Wir waren noch so jung Sharon Kendrick
Julia 1270
26/1 1997
gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree
1. KAP...
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Wir waren noch so jung Sharon Kendrick
Julia 1270
26/1 1997
gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree
1. KAPITEL "Ich habe keine Lust, über Liam zu reden", sagte Scar lett, und es kostete sie ziemliche Mühe, gleichmütig zu klingen. Während sie sich einen schwarzen Seiden strumpf anzog, fügte sie hinzu: "Und schon gar nicht an dem Abend, an dem ich mich mit einem anderen Mann verlobe." "Wirklich nicht?" Camilla lächelte süffisant. "Gedacht hast du aber gerade an ihn. Das sehe ich dir an der Na senspitze an." Scarlett setzte eine lässige Miene auf, eine Miene, die sie oft zur Schau und wie eine Maske trug, hinter der sie sich versteckte. Es gelang ihr sogar, amüsiert zu wirken, als sie die gleichaltrige Camilla, die sie seit ihrem dritten Lebensjahr kannte, ansah. "Ich soll an Liam gedacht ha ben? Bist du verrückt?" "Nein, aber du warst verrückt, als du ..." Scarlett hatte genug. "Hör auf, Camilla, und lass mich jetzt bitte in Ruhe, damit ich mich anziehen kann. Sonst komme ich am Ende noch zu spät zu meiner eigenen Par ty." Camilla ging wirklich, und als die Tür hinter ihr zuge fallen war, blickte Scarlett auf ihre zitternden Hände. Genügte immer noch die bloße Erwähnung seines Na mens, sie so in Aufruhr zu versetzen? "Verdammt!" sagte sie gepresst. "Verdammter Liam Rouse!" Sie nahm das Kleid, das sie sich für ihre Verlobungs feier gekauft hatte, vom Bügel und betrachtete es kopf schüttelnd. Es war das ideale Partykleid für einen Win terabend - langärmlig, aus schwarzem Samt figurbetont
geschnitten und mit einem Überrock aus schwarzem goldgesprenkelten Tüll. Schwarz wie ihr Haar, gold wie der Schimmer ihrer Augen - perfekt, aber so gar nicht ihr Stil. Nachdem sie das Kleid angezogen hatte, stellte sie sich vor den Spiegel. Das bin doch nicht ich, dachte sie beim Anblick des verführerischen Geschöpfs, das ihr entge gensah. Sogar ihr Haar wirkte fremd. Normalerweise hing es glatt bis knapp über die Schultern, aber für diesen Abend hatte es der Dorffriseur in große weiche Wellen gelegt. Bernsteinfarben, fast golden, funkelten ihre Au gen unter dem dichten schwarzen Pony. Jetzt wird es aber langsam Zeit, hinunterzugehen und nach Henry zu schauen, dachte sie, als sie durch das gar dinenlose Fenster eine Bewegung wahrnahm. Sie sah hinaus in die dunkle Nacht und ließ den Blick über das weitläufige Gelände von Seymour House schweifen, bis er schließlich bei der mächtigen alten Eiche verweilte, deren kahle Äste schwer mit Schnee beladen waren. War da nicht ein Schatten? Furcht ergriff sie, und ihr Herz schlug schneller. Ja, da stand ein Mann ... Scarlett schloss kurz die Augen und sah wieder zu dem großen alten Baum, aber dort war niemand. Natürlich war da niemand! Wer wäre schon so verrückt gewesen, sich in der kältesten Nacht des Jahres unter eine tiefver schneite Eiche zu stellen? Kopfschüttelnd über ihre Schreckhaftigkeit und ihre grundlosen Ängste, verließ sie ihr Schlafzimmer und schritt die breite Treppe hinunter, die in die Eingangshal le führte, wo der Butler ihrem Verlobten Henry gerade den Mantel abnahm. Henrys hellbraunes Haar, das schon etwas schütter wurde, glänzte im Licht des Kronleuch
ters. Als er sie bemerkte, blickte ihr Verlobter auf und kratz te sich an der Nase, wie er es in Momenten starker Ge fühle - sofern man bei ihm überhaupt von starken Gefüh len reden konnte - gern tat. Wenn er doch nur diese Kratzerei lassen würde, dachte Scarlett, empfand diesen Gedanken aber sofort als illoyal und lächelte strahlend. "Hallo, Henry!" "Guten Abend, Scarlett." Er räusperte sich, als wollte er eine Rede halten, und blickte sie verzückt an. "Ich muss schon sagen, meine Liebe, dein Kleid ist wirklich - um werfend." "Der Preis war es auch", antwortete Scarlett trocken. Henry runzelte die Stirn. "Das ist aber keine sehr nette Art, auf ein Kompliment zu reagieren." "Tut mir leid." Scarlett seufzte. "Vielleicht liegt es dar an, dass du mir gewöhnlich keine machst." "Soll das heißen, dass ich es tun sollte?" Es sollte heißen, dass sie überrascht war über Henrys romantische Anwandlungen, denn Romantik spielte in ihrer Beziehung keine allzu große Rolle. "Nein, natürlich nicht. Ach Henry, lass uns nicht streiten. Besonders nicht am heutigen Abend." "Nein, streiten wollen wir heute bestimmt nicht." Henry sah auf sie hinunter. "Komm mit", sagte er unvermittelt und nahm sie bei der Hand. "Warum?" "Das wirst du schon sehen", meinte er geheimnisvoll. Bis sie auf der Terrasse waren, sagte er kein Wort. Und dort, im schimmernden Licht des Mondes, blickte er sich erst um, als wollte er sich vergewissern, dass die Luft rein war, bevor er in die Tasche griff und lächelnd ein kleines türkisfarbenes Kästchen herauszog.
Scarlett schauderte, aber das war eher der Kälte zuzu schreiben. "Na? Bist du nicht neugierig, was drin ist?" Sie ließ sich auf das Spiel ein. "Sag es mir." "Immer mit der Ruhe." Henry drohte gespielt mit dem Finger. "Nur nicht so ungeduldig." Dann klappte er den Deckel des Kästchens auf, und zum Vorschein kam ein riesiger Diamant, der im Mondlicht seine ganze kalte Schönheit funkelnd entfaltete. Scarlett fühlte sich wie eine unbeteiligte Beobachterin, als sie zusah, wie Henry den Solitär an ihren linken Ring finger steckte. Da der Ring etwas zu weit war, rutschte der schwere Stein zwischen ihren gespreizten Fingern durch, so dass nur noch der schmale Goldreif zu sehen war - wie ein Ehering ... Wieder schauderte Scarlett. "Kein Problem, ich lasse ihn enger machen", sagte Henry beiläufig. "Ich wollte dich überraschen." "Er ist - wunderschön." Scarlett war nun doch etwas er griffen. "Ja, das finde ich auch!" Henry zog sie an sich und wollte sie küssen, aber Scarlett wandte genau in diesem Moment den Kopf, weil sie glaubte, hinter sich etwas gehört zu haben, so dass seine Lippen ihre linke Wange berührten. Er lachte befangen und drückte einen schnellen Kuss auf ihren Mund, bevor er sie wieder freigab. "Keine Angst, Mädel, ich werde dich mit diesem Zeug schon nicht all zu sehr belästigen." Er senkte die Stimme. "Über kurz oder lang werden wir uns zwar um einen Erben kümmern müssen, aber überbewerten wollen wir diesen ganzen Schweinkram doch nicht."
Scarlett sah ihren Verlobten nur an. Seine Worten hat ten sie getroffen wie ein Schlag. "Dieses Zeug." "Dieser ganze Schweinkram." Sie schluckte, denn Sex mit Henry war ein Thema, das sie bis jetzt nur zu gern ignoriert hat te. Sex mit irgendeinem anderen als Liam war unvor stellbar. Aber wenn sie mit Henry erst verheiratet wäre ... "Keine Sorge", fuhr Henry fort, "dass ich als Ehemann keine großen Forderungen stellen werde, habe ich dir ja schon gesagt. Und nun lass uns reingehen, ein Glas Champagner trinken und deinen Ring herumzeigen." Sie fühlte sich etwas elend, als sie sich von ihm wieder hineinführen ließ, und die erste Person, die ihnen über den Weg lief, war Scarletts Stiefvater. "Schönen guten Abend, Sir Humphrey!" rief Henry ü berschwänglich. "Wollen Sie mal einen tollen Klunker sehen?" "Zeig her, Scarlett!" Sir Humphrey begutachtete den Ring. "Gerade die richtige Größe, Henry! Gute Geldanla ge. Wo haben Sie ihn gekauft?" "Bei Tiffany's", sagte Henry strahlend. "Getreu Ihrer Empfehlung, Sir Humphrey." "Gute Wahl!" Sir Humphrey klopfte Henry anerken nend auf die Schulter. "Gefällt er dir, Scarlett?" "Und ob." Lächelnd sah sie ihren Stiefvater an, und da fiel ihr plötzlich auf, wie alt er wirkte und wie tief die Falten waren, die sich in sein Gesicht gegraben hatten. Dass er geschäftliche Probleme hatte, wusste sie. Er hatte zwar nie direkt mit ihr darüber gesprochen, aber sie hatte Gerüchte gehört, dass seine Firma nicht so gut laufe, wie sie es sollte. Die Rezession hatte auch vor den Seymours nicht halt gemacht. Scarlett war schon aufgefallen, dass das Dach von
Seymour House dringend einer Reparatur bedurfte, wofür anscheinend das Geld fehlte. Andererseits gab Sir Humphrey - vor allem seit er in den Adelsstand erhoben worden war - Unsummen für Personal aus, was in ihren Augen in diesem Umfang nicht nötig gewesen wäre. Warum ihr Stiefvater sich für ihre Verlobungsparty, der ein noch viel rauschenderes Hochzeitsfest folgen sollte, so in Unkosten stürzte, hatte sie sich auch schon oft ge fragt. Aber jedes Mal, wenn sie ihn darauf angesprochen hatte, hatte er im Brustton der Überzeugung nur gesagt: "Adel verpflichtet". Scarlett hätte mit der kostspieligen Hochzeit gern ge wartet, bis sich die finanzielle Lage etwas entspannt hat te, aber Sir Humphrey hatte hartnäckig darauf bestanden, sie so bald wie möglich abzuhalten, denn er wollte seine Stieftochter glücklich und in geordneten Verhältnissen lebend sehen. Von ihrer Mutter, die Sir Humphrey abgöt tisch liebte und die ihm jeden Wunsch von den Augen ablas, hatte sie sich schließlich überreden lassen, einem frühen Hochzeitstermin zuzustimmen. Als die Gästeschar einzutrudeln begann, verscheuchte Scarlett ihre Gedanken und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Mäntel wurden abgelegt, und zum Vorschein kamen festlich schimmernde Roben in leuchtenden Farben, die in heiterem Kontrast zu den schwarzen Smokings der männlichen Gäste standen. Der Adel hatte sich versam melt, und bald war die Party in vollem Gang. Zum Abendessen gab es fangfrischen Lachs mit allen erdenklichen Beilagen und danach wunderbar aromati sche Erdbeeren mit Schlagsahne. Den Abschluss machten riesige Käseplatten, die - ein Augenschmaus - mit exoti schen Früchten garniert waren.
Große Reden wurden nicht gehalten, denn dafür stand die Hochzeit zu unmittelbar bevor, aber der große Salon war ausgeräumt und zum Ballsaal umfunktioniert wor den, und als Henry mit Scarlett den Tanz eröffnete, ap plaudierten die Gäste. "Es läuft hervorragend." Henry lächelte zufrieden, als sie zu einer getragenen Melodie übers Parkett glitten. Scarletts bernsteinfarbene Augen funkelten. "Freu dich nicht zu früh, vielleicht trete ich dir gleich auf die Ze hen." "Ernst kannst du wohl nie sein?" Er lachte. "Nein", bestätigte sie lächelnd, denn was Ernsthaftig keit anbelangte, hatte sie ihre Lektion gelernt. Nahm man die Dinge ernst, brach es einem das Herz, nahm man sie leicht, kam man mit heiler Haut davon. Das Lied war zu Ende, und Henry ließ Scarlett los. "Schau, dein Vater winkt mir. Ich gehe mal zu ihm und sehe nach, was er will. Misch dich doch einfach unter die Gäste, Liebes." Scarlett sah ihm nach, ließ den Blick über die Tanzpaa re schweifen, von denen sie viele nicht einmal vom Se hen kannte, und empfand plötzlich eine große innere Lee re. Sie fühlte sich wie eine Außenstehende, die nur zusah und nicht dazugehörte. Fühlte sich so, wie sie sich in diesem Haus schon immer gefühlt hatte. Hör auf, das ist doch lächerlich, schalt sie sich im stil len, als sie auf die Terrasse ging, um etwas Luft zu schnappen. Der Champagner hat mich sentimental ge macht, dachte sie und atmete tief den süßen Duft des Winterjasmins ein, der gerade blühte. Still und ohne die Kälte zu spüren, genoss sie den An blick, der sich ihr bot. Der schneebedeckte Rasen schimmerte wie Silber, und hoch droben am Himmel
stand wie eine weiße Scheibe der Mond. Langsam schob sich eine dunkle Wolke davor. Scarlett kniff die Augen zusammen, um sich an das dunklere Licht zu gewöhnen, doch dann riss sie sie er schrocken auf. Am Rand der Terrasse stand ein Mann und blickte zu ihr herüber. Ihr Herz schlug schneller, als sie registrierte, wie groß und breitschultrig dieser Mann war. Entsetzt schüttelte sie den Kopf, als könnte sie die Gestalt damit verscheu chen, aber die ließ sich nicht verscheuchen, sondern kam langsam auf sie zu. Als der Mann ihr schon ziemlich nahe war, wurde Scar lett blass. Sein Gesicht wirkte wie gemeißelt und der Mund darin wie ein harter Strich. Er war größer als alle anderen Gäste, und seine Schultern waren breit wie die eines Rugby-Spielers. Er hatte das gleiche tiefschwarze Haar wie Scarlett, und auch seine Augen, die blauen Au gen, die sie so gut kannte, wirkten in diesem Moment schwarz. Schwarz wie seine Seele, dachte sie bitter. Als sich ihre Blicke trafen, verzog er den Mund zu dem wohlbekann ten spöttischen Lächeln. Einen Moment lang schüttelte Scarlett den Kopf, als hätte sie sich nur eingebildet, Liam Rouse vor sich zu sehen. Dieser Mann in schwarzem Smoking, weißem Seidenhemd und schwarzer Fliege konnte doch gar nicht Liam sein. Liam trug Jeans. Und zwar immer. Sie war sprachlos und sah ungläubig zu ihm auf. Der funkelnde Blick aus seinen Augen ließ ihr Herz rasen, und ihr Mund war ganz trocken, als sie am Terrassenge länder Halt suchte. Das ist nicht fair, das ist einfach nicht fair, dachte sie verzweifelt. Wie konnte er nur nach so langer Zeit immer noch diese Wirkung auf sie haben!
"Liam!" rief sie schließlich erstickt, als das Bild des Mannes, den sie seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen, hatte, vor ihren Augen verschwamm. "Liam, bist du es wirklich?" Er verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln. "Das wirst du gleich merken", sagte er, zog sie an sich und küsste sie. Zuerst war Scarlett völlig überrumpelt und ließ es re gungslos geschehen. Liams Küsse waren aber auch unvergleichlich ... O nein, nur das nicht, dachte sie noch und drängte sich an ihn, als sein Kuss fordernder wurde. Dass sie seine stürmischen Liebkosungen zu allem Überfluss auch noch erwiderte, nahm sie nur noch verschwommen wahr, denn diese Küsse weckten in ihr Empfindungen, die sie an viel intimere Situationen erinnerten. Liam wusste ganz genau, was ihr gut tat... "Glaubst du jetzt, dass ich es bin?" fragte er spöttisch lächelnd, als er sich schließlich von ihr löste. "Oder küsse ich etwa wie ein Geist?" Scarlett rang nach Luft. "Du küsst nicht wie ein Geist, du küsst wie der Teufel!" schleuderte sie ihm entgegen. "Und jetzt verschwinde, bevor ich dich rauswerfen las se." "Aber Scarlett, wie eine besorgte Ehefrau klingst du nicht gerade", höhnte er. "Willst du denn gar nicht wis sen, wo ich all die Jahre gewesen bin?" Sie blickte in das Gesicht, das ihr so vertraut war wie ihr eigenes - in das Gesicht des Mannes, der ihr Herz in tausend Stücke gerissen hatte. "Wo du gewesen bist, interessiert mich nicht im ge ringsten", erwiderte sie ärgerlich. "Du hast mich vor zehn Jahren sitzen lassen und bist ohne ein Wort gegangen -
und genauso kannst du auch jetzt gehen. Wenn du nicht sofort von unserem Besitz verschwin dest, rufe ich die Polizei." Er lachte nur und packte sie hart am Handgelenk. "So lange ich nicht das habe, weswegen ich gekommen bin, gehe ich nirgendwohin." Sie hörte die wilde Entschlossenheit in seinem Ton und wurde von einem unguten Gefühl beschlichen, denn sie kannte Liam, der schon als Zwanzigjähriger ziemlich bestimmend gewesen war. Dass sich dieser Wesenszug in den letzten zehn Jahren noch stärker ausgeprägt hatte, war offensichtlich. "Wovon redest du? Weswegen bist du gekommen?" fragte sie, aber ihre Stimme klang bei weitem nicht so fest, wie Scarlett es sich gewünscht hätte. Er heftete den Blick auf ihre dunkelroten bebenden Lippen und antwortete, als wäre es das Selbstverständ lichste der Welt: "Deinetwegen, Scarlett." "Meinetwegen?" flüsterte sie ungläubig. "Du musst ver rückt sein." Im weißen Licht des Mondes wirkte sein Mund hart. "Kommst du nun still und unauffällig mit?" "Mit dir? Mit dir gehe ich nirgendwohin!" "Ich glaube schon, Scarlett. Ein kleines Gespräch unter vier Augen wirst du deinem Ehemann doch nicht ver wehren wollen." "Du bist verrückt!" rief sie fassungslos. "Wir sind ge schieden, und ich heirate bald einen anderen!" Er schüttelte den Kopf. "Du täuschst dich, meine Liebe. Das Scheidungsurteil wurde zwar gesprochen, aber rechtskräftig wird es erst in fünf Wochen." Zynisch lä chelnd fuhr er fort: "Vor dem Gesetz bist du noch meine
Frau, und ich habe dir einen Vorschlag zu machen. Ich frage dich also noch mal: Kommst du still und un auffällig mit?" Es dauerte einen Moment, bis Scarlett antworten konn te, denn sie schien erst jetzt zu begreifen: Liam war wie der da! Als sie dann aber antwortete, tat sie es sehr heftig. "Mitkommen?" schrie sie. "Mit dir? Du machst wohl Witze! Du bist der letzte, mit dem ich irgendwohin ginge, du verkommenes Subjekt, du Mist kerl, du ..." Als er ihr Handgelenk packte, umspielte wieder dieses zynische Lächeln seinen Mund. "O Scarlett, dass du Zi cken machst, hätte ich mir eigentlich denken können." "Lass mich los", fuhr sie ihn an, "oder ich schreie die ganze Gesellschaft zusammen." "Du bist also immer noch die alte", stellte er amüsiert fest. "Ich habe eigentlich gehofft, dass wir diese Angele genheit wie zivilisierte Menschen erledigen können, an dein Temperament habe ich dabei allerdings nicht ge dacht." Sie versuchte sich loszumachen, aber es gelang nicht. Und als sie mit der freien Hand nach ihm schlug, führte es nur dazu, dass er sich bückte, sie um die Kniekehlen fasste und sich Scarlett über die Schulter warf. Da hing sie nun kopfüber, das Gesicht ganz nah an seinem breiten Rücken, und fühlte seine Hand, die knapp oberhalb ihres halterlosen Seidenstrumpfs besitzergreifend auf ihrem nackten Oberschenkel lag. "Mmm", raunte Liam, und es war wie ein erotisches Versprechen, als er zart über ihren Schenkel strich. "Wie verlockend." Und dann geschah etwas Unglaubliches. Scarlett hing über seiner Schulter, spürte seine Berüh
rung - und lächelte. Nach so vielen Jahren hatte Liam immer noch die Fähigkeit, sie zum Lächeln, diesem ent rückten Lächeln zu bringen. Er war wirklich der unkon ventionellste Mann, dem sie je begegnet war! Und er war wieder bei ihr! Hielt sie wieder fest! Bevor sie sich je doch ganz in diesen trügerischen Empfindungen verlieren konnte, führte sie sich vor Augen, was er ihr angetan hat te. Liam hatte sie am Tiefpunkt ihres Lebens verlassen, und das würde sie ihm nie verzeihen. "Ich hasse dich", sagte sie gepresst, als er mit seiner Last in Richtung Auf fahrt marschierte. "Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit", erwiderte er in einem eigenartig bitteren Tonfall.
2. KAPITEL "Lass mich runter!" schrie Scarlett in die kalte winterli che Nacht, aber Liam ignorierte sie und schritt unbeirrt durch den Schnee auf ein schnittiges schwarzes Auto zu, das am Rand der Auffahrt geparkt war. Irgend jemand würde sie doch sicher sehen? Und es seltsam finden, dass dieser Riese von einem Mann die Gastgeberin über der Schulter durch den Schnee trug. Wo, zum Teufel, steckte Henry oder ihr Stiefvater? "Lass mich sofort runter, oder ich schreie zetermordio!" "Dann ersticke ich dein Geschrei mit einem Kuss", drohte Liam. Um das zu riskieren, traute Scarlett ihren Gefühlen zu wenig und schloss lieber den Mund, den sie gerade ge
öffnet hatte, um ihren schrillsten Schrei loszulassen. Beim Auto angelangt, öffnete er die Fahrertür, bückte sich und schob Scarlett mit einer einzigen fließenden Bewegung auf den Beifahrersitz, wo er sie anschnallte. Dann - erstaunlich elegant für einen so großen, kräftigen Mann - ließ er sich selbst hinters Steuer gleiten, legte den Sicherheitsgurt um und startete den PS-starken Motor. Mit einem tiefen Röhren schoss der Wagen davon. "Vergiss es", meinte Liam lächelnd, als er bemerkte, dass Scarlett versuchte, die Beifahrertür zu öffnen. "Die Türen haben eine Sicherheitsverriegelung und gehen nur auf, wenn das Auto steht." "Dann halte sofort an!" Was da mit ihr passierte, konnte einfach nicht wahr sein. Sicher würde sie gleich wieder auf ihrer Party sein und ohne irgendwelche erotischen Hintergedanken von Henry in die Arme genommen wer den. "Nein." "Wo bringst du mich hin?" "Das wirst du schon sehen." Den entschlossenen Zug um seinen Mund kannte sie von früher - er signalisierte, dass sich Liam von seiner unerbittlichen Seite zeigte. Aber so leicht wollte sie sich nicht geschlagen geben. Sie lehnte sich in dem komfortablen Ledersitz zurück und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln. "Ist dir eigentlich klar, dass das eine Entführung ist?" herrschte sie ihn schließlich an. "Eine Entführung? Der Scheidungsrichter würde es vielleicht anders sehen - nämlich als den Versuch eines Mannes, sich in letzter Minute mit seiner Frau zu versöh nen ..." Scarlett wurde es plötzlich ganz schwer ums Herz, als
sie an die Nächte dachte, in denen sie in ihr Kopfkissen geschluchzt hatte und einfach nicht hatte glauben kön nen, dass Liam sie wirklich verlassen hatte. Oh, dieser herzlose schwarze Teufel! "Liam", sagte sie kühl, "der Anlass für die Party, in die du hineingeplatzt bist, ist dir doch nicht entgangen, oder? Ich werde in fünf Wochen heiraten, und zwar Henry." "Wirklich?" meinte er samtweich. "Ja! Wirklich!" antwortete sie bestimmt, doch der Klang seiner tiefen dunklen Stimme hatte sie erschauern lassen, und dafür hasste sie sich. Was hatte dieser Mann nur an sich, das ihre Gefühle so leicht in Wallung brachte? "Wo bringst du mich hin?" fragte sie wieder, allerdings ohne großen Nachdruck, denn sie wusste, dass sie gegen ihn keine Chance hatte. Er war zu stark - und das nicht nur physisch. Er erwiderte nichts, sondern warf ihr nur einen kurzen Blick zu, gerade in dem Moment, als ihr Oberkörper von einem Zittern geschüttelt wurde. "Du frierst ja", bemerkte er und stellte die Heizung höher. "Natürlich friere ich! Es ist mitten im Winter, es schneit, und ich habe nur ein dünnes Partykleid an!" "Und ziemlich dünne Unterwäsche, soweit ich sehen konnte. Als wir beide noch zusammen waren, hast du nie so scharfe Dessous getragen!" "Was hast du da gesagt?" Ungläubig wandte sie sich ihm zu. "Du hast mich beobachtet!" rief sie dann scho ckiert. "Ich wusste doch, dass mich jemand beobachtete, als ich am Fenster stand. Du warst das also!" "Was hast du denn gedacht?" spöttelte er. "Hast du die Vorstellung etwa für den lieben Henry gegeben, damit sich wenigstens etwas Leidenschaft in ihm regt? Wenn er sich im Bett so ungeschickt wie beim Küssen anstellt, na
dann gute Nacht!" "Oh, du ...!" Wütend hob Scarlett die Hand. "Das lässt du besser bleiben", meinte er lässig. "Vergiss nicht, ich sitze am Steuer." "Du kannst mich an gar nichts hindern!" "Nein? Dich könnte ich doch an allem hindern, und du weißt auch ganz genau, wie. Soll ich anhalten und es dir beweisen?" Errötend ließ Scarlett ihre Hand in den Schoß sinken. Das war doch verrückt! Total verrückt! Liam entführte sie, und sie saß einfach nur da und ließ es geschehen. "Das kannst du mit mir nicht machen!" protestierte sie. "Du siehst doch, dass ich es kann." "Denkst du denn gar nicht an andere? Mein Stiefvater ist sicher schon ganz krank vor Sorge." "Er wird's überleben", erwiderte Liam kalt. Ebenso kalt sagte Scarlett: "Er wird die Polizei rufen." "Na und?" "Man wird dich verhaften. Ins Gefängnis werfen." Ihr Ton wurde schrill. "Aber das wird dir wohl nicht zum ersten Mal passieren, oder, Liam?" Amüsiert zog er, die Mundwinkel hoch. "Glaubst du, ich sei schon im Knast gewesen?" "Bei dir würde mich nichts, aber auch gar nichts wun dern!" rief sie. "Na, dann ist es ja gut, Scarlett", meinte er. "Unter schätze nie deinen Gegner - eine der wichtigsten Kampf regeln." Sie empfand Zorn und war gleichzeitig traurig. Sie stritten wieder, genauso wie sie damals gestritten hatten. Genau genommen war ihre ganze kurze Beziehung ein einziger Kampf gewesen, der nur von flüchtigen Frie densphasen in Form ekstatischer Liebesakte unterbrochen
worden war. Fieberhaft suchte Scarlett nach etwas, wo mit sie ihn verletzen konnte. "Wie ausgerechnet du die sen exklusiven Wagen finanzieren konntest, frage ich mich allerdings schon", meinte sie spitz. Einen Moment umklammerte er das Lenkrad fester, so dass die Fingerknöchel weiß hervortraten, aber er klang belustigt, als er sagte: "Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, Scarlett, aber dein hoheitsvolles Getue beeindruckt mich über haupt nicht." "Früher tat es das aber schon", erinnerte sie ihn. "Oder hat dich meine gehobene Ausdrucksweise etwa nicht angemacht? Dir hat es doch gefallen, in adlige Kreise hineinzuschnuppern genauso wie es mir gefallen hat, mich mit dir unters gemeine Volk zu mischen." Sie hatte überzeugend gelogen - fand sie zumindest. Er sollte glauben, dass ihre Leidenschaft für Ihn nur das Hirngespinst eines naiven, aber experimentierfreudigen jungen Mädchens gewesen sei. Nie erfahren sollte er je doch, dass er die große Liebe ihres Lebens gewesen war, der Mann, an dem sie fortan alle anderen gemessen hatte. Und kein einziger hatte dem Vergleich mit ihm stand gehalten. Und hatte sie nicht deshalb der äußerst "pas senden" Heirat mit Henry zugestimmt weil sie den Ver such, Liebe zu finden, aufgegeben hatte? "Unters gemeine Volk mischen", wiederholte er nur kopfschüttelnd ... Der Liam von früher wäre bei einer derartigen Stichelei vor Wut explodiert, aber nur um Scarlett im nächsten Moment an sich zu reißen und ihr mit brutaler Leiden schaft die Flausen auszutreiben. Dieser Liam jedoch - dieser Fremde im Smoking - griff lediglich zu einer Kassette und legte sie ein.
Scarlett hätte schreien mögen, als die Liebesarie aus Carmen ertönte und mit ihren leidenschaftlichen Klängen voll bittersüßer Sinnlichkeit den Wagen erfüllte. Am liebsten hätte sie sich die Finger in die Ohren gesteckt, um diese quälend schöne Musik wenigstens etwas zu dämpfen. Starr blickte sie auf die dunkle leere Straße hinaus und fragte sich mit einem seltsamen Anflug von Eifersucht, wann und durch wen Liam seine Liebe zur Oper entdeckt haben mochte. Als er noch mit ihr zusammen gewesen war, hatte er von Opern jedenfalls nichts gehalten, aber damals hatte er ja auch kein teueres Auto gefahren. Nein, während ihrer jämmerlich kurzen Ehe hatte er nicht einmal eine Rostlaube gefahren, denn sie waren immer knapp bei Kasse gewesen, und Liam hatte sich stur geweigert, sich von seinem Schwiegervater finanziell unter die Arme greifen zu lassen. Deshalb hatten sie auch in dem kleinen, schäbigen A partment über einer Gaststätte gewohnt, wo es ständig durchdringend nach gekochtem Kohl roch und Scarlett die Hausfrau spielte, während Liam mit harter körperli cher Arbeit die Brötchen verdiente. Schluss mit den Gedanken. Sie musste einen klaren Kopf bewahren. Liam war wieder da, aber was hatte er vor? Und warum nahm sie es einfach hin, dass er sie entführte? Hatte sie in seiner Gegenwart denn keinen eigenen Willen? Sie straffte die Schultern, setzte sich kerzengerade hin und versuchte, Details der schneebedeckten Landschaft zu erkennen, die an ihnen vorbeizog. Als sie ein Dorf und dann am Ortsrand den zugefrorenen Dorfteich passierten, schlug ihr Herz schneller. Das Dorf kannte sie. Die Straße wurde nun schmal und kurvig. Scarlett
schloss die Augen und wagte es nicht, sie wieder zu öff nen, obwohl sie den Anblick, der sich ihr zu ihrer Linken geboten hätte, nur zu gut kannte: winterkahle Kastanien bäume, die wie Gespenster ihre dürren Arme in den schneeverhangenen Nachthimmel reckten. Wie kann er das nur tun, dachte sie hilflos. Mich ausge rechnet hierher zu bringen ... "Hast du Angst hinauszusehen, Scarlett?" fragte er spöttisch. Zögernd öffnete sie die Augen und hoffte, dass es nicht wahr sein möge. Aber sie hoffte vergebens. Als der Wa gen vor dem kleinen Cottage zum Stehen kam, wurde ihr flau in der Magengrube, doch gleichzeitig wurde sie von einer ungeheuerlichen Erregung erfasst. Scarlett löste ihren Sicherheitsgurt und wandte sich Liam mit erhobenen Händen zu, als wollte sie ihm mit ih ren langen Fingernägeln, die wie die Krallen einer Katze wirkten, im nächsten Moment das Gesicht zerkratzen. Wie ein Tiger, der mit einem lässigen Prankenhieb eine lästige Mücke verscheucht, schob Liam ihre Hände weg. Als er sah, wie sich Scarletts Lippen bei diesem kurzen Hautkontakt öffneten, verzog er den Mund zu einem kal ten, niederträchtigen Lächeln. "Bevor du die Krallen zeigst, Scarlett - wie wär's mit einem Schäferstündchen?" Bevor Scarlett auf diese Unverschämtheit etwas erwi dern konnte, war er ausgestiegen und um den Wagen herumgegangen. "Bring mich sofort nach Hause!" forder te sie, als er die Beifahrertür öffnete. "Wenn du das tust und mich in Ruhe lässt, vergesse ich diese ganze Entführungsgeschichte." "Willst du denn wirklich nicht wissen, was dein gelieb ter Gatte die ganzen Jahre gemacht hat?" "Nein, es interessiert mich nicht." Angelegentlich ließ
sie den Blick über das edle, hervorragend geschnittene Tuch seines teuren Anzugs gleiten. "Da du offenbar in Geld schwimmst, werden es wohl kaum saubere Ge schäfte gewesen sein." "Meinst du?" fragte er unbeeindruckt von ihrem spitzen Ton. Tu ihm weh, forderte eine innere Stimme. Tu ihm weh, wie er dir weh getan hat. Herablassend lächelnd erkun digte sie sich schließlich: "Wie bist du denn dann zu all dem Geld gekommen, Liam? Etwa durch harte Arbeit?" "Ach, jetzt interessiert es dich auf einmal doch", be merkte er süffisant und blieb ihr die Antwort schuldig. "Oh, du arroganter Mistkerl!" brach es aus Scarlett her aus. "Jetzt habe ich aber genug! Bring mich sofort heim!" "Noch nicht. Erst will ich mit dir reden", sagte er be stimmt und schüttelte die Schneeflocken ab, die sich auf sein pechschwarzes Haar gesetzt hatten. "Wende dich an meine Anwältin, wenn du etwas von mir willst." "Was ist los, Scarlett?" spöttelte er. "Ist deine Angst rein zu gehen so groß? Macht dir die Vergangenheit so zu schaffen?" Als er auf das Cottage zu sprechen kam, bedachte sie ihn mit der herablassendsten Miene, die sie zustande brachte, und kniff die Augen so zusammen, dass ihm der Schmerz, den die Erinnerung hervorrief, verborgen blei ben musste. Ausgerechnet hierher hatte er sie bringen müssen, hierher, wo ihre Liebe zu ihm erwacht war. Denn hier, in diesem Cottage, an einem wundervollen Sommernachmittag, hatte sie sich ihm hingegeben und sich ihm geschenkt. Auf dem staubigen Fußboden hatte er sie ausgezogen, hatte sie geküsst und schließlich genommen. Danach, als
sein Körper langsam wieder zur Ruhe kam, hatte sie ge weint und heiße Tränen voll Freude und Dankbarkeit vergossen. Doch neben ihrer eigenen Freude hatte sie bei ihm auch Ärger gespürt - als ob er geahnt hätte, welches Nachspiel diese erste wilde Vereinigung noch haben würde. "Um ehrlich zu sein, ich kann mich an dieses Cottage kaum erinnern", log sie. "Aber wie du sicher weißt, ge hört es meinem Stiefvater. Zusätzlich zur Entführung machst du dich also auch noch unbefugten Betretens schuldig." Liam lachte kurz auf. "Das sehe ich aber anders", stellte er trocken fest. "Komm, Scarlett, gehen wir rein. Ich muss mit dir reden, und hier draußen ist es zu kalt." Er zog sie aus dem Auto, nicht grob, aber mit jener ganz gewissen Härte, die sie unterschwellig auch immer in seinem Liebesspiel gespürt hatte, und einen Moment lang war Scarlett versucht, sich in seine starken Arme zu werfen. "Das verzeihe ich dir nie!" rief sie, als sie ihre Gefühle wieder im Griff hatte und von Liam zur Haustür geführt wurde, die er aufschloss. Scarlett trat ein und sah sich überrascht um. Sie hatte erwartet, das Cottage unverändert vorzufinden - unge mütlich, vernachlässigt, heruntergekommen -, aber es war renoviert worden. Jemand hatte es wirklich ge schmackvoll renoviert. Die Dielenböden waren gewachst und gebohnert, und darauf lagen persische Läufer in leuchtenden Grün- und Türkistönen. An den frisch getünchten Wänden hingen verschiedene wahrhaft meisterliche Aquarelle. Das Mo biliar war modern, wobei helle Farben dominierten, und sogar eine Zentralheizung war eingebaut worden. Wer
immer diesen Raum eingerichtet haben mochte, er hatte Geschmack und teilte auf keinen Fall die Schwäche, die Scarletts Eltern für altmodisches, auf Hochglanz poliertes Mahagoni hatten. "Seltsam", wunderte sich Scarlett schließlich. "Von den Renovierungsarbeiten hat mein Stiefvater mir gar nichts gesagt." "Er hat sie ja auch nicht durchführen lassen", erwiderte Liam trocken. "Das Cottage gehört mir." "Nein! Das glaube ich nicht!" rief sie, obwohl Liams Tonfall keinen Zweifel an der Wahrheit seiner Worte zuließ. "Dann lässt du es eben bleiben", meinte er schulterzu ckend. Verwirrt sah Scarlett ihn an. "Aber mein Stiefvater würde das Häuschen nie verkaufen - und schon gar nicht an dich!" "Bist du dir da so sicher?" Liams hochgezogene Mundwinkel deuteten ein Lächeln an, aber seine Augen wirkten kalt wie die Winternacht. Irgend etwas an seiner selbstbewussten Haltung flößte Scarlett Furcht ein. Aber nein, ihr Stiefvater hätte ihm das Cottage nie verkauft! Warum, um alles in der Welt, hätte er auch ausgerech net mit dem Mann Geschäfte machen sollen, den er fast genauso verabscheute wie sie selbst? "Nimm Platz, Scarlett, ich schüre gleich das Kaminfeu er. Möchtest du Kaffee oder lieber etwas Stärkeres?" Das war doch verrückt! Man hätte meinen können, sie wären zu einem Plauderstündchen hergekommen! Scar lett hatte das Gefühl, es keine Minute länger auszuhalten. Sie musste raus, bevor die Vergangenheit mit all ihren
schmerzlichen Erinnerungen sie vollends einholte. "Ich will weg", rief sie. "Ich will zurück zu meiner Party, und wenn du etwas zu sagen hast, Liam, dann sag es. Ich ge be dir genau fünf Minuten." "Jetzt lass mich erst mal einschüren." Liam ging vor dem Kamin in die Hocke und entfachte das Feuer. Flammen loderten auf und gaben dem Raum eine heime lige Atmosphäre. Scarlett ließ sich auf einem der dick gepolsterten Ledersofas nieder und beobachtete Liam, der Brandy in zwei Gläser goss und diese auf einen klei nen Tisch vor dem Sofa stellte. Alles kam ihr so unwirk lich vor - als würde ihre ganze Welt plötzlich auf dem Kopf stehen. Sie sah auf die Uhr. Fast elf. "Lang kann es nicht mehr dauern, bis mein Stiefvater kommt", sagte sie hoffnungs voll, obwohl sie selbst nicht wusste, was ihren Stiefvater auf die Idee bringen sollte, sie ausgerechnet in diesem Cottage zu suchen. "Nach Henry hast du wohl keine Sehnsucht?" "Henry?" Scarlett blickte starr auf ihre im Schoß ver schränkten Finger, als ihr bewusst wurde, dass sie an ihren Verlobten noch keinen Gedanken verschwendet hatte. "Henry wird dich in Stücke reißen", drohte sie dann. "Einfach bei uns einzudringen und mich gegen meinen Willen wegzubringen ... Das kannst du doch nicht machen, du verdammter Brutalo!" "Ich habe es aber gemacht, wie du siehst", bemerkte er ungerührt. "Warum hast du nicht einfach angerufen und mich um eine Verabredung gebeten, wenn du mich schon unbe dingt sprechen wolltest?" "Du willst doch nicht behaupten, dass du dich mit mir getroffen hättest?"
