Ren Dhark Sternendschungel Galaxis Band 2
Welt der Buccaneers
SF-Roman von Alfred Bekker Titelbild von Ralph Voltz Scanned by Brachmirzl K-gelesen: thora
1. Auflage HJB Verlag & Shop KG Postfach 22 01 22 56544 Neuwied Bestellungen und Abonnements: Tel.:0 26 3 1-35 48 32 Fax:0 26 31-35 6102 E-Mail:
[email protected] www.hjb-shop.de Herausgeber: Hajo F. Breuer Titelbild: Ralph Voltz Druck und Bindung: Fuldaer Verlagsanstalt © 2005 HJB Verlag HJB und REN DHARK sind eingetragene Warenzeichen Alle Rechte vorbehalten
Prolog Im Dezember 2059 kehrt Ren Dhark von der äußerst erfolgreichen Expedition in die Galaxis Orn zurück. Im Gepäck hat er die Konstruktionsunterlagen für eine Werft zur Herstellung modernster Ringraumer des Ovoid-Typs. Damit erschließen sich den Terranern neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten. Doch auf der Erde hat es große Umwälzungen gegeben. Ren Dhark ist nicht länger Commander der Planeten. Diesen Posten hat nun sein langjähriger Stellvertreter Henner Trawisheim inne - und Ren Dhark ist froh darüber. Denn er war nie wirklich ein Politiker, sondern suchte immer das Abenteuer zwischen den Sternen. Die scheinen nun ein wenig näher gerückt zu sein für ihn, als ihm Trawisheim in Anerkennung seiner zahlreichen Verdienste um das Wohl der Erde den Ringraumer POINT OF zum Geschenk macht. Doch dieses Geschenk hat einen Pferdefuß: Da der Unterhalt eines Raumschiffes viel Geld kostet, über das Dhark nicht verfügt, will Trawisheim die Betriebskosten des Schiffes nur dann aus der Staatskasse decken, wenn Dhark sich im Gegenzug bereit erklärt, im Auftrag der Regierung tätig zu werden... Die vielleicht größte Umwälzung während Dharks Abwesenheit aber betrifft Wallis Industries, den bedeutendsten Technologiekonzern der Erde. Erschreckt von Verstaatlichungsdrohungen, mit denen er im Wahlkampf konfrontiert wurde, hat Konzernchef Wallis in aller Heimlichkeit den Umzug der Firma auf den 56 000 Lichtjahre von der Erde entfernt liegenden Planeten Eden im Kugelsternhaufen
M 53 eingeleitet. Dort hat er seinen eigenen Staat gegründet, in dem politische Macht an den Besitz von Grund und Boden gekoppelt ist. Und Wallis gehören 97,5 Prozent der Oberfläche von Eden... Die Nabelschnur nach Terra, dem Eden weiterhin freundschaftlich verbunden ist, bildet eine brandneue Transmitterstraße mit zehn Stationen. Aber das rund 80 Quadratkilometer große Wallis-Stammwerk in Pittsburgh paßt in keinen Transmitter der Welt. Also läßt der Industrielle es kurzerhand mit einem speziellen Fundament versehen, mit Triebwerken ausrüsten und schickt es als gigantisches Raumschiff auf die Reise nach Eden. Doch am Rande der Milchstraße trifft er auf die Buccaneers, eines der vielen Völker, die einst vor den Strahlungsorkanen geflohen waren und nun in ihre angestammte Heimat zurückkehren. Die Buccaneers wollen das fliegende Werk kapern und können nur mit großer Mühe daran gehindert werden. Bei dieser Aktion müssen sie schwere Verluste hinnehmen — und sind also nicht gerade gut auf die Terraner zu sprechen. Entsprechend alarmiert ist Ren Dhark, als er am 22. Dezember hört, daß Verbände der Buccaneers eine Raumjacht gekapert haben, auf der sich auch sein Sohn Ion und seine ehemalige Freundin Joan Gipsy befinden. Die schnellste Möglichkeit, den Ort des Überfalls zu erreichen, ist ein Flug mit einem Flash. Und so bricht Ren Dhark mit dem winzigen Raumboot auf, nur begleitet von seinem besten Freund Dan Riker. Doch er findet keine Spur seines einzigen Kindes, sondern nur ein leeres, zerschossenes Wrack...
1. Flash 002 flog mit Höchstbeschleunigung im Sternensog. Ren Dhark steuerte das zylinderförmige, nur drei Meter lange und mit sechs Auslegern ausgestattete Beiboot der POINT OF. Das Gesicht des weißblonden, breitschultrigen, sportlichen Terraners Anfang 30 wirkte angespannt. Vor seinem inneren Auge blitzte noch einmal die Explosion der Raumjacht SHADO auf, die er durch Beschuß schwer beschädigt im freien Raum treibend gefunden hatte, nachdem zuvor ein Notruf von ihr ausgegangen war. Ren Dhark war diesem Notruf zusammen mit seinem Freund Dan Riker sofort gefolgt. Schließlich hatten sich an Bord der SHADO sein Sohn Ion und dessen Mutter, Dharks ehemalige Geliebte Joan Gipsy, befunden. Doch von ihnen gab es bis jetzt ebenso wenig eine Spur wie von den etwa fünfzig anderen Personen, die sich an Bord der SHADO befunden hatten. Alles deutete auf das Eingreifen der vor kurzem aufgetauchten Buccaneers hin so waren die Fremden auf Grund ihres Verhaltens zunächst genannt worden. Schließlich waren sie in mancher Hinsicht den gleichnamigen terranischen Freibeutern des späten 17. Jahrhunderts ähnlich, die seinerzeit Handelsschiffe in der Karibik gekapert hatten. Mittels einer Sonde, die Dhark dem ersten Flottenverband der Buccaneers hinterher gejagt hatte, auf den er gestoßen war, waren inzwischen die Koordinaten des Heimatsystems dieses Volkes bekannt. Und genau dorthin war Ren Dhark jetzt aufgebrochen. Nur mit einem einzigen Flash und begleitet nur von Dan
Riker. Riker war zunächst äußerst skeptisch gewesen, was dieses Unternehmen betraf. Der besonnene, gerade zurückgetretene Chef der Terranischen Flotte, der es vorzog, in Zukunft an Bord von Ren Dharks POINT OF auf abenteuerliche Forschungsreisen ins All zu gehen, anstatt an der Spitze der Raumflotte Terras zu stehen, hielt es trotz der waffentechnischen Unterlegenheit der Buccaneers nach wie vor für ein Himmelfahrtskommando, nur mit einem einzigen Flash in die Höhle des Löwen zu fliegen. Andererseits verstand er Dhark nur all zu gut. Schließlich befand sich höchstwahrscheinlich sein Sohn in der Gewalt der Fremden, die sich selbst »Kartak« nannten. Der ehemalige Commander der Planeten setzte alles auf eine Karte, um sein Kind zu befreien oder zumindest sein Schicksal aufzuklären. Das würde ihm niemand nehmen. »Die Fernortung meldet einen gemischten Verband von zylinder- und kegelförmigen Schiffen, keine zehn Lichtjahre von uns entfernt«, stellte Riker fest. Ren Dharks bester Freund war mittelgroß. Seine blauen Augen bildeten einen starken Kontrast zu seinen schwarzen Haaren. »Ja, ich habe es gesehen«, bestätigte Dhark. »Höchstwahrscheinlich Buccaneers... « vermutete Riker. »Über 500 Einheiten!« sagte Dhark erstaunt. »Aber fällt dir auch auf, daß der Anteil der Zylinderschiffe viel größer ist als bei den Buccaneer-Verbänden, auf die wir bis jetzt gestoßen sind?« Riker stimmte dem zu. »Da braucht man noch nicht einmal die Berechnungen eines Suprasensors, um das zu erkennen!«
Nach allem, was bisher über die Buccaneers bekannt war, stellten die Zylinderschiffe höchstwahrscheinlich Wohneinheiten dar, während es sich bei den meist sehr viel kleineren Kegelraumern um Kampfschiffe handelte. »Ihr Kurs ist parallel zu unserem«, stellte Dhark fest. »Wenn du mich fragst, sieht das mehr nach einem Umzugskonvoi aus - nicht nach einer Buccaneer-Flotte, die von einer Kaperfahrt zurückkehrt!« Riker riet zur Vorsicht. »Ich schlage vor, wir halten gebührenden Abstand, Ren.« Dhark hob die Schultern. »Bei vollem Tarnschutz dürfte uns eigentlich nichts passieren.« »Man sollte das Schicksal aber auch nicht unnötig herausfordern. Wir werden den Buccaneers schon nahe genug kommen, wenn wir in ihr Heimatsystem eindringen!« »Sag bloß, du hältst mich für leichtsinnig, Dan!« Riker seufzte hörbar. »Muß ich dir darauf wirklich eine Antwort geben?« Je näher Dhark und Riker mit Flash 002 den Zielkoordinaten kamen, desto öfter tauchten weitere BuccaneerVerbände auf den Anzeigen der Fernortung auf. Ganze Flotten bewegten sich auf das Heimatsystem dieses Volkes zu, und die zylinderförmigen Wohnschiffe stellten dabei einen Anteil zwischen fünfzig und sechzig Prozent. *
Offenbar wurden Ren Dhark und Dan Riker Zeuge einer gewaltigen Rückkehrwelle. Vermutlich waren die Buccaneers - wie viele andere galaktische Völker auch - vor
der Strahlung in den Bereich des galaktischen Halo geflohen und kehrten nun, da diese Gefahr gebannt war, zurück in ihre angestammte Heimat. »Es müssen Milliarden sein, die da unterwegs sind!« stieß Riker hervor. Ren Dhark nickte. »Und wenn sie sich hier wieder festsetzen, werden wir in Zukunft mit Sicherheit noch einigen Ärger mit ihnen bekommen«, vermutete er nicht ohne Anlaß. Schließlich hatte das bisherige Verhalten der Buccaneers nicht unbedingt vertrauenerweckend gewirkt. Man konnte nur von Glück sagen, daß sie den Terranern waffentechnisch bislang unterlegen waren. Aber auch das konnte sich unter Umständen schneller ändern, als es den Terranern lieb sein mochte. Die Buccaneers wären schließlich nicht die erste galaktische Spezies gewesen, die überlegene Technik von anderen Völkern adaptiert hatte. Ein gelber Stern von der l,2 fachen Größe und Leuchtkraft Sols tauchte vor ihnen auf. »Da wäre es also - das Ziel unserer Reise!« meinte Dhark, nachdem sich Flash 002 bis auf ein halbes Lichtjahr den Zielkoordinaten genähert hatte. Die Ortungssysteme des Flash arbeiteten auf Hochtouren. »Fünfzehn Planeten, davon ähnelt Nummer vier der Erde«, stellte Riker mit Blick auf die Anzeigen fest. »Das muß die Heimatwelt der Buccaneers sein.« »Einstweilen können wir sie ja Tortuga nennen«, meinte Dhark. »Du weißt doch, nach dem alten Piratenhafen in der Karibik!«
»Schön, daß du deinen Sinn für Humor trotz allem nicht verloren hast!« »Galgenhumor, Dan. Sonst nichts. Der Gedanke daran, daß Ion etwas zugestoßen sein könnte... « Ren Dhark sprach nicht weiter, sondern schüttelte nur stumm den Kopf. Dan Riker verstand sehr gut, was jetzt in seinem langjährigen Freund und Weggefährten vor sich ging. Ich werde aufpassen müssen, daß ihm bei dieser Mission nicht die Gäule durchgehen! ging es ihm durch den Kopf. *
Tausende von Raumschiffen sammelten sich einerseits im Orbit von Tortuga und andererseits an der Peripherie des Systems, einige Lichtminuten jenseits der Umlaufbahn von Planet XV, einem pockennarbigen Eisklumpen von doppelter Erdgröße, der von zwei bläulich leuchtenden Monden umkreist wurde und daher gut zu erkennen war. Er schien auch den eintreffenden Buccaneer-Flotten als Orientierungspunkt zu dienen. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, daß die Rückkehrerschiffe jeweils am Rand des Systems und im planetaren Orbit der erdähnlichen Nummer IV eine Wartezeit überbrücken mußten, ehe es ihnen gestattet wurde, auf der Planetenoberfläche zu landen. »Gehen wir näher heran und testen, wie gut unser Tarnschutz ist«, meinte Dhark. »Sei trotzdem vorsichtig, Ren!« forderte Riker. »Wenn wir entdeckt werden, hilft das deinem Sohn am allerwenigsten!«
»Du kennst mich doch!« »Eben!« Der Tarnschutz bedeutete nämlich keineswegs, daß der Flash 002 unsichtbar war. Es wurden zwar sämtliche Abstrahlungen, Emissionen und physikalischen Parameter unterdrückt, die eine Fernortung ermöglichten, aber für optische Ortungssysteme war das zylinderförmige Kleinraumschiff weiterhin erfaßbar. Ohne Risiko war der Weg durch die Buccaneer-Armada daher keineswegs. Andererseits war die Wahrscheinlichkeit, daß ein derart kleines Objekt tatsächlich von den Buccaneer-Einheiten aus gesehen wurde, verschwindend gering. Ren Dhark steuerte den Flash mitten durch die Ansammlung der Kegel- und Zylinderraumer hindurch, die sich am Rand des Tortuga-Systems gebildet hatte und zu der aus den Tiefen des Alls immer weitere Einheiten stießen. Manchmal in kleineren Verbänden, hin und wieder aber in gewaltigen Flotten, die jeweils Hunderte oder gar Tausende von Einheiten zählten. Sie tauchten aus dem Hyperraum ins Normalkontinuum, steuerten im Unterlichtflug die Umlaufbahn von Planet XV an und sammelten sich anschließend zu kugelförmigen, schwarmartigen Formationen. Eine kleinere Anzahl von Schiffen brach von dort aus in mehreren Strömen Richtung Planet IV auf. Das Ganze wirkte außerordentlich gut koordiniert. Dhark suchte mit Hilfe der Ortung nach einer kleinen Kaperflotte oder einzelnen Schiffen mit Gefechtsspuren, die möglicherweise für den Angriff auf die SHADO verantwortlich waren. Aber das war in dieser unüberschaubaren
Armada einfach unmöglich. Die Verantwortlichen für das Schicksal der SHADO würde er so nicht finden, das wurde ihm schnell klar. Gleichzeitig machte sich ein Gefühl der Verzweiflung in ihm breit. Auf jedem dieser unzähligen Schiffe könnten Joan und mein Sohn jetzt sein! ging es ihm durch den Kopf. Und natürlich auf dem Heimatplaneten der Buccaneers selbst! Mochten die Chancen etwas zu finden auch schlecht stehen - die Suche wurde fortgesetzt. Dhark und Riker drangen schließlich in den inneren Bereich des Systems vor. Hier schaltete Dhark auf SLE um und drosselte langsam die Geschwindigkeit. In dem Gebiet, das Dhark und Riker nun durchflogen, war die Schiffsdichte sehr viel kleiner als am Rand. Abseits der offenbar genau festgelegten Flugrouten zwischen den Flotten im Randbereich und dem Orbit von Planet IV waren so gut wie keine Schiffe unterwegs. Und selbst auf den vorgeschrieben Flugrouten herrschte nur mäßiger Verkehr. Verbände von maximal zwanzig bis dreißig Raumern lösten sich in regelmäßigen Abständen aus der gewaltigen Armada am Systemrand und machten sich auf den Weg zur Heimatwelt der Buccaneers, in deren Orbit sie abermals zu warten hatten. Das geschah mit der Präzision eines Uhrwerks. Dhark verlangsamte weiter den Flug, je näher er der Umlaufbahn von Tortuga kam, und ging schließlich auf unter ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit. Die Ortungsinstrumente liefen noch immer auf Hochtouren. Sie sollten insbesondere nach statistischen Ge-
sichtspunkten aus der Masse der Buccaneer-Raumschiffe Verbände herausfiltern, die jener kleinen Flotte ähnelten, die den Raumer TERENCE überfallen hatte. Der flog unter der Flagge von Wallis' neu errichtetem Staat auf dem Planeten Eden und deckte den Umzug des Wallis-Stammwerks, als ihn die Buccaneers angegriffen hatten. Die POINT OF war der TERENCE zu Hilfe geeilt. Bei dieser Gelegenheit hatte Dhark die Ausschleusung jener Sonde befohlen, die den Buccaneers bis in ihr Heimatsystem gefolgt war und dessen Koordinaten übermittelt hatte. Aber die Suche nach dieser ganz speziellen Flotte blieb erfolglos. Je weiter sich Flash 002 der Umlaufbahn Tortugas näherte, desto mehr Ortungsdaten trafen über den Planeten selbst ein. »Offenbar gibt es auf Tortuga eine Vielzahl von Siedlungen jeder Größe«, stellte Riker fest, der die Ortungsergebnisse auf seinen Anzeigen ebenfalls ablesen konnte. »Vom Dorf bis zur Großstadt... « »Ja, aber nur ein Teil dieser Städte und Dörfer ist auch tatsächlich besiedelt«, erwiderte Dhark. »Mehr als die Hälfte steht offenbar immer noch leer.« »Wieder ein Beleg dafür, daß wir Zeuge einer gigantischen Rückführungsaktion sind!« schloß Riker. »Nichts dagegen, daß die Buccaneers ihre alte Heimat wieder in Besitz nehmen, aber warum mußten sie ausgerechnet die SHADO überfallen?« fragte Riker. »Ein harmloses Raumschiff, ohne militärischen Auftrag oder wertvolle Fracht. Aber das werden wir sicher noch herausbekommen!«
»Ja, das werden wir!« kündigte Dhark an. Aus seinem Mund klingt das fast wie Drohung! überlegte Riker, der die finsterere Entschlossenheit seines besten Freundes spürte. Inzwischen hatte Dhark die Geschwindigkeit von Flash 002 bis auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit gedrosselt und bremste das zylinderförmige Beiboot der POINT OF weiter ab. In einem eleganten Flugmanöver kurvte Dharks Flash zwischen den unzähligen Buccaneer-Raumschiffen herum, die in der Umlaufbahn von Tortuga darauf warteten, endlich auf dem Planeten landen zu dürfen. Dhark umrundete die erdähnliche Welt einmal. Die ganze Zeit über sammelten die Ortungssysteme Daten über einzelne Schiffe und glichen sie ab. Das Ergebnis blieb negativ. Selbst wenn eine genaue ID-Kennung eines jener Schiffe vorläge, die die SHADO oder die TERENCE überfallen haben, wäre es wohl vollkommen aussichtslos, sie in diesem unübersichtlichen Gewirr aus Buccaneer-Raumern zu finden! erkannte Dhark. Eine verzweifelte Hoffnung ließ ihn diese Suche aber dennoch fortsetzen. Jede noch so gering erscheinende Chance mußte genutzt werden, mochten die Ergebnisse zunächst auch deprimierend sein. »Ich möchte auf Tortuga landen«, eröffnete Dhark schließlich. »Hier im Orbit werden wir nichts über den Angriff auf die SHADO herausbekommen.« Dhark hatte von Anfang an daran gedacht, sich aber gescheut, seine Absicht Riker gegenüber offen zu benennen, da er dessen Reaktion vorausgesehen hatte.
»Schon dieser Flug in der Umlaufbahn ist der reinste Wahnsinn, Ren!« gab Riker zu bedenken. »Bis jetzt funktioniert unsere Tarnung doch vorzüglich. Und die Raumkontrolle der Buccaneers - so sie überhaupt schon wieder installiert ist - hat offensichtlich anderes zu tun, als mit den optischen Sensoren nach einem vergleichsweise winzigen und kaum auszumachenden Objekt wie Flash 002 zu suchen, von dessen Annäherung sie nicht einmal etwas ahnt... « »Auf der Oberfläche wird das anders aussehen!« war Riker überzeugt. »Aber so, wie ich dich kenne, werde ich dich wohl kaum von diesem verrückten Plan abbringen können.« »Dan, versteh mich doch!« »Natürlich verstehe ich dich. Aber das muß ja noch lange nicht bedeuten, daß ich dein Vorhaben auch nur ansatzweise für vernünftig halte!« »Dan... « »Wenn ich dich begleite, kann ich dich wenigstens im Auge behalten. Das ist das einzig Gute an der Sache!« »Ich wußte, daß du mich nicht im Stich läßt!« Dan Riker seufzte. »Ich hätte bei der Flotte bleiben sollen. Das war ein vergleichsweise beschaulicher Job!« »Das meinst du doch nicht ernst!« »Natürlich nicht.« »Also ab nach Tortuga!« »Sieh wenigstens zu, daß wir Objekten, die uns optisch erfassen könnten, so gut wie möglich aus dem Weg gehen und kein unnötiges Risiko fahren!«
»Dan... « »Noch etwas: Wenn ich mich schon einverstanden erkläre, dich auf diesem Himmelfahrtskommando zu begleiten, dann hör dir jetzt meinen Vorschlag an!« Dhark lächelte mild. »Okay, schieß los!« »Wir bleiben noch etwas im Weltall und lassen die Planetenoberfläche noch einmal gründlich durch die Ortungssysteme abtasten, bevor wir einen Landeplatz aussuchen!« »Wie du meinst... « Ein gewaltiger Kegelraumer erschien plötzlich unmittelbar vor der 002. Die Grundfläche durchmaß annähernd 200 Meter. Im Vergleich zum Beiboot der POINT OF handelte es sich um einen wahren Koloß. Urplötzlich hatte sich der Kegelraumer in Bewegung gesetzt und drohte nun den Flash zu rammen. Ein Umschalten auf Intervallflug hätte es dem Beiboot zwar erlaubt, durch die feste Materie des Buccaneer-Raumers hindurch zu fliegen. Aber der Brennkreis hätte aller Wahrscheinlichkeit nach für Aufsehen gesorgt, und sie wären entdeckt worden. Im letzten Moment schaffte Dhark eine Kurskorrektur und beschleunigte kurzzeitig wieder auf 15 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, so daß Flash 002 knapp an der Außenwand des Kegelraumers vorbeischnellte. »Hoffen wir, daß da nicht gerade jemand aus dem Fenster geschaut hat!« meinte Riker aufatmend, nachdem die Gefahr vorbei war. »Das ist eben die Kehrseite der Medaille, daß offenbar niemand uns bemerkt!« erwiderte Dhark. »Es weicht uns leider auch niemand aus. Warum auch? Auf den Ortungsanzeigen der Buccaneer-Schiffe existieren wir nicht.«
Dhark steuerte den Flash jetzt in einen Sektor, in dem die Raumschiffsdichte etwas geringer war. Doch auch hier mußte man höllisch aufpassen, wenn sich Teile dieser Riesenflotte plötzlich in Bewegung setzten, weil sie offenbar endlich eine Landeerlaubnis erhalten hatten. »Ich werde versuchen, Terra und Eden per To-Richtfunk zu erreichen«, kündigte Dan Riker an. »Wie mir scheint, könnten wir Unterstützung nämlich gut gebrauchen - wie auch immer sich die Dinge hier entwickeln mögen.« Dhark war damit einverstanden. Aber Rikers Versuche blieben erfolglos. »Sämtliche Hyperfunkfrequenzen scheinen gestört zu sein«, stellte er ratlos fest. »Dasselbe gilt für das normale Funkband.« »Wodurch?« fragte Dhark. Riker zuckte die Achseln. »Irgendein Störimpuls der Buccaneers, würde ich sagen. Er überlagert jedes Hyperfunksignal, das ich abzusenden versuche! Ich fürchte, weitere Versuche haben nicht viel Sinn.« Dieses Phänomen war bereits seit dem Überfall auf die TERENCE bekannt, bei dem die Buccaneers Störfelder mit dieser Wirkung benutzt hatten, um die Kommunikation des Gegners lahmzulegen. Wenn man versuchte, fremde Schiffe zu kapern, war das sicherlich eine sinnvolle Taktik. Weshalb jedoch auch hier, im Heimatsystem der Buccaneers, jeder Funkkontakt unterbunden wurde, war Dhark in Rätsel. »Ich habe inzwischen ein Gebiet ausgeguckt, in dem wir landen können«, eröffnete Dhark. »Es ist ziemlich dünn besiedelt, so daß wir dort wohl unbehelligt bleiben werden.« »Wir sollen mit der Landung warten, bis es im Zielgebiet Nacht ist«, schlug Riker vor.
»Daran habe ich auch schon gedacht. Ich gehe jetzt etwas hinunter, so daß wir die obersten Schichten der TortugaAtmosphäre durchfliegen. Von dort aus können wir erstens die Oberfläche besser beobachten, und zweitens ist dort die Raumschiffsdichte geringer.« »Einverstanden, Ren.« Dhark bremste die Fluggeschwindigkeit des Flash weiter ab und ließ das Beiboot in die Atmosphäre Tortugas eindringen, die im Wesentlichen jener der Erde entsprach. Mit 1,05 g war auch die Schwerkraft auf der Oberfläche der Buccaneer-Heimatwelt nur geringfügig höher als auf Terra. Ein Unterschied, der für einen einigermaßen gut trainierten Menschen praktisch nicht spürbar war. Schnell sank Flash 002 tiefer in die Atmosphäre von Tortuga ein, blieb aber an der Grenze zur Troposphäre. Die optischen Ortungssysteme erfaßten immer mehr Einzelheiten der Oberfläche. Große Städte, dazwischen weite grüne Waldflächen und Meere. Hin und wieder auch grasbewachsene Ebenen und Hügellandschaften, die nur ab und zu von kleineren Siedlungen unterbrochen wurden. Dichtbebaute Gebiete wechselten mit solchen dünnerer Besiedelung ab. Die größeren Städte wirkten wie Bienenstöcke, so rege war der Flugverkehr. Flugkörper jeder Größe schwirrten um sie herum. Ein steter Strom von bis zu 400 m langen, zylinderförmigen Wohnschiffen flog auf diese Städte zu und landete auf den dafür vorgesehenen Landefeldern der Raumhäfen. Von dort aus wurden die Insassen mit einer Unzahl von kleineren und größeren Atmosphärengleitern und zu den umliegenden Wohngebieten oder auch weiter entfernt liegenden Siedlungen transportiert.
