redete er noch eine Weile weiter, und Fartuloon machte eine bezeich nende Geste zu seiner Stirn. »Der Mann ist wirklich total überge schnappt«, raunte er mir zu. »Er hat seinen Einsamkeitskoller dadurch kompensiert, daß er sich zum Gott über diese Welt aufge schwungen hat – ein klarer Fall von Größen wahn! Mit ihm kann man nicht mehr ver nünftig reden.«
34 Ich nickte kurz. Wenn Wamloyt es sich nicht doch noch anders überlegte, was mir sehr unwahr scheinlich erschien, dann stand uns Schwe res bevor! Es ging ja nicht allein darum, Chapat aus den Fängen des Varganen zu ret ten, wir wollten noch mehr. Falls es hier im Bereich des Stützpunkts ein raumtüchtiges Fahrzeug gab, so bekamen wir Gelegenheit, diesen unbekannten Planeten zu verlassen und zu meinen Anhängern auf Kraumon zu rückzukehren. Anderenfalls waren wir dazu verurteilt, unser Leben hier unter den primi tiven Herroffs zu beschließen. Inzwischen hatte der Vargane seine Eloge auf sich selbst beendet, und nun ergriff Isch tar wieder das Wort. »Was interessieren mich diese Barbaren schon«, erwiderte sie hochmütig. »Von mir aus können Sie immer so weitermachen, bis Sie sie alle ausgerottet haben, das ist mir gleich. Ich will meinen Sohn zurück, verste hen Sie!« Wamloyt lachte hohl auf. »Das ist wiederum etwas, das mich nicht interessiert«, gab er ungerührt zurück. »Ich denke nicht daran, den Jungen wieder her auszugeben, denn ich habe große Pläne mit ihm. Er soll nicht sterben, im Gegenteil! Die Detektoren meiner Positronik haben ihn so fort als Varganenabkömmling erkannt, und das hat ihn davor bewahrt, in meine Samm lung eingereiht zu werden. Die Roboter wa ren gerade dabei, ihn in einen Bio-Aktivator zu legen, der seine geistige und körperliche Entwicklung um das Hundertfache beschleu nigen sollte, als Ihre beiden Begleiter in die Station eindrangen. Jetzt ist diese Maschine zerstört, aber ich werde dafür sorgen, daß ei ne neue gebaut wird.« Ischtars goldbronzenes Gesicht wurde fahl. »Sie sind ein Ungeheuer, Wamloyt!« rief sie anklagend aus. »Diese Bio-Aktivatoren sind äußerst unzuverlässig, das haben unsere Forscher schon vor langer Zeit erkannt. Es kann durchaus geschehen, daß Chapat sich zwar körperlich völlig normal entwickelt,
Harvey Patton daß sein Geist damit aber nicht Schritt hält, ist Ihnen das klar?« Ihr unsichtbarer Gesprächspartner kicher te wieder einmal. »Darin irren Sie sich aber gewaltig, Ischt ar«, meinte er großspurig. »Ich habe den Apparat oft genug an den Herroffs erprobt, und die Resultate waren durchaus zufrieden stellend, nachdem ich einige Verbesserun gen daran vorgenommen hatte. Der Medi zinmann Gitgur und der Häuptling Hotgor haben beide in dem Aktivator gelegen, und es ist ihnen ausgesprochen gut bekommen, denn sie sind jetzt die Klügsten ihres Stam mes. Ich habe also keinerlei Bedenken, was Ihren Sohn angeht – er wird in die neue Ma schine gelegt werden, deren Bau ich bereits befohlen habe. In etwa zwei Jahren wird er dann mein Sohn und mein Nachfolger sein!« »Niemals!« stieß Ischtar erstickt hervor, aber Wamloyt antwortete nicht mehr. Er hat te die Verbindung kurzerhand unterbrochen, und wir sahen uns verstört an. Unsere Lage war äußerst ungünstig. Wir waren nur zu dritt und verfügten außer unse ren Strahlern über keine weiteren Hilfsmit tel, der Herr des Stützpunkts dagegen hielt alle Trümpfe in seinen Händen. Er hatte eine große Anzahl von Robotern zur Verfügung, die er gegen uns in den Kampf schicken konnte, wenn wir seinem Verlangen, die Station zu verlassen, nicht nachkamen. Er konnte uns auch sonst alle nur möglichen Schwierigkeiten bereiten und jede Menge Fallen stellen – von jetzt ab mußten wir ständig auf der Hut sein! Außerdem hatte er noch etwas in der Hand, durch das er uns ständig unter Druck setzen konnte: das Leben Chapats, des hilflosen Kindes. »Was soll jetzt geschehen?« fragte die Varganin, und das Zittern ihrer Stimme war unüberhörbar. Ich strich ihr leicht über das rotgoldene Haar. »Wir geben keinesfalls auf«, erklärte ich entschieden. »Wir müssen zwar damit rech nen, daß Wamloyt nun seine Roboter auf uns hetzt, aber damit wird er uns zugleich
Duell mit dem Donnergott auch wertvolle Anhaltspunkte geben. Sie werden versuchen, uns aus der Station zu vertreiben, und dabei werden sie zweifellos hauptsächlich von dort kommen, wo er selbst sich befindet. Wenn wir es geschickt genug anstellen und in der Gegenrichtung vordringen, müssen wir früher oder später zwangsläufig auf ihn stoßen.« Fartuloon lachte sarkastisch auf. »Die einfachste Sache von der Welt, nicht wahr?« spöttelte er. »Optimismus ist schon etwas Schönes – bewahre ihn dir gut, denn du wirst ihn noch bitter nötig haben … Hier ist er aber ausgesprochen fehl am Platz, ver ehrter Kristallprinz! Zweifellos kann Wam loyt jeden unserer Schritte überwachen, das hast du scheinbar ganz vergessen. Macht das Extrahirn Eurer Erhabenheit vielleicht gera de Ferien, he?« Ich sah ihn verärgert an und wollte ihm eine wenig freundliche Antwort geben, aber Ischtar kam mir zuvor. Sie hatte sich inzwi schen wieder gefangen, und ihre Züge tru gen den Ausdruck grimmiger Entschlossen heit. »Lassen Sie den Unsinn, Fartuloon«, herrschte sie den Bauchaufschneider an. »Wamloyt ist auch kein Supermann, irgendwie wird ihm schon beizukommen sein, da von bin ich fest überzeugt. Ich kenne zwar nicht alle Gegebenheiten in diesem Stütz punkt, doch er wurde von meiner Rasse er richtet, vergessen Sie das nicht. Das wird es mir ermöglichen, die meisten Fallen recht zeitig zu erkennen und zu beseitigen oder doch wenigstens zu umgehen.« Fartuloon zog zwar eine Grimasse, aber er schwieg. Früher hatte er der Varganin aus gesprochen skeptisch gegenübergestanden und oft genug gegen sie opponiert. Das Ver hältnis zwischen beiden hatte sich erst ge bessert, als Ischtar ihm durch die Tat bewie sen hatte, daß sie voll auf meiner Seite stand; doch auch jetzt kam es ab und zu noch zu kleineren Reibereien zwischen ih nen. Ich hatte mich rasch wieder beruhigt und sah mich wachsam nach allen Seiten hin um.
35 Im Hintergrund der Halle entdeckte ich die Mündung eines weiteren Antigravschachts, der weiter nach oben führte, wo sich vermut lich die Zentrale der Station befand. »Dort hinüber!« bestimmte ich ohne Zö gern und setzte mich in Bewegung.
7. Die beiden folgten mir wortlos. Wir schlängelten uns zwischen zahlreichen Vitri nen hindurch, in denen unschätzbar kostbare Edelsteine aller Art lagen, doch wir schenk ten ihnen kaum einen flüchtigen Blick. Statt dessen behielten wir die drei großen Türen im Auge, die sich an der rückwärtigen Wand des Raumes befanden. Sie waren sämtlich geschlossen, aber sie konnten sich jederzeit öffnen und Dutzende von Robotern ausspei en, die es auf uns abgesehen hatten. Vorerst geschah jedoch noch nichts der gleichen. Seit der Unterhaltung Wamloyts mit Ischtar waren erst wenige Minuten ver gangen, und der Vargane brauchte offenbar doch einige Zeit, um seinen Maschinen die nötigen detaillierten Befehle zu geben. Dafür war er aber bereits in anderer Hin sicht schnell genug gewesen, das bemerkten wir gleich darauf. Wir erreichten den Anti gravschacht, und Fartuloon hielt probeweise einen Fuß hinein, zog ihn jedoch gleich wie der zurück. »Abgeschaltet!« bemerkte er enttäuscht und sah in die etwa zwei Meter durchmes sende Röhre hinunter. »Es gibt auch keine Notleiter oder eine ähnliche Vorrichtung, al so hat uns Wamloyt schon zum ersten Mal abgeschmettert. Jetzt bleibt uns nur noch der Weg durch die Türen übrig.« Ich sah Ischtar fragend an, doch sie zuckte nur unentschlossen mit den wohlgeformten Schultern. »Erwarte bitte nicht, daß ich am laufen den Band Patentlösungen aus dem Ärmel schüttle, Atlan. In bezug auf technische An lagen meines Volkes und dergleichen kenne ich mich aus, aber wohin diese Türen führen mögen, kann ich dir beim besten Willen
36 nicht sagen. Wir müssen es auf den Versuch ankommen lassen.« Der Bauchaufschneider zog eine Grimas se und marschierte entschlossen auf die nächstgelegene Tür los. Er hatte sie jedoch noch nicht ganz erreicht, als sich vor ihr mit einem knallenden Geräusch ein Energie schirm aufbaute und ihn unwillkürlich zu rückzucken ließ. Gleichzeitig kam wieder ein heiseres Gelächter aus den Lautspre chern unter der Decke, das bezeugte, daß Wamloyt uns nach wie vor überwachte. Wir kümmerten uns nicht darum, sondern gingen weiter bis zur nächsten Tür, die etwa zwanzig Meter entfernt war. Dort erlebten wir eine zweite Überra schung, denn der Vargane ließ sie ungesi chert. Wir hätten sie also ohne weiteres be nutzen können, doch diese Einladung schien nun doch etwas zu offensichtlich. Während Ischtar und Fartuloon noch überlegend ste henblieben, bewegte ich mich weiter bis zur letzten Tür, die kleiner als die beiden ande ren war. Ich hatte richtig gerechnet, denn auch hier entstand ein weiterer Energieschirm, als ich bis auf zwei Meter an sie herangekommen war. Wollte Wamloyt nun wirklich, daß wir den ungesicherten Ausgang benutzten, oder führte er etwas anderes im Schilde? Der Vargane blufft nur! erklärte der Lo giksektor meines Extrahirns kategorisch. Er weiß, daß Fartuloon mit dem Skarg die Schirmfelder mühelos beseitigen kann, und darauf baut er jetzt. Indem er zwei Türen absichert, die dritte jedoch ungeschützt läßt, will er euch dazu verleiten, den scheinbar ri sikoreicheren Weg einzuschlagen. Er rech net mit eurem Mißtrauen gegenüber der un geschützten mittleren Tür, aber eben des halb solltet ihr sie benutzen. Ich begab mich zu Ischtar und Fartuloon zurück und unterrichtete sie leise über diese Schlußfolgerung. Bisher hatten wir varga nisch gesprochen, doch nun benutzte ich die arkonidische Sprache, von der ich annehmen konnte, daß Wamloyt sie nicht verstand. Ischtar nickte, doch der stets mißtrauische