"Doch, warum auch nicht?" "Also gut", lenkte er ein, um das Thema zu beenden, und erhob sein Glas. "Worauf wollen wir trinken?" "Auf die Scheidung", schlug sie vor. "Wie grausam du bist", erwiderte er gespielt entrüstet und fuhr süffisant lächelnd fort: "Dass ich derjenige bin, dem übel mitgespielt wurde, ist dir aber schon klar? Schließlich bin ich derjenige, der in die Ehefalle gelockt wurde - und zwar von dir." "Ich habe dich nicht..." Nein, sie konnte es nicht ab streiten, denn irgendwie hatte er ja recht. Sie hatte ihn in die Falle gelockt, weil sie ihn gewollt hatte. Ein ver wöhntes und berechnendes junges Ding war sie damals gewesen und hatte es schließlich auch geschafft, ihn zu kriegen. Aber sie hatte ihn auch geliebt - oder es zumin dest geglaubt. Und bezahlt hatte sie. O ja, hundert- und tausendfach hatte sie für ihr jugendliches Sehnen nach Liam Rouse bezahlt. Er sieht toll aus, dachte sie widerstrebend, als er sich ihr gegenüber auf das andere Sofa setzte und seine langen Beine von sich streckte. Immer noch der gleiche muskulöse Körper. Kein Gramm Fett. Die gleiche breite Brust, die gleichen schmalen Hüften und die gleichen kräftigen Oberschen kel. Und doch hatte er sich verändert. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war Liams Männlich keit gerade erwacht, war ungestüm gewesen und gesteu ert von purem Verlangen. Jetzt hatte sich etwas hinzugesellt und war unterschwel lig immer vorhanden: Entschlossenheit und eiserne Selbstbeherrschung. Diese neuen Wesenszüge spiegelten sich in der gelassenen Wachsamkeit seines markanten
Gesichts wider, mit der er Scarletts prüfenden Blicken standhielt. Sie atmete tief durch und sah ihm direkt in die Augen, als könnte sie dort die Antwort auf ihre Fragen finden. Was hatte Liam verändert? Wodurch war der wunderbar wilde Liebhaber, den sie gekannt hatte, zu diesem beherrschten und kultivierten Mann geworden, der nun vor ihr saß? "Warst du die ganzen Jahre in England?" "Warum fragst du?" Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. "Hast du mich vermisst?" Ja, und zwar sehr, aber das würde er nie erfahren. "Ich bin auch ohne dich ganz gut über die Runden gekom men." "Aber meinen Körper wirst du doch wenigstens ver misst haben, oder, Scarlett?" Entsetzt bemerkte sie, wie ihr eigener Körper auf den bloßen Gedanken an seinen reagierte: das vertraute Zie hen in ihren Brüsten, das Hartwerden der Knospen, die sich aufrichteten; das Kribbeln zwischen ihren Beinen, das sie kaum stillsitzen ließ. Erregung und Scham trieben ihr gleichermaßen die Röte ins Gesicht, denn als sie sei nem Blick begegnete, sah sie darin, dass Liam nichts vermisst hatte. "Ja, Scarlett", bekräftigte er sanft. "Meinen Körper hast du gewaltig vermisst." Gewaltig war das richtige Wort - oh, dieser Teufel! Er hatte sie durchschaut. Scarlett trank einen Schluck Bran dy und zwang sich zu einer souveränen Miene. "Manch mal kannst du einen richtig anöden, Liam. Die Kunst gepflegter Unterhaltung hast du wohl total verlernt." Höhnisch lächelte sie ihn an. "Ach, wie dumm von mir! Jetzt hätte ich doch beinahe vergessen, dass du diese
Kunst ja nie beherrscht hast." "Scarlett, Scarlett", meinte er kopfschüttelnd, "was soll dieses herablassende Getue? Hat dir noch niemand ge sagt, dass das nicht gerade ein Zeichen von Intelligenz ist?" Warum nur gelingt es mir bei ihm nie, die Oberhand zu gewinnen? dachte sie und fuhr ihn ärgerlich an: "Geh zum Teufel!" Er quittierte ihren Wunsch mit einem kurzen Lachen. "Wo waren wir doch gleich stehen geblieben, bevor du beschlossen hast, albern zu werden? Wolltest du mich nicht über mein Leben ausfragen?" Eigentlich hätte sie ihm jetzt sagen müssen, dass sie an nichts, was ihn betraf, auch nur im geringsten interessiert sei, und deshalb fand sie es ziemlich merkwürdig, dass sie ihn fragte: "Wo bist du all die Jahre gewesen?" Er trank einen Schluck Brandy und stellte das Glas zu rück auf den Tisch. "Zuerst ging ich nach Australien. Dann in die Staaten. Meinen Hauptwohnsitz habe ich immer noch in Australien." Und nun? dachte sie, und es fiel ihr das Sprichwort "Aus den Augen, aus dem Sinn" ein. Aus den Augen hat te sie Liam wohl verloren gehabt, aus dem Sinn aber nie. Er hatte doch nicht etwa vor, wieder in ihr Leben einzu dringen? "Und was willst du nun wieder in England?" formulierte sie vorsichtig ihre Befürchtung. "Das kommt ganz auf das Ergebnis unseres Gesprächs an", erklärte er vage. Etwas an der Art, wie er das gesagt hatte, ließ Scarlett wachsam werden. Misstrauisch blickte sie ihn aus zu sammengekniffenen Augen an. "Kannst du vielleicht noch etwas deutlicher werden?" "Ich habe es dir vorhin schon gesagt. Ich will dir einen
Vorschlag machen." Nun war sie doch langsam neugierig geworden. "Wel chen Vorschlag?" "Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust", rückte er heraus und lächelte sie verführerisch an. Scarlett musste lachen. "Das ist doch die Höhe! Da tauchst du nach zehn Jahren wieder auf und bildest dir ein, ich würde dir einen Gefallen tun. Dazu bist du nun wirklich nicht in der richtigen Position." "Du täuschst dich, Scarlett." Sein Lächeln war einem Ausdruck kühler Selbstsicherheit gewichen. "Das Leben hat mich einen wichtigen Grundsatz gelehrt, und an den halte ich mich: Wenn ich etwas tue, tue ich es nur aus einer starken Position heraus." Etwas an diesem neuen Liam verursachte Scarlett Un behagen. Er kam ihr vor wie der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. Die wilde, fast primitive Männlichkeit, die er früher offen zur Schau getragen hatte, schien nun verbor gen unter dem Mantel kühler Beherrschtheit. Obwohl, dachte sie verbittert, kühl war er damals schon. Um nicht zu sagen kalt. Kalt und gefühllos. Er hatte sie verlassen ohne ein Wort, kein Blick zurück nein, ihn würde sie kein zweites Mal in ihr Leben ein dringen lassen! Nein, so dumm war sie nicht! Als sie ihn ansah, gelang es ihr, völlig unvoreinge nommen zu wirken. "Welchen Gefallen soll ich dir also tun?" fragte sie sachlich, fügte aber mit verletzendem Unterton hinzu: "Falls du Geld willst, ist die Antwort nein." Und dieser Satz provozierte eine Reaktion. Es war eine so flüchtige Reaktion, dass jemand, der dieses markante Gesicht nicht in- und auswendig kannte, sie gar nicht bemerkt hätte. Aber Scarlett bemerkte sie, sah den Zorn
in Liams blauen Augen aufblitzen, und es war ein Zorn, der auf unheimliche Weise wie eine Drohung wirkte. Ihr Herz schlug schneller, und da erkannte sie, dass diese Drohung sexueller Natur war, gerichtet an ihren verräte rischen, bereitwilligen Körper. So schnell Liams Zorn aufgeblitzt war, so schnell war er wieder verschwunden und unverhohlener Missbilli gung gewichen. "Denkst du, ich brauche dein Geld?" fragte er kopfschüttelnd. "Und selbst wenn ich Geld brauchte, glaubst du, ich käme gekrochen und würde ausgerechnet dich darum bitten? Was du als Gegenleis tung gern hättest, kann ich mir übrigens gut Vorstellen." Verächtlich verzog er den Mund. "Ich muss dich enttäu schen, Scarlett. Den Sexprotz habe ich einmal im Leben gespielt, und das war genau einmal zuviel." Starr vor ungläubigem Entsetzen blickte Scarlett ihn an. Nein, das konnte er nicht glauben - das doch nicht! Glaubte er etwa, dass sie ihn nur fürs Bett gebraucht ha be? Er war doch ihr ein und alles gewesen, ihre ganze Welt hatte sich nur um ihn gedreht. Die Erinnerung ließ sie erschauern. "Es mag ja sein, dass du Zeit und Lust hast, hier he rumzusitzen und über eine Episode unseres Lebens zu diskutieren, die man besser ein für allemal vergessen sollte - ich nicht." Herausfordernd sah sie auf ihre Uhr. "Meine Party ist in vollem Gang, und meine Gäste wer den mich vermissen - also los, Liam, raus damit." Liam lächelte nur, und das brachte Scarlett auf die Pal me. "Jetzt sag endlich, was du willst! Spuck ihn aus, dei nen Vorschlag!" "Wie gewählt du dich wieder ausdrückst", spöttelte er und schlug lässig die langen Beine übereinander. "Na gut, dann will ich es dir eben sagen. Scarlett, ich brauche
nicht dein Geld, ich brauche dich." Ihr Puls begann zu rasen. Lang vergessenes Sehnen er wachte tief in ihrem Innern. Ihr Mund wurde trocken. "Was hast du gesagt?" flüsterte sie. Er lächelte weich. "Ich möchte, dass du mir einen klei nen Gefallen tust, Scarlett." Das Sehnen wich Verwirrung. Wollte er nun sie oder einen Gefallen? Verblüfft fragte sie nach: "Welchen Gefallen?" Ihre Verwirrung schien ihn zu amüsieren. "Ich stehe kurz vor einer großen geschäftlichen Transaktion. Die Unterzeichnung der Fusionsverträge ist praktisch nur noch Formsache, und ich möchte die erfolgreichen Ver handlungen mit einem würdigen Abschluss krönen. Deshalb gebe ich für meine zukünftigen Geschäftspart ner und deren Frauen ein Fest. Es wird in meinem Haus in Australien stattfinden, und ich will, dass alles wie am Schnürchen läuft. Dazu brauche ich natürlich eine Gast geberin, jemand, der diese Rolle perfekt spielt - und wer könnte das besser als du, Scarlett?"
3. KAPITEL Scarlett sah Liam an, als würde der Leibhaftige vor ihr sitzen. Wie in Zeitlupe schüttelte sie ungläubig den Kopf. "Das ist ja absurd! Lachhaft! Dieses Ansinnen ist so hirnrissig, dass es nicht einmal eine Antwort verdient." Ihre negative Reaktion schien ihn nicht im geringsten
zu beunruhigen. "Du wirst es also nicht tun?" Fast wäre sie an dem letzten Schluck Brandy erstickt, den sie hinuntergekippt hatte, um sich gegen Liam und dessen seltsame Vorschläge zu wappnen. "Natürlich wer de ich es nicht tun! Wie kannst du die Stirn haben, es auch nur in Erwägung zu ziehen! Ich bin heilfroh, wenn ich keine Minute länger als unbedingt nötig in deiner Gesellschaft verbringen muss, und du bildest dir ein, ich würde bei diesem Fest die Gastgeberin spielen, um deine komischen Geschäftsfreunde zu beeindrucken. Würde ich sie kennen lernen, wäre es mir allerdings eine große Freude, ihnen zu erzählen, wie ..." "Wie toll ich im Bett bin?" fiel er ihr ins Wort und lach te, als sie tiefrot wurde. Allein mit ihm in einer Gegend, wo sich Fuchs und Ha se gute Nacht sagten, waren derartige Anspielungen das letzte, was sie vertragen konnte. Sie musste ein für alle mal klare Fronten schaffen, und zwar sofort! "Wie oft muss ich es dir noch sagen? Ich bin verlobt und werde heiraten! Und wir, Liam, wir werden in fünf Wochen geschiedene Leute sein! Hast du das jetzt end lich kapiert?" "Soll das heißen, du lehnst meinen Vorschlag ab?" "Bist du wirklich so schwer von Begriff, oder tust du nur so?" fragte sie, der Verzweiflung nahe. "Natürlich lehne ich ihn ab!" Kopfschüttelnd, als würde ihn ihre Ablehnung irritie ren, sah er sie an. "Und ich hatte gedacht, wir könnten uns gütlich eini gen." "Dann hast du dich eben getäuscht." "Tja, Scarlett, dann muss ich dir wohl etwas sagen, das
nicht gerade erfreulich ist", meinte er zögernd. "Nur zu, Erfreuliches hätte ich von dir sowieso nicht erwartet." Unbeeindruckt von ihrem Seitenhieb, fragte er: "Ist dir eigentlich klar, was dein Stiefvater so treibt?" "Mein Stiefvater? Der ist treu wie Gold und treibt gar nichts!" "O Scarlett, du denkst doch immer nur an das eine. Nein, ich meine geschäftlich." "Geschäftlich?" Scarlett verstand nun gar nichts mehr. Was wüsste denn Liam von Humphreys Geschäften? "Dein Stiefvater steht kurz vor dem Bankrott", eröffne te er ihr kurz und bündig. Die Art, wie Liam diese Feststellung getroffen hatte, ließ keinen Zweifel an deren Wahrheitsgehalt, und doch weigerte sich Scarlett, es zu glauben. Sie spürte, wie Angst ihr die Kehle zuschnürte. "Das glaube ich nicht", sagte sie tonlos. "Es ist aber so." Liams blaue Augen funkelten kalt. "Dieses Cottage gehört jetzt mir - und ebenso der Groß teil seiner anderen Besitztümer." Scarletts Herz klopfte wie wild. "Du lügst", flüsterte sie. Er ignorierte ihren Vorwurf. "Sein Geschäft steckt in Schwierigkeiten, und sein Haus ist bis unters Dach mit Hypotheken belastet." Liam steigerte die Dramatik, in dem er eine kurze Pause machte, bevor er fort fuhr: "Und wenn die Bank ihm die Kredite kündigt..." . "Warum sollte die Bank das tun?" wollte Scarlett wis sen. "Und was hat das alles mit dir zu tun? Und mit mir?" "Es hat sehr viel mit uns zu tun", sagte er mit dieser rauen Stimme, die sie an früher und damit an das ganze Gefühlswirrwarr aus Freude und Kummer erinnerte, das
Liam bei ihr angerichtet hatte. "Der Mehrheitsanteil an der Bank, bei der Humphrey mit seinen Hypotheken und Geschäftskrediten in der Kreide steht, gehört nämlich ebenfalls mir", erklärte er. "Wenn du mich dazu zwingst, kann ich dafür sorgen, dass ihm auf einen Schlag sämtliche Kredite gekündigt werden." "Ich verstehe nicht", flüsterte sie. "Was soll das hei ßen?" "Das habe ich dir bereits gesagt, Scarlett. Ich möchte, dass du bei meinem Fest die Gastgeberin spielst. Tu es und nur das - und ich lasse ihn in Ruhe." Sie sah den Mann an, der ihr gegenübersaß und sie mit kalten Blicken maß. Sein Gesicht war ausdruckslos wie das eines Pokerspielers. "Du Mistkerl!" rief sie dann. "Humphrey ist nicht mehr der Jüngste, und du wagst es ..." "Halt die Klappe", befahl er barsch, und das Blitzen in seinen Augen verriet, dass er kurz davor war, die Beherr schung zu verlieren. "So töricht unsere kurze Ehe auch gewesen sein mag, eine Entschuldigung für das Verhal ten deines Stiefvaters kann ich darin beim besten Willen nicht erkennen." Scarlett schoss die Röte ins Gesicht. Sie wusste genau, worauf er anspielte. "Wenn du das mit deiner Mutter meinst... ich habe mir von ihm versprechen lassen, dass er ihr ..." "Du hast dir von ihm etwas versprechen lassen? Dass ich nicht lache! Als könnte ein junges Ding, wie du es damals warst, gegen einen Mann von Humphreys Rang und Namen etwas ausrichten!" rief er aufgebracht und wurde dann plötzlich ganz ruhig, was Scarlett aber mehr beunruhigte
als sein Zorn. "Soll ich dir sagen, was dein Stiefvater getan hat? Oder weißt du es bereits?" "Er sagte, dass er ihr eine andere Arbeit besorgt ..." Die Verachtung in Liams Blick ließ Scarlett verstummen. '"Er hat gelogen", sagte er kalt. "Und du wusstest es. Sie bekam keinen neuen Job." "Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Einen Job aus dem Ärmel schütteln? Ich war gerade mal acht zehn, und außerdem..." "Und außerdem war dein Stolz verletzt, weil ich dich verlassen hatte. Stimmt's? Und deshalb fandest du es ganz in Ordnung, wie meine Mutter behandelt wurde." Im ersten Moment vielleicht - aber dann nicht mehr. "Ich habe deine Mutter immer gemocht und respektiert", sagte sie. "Schade nur, dass es mit Humphreys Respekt nicht weit her war", meinte er sarkastisch. "Nachdem sie jahrelang für ihn geschuftet hatte, warf er sie einfach hinaus und gab ihr nicht einmal ein Arbeitszeugnis." Scarlett empfand plötzlich tiefe Scham. Ob er es be merkte, wusste sie nicht, denn er stand auf und wandte ihr den Rücken zu. Seine breiten Schultern waren ge strafft, und seine ganze Haltung wirkte beherrscht, aber irgendwie wusste Scarlett, dass es in ihm drin ganz an ders aussah. Der Mann, der so selten Gefühle zeigte, war innerlich in Aufruhr. Am liebsten wäre sie zu ihm hingegangen, hätte ihn in die Arme genommen und ihn gestreichelt. Aber sie waren kein Paar mehr, und sie wusste, dass er sie wegstoßen würde, wenn sie sich die Freiheit nehmen würde, ihn zu berühren. "Wie ist es ihr dann ergangen?" erkundigte sie sich.
Seine Stimme war ruhig. Ruhig, kühl, sachlich. "Wie es Frauen, die nicht mehr ganz jung sind, keinen Mann ha ben und wieder von vorn anfangen müssen, eben so er geht. Ich habe ihr von meinem Lohn für die Arbeit, die du so verachtet hast, gegeben, was ich erübrigen konnte. Sozialhilfe musste sie aber trotzdem beantragen, und das hat sie am meisten gewurmt", berichtete er und fügte leise, wie zu sich selbst, hinzu: "Sie war eine stolze Frau.“ Nach langem Suchen fand sie in einem anderen großen Haushalt schließlich doch noch eine Stelle, aber es war nicht mehr wie früher. Sie kannte niemanden und war wohl schon zu alt, um neue Freundschaften zu schließen. Dazu kam natürlich, dass ich nicht mehr daheim und sie allein war. Einsam keit, Geldsorgen - sie verlor allen Lebensmut. Zwei Jahre später starb sie an einem Herzleiden." "O Liam, das tut mir leid", sagte Scarlett mitfühlend. Er wandte sich um, und seine blauen Augen blitzten teuflisch. "Wirklich?" fragte er schroff. "Dir tut es leid?" Sein anklagender Ton ließ sie zusammenzucken. Unsi cher sah sie zu ihm auf. "Um Himmels willen, Liam, du gibst doch nicht etwa mir die Schuld am Tod deiner Mut ter? So tragisch es ist, aber das kannst du doch mir nicht vorwerfen!" "Ich weiß nicht, was ich dir vorwerfe!" stieß er hervor. "Vielleicht werfe ich dir vor, dass du immer noch das willst - nach all den Jahren." Sie schnappte nach Luft und strauchelte, als er sie hochriss und in die Arme zog, sie festhielt und wild wie ein marodierender Krieger auf sie herabsah. Und sie empfand genau das gleiche wie damals, als er sie zum
ersten Mal geküsst hatte - Leidenschaft pur. Seine Lippen brannten heiß auf ihrem Mund und ent fachten sofort ein wildes Feuer. Er küsste sie hart und fordernd und stieß auf keinerlei Widerstand, denn Scar lett wusste, dass er sie strafen wollte - und hatte nichts dagegen. Aus der Art, wie sie seinen Kuss erwiderte, war herauszuspüren, dass auch sie ihm weh tun wollte. Sie wollten sich gegenseitig bestrafen, wollten sich verletzen und wussten beide, dass es in diesem heißen Konflikt nur eine einzige befriedigende Lösung gab. Er ließ einen Moment von ihr ab, um zu Atem zu kommen. "Ja, du kleine Schlampe", flüsterte er dann hei ser. "Du machst mich immer noch verrückt - auch wenn ich mich selbst dafür verachte." Scarlett durchlief ein Schauer, aber nicht einmal diese harten Worte brachten sie auf den Gedanken, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. Statt dessen schloss sie die Augen und ließ es zu, dass er sich an sie drängte und quälend aufreizend an ihrem flachen Bauch rieb. Eine Hand schob sich auf ihren Po, gespreizte Finger pressten sich in schwarzen Samt und hielten sie unerbitt lich fest. "O ja, Scarlett", stieß er hervor und lachte rau auf. "Ich möchte dir dein hübsches Kleidchen vom Leib reißen und diese scharfen schwarzen Strümpfe und Strap se sehen. Ich will das sehen. Verstehst du, Scarlett? Dich so zu sehen, soll nur mir vergönnt sein. Und dann will ich dich ausziehen, erst einen Strumpf, dann den anderen, und dann den Rest... Langsam, ganz langsam - so wie du es magst." Die einzige Reaktion, zu der Scarlett fähig war, war ein Zittern, und so fuhr er fort: "Ich will endlich wieder all die zarte weiße Haut sehen, will mein Gesicht an deine festen Brüste drücken und an deinen Knospen saugen, bis
du vor Erregung schreist. Ich will auf dir sein, in dir sein, mich in dir verlieren. Willst du das auch? Sag mir, Scar lett, ist es das, was auch du willst?" Unfähig, auch nur ein Wort zu formulieren, stimmte sie wie in Trance mit einem Nicken zu. Nichts anderes zähl te mehr, nur das, nur er und sie. Dieses brennende Ver langen war das einzig Wahre. Es gab nur einen Mann, in dessen Armen sie zur wilden, leidenschaftlichen Frau erwachte, und das war Liam. Bei Henry hätte sie nie ... Der Gedanke an Henry wirkte wie eine kalte Dusche. Ernüchtert riss sie die Augen auf und sah Liam bestürzt an, fand in seinem Gesicht jedoch keine Spur von Lei denschaft. Er musste gefühlt haben, dass sie sich im Geiste von ihm distanziert hatte, denn er blickte kühl und nachdenklich auf sie herab. Nur seine Lippen, feucht glänzend und leicht geschwollen, erinnerten an die wil den Küsse von eben. Beschämt registrierte Scarlett die Erregung, die in ih rem eigenen Körper noch tobte. Ein Blick in Liams blaue Augen zeigte ihr, dass auch er darum wusste, denn anders konnte man das Flackern darin nicht deuten. Sollte sie ihm nun Vorwürfe machen, weil er sie geküsst hatte? Nein, lieber nicht, denn mit Vorwürfen würde sie nur Spott und Hohn ernten - und das zu Recht. Denn sie hätte ihn bremsen können, ja, sie hätte ihn sogar bremsen müs sen. Aber dann hätte sie sich um dieses berauschende Glücksgefühl gebracht, das sie - leider viel zu kurz - er füllt hatte. Das beste war wohl, so zu tun, als wäre nichts passiert. Ruhig sah sie ihn an, die Erregung war nun fast aus ih rem Körper gewichen. "Es ist doch nicht dein Ernst, dass ich mit nach Australien kommen soll? Oder, Liam?"
"Natürlich ist es mein Ernst. Mein voller sogar." Sie schluckte. "Und wenn ich mich weigere, lässt du meinem Stiefvater die Kredite kündigen." "Du hast es erfasst." "Mistkerl", sagte sie, ohne die Stimme zu erheben. "Und wie soll ich das Henry erklären?" "Wozu ihm groß etwas erklären?" meinte er grinsend und warf einen so lüsternen Blick auf Scarletts Brüste, die sich immer noch rascher als sonst hoben und senkten, dass sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. Aber Handgreiflichkeiten hätten die ohnehin emotionsge ladene Atmosphäre nur noch mehr aufgeheizt. "Dir wird schon was einfallen, Scarlett. Du bist doch eine phantasievolle Frau. Hinterlass ihm einfach die Nachricht, dass du in spätestens vierzehn Tagen zurück seist. Schreib, dass du Hochzeitseinkäufe machst, und deute an, dass ihn in der Hochzeitsnacht etwas sehr Auf regendes erwarten wird - damit sollte er sich zufrieden geben, oder meinst du nicht?" Er kniff die Augen zusammen und sah sie nachdenklich an. "Obwohl, vielleicht gibt er sich doch nicht damit zu frieden, denn möglicherweise ist ja auch er total frust riert." Zynisch lächelnd fügte er hinzu: "Dass du frustriert bist, ist jedenfalls klar, denn so, wie du mich geküsst hast, küsst nur jemand, der seinen Frust loswerden will." "Spar dir deine Bosheiten!" fuhr Scarlett ihn an. "Du bist und bleibst ein ganz gemeiner und brutaler Kerl!" "Und du hasst sie, meine Brutalität, nicht wahr? Das hast du ja auch ganz deutlich gezeigt, als du meinen Kuss erwidert hast", spottete er. "Aber lassen wir deine sexuellen Neigungen jetzt mal beiseite. Bist du bezüglich meines Vorschlags schon zu einem Entschluss gekommen?"
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und beschloss, ihn so gegen sich aufzubringen, dass er gern darauf ver zichten würde, sie mitzunehmen. "Lass mich eines klarstellen: Wenn ich mich einver standen erkläre, mit nach Australien zu kommen, tue ich das in erster Linie, um dir Manieren beizubringen. Ich werde dir zeigen, wie man sich bei Tisch benimmt, wie man Servietten benutzt und Artischocken isst..." Zu ihrer Verblüffung wurde er nicht wütend, sondern lachte nur. "Das Messer abzulecken habe ich mir auch noch nicht abgewöhnen können - vielleicht schaffe ich es jetzt endlich mit deiner Hilfe." Irritiert sah sie ihn an. Ja, er veralberte sie, und das schlimmste daran war, dass es weh tat. Es tat weh, und es verwirrte sie, denn ihr war schlagartig bewusst geworden, dass ihre kurze, unglückselige Ehe eigentlich nur aus einer fast erbitterten Leidenschaft bestanden hatte. Waren sie je albern gewesen oder ausgelassen? Hatten sie je miteinander gelacht? Scarlett konnte sich nicht dar an erinnern, dabei konnte ein Lachen doch so etwas Ver trauliches sein, wie sie gerade festgestellt hatte ... "Und wie lange, denkst du, werde ich bleiben?" fragte sie und wusste im gleichen Moment, dass sie mit dieser Frage ihr Schicksal besiegelt hatte. "Länger als eine Woche brauche ich dich sicher nicht", stellte er in geschäftsmäßigem Ton fest. "Und du drückst ein Auge zu bei meinem Stiefvater, wenn ich mit dir komme?" vergewisserte sie sich. Er schüttelte den Kopf. "Ich werde kein Auge zudrü cken, sondern lediglich dafür sorgen, dass man ihm ge nug Zeit lässt, seine Angelegenheiten zu regeln." Und dann würde Liam wieder aus ihrem Leben gehen. "Versprichst du, dass du uns dann alle in Ruhe lässt?"
Sein Lächeln war ein Versprechen, und zwar ein eroti sches. "Das kann ich beim besten Willen nicht. Denn bis dahin, meine liebe Scarlett, wünschst du dir vielleicht nichts sehnlicher, als dass ich zumindest dich nicht in Ruhe lasse."
4. KAPITEL "Also, wie lautet die Antwort?" wollte Liam wissen. "Ja oder nein?" "Aber warum willst du ausgerechnet mich?" fragte Scarlett verständnislos? "Es muss doch eine ganze Reihe Frauen geben, die bei deinem Fest die Gastgeberin spie len könnten?" Sie war überzeugt, dass sich viele Frauen um diese Rolle geradezu reißen würden. "Stimmt, die gibt es", pflichtete er ihr bei. "Aber die will ich nicht, Scarlett - ich will dich." "Aber warum gerade mich?" fragte sie noch einmal, obwohl sie einkalkulierte, dass ihr die Antwort nicht ge fallen könnte. Und sie hatte recht. Sie gefiel ihr nicht. "Nun komm schon", spöttelte er. "Lass deine Phantasie spielen, Scarlett. Siehst du nicht die feine Ironie, die in dieser Sache steckt? Du schmückst mit deiner Anwesenheit meine Festtafel. Oder gefällt dir die Vorstellung nicht? Vielleicht war ich dir als einfacher Arbeiter ja lieber - weil leichter zu ma nipulieren, wie?" Hatte sie ihn wirklich manipuliert? Rückblickend mochte es ja so aussehen, aber damals ... Damals hatte
sie aus dem Bauch heraus gehandelt, wie getrieben von einer übermächtigen Kraft, die keinen Raum für Logik oder vernünftiges Denken ließ. Damals hatte sie es Liebe genannt. Rückblickend hatte sie so ihre Zweifel. Sie räusperte sich und legte bittend die Hände aneinan der, ohne sich dessen bewusst zu sein. "Wenn ich mich einverstanden erkläre, musst du mir dein Wort geben, dass du nach diesem Fest wieder aus meinem Leben ver schwindest. Das ist mir das wichtigste - viel wichtiger, als Humphreys Haut zu retten." "Und warum ist das so?" "Das weißt du ganz genau." "Ja, weil du glaubst, ich sei immer noch scharf auf dich", sagte er und lächelte zynisch. "So scharf wie du auf mich. Armer Henry. Stell dir vor, da seid ihr verhei ratet, und du hast nur eines im Kopf - und das bin ich." "Du Schuft", erwiderte sie, empört über seine Di rektheit. "Du hast keine Moral." Das schlimmste aber war, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. "Beschimpf mich ruhig, wenn dir dann wohler ist", meinte er unbeeindruckt und fragte abschließend: "Also machst du es?" "Mir bleibt wohl keine Wahl." "Gut, dann schlage ich vor, dass wir ein paar Stunden schlafen, denn wir haben morgen einen langen Tag vor uns." "Schlafen? Hier?" Scarlett schüttelte heftig den Kopf. "Ohne mich!" "Stell dich doch nicht so an, Scarlett." Sein Blick glitt zu einer Tür. "Es ist warm, es ist gemütlich, und dort drüben wartet ein großes Bett..." "Liam, in diesem Haus schlafe ich nicht", fiel sie ihm
ins Wort. "Und damit basta!" "Und wenn ich auf dem Sofa schlafe?" versuchte er sie umzustimmen, aber das Funkeln seiner Augen verriet, dass er es dort wohl nicht lange aushalten würde. Da Scarlett ihm an diesem Abend schon einmal fast erlegen wäre, glaubte er vermutlich, leichtes Spiel zu haben und letztendlich auch in ihr Bett gelassen zu werden. Wie kann er nur so unsensibel sein, dachte Scarlett erbost. War ihm denn nicht klar, dass sie es nicht ertra gen würde, hier zu schlafen? Hier, wo sie sich zum ersten Mal geliebt hatten? Kein Auge würde sie zutun angesichts all der Erinnerungen. Und, viel schlimmer noch, würde sie nicht doch der Ver suchung erliegen und ihn einlassen, wenn er an ihre Tür klopfte? Würde sie es wirklich schaffen, ihn abzuweisen, wenn er sein Glück versuchte? Dass er es versuchen würde, bezweifelte sie nicht, denn dafür kannte sie ihn zu gut. "Nein, hier bleibe ich nicht", sagte sie entschlossen. "Das ist mein letztes Wort." Seufzend rieb er mit dem Daumen über die Bartstop peln auf seinem Kinn und streckte sich gähnend. "Na gut, wie du meinst. Dann fahren wir eben zurück nach Lon don. Morgen müssen wir dort ja sowieso dein Visum besorgen. Hast du deinen Pass dabei?" "Nein, der ist in London, in meiner Wohnung.'' "Prima, dann fahren wir gleich und übernachten bei dir, und morgen stehen wir mit den Hühnern auf." "Halt!" Scarlett bedachte ihn mit einem frostigen Lä cheln. "Ich übernachte in meiner Wohnung. Du gehst ins Ho tel - oder schläfst auf einer Parkbank, wenn du kein Zimmer findest."
"Aber Scarlett", spöttelte er. "Könntest du nach all den Gelübden, die wir abgelegt haben, deinen armen Mann wirklich auf die Straße jagen?" Scarlett erstarrte. "Eines lass dir sagen, Liam. Mach dich nie, nie wieder lustig über diese Gelübde. Hast du mich verstanden? Dir mögen sie ja nichts bedeutet haben, aber ..." Mit einem Schlag hatte sich seine Stimmung gewan delt, und sein Ton war schneidend, als er jetzt sagte: "Was hätten sie mir auch bedeuten sollen? War nicht alles Lug und Trug, Scarlett? War es nicht eine Lüge, mit der du mich zum Traualtar geschleppt hast? Für dich war ich doch nur ein begehrtes Objekt, etwas, das du unbe dingt haben wolltest. Und um mich zu bekommen, war dir jedes Mittel recht sogar Lügen." Unverhohlene Aggression verzerrte sein Gesicht und ließ Scarlett zurückschrecken, denn ihr wurde zum ersten Mal so richtig bewusst, wie sehr dieser Mann sie verab scheute. Und sie, wie empfand sie für, ihn? Verabscheute sie ihn auch? Hasste sie ihn? Nein, sie konnte ihn einfach nicht hassen, denn dafür hatte er in ihrem Herzen einen viel zu festen Platz. Solange Liam in ihrer Nähe war, würde er immer eine schier unwiderstehliche Versuchung darstellen. Sie sah zu ihm auf und sah in eiskalt blickende blaue Augen. "Gehen wir?" fragte er scharf, und Scarlett nickte stumm und fragte sich, ob er sie und ihre Familie wirk lich in Ruhe lassen würde, nachdem sie ihm diesen "Ge fallen" getan hatte. Es war schon seltsam, aber irgendwie hatte sie wirklich den Wunsch, ihm zu helfen, obwohl sie natürlich auch neugierig war zu erfahren, wie er jetzt lebte.