»Eigenartig - ein so koordiniertes Vorgehen hätte ich diesen Freibeutern des Alls nach unserer ersten Begegnung gar nicht zugetraut!« meinte Ren Dhark. »Sie zu unterschätzen könnte der größte Fehler sein«, gab Dan Riker zu bedenken. Über bewaldetem, nur spärlich besiedeltem Gebiet senkte Dhark noch einmal die Flughöhe. Schwärme von fledermausartigen Flugsäugetieren waren über diesen Wäldern in der Nahvergrößerung zu sehen. Es mußten Millionen sein, die manchmal urplötzlich aus den Baumwipfeln aufstiegen, um dann ebenso plötzlich wieder abzusinken und im dichten Grün der Baumkronen zu verschwinden. Den Messungen der Sensoren nach hatten die Tiere eine Flügelspannweite von bis zu zwei Metern. Während Dhark hin und wieder Kolonnen von Buccaneer-Raumern ausweichen mußte, die zur Landung ansetzten, überwachte Riker nach wie vor die Ortungsanzeigen und verfolgte in einer Sichtsphäre die optischen Eindrücke von der Oberfläche. Plötzlich stutzte Riker. »Ren, ich glaube, ich habe da etwas entdeckt!« Inmitten des Waldgebietes gab es eine freie Fläche, auf der sich ein Objekt von imposanter Größe befand. Es ragte deutlich über die Baumkronen hinaus. Den Sensoren nach hatte es eine Höhe von gut 260 Metern. Golden schimmerte es im Licht der bereits tiefstehenden Sonne Tortugas. Riker schaltete die Nahvergrößerung ein, die letzte Zweifel beseitigte. »Ein Goldener!« entfuhr es ihm. Die gigantische goldene Statue hatte die Gestalt eines
gesichtslosen Buccaneers. Der Oberkörper war extrem breit und muskulös, die Beine waren kurz und stämmig, die Arme dafür extrem lang und ebenfalls äußerst kräftig. Buccaneers wirkten auf Menschen wie Gorillas - und dieser Goldene ohne Gesicht war eine ins Gigantische vergrößerte Ausgabe dieser Spezies. »Gibt es irgendwelche Energiesignaturen, die im Inneren des Goldenen angemessen werden können?« fragte Dhark. »Negativ«, gab Riker nach einem Blick auf die Anzeigen Auskunft. »Energetisch gesehen ist die Statue vollkommen tot.« Überall im Universum waren Ren Dhark und seine Mitstreiter auf die geheimnisvollen Goldenen gestoßen, jene gewaltigen Statuen, die die Körperformen ganz unterschiedlicher Sternenvölker nachbildeten. Allen Goldenen war gemeinsam, daß sie kein Gesicht besaßen. Allerdings gab es auch von dieser Regel eine Ausnahme: Die kilometerhohen Statuen auf dem Tankplaneten Golden, mitten im intergalaktischen Leerraum gelegen, hatten sehr wohl Gesichter. Der Grund dafür lag bislang im Dunkeln. Die Statue hier stand auf einem ebenfalls goldenen, quaderförmigen Sockel. In den Wäldern Tortugas mochte sie wie ein gewaltiges Monument erscheinen, aber verglichen mit den Goldenen, die man anderswo gefunden hatte, handelte es sich eher um ein kleines Exemplar. Um die Statue herum befand sich ein einen Quadratkilometer großer, freier Platz. Im angrenzenden Wald standen
flache Gebäude, die dem verwendeten Baumaterial und der architektonischen Gestaltung nach von den Buccaneers errichtet worden sein mußten. Möglicherweise war die Statue für die Bevölkerung Tortugas im Laufe von Zeitaltern zu einer Kultstätte geworden, wie es auch auf anderen Welten geschehen war. Die Ortungsanzeigen sprachen dafür, daß sich derzeit keine Buccaneers in den um die Statue gruppierten Gebäuden befanden. Aber was diesen Punkt anging, mußte vor einer Landung natürlich Gewißheit herrschen. »Mit vielem hätte ich hier gerechnet«, bekannte Dhark, »nur nicht damit!« »Wir sollten warten, bis in dem Gebiet um den Goldenen Nacht herrscht, so daß wir im Schutz der Dunkelheit landen können«, schlug Riker vor. Dhark überlegte kurz. »Ich bin eigentlich nicht hier, um kosmische Rätsel zu lösen oder aufzuklären, welche Verbindungen es möglicherweise zwischen Buccaneers, Worgun und Balduren gibt«, meinte er. »Aber mit der Suche nach Joan und Ion können wir ebenso dort anfangen wie an jedem anderen Punkt des Planeten«, stellte Riker klar. »Schließlich haben wir keinerlei Anhaltspunkte, was ihren Verbleib angeht.« Es mag eine bittere Erkenntnis sein, aber Dan hat recht! durchzuckte es Ren Dharks Gedanken schlaglichtartig. »In Ordnung, wir machen es so, wie du vorgeschlagen hast«, entschied er. Dan Riker nickte zufrieden. »Wir werden nicht mehr lange warten müssen, Ren. Im Gebiet um den Goldenen herum setzt bereits die Dämmerung ein.« Im Schutz der Dunkelheit setzte Dhark mit Flash 002
zum Landeanflug an. Die größeren Städte auf der Nachtseite des Planeten waren als weite Lichtermeere zu sehen. In den ausgedehnten Waldgebieten jedoch herrschte tiefste Dunkelheit. Die beiden Monde Tortugas standen als leuchtende Scheiben am Himmel und bildeten hier die einzigen Lichtquellen. Dhark ließ den Flash zunächst ziemlich steil absinken und flog dann im Tiefflug über die ausgedehnten Waldgebiete um den Goldenen herum. Er steuerte das Beiboot der POINT OF in einen weiten Bogen um die Anlage. Die Ortung lief derweil auf Hochtouren. »Die Gebäude scheinen tatsächlich verlassen zu sein«, stellte Dan Riker fest. »Zumindest gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß sich derzeit auch nur ein einziger Buccaneer dort aufhält.« »Vielleicht handelt es sich um Ruinen«, vermutete Dhark. Aber Riker war anderer Ansicht. »Dann hätte sich der Dschungel dieses Areal samt den Gebäuden schon zurückerobert, und sie wären vollkommen überwuchert. Nein, für mich sieht das immer mehr nach einer periodisch genutzten Kultstätte aus, die nur zu hohen Festtagen herausgeputzt wird. So ähnlich wie die Tempel des antiken Olympia auf der Erde.« Dhark ließ sich die Anordnung der Gebäude in einer schematischen Darstellung zeigen. Die Hauptgebäude bildeten ein exaktes Hexagon. Kleine Nebengebäude waren in Form eines Rechtecks jeweils um die Hauptgebäude gruppiert. Dhark flog noch eine zweite, tiefere Runde, um wirklich
sicherzugehen, daß sich kein Buccaneer in der Nähe befand. »Ich schlage vor, wir fliegen mit eingeschaltetem Intervallum einfach in die Statue hinein«, sagte Riker. »Erinnere dich an das, was damals auf Soradan geschah, als die dortige Statue einfach zerschmolz und wir in eine ziemlich prekäre Situation gerieten.« »Und was wäre die Alternative?« »Jedenfalls ist diese Statue definitiv zu klein, um ein Gigantsender zu sein wie etwa der Goldene von Babylon. Ich schlage vor, wir landen auf dem Vorplatz und versuchen, dem goldenen Buccaneer in Worgunsprache Befehle zu geben. Er müßte eigentlich darauf programmiert sein... « »Bis jetzt gibt es allerdings nach wie vor nicht die geringste energetische Aktivität in dem Bauwerk«, gab Riker zu bedenken. »Aber ein Versuch könnte natürlich nicht schaden.« Also landete Dhark den Flash 002 auf dem Vorplatz der Statue. Er schaltete den Außenlautsprecher ein. Das war kein Gerät im herkömmlichen Sinn, sondern ein moduliertes Prallfeld, das die Luft ebenso in Schwingungen versetzte wie die Membran eines konventionellen Gerätes. Seine in Worgunsprache gesprochenen Worte wurden vom Bordsuprasensor in entsprechende Schwingungen des Prallfeldes übertragen, das den Schall je nach Einstellung auf ein eng begrenztes Ziel gerichtet oder großräumig verteilt abstrahlen konnte. Dhark stellte die Lautstärke auf die höchste Stufe und richtete den Lautsprecher auf die Statue aus. »Ich erteile hiermit die Anweisung, dich für die Entge-
gennahme von Befehlen bereitzuhalten«, sagte er in der Sprache der lange Zeit nur als Mysterious bekannten Worgun. Zunächst geschah nichts. »Energetische Aktivitätsanzeige weiterhin negativ«, berichtete Riker. Dhark versuchte es noch einmal und forderte den Goldenen ultimativ auf, sich für den Empfang von Befehlen bereitzumachen. Nichts geschah. »Noch immer keine energetischen Aktivitäten meßbar«, meldete Riker. »Aber jetzt bildet sich ein Prallfeld!« »Dann tut sich da also doch etwas!« »Hoffentlich das Richtige!« »Jedenfalls ist dieser Goldene nicht so tot, wie es die Meßdaten vermuten lassen.« Die Statuen der Mysterious stellten immer auch gigantische Verteidigungsanlagen dar, aus deren Händen oder sonstigen Gliedmaßen Strahlschüsse abgefeuert werden konnten. Einer der Monde strahlte recht hell und ließ die Außenhaut des goldenen Buccaneers schimmern. Die Statue begann sich zu bewegen. Der Goldene breitete die Arme aus und senkte den Kopf, so als würde er den vergleichsweise winzigen Flash mit seinem völlig konturenlosen Gesicht anstarren. »Das Prallfeld umschließt jetzt den gesamten Buccaneer!« stellte Dhark fest. »Sieht ganz so aus, als würde er sich zum Kampf bereitmachen.«
Sekunden vergingen. Dhark stierte angespannt auf seine Anzeigen, dann schüttelte er den Kopf. »Vielleicht will er auch kommunizieren - und zwar auf dieselbe Art und Weise, in der wir ihn angesprochen haben.« »Mit einem umfunktionierten Prallfeld als Lautsprecher?« »Exakt, Dan.« »Was mich wundert, ist die Tatsache, daß die Statue selbst noch immer energetisch tot ist.« »Das bedeutet, die Energie des Prallfeldes muß einen anderen Ursprung haben!« meinte Dhark. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand. Der Goldene mußte von einem verborgenen Ort aus mit Energie gespeist und vielleicht sogar ferngesteuert werden. Mit dröhnender, im wahrsten Sinne des Wortes ohrenbetäubender Lautstärke wandte sich der Goldene in Worgunsprache an die Besatzung von Flash 002. »Dies ist eine Warnung! Jeder, dessen Autorisierung sich als falsch herausstellt, muß mit der vollständigen Vernichtung rechnen!« Anschließend folgten Zahlenangaben im mathematischen System der Worgun. »Das sind Raumkoordinaten!« stellte Riker fest. »Der angegebene Zielpunkt liegt etwa 3000 Meter unter der Oberfläche dieses Planeten!« »Dann sollten wir uns das mal aus der Nähe ansehen!« schlug Dhark vor. Er schaltete das Intervallfeld ein, das Flash 002 in ein eigenes Mini-Kontinuum versetzte. Auf diese Weise war
das Beiboot der POINT OF in der Lage, auch feste Materie zu durchdringen. Den normalerweise beim Intervallflug genutzten Brennkreis schaltete Dhark aus, weil dieser Brennkreis beim Kontakt mit fester Materie diese vernichtete. Anlagen der Mysterious oder Worgun waren zwar meist gegen die Folgen eines Brennkreis-Kontaktes immun, aber im Boden hätte ein deutlich sichtbarer Tunnel den Flugweg des Flash nachgezeichnet. Dhark verzichtete daher auf jeglichen Antrieb. Er ließ den Flash stattdessen einfach von der plantaren Gravitationskraft in die Tiefe ziehen. Das Beiboot versank förmlich im Vorplatz der Statue und tauchte in die obersten Schichten der Erdkruste von Tortuga ein. Die 1,05 g des Planeten sorgten dafür, daß das Beiboot zunächst nur langsam an Fahrt gewann, dann aber immer schneller wurde. Da die feste Materie der Planetenkruste durch Einsatz des Intervallfeldes keinerlei Hindernis bedeutete, befand sich Flash 002 in einer Art freiem Fall auf das Gravitationszentrum Tortugas. Die 3000 Tiefenmeter waren schnell zurückgelegt. »Die Ortung zeigt eine Schicht aus Unitall an!« meldete Riker. Also doch! durchzuckte es Dhark, der die Anzeige auch gesehen hatte. Eine Station der Worgun! Was sonst wäre von einer Schicht aus Unitall umschlossen ? Nur Augenblicke später durchdrang Flash 002 die Unitallschicht und drang in einen Bereich vor, bei dem es sich zweifellos um eine subplanetare Station handelte. Der Flash sank durch mehrere Decks, die offenbar mit Maschinen angefüllt waren.
Dhark aktivierte den Antrieb und bremste schließlich. In einem großen, fast hallenartigen Raum, an dessen Wänden zahlreiche technische Aggregate befestigt waren, »landete« er. Eine große Zahl von kugelförmigen Robotern schwebte um das Beiboot herum. Durch ein offenstehendes Schott erhielten sie noch Verstärkung. »Defensive!« entführ es Riker. Im Februar 2058 waren diese kugelförmigen Roboter, deren Aufgabe die Verteidigung der Innenanlagen eines Goldenen war, erstmals in der Statue auf dem Planeten Babylon entdeckt worden. »Sieht fast so aus, als hätten die auf uns gewartet«, murmelte Dhark. In diesem Augenblick fielen sowohl das Intervallfeld als auch der Antrieb aus. Das Beiboot war vollkommen manövrierunfähig - jede Flucht unmöglich. Dhark und Riker waren jetzt den Defensiven schutzlos ausgeliefert. Einige Augenblicke später wurde Flash 002 angefunkt. Das Störfeld der Buccaneers schien im Innenbereich der Station nicht wirksam zu sein. Die Botschaft war wie erwartet in Worgunsprache verfaßt. »Hier spricht der Hyperkalkulator der Station Wacht am Rande. Es wird um sofortige Angabe des Autorisationscodes gebeten. Sollte dieser Aufforderung nicht umgehend Folge geleistet werden oder ein ungültiger Autorisationscode gegeben werden, so hat dies die vollständige Vernichtung des Eindringlings zur Folge.«
»Eine freundliche Begrüßung stelle ich mir anders vor«, meinte Riker und versuchte damit seine Anspannung zu überspielen. »Ich sende jetzt über Funk den Autorisationscode, den wir von Erron-3 kennen«, erwiderte Dhark. »Und dann können wir nur hoffen, daß der Hyperkalkulator dieser Station damit zufrieden ist... « Dhark schickte den Code auf derselben Frequenz ab, auf der ihn der Hyperkalkulator der Station Wacht am Rande angefunkt hatte. Augenblicke vergingen. Plötzlich waren Antrieb und Intervallfeld wieder funktionsfähig. Die Kolonnen von kugelförmigen Defensiven, die sich um Flash 002 geschart hatten, verließen durch mehrere Schotts, die sich plötzlich in den unitallblauen Wänden öffneten, den Raum. »Scheint, als hättest du das richtige As im Ärmel gehabt!« sagte Riker, dem die Erleichterung deutlich anzumerken war. »Steigen wir aus!« schlug Dhark vor. »Diese Station hat uns als Autorisierte akzeptiert. Ich gehe davon aus, daß jetzt keinerlei Gefahr mehr besteht.« »Wenn du meinst... « Dhark verließ als erster den Flash, Riker folgte. Das Beiboot wurde unverschlossen zurückgelassen. Ob wir hier wirklich einen Hinweis darauf finden, was mit Ion und Joan geschehen ist? ging es Dhark derweil durch den Kopf. Ein Schott öffnete sich, und ein Pullman rollte herein. Ren Dhark und Dan Riker kannten dieses Transportmit-
tel der Mysterious aus dem Industriedom von Deluge. Es bestand aus 14 mit Stangen untereinander verbundenen Kugeln von jeweils etwa einem Meter Durchmesser. Im Industriedom von Deluge war es möglich gewesen, einen Pullman durch mentalen Zuruf herbeizuholen. Diesen hier hat aber wohl keiner von uns gerufen! überlegte Dhark, während das Gefährt dicht vor seinen Fußspitzen stehen blieb. Offenbar will man uns etwas zeigen... Ren Dhark bestieg den Pullman. Riker zögerte noch. »Na komm schon«, meinte Dhark. »Die Station hat uns voll und ganz als Zugangsberechtigte akzeptiert. Und es könnte sein, daß wir auf interessante Informationen stoßen.« »Ich hoffe, du hast recht.« »Ist doch eigenartig. Wir wissen inzwischen, wer die Mysterious waren, wir haben ihre Technik soweit verstanden, daß wir sie sogar bereits eigenständig weiterentwickeln konnten, und doch stoßen wir noch immer auf ungelöste Rätsel, die in Zusammenhang mit ihren Hinterlassenschaften stehen... « »Ja, und unseren Beistand gegen die Zyzzkt haben sie uns so gedankt, daß sie uns die Rückkehr in die Galaxis Orn verweigern.« »Wir wissen noch nicht, wer wirklich dafür verantwortlich ist«, gab Ren Dhark zu bedenken. »Ich persönlich habe eher den geheimnisvollen goldenen Planeten im Verdacht!« Der Pullman setzte sich in Bewegung, gewann schnell an Geschwindigkeit und raste auf jenes Schott zu, durch daß er hereingefahren war. In einem wahnwitzigen Tempo ging es
anschließend durch röhrenartige Gänge und Korridore. Die Station mußte gewaltige Ausmaße haben. Dhark versuchte vergeblich, die Orientierung zu behalten. Schließlich hielt der Pullman in einem Kontrollraum mit zahlreichen Schaltpulten. Dhark und Riker stiegen aus. Sie sahen sich um. »Der Hyperkalkulator!« erkannte Riker sofort. »Mein Gott, der ist von enormer Größe!« An einem der Kontrollpulte stand eine humanoide Gestalt, die die Ankömmlinge ruhig musterte. Ein Salter! erkannte Dhark. Die Salter waren Nachfahren von irdischen Primaten, die von den Worgun genetisch verändert und als Hilfsvolk eingesetzt worden waren. Äußerlich glichen sie den Terranern. Der Salter trat auf die Ankömmlinge zu. »Seien Sie gegrüßt!« sagte er in der Worgunsprache. »Mein Name ist Sepok, und was Sie sehen, ist leider nichts weiter als eine holographische Projektion, die meiner Ansicht nach in einigen Details verbesserungsfähig ist.« Sepok lächelte mild. Die Holographie ist perfekt! dachte Dhark. Aber Sepok scheint in dieser Hinsicht offenbar sehr hohe Ansprüche zu haben... Kunststück, wenn man einen Hyperkalkulator dieser Größenordnung und Leistungsfähigkeit zur Verfügung hat, dürfte es kein Problem sein, Holographien von enormer Naturähnlichkeit zu erschaffen. Dhark und Riker näherten sich Sepok bis auf einige Schritte. »Ich grüße Sie ebenfalls«, erklärte der ehemalige Commander der Planeten. »Mein Name ist Ren Dhark.«
»Da Sie sich autorisieren konnten, stehen Ihnen alle Dienste der Station uneingeschränkt zur Verfügung«, erwiderte Sepok. »Das freut mich zu hören«, sagte Dhark. »Ich muß schon sagen, daß ich etwas verwundert bin, auf zwei Angehörige meines eigenen Volkes zu stoßen«, eröffnete das Hologramm des Salters. »Ich hatte nach unserer ersten Kommunikation vermutet, es mit Worgun zu tun zu haben.« »Wir sind keine Salter«, korrigierte ihn Dhark. »Wir sind Terraner von der Erde - jener Welt, von der die Salter vor 48000 Jahren flohen... « »Terraner?« echote Sepok leicht irritiert. Wer mag schon ahnen, auf welchem Informationsstand dieser Salter ist, überlegte Dhark. Es ist gut möglich, daß diese Station schon seit undenklich langer Zeit verlassen ist und Sepok seitdem hier ein einsames Wächteramt ausübt. Sepok unterzog sowohl Riker als auch Dhark einer nochmaligen Musterung. »Rein physisch gesehen ähneln wir euch Saltern stark«, gab Dhark zu, der sich nur zu gut zusammenreimen konnte, was sich im Moment in den Gedanken seines Gegenübers abspielte. »So seid ihr Angehörige eines anderen Hilfsvolkes der Worgun?« fragte Sepok. Dhark schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, keineswegs«, antwortete er. »Wir Terraner sind kein Hilfsvolk der Worgun - allerdings waren wir noch bis vor kurzem ihre Verbündeten im Kampf gegen die Zyzzkt.« »Sie waren ihre Verbündeten?« echote Sepok, und Ren
Dhark hörte den mißtrauischen Unterton sehr deutlich. »Genaugenommen sind wir es immer noch«, ergänzte Dhark. »Allerdings ist der Kontakt inzwischen abgebrochen.« »Aber ihr seid mit einem Raumschiff hierher gelangt, das zweifellos der Worguntechnologie entsprang! Daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Außerdem kanntet ihr den Autorisationscode!« »Wir Terraner stießen auf technologische Hinterlassenschaften der Worgun und entwickelten ihre Technik schließlich weiter«, berichtete Dhark. Sepok wirkte nachdenklich. »Es ist für mich überaus interessant, derartige Neuigkeiten zu erfahren«, erklärte er. »Sie müssen wissen, daß ich seit langer Zeit von der Außenwelt abgeschlossen lebe... « Ein mattes Lächeln erschien in Sepoks Holo-Gesicht. »Nein, leben ist nicht der richtige Begriff, denn ich bin streng genommen kein Lebewesen. Ein Salter namens Sepok konstruierte einst diesen Hyperkalkulator und verewigte sich in dessen Programm in gewisser Weise selbst. Das Ergebnis bin ich!« »Wie lange ist das her?« fragte Dhark. »Etwa 1300 Umläufe dieses Planeten«, erklärte Sepok. Die Umlaufzeit Tortugas um seine Sonne war nur wenige Tage länger als die der Erde, so daß die von Sepok genannte Zeitspanne auch in etwa 1300 terranischen Jahren entsprach. Sepok fuhr fort: »Sie sind autorisiert, jegliche Informationen zu erhalten, die Sie wünschen.« »Ich möchte mehr über den ursprünglichen Zweck dieser Station wissen«, verlangte Dhark.
