Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen
Marcus Kriele • Jochen Wolf
Wertorientiertes Risikoma...
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Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen
Marcus Kriele • Jochen Wolf
Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen
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Dr. Marcus Kriele FINMA (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht) Aufsicht Lebensversicherung Einsteinstrasse 2 Bern Schweiz
Prof. Dr. Jochen Wolf Fachhochschule Koblenz Fachbereich Mathematik und Technik Südallee 2 Remagen Deutschland
ISBN 978-3-642-25805-3 e-ISBN 978-3-642-25806-0 DOI 10.1007/978-3-642-25806-0 978-3-642-25806-0 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Mathematics Subject Classification (2010): 91B30, 91B70 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Die wert- und risikoorientierte Unternehmenssteuerung ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Steuerung von Unternehmen. Dieser Ansatz umfasst Komponenten, die klassisch im Controlling oder im Aktuariat angesiedelt waren, wodurch eine fachübergreifende Herangehensweise notwendig wird. Durch seine Betonung der Messung von Risiken sehen wir hier ein neues, sich dynamisch entwickelndes Aufgabengebiet für Aktuare. In diesem Buch versuchen wir, das dafür notwendige Basiswissen aus der Aktuarsperspektive zu vermitteln. Unsere Sprache ist hier daher die der Mathematiker. Für die Kommunikation im Unternehmen müssen die hier vorgestellten Konzepte natürlich in die allgemeine Sprache übersetzt werden. Es ist auch die Aufgabe des Aktuars, dass bei dieser Übersetzung die Kernaussagen erhalten bleiben, ohne dass der Adressat mathematisch überfordert wird. Da jede Messung sowohl mit einem Messfehler als auch mit Modellfehler behaftet ist, war es uns ein besonderes Anliegen, die Grenzen der besprochenen Methoden aufzuzeigen. Das vorliegende Buch wurde als Begleittext zum Modul „Wertorientiertes Risikomanagement“ der Aktuarsausbilung der Deutschen Aktuarvereinigung e.V.1 (DAV) konzipiert und umfasst den gesamten Lehrplan für dieses Fach. Das Buch greift jedoch nicht auf andere Module zurück und kann unabhängig von der Aktuarsausbildung gelesen werden. Außerdem haben wir zusätzlich einige weiterführende Themen behandelt, die wir für wichtig halten, die jedoch den Rahmen eines DAV-Moduls sprengen würden. Das Kapitel 7 zur wertorientierten Unternehmenssteuerung enthält Übungen, die den Leser zu einer besonders intensiven Beschäftigung mit diesem Gebiet animieren sollen. Zu den meisten dieser Übungen gibt es mehr als eine Lösung. Das Buch enthält Code-Beispiele, die in der Skriptsprache der statistischen Programmumgebung R [43] geschrieben sind. R ist unter GNU 2.0 lizensierte2 Open Source Software und kann kostenlos von der Website http://cran.r-project.org/ 1
http://www.aktuar.de Das R Core Team ist der Ansicht, dass diese Lizenz die Anwendung von R und R-Packages für kommerzielle Anwendungen (incl. Beratungstätigkeiten) gestattet [31].
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für die gängigen Betriebssysteme Linux, OSX, Windows heruntergeladen werden. Neben dem Basispaket wird die copula Bibliothek [52] benutzt, die ebenfalls unter der gleichen Lizenz von der angegebenen Website heruntergeladen werden kann. Der hier abgedruckte Code ist rein für Lehrzwecke gedacht. Die Autoren lehnen ausdrücklich jede Verantwortung für die Korrektheit oder Eignung zur Unternehmenssteuerung ab. Wir haben dieses Buch gemeinsam geschrieben und redigiert. Allerdings gibt es für jeden Abschnitt einen Autor, der sich besonders verantwortlich fühlt. Marcus Kriele: 2, 3, 4.1, 4.3, 4.4.3, 4.5, 4.6, 5, 6, 7 Jochen Wolf: 1, 4.2, 4.4, 4.5.3, 8
Bei der Verfassung dieses Buchs haben wir intensiv von der Open Source Software Gebrauch gemacht, insbesondere vom Textsatzprogramm LATEX [41], von dem auf LATEX basierenden Textverarbeitungsprogramm LYX [49], vom LATEX-GraphikPaket TikZ [48], vom Editor Emacs/Aquamacs [30, 2] sowie von R [43]. Unser besonderer Dank gilt den Entwicklern, die der Öffentlichkeit derart ausgereifte Werkzeuge zur Verfügung gestellt haben. Wir möchten uns ganz herzlich bei Guido Bader für seine vielen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge bedanken. Unserer ganz besonderer Dank gilt Damir Filipovi´c. Dieses Buch basiert auf einem Skript, dass wir gemeinsam geschrieben hatten. Abschnitt 4.6.1 ist eine Erweiterung der von ihm geschriebenen Originalversion und Abschnitt 5.3 wurde unverändert von ihm übernommen. Darüber hinaus konnten wir den Text aufgrund seiner Kommentare und aufgrund vieler Diskussionen mit ihm stark verbessern. Die hier dargestellten Ideen spiegeln nicht notwendig die Meinungen unserer gegenwärtigen oder früheren Arbeitgeber wider. Insbesondere sei der Leser für die offiziellen Meinungen oder Verordnungen von BaFin oder FINMA auf ihre Websites und ihre Originalpublikationen verwiesen. New York Remagen Oktober 2011
Marcus Kriele Jochen Wolf
Inhaltsverzeichnis
1
2
Risikomanagementprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Risiko und Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Erfassung und Identifizierung von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Bewertung von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Risikobewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Vermeidung von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Reduzierung von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Transfer von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Risikoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Die Rolle des Verantwortlichen Aktuars im Risikomanagementprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 8 10 10 10 11 15
Risikomaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Idee des Risikomaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Beispiele von Risikomaßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Maße, die auf Momenten basieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Value at Risk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Tail Value at Risk und Expected Shortfall . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Spektralmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Wahl eines guten Risikomaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Risikomaße und Risikointuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Praktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Dynamische Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Filtrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Allgemeine dynamische Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Dynamische Risikomaße auf filtrierten Produktökonomien. . 2.4.4 Eine Klasse dynamischer Risikomaße auf allgemeinen Filtrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 19 20 20 22 24 33 34 34 41 45 47 56 57
16
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vii
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Inhaltsverzeichnis
3
Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.1 Diversifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2 Copulas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.2.2 Tailabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.2.3 Modellierung mit Copulas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.3 Korrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.4 Funktionale Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
4
Risikokapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1 Risikokapital und Kapitalkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.1 Risikokapital als Vergleichsmaßstab für unterschiedliche Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.2 Kapitalkostenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.2 Risikotragendes Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.3 Spielformen des Risikokapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.3.1 Ökonomisches Risikokapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.3.2 Ratingkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.3.3 Solvenzkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . 114 4.4.1 Konzept und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.4.2 Bewertungsansätze für versicherungstechnische Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4.4.3 Implementierungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten nach IFRS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.5 Ansätze zur Modellierung des Risikokapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.5.1 Faktorbasierte Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.5.2 Analytische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.5.3 Szenariobasierte Modelle und Stresstests . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.5.4 Monte Carlo Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4.5.5 Problematik der Rückversicherungsmodellierung . . . . . . . . . 131 4.5.6 Rückkopplung des Investitionsrisikos auf das Kapital . . . . . . 132 4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.6.1 Der Schweizer Solvenztest (SST) als Beispiel für die Modellierung des Risikokapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.6.2 Das Standardmodell in Solvency II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
5
Kapitalallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.2.1 Proportionale Kapitalallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.2.2 Marginalprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.2.3 Spieltheoretische Kapitalallokationsprinzipien . . . . . . . . . . . . 205 5.2.4 Axiomatik von Kalkbrener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Inhaltsverzeichnis
5.3
ix
Kapitalallokation bei Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
6
Erfolgsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6.1 Auf Bilanzdaten basierende Erfolgsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6.2 Gewinnmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.3 Absolute Erfolgsmessgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 6.4 Relative Erfolgsmessgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 6.5 Ein numerisches Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 6.6 Unternehmenswertkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 6.6.1 Perspektive der Unternehmenswertbestimmung . . . . . . . . . . . 250 6.6.2 Deterministische Wertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 6.6.3 Kapitalkostenbasierte Wertbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 6.6.4 Marktkonsistente Wertbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 6.7 Spitzenkennzahl und Nebenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 6.8 Personen- und Schadenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
7
Wertorientierte Unternehmenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 7.1 Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 7.1.1 Die strategische Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 7.1.2 Die Messkomponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 7.1.3 Die organisatorische Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 7.1.4 Die Prozesskomponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7.1.5 Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 7.2 Ein Beispielunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7.2.1 Definition der risikobasiert gesteuerten Unternehmensbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7.2.2 Mitigation von Risiken, für die ökonomisches Kapital nur bedingt geeignet ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 7.2.3 Das ökonomische Kapitalmodell der XYZ AG . . . . . . . . . . . . 282 7.2.4 Kritik am ökonomischen Kapitalmodell der XYZ-AG . . . . . 294 7.2.5 Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 7.2.6 Die organisatorische Komponente der wertorientierten Unternehmenssteuerung bei der XYZ AG . . . . . . . . . . . . . . . . 305 7.2.7 Die Prozesskomponente der wertorientierten Unternehmenssteuerung bei der XYZ AG . . . . . . . . . . . . . . . . 306
8
Aufsichtsrechtliche Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8.1 KonTraG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8.1.1 Zielsetzungen des KonTraG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8.1.2 Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 8.1.3 Implementation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 8.2 Solvabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 8.2.1 Aufgabe der Solvabilitätsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 8.2.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 8.2.3 Solvency I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
x
Inhaltsverzeichnis
8.2.4
Solvency II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
A
Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
B
R-Skript für die SCR-Berechnung im SST Lebens Modell . . . . . . . . . . 343
C
R-Skript für die szenariobasierte Solvency II SCR-Berechnung . . . . . 345
D
R-Skript für die Solvency II SCR-Berechnung der XYZ-AG aus Beispiel 4.13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 D.1 Input Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 D.2 Berechnung des SCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 D.3 Ausgabe der Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
E
R-Skript für das vereinfachte ökonomische Kapitalmodell . . . . . . . . . . 359 E.1 Input Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 E.2 Berechnung des ökonomischen Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 E.3 Ausgabe der Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Kapitel 1
Risikomanagementprozess
1.1 Risiko und Chance Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff „Risiko“ oft weitläufig mit der Gefahr negativer Ereignisse oder Auswirkungen assoziiert. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stellt dagegen ein Risiko die Möglichkeit dar, aufgrund der Unvorhersagbarkeit der Zukunft von dem Planwert oder dem erwarteten Wert einer Zielgröße abzuweichen. Beispielsweise kann der Gewinn eines Versicherungsunternehmens höher oder niedriger ausfallen, als er in der Unternehmensplanung prognostiziert wurde. Betrachtet man ausschließlich Abweichungen vom Planwert in eine Richtung, so spricht man von einem einseitigen Risiko. Sollen jedoch Abweichungen in beide Richtungen betrachtet werden, also im Beispiel höhere und niedrigere Gewinne, so spricht man von einem zweiseitigen Risiko. Ein gutes Risikomanagement richtet seinen Blick nicht ausschließlich auf die negativen Abweichungen, sondern ist in die wertorientierte Unternehmenssteuerung eingebunden. Daher fokussieren wir in diesem Abschnitt auf das Risiko-ChancenProfil als Grundlage für Bewertungen und Entscheidungen der Unternehmenssteuerung. So könnten z.B. zwei Strategien anhand des Chancenmaßes „erwarteter Gewinn“ G und des Risikomaßes „maximaler Verlust V , der höchstens mit einer Wahrscheinlichkeit von 5% überschritten wird“, verglichen werden. Die Entscheidung zwischen beiden Strategien könnte dann anhand einer Kennzahl getroffen werden, die Risiko- und Chancenmaß kombiniert, z.B. anhand des risikoadjustierten Gewinns G/V . Ein anderes Beispiel für die Kombination von Risiko- und Chancenmaß stellt die Bewertung eines Unternehmens durch die Summe der diskontierten zukünftigen Erträge dar, wobei der Diskontierungssatz risikoabhängig ist. Je unsicherer die erwarteten zukünftigen Erträge sind, desto höher fällt der Diskontierungssatz aus, d.h. desto niedriger der Unternehmenswert. Mathematisch wird das Risiko-Chancen-Profil durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben. Mit deren Analyse liefert das Risikomanagement die Grundlage für eine zuverlässige und transparente Unternehmensplanung, die bei adäquater
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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1 Risikomanagementprozess
Einschätzung und Kontrolle der Risiken auf die Chancen des Unternehmens ausgerichtet ist. Ziel unternehmerischen Handelns ist nicht die Risikovermeidung. Ein Versicherungsunternehmen generiert im Gegenteil seine Erträge durch die Übernahme von Risiken. Das Ziel des Risikomanagements besteht daher in der Optimierung des Risiko-Chancen-Profils. Indem die Risiken eines Geschäftsfeldes bewertet werden, kann die Renditeerwartung auf das als Risikopuffer benötigte Eigenkapital mit dem erwarteten Ertrag des Geschäftsfeldes verglichen werden. Risikomanagement unterstützt somit die strategische Ausrichtung eines Unternehmens hin zu chancenreichen Geschäftsfeldern. Der Risikomanagementprozess ist eng mit der Unternehmenssteuerung verzahnt. Um Risiko als Abweichung von den geplanten Zielwerten erfassen zu können, erfordert das Risikomanagement eine transparente und fundierte Unternehmensplanung. Zunächst müssen alle relevanten internen und externen Risiken identifiziert, bewertet und unter Berücksichtigung ihrer Interdependenzen aggregiert werden. Damit liefert das Risikomanagement zum einen eine Rückkopplung für die strategische Unternehmensausrichtung, zum anderen die Grundlage für konkrete Maßnahmen zur Optimierung des Chancen-Risiko-Profils und damit zur Steigerung des Unternehmenswertes. Zu solchen Risikobewältigungsmaßnahmen zählen Risikovermeidung, Risikoreduktion und Risikotransfer. Die Entwicklung der Risiken muss im Zeitablauf stetig überwacht werden, was eine entsprechende Ausgestaltung im Controlling durch Zuweisung von Verantwortlichkeiten, klare Kommunikationsstrukturen und Berichtspflichten erfordert. Die Verzahnung von Risikomanagement und Unternehmenssteuerung stellt ein zentrales Element der gesetzlichen Anforderungen aus KonTraG, Solvency II und MaRisk dar und wird in Abbildung 1.1 verdeutlicht. Der Kernprozess des Risikocontrollings umfasst die Schritte von der Risikoidentifikation bis zur Risikoüberwachung und erfüllt somit die Anforderungen des KonTraG, Risiken frühzeitig zu erkennen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Mit der Aufteilung des im Risikocontrolling ermittelten Risikokapitals auf die einzelnen Geschäftsbereiche und Produkte ermöglicht die Risikokapitalallokation eine Gegenüberstellung von Erträgen / Chancen und der Kapitalkosten für die Übernahme der zugehörigen Risiken. Auf dieser Grundlage kann die Unternehmenssteuerung produktpolitische Entscheidungen treffen und dem Risikocontrolling Zielvorgaben für die Optimierung des Risikoprofils geben. Während die Perspektive des Risikocontrollings auf die negativen Abweichungen von Zielgrößen gerichtet ist, trifft die Unternehmenssteuerung Entscheidungen unter Unsicherheit und benötigt dazu die komplette Information der Wahrscheinlichkeitsverteilung. Somit liegt dem Risikocontrolling der einseitige Risikobegriff näher. Zur Berechnung des ökonomischen Kapitals als Risikopuffer werden daher in der Regel Risikomaße herangezogen, die das einseitige Risiko negativer Abweichungen messen. Die Unternehmenssteuerung nutzt neben dem Risikomaß auch die Information des Chancenmaßes. So z.B. stellt die Kenngröße RORAC den Quotienten des erwarteten Ertrags durch das ökonomische Risikokapital dar und drückt somit ein Chancen-Risiko-Verhältnis aus.
1.2 Erfassung und Identifizierung von Risiken
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Überprüfung der Profitabilität Erweiteter RisikomanagmementProzess
Risikoadjustierte Produktion
Risikoüberwachung
Risikobewältigung (Vermeidung, Reduktion, Übertragung)
Risikobewertung
KonTraG und MaRisk
Risikokontrollprozess
Wertorientierte Steuerung
Risikokapitalallokation
Risikoerfassung und -identifikation Abb. 1.1 Der Risikocontrolling und -managementprozess (leichte Modifizierung einer Grafik von Bernd Heistermann, 2005)
In den verbleibenden Abschnitten dieses Kapitels werden wir den Riskokontrollprozess beschreiben. Der erweiterte Risikomanagementprozess wird in den folgenden Kapiteln ausführlich behandelt werden.
1.2 Erfassung und Identifizierung von Risiken Ziel der Risikoidentifikation ist es, alle wesentlichen Risiken durch eine systematische Analyse des Versicherungsunternehmens und seines ökonomischen Umfeldes auf aktuellem Stand zu erfassen. Eine systematische Analyse ist erforderlich um sicherzustellen, dass zum einen alle materiell relevanten Risiken erkannt werden und zum anderen Risikobewältigungsmaßnahmen fokussiert auf die relevanten zu steuernden Risiken angewandt werden, ohne durch eine unkontrollierte Informationsflut über unwesentliche Risiken behindert zu werden. Materiell bedeutende Risiken können allerdings auch im Zeitablauf durch Interaktionen von isoliert betrachtet unbedeutenden Risiken entstehen. Die Risikoidentifikation sollte stets die aktuelle Risikoexposition des Unternehmens erfassen, da ein frühzeitiges Erkennen von Risiken effizientere Risikobewältigungsmaßnahmen ermöglicht.
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1 Risikomanagementprozess
Man unterscheidet zwischen systematischen Risiken, die eine große Anzahl von Versicherungsunternehmen betreffen, und unternehmensspezifischen Risiken. Zu den systematischen Risiken gehören Konjunkturschwankungen, Finanzmarktbewegungen, Sterblichkeitstrends, Naturkatastrophen, Epidemien, Änderungen in den gesetzlichen, regulatorischen und politischen Rahmenbedingungen sowie exogene Schocks wie etwa Ölkrisen oder Terrorakte. Versicherungsunternehmen können die Realisationen systematischer Risiken nicht beeinflussen, müssen aber ihre Risikoexposition erfassen und bewältigen. Unternehmensspezifische Risiken, die vom einzelnen Unternehmen gesteuert werden können, umfassen strategische Fehlentscheidungen, das Managementrisiko, Reputationsrisiken (z.B. Verkauf unangemessener Produkte), eine falsche Liquiditätsplanung, IT-Ausfälle, Betrugsfälle sowie diejenigen Komponenten von Markt-, Kredit- und versicherungstechnischen Risiken, die durch das Unternehmen individuell beeinflusst werden können wie z.B. die Struktur der Kapitalanlagen, die Wahl der Rückversicherer, das Prämienrisiko (z.B. durch mangelhafte Risikoprüfung) und das Reserverisiko (etwa durch unangemessene Modelle oder eine unzulängliche Regulierungspraxis). Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Risiken von Versicherungsunternehmen zu klassifizieren. Wir werden die folgende Risikoklassifikation zugrundelegen: strategische Risiken, Marktrisiken, Kreditrisiken, Liquiditätsrisiken, versicherungstechnische Risiken, operationelle Risiken (einschließlich dem Managementrisiko), Reputationsrisiken und Konzentrationsrisiken. Die Feinheit der Risikoklassifikation sollte stets auf das individuelle Risikoprofil des Unternehmens zugeschnitten sein. Die einzelnen Risikoklassen können sowohl systematischen als auch unternehmensindividuellen Einflüssen unterliegen. Beispielsweise realisiert sich das Marktrisiko in Abhängigkeit von den Finanzmarktbewegungen und der unternehmensindividuellen Kapitalanlagestruktur. Die strategische Unternehmensplanung legt die strategische Ausrichtung auf die einzelnen Geschäftsfelder fest. Dabei müssen Erfolgspotentiale erkannt, die Position des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld sowie Trends in Markt und Gesellschaft analysiert und Kernkompetenzen entwickelt werden. Kernkompetenzen sollen dabei einen erheblichen Beitrag zum Kundennutzen leisten, bedeutsam für viele Geschäftsfelder sein und von der Konkurrenz idealerweise nur schwierig zu kopieren sein. Ferner sind Kostenstrukturen und die Veränderungen des Risikoprofils bei der Entscheidung, welche Leistungen der Wertschöpfungskette selbst erbracht und welche outgesourct werden, zu berücksichtigen. Aufgabe des strategischen Risikomanagements ist es, Einflussfaktoren für das Erreichen der strategischen Ziele zu identifizieren und Abweichungen von den strategischen Zielvorgaben zu analysieren. Da strategische Ziele oft schwer anhand von Kenngrößen beschrieben werden können, können auch strategische Risiken meist nur qualitativ beurteilt werden. Eine Analyse von Krisensituationen in Versicherungsunternehmen mündet im Sharma-Report [14] in der Feststellung, dass Krisen zwar oft mit einem auslösenden externen Ereignis in Verbindung gebracht werden können, ihre zentrale Ursache jedoch eine Realisation des Managementrisikos darstellte. Unter dem Managementrisiko subsumiert man alle Gefahren, die mit der internen Organisation
1.2 Erfassung und Identifizierung von Risiken
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und Führung des Unternehmens (Corporate Governance) in Zusammenhang stehen. Dazu zählen die mangelnde fachliche Qualifikation der Mitarbeiter, unklare Kompetenzverteilungen und Mängel in der Aufbau- und Ablauforganisation sowie den Kommunikations- und Berichtsstrukturen 1 . Für das Managementrisiko ist eine quantitative Bewertung schwierig und von untergeordneter Bedeutung. Aufgabe des Risikomanagements ist es vorrangig, für die Einbindung aller Mitarbeiter in den Risikomanagementprozess zu sorgen. Kerngeschäft von Versicherungsunternehmen ist die Übernahme versicherungstechnischer Risiken. Versicherungstechnische Risiken manifestieren sich in Abweichungen von den zugrunde gelegten biometrischen Wahrscheinlichkeiten, Schadenfrequenz- und Schadenhäufigkeitsverteilungen sowie dem Versicherungsnehmerverhalten (z.B. Storno, Selektion). Das versicherungstechnische Risiko wird oft in die Komponenten Zufalls-, Irrtums- und Änderungsrisiko unterteilt. Während das Zufallsrisiko die natürlichen Schwankungen der Schäden bzw. Versicherungsleistungen auf Basis der zugrunde gelegten Annahmen beschreibt, wird das Irrtumsrisiko durch unvollständige Information über die wahren Eigenschaften des versicherten Bestandes bedingt und spiegelt die Gefahr falscher Annahmen wider. Das Änderungsrisiko bringt mögliche Veränderungen in den Risikocharakteristika im Zeitablauf (z.B. Trends, Strukturbrüche) zum Ausdruck. Darüber hinaus wird auch die Komponente Katastrophenrisiko betrachtet, die extreme Szenarien wie etwa eine Pandemie oder einen schweren Unfall in der Chemie-Industrie beschreibt. Das versicherungstechnische Risiko wird vor allem in der Sachversicherung unterschieden in das Prämien- und Reserverisiko. Das Prämienrisiko besteht darin, dass die vereinnahmten Prämien des aktuellen Geschäftsjahres oder künftiger Perioden nicht ausreichen, die Versicherungsleistungen zu erbringen und die erforderlichen Rückstellungen zu bilden (z.B. „Münchner Hagel“2 , „Wiehltalbrücke“3 , Naturkatastrophen). Das Reserverisiko bezeichnet die Gefahr, dass sich die gebildeten versicherungstechnischen Rückstellungen für bereits zurückliegende Perioden als unzureichend erweisen. Beispiele dafür bilden in der Schadenversicherung die Nachreservierung für Asbestschäden, in der Lebensversicherung die Verstärkung der Deckungsrückstellung infolge der Langlebigkeit. Marktrisiken gehen auf adverse Änderungen von Preisen auf den Finanzmärkten zurück. Marktpreisschwankungen resultieren aus Veränderungen von Aktienkursen (z.B. 2002, Neuer Markt, Cargo Lifter, Finanzmarktkrise 2008), Zinssätzen (Kursverluste festverzinslicher Papiere bei Zinsanstieg, Spreadausweitung infolge 1 2008 belasteten die Transaktionen von Jérôme Kerviell die Société Générale mit einem Verlust von 5 Milliarden Euro. Wenn auch der Verlust primär durch Realisation von Marktrisiken entstand, so besteht seine Ursache in der Manifestation eines Managementrisikos: Ausschaltung des 4-Augen-Prinzips, Umgehung von Kontrollmechanismen durch fingierte Emails und Verzicht auf Urlaub. 2 1984 führte in München ein Hagelunwetter zu einem volkswirtschaftlichen Schaden von 3 Milliarden DM, wovon 1.5 Milliarden DM versichert waren. 3 2004 stürzte ein mit 32000 Litern Kraftstoff beladener Tanklastzug nach einer Kollision mit einem PKW, dessen Fahrer unter Drogeneinfluss stand und keinen Führerschein besaß, von der Wiehltalbrücke. Die Brücke wurde durch den Brand erheblich beschädigt und musste gesperrt werden. Der Unfallschaden belief sich auf eine Größenordnung von 30 Millionen Euro.
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1 Risikomanagementprozess
von Subprime- und Finanzmarktkrise), Wechselkursen (z.B. starke Schwankungen des Euro-Dollar-Kurses), Volatilitäten (z.B. Spreadvolatilitäten), Immobilienpreisen und anderen Veränderungen. Die Marktpreisschwankungen schlagen sich dann in Wertänderungen des Kapitalanlageportfolios und der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten nieder. Kreditrisiken bestehen im Ausfall oder in der Bonitätsverschlechterung von Geschäftspartnern (z.B. „Hypo Real Estate“ als Folge der Finanzkrise in 2008). Im Bereich der Kapitalanlagen erstreckt sich diese Gefahr auf den Ausfall von Kreditschuldnern und Gegenparteien bei derivativen Finanzinstrumenten sowie auf Wertminderungen von Wertpapieren infolge der Bonitätsverschlechterung ihrer Emittenten. Eine zweite bedeutende Quelle des Kreditrisikos für Versicherungsunternehmen besteht in der Gefahr, dass Leistungen eines Rückversicherers ausfallen können. Da die Leistungsverpflichtung des Erstversicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer vom Rückversicherungsvertrag unberührt bleibt, kann im Falle des Eintretens eines Großschadens der Ausfall des Rückversicherers schnell zu einer existenzbedrohenden Gefahr für den Erstversicherer werden. Im Unterschied zum Ausfall eines Kreditschuldners stellt der Ausfall eines Rückversicherers ein sekundäres Risiko dar, das sich erst dann manifestieren kann, wenn das versicherungstechnische Schadenereignis eingetreten ist.4 Weitere Kreditrisikoquellen bestehen in möglichen Forderungsausfällen gegenüber Versicherungsnehmern (z.B. ausstehende Prämien), Maklern und Vertriebspartnern (Ansprüche auf Provisionsrückzahlung). Das Liquiditätsrisiko bezeichnet die Gefahr, dass ein Versicherer seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht uneingeschränkt termingerecht nachkommen kann. Auch wenn die Bereitstellung von Liquidität für Versicherungsunternehmen im Normalfall leicht möglich ist, kann sich das Liquiditätsrisiko in Interaktion mit anderen Risiken verstärken, etwa infolge einer Ratingabstufung oder wenn bei Anstieg der Stornorate stille Lasten realisiert werden müssen und die Verluste einen weiteren Stornoanstieg auslösen. Daher ist das Liquiditätsrisiko nicht nur unter dem Aspekt der Kosten für die Bereitstellung von Liquidität zu betrachten, sondern auch aus Sicht der Risikosteuerung von Bedeutung. Schließlich kann es in Extremszenarien (Großschäden in der Sachversicherung, Pandemie oder sprunghafter Stornoanstieg infolge veränderter Finanzmarktbedingungen in der Lebensversicherung, Zusammenbruch der Märkte für Bankennachrangdarlehen) zu einer existenzgefährdenden Bedrohung werden. Das operationale Risiko wird in der Literatur oft als Residualkategorie eingeführt, die ein breites Spektrum von Risiken umfasst, die nicht in die Kategorien Markt-, Kredit- oder versicherungstechnisches Risiko fallen. Die Definition von Basel II, die auch die Rahmenrichtlinie für Solvency II in Artikel 101 verwendet, beschreibt das operationale Risiko als „the risk of loss resulting from inadequate or failed internal processes, people, systems or from external events. This definition includes legal, but excludes strategic and reputational risk.“ 4
In der Praxis ist ein Ausfall des Rückversicherers denkbar, wenn eine Katastrophe sehr hohe Schäden bei mehreren Erstversicherern ausgelöst hat. Das primäre versicherungstechnische Risiko und das sekundäre Kreditrisiko sind dann nicht unabhängig.
1.2 Erfassung und Identifizierung von Risiken
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Operationales Risiko umfasst also • unternehmensinterne und externe kriminelle Handlungen (“dolose Handlungen“), • politische, rechtliche und gesellschaftliche Risiken, • Beschädigung von Betriebsvermögen, Betriebsunterbrechungen und Systemversagen (IT), • operative Fehler von Mitarbeitern, • Verluste infolge von Störungen in den Ablaufprozessen, Kommunikationsstrukturen und Schwächen in der Aufbauorganisation und das bereits gesondert betrachtete • Managementrisiko. Da das operationale Risiko nicht unwesentlich durch seltene Ereignisse mit sehr hohen Schadensummen geprägt wird, kann sich die Datenlage eines Versicherungsunternehmens für die Quantifizierung als unzureichend erweisen. In diesem Fall kann die Datenbasis durch den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zu einem Datenpool oder die Nutzung kommerzieller Datenbanken verbreitert werden. Bayessche Modelle ermöglichen es, die unternehmensindividuelle Datenhistorie mit externen Daten oder auch Expertenwissen zu kombinieren. Auch die Erfahrung so genannter „near misses“, also noch rechtzeitig abgewendeter Schäden, die jedoch auf latent existierende, nicht wahrgenommene Risiken zurückzuführen sind, kann bei getrennter Modellierung von Schadenfrequenz und -höhe zu einer fundierteren Einschätzung der Schadenhöhe beitragen. Ferner kann sich die Abgrenzung des operationalen Risikos zu anderen Risikoklassen schwierig gestalten. Wenn die Abgrenzung auch für die Bewertung des Gesamtrisikos irrelevant ist, so stellt sie doch für die Risikobewältigung als bedeutend heraus. Beispielsweise können unerwartet hohe Schadenzahlungen Folgen eines versicherungstechnischen Risikos oder aber fehlerhafter Geschäftsprozesse, mangelnder Kontrollen oder der Ausnutzung technologiebedingter Systemschwächen sein. Auch die Abgrenzung zum ausdrücklich ausgeschlossenen strategischen Risiko erscheint schwierig. Strategisches Risiko kann vom Managementrisiko im Wesentlichen nur durch den längeren Zeithorizont abgegrenzt werden. Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten bieten sich szenariobasierte Verfahren an. Zum einen lassen sich mit Hilfe von hypothetischen Szenarien auf der Basis von Experteneinschätzungen Auswirkungen von Ereignissen untersuchen, für die es keine historischen Daten gibt. Zum anderen erfassen Szenarien die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Risikokategorien und entschärfen somit das Abgrenzungsproblem. Szenariobasierte Modelle lassen sich auch mit Modellen auf der Basis von Verlustdatenbanken kombinieren. Konzentrationsrisiken entstehen, wenn ein Versicherungsunternehmen innerhalb einer Risikokategorie eine starke Exponierung aufweist oder stark korrelierte Risiken eingeht. Eine hohe Exponierung kann beispielsweise bzgl. einzelner Kreditschuldner, einzelner Aktientitel, einzelner Rückversicherer oder einer einzelnen Region (z.B. Sturm „Lothar“) vorliegen. Hält ein Versicherungsunternehmen einen bedeutenden Aktienanteil an einem Unternehmen, dessen gesamten Fuhrpark es ver-
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1 Risikomanagementprozess
sichert, entsteht eine Konzentration über Risikokategorien hinweg, die sich in einer ungünstigeren Aggregation zum Gesamtrisiko niederschlägt. Reputationsrisiken manifestieren sich in einer Rufschädigung des Unternehmens infolge einer negativen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit z.B. bei Kunden (Verkauf unangemessener Produkte), bei Geschäftspartnern (schlecht kommunizierte Neuordnung der Vertriebsstruktur), Aktionären (Verluste infolge mangelhaften Risikomanagements) oder Behörden. Das Reputationsrisiko kann meist nur qualitativ beurteilt werden. Es tritt oft im Zusammenhang mit der Realisation anderer Risiken (z.B. IT-Ausfall) auf, kann aber auch als Einzelrisiko auftreten. Ergebnis der Risikoidentifikation ist ein vollständiges Risikoinventar, das die Grundlage für die weiteren Schritte des Risikomanagementprozesses bildet.
1.3 Bewertung von Risiken Im Anschluss an die Risikoidentifikation erfolgt die Risikobewertung auf zwei Stufen, einer qualitativen Bewertung und einer quantitativen Messung in einem Risikomodell. Die qualitative Bewertung dient einer Relevanzeinschätzung der Risiken. Die einzelnen Risiken können in eine Relevanzskala mit Stufen, die von „unbedeutend“ bis „existenzgefährdend“ reichen, eingeordnet und mit weiteren Einschätzungen hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit, ihrer mittleren Auswirkung und möglicherweise eines realistischen Höchstschadens beschrieben werden. Die Grenze zwischen Risikoidentifikation und qualitativer Bewertung lässt sich nicht immer scharf ziehen, da vernachlässigbare Risiken Gefahr laufen, nicht erfasst zu werden. Solche Risiken könnten aber im Laufe der Zeit an Relevanz gewinnen (z.B. Zerstörung eines Verwaltungsgebäudes infolge eines Flugzeugabsturzes nach Veränderungen der Einflugschneisen). Die Einordnung in eine Relevanzskala reduziert die Komplexität des Risikoinventars und zeigt die relative Bedeutung der einzelnen Risiken auf, was die Kommunikation über mögliche Bewältigungsmaßnahmen in Abhängigkeit von den Auswirkungen der Risiken erleichtert. Es gibt verschiedene Darstellungsmöglichkeiten der qualitativen Bewertung: • Die Achsen einer Risikomatrix stellen Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungsgrad eines potentiellen Schadens dar. Risikobewältigungsmaßnahmen können durch eine Bewegung des Risikos in der Risikomatrix dargestellt werden. Risikomatrizen werden auch benutzt, um den Erfolg der Risikomitigation darzustellen. Siehe Abbildung 1.2. • Risikobäume veranschaulichen eine Klassifikation der Risiken und ihre Unterteilung in Teilrisiken. • In strukturierten Workshops können die Risk Owner Checklisten für die relevanten Risikofaktoren aufstellen, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und die Risikofaktoren beeinflussenden Umweltfaktoren, sogenannte Einflussfaktoren, analysieren.
1.3 Bewertung von Risiken
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Schadenhäufigkeit
Einmal in 2 Jahren
Zehrungsrisiko
Einmal in 20 Jahren Risiko nach Risikomitigation Einmal in 200 Jahren
Katastrophenrisiko
1
10
100
Schadenhöhe (M EUR)
Abb. 1.2 Beispiel einer Risikomatrix. Man beachte die logarithmische Darstellung, die es ermöglicht, einen gleichzeitigen Überblick über Katastrophen- und Zehrungsrisiken („Attrition Risk“) zu erhalten.
• Szenario-Analysen geben Aufschluss über potentielle Auswirkungen der Risiken unter vorgegebenen Konstellationen der Einflussfaktoren. • Abhängigkeitsanalysen untersuchen mit Blick auf Kumulproblematiken oder Verstärkungseffekte Interdependenzen von Einfluss- und Risikofaktoren. • SWOT-Analysen (strengths-weaknesses-opportunities-threats) bestehen aus zwei Teilanalysen, der Stärken-Schwächen-Analyse und der Chancen-Risiken-Analyse. In einer Stärken-Schwächen-Analyse werden auf der Grundlage von Unternehmensdaten, Schätzungen und Expertenwissen die Ist-Position des Unternehmens untersucht und komparative Stärken und Schwächen im Vergleich zur Konkurrenz herausgearbeitet. In einer Chancen-Risiken-Analyse ermittelt man mittels Szenarien für die relevanten Einflussfaktoren die Auswirkungen von Marktentwicklungen auf das Unternehmen. In der Zusammenfassung beider Analysen werden erfolgsversprechende Unternehmensstrategien entwickelt. Die quantitative Bewertung der Risiken erfolgt mit Hilfe von Risikomodellen. Zunächst werden für die einzelnen Risiken Teilmodelle entwickelt. Diese Teilmodelle, die mit Hilfe von statistischen Verfahren an die Daten des Unternehmens kalibriert werden, liefern Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die einzelnen Teilrisiken, die dann wie in Kapitel 3 unter Beachtung der Abhängigkeitsstrukturen zu einer Verteilung der Gesamtrisikoposition des Unternehmens aggregiert werden. Risikomaße aus Kapitel 2 werden dann zur Bewertung der komplexen Information der Wahrscheinlichkeitsverteilung in einer Kenngröße herangezogen.
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1 Risikomanagementprozess
1.4 Risikobewältigung Im Anschluss an die Bewertung der Risiken dienen Risikobewältigungsmaßnahmen dazu, das Risiko-Chancen-Profil im Einklang mit der strategischen Unternehmensplanung zu optimieren.
1.4.1 Vermeidung von Risiken Risikovermeidung zielt darauf ab, den Eintritt bestimmter Risiken zu verhindern und damit bestimmte Zielabweichungen auszuschließen. Dazu bestehen folgende Möglichkeiten: • Eine restriktive Zeichnungspolitik nimmt bestimmte Risiken nicht an, z.B. auf der Grundlage einer medizinischen oder finanziellen Risikoprüfung. Bereits bestehende Verträge mit nicht länger akzeptablem Rendite-Risiko-Profil werden gekündigt. • In der Produktgestaltung können Vertragsklauseln bestimmte Risikoaspekte wie etwa Krieg, Terrorakte, innere Unruhen oder Elementarschäden ausschließen. Zusätzliche Vertragsklauseln können bestimmte Risiken wie z.B. Zins- oder Währungsrisiken komplett auf den Versicherungsnehmer abwälzen. • Eine grundsätzliche oder einzelfallbezogene Risikoauslese verhindert die Entstehung außerordentlicher Schadenhöhen oder von Kumulrisiken. • Bestimmte riskante Kapitalanlageformen können ausgeschlossen werden. • Bei unzureichender Risikotragfähigkeit, einem schlechten Ergebnis der SWOTAnalyse oder schlechten risikoadjustierten Renditekennzahlen kann das Unternehmen eine Geschäftssparte aufgeben. Risikovermeidung kann jedoch keine zentrale Rolle in den Risikobewältigungsstrategien eines Versicherungsunternehmens spielen, da die Übernahme von Risiken, vor allem von versicherungstechnischen Risiken, die Kernaktivität zur Renditegewinnung darstellt und für die langfristige Entwicklung von Kernkompetenzen notwendig ist.
1.4.2 Reduzierung von Risiken Maßnahmen zur Reduzierung von Risiken können darauf abzielen, eine ursachenorientierte Minderung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden oder eine wirkungsorientierte Reduktion der Schadenhöhe oder Diversifikations- und Kompensationseffekte auf Portfolioebene zu erzielen. Versicherungsunternehmen stehen vielfältige Maßnahmen zur Risikoreduktion und der damit verbundenen Verbesserung des Risiko-Chancen-Profils offen.
1.4 Risikobewältigung
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• Im Underwriting können Risikoprüfungen neben der Ablehnung von nicht akzeptablen Risiken und Leistungsausschlüssen zu einer risikosensitiven Prämiendifferenzierung beitragen. Limitsysteme können Kumulrisiken (z.B. Exposition gegenüber einem Großkunden, hohe Versicherungssummen in der Berufsunfähigkeitsversicherung, regionale Konzentration in der Schadenversicherung) begrenzen oder verhindern. • Kontrollmechanismen bei der Leistungsprüfung und Schadenregulierung können Missbrauch und Betrug vorbeugen und somit Versicherungsleistungen reduzieren. • Die Produktentwicklung hat die Möglichkeit, Vertragsklauseln zu entwerfen, die die Versicherungsnehmer zu Maßnahmen der Schadenprävention (z.B. den Einbau von Einbruchsicherungen) verpflichten. Elemente der Risiko- und Schicksalsteilung mit den Versicherungsnehmern wie Selbstbehalte, Gewinnbeteiligungskonzepte und Bonus-Malus-Systeme in Abhängigkeit von der individuellen Schadenerfahrung schaffen konkrete Anreize für die Versicherungsnehmer, Schäden zu vermeiden oder in ihren Auswirkungen gering zu halten. Prämienanpassungsklauseln und Kündigungsrechte eröffnen dem Versicherungsunternehmen Reaktionsmöglichkeiten im Falle der Verschlechterung der versicherten Risiken. • Risiken der Kapitalanlagen können durch Diversifikation über verschiedene Anlageklassen und Emittenten sowie durch Hedging mittels derivativer Instrumente reduziert werden. • Risiken der Passivseite kann ein Versicherungsunternehmen durch Diversifikation über Sparten, Produkte, Regionen und Absatzorganisationen vermindern. Zudem kann es versuchen, durch gezielte Vertriebsmaßnahmen Einfluss auf die Bestandszusammensetzung zu nehmen. Beispielsweise kann der Einfluss sinkender Sterblichkeiten auf Rentenversicherungskollektive durch den entgegengesetzten Einfluss auf Risikoversicherungen teilweise kompensiert werden. • Auch ALM-Maßnahmen können risikomindernd wirken, indem beispielsweise Durationslücken zwischen den Zahlungsströmen auf Aktiv- und Passivseite verringert und somit das Zinsänderungsrisiko reduziert wird. • Eine simultane Planung und Abstimmung der Cash-Flows auf Aktiv- und Passivseite wirkt zudem dem Liquiditätsrisiko entgegen. • Maßnahmen zur Reduktion operationaler Risiken stellen unter anderem Business Continuity Planing, Sicherungsmechanismen in den IT-Systemen, das 4-AugenPrinzip, interne Limitsysteme zur Vermeidung doloser Handlungen dar.
1.4.3 Transfer von Risiken Von Risikotransfer spricht man, wenn ein Risiko ganz oder teilweise auf andere Wirtschaftssubjekte übertragen wird. Versicherungsunternehmen steht ein weites Spektrum von Risikotransfermöglichkeiten offen.
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1 Risikomanagementprozess
Zunächst kann das versicherungstechnische Risiko mit dem Versicherungsnehmer geteilt werden. Geeignete Maßnahmen stellen die Vereinbarung von Selbstbehalten und Haftungsobergrenzen oder von Gewinnbeteiligungsverfahren dar, in dem z.B. der Versicherungsnehmer durch Beitragsrückerstattungen an einem günstigen Schadenverlauf oder mit Hilfe von Erfahrungskonten an den Abwicklungsergebnissen der Schadenregulierung beteiligt wird. Ferner können einzelne Risiken wie etwa das Kapitalanlagerisiko bei der fondsgebundenen Lebensversicherung komplett auf den Versicherungsnehmer übergewälzt werden. Bei der Mitversicherung wird ein versicherungstechnisches Risiko von mehreren Versicherungsunternehmen gemeinsam getragen. Jedes Unternehmen übernimmt einen Teil des Risikos. Das Unternehmen, das die technische Abwicklung übernimmt, erhält als Vergütung eine Provision. Bei der offenen Mitversicherung besitzt der Versicherungsnehmer mit jedem beteiligten Unternehmen einen Vertrag, während er bei einer verdeckten Mitversicherung von der Risikoteilung mit anderen Versicherungsunternehmen nichts erfährt. Beispiele für Mitversicherung stellen Großrisiken in der Haftpflichtversicherung sowie Konsortialverträge in der Lebensversicherung dar. Im Gegensatz zum Versicherungspool wird jedoch das Risiko pro Versicherungsvolumen nicht verringert. Bei einem Versicherungspool schließen sich mehrere Versicherungsunternehmen zur gemeinschaftlichen Tragung von Risiken zusammen. Die Motivation besteht darin, Großrisiken oder neue, bisher als nicht versicherbar geltende Risiken (z.B. Terrorrisiken) versichern zu können. Der Pool ist selbst kein Risikoträger, sondern organisiert lediglich die Risikotragung. Ein Poolvertrag legt fest, welches Versicherungsunternehmen welche Risiken in welcher Form in den Pool einbringen kann bzw. muss und in welcher Form die Risiken auf die einzelnen Poolmitglieder aufgeteilt werden. Der Anteil am Gesamtgeschäft, den ein Poolmitglied einbringt, heißt Zeichnungsquote, der übernommene Anteil an Poolrisiken Poolquote5 . Sind den Versicherungsnehmern alle Poolmitglieder bekannt, spricht man von einem Mitversicherungspool. Beispiele sind der Atompool und die Rückdeckung des Pensionssicherungsvereins durch verschiedene Lebensversicherungsunternehmen. Steht der Versicherungsnehmer jeweils nur mit einem Poolmitglied unter Vertrag, spricht man von einem Rückversicherungspool. Vorteile eines Pools bestehen in dem erweiterten Risikoausgleich innerhalb des größeren Kollektivs, in einer Reduktion der Verwaltungskosten und in einer breiteren statistischen Basis. Ein Versicherungspool zeichnet sich durch hohe Transparenz aus und erleichtert damit die Kumulkontrolle. Beispiele für einen Rückversicherungspool sind der Deutsche Luftpool und der Pharmapool. Neben den erwähnten Formen der Risikoteilung gibt es bedeutende und besser auf die individuellen Bedürfnisse der Versicherungsunternehmen zugeschnittene Risikotransfermöglichkeiten auf dem Versicherungsmarkt in Gestalt der Rückversicherung, auf den Finanzmärkten mit Hilfe derivativer Instrumente und zwischen Finanz- und Versicherungsmärkten durch Mechanismen des Alternativen Risikotransfers. 5
Während sich also die Zeichnungsquote auf die Abgabe von Risiken an den Pool bezieht, quantifiziert die Poolquote den Anteil der Risikotragung durch das Poolmitglied.
1.4 Risikobewältigung
13
In der klassischen Rückversicherung transferiert ein Erstversicherer versicherungstechnische Risiken auf ein Rückversicherungsunternehmen. Aus risikotechnischer Sicht unterscheidet man proportionale und nichtproportionale Rückversicherung. Bei der proportionalen Rückversicherung wird das Risiko in einem bestimmten Verhältnis zwischen Erst- und Rückversicherer aufgeteilt. Formen proportionaler Rückversicherung sind die Quotenrückversicherung, die Summenexzendentenrückversicherung und die Quotenexzendentenrückversicherung. Bei der Quotenrückversicherung übernimmt der Rückversicherer einen bestimmten Prozentsatz an allen unter den Rückversicherungsvertrag fallenden versicherungstechnischen Einheiten. Somit wird der Schaden Ri der i-ten Einheit Ri = cRi + (1 − c)Ri in den Rückversicherungsanteil (1 − c)Ri und den beim Erstversicherer verbleibenden Anteil cRi aufgeteilt, wobei c ∈ (0, 1) gilt. Die Quotenrückversicherung verringert das absolute Maß der Haftung des Erstversicherers. Sie kann jedoch das Portfolio nicht homogenisieren. Wichtige Risikokennzahlen wie der Variationskoeffizient und Renditekennzahlen wie RORAC bleiben unverändert. Bei einer Summenexzedentenrückversicherung ist der Rückversicherer nur an denjenigen versicherungstechnischen Einheiten beteiligt, deren Versicherungssumme vi einen absoluten Selbstbehalt v0 des Erstversicherers übersteigen. Von Schäden Ri versicherungstechnischer Einheiten, deren Versicherungssumme über dem Selbstbehalt liegen, verbleibt beim Erstversicherer der Anteil ci Ri , der dem Verhältnis von Selbstbehalt und Versicherungssumme entspricht: v0 ,1 Ri = ci Ri + (1 − ci ) Ri , ci = min vi Die Summenexzedentenrückversicherung bewirkt eine Entlastung des Erstversicherers von Spitzenschäden und trägt zur Homogenisierung des Kollektivs durch Varianzreduktion bei. Jedoch schützt die Summenexzedentenrückversicherung nur sehr eingeschränkt gegen den Kumul kleiner oder mittlerer Schäden. Die Kombination von Quoten- und Summenexzedentenrückversicherung wird Quotenexzedentenrückversicherung genannt. Wird zunächst der Exzedent, danach die Quote angewandt, so spricht man von einem Quotenexzedenten mit Vorwegexzedent, bei umgekehrter Reihenfolge von einem Quotenexzedenten mir Vorwegquote. Die nichtproportionale Rückversicherung beschreibt Rückversicherungsverträge, bei denen die Zahlungen des Rückversicherers nicht proportional zur Schadenzahlung des Erstversicherers sind. In der Einzelschadenexzedentenrückversicherung übernimmt der Rückversicherer den die Priorität a des Erstversicherers übersteigenden Teil jedes einzelnen Schadens X bis zur vereinbarten Haftungsobergrenze h, d.h. er zahlt min(h, max(X − a, 0)).
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1 Risikomanagementprozess
Der Einzelschadenexzedent bietet einen wirksamen Schutz gegen Großschäden und reduziert die Varianz der Schadenverteilung. Er ist relativ einfach zu verwalten. Er schützt jedoch nur bedingt gegen ansteigende Schadenhäufigkeiten, da in jedem Schadenfall die Priorität vom Erstversicherer getragen werden muss. Kleine und mittlere Schäden verbleiben beim Erstversicherer. Löst ein Schadenereignis mehrere Einzelschäden aus, so übernimmt eine Kumulschadenexzedentenrückversicherung den die Priorität übersteigenden Teil der Gesamtschadensumme. Der Kumulschadenexzedent kann eine bestehende Exzedenten- oder Quotenrückversicherung ergänzen, wobei die Priorität über dem höchsten Selbstbehalt der Exzedentenrückversicherung liegt. Die Stop Loss-Rückversicherung (Jahresüberschadenexzedentenrückversicherung) übernimmt denjenigen Teil der Gesamtsumme S aller Schäden eines Jahres, der die vereinbarte Priorität a des Erstversicherers übersteigt: max(S − a, 0). Der Stop Loss gewährt einen wirksamen Bilanzschutz und glättet das Jahresergebnis, da er gegen sämtliche Auswirkungen des versicherungstechnischen Risikos schützt. Er ist aber mit einem erheblichen moralischen Risiko seitens des Erstversicherers verbunden, der beispielweise durch eine veränderte Zeichnungs- oder Bestandspolitik oder eine weniger sorgfältige Schadenprüfung und -regulierung bei Überschreiten der Schwelle a den vom Rückversicherer zu tragenden Schaden erheblich erhöhen kann. Daher wird ein Stop Loss in der Regel nur im Zusammenspiel mit anderen Rückversicherungsverträgen und gegen einen proportionalen Selbstbehalt des Erstversicherers am Jahresüberschaden vereinbart. Der Reduktion des versicherungstechnischen Risikos durch Rückversicherung steht jedoch das Ausfallrisiko des Rückversicherers entgegen. Da Zahlungsstörungen des Rückversicherers gravierende Folgen für den Erstversicherer nach sich ziehen können, hat die Finanzstärke des Rückversicherers eine hohe Bedeutung für den Erstversicherer. Maßnahmen zur Begrenzung des Kreditrisikos bestehen in der Stellung von Beitrags- oder Reservendepots durch den Rückversicherer oder in einem Letter of Credit, mit dem eine Bank für die Sicherheit des Rückversicherers bürgt. Der Übergang von der traditionellen Rückversicherung zur Finanzrückversicherung ist fließend. Bei der Finanzrückversicherung stehen finanzwirtschaftliche, jahresabschlusspolitische oder aufsichtsrechtliche Ziele (z.B. Erhöhung des Kapitals, Finanzierungshilfe bei starkem Wachstum, Stabilisierung der Geschäftsergebnisse, Verbesserung von Kennzahlen) im Vordergrund, während der Transfer von versicherungstechnischen Risiken nur eingeschränkt erfolgt. Finanzrückversicherung bedient sich der klassischen Vertragsgestaltungen der Rückversicherung. Neben dem eingeschränkten Risikotransfer zeichnet sie sich häufig durch lange Vertragslaufzeiten, umfangreiche Provisionsregelungen und die Berücksichtigung von Kapitalerträgen im Rückversicherungspreis aus. Klassisches Beispiel ist die Quotenversicherung mit Provisionszahlung an den Erstversicherer in der Lebensversicherung.6 Zum Transfer von finanziellen Risiken der Aktivseite können die derivativen Instrumente des Finanzmarktes genutzt werden. Beispiele sind Put, Call, Forward, Fu6
Derzeit verlangt die Aufsicht einen signifikanten Risikotransfer, da sie ansonsten eine verbotene Kreditaufnahme in dem Rückversicherungsvertrag sieht.
1.5 Risikoüberwachung
15
ture zur Absicherung gegen Aktienkursrisiken oder Swaps zur Absicherung gegen Zins- und Währungsrisiken. Werden finanzielle Risiken in den Versicherungsmarkt oder versicherungstechnische Risiken in den Finanzmarkt transferiert, spricht man von Alternativem Risikotransfer. So z.B. kann ein Rückversicherungsunternehmen das durch entsprechende Garantien in der Lebensversicherung induzierte Zinsrisiko übernehmen. Andererseits besteht die Motivation, Versicherungsrisiken in den Finanzmarkt zu transferieren, in der Überwindung von Kapazitätsgrenzen des Rückversicherungsmarktes und im Streben nach maßgeschneiderten Transfermethoden im Rahmen eines integrierten Risikomanagements. Insurance Linked Securities (ILS) sind Wertpapiere, deren Kupon- und/oder Principal-Zahlungen von der Realisation eines versicherungstechnischen Risikos abhängt. Beispiele sind Katastrophenbonds, deren Kupon oder Principal etwa beim Aufkommen einer bestimmten Zahl von Hurrikans in einer bestimmten Region (teilweise) ausfallen oder Bonds, die beim sprunghaften Anstieg der Sterblichkeit ausfallen und somit als Absicherung gegen eine Pandemie eingesetzt werden können. Ferner sichern sogenannte Longevity-Bonds das Langlebigkeitsrisiko in der Rentenversicherung ab. Für Katastrophen-, Epidemie- oder Langlebigkeitsrisiken existiert im Rückversicherungsmarkt oft nur eine sehr eingeschränkte Kapazität. Da der Nennbetrag der ILS von einem Special Purpose Vehicle in sicheren Anlagen investiert wird, entfällt im Vergleich zur traditionellen Rückversicherung das Kreditrisiko. Da aus Kostengründen Wertpapiere in hohem Maße standardisiert werden müssen und um dem moralischen Risiko vorzubeugen, wird die Definition des versicherten Risikos oft nicht (wie bei der Rückversicherung) an den Schadenverlauf des emittierenden Versicherungsunternehmens gekoppelt, sondern an einen Schadenindex. Dadurch entsteht für das Versicherungsunternehmen ein Basisrisiko, dass der Index sich anders als die eigenen Schadenerfahrung entwickelt. ILS umfassen neben Bonds auch Termingeschäfte und derivative Instrumente wie Swaps. Maßgeschneiderte Angebote für das Risikomanagement bilden darüber hinaus Multiple-Trigger-Produkte, die eine gewünschte Kombination von mehreren finanzoder versicherungstechnischen Risiken absichern, oder Contingent Capital Lösungen. So z.B. stellen Put-Option zur Ausgabe neuer Aktien, die nur bei Überschreitung eines bestimmten Schadenbetrags ausgeübt werden können, eine kostengünstige Absicherung gegen die Kombination der Gefahren dar, dass nach einer hohen Schadenbelastung die Eigenkapitalbasis verstärkt werden muss, aber aufgrund der Schadenereignisse der eigene Aktienkurs eingebrochen ist.
1.5 Risikoüberwachung Das Risiko-Controlling begleitet den Risikomanagementprozess und unterstützt dabei die Geschäftsführung und die Risk Owner. Es stellt eine permanente Überwachung der Risiken sicher und wacht darüber, dass die Vorgaben der strategischen
16
1 Risikomanagementprozess
Unternehmensplanung und die Risikopolitik der Geschäftsführung umgesetzt sowie Risikolimite und Zeichnungsrichtlinien eingehalten werden. Die permanente Überwachung der Risiken soll sicherstellen, dass neue Risiken, aber auch Veränderungen bereits identifizierter Risiken frühzeitig erkannt werden. Dazu sind für die einzelnen Risikofelder Verantwortlichkeiten, ein Überwachungsturnus sowie Berichtspflichten festzulegen. In einer effektiven Organisation werden bei gravierenden Veränderungen in der Risikostruktur Ad-hoc-Meldungen an das Risiko-Controlling und vorgesetzte Instanzen der Risk Owner ausgelöst. Bestandsgefährdende Risiken werden unverzüglich der Geschäftsführung berichtet. Die Praxis für bestandsgefährdende Risiken wird in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben (KonTraG). Das Risiko-Controlling überprüft die Ergebnisse der Berichte der Risk Owner auf Plausibilität und wertet Risikokennzahlen sowie Erfolgsgrößen aus. Das Controlling wird unter anderem durch die folgenden aktuariellen Tätigkeiten unterstützt: • • • • •
die regelmäßige Überprüfung der Angemessenheit der Rechnungsgrundlagen, die Nachkalkulation bei veränderten Rechnungsgrundlagen, Kalkulation der Reserven nach aktuariellen Grundsätzen, Projektionsrechnungen zur Cash-Flow-Ermittlung, Profit-Testing unter verschiedenen Szenarien, um Risiken unter bestimmten Marktbedingungen zu erkennen (wie etwa gezieltes Storno zum günstigen Zeitpunkt), • Asset Liability Management, • Aufbau und Weiterentwicklung interner Modelle, • Analysen zur Angemessenheit der Rückversicherungsstruktur.
1.6 Die Rolle des Verantwortlichen Aktuars im Risikomanagementprozess In vielen Ländern ist die aktuarielle Aufgabe im Risikomanagement gesetzlich verankert. In Deutschland schreibt das VAG die Bestellung eines Verantwortlichen Aktuars in • der Lebensversicherung gemäß § 11a VAG, • der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr gemäß § 11d VAG, • für die Ermittlung der Deckungsrückstellung, für Haftpflicht- und Unfallrenten gemäß § 11e VAG, • der substitutiven Krankenversicherung gemäß § 12 VAG vor. In der Lebensversicherung hat der Verantwortliche Aktuar gemäß § 11a VAG sicherzustellen, dass Prämien und Deckungsrückstellung unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen nach anerkannten versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet werden. Aufgrund der Bedeutung der Deckungsrückstellung spielt
1.6 Die Rolle des Verantwortlichen Aktuars im Risikomanagementprozess
17
der Verantwortliche Aktuar somit eine wesentliche Rolle bei der Risikoidentifikation und -bewertung. Diese Rolle ist nicht auf versicherungstechnische Risiken beschränkt, da der Verantwortliche Aktuar zudem die Finanzlage des Unternehmens im Hinblick auf die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verpflichtungen und die Bedeutung der Solvabilitätsspanne überprüfen muss. Auch die Anforderungen an den (ebenfalls in Deutschland vorgeschriebenen) Aktuarsbericht haben sich von der Prüfung der Rechnungsgrundlagen hin zu einem umfassenden Risikobericht entwickelt, in dem der Verantwortliche Aktuar gegebenenfalls notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Risikosituation vorschlagen muss. Damit wird er auch in die Risikobewältigung mit eingebunden. Schließlich unterstützen Funktionen des aktuariellen Controllings die Wertorientierung in der Unternehmenssteuerung. Auch wenn der Verantwortliche Aktuar eine bedeutende Rolle im Risikomanagementprozess einnimmt, so unterscheidet sich seine Funktion von derjenigen des Chief Risk Officers (CRO). Der CRO stellt die Aufbau- und Ablauforganisation des Risikomanagements sicher und setzt die strategischen Unternehmensvorgaben im Risikomanagement um. Im Gegensatz zum CRO haftet in Deutschland der Verantwortliche Aktuar mit seinem persönlichen Vermögen.
Kapitel 2
Risikomaß
2.1 Die Idee des Risikomaßes Umgangssprachlich wird unter Risiko einfach die Möglichkeit verstanden, dass „ungünstige Ereignisse“ auftreten. Abweichungen hin zum Positiven („Chance“) werden also in der Regel ausgeblendet. Wenn man aber „Risiko“ quantitativ zu erfassen versucht, zeigt sich, dass Risiko ein sehr vielschichtiges Phänomen ist. Eine Möglichkeit, Risiko mathematisch zu beschreiben, besteht darin, Risiko generell mit Schwankung (zum Beispiel Wertschwankungen) zu identifizieren. Damit werden sowohl „ungünstige“ als auch „günstige“ Abweichungen betrachtet. Ein solcher Ansatz wird zum Beispiel verfolgt, wenn man als Risikomaß die Standardabweichung (siehe unten) wählt. Ein anderer Fokus wäre, finanzielle Risiken mit einem Geldbetrag zu identifizieren, der einen Hinweis darauf gibt, wie viel man bei einer Manifestation des Risikos verlieren kann. Dies wird der von uns hauptsächlich verfolgte Ansatz sein. Hierfür sind je nach Situation unterschiedliche Maße geeignet. Besonders beliebt sind Maße, deren Ergebnis operativ als der Kapitalbetrag interpretiert werden kann, den das Unternehmen seiner Risikoaversion entsprechend vorhalten muss, um sein Geschäft betreiben zu können. Es sei (Ω , A , P) ein Wahrscheinlichkeitsraum mit einer σ -Algebra A und Wahrscheinlichkeitsmaß P. Wir bezeichnen mit MB Ω , Rk den Raum der Rk -wertigen Zufallsvariablen X : Ω → Rk , ω → X(ω), also der bzgl. A und der Borelschen σ -Algebra messbaren Abbildungen. Wenn wir die σ -Algebra A hervorheben wollen, sprechen wir auch von A -messbaren Abbildungen bzw. von bzgl. A messbaren Abbildungen. Definition 2.1. Ein Risikomaß ist eine Abbildung ρ : M (Ω , R) → R,
X → ρ(X),
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
19
20
2 Risikomaß
wobei M (Ω , R) ⊆ MB (Ω , R) ein (von ρ abhängiger) geeigneter Vektorunterraum ist. Anmerkung 2.1. Die Beschränkung auf einen Teilraum ist notwendig, da aus An wendungssicht interessante Risikomaße häufig nicht auf ganz MB Ω , Rk definiert sind. Wenn wir im folgenden die Notation M Ω , Rk benutzen, ist immer ein aus dem Kontext ersichtlicher geeigneter Unterraum von MB Ω , Rk gemeint.
2.2 Beispiele von Risikomaßen Es sei Y eine Zufallsvariable, die ein unsicheres finanzielles Ergebnis beschreibt. Dann gibt X = −Y den möglichen Verlust an. Viele Risikomaße enthalten einen Parameter α ∈ ]0, 1[, über den das durch dieses Maß beschriebene (intuitive) Sicherheitsniveau festgelegt wird. Wir wollen hier diesen Parameter Konfidenzniveau nennen und den Begriff Sicherheitsniveau in seiner intuitiven Bedeutung reservieren. Eine mathematische Konkretisierung erfährt das Sicherheitsniveau durch Angabe eines Risikomaßes, eines Konfidenzniveaus und des Zeithorizonts, auf den sich die Erfolgs- bzw. Verlustgrößen beziehen. Die Terminologie geht in der Literatur jedoch bunt durcheinander, so dass sich die gemeinte Bedeutung nur jeweils im Zusammenhang erschließt.
2.2.1 Maße, die auf Momenten basieren 2.2.1.1 Maße, die auf der Standardabweichung basieren Ein mathematisch sehr einfaches Risikomaß ist die Standardabweichung σ (X) = E (X − E(X))2 = E (Y − E(Y ))2 = var (X) = var (Y ). Sie gibt an, wie weit im Durchschnitt die Ergebnisse vom erwarteten Wert abweichen, wobei das „Abweichungsmaß“ einfach an die euklidische Geometrie angelehnt wird. Als Risikomaß wird die Standardabweichung auch in der Form ρ(X) = a E(X) + b σ (X)
(2.1)
genutzt, wobei a, b > 0 vorgegebene Parameter sind. Ein traditionelles Anwendungsgebiet für dieses Maß ist die Prämienbestimmung. Ein verwandtes Prinzip der Prämienbestimmung ist das Varianzprinzip mit Risikomaß ρ(X) = a E(X) + b σ 2 (X).
(2.2)
2.2 Beispiele von Risikomaßen
21
Beim Varianzprinzip ist zu beachten, dass die Varianz nicht wie der Erwartungswert einen Geldbetrag, sondern einen quadratischen Geldbetrag darstellt und somit die Summe aus a E(X) und b σ 2 (X) schwer zu interpretieren ist. Das Risikomaß (2.1) hat die unangenehme Eigenschaft, dass positive Abweichungen auf die Standardabweichung den gleichen Einfluss haben wie negative Abweichungen. Es ist damit unempfindlich dafür, ob ein Ereignis „günstig“ oder „ungünstig“ ist. Um diese Probleme zu umgehen, könnte man nur Verluste berücksichtigen, die den Erwartungswert übersteigen, indem man die einseitige Standard
abweichung σ+ =
E (max (0, X − E(X)))2 betrachtet.
2.2.1.2 Risikomaße, die auf höheren Momenten basieren Risikomaße, die nur auf dem Erwartungswert und der Standardabweichung basieren, ignorieren, dass Verlustverteilungen im allgemeinen sehr unsymmetrisch sind. Beispiele dafür bilden Schadenhöhenverteilungen in der Sachversicherung und die Überschussbeteiligung in Lebensversicherungsverträgen mit Garantiezins. Dieser Asymmetrie kann durch das Einbeziehen höherer Momente in das Risikomaß Rechnung getragen werden.
2.2.1.3 Shortfallmaße Die Gefahr der Überschreitung einer vorgegebenen Verlustschwelle a messen die sogenannten Shortfallmaße. Die oberen und unteren partiellen Momente gewichten dabei die Abweichung mit einer Potenzfunktion. Für Verlustgrößen betrachtet man die oberen partiellen Momente (upper partial moments): E max (0, X − a)h für h > 0 UPM(h,a) (X) = P (X ≥ a) für h = 0. Spezialfälle sind die Überschreitungswahrscheinlichkeit der kritischen Grenze a (h = 0) , die mittlere Überschreitung (h = 1) und die Semivarianz (h = 2) . Für Ertragsgrößen ergeben sich analog die unteren partiellen Momente (lower partial moments): E max (0, a −Y )h für h > 0 LPM(h,a) (Y ) = P (Y ≤ a) für h = 0.
2.2.1.4 Allgemeine Probleme mit momentenbasierten Maßen Das schwerwiegendste Problem mit momentenbasierten Maßen ist die Tatsache, dass sie finanziell nur schlecht interpretierbar sind. Am ehesten lässt sich noch die
22
2 Risikomaß
Standardabweichung als „durchschnittlicher Abstand zum Erwartungswert“ interpretieren. Jedoch ist ein euklidischer Abstand zwar ein gutes Entfernungsmaß, aber eben kein natürliches Maß für finanzielle Risiken. Für viele in der Versicherungsindustrie angewendete Verteilungen existieren höhere Momente nicht. Bei der Modellierung operationaler Risiken mit Hilfe der GPD (Generalized Pareto Distribution) ist für in der Praxis vorkommende Parameter mitunter noch nicht einmal der Erwartungswert definiert. In einem solchen Fall wird das Unternehmen auf Dauer nicht bestehen können, wenn das Risikomanagement für operationale Risiken nicht deutlich verbessert wird.
2.2.2 Value at Risk Der Value at Risk ist dagegen ein direktes und einfaches finanzmathematisches Maß. Es beschreibt den Betrag, den man mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit α höchstens „verlieren“ wird. Definition 2.2. Der Value at Risk (oder kurz VaR) VaRα (X) ist durch die Formel VaRα (X) = inf {x ∈ R : FX (x) ≥ α} , gegeben, wobei FX die Verteilungsfunktion von X ist. Der Value at Risk, VaRα (X), ist der minimale Verlust, der in 100 (1 − α) % der schlechtesten Szenarien für das Portfolio entsteht (siehe Abbildung 2.1). Mit anderen Worten, wenn ein Unternehmen mit der Wahrscheinlichkeit α nicht im Laufe einer Periode sein Eigenkapital verzehren möchte, muss es als Eigenkapital mindestens den Betrag VaRα (X) vorhalten, wobei X den Verlust in dieser Periode bezeichnet. Dieses Maß eignet sich somit für einen Aktionär, der nur mit dem Geld, das er investiert hat, haftet. Für das interne Risikomanagement, wo man auch an höheren Risiken jenseits des Quantils interessiert ist, ist das Maß nicht immer geeignet. Anmerkung 2.2. In Ausnahmefällen kann VaRα (X) auch für hohes α negativ sein. Dann würde dieser Wert einem Gewinn und keinem Verlust entsprechen. In der Sprache der Statistik stellt der Value at Risk das untere α-Quantil der Verteilung von X dar. Im Spezialfall, dass FX invertierbar ist, ergibt sich VaRα (X) = FX−1 (α). Lemma 2.1. Für alle α ∈]0, 1[ gilt FX (VaRα (X)) = α. Beweis. Dies folgt direkt aus der Rechtsstetigkeit der Verteilungsfunktion.
Die beiden folgenden Lemmata verdeutlichen, dass der Value at Risk als eine „Pseudo-Inverse“ der Verteilungsfunktion von X aufgefasst werden kann.
2.2 Beispiele von Risikomaßen
23
Lemma 2.2. Ist FX die Verteilungsfunktion von X, so gilt VaRF(X) (X) = X f.s. Beweis. Aufgrund der Rechtsstetigkeit von FX gilt Y := VaRFX ◦X (X) = inf{x ∈ R : FX (x) ≥ FX ◦ X} ≤ X f.s. Aus Lemma 2.1 folgt außerdem FX (Y (ω)) = FX (X(ω)) für alle ω ∈ Ω . Dies bedeutet, dass X auf {ω : Y (ω) < X(ω)} Werte in Konstantheitsintervallen von FX annimmt. Folglich ist P(Y < X) = 0. Lemma 2.3. Es sei U eine Zufallsvariable mit P(U ≤ u) = u für alle u ∈ ]0, 1[ . Dann hat die Zufallsvariable VaRU(·) (X) die gleiche Verteilungsfunktion wie X. Beweis. Es sei ω ∈ Ω mit U(ω) ≤ FX (x). Dann gilt offenbar inf {y : U(ω) ≤ FX (y)} ≤ x, da x die Bedingung für y selbst erfüllt. Umgekehrt folgt aus der Rechtsstetigkeit von FX , dass die Gleichung U(ω) ≤ FX (y) auch für das Infimum über die y erfüllt ist. Wir haben also {ω ∈ Ω : U ≤ FX (x)} = {ω ∈ Ω : inf {y : U ≤ FX (y)} ≤ x} gezeigt, und es folgt P VaRU(·) (X) ≤ x = P (inf {y : FX (y) ≥ U} ≤ x) = P (U ≤ FX (x)) = FX (x) = P(X ≤ x). Lemma 2.4. Es sei M (Ω , R) und α ∈]0, 1[. Dann gilt P (X < VaRα (X)) ≤ α ≤ P (X ≤ VaRα (X)) Gilt außerdem P (X = VaRα (X)) = 0, so folgt insbesondere α = P (X ≤ VaRα (X)). Beweis. Es sei U eine Zufallsvariable mit P(U ≤ u) = u für alle u ∈ ]0, 1[. Da der Value at Risk monoton mit dem Konfidenzniveau wächst, haben wir
ω : VaRU(ω) (X) < VaRα (X) ⊆ {ω : U(ω) < α}
⊆ ω : VaRU(ω) (X) ≤ VaRα (X) . Aus Lemma 2.3 folgt nun
24
2 Risikomaß
P (X < VaRα (X)) = P VaRU(·) (X) < VaRα (X) =α
≤ P (U(·) < α) ≤ P VaRU(·) (X) ≤ VaRα (X) = P(X ≤ VaRα (X)). Unter der zusätzlichen Voraussetzung P (X = VaRα (X)) = 0 entarten die Unglei chungen zu Gleichungen, da dann P (X < VaRα (X)) = P (X ≤ VaRα (X)) gilt. Für die wichtige Klasse der normalverteilten Zufallsvariablen lässt sich der Value at Risk direkt angeben: Proposition 2.1. Es sei X : Ω → R eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert m und Standardabweichung s. Ist Φ0,1 die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung und f : X(Ω ) → R eine streng monoton wachsende Abbildung, so gilt VaRα ( f ◦ X) = f m + s Φ0,1 −1 (α) . Beweis. Da Ff ◦X streng monoton wachsend ist, wird der Value at Risk eindeutig durch Ff ◦X (VaRα ( f ◦ X)) = α bestimmt. Die Behauptung folgt also aus P f ◦ X ≤ f m + s Φ0,1 −1 (α) = P X ≤ m + s Φ0,1 −1 (α) X −m −1 ≤ Φ0,1 (α) =P s = Φ0,1 Φ0,1 −1 (α) = α, wobei wir benutzt haben, dass f auf X(Ω ) invertierbar ist und ω → normalverteilt ist.
X−m s
standard
Beispiel mit Parametern m und s2 , so gilt VaRα (X) = 2.1. Ist X lognormalverteilt −1 exp m + sΦ0,1 (α) .
2.2.3 Tail Value at Risk und Expected Shortfall Der Tail Value at Risk gewichtet gegenüber dem Value at Risk auch höhere Verluste. Definition 2.3. Der Tail Value at Risk ist durch die bedingte Erwartung TailVaRα (X) = E (X |X > VaRα (X) ) gegeben. Er liefert damit aus der Sicht des internen Risikomanagements die interessantere Information, nämlich den erwarteten Verlust der 100 (1 − α) % schlechtesten Szenarien. Es ist klar, dass der Tail Value at Risk zum gleichen Konfidenzniveau
2.2 Beispiele von Risikomaßen
25
0.8
VaR90% (X)
ES90% (X) gewichteter Mittelwert
0.4
E(X)
0.0
Wahrscheinlichkeit
α immer größer als der (oder im Extremfall gleich dem) Value at Risk ist. Siehe Abbildung 2.1 und 2.2.
0
5
10
15
20
Verlust X Abb. 2.1 Value at Risk und Tail Value at Risk aus der Perspektive der Verteilungsfunktion.
Der Tail Value at Risk erlaubt eine klare ökonomische Interpretation. Für stetige Verteilungsfunktionen X1 , X2 hat er außerdem, wie wir später sehen werden, die wichtige Subadditivitätseigenschaft TailVaRα (X1 + X2 ) ≤ TailVaRα (X1 ) + TailVaRα (X2 ) , die intuitiv ausdrückt, dass das Risiko in einem diversifizierten Kollektiv geringer ist als die Summe der Einzelrisiken. Diese Eigenschaft gilt allerdings im allgemeinen nicht für Zufallsvariablen X1 , X2 mit Verteilungsfunktionen, die Sprünge haben. Dagegen erfüllt das eng verwandte Risikomaß „Expected Shortfall“ die Subadditivitätseigenschaft für alle Zufallsvariablen (siehe Abschnitt 2.3). Definition 2.4. Der Expected Shortfall ist durch die Formel ESα (X) =
1 1−α
1 α
VaRz (X) dz
gegeben. In der Literatur wird der Expected Shortfall gelegentlich auch Average Value at Risk genannt. Wir werden nun eine alternative Formel für ESα (X) herleiten, die zeigt, dass für stetige Verteilungsfunktionen ESα (X) mit TailVaRα (X) übereinstimmt.
2 Risikomaß
0.15
Wahrscheinlichkeitsdichte
26
0.05
0.10
E(X)
0.00
VaR90% (X)
0
5
10
ES90% (X)
15
20
Verlust X Abb. 2.2 Value at Risk und Tail Value at Risk aus der Perspektive der Dichte.
Lemma 2.5. Es sei X : Ω → R eine Zufallsvariable und x ∈ R. Wir setzen 1X,x,α = 1{X>x} + βX,α (x) 1{X=x} , P(X≤x)−α
wobei βX,α (x) =
P(X=x)
0
falls P(X = x) > 0 sonst.
Dann gilt (i) 1X,VaRα (X),α (ω) ∈ [0, 1] für alle ω ∈ Ω , (ii) E 1X,VaRα (X),α = 1 − α, (iii) E X 1X,VaRα (X),α = (1 − α) ESα (X). Beweis. (i): Die Behauptung ist in den Spezialfällen P(X = VaRα (X)) = 0 und ω ∈ {X = VaRα (X)} klar. Indem wir Lemma 2.4 zweimal anwenden, erhalten wir 0 ≤ P (X ≤ VaRα (X)) − α = P (X = VaRα (X)) + P (X < VaRα (X)) − α ≤ P (X = VaRα (X)) . Gilt P(X = VaRα (X)) > 0, so folgt daher für ω ∈ {X = VaRα (X)} 1X,VaRα (X),α (ω) =
P (X ≤ VaRα (X)) − α ∈ [0, 1]. P (X = VaRα (X))
2.2 Beispiele von Risikomaßen
27
FX (x)
P (X ≤ VaRα (X)) − α P (X = VaRα (X))
α
VaRα (X)
x
Abb. 2.3 Zum Beweis von Lemma 2.5.
(ii): Wir betrachten zunächst den Fall P (X = VaRα (X)) = 0. Dann impliziert Lemma 2.4 E 1X,VaRα (X),α = E 1{X>VaRα (X)} = P ({X > VaRα (X)}) = 1 − P ({X ≤ VaRα (X)}) = 1 − α. Im Fall P (X = VaRα (X)) > 0 erhalten wir P (X ≤ VaRα (X)) − α 1{X=VaRα (X)} E 1X,VaRα (X),α = E 1{X>VaRα (X)} + P (X = VaRα (X)) P (X ≤ VaRα (X)) − α = P (X > VaRα (X)) + P (X = VaRα (X)) P (X = VaRα (X)) = P (X > VaRα (X)) + P (X ≤ VaRα (X)) − α = 1 − α. (iii): Es sei U eine Zufallsvariable mit P(U ≤ u) = u für alle u ∈ ]0, 1[. Da u → VaRu (X) monoton wachsend ist, gilt
{U ≥ α} ⊆ VaRU(·) (X) ≥ VaRα (X) . Ist U(ω) < α und VaRU(ω) (X) ≥ VaRα (X), so muss (ebenfalls aufgrund der Monotonie) VaRU(ω) = VaRα (X) gelten. Also erhalten wir die Beziehung
{U < α} ∩ VaRU(·) (X) ≥ VaRα (X) ⊆ VaRU(·) (X) = VaRα (X) . Insgesamt folgt
VaRU(·) (X) ≥ VaRα (X) = {U ≥ α} ∪ VaRU(·) (X) ≥ VaRα (X) ∩ {U < α} ,
28
2 Risikomaß
wobei VaRU(ω) (X) = VaRα (X) für alle ω ∈ VaRU(·) (X) ≥ VaRα (X) ∩ {U < α} gilt. Hiermit und mit Lemma 2.3 folgt 1 α
VaRu (X) du = E VaRU(·) (X) 1{U≥α} = E VaRU(·) (X) 1{VaR (X)≥VaRα (X)} U(·) − 1{VaR
}∩{U<α}
U(·) (X)≥VaRα (X)
= E VaRU(·) (X) 1{VaR (X)≥VaRα (X)} U(·) − VaRα (X) E 1{VaR (X)≥VaRα (X)}∩{U<α} U(·) = E X 1{X≥VaRα (X)} − VaRα (X) E 1{VaR (X)≥VaRα (X)}\{U≥α} U(·) = E X 1{X>VaRα (X)} + E X 1{X=VaRα (X)} − VaRα (X) E 1{VaR (X)≥VaRα (X)} + VaRα (X) E 1{U≥α} U(·) = E X 1{X>VaRα (X)} + VaRα (X) (P (X = VaRα (X)) − P (X ≥ VaRα (X)) + 1 − α) = E X 1{X>VaRα (X)} + VaRα (X) (P (X ≤ VaRα (X)) − α) = E X 1X,VaRα (X),α , wobei wir im letzten Schritt ausgenutzt haben, dass Lemma 2.4 im Spezialfall P (X = VaRα (X)) = 0 die Gleichung P (X ≤ VaRα (X)) − α = 0 impliziert.
Proposition 2.2. Es sei α ∈ [0, 1[ . Mit λα =
1 − P (X ≤ VaRα (X)) 1−α
gilt λα ∈ [0, 1] und ESα (X) = λα TailVaRα (X) + (1 − λα ) VaRα (X). Insbesondere stimmen Tail Value at Risk und Expected Shortfall für stetige Verteilungen überein. Beweis. λα ∈ [0, 1] folgt direkt aus Lemma 2.4. Wir berechnen
2.2 Beispiele von Risikomaßen
29
(1 − α) ESα (X) = E X 1X,VaRα (X),α = E X 1{X>VaRα (X)} + VaRα (X) (P (X ≤ VaRα (X)) − α) = P (X > VaRα (X)) TailVaRα (X) + VaRα (X) (1 − α − (1 − P (X ≤ VaRα (X)))) = (1 − α) λα TailVaRα (X) − (1 − α) VaRα (X) (1 − λα ) . Ist X stetig, so gilt aufgrund von Lemma 2.4 λα = 1, so dass ESα (X) = TailVaRα (X) folgt. Im allgemeinen hat der Expected Shortfall bessere mathematische Eigenschaften als der Tail Value at Risk (siehe Abschnitt 2.3). Die folgende Darstellung des Expected Shortfall dient als Motivation in Abschnitt 2.4.4. Sie ermöglicht außerdem einen einfachen Beweis des in Proposition 2.4 gegebenen wichtigen Approximationsresultats. Proposition 2.3. Es sei M (Ω , R) ⊆ L1 (Ω , R) und dQ 1 Wα = Q : Q ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß mit Q P und ≤ . dP 1−α Dann gilt für X ∈ M (Ω , R) ESα (X) = sup {EQ (X)} . Q∈Wα
Beweis. Da X bezüglich P integrierbar ist und Q P gilt sowie ist X auch bezüglich Q integrierbar. Die durch
dQ dP
beschränkt ist,
dQ 1 = 1 dP 1 − α X,VaRα (X),α definierte spezielle Wahl von Q (siehe Lemma 2.5) erfüllt die beiden Bedingungen −1 Q P und dQ dP ≤ (1 − α) . Da ESα (X) =
1 E X 1X,VaRα (X),α = EQ (X) 1−α
gilt (Lemma 2.5 (iii)), folgt ESα (X) ≤ sup {ER (X)} R∈Wα
Es sei nun R ein weiteres Wahrscheinlichkeitsmaß, das die beiden Bedingun−1 erfüllt. Wir müssen E (X) ≤ E (X) zeigen. Die gen R P und dR R Q dP ≤ (1 − α)
Menge A = ω : 1X,VaRα (X),α (ω) > 0 erfüllt EQ (1A ) = 1. Nach Konstruktion von ˜ für alle ω ∈ Ω \ A. Damit folgt die X (ω) 1X,VaRα (X),α gilt außerdem X(ω) ≤ infω∈A ˜ Ungleichung
30
2 Risikomaß
dR dR X 1A + EP X1 dP dP Ω \A dR ˜ R(Ω \ A). ≤ EP X 1A + inf X (ω) ˜ ω∈A dP
ER (X) = EP
Aus EP folgt
EP
dQ 1A dP
dQ dR − dP dP
= EP
dQ dP
= EQ (1) = 1
1A
= 1 − R(A) = R(Ω \ A).
˜ ⊆A Da für alle ω ∈ X > infω∈A X(ω) ˜ 1 dR dQ = ≥ dP 1−α dP gilt, haben wir auf dieser Menge die Ungleichung dQ dR dQ dR ˜ X − − ≥ inf X (ω) . ˜ ω∈A dP dP dP dP ˜ erfüllt, so dass X(ω) Diese Ungleichung ist trivialerweise auch auf X = infω∈A ˜ ˜ auf A gilt. Wir erhalten also X(ω) sie wegen A ⊆ X ≥ infω∈A ˜ ER (X) ≤ EP X ≤ EP X = EP X
dQ dR dR ˜ EP 1A + inf X (ω) − 1A ˜ ω∈A dP dP dP dQ dR dR 1A + EP X − 1A dP dP dP dQ 1A = EQ (X). dP
Proposition 2.4. Es seien Y eine integrierbare, positive Funktion und {Xk }k∈N eine Folge von Zufallsvariablen mit |Xk | ≤ Y fast sicher, die fast sicher punktweise gegen die Zufallsvariable X konvergiert. Dann gilt ESα (Xn ) → ESα (X). Beweis. Es sei ε > 0 und Q ∈ Wα mit EQ (X) ≥ ESα (X) − ε. Da für jedes R ∈ Wα die Ungleichung 0 ≤
dQ dR 1 dP ≤ 1−α gilt, ist die Folge dP Xk k∈N durch die integrierdQ 1 1−α Y dominiert. Ferner konvergiert dP Xk fast überall gegen
bare Zufallsvariable dQ dP X. Der Satz von Lebesgue impliziert also EQ (Xk ) → EQ (X). Da ε > 0 beliebig war, impliziert dies nach Proposition 2.3 lim infk→∞ ESα (Xk ) ≥ ESα (X). mit Es existiert eine Teilfolge Xk j j∈N
2.2 Beispiele von Risikomaßen
31
lim ESα Xk j = lim sup ESα (Xk ).
j→∞
Es sei Qk j ∈ Wα mit
k→∞
1 ESα (Xk j ) − EQk j (Xk j ) ≤ . j
Da für jedes j die Radon-Nikodym-Ableitung 1 1−α
erfüllt, ist f = lim sup j→∞
durch
˜ dQ dP
dQk j dP
dQk j dP
messbar ist und 0 ≤
eine messbare Funktion mit 0 ≤ f ≤
dQk j
dP ≤ 1 1−α . Das
= f definierte Maß ist offenbar in Wα , weshalb ESα (X) ≥ EQ˜ (X) gilt. Da dQk
die Xnk fast überall gegen X konvergieren, gilt lim sup j→∞ dP j Xk j = f X. Wegen dQnk 1 Y können wir das Lemma von Fatou anwenden und erhalten dP Xnk ≤ 1−α EQ˜ (X) = EP ( f X) = EP lim sup
dQk j
Xk j dP dQk j Xk j ≥ lim sup EP dP j→∞ 1 ≥ lim sup ESα Xk j − j j→∞ j→∞
= lim sup (ESα (Xk )) . k→∞
Also gilt auch ESα (X) ≥ lim supk→∞ ESα (Xk ).
Proposition 2.4 legt nahe, den Expected Shortfall dem Tail Value at Risk vorzuziehen. Denn für hinreichend großes n ist es unmöglich, durch eine Messung zwischen Xn und X zu unterscheiden. Daher sollte auch der Wert der korrespondierenden Risikomaße praktisch ununterscheidbar sein. Dies ist nicht für den Tail Value at Risk erfüllt, aber Proposition 2.4 zeigt, dass der Expected Shortfall diese für die Interpretation notwendige Eigenschaft hat. Lemma 2.6. Es sei X : Ω → R eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert m und Standardabweichung s. f : X(Ω ) → R sei eine streng monotone, d stetige Abbildung. Wenn Φ0,1 die Verteilungsfunktion und ϕ0,1 = dx Φ0,1 die Dichte der Standardnormalverteilung bezeichnen, gilt ESα ( f ◦ X) =
∞ Φ0,1 −1 (α)
f (m + s x) ϕ0,1 (x) dx = TailVaRα ( f ◦ X).
Beweis. Aus Proposition 2.1 folgt ESα ( f ◦ X) =
1 1−α
1 α
VaR p ( f ◦ X) dp =
1 1−α
1 α
f m + s Φ0,1 −1 (p) dp.
32
2 Risikomaß
Mittels der Substitution p = Φ0,1 (x) erhalten wir dp = ϕ0,1 (x) dx und daher 1 ESα ( f ◦ X) = 1−α
∞ Φ0,1 −1 (α)
f (m + s x) ϕ0,1 (x) dx.
Aufgrund der Stetigkeit der Verteilungsfunktion gilt ESα ( f ◦ X) = TailVaRα ( f ◦ X). In den zwei wichtigen Spezialfällen normalverteilter Zufallsvariablen und lognormalverteilter Zufallsvariablen lässt sich das Integral explizit berechnen. Proposition 2.5. Es sei X : Ω → R eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert μ und Standardabweichung σ . Wenn Φ0,1 die Verteilungsfunktion und d ϕ0,1 = dx Φ0,1 die Dichte der Standardnormalverteilung bezeichnen, gilt ϕ0,1 Φ0,1 −1 (α) = TailVaRα (X). ESα (X) = μ + σ 1−α Beweis. In diesem Fall haben wir in Lemma 2.6 f (x) = x, so dass sich das Integral zu ∞ σ x ϕ0,1 (x) dx ESα (X) = μ + 1 − α Φ0,1 −1 (α)
vereinfacht. Mit der Beziehung ϕ0,1 (x) = −x ϕ0,1 (x) erhalten wir ESα (X) = μ −
σ σ [ϕ0,1 (p)]∞ ϕ0,1 Φ0,1 −1 (α) . −1 (α) = μ + Φ 0,1 1−α 1−α
Proposition d.h. Es sei X : Ω → R eine lognormalverteilte Zufallsvariable, 2.6. d Φ0,1 die Dichln X ∼ N m, s2 . Wenn Φ0,1 die Verteilungsfunktion und ϕ0,1 = dx te der Standardnormalverteilung bezeichnen, gilt 2 exp m + s2 Φ0,1 s − Φ0,1 −1 (α) . ESα (X) = 1−α Beweis. In diesem Fall haben wir in Lemma 2.6 f (x) = exp(x). Das Integral vereinfacht sich also zu
2.2 Beispiele von Risikomaßen
ESα (X) = = = = =
1 1 √ 1 − α 2π
33
∞
1 exp (m + sx) exp − x2 dx 2 Φ0,1 ∞ 2 1 s 1 1 √ exp m + − (x − s)2 dx 1 − α 2π Φ0,1 −1 (α) 2 2 2 ∞ exp m + s2 1 1 √ exp − y2 dy 1−α 2 2π Φ0,1 −1 (α)−s 2 exp m + s2 1 − Φ0,1 Φ0,1 −1 (α) − s 1−α 2 exp m + s2 Φ0,1 s − Φ0,1 −1 (α) . 1−α −1 (α)
Dabei haben wir in der letzten Gleichung von der Symmetrie der Standardnormalverteilung Gebrauch gemacht.
2.2.4 Spektralmaße Der Expected Shortfall lässt sich direkt verallgemeinern, um die individuelle Risikoaversion zu berücksichtigen. Statt über alle VaRz (X) mit z ≥ α mit gleichem Gewicht zu mitteln, kann man eine allgemeinere Gewichtungsfunktion φ verwenden. Definition 2.5. Es sei (A, A , μ) ein Wahrscheinlichkeitsraum mit σ -Algebra A und Wahrscheinlichkeitsmaß μ. Dann heißt eine integrierbare Abbildung φ : A → R Gewichtungsfunktion, falls φ die folgenden Eigenschaften erfüllt: (i) φ(α) ≥ 0 für fast alle α ∈ A, (ii) A φ (α) dμ(α) = 1. Definition 2.6. Es sei φ ∈ L1 ([0, 1]) eine Gewichtungsfunktion. Dann heißt das Risikomaß Mφ (X) =
1
0
VaR p (X)φ (p) dp
das Spektralmaß zu φ . Mit einem Spektralmaß wird das Risiko auch in Abhängigkeit von der Seltenheit, mit der ein Verlust eintreten kann, gewichtet. Das Konzept des Spektralmaßes ermöglicht somit die Abbildung eines individuellen Profils der Risikoaversion. Offenbar ist ESα ein Beispiel für ein Spektralmaß. Das Maß VaR kann als Grenzfall von Spektralmaßen verstanden werden, da VaRα (X) = 01 VaR p (X) δα (p) dp gilt, wobei δα die Dirac-Distribution bezeichnet.
34
2 Risikomaß
2.3 Wahl eines guten Risikomaßes 2.3.1 Risikomaße und Risikointuition Eine wichtige Forderung für ein gutes Risikomaß ist eine möglichst gute Beschreibung der Risikointuition des Benutzers. Ein Risikomaß, das ein Benutzer auf Anhieb gut zu verstehen glaubt, muss diese Forderung nicht erfüllen. Wir wollen diesen Punkt etwas genauer illustrieren. Die folgende Axiomatik von Artzner et.al. [3] beschreibt Eigenschaften, die unserem intuitiven Risikobegriff entsprechen. Definition 2.7. Ein Risikomaß ρ heißt kohärent, falls es die folgenden Eigenschaften erfüllt: Translationsinvarianz: ρ(X + α) = ρ(X) + α für alle X ∈ M (Ω , R) und alle Konstanten α. Positive Homogenität: ρ(α X) = α ρ(X) für alle X ∈ M (Ω , R) und alle positiven Konstanten α. Monotonie: X1 ≥ X2 fast überall ⇒ ρ(X1 ) ≥ ρ(X2 ) für alle X1 , X2 ∈ M (Ω , R).1 Subadditivität: ρ(X1 + X2 ) ≤ ρ(X1 ) + ρ(X2 ) für alle X1 , X2 ∈ M (Ω , R). Um zu sehen, inwieweit diese Axiome wirklich unsere Intuition für Risiko beschreiben, müssen wir betrachten, was jede dieser vier Bedingungen aussagt. Translationsinvarianz besagt, dass sichere Verluste vollkommen mit Kapital hinterlegt werden müssen, aber nicht das Restrisiko beeinflussen: Ein sicherer Verlust ist kein Risiko, weil er vollkommen absehbar ist. Aus der Translationsinvarianz folgt außerdem ρ (X − ρ (X)) = 0. Das Risikokapital ρ (X) ist also genau der Geldbetrag, der gehalten werden muss, um bezüglich des Risikomaßes das Risiko vollkommen abzufedern. In diesem Sinne sind Risikomaße, die die Translationsinvarianz erfüllen, akzeptabel [3]. Positive Homogenität ist eine Skalierungsinvarianz: Es ist unwesentlich, ob man das Risiko in Cent oder Euro misst. Gälte die positive Homogenität nicht, hätte die willkürlich gewählte Geldeinheit einen Einfluss auf das Kapital, was natürlich nicht sein sollte. Man kann die Homogenität auch in dem Sinne real interpretieren, dass eine Vervielfachung der Versicherungssummen eines Portfolios eine entsprechende Vervielfachung des Risikos nach sich zieht. Dies ist bei kleinen Beständen plausibel. Bei größeren Beständen werden die Liquiditätsrisiken jedoch zunehmend größer, da im Falle eines Versicherungsfalls größere Zahlungen geleistet werden müssen. Monotonie bedeutet, dass ein Portfolio, das in jeder möglichen Situation höhere Verluste als ein anderes Portfolio aufweist, auch zu einem höheren Risikokapital führen muss. Denkbar wären zum Beispiel zwei identische Portfolios, wobei eines der Portfolios allerdings für die Prämien einen schadenabhängigen nachträglich gewährten Rabatt aufweist. Subadditivität besagt, dass es bei der Kombination von risikobehafteten Portfolios Diversifizierungseffekte gibt. Subadditivität ist für einen Versicherer besonders Im Originalartikel von Artzner et.al. [3] wird vom Ergebnis Y = −X ausgegangen, daher wird Monotonie dort anders definiert.
1
2.3 Wahl eines guten Risikomaßes
35
intuitiv, weil auf dem Diversifizierungseffekt das Geschäftsmodell der Versicherung beruht.2 Auch hier kann argumentiert werden, dass Subadditivität nicht immer gelten muss. Wenn zum Beispiel zwei Unternehmen verschmelzen, kann es durch interne Machtkämpfe zu einer insgesamt schlechteren Risikolage kommen, so dass dem verschmolzenen Unternehmen in der Gesamtbetrachtung ein Risikokapital zuzuordnen wäre, das größer als die Summe der Einzelkapitale ist. Man kann auch argumentieren, dass bei einer Vervielfachung der Versicherungssumme wegen der höheren Liquiditätsrisiken Superadditivität anstelle der Subadditivität angemessen sei. Anmerkung 2.3. Die Kritik an der positiven Homogenität und der Subadditivität motiviert, Risikomaße zu betrachten, die lediglich translationsinvariant, monoton und konvex sind. Konvexe Risikomaße sind dadurch definiert, dass für jedes α ∈ [0, 1] und für je zwei Verlustverteilungen X1 , X2 ∈ M (Ω , R) die Ungleichung ρ (α X1 + (1 − α) X2 ) ≤ α ρ (X1 ) + (1 − α) ρ (X2 ) gilt. Es ist klar, dass Konvexität eine schwächere Bedingung ist und aus Subadditivität und positiver Homogenität folgt. Kohärente Risikomaße erfüllen intuitive Erwartungen in vielen Situationen. Es gibt allerdings Bereiche, wo die Erwartung an ein Risikomaß im Widerspruch zur Kohärenz steht. Dies ist im Einzelfall abzuwägen. Erfüllt umgekehrt ein Risikomaß nicht die Kohärenz-Anforderungen, so sollte abgewogen werden, inwieweit dies durch die beschriebene Situation bedingt ist und ob diese Eigenschaft erwünscht oder vernachlässigbar ist. Das folgende technische Theorem ermöglicht die Konstruktion neuer kohärenter Risikomaße auf der Grundlage von existierenden kohärenten Risikomaßen. Wir werden es später für den Beweis von Theorem 2.4 verwenden, in dem eine anschaulichere Konstruktion von kohärenten Maßen angegeben wird. Theorem 2.1. Es sei (A, A , μ) ein Wahrscheinlichkeitsraum mit σ -Algebra A und Wahrscheinlichkeitsmaß μ. Es sei {ρα }α∈A eine Familie von Risikomaßen und M ein Vektorraum von reellwertigen Zufallsvariablen X, für die ρα (X) μ-fast überall definiert und μ-integrierbar ist. Sind alle ρα translationsinvariant, positiv homogen, monoton bzw. subadditiv, so hat auch das Risikomaß ρ : M → R, X → ρ(X) = ρ (X) dμ(α) die entsprechende Eigenschaft. α A Beweis. Es seien c ∈ R und X,Y beliebige Zufallsvariablen. Translationsinvarianz: 2 Es gibt eine subtile Unterscheidung zwischen Pooling und Diversifikation, wobei argumentiert wird, dass das Versicherungsgeschäft in erster Linie auf Pooling beruht. Die Unterscheidung beruht darauf, dass der Poolingeffekt nur unter Kosten hergestellt werden kann (Vermittler müssen Versicherungsnehmer finden), während Diversifikation im Prinzip umsonst ist (Ein diversifiziertes Aktienportfolio kostet genauso viel wie ein undiversifiziertes zum gleichen Kurs). In unserem Zusammenhang, in dem wir nur auf die Risikoeffekte abstellen, ist diese Unterscheidung jedoch sekundär.
36
2 Risikomaß
ρ(X + c) =
A
=
A
ρα (X + c) dμ(α) = ρα (X) dμ(α) + c
A
A
(ρα (X) + c) dμ(α)
dμ(α) = ρ(X) + c,
da μ ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist. Positive Homogenität: Für c ≥ 0 gilt ρ(c X) =
A
ρα (c X) dμ(α) =
A
c ρα (X) dμ(α) = c ρ(X).
Monotonie: Es gelte X ≥ Y fast überall. Dann folgt aus ρα (X) ≥ ρα (Y ) ρ(X) =
A
ρα (X) dμ(α) ≥
A
ρα (Y ) dμ(α) = ρ(Y ).
Subadditivität: ρ(X +Y ) =
A
ρα (X +Y ) dμ(α) ≤
A
(ρα (X) + ρα (Y )) dμ(α) = ρ(X) + ρ(Y )
Im allgemeinen erfüllt das Risikomaß VaRα , das auf den ersten Blick vielleicht am eingängigsten erscheint, nicht das wichtige Axiom der Subadditivität. Der Value at Risk ist damit nicht kohärent und beschreibt daher unsere Risikointuition nicht in dem Maße, in dem es wünschenswert wäre. Beispiel 2.2. Die diskrete Verteilung X sei durch P(X = −1) = 0.96 P(X = 10) = 0.04 gegeben. Wir können −X als eine Gewinnverteilung für einen Versicherungsvertrag interpretieren. Die Prämie beträgt 1. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 4% tritt ein Schaden ein, und die Leistung ist im Schadenfall immer gleich 11. In diesem einfachen Beispiel werden Kosten und Kapitalerträge ignoriert. Das Geschäft ist profitabel, da E(−X) = 0.56 gilt. Wir sind am Risikomaß VaR95% interessiert. Da der Schaden nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 4% < 1 − 95% eintritt, gilt VaR95% (X) = −1. Für unser geringes Konfidenzniveau gibt es also kein positives Risiko. Wir betrachten nun eine zweite Verteilung Y ∼ X, die von X unabhängig ist. Die Gesamtverteilung X +Y ist dann vollständig durch ⎧ 2 ⎪ ⎨P(X +Y = −2) = 0.96 = 0.9216 P(X +Y = 9) = 2 × 0.96 × 0.04 = 0.0768 ⎪ ⎩ P(X +Y = 20) = 0.042 = 0.0016
2.3 Wahl eines guten Risikomaßes
37
beschrieben. Offenbar gilt VaR95% (X +Y ) = 9 > 2 (−1) = VaR95% (X) + VaR95% (Y ). Wenn man den Value at Risk als Risikomaß verwendete, würde man also folgern, dass die Diversifizierung das Risiko erhöht statt zu vermindern. Es gibt jedoch Spezialfälle, für die das Risikomaß Value at Risk kohärent ist (siehe Theorem 2.2). Zunächst benötigen wir jedoch ein wenig Vorbereitung. Anmerkung 2.4. Wir wollen hier einige Eigenschaften euklidischer Räume wiederholen, die wir für die Formulierung und den Beweis des folgenden Lemmas 2.7 benötigen werden. Wir betrachten den Rn mit einem Skalarprodukt , : Rn ×Rn → R. Das Paar (Rn , , ) heißt euklidischer Raum und bildet die Grundlage der elementaren Geometrie. Eine lineare Abbildung O : Rn → Rn , u → Ou heißt orthogonal (oder Isometrie), wenn Ox, Oy = x, y für alle x, y ∈ Rn gilt. Insbesondere ist O invertierbar. Die transponierte Abbildung O ist durch die Eigenschaft Ox, y = x, O y für alle x, y ∈ Rn definiert. Es gilt O O = idRn , was aus O Ox, y = Ox, Oy = x, y ∀x, y ∈ Rn folgt. O ist selbst wieder eine orthogonale Abbildung, da O Ox, O Oy = x, y = Ox, Oy für alle x, y ∈ Rn gilt und O invertierbar ist.
Lemma 2.7. X : Ω → Rn sei eine Zufallsvariable und φX : Rn → R, u → E eiu,X ihre charakteristische Funktion. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent: (i) Für jede orthogonale lineare Abbildung O : Rn → Rn gilt OX ∼ X. (ii) Es gibt eine Funktion ψX : R+ → R mit φX (u) = ψX (u2 ). (iii) Für jedes a ∈ Rn gilt a, X ∼ a X1 , wobei X1 die erste Vektorkomponente von X ist. Beweis. „(i)⇒(ii)“: Für jede orthogonale lineare Abbildung O und jedes u ∈ Rn gilt φX (u) = φOX (u) = E eiu,OX = E eiO u,X = φX O u Die charakteristische Funktion φX (·) ist also unter orthogonalen Transformationen invariant und Eigenschaft (ii) folgt. „(ii)⇒(iii)“: E sei a ∈ Rn . Dann erhalten wir für jedes t ∈ R φa,X (t) = E eit a,X = E eit a,X = φX (t a) = ψX t 2 a2 . Andererseits gilt φa X1 (t) = E eit a X1 = E eit a e1 ,X = φX (t a e1 ) = ψX t 2 a2 ,
38
2 Risikomaß
und Eigenschaft (iii) folgt aus der Eindeutigkeit der charakteristischen Funktion. „(iii)⇒(i)“: Wegen der Eindeutigkeit der charakteristischen Funktion genügt es zu zeigen, dass die charakteristische Funktion von X unter orthogonalen Transformationen O invariant ist. Es gilt φOX (u) = E eiu,OX = E eiO u,X = φO u,X (1) = φO u X1 (1) = φu X1 (1) = φu,X (1) = E eiu,X = φX (u). Lemma 2.8. Das Risikomaß VaRα ist translationsinvariant, positiv homogen und monoton. Beweis. Es seien a ∈ R und X,Y beliebige Zufallsvariablen. Translationsinvarianz: Offenbar gilt FX+a (x) = P(X + a ≤ x) = P(X ≤ x − a) = FX (x − a). Es folgt VaRα (X + a) = inf {x : FX+a (x) ≥ α} = inf {x : FX (x − a) ≥ α} = inf {x + a : FX (x) ≥ α} = a + inf {x : FX (x) ≥ α} = VaRα (X) + a. Positive Homogenität: Für a = 0 gilt die Homogenitätseigenschaft trivialer Wei se. Ist a > 0, so gilt Fa X (x) = P(a X ≤ x) = P(X ≤ ax ) = FX ax . Somit folgt x ≥α VaRα (a X) = inf {x : Fa X (x) ≥ α} = inf x : FX a = inf {a x : FX (x) ≥ α} = a inf {x : FX (x) ≥ α} = a VaRα (X). Monotonie: Es gelte X ≥ Y fast überall. Dann gilt FX (x) = P(X ≤ x) ≤ P(Y ≤ x) = FY (x) und daher {x : FX (x) ≥ α} ⊆ {x : FY (x) ≥ α}. Es folgt VaRα (X) = inf {x : FX (x) ≥ α} ≥ inf {x : FY (x) ≥ α} = VaRα (Y ). Theorem 2.2. Eingeschränkt auf einen Vektorraum von normalverteilten Zufallsva riablen ist für jedes α ∈ 12 , 1 das Risikomaß VaRα kohärent. Beweis. Wegen Lemma 2.8 müssen wir nur die Subadditivität zeigen. Es seien X,Y : Ω → R beliebige normalverteilte Zufallsvariablen aus dem Vektrorraum. Aufgrund der Vektorraumeigenschaft sind alle Linearkombinationen von X und Y normalverteilt, so dass der Vektor (X,Y ) multivariat normalverteilt ist. Folglich existieren ein zweidimensionaler standardnormalverteilter Zufallsvektor Z = (Z1 , Z2 ), eine lineare Abbildung A : R2 → R2 sowie ein Vektor b = (b1 , b2 ) ∈ R2 , so dass
2.3 Wahl eines guten Risikomaßes
39
(X,Y ) = AZ + b gilt. Wegen φZ (u) = e−u /2 gilt nach Lemma 2.7 für jeden Vektor a ∈ R2 die Relation a, Z ∼ a Z1 . Wir haben # ! " # # # X − b1 = A e1 , Z ∼ #A e1 # Z1 , # ! " # # # Y − b2 = A e2 , Z ∼ #A e2 # Z1 , # ! " # # # X +Y − b1 − b2 = A e1 + A e2 , Z ∼ #A e1 + A e2 # Z1 . 2
Somit gilt aufgrund der Translationsinvarianz und der positiven Homogenität von VaRα # # # # VaRα (X) = #A e1 # VaRα (Z1 ) + b1 , # # # # VaRα (Y ) = #A e2 # VaRα (Z1 ) + b2 , # # # # VaRα (X +Y ) = #A e1 + A e2 # VaRα (Z1 ) + b1 + b2 . Die Subadditivität folgt nun aus # # # # # # # # # # # # #A e1 + A e2 # ≤ #A e1 # + #A e2 # und VaRα (Z1 ) ≥ 0 für α ≥ 12 , da Z1 standardnormalverteilt ist.
Anmerkung 2.5. Eine Zufallsvariable, die eine der äquivalenten Bedingungen in Lemma 2.7 erfüllt, heißt sphärisch. Die affine Transformation einer sphärischen Zufallsvariable heißt elliptisch. Im Beweis von Theorem 2.2 haben wir von der Normalverteilungseigenschaft lediglich benutzt, dass Multinormalverteilungen elliptisch sind. Das Theorem lässt sich also auf Verteilungen, die als Linearkombination von Komponenten elliptischer Verteilungen geschrieben werden können, verallgemeinern. Für eine genaue Formulierung dieser Verallgemeinerung siehe [40, Theorem 6.8]. Theorem 2.3. Der Expected Shortfall ESα ist kohärent. Beweis. Es sei dp das Lebesgue Maß. Dann folgen Translationsinvarianz, positive Homogenität undMonotonie direktaus Theorem 2.1 und Lemma 2.8 mit ρ p = VaR p 1 und (A, A , μ) = [α, 1], B, 1−α dp . Es bleibt die Subadditivität zu zeigen. Für beliebige Zufallsvariablen X,Y erhalten wir mit Lemma 2.5 (iii) (1 − α) (ESα (X) + ESα (Y ) − ESα (X +Y )) = E X 1X,VaRα (X),α +Y 1Y,VaRα (Y ),α − (X +Y ) 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α = E X 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α + E Y 1Y,VaRα (Y ),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α .
40
2 Risikomaß
Wir betrachten nun den Ausdruck E X 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α . Nach Konstruktion von 1X,x,α gilt für X(ω) < x die Gleichung 1X,x,α (ω) = 0 und für X(ω) > x die Gleichung 1X,x,α (ω) = 1. Da aufgrund von Lemma 2.5 (i) die Ungleichung 0 ≤ 1X+Y,VaRα (X+Y ),α ≤ 1 gilt, erhalten wir 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α
≤ 0 , falls X(ω) < VaRα (X) ≥ 0 , falls X(ω) > VaRα (X).
Damit gilt in beiden Fällen (und trivialer Weise auch für X = VaRα (X)) die Ungleichung X 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α
≥ VaRα (X) 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α .
Lemma 2.5 (ii) impliziert nun E X 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α ≥ VaRα (X) E 1X,VaRα (X),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α = VaRα (X) ((1 − α) − (1 − α)) = 0. Das gleiche Argument impliziert auch E Y 1Y,VaRα (Y ),α − 1(X+Y ),VaRα (X+Y ),α ≥ 0. Insgesamt erhalten wir also (1 − α) (ESα (X) + ESα (Y ) − ESα (X +Y )) ≥ 0 + 0 = 0. Theorem 2.4. Ein Spektralmaß Mφ ist kohärent, wenn die Gewichtungsfunktion φ ∈ L1 ([0, 1]) (fast überall) monoton wachsend ist. Beweis. Da φ monoton wachsend ist, können wir durch φ (p) =: ν([0, p]) ein Maß auf ([0, 1], B) definieren. Aus dem Theorem von Fubini folgt
2.3 Wahl eines guten Risikomaßes
Mφ (X) =
1
41
1
p
VaR p (X)φ (p) d p = VaR p (X) dν(α) dp 0 0 0 1 1 = 1[0,p] (α) VaR p (X) dν(α) dp 0 0 1 1 1[α,1] (p) VaR p (X) dν(α) dp = 0 0 1 1 1 1 = 1[α,1] (p) VaR p (X) dp dν(α) = VaR p (X) dp dν(α) 0
=
1 0
0
0
α
(1 − α) ESα (X) dν(α),
wobei wir von der Identität 1[0,p] (α) = 1[α,1] (p) für α, p ∈ [0, 1] Gebrauch gemacht haben. Die Behauptung folgt nun aus Theorem 2.1 mit dμ(α) = (1 − α) dν(α), da 1 1 1 1 dμ(α) = (1 − α) dν(α) = dp dν(α) 0 0 0 α 1 1 1 1 = 1[α,1] (p) dp dν(α) = 1[α,1] (p) dν(α) dp 0 0 0 0 1 1 1 1 = 1[0,p] (α) dν(α) dp = ν ([0, p]) dp = φ (p) dp 0
0
0
0
=1 gilt.
Ein Spektralmaß ist also genau dann kohärent, wenn die individuelle Risikoaversion höheren Verlusten auch höhere Gewichte zuordnet.