Außerdem schuldete sie ihm etwas. Oder hatte sie etwa nicht vor all den Jahren sein Leben gründlich durchein ander gebracht - und zwar viel gründlicher als er ihres? "Hier. Zieh den an." Er half ihr in einen schwarzen Kaschmirmantel, der so weich und flauschig war, dass sie sich darin wie in einem Kokon geborgen fühlte. Zwei fellos war es Liams Mantel, denn er trug unverwechsel bar dessen ganz eigenen männlichen Duft. Da Liam ein beachtliches Stück größer war als Scarlett, schleifte der Mantelsaum im Schnee, als sie das Cottage verließen und zum Wagen gingen. Die verschneite Landschaft wirkte im Mondlicht wie eine Zauberweit, und Scarlett fühlte sich wie das Mäd chen in ihrem Lieblingsmärchen, das eine Schranktür öffnet und dahinter eine ganz neue, fremde Welt vorfin det. Sie würde auf der Hut sein müssen, denn war es nicht genau das, was Liams Charme schon immer ausgemacht hatte - seine Fähigkeit, das Normale in etwas Wundervol les und Außergewöhnliches zu verwandeln? Und deshalb reiste sie mit ihm schließlich nicht den ganzen Weg nach Australien. Er zwang sie, etwas für ihn zu tun, weil er ihr auf eine gewisse primitive Art all das heimzahlen wollte, was vor Jahren geschehen war. Für ihn war diese Rache mit Sicherheit eine ganz besonders süße. Dass Scarlett ihn immer noch für den attraktivsten Mann auf der Welt hielt, machte die ganze Sache für sie aber nur noch kom plizierter. Dass er sie genauso anziehend fand, schien ihm aller dings kein Kopfzerbrechen zu machen. Wahrscheinlich würde es ihm sogar gefallen, ihre Beziehung auch auf körperlicher Ebene wieder aufleben zu lassen, nur um sich dann von Scarlett erneut abzuwenden und zu gehen.
Und genau davor hatte sie Angst. Es begann wieder zu schneien, als sie losfuhren, und bald fielen die Flocken so dicht vom Himmel, dass der Scheibenwischer fast überfordert war. "Verdammt!" fluchte Liam leise und versuchte mit zu sammengekniffenen Augen, die Straße zu erkennen. "Ich wusste, dass es keine gute Idee war, heute Nacht noch zu fahren. Wenn wir im Schnee stecken bleiben, kannst du was erleben." "Es scheint dir zur Gewohnheit zu werden, an allem mir die Schuld zu geben", erwiderte Scarlett schroff. "Ü bernimmst du nie selbst die Verantwortung für das, was du tust?" Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu und sagte: "Natürlich", sagte es aber in einem so eigenartigen Ton, dass Scarlett nicht wusste, auf welche ihrer Äußerungen Liam sich bezog. Da er bei diesem Wetter seine ganze Aufmerksamkeit der Straße widmen musste, ließ sie es jedoch dabei bewenden. Die Fahrt war der reinste Alptraum, und Liam fuhr so vorsichtig wie nur möglich, aber dann kam der Porsche doch ins Rutschen. Ein Aufprall, Scarlett wurde nach vorn geschleudert und sah ihren Kopf schon gegen die Scheibe schlagen, aber der Sicherheitsgurt bewahrte sie davor. Liam stellte sofort den Motor ab und packte sie bei den Schultern. "Bist du verletzt?" "Nur ein bisschen durcheinander geschüttelt. Ist - ist al les in Ordnung?" "Klar, es könnte gar nicht besser sein", sagte er grim mig. "Wir stecken in einer Schneewehe, und draußen tobt der vielleicht schlimmste Schneesturm des Jahrhunderts." Scarlett ignorierte seinen Sarkasmus. "Und was machen wir jetzt?"
Er warf ihr einen finsteren Blick zu. "Das beste Mittel gegen Erfrieren ist bekanntlich Aneinanderkuscheln, aber wozu das bei uns führen würde, kann ich mir lebhaft vor stellen." "Spar dir deine Phantasien." "Schon gut, schon gut." Er öffnete die Wagentür, schwang die Beine hinaus und fluchte, als sie bis über die Waden im Schnee versanken. "Ich habe einen Spaten dabei - vielleicht kann ich die Räder freischaufeln." "Ich helfe dir." "Du bleibst, wo du bist." "Aber ich will..." "Was du willst, ist mir verdammt egal, Scarlett!" schrie er sie an. "Deinetwegen stecken wir hier fest. Und wenn du jetzt nicht sofort die Klappe hältst und still sitzen bleibst, lege ich dich übers Knie", polterte er und fügte dann völlig überraschend mit diesem umwerfend verführerischen Lächeln hinzu: "Und das könnte auch zu etwas ganz an derem führen. Also tu mir den Gefallen, Scarlett, bleib hier und halt dich warm." Und so blieb sie im Wagen sitzen und beobachtete, wie er mit kraftvollen Bewegungen die Schneemassen weg schippte, die den Porsche gefangen hielten. Als wäre es erst gestern gewesen, erinnerte, sie dieses Bild an früher, wenn sie Liam bei der Arbeit zugesehen hatte. Damals hatte er in Jeans und mit nacktem Oberkörper geschau felt, heute tat er es im Smoking. Er muss doch frieren, schoss es ihr da plötzlich durch den Kopf, und sie stieß die Autotür auf. "Liam!" schrie sie gegen den eisigen Wind, der ihr fast den Atem nahm.
"Mach die verdammte Tür wieder zu!" befahl er, ohne auch nur einen Moment innezuhalten. "Liam, du holst dir doch den Tod! Willst du den Man tel?" " Gleich. Und jetzt mach die Tür zu." Sie gehorchte, verfluchte ihn aber im stillen für die Art, in der er sie herumkommandierte. Es dauerte noch etwas, dann war er fertig, packte den Spaten weg und stieg ein. Scarlett warf einen Blick auf Liam und zog auch schon den Kaschmirmantel aus. "Keine Widerrede, Liam Rouse. Du ziehst jetzt diesen Mantel an, und zwar sofort!" Als er die Innenraumbe leuchtung einschaltete, sah sie erst, dass sein Anzug völ lig durchnässt war. "Aber vorher musst du die nassen Sachen ausziehen, sonst holst du dir noch eine Lungen entzündung", stellte sie sachlich fest und erntete ein an zügliches Lächeln. "Keine Angst - ich schaue "weg", fügte sie sarkastisch hinzu. "Vor Publikum strippe ich aber am liebsten", erklärte er augenzwinkernd, zog das durchnässte Jackett aus und begann sein Hemd aufzuknöpfen. Scarlett schloss die Augen, aber nicht, um seinen wundervollen nackten Kör per nicht sehen zu müssen, sondern eher, um die Eifer sucht zu verbergen, die seine letzte Bemerkung in ihr geweckt hatte. Ja, es tat weh, verdammt weh sogar, und sie wusste, dass es das eigentlich nicht sollte, aber in diesem Mo ment hätte sie alle Frauen erwürgen können, vor denen Liam sich schon ausgezogen hatte. Das ist doch verrückt, dachte sie dann. Wir sind so gut wie geschieden. Wir haben uns zehn Jahre nicht gesehen. Warum hätte er denn nicht mit anderen Frauen schlafen sollen? Nur weil sie in dieser ganzen Zeit keinen Mann
gehabt hatte? Ein unkontrollierbarer Schauer durchlief sie, als sie das typische Geräusch hörte, das ein Reißver schluss beim Öffnen macht. "Ganz schön erregend, nicht wahr, Scarlett?" Liams Stimme war tief und hatte einen ironischen Unterton. "Willst du mir beim Ausziehen helfen?" Mist, er hatte es bemerkt! Sie tat, als würde sie gähnen, und sagte dann: "Nun mach schon! Hier herumzusitzen und zu warten ist ziemlich langweilig!" Dass er sich ge rade aus seiner Hose wand, konnte sie förmlich spüren. "Fällt dir denn kein Zeitvertreib ein?" "Doch, wirf den verdammten Motor an, und bring mich endlich nach Hause!" Sie hatte hoch nicht ausgesprochen, als der Motor schon röhrend ansprang. Erstaunt öffnete sie die Augen und sah, dass Liam bereits den Mantel trug. Als er das Gaspedal durchdrückte, verrutschte der Mantel etwas und entblößte einen nackten, sonnengebräunten Oberschenkel und - dem Himmel sei Dank - schwarze Boxershorts. Also war er wenigstens nicht ganz nackt unter dem Mantel! "Falls du dich von dem Anblick losreißen könntest", meinte er sarkastisch, "könntest du aus dem Fenster schauen und mit aufpassen, damit wir nicht noch einmal stecken bleiben." "In Ordnung", sagte sie gepresst, wünschte sich aber nichts mehr, als die Augen zu schließen und zu schlafen, um den quälenden Gedanken zu verdrängen, dass Liam, ihr Liam - nein, nicht ihr Liam - ganz nah bei ihr saß und ganz wenig anhatte. Das Höchste aber war, dass er, so wie er gekleidet war, lächerlich hätte wirken müssen, es aber nicht tat. Er sah absolut umwerfend aus, einfach toll - und das in Lack
schuhen, Socken, Boxershorts und Kaschmirmantel! Als sie den Stadtrand von London erreichten, verbes serten sich die Straßenverhältnisse schlagartig, denn der Winterdienst hatte geräumt und Salz gestreut. "Aufwachen!" drang eine tiefe Stimme in Scarletts Un terbewusstsein. "Was?" Scarlett blinzelte und brauchte einen Moment, um sich zurechtzufinden. Die Heizung lief auf Hochtou ren, und aus dem Kassettenrecorder erklang getragene Musik. Kein Wunder, dass sie eingenickt war. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Fast drei Uhr morgens. Draußen zogen die vertrauten Straßen des Stadtteils Earls Court vorbei, und in Scarlett nahm ein schreckli cher Verdacht Gestalt an, als Liam den Sportwagen ziel bewusst durch ein Labyrinth von Gassen steuerte. "Du weißt, wo ich wohne!" rief sie vorwurfsvoll. "Stimmt", bestätigte er und fuhr vor dem großen grauen Haus, in dessen Souterrain Scarlett wohnte, auf den Geh steig. Aber woher kann er das wissen? fragte sie sich ver wirrt. Und vor allem - warum wusste er es? "Wie kommt das?" fragte sie geradeheraus. "Was?" "Woher weißt du, wo ich wohne?" präzisierte sie ihre Frage. "Nun", meinte er schulterzuckend, "an dem, was du so getrieben hast, hatte ich schon immer ein gewisses ... sagen wir mal Interesse." Ihr Herz schlug schneller. "Willst du damit sagen, dass du mir all die Jahre nachspioniert hast?" Er musste lachen. "O Scarlett, du und deine Phantasie! Nein, so dramatisch würde ich es denn doch nicht formu
lieren. Groß nachspionieren musste ich dir übrigens gar nicht, denn nach unserer Trennung waren die Klatsch spalten ja voll von Berichten über deine Eskapaden. Eine Party nach der anderen ... als hättest du einen Rekord aufstellen wollen." Scarlett war froh, dass er im diffusen Licht der Straßen laternen ihr Gesicht nicht genau sehen konnte, denn sein missbilligender Unterton hatte sie getroffen. Ja, es stimmte, sie war von einer Party zur anderen gejagt und hatte Nacht für Nacht durchgemacht. Egal wo und aus welchem Anlass gefeiert worden war -, sie war dabei gewesen. Und warum? Weil sie geglaubt hatte, dass sie durch pausenlose Aktivität den Teil ihres Ichs wieder zum Leben erwecken könnte, der gestorben war, als Liam sie verlassen hatte. Aber es hatte nicht funktioniert. Das ganze Gehetze von Party zu Party hatte Scarlett nichts anderes gebracht als die Überzeugung, dass alles nur seichter, nutzloser Zeit vertreib war. Durch die Gäste, die sie auf den Partys ge troffen hatte und die ebenso seicht gewesen waren, war ihr sogar erst richtig bewusst geworden, wie anders doch der Mann war, den sie geheiratet hatte. Ruhig musterte Liam ihr Gesicht, aber sein verführeri scher Mund war zu einem hämischen Lächeln verzogen. '"Eigentlich habe ich dir einen Gefallen getan, oder etwa nicht, Scarlett? Indem ich dich verließ, gab ich dir die Chance, dich mit all den standesgemäßen Junggesellen so richtig auszutoben und nach einem passenden Kandida ten Ausschau zu halten - was Humphrey sicher auch nicht gerade unrecht war." Scarlett hob das Kinn. „Ja, Humphrey war es wirklich nicht unrecht gewesen, aber was das Austoben mit Junggesellen anbelangte ...
lachhaft!" Jahre hatte es gedauert, bis sie es wieder über sich gebracht hatte, sich von einem Mann auch nur be rühren zu lassen. Wie Liam hatte sie jedoch keiner be rührt - weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn. "Ja, ich hatte wirklich jede Menge Spaß", log sie und unterdrückte ein Gähnen. Sollte er sie doch für ein flat terhaftes Partyhäschen halten! Wenn das wirklich seine Meinung von ihr war - pfeif drauf! "Du bist müde", stellte er mitfühlend fest. "Lass uns reingehen." Die tiefe, leicht heisere Stimme, mit der er diesen Vorschlag machte, ließ jedoch darauf schließen, dass er etwas ganz Bestimmtes im Sinn hatte, und mit Ausruhen hatte das gewiss nichts zu tun. "Du kommst nicht mit rein", sagte Scarlett wie aus der Pistole geschossen. "Du gehst ins Hotel." "Aber Scarlett, du wirst mich in diesem Aufzug doch nicht wirklich ins Ritz schicken wollen!" Er schob den Mantel etwas zur Seite und entblößte seine nackten Beine. "Die würden mich wegen Erregung öffentlichen Är gernisses sofort verhaften lassen." "Verdient hättest du's!" sagte sie kurz angebunden, musste bei der Vorstellung, dass er in Boxershorts und Kaschmirmantel ins Ritz marschierte, aber doch lachen. Als auch er lachte und seine blauen Augen schalkhaft blitzten, gab sie sich geschlagen. "Okay, komm mit." Während sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinunter ging, suchte Scarlett in Gedanken nach einer Rechtferti gung. In so eine kalte Winternacht konnte man wirklich keinen hinausjagen. Und schon gar nicht, wenn er einen mitten im Sturm aus dem Schnee gegraben hatte. Und vor allem nicht, wenn man ihn einst geheiratet und
er einem so viel bedeutet hatte. "Oje!" rief sie dann plötzlich. Siedendheiß war ihr ein gefallen, dass sie, als Liam sie entführt hatte, ihre Hand tasche natürlich nicht mitgenommen hatte. "Ich habe kei nen Schlüssel!"... "Liegt denn für den Notfall keiner unterm Abstreifer?" "Machst du Witze, Liam? Wir sind hier nicht in irgend einem Nest, wo die Welt noch in Ordnung ist, sondern in London!" "Dann werden wir - Verhaftung hin oder her - wohl beide ins Ritz müssen." Aber wirklich nicht! Wenn er sich einbildete, sie würde mit ihm im Luxus eines der besten Londoner Hotels schwelgen, hatte er sich getäuscht. "Das Mädchen im ersten Stock hat einen Schlüssel zu meiner Wohnung", sagte sie zögernd, "aber es wird mich umbringen, wenn ich es um diese Zeit aus dem Bett hole." Michelle brachte Scarlett nicht um, denn sie war noch auf. Als sie die Tür öffnete und Scarlett im kleinen Schwarzen und daneben Liam in seinem neckischen Auf zug sah, fielen ihr aber fast die Augen aus dem Kopf. "Ich war noch nicht im Bett. Es sind noch ein paar Freunde hier", erklärte sie und warf einen wohlwollend prüfenden Blick auf Liam. "Wolltest du dich dieses Wochenende nicht verloben, Scarlett?" fragte sie dann und lächelte Liam einladend an. "Kommt doch auf einen Drink herein. Ihr seht aus, als könntet ihr einen vertragen. Wenn du müde bist, Scarlett, kannst du deinen Freund auch hier lassen und schlafen gehen ..." Ob sich Liam wohl absichtlich genau in diesem Mo ment so an den Türrahmen lehnte, dass sein Mantel aus einander fiel und enthüllte, was er darunter trug - oder
besser gesagt nicht trug? fragte sich Scarlett. "Nur den Schlüssel bitte, Michelle", sagte er süffisant lächelnd. "Wir sind nämlich beide müde und können es gar nicht erwarten, ins Bett zu kommen - stimmt's, Scar lett?" Scarlett wartete, bis sich ihre eigene Wohnungstür hin ter ihnen geschlossen hatte, bevor sie loslegte. "Wie kannst du es bloß wagen?" "Was denn?" Als wäre er in seinen eigenen vier Wän den, schlenderte er zur Heizung und drehte sie voll auf. "Spiel hier nicht das Unschuldslamm! Das hast du mit Absicht gemacht! Jetzt glaubt Michelle sicher, dass wir ... dass wir..." "Dass wir was?" Wütend funkelte sie ihn an. "Und was ist, wenn sie es Henry erzählt?" Seine blauen Augen nahmen bei der Erwähnung von Henrys Name schlagartig einen erschreckend harten Glanz an. "Nicht mein Problem", sagte er kalt und ging zu einer der Türen, die aus dem Wohnzimmer führten. "Das ist mein Schlafzimmer", bemerkte sie scharf. "Und das?" O nein - sie wollte nicht, dass er in ihrem Arbeitszim mer herumschnüffelte. Je weniger er über ihr Leben wusste, desto weniger würde er Teil davon werden - und desto leichter würde sie ihn wieder vergessen können. "Das ist nur eine Abstellkammer", log sie und fügte hin zu: "Du kannst auf dem Sofa schlafen." Um ihn endgültig von einer Besichtigungstour abzubringen, fragte sie: "Möchtest du auch einen Grog?" "Ja, gern." Er ging zum Sofa und ließ sich seufzend darauf nieder. Der Grog war eine wahre Wohltat. Als Scarlett ihr Glas
absetzte, warf sie einen verstohlenen Blick auf Liam. Er lag jetzt lang ausgestreckt auf dem Sofa, trug immer noch diese lächerliche Garderobe und wirkte, wie ihr ganz plötzlich bewusst wurde, als ob er schon immer genau auf dieses Sofa gehörte. Es war verrückt, so wie die gan ze Sache mit ihm verrückt war. Vielleicht würde Scarlett ja am Morgen aufwachen und feststellen, dass er weg war und alles nur ein langer, böser Traum gewesen war. Sie ging zum Wäscheschrank in der Diele, holte Bett zeug und warf es auf ihn drauf. "Hier! Ich gehe jetzt schlafen! Und versuch ja keinen von deinen Tricks, Liam." Seine Augen blitzten. "Tricks?" "Die Schlafzimmertür werde ich abschließen", verkün dete sie spitz. "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass mich eine ver schlossene Tür abhalten würde, oder, Scarlett?" "Du willst damit vermutlich sagen, dass du sie - ganz deiner Art entsprechend - eintreten würdest", sagte sie und wünschte, sie hätte den Mund gehalten, als sich seine Miene verfinsterte. Sicher dachte er an jenen letzten schrecklichen Streit, bei dem er die Tür mit der Faust eingeschlagen hatte. "Ich vermute eher, dass du irgendwann aufwachst, dich erinnerst, dass ich im Wohnzimmer bin, und die Tür selbst öffnest", erwiderte er höhnisch, während er seine Schuhe von den Füßen schleuderte. Scarlett stand da, sah ihm zu und suchte verbissen nach einer passenden scharfen Antwort. Als er begann, den Mantel auszuziehen, sagte sie sich jedoch, dass es immer noch besser sei, nicht das letzte Wort zu haben, als dem Anblick eines fast nackten Liam ausgesetzt zu sein. Ohne gute Nacht zu sagen, flüchtete sie in ihr Schlafzimmer.
5. KAPITEL Aber Scarlett konnte nicht schlafen. Hatte sie das denn wirklich erwartet? Nein, denn wie hätte sie schlafen sol len, wenn doch Liam nur einige Meter von ihr entfernt war und es ihr unmöglich machte, sich nicht nach seinen starken Armen zu sehnen. Die Sehnsucht nach seiner Nähe war schon quälend genug, aber noch quälender waren die Erinnerungen, die sich einfach nicht verscheu chen ließen. Deutliche, schmerzliche Erinnerungen, die immer wieder wie Wellen über ihr zusammenschlugen, obwohl alles doch schon so lange her war ... Die wirtschaftliche Situation war damals eine ganz an dere gewesen. Scarletts Mutter hatte nur ein Jahr nach dem Tod von Scarletts Vater wieder geheiratet, und Scarlett merkte schon bald, wie wohlhabend ihr Stiefvater war. Sie ge hörte nun zu den Privilegierten - zumindest was das Ma terielle anbelangte. Sie ging auf die besten Schulen, ritt die besten Pferde, und ihre Freundinnen waren die Töchter von ähnlich rei chen Männern, wie ihr Stiefvater es war. Aber ihr Bruder war auf einem Internat, und das frisch vermählte Paar schloss die Tochter fast völlig aus seinem Leben aus. Scarlett war verzweifelt einsam. Dann, als sie zehn war, kam Liam, und ihr Leben än derte sich. Dass es sich für immer ändern sollte, ahnte sie damals natürlich noch nicht. Liam kam mit seiner verwitweten Mutter, die eine Stel
le in dem herrschaftlichen Haushalt von Scarletts Stiefva ter antrat. Für seine zwölf Jahre war er groß und kräftig, und sein Körper ließ schon ahnen, wie wundervoll er sich in den nächsten Jahren entwickeln würde. Liam war so anders als die anderen Jungen, die sie kannte - die Jungen mit ihrem geschliffenen Privatschul akzent und ihren von den Eltern übernommenen Lebens zielen. Schon mit zwölf hatte Liam eine von Zynismus gepräg te Weltanschauung und einen für ein Kind außergewöhn lichen Sinn für die Ungerechtigkeiten des Lebens. Er besuchte die Schule am Ort und schien die Nase immer in Büchern zu haben. Alles, was er tat, tat er mit Bravour, seinem kalten klu gen Blick schien nichts zu entgehen, und schon in diesem Alter hatte er etwas an sich, das ihn von den anderen ab hob. Selbst ein Einzelgänger, hatte er eine Schwäche für Scarlett. Vielleicht zog ihn ihre Einsamkeit instinktiv an, vielleicht ließ ihn der frühe Verlust des eigenen Vaters mehr Verständnis für sie haben als für andere - was im mer es war, er freundete sich mit ihr an, und sie verehrte ihn dafür wie einen Helden. In Scarletts Augen konnte Liam weder etwas Falsches sagen noch tun, und sie hörte ihm wie gebannt zu, wenn er ihr begeistert von der Welt erzählte, die er eines Tages entdecken wollte. "Immer liest du", beschwerte sie sich einmal, als sie ungefähr fünfzehn war. "Warum machst du nie etwas anderes?" "Weil es der einzige Weg hinaus ist", erklärte er und sah sie aus Augen an, die so blau waren wie die Meere, über die er immer las.
"Was meinst du? Hinaus aus was?" "Aus der Gesellschaftsschicht, in die ich hineingeboren wurde." Er lächelte. "Bildung ist der einzige Ausweg. So, Scarlett, und jetzt sei ruhig, sei ein braves Mädchen und lies das Buch, das ich dir geliehen habe." Im Sommer, nachdem Liam die Oberschule als bester Schüler seit Bestehen der Schule abgeschlossen hatte, nahm er sich ein Jahr frei, um vor dem Studium Europa "abzuhaken". Scarlett vermisste ihn mehr, als sie es für möglich gehalten hätte. Sie war sechzehn und nahm nun voll am Gesellschaftsleben teil. Wenn sie an die Jahre dachte, die vor ihr lagen, kamen sie ihr vor wie ein endloser Strom aus Bällen, Cocktailpartys, Jagdausflügen und Moden schauen. Die Männer, die sie kennen lernte, waren alle von dem Schlag, wie sich ihre Eltern den künftigen Schwiegersohn vorstellten. Und alle langweilten Scarlett zu Tode. Und dann, während der Sommerferien, Scarlett war siebzehn, kam Liam von seinem Europatrip zurück. Ein paar Tage später verkündete Sir Humphrey beim Frühstück, dass der Sohn von Mrs. Rouse, so wie er aus sehe, stark wie ein Ochse sein müsse, und er ihn deshalb als Arbeiter beschäftigen werde, bis im Herbst das Col lege anfange. Aber alles war nun anders. Irgend etwas hatte sich ge ändert zwischen Liam und Scarlett. Liam war kein Junge mehr, sondern ein toller, gut ge bauter Mann mit stahlhartem Blick, zu dem Scarlett be wundernd aufsah. Die lockere Vertrautheit, die zwischen den beiden immer geherrscht hatte, gab es nicht mehr, und an ihrer Stelle empfand Scarlett in seiner Gegenwart jetzt oft ein aufregendes Kribbeln, das sie sich nicht er
klären konnte und das sie deshalb verwirrte. Er hingegen schien sich aus ihr überhaupt nichts mehr zu machen. Wenn irgend möglich, schien er ihr aus dem Weg zu gehen, und wenn sich ein Kontakt nicht vermeiden ließ, wechselte er kaum ein Wort mit ihr. "Ich hasse dich, Liam Rouse!" schluchzte sie eines Nachts in ihr Kopfkissen und beschloss trotzig, es ihm heimzuzahlen, indem sie ihm genauso die kalte Schulter zeigte wie er ihr. Es gab schließlich auch noch anderes im Leben! Und so ging sie auf den Tennisplatz, ließ sich in offenen Sportwagen nach Hause bringen und lachte mit ihren Bekannten absichtlich laut und affektiert, wann immer sie Liam in der Nähe entdeckte. Liam jedoch zeig te keine Reaktion. Was sie tat, schien ihm völlig gleich gültig zu sein. Eines Tage aber traf sie ihn zufällig im Wald, als sie mit Säble, ihrer schwarzen Lieblingsstute, einen Ausritt machte. Er war gerade beim Holzfällen auf einer Lich tung, hatte das Hemd ausgezogen und arbeitete mit nack tem Oberkörper. Scarlett parierte Säble aus vollem Ga lopp durch und brachte sie keinen Meter vor ihm zum Stehen. Er sah kurz auf, warf ihr einen abschätzigen Blick zu und wandte sich wortlos wieder seiner Arbeit zu. Wütend starrte Scarlett ihn an, aber ihre Wut wich bald einem beunruhigend prickelnden Gefühl. Nackter Ober körper, schmale Hüften, knackiger Po in hautengen aus gewaschenen Jeans. Fasziniert beobachtete sie das Spiel der Muskeln unter der tiefgebräunten Haut seines Rü ckens, wenn er scheinbar mühelos die Axt hob und auf einen Baumstamm hinabsausen ließ. Schweißtropfen sammelten sich zwischen seinen Schulterblättern und rannen das Rückgrat entlang hinab, bis sie vom Bund
dieser unverschämt knapp sitzenden Jeans aufgefangen wurden. Urplötzlich hatte Scarlett genug! Wie konnte er es wa gen, sie so zu ignorieren - sie zu behandeln, als wäre sie Luft? Ihr Temperament ging mit ihr durch, sie schlug mit der Reitgerte auf ihren Stiefel und schleuderte wild ihr Haar zurück. "Was ist eigentlich in dich gefahren, Liam?" herrschte sie ihn an. "Warum bist du so eklig zu mir?" Auf die Axt gestützt, hob er langsam den Kopf, sah ihr ins Gesicht und ließ den Blick dann zu ihren Brüsten gleiten, die sich unter ihrem eng anliegenden roten TShirt in raschem Rhythmus hoben und senkten. "Geh, Scarlett", sagte er nur und griff wieder zur Axt. "Nein, ich gehe nicht!" rief sie. "Erst sagst du mir, wa rum du tust, als wären wir keine Freunde mehr." "Vielleicht ist es für alle Beteiligten die beste Lösung." Scarlett verstand gar nichts. "Aber Liam, wir waren doch Freunde!" "Die Dinge ändern sich eben." Schroff wandte er sich von ihr ab. So eine Unverschämtheit! Wütend riss Scarlett ihr Pferd herum und galoppierte davon. Sie schwor sich, nie wieder auch nur ein einziges Wort mit Liam zu reden. Aber irgendein Teufel trieb sie dazu, genau das zu tun, was sie sich geschworen hatte, nie wieder zu tun. Am nächsten Tag schon war sie erneut auf der Lichtung. Als das Pferd, auf dem Scarlett saß, vor ihm zum Ste hen kam, blickte Liam kurz hoch - und schwang weiter seine Axt. Oh, warum kann es nicht mehr sein wie früher? dachte Scarlett sehnsüchtig und griff in ihre Satteltasche. "Möchtest du auch etwas zu trinken?" rief sie zu ihm
hinunter. Er warf ihr einen forschenden Blick zu, als sie eine Thermosflasche an die Lippen setzte, einen Schluck eis kalte Cola trank und ihm die Flasche dann hinunterreich te. "Hier." Er zögerte, nahm ihr die Flasche dann aber doch ab, um durstig daraus zu trinken. Scarlett empfand ein Triumph gefühl, als wäre es ihr gelungen, sich ein bockiges Pferd gefügig zu machen. "Danke", sagte er und leckte sich einen Tropfen von der Oberlippe. Scarlett war von dieser kleinen Bewegung wie hypnoti siert. Ihr wurde warm, ihr Herz schlug schneller, und ihre Wangen begannen zu glühen. Sie hoffte inständig, dass er es nicht bemerken würde. Aber er bemerkte es. Und es ging eine Veränderung mit ihm vor. Sein großer muskulöser Körper entspannte sich, und ein Lächeln entblößte blendendweiße Zähne. Es war das arrogante Lächeln eines Mannes, der ganz genau wusste, woran sie gerade gedacht hatte. Ärgerlich nahm Scarlett die Zügel auf. "Du gehst schon wieder?" fragte er. "Hast du etwas anderes erwartet bei diesem herzlichen Empfang?" fuhr sie ihn an. Er lachte und klang dadurch schon viel mehr wie der Liam, den sie kannte. "Kommst du morgen wieder hier vorbei?" wollte er wissen. "Wohl kaum", erwiderte sie kurz angebunden und gab Säble die Sporen. Begleitet vom spöttischen Gelächter Liams, preschte das Pferd im gestreckten Galopp davon. Aber Scarlett kam wieder. Am nächsten Tag und auch am übernächsten. Erfreut stellte sie fest, dass es doch
noch viel gab, worüber sie und Liam reden konnten. Dann fing sie sogar an, ihm das Mittagessen zu seinem Arbeitsplatz zu bringen, und es war fast wie in alten Zei ten - fast, weil sie sich nicht erinnern konnte, ihn in alten Zeiten jemals so liebevoll betrachtet zu haben. Sie liebte es, ihm beim Essen zuzusehen, und sie liebte es, ihn beim Holzfällen zu beobachten – genau genom men liebte sie es, ihm bei allem, was er tat, zuzusehen. Und sie sehnte sich nach einem Kuss, sehnte sich so da nach, dass es weh tat. Aber er küsste sie nicht, obwohl doch auch er die knisternde Spannung zwischen ihnen bemerken musste. Statt dessen erzählte er ihr von seinen Träumen und Plänen, wie er es schon immer getan hatte, und sie be mühte sich, Interesse zu zeigen, auch wenn sie nichts mehr wollte, als in seinen Armen zu liegen. "Ich weiß jetzt genau, was ich am College belegen werde", sagte er eines Tages und biss in den Apfel, den Scarlett ihm zum Nachtisch mitgebracht hatte. "Wirt schaft, Politik und Philosophie." Er lehnte sich an den knorrigen Stamm einer Eiche und schloss die Augen. "Erst mache ich das große Geld, und dann verändere ich die Welt." "Wie denn?" Scarlett lachte, rollte ein Blatt zwischen den Fingern zusammen und schnippte es weg, um zu sehen, wie weit es fliegen würde. "Mal sehen", meinte er schulterzuckend. "Ich werde schon einen Weg finden." Dann sah er Scarlett an. "Und was ist mit dir, Scarlett? Was hast du mit deinem Leben vor?" Ich will es mit dir verbringen, dachte sie, antwortete aber: "Ich weiß nicht. Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht." Und das entsprach sogar der Wahrheit.
"Das solltest du aber, dein ganzes Leben liegt schließ lich noch vor dir. Wie wär's mit Kunst? Darin bist du doch wirklich gut." "So gut auch wieder nicht", wehrte sie ab. "Doch, das bist du. Geh doch auf die Kunsthochschu le." Die Vorstellung, wegen eines Studiums drei Jahre weg zu sein und Liam nicht bei jeder Gelegenheit sehen zu können, fand sie entsetzlich. "Nein, ich glaube, das ist nicht das Richtige für mich." Liam quittierte ihren Mangel an Ehrgeiz mit einem missbilligenden Blick. "Was willst du dann machen?" Scarlett zuckte die Schultern. "Oh, ich werde die Zeit schon herumbringen, bis ich heirate." Dich, schien in der Luft zu hängen, obwohl sie das Wort nicht ausgespro chen hatte. Liam stand auf. "Du gehst jetzt besser", sagte er fast barsch und war wieder der schroffe Fremde. "Ich habe noch zu tun." "Okay." Auch sie stand auf und richtete das Band, das ihren langen schwarzen Pferdeschwanz im Nacken zu sammenhielt. "Wir sehen uns dann morgen." "Nein." Alles Nette war aus seinen Zügen gewichen. "Nicht morgen und auch nicht übermorgen - verstehst du? Es ist nicht gut - wir können uns nicht mehr treffen!" Scarlett wurde blass, und ihre Lippen bebten. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Schweigend rannte sie zu ihrem Pferd und schwang sich in den Sattel, aber Liam kam ihr nach und packte sie am Fuß. "Verstehst du, was ich meine, Scarlett?" fragte er ein dringlich. "Es ist jetzt alles ganz anders zwischen uns, aber das darf nicht sein! Verstehst du das denn nicht?"