Harvey Patton Bauchaufschneider krauste skeptisch die Stirn. »Ich will nichts gegen deinen Logiksektor sagen, denn bis jetzt hat er zumeist noch recht behalten«, knurrte er. »Hier haben wir es aber mit einem halb verrückten Gegner zu tun, über dessen Gedankengänge sich kaum etwas Schlüssiges sagen läßt. Vielleicht denkt er gewissermaßen um drei Ecken, vielleicht ist auch genau das Gegenteil der Fall! Es ist durchaus möglich, daß er es hier mit einem doppelten Bluff versucht.« Ich grinste fast amüsiert. »Warum nicht gleich mit einem dreifa chen? Das entspräche am besten der Mög lichkeit, daß Wamloyt um drei Ecken denkt, und dann wäre die mittlere Tür also doch die richtige …« Fartuloon sagte ein wenig feines Wort in einem seltenen arkonidischen Idiom, das die Varganin zum Glück nicht verstand. Sie trat entschlossen vor und legte ihre Handfläche auf eine Stelle neben der umstrittenen Tür. Diese glitt fast augenblicklich auf, und wir sahen in einen langen Korridor, der gleich falls hell beleuchtet war. Hinter uns klang das enttäuschte Gebrüll Wamloyts auf und bewies uns, daß dieser scheinbar falsche Weg in Wirklichkeit doch der richtige war. Wir hielten unsere Energie strahler schußbereit, doch vor uns gab es nichts, auf das wir hätten schießen müssen. Wir durchmaßen diesen etwa fünfzig Meter langen Gang im Laufschritt und erreichten dann eine Maschinenhalle, aus der uns lau tes Getöse entgegenschlug. Hier gab es kei ne Tür, wir konnten ungehindert eindringen. Natürlich taten wir das nicht, sondern ver hielten am Ende des Korridors, um erst ein mal die Lage zu sondieren. Ischtar spähte in den Raum und nickte dann sachverständig. »Hier befindet sich eine der Hauptener giezentralen dieser Station«, erklärte sie. »Wenn ich vergleichbare Anlagen als Erfah rungswert heranziehe, dürfte in dieser Halle etwa die Hälfte aller Energie erzeugt wer den, die zur Versorgung des Stützpunkts er forderlich ist.«
Duell mit dem Donnergott Fartuloon reckte unternehmungslustig den Kopf vor. »Dann haben wir es jetzt also in der Hand, Wamloyt einen empfindlichen Schlag zu versetzen!« feixte er. »Vielleicht wird er wieder halbwegs normal, wenn diese Anla gen in die Luft geflogen sind und er um sei ne Existenz fürchten muß.« Er hob seinen Strahler, warf sich dann aber rasch zurück, denn dicht vor ihm ent stand mit dem üblichen peitschenden Ge räusch ein weiterer Energievorhang … »Glück gehabt, Bauchaufschneider«, kommentierte ich, nachdem meine Schreck sekunde überwunden war. Mein alter Lehrer sah mich so eisig an, daß mir der Galgenhumor im Halse stecken blieb. Er sagte nichts, sondern zog das Skarg und schuf damit in Sekundenschnelle eine Strukturlücke in dem Feld, durch die wir alle drei passieren konnten. Erst dann begann er zu reden. »Wann wirst du Grünschnabel endlich be greifen, daß man alte Leute nicht verspotten soll?« brüllte er, um den Maschinenlärm zu übertönen. »Dazu hat auch ein Kristallprinz nicht das Recht, verstanden? Dir fehlt es ein deutig noch an Reife, mein Junge, sonst hät test du das längst erfaßt! Alter ist zwar kein Verdienst, aber es bringt jenes Maß von Er fahrung mit sich, das sich nie durch jugend lichen Elan ersetzen läßt.« Ich sah Fartuloon entschuldigend an, doch er winkte nur kurz ab und bewegte sich wei ter, eine schmale Gasse entlang, die sich zwischen den hoch aufragenden Maschinen hinzog. Wir folgten ihm. Am anderen Ende der etwa achtzig Meter langen Halle befand sich ein weiterer Durch gang, der wiederum durch ein grünliches Schirmfeld gesichert war. Wir hielten davor an, und die Varganin hob die Hand. »Ich bin auch dafür, daß wir diese Zentra le außer Betrieb setzen«, stellte sie lakonisch fest. »Allerdings sollten wir sie nicht restlos zerstören, denn die dabei auftretenden Ex plosionen könnten den halben Berg zerrei ßen und dadurch auch Chapats Leben ge
37 fährden.« Sie wies auf die niedrigen Kontrollborde, die sich beiderseits vor den sonst vollkom men verkapselten riesigen Aggregaten be fanden. »Es genügt vollkommen, wenn wir diese Steuerungsmechanismen vernichten«, er klärte sie. »Selbst dabei dürfte noch soviel Energie freigesetzt werden, daß keiner von uns diesen Vorgang unbeschadet überstehen könnte. Hier muß wieder einmal Ihr Skarg helfen, Fartuloon.« Der Bauchaufschneider nickte kurz, er hatte bereits begriffen. Wenige Worte ge nügten, um unser weiteres Vorgehen festzu legen, und dann gingen wir ans Werk.
* Fartuloons Schwert erwies sich wieder einmal als unschätzbar wichtiges Werkzeug. Von irgendwoher erklangen wüste Be schimpfungen Wamloyts aus unsichtbaren Lautsprechern. Wir konnten sie infolge des Lärms nicht verstehen, und wir kümmerten uns auch nicht darum. Obwohl uns der Herr des Stützpunkts nicht hören konnte, schien er doch begriffen zu haben, was wir planten, und das mißfiel ihm verständlicherweise sehr. Nach bewährtem Rezept schuf das Skarg wieder eine Strukturlücke, und wir zogen uns dahinter zurück. Diesmal blieb der Bauchaufschneider jedoch mitten darin ste hen und hielt sie weiter aufrecht, während Ischtar und ich an ihm vorbei unsere Waffen in Anschlag brachten. Sekunden später peitschten sonnenheiße Energiefinger über die Kontrollborde hin und ließen sie dahin schmelzen. Ein kurzer Feuerstoß genügte vollauf, um die Einrichtungen zu zerstören, dann zogen wir die Waffen hastig wieder zurück. Gleichzeitig verließ auch Fartuloon seinen Posten, und das Energiefeld baute sich wie der auf. Trotzdem konnten wir noch sehen, wie draußen in der Halle titanische Blitze aufzu
38 zucken begannen. Die Kontrollanlagen ar beiteten mit hohen Spannungswerten, die nun plötzlich frei wurden und ihre Energie unkontrolliert an die Umgebung abgaben. Nur das jetzt wieder bestehende Schirmfeld verhinderte, daß sie auch zu uns durchschlu gen, wobei wir zweifellos innerhalb von Se kundenbruchteilen geröstet worden wären. Die Blitze verzuckten, und gleichzeitig verstummten auch die Arbeitsgeräusche der gewaltigen Konverter und Transformer, die sich selbsttätig abschalteten. Das wurde durch separate Notfallautomatiken bewirkt, die von den eigentlichen Kontrollanlagen unabhängig waren, so daß ein Durchgehen und Explodieren der Aggregate unterbunden wurde. Es wurde still um uns, und ich begann eben, mich in unserer neuen Umgebung um zusehen, als plötzlich der Energievorhang vor uns zu flackern anfing. Zweifellos hatte er den größten Teil seiner Energie von den (jetzt stillgelegten Anlagen erhalten, mußte also nun zwangsläufig ebenfalls ausfallen. Fartuloon begriff als erster. »Lauft!« brüllte er uns zu, gab Ischtar und mir einen Stoß und rannte los. Wir überlegten nicht lange, sondern befolgten seinen Rat und ra sten mit großen Sätzen durch den Korridor, in dem wir uns jetzt befanden. Hinter unseren Rücken klang ein schrilles Fauchen auf, und das spornte uns zu höch ster Geschwindigkeit an. Die durch die Überschlagblitze und Energien unserer Strahler hocherhitzte Luft in der Maschinen halle expandierte und suchte nach einem Ausweg, und den fand sie nur in den beiden Durchgängen, die wir benutzt hatten. Eine heiße Druckwelle schoß in den Kor ridor, und wir hetzten vor ihr her. Zum Glück war dieser Gang ziemlich geräumig, etwa vier Meter breit und drei hoch, so daß sie doch einiges von ihrer Wucht verlor. Trotzdem hatte sie uns bald eingeholt und hüllte uns ein, so daß uns die Luft wegblieb und wir zu keuchen begannen. Nahm dieser Korridor denn überhaupt kein Ende mehr? Ich konnte es nicht erkennen, denn die Be-
Harvey Patton leuchtung war äußerst dürftig. Es gab nur schwaches Licht, das offenbar von einer Notstromanlage kam. Ich hörte Ischtar stöhnen, doch ich konnte nichts tun, um ihr zu helfen, wenn ich auch versuchte, sie mit meinem Körper so gut wie möglich gegen die Druckwelle abzuschir men. Auch Fartuloon sah besorgt zurück, sein schweißnasses Gesicht glänzte im fah len Licht. »Gleich haben wir es geschafft!« keuchte er und wies nach vorn. Dort zeichnete sich ein etwas helleres Rechteck ab, das mußte die Einmündung des Korridors in einen wei teren Raum sein. Mehr stolpernd als laufend erreichten wir diesen und warfen uns sofort zur Seite. Wir landeten relativ weich auf einem federnden Bodenbelag und waren nun endlich aus dem Strom der heißen Luftmassen heraus. Diese fauchten neben uns vorbei und verlören sich in der Weite der Halle, in der wir uns jetzt befanden, und bald versiegten sie ganz. Erschöpft lagen wir da, und unsere keu chenden Lungen sogen in langen Zügen die kühle Luft ein. Mein Gesicht und die übri gen freien Körperpartien brannten höllisch, die durch die trockene Heißluft ausgedörrte Haut spannte sich und zeigte vermutlich alle Symptome eines schweren Sonnenbrands. Natürlich verschwendeten wir keine Se kunde, sondern sahen uns sofort aufmerk sam in dem Raum um. Er war rechteckig, etwa zwanzig Meter breit und dreißig tief, die Decke mochte sich ungefähr fünfzehn Meter über uns befinden. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß sich auch hier Wamloyts Sammlermarotte ausgetobt hatte, denn überall lagen oder standen Modelle aller nur erdenklichen Raumschiffstypen auf steinernen Sockeln. Weitere schwebten, vermutlich von Anti gravfeldern gehalten, frei im Raum, und oben an der Decke glänzten die Konstella tionen eines durch farbige Lichter simulier ten Sternenhimmels. Die gedämpfte, indi rekte Beleuchtung, die nur die unteren Be reiche erhellte, ließ sie klar und deutlich her