2.3.2 Praktische Erwägungen Einige Risikomaße wie VaRα oder TailVaRα werden unter Angabe eines Konfidenzniveaus α definiert. Dieses Konfidenzniveau ermöglicht einen ersten intuitiven Eindruck über das angestrebte Sicherheitsniveau. Es ist jedoch eine gewisse Vorsicht geboten, da das Sicherheitsniveau sowohl vom Risikomaß als auch vom betrachteten Zeithorizont abhängt. So haben wir oben gesehen, dass ein Tail Value at Risk zum Konfidenzniveau α immer ein höheres Sicherheitsniveau bietet als ein Value at Risk zum gleichen Konfidenzniveau α. Ferner ist klar, dass je länger die Periode ist, auf die sich das Konfidenzniveau bezieht, desto höher das Sicherheitsniveau ist, das erreicht wird. Eine weitere wichtige Forderung ist die der Praktikabilität des Risikomaßes. • Ist die Klasse der Verteilung bekannt, so reduziert sich das Problem der Bestimmung des Risikos auf die Schätzung der Parameter der vorliegenden Verteilung.
42
2 Risikomaß
Aber selbst wenn die Verteilungen der einzelnen Teilrisiken bekannt sind, wirft die Aggregation zur Gesamtverteilung bereits im einfachsten Fall der Unabhängigkeit erhebliche numerische Probleme auf. Daher berechnet man in der Praxis die Gesamtverteilung meist mittels Monte-Carlo-Simulation. • Varianzreduktionstechniken können zur Verringerung der Anzahl der benötigten Szenarien herangezogen werden. Ferner kann eine approximative Portfoliobewertung den numerischen Aufwand reduzieren. • Wenn wir davon ausgehen, dass die Risikoverteilung numerisch über eine Monte Carlo Simulation ermittelt wird, so sind VaRα und Spektralmaße mit ähnlichem Aufwand zu berechnen. Wenn das Risiko genauer untersucht werden soll, haben Spektralmaße Vorteile, da sie über eine Integration und somit stabiler definiert sind. Auf diese Eigenschaft werden wir im Abschnitt 5.2 am Beispiel einer Definition für ein besonders intuitives Allokationsschema für das Risikokapital genauer eingehen. Das Ergebnis des Risikomaßes ρ : M (Ω , R) → R ist selbst keine Zufallsvariable, sondern wie der Erwartungswert eine deterministische Größe. Bei der MonteCarlo-Simulation wird diese deterministische Größe durch einen Schätzer, d.h. eine ρ,X Zufallsvariable Rk auf der Basis von k unabhängigen Realisierungen von X approximiert. Dabei bedeutet das „ungefähr“-Zeichen „≈“, dass für eine vorgegebene kleine Schranke ε > 0 und ein vorgegebenes „Meta-Konfidenzniveau“α˜ die Ungleichung ρ,X (2.3) P ρ(X) − Rk > ε < 1 − α˜ gilt. Den theoretischen Hintergrund liefert das schwache Gesetz der großen Zahl. Beispiel 2.3. Es sei ρ = VaRα . Um VaRα (X) numerisch stabil schätzen zu können, müssen wir eine so hohe Anzahl k von Szenarien wählen, dass hinreichend viele Szenarien einen Verlust höher als VaRα (X) liefern. Um zum Beispiel mehr als 100 Szenarien mit einem höheren Verlust zu erhalten, wählen wir k ∈ N so groß, dass (1 − α) k > 100 gilt. Wir bezeichnen mit MAXm ({a1 , . . . , ak }) den m-höchsten Wert der Menge {a1 , . . . , ak }. Nun können wir α ,X RVaR (X1 , . . . , Xk ) = MAX[(1−α) k+1] ({X1 , . . . , Xk }) k
setzen, wobei [a] den ganzzahligen Anteil der reellen Zahl a bezeichne. Für gegebene ε, α˜ wird nun k so groß gewählt, dass Ungleichung (2.3) erfüllt ist. Dass eine solche Wahl möglich ist, folgt intuitiv aus der Definition des Value at Risk und dem Gesetz der großen Zahlen. In der Praxis wird man keinen Beweis führen, sondern k ρ,X einfach so groß wählen, dass sich der Wert von Rk aufeinander folgender Evaluationen kaum unterscheidet. Die Anzahl der Simulationen wird häufig pragmatisch durch die Rechnerkapazität und die praktisch vertretbare Laufzeit bestimmt. Das kann dazu führen, dass
2.3 Wahl eines guten Risikomaßes
43
die Ergebnisse nicht stabil sind. Insbesondere wenn X eine heavy-tailed-Verteilung (z.B. Paretoverteilung) ist, können leicht mehr als 100.000 Simulationen notwendig sein, um stabile Ergebnisse für VaR99.5% (X) zu erhalten. Man sieht leicht, dass der Schätzwert RkVaRα ,X (X1 , . . . , Xk ) mit dem Value at Risk der empirischen Verteilungsfunktion Fk der Stichprobenwerte übereinstimmt; denn es gilt [(1 − α)k] α ,X = 1− ∈ [α, α + 1/k[. Fk RVaR k k Nach dem Satz von Glivenko-Cantelli konvergieren die empirischen Verteilungsfunktionen Fk gleichmäßig gegen die Verteilungsfunktion F von X, so dass hier der Value at Risk der empirischen Verteilungsfunktion als Approximation des Value at Risk der theoretischen Verteilungsfunktion verwendet wird. Beispiel 2.4. Es sei ρ = ESα . Wir setzen nun RkESα ,X
[(1−α) k]
(X1 , . . . , Xk ) =
∑m=1
MAXm ({X1 , . . . , Xk }) [(1 − α) k]
und verfahren ansonsten analog zu Beispiel (2.3). Den theoretischen Hintergrund liefert das folgende Gesetz der großen Zahl [53]. Theorem 2.5. Für eine Folge (Xk )k∈N von integrierbaren i.i.d. Zufallsgrößen auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω , P) gilt [(1−α) k]
lim
k→∞
∑m=1
MAXm (X1 , . . . , Xk ) = ESα (X1 ) [(1 − α) k]
fast sicher,
wobei [ ] den ganzzahligen Anteil bezeichnet. Beweis. Sei F die Verteilungsfunktion von X1 . Dann ist y → VaRy (X1 ) = inf{x : F(x) ≥ y} integrierbar, da wegen Lemma 2.1 1 0
1 VaRy (X1 ) dy = |VaRy (X1 )| dF(VaRy (X1 )) = 0
∞
−∞
|x| dF(x) < ∞
gilt. Wir setzen Ui := F(Xi ), i = 1, . . . , k. Da P (VaRUi (Xi ) = Xi ) = 1 nach Lemma 2.2 gilt, die Xi identisch verteilt und t → VaRt (X) monoton wachsend ist, gilt MAXm (X1 , . . . , Xk ) = MAXm VaRFX1 (X1 ), . . . , VaRFXk (Xk ) = MAXm VaRFX1 (X1 ), . . . , VaRFXk (X1 ) = VaRMAXm (F(X1 ),...,F(Xk )) (X1 ) = VaRMAXm (U1 ,...,Uk ) (X1 ) f.s.
44
2 Risikomaß
Daher genügt es, [(1−α)k]
lim
∑m=1
k→∞
1 VaRMAXm (U1 ,...,Uk ) (X1 ) 1 = VaRy (X1 ) dy [(1 − α)k] 1−α α
f.s.
zu zeigen. Wir werden etwas allgemeiner zeigen, dass für jede integrierbare Funktion g : ]0, 1[→ R die Beziehung [(1−α)k]
lim
∑m=1
k→∞
g (MAXm (U1 , . . . ,Uk )) 1 = [(1 − α)k] 1−α
1 α
g(x) dx
f.s.
gilt. Dazu definieren wir die bezüglich t stückweise konstanten Abbildungen gk : ]0, 1[×Ω → R, k ∈ N, durch Es folgt
gk (t) := g MAX[(1−t)k]+1 (U1 , . . . ,Uk ) . 1 ([αk]+1)/k
gk (t)dt =
[(1−α)k]
∑
g (MAXm (U1 , . . . ,Uk )) .
m=1
Mit der Notation Jk (t) =
0 k [(1−α)k]
für 0 ≤ t ≤ [αk]+1 k , [αk]+1 für k < t ≤ 1.
genügt es also, 1
lim
k→∞ 0
gk (t)Jk (t) dt =
1 1−α
1 α
g(t) dt
f.s.
(2.4)
zu zeigen. Wir zeigen zunächst, dass mit Wahrscheinlichkeit 1 bezüglich (Ω , P) lim λ ({t : |gk (t) − g(t)| ≥ δ }) = 0
k→∞
∀δ > 0
(2.5)
gilt. Zu ε > 0 finden wir nach dem Theorem von Lusin eine Borelmenge B ⊆ ]0, 1[ und eine stetige Funktion g˜ : ]0, 1[→ R, so dass g = g˜ auf ]0, 1[\B und λ (B) ≤ ε gilt. Wir setzen nun g˜k (t) := g˜ MAX[(1−t)k]+1 (U1 , . . . ,Uk ) , Bk := {t : MAX[(1−t)k]+1 (U1 , . . . ,Uk ) ∈ B}. g˜k ist ebenfalls stückweise konstant, und es gilt {t : g˜k (t) = gk (t)} ⊆ Bk . Da die Ui identisch verteilt und unabhängig sind, konvergiert
2.4 Dynamische Risikomaße
45
λ (Bk ) =
1 k ∑ 1B (Ui ) k i=1
nach dem starken Gesetz der großen Zahl f.s. gegen E (1B (U1 )) = P(U1 ∈ B) = λ (B) ≤ ε, so dass insbesondere lim supk λ (Bk ) ≤ ε f.s. gilt. Da MAX[(1−t)k]+1 (U1 , . . . ,Uk ) als [tk]+1 k -Quantil
der empirischen Verteilungsfunktion der Stichprobe (U1 , . . . ,Uk ) gegen das t-Quantil der Gleichverteilung konvergiert und g˜ stetig ist, gilt ferner lim g˜k (t) = g˜
f.s.
k→∞
Insgesamt schließen wir lim sup λ ({t : |gk (t) − g(t)| ≥ δ }) ≤ lim sup λ ({t : |g(t) ˜ − g(t)| ≥ δ }) k
k
+ lim sup λ ({t : |gk (t) − g˜k (t)| ≥ δ }) k
˜ ≥ δ }) + lim sup λ ({t : |g˜k (t) − g(t)| k
≤ λ (B) + lim sup λ (Bk ) k
˜ ≥ δ }) + lim sup λ ({t : |g˜k (t) − g(t)| k
≤ 2ε. Damit ist die Beziehung (2.5) gezeigt. Da zudem 1
lim
k→∞ 0
1 k ∑ |g(Ui )| = k→∞ k i=1
|gk | dλ = lim
1 0
|g| dλ
gilt, können wir für fast jedes ω ∈ Ω das Theorem von Vitali bzgl. (]0, 1[, λ ) anwenden, um 1 |gk − g| dλ = 0 f.s. lim k→∞ 0
zu erhalten. Da die Folge Jk , k ∈ N, beschränkt ist und gegen erhalten wir schließlich die gesuchte Konvergenz (2.4).
1 1−α 1(α,1)
konvergiert,
2.4 Dynamische Risikomaße Die Risikomaße, die wir bisher untersucht haben, werden in der Regel auf einen Beobachtungshorizont von einem Jahr bezogen. Andererseits stehen Versicherungsver-
46
2 Risikomaß
träge und die damit verbundenen Verpflichtungen häufig für viele Jahre unter Risiko. Diese zeitliche Asymmetrie wirft die folgenden Fragen auf: • Wie sollte das Risikomaß die neue Information, die im Laufe der Zeit zugänglich wird, widerspiegeln? • Wie sollte das Risikomaß auf Änderungen des Risikoprofils während des mehrjährigen Beobachtungshorizonts reagieren? • Wie sollte man zeitlichen Abhängigkeiten Rechnung tragen? Zeitliche Abhängigkeiten können durch externe, für den Schadenverlauf relevante Trends induziert werden. Ein Beispiel in der Lebensversicherung ist die Verbesserung der Lebenserwartung aufgrund des medizinischen Fortschritts. Die Natur des versicherten Schadens kann sich ebenfalls mit der Zeit verändern. Zum Beispiel haben ältere Menschen eine höhere Sterblichkeitswahrscheinlichkeit als jüngere Menschen, und die zugehörige Volatilität ist ebenfalls größer. Daher haben Lebensversicherungen ein Risikoprofil, das sich mit der Zeit ändert. Dies kann Auswirkungen auf das notwendige Risikokapital haben. Beispiel 2.5. Ein Unternehmen übernimmt zum Zeitpunkt t = 0 die Verpflichtungen eines Konkurrenten gegen einen Verkaufspreis V0 . Der Bestand läuft in n Jahren aus. Das Unternehmen erwartet, im Jahr t die (zum Zeitpunkt 0 deterministisch berechneten) Reserven Vt (mit Vn = 0) stellen zu müssen. Ferner folge die Versicherungsleistung im Jahr t einer Normalverteilung Lt mit Erwartungswert μt und Standardabweichung σt . Der Cashflow zur Zeit t ist dann durch Cft = (1 + st )Vt−1 −Vt − Lt gegeben, wobei wir den (deterministisch angenommenen) risikofreien Zins mit st bezeichnet haben. Mit der Bezeichnung t
vt = ∏ (1 + sτ )−1 τ=1
für den Diskontierungsfaktor ist der Barwert des Cashflows durch n
n
t=1
t=1
W1 = ∑ vt Cft = V0 − ∑ vt Lt gegeben. Offenbar ist W1 ebenfalls normalverteilt, und es gilt n
E (W1 ) = V0 − ∑ vt μt . t=1
Dabei bezieht sich der Index 1 auf den Anfang der ersten Zeitperiode, siehe auch Abbildung 6.4. Der Zufallsvektor (L1 , . . . , Ln ) hat die Kovarianzmatrix cov (L1 , . . . , Ln ) = ζi j σi σ j , ij
2.4 Dynamische Risikomaße
47
wobei wir corr (Ls , Lt ) = ζst gesetzt haben. Wegen n cov ∑ vt Lt = (v1 , . . . , vt ) cov (L1 , . . . , Ln ) (v1 , . . . , vt ) t=1
$
erhalten wir
n
∑
σ (W1 ) =
ζi j vi σi v j σ j
i, j=1
und mit Proposition 2.5 n
ESα (W1 ) = −V0 + ∑ vt μt + t=1
$ −1 (α) ϕ0,1 Φ0,1 1−α
n
∑
ζi j vi σi v j σ j ,
i, j=1
wobei der Zeithorizont n Perioden beträgt. Die zeitliche Abhängigkeit der Versicherungsleistungen Lt vergrößert das Risiko und somit das notwendige Risikokapital, da für ζi j > 0 die Ungleichung n
∑
ζi j vi σi v j σ j −
i, j=1
n
∑
i, j=1
n
(vi σi )2 = 2 ∑ ζi j vi σi v j σ j > 0 i< j
gilt. Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht möglich ist, das Risiko über mehrere Perioden durch das einjährige Risiko zu beschreiben. Wenn wir mehrjährige Risiken korrekt erfassen wollen, müssen wir somit mehrperiodische Risikomaße betrachten. Für das Risikomanagement ist dann von Interesse, die Änderung des Risikos im Zeitverlauf zu beschreiben. Wir sind also nicht nur an ESα (W1 ) sondern auch an ESα (Wt ) interessiert, wobei ESα (Wt ) für den Zeithorizont n − t bestimmt wird. Zur Zeit t = 0 ist ESα (Wt ) eine Zufallsvariable, da der Schadenverlauf der ersten t Perioden noch unbekannt ist. In Abschnitt 2.4.2 werden wir einen Rahmen zur Beschreibung dieser dynamischen Aspekte bereitstellen. Als Vorbereitung benötigen wir einige grundlegende Tatsachen über Filtrationen.
2.4.1 Filtrationen In diesem Abschnitt führen wir Terminologie ein, die es ermöglicht, das Wechselspiel von Zeit und bekannter Information zu beschreiben. / Ω }. Eine Filtration (Ft )t∈T ist Definition 2.8. Es sei T = {0, . . . , n} und F0 = {0, eine Menge von σ -Algebren auf Ω mit F0 ⊆ F1 ⊆ · · · ⊆ Fn .
48
2 Risikomaß
Anmerkung 2.6. Die Bedingung, dass F0 die triviale σ -Algebra ist, wird häufig nicht gefordert. Wir fordern sie hier, um auszudrücken, dass die Anfangswerte als bekannt vorausgesetzt werden. Häufig wird aus technischen Gründen zusätzlich gefordert, dass (bezüglich eines vorgegebenen Maßes) F0 die von den Nullmengen erzeugte σ -Algebra ist. Diese zusätzliche Eigenschaft ist durch Vervollständigung der σ -Algebren immer zu erreichen, wird von uns jedoch nicht benötigt. Anmerkung 2.7. Definition 2.8 lässt sich auf unendliche Indexmengen T ⊆ N und kontinuierliche Indexmengen T ⊆ R verallgemeinern. Für unsere Zwecke sind jedoch endlich viele diskrete Zeitschritte ausreichend. Definition 2.9. Es sei (Ft )t∈T eine Filtration auf der Menge Ω . Ein adaptierter stochastischer Prozess mit Werten in Rk ist eine Abbildung X : Ω × T → Rk ,
(ω,t) → Xt (ω),
wobei für jedes t ∈ T die Abbildung Xt : Ω → Rk bezüglich Ft messbar ist. Diese Definition lässt sich wie folgt interpretieren: Jedes ω ∈ Ω beschreibt eine mögliche Historie des betrachteten Prozesses. Zum Zeitpunkt t ist der Teil der Historie, der der Vergangenheit {0, . . . ,t} entspricht, bekannt. Die Adaptiertheitsbedingung bedeutet, dass der Wert Xt (ω) zum Zeitpunkt t mit Sicherheit bekannt ist. Diese Interpretation wird besonders augenfällig für Produktfiltrationen (Abschnitt 2.4.3), siehe Korollar 2.2. Beispiel 2.6 (Endlich generierte Filtration). In der praktischen Modellierung auftretende σ -Algebren sind aufgrund der Benutzung von Computern meistens endlich generiert. Es sei P1 = {A1 , . . . , Am1 } eine endliche Partition von Ω . Mit anderen % 1 Worten, es gelte A j ⊂ Ω , Ai ∩ A j = 0/ für i = j und m i=1 Ai = Ω . F1 sei die von dem Mengensystem P1 generierte σ -Algebra. Wir können nun induktiv eine Filtration als sukzessive Verfeinerung von P1 konstruieren. Für jedes A ∈ Pt wählen wir ei % ne Partition P(A) = B1 (A), . . . , Bk(A) (A) und setzen Pt+1 = A∈Pt P(A). Diese Familie von Teilmengen von Ω ist dann wieder eine Partition von Ω und definiert somit eine σ -Algebra Ft+1 . Ein konkretes Beispiel ist durch ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ / {1, 2, 3, 4, 5}} F0 = {0, P0 = {{1, 2, 3, 4, 5}} ⎢ / {1, 2} , {3, 4, 5} , {1, 2, 3, 4, 5}} ⎥ ⎥ ⎣ P1 = {{1, 2} , {3, 4, 5}} ⎦ → ⎢ F1 = {0, ⎣ F2 = {0, / {3} , {1, 2} , {4, 5} , {1, 2, 3} , ⎦ P2 = {{1, 2} , {3} , {4, 5}} {3, 4, 5} , {1, 2, 4, 5} , {1, 2, 3, 4, 5}} gegeben. Mit ⎧ ⎪ t für ω ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ für ω ⎨t Xt (ω) = 3t + 4t(t − 1) für ω ⎪ ⎪ ⎪3t für ω ⎪ ⎪ ⎪ ⎩3t für ω
=1 =2 =3 =4 =5
⎧ ⎪ t ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎨t und Y (ω) = 3t + 4t 2 ⎪ ⎪ ⎪3t ⎪ ⎪ ⎪ ⎩3t
für ω für ω für ω für ω für ω
=1 =2 =3 =4 =5
2.4 Dynamische Risikomaße
49
ist Xt ein adaptierter stochastischer Prozess, nicht aber Yt : Offenbar sind Y0 und X0 konstant und somit F0 -messbar. Es gilt X1 (ω) = 1 ⇔ ω ∈ {1, 2} ∈ F1 und X1 (ω) = 3 ⇔ ω ∈ {3, 4, 5} ∈ F1 . Damit ist X1 F1 -messbar. Andererseits gilt Y1 (ω) = 7 ⇔ ω ∈ {3} ∈ / F1 , so dass Y1 nicht F1 -messbar ist. Schließlich gilt X2 (ω) = 2 ⇔ ω ∈ {1, 2} ∈ F2 , X2 (ω) = 14 ⇔ ω ∈ {3} ∈ F2 und X2 (ω) = 6 ⇔ ω ∈ {4, 5} ∈ F2 , so dass X2 auch F2 -messbar ist. Es sei X das Endresultat einer langfristigen Investition. Zum Zeitpunkt der Investition erwartet das Unternehmen das Ergebnis E(X). Im Laufe der Zeit wird sich diese Einschätzung jedoch aufgrund von ökonomischen Unsicherheiten ändern. Dieser Aktualisierungsprozess kann durch bedingte Erwartungswerte auf einer Filtration beschrieben werden. Definition 2.10. Es sei (Ω , A , P) ein Wahrscheinlichkeitsraum, A˜ eine Unter-σ Algebra von A und X eine A -messbaren Zufallsvariable. Der bedingte Erwartungswert von X bezüglich A˜ ist die (f.s. eindeutig bestimmte) A˜-messbare Zu ˜ fallsvariable E X | A mit der Eigenschaft, dass E (X Z) = E E X | A˜ Z für alle beschränkten A˜-messbaren Zufallsvariablen Z gilt. Für die Wohldefiniertheit verweisen wir auf Theorem 23.4 in [34]. Lemma 2.9. Es sei (Ft )t∈T eine Filtration auf Ω und X eine Fn -messbare Zufallsvariable. Dann ist (t, ω) → Xt (ω) := E (X | Ft )|ω ein adaptierter stochastischer Prozess. Ferner erfüllt Xt die Martingaleigenschaft E (Xt+1 | Ft ) = Xt für alle t ∈ {0, . . . , n − 1}. Beweis. Die erste Aussage folgt direkt aus der Ft -Messbarkeit von E (X | Ft ). Für die zweite Aussage sei Z eine Ft -messbare Funktion. Dann ist Z auch Ft+1 messbar, und es gilt E(Xt+1 Z) = E (E(X | Ft+1 ) Z) = E(XZ) = E (E(X | Ft ) Z) = E(Xt Z). Die Behauptung folgt aus der Ft -Messbarkeit von Xt und der Eindeutigkeit des bedingen Erwartungswerts. Aufgrund der Martingaleigenschaft kann man E(X | Ft ) als den Best Estimate für das Endergebnis X zum Zeitpunkt t interpretieren. E(X | Ft ) ist selbst eine Zufallsvariable, die die Unsicherheit zwischen den Zeitpunkten 0 und t widerspiegelt.
50
2 Risikomaß
2.4.1.1 Produktfiltrationen Für konkrete Anwendungen auf Cashflows werden Filtrationen in der Regel über sukzessiven Informationsgewinn konstruiert. Um diese konkreten Konstruktionen zu beschreiben, benötigen wir die folgende Notation: Definition 2.11. A1 , . . . , Ak seien σ -Algebren auf den Mengen Ω1 , . . . , Ωk . Die Produkt-σ -Algebra auf der Produktmenge Ω1 × Ω2 × · · · × Ωk ist dann durch k ,
At = A1 ⊗ · · · ⊗ Ak = σ (A1 × · · · × Ak | At ∈ At für t ∈ {1, . . . .k})
t=1
gegeben, wobei wir die Konvention A1 × · · · × At−1 × 0/ × At+1 × · · · × Ak = 0/ benutzen. Im allgemeinen gilt A1 ⊗ A2 = {A1 × A2 | A1 ∈ A1 , A2 ∈ A2 } . Die Gleichheit gilt jedoch, wenn A2 die triviale σ -Algebra ist. Lemma 2.10. Ω1 , Ω2 seien Mengen und A1 sei eine σ -Algebra auf Ω1 . Dann gilt / Ω2 } ⇔ A = A1 × Ω 2 , A ∈ A1 ⊗ {0, mit A1 ∈ A1 . Beweis. Dies folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass die Mengen der Form {A1 × Ω2 : A1 ∈ A1 } eine σ -Algebra bilden.
Lemma 2.11 (Assoziativitätsgesetz). Es seien A1 , . . . , A j+k σ -Algebren. Dann gilt
j ,
At
t=1
Beweis. Siehe [5, Seite 161f].
⊗
j+k ,
t= j+1
At
=
j+k ,
At .
t=1
Eine σ -Algebra modelliert, welche Ereignisse prinzipiell möglich sind. Für die Beschreibung einer ökonomischen Dynamik unterstellen wir, dass in jeder Zeitperiode prinzipiell die gleichen Ereignisse möglich sind. Zum Beispiel ist in jeder Periode t das Ereignis Et möglich, dass der Aktienkurs eines Unternehmens um mehr als 10% steigt. Dagegen hängt die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse von der Dynamik ab und ist daher im allgemeinen für jede Zeitperiode unterschiedlich: Bringt das Unternehmen am Ende der Periode t − 1 ein neues, vielversprechendes Produkt auf den
2.4 Dynamische Risikomaße
51
Markt, so wird die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses Et höher sein als die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses Et−1 . Mit diesem Ansatz ordnen wir also jeder (in Isolation betrachteten) Zeitperiode die gleiche σ -Algebra A zu, aber nicht notwendiger Weise das gleiche Wahrscheinlichkeitsmaß. Das folgende Beispiel illustriert diese Idee: Beispiel 2.7 (AR(1)-Prozess). Wir betrachten einen Aktienindex St , dessen Dynamik durch St = α St−1 + s ωt , t ∈ {1, . . . , n}, beschrieben wird, wobei α, s > 0 konstant sind und ω1 , ω2 , . . . unabhängig aus einer Standardnormalverteilung gezogen werden. Für jede feste Periode t ist unsere σ -Algebra gerade die Borelalgebra B(R) auf R. Zur Beschreibung der gesamten Dynamik benötigen wir n Ziehungen, und offenbar ist die zugehörige σ -Algebra gerade die Borelalgebra B (Rn ) =
n ,
B(R)
t=1
auf der Menge Ω = Rn . Um die Dynamik bis zur Periode t zu beschreiben, böte sich an, als σ -Algebra die Borelalgebra B (Rt ) zu wählen. Dies hätte jedoch den Nachteil, dass sich die Menge, auf der die σ -Algebra definiert ist, bei jedem Zeitschritt / R} muländert. Wenn wir B (Rt ) mit n −t Kopien der trivialen σ -Algebra A0 = {0, tiplizieren, ist die resultierende σ -Algebra auf dem gesamten Raum Ω = Rn definiert. Sie hat außerdem die gleiche Messbarkeitsstruktur wie die σ -Algebra B (Rt ). Denn da die bezüglich der σ -Algebra B (Rt ) × ns=t+1 A0 messbaren Abbildungen f (ω1 , . . . , ωn ) nicht von (ωt+1, . . . , ωn ) abhängen, ist durch Ψ (g)(ω1 , . . . , ωn ) = g(ω1 , . . . , ωt ) eine Bijektion vom Raum der B (Rt )-messbaren Abbildungen auf den Raum der -n t B (R ) × s=t+1 A0 -messbaren Abbildungen definiert. Damit ist Ft =
t , s=1
B(R) ⊗
n ,
A0
s=t+1
die für unseren Prozess natürliche Filtration. Die Dynamik S : Rn × {1, . . . , n} → R, (ω1 , . . . , ωn ,t) → St (ω1 , . . . , ωn ) ist für diese Filtration ein adaptierter, stochastischer Prozess. Man beachte, dass St nicht von ωt+1 , . . . , ωn abhängt. Dies drückt aus, dass die Zukunft unbekannt ist. Man beachte, dass für α ∈ / {0, 1} weder die St für t ∈ {1, . . . , n} noch die Zuwächse St+1 − St für t ∈ {1, . . . , n − 1} unabhängig verteilt sind. Die Verteilung des Prozesses S weist daher eine nicht-triviale Abhängigkeitsstruktur auf.
52
2 Risikomaß
Die in Beispiel 2.7 beschriebene Konstruktion lässt sich folgendermaßen verallgemeinern: Definition 2.12. Es sei T = {0, . . . , n} und für t ∈ T \ {0} At eine σ -Algebra auf n Ωt ist der Menge Ωt . Die Produktfiltration auf dem kartesischen Produkt Ω = ∏t=1 durch {0, / Ω} falls t = 0, Ft = -t (2.6) -n { } 0, / Ω sonst A ⊗ s s=1 s s=t+1 gegeben.
ω1
ωt
Periode 1
Periode t
0
1
t −1
···
t
t +1
Projektionsbeginn F0 = {0, / Ω}
Ft−1
Ft
X0 (ω) = const
Xt−1 (ω)
Xt (ω)
Abb. 2.4 Illustration zu Definition 2.12. Die während der Periode t auftretenden zufälligen Ereignisse werden durch die Ziehung ωt ∈ Ωt beschrieben. Ist Xt ein adaptierter stochastischer Prozess, so sind zum Zeitpunkt t die Werte X0 (ω), . . . , Xt (ω) bekannt, da sie nur von (ω1 , . . . , ωt ) abhängen (siehe Korollar 2.2 weiter unten).
Die σ -Algebra Ft kann als Einschränkung der gesamten σ -Algebra Fn auf die Zeitspanne von 0 bis t verstanden werden (siehe Abbildung 2.4). In der praktischen Anwendung werden die As fast immer gleich sein. Die etwas größere Allgemeinheit von Definition 2.12 bereitet jedoch zu keine zusätzlichen Schwierigkeiten. Ω˜ 2 = ΩF1 F1 (ω) = F1 (ωB1 )
ωF1
Abb. 2.5 Illustration der Produktstruktur in Definition 2.13 an einem zweidimensionalen Beispiel.
Ω = Ω˜ 1 × Ω˜ 2
ω
↓ π1 ωB1
Ω˜ 1 = Ω B1
2.4 Dynamische Risikomaße
53
n Definition 2.13. Es sei Ω = ∏t=1 Ωt und t
πt : Ω → ∏ Ωs
ω → πt (ω) = (ω1 , . . . , ωt )
s=1
die Projektion auf die ersten t Faktoren. Für ω ∈ Ω und t ∈ {1, . . . , n} ist die t-Faser durch ω durch Ft (ω) = πt−1 (πt (ω)) gegeben, und wir setzen F0 (ω) = Ω . Für w ∈ πt (Ω ) ist die t-Faser über w die Menge Ft (w) = πt−1 (w). Wir schreiben ΩBt = ∏ts=1 Ωs und ΩFt = ∏ns=t+1 Ωs .3 Außerdem benutzen wir die Schreibweise πt (ω) = ωBt ∈ Ω Bt und definieren ωFt ∈ Ω Ft durch ω = (ωBt , ωFt ). n Korollar 2.1. Es sei Ω = ∏t=1 Ωt . Für jedes ω ∈ Ω gilt dann {ω} = Fn (ω) ⊆ Fn−1 (ω) ⊆ · · · ⊆ F1 (ω) ⊆ F0 (Ω ) = Ω .
Die Bezeichnungen in Definition 2.13 sind in dem Sinne konsistent, dass für alle ω ∈ Ω die Gleichung Ft (ω) = Ft (πt (ω)) gilt. ω2 Abb. 2.6 Illustration zu Definition 2.13. Wir betrachten den Raum Ω =]0, 1[3 , wobei P das Lebesgue-Maß ist. ω = (u, v, w) ist der sich realisierende Zufallswert. Zum Zeitpunkt t = 1 zu Beginn der Periode t + 1 ist ω1 = u bekannt. Die Faser F1 (u) beschreibt den Wahrscheinlichkeitsraum für die verbleibende Unsicherheit. Zum Zeitpunkt t = 2 ist (u, v) bekannt und die Faser F2 (u, v) ⊆ F1 (u) beschreibt die verbleibende Unsicherheit. Zum Zeitpunkt t = 3 ist ω bekannt. Da keine weitere Unsicherheit mehr besteht, reduziert sich die Faser F3 (ω) auf den Punkt ω.
1 F1 (u)
v F2 (u, v) ω3
ω w 0
u 1 ω1
Das folgende Lemma bzw. das nachfolgende Korollar zeigt, dass ein auf einer Produktfiltration definierter adaptierter, stochastischer Prozess zum Zeitpunkt t nur von der Unsicherheit bis zum Zeitpunkt t abhängt, nicht jedoch von zukünftigen Unwägbarkeiten. Dies entspricht der Erfahrung, dass die Gegenwart von Ereignissen in der Vergangenheit, nicht aber von Ereignissen in der Zukunft beeinflusst wird. 3
Der Index B steht für „Basis“ und der Index F für „Faser“.
54
2 Risikomaß
Lemma 2.12. Eine Abbildung g : Ω → R ist genau dann Ft -messbar, wenn sie Fn messbar und auf den Fasern Ft (ω) konstant ist. Beweis. „⇒“: g sei Ft -messbar. Wegen Ft ⊆ Fn ist g auch Fn -messbar. Aus Lemma 2.10 folgt, dass Ft aus den Fn -messbaren Teilmengen der Form A = A˜ × ΩFt besteht. Wir nehmen nun an, dass g auf den Fasern nicht konstant ist. Da Ft (ω) = {ωBt } × ΩFt gilt, existieren x, y ∈ ΩFt mit g(ωBt , x) = g(ωBt , y). Dann existieren of/ Es folgt fene Intervalle Bx , By mit g(ωBt , x) ∈ Bx , g(ωBt , y) ∈ By und Bx ∩ BY = 0. g−1 (Bx )∩g−1 (By ) = 0. / Da (ωBt , x) ∈ g−1 (Bx )\g−1 (By ) gilt, folgt g−1 (By )∩Ft (ω) = Ft (ω). Damit ergibt sich ein Widerspruch zu g−1 (By ) ∈ Ft . „⇐“: Da g auf den Fasern Ft (ω) konstant ist, existiert für jede Borelmenge B ⊂ R eine Menge A ⊂ ΩBt mit g−1 (B) = A × ΩFt . Da g−1 (B) bezüglich Fn messbar ist, ist g−1 (B) wegen Lemma 2.10 auch Ft -messbar. n Ωt und (ω,t) → Korollar 2.2. Es sei (Ft )t∈T eine Produktfiltration auf Ω = ∏t=1 Xt (ω) ein adaptierter stochastischer Prozess. Dann hängt Xt (ω) nur von den ersten t Komponenten ω1 , . . . , ωt ab.
Beweis. Dies folgt aus der Tatsache, dass Xt (ω) auf Ft (ω) = {ωBt } × ∏ns=t+1 Ωs konstant ist. Da Ft -messbare Funktionen g von ω lediglich über ωBt abhängen, werden wir an einigen Stellen die Schreibweise g(ωBt ) anstelle von g(ω) benutzen. Definition 2.14. Für t ∈ {1, . . . , n} sei (Ωt , μt ) ein Maßraum und (Ft )t∈T die Pron duktfiltration auf Ω = ∏t=1 Ω t . Das Wahrscheinlichkeitsmaß P auf (Ω , Fn ) sei n μt absolut stetig. Dann ist Ω , (Ft )t∈T , P eibzgl. des Produktmaßes μ = t=1 ne filtrierte Produktökonomie. Wir schreiben μBt = ts=1 μs und μFt = ns=t+1 μs . Anmerkung 2.8. Da es für jedes A ⊆ Ft (ω) eine eindeutig bestimmte Menge A˜ ⊆ ∏ns=t+1 Ωs mit A = (ω1 , . . . , ωt ) × A˜ gibt, induziert μFt durch t,Ft (ω)
μF
˜ (A) = μFt (A)
auf kanonische Weise ein Maß auf Ft (ω). Um die Notation zu erleichtern, benutzen wir die Schreibweise μFt auch für dieses Maß auf der Faser. In einer filtrierten Produktökonomie werden n diskrete Zeitperioden modelliert, wobei in jeder Periode t die durch ωt ∈ Ωt beschriebene zusätzliche ökonomische Unsicherheit entsteht. ω = (ω1 , . . . , ωn ) beschreibt dann die kumulative Unsicherheit aller Perioden. Zu Beginn der Periode t + 1 ist ωBt ein bekannter Wert, während Ft (ωBt ) das verbleibende Risiko beschreibt. Eine ökonomische Produktökonomie bestimmt nicht die Preisbildung, sondern beschreibt nur die zufälligen Ereignisse, die die Preisbildung beeinflussen können. Die Preisdynamik von Gütern wird durch adaptierte stochastische Prozesse auf der ökonomischen Produktökonomie beschrieben (siehe Beispiel 2.7).
2.4 Dynamische Risikomaße
55
Anmerkung 2.9. Die Maße μt auf (Ωt , At ) modellieren die Zufallsquellen der ein-n zelnen Zeitperioden t. Durch die Wahl des Produktmaßes μ = t=1 μt auf Ω = n Ωt unterstellen wir die Unabhängigkeit dieser Zufallsquellen. Jede Periode ∏t=1 trägt also unabhängig von allen anderen Perioden einen Zufallseinfluss ωt zur kumulierten Unsicherheit ω = (ω1 , . . . , ωn ) bei. Dies ist jedoch lediglich ein mathematischer Trick, um die Modellierung zu vereinfachen, und das Produktmaß μ hat in der Regel keine direkte ökonomische Interpretation. Insbesondere bedeutet die Unabhängigkeit dieser Zufallsquellen nicht, dass eine ökonomische Preisdynamik auf Ω , (Ft )t∈T , μ unabhängige Zuwächse aufweist, wie Beispiel 2.7 lehrt. Dadurch, dass wir das Wahrscheinlichkeitsmaß P als absolut stetig bezüglich μ wählen, erreichen wir eine für die Praxis hinreichend allgemeine Modellierungsstruktur. Hängt nämlich das Zufallsgeschehen einer Periode von den zufälligen Ergebnissen der Vorperioden ab, so ermöglicht in vielen Fällen die Dichte p von P bezüglich μ die Abbildung dieser Abhängigkeit. Beispielsweise könnte der Konjunktureinfluss dazu führen, dass der Parameter einer exponentialverteilten Schadengröße vom Ergebnis der Vorperiode abhängt. In unserer Modellierung könnte z.B. ein Schadenprozess über zwei Perioden (X1 , X2 ) auf R2 , B R2 , P abgebildet werden, wobei P die Dichte p(x1 , x2 ) = exp(−x1 )
10 exp(−10x2 /(11x1 ))1(0,∞)×(0,∞) (x1 , x2 ) 11x1
bezüglich des zweidimensionalen Lebesgue-Maßes hat. Diesem Modell liegt die Abhängigkeitsannahme zugrunde, dass der Erwartungswert des Schadens in der zweiten Periode den beobachteten Schaden der ersten Periode um 10% übersteigt. In jedem Simulationsschritt würde man also zunächst eine Zufallszahl ω1 aus der Exponentialverteilung mit Parameter 1 ziehen und danach eine Zufallszahl ω2 aus einer Exponentialverteilung mit Parameter 1.1ω1 . Vom Standpunkt der praktischen Modellierung ist also die Verwendung eines bezüglich μ absolut stetigen Wahrscheinlichkeitsmaßes P hinreichend allgemein und führt zu signifikanten technischen Vereinfachungen (siehe z.B. Lemma 2.13 und Proposition 2.7). Lemma 2.13. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie. Auf der Faser Ft (ω) ist bezüglich der von Fn induzierten σ -Algebra durch
1A p(ωBt , ωFt ) dμFt Pω t (A) = B p(ωBt , ωFt ) dμFt ein Wahrscheinlichkeitsmaß gegeben, wobei p die Dichte von P bzgl. μ ist. Beweis. Offensichtlich ist Pω t ein Maß auf Ft (ω) = {ω1 } × · · · × {ωt } × Ωt+1 × B · · · × Ωn . Die Behauptung folgt daher aus
Pω t (Ft (ω)) = B
1Ft (ω) p(ωBt , ωFt ) dμFt p(ωBt , ωFt ) dμFt = = 1. p(ωBt , ωFt ) dμFt p(ωBt , ωFt ) dμFt
56
2 Risikomaß
Wir haben bereits gesehen, dass ein Beobachter zum Zeitpunkt t den Anteil ωBt seiner Historie ω kennt und dass die verbleibende Unsicherheit durch Ft (ωBt ) beschrieben wird. Das Wahrscheinlichkeitsmaß Pω t dient dem Beobachter zur BeB stimmung der Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Ereignisse. Proposition 2.7. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie und P = p μ. Dann gilt P-fast überall
Ω Ft g (ω)
E (g | Ft )|ω t =
B
Ω Ft
p (ω) dμFt
p (ω) dμFt
.
Beweis. Wegen Definition 2.10 erfüllt der bedingte Erwartungswert Ω
g (ω) Z ωBt p (ω) dμ = E (g | Ft ) ωBt Z ωBt p (ω) dμ Ω
für alle integrierbaren Ft -messbaren Funktionen ωBt → Z (ωBt ) und ist durch diese Bedingung eindeutig bestimmt. Die Funktionen g˜ ωBt =
g (ω) p (ω) dμFt
p˜ ωBt =
p (ω) dμFt
Ω Ft Ω Ft
sind offenbar Ft -messbar. Also ist auch ihr Quotient Ft -messbar. Wir berechnen Ω
g(ω) Z
ωBt
p(ω) dμ =
Ω Bt
g˜ ωBt Z ωBt dμBt
g˜ (ωBt ) t t t t p˜ ωB Z ωB dμB Ω Bt p˜ ωB g˜ (ωBt ) t t Z ωB p(ω) dμ. = Ω p˜ ωB =
Die Behauptung folgt somit unmittelbar aus der Definition des bedingten Erwartungswerts.
2.4.2 Allgemeine dynamische Risikomaße Definition 2.15. Es sei (Ω , P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ft )t∈{0,...,n} eine Filtration auf Ω . Für jedes t sei Mt (Ω , R) ein Vektorraum Ft -messbarer Funktionen. Ein dynamisches Risikomaß ist eine Familie (ρt )t∈{0,...,n} von Abbildungen ρt : Mn (Ω , R) → Mt (Ω , R) ,
2.4 Dynamische Risikomaße
57
so dass gilt: (i) X1 ≥ X2 f.s. ⇒ ρt (X1 ) ≥ ρt (X2 ) f.s. (Monotonie); (ii) Für K ∈ Mt (Ω , R) gilt ρt (X + K) = ρt (X) + K f.s. anz).
(Translationsinvari-
Definition 2.16. Ein dynamisches Risikomaß (ρt )t∈{0,...,n} heißt kohärent, falls gilt: (i) ρt (KX) = Kρt (X) f.s. für alle K ∈ Mt (Ω , R) mit K ≥ 0 f.s. und KX ∈ Mn (Ω , R) (Homogenität); (ii) ρt (X1 + X2 ) ≤ ρt (X1 ) + ρt (X2 ) f.s. (Subadditivität). Diese Definitionen sind analog zu Definition 2.7. Die Abbildung ρt ist das zum Zeitpunkt t berechnete Risikomaß, bezogen auf den Zeithorizont ]t, n[. Da ρt auf der Information über den Risikoverlauf bis zum Zeitpunkt t basiert, ist ρt keine reellwertige, sondern eine Mt (Ω , R)-wertige Abbildung. Aus dem gleichen Grund wird K als Element von Mt (Ω , R) vorausgesetzt. Anmerkung 2.10. In der Literatur wird häufig Mt (Ω , R) = L∞ (Ω , Ft ) vorausgesetzt (siehe z.B. [46]). In Abschnitt 2.4.3 werden wir dynamische Risikomaße auf filtrierten Produktökonomien untersuchen und dabei die Produktstruktur explizit ausnutzen. Dies wird uns zu dynamischen Risikomaßen mit praxisrelevanten Eigenschaften führen. In Abschnitt 2.4.4 beschreiben wir einen alternativen Zugang für allgemeine Filtrationen, der in der mathematischen Literatur favorisiert wird. Wir werden allerdings sehen, dass dieser alternative Zugang aus praktischer Sicht problematisch ist. Abschnitt 2.4.4 kann daher von Lesern, die primär an Anwendungen interessiert sind, übersprungen werden.
2.4.3 Dynamische Risikomaße auf filtrierten Produktökonomien. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie und ρ : M (Ω , R) → R ein Risikomaß. Ist ρ „hinreichend generisch“, so kann es auf natürliche Weise „punktweise“ auf die Fasern Ft (ω) ⊆ Ω übertragen werden, wobei das Wahrscheinlichkeitsmaß Pω t anstelle von P benutzt wird. Dies liefert für jede Faser Ft (ω) ein B Risikomaß ρt (ω) : M (Ft (ω), R) → R. Da die t-Faser durch ω˜ ∈ Ft (ω) gerade ˜ = Ft (ω) ist, würde man ferner erwarten, dass ρt (ω) = ρt (ω) ˜ gilt. Es liegt Ft (ω) also nahe zu vermuten, dass (ω, X) → ρt (ω)(X(ωBt , ·) ein dynamisches Risikomaß definiert. In Theorem 2.6 wird diese allgemeine Konstruktionsidee für den Value at Risk und in Theorem 2.7 für den Expected Shortfall durchgeführt. Definition 2.17. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie, α ∈]0, 1[ und Mt (Ω , R) der Raum der Ft -messbaren Funktionen. Die durch t ∈ T parametrisierte Familie von Abbildungen
58
2 Risikomaß
VaRα,t : Mn (Ω , R) → Mt (Ω , R), mit
X → VaRα,t (X)
VaRα,t (X)|ω t = inf x ∈ R : Pω t X ωBt , · ≤ x ≥ α B
B
heißt dynamischer Value at Risk. Theorem 2.6. Der dynamische Value at Risk ist ein dynamisches Risikomaß. der gewöhnliche Value at Risk für den Beweis. Für jedes ω ∈ Ω ist VaRα,t gerade Wahrscheinlichkeitsraum Ft (Ω ), Pω t . Weil sich die Ungleichung X > Y trivialer B Weise auf die Einschränkung auf Teilmengen überträgt, überträgt sich die Monotonie des Value at Risk punktweise für jedes ωBt ∈ Ω Bt auf VaRα,t . Da Ft -messbare Funktionen auf den Mengen t ωB × Ω Ft ⊆ Ω konstant sind, liefert das gleiche punktweise Argument auch die Translationsinvarianz. Es verbleibt, die Ft -Messbarkeit von VaRα,t (X) nachzuweisen. Wir nehmen zunächst an, dass X nach unten beschränkt ist. Dann gibt es eine steigende Folge {Xk }k∈N einfacher Funktion mit lim supk→∞ Xk = limk→∞ Xk = X. Da Xk messbar ist und nur endlich viele Werte annimmt, ist die Abbildung ωBt → VaRα,t (Xk )|ω t B ebenfalls messbar. Aufgrund der Monotonie von VaRα,t ist {VaRα,t (Xk )}k∈N eine steigende Folge messbarer, einfacher Funktionen, weshalb auch lim VaRα,t (Xk )
k→∞
messbar ist. Wegen Xk ≤ X und der Monotonie gilt lim VaRα,t (Xk ) ≤ VaRα,t (X).
k→∞
Angenommen, es gäbe ein ε > 0 mit limk→∞ VaRα,t (Xk ) < VaRα,t (X) − ε. Weil Xk eine steigende Folge ist, gilt dann VaRα,t (Xk ) < VaRα,t (X) − ε für alle k. Dies impliziert Pω t Xk ωBt , · ≤ VaRα,t (X) − ε/2 ≥ α B
für alle k. Da Xk gegen X konvergiert, folgt Pω t (X (ωBt , · ) ≤ VaRα,t (X) − ε/2) ≥ α B im Widerspruch zur Definition von VaRα,t . Ist X nicht nach unten beschränkt, so sei X˜k = max(X, −k). Xˆk k∈N ist eine fallende Folge von nach unten beschränkten, messbaren Funktionen, die punktweise gegen X konvergiert. Daher ist limk→∞ VaRα,t (X˜k ) messbar und es gilt lim VaRα,t (X˜k ) ≥ VaRα,t (X).
k→∞
Gäbe es ein ε > 0 mit lim infk→∞ VaRα,t (X˜k ) > VaRα,t (X) + ε, so gälte
2.4 Dynamische Risikomaße
59
Pω t X˜k ωBt , · ≤ VaRα,t (X)|ω t + ε/2 < α B
B
für alle k und wegen der Konvergenz von X˜k Pω t X ωBt , · ≤ VaRα,t (X)|ω t + ε/2 < α B
B
im Widerspruch zur Definition von VaRα,t . Definition 2.18. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie, α ∈]0, 1[ und Mt (Ω , R) der Raum der integrierbaren, Ft -messbaren Funktionen. Die durch t ∈ T parametrisierte Familie von Abbildungen ESα,t : Mn (Ω , R) → Mt (Ft , R), mit ESα,t (X)|ω t
B
X → ESα,t (X)
t 1 X ωB , · 1X (ω t , · ),VaRα,t (X) t ,α EP = B |ωB 1 − α ωBt
heißt dynamischer Expected Shortfall, wobei 1X,x,α definiert ist wie in Lemma 2.5. Theorem 2.7. Der dynamische Expected Shortfall ist ein kohärentes, dynamisches Risikomaß. Beweis. Für jedes ω ∈ Ω ist ESα,t der gewöhnliche Expected Shortfall auf dem Wahrscheinlichkeitsraum Ft (ω), Pω t . Daher übertragen sich Monotonie und B Subadditivität direkt auf ESα,t (X). Da Ft -messbare Funktionen auf den Mengen t ωB × Ω Ft ⊆ Ω konstant sind, liefert das gleiche punktweise Argument auch die Translationsinvarianz und die Homogenität. Um die Ft -Messbarkeit von ESα,t (X) nachzuweisen, nehmen wir zunächst an, dass X nach unten beschränkt ist. Dann gibt es eine steigende Folge {Xk }k∈N einfacher Funktionen mit limk→∞ Xk = X fast überall. Da Xk und VaRα,t (Xk ) messbar sind und nur endlich viele Werte annehmen, ist für jedes w ∈ πt (ω) die Abbildung ωBt → 1Xk (ω t ,w),VaRα,t (Xk ),α B
und daher auch ωBt → ESα,t (Xk )|ω t
B
Ft -messbar. Aufgrund der Monotonie von ESα,t ist {ESα,t (Xk )}k∈N eine steigende Folge messbarer, einfacher Funktionen, weshalb auch
lim sup ESα,t (Xk ) = lim sup k→∞
messbar ist.
k→∞
t Ft (ωBt ) 1Xk (ωBt , · ),VaRα,t (Xk ),α p (ωB ,
(1 − α)
Ft (ωBt )
· ) dμFt
p ωBt , · dμFt
= ESα,t (X)
60
2 Risikomaß
Ist X nicht nach unten unbeschränkt, so können wir die Folge X˜k = {max(X, −k)}k∈N betrachten. Wir haben gerade gesehen, dass ESα,t X˜k für jedes k messbar ist. Also ist auch lim inf ESα,t X˜k = lim inf k→∞
t Ft (ωBt ) 1Xk (ωBt , · ),VaRα,t (max(X,−k)),α p (ωB ,
k→∞
(1 − α)
Ft (ωBt )
p ωBt , · dμFt
· ) dμFt
= ESα,t (X)
messbar.
Es ist denkbar, dass ein schlecht gewähltes dynamisches Risikomaß im Zeitverlauf zu widersprüchlichen Risikoeinschätzungen führen könnte. In der folgenden Definition formalisieren wir daher eine Minimalforderung an dynamische Risikomaße, die für in der Praxis benutzte Risikomaße nicht verletzt werden sollte. ¯ eine Abbildung. Definition 2.19. Es sei (Ω , μ) ein Maßraum, B ⊂ Ω und f : Ω → R Das Essential Supremum von f über B ist durch ¯ ess supB ( f ) = inf {a ∈ R : μ({x : f (x) > a} ∩ B) = 0} ∈ R und das Essential Infimum von f über B durch ¯ ess infB ( f ) = sup {a ∈ R : μ({x : f (x) < a} ∩ B) = 0} ∈ R definiert. Definition 2.20. Es sei (Ft )t∈T eine Produktfiltration auf Ω = ∏ns=1 Ωs . Ein dynamisches Risikomaß (ρt )t∈T ist zeitkonsistent, falls es für jede Zufallsvariable X, fast jedes ω ∈ Ω und jede Ft+1 -messbare Teilmenge B ⊆ Ft (ω) mit Pω t (B) > 0 und B
ess infB (ρt+1 (X)) > ρt (X)|ω eine Ft+1 -messbare Teilmenge C ⊆ Ft (ω) mit Pω t (C) > 0 und B
ess supC (ρt+1 (X)) < ρt (X)|ω gibt. ρt sei ein zeitkonsistentes, dynamisches Risikomaß und ρt (X)|ω = K. Wenn zum Zeitpunkt t die Wahrscheinlichkeit größer als 0 ist, dass ρt+1 (X)|ω > K gilt, also Kapital nachgeschossen werden muss, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ρt+1 (X)|ω < K gilt, also Kapital frei wird, auch größer als 0. Definition 2.21. Es sei (Ft )t∈T eine Produktfiltration auf Ω = ∏ns=1 Ωs . Ein dynamisches Risikomaß ρt ist schwach zeitkonsistent, falls für fast jedes ω und jedes Paar (X,t)
2.4 Dynamische Risikomaße
61
ess infFt (ω) (ρt+1 (X)) ≤ ρt (X)|ω gilt. Anmerkung 2.11. Empirisch kann zwischen Zeitkonsistenz und schwacher Zeitkonsistenz nicht unterschieden werden. Denn falls ρt schwach zeitkonsistent und X eine gegebene Zufallsvariable ist, genügt eine beliebig kleine Änderung von X, um die Zeitkonsistenzbedingung für X zu erfüllen. Korollar 2.3. Zeitkonsistenz impliziert schwache Zeitkonsistenz. Angenommen, ein Unternehmen benutzt zur Kapitalbestimmung ein dynamisches Risikomaß ρt , das zum Zeitpunkt τ die schwache Zeitkonsistenz verletzt. Das Unternehmen stellt dann zum Zeitpunkt τ das ausreichende Kapital ρτ (X). Mit der Wahrscheinlichkeit 1 muss es aber eine Periode später Kapital nachschießen, obwohl in der Zwischenzeit keine Cashflows geflossen sind. Schlechteres Risikomanagement ist kaum vorstellbar. Aus diesem Grund wird man von jedem in der Praxis benutzten dynamischen Risikomaß fordern wollen, dass es zeitkonsistent ist. Anmerkung 2.12. In der Literatur wird der Begriff „zeitkonsistent“ oft benutzt, um eine andere Bedingung, in der zwei Zufallsvariablen miteinander verglichen werden, auszudrücken (siehe Definition 2.23). Wir werden jedoch in Abschnitt 2.4.4 sehen, dass die Bedingung in Definition 2.23 für das praktische Risikomanagement weniger geeignet ist, als Zeitkonsistenz zu fordern.
ω2 1 F1 (u)
v
C F2 (u, v) Abb. 2.7 Illustration zu Definition 2.20. Wir betrachten den Raum Ω =]0, 1[3 , wobei P das Lebesque-Maß ist und schreiben ω = (u, v, w). Der Wert ρ1 (u) ist auf F1 (u) konstant und liegt zwischen den Werten des Risikomaßes ρ2 auf B und bzw. C.
ω
ω3
w 0 B u ω1
62
2 Risikomaß
Anmerkung 2.13. Man beachte, dass Definitionen 2.20 und 2.21 nicht zeitsymmetrisch sind. Dies hat gute Gründe, denn das Risiko sollte sich verringern, wenn sich der Zeithorizont verkleinert, da in einem kürzeren Zeitraum weniger Schäden auftreten können. Beispiel 2.8. Es sei Ω =]0, 1[×]0, 1[, P das Lebesgue-Maß auf Ω und α ∈]0, 1[. Die Zufallsvariable X sei durch 2 falls ω1 < (1 − α)/2, X(ω) = 1 sonst definiert. Dann gilt VaRα,0 (X)|ω = 1 für alle ω ∈ Ω aber
2 falls ω˜ 1 < (1 − α)/2, 1 sonst.
VaRα,1 (X)|ω˜ =
Dies zeigt, dass der dynamische Value at Risk nicht zeitkonsistent ist. Theorem 2.8. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie. Dann ist der auf Ω , (Ft )t∈T , P definierte dynamische Value at Risk schwach zeitkonsistent. Beweis. Es sei ω ∈ Ω . Für t ∈ {0, . . . , n − 1} setzen wir ˜ ≥ VaRα,t+1 (X)|ω˜ t+1 . G = ω˜ ∈ Ft (ω) : X(ω) B
Es sei ω˜ ∈ Ft (ω). Lemma 2.1 impliziert Pω˜ t+1 X(ω˜ Bt+1 , ·) ≤ VaRα,t+1 (X)|ω˜ t+1 = α, B
B
da VaRα,t+1 (X)|ω˜ t+1 gerade der gewöhnliche Value at Risk für die Zufallsvariable B ˜ Pω˜ t+1 ist. Es folgt X(ω˜ Bt+1 , ·) auf dem Wahrscheinlichkeitsraum Ft+1 (ω), B
1 − α ≤ Pω˜ t+1 X(ω˜ Bt+1 , ·) ≥ VaRα,t+1 (X)
B
Ω Ft+1 1G
=
Ω Ft+1
p(ω˜ Bt+1 , ·)dμFt+1
p(ω˜ Bt+1 , ·)dμFt+1
für jedes ω˜ ∈ Ft (ω). Damit erhalten wir
2.4 Dynamische Risikomaße
Pω t (G) B
Ft (ω)
63
p ωBt , · dμFt = = ≥
Ft (ω)
1G p ωBt , · dμFt
Ωt+1 Ωt+1
ΩFt+1
1G p ωBt , · dμFt+1 dμt+1
(1 − α)
= (1 − α)
Ft (ω)
Ω Ft+1
p ωBt , · dμFt+1 dμt+1
p ωBt , · dμFt .
˜ ≥ ess infFt+1 (ω) ˜∈ Also gilt Pω t (G) ≥ 1 − α und X(ω) ˜ (VaRα,t+1 (X)) für fast alle ω B G. Dies impliziert VaRα,t (X)|ω ≥ ess infFt (ω) (VaRα,t+1 (X)). Theorem 2.9. Es sei Ω , (Ft )t∈T , P eine filtrierte Produktökonomie. Dann ist der auf Ω , (Ft )t∈T , P definierte dynamische Expected Shortfall zeitkonsistent. Beweis. Es sei ω ∈ Ω und u = πt (ω). Wir nehmen an, dass es eine Zufallsvariable X und eine Ft+1 -messbare Teilmenge B ⊆ Ft (ω) mit Pω t (B) > 0 und B
ess infB (ESα,t+1 (X)) > ESα,t (X)|ω gibt. Wenn es keine Ft+1 -messbare Menge C ⊆ Ft (ω) mit Pω t (C) > 0 und B
ess supC (ESα,t+1 (X)) < ESα,t (X)|ω gibt, dann gilt für fast alle v ∈ Ωt+1 ESα,t+1 (X)|(u,v) ≥ ESα,t (X)|u .
(2.7)
Es genügt also, Ungleichung (2.7) zu einem Widerspruch zu führen. Wir nehmen an, dass (2.7) gilt und setzen ˜ > VaRα,t+1 (X)|π (ω) G = ω˜ ∈ Ft (ω) : X(ω) , ˜ t+1 ˜ = VaRα,t+1 (X)|π (ω) H = ω˜ ∈ Ft (ω) : X(ω) ˜ t+1 sowie β : Ωt+1 → [0, 1], v → β (v) =
⎧ ⎨ 1−α−P(u,v) (G∩Ft (ω)) ⎩0
P(u,v) (H∩Ft (ω))
falls P(u,v) (H ∩ Ft (ω)) > 0, sonst.
Man beachte, dass aufgrund der (t + 1)-faserweisen Definition von G und H im ˜ = VaRα,t (X)} gilt. allgemeinen G = {X > VaRα,t (X)} und H = {X(ω) Wegen Lemma 2.5 gilt für v ∈ Ωt+1
64
2 Risikomaß
(1 − α) ESα,t+1 (X)|(u,v) =
Ft+1 (u,v)
=
X (1G + β (v) 1H ) dP(u,v) p dμFt+1
Ft+1 (u,v) X 1G
Ft+1 (u,v)
p dμFt+1
Ft+1 (u,v) X β (v) 1H
+
Ft+1 (u,v)
p dμFt+1
p dμFt+1
.
Da wir Ungleichung (2.7) annehmen, auf der Menge B ⊂ Ft (ω) sogar die strikte Ungleichung gilt, und B keine Pu -Nullmenge ist, erhalten wir durch Integration über v die Ungleichung (1 − α) ESα,t (X)|u
Ft (u)
p dμFt <
Ft (u)
X 1G p dμFt
+ β X 1H p dμFt+1 dμt+1 Ωt+1 Ft+1 (u, · ) = X dPu + β X dPu p dμFt . G
Ft (u)
H
(2.8)
Aus β (v)
Ft+1 (u,v)
1H p dμFt+1 = (1 − α)
Ft+1 (u,v)
p dμFt+1 −
Ft+1 (u,v)
1G p dμFt+1
folgt Ωt+1
β
Ft+1 (u, · )
1H p dμFt+1 dμt+1 = (1 − α) −
G dPu + H β
Ωt+1 Ft+1 (u, · )
Ωt+1 Ft+1 (u, · )
= (1 − α) und somit
Ft (u)
p dμFt+1 dμt+1
1G p dμFt+1 dμt+1
p dμFt −
Ft (u)
1G p dμFt
dPu = 1 − α. Es sei
˜ > VaRα,t (X) , V = ω˜ ∈ Ft (ω) : X(ω) |u (1−β ) dPu 1 − H∩V falls H\V β dPu > 0 β dPu H\V c= 0 sonst. Dann gilt 1−α = = =
G G
dPu +
H
dPu + c
(G∪H)∩V
β dPu
H\V
dPu +
β dPu + G\V
H∩V
dPu + c
dPu
H\V
β dPu .
(2.9)
2.4 Dynamische Risikomaße
65
Wir zeigen jetzt, dass außerdem H
β X dPu ≤ c
H\V
β X dPu +
X dPu
H∩V
(2.10)
˜ ≥ supω∈H\V ˜ und 0 ≤ β ≤ 1 folgt X(ω) X(ω) gilt. Aus infω∈H∩V ˜ ˜ H∩V
X dPu ≥
˜ (1 − β ) + β X dPu inf X(ω) ˜ ≥ sup X(ω) (1 − β ) dPu + β X dPu ˜ ω∈H∩V
H∩V
˜ ω∈H\V
H∩V
H∩V
und somit H∩V
β X dPu
H\V
β dPu ≤
≤
β dPu ˜ − sup X(ω) (1 − β ) dPu H∩V
X dPu
˜ ω∈H\V
H∩V
−
H\V
X dPu
H\V
H∩V
β dPu
β dPu
H\V
β X dPu
H\V
H∩V
(1 − β ) dPu .
Damit folgt H
β X dPu
H\V
β dPu = ≤
H\V
H\V
+ =
β XdPu β X dPu
H\V
β dPu +
H\V
H∩V
β dPu −
β X dPu
H∩V
XdPu β dPu H\V β dPu c β X dPu +
β dPu (1 − β ) dPu
H∩V
H\V
H\V
H∩V
H\V
XdPu ,
was Ungleichung (2.10) impliziert. Da H und G disjunkt sind, folgt aus den Ungleichungen (2.8) und (2.10)
66
2 Risikomaß
(1 − α) ESα,t (X)|u < =
G∪(H∩V )
X dPu + c X dPu +
H\V
β X dPu
X dPu + c β X dPu (G∪H)∩V G\V H\V ˜ ≤ X dPu + inf X(ω) dPu + c β dPu ˜ ω∈V (G∪H)∩V G\V H\V (∗) ˜ 1−α − = X dPu + inf X(ω) dPu (G∪H)∩V
(∗∗)
≤
V
˜ ω∈V
X dPu + VaRα,t (X)|u
1−α −
V
(G∪H)∩V
dPu
(∗∗)
= (1 − α) ESα,t (X)|u ,
wobei wir außerdem in (∗) Gleichung (2.9) und in (∗∗) die Definition der Menge V benutzt haben. Dies ist ein Widerspruch, so dass unsere Annahme ESα,t+1 (X)|(u,v) ≥ ESα,t (X)|u
für fast alle v ∈ Ωt+1
falsch sein muss.
Damit sind sowohl der dynamische Value at Risk als auch der dynamische Expected Shortfall gute Kandidaten für das mehrperiodische Risikomanagement.
2.4.4 Eine Klasse dynamischer Risikomaße auf allgemeinen Filtrationen In der einschlägigen Literatur wird eine andere Klasse dynamischer Risikomaße studiert, die auf allgemeinen Filtrationen auf elegante Weise definierbar ist. Proposition 2.9 liefert das Konstruktionsverfahren für diese Klasse. Beispiel 2.9 liefert aus unserer Sicht einen Grund, warum diese Konstruktion trotz ihrer Eleganz für das praktische Risikomanagement kaum geeignet ist. Für Proposition 2.9 benötigen wir eine Modifikation des (punktweisen) Supremums über eine Menge von Funktionen für Wahrscheinlichkeitsräume. Definition 2.22. Es sei (Ω , A , μ) ein Maßraum und S ⊂ B(Ω , R) eine Teilmenge messbarer Funktionen. Dann ist das Essential Supremum ¯ ess sup (S ) ∈ B(Ω , R) durch die folgenden Eigenschaften bestimmt: (i) Es gilt ess sup(S ) ≥ f f.s. für jedes f ∈ S . (ii) Erfüllt g ∈ B(Ω , R) die Ungleichung g ≥ f f.s für jedes f ∈ S , so folgt g ≥ ess sup(S ) f.s.
2.4 Dynamische Risikomaße
67
Man beachte, dass ess sup(S ) auf einer Menge mit echt positivem Maß den Wert ∞ annehmen kann. Anmerkung 2.14. Es gilt ess sup{ f } = f . Daher reduziert sich diese Definition für einelementige Mengen von Funktionen nicht auf Definition 2.19. Lemma 2.14. Es sei (Ω , A , P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und S ⊂ B(Ω , R), ¯ S = 0. / Dann existiert ess sup(S ) ∈ B(Ω , R). Beweis. Es sei
S˜ = ω → max {g(ω)} : S ⊆ S ist eine endliche Menge g∈S
die Menge der punktweisen Maxima aller endlichen Teilmengen von S und ⎧ π ⎪ falls x = −∞, ⎨− 2 θ (x) = arctan(x) falls − ∞ < x < ∞, ⎪ ⎩π falls x = ∞. 2 Da P ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist und für jede messbare Funktion g die Kom position θ ◦ g beschränkt und messbar ist, existiert Ω |θ ◦ g| dP. Damit ist θ ◦ g integrierbar und α = sup
Ω
θ ◦ g dP : g ∈ S˜
¯ ∈R
ist wohldefiniert. Es sei {gk }k∈N ⊆ S˜ eine Folge mit
lim
k→∞ Ω
θ ◦ gk dP = α.
Da wir für jedes k die Funktion gk durch max{g1 , . . . , gk } ersetzen können, können wir o.B.d.A. annehmen, dass gk+1 ≥ gk für jedes k ∈ N gilt. Da somit die Folge {gk }k∈N wachsend ist, gilt für f (ω) = supk∈N gk (ω) und jedes ω ∈ Ω ¯ f (ω) = lim gk (ω) ∈ R. k∈N
f ist als Supremum messbarer Funktionen ebenfalls messbar, weshalb Ω θ ◦ f dP wohldefiniert ist. Da θ beschränkt ist, folgt aus dem Theorem der majorisierten Konvergenz und der Stetigkeit von θ α = lim
k→∞ Ω
θ ◦ gk dP =
lim θ ◦ gk dP =
Ω k→∞
Ω
θ ◦ lim gk dP = k→∞
Es sei g ∈ S . Da max(gk , g) ∈ S˜ für jedes k ∈ N und max{ f , g} = max{ lim gk , g} = lim max{gk , g} k→∞
gilt, folgt
k→∞
Ω
θ ◦ f dP.
68
Ω
2 Risikomaß
θ ◦ max{ f , g} dP =
lim θ ◦ max{gk , g} dP = lim
Ω k→∞
k→∞ Ω
θ ◦ max{gk , g} dP ≤ α.
Also ist das Integral über θ ◦ f − θ ◦ max{ f , g} nicht-negativ. Aufgrund der Monotonie von θ ist andererseits θ ◦max{ f , g}−θ ◦ f nicht-negativ. Dies ist nur möglich, wenn θ ◦ max{ f , g} = θ ◦ f f.s. gilt. Es folgt f ≥ g f.s. Es sei nun g ∈ B(Ω , R) eine messbare Funktion, die die Ungleichung g ≥ h f.s für jedes h ∈ S erfüllt. Für jedes k ∈ N gilt dann offenbar g ≥ gk . Es folgt g ≥ supk∈N gk = f und damit f = ess sup (S ). Der Expected Shortfall einer Zufallsvariable X lässt sich als Supremum der Erwartungswerte von X bzgl. einer Klasse von Wahrscheinlichkeitsmaßen darstellen (Proposition 2.3). Die folgende Proposition zeigt, dass diese Art der Darstellung in natürlicher Weise zu kohärenten Risikomaßen führt. Proposition 2.8. Es sei W eine Teilmenge von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω , A , P) mit folgenden Eigenschaften: (i) Für jedes X ∈ M (Ω , R) und jedes Q ∈ W existiert EQ (X). (ii) Q P für alle Q ∈ W . Dann ist durch
ρ W (X) = sup {EQ (X)} Q∈W
ein kohärentes Risikomaß definiert. Wir werden Proposition 2.8 in Anschluss an Proposition 2.9 als eine elementare Folgerung beweisen. Wenn man als Mn (Ω , R) den Raum der fast überall beschränkten messbaren Funktionen wählt, kann man zeigen, dass eine große Klasse von kohärenten Risikomaßen über Proposition 2.8 dargestellt werden kann [15, Theorem 3.2]. Dies motiviert, kohärente dynamische Risikomaße ebenfalls über diese Darstellung zu konstruieren. Proposition 2.9. (Ω , A , P) sei ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ft )t∈{0,...,n} sei eine Filtration mit Fn = A . Für t ∈ {0, . . . , n} sei Mt (Ω , R) der Vektorraum der f.s. beschränkten, Ft -messbaren Funktionen. W sei eine Menge von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf Ω . Dann ist die Familie von Abbildungen ρtW : Mn (Ω , R) → Mt (Ω , R),
X → ρtW (X) = ess supQ∈W EQ (X | Ft )
ein kohärentes, dynamisches Risikomaß. Beweis. Wir zeigen zunächst, dass ρtW ein dynamisches Risikomaß ist. Aufgrund von Lemma 2.14 existiert die Abbildung ρt (X) und ist Ft -messbar. Da X fast überall beschränkt ist, gilt ρt (X)|ω ∈ R f.s.
2.4 Dynamische Risikomaße
69
Monotonie: Es gelte X1 ≥ X2 f.s. Dann gilt für jedes Q ∈ W die Ungleichung EQ (X1 ) ≥ EQ (X2 ). Da die Beziehung „≥“ beim Übergang zum Supremum erhalten bleibt, folgt die Monotonie von ρtW . Translationsinvarianz: Seien K ∈ Mt (Ω , R) und Q ∈ W . Da K Ft -messbar ist, gilt EQ (X + K | Ft ) = EQ (X | Ft ) + K. Der Übergang zum Supremum führt daher zu ρtW (X + K) = ρtW (X) + K. Homogenität: Es sei K ∈ Mt (Ω , R) mit K ≥ 0 f.s. und KX ∈ Mn (Ω , R). Für Q ∈ W gilt dann EQ (KX | Ft ) = KEQ (X | Ft ) und daher ρtW (KX) = sup {KEQ (X) | Ft } = K sup {EQ (X | Ft )} = KρtW (X), Q∈W
Q∈W
wobei wir beim zweiten Gleichheitszeichen K ≥ 0 benutzt haben. Subadditivität: Für X1 , X2 ∈ Mn (Ω , R) gilt sup {EQ (X1 + X2 | Ft )} = sup {EQ (X1 | Ft ) + EQ (X2 | Ft )} Q∈W
Q∈W
≤ sup {EQ (X1 | Ft )} + sup {EQ (X2 | Ft )} . Q∈W
Q∈W
Beweis von Proposition 2.8. Wir wenden Proposition 2.9 für n = 1, F1 = A , F0 = {0, / Ω } an. Dann gilt ρ0W (X) = ess supQ∈W EQ (X | F0 ) = supQ∈W EQ (X) = ρ W (X) und aus der Definition eines kohärenten dynamischen Risikomaßes folgt unmittel bar, dass ρ0 ein kohärentes Risikomaß ist. Es wäre mathematisch sehr naheliegend, den Expected Shortfall mittels Proposition 2.9 für eine gegebene Filtration zu einem dynamischen Risikomaß auszudehnen. In der Tat wird dieser Weg in der Literatur beschritten (siehe z.B. [46, Example 25]). Leider ist diese Erweiterung für praktische Anwendungen wenig geeignet, da das erweiterte Risikomaß den Charakter des Expected Shortfall verliert (siehe Beispiel 2.9). Beispiel 2.9. Wir betrachten den Wahrscheinlichkeitsraum (Ω , P) = (]0, 1[×]0, 1[, dω) , wobei Ω mit der Borel-Algebra B(]0, 1[×]0, 1[) ausgestattet und dP = dω1 dω2 das Lebesgue Maß auf dem R2 sei. Wir wählen die Produktfiltration / Ω }, F1 = {A×]0, 1[ : A ∈ B(]0, 1[)} , F2 = B(]0, 1[×]0, 1[) F0 = {0, Für α ∈]0, 1[sei
70
2 Risikomaß
1 dQ ≤ Wα = Q : Q ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß mit Q P und dP 1−α
.
Dann gilt nach Propostion 2.3 ρ0Wα = ESα und ρtWα ist das durch Proposition 2.9 aus dem Expected Shortfall gewonnene kohärente dynamische Risikomaß. Für μ ∈]0, 1[ seien 1 Aμ = ω : 0 < ω1 < , 0 < ω2 < 2(1 − μ)(1 − α) , 4 3 Bμ = ω : ≤ ω1 < 1, 0 < ω2 < 2(1 − μ)(1 − α) , 4 Cμ = {ω : 1 − μ + μα ≤ ω2 < 1} (siehe Abbildung (2.8)). Nach Konstruktion gilt Aμ ∩ Bμ = Bμ ∩Cμ = Cμ ∩ Aμ = 0/ sowie 1 P Aμ = P Bμ = (1 − μ)(1 − α), P Cμ = μ(1 − α), 2 so dass P Aμ ∪ Bμ ∪Cμ = 1 − α gilt. Damit ist das durch die Dichte 1Aμ + 1Bμ + 1Cμ dQμ = dP 1−α definierte Maß Qμ ein Wahrscheinlichkeitsmaß und erfüllt die Ungleichung dQμ 1 ≤ . dP 1−α Es gilt Qμ ∈ Wα und daher für alle beschränkten Zufallsvariablen X die Ungleichung EQμ (X | Ft ) ≤ ρtWα (X). Wir betrachten nun eine Zufallsvariable X : Ω → R, (ω1 , ω2 ) → ξ (ω2 ), wobei ξ nur von ω2 abhängt und monoton wachsend ist. Für ω1 ∈] 14 , 34 [ gilt dann wegen Proposition 2.7 1
EQμ (X | F1 )|ω1 = =
0
ξ (ω2 )
dQμ dP
1 dQμ
(ω1 , ω2 ) dω2
0 dP (ω1 , ω2 ) dω2 1 1 1−α 1−μ(1−α) ξ (ω2 ) dω2 1 1 1−α 1−μ(1−α) dω2
1 = μ(1 − α)
μ(1−α) 0
ξ (1 − x) dx
2.4 Dynamische Risikomaße
71
und somit lim EQμ (X | F1 )|ω1 = lim ξ (1 − x) = sup ξ (ω2 ) = sup X(ω).
μ→0
x→0
ω2 ∈]0,1[
ω∈Ω
Es sei nun ω1 ∈]0, 14 [∪] 34 , 1[ und 1 1 A˜ μ = + Aμ , B˜ μ = − + Bμ . 4 4 Wir können die gleiche Analyse mit dem durch ˜μ 1A˜ μ + 1B˜ μ + 1Cμ dQ = dP 1−α ˜ μ wiederholen und erhalten gegebenen Risikomaß Q lim E ˜ (X μ→0 Qμ
| F1 )|ω1 = sup X(ω) ω∈Ω
für alle ω1 ∈]0, 14 [∪] 34 , 1[. Wegen ρ1Wα (X) ≤ supω∈Ω X(ω) folgt also ρ1Wα (X) = supω∈Ω X(ω) fast sicher. Damit hat das dynamische Risikomaß zum Zeitpunkt 1 den Charakter des Expected Shortfalls vollständig verloren. Dieses Risikomaß ist natürlich für das Risikomanagement zur Zeit t = 1 vollkommen ungeeignet. Ist ξ nicht fast sicher konstant, so folgt außerdem die Existenz eines c > 0, so dass ρ0Wα (X) + c < ρ1Wα (X) f.s. gilt. Das Risikomaß ρtWα ist nicht schwach zeitkonsistent und somit auch nicht zeitkonsistent. Man beachte, dass dieses Beispiel zwar einfach, aber völlig unpathologisch ist: Der springende Punkt unseres Beispiels liegt darin, dass wir für jedes ω ∈ Ω ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q ∈ Wα finden können, das auf Ft (ω) nur in einer kleinen Umgebung des Supremums von X nicht verschwindet. Da Ft (ω) bezüglich P eine Nullmenge ist, haben wir auf Ω \Ft (ω) genügend Platz, um das Maß Q so fortzusetˆ zen, dass Q ∈ Wα gilt. Es folgt ρtWα (X) = supω∈F Diese Konstruktion ˆ t (ω) {X(ω)}. lässt sich für nahezu jedes praktische Beispiel durchführen. In der Literatur wird häufig der Schluss gezogen, dass man bei Verwendung des Expected Shortfalls in einem dynamischen Kontext sehr vorsichtig sein muss bzw. dass der Expected Shortfall in einem dynamischen Kontext nicht geeignet ist (siehe zum Beispiel [4, Section 5.3], [46, Example 25]). Die Autoren beschränken sich auf eine Unterklasse dynamischer Risikomaße, die zusätzliche axiomatisch eingeführte Bedingungen zur zeitlichen Konsistenz erfüllen. Ein typisches Beispiel einer solchen Bedingung ist die folgende Bedingung (siehe [45, 46]). Definition 2.23. Ein dynamisches Risikomaß ρt heißt vergleichskonsistent, falls für alle Zufallsvariablen X,Y ∈ M (Ω , R)
72
2 Risikomaß ω2 1 1 − μ(1 − α)
Cμ
α 2(1 − μ)(1 − α)
Abb. 2.8 Die Konstruktion des Maßes Qμ in Beispiel 2.9. Der Träger der Zufallsvariablen ist durch ein Punktmuster gekennzeichnet.
Bμ
Aμ 0 0
1 4
1 2
3 4
1
ω1
ρt+1 (X) ≥ ρt+1 (Y ) f.s. ⇒ ρt (X) ≥ ρt (Y ) f.s. gilt. Anmerkung 2.15. In [45, 46] wird von „zeitkonsistent“ anstelle von „vergleichskonsistent“ gesprochen. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Konsistenzbedingung in Definition 2.23 nicht plausibel ist. Da das Risikomaß zu Beginn der Periode t keine vollständige Beschreibung der zukünftigen Cashflows darstellt, ist es möglich dass aufgrund neuer Information zu Beginn der Periode t + 1 das Risiko einer Zufallsgröße X größer als das mit Y verbundene Risiko sein kann, selbst wenn die Relation in der vorigen Periode umgekehrt war. Beispiel 2.10 zeigt, wie dieser Informationsgewinn zu einer Verletzung der Vergleichskonsistenz führen kann. Daher möchten wir den Begriff „zeitkonsistent“ für die in Definition 2.20 gegebene Variante reservieren. Der Expected Shortfall hat Eigenschaften, die sich im Risikomanagement im einperiodischen Fall bewährt haben. Dass der mit Hilfe von Proposition 2.9 ausgedehnte Expected Shortfall seinen Charakter grundlegend ändert, wenn man die Periode in mehrere Teilperioden aufteilt, ist nicht dem Expected Shortfall, sondern der speziellen Konstruktion zur Erweiterung anzulasten. In der Tat ist die in Definition 2.18 gegebeneVerallgemeinerung des Expected Shortfall zeitkonsistent und behält ihren Charakter mit fortschreitender Zeit. Bei einem dynamischen Risikomaß der Form ρtW (X) = ess supQ∈W EQ (X | Ft ) hängt die definierende Menge W nicht von der Zeit t ab. Es ist daher schwierig, über diese Konstruktion den mit fortschreitender Zeit entstehenden Informationsgewinn über die Risikolage zu beschreiben. Dies scheint das Hauptproblem dieser Konstruktion zu sein und ist unabhängig von der Wahl des speziellen Risikomaßes „Expected Shortfall“. Das folgende Beispiel zeigt, dass der dynamische Expected Shortfall zwar zeitkonsistent, aber nicht vergleichskonsistent ist.
2.4 Dynamische Risikomaße
73 P
X
Y
UU
5 500
20
0
15 100
Uu
15 500
16
0
70 100
Ud
70 500
0
16
UD
10 500
0
18
DU
20 500
10
0
15 100
Du
60 500
12
0
70 100
Dd
280 500
0
10
DD
40 500
0
13
5 100
U
1 5
10 100
r
5 100
4 5
D
10 100
t =0
t =1
t =2
Abb. 2.9 Verletzung der Vergleichskonsistenz durch den Expected Shortfall.
Beispiel 2.10. Abbildung 2.9 zeigt ein Beispiel, in dem die Vergleichskonsistenz für den dynamischen Expected Shortfall ES80%,t verletzt ist. Man beachte, dass dieses diskrete Beispiel über eine auf einer Borelalgebra basierenden filtrierten Produktökonomie konstruiert werden kann (siehe Abbildung 2.4.4). Mit Lemma 2.5 erhalten wir zum Zeitpunkt t = 1 die folgenden Werte: 20 × 5 + 16 × 15 340 = = 17, 20 20 12 × 15 + 10 × 5 230 = = 11.5, ES80%,1 (X)|(D) = 20 20 18 × 10 + 16 × 10 340 = = 17, ES80%,1 (Y )|(U) = 20 20 13 × 10 + 10 × 10 230 ES80%,1 (Y )|(D) = = = 11.5, 20 20
ES80%,1 (X)|(U) =
so dass die Werte des Risikomaßes zum Zeitpunkt 1 für X und Y übereinstimmen. Die Vergleichskonsistenz würde daher implizieren, dass dann auch
74
2 Risikomaß
ES80%,0 (X)|(r) = ES80%,0 (Y )|(r) gilt. Die direkte Berechnung liefert jedoch für den Zeitpunkt t = 0 20 × 5 + 16 × 15 + 12 × 60 + 10 × 20 1260 = = 12.6 100 100 18 × 10 + 16 × 70 + 13 × 20 1560 ES80%,0 (Y )|(r) = = = 15.6 100 100
ES80%,0 (X)|(r) =
Indem wir Y˜ = Y − c für c ∈]0, 3[ setzen, erhalten wir die scheinbar stärkere Aussage ES80%,0 (Y˜ ) > ES80%,0 (X), aber ES80%,1 (Y˜ ) < ES80%,1 (X) f.s. Wir interpretieren dieses Ergebnis dahingehend, dass das Portfolio Y˜ gegenüber dem Portfolio X zur Zeit t = 1 an Kapitaleffizienz gewinnt. Die Vergleichskonsistenz ist einfach deshalb verletzt, weil wir bei der Ermittlung von ES80%,0 beide Zweige, U und D, zu den 20% höchsten Verlusten beitragen, während zum Zeitpunkt 1 die Wahl der 20% höchsten Verluste auf jeweils einen der Zweige U bzw. D eingeschränkt ist. Der relevante Informationsgewinn im Knoten U besteht somit darin, dass die verlustbringenden Ereignisse in D nicht mehr eintreten können. Analog erhält man im Knoten D die Information, dass die verlustbringenden Ereignisse in U nicht mehr eintreffen können. Eine Konsistenzverletzung im umgangssprachlichen Sinn sehen wir darin nicht.
2.4 Dynamische Risikomaße
75
ω2 1 10 500
UD
40 500
DD
70 500
Ud
280 500
Dd
15 500
Uu
60 500
Du
5 500
UU
20 500
DU
0 0
1 10
2 10
5 10
9 10
1
ω1
Abb. 2.10 Konstruktion des diskreten Beispiels 2.10 über eine Produktfiltration mit Ω = ]0, 1[×]0, 1[ und P = 52 × 1UU∪Uu∪Ud∪UD∪DU∪Dd∪DD . Die Filtration ist durch F0 = {0, / Ω }, F1 = {A×]0, 1[ : A ⊆ [0, 1[ ist Borel-messbar} und F2 = B(]0, 1[×]0, 1[) gegeben.
Kapitel 3
Abhängigkeiten
3.1 Diversifikation Es heißt, „ein Unglück kommt selten allein“. Glücklicherweise stimmt dies nicht ganz, denn der Umstand, dass „Unglücke“ nicht immer gehäuft auftreten, macht das Geschäftsmodell „Versicherung“ erst möglich. Andernfalls müsste ein Versicherungsunternehmen, das ein Kollektiv versichert, das volle Risikokapital für jedes Einzelrisiko vorhalten, was natürlich nicht „bezahlbar“ wäre. In diesem Zusammenhang wird der Effekt „Ausgleich im Kollektiv“ genannt. Wir betrachten diesen Diversifikationseffekt etwas allgemeiner für eine beliebige (also insbesondere auch kleine) Anzahl von Risiken, die Verlustverteilungen unterschiedlicher Natur aufweisen können. Definition 3.1. Es sei ρ : M (Ω , R) → R, X → ρ(X) ein Risikomaß. Wir betrachten ein Gesamtsystem mit mehreren Teilrisiken, die durch Verlustvariablen Xi ∈ M (Ω , R) (i ∈ {1, . . . , m}) beschrieben werden. Dann ist der Diversifikationseffekt des Gesamtsystems {X1 , . . . , Xm } bezüglich ρ durch m
∑ ρ (Xi ) − ρ
i=1
m
∑ Xi
i=1
gegeben. Wir sagen, dass es einen Diversifikationseffekt gibt, wenn diese Zahl echt positiv ist. Proposition 3.1. Für kohärente Risikomaße ist der Diversifikationseffekt nie negativ. m Beweis. Dies folgt direkt aus der Subadditivität ρ (∑m i=1 Xi ) ≤ ∑i=1 ρ (Xi ).
Anmerkung 3.1. Im allgemeinen hängt es sowohl vom System der Zufallsvariablen als auch vom Risikomaß ab, ob der Diversifikationseffekt positiv ist. Beim Value at Risk kann es zum Beispiel einen negativen Diversifikationseffekt geben, weshalb dieses Risikomaß häufig in der Kritik steht (siehe z.B. Beispiel 2.2 und [1]). M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
77
78
3 Abhängigkeiten
Ist das Risikomaß ρ vorgegeben, so hängt der Diversifikationseffekt von der Abhängigkeitsstruktur der Teilrisiken Xi ab. Beispiel 3.1. Man kann sich zum Beispiel ein Versicherungsunternehmen vorstellen, das zwei Sparten hat, Hagelversicherung mit dem Risiko „Hagel“ und Kaskoversicherung mit dem Risiko „Autoschaden“. X1 sei nun der Jahresschaden aus Hagelversicherung und X2 der Jahresschaden aus Kaskoversicherung. Dabei hängen sowohl X1 als auch X2 a priori von beiden Risiken ab. Sicherlich wird es aber nicht immer, wenn es hagelt, bei jedem Versicherungsnehmer zu einem Autoschaden kommen, und umgekehrt ist klar, dass Autounfälle keine Hagelschauer verursachen können. Wenn wir den Gesamtschaden aus Versicherungsverträgen für das Unternehmen mit X = X1 + X2 bezeichnen, so stellt sich die Frage, wie dieser Schaden zu berechnen ist, also welche Verteilung X hat. Da Autoschäden auch von großen Hagelkörnern herrühren können und in einem Hagelschauer die Straßenverhältnisse besonders schlecht sind, so dass mit mehr Unfällen gerechnet werden muss, sind X1 und X2 nicht unabhängig. Um die Verteilung von X korrekt zu schätzen, müsste man also beide Risiken gleichzeitig betrachten. Dies würde erhebliche Datenanforderungen stellen. Es wäre viel praktischer, wenn man beide Risiken zunächst für sich alleine schätzen könnte und sich in einem zweiten Schritt Gedanken über ihre Abhängigkeit machen dürfte. Dies ist in der Tat möglich: FX , FX1 , FX2 seien die Verteilungsfunktionen von X, X1 , X2 . Dann existiert eine Funktion C : [0, 1] × [0, 1] → [0, 1], so dass FX (x1 , x2 ) = C (FX1 (x1 ) , FX2 (x2 )) gilt. Man kann also zunächst getrennt die Verteilungsfunktion für Hagel sowie Autoschäden suchen und dann in einem zweiten Schritt versuchen, die Funktion C zu finden. Hat man dies geschafft, kennt man auch die Gesamtverteilung. Die Abhängigkeit von Hagel- und Autoschäden bestimmt bei diesem Verfahren die Form von C. Die Funktion C heißt Copula (für eine formale Beschreibung siehe Definition 3.3). Wir werden in den Abschnitten 3.2.1.1 und 3.2.3 sehen, dass das Arbeiten mit Copulas nicht schwieriger ist als das Arbeiten mit normalen Verteilungsfunktionen, die jeder Schadenaktuar gut kennt. Trotzdem ist die Nutzung von Copulas in den Unternehmen noch nicht sehr weit verbreitet, sondern andere Abhängigkeitsstrukturen (Stichwort „Korrelationsmatrix“) werden häufig genutzt. Wir werden in Abschnitt 3.3 auf Korrelationen eingehen. Hier sei schon gesagt, dass sie für interne Modelle nicht wirklich besser handhabbar sind und außerdem sehr viel weniger Information liefern als (einfache) Copulas. Dies wird klar werden, wenn man zunächst das Copula Konzept studiert und sich im Anschluss überlegt, was Korrelationen wirklich bedeuten.
3.2 Copulas
79
3.2 Copulas In diesem Abschnitt folgen wir der Darstellung in [40]. Dadurch, dass die in Abschnitt 3.1 eingeführte Funktion C (FX1 (x1 ) , FX2 (x2 )) eine zweidimensionale Verteilungsfunktion darstellt, muss C selbst einige Eigenschaften erfüllen. Ist ein Ereignis für den i-ten Risikofaktor „nicht möglich“, so ist es auch nicht für das Gesamtrisiko. Daraus folgt die Eigenschaft C (u1 , 0) = C (0, u2 ) = 0 für alle u1 , u2 . Für die Verteilungsfunktion (x1 , x2 ) → FX (x1 , x2 ) gilt FX1 (x1 ) = limy→∞ FX (x1 , y) und FX2 (x2 ) = limy→∞ FX (y, x2 ). Dies wird in der Eigenschaft C (1, u2 ) = u2 , C (u1 , 1) = u1 für alle u1 , u2 ausgedrückt. Für eine allgemeine bivariate Verteilungsfunktion FX gilt 0 ≤ P (x11 < X1 ≤ x12 , x21 < X2 ≤ x22 ) = F(x12 , x22 ) − F(x11 , x22 ) − F(x12 , x21 ) + F(x11 , x21 ), was mit ui j = FXi (xi j ) die Ungleichung C(u12 , u22 ) −C(u11 , u22 ) −C(u12 , u21 ) +C(u11 , u21 ) ≥ 0 impliziert. Um diese notwendigen Bedingungen für C auf m Dimensionen zu verallgemei¯ = nern, benötigen wir ein wenig zusätzliche Terminologie. Wir bezeichnen mit R {−∞} ∪ R ∪ {∞} die 2-Punkt-Kompaktifizierung von R mit der kanonisch induzier¯ und schreiben ten Ordnung (−∞ ≤ a, a ≤ ∞ für alle a ∈ R) m Faktoren
¯ ×···×R ¯. R =R ¯m
¯ m mit ai ≤ bi für alle i sei [a, b] = [a1 , b1 ] × · · · × [am , bm ]. Für a, b ∈ R ¯ ai = inf Si und bi = sup Si . Definition 3.2. Es seien S1 , . . . , Sm Teilmengen von R, 1 Eine Präverteilungsfunktion ist eine Abbildung F : S1 × · · · × Sm → [0, 1],
x → F (x1 , . . . , xm )
mit (i) F (x1 , . . . , xi−1 , ai , xi+1 , . . . , xm ) = 0 ∀x ∈ S1 × · · · × Sm , ∀i ∈ {1, . . . , m}, (ii) VF (]x1 , x2 ]) := ∑2i1 =1 . . . ∑2im =1 (−1)i1 +···+im F (xi1 )1 , . . . , (xim )m ≥ 0 für alle Intervalle [x1 , x2 ] ⊂ S1 × · · · × Sm . 1
Diese Terminologie ist keine Standardterminologie, aber in unserem Zusammenhang praktisch.
80
3 Abhängigkeiten
Gilt bk ∈ Sk für alle k, so ist die i-te Marginalverteilung durch die Abbildung F(i) : Si → [0, 1], x → F (b1 , . . . , bi−1 , x, bi , . . . , bm ) gegeben. Offenbar ist jede Verteilungsfunktion FX eine Präverteilungsfunktion, wobei P ((x1 )1 < X1 ≤ (x2 )1 , . . . , (x1 )m < Xm ≤ (x2 )m ) = VFX (]x1 , x2 ]) ¯ für alle i und F(∞, . . . , ∞) = 1, so ist über gilt. Gelten umgekehrt Si = R P (x ∈ ]x1 , x2 ]) = VF (]x1 , x2 ]) eine Verteilungsfunktion definiert. Ist F eine Verteilung mit Marginalverteilungen F(i) , und ist C : [0, 1]m → [0, 1] eine Abbildung mit F (x1 , . . . , xm ) = C F(1) (X1 ) , . . . , F(m) (Xm ) , so ist C offenbar eine Copula im Sinne der folgenden Definition: Definition 3.3. Eine Präverteilungsfunktion C : [0, 1]m → [0, 1] mit Marginalverteilungen ui → C(i) (ui ) = ui für alle i ∈ {1, . . . , m} heißt Copula. ¯ → [0, 1] Proposition 3.2. Es sei C : [0, 1]m → [0, 1] eine Copula und F1 , . . . , Fm : R 1-dimensionale Verteilungsfunktionen. Dann ist x → F((x1 , . . . , xm ) := C (F1 (x1 ) , . . . , Fm (xm )) eine m-dimensionale Verteilungsfunktion mit Marginalverteilungen F1 , . . . , Fm . Beweis. Die Eigenschaft C(i) (ui ) = ui impliziert F (∞, . . . , ∞, xi , ∞, . . . , ∞) = C (1, . . . , 1, Fi (xi ) , 1, . . . , 1) = Fi (xi ) und somit insbesondere F(∞, . . . , ∞) = C(1, . . . , 1) = 1. Für i ∈ {1, . . . , m} gilt F (x1 , . . . , xi−1 , −∞, xi+1 , . . . , xm ) = C F1 (x1 ) , . . . , Fi−1 (xi−1 ) , 0, F (xi+1 ) , . . . , Fm (xm ) = 0. Der Beweis ist durch die Verifikation von
3.2 Copulas
81
VF (]x1 , x2 ]) = =
2
2
i1 =1
im =1
2
2
∑ . . . ∑ (−1)i1 +···+im F ∑ . . . ∑ (−1)i1 +···+im C
i1 =1
im =1
(xi1 )1 , . . . , (xim )m
F1 (xi1 )1 , . . . , Fm (xim )m
⎛⎤⎛
⎞ ⎛ ⎞⎤⎞ F1 ((x1 )1 ) F1 ((x2 )1 ) ⎜⎥⎜ ⎟ ⎜ ⎟⎥⎟ .. .. = VC ⎝⎦⎝ ⎠,⎝ ⎠⎦⎠ ≥ 0 . . Fm ((x1 )m ) Fm ((x2 )m )
beendet.
Man kann eine Copula alternativ als multivariate Verteilungsfunktion auffassen, deren Randverteilungen gerade jeweils die uniforme Verteilung auf [0, 1] ist. Lemma 3.1. Es sei F : S1 × · · · × Sm → [0, 1] eine Präverteilungsfunktion und x1 , x2 ∈ S1 × · · · × Sm . Dann gilt
m |F (x2 ) − F (x1 )| ≤ ∑ F(i) ((x2 )i ) − F(i) ((x1 )i ) . i=1
Beweis. Aus der Dreiecksungleichung erhalten wir F (x2 ) − F (x1 ) = F ((x2 ) , . . . , (x2 ) ) − F ((x1 ) , . . . , (x1 ) ) 1 m 1 m ≤ F ((x2 )1 , . . . , (x2 )m ) − F ((x1 )1 , (x2 )2 , . . . , (x2 )m ) + F ((x1 )1 , (x2 )2 , . . . , (x2 )m ) − F ((x1 ) , (x1 ) , (x2 ) , . . . , (x2 ) ) 1
2
3
m
+... + F (x1 )1 , . . . , (x1 )m−1 , (x2 )m − F ((x1 )1 , . . . , (x1 )m ) . Wir müssen also zeigen, dass für jedes i die Abbildung (t1 , . . . ,ti−1 ,ti+1 ,tm ) → F (t1 , . . . ,ti−1 , s2 ,ti+1 , . . . ,tm )
− F (t1 , . . . ,ti−1 , s1 ,ti+1 , . . . ,tm )
=: gs1 ,s2 (t1 , . . . ,ti−1 ,ti+1 ,tm ) in Bezug auf jedes ti monoton wachsend ist. Denn dann folgt mit bi = sup Si F (x1 ) , . . . , (x1 ) , (x2 ) , (x2 ) , . . . , (x2 ) 1 i−1 i i+1 m − F (x1 ) , . . . , (x1 ) , (x1 ) , (x2 ) , . . . , (x2 ) 1
i−1
i
i+1
m
≤ |F (b1 , . . . , bi−1 , (x2 )i , bi+1 , . . . , bm ) − F (b1 , . . . , bi−1 , (x1 )i , bi+1 , . . . , bm )| = F(i) ((x2 ) ) − F(i) ((x1 ) ) . i
i
82
3 Abhängigkeiten
Um die Monotonie zu zeigen, können wir o.B.d.A. annehmen, dass s2 > s1 gilt. In diesem Fall ist die Differenz positiv, und wir können auf den Absolutbetrag verzichten. Es sei ferner r2 > r1 , r1 , r2 ∈ S j , j ∈ {1, . . . , i − 1, i + 1, . . . , m}. Wir wenden nun Eigenschaft (ii) von Definition 3.2 auf die Menge 4 4
∑
tk ek + r1 e j + s1 ei ,
k∈{1,...,m}\{i, j}
∑
tk ek + r2 e j + s2 ei ,
k∈{1,...,m}\{i, j}
an, wobei ek den k-ten Einheitsvektor in Rm bezeichnet. Dies liefert
∑
0≤F
tk ek + r2 e j + s2 ei
k∈{1,...,m}\{i, j}
∑
−F
k∈{1,...,m}\{i, j}
k∈{1,...,m}\{i, j}
∑
−F +F
∑
tk ek + r1 e j + s2 ei tk ek + r2 e j + s1 ei tk ek + r1 e j + s1 ei
k∈{1,...,m}\{i, j}
= gs1 ,s2 t1 , . . . ,t j−1 , r2 ,t j+1 , . . . ,ti−1 ,ti+1 , . . . ,tm − gs1 ,s2 t1 , . . . ,t j−1 , r1 ,t j+1 , . . . ,ti−1 ,ti+1 , . . . ,tm , da die anderen Terme in der Summe paarweise wegfallen.
Korollar 3.1. Copulas sind Lipschitz-stetig: |C (u2 ) −C (u1 )| ≤ ∑m i=1 |(u2 )i − (u1 )i | für alle u1 , u2 ∈ [0, 1]m . Die Praktikabilität von Copulas erweist sich in dem folgenden Theorem, das in der Einführung bereits für 2 Risikofaktoren angedeutet wurde: Theorem 3.1. (Sklar) Es sei FX eine multivariate Verteilungsfunktionen mit Marginalverteilungen FX1 , . . . , FXm . Dann gibt es eine Copula C mit FX (x1 , . . . , xm ) = C (FX1 (x1 ) , . . . , FXm (xm )) Die Copula C ist eindeutig, wenn die Marginalverteilungen FX1 , . . . , FXm stetig sind. Beweis. Wir werden das Theorem im Spezialfall zeigen, dass alle Marginalverteilungen stetig sind. Für die (vergleichsweise aufwendige) Verallgemeinerung auf beliebige Marginalverteilungen werden wir uns darauf beschränken, die Beweisidee zu skizzieren. ¯ Es seien FX1 , . . . , FXm beliebige Marginalverteilungen und x1 , x2 ∈ FX1 R × · · · × ¯ FXm R . Gilt FXi ((x1 )i ) = FXi ((x2 )i ) für alle i ∈ {1, . . . , m}, so folgt aus Lemma 3.1 FX (x1 ) = FX (x2 ). Damit haben wir eine eindeutige Abbildung
3.2 Copulas
83
¯ × · · · × FX R ¯ → [0, 1] C˜ : FX1 R m (u1 , . . . , um ) → C˜ (u1 , . . . , um ) ¯ m erfüllt. definiert, die FX (x) = C˜ (FX (x1 ) , . . . , FX (xm )) für alle x ∈ R ˜ Wir zeigen nun, dass C eine Präverteilungsfunktion ist, die C˜(i) (ui ) = ui für alle ¯ erfüllt. ui ∈ FXi R (i) C˜ (u1 , . . . , ui−1 , 0, ui , . . . , um ) = 0: Da FXi eine Verteilungsfunktion ist, gilt lim FXi (xi ) = 0.
xi →−∞
¯ . Die Behauptung folgt nun aus Daher folgt 0 = FXi (−∞) ∈ FXi R FX (x1 , . . . , xi−1 , −∞, xi+1 , . . . , xm ) = 0. ¯ : Da FX eine Verteilungsfunktion ist, gilt (ii) C˜(i) (ui ) = ui für alle ui ∈ FXi R j lim FX j (x j ) = 1,
x j →∞
¯ gilt und die Marginalverteilungen von C˜ existieren. Es sei so dass ∞ ∈ FX j R ¯ xi ∈ R so gewählt, dass FXi (xi ) = ui gilt. Die Behauptung ergibt sich nun aus ui = FXi (xi ) = FX (∞, . . . , ∞, xi , ∞, . . . , ∞) = C˜ FX (∞) , . . . , FX (∞) , FX (xi ) , FX 1
i
i−1
i+1
(∞) , . . . , FXm (∞)
= C˜ (1, . . . , 1, ui , 1, . . . , 1) = C˜(i) (ui ) . ¯ × · · · × FXm R ¯ mit (u1 ) ≤ (u2 ) (iii) VC˜ (]u1 , u2 ]) ≥ 0 für alle u1 , u2 ∈ FX1 R i i für alle i ∈ {1, . . . , m}: Da alle FXi monoton wachsend sind, existieren x1 , x2 ∈ ¯ m mit FX ((x1 ) ) = (u1 ) , FX ((x2 ) ) = (u2 ) und (x1 ) ≤ (x2 ) . Daher gilt R i i i i i i i i 0 ≤ VFX (]x1 , x2 ]) = = =
2
2
i1 =1
im =1
2
2
i1 =1
im =1
2
2
i1 =1
im =1
∑ . . . ∑ (−1)i1 +···+im FX
∑ . . . ∑ (−1)i1 +···+im C˜ ∑ . . . ∑ (−1)i1 +···+im C˜
(xi1 )1 , . . . , (xim )m
FX1 (xi1 )1 , . . . , FXm (xim )m
(ui1 )1 , . . . , (uim )m = VC˜ (]u1 , u2 ]) .
¯ = [0, 1], so dass C˜ auf ganz Wenn die Marginalverteilungen stetig sind, gilt FXi R ist. [0, 1]m definiert und somit eineCopula ¯ eine echte Teilmenge von [0, 1]. In diesem Fall Im allgemeinen Fall ist FXi R muss gezeigt werden, dass C˜ zu einer Copula, die auf ganz [0, 1]m definiert ist, erweitert werden kann. Dies ist in der Tat möglich, jedoch nicht eindeutig. Wir werden dies hier nicht beweisen, aber skizzieren, wie die Präverteilungsfunktion C˜ zu ei-
84
3 Abhängigkeiten
ner Copula C erweitert werden kann. Die einfachste Copula ist die Produktcopula Cˆ (u1 , . . . , um ) = u1 u2 · · · um . Dass dies wirklich eine Copula ist, folgt aus dem bereits bewiesenen Teil des Theorems und der Tatsache, dass (insbesondere für stetige) 1-dimensionale Verteilungsfunktionen F1 , . . . , Fm das Produkt F (x1 , . . . , x, ) = F1 (x1 ) · · · Fm (xm ) eine m-dimensionale Verteilungsfunktion ist, die die Marginalverteilungen F1 , . . . , Fm hat. Diese Konstruktion motiviert, C als multilineare Interpolation von C˜ zu definieren: Zunächst beobachten wir, dass wir der Lipschitzstetigkeit von C˜ wegen (im Beweis von Lemma 3.1 hatten wir die Eigenschaft, dass C auf ganz [0, 1] definiert ¯ × ··· × ist, nicht benutzt) C˜ zunächst eindeutig stetig auf den Abschluss FX1 R m ¯ ¯ ¯ FX R von FX R × · · · × FX R ausdehnen können. Für u ∈ [0, 1] seien u[1] m
und u[2] durch
m
1
[1] ¯ : vi ≤ ui , ui = max vi ∈ FXi R
definiert. Mit ξi (ui ) =
⎧ ⎨ ⎩
[1]
ui −ui
[2] [1] ui −ui
1
[2] ¯ : vi ≥ ui ui = min vi ∈ FXi R [1]
[2]
[1]
[2]
für ui < ui für ui = ui
sei C (u) =
2
∑
i1 =1
...
2
∑
m
∏ (1 − ξk (uk ))2−ik
im =1 k=1
[i1 ] [im ] ik −1 ˜ (ξ (u )) , . . . , u C u . m k k ∏ 1 m
k=1
¯ × · · · × FX R ¯ mit C˜ übereinstimmt. Es ist nach Definition klar, dass C auf FX1 R m Es bliebe zu zeigen, dass auch C eine Copula ist. Dies ist jedoch aufwendig, so dass wir hier darauf verzichten. Eine wichtige Eigenschaft von Copulas ist ihre Invarianz unter streng monotonen Transformationen. Das folgende Theorem gilt auch unter etwas schwächeren Bedingungen (siehe [40, Proposition 5.6]) Theorem 3.2. Es sei X ein m-dimensionaler Zufallsvektor mit stetigen Marginalverteilungen FXi und Copula C. Sind Ti : R → R, i ∈ {1, . . . m} stetige Funktionen, die entweder alle streng monoton wachsend oder alle streng monoton fallend sind, so hat der transformierte Zufallsvektor X T = (T1 ◦ X1 , . . . , Tm ◦ Xm ) ebenfalls die Copula C. Beweis. Wir betrachten den Fall streng monoton wachsender Transformationen. Es gilt FTi ◦Xi (y) = P (Ti ◦ Xi ≤ y) = P Xi ≤ T −1 (y) = FXi Ti−1 (y) .
3.2 Copulas
85
Dies impliziert FX T (y1 , . . . , ym ) = P (T1 ◦ X1 ≤ y1 , . . . , Tm ◦ Xm ≤ y1 ) = P X1 ≤ T1−1 (y1 ) , . . . , Xm ≤ Tm−1 (ym ) = FX T1−1 (y1 ) , . . . , Tm−1 (ym ) = C FX1 T1−1 (y1 ) , . . . , FXm Tm−1 (ym ) = C (FT1 ◦X1 (y1 ) , . . . , FTm ◦Xm (ym )) Aus dem Eindeutigkeitsteil des Theorems von Sklar 3.1 folgt die Behauptung.
Die lineare Korrelation ρ (X1 , X2 ) =
cov (X1 , X2 ) σ (X1 ) σ (X2 )
ist keine Invariante der Copula des 2-dimensionalen Verteilungsvektors X. Es gibt aber andere Abängigkeitsgrößen, die nur von der Copula abhängen. Definition 3.4. X sei ein 2-dimensionaler Zufallsvektor mit stetigen Marginalverteilungen FX1 , FX2 . Dann ist Spearman’s rho definiert durch ρS = ρ (FX1 ◦ X1 , FX2 ◦ X2 ). Proposition 3.3. X sei ein 2-dimensionaler Zufallsvektor mit stetigen Marginalverteilungen FX1 , FX2 und Copula C. Dann gilt ρS (X1 , X2 ) = 12
1 1 0
0
C (u1 , u2 ) du1 du2 − 3.
Insbesondere hängt ρS (X1 , X2 ) von X nur über die Copula C ab. Beweis. Da FXi ◦ Xi uniform verteilt ist, gilt 1 2 1 2 2 2 var (FXi ◦ Xi ) = var (Ui ) = E Ui − E (Ui ) = u du − u du 0
0
1 1 1 = − = . 3 4 12 Damit erhalten wir ρS (X1 , X2 ) = 12 cov (FX1 ◦ X1 , FX2 ◦ X2 ). Nun gilt allgemein für einen Zufallsvektor Y die Gleichung cov (Y1 ,Y2 ) =
(FY (y1 , y2 ) − FY1 (y1 ) FY2 (y2 )) dy1 dy2
(siehe das folgende Lemma 3.2), so dass aus der Definition der Copula und dem Fakt, dass FXi ◦ Xi uniform verteilt ist, ρS (X1 , X2 ) = 12
1 1 0
0
(C (u1 , u2 ) − u1 u2 ) du1 du2
86
3 Abhängigkeiten
folgt. Die Integration 12
11 0
0
u1 u2 du1 du2 = 3 liefert nun die Behauptung.
Im Beweis von Proposition 3.3 haben wir vom folgenden Lemma von Höffding Gebrauch gemacht. Lemma 3.2. X sei ein 2-dimensionaler Zufallsvektor mit stetigen Marginalverteilungen FX1 , FX2 .Ist die Kovarianz von X endlich, so gilt cov (X1 , X2 ) =
(FX (x1 , x2 ) − FX1 (x1 ) FX2 (x2 )) dx1 dx2 .
Beweis. Es sei X˜ ein von X unabhängiger Zufallsvektor mit der gleichen Verteilung. Dann gilt E X1 − X˜1 X2 − X˜2 = E X1 X2 − X1 X˜2 − X˜1 X2 + X˜1 X˜2 = 2E (X1 X2 ) − 2E (X1 ) E (X2 ) = 2 cov (X1 , X2 ) . ∞ I{b≤x} − I{a≤x} dx, so dass wir schreiFür jedes a, b ∈ R gilt offenbar (a − b) = −∞ ben können: 2 cov (X1 , X2 ) = E X1 − X˜1 X2 − X˜2 ∞ ∞ I{X˜1 ≤x1 } − I{X1 ≤x1 } I{X˜2 ≤x2 } − I{X2 ≤x2 } dx1 dx2 =E −∞ −∞ ∞ ∞ = E I{X˜1 ≤x1 } − I{X1 ≤x1 } I{X˜2 ≤x2 } − I{X2 ≤x2 } dx1 dx2 −∞ −∞ ∞ ∞
=2
=2 =2
E I{X1 ≤x1 } I{X2 ≤x2 } −∞ −∞ −E I{X1 ≤x1 } E I{X2 ≤x2 } dx1 dx2
∞ ∞
−∞ −∞ ∞ ∞ −∞ −∞
(P (X1 ≤ x1 , X2 ≤ x2 ) − P (X1 ≤ x1 ) P (X2 ≤ x2 )) dx1 dx2 (FX (x1 , x2 ) − FX1 (x1 ) FX2 (x2 )) dx1 dx2 .
Ein weiteres Abhängigkeitsmaß, das nur von der Copula abhängt, stellt Kendall’s tau dar. Definition 3.5. X = (X1 , X2 ) sei ein 2-dimensionaler Zufallsvektor mit Copula C und X˜ = (X˜1 , X˜2 ) sei ein weiterer Zufallsvektor, so dass X und X˜ i.i.d. sind. Dann ist Kendall’s τ für X durch ρτ (X1 , X2 ) = 2P((X1 − X˜1 )(X2 − X˜2 ) > 0) − 1 definiert. Kendall’s tau kann als Maß für die Gleichläufigkeit der beiden Komponenten aufgefasst werden.