Nein, sie verstand es nicht, aber das wollte sie nicht zugeben. Scarlett setzte ein genervtes Lächeln auf und sagte: "Mach doch nicht so einen Zirkus um nichts, Liam." Zu ihrer Verblüffung schwang sich Liam hinter ihr aufs Pferd und kam so sanft auf Säbles Rücken zu sitzen, dass die Stute nicht einmal zuckte. Er packte Scarlett an den Schultern, drehte sie zu sich herum und sah sie leiden schaftlich an. Dann küsste er sie, küsste sie wie ein Mann, der total verrückt nach ihr war. Es erschreckte Scarlett, aber sie fand es auch ungeheuer aufregend und wünschte, dieser Kuss würde nie aufhö ren. Liam küsste sie, bis sie kaum mehr Luft bekam, und löste sich dann von ihren Lippen. Benommen sah sie ihn an und entdeckte in seinen Au gen einen ganz seltsamen Ausdruck. Es war Zorn, Zorn gemischt mit - Bedauern? "Verstehst du es jetzt, Scarlett?" stieß er hervor. "Ich - ich glaube schon." Liam sprang vom Pferd und drückte Scarlett die Zügel in die Hand. "Dann halt dich von mir fern!" Er gab Säble einen Klaps auf die Hinterhand, und die Stute setzte sich in Gang und trug ihre noch ganz benommene Herrin davon. In den Wald ritt sie nun nicht mehr. Sie hielt sich von Liam fern und versuchte ihn zu vergessen, aber es gelang nicht. Sie war besessen von ihm. Dann wurde im Dorf getuschelt. Man habe Liam mit Jenna gesehen, einer hübschen Blonden, die mit ihrer Pfirsichhaut zum Anbeißen aussehe. Und Scarlett war eifersüchtig, rasend eifersüchtig. Um sich abzulenken, besuchte sie jedes der rauschen
den Sommerfeste, die der Land- und Geldadel gab, aber es nutzte nichts. Liam war allgegenwärtig. Tagsüber geisterte er durch ihre Gedanken, nachts durch ihre Träume. Auch ausgedehnte Ausritte halfen nichts. Scarlett jagte auf Säble in halsbrecherischen Galoppaden über die Wie sen und trabte endlose Feldwege entlang, aber Liam ließ sich nicht verscheuchen. Sie brauchte nur an ihn zu den ken, und schon schlug ihr Herz schneller. Eines Tages durchstreifte sie mit Säble wieder einmal den weitläufigen Besitz Sir Humphreys und kam zu ei nem alten verlassenen Cottage. Dass sie ausgerechnet dort Liam vorfinden würde, hatte sie zwar nicht gewusst, aber sie fühlte, dass er da war, noch bevor das Häuschen in ihrem Blickfeld auftauchte. Ob er wohl manchmal mit Jenna hierher kam? Und dann sah sie ihn wirklich. Er stand auf einer Leiter und nagelte irgendwas aufs Dach. Als sie näher kam, blickte er über die Schulter auf sie hinunter. Tat nichts weiter, als zu schauen. Scarlett wusste, dass sie wild aussah. Da sie weder Reitkappe noch ein Haarband trug, fiel ihr ihre pech schwarze Mähne ungebändigt und vom Wind zerzaust über die Schultern. Verstärkt wurde der Eindruck von Wildheit noch durch den Kontrast zu ihrer schneeweißen Seidenbluse. "Hallo, Scarlett", sagte Liam schließlich, nachdem sie sich eine halbe Ewigkeit nur angesehen hatten. Dass seine wunderbar tiefe Stimme ganz normal klang, brachte Scarlett etwas aus dem Konzept, denn sie hatte damit gerechnet, oder besser gesagt befürchtet, dass er sie wütend wieder wegschicken würde. "Hallo, Liam", sagte dann auch sie, lächelte ihn an und saß ab, um Säble
an einen Baumstamm zu binden. Liam kletterte die Leiter herunter, und Scarlett konnte nicht umhin, die geschmeidigen Bewegungen seines gro ßen starken Körpers verstohlen zu bewundern. Am Bo den angelangt, drehte er sich zu ihr um und lächelte zö gernd - fast traurig. Seine blauen Augen hatten genau den gleichen Ton wie das Jeanshemd, das er trug. "Hast du Durst?" fragte sie hoffnungsvoll. Er schüttelte den Kopf. "Nein." Welch törichte Frage! Fiel ihr denn nichts Intelligente res ein, wenn sie ihn schon endlich wieder einmal sah? Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und er kundigte sich, ohne sich ihre Eifersucht anmerken zu lassen: "Wie geht's Jenna?" Finster sah er sie an. "Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?" "Ich dachte, du triffst dich mit ihr." "Dann hast du eben falsch gedacht." Fast schrie er die Worte. Scarlett war verwirrt. In seinem Gesicht war keine Spur von Freundlichkeit mehr zu sehen, nur Anspannung. "Li am, ich ..." Sie konnte nicht weiter sprechen, denn plötzlich fand sie sich in seinen Armen wieder. Liam küsste sie, küsste ihren Hals, ihre Schultern, ihren Mund, und sie erwiderte seinen Kuss - unerfahren, aber begierig zu lernen. In Se kundenschnelle, wie ihr schien, knöpfte er nun ihre Bluse auf und zog sie ihr aus. Das dünne Kleidungsstück flat terte auf den Waldboden, und Scarlett stand da in Reitho se und zartem weißen Spitzen-BH. Ein Schauer durchlief sie, als Liam ihre Brüste berühr te, sie mit seinen großen schwieligen Händen streichelte und dann ihre Knospen durch den zarten Stoff hindurch
zwischen Daumen und Zeigefinger rieb. Gepackt von einer unglaublichen Erregung, sah sie den Bewegungen seiner Hände zu, bis er dann auch noch den BH öffnete und abstreifte. Als er sich hinabbeugte und eine Knospe zwischen die Lippen nahm, daran knabberte und saugte, griff sie stöh nend in sein dichtes schwarzes Haar, als würde sie Halt suchen. "Oh, Liam", bat sie leise. "Liam, bitte ..." "Schon gut", beruhigte er sie und liebkoste wieder ihre Knospe. "Bitte, Liam", wiederholte sie, und diesmal klang es fast erstaunt. "Bitte hör nicht auf." Hör nie wieder auf. "Nein, keine Angst", flüsterte er und küsste sie aufs Haar. "Mir geht es doch genauso." Und er hob sie hoch und trug sie in das kleine, alte Cottage. Wohin das alles führen würde, wusste sie genau, denn sie war schließlich siebzehn und aufgeklärt. Vielleicht hätte sie sich ja fürchten sollen vor diesem ungeheueren Ausdruck von Sehnsucht und Begierde im Gesicht dieses Mannes, aber Scarletts Verlangen nach Liam ging tiefer, war mehr als ein körperliches Bedürfnis, das gestillt wer den wollte. Und weil das so war, fürchtete sie sich nicht, denn sie hatte erkannt, dass sie ihn liebte und wohl schon immer geliebt hatte. Er riss sich das Hemd vom Leib und warf es auf den blanken Holzboden, bevor er Scarlett darauf legte, als wäre es ein Daunenbett. Sicher und gezielt bewegten sich seine Hände und schenkten Scarlett Genüsse, die sie sich nie hätte träumen lassen. Als er ihr Stiefel und Reithose auszog, war ihre Erregung so groß, dass sie es kaum mehr erwarten konn
te, seinen nackten Körper zu spüren. Sie griff nach dem Knopf an seinen Jeans und hörte Liam lachen. "Du kleine Wildkatze! Genauso habe ich mir dich in meinen Träumen vorgestellt." Als Antwort kratzte sie sanft mit den Fingernägeln über seine breiten Schultern, und wieder lachte er, griff in ihr Höschen und zog es ihr herunter. Dann öffnete er den Reißverschluss seiner Jeans und entledigte sich der Hose, so schnell es im Liegen ging. Scarlett hatte ihn fasziniert beobachtet, doch der Anblick seiner enormen Männlich keit verschlug ihr den Atem. Wie hypnotisiert streckte sie die Hand aus, um ihn zu berühren, aber er wich zurück, packte ihre beiden Hände und drückte sie über ihrem Kopf auf den Boden. Dann küsste er Scarlett, küsste sie wild und fordernd, bis ihr Verlangen nach ihm schier unerträglich wurde und sie nur noch eines wollte - ihn. Schließlich konnte auch er sich nicht mehr beherrschen und tastete blind nach seinen Jeans, wollte in die Tasche greifen, aber Scarlett wie von irgendeinem Instinkt ge trieben - hielt ihn davon ab. Sie wollte ihn spüren, nur ihn, tief in sich drin. Bei ihrer ersten Vereinigung sollte keine Barriere sie von Liam trennen. Sie umklammerte ihn mit ihren nackten Beinen und hob sich ihm lockend entgegen. Begleitet von einem langen heiseren Stöhnen, drang er in sie ein immer wieder, immer tiefer. Scarlett empfand es wie eine rasende Talfahrt von einem steilen Berg, und je näher sie dem Tal kamen, desto schneller wurde die Fahrt und desto größer die Spannung. Die Erfüllung war tete im Tal. Sie erreichten es gleichzeitig. "Oh, Scarlett." Sie erinnerte sich, dass seine Stimme gequält geklungen hatte.
Sie dagegen hatte geglaubt, vor Glück zu sterben. "Oh, Liam", hatte sie geflüstert und ihm gesagt, was ihr das Wichtigste auf der Welt war. "Ich liebe dich." Scarlett setzte sich in ihrem Bett auf, barg das Gesicht in den Händen und hätte ihren Kummer am liebsten in die dunkle Nacht hinausgeschrieen, aber sie wagte es nicht, denn Liam schlief nebenan, und ihn wollte sie auf keinen Fall aufwecken. Sie stand auf und ging leise hinaus, um sich ein Glas Wasser zu holen. Als sie auf Zehenspitzen durchs Wohnzimmer schlich, fiel ihr Blick auf das Sofa und auf ihren Noch-Ehemann. Er hatte sich auf die Seite gedreht, das Gesicht auf den Arm gedrückt, schlief - und lag nackt vor ihr, denn seine Decke war auf den Boden geglitten. Bei seinem Anblick musste Scarlett plötzlich an Liams Mutter denken, die immer davon geträumt hatte, dass ihr einziger Sohn studieren würde. Wie enttäuscht musste sie gewesen sein, als ihr Traum wie eine Seifenblase zer platzt war, weil Liam und Scarlett heiraten mussten. Da mals hatte Scarlett keinen Gedanken an seine Mutter ver schwendet, weil sie genug mit ihren eigenen Problemen zu tun gehabt hatte, doch jetzt schämte sie sich dafür. Liam bewegte sich im Schlaf, und Scarlett hielt den A tem an, aber er wachte nicht auf, sondern rieb sich nur die Schulter. Vielleicht friert er, dachte sie und beschloss, ihn zuzudecken. Auch wenn sie ihn hasste - gefroren hat te er heute schon genug. Sie ging zu ihm hin, hob die Decke auf und legte sie behutsam über ihn. Als sie sie über seine Schulter zog, kamen wieder die Erinnerungen. Erinnerungen an Näch te, in denen sie in seinen starken Armen gelegen hatte
und glücklich gewesen war. Nach jener ersten stürmischen Vereinigung hatten sie sich weiter im Cottage getroffen, aber ihre heimlichen Treffen hatten ihre Unschuld verloren. Scarlett hatte die Liebe entdeckt und den Sex, und von beidem konnte sie nicht genug bekommen. Das Cottage, versteckt im Wald gelegen, wurde ihr Liebesnest. Eines Tages lag sie nackt unter Liam auf einem Bett aus Zweigen, Moos und Farn und wurde von ekstatischen Schauern geschüttelt, als sie den Höhepunkt erreichte. "Oh. Oh. Oh, Liam", rief sie heiser. Mit einem erlösten Stöhnen drang Liam ein letztes Mal tief in sie ein und sank dann auf sie. "Nein, beweg dich nicht", flüsterte sie, als er sich zu rückziehen wollte, und legte die Arme fest um seinen Rücken. "Bleib, wo du bist." "Aber Schatz", lachte er. "Wenn ich das tue, geht alles wieder von vorne los." "Was?" fragte sie, aber da fühlte sie schon, wie er in ihr wieder groß wurde. "Das", sagte er nur und zog sich etwas zurück, um im nächsten Moment tief und kraftvoll in sie einzudringen. "Oh, Scarlett", stöhnte er, als sie in seinen Rhythmus einfiel, "ich könnte den ganzen Tag so weitermachen." Und noch viel länger, dachte sie verzückt und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. "Ich liebe dich", flüsterte sie danach. Wie üblich schwieg er. "Liam?" Er nahm ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. "Du glaubst nur, dass du mich liebst", sagte er dann. "Du hast den Sex entdeckt, bist auf den Geschmack gekommen mehr nicht."
Scarlett versuchte, sich unter ihm hervor zu winden, aber er ließ es nicht zu. "Du verdirbst alles", beklagte sie sich. "Wie du das sagst, klingt es so - gewöhnlich." "Es ist nicht gewöhnlich", widersprach er sanft. "Es ist wunderschön, etwas ganz Besonderes, aber ..." In ihren Ohren klang das wie Liebe. "Aber was?" "Schatz, wir sind beide noch so jung. Du bist noch kei ne achtzehn, und ich werde nächsten Monat für drei Jahre aufs College gehen. Lass uns doch einfach die Gegenwart genießen und nicht an die Zukunft denken. Was die bringt, werden wir dann schon sehen." Obwohl sie wusste, dass das, was er gesagt hatte, durchaus vernünftig war, versetzte es ihren Träumen den Todesstoß. Wie es wohl weitergegangen wäre, wenn ihre Periode nicht ausgeblieben wäre? Sie wollte noch warten, bevor sie es ihm sagte, wollte jeden Irrtum ausschließen, aber sie war so nervös vor Angst, dass er es sicher bemerkt hätte. Er tat es. Eines Nachmittags blickte er forschend in ihr blasses Gesicht. "Irgendwas stimmt nicht", stellte er fest. "Was ist los?" Immer wieder hatte sie alle möglichen Arten, es ihm zu sagen, durchgeprobt, aber nun platzte sie einfach heraus: "Ich glaube, ich bin schwanger." So, jetzt war es gesagt. Abwartend blickte sie zu ihm auf. Keine Wut, keine Vorwürfe, nur ein Nerv unter seinem Auge zuckte wie wild. "Seit wann ist deine Periode überfällig?" Sie schluckte. "Seit fast drei Wochen." Nun fluchte er doch, aber leise. "Zum Teufel, warum hast du nicht schon eher was gesagt?" Weil sie Angst vor seiner Reaktion gehabt hatte, schreckliche Angst, dass er aus ihrem Leben verschwin
den und sie allein lassen würde. Welcher Mann wollte schon mit einem Baby belastet werden, wenn er gerade zwanzig war und sein Leben erst anfing? "Weil ich sicher sein wollte." "Und wie sicher bist du?" "Fast hundertprozentig." Scarlett atmete tief durch. "Nein, hundertprozentig. Sie kam immer pünktlich. Auf den Tag genau. Und meine ..." Obwohl es ihr nach all den Intimitäten, die sie mit Liam in den vergangenen Wochen erlebt hatte, eigentlich nicht hätte peinlich sein dürfen, blickte sie verlegen zu Boden. "Meine Brüste sind angeschwollen und - empfindlich," Da er nicht so fort ausprobierte, wie empfindlich sie waren, war die Lage wohl ernst. Ja, seit sie es ihm gesagt hatte, hatte er sie noch kein einziges Mal berührt. "Und morgens ist es mir immer übel", ergänzte sie. "Verstehe." Er nickte, wandte sich von ihr ab und ließ den Blick über die Bäume schweifen, die um sie her standen. "Beim ersten Mal - habe ich keinen Schutz ge nommen." Aber versucht hat er es, und ich habe ihn davon ab gehalten, als er in seine Hosentasche greifen wollte, dachte sie und fühlte sich schuldig. "Verdammt!" legte Liam los, wandte ihr den Rücken zu und schlug mit der Faust gegen einen Baumstamm. "Einmal. Ein einziges Mal nur. Es steht in jedem Buch! Ein einziges Mal genügt!" Er drehte sich wieder um und sah wohl die Panik in Scarletts Gesicht, denn er beugte sich hinunter und küsste sie mit einer ganz neuen Zärt lichkeit, die Scarlett genauso aufregend fand wie stürmi sche Leidenschaft. "Machst du einen Test?" wollte er wissen.
"Ich weiß nicht. Dazu müsste ich entweder in der Apo theke einen kaufen oder zum Arzt gehen. So oder so - im Dorf weiß es dann jeder." Ratlos schüttelte sie den Kopf. "Tja, dann bleibt uns keine andere Wahl", sagte er leise. "Keine Wahl?" wiederholte sie mit erstickter Stimme. "Was meinst du damit?" Er sah die Angst in ihrem Blick und strich ihr sanft ü bers Haar. "Scarlett, uns bleibt gar nichts anderes übrig, als zu hei raten. Das willst du doch, oder?" "O Liam!" Es war, als wäre ihr eine Zentnerlast vom Herzen gefallen. "Ja, Liam! Ja, das will ich!" "Dann komm her und gib mir endlich einen Kuss." In eine unbeschwerte Zukunft blicken konnten die bei den allerdings nicht. Da Scarlett überzeugt war, dass ihr Stiefvater versuchen würde, ihre Hochzeit zu verhindern, brannten die beiden durch und heirateten klammheimlich. Als sie zurückka men, war der Teufel los. Scarletts Mutter und Stiefvater waren außer sich, weil sie es gewagt hatte, einen "Hilfs arbeiter" zu heiraten. Humphrey sagte es ihr sogar auf den Kopf zu, und zwar so laut, dass es auch Liam hören konnte. Danach sprach Scarlett kein Wort mehr mit ih rem Stiefvater, bis er sich entschuldigt hatte. Mit einer Frau, für die er nun zu sorgen hatte, war Liam natürlich gezwungen, seine Collegepläne aufzugeben, was seiner Mutter mehr zu schaffen machte, als Scarlett sich vorstellen konnte. Blauäugig, wie sie war, fragte sie Liam eines Tages, warum seine Mutter eigentlich so trau rig sei. "Weil sie gehofft hatte, ein Studium würde es wenigs tens mir ersparen, bis zum Umfallen schuften zu müs
sen", erklärte er trocken. "Ich komme eben nicht aus einer Familie, die in Geld schwimmt. Ich muss arbeiten, um zu leben, und zwar hart." Und das tat er auch, denn er wollte es allein schaffen. Stur, wie er war, schlug er sogar ein Cottage aus, das Humphrey ihnen anbot. Statt dessen mietete er das schä bige kleine Apartment über dem Dorfgasthaus. Um Geld zu verdienen, verließ er jeden Morgen die Wohnung, aber die körperliche Arbeit, die ihm als Über gangslösung bis zum College so viel Spaß gemacht hatte, verlor bald ihren Reiz, als sie ein zwingendes Muss wur de. Seine Bücher, die er einst gierig verschlungen hatte, sah er gar nicht mehr an, denn nach einem langen, harten Arbeitstag wollte er nur noch ein heißes Bad, ein Abend essen und Sex. Die Worte, die Scarlett so gern von ihm gehört hätte, fielen jedoch nie, wenn er mit ihr schlief und auch sonst nicht. Als das Unglaubliche dann geschah, hatte sie wieder viel zu viel Angst, es ihm zu sagen. Und diesmal bemerk te er ihren Kummer nicht. Genau genommen schien er überhaupt nichts mehr zu bemerken ... Bis zu dem A bend, als er genau in dem Moment ihr winziges Bade zimmer betrat, in dem Scarlett eine Schachtel aus dem Spiegelschränkchen nahm. Wie angewurzelt blieb er ste hen und sah sie ungläubig an. Sie erstarrte mitten in der Bewegung. "Scarlett?" Der Vorwurf in seinem Blick ließ sie schaudern. "Scarlett?" wiederholte er lauter und drängender. "Ja!" rief sie als Antwort auf seine Frage. "Ja!" Er machte einen Schritt auf sie zu - eiskalter Blick, ab weisend, ein Fremder. "Es gibt kein Baby?" Jedes einzel
ne Wort klang wie eine Drohung. Sie bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen, ohne es zu spüren. "Nein", flüsterte sie. "Dann war da auch nie ein Baby, oder?" Anlügen konnte sie ihn nicht. "Nein", gestand Scarlett und brach in Tränen aus. "Du Schlampe", stieß er hervor, wirbelte herum und schlug mit der Faust gegen die windige Sperrholztür, die krachend zersplitterte. Als er hinausstürmte, wurde Scar lett von einem unkontrollierbaren Zittern geschüttelt. Sie lief ihm nach. "Liam!" rief sie. "Liam! Um Him mels willen komm doch zurück!" Aber er war schon die ausgetretene Stiege hinuntergestürmt, und das Echo sei ner Schritte verhallte. Kurz darauf erhielt sie aus London eine knappe Nach richt von Liam. Er wollte sie treffen, um "über die Zukunft zu reden". Aber Scarlett wollte ihn nicht sehen, denn sie wusste, was er zu sagen hatte. Sie war viel zu entsetzt und zu traurig, als dass sie Liams Verachtung ertragen hätte, und so nahm ihr Stiefvater ihr diesen Gang ab. Als Sir Humphrey aus London zurückkam, brauchte Scarlett nichts zu fragen. Sein Gesicht sprach Bände. Liam war fertig mit ihr.
6. KAPITEL "Schlafmütze! Aufwachen!"
Benommen öffnete Scarlett halb die Augen und über legte, wie diese quälend vertraute Stimme in ihr Schlaf zimmer kam. Schlafzimmer! Sie riss die Augen auf, und da stand Liam, eines ihrer Handtücher um die schmalen Hüften geschlungen. Er balancierte ein Tablett auf der Hand. "Hast du gut geschlafen?" erkundigte er sich schalkhaft lächelnd. "Ja, danke", log Scarlett. "Die Tür hast du aber nicht abgeschlossen." "Nein, wozu auch", meinte sie schnippisch. "Eine ge schlossene Tür wäre für dich ja sowieso kein Hinde rungsgrund. Im übrigen war ich gut auf dich vorbereitet." "Ach, warst du das?" Es klang schrecklich anzüglich. "Ja." Sie lächelte ihn strahlend an und zog unter dem Kopfkissen eine Bronzestatue von einigem Gewicht her vor. "Die hätte ich dir über den Schädel gezogen!" "Ich glaube dir kein Wort, Scarlett", sagte er und lachte. "So, und wo soll ich das jetzt hinstellen?" Er ging zum Nachttisch, stellte das Tablett ab und setzte sich auf die Bettkante. "Kannst du dich nicht anziehen?" fragte sie irritiert. Der Anblick seines maskulinen Körpers, dessen verlockends te Stellen von dem schmalen Handtuch nur notdürftig bedeckt wurden, machte sie nervös. "Was soll ich denn anziehen? Außer einem völlig ver knautschten Smoking habe ich nichts hier. Und feucht ist er außerdem noch. Am besten rufe ich das Hotel an, da mit man mir frische Garderobe schickt", meinte er unbe kümmert und fügte hinzu: "Es stört dich doch nicht, mich so zu sehen, oder?" "Nein, nein", schwindelte Scarlett und seufzte. Dass das
hatte passieren können. Da war er einfach in ihr Leben eingedrungen, und nun saß er auf ihrem Bett und schenk te zwei Tassen Kaffee ein. Und sie? Sie wünschte sich nichts mehr, als dass er Kaffee Kaffee sein lassen und zu ihr unter die Decke schlüpfen würde. Entsetzt schloss sie die Augen. Zu ihr unter die Decke schlüpfen! War sie den jetzt völlig verrückt geworden? "Trinkst du ihn immer noch schwarz?" wollte Liam wissen, und diese simple Frage machte Scarlett schmerz lich bewusst, wie gut er sie kannte. Hat Henry eigentlich je Kaffee für mich gemacht? frag te sie sich unvermittelt. Nein, sicher nicht, denn Henry war einer der Männer, die damit prahlten, nicht einmal ein Ei kochen zu können. Im Klartext sollte das natürlich heißen, dass diese Männer es für unter ihrer Würde hiel ten, Eier zu kochen. Kochen war Aufgabe der Frauen. Oder der Diener. "Schwarz?" fragte er nach. "Bitte", sagte sie schwach und dachte: Jetzt reiß dich aber zusammen! Er hielt ihr einen Teller mit getoastetem Weißbrot hin. "Greif zu. Vollkornbrot konnte ich leider nicht finden, aber ich hoffe, dass du zumindest weißt, dass es viel gesünder ist." Sein schulmeisterlicher Ton ärgerte sie. Der Toast roch köstlich, doch Scarlett hätte es nie zugegeben, denn diese Genugtuung gönnte sie Liam nicht. "Ich will keinen Toast", sagte sie trotzig wie ein Kind. "Ich will, dass mein Leben wieder so ist, wie es war, bevor du hineingeplatzt bist und alles ruiniert hast." Sie trank einen Schluck Kaffee, der heiß und stark war. Wenn sie es richtig bedachte, hatten sich Liams Stim
mung und Verhalten seit dem Vorabend ziemlich gewan delt. Er war nicht mehr aufbrausend und benahm sich seit der Ankunft in ihrer Wohnung sogar richtig zivilisiert. Vielleicht war der Vorschlag, ihn nach Australien zu be gleiten, ja doch nur ein schlechter Scherz gewesen. Und wenn nicht, war Liam vernünftigen Argumenten jetzt vielleicht wenigstens zugänglicher als gestern. Wenn sie an seine guten Seiten appellierte falls er die überhaupt hatte -, würde er sich diesen verrückten Plan vielleicht doch noch aus dem Kopf schlagen. "Du wirkst heute richtig gut gelaunt", wagte sie einen Vorstoß, "Ich wirke nicht nur so, ich bin es auch", meinte er lächelnd. "Gut geschlafen, Frühstück mit einer schö nen Frau - was will ein Mann mehr?" Er senkte die Stimme zu einem unglaublich verführerischen Flüstern. "Nun ja, ich könnte mir da schon noch etwas vorstellen ..." Obwohl es ihr schwer fiel, zog sie es vor, den letzten Satz zu ignorieren. Sie musste die Gunst der Stunde nut zen, denn sie konnte ja nicht wissen, ob sich Liam nicht von einer Sekunde zur anderen wieder in ein Ekel ver wandeln würde. "Liam", begann sie lächelnd. "Scarlett?" "Du willst dach nicht wirklich, dass ich mit dir nach Australien komme, oder?" "Doch, das will ich", antwortete er knallhart. "Und wenn du Sir Humphrey vor dem Ruin retten und oben drein von mir in Ruhe gelassen werden willst, tust du besser, worum ich dich bitte." Zynisch fügte er hinzu: "Solltest du allerdings wollen, dass ich in deiner Nähe bleibe, könnte ich mir vorstellen, dass Henry nicht allzu begeistert sein wird, wenn du dich mit schöner Regelmä
ßigkeit in meine Arme wirfst. Ich wäre es jedenfalls nicht an seiner Stelle." Sie knallte ihre Tasse auf das Tablett. "Du bist unmög lich!" "Stimmt", pflichtete er ihr bei, stellte seine Tasse neben ihre und lag, bevor sie überhaupt reagieren konnte, auf ihr und küsste ihre nackte Schulter. "Und außerdem", flüsterte er mit dieser vor Verlangen heiseren Stimme, an die sie sich so gut erinnerte, "bin ich unheimlich scharf auf dich, wenn ich dich in so aufreizender Bekleidung sehe." Langsam fuhr er mit dem Finger an einem von Scarletts seidenen Spaghettiträgern entlang. "Ich bin nicht aufreizend bekleidet", wandte sie ein. "Und da unten auch nicht?" Lächelnd schob er ihr die Bettdecke von den Brüsten. Normalerweise war Scarletts Nachthemd überhaupt nicht aufreizend, aber normalerweise fühlten sich ihre Brüste auch nicht an, als wollten sie den dünnen Stoff gleich sprengen, und normalerweise reckten sich auch ihre Knospen nicht empor, denn normalerweise blickten keine blauen Augen begehrlich auf sie herab. "Ich finde es sogar sehr aufreizend." Wie in Zeitlupe zog er mit dem Finger Kreise um eine Brust, und je höher er die Kreise zog, desto kleiner wurden sie, bis seine Fin gerspitze schließlich nur noch die pralle Spitze umrunde te. '"Du wirklich nicht?" "Ich ..." Mach dem ein Ende! Um Himmels willen, Scarlett, mach dem ein Ende! Obwohl ihr ganzer Körper schon vor Wonne kribbelte und prickelte, wollte sie Li ams Liebkosungen noch ein Ende machen. Als er sie erst aufs Ohrläppchen küsste und dann auch noch mit Lippen und Zunge über ihren Hals strich, schloss sie seufzend
die Augen und gab sich geschlagen. Sachte schob er nun erst den einen und dann den ande ren Träger von ihren Schultern und entblößte ihre vollen Brüste, die sich in schnellem Rhythmus hoben und senk ten, als könnten sie es nicht erwarten, noch mehr liebkost zu werden. "Hübsch", stellte er anerkennend fest. O nein, dachte Scarlett noch, doch dann durchströmte sie eine neue heiße Welle der Lust. Sein Mund war jetzt auf ihren Brüsten, und während Liam eine Knospe sanft zwischen die Zähne nahm, packte er die Bettdecke und warf sie zu Boden. Als er dann die zarte Haut ihrer Schenkel streichelte, spreizte Scarlett die Beine erwartungsvoll und hob den Po etwas an, damit Liam ihr das Nachthemd bis zur Tail le hochschieben konnte. "Oh, Scarlett, ich will dich", stieß er rau hervor und grub die Finger in das dunkle Dreieck zwischen ihren Beinen. Wie sehr er sie wollte, war durch das Handtuch um seine Hüften unschwer zu erkennen. "Und jetzt sag, dass du mich auch willst", forderte er. "Sag es mir!" "Ich..." Das nervtötende Schrillen des Telefons zerriss die lei denschaftliche Spannung. "Lass es klingeln", befahl er, als Scarlett den Kopf hob, und zerrte ungeduldig an dem Knoten, der das Handtuch um seine Hüften zusammenhielt. "Ich - kann nicht." Ich kann ihn das nicht tun lassen. Wenn ich ihn das jetzt tun lasse, werde ich ihn nie wieder vergessen können. "Lass mich rangehen!" "Nein!" Er begann wieder, ihren Hals zu küssen. Oh, was tat sie da nur? Wahrscheinlich war es ihre Mutter, die vor Sorge fast umkam, nachdem Scarlett sich
bei ihrer eigenen Verlobungsparty in Luft aufgelöst hatte. Bei der Vorstellung, welche Katastrophen ihre Mutter sich ausmalte, kam Scarlett trotz ihrer Erregung blitz schnell zur Vernunft. "Doch!" schrie sie, und Liam ließ völlig perplex von ihr ab, auch wenn der lüsterne Glanz nicht aus seinen Augen verschwand. Einen Moment lang stellte Scarlett sich vor, wie es wä re, wenn er ihr nicht ihren Willen lassen, sondern sich auf sie stürzen und sie mit der Gewalt seines großen starken Körpers einfach nehmen würde. Zugegeben, die Vorstellung war alles andere als unan genehm ... Aber der Moment verging, ohne dass etwas passierte. Liam machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten, als sie aufstand und zum Telefon ins Wohnzimmer ging. "Hallo?" sagte sie. Es war ihre Mutter. "Scarlett! Gott sei Dank! Wo steckst du nur?" "Ich bin zu Hause, Mummy", antwortete sie automa tisch und fügte hinzu: "Ist doch logisch, oder?" "Sei nicht so frech! Ich wäre fast wahnsinnig geworden vor Sorge. Keiner wusste, was los war!" "Tut mir leid, Mummy - ich konnte es nicht ändern." "Was machst du überhaupt in deiner Wohnung? Wie bist du hingekommen?" Wo soll ich nur anfangen, dachte sie unbehaglich und seufzte. "Das ist eine lange Geschichte." "Na, dann lass mal hören." "Mummy, bitte nerv jetzt nicht. Ich werde dir schon noch alles erklären." Wie, war ihr allerdings noch schlei erhaft.
"Dann sprich jetzt wenigstens mit Henry." Aus dem Augenwinkel sah Scarlett Liam ins Zimmer kommen, der sich gerade das Handtuch wieder ordentlich umband. Im Vergleich zu vorhin, spannte es sich nun fast glatt vor seinem flachen Bauch. Er bemerkte ihren Blick, zog eine Augenbraue leicht nach oben und amüsierte sich, als Scarlett rot wurde. "Geh weg!" gab sie ihm fast tonlos zu verstehen, aber er blieb halbnackt vor ihr stehen. Sein Anblick hätte eine Heilige in Versuchung bringen können, und so drehte Scarlett ihm den Rücken zu. "Was hast du gesagt, Scarlett?" "Mummy, ich lasse mir gerade ein Bad einlaufen." "Dann dreh das Wasser ab." "Nein, und jetzt hör zu. Ich werde alles erklären, aber nicht jetzt. Henry rufe ich morgen an." "Liebes - du wirst es dir doch nicht anders überlegt ha ben? Mit Henry, meine ich." Scarlett schwieg einen Moment. Sie wünschte, Liam würde endlich hinausgehen und aufhören, sie zu belau schen, aber er hatte nicht einmal den Anstand, so zu tun, als würde ihr Gespräch ihn nicht interessieren. "Ich kann jetzt nicht darüber reden", formulierte sie vorsichtig. "Ich bin im Moment etwas beschäftigt. Sag ihm, dass er sich keine Gedanken zu machen braucht und dass ich mich melde. Und du musst dir auch keine Sorgen machen. Mir geht's gut. Ehrlich!" "Du klingst aber gar nicht so", stellte ihre Mutter zwei felnd fest. "Du klingst irgendwie - ich weiß nicht. Auf jeden Fall seltsam. Humphrey ist übrigens wütend auf
dich." "Er wird's überleben." Mit Humphrey hatte sie kein Mitleid, denn ihm hatte sie dieses ganze Theater schließ lich zu verdanken. Hätte er ein bisschen mehr Geschäfts sinn bewiesen, wäre Liam nie in diese unglaublich starke Position gekommen. "Also, Mummy, jetzt mach dir keine Gedanken mehr. Ich rufe morgen an. Tschüs!" "Aber..." Scarletts Hand zitterte, als sie den Hörer auflegte, und Liam trat so dicht hinter sie, dass sie seinen Atem warm im Nacken spürte. "Sind sie böse?" fragte er lässig. "Natürlich sind sie böse! Was hast du denn gedacht? Als sie mich das letzte Mal sahen, feierte ich meine Ver lobung und ging kurz hinaus, um Luft zu schnappen und das war's dann. Besonders wütend ist Humphrey." "Das kann ich mir denken", erwiderte er hämisch. "Dass eine blitzblanke Fassade für Humphrey das wich tigste ist, ist ja hinlänglich bekannt. Welch skrupellose Dinge er dahinter treibt, sieht ja niemand." Scarlett ließ den Kopf hängen und hatte plötzlich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es war, als ob sich ein Spalt aufgetan hätte, durch den sie ver schwommen irgend etwas Beängstigendes sah, das noch vor ihr lag. Etwas, das mit Liam zu tun hatte und das kein befriedigendes Ende haben würde. Eine Zukunft ohne Liam. Aber das war töricht - sie wollte schließlich, dass er wieder aus ihrem Leben verschwand. Oder etwa doch nicht? "Geh weg", bat sie leise. Aber er ging nicht. "Schhh", machte er überraschend sanft und beruhigend. "Du bist ja total verspannt. Komm her." Er legte seine kräftigen Hände auf ihre Schultern
und begann, diese rhythmisch zu massieren. Das Gefühl von Wärme, Stärke und Bewegung war eine einzige Wohltat, und Scarlett fühlte mit jedem Druck seiner Hände ihre Spannung immer mehr weichen. "Gut so?" Ohne sein Gesicht zu sehen, wusste sie, dass er lächel te. Die Vorfreude auf ihre Kapitulation ... "Sag", flüsterte er ihr dann ins Ohr, "wollen wir da wei termachen, wo wir vorhin unterbrochen wurden?" Seine tiefe, heisere Stimme klang unheimlich verführerisch. Die Versuchung war fast übermächtig, aber Scarlett zwang sich, an das eiskalte Wasser der Dusche zu den ken, unter das sie sich stellen wollte, bis ihr Verlangen nach ihm abgekühlt war. "Geh zum Teufel!" fuhr sie ihn an und stürmte davon, um im Badezimmer Zuflucht zu nehmen. Nach dem Duschen ließ sie sich noch ein Bad ein, ver brachte eine Stunde in der Wanne und hoffte, das Warten würde ihm zu dumm werden, und er würde gehen. Wem will ich eigentlich etwas vormachen? fragte sie sich vorwurfsvoll, als ihr Herz immer wieder schneller schlug, sobald sie ein Geräusch hörte, das von Liam kam. Sie betete, dass er wenigstens nicht in ihr Arbeitszimmer gehen würde, doch dann erklang Jazz von ihrem Klavier. Sie stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und überleg te beim Anziehen, wo er wohl Klavierspielen gelernt haben mochte. Als sie in Jeans und einem dicken, grob gestrickten Pullover wieder ins Wohnzimmer ging, sah sie, dass Liam ähnlich wie sie selbst gekleidet war - in Jeans und einen dicken schwarzen Pullover, der seine breiten Schultern noch breiter erscheinen ließ. Er musterte sie von oben bis unten. "So ist's schon bes ser. Das sieht schon eher nach der Scarlett aus, die ich
kenne." "Was meinst du?" "Das Kleid, das du gestern anhattest, passte doch über haupt nicht zu dir, oder?" meinte er. "So habe ich dich in Erinnerung - immer in Jeans. Oder in Reithosen. Und obwohl du nie einen Rock getragen hast, hast du nie jun genhaft gewirkt, sondern immer unglaublich feminin und sexy. Du warst so lebendig und temperamentvoll. Wenn du mit deiner Säble über die Wiesen galoppiert bist, hat mich dein süßer kleiner Po immer zu den wildesten eroti schen Phantasien inspiriert." Die Erinnerung an die Anfangszeit ihrer Beziehung war schmerzlich, und Scarlett wollte, dass Liam das Thema wechselte. "Wo hast du diese Sachen her?" fragte sie deshalb. "Ich habe im Hotel angerufen und sie von einem Boten bringen lassen." Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür zu ihrem Arbeitszimmer. "Du malst ja wieder." "Habe ich dir nicht gesagt, dass du dort nicht hineinge hen sollst?" fuhr sie ihn an. "Das ist immer noch meine Wohnung, und du hast kein Recht, überall herumzu schnüffeln - im übrigen male ich seit Jahren!" "Interessant", fand er. "Als wir noch zusammen waren, hat es dir an Engagement ziemlich gemangelt." Weil ich vor Liebe zu dir blind war. Weil diese Liebe keinen Raum für anderes gelassen hat. "Das ist lange her, Liam. Menschen ändern sich." Er sah ihr fest in die Augen, als wollte er sie mit Bli cken durchbohren. "Tun sie das?" Scarlett schluckte und hatte wieder das beunruhigende Gefühl, gleich den Boden unter den Füßen zu verlieren. "Ja, das tun sie", sagte sie gepresst.