Duell mit dem Donnergott vortreten. Ich mußte unwillkürlich den Kopf schüt teln, als ich bedachte, wieviel Zeit und Sorg falt der Vargane auf seine vielfältigen Sammlungen verwendet haben mochte. Sie zeugten neben anderen Dingen davon, daß er ursprünglich tatsächlich ein ausgespro chen musisch veranlagter Mann gewesen war. Fartuloon dagegen verschwendete keinen Gedanken an solche Überlegungen, sondern wandte sich sofort wieder der praktischen Seite der Dinge zu. »Seid ihr in Ordnung?« erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme, während er sich erhob. Ich bejahte, und auch Ischtar nickte ihm zu. Ich konnte nun bemerken, daß ihr die Hitze weit weniger ausgemacht hatte als uns, denn ihre goldbronzene Haut zeigte kei nerlei Verbrennungserscheinungen. »Gut, dann gehen wir sofort weiter«, be stimmte der Bauchaufschneider. »Können Sie uns einen Anhaltspunkt dafür geben, wohin wir uns wenden müssen, Ischtar?« Die Goldene Göttin spähte zwischen den Modellen hindurch und wies dann nach rechts, wo in der Seitenwand der Halle ein großes, mit einem verschlungenen Ornament verziertes Portal zu sehen war. »Dieses Emblem besagt, daß wir uns hier am Eingang zu Wamloyts Privatsektor be finden«, erklärte sie. »Allerdings werden wir von jetzt ab doppelt vorsichtig sein müssen, denn ich bin davon überzeugt, daß diese Räume durch besonders ausgeklügelte Fal len gesichert sind.« Fartuloon lachte humorlos auf. »Der Mann sollte sich bei unserem beson deren Freund Orbanaschol melden«, knurrte er. »Ich bin davon überzeugt, daß er bei ihm sofort zum Leiter der Politischen Geheimpo lizei avancieren würde!« Ischtar entgegnete nichts, sondern machte nur eine ungeduldige, auffordernde Handbe wegung. Ihr waren solche Probleme fremd, und außerdem wurde sie von der Sorge um Chapat getrieben. Wo mochte unser Sohn wohl jetzt sein, und wie mochte es ihm ge
39 hen? Bei diesem Gedanken lauschte ich in mich hinein, wie schon einige Male zuvor, um etwaige telepathische Mitteilungen auf zufangen, doch in meinem Gehirn blieb alles still. Wahrscheinlich wußte Wamloyt inzwi schen auch um diese Gabe Chapats und sorgte dafür, daß er sich nicht mit Ischtar oder mir in Verbindung setzen konnte. Der Junge befand sich vermutlich ganz in seiner Nähe, hätte uns also durch entsprechende Hinweise zu ihm führen können, und dem beugte er vor. Wir setzten uns in Bewegung, hielten uns an der rechten Seitenwand, und gingen auf das von Ischtar bezeichnete Portal zu. Ob uns der Vargane auch jetzt noch beobachten mochte? Es war so still um uns herum, viel zu still für meinen Geschmack!
* Kurz vor der breiten und wuchtigen Tür hielten wir an. Wir warteten unwillkürlich darauf, daß auch hier ein Energieschirm entstehen wür de, doch nichts dergleichen geschah. Ob das nur darauf zurückzuführen war, daß Wam loyt nach dem Ausfall der durch uns ausge schalteten Kraftanlage nicht mehr über ge nügend Energie verfügte? Oder ließ er uns absichtlich weiter vordringen, um uns dann um so leichter erledigen zu können? Zuzu trauen war es ihm auf jeden Fall. Auch Ischtar mochte ähnliche Gedanken hegen, denn sie zögerte sekundenlang. Dann überwand sie sich jedoch und legte nach kurzer Orientierung ihre Handfläche genau auf den Mittelpunkt des Ornaments am Por tal. Ihre Rechte umklammerte den Strahler, und auch Fartuloon und ich hielten unsere Waffen schußbereit. Bis jetzt waren wir noch nicht wieder auf die Roboter des Var ganen gestoßen, aber in seiner unmittelbaren Nähe mußten wir unbedingt mit ihnen rech nen! Langsam und geräuschlos rollte die Tür zur Seite hin weg, und heller Lichtschein
40 schlug uns entgegen. Er bewies uns, daß die ser Sektor der Station von einer anderen Energiezentrale aus versorgt wurde, die sich noch in vollem Betrieb befand. Wir sahen in einen leeren runden Raum, von dem drei verschiedene Korridore ab zweigten. Nein, ganz leer war er doch nicht – genau in seinem Mittelpunkt befand sich eine etwa zwei Meter hohe Steinsäule. Wie die Wände war auch sie mit skurrilen Mu stern verziert, so daß sie bei flüchtigem Hin sehen kaum zu entdecken war. Oben lief sie in einer kegelförmigen Spitze aus, und auf dieser ruhte ein bunter, mit unzähligen Fa cetten bedeckter Kristall. Er war nur etwa faustgroß, doch er schien immer größer zu werden, je länger ich hin sah. Die unsymmetrischen Formen und Flä chen schienen in Bewegung zu geraten und bildeten bald ein buntes Lichterspiel, dessen Schönheit mich förmlich überwältigte. Ich konnte meinen Blick nicht mehr davon lösen – wie erstarrt stand ich da und starrte ver zückt auf den Stein! Er schien noch immer zu wachsen, immer schneller rotierten seine Farben und schlu gen mich völlig in ihren Bann. Meine Ge danken verwirrten sich, kamen zum Still stand, und nur wie ein dumpfes Raunen ver nahm ich die drängenden Rufe meines Ex trahirns, das sich verzweifelt bemühte, mich aus dieser Erstarrung zu lösen. Wach auf, Kristallprinz! Das ist ein Hyp nostein – wenn du dich nicht von seinem An blick lösen kannst, bist du so gut wie verlo ren! Ganz langsam nur begriff ich und ver suchte mich zu wehren, doch meine Bemü hungen blieben vergeblich. Mein Wille war vollkommen ausgeschaltet, blieb ein bloßer Spielball des hypnotischen Zwanges, der von dem Kristall ausging … In diesem Zustand hätte jemand, der mir übel wollte, mit mir anstellen können, was ihm beliebte. Ich sah und hörte nichts, spürte meinen Körper kaum. Das einzige, was ich wahrnahm, war dieser teuflisch schöne Kri stall – und das schlimmste war, daß ich mir
Harvey Patton wünschte, es möge immer so bleiben. Ja, wünsch dir das nur, du Narr! tobte mein Extrahirn. Vermutlich geht es den an deren ebenso wie dir; wenn jetzt Wamloyt oder seine Roboter auftauchen, haben sie leichtes Spiel. Erneut versuchte ich mich zu wehren, doch es blieb beim bloßen Ansatz. Mein Ge hirn unterlag vollständig dem verderblichen Einfluß des Hypnosteins. Ich begriff nicht einmal ganz, was mein Extrahirn sagte, nur mein Unterbewußtsein reagierte schwach darauf. Auch das Zeitgefühl war mir vollkommen abhanden gekommen. Ich hätte nicht sagen können, ob ich Stunden, Minuten oder nur Sekunden regungslos dagestanden hatte, als es dann plötzlich geschah: Das Leuchten des Kristalls wurde unerträglich grell, es fraß sich mit geradezu schmerzender Intensität in mein Gehirn. Dann wurde es von Kaskaden aufsprühender Blitze abgelöst – und gleich darauf war nichts mehr von alldem zu sehen, nur noch wesenlose Dunkelheit … »Alle Götter, den hat es vielleicht erwi scht!« vernahm ich irgendwann Fartuloons vertrautes Organ. »Mann, komm endlich zu dir, es ist vorbei.« Mechanisch öffnete ich die Augen, die ich wohl geschlossen hatte, als die Blitze auf zuckten. Ich begegnete dem besorgten Blick des Bauchaufschneiders, der dabei war, mich an den Schläfen und im Nacken zu massieren, aber ich war noch immer nicht voll da. »Was ist geschehen?« erkundigte ich mich mit schwacher Stimme. Fartuloon lachte heiser auf. »Oh, fast gar nichts!« meinte er sarka stisch. »Du warst nur geistig vollkommen weggetreten. Danke den Göttern, daß Ischtar und ich etwas weniger leichtsinnig waren als du und noch rechtzeitig weggesehen haben. Wozu hast du eigentlich dein Extrahirn, wenn es nicht einmal imstande ist, dich vor einem Hypnostein zu warnen?« »Lassen wir das«, wehrte ich ungehalten ab. Die Massage begann zu wirken, mein
Duell mit dem Donnergott Gehirn arbeitete wieder voll. »Wie habt ihr es geschafft, den Kristall auszuschalten?« Mein Pflegevater wies auf das Skarg, das noch immer in einem bläulichen Schimmer glänzte. »Bedanke dich bei meinem Schwert, über das du oft genug gelästert hast! Ich habe dir doch von Kontrots Stütz punkt auf Tiripont erzählt, wo es eine ähnli che Falle gab, die ich mit seiner Hilfe un schädlich machen konnte. Dieses Verfahren hat auch hier gewirkt.« Mit scheuem Blick sah ich auf die Säule, aber dort gab es nichts mehr, das mir hätte gefährlich werden können. Der Kristall war zwar noch vorhanden, aber jetzt war er nur noch ein ganz gewöhnliches Stück geschlif fenes Mineral, das jegliches Feuer verloren hatte. Mein Kopf ruckte hoch, als dann ganz plötzlich eine brüllende Stimme von der Decke zu uns herunterscholl. Wamloyt mel dete sich wieder einmal. »Das war geradezu verblüffend«, erklang seine Stimme aus unsichtbaren Lautspre chern. »Das Schwert dieses Primitiven ist wirklich ein ganz außergewöhnliches Stück. Es wird einen bevorzugten Platz in meiner Waffensammlung erhalten, das verspreche ich euch. Für den Moment hat es euch geret tet, aber das soll euch nicht viel nützen! Jetzt wird es wirklich ernst.« Mehr sagte er nicht, aber das war auch gar nicht nötig. Es war ihm offenbar in der Zwischenzeit gelungen, das durch die zerstörte Energie zentrale versorgte Netz auf eine andere Kraftstation zu schalten. Das bewies die Tat sache, daß nun hinter uns am Portal eine Energiesperre entstand, die uns den Rück weg abschnitt. Uns blieb nur noch der Weg vorwärts durch den runden Raum und die von ihm abzweigenden Korridore – und aus ihnen klang nun das unverkennbare Ge räusch von Robotern auf, die sich uns eilig näherten.
8.