3.2 Copulas
87
Lemma 3.3. X sei ein 2-dimensionaler Zufallsvektor mit stetigen Marginalverteilungen FX1 , FX2 . Dann gilt ρτ (X1 , X2 ) = 4
[0,1]2
C(u1 , u2 ) dC(u1 , u2 ) − 1.
Insbesondere hängt Kendall’s τ nur über die Copula C von X ab. Beweis. Es sei F die Verteilungsfunktion von X. Dann gilt ρτ (X1 , X2 ) = 2P (X1 − X˜1 )(X2 − X˜2 ) > 0 − 1 = 4P X1 < X˜1 , X2 < X˜2 − 1 =4 =4
R
2
R2
P(X1 < y1 , X2 < y2 ) dF(y1 , y2 ) C(F1 (y1 ), F2 (y2 )) dC(F1 (y1 ), F2 (y2 )).
Die Behauptung folgt nun mit u1 = F1 (y1 ) und u2 = F2 (u2 ).
Wenn man in der Praxis eine Verteilung schätzt, bedient man sich oft parametrischer Methoden. Man betrachtet eine oder mehrere geeignete Klassen von Verteilungen mit wenigen Parametern, die dann anhand der Daten gefittet werden. Welche Klassen man wählt, hängt natürlich von der empirischen Verteilung ab, aber letztendlich gibt es nur eine Handvoll möglicher Kandidaten. Bei Copulas geht man ähnlich vor. Es gibt einen ganzen Zoo von Copula-Klassen mit jeweils sehr charakteristischen Eigenschaften. Ähnlich wie bei der Bestimmung von Verteilungen muss man wieder nur einige Parameter schätzen, wenn man sich für eine Klasse entschieden hat. Dass die Definition der Copula (und insbesondere Bedingung (ii) in Definition 3.2) etwas komplex ist, ist daher in der Versicherungspraxis nicht weiter störend. Selbst wenn die Datenbasis zur Kalibrierung einer Copula nicht ausreichend ist, kann der Vergleich verschiedener Copulas wertvolle Sensitivitätsaussagen liefern (siehe Beispiel 3.2 im nächsten Abschnitt).
3.2.1 Beispiele 3.2.1.1 Gauß-Copula Definition 3.6. Es sei Φ0,1 die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung und Φ0,ρ die Verteilungsfunktion der m-dimensionalen Multinormalverteilung X ∼ N(0, ρ), wobei ρ eine Korrelationsmatrix ist. Dann heißt die durch −1 −1 (u1 ) , . . . , Φ0,1 (um ) CρGauß (u1 , . . . , um ) = Φ0,ρ Φ0,1
88
3 Abhängigkeiten
definierte Copula Gauß-Copula. Die Gauß-Copula CρGauß ist offenbar die Copula des multinormalverteilten Zufallsvektors X. Aus Theorem 3.2 und der Transformation xi =
yi − μi σi
folgt, dass sie ebenfalls die Copula des Zufallsvektors Y ∼ N(μ, Σ ) ist, falls Σ die Korrelationsmatrix ρ hat. In zwei Dimensionen erhalten wir mit 1 ρ12 ρ= ρ12 1 explizit −1 −1 CρGauß (u1 , u2 ) = Φ0,ρ Φ0,1 (u1 ) , Φ0,1 (u2 )
= 2π
Φ −1 (u1 ) Φ −1 (u2 ) 0,1 0,1
1 2
1 − (ρ12 )
−∞
−∞
⎛ exp ⎝−
⎞ x2 − 2ρ
12
x y + y2
2 1 − (ρ12 )2
⎠ dx dy.
Proposition 3.4. Es sei X ein 2-dimensionaler Verteilungsvektor mit Gauß-Copula Gauß Cρ . Dann gilt ρ 6 12 arcsin , π 2 2 ρτ (X1 , X2 ) = arcsin (ρ12 ) . π ρS (X1 , X2 ) =
Beweis. Wir zeigen zunächst, dass für normalverteilte 1-dimensionale Zufallsvariablen Y1 ,Y2 mit corr(Y1 ,Y2 ) = ρ˜ die Gleichung P (Y1 − E(Y1 ) ≥ 0,Y2 − E(Y2 ) ≥ 0) =
1 1 + arcsin ρ˜ 4 2π
(3.1)
gilt. Da für alle echt positiven reellen Zahlen a1 , a2 die Gleichung P (Y1 − E(Y1 ) ≥ 0,Y2 − E(Y2 ) ≥ 0) = P (a1 (Y1 − E(Y1 )) ≥ 0, a2 (Y2 − E(Y2 )) ≥ 0) gilt, können wir ohne Einschränkung annehmen, dass Y1 und Y2 jeweils standardnormalverteilt sind. Y := (Y1 ,Y2 ) hat dann dieselbe Verteilung wie
2 ˜ ˜ ˜ Z1 , ρ˜ Z1 + 1 − ρ˜ Z2 ,
3.2 Copulas
89
0.0
0.2
0.4
u2
0.6
0.8
1.0
Gauß-Copula ρ = 45
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
u1 Abb. 3.1 Gauß-Copula mit ρ = 45 . Es wurden 1000 Zufallspunkte generiert.
wobei Z˜ 1 , Z˜ 2 standardnormalverteilte unabhängige Zufallsvariablen sind. Mit φ := arcsin ρ˜ erhalten wir (Y1 ,Y2 ) ∼ Z˜ 1 , sin φ Z˜ 1 + cos φ Z˜2 . Es sei O eine Drehung im R2 und Z˜ = (Z˜ 1 , Z˜ 2 ). Da für t ∈ R2 # 1# 1 # #2 2 ˜ ˜ E it · OZ = E i O t · Z = exp − #O t # = exp − t = E it · Z˜ 2 2 gilt, haben OZ˜ und Z˜ die gleiche Verteilung. Aus Symmetriegründen können wir daher Z˜ 1 , Z˜ 2 = R (cosΘ , sinΘ ) schreiben, wobei R eine positive Zufallsvariable und Θ eine gleichverteilte Zufallsvariable auf [−π, π) ist. Es folgt
90
3 Abhängigkeiten
P (Y1 ≥ 0,Y2 ≥ 0) = P (cosΘ ≥ 0, sin φ cosΘ + cos φ sinΘ ≥ 0) = P (cosΘ ≥ 0, sin (φ +Θ ) ≥ 0) 5 π π6 , φ +Θ ∈ [0, π] =P Θ ∈ − , 5 π2 π2 6 =P Θ ∈ − , ∩ [−φ , π − φ ] 2 2 1 π +φ , = 2π 2 womit Gleichung (3.1) bewiesen ist. Wir zeigen nun die Behauptung für Spearman’s ρ. Die Dichte der Standardnormalverteilung sei mit φ0,1 bezeichnet. Aus Proposition 3.3 folgt zunächst, dass ρS (X1 , X2 ) nur von der Gauß-Copula und nicht von den Randverteilungen X1 , X2 abhängt, so dass wir o.B.d.A. annehmen können, dass X1 , X2 standardnormalverteilt sind. Weiter folgt aus Proposition 3.3 ρS (X1 , X2 ) = 12
1 1
0 0 Φ0,1 (xi )=ui
=
= 12
12
−1 −1 Φ0,ρ Φ0,1 (u1 ) , Φ0,1 (u2 ) du1 du2 − 3
∞ ∞ −∞ −∞
∞ ∞
−∞ −∞
Φ0,ρ (x1 , x2 ) φ0,1 (x1 ) φ0,1 (x2 ) dx1 dx2 − 3
P (X1 ≤ x1 , X2 ≤ x2 ) φ0,1 (x1 ) φ0,1 (x2 ) dx1 dx2 − 3
= 12 E (P (X1 ≤ Z1 , X2 ≤ Z2 |Z1 , Z2 )) − 3, wobei Z ein von X unabhängiger Zufallsvektor mit unabhängigen, standardnormalverteilten Komponenten Z1 , Z2 ist. Mit Y = Z − X erhalten wir ρS (X1 , X2 ) = 12P (Y1 ≥ 0,Y2 ≥ 0) − 3. Die Zufallsvariable Y ist als Linearkombination normalverteilter Zufallsvariablen wieder normalverteilt und hat Erwartungswert 0 sowie Kovarianzmatrix 2 ρ12 ˜ Σ= . ρ12 2 Es folgt, dass die Korrelation von Y1 und Y2 gerade ρ˜ = ρ12 /2 beträgt. Wir erhalten also mit Gleichung (3.1) 1 1 6 ρS (X1 , X2 ) = 12 + arcsin ρ˜ − 3 = 3 + φ − 3. 4 2π π Um die Behauptung für Kendall’s τ zu zeigen, benutzen wir die im Beweis von Lemma 3.3 en passant erhaltene Formel ρτ (X1 , X2 ) = 4P(X1 < X˜1 , X2 < X˜2 ) − 1.
3.2 Copulas
91
Da die Normalverteilung stetig ist, kann diese Formel mit Yi = X˜i − Xi in ρτ (X1 , X2 ) = 4P(Y1 ≥ 0,Y2 ≥ 0) − 1. umgeschrieben werden. Aus cov(X˜1 − X1 , X˜2 − X2 ) σ (X˜1 − X1 )σ (X˜2 − X2 ) cov(X˜1 , X˜2 ) + cov(X1 , X2 ) = (var(X˜1 ) + var(X1 )) (var(X˜2 ) + var(X2 ))
corr(Y1 ,Y2 ) =
=
2cov(X1 , X2 ) = corr(X1 , X2 ) 2σ (X1 )σ (X2 )
und Gleichung (3.1) erhalten wir mit ρ˜ = ρ12 1 1 + arcsin ρ12 − 1, ρτ (X1 , X2 ) = 4 4 2π
womit die Behauptung gezeigt ist.
Die Gauß-Copula kann für beliebige Marginalverteilungen genutzt werden, um eine multivariate Verteilung zu erzeugen. Ihre Stärken liegen darin, dass sie • einfach handhabbar ist und • im Spezialfall von Multinormalverteilungen auf die gewöhnlichen Korrelationsmatrizen führt. Sie wird daher oft genutzt, wenn man keine genauere Information über die Abhängigkeitsstruktur hat.
3.2.1.2 Gumbel-Copula Die Gumbel-Copula hat eine besonders einfache explizite Darstellung, 1/θ
θ m CθGumbel (u1 , . . . , um ) = e−(∑i=1 (− ln ui ) )
.
Die Wichtigkeit der Gumbel-Copula rührt daher, dass sie höhere Abhängigkeit in den Tails der Verteilungen, die für das Risikomanagement besonders interessant sind, modelliert. Mit ihr eröffnet sich also ein erster Modellierungsansatz für unser Hagel-Kasko-Beispiel, wo eine signifikante Abhängigkeit erst bei großen Schäden entsteht. Diese Eigenschaft der Gumbel-Copula sieht man in Abbildung 3.2 an der Häufung der Punkte in der oberen rechten Ecke. Man beachte, dass in der unteren linken Ecke der Abbildung keine besondere Häufung auftritt. Proposition 3.5. Für die Gumbel Copula CθGumbel gilt
92
3 Abhängigkeiten
0.0
0.2
0.4
u2
0.6
0.8
1.0
Gumbel-Copula (θ = 2.441)
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
u1 Abb. 3.2 Gumbel-Copula CθGumbel (u1 , u2 ) mit θ = 2.441. Der Parameter θ wurde so gewählt, dass Kendall’s τ den gleichen Wert hat wie Kendall’s τ für die in Abbildung 3.1 dargestellte Copula. Es wurden 1000 Zufallspunkte generiert.
ρτ (X1 , X2 ) = 1 −
1 . θ
Beweis. Kendall’s τ errechnet sich aus ρτ = 4 =4
[0,1]2
[0,1]2
CθGumbel (u, v) dCθGumbel (u, v) − 1 CθGumbel (u, v)
Mit f (u) = (− ln(u))θ erhalten wir
∂ 2CθGumbel dudv − 1. ∂ u∂ v
3.2 Copulas
93
1 ∂2 ∂ 2 Gumbel (u, v) = Cθ exp −[ f (u) + f (v)] θ ∂ u∂ v ∂ u∂v 1 1 ∂ df − CθGumbel (u, v)[ f (u) + f (v)] θ −1 = ∂u θ dv 2 1 df df = 2 CθGumbel (u, v)[ f (u) + f (v)] θ −2 θ du dv 1 1 1 df df − − 1 CθGumbel (u, v)[ f (u) + f (v)] θ −2 θ θ du dv 1 df df 1 = 2 CθGumbel (u, v)[ f (u) + f (v)] θ −2 θ du dv 1
× [ f (u) + f (v)] θ + θ − 1 .
Mit x = f (u) und y = f (v) vereinfacht sich das Integral zu ρτ =
4 θ2
∞ ∞ 0
0
1 1 exp −2 [x + y] θ [x + y] θ −2 [x + y]1/θ + θ − 1 dxdy − 1. x+y a x . Die Umkehrfunk= → x−y b y 1 a+b ϕ (a, b) = 2 a−b
Wir betrachten nun die Transformation tion lautet
und es gilt 1 1 a : (a + b) > 0, (a − b) > 0 b 2 2 a : a > 0, b ∈] − a, a[ = b
ϕ −1 ]0, ∞[2 =
sowie
Daher folgt
1 1 1 |det (Dϕ)| = det 12 21 = . − 2 2 2
94
3 Abhängigkeiten
ρτ = = = = =
1 1 4 ∞ a 1/θ θ −2 a1/θ + θ − 1 × dbda − 1 a exp −2a θ 2 0 −a 2 1 1 4 ∞ exp −2a1/θ a θ −1 a θ + (θ − 1) da − 1 θ2 0 4 ∞ exp (−2z) (z + θ − 1)dz − 1 θ 0 ∞ ∞ 4 1 1 ∞ − exp(−2z) − − exp(−2z)dz + (θ − 1) exp(−2z)dz − 1 θ 2 2 0 0 0 1 4 1 1 + (θ − 1) × − 1 = − + 1, θ 4 2 θ
wobei wir z = a1/θ substituiert und anschließend partiell integriert haben.
Beispiel 3.2. Wir betrachten zwei Verlustgrößen X1 und X2 , die beide exponentialverteilt mit Parameter 1 sind, und untersuchen den möglichen Einfluss der Auswahl einer Copula auf den Value at Risk von X := X1 + X2 zum Niveau 99%. Wir vergleiGauß mit der Gumbel-Copula C Gumbel mit chen die Gauß-Copula C0.8 θ −1 2 θ = 1 − arcsin(0.8) = 2.441. π Zur besseren Vergleichbarkeit sind die Parameter so gewählt, dass Kendall’s tau für beide Copulas gleich ist. Der Value at Risk ergibt sich aus der Bestimmungsgleichung 0.99 = = =
VaR0.99 (X) z 0
0
0
0
VaR0.99 (X) z VaR0.99 (X) 0
f(X1 ,X2 ) (z − x, x) dx dz c(FX1 (z − x), FX2 (x)) fX1 (z − x) fX2 (x) dx dz z
exp(−z) 0
c(1 − exp(x − z), 1 − exp(−x)) dx dz,
Gauß /∂ u∂ v durch wobei im Fall der Gauß-Copula die Dichte c = ∂ 2C0.8
−1 −1 (Φ0,1 (u))2 + (Φ0,1 (v))2 1 c(u, v) = √ exp 2 1 − 0.82 −1 −1 −1 −1 2 × 0.8 × Φ0,1 (u)Φ0,1 (v) − (Φ0,1 (u))2 − (Φ0,1 (v))2 + 2(1 − 0.82 ) und im Fall der Gumbel-Copula die Dichte c = ∂ 2CθGumbel /∂ u∂ v durch 1 1−2θ [(− ln(u))θ + (− ln(v))θ ] θ c(u, v) = exp −[(− ln(u))θ + (− ln(v))θ ]1/θ uv × (− ln(u))θ −1 (− ln(v))θ −1 [(− ln(u))θ + (− ln(v))θ ]1/θ + θ − 1
3.2 Copulas
95
gegeben ist. Wir erhalten im Fall der Gauß-Copula VaR0.99 (X) = 8.68, im Fall der Gumbel-Copula VaR0.99 (X) = 9.02. Da die Abweichung in der geringen Größenordnung von 3% liegt, zeigt die Sensitivitätsanalyse, dass in diesem Fall die Verwendung der Gauß-Copula im Risikomanagement unproblematisch ist.
3.2.1.3 Unabhängigkeitscopula Aus dem Theorem von Sklar 3.1 folgt, dass die Unabhängigkeitscopula durch Cunabh (FX1 (x1 ) , . . . , FXm (xm )) = FXunabh (x1 , . . . , xm ) = FX1 (x1 ) · · · FXm (xm ) gegeben ist, also Cunabh (u1 , . . . , um ) = u1 · · · um .
0.0
0.2
0.4
u2
0.6
0.8
1.0
Unabhängigkeitscopula
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
u1 Abb. 3.3 Die Unabhängigkeitscopula Cunabh (u1 , u2 ). Es wurden 1000 Zufallspunkte generiert.
Proposition 3.6. Für die Unabhängigkeitscopula gilt
96
3 Abhängigkeiten
ρS (X1 , X2 ) = 0, ρτ (X1 , X2 ) = 0. Beweis. Wir berechnen ρS (X1 , X2 ) = 12 ρτ (X1 , X2 ) = 4
1 1
0 0 1 1
0
0
Cunabh (u, v)dudv − 3 = 12
1 1 0
0
Cunabh (u, v)dCunabh (u, v) − 1 = 4
uvdudv − 3 = 0,
1 1 0
0
uvdudv − 1 = 0.
3.2.2 Tailabhängigkeit In unserem Hagel-Kasko Beispiel besteht die Abhängigkeit der beiden Verteilungen für Hagel und Kasko nur im Tail. Eine einfache Möglichkeit, Tailabhängigkeiten quantitativ zu beschreiben, ist es, Quantile zu vergleichen. Da wir an einer einfachen Kennzahl interessiert sind, ersetzen wir den Vergleich aller Quantile durch einen Limes und erhalten die folgende Definition: Definition 3.7. Es sei X = (X1 , X2 ) eine bivariate Zufallsvariable. Dann ist ihre obere Tailabhängigkeit (obere Randabhängigkeit) durch λu (X) = lim P (X2 > VaRq (X2 ) X1 > VaRq (X1 )) q→1
gegeben. Der Index u in λu steht für das Wort „upper“. Die obere Tailabhängigkeit existiert nicht notwendig für alle Verteilungen. Proposition 3.7. Es sei FX eine bivariate Verteilung mit stetigen Randverteilungen FX1 und FX2 sowie Copula C. Falls die obere Tailabhängigkeit λu existiert, gilt C(q, q) − 1 . q→1 1−q
λu (X1 , X2 ) = 2 + lim Beweis. Offenbar gilt
3.2 Copulas
97
P (X2 > VaRq (X2 ) , X1 > VaRq (X1 )) P (X2 > VaRq (X2 ) X1 > VaRq (X1 )) = P (X > VaRq (X1 )) P (X1 > VaRq (X1 ) , X2 > VaRq (X2 )) = 1−q 1 − P (X1 ≤ VaRq (X1 ) , X2 ≤ VaRq (X2 )) = 1−q P (X1 ≤ VaRq (X1 ) , X2 > VaRq (X2 )) − 1−q P (X1 > VaRq (X1 ) , X2 ≤ VaRq (X2 )) − . 1−q Aus P (X1 ≤ VaRq (X1 ) , X2 > VaRq (X2 )) = P (X1 ≤ VaRq (X1 )) − P (X1 ≤ VaRq (X1 ) , X2 ≤ VaRq (X2 )) und P (X1 ≤ VaRq (X1 ) , X2 ≤ VaRq (X2 )) = C(q, q) folgt 1 −C(q, q) − q +C(q, q) − q +C(q, q) P (X2 > VaRq (X2 ) X1 > VaRq (X1 )) = 1−q 1 − 2q +C(q, q) C(q, q) − 1 = = 2+ . 1−q 1−q Korollar 3.2. Die obere Tailabhängigkeit für stetige Randverteilungen hängt lediglich von der Copula, nicht aber von den Randverteilungen ab. Wir können also im Folgenden λu (C) statt λu (X) schreiben.
Proposition 3.8. Für die bivariate Gauß-Copula mit ρ < 1 gilt λu CρGauß = 0. Beweis. Aufgrund von Korollar 3.2 können wir oBdA annehmen, dass wir eine Gesamtverteilung haben, deren Randverteilungen 1-dimensionale Standardnormalverteilungen sind. Die Gesamtverteilung ist dann eine Normalverteilung mit Erwartungswert (0, 0) und Korrelationskoeffizienten ρ. Eine direkte Rechnung ergibt
98
3 Abhängigkeiten
λu (X) = lim P (X2 > VaRq (X2 ) X1 > VaRq (X1 )) q→1
P (X2 > VaRq (X2 ) , X1 > VaRq (X1 )) P (X1 > VaRq (X1 )) P (X2 > z, X1 > z) = lim z→∞ P (X1 > z) ∞∞ x2 −2ρxy+y2 √ dx dy z z exp − 2(1−ρ 2 ) 2π = lim . ∞ x2 2π 1 − ρ 2 z→∞ z exp − 2 dx
= lim
q→1
2 Im Folgenden betrachten 0 und verwenden die Abschätzung x − 2 wir2 den Fall ρ ≥ 2 2 2 2 2ρxy + y = (1 − ρ) x + y + ρ(x − y) ≥ (1 − ρ) x + y . Im Fall ρ < 0 läuft die Rechnung analog mit der Abschätzung x2 − 2ρxy + y2 = (1 + ρ) x2 + y2 − ρ(x + y)2 ≥ (1 + ρ) x2 + y2 . Wir haben ∞∞ 1−ρ 2 2 √ dx dy z z exp − 2(1−ρ 2 ) x + y 2π λu (X) ≤ lim ∞ x2 2π 1 − ρ 2 z→∞ z exp − 2 dx 2 ∞ x2 √ dx exp − z 2(1+ρ) 1 2 = lim ∞ x 2π (1 − ρ 2 ) z→∞ z exp − 2 dx ∞ x2 z2 √ √ dx exp − 2 z exp − 2(1+ρ) 2(1+ρ) 1 2 , = lim 2 z→∞ 2π (1 − ρ ) exp − z2
wobei wir in der letzten Zeile von der Regel von l’Hospital Gebrauch gemacht haben. Aus 2(1 + ρ) < 2(1 + 1) = 2 folgt
z2 2 (1 + ρ)
und daher
>
z2 2
z2 + lim exp − z→∞ 2 (1 + ρ) 2 Da
∞ z
z2
exp −
x2 2 (1 + ρ)
= 0.
dx
ebenfalls gegen 0 konvergiert und λu nicht-negativ ist, ist λu CρGauß = 0 bewiesen.
3.2 Copulas
99
Korollar 3.3. Insbesondere gilt λu Cunabh = 0. Proposition 3.9. Die obere Tailabhängigkeit der bivariaten Gumbel-Copula beträgt λu CθGumbel = 2 − 21/θ . Beweis. Aus CθGumbel (q, q) = e−((− ln q) der Regel von l’Hospital
)
θ +(− ln q)θ 1/θ
= e−2
1/θ
(− ln q)
= q2
1/θ
folgt mit
1/θ q2 − 1 λu CθGumbel = 2 + lim q→1 1 − q 1/θ −1
21/θ q2 q→1 −1
= 2 + lim
= 2 − 21/θ .
Damit bestätigt die Kennzahl „obere Tailabhängigkeit“ die aus den Abbildungen 3.1, 3.2 gewonnene Intuition, dass die Abhängigkeit im Tail bei der Gumbel-Copula in der Tat größer ist als bei der Gauß-Copula. Proposition 3.8 zeigt sogar, dass sich bei der Gauß-Copula die Abhängigkeit der Verteilungen im Limes des Tails verloren geht. Die Abhängigkeitsstruktur in unserem Hagel-Kasko-Beispiel wird also durch die Gauß-Copula qualitativ schlecht beschrieben. Die Gumbel-Copula erweist sich in diesem Fall als geeigneter.
3.2.3 Modellierung mit Copulas In der Praxis werden Copulas in Monte Carlo Simulationen eingesetzt. Es sei U ein m-dimensionaler Zufallsvektor, dessen Verteilungsfunktion die Copula C ist. Sind F1 , . . . , Fm vorgegebene Verteilungsfunktionen mit Pseudoinversen Fi← (α) := inf {x : Fi (x) ≥ α}, so ist ⎞ ⎛ ← F1 (U1 ) ⎟ ⎜ .. X =⎝ ⎠ . Fm← (Um )
ein Zufallsvektor mit Randverteilungen F1 , . . . , Fm und Copula C. Man beachte, dass die Pseudoinversen numerisch relativ einfach als Quantil bestimmt werden können. Der Aufwand für die Bestimmung des Zufallsvektors U hängt von der gewählten Copula ab. Beispiel 3.3. Es sei Z ∼ N(0, ρ) ein m-dimensionaler normalverteilter Zufallsvektor mit Korrelationsmatrix ρ und Φ0,1 die Verteilungsfunktion der eindimensionalen Standardnormalverteilung. Dann ist
100
3 Abhängigkeiten
⎛ ⎜ U =⎝
⎞
Φ0,1 (Z1 ) ⎟ .. ⎠ . Φ0,1 (Zm )
ein Zufallsvektor, dessen Verteilungsfunktion gerade die Gauß-Copula CρGauß ist. Die Wahl der Copulaklasse kann einen erheblichen Einfluss auf das errechnete Risikokapital haben. So betont die Gumbel-Copula die Abhängigkeit von Tail Risiken sehr viel stärker als die Gauß Copula (siehe Abbildungen 3.1 und 3.2) . Häufig wird deshalb als eine wesentliche Anwendung von Copulas die Möglichkeit gesehen, die praktisch beobachtete stärkere Abhängigkeit von Tail Risiken zu beschreiben. In der Praxis ist es aber kaum zu schaffen, die für die beobachtete Tailabhängigkeit optimale Copula zu finden. Ähnlich wie bei den Verteilungen steht uns nur eine Handvoll gut beschreibbarer Copulas zur Verfügung. Das Problem der Copulaschätzung entsteht aber dadurch, dass man für die Schätzung von Abhängigkeiten verschiedener Risiken in der Regel sehr viel mehr Daten benötigt als bei der Schätzung der einzelnen Randverteilungen. Die Theorie der Copulas löst das Abhängigkeitsproblem nicht, sondern strukturiert es nur. Nichtsdestotrotz ist es natürlich besser, eine in den Daten zu beobachtende Tailabhängigkeit im Ansatz durch die Wahl einer Copula mit Tailabhängigkeit zu beschreiben, als das Problem einfach zu ignorieren.
3.3 Korrelationen Abhängigkeiten von Zufallsvariablen kann man auch ohne Copulas messen. Am einfachsten erscheint auf den ersten Blick die lineare Korrelation. Für Zufallsvariablen X1 , X2 ist diese durch ζ (X1 , X2 ) =
E ((X1 − E (X1 )) (X2 − E (X2 ))) E (X1 X2 ) − E (X1 ) E (X2 ) = σ (X1 ) σ (X2 ) σ (X1 ) σ (X2 )
gegeben. Dies gibt eine Kennzahl, sagt aber nicht, wie man aus X1 und X2 die Gesamtverteilung konstruieren kann. Wenn wir nun m Verlustfunktionen X1 , . . . , Xm betrachten, können wir die Korrelationsmatrix ζ durch ζi j = ζ (Xi , X j ) , i, j = 1, . . . , m definieren. Proposition 3.10. Der Zufallsvektor (X1 , . . . , Xm ) sei multinormalverteilt und X = X1 + · · · + Xm . Dann gilt $ VaRα (X) = E (X) +
m
∑
i, j=1
ζi j (VaRα (Xi ) − E (Xi )) (VaRα (X j ) − E (X j ))
3.3 Korrelationen
101
und $
m
∑
ESα (X) = E (X) +
ζi j (ESα (Xi ) − E (Xi )) (ESα (X j ) − E (X j )).
i, j=1
Beweis. Da der Zufallsvektor (X1 , . . . , Xm ) multinormalverteilt ist, ist die Linearkombination X seiner Komponenten normalverteilt. Weiterhin gilt m
E(X) = ∑ E (Xi ) , i=1
var (X) =
m
∑
ζi j
var (Xi ) var (X j ).
i, j=1
VaRα und für Proposition 2.1 und Proposition 2.5 implizieren, dass es für ρα = ρα = ESα jeweils eine Funktion f (α) gibt, so dass ρα (Y ) = E(Y ) + var(Y ) f (α) für jede normalverteilte Zufallsvariable Y gilt. Damit erhalten wir ρα (X) = E (X) + var (X) f (α) $
m = E (X) + ∑ ζi j var (Xi ) var (X j ) f (α) $
i, j=1 m
∑
= E (X) +
ζi j var (Xi ) f (α) var (X j ) f (α)
i, j=1
$ = E (X) +
m
∑
ζi j (ρα (Xi ) − E (Xi )) (ρα (X j ) − E (X j )).
i, j=1
Unter den Voraussetzung von Proposition 3.10 kann man also das Risikokapital der (unbekannten) Gesamtverteilung aus den Risikokapitalien der einzelnen Verlustverteilungen bestimmen. Dieses Verfahren hat jedoch erhebliche Schwächen: • Ein Risikokapital für die Gesamtverteilung ist nur ein einzelner Wert. Für das Risikomanagement ist die Form der Verteilung mindestens genauso wichtig. Darüber kann das Verfahren jedoch keinen Aufschluss geben. • In vielen Anwendungen kann man nicht von einer Normalverteilungsannahme ausgehen. – Da bei der Normalverteilung gerade die großen Risiken eher unterschätzt werden, ist diese Annahme für das Risikomanagement besonders zu hinterfragen. – Im allgemeinen ist die Formel nur eine Approximation. Sie sollte nur dann genutzt werden, wenn die Größenordnung des Fehlers zum wirklichen Wert bekannt ist. Je nach Risikomaß und Verteilung kann der Fehler beliebig groß sein und das wirkliche Risiko somit beliebig stark unterschätzt (oder überschätzt) werden. Für interne Modelle ist die Berechnung von Korrelationen nicht wirklich einfacher handhabbar als die Berechnung einer einfachen Copula (wie zum Beispiel die Gauß
102
3 Abhängigkeiten
Copula). Die Copula liefert jedoch die Gesamtverteilung und daher sehr viel mehr Information.
3.4 Funktionale Abhängigkeiten Es ist nicht immer so, dass jede unsichere Größe durch eine eigenständige Zufallsvariable getrieben wird. In unserem Hagel-Beispiel sei zusätzlich angenommen, dass das versicherte Gebiet sehr klein ist, und dass, wenn es hagelt, jeder Versicherte gleichermaßen betroffen ist. Ferner wollen wir annehmen, dass der Schaden proportional zur (normierten) Intensität I des Hagelschauers und zu seiner Dauer D eintrifft. Die Anzahl der Hagelschauer sei durch die weitere Zufallsvariable N modelliert. Wir können dann den Schaden zum Versicherungsvertrag i durch Si =
N
∑ γ Ik Dk Wi
k=1
modellieren, wobei γ ein Proportionalitätsfaktor sei, Ik ∼ I, Dk ∼ D gelte und Wi der Wert des versicherten Objekts sei. Die Schäden für zwei Versicherungsverträge i = 1, 2 sind offenbar funktional voneinander abhängig, denn es gilt S1 = S2 W1 /W2 . Allerdings ist diese Abhängigkeit in dem Sinn trivial, dass beide Verträge perfekt miteinander korreliert sind. Ein nicht-triviales Beispiel erhalten wir, wenn wir einen neuen Vertrag i = 3 einführen, für den insgesamt maximal die Summe C3 ausgezahlt wird: S3 = min
N
∑ γ Ik Dk W3 ,C3
k=1
Es folgt S3 = min(S2 W3 /W2 ,C3 ). Offenbar ist der Vertrag i = 3 funktional von dem Vertrag i = 2 abhängig. Da diese Abhängigkeit jedoch nicht linear ist, ist die Korrelation der beiden Verträge nicht perfekt. Das Hagelbeispiel diente lediglich der Illustration eines Konzepts. In der Regel würde man die Möglichkeit zulassen, dass nicht alle Verträge gleichermaßen von jedem Hagelschauer betroffen sind und die Abhängigkeit zwischen den Verträgen klassisch über Korrelationen oder Copulas beschreiben. Funktionale Abhängigkeiten werden jedoch bei der Beschreibung des Kapitalmarkts und in der Lebensversicherung viel genutzt. Ein weiteres natürliches Anwendungsgebiet ist die Beschreibung von Bonus-Malus Systemen.
Kapitel 4
Risikokapital
4.1 Risikokapital und Kapitalkosten 4.1.1 Risikokapital als Vergleichsmaßstab für unterschiedliche Risiken Wir haben in Kapitel 2 Risikomaße, deren Wert als Risikokapital interpretiert werden kann, kennengelernt. Ist erst einmal ein solches Risikomaß ρ gewählt, kann man Risiken verschiedener Natur miteinander vergleichen. Das Maß reflektiert die Risikoaversion des Unternehmens. Man kann dieses Risikokapital zwar einfach als eine Rechengröße zum Vergleich von Risiken sehen, allerdings wird es in der Regel wirklich von einem oder mehreren Kapitalgebern gestellt und daher operativ interpretiert. Das Risikokapital ist dann ein Kapitalpuffer, der im Notfall, wenn sich das Risiko tatsächlich realisiert, aufgebraucht wird. Es wird jedoch (im umgangssprachlichen Sinn) erwartet, dass das Risikokapital im Normalfall „unangetastet“ bleibt. Um seiner Funktion gerecht zu werden, muss Risikokapital im Notfall nutzbar sein. In der Regel heißt dies, dass das Risikokapital hinreichend fungibel sein muss. Der Wert des Verwaltungsgebäudes des Versicherungsunternehmens ist zum Beispiel nicht fungibel – oder nur in extremen Szenarien, in denen die eigenständige Existenz des Unternehmens in Frage gestellt wird. Völlige Fungibilität muss jedoch nicht gefordert werden, denn die Realisierung eines Risikos ist nicht immer mit einem Mittelabfluss verbunden. Ein Beispiel wäre ein Aktieneinbruch, der für einen Lebensversicherer zur Folge hätte, dass (ohne Eigenkapital) die Rückstellungen nicht mehr bedeckt werden. Hier genügt es, das Eigenkapital zu erniedrigen, um die Bedeckung wieder herzustellen, ohne dass wirkliche Kapitalmittel fließen. Der Teil der Kapitalanlage, der nun nicht mehr zur Bedeckung des Eigenkapitals, sondern zur Bedeckung der Rückstellungen genutzt wird, muss auch nicht fungibel sein, sondern nur die regulatorischen Richtlinien für Kapitalmittel, die Rückstellungen bedecken, erfüllen. Im allgemeinen haben wir die folgende Kapitalschichtung: M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
103
104
4 Risikokapital
• Kapital, das die Verpflichtungen bedeckt und daher nicht als Risikokapital herangezogen werden kann, • Risikokapital, das zur Abwehr von Schwankungsrisiken dient, • Exzesskapital, das keine betriebswirtschaftliche Funktion hat. Risikokapital wird häufig, aber nicht immer und nicht ausschließlich, vom Aktionär gestellt. In einem Verein auf Gegenseitigkeit stellen die Versicherungsnehmer selbst das Risikokapital. In der Lebensversicherung stellen Versicherungsnehmer auch bei Aktiengesellschaften einen Teil des Risikokapitals, nämlich die freie RfB und den Schlussanteilsfonds, die beide zur Risikoabwehr herangezogen werden können. Eine weitere weitverbreitete Form des Risikokapitals sind nachrangige Bankendarlehen.
4.1.2 Kapitalkostenkonzepte Wenn Risikokapital gestellt wird, entstehen Opportunitätskosten, die als Zins st + kt auf das Risikokapital (bzw. das notwendige Kapital) Ct interpretiert werden, wobei st der risikofreie Zins ist und der Überzins (oder Spread) kt das Risiko widerspiegelt, dass das Risikokapital (teilweise) verloren werden könnte. Je höher das Risiko ist, desto höher ist der Zinssatz. Diese Opportunitätskosten werden Kapitalkosten genannt. Hier handelt es sich um das gleiche Konzept wie bei einem Zero-Bond: Wenn ein Anleger im Jahr t einen 1-Jahres-Zerobond eines Unternehmens zum Nennwert N kauft, erwartet er, dass er am Ende des Jahres vom Unternehmen einen etwas höheren Wert (1 + st + kt ) N zurück erhält. Der Zins st + kt ist um den Spread kt größer als der risikofreie Zins st , da das Unternehmen in der Zwischenzeit insolvent werden könnte und der Anleger dann nichts (oder nur einen Bruchteil aus der Konkursmasse) wiederbekommen würde. Der Spread kt entschädigt den Anleger für dieses Risiko. In der Praxis besteht eine der größten Schwierigkeiten darin, den Spread kt zu bestimmen. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir nehmen zunächst vereinfachend an, dass wir einen Risikozins st + kt für das Unternehmen als Ganzes bestimmen wollen. 1. Wenn es nur einen einzigen Eigner des Unternehmens gibt, besteht eine Möglichkeit darin, dass der Eigner dem Management einfach kraft seiner Macht als Geldgeber einen Risikozins st + kt festsetzt. Der Eigner wird in der Regel sichergestellt haben, dass er sein Geld bei vergleichbarem Risiko anderweitig nicht so anlegen könnte, dass der Ertrag st + kt übersteigt. 2. Wenn das Unternehmen aktiv an der Börse gehandelt wird, kann man sein sogenanntes β bestimmen und mit Hilfe des Capital Asset Pricing Modells (CAPM, siehe Anhang A) einen angemessenen relativen Ertrag st + kt errechnen. Wird das Unternehmen nicht aktiv gehandelt, kann man ähnliche Unternehmen als Vergleichsmaßstab heranziehen. Dieses Verfahren macht jedoch starke Annah-
4.1 Risikokapital und Kapitalkosten
105
men über die Kopplung von realen Risiken und Aktienkursen. Aktienkurse werden allerdings auch durch die öffentliche Einschätzung zukünftiger Erträge beeinflusst. Neben der psychologischen Komponente führt zudem der Umstand zu Verzerrungen, dass Ertrag und Risiko nicht direkt gekoppelt sind. 3. Man kann kt auf Basis einer direkten Modellierung der Risiken bestimmen. Es sei Xt die Verlustvariable des Unternehmens und 0 = p0 < · · · < pn = 1 eine endliche ansteigende Folge von Wahrscheinlichkeiten. Wir bezeichnen mit qi = VaR pi (Xt ) das pi -Quantil der Verlustvariable Xt . Der Anleger ordnet jedem der Intervalle ]qi−1 , qi ] einen erwarteten Verlust EXt ,i = E (min (Ct , Xt ) |Xt ∈ ]qi−1, qi ] ) zu (siehe Abbildung 4.1), wobei Ct das Risikokapital bezeichnet. Die Minimierung mit dem Verlustkapital erfolgt, da das Unternehmen nach Ausschöpfung seines Risikokapitals zahlungsunfähig ist. Falls das Unternehmen Teil einer Gruppe ist und auf Gruppenmittel, die nicht zum Risikokapital gehören, zugreifen kann, muss der Ansatz entsprechend abgeändert werden. Dem Ereignis, mit der mittleren Wahrscheinlichkeit 1 − (pi + pi−1 ) /2 den Verlust EXt ,i zu erleiden, lassen sich Spreads kti zuordnen. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass man für kti den Spread eines Zerobonds, dessen Ausfallwahrscheinlichkeit gerade 1 − (pi + pi−1 ) /2 beträgt, wählt. Um die Risikoaversion des Anlegers zu berücksichtigen, könnte man in einem zweiten Schritt kti in Abhängigkeit von EXt ,i modifizieren. (Die lineare Beziehung zwischen Kapitaleinsatz und Ertrag, die durch die multiplikative Formel st + kti EXt ,i suggeriert wird, muss nicht immer angemessen sein). Um den Spread kt für das Gesamtrisiko zu errechnen, müssen wir nur noch über unsere Wahrscheinlichkeitsintervalle aggregieren n (st + kt ) Ct = st + kt0 EXt ,0 + ∑ st + kti (EXt ,i − EXt ,i−1 ) .
(4.1)
i=1
Man beachte, dass wegen Gleichung (4.1) für Unternehmen, die das gleiche Gesamtrisikokapital Ct stellen, je nach Form der Verlustverteilung unterschiedliche Kapitalkosten entstehen. Zur Zeit1 wird die Abhängigkeit von der Form der Verteilung in praktischen Anwendungen üblicherweise ignoriert. Damit wird allerdings auch ignoriert, dass in der Realität fast nie ein Gesamtverlust eintritt, sondern fast immer partielle Verluste, die allerdings mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eintreten, als durch das angestrebte Sicherheitsniveau suggeriert wird.
4.1.2.1 Reale Kapitalkosten des Unternehmens In der Praxis werden Kapitalkosten nicht vollständig vom Aktionär getragen, sondern es ist möglich, gewisse Reserven oder Hybridkapital zur (teilweisen) Deckung des Risikokapitals heranzuziehen. (Siehe Abschnitt 8.2.3.3 im Kontext von Solvency I). 1
Dieser Text wurde im Jahr 2010 geschrieben.
106
4 Risikokapital Xt qn−1 qn−2 Ct ···
qi EXt ,i qi−1
0
pi−2
pi−1
pi
···
pn−2
pn−1
pn = 1
Abb. 4.1 Konstruktion des Spreads kt mit der Risikoprofilmethode. Hier gilt qn−2 > Ct und daher EXt ,n−2 = EXt ,n−1 = Ct .
Die freie RfB und der Schlussanteilsfonds in der Lebensversicherung sind Beispiele dafür. Diese Rückstellung für Beitragsrückgewähr speist zukünftige Überschüsse, die dem Versicherungsnehmerkollektiv zustehen. Allerdings können diese Mittel im Notfall auch zur Deckung von Verlusten herangezogen werden und haben deshalb Eigenkapitalcharakter. Für dieses Kapital entstehen dem Versicherungsunternehmen keine Kapitalkosten, aber es gibt Beschränkungen, unter welchen Bedingungen dieses Kapital eingesetzt werden kann. Außerdem entstehen schwer quantifizierbare Opportunitätskosten, da eine hohe freie RfB zu einer für den Versicherungsnehmer unattraktiven späten Zahlung von Überschüssen führen kann. Ein Beispiel für Hybridkapital, das zur Kapitaldeckung genutzt werden kann, sind nachrangige Bankdarlehen. Für nachrangige Darlehen entstehen ebenfalls Kapitalkosten, da sie in der Regel verzinst werden. Diese Zinsen sind aber vertraglich festgelegt. In der Regel sind die Kapitalkosten für nachrangige Darlehen geringer als die für Eigenkapital, da im Verlustfall zunächst das Eigenkapital aufgezehrt wird, bevor das nachrangige Darlehen zur Verlustabdeckung herangezogen wird, das Eigenkapital also unter einem höheren Verlustrisiko steht. Beispiel 4.1. Wir nehmen an, dass das bedeckende Kapital eines Lebensversicherers aus echtem Eigenkapital des Aktionärs Kt , einem nachrangigen Darlehen Dt , ¨ t besteht und dass keine der freien RfB RfBtfrei und dem Schlussanteilsfonds SUA anderen Mittel zur Bedeckung zur Verfügung stehen. Ist das Kapital in dem Sinne optimiert, dass das bedeckende Kapital genau dem für das gewünschte Sicherheitsniveau notwendigen Risikokapital entspricht, gilt ¨ t. Ct = Kt + Dt + RfBtfrei + SUA Um die realen Kapitalkosten zu berechnen, müssen wir noch die Beschränkungen für den Einsatz der freien RfB, des Schlussanteilsfonds und der nachrangigen Verbindlichkeiten berücksichtigen. Dazu nehmen wir an, dass im Krisenfall zunächst das Eigenkapital, dann die nachrangigen Verbindlichkeiten und schließlich die freie RfB und der Schlussanteilsfonds zur Deckung von Verlusten herangezogen werden.
4.2 Risikotragendes Kapital
107
Es sei rtK = st + ktK die Verzinsung des Eigenkapitals Kt und rtD = st + ktD der Zinssatz für das nachrangige Darlehen Dt . Dann ergeben sich die durchschnittlichen, realen Kapitalkosten ktØ,real für das Risikokapital Ct aus st + ktØ,real Ct = st + ktK Kt + st + ktD Dt . Wegen Ct ≥ Kt +Vt und ktK ≥ ktD gilt st + ktØ,real Ct ≤ st + ktK Kt + st + ktK Dt ¨ t ≤ st + ktK Kt + Dt + RfBtfrei + SUA = st + ktK Ct und daher
ktØ,real ≤ ktK .
4.2 Risikotragendes Kapital Während das Risikokapital den mit einem Risikomaß ermittelten Kapitalbedarf angibt, den ein Unternehmen aufgrund seines Risikoprofils vorhalten muss, bezeichnet das risikotragende Kapital (oder auch verfügbare Kapital) das tatsächlich zur Verfügung stehende Kapital, das das Unternehmen zum Ausgleich von Abweichungen vom erwarteten Geschäftsablauf heranziehen kann. Aus ökonomischer Sicht ergibt sich somit das risikotragende Kapital als Differenz zwischen dem Marktwert der Aktiva und dem Marktwert der Verpflichtungen. Es stellt also den Teil des Unternehmensvermögens dar, der aus aktuarieller Sicht unter realistischen Annahmen und Ausnutzung der verfügbaren Marktinformationen nicht zur Erfüllung der Verpflichtungen benötigt wird und somit zu einem eventuellen Verlustausgleich verwendet werden kann. Damit ein Unternehmen als solvent gilt, muss das risikotragende Kapital das Risikokapital übersteigen. Bei einer rein ökonomischen Betrachtungsweise wird das Risikokapital mit Hilfe von Monte-Carlo Simulationen als der Mindestbetrag ermittelt, um den der Marktwert der Aktiva den Marktwert der Passiva zu Periodenbeginn übersteigen muss, damit mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit auch am Periodenende der Marktwert der Aktiva nicht kleiner als der Marktwert der Passiva ausfällt. Können Verpflichtungen im Falle adverser Entwicklungen reduziert werden wie etwa die freie RfB oder eine Rückstellung für künftige Überschussbeteiligung, so erfassen Monte-Carlo-Simulationen diese Pufferwirkung und tragen damit dem Kapitalcharakter solcher Verpflichtungen durch den Ausweis eines entsprechend reduzierten Risikokapitals Rechnung. Die Definition der Solvenz durch den Vergleich von risikotragendem und Risikokapital erweist sich damit als in sich konsistent.
108
4 Risikokapital
Kapitalmodelle mit faktor- oder szenariobasierten Ansätzen bestimmen ein benötigtes Kapital und ermitteln ein vorhandenes Kapital. Soweit das vorhandene Kapital zur Verlustabdeckung herangezogen werden kann, zählt es als risikotragendes Kapital. Darüber hinaus können Bestandteile der Verpflichtungen mit Kapitalcharakter dem risikotragenden Kapital zugerechnet werden.
4.3 Spielformen des Risikokapitals Es gibt verschiedene Spielformen des Risikokapitals, die jeweils unterschiedlichen Perspektiven zuzuordnen sind. Das ökonomische Risikokapital spiegelt die rein ökonomische Sichtweise wider. Das Ratingkapital ist das für ein gegebenes Rating notwendige Kapital, wobei hier im Gegensatz zur ökonomischen Sichtweise nicht von ökonomischer, sondern von gesetzlicher Insolvenz ausgegangen wird. Das Solvenzkapital drückt schließlich die Sicht der Aufsicht und (weitgehend) der Versicherungsnehmer aus.
4.3.1 Ökonomisches Risikokapital Das ökonomische Risikokapital ist der zentrale Begriff in der wertorientierten Unternehmenssteuerung. Definition 4.1. Das ökonomische Risikokapital CtEC ist das Kapital, das notwendig ist, um mögliche Verluste bei einer gegebenen Risikotoleranz über einen gegebenen Zeitraum zu bedecken. Diese Definition ist bewusst nicht ganz scharf gehalten, um ökonomisches Risikokapital für verschiedene Teilaspekte eines Unternehmens, z.B. „nur“ für die Kapitalanlagen, ermitteln zu können. Das ökonomisch notwendige Risikokapital ist somit ein Oberbegriff, dessen charakteristische Eigenschaft in der ökonomischen Sichtweise bei der Ermittlung möglicher Verluste besteht. Mathematisch wird das ökonomische Risikokapital mit Hilfe eines Risikomaßes (Definition 2.1) bestimmt. Das Risikomaß drückt die gegebene Risikotoleranz aus, weshalb darauf zu achten ist, dass seine mathematische Form mit den Vorstellungen des Managements konsistent ist. Die gegebene Risikotoleranz wird ökonomisch durch den Risikoappetit des Unternehmens bestimmt. Es ist klar, dass wegen der Beschränktheit realer Ressourcen immer ein Restrisiko bleibt und ein beliebig kleiner Risikoappetit nicht implementiert werden kann. Als Zeitraum wird in der Praxis häufig ein Jahr gewählt. Die Funktionsweise des ökonomischen Risikokapitals kann am besten an einem Beispiel (siehe Abbildung 4.2) beschrieben werden. Das ökonomische Risikokapital wird in der Regel zu Beginn des Geschäftsjahres berechnet und bezieht sich
4.3 Spielformen des Risikokapitals
109
auf das gesamte Jahr. Es wird sowohl durch die individuelle Situation des Unternehmens als auch durch die allgemeine Risikosituation, die für alle vergleichbaren Unternehmen ähnlich ist, beeinflusst. Die allgemeine Risikosituation spiegelt externe Einflüsse wie die Volatilität der Kapitalmärkte oder die Wetterlage in Bezug auf Hurrikane wider. Das ökonomische Kapital ist eine berechnete Größe (z.B. der Expected Shortfall zum Konfidenzniveau 99.5%) und muss durch wirklich verfügbares Kapital bedeckt werden. Ist das verfügbare Kapital (wie am 1.1.2010) höher als das ökonomische Risikokapital, so wird die Differenz als Exzesskapital bezeichnet. Das Kapital ist für die Aufrechterhaltung des Betriebs nicht erforderlich und schmälert daher lediglich den risikoadjustierten Ertrag. Es wird ein Managementziel sein, das verfügbare Kapital und die einzugehenden Risiken so zu steuern, dass das Exzesskapital zwar positiv, aber betragsmäßig klein ist. Das Beispielunternehmen hat am 1.1.2011 dieses Ziel erreicht, indem es sein Risikoprofil geändert hat. Das verfügbare Kapital ist natürlich nicht nur am 1.1. eines jeden Jahres, sondern auch während des Jahres vorhanden. Dies ist in der Abbildung durch den Hintergrund der Kapitalsäulen angedeutet. In der Mitte des Jahres 2011 erleidet das Unternehmen einen erheblichen Verlust aufgrund eines nicht voraussehbaren Ereignisses. Die Insolvenz des Unternehmens kann verhindert werden, da genügend Kapital vorhanden ist, um den Verlust abzufangen. Dadurch verringert sich das verfügbare Kapital. In unserem Beispiel hat sich weder die individuelle Risikosituation des Unternehmens noch die allgemeine Risikosituation geändert, so dass das Ereignis keine Auswirkung auf das ökonomische Risikokapital hat.2 In Abbildung 4.2 kann aufgrund des Verlustes im Jahr 2011 das Risikokapital für das Jahr 2012 durch das verfügbare Kapital nicht mehr bedeckt werden. Dies heißt, dass das Unternehmen nun einer erhöhten Gefahr ausgesetzt ist, die nicht mehr seiner Risikotoleranz entspricht. Es kann nun • Kapital auf dem Markt aufnehmen, was mit zusätzlichen Kapitalkosten verbunden ist, • die Risiken im Portfolio verringern, zum Beispiel durch – – – –
den Verkauf von Beständen, Absicherung der Kapitalanlagen, verstärkte Rückversicherung, Securitization etc.,
• oder durch eine Verringerung der Dividenden bzw. Gewinnthesaurierung versuchen, das Eigenkapital über einen möglichst kurzen Zeitraum wieder aus eigener Kraft aufzustocken. In unserem Beispiel wählt das Unternehmen die dritte Möglichkeit. Im Jahr 2014 hat es wieder einen der Risikotoleranz entsprechenden Deckungsgrad mit verfügbarem Kapital erreicht, wobei ihm zugute kam, dass sich im gleichen Zeitraum die allgemeine Risikosituation verbesserte. In der Praxis ist diese Methode häufig nur 2 Im Prinzip können große Katastrophen zu einer neuen Einschätzung der allgemeinen Risikosituation führen, die dann das Risikokapital des Folgejahres beeinflusst. Ein Beispiel ist die Reevaluierung des Hurrikanrisikos nach dem Hurrikan Katrina, der im Jahr 2005 New Orleans verwüstete.
110
4 Risikokapital
bei geringen Unterdeckungen erfolgreich, da das Risikokapital sehr viel höher als die Dividenden ist.
1.1.2010
1.1.2011
Allgemeine Risikolage
1.1.2012
Risikokapital
1.1.2013
Verfügbares Kapital
Verlust
1.1.2014 Dividenden
Abb. 4.2 Funktionsweise des ökonomischen Risikokapitals.
4.3.1.1 Betrieblich notwendiges Risikokapital und Marktwert der versicherungstechnischen Reserven Wird das ökonomische Risikokapital für das Ziel ermittelt, mit vorgegebener hoher Wahrscheinlichkeit vor der ökonomischen Insolvenz zu schützen, so spricht man vom betrieblich notwendigen Risikokapital. Definition 4.2. Das betrieblich notwendige Risikokapital zu Beginn der Periode t ist das Kapital, das notwendig ist, damit die Differenz der Marktwerte von Vermögen und Verpflichtungen während der betrachteten Periode mit vorgegebener Wahrscheinlichkeit positiv bleibt. Das betrieblich notwendige Risikokapital ist also eine Spezialform des ökonomisch notwendigen Risikokapitals, wobei das Risikomaß Value at Risk auf den ökonomischen Wertverlust eines Unternehmens, also auf die Veränderung der Differenz aus ökonomischem Wert der Vermögensgegenstände (Aktiva, Assets) und ökonomischem Wert der Verpflichtungen (Passiva, Liabilities) angewandt wird.
4.3 Spielformen des Risikokapitals
111
Selbstverständlich sind auch Variationen des betrieblich notwendigen Risikokapitals denkbar, die auf anderen Risikomaßen, z.B. dem kohärenten Expected Shortfall, basieren, möglich. Das so definierte Risikokapital kann über Monte Carlo Simulationen des Unternehmens ermittelt werden. Es ist jedoch auf Grund der Komplexität der Risiken und deren Wechselwirkungen in einem Versicherungsunternehmen analytisch kaum zugänglich. In der Praxis approximieren einfachere Definitionen den ökonomischen Gehalt dieser Definition hinreichend gut.
4.3.1.2 Run-off und Going Concern Problematik Da die Höhe des betrieblich notwendigen Risikokapitals vom Marktwert der Verpflichtungen am Ende der betrachteten Periode abhängt, ist eine Bestimmung zukünftiger Cashflows zur Berechnung des Marktwertes der Verpflichtungen notwendig. Dabei gibt es unterschiedliche Interpretationen, was unter „künftigen Verpflichtungen“ verstanden werden soll, die auch zu unterschiedlichen Resultaten führen. Definition 4.3. Der Wert der Verpflichtungen auf Run-off Basis ist so bemessen, dass die Verpflichtungen (für das implizierte Sicherheitsniveau) ausreichen, um das Unternehmen aufzulösen und den Bestand vollständig abzuwickeln. Die Grundidee hinter diesem Ansatz ist, dass der gegenwärtige Bestand isoliert gesehen abgesichert wird. Der Ansatz spiegelt das Szenario wider, dass die Aufsicht das Unternehmen für Neugeschäft schließt und einen Treuhänder einsetzt, um den existierenden Bestand abzuwickeln. Es wird davon ausgegangen, dass kein Neugeschäft mehr aufgenommen wird. Daher steigt der relative Anteil der Fixkosten im Laufe der Projektion. Die Kosten für den Vertrieb fallen weg, es müssen aber die Kosten, die beim Abbau des Vertriebs (z.B. Abfindungen, Kosten für die Auflösung langfristiger Verträge etc.) anfallen, mit berücksichtigt werden. Ebenso wird bei der Projektion von einem planmäßigen Abbau der Belegschaft ausgegangen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Anzahl der notwendigen Mitarbeiter nicht proportional zur Größe des Portfolios ist. Analoge Überlegungen gelten für alle anderen Kostenfaktoren wie zum Beispiel den Bestand selbst genutzter Immobilien. Ferner können sich in der Lebensversicherung die Stornoquoten für ein im Run-off befindliches Portfolio von den Stornoquoten eines Neugeschäft betreibenden Unternehmens unterscheiden. In der Lebensversicherung ist auch dafür Sorge zu tragen, dass die RfB während der Run-off Phase gerecht aufgelöst wird. Definition 4.4. Der Wert der Verpflichtungen auf Going-Concern Basis ist so bemessen, dass die Verpflichtungen (für das implizierte Sicherheitsniveau) ausreichen, um den Bestand vollständig abzuwickeln, falls das Unternehmen weiterhin Neugeschäft schreibt.
112
4 Risikokapital
Dieser Ansatz beruht auf der Grundidee, dass das Unternehmen auch in der Zukunft weiter besteht oder das Portfolio an ein anderes Versicherungsunternehmen verkauft. Da von unverändertem Neugeschäft ausgegangen wird, bleibt der relative Anteil der Fixkosten im Laufe der Projektion nahezu konstant. In wachsenden oder schrumpfenden Unternehmen kann eine konstante Neugeschäftsannahme allerdings zu Verzerrungen führen. Daher kann es geboten sein, bzgl. der Zeit variables Neugeschäft zu unterstellen, auch wenn derartige Annahmen mit hoher Unsicherheit behaftet sind. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass auch bei einem weiterhin existierenden Unternehmen der bestehende Bestand vom Neugeschäft getrennt behandelt werden muss. In diesem Fall hätte das zukünftige Neugeschäft lediglich einen Anteil auf die anteiligen Fixkosten. Für die Lebensversicherung käme noch die Bedingung hinzu, dass die Überschussbeteiligung für Alt- und Neugeschäft gleichwertig sein muss. Häufig wird jedoch die Akquisition des Neugeschäfts mit Gewinnen aus dem Altgeschäft finanziert. In diesem Fall ist eine strenge Trennung von Alt- und Neugeschäft nicht richtig, da man sonst den aus dem Altgeschäft erzielbaren Gewinn überschätzen würde. Anmerkung 4.1. Der Going-Concern Ansatz wird ebenfalls bei der Berechnung von Embedded Values in der Lebens- und Krankenversicherung unterstellt. Auch bei der Ermittlung der Schadenreserven wird implizit ein Going-Concern Prinzip angenommen. Definition 4.5. Der Wert der Verpflichtungen auf Referenzunternehmensbasis ist so bemessen, dass er (für das implizierte Sicherheitsniveau) ausreicht, um den Bestand vollständig abzuwickeln, falls das Portfolio auf ein großes, wohl diversifiziertes Versicherungsunternehmen übertragen wird. Anders als beim Going-Concern Ansatz werden nicht die Unternehmensparameter, sondern die des Referenzunternehmens unterstellt. Insbesondere wird von optimalem Ausgleich im Kollektiv und optimaler Diversifikation ausgegangen. Dieser Ansatz spiegelt das Szenario wider, dass das Unternehmen nicht mehr ausreichend solvent ist und die Aufsicht den Verkauf des Portfolios an ein großes gesundes Versicherungsunternehmen initiiert, um die Rechte der Versicherten zu wahren. Er kann auch als die Grundlage einer möglichst objektiven Marktwertbestimmung der Verpflichtungen gesehen werden. Um dem ersten Szenario (Insolvenz) gerecht zu werden, müsste man auch die Kosten für die Bestandsübertragung auf das Referenzunternehmen berücksichtigen. Diese Kosten sind allerdings (z.B. je nach den benutzten Verwaltungssystemen) verschieden, so dass eine objektive Abschätzung für ein virtuelles Referenzunternehmen kaum möglich ist. Die Problematik kann man umgehen, indem man (für eine obere Schranke des Wertes) annimmt, dass das bestehende Verwaltungssystem weiterhin benutzt wird. In diesem Fall nimmt man allerdings zumindest für das Verwaltungssystem Run-off Kosten an, die nicht einfach zu ermitteln sind. Bei der zweiten Anwendung als Marktwertbestimmung ist zu bedenken, dass hier implizit von einem liquiden Markt von Versicherungsportfolios ausgegangen
4.3 Spielformen des Risikokapitals
113
wird. Ein solcher Markt existiert in der Realität nicht, so dass der ermittelte Wert nur als Anhaltspunkt zu verstehen ist.
4.3.2 Ratingkapital Rating
Ratingkapital Ct ist das Kapital, das zum vom Unternehmen angestrebten Rating äquivalent ist. Dabei werden zur Kalibrierung von Ratinggesellschaften publizierte empirische Insolvenzwahrscheinlichkeiten zugrunde gelegt, die den Ratingkategorien der jeweiligen Ratinggesellschaft entsprechen. Dieses Insolvenzwahrscheinlichkeiten beziehen sich allerdings nicht auf die ökonomische, sondern auf die rechtliche Insolvenz. Da in der Praxis die Berechnung auf der ökonomischen Insolvenz beruht, ist das Ratingkapital etwas höher als notwendig. Denn ein Unternehmen, das ökonomisch insolvent ist, wird in der Regel erst dann Insolvenz anmelden, wenn keine begründete Hoffnung mehr besteht, dass die Zahlungsunfähigkeit noch abgewendet werden kann. Dies führt zu einer Verschiebung des Sicherheitsniveaus. Von den Ratinggesellschaften benutzte Ratingmodelle sind häufig weniger detailliert als interne Risikomodelle, berechnen aber Risikokapital zu einem meist sehr hohen Sicherheitsniveau, z.B. das dem Standard & Poor’s AAA-Rating entsprechende Sicherheitsniveau. Der assoziierte Modellfehler ist so hoch, dass eine direkte Interpretation des Ratingkapitals als individuelles, ökonomisches Risikokapital nicht möglich ist. Dies ist aber auch gar nicht Aufgabe des Ratingkapitals. Ratingkapital muss im Kontext von wohldiversifizierten Portfolios von Unternehmensanleihen, die sich über mehrere Industrien und Tausende von Unternehmen erstrecken, verstanden werden. Das Ratingkapital ist für umfassende Portfolios kalibriert, und wegen des Gesetzes der großen Zahlen ist ein auf Ratingkapital basierendes Qualitätsrating für diese Anwendung angemessen. Natürlich hat ein Rating unternehmensindividuelle Auswirkungen, da es Kreditkosten und die Reputation des Unternehmens beeinflusst. Vor allem Industrieversicherer und Rückversicherer sehen sich aus Wettbewerbsgründen häufig gezwungen, genügend Kapital für ein exzellentes Rating bereit zu halten, aber auch für Lebensversicherer spielen Ratings eine immer größere Rolle, vor allem in der betrieblichen Altersversorgung. Ratingagenturen beginnen, auch individuelle Risikokapitalberechnungen in die Bewertungen einzubeziehen. So hat Standard & Poor’s ein separates Teilrating für das Enterprise Risk Management (ERM) eingeführt, bei dem auch interne Modelle detailliert betrachtet werden.
4.3.3 Solvenzkapital Reg
Das Solvenzkapital Ct ist das regulatorisch vorgeschriebene Kapital, das ein Versicherungsunternehmen vorhalten muss, um sein Geschäft betreiben zu dürfen. Aus Sicht der Aufsicht dient es in erster Linie dem Schutz der Versicherten, die Scha-
114
4 Risikokapital
den erleiden würden, wenn das Versicherungsunternehmen insolvent würde. Eine weitere Zielsetzung ist die Stabilisierung der Finanzmärkte. Ähnlich wie beim Ratingkapital wird das Sicherheitsniveau, auf das sich das Solvenzkapital bezieht, in Bezug auf ein Portfolio definiert. Allerdings erstreckt sich hier das Portfolio nur über nationale Versicherungsgesellschaften und ist um Größenordungen kleiner als das von Ratingagenturen betrachtete Portfolio. Mit Solvency II (Abschnitt 8.2.4) wird es (wie bereits in der Schweiz mit dem Schweizer Solvenztest) Versicherungsunternehmen möglich sein, Solvenzkapital aufgrund individueller Risikokapitalberechnungen zu ermitteln. EUR
Verfügbares Kapital
ökonomisches Risikokapital CtEC
Ratingkapital Regulatorisches Kapital
Rating
Ct
Reg
Ct
Abb. 4.3 Vergleich verschiedener Spielformen des Risikokapitals. Die relativen Kapitalhöhen sind illustrativ.
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten 4.4.1 Konzept und Definition Sowohl die ökonomische Bestimmung des risikotragenden Kapitals als auch die Bestimmung des ökonomisch notwendigen Kapitals beruht auf den Marktwerten von Anlagen und Verpflichtungen. Während für den Großteil der Anlageinstrumente Preise auf liquiden Märkten beobachtbar sind, gibt es derzeit keinen liquiden Markt für den Handel von Versicherungsbeständen. Bewertungen auf der Basis von Marktpreisen zeichnen sich durch hohe Transparenz und geringe Manipulationsgefahr aus und werden daher allgemein akzeptiert. Grundidee des Fair Value der versicherungstechnischen Verpflichtungen ist es, einen Marktwert für versicherungstechnische Verpflichtungen zu definieren. Der Fair Value bezeichnet den Preis, den ein sachverständiger Dritter für die Übernahme der Verpflichtungen zum Bewertungszeitpunkt verlangen würde. Die zentrale Herausforderung besteht darin, diesen Preis approximativ mit einem nachvollziehbaren Verfahren zu ermitteln.
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten
115
Marktwerte von Finanzinstrumenten bewerten unsichere zukünftige Cashflows und enthalten eine Risikoprämie zur Kompensation dieser Unsicherheit. Der Fair Value als Substitut eines Marktpreises kann sich daher nicht auf eine reine Erwartungswertsicht beschränken. Genauer können die Kosten für die Verpflichtungen in drei Gruppen aufteilt werden: 1. Erwartungswert der diskontierten, zukünftigen Verpflichtungen 2. Diskontierter Erwartungswert der Kosten für das Risikokapital, das mit den Verpflichtungen in Zukunft assoziiert wird. Damit werden alle Risiken, die durch das Risikokapital abgedeckt werden, in die Bewertung der Verpflichtungen mit einbezogen. 3. Risikomarge für diejenigen Risiken, die nicht durch das Risikokapital abgedeckt werden. Eine wichtige Motivation für den Begriff des Risikokapitals ist seine Universalität. Im Idealfall würde man sich wünschen, dass alle Risiken durch das Risikokapital adäquat erfasst werden können und dass insbesondere die Risikoprämie für unsichere Cashflows als eine Funktion des Risikokapitals dargestellt werden kann. In dieser Idealisierung wären die beiden Nummern 1 und 2 ausreichend, um den Fair Value zu bestimmen. In vielen Anwendungen wird daher Nummer 3 nicht berücksichtigt. Allerdings vernachlässigt diese Idealisierung, dass das Risiko von der gesamten Verteilungsfunktion abhängt und nicht in einem durch eine reelle Zahl repräsentierten Risikokapital erfasst werden kann. Zum Beispiel gibt es neben den Kosten und dem Risiko, dass sich die Abwicklung des Bestands weniger erfolgreich gestaltet als durch den Erwartungswert der diskontierten, zukünftigen Verpflichtungen projiziert, auch das „Upside-Risiko“, dass der Erwartungswert die zukünftigen Auszahlungen überschätzt. Ein rationaler Investor würde diese Möglichkeit, dass sich die Abwicklung des Portfolios besser als erwartet gestaltet, bei der Wertbestimmung ebenso berücksichtigen wie die negativen Risiken. Ein anderes, konkretes Beispiel wird in der Situation von Beispiel 4.7 beschrieben, wo zwei Portfolios den gleichen Erwartungswert der diskontierten zukünftigen Verpflichtungen und das gleiche Risikokapital aufweisen, das eine aber deutlich risikoreicher als das andere ist. Nummer 3 trägt diesen Gegebenheiten durch die Möglichkeit Rechnung, zusätzliche Eigenschaften des Portfolios in die Berechnung des Fair Values mit einzubeziehen.
4.4.2 Bewertungsansätze für versicherungstechnische Verbindlichkeiten Versicherungstechnische Verbindlichkeiten beruhen auf ungewissen zukünftigen Cashflows, deren Unsicherheit durch versicherungstechnische Risiken und Finanzmarktrisiken geprägt, aber auch durch das Management des Versicherungsbestandes, z.B. durch Überschussbeteiligung, Kostenstrukturen und Schadenregulierung beeinflusst wird.
116
4 Risikokapital
Bei der Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten lassen sich folgende Ansätze unterscheiden. 1. Erwartungswertsicht (Best Estimate). Eine zentrale Information für die Unternehmenssteuerung stellt die möglichst genaue und realistische Einschätzung der Verbindlichkeiten dar. Der Erwartungswert der künftigen Cashflows auf der Basis realistischer Annahmen über die relevanten Risikofaktoren (Rechnungsgrundlagen) stellt den Best Estimate dar. Er enthält keine Sicherheitsmargen und kann daher nicht die Übernahme des Risikos der Verbindlichkeiten kompensieren. 2. Ökonomische Sicht. Für die Unternehmenssteuerung genügt die Erwartungswertsicht nicht, da die Risiken der künftigen Cashflows gemanagt werden müssen und die Rückstellung, die die Erfüllung der künftigen Verpflichtungen sicherstellen soll, eine Risikomarge enthalten muss. Diese Risikomarge hängt von der unternehmensindividuellen Risikotoleranz ab und trägt den Risiken in einer langfristigen Sicht Rechnung, während kurzfristige Extremszenarien durch das Risikokapital aufgefangen werden. Neben der Risikotoleranz gibt es weitere unternehmensindividuelle Einflussfaktoren, die den Wert der Verpflichtungen aus ökonomischer Sicht bestimmen: a. Das Unternehmen kann die Cashflows und deren Risikoprofil durch Managementregeln (z.B. Überschussbeteiligung) und Kostenstrukturen beeinflussen. b. Für die Unternehmenssteuerung sind die Cashflows von Anlagen und Verpflichtungen nicht getrennt, sondern mit ihren wechselseitigen Einflüssen zu bewerten. c. In VVaG können Nachschusspflichten der Versicherungsnehmer in Schieflagen zusätzliche Mittel bereitstellen und somit das Risikoprofil beeinflussen. d. Sind Teilbestände gesondert zu bewerten, etwa im Falle einer Bestandsübertragung, so wird das Ausmaß der Diversifikationseffekte entscheidend von der Struktur des Gesamtbestandes abhängig sein, so dass der ökonomische Wert des Teilbestandes portfolioabhängig ist. 3. Bilanzsicht. Die Bewertung der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten in der Bilanz richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften der Rechnungslegung. Die Entwicklung der IFRS verfolgt das Ziel, Rechnungslegungsvorschriften an der Marktwertsicht auszurichten. 4. Marktwertsicht (Fair Value). Der Fair Value versucht, einen Marktwert der Verpflichtungen zu approximieren. Das zugrunde gelegte Bewertungsverfahren muss daher marktkonsistent sein, d.h., es darf nicht im Widerspruch zu verfügbarer Marktinformation stehen und sollte soweit wie möglich Marktpreise nutzen. Wie Marktpreise Risikoprämien enthalten, so besteht der Fair Value aus dem Best Estimate der künftigen Cashflows und der Marktwertmarge (Market Value Margin, MVM), die die Markteinschätzung des Risikos der Cashflows reflektiert. Die Marktwertsicht ist eng mit der ökonomischen Sicht verwandt, kann aber nicht die spezifische Situation des Unternehmens berücksichtigen, die bei einem Verkauf der Verbindlichkeiten nicht auf den Käufer übertragen würde.
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten
117
Das Ziel, Marktpreisinformationen so gut wie möglich zu nutzen, motiviert die Klassifikation in hedgebare und nicht hedgebare Risiken. Ein Risiko fällt in die erste Kategorie, wenn es handelbare Finanzinstrumente mit einem eindeutig bestimmten Marktpreis gibt, mit denen das Risiko gehedget werden kann. Da der überwiegende Teil der versicherungstechnischen Risiken als nicht hedgebar betrachtet werden muss, bietet sich der Ansatz an, die Cashflows versicherungstechnischer Verbindlichkeiten in ihren Erwartungswert und einen Rest zu zerlegen. Der erwartete Cashflow kann dann durch Replikation mit Finanzinstrumenten bewertet werden. Die Schwierigkeiten der marktkonsistenten Bewertung verlagern sich dann jedoch komplett auf den nicht hedgebaren Rest. Beispiel 4.2. In einem Kollektiv von Risikolebensversicherungen kann der Cashflow der Versicherungsleistungen unter dem Ansatz realistischer Sterblichkeiten projiziert werden. Die einzelnen Zahlungen können durch risikofreie Zerobonds entsprechender Laufzeiten repliziert werden. Der Marktwert dieses replizierenden Portfolios stellt dann den Best Estimate der Verpflichtungen dar. Zur Bestimmung der Marktwertmarge ist es denkbar, dass das Sterblichkeitsrisiko vollständig von einem Rückversicherer übernommen wird. Der Cashflow der Rückversicherungsprämien lässt sich dann wieder durch ein replizierendes Portfolio von risikofreien Zerobonds bewerten. Die Unsicherheit des ursprünglichen Cashflows der Versicherungsleistungen überträgt sich in diesem Ansatz nach Abspaltung des Best Estimate auf die Ermittlung der Rückversicherungsprämien. Solange es keinen liquiden Markt für versicherungstechnische Risiken gibt, können jedoch keine impliziten Sterblichkeiten zur Kalkulation von Rückversicherungsprämien aus Marktpreisen abgeleitet werden. Beispiel 4.3. Aus der Information von Schadendreiecken kann der Cashflow der künftigen Zahlungen (X1 , . . . , Xn ) in der Schadenversicherung projiziert werden. Die Bewertung der Schätzwerte (x1 , . . . , xn ) mit Hilfe eines replizierenden Portfolios von risikofreien Zerobonds liefert den Best Estimate der Verpflichtungen. Gängige Schadenreservierungsmethoden liefern zudem Schätzer für die Varianzen var (X j ) der künftigen Zahlungen. Verwendet man ρ (X j ) = β var (X j ) mit β > 0 als Risikomaß und geht man davon aus, dass ein Risikokapitalgeber eine relative Risikoprämie i bezüglich des Risikokapitals erwartet, so kann man die Marktwertmarge mit einem replizierenden Portfolio von risikofreien Zerobonds für den Cashflow (i β var(X1 ), . . . , i β var(Xn )) ermitteln (vgl. Abschnitt 4.4.3.3). In diesem Ansatz stellt sich die Frage nach der geeigneten Wahl von ρ und i vor dem Hintergrund, dass kein liquider Markt existiert. Beispiel 4.4. Mitunter werden von Versicherern oder Rückversicherern Katastrophenbonds ausgegeben und auf Kapitalmärkten gehandelt. Diese Katastrophenbonds können in einem begrenzen Rahmen zur Bestimmung des Wertes der Verpflichtungen genutzt werden. R sei ein Rückversicherer, der ein Konzentrationsrisiko bzgl. Erdbeben in Kalifornien habe. R könnte natürlich einige dieser Risiken retrozedieren. Eine andere Möglichkeit wäre, diese Risiken auf den Kapitalmarkt zu bringen.
118
4 Risikokapital
Da nur standardisierte Wertpapiere handelbar sind und die Anleger auf dem Kapitalmarkt keinen tieferen Einblick in das Rückversicherungsgeschäft und die Schadenregulierung des Rückversicherers haben, wäre es schwer möglich, konkrete Rückversicherungsverträge in ein Portfolio zusammenzufassen und dieses Portfolio in kleinen Paketen auf den Kapitalmarkt zu bringen. Es ist daher für R erfolgsversprechender, das Erdbebenrisiko losgelöst von den konkreten Rückversicherungsverträgen auf dem Markt zu platzieren. Diese Idee könnte, wenn sich R mit ungefähr 100 Mio e absichern möchte, folgendermaßen implementiert werden: R emittiert einen einjährigen Zerobond mit Nominalwert N = 100 Mio e sowie der Klausel, dass die Anleihe nicht zurückgezahlt wird, falls sich in Kalifornien (oder vor der Küste Kaliforniens in einem Umkreis von 100 km) während dieses Jahres ein Erdbeben der Größe ≥ 7.5 ereignet. Dabei wird als Größe des Erdbebens der vom United States Geological Survey’s (USGS) Earthquake Hazards Program publizierte Wert vereinbart. Dieses Finanzinstrument ist für Kapitalmarktanleger aus den folgenden Gründen interessant: • Es gibt kein moralisches Risiko durch den Emittenten. • Wann und was gezahlt werden muss, ist eindeutig festgelegt. • Es ist möglich, das Produkt in gleichartige Teile aufzuteilen, ohne dass erheblicher Verwaltungsaufwand entsteht. Es ist somit handelbar. • Der Käufer benötigt kein tieferes Verständnis der Versicherungsmathematik, da der Trigger nicht von der tatsächlichen Schadenhöhe abhängt. Externe Experten können hinzugezogen werden, um das Erdbebenrisiko zu ermitteln. • Das Risiko ist nur schwach mit dem allgemeinen Kapitalmarktrisiko korreliert. Für den Rückversicherer R besteht ein Nachteil darin, dass er ein erhebliches Basisrisiko hat, da der reale Schaden höher (oder auch geringer) ausfallen kann. Darüber hinaus ist R überhaupt nicht geschützt, falls sich z.B. ein Erdbeben der Größe 7.4 im Stadtzentrum von San Francisco ereignet. Andererseits ist es möglich, dass Anleger aufgrund der geringen Korrelation mit dem Kapitalmarktrisiko bereit sind, einen so hohen Preis für das Produkt zu zahlen, dass dieses Verfahren für R trotz des Basisrisikos preiswerter als Retrozession ist. Ist P der tatsächlich gezahlte Preis für die komplette Tranche, so wäre N −P × Versicherungssumme. N in erster Näherung der Wert für Erdbebenverpflichtungen in Kalifornien, die auf Erdbeben der Größe ≥ 7.5 zurückzuführen sind. Dieser Wert müsste noch durch Korrekturen für den risikofreien Zins, das Ausfallrisiko des Rückversicherers und das Basisrisiko modifiziert werden. Ein weiteres Problem bei der Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten entsteht dadurch, dass ein Hedge für ein Risiko nicht die konkrete Abhängigkeit dieses Risikos von anderen Risiken des Vertrages erfassen kann. Beispielsweise liegt es nahe, in einem indexgebundenen Lebensversicherungsvertrag finanzielles und biometrisches Risiko getrennt zu bewerten und das finanzielle Risiko durch
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten
119
den Index zu hedgen. Hängt das Stornoverhalten der Versicherungsnehmer jedoch von der Indexperformance ab, kann die Indexentwicklung die Zusammensetzung des Kollektivs und damit das biometrische Risikoprofil beeinflussen. Eine getrennte Betrachtung der Risiken ignoriert zudem Diversifikationseffekte, die Unternehmen in ihrer Kalkulation heranziehen. So z.B. können Sachversicherer Verträge mit einer geringeren Combined Ratio anbieten, als dies der Fall wäre, wenn sie nur in risikofreie Papiere investieren müssten. Die Entwicklung neuer handelbarer Finanzinstrumente wie Versicherungsderivaten bedingt eine Zunahme der verfügbaren Marktpreisinformationen und wirft die Frage nach einer Vervollständigung von Versicherungsmärkten3 in dem Sinne auf, dass bislang nicht hedgebare Risiken hedgebar werden. Selbst in einem liquiden Markt handelbarer Versicherungsderivate verbleibt das Problem des Basisrisikos, da jedes versicherte Risiko einzigartig ist und sich durch individuelle Eigenschaften wie Umfang, Ausmaß der Garantien und Abhängigkeitsstrukturen von anderen Risiken unterscheidet. Da der Fair Value einen Preis approximieren soll, der am Markt für den Transfer der Verpflichtungen zu entrichten wäre, stellt er eine portfolioindividuelle Größe dar und sollte daher nicht von unternehmensindividuellen Charakteristika des Käufers wie etwa den Diversifikationseffekten infolge der Bestandsübernahme abhängen. Diese Anforderung an den Fair Value wirft die Frage auf, inwieweit die Einflussfaktoren der Cashflows versicherungstechnischer Verbindlichkeiten portfolioindividuell sind und wie mit möglichen unternehmensabhängigen Faktoren umzugehen ist. Während biometrische Rechnungsgrundlagen Eigenschaften des Versicherungsbestandes sind, geht man bei Bestandsübertragungen im allgemeinen davon aus, dass sich Stornowahrscheinlichkeiten und Kostensätze nach einer gewissen Übergangszeit auf das Niveau des übernehmenden Versicherungsunternehmens einpendeln. Ferner werden die Cashflows von Kapitalanlagestrategie und Managementregeln beeinflusst. Ist die Erwartung der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt der Bestandsübertragung von der Überschussbeteiligungsstrategie des übertragenden Versicherungsunternehmens geprägt, so werden mit fortschreitender Umschichtung der Kapitalanlagen die Verhältnisse des aufnehmenden Unternehmens mit Blick auf die Überschussbeteiligung relevant. Um den Fair Value als Marktpreisapproximation zu ermitteln, bietet es sich an, unternehmensabhängige Einflussfaktoren durch standardisierte Annahmen zu ersetzen. Beispielsweise könnten branchendurchschnittliche Stornowahrscheinlichkeiten und Kostensätze herangezogen sowie die vorgeschriebene Mindestüberschussbeteiligung (90/10) und die schnellstmögliche Umschichtung der Kapitalanlagen in ein optimal replizierendes Portfolio (wie im SST, siehe [18]) angenommen werden.
3 Mathematisch ist zu prüfen, ob sich die bekannten Ergebnisse der Finanzmathematik auch auf die stochastischen Prozesse für Versicherungsrisiken übertragen lassen. Es existieren Resultate, die nahelegen, dass dies möglicherweise nicht der Fall ist [38].
120
4 Risikokapital
4.4.3 Implementierungskonzepte Die Bestimmung des Fair Value erfordert zunächst eine Projektion der zukünftigen Cashflows auf der Basis realistischer Annahmen. Der mit der risikofreien Zinsstrukturkurve diskontierte Barwert dieser Cashflows stellt den Best Estimate der versicherungstechnischen Verpflichtungen dar. Der Fair Value ergibt sich dann durch Addition der Marktwertmarge (MVM), die von der Risikotoleranz des Marktes bzw. dem Marktpreis für Risiko abhängt. Die Bestimmung der MVM könnte am Marktpreis für andere handelbare Risiken, etwa im Kreditrisikobereich, orientiert werden. Dabei stellt sich jedoch die Frage nach der Vergleichbarkeit der Risiken. In der Praxis werden häufig zwei Ansätze zur approximativen Ermittlung des Fair Value diskutiert, der Quantilsansatz und der Kapitalkostenansatz.
4.4.3.1 Quantilsansatz Im Quantilsansatz wird der Fair Value als α-Quantil der Verteilung des Barwerts der künftigen Cashflows bestimmt. Der Fair Value gibt somit die Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen an, die mit Wahrscheinlichkeit α ausreichen, alle künftigen Verpflichtungen zu erfüllen. Es sei Vt die Zufallsvariable, die den (mit dem risikofreien Zins diskontierten) Barwert der zukünftigen Verpflichtungen beschreibt. Dann ist der Fair Value nach dem Quantilsansatz durch FVα = VaRα (Vt ) gegeben. In diesem Sinne verallgemeinert der Fair Value das Konzept des Value-atRisk auf eine Mehrperiodenbetrachtung. Kritisch anzumerken sind folgende Punkte: 1. Der Quantilsansatz blendet hohe Risiken jenseits des α-Quantils aus. 2. Es erweist sich als schwierig, α plausibel festzulegen. So kann z.B. das 75%Quantil einer hinreichend schiefen Verteilung kleiner als der Erwartungswert ausfallen und damit das Problem einer negativen Sicherheitsmarge aufwerfen. 3. Es besteht keine direkte Verbindung zwischen dem Marktpreis von risikobehafteten Wertpapieren und der Quantilsfunktion. 4. Stochastische Simulationen zur Bestimmung der Quantile erfordern einen hohen Aufwand.
4.4.3.2 Spektralmaßansatz Eine Alternative zum Quantilsansatz ist die Verwendung eines Spektralmaßes (Definition 2.6), FVφ (X) =
1
0
VaR p (X)φ (p) dp,
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten
121
wobei φ eine monoton wachsende Gewichtsfunktion (siehe Definition 2.5 und Theorem 2.4) ist. Im Vergleich zum Quantilsansatz bleiben die Kritikpunkte 3 und 4 unverändert bestehen. Allerdings wäre es aufgrund der hohen Flexibilität des Spektralmaßes einfacher, für den Spektralmaßansatz Konsistenz mit Marktpreisen zu erreichen als für den Quantilsansatz. Da φ monoton wachsend ist und nicht identisch verschwindet, werden hohe Risiken im Gegensatz zum Quantilsansatz nicht ausgeblendet (siehe Kritikpunkt 1 des Quantilsansatzes). Die folgende Proposition zeigt, dass der Kritikpunkt 2 des Quantilsansatzes für den Spektralmaßansatz ebenfalls nicht gilt. Proposition 4.1. Das Spektralmaß FVφ erfüllt FVφ (X) ≥ E(X), wenn die Gewichtungsfunktion φ ∈ L1 ([0, 1]) (fast überall) monoton wachsend ist.
Beweis. Da Φ monoton wachsend und 01 (Φ(p) − 1) dp = 0 ist, gibt es ein ζ ∈ (0, 1) mit ≤ 0, p ≤ ζ , Φ(p) − 1 = ≥ 0, p ≥ ζ . Damit gilt −
ζ 0
(Φ(p) − 1) dp =
1 ζ
(Φ(p) − 1) dp.
Da p → VaR p (X) monoton wachsend ist, folgt daraus − also
ζ 0
VaR p (X) (Φ(p) − 1) dp ≤ 1 0
Mit der Beziehung E(X) =
1 ζ
VaR p (X) (Φ(p) − 1) dp,
VaR p (X) (Φ(p) − 1) dp ≥ 0.
1 0
VaR p (X)dp erhalten wir FVφ (X) ≥ E(X).
Das einfachste Beispiel für ein Spektralmaß ist der Expected Shortfall ESα (Definition 2.4). Der Expected Shortfall zum Konfidenzniveau 70% wird in den USA bei der Bewertung von Rückstellungen für „Variable Annuities with Guarantees“ eingesetzt. Im folgenden Beispiel wird ein allgemeines Spektralmaß genutzt, um auch das „Upside Risiko“ mit zu berücksichtigen. Beispiel 4.5. Es sei pE(X) = FX (E(X)). Dann ist mit der Wahrscheinlichkeit pE(X) der Barwert der zukünftigen Verpflichtungen kleiner gleich dem Best Estimate. Die korrespondierenden Ereignisse repräsentieren somit Abwicklungen des Portfolios,
122
4 Risikokapital
die besser als erwartet verlaufen. Statt wie beim Expected Shortfall diese Ereignisse überhaupt nicht zu gewichten, wollen wir dieses „Upside Risiko“ hier mit einem Faktor a ∈ (0, 1) gewichten. Analog ist der Barwert der Verpflichtungen mit der Wahrscheinlichkeit 1− pE(X) größer als der Best Estimate. Diese Ereignisse entsprechen Abwicklungen des Portfolios, die weniger erfolgreich als erwartet verlaufen, und repräsentieren daher ein „Downside Risiko“. Wir wollen dieses Risiko mit eiist somit nem Faktor b > 1 gewichten. Die resultierende Gewichtungsfunktion φa stückweise konstant, und die Normierung 1 = 01 φa (p)dp = a pE(X) + b 1 − pE(X) erzwingt 1 − a pE(X) . φa = a 1[0,p [ + 1 E(X) 1 − pE(X) [ pE(X) ,1] Offenbar gilt lima→1 FVφa (X) = E(X). Je höher wir das „Upside Risiko“ gewichten, desto näher liegt der Fair Value beim Erwartungswert. Beispiel 4.6. In Beispiel 4.5 haben wir der besseren Intuition wegen „Upside Risiko“ und „Downside Risiko“ in Bezug auf den Erwartungswert definiert. Dies ist jedoch nicht nötig. Es seien n ≥ 1 und a = (a1 , . . . , an ) ∈ Rn ein Vektor mit a1 ≤ · · · ≤ an sowie p = (p0 , . . . , pn ) ∈ Rn+1 ein Vektor mit 0 = p0 < · · · < pn = 1. Dann ist ∑ni=1 ai 1[pi−1 ,pi [ φa,p = n ∑i=1 ai (pi − pi−1 ) eine Gewichtungsfunktion. Offenbar gilt φa = φ((1−p
) a,1−a pE(X) ),(0,pE(X) ,1) , wobei wir davon Gebrauch gemacht haben, dass für jedes λ ∈ R+ die Identität φa,p = φλ a,p gilt. Wir geben nun eine praktische Anwendung dieser Klasse von Gewichtungsfunktion an. Das Versicherungsunternehmen XYZ unterscheidet „gute“, „neutrale“ und „schlechte“ Abwicklungen, wobei es als Grenzen dieser Klassen die Quantile VaR0.25 (X) und VaR0.75 (X) definiert. Damit gilt p = (0, 0.25, 0.75, 1). Neutrale Abwicklungen sollen das Gewicht 1 erhalten. Ist E(X)
a = (α, β , γ) , so bedeutet dies β = 0.25α + 0.5β + 0.25γ, woraus β = 0.5α + 0.5γ folgt. Es gilt FVa,p (X) =
α E(X) + (β − α) ES0.25 (X) + (γ − β ) ES0.75 (X) . β
Die relative Gewichtung von „schlechten“ und „guten“ Abwicklungen folgt aus der Risikostrategie und insbesondere der Risikoaversion des Unternehmens. Je größer das Verhältnis dieser Gewichtungen ist, desto konservativer ist das Unternehmen. Die Unternehmensleitung von XYZ entscheidet, dass eine Gewichtung α : γ = 1 : 3 angemessen ist. Damit erhält man β = (0.5 + 1.5)α = 2α, γ = 3α und somit FVa,p (X) =
E(X) + ES0.25 (X) + ES0.75 (X) . 2
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten
123
4.4.3.3 Kapitalkostenansatz Dem Kapitalkostenansatz liegt die Überlegung zugrunde, dass die Marktwertmarge als Risikoprämie ausreicht, damit ein Investor in allen künftigen Perioden das für die Reserven benötigte Risikokapital zur Verfügung stellen kann. Dabei ist zunächst zu klären, wie das benötigte Risikokapital zu definieren ist. Konzeptionell ist das Risikokapital durch Anwendung eines Risikomaßes auf die Verteilung des Barwerts der künftigen Cashflows zum Zeitpunkt t zu ermitteln. Dieser Ansatz würde die intertemporalen Abhängigkeiten einschließlich Trendrisiken wie eine langsame kontinuierliche Verschlechterung des Risikoprofils des Kollektivs (z.B. infolge des Langlebigkeitsrisikos) erfassen, wäre allerdings sehr komplex. In der Praxis wird daher ein Risikokapital mit einjährigem Horizont verwendet. Das ökonomische Risikokapital CtEC , das den Risikoappetit des Unternehmens reflektiert, ist allerdings nicht geeignet, da jedes Unternehmen einen anderen Risikoappetit hat und für den Fair Value eine Marktnormierung zu erfolgen hat. Das reReg gulatorisch vorgeschriebene Solvenzkapital Ct erfüllt die Bedingung einer Marktnormierung, beinhaltet jedoch Kapital, das für die Reserven nicht unbedingt relevant ist. Ein Beispiel wäre regulatorisches Kapital für Marktrisiken, die aufgrund der Kapitalanlagestrategie des Unternehmens eingegangen werden. Da das die Verpflichtungen übernehmende Unternehmen in risikofreie Anlagen investieren könnte, ist dieses Risiko für den Fair Value nicht relevant. Außerdem wird das Marktrisiko bereits bei der Bewertung der Aktiva berücksichtigt. Daher wird ein spezielles Risikokapital CtFV für die Fair Value Bestimmung definiert. In der Praxis ist dies häufig das regulatorische Kapital unter Ausblendung derjenigen Risiken, die für den Fair Reg Value der Verpflichtungen nicht relevant sind. Falls das regulatorische Kapital Ct Rating 4 nicht geeignet ist , bietet sich ein Ratingkapital Ct zu einem geeigneten Rating, z.B. BBB, an. Bezeichnen Vt den Barwert der mit der risikofreien Zinsstrukturkurve st abdiskontierten zukünftigen Verpflichtungen, CtFV das Risikokapital für die Fair Value Berechnung und kt die relativen Kapitalkosten, so ergibt sich als Fair Value FVt = E (Vt ) + MVMt , wobei die Marktwertmarge MVMt als Barwert der zukünftigen Kapitalkosten MVMt =
∞
kτ CτFV , τ (1 + sτ˜ ) ˜ τ=t+1 ∏τ=t+1
∑
definiert ist. Der Ansatz des risikofreien Zinses bringt zum Ausdruck, dass das Risikokapital in jedem Fall bis zur vollständigen Abwicklung des Bestandes zu stellen ist, auch wenn das ursprüngliche Versicherungsunternehmen insolvent wird. 4
Zum Beispiel eignete sich das Solvenzkapital nach Solvency I nicht, da dieser Kapitalbegriff Risiken zu pauschal erfasst.
124
4 Risikokapital
Der relative Kapitalkostensatz kt ist als Spread über dem risikofreien Zins zu bestimmen, der das Ausfallrisiko von CtFV infolge adverser Entwicklungen der versicherungstechnischen Cashflows kompensiert. Eine risikoadäquate Bestimmung von kt setzt die Analyse der Verteilung der Ausfälle von CtFV voraus. (Vergleiche die Zerlegung von Ct in Tranchen verschiedenen Risikogehaltes in Abschnitt 4.1.2, Aufzählungspunkt 3). Ein pragmatischer Weg, die Schwierigkeiten einer solchen Analyse zu umgehen, besteht darin, für alle kt einen einheitlichen Prozentsatz zu wählen, der einem branchendurchschnittlichen Risikogehalt entspricht. Eine weitere Vereinfachung besteht darin, das Risikokapital CtFV nur zu Beginn zu ermitteln und zu späteren Zeitpunkten den volumengewichteten Anteil CτFV =
E (Vτ ) FV C E (Vt ) t
(4.2)
zu verwenden. Dieses Verfahren kann verfeinert werden, indem für die verschiedenen Risikotreiber in der Berechnung von CtFV jeweils geeignete Volumengewichte benutzt werden. Zum Beispiel wird für Solvency II eine ganze Hierarchie von möglichen Vereinfachungen vorgeschlagen [26, Paragraph TP.5.32]: 1. vollständige Projektion ohne Vereinfachung des zukünftigen Risikokapitals für alle Risiken 2. Approximation der Risiken für die individuellen Risikoklassen und Berechnung des zukünftigen Risikokapitals für diese vereinfachte Risikobeschreibung 3. Skalierung von CtFV über die verschiedenen Risikotreiber mit jeweils geeigneten Volumengewichten 4. Benutzung des Best Estimate der zukünftigen Verpflichtungen als einzigen Risikotreiber wie in Gleichung (4.2) 5. Bestimmung aller zukünftigen SCR über einen Durationsansatz 6. Approximation der Market Value Margin als einen festen Prozentsatz des Best Estimate der zukünftigen Verpflichtungen. Der Kapitalkostenansatz ist im Swiss Solvency Test und in Solvency II umgesetzt. In beiden Fällen wird kt konstant 6% gesetzt, und die Berechnung des Risikokapitals CtFV folgt der Berechnung des Solvenzkapitals, wobei allerdings unterstellt wird, dass die Aktiva so schnell wie möglich in ein die Verpflichtungen optimal replizierendes Portfolio umgeschichtet werden. Im folgenden Beispiel zeigen wir, dass der Kapitalkostenansatz nicht alle Aspekte des Risikos erfassen kann, da er jeweils auf der Information eines speziellen Risikomaßes beruht. Beispiel 4.7. Mit z > 0 und zt = (1 − 10% (t − 1)) z betrachten wir die folgenden beiden Portfolios: 1. Portfolio A. Im Jahr t (t ∈ {1, . . . , 10}) führt das Portfolio zu den folgenden Zahlungen:
4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten
ZtA =
(1) Zt = zt (2) Zt
125
mit einer Wahrscheinlichkeit von 99%,
= (1 + 5) zt
mit einer Wahrscheinlichkeit von 1%.
2. Portfolio B. Im Jahr t (t ∈ {1, . . . , 10}) führt das Portfolio zu den folgenden Zahlungen: ⎧ (1) ⎪ mit einer Wahrscheinlichkeit von 79%, Zt = zt ⎪ ⎪ ⎪ ⎨Z (2) = (1 + 5) z mit einer Wahrscheinlichkeit von 1%, t t ZtB = (3) ⎪ Zt = (1 + 0.5) zt mit einer Wahrscheinlichkeit von 10%, ⎪ ⎪ ⎪ ⎩Z (3) = (1 − 0.5) z mit einer Wahrscheinlichkeit von 10%. t
t
Wir nehmen an, dass das Risikokapital der 99.5% Value at Risk ist. Offenbar gilt E ZtA = E ZtB = 0.99 zt + 0.01 × 6 zt = 1.05 zt und
CtFV ZtA = VaR99.5% ZtA = 6zt = VaR99.5% ZtB = CtFV ZtB .
Bei gleicher Wahl von kt und st ergibt sich also der gleiche Fair Value nach dem Kapitalkostenansatz. Trotzdem kann Portfolio B als risikoreicher aufgefasst werden, da es eine höhere Varianz hat, denn es gilt 2 2 − E ZtA var ZtA = E ZtA = 0.99 zt 2 + 0.01 × 36 zt 2 − 1.052 zt 2 = 0.2475 zt 2 und
2 2 − E ZtB var ZtB = E ZtB 9 1 = 0.79 zt 2 + 0.1 × zt 2 + 0.1 × zt 2 + 0.01 × 36 zt 2 − 1.052 zt 2 4 4 = 0.2975 zt 2 .
Ein weiterer Kritikpunkt des klassischen Kapitalkostenansatzes besteht darin, dass er lediglich das „Downside Risiko“ berücksichtigt.
4.4.4 Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten nach IFRS Mit dem „Exposure Draft Insurance Contracts“ vom Juli 2010 wendet sich das IASB von den bisher verfolgten Leitgedanken des Fair Value bei einer fiktiven Markttransaktion ab und legt fest, dass Versicherungsverträge auf Basis der unternehmensspe-
126
4 Risikokapital
zifischen Situation bei Erfüllung zu bewerten sind. Existieren für Vertragsteile replizierende Finanzinstrumente, so ist für diese Teile der Marktwert anzusetzen. Ansonsten gilt das Grundprinzip der Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten durch die Summe des „Current Estimate“ und einer Risikomarge. Unter dem Current Estimate versteht man den mit der risikofreien Zinsstrukturkurve diskontierten Barwert der erwarteten Zahlungsströme des Versicherungsvertrages. Die Zahlungsströme sind dabei aus Sicht des Unternehmens und unter Zugrundelegung der unternehmensspezifischen Verhältnisse mit Hilfe realistischer Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln. Die Ermittlung der Risikomarge kann mit dem Quantilsansatz, durch Ermittlung des Expected Shortfall oder dem Kapitalkostenansatz erfolgen und soll im Kontext eines Versicherungsportefeuilles vorgenommen werden, in dem ähnliche Verträge mit weitgehend ähnlichen Risiken zusammengefasst und eigenständig gesteuert werden. Dadurch wird die unternehmensspezifische Diversifikationsstruktur berücksichtigt. Entsteht aufgrund der Bewertung mit Current Estimate und Risikomarge bei Abschluss des Vertrages ein Gewinn, so ist eine zusätzliche Rückstellung in Höhe dieses Gewinns zu bilden, die sogenannte Restmarge. Diese Restmarge wird während der Vertragslaufzeit pro rata temporis oder entsprechend dem erwarteten Schaden- oder Leistungsverlauf abgebaut und als Ertrag vereinnahmt.
4.5 Ansätze zur Modellierung des Risikokapitals Das Risikokapital lässt sich auf vielfältige Arten modellieren. Wir werden im folgenden einige populäre Ansätze kurz vorstellen. Ein wirkliches Verständnis für die allgemeinen Zusammenhänge erhält man jedoch erst, wenn man ein gutes, aber nicht zu komplexes Modell eingehend studiert. Hierfür ist der Schweizer Solvenztest [18] besonders gut geeignet, den wir in Abschnitt 4.6.1 vorstellen.
4.5.1 Faktorbasierte Modelle Faktorbasierte Modelle sind sehr pragmatisch. Das Risikokapital soll durch möglichst einfache Formeln berechnet werden. Im einfachsten Fall skaliert man einen normierten Grundschaden mit einem Volumenparameter. Wenn man zum Beispiel das Risiko betrachtet, dass die Aktienkurse fallen, kann man für ein normiertes Aktienpaket Anorm mit Anfangswert W (Anorm ) = 1e den Value at Risk VaR99.5% (Anorm ) =: f dieses Pakets berechnen. Für ein Aktienpaket A mit einem davon abweichenden Wert W (A) setzt man nun einfach VaR99.5% (A) = f W (A), ohne die Value at RiskBerechnung explizit durchzuführen. Dieses Verfahren lässt sich nun auf andere Risiken verallgemeinern, so dass man insgesamt zu einem System allgemeiner vor-
4.5 Ansätze zur Modellierung des Risikokapitals
127
definierter Faktoren kommt, mit denen unternehmensindividuelle Volumengrößen multipliziert werden, um die Risikokapitalien der betrachteten Risiken zu erhalten. Diese Risikokapitalien werden häufig einfach addiert oder über einen Korrelationsansatz (Abschnitt 3.3) aggregiert. Sind erst einmal die Risikofaktoren bekannt, haben faktorbasierte Modelle den Vorteil, dass das Risikokapital extrem einfach zu berechnen ist. Allerdings ist die durch den Faktor implizierte lineare Beziehung zwischen Risiko und einem Volumenparameter nicht immer eine gute Approximation. Wenn sich die Risiken quantitativ ändern, muss erst das gesamte Faktorsystem neu berechnet werden, um wieder Risikokapital berechnen zu können. Es kann leicht geschehen, dass falsche unternehmerische Anreize geschaffen werden können. Das Risikokapital wurde im Rahmen von Solvency I zum Beispiel für Lebensversicherungsunternehmen durch 4% Deckungsrückstellung + 0.3% riskiertes Kapital berechnet. Hierbei war einer der Begründungen für den ersten Faktor, dass die Deckungsrückstellung ein gutes Volumenmaß für das angelegte Kapitalvolumen sei und im Faktor 4% das (normierte) Kapitalanlagerisiko mit enthalten sei.5 Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt war, dass ein Unternehmen, das die Deckungsrückstellung vorsichtiger (und somit höher) bemaß, trotz der dadurch erreichten höheren Sicherheit zusätzlich ein höheres Solvenzkapital stellen musste. Zudem ist das so ermittelte Risikokapital unabhängig von der Art der Kapitalanlage, so dass weniger riskant investierte Mittel mit sehr riskanten Kapitalanlagen gleichgestellt sind. Das Standardmodell von Solvency II ist wegen der rechnerischen Einfachheit des faktorbasierten Ansatzes teilweise faktorbasiert (Abschnitt 4.6.2). Es wurde allerdings Mühe darauf verwendet, das Modell so zu konstruieren, dass falsche Anreize minimiert werden.
4.5.2 Analytische Modelle Die Idee analytischer Modelle besteht darin, so weit wie möglich die Versicherungsmathematik heranzuziehen, um möglichst einfache Formeln herzuleiten, die einerseits leicht zu füllen und andererseits gut zu interpretieren sind. Ein wichtiger Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass die notwendigen Vereinfachungen durch die Theorie motiviert werden, so dass es in der Regel möglich ist, den Gültigkeitsbereich des Modells gut abzuschätzen. Beispiel 4.8. Ein sehr einfaches (und für die praktische Anwendung häufig zu sehr vereinfachendes) Beispiel ist die Modellierung auf Basis einer Normalverteilung N(μ, σ ). Wir machen die Annahme, dass der Gesamtschaden normalverteilt ist und wählen als Risikomaß den Value at Risk zum Konfidenzniveau α. Aufgrund von 5
3% der Deckungsrückstellung wurden für Kapitalanlagerisiken veranschlagt und die restlichen 1% der Deckungsrückstellung für operationale Risiken.
128
4 Risikokapital
Proposition 2.1 gilt dann VaRα (N(μ, σ )) = μ + σ Φ0,1 −1 (α). Wenn wir zum Beispiel α = 99.5% wählen, gilt Φ0,1 −1 (α) = 2.58, so dass wir VaR99.5% (N(μ, σ )) = μ + 2.58 σ erhalten und für die Berechnung des Risikokapitals lediglich Erwartungswert und Standardabweichung bestimmen müssen. Die Normalverteilungsannahme ist vollkommen transparent, so dass die Anwendbarkeit leicht geprüft werden kann. Da die Normalverteilungsannahme für ein Versicherungsportfolio mit Kumul- und Großschäden in der Regel nicht gerechtfertigt ist, muss dieses spezielle Modell natürlich verworfen werden. Im Abschnitt 4.6.1 werden wir ein sehr viel komplexeres analytisches Modell kennenlernen, das auch in der Praxis angewendet werden kann.
4.5.3 Szenariobasierte Modelle und Stresstests 4.5.3.1 Konzeption Grundlegendes Ziel von Stresstests ist es, Auswirkungen von extremen, aber nicht unplausiblen Schocks auf die finanzielle Lage eines Versicherungsunternehmens zu untersuchen. Die Konzeption beruht auf der Annahme, dass der Wert V eines Versicherungsunternehmens oder eines Portfolios als deterministische Funktion f einer Anzahl von stochastischen Risikofaktoren dargestellt werden kann: V = f (R1 , . . . , Rn ) Ein Stresstest beschreibt außergewöhnliche Situationen, die durch eine plötzliche Änderung eines oder mehrerer Risikofaktoren entstehen. Dabei ergeben sich die folgenden Perspektiven: 1. Welche Auswirkungen hat eine extreme Änderung von Risikofaktoren? 2. Bei welcher Änderung welcher Risikofaktoren treten extreme Wertänderungen ein? (Suche nach dem unternehmensindividuellen worst case-Szenario) 3. Inwieweit bleibt die Abbildung f (Modell) unter außergewöhnlichen Rahmenbedingungen adäquat? Die Aussagekraft von Stresstests für das Risikomanagement hängt entscheidend davon ab, inwieweit die Szenarien für plausibel erachtet und ernst genommen werden. Ideal wäre eine nachvollziehbare Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten. In diesem Fall könnten die Stresstestergebnisse wahrscheinlichkeitsgewichtet in bestehende Risikokapitalmodelle integriert werden. Anderenfalls stellen Stresstests eine qualitative Ergänzung der quantitativen Kapitalmodelle dar, die zusätzliche Erkenntnisse über den benötigten Kapitalpuffer in Extremsituationen liefern, die von den Kapitalmodellen möglicherweise nicht erfasst werden (z.B. Ereignisse jenseits des Quantils in VaR-Modellen).
4.5 Ansätze zur Modellierung des Risikokapitals
129
Stressszenarien lassen sich nach verschiedenen Kriterien unterscheiden. Historische Szenarien werden an extremen Ereignissen der Vergangenheit orientiert. Der Vorteil liegt darin, dass die Relevanz bereits beobachteter Änderungen der Risikofaktoren nicht ignoriert werden kann. Allerdings besteht die Gefahr, dass künftige Extremereignisse vergangene Szenarien weit übertreffen. Außerdem müssen sich historische Szenarien für das Versicherungsunternehmen nicht als die Szenarien mit den größten Auswirkungen darstellen. Hypothetische Szenarien adressieren die Einflüsse möglicher künftiger adverser Entwicklungen relevanter Risikofaktoren, z.B. durch Strukturbrüche infolge eines geänderten wirtschaftlichen Umfeldes oder infolge eines veränderten Risikoprofils aufgrund einer neuen Geschäftsstrategie. Wird die Auswirkung der Änderungen eines einzelnen Risikofaktors untersucht, spricht man von einem Einzelszenario im Gegensatz zu einem multiplen Szenario, das den Einfluss einer simultanen Änderung mehrerer Risikofaktoren beschreibt. Beim Ansatz multipler Szenarien ist die Abhängigkeitsstruktur der Risikofaktoren zu beachten, um unplausible Szenarien zu vermeiden. Standardszenarien fokussieren auf möglichen extremen Änderungen von Risikofaktoren im Gesamtmarkt und werden meist extern, z.B. von der Aufsicht vorgegeben. Unternehmensindividuelle Szenarien mit extremen Auswirkungen zu identifizieren, stellt eine Aufgabe des Risikomanagements dar. Interessante Fragestellungen betreffen dabei z.B. die Kombination der Änderungen von Risikofaktoren, die zu dem schwersten Verlust zu vorgegebener Wahrscheinlichkeit führt (individuelles worst case-Szenario), oder das Ausmaß eines Schocks, den das Unternehmen gerade noch verkraften könnte (inverser Stresstest).
4.5.3.2 Aufsichtsrechtliche Stresstests Aufsichtsrechtliche Stresstests stellen Standardstresstests dar. Die Aufsicht gibt dabei Szenarien vor, für die die Versicherungsunternehmen überprüfen müssen, ob die Kapitalanlagen die Verpflichtungen und die Solvabilitätsanforderungen bedecken. Im folgenden wird der BaFin-Stresstest beschrieben. Grundlage bildet die Bilanz des Vorjahres, die zunächst auf den Bilanzstichtag des aktuellen Jahres fortzuschreiben ist. Bei der Bewertung der Kapitalanlagen gilt der Grundsatz, Marktwerte aus den Angaben des Bilanzanhanges anzusetzen. Ausnahmen bilden festverzinsliche Wertpapiere im Anlagevermögen, da für diese Papiere gemäß § 341 b HGB kein (bilanzielles) Marktänderungsrisiko besteht, und die Berücksichtigung des erhöhten Marktrisikopotentials durch Multiplikation des Marktwertes mit einem Faktor gemäß § 51 Abs. 2 InvG. Bei der Fortschreibung auf den Bilanzstichtag wird angenommen, dass laufende Erträge der Kapitalanlagen in dieselbe Kategorie investiert werden und keine Dividenden anfallen. Auf der Passivseite wird angenommen, dass sich Neugeschäft und Fälligkeiten vollständig kompensieren. Die Deckungsrückstellung wird mit der
130
4 Risikokapital
Summe aus Rechnungszins und Direktgutschrift verzinst, die gebundene RfB mit dem Rechnungszins für ein halbes Jahr. Bei den Schadenreserven sind Preissteigerungen zu berücksichtigen. Die fortgeschriebene Bilanz ist dann folgenden Stressszenarien zu unterziehen: • • • •
Kursverlust von Rentenpapieren um 10% Kursrückgang am Aktienmarkt um 35% Kursverluste von 20% bei Aktien und um 5% bei Renten Kursverluste am Aktienmarkt um 20% und Marktwertverlust von Immobilien um 10%
Bei multiplen Szenarien wird eine Stresskorrelation von +1 unterstellt. Dem Kreditrisiko wird durch zusätzliche vorgegebene Abschläge in Abhängigkeit von den Ratingklassen Rechnung getragen. Absicherungsmaßnahmen und passivseitige Puffer (Eigenmittel, freie RfB, Schlussanteilsfonds) werden berücksichtigt. Der Stresstest gilt in dem jeweiligen Szenario als bestanden, wenn die Kapitalanlagen die Summe der Verpflichtungen und die Solvabilitätsanforderungen übersteigen. Die Stressszenarien orientieren sich an historischen Erfahrungen. Die Aufsicht verknüpft sie jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeiten. Ein nicht bestandener Stresstest stellt einen Anhaltspunkt für eine unzureichende Risikotragfähigkeit des Versicherungsunternehmens dar. Der Fehlbetrag kann jedoch nicht als konkrete Kapitalanforderung interpretiert werden, da der Stresstest pauschale Annahmen verwendet und die Belastungssituation eventuell überzeichnet. Ein nicht bestandener Stresstest löst einen Dialog mit der Aufsicht aus und gibt Anlass, das Risikomanagementsystem nach genauerer Analyse weiterzuentwickeln. Mögliche Erweiterungen aufsichtsrechtlicher Stresstests könnten in der Einbeziehung versicherungstechnischer Risiken, der Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten zu den Stressszenarien oder in der Aufgabe für das Risikomanagement bestehen, unternehmensindividuelle worst case-Szenarien zu bestimmen (Endogenisierung der Szenarien) und die Robustheit der Modellannahmen zu überprüfen.