»Jener Sepok, dessen Persönlichkeit Eingang in mein Programm erhielt und mit dem ich bis auf die äußerst vergängliche organische Struktur so gut wie alle Persönlichkeitsmerkmale teile, erhielt den Auftrag, diese Anlage als Frühwarnstation gegen den schrecklichen Feind aufzubauen.« »Wer war dieser schreckliche Feind!« hakte sofort Dhark nach. »Die Zyzzkt?« Sepok bestätigte diese Vermutung. »Ja, die Zyzzkt! Die substanzgewordene Pest des Universums! Ihr Auftauchen bedeutet den Untergang jeglichen anderen Lebens. Ihr Hunger auf neuen Siedlungsraum ist ebenso unstillbar wie ihr Drang, sich zu vermehren.« Sepok nahm eine Schaltung vor, woraufhin eine Sichtsphäre aktiviert wurde, deren Bilder seine Worte illustrierten. Scharen der an Bockkäfer erinnernden Insektoiden strömten aus einem ihrer Raumschiffe heraus, das auf einem dichtbesiedelten Planeten gelandet war. Die Zyzzkt feuerten mit ihren Waffen rücksichtslos um sich. Gebäude wurden in die Luft gesprengt. Die Bilder verblaßten. Statt dessen wurde der Blick auf eine Region des Universums freigegeben, deren Sternendichte sehr gering war. Vielleicht der galaktische Halo, überlegte Dhark. »Meine Aufgabe war es, in den intergalaktischen Leerraum hinauszuspähen, um das eventuelle Auftauchen einer Zyzzkt-Flotte frühzeitig zu melden und damit unverzüglich für die Einleitung von wirksamen Verteidigungsmaßnahmen zu sorgen!« berichtete Sepok. In der Sichtspäte erschien jetzt das Abbild des goldenen
Buccaneers. »Diese Statue ist in Wahrheit eine Hochleistungsantenne. Sie bekam die Gestalt eines Angehörigen der einzigen intelligenten Spezies, die dieser Planet hervorgebracht hat... « »... der Buccaneers«, schloß Dhark. »Sie selbst nennen sich Kartak«, erklärte Sepok. »Aber das hat im Laufe der Zeit durchaus gewechselt. Die planetare Bevölkerung befand sich zur Zeit der Errichtung dieser Station in einem primitiven, frühtechnischen Stadium. Ihre unsäglichen Kriege führten sie mit Hieb- und Stichwaffen, auch wenn sie gerade das Schießpulver entdeckt und die ersten einfachen Feuerwaffen herzustellen gelernt hatten. Noch waren diese Waffen für ihre Benutzer fast genauso gefährlich wie für den Gegner! Der Planet war in zahllose Königreiche und Fürstentümer zersplittert, die nach dem Lehnssystem geordnet waren. Aberglaube und die Furcht vor dem Einfluß übernatürlicher Kräfte beherrschten die Bewohner, was wir für unsere Zwecke ein wenig ausgenutzt haben.« »Um den goldenen Buccaneer herum bildete sich eine Religion mit der Statue als Heiligtum«, stelle Dhark fest. »Ja«, bestätigte Sepok. »Und die Ehrfurcht der Planetarier sorgte dafür, daß die Antenne über Zeitalter hinweg unbeschädigt blieb. Und das war letztlich das beabsichtigte Ziel.« »Warum besitzt die Statue - so wie fast alle Goldenen, von denen ich je gehört habe - kein Gesicht?« erkundigte sich Dhark. Sepok wirkte etwas überrascht. Ein mildes, fast verlegenes Lächeln glitt über die Züge der Holographie, deren
Perfektionsgrad fast schon beängstigend war. »Eine interessante Frage«, gab Sepok zu. »Leider sind in meinen Speichern dazu keine Daten verfügbar.« Eine Antwort, die Dhark stutzen ließ. Wie war es möglich, daß dieses Programm, das mit dem Erbauer der Station sämtliche Erinnerungen teilte, über diesen in Dharks Augen wesentlichen Punkt bei der Gestaltung der Anlage nichts wußte? Lag da vielleicht irgendeine Form der Blockade vor? Der Schluß lag nahe. Die Beantwortung dieser Frage mußte allerdings wohl fürs erste offenbleiben. »Die Worgun zogen schließlich aus der Milchstraße ab und hinterließen ihre technischen Artefakte«, stellte Dhark fest. »Die Goldenen... « Die Sepok-Holographie neigte etwas den Kopf und fragte: »Wünschen Sie weitere Informationen über die Station?« Die Bilder auf der Sicht-Sphäre zeigten nun die Buccaneers bei ihren religiösen Festen, die den Goldenen zum kultischen Zentrum hatten. Gruppen von ihnen hatten sich - offenbar nach Geschlechtern getrennt - aufgestellt und murmelten Gebete vor sich hin. Dabei konnte Dhark sehen, daß die Buccaneer-Frauen im Durchschnitt ein ganzes Stück kleiner waren als die männlichen Vertreter dieser Spezies. Ähnlich wie bei den Menschen waren auch ihre Stimmen heller, was sich die Gestalter dieser religiösen Zeremonien beim Chorgesang zunutze machten. Ein Priester leitete die Feier und imitierte dabei die Körperhaltung des Goldenen. »Wir haben aus dem Orbit versucht, mit To-Richtfunk
unsere Heimatwelt zu erreichen«, berichtete Dhark, um einen anderen wichtigen Punkt anzusprechen, über den er gern mehr erfahren hätte. »Was Ihnen mißlungen sein dürfte«, erwiderte Sepok. »Was ist der Grund dafür, daß sämtlicher Funkverkehr blockiert zu sein scheint?« »Ich litt für Jahrhunderte unter diesem kommunikationslosen Zustand«, gestand das Hologramm. »Die Worgun zogen aus der Milchstraße ab und hinterließen diese Anlagen wie mich. Ich hatte die Anweisung, strikte Funkstille zu halten und nur im Notfall ein Alarmsignal zu senden, wenn ich Anzeichen für das Auftauchen von Zyzzkt registrierte. Aber gut zwei Jahrhunderte nach dem Exodus der Worgun erlangte die auf diesem Planeten beheimatete Bevölkerung die Fähigkeit zur Raumfahrt und unternahm erste Expeditionen ins All. Kurze Zeit darauf entwickelten die Planetarier eine äußerst effektive Methode der Funkstörung, die jeglichen Kontakt zur Außenwelt unmöglich machte. Ob dies eine gezielte Maßnahme war oder nur der Nebeneffekt einer anderen, von den Bewohnern dieses Planeten entwickelten Technik, vermag ich nicht zu sagen. Tatsache ist, daß ich über lange Zeitalter hinweg keinerlei Funksignale senden oder empfangen konnte. Dies änderte sich erst, nachdem die Planetarier diese Welt verließen. Das war vor etwa zehn Jahren der Fall.« »Hatten Sie danach noch einmal Kontakt mit den Worgun?« fragte Dhark. »Nein«, erklärte Sepok. »Nachdem diese Welt vollkommen entvölkert war, konnte ich meine Horchsysteme voll aktivieren und den Hyperfunkverkehr der Galaxis zu
einem gewissen Prozentsatz abhören. Aber es waren keinerlei Signale der Worgun darunter. Darum hielt ich Funkstille, wie es meiner Direktive entspricht, und beschränkte mich auf das passive Belauschen fremder Botschaften. Allerdings muß ich gestehen, daß sich diese bruchstückhaften Nachrichten einfach nicht zu einem stimmigen Bild zusammenfügen wollten. Ich konnte mir von der Situation in der Milchstraße keinen wirklichen Überblick verschaffen, hatte aber genügend Anzeichen dafür, daß in weiten Teilen dieses Spiralnebels offenbar blankes Chaos und Krieg herrschten. Aus diesem Gewirr von Botschaften filterte ich dann jedoch auch einige wenige heraus, die mich zutiefst beunruhigten und äußerst vorsichtig agieren ließen. Dieser erhöhten Wachsamkeit habe ich es wohl zu verdanken, daß ich den Hyperraumblitz, der die Galaxis vor zwei Jahren durchzuckte, gerade noch rechtzeitig orten konnte. Sind Sie von diesem Phänomen auch heimgesucht worden?« »In der Tat«, bestätigte Dhark. »Der Hyperraumblitz sorgte dafür, daß so gut wie die gesamte Technik der Worgun versagte.« »Meine Wachsamkeit zahlte sich aus«, fuhr Sepok fort. »Ich konnte gerade noch rechtzeitig die gesamte Anlage und den Goldenen in ein Intervallfeld hüllen und vor dem Blitz schützen.« Ganz ähnlich wie der Checkmaster der POINT OF! durchzuckte es Dhark. »Irgendwann kehrten die Buccaneers zurück«, sagte Dhark. »Das war vor drei Monaten«, ergänzte Sepok. »Sie begannen damit, ihren Planeten ein zweites Mal in Besitz zu
nehmen und schalteten ihre massive Funkstörung wieder ein, so daß ich erneut vom Universum abgeschlossen war. Umso mehr erfreut es mich, Kontakt zu autorisierten Individuen aufnehmen zu können, gleichgültig ob es sich nun um Worgun, Salter oder Angehörige Ihres Volkes handelt, von dem ich im übrigen noch nie etwas gehört habe.« »Nun, es gibt immer ein erstes Mal«, sagte Dhark, wobei er mit den Gedanken woanders war. Er überlegte, inwieweit er diese Station eventuell doch noch dazu nutzen konnte, das Schicksal von Ion und Joan aufzuklären. »Ihr Volk muß von einiger Bedeutung sein«, stellte Sepok fest. »Immerhin akzeptierten euch die Worgun als Verbündete und sehen euch nicht als bloßes Hilfsvolk von Vasallen wie uns Salter.« Dieser Punkt scheint ziemlich am Selbstbewußtsein dieses Programms zu nagen! überlegte Ren Dhark. Und das, obwohl jener Sepok, mit dem ich es hier zu tun habe, gar kein Salter mehr ist, sondern nichts weiter als ein Programmteil des Hyperkalkulators. »Ich wünsche weitere Informationen über die Buccaneers und die gegenwärtige Situation auf dem Planeten«, forderte Dhark. »Nichts lieber als das!« erwiderte Sepok zu Dharks Überraschung. »Zu diesem Themenkomplex liegen ausgesprochen große Datenmengen vor, so daß eine Spezifikation vielleicht hilfreich wäre.« Dhark wechselte mit Riker einen kurzen Blick. Der ehemalige Chef der Terranischen Flotte war ebenso perplex wie Dhark. »Ich dachte, die Anlage wäre, seitdem die Buccaneers
zurückkehren, funktechnisch völlig von der Außenwelt abgeschnitten«, vergewisserte sich Dhark. »Das ist leider wahr«, bestätigte Sepok. »Aber die Zeit, in der dieser Planet entvölkert war, habe ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ich habe dafür gesorgt, daß überall auf dem Planeten elektronische Augen und Ohren installiert wurden. Selbst in bislang noch leer stehenden Gebäuden gibt es Übertragungstechnik, mit deren Hilfe ich jederzeit über alles informiert bin, was sich unter der planetaren Bevölkerung abspielt.« Die Sichtsphäre vergrößerte sich. Sie zeigte nun eine der Buccaneer-Städte. Wie in einem Bienenstock flogen die Schiffe der langarmigen Planetarier heran, landeten auf den dafür vorgesehenen Landefeldern, wo ein Großteil der an Bord befindlichen Buccaneers ausstieg, um anschließend von Gleitern abgeholt und weiterverteilt zu werden. Der Bildausschnitt der Sphäre blendete in eines der Gebäude hinein. Die Stimmen der Buccaneers waren zu hören. Dhark konnte kaum fassen, wie es Sepok möglich war, offenbar umfassende Aufzeichnungen von höchster Qualität auszuwerten. Vor allem war es Dhark ein Rätsel, wie all diese Daten hierher übertragen werden konnten! »Aber was ist mit der Funksperre?« fragte er den Salter. Sepok lächelte überlegen. In den Augen des Hologramms blitzte es auf eine Weise, die die Freude eines Tüftlers und Konstrukteurs über einen offenbar hervorragend funktionierenden Mechanismus ahnen ließ. »Das Kommunikationssystem, das ich bei diesem Ab-
hörsystem verwende, basiert nicht auf Funkwellen«, erläuterte das Hologramm. »Die Spionsonden, die überall auf dem Planeten installiert wurden, sind durch Molekülketten mit der Station verbunden. Diese Ketten habe ich mit einem speziellen Schwingungsfeld erzeugt. Sie funktionieren fast wie primitive Drahtverbindungen, nur sind sie für die Buccaneers nicht anzumessen. Sie führen teilweise quer durch den Planeten hindurch und treffen sich hier in meiner Kommunikationszentrale, wo die Daten verarbeitet werden. Die Abschirmung der Station bedeutet für diese Art der Verbindung kein Hindernis. Ich habe also aus dem Verborgenen heraus Zugang zu fast allem, was an der Oberfläche geschieht, ohne daß die Buccaneers auch nur den Hauch einer Chance hätten, diese Anlage überhaupt zu bemerken.« Sepok hob die Schultern und verschränkte die Arme. »Ich achte natürlich peinlich genau darauf, keinerlei Energie in die Statue des Goldenen zu lassen, die für die zurückkehrende Bevölkerung nichts anderes ist als irgendein rätselhaftes Monument, das sie an die unzivilisierte Frühzeit ihrer eigenen Art erinnert. Hierher, in diese Tiefe, vermögen sie nicht vorzudringen, zumal ich die Abschirmung im Laufe der Zeit noch perfektioniert habe. Das einzige Problem, daß ich auf längere Sicht bekommen könnte, hängt damit zusammen, daß es mir nicht möglich ist, beschädigte Spionsonden auszutauschen. Die Einrichtung einer neuen Molekülkette wäre nämlich anmeßbar, und eine Phase, in der dieser Planet für einige Zeit unbewohnt ist und ich derartige Reparaturen durchführen könnte, wird wohl all zu bald nicht wiederkommen. Aber darüber muß ich mir wohl erst in einigen Jahrhunderten wirklich Sorgen machen, denn
es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb die Spionsonden jetzt massenhaft ausfallen sollten.« Der Redeschwall des Hologramms brach ab. Auch die bewegen Bilder in der Sichtsphäre verblaßten. Sie war jetzt grauweiß, und man hatte fast den Eindruck, durch Milchglas zu blicken. Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. »Werden weitere Informationen gewünscht?« fragte Sepok schließlich. »Es muß auf diesem Planeten irgendeine Form von funktionierendem Funkverkehr geben«, meinte Ren Dhark, dabei ballte er die Hände zu Fäusten, so stark, daß die Knöchel weiß hervortraten. »Anders ist die koordinierte Landung einer so großen Anzahl von Raumschiffen gar nicht möglich!« »Nun, wie bereits erwähnt, konnte ich bislang nichts dergleichen feststellen. Jede Form von Funkverkehr wird dermaßen gestört, daß eine Übertragung von Signalen unmöglich ist. Meine Versuche, diese Störungen in irgendeiner Form zu neutralisieren, waren bislang leider vollkommen erfolglos.« »Ich möchte, daß sämtliche Frequenzen systematisch auf Funkaktivitäten hin abgetastet werden - und zwar nicht nur die Bereiche des Spektrums, die für gewöhnlich benutzt werden, sondern auch die extremen Randbereiche!« ordnete Ren Dhark an. Durch den Autorisationscode von Erron-3 war er dazu berechtigt, derartige Befehle zu erteilen. Jetzt wird sich zeigen, ob dieser Code mich wirklich zum Herrn über diese Station gemacht hat, wie es eigentlich sein müßte! überlegte der Terraner.
Sepok bedachte ihn mit einem erstaunten Blick, aber es kam von seiner Seite keinerlei Widerspruch. »Wenn es Ihr Wunsch ist!« »Ich möchte, daß alle verfügbaren Ressourcen des Hyperkalkulators dieser Station dafür eingesetzt werden!« »In Ordnung«, bestätigte Sepok. »Das ist kein Problem.« Auf den Schaltpulten leuchteten jetzt zahlreiche Kontrollampen auf. Der Hyperkalkulator wurde offenbar aktiv. Die Sichtsphäre verschwand. Das Sepok-Hologramm stand einige Augenblicke wie erstarrt da. »Ich nehme an, das Abtasten des gesamten Frequenzbandes wird eine Weile in Anspruch nehmen«, war Dan Riker überzeugt. Dhark zuckte die Achseln. »Ich denke, du unterschätzt das Konstruktionsgenie Sepoks«, erwiderte der weißblonde Terraner mit einem dünnen Lächeln, mit dem er seine innere Anspannung zu überdecken versuchte. Die Sorge um seinen Sohn drohte ihn innerlich zu zerreißen. Aber es hatte keinen Sinn, sich diesen übermächtigen Empfindungen hinzugeben, denn dann wurde es unmöglich, klare Gedanken und Entschlüsse zu fassen. Und genau diese Fähigkeit brauchte er jetzt. Dhark ging unruhig ein paar Schritte auf und ab, während Sepoks nachgebildete Augen ihn unablässig verfolgten. Ein Ruck durchzuckte auf einmal das Hologramm. Sepok wandte sich einem Schaltpult zu und betätigte eine Kombination verschiedener Hebel und Knöpfe. Er ging dabei mit einer so unglaublichen Geschwindigkeit vor, daß man seinen Bewegungen kaum folgen konnte. (Tatsächlich wurden die Einstellungen von den in den Pulten ver-
borgenen Servos vollautomatisch vorgenommen, aber das Hologramm erweckte die perfekte Illusion, selbst zu schalten.) Danach hielt Sepok inne und wandte sich schließlich an Dhark. »Ich habe erste Ergebnisse!« erklärte er. Dhark hob die Augenbrauen. Sein Gesicht verriet die ungeheure Anspannung, unter der der weißblonde Terraner stand. »Dann bitte ich um eine Erläuterung«, sagte er. »Erstaunlicherweise wurden in einem extremen Bereich des Hyperbandes tatsächlich Funksignale registriert, die sich zur Übertragung von überlichtschnellen Botschaften eignen.« »Habe ich es mir doch gedacht!« entfuhr es Dhark. »Ich möchte allerdings dazu feststellen, daß dieser Frequenzbereich von keinem anderen raumfahrenden Volk für den Funkverkehr benutzt wird und es daher zunächst völlig absurd erschien, in diesem Bereich nach Signalen zu suchen.« »Ich möchte, daß innerhalb des herkömmlichen Spektrums auch der Mikrowellenbereich abgetastet wird«, erklärte Dhark. »Schließlich werden sich die Buccaneers auf kurze Distanz kaum per Überlichtfunk verständigen! Der Aufwand wäre jedenfalls extrem hoch!« »Abtastung des Mikrowellenbereichs läuft bereits«, meldete Sepok, der denselben Gedanken gehabt zu haben schien. Wieder vergingen einige Augenblicke, aber der Hyperkalkulator hatte seine Suchmethodik offensichtlich bereits optimiert. Jedenfalls wurde er im herkömmlichen Spektrum wesentlich schneller fündig als im Bereich des Hyperban-
des. »In einem sehr schmalen Frequenzbereich existiert tatsächlich ein äußerst reger Funkverkehr«, bestätigte Sepok. »Ich empfange Hunderttausende von vollkommen unverschlüsselten Botschaften gleichzeitig. Bei einem Großteil davon handelt es sich offenbar ganz einfach um Befehle, die der koordinierten Landung einer großen Anzahl von Raumschiffen und der Weiterverteilung ihrer Insassen auf die zur Verfügung stehenden Wohnanlagen dienen. Wünschen Sie eine genauere Spezifikation der Daten? Möchten Sie eventuell, daß ich eine Suche unter bestimmten Gesichtspunkten, Stichwörtern, Begriffen oder anderen relevanten Kennzeichen durchführe?« »Ich werde darüber nachdenken«, murmelte Dhark. Jetzt meldete sich Dan Riker zu Wort. »Befinden sich derzeit außer den Buccaneers noch Angehörige anderer Völker auf diesem Planeten?« »Das müßte über meine Spionsonden mit relativ großer Sicherheit in Erfahrung zu bringen sein«, kündigte Sepok an. Er reaktivierte die Sichtsphäre. Ein Gewirr aus Farben und Formen war zunächst darauf zu sehen, ein Chaos aus sich überlagernden Bildsequenzen. Schließlich klärte sich das Bild. Dhark und Riker erblickten in der Sichtsphäre einen alten, verschrammten Doppelkugelraumer der Tel. Er stand auf einem Landefeld, im Hintergrund ragte ein Kontrollturm auf. »Woher stammen diese Aufnahmen?« fragte Dhark sofort. »Sie haben einen freien Blick auf das Hauptlandefeld des Raumhafens von Jaarak, einer Stadt in Äquatornähe«, er-
läuterte Sepok. Zur Illustration seiner Worte teilte sich die Sichtsphäre. In einem kleinen Fenster erschien eine perspektivische Darstellung Tortugas, auf der die Lage von Jaarak durch eine blinkende Markierung veranschaulicht wurde. Wenige Augenblicke später wurde diese Darstellung wieder ausgeblendet. Einige Tel befanden sich in der Nähe des Schiffes. Sie waren bewaffnet und schien den engeren Bereich um den Landeplatz des Raumers zu bewachen. »Es scheint noch mehr Angehörige deines Volkes auf dieser Welt zu geben«, stellte Sepok überrascht fest. »Daß es sich um Salter handelt, nehme ich nicht an.« Die humanoiden Tel glichen äußerlich Terranern mit dunkler Hautfarbe und nordeuropäischen Gesichtszügen. Daß ihre innere Physiologie sich vollkommen von der menschlichen unterschied und sie beispielsweise zwei unabhängig voneinander funktionierende Kreislaufsysteme besaßen, konnte Sepok mit Hilfe seiner Spionsonden natürlich nicht erkennen, weswegen er sie für Terraner hielt. Dhark und Riker wußten es jedoch besser. Was machen Tel auf Tortuga ? durchzuckte es Dhark. Mehr als zehntausend Welten umfaßte das Imperium der sogenannten Schwarzen Weißen, wie man sie auch nannte. Ihre Raumfahrttechnik basierte nur zum kleinen Teil - anders als die der Menschheit - auf den Hinterlassenschaften der Mysterious. Allerdings hatten die Tel schon über dreihundert Jahre früher als die Terraner damit begonnen, dieses Erbe für sich und die Eroberung des Weltalls zu nutzen, so daß ihr Sternenreich zu den größten Staatsgebilden in der
bekannten Galaxis gehörte. Das Telin-Imperium - benannt nach dem Heimatsystem der Tel - war so groß, daß in weiten Bereichen nur eine lockere Herrschaft ausgeübt werden konnte und es immer wieder zu Rebellionen einzelner Kolonialwelten kam. Das Verhältnis zwischen Cromar, dem Zentralplaneten des Imperiums, und der Erde konnte man am besten als angespannte Koexistenz bezeichnen. Seit dem Ende des Krieges gegen die Grakos gab es keine gemeinsame Bedrohung mehr, was die diplomatische Situation nicht unbedingt vereinfacht hatte. Der militärische und politische Einfluß, den Terra im Gerrck-System notgedrungen nach dem Sieg und der Etablierung der Gordo-Regierung ausübte, mißfiel dem Imperium. Hatte Cromar seine diplomatischen Fühler etwa bereits nach Tortuga ausgestreckt, um diese Freibeuter des Alls in eine Koalition einzubinden? Es war nicht schwer zu erraten, gegen wen sich dieses Bündnis dann richten würde. Andererseits sieht dieses klapprige Raumschiff nicht gerade wie ein Tel-Schiff in offizieller diplomatischer Mission aus! überlegte Dhark. Aber was steckte dann dahinter? Die wohlmodulierte Stimme des Hologramms riß Dhark aus seinen Spekulationen. »Es gibt noch an einem anderen Ort Angehörige Ihres Volkes«, stellte Sepok fest. Das Bild in der Sichtsphäre wechselte. Es zeigte nun die Silhouette eines anderen Raumhafens. »Das ist Maartok«, erklärte Sepok. »Dieser Raumhafen liegt ebenfalls in der Äquatorzone, allerdings fast genau auf der entgegengesetzten Seite des Planeten!«
Der Bildausschnitt veränderte sich. Der Hyperkalkulator schien auszuprobieren, von welcher Spionsonde aus die gesuchte Information am besten mit passendem Bildmaterial zu belegen war. Dhark und Riker erblickten ein Kegelschiff. Ein Außenschott stand offen. Bewaffnete Buccaneers patrouillierten umher. Der Blick der Spionsonde schwenkte etwas, und nun wurde eine Gruppe von Gefangenen sichtbar, die von bewaffneten Buccaneers abgeführt wurden. Bei den Gefangenen handelte es sich zweifellos um Terraner! Sie befanden sich offensichtlich in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Manche von ihnen waren verletzt und mußten von ihren Mitgefangenen gestützt werden. Ihre Bewacher schienen jedoch wenig Mitleid mit ihnen zu haben und scheuchten sie unbarmherzig vorwärts. »Wir sehen hier genau 48 Individuen, die zumindest äußerlich die physischen Merkmale Ihres Volkes aufweisen«, erläuterte Sepok mit einer Nüchternheit, die deutlich machte, daß er letztlich eben doch nur Programmteil eines gigantischen Hyperkalkulators war. »Ich möchte die Gefangenen etwas näher sehen!« forderte Dhark ungeduldig. Eine kaum erträgliche innere Unruhe hatte ihn jetzt erfaßt. Natürlich beherrschte den Terraner jetzt der Gedanke, daß sich in dieser Gruppe womöglich Joan und Ion befanden. In dieser Perspektive und Bildauflösung war das allerdings nicht zu erkennen. Sepok kam Dharks Wunsch nach. Die Gesichter der abgeführten Männer und Frauen
wirkten müde und leer. Auch Kinder waren unter ihnen. Dharks Blick blieb an einer jungen Frau mit dunkelbraunem Haar und griechisch wirkendem Profil haften. Joan Gipsy! Auf dem Arm trug die junge Frau den gut ein Jahr alten Ion, ihren gemeinsamen Sohn. Der Junge blickte verängstigt um sich. Ren Dhark hatte das Gefühl, als ob ihm jemand mit einem Messer mitten ins Herz stach. Gleichzeitig fühlte er aber auch Erleichterung darüber, Ion und Joan endlich gefunden zu haben! Die Ungewißheit hatte ein Ende! Sie leben! Das ist mehr, als du erhoffen konntest! »Ich werde sofort etwas unternehmen«, erklärte Dhark und wandte sich von der Sichtsphäre ab. Riker faßte ihn bei der Schulter. »Nichts überstürzen, Ren!« »Nichts überstürzen? Hast du nicht gesehen, in welcher Lage die Gefangenen sind?« »Was hast du vor, Ren?« »Ich will meinen Sohn aus dieser elenden Lage retten das wirst du doch wohl verstehen können, Dan!« »Ren!« Die beiden Männer wechselten einen Blick. Auf beiden Seiten war die Entschlossenheit in die Gesichtszüge geschrieben. Schließlich sagte Dhark: »Bleib du hier, Dan! Dann habe ich eine Reserve in der Hinterhand. Du wirst mit Hilfe Sepoks verfolgen können, was geschieht, und falls meine Befreiungsaktion schiefgeht... « Dan Riker unterbrach seinen Freund. »Was willst du tun?