41 Zwischen Ischtar, Fartuloon und mir be durfte es keiner langen Verständigung. Der Raum war bis auf die Steinsäule leer und bot uns keinerlei Deckung, also hatten wir nur eine einzige Möglichkeit, uns zu verteidi gen. Die Strahler sprangen wie von selbst in unsere Hände, und schon rasten wir los, auf das jenseitige Ende des Raumes zu. Wir ver teilten uns so, daß jeder direkt neben einer Korridormündung Posten bezog, so daß wir aus den Gängen heraus nicht beschossen werden konnten. Wir selbst konnten dage gen die Roboter unter Feuer nehmen, sobald sie ins Freie kamen, standen uns aber infolge der starken Krümmung der Wand nicht ge genseitig in der Schußlinie. Mach dir trotzdem keine großen Illusio nen! sagte mein Logiksektor nüchtern wie immer. Ihr könnt wohl eine gewisse Anzahl von Maschinen abschießen, aber auf die Dauer könnt ihr euch hier nicht halten. Ich mußte ihm recht geben, so schwer mir das auch fiel. Der Raum war nicht groß und relativ niedrig, also mußte die Temperatur rapide ansteigen, sobald wir einige Male ge schossen hatten. Wenn dann noch einige Ro boter explodierten, waren wir aufs höchste gefährdet, weil es keinerlei Deckungsmög lichkeit gab. Früher oder später würden wir von den Fragmenten getroffen werden – aus! Die trappelnden Geräusche der zahlrei chen Roboterbeine wurden immer lauter und wuchsen zu einem unheilverkündenden Stakkato an. Fartuloon warf noch einen Blick zu Ischtar und mir herüber und grinste verzerrt. Er stand neben dem rechten Korri dor, ich neben dem linken, die Goldene Göt tin befand sich in der Mitte. Ihr schönes Ge sicht glich jetzt einer goldbronzenen Maske. Ich kam nicht dazu, weiter auf sie zu ach ten, denn schon schob sich der erste Roboter knapp zwei Meter vor mir aus der Gang mündung. Er ähnelte im großen und ganzen den Ma schinenwesen, deren wir schon früher be gegnet waren, aber zweifellos handelte es sich hier um einen vollkommeneren Typ. Je
42 ne waren rein zweckmäßig gestaltet und aus blankem Metall gewesen, doch hier hatte der Konstrukteur einen erheblichen Mehrauf wand getrieben. Dieser Roboter war von oben bis unten mit einer bläulichen Kunst stoff Verkleidung versehen, die ihm das Aussehen eines mit einer Kombination be kleideten Mannes gab. Er besaß auch ein Gesicht mit Nase, Mund und Ohren, und sein Schädel war mit Haarimitation bedeckt. Das alles erfaßte ich im Bruchteil einer Sekunde, und schon betätigte ich den Feuer knopf. Ich zielte auf den Kopf, um die Explosi onsgefahr möglichst gering zu halten. Dort befanden sich im allgemeinen nur die me chanischen Sinnesorgane, während die Kraftstationen und sonstigen wichtigen An lagen im Körper untergebracht waren, wo sie hinter Panzerplatten besser Schutz fan den. Der Roboter sah mich im gleichen Augen blick, wie ich ihn, und schon ruckten seine Arme mit dem schweren Energiestrahler zu mir herum. Doch er kam nicht mehr zum Schuß, ich war schneller! Sein Kopf verging in dem sonnenheißen, kaum eine halbe Se kunde währenden Strahlenbündel, und damit war es um ihn geschehen. Er hielt sich noch etwa eine Sekunde auf den Beinen, dann krachte er schwer zu Boden. Seine Glieder zuckten unkontrolliert noch einige Augen blick lang, dann schaltete seine Automatik den infolge fehlender Orientierungsmöglich keiten nutzlos gewordenen Torso ab – er war tot. Auch Ischtar und Fartuloon hatten fast im gleichen Sekundenbruchteil geschossen, und sie erzielten das gleiche Resultat. Wir waren darauf gefaßt, sofort die nächsten Angreifer abwehren zu müssen, doch wir wurden an genehm enttäuscht. Offenbar vermochten die nachdrängenden Roboter sich sehr rasch auf die Situation einzustellen und verfügten, wie alle höherentwickelten Maschinen, auch über einen gewissen Selbsterhaltungstrieb. Die mit Lichtgeschwindigkeit ablaufenden Denkprozesse ihrer Elektronenhirne, mußten
Harvey Patton sofort errechnet haben, daß sie in ihr Verder ben liefen, sobald sie die schützenden Korri dore verließen, und das ließ sie zögern. Ich war sehr überrascht, als während die ser kurzen Gefechtspause, in der sich Wam loyts dienstbare Geister zweifellos ein risi koloseres und effektvolleres Vorgehen über legten, Ischtars Stimme aufklang. »Nicht mehr schießen!« rief sie uns zu. »Ich kenne diesen Robotertyp und weiß da mit umzugehen – überlaßt alles weitere jetzt mir.« Sie wartete unsere Reaktionen nicht ab, sondern stieß nun eine rasche Folge von Worten in varganischer Sprache hervor. Of fenbar handelte es sich dabei um Spezialaus drücke oder Codeworte, denn ich verstand nichts davon. Das Resultat war allerdings verblüffend. Einer der Maschinenmenschen trat neben der Varganin aus dem Gang, und sofort rich teten Fartuloon und ich die Strahler auf ihn. Ischtar dagegen blieb ruhig stehen, und nun wurde ihre Behauptung erhärtet. Er machte keinen Versuch, uns anzugreifen, der Lauf seiner Waffe war gegen den Boden gerich tet! Er wandte sein gelbliches Plastikgesicht der Goldenen Göttin zu, und wir sahen er staunt, wie er sich vor ihr tief verneigte. »Vergib uns, Herrin!« bat er mit wohlm odulierter Stimme. »Nur mangelnde Unter richtung hat uns bewogen, gegen dich und deine Begleiter vorzugehen, denn natürlich verbietet uns unsere Programmierung, Var ganen anzugreifen. Der Fehler liegt bei un serem Herrn, der nur von drei Eindringlin gen sprach, als er uns befahl …« »Schweig, Roboter!« donnerte nun Wam loyts Stimme in höchster Erregung aus den Lautsprechern. »Ich erkläre diesen Teil eurer Programmierung für ungültig – ich befehle euch, die drei in diesem Raum befindlichen Personen zu töten!« Der Roboter schien einen Augenblick lang das maschinelle Äquivalent von Ver wirrung zu empfinden, doch gleich darauf schüttelte er entschieden den Kopf. »Das dürfen und können wir nicht, Herr«,
Duell mit dem Donnergott gab er ungerührt zurück. »Das Gebot, Leben und Gesundheit von Varganen nicht anzuta sten, gehört zu unserer Grundsatzprogram mierung, die den absoluten Vorrang gegen über sonstigen Befehlen hat. Schon beim bloßen Versuch, dagegen zu verstoßen …« »Dann befehle ich euch, die beiden NichtVarganen zu töten!« schrie der Herr des Stützpunkts mit überschnappender Stimme. »Sie fallen nicht unter euer Programm, des halb erwarte ich, daß ihr diesen Befehl au genblicklich ausführt.« »Bedaure, Herr!« kam es sofort aus dem Plastikmund. »Diese Männer stehen unter Ischtars Schutz und sind für uns deshalb so lange tabu, wie sie uns keine gegenteilige Anordnung gibt. Können wir sonst etwas für dich tun, Herr?« Das klang unter den gegebenen Umstän den fast wie Hohn, und so faßte es Wamloyt wohl auch auf. Wir vernahmen nur noch ein wütendes Gurgeln, dann verstummten die Lautsprecher, und Fartuloon begann genüß lich zu grinsen. »Der ist fürs erste bedient«, meinte er be friedigt. »Doch nun müssen wir rasch han deln, ehe Wamloyt sich irgendwelche neuen Teufeleien ausdenken kann.«
* Ich kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Der Vargane hatte dreißig Superroboter gegen uns eingesetzt, die uns in vielen Be langen weit überlegen waren, und damit sei ne beste Waffe ins Feld geführt. Doch diese Waffe schlug nicht zu – im Gegenteil, die Maschinenwesen fügten sich jetzt willig Ischtars Anordnungen … »Wißt ihr, wo das Kind ist, das die Her roffs in die Station gebracht haben?« fragte sie, nachdem sie alle in den runden Raum beordert hatte. Der Sprecher von zuvor ant wortete sofort. »Wir wissen es, Herrin. Das Kind befin det sich in Wamloyts Medoraum, wo es ver sorgt und betreut wird.«
43 Die Goldene Göttin sah überlegend vor sich hin. »Du wirst uns dort hinführen«, be stimmte sie dann entschlossen. »Kennst du einen Weg, auf dem Wamloyt uns nicht be obachten kann?« Der Roboter bestätigte, und daraufhin gab Ischtar den anderen den Befehl, sich bis auf weiteres abzuschalten, wodurch verhindert werden sollte, daß sie der Vargane doch noch unter Anwendung irgendwelcher Tricks gegen uns einsetzen konnte. Sie ge horchten und erstarrten augenblicklich, und wir wandten uns zum Gehen. Der Maschinenmensch führte uns durch den zur rechten Hand gelegenen Gang. Er war schmal und kaum beleuchtet, wurde al so wohl nur selten benutzt. Etwa fünfzig Meter weiter stießen wir auf eine einfache Metalltür, die sich manuell öffnen ließ, und dann sahen wir in einen großen Raum, der mit Gewächsen in allen nur möglichen For men und Größen angefüllt war. »Wamloyts Pflanzensammlung«, bemerk te der Bauchaufschneider nach einem kurzen Rundblick. Die Luft war feucht und schwül, und ständig rieselte Wasser von der niedri gen Decke. »Unser Glück, daß es nicht ein Monsterzoo ist, wie damals bei Küllsanni mont auf Ysath'Thor.« Der Roboter bog nach rechts hin ab, wo ein breiter freier Streifen an der Wand ent langführte. Er hielt vor einer weiteren Tür an, die diesmal aus schwarzem Holz bestand und wandte sich zu uns um. »Hier gelangen wir in einen Lagerraum, an den sich ein Lebensmitteldepot an schließt«, erklärte er. »Der anschließende Korridor führt in Wamloyts Wohnräume, zu denen auch die Medostation gehört. Dort un bemerkt einzudringen, dürfte aber so gut wie unmöglich sein, denn überall gibt es Detek toren, die die Annäherung organisch lebender Wesen sofort melden.« »Nur die Detektoren, keine Abwehrein richtungen?« fragte ich. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Herr, diese Sperrkette liegt bereits hinter uns. Wamloyt hatte sie abgeschaltet, als er uns den Einsatz