4.5.4 Monte Carlo Modelle Monte Carlo Modelle sind eng mit szenariobasierten Modellen verwandt. In Monte Carlo Modellen werden automatisch aufgrund vorgegebener Verteilungen oder stochastischer Prozesse Risikoszenarien erzeugt, deren Auswirkung auf das Unternehmen direkt modelliert wird. Damit erhält man eine diskrete Approximation der Gesamtverteilung des Risikos des Unternehmens, so dass beliebige Risikomaße berechnet werden können. Zur Berechnung des Value at Risk zum Konfidenzniveau α muss man zum Beispiel lediglich das Szenario herauspicken, so dass 100 (1 − α)% der Szenarien ein höheren Verlust und alle anderen Szenarien einen niedrigeren Verlust generieren. Zur Berechnung des Expected Shortfalls mittelt man die Verluste derjenigen 100 (1 − α)% Szenarien, die einen höheren Verlust generieren.
4.5 Ansätze zur Modellierung des Risikokapitals
131
Aufgrund der Flexibilität dieser Methode kann man mit der Monte Carlo Methode das Risikokapital beliebig komplexer Unternehmen berechnen. Allerdings ist der Aufwand sehr hoch, und da die Gesamtverteilung numerisch gegeben ist, ist die Interpretation schwieriger als bei analytischen Modellen. Der schematische Aufbau eines Monte Carlo Modells für Versicherungen ist in Abbildung 4.4 dargestellt. ⎧ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎨
externe Einflüsse ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎩
Marktdaten z.B. Zinskurve
Externe Bedingungen z.B. Solvabilität, Investoren
Marktdaten z.B. Mortalität
Kapitalmarktmodell
Modell quantitativer Regulierung etc.
Schadenmodell
Unternehmenspolitik
Vorgaben Passivseite
Unternehmensstrategie
Versicherungsverträge
⎧ ⎪ ⎪ Vorgaben Aktivseite ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ Kapitalanlagen⎪ ⎨ interne bestand Einflüsse ⎪ ⎪ ⎪ Assetallokation ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎩
Steuerungsmechanismen
Ausgangsbestand & Neugeschäft
Stochastische Modellierung des Gesamtsystems Aktiv & Passiv Feedback
Modellierungsergebnis
Abb. 4.4 Schematischer Aufbau der Monte Carlo Modellierung.
4.5.5 Problematik der Rückversicherungsmodellierung Einige der hier vorgestellten Verfahren tun sich schwer mit der Berücksichtigung nicht-proportionaler Rückversicherung. Bei der Rückversicherung entstehen zwei gegenläufige Risikokomponenten: 1. Risikoverminderung als primärer Effekt, 2. Einschränkung der Risikoverminderung durch das Ausfallrisiko des Rückversicherers. Bei einem nicht-proportionalen Rückversicherungsvertrag ist der faktorbasierte Ansatz ungeeignet, da dessen Grundlage die Proportionalität zwischen Schaden und Volumenmaß ist. Analytische Modelle werden durch die Hinzunahme der Rückversicherung schnell so komplex, dass keine leicht zu handhabenden Formeln abgeleitet werden können. Szenariobasierte Modelle und Monte Carlo Modelle können
132
4 Risikokapital
dagegen aufgrund ihrer Flexibilität die Risikoverminderung von nicht-proportionalen Rückversicherungsverträgen prinzipiell gut modellieren. Die Wirkung des Ausfallrisikos des Rückversicherers ist wegen der Retrozession häufig kaum abzuschätzen. Ratings, die sich nicht auf die Erfüllung der Versicherungsverträge, sondern auf die Solvenz des Rückversicherers beziehen, sind daher kein guter Proxy. Außerdem ist der Ausfall von Rückversicherern stark mit katastrophalen Schäden korreliert, ein Effekt, der bei der Nutzung von Ratings ignoriert wird.
4.5.6 Rückkopplung des Investitionsrisikos auf das Kapital Wenn ein Versicherungsunternehmen Risikokapital aufnimmt, wird es dieses Kapital anlegen. In der Regel wird dies keine risikofreie Kapitalanlage sein, sondern der Anlagestrategie der übrigen Assets entsprechen. Um sowohl Kapitalertrag auf Risikokapital als auch die assoziierten Investitionsrisiken zu berücksichtigen, muss man eine implizite Gleichung lösen. Es seien Vt−1 die (ökonomischen) Verbindlichkeiten am Ende des Jahres t − 1, die als Minimalforderung zu Beginn des Jahres t mit Kapital bedeckt sein müssen. Das Anfangskapital A ist ein Parameter für die auf das Jahr bezogene Verlustvariable X, weshalb wir X(A) schreiben. Wenn es keine Rückkopplungseffekte gäbe, könnte man einfach A = Vt−1 setzen und das Risikokapital C˜t durch ρ (X (Vt−1 )) C˜t = (4.3) 1 + st bestimmen, wobei wir berücksichtigt haben, dass ρ(X) der (kumulierte) Verlust am Ende des Jahres ist und somit mit dem risikofreien Zins abgezinst werden muss. Wenn das Kapital C˜t risikofrei angelegt wird, ist es bezüglich ω (nicht aber bezüglich der Zeit) konstant und wir erhalten ρ X Vt−1 + C˜t = ρ (X (Vt−1 )) − (1 + st ) C˜t . Die Bestimmungsgleichung (4.3) für C˜t ist also unter dieser Voraussetzung an das Kapital äquivalent zur impliziten Bestimmungsgleichung 0 = ρ (X (Vt−1 +Ct ))
(4.4)
für Ct . Allerdings bleibt Gleichung (4.4) im Gegensatz zu Gleichung (4.3) auch korrekt, wenn es zu den oben beschriebenen Rückkopplungen kommt. Die implizite Gleichung (4.4) lässt sich in der Regel durch ein iteratives Verfahren lösen. Dazu beobachten wir, dass (in realistischen Situationen) für festes ω die Abbildung A → X(A) monoton fallend ist.6 Damit ist im allgemeinen auch 6
Ein Beispiel für eine Situation, in der die Abbildung nicht monoton fallend ist, könnte eine Geldanlage sein, bei der Kleinanleger unterproportional für das Risiko aufkommen. Ein solches Produkt entspräche sicher nicht den Regeln der freien Marktwirtschaft. Es könnte aber zum Bei-
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
133
Ct → ρ (X (Vt−1 +Ct )) monoton fallend, und wir können ein einfaches Newtonverfahren zur Lösung von Gleichung (4.4) heranziehen. Nichtsdestotrotz ist dieses Verfahren sehr aufwendig, da ρ selbst stochastisch bestimmt wird. Wenn zum Beispiel die Monte-Carlo Methodik angewendet wird, müsste man nicht nur einmal, sondern mehrmals hunderttausende von Szenarien berechnen, um Ct zu bestimmen. In der Praxis wird daher zur Zeit (2010) häufig Gleichung (4.3) benutzt.
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis 4.6.1 Der Schweizer Solvenztest (SST) als Beispiel für die Modellierung des Risikokapitals7 Der SST ist unseres Wissens nach das erste vollständig ökonomisch basierte aufsichtsrechtliche Risikokapitalmodell. Es wurde Anfang des Jahrtausends in Zusammenarbeit der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) mit führenden Versicherungsunternehmen und akademischen Aktuaren entwickelt und ist seit 2008 im regulären Einsatz. Ein prägnantes und wegweisendes Merkmal des SST stellt die Einbeziehung konkreter Extremszenarien (siehe Abschnitt 4.6.1.2) dar. Eine weitere wegweisende Eigenschaft des SST besteht darin, dass Ergebnisse des SST stets Verteilungen sind und damit der Weg zu einem (partiellen) internen Modell konzeptionell vorgezeichnet wird. Im folgenden geben wir eine vereinfachte Beschreibung des SST-Modells für die Schadenversicherung und die Lebensversicherung an. Insbesondere ignorieren wir hier die Rückversicherung, die im SST adressiert wird. Bei jedem Modell müssen Vereinfachungen gemacht werden, und der relativ pragmatische SST ist hierbei keine Ausnahme. Wir werden in diesem Abschnitt ein besonderes Augenmerk auf die von den Vereinfachungen herrührenden Fehler richten. Dadurch ist die Beschreibung an einigen Stellen komplexer als in der Standardquelle [18]. Das Ziel des SST ist es, erstens über die Höhe der Risiken eines Versicherungsunternehmens und zweitens über dessen finanzielle Fähigkeit, diese Risiken zu tragen, eine Aussage zu treffen. Die Höhe des eingegangenen Risikos wird mit dem Zielkapital (Definition 4.7) gemessen. Demgegenüber wird die Fähigkeit, Risiken zu tragen, mit dem risikotragenden Kapital (Definition 4.6) quantifiziert. In diesem Abschnitt bezeichnet ein Zeitindex in eckigen Klammern ([t] ), dass die entsprechende Größe auf Information, die zur Zeit t bekannt ist, basiert. Die spiel bei Privatisierungen wichtiger Versorgungsunternehmen politisch erwünscht sein, um den Besitz einerseits in der Bevölkerung zu streuen, andererseits diese nicht-professionellen Anleger weitgehend vor Marktfluktuationen zu schützen. 7 Dieser Abschnitt enthält eine vereinfachte Beschreibung des Schweizer Solvenztests als Beispiel für ein Risikokapitalmodell in der Praxis. Es besteht kein Anspruch, die Ansichten oder Verordnungen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) korrekt widerzuspiegeln. Leser, die an der praktischen Implementation und offiziellen Interpretation interessiert sind, seien auf die Website der FINMA verwiesen.
134
4 Risikokapital [t]
risikofreie Zinskurve zum Zeitpunkt t (zu Beginn der Periode t + 1) sei mit τ → sτ [t] (τ ≥ t) bezeichnet, wobei sτ gerade der (zum Zeitpunkt t prognostizierte) 1-jährige [t−1] risikofreie Zins für die Periode τ ist. Wir bezeichnen mit st = st den zu Beginn der Periode t ermittelten risikofreien Zins für die Periode t. Anmerkung 4.2. Man beachte, dass die risikofreie Zinskurve s[t] stochastisch ist, falls der Prognosezeitpunkt t in der Zukunft liegt, und ansonsten derterministisch ist. Beginn
Definition 4.6. Es sei At der marktkonsistente Wert der Vermögenswerte (AsBeginn der Erwartungswert des Barwerts der mit sets) zu Beginn der Periode t und Vt der risikolosen Zinskurve diskontierten Verpflichtungen (Liabilities) zu Beginn der Beginn Beginn Beginn = At −Vt Periode t. Dann ist das risikotragende Kapital durch RTKt Ende gegeben. Wir bezeichnen die analogen Werte am Ende der Periode mit At , VtEnde und RTKtEnde . Anmerkung 4.3. Es ist zu beachten, dass die Assets AtBeginn marktkonsistent gemesBeginn . Es wird davon ausgegangen, sen werden, nicht aber die Verpflichtungen Vt dass das Versicherungsunternehmen das Portfolio behält und nur dafür sorgen muss, dass es seine Verpflichtungen decken kann. Daher ist der (real world) Erwartungswert das geeignete Maß, auch wenn das Unternehmen niemanden finden wird, die Verpflichtungen zu diesem Preis zu übernehmen. Die den Verpflichtungen inhärenten Risiken werden durch das Risikokapital erfasst. Definition 4.7. Die Verlustfunktion ist gegeben durch die negative Änderung (Verlust) des risikotragenden Kapitals für das einjährige Risiko, RTKtEnde Beginn − RTKt −Δ RTKt = − . [t−1] 1 + st Das Risikokapital zu Beginn der Periode t ist definiert als der Expected Shortfall der Verlustfunktion zum 99%-Niveau, Reg
Ct
= ES99% (−Δ RTKt ) .
Das Zielkapital zum Zeitpunkt 0 ist die Summe aus dem Risikokapital und der Market Value Margin MVM: Reg
ZKt = Ct
+
MVMt [t−1]
1 + st
.
Anmerkung 4.4. Die Market Value Margin wird durch einen Cost of Capital Ansatz berechnet (siehe 4.4.3.3). Der Marktwert der Verpflichtungen wird durch VtBeginn + MVMt approximiert, und daher wird die Market Value Margin in der Regel als Teil der Verpflichtungen aufgefasst. Im SST werden die Market Value Margin dagegen dem Zielkapital ZKt zugerechnet, da sie sich letztlich aus dem ökonomischen
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
135
Reg
Kapital Ct berechnet. Zur besseren Klarheit werden wir aber im folgenden das Reg Risikokapital Ct und nicht das Zielkapital ZKt benutzen. Wir werden im folgenden das Risikokapital CtReg berechnen. Ziel ist es zunächst, eine Verteilung für −Δ RTKt zu finden, für die dann der Expected Shortfall berechnet werden kann.
4.6.1.1 Kreditrisiko und operationales Risiko Für das Kreditrisiko wird ein einfacher, faktorbasierter Ansatz gewählt, der Basel II folgt. Das Kreditrisiko wird also nicht in das Unternehmensmodell integriert, sondern geht in das Zielkapital als zusätzlicher additiver Term K ein. Operationales Risiko wird im SST nicht berücksichtigt.
4.6.1.2 Berücksichtigung von Szenarien Das SST Standardmodell basiert auf einer analytisch hergeleiteten Verteilungsfunktion für die Änderung Δ RTKt =
RTKtEnde [t−1] 1 + st
Beginn
− RTKt
des risikofrei diskontierten risikotragenden Kapitals (RTK). Da das analytische Modell • nicht alle Risiken betrachtet, • auf teilweise dünner Datenlage gefittet wird, • auf teilweise vereinfachenden, optimistischen Annahmen beruht (Linearisierungen, normalverteilte Marktrisikofaktoren, etc.), muss davon ausgegangen werden, dass die resultierende Verteilung einige Extremsituationen nicht in ausreichendem Umfang berücksichtigt. Eine weitere Anforderung des SST ist daher die Auswertung von Szenarien. Es handelt sich dabei um Ereignisse, welche eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen (typischerweise Jahrhundertereignisse) und das RTK negativ beeinflussen. Beispiele sind der Ausbruch einer Pandemie, Ausfall der Rückversicherer, ein Finanzmarktcrash, markanter Abfall der Sterblichkeit. Ein solches Szenario kann sich gleichzeitig negativ auf die versicherte Schadenhöhe als auch auf die Assetseite auswirken (z.B. hat eine schwere Pandemie starke Auswirkungen auf die globalen Finanzmärkte). Eine Liste von vorgegebenen Szenarien für das SST Standardmodell befindet sich im Abschnitt 5.2.1 in [18]. Beispiel 4.9. Eine Explosion in einer Chemiefabrik. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird mit 0.5% angesetzt. Ein reales Ereignis, das als Vorlage dienen kann, ist der
136
4 Risikokapital
Unfall in Seveso. In diesem Szenario wird ein toxisches Gas freigesetzt. Die Einwohner einer benachbarten Stadt (20.000 Einwohner) sind zu 10% betroffen. Von der betroffenen Bevölkerung sterben 1%, 10% werden dauerhaft invalide, und die restlichen 89% müssen stationär im Krankenhaus behandelt werden (z.B. Rauchvergiftung) und haben eine anschließende Rekonvaleszensphase. Die Belegschaft (500 Mitarbeiter) selbst ist zu 20% betroffen. Da die Mitarbeiter näher am Geschehen waren, werden sie von dem Unfall stärker in Mitleidenschaft gezogen. Von den betroffenen Mitarbeitern sterben 10%, 30% werden dauerhaft invalide, und die restlichen 60% müssen stationär im Krankenhaus behandelt werden und haben eine anschließende Gesundungsphase. Hinzu kommt ein Totalschaden der Fabrik, Sachschaden an der Umgebung (z.B. Gewässerverunreinigung), Schäden an benachbarten Gebäuden und Autos sowie Schmerzensgeldforderungen. Weitere Schäden sind Lohnausfall und Betriebsunterbrechung. Über ihre Funktion als Stressindikatoren hinaus fließen diese Szenarien durch eine Aggregationsmethode direkt ins Zielkapital ein. Außerdem sind diese Szenarien auch zu unterscheiden von einer reinen Sensititvitätsanalyse des RTK bezüglich ausgewählter Risikofaktoren (z.B. Verschiebung der Zinskurve um ±10 Basispunkte).
Integration von analytischem Resultat, Kreditrisiko und Szenarien zur Berechnung der Verteilung von Δ RTKt Im folgenden beschreiben wir die Aggregationsmethode des SST Standardmodells (Abschnitt 5.3 in [18]). Die Szenarien werden formal als Ereignisse S1 , . . . , Sm definiert (im SST Standardmodell ist m ≈ 15). Das Ereignis, dass kein Szenario eintritt, bezeichnen wir mit S0 . Dieses Ereignis entspricht der Hypothese „Normaljahr“, unter welcher eine Verteilungsfunktion F˜0 von −Δ RTKt | S0 hergeleitet wird. Für die Schadenversicherung wird diese Herleitung in Abschnitt 4.6.1.3 und für die Lebensversicherung in Abschnitt 4.6.1.4 analytisch hergeleitet werden. Formal heißt das F˜0 (x) = P[−Δ RTKt ≤ x | S0 ]. Unser Wahrscheinlichkeitsraum berücksichtigt nicht das Kreditrisiko, für das ein deterministisch berechnetes Kapital K separat (siehe Abschnitt 4.6.1.1) bestimmt wird. Dieses Kapital wird additiv, d.h. durch eine Verschiebung der Verteilungsfunktion in unsere Beschreibung integriert: F0 (x) = F˜0 (x − K). Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien sind klein p j = P[S j ] 1 (im SST Standardmodell variiert p j zwischen 0.1% und 1%). Es wird daher angenommen, dass nur ein Szenario pro Jahr eintreten kann (P[Si ∩ S j ] = 0 für i = j und i, j ≥ 1) und somit die Ereignisse S0 , . . . , Sm eine Zerlegung des Wahrscheinlichkeitsraumes bilden. Es folgt p0 = P[S0 ] = 1 − ∑mj=1 P[S j ].
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
137
Für jedes Szenario wird von den zuständigen Aktuaren der zusätzlich verursachte Jahresverlust c j ≥ 0 an risikotragendem Kapital bestimmt. Es wird postuliert, dass die Verteilungsfunktion Fj von −Δ RTKt , bedingt auf das Szenario S j , durch eine Verschiebung von F0 um c j hervorgeht: Fj (x) = P[−Δ RTKt ≤ x | S j ] = F0 (x − c j ) = F˜0 (x − c j − K). Dieser Ansatz ist natürlich eine starke Vereinfachung. In der Realität hat der Eintritt eines Szenarios auch Auswirkungen auf die weiteren Charakteristiken (z.B. Varianz) der Verteilung von Δ RTKt . Die unbedingte Verteilung F von −Δ RTKt ergibt sich schlussendlich einfach durch Mischung F(x) = P[−Δ RTKt ≤ x] =
m
∑ p j Fj (x).
j=0
Abschließend kann für F der Expected Shortfall und somit das Zielkapital berechnet werden. 4.6.1.3 Analytische Herleitung der Verteilungsfunktion F˜0 für die Schadenversicherung Eine Beschreibung des vollen Modells findet man in Abschnitt 4.4 des technischen Dokuments [18].8 CY = [t − 1,t[ sei das Kalenderjahr t, in dem der SST durchgeführt wird (CY: Current Year). Schäden, deren Schadendatum im CY liegt, bezeichnen wir als CYSchäden oder Neuschäden. PY =] − ∞,t − 1[ seien alle vergangenen Jahre vor dem CY (PY: Previous Years). Schäden, deren Schadendatum in den PY liegt, bezeichnen wir als PY-Schäden. Das SST Nicht-Leben Modell basiert somit auf dem Schadenjahrprinzip (oder Anfalljahrprinzip), wo zwischen CY- und PY-Schäden unterschieden wird. Das Zeitmodell für die Beschreibung des Schweizer Solvenztests ist in Abbildung 4.5 dargestellt. Das betrachtete Gesamtrisiko setzt sich zusammen aus den Unsicherheiten • in den Assets (Wertveränderungen und Ausfall, modelliert durch eine Zufallsvariable rt für das (relative) Kapitalanlageergebnis), [t] • in der zukünftigen Zinskurve (sτ , τ ≥ t) mit gleichzeitigen Auswirkungen auf Beginn Beginn und Verpflichtungen Vτ , Assets Aτ • im Schadenaufwand der CY-Schäden und • im Abwicklungsergebnis der PY-Schäden. Die Herleitung von F˜0 erfolgt in den folgenden Schritten: 8
Wir haben einige Bezeichnungen aus [18] geändert und den Konventionen dieses Buches angepasst. Zum Beispiel bezieht sich hier β auf das Ende und nicht auf den Beginn des Jahres.
138
4 Risikokapital [t−1]
st
[t−1]
, rt
Periode t t −1
[t]
Beginn
Beginn
RTKt [t−1]
Beginn
, Vt
, Δ RTKt
[t]
[t+1]
st+2 , st+2 , st+2
Periode t + 1
Periode t + 2 t +1
t Pt , Kt , At
[t−1]
st+1 , st+1
[t]
t +2
[t]
dCY , dPY αt , βt , StCY , RTKtEnde
[t−1]
dPY , dCY
Abb. 4.5 Das Zeitmodell für die Beschreibung des Schweizer Solvenztests.
1. Zerlegung von der Änderung des risikotragenden Kapitals in Δ RTKt = Tris Kap + Terw Kap + Tris Vers + Terw Vers + TFehler , wobei • • • • •
Terw Kap das erwartete Kapitalanlageergebnis, Tris Kap das Risikoergebnis für Kapitalanlage, Terw Vers das erwartete versicherungstechnische Ergebnis, Tris Vers das versicherungstechnische Risikoergebnis, TFehler einen Fehlerterm
bezeichnen (Proposition 4.2 auf Seite 147). Der Fehlerterm wird im SST vernachlässigt. 2. Bestimmung von Terw Kap + Tris Kap . Gleichung (4.11) auf Seite 154 gibt die resultierende Multinormalverteilung an. 3. Bestimmung von Terw Vers + Tris Vers . Dies erfolgt in mehreren Schritten: a. Modellierung der CY-Schäden. i. Zunächst werden die Normalschäden StCY,NS bestimmt. Die Normalschäden werden lognormalverteilt angenommen und in Korollar 4.2 auf Seite 158 angegeben. Lemma 4.4 auf Seite 155 berechnet die Variationskoeffizienten für die Normalschäden der einzelnen Sparten und geht in Korollar 4.2 ein. ii. Dann wird die Verteilung der Großschäden bestimmt. Auf Seite 159 wird die allgemeine Form der Großschadenverteilung angegeben. Die Bestimmung dieser Verteilung wird anhand eines Hagelbeispiels (Beispiel 4.10 auf Seite 159) erklärt. b. Modellierung des PY-Abwicklungsergebnisses. Die Verteilung wird in Proposition 4.3 angegeben. 4. Aggregation der Verteilungen. Die Bestimmung von
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
139
Terw Kap + Tris Kap + Terw Vers + Tris Vers wird auf Seite 164 zusammengefasst. Bevor wir Proposition 4.2 formulieren können, benötigen wir einige Vorbereitungen. [t−1] RPY sei der deterministische Best Estimate der nicht-diskontierten Schadenrückstellungen zu Beginn der Periode t für PY-Schäden. Dies beinhaltet die IBNR („incurred but not (yet) reported“) und Rückstellungen für zukünftige Schadenbearbeitungskosten, die aus allozierbaren Schadenbearbeitungskosten („allocated loss adjustment expenses“ ALAE) und nicht allozierbaren Schadenbearbeitungskosten („unallocated loss adjustment expenses“ ULAE) zusammengesetzt sind (siehe Abschnitt 4.4.2 in [18]). Das zu Beginn der Periode t ermittelte deterministische Zahlungsmuster für die PY-Schäden sei mit (βτ )τ≥t bezeichnet. Es erfüllt die Normierungsbedingung ∑∞ τ=t βτ = 1.
[t]
···
vτ [t−1]
···
vτ 0
···
t −1
···
t +1
t
τ −1
τ
Abb. 4.6 Definition des Diskontierungsfaktors.
Der Diskontierungsfaktor zum Diskontieren eines Cashflows am Ende der Periode τ auf den Zeitpunkt t (zu Beginn der Periode t + 1) ist durch [t]
vτ =
τ
∏
[t] −1
1 + si
i=t+1
gegeben (siehe Abbildung 4.6). Mit [t−1]
dPY =
∞
[t−1]
∑ βτ vτ
τ=t
ist dann der erwartete, auf den Beginn der Periode t bezogene Barwert der Schaden[t−1] [t−1] rückstellungen durch dPY RPY gegeben. Pt sei der deterministische Schätzwert zu Beginn der Periode für die während der Periode t verdiente Prämie. Dieser Schätzwert setzt sich zusammen aus Eingangsprämienübertrag vom vorhergehenden Jahr („Unearned Premium Reserve“) uprt−1 , welcher schon in den Assets AtBeginn enthalten ist, und dem Anteil Pt − uprt−1 , welcher gleich nach Beginn der Periode t eingenommen wird (siehe Abschnitt 4.4.4.1 in [18]). Es wird jedoch kein Neugeschäft nach Ablauf der Periode berücksichtigt. Somit entfällt ein Ausgangsprämienübertrag.
140
4 Risikokapital
Der Barwert der Verpflichtungen zu Beginn der Periode t ergibt sich nun als Beginn
Vt
[t−1]
[t−1]
= uprt−1 + dPY RPY .
(4.5)
AtBeginn kann direkt aus der ökonomischen Bilanz abgelesen werden und umfasst nicht die zu Beginn der Periode t fließenden Prämien oder Kostenabflüsse. Prämien und Kosten, die der Periode t zuzuordnen sind, werden am Ende der Periode in AtEnde erfasst. Zum Zeitpunkt t − 1 zu Beginn der Periode t sind sowohl die Assets AtEnde als auch der Barwert der Verpflichtungen VtEnde Zufallsvariablen, die wir nun bestimmen wollen. Kt sei der deterministische Schätzwert für die während der Periode t anfallenden Verwaltungs- und Betriebskosten. Wir nehmen an, dass Kt gleich zu Beginn der Periode t anfällt. StCY sei der stochastische undiskontierte Schadenaufwand für die während der Periode verkauften Versicherungsverträge. Wir nehmen an, dass das Zahlungsmuster (ατ )τ≥t , also die zeitliche Verteilung der Schadenzahlungen, eine deterministische zum Zeitpunkt t − 1 ermittelte Größe ist. Wir können ohne Einschränkung annehmen, dass das Zahlungsmuster die Normierungsbedingung ∑∞ τ=t ατ = 1 erfüllt. Per Konvention wird angenommen, dass Schadenzahlungen jeweils am Ende der Perioden erfolgen. Die undiskontierten Cashflows für CYSchäden zu den Jahresendzeitpunkten τ sind somit gleich ατ StCY . Analog zur Schadenrückstellung müssen wir wieder zu den diskontierten Werten übergehen. Mit ∞
[t]
dCY =
∑
τ=t+1
[t]
ατ vτ
ergibt sich für den Barwert der Schadenzahlungen, bezogen auf den Zeitpunkt t, der stochastische Wert [t] αt + dCY StCY . Davon fällt der erste Summand αt StCY sofort am Ende der Periode t an, während [t] sich der Rest dCY StCY in den Verbindlichkeiten VtEnde niederschlägt. Die Schadenrückstellungen für PY müssen zum Zeitpunkt t in Anbetracht der Erfahrung aus Periode t neu bewertet werden. Wir modellieren diese Neubewertung durch einen stochastischen Faktor. Das undiskontierte Abwicklungsergebnis ist folglich gleich [t−1] 1 − ctPY RPY . Der stochastische Korrekturfaktor ctPY hat offenbar den Erwar [t−1] tungswert E ctPY = 1, da RPY als Best Estimate definiert wurde. Das heißt, dass im Erwartungswert weder ein Abwicklungsgewinn noch ein Abwicklungsverlust resultiert. Aus unserer Diskussion folgt dann [t−1] AtEnde = (1 + rt ) At + Pt − uprt−1 − Kt − αt StCY − βt ctPY RPY , VtEnde =
[t] [t] [t−1] dCY StCY + dPY ctPY RPY .
(4.6) (4.7)
In Proposition (4.2) werden wir eine eine Approximation für die Verlustfunktion −Δ RTKt angeben. Dabei werden wir versuchen, den Approximationsfehler mög-
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
141
lichst explizit anzugeben. Alle Erwartungswerte und Varianzen werden zum Zeitpunkt t − 1 gebildet. Daher sind alle Größen mit dem Index [t−1] in Bezug auf diese statistischen Größen als konstant anzusehen. Die Abschätzung im folgenden Lemma wird im Beweis von Proposition (4.2) gebraucht werden. [t−1]
≤ smax sowie für alle τ ≥ t [t] [t−1] [t−1] 0 ≤ sτ , sτ − sτ ≤ δ < 1.
Lemma 4.1. Es gelte st
Dann gibt es Zufallsvariablen f˜τ mit f˜τ ≤ 1 und [t] [t−1] [t−1] dCY − αt + E dCY = 1 + st
[t]
[t−1]
E dPY = 1 + st wobei wir
[t−1]
dPY − βt +
∞
∑
ατ f˜τ
∑
βτ f˜τ
τ=t+1 ∞ τ=t+1
∑
[t] ak,τ (δ ) var sk ,
∑
[t] ak,τ (δ ) var sk ,
τ
k=t+1 τ k=t+1
⎞ δ (δit+1 + i − t) + (1 − δ ) 1 − (1 − δ )τ−i ⎠ ⎝ (1 − δ )τ−i+1 ⎛
ai,τ (δ ) =
1 + smax 2δ
gesetzt haben und δit+1 das Kronecker Delta bezeichnet. [t] [t] Anmerkung 4.5. Die Terme f˜τ ∑τk=t+1 ak,τ (δ ) var sk , f˜τ ∑τk=t+1 ak,τ (δ ) var sk beschreiben den Fehler, wenn der Erwartungswert des Abzinsungsfaktors τ [t] −1 E ∏ 1 + sk k=t+1
durch den entsprechenden Wert für den erwarteten Zins, τ
∏
−1 [t] 1 + E sk =
k=t+1
τ
∏
[t−1] −1
1 + sk
k=t+1
ersetzt wird. Es ist also nicht verwunderlich, dass Fehlerterm betragsmäßig dieser [t] um so kleiner ist, je geringer das Zinsrisiko var sk ist. Zum Beweis von Lemma 4.1 benötigen wir das folgende technische Lemma: Lemma 4.2. Für a, b, xk ≥ 0 erfülle gn die Ungleichung gn ≤ a
n−1
gn−1 + ∑ xk + n xn . k=1
142
4 Risikokapital
Ferner gelte g0 = b. Dann gilt n
gn ≤ a b + ∑ k a n
n−k+1
k=1
a n−k a − 1 xk . + a−1
Beweis. Wir beweisen zunächst durch Induktion n
n−1
n−k
k=1
k=1
i=1
gn ≤ hn := an b + ∑ kxk an−k+1 + ∑ xk
∑ ai .
Offenbar gilt h0 = b = g0 und g1 ≤ ag0 + ax1 = ab + ax1 = h1 , wobei wir von der Konvention Gebrauch gemacht haben, dass die Summe über die leere Indexmenge den Wert 0 ergibt. Es gelte für n ≥ 2 die Ungleichung gn−1 ≤ hn−1 . Dann folgt n−1
hn−1 + ∑ xk + n xn
gn ≤ a
k=1
=a a
n−1
n−1
b + ∑ kxk a
n−1−k+1
k=1
n−2
n−1−k
k=1
i=1
+ ∑ xk
n−1
n−2
n−1−k
k=1
k=1
i=1
n
n−2
= an b + ∑ kxk an−k+1 + ∑ xk = an b + ∑ kxk an−k+1 + ∑ xk
∑
n−1
a + ∑ xk + n xn k=1
n−1
∑ xk + a n xn
k=1 n−1 k=1
∑ ai + a ∑ xk
k=1
i=2
n
n−2
n−k
k=1
k=1
i=1
n
n−1
n−k
k=1
k=1
i=1
≤ an b + ∑ kxk an−k+1 + ∑ xk
ai+1 + a
n−k
k=1
= an b + ∑ kxk an−k+1 + ∑ xk
∑
i
∑ ai + axn−1 ∑ ai
= hn . Die Behauptung folgt nun aus n−k
∑ ai =
i=1
an−k+1 − a a n−k = a −1 . a−1 a−1
Beweis von Lemma 4.1. Mit Δτ =
[t] [t−1] sτ − sτ
und
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
143
τ
[t]
∏
vτ =
[t] −1
1 + si
i=t+1
erhalten wir wegen τ
∂ ∂xj
∏
τ
1 1+xj
(1 + xi )−1 = −
i=t+1
∏
(1 + xi )−1
i=t+1
die Abschätzung [t]
vτ = =
τ
∏
[t] −1
1 + si
i=t+1 τ
[t−1] −1
∏
1 + si
i=t+1
=
τ
∏
[t−1]
1 + si
−1
i=t+1 [t−1]
= vτ
=
[t−1]
1 + st
[t−1] [t−1] 1 + st vτ−1 [t−1] 1 + sτ
τ
⎛
j=t+1
⎝1 −
∑
j=t+1 τ
∑
j=t+1
[t−1] −1
1 + si
+ f τ (Δt+1 , . . . , Δτ )
⎞
[t−1]
Δj [t−1]
1+sj Δj
[t−1]
1+sj
i=t+1
1+sj
τ
∑
∏
Δj
j=t+1
⎝1 −
⎛
[t−1]
1+sj τ
⎝1 −
⎛
τ
Δj
∑
−
⎠ + f τ (Δt+1 , . . . , Δτ )
⎞ ⎠ + fτ (Δt+1 , . . . , Δτ )
(4.8)
⎞ ⎠ + f τ (Δt+1 , . . . , Δτ ) , (4.9)
wobei die Funktionen fτ die Bedingung limx→0 fτ (x)/ x = 0 erfüllen. Wir benutzen Gleichung (4.8) für τ − 1 anstatt τ, ⎛ ⎞ [t] [t−1] τ−1 v Δ 1 + s j [t] [t−1] t ⎝1 − ∑ ⎠ + fτ−1 , vτ = τ−1[t] = vτ−1 [t] [t−1] [t] 1 + sτ 1 + sτ 1 + sτ j=t+1 1 + s j um eine Rekursionsformel für den Fehlerterm f τ zu erhalten. Indem wir ⎛ ⎞ ⎞ ⎛ [t−1] τ Δ 1 + s j [t−1] t ⎝1 − ∑ ⎠ + fτ ⎠ 0 = ⎝vτ−1 [t−1] [t−1] 1 + sτ j=t+1 1 + s j ⎛ ⎞ ⎞ ⎛ [t−1] τ−1 Δ f 1 + s j [t−1] τ−1 t ⎝1 − ∑ ⎠+ ⎠ − ⎝vτ−1 [t] [t−1] [t] 1 + sτ 1 + sτ j=t+1 1 + s j mit
144
4 Risikokapital
[t−1] [t] 1 + sτ 1 + sτ [t−1]
1 + st multiplizieren, erhalten wir ⎛ [t−1] [t] 0 = vτ−1 1 + sτ ⎝1 − [t−1]
− vτ−1
⎛
[t−1]
1 + sτ
Δj
∑
[t−1]
1 + sj
j=t+1
⎛
⎝1 −
Δj
∑
[t−1]
1+sj
⎛
[t−1] [t−1] = vτ−1 ⎝ 1 + sτ + Δτ ⎝1 −
[t−1]
− 1 + sτ
[t−1]
1 + sτ
+
[t−1]
1 + st ⎛
[t−1]
+
[t−1]
1 + sτ
[t−1]
1 + st
[t−1]
= vτ−1 Δτ
τ
∑
j=t+1
∑
∑
[t−1]
1 + sj
[t−1]
1 + sτ
f τ−1
[t−1]
−
fτ
1 + st
[t−1]
Δj
1 + st
⎠−
1+sj
τ−1
⎝1 −
[t−1]
Δj
j=t+1
[t] 1 + sτ
⎞
Δτ [t−1]
1 + sτ ⎞⎞
⎠
⎠⎠
[t] 1 + sτ fτ − f τ−1 Δj
∑
⎛
τ−1
j=t+1
τ−1
= vτ−1 Δτ ⎝1 −
⎠+
[t−1]
1 + sτ
⎞
τ−1 j=t+1
⎞
τ
j=t+1
[t−1]
1+sj
−
[t−1] 1 + sτ + Δτ [t−1] 1 + sτ
⎞ ⎠
[t] 1 + sτ fτ − f τ−1 Δj [t−1]
1+sj
+
[t−1]
1 + sτ
[t−1]
1 + st
[t−1] 1 + sτ + Δτ fτ − fτ−1
Es folgt ⎛ fτ =
1 [t−1]
1 + sτ
+ Δτ
⎝ f τ−1 − [t−1]
Mit den Voraussetzungen 0 ≤ st
[t−1]
τ [t−1] v Δ τ τ−1 [t−1] 1 + sτ j=t+1
1 + st
∑
⎞ Δj [t−1]
1+sj
⎠.
≤ smax , Δ j ≤ δ für alle j erhalten wir
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
145
⎞
⎛
τ Δ j 1 ⎝ ⎠ fτ−1 + (1 + smax ) |Δτ | ∑ fτ ≤ [t−1] 1−δ j=t+1 1 + s j ⎛ ⎞ 2 +Δ2 τ Δ 1 ⎝ 1 + smax τ j ⎠ ≤ fτ−1 + ∑ [t−1] 1−δ 2 j=t+1 1 + s j τ−1 1 + smax 1 + s 1 max fτ−1 + (τ − t) Δτ2 + ≤ ∑ Δ 2j . 1−δ 2 2 j=t+1 Mit n = τ − t,
a=
1 , 1−δ
2 xk = Δt+k ,
gk =
2 ft+k (k ≥ 1) 1 + smax
erhalten wir mit Gleichung (4.8) und |Δτ | ≤ δ die Abschätzungen 2 ft+1 1 + smax Δt+1 2 [t] [t−1] [t−1] v − vt+1 1 + st 1− = [t−1] 1 + smax t+1 1 + st+1 [t−1] 1 + st+1 − Δt+1 1 2 1 − = [t−1] 1 + smax 1 + s[t−1] + Δt+1 1 + s[t−1] 1 + st+1 t+1 t+1 [t−1] 2 [t−1] [t−1] 1 + st+1 − 1 + st+1 + Δt+1 1 + st+1 − Δt+1 2 = 1 + smax [t−1] [t−1] 2 1 + st+1 + Δt+1 1 + st+1
g1 =
2 Δt+1 [t−1] [t−1] 2 1 + st+1 + Δt+1 1 + st+1
=
2 1 + smax
≤
2 +Δ2 Δt+1 Δ 2 + x1 t+1 2 = a(Δt+1 ≤ t+1 + x1 ) 1 + Δt+1 1−δ
und gn =
2 ft+n 1 + smax
2 1 + smax 1 + smax 1 2 ≤ + ft+n−1 + n Δt+n 1 + smax 1 − δ 2 2 n−1 1 gn−1 + n xn + ∑ xk . = 1−δ k=1
t+n−1
∑
Δ 2j
j=t+1
2 setzen. Aus LemDiese Ungleichung ist auch für n = 1 erfüllt, wenn wir g0 = Δt+1 ma 4.2 erhalten wir die Abschätzung
146
4 Risikokapital
1 + smax fτ ≤ 2 =
1 + smax 2δ τ
∑
=
2 τ Δt+1 + ∑ (1 − δ )τ−t i=t+1
i−t
1 + δ
1
(1 − δ )τ−i (1 − δ )τ−i+1 t+1 τ δ (δi + i − t) + (1 − δ ) 1 − (1 − δ )τ−i Δi2 ∑ τ−i+1 (1 − δ ) i=t+1
−1
Δi2
ai,τ (δ ) Δi2 .
i=t+1
Erwartungswertbildung von Gleichung (4.8) liefert dann =0
[t]
E vτ
[t−1]
− 1 + st
[t−1]
vτ
[t−1]
= −vτ
[t−1]
1 + st
E (Δ j )
τ
∑
[t−1]
1 + sj
j=t+1
= E ( fτ ) ≤
τ
∑ ak,τ (δ ) E
Δi2
k=2 τ
=
∑
[t] ai,τ (δ ) var si .
τ
∑
ai,τ (δ ) var (Δi ) =
i=t+1
+ E ( fτ )
i=t+1
[t] [t] Es gibt also eine Funktion f˜τ st+1 , . . . , sτ mit f˜τ ≤ 1 und [t] [t−1] [t−1] vτ + f˜τ E vτ = 1 + st
[t] ai,τ (δ ) var si .
τ
∑
i=t+1
Damit ergibt sich [t] E dCY = = =
∑
[t] ατ E v τ
∑
[t−1] [t−1] vτ + ατ 1 + st
∞
τ=t+1 ∞ τ=t+1 ∞
∑ ατ
τ=t
+
∞
∑
τ=t+1
[t−1]
1 + st ατ f˜τ
τ
∑
[t−1]
vτ
∞
∑
τ=t+1
τ
∑
ατ f˜τ
[t] ai,τ (δ ) var si
i=t+1
[t−1]
− αt 1 + st
[t−1]
vt
[t] ai,τ (δ ) var si
i=t+1
[t−1] [t−1] dCY − αt + = 1 + st
∞
∑
τ=t+1
τ
ατ f˜τ
∑
[t] ai,τ (δ ) var si
i=t+1
und analog [t] [t−1] [t−1] E dPY = 1 + st dPY − βt +
∞
∑
τ=t+1
βτ f˜τ
τ
∑
i=t+1
[t] ai,τ (δ ) var si .
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
147
Lemma 4.3. a, b seien Zufallsvariablen und Δ a = a − E(a), Δ b = b − E(b). Dann gilt a b = E(a) E(b) + E(a) Δ b + Δ a E(b) + Δ a Δ b, E(a b) = cov(a, b). Beweis. Die Behauptung folgt unmittelbar aus der Expansion von a b = (E(a) + Δ a) (E(b) + Δ b) . Wir können nun eine Abschätzung für die Verlustfunktion angeben: [t−1]
≤ smax sowie für alle τ ≥ t [t] [t−1] [t−1] 0 ≤ sτ , sτ − sτ ≤ δ < 1.
Proposition 4.2. Es gelte st
Dann ist die Verlustfunktion durch −Δ RTKt = − (Tris Kap + Terw Kap + Tris Vers + Terw Ver + TFehler ) , gegeben, wobei Tris Kap =
rt − E (rt ) [t−1] 1 + st
Beginn + Pt At
[t]
βt + dPY
− uprt−1 − Kt −
[t−1] − dCY [t−1] 1 + st
[t−1] [t−1] RPY , − − dPY [t−1] 1 + st [t−1] E (rt ) − st Beginn + P − upr − K A , Terw Kap = t t t t−1 [t−1] 1 + st [t−1] [t−1] [t−1] Tris Vers = −dCY StCY − E StCY − dPY ctPY − 1 RPY , [t−1] Terw Vers = Pt − Kt − dCY E StCY ,
⎞ [t] τ ˜ α a (δ ) var sk f ∑∞ ∑ τ=t+1 τ τ k=t+1 k,τ ⎝ ⎠ + TFehler = − [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st × StCY − E StCY ⎞ ⎛ [t] [t] [t] ˜ τ dPY − E dPY ∑∞ τ=t+1 βτ f τ ∑k=t+1 ak,τ (δ ) var sk ⎠ −⎝ + [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st [t−1] × ctPY − 1 RPY ⎛
[t] [t] dCY − E dCY
[t]
αt + dCY
E StCY
148
4 Risikokapital
sind und ak,τ (δ ) in Lemma (4.1) definiert wurde. Beweis. Die Gleichungen (4.5), (4.6), (4.7) implizieren ein risikotragendes Kapital von Beginn
[t−1]
Beginn
= At
[t−1]
− uprt−1 − dPY RPY , Beginn + Pt − uprt−1 − Kt RTKtEnde = (1 + rt ) At [t] [t] [t−1] − αt + dCY StCY − βt + dPY ctPY RPY .
RTKt
Damit erhalten wir die Verlustverteilung Δ RTKt = =
RTKtEnde [t−1]
1 + st 1 + rt
Beginn
− RTKt
AtBeginn + Pt − uprt−1 − Kt
[t−1]
1 + st [t] [t] [t−1] αt + dCY StCY + βt + dPY ctPY RPY − [t−1] 1 + st Beginn
=−RTKt
− =
[t−1]
1 + st
[t−1]
rt − st
[t−1]
Beginn
At
[t−1]
1 + st
[t−1]
[t−1]
+ Pt − uprt−1 − Kt + Pt − Kt + dPY RPY
[t−1] [t−1] AtBeginn + Pt − uprt−1 − Kt + Pt − Kt + dPY RPY
1 + st [t] [t] [t−1] αt + dCY StCY + βt + dPY ctPY RPY − . [t−1] 1 + st
Wir können die rechte Seite in Beiträge aus dem erwarteten Kapitalanlageergebnis, Ierw Kap , aus dem Kapitalanlagerisiko, Iris Kap , aus dem erwarteten versicherungstechnischen Ergebnis, Ierw Vers , und drei Resttermen, IR,1 , IR,2 , IR,3 , zerlegen:
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
Δ RTKt =
=Ierw Kap
[t−1] E (rt ) − st
AtBeginn + Pt − uprt−1 − Kt
[t−1]
1 + st +
=Iris Kap
rt − E (rt ) [t−1]
1 + st
149
AtBeginn + Pt
=Ierw Vers
− uprt−1 − Kt + Pt − Kt
=IR,2
=IR,3
[t] [t] [t−1] CY PY αt + dCY St βt + dPY ct RPY [t−1] [t−1] + dPY RPY − − [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st =IR,1
(4.10)
CY Wir benutzen CYnun Lemmata (4.1) und (4.3), um IR,2 zu vereinfachen. Mit Δ St = CY St − E Δ St erhalten wir [t]
IR,2 =
αt + dCY
[t−1] 1 + st
StCY
[t] [t] α αt + E dCY + E d t CY = E StCY + Δ StCY [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st [t] [t] [t] [t] dCY − E dCY CY dCY − E dCY + E St + Δ StCY [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st [t] [t] [t] − E d d CY CY αt + dCY = E StCY + Δ StCY [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st [t−1] [t−1] [t] ˜ τ 1 + st dCY + ∑∞ τ=t+1 ατ f τ ∑k=t+1 ak,τ (δ ) var sk + Δ StCY [t−1] 1 + st =ICY,ris Kap
=ICY,ris Vers [t] CY αt + dCY [t−1] CY [t−1] [t−1] = dCY E St + − dCY E St + dCY Δ StCY [t−1] 1 + st =ICY,erw Vers
=ICY,Fehler
+
[t] [t] [t] ∞ ˜ dCY − E dCY + ∑τ=t+1 ατ fτ ∑τk=t+1 ak,τ (δ ) var sk
Analog erhalten wir
[t−1] 1 + st
Δ StCY
150
4 Risikokapital [t]
IR,3 =
βt + dPY
[t−1] cPY RPY [t−1] t 1 + st =IPY,ris Kap
=IPY,ris Vers [t] [t−1] βt + dPY [t−1] [t−1] [t−1] [t−1] [t−1] PY c d = dPY RPY + − d + − 1 R R t PY PY PY PY [t−1] 1 + st =IR,1
=IPY,Fehler
+
[t] [t] [t] ∞ τ ˜ dPY − E dPY + ∑τ=t+1 βτ fτ ∑k=t+1 ak,τ (δ ) var sk
[t−1] ctPY − 1 RPY .
[t−1] 1 + st
Die Behauptung folgt mit Terw Kap = Ierw Kap , Tris Kap = Irisk Kap − ICY,risk Kap − IPY,risk Kap , Tris Vers = −ICY,ris Vers − IPY,ris Vers , Terw Ver = Ierw Vers − ICY,erw Vers , TFehler = −ICY,Fehler − IPY,Fehler . Korollar 4.1.
StCY
und
ctPY
seien unabhängig von
[t−1]
E (rt ) − st
E (Δ RTKt ) =
Beginn
At
[t−1]
1 + st
[t] sτ
+ Pt − uprt−1 − Kt
[t−1] + Pt − Kt − dCY E StCY . ∞ α E SCY + β R[t−1] τ τ PY t +c ∑ [t−1] 1 + st τ=t+1 wobei |c| ≤ 1.
τ
∑
[t] ak,τ (δ ) var sk ,
k=t+1
+ Pt − uprt−1 − Kt repräsentiert [t−1] das erwartete Kapitalanlageergebnis, der Term Pt − Kt − dCY E StCY das erwartete versicherungstechnische Ergebnis, und schließlich [t−1]
Der Term (E (rt ) − st
∞
c
∑
τ=t+1
[t−1] −1 )
)(1 + st
für alle τ ≥ t + 1. Dann gilt
Beginn
At
[t−1] ατ E StCY + βτ RPY [t−1]
1 + st
τ
∑
[t] ak,τ (δ ) var sk
k=t+1
die Unsicherheit über die Prognose der Zinskurve zum Zeitpunkt t. Beweis von Korollar 4.1. Da für unabhängige Zufallsvariablen a, b die Identität E (a b) = E (a) E (b) gilt, verschwindet der Erwartungswert von TFehler . Daher erhalten wir mit Lemma 4.1
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
E (Δ RTKt ) =
[t−1]
E (rt ) − st
151
[t−1] AtBeginn + Pt − uprt−1 − Kt + Pt − Kt − dCY E StCY
[t−1]
1 + st [t] [t] CY αt + dCY βt + dPY [t−1] [t−1] [t−1] − dCY − dPY −E E St RPY −E [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st [t−1] E (rt ) − st [t−1] Beginn A + Pt − Kt − dCY E StCY = + P − upr − K t t t t−1 [t−1] 1 + st ∞ α E SCY + β R[t−1] τ τ τ PY t ˜τ × ∑ ak,τ (δ ) var s[t] . − ∑ E f k [t−1] 1 + st τ=t+1 k=t+1
Die Behauptung folgt, da [t−1] ατ E StCY + βτ RPY [t−1] 1 + st
τ
∑
[t] ak,τ (δ ) var sk ≥ 0
k=t+1
für alle τ und E f˜τ ≤ E f˜τ ≤ E (1) = 1 gilt.
Anmerkung 4.6. Der Fehlerterm TFehler kann in einen durch die Varianz des risikofreien Zinses dominierten Term, TError,1 = −
∞
∑
τ=t+1
[t−1] ατ StCY − E StCY + βτ ctPY − 1 RPY ×
[t] f˜τ ∑τk=t+1 ak,τ (δ ) var sk [t−1]
1 + st
und einen von quadratischen Abweichung vom Erwartungswert dominierten Term, [t] [t] [t] [t] d dCY − E dCY − E dPY CY [t−1] PY CY St − E St − ctPY − 1 RPY TError,2 = − [t−1] [t−1] 1 + st 1 + st aufgespalten werden. f˜τ nur Der Term TError,1 ist nicht explizit gegeben, da von der Zufallsvariable f˜τ ≤ 1 bekannt ist. Da ατ SCY − E SCY + βτ cPY − 1 R[t−1] im Verhältnis t
t
t
PY
zu den anderen Termen im allgemeinen nicht klein ist, kann dieser Term nur ver [t] nachlässigt werden, wenn var sτ 1 für alle τ ≥ t gilt. Davon kann allerdings im allgemeinen nicht ausgegangen werden. Der Term TError,2 ist dann klein relativ zu den anderen Termen, wenn Abweichungen vom Erwartungswert klein sind. Auch hiervon kann im allgemeinen nicht ausgegangen werden. Im Schweizer Solvenztest wird der Fehlerterm TFehler aus Gründen der Vereinfachung weggelassen.
152
4 Risikokapital
Anmerkung 4.7. Für die stochastischen Prozesse, die gängiger Weise zur Beschreibung der Zinskurve benutzt werden, gibt es keine Konstanten smax und δ < 1 mit [t] [t−1] [t−1] ≤ smax und sτ − sτ ≤ δ . Um Proposition 4.2 anwenden zu können, 0 ≤ sτ muss man daher in einem weiteren Schritt sicherstellen, dass die Ungleichungen für geeignete smax , δ < 1 nur auf einer „kleinen“ Menge verletzt sind und diese Verletzung für den zu berechnenden Wert vernachlässigt werden kann. Ist dies nicht möglich, ist möglicherweise die Wahl des Zinsprozesses problematisch, da argumentiert werden kann, dass diese Menge Extremszenarien darstellt, für die das Zinsmodell ohnehin die Grenze seiner Aussagekraft erreicht hat. Bestimmung von Terw Kap + Tris Kap : Modellierung des Markt- und ALM-Risikos Das Markt- und ALM-Risiko wird auf Basis linearer Sensitivitäten und einer Multinormalverteilungsannahme modelliert. Die FINMA definiert zunächst n Marktrisikofaktoren X = (X1 , . . . , Xn ), die zur Bestimmung des Markt- und ALM-Risikos herangezogen werden können. Anmerkung 4.8. Im Jahr 2010 wurden zum Beispiel n = 77 stochastische Faktoren vorgegeben: • i ∈ {1, . . . , 13}: Risikofaktoren, die die risikofreie CHF-Zinskurve beschreiben, i.e., [t−1] [t−1] [t−1] [t−1] [t−1] (X1 , . . . , X13 ) = st , . . . , st−1+10 , st−1+15 , st−1+20 , st−1+30 , • • • • • • • • • • • • •
i ∈ {14, . . . , 26}: Risikofaktoren, die die risikofreie e-Zinskurve beschreiben, i ∈ {27, . . . , 39}: Risikofaktoren, die die risikofreie USD-Zinskurve beschreiben, i ∈ {40, . . . , 52}: Risikofaktoren, die die risikofreie GBP-Zinskurve beschreiben, i ∈ {53}: Risikofaktor für Implied Volatility Yield, i ∈ {54, . . . , 57}: Risikofaktoren für US Spreads: AAA, AA, A, BBB, i ∈ {58, . . . , 61}: Risikofaktoren für Wechselkurse CHF-EUR, CHF-USD, CHFGBP, CHF-JPY, i ∈ {62}: Risikofaktor für Implied Volatility: USD/CHF 3M, i ∈ {63, . . . , 69}: Risikofaktoren für Aktienindizes, i ∈ {70}: Risikofaktor für Implied Volatility: VIX, Chicago Board Options Exchange Volatility Index, i ∈ {71, . . . , 74}: Risikofaktoren für Real Estate Indizes, i ∈ {75}: Risikofaktor für Hedge Funds, i ∈ {76}: Risikofaktor für Private Equity, i ∈ {77}: Risikofaktor für Beteiligungen.
Ferner wird angenommen, dass X multinormalverteilt ist. FINMA stellt E (X) und die Korrelationsmatrix Σi j = cov (Xi , X j ) / (E (Xi ) E (X j )) zur Verfügung. Unter der Annahme, dass es keine anderen Marktrisikofaktoren gibt, hängen
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
TA =
153
rt
AtBeginn + Pt − uprt−1 − Kt ,
[t−1] 1 + st
und TL =
[t]
αt + dCY
[t−1] − dCY [t−1] 1 + st
E
StCY
+
[t]
βt + dPY
[t−1] − dPY [t−1] 1 + st
[t−1]
RPY
nur von X = (X1 , . . . , X13 ) ab. Man kann also Funktionen gA : Rn → R, gL : Rn → R bestimmen, so dass gA (X) = TA , gL (X) = TL gilt. In einer Umgebung von E(X) ∈ Rn gibt es (beschränkte) Funktionen giAj , giLj mit ∂ gA (Xi − E (Xi )) i=1 ∂ Xi |E(X) n
gA (X) − gA (E (X)) = ∑
n
∑
+
ij
gA (X) (Xi − E (Xi )) (X j − E (X j )) ,
i, j=1
∂ gL (Xi − E (Xi )) i=1 ∂ Xi |E(X) n
gL (X) − gL (E (X)) = ∑ +
n
∑
ij
gL (X) (Xi − E (Xi )) (X j − E (X j )) .
i, j=1
Mit kAi =
∂ gA i ∂ Xi |E(X) , kL
=
∂ gL ∂ Xi |E(X)
erhalten wir die Gleichung
Tris Kap + Terw Kap = gA (X) − gL (X) −
[t−1]
st
[t−1]
1 + st
Beginn
At
+ Pt − uprt−1 − Kt
n = gA (E (X)) − gL (E (X)) + ∑ kAi − kLi (Xi − E (Xi ))
i=1 [t−1] s − t [t−1] AtBeginn + Pt − uprt−1 − Kt 1 + st n + giAj (X) − giLj (X) (Xi − E (Xi )) (X j − E (X j )) i, j=1
∑
Im Schweizer Solvenztest wird der nicht-lineare Term n ∑ giAj (X) − giLj (X) (Xi − E (Xi )) (X j − E (X j )) i, j=1
vernachlässigt. Damit erhält man approximativ die Multinormalverteilung
154
4 Risikokapital
Tris Kap + Terw Kap ≈ gA (E (X)) − gL (E (X)) [t−1] s Beginn + Pt − uprt−1 − Kt − t [t−1] At 1 + st n j j + ∑ kA − kL (X j − E (X j )) .
(4.11)
j=1
Anmerkung 4.9. Der Erwartungswert der Marktfaktoren, E(X) und die Korrelationsmatrix Σ von X werden von der FINMA bereitgestellt. Die Konstanten gA (E (X)), gL (E (X)) lassen sich direkt aus dem internen Modell bestimmen. Die Eingabe[t−1] Beginn , Pt , uprt−1 , Kt sind bekannt. Die Konstanten kAi , kLi können größen st , At Versicherer für ihr eigenes Portfolio numerisch über Sensitivitäten bestimmen: gA (. . . , E (X j ) + Δ X j , . . . ) − gA (. . . , E (X j ) , . . . ) , Δ Xj gL (. . . , E (X j ) + Δ X j , . . . ) − gL (. . . , E (X j ) , . . . ) , kLj ≈ ΔXj
kAj ≈
Damit ist die Multinormalverteilung für Tris Kap + Terw Kap bekannt. Anmerkung 4.10. Dieses Modell ist sehr ähnlich zum Risk Metrics Modell. Sein Vorteil ist seine Einfachheit. Allerdings kann es zu optimistisch sein, Marktrisikofaktoren als multivariat normalverteilt anzunehmen. Zudem werden durch die Linearisierung Konvexitätseffekte außer Acht gelassen, da der Term n
∑
giAj (X) − giLj (X) (Xi − E (Xi )) (X j − E (X j ))
i, j=1
vernachlässigt wird. Da der SST auf die Verlustverteilung weitab vom Erwartungswert abzielt, kann im allgemeinen nicht davon ausgegangen werden, dass der dabei entstehende Fehler klein ist.
Modellierung der CY -Schäden Der undiskontierte Jahresschadenaufwand kann im Prinzip als stochastische Summe StCY =
N
∑ Yj
j=1
von Einzelschäden Y j dargestellt werden, wobei N die zufällige Anzahl der Schäden in Periode t angibt. Die Verteilung von StCY könnte somit grundsätzlich durch Normalapproximation (zentraler Grenzwertsatz) oder mit Hilfe des Panjer Algorithmus bestimmt werden. In der Praxis stellt sich jedoch heraus, dass beide Ansätze versagen. Einer brauchbaren Normalapproximation steht entgegen, dass die Verteilungen
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
155
von Y j sehr fat-tailed sind. Der Panjer Algorithmus versagt wegen der oftmals sehr großen Schadenanzahl (typischerweise von der Größenordnung 106 ). Der Jahresschadenaufwand wird daher aufgeteilt in eine Summe von Kleinschäden (Normalschäden) und Großschäden StCY = StCY,NS + StCY,GS . Im Rahmen des SST stehen als Grenze zwischen Klein- und Großschäden CHF 1M und CHF 5M zur Auswahl. Die Anzahl der Großschäden ist klein, so dass die Verteilung von StCY,GS mit Hilfe des Panjer Algorithmus bestimmt werden kann. Die Anzahl der Normalschäden ist zwar weiterhin sehr groß, jedoch sind diese thintailed, so dass der zentralen Grenzwertsatz anwendbar wird. Im Rahmen des SST wird angenommen, dass die Großschäden unabhängig von den Normalschäden sind. Die Aggregation der beiden Schadentypen zu StCY ergibt sich somit mittels Faltung der beiden Verteilungen von StCY,NS und StCY,GS . Verteilung der Normalschäden Wir betrachten zunächst die Normalschadenverteilung für eine feste Versicherungssparte k. Die Normalschadenverteilung hängt sowohl vom unternehmensindividuellen Zufallsrisiko als auch von äußeren Umständen ab, die für alle Versicherer nahezu gleich sind. Letzteres wollen wir durch die diskrete Zufallsvariable Θ : Ω → N beschreiben. Ist a : Ω → R eine Zufallsvariable, so schreiben wir [a | Θ = ϑ ] : Θ −1 (ϑ ) → R für die auf {Θ = ϑ } bedingte Zufallsvariable. Im Beweis des nachfolgenden Lemmas benötigen wir das Gesetz der totalen Varianz, das wir zunächst beweisen wollen. Lemma 4.4. Es seien a, b Zufallsvariablen. Dann gilt das Gesetz der totalen Varianz var (a) = var (E (a | b)) + E (var (a | b)) , wobei die bedingte Varianz durch var(a | b) = E a2 | b − E(a | b)2 definiert ist. Beweis. Wir berechnen var(a) = E a2 − E (a)2 = E E a2 | b − E (E(a | b))2 = E var(a | b) + E(a | b)2 − E (E(a | b))2 = E(var(a | b)) + var(E(a | b)). Lemma 4.5. Für die Sparte k seien die externen Eigenschaften durch eine diskrete Zufallsvariable Θ k und der Schaden durch eine Zufallsvariable der Form
156
4 Risikokapital
StCY,NS,k =
Nk
∑ Y jNS,k
j=1
gegeben. Es gelten folgende Eigenschaften: 6 5 6 5 ( j ∈ N) unabhän(i) Für jedes ϑ sind Y jNS,k | Θ k = ϑ ∼ Y1NS,k | Θ k = ϑ gig und identisch verteilt; (ii) es existiert eine messbare Abbildung λkNS : Θ k (Ω ) → R, so dass 5 6 Nk | Θ k = ϑ ∼ Poisson λkNS (ϑ ) für alle ϑ ∈ Θ k (Ω ) gilt; (iii) für jedes i ∈ N und jedes ϑ ∈ Θ k (Ω ) sind 6 5 6 5 Nk | Θ k = ϑ und YiNS,k | Θ k = ϑ unabhängig; (iv) die Zufallsvariablen λkNS ◦Θ k und E Y1NS,k | Θ k sind unabhängig; 2 (v) die Zufallsvariablen λkNS ◦Θ k und E Y1NS,k | Θ k sind unabhängig. Dann ist der Variationskoeffizient vk der Schadenverteilung durch var E StCY,NS,k | Θ k vk2 Y1NS,k − 1 + vk2 StCY,NS,k = E (Nk ) E2 StCY,NS,k gegeben. Anmerkung 4.11. Die Unabhängigkeit von λkNS ◦Θ k und E
(4.12)
2 Y1NS,k | Θ k ist ge-
k k NS k in zweiunabhängige Teile währleistet, fallsΘ k = (ΘNk ,ΘYk ) ΘN , ΘY mit λk ◦Θ = 2 2 λkNS ◦ΘNk und E Y1NS,k | Θ k = E Y1NS,k | ΘYk zerfällt.
Beweis von Lemma 4.5. Das Gesetz der totalen Varianz (Lemma 4.4) impliziert var StCY,NS,k vk2 StCY,NS,k = 2 E StCY,NS,k var E StCY,NS,k | Θ k E var StCY,NS,k | Θ k = + . 2 2 E StCY,NS,k E StCY,NS,k Für jede Zufallsvariable a gilt E(a | Θ k )|{Θ k =ϑ } = E([a | Θ k = ϑ ]). Daher gilt
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
157
E Nk | Θ k = var Nk | Θ k = λkNS (ϑ ), und wir erhalten var StCY,NS,k | Θ k
5 6 CY,NS,k k = var S | Θ = ϑ t |{Θ k =ϑ } 6 5 6 5 = E Nk | Θ k = ϑ var Y1NS,k | Θ k = ϑ 6 5 62 5 + var Nk | Θ k = ϑ E Y1NS,k | Θ k = ϑ 5 62 NS,k NS k = λk (ϑ ) E Y1 |Θ =ϑ .
Für den Erwartungswert folgt E var
StCY,NS,k
|Θ
k
2 NS,k , = E (Nk ) E Y1
wobei wir von Annahme (v) Gebrauch gemacht haben. Annahme (iv) impliziert E StCY,NS,k = E E StCY,NS,k | Θ k = E λkNS ◦Θ k E Y1NS,k = E (Nk ) E Y1NS,k , so dass wir insgesamt 2 NS,k CY,NS,k E (Nk ) E Y1 var E St | Θk vk2 StCY,NS,k = + 2 2 E StCY,NS,k E (Nk )2 E Y1NS,k = vk2 E StCY,NS,k | Θ k 2 2 2 − E Y1NS,k + E Y1NS,k E Y1NS,k + 2 E (Nk ) E Y1NS,k vk2 Y1NS,k − 1 = vk2 E StCY,NS,k | Θ k + E (Nk ) erhalten.
Anmerkung 4.12. Der erste Summand in Gleichung (4.12) beschreibt das Parameterrisiko, also die Variabilität der Modellparameter, verursacht durch äußere Umstände, die durch die Zufallsvariable Θ beschrieben werden. Dieses Risiko betrifft zwar nicht vollständig, aber im Wesentlichen alle Gesellschaften gleich. Daher kann dieser Term nicht wegdiversifiziert werden.
158
4 Risikokapital
Der zweite Summand in Gleichung (4.12) beschreibt das Zufallsrisiko, also die statistischen Schwankungen von Schadenanzahl und -höhe um ihren Erwartungs wert. Der Term setzt sich aus einer spartenabhängigen Größe vk2 Y1NS,k für die Einzelschadenhöhe und der erwarteten Anzahl von Schäden, E (Nk ), zusammen. FINMA ermittelt auf Basis von Gemeinschaftsstatistiken der Versicherer Stan dardwerte für die Variationskoeffizienten vk E StCY,NS,k | Θ des Parameterrisikos pro Sparte k und stellt sie für die SST Anwendung zur Verfügung (Anhang 8.4.3 in [18]). Ebenso werden von FINMA im Rahmen des SST Standard Nicht-Leben werte pro Sparte für die Variationskoeffizienten vk Y1NS,k der Einzelschadenverteilungen vorgegeben (Anhang 8.4.4 in [18]). Schließlich gibt FINMA die Korrelationskoeffizienten ζk,l der Sparten (Anhang 8.4.2 in [18]) vor. Korollar 4.2. Die Summe StCY,NS der Normalschäden über alle Sparten sei lognormalverteilt. Die Verteilung ist eindeutig durch E StCY,NS = ∑ E StCY,NS,k = ∑ E (Nk ) E Y1NS,k k
k
und
var StCY,NS = ∑ ζkl vk StCY,NS,k vk StCY,NS,l E StCY,NS,k E StCY,NS,l . k,l
bestimmt. Neben den von FINMA vorgegebenen müssen die Versicherer lediglich Größen NS,k sowie die erwarteten Schadenzahden erwarteten Durchschnittsschaden E Y1 len E (Nk ) unternehmensindividuell ermitteln, um die Schadenverteilung zu bestimmen. Verteilung der Großschäden Die Großschäden umfassen sowohl Einzelgroßschäden (pro Sparte) als auch Kumulschäden, verursacht z.B. von Naturereignissen wie Hagel oder Überschwemmung. Kumulschäden können branchenübergreifend sein (beispielsweise betrifft ein Hagelsturm die Sachversicherung, vor allem aber auch die Motorfahrzeugkaskoversicherung). Die Einzelgroßschadensumme wird durch eine zusammengesetzte Poissonverteilung mit paretoverteilten Einzelschäden (mit Abschneidepunkt) modelliert. Die Großschadensumme für die Sparte k ist dann StCY,GS,k
=
N GS,k
∑
j=1
Y jGS,k ,
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
159
wobei die Zufallsvariablen Y jGS,k unabhängig, unabhängig von N GS,k und identisch verteilt sind. Die zugehörige Verteilungsfunktionen sind von der Form ⎧ ⎪ ⎪ ⎨0 αk x < βk FY GS,k (x) = 1 − βxk βk ≤ x < γk . ⎪ 1 ⎪ ⎩1 γ ≤x k
Dabei ist γk der Abschneidepunkt der Verteilung. Er ist dadurch motiviert, dass es in der Praxis vertraglich vereinbarte maximale Schadenhöhen gibt. Der Abschneiwerden, allerdepunkt γk kann vom Versicherer unternehmensindividuell bestimmt
dings schlägt FINMA für jede Sparte Werte für γk vor. βk ∈ 106 CHF, 5 · 106 CHF ist die gewählte Grenze zwischen Klein- und Großschäden. αk > 0 beschreibt das Abfallverhalten der Verteilung, und Werte für αk werden von FINMA in Abhängig keit von βk vorgegeben. Die Großschadenanzahl pro Sparte, N GS,k ∼ Poisson λkGS , wird als poissonverteilt angenommen und unternehmensindividuell bestimmt. Die Modellierung der Kumulschäden aufgrund von Hagelereignissen und in der Unfallversicherung wird ausführlich in den Abschnitten 4.4.8.1 und 4.4.8.2 in [18] beschrieben. Die Verteilungsannahmen sind analog denen für die Einzelgroßschadenverteilungen, allerdings werden die Parameter anders bestimmt, da zunächst eine Schadenverteilung für die Gesamtindustrie vorgegeben wird, die für die einzelnen Versicherungsunternehmen skaliert werden muss. Beispiel 4.10. Wir nehmen an, dass der Index k = H Kumulschäden für Hagel beschreibt. Die zu einem Kumulschaden zusammengefassten Einzelschäden sind in der Regel von der gleichen Größenordnung wie Normalschäden, rühren jedoch von einem gemeinsamen Hagel her. Für diesen Fall wird von FINMA αH = 1.85 und γH = 1.5 × 109 CHF vorgegeben. Der Kumulschaden für die Gesamtindustrie wird durch eine Verteilung mit λHGS, Markt = 0.9 und βHMarkt = 45 × 106 CHF beschrieben. Dabei ist βKMarkt eine reine Normierung, die es FINMA erlaubt, nur einen Satz von Parametern αH , λH , γH vorgegeben zu müssen. Die Großschadengrenze beeinflusst jedoch die Anzahl der zu betrachtenden Einzelschäden und somit den Poissonparameter signifikant. Ein Unternehmen habe die individuelle Großschadengrenze βH und den Marktanteil mH ≤ 1 am Hagelgeschäft. Da Hagelkumulschäden aus vielen kleinen Einzelschäden bestehen, erweist sich ein Hagelkumulschaden für dieses Unternehmen als Großschaden, wenn der Gesamtmarktschaden größer als adj. Markt
βH
=
βH . mH
ist. Daher ersetzen wir für dieses Unternehmen die Marktgroßschadengrenze βHMarkt adj. Markt durch die adjustierte Marktgroßschadengrenze βH . Damit erhalten wir für den adjustierten Marktgroßschaden die Einzelverteilungsfunktion
160
4 Risikokapital
⎧ ⎪ 0 ⎪ ⎪ adj. Markt αH ⎨ β FY GS,H,adj. Markt (x) = 1 − H x ⎪ j ⎪ ⎪ ⎩ 1
x < βHadj. Markt adj. Markt
βH
≤ x < γH .
γH ≤ x
Diese Verteilung ist natürlich für x > βHMarkt nicht mit der von FINMA normierten Verteilung identisch, sondern ist als Approximation zu verstehen. Die Adjustierung der Einzelverteilung für den Marktgroßschaden macht eine Adjustierung des Poissonparameters λHGS, Markt notwendig. Um diesen adjustierten PaGS, adj. Markt rameter λH zu bestimmen, wird angenommen, dass der Erwartungswert für Schäden oberhalb der ursprünglichen Marktgroßschadengrenze nicht durch die adjustierte Marktgroßschadengrenze geändert werden soll. Es seien GS,H,adj. Markt
Y j,unten abgeschnitten = 1
GS,H,adj. Markt
Yj
und
≥βKMarkt
Y GS,H,adj. Markt j
GS, adj. Markt N GS,H,Markt ∼ Poisson λHGS, Markt , N GS,H ∼ Poisson λH
sowie StCY,GS,H,Markt
=
N GS,H,Markt
∑
j=1
Dann fordern wir
Y jGS,H,Markt ,
CY,GS,H,adj. Markt St,unten abgeschnitten
=
N GS,H
∑
GS,H,adj. Markt
Y j,unten abgeschnitten .
j=1
! CY,GS,H,adj. Markt E StCY,GS,H,Markt = E St,unten abgeschnitten .
Dies ist äquivalent zu CY,GS,H,adj. Markt 0 = E StCY,GS,H,Markt − E St,unten abgeschnitten GS,H,adj. Markt = λHGS, Markt E Y1GS,H,gesamt − λHGS, adj. Markt E Y1,unten abgeschnitten Markt αH γH β GS, Markt = λH xαH Hα +1 dx Markt x H βH αH γH βHadj. Markt GS, adj. Markt − λH x αH dx xαH +1 βHMarkt αH Markt αH Markt −αH +1 βH βH − γH−αH +1 = λHGS, Markt αH − 1 GS, adj. Markt αH adj. Markt αH Markt −αH +1 βH − γH−αH +1 , βH − λH αH − 1 und somit erhalten wir
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
161
GS, adj. Markt λH
=
λHGS, Markt
βHMarkt adj. Markt
βH
αH .
Unter Berücksichtigung des Marktanteils mH des Unternehmens erhalten wir für den Hagelkumulschaden die zusammengesetzen Poissonverteilung StCY,GS,H =
N GS,H
∑
GS,H,adj. Markt
mH Y j
GS, adj. Markt mit N GS,H ∼ Poisson λH .
j=1
Haben die unabhängigen Zufallsvariablen S1 , S2 zusammengesetzte Poissonverteilungen F1 , F2 mit unabhängigen Einzelschadenverteilungen G1 , G2 und Poissonparametern λ1 , λ2 , so hat S1 + S2 ebenfalls eine zusammengesetzte Poissonverteilung mit Einzelschadenverteilung G = (λ1 G1 + λ2 G2 ) / (λ1 + λ2 ) und Poissonparameter λ1 + λ2 (siehe z.B. [40, Proposition 10.9]). Damit gilt für die Gesamtverteilung der Großschäden 1 GS GS , FY GS = λ GS FY GS,k . N ∼ Poisson ∑ λk GS ∑ k 1 1 λ ∑ k k k k Die Gesamteinzelschadenverteilung FY GS kann mithilfe des Panjer Algorithmus ap1 proximativ bestimmt werden (siehe z.B. [40, Theorem 10.15]).
Modellierung des PY-Abwicklungsergebnisses Im SST Standardmodell wird das PY-Abwicklungsergebnis mit einer lognormalver teilten Zufallsvariablen ctPY mit E ctPY = 1 modelliert, wobei sich die Varianz wie im Falle der CY-Schäden aus Parameter- und Zufallsrisikobeitrag zusammensetzt. Grundsätzlich kann für die Modellierung des PY-Abwicklungsergebnisses die Chain-Ladder Methode von Mack [39] angewandt werden. Allerdings ist zu beachten, dass das Verfahren von Mack die Volatilität für den Endschaden schätzt und somit Risiken in allen zukünftigen Abwicklungsjahren und nicht nur im betrachteten Jahr einbezieht. Wir sind dagegen nur an der Volatilität des Abwicklungsergebnisses des gegenwärtigen Jahres interessiert. Daher würde eine direkte Anwendung des Verfahrens von Mack die Volatilität von ctPY überschätzen. Die Anwendung des Verfahrens für den SST ist jedoch erlaubt. Als Alternative bietet FINMA eine direkte Abschätzung von Parameter und Zufallsrisiko an. Das Parameterrisiko hat sowohl einen unternehmensübergreifenden Aspekt, der Änderungen im Konsens bezüglich des Risikos betrifft (ein historisches Beispiel wären Änderungen in der Einschätzung des Asbest-Risikos), als auch einen unternehmensindividuellen Aspekt, der Unsicherheiten in den unternehmenseigenen Daten widerspiegelt (ein Beispiel wäre ein unbekannter Bias in den unternehmenseigenen Daten). Das Parameterrisiko ist also nur schwer quantitativ zu erfassen.
162
4 Risikokapital
FINMA stellt daher für das Parameterrisiko normierte Variationskoeffizienten vkPk für jede Sparte bereit: varP
∑
Z
k,τ
τ≤t−1
=
2 vkPk
∑
r
PY,k,τ,[t−1]
τ≤t−1
,
wobei wir die folgenden Bezeichnungen benutzen: • varP ist die Varianz bezüglich des Parameterrisikos, • Z k,τ sind die nach dem Zeitpunkt t − 1 zu tätigen nicht-diskontierten Zahlungen für Einzelschäden der Sparte k des Anfalljahres τ ≤ t − 1, PY,k,t,[t−1] ist der zum Zeitpunkt t − 1 ermittelte Erwartungswert von Z k,τ . • rt Der Variationskoeffizient vkZk des Zufallsrisikos kann direkt über unternehmensinterne Zeitreihen bestimmt werden, wenn genügend Daten bereit stehen. FINMA gibt auch eine relativ grobe obere Schranke an, die vom Erwartungswert der zukünftigen Schadenzahlungen abhängt und angewendet werden kann, wenn der Maximalschaden beschränkt ist [19]: Lemma 4.6. Es sei τ ∈ PY ein früheres Anfalljahr, und alle Einzelschäden der Sparte k aus diesem Anfalljahr seien durch M k,τ beschränkt. Alle auf das Anfalljahr τ ≤ t − 1 zurückgehenden Schäden der Sparte k seien unabhängig, und die zukünftigen auf dieses Anfalljahr zurückgehenden Schäden seien zusammengesetzt poissonverteilt. Dann gilt für die zukünftigen nicht-diskontierten Schadenzahlungen Z k,τ varZ Z k,τ ≤ M k,τ rPY,k,τ,[t−1] , wobei varZ die Varianz bezüglich des Zufallsrisikos bezeichnet und rPY,k,τ,[t−1] der Erwartungswert der zukünftigen Schadenzahlungen für dieses Anfalljahr ist. Beweis. Zum Zeitpunkt t − 1 seien J Einzelschäden für die Sparte k und das Anfalljahr τ bekannt. Wir bezeichnen mit X jk,τ die (nicht-diskontierte) Schadenhöhe des jten Einzelschadens nach endgültiger Abwicklung ( j ∈ {1, . . . , J}). Für jeden k,τ dieser Einzelschäden sei bk,τ j ≤ X j die Summe aller zum Zeitpunkt t − 1 bereits geleisteten (nicht-diskontierten) Zahlungen. Die zur Zeit noch unbekannten auf das Anfalljahr τ zurückgehenden, nicht-diskontierten Schäden der Sparte k nach end k,τ bezeichnet. Dann sind die zukünftigültiger Abwicklung seien mit Yi i∈{1,...,N}
gen, nicht-diskontierten Schadenzahlungen der Sparte k für das Anfalljahr τ ≤ t − 1 durch N J + ∑ Yik,τ Z k,τ = ∑ X jk,τ − bk,τ j j=1
i=1
k,τ gegeben. Nach Voraussetzung sind die verteilt und N poissonverteilt. Yi identisch
Ebenfalls nach Voraussetzung sind X jk,τ
j∈{1,...,J}
, Yik,τ
i∈{1,...,N}
, N paarweise
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
163
unabhängig. Es folgt var Z k,τ =
J
∑ var
X jk,τ
− bk,τ j
+ var
j=1
N
∑
Yik,τ
i=1 ≤0
2 J 2 J k,τ k,τ k,τ k,τ − ∑ E Xj − b j = ∑ E Xj − bj j=1
j=1
=E(N)
2 + E Y1k,τ var (N) +var Y1k,τ E (N)
⎛ k,τ k,τ ⎞ ⎞ ⎛ ≤M Y1 ≤M k,τ ⎜ ⎟ J 2⎟ ⎜ ⎜ k,τ k,τ k,τ k,τ ⎟ ⎟ + E ⎜ Y k,τ ⎟ E(N) M X ≤ ∑ E⎜ − b − b j j j 1 ⎜ ⎟ ⎠ ⎝ ⎝ ⎠ j=1
≤ M k,τ
J
∑E
+ M k,τ E Y1k,τ E(N) = M k,τ rtPY,k,τ , X jk,τ − bk,τ j
j=1
wobei wir in der letzten Gleichung benutzt haben, dass der zum Zeitpunkt t − 1 ermittelten Erwartungswert von Z k,τ durch PY,k,τ,[t−1]
rt
= E Z k,τ =
J
∑E
j=1
J k,τ X jk,τ − ∑ bk,τ j + E (N) E Y1
j=1
gegeben ist. Es ist erlaubt, die Abschätzung in Lemma 4.6 als Approximation varZ Z k,τ ≈ M k,τ rPY,k,τ,[t−1]
(4.13)
zu verwenden. Proposition 4.3. Sind sowohl Zufalls- und Parameterrisiko als auch die Schäden aus allen früheren Anfalljahren und Sparten unabhängig, so beträgt das PY-Abwicklungsergebnis unter Verwendung der Approximation (4.13)
∑ ∑
k τ≤t−1
[t−1]
Z k,τ = ctPY RPY ,
wobei [t−1]
• RPY die nicht-diskontierten Schadenrückstellungen Zeitpunkt t − 1 ist, zum • ctPY eine lognormalverteilte Zufallsvariable mit E ctPY = 1 und
164
4 Risikokapital
2 P PY,k,τ,[t−1] + ∑k ∑τ≤t−1 M k,τ rtPY,k,τ PY ∑k vkk ∑τ≤t−1 r var ct = 2 PY,k,τ ∑k ∑τ≤t−1 rt ist.
[t−1] Beweis. Offenbar gilt E ∑k ∑τ≤t−1 Z k,τ = RPY , woraus E ctPY = 1 folgt. Für die Varianz erhalten wir [t−1] var ctPY RPY = ∑ ∑ var Z k,τ k τ≤t−1
=∑
∑
k τ≤t−1
varP Z k,τ + ∑
= ∑ vkPk k
∑
r
∑
varZ Z k,τ
k τ≤t−1 2 PY,k,τ,[t−1]
τ≤t−1
+∑
∑
k τ≤t−1
M k,t rtPY,k,τ .
[t−1]
Die Behauptung folgt nun aus RPY = ∑k ∑τ≤t−1 rtPY,k,τ .
Bestimmung von Terw Kap + Tris Kap + Terw Ver + Tris Ver : Aggregation der Risiken Das versicherungstechnische Risiko [t−1] Terw Ver + Tris Ver = Pt − Kt − dCY E StCY [t−1] [t−1] [t−1] − dCY StCY − E StCY − dPY ctPY − 1 RPY [t−1] [t−1] = Pt − Kt − dCY E StCY − dCY StCY,NS − E StCY,NS [t−1] [t−1] [t−1] − dCY StCY,GS − E StCY,GS − dPY ctPY − 1 RPY ist bis auf deterministische Terme und ein Vorzeichen die Summe dreier Zufallsvariablen, die wir in den vorigen Abschnitten bestimmt haben, [t−1]
• Verteilung der CY Normalschäden: dCY StCY,NS (lognormal), [t−1]
• Verteilung der CY Großschäden: dCY StCY,GS (zusammengesetzt Poisson), [t−1]
• Verteilung der PY Abwicklung: dPY ctPY (lognormal). Es wird angenommen, dass diese drei Verteilungen unabhängig sind, so dass die Verteilung ihrer Summe durch Faltung bestimmt werden kann. Anmerkung 4.13. In Abschnitt 4.4.11 in [18] wird außerdem alternativ vorgeschlagen, die beiden Lognormalverteilungen zunächst approximativ zu einer Lognormalverteilung zusammenzufassen, um eine Faltung zu sparen. Die Aggregation des PY-Abwicklungsergebnisses und der CY-Schäden erfolgt im SST Standardmodell unter Annahme stochastischer Unabhängigkeit durch Fal-
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
165
tung der beiden Verteilungen, siehe Abschnitt 4.4.11 in [18]. Um die Gesamtverteilung F˜0 zu erhalten, muss das Ergebnis noch mit der Verteilungsfunktion für Terw Kap + Tris Kap (siehe Approximation (4.11)) gefaltet werden. Dabei nehmen wir an, dass Kapitalmarktrisiken und versicherungstechnische Risiken unabhängig sind. Weiterhin vernachlässigen wir die Fehlerterme TFehler . 4.6.1.4 Analytische Herleitung der Verteilungsfunktion F˜0 für die Lebensversicherung Für das SST Leben Modell wird ein ähnlicher Ansatz gewählt wie für das Marktund ALM-Risiko der Schadenversicherung. Die Marktrisikofaktoren seien (wie die in Anmerkung 4.8 eingeführten Faktoren) durch eine Rn -wertige Zufallsvariable X A beschrieben, und die versicherungstechnischen (biometrischen) Risiken seien durch eine Rm -wertige Zufallsvariable X B n+m -wertige Zufallsvariable X = X A ⊕ X B = beschrieben. Wir betrachten A nun die R A B B X1 , . . . , Xn , X1 , . . . , Xm , die alle Risikofaktoren umfasst. Wir schreiben RTKtEnde = g(X). [t−1] 1 + st Dann gilt Beginn
RTKt
= E (g(X)) ≈ g (E (X)) ,
wobei wir alle Nicht-Linearitäten vernachlässigen. Unter einer weiteren Vernachlässigung nicht-linearer Terme erhalten wir RTKtEnde Beginn − RTKt ≈ g(X) − g(E(X)) ≈ dg|E(X) (X − E(X)) , [t−1] 1 + st wobei dg|E(X) die totale Ableitung von g im Punkt E(X) bezeichnet und numerisch aus dem internen Modell bestimmt werden kann. Für die Zufallsvariable X wird von der FINMA eine Korrelationsmatrix
166
4 Risikokapital
⎛
A A ··· ζ1n 1 ζ12 .. ⎜ A .. .. ⎜ ζ21 . . . ⎜ ⎜ .. . . .. A ⎜ . . . ζ(n−1)n ⎜ ⎜ ζA ··· ζA 1 ⎜ n(n−1) ζ = ζ A ⊕ ζ B = ⎜ n1 0 ⎜ 0 ··· ··· ⎜ . .. ⎜ . .. . ⎜ . . ⎜ . .. .. ⎜ . . ⎝ . . 0 ··· ··· 0
0 .. . .. . 0 1
··· .. .
··· ..
··· B ζ12 .. .
. ··· ··· .. .
B ζ21 .. . . .. . . . B ··· ζB ζm1 m(m−1)
0 .. . .. . 0 B ζ1m .. .
⎞
⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ B ⎠ ζ(m−1)m 1
vorgegeben. Insbesondere wird angenommen, dass Marktrisiken und versicherungstechnische Risiken unkorreliert sind. Die Varianz von X, var(X) = var(X1A ), . . . , var(XnA ), var(X1B ), . . . , var(XmB ) , kann in Parameterrisiko und Zufallsrisiko aufgespalten werden, wobei angenommen wird, dass diese beiden Risikoarten voneinander unabhängig sind, var(X) = varP (X) + varZ (X). Die Varianz des Parameterrisikos varP (X) wird von der FINMA vorgegeben. Die Varianz des Zufallsrisikos kann dagegen unternehmensindividuell bestimmt werden. Schließlich wird angenommen, dass X multinormalverteilt ist, also var(X) var(X) X − E(X) ∼ N 0, ζ ! gilt, wobei die Wurzel und die Multiplikation ! komponentenweise zu verstehen sind. Insgesamt erhalten wir also unter Berücksichtigung der Symmetrie der Normalverteilung dg|E(X) . var(X) var(X) −Δ RTKt ∼ N 0, dg|E(X) ζ ! Anmerkung 4.14. Im allgemeinen sind weder die Vernachlässigung der nicht-linearen Terme noch die Normalverteilungsannahme gerechtfertigt. Eine analoge, aber genauere Diskussion dieser Annahmen findet sich in Anmerkung 4.10. Beispiel 4.11. Wir illustrieren im folgenden dieses Modell anhand eines stark vereinfachten Beispiels, basierend auf Abschnitt 8.3 in [18]. Die Marktwertbilanz eines Lebensversicherers zum Zeitpunkt t − 1 sei durch Tabelle 4.1 gegeben. Unter Duration verstehen wir die Sensitivität des jeweiligen Marktwerts bezüglich Parallelverschiebungen der Zinskurve. Wir nehmen ferner an, dass für das Kreditrisiko der Wert K = 5 ermittelt wurde und dass als einziges Szenario die Explosion in einer Chemiefabrik (Beispiel 4.9) berücksichtigt wird. Der durch eine solche Explosion herrührende Schaden habe den Wert ct = 20. Drei Risikofaktoren werden betrachtet: eine flache Zinskurve z, der Aktienindex i (normiert auf 1) und die Stornorate s:
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
167
Tabelle 4.1 Marktwertbilanz des Lebensversicherers
Assets:
Liabilities: RTK:
Position
Wert
Duration (Jahre)
Aktien
10
—
Bonds:
90
5
80
10
10 + 90 − 80 = 20
X A = (z, i) , X B = (s) . Die Sensitivitäten des risikotragenden Kapitals bezüglich dieser Risikofaktoren werden vom Aktuar für folgende Auslenkungen bestimmt: Zins Δ z = 1 bp (Parallelverschiebung), Aktienindex Δ i/i = 10%, Stornorate Δ s = 10% des Best Estimates. Die Änderungen des RTK für die obigen Werte sind in Tabelle 4.2 zusammengefasst. Tabelle 4.2 Änderung des RTK für die in Tabelle 4.1 gegebene Marktwertbilanz Risikofaktor
Änderung RTK
Zins
1bp × (−5 × 90 + 10 × 80) = 0.035
Aktienindex
10% × 10 = 1
Stornorate
−0.05 als Resultat eines Modelllaufs
Als Sensitivitäten, angenähert durch die Differenzenquotienten, erhalten wir mit E(X) = X0 = (z0 , i0 , s0 ) g (z0 + Δ z, i0 , s0 ) − g (X0 ) g (z0 , i0 + Δ i, s0 ) − g (X0 ) , , dg|E(X) ≈ Δz Δi g (z0 , i0 , s0 + Δ s) − g (X0 ) Δs 1 −0.05 0.035 , , = 0.0001 10% 0.1 × Best Estimate −0.05 = 350, 10, . 0.1 × Best Estimate Die FINMA gebe nun folgende Standardabweichungen und Korrelationsmatrix vor: ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 125bp 1 −0.25 0 ⎠ , ζ = ⎝ −0.25 1 0 ⎠ . 0.25 var(X) = ⎝ 100% Best Estimate 0 0 1 Für die Varianz der Verlustfunktion erhalten wir somit
168
4 Risikokapital
var (−Δ RTKt ) = dg|E(X) ζ ! var(X) var(X) dg|E(X) = 20.172. und daher F˜0 = Φ0,20.172 ∼ N (0, 20.172) . Die Verschiebung für das Kreditrisiko liefert F0 = Φ5,20.172 ∼ N(5, 20.172). Die Eintrittswahrscheinlichkeit des einzigen betrachteten Szenarios beträgt p1 = 0.5% (siehe Beispiel 4.9) und aufgrund unserer Annahme hat der entsprechende Schaden den Wert 20. Wir erhalten F1 = Φ25,20.172 ∼ N(25, 20.172) und somit F(x) = 0.995 Φ5,20.172 (x) + 0.005 Φ25,20.172 (X). Das Risikokapital zum Zeitpunkt t − 1 (zu Beginn der Periode t), Reg
Ct
= ES99% (−Δ RTKt ) ,
lässt sich nun einfach numerisch bestimmen. Zum Beispiel berechnet man mit dem Reg im Anhang B angegebenen R Script Ct = 21.517.
4.6.2 Das Standardmodell in Solvency II In diesem Abschnitt wird als Platzhalter für das zukünftige Standardmodell in Solvency II das Modell in der fünften quantitativen Auswirkungsstudie (Quantitative Impact Study 5, kurz: QIS5) beschrieben. Wir folgen dabei dem technischen Dokument [26] der EU Kommission, welche nebst anderer Unterlagen online auf den EU-Seiten zu finden ist.
4.6.2.1 Grundsätzliches zum Risikokapital SCR Das Risikokapital CReg = SCR (solvency capital requirement) geht von einer ökonomischen Sicht auf die Bilanz eines Versicherungsunternehmens aus, bei der die Vermögenswerte (Assets) zu Marktpreisen angesetzt und die versicherungstechnischen Rückstellungen (Liabilities) nach einem „besten Schätzwert“ (best estimate) zuzüglich einer Risikomarge bewertet werden. In dieser vereinfachenden Bilanzsicht ergibt sich das ökonomische Eigenkapital aus der Differenz von Assets und Liabilities, im Englischen als „net asset value“ (NAV) bezeichnet. Gewinne bzw. Verluste spiegeln sich in der Veränderung der Höhe des ökonomischen Eigenkapitals wider. Das SCR soll so bemessen sein, dass ein Versicherungsunternehmen, das über Eigenmittel in Höhe des SCR verfügt, damit mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Lage versetzt wird, alle Verluste auszugleichen, die innerhalb des dem Betrachtungszeitpunkt folgenden Jahres auftreten. Dabei sollen grundsätzlich alle
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
169
quantifizierbaren Risiken (z.B. Schwankungen des Kapitalmarktes, versicherungstechnische Verluste), denen das Unternehmen ausgesetzt ist, berücksichtigt werden. Für die QIS5 wurde hierbei einheitlich ein Sicherheits- bzw. Konfidenzniveau von 99.5% (unter dem „Value at Risk“ (VaR) Standard) zugrunde gelegt. Aus der Perspektive von Solvency II sind die versicherungstechnischen Rückstellungen die Summe aus zukünftig zu erwartenden Verpflichtungen und einer Market Value Margin (MVM). Das risikotragende Kapital besteht aus den die diese Rückstellungen übersteigenden Aktiva und setzt sich aus dem Solvency Capital Requirement (SCR) und dem freien Vermögen zusammen. Während das SCR den erforderlichen Kapitalbedarf zum Ausgleich potentieller Verluste des Unternehmens in einem 1-Jahreshorizont angibt, dient die MVM dazu, die Übertragbarkeit des Versicherungsbestandes nach Aufzehrung des SCR zu gewährleisten. Im Cost of CapitalAnsatz wird die MVM als risikofrei diskontierter Barwert derjenigen Kosten ermittelt, die die Bereitstellung des erforderlichen Risikokapitals für die Übernahme und Abwicklung des Bestandes durch einen Investor erfordert.
4.6.2.2 Struktur des SCR Die Berechnung des SCR folgt einem modularen Aufbau wie in Abbildung 4.7 gezeigt. Das SCR für das operationale Risiko (SCROp ) wird nach Aggregation der übrigen Risiken auf das Aggregationsergebnis BSCR (Basic SCR) ebenso wie eine Adjustierung Adj für die risikominimierende Wirkung latenter Steuern und der Überschussbeteiligung aufgeschlagen: SCR = BSCR + SCROp + Adj.
(4.14)
Das BSCR ist in sechs Module (Risikoklassen) SCRLife , SCRNL , SCRHealth , SCRMkt SCRDef , SCRIntang aufgeteilt, welche sich wiederum aus mehreren Untermodulen (Risikotypen) zusammen setzen können: 1. versicherungstechnisches Risiko Leben (SCRLife ). Lapse
a. Stornorisiko (SCRLife ) Exp
b. Kostenrisiko (SCRLife ) c. Invaliditätsrisiko (SCRDis,Morb ) Life d. Sterblichkeitsrisiko (SCRMort Life ) Long
e. Langlebigkeitsrisiko (SCRLife ) f. Revisionsrisiko (SCRRev Life ) g. Katastrophenrisiko (SCRCat Life ) 2. versicherungstechnisches Risiko Nichtleben (SCRNL )
170
4 Risikokapital SCR Adjustierung für Risikoabsorption: Überschussbeteiligung und latente Steuer Nichtleben
Kredit
Kranken
wie Nichtleben
Kat.
Prämie Reserve
Prämie Reserve
Storno
Storno
Kat.
Basis SCR
Intang. Assets
Operational
Leben
Markt
wie Leben Mortalität
Mortalität
Währung
Langlebigkeit
Langlebigkeit
Immobilien
Invalidität
Invalidität
Storno
Storno
Kosten
Kosten
Revision
Revision
Konzentration
Kat.
Illiquidität
Zins Aktien Spread
Adjustierung für risikomitigierende Effekte der Überschussbeteiligung Aggregation mittels Korrelationskoeffizienten Berechnung mithilfe von Szenarien Berechnung mithilfe einer vorgegebenen Formel Abb. 4.7 Modularer Aufbau des Standardmodells zur Berechnung des SCR (Quelle: [26]).
a. Prämien- und Reserverisiko (SCRPrem,Res ) NL Lapse
b. Stornorisiko (SCRNL ) c. Katastrophenrisiko (SCRCat NL ) 3. versicherungstechnisches Risiko Kranken (SCRHealth ). Bei diesem Risiko gibt es zwei Hierarchiestufen von Untermodulen. Die erste Schicht enthält SCRSLT Health für Krankenversicherung, die ähnlich wie die Lebensversicherung betrieben wird (z.B. in Deutschland und Österreich), SCRNSLT Health für Krankenversicherung, die ähnlich wie die Nichtlebensversicherung betrieben wird, und schließlich ein eigenes Katastrophenmodul SCRCat Health für beide Formen der Krankenversicherung. Das Modul SCRSLT Health ist weiter unterteilt in 6 Untermodule, die analog zu den Untermodulen von SCRLife sind. a. Stornorisiko (SCRLapse Health ) Exp
b. Kostenrisiko (SCRHealth ) c. Invaliditätsrisiko (SCRDis,Morb Health )
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
171
d. Sterblichkeitsrisiko (SCRMort Health ) Long
e. Langlebigkeitsrisiko (SCRHealth ) f. Revisionsrisiko (SCRRev Health ) Das Modul SCRSLT Health hat zwei Untermodule, die analog zu den Untermodulen von SCRNL sind. a. Prämien- und Reserverisiko (SCRPrem,Res Health ) Lapse
b. Stornorisiko (SCRHealth ) 4. Ausfallrisiko (SCRDef ). Das Kreditrisiko ist in zwei Module aufgespalten. Das Modul SCRDef bemisst das Risiko eines Ausfalls von Risikominderungsinstrumenten (bspw. Rückversicherungen oder Derivate). Das Untermodul SpreadrisiSpread ko (SCRMkt ) des Marktrisikomoduls SCRMkt deckt das Risiko eines Wertverlustes von Vermögensanlagen durch die Änderung des Kreditspreads über dem risikolosen Zins ab. 5. Marktrisiko (SCRMkt ). Das Marktrisiko umfasst alle Kursrisiken auf den Kapitalmärkten sowie das Konzentrationsrisiko im Kapitalanlageportfolio des Versicherers. a. Fremdwährungsrisiko (SCRFx Mkt ) Property
b. Immobilienrisiko (SCRMkt c. d. e. f. g.
)
Zinsänderungsrisiko (SCRInterest Mkt ) Equity Aktienrisiko (SCRMkt ) Spread Spreadrisiko (SCRMkt ): siehe auch Modul Ausfallrisiko (SCRDef ) Konzentrationsrisiko (SCRConc Mkt ) Illiquidity ): Dieses Risiko entsteht durch die Gefahr, dass Illiquiditätsrisiko (SCRMkt die Illiquitätsprämie fällt, was zu einem Anstieg des Wertes der Reserven führen würde.
6. Risiko für immaterielle Vermögenswerte (SCRIntang ). Einige immaterielle Vermögenswerte können als Kapital zur Bedeckung des SCR herangezogen werden. Das Kapital SCRIntang entspricht dem Risiko, dass diese immateriellen Vermögenswerte in Notzeiten nicht in materielle Vermögenswerte überführt werden können. Die Aggregation der einzelnen Kapitalanforderungen erfolgt mit einem zweistufigen Varianz/Kovarianz-Ansatz, wobei die entsprechenden Korrelationsmatrizen vorgegeben werden. In einem ersten Schritt werden die Kapitalanforderungen pro Risikotyp innerhalb eines Moduls aggregiert. Anschließend werden die Kapitalanforderungen pro Modul mit einer Korrelationsmatrix zum Basic SCR aggregiert. Der Summand Adj = AdjZÜB + AdjSteuer
172
4 Risikokapital
in Gleichung (4.14) berücksichtigt die risikominimierende Wirkung der zukünftigen Überschussbeteiligung (ZÜB) und latenter Steuern. Die ZÜB sind die Zahlungen aufgrund zukünftig in der HGB-Bilanz erwirtschafteter Überschussanteile und sind in der Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen in Solvency II enthalten. Die Veränderung des Wertes der ZÜB in Folge des Eintretens adverser Ereignisse in den einzelnen betrachteten Teilrisiken muss daher in die Berechnung des SCR mit einbezogen werden. In der Regel hat die Einbeziehung der ZÜB in die Berechnung des SCR eine risikomindernde Wirkung. Die Risikominderung der zukünftigen Überschussbeteiligung wird in der SCR-Berechnung durch eine Paralleleberechnung erfasst.9 BSCRAdj sei analog zum BSCR berechnet, wobei jedoch im Gegensatz zur Berechnung des BSCR berücksichtigt wird, dass das Management Überschussanteile an die Situation des Unternehmens anpassen kann. Abbildung 4.7 gibt die betroffenen Module an („Adjustierung für Risikoabsorption: Überschussbeteiligung und latente Steuer“). Bei dieser Berechnung werden die gleichen Korrelationsmatrizen wie bei der Berechnung des BSCR benutzt. Wenn FDB („future discretionary benefit“) den Wert der zukünftigen Überschuss bezeichnet, so gilt AdjZÜB = − min BSCR − BSCRAdj , FDB . Die Adjustierung für latente Steuer, AdjSteuer ist die Änderung des Wertes der latenten Steuern, der aus einem Verlust in der Höhe von BSCR + SCROp + AdjZÜB resultieren würde. Anmerkung 4.15. Bei der Berechnung des BSCR wird für einige Risiken eine mehrstufige Aggregation über die Wurzelformel benutzt. Es seien X A , X B Zufallsvariablen für Risiken, die jeweils aus der Summe von Einzelrisiken bestehen, X A = ∑ai=1 XiA , X B = ∑bk=1 XkB . SCRiA (bzw. SCRkB ) sei das SCR für die Einzelrisiken XiA (bzw. XkB ) und ζ A , ζ B die entsprechenden Korrelationsmatrizen. Dann liefert die Wurzelformel als Kapitalanforderung der Risiken X A , X B die Werte $ $ SCRA =
a
∑
i, j=1
j
ζiAj SCRiA SCRA ,
SCRB =
a
∑
ζklB SCRkB SCRlB
k,l=1
Um die Kapitalanforderung SCRA+B des kombinierten Risikos X A + X B zu berechnen, wird ein Korrelationskoeeffzient ζAB für X A und X B vorgegeben. Dies führt zur doppelten Wurzelformel
9
Wir beschreiben hier den „modularen Ansatz“. QIS5 beschreibt auch einen alternativen Ansatz mit Hilfe des sogenannten „äquivalenten Szenarios“.
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
173
SCRA+B = (SCRA )2 + 2ζAB SCRA SCRB + (SCRB )2 7 8 a 8 ∑i, j=1 ζiAj SCRiA SCRAj + ∑ak,l=1 ζklB SCRkB SCRlB
=9 . +2ζAB ∑ai, j=1 ζiAj SCRiA SCRAj ∑ak,l=1 ζklB SCRkB SCRlB Man könnte alternativ die Aggregation in einem Schritt durchführen, indem man eine Korrelationsmatrix ζ benutzt, die in Blockschreibweise mit ζikAB = corr XiA , XkB
durch ζ=
ζ A ζ AB AB B ζ ζ
gegeben ist. Die Kapitalanforderung beträgt dann 7 8 a a a b 8 j j : SCRA+B = 9 ∑ ζiAj SCRiA SCRA + ∑ ζklB SCRkB SCRlB + 2 ∑ ∑ ζikAB SCRA SCRkB . i, j=1
i=1 k=1
k,l=1
Die Matrix ζ AB liefert natürlich mehr Information als der zuvor benutzte Korrelationskoeffizient ζAB . Der Koeffizient ζAB kann als eine Art Durchschnittskorrelation der Risiken XiA , XkB aufgefasst werden. Wenn man allerdings ζikAB = ζAB für alle i, k setzt, folgt : A+B , SCRA+B ≤ SCR solange alle SCRiA , SCRkB positiv sind und ζAB > 0 gilt. Die Aussage folgt aus
: A+B SCR
2
− (SCRA+B )2
=
2ζAB a
b
=∑∑
$
i=1 k=1 a
$
b
≥ ∑ ∑ SCRA SCRkB − j
i=1 k=1
a
∑
j SCRA SCRkB −
$
i, j=1
$
a
∑
j
SCRiA SCRA
i, j=1
a
∑
j ζiAj SCRiA SCRA
ζklB SCRkB SCRlB
k,l=1 a
∑
SCRkB SCRlB
k,l=1
7 7 2 8 2 8 8 a 8 a j = ∑ SCRA ∑ SCRkB − 9 ∑ SCRiA 9 ∑ SCRkB a
b
i=1
k=1
i=1
k=1
= 0, wobei wir benutzt haben, dass die Korrelationskoeffizienten ζiAj , ζklB durch 1 nach oben beschränkt sind.
174
4 Risikokapital
4.6.2.3 Szenariobasierte Module Die meisten versicherungstechnischen Risiken der Nichtlebenversicherung und das Ausfallrisiko werden faktorbasiert bewertet. Für die meisten Marktrisiken und versicherungstechnischen Risiken in der Lebensversicherung wird ein szenariobasierter Berechnungsansatz verwendet. Im Rahmen eines solchen Ansatzes wird das Risikokapital in Höhe des Verlustes in der ökonomischen Bilanz des Versicherers bemessen, der in Folge eines vorgegebenen Schockereignisses eintritt. Dieser Verlust ergibt sich aus der Veränderung des ökonomischen Eigenkapitals Δ NAV (der Veränderung des „net asset value“), d.h. des Differenzbetrags aus Vermögenswerten und versicherungstechnischen Rückstellungen. betrachtet Beispiel 4.12. Zur Quantifizierung des Zinsänderungsrisikos SCRInterest Mkt man die Änderung des Marktwertes der festverzinslichen Kapitalanlagen und der Brutto-Erwartungswertrückstellung sowie die daraus resultierende Veränderung des Eigenkapitals Δ NAV bei einem vorgegebenen Zinsanstieg und Zinsrückgang. Die Kapitalanforderung SCRInterest ergibt sich sowohl für „brutto-ZÜB“ als auch „nettoMkt ZÜB“ als der Rückgang der Eigenmittel im ungünstigeren Zinsszenario. Wir betrachten ein Portfolio von Kapitaleinlagen Di der Versicherungsnehmer. Die Kapitalanlage Di habe die Restlaufzeit t = i und jedes Jahr werde dem Guthaben 90% des risikofreien Zinses gutgeschrieben. Dem steht ein Anlageportfolio Bi mit risikofreien Zero-Bonds gegenüber. Die Restduration des Bonds Bi betrage ebenfalls t = i. Zur Berechnung des SCR werden zwei Schockszenarien für einen instantanen Zinsanstieg und einen instantanen Zinsrückgang vorgegeben. Tabelle 4.3 gibt diese Werte sowie die erwartete Zinskurve an. 10 . Das Unternehmen garantiert einen Zinsertrag von 0%, es ist aber Unternehmenspolitik, eine ZÜB von 90% des erwirtschafteten Zinsertrags zu gewähren. Tabelle 4.3 st bezeichnet die risikofreie Zinskurve, Dt die Kapitaleinlagen mit Restlaufzeit t und Bt die Bonds mit Restduration t. Die relative Schocks für die Zinskurve sind durch δUP und δDOWN gegeben. δUP bezeichnet einen relativen Zinsanstieg und δDOWN einen relativen Zinsrückgang. δtDOWN
st
Bt
1
0.5%
1200
500
70%
-75%
2
1.0%
500
450
70%
-65%
3
1.2%
300
300
64%
-56%
4
1.5%
100
250
59%
-50%
5
2.0%
0
200
55%
-46%
6
2.2%
0
150
52%
-42%
7
2.3%
0
100
49%
-39%
8
2.3%
0
50
47%
-36%
10
Dt
δtUP
t
Stand: QIS5 [26].
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
175
Der Erwartungswert der Aktiva beträgt somit 8
t
t=1
τ=1
ABE = ∑ Bt ∏ (1 + sτ )−1 = 2075, und der Erwartungswert der Verpflichtungen ist durch 8
∑ Dt
VBE =
t=1
∏tτ=1 (1 + 90%sτ ) = 1993 ∏tτ=1 (1 + sτ )
gegeben. Der „net asset value“ beträgt demnach NAVBE = 81. Bei den Zinsrückgangschocks wird zusätzlich gefordert, dass jeder absolute Schock mindestens 1% beträgt, sofern der resultierende Zins noch positiv bleibt. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass der Zinsrückgangsschock für alle Durationen bis auf die ersten beiden gerade 1% beträgt. Für die ersten beiden Durationen ist der resultierende Zins 0. Wenn der ZÜB nicht berücksichtigt wird, werden die geschockten Zinsen lediglich zur Diskontierung benutzt und es ergibt sich 8 t −1 AUP = ∑ Bt ∏ 1 + (1 + δtUP )sτ = 2058, t=1 8
VUP = ∑ Dt t=1 8
τ=1
∏tτ=1 (1 + 90%sτ ) t ∏τ=1 1 + (1 + δtUP )sτ
= 1951,
t −1 ADOWN = ∑ Bt ∏ 1 + max 0, sτ + min δtDOWN sτ , −1% = 2099, t=1 8
VDOWN = ∑ Dt t=1
τ=1
∏tτ=1
∏tτ=1 (1 + 90%sτ ) = 2046. 1 + max 0, sτ + min δtDOWN sτ , −1%
Damit erhält man NAVUP = AUP −VUP = 106, NAVDOWN = ADOWN −VDOWN = 52, Δ NAVUP = − max (0, (NAVUP − NAVBE )) = 0, Δ NAVDOWN = − max (0, (NAVDOWN − NAVBE )) = 29.
Zur Berechnung der BSCRAdj wird die Rechnung noch einmal wiederholt, wobei jetzt auch die ZÜB entsprechend der Unternehmenspolitik angepasst wird. Man erhält
176
4 Risikokapital Adj
AUP = AUP = 2058, 8 ∏tτ=1 1 + 90%(1 + δtUP )sτ Adj = 1989, VUP = ∑ Dt ∏tτ=1 1 + (1 + δtUP )sτ t=1 Adj
ADOWN = ADOWN = 2099, Adj VDOWN
∏tτ=1 1 + 90%(1 + δtDOWN )sτ = 1998 = ∑ Dt t ∏τ=1 1 + max 0, sτ + min δtDOWN sτ , −1% t=1 8
und Adj
Adj
Adj
NAVUP = AUP −VUP = 69, Adj
Adj
Adj
NAVDOWN = ADOWN −VDOWN = 100, Adj Adj Adj Δ NAVUP = − max 0, NAVUP − NAVBE = 13, Adj Adj Adj = 0. Δ NAVDOWN = − max 0, NAVDOWN − NAVBE
Diese Werte werden nun für die Berechnung eines SCR und eines risikomitigierten SCR für das Zinsrisiko verwendet: Adj,Interest Adj Adj = max Δ NAVUP , Δ NAVDOWN = 13, SCRMkt ⎧ Adj,Interest Adj ⎪ falls SCRMkt = Δ NAVUP > 0 ⎨Δ NAVUP Adj SCRInterest = Δ NAVDOWN falls SCRAdj,Interest = Δ NAVDOWN > 0 Mkt Mkt ⎪ ⎩ 0 sonst = 0.