Nur deinen Sohn befreien und die anderen ihrem Schicksal überlassen? Ren, wir müssen noch abwarten, bevor wir etwas unternehmen, so schwer dir das in Anbetracht der schlimmen Lage, in der sich dein kleiner Sohn befindet, auch fallen mag!« Ren Dhark atmete tief durch. Er war immer schon der Besonnenere von uns beiden! dachte er dabei. Sei froh, daß du ihn als Korrektiv in deiner Nähe hast! Ren Dhark versuchte, diesen Gedanken aus seinem Hirn zu verbannen, ihn in der hintersten Ecke abzulegen und ihn einfach nicht weiter zu beachten. Es drängte ihn jetzt einfach vorwärts. Er wollte etwas tun, um die Lage der Gefangenen zu verbessern. Aber vielleicht hatte Riker recht und es war klüger, zunächst einmal abzuwarten, um die Situation besser einschätzen zu können. Denn eines stand fest: Weder von Terra noch von Eden konnten Riker und Dhark im Moment schnelle Unterstützung erwarten. Der weißblonde Terraner atmete tief durch. Er versuchte das Wirrwarr seines inneren Gefühlschaos ein wenig zu ordnen. Rikers ruhige, besonnen klingende Stimme drang in sein Bewußtsein. Er deutete auf Sepoks Sichtsphäre, während er sprach. »Wir müssen wissen, ob die Gefangennahme dieser Gruppe nur ein Zufall war oder ob etwas anderes dahintersteckt«, meinte er. »Und mit Sepoks ausgefeilter Spionagetechnik werden wir das sicher herausbekommen!«
Dhark atmete tief durch. »Vielleicht hast du recht«, murmelte er. Auf der Sichtsphäre war nun zu sehen, wie die Gefangenen in ein Gebäude geführt wurden. »Wünschen Sie zu sehen, was mit den Gefangenen geschieht?« fragte Sepok. Dhark schluckte. »In der Tat«, knurrte er. Die mit schweren Blastem bewaffneten Buccaneers führten die Terraner in eine große Halle. Über ein Translatorsystem konnten Dhark und Riker auch akustisch verfolgen, was sich ereignete. In ziemlich barschem Ton wurden die Menschen angewiesen, sich auf den Boden zu setzen. Das Translatorprogramm der Station übersetzte diese Anweisungen für Dhark und Riker in die Worgunsprache. Die Gefangenen konnten allerdings von dem, was die Buccaneers sagten, nicht ein einziges Wort verstehen, denn es gab keinerlei Translatorgeräte, weder unter den Buccaneers noch bei den Terranern. Die Gesten der Wächter waren allerdings mehr als eindeutig. Wer das nicht schnell genug begriff, wurde grob gestoßen. Offenbar dachte unter den Buccaneers zumindest vorerst niemand daran, die Verletzten zu versorgen. Einer der Bewaffneten trat vor und ließ suchend den Blick über die Gruppe von Gefangenen schweifen. Dieser Buccaneer war Dhark zuvor schon aufgefallen. Er schien die Befehlsgewalt über die Wächter zu haben. Äußerlich stach er durch den Umstand hervor, daß ihm das linke Auge
fehlte. Stattdessen war dort nur eine grauenerregende Narbe zu sehen. Irgendetwas - vielleicht ein Strahlschuß - hatte ihm die linke Gesichtsseite vollkommen zerstört und sogar einen Teil des Schädels weggebrannt. Es war erstaunlich, daß er das überhaupt überlebt hatte. Der einäugige Buccaneer deutete auf Joan, die den kleinen Ion fest an sich preßte. »Los, mitkommen! Sofort!« kam es aus dem Lautsprecher von Sepoks Translators. Der Einäugige trug neben einem schweren Handblaster an seinem breiten Gürtel noch einen Paralysator, dessen Griff eine seiner prankenartigen Hände umschloß. Er spitzte die Lippen und stieß einen Pfeiflaut aus, woraufhin Joan von Wächtern ziemlich grob gepackt wurde. Den kleinen Ion hielt sie an ihren Körper gepreßt und versuchte ihn so gut es ging zu schützen. Der Junge starrte die ihn umgebenen Buccaneers mit großen, vollkommen verängstigt wirkenden Augen an. Der Einäugige drehte sich ab. Die Wächter führten Joan und Ion hinter ihm her. Der Blick von Sepoks Spionsonden folgte ihnen durch einen breiten, grell erleuchteten Korridor, dessen Wände jedoch vollkommen kahl waren. Schließlich öffnete sich eine Schiebetür vor ihnen. Joan wurde mit ihrem Kind auf dem Arm in einen zellenartigen, ebenfalls völlig kahlen Raum geführt. Ren Dhark ballte zur gleichen Zeit unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Was da im Blickfeld der Sichtsphäre quasi vor seinen Augen ablief, war für den ehemaligen Commander der
Planeten außerordentlich schwer erträglich. Mochte er sich auch im Streit von Joan Gipsy getrennt und mit Amy Stewart inzwischen eine neue Liebe gefunden haben, so gab es doch etwas, was ihn für immer mit Joan verband. Sie beide waren die Eltern des kleinen Ion Alexandru. Was immer Ren Dhark ansonsten persönlich von Joan inzwischen trennen mochte, dies würde immer ein Grund bleiben, sich auch für sie verantwortlich zu fühlen. Und was den kleinen Ion anging... Ihn konnte Dhark schließlich nicht dafür büßen lassen, daß Joan seinerzeit entgegen ihrer beiderseitigen Abmachung schwanger geworden war. Im Blickfeld der Sichtsphäre war jetzt zu sehen, wie die Wächter die Zelle verließen und Joan allein mit dem kleinen Ion zurückblieb. Tränen glitzerten in ihren Augen, und es versetzte Ren Dhark einen Stich, sie in dieser hoffnungslosen Lage zu sehen. Bei allem, was uns beide getrennt hat ich habe sie schließlich auch einmal geliebt! ging es ihm durch den Kopf. Ein Ruck durchlief seinen Körper. Er wandte sich an Riker. Dieser ahnte schon, was jetzt kommen würde. Jetzt gab es kein Halten mehr! »Ich werde mit dem Flash in dieses Gebäude fliegen und die beiden befreien!« kündigte er an. »Die Gelegenheit ist günstig!« »Und was wird aus den anderen?« fragte Riker. »Das werden wir dann sehen.« »Was glaubst du, weshalb sie ausgerechnet Joan und Ion ausgewählt und abgesondert haben?« fragte Riker. Dhark zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, aber ein
Zufall ist das nicht. Die haben irgendetwas mit ihnen vor, und ich werde nicht tatenlos aus dieser sicheren Station heraus zusehen!« Dhark wandte sich an das Salterhologramm. »Sepok?« »Sie wünschen?« »Die Positionsdaten des Gebäudes, in dem die Terraner gefangen gehalten werden, bitte auf den Bordsuprasensor meines Flash überspielen!« »Wird erledigt. Soll die Maschine flugbereit gemacht werden?« »Nein, das erledige ich selbst.« Eine Spur von Mißtrauen gegenüber dem fremden Hyperkalkulator blieb bei dem Terraner nach wie vor virulent. Riker spürte, daß es sinnlos war, Dhark jetzt noch zurückhalten zu wollen. Die Besorgnis um Joan und Ion war einfach zu stark. Dhark ging ein paar Schritte auf den Pullman zu, mit dem er zurück zum Landeplatz des Flash gelangen wollte. Kurz davor blieb er stehen und wandte sich noch einmal zu Riker herum. »Du wirst ja über Sepoks Spionsonden verfolgen können, was geschieht... « »Allerdings!« »Falls die Aktion schiefgeht, mußt du irgendwie versuchen, Hilfe zu holen. Wir wissen ja nun, daß die Buccaneers durchaus untereinander Funkkontakt haben. Vielleicht findest du mit Sepoks Hilfe eine Möglichkeit, um mit Terra oder Eden in Kontakt zu treten.« »Da mach dir mal keine Sorgen, Ren!« Dhark nickte leicht, bevor er sich endgültig umdrehte
und den Pullman bestieg. Die Fahrt bis zum Landeplatz des Flash dauerte nicht lange. Die Maschine stand unverschlossen da, so wie Dhark sie zurückgelassen hatte. Der Terraner blickte sich um. Kein Defensiver befand sich noch in dem hallenartigen Raum. Die Station hat Dan und mich als Inhaber absoluter Befehlsgewalt akzeptiert, überlegte er. Das ist eine Trumpfkarte, die wir vielleicht noch ausspielen müssen. Dhark bestieg den Flash. Er startete und schaltete das Intervallfeld ein. Zunächst ließ er sich mit Hilfe der planetaren Schwerkraft durch die feste Materie der Station hindurch sinken, die dem Beiboot der POINT OF jetzt keinerlei Widerstand entgegensetzte. Schließlich befand sich Flash 002 in einem Zwischenuniversum, das vom Rest der Raumzeit wie von einer Blase abgeschirmt wurde. Dhark schaltete Tarnschutz und Brennkreis ein. Er ging auf maximale Beschleunigung, drang zunächst durch die Gluthölle der Magmazone und wenig später durch den überwiegend aus mehrere tausend Grad heißem Eisen bestehenden Kern, der nur auf Grund der geradezu astronomischen Druckverhältnisse einen festen Aggregatzustand hatte. Anschließend folgte erneut ein Ozean aus glühendem Magma, bevor Flash 002 endlich die planetare Kruste auf der gegenüberliegenden Seite Tortugas erreichte. Hier bremste Dhark den Flash bereits spürbar ab. Die in das Steuerungssystem eingegebenen Koordinaten
des Gebäudes, in dem Joan und Ion gefangen gehalten wurden, führten das Beiboot schließlich ans Ziel. Wie eine geisterhafte, unwirkliche Erscheinung drang es aus dem Boden hervor, und die durch den Brennkreis hervorgerufene Lichterscheinung ließ die hier anwesenden Buccaneers herumfahren und zu den Waffen greifen... *
Wie gut, daß du noch nicht wirklich begreifen kannst, in welcher Lage wir uns befinden, mein kleiner Ion! dachte Joan Gipsy. Sie saß auf dem Boden, hielt ihren Sohn im Arm und strich ihm über den Kopf. Der Junge hatte sich einigermaßen beruhigt. Aber das würde nicht lange so bleiben. Geräusche, die vom Korridor her in die Zelle drangen, ließen die junge Frau plötzlich aufhorchen. Auch der kleine Ion hatte sie bemerkt. Er blickte seine Mutter mit großen Augen fragend an. Was geschieht da? durchzuckte es Joan. Erneut war ein Poltern zu hören, und schon in der nächsten Sekunde glitt die Zellentür zur Seite. Joan Gipsys Kinnladen sackte in die Tiefe, als sie den hochgewachsenen weißblonden Mann im Türrahmen stehen sah, in der Hand einen Paralysator. »Ren!« entfuhr es der jungen Frau unwillkürlich. »Komm, wir haben nicht viel Zeit!« sagte er, trat auf sie zu und half ihr auf. Den Paralysator steckte er an den Gürtel. Kurz nahm er Ion auf den Arm. Der Junge sah seinen Vater etwas befremdet an.
»Er ist groß geworden«, sagte Joan. »Ja«, flüsterte Dhark. Seinen Sohn nach so langer Zeit wieder in die Arme schließen zu können, bewegte den ehemaligen Commander der Planeten tief. Er hatte nicht viel Zeit für seinen Sprößling gehabt, das mußte er zugeben. Die Umstände! wurde ihm schmerzlich bewußt. Sie haben es nicht zugelassen. Er gab Joan den Jungen zurück. Ihrer beider Blicke trafen sich dabei. Diese meergrünen Augen... Joans Anblick versetzte ihm einen Stich. Ihre körperliche Nähe schien zumindest einen Teil jener Gefühle wieder wachzurufen, die er einmal für sie empfunden hatte. Laß dich nicht von der Vergangenheit gefangen nehmen! meldete sich eine ziemlich energische Stimme in Dharks Hinterkopf. Sie läßt sich doch nicht zurückholen. Du fügst dir nur selbst Schmerzen zu. So vernünftig diese Stimme aus seinem Inneren auch sein mochte, Dhark hatte im Moment nicht die geringste Lust, ihr zuzuhören. »Wie bist du hierhergekommen?« fragte Joan. »Mit einem Flash. Komm jetzt!« Er zog sie mit sich, hatte dabei die Rechte bereits griffbereit am Paralysator. Draußen im Korridor befand sich das Raumboot. Daneben lag ein halbes Dutzend Buccaneers regungslos am Boden. »Ich habe sie nur betäubt«, erklärte Dhark. Joan starrte auf den Flash. »Du bist allein mit einem Beiboot in dieses System ein-
gedrungen, um... « »Nicht ganz allein. Riker ist bei mir. Aber das erkläre ich dir alles später.« Sie schüttelte fassungslos, aber nicht ohne Bewunderung für Dharks Risikobereitschaft den Kopf. »Du mußt wahnsinnig sein, Ren!« »Steigt ein!« Eigentlich war der Flash nur ein Zweisitzer, aber für Ion und Joan reichte der zweite Sitz vollkommen aus. Geräusche ließen Dhark herumfahren. Schroffe Befehle in der Sprache der Buccaneers gellten durch den Korridor. Von beiden Seiten näherten sich Trupps von schwerbewaffneten Sicherheitskräften. Dhark erkannte den Einäugigen wieder. Er zielte mit einer Strahlwaffe auf Dhark. Der Terraner bestieg den Flash und aktivierte das Intervallfeld. Die Strahlen zuckten jetzt von allen Seiten und fuhren durch den Flash hindurch. Den Ortungsanzeigen nach handelte es sich um Paralysestrahlen, was Dhark überraschte. Angesichts des ansonsten recht kompromißlosen und wenig rücksichtsvollen Vorgehens der Buccaneers gab es dafür nur eine Erklärung. Sie wollen uns lebend! durchfuhr ihn die Erkenntnis. Und dafür muß es einen triftigen Grund geben! Genauso wie für die Absonderung von Joan und Ion. Die herbeieilenden Wächter sahen nur noch den Brennkreis grell aufleuchten. Sie kniffen die Augen zusammen, um nicht geblendet zu werden. Dann war Dharks Flash für sie verschwunden... hinab getaucht durch die feste Materie des Untergrunds, direkt in den Boden versunken.
In knappen Worten erläuterte Dhark seiner ehemaligen Geliebten, wie die Lage war. »Wir kehren jetzt in die unterirdische Station der Worgun zurück. Dort sind wir in jedem Fall sicher. Die Abschirmung ist perfekt, und es dürfte für die Buccaneers unmöglich sein, uns bis dorthin zu folgen.« »Wie gut, daß du Riker in der Station gelassen hast sonst wäre kein Platz in diesem Flash für mich und Ion gewesen.« »Über die überall auf dem Planeten installierten Spionsonden konnten wir euch beobachten«, erklärte Dhark. »Ich wußte genau, was ich tat... « »Wie hätte man es von einem Commander der Planeten auch anders erwarten können?« erwiderte Joan. Ein leicht spöttischer Unterton schwang in ihren Worten mit. »Oh, Verzeihung - einem ehemaligen Commander der Planeten natürlich. Aber ich wette, auch du hast noch Schwierigkeiten, dich daran zu gewöhnen, daß du keine Regierungsmacht mehr in den Händen hältst.« »Manches wird leichter dadurch - anderes schwieriger«, erwiderte Dhark. »Eine ausweichende Antwort.« »Mag sein, aber im Moment gibt es wohl Wichtigeres als das. Zum Beispiel würde es mich interessieren, ob du eine Ahnung hast, weshalb Ion und du von den anderen Gefangenen abgesondert wurdet?« Joan Gipsy schwieg einige Augenblicke lang und dachte nach. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich habe mich dasselbe auch schon gefragt, aber ich war so damit beschäftigt, den
Kleinen zu beruhigen...« »Ich verstehe.« »Keine Ahnung, was die mit uns vorhatten, Ren. Aber du bist ja gerade noch rechtzeitig aufgetaucht.« Der Klang von Joans samtener Stimme ließ Ren Dharks Gedanken in die Vergangenheit zurückwandern. Im Oktober 2057 waren sie sich während eines Transkontinentalflugs zum ersten Mal begegnet. Später hatte Dhark dann erfahren, daß der Industrielle Terence Wallis die junge Frau auf ihn angesetzt hatte. Ein Auftrag, aus dem mehr geworden war, wie Joan später Ren Dhark gegenüber versichert hatte. Der Gedanke daran schmerzte. Laß die Vergangenheit ruhen! durchfuhr es wie ein greller Blitz seine Gedanken. Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt geht es nur noch um die Zukunft. *
Während des weiteren Fluges durch das Planeteninnere schwiegen sowohl Joan als auch Dhark. Schließlich erreichte Flash 002 die unterirdische Station der Worgun. Aber anstatt direkt in den Kontrollraum zu fliegen, wo sie auf das Sepok-Hologramm gestoßen waren, landete Dhark den Flash erneut in jenem hallenartigen Raum, in dem das Beiboot schon beim ersten Mal zurückgelassen worden war. Rens Vorgehensweise hatte ihren Grund. Er wollte ein paar Augenblicke mit Joan und vor allem mit seinem Sohn allein sein, ohne daß Dan Riker dabei war.
Dhark schaltete das Intervallfeld aus und stieg aus dem Beiboot. Er half Joan dabei, zusammen mit ihrem Sohn aus dem engen Zylinder des Flash heraus zu klettern. Die junge Frau atmete tief durch. »Es ist vieles zwischen uns unglücklich gelaufen, Ren«, sagte sie. »Ich habe versucht, dich mit Prozessen zu überziehen, um dich zu zwingen... « »Lassen wir das besser«, schnitt Dhark ihr das Wort ab. Er hatte keinerlei Lust, die alten Schlachten noch einmal zu schlagen. Dazu hatten sie jetzt auch gar nicht die Zeit. Dhark wollte etwas ganz anderes. Sein Blick war auf den kleinen Ion gerichtet. »Möchtest du ihn noch einmal in den Arm nehmen?« fragte Joan. »Gern«, nickte Dhark. Joan gab ihm den Kleinen. Behutsam nahm Dhark ihn auf den Arm. Der Kleine sah den weißblonden Terraner interessiert an und begann eine Folge von brabbelnden Lauten über die Lippen zu bringen. »Er beginnt schon fleißig zu reden«, wurde dies von Joan kommentiert. »Allerdings versteht ihn noch niemand!« »Das wird sich mit Sicherheit bald ändern.« Nichts hätte sich Ren Dhark in diesem Augenblick mehr gewünscht, als länger Zeit für Ion zu haben und sich in aller Ruhe mit dem Kleinen beschäftigen zu können. Aber dazu war jetzt keine Gelegenheit. Noch befanden sich 46 terranische Geiseln in der Gewalt der Buccaneers. Auch diesen Gefangenen mußte dringend geholfen werden. »Der kleine Ion sieht dir ähnlich«, fand Joan.
Dhark gab ihn seiner Mutter zurück. »Er hat genau so viel von dir«, erwiderte er. In diesem Moment öffnete sich ein Schott. Ein Pullman rollte herein - diesmal von Dhark mit einem mentalen Ruf herbei beordert. »Gut, daß du kommst, Ren!« wurde Dhark von Dan Riker begrüßt, als er wenig später zusammen mit Joan und Ion den Kontrollraum erreichte. »Wie du siehst, hatte ich wenigstens etwas Erfolg«, meinte Ren mit einem matten Lächeln. »Aber für die anderen Geiseln werden wir wohl auch noch etwas tun müssen!« Er ließ den Blick schweifen. Sepok hatte zwei große Sichtsphären aktiviert, die Bilder von verschiedenen Orten auf Tortuga zeigten. Da war einerseits das verschrammte Tel-Schiff in Jaarak zu sehen und andererseits das Innere jenes auf der entgegengesetzten Seite des Planeten im Raumhafen von Maartok gelegenen Gebäudes, in dem die terranischen Geiseln gefangen gehalten wurden. »Dein Auftritt ist nicht ohne Folgen geblieben«, erklärte Riker. »Die Lage spitzt sich zu!« Dhark trat näher und blickte von einer Sichtsphäre zur anderen. Sepok deutete auf das Tel-Raumschiff. »Der Schutzschirm wurde aktiviert«, erklärte er. »Dort scheint sich eine neue Entwicklung anzubahnen.« Dharks Augen verengten sich. Was haben die Tel mit dieser Sache zu tun? Riker erklärte: »Wirklich bedenklich ist das, was gerade mit den verbliebenen Geiseln geschieht!«
Dhark schaute auf die zweite Sichtsphäre. Sepok vergrößerte sie etwas. Der Blickwinkel war ins Innere jener Halle gerichtet, in der die Geiseln festgehalten wurden. Noch immer hatte sich kein Buccaneer darum gekümmert, die Verletzten zu versorgen. Hier und da stöhnte einer der Verletzten vor Schmerzen auf. Wächter der Freibeuter brüllten roh ihre unverständlichen Befehle und versuchten offenbar, die Gefangenen einzuschüchtern. Einer von ihnen wollte sich erheben, wurde aber sofort mit dem Kolben eines Strahlers niedergeschlagen. Die Wächter schienen äußerst nervös zu sein. Auch dafür muß es einen Grund geben, überlegte Dhark. Einige andere Wächter waren damit beschäftigt, rund um die Gruppe der Gefangenen quaderförmige Gegenstände abzustellen. »Was tun die da?« fragte Dhark. »Mit Sepoks Hilfe habe ich inzwischen herausbekommen, daß es sich um Sprengsätze handelt. Die Module für die Zündung halten die Posten in den Händen, wie du siehst!« »Wenn man die Wachsoldaten tötet oder betäubt, gehen die Sprengminen sofort hoch«, ergänzte Sepok. »Ich kenne mich zwar nicht besonders gut in der Sprengstoffchemie aus, die auf diesem Planeten benutzt wird, aber den Unterhaltungen der beteiligten Wächter nach ist es genau so, wie ich es gerade gesagt habe.« Ren Dhark ballte voller Wut die Fäuste. »Was haben die vor - ein Massaker?« »Vielleicht wollen sie auch nur Forderungen stellen«, meinte Riker.
»Forderungen?« echote Dhark. »An wen denn? Das macht doch alles keinen Sinn!« »Ich filtere gerade sämtliche eingehenden Informationen im Hinblick auf relevante Daten«, sagte Sepok. »Dieser Prozeß beansprucht auf Grund der Vielzahl an zu berücksichtigenden Ton- und Bildaufzeichnungen momentan über neunzig Prozent meiner Rechnerkapazität.« Augenblicke gespannten Wartens vergingen. Das Sepok-Hologramm nahm ein paar Schaltungen vor und modifizierte damit offenbar die Suche des Hyperkalkulators. Plötzlich erschienen auf Sepoks ansonsten vollkommen glatter Stirn ein paar tiefe Furchen. Der Salter wandte sich an Dhark. »Ich empfange einen Funkspruch«, erklärte er und schien darüber ebenso irritiert zu sein wie alle anderen Anwesenden. »Seltsamerweise kommt dieses Audiosignal über einen ganz gewöhnlichen, herkömmlichen Kanal.« »Ohne Störung?« vergewisserte sich Riker. Sepok bestätigte dies. »Ja, das ist tatsächlich eigenartig! Die Botschaft wird mit Hilfe eines technisch nicht sehr hochstehenden Translators in ein Idiom namens Angloter übersetzt.« Der Salter schaltete die Phase frei. Eine Kunststimme ertönte. »Unbekannter Terraner muß Frau und Kind umgehend an Behörden von Planet Ril ausliefern. Sonst sterben Geiseln. Alle halbe Stunde einer stirbt. Wiederhole! Unbekannter Terraner muß Frau und Kind an Behörden von Planet Ril ausliefern... « »Ril - das muß der Buccaneer-Name von Tortuga sein«,
schloß Dhark. »Ein Meister der Sprache ist das nicht gerade!« murmelte Riker. Monoton wurde die Botschaft wiederholt. Dhark kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. »Liegt wahrscheinlich an der mangelnden Qualität dieses alten Tel-Translators«, vermutete der Terraner. Er wandte sich an Sepok, um sich darüber zu vergewissern, ob der Funkspruch von dem alten Tel-Schiff abgeschickt worden war. Aber Sepok konnte das keineswegs bestätigen. »Das Raumschiffs deiner Artgenossen ist nicht der Ausgangspunkt für diesen Funkspruch«, erklärte das Hologramm. »Diese Leute gehöre nicht zu meiner Spezies, auch wenn sie äußerlich so aussehen«, erklärte Dhark. »Sie sind Tel.« »Es tut mir leid, aber mir fehlt das Analyseinstrumentarium, um derartige Feinheiten erkennen zu können«, entschuldigte sich Sepok. »Ich wette, daß die Tel hinter dieser Botschaft stecken«, meinte Riker. »Am besten, der Hyperkalkulator hält mal planetenweit nach Gerätschaften Ausschau, die Ähnlichkeiten mit der in diesem Raumschiff verwandten Technologie aufweisen.« »Ich werde diese Suche sofort aufnehmen, sobald dafür ausreichend Rechenkapazität zur Verfügung steht«, erklärte Sepok sachlich. Plötzlich ließ der Salter eine dreidimensionale Darstellung von Tortuga erscheinen. Die einzelnen Orte und geographischen Gegebenheiten waren in Worgun-Schrift be-
zeichnet, wie Dhark sofort erkannte. Eine bestimmte Stelle auf der Planetenoberfläche wurde von einem aufblinkenden Punkt markiert. »Dies ist der Ursprung der Funkbotschaft!« stellte er fest. Das Pulsieren des Punktes hörte auf. »Was ist los?« fragte Dhark, der Sepoks Verwirrung sofort bemerkte. »Bis eben wurde monoton immer derselbe Funkspruch auf einer gewöhnlichen Frequenz abgesetzt. Die Quelle ist jetzt verstummt. Der benutzte Frequenzbereich wird wieder durch Störungen völlig blockiert.« »Habe ich mir fast gedacht!« murmelte Dhark. In eine der Sichtsphären wurde nun das Bild eines großen, quaderförmigen Gebäudes in einer der Metropolen des Planeten gezeigt. »Die Einheimischen nennen diese Stadt Konloy«, erläuterte Sepok. »Hier war der Ursprung des Funksignals. Das technische Gerät, von dem es abgestrahlt wurde, entspricht übrigens tatsächlich in einigen wesentlichen Details jener Technik, die auf dem vorhin gezeigten Raumschiff Verwendung findet.« »Also wirklich ein alter Tel-Translator!« stellte Riker fest. Das entscheidende Puzzleteil, der Lückenschluß in dieser logischen Kette von Mutmaßungen und Fakten fehlt uns noch! ging es Dhark siedend heiß durch den Kopf. In seinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Immer wieder stoßen wir auf die Tel — gleichgültig, um welche Fragestellung es in Bezug auf Tortuga und das Schicksal der Gefangenen auch geht. Dhark atmete tief durch und ging ein paar Schritte auf und ab.