44 befehl gab.« »Es dürfte trotzdem sehr schwer werden. Chapat herauszuholen«, meinte Ischtar mit sorgenvollem Gesicht. »Zweifellos wird Wamloyt sofort aktiv werden, wenn er unser Eindringen bemerkt, und sein Reservoir an Waffen und Einfällen dürfte noch lange nicht erschöpft sein. Was meinst du, Atlan?« »Wir sollten uns trennen, sobald wir aus dem Depot kommen«, schlug ich vor. »Ihr beide laßt euch von dem Roboter in seine Nähe führen, während ich versuche, mich unseres Sohnes zu bemächtigen. Vielleicht könnt ihr ihn so lange ablenken, bis ich mit Chapat in Sicherheit bin.« Fartuloon schüttelte den Kopf. »Es dürfte besser sein, wenn der Roboter mit dir geht, Atlan. Allein würdest du wohl kaum aus der Station herausfinden, zumal du vermutlich noch eine ganze Anzahl von Sperren oder Fallen vor dir haben dürftest. Mit Chapat auf den Armen kannst du dich kaum wehren, das siehst du doch wohl ein.« Ischtar schien nicht restlos einverstanden zu sein, ihr wäre es wahrscheinlich lieber gewesen, sich selbst um den Jungen küm mern zu können. Doch was für mich galt, galt für sie in noch höherem Maße, und so nickte sie schließlich doch. Der Roboter öffnete die Tür, und wir ka men in einen halbdunklen Raum, der mit Regalen voller undefinierbarer Gerätschaf ten angefüllt war. Wir durchquerten ihn und das Lebensmitteldepot, und dann begann die entscheidende Etappe. Die letzte Tür glitt vor uns auf, und wir blickten in einen weiten, hell erleuchteten Gang. Seine Wände waren mit Reliefs und Fresken verziert, die unzählige Lebewesen verschiedener Art darstellten, die auf uns herabzustarren schienen. Dazwischen gab es mindestens ein Dutzend Türen mit pracht vollen Intarsienarbeiten ähnlicher Art, und über der ganzen Szene lag das unverkennba re dumpfe Summen schwerer Generatoren. Hier befanden wir uns im Herzen des Stütz punkts, das war unschwer zu erkennen. Wamloyt wußte jetzt vermutlich schon,
Harvey Patton daß wir kamen, also war höchste Eile gebo ten. Der Roboter war bereits instruiert und bog schweigend nach rechts ab, Ischtar und Fartuloon dagegen mußten sich links halten, um zu Wamloyt zu kommen. Ich warf ihnen noch einen letzten besorgten Blick zu, dann folgte ich dem Maschinenwesen. Wir waren jedoch kaum einige Meter weit gekommen, als plötzlich ein sirenenähnliches Geräusch erklang, das von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schien. Die Detektoren hatten uns erfaßt und als die fremden Eindringlinge klassifiziert, dar an konnte es nun keinen Zweifel mehr ge ben! Unwillkürlich begann ich zu rennen, und der Roboter paßte sich mühelos meinem Tempo an. Als wir mehrere Türen passiert hatten, hob er den Arm. »Hier ist es, Herr«, sagte er, und gleich darauf erstarrte er abrupt. Offenbar hatte Wamloyt erkannt, daß wir uns nun eines sei ner Gehilfen bedienten, und er hatte diesen durch einen Funkimpuls abgeschaltet. Doch das machte mir jetzt nichts mehr aus – ich war bereits am Ziel! Der Vargane hatte eindeutig zu spät reagiert, eigentlich hätte er alle Roboter sofort passivieren müs sen, als sie ihm den Gehorsam verweigert hatten. Daß er das versäumt hatte, zeugte da von, daß er sich in keiner gesunden Geistes verfassung mehr befand, wie Fartuloon schon vermutet hatte. Ich rechnete nun mit weiteren Schwierig keiten, doch sie blieben zu meiner Überra schung aus. Als ich mich der bezeichneten Tür näherte, glitt sie von selbst vor mir auf, und ich sah in einen großen Raum, der mit allen möglichen medizinischen Gerätschaf ten angefüllt war. Bei meinem Eintritt er scholl ein Glockensignal, doch ich ließ mich davon nicht ablenken. Mein Augenmerk galt allein dem wannenähnlichen Behälter, in dem sich mein Sohn befand. Er erinnerte entfernt an die varganischen Lebenserhaltungssysteme und hatte wohl auch ähnliche Funktionen zu erfüllen. Der transparente Deckel ließ sich jedoch mühe los öffnen, und nichts hinderte mich daran,
Duell mit dem Donnergott Chapat herauszuholen. Er war offenbar gut versorgt worden, sah wohlgenährt aus und war mit einem bunten Anzug aus weichem, flauschigem Material bekleidet. Er schien zu schlafen, doch er wachte nicht auf, als ich ihn auf die Arme nahm. Ich schüttelte ihn kräftig, und als auch das keine Wirkung zeitigte, begriff ich. Da er betreut werden mußte, konnte er nicht ständig unter einer Isolierglocke gehalten werden, die seine telepathischen Impulse ab sorbierte. Deshalb war er durch irgendwel che Drogen in eine Betäubung versetzt wor den, die auch jetzt noch anhielt. Ich preßte ihn an mich, wandte mich um und eilte hinaus.
* Als ich erkannte, was sich inzwischen draußen auf dem Korridor ereignet hatte, blieb ich wie gelähmt stehen. Ischtar und Fartuloon waren nicht weit gekommen! Sie standen, etwa vierzig Meter von mir entfernt, mitten auf dem Gang und konnten weder vor noch zurück. Vor und hinter ihnen hatten sich Energieschirme ge bildet. Sie schienen ratlos, und das verwunderte mich. Warum setzte der Bauchaufschneider nicht erneut das Skarg ein, mit dem er die Schirmfelder mühelos hätte beseitigen kön nen? Oder handelte es sich hier um eine be sondere Energieform, der auch sein geheim nisvolles Schwert nicht gewachsen war? Langsam ging ich weiter, auf ähnliche un liebsame Überraschungen gefaßt, die jedoch vorerst noch ausblieben. Die beiden berieten offenbar, welche Maßnahmen sie treffen sollten, und dann zog Fartuloon endlich das Skarg. Gleich darauf mußte ich erkennen, daß ich mich erheblich geirrt hatte: Die Absper rung wurde nicht durch Energieschirme ge bildet, wie ich selbstverständlich angenom men hatte, sondern durch transparente Trennwände, die sich offenbar blitzschnell von der Decke herabgesenkt hatten. Sie
45 konnten nicht dicker als einige Zentimeter sein, waren aber anscheinend trotzdem recht stabil. Wie stabil, das erwies sich wenig später. Der Bauchaufschneider führte mit dem schweren Schwert einen wuchtigen Hieb ge gen die jenseitige Trennwand. Ein dumpfes Dröhnen klang bis zu mir herüber, doch die erwartete Wirkung blieb aus. Das Skarg prallte wie abgefedert zurück und wurde Fartuloon fast aus der Hand gerissen. Sein Gesicht verzerrte sich, und er stieß offenbar einen Fluch aus, den ich allerdings nicht ver stehen konnte, weil die transparente Wand auch schallisolierend wirkte. Vorsichtshalber blieb ich zwischen zwei gegenüberliegenden Türen stehen. Dort war die Wahrscheinlichkeit, daß auch um mich ein gläserner Käfig errichtet wurde, am ge ringsten, und notfalls konnte ich durch eine der Türen in einen der umliegenden Räume ausweichen. Ischtar warf einen Blick zurück, sah mich und zuckte resigniert mit den Schultern. Ich erkannte das freudige Aufleuchten ihrer Au gen, als sie unseren Sohn sah, aber sie wand te sich gleich wieder um und sprach auf Far tuloon ein. Es erschien mir verwunderlich, daß sie nicht ihre Energiestrahler einsetzten, um die Sperrwände zu zerstören, doch mein Logiksektor klärte mich sofort darüber auf. Sie zögern mit dem Einsatz der Waffen, weil der Gangsektor, in dem sie sich befin den, sehr klein ist. Wenn diese Wände auch durch Strahlfeuer nicht zu zerstören sind, muß es zu einem Energierückschlag kom men, der sie in Lebensgefahr bringt! Natürlich, das war es! Von der einen Transparenzscheibe bis zur anderen betrug die Distanz kaum vier Meter, der Korridor selbst war nur etwa drei Meter breit und hoch. Auf diesem kleinen Raum mußte ein zurückgespiegelter Energiestrahl infolge der entstehenden Hitze auch dann Lebensgefahr für die Eingeschlossenen bringen, wenn er sie nicht direkt traf. Doch was konnten sie sonst noch tun? Der Bauchaufschneider nahm abermals
46 das Skarg und schlug damit gegen die Wand rechts von ihm. Der einzige Effekt, den er dabei erzielte, war neben der Zerstörung ei ner skurrilen Freske aber nur ein hallender Ton, der bewies, daß die Korridorwände aus Metall bestanden. Also war das Risiko, sie unter Feuer zu nehmen, kaum kleiner, zumal hier der Abstand noch geringer war. Ich zermarterte mir ebenfalls den Kopf, um einen Ausweg zu finden, aber auch mein Logiksektor konnte mir dabei nicht helfen. Wenn ich die vor mir liegende Trennwand aus größerer Entfernung unter Beschuß nahm, war ich zwar kaum gefährdet, unter Umständen jedoch die beiden Eingeschlos senen! Ein Strahl, der die Scheibe – oder vielleicht sogar beide – durchschlug, erzeug te in dem abgetrennten Sektor zweifellos er heblich mehr Hitze, als sie vertragen konn ten. Dabei drängte die Zeit! Die Alarmanlagen waren längst wieder verstummt, aber dafür war nun in jedem Moment mit einem per sönlichen Eingreifen des Varganen zu rech nen. Wamloyt mußte sich in unserer unmit telbaren Nachbarschaft befinden – eigentlich wunderte es mich, daß er immer noch nicht in Erscheinung getreten war. Ischtar und Fartuloon berieten sich erneut und kamen dann zu einem unter Umständen selbstmörderischen Entschluß. Sie machten ihre Strahlwaffen feuerbereit und wichen dann bis an die rückwärtige Trennwand zurück. Dort kauerten sie sich in den Ecken auf dem Boden zusammen und bedeckten ihre Gesichter mit Tüchern. Als sie die Strahler hoben, duckte ich mich un willkürlich ebenfalls, und die angesengte Haut an Gesicht und Händen begann plötz lich zu jucken. Ich war versucht, die Augen zu schließen, aber ich starrte wie gebannt auf die beiden. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis endlich die Strahlenbündel aus ihren Waffen aufzuckten, aber gleich darauf atmete ich von einer schweren Last befreit auf. All unsere Sorgen waren unberechtigt ge wesen! Die Energiestrahlen fraßen sich mü-
Harvey Patton helos durch die Trennwand und verpufften unschädlich weiter hinten im Korridor. Der Vargane hatte nur geblufft. Die beiden erhoben sich wieder, und ich sah, wie Fartuloon optimistisch zu grinsen begann. Doch das Lachen verging uns schon im nächsten Augenblick wieder, denn der Herr des Stützpunkts erschien auf der Szene.