4.6.2.4 Nicht-Leben Underwriting Risiko In diesem Kapitel beschreiben wir das Nicht-Leben Modul für Solvency II in etwas vereinfachter Form.11 Das Nicht-Leben Underwriting Risiko besteht aus drei Komponenten: • Prämien- und Reserverisiko, • Stornorisiko, • Katastrophenrisiko.
Prämien- und Reserverisiko Das kombinierte Prämien- und Reserverisiko umfasst die folgenden Risiken: 11
Dieser Abschnitt basiert auf der 5. Quantitative Impact Study [26].
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
177
• Für neue Verträge werden Prämien verlangt, die nicht ausreichen, das Risiko zu decken. • Während des Zeithorizonts werden mehr und/oder höhere Schäden als erwartet erlitten. • Die Rückstellungen erweisen sich als nicht ausreichend. Prem,Res Prem Res Das kombinierte Prämien- und Reserverisiko ist XNL = XNL + XNL . Dabei bezeichnet Prem = LeistungenPrem + KostenPrem − P XNL
die Leistungen und Kosten sind, die nicht durch die entsprechende verdiente Prämie P gedeckt sind. Zu stellende Reserven sind hier in den Leistungen bereits enthalten. Res = LeistungenRes + KostenRes + ResJahresende − Res XNL
bezeichnet für die reservierten Fälle den Teil der Summe aus anfallenden Leistungen, Kosten und am Ende des Jahres zu stellender Reserve, der die zu Jahresbeginn gestellte Reserve übersteigt. Dabei nehmen wir an, dass diese Größen dem Zeitpunkt ihres Anfalls gemäß korrekt mit dem risikofreien Zins diskontiert wurden. Wir setzen Prem Prem Res Res XˆNL = XNL + P und XˆNL = XNL + Res und nehmen außerdem an, dass Prem,Res Prem Res = XˆNL + XˆNL XˆNL
durch eine lognormalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert μ und Standardabweichung σ modelliert werden kann, 1 Prem,Res ln XˆNL ∼ N ln μ − ln 1 + vk2 , ln 1 + vk2 , 2 Prem,Res wobei vk = σ /μ der Variationskoeffizient von XˆNL ist.
Prem,Res = Da P + Res als deterministisch angenommen wird, gilt VaR99.5% XˆNL Prem,Res . Aufgrund von Proposition 2.1 ist dann das SIIP + Res + VaR99.5% XNL Risikokapital durch Prem,Res SCRPrem,Res X = VaR 99.5% NL NL Prem,Res − P − Res = VaR99.5% XˆNL 1 −1 2 2 = exp ln μ − ln 1 + vk + ln 1 + vk Φ0,1 (99.5%) 2 − P − Res μ
= exp Φ0,1 1 + vk2
−1
2 (99.5%) ln 1 + vk − P − Res
178
4 Risikokapital
gegeben. In diese Bestimmung der Variable μ gehen weder Kostenmarge noch Schadenquote ein. EIOPA12 [12] verweist dabei auf Artikel 105 (2) der Solvency II Direktive [10] und interpretiert diesen Artikel dahingehend, dass erwartete Kosten und erwartete Gewinne ignoriert werden sollten. Somit folgt Prem,Res = μ, P + Res = E XˆNL und die Formel für das SII-Risikokapital vereinfacht sich zu ⎛ ⎞
2 −1 exp Φ (99.5%) ln 1 + vk 0,1 ⎜ ⎟
=μ⎜ SCRPrem,Res − 1⎟ NL ⎝ ⎠. 1 + vk2 Der Variationskoeffizient vk und der Erwartungswert μ werden als (gewichtete) Mittelwerte über die einzelnen Sparten des Versicherers ermittelt.13 Der Variationskoeffizient vk wird als volumengewichteter Durchschnitt über die Variationskoeffizienten der einzelnen Sparten ermittelt. Prem für das Wir bestimmen zunächst den Netto-Variationskoeffizienten vk XˆNL Prämienrisiko der Sparte k. Dabei benutzen wir die Approximation vk S˜k Prem,k Prem,brutto,k vk XˆNL ≈ brutto vk XˆNL , (4.15) vk S˜k wobei S˜kbrutto die Brutto-Schäden (inkl. Kosten) und S˜k die zugehörigen Netto-Schäden (inkl. Kosten) bezeichnet. Diese Approximation ist dadurch motiviert, dass das Prem,k weitgehend durch S˜ bestimmt wird. Prämienrisiko XˆNL die Schadenverteilung Die Brutto-Variationskoeffizienten vk Xˆ Prem,brutto,k werden von EIOPA bereitgeNL
stellt (siehe Tabelle 4.4). Der Faktor vk S˜k brutto vk S˜ k
wird unter Annahme einer einfachen Schadenverteilung und eines einfachen Rückversicherungsprogramms approximiert. Lemma 4.7. Wir nehmen an, dass die im Jahr t anfallenden Brutto-Schäden S˜kbrutto der Sparte k einer zusammengesetzten Poissonverteilung mit Schadenhäufigkeit Nk ∼ Poisson (λk ) 12
Am 1. Januar 2011 wurde das Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (CEIOPS) durch die European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) ersetzt. In diesem Buch wird durchgängig der Name EIOPA verwendet, auch wenn wir uns auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2011 beziehen. 13 μ wird später in Gleichung (4.18) bestimmt.
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
179
und lognormalverteilter Brutto-Schadenhöhe Y brutto pro Schadenfall folgen. Dann gilt im Rahmen der durch Gleichung (4.15) gegebenen Approximation 7 2 8 8 Prem,k Prem,brutto,k 9 1 + vk (Yk ) vk XˆNL ≈ vk XˆNL 2 . 1 + vk Ykbrutto Beweis. Es gilt
und
brutto E S˜k = λk E Ykbrutto 2 , var S˜kbrutto = λk var Ykbrutto + E Ykbrutto
wobei wir E (Nk ) = var (Nk ) = λk benutzt haben. Damit folgt 7 8 8 var S˜k ˜ vk Sk = 9 2 E S˜k 7 8 8 ˜brutto 2 var S˜k brutto 9 E Sk ˜ = vk Sk 2 var S˜kbrutto E S˜k 7 brutto 2 8 8 var (Yk ) + E (Yk )2 brutto 9 E Yk ˜ = vk Sk E (Yk )2 var Ykbrutto + E Ykbrutto 2 7 8 8 1 + vk (Yk )2 = vk S˜kbrutto 9 2 1 + vk Ykbrutto und die Behauptung folgt aus Gleichung (4.15).
Anmerkung 4.16. Eigentlich müsste untersucht werden, inwieweit diese Annahme Prem,Res , verträgmit der Verteilungsannahme für das Prämien- und Reserverisiko, XNL lich ist. Das Rückversicherungsprogramm der Sparte k wird durch eine reine Quotenrückversicherung mit Quote qk und eine Einzelschadenexzedentenrückversicherung mit Priorität ak und Haftungsobergrenze hk approximiert (Abbildung 4.8 ), ⎧ brutto (ω) ⎪ für Ykbrutto (ω) ≤ ak ⎨(1 − qk ) Yk Yk (ω) = ak für ak < (1 − qk ) Ykbrutto (ω) ≤ ak + hk ⎪ ⎩ (1 − qk ) Ykbrutto (ω) − hk für ak + hk < (1 − qk ) Ykbrutto (ω). (4.16) Offenbar gilt Yk (ω) = f Ykbrutto (ω)
180
4 Risikokapital
Yk
ak
ak 1−qk
−hk
ak +hk 1−qk
Ykbrutto
Abb. 4.8 Kombination von Einzelschadenexzedentenrückversicherung und Quotenrückversicherung.
wenn wir
f (x) = (1 − qk ) x 1{x: x≤a˜k } + a˜k 1{x: a˜k <x≤a˜k +h˜ k } + (x − h˜ k ) 1{x: a˜k +h˜ k <x}
mit a˜k = ak / (1 − qk ) , h˜ k = hk / (1 − qk ) setzen. Für diese Rückversicherungsstruktur lassen sich die Variationskoeffizienten vk (Yk ) und vk Ykbrutto mithilfe des folgenden Lemmas berechnen. k Lemma 4.8. Der Einzelbruttoschaden Ykbrutto ∼ Φ0,1 ln( )−m sei lognormalversk teilt mit Parametern mk , sk , der Einzelnettoschaden sei durch Gleichung (4.16) gegeben, wobei wir a˜k = ak / (1 − qk ) , h˜ k = hk / (1 − qk ) setzen. Dann gilt für die Bruttoverteilung Ykbrutto 2 2 1 + vk Ykbrutto = esk und für die Nettoverteilung Yk 2 E (Yk ) = emk +sk /2 − h˜ k − a˜k Φmk ,sk (ln a˜k ) + a˜k + h˜ k Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k 1 − qk 2 2 + emk +sk /2 Φmk +s2 ,sk (ln a˜k ) − emk +sk /2 Φmk +s2 ,sk ln a˜k + h˜ k k
sowie
k
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
E (Yk )2 1 + vk (Yk )2 (1 − qk )
2
181
2 2 = e2mk +2sk − 2 h˜ k emk +sk /2 + h˜ 2k
− a˜2k Φmk ,sk (ln a˜k ) + a˜2k − h˜ 2k Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k 2 ln a˜k + h˜ k + 2 h˜ k emk +sk /2 Φ 2 mk +sk ,sk
+e
2mk +2s2k
Φmk +2s2 ,sk (ln a˜k ) k 2mk +2s2k Φmk +2s2 ,sk ln a˜k + h˜ k . −e k
Beweis. Die erste Behauptung folgt direkt aus den Eigenschaften der Lognormalverteilung, 2 E Y brutto 2 + var Y brutto k k brutto = 1 + vk Yk brutto 2 E Yk 2 2 2 2 2mk +s2k = e + esk − 1 e2mk +sk e−2mk −sk = esk . ln(x)−mk = Φmk ,sk (ln x) gehörende DichDie zur Verteilungsfunktion x → Φ0,1 sk te lautet 1 1 ln x − mk 2 log exp − . φmk ,sk (x) = √ 2 sk x 2πsk Damit erhalten wir für beliebiges c ≥ 0 ∞ ∞ 1 1 ln x − mk 2 log x φmk ,sk (x) dx = √ exp − dx 2 sk c 2πsk c ∞ 1 y − mk 2 1 exp(y) exp − =√ dy 2 sk 2πsk ln c ∞ 1 y2 − 2 mk y + m2k − 2s2k y 1 √ exp − = dy 2 s2k 2πsk ln c ⎛ ⎞ 2 ∞ 2 2 4 y − m + s 1 1 2 mk sk + sk ⎠ 1 k k exp ⎝− + dy =√ 2 sk 2 s2k 2πsk ln c ⎛ 2 ⎞ ∞ 2 y − m + s s2k 1 1 k k ⎠ dy √ exp ⎝− = exp mk + 2 2 sk 2πsk ln c 2 = emk +sk /2 1 − Φmk +s2 ,sk (ln c) . k
Dies impliziert
182
4 Risikokapital
E f Ykbrutto E (Yk ) = 1 − qk 1 − qk =
a˜ k 0
x φmlog (x) dx + a˜k k ,sk
a˜ +h˜ k k a˜k
φmlog (x) dx + k ,sk
∞ a˜k +h˜ k
x − h˜ k φmlog (x) dx k ,sk
Φmk +s2 ,sk (ln a˜k ) + a˜k Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k − Φmk ,sk (ln a˜k ) =e k 2 + emk +sk /2 1 − Φmk +s2 ,sk ln a˜k + h˜ k k ˜ , − hk 1 − Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k
mk +s2k /2
was die zweite Behauptung beweist. Für die dritte Behauptung müssen wir E (Yk )2 1 + vk (Yk )2 = var (Yk ) + E (Yk )2 = E Yk2 bestimmen. Wir berechnen zunächst ∞ c
x2 φmlog (x) dx k ,sk
ln x − mk 2 dx sk c ∞ 1 y − mk 2 1 dy exp(2y) exp − =√ 2 sk 2πsk ln c 2 ∞ 2 y − mk − 2 s2k 1 1 =√ dy exp − − 2 2sk + 2mk 2 sk 2πsk ln c 2 = e2mk +2sk 1 − Φmk +2s2 ,sk (ln c) . 1 =√ 2πsk
∞
1 x exp − 2
k
Damit ergibt sich a˜k a˜k +h˜ k E Yk2 2 log 2 = x φ (x) dx + a ˜ φmlog (x) dx m ,s k k k k ,sk 0 a˜k (1 − qk )2 ∞ x2 − 2 x h˜ k + h˜ 2k φmlog (x) dx + k ,sk a˜k +h˜ k
2 = e2mk +2sk Φmk +2s2 ,sk (ln a˜k ) + a˜2k Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k − Φmk ,sk (ln a˜k ) k 2 + e2mk +2sk 1 − Φmk +2s2 ,sk ln a˜k + h˜ k k mk +s2k /2 ˜ 1 − Φmk +s2 ,sk ln a˜k + h˜ k − 2 hk e k , + h˜ 2k 1 − Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k woraus die dritte Behauptung folgt.
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
183
Aus Lemmata 4.7 und 4.8 lassen sich nun die Variationskoeffizienten approximativ berechnen. 7 2 8 8 Prem,k Prem,brutto,k 9 1 + vk (Yk ) ≈ vk XˆNL vk XˆNL brutto 2 1 + vk Yk 7 Prem,brutto,k 8 8 E (Yk )2 1 + vk (Yk )2 vk XˆNL E (Yk ) −2 9 =
2 1 − qk (1 − qk )2 1 + vk Ykbrutto 2 Prem,brutto,k e−sk /2 = vk XˆNL 2 2 e2mk +2sk − 2 h˜ k emk +sk /2 + h˜ 2k − a˜2k Φmk ,sk (ln a˜k ) + a˜2k − h˜ 2k Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k 2 + 2 h˜ k emk +sk /2 Φmk +s2 ,sk ln a˜k + h˜ k k
+e
2mk +2s2k
−e
2mk +2s2k
Φmk +2s2 ,sk (ln a˜k )
˜ Φmk +2s2 ,sk ln a˜k + hk k
k
emk +sk /2 − h˜ k − a˜k Φmk ,sk (ln a˜k ) 2
2 + a˜k + h˜ k Φmk ,sk ln a˜k + h˜ k + emk +sk /2 Φmk +s2 ,sk (ln a˜k ) k −1 2 . (4.17) − emk +sk /2 Φmk +s2 ,sk ln a˜k + h˜ k k
Die Formel ist zwar etwas lang, dafür aber explizit und somit leicht handhabbar. Res,k Für das Reserverisiko XˆNL der Sparte k wird der Effekt der Rückversicherung nicht unternehmensindividuell bestimmt, sondern EIOPA gibt direkt die NettoRes,k Variationskoeffizienten vk XˆNL vor (siehe Tabelle 4.4). gez,k
die im Jahr t gezeichnete Prämie und Ptk die im Jahr t verdiente Es sei Pt Prämie der Sparte k. Wir bezeichnen mit uprtk den Eingangsprämienübertrag vom vorhergehenden Jahr t − 1 („Unearned Premium Reserve“) zu Beginn des Jahres t. Dann gilt gez,k k + uprtk − uprt+1 . Ptk = Pt Der Teil des Barwerts der Nettoprämie für zum Zeitpunkt t bereits existierende Verträge, von dem erwartet wird, dass er nach dem Zeitpunkt t +1 verdient wird, sei mit Ptzukünft,k bezeichnet. Ptzukünft,k ist damit ein Teil der Prämienreserve. Dieser Term verschwindet, wenn alle Versicherungsverträge eine Laufzeit von maximal einem Jahr (ohne Verlängerungsoption) haben.
184
4 Risikokapital
Tabelle 4.4 Von EIOPA Variationskoeffizienten [26].
bereit
gestellte
industrieübergreifende
Brutto-
Prem,brutto,k Res,k vk XˆNL vk XˆNL
k
Sparte
1
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
10%
9.5%
2
Sonstige Kraftfahrzeugversicherung
7%
10%
3
Transport- und Luftfahrtversicherung
17%
14%
4
Feuer- und Sachversicherung
10%
11%
5
Haftpflichtversicherung
15%
11%
6
Kredit- und Kautionsversicherung
21.5%
19%
7
Rechtschutzversicherung
6.5%
9%
8
Beistandsleistungsversicherung
5%
11%
9
Sonstige Schadenversicherungen
13%
15%
10
Nicht-Proportionale Rückversicherung (Sachversicherung)
17.5%
20%
11 Nicht-Proportionale Rückversicherung (sonstige Versicherung)
17%
20%
12
16%
20%
Nicht-Proportionale Rückversicherung (Transport- und Luftfahrtversicherung)
Als Volumenmaß für das Prämienrisiko wird gez,k gez,k k , Pt + Ptzukünft,k VtPrem,k = max Pt−1 , Pt k k k = max Pt−1 − uprt−1 + uprtk , Ptk − uprtk + uprt+1 , Ptk + Ptzukünft,k Prem,k = VtPrem,k angenommen. Diese Annahme enthält gewählt, und es wird E XˆNL ein Sicherheitspolster aufgrund der Maximierung in der Definition von VtPrem,k . Ähnlich wie in Abschnitt 4.6.1.3 sei Rk der deterministische Best Estimate der nicht-diskontierten Schadenrückstellungen zum Zeitpunkt 0 für noch nicht regulierte Schäden, die in den vorherigen Jahren angefallen sind. Das deterministische Zahlungsmuster für diese Schäden sei mit βtk t≥1 bezeichnet. Es erfüllt die Nor∞ βtk = 1. Das Volumenmaß für das Reserverisiko ist der mierungsbedingung ∑t=1 Best Estimate der benötigten, mit dem risikofreien Zins st diskontierten Schadenrückstellungen und daher durch VtRes,k = Rk
∞
βtk τ=1 (1 + sτ )
∑ ∏t
t=1
Res,k gegeben. Es wird E XˆNL = VtRes,k angenommen. Offenbar gilt dann für das Prämien-Reserverisiko
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
185
Prem,Res μ = E XˆNL =
12
∑E
k=1
= ∑ VtPrem,k +VtRes,k .
12 Prem,k Res,k XˆNL + ∑ E XˆNL k=1
12
(4.18)
k=1
Für die Korrelation zwischen Prämienrisiko und Reserverisiko wird von EIOPA k = 0.5 vorgegeben. Der Variationskoeffizient des kombider Schätzwert ζPrem,Res nierten Prämien- und Reserverisikos der Sparte k ist dann durch
Prem,Res,k vk XˆNL =
σtPrem,k
2
k + 2 ζPrem,Res σtPrem,k σtRes,k + σtRes,k
2
(4.19) VtPrem,k +VtRes,k Prem,k Res,k und σtRes,k = VtRes,k vk XˆNL gegeben, wobei wir σtPrem,k = VtPrem,k vk XˆNL gesetzt haben. Prem,Res zu berechnen, wird eine Korrelationsmatrix (ζkl )k,l∈{1,...,12} Um vk XˆNL für die kombinierten Prämien- und Reserverisiken der einzelnen Sparten herangezogen,
Prem,Res,k σ Prem,Res,l ∑12 k,l=1 ζkl σ Prem,Res vk XˆNL , = μ Prem,Res,k gesetzt haben14 und die wobei wir σ Prem,Res,k = VtPrem,k +VtRes,k vk XˆNL Korrelationsmatrix (ζkl )k,l∈{1,...,12} durch ⎞ 1 0.50 0.50 0.25 0.50 0.25 0.50 0.25 0.50 0.25 0.25 0.25 ⎜ 1 0.25 0.25 0.25 0.25 0.50 0.50 0.50 0.25 0.25 0.25 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.25 0.25 0.25 0.25 0.50 0.50 0.25 0.25 0.50 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.25 0.25 0.25 0.50 0.50 0.50 0.25 0.50 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.50 0.50 0.25 0.50 0.25 0.50 0.25 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.50 0.25 0.50 0.25 0.50 0.25 ⎟ ⎟ ⎜ (ζkl )k,l∈{1,...,12} = ⎜ 1 0.25 0.50 0.25 0.50 0.25 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.50 0.50 0.25 0.25 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.25 0.25 0.50 ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ 1 0.25 0.25 ⎟ ⎟ ⎜ ⎝ 1 0.25 ⎠ 1 ⎛
gegeben ist. Anmerkung 4.17. Rückversicherungskosten und -provision gehen nicht direkt in die Berechnung des SCR ein, da sie bereits in der Bestimmung der Vermögenswerte berücksichtigt sind. 14
Für geographisch diversifizierte Portfolios wird diese Formel im Standardmodell adjustiert.
186
4 Risikokapital
Stornorisiko Das Stornorisiko ist dann relevant, wenn bei der Berechnung der Reseven davon ausgegangen wird, dass ein gewisser Teil der Versicherten auch in Zukunft (das heißt, nach dem Beobachtungsjahr) Prämien zahlen. Das Stornorisiko wird über Szenarien bestimmt. Dazu wird das Versicherungsgeschäft unter den folgenden Annahmen projiziert: (i) 50% höhere Stornorate als erwartet in jedem folgenden Jahr, wobei jedoch ein Gesamtstorno von 100% nicht überschritten werden soll, (ii) erwartete Stornorate in jedem folgenden Jahr, (iii) 50% geringere Stornorate als erwartet in jedem folgenden Jahr. Wir bezeichnen das Nettoergebnis (Nettowert von Assets − Verpflichtungen) mit Storno Storno NAVStorno 50% , NAV0% , NAV−50% . Dann ist das SII Risikokapital für das NichtlebenStornorisiko durch Storno − E NAVStorno , E (NAV0% ) − E NAVStorno SCRLapse 50% −50% NL = max E NAV0% gegeben. Diese Erwartungswerte werden nicht stochastisch, sondern approximativ als Resultat der Rechnung mit erwarteten Parametern und entsprechend adjustierten Stornoraten berechnet.
Katastrophenrisiko Das Katastrophenrisiko wird durch die Analyse von standardisierten Katastrophenszenarien oder durch eine alternative faktorbasierte Formel erfasst. Im allgemeinen wird den szenariobasierten Methoden der Vorzug gegeben. Faktorbasierte Methoden weden angewandt, • wenn die standardisieren Szenarien nicht anwendbar sind, • falls partielle interne Modelle nicht angemessen sind, • für die Sparte „sonstige Schadenversicherung“ (k = 9). Standardisierte Katastrophenszenarien Katastrophenszenarien werden in Naturkatastrophen, • • • •
Sturm, Erdbeben, Flut, Hagel,
und durch menschliche Handlungen herrührende Katastrophen, • Kraftfahrt (z.B., Autounfall verursacht Zugunglück, Feuer im Tunnel, Busunfall, bei dem eine ganze Fußballmannschaft der Bundesliga stirbt)
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
• • • • •
187
Seefahrtkatastrophe (z.B. Kollision eines Passagierschiffs mit einem Öltanker), Kredit (stark erhöhte Defaults und Rezession), Luftfahrt, Haftpflicht, Terrorismus
unterschieden. Es wird angenommen, dass Katastrophenrisiken von den durch Menschen verursachten Katastrophen unabhängig sind. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, die standardisierten Katastrophenszenarien im einzelnen zu beschreiben. Die Naturkatastrophenszenarien berücksichtigen geographische Abhängigkeiten als auch Abhängigkeiten zwischen Sparten. Faktorbasiertes Katastrophenmodell Im faktorbasierten Katastrophenmodell werden katastrophale Einzelereignisse modelliert, indem die gezeichnete Bruttoprämie mit einem Faktor multipliziert wird. Einige dieser Ereignisse betreffen mehr als eine Sparte, und einige Sparten sind von mehr als einem Einzelereignis betroffen. Dabei wird angenommen, dass jeder Versicherungsvertrag von höchstens einem Ereignis betroffen ist. Um Doppelzählungen zu vermeiden, wird daher die Prämie für jede Sparte k auf die diese Sparte betreffenden Ereignisse i aufgeteilt. Mit der faktorbasierten Formel beträgt das Kapital für das Nichtleben-Katastrophenrisiko 7 8 2 8 8 brutto,gez 2 brutto,gez 8 + c11 Pt,11 ∑i∈{1,2,3,5} ci Pt,i 8 SCRCat , NL = 8 9 brutto,gez 2 brutto,gez brutto,gez 2 + ∑i∈{4,7,8,9,10,12} ci Pt,i + c6 Pt,6 + c13 Pt,13 wobei
brutto,gez
Pt,i
=
∑ λik Ptbrutto,gez,k
k∈Ai
und die Faktoren ci sowie die Mengen Ai in Tabelle 4.5 definiert sind. Die Koeffizienten λik modellieren die Aufteilung der gezeichneten Bruttoprämie der Sparte k auf die diese Sparte betreffenden Ereignisse und erfüllen daher
∑
λik = 1.
i∈{ j : k∈A j }
Diese Koeffizienten werden vom Unternehmen bestimmt.
188
4 Risikokapital
Tabelle 4.5 Katastrophenfaktoren und Zuordnungen zu Sparten i
Ereignis
1
Sturm
{2, 4} 175%
2
Flut
{2, 4} 113%
3
Erdbeben
{2, 4} 120%
4
Hagel
Ai
{2}
ci
30%
5
Großfeuer, Explosionen
{4} 175%
6
Transport- und Luftfahrtkatastrophen
{3} 100%
7
Motorhaftpflichtkatastrophen
{1}
40%
8
Haftpflichtkatastrophen
{5}
85%
{6} 139%
9
Kredit- und Kautionskatastrophen
10
Sonstige Schadenkatastrophen
11
Katastrophen in der nicht-proportionalen Rückversicherung (Sachversicherung)
{10} 250%
12
Katastrophen in der nicht-proportionalen Rückversicherung (sonstige Versicherung)
{11} 250%
13
Katastrophen in der nicht-proportionalen Rückversicherung (Transport- und Luftfahrtrückversicherung)
{12} 250%
{9}
40%
Gesamtrisiko Das Prämien- und Reserverisiko und das Katastrophenrisiko werden mithilfe eines NL Korrelationskoeffizienten ζPremRes,Kat miteinander aggregiert: 7 8 8 SCRPrem,Res 2 + SCRLapse 2 + SCRCat 2 8 NL NL NL SCRNL = 8 2 , 9 Lapse 2 Prem,Res NL SCRNL +2 ζPremResStorno,Kat SCRCat + SCRNL NL NL wobei der Wert ζPremResStorno,Kat = 0.25 vorgegeben wird.
Beispiel 4.13. Die XYZ-AG hat 3 Sparten, Feuer F, Haftpflicht H und Diebstahlversicherung D. Alle Versicherungsverträge haben eine Laufzeit von jeweils einem Jahr, und es gibt keine automatische Verlängerungsoption. XYZ-AG hat jede Sparte über eine einfache Quote und die Sparte Feuer überdies durch einen Einzelschadenexzedenten mit den Parametern aF = 0.2, hF = 0.5 rückversichert. Schadenquote, Kosten und Rückversicherungsprovision werden für die Berechnung nicht benötigt. Damit gibt Tabelle 4.6 die für die Berechnung relevanten unternehmensindividuellen Größen an. Damit ergibt sich für die verdiente Prämie
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
189
Tabelle 4.6 Unternehmensindividuelle Inputs für die Berechnung des Prämien-Reserve-Risikos. PY = t − 1 F brutto,gez,k Pt uprtk VtRes,k
H
D
CY = t F
NY = t + 1 F
H
D
500 200 50 600 300 100 —
—
—
70
H
D
50
20
5
12
75
45
15
—
—
— 200 150 20
40
—
—
—
25% 20% 20% 25% 20% 20% 25% 20% 20%
qk ak
—
—
—
0.2
1
1
—
—
—
hk
—
—
—
0.5
0
0
—
—
—
—
—
0.1 0.1 0.1
—
—
—
—
— 50% 60% 70% —
—
—
E Ykbrutto — brutto vk Yk —
⎛
⎞ ⎛ ⎞ 355 445 PPY = ⎝ 180 ⎠ , PCY = ⎝ 235 ⎠ 33 77 ⎛
⎞ 450 VtPrem = ⎝ 240 ⎠ . 80
und somit
Tabelle 4.7 enthält die Zinskurve und das von XYZ-AG ermittelte Abwicklungsmuster der Reserven. Damit ergibt sich ⎛ ⎞ 191.43 VtRes = ⎝ 140.83 ⎠ und μ = 1121.51. 19.25
Tabelle 4.7 Zinskurve und Abwicklungsmuster der Reserven t
st
βtF βtH βtD 10 14 4 14
5 3.2% 0
10 28 9 28 6 28 2 28 1 28
6 3.2% 0
0
0
1 3% 2 3.1% 3 3.15%
10 17 6 17 1 17
4 3.2% 0
0 0 0
Prem,k zu bestimmen, berechnet XYZ-AG Um die Variationskoeffizienten vk XNL zunächst die Parameter der Netto-Einzelschadenverteilungen,
190
4 Risikokapital
⎛
⎞
⎛
⎞
⎛
⎞
⎛
⎞ −2.41 0.47 0.075 0.48 m = ⎝ −2.46 ⎠ , s = ⎝ 0.55 ⎠ , E (Y ) = ⎝ 0.080 ⎠ , vk (Y ) = ⎝ 0.60 ⎠ −2.50 0.63 0.080 0.70 XYZ-AG ordnet die Diebstahlversicherung der Sparte „sonstige Schadenversicherung“ zu. Die vorgegebenen Bruttovariationskoeffizienten für das Prämienrisiko betragen dann ⎛ ⎞ 10.0% Prem,brutto,k = ⎝ 15.0% ⎠ , vk XNL k∈{4,5,9} 13.0% und Gleichung (4.17) ergibt ⎛ ⎞ 0.099 Prem,k vk XNL = ⎝ 0.150 ⎠ . 0.130 Da die vorgegebenen Variationskoeffizienten für das Reserverisiko ⎛ ⎞ 11.0% Res,k = ⎝ 11.0% ⎠ vk XNL k∈{4,5,9} 15.0% betragen, ergibt sich
Prem,Res,k vk XˆNL
⎛
⎞ 0.091 = ⎝ 0.120 ⎠ . k∈{4,5,9} 0.122
Mit dem relevanten Ausschnitt aus der Korrelationsmatrix, ⎛ ⎞ 1 0.25 0.50 (ζkl )k,l∈{4,5,9} = ⎝ 0.25 1 0.50 ⎠ , 0.50 0.50 1 berechnet XYZ-AG
Prem,Res = 0.0807. vk XˆNL
Das SCR für das Prämien-Reserve-Risiko beträgt also SCRPrem,Res = 1376. NL XYZ-AG benutzt ein internes Modell für die Berechnung der Nettoergebnisse unter den Szenarien, dass die Stornorate wie erwartet, um 50% höher als erwartet ausfällt bzw. um 50% geringer als erwartet ausfällt, und erhält NAV0% = 3000, NAV50% = 2800, NAV−50% = 3100.
4.6 Risikokapitalmodelle in der Praxis
191
Damit ergibt sich als SCR für das Stornorisiko Lapse
SCRNL
= max (3000 − 2800, 3000 − 3100) = 200.
Das SCR für das kombinierte Risiko ist somit Prem,Res,Lapse SCRNL = 13762 + 2002 = 1390. Bezüglich des Katastrophenrisikos argumentiert XYZ-AG, dass die Standardszenarien für die Versicherungsnische, die XYZ-AG bedient, nicht geeignet sind. XYZ-AG benutzt daher das faktorbasierte Katastrophenmodell. Die Sparten Feuer, Haftpflicht, sonstige Schadenversicherung entsprechen den Spartenindizes F = 4, H = 5, D = 9. Da die Mengen Ai mit {4, 5, 9} ∩ Ai = 0/ durch A1 = A2 = A3 = {2, 4} , A5 = {4} , A8 = {5} , A10 = {9} gegeben sind, folgt brutto,gez
Pt,i
brutto,gez Pt,8 brutto,gez Pt,10 brutto,gez Pt,i
brutto,gez,F
= λiF Pt =
für i ∈ {1, 2, 3, 5},
brutto,gez,H Pt , brutto,gez,D
= Pt =0
,
für i ∈ {4, 6, 7, 9, 11, 12, 13}.
Die vom Unternehmen ermittelten Faktoren λik sind in Tabelle 4.8 aufgeführt. Es ergibt sich 7 8 2 2 2 8 8 c1 λ1F Ptbrutto,gez,F + c2 λ2F Ptbrutto,gez,F + c3 λ3F Ptbrutto,gez,F 8 SCRCat NL = 9 brutto,gez,F 2 brutto,gez,H 2 brutto,gez,D 2 + c5 λ5F Pt + c8 Pt + c10 Pt $ (1.75 × 60)2 + (1.13 × 120)2 + (1.2 × 180)2 + (1.75 × 240)2 = +(0.85 × 300)2 + (0.4 × 100)2 = 564.9. Insgesamt erhält XYZ-AG SCRNL = 13902 + 2 × 0.25 × 1390 × 564.9 + 564.92 = 1626.
192
4 Risikokapital
Tabelle 4.8 Aufteilung λik der Bruttoprämie jeder Sparte auf die Katastrophenereignisse. Sparte Ereignis F
H
D
1
10%
—
—
2
20%
—
—
3
30%
—
—
5
40%
—
8
— 100%
10
—
—
— — 100%
Kapitel 5
Kapitalallokation
5.1 Einführung Hat die den Verlust beschreibende Zufallsvariable X mehr als einen Risikotreiber, so stellt sich die Frage, wie diese Risikotreiber zum Gesamtrisiko beitragen. Ihre Antwort würde es ermöglichen, Einzelrisiken unter Berücksichtigung von Diversifikationseffekten im Gesamtportfolio zu bewerten. Wir betrachten m risikobehaftete Portfolios, deren Risiken auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω , F , P) durch die Zufallsvariablen X1 , . . . , Xm beschrieben werden. Das Risiko des Gesamtportfolios wird dann durch die Zufallsvariable X = X1 + · · · + Xm modelliert. Umgekehrt können wir vom Gesamtunternehmen ausgehen und es in m Geschäftsbereiche aufteilen: Definition 5.1. X ∈ M (Ω , R) sei die den Verlust beschreibende Zufallsvariable eines Unternehmens. Eine Aufteilung in Geschäftsbereiche (oder kurz Aufteilung) ist ein Zufallsvektor (X1 , . . . , Xm ) mit ∑m i=1 Xi = X. Wir bezeichnen die Menge der Aufteilungen mit MX (Ω ). Ist (X1 , . . . , Xm ) eine Aufteilung in Geschäftsbereiche, so repräsentiert Xi den Verlust, der dem Geschäftsbereich i zuzuordnen ist. Dabei kann der Begriff „Geschäftsbereich“ sehr weit gefasst sein. Die Aufteilung des Gesamtgeschäfts könnte zum Beispiel anhand von • • • • •
Produktgruppen, Profitcenter, Sparten, das durch die verschiedenen Vertriebswege vermittelte Geschäft, Risiken, die in irgendeiner Weise das Gesamtgeschäft betreffen,
erfolgen. Für jeden dieser Fälle kann aus Steuerungsgesichtspunkten der Beitrag der Geschäftszweige zum Gesamtgeschäft von Interesse sein.
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
193
194
5 Kapitalallokation
Die Summationsbedingung in Definition 5.1 sagt einfach aus, dass jeder Verlust des Gesamtunternehmens von einem Verlust eines Geschäftsbereichs herrühren muss. Es gibt natürlich auch Risiken, die auf mehrere Geschäftsbereiche ausstrahlen, ohne dass eine klare Zuordnung der Risiken (bzw. der assoziierten Verluste) auf die Geschäftsbereiche möglich ist. Beispiele dafür wären operationelle Risiken, die das Gesamtunternehmen betreffen, wie etwa ein Terroranschlag auf die Zentrale oder ein Reputationsverlust infolge von Managementfehlern oder aber das Kapitalmarktrisiko in der Lebensversicherung, da es in der Regel keine natürliche Zuordnung der Kapitalanlagen auf die Versicherungsprodukte gibt. In diesen Fällen wäre die Zuordnung übergreifender Risiken auf einzelne Geschäftsbereiche Teil der Modellierung und mit einer gewissen Willkür behaftet, die bei einer Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen wäre. Mitunter ist es auch sinnvoll, einen eigenen Geschäftsbereich „Corporate“ zu definieren, der die Risiken auffängt, die einzelnen Geschäftsbreichen nur schwer zuzuordnen sind. Der Rest dieses Kapitels ist der Allokation von Risikokapital auf Geschäftsbereiche gewidmet. Risikokapitalallokation ist nicht unbedingt notwendig für gutes Risikomanagement. Man könnte ebenso gut in einem Gremium Sensitivitäten betrachten, um zu einer optimalen Lösung für das Gesamtunternehmen zu kommen. In der Praxis erweist es sich jedoch häufig als effektiver, einzelnen Bereichen weitgehende Autonomie zu geben. Es wird dann erwartet, dass jeder dieser Bereiche seinen eigenen Vorteil maximiert, ohne notwendigerweise den Vorteil des Gesamtunternehmens zu priorisieren. Um das Interesse der Bereiche mit dem Unternehmensinteresse in Übereinstimmung zu bringen, muss ein gutes Anreizsystem eingerichtet werden. Mit Hilfe der Risikokapitalallokation ist es möglich, als gerecht empfundene Anreizsysteme zu konstruieren. Nach Wahl eines Maßes ρ(X) für das Risikokapital ergibt sich ein Gesamtrisikokapitalbedarf von ρ(X) nach Diversifikation, während ρ (Xi ) das Risikokapital darstellt, das der Geschäftsbereich i im Falle der Eigenständigkeit benötigen würde. Für Geschäftsbereich i einfach den Kapitalbedarf ρ (Xi ) vorzuhalten, liefe darauf hinaus, für das Gesamtgeschäft mehr Kapital als notwendig vorzuhalten, da aufgrund des Diversifikationseffektes im allgemeinen m
ρ(X) < ∑ ρ (Xi ) i=1
gilt. Die Kapitaleinsparung ∑m i=1 ρ (Xi ) − ρ(X) rührt von der Interaktion der einzelnen Risiken her, so dass der Beitrag der einzelnen Risiken zum Einspareffekt in der Regel unterschiedlich ist. Da der Diversifizierungseffekt erst auf Gesamtunternehmensebene durch die Interaktion der Risiken entsteht, ist es nicht möglich, den Anteil der einzelnen Geschäftsbereiche am Gesamtdiversifikationseffekt objektiv zu bestimmen. Daher gibt es kein optimales Risikokapitalallokationsverfahren. Das eigentliche Problem der Risikokapitalallokation besteht darin, diesen Effekt „möglichst gerecht“ mit zu berücksichtigen. Dass eine Risikokapitalallokation als gerecht empfunden wird, ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine wertorientierte Unternehmenssteuerung, die den Erfolg, den Geschäftsbereiche erwirtschaften,
5.1 Einführung
195
den Kapitalkosten, die auf ihren Risikobeitrag zum Gesamtrisiko des Unternehmen zurückzuführen sind, gegenüberstellt. Die Definition, was „gerecht“ heißt, gehört somit zum Problem der Risikokapitalallokation. Anmerkung 5.1. Die Aufteilung von Erfolgsgrößen auf Geschäftsbereiche, die über Erwartungswerte definiert sind, ist wegen der Linearität des Erwartungswerts unproblematisch. Werden andere Erfolgsmaße (wie zum Beispiel der Median) gewählt, müssen Techniken, wie sie in diesem Kapitel beschrieben werden, angewendet werden. Definition 5.2. X sei die Zufallsvariable, die den Verlust des Gesamtunternehmens beschreibt, und (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) eine Aufteilung. Eine Kapitalallokation ist ein Vektor Λ¯ ∈ Rm , dessen i-te Komponente Λ¯ i das dem Geschäftsbereich i allozierte Kapital darstellt. In dieser Allgemeinheit ist die Definition einer Kapitalallokation von geringer Aussagekraft. Wie werden im folgenden zwei Axiome formulieren, die betriebswirtschaftlich motivierte Eigenschaften beschreiben. Der Unterschied zwischen einem Axiom und einer Definition besteht darin, dass ein Axiom eine inhaltliche Verbindung zu einem Gebiet außerhalb der Mathematik darstellt. Unsere beiden Axiome haben den Anspruch, evident zu sein, so dass von jeder sinnvollen Kapitalallokation gefordert werden kann, dass diese Axiome gelten. Daher werden sie als Annahme und nicht als Definition formuliert.1 Eine natürliche Forderung verbindet die Kapitalallokation mit dem Risikomaß: Λ¯ 1 + · · · + Λ¯ m ≥ ρ(X), denn andernfalls würde insgesamt den Geschäftsbereichen weniger Risikokapital alloziert werden, als für das Gesamtunternehmen notwendig ist. Gilt Λ¯ 1 +· · ·+ Λ¯ m > ρ(X), so wird den Geschäftsbereichen unnötiges Exzesskapital alloziert, das den Eignern des Unternehmens zurückerstattet werden kann.2 Daher gehen wir hier von der Idealsituation der Gleichheit aus: Axiom 5.1 (Kein Exzesskapital). (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) sei die Aufteilung in Geschäftsbereiche. Dann wird den Geschäftsbereichen das gesamte Kapital alloziert: m
ρ(X) = ∑ Λ¯ i . i=1
Wir wollen ebenfalls voraussetzen, dass keinem Geschäftsbereich ein höheres Kapital zugeordnet wird als das Risikokapital, das er für sich alleine benötigt. 1
Ein gutes Beispiel für ein fruchtbares Axiomensystem ist die Euklidische Geometrie, die eine (lediglich approximativ gültige) physikalische Theorie des Raums darstellt. 2 In der Praxis gibt es durchaus gute Gründe für das Halten von Exzesskapital. Dies wird in Abschnitt 7.1.1 unter den Stichworten „Risikoappetit“ und „Risikotoleranz“ diskutiert. Es ist allerdings schwer zu motivieren, dass dieses Exzesskapital auf die Geschäftsbereiche aufgeteilt werden sollte, zumindest wenn die Geschäftsbereiche selbst keine eigenständigen Unternehmen sind.
196
5 Kapitalallokation
Denn wenn diese Voraussetzung verletzt wäre, gäbe es aus der Sicht des Geschäftsbereichs einen Antidiversifikationseffekt. Die betriebswirtschaftliche Schlussfolgerung des Geschäftsbereichs wäre seine Abspaltung vom Gesamtunternehmen. Axiom 5.2 (Diversifizierung). (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) sei die Aufteilung in Geschäftsbereiche. Das allozierte Kapital eines Geschäftsbereichs ist nicht höher als sein individuelles Risikokapital, d.h. es gilt Λ¯ i ≤ ρ (Xi ) für jedes i = 1, . . . , n. Definition 5.3. Eine Kapitalallokation Λ¯ heißt Zuteilung für die Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) , falls die Axiome 5.1 und 5.2 erfüllt sind.
5.2 Beispiele Um die folgenden Beispiele zu illustrieren, betrachten wir ein Versicherungsunternehmen, das drei Produktgruppen hat: Feuerversicherung mit Verlustfunktion XF , Wasserschadenversicherung mit Verlustfunktion XW , Computerdiebstahlversicherung mit Verlustfunktion XC . Zur Vereinfachung der Rechnung nehmen wir hier (realitätsfern) an, dass diese Risiken multinormalverteilt sind. Da bei der Löschung eines Brandes Wasserschäden entstehen, erscheint es plausibel, dass XF und XW miteinander korreliert sind. Wir unterstellen, dass die Korrelation 50% beträgt. Ferner wollen wir annehmen, dass XC von XF und XW unabhängig ist. Insgesamt erhalten wir für die Aufteilung X¯ = (XF , XW , XC ) die Korrelationsmatrix ⎛ ⎞ 1 50% 0 corr = ⎝ 50% 1 0 ⎠ . 0 0 1 Der erwartete Gewinn der Sparten und die Standardabweichung seien ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 10 12 σ X¯ = ⎝ 2.5 ⎠ −E X¯ = ⎝ 5 ⎠ , 5 7.5 (für das Vorzeichen vergleiche unsere in Abschnitt 2.2 gegebene Definition der Verlustfunktion). Die Kovarianzmatrix ist dann durch ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ (σF )2 covFW 0 144 15 0 cov = ⎝ covFW (σW )2 0 ⎠ = ⎝ 15 6.25 0 ⎠ 0 0 56.25 0 0 (σC )2
5.2 Beispiele
197
gegeben. Für unser Beispiel wählen wir als Risikomaß den Expected Shortfall ρ = ESα zum Sicherheitsniveau α = 99.5%. Für die weiteren Rechnungen werden wir zur Vereinfachung die Notation −1 (α) φ0,1 Φ0,1 = 2.9, μ = E(X), μi = E(Xi ) für i ∈ {F,W,C} β= 1−α benutzen. Wir stellen Zwischenergebnisse gerundet dar, rechnen aber immer mit den ungerundeten Werten bis zum Endergebnis. Da (XF , XW , XC )T multinormalverteilt ist und ⎞ ⎛ =:A XF X = XF + XW + XC = 1 1 1 ⎝ XW ⎠ XC gilt, ist X ebenfalls normalverteilt und hat die Kovarianzmatrix ⎛
⎞⎛ ⎞ (σF )2 covFW 0 1 A cov AT = 1 1 1 ⎝ covFW (σW )2 0 ⎠ ⎝ 1 ⎠ 1 0 0 (σC )2 ⎞ ⎛ 2 (σF ) + covFW2 2 2 2 ⎝ = 111 covFW + (σW ) ⎠ = (σF ) + (σW ) + (σC ) + 2covFW . 2 (σC )
Wir erhalten also aus Proposition 2.5
σ (X) = (σF )2 + (σW )2 + (σC )2 + 2covFW √ = 144 + 6.25 + 56.25 + 2 × 15 = 15.4
(5.1)
und damit ρ(X) = E(X) + β σ (X) = −20 + 2.9 × 15.4 = 24.5. Für den Expected Shortfall der Marginalverteilungen erhalten wir analog ρ(XF ) = μF + β σF = −10 + 2.9 × 12 = 24.7, ρ(XW ) = μW + β σW = −5 + 2.9 × 2.5 = 2.2, ρ(XC ) = μC + β σC = −5 + 2.9 × 7.5 = 16.7. Dieser Abschnitt ist an [50] angelehnt, wo sich auch weiterführende Ausführungen finden.
198
5 Kapitalallokation
5.2.1 Proportionale Kapitalallokation Definition 5.4. Die proportionale Kapitalallokation für die Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) und den Geschäftsbereich i ist durch ρ (Xi ) ρ (X) proportional = m Λ¯ i ∑ j=1 ρ (X j ) definiert. Dieses Allokationsverfahren hat zwar den Vorteil, dass es einfach zu berechnen ist, allerdings wird die Abhängigkeitsstruktur des Portfolios bei der Aufteilung nicht berücksichtigt. Dies widerspricht dem Ziel der „gerechten“ Aufteilung des Diversifikationseffektes. Proposition 5.1. Für positive, subadditive Risikomaße ist die proportionale Kapitalallokation eine Zuteilung. Beweis. Axiom 5.1 folgt aus m
∑ Λ¯ i
proportional
=
i=1
∑m i=1 ρ (Xi ) ρ (X) = ρ(X). ∑mj=1 ρ (X j )
Da ρ subadditiv ist, gilt ρ(X) = ρ
m
∑ Xj
i= j proportional
und daher Λ¯ i
m
≤ ∑ ρ (X j ) i= j
≤ ρ (Xi ). Damit ist auch Axiom 5.2 erfüllt.
Beispiel 5.1. Da für unser Beispiel ρ (Xi ) = μi + β σi (i ∈ {F,W,C}) gilt, erhalten wir proportional Λ¯ F μF + β σF 24.7 = = = 56.6%, ρ(X) μ + β (σF + σW + σC ) 43.6 proportional Λ¯W μW + β σW 2.2 = = = 5.1%, ρ(X) μ + β (σF + σW + σC ) 43.6 proportional Λ¯C μC + β σC 16.7 = = = 38.3%. ρ(X) μ + β (σF + σW + σC ) 43.6
5.2 Beispiele
199
5.2.2 Marginalprinzipien 5.2.2.1 Diskretes Marginalprinzip (Merton und Perold) Um Diversifizierung mit zu berücksichtigen, kann man im Prinzip der proportionalen Aufteilung das Risikokapital ρ (Xi ) durch den Beitrag des Geschäftsbereichs i zum Gesamtrisiko ersetzen. Dieser Beitrag kann aufgefasst werden als die Differenz aus den Risikokapitalen, die man mit und ohne Xi erhalten würde. Definition 5.5. Die diskrete, marginale Kapitalallokation für die Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) und den Geschäftsbereich i ist durch (ρ(X) − ρ (X − Xi )) ρ(X) diskr. Marginal = m Λ¯ i ∑ j=1 (ρ(X) − ρ (X − X j )) definiert. Die diskrete, marginale Kapitalallokation berücksichtigt sämtliche Interdependenzen des Geschäftsbereichs i in der aktuell gegebenen Unternehmensstruktur, betrachtet jedoch nicht den Effekt einer Ausweitung des Geschäftsbereichs. Primär ist man also daran interessiert, für die gegebene Aufteilung in Geschäftsbereiche das Kapital möglichst gerecht zu verteilen. Anmerkung 5.2. Die diskrete, marginale Kapitalallokation ist im allgemeinen keine Zuteilung, selbst wenn wir die Subadditivität des Risikomaßes fordern. Um dies zu sehen, sei (X1 , X2 ) eine Aufteilung. Wir schreiben ρ (Xi ) = ρi und ε = ρ1 + ρ2 − ρ(X). Dann gilt (ρ1 + ρ2 − ε − ρ2 ) (ρ1 + ρ2 − ε) (ρ1 − ε) (ρ1 + ρ2 − ε) diskr. Marginal = = Λ¯ 1 2ρ1 + 2ρ2 − 2ε − ρ2 − ρ1 ρ1 + ρ2 − 2ε ε (ρ1 − ε) ρ1 + ρ2 − 2ε − ρ1 + ε = ρ1 − ε + = ρ1 − ε ρ1 + ρ2 − 2ε ρ1 + ρ2 − 2ε ρ2 − ε = ρ1 − ε . ρ1 + ρ2 − 2ε Gilt ρ2 < ε und ρ1 + ρ2 − 2ε > 0, so ist Axiom 5.2 verletzt. Dieses Axiom ist auch in unserem Standardbeispiel verletzt. Beispiel 5.2. Analog zur Berechnung von ρ(X) erhalten wir
√ σ (X − XF ) = (σW )2 + (σC )2 = 62.5 = 7.9,
√ σ (X − XW ) = (σF )2 + (σC )2 = 200.25 = 14.2,
√ σ (X − XC ) = (σF )2 + (σW )2 + 2covFW = 180.25 = 13.4
(5.2) (5.3) (5.4)
200
5 Kapitalallokation
und daher ρ(X) − ρ (X − XF ) = μ + β σ − (μW + μC + β σ (X − XF )) = μF + β (σ − σ (X − XF )) = −10 + 2.9 × (15.4 − 7.9) = 11.6, ρ(X) − ρ (X − XW ) = μ + β σ − (μC + μF + β σ (X − XW )) = μW + β (σ − σ (X − XW )) = −5 + 2.9 × (15.4 − 14.2) = −1.4, ρ(X) − ρ (X − XC ) = μ + β σ − (μF + μW + β σ (X − XC )) = μC + β (σ − σ (X − XC )) = −5 + 2.9 × (15.4 − 13.4) = 0.6. Die relative Kapitalallokation ergibt sich mit Z = ∑ (ρ(X) − ρ (X − X j )) = 11.6 − 1.4 + 0.6 = 10.8 j
als diskr. Marginal Λ¯ F 1 11.6 = (ρ(X) − ρ (X − XF )) = = 107%, ρ(X) Z 10.8 diskr. Marginal Λ¯W 1 −1.4 = (ρ(X) − ρ (X − XW )) = = −13%, ρ(X) Z 10.8 diskr. Marginal Λ¯C 1 0.6 = (ρ(X) − ρ (X − XC )) = = 6%. ρ(X) Z 10.8
Für die absolute Kapitalallokation erhalten wir diskr. Marginal = 107% × 24.5 = 26.3 > ρ(XF ), Λ¯ F diskr. Marginal Λ¯W = −13% × 24.5 = −3.3 < 0, diskr. Marginal Λ¯C = 6% × 24.5 = 1.5.
Anmerkung 5.3. Beispiel 5.2 offenbart eine wesentliche Schwäche des diskreten Marginalprinzips. Dem Geschäftsbereich „Feuer“ wird mit dem diskreten Marginalprinzip mehr Kapital alloziert als ohne Berücksichtigung der Diversifikation. Ein derartiges Resultat ist dem Geschäftsbereich Feuer gegenüber kaum kommunizierbar.
5.2.2.2 Kontinuierliches Marginalprinzip (Myers und Read) Eine Alternative zum diskreten Marginalprinzip, das den Gerechtigkeitsgedanken in den Vordergrund stellt, wäre ein Kapitalallokationsprinzip, bei dem lediglich die
5.2 Beispiele
201
Aufteilung einer zusätzlichen infinitesimalen Kapitaleinheit möglichst gerecht wäre. Dies wäre sinnvoll, wenn man die Kapitalallokation dazu benutzen wollte herauszufinden, welche Geschäftsbereiche zu fördern wären. Für ein derartiges Maß wäre also der Steuerungsimpuls primär. Definition 5.6. Es sei (X1 , . . . , Xm ) eine Aufteilung für X und ρ ein Risikomaß. Dann ist m
X˜ : ξ → ∑ ξi Xi i=1
die durch die Aufteilung induzierte Volumenparametrisierung von X, falls ξ → ˜ ) in einer Umgebung von ξ = (1, . . . , 1) differenzierbar ist. ρ X(ξ Die Idee hinter Definition 5.6 besteht darin, dass sich die i-te Komponente des Größenparameters ξ = (ξ1, . . . , ξm ) auf den i-ten Geschäftsbereich bezieht und einen Wachstumsfaktor darstellt. Die Differenzierbarkeitsbedingung ist notwendig, um infinitesimale Beiträge zum Gesamtrisikokapital betrachten zu können. In Definition 5.6 wird implizit angenommen, dass das Wachstum eines Geschäftsbereichs keinen Einfluss auf die anderen Geschäftsbereiche hat. Dies ist in der Realität selten der Fall. Die folgende Definition ist eine Verallgemeinerung von Definition 5.6, die genügend Freiheit bietet, Quereinflüsse von Geschäftsbereichen zu beschreiben. Definition 5.7. Eine Volumenparametrisierung einer den Verlust beschreibenden Zufallsvariablen X zum Risikomaß ρ ist eine Abbildung X˜ : U ⊂ Rm → M (Ω , R) ˜ ), ξ → X(ξ wobei m (i) U eine offene Umgebung von (1, . . . , 1) ∈ R ist, ˜ (ii) ξ → ρ X(ξ ) ist differenzierbar auf U, ˜ . . . , 1) = X. (iii) X(1,
In Definition 5.7 wird nicht mehr explizit von einer Aufteilung ausgegangen. Es wird aber weiterhin die i-te Komponente des Volumenparameters ξ mit dem Wachstum des i-ten Geschäftsbereich identifiziert, und in praktischen, konkreten Beispielen von Definition 5.7 wird in der Regel eine Aufteilung zugrundegelegt. Definition 5.8. Es sei X eine den Verlust beschreibende Zufallsvariable und X˜ Volumenparametrisierung von X zum Risikomaß ρ. Dann ist die kontinuierliche, marginale Kapitalallokation durch ˜ ) ∂ ρ ◦ X(ξ ρ(X) ∂ ξi kont. Marginal = Λ¯ i ˜ ) ∂ ρ ◦ X(ξ ∑mj=1 ∂ξj
(5.5)
202
5 Kapitalallokation
gegeben. Anmerkung 5.4. Offenbar ist Axiom 5.1 erfüllt. Andererseits macht es keinen Sinn, von der Erfülltheit von Axiom 5.2 zu sprechen, da mit der kontinuierlichen, marginalen Kapitalallokation auf natürliche Weise keine Aufteilung assoziiert ist. Wir wollen jetzt die kontinuierliche, marginale Kapitalallokation auf eine von einer Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) induzierten Volumenparametrisierung und homogene Risikomaße spezialisieren. Da für ein homogenes Risikomaß ρ für t ∈ R die Homogenitätsbeziehung m
tρ
∑ ξi Xi
=ρ
i=1
m
∑ tξi Xi
i=1
gilt, folgt durch Ableitung an der Stelle t = 1 ρ
m
∑ ξi Xi
i=1
m
∂ ρ ∑mj=1 ξ j X j
i=1
∂ ξi
= ∑ ξi
.
Diese Ableitungsregel für homogene Funktionen wird Euler-Prinzip genannt. Damit vereinfacht sich die durch Gleichung (5.5) beschriebene marginale Kapitalallokation wie folgt: Definition 5.9. ρ sei ein homogenes Risikomaß. Die Euler-Kapitalallokation für die Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) und den Geschäftsbereich i ist durch ∂ ρ ∑mj=1 ξ j X j Λ¯ iEuler = ∂ ξi |ξ =(1,...,1) gegeben. Proposition 5.2. Die Euler-Kapitalallokation ist für homogene, subadditive Risikomaße eine Zuteilung. Beweis. In Anmerkung 5.4 haben wir bereits festgestellt, dass Axiom 5.1 erfüllt ist. Aus ∂ ρ ∑mj=1 ξ j X j Λ¯ iEuler = ∂ ξi |ξ =(1,...,1) ρ (1 + ε)Xi + ∑mj=1, j=i X j − ρ Xi + ∑mj=1, j=i X j = lim ε→0 ε m ρ (εXi ) + ρ ∑ j=1 X j − ρ Xi + ∑mj=1 X j ≤ lim ε→0 ε ρ (εXi ) ρ (Xi ) = lim ε = ρ (Xi ) = lim ε→0 ε→0 ε ε
5.2 Beispiele
203
folgt die Gültigkeit von Axiom 5.2.
˜ ) = ∑mj=1 ξ j X j die induzierte Volumenparametrisierung Anmerkung 5.5. Es sei X(ξ für ein homogenes Risikomaß ρ, und eine Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) von X. Dann gilt ˜ ˜ )) ∂ E(X(ξ ˜ )) − E(X(ξ ˜ )) ∂ ρ(X(ξ )) . ˜ ))−2 E(Xi )ρ(X(ξ = ρ(X(ξ ˜ )) ∂ ξi ρ(X(ξ ∂ ξi Unter der natürlichen Annahme Λ¯ iEuler > 0 folgt somit ˜ )) ∂ E(X(ξ E(Xi ) E(X) . > 0 ⇔ Euler > ˜ )) ξ =(1,...,1) ∂ ξi ρ(X(ξ ρ(X) Λ¯ i Dies bedeutet, dass das Rendite-Risiko-Verhältnis des i-ten Geschäftsbereichs unter dem Euler-Prinzip genau dann als überdurchschnittlich eingeschätzt wird, wenn die Erweiterung des Geschäftsbereichs das Rendite-Risiko-Verhältnis des Gesamtunternehmens verbessert. Wir wollen nun die Euler-Kapitalallokation weiter auf den Fall spezialisieren, dass ρ(X) = a E(X) + β σ (X) eine Linearkombination von Erwartungswert und Standardabweichung ist. Offenbar ist dieses Risikomaß homogen. Es gilt 7 8 m m m ˜ ) ∂ ∂ ρ ◦ X(ξ ∂ 8 9 =a E ∑ ξj Xj + β cov ∑ ξ j X j , ∑ ξk Xk ∂ ξi ∂ ξi ∂ ξi j=1 j=1 k=1 m m β 1 ∂ cov ∑ ξ j X j , ∑ ξk Xk = a E(Xi ) + 2 σ ∂ ξi i=1 k=1 β 1 m 2 ∑ ξ j cov (Xi , X j ) 2 σ j=1 cov Xi , X˜ . = a E(Xi ) + β σ
= a E(Xi ) +
˜ . . . , 1) = X erhalten wir damit die folgende Aufgrund unserer Normalisierung X(1, Kapitalallokation. Definition 5.10. Die Kapitalallokation nach dem Kovarianzprinzip für die Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) ∈ MX (Ω ) und den Geschäftsbereich i ist durch cov (Xi , X) . Λ¯ iKovarianz = a E(Xi ) + β σ gegeben. Proposition 5.3. Die Kapitalallokation nach dem Kovarianzprinzip ist eine Zuteilung.
204
5 Kapitalallokation
Beweis. Dies folgt aus Proposition 5.2 und der Subadditivität des Risikomaßes X → a E(X) + β σ (X). ˜ ) = ∑m Beispiel 5.3. In unserem Beispiel setzen wir X(ξ i=1 ξi Xi . Wir können dann direkt das Kovarianzprinzip anwenden. Wegen cov (Xi , X) = cov (Xi , XF ) + cov (Xi , XW ) + cov (Xi , XC ) = coviF + coviW + coviC und a = 1 erhalten wir β Λ¯ FKovarianz = μF + σ
(σF )2 + covFW
2.9 × (144 + 15) = 19.9, 15.4 β (σW )2 + covFW Λ¯WKovarianz = μW + σ 2.9 × (6.25 + 15) = −1.0, = −5 + 15.4 β Λ¯CKovarianz = μC + (σC )2 σ 2.9 × 56.25 = 5.6. = −5 + 15.4 = −10 +
beziehungsweise Λ¯ FKovarianz 19.9 = = 81%, ρ(X) 24.5 Λ¯WKovarianz −1.0 = = −4%, ρ(X) 24.5 Λ¯CKovarianz 5.6 = = 23%. ρ(X) 24.5
Anmerkung 5.6. Wir erhalten eine negative Kapitalallokation für den Produktbereich W , da der erwarte Ertrag −μW höher als das W zuzuordnende Risiko ist. In diesem Fall kann das Risiko durch den erwarteten Ertrag absorbiert werden. Es ist auch möglich, Beispiele zu konstruieren, in denen der durch den Produktbereich verursachte Diversifikationseffekt höher als das assoziierte Risiko ist. Dies kann zu einer negativen Kapitalallokation führen, die nicht durch den erwarteten Ertrag abgedeckt wird. Wenn zum Beispiel corrFW = −50% anstelle von corrFW = 50% angenommen wird, ergibt sich
5.2 Beispiele
205
Λ¯ FKovarianz = 18.1, Λ¯WKovarianz = −6.9, Λ¯CKovarianz = 7.2. In diesem Fall gilt also −μW + Λ¯WKovarianz < 0. Eine derart negative Kapitalallokation kann in einigen Fällen durchaus angemessen sein, wenn diese eine interne Hedgewirkung eines Geschäftsbereichs reflektiert. Man denke z.B. an einen Rentenversicherer, der zusätzlich Risikoversicherungen einführt. Bei einer negativen Kapitalallokation kann jedoch der RORAC nicht als risikoadjustiertes Leistungsmaß verwendet werden, da ein negativer RORAC nicht interpretierbar ist.
5.2.3 Spieltheoretische Kapitalallokationsprinzipien Eine wirklich gerechte Zuteilung kann es nicht geben. Allerdings ist es möglich, Zuteilungen zu identifizieren, die allgemein als ungerecht empfunden werden und die man deshalb ausschließen möchte. Eine Koalition B von Geschäftsbereichen würde es zum Beispiel als ungerecht empfinden, wenn sie für sich alleine weniger Kapital bräuchte, als ihr durch eine Zuteilung Λ¯ zugeteilt wird. Diese Geschäftsbereiche würden dann eine Quersubvention für die restlichen Geschäftsbereiche liefern. Es sei X¯ = (X1 , . . . , Xm ) eine Aufteilung in Geschäftsbereiche vorgegeben. Ist ρ das Risikomaß, so ist das für die Koalition B ⊆ {1, . . . , m} von Geschäftsbereichen notwendige Kapital durch ζX¯ (B) = ρ
∑ Xi
i∈B
gegeben. Ist ρ subadditiv, so gilt für alle B,C ⊆ {1, . . . , m} die Subadditivitätsbedingung ρX¯ (B ∪ C) ≤ ρX¯ (B) + ρX¯ (C). Wir können daher für unsere Diskussion unser Risikomaß auf eine einfachere, auf einer endlichen Menge definierten, Abbildung mit analogen Eigenschaften zurückführen. Dies motiviert die folgende Definition. Definition 5.11. Eine Abbildung ζ : P ({1, . . . , m}) → R, B → ζ (B) ist ein diskretes Risikomaß, falls ζ (0) / = 0 und ζ (B) ≥ 0 für alle B,C ∈ P ({1, . . . , m}). Ein diskretes Risikomaß heißt subadditiv, falls ζ (B ∪C) ≤ ζ (B) + ζ (C) für alle B,C ∈ P ({1, . . . , m}) gilt. Ebenso wie das Konzept des Risikomaßes lässt sich das Konzept der Zuteilung „diskret“ formulieren: Definition 5.12. Eine diskrete Zuteilung für ein diskretes Risikomaß ζ ist ein Vektor λ¯ mit ¯ (i) ζ ({1, . . . , m}) = ∑m i=1 λi ¯ (ii) λi ≤ ζ ({i}) für alle i ∈ {1, . . . , m}.
206
5 Kapitalallokation
Offenbar induzieren eine Aufteilung, ein subadditives Risikomaß und eine Zuteilung ein diskretes, subadditives Risikomaß ζ und eine diskrete Zuteilung für ζ . Daher sind diskrete Zuteilungen für die Kapitalallokation relevant. Die Idee einer ungerechten Zuteilung wird durch den Begriff der dominanten, diskreten Zuteilung formalisiert: Definition 5.13. Es sei ζ ein diskretes Risikomaß. Eine diskrete Zuteilung λ¯ dominiert die diskrete Zuteilung λ¯ bezüglich B, falls (i) λ¯ i < λ¯ i ∀i ∈ B (ii) ζ (B) ≤ ∑i∈B λ¯ i gilt. Die dominante diskrete Zuteilung λ¯ ordnet allen Geschäftsbereichen aus B weniger Risikokapital zu als die dominierte diskrete Zuteilung λ¯ . Überdies können diese Geschäftsbereiche die für sie günstigere Zuteilung durchsetzen, indem sie sich als eigenständiges Unternehmen B vom Gesamtunternehmen abspalten. Das folgende Theorem gibt ein Kriterium dafür an, dass diese Form der Ungerechtigkeit nicht auftritt. Theorem 5.1. Genau dann gibt es keine diskrete Zuteilung, die bezüglich einer Teilmenge von Geschäftsbereichen die diskrete Zuteilung λ¯ dominiert, wenn für alle B ⊂ {1, . . . , m} gilt: ∑i∈B λ¯ i ≤ ζ (B). Beweis. Ist λ¯ eine diskrete Zuteilung, die λ¯ bezüglich B dominiert, so gilt
∑ λ¯ i > ∑ λ¯ i ≥ ζ (B) .
i∈B
i∈B
Sei nun umgekehrt λ¯ eine diskrete Zuteilung, die von keiner diskreten Zuteilung bezüglich B dominiert wird. Da nach Definition einer diskreten Zuteilung m
ζ ({1, . . . , m}) = ∑ λ¯ i
und
ζ ({i}) ≥ λ¯ i
i=1
für alle i ∈ {1, . . . , m} gilt, nehmen wir im Folgenden an, es gebe eine Teilmenge B mit 1 < #B < m und ζ (B) < ∑ λ¯ i . i∈B
Wir wählen eine solche Teilmenge B mit minimaler Mächtigkeit #B. Wir finden ein ε > 0, so dass ∑i∈B λ¯ i − ε#B > ζ (B) gilt. Wegen m
∑ ζ ({i}) ≥ ζ ({1, . . . , m) − ζ (B) = ∑ λ¯ i − ζ (B)
i∈B /
i=1
= ∑ λ¯ i − ε#B − ζ (B) + ∑ λ¯ i + ε#B i∈B
> ∑ λ¯ i + ε#B, i∈B /
i∈B /
5.2 Beispiele
207
/ B, wählen, so dass λ¯ i ≤ ζ ({i}) und der Wahl von #B können wir εi > 0, i ∈ λ¯ i := λ¯ i + εi ≤ ζ (Xi ) ,
i∈ / B,
und ∑i∈B / εi = ε#B gilt. Indem wir λ¯ i := λ¯ i − ε,
i ∈ B, setzen, haben wir eine diskrete Zuteilung λ¯ = λ¯ 1 , . . . , λ¯ m gefunden, die λ¯ bzgl. B dominiert, im Widerspruch zur Voraussetzung. Also muss für alle Teilmengen B ζ (B) ≥ ∑ λ¯ i i∈B
gelten.
Ein Teilziel des spieltheoretischen Ansatzes ist es, einen Zuteilungsalgorithmus zu finden, dessen Ergebnis nicht bezüglich irgendeiner Koalition von Geschäftsbereichen von einer anderen Zuteilung dominiert wird.
5.2.3.1 Shapley Algorithmus Definition 5.14. Es sei ζ : P ({1, . . . , m}) → R ein diskretes Risikomaß und B ⊂ {1, . . . , m} ein Teil der Geschäftsbereiche. Der Kapitalbeitrag des Geschäftsbereichs i ∈ {1, . . . , m} zu den Geschäftsbereichen B ist durch Δi (ζ , B) = ζ (B ∪ {i}) − ζ (B) gegeben. Für i ∈ B gilt offenbar Δi (ζ , B) = 0. Am liebsten hätte man ein Verfahren zur Konstruktion einer diskreten Zuteilung, die von keiner anderen diskreten Zuteilung dominiert wird. Leider ist uns kein allgemeines Verfahren bekannt. Das nächst beste Verfahren ist, ein einleuchtendes Axiomensystem zu definieren, das eine Zuteilung weitgehend bestimmt. Diesen Weg werden wir im folgenden einschlagen. Definition 5.15. Es sei R eine Teilmenge der diskreten Risikomaße ζ : P ({1, . . . , m}) → R. Eine Abbildung λ : R → Rm heißt Shapley-Algorithmus, falls für alle ζ , ζ1 , ζ2 ∈ R die folgenden Eigenschaften erfüllt sind: (i) Für jedes Paar von Geschäftsbereichen i, j mit Δ i (ζ , B) = Δ j (ζ , B) für alle B mit i, j ∈ B gilt stets λi (ζ ) = λ j (ζ ). (ii) Für Geschäftsbereiche i, die für alle B mit i ∈ B den Kapitalbeitrag Δi (ζ , B) = ζ ({i}) liefern, gilt λi (ζ ) = ζ ({i}).
208
5 Kapitalallokation
(iii) λ (ζ1 + ζ2 ) = λ (ζ1 ) + λ (ζ2 ). Im allgemeinen ist λ keine diskrete Zuteilung. Allerdings sind Bedingungen (i), (ii), (iii) durch die Anwendung auf diskrete Zuteilungen motiviert: Bedingung (i) ist eine Eindeutigkeitsbedingung: Zwei Geschäftsbereiche, die jeweils den gleichen Kapitalbeitrag zu jeder anderen Teilmenge von Geschäftsbereichen leisten, sollen sich nicht in der Kapitalallokation unterscheiden. Bedingung (ii) besagt, dass Geschäftsbereiche, die keinen Diversifikationsbeitrag leisten, ihr gesamtes individuelles Risikokapital alloziert bekommen. Bedingung (iii) ist eine Linearitätsbedingung, die inhaltlich schwer zu motivieren ist, da die Addition zweier Risikokapitalmaße keine direkte operationale Entsprechung hat. Sie führt zum mathematisch fruchtbaren Gebiet der linearen Operatoren, was die Untersuchung von Shapley Algorithmen stark vereinfacht. Aus Sicht der Relevanz für Anwendungen ist diese Bedingung allerdings kritisch zu hinterfragen. Theorem 5.2. Auf dem Raum der diskreten Risikomaße existiert der Shapley Algorithmus und ist eindeutig. Er ist gegeben durch Shapley (ζ ) = λ¯ i
#B! (m − 1 − #B)! Δi (ζ , B). m! B⊆{1,...,m}\{i}
∑
Ist ζ ein subadditives diskretes Risikomaß, so ist λ¯ Shapley (ζ ) eine diskrete Zuteilung. Anmerkung 5.7. Theorem 5.2 behauptet nicht, dass der Shapley Algorithmus auf dem kleineren Raum der subadditiven diskreten Risikomaße eindeutig bestimmt sei. Zur Vorbereitung des Beweises von Theorem 5.2 stellen wir ein Lemma über die Randwerte einer Teilmenge von Geschäftsbereichen bereit. Definition 5.16. Die Randwerte einer Teilmenge B von Geschäftsbreichen für ein diskretes Risikomaß ζ sind wie folgt rekursiv definiert: r{i} (ζ ) := ζ ({i}) für alle i = 1, . . . , m, rB (ζ ) := ζ (B) −
∑ rL (ζ ) für alle B ⊆ {1, . . . , m} mit #B > 1.
L⊂B
Lemma 5.1. Für den Randwert rB (ζ ) der Teilmenge B gilt rB (ζ ) =
∑ (−1)#B−#C ζ (C) .
C⊆B
Beweis. Für #B = 1 ist die Behauptung offensichtlich. Für #B > 1 sehen wir induktiv
5.2 Beispiele
209
rB (ρ) = ζ (B) −
∑ rC (ζ )
C⊂B
= ζ (B) −
∑ ∑ (−1)#C−#D ζ (D)
C⊂B D⊆C
= ζ (B) −
#B−#C−1
∑ ∑
C⊂B
= ζ (B) −
i=0
∑ (−1)#B−#C−1 ζ (C)
C⊂B #B−#C
∑ (−1)
=
#B − #C (−1)i ζ (C) i
ρ(C),
C⊆B
(−1)i = (−1 + 1)n+1 − (−1)n+1 = (−1)n gemäß der binomiwobei wir ∑ni=0 n+1 i schen Formel verwendet haben. Beweis von Theorem 5.2. Nach Voraussetzung ist R die Menge aller diskreten Risikomaße. 1. Für B ⊆ {1, . . . , m} und k ≥ 0 sei das diskrete Risikomaß ζB,k durch k, falls B ⊆ C und B = 0,C / = 0/ ζB,k (C) = 0, falls B ⊆ C oder B = 0/ oder C = 0/ gegeben. Wir zeigen, dass für jeden Shapley-Algorithmus λ auf R k , i∈B λi ζB,k = #B 0, i∈ / B.
(5.6)
gilt. Für i ∈ / B, gilt ζB,k ({i}) = 0 und daher Δi ζB,k ,C = 0 für alle C ⊆ {1, . . . , m} . Die Shapley-Bedingung (ii) impliziertsomit λi ζB,k = 0. Sind i, j ∈ B mit i = j, so ist Δi ζB,k ,C = Δ j ζB,k ,C = 0 für alle C⊆ {1, . . . , m}\{i, j}. Aus der Shapley-Bedingung (i) folgt also λi ζB,k = λ j ζB,k , was unter Beachtung von
∑ λi
i∈B
m ζB,k = ∑ λi ζB,k = ζB,k ({1, . . . , m}) = k i=1
k für i ∈ B impliziert. die Beziehung λi ζB,k = #B 2. Es gibt eine Teilmenge D ⊂ P{1, . . . , m}, so dass sich ein beliebiges, diskretes Risikomaß ζ auf eindeutige Weise als Summe
ζ=
∑
0/ =B∈D
ζB,kB −
∑
0/ =B ∈P{1,...,m}\D
ζB ,k B
(5.7)
darstellen lässt. Es gilt D = {B ∈ P{1, . . . , m} : rB (ζ ) ≥ 0. Die Werte kB , kB sind durch die Randwerte kB = rB (ζ ) und kB = −rB (ζ ) gegeben.
210
5 Kapitalallokation
Um die Notation im Beweis dieser Aussage zu vereinfachen, definieren wir für B ∈ P{1, . . . , m} und k < 0 die Abbildung ζB,k = −ζB,−k . Wir können dann Gleichung 5.7 einfacher als ζ=
∑ ζB,kB
(5.8)
0/ =B
schreiben, wobei allerdings im Allgemeinen nicht alle Summanden Risikomaße sind. Es genügt offenbar, Existenz und Eindeutigkeit für die Darstellung (5.8) zu zeigen. Wir zeigen zunächst die Existenz der Darstellung. Es sei C ⊆ {1, . . . , m}. Mit Lemma 5.1 und der Definition von ζB,k formen wir die rechte Seite um:
∑
ζB,rB (ζ ) (C) =
∑ rB (ζ )
B⊆C
B⊆{1,...,m}
=
∑ ∑ (−1)#B−#D ζ (D)
B⊆C D⊆B
=
∑
∑
(−1)#B−#D ζ (D)
D⊆C B:D⊆B⊆C
⎛
=
⎜
#C
∑⎝∑
D⊆C
⎞
∑
⎟ (−1)b−#L ⎠ ζ (D).
b=#D B:D⊆B⊆C #B=b
Da eine B von b Elementen, die eine Menge D enthält, aus einer Menge Menge C auf #C−#D b−#D verschiedene Weisen gewählt werden kann, schließen wir unter Anwendung der binomischen Formel #C #C − #D b−#D ζ (D)) ∑ ζB,rB (ζ ) (C) = ∑ ∑ b − #D (−1) D⊆C b=#D B⊆{1,...,m} #C−#D #C − #D (−1)b ζ (D) = ∑ ∑ b D⊆C b=0 =
∑ 1{0} (#C − #D) ζ (D)
D⊆C
= ζ (C). Wir zeigen nun die Eindeutigkeit der Parameter kB . Sind ζ=
∑
B⊆{1,...,m}
ζB,kB =
∑
ζB,k˜ B
B⊆{1,...,m}
zwei verschiedene Darstellungen, so zeigen wir die Gleichheit der Parameter kB und k˜ B durch Anwendung auf C ⊆ {1, . . . , m} per Induktion nach #C. Zunächst erhalten wir für C = {i} die Gleichheit k{i} = k˜ {i} aus
5.2 Beispiele
211
ζ ({i}) =
∑
kB = k{i} .
B⊆{i}
Sei nun kB = k˜ B für alle B mit #B < #C bereits nachgewiesen. Aus =k˜ B
ζ (C) =
∑
ζB,kB (C) =
∑ kB = ∑ kB = ∑
B⊆C
B⊆{1,...,m}
B⊆C
kB +kC
B⊂C
folgt kC = k˜C . Also ist die Darstellung eindeutig. 3. Es gilt (m − #C − 1)! #C! λi (ζ ) = Δi (ζ ,C) . ∑ m! C⊆{1,...,m}\{i}
(5.9)
Es sei D ⊂ P{1, . . . , m} die Menge aller Teilmengen B mit rB (ζ ) ≥ 0. Dann sind ρB,rB (ζ ) und ρB ,−rB (ζ ) für alle B ∈ D und B ∈ P{1, . . . , m} \ D diskrete Risikomaße. Die Shapley-Bedingung (iii) und die Darstellung (5.7) implizieren somit λ ζB ,−rB (ζ ) = λ ζ + ζB ,−rB (ζ ) λ (ζ ) + ∑ ∑ B ∈P{1,...,m}\D
B ∈P{1,...,m}\D
=λ
∑ ζB,rB (ζ )
B∈D
=
∑λ
ζB,rB (ζ ) .
B∈D
Aus Gleichung 5.6 folgt nun λi (ζ ) =
rB (ζ ) −rB (ζ ) rB (ζ ) − . = ∑ ∑ #B #B B : i∈B #B B∈D B ∈P{1,...,m}\D
∑
Mit Lemma 5.1 erhalten wir λi (ζ ) =
∑
B : i∈B
=∑ C
1 ∑ (−1)#B−#C ζ (C) #B C⊆B
∑
B : C∪{i}⊆B
1 (−1)#B−#C ζ (C). #B
(5.10)
Die äußere Summe können wir so umordnen, dass zunächst für jedes C mit i ∈ /C die Summanden für C und C ∪ {i} zusammenfassen. Dann erhalten wir
212
5 Kapitalallokation
1 (−1)#B−#C (ζ (C) − ζ (C ∪ {i})) #B C⊆{1,...,m}\{i} B : C∪{i}⊆B 1 #B−#C =− Δi (ρ,C) . ∑ ∑ #B (−1) C⊆{1,...,m}\{i} B : C∪{i}⊆B
λi (ζ ) =
∑
∑
Mit Hilfe der binomischen Formel berechnen wir nun m (−1)#B−#C 1 b−(#C+1) m − (#C + 1) − = ∑ (−1) ∑ b − (#C + 1) #B b=#C+1 b B : C∪{i}⊆B 1 m b−1 b−#C−1 m − #C − 1 x dx (−1) = ∑ b − #C − 1 b=#C+1 0 1 m m − #C − 1 b−#C−1 x = (−1)b−#C−1 x#C dx ∑ 0 b=#C+1 b − #C − 1 = =
1 0
(1 − x)m−#C−1 x#C dx
(m − #C − 1)!(#C)! , m!
wobei wir im letzten Schritt Definition und Eigenschaften der Beta-Funktion angewendet haben. Insgesamt haben wir nachgewiesen, dass ein Zuteilungsalgorithmus, der die Eigenschaften der Definition 5.15 erfüllt, die Gestalt (5.9) aufweist. 4. Die durch Gleichung (5.9) definierte Abbildung λ ist ein Shapley-Algorithmus. Es seien i, j ∈ {1, . . . , m} so dass für alle B ⊆ {1, . . . , m} \ {i, j} die Beziehung Δi (ζ , B) = Δ j (ζ , B) gilt. Dann gilt auch ζ (B ∪ {i}) = Δ i (ζ , B) + ζ (B) = Δ j (ζ , B) + ζ (B) = ζ (B ∪ { j}) und weiter =ζ (B∪{i})
Δ i (ζ , B ∪ { j}) = ζ (B ∪ { j} ∪ {i}) − ζ (B ∪ { j}) = Δ j (ζ , B ∪ {i}). Es folgt
5.2 Beispiele
213
λi (ζ ) =
(m − #C − 1)!#C! Δi (ζ ,C) m! C⊆{1,...,m}\{i}
∑
=Δ j (ζ ,B)
(m − #B − 1)!#B! Δi (ζ , B) = ∑ m! B⊆{1,...,m}\({i}∪{ j}) +
(m − (#B + 1) − 1)!(#B + 1)! m! B⊆{1,...,m}\({i}∪{ j})
∑
Δ j (ζ ,B∪{i})
Δi (ζ , B ∪ { j})
∑
×
j∈{1,...,m}\{i}
= λ j (ζ ) , wobei wir in der letzten Gleichung Δi (ζ , B∪{i}) = Δ j (ζ , B∪{ j}) = 0 ausgenutzt haben. Also ist die Shapley-Bedingung (i) erfüllt. Ist i ein Geschäftsbereich mit Δi (ζ , B) = ζ ({i}) für alle B ⊂ {1, . . . , m}, so gilt λi (ζ ) =
(m − #B − 1)!#B! Δi (ζ , B) m! B⊆{1,...,m}\{i}
∑
= ζ ({i})
(m − #B − 1)!#B! m! B⊆{1,...,m}\{i}
∑
Die Shapley-Bedingung (ii) ist somit wegen (m − #B − 1)!(#B)! m−1 m − 1 (m − b − 1)! b! = ∑ ∑ b m! m! b=0 B⊆{1,...,m}\{i} =
1 m−1 ∑1 m b=0
= 1.
(5.11)
erfüllt. Schließlich folgt die Gültigkeit von Bedingung (iii) direkt aus Δi (ζ1 + ζ2 , B) = ζ1 (B ∪ {i}) + ζ2 (B ∪ {i}) − (ζ1 (B) + ζ2 (B)) = Δi (ζ1 , B) + Δi (ζ2 , B) . 5. Es bleibt zu zeigen, dass für subadditive, diskrete Risikomaße ζ der Vektor λ (ζ ) tatsächlich eine diskrete Zuteilung ist. Wegen der Subadditivität von ζ gilt Δi (B) ≤ ζ ({i}) für alle i, B. Die Gleichungen (5.9) und (5.11) implizieren daher λi (ζ ) ≤ ζ ({i}). Schließlich ist
214
5 Kapitalallokation
(m − #B − 1)! #B! (ζ (B ∪ {i}) − ζ (B)) m! i=1 B⊆{1,...,m}\{i}
m
m
∑ λi (ζ ) = ∑
i=1
∑
(m − (#B + 1))!((#B + 1) − 1)! ζ (B ∪ {i}) m! i=1 B⊆{1,...,m}\{i} m
=∑
∑
(m − #B − 1)! #B! ζ (B). m! i=1 B⊆{1,...,m}\{i} m
−∑
∑
Ist A ⊂ {1, . . . , m}, so kann man für jedes i ∈ A genau ein B ⊂ {1, . . . , m} \ {i} mit A = B ∪ {i} finden. Damit gilt (m − (#B + 1))!((#B + 1) − 1)! ζ (B ∪ {i}) m! i=1 B⊆{1,...,m}\{i} m
∑
∑
=
∑
#A
A⊆{1,...,m}
(m − #A)!(#A − 1)! ζ (A) m! =
(m − #A)! #A! ζ (A). m! A⊆{1,...,m}
∑
Da es m − #A Geschäftsbereiche i ∈ / A gibt, erhalten wir (m − #B − 1)! #B! ζ (B) m! i=1 B⊆{1,...,m}\{i} m
∑
∑
=
∑
(m − #A)
A⊂{1,...,m}
(m − #A − 1)! #A! ζ (A) m! =
(m − #A)! #A! ζ (A). m! A⊂{1,...,m}
∑
Es folgt also m
∑ λi (ζ ) =
i=1
(m − #A)! #A! (m − #A)! #A! ζ (A) − ∑ ζ (A) m! m! A⊆{1,...,m} A⊂{1,...,m}
∑
(m − m)!(m − 1)! ζ ({1, . . . , m}) m! = ζ ({1, . . . , m}) =m
Anmerkung 5.8. Die in Theorem 5.2 gegebene Formel lässt sich auch direkt interunterschiedliche Teilmengen B von {1, . . . , m} \ {i} pretieren. Da es genau m−1 #B mit #B Elementen gibt, folgt aus
5.2 Beispiele
215 Shapley λ¯ i (ζ ) =
=
#B! (m − 1 − #B)! Δi (ζ , B) m! B⊆{1,...,m}\{i}
∑
1 1 m−1 Δi (ζ , B), ∑ m B⊆{1,...,m}\{i} #B
Shapley dass bis auf einen Proportionalitätsfaktor 1/m die Shapley-Zuteilung λ¯ i (ζ ) gerade der durchschnittliche Kapitalbeitrag des Geschäftsbereichs i bezüglich aller Teilmengen anderer Geschäftsbereiche ist. Der Proportionalitätsfaktor sorgt dafür, dass die Gesamtzuteilung zu allen Geschäftsbreichen gerade das Gesamtrisikokapital ausmacht.
Beim Shapley-Algorithmus werden Geschäftsbereiche als Ganzes betrachtet, so dass ähnlich wie beim diskreten Marginalprinzip der Steuerungsimpuls sekundär ist. Beispiel 5.4. Wir haben m = 3 Geschäftsbereiche und müssen die folgenden Teilmengen betrachten, wobei wir die Resultate aus Beispiel 5.2 nutzen:
∑ Xj
B1 = {F,W,C} :ζ ({F,W,C}) = ρ
j∈B1
∑ Xj
B2 = {F,W } :ζ ({F,W }) = ρ
j∈B2
= μF + μC + β σ (X − XW )
j∈B3
∑ Xj
B4 = {W,C} :ζ ({W,C}) = ρ
∑ Xj
B5 = {F} :ζ ({F}) = ρ
= μF + β σF
j∈B5
∑ Xj
B6 = {W } :ζ ({W }) = ρ B7 = {C} :ζ ({C}) = ρ B8 = 0/ :ζ (0) / =ρ
= μW + μC + β σ (X − XF )
j∈B4
= μF + μW + β σ (X − XC )
∑ Xj
B3 = {F,C} :ζ ({F,C}) = ρ
= μF + μW + μC + β σ (X)
j∈B6
= μW + β σW
∑ Xj
= μC + β σC
j∈B7
∑ Xj
=0
j∈B8
Damit erhalten wir für die nicht-verschwindenden Kapitalbeiträge des Geschäftsbereichs F
216
5 Kapitalallokation
Δ F (ζ , B4 ) = μF + β (σ (X) − σ (X − XF )) , ΔF (ζ , B6 ) = μF + β (σ (X − XC ) − σW ) , ΔF (ζ , B7 ) = μF + β (σ (X − XW ) − σC ) , ΔF (ζ , B8 ) = μF + β σF und daher Shapley (ζ ) = λ¯ F
#B! (2 − #B)! ΔF (ζ , B) 6 B⊆{1,...,m}\{F}
∑
2!(2 − 2)! (μF + β (σ (X) − σ (X − XF ))) 6 1!(2 − 1)! (μF + β (σ (X − XC ) − σW )) + 6 1!(2 − 1)! (μF + β (σ (X − XW ) − σC )) + 6 0!(2 − 0)! (μF + β σF ) + 6 β = μF + σ 3 β + (−2 σ (X − XF ) + σ (X − XW ) + σ (X − XC )) 6 β + (2 σF − σW − σC ) . 6
=
Für die Geschäftsbereiche W und C erhalten wir analog β Shapley (ζ ) = μW + σ λ¯ W 3 β + (σ (X − XF ) − 2 σ (X − XW ) + σ (X − XC )) 6 β + (−σF + 2 σW − σC ) , 6 β Shapley (ζ ) = μC + σ λ¯ C 3 β + (σ (X − XF ) + σ (X − XW ) − 2 σ (X − XC )) 6 β + (−σF − σW + 2 σC ) . 6 Als Kontrolle sieht man leicht, dass Shapley Shapley Shapley λ¯ F (ζ ) + λ¯ W (ζ ) + λ¯ C (ζ ) = ρ(X)
5.2 Beispiele
217
gilt, da sich in der Summe bis auf die Terme μi + β σ /3 alle Terme gegenseitig wegheben. Wir erhalten 2.9 2.9 × 15.4 + (−2 × 7.9 + 14.2 + 13.4) λ¯ FShapley (ζ ) = −10 + 3 6 2.9 + (2 × 12.0 − 2.5 − 7.5) 6 = −10 + 14.8 + 5.7 + 6.7 = 17.2, 2.9 2.9 Shapley × 15.4 + (7.9 − 2 × 14.2 + 13.4) λ¯ W (ζ ) = −5 + 3 6 2.9 + (−12.0 + 2 × 2.5 − 7.5) 6 = −5 + 14.8 − 3.4 − 7.0 = −0.5, 2.9 2.9 Shapley × 15.4 + (7.9 + 14.2 − 2 × 13.4) λ¯ C (ζ ) = −5 + 3 6 2.9 + (−12.0 − 2.5 + 2 × 7.5) 6 = −5 + 14.8 − 2.3 + 0.2 = 7.8.
5.2.3.2 Aumann-Shapley Algorithmus Der Aumann-Shapley Algorithmus ist eine infinitesimale Version des Shapley Algorithmus. Wir benutzen die in Bemerkung 5.8 beschriebene Eigenschaft, dass die ShapleyShapley (ζ ) gerade der durchschnittliche Kapitalbeitrag des GeschäftsbeZuteilung λ¯ i reichs i bezüglich aller Teilmengen anderer Geschäftsbereiche ist. Das infinitesimale Analogon des Kapitalbeitrags Δ i (ζ , B) = ζ (B ∪ {i}) − ζ (B) ist gerade die Ableitung X˜ von ρ ◦ X˜ nach dem Volumenparameter für den i-ten Geschäftsbereich, ∂ ρ◦ . Um ξi den durchschnittlichen Kapitalbeitrag zu erhalten, integrieren wir den infinitesimalen Kapitalertrag. Damit erhalten wir die folgende Definition. Definition 5.17. X sei eine den Verlust beschreibende Zufallsvariable und X˜ : U ⊂ Rm → M (Ω , R) sei eine Volumenparametrisierung für X zum Risikomaß ρ, die die folgenden Eigenschaften erfüllt: (i) U enthält eine Umgebung der Strecke von (0, . . . , 0) nach (1, . . . , 1), ˜ . . . , 0) = 0. (ii) X(0, Die Aumann-Shapley Kapitalallokation ist durch Aumann-Shapley (ρ) = Λ¯ i
gegeben.
1 ∂ ρ ◦ X(t (1, . . . , 1)) 0
∂ ξi
dt
218
5 Kapitalallokation
Im Gegensatz zum Shapley Algorithmus ist hier wieder der Steuerungsimpuls primär. Proposition 5.4. Die Aumann-Shapley Kapitalallokation erfüllt Axiom 5.1. Beweis. Die Behauptung folgt direkt aus ρ(X(1, . . . , 1)) = ρ(X(1, . . . , 1)) − ρ(X(0, . . . , 0)) =
1 dρ(t(1, . . . , 1)) 0 m
=∑
dt dt ∂ ρ(t(ξ1 , . . . , ξm )) ξi dt ∂ ξi ξ =(1,...,1)
1
i=1 0 m Aumann-Shapley (ρ). = Λ¯ i i=1
∑
Axiom 5.2 in der Regel nicht erfüllt, wenn die Aumann-Shapley Kapitalallokation nicht auf einer Aufteilung basiert. Proposition 5.5. Die Volumenparametrisierung X˜ sei durch eine Aufteilung induziert und ρ sei ein homogenes, subadditives Risikomaß. Dann ist die AumannShapley Kapitalallokation eine Zuteilung. Beweis. Aus ρ(X(ξ˜ )) = ρ(X(ξ˜ )) − ρ(X(0)) 1 1 m dρ ◦ X(t ξ˜ ) ∂ ρ ◦ X(t ξ˜ ) dt = ∑ ξ˜i dt = dt ∂ ξi 0 0 i=1 folgt die Gültigkeit von Axiom 5.1. Analog zum Beweis von Proposition 5.2 berechnen wir Aumann-Shapley Λ¯ i (ρ) ⎞ ⎛ 1 ∂ ρ ∑m ξ j X j j=1 ⎝ ⎠ = ∂ ξi 0
= ≤
1
lim
0
|t ((1,...,1))
ρ (t + ε)Xi + t ∑mj=1, j=i X j − ρ t Xi + t ∑mj=1, j=i X j
0 ε→0
1
dt
ε
dt
ρ (Xi ) dt = ρ (Xi ) .
Also ist auch Axiom 5.2 erfüllt.
5.2 Beispiele
219
Beispiel 5.5. Wir nehmen wie im Beispiel 5.3 an, dass X˜ durch ˜ ) = ξF XF + ξW XW + ξC XC X(ξ gegeben ist. Es gilt ˜ ξ˜ ) = t ξ˜F μF + ξ˜W μW + ξ˜C μC ρ ◦ X(t + β σ t ξ˜F XF + t ξ˜W XW + t ξ˜C XC = t ξ˜F μF + ξ˜W μW + ξ˜C μC ⎛ ⎞⎞ ⎛ XF + β σ ⎝ t ξ˜F t ξ˜W t ξ˜C ⎝ XW ⎠⎠ XC ˜ ˜ ˜ = t ξF μF + ξW μW + ξC μC 7 ⎛ ˜ ⎞ 8 t ξF 8 8 ˜ ˜ + β 9 t ξF t ξW t ξ˜C ζ ⎝ t ξ˜W ⎠ t ξ˜C = t ξ˜F μF + ξ˜W μW + ξ˜C μC 2 2 2 +β t ξ˜F σF + t ξ˜W σW + t ξ˜C σC + 2t ξ˜F t ξ˜W ζFW . Damit erhalten wir an der Stelle ξ˜ = (1, . . . .1) β t 2 (σF )2 + 2 ζFW ˜ ˜ ξ) ∂ ρ ◦ X(t = μF +
∂ ξF 2t (σF )2 + (σW )2 + (σC )2 + 2ζFW (σF )2 + ζFW σ (X) β t 2 (σW )2 + 2 ζFW ˜ ξ˜ ) ∂ ρ ◦ X(t = μW +
∂ ξW 2t (σF )2 + (σW )2 + (σC )2 + 2ζFW = μF + β
= μW + β ˜ ξ˜ ) ∂ ρ ◦ X(t = μC + ∂ ξF
(σW )2 + ζFW σ (X)
β t 2 (σC )2
2t (σF )2 + (σW )2 + (σC )2 + 2ζFW
= μC + β
(σC )2 . σ (X)
220
5 Kapitalallokation
Da der Integrand nicht mehr von t abhängt, folgt β (σF )2 + ζFW Aumann-Shapley (ρ) = μF + Λ¯ F σ 2.9 × (144 + 15) = 19.9, = −10 + 15.4 Aumann-Shapley Λ¯W (ρ) = μW +
β (σW )2 + ζFW
σ 2.9 × (6.25 + 15) = −1.0, = −5 + 15.4 β (σC )2 Λ¯CAumann-Shapley (ρ) = μC + σ 2.9 × 56.25 = −5 + = 5.6 15.4
sowie Aumann-Shapley (ρ) 19.9 Λ¯ F = = 81%, ρ(X) 24.5 Aumann-Shapley Λ¯W (ρ) −1.0 = = −4%, ρ(X) 24.5 Aumann-Shapley Λ¯C (ρ) 5.6 = = 23%. ρ(X) 24.5
Für unser Beispiel ergibt sich also die gleiche Kapitalallokation wie nach dem Kovarianzprinzip.
5.2.4 Axiomatik von Kalkbrener Im vorigen Abschnitt haben wir verschiedene Kapitalallokationen vorgestellt und untersucht, ob sie die Axiome 5.1 und 5.2 erfüllen. In diesem Abschnitt wollen wir umgekehrt vorgehen, in dem wir — soweit wie möglich — eine Kapitalallokation aus einem Axiomensystem ableiten. Dieser Abschnitt basiert auf der Arbeit von Kalkbrener [35]. Während wir bisher jeweils eine einzige Verlustfunktion X und eine Aufteilung in Geschäftsbereiche betrachtet haben, werden wir in diesem Abschnitt Axiome formulieren, die sich auf den Raum der möglichen Verlustfunktionen und beliebige Geschäftsbereiche beziehen. Wir wechseln also quasi von einer Punktbetrachtung einer konkreten Unternehmenssituation auf den mathematischen Vektorraum aller möglichen Verlustfunktionen. Außerdem werden wir einige betriebswirtschaftliche Eigenschaften auf Größen extrapolieren, die einer direkten betriebswirtschaftlichen
5.2 Beispiele
221
Interpretation nicht mehr zugänglich sind. Daher wird unser Axiomensystem nicht mehr ganz so gut wie Axiome 5.1 und 5.2 motiviert sein, dafür aber eine sehr viel reichere Struktur bieten, die es uns erlauben wird, weitreichende Aussagen zu machen. Bei der Definition der Kapitalallokation werden alle Geschäftsbereiche einer Aufteilung gleichzeitig betrachtet, denn bei der Kapitalallokation geht es ja gerade um den Beitrag, den der Geschäftsbereich zum Diversifizierungseffekt des Gesamtunternehmens geleistet hat. Andererseits soll die Kapitalallokation nicht von der willkürlichen Aufteilung des Unternehmens in Geschäftsbereiche abhängen. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen die Sparten „Feuer“, „Hagel“, „Sturm“, „Erdbeben“, „Haftpflicht“, „Diebstahl“ führt, so ist es für die Kapitalallokation der Sparte „Diebstahl“ unbedeutend, ob das Unternehmen die anderen Sparten einzeln betrachtet oder zum Beispiel „Hagel“, „Sturm“, „Erdbeben“ zu einer Sparte „Naturereignisse“ zusammenfasst. Daher sollte es möglich sein, die Kapitalallokation für einen Geschäftsbereich, dessen Verlust durch die Zufallsvariable U beschrieben wird, als Funktion von U und der den Gesamtverlust beschreibenden Zufallsvariablen X darzustellen. Daher werden wir die Kapitalallokation durch eine bivariate Abbildung Λ (U, X) darstellen, wobei Λ (U, X) den Kapitalbetrag angibt, der einem Unterportfolio U des Gesamtportfolios X zugeteilt wird. Als typische Anwendung wird man U = Xi wählen, wenn eine Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) vorgegeben ist. Definition 5.18. Eine globale Kapitalallokation ist eine Abbildung Λ : M (Ω , R) × M (Ω , R) → R (U,Y ) → Λ (U,Y ). Gilt 0 ≤ U ≤ X, so kann ein Geschäftsbereich konstruiert werden, für den U die Zufallsvariable ist, die den Verlust des Geschäftsbereichs beschreibt. Λ (U, X) wird dann als das diesem Geschäftsbereich allozierte Kapital interpretiert. Ist 0 ≤ U ≤ X nicht erfüllt, haben wir dagegen keine betriebswirtschaftliche Interpretation des Wertes Λ (U, X). Der Name „globale Kapitalallokation“ ist dadurch motiviert, dass wir jetzt den Raum aller Zufallsvariablen anstelle einer einzelnen ausgewählten Zufallsvariablen X betrachten. In diesem Abschnitt betrachten wir ein festes Risikomaß ρ. Lemma 5.2. Gilt für eine globale Kapitalallokation Λ und jede Aufteilung Axiom 5.1, so folgt die Gleichung Λ (X, X) = ρ(X). Beweis. Dies folgt aus der Anwendung von Axiom 5.1 auf die triviale Aufteilung (X) in einen Geschäftsbereich. Dies motiviert unser erstes Axiom: Axiom 5.3 (Gesamtallokation). Für jedes X ∈ M (Ω , R) gilt Λ (X, X) = ρ(X).
222
5 Kapitalallokation
In Analogie zur Definition von kohärenten Risikomaßen wollen wir nun einige intuitive Axiome, die eine Kapitalallokationsabbildung erfüllen sollte, identifizieren. Axiom 5.4 (Linearität). Für alle U,V, X ∈ M (Ω , R) und a, b ∈ R, gilt Λ (aU + bV, X) = aΛ (U, X) + bΛ (V, X) . Das Linearitätsaxiom 5.4 ist eine Verschärfung des Axioms 5.1. Zur Motivation der Linearität betrachten wir eine Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) von X. Die Gleichung ∑i=1m Λ (Xi , X) = ρ(X) = Λ (X, X) folgt direkt aus Axiom 5.1, das aussagt, dass kein Exzesskapital existiert, und Axiom 5.3. Da X und die Aufteilung (X1 , . . . , Xm ) beliebig waren, folgt die Additivität Λ (U + V, X) = Λ (U, X) + Λ (V, X) falls 0 ≤ U,V und U +V = X gilt. Gilt U +V < X, so folgt mit W = X −U −V die Gleichung Λ (U +V +W, X) = Λ (U, X) + Λ (V, X) + Λ (W, X) und ebenso Λ (U +V +W, X) = Λ (U +V, X) + Λ (W, X). Damit folgt die Additivität Λ (U +V, X) = Λ (U, X)+Λ (V, X) für beliebige 0 ≤ U,V mit U + V ≤ X. Um die Multiplikation zu motivieren, sei zunächst k, l ∈ N. Dann kann der durch U beschriebene Geschäftsbereich in k identische Geschäftsbereiche, die durch V = U/k beschrieben werden, aufgeteilt werden. Solange l U ≤ X gilt, können wir die Summe von l dieser Geschäftsbereiche, W = l U/k betrachten. Wir erhalten dann aus der Additivität k Summanden
l k Summanden
1 k 1 Λ (W, X) = (Λ (W, X) + · · · + Λ (W, X)) = (Λ (V, X) + · · · + Λ (V, X)) l l l k Summanden
k Summanden
= Λ (V, X) + · · · + Λ (V, X) = Λ (V + · · · +V , X) k = Λ (kV, X) = Λ W, X . l Damit ist für Geschäftsbereiche U ≥ 0 und positive rationale Zahlen kl mit l U ≤ X gezeigt, dass die Multiplikativität aus der Additivität folgt. Wir machen die zusätzliche Annahme, dass die Additivität auch für negative Zufallsvariablen und Zufallsvariablen, für die U +V ≤ X nicht gilt, erfüllt sein soll. Dies ist eine mathematisch gut motivierte Extrapolation, die allerdings nicht mehr klar durch die Beschreibung der betriebswirtschaftlichen Realität motiviert werden kann. Unter dieser zusätzlichen Annahme folgt die Multiplikativität für alle rationalen Zahlen. Da jede reelle Zahl beliebig genau durch rationale Zahlen approximiert werden kann, ist es naheliegend, die Multiplikativität für beliebige reelle Zahlen zu fordern. Zur Motivation dieser Stetigkeitsforderung ist zu beachten, dass Unstetigkeit in der Beschreibung
5.2 Beispiele
223
der Realität fast immer als Artefakt vereinfachender Modellierung erklärt werden kann. Lemma 5.3. Gilt für eine globale Kapitalallokation Λ und jede Aufteilung Axiom 5.2, so folgt für U, X ∈ M (Ω , R) mit 0 ≤ U ≤ X die Beziehung Λ (U, X) ≤ Λ (U,U). Beweis. Dies folgt aus der Anwendung von Axiom 5.2 auf die Aufteilung (U, X − U). Das folgende Axiom verschärft Axiom 5.2 Axiom 5.5 (Starke Diversifizierung). Gilt U, X ∈ M (Ω , R), so folgt Λ (U, X) ≤ Λ (U,U). Für 0 ≤ U ≤ X folgt Axiom 5.5 unter Annahme der Diversifizierungseigenschaft Axiom 5.2 direkt aus Lemma 5.3. Ist {ω ∈ Ω : U(ω) ≥ X(ω) oder U(ω) < 0} keine Nullmenge, so gibt es keine direkte Interpretation. Wie die Linearitätseigenschaft Axiom 5.4 motivieren wir Axiom 5.5 als Verschärfung von Axiom 5.2 durch mathematische Extrapolation auf alle Zufallsvariablen U, X. Definition 5.19. Es sei ρ ein Risikomaß. Eine globale Zuteilung bezüglich ρ ist eine globale Kapitalallokation Λ , so dass Axiome 5.3, 5.4, 5.5 gelten. Offenbar ist jede globale Zuteilung insbesondere eine Zuteilung. Das folgende Theorem zeigt aber, dass im Gegensatz zu Zuteilungen globale Zuteilungen nur für eine spezielle Klasse von Risikomaßen möglich sind. Theorem 5.3. Es sei ρ ein Risikomaß und Λ eine globale Zuteilung. Dann ist ρ positiv homogen und subadditiv. Beweis. Es sei a ≥ 0. Dann gilt aufgrund der Axiome 5.4, 5.5 Linearität
aΛ (U,U)
Linearität
= Λ (aU,U) ≤ Λ (aU, aU) = aΛ (U, aU) ≤ aΛ (U,U) . starke Diversifizierung
starke Diversifizierung
Es folgt unter Berücksichtigung von Axiom 5.5 aρ(U) = aΛ (U,U) = Λ (aU, aU) = ρ(aU), so dass ρ positiv homogen ist. Die Subadditivität folgt aus ρ(U +V ) = Λ (U +V,U +V ) = Λ (U,U +V ) + Λ (V,U +V ) ≤ Λ (U,U) + Λ (V,V ) = ρ(U) + ρ(Y ).
224
5 Kapitalallokation
Insbesondere ist eine mit den Axiomen konforme Kapitalallokation für das Risikomaß VaRα für allgemeine Verlustverteilungen nicht möglich. Auch wenn einige unserer Axiome schärfer sind, als man es sich wünschen würde, ist dieses Ergebnis ein weiteres Indiz dafür, dass der Expected Shortfall für den Einsatz in der Unternehmenssteuerung robuster motiviert werden kann als der Value at Risk. Wir werden nun zeigen, dass es für jedes positiv homogene, subadditive Risikomaß eine globale Zuteilung gibt. Lemma 5.4 (Hahn-Banach). E sei ein reeller Vektorraum und ρ : E → R eine konvexe Abbildung. F ⊆ E sei ein Unterraum und f : F → R eine lineare Abbildung mit f (U) ≤ ρ(U) für alle U ∈ F. Dann existiert eine lineare Abbildung h : E → R mit h(V ) ≤ ρ(V ) und h(U) = f (U) für alle V ∈ E und U ∈ F. Beweis. Siehe [44, Theorem III.5].
Lemma 5.5. Es sei ρ : M (Ω , R) → R eine positiv homogene, subadditive Abbildung und V ∈ M (Ω , R). Dann existiert eine lineare Abbildung hV : M (Ω , R) → R mit (i) hV (V ) = ρ(V ), (ii) hV (U) ≤ ρ(U) für alle U ∈ M (Ω , R). Beweis. Wir wollen Lemma 5.4 anwenden. Aufgrund der positiven Homogenität und der Subadditivität erfüllt die Abbildung ρ die Konvexitätsbedingung ρ(t U + (1 − t)V ) ≤ t ρ(U) + (1 − t) ρ(V ) für alle U,V ∈ M (Ω , R) und t ∈ [0, 1]. Auf dem Vektorraum F = {cV : c ∈ R} ⊆ M (Ω , R) ist ein Funktional f : cV → c ρ(V ) definiert und erfüllt f (V ) = ρ(V ), f (cV ) = ρ(cV ) für alle c ≥ 0. Aus 0 = ρ(0) = ρ(−cV + cV ) ≤ ρ(−cV ) + ρ(cV ) = ρ(−cV ) − f (−cV ) für alle c ≥ 0 folgt f (−cV ) ≤ ρ(−cV ) für alle c ≥ 0 und somit f (U) ≤ ρ(U) für alle U ∈ F. Lemma 5.4 liefert somit die Existenz der Abbildung hV . Theorem 5.4 (Existenz). Für jedes positiv homogene, subadditive Risikomaß ρ gibt es eine globale Zuteilung Λ . Beweis. Lemma 5.5 garantiert, dass es für jedes V ∈ M (Ω , R) eine lineare Abbildung hV : M (Ω , R) → R mit hV (V ) = ρ(V ) und hV (U) ≤ ρ(U) für alle U ∈ M (Ω , R) gibt. Es sei Λ : M (Ω , R) × M (Ω , R) → R (U,V ) → Λ (U,V ) = hV (U). Nach Konstruktion von Λ gilt Λ (U,U) = hU (U) = ρ(U) für alle U, so dass Λ Axiom 5.3 erfüllt. Die Linearität (Axiom 5.4) ist klar, da hV (·) linear ist. Aus hV (U) ≤ ρ(U) = hU (U) folgt die Diversifikationsbedingung 5.5.