"Du solltest deine Bilder verkaufen", regte er an. "Sie sind sehr gut." Sie machte sich nicht die Mühe, ihn aufzuklären. "Weißt du, diese ..." Er runzelte die Stirn und deutete mit einer ausladenden Handbewegung an, dass er von ihrer Wohnung sprach, die freundlich eingerichtet und sauber war, aber - vorallem im Vergleich zu Seymour House - eher bescheiden. "Irgendwie habe ich etwas ganz anderes erwartet." "Was denn?" fragte sie scharf. "Etwa ein Bordell?" Er lachte. "Nein, das nun doch nicht! Ich habe mir dei ne Wohnung einfach größer vorgestellt und luxuriöser. Ist sie gemietet?" "Das ist eine sehr persönliche Frage, Liam. Aber wenn du es genau wissen willst, es ist eine Eigentumswohnung, und sie gehört mir." Er zog fast unmerklich die Augenbrauen hoch. "Oh. Wie das denn?" Kümmere dich um deinen eigenen Kram, hätte sie am liebsten gesagt, aber dann hätte er angenommen, dass sie sich schämte. Und das tat sie nun wirklich nicht. "Ich habe das Geld von meiner amerikanischen Großmutter geerbt." Er nickte und verzog verächtlich den Mund. "Natürlich, das hätte ich mir denken können. Dir fällt immer noch alles in den Schoß, nicht wahr, Scarlett?" Bei dieser Frage ließ sie sich zu keiner Antwort reizen, denn durch die Erbschaft hatte sich ihr Leben zum Guten gewendet, wie sie es sich nie hätte träumen lassen - aber das ging Liam nichts an. Sollte er doch ruhig schlecht von ihr denken! "Und wenn du gerade nichts Besseres vorhast, ver bringst du deine Tage mit einem Teilzeitjob in einem
Modegeschäft", stellte er schließlich fest. "Falsch, Liam, dachte sie schadenfroh, sagte aber aner kennend: "Du hast deine Hausaufgaben offensichtlich gemacht." "Ja." Der verächtliche Zug um seinen Mund wich ei nem spöttischen Lächeln. "Und womit schlägst du die Zeit tot, wenn du nicht zufällig gerade ein paar Stunden ,arbeitest'? Mit Kaffeehausbesuchen? Oder Einkaufsor gien?" "Stimmt!" sagte sie lächelnd, denn sie wollte nichts tun oder sagen, das seine abartigen Vorurteile hätte abbauen können. "Und ich kann dir gar nicht sagen, wie anstren gend das manchmal ist." "Das kann ich mir vorstellen", sagte er missbilligend. Ganz unvermittelt fielen ihr die sanften Klänge ein, die er dem Klavier entlockt hatte, und sie wurde von Neugier gepackt. Was mochte er in den langen Jahren seit ihrer Trennung wohl noch alles gelernt haben? Direkt fragte sie: "Wo hast du das Klavierspielen ge lernt?" "In Boston." "Boston? Ich dachte, du lebst in Australien?" "Tue ich ja. Aber dass ich auch in den Staaten war, ha be ich dir doch schon erzählt." "Und was hast du in Boston gemacht?" Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. "Das ist eine lange Geschichte, für die wir jetzt keine Zeit haben, wenn wir dein Visum besorgen wollen. Also hol deinen Pass, und zieh einen Mantel an." "Liam, das ist doch nicht dein Ernst..." "Zieh dich an." Er lässt nicht locker, dachte Scarlett ärgerlich, als er mit ihr durch halb London hetzte. Als erstes schleppte er sie
in ein Reisebüro, wo er für den nächsten Tag zwei Ti ckets erster Klasse nach Perth kaufte. Danach ging es zur australischen Botschaft. Zu ihrem Erstaunen sagte man ihr, dass sie selbstver ständlich ein Besuchervisum bekommen könne, wenn sie nur die notwendigen Voraussetzungen erfülle. Eine die ser Voraussetzungen war ein nicht unbeträchtliches Gut haben auf ihrem Bankkonto. "Aber ich habe kein ..." "Meine Frau und ich haben ein gemeinsames Girokon to", schnitt Liam ihr gewandt das Wort ab und reichte dem Botschaftsangestellten lächelnd einen Umschlag. "Hier sind die letzten Auszüge." Girokonto? Scarlett bekam große Augen, als sie den Guthabenbetrag sah, der für die Kontoinhaber "Mr. L.A. & Mrs. S.A.V. Eouse" ausgewiesen war. "Liam ..." begann sie, aber er legte ihr sanft den Zeige finger auf die Lippen. "Nicht jetzt, Liebling", sagte er. "Dieser Herr möchte dir einige Fragen stellen." Sie bekam ihr Visum innerhalb einer Stunde, nachdem sie noch bestätigt hatten, dass sie getrennt lebten und Scarlett nicht die Absicht hatte, eine Aufenthaltsgeneh migung zu beantragen. Der Angestellte, der das Visum ausstellte, wunderte sich zwar, warum ein Ehepaar, das seit zehn Jahren getrennt lebte, einen vierzehntägigen Urlaub zusammen verbringen sollte, aber Liam gelang es, ihn zu überzeugen, dass Scarlett wirklich nicht vorhatte, in Australien zu bleiben. Als sie das Visum hatten, gingen sie zum Mittagessen in einen Pub. "Dass wir ein gemeinsames Konto haben, ist ja das
Neueste", sagte sie, als er mit zwei Bier und einem Teller voll Sandwiches an ihren Tisch zurückkam. "Ja, ich habe es vor einigen Wochen eingerichtet." "Und wo kommt das ganze Geld her, das drauf ist?" "Von mir", antwortete er trocken. "Aber keine Sorge, Scarlett, es ist alles ganz legal. Eröffnet habe ich das Konto übrigens, weil du natürlich nicht auf eigene Kos ten mit mir nach Australien kommen sollst." "Wenigstens etwas." Die Art, wie er ihr ganzes Leben in die Hand nahm, missfiel ihr. "Ich hoffe bloß, dass das alles bald vorbei ist." Seufzend biss sie in ein Käse-Gurken-Sandwich, auf das sie gar keinen richtigen Appetit hatte. Aber eigentlich stimmte das gar nicht - nicht wirklich jedenfalls, denn schon nach weniger als vierundzwanzig Stunden in seiner Gesellschaft war irgend etwas mit ihr geschehen, und zwar etwas ziemlich Beunruhigendes, wenn sie es genau bedachte. Sie fühlte sich wieder lebendig, wirklich und richtig le bendig, als hätte ihr jemand einen wundersam beleben den Kräutertrank gegeben. Sie fühlte sich genauso wie damals, als sie noch jung waren und sie gedacht hatte, die ganze Welt würde sich nur um sie drehen. Es war ein berauschendes Gefühl, schwindelerregend und auch schrecklich, denn bald würde es vorbei und sie einfach wieder nur Scarlett sein eine ganz zufriedene, aber ir gendwie eindimensionale Frau. Eines hoffte sie jedoch inständig: dass Liam nie dahinter kommen würde, wie sie sich fühlte. Nun, dann musste sie eben dafür sorgen, dass er nicht dahinter kam. Aber da war noch etwas, das im Unterbewusstsein an ihr nagte. Es war etwas, das sie nicht länger ignorieren
konnte. Keine Minute länger. "Ich gehe jetzt heim", sagte sie unvermittelt. "Iß erst auf." "Ich habe keinen Hunger!" "Aber ich. Lass mich zu Ende essen, und dann bringe ich dich heim." In aller Ruhe biss er in sein Sandwich. "Ich will aber nicht, dass du mich heimbringst! Ich muss - muss mit Henry sprechen und ihm - ihm sagen, dass ich wegfahre." Liams blaue Augen funkelten drohend, als wäre er es nicht gewohnt, dass man sich seinen Wünschen wider setzte. "Ich habe gesagt, ich bringe dich heim, und damit basta", wiederholte er barsch. Kochend vor Wut, wartete Scarlett, bis er mit dem Es sen fast fertig war, und fragte sich, warum sie es sich eigentlich bieten ließ, dass er so mit ihr umsprang. Grün de dafür fand sie. Weil sie keine Szene machen wollte. Weil sie wollte, dass er sie in Ruhe ließ, wenn das alles vorbei war, und befürchtete, er könnte sein Versprechen nicht halten, wenn sie ihn gegen sich aufbrachte. Lügnerin, schalt sie eine innere Stimme. Du weißt ge nau, warum du dir das bieten lässt - weil es dir gefällt, dass Liam stark und dominant ist. Du bist nichts als ein schwaches, unterwürfiges Weib, das sich danach sehnt, von ihm beherrscht zu werden... Aber wirklich nicht! "Ich gehe jetzt", sagte sie und stand auf, Liam jedoch folgte ihr und hielt ihr vor dem Pub die Wagentür auf. Immer noch wütend, würdigte Scarlett ihn keines Bli ckes, und so fuhren sie schweigend bis vor ihre Woh nung. "Was ist los, Scarlett?"
Sie wandte sich ihm zu, und ihre bernsteinfarbenen Augen blitzten wild. "Du bist los! Ich hasse dich! Deine Überheblichkeit! Deine..." Liam beugte sich zu ihr hinüber und brachte sie mit ei nem Kuss zum Schweigen. Es war ein Kuss, der nach Zorn und Frust schmeckte und unerträglich aufregend war. Er küsste sie, bis sie nach Atem rang und an nichts anderes mehr denken konnte als an ihn und an die ver heerende Wirkung, die sein Kuss auf sie hatte. Stöhnend wand sie sich in seinen Armen, als er mit harter Hand nach ihren Brüsten griff, und es kümmerte sie nicht im geringsten, ob Passanten zusahen oder nicht, denn sie wollte ihn, wollte nur, dass er sie ... Seine Stimme traf sie wie ein Schlag. "Jetzt nicht, Scar lett", sagte er und machte sich von ihr los. "Für Autosex bin ich ein bisschen zu alt vor allem am helllichten Tag." Ohne nachzudenken, hob sie die Hand und schlug ihm hart ins Gesicht, aber er steckte die Ohrfeige kalt lä chelnd weg. Vergiss übrigens nicht, die Leibesübungen in meinem Auto zu erwähnen", erinnerte er sie zynisch. "Ich meine, wenn du mit Henry sprichst."
7. KAPITEL "Was hast du ihm gesagt?" Scarlett tat, als ob sie nicht wüsste, wovon Liam sprach. "Wem?" "Dem Mann, dessen Bett du in fünf Wochen teilen wirst." Schuldgefühle überfielen Scarlett, als sie daran dachte,
mit welchem Mann sie am Morgen des Vortages fast ihr Bett geteilt hätte. "Musst du es gar so anschaulich formu lieren?" fuhr sie ihn an. "Ist das alles, woran du je denkst?" "Was ist los, Scarlett?" spöttelte er. "Warum bist du denn so empfindlich? Fühlst die dich durch eine klare Sprache neuerdings beleidigt - oder ist die zukünftige Braut etwa schon etwas nervös?" "Ach, lass mich doch in Frieden!" Scarlett wandte sich ab und musterte den großen Diamanten an ihrem Finger, der wie ein böses Auge zu ihr hinauf funkelte. Dass Liam sie von der Seite beobachtete, fühlte sie mehr, als dass sie es sah, und so hielt sie die Hand absichtlich so, dass sich das Sonnenlicht in dem wertvollen Stein brach und ein sternförmiges Muster in allen Regenbogenfarben auf ih ren Schoß warf. Er lachte verächtlich, und Scarlett wurde in ihren Sitz gedrückt, als er das Gaspedal bis zum An schlag durchtrat und der Wagen losschoss. Sie waren auf dem Weg zum Flughafen und fuhren wieder mit dem Porsche, der, wie sie jetzt wusste, gemie tet war und den Liam in Heathrow abgeben würde. Er hatte es ihr mit der Lässigkeit eines Mannes erzählt, für den Geld kein Thema war und der es gewohnt war, teuere Wagen zu mieten und an irgendwelchen Flughäfen wie der abzugeben. Wahrscheinlich war er es gewohnt. Dass ihr Liam - dieser wilde, zügellose Mann aus ihrer Ver gangenheit - jetzt ein mächtiger Geschäftsmann war, der sogar den Mehrheitsanteil einer Bank hielt, war eine un glaubliche Vorstellung. Sie tippte mit dem Kopf einige Male an die mit hand schuhweichem Leder bezogene Kopfstütze und seufzte. Während der letzten vierundzwanzig Stunden war sie kaum zum Nachdenken gekommen.
Alles war so rasend schnell gegangen - Tickets kaufen, Visum besorgen -, dass es ihr immer noch nicht gelungen war, herauszufinden, wie Liam eigentlich genau zu die sem horrenden Wohlstand gekommen war. Einmal hatte sie es zwar versucht, aber statt ihr eine vernünftige Ant wort zu geben, hatte er seine berühmte sture Miene auf gesetzt und keinen Ton gesagt. Ich wette, es war illegal, was immer es auch gewesen sein mag, dachte sie boshaft, war davon aber keineswegs überzeugt. "Wenn du mir schon nicht sagst, was du ihm gesagt hast, kannst du mir vielleicht wenigstens sagen, was er gesagt hat?" "Wer? Henry?" fragte sie zuckersüß und erklärte dann: "Das muss dich doch nicht kümmern." Was Henry gesagt hatte, würde Liam nicht erfahren. Nicht jetzt. Und auch nicht irgendwann später. Scarlett überlegte, wie sie das Thema wechseln konnte. "Sind wir bald da?" erkundigte sie sich scheinheilig. Da sie gerade in diesem Moment an einer riesigen Leuchtta fel mit der Aufschrift "Heathrow Airport" vorbeifuhren, war es ziemlich offensichtlich, dass sie bald da sein würden, und Scarlett bemerkte, dass Liam lächelte, als hätte er sie durchschaut. Ärgerlich wandte sie sich ab und starrte blicklos aus dem Fenster. Den ganzen Morgen über hatte sie sich gefragt, was wohl passiert wäre, wenn sie es einfach hätte darauf an kommen lassen. Wie hätte er reagiert, wenn sie ihm ge sagt hätte, dass ihr Humphreys finanzielle Probleme gleichgültig waren? Dann hätte sie ihn nicht begleiten müssen. Was hieß schon "müssen"? War es nicht eher so, dass sie vor Neugier fast platzte und unbedingt sehen wollte, wie er nun lebte? Sie wollte diese vierzehn Tage mit ihm
verbringen. Traurig, aber wahr. Vielleicht gelingt es mir ja sogar, ihn danach zu verges sen, dachte sie ohne große Überzeugung, als sie wenig später zusammen die Lounge für Erste-Klasse-Passagiere betraten. Liam war im klassisch amerikanischen Stil gekleidet schwarze Jeans, weißes T-Shirt, Bomberjacke aus schwarzem Leder lässig über den Schultern. Diese schlichte Aufmachung war ein absoluter Hammer, wenn man groß war, gut aussah und kein Gramm Fett am Leib hatte. Das alles traf auf Liam zu. Er könnte ein Model sein, dachte Scarlett widerwillig bewundernd, während sie ihn verstohlen dabei beobachtete, wie er sich von einem Tischchen eine Zeitung holte. Oder ein Pirat. Nein, noch eher ein Rancher, entschied sie, als ihr Blick bei seinen muskulösen Oberschenkeln verweilte. "Welch verträumter Blick in diesen großen bernstein farbenen Augen." Seine tiefe Stimme riss sie aus ihren Betrachtungen. "Woran hast du denn gerade gedacht?" Sie versuchte sich seine Reaktion vorzustellen, wenn sie wahrheitsgemäß sagen würde: an deine muskulösen Oberschenkel, und wurde rot. "Ganz schön warm hier, Scarlett, nicht wahr?" meinte er, aber das ironische Funkeln seiner Augen ließ darauf schließen, dass er ganz genau wusste, in welche Richtung sich Scarletts Gedanken bewegten. "Zieh doch den Pullover aus." Ohne zu überlegen, zog sie sich den dicken Zopfpullo ver über den Kopf und löste dabei ihr Haar, das sie locker hochgesteckt hatte, weil es noch glatter als sonst herun
tergehangen hatte. Es fiel ihr wie ein pechschwarzer Wasserfall über die Schultern. "Hübsch", stellte er anerkennend fest. Genau das gleiche hatte er gesagt, als er ihr das Nacht hemd von den Brüsten geschoben hatte ... Du lieber Himmel! Jetzt wurde sie schon wieder rot. Sie benahm sich schlimmer als ein Teenager, aber vielleicht würde das in Liams Gegenwart ja nie anders sein. "Könnte ich vielleicht ein Glas Champagner bekommen?" fragte sie, um wenigstens nach außen hin wie eine Erwachsene zu wirken. "Natürlich." Liam zog die linke Augenbraue hoch, und schon eilte eine Stewardess herbei. Minuten später brachte sie Champagner für Scarlett und Mineralwasser für ihn. Scarlett trank die köstlich kalte Flüssigkeit schneller als eigentlich beabsichtigt und nahm dankend ein zweites Glas an, als sie spürte, wie das prickelnde Getränk sie aufbaute. Liam runzelte die Stirn. "Ist das wirklich nötig? Wenn ich mich recht erinnere, hast du zum Frühstück nur zwei Tassen von diesem grässlichen Gebräu getrunken, das du Kaffee nennst." Wie hätte sie auch zum Frühstück etwas essen können, nachdem sie die zweite Nacht so unruhig wie nie in den letzten zehn Jahren verbracht hatte. Einmal war sie auf gewacht und müde ins Wohnzimmer geschlichen in der Erwartung, ihn auf dem Sofa vorzufinden, aber natürlich war er nicht da gewesen. Er war am Abend ins Ritz zu rückgekehrt, und sie hatte seine Einladung, ihn zu beglei ten, frostig abgelehnt. Früh am Morgen war er gekommen und hatte sie auf geweckt. Nach einer Runde Jogging hatte er wie das blü
hende Leben ausgesehen. Und sie, sie war so nervös gewesen, dass sie es gerade noch geschafft hatte, ihm mit zittrigen Händen eine Tasse Kaffee hinzustellen. Kaffee, von dem er einen Schluck getrunken hatte, um den Rest angewidert von sich zu schieben. "Es war kein grässliches Gebräu! Es war lediglich Pul verkaffee, aber Pulverkaffee ist dir anscheinend nicht gut genug!" provozierte sie ihn und trank einen großen Schluck Champagner. Wenn Liam sich einbildete, zwei Gläser seien zuviel, würde sie auch noch ein drittes trin ken! Er ging ihr mit seiner Gelassenheit so auf die Ner ven, dass sie ihn nur noch ärgern wollte, reizen bis aufs Blut. "Dein Kaffee hat wie Schlamm geschmeckt, Scarlett", stellte er schaudernd fest. "Das kommt wohl daher, dass du zu lange nie selbst welchen kochen musstest. Irgendwann werde ich dir mal einen anständigen machen, damit du weißt, wie Kaffee schmecken muss." "Ich kann es kaum erwarten! Und was das ,selbst ko chen' anbelangt du scheinst zu vergessen, dass ich seit fast neun Jahren allein wohne." "Ach ja - deine mysteriöse Vergangenheit." "Nicht halb so mysteriös wie deine!" erwiderte sie spitz. Er lächelte herablassend. "Keine Sorge, Scarlett. Wäh rend der nächsten Wochen haben wir reichlich Zeit, um uns wieder miteinander vertraut zu machen." Was soll das nun wieder heißen? fragte sie sich. Nun, sie konnte es sich schon denken. Liam wollte Sex, und so, wie Sie sich bislang verhalten hatte, musste er an nehmen, dass er ihn auch bekommen würde. Ha, da hatte er sich aber schwer verrechnet!
"Es ist schon seltsam", überlegte er laut, "während es mit mir stetig bergauf ging, scheinst du dich eher in die andere Richtung entwickelt zu haben. Deine Wohnung zum Beispiel - eine sehr überraschende Wahl, Scarlett. Und auch Henry - ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, dass du bei einem Mann wie ihm landest." "Weil er nicht wie du ist?" stichelte sie. "War das ein Kompliment, Scarlett?" Oh, verdammt! Er und sein Lächeln! "Nein, ein Kom pliment war das bestimmt nicht!" fuhr sie ihn wütend an. "Vielleicht wollte ich ja einen Mann, der anders, und zwar ganz anders ist als du. Und vielleicht habe ich auch den Ehrgeiz, unseren Rekord zu brechen und länger als zwei Monate mit meinem zukünftigen Ehemann zusam menzubleiben!" "Was schwebt dir denn so vor?" fragte er ironisch. "Vierzig Jahre Stabilität - um nicht zu sagen tödliche Langweile?" Genervt sah sie ihn an. "Du kennst mich überhaupt nicht, Liam, oder?" "Das kommt darauf an, wie man ,kennen' definiert." Oh! Wie schaffte er es nur, jedes ihrer Worte so zu ver drehen, dass es eine ganz andere Bedeutung bekam? "Ich möchte noch ein Glas Champagner," "Du hast schon genug." "Das zu beurteilen, kannst du getrost mir überlassen, Liam", teilte sie ihm von oben herab mit und wurde dafür mit einem drohenden Blick bedacht. "Ich hätte gut Lust, dir dieses selbstgefällige kleine Lä cheln auszutreiben", stellte er mit einem gewissen Unter ton fest. "Wie denn?" fragte sie und vertiefte ihr Lächeln noch. Seine Stimme klang samtig, als er erwiderte: "Ich glau
be, das weißt du sehr gut." "Aber, Liam!" neckte sie. "Du kannst doch nicht die Träume all der anderen Frauen in dieser Lounge zerstö ren, indem du mich küsst!" Jetzt war es an ihm, selbstgefällig zu lächeln. "Wer hat denn was von küssen gesagt?" Immer noch lächelnd, knirschte sie mit den Zähnen und sah dann erwartungsvoll der Stewardess entgegen, die ihr das dritte Glas Champagner brachte. Zu Scarletts Ver druss erhob Liam aber keine weiteren Einwände, sondern lehnte sich bequem zurück, schlug die Financial Times auf und begann aufmerksam zu lesen. Sich schlecht zu benehmen verlor jeden Reiz, wenn die Person, die man damit provozieren wollte, keinerlei No tiz von einem nahm, aber Scarlett konnte trotzdem nicht anders. Dass er offenbar keinen Gedanken an ihre Gefüh le verschwendete, brachte sie zur Weißglut. Er war einfach wieder in ihr Leben hineinmarschiert, als wäre nichts gewesen, und hatte sie gezwungen, mit ihm nach Australien zu gehen. War ihm überhaupt bewusst, dass es ihr das Herz gebrochen hatte, als er gegangen war? Dass sie wie eine Närrin herumgesessen und darauf gewartet hatte, dass er wieder heimkommen würde? Aber er war nicht heimge kommen. Er war verschwunden. Mistkerl! Sie trank einen Schluck Champagner, doch das pri ckelnde Getränk schmeckte auf einmal nicht mehr so, wie es sollte - eher sauer als trocken -, aber Scarlett leerte das Glas dennoch. Und Liam las immer noch, studierte Aktienkurse, als wären diese die interessanteste Lektüre, die man sich denken konnte. Gefühlloser Kerl! Scarlett steigerte sich in Selbstmitleid und winkte die Stewardess herbei.
"Könnte ich bitte noch ein Glas haben?" fragte sie strahlend lächelnd. Die Stewardess blickte jedoch nicht Scarlett, sondern den Mann neben ihr an, und als Scarlett ebenfalls Liam ansah, bemerkte sie ein leichtes, aber bestimmtes Kopf schütteln. "Danke, aber wir möchten nichts mehr", sagte er zu der attraktiven Rothaarigen, deren Rock so eng war, dass Scarlett sich fragte, ob man darin überhaupt sitzen konn te. "Wie Sie wünschen, Sir." Die Stewardess lächelte ihm verschwörerisch zu und entfernte sich mit gekonntem Hüftschwung. "Das kannst du doch nicht machen!" rief Scarlett. "Du hast doch gehört, dass ich es kann." Nun wurde Scarlett von ihrem Selbstmitleid übermannt. "Wenn du nicht so hässlich zu mir wärst, würde ich nicht soviel trinken", schniefte sie. "Ich bin hässlich zu dir?" "Ja, das bist du! Zwingst mich einfach, mit dir zu ge hen", sagte sie weinerlich. "Vierzehn Tage sind doch gar nicht so lang", versuchte er sie zu trösten. ;,Komm her, lass dich in den Arm neh men." Als er sie wirklich in den Arm nahm, hätte Scarlett vor Freude weinen mögen, aber sie sagte: "Lass mich los!" "Warum? Gefällt es dir nicht?" "Nein!" "Du kleine Lügnerin", flüsterte er in ihr Haar, und Scar lett schrieb es dem Champagner zu, dass sie jede Gegen wehr aufgab. Den Weg von der Lounge ins Flugzeug schließlich nahm Scarlett nur verschwommen wahr. Das einzige,
woran sie sich später erinnerte, war, dass sie dem Zollbe amten unbedingt klarmachen wollte, dass sie Opfer einer Entführung sei. Der Zöllner grinste aber nur, denn Liam entschuldigte ihr Benehmen mit dem Hinweis auf einige Gläser Champagner. Der Flug bestand dann aus einer nicht enden wollenden Folge von Mahlzeiten, Drinks und Schlaf. Als Scarlett wieder einmal aufwachte, brauchte sie ei nen Moment, um sich zurechtzufinden. Ihr Kopf lag auf Männerbeinen, und aus dem Lautsprecher drang eine Stimme, die die bevorstehende Landung in Perth ankün digte. Sie blickte hoch und sah in zwei strahlend blaue Augen. "Oje!" rief sie entsetzt, richtete sich hastig auf und mach te sich auf den Weg zur Toilette. "Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen", jammerte sie, als sie zurückkam. Vor dem winzigen Spiegel in der Toi lette hatte sie versucht, ihrem verschlafenen Gesicht ein etwas menschlicheres Aussehen zu geben, war mit dem Ergebnis aber alles andere als zufrieden. "Das wundert mich gar nicht", meinte Liam ohne eine Spur von Mitgefühl. "Was musstest du den Champagner auch eimerweise in dich hineinschütten," "Ja, ja, ich weiß. Wenn du jetzt noch sagst ,das hätte ich dir gleich sagen können', fange ich an zu schreien." "So etwas würde ich doch nie sagen", erwiderte er, konnte sich ein ironisches Lächeln aber nicht verkneifen. Erstaunlicherweise war für ihn das Thema damit been det, und er besorgte ihr sogar zwei Kopfschmerztabletten und ein Glas Wasser, "Nett von dir", sagte sie, schluckte dankbar die Tabletten und fühlte sich wie ein ausgemach ter Dummkopf. "Geht's besser?"
"Ein bisschen." Interessiert sah Scarlett aus dem Fenster, Unter ihr lag strahlend blau der Indische Ozean, und entlang der Küste sah sie Fleckchen des gleichen Blaus bei fast jedem Haus. Swimmingpools waren in Australien anscheinend Standard. Nach der Landung mussten noch Zoll- und Einwande rungsformalitäten erledigt werden, doch dann konnten sie endlich das Flughafengebäude verlassen und stiegen in einen Range Rover. "Mach es dir bequem", meinte Liam, als er losfuhr. "Wir haben ein ziemliches Stück Fahrt vor uns." "Wohnst du denn nicht in der Stadt?" "In der Stadt habe ich nur ein Apartment. Das Haus steht am Moore River." "Und dort gibst du auch dieses Fest für deine Ge schäftspartner?" "Stimmt", bestätigte er nach kurzem Zögern. Scarlett rückte sich in ihrem Sitz zurecht und zog die Füße an. Sie war froh, dass sie für diese lange Reise lo cker sitzende Jeans gewählt hatte. Eine Zeitlang betrach tete sie die in Sonnenlicht getauchte Landschaft draußen und entdeckte am Swan River sogar ein Exemplar der berühmten schwarzen Schwäne, von denen Liam ihr er zählt hatte. Langsam, aber sicher bekam sie jedoch schwere Lider. Schließlich sank ihr der Kopf auf die Schulter, und sie schlief ein. Als sie aufwachte, fiel ihr Blick auf ein üppig bewach senes Flussufer und ein zweistöckiges Haus, vor dem Liam gerade parkte. Das Haus war toll, sah aber ganz anders aus, als sie es erwartet hatte. Älter sah es aus - und bewohnt, Scarlett musste schlucken und senkte schnell
den Kopf, um ihr Gesicht vor Liam zu verbergen. Es sah nicht aus wie ein Haus, sondern wie ein Heim - das Heim einer glücklichen Familie. Groß, aber nicht riesig, schlicht und frisch gestrichen, ohne irgendwelche Säulen und Erker - das krasse Gegenteil des Hauses, in dem sie aufgewachsen war. Es gefiel ihr, ja, es war Liebe auf den ersten Blick. Die ses Haus war genau das, was sie sich immer gewünscht, aber nie gehabt hatte. Als sie wieder aufblickte, bemerkte sie, dass sie von Liam aufmerksam beobachtet wurde. Sie wandte sich ab, um den Garten zu betrachten, und hoffte, dass sich die Verletzlichkeit, die sie plötzlich empfand, nicht in ihrem Gesicht spiegelte. Vor dem Haus erstreckte sich ein verblüffend grüner Rasen. Er war von Büschen gesäumt, deren Zweige mit ihren süß duftenden sternförmigen Blüten in den Weg hineinwucherten - undenkbar im penibel getrimmten Garten von Seymour House! Die Vorstellung, dass hier eine fröhliche Familie lebte, drängte sich geradezu auf - ein frecher kleiner Junge, der ausgelassen seinen Fußball in die Büsche schoss, ein knuddeliges kleines Mädchen, das im Beet dort drüben Blumen pflückte. Scarlett dachte an das Kind, das sie mit Liam fast gehabt hätte, und spürte Tränen aufsteigen. Da er schon damit beschäftigt war, die Koffer auszuladen, bemerkte er von ihrem schwachen Moment zum Glück nichts. Als er die Beifahrertür öffnete, hatte sich Scarlett wieder so weit im Griff, dass sie eine unverfängliche Frage stellen konnte. "Wie schaffst du es nur, den Rasen so grün zu halten?" Er lächelte, "Hast du gedacht, Australien sei eine einzi ge Wüste?"
Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sich über das Ziel ihrer Reise noch gar keine Gedanken ge macht hatte. "Ja, das habe ich wohl." "Nun, im Winter regnet es hier ziemlich viel, und wir sammeln Wasser, wo immer es geht. Mein Badewasser trägt auch dazu bei, den Rasen so schön grün zu halten!" Sie lachte, fühlte sich aber unbehaglich; als er sie zum Mitkommen aufförderte. Das musste man sich erst ein mal vorstellen! Liam besaß ein Haus wie dieses und kümmerte sich um grünes Gras durch die Wiederverwer tung von Badewasser! Schlagartig wurde Scarlett klar, dass nicht viel übrig war von dem starrköpfigen, stolzen jungen Arbeiter, der ihre schäbige kleine Behausung qua si nur als Schlafplatz benutzt hatte. Im Haus war es kühl, und durch die heruntergelassenen Jalousien drang kaum Licht. Scarlett schien es, als würde sie in diesem stillen Halbdunkel plötzlich nicht mehr Liam gegen überstehen, sondern einem Fremden - einem Mann, den sie nie richtig kennen gelernt hatte. Den ken nen zu lernen sie nie Zeit gehabt hatte. "Ich zeige dir dein Zimmer", sagte er. "Danke" erwiderte sie. Seltsam - wie förmlich er auf einmal war. Komisch wenn er versuchte, mit ihr ins zu Bett gehen, fühlte sie sich fast sicherer! Diese aalglatte Maske aus Förmlichkeit machte es ihr unmöglich zu erraten, was er dachte - oder im Schilde führte! Das Haus war geräumiger, als es von außen den An schein hatte. Liam führte Scarlett zu einem Zimmer im ersten Stock. Er stieß die Tür auf, und vor ihnen lag ein lichtdurch fluteter, ganz in Gelb gehaltener Raum. Wände, Tep pichboden und Vorhänge - alles in Tönen von zartem bis
kräftigem Gelb. Blickfang über dem Bett war ein Gemäl de, das einen Strauß Sonnenblumen in einer blauen Vase zeigte. "Was für ein wunderschönes Zimmer!" rief Scarlett be geistert aus und ging hinein. Als wäre sie von Wichtigkeit für ihn, hatte Liam ihre Reaktion aufmerksam registriert. "Aber ziemlich schlicht, oder?" Scarlett schüttelte den Kopf. "Genau richtig." Sie zog ihre Jacke aus, warf sie aufs Bett und erwiderte fest Li ams fragenden Blick. "Ich habe meinen eigenen Ge schmack, Liam. Ich bin nicht wie meine Eltern." "Denkst du, das wüsste ich nicht?" fragte er leise. "Glaubst du, ich hätte dich je geheiratet, wenn es anders wäre?" Scarlett blinzelte verwirrt. Das klang ja fast, als hätte er sie aus freien Stücken geheiratet. War das Baby etwa nicht der einzige Heiratsgrund gewesen? "Sind wir hier ...?" Sie ließ die Frage unvollendet, aber Liam wusste auch so, was sie bewegte. "Ganz allein? Ja, Scarlett, ich fürchte, das sind wir." In seiner tiefen Stimme schwang ein Anflug von Belusti gung mit. Ob es für sie ein Grund zum Fürchten war, hätte sie im Moment nicht sagen können, aber vorsichtshalber wollte sie das Gespräch in sachlichere Bahnen lenken. "Ein so großes Haus - wie kommst du damit allein zurecht?" Er stellte ihren Koffer ab. "Unter der Woche wohne ich in der Stadt, bin also nur am Wochenende hier. Ich habe jemand, der sich während meiner Abwesenheit um den Garten kümmert, und eine Frau aus dem nächsten Ort kommt zum Saubermachen. Personal wohnt unter diesem Dach jedenfalls nicht", erklärte er mit besonderer Beto
nung auf dem Wort "Personal". "Oh, Liam, um Himmel willen!" fuhr Scarlett auf. "Hast du etwa immer noch diesen Komplex? Machst du es mir immer noch zum Vorwurf, dass ich in andere Ver hältnisse hineingeboren wurde als du?" Dass er auf ihren Ausbruch nicht mit einem noch hefti geren reagierte, überraschte sie. Er schüttelte nur leicht den Kopf. "Nein, Scarlett, überhaupt nicht", sagte er ru hig. "Meine Komplexe - echte und eingebildete - habe ich schon längst abgelegt." Ihre Blicke trafen sich, und Scarlett war es, als würde sie Liams Wandlung vom zwölfjährigen Jungen zum Mann wie im Zeitraffer noch einmal erleben. Ich mag ihn, dachte sie und fühlte sich plötzlich wie befreit. Ich habe ihn immer gemocht, auch wenn er mich noch so in Rage brachte, denn im Grund seines Herzens ist er gut. Sie lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln, denn sie wünschte, sie hätte ihn nicht schon damals, sondern erst jetzt kennen gelernt. Denn jetzt hätten sie vielleicht eine echte Chance gehabt. Irgendwie gab ihr diese plötzliche Erkenntnis den Mut, der Vergangenheit ins Auge zu blicken und endlich damit aufzuhören, vor ihr wegzulaufen, wie sie es all die Jahre getan hatte. Und sie hatte den Wunsch, die Lücke zwi schen damals und heute zu schließen. "Wie ist denn Liam Rouse nun zu all dem gekommen?" fragte sie mit einer weit ausholenden Handbewegung. "Du meinst also, es sei an der Zeit, dass ich dir die Ge schichte meines Lebens erzähle." "Einen Teil davon kenne ich ja schon", sagte sie in ei nem viel sanfteren Ton als beabsichtigt. "Den Teil, bis du zwanzig warst." Schweigend sah er sie einen Moment an und schüttelte
schließlich den Kopf. "Nicht jetzt, Scarlett. Du bist zu müde. Es war ein langer Flug, und die Zeitverschiebung darfst du auch nicht vergessen. Ruh dich etwas aus, und dann reden wir beim Abendessen darüber." Aber Scarlett wollte sich nicht ausruhen. Das Bett sah zwar sehr bequem aus, doch sie war viel zu rastlos, um an Schlaf zu denken. "Ich bin nicht müde", sagte sie trotzig. "Ich habe wäh rend des ganzen Fluges fast nichts anderes getan, als zu schlafen." Liam lächelte nachsichtig. "Hast du Lust, schwimmen zu gehen?" Scarletts Augen wurden groß. "Heißt das, du hast einen Swimmingpool?" Er lachte. "Das ist nichts Besonderes. In Australien hat fast jeder einen Pool am Haus." "In England haben nur die wenigsten einen", stellte sie fest. "Und die, die einen haben, können ihn höchstens drei Monate im Jahr nutzen." "Genau so ist es", pflichtete er ihr lachend bei. "Die Antwort ist also ja?" "Ja!" "Dann zieh dich um und komm runter. Ich warte unten auf dich."
8. KAPITEL Wie vereinbart, trafen sie sich unten. Scarlett trug über ihrem schwarz glänzenden einteiligen Badeanzug einen weißen Kimono mit Stickereien, und Liam hatte eine
dunkelblaue Badehose an. Um seine breiten Schultern hing ein Handtuch. Er sagte kein Wort, musterte nur kurz den Kimono, der ihr knapp über den Po reichte, und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Der Swimmingpool befand sich hinter dem Haus - ein großes, rein funktionelles Rechteck blauglitzernden Was sers, auf das die Sonne herunterbrannte. Liam und ein nierenförmiger Pool? Undenkbar! Scarlett dachte an ihre Verlobungsparty in jener kalten Winternacht. War das wirklich erst vor drei Tagen gewesen? Unter der heißen Sonne Australiens hatte sie das Gefühl, als wäre es schon eine Ewigkeit her. "Ich komme mir vor wie in einer anderen Welt", sagte sie leise, wie zu sich selbst, doch Liam musste sie verstanden haben, denn er nickte. "Es ist eine andere Welt", bestätigte er. "Ein ganz ande res Leben hier draußen - viel freier." Sie sah sich um und atmete tief den schweren Duft ein, den zahllose Blüten verströmten. "Wie meinst du das?" "Hier hat jedermann die Chance, es zu etwas zu brin gen, und zwar nach eigenem Gutdünken - nicht nach den Regeln anderer." Du liebe Zeit - wie hart er klingt, dachte Scarlett, doch dann korrigierte sie sich. Nein, hart eigentlich nicht. Aus ihm sprach nur der eiserne Wille eines Mannes, der er folgreich sein wollte, und das war ja nichts Schlimmes. Männer - in ihrer Rolle als Ernährer - strebten schließlich seit Menschengedenken nach Erfolg. "Hättest du es nicht auch in England zu etwas bringen können?" fragte sie ihn. "Natürlich." Er verzog den Mund zu einem angedeute
ten Lächeln, das etwas arrogant wirkte. "Es hätte nur et was länger gedauert." Mit einem Blick auf das verlo ckend glitzernde Wasser stellte er sie vor die Wahl: "Al so, Scarlett, was willst du zuerst? Schwimmen oder die Geschichte meines Lebens?" "Die Geschichte deines Lebens", sagte sie bestimmt, denn sie hatte das Gefühl, keine Minute länger warten zu können. "Gut, dann setz dich." Er deutete auf einen Tisch mit dazu passenden Stühlen am Rand des Pools. "Ich hole uns nur noch etwas zum Trinken." Ironisch fügte er hin zu: "Ich könnte mir vorstellen, dass du ziemlich durstig bist." Ziemlich? Sie hätte den Pool austrinken können! Scar lett setzte ihre Sonnenbrille auf und ließ sich in einem der bequemen Korbstühle nieder. Einige Minuten später war Liam mit einem Tablett zu rück, auf dem eine Flasche Wodka, ein Krug mit frisch gepresstem Limonensaft über zerstoßenem Eis und zwei Gläser standen. Er füllte beide Gläser mit Limonensaft, und Scarlett nahm sich gleich eines und trank in großen Schlucken von dem herrlich erfrischenden Saft. Als sie sah, dass Liam einen Schuss Wodka in sein Glas gab, stellte sie ihres auf den Tisch. "Und?" Erwartungsvoll sah sie ihn an. "Du willst also wissen, wie ich zu meinem Geld ge kommen bin." ' Genau genommen interessierte sie das nicht am bren nendsten. "Und wie du zum Klavierspielen gekommen bist und zum Opernfreund geworden bist", zählte sie auf, worauf sie neugierig war. "Es ist einfacher, wenn ich ganz von vorn beginne." Er trank noch einen Schluck und stellte sein Glas dann ab.