Er blieb einen Augenblick stehen und wechselte einen kurzen Blick mit Joan Gipsy. Der kleine Ion war inzwischen im Arm seiner Mutter eingeschlafen. Zweifellos hatte er auch mehr als genug im Verlauf der Ereignisse mitgemacht - angefangen vom Überfall auf die SHADO über die Behandlung während der Geiselhaft bis hin zu Dharks dramatischer Rettungsaktion, bei der alles an einem seidenen Faden gehangen hatte. Aber davon hatte der kleine Ion wohl von allen Beteiligten am wenigsten mitbekommen. Stimmen ertönten. Sie sprachen in verschiedenen Idiomen, von denen Dhark keines verstand. Immerhin erkannte er sie wieder. Tel und die Sprache der Buccaneers! Das außerordentlich leistungsfähige Translatorsystem des unterirdischen Hyperkalkulators übersetzte alles, was gesprochen wurde, simultan in die Worgunsprache, die sowohl Dhark als auch Riker fließend beherrschten. Dhark drehte sich um. In der Sichtsphäre war inzwischen das Innere des großen quaderförmigen Gebäudes zu sehen. »Es handelt sich um den Regierungssitz«, erklärte Sepok. »Wenn man das nach einer so kurzen Zeit der Rückkehr schon sagen kann! Aber vor dem Exodus der Planetarier waren hier jedenfalls der Regierungssitz und die oberste Kontrollinstanz der wichtigsten Behörden dieser Welt untergebracht.« Mehrfach wechselten Perspektive und Blickwinkel. Verschiedene Büros waren zu sehen. Die dort Beschäftigten trugen teilweise reichlich mit Orden behängte Uniformen, teilweise waren sie auch mit dem unter den Buccaneers
üblichen Zivil gekleidet. »Ich suche nach relevanten Informationen«, sagte Sepok. Riker schaute auf seinen Chronometer. »Das Ultimatum der Buccaneers läuft. Wenn sie wirklich alle halbe Stunde eine Geisel töten...« Der ehemalige Flottenchef verstummte. »Im Grunde paßt diese Vorgehensweise genau in das Verhaltensschema, das wir bis jetzt bei ihnen kennengelernt haben«, fand Dhark. Es galt jetzt, trotz der äußerst angespannten Lage nicht die Nerven zu verlieren. Joan Gipsy trat an Dhark heran. Sie hatte die Jacke ihrer enganliegenden Kombination ausgezogen und den kleinen Ion darauf gebettet. Darunter trug sie ein T-Shirt. »Ren, hast du irgendeine Ahnung, was die von uns - Ion und mir - wollen? Gibt es da vielleicht etwas, worüber du Bescheid weißt und was du mir bislang verschwiegen hast?« »Nein, Joan«, gab Dhark zur Antwort. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich verlange, daß du deinen Sohn und mich sofort mit dem Flash in Sicherheit bringst!« Deinen Sohn und mich! echote es in Dharks Gedanken. Die Reihenfolge ist sehr bewußt gewählt! »Und was ist mit den anderen Gefangenen?« erwiderte der ehemalige Commander der Planeten. »Dir kann es doch nicht gleichgültig sein, wenn alle halbe Stunde eine Geisel getötet wird!« »Dann hast du wirklich vor, den Forderungen dieser Barbaren nachzugeben und uns auszuliefern? Das kann
nicht dein Ernst sein, Ren!« »Das ist es auch nicht.« »Vorhin, als du urplötzlich in meiner Zelle erschienst und uns befreit hast, da habe ich einen Augenblick lang gedacht, du wärst ein Mann mit Verantwortung. Aber ich scheine mich geirrt zu haben.« »Joan!« Sie war ziemlich außer sich. Die psychische Anspannung schien das Maß zu überschreiten, das sie verkraften konnte. Dhark faßte sie bei den Schultern. »Du bist hier in absoluter Sicherheit. Es gibt keinen Grund, dich an einen anderen Ort zu bringen, denn im Umkreis vieler Lichtjahre bist du nirgendwo so gut aufgehoben wie in dieser unterirdischen Station der Worgun.« »Diese Buccaneers sind uns auf der Spur, Ren. Und sie werden nicht lockerlassen, ehe sie nicht das in ihren widerlichen Pranken haben, was sie wollen - und das sind zufällig Ion und ich!« Dharks Blick fixierte sie für einen Augenblick. »Ihr bleibt hier«, sagte er dann im Tonfall eines Raumschiffskommandanten, der Widerspruch weder erwartete noch duldete. Die Sache war entschieden, mochte Joan verlangen, was sie wollte. Das war es, was diese Worte der jungen Frau klarmachen sollten. Offenbar mit Erfolg. Joan Gipsy schluckte, wischte sich die Tränen weg, die sich in ihren Augenwinkeln gebildet hatten, und atmete schwer. Das Kind war wachgeworden und meldete sich lautstark. Gut so, dachte Dhark. Dann hat sie jetzt wenigstens etwas zu tun! »Ich habe hier etwas Interessantes gefunden«, meldete
Sepok. In einer der Sichtsphären zeigte eine der unzähligen Spionsonden jetzt das Büro eines hohen Buccaneer - Würdenträgers im Regierungspalast. Seiner Uniform nach bekleidete der Mann irgendeinen hohen Rang in der Raumflotte oder einer anderen militärischen Organisation der Buccaneers. »Die Übertragung hat eine Zeitverzögerung von einigen Sekunden«, erklärte Sepok. »Ich bin vor etwa einer halben Minute auf dieses interessante Gespräch gestoßen, das zwei bisher scheinbar nicht in Zusammenhang stehende Teile dieses Rätsels miteinander in Beziehung setzt und daher sehr aufschlußreich sein könnte!« »Ich frage mich, ob der Original-Sepok auch so gedrechselt dahergeredet hat oder ob sich diese Eigenschaft erst bildete, als er Teil des Programms wurde«, grantelte Riker. Der Buccaneer in der Sichtsphäre aktivierte ein Gerät, das offenbar die Entsprechung eines terranischen Viphos war. Auf dem kleinen Bildschirm erschien zunächst nur ein Symbol, von dem Dhark wußte, daß er es irgendwo schon einmal gesehen hatte. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ein Tel-Schriftzeichen! Also doch! Es ist kein Zufall, daß ausgerechnet jetzt dieses Tel-Schiff auf Tortuga gelandet ist. »Hier spricht Kamris Du-Bagnan, derzeit im Rang des Obersten Flottenführers, Befehlshabers aller Schiffe der Kartak und obersten Beutestreitschlichters und Prisenverwalters, außerdem betraut mit der Würde eines Herrn der Havaristenberger auf dem Planetenrund von Ril und unter
den Strahlen von Gust!« übersetzte Sepoks Translatorsystem die offenbar traditionelle Grußformel des Buccaneer. »Daß Ril die Bezeichnung der Einheimischen für ihren Planeten ist, erwähnte ich ja bereits«, erklärte Sepok. »Gust ist ihr Name für das Zentralgestirn dieses Systems. Der Rang eines obersten Flottenführers entspricht meinen Erkenntnissen nach dem eines Regenten.« Auf dem Bildschirm des Geräts im Büro von Kamris Du-Bagnan veränderte sich etwas. Statt des Schriftzeichens erschien dort jetzt das tiefschwarze Gesicht eines Tel. Dhark bemerkte allerdings sofort, daß dieser Tel eine schlichte graue Kombination ohne die üblichen Insignien des Telin-Imperiums trug. »Seien Sie gegrüßt, Flottenführer Kamris«, erwiderte der Tel mit ausgesuchter Höflichkeit. »Stellen Sie bitte umgehend eine Verbindung zu Ihrem Kommandanten her«, verlangte Kamris. »Sehr wohl.« Das Gesicht des Tel verschwand. Für einige Augenblicke erschien wieder das Schriftzeichen, bevor das Gesicht des Kommandanten den Großteil des Bildschirms einnahm. Er trug einen Knebelbart. »Hier spricht Barn Gnun, Kommandant des Kampfschiffes STERN DER ZUKUNFT. Was gibt es, ehrenwerter Flottenführer?« »Es geht um das Kind.« »Sie hatten mir versprochen, Ren Dharks Sohn auszuliefern. Wieso kommt es zu den Verzögerungen? Sie wissen, daß es uns sehr viel wert ist, den Sohn des Commanders
der Planeten in die Hände zu bekommen! Aber Sie sollten Ihre Verhandlungsposition auch nicht überschätzen, Kamris!« Im Gesicht des Buccaneer zuckte ein Muskel unterhalb des linken Auges. Kamris Du-Bagnan lehnte sich in seinem Sessel zurück und faltete die Finger seiner gewaltigen Pranken vor dem Bauch. »Es steht Ihnen jederzeit frei, mit Ihrem Raumschiff einfach wieder davon zu fliegen und sich in einem Ihrer erbärmlichen Rebellenstützpunkte zu verkriechen, wenn Sie den Preis nicht zahlen können, den wir uns vorstellen«, sagte der Flottenführer in einem Tonfall, der von Überheblichkeit nur so troff. Aber Dhark glaubte, darin auch noch eine andere Nuance erkennen zu können. Unsicherheit. Kamris Du-Bagnan weiß ganz genau, daß er seine Ware derzeit nicht liefern kann! überlegte Dhark. Und nun muß er seinen Geschäftspartner — oder wie immer man die Beziehung zwischen den beiden auch nennen mag - irgendwie hinhalten, bis das »Problem« gelöst ist. »Ich hoffe nicht, daß ich Sie so verstehen muß, daß Ihr Interesse an dem Geschäft nicht mehr besteht«, fuhr Kamris fort. »Es war eigentlich nur meine Absicht, Sie darüber zu informieren, daß... « »Das habe ich nicht gesagt!« fuhr Barn Gnun dazwischen. »Natürlich sind wir weiterhin interessiert. Wir sind nur irritiert über die Verzögerungen. Immer wieder halten Sie uns hin.« »Wenn Sie tatsächlich versuchen wollen, Terra mit Hilfe des kleinen Dhark-Sohns für Ihre politischen Ziele einzu-
spannen, werden Sie wohl noch etwas an Ihrer Verhandlungstaktik feilen müssen«, erwiderte Kamris. Selbst die Übersetzung des Translators brachte noch genügend von dem geradezu ätzenden Spott herüber, mit dem der Flottenführer der Buccaneers seine Unsicherheit zu überspielen versuchte. »Bedenken Sie, daß für Sie auch einiges auf dem Spiel steht, Kamris! Die Baupläne für die Paralysatorgeschütze...« »...müssen erst noch einmal geprüft werden«, gab Kamris Du-Bagnan zurück. »Auf diesen Punkt wollte ich noch zu sprechen kommen.« Barn Gnun schlug mit der Faust auf den Tisch. Der Kommandant des Tel-Schiffes machte sich nicht mehr die Mühe, seine Verärgerung zu verbergen, die er auf Grund der Hinhaltetaktik seiner Geschäftspartner empfand. Ein unübersetzbarer Fluch aus seinem Heimatidiom kam ihm über die Lippen. Das in seiner Qualität eher bescheidene Translatorsystem des Tel übersetzte es nicht in die Sprache des Buccaneers. Der sehr viel leistungsfähigere Hyperkalkulator der unterirdischen Station der Worgun schaffte es allerdings ebenfalls nicht, eine Entsprechung zu finden. Vermutlich lag das daran, daß seine Datenbasis im Hinblick auf Übersetzungen aus der Tel-Sprache noch vergleichsweise schmal war. »Die Baupläne, die ich Ihnen überlassen habe, sind in Ordnung!« widersprach Barn Gnun, nachdem er sich einigermaßen gefaßt hatte. »Ihre eigenen Ingenieure haben das im übrigen bestätigt!« »Das ist richtig, aber wir haben Ihr Probematerial einer
zweiten Prüfung unterzogen, und dabei sind noch ein paar offene Fragen aufgetaucht... « »Unmöglich!« »Ich bin allerdings sicher, daß sich das alles bald klären wird. Im übrigen sind wir an diesem Geschäft wirklich nach wie vor sehr interessiert und legen es keineswegs darauf an, den Handel in letzter Minute platzen zu lassen!« Barn Gnun atmete tief durch. »Man könnte aber beinahe den Eindruck gewinnen, Flottenführer Kamris!« »Wie können Sie so etwas sagen?« plusterte sich Kamris auf. Aber Barn Gnun ließ sich nicht beirren. »Ich glaube, daß etwas anderes dahintersteckt. Sie wollen Zeit gewinnen, haben aber bislang keinen Versuch gemacht, den Preis zu erhöhen. Daraus kann ich nur einen Schluß ziehen, Flottenführer.« »Es hat keinen Sinn, wenn Sie sich in Spekulationen ergehen, Kommandant Gnun!« erwiderte Kamris Du-Bagnan. Aber der Kommandant des Tel-Schiffs hatte offenbar Blut geleckt. Er ahnte, daß er auf der richtigen Spur war und ließ nicht locker. »Ich glaube, daß Sie mir etwas vormachen. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber wenn der Junge noch in Ihrer Gewalt wäre, hätten Sie das Geschäft längst über die Bühne gebracht!« Kamris Du-Bagnan schwieg. Sein Gesicht wurde zu einer unbeweglichen Maske. Zweifellos war er in diesem Augenblick sehr froh darüber, daß der Tel auf der anderen Seite der Bildsprech Verbin-
dung sich mit den Feinheiten der Kartak-Mimik nicht auskannte. »Wir haben Ihren Auftrag exakt ausgeführt«, wich der Flottenführer der Buccaneers aus. »Sie haben uns angefunkt und um Hilfe gebeten, weil Sie von einem gedungenen Terraner erfahren hatten, daß sich der Sohn von Ren Dhark an Bord eines Raumers namens SHADO befände. Wir haben getan, was Sie wollten, diese Raumjacht gekapert und die Gefangenen hierher gebracht. Dafür sind wir das Risiko eingegangen, mit einem fremden Sternenreich in Konflikt zu geraten!« »Mir kommen die Tränen«, unterbrach Barn Gnun seinen Gesprächspartner. »Es wäre wohl das erste Mal, daß Ihren Kaperschiffen ein erhöhtes Risiko etwas ausmachte! Raus mit der Sprache! Wo ist das Baby? Ich verlange auf der Stelle einen Beweis dafür, daß Sie es tatsächlich in Ihren Händen haben. Andernfalls können Sie zusehen, wer Ihnen sonst noch Baupläne für eine Paralysatorkanone überläßt. Sobald sich in der Galaxis herumspricht, daß Sie nicht nur Wracks wieder flottmachen, sondern gerne auch als Raumpiraten auftreten, wird es kaum noch jemanden geben, der bereit ist, Ihnen auch noch die dafür passende Technologie zu überlassen.« Barn Gnun schien genau den richtigen Nerv bei Kamris Du-Bagnan getroffen zu haben. Der Grund lag auf der Hand: Für die Buccaneers war eine Paralysatorkanone von eminenter Wichtigkeit, konnten sie doch mit ihrer Hilfe die Mannschaften ganzer Schiffe kampfunfähig machen, ohne dabei das Schiff selbst zu beschädigen, was bei jedem konventionellen Angriff beinahe unvermeidlich war.
Kamris Du-Bagnan schlug nun eine versöhnlichere Tonart an. Er schien einzusehen, daß es besser war, seinem Gesprächspartner reinen Wein einzuschenken. »Wir wollen nicht darüber diskutieren, ob Ihre bislang nicht gerade von Erfolg verwöhnte Rebellenorganisation oder die ruhmreiche Flotte der Söhne Rils stärker auf unseren beiderseitigen Handelskontakt angewiesen ist... « »Was ist schiefgelaufen?« unterbrach Barn Gnun seinen Gesprächspartner und brachte die Sache damit auf den Punkt. Kamris Du-Bagnan öffnete den Mund, entblößte die raubtierhaften Beißzähne und stieß dabei grollende Laute hervor. Diese Geste erinnerte an ein Gähnen, kombiniert mit einer Drohgebärde. »Er ist verlegen«, stellte Sepok nüchtern fest. »Die Körpersprache ist typisch.« Einen quälend langen Augenblick herrschte betretenes Schweigen auf der Seite des Flottenführers. Schließlich brachte Kamris stockend heraus: »Es gibt tatsächlich ein Problem... « »Ich höre!« verlangte Barn Gnun erstaunlich gefaßt, aber eiskalt. »Das Baby wurde befreit.« In knappen Worten berichtete der Flottenführer von Dharks tollkühner Aktion. »Ich habe mir die Aufzeichnungen der Überwachungskameras angesehen und die Berichte meiner Wachsoldaten angehört«, erklärte Kamris schließlich. »Der fremde Terraner tauchte wie ein Blitz auf. Er erschien aus dem Nichts in einem winzigen zylinderförmigen Raumschiff, das durch feste Materie zu fliegen vermochte.«
»Das ist ein Flash«, stellte der Tel sachlich fest. »Ihre Funktionsweise beruht auf der Technik der Mysterious, so wie die unserer Xe-Flash auch. Daher kenne ich mich da aus.« »Wie gesagt, Sie müssen sich noch etwas gedulden, Kommandant Gnun. Wir haben dem Fremden ein Ultimatum gestellt. Wenn er sich nicht stellt und das Baby samt seiner Mutter ausliefert, wird jede halbe Stunde einer der anderen Gefangenen von der SHADO sterben.« Der Tel verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Wenigstens zeigen Sie Initiative bei der Krisenbewältigung wenn Sie schon nicht in der Lage waren, die Befreiung des Dhark-Sohns zu verhindern.« Der Flottenführer wich dem Blick des Tel-Kommandanten aus. Gewiß empfand er eine kaum in Worte zu fassende Schmach. Die Baupläne für die Paralysatorkanone müssen den Buccaneers verdammt wichtig sein! überlegte Dhark. Dafür ist ihr Anführer offenbar bereit, sich einiges bieten zu lassen! »Sie werden sehen, das Kind wird bald wieder in unserer Gewalt sein«, versprach Kamris Du-Bagnan. »Ich hoffe, Sie setzen die Drohung Ihres Ultimatums auch wirklich in die Tat um«, erwiderte Barn Gnun. »Jedenfalls kann ich Ihnen das nur empfehlen. Terraner sind Weichlinge! Daran sollten Sie denken! Durch Gewalt sind sie leicht zu beeindrucken!« »Ich hoffe, daß unsere bloße Drohung ausreicht«, erklärte Kamris. »Es entspricht nämlich eigentlich nicht unserer Art, wehrlose Gefangene abzuschlachten. Und jetzt
entschuldigen Sie mich bitte. Ich werde erwartet.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Sepok meldete sich zu Wort. »Ich habe die Frequenz gefunden, auf der die Kommunikation zwischen Regierungssitz und dem Raumschiff ablief.« Dhark wandte den Blick in Richtung des Hologramms. »Ich möchte, daß die entsprechenden Daten auf den Suprasensor meines Flash überspielt werden.« »In Ordnung.« »Die Buccaneers scheinen Frequenzbereiche nach Belieben entweder stören oder zum Funkverkehr nutzen zu können«, meinte Riker. Er wandte sich an Dhark. »Das Hauptproblem sind jetzt die restlichen Geiseln.« Dhark nickte. »Wir können froh sein, daß sie sich nicht in den Händen dieses Tel-Rebellen befinden«, fand Riker. »Wahrscheinlich würden dann einige von ihnen schon nicht mehr leben.« »Wenn es hart auf hart kommt, müssen wir damit rechnen, daß Kamris Du-Bagnan seine Drohung wahrmacht.« Riker hob die Augenbrauen. »Hast du einen Plan, Ren?« »Plan? Das ist ein großes Wort. Ich würde es eher eine Idee nennen... « »Aber... « Riker verstummte, als sich ihnen Joan Gipsy näherte. Sie trug den kleinen Ion wieder auf dem Arm. Der Junge schmiegte sich an die Schulter seiner Mutter. »Darf ich raten? Du steigst gleich in deinen Flash und verdrückst dich. Daß du dabei deinen Sohn auf diesem gräßlichen, von barbarischen Marodeuren beherrschten
Planeten zurück läßt, scheint dich ja nicht weiter zu rühren...« Ja, es hatte schon seine Gründe, weshalb das zwischen uns auf die Dauer nichts geworden ist! wurde es Ren Dhark in aller Deutlichkeit klar. Der Beziehung zu Joan haftete in seiner Erinnerung ein ziemlich bitterer Beigeschmack an, von dem in diesem Augenblick einiges wieder an die Oberfläche gespült wurde. »Es tut mir leid, die Sache ist entschieden«, erklärte Dhark etwas schroffer und kühler, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. »Es ist nicht zu fassen«, murmelte sie. »Bleib hier in der Zentrale. Sepok wird dafür sorgen, daß euch nichts geschieht.« »Ren... « »Wünsch mir entweder Glück oder halt die Klappe, Joan!« Dhark ließ sich von dem Pullman zu seinem Flash bringen. Riker begleitete ihn, so daß die beiden Männer ein paar Augenblicke miteinander sprechen konnten, ohne daß Joan Gipsy ihre Unterhaltung mit anhören konnte. »Ich kann dir jetzt im einzelnen nicht erklären, was ich vorhabe, Dan. Wahrscheinlich werde ich auch ziemlich viel improvisieren müssen.« »Du gehst davon aus, daß ich hierbleibe«, stellte Dan Riker etwas irritiert fest. Dhark nickte. »Ich traue Joan nicht über den Weg. Du hast gehört, wie sie sich geäußert hat. Das Schicksal der anderen Gefangenen ist ihr vollkommen gleichgültig. Also möchte ich dich bitten, hierzubleiben und auf sie aufzu-
passen. Auf sie und natürlich auf den kleinen Ion.« Riker nickte leicht. »Du kannst dich auf mich verlassen, Ren.« »Das weiß ich doch!« »Über Sepoks Spionsonden werde ich sicher den Großteil deiner Aktivitäten live verfolgen können.« *
Dhark bestieg Flash 002. Riker wünschte ihm Glück und trat ein paar Schritte zurück. Das Intervallfeld hüllte das Raumboot ein. Es begann in den Boden einzusinken. Kaum war der Zylinder durch die feste Materie der Außenhülle der Station hindurch »gefallen«, schaltete Dhark den Brennkreis ein. Augenblicke später war Flash 002 verschwunden. Der einäugige Buccaneer-Offizier hieß Bron DuGonroy. Bron war dabei sein eigentlicher Individualname, während ihn der Zusatz Du-Gonroy als Sohn eines gewissen Gonroy auswies. Bei den Buccaneers gab es keine Familienoder Sippennamen, wie sie für viele humanoide galaktische Völker charakteristisch waren, sondern sie verwendeten zur Unterscheidung gleichnamiger Individuen lediglich den Zusatz des Vatersnamens. Brons mächtige Arme waren vor der Brust verschränkt. Er musterte die Gefangenen, die jetzt ruhig am Boden kauerten. Ein kurzer Blick auf das Chronometer an seinem Handgelenk sagte Bron, daß das Ultimatum, das der oberste Flottenführer gestellt hatte, beinahe abgelaufen war. Die Wachen hielten ihre Strahler schußbereit auf die Gefangenen gerichtet. Erhöhte Wachsamkeit war angeord-
net worden. Bron Du-Gonroy wollte auf jeden Fall verhindern, daß er und seine Leute noch einmal überrascht wurden. Von wem auch immer! Das nächste Mal werden wir die Gefangenen eher töten, als sie dem Terraner zu überlassen! dachte der Buccaneer grimmig. Die Zeit rann dahin. Jeden Augenblick wartete er darauf, daß sich der oberste Flottenführer über eine Bildsprechverbindung bei ihm meldete, um ihm den Befehl zur Exekution der ersten Geisel zu geben. Bron gefiel der Gedanke, wehrlose Zivilisten einfach umzubringen, nicht. Mochte das skrupellose Verhalten der Buccaneers auch bei zahllosen anderen galaktischen Völkern als Bedrohung angesehen werden, so gab es doch einen gewissen Ehrenkodex unter ihnen. Ein Ehrenkodex, der den unnötigen oder schmerzhaften Tod von Gegnern oder Zivilisten als etwas Niederträchtiges ansah. Brons Blick glitt jetzt die Reihe seiner eigenen Wachsoldaten entlang. Er sah ihnen an, daß sie genauso dachten. Aber im Augenblick war keiner von ihnen in einer Position, die es ihm erlaubte, Widerspruch zu äußern. Für Bron Du-Gonroy galt dies in ganz besonderer Weise. Schließlich war er zum Zeitpunkt der Geiselbefreiung verantwortlicher Kommandant der Wachtruppe gewesen und damit auch für das Geschehene verantwortlich. Gegen den Angreifer war allerdings kaum etwas auszurichten gewesen, so schnell war dieser vorgegangen. Sollte dieser Terraner so dumm sein, noch einmal hier aufzutauchen, wird er es bitter bereuen! durchzuckte es Bron grimmig.
Diese Niederlage nahm der Einäugige nämlich persönlich. Ein Summton machte Bron darauf aufmerksam, daß jemand eine Bildsprechverbindung herzustellen wünschte. Der einäugige Offizier trat an einen der etwa handgroßen, an verschiedenen Stellen in die Wand integrierten Bildschirme heran und betätigte einen Knopf. Das Gesicht des obersten Flottenführers erschien auf dem Schirm. »Kommandant Bron, ich möchte, daß Sie damit beginnen, die ersten fünf Todeskandidaten festzulegen und ihre Reihenfolge zu bestimmen. Sobald dies geschehen ist, wird die Nachricht über einen freien Funkkanal verbreitet, so daß wir sicher sein können, daß der Fremde es auch mitbekommt.« »Das Ultimatum ist noch nicht abgelaufen«, stellte Bron fest. Kamris Du-Bagnan machte eine wegwerfende Bewegung mit einer seiner prankenartigen Hände. »Mag sein. Aber unsere telschen Handelspartner meinen, daß wir der Sache etwas Nachdruck verleihen sollten. Sie kennen die Terraner weitaus besser als wir.« »Sind Sie sicher, daß sich der Terraner noch im Gustsystem aufhält und sich nicht einfach davongemacht hat?« hakte Bron nach. »Sämtliche Flotteneinheiten im Orbit von Ril sowie an der Peripherie des Systems sind alarmiert. Wenn der Fremde tatsächlich versucht hätte, das System zu verlassen, hätten wir es bemerkt.« Bron senkte ein wenig den Kopf.
Eine Geste der Unterwerfung, der im nächsten Moment etwas folgen sollte, was für einen Offizier der ruhmreichen Flotte der Söhne Rils eigentlich undenkbar war. »Die Exekution von Wehrlosen widerspricht dem Kodex«, erklärte Bron. Seine Worte klangen sorgfältig gewählt. Er hatte diese Bemerkung einfach nicht zurückhalten können, dazu war der Befehl, den ihm der Flottenführer gegeben hatte, einfach zu ungeheuerlich. Ich habe sogar die Pflicht, ihn darauf hinzuweisen! dachte Bron. Schließlich steht der Kodex über dem Gehorsam. Es gab ihn schon lange, bevor unser Volk die Fähigkeit erlangte, seinen Planeten zu verlassen, und niemand daran gedacht hätte, die Autorität eines obersten Flottenführers zu akzeptieren. Kamris Du-Bagnan riß den Mund auf und entblößte seine Reißzähne. Bron entging diese Geste der Verlegenheit natürlich nicht. Der Regierungschef aller Kartak versuchte jedoch nach wie vor, Entschlossenheit zu demonstrieren. »Der Kodex entstammt einer alten Zeit, in der unsere Vorfahren noch mit nußschalenähnlichen Wasserfahrzeugen die höchst launischen Meere von Ril befuhren. Seitdem hat sich einiges geändert«, meinte er. »Im übrigen gilt für jeden Offizier der Grundsatz des absoluten Gehorsams gegenüber seinem Flottenführer.« Kamris' Tonfall wurde schneidend. »Nichts anderes fordere ich von Ihnen, Bron!« Bron verstand durchaus die Warnung, die in den letzten Worten des Flottenführers enthalten war. »Befehl wird umgehend ausgeführt«, erklärte Bron. Seine Stimme klang wie tonloses Krächzen. Er kam sich
entsetzlich erbärmlich dabei vor. »Halten Sie die Bildsprechverbindung aufrecht. Ich möchte auf dem Sichtschirm verfolgen, was Sie tun, Bron. Die Aufzeichnung davon kann ich zum Beweis unserer Entschlossenheit über ein Funksignal an den unbekannten Terraner senden.« Bron ging auf den Pulk von am Boden kauernden Gefangenen zu. Keiner von ihnen beherrschte die auf Ril übliche Sprache. Jemand schluchzte auf. Der Buccaneer konnte mit dieser Lautäußerung, verbunden mit ein paar Tränen, wenig anfangen. Der Ausdruck irgendeiner Gefühlsregung des Unbehagens! vermutete Bron. Auf Ril war etwas derartiges unüblich. Gefühlsregungen über die Abgabe eines Sekrets zu zeigen, das die Augen feucht machte, erschien Bron als eine Laune der Natur. Die Kartak pflegten sich eher durch raumgreifende Bewegungen emotional zu äußern. Tränen waren unter den Kartak nur als Zeichen der Freude über gesunden Nachwuchs üblich - sowohl bei Männern als auch bei Frauen. *
Es war keineswegs Mitleid mit den Gefangen, das ihn seine Aufgabe hassen ließ. Vielmehr war es die Schande, den Kodex mißachtet zu haben, die ihm drohte. Eine Schande, die mir vermutlich niemand vorwerfen wird — außer ich mir selbst! Der Buccaneer schritt um den Pulk der Gefangenen herum.