5.2 Beispiele
225
Die durch Theorem 5.4 garantierte globale Zuteilung Λ ist nicht notwendig eindeutig. Die Eindeutigkeit folgt jedoch unter einer zusätzlichen Stetigkeitsbedingung. Definition 5.20 (Stetigkeit). Es sei X ∈ M (Ω , R). Eine globale Kapitalallokation Λ heißt stetig in X, falls für jedes U ∈ M (Ω , R) lim Λ (U, X + εU) = Λ (U, X)
ε→0
gilt. In der Praxis wird X die Zufallsvariable sein, die dem Gesamtverlust des Unternehmens entspricht. Wäre die globale Kapitalallokation nicht stetig in X, so würde eine infinitesimale Änderung des Gesamtportfolios eine erkennbare Änderung der Kapitalallokation bewirken, was nicht plausibel wäre. Fordert man die Stetigkeit nicht nur beim Gesamtverlust sondern für alle X ∈ M (Ω , R), so wird der Raum der Raum der mit den Axiomen verträglichen Risikomaße aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu weit eingeschränkt.3 Theorem 5.5. Es sei X ∈ M (Ω , R), ρ ein Risikomaß und Λ eine globale Zuteilung. Ist Λ stetig in X, so gilt ρ(X + εU) − ρ(X) ε→0 ε
Λ (U, X) = lim für alle U ∈ M (Ω , R). Beweis. Es seien ε, η ∈ R. Dann folgt
ρ(X + ηU) = Λ (X + ηU, X + ηU) ≥ Λ (X + ηU, X + εU) = Λ (X + εU + (η − ε)U, X + εU) = Λ (X + εU, X + εU) + (η − ε)Λ (U, X + εU) = ρ(X + εU) + (η − ε)Λ (U, X + εU) und daher ρ(X + ηU) − ρ(X + εU) ≥ (η − ε)Λ (U, X + εU). Analog erhalten wir ρ(X + εU) − ρ(X + ηU) ≥ (ε − η)Λ (U, X + ηU), was zu Sebastian Maaß hat die Beobachtung gemacht, dass unter Annahme der Stetigkeit für X = 0 und der Homogenität des Risikomaßes Λ (U, 0) = ρ(U) für alle U ∈ M (Ω , R) folgt. Insbesondere ist dann U → ρ(U) linear, was für sinnvolle Risikomaße ρ nicht erfüllt ist. Seine Beobachtung folgt sofort aus der im folgenden Theorem 5.5 gegebenen Darstellung für Λ , wenn man X = 0 setzt. 3
226
5 Kapitalallokation
ρ(X + ηU) − ρ(X + εU) ≤ (η − ε)Λ (U, X + ηU) äquivalent ist. Wenn η > ε gilt, folgt Λ (U, X + εU) ≤
ρ(X + ηU) − ρ(X + εU) ≤ Λ (U, X + ηU). η −ε
Da Λ im zweiten Argument an der Stelle X stetig ist, existiert der Limes (ε, η) → (0, 0), und die Aussage des Theorems folgt. Aus Theorem 5.5 ergibt sich insbesondere folgende Eindeutigkeitsaussage über die Kapitalallokation bei gegebener Gesamtverlustgröße X. Korollar 5.1. Ist eine globale Zuteilung Λ für ein Risikomaß ρ in X stetig, so wird Λ (U, X) für alle U ∈ M (Ω , R) eindeutig durch ρ bestimmt. Korollar 5.2. Λ sei eine globale Zuteilung für das Risikomaß ρ. Ist Λ in X stetig und (X1 , . . . , Xm ) eine Aufteilung, so ist Λ (Xi , X) die Euler-Kapitalallokation für Geschäftsbereich i. Beweis. Die Behauptung folgt direkt aus Theorem 5.5, ∂ ρ (X + ε Xi ) ρ (X + ε Xi ) − ρ(X) = Λ (X, Xi ) = lim ε→0 ε ∂ε |ε=0 ⎞ ⎛ m ∂ ρ ∑ j=1, j=i X j + ξi Xi ⎠ =⎝ ∂ ξi |ξi =1
= Λ¯ iEuler . Theorem 5.6. Es seien U,V ∈ M (Ω , R) und ρ ein positiv homogenes, subadditives Risikomaß. Existiert die Richtungsableitung ρ(V + εU) − ρ(V ) , ε→0 ε lim
so ist die globale Kapitalallokation in (U,V ) eindeutig und durch die Richtungsableitung gegeben. Beweis. Aufgrund von Theorem 5.4 existiert eine globale Kapitalallokation Λ . Da ρ(V + εU) − ρ(V ) = Λ¯ (V + εU,V + εU) − Λ (V,V ) ≥ Λ (V + εU,V ) − Λ (V,V ) = ε Λ¯ (U,V ) für jedes ε ∈ R gilt, folgt für ε < 0
5.2 Beispiele
227
ρ(V + εU) − ρ(V ) ≤ Λ (U,V ) ε und für ε > 0
ρ(V + εU) − ρ(V ) ≥ Λ (U,V ). ε In beiden Fällen konvergiert die linke Seite gegen die Richtungsableitung. Daher muss sie mit Λ (U,V ) übereinstimmen. Beispiel 5.6. Das Risikomaß ρ(·) = E(·) + β σ (·) ist homogen und subadditiv. Außerdem existiert für X = 0 die Richtungsableitung Λρ (U, X). Aus Korollar 5.2 und der speziellen Form unseres Risikomaßes folgt, dass die globale Kapitalallokation für unser Beispiel gerade die Kapitalallokation nach dem Kovarianzprinzip ist (siehe Beispiel 5.3). Der wichtigste Spezialfall ist der Expected Shortfall zum Konfidenzniveau α. Da dieses Risikomaß positiv homogen und subadditiv ist, gibt es eine globale Zuteilung. Proposition 5.6. Zum Risikomaß ESα existiert eine globale Zuteilung, die durch ΛESα (U, X) =
1 E U 1X,VaRα (X),α , 1−α
(5.12)
gegeben ist, wobei wir die Notation 1V,x,α = 1{V >x} + βV,α (x) 1{V =x} P(V ≤x)−α falls P(V = x) > 0 P(V =x) βV,α (x) = 0 sonst. benutzt haben. Beweis. Wir müssen zeigen, dass die durch Gleichung (5.12) gegebene Abbildung die Axiome 5.3, 5.4, 5.5 erfüllt. Die Gültigkeit von Axiom 5.4 folgt unmittelbar aus der Linearität des Erwartungswerts und Axiom 5.3 ist aufgrund von Lemma 2.5 (iii) erfüllt. Es verbleibt, ΛESα (U, X) ≤ ΛESα (U,U) zu zeigen, um Axiom 5.5 zu verifizieren. Für V ∈ M (Ω , R) sei AV = {ω ∈ Ω : V (ω) > VaRα (V )} , BV = {ω ∈ Ω : V (ω) = VaRα (V )} , CV = Ω \ (AV ∪ BV ) . Diese Mengen sind disjunkt und messbar und es gilt AV ∪ BV ∪ CV = Ω . Mit der Abkürzung βV = βV,VaRα (V ) folgt aus Lemma 2.5 (ii) 1 − α = P (AV ) + βV P (BV ) . Für X,U ∈ M (Ω , R) sind die Mengen
(5.13)
228
5 Kapitalallokation
AX ∩ AU , AX ∩ BU , AX ∩CU , BX ∩ AU , BX ∩ BU , BX ∩CU , BX ∩ AU , BX ∩ BU , BX ∩CU , ebenfalls eine messbare und disjunkte Zerlegung von Ω . Wir erhalten (1 − α)ΛESα (U, X) = =
AX
UdP + βX
UdP +
AX ∩AU
+ βX
BX ∩AU
UdP B
X AX ∩BU
UdP +
UdP + βX
BX ∩BU
AX ∩CU
UdP
UdP + βx
BX ∩CU
UdP.
Da U ≤ VaRα (U) auf BU ∪CU gilt, folgt (1 − α)ΛESα (U, X) ≤
=
UdP + βx UdP AX ∩AU BX ∩AU + VaRα (U) P (AX ∩ BU ) + βX P (BX ∩ BU ) + P (AX ∩CU ) + βX P (BX ∩CU )
AX ∩AU
UdP + βX
BX ∩AU
UdP
+ VaRα (U) (1 − α − P (AX ∩ AU ) − βX P (BX ∩ AU )) =
AX ∩AU
+ βX
UdP
BX ∩AU
UdP + (1 − βX ) VaRα (U)P (BX ∩ AU )
+ VaRα (U) (1 − α − P (AX ∩ AU ) − P (BX ∩ AU )) ≤
(AX ∪BX )∩AU
UdP
+ VaRα (U) (1 − α − P (AX ∩ AU ) − P (BX ∩ AU )) ≤
AU
UdP − VaRα (U)P (CX ∩ AU )
+ VaRα (U) (1 − α − P (AX ∩ AU ) − P (BX ∩ AU )) =
AU
UdP − VaRα (U) βU P (BU )
= (1 − α)ΛESα (U,U), wobei wir im vorletzten Schritt Gleichung (5.13) benutzt haben.
Die Kapitalallokationsabbildung für den Expected Shortfall kann anschaulich dahingehend interpretiert werden, dass jedem Geschäftsbereich genau das Kapital für diejenigen Schäden, die der Geschäftsbereich verursachen könnte, zugeordnet wird. Denn ΛESα (U, X) ist ja gerade der Erwartungswert für alle durch U verursachten
5.2 Beispiele
229
Schäden, die durch Ereignisse hervorgerufen werden, für die der Gesamtschaden größer als VaRα (X) ist. Daher entspricht dieses Verfahren sehr gut dem intuitiven Gerechtigkeitsbegriff. Wir wollen nun demonstrieren, wie für stetige Gesamtverteilungsfunktionen FX diese Kapitalallokationsabbildung im Rahmen einer Monte Carlo Simulation bestimmt werden kann. 1. Für eine gegebene Monte Carlo Simulation, die mehrere verschiedene Geschäftsbereiche gleichzeitig betrachtet, ist es möglich, zu jedem p diejenigen Risikoereignisse festzustellen, die zu VaR p beitragen. Dazu wird der Monte Carlo Lauf betrachtet, der als Verlust gerade X = VaR p (X) aufweist. Wenn zum Beispiel 10000 Simulationen durchgeführt werden und p = 99.5% gewählt wird, so werden zunächst alle Läufe nach aufsteigender Verlusthöhe sortiert und dann aus dieser Liste der 9950te Lauf gewählt.
2. Der Expected Shortfall ESα (X) zu α = 99% wäre bei 10000 Simulationen dann einfach das arithmetische Mittel der VaR p (X) der 100 Läufe, die sich aus p > α ergeben. 3. Um die Kapitalallokation auf Geschäftsbereiche zu ermitteln, wird nur für jeden Geschäftsbereich der Beitrag zum Gesamtrisiko ermittelt. Wenn wir in unserem Beispiel die Allokation für einen Geschäftsbereich U berechnen wollen, würden wir bei jedem der 100 Läufe i, mit denen ESα (X) geschätzt wird, den Verlustbeitrag V (i, α, X,U) des Geschäftsbereichs U ermitteln und anschließend den Durchschnitt ∑10000 i=9901 V (i, α, X,U) 100 bilden. Dies ist gerade die diskretisierte Version der Kapitalallokationsabbildung für den Expected Shortfall, wobei wir genutzt haben, dass aufgrund der Stetigkeit von FX das zweite Integral in Gleichung (5.12) verschwindet. Anmerkung 5.9. Es ist klar, dass auch bei diesem diskretisierten Verfahren die Summe der Kapitalallokationen über alle Geschäftsbereiche wieder das gesamte Risikokapital ergibt. Anmerkung 5.10. Das Verfahren ist nur dann modellierbar, wenn eine Gesamtverteilung aller Risiken modelliert wird. Dies ist ein praktischer Grund, warum einfache Copulas linearen Korrelationen gegenüber vorzuziehen sind. Anmerkung 5.11. Der durch diese Methode ermittelte Beitrag des Geschäftsbereichs U kann sich vom Expected Shortfall für diesen Geschäftsbereich stark unterscheiden. Es ist zum Beispiel denkbar, dass die hohen Verluste für U gerade in Simulationen entstehen, die für die anderen Geschäftsbereiche zu einem Gewinn führen und deshalb nicht in die Berechnung des Expected Shortfalls für das Gesamtrisiko eingehen. Anmerkung 5.12. Dieses Verfahren lässt sich gut auf Spektralmaße verallgemeinern, passt aber weniger gut für den Value at Risk: Mit dem einen Lauf, der VaRα (X) be-
230
5 Kapitalallokation
stimmt, lassen sich nicht außerdem noch die Beiträge der einzelnen Geschäftsbereiche gut schätzen. Denn ein großer Verlust durch Geschäftsbereich A und ein kleiner Verlust durch Geschäftsbereich B haben auf den Gesamtverlust die gleiche Auswirkung wie ein kleiner Verlust durch A und ein großer durch B, führen aber eben zu ganz unterschiedlichen Aufteilungen. Wird an den Parametern nun ein wenig gedreht oder auch nur ein anderer Zufallsgenerator gewählt, so wird sich eine andere Zusammensetzung der Einzelverluste ergeben. In unserem Beispiel wird der 9900te Lauf für die Bestimmung von VaRα (X) herangezogen. Selbst wenn wir einen Fehler von ±0, 1% erlauben und uns somit immerhin noch 20 Läufe zur Verfügung stehen, die VaRα (X) vielleicht hinreichend gut approximieren, so reichen diese wenigen Läufe normalerweise immer noch nicht für die Aufteilung auf mehrere Geschäftsbereiche. Dagegen funktioniert das Verfahren bei allgemeinen Spektralmaßen in der Regel gut, da wegen der Integration über weitaus mehr Läufe gemittelt wird. Der Hauptvorteil der Allokation auf Grundlage der Gesamtverteilung gegenüber der kennzahlenbasierten Allokation besteht darin, dass dieses Verfahren besser kommuniziert werden kann und somit zu höherer Akzeptanz führt. Hat man sehr viele Geschäftsbereiche, so ist der rechnerische Aufwand zudem geringer als beim Shapley Algorithmus.
5.3 Kapitalallokation bei Gruppen Versicherer operieren in zunehmenden Maße auf Gruppenbasis, sei es als Versicherungsgruppe oder Finanzkonglomerat. Solvenzkapitalanforderungen können somit für verschiedene Ebenen – von der Geschäftseinheit bis zur Gruppenebene – innerhalb der Gruppe definiert werden. Durch Aggregation und Ausgleich von Risiken innerhalb einer Gruppe entstehen Diversifikationseffekte. Diversifikation ist fundamental für das Risikomanagement in und Solvenzanforderungen an Versicherungsgruppen. Gruppendiversifikationseffekte werden am besten quantifiziert durch Vergleich von aufsummierten Solosolvenzkapitalanforderungen und aggregiertem Gruppenzielkapital. Der Ausgleich von Risiken innerhalb einer Gruppe erfordert jedoch Kapitalmobilität. Diese kann eingeschränkt sein, wenn sich die Geschäftseinheiten in verschiedenen Jurisdiktionen befinden. Außerdem birgt die Zugehörigkeit einer Geschäftseinheit zu einer Gruppe zusätzliche Gruppenrisiken. Zum Beispiel kann eine Geschäftseinheit vom Gruppenmanagement verkauft und in den Run-off geschickt werden. Außerdem können sich Imageschäden oder andere Negativergebnisse einer Geschäftseinheit ungünstig auf alle Geschäftseinheiten auswirken. Die Auswirkungen von eingeschränkter Kapitalmobilität und Gruppenrisiken auf die Änderung des risikotragenden Kapitals sind schwierig zu modellieren. Es sind verschiedene Ansätze denkbar und in Diskussion (zum Beispiel [11], [17], [29]). Der Schweizer Gruppensolvenztest ([17]) beruht auf dem Prinzip, dass nur durch rechtlich bindende Kapital- und Risikotransferinstrumente (KRTI) erzeugte Cash-
5.3 Kapitalallokation bei Gruppen
231
flows zum Risikoausgleich innerhalb der Gruppe zulässig sind. Dazu gehört allerdings auch der Verkauf von Geschäftseinheiten zu ihrem Marktpreis, definiert als risikotragendes Kapital abzüglich einer Market Value Margin für den Run-off des Asset-Liability-Portfolios. Aus Solvenztestsicht besteht eine Gruppe daher aus ihren Geschäftseinheiten (Mutter und Töchter) und einem Netz von rechtlich bindenden KRTI mit klar definierten Eventualcashflows. Das Gruppenzielkapital ist dann definiert als Summe der Zielkapitalanforderungen für die einzelnen Geschäftseinheiten. Das Netz von KRTI kann natürlich im Hinblick auf die Gruppensolvenzkapitalanforderungen optimiert werden (siehe [29]). Der Diversifikationseffekt wird schließlich messbar durch Vergleich der so definierten Gruppensolvenzkapitalanforderungen ohne und mit dem Einsatz von KRTI. Diversifikationseffekte lassen sich offensichtlich auch auf Untergruppenebenen bestimmen, indem man zum Beispiel Geschäftseinheiten nach ihrer regionalen Zugehörigkeit zu Untergruppen zusammenfasst. Dabei gilt ganz allgemein, dass die Diversifikationseffekte für die Untergruppen kleiner sind, auf je tieferer Ebene man die Untergruppen bildet (siehe [29]). Das gilt jedoch nicht aus Sicht der einzelnen Geschäftseinheiten! Folgendes Beispiel dient als Illustration: Beispiel 5.7. Wir betrachten eine Gruppe bestehend aus drei Geschäftseinheiten verteilt auf zwei geographische Regionen A und B, wovon sich die ersten zwei in A und die dritte in B befinden. Der Einfachheit halber nehmen wir hier volle Kapitalmobilität an. Theoretisch entspricht das einem perfekten Netz von KRTI, welche für jeden Zustand der Welt jeden Eventualcashflow erzeugen können. Sei Δ RT Ki die Änderung des risikotragenden Kapitals von Geschäftseinheit i ohne KRTI. Wir nehmen an, dass Δ RT K1 , . . . , Δ RT K3 multivariat normalverteilt sind mit Erwartungswert null, Varianzen Var[Δ RT Ki ] = 100 und Korrelationsmatrix ⎛ ⎞ 1 0 0.75 corr(Δ RT K) = ⎝ 0 1 0 ⎠ . 0.75 0 1 Das Risikomaß sei der 99%-Expected Shortfall. Dann erhalten mit Proposition 2.1 die Solozielkapitalanforderungen von ZKi = ES99% [−Δ RT Ki ] = 2.6652 × var(−Δ RT Ki ) = 26.652. Dank der vollen Kapitalmobilität dürfen wir die Cashflows Δ RT Ki auf Gruppenebene einfach addieren und erhalten als Gruppenzielkapital ; 4 3 √ ZKG = ES99% − ∑ Δ RT Ki = 2.6652 × 100 + 100 + 100 + 2 × 0.75 × 100 i=1
= 56.54. Dieses Gruppenzielkapital allozieren wir mit Hilfe des Kovarianzprinzips (siehe Abschnitt (5.2.2.2)) auf die Geschäftseinheiten und erhalten die auf Gruppenebene diversifizierten Zielkapitalanforderungen von
232
5 Kapitalallokation
ZK1G = ZK3G = 2.6652 ×
cov(Δ RT K1 , ∑3i=1 Δ RT Ki )
var ∑3i=1 Δ RT Ki
100 + 0.75 × 100 = 21.99, 100 + 100 + 100 + 2 × 0.75 × 100 100 = 12.56. ZK2G = 2.6652 × √ 100 + 100 + 100 + 2 × 0.75 × 100 = 2.6652 × √
Wie bei jeder zulässigen Kapitalallokationsmethode gilt ZK1G + · · · + ZK3G = ZKG . Analog beträgt die Solvenzkapitalanforderung für die gesamte Untergruppe in Region A ; 4 2 √ ZKA = ES99% − ∑ Δ RT Ki = 2.6652 × 100 + 100 = 37.7. i=1
Mittels Kovarianzmethode erhalten wir bei Diversifikation auf regionaler Ebene die Zielkapitalanforderungen von ZK1A = ZK2A = 2.6652 × = 2.6652 × √
cov(Δ RT K1 , ∑2i=1 Δ RT Ki )
var ∑2i=1 Δ RT Ki
100 = 18.85. 100 + 100
Offensichtlich resultiert für Geschäftseinheit eins auf Gruppenebene ein kleinerer Diversifikationsbenefit als auf Regionalebene: ZK1G > ZK1A ! Dies ist anscheinend auf die hohe Korrelation von 0.75 mit Geschäftseinheit drei zurückzuführen. Allerdings gilt, wie oben allgemein bemerkt, dass Region A als Untergruppe von der Koalition mit der ganzen Gruppe profitiert: ZK1G + ZK2G < ZKA .
Kapitel 6
Erfolgsmessung
Um den Erfolg eines Unternehmens zu beurteilen, reicht es nicht aus, den Gewinn zu ermitteln. Darüber hinaus muss auch das mit dem Gewinn verbundene Risiko berücksichtigt werden. Dies kann über Kapitalkosten (Abschnitt 4.1.2) geschehen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten (Abschnitt 6.6.4). Zur Erfolgsmessung bieten sich absolute und relative Messgrößen an. Wir bezeichnen mit Ct das notwendige Risikokapital, mit st den risikofreien Zins und mit kt den Spread (oder Überzins), der das eingegangene Risiko kompensieren soll. Berücksichtigen wir den Effekt der Kapitalanlage auf das Risikokapital nicht, so nehmen wir an, dass das Risikokapital risikofrei angelegt wird und markieren die korrespondierenden Größen mit einer Tilde ˜. Je nach Anwendung repräsentiert Ct das ökonomische Risikokapital CtEC , das Reg regulatorische Kapital Ct oder ein anderes Kapitalkonzept. Zum Beispiel wird der RORAC in der Regel über Cashflows ermittelt, bei denen Ct das ökonomische Kapital CtEC repräsentiert. Bei der Fair Value Berechnung der Verbindlichkeiten über das Kapitalkostenprinzip wird dagegen in der Regel ein Kapitalbegriff CtFV , der mit der Risikoaversion des Marktes konsistent ist, gewählt. Die Erfolgsmessung wird für Versicherungsunternehmen dadurch kompliziert, dass Rückstellungen einen zentralen Mechanismus zur Risikomitigation darstellen, der bei der Erfolgsmessung berücksichtigt werden muss.
6.1 Auf Bilanzdaten basierende Erfolgsmessung Bilanzdaten eignen sich in der Regel nicht zur Erfolgsmessung. Ihr Zweck ist es, Aktionären und anderen Interessierten ein möglichst objektives Bild der finanziellen Lage des Unternehmens zu geben. Um diese Objektivität zu erreichen, sind der Erfolgsinterpretation dieser Größen durch eine teilweise Normierung gewisse Grenzen gesetzt. Darüber hinaus sind viele Bilanzierungsregeln wie z.B. das HGB konservativ ausgerichtet. Umgekehrt fließen in Größen zur Erfolgsmessung auf In-
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
233
234
6 Erfolgsmessung
terpretation beruhende Einschätzungen (z.B. über zukünftige Schadenabwicklung) ein. Eine Erfolgsmessung auf Grundlage von Bilanzdaten (und der GuV) wird also immer ein verzerrtes Bild der Realität darstellen. Für einen Außenstehenden, der nicht über unternehmensinterne Information verfügt, stellen diese Daten aber oft die einzige zugängliche Informationsbasis dar. Deswegen wird praktisch über sie ein Proxy für den Erfolg kommuniziert. Umgekehrt reagieren die Unternehmen auf das Feedback, das sie vom Markt bekommen, so dass Bilanzsteuerung durchaus ökonomischen Sinn machen kann. Wir gehen im folgenden davon aus, dass unternehmensinterne Information bekannt ist, so dass man nicht auf Bilanzgrößen angewiesen ist.
6.2 Gewinnmessung Die Gewinnmessung für einzelne Unternehmensbereiche birgt zunächst keine mathematischen Schwierigkeiten, da sich der erwartete Gewinn des Gesamtunternehmens als Erwartungswert linear aus den Gewinnen der einzelnen Unternehmensbereiche zusammensetzt.1 Praktisch stellt sich jedoch das Problem, dass einige Größen, die den Gewinn beeinflussen, häufig nicht auf der Ebene dieser Unternehmensbereiche vorliegen. Wir wollen dies in diesem Abschnitt am Beispiel der Kosten illustrieren. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine gute Kostenrechnung für die wertorientierte Steuerung notwendig ist. Jede betriebswirtschaftliche Aktion generiert Kosten, und umgekehrt kann man jedem Produkt Kosten zuordnen. Während die von einer Aktion generierten Kosten wenigstens prinzipiell messbar sind, ist die betriebswirtschaftlich interessantere Zuordnung von Kosten zu Produkten von weiteren Faktoren abhängig. Im einfachsten Fall kann man direkte Kosten und Fixkosten unterscheiden. Die Fixkosten sind davon unabhängig, ob das Produkt hergestellt wird oder nicht, während die direkten Kosten vom produzierten Volumen abhängig sind. Definition 6.1. Unter einem Kostenträger verstehen wir ein Produkt oder eine Aktion, der in der Kostenrechnung Kosten zugeordnet werden. In der Vollkostenrechnung werden sämtliche Kosten auf die Kostenträger verrechnet. In der Teilkostenrechnung werden nur die direkt zuzuordnenden Kosten (direkte Kosten) auf die Kostenträger verrechnet. Wenn die Profitabilität des Gesamtunternehmens untersucht wird, ist eine Vollkostenrechnung angemessen, da andernfalls nicht alle Kosten berücksichtigt würden. Wenn es hingegen um die Profitabilität einzelner Produkte geht, kann eine Teilkostenrechnung angemessener sein, da andernfalls approximativ geschlüsselte Fixkosten die Ergebnisse verzerren könnten.
1
Diese Linearität liegt zum Beispiel für das Risikokapital nicht vor, siehe Kapitel 5.
6.2 Gewinnmessung
235
Wir betrachten ein stark vereinfachtes Beispiel. Ein Versicherungsunternehmen habe Fixkosten von 180.000 e, die nach der Versicherungssumme auf die Versicherungsverträge im Bestand geschlüsselt werden. Es soll nun die Profitabilität zweier Verträge verglichen werden. Vertrag A hat eine Versicherungssumme von 1000 e und generiert direkt zuzuordnende Kosten von 10 e. Vertrag B hat eine Versicherungssumme von 5000 e und direkt zuzuordnende Kosten von 15 e. (Das Handling ist das gleiche, aber Kunden mit höheren Versicherungssummen kontaktieren das Unternehmen häufiger, was die 5 e Mehrkosten verursacht). Im Durchschnitt beträgt die Leistung 97% der Prämie bei kleinen Versicherungsverträgen wie Vertrag A und 98% der Prämie bei größeren Versicherungsverträgen wie Vertrag B. Wenn man nur die direkt zuzuordnenden Kosten betrachtet, erhält man für Vertrag A einen Profit von (1 − 97%) × 1000 e − 10 e = 20 e und für Vertrag B einen Profit von (1 − 98%) × 5000 e − 15 e = 85 e. Vertrag B erscheint also in unserer Teilkostenrechnung profitabler. Die Versicherungssumme des Gesamtportfolios betrage 10.000.000 e. Damit entfallen auf Vertrag A 18 e Fixkosten und auf Vertrag B 90 e Fixkosten. In der Vollkostenrechnung ist also Vertrag A mit 2 e gerade noch profitabel, während Vertrag B mit -5 e einen Verlust bringt. Aufgrund der Vollkostenrechnung könnte man annehmen, dass Vertrag B im Gegensatz zu Vertrag A Geld verliert. Das Management könnte daher auf den Gedanken kommen, den Vertrag (wenn möglich) zu kündigen. Das Resultat wäre eine Verschlechterung der Situation, da nun 85 e fehlen, mit denen ein Teil der Fixkosten, die sich durch die Kündigung des Vertrags natürlich nicht ändern, gedeckt wurde. Eine weitere Schwierigkeit der Kostenrechnung besteht darin, dass eine klare Unterscheidung zwischen variablen Kosten und Fixkosten nicht besteht. Eine klassische Fixkostenposition ist zum Beispiel die Miete für das Verwaltungsgebäude des Versicherungsunternehmens. Solange die Schwankungen im produzierten Geschäftsvolumen nicht zu groß sind, sind die Mietkosten in der Tat unabhängig von den Produkten. Wenn allerdings das Unternehmen sich stark vergrößert oder verkleinert, wird das Verwaltungsgebäude für das veränderte Volumen nicht mehr passen. Wir erwarten also eine Änderung der Mietkosten als Konsequenz einer Volumenänderung des Geschäfts. Umgekehrt werden Bearbeitungskosten für Versicherungsverträge häufig als variable Kosten angesehen. Man wird aber nicht bei jeder Volumenschwankung Mitarbeiter einstellen bzw. entlassen wollen. Selbst bei einem größeren Geschäftseinbruch wird man sich sehr genau überlegen, ob man betriebsbedingte Kündigungen aussprechen möchte, da dies Auswirkungen auf die Moral der restlichen Belegschaft hat, Abfindungspakete Kosten verursachen, und bei einem späteren Anziehen des Geschäfts weitere Kosten entstehen, wenn neue Mitarbeiter eingestellt und angelernt werden müssen. Die Einteilung in Fixkosten und variable Kosten ist also auch von der Strategie des Unternehmens bzw. dem betrachteten Szenario abhängig.
236
6 Erfolgsmessung
6.3 Absolute Erfolgsmessgrößen In diesem Abschnitt beschreiben wir den EVA2 und verwandte Konzepte. Definition 6.2. Der Nettogewinn nach Steuern Nt ist die Differenz aus Ertrag und Aufwand nach Steuern. Er ist durch Nt = Pt − Provt − Lt + It + Et − Kt − Stt − (Vt −Vt−1 ) gegeben, wobei wir die in Tabelle 6.1 aufgeführten Abkürzungen benutzt haben.
Tabelle 6.1 Abkürzungen für die Komponenten des Nettogewinns. Variable
Bedeutung
Zeitpunkt
Pt
Prämieneinnahmen
Periodenbeginn
Provt
gezahlte Provisionen
Periodenbeginn
Lt
Schadenzahlungen
Periodenende
rt
relativer Kapitalertrag
während der Periode
At
Kapitalanlagevolumen incl. Risikokapital
Periodenbeginn
It = rt At
Kapitalanlagegewinn
Periodenende
Et
sonstige Ergebniszuschreibungen
Periodenende
Kt
Kosten
Periodenende
Stt
Steuern
Periodenende
Vt
Rückstellungen
Periodenende
Der letzte Term, die Änderung der Reserven, (Vt −Vt−1 ), kann als zusätzlicher „erwarteter Schadenaufwand“ für das Geschäftsjahr interpretiert werden. Dieser Term wird (insbesondere bei Anwendungen im Bankenbereich) nicht immer zum Nettogewinn gezählt. Wir subsumieren die Änderung der Reserven unter dem Nettogewinn, da die Reservierung in der Praxis eine zentrale Bedeutung für das Versicherungsgeschäft hat. Kapitalkosten sind in Nt nur insoweit enthalten, als Kapital auf dem Kapitalmarkt aufgenommen wird und echte Zinskosten anfallen. Dies ist bei Versicherungsunternehmen nicht immer der Fall. Eine Ausnahme bilden Genussrechtkapital sowie Nachrangdarlehen. Dem gegenüber berücksichtigt der Economic Value Added (EVA) Kapitalkosten explizit. Definition 6.3. Die Hurdle Rate ht ist die Mindestverzinsung, die der Kapitalgeber für das ökonomische Kapital verlangt. 2
EVA ist eine eingetragene Marke der Firma Stern Stewart & Co. Die Idee, dass die risikoadäquate Verzinsung ausschlaggebend dafür ist, ob man in ein Unternehmen investieren sollte, ist jedoch viel älter und findet sich zum Beispiel auch im Werk von Eugen Schmalenbach [47, S. 49–50].
6.3 Absolute Erfolgsmessgrößen
237 rt Periode t
0
1 Projektionsbeginn
···
t −1
t Pt
Kt
Provt
Lt
At
Et
Ct
Vt
t +1
Stt Abb. 6.1 Ein einfaches Zeitmodell für die Unternehmensbeschreibung. Alle Zahlungen werden entweder zu Beginn oder am Ende einer Periode geleistet. Die erste Prämie P1 fließt somit zum Zeitpunkt t = 0 zu Beginn der Periode 1.
Die Hurdle Rate hängt damit von dem Risiko ab, unter dem das Risikokapital Ct steht. Häufig wird ht = st +kt geschrieben, wobei st den risikolosen Zins bezeichnet. kt ist dann der Spread, der für das Risiko erwartet wird. Anmerkung 6.1. Eine objektive Bestimmung der Hurdle Rate ist selten möglich. Kennt man die Wahrscheinlichkeit, mit der das Risikokapital Ct verloren wird, so kann man als Näherung den Spread für eine Unternehmensanleihe der gleichen Ausfallwahrscheinlichkeit annehmen. Diese Näherung ist selbst in liquiden, arbitragefreien Märkten nicht exakt, weil in der Praxis fast immer nur ein Teil des Risikokapitals verloren wird, und es keinen Grund gibt, warum der verbleibende Teil gleich den Recoverables der Unternehmensanleihe im Falle eines Ausfalls sein sollte. Eine andere Möglichkeit für die Bestimmung der Hurdle Rate bei börsenorientierten Unternehmen ist die Nutzung des CAPM. Diese Methode hat allerdings eine hohe Modellunsicherheit, da sie eine starke Kopplung zwischen den realen Risiken und den Aktienkursen unterstellt. Schwerer wiegt jedoch, dass externen Investoren, die die Aktienpreise bestimmen, viel weniger Information über die Risikolage des Unternehmens zur Verfügung steht als dem Unternehmen selbst. Häufig wird daher (insbesondere bei Tochterunternehmen) der pragmatische Ansatz gewählt, dass die Hurdle-Rate einfach (vom Eigner) vorgegeben wird. Anmerkung 6.2. Eine weitere in der Praxis kontrovers diskutierte Frage bei der Bestimmung der Hurdle Rate besteht darin, ob die Hurdle Rate für alle Geschäftsbereiche eines Unternehmens oder eines Konzerns einheitlich oder individuell gewählt werden sollte. Definition 6.4. Falls der Rückkopplungseffekt des Risikokapitals (siehe Abschnitt 4.5.6) bei seiner Berechnung berücksichtigt wird, ist der Economic Value Added (EVA) durch EVAt = Nt − ht CtEC .
238
6 Erfolgsmessung
gegeben. Man kann diese Formel so interpretieren, dass man, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können, das ökonomische Risikokapital CtEC aufnehmen muss. Der Betrag ht CtEC sind die Zinskosten (oder Kapitalkosten) für das erforderliche Kapital, die vom Nettogewinn abzuziehen sind. Erst wenn nach Bezahlung der Kapitalkosten noch ein Profit übrig bleibt, wird ein sogenannter Mehrwert (Economic Value Added) geschaffen (vgl. Definition 6.5). Wird das Risikokapital ohne Berücksichtigung der Wechselwirkungen zum übrigen Unternehmen ermittelt, so muss der auf das Risikokapital erzielte Kapitalertrag explizit in Rechnung gestellt werden. In dieser Approximation geht man davon aus, dass das Risikokapital risikofrei angelegt wird. Somit erhält man < t = N˜ t − kt C˜tEC . EVAt = EVA Wenn die Annahme, dass das Risikokapital risikofrei angelegt wird, nicht zutrifft, < t. haben wir natürlich EVAt = EVA Definition 6.5. Ein Unternehmen schafft Wert, falls es einen positiven EVA erzielt, und vernichtet Wert bei einem negativen EVA. Auch ein Unternehmen, das Gewinne macht, kann demnach Wert vernichten, wenn diese Gewinne nicht ausreichen, die Kapitalkosten zu bezahlen. In diesem Fall wäre es vorteilhafter, das Kapital in ein anderes Unternehmen zu investieren, das bei gleichem Risiko einen die Kapitalkosten übersteigenden Gewinn erwirtschaftet. (Falls ein solches Unternehmen nicht existiert, ist wahrscheinlich die Bestimmung der Hurdle Rate fehlerhaft.)
6.4 Relative Erfolgsmessgrößen Der Economic Value Added gibt einen absoluten Ertrag an, eignet sich also nicht zum Vergleich von Unternehmen verschiedener Größe. Zu diesem Zweck ist es besser, einen dazu passenden relativen Ertrag zu definieren. Die Notation ist in der Literatur uneinheitlich. Es ist daher leicht möglich, alternative Definitionen für die in diesem Abschnitt eingeführten Ertragsmaße zu finden, die mit unseren Definitionen inkompatibel sind. Definition 6.6. Der Return on Capital (ROC) ist durch ROCt =
Nt EK t
gegeben, wobei EKt das Bilanzkapital bezeichnet. Der ROC ist somit keine risikoadjustierte Erfolgsgröße und zur Unternehmenssteuerung nur sehr bedingt geeignet. Je nach zugrunde liegender Rechnungslegung (z.B. HGB, IFRS, US-GAAP) ergibt sich für den ROC ein unterschiedlicher Wert.
6.4 Relative Erfolgsmessgrößen
239
Definition 6.7. Der Risk Adjusted Return on Capital (RAROC) ist durch RAROCt =
Nt − ht CtEC EVAt = EK t EK t
gegeben, wobei EK t das Bilanzkapital bezeichnet. Ebenso wie der ROC hängt der RAROC von der verwendeten Rechnungslegung ab. Da das Bilanzkapital EK t keine direkte ökonomische Größe ist, verzerrt die Erfolgsgröße RAROC den wirklichen risikoadjustierten Erfolg und ist daher zur Unternehmenssteuerung nur bedingt geeignet. Häufig wird allerdings der in Definition 6.8 definierte risikoadjustierte relative Ertrag RORAC ebenfalls RAROC genannt. Dabei wird dann implizit unterstellt, dass das vorhandene Risikokapital genau dem benötigtem Kapital entspricht. Definition 6.8. Der Return on Risk Adjusted Capital (RORAC) ist die zum EVA korrespondierende relative Größe, RORACt =
Nt EVAt = EC + ht , CtEC Ct
wobei wir hier wieder davon ausgehen, dass Wechselwirkungseffekte bei der Bestimmung des ökonomischen Kapitals CtEC berücksichtigt werden. Werden die Wechselwirkungseffekte nicht berücksichtigt, muss angenommen werden, dass das ökonomische Risikokapital C˜tEC zum risikofreien Zins st angelegt wird. Wir erhalten dann ˜ EC ˜ ˜ t = Nt + st Ct = Nt + st . RORACt = RORAC EC ˜ ˜ Ct CtEC t. Bei einer nicht risikofreien Anlage des Risikokapitals gilt RORACt = RORAC Ein weiterer Vorteil des RORAC ist die Tatsache, dass diese Definition ohne die Hurdle Rate auskommt. Die Hurdle Rate hat allerdings auch hier eine Bedeutung: Korollar 6.1. Ein Unternehmen schafft genau dann Wert, wenn RORACt ≥ ht gilt. RORAC-Ergebnisse müssen immer im betrachteten Zusammenhang interpretiert werden, da Nischenprodukte, die alleine nicht überlebensfähig wären, mitunter einen besonders hohen Ertrag abwerfen. Für deutsche Unternehmen gehört häufig die Unfallzusatzversicherung in diese Kategorie. Ihr natürlicher Markt ist jedoch klein und eine Produktion kann nicht unbeschränkt gesteigert werden. Es sind auch Massenprodukte notwendig, die einen vielleicht bescheideneren Ertrag liefern, aber aufgrund ihres Volumens die Fixkosten des Unternehmens tragen können. Die Entscheidung, des guten RORACs der Zusatzunfallversicherung wegen alle anderen Produkte einzustellen, würde unzweifelhaft direkt zum Ruin des betreffenden Unternehmens führen.
240
6 Erfolgsmessung Prämien
Kosten (Verwaltung, Akquisition, direkte Kapitalkosten)
Kapitalanlageergebnis
Versicherungstechnisches Ergebnis
Reserven
Nettoprofit Verteilungen
RORAC
=
≥ Hurdle rate
Verteilungen
Risikokapital Schadenhäufigkeit
Kapitalmarkt Risiko-Diversifikation Portfolio
Markt- und Kreditrisiken
Risikoaggregation
Operationale Risiken
Konfidenzniveau
Versicherungsrisiken
Schadenhöhe
Andere Risiken
Abb. 6.2 Schematischer Aufbau einer RORAC-Berechnung.
6.5 Ein numerisches Beispiel Wir betrachten drei Sparten, deren zu Beginn des Jahres t gezeichnetes Geschäft miteinander verglichen werden soll. Alle drei Sparten haben das gleiche versicherungstechnische Nominalergebnis (siehe Tabelle 6.2). Dabei verstehen wir unter Nominalergebnis (bzw. allgemeiner Nominalwerten) Werte, die weder risikoadjustiert noch diskontiert sind. Tabelle 6.2 Nominalwerte der Sparten A, B, C Sparte Nominalwerte Prämien Provisionen Schäden (projiziert)
A
C
1000 1000 1000 50
50
50
800 800 800
Ergebniszuschreibungen (projiziert) -50 Nominalergebnis
B
-50
-50
100 100 100
In dieser Beschreibung werden Kosten und Steuern unter den sonstigen Ergebniszuschreibungen subsumiert. Während sich Prämien und Provisionen auf den Be-
6.5 Ein numerisches Beispiel
241
ginn des Jahres t beziehen, treten Schäden, die damit verbundenen Schadenzahlungen und (sonstige) Ergebniszuschreibungen in der Zukunft auf, sind also lediglich projizierte Werte. Wir nehmen an, dass die Rückstellungen und sonstigen Ergebnis x zuschreibungen der Sparte x ein lineares erwartetes Abwicklungsmuster αt,τ τ≥t haben (Tabelle 6.3) Tabelle 6.3 Abwicklungsmuster der Sparten A, B, C. Rückstellungen am Ende des Jahres t +1 t +2 t +3
t +4
A
80% 60% 40% 20%
0%
B
0%
C
50% 0%
Sparte
t
–
–
–
–
–
–
–
x Zur Vereinfachung der Notation setzen wir außerdem für jede Sparte αt,t−1 = 100%. Wir nehmen an, dass dieses Abwicklungsmuster auch in der Vergangenx x für alle k ∈ N. Die Reservierung wird so vorgenom= αt,τ heit galt, also αt−k,τ−k men, dass (unter Berücksichtigung der sonstigen Ergebniszuschreibungen) weder Abwicklungsgewinne noch Abwicklungsverluste erwartet werden. Das Kapitalanlageergebnis resultiert aus einer risikofreien Kapitalanlage, die einen Zins von
st+k = 3%
(k ∈ {0, . . . , 4})
generiert. Für die Sparte x und das Zeichnungsjahr tˆ sei • Ltxˆ,τ die gesamte undiskontierte Schadenzahlung im Jahr τ ≥ tˆ und • Etˆx,τ die gesamte undiskontierte sonstige Ergebniszuschreibungen im Jahr τ ≥ tˆ. Wir bezeichnen den undiskontierten Gesamtschaden für das Zeichnungsjahr tˆ mit Ltxˆ = ∑τ≥tˆ Ltxˆ,τ und die undiskontierten Ergebniszuschreibungen mit Etxˆ = ∑τ≥tˆ Etˆx,τ . Die im Zeichnungsjahr eingenommene Einmalprämie werde mit Ptˆx bezeichnet. Das (undiskontierte) versicherungstechnische Abwicklungsergebnis inklusive Kosten und Steuern, aber ohne Provisionen für das Zeichnungsjahr tˆ kann dann durch Qtxˆ =
Ltxˆ − Etxˆ . Ptˆx
beschrieben werden. Die Sparten A, B, C haben in den vergangenen Jahren stark unterschiedliche Volatilitäten des Abwicklungsergebnisses aufgewiesen. Die Abwicklungsergebnisse für die Jahre tˆ ∈ {t − 10, . . . ,t − 6} sind in der Tabelle 6.4 gegeben. Wir nehmen an, dass nur der gesamte, undiskontierte Schaden Ltxˆ − Etxˆ unter Risiko steht. Wir setzen ebenfalls voraus, dass für jede
242
6 Erfolgsmessung
Sparte x sowohl Volumen als auch typische Höhe des in den Jahren tˆ sowie im Jahr t gezeichneten Geschäfts vergleichbar sind. Tabelle 6.4 Historisches Abwicklungsergebnis Qtxˆ der Sparten A, B, C. Zeichnungsjahr tˆ Sparte t − 10 t − 9 t − 8 t − 7 t − 6 A
20% 150% 50% 140% 40%
B
85% 75% 80% 85% 75%
C
75% 65% 80% 85% 95%
Obwohl die Nominalergebnisse der Sparten A, B, C gleich sind, sind die Charakteristika der Sparten sehr unterschiedlich. Wir werden nun die Konsequenzen aus diesen unterschiedlichen Eigenschaften für die Erfolgsbestimmung analysieren. Dabei gehen wir davon aus, dass das Risikokapital risikofrei angelegt wird und berücksichtigen daher nicht den Kapitalertrag auf Risikokapital im Nettogewinn und den anderen Größen. Wir markieren die entsprechenden Größen wie im Rest des Kapitels mit einer Tilde ˜ . Wir nehmen außerdem an, dass der wirkliche Schadenverlauf der im Jahr t gezeichneten Versicherungsverträge für jede Sparte x genau x x = αx − αx = 1 und Δ αt,τ den Erwartungen entspricht. Mit αt,t−1 t,τ t,τ−1 bedeutet diese Annahme, dass für jedes τ ≥ t x x Lt,τ = −Δ αt,τ Ltx ,
x x Et,τ = −Δ αt,τ Etx
gilt. In unseren Projektionen wird ebenfalls vorausgesetzt, dass alle anfallenden Gewinne zu jedem Jahresende dem Unternehmen entzogen werden. Die Rückstellungen am Ende des Jahres τ sind durch x x x x x Vt,τ+1 + E Lt,τ+1 − Et,τ+1 Vt,τ+1 − Δ αt,τ+1 E (Ltx − Etx ) x = = (6.1) Vt,τ 1 + sτ+1 1 + sτ+1 gegeben. Das Anlagevolumen der Sparte x zu Beginn des Jahres τ beträgt x x A˜ t,τ = δτt (Ptx − Provtx ) + 1 − δτt Vt,τ−1 ,
wobei δτt
=
1 0
falls t = τ falls t = τ
das Kronecker-Symbol bezeichnet. Aus Gleichung (6.1) folgt x Vt,τ für τ = t, x x Vt,τ −Vt,τ−1 = x E (Lx − Ex ) für τ > t. sτ Vt,τ−1 + Δ αt,τ t t
6.5 Ein numerisches Beispiel
243
Der Nettogewinn am Ende des Jahres τ ≥ t ist dann durch x x x x x x = δτt (Ptx − Provtx ) − Lt,τ + Et,τ + sτ A˜ t,τ − Vt,τ −Vt,τ−1 N˜ t,τ x x x x (Ltx − Etx ) + sτ A˜ t,τ − Vt,τ −Vt,τ−1 = δτt (Ptx − Provtx ) + Δ αt,τ gegeben, und es gilt x x = δτt (Ptx − Provtx ) + Δ αt,τ E (Ltx − Etx ) + sτ δτt (Ptx − Provtx ) E N˜ t,τ x x − δτt Vt,τ + sτ 1 − δτt Vt,τ−1 x x − 1 − δτt sτ Vt,τ−1 + Δ αt,τ E (Ltx − Etx ) x x + Δ αt,τ E (Ltx − Etx ) . = δτt (1 + st ) (Ptx − Provtx ) −Vt,τ Ein positives Nettoergebnis wird jeweils nur im ersten Jahr erwartet, da wir gerade so reserviert haben, dass bei einem erwarteten Abwicklungsverlauf das Ergebnis aus der Abwicklung der Reserven verschwindet. Damit erhalten wir den in Tabelle 6.5 gegebenen Abwicklungsverlauf. Tabelle 6.5 Abwicklungsverlauf der Sparten A, B, C. Größe τ = t τ = t + 1 τ = t + 2 τ = t + 3 τ = t + 4 τ = t + 5 A A˜ t,τ 950.0 A 28.5 sτ A˜ t,τ
631.9
480.9
325.3
165.0
0.0
19.0
14.4
9.8
5.0
0.0
160.0
160.0
160.0
160.0
160.0
0.0
-10.0
-10.0
-10.0
-10.0
-10.0
0.0
631.9
480.9
325.3
165.0
0.0
0.0
176.6
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
B A˜ t,τ 950.0 B 28.5 sτ A˜ t,τ
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
A Lt,τ A Et,τ A Vt,τ A N˜ t,τ
B Lt,τ B Et,τ B Vt,τ B ˜ Nt,τ
800.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
-50.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
128.5
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
412.6
0.0
0.0
0.0
0.0
12.4
0.0
0.0
0.0
0.0
A˜Ct,τ 950.0 sτ A˜Ct,τ 28.5 LCt,τ C Et,τ C Vt,τ C ˜ Nt,τ
400.0
400.0
0.0
0.0
0.0
0.0
-25.0
-25.0
0.0
0.0
0.0
0.0
412.6
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
140.9
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
244
6 Erfolgsmessung
Dadurch, dass die Schäden sehr viel später abgewickelt werden als die Prämienzahlung erfolgt, entstehen Zinserträge, die in der reinen Nominalbetrachtung nicht berücksichtigt werden. Eine reine Nettobetrachtung, die diesen Effekt berücksichtigt, würde das Geschäft der Sparte A gegenüber dem Geschäft der Sparten B und C bevorzugen. Wir wollen jetzt das Risiko in unserer Rechnung ebenfalls berücksichtigen. Als Maß für das ökonomische Risikokapital wählen wir den Value at Risk zum Konfidenzniveau α = 99.5%, EC,x x C˜t,τ = VaRα (Xt,τ ), x = −N x die den im Jahr τ erlittenen Verlust der Sparte x für das Zeich˜ t,τ wobei Xt,τ nungsjahr t bezeichnet. Wir nehmen außerdem an, dass die Summe aus Gesamtschaden und sonstigen Ergebniszurechnungen normalverteilt ist und einen nichtnegativen Erwartungswert hat. Wir können dann einen Schätzwert für die Standardx aus dem (dimensionslosen) Variationskoeffizienten der histoabweichung von Xt,τ rischen Quotienten Qtxˆ , tˆ ∈ {t − 10, . . . ,t − 6}, ermitteln.
x x x x x = σ δτt (Ptx − Provtx ) + Δ αt,τ (Ltx − Etx ) + sτ A˜ t,τ − Vt,τ −Vt,τ−1 σ Xt,τ x σ (Ltx − Etx ) = −Δ αt,τ x Lt − Etx x x = −Δ αt,τ Pt σ Ptx x x σ (Qt ) = −Δ αt,τ E (Ltx − Etx ) , E (Qtx )
wobei wir benutzt haben, dass Prämien, Provisionen und Rückstellungen aufgrund unserer Annahmen deterministisch sind. Es folgt x EC,x = VaR99.5% Xt,τ C˜t,τ x x −1 + Φ0,1 = −E N˜ t,τ (99.5%) σ N˜ t,τ −1 (99.5%) σ (Qtx ) x Φ0,1 x −Δ αt,τ + E (Ltx − Etx ) . = −E N˜ t,τ E (Qtx )
Die numerische Berechnung führt zu den Werten in Tabelle 6.6. Tabelle 6.6 Erwartungswert, Standardabweichung für den historischen Qtx der Sparten A, B, C. Sparte Größe
A
B
C
E (Qtx ) σ (Qtx )
60.42% 05.00% 15.81%
−1 Φ0,1 (99.5%) σ (Qtx )/E(Qtx )
194.52% 16.10% 50.91%
80.00% 80.00% 80.00%
6.5 Ein numerisches Beispiel
245
Wir nehmen an, dass die Hurdle Rate ht = 9% und der Spread kt = 6% beträgt. Aufgrund unserer Risikokapitalberechnung, die Wechselwirkungen ignoriert, haben wir x N˜ x x EC,x x < t,τ t,τ = t,τ + sτ , EVA = N˜ t,τ − kτ C˜t,τ und RORAC EC,x C˜t,τ EC,x das ökonomische Risikokapital der Periode τ für das in der Periode t wobei C˜t,τ gezeichnete Geschäft der Sparte x bezeichnet. Insgesamt erhalten wir die in Tabelle 6.7 angegebenen Ergebnisse.
Tabelle 6.7 Ergebnisse für die Sparten A, B, C. Größe
τ =t
τ = t +1 τ = t +2 τ = t +3 τ = t +4 τ = t +5
A N˜ t,τ
176.6
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
EC,A C˜t,τ EC,A kτ C˜t,τ
154.1
330.7
330.7
330.7
330.7
0.0
9.2
19.8
19.8
19.8
19.8
0.0
A EVAt,τ
167.3
-19.8
-19.8
-19.8
-19.8
0.0
3.0%
3.0%
3.0%
3.0%
–
128.5
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
8.3
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
A RORACt,τ 117.6% B N˜ t,τ EC,B C˜t,τ EC,B kτ C˜t,τ
0.5
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
B EVAt,τ
128.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
–
–
–
–
–
B 1543.6% RORACt,τ C N˜ t,τ
140.9
0.0
0.0
0.0
0.0
0.0
EC,C C˜t,τ EC,C kτ C˜t,τ EVACt,τ RORACCt,τ
12.1
153.0
0.0
0.0
0.0
0.0
0.7
9.2
0.0
0.0
0.0
0.0
140.2
-9.2
0.0
0.0
0.0
0.0
1165.9%
3.0%
–
–
–
–
Wir haben vier verschiedene Systeme der Erfolgsmessung genutzt: Nominalbe< und RORAC. Dabei haben wir die Nomitrachtung, Nettogewinnbetrachtung, EVA, nalbetrachtung benutzt, um die Sparten zu normieren, so dass Spartenvergleiche für jedes der anderen Erfolgsmessungskonzepte sinnvoll sind. Wird der Nettogewinn < Sparte C und betrachtet, erscheint Sparte A am besten, bei Betrachtung des EVA Sparte B. Da das Risiko beim Nettogewinn ignoriert bei Betrachtung des RORAC wird, ist es nicht verwunderlich, dass die volatile Sparte A hier am besten abschnei< det. Der Unterschied zwischen dem EVA-Ergebnis und dem RORAC-Ergebnis lässt EC,x → 0 erhalten wir (bei sich durch die Volatilität der Sparte B erklären: Für C˜t,τ → ∞. Diese Beziehung gilt unabhängig vom Netpositivem Nettogewinn) RORAC x , solange es ein δ > 0 gibt, so dass im Grenzprozess N x > δ gilt. Das ˜ t,τ togewinn N˜ t,τ
246
6 Erfolgsmessung
RORAC Maß ist also für sehr kleinen Kapitalbedarf, wo für den Gesamterfolg der EC,x Nettogewinn entscheidend ist, nicht gut geeignet. Für C˜t,τ → 0 erhalten wir hinx < → N˜ t,τ . Es gibt also kein Maß, das für jede Anwendung vorzuziehen ist, gegen EVA so dass man für die jeweilige Anwendung das passende Maß bzw. eine geeignete Kombination von Maßen wählen muss. Anmerkung 6.3. Das hier verwendete Modellierungsverfahren ist sehr stark vereinfacht und deshalb für unser Beispiel angemessen. Für Anwendungen in der Realität eignet es sich jedoch nicht: • Mit 5 Datensätzen nahe am Erwartungswert kann man nicht zuverlässig die Verteilung in der Nähe des 99.5% Quantils schätzen. • Die Normalverteilungsannahme ist nicht angemessen. Auch der zentrale Grenzwertsatz kann hier nicht als Begründung herangezogen werden, da u.a. die Voraussetzung, dass die zu approximierende Verteilung eine endliche Standardabweichung hat, nicht überprüft werden kann. • Die Annahme, dass die Summe aus Gesamtschaden und gesamten sonstigen Ergebniszuschreibungen der einzige Risikotreiber ist, kann häufig nicht verteidigt werden. In der Praxis hat auch der Zeitpunkt der Schadenzahlungen einen wichtigen Einfluss. Diesen Einfluss hinzuzunehmen hätte unsere Rechnung jedoch sehr viel komplizierter gemacht. • Wir haben angenommen, dass die historischen Geschäftsparameter annähernd konstant sind und auch heute noch gelten. Dies ist in der Regel nicht erfüllt. Selbst in unserem Beispiel suggeriert der historische Schadenverlauf der Sparte C einen klaren Trend, den wir hier ignoriert haben. Außerdem kann die Zusammensetzung des Portfolios, die wir nicht untersucht haben, wichtig sein. Wenige Großverträge sind bei gleichem Volumen risikoreicher als Massengeschäft, da der Ausgleich im Portfolio weniger stark wirkt.
6.6 Grundlagen der Unternehmenswertkonzepte und der Wertbeitragsermittlung In den Abschnitten 6.3-6.5 haben wir Erfolg auf Basis des risikoadjustierten Gewinns der Periode gemessen. Alternativ kann man Erfolg bezüglich der Wertänderung des Unternehmens definieren. Dies ist besonders dann sinnvoll, wenn die Versicherungsverträge wie in der Lebensversicherung langfristig sind und sich somit über mehrere Perioden erstrecken. Definition 6.9. Der marktkonsistente Wert eines Unternehmens ist der Preis, zu dem es an einen rationalen unabhängigen Investor, der das Unternehmen gut kennt, verkauft werden könnte. Diese Definition geht implizit davon aus, dass unterschiedliche unabhängige Investoren zu einem einheitlichen Preis kommen würden. Dies ist jedoch fraglich,
6.6 Unternehmenswertkonzepte
247
da der Preis auch vom Risikoprofil des Käufers abhängt [38]. Außerdem wird ein Käufer in der Regel ein anderes Versicherungsunternehmen sein, so dass individuelle Synergieeffekte wesentlich werden. Definition 6.9 muss daher etwas abstrakter interpretiert werden: • Um zu einem möglichst objektiven Ergebnis zu kommen, gehen wir davon aus, dass Synergieeffekte vernachlässigt werden können. • Das Risikoprofil des Käufers erfassen wir durch explizite Normierungen. Ein Beispiel für eine solche Normierung ist durch das Kapitalkostenkonzept (siehe Abschnitt 6.6.3) zum einem fest gewählten Risikomaß und Konfidenzniveau gegeben. Ein weiteres Beispiel für eine Normierung ist das durch die risikoneutrale Evaluierung induzierte Risikoprofil (siehe Abschnitt 6.6.4). Definition 6.10. Ein deterministischer Cashflow für n Projektionsperioden ist eine Abbildung Cf : {0, . . . , n} → R, t → Cft , wobei jeder Periode t ein monetäres Ergebnis Cft zugeordnet wird, das am Ende der Periode evaluiert wird. Gilt Cft > 0, so wird dieser Wert als in dieser Periode erfolgte Einzahlung, andernfalls als Auszahlung aufgefasst. Insbesondere nehmen wir an, dass der Cashflow Cft sofort dem Unternehmen entzogen wird, also zukünftige Cashflows Cft+k (k > 0) nicht beeinflusst. Um unsichere Cashflows zu beschreiben, benötigen wir Filtrationen (siehe Abschnitt 2.4.1). Definition 6.11. Es sei T = {1, . . . , n} und (Ft )t∈T eine Filtration auf Ω . Ein Cashflow für n Projektionsperioden ist ein adaptierter stochastischer Prozess Cf : Ω × T → R,
(ω,t) → Cft (ω).
Aufgrund der Adaptiertheit ist Cft zum Zeitpunkt t bekannt. Dies ist besonders anschaulich, wenn (F )t∈T eine Produktfiltration ist (siehe Korollar 2.2). Ein Versicherungscashflow gibt für jede Zeitperiode die in der Periode erfolgten Einnahmen und Ausgaben an (siehe Abbildung 6.3). Es gibt zwei Versionen des Versicherungscashflows, je nachdem, ob die Veränderung der Rückstellungen in den Cashflow mit einbezogen wird oder nicht. Definition 6.12. Mit den Bezeichnungen aus Definition 6.2 ist ein reiner Versicherungscashflow durch =t = rt At + Pt − Provt − Lt − Kt − (st + kt ) Ct + Et − Stt . Cf gegeben, wobei Ct das Risikokapital und kt den Spread in der Zeitperiode t sind. Beim reinen Versicherungscashflow wird der Aufbau von Rückstellungen als ein rein interner Vorgang erfasst und daher hier nicht berücksichtigt. Praktisch hat diese Definition des reinen Cashflows jedoch die folgenden Nachteile:
248
6 Erfolgsmessung st , kt , rt Periode t
0
1 Projektionsbeginn
···
t −1
t Pt
Kt
Provt
Lt
At
Et
Ct
Vt
t +1
Stt Cft Abb. 6.3 Das der Definition des Versicherungscashflows zugrunde liegende Zeitmodell.
=t , kann nicht als der Betrag interpretiert wer• Der reine Cashflow im Jahr t, Cf den, der zur Gewinnverwendung für Eigentümer und Versicherungsnehmer zur Verfügung steht, da zunächst die Änderung der Reserven berücksichtigt werden muss. • In der Lebensversicherung kann die Dauer zwischen Prämieneinzahlungen und Leistungsauszahlungen mehrere Jahrzehnte betragen. Davon sind insbesondere Verträge gegen Einmalbeitrag betroffen. Daher kann bei der Modellierung recht häufig der Fall auftreten, dass die Prämieneinzahlung während der n Projektionsjahre einzelvertraglich modelliert wird, die zugehörige Auszahlung jedoch = n pauschal erfasst wird. Die betroffenen Verträge werlediglich im Restglied Cf den dann nicht konsistent modelliert, wodurch es zu Wertverzerrungen kommen kann. Alternativ kann man die Reserven als Mittel ansehen, die nicht dem Unternehmen, sondern dem Versichertenkollektiv zuzuordnen sind. In dieser Interpretation würde der Cashflow die Veränderung der Reserven als Ein- bzw. Auszahlungen mit berücksichtigen. Definition 6.13. Mit den Bezeichnungen aus Definition 6.2 ist ein Versicherungscashflow durch Cft = rt At + Pt − Provt − Lt − (Vt −Vt−1 ) − Kt − (st + kt ) Ct + Et − Stt .
(6.2)
gegeben, wobei Ct das Risikokapital und kt der Spread in der Zeitperiode t sind. Diese Definition hat die Vorteile, dass Cft wirklich zur Gewinnverwendung zur Verfügung steht und die zeitliche Differenz zwischen Prämieneinzahlungen und Leistungsauszahlungen durch den Aufbau der zugehörigen Rückstellungen „überbrückt“ wird. Dadurch werden Verzerrungen durch unterschiedliche Modellierung
6.6 Unternehmenswertkonzepte
249
des Cashflows in den Projektionsjahren und des Restglieds verringert. Diesen Vorteilen steht der Nachteil gegenüber, dass es sich nicht um einen reinen Cashflow von Einzahlungen und Auszahlungen handelt. Dies ist bei der Interpretation natürlich zu berücksichtigen. Die Definitionen 6.12 und 6.13 unterscheiden sich nur um eine zeitliche Verschiebung der Periodenergebnisse. Die in Abschnitt 6.3 eingeführte absolute Erfolgsmessung hängt eng mit unserem Cashflowkonzept zusammen: Proposition 6.1. Es sei der Versicherungscashflow Cft wie in Gleichung 6.2 definiert, und es gelte Ct = CtEC . Dann gilt Cft = EVAt . Beweis. Mit den Bezeichnungen aus Definition 6.2 berechnen wir Cft = rt At + Pt − Provt − Lt − (Vt −Vt−1 ) − Kt − st + ktEC CtEC + Et − Stt = Nt − st + ktEC CtEC = EVAt . Den Wert erhält man aus einem Cashflow, indem man zum Barwert übergeht. Dabei gehen wir implizit davon aus, dass der Cashflow am Ende jeder Zeitperiode dem Unternehmen entzogen (und nicht über das Anlagevermögen At+1 innerhalb des Unternehmens verbleibt), da es sonst zu Doppelzählungen kommen würde. Definition 6.14. Es sei Cft ein Versicherungscashflow, in dem die Periode n die Liquidierung des Unternehmens beschreibt. Ist rtBew ein adaptierter stochastischer Prozess, der den Bewertungszins beschreibt, so ist der Wert zu Beginn der Periode t0 durch n Cft (ω) Wt0 (ω) = ∑ t (6.3) Bew t=t0 ∏τ=t0 1 + rτ (ω) gegeben.
···
Wt0 Cft0 0
1
···
t0 − 1
t0
Cft0 +1 t0 + 1
···
··· Cft t
Cft+1 t +1
Cfn ···
n
Projektionsbeginn Abb. 6.4 Definition des Unternehmenswerts.
Bei der Wertbestimmung umfasst der Cashflow des Unternehmens im Jahr der Liquidation das Abwicklungsergebnis (bzw. den Restwert des Unternehmens im
250
6 Erfolgsmessung
Jahr n). In der Literatur wird dieses Abwicklungsergebnis in Gleichung 6.3 häufig auch gesondert ausgewiesen. Anmerkung 6.4. Der Wert ist kein adaptierter stochastischer Prozess, da zu seiner Berechnung zukünftige Cashflows benötigt werden. Anmerkung 6.5. Die Schätzung des Zinses rtBew ist für t " 1 mit großen Unsicherheiten behaftet, hat aber einen erheblichen Einfluss auf die Wertberechnung. Um dies zu illustrieren, nehmen wir als Cashflow an, dass wir 1 Euro für n Jahre zum Zins i anlegen und dass rtBew (ω) = r für alle Jahre t konstant ist. Dann erhalten wir n Cft 1+i n W1 = ∑ t = 1. Bew 1+r t=1 ∏τ=1 1 + rτ Ist r > i, so erhalten wir für n → ∞ den Wert W1 = 0, gilt genau r = i, so erhalten wir W1 = 1, und gilt schließlich r < i, so divergiert der Wert, W1 → ∞. Wenn wir stattdessen jedes Jahr den Zins i aus unserer Investition abziehen, erhalten wir n
Cf t Bew 1 + rτ n i 1 =∑ + 1 t 1+r t=1 (1 + r) n 1 1 − (1 + r)−n + =i r 1+r
W1 = ∑
t t=1 ∏τ=1 n
Dies ergibt für i < r ein neues Ergebnis, obwohl ein ökonomisch äquivalentes Szenario beschrieben werden sollte. Diese unterschiedlichen Resultate lassen sich natürlich durch die Differenz von erwirtschaftetem Zins i und Bewertungszins r erklären. In unserem risikolosen Beispiel gibt es keinen Grund, warum i von r abweichen sollte. Bei einer realitätsnahen Bewertung eines Portfolios oder eines Unternehmens ist allerdings die Wahl des Bewertungszinses weniger klar.
6.6.1 Perspektive der Unternehmenswertbestimmung Der Cashflow Cf hängt entscheidend davon ab, welche Perspektive zugrunde gelegt wird. • Beim Equity-Ansatz wird der Wert aus der Sicht des Eigentümers berechnet. Der auf diese Weise bestimmte Wert wird auch als Shareholdervalue bezeichnet. Der Einfluss von Fremdkapital wird dabei direkt in den Cashflows als Zuflüsse, Rückzahlungen und Zinszahlungen berücksichtigt. • Beim Entity-Ansatz wird das Unternehmen aus der gemeinsamen Sicht von Eigentümer und Fremdkapitalgeber betrachtet. In einem weiteren Schritt wird dann
6.6 Unternehmenswertkonzepte
251
entweder der Cashflow selbst oder der Wert auf Eigentümer und Fremdkapitalgeber aufgeteilt. Als Vorteil für diesen Zugang wird angeführt, dass so der Einfluss der Kapitalstruktur klarer erkennbar ist. Allerdings ist die Bewertung des Fremdeigentümer-Cashflows bzw. die Aufteilung des Gesamtwertes mit weiteren Annahmen verbunden. • Beim Stakeholder-Ansatz werden neben dem Fremdkapitalgeber und/oder dem Eigentümer noch weitere Stakeholder wie zum Beispiel Versicherungsnehmer oder Angestellte des Unternehmens berücksichtigt. Es ist sicher praktisch kaum möglich, alle Stakeholder zu berücksichtigen. Die Definition eines Erfolgsbegriffs, der die (mitunter konträren Interessen) aller Stakeholder angemessen berücksichtigt, erscheint ebenfalls schwierig. Für einige Steuerungsaufgaben ist jedoch das Einbeziehen spezifischer Stakeholder vorteilhaft. Ein Beispiel ist das Asset Liability Management in der Lebensversicherung. Bei einer langfristigen Projektion würde ein Algorithmus, der Managemententscheidungen zur Maximierung des Shareholdervalues simuliert, die Überschussbeteiligung des Altbestandes so weit wie möglich absenken3 , da diese Versicherungsnehmer allenfalls stornieren könnten, was für das Unternehmen in der Regel zu Stornogewinnen führen würde. Die mit diesen Entscheidungen verbundenen negativen Effekte sind zwar erheblich (z.B. Reputationsverlust mit Auswirkung auf das Neugeschäft, bei Rentenversicherungen adverse Veränderung des Bestands, relative Erhöhung der Fixkosten, Unzufriedenheit von Arbeitnehmern aufgrund moralischer Konflikte), aber kaum praktisch modellierbar. Da die wirklichen Managemententscheidungen diese negativen Effekte zumindest qualitativ einbeziehen würden und deshalb auch den Altbestand angemessen an den Überschüssen beteiligen würden, würde das Modell die Realität unzureichend abbilden. Für die strategische Assetallokation wird daher oft der Gesamterfolg von Versicherungsnehmern und Eigentümer optimiert. In der folgenden Darstellung werden wir den Equity-Ansatz wählen, da dieser Ansatz am besten zu den RORAC und EVA Methoden der Abschnitte 6.3-6.5 passt.
6.6.2 Deterministische Wertermittlung Die Wertermittlung ist eine natürliche Fragestellung, so dass es nicht verwunderlich ist, dass Unternehmenswertbestimmungen vorgenommen wurden, lange bevor stochastische, Monte Carlo basierte Projektionsmethoden in der Industrie genutzt werden konnten. Da es ohne derartige stochastische Methoden schwierig ist, ökonomisches Kapital zu berechnen, wurde traditionell ein anderer Weg beschritten, um zukünftige Risiken mitberücksichtigen zu können: Die Wertbestimmung basiert auf einem deterministischen (erwarteten) Cashflow ohne eine ökonomische Kapitalkomponente. Allerdings werden Kapitalkosten für 3
In Deutschland gibt es einen Gleichbehandlungsgrundsatz, der eine einseitige Absenkung des Überschusses für den Altbestand verbietet.
252
6 Erfolgsmessung Reg
das regulatorische Kapital Ct berücksichtigt. Als Spread wird in der Regel der Unternehmensspread ktEC gewählt, da das regulatorische Kapital vom UnternehReg men aufgebracht werden muss. Ct = Ct wird also nicht als Risikokapital, sondern Reg st + ktEC Ct werden als zusätzliche regulatorische Kosten aufgefasst. Als Bewertungszins wird rtBew = st + ktBew gewählt, wobei ktBew ein Spread ist, der das Risiko ausdrücken soll. Es gibt keine allgemein anerkannte Methode, um ktBew zu schätzen, und in der Tat werden von den Unternehmen sehr unterschiedliche Spreads angesetzt. Insgesamt erhält man den Wert n
Cft˜ t˜ t˜=t ∏τ=t 1 + sτ
Wt = ∑
+ kτBew
mit Reg Ct˜ + Et˜ − Stt˜. Cft˜ = rt˜ At˜ + Pt˜ − Provt˜ − Lt˜ − (Vt˜ −Vt˜−1 ) − Kt˜ − st˜ + ktEC ˜ Für die wertorientierte Unternehmenssteuerung ist es natürlich notwendig, zusätzliche Sensitivitätsanalysen bezüglich verschiedener Unternehmensstrategien (und der korrespondierenden verschiedenen Cashflows) zu erstellen. Die deterministische Wertermittlung und auf ihr basierende wertorientierte Unternehmenssteuerungsmethoden gelten heute nicht mehr als „best practice“.
6.6.3 Kapitalkostenbasierte Wertbestimmung Da zukünftige Cashflows unsicher sind, ist es naheliegend, den Wert des Unternehmens über stochastische Prozesse zu bestimmen. Der Versicherungscashflow Cft sei auf einer Produktfiltration (Ft )t∈T
(T = {0, . . . , n})
definiert. P sei das Wahrscheinlichkeitsmaß auf der σ -Algebra Fn , das die Unsicherheit in der wirklichen Welt4 beschreibt. Als Bewertungszins wird in der Regel der risikofreie Zins st verwendet. Der Wert (Definition 6.14) ist zwar kein adaptierter stochastischer Prozess. Über seine bedingten Erwartungswerte (siehe Definition 2.10) ist es jedoch möglich, einen adaptierten stochastischen Wertprozess zu definieren, der zu jedem Zeitpunkt den Wert des Unternehmens an diesem Zeitpunkt liefert. Definition 6.15. Es seien T = {0, . . . , n}, (Ω , P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ft )t∈T eine Filtration auf Ω . Ist Cf ein Versicherungscashflow bezüglich dieser Filtration, dann ist die Abbildung 4
In Abschnitt 6.6.4 werden wir ein weiteres „risikoneutrales“ Wahrscheinlichkeitsmaß definieren, das die „wirkliche Welt“ („real world“) nicht direkt beschreibt.
6.6 Unternehmenswertkonzepte
253
(t, ω) → E (Wt+1 | Ft ) (ω) der zu Cf assoziierte Wertprozess. Man lasse sich durch den Index t +1 nicht verwirren. Wt+1 ist der Wert zu Beginn der Periode t + 1, also zum Zeitpunkt t am Ende der Periode t. Da E (Wt+1 | Ft ) offenbar eine Ft -messbare Zufallsvariable ist, ist der Wertprozess ein adaptierter stochastischer Prozess. Proposition 2.7 impliziert, dass sich diese Definition für unsere Anwendungen, die auf filtrierten Produktökonomien basieren, zu einer praktisch leicht handhabbaren Form konkretisieren lässt.
6.6.3.1 Monte Carlo Simulation Eine praktische Möglichkeit, den Wertprozess zu berechnen, liefert die Monte Carlo Simulation. Bei einer Monte Carlo Simulation wird die Verteilung FX einer Zufallsvariablen X : Ω˜ → Rk durch m Werte X (ω˜ 1 ), . . . , X (ω˜ m ) mit ω˜ 1 , . . . , ω˜ m ∈ Ω˜ simuliert, so dass für jedes x ∈ Rk FX (x) ≈
1 # {i ∈ {1, . . . , m} | X (ω˜ i ) ≤ x} m
gilt.5 Die Werte ω˜ i sind dabei über einen Zufallsgenerator ermittelte Pseudozufallszahlen. Wir transformieren also approximativ den (Ω˜ , P) in den diskreten Wahrscheinlichkeitsraum ({1, . . . , m}, Puniform ) mit Puniform (i) =
1 für alle i ∈ {1, . . . , m}. m
Die Zufallsvariable transformiert sich dabei zu X ≈ : {1, . . . , m} → Rk ,
i → X (ω˜ i ) .
Es sei nun Xt (t ∈ {0, . . . , n}) ein bezüglich einer Produktfiltration definierter adaptierter stochastischer Prozess und Ω = Ω˜ × · · · × Ω˜ . Wir nehmen außerdem an, >⊗···⊗P > ein Produktmaß auf Ω ist. Um Xt zu approximieren, ziehen wir dass P = P > . Dies liefert die m n Zufallszahlen ω˜ t,i ((t, i) ∈ {1, . . . , n} × {1, . . . , m}) aus Ω˜ , P Approximation Xt≈ : {1, . . . , m} → Rk ,
i → Xt (ω˜ 1,i , . . . , ω˜ n,i ) ,
wobei Xt (ω˜ 1,i , . . . , ω˜ n,i ) nicht von den Ziehungen ω˜ t+1,i , . . . , ω˜ n,i abhängt, da Xt ein adaptierter stochastischer Prozess ist.
5
Für a, b ∈ Rk bedeutet a ≤ b, dass die Ungleichung für alle Komponenten gilt.
254
6 Erfolgsmessung
Beispiel 6.1. In der Praxis wird man meist E (W1 | F0 ), den Wert zu Projektionsbeginn, und E (W2 | F1 ), die Zufallsvariable für den Wert am Ende der ersten Periode, bestimmen wollen. Wir wollen die Monte Carlo Simulation und die damit verbundenen Schwierigkeiten am Beispiel E (W2 | F1 ) beschreiben. Zur Verdeutlichung der Struktur lassen wir bei adaptierten stochastischen Prozessen die Variablen ohne Einfluss weg. In der Monte Carlo Simulation vereinfacht sich die Gleichung in Proposition 2.7 zu ∑mj ,... j =1 W2≈ (i, j2 , . . . , jn ) E (W2 | F1 )≈ (i) = 2 n m (n − 1) mit
Cf t≈ (i, j2 , . . . , jt ) . t ≈ t=2 ∏τ=t2 (1 + sτ (i, j2 , . . . , jτ )) n
W2≈ (i, j2 , . . . , jn ) = ∑
≈ Die Bestimmung der (n − 1) Zinssätze s≈ 2 (i, j2 ), . . . , sn (i, j2 , . . . , jn ) ist unproblematisch. Der Cashflow ist durch
Cf t≈ (i, j2 , . . . , jt ) = rt≈ (i, j2 , . . . , jt−1 ) At≈ (i, j2 , . . . , jt−1 ) + Pt≈ (i, j2 , . . . , jt−1 ) − Provt≈ (i, j2 , . . . , jt−1 ) − Lt≈ (i, j2 , . . . , jt ) ≈ (i, j2 , . . . , jt−1 ) − Kt≈ (i, j2 , . . . , jt ) − Vt≈ (i, j2 , . . . , jt ) −Vt−1 − st≈ (i, j2 , . . . , jt ) + ktEC,≈ (i, j2 , . . . , jt ) Ct≈ (i, j2 , . . . , jt ) + Et≈ (i, j2 , . . . , jt ) − Stt≈ (i, j2 , . . . , jt ) gegeben. Die Modellierung der meisten dieser Terme ist ebenso unproblematisch wie die Modellierung der Zinssätze. Aber die Rückstellungen Vt≈ (i, j2 , . . . , jt ) und das Risikokapital Ct≈ (i, j2 , . . . , jt ) können nicht direkt aus den bis zum Projektionsschritt t berechneten Größen abgelesen werden. Denn sowohl die Rückstellungen als auch das Risikokapital sind das Ergebnis stochastischer Funktionale, die sich auf die zukünftigen unsicheren Cashflows beziehen. Konzeptionell sind die Rückstellungen der Wert der Verbindlichkeiten. In der Praxis werden die Rückstellungen jedoch häufig über Vereinfachungen bestimmt: • Im einfachsten (und in der Praxis am häufigsten vorkommenden) Fall wird die Rückstellung rekursiv über ein einzelnes deterministisches „erwartetes“ Szenario berechnet. In diesem Fall hat die Rechenzeit für Vt≈ (i, j2 , . . . , jt ) die Ordnung O(n − t). • Wenn die Rückstellungen kapitalkostenbasiert definiert sind, hat ihre Berechnung eine ähnliche Komplexität wie die (auf einem reinen Versicherungscashflow basierende) Wertbestimmung des Unternehmens. Wir wollen dies hier nicht ausführen, da die Rechnung bis auf das Fehlen des Rückstellungsterms, einem gegebenenfalls anderen Kapitalbegriff und der Behandlung von Gewinnen analog zur Wertbestimmung des Unternehmens für einen auslaufenden Bestand ist. Für die Berechnung des Kapitals sind ebenfalls verschiedene Ansätze gängig:
6.6 Unternehmenswertkonzepte
255
• Mitunter wird das Risikokapital über eine einfache faktorbasierte Formel approximiert. In diesem Fall hat die Rechenzeit Ordung O(1). Das Verfahren ist aber mit sehr hohen Unsicherheiten verbunden. • Besonders in der Lebensversicherung ist die Approximation über deterministische Stresstests des auslaufenden Bestands populär. Die Rechenzeit für Ct≈ (i, j2 , . . . , jt ) hat die Ordnung O(n − t). Bei der Kalibrierung dieser Stresstests gibt es Unsicherheiten, da die zukünftige stochastische Entwicklung durch ein deterministisches Szenario repräsentiert wird. • Methodisch am konsistentesten ist es, das Risikokapital stochastisch zu bestimmen. In Abschnitt 2.3.2 haben wir gesehen, dass man in der Praxis seine Berechnung durch die Auswertung einer geeignet definierten Zufallsvariable auf dem m˜ fachen Produkt des zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsraumes ersetzt. Dies führt zu einer geschachtelten stochastischen Simulation (siehe Abbildung 6.5). Zum Zeitpunkt t werden zusätzlich m˜ 1-Perioden Simulationen durchgeführt, mit der die Zufallsvariable für den Verlust −Nt des Unternehmens in der Periode t approximiert werden kann. Dies liefert die diskretisierte Zufallsvariable −Nt≈ i˜ | i, j2 , . . . , jt i˜ ∈ {1, . . . , m}, ˜ woraus das Risikokapital Ct≈ (i, j2 , . . . , jt ) numerisch bestimmt werden kann. Die Rechenzeit die Ordnung O(m). ˜ Da für diese Berechnung weitere Zufallszah hat ˜ len {ω i˜t }m ˜it =1 gezogen werden müssen, vergrößert sich für jeden Zeitschritt t der praktisch zu modellierende Wahrscheinlichkeitsraum um m˜ Faktoren Ω˜ . Um eine Vorstellung des daraus resultierenden Rechenaufwands zu erhalten, nehmen wir an, dass in Beispiel 6.1 die Passivseite des Unternehmens durch 100.000 Modelpoints beschrieben werden kann. Wir nehmen ferner an, dass die Abwicklung jedes Modelpoints im Durchschnitt 20 Jahre dauert und dass wir kein Neugeschäft berücksichtigen. Um Quantilsaussagen mit hinreichender Verlässlichkeit zu erhalten, wollen wir mindestens 100 Ereignisse jenseits des Quantils erzeugen. Um Quantilsaussagen über den Unternehmenswert zu Beginn der zweiten Periode zu einem Konfidenzniveau von 1% zu machen, benötigen wir m = 10.000 Monte Carlo Szenarien. Ohne Berücksichtigung der Kapitalkosten müssen wir also (20 − 1) 10.000 = 200.000 Szenarien für den Bestand berechnen. Das Risikokapital sei zum Konfidenzniveau von 99.5% berechnet, weshalb wir für seine Bestimmung m˜ = 20.000 Szenarien benötigen. Insgesamt haben wir also 3.8 Millionen 1-JahresProjektionen des Portfolios. Da wir 100.000 Modelpoints haben, führt dies zu 380 Milliarden einzelvertraglicher 1-Jahres-Projektionen. Das in Beispiel geschätzte Volumen übersteigt die Kapazität heutiger Computer6 bei weitem. Bei wertbasierten Risikomaßen müssen also Approximationen durchgeführt werden, auf die wir jedoch hier nicht weiter eingehen wollen. 6
Computer, die im Jahr 2010 handelsüblich sind.
256
6 Erfolgsmessung N2≈ (i, j2 ), s2 (i, j2 ) + k2≈ (i, j2 ) ˜ {ω i˜2 }m i˜ =1
Cf ≈ 2 (i, j2 )
m˜
−N2≈ (i˜2 | i, j2 )
i˜2 =1
···
2
C2≈ (i, j2 )
Nt≈ (i, j2 , . . . , jt ), st (i, j2 , . . . , jt ) + kt≈ (i, j2 , . . . , jt )
ωi
˜ {ω i˜t }m i˜ =1
−Nt≈ (i˜t
m˜
| i, j2 , . . . , jt )
i˜t =1
Cf t≈ (i, j2 , . . . , jt ) Ct≈ (i, j2 , . . . , jt )
···
t
Nn≈ (i, j2 , . . . , jn ), sn (i, j2 , . . . , jn ) + kn≈ (i, j2 , . . . , jn ) ˜ {ω i˜n }m i˜ =1 n
−Nn≈ (i˜n
m˜
| i, j2 , . . . , jn )
i˜n =1
Cf ≈ n (i, j2 , . . . , jn ) Cn≈ (i, j2 , . . . , jn )
E (W2 | F1 )≈ (i) Abb. 6.5 Die Berechnung von E (W2 | F1 )≈ (i).
Anmerkung 6.6. Neben dem praktischen Problem der notwendigen Rechenzeit hat dieser Ansatz auch eine konzeptionelle Schwierigkeit in Bezug zu Definition 6.9: Der Wert hängt vom Risikokapital Ct und somit vom gewählten Konfidenzniveau ab. Dieses Konfidenzniveau wird in der Regel mit dem vom Unternehmen angestrebten Rating konsistent sein, allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Käufer des Unternehmens das gleiche Rating anstreben würde. Damit mangelt es auch diesem Maß an Vergleichbarkeit. Es sollte jedoch hervorgehoben werden, dass — anders als der Bewertungszins in der deterministischen Wertbestimmung — das Konfidenzniveau operational definiert und somit objektiv bestimmt ist. Wir werden einen Lösungsansatz für dieses Problem in Abschnitt 6.6.4 skizzieren.
6.6.3.2 Wertbasierter risikoadjustierter Gewinn Beim RORAC wird der in einer Periode erwirtschaftete Gewinn zu dem für die Periode benötigten Risikokapital ins Verhältnis gesetzt. Das Risikokapital berücksichtigt auch zukünftige, auf Veränderungen in der betrachteten Periode zurückgehende Veränderungen in den Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens, nicht aber eine zukünftige Schmälerung des Gewinns. Der wertbasierte risikoadjustierte Gewinn berücksichtigt dagegen auch diesen Gewinnverlust. Wir betrachten zunächst die Änderung des Wertprozesses E (Wt | Ft−1 ):
6.6 Unternehmenswertkonzepte
257
n
Cft˜ | Ft t˜=t τ=t (1 + sτ ) Cft 1 | Ft + E =E 1 + st 1 + st
E (Wt | Ft ) = E
∑ ∏t˜
n
Cf ˜ ∑ ∏t˜ (1t + s ) | Ft τ t˜=t+1 τ=t+1
1 Cft + E (Wt+1 | Ft ) 1 + st 1 + st 1 1 (Nt − (st + kt ) Ct ) + E (Wt+1 | Ft ) , = 1 + st 1 + st =
wobei wir benutzt haben, dass st und Cft aufgrund der Adaptiertheit Ft -messbar sind. Korollar 6.2. Unter der Voraussetzung Ct = CtEC folgt mit der Hurdle Rate ht = st + kt EVAt = E (Wt+1 | Ft ) − (1 + st ) E (Wt | Ft ) . Dieses Korollar scheint zu zeigen, dass man für die absolute risikoadjustierte Erfolgsmessung durch den Übergang zum Wertprozess nichts gewinnt. Dabei ist aber zu beachten, dass der Kapitalbegriff selbst nicht wertbasiert ist, sondern einfach das Risikokapital darstellt, das das Unternehmen vorhalten muss, um die Periode hinreichend sicher zu überstehen. Cft
0
···
t −1
t
Zufallsvariablen:
E (Wt | Ft−1 )
E (Wt+1 | Ft )
Deterministische Größen:
E (E (Wt | Ft−1 ))
E (E (Wt+1 | Ft ))
t +1
Abb. 6.6 Die Berechnung des Wertzuwachses. Wir benutzen, dass der risikofreie Zins für die Periode t bereits zu Beginn der Periode bekannt ist.
Das Risikokapital im Nenner, das einem unerwartet hohen Jahresverlust (z.B. VaRα (X)) entspricht, wird in der wertbasierten Betrachtung durch einen unerwartet hohen Wertverlust ersetzt. Mit der Wahrscheinlichkeit α ist der in der Periode t verursachte Wertverlust höchstens CtWert = (1 + st ) E (E (Wt | Ft−1 )) − VaR1−α (E (Wt | Ft−1 )) . Dabei beziehen wir den Wertverlust auf (1 + st ) E (E (Wt | Ft−1 )), da E (Wt | Ft−1 ) = E (E (Wt | Ft−1 ))
258
6 Erfolgsmessung
gerade dem Fall entspricht, dass während der Periode t weder ein Wertgewinn noch ein Wertverlust auftritt. Somit erhalten wir als Kandidaten für ein risikoadjustiertes Erfolgsmaß RORACtWert =
Nt . (1 + st ) E (E (Wt | Ft−1 )) − VaR1−α (E (Wt | Ft−1 ))
6.6.4 Marktkonsistente Wertbestimmung Eine Wertbestimmung im Sinne von Definition 6.9 müsste am Finanzmarkt kalibriert werden. Da es aber keine liquiden Märkte für Versicherungsportfolios gibt, ist eine solche marktkonsistente Wertbestimmung streng genommen nicht möglich. Man kann aber zumindest diejenigen Teile des Gesamtportfolios marktkonsistent bestimmen, für die es Märkte gibt, und den Wert der anderen Komponenten mit einem standardisierten, allgemein anerkannten Verfahren bestimmen. Risiken werden dazu in hedgebare Risiken und nicht-hedgebare Risiken aufgeteilt. Hedgebare Risiken sind hier Risiken, die sich durch Replikation mit in liquiden Märkten gehandelten Finanzinstrumenten replizieren lassen. Nicht hedgebare Risiken sind versicherungstechnische Risiken, operationales Risiko und Finanzrisiken, für die keine liquiden Märkte existieren, z.B. festverzinsliche Wertpapiere mit sehr langer Laufzeit. Der Market Consistent Embedded Value (MCEV) des CFO-Forums [9, 8] stellt ein (in Europa7 ) allgemein anerkanntes und verbreitetes Verfahren (mit Fokus auf die Lebensversicherung) bereit. Sensitivitätsanalysen auf Basis des MCEVs werden in der Praxis für die wertorientierte Unternehmenssteuerung eingesetzt. Eine angemessene Beschreibung des MCEV oder der marktkonsistenten Bewertung im allgemeinen würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Wir werden uns daher darauf beschränken, einige grundlegenden Ideen der marktkonsistenten Bewertung an einem sehr einfachen Beispiel darzustellen. Beispiel 6.2. Wir betrachten ein stark vereinfachtes Portfolio, das aus gleichartigen fondsgebundenen Lebensversicherungen gegen Einmalbeitrag B mit einer Laufzeit von n Jahren besteht, die alle zur gleichen Zeit abgeschlossen wurden. Wir nehmen an, dass das Versicherungsunternehmen alle Geldmittel in einen Aktienfonds St1 anlegt, wobei wir die Normalisierung S01 = 1 vornehmen. Das vereinbarte Leistungsspektrum ist in Tabelle 6.8 aufgeführt. Aus Sicht des Unternehmens bestehen drei Risiken: 1. Marktrisiko. Das Unternehmen gewährt eine Garantie für die Performance des Aktienfonds, indem es im Falle einer Auszahlung neben dem Fondsguthaben max 0, 1 − p St1 B (bzw. max 0, (1 + i)t−n − p St1 B) auszahlt. Auch im Fall der Ablaufleistung ist dies keine reine Put-Option, da die Ablaufleistung nur ausge7
Zur Zeit (2010) erfahren marktkonsistente Methoden (und auch Solvency II) in den USA nur eine geringe Akzeptanz.
6.6 Unternehmenswertkonzepte
259
Tabelle 6.8 Leistungsspektrum der fondsgebundenen Lebensversicherungen im betrachteten Portfolio. Dabei ist p ∈]0, 1[ eine Konstante, die den Profit des Unternehmens bestimmt, und i ein vorab vereinbarter Rechnungszins. Ereignis
Leistung Ablauf im Jahr n max p Sn1 , 1 B 1 Storno im Jahr t ≤ n max p St , (1 + i)t−n B Tod im Jahr t ≤ n max p St,1 , 1 B
zahlt wird, wenn der Versicherte noch am Leben ist und nicht bereits die Versicherung storniert hat. Das Marktrisiko ist ein (weitgehend) hedgebares Risiko. 2. Stornorisiko. Das Risiko besteht darin, dass der Versicherte storniert, wenn die Stornoleistung höher als das Aktienfondsguthaben ist. Streng genommen ist dies kein hedgebares Risiko, da der Versicherte aufgrund eines plötzlichen Geldbedarfs zu einem Zeitpunkt stornieren kann, der ohne Berücksichtigung der individuellen Situation nicht rational erscheint. Das Risiko ist allerdings geringer als das hedgebare Risiko, für das marktrationales Verhalten des Versicherten unterstellt wird. Häufig wird entweder dieses hedgebare Risiko modelliert oder das nicht-hedgebare Risiko durch ein hedgebares Risiko approximiert, indem das marktrationale Verhalten funktional korrigiert wird. 3. Mortalitätsrisiko. Dies ist ein nicht-hedgebares Risiko, da Mortalität nicht handelbar ist. Im Fall des Todes des Versicherungsnehmer entsteht zusätzlich das unter 1 beschriebene Marktrisiko. Es gibt hier also zwei Risikotreiber, das Marktrisiko und das Mortalitätsrisiko, denn das Stornorisiko fassen wir als Funktion des Marktrisikos auf. In der eigentlichen Modellierung werden wir lediglich das hedgebare Marktrisiko stochastisch über einen Wahrscheinlichkeitsraum Ω = Ω˜ × · · · × Ω˜ , der mit einer Produktfiltration Ft ausgestattet ist, erfassen. Das Stornorisiko modellieren wir, indem wir die Stornowahrscheinlichkeit als eine Funktion r(t, St1 ) von der Zeit t und Performance des Aktienfonds St1 ansetzen. Damit haben wir das Stornorisiko auf das Marktrisiko zurückgeführt. Das Risiko von persönlichen Stornoauslösern wie Arbeitslosigkeit oder sonstiger unerwarteter Geldbedarf lässt sich so natürlich nur pauschal erfassen. Das Mortalitätsrisiko wird über einen Kapitalkostenansatz erfasst, wobei wir annehmen, dass das Risikokapital für das Mortalitätsrisiko, normiert auf die Summe unter Risiko, bereits unabhängig berechnet wurde. Als Sicherheitsniveau bietet sich bei der Berechnung des Kapitals an, das regulatorische Minimum zu wählen. Wir wollen annehmen, dass das Kapital für den Verlust eines Euros aufgrund von Mormort,reg talität durch den konstanten Wert Cnorm und die assoziierten Kapitalkosten durch Reg mort,reg st + kt Cnorm gegeben sind.8 Wir nehmen außerdem an, dass die Sterbewahrscheinlichkeit für jedes Jahr konstant gleich q ist. 8
Da wir offenbar eine Binomialverteilung vorzuliegen haben, mag man sich wundern, warum wir das Kapital nicht explizit berechnet haben. Dies liegt daran, dass es keinen Sinn macht, Risiko-
260
6 Erfolgsmessung
Damit erhalten wir für t ∈ {1, . . . , n} den folgenden Cashflow: Cf0 (ω) = B t−1 Cft (ω) = ∏ 1 − q − r τ, Sτ1 (ω) τ=1
× B − q max p St1 (ω), 1 Reg mort,reg Cnorm max 0, 1 − p St1 (ω) − st + kt − r t, St1 (ω) max p St1 (ω), (1 + i)t−n − 1 − q − r τ, St1 (ω) δtn max p St1 (ω), 1 ,
wobei δtn =
1 0
falls n = t sonst
das Kronecker Delta sei und wir die Konvention nutzen, dass das Produkt über die leere Menge 1 ergibt. Für jedes t kann man offensichtlich den Cashflow Cft als ein Derivat des Zinsprozesses st und des Aktienindex St1 auffassen. Zur Bewertung des Cashflows (und damit zur Bestimmung des Werts des Portfolios) kann man daher die Mittel der Finanzmathematik heranziehen. Wir wollen nun kurz skizzieren, wie man ein Derivat bewerten kann. Wir betrachten den zweidimensionalen adaptierten stochastischen Prozess St (ω) = st (ω), St1 (ω) auf unserer Produktfiltration (Ft ) und setzen vt = ∏tτ=1 (1 + sτ )−1 . Ht sei ein Derivat dieses Prozesses und korrespondiere zu einer einmaligen Zahlung Ht (S) zum Zeitpunkt t. Es gilt, den Wert von Ht zum Zeitpunkt τ = 0 zu bestimmen. Dazu benötige wir die folgende Notation. Definition 6.16. Es sei Mt ein adaptierter stochastischer Prozess bezüglich der Filtration F = (Ft )t∈T auf Ω und P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf Ω . Mt heißt (F , P)-Martingal, falls für jedes t E (|Mt |) < ∞, E (Mt | Ft−1 ) = Mt−1 kapital für ein individuelles Personenrisiko zu berechnen: Entweder stirbt der Versicherte und die volle Versicherungssumme muss bezahlt werden, oder er überlebt und kein Verlust entsteht. Der Value of Risk wäre daher (je nach Konfidenzniveau) entweder die volle Versicherungssumme oder gleich Null. Erst im Portfolio ist das Kapitalkonzept sinnvoll. Wir nehmen also hier an, dass unser mort,reg Versicherungsnehmer zu einem größeren Portfolio gehört und dass der Wert Cnorm gerade der auf ihn entfallende Anteil des Gesamtkapitals für das Mortalitätsrisiko ist. Dass wir in der Zeit konstantes Kapital gewählt haben, ist eine weitere Vereinfachung.
6.6 Unternehmenswertkonzepte
261
gilt. Wir nehmen nun an, dass Wτ ein adaptierter stochastischer Prozess9 ist, der zu jedem Zeitpunkt τ ≤ t den Wert des Derivats Ht beschreibt. Wenn vτ Wτ ein (F , P)Martingal wäre, wäre die Wertbestimmung sehr einfach, denn durch sukzessive Anwendung der Martingaleigenschaft erhielten wir v0 W0 = E (v1 W1 | F0 ) = E (E (v2 W2 | F1 ) | F0 ) = E (v2 W2 | F0 ) = . . . = E (vt Wt | F0 ) = E (vt Ht ) . Damit wäre der Wert zum Zeitpunk τ = 0 einfach der Erwartungswert W0 = E (vt Ht ) . Im allgemeinen ist der Prozess Wτ natürlich kein Martingal. Aber in vielen Fällen kann die Bewertung des Derivats durch einen Trick auf die Bewertung eines Martingals, das eine Handelsstrategie beschreibt, zurückgeführt werden. Von zentraler Bedeutung in der Finanzmathematik sind Handelsstrategien eines Investmentportfolios. Definition 6.17. Ist Ft eine Filtration, so heißt ein stochastischer Prozess θt vorhersagbar, falls für jedes t ∈ {1, . . . , n} die Zufallsvariable θt bezüglich Ft−1 messbar ist. Ein vorhersagbarer Prozess ist, intuitiv ausgedrückt, ein Prozess, dessen Wert θt in der Periode t bereits bekannt ist. Wir nehmen an, dass der Investor zur Zeit 0 S0 , . . . , θ d S d t − 1, also zu Beginn der Periode t, das Portfolio θt−1 t−1 t−1 besitze, t−1 d+1 wobei θt−1 ∈ R seine Anteile an den entsprechenden Finanzinstrumenten bezeichne. Zu diesem Zeitpunkt besteht die Möglichkeit, die Wertpapiere umzuschichten, wobei der Gesamtwert natürlich erhalten bleiben sollte. Es gilt also St−1 · θt = St−1 · θt−1 , wobei · das Standardskalarprodukt im Rd+1 bezeichnet. Dies motiviert die folgende Definition: Definition 6.18. Der Rd+1 -wertige adaptierte, stochastische Prozess St beschreibe die Dynamik von d Wertpapieren. Eine selbstfinanzierende Handelsstrategie ist ein vorhersagbarer Prozess θt mit St−1 · θt = St−1 · θt−1 für jedes t. Wir wollen nun das Resultat einer Handelsstrategie bewerten. Dazu benötigen wir das folgende Lemma.
9 Dieser stochastische Prozess ist nicht mit dem im Abschnitt 6.6.3 definierten Wert für die kapitalkostenbasierte Wertbestimmung zu verwechseln, der kein adaptierter stochastischer Prozess ist. Auch der in jenem Kapitel definierte Wertprozess ist nicht mit dem hier verwendeten Begriff identisch, da wir dort explizit von der Cashflowstruktur und dem Kapitalkostenansatz Gebrauch gemacht hatten. Die wirtschaftliche Interpretation beider Wertprozesse ist dieselbe.
262
6 Erfolgsmessung
Lemma 6.1. Für eine Ft−1 -messbare Funktion h gilt E (hWt | Ft−1 ) = h E (Wt | Ft−1 ) Beweis. Es sei Z eine Ft−1 -messbare Funktion. Dann ist h Z ebenfalls Ft−1 -messbar und es gilt E (E (hWt | Ft−1 ) Z) = E (hWt Z) = E (E (Wt | Ft−1 ) h Z) Die Behauptung folgt nun aus der Eindeutigkeit des bedingten Erwartungswertes. Der Wert des Portfolios zur Zeit t ist offenbar θt St . Wir nehmen außerdem an, 0 dass die 0-te Komponente k St gerade der Diskontzins st der Periode t ist und dass ¯ der Prozess St = vt St k∈{1,...,d} in jeder Komponente ein Martingal ist. Dann gilt d
∑
k=1
θ1k S¯0k
=
d
∑
θ1k E
S¯1k
=E
∑ θ2k S¯1k | F0
∑
=E E
θ2k S¯2k
| F1
k=1
= ··· = E
d
| F0
∑ θtk S¯tk | F0
| F0
k=1
d
d
∑ θ2k E
=E
k=1
θ1k S¯1k
k=1
d
d
∑
| F0 = E
k=1
S¯2k | F1 | F0
=E
d
∑
θ2k S¯2k
| F0
k=1
.
k=1
Es sei Ht ein Derivat, also eine Finanzinstrument, das als Funktion von St aufgefasst werden kann. Falls es im Markt keine Arbitrage-Möglichkeiten gibt und Ht durch eine Handelsstrategie θτ repliziert werden kann, also θt (ω) · St (ω) = Ht für fast alle ω ∈ Ω gilt, so gilt für jede andere replizierende Handelsstrategie θ˜τ θ˜τ (ω) Sτ (ω) = θτ (ω) Sτ (Ω ) fast überall. Einen Beweis findet man in [20, Lemma 2.2.3]. Wenn also • S¯ ein Martingal bezüglich der Filtration Ft und dem Wahrscheinlichkeitsmaß P ist, • eine selbstfinanzierende Handelsstrategie θτ existiert, die Ht repliziert, • keine Arbitrage-Möglichkeiten bestehen, dann kann der Wert π (Ht ) von Ht zur Zeit 0 einfach durch Erwartungswertbildung bestimmt werden. Denn einerseits würde dieser Wert gerade den Kosten für die replizierende Handelsstrategie entsprechen,
6.6 Unternehmenswertkonzepte
263
π (Ht ) =
d
∑ θ1k S0k ,
k=1
und andererseits gilt mit v0 = 1 d
∑
k=1
θ1k S0k
=
d
∑
θ1k S¯0k
=E
k=1
d
∑
θtk S¯tk
=E
k=1
d
∑
vt θtk Stk
= E (vt Ht ) .
k=1
Bislang haben wir angenommen, dass S¯ bezüglich der Filtration Ft und dem Wahrscheinlichkeitsmaß P ein Martingal ist. Es kann nun gezeigt werden, dass der Markt genau dann keine Arbitrage erlaubt, wenn ein Maß Q mit den gleichen Nullmengen wie P existiert, für das S¯τ komponentenweise ein Martingal ist. Einen Beweis für den Fall, dass Fτ endlich erzeugt wird, findet man in [20, Theorem 3.2.2]. Das Theorem wird für den allgemeinen Fall ebenfalls in [20] vorgestellt, jedoch verweisen die Autoren für den Beweis auf Originalarbeiten. Wir können also unsere Annahme, dass S¯τ ein Martingal ist, durch die Annahme ersetzen, dass es keine Arbitrage-Möglichkeiten gibt. In diesem Fall bilden wir den Erwartungswert mit Q anstelle von P. Wir haben gesehen, wie der Wert eines Derivats bestimmt werden kann, falls im Markt keine Arbitrage-Möglichkeiten bestehen und das Derivat durch eine Handelsstrategie repliziert werden kann. Kann das Derivat nicht repliziert werden, so ist es möglich, dass mehrere äquivalente Martingalmaße existieren, die jeweils einen anderen Wert ergeben. Dies ist (insbesondere für die Bewertung von Versicherungsverpflichtungen) kein rein akademisches Problem, und selbst im einfachen Fall einer gemischten Poissonverteilung kann der Wert weitgehend unbestimmt bleiben [38]. Wir machen nun die Annahme, dass für jedes t der Cashflow Cft replizierbar ist und dass keine Arbitrage-Möglichkeiten bestehen. Es existiert ein äquivalentes Martingalmaß Q. Der Wert des Portfolios ist dann mit q vt
=
t
∏
τ=1
1−q−r
−1
τ, Sτ1 (ω)
durch n
∑ EQ (Cft ) = B − p B S01 (ω)
t=0
n
+ B ∑ EQ t=0
vt q vt−1
− q max (p St (ω), 1) Reg mort,reg Cnorm max 0, 1 − p St1 (ω) − st + kt − r t, St1 (ω) max p St1 (ω), (1 + i)t−n 1 n 1 − 1 − q − r τ, St (ω) δt max p St , 1
264
6 Erfolgsmessung
gegeben, wobei EQ den Erwartungswert bezüglich Q bezeichnet. Um diesen Wert berechnen zu können, braucht man natürlich das äquivalente Martingalmaß Q. Im Prinzip wäre dies über die Radon-Nikodym-Ableitung, dQ dP (ω), möglich, die in unserem Fall beschränkt und wohldefiniert ist. Die Radon-NikodymAbleitung kann als ein Gewicht, das die Risikoaversion des Marktes ausdrückt, interpretiert werden, und es gilt n n n dQ vt (ω) Cft (ω) EQ ∑ vt Cft = ∑ vt (ω) Cft (ω) dQ = ∑ (ω) dP. dP Ω Ω t=0 t=0 t=0 In der Praxis ist es aber einfacher, das äquivalente Martingalmaß direkt zu bestimmen. Zunächst wird eine parametrisierte Form des stochastischen Prozesses Sτ (bezüglich des Wahrscheinlichkeitsmaßes Q) gewählt, so dass lediglich die Parameter dieses Prozesses zu bestimmen sind. Da für jedes (replizierbare) Derivat Ht von Sτ der Preis durch EQ (Ht ) gegeben ist, erhält man über den aktuellen Preis π (Ht ) dieses Derivats im Markt eine Gleichung der Form π (Ht ) = EQ (Ht (S)) . Auf der linken Seite steht eine bekannte Zahl, während auf der rechten Seite (nach Ausführung des Erwartungswertes) eine Funktion der Parameter p1 , . . . , pr des Paares (S, Q) steht. Der Erwartungswert auf der rechten Seite wird numerisch über eine Monte-Carlo Simulation berechnet. Das Wahrscheinlichkeitsmaß Q ist in dieser Darstellung gleichverteilt, ganz analog zur numerischen Darstellung von P in Abschnitt 6.6.3.1. Rein mathematisch wäre es in der Regel ausreichend, r Preise zur Berechnung der Parameter p1 , . . . , pr heranzuziehen, aber aufgrund der Unsicherheit der Modellbildung würde dies zu wenig stabilen Ergebnissen führen. Daher ist es ratsam, mehr Preise heranzuziehen und die Parameter p1 , . . . , pr so zu wählen, dass all diese Preise durch das Modell gut approximiert werden. Das reale Wahrscheinlichkeitsmaß P bleibt bei diesem Verfahren unbestimmt, ist aber für die reine Wertbestimmung auch nicht notwendig. Anmerkung 6.7. Man nennt das Wahrscheinlichkeitsmaß Q häufig risikoneutral. Denn in einer Welt, in der der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω , Q) real wäre, also P = Q gälte, hätten Investoren keine Risikoaversion, da die Risikoaversion des Marktes durch dQ dP (ω) = 1 für jeden Zustand ω gegeben wäre. Daher sprich man auch von einer „risikoneutralen Evaluierung“ und, häufig in Bezug auf (Ω , Q) von einer risikoneutralen Welt. Gleichzeitig spricht man von (Ω , P) als der „realen Welt“ und nennt P das „real world Wahrscheinlichkeitsmaß“. Diese anschauliche Sprechweise hat aber den Nachteil, dass sie eine „risikoneutrale“ Parallelwelt vorgaukelt, die nicht existiert. Insbesondere liest man in der Literatur mitunter, dass ein risikoneutraler Investor ein anderes Wahrscheinlichkeitsmaß nutze als ein markttypischer Investor. In solchen Fällen wird die Metapher allerdings über ihren Gültigkeitsbereich hinaus extrapoliert, denn jeder reale Investor, was immer seine persönlichen Risikopräferenzen seien, operiert im gleichen, realen Markt unter dem gleichen realen Wahrscheinlichkeitsmaß P.
6.7 Spitzenkennzahl und Nebenbedingungen
265
6.7 Spitzenkennzahl und Nebenbedingungen Sinn der Unternehmenssteuerung ist es, den Erfolg des Unternehmens zu maximieren. Aber was ist „Erfolg“? Wir haben in Abschnitten 6.3 und 6.8 gesehen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, risikoadjustierten Erfolg zu definieren. Das Beispiel in Abschnitt 6.5 hat gezeigt, dass diese unterschiedlichen Definitionen zu unterschiedlichen Handlungsanweisungen führen können. Es ist daher Teil der Unternehmensstrategie, ein geeignetes Erfolgsmaß zu definieren. Definition 6.19. Die Spitzenkennzahl ist ein Erfolgsmaß, das als primäres Steuerungselement gewählt wird und somit die Unternehmensstrategie widerspiegelt. Ist die Spitzenkennzahl über ein Kapitalkostenkonzept bestimmt, so gehören zu ihrer Definition das Erfolgsmaß, das Risikomaß und das Konfidenzniveau. Zum Beispiel könnte ein Unternehmen über das RORAC-Konzept mit Risikomaß „Expected Shortfall“ und Konfidenzniveau 99% definiert werden. Neben der Spitzenkennzahl, die es zu maximieren gilt, gibt es auch Nebenbedingungen, die erfüllt werden müssen. Diese Nebenbedingungen können regulatorischer Natur sein oder dazu dienen, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Beispiele für direkte Nebenbedingungen sind: • Bedeckung der Fixkosten (Man kann sich nicht nur auf profitable Nischen konzentrieren, da die Fixkosten des Unternehmens erwirtschaftet werden müssen.) • Aufrechterhaltung der Reputation des Unternehmens • regulatorische Kapitalanforderungen (z.B. Solvabilität, Stresstests) • Aufrechterhaltung eines als notwendig erachteten Ratings • minimaler langfristiger Ertrag Eine weitere wichtige Klasse von Nebenbedingungen ist dadurch gegeben, dass der Risikoappetit vom jeweiligen Sicherheitsniveau abhängt. Ein Unternehmen mag bereit sein, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% Verluste von bis zu e 10 Mio hinzunehmen. Das gleiche Unternehmen wäre aber sicher nicht bereit, mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% Verluste von e 1 Mio hinzunehmen. Dies führt zur Einführung eines Risikoprofils, bei dem jedem Sicherheitsniveau ein maximal tolerierbarer Wert für das Risikomaß zugeordnet wird. Ein Beispiel eines Risikoprofils ist in Tabelle 6.9 gegeben. Die Spitzenkennzahl könnte eine Funktion des erwarteten Ertrags Nt und aller Werte des Risikomaßes für die verschiedenen Sicherheitsniveaus sein, z.B. Spitzenkennzahlt =
Nt , a1 ES70% (t) + a2 ES90% (t) + a3 ES95% (t) + a4 ES99.5% (t)
wobei a1 , a2 , a3 , a4 geeignete Konstanten sind. Das Risikoprofil selbst wäre dann eine Nebenbedingung.
266
6 Erfolgsmessung
Tabelle 6.9 Illustratives Beispiel für die Definition eines Risikoprofils. Sicherheitsniveau α
70% 90% 95% 99.5%
Risikoappetit (in % des verfügbaren Kapitals) 5% 25% 50% 100%
6.8 Unterschiedliche Anforderungen in der Personen- und Schadenversicherung Personen- und Schadenversicherung, wie sie heutzutage betrieben werden, haben grundlegend unterschiedliche Eigenschaften. In der Schadenversicherung werden Verträge gewöhnlich über ein Jahr abgeschlossen, während in der Lebensversicherung langfristige Verträge mit einer Laufzeit von 20 oder mehr Jahren die Norm sind. Für die Rentenversicherung verlängert sich die Laufzeit noch einmal. Daher ist die Gefahr von Trends, die nicht der ursprünglichen Kalkulation der Versicherungsverträge entsprechen, in der Lebensversicherung ausgeprägter als in der Schadenversicherung. Dem gegenüber kann es in der Schadenversicherung leichter zu größeren Bestandsschwankungen kommen. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Schadenhöhe in der Schadenversicherung (und in der Krankenversicherung) nicht feststehen, wohl aber in der Lebensversicherung. Da es (anders als bei der Krankenversicherung) in der Schadenversicherung keine Möglichkeit der retrospektiven Korrektur gibt, wird hier die Rückversicherung als risikomitigierendes Werkzeug besonders interessant. In der Schadenversicherung wird man sich bei der Steuerung zunächst auf Perioden von 1 Jahr konzentrieren. Der Schwerpunkt liegt in der Analyse des einjährigen Schadenprozesses und der optimalen Rückversicherungsstruktur. Längerfristige Effekte wie die Abwicklung der Reserven oder die periodische Verhärtung der Rückversicherungsmärkte kann man in einem Ausbauschritt betrachten. In der Lebensversicherung ist die Einjahresperspektive nur eingeschränkt sinnvoll, weil Verträge über eine Laufzeit von mehreren Jahren abgeschlossen werden und den Versicherungsnehmern weit in die Zukunft reichende Optionen und Garantien eingeräumt werden. Darüber hinaus gibt es eine Kosten-und Einkommensverschiebung, da Provisionen meist zu Beginn der Vertragslaufzeit gezahlt, aber über die gesamte Laufzeit der Verträge amortisiert werden. Eine radikale Einjahressicht könnte daher im Extremfall dazu führen, kein Neugeschäft mehr zu zeichnen, obwohl Neugeschäft zur langfristigen Erhaltung des Unternehmens notwendig ist.