"Wie du ja weißt, bin ich nach ..." Er zögerte kurz, um dann mit einem harten Unterton weiter zu sprechen. "Nach unserer Trennung bin ich nach London gezogen." Die dunklen Schatten der Vergangenheit holten Scarlett ein. "Das hat Humphrey mir erzählt", bemerkte sie spitz. Liam warf ihr einen Blick zu, der nicht zu deuten war. "Wenn du mich nach jedem Satz mit irgendwelchen spit zen Bemerkungen unterbrichst, sitzen wir morgen früh noch hier." Musste sie denn immer wieder mit ihm aneinander ge raten? Während der kurzen Zeit ihrer Ehe hatten sie doch wahrhaftig genug gestritten so viel, dass es für ein ganzes Leben reichte. Sie seufzte. "Okay, Liam, keine Vorwürfe und spitzen Bemerkungen mehr - das hoffe ich zumin dest." Über ihren Nachsatz musste er lächeln. "In London ha be ich mir Arbeit gesucht, geschuftet und soviel Geld wie möglich meiner Mutter geschickt. Als sie endlich selbst wieder eine Anstellung gefunden hatte, beschloss ich, einen Arbeitsurlaub in Australien zu machen." "Ich dachte ..." begann Scarlett, doch dann zog sie es vor zu schweigen. "Ja?" Liam sah sie fragend an. "Was hast du gedacht?" "Dass du doch noch aufs College gegangen seist. Einen Studienplatz hättest du doch sicher auch ein Jahr später noch bekommen, oder?" Er trank einen großen Schluck von seinem Drink. "Na türlich hätte ich einen bekommen, aber irgendwie ist mir im Lauf der Zeit jeglicher Enthusiasmus wohl abhanden gekommen - zusammen mit meinen Idealen." Sie wusste, worauf er anspielte. Die Atmosphäre war plötzlich gespannt, und Scarlett wartete vergeblich, dass er ihr die Frage stellen würde, die wie ein Damokles
schwert über ihnen zu schweben schien. "Als ich nach Australien kam, dachte ich, ich sei im Pa radies gelandet. Anfangs ließ ich mich einfach treiben, hing die meiste Zeit am Strand herum und verkaufte Eis und Getränke, um ein paar Dollar zu verdienen. Das ging ein, zwei Jah re so und war wie ein einziger langer Urlaub." Liam sonnengebräunt am Strand, stellte sie sich vor. Umringt von Horden knackiger Australierinnen. Logisch, dass er sie da nicht vermisst hatte. Schweigend griff sie zur Flasche und gab einen Schuss Wodka in ihren Saft. Sie hatte darauf bestanden, seine Geschichte zu hören, und wenn jetzt Wunden aufgerissen wurden, konnte sie das wohl kaum ihm zum Vorwurf machen. Als sie ihn ansah, war seine Miene angespannt und finster, als würde er sich gerade an etwas sehr Schmerzli ches erinnern. "Dann kam die Nachricht, dass meine Mutter gestorben war", fuhr er fort. "Einen Grund nach England zurückzu kehren, sah ich nun nicht mehr, da dort ja nichts und niemand mehr auf mich wartete." "Nichts und niemand mehr auf mich wartete." Seine Worte hallten in ihr nach. Es war wie ein Alptraum. Wer war denn gegangen und hatte sie einfach zurückgelassen? Er doch! Am liebsten hätte sie ihm ihren Drink ins Ge sicht geschüttet. "Also beschloss ich, das Land kennen zu lernen, blieb hier ein Weilchen und dort ein Weilchen und nahm jede Arbeit an, die ich bekommen konnte. In Victoria blieb ich sogar mehrere Wochen, und da passierte dann auch das Unglaubliche." Er lachte, und in diesem Moment sah Scarlett ihren Liam von früher vor sich. Hochgehoben hatte er sie und herumgewirbelt, als sie nach der Trauung
aus dem Standesamt gekommen waren. Ja, an jenem Tag hatte er gelacht. "Es war am Weihnachtsmorgen. Während alle am Strand ihren Truthahn aßen, machte ich mit einem Freund eine Bergtour. Weihnachten war ein Familienfest und interessierte uns kein bisschen, denn mit Familie hatte weder er noch ich etwas am Hut." Im Schutz der Sonnenbrille funkelten Scarletts Augen wütend. "Als Barney gerade über einen Felsvorsprung kletterte, lösten sich Gesteinsbrocken. Barney stürzte einige Meter ab und wurde von den Steinen begraben." "Hat es ihn schlimm erwischt?" fragte Scarlett besorgt. "Nein, er hatte Glück gehabt, ich musste ihn nur aus graben." Wieder lachte Liam. "Und während ich ihn aus grub, fand ich einen richtig großen Goldklumpen." Ungläubig sah Scarlett ihn an. "Du machst Witze!" Liam schüttelte amüsiert den Kopf. "Das hat der Typ vom Mineralienbüro auch gesagt, als ich ihm erzählte, wie ich zu dem Klumpen gekommen war. Die Chancen, dass man - so wie ich - über Gold quasi stolpert, sind anscheinend gleich Null." So etwas kann doch wirklich nur Liam passieren! dach te Scarlett fast ein bisschen bewundernd. "Und dann hast du das Gold verkauft und fortan glücklich und zufrieden gelebt?" Ungehalten sah er sie an "Der Klumpen hatte gerade mal einen Wert von dreihunderttausend Dollar." Gerade mal? Er goss Saft in beide Gläser nach und räusperte sich. "Nun ja, verkauft habe ich ihn, habe mir von dem Geld aber kein schönes Leben gemacht, sondern habe es in
eine Mine investiert." Scarlett nickte. "Ich verstehe. Und die Investition hat sich gelohnt." "Sehr sogar." "Und dann?" "Den Gewinn aus der Mine wiederum habe ich in Im mobilien angelegt, weil die Wirtschaftslage zu diesem Zeitpunkt geradezu ideal für Immobiliengeschäfte war." Scarlett wurde ganz schwach. Was hätte Humphrey wohl darum gegeben, hätte er Liams Geschäftssinn be sessen! "Womit wir dann bei der Gegenwart angekom men wären", stellte sie fest. Liam schüttelte den Kopf. "O nein, noch lange nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ja noch nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung, und außerdem - es war noch nicht genug!" "Du musst doch im Geld geschwommen sein!" "Ich meine nicht das Geld, Scarlett. Geld an sich bedeu tet mir nicht all zu viel, stellte ich fest, als ich welches hatte. Was mich aber interessierte, war die Entwicklung meiner Persönlichkeit. Ich wollte das Optimum aus mir herausholen - sowohl geschäftlich als auch intellektuell", erklärte er. "Und deshalb habe ich mich in den Staaten an der Harvard Business School beworben." "Du liebe Zeit!" rief Scarlett. "Und so wie ich dich kenne, bist du auch angenommen worden." "Aber natürlich." Scarlett lächelte. "Dachte ich mir's doch." "Hast du daran etwa gezweifelt?" Selbst wenn er ihr erzählt hätte, dass er mit einer Rake te zum Mond geflogen wäre, hätte sie ihm geglaubt. Liam gehörte zu den Männern, die alles schafften, was sie sich vornahmen. "Nein, das habe ich nicht", bekannte sie
seufzend. "Ich habe dann einen guten Abschluss gemacht und schließlich die unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die USA bekommen. Nachdem ich eine Zeitlang in Boston gearbeitet hatte, wurde mir eine Führungsposition in ei nem Konsortium in Perth angeboten - und mittlerweile gehört mir der ganze Laden." "Und genau dieser Laden hat fast alles aufgekauft, was einmal Humphrey gehörte", vermutete Scarlett. "Stimmt." Wäre es anders gewesen, hätte sie jetzt nicht hier geses sen, hätte ihn nicht wieder gesehen und hätte nicht entde cken müssen, dass es Gefühle gab, die nie vergingen ... "Aber warum ausgerechnet Humphreys Besitz?" fragte sie deprimiert. "Was willst du denn mit all dem Land in England?" "Grundbesitz in einem hoch entwickelten Land der westlichen Welt ist immer eine gute Geldanlage", dozier te er im gelangweilten Tonfall eines Geschäftsmannes, der gezwungen war, Altbekanntes zum x-ten Male zu wiederholen. "Aber das war doch nicht der Grund, warum du ausge rechnet Humphreys Besitz gekauft hast, oder?" Kühl musterte er sie einen Moment. "Nein." "Was war dann der Grund?" "Das weißt du doch, Scarlett." Er deutete ein Lächeln an. "Ich hatte das Bedürfnis, meinen jugendlichen Rache schwur in die Tat umzusetzen." "Rache für das, was er deiner Mutter angetan hat?" Er zögerte kurz. "So könnte man sagen." "Und stimmt es, was man so sagt? Ist Rache wirklich süß, Liam?"
Diesmal zögerte er länger, atmete tief aus, so dass es fast wie ein Seufzen klang. "Das ist ja das Komische, Scarlett - sie ist nicht süß, sondern irgendwie - bedeu tungslos." Bekümmert sah sie ihn an. "Und wozu dann überhaupt Rache nehmen?" "Was geschehen ist, ist geschehen", sagte er mit einem Ausdruck von Endgültigkeit und gab noch einen Schuss Wodka in beide Gläser. "Das also war meine Geschichte, Scarlett. Jetzt bist du dran." Aber für Scarlett war es mehr als der Austausch von Anekdoten. Bei ihr ging es tiefer. Sosehr sie sich auch dagegen gewehrt hatte; hatte Liam über die ganzen Jahre doch mehr oder weniger ihr Denken beherrscht. Viel leicht war sie auch nur deswegen so besessen von ihm gewesen, weil sie ihn nicht hatte haben können - wie je mand, der eine Diät macht und an nichts anderes denken kann als ans Essen. Wenn sie ehrlich war, bezweifelte sie das jedoch. Die Lücken zwischen damals und heute wa ren jetzt zwar gefüllt wie bei einem angefangenen Bild, das vollendet wurde, aber Scarlett brauchte noch etwas Zeit, um den Liam, an den sie sich erinnerte, mit dem Mann, der er jetzt war, in Einklang zu bringen. Viel in Einklang bringen musste sie allerdings gar nicht, wurde ihr bewusst, denn im Grunde seines Wesen war er der gleiche geblieben. Gut, er mochte reich geworden sein und sich weiterge bildet haben, mochte kultiviert, reif und weltmännisch geworden sein. Aber verbargen sich unter all dem nicht immer noch genau die Eigenschaften, von denen sie sich damals so angezogen gefühlt hatte? War es - abgesehen davon, dass er ihr einfach wahnsin
nig gut gefallen hatte - nicht seine Stärke gewesen, die sie so angezogen hatte? Seine Stärke und sein Hunger nach dem Leben. Gab es etwa außer ihm einen Mann, um dessentwillen sie sich ihrem Stiefvater widersetzt hätte und den sie so hätte lieben können, dass sie mit ihm durchgebrannt wäre? Nein. "Scarlett?" Sie schreckte aus ihren Gedanken und bemerkte, dass Liam sie eindringlich ansah. "Was?" fragte sie irritiert. "Erzähl mir von dir", forderte er sie leise auf. Wenn mich doch jemand vor diesen sanften blauen Au gen schützen könnte, dachte sie hilflos und griff nach ihrem Glas wie ein Ertrinkender nach dem rettenden Floß. "Beeindruckendes wie du habe ich aber nicht zu erzählen, Liam." Er runzelte die Stirn. "Lass das doch mich beurteilen. Hören möchte ich es jedenfalls." Also gut, wenn er unbedingt darauf bestand. "Manches weißt du ja schon - davon gehe ich zumindest aus. Wenn du Geschäfte mit Humphrey gemacht hast, hast du sicher auch etwas über mich gehört." "Ich habe nicht direkt mit Humphrey verhandelt", er klärte Liam. "Selbst er, der einem guten Geschäft nie abgeneigt ist, wäre vermutlich zurückgeschreckt, wenn er gewusst hät te, mit wem er es zu tun hatte. Alles, was ich also weiß, ist, dass du nach unserer Trennung ziemlich ausgeflippt bist." Und du hast nichts getan, um mich daran zu hindern, dachte sie düster, ließ sich aber nichts anmerken. "Warst du denn gar nicht eifersüchtig?" spöttelte sie. "Nicht einmal ein kleines bisschen?"
Sie sah, dass er eine Faust machte, bis seine Fingerknö chel weiß hervortraten. "Du warst offenkundig unglücklich mit mir, und ich sah keine Veranlassung, dir die Freude an deinem wieder gewonnenen SingleLeben zu verderben." Seine Augen funkelten, "Du hast. es genossen, Scarlett, nicht wahr? In jeder verdammten Zeitung, die ich in die Finger bekam, war dein Bild - und immer mit einem anderen Mann. Du hast die Nächte durchgetanzt, als wäre es um dein Leben gegangen." Stumm blickte sie ihn an. Das ist es auch. Wenn schon nicht um ihr Leben, dann zumindest um ihren Verstand, den sie zu verlieren befürchtet hatte, als Liam sie verließ. Heftig schob er seinen Stuhl zurück. "Sag, Scarlett, bist du mit den Kerlen auch ins Bett gegangen? Wie viele waren es? Einer? Zwei? Oder gar alle?" "Liam ..." Er kam mit einer derartigen Wut im Blick auf sie zu, dass sie trotz der Gluthitze zitterte. Wut, daran gab es keinen Zweifel. Aber da war noch etwas ... "Li am!" wiederholte sie entsetzt. An seine Vernunft zu appellieren war im Moment je doch absolut sinnlos. Scarlett spürte es und sah es. Was passieren würde, wenn Liam ausrastete, hatte sie sich schon manchmal gefragt - jetzt würde sie es wohl gleich erleben. "Liam", wimmerte sie hilflos, aber er war schon über ihr, zerrte sie hoch und riss sie in seine Arme. Seine Nasenflügel waren gebläht wie die Nüstern eines erregten Hengstes, und in seinen Augen brannte ein Feuer aus Zorn und Begehren. "Lass doch dieses ewige ,Liam', und spar dir deinen A tem für das, was noch kommt." Es klang höhnisch, aber auch drohend.
Scarlett entfuhr ein Schrei, als er seihen Mund hart auf ihren presste. Hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Verlan gen, erinnerte sie sich, wie es gewesen war, als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. Auch damals war diese eigenartige Verzweiflung im Spiel gewesen, diese heiße Begierde, die brannte wie Feuer. Aber nun war ihre Leidenschaft mit Zorn und Bitterkeit durchsetzt. Mit Zorn, der in ihnen beiden geschlummert hatte, bis ein Funke ihn entfachte. In ihm, weil er glaubte, dass sie unzählige Liebhaber gehabt habe. In ihr, weil sie es viel zu lang vermisst hatte ... Es ... Scarlett spürte ein heißes Ziehen zwischen ihren Beinen und Liam, der sich hart an sie drängte. "Liam!" bat sie ein letztes Mal mit erstickter Stimme, denn er schien zur Vernunft gekommen zu sein, hatte sich von ihren Lippen gelöst und sah unter halbgesenkten Lidern auf das zitternde Bündel in seinen Armen. Doch dann küsste er sie wieder sanft und verführerisch dies mal. Und nun war es um Scarlett geschehen. Sie öffnete die Lippen, ließ seine Zunge eindringen und spielte mit ihr, wenn sie in raschem Wechsel vor- und wieder zurück schnellte. Ohne dies erregende Spiel zu unterbrechen, legte Liam einen Arm um Scarletts Taille, zog Scarlett an sich und hob sie dabei etwas hoch, so dass er mit seinen rhythmischen Bewegungen genau das Dreieck zwischen ihren Beinen traf. Es war, als wollte er ihr zeigen, was er am liebsten tun würde und was seine Zunge auf so lust volle Art imitierte. Das Gefühl in ihrem Schoß, als würde sie zerfließen,
war so überwältigend, dass sie alles vergaß außer den brennenden Wunsch, sämtliche Phantasien auszuleben, deren Mittelpunkt er je gewesen war - und von diesen Phantasien hatte es in zehn langen Jahren viele gegeben. Sie strich mit den Fingerspitzen über seine breiten Schul tern, ließ sie tiefer gleiten bis zu seinen Brustwarzen und umkreiste diese mit ihren spitzen Nägeln. Erst als ihm ein heiseres Stöhnen entfuhr, setzte sie die Erkundungsreise ihrer Finger nach unten fort. Statt sich weiter ihrem Mund zu widmen, streifte er den Kimono von Scarletts Schultern und beugte den Kopf tiefer. Genau in dem Moment, als seine Lippen die Knospe fanden, die sich unter dem elastischen Stoff des Badeanzugs aufrichtete, ließ Scarlett die Hand unter den Bund seiner Badehose gleiten und umfasste ihn, so fest, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Sein Kopf schnellte hoch, und dann sah Liam entrückt auf Scarlett hinab. "Oh, Scarlett!" stieß er hervor, und während er lüstern lächelte, fühlte Scarlett verblüfft, wie seine Erregung wuchs. "Das ist es also, was du willst, Schätzchen, nicht wahr?" fragte er heiser. "Wie gierig du bist, Und wie schön. Sag, wie willst du es haben? So?" Und während er sprach, riss er ihr den Badeanzug herunter. Er zog sie mit sich auf den Boden, legte sie flach auf den Rücken und begann mit einer Hand, sie zu liebkosen, während er sich mit der anderen die Badehose über die Hüften schob. "Sag's mir, Scarlett", forderte er heiser. "Sag mir, was du willst." Voller Ungeduld bog sie sich ihm entgegen. Sie wollte das Unmögliche. Sie wollte, dass er sie liebte, so wie sie ihn noch immer liebte. Er hatte sie nie geliebt - damals
nicht, und jetzt schon gleich gar nicht. Aber das hier würde ihr genügen. Es musste genügen. Es war besser als gar nichts. "Du weißt ..." Sie bekam die Worte nur mit Mühe her aus. "Du weißt, was ich will." "Ja, das tue ich. Ich weiß es, weil auch ich es will mehr als alles andere." Er senkte die Stimme, bis sie wie ein unwiderstehliches Locken klang. "Oh, Schatz", flüs terte er. "Lass es uns tun." "O ja", seufzte sie. "Ja." Liam schob sich die Hose noch weiter hinunter und leg te sich leise stöhnend gerade auf Scarlett, als sie das satte Röhren eines Autos vernahmen. Einen Moment dachte Scarlett, er würde sie trotzdem nehmen - einen Moment, in dem er - schon in der richti gen Position, um in sie einzudringen - reglos verharrte, bis Bremsen quietschten. Halblaut stieß er eine Verwünschung aus, doch dann zog er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Geistesgegenwart seine Badehose hoch, half Scarlett auf die Beine, hob sie hoch und sprang mit ihr auf den Ar men in das kühle blaue Wasser des Swimmingpools.
9. KAPITEL Platsch, machte es, als die beiden im Wasser landeten, und Scarlett sank bis auf den Grund des Pools. Umgeben von türkisglitzerndem Wasser strampelte sie, bis sie wie der an die Oberfläche kam, wo Liam sie schon ironisch
lächelnd erwartete. "Kannst du mir verraten, was das soll?" fragte sie prus tend und fischte nach ihrem Badeanzug, der ihr um die Knöchel hing, um ihn wieder hochzuziehen. Liam schüttelte heftig den Kopf, um das Wasser aus seinen Haaren zu bekommen, die ihm tropfnass am Kopf klebten. "Kennst du etwa eine bessere Art, sich schnell abzukühlen?" "Aber was war ...?" "Psst", unterbrach er sie. "Es kommt jemand." Mit ei nem Gesichtsausdruck, als würde er die Abkühlung sehr bedauern, stemmte er sich am Beckenrand hoch und hievte sich aus dem Pool. Scarlett sah zu, wie er das Wasser von seinem sonnen gebräunten Körper schüttelte und sich dann nicht allzu gründlich abtrocknete. Klick klack, klick klack - das Geräusch hoher Absätze kam näher. Scarlett strich sich die nassen Haarsträhnen hinter die Ohren und durchquerte mit langsamen, regelmäßigen Kraulschlägen den Pool. Liams Abkühlungsmaßnahmen mochten bei ihm ja er folgreich gewesen sein, bei ihr waren sie es nicht so recht. Sie wendete und schwamm wieder zurück, als die Frau, die die Schuhe mit den hohen Absätzen trug, in ihr Blick feld kam. Wie vom Donner gerührt, hielt Scarlett inne und verharrte wassertretend, um nicht unterzugehen. Klick klack, klick klack - der fleischgewordene Traum aller Männerphantasien näherte sich Liam. Hochhackige Schuhe sind zwar nicht der letzte Schrei, dachte Scarlett boshaft, musste aber einräumen, dass sie; immer noch das beste Mittel waren, um tolle Beine noch toller er
scheinen zu lassen. Und das wusste offensichtlich auch diese Frau. Es war eine Blondine, und Scarlett - wie alle Frauen, die nicht blond waren - wusste, dass Männer auf Blondi nen standen. Schon oft hatte sie beobachtet, wie selbst die angeregteste Unterhaltung zwischen Männern ins Stocken geriet, sobald eine Blondine den Raum betrat. Zu allem Überfluss reichte das Haar dieser Frau hier fast bis zur Taille und - erstaunlich genug - wirkte völlig natürlich. Die weißblonden Strähnen hatte wohl die Son ne Australiens hineingezaubert, "Hi, Liam", begrüßte sie ihn. mit einem weichen, sexy klingenden Akzent. Gespannt blickte Scarlett zu Liam, der lächelte. Albern lächelte, wie sie fand. "Hallo, Kelly", erwiderte er locker. "Du bist nicht ans Telefon gegangen." "Ich habe den Stecker herausgezogen." "Aha." So wie die beiden miteinander sprechen, müssen sie sich ziemlich gut. kennen, dachte Scarlett immer noch wassertretend. Die Vorstellung, wie peinlich es gewesen wäre, wenn Kelly nur einige Minuten später aufgetaucht wäre, trieb ihr die Röte ins Gesicht. Und dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. War Kel ly etwa seine Freundin? Nein, bestimmt nicht, beruhigte sie sich. Er würde doch nicht sie, Scarlett, am Pool verführen, wenn er mit einer anderen liiert wäre. Oder vielleicht doch? Kannte sie ihn wirklich gut ge nug, um sich so sicher zu sein? Abgesehen davon, ich bin immer noch seine Frau, dachte sie. Vor dem Gesetz zumindest. Den Trumpf habe
ich in der Hand, auch wenn er sich nicht einmal die Mü he macht, mich vorzustellen. "Ich bin gerade erst aus England zurückgekommen", erklärte Liam. "Und ich habe einen Gast." Mit einer Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen sollte, deutete er auf den Pool. Scarlett kam sich vor wie eine Statistin, die das Zeichen für ihren Einsatz erhalten hatte. Sie schwamm zur Leiter und kletterte so würdevoll wie nur irgend möglich aus dem Pool. Ihr schwarzer Badeanzug lag an wie eine zweite Haut und unterstrich jede ihrer weiblichen Run dungen. Aus der Nähe sah sie nun, dass Kelly grüne Augen hat te - grün und schräg wie Katzenaugen. Und viel zuviel Make-up. Die Blondine musterte Scarlett rasch von Kopf bis Fuß und wandte den Blick ihrer grünen Augen dann wieder Liam zu - als ob Scarlett Luft wäre. Sie trug ein cremefarbenes rückenfreies Seidentop mit Nackenverschluss, das ihre hohen wohlgeformten Brüste hervorragend zur Geltung brachte. Dazu einen braunen Wildlederrock, der so kurz war, dass er den Namen Rock kaum verdiente. Die sonnengebräunte Haut ihrer nackten Beine schimmerte samtig, und die Füße mit ihren makel los lackierten Nägeln steckten in Riemchensandaletten aus ebenfalls braunem Wildleder. Riemchen und hohe Absätze, dachte Scarlett giftig und stellte sich vor, wie leicht man damit umknicken und sich die Beine brechen konnte. "Darf ich dir Scarlett vorstellen", sagte Liam lächelnd. "Scarlett - das ist Kelly." Scarlett. Einfach nur Scarlett. Kein Wort über die Tat
sache, dass sie verheiratet waren. Nun, so einfach sollte er nicht davonkommen! "Hallo, Kelly", sagte sie freundlich und bedachte Liam mit einem funkelnden Blick. "Liam, findest du es nicht etwas sexistisch, Frauen nur mit ihrem Vornamen vorzu stellen?" fragte sie zuckersüß. "Ich bin sicher, dass du das bei Männern nicht tun würdest. Nur die Vornamen - das klingt ja beinah, als wären wir Hostessen in einem dieser Clubs." "Genau das war ich früher", bemerkte Kelly eisig und strich sich affektiert eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Natürlich bevor ich Model wurde." Scarlett lächelte unbeirrt weiter. "Natürlich", sagte sie besänftigend. "Und ich bin sicher, dass sie sogar eine sehr gute Hos tess waren." Sie streckte der Blonden die Hand hin. "Scarlett Rouse", stellte sie sich mit ihrem vollen Namen vor. "Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen." "Rouse!" Genau diese Reaktion habe ich mir gewünscht, dachte Scarlett zufrieden und warf einen raschen Blick auf Liam, um festzustellen, ob er Kellys Kreischen genauso unattraktiv fand wie sie. Seine Gesichtszüge wirkten un durchdringlich und maskenhaft, und nur das Flackern in seinen Augen verriet seine Irritation. "Ja, Rouse", bestätigte sie freundlich lächelnd. "Hat Liam Ihnen denn nicht gesagt, dass er verheiratet ist?" "Ich dachte, er sei geschieden." "Kelly", schaltete sich Liam da ein, "wir sind erst vor einigen Stunden angekommen und ziemlich müde. Du weißt schon, die Zeitverschiebung." "Aber Liam, du wirst mich doch nicht wegschicken, ohne mir wenigstens einen Drink angeboten zu haben",
schnurrte Kelly. "Es ist so ein heißer Tag, und ich bin den ganzen Weg von Perth gefahren, nur um dich zu sehen. Natürlich würde ich auch deine - nun - Frau gerne näher kennen lernen." Liam zögerte nur kurz, und Scarlett fragte sich, ob es überhaupt etwas gab, das ihn aus der Fassung brachte. "Na gut", meinte er dann ganz locker und wandte sich an Scarlett. "Scarlett, Willst du dich nicht umziehen? Wenn du möchtest, kannst du dich auch etwas ausruhen um Kellys Drink kümmere ich mich schon selbst." Obwohl sich Scarlett irgendwie ins Abseits gedrängt fühlte, wollte sie seinem Vorschlag folgen und nach oben gehen, doch dann bemerkte sie den abschätzigen Blick, den Kelly ihr zuwarf, und beschloss zu bleiben. Ihr Be sitzerinstinkt war geweckt. Okay, sie lebten seit zehn Jahren getrennt und waren so gut wie geschieden, aber ihr Ehemann war er noch immer - und geschlafen hatte er vor einigen Minuten fast mit ihr. Und noch etwas kam dazu: Auch wenn sie selbst für ihn nur ein Relikt aus der Vergangenheit war, dass er sich mit einer so plumpen Person wie Kelly einließ, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. "Ich bin auch ziemlich durstig, Liam", erwiderte sie, ließ sich in einen Stuhl sinken und griff zu ihrem Glas. "Oh! Das ganze Eis ist ja zerschmolzen!" Sie reichte ihm das Glas. "Es ist wohl heißer, als ich dachte." Das freche Lächeln, mit dem sie ihn ansah, sollte ihn daran erinnern, wie heiß es vor einigen Minuten noch hergegangen war. Seine blauen Augen funkelten intensiver als das Wasser im Sonnenlicht. Er hatte ihre Botschaft offensichtlich verstanden. "Dann muss ich dir wohl nachfüllen", meinte er mit ab solut ausdrucksloser Miene und erntete dafür einen fins
teren Blick von Scarlett, bevor er sich an das blonde Gift wandte. "Wodka-Limone, Kelly?" Grellrosa Lippen verzogen sich zu einem Schmoll mund. "Für mich? Aber Liam, wo denkst du hin? Ich nehme den Saft pur, denn ich brauche keine künstlichen Stimulanzien, um Freude am Leben zu haben. Außerdem macht Alkohol ja soo dick - finden Sie nicht auch, Scarlett?" "Nein, eigentlich nicht", meinte Scarlett trocken. Liam machte sich auf den Weg ins Haus, und zwar un gern, wie Scarlett aus seiner Haltung schloss. Vermutlich überlegte er, was die beiden Frauen in seiner Abwesen heit reden könnten. "Wie lange haben Sie denn vor, in Australien zu blei ben?" erkundigte sich Kelly. Scarlett hielt dem berechnenden Blick aus grünen Au gen stand. "Das haben wir noch nicht entschieden." Diese Feststellung entsprach durchaus der Wahrheit, da sie ja noch nicht wusste, wann Liams Geschäftspartner kom men würden. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie ge rade "wir" gesagt hatte, erschreckte sie jedoch. Pass auf, dass dir das nicht zur Gewohnheit wird, ermahnte sie sich. Denn selbst wenn es zu einer körperlichen Wieder vereinigung mit Liam kommen sollte, wird dies nur von kurzer Dauer sein, und zwar von sehr kurzer - und nichts mehr. "Ist das ein Verlobungsring?" fragte Kelly und betrach tete mit unverhohlener Neugier den auffälligen Diamant ring an Scarletts Finger. "Ja. Gefällt er Ihnen?" Scarlett drehte die Hand, bis sich die Sonnenstrahlen in dem kostbaren Stein brachen. "Als wir heirateten, hatte Liam nämlich noch kein Geld für einen Ring", vertraute sie der Blonden an.
"Macht es dir Spaß, meine kleinen Geheimnisse zu ver raten?" fragte eine tiefe Stimme vor dem Hintergrund klirrender Eiswürfel. Scarlett errötete, denn sie wusste, dass er ihr Spiel durchschaut hatte, auf das sie sich so konzentriert hatte, dass sie ihn nicht einmal hatte kom men hören. Kelly rang sich ein Lachen ab. "Das kann ich sowieso nicht glauben. Ausgerechnet Liam soll sich keinen Ring haben leisten können? Liam, unter dessen Händen sich alles in Gold verwandelt? Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen! Er besteht zwar darauf, die Wochenen den in diesem alten Haus zu verbringen, aber Sie sollten mal sein Apartment in Perth sehen! Einfach traumhaft! Er bewohnt in einem Hochhaus, das ihm natürlich gehört, die Penthouse Suite, und von seinem Schlafzimmer hat man einen atemberaubenden Blick auf die ganze Stadt!" Liam schien gar nicht zuzuhören, aber der Blick, mit dem Scarlett die blonde Frau ansah, ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich abgestoßen fühlte. Abgesehen von der niederschmetternden Bemerkung über sein Schlaf zimmer, schien die Blondine mehr auf Liams Geld als auf ihn selbst abzufahren. Scarlett hatte plötzlich das Ge fühl, diese Tortur keinen Moment länger ertragen zu können. Sie schob ihr unberührtes Glas beiseite und stand auf. "Ich werde jetzt wohl doch duschen gehen", sagte sie beherrscht. "Auf Wiedersehen, Kelly - und kommen Sie gut nach Perth zurück." "Und Sie gut nach England", antwortete Kelly kalt lä chelnd. Scarlett fühlte die Blicke der beiden förmlich in ihrem
Rücken, während sie ins Haus ging. Sobald sie sich in den halbdunklen, kühlen Räumen in Sicherheit fühlte, begann sie zu rennen, stürmte hinauf in ihr gelbes Zim mer und riss ihren Koffer auf. Während sie frische Un terwäsche herausnahm, hörte sie das quietschende Ge räusch durchdrehender Reifen. Ein Auto entfernte sich mit röhrendem Motor. Obwohl sie das Motorengeräusch schon kannte, ging sie zum Fenster, um sich zu vergewissern. Ja, es war Kel ly, die da mit wehender Mähne in einem weißen Cabrio davonbrauste, als wäre der Teufel hinter ihr her. Auf der Treppe hörte sie Schritte. Schnelle Schritte. Liam riss zornig die Tür auf und stürzte wütend auf sie zu. "Hast du nicht gelernt anzuklopfen?" schleuderte Scar lett ihm entgegen. Er ignorierte es. "Ich glaube, wir beide haben ein Wört chen miteinander zu reden." Und nun war es um Scarletts Beherrschung geschehen. "Diese Frau!" rief sie vorwurfsvoll. "Liam - wie konntest du nur?" Sie imitierte den affektierten Tonfall der Blonden. "Ausge rechnet Liam soll sich keinen Ring haben leisten können? Liam, unter dessen Händen sich alles in Gold verwan delt?" Ihr Atem ging rasch und stoßweise, als sie Liam kopfschüttelnd ansah. "Und dann noch das Gesülze über die Penthouse Suite!" "In Ordnung, Scarlett", schnitt er ihr das Wort ab. "Du hast deinen Standpunkt klargemacht, sehr klar sogar. Aber jetzt reicht es," Vor ihm würde sie sich nicht das Wort verbieten las sen! Von ihm nicht! "Liam, sie ist grässlich ..." "Nur gut, dass du so einen hervorragenden Geschmack hast, wenn es um Männer geht", bemerkte er sarkastisch.
"Nimm nur Henry, zum Beispiel, Ich persönlich kann mir zwar nicht vorstellen, dass man ausgerechnet auf ihn ver fällt, aber deine Vorlieben scheinen wohl etwas anders gelagert zu sein." "Du kennst Henry ja nicht einmal!" "Und du kennst Kelly nicht." "Und wenn schon, wenigstens habe ich nicht..." Sie schwieg betreten. "Was hast du nicht, Scarlett?" hakte er nach. "Nichts", erwiderte sie missmutig. Dafür, dass sie sich beinah verraten hätte, hätte sie sich ohrfeigen mögen. "Mit ihm geschlafen - wolltest du das sagen?" Er und sein verdammter Scharfsinn! Aber vielleicht hatte ja auch die Röte auf ihren Wangen sie verraten. Stolz hob sie den Kopf, und ihre bernsteinfarbenen Au gen funkelten herausfordernd. "Stimmt", bestätigte sie ruhig. "Das habe ich nicht." "Und warum nicht, wenn ich fragen darf?" "Weil Henry damit warten wollte - auch wenn es dich nichts angeht!" Henry hatte es wirklich nichts ausgemacht, zu warten, doch Scarlett kam plötzlich der schreckliche Verdacht, dass sie vielleicht der Grund für diese willige Bereit schaft zu warten war. Sie war nicht übergeschäumt vor Glück in Henrys Ar men, hatte auf ihn nicht reagiert, wie eine Frau auf den geliebten Mann reagieren sollte. O ja, sie hatte die Arme um ihn gelegt und ihn geküsst, aber in ihrem Inneren hatte sie dabei nichts als Kälte gespürt. Dass ihre Gefühle für Henry eines Tages noch erwachen würden, hatte sie immer gehofft, und zuletzt hatte sie sich sogar eingere det, dass sie vielleicht erst nach der Hochzeit kommen würden ...