Du hast keine andere Wahl! sagte er sich. In seinem Inneren wiederholte er es immer wieder. Dann zeigte er nacheinander auf fünf der verbliebenen Geiseln. Drei Männer und zwei Frauen. Das blanke Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Die Augen waren schreckgeweitet. Sie wußten natürlich nicht, was ihnen bevorstand, ahnten aber Schlimmes. Die zur Exekution Bestimmten wurden von jeweils zwei Wachen in die Mitte genommen und gepackt. Einer der Männer wehrte sich und bekam einen derben Fausthieb in den Magen, woraufhin er in sich zusammensackte und schlaff in den Armen seiner Peiniger hing. Ein kleiner Aufruhr entstand. Einige der anderen Männer unter den Gefangenen wollten sich erheben, aber sogleich richteten die Wachen ihre Waffen in Richtung der Gefangenen. Der Blick in die Strahlermündungen sorgte dafür, daß die Terraner innehielten. »Hinsetzen!« lautete die knappe Anweisung der Buccaneers. Für die Terraner nur ein paar unverständliche Silben, die sie aus der Situation heraus jedoch verstanden. Diejenigen, die es gewagt hatten, sich zu erheben, kamen dieser Aufforderung schließlich nach. Sie sahen ein, daß es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Nicht jetzt und nicht bei diesen Kräfteverhältnissen. Als Unbewaffnete hatten sie nicht den Hauch einer Chance gegen ihre Bewacher. Bron Du-Gonroy trat hinzu. Mit autoritätsgebietender Geste hob er die Hand, woraufhin absolute Stille einkehrte. Er blickte kurz auf seinen Chronometer, dann musterte er
die zur Exekution ausgewählten Gefangenen und deutete auf den halb bewußtlos geschlagenen Mann. »Er wird der erste sein, der in wenigen Augenblicken stirbt«, bestimmte er. Flash 002 raste im Intervallflug durch den Planeten. Ren Dhark schaltete auf maximale Beschleunigung. Die Zeit drängte. Jede Sekunde war kostbar. Innerhalb von Augenblicken tauchte die 002 durch den Ozean aus Magma, auf dem die Kontinentalplatten Tortugas drifteten, wobei die planetare Oberflächenkruste dicker und die vulkanische Aktivität offenbar geringer war als auf der Erde. Der Kurs, den Dhark programmiert hatte, führte in einem Bogen um den Planetenkern herum. Sepok hatte alle ihm zur Verfügung stehenden Daten über Tortuga in den Bordhyperkalkulator des Flash überspielt, so daß Ren Dhark sämtliche derzeit über diese Welt verfügbaren Informationen besaß. Wahrscheinlich war er sogar besser über Tortuga informiert als die Buccaneers selbst. So konnte er beispielsweise genau abrufen, welche Regionen bereits wie dicht durch Rückkehrer besiedelt waren. Dharks erstes Ziel war Jaarak, jener Raumhafen in Äquatornähe, auf dessen Hauptlandefeld sich zur Zeit das Schiff der Tel-Rebellen befand. Der Grund für die Härte, mit der die Buccaneers vorgingen, lag hier und erst in zweiter Linie beim Flottenführer der Buccaneers. Das hatte Dhark erkannt. Er ließ Flash 002 aus dem Hauptlandefeld des Raumhafens herausschießen. Einige hundert Kegelraumer befanden sich zur gleichen Zeit auf den verschiedenen Landefeldern der Hafenanlage. Daneben gab es Kontrolltürme und Werften, die vermutlich
erst nach und nach wieder in Betrieb genommen werden würden. Es wird Zeit, daß Kommandant Barn Gnun einen gehörigen Dämpfer bekommt! durchzuckte es Dhark. In einem kurzen Bogen flog er mit seinem Flash direkt auf den Tel-Raumer zu. Das Intervallum blieb dabei aktiviert. Der Brennkreis war als deutliche Lichterscheinung zu sehen. Wie eine Energieblase schmiegte sich der nach wie vor aktivierte Schutzschirm um die Außenhaut des Tel-Raumers. Die Fahrt des Flash wurde leicht abgebremst, als Dhark die Maschine in den Schirm eindringen ließ. Bei den verwendeten Schirmprojektoren handelte es sich offenbar um Modelle älterer Bauart. Der Flash hatte daher keine Probleme, den Schirm im Intervallflug zu durchdringen. Dhark flog mitten in das Tel-Schiff hinein, drang durch verschiedene Decks, auf denen in Panik geratene Mannschaften zu ihren Gefechtsständen eilten. Er wollte keineswegs ein Blutbad unter Barn Gnuns Mannschaft anrichten, sondern ihnen nur demonstrieren, über welche Macht er verfügte. Der Flash jagte kreuz und quer durch das Innere des Tel-Raumers. Immer wieder feuerte Dhark Duststrahlen ab, die sich von innen durch die Außenwand des Tel-Raumers brannten. Ungeschützte anorganische Materie wurde von dieser der Worguntechnologie entstammenden Waffe in Staub aufgelöst. Auf Lebewesen hatte diese Strahlungsart jedoch lediglich eine leicht paralysierende Wirkung. Dhark hatte es insbesondere auf die Schutzschirmprojektoren abgesehen. Sobald die Reizstrahl-Ortung des Flash einen dieser Projektoren erfaßte,
nahm Dhark ihn sofort ins Visier und zerstörte ihn durch konzentrierten Dustbeschuß. Der aufflammende Brennkreis des Flash und die schnurgeraden, olivgrün leuchtenden Duststrahlen sorgten für immer größere Panik unter der Besatzung. Jegliche Koordination bei der Verteidigung des Schiffes brach zusammen. Innerhalb von wenigen Augenblicken schaffte es Dhark, sämtliche Schutzschirmprojektoren auf der Backbordseite auszuschalten. Er flog eine letzte Diagonale durch das Tel-Schiff und schoß anschließend ins Freie. Die optische Erfassung seiner Gegner konnte gerade noch den Brennkreis erkennen. Dhark ließ das Schiff senkrecht in die Höhe schnellen, schaltete vollen Tarnschutz ein und flog mit maximaler Beschleunigung in die Umlaufbahn des Planeten. Dort bremste er ab und versuchte auf jener störungsfreien Frequenz Funkkontakt zur Regierung von Tortuga herzustellen, auf der sich Barn Gnun und Kamris Du-Bagnan unterhalten hatten. »Hier spricht Ren Dhark. Den Überfall auf die SHADO und die Entführung meines Sohnes nehme ich sehr persönlich. Ich habe ihn und seine Mutter aus Ihrer Gewalt befreit, und es kann niemand ernsthaft von mir erwarten, daß ich sie Ihren Schergen wieder ausliefere! Die beiden befinden sich an einem sicheren Ort, und es besteht für Sie keinerlei Möglichkeit, ihnen noch einmal zu schaden. Nicht ich bin es, der irgendwelche erpresserische Forderungen erfüllen wird, sondern Sie werden meinen Forderungen umgehend nachkommen, oder müssen Sie mit schwersten Konsequenzen rechnen. Ihre Tel-Verbündeten haben gerade eine kleine Kostprobe meiner Angriffsfähigkeit erhalten. Ich hoffe, daß ich in Ihrem Fall darauf verzichten kann.« Dhark
machte eine kurze Pause und fügte schließlich hinzu: »Lassen Sie die restlichen Terraner, die bei der Kaperung der SHADO in Ihre Gewalt gerieten, umgehend frei. Andernfalls müssen Sie die Konsequenzen tragen! Dhark Ende.« Dhark war natürlich bewußt gewesen, daß er durch die Funkbotschaft anpeilbar geworden war. Seit der Befreiung von Ion und Joan mußte er ohnehin mit erhöhter Wachsamkeit der Buccaneers rechnen. Nun waren sie in der Lage, ihn trotz Tarnschutz auch dann zu erfassen, wenn sich der Flash noch außerhalb der Sichtweite ihrer optischen Systeme befand. Mehrere Gruppen von Kegelraumschiffen lösten sich aus der im Orbit wartenden Flotte. Die Buccaneer-Kampfraumer nahmen Gefechtsformation ein und näherten sich aus verschiedenen Richtungen. Sie beschossen Dharks Flash mit Impulsstrahlen. Immer weitere Verbände von Buccaneer-Schiffen reihten sich in diese Kampfformationen ein und feuerten unablässig ihre Impulsstrahlsalven ab. Das Feuer war dermaßen intensiv, daß das Intervallfeld von Dharks Flash innerhalb kürzester Zeit an die Grenzen der Belastbarkeit geriet und schließlich kurz vor dem Zusammenbruch stand. Dhark flog einen Zickzackkurs und unternahm schließlich einen Ausbruchsversuch. Er suchte sich dazu die Richtung aus, in der sich die wenigsten Kegelraumer befanden, zog Flash 002 tief in die Atmosphäre. Die Kegelraumer versuchten ihm zu folgen, aber mit der Wendigkeit des Flash konnten sie nicht mithalten. Dhark schaffte es, wenigstens einem Teil des Impuls-
strahlbeschusses auszuweichen. Kurz bevor die Belastungsgrenze des Intervallums erreicht war, schaltete er den Sublichteffekt auf maximale Beschleunigung und jagte in einer tiefen Schleife durch die oberen Schichten der Troposphäre davon. Der Tarnschutz war nach wie vor aktiviert, so daß seine Verfolger darauf angewiesen waren, Sichtkontakt zu halten, wollten sie die 002 nicht verlieren. Aber Dhark war zu schnell für sie. Er raste in Richtung Südhalbkugel. Dort gab es weite Gebiete, die noch nicht wieder durch Rückkehrer besiedelt waren. Dhark fand zahlreiche verlassen daliegende Städte und Siedlungen. Außerdem Industrieanlagen, die nur darauf warteten, daß die Rückkehrer aus dem All sie wieder in Besitz nahmen. Kamris Du-Bagnan ließ seine gewaltigen Pranken auf den Konferenztisch donnern, an dem er mit einigen seiner wichtigsten Offiziere und Berater saß. Ein dumpfer, kehliger Laut kam über seine Lippen und drückte noch einmal den ganzen Ärger aus, den der Flottenführer der Kartak empfand. *
»Dieser Terraner erdreistet sich, uns ein Ultimatum zu stellen!« schimpfte er. »Und das hier, auf Ril!« »Unsere Flotte wird alles tun, um ihn zu stellen!« versicherte Adgor Du-Drasan, seines Zeichens Kamris' Stellvertreter und Koordinator der Operation Rückkehr, die noch über Wochen andauern würde. »Sämtliche Kampfverbände
haben Order, auf diesen Eindringling Jagd zu machen.« Kamris Du-Bagnan ballte seine gewaltigen Pranken zu Fäusten. »Er hat es geschafft, seinen Sohn und dessen Mutter zu befreien - was sollte ihn daran hindern, noch weiteren Schaden anzurichten?« »Technisch ist uns der Terraner um einiges voraus«, gab einer der anderen Berater zu. »Vor allem seine Tarnung ist exzellent. Er muß es schließlich geschafft haben, zwischen all den in der Umlaufbahn und an der Systemperipherie versammelten Einheiten unserer ruhmreichen Flotte hindurch auf den Planeten zu gelangen.« Ein Summton zeigte an, daß jemand eine BildsprechVerbindung zum Obersten Flottenführer wünschte. Kamris Du-Bagnan drückte auf einen Knopf, woraufhin die permanente Bildsprech Verbindung zu Bron Du-Gonroy kurzfristig unterbrochen wurde. Das Gesicht eines Flottenoffiziers erschien auf dem kleinen, in die Tischplatte eingelassenen Bildschirm. »Hier Kommandant Matas Du-Sagan. Ehrenwerter Flottenführer, der Eindringling ist uns entkommen!« »Was?« entfuhr es Kamris. Er starrte Kommandant Matas mit weit aufgerissenen Augen fassungslos an. »Wie ist das möglich?« »Unsere Impulsstrahlen haben kaum Wirkung gezeigt. Es gelang ihm, sich außer Sichtweite zu entfernen. Und da er sich ansonsten perfekt zu tarnen weiß, konnten wir seine Spur nicht weiterverfolgen.« »Sehen Sie zu, daß Sie seine Spur wiederfinden, Kommandant Matas! Andernfalls werde ich Sie persönlich für das verantwortlich machen, was geschieht!«
»Jawohl, ehrenwerter Flottenführer«, gab Matas kleinlaut zurück. »Die Suche soll mit höchster Intensität fortgesetzt werden.« »Zu Befehl.« »Außerdem möchte ich, daß der Funkspruch mit dem Ultimatum erneuert wird - ergänzt um eine Videobotschaft, die belegt, daß wir es ernst meinen!« »Wie Sie befehlen.« Kommandant Matas beugte als Zeichen der vollkommenen Unterwerfung den Kopf deutlich nach vorn. »Kamris Ende!« sagte der Flottenführer kalt und unterbrach die Verbindung. Seine Finger glitten über die Bedienungstastatur des Bildsprechgeräts. Er stelle die permanente Verbindung zu Bron Du-Gonroy wieder her. Das Gesicht des einäugigen Offiziers, in dessen Obhut sich die restlichen Gefangenen der SHADO befanden, erschien sofort auf dem Schirm. »Mein Flottenführer!« »Es wird Zeit, daß wir unsere Drohung wahr machen.« »Aber... « »Töten Sie die erste Geisel, Bron. Das ist ein Befehl!« Ren Dhark ließ Flash 002 über eine gewaltige, aber noch nicht wieder besiedelte Metropole auf der Südhalbkugel Tortugas jagen. Er bremste den Flash stark ab. Mit wesentlich gedrosselter Geschwindigkeit setzte er seinen Weg fort. Am Rande der noch vollkommen unbewohnten Metropole, die er überflog, befand sich ein großer Hafen für Raumfracht. Noch waren die Landefelder leer, aber das würde
sich gewiß bald ändern. Um das Hafengelände herum hatten die Buccaneers einen weiträumigen Industriepark angelegt. Fabrikationsanlagen befanden sich dort auf engstem Raum. Südlich davon waren mehrere Kernkraftwerke zu finden, die sich in einem quasi eingemotteten Zustand befanden. Jetzt mußten nur ein paar Schaltungen vorgenommen werden, um sie wieder in Betrieb zu nehmen. Jedes dieser Kraftwerke lag unter einem quaderförmigen Schutzbunker, der im Fall einer Fehlfunktion verhindern sollte, daß radioaktives Material in großen Mengen in die Atmosphäre gelangte und es zu dem kam, was man auf der Erde früher den größten anzunehmenden Unfall oder kurz GAU genannt hatte. Dhark flog mit dem Flash einen Bogen und tauchte anschließend hinab, direkt auf den Schutzquader des größten der insgesamt sieben Kraftwerke zu. Mit eingeschaltetem Brennkreis durchdrang Flash 002 zunächst die Stahlbetonhülle und raste anschließend im Schutz des Intervallums durch den Kernbereich des Reaktors. Als die Buccaneers vor zehn Jahren ihren Planeten verlassen hatten, war es selbstverständlich unmöglich gewesen, die in den Reaktoren lodernden Atomfeuer vollkommen abzuschalten. Die Brennelemente schmorten auch in den abgeschalteten Reaktoren noch Jahrzehnte vor sich hin. *
Beim Durchflug durch den Reaktorkern verursachte der Brennkreis beachtliche Zerstörungen. Eine große Menge radioaktiver Gas- und Staubpartikel wurden aus dem Re-
aktorkern freigesetzt. Der Schutzmantel hielt zwar stand, war aber vom Brennkreis durchlöchert und konnte darüber hinaus nur Alpha- und Betastrahlung zu mehr als 90 Prozent aufhalten. Was die harte Gammastrahlung anging, so drang eine hohe Dosis davon durch den Stahlbetonmantel und verseuchte innerhalb kürzester Zeit einen Bereich von mehreren Quadratkilometern so stark, daß ihn auf Jahre hinaus kein Buccaneer betreten konnte. Dhark ging davon aus, daß die Ortung der Buccaneer-Flotte die rapide steigenden Strahlungswerte im Umkreis um den Reaktor sofort registrierte. Er lenkte den Flash senkrecht in den Boden und schaltete auf maximale Beschleunigung, denn ihm war klar, daß innerhalb kürzester Zeit die ersten Flotteneinheiten der Einheimischen auftauchen würden, um ihn zu jagen. Etwa einen Kilometer tief drang Dhark mit seinem Flash in die Planetenoberfläche ein, dann nahm er von dort aus Kurs auf den Regierungssitz. Das Intervallfeld ließ den Flash tausend Meter tiefe Gesteinsschichten durchdringen, als wären sie nicht vorhanden. Dhark beschleunigte. Die Kegelraumer der Buccaneers konnten ihn jetzt nicht anpeilen, geschweige denn ihm folgen. Die Technik, mit dem ein Raumschiff mittels eines Intervallfeldes in ein Zwischenkontinuum versetzt wurde, war diesem Volk bisher absolut unbekannt. Dhark schaltete eine Funkphase frei, die auf jener Frequenz sendete, in der auch der Kontakt zwischen den Tel und der Buccaneer-Regierung ablief. Dieser Kontakt bedeutete ein gewisses Risiko, denn die andere Seite war nun wieder in der Lage, ihn zu orten.
Solange er sich so tief unter der planetaren Oberfläche befand, konnten die Impulsstrahlen eventueller Verfolger den Flash allerdings kaum erreichen, zumal es sich die Buccaneers gut überlegen würden, ob sie überhaupt feuerten. Schließlich bedeutete dies umfangreiche Zerstörungen an der Oberfläche. Dhark befand sich bereits unter dichtbesiedeltem Gebiet. Das bedeutete, daß er sich in Sicherheit befand. Die Buccaneers waren nicht so skrupellos, daß sie bereitgewesen wären, Tausende ihrer eigenen Leute zu opfern, nur um ihn zu treffen. »Hier spricht Ren Dhark«, sagte der ehemalige Commander der Planeten an die Regierung von Tortuga gerichtet. »Auf der Südhalbkugel Ihres Planeten hat sich eine regional begrenzte Nuklearkatastrophe ereignet. Ihre Ortungssysteme werden die Ausbreitung der verstrahlten Zone angemessen haben. Da das betroffene Gebiet bislang nicht von Rückkehrern besiedelt war, ist kein Bewohner dieses Planeten zu Schaden gekommen. Das wird sich ändern, wenn ich mir für meinen nächsten Schlag ein bereits in Betrieb befindliches Kraftwerk in einer dichtbesiedelten Region aussuchen sollte... Des weiteren werde ich damit beginnen, Ihre zylinderförmigen Raumschiffe der Reihe nach zu zerstören. Wenn ich recht informiert bin, befinden sich dort überwiegend Zivilisten an Bord - Zivilisten wie die terranischen Geiseln, die sie genommen haben. Ich habe diesen Krieg nicht angefangen, und ich will ihn auch nicht führen, aber wenn Sie darauf bestehen, wird er mit einem Blutbad unter Ihren Leuten enden. Es sei denn, Sie kommen meiner Forderung nach und lassen die terranischen Gefangenen sofort frei! Dhark Ende.«
Dharks Flash befand sich inzwischen unterhalb des Regierungspalastes. Er bremste ab. Keiner der BuccaneerRaumer konnte ihn jetzt treffen, ohne dabei den Palast in Schutt und Asche zu legen. Dhark ließ den Flash einige hundert Meter empor zur planetaren Oberfläche steigen. Er wartete auf eine Antwort der Buccaneer-Regierung. Aber der ehrenwerte Flottenführer Kamris Du-Bagnan schwieg. Ren Dhark warf einen kurzen Blick auf sein Chronometer. Das Ultimatum ist abgelaufen! durchzuckte es den weißblonden Terraner grimmig. Er korrigierte sich in Gedanken. Beide Ultimaten sind abgelaufen! Das der Buccaneers - und meines!
Bron Du-Gonroys linke Hand umfaßte den Griff des Paralysators an seinem Gürtel, einer traditionell unter den Buccaneers weitverbreiteten Waffe. Schließlich war es bei der Kaperung eines fremden Schiffes immer besser, man ließ die Mannschaft am Leben, um sie eventuell als Geiseln verwenden zu können. Außerdem richtete ein Paralysator keine Schäden am Schiff an und minderte damit nicht dessen Wert, wie es beim Einsatz von Blastem unweigerlich der Fall war. Dennoch trug der Kommandant der Wachmannschaft auch noch einen konventionellen Impulsstrahler an der Seite. Auch das entsprach der Tradition. Jeder Offizier der ruhmreichen Flotte der Kartak hatte eine Waffe bei sich zu tragen, mit der man töten und daher auch Ehrenhändel
austragen konnte. Diese waren laut dem Gesetz der Kartak nur Flottenoffizieren erlaubt, auch wenn die Flottenführung alles daransetzte, diese althergebrachten Bräuche zurückzudrängen. Bron Du-Gonroy nahm den Strahler in die Rechte. Buccaneers waren in der Regel beidhändig, aber die rechte Hand war traditionell die Hand, mit der ein Kartak tötete. Jemanden mit links umzubringen, kam einer Beleidigung seiner unsterblichen Seele gleich und galt als die stärkste denkbare Demütigung. Und auch wenn die Gefangenen keine Kartak waren - das, so fand Bron, hatten sie nicht verdient. Bron richtete die Waffe auf den Körper des Gefangenen, den er als Nummer eins in der Reihenfolge der Exekutionen festgelegt hatte. Der Terraner hatte sich inzwischen von dem Schlag, den er erhalten hatte, wieder einigermaßen erholt. Er hatte dunkles, gewelltes Haar, und auch wenn Bron über die physiologischen Merkmale der Terraner kaum etwas wußte, so glaubte er doch erkennen zu können, daß sein Gegenüber noch ziemlich jung war. Verflucht seien unsere Tel-Handelspartner, die einen Offizier der ruhmreichen Flotte der Kartak zu einer derartigen Ehrlosigkeit zwingen! schoß es Bron durch den massigen Schädel. Aber er hatte keine andere Wahl. Und als kommandierendem Offizier oblag ihm ohnehin die Pflicht, Exekutionen eigenhändig durchzuführen. Bron Du-Gonroy legte den Finger auf den Auslöser des Strahlers.
In diesem Moment erhob sich einer der anderen Gefangenen. Es war ein breitschultriger Mann mit dem berüchtigten Raumfahrerteint, der durch die harte Strahlung verursacht wurde, der man im All ausgesetzt war. Er sagte ein paar Worte in seiner fremden Sprache, die Bron nicht verstand. »Lassen Sie den Mann am Leben und nehmen Sie statt dessen mich!« rief der Terraner. »Mein Name ist Leslie P. James. Ich bin der Kapitän der SHADO! Na, was ist?« Der Terraner unterstrich seine Worte durch Gesten. Er deutete auf sich und auf den zum Tode verurteilten Gefangenen. Bron wandte den Kopf, ohne die Waffe zu senken. Er verstand die Absicht des Terraners. Eine Sekunde verging, ohne daß Bron sich bewegte. Dieser Terraner hat Ehre! mußte er widerwillig zugestehen. Einer der Wächter wollte Kapitän James zu Boden werfen, aber Bron schritt ein. »Lassen Sie ihn!« herrschte er den Wachsoldaten an.