9. Als wir ihn aus einer der Türen weiter vorn auftauchen sahen, rissen wir unwillkür lich die Augen weit auf. Wamloyt steckte in einem seltsamen Ge bilde, das wie eine skurril geformte Rüstung wirkte. Nur sein Kopf war frei, sein Leib und auch die Arme und Beine waren von metallenen Schienen und Gestängen umge ben. Wamloyt muß körperlich schwer geschä digt sein! meldete sich auch sofort mein Ex trahirn. Er kann sich offenbar nicht mehr aus eigener Kraft bewegen, deshalb hat er durch seine Roboter dieses Gestell bauen lassen. Der Mechanismus muß so konstru iert sein, daß er auf Muskelreflexe oder Ge dankenbefehle anspricht, um ihm eine Fort bewegung zu ermöglichen. Das erklärte vieles, und ein Gefühl des Mitleids stieg in mir auf. Ischtar und Fartuloon hoben ihre Strahler, aber im gleichen Moment baute sich um Wamloyts Metallskelett herum hell leuch tend ein bläulicher Schutzschirm auf! Gleichzeitig zogen sich die transparenten Sperrwände in die Gangdecke zurück, und nun lachte der Vargane heiser auf. »Meinetwegen könnt ihr ruhig auf mich schießen!« grollte seine Stimme. »Das stört mich nicht im geringsten, denn mein Schirmfeld ist unüberwindlich und wird durch die Energien eurer Strahler höchstens noch weiter verstärkt. Ihr habt mir bisher ei ne Menge Schwierigkeiten bereitet, aber jetzt ist es damit vorbei. Mein simpler Trick mit den Glaswänden hat euch lange genug
Duell mit dem Donnergott aufgehalten und mir Zeit für eine Reihe von Gegenmaßnahmen gegeben.« »Sie werden meinen Sohn nie bekom men!« rief Ischtar gellend aus. »Lauf, Atlan, bringe den Jungen fort! Wir beide werden Wamloyt lange genug aufhalten, und wenn wir dabei selbst sterben müssen.« Der Herr der Station lachte erneut. »Ihr Atlan kann nicht mehr weit laufen – sehen Sie sich doch nur einmal um! Meinen Sie wirklich, ich ginge jetzt noch irgendein Risiko ein?« Ein peitschendes Geräusch in meinem Rücken zeugte davon, daß jetzt dort ein Energieschirm errichtet worden war, und ich stöhnte unterdrückt auf. »Warum das alles, Wamloyt?« fragte Ischtar leise. »Wir sind Fremde auf dieser Welt, die nur durch die zufällige Einstellung des Umsetzers in Yarden hierher verschla gen wurden. Wir haben nie daran gedacht, Sie in Schwierigkeiten zu bringen – warum können Sie uns nicht einfach gehen lassen?« Wamloyt zog eine schmerzliche Grimas se. »Was soll ein Krüppel wie ich allein hier? Seit mehr als hundert Jahren stecke ich be reits in diesem Gestell, nach dem ich bei ei nem schweren Sturz eine Rückgratverlet zung erlitten habe. Meine Roboter haben mich betreut und mir dieses Gestell gebaut, aber seitdem bin ich an die Station gefesselt. Dabei gibt es auf diesem Planeten noch vie les, das ich hätte sammeln wollen … Meinen Sie wirklich, daß ich Ihren Sohn jetzt noch einmal hergeben würde? Der Bio-Aktivator wird ihn innerhalb weniger Jahre zum Mann reifen lassen, und dann kann er all das tun, wozu ich selbst nicht mehr imstande bin.« »Sie gewissenloser Egoist!« knurrte Far tuloon verächtlich. »Ein Mann wie Sie, der viele Dutzend Eingeborene einfach mordet, um sie seiner makabren Sammlung einzuver leiben, kann einfach kein Gefühl für andere mehr haben. Bei Ihnen würde Chapat, falls er die Gewaltkur in dem Bio-Aktivator über haupt überstehen sollte, zu einem ebensol chen Monstrum werden. Glauben Sie wirk
47 lich, daß wir so etwas zulassen werden?« Ich horchte auf, denn ich kannte meinen alten Lehrer zu gut! Er legte es planmäßig darauf an, Wamloyt zu reizen. Wamloyt kam unter dem monotonen Sur ren und Klappern, das von seinem Stützske lett ausging, immer weiter auf uns zu, und unwillkürlich wichen wir im gleichen Maße zurück. Bald waren wir dicht vor der Ener giewand angelangt, und plötzlich schien Ischtar nun die Nerven zu verlieren. Sie hob ihren Strahler und feuerte auf den Rassege fährten, doch dessen Voraussage erfüllte sich. Sein Schutzschirm absorbierte den Im pulsstrahl mühelos und begann nur noch hel ler zu leuchten, und der Vargane kicherte halb irre auf. »Ihr werdet mich nicht daran hindern kön nen!« rief er triumphierend aus. »Ich bin ein Gott und herrsche über diesen Planeten und seine Bewohner. Bald wird es eine neue Donnermaschine geben, und alles wird wie früher sein. Das werdet ihr allerdings nicht mehr erleben – ich werde euch hier und jetzt töten, nur Chapat allein wird am Leben blei ben!« Er kam nun noch schneller auf uns zu, und es hatte den Anschein, daß sich sein Geist rasch weiter umnebelte. Trotzdem handelte er zielbewußt und dehnte sein Schirmfeld so weit aus, daß es nun fast die ganze Breite des Korridors einnahm. Es sah so aus, als wollte er uns einfach überrennen und durch seine Energie verbrennen. Wir sa ßen hilflos in der Falle, denn in unserem Rücken stand das Schirmfeld, dem wir uns nun schon bis auf zwei Meter genähert hat ten, und wenn wir mit ihm in Berührung ka men, mußte der Effekt der gleiche sein … Er muß etwas anderes bezwecken! sagte mein Logiksektor bestimmt. Schließlich will er den Jungen haben, und der würde mit zu grunde gehen, wenn du verbrennst. Diese Annahme wurde gleich darauf be kräftigt. Wamloyt hielt abrupt an, und dann schoben sich die Läufe von zwei Paralysato ren aus dem Exoskelett und durch den Schutzschirm. Genau in diesem Augenblick
48 handelte Fartuloon. Er tat so, als wolle er sich zu Boden werfen, um den Lähmstrahlen zu entgehen, und damit täuschte er den Var ganen äußerst wirkungsvoll. Ich hatte schon oft die Geschicklichkeit bewundert, mit der der Bauchaufschneider sein Skarg zu handhaben verstand, aber diesmal übertraf er sich selbst! Während er zu Boden ging, riß er gleichzeitig das Schwert heraus und warf es in einer einzi gen, geschmeidig fließenden Bewegung auf Wamloyt. Das Zischen der Paralysatoren klang auf, doch ihre Strahlen erreichten keinen von uns, denn auch Ischtar und ich hatten uns in stinktiv zur Seite geworfen. Trotzdem konn te ich sehen, was nun mit dem Varganen ge schah, und ich schrie unwillkürlich vor Er leichterung auf. Das Skarg traf auf Wamloyts Schutz schirm, und dieser brach augenblicklich zu sammen! Ein metallisches Scheppern er klang, als das Schwert mit der Stützvorrich tung in Berührung kam, und dann zuckte ein heller Blitz auf, der uns sekundenlang voll ständig blendete. Eine Hitzewelle schlug uns entgegen, und instinktiv krümmte ich mich zusammen, um Chapat zu schützen, der nach wie vor im Betäubungsschlaf lag. Von irgendwoher ertönte das Arbeitsge räusch starker Exhaustoren, die automatisch angelaufen waren und die heiße Luft ab saugten, während gleichzeitig aus Öffnun gen, die sich in den Seitenwänden gebildet hatten, ein kühlender Luftstrom drang. Schon nach Sekunden konnten wir wieder frei atmen, und allmählich klang auch unse re Blendung ab. Dann starrten wir auf Wam loyt – oder vielmehr auf das, was von ihm noch übrig geblieben war … Wir sahen nur noch verkrümmte und teil weise geschmolzene Metallteile, die den Bo den bedeckten, und auf die nun aus weiteren Düsen unter der Decke Wolken einer Lösch substanz niederrieselten. Sie bedeckten das ramponierte Gestell bald ganz und ließen nur noch einige Aschehäufchen zwischen den Verstrebungen erkennen – der größen-
Harvey Patton wahnsinnige Vargane mußte innerhalb weni ger Sekundenbruchteile eingeäschert worden sein! Fartuloon ging heran und zog das Skarg unter den Trümmern hervor, das vollkom men unbeschädigt geblieben war. Nur jene seltsame Figur im Knauf zeigte ein irrlich terndes Leuchten, und ich hätte schwören können, daß sie in diesem Moment ein tri umphierend lächelndes Gesicht zeigte. Als ich genauer hinsehen wollte, war die se Erscheinung bereits wieder verschwun den. Dafür lachte nun der Bauchaufschnei der auf, doch es klang reichlich gequält. »Den Göttern sei Dank – das war wieder einmal knapp genug! Dafür habe ich jetzt je de Menge Brandblasen, gegen die schleu nigst etwas getan werden muß.« Ischtar und mir ging es kaum besser, nur Chapat war unversehrt geblieben. Nun gab es zwar ganz in unserer Nähe eine zweifel los erstklassig ausgerüstete Medostation, doch wir waren durch die immer noch beste hende energetische Trennwand von ihr ab geschnitten. Wir mußten sie beseitigen, um dorthin gelangen zu können, also stiegen wir über die Trümmer im Gang hinweg und be gaben uns auf die Suche nach Wamloyts Schaltzentrale.
* Wir fanden sie hinter jener Tür, durch die der Vargane erschienen war. Ischtar sah sich prüfend in dem Raum um, nickte dann und betätigte eine Anzahl von Schaltern und Sensorpunkten. Dann winkte sie uns zu, und wir gingen zurück. Das Schirmfeld war erlo schen, wir gelangten ungehindert zur Medo station, und bald darauf waren unsere ge schädigten Hautpartien mit einer Schicht von Heilspray überzogen. »Er fällt nach ein paar Stunden von selbst wieder ab, und nichts wird zurückbleiben«, versicherte uns die Goldene Göttin. Jetzt erst bedankten wir uns bei dem Bauchaufschnei der für sein alles entscheidendes Eingreifen, doch er wehrte nur kurz ab.