Kapitel 7
Wertorientierte Unternehmenssteuerung
7.1 Das Konzept der wertorientierten Unternehmenssteuerung Die grundlegende Frage der wertorientierten Unternehmenssteuerung ist, wie Chancen und Risiken möglichst effizient gemanagt werden können. Das allgemeine Ziel der wertorientierten Unternehmenssteuerung kann aus verschiedenen Blickwinkeln mit einem jeweils leicht unterschiedlichen Fokus gesehen werden: Enterprise Risk Management (ERM): Beim ERM liegt der Fokus auf der ganzheitlichen Steuerung des Unternehmens und der mit den Aktivitäten verbundenen Risiken — ganzheitliche Risiko- und Prozesssicht. Value Based Management (VBM): Der Fokus liegt darauf, Gewinne im Verhältnis zu den korrespondierenden Risiken aus Gesamtunternehmenssicht zu managen — ganzheitlich Risiko- und Gewinnsicht. Risk and Capital Management: Hier liegt der Fokus auf der optimalen Allokation von Kapital im Verhältnis zu den eingegangenen Risiken — ganzheitliche Risiko- und Kapitalsicht. Da in der Realität keiner dieser Blickwinkel isoliert von den anderen beiden Blickwinkel gesehen werden kann, werden häufig unter jedem dieser drei Begriffe auch Aspekte der jeweils anderen beiden Blickwinkel zugeordnet. Wir sehen hier die wertorientierte Unternehmenssteuerung als eine Einheit, die alle drei Blickwinkel gleichermaßen umfasst. Die Interessen von Investoren, Aufsicht und Ratinggesellschaften sind treibende Faktoren für die Einführung der wertorientierte Unternehmenssteuerung: Investoren: Mithilfe von ökonomischem Risikokapital können die quantitativen Erwartungen von Investoren in das Risikomanagement integriert werden. Es adressiert auch die qualitative Erwartung, dass die Entscheidungsfindung im Unternehmen auf robusten Bewertungen der Risiken und ökonomischen Kapitalanforderungen basiert. Ferner ist das ökonomische Risikokapital ein so allgemeines Konzept, dass auf seiner Grundlage Risiko und Gewinn verschiedener M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
267
268
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Industriesektoren miteinander verglichen werden kann. Dies ist insbesondere für die Versicherungsbranche von Bedeutung, da so Wertabschläge aufgrund ihrer Intransparenz für viele Investoren verringert werden können. Aufsicht: In Europa wird durch Solvency II (und besonders den Usetest, siehe Abschnitt 8.2.4) ein direkter Anreiz für die Nutzung von auf ökonomischem Risikokapital basierender wertorientierter Steuerung geschaffen. Das IAIS Solvency Projekt agiert weitgehend parallel zu Solvency II und schafft ähnliche direkte Anreize auf globaler Ebene. Ratinggesellschaften: Ratinggesellschaften berechnen das dem Rating zugrunde liegende Kapital mit ihren eigenen Kapitalmodellen. Sie beginnen aber, interne Risikokapitalberechnungen von Unternehmen zu berücksichtigen, falls diese Unternehmen über ein sehr gutes Enterprise Risk Management verfügen. Die Einführung der wertorientierten Unternehmenssteuerung hat vier Hauptkomponenten: Strategische Komponente: Welches Risikoprofil soll für das Unternehmen angestrebt werden? Messkomponente: Wie können Gewinne, Risiken und Chancen möglichst vollständig und vergleichbar erfasst werden? Organisatorische Komponente: Wie müssen Verantwortungen im Unternehmen verteilt werden, damit die wertorientierte Unternehmenssteuerung auf allen Unternehmensebenen durchgesetzt werden kann? Prozesskomponente: Welche Prozesse müssen implementiert werden, um in der Praxis eine wertorientierte Steuerung umzusetzen? Die Herausforderung besteht darin, die verschiedenen Prozesse zu einem einheitlichen System zu bündeln, das die Risiken, wie sie auf das Gesamtunternehmen wirken, managt, anstatt Prozesse in abgeschotteten Silos nebeneinander laufen zu lassen.
7.1.1 Die strategische Komponente Die Bestimmung des Risikoappetits setzt den strategischen Rahmen für die wertorientierte Unternehmenssteuerung. Definition 7.1. Der Risikoappetit gibt an, welches Maß an Risiko das Unternehmen anstrebt. Der Risikoappetit kann im einfachsten Fall als Risikomaß (mit festgelegtem Konfidenzniveau) oder auch einfach als Rating ausgedrückt werden. Eine genauere Bestimmung des Risikoappetits kann in der Form eines Risikoprofils erfolgen (siehe Abschnitt 6.7). Vom Risikoappetit zu unterscheiden ist die Risikotoleranz: Definition 7.2. Die Risikotoleranz drückt das maximal tolerierbare Maß an Risiko aus. Bei Überschreitung ist das Risiko des Unternehmens umgehend zu verringern.
7.1 Konzept
269
Ebenso wie der Risikoappetit kann die Risikotoleranz als Konfidenzniveau, Rating oder Risikoprofil gegeben werden. Beispiel 7.1. Das Unternehmen XYZ-AG hat einen Risikoappetit, der durch den Expected Shortfall ESα (X) mit α = 99.5% gegeben ist. Aufgrund von Fluktuationen und der Natur des Risikobegriffs ist es unmöglich, dass Unternehmen so zu steuern, dass zu jedem Zeitpunkt das zur Verfügung stehende Kapital K die Gleichung K = ES99.5% (X) erfüllt. Die Unternehmensführung muss also mit gewissen Schwankungen um das angestrebte Maß an Risiko leben. Um diese Schwankungen operativ in den Griff zu bekommen, definiert das Unternehmen auch eine Risikotoleranz von ES99% (X). Der Risikotoleranzwert hat ein geringeres Konfidenzniveau und entspricht daher einem höheren Risiko. Steigt dass Risiko soweit an, dass K = ES99% (X) gilt, werden sofort Gegenmaßnahmen ergriffen, um das Risiko wieder einzudämmen. Die Differenz zwischen Risikoappetit und Risikotoleranz kann man als Risikopuffer verstehen. Je größer dieser Risikopuffer ist, desto seltener müssen sofortige Gegenmaßnahmen ergriffen werden, die häufig kostenträchtig sind. Andererseits bedeutet ein großer Risikopuffer, dass das zur Verfügung stehende Kapital nicht optimal eingesetzt wird. Der optimale Risikopuffer wird daher einen Kompromiss darstellen. Anmerkung 7.1. In der Literatur werden die Begriffe Risikoappetit und Risikotoleranz nicht einheitlich gebraucht. Mitunter werden diese beiden Begriffe auch synonym benutzt.
Maximale regulatorisch zugelassene Risikotoleranz
BB
BBB
A
AA
AAA Rating
zusätzlicher Ertrag zusätzliche Kapitalkosten
Abb. 7.1 Optimierung der Risikotoleranz.
Aus strategischer Sicht stellt sich zunächst die Frage, wie Risikoappetit und Risikotoleranz sinnvoll zu definieren sind. Schematisch kann dabei folgendermaßen vorgegangen werden: 1. Bestimmung der Risikotoleranz: Die Risikotoleranz bestimmt das Rating, das das Unternehmen erwarten kann. Je höher das Rating, desto einfacher ist es,
270
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
(institutionelles) Neugeschäft zu akquirieren oder kostengünstige Kredite aufzunehmen, aber desto höher ist auch der Kapitalbedarf. Daher ist weder eine extrem geringe noch eine extrem hohe Risikotoleranz zuträglich. Es folgt, dass es eine optimale Risikotoleranz geben muss. Um diese Risikotoleranz zu bestimmen, kann das Unternehmen für jedes Rating Szenarien entwickeln, die die Chancen und Kapitalkosten für dieses Rating beschreiben. Ein ökonomisches Kapitalmodell kann dann diese Szenarien als Input nehmen und den resultierenden Geschäftserfolg sowie die damit verbundenen Kapitalkosten berechnen. Damit erhält man eine Beziehung, wie sie in Abbildung 7.1 dargestellt wird. Die optimale Risikotoleranz würde in diesem Fall einem Rating von A entsprechen. 2. Der Risikopuffer wird in einem zweiten Schritt bestimmt, in dem (aufgrund der Fluktuation der Risiken) approximativ bestimmt wird, wie häufig für einen gegebenen Risikopuffer die Risikotoleranz erreicht wird und welche Kosten die Gegenmaßnahmen verursachen. Die Bestimmung dieser Kosten wird in der Praxis durch repräsentative Szenarien erfolgen. Das vorgestellte Verfahren ist mit großen Unsicherheiten behaftet, weshalb lediglich eine „approximative“ Optimierung von Risikoappetit und Risikotoleranz erwartet werden kann. Andererseits ist eine hohe Genauigkeit für diese Anwendung auch nicht nötig. Ein Hauptnutzen des Verfahrens liegt darin, dass das Unternehmen in einem weitgehend quantitativen Rahmen seine Marktnische analysiert. Im Unternehmensalltag ist es nicht realistisch, bei jeder Entscheidung das ökonomische Kapitalmodell laufen zu lassen, um herauszufinden, ob sie mit der Risikotoleranz vereinbar ist. Für die Prozessintegration müssen daher einfache Key Risk Indicators (KRI) und darauf basierende Limits definiert werden, deren Einhaltung Konsistenz mit der Risikotoleranz sicherstellt. Typische Limits sind zum Beispiel maximale Aktienquoten pro Emittenten in der Kapitalanlage oder maximale Konzentrationsgrenzen im Underwriting. Dass die Einhaltung dieser Limits (angenähert) zu einer Einhaltung der Risikotoleranz führen, müsste periodisch mit einem ökonomischen Kapitalmodell nachgeprüft werden. Für den Risikoappetit können ähnliche Größen definiert werden, die aber in diesem Fall nicht als strikter Limit sondern als Vorschlagswert zu interpretieren sind.
7.1.2 Die Messkomponente Ein moderner Ansatz besteht darin, die Chancen und Risiken quantitativ über ökonomische Kapitalkonzepte zu erfassen und die Unternehmenssteuerung auf darauf basierende Spitzenkennzahlen zu beziehen. In Kapitel 6 haben wir gesehen, dass für die risikoadjustierte Erfolgsmessung sowohl der erwartete Gewinn als auch das damit verbundene Risiko für einzelne Unternehmensbereiche gemessen werden muss. Wir werden für die wertorientierte Unternehmenssteuerung als Risikobegriff hauptsächlich das ökonomische Risikokapital wählen. Das Management von ökonomischem Risikokapital hat die folgenden Zielsetzungen:
7.1 Konzept
271
Schutz des Unternehmens: Dies ist in erster Linie der Schutz vor Insolvenz. Kapital ist aber auch notwendig, um regulatorische Anforderungen (Solvenzrichtlinien) zu erfüllen und um ein für notwendig erachtetes Zielrating sicherzustellen. Effiziente Allokation von Ressourcen: Das Risikokapital ist ein einheitliches Risikomaß, mit dem die Risiken unterschiedlicher Aktivitäten verglichen werden können. Der Quotient Gewinn ökonomisches Risikokapital gibt ein einfaches risikoadjustiertes Erfolgsmaß, mit dem verschiedene Aktivitäten aus ökonomischer Sicht verglichen werden können (siehe Abschnitt 6). Preisbildung: Um langfristig im Wettbewerb bestehen zu können, müssen Versicherungsunternehmen die Risiken, die sie übernehmen, in ihre Produkte einpreisen. Dies ist mit dem Konzept des ökonomischen Risikokapitals und der assoziierten Kapitalkosten möglich. Dabei muss die Balance gewahrt werden: Ein höhere Ausstattung mit Risikokapital führt einerseits zu einem höheren Schutz des Unternehmens, einer geringeren Ruinwahrscheinlichkeit und einem besseren Rating. Andererseits bedeutet dies in der Regel auch höhere Kapitalkosten und somit einen geringeren risikoadjustierten Gewinn. Es gibt Risiken, die nicht über Risikokapital erfasst werden können, z.B.: Strategische Risiken: Strategische Risiken sind Risiken, die in der Regel einen längeren Zeithorizont haben, weshalb sie durch die 1-Jahressicht des ökonomischen Kapitals nicht erfasst werden. Da strategische Entscheidungen in der Regel auf individuellen Experteneinschätzungen beruhen, sind strategische Risiken kaum stochastisch modellierbar. Trendrisiken: Trendrisiken haben ähnliche Eigenschaften wie strategische Risiken, weisen jedoch noch stärker in die Zukunft. Dabei besteht das eigentliche Problem darin, dass Vergangenheitsdaten keine gute Aussage über zukünftige Trends machen können. Zum Beispiel ist die Lebenserwartung in Deutschland im letzten Jahrhundert hauptsächlich deswegen gestiegen, weil immer breitere Bevölkerungsschichten Zugang zu guter medizinischer Versorgung erhielten. Dieser Trend ist aber an seinem natürlichen Ende angelangt. Andere Faktoren, wie zum Beispiel Fortschritte in der medizinischen Gentechnik, könnten in der Zukunft zu einer weiteren Erhöhung der Lebenserwartung führen. Diese Fortschritte können aber, da sie auf anderen Faktoren beruhen, nicht aus Vergangenheitsdaten abgeschätzt werden, so dass eine stochastische Modellierung ohne Einbeziehung von Experteneinschätzungen kaum möglich erscheint. Kapital eignet sich nicht zur Absicherung gegen Trendrisiken, weil Trendrisiken typischer Weise das ganze Versicherungskollektiv betreffen und langfristig wirken. Es würde einfach zu teuer werden, Kapital für Risiken zu halten, deren Auswirkungen zeitlich unbegrenzt sind und einen Großteil des Kollektivs betreffen.
272
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Liquiditätsrisiken: Das Liquiditätsrisiko besteht darin, dass das Versicherungsunternehmen zwar über die finanziellen Ressourcen verfügt, aber nicht kurzfristig die benötigten Cashflows bereitstellen kann. Diesem Risiko kann man durch gutes Liquiditätsmanagement begegnen. Das Vorhalten von Bargeld ist dagegen in der Regel zu teuer. Anmerkung 7.2. Operationale Risiken nehmen eine Sonderstellung ein. Im Prinzip können sie über das Risikokapital erfasst werden, aber ihre Bestimmung ist mit sehr großen Unsicherheiten verbunden. Für viele Arten von operationalen Risiken (wie z.B. Fehler bei der Antragsbearbeitung) lassen sich die Mittel der Schadenversicherung nutzen, sofern die Schadenereignisse quantitativ erfasst werden und genügend Daten vorhanden sind. Sind nicht genügend Schadendaten vorhanden, lassen sich mitunter Daten von Industriekonsortien oder von Drittanbietern verwenden. Dieser Weg wird von einigen internationalen Großbanken erfolgreich beschritten. Es gibt allerdings auch operationelle Risiken, die nur schwer statistisch erfassbar sind. Zum Beispiel hat ein Unternehmen, dessen Hauptverwaltung sich in der Einflugzone eines Flughafens befindet, das operationelle Risiko, dass ein Flugzeug in das Verwaltungsgebäude stürzen könnte. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist so klein, dass es hierzu keine statistischen Daten gibt. Andererseits wäre der daraus entstehende Schaden so groß, dass die Möglichkeit besteht, dass dieses Risiko insgesamt materiell sein könnte. Ein vielleicht weniger exotisches Beispiel ist die Betrugsgefahr durch einen leitenden Angestellten. Derartige Risiken lassen sich durch szenariobasierte stochastische Methoden abschätzen.
7.1.3 Die organisatorische Komponente Da die wertorientierte Unternehmenssteuerung das gesamte Unternehmen durchdringt, ist eine klare Governance-Struktur, die alle wichtigen Betroffenen einbindet, eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Einführung. Es gibt verschiedene Wege, diese Anforderung in die Praxis umzusetzen. Abbildung 7.2 skizziert eine mögliche Struktur, die dies gewährleistet. Die Schaltzentrale ist ein EnterpriseRisk-Management-Ausschuss. Er definiert • Ziele und Anreize für das Management, • Limits für das Übernehmen von Risiken, zum Beispiel maximale Exposures für Assetklassen, • die Kapitalallokation unter Berücksichtigung der auf Modellierung beruhenden Vorschläge des Risikomanagements, • gegebenenfalls Risikomanagementprozesse. Wegen des weiten Betätigungsfelds des Enterprise-Risk-Management-Ausschusses ist es häufig praktisch, stärker spezialisierte Unterausschüsse zu bilden, z.B. einen ALM-Ausschuss, der die Kapitalanlagestrategie im einzelnen untersucht. Da das Enterprise Risk Management zur Verantwortung des Vorstands gehört, sind CEO, CRO, CFO und gegebenenfalls weitere Mitglieder des Vorstands im
7.1 Konzept
273 Vorstand
CRO
CEO
CFO
Enterprise Risk Management Ausschuss Vertreter Risikomanagement
Vertreter Geschäftsbereich A
Risikomanagement
Vertreter Geschäftsbereich B
Vertreter Geschäftsbereich C
Operative Geschäftsbereiche Geschäftsbereich A Geschäftsbereich B Geschäftsbereich C
Abb. 7.2 Der Enterprise-Risk-Management-Ausschuss.
Enterprise-Risk-Management-Ausschuss vertreten. In Abbildung 7.2 hat das Risikomanagement die Aufgabe, sowohl alle Risiken zu messen und zu berichten, als auch die Key Risk Indikatoren (KRI) wie zum Beispiel das ökonomische Risikokapital oder den risikoadjustierten Ertrag zu berechnen. Im Enterprise-RiskManagement-Ausschuss hat das Risikomanagement die Funktion des technischen Sachverständigen. Es ist dabei oft erwünscht, dass das Risikomanagement von den operativen Geschäftsbereichen organisatorisch getrennt und unabhängig ist. Nichtsdestotrotz werden das Risikomanagement und die operativen Geschäftsbereiche für die Messung zusammenarbeiten, da die operativen Geschäftsbereiche über notwendige Rohdaten und gegebenenfalls über spezielles Know-How verfügen. Die operativen Geschäftsbereiche sind als die von den Entscheidungen direkt betroffenen im Enterprise-Risk-Management-Ausschuss vertreten.
7.1.4 Die Prozesskomponente In Abbildung 7.3 wird der Kreislauf für die Hauptprozesse der wertorientierten Steuerung beschrieben. Zunächst wird aus der Unternehmensstrategie die Risikostrategie des Unternehmens abgeleitet. Die Unternehmensstrategie wird unter anderem durch externe Faktoren wie regulatorische Solvenzrichtlinien oder Kriterien von Ratinggesellschaften beeinflusst. Unternehmensstrategie und Risikostrategie geben
274
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
die im Unternehmen benutzten Risikoindikatoren (und insbesondere die benutzten Risikomaße) vor. Dabei muss natürlich sichergestellt werden, dass die technischen Abteilungen in der Lage sind, über geeignete quantitative und qualitative Methoden sowie eine geeignete Modellierung diese Risikomaße inhaltlich zu füllen. Dieser Kreislauf wird in Abbildung 7.3 beschrieben:
Unternehmensstrategie
Risikoindikatoren
Externe Anforderungen •
Ganzheitliche Modellierung
Quantitative Messung Qualitative Messung
Aufsicht Risikoindikatorenund Ertragsreporting
– Stresstests – Kapitalanforderung •
Risikostrategie
Ratinggesellschaften
Operationalisierung • • •
Quantitative Ziele Prozessorientierte Ziele Balanced Scorecard
Umsetzung im Unternehmen
Abb. 7.3 Kreislauf der wertorientierten Unternehmenssteuerung.
1. Messung des Ist-Zustands anhand der Risikoindikatoren. 2. Erstellung von Berichten, die die Ertrags- und Risikolage beschreiben. Die Basis dieser Berichte bilden die aktuellen Risikoindikatoren. Diese Berichte sollten nach Möglichkeit auch eine Analyse der seit dem letzten Bericht aufgetretenen Änderungen enthalten. Das Risiko- und Ertragsreporting ist auch von externen Anforderungen abhängig, zum Beispiel regulatorischen Anforderungen im Rahmen von Solvency II. 3. Die in den Berichten dargestellten Erkenntnisse werden in einem nächsten Schritt operationalisiert, in dem sie in quantitative oder qualitative Ziele für das Management übersetzt werden. 4. Wenn diese Managementzielvereinbarungen im Unternehmen eingeführt werden, ändert sich die Ertrags- und Risikosituation, so dass der Messprozess von Neuem beginnt. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Kreislauf um einen kontinuierlichen Prozess. Man wird mit dem Beginn einer Phase nicht warten können, bis die vorherige Phase abgeschlossen ist. Daher ist es notwendig, bei der Analyse in Schritt 2 zu berücksichtigen, welche Managementziele den gemessenen Aktivitäten zugrunde lagen.
7.1 Konzept
275
Kreditrisiko
Operationales Risiko
Marktrisiko
Versicherungsrisiko
andere Risiken
Kapitalaggregation
ökonomisches Risikokapital
Verfügbares Kapital
Steuerimpuls
Ertragsmessung Risikoadjustierter Ertrag
Hurdle Rate
Steuerimpuls
Kapitalallokation
ökonomisches Risikokapital Geschäftsbereich A Ertragsmessung
ökonomisches Risikokapital Geschäftsbereich B Ertragsmessung
ökonomisches Risikokapital Geschäftsbereich C Ertragsmessung
Risikoadjustierter Ertrag Geschäftsbereich A
Risikoadjustierter Ertrag Geschäftsbereich B
Risikoadjustierter Ertrag Geschäftsbereich C
Hurdle Rate Geschäftsbereich A
Hurdle Rate Geschäftsbereich B
Hurdle Rate Geschäftsbereich C
Steuerimpuls
Steuerimpuls
Steuerimpuls
Abb. 7.4 Grundsätzlicher Aufbau der wertorientierten Unternehmenssteuerung aus Risikokapitalsicht.
Wir wollen nun den Messprozess in Abbildung 7.3 etwas genauer analysieren. Dabei gehen wir davon aus, dass die Risikoindikatoren auf ökonomischem Risikokapital und von diesem Risikokapital abgeleiteten Größen beruhen (Abbildung 7.4). Die Risikokapitale der unterschiedlichen Risiken werden zunächst separat gemessen. Dabei ist zu beachten, dass diese Risiken durchaus verschiedene Bereiche des Unternehmens betreffen können. Zum Beispiel ist operationales Risiko in jedem Geschäftsbereich vertreten. Diese Risikokapitale werden dann zu einem ökonomischen Gesamtrisikokapital aggregiert. Diese Aggregation kann mit den in Kapitel 3 beschriebenen Mitteln erfolgen. Als ein erster Check ist dieses Risikokapital mit dem verfügbaren Kapital zu vergleichen. Kapitalausstattung und Risikokapital sind dann gut aufeinander abge-
276
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
stimmt, wenn sie nahezu gleich sind. Denn dann übersteigt einerseits das Risiko nicht den Risikoappetit, und andererseits gibt es wenig Exzesskapital, das zu unnötigen Kapitalkosten führt. Der risikoadjustierte Ertrag ist der Quotient aus Ertrag und ökonomischem Risikokapital (siehe Abschnitt 6.4). Diese Kenngröße kann in einem zweiten Check mit der Hurdle rate, also der Ertragsvorgabe für das Unternehmen durch die Eigner, verglichen werden. Um neben diesen Steuerungsimpulsen auf der Gesamtunternehmensebene auch Steuerimpulse auf der Ebene individueller Geschäftsbereiche zu erhalten, muss das ökonomische Risikokapital auf diese Geschäftsbereiche unter möglichst gerechter Aufteilung des Diversifikationseffekts heruntergebrochen werden. Dies geschieht durch die Kapitalallokation, auf die im Kapitel 5 näher eingegangen wird. Das Ergebnis ist ein ökonomisches Risikokapital für jeden Geschäftsbereich. Damit ist es möglich, den risikoadjustierten Ertrag für jeden Geschäftsbereich zu berechnen und mit den Ertragsvorgaben zu vergleichen. Im einfachsten Fall hat man eine Hierarchieebene von Unternehmensbereichen. Insbesondere für Gruppen kann es jedoch auch mehrere Hierarchieebenen geben. Die Summe des Risikokapitals der Unternehmensbereiche pro Ebene hängt nicht von der Ebene ab. (Siehe Abbildung 7.5).
Versicherungsgruppe C
Versicherungsunternehmen A C(A) Assetmanagement C(A, 2)
Privatversicherung C(A, 2)
Industrieversicherung C(A, 3)
Versicherungsunternehmen B C(B) Assetmanagement C(B, 2)
Privatversicherung C(B, 2)
Industrieversicherung C(B, 3)
Abb. 7.5 Einfaches Beispiel mit drei Hierarchieebenen von Unternehmensbereichen. Es gilt C = C(A) + C(B) und C(x) = ∑3i=1 C(x, i) für x ∈ {A, B}. Das Gesamtkapital pro Hierarchieebene ist daher für alle drei Hierarchieebenen konstant.
Die Definition geeigneter Kennzahlen zur Steuerung wurde im Abschnitt 6.7 behandelt. Wichtige Auswahlkriterien sind Interpretierbarkeit durch das Management und Berechenbarkeit mit ausreichend kleiner Fehlerschranke um sicherzustellen, dass wirklich nach den Managementkriterien, die modelliert werden sollen, gesteuert wird.
7.1 Konzept
277
7.1.5 Zieldefinition und Zielüberwachung: Balanced Scorecard Die Implementation eines Unternehmensprozesses ist nur dann erfolgreich, wenn die Betroffenen wissen, was von ihnen erwartet wird, und motiviert werden, die neuen Prozesse zu unterstützen. Zu diesem Zweck ist es üblich, klare Ziele für Mitarbeiter (und Manager) zu formulieren. Diese Ziele sollten außerdem so formuliert werden, dass das Maß der Zielerreichung verifiziert werden kann, damit dem Mitarbeiter später eine Rückmeldung gegeben werden kann, inwieweit er erfolgreich war. In der wertorientierten Unternehmenssteuerung wird das Unternehmen ganzheitlich betrachtet. Diese ganzheitliche Sicht sollte sich natürlich auch in der Zieldefinition niederschlagen, indem zum Beispiel Visionen und Strategien des Unternehmens auf Mitarbeiterebene operationalisiert werden. Die Balanced Scorecard ist ein Konzept, um Visionen und Strategien in die Performance-Messung einzubeziehen [36, 37]. Um ein „ausbalanciertes“ Gesamtbild zu erhalten, werden 4 komplementäre Perspektiven betrachtet. 1. Finanzperspektive. Eine Kenngröße könnte der risikoadjustierte Ertrag pro Kapitaleinheit oder andere ökonomische Kennzahlen sein. Je nach der Unternehmensebene, in der die Balanced Scorecard eingesetzt wird, kann es sich auch um weniger aufbereitete Kennzahlen handeln. Für die Antragsbearbeitungsabteilung könnten z.B. die durchschnittlichen Kosten pro Antragsbearbeitung eine sinnvolle Kennzahl darstellen. Es ist aber wichtig, dass das wirkliche Ziel der Unternehmung widergespiegelt wird. Daher wird diese Kennzahl als alleiniger Maßstab nicht ausreichen, da die Qualität der Antragsprüfung ebenfalls wesentlich zur Profitabilität beiträgt. Häufig werden auch Bilanzkennzahlen herangezogen, die sich in unserem Zusammenhang aber weniger gut eignen. 2. Kundenperspektive. Eine mögliche Kenngröße für den Außendienst ist die Stornoquote. Die Qualität der Marketingunterlagen könnte zum Beispiel aus der Anzahl der Beschwerden, die auf Missverständnissen des Kunden bei der Vertragsinterpretation beruhen, abgeleitet werden. 3. Prozessperspektive. Hier wird man in der Regel Prozessqualität und Prozesseffizienz getrennt beurteilen. Im Rechnungswesen könnte zum Beispiel die Prozessqualität an der Anzahl oder der Materialität der durch den Wirtschaftsprüfer veranlassten Korrekturen gemessen werden. Die Prozesseffizienz könnte man durch den Arbeitsaufwand, der für die Bilanzerstellung aufgebracht wird, messen. 4. Potenzialperspektive. Hier geht es um das Erreichen der langfristigen Ziele des Unternehmens. Ein besonderer Fokus wird dabei auf das Lernen und Anwenden von Gelerntem gelegt. Auch das Halten guter Mitarbeiter gehört in diesen Bereich. Für ein großes Aktuariat könnte die Anzahl der DAV-Mitglieder (und insbesondere die Zeit, die Berufsanfänger brauchen, um Aktuare zu werden) eine einfache Kenngröße sein. Für jede dieser 4 Perspektiven werden Ziele und quantitative Kennzahlen formuliert und in einer Scorecard (vgl. Abbildung 7.6) zusammengefasst. Insgesamt ergibt sich also der folgende Prozess:
278
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung Finanzperspektive Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme Kundenperspektive
Prozessperspektive
Ziel
Vision und Strategie
Kennzahl Vorgabe Maßnahme
Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme
Potenzialperspektive Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme Abb. 7.6 Balanced Scorecard. Abbildung basiert auf [51].
• Übersetzung von Visionen in operative Unternehmensziele • Kommunikation der Vision und Verknüpfung der operativen Unternehmensziele mit individuellen Performance-Zielen • Planung und Controlling • Feedback und Anpassung der Strategien In dieser allgemeinen Form ist das Konzept auf beliebige Industrien anwendbar. Für die Versicherungswirtschaft oder spezifische Adressaten würde man die Kategorien entsprechend anpassen. So wäre zum Beispiel die Einführung einer eigenen Perspektive „Risikomanagement“ naheliegend, da hier die Kernkompetenz von Versicherungsunternehmen liegt. Es besteht eine gewisse Willkür darin, wie man die Zielsetzungen in messbare Kenngrößen überführt. Hier besteht die Gefahr, dass das eigentliche Ziel durch praktisch messbare Kennzahlen ersetzt wird. Wenn zum Beispiel in der Prozessperspektive für das Rechnungswesen, wie oben in Punkt 3 vorgeschlagen wird, die Prozessqualität durch die Anzahl der Einwände des Wirtschaftsprüfers gemessen wird, könnte das Rechnungswesen den Wirtschaftsprüfer bitten, eventuelle Einwände erst im kleinen Kreis vorzutragen, so dass die Fehler korrigiert werden können, bevor es zur Messung kommt. Bei einem Wechsel des Wirtschaftsprüfers kann die Messmethode auch zu irreführenden Resultaten führen, wenn der neue Wirtschaftsprüfer in Details andere Standpunkte als der vorige Wirtschaftsprüfer vertritt. Er würde Ein-
7.2 Ein Beispielunternehmen
279
wände erheben, die sich auf die Interpretationen des alten Wirtschaftsprüfers, nicht aber auf die Qualität des Rechnungswesens beziehen. Risiken werden in der traditionellen Balanced Scorecard kaum berücksichtigt, sind aber für Versicherungsunternehmen von besonderer Wichtigkeit. Der Erfolg der Balanced Scorecard steht und fällt mit der operativen Beschreibung von Strategien. Hierbei wird aber kaum Hilfestellung gegeben. Wenn die Strategie nicht bekannt (und nicht auf ihre Effekte hin in Modellen getestet) ist, wird es auch nicht möglich sein, Visionen und operative Unternehmensziele zu formulieren.
7.2 Ein Beispielunternehmen In diesem Abschnitt wird der Aufbau der wertorientierten Unternehmenssteuerung für ein fiktives, stark vereinfachtes Unternehmen, die XYZ AG, beschrieben. Die XYZ AG ist ein Sachversicherungsunternehmen, das die Sparten • Feuer • Haftpflicht • Diebstahl betreibt. Das Unternehmen schreibt ausschließlich Privatgeschäft. Ferner agiert das Unternehmen in der Eurozone und beschränkt seine Kapitalanlage auf die Eurozone, um keinen Währungsrisiken ausgesetzt zu sein. Anmerkung 7.3. Unser Beispielunternehmen XYZ AG ist nicht als Muster, sondern lediglich zur Illustration von Überlegungen und Querverbindungen im Zusammenhang mit der wertorientierten Unternehmenssteuerung zu sehen. Ein reales Unternehmen würde viele Prozesse anders einrichten. Zum Beispiel ist eine auf die Eurozone beschränkte Kapitalanlage keine effektive Anlagestrategie. Ein anderes Beispiel für eine Vereinfachung, die für ein reales Unternehmen nicht gemacht würde, ist die Zusammenfassung von Frequenz- und Großschäden bei der Modellierung (Abschnitt 7.2.3.1). Desweiteren wägt XYZ AG Aufwand und Nutzen der Komponenten der wertorientierten Unternehmenssteuerung gegeneinander ab. Daher wird nicht jedes Risiko vollkommen risikoadäquat behandelt.
7.2.1 Definition der risikobasiert gesteuerten Unternehmensbereiche XYZ AG möchte sowohl die Sparten risikobasiert steuern als auch die Leistung wichtiger Unternehmensfunktionen risikobasiert bewerten. Daher werden zwei Unternehmensbereichssichten definiert, die Spartensicht und die Funktionssicht.
280
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
7.2.1.1 Spartensicht Die Spartensicht teilt das Unternehmen in vier nicht überlappende Geschäftsbereiche auf, wobei drei Geschäftsbereiche die drei Sparten und ein weiterer Geschäftsbereich das restliche Unternehmen beschreiben. Die Spartensicht liefert Information für die zukünftige strategische Ausrichtung des Unternehmens und hilft Fragen wie „In welche Sparte soll zukünftig verstärkt investiert werden?“ beantworten. 1. Feuer: Dieser Unternehmensbereich umfasst diejenigen Geschäftsprozesse, die sich direkt der Sparte Feuer zuordnen lassen. Dazu gehört auch das Assetmanagement derjenigen Assets, die die Verpflichtungen dieser Sparte bedecken. 2. Haftpflicht: Dieser Unternehmensbereich umfasst diejenigen Geschäftsprozesse, die sich direkt der Sparte Haftpflicht zuordnen lassen. Dazu gehört auch das Assetmanagement derjenigen Assets, die die Verpflichtungen dieser Sparte bedecken. 3. Diebstahl: Dieser Unternehmensbereich umfasst diejenigen Geschäftsprozesse, die sich direkt der Sparte Diebstahl zuordnen lassen. Dazu gehört auch das Assetmanagement derjenigen Assets, die die Verpflichtungen dieser Sparte bedecken. 4. Übriges: Dieser Unternehmensbereich umfasst alle Geschäftsprozesse, die sich nicht in den Sparten Feuer, Haftpflicht, Diebstahl zuordnen lassen. Zum Geschäftsbereich Übriges gehören zum Beispiel das Rechnungswesen und die Personalabteilung.
7.2.1.2 Funktionssicht Die Funktionssicht teilt das Unternehmen in nicht überlappende Geschäftsbereiche auf, die rein funktional beschrieben sind. Eine Hauptmotivation der Funktionssicht besteht darin, eine leistungsabhängige Vergütung zu ermöglichen. Die Funktionssicht hat zwei Schichten, wobei ökonomisches Kapital und risikoadjustierter Ertrag als Leistungsmaße lediglich für die obere Schicht berechnet wird. 1. Kapitalanlage: Die Kapitalanlage wird als Profitcenter aufgefasst. Sie muss eine vordefinierte Liquidität bereitstellen und im Übrigen den Sparten für ihre Einlagen den kurzfristigen risikofreien Zins gutschreiben. 2. Versicherungsgeschäft: Das Versicherungsgeschäft (ohne Kapitalanlage) wird als ein weiteres Profitcenter aufgefasst. Die Sparten Feuer Haftpflicht und Diebstahl stellen unterschiedliche Märkte mit unterschiedlichem Konkurrenzdruck und unterschiedlichem Versichertenverhalten dar. Diese Unterschiede werden bei der Vergütung nicht explizit berücksichtigt. a. Vertrieb: Jedem Vertrag, der vom Underwriting angenommen wird, wird ein von der Produktkalkulation erwarteter (risikoadjustierter) Gewinn gegenübergestellt. Es gibt ein Ziel für die Summe dieser Gewinne. Das Risiko besteht darin, dieses Ziel nicht zu erreichen.
7.2 Ein Beispielunternehmen
281
b. Underwriting: Das Underwriting wird bzgl. seiner Effektivität und der Einhaltung der Underwritingrichtlinien beurteilt. c. Schadenannahme: Die Schadenannahme hat eine reine Kontrollfunktion. Die leistungsbasierte Beurteilung erfolgt analog zur Beurteilung des Underwriting. d. Produktkalkulation: Die Ergebnisse der Produktkalkulation beeinflussen die Performancemessung von Vertrieb und Underwriting. e. Marketing: Die leistungsabhängige Vergütung dieser Funktion erfolgt über Balanced Scorecards ohne Berücksichtigung des risikoadjustierten Unternehmenserfolgs. f. Verwaltung und übriges Versicherungsgeschäft: Die leistungsabhängige Vergütung dieser Funktion erfolgt über Balanced Scorecards ohne Berücksichtigung des risikoadjustierten Unternehmenserfolgs. 3. Zentrale Funktionen: Personal, Rechnungslegung, Controlling, Produkt- und Bestandscontrolling etc. Die leistungsabhängige Vergütung dieser Funktionen erfolgt über Balanced Scorecards. Das ökonomische Kapital für zentrale Funktionen basiert ausschließlich auf operationalen Risiken.
7.2.2 Mitigation von Risiken, für die ökonomisches Kapital nur bedingt geeignet ist 7.2.2.1 Trendrisiko Das Trendrisiko entzieht sich einer direkten quantitativen Bewertung. Die Juristen der XYZ AG verfolgen die amerikanische Rechtsprechung für relevante Haftpflichtfälle und geben Schätzungen ab, wann und in welchem Ausmaß sie eine ähnliche Entwicklung auch für Deutschland erwarten. Dabei beobachten sie auch die Industriehaftpflicht, da eine Ausweitung des Geschäfts auf Industriekunden im Vorstand erwogen wird. Die Produktentwicklungsabteilung nutzt diese Einschätzungen sowohl bei der Produktentwicklung und beim Design der Underwritingrichtlinien. Die Produktentwicklung berichtet an die juristische Abteilung, in welchem Maße und wie deren Einschätzungen umgesetzt wurden.
7.2.2.2 Liquiditätsrisiko Um das Liquiditätsrisikos zu mitigieren unterhält die Abteilung Produkt- und Bestandscontrolling ein einfaches, mehrperiodisches stochastisches ALM-Modell. Als Inputs für die Passivseite liest das Modell die erwarteten Netto-Cashflows für die Vertragsabwicklung sowie die erwartete Volatilität dieser Cashflows ein. Diese Daten werden mit einer Lognormalverteilungsannahme in einem mehrperiodischen stochastischen Passiv-Modell erzeugt. Die Neugeschäftsannahmen für dieses Pas-
282
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
siv-Modell werden von der Produktentwicklungsabteilung geliefert. Mithilfe eines Hull-White-Modells, dr(t) = (θ (t) − α) r(t)dt + σ dW (t), wird die Dynamik des kurzfristigen Zinses projiziert. Für das Hull-White-Modell werden monatliche Zeitschritte modelliert. Spreads und Ausfallwahrscheinlichkeiten werden konstant angenommen, wobei die Ausfälle über eine Binomialverteilung modelliert werden. Dazu wird das Kreditportfolio stark verdichtet, was tendenziell zu einer Überschätzung des Ausfallrisikos führt. Andere Kapitalanlageklassen werden über Lognormalverteilungen modelliert und als gegenseitig unabhängig angenommen. Alle Inputparameter sowie die Kapitalanlagestrategie werden von der Kapitalanlageabteilung geliefert. Mithilfe dieses Modells wird eine Liquiditätsvorgabe geliefert, die dem Modell zufolge dazu führt, dass in den nächsten 5 Jahren die kumulierte Wahrscheinlichkeit eines Liquiditätsengpasses maximal 5% beträgt. Das Modell wird zusätzlich von der Kapitalanlageabteilung genutzt, um die strategische Assetallokation zu unterstützen. Neben dem ALM Modell werden Szenarien für Liquiditätsengpässe durchgespielt und damit die notwendige Liquidität abgeschätzt. Diese Szenarien sind so definiert, dass jedes Szenario eine Eintrittswahrscheinlichkeit von ungefähr 1% hat. Die Eintrittswahrscheinlichkeit basiert auf qualitativen Einschätzungen der Abteilung Produkt- und Bestandscontrolling. Der Kapitalanlage werden Liquiditätslimits geliefert, die Liquiditätsvorgaben aus beiden Methoden sicherstellen.
7.2.3 Das ökonomische Kapitalmodell der XYZ AG Vor der Einführung eines ökonomischen Kapitalmodells wurden vielfach Bedenken geäußert, dass Kapitalallokationsalgorithmen die wirkliche Diversifikation nur unzureichend widerspiegeln und daher zu Ungerechtigkeiten führen. Da die XYZAG den risikoadjustierten Ertrag als ein Vergütungsmaß nutzen wollte, war es eine Priorität, ein Verfahren zu finden, das von allen getragen wurde. Am besten vermittelbar erwies sich dabei der Ansatz, dass jedem Geschäftsbereich genau der von ihm verursachte Anteil des ökonomischen Kapitals zugeteilt wird. Daher entschließt sich XYZ-AG, den Expected Shortfall als Risikomaß und die in Proposition 5.6 beschriebene Kapitalallokation (siehe auch die an Proposition 5.6 anschließende Diskussion) zu nutzen.
7.2.3.1 Ein vereinfachtes ökonomisches Kapitalmodell XYZ-AG führt zunächst ein (stark vereinfachtes) ökonomisches Kapitalmodell V1.0 ein. Wenn es sich bewährt hat und in der Organisation angenommen ist, soll es schrittweise ausgebaut werden (siehe Abschnitt 7.2.4). Damit wird vermieden, dass
7.2 Ein Beispielunternehmen
283
die Unternehmenssteuerung auf einer Black Box basiert wird, die im Unternehmen nur ansatzweise verstanden wird. Im Modell wird angenommen, dass alle Prämien zu Jahresbeginn anfallen und der Versicherungsschutz für ein Jahr besteht. Es werden keine unterjährigen Cashflows modelliert. Der Geschäftsbereich Kapitalanlage wird durch eine normalverteilte Zufallsvariable r modelliert, die den Erfolg der Kapitalanlage für ein Jahr als durchschnittlich erwirtschafteten Zins beschreibt. Für alle Assets wird die gleiche Kapitalanlage gewählt. Die Kapitalanlagekosten beziehen sich auf das Kapitalanlagevermögen zu Jahresbeginn. Die Schadenverteilungen für die Geschäftsbereiche Feuer, Haftpflicht, Diebstahl werden durch lognormalverteilte Zufallsvariablen S(F), S(H), S(D) beschrieben. Die erwarteten Schäden und die Kosten werden jeweils als Vielfaches der Prämien vorgegeben. Reserven werden nicht modelliert. Es werden n = 10000 Szenarien generiert (siehe Bemerkung 7.4). Das Unternehmen verfügt über ein Kapital von K0 = 1400 zu Jahresbeginn und die Fixkosten betragen kfix = 20. Als risikofreier Zins wird r0 = 3% angenommen. Das Risikomaß ist der ES99% (Xnetto ), wobei wir mit −Xnetto den Netto-Gewinn bezeichnen. Anmerkung 7.4. Im allgemeinen sind sehr viel mehr als 10000 Szenarien notwendig, um das Risikokapital oder den RORAC zuverlässig zu schätzen. Dies trifft auch für unser Beispiel zu: die quantitativen Resultate werden durch die Wahl der Szenarien maßgeblich beeinflusst.1 Der (relative) Kapitalanlageerfolg r wird normalverteilt mit Erwartungswert E(r) = 5% und Standardabweichung σ (r) = 2% angenommen. Die Kosten für die Kapitalanlage betragen 0.5% des Kapitalanlagevolumens. Die spartenspezifischen Daten sind in Tabelle 7.1 zusammengefasst: Tabelle 7.1 Spartenspezifische Daten für XYZ-AG. Geschäftsbereich A Größe
Variable
F
H
D
Prämie
P(A)
600
300
100
Schadenquote
c(A)
75%
75%
75%
Kostenquote
k(A)
5%
5%
5%
Quotenrückversicherung: Zediert
Qzed (A)
25%
20%
20%
Quotenrückversicherung: Provision
Qprov (A)
6%
6%
6%
Variationskoeffizient
γ(A) = σ (S(A))/E(S(A))
50%
60%
70%
Es sei A ∈ {F, H, D}. Dann gilt brutto 1
Die qualitativen Effekte, die wir in diesem Abschnitt diskutieren werden, zeigen sich schon bei 10000 Monte-Carlo-Szenarien. Wir haben diese geringe Zahl gewählt, da dann alle Berechnungen auf einem Notebook aus dem Jahr 2006 mit erträglicher Geschwindigkeit vollzogen werden können.
284
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
E(S(A)) = c(A) P(A) Sind m(A), s2 (A) die Parameter der Lognormalverteilung S(A) = exp(N(m(A), s2 (A)), wobei N(m, s2 ) eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert m und Standardabweichung s ist, so gilt
s(A)2 E(S(A)) = exp m(A) + , 2
s(A)2 2 σ (S(A)) = exp (s(A) − 1) exp m(A) + 2 Damit erhält man für A ∈ {F, H, D} als Parametrisierung der Schadenverteilung S(A)
1 s(A) = ln (1 + γ(A)2 ), m(A) = ln(c(A) P(A)) − ln 1 + γ(A)2 , 2 wobei γ(A) den Variationskoeffizienten bezeichnet. Die Abhängigkeitsstruktur der Zufallsvariablen (r, S(F), S(H), S(D)) wird durch eine Gaußsche Copula mit ⎛ ⎞ 1 0 0 0 ⎜ 0 1 0.3 0.2 ⎟ ⎟ τKendall = ⎜ ⎝ 0 0.3 1 0.6 ⎠ 1 0.2 0.6 1 beschrieben. Wir werden im folgenden aus Konsistenzgründen an Größen, für die sich der Bruttobetrag vom Nettobetrag unterscheidet, oft einen Index brutto anfügen, wenn wir den Betrag vor Rückversicherung meinen. Die Nettoprämie ist durch Pnetto (A) = (1 − Qzed (A)) Pbrutto (A) und die Nettoschadenverteilung offenbar durch Snetto (A) = (1 − Qzed (A)) Sbrutto (A) gegeben. Der dem Geschäftseinheit Kapitalanlage K zuzuordnenden Gewinn wird um den risikofreien Zins korrigiert. Es ergibt sich für g ∈ {brutto, netto} −Xg (K) = (r − r0 )
K0 +
∑
Pg (A) − k(K)
A∈{F,H,D}
Es sei g δnetto
=
1 0
K0 +
∑
A∈{F,H,D}
für g = netto, sonst
Pg (A) .
7.2 Ein Beispielunternehmen
285
das übliche Kroneckersymbol. Dann beträgt der Gewinn der Sparte A g Qprov Qzed − k(A) Pbrutto (A) − Sg (A). −Xg (A) = (1 + r0 ) Pg (A) + δnetto Insbesondere nehmen wir also an, dass die Policenverwaltung beim Erstversicherer verbleibt, so dass die Kostenquote von der Rückversicherungsquote unabhängig ist. Der Gesamtgewinn ist die Summe der Spartengewinne abzüglich Fixkosten und zuzüglich risikofreiem Zinsertrag auf Kapital, −Xg = −
∑
Xg (A) + r0 K0 − kfix .
A∈{K,F,H,D}
Tabelle 7.2 enthält die mit den oben aufgeführten Eingabedaten numerisch2 berechneten Erwartungswerte für die Gewinne der Sparten. Die Differenz 22 aus Summe der Sparten und Gesamtergebnis setzt sich aus den Fixkosten, kfix = 20, und dem risikofreien Ertrag, r0 K0 = 42 auf das Startkapital zusammen, da diese Größen ihrer geschäftsbereichsübergreifenden Natur wegen nicht auf die vier Geschäftsbereiche Kapitalanlage, Feuer, Haftpflicht, Diebstahl zugeteilt werden. Tabelle 7.2 Der erwartete Gewinn für jede Sparte und das Gesamtunternehmen g = brutto g = netto −E (Xg (K))
36.5
33.0 104.2
−E (Xg (F))
136.9
−E (Xg (H))
69.1
55.9
−E (Xg (D))
23.0
18.6
−E (Xg )
287.5
233.7
Tabelle 7.3 enthält das ökonomische Kapital für jede Sparte. Die Differenz −577.6 g : brutto, ES99% (Xg ) − ∑ ES99% (Xg(A)) = −471.2 g : netto A∈{K,F,H,D} erklärt sich neben dem nicht allokierten Gewinn von 22 durch die Diversifikation zwischen den Geschäftsbereichen. Der RORAC (siehe Tabelle 7.4) ist einfach der Quotient aus erwartetem Gewinn und ökonomischem Kapital. Das ökonomische Kapitalmodell der XYZ-AG findet sich in Anhang E. Abbildung 7.7 zeigt einen Ausschnitt der Verteilungsfunktionen. Die gestrichelte horizontale Linie zeigt den VaR zum gewählten Konfidenzniveau 99%. Die vertika2 Diese Erwartungswerte lassen sich natürlich auch exakt berechnen, was aufgrund des numerischen Fehlers zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde. Zum Beispiel ist der exakte Wert für das Feuerbruttoergebnis −E (Xbrutto (F)) = 138.
286
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Tabelle 7.3 Das ökonomische Kapital für jede Sparte und das Gesamtunternehmen g = brutto g = netto ES99% (Xg (K))
91.8
83.0
ES99% (Xg (F))
856.8
641.1
ES99% (Xg (H))
514.3
410.8
ES99% (Xg (D))
234.8
187.6
ES99% (Xg )
1120.2
851.5
Tabelle 7.4 Der risikoadjustierte Gewinn für jede Sparte und das Gesamtunternehmen g = brutto g = netto RORAC99% (Xg (K))
39.8%
39.8%
RORAC99% (Xg (F))
16.0%
16.3%
RORAC99% (Xg (H))
13.4%
13.6%
RORAC99% (Xg (D))
9.8%
9.9%
RORAC99% (Xg )
25.7%
27.4%
len gestrichelten Linien zeigen das zu den Verteilungsfunktionen zugehörige ökonomische Kapital an. Anmerkung 7.5. Die im folgenden vorgestellten Rechnungen sollen lediglich Methoden aufzeigen. Um aus derartigen Rechnungen allgemeine Schlüsse zu ziehen, bedarf es ausgefeilterer Modelle und einer sorgfältigen Kalibrierung. Da die XYZAG hier ein sehr stark vereinfachtes Modell benutzt, haben wir auch die Kalibrierung der Versicherungssparten bewusst unrealistisch gewählt. Zum Beispiel haben wir für die Sparten Feuer und Haftpflicht nahezu die gleichen Charakteristiken gewählt, was in der Realität definitiv nicht zutrifft.
7.2.3.2 Risikoadjustierte Preisgestaltung Feuer und Haftpflicht haben die gleiche Schadenquote und die gleiche Kostenquote. Feuer ist trotzdem etwas profitabler als Haftpflicht, was auf die folgenden Faktoren zurückzuführen ist: • Die Volatilität für Feuer ist etwas geringer als die für Haftpflicht. • Das Netto-Haftpflichtvolumen ist geringer als das Netto-Feuervolumen, weshalb der Diversifikationseffekt mit der Kapitalanlage trotz gleichen Kendalls τ geringer ausfällt. Das Rückversicherungsvolumen lässt sich leicht ändern. Daher betrachtet XYZ-AG für die Bestimmung des „risikoadjustierten Preises“ den Brutto-RORAC. Der Preis
7.2 Ein Beispielunternehmen
287
1.00
Verteilungsfunktion FX für den Verlust
0.98
Brutto
0.97
Netto
Total Kapitalanlage Feuer Haftpflicht Diebstahl Value at Risk
0.95
0.96
Wahrscheinlichkeit
0.99
99 %
0
500
1000
1500
2000
2500
Verlust X Abb. 7.7 Die Verteilungsfunktionen für die Geschäftseinheiten Kapitalanlage, Feuer, Haftpflicht. Die Vertikalen gestrichelten Linien zeigen das ökonomische Kapital an.
der Haftpflichtversicherung wird sukzessive erhöht (und der Preis für Feuerversicherung entsprechend verringert), bis beide Sparten nahezu den gleichen BruttoRORAC aufweisen. Dabei benutzt XYZ-AG einen simplen iterativen Halbierungsalgorithmus. Es sei Hat man pmin (0) = 0, pmax (0) = 5% und p(0) = 0 unser anfänglicher Preisanstieg. im Schritt i den Preisanstieg p(i) erhalten, so wird im Fall RORAC X 99% gross (F) > RORAC99% Xgross (H) pmin (i + 1) = p(i), p(i + 1) =
p(i) + pmax (i) , 2
pmax (i + 1) = pmax (i)
und andernfalls pmin (i + 1) = pmin (i), p(i + 1) =
p(i) + pmin (i) , 2
pmax (i + 1) = p(i)
gesetzt. Es wird abgebrochen, wenn pmax (i) − pmin (i) hinreichend klein ist. Dieser Algorithmus führt zu dem in Tabelle 7.5 aufgeführten Resultat.
288
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Tabelle 7.5 Risikoadjustierter Ertrag bei relativem Preisanstieg für Haftpflicht RORAC99% (Xbrutto (F))
RORAC99% (Xbrutto (H))
-5.00%
18.11%
10.12%
0.00%
15.98%
13.43%
2.50%
14.94%
15.16%
1.25%
15.46%
14.29%
1.88%
15.20%
14.72%
2.19%
15.07%
14.94%
2.34%
15.01%
15.05%
2.27%
15.04%
15.00%
2.30%
15.02%
15.02%
2.32%
15.02%
15.04%
2.31%
15.02%
15.03%
2.31%
15.02%
15.03%
2.31%
15.02%
15.02%
Preisanstieg für Haftpflicht
Das neue ökonomische Kapital beträgt ES99% (Xnetto ) = 855.1 und der neue risikoadjustierte Gewinn beträgt RORAC99% (Xnetto ) = 27.5%. Da die (von uns angenommenen) Charakteristiken von Feuer und Haftpflicht sehr ähnlich sind und XYZ-AG das Gesamtprämienaufkommen konstant gelassen hat, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Werte für ökonomisches Kapital und RORAC durch die Preisanpasssung kaum verändert haben. Anmerkung 7.6. Die risikoadjustierte Preisgestaltung ist nicht identisch mit der gewinnoptimierten Preisgestaltung, da die erstere Kundenpräferenzen vollkommen ignoriert. Übung 7.1. Erweitern Sie das in Anhang E abgedruckte Programm um die hier beschriebene risikoadjustierte Preisgestaltung.
7.2.3.3 Optimierung der Kapitalausstattung Da die Kapitalausstattung K0 = 1400.0 > 855.1 = ES99% (Xnetto ) beträgt, kann sie verringert werden. Um die optimale Kapitalausstattung zu finden, berechnet XYZ AG das Kapital ES99% (Xnetto ) sowie den RORAC und den ROC für verschiedene K0 (Tabelle 7.6). Der RORAC ist für ein Startkapital von 1400 am höchsten. Dies heißt aber in unserem Fall nicht, dass es für das Unternehmen vorteilhaft wäre, ein hohes Kapital vorzuhalten. Denn in den Zähler der RORAC-Berechnung gehen zwar die zusätzlichen Erträge aus Exzesskapital ein, das ökonomische Kapital im Nenner erhöht sich aber nur um das durch die zusätzliche Kapitalanlage erhöhte Risiko. Für die
7.2 Ein Beispielunternehmen
289
Tabelle 7.6 Risikoadjustierter Gewinn in Abhängigkeit von der Kapitalausstattung K0
ES99% (Xnetto )
RORAC99% (Xnetto )
ROC99% (Xnetto )
1400.0
851.1
27.5%
16.7%
1300.0
855.4
26.8%
17.7%
1200.0
859.8
26.2%
18.7%
1100.0
864.2
25.5%
20.0%
1000.0
868.5
24.9%
21.6%
900.0
873.0
24.2%
23.5%
800.0
877.4
23.6%
25.9%
700.0
881.8
22.9%
28.9%
Wahl der optimalen Kapitalausstattung ist daher der ROC entscheidend. In unserem Beispiel sinkt der ROC mit wachsendem Startkapital. XYZ AG wählt als Kapital K0 = 900, da dieser Wert relativ nahe am Optimum liegt, aber immer noch einen Sicherheitsbuffer für Fluktuationen aufweist. Der neue RORAC beträgt RORAC99% (Xnetto ) = 24.2%. Das überschüssige Kapital kann an die Eigner zurückgegeben werden. Übung 7.2. Erweitern Sie das in Anhang E abgedruckte Programm um die hier beschriebene risikoadjustierte Optimierung der Kapitalausstattung.
7.2.3.4 Optimierung des Produktmixes durch Rückversicherung XYZ-AG sieht zwei Wege, auf den Produktmix Einfluss zu nehmen. Das Unternehmen kann entweder Anreize für den Vertrieb setzen, bestimmte Produkte stärker zu verkaufen als andere, oder es kann Teile des Portfolios rückversichern. XYZAG entscheidet sich für die zweite Methode, da sie leichter handhabbar ist. Zur Zeit werden je 20% des Haftpflicht- und Diebstahlgeschäfts zediert, aber 25% des Feuergeschäfts. XYZ-AG untersucht daher zunächst, was die optimale Feuerrückversicherungsquote ist. Zur Optimierung der Feuerrückversicherung könnte XYZ-AG ähnlich wie bei der Optimierung der Kapitalausstattung den RORAC99% (Xnetto ) für verschiedene Prämienkombinationen berechnen. XYZ-AG zieht es jedoch vor, stattdessen die Efficient Frontier zu bestimmen. Dazu wird sukzessive die Rückversicherungsquoten für Feuer angehoben und jeweils sowohl der erwartete Nettoprofit E (Xnetto ) als auch das ökonomische Risikokapital ES99% (Xnetto ) berechnet und graphisch auftragen (Abbildung 7.8). Die Efficient Frontier ist der obere Ast der durch die berechneten Punkte angedeuteten Kurve. Jeder Punkt auf dieser Kurve repräsentiert einen optimalen Produktmix in dem Sinn, dass es keinen Produktmix gibt, der bei gleichem Risiko einen höheren erwarteten Ertrag verspricht. Der optimale RORAC
290
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
wird durch den Anstieg der geraden Linie, die im Ursprung des Koordinatensystems (Risikokapital = 0, Profit = 0) beginnt und die hell „gepunkteten“ Kurve tangiert, dargestellt. Er beträgt 25.1%, und 57.5% der Feuerprämie werden zediert. Das nicht ausgefüllte Dreieck repräsentiert die ursprüngliche und das ausgefüllte Dreieck die neue Feuerrückversicherungsquote. Das optimierte Kapital beträgt ES99% (Xnetto ) = 670.2.
120
160
Profit
200
240
Optimierung: Rückversicherung Feuer
500
600
700
800
900
1000
Risikokapital Abb. 7.8 Efficient Frontier für die Feuerrückversicherung.
Anmerkung 7.7. Bei der Optimierung der Feuerrückversicherung wurde das jeweils unterschiedliche Kapitalmarktrisiko der Sparten ignoriert. Hat zum Beispiel die Haftpflichtversicherung höhere Reserven als die Feuerversicherung, so entfällt auf die Sparte Haftpflicht ein höheres Kapitalmarktrisiko als auf die Sparte Feuer. Der dadurch entstehende Fehler kann leicht signifikant sein. Daher sollte XYZ-AG für die Optimierung des Produktmixes das Kapitalmarktrisiko anteilig den Sparten Feuer und Haftpflicht zuschlüsseln. Es liegt nun nahe, eine Efficient Frontier für die gleichzeitige Optimierung der Rückversicherung für Feuer, Haftpflicht und Diebstahl zu bestimmen. Es gibt nun drei Variablen, die unabhängig voneinander variiert werden, nämlich den jeweils zedierten Anteil von Feuer, Haftpflicht und Diebstahl. Die Punkte werden daher eine zweidimensionale Punktwolke anstatt einer eindimensionalen Kurve beschreiben.
7.2 Ein Beispielunternehmen
291
Die Efficient Frontier ist nun die obere Grenze dieser Punktwolke. Es ist naheliegend, in Analogie zur Behandlung der Feuerrückversicherung ein gleichmäßiges Gitter von Rückversicherungskombinationen, z.B. Pzediert (F) =
i P(F), N
Pzediert (H) =
j P(H), N
Pzediert (D) =
k P(D) N
mit i, j, k ∈ {0, . . . , N}, zu wählen. Allerdings wird dann die Gitterstruktur in die Abbildung übertragen, was von den wirklichen Eigenschaften der Rückversicherung ablenken könnte. Zur besseren Kommunikation wählt XYZ-AG daher Pzediert (F) = ωF P(F), Pzediert (H) = ωH P(H), Pzediert (D) = ωD P(D), wobei ωF , ωH , ωD gleichmäßig verteilte Zufallsvariablen in [0, 1] sind. Abbildung 7.9 zeigt das Resultat für N = 1000 Punkte.
150 50
100
Profit
200
250
Optimierung der Rückversicherungsquote
0
200
400
600
800
1000
Risikokapital Abb. 7.9 Efficient Frontier für die Rückversicherungsstruktur.
Das nicht ausgefüllte Dreieck zeigt die Ertrags-Risikoposition des ursprünglichen Rückversicherungsprogramms, und das ausgefüllte Dreieck entspricht dem neuen Rückversicherungsprogramm. Die Steigung der geraden Linie stellt wieder den optimalen RORAC dar und beträgt 121.7%. Es werden 95.2% der Feuerprämie, 97.4% der Haftpflichtprämie und 94.3% der Diebstahlprämie zediert. Aufgrund der beschränkten Auflösung von 1000 Punkten sind diese Quoten in unserer Berechnung nicht von einer Zedierung aller Prämien zu unterscheiden. Und in der Tat führt
292
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
dies zu einem maximalen RORAC. Damit degeneriert die XYZ-AG zu einer reinen Verkaufs- und Verwaltungsorganisation. Das einzige Risiko käme dann von der Kapitalanlage. Das Kapital könnte allerdings auf Null reduziert werden, so dass XYZ-AG als optimalen risikoadjustierten Ertrag RORAC99% (Xnetto ) = ∞ erhielte. Der absolute Ertrag wäre allerdings sehr gering, da die Rückversicherungsprovision nach Abzug der Verwaltungskosten lediglich 6% − 5% = 1% der Prämien beträgt. Ließe sich der Verkauf beliebig skalieren, wäre dies kein Problem. In der Praxis wäre dies aber nicht möglich, und außerdem wäre zu beachten, dass wir die Vertriebs- und Verwaltungsrisiken gar nicht modelliert haben, der wahre RORAC also wahrscheinlich sehr viel geringer wäre. Insgesamt kann man den Schluss ziehen, dass eine mechanische mathematische Optimierung des RORAC in diesem Fall kein ökonomisch brauchbares Resultat liefert. Man kann sich überlegen, dass eine Optimierung des EVA zu einem ähnlichen Problem führen würde. Der optimale EVA würde erreicht werden, wenn gar nichts zediert würde (siehe Abbildung 7.10). Die Optimierung führt einfach zum Schluss, dass sich Rückversicherung aus der EVA-Perspektive nicht rechnet.
100 40
60
80
EVA
120
140
Optimierung der Rückversicherungsquote
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
Durchschnittliche Rückversicherungsquote Abb. 7.10 EVA in Abhängigkeit von der Rückversicherungsstruktur. Es wurde eine Hurdle-Rate von 10% angenommen.
Weder die RORAC-Optimierung noch die EVA-Optimierung geben einen Hinweis auf den optimalen Portfoliomix. Um den Produktmix zu optimieren, muss man weitere Bedingungen hinzufügen. Eine naheliegende Einschränkung wäre die Vor-
7.2 Ein Beispielunternehmen
293
gabe eines Wertes für das ökonomische Kapital. Allerdings würde eine solche Vorgabe aufwändige iterative Berechnungen erzwingen. Um die Berechnungen zu vereinfachen, gibt die XYZ-AG einfach das Verhältnis Gesamtnettoprämie zu Gesamtbruttoprämie vor. Das Unternehmen wählt das Verhältnis f , das der optimalen Feuerquote entspricht, wenn Haftpflicht und Diebstahl zu je 20% zediert werden, d.h. f = 42.24%. Damit kann das Resultat aus der Feuerrückversicherungsoptimierung mit dem Resultat aus der gleichzeitigen Optimierung von Feuer-, Haftpflicht- und Diebstahlrückversicherung verglichen werden. Es werden insgesamt wieder N = 1000 Punkte berechnet und N unabhängige, gleichmäßig verteilte Zufallsvariablen (ωF, ωH , ωD ) ∈ [0, 1]3 erzeugt. Unter Benutzung von f = 42.24% ergibt sich für A ∈ {F, H, D} Pzediert (A) = f ωA
∑B∈{F,H,D} P(B) P(A) ∑B∈{F,H,D} ωB P(B)
(Abbildung 7.11). Als bestes Ergebnis erhält die XYZ-AG Pzediert (F) = 44.7%, P(F)
Pzediert (H) = 39.0%, P(H)
Pzediert (D) = 37.7%. P(D)
Der neue risikoadjustierte Ertrag beträgt RORAC99% (Xnetto ) = 25.7%, und das notwendige Risikokapital ist ES99% (Xnetto ) = 647.1. Für Anwendungen in Abschnitt 7.2.5 stellen wir in Tabelle 7.7 das ökonomische Kapital und den RORAC für die Konfidenzniveaus α = 50%, α = 75%, α = 90% und α = 99% zusammen. Tabelle 7.7 Ökonomisches Kapital und risikoadjustierter Gewinn in Abhängigkeit vom Konfidenzniveau α
50%
ESα (Xnetto )
-18.1
105.4
261.2 647.2
RORACα (Xnetto )
—
157.8%
63.7% 25.7%
75%
90% 99%
Die Optimierung ist ein iterativer Prozess. Zum Beispiel ist nach Änderung des Rückversicherungsprogramms die Kapitalausstattung K0 nicht mehr optimal, weshalb die RORAC-Optimierung noch nicht abgeschlossen ist. Übung 7.3. Erweitern Sie das in Anhang E abgedruckte Programm, um die hier beschriebene Optimierung des Produktmixes nachzuvollziehen. Optimieren Sie die Kapitalausstattung für die neue Rückversicherungsstruktur.
294
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
164 160
162
Profit
166
168
170
Optimierung der Rückversicherungsquote
650
700
750
800
850
Risikokapital Abb. 7.11 Optimierung der Rückversicherungsstruktur unter der Nebenbedingung, dass 42.24% der Gesamtprämie zediert werden.
7.2.4 Kritik am ökonomischen Kapitalmodell der XYZ-AG Das in Abschnitt 7.2.3 beschriebene ökonomische Kapitalmodell ist so stark vereinfacht, dass seine direkte Anwendung zu ernsthaften Fehlentscheidungen führen würde. Zum Beispiel werden in der oben beschriebenen Version des ökonomischen Kapitalmodells einige wesentlichen Risiken (wie das Reserverisiko oder einzelne Kapitalanlagerisiken (Kreditrisiko, Zinsrisiko, etc.) nicht behandelt. Wie bei jedem Modell müssen die Ergebnisse unter Beachtung der Modellierungsbeschränkungen interpretiert werden, um sinnvoll angewendet werden zu können. Modellierungsbeschränkungen sind bei einem einfachen Modell häufig besonders transparent, weshalb es auch für das ökonomische Kapitalmodell der XYZ-AG sinnvolle Anwendungen gibt — zum Beispiel als ersten quantitativen Plausibilitätstest für auf rein qualitativen Überlegungen beruhende Managemententscheidungen. Wie jedes nicht-triviale Modell wird auch das ökonomische Kapitalmodell in einen kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess eingebettet. XYZ-AG stellt zunächst eine Liste derjenigen Funktionalitäten auf, die die nächste Version des ökonomischen Kapitalmodells adressieren soll. Dabei werden auch Risiken mit aufgenommen, die nicht modelliert werden. Dies erhöht die Transparenz und hilft, die Beschränkungen des Systems bei der Anwendung der Ergebnisse einzubeziehen.
7.2 Ein Beispielunternehmen
295
Ferner wird die Beziehung zu anderen Modellen dokumentiert. XYZ-AG unterhält ein Mehrperioden-ALM-Modell (siehe Abschnitt 7.2.2.2), das sich in Anwendung und Modellierung mit dem ökonomischen Kapitalmodell überschneidet. Für einige Module mag es sinnvoll sein, den gleichen Code zu benutzen, bei anderen Modulen könnten die unterschiedlichen Anwendungen unterschiedliche Approximationen/Implementierungen diktieren. Um die Ergebnisse beider Modelle angemessen interpretieren zu können, müssen daher Überschneidungen, Beschränkungen und gegebenenfalls alternative Implementierungen transparent dokumentiert werden. Die Komponenten des ökonomischen Kapitalmodells V2.0 sind in Tabelle 7.8 dargestellt.
Tabelle 7.8 Komponenten des ökonomischen Kapitalmodells V2.0 Symbol
Teilmodell
Modul
Modell
KZi
Kapitalmarkt
Zinsrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
KSp
Kapitalmarkt
Spreadrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
KKr
Kapitalmarkt
Kreditrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
KAkt
Kapitalmarkt
Aktienmarktrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
KImm
Kapitalmarkt
Immobilienmarktrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
KKat
Kapitalmarkt
Risiko katastrophaler Entwicklungen, die durch das analytische Kapitalmarktmodell nicht hinreichend erfasst werden.
ökon. Kap. Modell
KLiq
Kapitalmarkt
Liquiditätsrisiko
AU A∈ {F, H, D}
Haftpflicht, Feuer, Diebstahl
Underwritingrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
AR A∈ {F, H, D}
Haftpflicht, Feuer, Diebstahl
Reserverisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
AKr A∈ {F, H, D}
Haftpflicht, Feuer, Diebstahl
Rückversicherungskreditrisiko
ökon. Kap. Modell ALM Modell
AKat A∈ {F, H, D}
Haftpflicht, Feuer, Diebstahl
Risiko katastrophaler Entwicklungen, die durch das analytische Modell nicht hinreichend erfasst werden.
ökon. Kap. Modell
O
Operationelle Risiken
Operationelle Risiken
ökon. Kap. Modell
U¨
Übrige Risiken
Nicht in anderen Risikosubmodellen erfasste Risiken
Mitigation ökon. Kap. Modell
Mitigation ALM Modell
296
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Symbol
Teilmodell
Modul
Trend
Trendrisiken
Erg
Ergebnisausweis
ökonomische Bilanz und GuV, Risikomaße und Graphiken
ökon. Kap. Modell ALM Modell
Man
Managementregeln
Regeln zur Abbildung von Managemententscheidungen
ökon. Kap. Modell ALM Modell
Langfristige Trendrisiken
Modell Mitigation ALM Modell
XYZ-AG plant für V2.0 des ökonomischen Kapitalmodells die folgenden Verbesserungen: 1. FU , HU , DU — Underwriting: Trennung von Normalschäden und Großschäden XYZ-AG hat die Erfahrung gemacht, dass Großschäden ein stärker ausgeprägtes „fat tail“ als Normalschäden haben. Da das ökonomische Kapital besonders sensitiv gegenüber seltenen, großen Verlusten ist, müssenGroßschäden explizit implementiert werden. XYZ-AG beschließt, Großschäden wegen ihrer Auswirkung auf die Liquidität auch im ALM-Modell zu implementieren. 2. FU , HU , DU — Underwriting: Modellierung als zusammengesetzte Poissonverteilung Zusammengesetzte Poissonverteilungen werden bei der Produktkalkulation verwendet. Das ALM Modell nutzt gegenwärtig eine Lognormalverteilung (wie V1.0 des ökonomischen Kapitalmodells. XYZ-AG wird prüfen, ob das ALM-Modell ebenfalls angepasst werden soll. 3. FR , HR , DR — Reserve: Modellierung des Abwicklungsergebnisses und des Einflusses der Volatilität des risikofreien Zinses auf das Reserverisiko In Version 2.0 wird nur das Abwicklungsergebnis am Ende des Projektionsjahres stochastisch modelliert. Das durch die Volatilität des Abwicklungsergebnis späterer Jahre induzierte Risiko wird im ökonomischen Kapitalmodell nicht berücksichtigt. Das ALM-Modell modelliert bereits das Zinsrisiko der Reserven. Das Abwicklungsrisiko wird im ALM-Modell derzeit nicht modelliert. Diese Diskrepanz wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt. 4. KZi , KSp , KAkt , KKr , KImm — Zins, Spread- Aktien, Kredit- und Immobilienrisiken: Es wird die Modellierung des ALM-Modells übernommen. Dabei werden monatliche Zeitschritte modelliert, um die Konsistenz der Parametrisierung von ökonomischem Kapitalmodell und ALM-Modell zu gewährleisten. 5. KKat , HKat , FKat — Szenariobasierte Modellierung von Katastrophenrisiken: Es werden m explizite Katastrophenszenarien durchgespielt. Der von der i-ten Katastrophe herrührende Verlust wird mit Kati und die (geschätzte) Eintrittswahrscheinlichkeit der i-ten Katastrophe wird mit pi bezeichnet. Das Modell berechnet n > min(pi | i ∈ {1, . . . , m})−1 Monte-Carlo-Szenarien mit assoziierten Verlusten X j0 ( j ∈ {1, . . . , n}). Es werden nun zufällig [p1 n] Indizes
7.2 Ein Beispielunternehmen
297
I1 = {i1,1 , . . . , i1,[n p1 ] } aus {1, . . . , n} ausgewählt, wobei die eckigen Klammern den ganzzahligen Anteil bedeuten. XYZ-AG setzt nun X j0 + Kat1 falls i ∈ I1 , 1 Xj = sonst X j0 für alle j ∈ {1, . . . , n}. Dieses Verfahren wird nun sukzessiv für k ∈ {2, . . . , m} fortgesetzt mit X jk−1 + Katk falls i ∈ Ik , k Xj = X jk−1 sonst.
6. 7.
8.
9.
10.
Dadurch teilt XYZ-AG die Katastrophenszenarios ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit entsprechend auf die n Monte-Carlo-Szenarien auf. Dabei kommt es vereinzelt vor, dass einem Monte-Carlo-Szenario mehr als eine Katastrophe zugeordnet wird. Dies reflektiert die Möglichkeit, dass in einem Geschäftsjahr mehrere reale Katastrophen eintreffen. Die Katastrophenschäden werden außerdem gemäß dieser Aufteilung den entsprechenden Geschäftsbereichverlusten zugeordnet. Für das ALM-Modell werden keine Katastrophen modelliert, da diese Risiken für ALM-Anwendungen weniger relevant sind. Dieser Unterschied wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt. FU , HU , DU — Implementierung weiterer Vertragsformen für die Rückversicherung: Das ALM-Modell soll eine analoge Implementation erhalten. O — Operationelle Risiken: Zur Kapitalbestimmung wird eine Verallgemeinerte Paretoverteilung (GPD) angenommen. Sie wird mit Hilfe von Szenarien kalibriert. Operationelle Risiken werden im ALM-Modell derzeit nicht modelliert. Dieser Unterschied wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt, da operationelle Risiken zu einem leicht erhöhten Liquiditätsbedarf führen. FKr , HKr , DKr — Kreditrisiko für Rückversicherung: Das Kreditrisiko der Rückversicherung wird analog zum Kapitalanlagekreditrisiko modelliert. Das Kreditrisiko der Rückversicherung wird im ALM-Modell derzeit nicht modelliert, da es im ALM-Kontext als sekundär eingeschätzt wird und eine Modellierung zu längeren Laufzeiten führen würde. Dieser Unterschied wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt. U¨ — Nichtmaterielle und nicht explizit modellierte Risiken: Diese Risiken werden pauschal als Normalverteilung bestimmt, wobei Erwartungswert und Standardabweichung qualitativ von der Abteilung Produkt- und Bestandscontrolling geschätzt werden. Diese Risiken werden im ALM-Modell derzeit nicht modelliert. Dieser Unterschied wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt. K, F, H, D — Einführung von Maximalschäden: Die gängigen mathematischen Risikoverteilungen lassen beliebig hohe Schäden zu, deren Höhe aber für das Unternehmen nicht relevant ist, wenn keine Mittel vorhanden sind, um diese
298
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Schäden zu decken. Daher wird für jedes Risiko ein Maximalschaden definiert, mit dem das Ergebnis der entsprechenden Verteilung (nach Adjustierung durch Katastrophenszenarien) minimiert wird. Als Maximalschaden wird die letzte Bilanzsumme der Aktiva angesetzt. Maximalschäden werden im ALM-Modell derzeit nicht modelliert. Dieser Unterschied wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt. 11. T — Trendrisiken: Trendrisiken werden im ökonomischen Kapitalmodell nicht modelliert. XYZ AG sieht als wesentliches Trendrisiko eine Angleichung der Rechtsprechung bzgl. Haftpflicht an das amerikanische Recht. Trendrisiken werden im ALM Modell als Sensitivitäten behandelt. Dieser Unterschied wird in der Dokumentation zur Interpretation vermerkt. Übung 7.4. Diskutieren Sie, unter welchen Bedingungen die Implementation von Maximalschäden angemessen sein könnte. Wie würden Sie die Wahl des Maximalschadens bei der XYZ AG beurteilen? Da dieses Verfahren eine Gesamtverteilung für die Unternehmensrisiken voraussetzt, werden die individuellen Risikoverteilungen über Gauß-Copulas aggregiert. Es sei
K = KZi , KSp , KKr , KAkt , KImm , F = {FU , FR , FKr } , H = {HU , HR , HKr } , D = {DU , DR , DKr } . Die XYZ AG konstruiert einen (5 + 3 + 3 + 3 + 1 + 1)-dimensionalen Zufallsvektor XKFHDOU¨ = XKZi , XKSp , XKKr , XKAkt , XKImm , XFU , XFR , XFKr , XHU , XHR , XHKr , XDU , XDR , XDKr , XO , XU¨ mithilfe einer 16-dimensionalen Gauß Copula CρGauss , wobei Kendalls τ die Form
7.2 Ein Beispielunternehmen
299
⎛
1 τ21 τ31 τ41 τ51 A A A B B B ⎜ 1 τ32 τ42 τ52 A A A B B B ⎜ ⎜ 1 τ43 τ53 A A A B B B ⎜ ⎜ 1 τ54 A A A B B B ⎜ ⎜ 1 A A A B B B ⎜ ⎜ 1 τ76 τ86 F F F ⎜ ⎜ 1 τ87 F F F ⎜ ⎜ 1 F F F ⎜ 9 τ9 ⎜ 1 τ10 11 ⎜ 10 ⎜ 1 τ11 ⎜ ⎜ 1 ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎝
C C C C C G G G J J J 1
C C C C C G G G J J J 12 τ13 1
C C C C C G G G J J J 12 τ14 13 τ14 1
D D D D D H H H K K K M M M 1
⎞ E E⎟ ⎟ E⎟ ⎟ E⎟ ⎟ E⎟ ⎟ I⎟ ⎟ I⎟ ⎟ I⎟ ⎟ L⎟ ⎟ L⎟ ⎟ L⎟ ⎟ N⎟ ⎟ N⎟ ⎟ N⎟ ⎟ O⎠ 1
hat. Es wird also vereinfachend angenommen, dass die Abhängigkeit zwischen den Gruppen K, H, F, D, O, U¨ nicht von der inneren Struktur dieser Gruppen abhängt. Übung 7.5. Diskutieren Sie, inwieweit die Vereinfachung, dass die Abhängigkeit zwischen den Gruppen K, H, F, D, O, U¨ nicht von deren innerer Struktur abhängt, auch für das Kreditrisiko gilt. Die Komponenten KZi , KSp , KKr , KAkt , KImm , FU , FR , FKr , HU , HR , HKr , DU , DR , DKr , O, U¨ des 16-dimensionalen Zufallsvektors XKFHDOU¨ werden anschließend durch Berücksichtigung der Katastrophenszenarien modifiziert. Die Zufallsvariable X für den Gesamtverlust ist die Summe der 13 Komponenten des so erhaltenen Vektors: X=
∑
Xi + XO + XU¨ .
i∈K∪F∪H∪D
Anmerkung 7.8. Um die Auswirkung des Liquiditätsrisikos auf den Kapitalbedarf zu berücksichtigen, hätte XYZ-AG eine 17. Dimension XKLiq einführen können: XKLiq wäre für jedes Szenario der die Liquiditätsvorgabe überschießende Liquiditätsbedarf, multipliziert mit dem Marktzins für festverzinsliche Unternehmensanleihen eines Ratings, das für Unternehmen mit Liquiditätsschwierigkeiten typisch ist, z.B. B− . Übung 7.6. Die XYZ AG schätzt Abhängigkeiten der zusammengesetzten Verteilungen (Frequenz- und Schadenhöheninformation). Eine andere Möglichkeit wäre, die Abhängigkeitsstruktur nur auf Frequenzen oder nur auf Schadenhöhen zu basieren. Diskutieren Sie Vor- und Nachteile dieser Alternativen für die XYZ AG.
300
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Um ökonomisches Kapital auf Geschäftsbereiche zu allokieren, werden bei der Berechnung des Expected Shortfalls lediglich die Szenarioresultate berücksichtigt, die sich diesem Teilbereich zuordnen lassen (siehe Proposition 5.6 und die nachfolgende Diskussion). Dieses Verfahren funktioniert, solange dem Geschäftsbereich eindeutig ganze Komponenten des 16-dimensionalen Vektors X zugeordnet werden können. Bei der reinen Spartensicht (Abschnitt 7.2.1.1) ist dies jedoch nicht der Fall, da das Kapitalanlagerisiko teilweise der Sparte Feuer, teilweise der Sparte Haftpflicht und teilweise der Sparte Diebstahl zugeordnet wird. Aus diesem Grund teilt XYZ AG jedes Kapitalanlagerisiko prozentual der entsprechenden Deckung der Verpflichtungen auf Haftpflicht, Feuer, Diebstahl und Übriges auf und addiert dann jeweils diese prozentualen Anteile zum jeweiligen Spartenrisiko.
7.2.5 Kennzahlen XYZ-AG nutzt als Spitzenkennzahl den RORAC (Definition 6.8) unter Beachtung des in Tabelle 7.10 aufgeführten Risikoprofils (siehe Abschnitt 6.7). Tabelle 7.10 Risikoprofil der XYZ-AG Sicherheitsniveau α
50%
75%
90%
99%
Risikoappetit (in % des verfügbaren Kapitals)
5%
20%
50%
100%
Maximales ökonomisches Kapital
45
180
450
900
Tatsächliches ökonomisches Kapital (siehe Abschnitt 7.2.3.4)
-18
105
261
647
7.2.5.1 Spartensicht Die Spartensicht nutzt ebenfalls die Spitzenkennzahl RORAC mit dem gleichen Risikoprofil als Nebenbedingung. Als Hauptanwendung für die Spartensicht werden Vertriebs- und Marketingkapazitäten gesteuert. Marketing und Vertrieb erarbeiten gemeinsam Pläne für Vertriebsund Marketinginitiativen mit detaillierten Kostenannahmen und Umsatzzielen. Für verschiedene Kombinationen dieser Initiativen werden die Spitzenkennzahlen unter der Annahme, dass diese Vertriebspläne umgesetzt sind, neu berechnet. Die assoziierten Zusatzkosten werden nicht im Modell selbst berücksichtigt, sondern im Anschluss bei der RORAC-Berechnung explizit angesetzt. Aufgrund dieser Ergebnisse wird über die Priorisierung von Marketing-Initiativen entschieden. Beispiel 7.2. Als neuer Markt innerhalb der Haftpflichtsparte sollen D&O Versicherungen eingeführt werden. Die Produktentwicklungsabteilung hat bereits ein grobes
7.2 Ein Beispielunternehmen
301
Produkt entworfen und mit Daten, die der Rückversicherer geliefert hat, parametrisiert. Die notwendigen Produktentwicklungskosten werden auf 10 und die Kosten für die Anpassung der Systeme auf 20 geschätzt. Dabei wird angenommen, dass der Lebenszyklus dieses Produktes 5 Jahre beträgt, wobei mögliche Synergien mit Nachfolgeprodukten vernachlässigt werden. Die einmaligen Vertriebs- und Marketingkosten werden auf 10 geschätzt. Der Plan sieht vor, dass jedes Jahr 500 D&O Verträge abgesetzt werden können, wobei die erwartete Schadenquote (pro Versicherungssumme) 4% beträgt. Für die laufenden Kosten werden 10% der Prämieneinnahmen angenommen. Die durchschnittlichen Prämieneinnahmen pro Vertrag werden mit 0.15 angesetzt und die durchschnittliche Versicherungssumme mit 2. Es wird angenommen, dass das neue Produkt keinen Einfluss auf den Absatz anderer Versicherungsprodukte hat. Der zusätzliche Ertrag wird mit 30% versteuert. Das ökonomische Kapitalmodell errechnet ein zusätzliches ökonomisches Kapital von 50 für die DO-Versicherungen. Es ergibt sich somit ein neuer RORAC von 26.2%. Allerdings fürchtet das Management, dass verstärkte Antiselektionseffekte zu einer Verschlechterung des Risikoprofils führen. In der Tat wurde bei der Produktkalkulation angenommen, dass Unternehmensführer kleinerer mittelständischer Unternehmen häufiger Fehlentscheidungen treffen als Manager größerer Unternehmen. Trotz eingehender Underwritingrichtlinien wurde für das Modell angenommen, dass dieser Effekt zu einer Schadenverteilung mit verstärkt auftretenden Kleinschäden führen könnte. Eine Auswertung der Gesamtverteilung zeigt die Verteilung für den Expected Shortfall (Tabelle 7.11). Tabelle 7.11 Expected Shortfall für die Konfidenzniveaus des Risikoprofils Sicherheitsniveau α
50%
75%
90%
99%
ESα
50
150
280
697
Dies verletzt die Vorgabe für das strategische Risikoprofil, weshalb das neue Produkt trotz seiner hohen Profitabilität in dieser Form nicht eingeführt wird. Übung 7.7. Verifizieren Sie auf Grundlage der übrigen Angaben das Endresultat in Abschnitt 7.2.3.4, dass der RORAC unter Berücksichtigung des D&O-Versicherungsprodukts 26.2% beträgt.3
7.2.5.2 Funktionssicht Die Funktionssicht dient bei der XYZ-AG hauptsächlich der leistungsorientierten Vergütung. Für die Kapitalanlage wird ebenso wie für das Gesamtunternehmen die Spitzenkennzahl RORAC genutzt. Die Kapitalanlage unterliegt den durch das Risikoprofil 3
Da dies eine Modellierungsaufgabe ist, bei der nicht alle Annahmen vorgegeben sind, ist 26.2% nicht die einzige plausible Lösung.
302
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
implizierten Beschränkungen und muss die mit dem ALM System errechnete Liquidität sicherstellen. Die im Versicherungsgeschäft als Ganzes erbrachte Leistung wird mit der Spitzenkennzahl RORAC gemessen. Um einen besseren Vergleich zu ermöglichen, wird der RORAC der Kapitalanlage vor dem Hintergrund, dass die Kapitalanlage keinen Vertrieb benötigt, um hypothetische Vertriebskosten korrigiert: Im Enterprise Risk Management Ausschuss wird ein „Soll-Vertriebskostenfaktor“ als Prämienanteil festgelegt. Der Soll-Vertriebskostenfaktor orientiert sich an den Durchschnittskosten der letzten 5 Jahre, Soll-Vertriebskostenfaktor(t) ≈
1 5 Vertriebskosten(t − i) . ∑ 5 i=1 Pt−i
(Hier liegt nur eine ungefähre Gleichheit vor, da der Enterprise Risk Management Ausschuss den Soll-Vertriebskostenfaktor aufgrund qualitativer Erwägungen modifiziert). Soll-Vertriebskostenfaktoren für vergangene Jahre werden auch bei der im Jahr t durchgeführten Bewertung der aktuellen Vertriebsleistung herangezogen. Mit f=
1 3 Soll-Vertriebskostenfaktor(t − i) Pt−i ∑ Gesamtkosten [Versicherungsgeschäft] (t − i) 3 i=1
werden RORACeff [Kapitalanlage] (t) = (1 − f ) RORAC [Kapitalanlage] (t) und RORACeff [Versicherungsgeschäft] (t) = RORAC [Versicherungsgeschäft] (t) als Leistungskenngrößen für Kapitalanlage und Versicherungsgeschäft im Jahr t gewählt. Diese Größen werden mit der Hurdle Rate verglichen. Auf Basis dieser Vergleiche allokiert der Vorstand einen leistungsabhängigen Bonus auf Kapitalanlage und Versicherungsgeschäft. Übung 7.8. Diskutieren Sie, inwieweit die Modifizierung des RORAC für die Kapitalanlage angemessen ist. Für das Versicherungsgeschäft wird der leistungsabhängige Bonus auf Untergeschäftsbereiche heruntergebrochen. Für jeden Mitarbeiter i im Untergeschäftsbereich j gibt es einen Soll-Bonus BS (i, j), der dem Mitarbeiter zusteht, wenn der Gewinn des Versicherungsgeschäfts erwartungsgemäß ausfällt und sowohl sein Untergeschäftsbereich als auch er selbst die erwartete Leistung erbracht hat. Jedem Untergeschäftsbereich j wird ein Leistungsgewicht W ( j) ∈ [0, 2] zugeordnet, wobei W ( j) = 1 vergeben wird, wenn der Untergeschäftsbereich genau die erwartete Leistung erbracht hat. 1. Vertrieb: Für jeden Vertrag v, der vom Underwriting angenommen wird, wird mit Hilfe von vorgegebenen Formeln aus der Produktkalkulation ein risikoadjustier-
7.2 Ein Beispielunternehmen
303
ter erwarteter Gewinn g(v) errechnet und einer risikoadjustierten Gewinnvorgabe G gegenübergestellt. Das Leistungsgewicht wird über ∑v g(v) W [Vertrieb] = max 0, min ,2 G ermittelt. 2. Underwriting: Das Underwriting hat den Charakter einer Kontrollfunktion, es wird aber selbst stichprobenhaft vom Produkt-und Bestandscontrolling kontrolliert. Aufgrund dieser Stichproben schätzt das Produkt- und Bestandscontrolling den Anteil γ der inkorrekt verarbeiteten Verträge. Das Produkt- und Bestandscontrolling schätzt auch einen Auslastungsfaktor F=
# [erwartete Verträge im Monat μ] 1 12 , ∑ 12 μ=1 maxm∈{1,...,12} {# [erwartete Verträge im Monat m]}
der die effektiv zu erwartende jährliche Auslastung jedes Mitarbeiters beschreibt. Es gibt für jede Vertragsart k eine Zeitvorgabe, z(k), in der dieser Vertrag bearbeitet werden sollte. Ferner werden Erwartungswerte n(k) für die Anzahl der Verträge, die im Jahr zu erwarten sind, vorgegeben. Die im Jahr zur Verfügung stehenden Mitarbeiterstunden für die Vertragsbearbeitung werden mit Z 4 bezeichnet. Dann ist ∑Vertragsarten k z(k) n(k) W [Underwriting] = max 0, (1 − 10 γ) . FZ Der Faktor 10 wurde gewählt, um dem Einhalten der Underwritingrichtlinien ein höheres Gewicht zu geben als der Arbeitsgeschwindigkeit. 3. Schadenannahme: Das Gewicht W [Schadenannahme] wird analog zum Gewicht W [Underwriting] berechnet. 4. Produktkalkulation: Zur Berechnung des Leistungsgewichts wird verglichen, inwieweit das Pricing in den letzten 3 Jahren den wahren Verlauf korrekt antizipiert hat. Dies bestimmt bis zu einem Viertel des erwarteten Leistungsgewichts. Das restliche Leistungsgewicht wird danach bestimmt, inwieweit die qualitativen Ziele des letzten Jahres erreicht wurden (Balanced Score Card, kurz BSC). Wir bezeichnen mit V (s) die Menge der gezeichneten Verträge des Jahres s und mit P(v,t), S(v,t), R(v,t), K(v,t) kumulierte Prämie, kumulierter Schaden, Reserve und kumulierte Kosten, die dem Vertrag v zum Zeitpunkt t zuzuordnen sind. 4
Z ist kleiner als die Gesamtarbeitszeit der Mitarbeiter, da Pausen, Zeit für Mitarbeiterversammlungen etc. von der Gesamtarbeitszeit abgezogen werden müssen.
304
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Die Zuordnung der Reserve erfolgt dabei pauschal proportional zur Versicherungssumme. Als Zielmaß ist dann Z(v,t) = P(v,t) − S(v,t) − R(v,t) − K(v,t) definiert. Ein Index calc kennzeichnet die entsprechenden auf Grundlage der Produktkalkulation errechneten Größen. Der Gewichtsfaktor ist dann durch ∑3s=1 ∑v∈V (t−s) Z(v,t) 1 W [Produktkalkulation] = − min 1 − 3 ,1 4 ∑s=1 ∑v∈V (t−s) Zcalc (v,t) + [Resultat(BSC)] . Ein Gewicht W [Produktkalkulation] > 1 kann demnach nur erreicht werden, wenn das Resultat aus der Balanced Score Card über den Erwartungen liegt. 5. Marketing: Das Marketing ist am Vertriebserfolg beteiligt. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass das Vertriebsergebnis zu 25% in das Leistungsgewicht von Marketing eingeht. W [Marketing] =
1 3 W [Vertrieb] + [Resultat(BSC)] 4 4
6. Verwaltung und übriges Versicherungsgeschäft: Alle übrigen Funktionen werden rein qualitativ bewertet. W [Verwaltung und übriges Versicherungsgeschäft] = [Resultat(BSC)] . Es sei M( j) die Menge der Mitarbeiter im Untergeschäftsbereich j. Die Aufteilung des Bonus für das Versicherungsgeschäfts auf die Untergeschäftsbereiche j ist durch Bonus (Versicherungsgeschäft) W ( j) ∑i∈M( j) BS (i, j) B( j) = ∑6k=1 W (k) ∑i∈M(k) BS (i, k) gegeben. Die Untergeschäftsbereiche entscheiden selbst, wie ihr Bonus auf die Mitarbeiter verteilt wird. Der Bonus des Geschäftsbereichsleiters wird allerdings direkt vom Vorstand festgesetzt. Übung 7.9. Für welche Funktionen wird der Vergütung ökonomisches Kapital zugrunde gelegt? Diskutieren Sie, inwieweit dies auch für andere Funktionen getan werden sollte. Übung 7.10. Entwickeln Sie für die Berechnung des Leistungsgewichts für die Produktkalkulation ein detailliertes Vorgehen, wie man einem Vertrag v im Portfolio eine Reserve R(v) zuordnen kann. Betrachten Sie dazu Abwicklungsdreiecke für Haftpflicht und Feuer und unterscheiden Sie IBNR (incurred but not reported), IBNER (incurred [and reported] but not enough reserved) sowie RBNS (reported but not settled).
7.2 Ein Beispielunternehmen
305
7.2.6 Die organisatorische Komponente der wertorientierten Unternehmenssteuerung bei der XYZ AG Das Unternehmen ist in Funktionen organisiert (siehe Abschnitt 7.2.1.2). Jede Funktion innerhalb des Versicherungsgeschäfts betreut die drei Sparten Haftpflicht, Feuer und Diebstahl. Der Bereich Produktkalkulation hat eine aktuarielle und eine juristisch/betriebswirtschaftliche Untergruppe. Die aktuarielle Untergruppe berechnet außerdem alle Reserven und den risikoadjustierten Ertrag pro Versicherungsprodukt in Abhängigkeit der Parameter. Das Risikomanagement ist keiner der Sparten zugeordnet und wird vom CRO geleitet, der selbst nicht Vorstandsmitglied ist. Der CRO berichtet direkt an den CEO (mit Kopie an den CFO). Der Bereich Risikomanagement umfasst das klassische Controlling und die technische Spezialabteilung Produkt- und Bestandscontrolling. Produkt- und Bestandscontrolling ist verantwortlich für alle firmenweiten Modelle. Für Produkt-und Bestandscontrolling arbeiten Aktuare und Finanzmathematiker mit Schwerpunkt Kapitalanlage. Der Enterprise Risk Management Ausschuss der XYZ AG ist in Abbildung 7.12 dargestellt. Die Funktion der Vertreter aus Controlling und Produkt- und Bestandscontrolling beschränkt sich darauf, den übrigen Mitgliedern zu helfen, die Ergebnisse zu interpretieren. Der Enterprise Risk Management Ausschuss berichtet formal an den Vorstand, der sämtliche Entscheidungen trifft. Soweit bereits im ERM Ausschuss Konsens besteht, werden Entscheidungen von den beiden Vorstandsvertretern während der ERM Sitzungen getroffen, um die folgende Diskussion auf eine möglichst solide Basis zu stellen. Diese Entscheidungen finden sich im Protokoll der ERM Sitzungen. Der ERM Ausschuss trifft sich vierteljährlich für jeweils 2 mal 3 Stunden und hat gewöhnlich die folgenden Tagesordnungspunkte: 1. Risikobericht. Die wichtigsten Punkte des Standard-Risikoberichtes werden vorgestellt und bezüglich möglicher Konsequenzen besprochen. Der Bericht liegt den Mitgliedern eine Woche vor der Sitzung vor. Auf Wunsch von Ausschussmitgliedern werden auch andere Punkte im Standardrisikobericht behandelt bzw. mögliche Risiken, die nicht im Bericht aufgeführt sind, besprochen. Für jedes Risiko, das besprochen wurde, wird ein Handlungsauftrag gegeben bzw. festgelegt, dass kein Handlungsbedarf besteht. Für nicht besprochene Risiken besteht kein Handlungsbedarf. 2. Bericht über risikoadjustierte Leistungen. Dies dient der Information. Die Mitglieder der Funktionen nehmen Stellung zu ihren risikoadjustierten Leistungen und erklären eventuelle Unterschiede zu den vergangenen Quartalen. Gegebenenfalls wird auch diskutiert, inwieweit die Leistungsmessungen die Realität der Funktion widerspiegeln. Beispiel: Im schwachen Sommerquartal haben Underwriting und Schadenannahme je zwei erfahrende Mitarbeiter der Produktkalkulation zur Verfügung gestellt, um bei der Anpassung externer Daten für die Produktkalkulation auf das von der XYZ AG angesprochene Marktsegment zu unterstützen. Die zu erwartende
306
3.
4.
5.
6.
7.
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Auslastung wird zwar bei der Leistungsermittlung berücksichtigt, aber es gibt keine Anreize, diese Art der Zusammenarbeit zu fördern. Controlling erhält den Auftrag zu prüfen, wie derartige Anreize in die Leistungsbewertung eingebaut werden können. Als mögliche Ansätze, die genauer zu untersuchen sind, werden ein internes Verrechnungssystem für Mitarbeiterstunden oder eine qualitative Bewertung über Balanced Score Card vorgeschlagen. Die 5 wichtigsten Risiken und Chancen und ERM-Strategie. Die 5 wichtigsten Risiken und Chancen wurden vom CEO ausgewählt und 3 Tage vor der Sitzung den Teilnehmern mitgeteilt. Ideen werden diskutiert, wie mit diesen Risiken und Chancen umgegangen werden sollte. Eine Entscheidung wird nicht getroffen, da dieser TOP in erster Linie dazu dient, den Vorstand bei der Risikostrategie zu unterstützen. Aktualisierung von Prozessen. Vorschläge zur besseren Integration von Risikomanagement- und Geschäftsprozessen werden unterbreitet und diskutiert. Zu diesem TOP gibt es nur selten Beiträge, da die ERM Vertreter sich lieber ihrem Kerngeschäft widmen. Marketing und Vertrieb. Marketing- und Vertriebsstrategien werden untersucht und diskutiert. Im Vorfeld hat Produkt- und Bestandscontrolling die zu diskutierenden Strategien und Initiativen analysiert (siehe Beispiel 7.2). Bonus. Dieser Tagesordnungspunkt wird nur im 4. Quartal behandelt. Die für das Jahr berechneten Leistungsgewichte werden vorgestellt und mögliche qualitative Anpassungen besprochen. Eine Entscheidung wird nicht getroffen, da letztendlich der Vorstand für die festzusetzenden Leistungsgewichte verantwortlich ist. Sonstiges.
Übung 7.11. Wie könnte der TOP „Aktualisierung von Prozessen“ belebt werden?
7.2.7 Die Prozesskomponente der wertorientierten Unternehmenssteuerung bei der XYZ AG Die Sitzungen des ERM-Ausschusses sind eingebettet in einen Prozess, der die Sitzungen vorbereitet und die Ergebnisse aufarbeitet. Dieser Prozess ist in Tabelle 7.12 dargestellt, wobei sich alle Zeitangaben auf Arbeitstage (5 pro Woche) relativ zur ERM-Ausschusssitzung, die im letzten Monat im Quartal stattfindet, beziehen.
7.2 Ein Beispielunternehmen
307 Vorstand
CEO
CFO
Enterprise Risk Management Ausschuss CRO
C
PB
K
V
M
P
U
S
Risikomanagement: CRO
Operative Geschäftsbereiche
Controlling: C
Kapitalanlage: K
Produkt- und Bestandscontrolling: PB
Vertrieb: V Marketing: M Produktkalkulation: P Schadenannahme: S Underwriting: U
Abb. 7.12 Enterprise Risk Management Ausschuss der XYZ AG.
Tabelle 7.12 Zeitplan für die Vorbereitung der ERM-Ausschusssitzung. Zeit
Aktion
Wer
bis −22
Entwicklung von Marketing- und Vertriebsinitiativen
Marketing
−20 bis −10
Risikoadjustierte Leistungsbewertung von vorgeschlagenen Marketing- und Vertriebsinitiativen
Produkt- und Bestandscontrolling
−20 bis −10
Berechnungen von ökonomischem Kapital, risikoadjustierter Leistung etc.
Produkt- und Bestandscontrolling
−15 bis −10
Sammlung der qualitativen Risiko- und Leistungsindikatoren
Controlling
−10 bis −8
Erstellung von Risiko- und Leistungsbericht
Controlling, Produkt- und Bestandscontrolling
−5
Vorschlag für die Top 5 Chancen/Risiken an CEO
CRO
−5
Risikomanagement- und Leistungsberichte werden an ERM-Ausschussmitglieder verteilt
CRO
−3
Definition der Top 5 Chancen/Risiken
CEO
0 +x
Sitzung ERM-Ausschuss Aufträge aus der ERM Sitzung
ERM-Ausschuss
308
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
7.2.7.1 Beispielszenario: Erweiterung des Feuergeschäfts Die Anwendung der Komponenten der wertorientierten Steuerung lässt sich am besten in einem konkreten Szenario illustrieren. Das Unternehmen erwägt, das Feuergeschäft auf mittelständische Unternehmen zu erweitern.5 Eine Vorentscheidung soll während der ERM-Ausschusssitzung in 3 Monaten (zum Zeitpunkt t) getroffen werden. Es werden Arbeitsaufträge vergeben, die in Tabelle 7.13 zusammengefasst sind. Tabelle 7.13 Planung des Industriefeuergeschäfts. Zeitpunkt:
t − 90
t − 60
t − 30
Aktuariat:
Start Produktentwicklung
Kurzer Statusbericht an die Mitglieder des ERMAusschusses
Kurzer Abschlussbericht an die Mitglieder des ERMAusschusses
Marketing:
t − 10
Unterstützung des Aktuariats bei der Produktentwicklung Start Entwicklung einer Marketingstrategie
Produkt- und Bestandscontrolling:
t − 25
Kurzer Statusbericht an die Mitglieder des ERMAusschusses
Abschluss der Marketingstrategie
Berechnung des ökonomischen Kapitals und risikoadjustierten Ertrags mit und ohne neuem Geschäftsfeld
Die Statusberichte an die Mitglieder des ERM-Ausschusses haben die Funktion, ein frühzeitiges Eingreifen in das Projekt zu ermöglichen, falls sich schon früh schwer überwindliche Hindernisse zeigen. Kurz nach t − 90 stellt sich heraus, dass kaum Daten für die Schadenhäufigkeit und Schadenhöhe bei mittelständischen Unternehmen verfügbar sind. Es gibt einige kumulierte Daten, die sich auf die gesamte Versicherungsbranche beziehen und nach Industriegeschäft und Privatgeschäft aufgespalten sind. Diesen wenigen Daten zufolge beträgt die Combined Ratio für das Privatgeschäft im Landesdurchschnitt 75%. Die Combined Ratio für das Industriegeschäft ist im Landesdurch5
Die Zahlenwerte in diesem Beispielszenario sind vollkommen willkürlich gewählt und nicht mit wirklichen Schadenerwartungen abgeglichen worden. Insbesondere kann aus diesem Beispiel nicht geschlossen werden, dass die Schadenerwartung für das Industriefeuergeschäft wirklich um 20% höher als im Privatfeuergeschäft sei.
7.2 Ein Beispielunternehmen
309
schnitt um 20% höher6 und beträgt daher 90%7 . Dem gegenüber ist die Combined Ratio des Unternehmens für das Privatkundengeschäft 10% geringer als im Landesdurchschnitt und beträgt 67.5%. Das Aktuariat hat keine landesweiten Daten zur Volatilität oder zur Häufigkeits- bzw. Schadenverteilung gefunden. Das Aktuariat modelliert das Industriefeuergeschäft als gemischte Poissonverteilung mit lognormaler Schadenverteilung. Tabelle 7.14 Parameter für die relative Schadenhöhenverteilung S0 Parameter
Best Case
Likely Case
Worst Case
Erwartungswert
50%
50%
75%
Standardabweichung
25%
38%
50%
• Für die Schadenhöhenverteilung werden die folgenden Überlegungen angestellt: – Das Unternehmen hat die Erfahrung gemacht, dass im Privatkundengeschäft für Feuer der Schaden im Durchschnitt 75% der gesamten Versicherungssumme beträgt. – Das Aktuariat geht davon aus, dass im Industriegeschäft eine intensive Schadenprüfung erfolgen wird, die die Schadenquote pro Schadenfall auf 50% reduzieren wird. – Im Privatkundengeschäft hat die Schadenverteilung eine Standardabweichung von 25%. Da das Privatkundengeschäft homogener erscheint, wird mit einer höheren Volatilität im Industriegeschäft gerechnet. Eine Verdopplung der Standardabweichung ist nach einer qualitativen Einschätzung des Aktuars ein konservativer Worst Case. Als „Best Estimate“ wird der Mittelwert aus diesem Worst Case und der Standardabweichung des Privatkundengeschäfts genommen. Die vom Aktuariat ermittelten Parmeter für die relative Schadenhöhenverteilung S0 (bezogen auf die Versicherungssumme) finden sich in Tabelle 7.14. • Im Privatkundengeschäft wurde eine Schadenhäufigkeit von 5% gemessen. Eine Überschlagsrechnung auf Basis der Combined Ratios des landesweiten Industriegeschäfts und des Privatgeschäfts des Unternehmens liefert einen Schätzwert von 10%. Tabelle 7.15 enthält die daraus vom Aktuariat abgeleiteten Parameter für die Häufigkeitsverteilung. Übung 7.12. Welche implizite Annahme hat das Aktuariat getroffen, wenn es die Combined Ratios für das Privatgeschäft des Unternehmens und das landesweite Industriegeschäft verglichen hat? Man diskutiere, inwieweit dies gerechtfertigt ist. Wie hätte das Aktuariat in diesem Fall vorgehen sollen? 6 7
Siehe Fußnote 5. 20% von 75% sind 15%.
310
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Tabelle 7.15 Parameter für die Schadenhäufigkeitsverteilung Parameter
Best Case
Likely Case
Worst Case
Erwartungswert
5%
10%
15%
Zum Zeitpunkt t − 60 werden die Ergebnisse des Aktuariats kurz vorgestellt, wobei auch auf die Unsicherheit der zugrunde liegenden Annahmen eingegangen wird. Eines der Ergebnisse des Aktuariats ist eine provisorische Preiskalkulation, die noch nicht die Kapitalkosten beinhaltet. Dies dient der Marketingabteilung als erste Grundlage für eine Produkteinführungsplanung. Aufgrund der schlechten Datenlage wird beschlossen, das Produkt zunächst nur in einer Region einzuführen und den Vertrieb bei Erfolg später auszuweiten. Das Aktuariat erhält den Auftrag unter Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten für Best Case, Likely Case (e.g., Best Estimate), Worst Case eine Produktkalkulation unter Einbezug des Risikokapitals zu erstellen. Die Dichte einer Lognormalverteilung S ist durch 2
exp − (ln x−μ) 2 f μ,σ (x) = √ 2σ 2π x σ
gegeben. Für eine lognormalverteilte Schadenhöhenverteilung S ∼ f μ,σ gilt E(S) = eμ+σ /2 2 2 2 var(S) = eσ − 1 e2μ+σ = eσ − 1 E(S)2 2
und somit $ var(S) σ = ln 1 + E(S)2
var(S) 1 μ = ln E(S) − σ 2 /2 = ln E(S) − ln 1 + , 2 E(S)2
so dass man für die durch die Lognormalverteilung S0 beschriebene relative Schadenhöhe pro Versicherungsfall im gegebenen Portfolio die in Tabelle 7.16 aufgeführten Parameter erhält. Tabelle 7.16 Die Parameter σ , μ für die relative Schadenhöhenverteilung S0 Parameter
Best Case
Likely Case
Worst Case
μ
-80%
-92%
-47%
σ
47%
67%
61%
7.2 Ein Beispielunternehmen
311
Übung 7.13. Warum wäre es inkorrekt, die Größen in der Tabelle als durchschnittliche relative Werte pro Einzelvertrag zu interpretieren? Um von den Parametern für den auf Versicherungssumme 1 normierten, mit der Portfoliostruktur gewichteten Schadenfall zu den Parametern für die entsprechende unnormierte Schadenhöhenverteilung pro Versicherungsfall zu gelangen, muss die normierte Schadenhöhenverteilung S0 auf die unnormierte Schadenhöhenverteilung S0 → S = c S0 transformiert werden. Es gilt E (S0 ) → c E (S0 ), var (S0 ) → c2 var (S0 ). Wegen 1 μ + σ 2 = ln E (S0 ) 2 erhalten wir für μ und σ die korrespondierenden Transformationen 1 1 c2 var (S0 ) var (S0 ) μ → ln (c E (S0 )) − ln 1 + = ln c + ln E (S0 ) − ln 1 + 2 2 c2 E (S0 )2 E (S0 )2 = μ + ln c σ→ σ Die durchschnittlich zu erwartende Versicherungssumme c für die Pilotregion wird in Zusammenarbeit mit dem Marketing Team bestimmt und beträgt c = 3. Das Aktuariat geht damit von dem in Tabelle 7.17 dargestellten Schadenmodell für die absolute Schadenhöhe Si = ci S0 aus. Tabelle 7.17 Die Parameter σ , μ für die Schadenhöhenverteilung Si Parameter
Best Case
Likely Case
Worst Case
μ
0.29
0.18
0.62
σ
47%
67%
61%
Übung 7.14. Man diskutiere die impliziten Vereinfachungen, die bei diesem Modell gemacht wurden. Die Parameterkombinationen für die Häufigkeitsverteilungen N j und die Schadenhöhenverteilungen Si (i, j ∈ {1, . . . , 3} sind in Tabelle 7.18 zusammengefasst. Die Gesamtverteilung ergibt sich somit als N j(ω) (ω)
X(ω) =
∑
Si(k,ω) (ω).
k=1
Diese Gleichung ist folgendermaßen zu verstehen: 1. Der Parameter der Poissonverteilung j(ω) wird aus den drei Möglichkeiten „Best Case“, „Likely Case“, „Worst Case“ gezogen, wobei die Wahrscheinlichkeiten {10%, 80%, 10%} angenommen werden.
312
7 Wertorientierte Unternehmenssteuerung
Tabelle 7.18 Zusammenfassung der Parameterkombinationen für die Häüfigkeitsverteilungen N j und die Schadenhöhenverteilungen Si Schadenhöhe: Si = c S0,i Best Case
Worst Case
μi
0.29
0.18
0.62
σi
47%
67%
61%
E(N j ) pi j Häufigkeit: Nj
Likely Case
20%
70%
10%
5% 10%
2%
7%
1%
Likely Case 10% 80%
16%
56%
8%
Worst Case 15% 10%
2%
7%
1%
Best Case
2. Die Schadenzahl N j(ω) (ω) wird gemäß der Poissonverteilung j(ω) gezogen. 3. Für jedes k ∈ {1, . . . , N j(ω) (ω)} wird jeweils eine Schadenverteilung i(k, ω) aus den drei Möglichkeiten „Best Case“, „Likely Case“, „Worst Case“ entsprechend der Wahrscheinlichkeiten {20%, 70%, 10%} gezogen. 4. Für jedes k ∈ {1, . . . , N j(ω) (ω)} wird je ein Schaden Si(k,ω) (ω) aus der Schadenverteilung i(k, ω) gezogen. 5. Schließlich werden die so gewonnenen Schäden addiert. Diese Verteilung modelliert sowohl die aktuarielle Unsicherheit als auch die Parameterunsicherheit für diesen neuen Geschäftszweig. Es bestehen weitere Unsicherheiten (wie zum Beispiel die Unsicherheit bezüglich des Vertriebserfolgs), die hier nicht weiter betrachtet werden. Mit dieser Verteilung bestimmt das Aktuariat das zugeordnete ökonomische Kapital ES99.5% (X). Die Hurdle Rate des Unternehmens beträgt h = 17% und der risikolose Zins s = 4%. Somit muss insgesamt mindestens P = E (X) + (h − s) ES99.5% (X) als Prämie eingenommen werden, um einen risikoadjustierten Break-Even zu erreichen. Hinzu kommt ein Aufschlag x, der Verwaltungs- und Vertriebskosten, Kosten für nicht explizit behandelte Risiken sowie eine Gewinnmarge widerspiegelt. Ist VS die Versicherungssumme eines Vertrags und VSGesamt die kumulierte Versicherungssumme des betrachteten Portfolio, so erhält man (1 + p) VS , P (VS) = (E (X) + (h − s) ES99.5% (X)) VSGesamt wobei p eine zusätzliche Sicherheits- und Profitmarge bezeichnet, als vereinfachte Kalkulationsgrundlage. Übung 7.15. Man diskutiere, inwieweit diese vereinfachte Kalkulationsgrundlage angemessen ist. Übung 7.16. Erarbeiten Sie Verbesserungsvorschläge für die einzelnen Komponenten der wertorientierten Steuerung in diesem Beispiel. Dabei kann sowohl eine Vereinfachung bestimmter Aspekte als auch eine genauere Berücksichtigung von Risiken bei anderen Aspekten eine Verbesserung darstellen. Je nach der unterstellten Situation des Unternehmen wird man zu unterschiedlichen Vorschlägen kommen.