"Und du, Scarlett, wolltest auch damit warten?" "Ja, natürlich!" "Aber nicht mit mir? Mit mir nie!" Triumphierend blickte er sie an. "Damals nicht und heute nicht. Bei mir kennst du keine Beherrschung. Aber warum nicht?" Nachdem sie blind in die Falle gestolpert war, suchte sie nun verzweifelt nach einer Begründung. "Vielleicht, weil es mit dir nur etwas Oberflächliches ist", sagte sie provozierend. "Weil es nur um Lust geht, um Sex." Die bloße Erwähnung des Wortes reichte allerdings aus, sie daran zu erinnern, wie nah sie sich vor kurzem noch ge wesen waren, und ihr Körper reagierte prompt auf diese Erinnerung. Ihr Atem ging flach, ihr Mund wurde trocken, und sie warf herausfordernde Blicke in Liams Richtung. Ihr wur de bewusst, dass sie beide noch ihre Badesachen trugen und dass Liam sie immer noch begehrte. Letzteres war unschwer zu erkennen. Als Zeichen, dass er die Herausforderung angenommen hatte, lächelte er zynisch und ließ den Blick über Scar letts volle Brüste gleiten, die sich rasch hoben und senk ten, als wollten sie ihm eine Botschaft zukommen lassen. Kopfschüttelnd sah er ihr dann ins Gesicht. "O nein, Scarlett", sagte er leise. "Diesmal nicht. Was du willst, weiß ich genau. Du willst, dass ich dich küsse und auf dieses Bett werfe und mit dir schlafe. Und dass ich das gleiche will, weißt du so gut wie ich, nicht wahr? Und darauf baust du." Er schwieg einen Moment, sah an sich hinunter und veränderte etwas die Stellung, als könnte er dadurch die Spannung aus seinem Körper nehmen. Dann blickte er
wieder Scarlett an. "Das würde es für dich so schön leicht machen, stimmt's? Du könntest die Verantwortung ein fach abschieben und brauchtest nicht darüber nachzuden ken, was du tust oder mit wem du es tust." Er senkte die Stimme zu einem quälend verführerischen Flüstern." Aber es wird anders kommen, Scarlett. Denn wenn es passiert, wirst du ganz genau wissen, wer dich küsst und wer dich auf dieser Matratze festnagelt. Und wenn ich tief, ganz tief in dir drin bin, wirst du diese wunderschö nen bernsteinfarbenen Augen Öffnen und meinen Namen sagen. Meinen Namen, Scarlett - und keinen anderen." Sie zitterte, aber nicht aus Wut, die sie eigentlich hätte verspüren sollen, sondern weil er mit seinen Worten ein Begehren in ihr entfacht hatte, das sie kaum in Zaum halten konnte. Am liebsten hätte sie ihn aufs Bett gewor fen, hätte mit ihren Küssen das arrogante, zynische Lä cheln aus seinem Gesicht verscheucht, hätte ihn verführt und es mit ihm getrieben, bis er ihren Name sagte - und keinen anderen! Nur mit Mühe gelang es ihr, sich aus den Fängen ihrer erotischen Phantasien zu befreien. Was bildete er sich überhaupt ein? Brutaler wäre es doch kaum gegangen! Kein Wort von Zuneigung, keine Erklärung, welche Rol le Kelly in seinem Leben spielte! Und da sollte sie ihren Stolz über Bord werfen und sich von ihm einfach verfüh ren lassen? Aber wirklich nicht! "Es wird nicht passieren, Liam", sagte sie eisig. "Weder so, noch anders - höchstens in deiner Phantasie." Er verschränkte die Arme, legte den Kopf, in den Na cken und lächelte sie unter halbgeschlossenen Lidern selbstgefällig an. "Ach", war alles, was er sagte, doch dieses eine kleine Wort troff vor Hohn.
"Bitte geh jetzt. Ich möchte duschen." Kalt funkelte sie ihn an. "Und dann gehe ich schlafen." "Okay", lachte er. "Träum süß, Scarlett!" Leise zog er die Tür hinter sich zu, aber sein spöttisches Lachen ver folgte sie noch immer; Scarlett stürzte ins Badezimmer, drehte die Dusche auf und ließ den eiskalten Wasser strahl auf sich herabprasseln. Es war Strafe und Segen zugleich. Warum nur? fragte sie sich verzweifelt. Warum hatte sie das getan? Warum hatte sie es fast zugelassen, dass er mit ihr schlief? Und warum, vor allem, hatte sie dann auch noch diese jämmerliche Komödie vor seiner Freundin aufge führt, um diese glauben zu machen, dass sie noch immer zusammen seien? Im gleichen Moment, in dem sie sich diese Fragen stell te, fragte sie sich jedoch auch, ob sie so aufrichtig sein würde, sie wahrheitsgemäß zu beantworten. Die Wahrheit war, dass sie Liam liebte. Ihn zu lieben, hatte sie nie aufgehört, und deshalb konnte sie Henry auch nicht heiraten - und auch keinen anderen Mann. Denn der einzige Mann, den sie heiraten wollte, war ihr Ehemann, der er in nur allzu kurzer Zeit nicht mehr sein würde. Sie wusch sich das lange schwarze Haar mit Brombeer shampoo, schäumte sich mit einem Duschgel der glei chen Duftnote ein und duschte sich schließlich ab, dann rubbelte sie sich mit einem sonnenblumengelben Bade tuch trocken. Die Wahrheit war auch, dass ihr Humphrey mitsamt seiner Finanzmisere völlig egal war. Ja, in ihren Augen verdiente er sogar einen gehörigen Dämpfer, dieser champagnertrinkende, wettsüchtige Snob von einem
Stiefvater. Sie aber war nach Australien geflogen, weil sie Humphrey angeblich helfen wollte, dabei wollte sie doch nur eines: Liam, und zwar für immer. Dass Liam auch sie wollte, war offensichtlich. Aller dings nicht fürs Leben, sondern fürs Bett. Und auch das nicht für immer, sondern befristet. Hätte er ihr sonst ein Rückflugticket gekauft? Ich kann's nicht, dachte sie plötzlich, als sie sich in Slip und BH vor den Spiegel der Frisierkommode setzte. Ich habe mich verändert. Und was er mir bietet, ist mir nicht genug. Mit achtzehn war sie bereit gewesen, die Einseitigkeit ihrer Beziehung zu tolerieren. Es hatte keine Rolle ge spielt, dass sie ihn wie verrückt und er sie überhaupt nicht geliebt hatte. Naiv, wie man in diesem Alter eben ist, hatte sie geglaubt, genug Liebe für zwei zu haben. Aber selbst damals schon war Liam reif genug gewesen, um es besser zu wissen. Sie erinnerte sich an seine Worte, als wäre es erst ges tern gewesen "Du glaubst nur, dass du mich liebst". War das nicht eine diplomatische Art und Weise gewesen, ihr zu sagen, dass ihre Beziehung nicht funktionieren würde? Ja, denn vermutlich wäre sie eines natürlichen Todes gestorben, diese Beziehung, hätte Scarlett ihn nicht in eine Ehe gelockt, die sein Leben hätte ruinieren können. Allen Widrigkeiten zum Trotz hatte Liam es jedoch ge schafft und seinen Weg gemacht. Er war ein wirklich außergewöhnlicher Mann. Und noch etwas wurde Scarlett klar, und diese Er kenntnis schmerzte wie ein Messerstich ins Herz: Sie selbst war Teil seiner Rache. Mit ihr zu schlafen, ihre Leidenschaft in seinen Armen zu schüren und sie dann
wegzuschicken - wäre das nicht die süßeste Rache für den Preis, den er fast hätte bezahlen müssen, weil sie ihn mit voller Absicht verführt hatte? Sie sah auf die Uhr. Es war fast sieben, und Scarlett war müde. Physisch und psychisch müde, wie sie sich noch nie zuvor gefühlt hatte. Seltsamerweise war sie aber auch von einem gewissen Frieden erfüllt. In Zukunft würde sie sich nichts mehr vormachen müs sen. Sie brauchte sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, ob sie mit einem Mann, für den sie nichts emp fand, eine Familie gründen sollte. Wenn sie Liam nicht haben konnte, wollte sie keinen. Abgesehen davon, ein Leben als Single war kein Welt untergang. Sie hatte ja immer noch ihre Malerei. Sie hatte ihr gewohntes Leben in London. Dort gab es Parks, Theater und Museen. Auf einen Mann war man heutzuta ge nun wirklich nicht mehr angewiesen, um glücklich zu sein. Traf man den Richtigen dennoch - wunderbar! Traf man ihn nicht - Pech! Sie hatte eben Pech gehabt. So, wie sie war, in Slip und BH, schlüpfte sie unter das angenehm kühle hellgelbe Laken und ließ den Kopf dankbar auf das daunenweiche Kopfkissen sinken. Einen Moment lag sie ganz still und betrachtete das Muster, das die Strahlen der Abendsonne an die Wand warfen. Ich werde es Liam sagen, dachte sie entschlossen und musste gähnen. Ich sage ihm, dass ich nicht hier bleibe. Und wieder gähnte sie. Ich sag's ihm später - beim Abendes sen. Als sie jedoch in hellem Sonnenlicht aufwachte, hatte sie sofort das Gefühl, dass es Morgen sein musste. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihre Vermutung: Es war fast zehn.
Sie schlug das Laken zurück, sprang aus dem Bett und ging ins Badezimmer, um Zähne zu putzen und sich die Haare zu bürsten. Als sie schlafen gegangen war, war ihr Haar noch feucht gewesen. Jetzt war es zwar trocken, aber dafür so widerspenstig, dass es sich einfach nicht glatt bürsten ließ. Was soll's? dachte Scarlett, beeindru cken will ich heute ja sowieso niemand. Im Spiegel be trachtete sie ihr Gesicht. Verblüffend! Nach einem einzigen Nachmittag am Pool war ihre Haut schon zart gebräunt. Bei der Erinnerung an das, was an diesem Nachmittag passiert war, beziehungsweise fast passiert wäre, wurde ihr warm, doch sie straffte die Schultern, denn sie hatte ja etwas beschlossen. Und das, was sie am Vorabend be schlossen hatte, erschien ihr im kalten Morgenlicht noch viel dringlicher. Keine Minute länger als unbedingt nötig würde sie noch hier bleiben! An der Tür klopfte es leise. "Komm rein", sagte Scarlett zögernd. Liam trug ausgewaschene Jeans und ein weißes T-Shirt und balancierte ein Frühstückstablett auf der rechten Hand. "Hast du's gemerkt?" fragte er lächelnd. "Ich habe sogar angeklopft." "Liam..." "Scarlett, ich weiß, dass du mir jetzt eine Strafpredigt halten und mir Dinge sagen willst, die zweifellos wahnsinnig wichtig sind, aber mit leerem Magen wirst du es nicht tun." "Aber..." ' "Kein Aber", fiel er ihr ins Wort. "Du hast gestern A bend nichts gegessen, und darum wirst du es jetzt tun. Ich habe dir auch einen ganz tollen Kaffee gemacht, den du
doch unbedingt einmal probieren wolltest. ,Ich kann es kaum erwarten' - erinnerst du dich?" "Das war eigentlich eher sarkastisch gemeint." Er lächelte. "Im Sarkasmus, sagt man, steckt meist eine ganze Portion Wahrheit. So, aber nun komm. Spring wieder ins Bett." Scarlett wunderte sich, dass seine Stimme so einen selt samen Unterton hatte, und ihr entging auch nicht, dass er es vermied, sie direkt anzuschauen. Komisch, dachte sie, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte ja nichts an außer Slip und BH! Wie der Blitz sauste sie an ihm vorbei, hüpfte ins Bett und zog sich das Laken hoch bis zum Kinn. Als er ihr und sich selbst Kaffee ein goss, schnupperte sie genüsslich. Zugegeben - einen solch köstlichen Kaffeeduft hatte sie noch nie gerochen. Sie trank zwei Tassen und aß heißhungrig von dem knusprigen Toast, der dick mit Butter und Honig bestri chen war. Liam hatte seine Tasse mit zum Fenster ge nommen und sich auf das Fensterbrett gesetzt. Schweigend sah er hinaus. Scarlett hatte gerade das Schälchen mit eisgekühlten Waldbeeren geleert, als er sich zu ihr umwandte und lä chelte, und sie musste sich gegen dieses Lächeln wapp nen, bevor sie seinen Blick erwidern konnte. Das ist die blanke Versuchung, dachte sie und fand es weit schwie riger, diesem Lächeln zu widerstehen als seinen Küssen, denn das Lächeln gaukelte ihr Zuneigung vor - und Li ams Zuneigung war immer noch das, wonach sich ihr Herz am meisten sehnte. "Ich will heim", sagte sie ganz unvermittelt. Er nickte und schien nicht im geringsten überrascht. "Das dachte ich mir schon." "Du kannst mir ruhig drohen, dass du Humphrey rui
nierst - an meinem Entschluss ändert das nichts. Seine Finanzen sind seine Sache, und deine, meine jedenfalls nicht", erklärte sie und fuhr fort: "Wenn deine Transakti on scheitern sollte, würde es mir natürlich leid tun, ob wohl ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Geschäft dieser Größenordnung von meiner Anwesenheit abhän gen soll. Nimm doch Kelly an meiner Stelle - ich bin sicher, sie würde nichts lieber tun, als in deinem Haus die Gastgeberin zu spielen." Sie begegnete seinem unbeweg ten Blick. "Und solltest du mich hier gefangen halten wollen, schwöre ich dir, dass ich einen Weg hinaus und zur nächsten Polizeistation finden werde!" schloss sie ihren Vortrag reichlich dramatisch. Amüsiert zog er die Brauen hoch. "Scarlett, Scarlett! Geht wieder mal deine Phantasie mit dir durch? Kannst du dir wirklich vorstellen, dass ich dich gegen deinen Willen hier festhalte?" "Ja, das kann ich", sagte sie trotzig. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Und wie stellst du dir das vor? Dass ich dich in mein Schlafzim mer sperre? Dich in deiner hübschen Unterwäsche mit Ketten an mein Bett fessele, um dich zu besuchen, wann immer mir der Sinn danach steht? Sehen deine Phanta sien so aus, Scarlett?" Die Wangen hochrot, in den Brüsten das vertraute Zie hen und Prickeln, presste sie die Hände auf die Ohren und rief: "Hör auf!" Wäre sie nicht so spärlich bekleidet gewesen, hätte sie sich auf der Stelle ins Badezimmer geflüchtet. "Ich ma che keine Witze, Liam. Ich will heim." Plötzlich war er ganz ernst. "Ich weiß, Scarlett, und ich habe auch nichts dagegen, aber heute geht es nicht."
"Und warum nicht?" "Weil wir dein Ticket erst umschreiben lassen müssen. Außerdem bezweifle ich, dass du heute überhaupt einen Flug bekommst, denn es geht schließlich nicht jede Stun de ein Flieger nach London. Wenn du möchtest, fahre ich dich aber in die Stadt und buche dir einen Flug für mor gen." "Danke", sagte sie steif. "Also, dann zieh dich an. Ich warte unten." Starr blickte sie auf die Tür, die sich hinter ihm schloss. Sie war nicht enttäuscht - nein, sie war es nicht! Und sie hatte auch nicht erwartet, dass er sie auf Knien anflehen würde zu bleiben! Oder etwa doch? Blödsinn! Natürlich nicht! Sie hatte einfach nicht erwartet, dass er ihrem Wunsch so schnell zustimmen würde. Und sie hatte gedacht, dass er zumindest versuchen würde, sie zu küssen, denn dann hätte sie das Vergnügen gehabt, ihn zurückzuweisen und die Oberhand zu behalten. Trotzdem. Auf dem Weg ins Bad blickte sie sich in ih rem Zimmer um. Wenigstens hatte sie nicht ausgepackt. Über die Wanne gebeugt, machte sie ihr widerspensti ges Haar nass, kämmte es durch und ließ es, nass wie es war, offen hängen. Dann zog sie schwarze Jeans und eine weite dunkelrote Seidenbluse an. Als sie gerade ihren Kosmetikbeutel einpackte, wurde sie vom Gesang eines Vogels abgelenkt. Sie ging zu dem Fenster, an dem Liam vorher gesessen hatte, und sah hin unter in seinen Garten. Den singenden Vogel konnte sie zwar nicht entdecken, aber der Anblick des Gartens mit seinen mächtigen alten Bäumen und den vielen üppig blühenden Büschen und Sträuchern nahm sie gefangen. Wie friedlich und still es hier ist, dachte sie und ließ für
einen seligen und gleichzeitig so quälenden Moment ih rer Phantasie freien Lauf mit Liam hier leben, seine Kin der großziehen, glücklich sein ... Bevor der Schmerz unerträglich wurde, wandte sie sich abrupt ab, nahm ihr Gepäck und verließ das gelbe Zim mer. Liam wartete am Fuß der Treppe auf sie und ging ihr sofort entgegen, um ihr das Gepäck abzunehmen. "Komm, lass dir helfen." "Das kann ich allein", sagte sie schroff. "Scarlett." Obwohl es ihr gegen den Strich ging, überließ sie ihm Koffer und Handgepäck. Es hatte so etwas Beschüt zerhaftes an sich, wenn er ihr Gepäck trug, und gab ihr das Gefühl, ein dummes, hilfloses Gänschen zu sein. Vor allem ein dummes, denn schließlich trug er ihr Gepäck, um sie in ein Flugzeug zu setzen, das sie außer Landes bringen würde - fort von ihm. Ein bisschen Enttäuschung über meine Abreise könnte er ja wenigstens heucheln, dachte sie ärgerlich, aber seine Miene war ausdruckslos wie die eines völlig Unbeteilig ten. Sie fuhren nach Perth, und Scarlett, wesentlich munte rer als bei ihrer Ankunft, kam aus dem Staunen gar nicht heraus. Es war alles so groß und sauber und weitläufig. Ihr Ticket auf einen Flug am nächsten Tag umzuschrei ben war kein Problem. Während Liam den Papierkram für sie erledigte, blätterte sie verdrossen in einer Zeit schrift. Lächelnd kam er zu dem Tisch, an dem sie saß. "Alles erledigt. Dein Flug geht morgen um zwölf." Er warf einen Blick auf die dezente goldene Uhr an seinem Handgelenk. "Mittagszeit, Scarlett. Komm, lass uns was essen ge
hen. Ich zeige dir das beste Restaurant in ganz Perth." "Ich ..." Sie wollte ihm sagen, dass sie keinen Hunger habe, überlegte es sich dann aber doch anders. Wenn ihn ihr endgültiger Abschied schon kalt zu lassen schien, würde auch sie tun, als ob es ihr gar nichts, rein gar nichts ausmachte. "Wunderbar." Sie lächelte strahlend und hoffte, dass er nicht bemerkte, welche Anstrengung es sie kostete, nicht loszuheulen. "Aber werden sie dich in diesem Aufzug einlassen?" "In welchem Aufzug?" Verständnislos sah er an sich hinab T-Shirt, ausgewaschene Jeans - und dann lachte er. "Oh, du meinst so leger gekleidet?" Obwohl es ihr keineswegs danach zumute war, lachte auch Scarlett. "Leger nennst du das also?" "Klar, denn hier versteht man unter ,leger' nicht steifen Kragen und Blazer! Wir sind in Australien, nicht in Eng land!" Es ist ein Jammer, dachte sie, als er den Wagen sicher durch den Stadtverkehr steuerte, denn sie bedauerte zu tiefst, dass sie keine Chance haben würde, dieses große wunderschöne Land richtig kennen zu lernen, das offen bar für alles stand, was Liam liebte. Je mehr sie davon sah, desto besser gefiel es ihr. Es war so unverfälscht, manchmal natürlich auch schroff, aber es hatte ein großes Herz, wie Liam es auf dem Weg zum Restaurant aus drückte. "Die Menschen hier arbeiten verdammt hart, doch dafür lassen sie in ihrer Freizeit auch alle fünf gerade sein und hauen so richtig auf den Putz." Das Restaurant lag auf einem Felsen. Darunter Sand strand und endlos blaues Meer. Sie suchten sich einen Platz im Freien, wo ein Dach aus üppig rankenden Grün
pflanzen Schutz vor der heißen Mittagssonne bot. Scarlett überflog die Speisekarte, die eine freundliche Kellnerin gebracht hatte, und fragte: "Liam, kannst du etwas empfehlen?" "Den Fisch." "Was heißt ,den Fisch'? Die Karte besteht doch nur aus Fischgerichten!" "Wenn das so ist", meinte er schmunzelnd, "würde ich als Vorspeise die Garnelen in Knoblauch nehmen und dann die Langusten - bessere kriegst du nirgends!" Sie gaben ihre Bestellung auf und bekamen einen her vorragenden australischen Semillon serviert, den sie gleich kosteten: "Gut?" Über den Rand seines Glases hinweg richtete er den Blick seiner blauen Augen fragend auf Scarlett. "Traumhaft", lobte Scarlett begeistert den Wein. Lag es an ihrer bevorstehenden Abreise, dass alles Ge zwungene von ihr abfiel, während sie das Mittagessen das köstlichste, das sie je genossen hatte - einnahmen? Auf jener Restaurant-Terrasse erschien ihr Liam in ei nem völlig neuen Licht. Er war entspannt und benahm sich ganz locker in diesem Lokal der gehobenen Katego rie, in dem er offensichtlich ein oft und gern gesehener Gast war. Und auch Scarlett gab sich locker und schaffte es sogar, strahlend zu lächeln, als zwei Frauen an ihrem Tisch auf einen kurzen Plausch stehen blieben. Liam stellte ihr die beiden vor, aber Scarlett achtete kaum auf die Namen, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, aufzupassen, ob irgend etwas an der Körpersprache der einen oder anderen - oder der beiden - darauf schließen ließ, dass es sich um mehr als eine bloße Bekanntschaft handelte. Si cher, er hatte Kelly, aber das hieß ja hoch lange nicht,
dass sie die einzige war. Als sie mit dem Essen fertig waren, tranken sie noch einen Kaffee, und Liam erläuterte, was von ihrem Aus sichtspunkt alles zu sehen war. Schließlich schob er seine Tasse beiseite und blickte Scarlett nachdenklich an. "Wie möchtest du den Nachmittag verbringen?" Unbeholfen nestelte sie an ihrem silbernen Armreif. "Du musst nicht hier bleiben, Liam. Wenn du mich bei einem Hotel absetzt, kann ich ..." "Scarlett", sagte er kopfschüttelnd, "was soll das?" "Was soll was?" fragte sie verwirrt zurück. "Es ist doch nicht nötig, dass du in ein Hotel gehst. Du hast wohl vergessen, dass ich ein Apartment in Perth habe." Und von seinem Schlafzimmer hat man einen atembe raubenden Blick auf die ganze Stadt, dröhnten ihr Kellys Worte in den Ohren. Nein, sie wollte nicht in seinem A partment übernachten. Sie würde auf einem Hotel beste hen. Aussprechen konnte sie ihre Forderung jedoch nicht, und sie wagte auch nicht, sich zu fragen, warum das so war. "Genau so wenig ist es nötig, dass wir als Feinde von einander gehen", fuhr er fort. "Lass uns diesen letzten Tag doch zusammen verbringen als Freunde.'" Sie fühlte sich wie eine zum Tode Verurteilte, der der Henker gerade die Schlinge um den Hals gelegt hatte und die einen letzten Wunsch äußern durfte. Aber wozu etwas wünschen? Ihr Wunsch - dass Liam sich ganz plötzlich und auf wundersame Art in sie verliebte - würde sich sowieso nicht erfüllen. Trotz ihrer düsteren Gedanken lächelte sie ihn freund lich an - wenn das so weiterging, würde am Ende noch eine Schauspielerin aus ihr werden. "Nichts dagegen!"
Nachdem er bezahlt hatte, gingen sie an den Strand, um einen Verdauungsspazierung zu machen. Schweigend liefen sie eine ganze Weile nebeneinander her, und Scarlett hörte nichts als das monotone Rauschen der Wellen, die seit Menschengedenken im immer glei chen Rhythmus ans Ufer schlugen. Sie schüttelte ganz bewusst alle Gedanken ab und ge noss die Stille. Das Bedürfnis zu sprechen schien auch Liam nicht zu haben. Nachdem sie ein ziemliches Stück gelaufen waren, kehrten sie um und hatten fast wieder den RestaurantParkplatz erreicht, als am Strand plötzlich Geschrei los brach und Menschen aufgeregt aufs Meer deuteten. Ein kleines Boot war offensichtlich gekentert, und je mand war in Schwierigkeiten. Sie blieben stehen, um den Einsatz der Wasserwacht zu beobachten. Der Rettungs schwimmer, der mit langen Schritten ins Wasser rannte, war ungefähr neunzehn, tief sonnengebräunt und ein wahres Muskelpaket. Abgesehen von seinem blonden Haar, sieht er aus wie Liam in diesem Alter, dachte Scar lett, während sie zusah, wie er mit kräftigen Kraulzügen hinaus aufs offene Meer schwamm. Liam musste in die sem Alter gewesen sein, als er zum ersten Mal nach Australien kam. Sie sahen einen Kopf zwischen den Wellen auftauchen und wieder verschwinden und einen Arm, der wild her umwedelte, während sich der Abstand zwischen dem Rettungsschwimmer und dem gekenterten Boot stetig verringerte. Ein, zwei Minuten später hatte der junge Mann es erreicht und war plötzlich nicht mehr zu sehen. Liam spürte als erster, dass etwas nicht stimmte. Scar lett bemerkte seine plötzliche Anspannung und sah er
staunt, dass er angestrengt zur Unglücksstelle hinaus blickte. "Was ist los?" fragte sie, aber er schleuderte schon die Schuhe von den Füßen, riss sich die Jeans herunter und stürmte zum Wasser. "Der Rettungsschwimmer hat Probleme!" rief er den jungen Leuten zu, die am Ufer saßen und tatenlos zusa hen, als wären sie im Kino. "Da draußen sind zwei Menschen in Not! Kann mir vielleicht jemand helfen?" Er hechtete ins Wasser, ohne abzuwarten, ob jemand seiner Bitte nachkam, aber zu Scarletts Erleichterung erhob sich einer der Teenager und folgte ihm. Nun rannte auch sie zum Wasser und blieb stehen, wo der Sand hart und nass von den ständig ans Ufer klat schenden Wellen war. Wie harmlos diese wundervollen Wassergebilde hier am Strand doch wirkten! Und da draußen ist Liam, dachte sie voller Unruhe. Die Frage, ob er sie liebte oder nicht, erschien ihr plötz lich lächerlich und unwichtig, wenn sie sich vor Augen hielt, dass er da draußen sterben konnte. Nein, er konnte doch nicht sterben! Der Gedanke, dass dieses blühende Leben einfach aus gelöscht werden sollte, war unvorstellbar. Sie schirmte die Augen gegen die blendende Sonne ab und beobachtete die Vorgänge im Wasser. Zuschauerin war sie, während Liams Leben am seidenen Faden hing. Nun hatte er das Boot erreicht, doch im nächsten Mo ment war sein Kopf nicht mehr zu sehen. Sekunden spä ter war auch der junge Mann an der Unglücksstelle ange kommen. Verzweifelt sah Scarlett sich um. Es musste hier doch noch mehr gute Schwimmer geben - oder irgend etwas, das sie oder andere tun konnten? Da!
Ein Stück entfernt hing ein Rettungsring an einem wei ßen Pfosten. Sie rannte hin und hob ihn aus seiner Halte rung. Er war überraschend schwer, aber Scarlett lief da mit, so schnell sie konnte, zurück zum Ufer. Angestrengt blickte sie wieder hinaus, aber von den vier Menschen im Wasser konnte sie keinen einzigen entdecken. Verzwei felt schloss sie die Augen. Dann ein Schrei! Einer der Teenager deutete hinaus, und Scarlett war froh wie nie zuvor in ihrem Leben, als sie Liam sah. Er zog eine leblose Gestalt mit sich durch die Wellen, während dicht hinter ihm der junge Mann sich abmühte, den Rettungsschwimmer an Land zu brin gen. Scarlett jedoch fühlte sich plötzlich nur noch hilflos. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie wusste weder, wo ein Telefon war, noch kannte sie die Nummer des Not rufs. Panik im Blick, sah sie sich um und wandte sich schließlich an die jungen Leute. "Schnell!" rief sie. "Wir brauchen einen Krankenwagen!" Einer aus der Gruppe rannte weg, und Scarlett lief Liam entgegen, bis sie bis zu den Knien in den schäumenden Wogen stand. Dass ihr Rettungsring völlig überflüssig war, sah sie sofort. Sie warf ihn zurück auf den Strand, und da nahm Liam schon den leblosen Körper eines jun gen Mädchens auf die Arme und trug ihn ans Ufer, wo er ihn in, den Sand legte. Sein Gesicht war weiß vor Anstrengung und Enttäu schung. "Sie atmet nicht", stieß er hervor und sank neben dem schlaffen Körper auf die Knie. "Ihr Herz ist stehen geblieben." Scarlett lief zu Liam und kauerte sich neben ihn. Dass sie das getan hatte, war schon lange her.
Sie tastete nach der Halsschlager. Kein Puls. Sie legte beide Hände auf das Brustbein und übte einen kurzen, starken Druck darauf aus. Dann überstreckte sie den Nacken des Mädchens, holte tief Luft, presste ihre Lippen auf den blutleeren Mund und atmete mit einem kräftigen Stoß aus. "Kümmere du dich um den Rettungsschwimmer!" rief sie Liam zu. "Ich werde hier schon allein fertig!" Sie hörte ihn über den Sand laufen, während sie mit ih ren lebensrettenden Maßnahmen fort fuhr. Viermal Druck auf die Brust, einmal Atem. Viermal Druck auf die Brust, einmal Atem. Bitte, flehte sie nach jedem Atem stoß, oh, bitte! Als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, be gann sich das Mädchen endlich doch wieder zu regen. Schnell drehte Scarlett ihm den Kopf zur Seite - gerade rechtzeitig, denn die Arme begann würgend, Unmengen Meerwasser zu erbrechen. Das Geschrei hörte Scarlett wohl, und auch die tiefen Männerstimmen, die sich autoritär Gehör verschafften, aber sie war so damit beschäftigt, dem Mädchen das Spucken zu erleichtern, und so glücklich, als es endlich die Augen öffnete und sie verwirrt ansah, dass sie die Sanitäter erst bemerkte, als einer der Männer ihr die Hand auf die Schulter legte. "Das haben Sie prima gemacht", sagte er. "Um alles weitere kümmern wir uns." Erschöpft, aber überglücklich stand Scarlett auf, und da legten sich von hinten zwei Hände um ihre Taille. Sie wirbelte herum und sah in Liams lächelndes Gesicht. "Was ist mit dem Rettungsschwimmer?" fragte sie be sorgt. "Der ist okay. Und das Mädchen auch, wie ich anneh
me. Dank deiner Hilfe." "Und deiner", sagte Scarlett kaum hörbar, denn erst jetzt begann sie so richtig zu begreifen, was fast gesche hen wäre. "Oh, Liam! Liam!" rief sie und brach auch schon in Tränen aus. "Aber, aber." Zärtlich nahm er sie in die Arme und zog sie ganz eng an seine Brust, so dass sie jeden einzelnen seiner Herzschläge laut und deutlich hören konnte. "Eine etwas freudigere Reaktion hätte ich aber schon erwartet, nachdem ich so eine heldenhafte Tat vollbracht habe!" Scarlett lächelte unter Tränen. Er lebte! "Gott sei Dank!" flüsterte sie noch, und dann fiel sie Ohnmacht.