Duell mit dem Donnergott »Überlegt lieber, was wir jetzt weiter un ternehmen sollen«, knurrte er mit gespielter Bärbeißigkeit. »Die anderen werden unge duldig auf unser Wiedererscheinen warten, vermutlich halten sie uns bereits für tot. Sol len wir uns zuerst bei ihnen melden, oder er scheint dir eine sofortige Inspektion der Sta tion und ihrer Möglichkeiten wichtiger?« Diese Frage war an mich gerichtet, und ich überlegte nicht lange. »Der Stützpunkt läuft uns nicht davon«, entschied ich kurz entschlossen. »Unsere Gefährten dagegen können sich in Schwierigkeiten befinden, denn vermutlich sind die Herroffs inzwi schen wieder in ihr Dorf zurückgekehrt. Ob sie auch jetzt noch so liebenswürdig sein werden, erscheint mir zumindest zweifel haft.« Ischtar stimmte mir zu, und wir begaben uns noch einmal in die Schaltzentrale zu rück. Dort entdeckte sie, daß Roboter eifrig damit beschäftigt waren, eine neue Donner maschine zu bauen, fand die richtigen Schal tungen und passivierte sie. Dafür erweckte sie jenen Maschinenmenschen wieder zum Leben, der mich zuletzt begleitet hatte, und er zeigte uns willig den Weg ins Freie, den wir sonst kaum so schnell gefunden hätten. An den Trümmern der alten und den er sten Bauelementen der neuen Donnerma schine vorbei begaben wir uns auf den Ab stieg ins Tal der Herroffs. Dort fanden wir eine erstaunliche Szene vor. Die Eingeborenen waren vollzählig wie der in ihre Siedlung zurückgekehrt, und sie taten so, als wäre nie etwas zwischen ihnen und uns gewesen! Sie empfingen uns erneut mit Blumenkränzen und Früchten, und Far tuloon stöhnte unterdrückt auf. »Das ist doch der Gipfel der Scheinheilig keit!« empörte er sich. »Vor einem halben Tag wollten uns Hotgor und seine Wur zelzwerge noch mit ihren Steinschleudern ins Jenseits befördern, und jetzt machen sie wieder auf dicke Freundschaft mit uns. Ver steht ihr das?« Ischtar legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
49 »Wahrscheinlich haben sie sich auch nach der Behandlung in Wamloyts Maschine noch irgendwie unter seinem Einfluß befun den«, erklärte sie. »Nach seinem Tod ist die ser erloschen und sie wissen jetzt vermutlich gar nicht mehr, was sie zuvor getan haben. Spielen wir also noch einmal mit, denn jetzt dürften wir die einzigen Götter für sie sein.« Diese Annahme wurde durch Crysalgira, Corpkor und Eiskralle bestätigt, die uns be geistert begrüßten und als Sieger feierten. Der Abend brach bald darauf herein, Chapat erwachte und begann sofort vor Hunger zu schreien. Umgehend tauchten einige Einge borenenfrauen bei uns auf, um sich seiner anzunehmen, und nach kurzen Zögern über ließ Ischtar ihn ihrer Fürsorge. Wir bekamen ebenfalls zu essen, saßen dann noch eine Zeitlang beisammen und be sprachen die Geschehnisse dieses Tages. Wir hatten alles relativ gut überstanden und waren nun praktisch die Herren des Stütz punkts. Doch wie sollte es nun weitergehen? Corpkor, der wieder ganz auf dem Damm war, stellte diese Frage, und ich sah Ischtar an. »Besteht die Möglichkeit, daß zu der Sta tion auch ein Hangar mit einem raumtüchti gen Fahrzeug gehört?« erkundigte ich mich bei ihr. »An ein großes Schiff ist ja kaum zu denken, aber vielleicht wenigstens an ein Beiboot. Irgendwie muß Wamloyt ja schließlich einmal auf diese Welt gelangt sein – er befand sich in seinem eigenen Kör per, hatte also nicht nur einfach eine der alten Mumien übernommen wie die Flüchtlin ge aus der Eisigen Sphäre, die uns angegrif fen haben.« Die Goldene Göttin wiegte den Kopf. »Möglich wäre es schon; der Stützpunkt ist groß, bis jetzt haben wir nur einen kleinen Teil von ihm zu sehen bekommen. Wir wer den ihn jedenfalls gründlich durchsuchen.« Mein Extrahirn meldete sich, und ich gab seine Anregung sofort weiter. »Wir können uns eine lange Suche ersparen, denke ich; schließlich haben wir ja den Roboter, den wir befragen können. Dieser Typ ist hoch
50 entwickelt, und zweifellos sind in seinem Gehirn alle Angaben gespeichert, die sich auf die Station beziehen.« »Ein guter Gedanke«, gab Fartuloon zu und gähnte ungeniert. »Doch das hat Zeit bis morgen, beenden wir also die Debatte. Ein alter Mann wie ich braucht seinen Schlaf, wenn er sich pausenlos mit allen möglichen Feinden herumgeschlagen hat.« Ich mußte mir ein Grinsen verbeißen, als er so schamlos mit seinem Alter kokettierte. In Wirklichkeit war der Bauchaufschneider ein Mann in der Blüte seiner besten Jahre, daran änderte auch die Tatsache nichts, daß wir außer Ischtar alle erheblich jünger waren als er. Wie er es anstellte, seine hervorragen de körperliche und geistige Form permanent zu halten, war mir immer rätselhaft geblie ben. Überhaupt war vieles an ihm rätselhaft, nicht nur das Skarg, über dessen Herkunft von ihm einfach keine Information zu be kommen war. Eine der Herroff-Frauen erschien und brachte Chapat zurück. Er schlief bereits wieder und wurde erneut Crysalgira anver traut, während alle anderen die Schlafplätze der letzten Nacht bezogen. Daß man das Ba by noch einmal stehlen würde, war nicht zu befürchten, denn es gab keinen Herrn des Großen Donners mehr. Als Ischtar längst eingeschlafen war und Fartuloon schnarchte, daß die Wände der Hütte zitterten, lag ich immer noch wach und dachte nach. Wir waren gut aus dem Mikrokosmos ent kommen und hatten alle unvermutet hier auftauchenden Gefahren – wenn auch mit viel Glück und hauptsächlich dank Fartulo ons Skarg – überwunden. Würde uns das Glück auch weiterhin treu bleiben, indem es uns irgendwo im Bereich von Wamloyts Stützpunkt ein Raumfahrzeug finden ließ? Wenn das der Fall war, dann stellte unsere Rückkehr nach Kraumon kein Problem mehr dar. Wenn wir jedoch nichts fanden, was wür de dann sein? In diesem Fall waren wir viel leicht gezwungen, den Rest unseres Lebens
Harvey Patton hier auf dieser Welt zu verbringen – als hal be Götter zwar, sonst aber vollkommen sinn- und zwecklos! Du solltest jetzt endlich auch schlafen! mahnte mich mein Extrahirn schließlich energisch. Das Grübeln bringt dich auch nicht weiter, Kristallprinz. Ich seufzte, schloß aber darin doch die Augen, und fiel bald in einen tiefen Schlaf.
* »Aufstehen, ihr Faulpelze!« dröhnte die Stimme des Bauchaufschneiders durch die Hütte. »Wollt ihr euch durch einen alten Mann beschämen lassen, der schon lange wach ist?« Das wirkte, und bald waren wir alle auf den Beinen. Schon erschien auch das verhut zelte Gesicht einer Eingeborenenfrau im Eingang, die Chapat abholte, der mit dieser Betreuung offenbar sehr zufrieden war. Sie brachte auch neue Früchte und Fleisch, eine auf die Dauer allerdings etwas eintönige Nahrung. Der Morgen war schön, und wir gönnten uns ein Bad im Bach, wobei wir von den Herroffs mit offenen Mündern angestaunt wurden. Sie waren offenbar noch nie auf den Gedanken gekommen, eine solche Prozedur vorzunehmen, und Fartuloon feixte bissig. »Kein Wunder, daß sie so verschrumpelt aussehen! Vermutlich bestehen ihre Falten nur aus Dreck, und ohne ihn würden sie sich regelrecht nackt vorkommen …« Die Eingeborenen staunten noch mehr, als es uns gelang, mit den Händen einige große Fische zu fangen und an Land zu bringen. Sie wichen zuerst scheu vor den zappelnden Leibern zurück, bis ihnen dann der Bauch aufschneider eifrig zwitschernd erklärte, was sich mit dieser Beute alles anfangen ließ. Gitgur war als erster überzeugt, rührte die Fische allerdings erst an, nachdem wir sie getötet hatten. Als wir nach einer halben Stunde zu den Hütten zurückkamen, schmorten sie bereits zwischen heißen Steinen, und ein verlocken
Duell mit dem Donnergott der Duft stieg von ihnen auf. Natürlich beka men wir die ersten Bissen, so ganz trauten die Herroffs diesem Braten wohl doch noch nicht. Erst als sie sahen, wie gut es uns schmeckte, langten sie ebenfalls zu, und Corpkor begann zu lächeln. »Wieder ein kleiner Schritt auf der Stu fenleiter ihrer Evolution«, meinte er verson nen. »Was hätte Wamloyt alles für diese Wesen tun können, wenn er es nur richtig angefangen hätte …« Diese Bemerkung erinnerte uns daran, daß wir für diesen Tag noch einiges vorhat ten, und so verließen wir die eifrig schmau senden Herroffs bald. Diesmal stiegen wir alle zu der Station empor, wo der von Ischt ar am Vortag passivierte Roboter unbeweg lich am Eingang neben der Donnermaschine stand. Während Crysalgira, Eiskralle und Corpkor noch deren Überreste gebührend bestaunten, aktivierte die Varganin den Ma schinenmenschen wieder und stellte ihm dann die entscheidende Frage. Die Antwort kam ohne Zögern: »Wamloyt besaß ein großes Beiboot, aber es existiert nicht mehr! Es wurde auf einer seiner Sammelexpeditionen durch eine Steinlawine zerstört, wobei Wamloyt die Verletzungen erlitt, die zu seiner Lähmung führten. Zwei meiner Brüder brachten ihn dann hierher zurück, und anschließend …« Ich hörte nicht mehr weiter zu, denn die Enttäuschung schmetterte mich fast zu Bo den. Ich hätte rasen mögen, doch ich be herrschte mich und fluchte nur erbittert vor mich hin. Wir saßen jetzt tatsächlich hier fest, es war wirklich zum Weinen! Daß tatsächlich Tränen aus meinen Augen rannen, bemerkte ich erst, als mir der Bauchaufschneider überraschend zartfüh lend auf die Schulter klopfte. »Beruhige dich, Sohn«, meinte er besänf tigend. »Immerhin gibt es in dem Stützpunkt auch eine Hyperfunkstation! Damit läßt sich schließlich auch einiges anfangen – wetten, daß wir bald Verbindung mit Morvoner Sprangk auf Kraumon haben, der uns abho len kann?«