Kapitel 8
Solvabilität und aufsichtsrechtliche Fragestellungen
In diesem Kapitel behandeln wir aufsichtsrechtliche Regelungen in Deutschland1 , die Risikomanagement und Risikokapital (Solvabilität) betreffen. Während früher diese beiden Aspekte separat behandelt wurden (siehe Abschnitte 8.1 und 8.2.3, werden sie in unter Solvency II (siehe Abschnitt 8.2.4) gemeinsam betrachtet.
8.1 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) 8.1.1 Zielsetzungen des KonTraG Vor dem Hintergrund vielfältiger Änderungen des wirtschaftlichen Umfeldes, höherer Wettbewerbsintensität und gesteigerter Komplexität gewinnt eine effiziente Unternehmenssteuerung zunehmend an Bedeutung. Das am 01.05.1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) zielt darauf ab, die Qualität der Unternehmenssteuerung durch ein verbessertes Risikomanagement, eine transparente Unternehmenspublizität und eine Qualitätssicherung der Information für Kapitalanleger und andere Interessenten durch interne und externe Kontrollmechanismen zu erreichen. Das KonTraG ist ein sogenanntes Artikelgesetz, das hauptsächlich einzelne Artikel des Aktiengesetzes (AktG) und des Handelsgesetzbuches (HGB) ändert. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass das KonTraG eine Ausstrahlungswirkung auf andere Rechtsformen, insbesondere diejenige der GmbH, entfaltet. Dies bedeutet, dass unter Berücksichtigung von Größe und Komplexität die Regelungen auch auf andere Rechtsformen sinngemäß übertragen werden. Das KonTraG verfolgt verschiedene Zielsetzungen: • Einführung eines Risikofrüherkennungssystems für bestandsgefährdende Risiken 1
Weite Teile dieses Kapitels sind auch auf andere europäische Länder anwendbar.
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
313
314
8 Aufsichtsrechtliche Fragestellungen
• erhöhte Unternehmenspublizität gegenüber den Kapitalmärkten • bessere Information des Aufsichtsrates durch den Vorstand sowie umfassendere Kontrolle des Vorstandes durch den Aufsichtsrat • Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfungen • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer • verbesserte interne Kontrollstrukturen und Stärkung der Kontrolle durch die Hauptversammlung • Zulassung moderner Finanzierungs- und Vergütungsinstrumente • Abbau von Stimmrechtsdifferenzierungen und Vermeidung von Interessenskonflikten bei Depotstimmrechten Im folgenden Abschnitt sollen die Regelungen des KonTraG mit Bezug auf die Beteiligten am Kontrollsystem deutscher Aktiengesellschaften (Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung, Abschlussprüfer, Kapitalmarkt) erläutert werden.
8.1.2 Regelungen Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende oder die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage wesentlich beeinträchtigende Entwicklungen früh erkannt werden. Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass mit dieser Forderung der Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems auch die Verpflichtung des Vorstandes, für ein angemessenes Risikomanagement und eine angemessene interne Revision zu sorgen, verdeutlicht werden soll. Damit präzisiert das KonTraG, dass sich die Leitungsaufgabe eines Vorstands gemäß § 76 Abs. 1 AktG und seine Sorgfaltspflicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG auch auf das Risikomanagement erstrecken. Dabei macht § 93 Abs. 2 AktG den Vorstand unter Beweislastumkehr schadenersatzpflichtig, wenn er seine Pflichten verletzt. Das KonTraG gibt keine konkreten Ausgestaltungshinweise für ein Frühwarnsystem, um den Unternehmen die Chance zu geben, unternehmensspezifisch die besten Ansätze zu implementieren. Risikofrüherkennung bedeutet nicht, bestandsgefährdende Risiken von vorneherein auszuschließen, sondern sie in einem frühen Stadium zu erkennen, in dem geeignete Gegenmaßnahmen zur Sicherung des Fortbestands des Unternehmens getroffen werden können. Ferner erweitert das KonTraG die Berichtspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat. Gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG hat der Vorstand dem Aufsichtsrat auch über die „beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung (insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung)“ zu berichten. Dies bedeutet im Gegenzug, dass der Aufsichtsrat sich nicht auf eine rein retrospektive Kontrolle beschränken kann, sondern die auf die Zukunft gerichtete kurz-, mittel- und langfristige Unternehmensplanung in seine Kontrolle miteinbeziehen muss. Das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) von 2002 erweitert die Berichtspflichten des Vorstands auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen unter Angabe von Gründen. Damit umfasst die Berichtspflicht des Vorstands sowohl Vergangenheit als auch Zukunft.
8.1 KonTraG
315
Um die Professionalität des Aufsichtsrates zu steigern, beschränkt das KonTraG die Anzahl der Aufsichtsratsmandate auf 10 zuzüglich 5 Konzernmandate (§ 100 Abs. 2 AktG) und schreibt mindestens zwei Sitzungen des Aufsichtsrats pro Kalenderhalbjahr vor (§ 110 Abs. 3 AktG). Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats erstreckt sich gemäß § 111 AktG auf die Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung. Sie schließt dabei auch die Einführung und Funktionsfähigkeit des Risikofrüherkennungssystems ein. Weiter zielt das KonTraG auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer. Gemäß § 111 Abs. 2 S. 3 AktG erteilt der Aufsichtsrat, und nicht wie früher der Vorstand, dem Abschlussprüfer das Mandat. Der Aufsichtsrat kann dabei eigene Schwerpunkte festsetzen und sich die notwendige Unterstützung des Abschlussprüfers bei seinen Kontrollaufgaben sichern. Das KonTraG hat durch die Streichung von § 12 Abs. 2 S.2 AktG Mehrstimmrechte in der Hauptversammlung abgeschafft. Damit sollen Verzerrungen zwischen der Eigenkapitalstruktur und der Stimmrechtsverteilung vermieden werden. § 128 Abs. 2 AktG regelt die Pflichten von Kreditinstituten bei der Ausübung von Depotstimmrechten neu. Die Institute müssen ihre Depotkunden ausführlich informieren und Vorschläge für die Ausübung des Stimmrechts unterbreiten, wobei sie sich vom Interesse des Aktionärs leiten lassen müssen. Hält ein Kreditinstitut mehr als 5% des Grundkapitals und übt es eigene Stimmrechte aus, darf es Depotstimmrechte nur auf ausdrückliche Weisung seiner Depotkunden ausüben (§ 135 Abs. 1 S. 3 AktG). Damit soll Interessenkonflikten vorgebeugt werden. Zur Stärkung der Kontrollfunktion der Hauptversammlung ermöglicht § 147 Abs. 3 AktG im Falle des Verdachtes auf Pflichtverletzungen bereits eine Klage gegen Vorstand oder Aufsichtsrat, wenn der Kläger 5% des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 500.000 Euro hält. Gemäß § 289 Abs. 1 HGB muss der Lagebericht (bzw. gemäß § 315 Abs. 1 HGB der Konzernlagebericht) neben der Schilderung der erwarteten Entwicklung auch auf die Risiken der künftigen Entwicklung eingehen. Dabei müssen alle Risiken mit einer relevanten Eintrittswahrscheinlichkeit dargestellt werden, nicht nur bestandsgefährdende Risiken. Eingeleitete oder bei bestimmten Entwicklungen geplante risikopolitische Maßnahmen sollten den Risikobericht abrunden, damit der Adressat sich ein umfassendes Bild über die Risikolage verschaffen kann. Das KonTraG erhöht die Anforderungen an die Abschlussprüfung und die Berichterstattung des Abschlussprüfers. Gemäß § 317 Abs. 2 HGB muss der Abschlussprüfer untersuchen, ob der Lagebericht im Einklang mit dem Jahresabschluss steht und ob die Lage des Unternehmens und die Risiken seiner zukünftigen Entwicklung zutreffend dargestellt werden. Gemäß § 317 Abs. 4 HGB ist zu prüfen, ob das in § 91 Abs. 2 AktG geforderte Risikofrüherkennungssystem funktionstüchtig ist oder ob Maßnahmen zur Verbesserung eingeleitet werden müssen. § 319 Abs. 3 HGB zielt darauf, die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers zu stärken. Als Prüfer kann nicht bestellt werden, wer in den letzten 10 Jahren in mehr als 6 Fällen den Bestätigungsvermerk gezeichnet hat oder in den letzten 5 Jahren jeweils 30% seiner Gesamteinnahmen von dem zu prüfenden Unternehmen bezogen hat. Um die Information des Aufsichtsrates zu gewährleisten, sieht ferner § 170 Abs. 3 S. 2 AktG die
316
8 Aufsichtsrechtliche Fragestellungen
Aushändigung der Vorlagen und Prüfungsberichte an jedes Aufsichtsratsmitglied vor. Zum Angleich an internationale Regelungen eröffnet schließlich das KonTraG eine zusätzliche Möglichkeit zum Erwerb eigener Aktien gemäß § 71 Abs. 8 AktG. Nach Ermächtigung durch die Hauptversammlung können, beschränkt auf einen Zeitraum von 18 Monaten und 10% des Grundkapitals, eigene Aktien zur Belebung des Börsenhandels oder der Steigerung der Akzeptanz der Aktie als Anlageform erworben werden. § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG ermöglicht eine bedingte Kapitalerhöhung zur Einräumung von Aktienoptionen an das Management, um dieses zu motivieren, sich an den Zielen einer langfristigen Unternehmenswertsteigerung zu orientieren.
8.1.3 Implementation Auch wenn das KonTraG selbst keine konkreten Vorgaben macht, haben sich in der Praxis nicht zuletzt aufgrund des Prüfungsstandards IDW PS 340 grundlegende Anforderungen und Methoden bei der Implementation eines Risikofrüherkennungssystems etabliert. Die Forderung des KonTraG, bestandsgefährdende Risiken frühzeitig zu erkennen und dadurch rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können, greift in allen Phasen des Risikomanagementprozesses. Zunächst ist sicherzustellen, dass alle potentiellen Risiken erfasst und bewertet werden. Dazu werden standardisierte Risikoerfassungsbögen (risk maps, risk registers) verwendet, die zu den einzelnen Risiken Einschätzungen der möglichen Schadenhöhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit sowie Angaben zu Risikoindikatoren, Risikolimits und Risikobewältigungsmaßnahmen sowie Verantwortlichkeiten enthalten. Dabei können Risikoindikatoren finanzielle Kennzahlen und „weiche“ Faktoren wie z.B. ein Markttrend oder das Image des Unternehmens umfassen. Risikolimits definieren Obergrenzen für bestimmte Risikopositionen (z.B. Kreditvolumen pro Kreditnehmer), bei deren Überschreitung festgelegte Gegenmaßnahmen ausgelöst werden. Um auf der Grundlage der Risikoerfassungsbögen zu einer Gesamtrisikoanalyse des Unternehmens zu gelangen, müssen die Risiken unter Beachtung ihrer Interdependenzen geeignet zusammengefasst und systematisiert werden. Im Finanzsektor werden oft die folgenden Risikobereiche unterschieden: • • • • • •
Marktrisiko Kreditrisiko Liquiditätsrisiko versicherungstechnisches Risiko operationelles Risiko Rechtsrisiko
Die Bewertung der Risiken zielt auf eine Klassifikation in einer zweidimensionalen Risikomatrix (siehe Abbildung 1.2) mit den Dimensionen Schadenhöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit ab. Während für quantifizierbare Risiken die Klasseneintei-
8.2 Solvabilität
317
lung in Gestalt einer Zerlegung des Wertebereichs von Schadenhöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit vorgenommen werden kann, erlauben qualitative Risiken (z.B. politisches Risiko, Entwicklungsperspektiven eines Marktes) lediglich eine Einordnung in eine qualitative Risikomatrix, die etwa die Schadenhöhe in die Klassen gering, mittel, schwer und die Eintrittswahrscheinlichkeit in die Klassen unwahrscheinlich, möglich, wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich einteilt. Für die Beurteilung, ob ein Risiko bestandsgefährdend ist, ist die potentielle Schadenhöhe ausschlaggebend, da das Risikomanagement auch für existenzbedrohende Szenarien mit kleiner Eintrittswahrscheinlichkeit Vorkehrungen treffen muss. Die Risikomatrix ist Bestandteil des Risikohandbuchs, das den Charakter einer Unternehmensrichtlinie hat und vom Wirtschaftsprüfer geprüft wird. Neben der Definition der risikopolitischen Grundsätze des Unternehmens muss das Risikohandbuch die Geschäftsfelder und -aktivitäten identifizieren, bei denen es zu bestandsgefährdenden Entwicklungen kommen kann, sowie Zuständigkeiten und die Risikoberichterstattung regeln. Der IDW Prüfungsstandard verlangt, dass bestandsgefährdende Risiken in nachweisbarer Form dem Vorstand berichtet werden.
8.2 Solvabilität 8.2.1 Aufgabe der Solvabilitätsaufsicht Versicherungsunternehmen sollen dauerhaft in der Lage sein, die vertraglich eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Sie sollen also stets zahlungsfähig, d.h. solvent sein. Da Versicherungsgeschäft zahlreichen Unsicherheiten, etwa einem ungewissen Schadenverlauf, unterliegt, braucht eine Versicherungsgesellschaft Eigenmittel, um adverse Entwicklungen ausgleichen zu können. Damit spannt sich der Bogen von der ursprünglichen Wortbedeutung, der Zahlungsfähigkeit, zu der heutigen Verwendung des Begriffs Solvabilität (Solvency) im Zusammenhang mit der Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen. Vor dem Hintergrund der Deregulierung hat die Eigenmittelausstattung für das Risikomanagement der Versicherungsunternehmen und für die Aufsicht an Bedeutung gewonnen. Ziele von Eigenmittelanforderungen sind dabei • der Schutz der Versicherten (policyholder protection), • eine ausreichende Kapitalisierung der Versicherungsunternehmen (financial strength) und • die Stabilität der Finanzmärkte (financial stability). Allen Zielen gemeinsam ist die Überlegung, dass Eigenmittel der Versicherungsunternehmen als Puffer gegen adverse Entwicklungen wirken. Während das erste Ziel, der Schutz der Versicherten, die notwendige Vertrauensbasis sicherstellen soll, dass der mit den Prämienzahlungen in Vorleistung gehende Kunde sich auf die späteren Leistungen des Versicherungsunternehmens verlassen kann, tragen die beiden an-
318
8 Aufsichtsrechtliche Fragestellungen
deren Ziele der bedeutenden Rolle der Versicherungsunternehmen auf den Finanzmärkten Rechnung. Die Gestaltung von Solvabilitätsanforderungen wirft die Fragen auf, wie groß der Puffer gegen adverse Entwicklungen sein muss, welcher Zeithorizont zugrundegelegt werden soll und welche Kapitalanlagen zur Bedeckung des Puffers geeignet sind. Die Antworten auf diese Fragen hängen von den verfolgten Zielen ab und müssen im Zusammenhang mit dem gewählten Modellierungsansatz konsistent entwickelt werden. Neben diesen quantitativen Anforderungen sind für die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens auch qualitative Anforderungen an das Management bestandsgefährdender Risiken relevant. Während die bis 2012 geltenden Solvabilitätsrichtlinien (Solvency I, Abschnitt 8.2.3) rein quantitativ ausgerichtet waren, enthält Solvency II (Abschnitt 8.2.4) sowohl quantitative als auch qualitative Anforderungen.
8.2.2 Definitionen Der Grundgedanke, dass Eigenmittel einen Puffer gegen adverse Entwicklungen darstellen, spiegelt sich bereits in der Definition der Solvenzmarge (solvency margin) SM als Differenz zwischen Aktiva (assets) A und Passiva P durch Pentikainen (1952) [42] wider: SM = A − L Der Teil der Solvenzmarge, der durch qualifizierte, d.h. aufsichtsrechtlich anerkannte Kapitalanlagen bedeckt wird, heißt verfügbare Solvenzmarge (available solvency margin). Die Mindesthöhe der verfügbaren Solvenzmarge gemäß den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen wird Solvabilitätsspanne (minimum solvency margin) genannt. Bei einer konkreten Definition von Solvabilität sind bezüglich des zugrundegelegten Zeithorizonts zwei Extremfälle denkbar. Während die „going concern“- Annahme verlangt, dass der Fortbestand des Unternehmens gesichert ist, das Unternehmen also in der Zukunft jederzeit seine Verpflichtungen erfüllen kann, reicht es für die „run off“- Annahme aus, dass die Verbindlichkeiten bei einer sofortigen Liquidation des Unternehmens befriedigt werden können. (Siehe auch Abschnitt 4.3.1.2) Der Schutz der Versicherten erfordert nicht notwendig den Fortbestand des Unternehmens. Die Ansprüche der Versicherungsnehmer sind auch dann sichergestellt, wenn in einer Krisensituation die Versicherungsbestände auf ein anderes Unternehmen übertragen werden können. Daher sind die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Eigenmittelausstattung und die Bewertung versicherungstechnischer Verbindlichkeiten unter Solvency I und II auf das Ziel ausgerichtet, den Fortbestand des Versicherungsunternehmens für eine kurze Zeitspanne, in der Regel 1 Jahr, zu sichern und die Übertragbarkeit der Bestände zu gewährleisten. Der Fortbestand des Unternehmens ist primäres Ziel der Eigner und des Managements, die das Unternehmen nach der going concern- Annahme steuern. Mit
8.2 Solvabilität
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Blick auf die Erwartung der Versicherungsnehmer, dass ihre oft langfristigen Verträge vom Vertragspartner erfüllt werden, und auf das Ziel der Finanzmarktstabilität hat auch die Aufsicht ein Interesse an dauerhaft stabilen finanziellen Verhältnissen in den Versicherungsunternehmen. Dies erklärt, dass im Gegensatz zur Ausrichtung der konkreten Eigenmittelanforderungen an den Jahreshorizont sich die aufsichtsrechtlichen Definitionen der Solvabilität auf die going concern Annahme beziehen. Die IAIS (2002) [32] definiert ein Versicherungsunternehmen als solvent, wenn es in der Lage ist, seine „Verpflichtungen aus allen Verträgen unter allen vernünftigerweise zu erwartenden Umständen zu erfüllen“. In einer späteren Version von 2003 [33] verschärft die IAIS diese Definition, indem die Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen „zu jeder Zeit“ gefordert wird.
8.2.3 Solvency I In diesem Abschnitt werden die bis Ende 2012 geltenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen dargestellt und der Hintergrund ihrer Entstehung beleuchtet. Die EU-Richtlinien zu Solvency I (2002) [27, 28] gehen von der going concernAnnahme aus und definieren die Solvenzmarge als Puffer gegen Schwankungen der Geschäftsergebnisse. • Solvency I non-life directive: „The requirement that insurance undertakings establish, over and above the technical provisions to meet their underwriting liabilities, a solvency margin to act as a buffer against business fluctuations is an important element in the system of prudential supervision for the protection of insured persons and policyholders.“ • Solvency I life directive: „It is necessary that, over and above technical provisions, including mathematical provisions, of sufficient amount to meet their underwriting liabilities, assurance undertakings should possess a supplementary reserve, known as the solvency margin, represented by free assets and, with the agreement of the competent authority, by other implicit assets, which shall act as a buffer against adverse business fluctuations.“ Die Solvabilität eine Versicherungsunternehmens wird somit an dem Betrag gemessen, um den die Aktiva die Passiva übersteigen und der zum Ausgleich adverser Entwicklungen zur Verfügung steht. Die Solvency I Richtlinie Leben weist dabei auf zusätzliche Anforderungen an die Qualität der die Solvenzmarge bedeckenden Kapitalanlagen hin.
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8.2.3.1 Historische Entwicklung Solvency I lässt sich im Kern auf die ersten EU-Richtlinien Nicht-Leben vom 24. 07.1973 und Leben vom 05.03.1979 zurückführen, die wiederum entscheidend von den Arbeiten des niederländischen Professors Campagne [7] geprägt wurden. Campagne verfolgt im wesentlichen einen VaR-Ansatz. Da er eine Insolvenzwahrscheinlichkeit von 0,001 in 3 Jahren für akzeptabel hält, wählt er approximativ das Niveau 0,9997 für den 1 Jahres-VaR. Campagne weist darauf hin, dass infolge weitreichender Vereinfachungen und nicht fundierter Verteilungsannahmen die Ergebnisse seiner Modelle nicht als Solvabilitätsmessung, sondern lediglich als Frühwarnindikatoren für eine unternehmensindividuelle tiefergehende Analyse dienen können. Im Bereich der Schadenversicherung beobachtet Campagne einen durchschnittlichen Kostensatz von 42% der Bruttoprämien nach Rückversicherung. An die Daten der beobachteten Schadenquoten passt er eine Beta-Verteilung an und bestimmt das 0,9997-Quantil zu 83%. Auf dieser Grundlage schlägt er vor, 42% + 83% - 100% = 25% der Bruttoprämien als notwendige Solvenzmarge zu betrachten. Für das in Rückversicherung gegebene Prämienvolumen fordert er als grobe Näherung 2,5% Solvenzmarge. Darüber hinaus schlägt er einen absoluten Sockelbetrag von 250.000 europäischen Währungseinheiten vor. Als Hauptrisiko in der Lebensversicherung betrachtet Campagne das Kapitalanlagerisiko und schlägt vor dem Hintergrund, dass die versicherungstechnischen Rückstellung den größten Teil der Kapitalanlagen bilden, vor, einen festen Prozentsatz der versicherungstechnischen Rückstellungen als erforderliche Solvenzmarge zu definieren. Dazu modelliert er den Quotienten LR des innerhalb eines Jahres auftretenden Verlustes der Kapitalanlagen bezogen auf die versicherungstechnischen Rückstellungen mit Hilfe einer Pearson-Typ IV - Verteilung m x x2 exp ν arctan f (x) = c 1 + 2 a a mit den Koeffizienten a=5,442, c= 31,73, m=-4,850 und ν = 2, 226. Unter Orientierung an den 95% VaR schlägt Campagne 4% der versicherungstechnischen Rückstellungen als erforderliche Solvenzmarge vor. Die Arbeiten von Campagne und weiterer Arbeitsgruppen im Auftrag der OECD und der CEA münden in den Regelungen der 1. EU-Richtlinien Leben [27] und Nicht-Leben [28]. Die Lebensrichtlinie fordert als Mindestsolvenzmarge im wesentlichen 4% der mathematischen Reserven und 0,3% des riskierten Kapitals. Rückversicherung kann die Bemessungsgrundlage der versicherungstechnischen Reserven um bis zu 15% und die Bemessungsgrundlage des riskierten Kapital um bis zu 50% vermindern. Die Nichtlebensrichtlinie fordert als minimale Solvenzmarge das Maximum von Beitrags- und Schadenindex. Der Beitragsindex beträgt 18% der Bruttoprämien bis zu einer Höhe von 10 Millionen Währungseinheiten und 16% des Teils der Bruttoprämien, der 10 Millionen übersteigt. Der Schadenindex besteht aus 26% der eingetretenen Schäden bis zu einer Höhe von 7 Millionen Währungseinheiten und 23%
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des Teils der Schadensumme, der 7 Millionen übersteigt. Rückversicherung wird bis zu 50% anerkannt. Darüber hinaus sehen die 1. EU-Richtlinien ein Drittel der Mindestsolvenzmarge als Garantiefonds an und legen einen spartenabhängigen absoluten Mindestbetrag fest. Nachdem die Solvenzregeln in den 2. und 3. Richtlinien (1992) Leben und Nichtleben keine Änderungen erfahren haben, beauftragt das Versicherungskommittee der Europäischen Union eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Helmut Müller, das Solvenzsystem zu überprüfen. Der Müller-Report [13] erstellt eine Identifikation der Risiken von Versicherungsunternehmen und vertritt die Auffassung, dass sich das Solvenzsystem im wesentlichen bewährt hat. Von den Vorschlägen des MüllerReports greift die EU-Kommission die Erhöhung des absoluten Mindestbetrages zum Inflationsausgleich in den Solvency I-Richtlinien [22, 23, 24] auf. Bereits 1999 entscheidet sie [21], Arbeiten zu einem neuen fundamentalen Zugang zu beginnen, da sie es vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Versicherungswirtschaft für möglich erachtet, dass die Solvenzregeln in der Zukunft nicht mehr zufriedenstellend funktionieren könnten. Diese Entscheidung kann als erster Schritt zum Projekt Solvency II aufgefasst werden.
8.2.3.2 Solvabilitätsspanne nach Solvency I Die Solvency I-Richtlinien [22, 23, 24] nehmen nur leichte Modifikationen der Solvenzregeln vor. So werden die absoluten Mindestbeträge der einzelnen Sparten erhöht. In Nichtleben werden die Anforderungen an die Mindestsolvenzmarge teilweise verschärft. In Leben werden Regelungen für fondsgebundene Versicherungen spezifiziert und Qualitätsanforderungen auf alle Kapitalanlagen, die die versicherungstechnischen Rückstellungen und die Solvenzmarge bedecken, ausgedehnt. Die nationale Umsetzung der Solvency I-Richtlinien fußt auf der Kapitalausstattungsverordnung (KapAusstV) [16], die die Berechnung der Solvabilitätsspanne (Mindestsolvenzmarge) regelt, §53c VAG, der insbesondere den Katalog der zur Bedeckung der Solvabilitätsspanne geeigneten Eigenmittel enthält, und dem erläuternden BaFin-Rundschreiben 4/2005(VA) [6]. Im folgenden sollen die Regeln zur Berechnung der Solvabilitätsspanne in Abhängigkeit von den Sparten skizziert werden. Die Mindestsolvenzmarge (Solvabilitätsspanne) SM für Nicht-Lebensversicherungsunternehmen (Schaden-/Unfallversicherung, Krankenversicherung, Rückversicherung) wird als Maximum des Beitrags- und des Schadenindexes ermittelt. Der Beitragsindex BI ergibt sich als der höhere Betrag der im Geschäftsjahr gebuchten oder verdienten Bruttobeiträge. Der Schadenindex SI ist definiert als die durchschnittlichen jährlichen Aufwendungen für Versicherungsfälle, wobei der Durchschnitt über die letzten drei Jahre, bei Unternehmen, die im wesentlichen Kredit-, Sturm-, Hagel- oder Frostversicherung betreiben, jedoch über die letzten 7 Jahre gebildet wird. Rückversicherung wird bis maximal 50 % anerkannt. Für Haftpflichtversicherungen mit Ausnahme der KFZ-Haftpflicht werden der Beitragsindex und
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der Schadenindex um 50 % erhöht. Bezeichnet RV das Verhältnis der Aufwendungen für Versicherungsfälle für eigene Rechnung zu den Bruttoaufwendungen für Versicherungsfälle der letzten drei Jahre, ergibt sich die Solvabilitätsspanne zu SM = max 18% × min(BI, 50.000.000) + 16% × max(0, BI − 50.000.000); 26% × min(SI, 35.000.000) + 23% × max(0, SI − 35.000.000) × max(RV, 0, 5). Für die substitutive Krankenversicherung sind die Prozentsätze in der obigen Formel zu halbieren. Der Garantiefonds beträgt ein Drittel der Solvabilitätsspanne. Der absolute Mindestbetrag beträgt 2.000.000 Euro und erhöht sich auf 3.000.000 Euro, wenn Geschäft in den Sparten Haftpflicht, Kredit oder Kaution gezeichnet wird. Für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sind beitragsabhängige Erleichterungen vorgesehen (siehe §§ 2,3 KapAusstV, § 156a Abs. 1 VAG). Die Mindestsolvenzmarge (Solvabilitätsspanne) SM für Lebensversicherungsunternehmen wird als Summe von 4% der Deckungsrückstellung und der um die Kostenanteile verminderten Beitragsüberträge und 0,3% des riskierten Kapitals berechnet. Einzelvertraglich negatives riskiertes Kapital ist dabei auszunullen. Im Falle von fondsgebundenen Versicherungen, bei denen das Unternehmen kein Anlagerisiko trägt, reduziert sich für Verträge mit Laufzeiten von über fünf Jahren der Satz von 4% auf 1%, für Verträge mit Laufzeiten unter 5 Jahren werden stattdessen 25% der diesen Verträgen zurechenbaren Verwaltungskosten angesetzt. Der Satz von 0,3% reduziert sich für Todesfallversicherungen mit Laufzeit von höchstens 3 Jahren auf 0,1%, für Laufzeiten von mehr als 3 und höchstens 5 Jahren auf 0,15%. Der Garantiefonds beträgt ein Drittel der Solvabilitätsspanne, sein absoluter Mindestbetrag 3.000.000 Euro. Für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, insbesondere Pensions- und Sterbekassen sind beitragsabhängige Erleichterungen vorgesehen (siehe §§ 7,8,8a KapAusstV, § 156a Abs. 1 VAG). Solvency I kann als regelbasiertes System charakterisiert werden, das einfach zu verstehen und zu implementieren ist, aber nur eine eingeschränkte Risikosensitivität gegenüber den individuellen Risikoprofilen der Versicherungsunternehmen aufweist. Zum Beispiel führen in der Lebensversicherung höhere Sicherheitsmargen in der Deckungsrückstellung zu einer höheren Solvabilitätsspanne. Das Unterschreiten der Mindestsolvenzmarge (Solvabilitätsspanne) wird als Frühwarnsignal interpretiert. Die Aufsicht fordert in diesem Fall einen Solvabilitätsplan zur Wiederherstellung der erforderlichen Kapitalausstattung des Versicherungsunternehmens. Wird der Betrag des Garantiefonds unterschritten, verlangt die Aufsicht einen Finanzierungsplan zur kurzfristigen Verbesserung der finanziellen Lage. Erscheint dies nicht möglich, wird die Aufsicht das Unternehmen abwickeln und versuchen, den Versichertenbestand auf ein anderes Unternehmen zu übertragen.
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8.2.3.3 Anrechenbare Eigenmittel Nach der Definition der erforderlichen Mindestsolvenzmarge (Solvabilitätsspanne) stellt sich die Frage, welche Kapitalpositionen zur Bedeckung herangezogen werden können. Da die Solvenzmarge als Puffer gegen adverse Entwicklungen konzipiert ist, ist dabei zu prüfen, inwieweit eine Kapitalposition zum Verlustausgleich herangezogen werden kann. Unter Solvency I wird diese Frage abschließend in Form des Eigenmittelkatalogs in § 53c Abs. 3 VAG beantwortet und im BaFin-Rundschreiben 4/2005(VA) näher erläutert. In Abstufung ihres Potentials zum Verlustausgleich können die in § 53c Abs. 3 S. 1 aufgelisteten Eigenmittel in drei Gruppen eingeteilt werden. Die Positionen unter den Nummern 1 bis 3 werden in jedem Fall angerechnet, diejenigen unter den Nummern 3a bis 4 nur unter bestimmten, im Gesetzestext genannten Voraussetzungen. Diese beiden Gruppen bilden zusammen die sogenannten Eigenmittel A. Die Eigenmittel B sind unter den Nummern 5a) bis d) aufgeführt und werden nur auf Antrag und mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde angerechnet. Die Positionen unter den Nummern 1 bis 3 bilden das Eigenkapital im engeren Sinne, das uneingeschränkt zur Verfügung steht: • bei Aktiengesellschaften das eingezahlte Grundkapital abzüglich des Betrages der eigenen Aktien, bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit der eingezahlte Gründungsstock • Kapitalrücklage und Gewinnrücklagen • Gewinnvortrag nach Abzug der auszuschüttenden Dividenden Genussrechtskapital und nachrangige Verbindlichkeiten (Nr. 3a bzw. 3b) stellen zwar Verpflichtungen des Unternehmens dar, haben aber in einem gewissen Maß auch Eigenkapitalcharakter. Zur Sicherung eines ausreichenden Eigenkapitalcharakters nennt § 53c Abs.3 VAG für beide Positionen die Voraussetzungen, dass das Kapital mindestens für die Dauer von 5 Jahren zur Verfügung gestellt wird, der Rückerstattungsanspruch nicht in weniger als 2 Jahren fällig wird und im Insolvenzoder Liquidationsfall erst nach Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger zurückgezahlt wird. Genussrechtskapital muss ferner bis zur vollen Höhe am Verlust teilnehmen, und im Falle des Verlustes muss das Versicherungsunternehmen die Zinszahlungen aufschieben. Bei nachrangigen Verbindlichkeiten muss eine Aufrechnung des Rückzahlungsanspruches mit Forderungen des Versicherungsunternehmens ausgeschlossen sein. Der Anrechnungsbetrag von Genussrechtskapital und nachrangigen Verbindlichkeiten ist auf 25% der Eigenmittel gemäß der Nummern 1 bis 3 und 50% der Solvabilitätsspanne begrenzt. Gemäß § 56a VAG können noch nicht festgelegte Überschussanteile mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zum Verlustausgleich herangezogen werden. Dies bedeutet, dass der kollektive Anspruch der Versicherungsnehmer auf Zuteilung von Überschüssen aus Mitteln der freien RfB im Krisenfall unter den Bedingungen des § 56a VAG nicht erfüllt werden muss. Dadurch werden die Verpflichtungen des Versicherungsunternehmens um den Betrag der freien RfB verringert, so dass die freie
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RfB als von den Versicherungsnehmern gestellte Eigenmittel des Unternehmens betrachtet werden kann. Dies bildet die Grundlage für §53c Abs. 3 Nr. 4 VAG, die freie RfB als Eigenmittel anzuerkennen. Bei den in § 53c Abs. 3 Nr. 5a) bis d) genannten Kapitalpositionen besteht eine gewisse Unsicherheit, ob sie im Verlustfall tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Daher werden sie nur auf Antrag und mit Zustimmung der Aufsicht anerkannt. Als Eigenmittel angerechnet werden können • die Hälfte des nicht eingezahlten Grundkapitals, sofern mindestens 25% des Grundkapitals eingezahlt sind, • die Hälfte der Differenz der nach Satzung zulässigen Nachschüsse der Mitglieder von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und der im Geschäftsjahr tatsächlich geforderten Nachschüsse, • stille Nettoreserven, sofern sie keinen Ausnahmecharakter haben. Nicht eingezahltes Grundkapital oder Nachschüsse dürfen nur höchstens die Hälfte der Solvabilitätsspanne bedecken und auch höchstens die Hälfte der insgesamt angerechneten Eigenmittel ausmachen. Die Beschränkungen bei der Anerkennung der obigen Kapitalpositionen beruhen auf risikopolitischen Überlegungen. Ob Nachschüsse in einer Krisensituation tatsächlich geleistet werden, hängt stark von dem Bewusstsein der Mitglieder eines Versicherungsvereins ab, Nachschüsse leisten zu müssen. Je stärker sich ein Versicherungsverein vom Vereinsgedanken zur Wettbewerbsorientierung entwickelt, desto geringer wird dieses Bewusstsein ausgeprägt sein. Daher unterliegt die Anerkennung von Nachschüssen der Zustimmung der Aufsicht, die im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit einschätzen muss, dass im Krisenfall die Nachschüsse tatsächlich gezahlt werden. Während Zweifel an der Verfügbarkeit von Nachschüssen im Krisenfall berechtigt erscheinen, zeigt ein Blick in die Geschichte, dass Nachschüsse tatsächlich zur Rettung von Versicherungsunternehmen geleistet wurden (Beispiele: Großbrand in Hamburg (Gothaer), britische Versicherungsvereine zur Versicherung von Schiffen). Stille Reserven stellen unrealisierte Gewinne dar, die der Gefahr unterliegen, bei adversen Marktentwicklungen in kurzer Zeit aufgezehrt zu werden. Daher unterliegt ihre Anerkennung als Eigenmittel der Einschränkung, dass sie keinen Ausnahmecharakter haben, d.h., dass ihr Wert dauerhaft erscheint. Das Rundschreiben 4/2005 (VA) nennt u.a. folgende Kriterien zur Überprüfung, ob von einem dauerhaften Wert ausgegangen werden kann. Zur Ermittlung der stillen Reserven in börsennotierten Wertpapieren ist das Minimum von Bilanzstichtagswert und dem aus dem aktuellen und den drei vorangegangenen Bilanzstichtagen ermittelten Durchschnittskurs heranzuziehen. Eine Anerkennung stiller Reserven in nicht börsennotierten Wertpapieren ist in der Regel nicht möglich. Stille Reserven in festverzinslichen Papieren des Anlagevermögens werden nicht anerkannt, während bei festverzinslichen Papieren des Umlaufvermögens das Minimum des Wertes des Papiers und des Wertes eines analogen Papiers mit einer drei Jahre kürzeren Restlaufzeit zugrundegelegt wird. Stille Reserven in Immobilien sind durch unabhängige Gutachten nachzuwei-
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sen, die nicht älter als 5 Jahre sind. Stille Reserven in verbundenen Unternehmen und Beteiligungen werden in der Regel nicht anerkannt. Von dem Betrag der anrechenbaren Eigenmittel gemäß §53c Abs. 3 Nr. 3-5 sind folgende Beträge abzuziehen, da mit ihnen im Verlustfall nicht gerechnet werden kann: • ein aktivierter Firmen- oder Geschäftswert, • aktivierte Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs, • Beteiligungen an verbundenen Unternehmen des Finanzsektors sowie Forderungen aus Genussrechten und nachrangigen Verbindlichkeiten gegen solche Unternehmen.
8.2.4 Solvency II 8.2.4.1 Ziele Die Entscheidung der Europäischen Kommission im Juni 1999, die Finanzaufsicht über Versicherungsunternehmen grundlegend zu überarbeiten und an geänderte Verhältnisse anzupassen (siehe [21]), markiert den Beginn des Solvency II-Projekts. Diese Entscheidung ist zum einen vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung der Bankenaufsicht hin zu Basel II zu sehen, zum anderen durch die Veränderungen der Versicherungsmärkte infolge von Deregulierung, höherer Wettbewerbsintensität und der Entwicklung neuer Finanzinstrumente zu erklären. Die Phase 1 des Projektes widmet sich der Bestandsaufnahme und gilt 2003 mit der Veröffentlichung allgemeiner Überlegungen und Empfehlungen zur Neugestaltung des Aufsichtssystems als abgeschlossen (siehe [25]). Phase 2 verfolgt das Ziel, Grundsätze und konkrete Implementierungsvorgaben zu erarbeiten. Solvency II verfolgt folgende Ziele: • Ausgestaltung eines prinzipienorientierten, EU-weit harmonisierten Aufsichtssystems, das Wettbewerbsneutralität sicherstellt, die Entwicklung effizienter Versicherungsmärkte fördert und einen ausreichenden Schutz der Interessen der Versicherungsnehmer gewährleistet. • risikosensitive Eigenmittelanforderungen in Abhängigkeit vom tatsächlichen Risikoprofil des einzelnen Versicherungsunternehmens • Verbesserung des Risikomanagements, des Systems interner Kontrollen und Stärkung der Corporate Governance • Anreizwirkung für die Entwicklung interner Modelle zur Messung und Steuerung von Risiken • Kompatibilität mit internationalen Rechnungslegungsstandards
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8.2.4.2 Architektur Wie Basel II zeichnet sich Solvency II durch eine Drei-Säulen-Architektur aus.
Säule 1
Säule 2
Quantitative Anforderungen
Qualitative Anforderungen
Säule 3 Berichtspflichten
Risikostrategie Aufbau- und Ablauforganisation
Öffentlichkeit / Aufsichtsbehörden Unternehmensstrategie
Marktkonsistente Bewertung
Interne Steuerung und Kontrollsystem
Risikomanagement
Risikomanagement
gewähltes Modell
ORSA
Quantitative Anforderungen an Solvenzkapital
MCR / SCR Aufsichtrechliches Überprüfungsverfahren
Kapitalzuschläge Kapitalzuschläge Abb. 8.1 Die drei Säulen der Solvency II Architektur.
Die erste Säule definiert Anforderungen an die Finanzausstattung. Dazu gehören quantitative Eigenmittelanforderungen, Prinzipien zur Ermittlung der versicherungstechnischen Rückstellungen sowie Vorschriften über die Anlage von Vermögen. Die Eigenmittelanforderungen werden dabei mit Hilfe des Standardmodells oder eines von der Aufsicht zugelassenen internen Modells ermittelt, das sämtliche relevanten Risiken erfasst. Hauptrisikokategorien sind Markt-, Kredit- und operationales Risiko sowie versicherungstechnische Risiken. Es gibt zwei Anforderungsniveaus, deren Unterschreiten gestaffelte aufsichtsrechtliche Maßnahmen auslöst. Das SCR (solvency capital requirement) ist auf eine maximal tolerierbare Ruinwahrscheinlichkeit bezogen auf einen Einjahreshorizont kalibriert, während das MCR (minimal capital requirement) einen Minimalbetrag darstellt. Bei Unterschreiten des MCR wird die Aufsicht das Unternehmen von Markt nehmen, bei Unterschreitung des SCR Maßnahmen absprechen, die auf eine Wiederherstellung der notwendigen Eigenmittelausstattung abzielen. Während das SCR möglichst risikosensitiv konzipiert werden soll, wird beim MCR mit Blick auf mögliche juristische Auseinandersetzungen eine möglichst einfache Berechnung angestrebt.
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Die zweite Säule regelt das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren (supervisory review process). Da auch eine großzügige Eigenmittelausstattung im Falle eines schlechten Managements schnell aufgezehrt werden kann, soll der aufsichtliche Überprüfungsprozess ein angemessenes Risikomanagement sowie ein funktionierendes System interner Kontrollen sicherstellen. Gegenstand der zweiten Säule sind darüber hinaus Frühwarnindikatoren und Stresstests, um rechtzeitige Reaktionen des Versicherungsunternehmens auf adverse Entwicklungen zu ermöglichen. Im Falle von Schwächen des Risikomanagementsystems kann die Aufsicht zusätzliche Kapitalanforderungen stellen. Die dritte Säule hat zum Ziel, die Marktdisziplin miteinzubinden. Durch Offenlegungspflichten soll die Informationsasymmetrie über die finanzielle Lage des Versicherungsunternehmens reduziert werden, so dass sich die verschiedenen Interessensgruppen ein ausreichendes Bild machen können und mit ihren Reaktionen dazu beitragen, dass die Versicherungsunternehmen ihre Risiken adäquat managen.
8.2.4.3 Kernelemente der Säule 1 Den Ausgangspunkt für Säule 1 bildet die ökonomische Bilanz.
Exzesskapital Own Funds SCR MCR Anlagen zur Bedeckung von SCR und versicherungstechnischen Verbindlichkeiten
Risikomarge Best Estimate der nicht-hedgebaren Verbindlichkeiten Marktwert für hedgebare Risiken
versicherungstechnische Verbindlichkeiten
Abb. 8.2 Ökonomische Bilanz.
Charakteristisches Merkmal für die ökonomische Bilanz ist die Bewertung von Aktiva und Passiva zu Marktwerten. Soweit für versicherungstechnische Verbindlichkeiten kein Marktwert existiert, ist zunächst der mit der risikolosen Zinsstrukturkurve diskontierte Barwert der zukünftigen Zahlungsströme unter realistischen Annahmen (best estimate) anzusetzen. Darüber hinaus ist eine Risikomarge zu entwickeln, die dem Barwert der Kapitalkosten entspricht, für die ein sachkundiger Investor bereit ist, in allen künftigen Perioden das benötigte Risikokapital für den Bestand zur Verfügung zu stellen.
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Die Ermittlung des SCR (Solvency Capital Requirement) beruht auf dem Value at Risk zum Konfidenzniveau 99.5%, bezogen auf den Zeithorizont von 1 Jahr. Die Berechnung kann mit Hilfe der modular aufgebauten Standardformel oder eines von der Aufsicht genehmigten internen Modells erfolgen. Ferner besteht für Unternehmen, die interne Modelle entwickeln, die Möglichkeit, für eine Übergangszeit ein partielles internes Modell, das Elemente des Standardmodells enthält, zu nutzen. Das Standardmodell wurde bereits in Abschnitt 4.6.2 beschrieben. Unternehmen, die ein internes Modell anstelle des Standardmodells verwenden wollen, müssen es vorab durch die Aufsicht gemäß der folgenden Kriterien zertifizieren lassen: • Verwendungstest („Use test“): Der Verwendungstest wird häufig als die wichtigste Zertifizierungskategorie genannt. Das Unternehmen muss das interne Model so stark in die Unternehmenssteuerung integriert haben, dass es motiviert ist, die Qualität des Modells ständig zu verbessern. Das Modell muss dazu benutzt werden, Unternehmensentscheidungen zu stützen und zu verifizieren. Daher muss das interne Modell mit dem Geschäftsmodell des Unternehmens konsistent sein. Es muss organisatorisch tief und konsistent in das Risikomanagement integriert sein. Außerdem muss die Unternehmensleitung demonstrieren können, dass sie das Modell versteht. • Interne Modellaufsicht: Die Geschäftsführung ist dafür verantwortlich, dass das interne Modell in einen umfassenden betrieblichen Aufsichtsprozess eingebunden ist und adäquate Resourcen zur Verfügung stehen. Sie ist auch für die strategische Ausrichtung des Modells verantwortlich. Für die detaillierte Modellaufsicht ist das Risikomanagement verantwortlich. Insbesondere fällt in sein Ressort die Aufsicht über Design, Implementation, Test und Validierung des Modells. Inputdaten müssen akkurat, vollständig und adäquat sein. • Statistischer Qualitätsstandard: Das Modell muss fachlich korrekt sein, und die Methodologie muss dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Alle Annahmen, die der Methodologie des Modells zugrunde liegen, müssen gerechtfertigt werden. • Kalibrierungsstandard: Das Modell muss so kalibriert sein, dass das berechnete Risikokapital zu einem 99.5% VaR äquivalent ist. • Validierung: Das Unternehmen muss eigene Validierungsrichtlinien haben. Diese Richtlinien beziehen sich sowohl auf die Validierung des Rechenkerns als auch auf alle quantitativen und qualitativen Prozesse, die das Modell betreffen. Darunter fallen zumindest Daten, Methodologie, Annahmen, Expertenmeinungen, Dokumentation, IT-System, Modellaufsicht, Verwendungstest. Modellergebnisse müssen mit der Vergangenheitserfahrung abgeglichen werden, und die Robustheit des Modells seiner Methodik muss sichergestellt sein. • Dokumentation: Das Unternehmen muss eine ausführliche und vollständige Dokumentation des Modells, der zugrundeliegenden Methodik und seiner Anwendung führen. Dabei müssen auch explizit die Gültigkeitsgrenzen des Modells aufgezeigt werden. • Externe Modelle und Daten: Das Unternehmen muss die Rolle von externen Daten und Modellen sowie das Ausmaß ihrer Anwendung im Modell dokumentieren.
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Schließlich legt Säule 1 den Prudent Person Plus Approach fest, der für das Kapitalanlagenmanagement die Prinzipien eines sachkundigen und umsichtigen Managers vorsieht, der Risiko- und Renditeaspekte sorgfältig abwägt. Das „Plus“ bezeichnet dabei die Ergänzung dieser Prinzipien durch quantitative Kapitalanlagevorschriften und ein System von Limiten, die Risiken, die nicht im SCR erfasst werden wie z.B. dem Konzentrationsrisiko, Rechnung tragen. Einen konkreten Niederschlag findet das „Plus“ dieses Prinzip in den an Basel II angelehnten Tiers-System zur Einteilung der Kapitalanlagen.
8.2.4.4 Kernelemente der Säule 2 Säule 2 zielt auf ein effektives Risikomanagement ab, das eng mit der Unternehmenssteuerung verzahnt ist. Das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren (Supervisory Review Process) soll sicherstellen, dass die Versicherungsunternehmen Mindestanforderungen an das Risikomanagement und interne Kontrollverfahren erfüllen. Ferner muss das leitende Management ausreichend qualifiziert und geeignet sein, die Verantwortung für das Unternehmen zu übernehmen (Fit and Proper-Kriterien). Säule 2 regelt die Methoden des SRP, die Interventionsniveaus der Aufsicht sowie die aufsichtsbehördlichen Befugnisse. In Säule 2 können zusätzliche Eigenmittelanforderungen (capital add-ons) definiert werden, um • eine unzureichende Eigenmittelausstattung in Säule 1 infolge einer mangelhaften Abbildung des Risikoprofils durch das Standardmodell oder Schwächen des internen Modells aufzustocken oder • Schwachstellen im Risikomanagementprozess, internen Kontrollen und Strategien zu sanktionieren. Vor einer Festsetzung von Add-ons sollen jedoch zunächst Maßnahmen zur Beseitigung der Schwachstellen geprüft werden. Der SRP läuft im Dialog zwischen der Aufsicht und dem Versicherungsunternehmen ab. Idealerweise wird er bereits vom Unternehmen im Own Risk and Solvency Assessment (ORSA) antizipiert, dessen Ziele im besseren Verständnis der eigenen Risiken, der permanenten Überwachung des eigenen Risikoprofils und der dauerhaften Sicherstellung der Solvenz bestehen. Kernelemente des ORSA sind: • regelmäßige Analyse des Risikoprofils unter Berücksichtigung möglicher zukünftiger adverser Entwicklungen • Einschätzung des Solvabilitätsbedarfs unter Zugrundelegung des Risikoprofils, der individuellen Risikotoleranz und der Geschäftsstrategie, wobei dies keine Duplizierung der SCR-Berechnung, sondern eine rein ökonomische Betrachtung impliziert. • Sicherstellung der ständigen Erfüllung des SCR und der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten • Analyse der Abweichungen des Risikoprofils von den Annahmen des SCR
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• Verzahnung mit der strategischen Unternehmenssteuerung, Einbindung in die Entscheidungsprozesse Der ORSA soll Bestandteil der Risikokultur des Versicherungsunternehmens sein, mindestens jährlich sowie unverzüglich nach jeder bedeutenden Änderung des Risikoprofils durchgeführt werden. Alle relevanten Risiken sind einzubeziehen, auch solche, die im SCR nicht erfasst werden. Der ORSA ist auf eine ökonomische Betrachtungsweise auszurichten und muss insbesondere marktkonsistente Bewertungsansätze verwenden. Der ORSA erfordert eine adäquate Dokumentation. Es gilt der Grunsatz der Proportionalität, nach dem sich Umfang und Intensität des ORSA an der unternehmensindividuellen Situation orientieren sollen.
8.2.4.5 Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) Im Vorgriff auf Säule II von Solvency II hat der deutsche Gesetzgeber 2008 den §64a „Geschäftsorganisation“ in das VAG eingeführt, der neben einer ordnungsgemäßen Verwaltung und Buchhaltung ein angemessenes Risikomanagement als Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung festschreibt. Als Kernelemente nennt §64a VAG eine mit der Steuerung des Unternehmens abgestimmte Risikostrategie, geeignete aufbau- und ablauforganisatorische Regelungen, ein internes Steuerungs- und Kontrollsystem sowie eine interne Revision. Mit dem Rundschreiben 3/2009 (VA) konkretisiert die BaFin die Vorgabe des §64a VAG in Gestalt von Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk). Die MaRisk verbinden quantitatives und qualitatives Risikomanagement miteinander und verzahnen das Risikomanagement mit der internen Steuerung. Ausgangspunkt ist das unternehmensindividuelle Gesamtrisikoprofil, das sich aus der Geschäftsstrategie und der Risikostrategie des Unternehmens ergibt. Die MaRisk verlangen die Betrachtung aller wesentlichen Risiken. Eine Risikokategorisierung muss dabei mindestens die folgenden Risikoarten einbeziehen: versicherungstechnische Risiken, Marktrisiken, Kreditrisiken, operationale Risiken, Liquiditätsrisiken, Konzentrationsrisiken, strategische Risiken, Reputationsrisiken. Die Geschäftsleitung muss Ertrags- und Kapitalziele vorgeben. Auf der Basis von ökonomischen Bewertungsansätzen und der eigenen Risikoneigung ist ein Risikotragfähigkeitskonzept zu erstellen. Das Risikotragfähigkeitskonzept legt dar, welches Risikodeckungspotential (vorhandenes Risikokapital) zur Verfügung steht und wie viel davon zur Risikotragung verwendet werden soll (benötigtes Risikokapital). Dabei stellen die Solvabilitätsanforderungen eine Untergrenze, d.h. lediglich eine Nebenbedingung dar. Das Risikotragfähigkeitskonzept wird dann mit Hilfe eines Limitsystems (s. unten) operationalisiert. Die Implementierung eines Risikomanagementsystems gemäß MaRisk stellt folgende Anforderungen an die Geschäftsorganisation: • Aufbauorganisation. Die Gesamtverantwortung für das Risikomanagement liegt bei der Geschäftsleitung und ist nicht delegierbar. Die Geschäftsleitung hat eine zur Geschäftsstrategie passende Risikostrategie zu entwickeln und die Risiko-
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•
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toleranz festzulegen. Ausgehend von dem sich daraus ergebenden Gesamtrisikoprofil hat die Geschäftsleitung für die Etablierung einer Risikokultur Sorge zu tragen, die die Implementierung und kontinuierliche Weiterentwicklung eines funktionierenden Risikomanagementsystems ermöglicht. Die Aufbauorganisation muss auf die Geschäftsstrategie ausgerichtet sein und eine klare Trennung zwischen operativen Einheiten, die Risiken tragen, und der unabhängigen Risikocontrollingfunktion (URCF) vorsehen. Die interne Revision ist unabhängig und nur der Geschäftsleitung unterstellt. Ablauforganisation. Alle risikorelevanten Geschäftsabläufe und Prozesse sind klar zu definieren. Die risikorelevanten Geschäftsabläufe umfassen nach MaRisk mindestens die Produktentwicklung, das Controlling, das Kapitalanlagenmanagement, die Reservierung und die Rückversicherung. Alle Verantwortlichkeiten sind den Funktionsträgern klar zuzuordnen und adäquate Kommunikations- und Berichtsstrukturen zu schaffen. In Bezug auf die eingegangenen Risiken sind angemessene Ressourcen (z.B. qualifiziertes Personal, technische Ausstattung) zuzuteilen. Betriebliche Anreizsysteme sollen im Einklang mit der Risikostrategie stehen und negative Anreize (z.B. ausschließlich kurzfristige Gewinnmaximierung) vermeiden. Die Geschäftsorganisation ist kontinuierlich weiterzuentwickeln. Internes Steuerungs- und Kontrollsystem. Auf Basis der Risikostrategie und des sich daraus ergebenden Gesamtrisikoprofils ist ein Risikotragfähigkeitskonzept zu erstellen, das das vorhandene Risikodeckungspotential ermittelt und darlegt, wie viel davon zur Risikotragung in welchen Geschäftsbereichen verwendet wird. Das Interne Steuerungs- und Kontrollsystem hat das Risikotragfähigkeitskonzept mit Hilfe eines Limitsystems zu operationalisieren und damit das Gesamtrisikoprofil des Unternehmens gemäß der von der Geschäftsleitung vorgegebenen Risikotoleranz zu steuern. Das Interne Steuerungs- und Kontrollsystem überwacht den gesamten Risikomanagementprozess, stellt funktionierende unternehmensinterne Kommunikationsstrukturen und die Risikoberichterstattung sicher. Die Risikoberichterstattung gibt Auskunft über das Gesamtrisikoprofil, die Limitauslastung und in Gestalt von ad hoc Berichten über einschneidende risikorelevante Veränderungen. Das Interne Steuerungs- und Kontrollsystem ist somit aktiv an der Entwicklung einer Risikokultur im Unternehmen beteiligt. Interne Revision. Das Tätigkeitsfeld der internen Revision umfasst die gesamte Geschäftsorganisation und das Risikomanagement. Die interne Revision hat ein uneingeschränktes Prüfungsrecht. Sie ist unabhängig und direkt der Geschäftsleitung unterstellt. Eine Ausgliederung der internen Revision an externe Abschlussprüfer oder an Konzernunternehmen ist zulässig. Funktionsausgliederung. Bei Funktionsausgliederungs- und Dienstleistungsverträgen sind die damit verbundenen Risiken zu überwachen und angemessen zu steuern. Die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten der Geschäftsleitung sowie die Prüfungs- und Kontrollrechte der Aufsicht dürfen durch die Funktionsausgliederung nicht beeinträchtigt werden. Dokumentation. Eine angemessene Dokumentation muss sicherstellen, dass alle wesentlichen Informationen über das Risikomanagementsystem, das Interne
332
8 Aufsichtsrechtliche Fragestellungen
Steuerungs- und Kontrollsystem, die Aufbau- und Ablauforganisation sowie die Veränderungen im Zeitablauf in einer für sachverständige Dritte nachvollziehbaren und überprüfbaren Form zur Verfügung stehen. • Notfallplanung. Ziel einer Notfallplanung ist es, geeignete Maßnahmen vorzusehen, die im Krisen- oder Katastrophenfall die Kontinuität der wichtigsten Unternehmensprozesse (z.B. IT) gewährleisten. Die Anforderungen der MaRisk sind für ein konkretes Unternehmen gemäß dem Prinzip der Proportionalität auszulegen. Dies bedeutet, dass der Detaillierungsgrad der umzusetzenden Anforderungen in einem (ökonomisch) sinnvollen Verhältnis zum jeweiligen Risikoprofil des Unternehmens stehen sollte.
Operative Geschäftsbereiche
• •
Maßnahmen bei Limitüberschreitungen Bericht über Maßnahmen Überwachung der Maßnahmen durch URCF
Unabhängiger Berichterstatter
• •
Berichterstattung der Risikokennzahlen Periodischer Bericht an die Geschäftsleitung Geschäftsleitung legt fest, wer berichtet
Unabhängige Risikocontrolling Funktion (URCF)
• •
Überwachung der Limits Limitauslastung in Form von Risikokennzahlen Aggregation und Abgleich mit Risikodeckungspotenzial
Geschäftsleitung
• • •
Vorgabe von Limits Konsistentes Limitsystem Im Einklang mit Risikostrategie Quantitative und qualitative Limits
• •
Vorschlag von Limits Limits auf allen relevanten Steuerungsebenen Limits für alle relevanten Risikoarten
Unabhängige Risikocontrolling Funktion (URCF)
Abb. 8.3 Die drei Säulen der Solvency II Architektur.
Die MaRisk sehen für die Umsetzung des Risikotragfähigkeitskonzeptes ein Limitsystem vor (siehe Abbildung 8.3). Im Einklang mit der Geschäftsstrategie sind dabei aus dem benötigten Risikokapital Limite abzuleiten, die auf verschiedene Ebenen (z.B. Organisationsbereiche, Produkte, Tarife, Risikoarten) bezogen werden können. Zwingend ist die Aufteilung von Limiten auf die wichtigsten steuernden Organisationsbereiche und auf die Risikoarten. Die Limitauslastung ist mit einem
8.2 Solvabilität
333
quantitativen oder qualitativen Risikocontrolling zu überwachen. Die Verantwortung für die Definition und die Überwachung von Limiten wird von der unabhängigen Risikocontrollingfunktion (URCF) wahrgenommen. Über die Limiteinhaltung muss regelmäßig Bericht erstattet werden. Die Limite müssen für die jeweiligen Adressaten interpretierbar und operativ umsetzbar sein (z.B. allokiertes Risikokapital, Neugeschäftsvolumen, Zeichnungslimit, Aktienquote, maximales Kreditrisiko gegenüber einer Gesellschaft). Ein geplanter Geschäftsvorgang, der zur Limitüberschreitung führen würde, muss entweder abgelehnt werden oder durch vorher definierte Reaktionen mit der Risikostrategie in Einklang gebracht werden (z.B. autorisierte Erhöhung des Limits der Einheit bei ausreichender Risikokapitalausstattung des Unternehmens, Reduktion anderer Limits, Risikotransfer). Voraussetzungen für ein funktionierendes Limitsystem sind klare Zuständigkeiten im Risikomanagement und ein regelmäßiges Reporting. Dadurch, dass die MaRisk das Risikomanagement auf der konkreten Geschäftsund Risikostrategie, also auf den geschäftspolitischen Grundsatzentscheidungen aufbauen und mit der Unternehmenssteuerung verzahnen, lässt sich insgesamt eine Erweiterung der traditionellen Risikosicht der Aufsicht zu einem ökonomisch basierten wertorientierten Risikomanagement erkennen.
Anhang A
Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
Das CAPM hat erhebliche historische Bedeutung, eignet sich aber aufgrund seiner starken Vereinfachungen nur sehr bedingt für modernes Risikomanagement. Wir nehmen an, dass der Markt aus n + 1 Finanzinstrumenten i ∈ {0, . . . , n} besteht. Wir bezeichnen mit Pi die „normierte“ Kapitalanlage in das Finanzinstrument i, die (zum Zeitpunkt 0) den Wert 1 hat. Wir stellen Pi durch den i-ten Einheitsvektor im Rn+1 dar. Der Ertrag (zum Zeitpunkt 1) aus dieser Kapitalanlage ist eine Zufallsvariable, die wir mit Ri bezeichnen. Wir machen die folgenden ökonomischen Annahmen: (i) Für das Finanzinstrument 0 ist der Ertrag R0 konstant. P0 ist somit eine risikofreie Kapitalanlage. Aus Wettbewerbsgründen kann es im Markt höchstens ein risikofreies Finanzinstrument geben. (ii) Für alle i > 0 gilt var(Ri ) > 0. Die Kapitalanlagen P1 , . . . , Pn heißen risikobehaftet. (iii) Die Erträge der Finanzinstrumente sind positiv korreliert, jedoch nicht perfekt korreliert, corr(Ri , R j ) ∈ [0, 1[ für alle i, j. (iv) Es gibt weder Transaktionskosten noch persönliche Einkommenssteuer. (v) Alle Kapitalanlagen können beliebig geteilt werden. (vi) Es herrscht perfekter Wettbewerb: Kein einzelner Anleger kann den Aktienpreis durch Käufe oder Verkäufe beeinflussen. (vii) Jeder Kapitalanleger basiert seine Entscheidungen einzig auf Erwartungswert und Varianz der Erträge aller möglichen Portfolios. i i Definition A.1. Ein Portfolio P(x) = ∑n+1 i=0 x Pi besteht aus x ≥ 0 Anteilen der Kapitalanlage Pi für jedes i ∈ {0, . . . , n}. Wir bezeichnen den Ertrag aus P(x) mit R(x). Ein reines Portfolio P(x) ist ein Portfolio aus Kapitalanlagen mit x0 = 0. Wir bezeichnen die Menge aller reinen Portfolios mit Prein . Ein normiertes Portfolio ist ein Portfolio P(x) mit ∑ni=0 xi = 1. Wir bezeichnen die Menge aller normierten Portfolios mit P norm .
Anmerkung A.1. Offenbar beträgt der Wert eines normierten Portfolios 1.
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
335
336
A Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
Für P(x), P(y) ∈ P norm sei ⎧ ⎪ ⎨E(R(x)) < E(R(y)), σ (R(x)) ≥ σ (R(y)) P(x) ≺ P(y) ⇔ oder ⎪ ⎩ E(R(x)) ≤ E(R(y)), σ (R(x)) > σ (R(y))
.
Gilt P(x) ≺ P(y), so ist (unter den dem CAPM zugrundeliegenden Annahmen) das normierte Portfolio P(y) dem normierten Portfolio P(x) vorzuziehen. Der optimale Rand ∂ P norm von P norm besteht aus den Portfolios ∂ P norm = {P(x) ∈ P norm : es gibt kein P(y) ∈ P norm mit P(x) ≺ P(y)} Da [0, 1]n+1 ∩ {x : ∑ni=1 xi = 1} kompakt ist, ist ∂ P norm wohldefiniert. norm von P norm = P norm ∩ P Der optimale Rand ∂ Prein rein ist analog definiert. rein Definition A.2. Es sei P(x) ein normiertes Portfolio. Dann ist p(x) = (σ (R(x)), E(R(x))) ∈ R2 ein Punkt im Risiko-Ertrags-Diagramm des Kapitalmarkts. Die Kapitalmarktlinie ist die Menge {p(x) ∈ R2 : P(x) ∈ ∂ P norm } im Risiko-Ertrags-Diagramm. Die Effizienzkurve ist die Menge norm {p(x) ∈ R2 : P(x) ∈ ∂ Prein }.
im Risiko-Ertrags-Diagramm. Wir sagen, dass P(x) auf der Kapitalmarktlinie/Effizienzkurve liegt, falls (σ (R(x)), E(R(x)) ein Punkt auf der Kapitalmarktlinie/Effizienzkurve ist. Die Kapitalmarktlinie beschreibt somit die im Markt optimalen Kapitalanlageportfolios. Theorem A.1. Die Effizienzkurve ist konkav. Beweis. Es seien P(x) und P(y) reine normierte Portfolios auf der Effizienzkurve. Wir können o.B.D.A. σ (R(y)) > σ (R(x)) und E(R(y)) > E(R(x)) annehmen. Es genügt zu zeigen, dass für a ∈]0, 1[ E (R(ay + (1 − a)x) − R(x)) E (R(y) − R(x)) > σ (R(ay + (1 − a)x)) − σ (R(x)) σ (R(y)) − σ (R(x)) gilt (siehe Abbildung A.1). Da corr(Pi , Pj ) ∈ [0, 1[ für alle i = j gilt, folgt
(A.1)
A Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
337
cov(P(y), P(x)) < σ (y)σ (x) und somit var (R(ay + (1 − a)x)) < a2 var (R(y)) + 2a(1 − a)σ (R(y)) σ (R(x)) + (1 − a)2 var (R(x)) = (aσ (R(y)) + (1 − a)σ (R(x)))2 .
(A.2)
Insbesondere gilt σ (R(ay+(1−a)x)) < σ (R(y)) und Gleichung (A.1) ist äquivalent zu 0 < (E(R(ay + (1 − a)x) − R(x)))(σ (R(y)) − σ (R(x))) − (E(R(y) − R(x)))(σ (R(ay + (1 − a)x)) − σ (R(x))) = E(R(y) − R(x)) a(σ (R(y)) − σ (R(x))) − (σ (R(ay + (1 − a)x)) − σ (R(x))) = E(R(y) − R(x)) aσ (R(y)) + (1 − a)σ (R(x)) − σ (R(ay + (1 − a)x)) . Die letzte Ungleichung ist äquivalent zu Gleichung (A.2) und somit erfüllt.
p(y)
Effizienzkurve
E(R(x))
p(ay + (1 − a)x)
p(x)
0 σ (R(x))
0
Abb. A.1 Beweis von Theorem A.1. Die Punkte p(x), p(y), p(ay + (1 − a)x) repräsentieren die reinen normierten Portfolios P(x), P(y), P(ay + (1 − a)x) im Risiko-Ertrags-Diagramm.
norm , so dass die KapiTheorem A.2. Es gibt ein eindeutiges Portfolio P(xM ) ∈ Prein norm talmarktlinie aus den Portfolios P(y) ∈ P mit
E(R(y)) = R0 + besteht.
E(R(xM )) − R0 σ (R(y)) σ (R(xM ))
338
A Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
Beweis. Jedes normierte Portfolio P(y) hat die Form P(y) = aP0 + (1 − a)P(x), wobei P(x) ein reines normiertes Portfolio ist und a ∈ [0, 1] gilt. Es gilt E(R(y)) = aR0 + (1 − a)E(R(x)) = R0 + (1 − a)(E(R(x)) − R0 ),
(A.3)
wobei wir E(R0 ) = R0 benutzt haben. Da aR0 eine konstante Zufallsvariable ist, erhalten wir var(R(y)) = var (aR0 + (1 − a)R(x)) = (1 − a)2 var(R(x)) bzw. σ (R(y)) = (1 − a)σ (R(x)). Indem wir diese Gleichung nach 1 − a auflösen und in Gleichung (A.3) einsetzen, sehen wir, dass im Risiko-Ertrags-Diagramm die Punkte p(y) derjenigen Portfolios P(y), die für festes x aus Kombinationen von P(x) und P0 bestehen, auf einer Geraden liegen. Diese Gerade ist durch E(R(y) = R0 +
E(R(x)) − R0 σ (R(y)) σ (R(x))
gegeben. Insbesondere liegt der Punkt (0, R0 ) auf dieser Geraden und hängt nicht von P(x) ab. Somit geht jede Gerade, die auf diese Weise von einem reinen normierten Portfolio P(x) generiert wird, durch (0, R0 ). Es sei j > 0 das Finanzinstrument, für das der Ertrag der normierten Kapitalanlage Pj die kleinste Standardabweichung σ (R j ) > 0 hat, und i sei das Finanzinstrument, für das der Ertrag der normierten Kapitalanlage Pi den größten Erwartungswert E(Ri ) hat. Dann gilt für den Anstieg θ (x) der von P(x) generierten Geraden θ (x) =
E(R(x)) − R0 E(R(x)) − R0 Ri − R0 = ≤ < ∞. σ (R(x)) − σ (R0 ) σ (R(x)) σ (R j )
Also existiert norm } < ∞. θmax = sup {θ (x) : P(x) ∈ Prein
Da [0, 1]n+1 ∩ {x : x0 = 0, ∑ni=0 xi = 1} kompakt und x → θ (x) stetig ist, existiert eine gegen einen Vektor xM konvergente Folge {xk }k∈N , so dass gilt (i) P(xk ) und P(xM ) sind reine normierte Portfolios, (ii) θ (xM ) = θmax , (iii) P(xM ) liegt auf der Kapitalmarktlinie. Siehe Abbildung A.2. Da P(xM ) auf der Kapitalmarktlinie liegt, tangiert die Kapitalmarktlinie die Effizienzkurve. P(xM ) ist eindeutig, weil eine konkave Kurve ihre Tangenten nur in jeweils einem Punkt berührt. Definition A.3. P(xM ) ist das Marktportfolio. Wir schreiben RM = R(xM ). Da im CAPM jeder Kapitalanleger seine Entscheidungen ausschließlich auf erwarteten Ertrag und Varianz der möglichen Portfolios stützt, ist es für jeden Kapitalanleger optimal, in eine Mischung aus Kapitalmarktportfolio und risikofreier Anlage zu investieren. Folglich hält jeder Kapitalanleger die gleichen relativen Anteile
A Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
339
Kapitalmarktlinie
Effizienzkurve
E(R(x))
p(xM )
E(R(xM ))
p(y4 ) p(y5 ) p(y2 )
p(y3 )
p(y1 ) R0 0 0
σ (R(x))
σ (R(xM ))
Abb. A.2 Kapitalmarktlinie und Effizienzkurve. p(xM ) = (σ (R(xM )), E(R(xM ))) ist der vom Marktportfolio P(xM ) generierte Punkt im Risiko-Ertrags-Diagramm. Die Punkte p(y1 ), . . . , p(y5 ) repräsentieren einige reine normierte Portfolios und liegen daher unter der Effizienzkurve.
an den Finanzmarktinstrumenten 1, . . . , n. Insbesondere ist das Kapitalmarktportfolio ein Vielfaches des gesamten reinen Kapitalmarkts. Diese Konsequenz der Annahmen des CAPM ist im wirklichen Kapitalmarkt nicht erfüllt, was zeigt, dass das CAPM für Anwendungen häufig zu simplistisch ist. Korollar A.1. Für jedes normierte Portfolio P(y) ∈ P norm gilt E(R(y)) = R0 +
cov(R(y), RM ) (E(RM ) − R0 ) . var(RM )
Beweis. Wir benutzen die gleichen Bezeichnungen wie im Beweis von Theorem A.2. Für das Marktportfolio P(xM ) nimmt der Anstieg x → θ (x) ein Maximum i = 1 an. Die Koeffizienten xi können mit der unter der Nebenbedingung ∑ni=1 xM M Lagrange-Multiplikatorenregel bestimmt werden. Dazu müssen wir die stationären Punkte von n
(x1 , . . . , xn , λ ) → θ (x) − λ ( ∑ xi − 1) = i=1
n E(R(x)) − R0 − λ ( ∑ xi − 1) σ (R(x)) i=1
finden. Die Ableitung nach xk an der Stelle xM liefert
340
A Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
E(R(x)) − R0 σ (R(x)) |xM ⎛ ⎞ ∂ ⎝ ∑ni=1 xi E(Ri ) − R0 ⎠ = k
∂x ∑ni, j=1 xi x j cov(Ri , R j )
λ=
= =
∂ ∂ xk
|xM n i cov(R , R )/σ (R ) E(Rk )σ (RM ) − (E(RM ) − R0 ) ∑i=1 xM i k M σ (RM )2
E(Rk )var(RM ) − (E(RM ) − R0 )cov(RM , Rk ) . σ (RM )3
(A.4)
k multiplizieren und über k summieren, erhalten Indem wir diese Gleichung mit xM k =1 wir unter Berücksichtigung der Nebenbedingung ∑nk=1 xM
λ=
E(RM )var(RM ) − (E(RM ) − R0 )var(RM ) R0 . = σ (RM )3 σ (RM )
Damit folgt aus Gleichung (A.4) R0 E(Rk )var(RM ) − (E(RM ) − R0 )cov(RM , Rk ) = σ (RM ) σ (RM )3 ⇔ R0 var(RM ) = E(Rk )var(RM ) − (E(RM ) − R0 )cov(RM , Rk ) ⇔ (E(Rk ) − R0 )var(RM ) = (E(RM ) − R0 )cov(RM , Rk ), was die Aussage des Korollars für den Spezialfall P(y) = Pk , k > 0, zeigt. Die Aussage gilt außerdem trivialer Weise für P0 . Der allgemeine Fall für das normierte Portfolio P(y) folgt nun direkt aus der Linearität des Erwartungswertes und der Bi linearität der Kovarianz unter Berücksichtigung von ∑ni=0 yi = 1. Definition A.4. Das β eines normierten Portfolios P(y) ist durch β (y) =
cov(R(y), RM ) var(RM )
gegeben. Mit dieser Definition hat der Erwartungswert E(R(y)) die Darstellung E(R(y)) = R0 + β (y) (E(RM ) − R0 ) . Diese Beziehung wird mitunter als Hauptaussage des CAPM aufgefasst. Definition A.5. Das systematische Risiko des Portfolios P(y) beträgt corr(R(y), RM ) . σ (R(y)) Das nicht-systematische Risiko des Portfolios P(y) ist (1 − corr(R(y), RM ))σ (R(y)).
A Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
341
Definition A.5 lässt sich durch das folgende Beispiel motivieren. Beispiel A.1. Wir nehmen an, dass der Ertrag des Finanzinstruments i linear vom Ertrag RM des Marktportfolios abhängt: Ri = αi + βi RM + εi ,
(A.5)
wobei εi ein stochastischer Rauschterm mit cov(εi , RM ) = 0 ist. αi , βi sind Konstanten, wobei o.B.d.A. αi so gewählt ist, dass E(εi ) = 0 gilt. Es folgt var(R j ) = cov(α j + β j RM + ε j , α j + β j RM + ε j ) = cov(β j RM + ε j , β j RM + ε j ) = (β j )2 var(RM ) + var(ε j ) = corr(R j , RM )2 (σ (R j ))2 + var(ε j ). Also ist die Standardabweichung einer Kapitalanlage Pj mit verschwindendem ε j gerade das systematische Risiko des Portfolios Pj . Das nicht-systematische Risiko lässt sich wegdiversifizieren, indem man das Marktportfolio wählt, denn es gilt var(RM ) = =
n
∑ xMj cov(R j , RM )
j=1 n
∑ xMj corr(R j , RM )σ (R j )σ (RM ).
j=1
Definition A.6. Die Risikoprämie des Portfolios P beträgt E(R(y)) − R0 . Aus β (y) =
corr(R(y), RM )σ (R(y)) σ (RM )
folgt, dass β (y) der Quotient aus systematischem Risiko und Marktrisiko ist. Außerdem folgt, dass die Risikoprämie von P(y) gerade das β (y)-fache der Risikoprämie des Marktportfolios ist.
Anhang B
R-Skript für die SCR-Berechnung im SST Lebens Modell
Die Berechnungen in Abschnitt 4.6.1.4 wurden mit dem folgenden Skript vorgenommen. # Assets -- A:Aktien, B:Bonds A <- 1; B <-2 Assets <- c(10,90) Liabilities <- 80 RTK <- sum(Assets)-sum(Liabilities) #Risikofaktoren -- Z:Zins, I:(Aktien)Index, S:Storno Z <- 1; I <- 2; S <- 3 # BestEstimateStorno ist unbedeutend, # der Wert hebt sich in den Formeln weg BestEstimateStorno <- 123 Delta <- c(0.0001,0.1*Assets[A],0.1*BestEstimateStorno) DeltaRTK <- c(Delta[Z]*(-5*Assets[B]+10*Liabilities), Delta[I]*Assets[A], -0.05) Dg <- t(DeltaRTK/Delta); volX <- c(0.0125,0.25,BestEstimateStorno) corr <- array(c(1,-0.25,0,-0.25,1,0,0,0,1),c(3,3)) varDeltaRTK <- ( Dg %*% (corr * (volX %*% t(volX))) %*% t(Dg) ) p1 <- 0.005 K <- 5 c1 <- 20 KonfNiveau <- 0.99 FRoot <- function(x,a){
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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B R-Skript für die SCR-Berechnung im SST Lebens Modell
((1-p1)*pnorm(x,K,sqrt(varDeltaRTK)) + p1*pnorm(x,K+c1,sqrt(varDeltaRTK))-KonfNiveau) } xF <- function(x){ x*((1-p1)*dnorm(x,K,sqrt(varDeltaRTK)) + p1*dnorm(x,K+c1,sqrt(varDeltaRTK))) } x0 <- uniroot(FRoot, lower=0, upper=1E6, tol=0.000001)$root ES <- integrate(xF,x0,Inf)$value/(1-KonfNiveau) print(paste("Das Risikokapital ohne MVM ist ", "damit C0 = ", ES, sep=""))
Anhang C
R-Skript für die szenariobasierte Solvency II SCR-Berechnung
Die Berechnungen in Beispiel 4.12 wurden mit dem folgenden Skript vorgenommen. # Access of PortfolioData columns INTEREST <- 2 # interest column (risk free rate) BOND <- 3 # Cash from zero bonds DEPOSIT <- 4 # Deposit by policyholders with the # corresponding maturity. tiny <- 1E-6 # Our three scenarios BE <- 1 UP <- 2 DOWN <- 3 # Maturity t, rel. change sup(t), re. change sdown(t) # Durations shorter than 1 year have the same relative # changes as duration 1 Shocks <- rbind(c(1, 70/100, -75/100), c(2, 70/100, -65/100), c(3, 64/100, -56/100), c(4, 59/100, -50/100), c(5, 55/100, -46/100), c(6, 52/100, -42/100), c(7, 49/100, -39/100), c(8, 47/100, -36/100), c(9, 44/100, -33/100), c(10, 42/100, -31/100), c(11, 39/100, -30/100), c(12, 37/100, -29/100), c(13, 35/100, -28/100), c(14, 34/100, -28/100),
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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C R-Skript für die szenariobasierte Solvency II SCR-Berechnung
c(15, 33/100, -27/100), c(16, 31/100, -28/100), c(17, 30/100, -28/100), c(18, 29/100, -28/100), c(19, 27/100, -29/100), c(20, 26/100, -29/100), c(21, 26/100, -29/100), c(22, 26/100, -30/100), c(23, 26/100, -30/100), c(24, 26/100, -30/100), c(25, 26/100, -30/100), c(30, 25/100, -30/100)) Bonds <- rbind(c(1,1000), c(2,500), c(3,200), c(4,100)) PortfolioData <- rbind (c(1, 0.5/100, 1200, c(2, 1.0/100, 500, c(3, 1.2/100, 300, c(4, 1.5/100, 100, c(5, 2.0/100, 0, c(6, 2.2/100, 0, c(7, 2.3/100, 0, c(8, 2.3/100, 0, Projection <- 1:length(PortfolioData[,1])
500), 450), 300), 250), 200), 150), 100), 50))
# Initialization of vectors and matrices discount <- matrix(NA,3,length(Projection)) Assets <- c() Claims <- matrix(NA,3,length(Projection)) Liabs <- rep(NA,3) NAV <- rep(NA,3) D_NAV <- rep(NA,3) ADJ_Liabs <- rep(NA,3) ADJ_NAV <- rep(NA,3) ADJ_D_NAV <- rep(NA,3) # risk free rate for the three scenarios: BE, UP, DOWN RF <- rbind(PortfolioData[,INTEREST], PortfolioData[,INTEREST] *(1+Shocks[Projection,UP]), pmax(PortfolioData[,INTEREST] +pmin(PortfolioData[,INTEREST] *Shocks[Projection,DOWN], -0.01),0))
C R-Skript für die szenariobasierte Solvency II SCR-Berechnung
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# The policyholders are credited 90% of risk free rate CreditFactor <- 0.9 for (i in c(BE,UP,DOWN)){ Claims[i,] <- (cumprod(1 +CreditFactor*RF[i,]) *PortfolioData[,DEPOSIT]) } for (i in c(BE,UP,DOWN)){ discount[i,] <- 1/cumprod(1+RF[i,]) Assets[i] <- sum(discount[i,]*PortfolioData[,BOND]) # Without risk mitigation we use the best estimate # claims in all scenarios Liabs[i] <- sum(discount[i,]*Claims[BE,]) NAV[i] <- Assets[i]-Liabs[i] ADJ_Liabs[i] <- sum(discount[i,]*Claims[i,]) ADJ_NAV[i] <- Assets[i]-ADJ_Liabs[i] } for (i in c(UP,DOWN)){ D_NAV[i] <- max(0,-(NAV[i]-NAV[BE])) ADJ_D_NAV[i] <- max(0,-(ADJ_NAV[i]-ADJ_NAV[BE])) } ADJ_SCR <- max(ADJ_D_NAV[UP],ADJ_D_NAV[DOWN],0) #tiny rather 0 to avert rounding problems if (ADJ_SCR < tiny){ SCR <- 0 }else if (abs(ADJ_SCR-ADJ_D_NAV[UP]) < tiny){ SCR <- D_NAV[UP] }else{ SCR <- D_NAV[DOWN] } Results <- data.frame(row.names = c("BE","UP","DOWN"), Assets, Liabs, NAV, D_NAV, ADJ_Liabs, ADJ_NAV, ADJ_D_NAV ) names(Results) = (c("Assets", "Liabs", "NAV",
348
C R-Skript für die szenariobasierte Solvency II SCR-Berechnung
"D_NAV", "ADJ_Liabs", "ADJ_NAV", "ADJ_D_NAV")) print(Results) SCR_Result <- data.frame(SCR,ADJ_SCR) names(SCR_Result) <- c("SCR","ADJ_SCR") print(SCR_Result)
Anhang D
R-Skript für die Solvency II SCR-Berechnung der XYZ-AG aus Beispiel 4.13
Die Berechnung besteht aus 3 Skripten, SII_NL_Input.r, SII_NL_Calc.r und SII_NL_Output.r, die nacheinander eingelesen werden. Die Ergebnisse werden direkt in der R-Console ausgegeben.
D.1 Input Definition Die Datei SII_NL_Input.r definiert die Eingabedaten aus Beispiel 4.13: ### Global constants tiny <- 1E-6 # gross: before reinsurance, net: after reinsurance gross <- 1; net <- 2 ConfLevel <- 0.995 # Following assignments make indexing more comfortable NoIns <- 3 F <- 1 # Feuer H <- 2 # Haftpflicht D <- 3 # Diebstahl PY <- 1 # Past Year CY <- 2 # Currenty Year NY <- 3 # Next Year Ins_Name <- c("Feuer", "Haftpflicht", "Diebstahl") Ins_No <- c( NA, # 1 NA, # 2 NA, # 3
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D R-Skript für die Solvency II SCR-Berechnung der XYZ-AG aus Beispiel 4.13
F, H, NA, NA, NA, D, NA, NA, NA ) # #
# 4 # 5 # 6 # 7 # 8 # 9 # 10 # 11 # 12
Row Index: Lob_Name Column index: Time (PY, CY, NY)
# Gross written premium for PY and CY Prem_written_gross <- rbind(c( 500, 600), c( 250, 300), c( 50, 100)) # Mean and variation koefficient of the cost per claim # gross of reinsurance Mean_Y_gross <- c(0.1, 0.1, 0.1) VK_Y_gross <- c( 0.5, 0.6, 0.7) # unearned premiums # (net values) UPR <- rbind(c( 50, c( 20, c( 5,
reserve for PY, CY, NY 70, 75), 40, 45), 12, 15))
#Costs <- c( 0.05, 0.05, 0.05) # Proportional reinsurance ReP_Q <- c( 0.25, 0.20, 0.20) # Non-proportional reinsurance ReNP_a <- c( 0.2, 0, 0) ReNP_h <- c( 0.5, 0, 0) #Reserve pattern t_runoff <- 6 beta <- array(NA, c(NoIns,t_runoff)) beta_temp <- rbind(c(1, 0.6, 0.1, 0.0, 0.0, 0.0), c(1, 0.9, 0.6, 0.2, 0.1, 0.0), c(1, 0.4, 0.0, 0.0, 0.0, 0.0))
D.1 Input Definition
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for (k in 1:NoIns) { beta[k,] <- beta_temp[k,]/sum(beta_temp[k,]) } # Reserve and premium reserve: end of previous year # (= beginning of current year) ResPY_undiscounted <- c(200,150,20) PremResPY <- c(0,0,0) # Result from lapse scenarios: BE, Up, Down NAV_BE <- 3000 NAV_Up <- 2800 NAV_Down <- 3100 ### Quantities provided by EIOPA # Risk free interest curve Interest <- c(0.03, 0.031, 0.0315, 0.032, 0.032, 0.032) # gross variation coefficient for premium risk VK_Prem_gross <- c( 0.100, 0.150, 0.130) # net variation coefficient for reserve risk VK_Res <- c( 0.110, 0.110, 0.150) # Data for the catastrophe risk factor model CatFactor <- c(1.75, 1.13, 1.20, 0.30, 1.75, 1.00, 0.40, 0.85, 1.39, 0.40, 2.50, 2.50, 2.50) CatSet <- list( c(2,4), c(2,4), c(2,4), c(2), c(4), c(3), c(1),
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c(5), c(6), c(9), c(10), c(11), c(12) ) # Sets of indices that reflect the structure of # the SCR Cat square root formula CatSetA <- c(1,2,3,5) CatSetB <- c(11) CatSetC <- c(4,7,8,9,10,12) CatSetD <- c(6,13) # Event i: 1 # 7 CatSplit <- rbind(c(0.1, 0.0, c(0.0, 0.0, c(0.0, 0.0,
2 8 0.2, 0.0, 0.0, 1.0, 0.0, 0.0,
3 9 0.3, 0.0, 0.0, 0.0, 0.0, 0.0,
4 10 0.0, 0.0, 0.0, 0.0, 0.0, 1.0,
5 11 0.4, 0.0, 0.0, 0.0, 0.0, 0.0,
6 12 13 0.0, 0.0, 0.0), 0.0, 0.0, 0.0), 0.0, 0.0, 0.0))
# Correlation matrices # Correlation: premium risk and reserve risk # same correlation for every LoB corr_PremRes <- rbind(c( 1.0, 0.5), c( 0.5, 1.0)) # Premium and reserve risk, # correlation: lines of business # F H corr_LoB_LoB <- rbind(c( 1.00, 0.25, c( 0.25, 1.00, c( 0.50, 0.50,
D 0.50), # F 0.50), # H 1.00)) # D
# Correlation: premium/reserve risk and lapse risk corr_PremRes_Lapse <- rbind(c(1,0), c(0,1)) # Cat risk, # correlation: lines of business # F H D corr_Cat <- rbind(c( 1, 0, 0), # F c( 0, 1, 0), # H
D.2 Berechnung des SCR
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c( 0, 0, 1))
#
D
# Correlation: premium/reserve/lapse risk and cat risk corr_PremResLapse_Cat <- rbind(c(1.00, 0.25), c(0.25, 1.00))
D.2 Berechnung des SCR Die Datei SII_NL_Calc.r enthält die eigentliche Berechnung: ## Earned Premium Prem <- array(NA, c(NoIns,2)) Prem_written<- array(NA, c(NoIns,2)) for (t in PY:CY){ Prem_written[,t] <- (1-ReP_Q)*Prem_written_gross[,t] Prem[,t] <- Prem_written[,t]+UPR[,t]-UPR[,t+1] } # # s m
calculation of the variation coefficient for the net premium risk <- sqrt(log(1 + VK_Y_gross^2)) <- log(Mean_Y_gross) - s^2 / 2
aq <- ReNP_a/(1-ReP_Q) hq <- ReNP_h/(1-ReP_Q) Mean_Y <-(1-ReP_Q) * (
exp(m+s^2/2) - hq - aq * plnorm(aq,m,s) + (aq+hq) * plnorm(aq+hq,m,s) + exp(m+s^2/2) * plnorm(aq,m+s^2,s) - exp(m+s^2/2) * plnorm(aq+hq,m+s^2,s) ) VK_Y <- sqrt((1-ReP_Q)^2 * ( (exp(2*m+2*s^2) - 2*hq*exp(m+s^2/2) + hq^2) - aq^2 * plnorm(aq,m,s) + (aq^2-hq^2) * plnorm(aq+hq,m,s) + 2*hq*exp(m+s^2/2) * plnorm(aq+hq,m+s^2,s) + exp(2*m+2*s^2)
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* plnorm(aq,m+2*s^2,s) - exp(2*m+2*s^2) * plnorm(aq+hq,m+2*s^2,s) ) / Mean_Y^2 -1 ) VK_Prem <- VK_Prem_gross * sqrt((1+VK_Y^2) / exp(s^2)) #Calculation of volume measured for premium and reserve V_Prem <- c() for (k in 1:NoIns){ V_Prem[k] <- max(Prem_written[k,PY], Prem_written[k,CY], Prem[k,CY])+PremResPY[k] } DiscountFactor <- 1 V_Res <- array(0,c(NoIns)) for (t in 1:t_runoff){ DiscountFactor <- DiscountFactor/(1+Interest[t]) V_Res <- ( V_Res + ResPY_undiscounted *beta[,t] * DiscountFactor ) } # Calculation of the variation coefficient # for the total premium reserve risk sd_Prem <- V_Prem * VK_Prem sd_Res <- V_Res * VK_Res sd_PremRes <- c() for (k in 1:NoIns){ sd_PremRes[k] <- sqrt(c(sd_Prem[k],sd_Res[k]) %*% corr_PremRes %*% c(sd_Prem[k],sd_Res[k])) } VK_PremRes <- sd_PremRes / (V_Prem+V_Res) Mean_PremRes_total <- sum(V_Prem) + sum(V_Res) sd_PremRes_total <- sqrt( sd_PremRes %*% corr_LoB_LoB %*% sd_PremRes ) VK_PremRes_total <- sd_PremRes_total/Mean_PremRes_total # Calculation of SCR components and their aggregation SCR_PremRes <- ( Mean_PremRes_total / sqrt( 1 + VK_PremRes_total^2 )
D.3 Ausgabe der Berechnung
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* exp(sqrt(log(1 + VK_PremRes_total^2)) * qnorm(ConfLevel,0,1)) ) SCR_Lapse <- max(NAV_BE-NAV_Up,NAV_BE-NAV_Down) SCR_PremResLapse <- sqrt(c(SCR_PremRes,SCR_Lapse) %*% corr_PremRes_Lapse %*% c(SCR_PremRes,SCR_Lapse) )
Cat_P_Events <- t(CatSplit) %*% Prem_written_gross[,CY] Cat_Loss <- Cat_P_Events*CatFactor SCR_Cat <- sqrt( (sqrt(sum(Cat_Loss[CatSetA]^2)) + sum(Cat_Loss[CatSetB]))^2 + sum(Cat_Loss[CatSetC]^2) + sum(Cat_Loss[CatSetD])^2 ) SCR_PremResLapseCat <- sqrt(c(SCR_PremResLapse,SCR_Cat) %*% corr_PremResLapse_Cat %*% c(SCR_PremResLapse,SCR_Cat) )
D.3 Ausgabe der Berechnung In der Datei SII_NL_Output.r werden die wichtigsten Eingabegrößen und die wichtigsten berechneten Werte ausgegeben: print("Company inputs:") dIns <- data.frame(row.names = c("F","H","D"), Prem_written_gross, UPR, Mean_Y_gross, VK_Y_gross, ReP_Q, ReNP_a, ReNP_h, ResPY_undiscounted, PremResPY) names(dIns) = (c("Prem_written_gross[,PY]", "Prem_written_gross[,CY]", "UPR[,PY]", "UPR[,CY]", "UPR[,NY]", "Mean_Y_gross",
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"VK_Y_gross", "ReP_Q", "ReNP_a", "ReNP_h", "ResPY_undiscounted", "PremResPY") ) print(dIns) dInsCat <- data.frame(row.names = c("F","H","D"), CatSplit) names(dInsCat) = (c("lambda_1","lambda_2","lambda_3", "lambda_4","lambda_5","lambda_6", "lambda_7","lambda_8","lambda_9", "lambda_10","lambda_11", "lambda_12","lambda_13") ) print(dInsCat) print("") print("Regulatory inputs:") dEIOPA <- data.frame(row.names = c("F","H","D"), VK_Prem_gross, VK_Res, corr_LoB_LoB) names(dEIOPA) = (c("VK_Prem_gross", "VK_Res", "corr_LoB_LoB[,F]", "corr_LoB_LoB[,H]", "corr_LoB_LoB[,D]") ) print(dEIOPA) dEIOPACat <- data.frame(CatFactor,t(CatSet)) names(dEIOPACat) = (c("CatFactor", "A_1","A_2","A_3","A_4","A_5", "A_6","A_7","A_8","A_9","A_10", "A_11","A_12","A_13") ) print(dEIOPACat)
print("");print("Results")
D.3 Ausgabe der Berechnung
dg <- 2 dResults <-
data.frame(row.names = c("F","H","D"), round(Prem_written,dg), round(Prem,dg), round(m,dg), round(s,dg), round(Mean_Y,dg+1), round(VK_Y,dg), round(VK_Prem,dg+1), round(V_Prem,dg), round(V_Res,dg), round(sd_Prem,dg), round(sd_Res,dg), round(VK_PremRes,dg+1)) names(dResults) = (c( "Prem_written[,PY]", "Prem_written[,CY]", "Prem[,PY]", "Prem[,CY]", "m", "s", "Mean_Y", "VK_Y", "VK_Prem", "V_Prem", "V_Res", "sd_Prem", "sd_Res", "VK_PremRes") ) print(dResults) print(paste("Mean_PremRes_total: ", round(Mean_PremRes_total,dg), sep="")) print(paste("VK_PremRes_total: ", round(VK_PremRes_total,dg), sep="")) print(paste("SCR_PremRes: ", round(SCR_PremRes,dg), sep="")) print(paste("SCR_Lapse: ", round(SCR_Lapse,dg), sep="")) print(paste("SCR_PremResLapse: ", round(SCR_PremResLapse,dg), sep="")) print(paste("SCR_Cat: ",
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D R-Skript für die Solvency II SCR-Berechnung der XYZ-AG aus Beispiel 4.13
round(SCR_Cat,dg), sep="")) print(paste("SCR_PremResLapseCat: ", round(SCR_PremResLapseCat,dg), sep=""))
Anhang E
R-Skript für das vereinfachte ökonomische Kapitalmodell
Die drei Skripte ec_Input.r, ec_Calc.r und ec_Output.r, die das ökonomische Kapitalmodell der XYZ-AG ausmachen, können folgendermaßen in R aufgerufen werden, solange sie sich in der „working directory“ befinden: source("ec_Input.r") source("ec_Calc.r") source("ec_Output.r")
E.1 Input Definition Die Datei ec_Input.r definiert die Eingabedaten aus Abschnitt 7.2.3.1: # This will give reproducable results: set.seed(2) ### Global constants tiny <- 1E-6 # gross: before reinsurance, net: after reinsurance gross <- 1; net <- 2 # The BU[[1]] represents Investments # The first insurance BU has therefore index 2 FirstIns <- 2 strSep = ","; strDec = "."; # Global Projection Parameters NoScen <- 10000 StartCapital <- 1400 FixedCosts <- 20 M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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E R-Skript für das vereinfachte ökonomische Kapitalmodell
RiskFreeRate <- 0.03 ConfLevel <- 0.99 BU_Name <- c( "Kapitalanlage", "Feuer", "Haftpflicht", "Diebstahl") BU_Premium <- c( NA, 600, 300, 100) BU_LossRatio <- c( NA, 0.75, 0.75, 0.75) BU_CostRatio <- c( 0.005, 0.05, 0.05, 0.05) BU_VarKoeff <- c( NA, 0.5, 0.6, 0.7) BU_Investments_Mean <- 0.05 BU_Investments_Sd <- 0.02 BU_ReCeded <- c( 0.00, 0.25, 0.20, 0.20) # Reinsurance commission = negative costs: BU_ReCosts <- c( 0.00, -0.06, -0.06, -0.06) BU_KendalTau <- c( 0.0, 0.0, 0.0, 0.3, 0.2, 0.6)
E.2 Berechnung des ökonomischen Kapitals Die Datei ec_Calc.r enthält die eigentliche Berechnung: require(copula) NoBU <- length(BU_Name) # Number of business units # including investments # Structure for all business units, investments # are always BU[[1]] BU <- NULL for (j in 1:NoBU){ # Kapitalanlage: different handling because of # different distribution if (j==1){ tempDistrName <- "norm" tempDistrPar <- list(mean=BU_Investments_Mean, sd=BU_Investments_Sd) }else{ tempDistrName <- "lnorm" tempSdlog <- sqrt(log(1+BU_VarKoeff[j]^2)); tempMeanlog <- (log(BU_LossRatio[j]*BU_Premium[j]) -tempSdlog^2/2); tempDistrPar <- list(meanlog=tempMeanlog,
E.2 Berechnung des ökonomischen Kapitals
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sdlog=tempSdlog) } NextBU <- list(Name = BU_Name[j], Premium=BU_Premium[j], LossRatio=BU_LossRatio[j], CostRatio = BU_CostRatio[j], Distr = list(Name=tempDistrName, NoArg = 2, Par = tempDistrPar), Q = list(Ceded=BU_ReCeded[j], Costs=BU_ReCosts[j])) BU <- c(BU,list(NextBU)) } NextBU <- NULL # Not needed any more # Set-up of copula using functionality from the # copula package cop <- normalCopula(param = sin( pi/2 * BU_KendalTau), dim = NoBU, dispstr = "un"); copMargin <- NULL copMarginPar <- NULL for (i in 1:NoBU){ copMargin <- c(copMargin,BU[[i]]$Distr$Name) copMarginPar <- c(copMarginPar, list(BU[[i]]$Distr$Par)) } rDistribution <- rmvdc(mvdc(cop, copMargin, copMarginPar), NoScen) ##### We will now calculate the profit for each run Profit <- list(BU = array(NA,dim=c(NoScen,NoBU,2)), total = array(NA,dim=c(NoScen,2)), BU.mean = array(NA,dim=c(NoBU,2)), total.mean = array(NA,dim=c(2))) ##### Premium -----------------------------------#Premium <- NULL; # BU index that corresponds to insurance index: bu <- NULL # Insurance index that corresponds to BU index: ins <- NULL
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E R-Skript für das vereinfachte ökonomische Kapitalmodell
for (j in FirstIns:NoBU){ ins[j] <- j-FirstIns+1 bu[ins[j]] <- j } NoIns <- length(bu) Premium <- array(NA,dim=c(NoIns,2)); for (j in 1:NoIns){ Premium[j,gross] <- BU[[bu[j]]]$Premium; Premium[j,net] <- (Premium[j,gross] * (1-BU[[bu[j]]]$Q$Ceded)); } # Investment assets Assets <- array(NA,dim=c(2)); for (gn in gross:net){ Assets[gn] <- StartCapital+sum(Premium[1:NoIns,gn]) } ##### Costs -------------------------------------Costs <- NULL; Costs <- array(NA,dim=c(NoBU,2)); for (gn in gross:net){ Costs[1,gn] <- BU[[1]]$CostRatio * Assets[gn]; } for (j in 1:NoIns){ for (gn in gross:net){ Costs[bu[j],gn] <- (BU[[bu[j]]]$CostRatio * Premium[j,gross]) } Costs[bu[j],net] <- (Costs[bu[j],net] + BU[[bu[j]]]$Q$Costs * (Premium[j,gross] -Premium[j,net])) } ##### Profit ------------------------------------for (gn in gross:net){ # rDistribution[,1] represents the relative # return from the investment Profit$BU[,1,gn] <- ((rDistribution[,1] -RiskFreeRate) *Assets[gn]-Costs[1,gn]) }
E.2 Berechnung des ökonomischen Kapitals
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for (j in 1:NoIns){ Profit$BU[,bu[j],gross] <- ((1+RiskFreeRate) *Premium[j,gross] - rDistribution[,bu[j]] - Costs[bu[j],gross]) Profit$BU[,bu[j],net] <- ((1+RiskFreeRate) *Premium[j,net] - (1-BU[[bu[j]]]$Q$Ceded) *rDistribution[,bu[j]] - Costs[bu[j],net]) } for (gn in gross:net){ for (j in 1:NoBU){ Profit$BU.mean[j,gn] <- (sum(Profit$BU[,j,gn]) /NoScen) } } for (gn in gross:net){ Profit$total[,gn] <-
(RiskFreeRate * StartCapital - FixedCosts)
for (j in 1:NoBU){ Profit$total[,gn] <- (Profit$total[,gn] + Profit$BU[,j,gn]) } Profit$total.mean[gn] <- (sum(Profit$total[,gn]) /NoScen) } #### We will now calculate the economic capital #### and the riskadjusted return EcoCap <- list(BU = array(NA,dim=c(NoBU,2)), total = array(NA,dim=c(1,2))) RORAC <- list(BU = array(NA,dim=c(NoBU,2)), total = array(NA,dim=c(1,2))) NotDefined <- -999 ES <- function(profit, perc){ # Calculation of the expected shortfall quantiles <- profit[order(profit,c(1:length(profit)), decreasing=FALSE)] result <- NA;
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E R-Skript für das vereinfachte ökonomische Kapitalmodell
if(!is.na(perc)){ if (0 < perc & perc < 1){ result <- sum(quantiles[1:ceiling( (1-perc)*length(quantiles))]) result <- -(result / ceiling((1-perc) *length(quantiles))) }else{ warning(paste(" perc should be in ]0,1[,", " perc = ", perc, sep="")) } } result } ### Calculation of all economic capital values for (gn in gross:net){ for (j in 1:NoBU){ EcoCap$BU[j,gn] <- ES(Profit$BU[,j,gn], ConfLevel) } EcoCap$total[gn] <- ES(Profit$total[,gn], ConfLevel) } ### Calculation of all RAROC values for (gn in gross:net){ for (j in 1:NoBU){ if (EcoCap$BU[j,gn] <= tiny){ RORAC$BU[j,gn] <- NotDefined }else{ RORAC$BU[j,gn] <- (Profit$BU.mean[j,gn] /EcoCap$BU[j,gn]) } } if (EcoCap$total[gn] <= tiny){ RORAC$total[gn] <- NotDefined }else{ RORAC$total[gn] <- (Profit$total.mean[gn] /EcoCap$total[gn]) } }
E.3 Ausgabe der Berechnung
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E.3 Ausgabe der Berechnung In der Datei ec_Output.r werden erwarteter Ertrag, ökonomisches Kapital und RORAC ausgegeben: # Check that it works: print("Order of business units:") for (j in 1:NoBU){ print(paste(j, ": ", BU[[j]]$Name, sep="")) } print(paste("Brutto: ", gross, ", netto: ", net, sep="")) print("Profit of business units: ") print(Profit$BU.mean) print("Total profit:") print(Profit$total.mean) print("Economic capital for business units: ") print(EcoCap$BU) print("Total economic capital:") print(EcoCap$total) print("RORAC for business units: ") print(RORAC$BU) print("Total RORAC:") print(RORAC$total)
Literaturverzeichnis
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Sachverzeichnis
¯ 79 R, M Ω , Rk , 20 MB Ω , Rk , 19 t-Faser, 53 Überzins, 104 Abbildung transponiert , 37 Allokation Kapital, 282 Ressourcen, 271 ALM, 281 Asset Liability Management, 251 Aufsicht, 268 Aufteilung induzierte Volumenparametrisierung, 201 Balanced Scorecard, 277 Beitragsindex, 320 Best Case, 310 Best Estimate, 116 Black Box, 283 Bonus leistungsabhängiger, 302 Marketing, 304 Produktkalkulation, 303 Schadenannahme, 303 Soll, 302 Underwriting, 303 Vertrieb, 302 Verwaltung, 304 Cashflow, 247 deterministisch, 247 Versicherung, 248 rein, 247 Copula, 80
Gauß, 88 Gaußsche, 284 Gumbel, 91 Unabhängigkeit, 95 Diagramm Risiko-Ertrag, 336 Diversifikation, 282 Diversifikationseffekt, 77 Economic Value Added, 237 Efficient Frontier, 289 Effizienzkurve, 336 Eigenkapitalcharakter, 323 Eigenmittel, 323 Embedded Value Market Consistent, 258 Enterprise Risk Management, siehe ERM Erfolgsmessung, 233 ERM, 267 Ausschuss, 272 Erwartungswert bedingter, 49 euklidischer Raum, 37 Euler-Prinzip, 202 EVA, 236, 237 Expected Shortfall, 25, 282 dynamisch, 59 Exzesskapital, 109, 195, 276 Fair Value, 114 Filtration, 47 Produkt, 52 Finanzmarktstabilität, 319 FINMA, 133 Fixkosten, 234 Fortbestand
M. Kriele, J. Wolf, Wertorientiertes Risikomanagement von Versicherungsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-25806-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
371
372 Versicherungsunternehmens, 318 Funktionssicht, 280, 301 Garantiefonds, 321 Genussrechtskapital, 323 Geschäftsbereich, 193 Aufteilung, 193 Gewichtungsfunktion, 33 Gewinnmessung, 234 going concern, 318 Going-Concern, 111 Governance, 272 Grundkapital, 324 Handelsstrategie selbstfinanzierende, 261 Hierarchieebene, 276 Hurdle Rate, 236 Hurdle rate, 276 Infimum essential, 60 Investor, 267 Isometrie, 37 Kapital alloziertes, 195 Kapitalallokation, 195, 276 Aumann-Shapley, 217 Euler, 202 global, 221 Kovarianz, 203 marginal diskret, 199 kontinuierlich, 201 proportional, 198 Kapitalanlage risikobehaftet, 335 risikofrei, 335 Kapitalbeitrag, 207 Kapitalkosten, 238 KapitalkostenDer, 104 Kapitalmarktlinie, 336 Kapitalmarktmodell Hull-White, 282 Kapitalmodell ökonomisches, 282 Kendall’s τ, 86 Key Risk Indicator, 270 Konfidenzniveau, 20 KonTraG, 313 Korrelation lineare, 85, 100 Kosten, 234
Sachverzeichnis variable, 235 Vertrieb, 302 Kostenrechnung, 234 Kostenträger, 234 KRI, 270, 273 Likely Case, 310 Liquidität, 281 Marginalverteilung, 80 Marktportfolio, 338 Marktwertmarge, 116 Martingal, 260 Maximalschaden, 297 Mindestsolvenzmarge, 320 Modell analytisch, 127 faktorbasiert, 126 Monte Carlo, 130 Rückversicherung, 131 szenariobasiert, 128 Modellierung Beschränkungen, 294 Weiterentwicklungsprozess kontinuierlicher, 294 MVM, 116 Nachschüsse, 324 Nettogewinn nach Steuern, 236 Newton-Verfahren, 133 Nominalergebnis, 240 Nominalwert, 240 Normalverteilung Annahme, 128 Opportunitätskosten, 104 Optimierung iterativer Prozess, 293 Kapitalausstattung, 288 Produktmix, 289 Rückversicherung, 290 orthogonal, 37 Partition, 48 Perspektive Finanz, 277 Kunden, 277 Potenzial, 277 Prozess, 277 Portfolio, 335 normiert, 335 reines, 335 Präverteilungsfunktion, 79
Sachverzeichnis Preis risikoadjustierter, 286 Preisbildung, 271 Produktökonomie filtrierte, 54 Profitcenter, 280 Prozess stochastisch vorhersagbar, 261 Rückkopplungseffekt, 132 Rückversicherungsvertrag nicht-proportional, 132 Randabhängigkeit, 96 RAROC, 239 Rating, 132 Ratinggesellschaft, 268, 273 Referenzunternehmen, 112 Retrozession, 132 Return on Capital, 238 Return on Risk Adjusted Capital, 239 RfB freie, 323 Risiko Bewältigungsmaßnahme, 316 erfassungsbogen, 316 Handbuch, 317 hedgebar, 258 hedgebares, 117 Indikator, 316 Limit, 316 Liquidität, 272, 281 Matrix, 316 nicht hedgebares, 117 nicht-hedgebar, 258 operationales, 272 strategisches, 271 Trend, 271 Risikoappetit, 268, 276 Risikoaversion, 103 Risikobericht, 305 risikofrei Zinskurve, 134 Risikoindikator, 274 Risikokapital, 126 ökonomisches, 108 betrieblich notwendiges, 110 Risikomaß, 19 diskret, 205 subadditiv, 205 dynamisch, 56 kohärent, 57 vergleichskonsistent, 71 zeitkonsistent, 60
373 kohärent, 34 konvex, 35 Monotonie, 34 Positive Homogenität, 34 Subadditivität, 34 Translationsinvarianz, 34 risikoneutral, 264 Risikoprämie, 341 Risikosituation allgemeines, 109 Risikostrategie, 273 Risikotoleranz, 268 risk map, 316 register, 316 Risk Adjusted Return on Capital, 239 Risk and Capital Management, 267 ROC, 238 RORAC, 239, 285 run off, 318 Run-off, 111 Schadenindex, 320 Schweizer Solvenztest, siehe SST Shapley-Algorithmus, 207 Shareholdervalue, 250 Sicherheitsbuffer Fluktuationen, 289 Sicherheitsniveau, 20 σ -Algebra Produkt, 50 Solvabilitätsanforderungen, 318 Solvency I, 127 Solvency II, 127 Solvenzmarge, 318 Minimum, 320 Solvenzrichtlinien, 271, 273 Spartensicht, 280, 300 Spearman’s rho, 85 Spektralmaß, 33 Spitzenkennzahl, 265 Spread, 104 SST, 133 risikotragendes Kapital (RTKBeginn ), 134 Stille Reserven, 324 Stochastischer Prozess, 48 Strategie, 277 Supremum essential, 60, 66 Synergieeffekt, 247 Szenario einzelnes, 129 historische, 129 hypothetisches, 129
374 multiples, 129 Standard, 129 Tail Value at Risk, 24 Tailabhängigkeit, 96 Teilkostenrechnung, 234 Theorem Copula Invarianz, 84 Sklar, 82 Trendrisiko, 281 Unternehmen Schutz, 271 Unternehmenssteuerung Messkomponente, 270 organisatorische Komponente, 272, 305 Prozesskomponente, 273, 306 strategische Komponente, 268 Unternehmensstrategie, 273 Unternehmenswert marktkonsistent, 246 Value at Risk, 22 dynamisch, 58 Value Based Management, siehe VBM VaR, 22 VBM, 267 Verbindlichkeiten nachrangige, 323 vergleichskonsistent, 71 Versicherungsnehmer Anspruch, 318 Versicherungsverein, 324 Verteilung lognormal, 284
Sachverzeichnis normal, 283 zusammengesetzt Poisson, 296 Vertriebsstrategie, 306 Vision, 277 Vollkostenrechnung, 234 Volumenparametrisierung, 201 induziert, 201 Welt reale, 264 risikoneutrale, 264 Wert, 249 -schaffung, 238 -vernichtung, 238 Prozess, 253 Wertbestimmung Entity-Ansatz, 250 Equity-Ansatz, 250 marktkonsistent, 258 Stakeholder-Ansatz, 251 Worst Case, 310 zeitkonsistent, 60 schwach, 60 Zielrating, 271 Zinskosten, 238 Zufallsvariable elliptisch, 39 sphärisch, 39 Zuteilung, 196 diskret, 205 dominiert, 206 global, 223 stetig, 225