»Die Frage ist doch, ob der Terraner seine Drohung auch wahr macht oder nur blufft, wie es die Tel glauben!« murmelte Kamris Du-Bagnan. Der ehrenwerte Flottenführer erhob sich von seinem Platz. Er wandte den Kopf in Richtung des großen Panoramafensters, durch das man einen weiten Blick über die Hauptstadt hatte. Mehrere tausend Raumschiffe schwebten über der Stadt. Es war ein grandioses Bild. All diese gigantischen Kegel von bis zu zweihundert Metern Höhe, die über
den Dächern und Kuppeln zu sehen waren. Es handelte sich ausschließlich um Kampfeinheiten, die bereitstanden, um das winzige Raumschiff, mit dem der Terraner sie zum Narren hielt, sofort zu stellen, sobald es aus der Tiefe des Planeten emportauchen würde. Aber so dumm wird er nicht sein, überlegte Kamris Du-Bagnan. Er wird da unten in der Tiefe verharren, weil er genau weiß, daß wir ihm dort nichts tun können! »Hier kommt gerade eine Meldung herein!« erklärte Adgor Du-Drasan. Der Stellvertreter des Flottenführers blickte auf den Bildschirm, der vor ihm in den Tisch eingelassen war. »Ren Dhark hat seine Position gewechselt.« »Wo ist er jetzt?« knurrte Kamris. Adgor blickte auf. *
»Unter dem Hauptkraftwerk im Sektor Soran-Daga.« »Wenn er dort dasselbe macht, was er uns auf der Südhalbkugel vorexerziert hat, dann gnade uns die große Gottheit! Das Kraftwerk ist in Betrieb! Wenn er den Kern zerstört, kommt es zu Verstrahlungen ungeheuren Ausmaßes!« befürchtete einer der anderen Berater. Für Sekunden herrschte Schweigen. Dann ging ein Ruck durch den Körper des Flottenführers. Er drehte sich abrupt um und aktivierte per Knopfdruck die permanente Bildsprechverbindung zu Bron Du-Gonroy. »Kommandant Bron! Es darf auf keinen Fall zum Tod einer Geisel kommen!« Das überraschte Gesicht des Offiziers der Wachmann-
schaft stierte den Flottenführer an. »Aber... « »Haben Sie mich nicht verstanden, Bron?« »Jawohl, ehrenwerter Flottenführer!« bestätigte Bron. Kamris wandte sich an Adgor, seinen Stellvertreter. »Außerdem möchte ich, daß augenblicklich Funkkontakt zu Dhark hergestellt wird.« »Sie wollen seinen Forderungen nachgeben, Flottenführer?« fragte Ad-gor und entblößte dabei seine Reißzähne. »Ich bin nicht bereit, um eines Geschäftes von mittlerer Wichtigkeit willen zu riskieren, daß es im Sektor Soran-Daga zu einer Katastrophe kommt. Das beste Paralysatorgeschütz des Universum wäre diesen Preis nicht wert.« »Unsere Tel-Handelspartner werden toben!« gab einer der anderen anwesenden Offiziere zu bedenken. Kamris zog die linke Schulter hoch, was eine Geste der Gleichgültigkeit war. »Barn Gnun wird sich schon wieder beruhigen. Seine armselige Rebellenorganisation ist schließlich darauf angewiesen, daß wir mit ihr Handel treiben.« Als endlich eine Verbindung zur Regierung der Buccaneers zustande kam, fiel Ren Dhark ein Stein vom Herzen. Er hatte überzeugend gedroht. Aber Hunderttausende von unschuldigen Buccaneers zu verstrahlen, wäre niemals eine reale Alternative gewesen. Jedenfalls nicht für Dhark. *
Die Buccaneers hatten ihm seine Drohung jedoch geglaubt und gleichzeitig gewußt, daß eine Evakuierung des wahrscheinlich von einer Verstrahlung betroffenen Gebietes in der Kürze der Zeit auf keinen Fall möglich wäre. Nicht einmal ansatzweise. Davon abgesehen hatte vieles im öffentlichen Leben des Planeten noch einen sehr provisorischen Charakter, so daß es zu chaotischen Zuständen gekommen wäre. Ende gut, alles gut, dachte Dhark. Er hatte hoch gepokert, geblufft und konnte sich nun anschicken, den Gewinn einzustreichen. Dhark bekam Funkkontakt mit dem Flottenführer persönlich. »Wir gehen auf Ihre Bedingungen ein und werden weder weiterhin von Ihnen verlangen, Ihr Kind und dessen Mutter auszuliefern, noch werden wir die in unserem Gewahrsam befindlichen ehemaligen Besatzungsmitglieder des Raumers SHADO weiter festhalten.« »Das freut mich zu hören«, sagte Dhark. »Unsere Kampfverbände orten Ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort einige hundert Meter unterhalb des Kraftwerks Nummer 5 im Sektor Soran-Daga«, sagte Kamris Du-Bagnan. Ren Dhark begriff sofort, worauf sein Gesprächspartner hinauswollte. »Machen Sie sich um Sektor Soran-Daga keine Sorgen«, sagte der Terraner. »Ich bin gegen unnötiges Blutvergießen.« »In diesem Punkt scheinen wir eine Gemeinsamkeit zu haben.«
»Ich erwarte von Ihnen, daß Sie den Gefangenen einen kleinen Kegelraumer zum Rücktransport zur Verfügung stellen.« »In Ordnung. Aber Ihre Leute werden mit unserer Technik ihre Schwierigkeiten haben!« »Einer Ihrer Piloten soll mit an Bord gehen. Er kann das Raumschiff später zurückfliegen!« »Auch darauf will ich mich einlassen. Wann werden Sie Ihre Position unterhalb eines unserer größten Kraftwerke verlassen, Dhark?« »Wenn mir der Kapitän der SHADO bestätigt, daß der zur Verfügung gestellte Kegelraumer startbereit ist und sich tatsächlich nur einer Ihrer Leute als Pilot an Bord befindet.« »Wird alles sofort veranlaßt«, versprach der Flottenführer. »Gut.« Er traut dir noch nicht hundertprozentig! ging es Dhark durch den Kopf. Aber dieses Mißtrauen ist ja durchaus beiderseitig. Wenig später erreichte Dhark sogar ein Videosignal. Es zeigte, wie die Gruppe der Gefangenen das Gebäude im Raumhafen von Maartok verließ, in dem man sie bis dahin festgehalten hatte. Sie gingen mit ungläubigen Blicken an Bord eines Raumschiffs der Buccaneers, das auf dem Vorplatz des Gebäudes gelandet war. Die Wächter zogen sich zurück. Nur ein paar Minuten später erreichte Dhark erneut ein Funkspruch. »Hier Leslie P. James, Kapitän der SHADO. Es ist alles für einen Start bereit. Als einziger Vertreter der Buccaneers
wird sich ein Pilot an Bord befinden, der jeden Moment eintreffen soll.« »Das ist gut«, antwortete Dhark. »Wenn der Pilot eintrifft, warten Sie trotzdem noch etwas bis zum Start. Sie werden noch zwei Passagiere an Bord nehmen.« »In Ordnung, Sir - und im übrigen vielen Dank. Wir wissen zwar nichts genaues, aber unsere Freilassung scheint mit Ihrem Eingreifen zu tun zu haben!« »Nun, das ist gut möglich... « Ein mattes Lächeln glitt über Dharks Gesicht, das sich nun etwas lockerte. Die Anspannung war nun zum Teil einer gespannten Erwartung gewichen. Es war eigentlich nicht anzunehmen, daß es jetzt noch einmal Komplikationen mit den Buccaneers gab. Blieb nur zu hoffen, daß sie sich auch an ihre Abmachungen hielten. Immerhin - das Schiff, mit dem die Gefangenen in die Freiheit fliegen würden, war nach Kapitän James' Ansicht in gutem Zustand. »Soweit ich das beurteilen kann, gibt es nichts zu beanstanden«, berichtete der Kommandant der SHADO. »Alle Räume des Schiffes wurden inzwischen von uns durchsucht, so daß wir auch tatsächlich sichergehen können, daß sich keine versteckten Wachen an Bord befinden.« »Gut«, nickte Dhark. Er schaltete den Antigrav seines Flash ab, so daß das Beiboot tiefer und tiefer ins Innere des Planeten sank. Schließlich, als er glaubte, weit genug entfernt zu sein, um durch das Einschalten des Brennkreises nicht mehr angemessen werden zu können, schaltete er den SLE ein. Wäh-
rend des Rückflugs zur Station hielt Dhark aus Sicherheitsgründen absolute Funkstille. Diesmal flog er direkt in den Kontrollraum. Flash 002 tauchte dort einfach aus dem Boden auf und setzte anschließend sanft auf seinen Auslegern auf. Dhark verließ das Beiboot. »Gratuliere zu deinem Erfolg auf ganzer Linie«, begrüßte ihn sein alter Weggefährte Dan Riker, und auch Sepok zeigte sich von seiner jovialen Seite, die man ihm offenbar in seine Programmroutinen geschrieben hatte. Die in der Station Zurückgebliebenen hatten die Ereignisse die ganze Zeit über auf verschiedenen Sichtsphären mit verfolgen können. Das galt natürlich für den Funkverkehr zwischen Dhark und der Regierung der Buccaneers. Der kleine Ion spielte auf dem Boden. Sepok hatte ihm ein paar Quader und Würfel in verschiedenen Größen gegeben, die sich hervorragend als Bausteine eigneten. Wie sich herausstellte, hatte die Station sie eigens für den Kleinen produziert. »Meine Erfahrungswerte, was Spielzeug für Kinder Ihrer Spezies angeht, sind natürlich gleich Null«, erklärte Sepok. »Dafür scheinen Sie den Geschmack des kleinen Ion aber gut getroffen zu haben«, meinte Dhark schmunzelnd, während er seinem Sohn einige Momente lang beim Spielen zusah. Joan Gipsy stand etwas abseits. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte reserviert. »Wie es scheint, muß man dem großen Helden Ren Dhark zu seinem Erfolg gratulieren.«
»Gratuliere mir, sobald das euch zur Verfügung gestellte Kegelraumschiff tatsächlich das Tortuga-System verlassen hat und alles glatt über die Bühne gegangen ist.« Joan runzelte die Stirn. »Euch?« echote sie leicht irritiert. Gelassen begegnete Ren Dhark dem skeptischen Blick ihrer grünen Augen. »Du und Ion, ihr werdet an Bord des Kegelraumers die Heimreise antreten.« »Was?« Joan war fassungslos. »Warum können wir nicht in deinem Flash mitfliegen?« »Weil das ein Zweisitzer ist - und die beiden Plätze in der Maschine sind durch Dan und mich besetzt, wie du dich vielleicht erinnerst.« Ren deutete auf den kleinen Ion und fügte noch hinzu: »Ich schlage vor, du nimmst jetzt unseren Sohn, damit ich dich zum Landeplatz des Kegelraumers bringen kann. Die anderen Geiseln wollen bestimmt so schnell wie möglich zurückkehren.« Joan Gipsy stand mit verschränkten Armen da und sah Ren Dhark finster an. »Du willst tatsächlich deinen Sohn und seine Mutter noch einmal dieser unsicheren Situation aussetzen?« »Das ist keine unsichere Situation! Kapitän Leslie P. James hat das Kommando an Bord - und dem hast du doch an Bord der SHADO bereits vertraut, oder etwa nicht?« »Trotzdem - es wäre sicherer und schneller für uns, wenn du uns mit deinem Flash nach Hause brächtest!« »Das ist aber leider nicht möglich, wie ich dir grade erklärt habe. Der Flash ist eure einzige Garantie, daß die Buccaneers nicht doch noch über euch herfallen. Dan und ich wissen, wie man ein solches Boot bedient. Du nicht.
Also nimm jetzt deine Sachen und unseren Sohn und steig ein! Niemand von uns hat nämlich Lust, ewig hierzubleiben. Wenn du das allerdings vorziehen solltest, dann sag Bescheid. Sepok ist sicher ein ganz amüsanter Gesprächspartner... « Joan lief dunkelrot an. Sie ging zu dem kleinen Ion, der zu schreien anfing, als sie ihm die Quader und Würfel wegnehmen wollte. »Ich habe nichts dagegen, wenn er dieses Spielzeug mitnimmt«, mischte sich Sepok ein. »Die Wahrscheinlichkeit, daß ich in den nächsten fünfhundert Planetenumläufen noch einmal ein Kind seiner Entwicklungsstufe und Spezies hier bei mir in der Station haben werde, ist äußerst gering.« Wenig später saßen Ren und Joan, die Ion auf dem Schoß hatte, im Flash. Dhark startete das Beiboot der POINT OF und flog zunächst im SLE auf direktem Weg an die Oberfläche. Es war nun wohl nicht mehr nötig, aus Sicherheitsgründen unterirdisch an sein Ziel zu gelangen, zumal der Tarnschutz des Flash nach wie vor aktiviert war und die Buccaneers ihn ohnehin nicht anpeilen konnten. Die Jagd der Buccaneer-Kegelraumer auf Flash 002 war vorbei. Dhark hatte der Regierung von Tortuga gezeigt, daß er ihr technisch überlegen war und bei Bedarf einen großen Schaden anrichten konnte, der in keinem Verhältnis mehr zu dem Nutzen stand, den die Buccaneers aus ihrem Geschäft mit den Tel-Rebellen zogen. *
Dhark ließ den Flash in einem kaum besiedelten, von großen Waldflächen bewachsenen Gebiet aus dem Boden steigen und flog anschließend in einer Höhe von gut tausend Metern seinem Ziel entgegen. Zwischen Joan und ihm herrschte zunächst eisiges Schweigen. Die Tatsache, daß sie nicht an Bord des Flash mitgenommen würde, war für sie ein regelrechter Schock gewesen. Nachdem Flash 002 im Schutz des Intervallfeldes das Erdreich Tortugas verlassen und in einen ziemlich ruhigen Atmosphärenflug in mittlerer Geschwindigkeit eingetreten war, schnitt sie dieses Thema erneut an. Offenbar hatte sie eingesehen, daß es vollkommen sinnlos war, Ren Dhark mit Nichtbeachtung strafen zu wollen, und in wenigen Augenblicken, wenn sie den Landeplatz des Kegelraumers erst einmal erreicht hatten, würde sie keine Gelegenheit haben, ihn von ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen. »Ich verstehe dich nicht. Ist dein Sohn dir wirklich so wenig wert?« »Er ist mir wichtiger, als du es dir vorzustellen vermagst, Joan«, gab Ren zurück. »Dann verstehe ich nicht, wie du so kaltherzig sein kannst und uns den Flug mit einem technisch minderwertigen Buccaneer-Schiff zumutest.« »Das Thema haben wir durch, Joan. Akzeptiere einfach meine Entscheidung und damit gut.« »Ja, so einfach macht es sich der hohe Herr, der mal Commander der Planeten war und daher wohl meint, daß
grundsätzlich jeder nach seiner Pfeife zu tanzen hat!« »Hör auf, Joan. Das hat keinen Sinn!« »Keinen Sinn? Ist dir eigentlich bewußt, wie sehr du mich demütigst, indem du mich zwingst, an Bord dieses... « »... tadellos funktionierenden Raumschiffs zu gehen?« fiel ihr Ren ins Wort. »Kapitän James hat alles überprüft, und es wird ein erfahrener Buccaneer-Pilot an Bord sein, der euch sicher heimwärts fliegt. Es gibt nun einmal keine Alternative. Tut mir leid.« »Es gäbe sehr wohl eine Alternative«, erwiderte Joan. Ihrem Tonfall war deutlich anzuhören, wie tief beleidigt sie war. »Du könntest doch Riker an Bord dieses Seelenverkäufers in Kegelform schicken. Aber nein, deine eigene Familie muß dieses Risiko eingehen! Es ist unfaßbar. Ich glaube, wenn in der Öffentlichkeit bekannt gewesen wäre, was für ein übler Charakter du bist, wärst du niemals Commander der Planeten geworden!« Ren Dhark beschloß, daß es keinerlei Sinn machte, ihr weiter zu antworten. Joan drehte und wendete die Wahrheit einfach so, wie es ihr gerade gefiel. Der Flash jagte nun über besiedelte Gebiete. Dhark beschleunigte noch etwas. Er hatte keine Lust, noch länger als unbedingt nötig mit dieser äußerlich so attraktiven Frau in ein und demselben Raumschiff zu sein. Es dauerte nicht lange, und es tauchte das Gebäude vor ihnen auf, in dem die Geiseln von der SHADO gefangen gehalten worden waren. Es war Teil der Raumhafenanlage von Maartok. Der Kegelraumer auf dem vorgelagerten Landeplatz war deutlich zu erkennen. Es handelte sich um ein etwa zwanzig
Meter hohes Schiff. Zu klein, um Hangars für Beiboote wie den Flash zu haben. Also landete Dhark neben dem Raumer. »Das war's dann«, sagte Dhark. »Ich wünsche dir eine gute Reise!« Wortlos und mit hochrotem Kopf stieg Joan mit ihrem Sohn auf dem Arm aus und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, auf die einzige Außenschleuse zu. Dhark atmete tief durch. Es ist gut, daß dieses Kapitel abgeschlossen ist, überlegte er und nahm anschließend Funkkontakt mit dem Kegelraumer auf. Kapitän Leslie P. James meldete sich im störungsfreien Bandbereich. »Hier ist alles in bester Ordnung. Wir warten nur noch auf den Buccaneer-Piloten, der uns zugeteilt wurde, dann kann es losgehen.« »Es kommen die angekündigten zwei Passagiere an Bord«, meldete Dhark. »Brechen Sie auf, sobald der Pilot im Schiff ist.« »Keiner von uns hat Lust, auch nur eine Minute länger als nötig auf diesem Planeten zu bleiben.« »Kann ich gut verstehen, Kapitän James. Was den Piloten angeht, so funken Sie mich bitte umgehend an, sobald er eingetroffen ist.« »Wird gemacht«, sagte der Raumfahrer. »Ich hoffe nicht, daß es da noch irgendwelche Schwierigkeiten gibt.« »Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, aber falls doch, werde ich sofort eingreifen.« Entweder diplomatisch oder auf andere Weise! fügte
Dhark in Gedanken hinzu. Ihm war sehr wohl bewußt, daß die Buccaneers den Funkkontakt zwischen ihm und dem Kegelraumer abhörten. So hatte der Terraner die Gelegenheit genutzt, um noch einmal seine Entschlossenheit zu unterstreichen, falls es unter der Buccaneer-Führung doch noch Elemente gab, die eine Freilassung der Gefangenen als Schmach ansahen und vielleicht im letzten Moment noch einen Strich durch die Rechnung zu ziehen versuchten. Der weißblonde Terraner unterbrach die Verbindung und startete den Flash. Im SLE-Antrieb schoß er in den strahlendblauen Himmel und war schon Sekunden später nicht mehr zu sehen. Kapitän Leslie P. James hatte im Kommandantensitz in der Zentrale des Kegelraumers Platz genommen. Die Gestalt von Menschen und Buccaneers war nicht so verschieden, als daß die in der Flotte Tortugas üblichen Sitzmöbel für einen Terraner unbequem gewesen wären. Das Eintreffen des Buccaneer-Piloten ließ noch auf sich warten. Langsam wurde der Kapitän etwas unruhig. Immerhin waren seit dem Eintreffen von Joan Gipsy und dem kleinen Ion ansonsten alle an Bord, die an diesem Flug teilnehmen sollten. Ein Mann mit blondem, schütterem Haar namens Kim van Dubberen, der schon auf der SHADO die Position eines Funkers ausgefüllt hatte, meldete sich über das Interkomsystem des Kegelraumers, mit dessen Bedienung er sich inzwischen einigermaßen vertraut gemacht hatte. »Sir, der angekündigte Pilot ist an Bord des Schiffes gekommen!« »Er soll sich sofort in die Zentrale begeben!« forderte
James. Wenig später öffnete sich das Schott zur Zentrale. Ein Buccaneer in der Uniform der Flotte der Kartak trat ein, nahm die Buccaneer-Entsprechung für eine militärische Haltung an und vollführte mit der rechen Hand eine Geste, die wohl der Begrüßung diente. Er begann mit tiefer, kehliger Stimme zu sprechen. Allerdings verstand Leslie P. James nicht ein einziges Wort. »Willkommen an Bord«, begrüßte James den Piloten. »Wenn Sie jetzt einen Translator hätten, würde das unsere Zusammenarbeit sicher um einiges erleichtern... « Der Pilot deutete auf eine der Konsolen in der Zentrale. Offenbar der Platz, den er während des Fluges einnehmen mußte. Mit ein paar Zeichen machte James seinem Gegenüber klar, daß er dort nach Belieben schalten und walten konnte. »Beginnen wir mit den Startvorbereitungen«, murmelte der Terraner. *
Dhark flog einen weiten Bogen und tauchte schließlich wieder im Schutz des Intervallums in den Planeten ein. Dabei schaltete er allerdings den Antrieb ab. Er wollte nicht, daß aus den Spuren, die der Brennkreis womöglich im Erdreich hinterließ, auf die Position der Station der Worgun geschlossen werden konnte. Also ließ er sich wie gewohnt zunächst einfach von der Gravitation des Planeten anziehen und sank dadurch förmlich in dessen Inneres hinein. Erst in
großer Tiefe aktivierte Dhark den SLE und flog damit bis zur Station. Erneut landete er einfach in Sepoks Kontrollraum und stieg aus dem Flash. »Ich bin froh, daß die Lady dich nicht doch dazu überredet hat, für sie das private Raumtaxi zu spielen«, sagte Riker grinsend. »Hör bloß auf, Dan!« »Ich hatte schon die Befürchtung, du würdest mich auf diesem gastlichen Planeten einfach zurücklassen.« Dharks Gesicht wurde ernst. »Wir werden mit den Buccaneers sicher noch jede Menge Ärger bekommen, Dan.« »Da können wir nur von Glück sagen, daß sie uns technisch - und vor allem waffentechnisch! - um einiges unterlegen sind«, fand Riker. »Wer weiß, wie lange noch«, gab Ren zu bedenken. »Möglicherweise finden sie ja bald schon technisch versiertere Handelspartner als diese Tel-Rebellen.« Sepok meldete sich zu Wort. Das Hologramm des Salters stand an einem der Kontrollpulte und hatte mehrere Sichtsphären aktiviert, mit deren Hilfe es verschiedene Punkte auf Tortuga überwachen konnte. Einer davon war natürlich der Landeplatz des Kegelraumers, in dem sich die befreiten Gefangenen befanden. Ein anderer Blick war nach wie vor auf das Tel-Schiff gerichtet, das noch immer auf dem Hauptlandefeld des Raumhafens von Jaarak stand. Bislang war keine offizielle Reaktion des Kommandan-
ten aufgefangen worden, aber es lag auf der Hand, daß Barn Gnun über die Entwicklung nicht glücklich sein konnte. »Das Tel-Schiff startet«, stellte Sepok fest. »Sehen Sie selbst!« Dhark und Riker traten näher an das Kontrollpult des Salters und die entsprechende Sichtsphäre heran und starrten ungläubig auf das Bild, das sich ihnen bot. Der Doppelkugelraumer hob langsam von der Landefläche ab. Dhark erkannte sofort, daß er durch seinen Angriff schwerer in Mitleidenschaft gezogen worden war, als er zunächst angenommen hatte. Es gab in der Außenhülle durch die aus dem Inneren des Schiffs heraus geführten Duststrahlenangriffe zahllose kleine Löcher. In der Kürze der Zeit war es gewiß unmöglich gewesen, all diese Beschädigungen zu beheben. Aus einigen dieser Löcher quoll bereits nach wenigen Metern Flugstrecke Rauch. Aber der Start gelang. Der Tel-Raumer gewann an Höhe. »Nichts wie los!« rief Dhark. Er wandte sich an Riker und fügte hinzu: »Dreimal darfst du raten, welches Ziel das Tel-Schiff jetzt verfolgt!« »Wenn er mit dieser klapprigen Kiste versucht, das Blatt noch zu wenden, ist der Kommandant des Rebellenschiffs ein Narr!« meinte Riker. »Mit anderen Worten: Es würde zu dem passen, was wir bisher von Barn Gnuns Persönlichkeit kennengelernt haben!« Die beiden Terraner ließen den etwas ratlos wirkenden Sepok stehen und bestiegen augenblicklich den Flash.
Dhark startete durch, raste mit eingeschaltem Brennkreis und maximaler Beschleunigung durch das Planeteninnere von Tortuga. Erst kurz bevor Flash 002 aus dem unterirdischen Magmameer auftauchte und in die überwiegend aus Sedimentgestein bestehende Oberflächenkruste eindrang, schaltete Dhark den Brennkreis aus. Den weiteren Aufstieg bis an die Oberfläche schaffte er, indem er den Antigrav einschaltete, der die planetare Gravitation von 1,05 g mehr als nur ausglich und den Flash langsam aufsteigen ließ. »Hoffen wir, daß du dich irrst und Barn Gnun einfach nur die Heimreise angetreten hat«, meinte Riker. »Und klein beigibt? Die Beute, die er schon in den Fängen hatte, einfach so davonziehen läßt? Das kann ich mir ehrlich gesagt bei diesem Kerl nicht vorstellen.« Flash 002 tauchte auf dem Landeplatz des Kegelraumers an die Oberfläche. Dhark nahm auf der einzig ungestörten Frequenz, die auf Tortuga nutzbar war, Verbindung mit Kapitän James auf. »Wir treffen hier letzte Startvorbereitungen«, meldete der. »Ich habe zwar auf Grund der Tatsache, daß weder wir noch unser Pilot über einen Translator verfügen, ein paar Verständigungsprobleme, aber ich würde mal schätzen, daß wir innerhalb der nächsten Minute starten werden.« »Ansonsten irgendwelche besonderen Vorkommnisse?« »Nein. Es läuft alles planmäßig - sofern dies in Anbetracht der Umstände überhaupt der passende Begriff ist. Warum fragen Sie?« In knappen Worten berichtete Dhark vom Start des Tel-Schiffs.
Riker unterbrach ihn. »Die Ortung des Flash zeigt einige ungewöhnliche Energieausbrüche. Position: untere Stratosphäre von Tortuga. Allerdings spielt sich das Ganze auf der entgegengesetzte Seite des Planeten ab... « »Das ist er!« murmelte Dhark. »Barn Gnun läuft Amok!« »Waffentechnisch dürfte das Tel-Schiff den Buccaneers trotz seines ramponierten Zustandes noch immer um einiges überlegen sein«, fürchtete Riker. Dhark nickte düster. Was diesen Punkt anging, mußte er Dan leider recht geben.
Bar Gnun saß zornbebend in seinem Schalensitz in der Zentrale des Doppelkugelraumers STERN DER ZUKUNFT. »So einfach lasse ich mich nicht abservieren!« grollte er düster. »Glauben diese dahergelaufenen Raumpiraten, daß sie sich an getroffene Abmachungen nicht zu halten brauchen, nur weil ein gewisser Ren Dhark ihnen mit seinen Drohungen Angst einjagt?« Barn Gnun hielt es nicht länger auf seinem Platz. Er erhob sich und wandte sich an Twonk Ngor, den Piloten der STERN DER ZUKUNFT. »Kurs auf den Kegelraumer, den man den Gefangenen großzügigerweise zur Verfügung stellte.« »Jawohl, Kommandant«, bestätigte Twonk Ngor. »Maximale Beschleunigung!« »Ich versuche, alles herauszuholen, was möglich ist. Aber durch die Schäden, die Dhark uns zugefügt hat, haben
wir gewisse technische Probleme.« Barn Gnuns Antwort auf die letzte Bemerkung des Piloten war eine wegwerfende Handbewegung. Die Maschinen rumorten und ließen den Boden vibrieren. »Die planetare Regierung des Flottenführers versucht uns anzufunken«, meldete der Kommunikationsoffizier. »Ignorieren«, befahl Barn Gnun. »Sie weisen uns darauf hin, daß wir uns auf einem irregulären Kurs befinden und es zu Kollisionen mit den aus dem Orbit kommenden Schiffen kommen könnte.« »Ich sagte: ignorieren!« dröhnte Barn Gnun ein zweites Mal und ballte dabei unwillkürlich die Hände zu Fäusten. »Sollen unsere ach so Vertragstreuen Geschäftspartner sehen, daß sie uns ausweichen, wenn sie nicht selbst Probleme bekommen wollen.« Der Ortungsoffizier meldete jetzt, daß sich eine Gruppe von Kegelschiffen auf Abfangkurs zur STERN DER ZUKUNFT befand. »Schutzschirme aktivieren!« forderte der Kommandant. Während des bisherigen Flugs waren die verbliebenen Schutzschirme angesichts der Schäden durch Dharks Duststrahlangriff nicht eingeschaltet gewesen, um vor allem in der Startphase des Schiffes Energie zu sparen. Doch jetzt war eine ausreichende Defensivbewaffnung wohl unerläßlich - selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kampfkraft der Kegelraumer mit jener des Rebellenschiffs nicht zu vergleichen war. Auf dem Hauptschirm der STERN DER ZUKUNFT tauchte bereits die erste Kampfformation von Kegelschiffen
auf. »Wir empfangen erneut einen Funkspruch der Regierung!« meldete sich abermals der Funkoffizier. Barn Gnun verzog das Gesicht. »Schalten Sie die Phase frei!« befahl er. Auf einem Nebenbildschirm erschien das Gesicht des Flottenführers persönlich. Kamris Du-Bagnan war ziemlich ungehalten. »Beenden Sie sofort Ihren irregulären Flug, Barn Gnun! Andernfalls wird meine Flotte Gewalt anwenden müssen!« »Ihr Feiglinge! Die leeren Drohungen eines Terraners haben eure ach so ehrenwerte und ruhmreiche Flotte schon dermaßen in Panik versetzt, daß ihr Flottenführer vor Angst gar keinen klaren Gedanken mehr zu fassen vermag!« »Dies ist die letzte Warnung«, entgegnete Kamris Du-Bagnan. »Wir werden uns das holen, was uns zusteht! Und wenn wir die Dhark-Brut schon nicht in unsere Gewalt bekommen, so soll sie eben untergehen!« »Alles, was nun geschieht, haben Sie sich selbst zuzuschreiben«, warnte der Flottenführer. Die Verbindung wurde unterbrochen. Die Kegelschiffe eröffneten daraufhin das Feuer. Salven von Impulsstrahlschüssen wurden auf die STERN DER ZUKUNFT abgefeuert. Erschütterungen durchliefen das Schiff. »Ausweichkurs und Gegenfeuer!« brüllte Barn Gnun. »Kommandant, wir können nur auf einer Seite einen Schutzschirm aufrechterhalten, und der steht auch kurz vor dem Zusammenbruch!« meldete der Waffenoffizier. »Die
Zerstörungen, die Dhark bei seinem Angriff insbesondere bei den Schildprojektoren angerichtet hat, waren einfach zu groß und konnten in der Kürze der Zeit nur teilweise repariert werden!« Dutzende von Treffern bohrten sich in den ungeschützten Bereichen des Tel-Raumers durch die Panzerung der Außenhülle. »Gegenfeuer!« brüllte Barn Gnun. »Schießen Sie so viele dieser elenden Verräterschiffe ab, wie Sie treffen können!« »Jawohl«, bestätigte der Waffenoffizier. »Steuermann!« wandte sich Barn Gnun an den Piloten. »Ich habe einen Ausweichkurs versucht, aber es bewegen sich immer mehr Kegelraumer auf uns zu. Wir sind gleich eingekreist.« »Versuchen Sie um jeden Preis einen Ausbruch. Wenden Sie die ungeschützte Steuerbordseite dem Planeten zu. Wir lassen uns hier nicht festhalten! Von niemandem!« Das Schiff der Tel-Rebellen erwiderte das Impulsstrahlfeuer der Kegelschiffe mit konzentrierten Salven. Die Geschützmannschaften der STERN DER ZUKUNFT taten ihr Bestes und nahmen die Kegelschiffe ihrerseits unter Beschuß. Die überlegene Waffentechnik der Tel machte sich bemerkbar. Ein Kegelschiff nach dem anderen wurde getroffen. Manche explodierten, andere stürzten ab und zerplatzen erst, wenn sie auf den Boden aufschlugen. Wracks und Trümmer regneten über einer dichtbesiedelten Region herab. Gebäude wurden durch Trümmerteile stark beschädigt oder beim Aufschlag explodierender Kegelraumer dem Erdboden gleichgemacht.