51 Neue Hoffnung stieg in mir auf und beflü gelte meine Schritte auf unserem Weg durch das Labyrinth der Stützpunktkorridore. Zwei Stunden später stand allerdings fest, daß Fartuloon seine so großspurig angebotene Wette glanzvoll verloren hatte … Die Funkstation existierte tatsächlich und war auch vollkommen in Ordnung – aber nirgends in den Datenspeichern der Station fanden sich die Koordinaten unseres namen losen Planeten! Ischtar versuchte es immer wieder, fragte pausenlos die Computer des Stützpunkts ab, aber schließlich gab sie auf. Der Traum von einer raschen Rückkehr zu unseren Gefährten auf Kraumon war vorbei. Das Hyperfunkgerät war stark genug, um Zehntausende von Lichtjahren überbrücken zu können, aber damit war es einfach nicht getan. Solange wir nicht wußten, wo wir uns befanden, war es uns unmöglich, die Anten nen auf Kraumon einzujustieren! Das war eine unerläßliche Voraussetzung dafür, an ders ging es einfach nicht, auch wenn wir die richtige Frequenz benutzten. Die Chan ce, unsere Stützpunktwelt durch einen Ruf ins Blaue hinein zu erreichen, war mikro skopisch klein. Wir hätten es jahrelang ver suchen können, ohne etwas zu erreichen. »Können wir nicht wenigstens einen der noch lebenden varganischen Rebellen anfun ken?« schlug ich schließlich als letzten Aus weg vor. Ischtar überlegte eine Weile und schüttelte dann den Kopf. »Das dürfte genauso aussichtslos sein, At lan«, gab sie mit starrem Gesicht zurück. »Zweifellos ist eine größere Anzahl von Varganen aus Yarden auf unsere Versunke nen Welten gelangt, folglich dürfte es dort jetzt drunter und drüber gehen. Unter diesen Umständen wird es sich jeder Rebell tau sendmal überlegen, auf einen Hilferuf zu antworten, hinter dem er doch nur eine Falle der Leute aus der Eisigen Sphäre vermuten muß! Schlage dir diese Möglichkeit also aus dem Kopf.« »Was können wir denn überhaupt noch tun?« fragte Eiskralle, dessen Adern unter der durchsichtigen Haut vor Erregung heftig
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Harvey Patton
pulsierten. »Verdammt, wir können doch nicht einfach hier auf dieser Welt sitzen bleiben und auf unser Ende warten!« Fartuloon nickte mit düsterer Miene. »Wir haben noch eine Möglichkeit, aber sie ist al les andere als ideal: Wir justieren den Sen der auf die Notrufwelle der arkonidischen Flotte ein. Eine einfache Codegruppe ge nügt, sie wird zweifellos sehr bald von ei nem Schiff oder Stützpunkt empfangen wer den. Dort wird man sich zwar wundern, weil dieser Ruf von einer unbekannten Welt kommt, aber mitten im Krieg gegen die Maahks dürfte es etwas öfters geschehen. Man wird also über kurz oder lang hier nachsehen kommen und uns finden – wie gefällt dir das?« »Überhaupt nicht!« knurrte der Chretkor, und damit sprach er uns allen aus der Seele. Wenn jemand kam, um uns abzuholen, wür de er in einem Kriegsschiff der arkonidi schen Flotte kommen, das war klar. Man würde uns zwar retten, aber man würde auch peinliche Fragen stellen – und sie würden zweifellos aus dem Munde eines Angehöri gen der POGIM kommen, der Politischen Geheimpolizei Orbanaschols! Nur Ischtar und Crysalgira hatten nichts von ihr zu be fürchten, wir anderen allerdings … Wir brauchten Stunden, um zu einem Ent schluß zu kommen, aber wir hatten praktisch keine andere Wahl. Ischtar stellte den Sen der nach unseren Angaben ein, schaltete ihn auf Dauerbetrieb, und dann stiegen wir wortlos ins Tal zurück, um dort zu warten. Zu warten – worauf? Auf unsere Henker …?
* Je mehr Zeit verging, um so unruhiger wurde ich. Natürlich erging es den anderen nicht viel besser, aber alle waren sorgfältig darauf be dacht, ihre Gefühle zu verbergen. So verstri chen die Tage, in denen wir uns viel mit den Herroffs beschäftigten. Wir griffen mit bei der Geröllbeseitigung und dem Wiederauf-
bau der zerstörten Hütten zu, wobei wir ih nen beibrachten, wie sie besser und dauer hafter bauen konnten. Fartuloon ging noch weiter und lehrte sie viele Kniffe, die ihnen ihr späteres Leben erleichtern sollten. Be sonders Hotgor und Gitgur, deren Intelligenz künstlich gesteigert worden war, begriffen schnell und waren begeistert. Ihr Staunen kannte keine Grenzen mehr, als Corpkor ih nen ein Wägelchen mit vier Holzrädern bau te, denn bisher war das Rad auf dieser Welt noch vollkommen unbekannt. »Atlans verlorenes Häuflein leistet kosmi sche Entwicklungshilfe!« spöttelte Ischtar, bei der wieder einmal das Überlegenheitsge fühl der Varganen zum Durchbruch kam, was in letzter Zeit allerdings immer seltener geschah. Ich nickte ernsthaft. »Warum sollten wir nicht?« fragte ich ru hig. »Uns vertreibt es die Zeit, aber für die Evolution der kleinen Leute stellt es einen wertvollen Beitrag dar. Es gibt ja nicht nur die Herroffs hier im Tal, sondern zahlreiche weitere Stämme, die bisher die Umgebung von Wamloyts Station gemieden haben. Nachdem jetzt der Donnergott nicht mehr existiert, werden sie auch wieder hierher kommen, und so wird sich das neue Wissen bald bei der gesamten Rasse verbreiten.« Tatsache war, daß uns die Eingeborenen jetzt fast schon wie Götter behandelten, ob wohl mir das gar nicht recht war. Es war durchaus möglich, daß sich später daraus ein regelrechter Kult entwickelte, wenn wir den Planeten wieder verlassen hatten. Wenn …! Das erschien uns zunehmend zweifelhaft, denn auch am Morgen des dritten Tages hat te sich noch nichts getan, obwohl der Hyper sender oben im Stützpunkt pausenlos in Be trieb war. Fartuloon zog ein sorgenvolles Gesicht. »Allmählich fange ich an, skeptisch zu werden«, meinte er nach dem obligatori schen Morgenbad. »Normalerweise ist die Flotte des Großen Imperiums immer sehr schnell zur Stelle, wenn ein Notruf aufge fangen wird, denn oft entscheiden Stunden
Duell mit dem Donnergott über Leben oder Tod der Absender. Sollten wir vielleicht so weit von besiedelten Ge genden entfernt sein, daß man unsere Sen dung gar nicht empfangen kann?« Wir sahen uns bedrückt an, denn insge heim teilten wir diese Befürchtung des Bauchaufschneiders. Genau in diesem Mo ment erscholl draußen vor unserem Domizil ein aufgeregtes Gezwitscher der Herroffs, und gleich darauf erschien der Roboter, der oben im Funkraum Wache gehalten hatte, im Eingang. Wir sprangen hastig auf, als er sich nun an Ischtar wandte. »Die Ortungen haben vor zehn Minuten die Transitionsschocks von drei fremden Schiffen registriert, Herrin«, meldete er mit seiner wohlklingenden Stimme. »Es handelt sich um Kugelraumer von etwa 800 Meter Durchmesser, die dicht vor der Bahn des äu ßersten Planeten aus dem Hyperraum ge kommen sind und sofort Kurs auf diese Welt genommen haben. Die Auswertung hat erge ben, daß sie in etwa vier Stunden hier ein treffen werden. Ich habe daraufhin wei sungsgemäß den Sender abgeschaltet und bin gekommen, um Sie zu verständigen.« Jetzt war es soweit! Der Zeitpunkt, den wir zugleich ersehnt und gefürchtet hatten, war da, und uns blieb gerade noch genügend Zeit, vorher besprochene Maßnahmen zu treffen. Fartuloon gab den Herroffs die strikte An weisung, für die nächsten Stunden aus dem Tal zu verschwinden, und sie wurde wider spruchslos befolgt. Wir suchten unsere Sa chen zusammen und machten uns an den Aufstieg zum Stützpunkt. Dort legten wir methodisch sämtliche An lagen still, damit die ankommenden Arkoni den keine Möglichkeiten hatten, das Vor handensein dieser Station festzustellen. Wir hatten beschlossen, eine bestimmte Rolle zu spielen, und sie paßte einfach nicht in dieses Bild. Auch der Roboter, der uns so gute Dienste geleistet hatte, wurde passiviert, ob wohl es mir im Herzen weh tat, eine so voll kommene Maschine zurücklassen zu müs sen. Doch vielleicht konnten wir eines Tages
53 zu dieser Welt zurückkehren, und dann wür den er und seine Genossen wieder für uns dasein. Anschließend bestiegen wir eine Anti gravplattform, die so hergerichtet worden war, daß sie bei flüchtigem Hinsehen als ar konidisches Erzeugnis durchgehen mußte. Mit ihr flogen wir ins Tal zurück und schal teten dann einen ebenfalls frisierten Peilsen der ein, um den Schiffen unser Auffinden zu erleichtern. Nun dauerte es nicht mehr lange, und die mächtigen Silhouetten der drei Schiffe zeichneten sich über uns am Himmel ab. »Tatsächlich drei Schlachtschiffe!« staun te Fartuloon. »Die Leute haben eine durch aus standesgemäße Eskorte für dich ent sandt, Kristallprinz.« Doch die Raumer landeten nicht, sondern blieben in einem stationären Orbit über dem Tal. Statt dessen wurden zwei Beiboote aus geschleust, die wenig später auf einer freien Fläche am Rand der Siedlung niedergingen. Luken glitten auf, Lauframpen wurden aus gefahren, und dann erschienen Männer in den Uniformen der Flotte des Großen Impe riums. Wir setzten uns in Bewegung und gingen auf die Boote zu. »Ihre Plattform?« fragte ein mürrisch dreinschauender Offizier kurz, aber ich winkte ab. »Defekt«, gab ich ebenso mund faul zurück, und er gab sich damit zufrieden. Er schien zu jener Kategorie von Männern zu gehören, die unnützer Arbeit nach Mög lichkeit aus dem Wege gehen, und das konn te mir nur recht sein. Es wäre besser gewesen, sie ganz beiseite zu schaffen! gab mir mein Extrahirn reich lich spät zu bedenken. Nun wird es bei den Herroffs wohl doch einen neuen Kult geben, und die Plattform wird vermutlich der erste Altar sein … Ich zuckte nur mit den Schultern, denn im Moment hatte ich ganz andere Sorgen. Der Orbton verzichtete zwar darauf, uns weitere Fragen zu stellen und nahm uns kommentarlos an Bord – doch ich wußte, daß diese Fragen schon bald folgen würden!
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Harvey Patton
Unsere Aussagen würden von den Geheim dienstlern wieder und wieder überprüft werden, und diese Männer verstanden ihr Fach. Ob wir damit durchkommen würden, erschien mir recht ungewiß, aber etwas Besseres hatten wir uns nicht zurechtlegen können. Vielleicht würde ich viel früher nach Ar kon kommen, als es mir lieb war! Nicht als Kristallprinz und rechtmäßiger Imperator, sondern als Orbanaschols Gefangener, und
damit praktisch als ein toter Mann … Diese düsteren Gedanken bewegten mich, während das Beiboot aufstieg, um uns an Bord seines Mutterschiffes zu bringen.
ENDE
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