10. KAPITEL "So, da wären wir." Die Türen des Lifts glitten ge räuschlos auseinander, und Scarlett folgte Liam in das Penthouse, das sie vom Hörensagen ja schon kannte. Er führte sie durch einen Wohnraum, dessen Größe eher an einen Ballsaal erinnerte, und schob sie mit sanftem Druck in ein Badezimmer. "Zuerst", sagte er bestimmt, "eine Dusche." Sie wandte sich zu ihm um und war sicher, in seinen blauen Augen eine Einladung zu erkennen. Seltsam, wie der Tod - oder die Nähe des Todes - dazu führte, dass man das Leben plötzlich aus einem ganz anderen Blick winkel betrachtete. Er deutete ihren Blick völlig richtig und schüttelte den Kopf. "Nein, Scarlett, den Rücken musst du dir selbst
schrubben, denn ich werde dich nicht unter die Dusche begleiten. Es steht zuviel zwischen uns, das auf die eine oder andere Art erst aus der Welt geschafft werden muss. Wenn wir miteinander schlafen, muss das unter Bedin gungen geschehen, die für uns beide akzeptabel sind." Wie er sich diese Bedingungen vorstellte, konnte sie sich denken. Keine Verpflichtung, kein Druck, keine Bindung. "Fin dest du nicht auch, dass du deine Meinung etwas oft än derst?" fragte sie provozierend. Seine Augen funkelten. "Stimmt, das tue ich. Und dass es so ist und dass ich kaum mehr klar denken kann, liegt an dir, Scarlett. Sooft ich mir auch vornehme, endlich über alles zu reden, jedes Mal machst du mir einen Strich durch die Rechnung." Sie lehnte sich an den Türrahmen und machte einen Schmollmund. "Ich?" Statt zu antworten, schob er sie von der Tür weg und schloss diese. "Du hast genau zehn Minuten - also beeil dich!" rief er ihr durch die geschlossene Tür zu. "Frische Sachen zum Anziehen lege ich aufs Bett." Sachen zum Anziehen? Das letzte, was sie jetzt wollte, war etwas zum Anziehen! Nackt wollte sie sein, splitter fasernackt mit Liam auf einem Bett liegen, egal wo, und jeden Zentimeter seines wundervollen Körpers küssen und von ihm geliebt werden, wieder und wieder genom men werden mit dieser unnachahmlichen Bestimmtheit, um später etwas zu haben, an das sie sich erinnern konnte ... Während jener unerträglichen Minuten, in denen sie darauf gewartet hatte, dass Liam endlich wieder aus dem Meer auftauchen würde, hatte sie die Dinge plötzlich
ganz klar gesehen. Dass er sie nicht liebte, wusste sie, und natürlich machte sie das traurig, aber es gab etwas, das sie noch viel trauriger machen würde: ein Leben in Enthaltsamkeit, das sie entschlossen war zu führen, ohne vorher noch einmal mit Liam zusammen gewesen zu sein. Eine ganze lange Nacht mit Liam. Eine Nacht, an die sie sich immer würde erinnern können. Und wenn es ein Fehler war? Dann war es eben einer. Egal. Ein letztes Mal wollte sie noch schlemmen, bevor ihre lebenslange Fastenzeit begann. Mit voller Absicht brauchte sie länger als die zehn Mi nuten, die er ihr zugestanden hatte, aber sie wurde ent täuscht: Er kam nicht, um nach ihr zu sehen. Als sie schließlich das Badezimmer verließ, sah sie, dass er in dem Raum, der offensichtlich als Gästezimmer diente, tatsächlich den Inhalt ihres Koffers aufs Bett gelegt hatte. Bevor sie sich anzog, warf sie einen kurzen Blick aus dem Fenster. Unter ihr lag ein riesiger Swimmingpool, der offenbar allen Mietern zugänglich war, denn um das Becken herum lagen viele Leute in Liegestühlen und sonnten sich. Sie schlüpfte in einen weißen Body, weiße Jeans und eine grüne Seidenbluse und hatte plötzlich Mitleid mit all den Menschen dort unten. Die Armen, dachte sie, sie müssen in der Sonne liegen und so tun, als würden sie das süße Nichtstun genießen, während ich den Nachmit tag - und den Abend - und die Nacht - in Liams Bett verbringen werde! Natürlich erst nach ihrer "Unterredung". Sie fragte sich, worüber genau er eigentlich reden wollte. Nun ja, wahr scheinlich würde er etwas in der Art von "Ich bin im Moment wirklich nicht auf der Suche nach einer festen
Bindung" sagen. Oder "Es hat vor zehn Jahren nicht funktioniert, also ..." Sie stieß die Tür auf und ging in den Wohnraum, wo Liam auf dem Sofa vor einem Teetablett saß. Aus seinem feuchten Haar schloss Scarlett, dass auch er - leider in einem anderen Badezimmer geduscht hatte. Er trug fri sche Jeans und ein blaues Seidenhemd. "Komm, setz dich." Er klopfte mit großer Selbstver ständlichkeit auf den Platz neben sich. "Tee?" "Bitte", sagte sie nur, denn so hatte sie es sich nicht vorgestellt. Anstatt sich auf sie zu stürzen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und ihre Haut mit heißen Küssen zu bedecken, goss er Tee in eine hauchdünne Porzellantasse. Nachdem er noch eine Scheibe Zitrone hinein gegeben hatte, reich te er ihr die Tasse. "Danke." Sie tranken schweigend, und es war genau das, was Scarlett im Moment brauchte. Tee zu trinken war etwas so Normales. Kein Wunder, dass man Leuten, die einen Schock hatten, Tee verabreichte. Nachdem sie ausgetrunken hatten, stellten sie ihre Tas sen ab. Liam wandte sich ihr zu, und sie sah ihn erwar tungsvoll an. Dann schloss sie die Augen. "Mach die Augen auf, Scarlett. Ich will mit dir reden." "Oh, reden, reden, reden", murrte sie. "Als hätte reden je etwas genützt." "Unser Problem war doch, dass wir nicht miteinander geredet haben." "Damals ist damals, und jetzt ist jetzt." "Aber wir reden auch jetzt nicht - nicht wirklich zu mindest. Ist dir eigentlich klar, dass wir uns heute beim Mittagessen zum ersten Mal wie erwachsene Menschen
zusammengesetzt und wie erwachsene Menschen mitein ander gesprochen haben, anstatt wie liebestolle Teenager im Bett zu landen?" "Nun, vielleicht lag das daran, dass wir zum ersten Mal miteinander in einem Restaurant waren", meinte sie tro cken. Er seufzte. "O ja, du hast recht." Einen Moment blickte er versonnen drein, doch dann fragte er scharf: "Scarlett, wo hast du das gelernt?" "Was?" "Mund-zu-Mund-Beatmung." "Oh, das war eine Zeitlang ein ganz beliebtes Party spiel", erklärte sie lächelnd. "Lass den Quatsch!" Er packte sie hart an den Armen. "Kannst du nicht einen Moment ernst sein?" Sie machte sich aus seinem Griff los. Dass es so laufen würde, hätte sie sich denken können. Erst reden und über kurz oder lang streiten. "Was erwartest du denn?" fragte sie kopfschüttelnd. "Du siehst mich doch immer noch als das verwöhnte kleine Gör aus reichem Haus, das nichts anderes zu tun hat, als auf Partys herumzuhängen. Du hast dich verän dert, aber auf den Gedanken, dass auch ich mich verän dert haben könnte, kommst du anscheinend gar nicht!" "Doch", fuhr er auf, "und ich habe sogar versucht he rauszufinden, was sich in deinem Leben verändert hat! Aber jedes Mal, wenn ich dich danach frage, ziehst du dich in dein Schneckenhaus zurück und blockst ab, als wäre dein Leben ein einziges großes Geheimnis!" "Es ist kein Geheimnis, aber ich sah einfach keine Notwendigkeit, dir von mir zu erzählen, da unser neuerli ches Zusammensein ja von vornherein befristet war." "Also, wo hast du es gelernt?" bohrte er nach, ohne auf
ihre etwas gestelzte Erklärung einzugehen. "Ich war zwei Jahre im Ausland. Für die WAO ..." "Die World Aid Organisation?" vergewisserte er sich ungläubig. "Das ist doch eine Hilfsorganisation, die Nah rungsmittel und Medizin in Dritte-Welt-Länder fliegt?" Sie nickte. "Ja. Es gab dort natürlich Leute, die viel qualifizierter waren als ich, aber ich hatte etwas zu bie ten, das von unschätzbarem Wert war - dank der Hinter lassenschaft meiner Großmutter war ich finanziell unab hängig. Vor meinem Einsatz musste ich natürlich eine Erste-Hilfe-Ausbildung absolvieren", berichtete sie und fügte stolz hinzu: "Ich kann sogar ein Baby entbinden." Als ihr bewusst wurde, dass sie mit dem letzten Satz ein Tabuthema berührt hatte, biss sie sich schuldbewusst auf die Lippe. "Ach ja?" meinte er gedankenverloren und schien ihren Ausrutscher gar nicht bemerkt zu haben. "Und was hast du gemacht, als du dann wieder in England warst?" "Ich arbeite immer noch für die WAO", erklärte sie. "Ehrenamtlich. Und wenn ich eines meiner Bilder verkaufe, spende ich den Erlös - ich brauche das Geld ja nicht." "Aber du arbeitest doch auch in dem Laden, wo sie die se verrückten Kleider verkaufen, die aussehen wie Schläuche von Autoreifen!" Sie schüttelte den Kopf. "Nein, ich halte in dem Ge schäft nur ab und zu während der Mittagspause die Stel lung. Das WAO-Büro liegt nämlich direkt darüber, und der Ladenbesitzer, dem das ganze Haus gehört, hat es der WAO mietfrei überlassen mit der einzigen Auflage, dass sich im Notfall mal einer von uns eine Stunde in den La den stellt." "Aber warum hast du mir das alles nicht schon früher
erzählt?" wollte er wissen. "Ach, Liam - hör doch auf! So wie du in mein Leben hineinmarschiert bist und mich verschleppt hast, konnte ich doch nicht annehmen, dass du an mir interessiert warst! Ich sollte dir lediglich einen Gefallen tun, um Humphreys Haut zu retten." "Aber dann hast du gesagt, es sei dir egal, was mit ihm passiert." "Das stimmt auch", bestätigte sie leise. "Es ist mir egal, und im Grund genommen war es das schon immer." Er runzelte die Stirn. "Warum bist du dann trotzdem mit mir gekommen?" Pass auf, Scarlett, diese Frage ist gefährlich, dachte sie. Wenn er erfuhr, wie sie wirklich für ihn empfand, fühlte er sich am Ende schuldig und würde nicht mehr mit ihr ins Bett gehen, weil er sie und ihre Liebe nicht ausnutzen wollte. Da aber sie mit ihm schlafen wollte, und zwar unbedingt, durfte sie ihre wahren Gefühle auf keinen Fall offenbaren. Nein, um diese letzte Nacht in seinen Armen würde sie sich nicht bringen lassen! "Warum?" wiederholte er. "Warum bist du mitgekom men?" "Nennen wir es weibliche Neugier", sagte sie lächelnd und fand ihre schauspielerische Leistung oscarreif. "Ich glaube, dass keine Frau der Versuchung widerstehen könnte herauszufinden, wie ihr Exmann denn so lebt." "Ja, ich verstehe." Nur mit Mühe konnte er sich ein Lä cheln verkneifen. "Und wie findest du die Lebensum stände deines Exmannes?" Paradiesisch, wollte sie schon sagen, aber das erschien ihr dann doch etwas zu dick aufgetragen - und vor allem verräterisch! "Ganz nett." "Ach, wirklich?" meinte er amüsiert, legte den Arm um
sie und zog sie an sich. Na endlich! dachte Scarlett und kuschelte sich ganz eng an seine breite Brust. "Und davor?" Sie seufzte. "Wovor?" "Bevor du dein Gewissen entdeckt hast und der WAO beigetreten bist. All diese Fotos von dir - mit all den Männern. Hast du da etwa an einer Gesellschaftsstudie gearbeitet?" Indigniert richtete sie sich auf. "Diesen vorwurfsvollen Ton kannst du dir ruhig sparen! Wenn du es genau wis sen willst, es war stinklangweilig! Nervtötend, diese gan zen Partys! Aber irgendwie musste ich die Zeit totschla gen, weil..." "Weil?" Zornig funkelte ihn an. "Weil ich dich vermisst habe!" Er stieß einen langen Seufzer aus. "Nicht sehr lange natürlich", fügte sie hastig hinzu. "Interessant." "Interessant!" äffte sie ihn nach. "Zum Teufel, Liam warum küsst du mich nicht endlich?!" "Ich dachte schon, du würdest das nie mehr fragen." Lachend zog er ihren Kopf auf seinen Schoß und wurde sofort wieder ernst. Lange sah er sie schweigend an, und in seinen Augen stand noch immer eine Frage. "Was ist denn noch?" Scarlett seufzte, aber es war kein ungeduldiges, sondern ein trauriges Seufzen, denn sie wusste, was nun kam. "Ich will nur noch eines wissen, Scarlett, muss wissen, warum. Warum hast du mich wegen des Babys belogen? Nur, damit ich dich heirate?" "Ohne Schwangerschaft hättest du mich doch nicht ge
heiratet, oder?" Er schwieg einen Moment und schüttelte dann den Kopf. "Nein", bekannte er. "Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt - kurz vor dem Studium!" Na, wenn das keine diplomatische Antwort war! "Das dachte ich mir schon. Deswegen ist es wahrscheinlich auch passiert." "Was ist passiert?" fragte er verständnislos. Scarlett setzte sich auf und verschränkte die Finger im Schoß. Sie hatte es noch niemandem erzählt, keiner Men schenseele. Nur der Arzt, der sie lange danach behandelt hatte, wusste es. Würde sie den Mut finden, es Liam zu erzählen? "Schatz - was ist passiert?" Sein sanfter Tonfall war der Auslöser, aber vielleicht bewog sie auch der sanfte Blick aus diesen blauen Au gen. Ja, dachte sie, Liam verdient es, dass ich es ihm sa ge. "Ich habe dich nicht belogen wegen der Schwanger schaft, aber es gab keine Schwangerschaft." "Du sprichst in Rätseln." "Mir war es damals auch ein Rätsel." Sie seufzte. "Meine Periode ist dreimal ausgeblieben, meine Brüste haben weh getan, und mir war jeden Morgen übel. Und wir hatten ohne Schutz miteinander geschlafen. Aber ich hatte Angst, zum Doktor zu gehen." "Ich weiß", sagte er leise und erinnerte sich an den Tag, als sie es ihm erzählt hatte. "Es war eine Scheinschwangerschaft, wie mir ein Arzt später erklärte. Mein Körper hat all die Symptome erzeugt, die auftre ten, wenn man ein Baby erwartet. Wahrscheinlich, weil ich mich im Geheimen nach einem Kind von dir sehnte
und weil ich wusste, dass dich das an mich binden wür de:" Sosehr sie sich auch um Sachlichkeit bemühte, bebte nun doch ihre Stimme. "Anscheinend ist es eine Art hys terische Reaktion - bei jungen Mädchen soll es öfter vor kommen ..." "Scarlett. Scarlett. Liebling." Er zog sie wieder an sich, und sie ließ sich in seine Arme fallen, schloss die Augen und ließ sich streicheln und wiegen, bis er sie von sich schob, um sie ansehen zu können. "Warum, um Himmels willen, hast du mir nichts davon gesagt?" "O Liam! Wie denn? Als ich entdeckte, dass ich doch nicht schwanger war, hatte ich nur noch Angst, dich zu verlieren. Die Vorstellung, dass ich dich quasi unter Vor spiegelung falscher Tatsachen soweit gebracht hatte, mich zu heiraten, war entsetzlich! Und noch dazu zu die sem Zeitpunkt! Du wolltest doch studieren und hattest dir so viel vorgenommen für dein Leben ..." Er nickte. "Und warum hast du dich nicht mit mir ge troffen, als ich dich darum bat? Warum hast du Humph rey geschickt?" "Ich war wie in Trance, hatte einen Schock. Du warst fort, und dein Baby bekam ich auch nicht. Mein Leben erschien mir wie ein einziger Trümmerhaufen." Die Er innerung an diese schreckliche Zeit machte ihr so zu schaffen, dass sie tief durchatmen musste, bevor sie wei ter sprechen konnte. "Humphrey überzeugte mich schließlich, dass es besser sei, wenn eine neutrale Person versuchen würde, die Angelegenheit zu regeln." "Neutral!" höhnte er. "Ha! Ausgerechnet Humphrey! Weißt du etwa nicht, dass er mir Geld angeboten hat?" Entsetzt riss Scarlett die Augen auf. "Das kann doch nicht wahr sein!"
"Doch", bestätigte er grimmig. "Er sagte, du wolltest die Ehe auflösen, und versicherte mir, dass er es großzü gig honorieren würde, falls ich versprechen sollte, mich für immer von dir fernzuhalten. Ja, er ging sogar soweit, zu behaupten, dass ich meine angebliche Liebe zu dir am besten unter Beweis stellen könnte, indem ich dich frei gab." Liam verzog verächtlich das Gesicht und ergänzte: "Da es dir ohne mich ja viel besser gehen würde." "Aber warum hast du dir das alles überhaupt angehört?" Er nahm ihre Hände und drückte auf jede einen zarten Kuss. "Weil ich dachte, dass in dem, was er sagte, ja viel leicht doch ein Körnchen Wahrheit steckte. Ich hatte doch nichts - kein Vermögen, keine Zukunftsaussichten, nichts. Und dann dachte ich daran, wie wir beide die zwei Monate lang gelebt hatten, wie arm wir gewesen waren, und konnte mir sogar vorstellen, dass du die Hei rat bereutest und dass es dir ohne mich wirklich besser gehen würde. Aber bevor ich Humphreys Angebot ange nommen hätte, hätte ich lieber geschworen, mein Leben lang arm zubleiben. Also sagte ich ihm, wo er sich sein Geld hinstecken konnte, und er ging." "Kein Wunder, dass du ihn hasst. Vor allem nach dem, was er deiner Mutter angetan hat." Liam schüttelte den Kopf. "Ich hasse ihn nicht, Scarlett. Eher schon tut er mir leid. Weil für ihn nichts anderes zählt als Geld und eine makellose Fassade." Er zeichnete mit dem Finger eine Ader nach, die bläulich durch die zarte Haut an Scarletts Handgelenk schimmerte. "Als ich dann all die Fotos von dir und deinen gesell schaftlichen Ereignissen in den Zeitungen sah, dachte ich, dass ich wahrscheinlich die richtige Entscheidung getroffen hatte." "Oje", sagte sie niedergeschlagen. "Welch ein fürchter
licher Schlamassel Liam! Was tust du da?" Er war aufgestanden, zog sie zu sich hoch und grinste übers ganze Gesicht. "Irgendwie habe ich schon die gan ze Zeit das Gefühl, dass du mich am liebsten vergewalti gen würdest." Als sie ihn verblüfft ansah, fügte er feier lich hinzu: "Hiermit gebe ich dir die Erlaubnis, genau das zu tun." Er legte ihr den Arm um die Schultern und ging mit ihr zu einer Tür, die offensichtlich in sein Schlaf zimmer führte. Seltsam, da hatte sie sich so lange nichts sehnlicher gewünscht, und nun, kurz vorm Ziel, war sie schrecklich befangen. Doch in ihre Befangenheit mischte sich Erre gung. Er stieß mit dem Fuß die Tür auf, und sie betraten das Schlafzimmer. Das erste, was Scarlett sah, war das Fenster. "Man schaut ja gar nicht auf die Stadt!" rief sie erfreut. Statt eines Häusermeers erstreckte sich unter ihr glitzernd blau der Indische Ozean. Stirnrunzelnd sah er sie an. "Was?" "Von deinem Fenster aus hat man gar keinen atembe raubenden Blick auf die Stadt!" "Ich verstehe nur Bahnhof." "Kelly hat gesagt, man schaue auf die Stadt, aber das stimmt nicht. Also kann sie auch nicht in diesem Zimmer gewesen sein", folgerte Scarlett messerscharf. Liam packte sie an den Schultern und sah sie grimmig an. "Natürlich war sie nicht in diesem Zimmer. Dass ich eine Frau kenne, heißt doch nicht automatisch, dass ich mit ihr geschlafen habe. Im übrigen ..." "Was willst du damit sagen?" Er schüttelte den Kopf. "Nicht wichtig. In diesem Mo
ment ist nur eines wichtig, Scarlett, und das ist, dass du mich küsst. Wenn du es nämlich nicht tust..." Scarlett stellte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihn kurzerhand mit einem Kuss zum Schweigen. Es war ein wunderbarer Kuss - zärtlich und doch voller Leidenschaft und er löste in Scarlett einen solchen Ge fühlssturm aus, dass sie ernsthaft fürchtete, jeden Mo ment in Tränen auszubrechen. "Mmm. Du bist toll", flüsterte Liam ihr schließlich ins Ohr. "Einfach toll." "Du aber auch", gab sie das Kompliment mit bebender Stimme zurück. Während sie sich geküsst hatten, hatte Liam ihr bereits die grüne Seidenbluse ausgezogen, so dass sie jetzt nur noch in Jeans und Body vor ihm stand. Sanft strich er über die Rundungen ihrer Brüste. "Der Erfinder dieses Kleidungsstücks muss ein Sadist gewesen sein", stellte er brummig fest. "Denk nur, wie schwierig es wird, dich da herauszubekommen." "So schwierig wird das schon nicht werden", meinte sie schalkhaft. "Das Ding hat ja schließlich Knöpfe." "Lass sehen!" forderte er sie auf, legte sich aufs Bett und beobachtete sie unter halbgeschlossenen Lidern. Es war der erste Striptease ihres Lebens. Sie schleuder te gekonnt ihre Segeltuch-Slipper von den Füßen, schlängelte sich verführerisch aus den engen Jeans - und dann verließ sie auf einmal der Mut. "Komm her", sagte Liam, der ihre Scheu bemerkt hatte, und sie lief zum Bett und warf sich in seine Arme. "Soll ich den Rest ausziehen?" "Ja, bitte." Seine Hand glitt über ihre Brüste, über ihren flachen
Bauch und noch tiefer, bis er zwischen leicht gespreizten Beinen die drei winzigen Knöpfe gefunden hatte. "Mmm", machte er genüsslich. "Ich glaube, es wird doch nicht so schwer." Die zarte Berührung, die sie durch den dünnen Stoff fühlte, ließ sie ungeduldig werden. Sie wollte seine Fin ger spüren, und zwar ohne Stoff dazwischen! Der erste Druckknopf sprang auf. Machte Liam absichtlich so langsam? Wollte er sie quälen? Sie spreizte die Beine etwas weiter. Der zweite Druckknopf. Wenn er sie jetzt nicht bald an fasste, würde sie noch verrückt! Der dritte Knopf - na endlich! Scarlett stöhnte erleich tert auf, und fast schlagartig verwandelte sich das Stöh nen in ein lustvolles, denn Liams Finger rieben, drückten, zupften zwischen Ihren Beinen, bis die dunklen Löck chen ihres Dreiecks feucht wurden. "Bei genauem Hinsehen", flüsterte er rau, "ist das sogar ein außerordentlich praktisches Kleidungsstück. Stell dir nur vor, bloß drei Knöpfchen, jederzeit und überall..." "Sei still und komm her." Sie zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Der Kuss schien nicht enden zu wollen, und wenn es nach Scarlett gegangen wäre, hätte er auch nicht geendet, aber Liam hatte noch mehr vor. "Zieh das Ding jetzt endlich aus", sagte er heiser und zerrte an seinem Gürtel. Scarlett kniete sich hin und zog sich den Body langsam über den Kopf, ohne dabei den Blick von Liam zu wen den. Als sich ihm ihr nackter Körper in seiner ganzen Schönheit darbot, blitzten seine Augen in freudiger Er wartung. Er kämpfte mit den Knöpfen seines Hemdes, während
er wie hypnotisiert auf Scarletts, volle Brüste sah. "Hilf mir doch", sagte er, als es ihm nicht gelingen wollte, das Hemd zu öffnen, ohne hinzusehen. So, jetzt bist du an der Reihe, dachte Scarlett schaden froh, denn nun wollte sie ihn genauso auf die Folter spannen, wie er es mit ihr getan hatte. Sie beugte sich über ihn, lächelte ihn verführerisch an und legte eine Hand auf die Stelle, die sich unter seinen Jeans mehr als deutlich abzeichnete und sehr, sehr emp findsam war. "Helfen soll ich dir?" Mit sanftem Druck beschrieb ihre Hand kleine Halbkreise. "So vielleicht?" "Du Hexe", stieß er rau hervor, riss sein Hemd auf, dass die Knöpfe nur so davonflogen, streifte es ab und warf es auf den Boden. Dann schob er ungeduldig Scarletts Hand weg, öffnete den Reißverschluss seiner Jeans und zog in einem die Hose mitsamt den Boxershorts, die er darunter trug, aus. Nun war auch er nackt. Scarlett befeuchtete sich die Lippen bei seinem Anblick. Bevor sie ihn jedoch so rich tig genießen konnte, wurde sie von Liam schon gepackt und aufs Bett gedrückt. Er legte sich halb über sie und streichelte und küsste sie, bis sie es vor Verlangen kaum mehr aushielt. "Willst du mich wirklich, Scarlett?" fragte er heiser. "Willst du mich jetzt gleich?" "Oh, ja! Oh, bitte, ja!" Als er sich in Position brachte, hob Scarlett die Hand und fuhr ihm zärtlich durchs Haar. Irgend etwas an dieser liebevollen Berührung musste ihn jedoch irritiert haben, denn er rollte sich von Scarlett herunter und kniete sich unter ihren fassungslosen Bli cken ans äußerste Ende des Betts. Als er sie ansah, fun kelten seine Augen wie wild.
"So geht das nicht!" stieß er hervor. "Ich kann's nicht! Tut mir leid, Scarlett, aber ich kann nicht mit dir schla fen!"
11. KAPITEL Scarlett glaubte, nicht richtig gehört zu haben. "Was hast du gesagt?" "Ich habe gesagt, dass ich nicht mit dir schlafen kann." Leise seufzend setzte sie sich auf und legte eine Hand auf seinen Arm. "Liam", flüsterte sie, "ich bin doch genauso nervös wie du." Er schnaufte abfällig. "Nervös? Verzeih mir, Scarlett vielleicht hätte ich mich etwas klarer ausdrücken sollen. Setz einfach ,werde' für ,kann' ein." "Werde?" wiederholte sie verwirrt. "Genau", bestätigte er grimmig. "Aber warum?" "Schau dich doch an", rief er vorwurfsvoll. "Schau an, was du trägst!" Sie blickte an ihrem nackten Körper hinab und war nun völlig verwirrt. "Aber ich habe doch gar nichts an!" "Wirklich nicht?" Er packte ihre linke Hand und hielt sie ihr vors Gesicht. "Und was ist das?" "Was? Liam, bist du jetzt total übergeschnappt?" "In meinem Bett!" ereiferte er sich. "Du in meinem Bett mit nichts an als diesem verdammten Verlobungsring! Tut mir leid, Scarlett, aber solange du den Ring eines anderen trägst, werde ich nicht mit dir schlafen!"
Scarlett lächelte. "Das ist doch kein Problem!" Sie zog den Ring vom Finger, legte ihn auf den Nachttisch und sah Liam erwartungsvoll an, aber der schüttelte nur grimmig den Kopf. "Sorry, Scarlett - du scheinst nicht zu verstehen." Er stand auf und schlüpfte in Boxershorts und Jeans. "Ob du ihn am Finger hast oder ob er auf dem Nachttisch liegt, macht keinen Unterschied. Es geht ums Prinzip. So leid es mir tut, aber solange du mit einem anderen Mann ver lobt bist, kann ich nicht mit dir schlafen. Wir werden also nach England fliegen müssen, und du wirst Henry sagen, dass es vorbei ist. Dann, und wirklich erst dann, können wir beide es wie der miteinander versuchen." Nur mit Mühe unterdrückte Scarlett ein schallendes La chen. "Du gehst also davon aus, dass ich Henry sage, es sei vorbei." "Natürlich gehe ich davon aus!" meinte er entrüstet und fügte erklärend hinzu: "Scarlett, du bist nicht die Frau, die gleichzeitig zwei Männer haben kann!" Und sie hatte geglaubt, er habe sich geändert! Scarlett fand das ganze einfach herrlich. Wenn er aus lauter Ei fersucht mit so altmodischen Phrasen daherkam, war er ganz ihr alter, leidenschaftlicher Liam, für den es nur Schwarz oder Weiß gab und dazwischen nichts. "Du ziehst dich also besser wieder an", legte er ihr na he. Scarlett lehnte sich zurück und rekelte sich wie ein Vamp in den Kissen. "Ich fürchte, ich kann das nicht, Liam", schnurrte sie. "Ich werde dir jedenfalls nicht helfen, wenn es das ist, was du meinst!" "Das meine ich nicht. Ich wollte sagen, dass ich nicht
heim fliegen und Henry sagen kann, es sei vorbei ..." Als er auf sie zustürmte, fand sie das noch richtig aufregend, doch dann packte er sie hart an den Schultern und schüt telte sie wie ein Besessener. "Was hast du da gesagt?" schrie er unbeherrscht. "Ich kann es nicht, weil ich es schon getan habe", er klärte sie rasch, denn sein Wutausbruch machte ihr wirk lich angst. "Ich habe die Verlobung schon aufgelöst. Kurz bevor ich mit dir nach Australien flog." "Wie bitte?" Konsterniert ließ er sich aufs Bett fallen. "Warum?" "Warum was?" "Lass doch diese blöde Fragerei!" fuhr er sie an. "Wa rum du die Verlobung gelöst hast, will ich wissen!" Pass auf, Scarlett, dachte sie, verrate ihm nicht zuviel! "Weil ich ... weil ich das Gefühl hatte, dass es ... dass es mit uns so kommen könnte." Sein Blick war voller Misstrauen. "Und warum trägst du dann immer noch seinen Ring?" "Weil du mich - wie du dich vielleicht erinnerst - ziem lich überstürzt in dieses Land gebracht hast", erklärte sie spitz. "Ich hatte keine Zeit, ihn auf die Bank zu bringen, und in meiner Wohnung gibt es leider keinen Safe. Damit er nicht gestohlen wird, bevor ich Gelegenheit habe, ihn zurückzugeben, ließ ich ihn also einfach an." Er stand auf, blickte eine halbe Ewigkeit auf Scarlett, dann auf den Ring und wieder auf sie. Schließlich lächel te er, "Zum Teufel damit!" rief er, griff sich den Ring und warf ihn in hohem Bogen aus dem Fenster. Mit entsetztem Blick verfolgte Scarlett den Weg, den der Ring beschrieb, bevor er Gott weiß wo landete. "Bist du verrückt?" schrie sie. "Warum hast du das ge
tan?" "Weil ich will, dass er der Vergangenheit angehört genau wie deine Verlobung!" "Aber er hat ein Vermögen gekostet!" "Keine Sorge - ich werde ihn ersetzen", meinte er lässig und kam zum Bett zurück. Scarlett wollte es nun genau wissen. "Liam?" "Ja?" "Warum hat es dich so sehr gestört, dass ich diesen Ring getragen habe?" "Kannst du dir das denn wirklich nicht denken?" Er sah sie an, als zweifelte er an ihrem Verstand. "Weil an dei nen Finger nur ein Ring gehört - der, den ich dir anste cke!" Nach flüchtiger Affäre klang das nun wirklich nicht, oder? "Heißt das, es soll etwas - Dauerhaftes werden?" fragte sie zaghaft. "Natürlich soll es das! Was denkst du denn? Ich liebe dich! Ich liebe dich wie verrückt - und zwar schon im mer. Und irgendwann wirst auch du von deinem hohen Ross herunterkommen und zugeben, dass du mich auch liebst!" Scarlett sah ihn verblüfft an. "Du liebst mich?" Liam nickte. "Und damals hast du mich auch schon geliebt?" Scarlett konnte es kaum glauben. "Ja, aber jetzt liebe ich doch sogar noch mehr." "Und warum hast du mir das nie gesagt?" fragte sie vorwurfsvoll. Er lächelte schuldbewusst. "Aus Gründen, die vielleicht zu kompliziert sind, um sie zu erklären. Ich war über zeugt, dass deine so genannte Liebe zu mir nur ein vorü bergehender Teenagerspleen sei und dass du über kurz
oder lang deine Meinung ändern würdest. Deshalb wollte ich dir meine wahren Gefühle nicht of fenbaren, denn ich hatte irgendwie die Vorstellung, dass es dir - wenn du deine Meinung änderst - leichter fallen würde, mich zu verlassen, wenn du nicht weißt, wie ich wirklich für dich empfinde." Doch da war noch etwas, das sie nicht verstand. "Aber morgen hättest du mich in aller Ruhe wieder zu rück nach England fliegen lassen - fort aus deinem Le ben." Liam schüttelte den Kopf. "Zurück nach England, ja. Fort aus meinem Leben, nein. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich dich nicht zwingen würde hier zu bleiben, wenn du lieber wieder nach Hause wolltest. A ber ich wäre mit dir geflogen, denn mir war plötzlich klar geworden, dass es nicht nötig war, dich von deiner ver trauten Umgebung zu isolieren, um dich zurück zu ge winnen." "O Liam, ich liebe dich", flüsterte sie leidenschaftlich. "Ja, das tue ich wirklich." Wie er sie bei diesen Worten ansah, würde sie ihr Le ben lang nicht vergessen, aber das mit dem Ring wollte sie ihm doch noch schnell heimzahlen. Sie erhob sich und stolzierte zur Tür. "Wohin gehst du denn?" fragte er konsterniert. Unschuldig wie ein Kind sah sie ihn aus großen Augen an. "Zu meinem Koffer. Du hast doch gesagt, ich soll mich anziehen." "Du kleine Hexe!" rief er da, war mit einem Satz bei ihr und riss sie lachend mit sich zu Boden. Der dicke, samt weiche Teppich dämpfte ihren Fall, als sie unter Liam zu liegen kam. "Oh, Liam, ich liebe dich", flüsterte sie wieder und hät
te die Worte, die sie so lange zurückgehalten hatte, am liebsten noch tausendmal wiederholt. "Dann zeig es mir doch endlich", bat er heiser, und das ließ sie sich nicht zweimal sagen. "Hallo, Schatz." "Du kommst aber spät", bemerkte Scarlett lächelnd, als Liam ihre Suite betrat. Sie waren schon eine Woche in London und hatten sich im Ritz eingemietet. Lange konnte es nun nicht mehr dauern, bis der ganze Papierkrieg erledigt war und Scar lett ihre Aufenthaltserlaubnis für Australien bekam. Am Tag zuvor waren sie bei Scarletts Anwältin, Fran ces, gewesen, und hatten der verblüfften Dame mitgeteilt, dass sie die Scheidung abblasen könne. "Das kann ich gut verstehen", hatte Frances trocken festgestellt, nachdem sie Liams stattliche Gestalt von Kopf bis Fuß gemustert hatte. Liam kam zu Scarlett, die in einem Sessel beim Fenster gelesen hatte, und gab ihr einen langen zärtlichen Kuss. "Mmm. Genau das hat mir gefehlt." Er ließ sich in den Sessel neben ihrem sinken und sagte: "Das war aber ein langer Tag." Sie stand auf ."Willst du einen Drink?" "Ich will dich. Komm her." Er zog sie auf seinen Schoß. "Warst du bei Henry?" "Ja." "Und was hat er gesagt?" "Im ersten Moment schien er zwar etwas irritiert, aber das gab sich rasch, als ich ihm erklärte, dass ich ihm den Kaufpreis des Ringes ersetzen würde." Liam lächelte. "Er hat mindestens das Doppelte verlangt, aber ich ließ ihn gewähren. Da ich dich bekommen habe, dachte ich mir,
kann ich ruhig etwas großzügiger sein." "War er - sehr traurig?" Liam sah sie aus den Augenwinkeln an. "Willst du die Wahrheit hören?" "Natürlich!" "Nun, als ich erwähnte, dass du dein ganzes Geld in ei ne Wohltätigkeitsorganisation steckst, wurde er etwas blass um die Nase. Und als ich ihm dann noch erzählte, dass auch Humph rey nicht gerade auf Rosen gebettet sei, schien er fast erleichtert zu sein, berichtete er und fügte hinzu: "Weißt du was, Schatz? Ich glaube, dein Henry ist nichts weiter als ein mieser kleiner Mitgiftjäger." Er runzelte die Stirn und schien zu überlegen. "Du musst natürlich nicht ant worten, aber eines verstehe ich bis heute nicht - wie bist du ausgerechnet auf Henry gekommen?" Scarlett fuhr mit den Fingern durch sein dichtes schwarzes Haar und seufzte. "Ich war achtundzwanzig und wusste, dass ich mich nie mehr verlieben würde meine große und einzige Liebe warst ja du. Henry schien Liebe gar nicht zu erwarten, sondern eine Ehe mit mir eher unter dem traditionellen Aspekt zu betrachten'', er klärte sie und fügte hinzu, als sie Liams fragenden Blick sah: "Na, du weißt schon - Sohn aus gutem Haus heiratet Tochter aus gutem Haus. Er war überzeugt, dass unsere Ehe funktionieren würde, und schließlich ließ auch ich mich überzeugen. Wenn er allerdings wirklich nur hinter meinem Geld her war, kann ich mir schon vorstellen, dass er erleichtert war, als ich die Verlobung löste." Sie hielt inne und dachte einen Moment nach. "Etwas so Un gewöhnliches ist eine solche Heirat übrigens gar nicht viele Leute gehen Ehen ein, in denen die Liebe nicht an erster Stelle steht - Vernunftehen eben."
"Entsetzliche Vorstellung!" Er schüttelte sich. "Nur gut, dass das bei uns ganz anders ist." "Ja, das finde ich auch." Sie lächelte glücklich, doch dann zog sie die Stirn kraus, als sie an ihren Exverlobten dachte. "Armer Henry." "Vielleicht ist er gar nicht so arm dran." Auch Liam lä chelte, aber schalkhaft. "Soviel ich gehört habe, macht er deiner Freundin Camilla den Hof." Scarlett kicherte. "Camilla ist stinkreich, und - und das ist der Clou sie sucht verzweifelt einen Mann." "Na, dann ist Henry ja an der richtigen Adresse." "Und Humphrey? Hast du ihn auch besucht?" Er nickte. "Ja, Ich habe ihm gesagt, dass er sich mit der Rückzahlung der Darlehen Zeit lassen kann, sie aber auf jeden Fäll zurückzahlen muss. Er hat sogar zugegeben, dass er schon vermutet hätte, dass hinter den Käufern seiner Besitztümer ich steckte." "Und genau deshalb hat er versucht, meine Hochzeit mit Henry so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen", argwöhnte Scarlett. "Stimmt genau", bestätigte Liam grimmig; "Deine Mut ter habe ich übrigens auch gesehen. Habe ihr gesagt, dass wir nächste Woche zu Besuch kommen. Vielleicht haben sie sich bis dahin ja schon an den Gedanken gewöhnt, dass wir wieder zusammen sind. Natürlich habe ich ihnen auch gesagt, dass sie uns in Australien jederzeit will kommen sind." Scarlett umarmte ihn stürmisch. "O Liam, das hast du wirklich getan?" "Klar. Vergangenheit hin, Vergangenheit her, sie gehö ren zur Familie und dementsprechend behandle ich sie." "Du bist süß." "Scarlett, ich bin nicht süß!" sagte er streng. "Ich habe
nur ein ziemlich weiches Herz, wenn es um dich geht. Ach, übrigens ..." Er griff in seine Hosentasche und holte ein kleines Kästchen hervor. "Was ist das?" "Wenn ich mich recht erinnere, hast du Kelly erzählt, dass ich für einen Ring kein Geld hatte", meinte er lä chelnd. "Das ist jetzt zum Glück anders." Er öffnete das Kästchen, und zum Vorschein kam ein rechteckiger Topas, der von kleinen funkelnden Diaman ten umgeben war. "O Liam", sagte sie atemlos. "Ist der schön! Und so au ßergewöhnlich! Einfach wundervoll!" "Genau wie ich!" "Du bist wirklich der arroganteste Mann auf der Welt!" "Hauptsache, du liebst mich." Er lächelte. "So, und nun komm. Lass ihn dir anstecken." Der Ring passte wie angegossen. "Das Gold hat die gleiche Farbe wie deine Augen", sag te er zärtlich. "O Liam!" "Etwas anderes als ,O Liam' fällt dir wohl nicht mehr ein?" fragte er augenzwinkernd. "Doch." Sie gab ihm einen Kuss. "Ich liebe dich." "Na, dann ist's ja gut." Liebevoll strich er über ihr lan ges pechschwarzes Haar. "Hast du Hunger?" "Und wie!" "Möchtest du hier essen oder ausgehen?" Scarlett zeichnete mit dem Zeigefinger die Konturen seiner Lippen nach. "Ist mir egal." "Wenn ich mir's recht überlege", meinte er und ließ ei nen vielsagenden Blick über ihre Brüste gleiten, "könnten wir das Essen ja auch etwas verschieben, oder?"
Scarlett signalisierte ihr Einverständnis mit einem Kuss, den er leidenschaftlich erwiderte, doch dann wurde er plötzlich ganz ernst. "Es gibt etwas, das du wissen solltest, Scarlett." Er um fasste ihr Gesicht mit beiden Hände und sah sie eindring lich an. "Welchen Blick man von meinem Schlafzimmer fenster aus hat, weiß außer mir nur ein Mensch - und das bist du." Verständnislos blickte sie ihn an, doch dann machte ihr Herz einen Freudensprung. "Heißt das ...?" "Das heißt, dass es für mich nie eine andere Frau gege ben hat. Du bist die einzige. Warst es immer, bist es und wirst es immer bleiben." Er zog sie fest an sich. "Alles, was ich tat, tat ich für dich. Den ganzen Erfolg - ich woll te ihn nur für dich." "Willst du damit sagen, dass du geplant hast, zu mir zu rückzukommen?" Der Verzweiflung nahe, sah er sie an. "Natürlich habe ich es geplant! Nur nicht, dass es so lang dauern würde. Als du dich aber verlobt hast, wusste ich, dass ich rasch handeln musste." "Und das hast du ja auch getan", flüsterte sie zärtlich, doch dann schlug sie die Hand vor den Mund. "Das Fest für deine Geschäftspartner!" rief sie. "Bei dem ich die Gastgeberin spielen sollte! Ach, Liam", seufzte sie be kümmert, "fällt das Geschäft jetzt ins Wasser?" . Blaue Augen funkelten schalkhaft. "Schatz, ich muss gestehen, dass ich diesen Geschäftsabschluss nur erfun den habe, um dich nach Australien zu locken." "Oh, du!" rief sie entrüstet. "Skrupel kennst du wohl gar keine?" "Ich fürchte, nein." Er sah sie mit einem Blick an, der
ihr Herz sofort schneller schlagen ließ, und sagte ernst: "Eines lass mich klarstellen, Scarlett. Das ist ein neuer Anfang für uns, und ich will ganz von vorn beginnen und zwar nächste Woche." Als sie nicht recht zu verste hen schien, fügte er hinzu: "Was hältst du von vier Wo chen Bali?" "Bali?" fragte sie gespannt. "Was sollen wir denn auf Bali?" "Flitterwochen machen. Endlich unsere Flitterwochen nachholen." Er senkte die Stimme zu einem samtweichen Flüstern. "Ich liebe dich, Scarlett - mehr als ich mit Wor ten sagen kann." Mein ganzes Leben mit ihm wird wie endlose Flitter wochen sein, dachte sie träumerisch. Aber auf die Nase binde ich ihm das nicht, sonst wird er am Ende noch grö ßenwahnsinnig! "Ich liebe dich auch, Liam, aber könntest du jetzt bitte endlich still sein und mich küssen?" "Oh, Scarlett, was soll ich bloß mit dir machen, du vor lautes kleines Gör?" Ihr Blick sprach Bände. "Keine Sorge, Liebling", flüs terte sie und ließ die Hände über seine Brust und tiefer gleiten. "Da wird uns schon was einfallen!" ENDE