»Die andere Seite hat hohe Verluste!« meldete der Waffenoffizier. »Was ist mit eigenen Schäden?« fragte Barn Gnun. »Sektion drei hat ein paar empfindliche Treffer erhalten. Außerdem hat sich der Oberflächenanteil der STERN DER ZUKUNFT, auf den wir noch Schutzschirme projizieren können, auf unter vierzig Prozent reduziert. Aber solange mit nichts anderem als Impulsstrahlen auf uns geschossen wird, können wir das eine Weile aushalten.« Barn Gnun wandte sich an den Ortungsoffizier. »Wo ist Dhark?« fragte er. Der Kommandant der STERN DER ZUKUNFT erntete für seine Frage einen irritierten Blick. Schließlich befand sich das Schiff der Tel-Rebellen gerade in einem Gefecht, bei dem die Gegner zwar waffentechnisch unterlegen, aber zahlenmäßig weit in der Übermacht waren. Ein Gefecht, das eigentlich die gesamte Konzentration des Kommandanten und der Mannschaft forderte. Barn Gnun fauchte seinen Ortungsoffizier geradezu an. »Versuchen Sie Dharks Schiff zu orten! Lassen Sie die Sensoren auf Hochtouren laufen! Ich wette, er wird bald in der Nähe des Kegelraumers auftauchen, der den Gefangenen zur Verfügung gestellt wurde. Wenn er dort nicht bereits schon ist!« »Jawohl, Kommandant«, gab der Ortungsoffizier ziemlich kleinlaut zurück und ließ im nächsten Moment die Finger über die Knöpfe und Schalter seines Kontrollpults wandern. Eine Erschütterung durchlief die STERN DER ZUKUNFT. Kommandant Barn Gnun verlor beinahe das Gleichge-
wicht und mußte sich an einer der Konsolen festhalten. Das Licht flackerte. »Treffer in Sektion zwei. Ein Konverter ist ausgefallen. Die Energieversorgung stabilisiert sich aber wieder.« Die STERN DER ZUKUNFT antwortete mit einer Serie von Breitseiten und flog dann ein kompliziertes Ausweichmanöver. Wieder wurden mehrere Kegelraumer schwer getroffen, explodierten oder trudelten manövrierunfähig der Oberfläche entgegen. Einer von ihnen rammte ein etwa dreihundert Meter hoch aufragendes zylinderförmiges Gebäude, auf dessen Dach noch ein paar jener Atmosphärengleiter standen, die die rückkehrenden Buccaneers von den Landeplätzen der Raumschiffe aus weiterverteilten. »Schalten Sie die Funkphase noch einmal frei!« schrie Barn Gnun den Funkoffizier an. »Die Regierung dieses erbärmlichen Planeten soll hören, was ich ihr zu sagen habe.« »Funkkontakt ist hergestellt«, meldete der Funker schon Augenblicke später. Erneut erschien das Gesicht von Flottenführer Kamris Du-Bagnan auf dem Nebenbildschirm. Barn Gnun dachte nicht daran, seinen Gesprächspartner zu Wort kommen zu lassen. »Ziehen Sie Ihre Schiffe zurück, Flottenführer! Oder ich veranstalte ein Massaker!« »Gnun, Sie sind wahnsinnig!« erwiderte der Flottenführer. Kamris Du-Bagnan ballte in ohnmächtigem Zorn die Hände zu Fäusten und verzog den Mund auf eine Weise, die seine raubtierhaften Eckzähne entblößte. Wie erstarrt wirkte der Regierungschef angesichts der Rücksichtslosigkeit, mit
der der Kommandant des Tel-Schiffs vorging. »Befehlen Sie Ihren Schiffen, sich zurückzuziehen und uns den Weg freizumachen!« brüllte Gnun. »Ich will nicht Ihnen oder Ihrem Planeten schaden!« »Dann verlassen Sie Ihren Kurs und fliegen Sie zurück nach Jaarak!« forderte Kamris. »Niemals! So wahr ich Bar Gnun, der Sohn von Bol Gnun bin, der beim Angriff der Freiheitskämpfer auf Terra ermordet wurde! Ich will Rache! Dhark soll sterben - und wenn ich ihn schon nicht erwischen kann, dann wenigstens seine verfluchte Brut!« Ren Dhark hatte den Flash gestartet und auf Abfangkurs zu dem herannahenden Rebellenschiff der Tel gebracht. Außerdem hatten sie den Funkverkehr zwischen der Buccaneer-Regierung und dem amoklaufenden Tel-Kommandanten mitgehört. Barn Gnun, der Sohn von Bol Gnun! hallte es in Dharks Bewußtsein wider. Dieser Name sagte dem weißblonden Terraner natürlich etwas. Bol Gnun hatte zu den sogenannten Falken um Vanko Clos Vlc gehört und im Februar 2058 einen Aufstand angeführt. Über dem Kluis, dem Riesencomputer auf Cromar, der die faktische Regierungsgewalt im Telin-Imperium ausgeübt hatte, war die Flotte angreifender Rebellen nahezu ganz vernichtet worden. Daraufhin hatte Bol Gnun mit zweitausend Doppelkugelraumern die Erde angegriffen. Nach hartem Kampf war es den S-Kreuzern der Terranischen Flotte gelungen, die Angreifer zurückzuschlagen.
Bol Gnun hatte den Tod gefunden, als sein Flaggschiff vernichtet wurde. Der Gedanke an Rache hatte dem Sohn des Rebellenführers offenbar schier den Verstand geraubt. »Die Tel sind in ein heftiges Gefecht mit zahlreichen Kegelschiffen verwickelt«, meldete Riker, der sich voll auf die Anzeigen der Ortung konzentrierte. Es dauerte nur Augenblicke, bis der Doppelkugelraumer der Tel vor ihnen auftauchte. Unablässig wurde aus seinen Geschützen gefeuert, und immer wieder stürzten getroffene Buccaneer-Raumschiffe in die Tiefe oder explodierten hoch am Himmel. Am Boden herrschten chaotische, katastrophale Zustände. Das Feuer des Tel-Schiffs richtete sich nun auch auf den Flash. Zwar hatte dieser den vollen Tarnschutz aktiviert und das Intervallum eingeschaltet, aber er war inzwischen nahe genug an den Doppelkugelraumer herangekommen, um optische wahrgenommen zu werden. * Dhark ging auf einen Ausweichkurs, während das Tel-Schiff den Flash immer heftiger unter Feuer nahm. Er flog einen Bogen. Was soll ich tun? durchzuckte es Dharks Gedanken wie ein greller Blitz. Es gab mehrere Alternativen. Aber sie gefielen ihm alle nicht so recht... »Ich schlage vor, wir fliegen mit eingeschaltetem Brennkreis durch die Triebwerkssektion des Tel hindurch«, rief Dan Riker.
»Dann explodiert der Raumer, und die Trümmerteile schlagen vielleicht in besiedeltes Gebiet ein.« »Verdammt, das Risiko ist nicht zu umgehen!« »Sieh dir doch an, was da unten am Boden geschieht! Ich schätze, es gibt jetzt schon Tausende von Toten durch die abstürzenden Buccaneer-Schiffe. Wenn der Tel-Raumer explodiert... « Dhark schüttelte den Kopf. Die Gebiete, die unter ihnen lagen, waren schon wieder besiedelt. Man mußte im Fall einer Explosion des Tel-Schiffes sicher mit einigen Zehntausend Toten rechnen. Gleichgültig, was ich tue, es wird später mit Sicherheit Gründe genug geben, meine Handlungsweise als Fehler anzusehen, dachte Dhark. Das Schiff der Tel hatte sich aus der Einkesselung der es verfolgenden Kegelraumer weitgehend befreit. Einige der Buccaneer-Schiffe blieben zurück, weil sie teilweise schwere Treffer erlitten hatten. Der Doppelkugelraumer dagegen hatte die Chance zu einem Ausbruch genutzt. Die Geschützbatterien versuchten, den Flash zu treffen, der aber ausweichen konnte und von seiner Wendigkeit profitierte. »Die Tel befinden sich auf Kollisionskurs zu dem Kegelraumer mit den Gefangenen!« stellte Riker plötzlich fest. »Sie beschleunigen auch noch. Mein Gott, das sieht ganz so aus, als hätte Barn Gnun vor... « Riker stockte. Dhark sprach aus, was dem ehemaligen Chef der terranischen Flotte durch den Kopf ging. »Du meinst, er will das Schiff mit den Geiseln rammen!« »Wenn es nicht so verrückt wäre, dann...« Riker schüttelte den Kopf. Er stellte mit Hilfe des Bordsuprasensors ein
paar Berechnungen an und ergänzte dann: »Es gibt keinen Zweifel. Er ist auf Kollisionskurs!« »Dann halt dich fest, Dan!« Dhark ließ den Flash eine enge Kurve fliegen. Mit aktiviertem Intervallum ging das Beiboot mit Sublichtantrieb auf einen neuen Abfangkurs zu dem Tel-Raumer. Ebenfalls ein Kollisionskurs. Die meisten der ehemaligen Geiseln befanden sich in der Zentrale des Kegelraumers. Sie wollten miterleben, wie das Schiff startete, um sie in die Freiheit zu bringen, und dabei die Aussicht des Panoramabildschirms genießen. Weder Kapitän James noch der Buccaneer-Pilot hatten etwas dagegen eingewendet. Unter den Menschen in der Zentrale war auch Joan Gipsy. Die junge Frau trug den kleinen Ion auf dem Arm und hielt den Atem an. Es hatte schon so ausgesehen, als wären sie alle gerettet, aber jetzt brauste da dieses Tel-Schiff in Form einer Doppelkugel heran. Kapitän Leslie P. James starrte auf den Nebenbildschirm, auf dem die Flugbahn des heran schießenden Tel-Raumschiffs berechnet wurde. Der Buccaneer-Pilot redete dazu in seiner eigenen Sprache auf James ein, ohne daß dieser auch nur ein Wort davon verstand. Der Kartak deutete mit den Fingern seiner rechten, prankenartigen Hand auf die schematische Darstellung. Was er James damit sagen wollte, war klar. Auch der Pilot hatte offenbar erkannt, daß der Tel auf Kollisionskurs war. Er betätigte einige Schalter und Knöpfe an seinem
Kontrollpult. Die Maschinen sprangen an. Ein Rumoren durchlief das Schiff. Der Boden vibrierte. Kapitän James hatte kaum etwas von dem begriffen, was der Pilot ihm klarzumachen versucht hatte, aber er war inzwischen einigermaßen mit den Anzeigen vertraut. Danach lieferte der an Bord befindliche Reaktor noch lange nicht die eigentlich für einen Start notwendige Energiemenge. Aber der Buccaneer-Pilot versuchte es trotzdem. Schließlich war ein holpriger Start besser, als einfach abzuwarten, bis das Tel-Schiff auf sie herab raste und sie zerstörte. Der Kegelraumer hob vom Boden ab. Die anwesenden ehemaligen Geiseln drohten das Gleichgewicht zu verlieren und mußten sich festhalten. Für Joan war das mit dem Kind auf dem Arm besonders schwierig. Langsam erhob sich der Kegelraumer von seinem Landeplatz. Stimmengewirr entstand unter den Terranern. Leslie P. James hob die Hand und rief: »Ruhe bewahren! Wir haben einen guten Piloten. Er wird alles daransetzen, uns vor dem verrückten Tel-Kapitän zu retten, der uns offenbar um jeden Preis vernichten will.« Die Anwesenden verstummten. Für Augenblicke herrschte eine beinahe gespenstische Stille in der Zentrale des Kegelraumers. Nur das Rumoren der Maschinen war zu hören. Dem Antrieb wurde wirklich alles abverlangt. Höher und höher stieg das Schiff. Der Start schien trotz des eigentlich unzureichenden Energieniveaus in den Triebwerken zu gelingen.
Kapitän James blickte gebannt auf den großen Panoramabildschirm, auf dem immer wieder Strahlschüsse grell aufblitzten. Ein Luftkampf tobte ganz in ihrer Nähe. In dessen Zentrum stand ein Raumschiff in Form einer Doppelkugel, das sich mit rasender Geschwindigkeit näherte. Die verfolgenden Buccaneer-Einheiten fielen immer mehr zurück. Es kam jetzt auf jede Sekunde an. Dhark sah ein, daß er keine andere Wahl mehr hatte, als zu handeln. Wie ein heißes Messer fuhr Flash 002 in die Doppelkugel des Tel-Raumers hinein und verschwand in der Außenhülle. Eingehüllt in das schützende Intervallfeld schoß der Flash durch verschiedene Decks und Räumlichkeiten im Inneren des Doppelkugelraumers. SLE und Brennkreis waren eingeschaltet, während das Beiboot die feste Materie des Raumschiffs widerstandslos durchdrang. Nach Sekundenbruchteilen schon schnitt Dhark mit dem Flash mitten durch die Haupttriebwerkssektion und löste damit eine Explosion aus. Der Flash trat auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Doppelkugelraumer aus. Das Tel-Schiff verwandelte sich währenddessen in eine Kugel aus Feuer. Eine Welle aus Druck und Hitze breitete sich aus. Konzentrische Kreise aus Feuer bildeten sich. Trümmerteile rasten wie Geschosse in die Umgebung. Und dann verging die STERN DER ZUKUNFT in einer urgewaltigen Explosion, gegen die eine der früher von den Terranern genutzten Atombomben nicht viel mehr als ein Silvesterkracher gewesen wäre. Dem Flash allerdings konnte die enorme Ge-
walt dieser Explosion nichts anhaben. *
Anders der gerade gestartete Kegelraumer mit den befreiten Geiseln an Bord. Die freigewordenen Energien rissen den Raumer aus seinem Kurs, da dessen Triebwerksleistung noch lange nicht die Normwerte erreicht hatte. Das Schiff, das sich kaum fünfzig Meter vom Boden erhoben hatte, trudelte durch die Wirkung der Detonation wieder auf die Planetenoberfläche zu. Hart schlug das kegelförmige Raumschiff auf. In der Zentrale herrschte das blanke Chaos. Der Buccaneer-Pilot wurde auf sein Schaltpult geschleudert und sank benommen zu Boden. Kapitän James erging es nicht besser. Mit Wucht wurde er gegen eine Konsole geschleudert und brach zusammen; in eigenartig verrenkter Haltung blieb er auf dem Boden liegen, während hinter einem Monitor Qualm hervorkam. Flammen züngelten aus der Lüftung. Joan konnte sich nirgends halten. Sie fiel zu Boden. Ein anderer Terraner stolperte über sie. Mit ihrem Körper schützte sie den kleinen Ion. Dir wird nichts geschehen, mein Kind! ging es ihr immer wieder durch den Kopf, während nun ein Teil der Deckenverkleidung herunter brach. Beißende Gerüche stiegen den Männern, Frauen und Kindern in der Zentrale des Kegelraumers in die Nasen. Schreie gellten und vermischten sich mit den Geräuschen einiger Detonationen im Maschinentrakt.
Ren Dhark preßte die Lippen aufeinander. Mein Sohn! durchzuckte es ihn. Er lenkte den Flash augenblicklich auf den abgestürzten Kegelraumer zu, in dem offensichtlich Feuer ausgebrochen war. »Ich messe erhöhte Werte von Radioaktivität!« stellte Riker fest. »Wenn man die Wärmemessungen mit den Strahlungswerten vergleicht, liegt der Schluß nahe, daß es dort unten zu einem Reaktorbrand gekommen ist!« »Verdammt!« Rettungsmannschaften der Buccaneers strömten auf den havarierten Kegelraumer zu. Sie schwebten mit zahlreichen Gleitern herbei, landeten und schwärmten aus. *
Diese Mannschaften hatten nur deshalb so schnell am Ort des Geschehens sein können, weil sie ganz in der Nähe ohnehin im Einsatz gewesen waren. Die Einsatzgleiter der Buccaneers hielten bei der Landung respektvollen Abstand zu dem havarierten Schiff. Sie kennen die Schwächen ihrer Technologie besser als wir! ging es Riker durch den Kopf. Es wird schon seinen Grund haben, daß sie nicht näher herangehen. Dhark hingegen landete den Flash dicht neben dem brennenden Wrack. Buccaneer-Einsatzkräfte in silberfarbenen Schutzanzügen machten sich inzwischen daran, gewaltsam die Außenschleuse des Kegelraumers zu öffnen, um ins Innere zu gelangen.
Dhark öffnete den Flash und stieg aus. »Ren!« rief Riker ihm hinterher. Er drehte sich um. »Du kannst da jetzt nicht rein, Ren!« Dhark schüttelte nur den Kopf und lief zur Außenschleuse. »Da drinnen herrscht die Hölle, Ren!« rief Riker. »Den Messungen nach herrscht akute Explosionsgefahr!« Dhark war nicht aufzuhalten. Riker atmete tief durch. Er verstand durchaus, weshalb Dhark so reagierte. Aber das Risiko war hoch. Augenblicke bevor Dhark die Außenschleuse erreichte, hatten die Rettungskräfte sie geöffnet. Ein ohrenbetäubendes Geräusch ließ Dhark zusammenzucken. Eine Explosion im oberen Bereich des Schiffskegels riß ein etwa zwei Meter großes Loch in die Außenwand. Metallteile wurden wie Geschosse durch die Gegend geschleudert. Rauch quoll hervor, der seine Farbe von schwarz auf gelb änderte. Offenbar waren giftige Gase bei den Bränden im Inneren des Schiffs frei geworden. Die ersten Buccaneers drangen ins Innere des Raumers vor. Dhark mischte sich unter sie. Einer von ihnen sprach ihn an, faßte ihn dabei an den Schultern und redete in seiner Sprache auf ihn ein. Dhark verstand kein Wort, da sein Translator nicht eingeschaltet war. Aber die Bedeutung der Worte war auch so klar. Der Buccaneer wollte ihn auf die Gefahr aufmerksam machen, in der sich alle befanden, die jetzt noch an Bord des
Schiffes waren. Ehe Dhark den Translator einschalten und dem Buccaneer antworten konnte, war dieser schon weitergehetzt. Es war ein verzweifelter Rettungseinsatz, bei dem jede Sekunde zählte. Ion! Das war der einzige Gedanke, der momentan in Ren Dharks Hirn Platz hatte. Er lief los. An einer Stelle drang gelber Nebel aus einem Loch in der Wand. Dhark lief hindurch. Das austretende Gas biß in der Nase und in den Augen. Halbblind taumelte er den Korridor entlang. Dann gelangte er in einen Bereich, in dem er wieder klar sehen konnte. Eine Serie kleinerer Explosionen erschütterte das Schiff. Die Stimmen der Buccaneer-Rettungskräfte gellten durch die Flure. Dhark erreichte einen Gemeinschaftsraum, in dem sich zum Zeitpunkt der Katastrophe mehr als ein Dutzend der ehemaligen Geiseln befunden hatten. Ein Bild des Grauens bot sich dem ehemaligen Commander der Planeten. Überall lagen menschliche Körper in eigenartiger Verrenkung, so als wären sie beim Absturz wie Puppen durch den Raum geschleudert worden. Männer, Frauen und Kinder, viele von ihnen mit starren Augen. Andere lebten noch, lagen in ihrem Blut, stöhnten schwach und versuchten sich zu bewegen. Dhark blickte sich um und suchte nach Ion und Joan. Er fand sie aber nicht. Also setze er seinen Weg fort. Der zwanzig Meter hohe
Kegel war nur ein kleines Schiff, das schnell durchsucht werden konnte. Nachdem sich Dhark auch in einem weiteren Raum umgesehen hatte, gelangte er schließlich zur Zentrale. Auch hier bot sich ein Bild des Schreckens. Überall fanden sich Tote und furchtbar zugerichtete Verletzte, deren Überleben an einem seidenen Faden hing. Der Buccaneer-Pilot war auch darunter. Zusammengekrümmt lag er am Boden. Sein Atem ging rasselnd. Vorne flackerte der Panoramabildschirm. Aus einer Konsole zuckten elektrische Blitze. Teile der Deckenverkleidung hatten sich gelöst und waren herabgestürzt. »Joan!« rief Dhark. Aber er erhielt keine Antwort. »Joan!« In seiner Magengegend krampfte sich alles zusammen. Er ahnte, daß die Überlebenschancen bei dieser Katastrophe extrem gering gewesen waren. Dennoch wollte er die Suche nicht aufgeben. Er weigerte sich einfach, zu akzeptieren, daß sein Sohn tot war. Joans Vorwürfe hallten in seinem Gedächtnis wieder. Eine Anklage, die ihn wahrscheinlich für Jahre in seinen Alpträumen begleiten würde. Dann fand er sie schließlich. Wie ein Fötus zusammengekrümmt lag Joan hinter einer Konsole. Ren Dhark faßte sie bei der Schulter. An der Stirn war Blut aus einer klaffenden Wunde gesickert, lief aber nun nicht mehr. Blut war auch an einer Kante der Konsole zu sehen. Offenbar war sie beim Aufprall mit dem Kopf aufgeschlagen.
Ihre toten Augen blickten ihn starr an. »Joan!« flüsterte er und löste den Griff ihrer Arme um das kleine Bündel, das sie festhielt und mit ihrem Körper geschützt hatte. Ion! Der Junge hatte die Augen geschlossen. In diesem Moment zerplatzte der Panoramabildschirm. Ein Regen aus kleinen, spitzen Partikeln ging nieder. Dhark beugte sich über den kleinen Ion und schützte ihn mit seinem Körper. Er spürte, wie einige der Partikel schmerzhaft auf seinem Rücken niedergingen. Ein weißgraues Gas strömte aus einer Ecke des zerstörten Bildschirms in die Zentrale. Irgendeine Zuleitung war beschädigt worden. Ein Grollen durchlief das Schiff. In der Maschinensektion hatten sich offenbar weitere Explosionen ereignet. Aber Dhark nahm das nur ganz am Rande wahr. Seine Gedanken waren bei Ion. Unwillkürlich mußte er schlucken. Das ausströmende Gas kratzte in seinen Atemwegen. Der Terraner fühlte nach dem Puls des Jungen. Sein Herz schlug noch, aber das Kind war besinnungslos. Er preßte es an sich, verließ mit dem Kleinen auf dem Arm die Zentrale. Wieder donnerten Explosionen. Diesmal heftiger. Gestikulierende Buccaneer-Rettungskräfte kamen ihm entgegen. Sie beachteten ihn nicht weiter. Irgendetwas war geschehen, das sie offenbar sehr in Unruhe versetzte. Raus hier! Das war Dharks einziger Gedanke. Der kleine Ion brauche Hilfe. Vielleicht war ohnehin
schon alles zu spät, aber das wollte Dhark nicht akzeptieren. Noch nicht. Er kämpfte sich durch gasverseuchte Zonen, in denen man kaum atmen konnte, und gelangte schließlich ins Freie. Mit dem Kind im Arm rannte er auf den offen dastehenden Flash zu, wo Riker auf ihn wartete. »Mach alles klar für den Start!« wies er seinen Begleiter an und stieg ein. Das Kind hielt er dabei im Arm. Der Flash wurde geschlossen. Nur ganz am Rande nahm Dhark wahr, wie draußen die Explosionshölle losbrach. Eine Reihe kleinerer Detonationen ließ Teile der Außenverkleidung des Kegelschiffes wegplatzen. Stücke aus glühendem Metall wurden über das Landefeld geschleudert, brannten sich in die Wände von Gebäuden oder zerstörten herbei beorderte Fahrzeuge der Rettungskräfte. Eine ganze Serie derartiger Explosionen zerstörte zunächst fast die gesamte linke Seite des Kegelraumers und fraß sich dann weiter fort, ehe sich das Schiff in einen Feuerball verwandelte. Riker hatte inzwischen das schützende Intervallfeld eingeschaltet und den SLE mit maximalen Beschleunigungswerten gestartet. Mit aufflammendem Brennkreis schoß Flash 002 davon. Niemand dürfte diese Explosion überlebt haben! ging es Riker durch den Kopf, während er den Flash jetzt steil emporsteuerte, dem Orbit entgegen. Weder die befreiten terranischen Geiseln noch die herbeigeeilten Rettungskräfte! Die Explosion hatte auch mehrere Gleiter und Fahrzeuge der Rettungskräfte sowie einen zum Landefeld gehörenden
Kontrollturm erfaßt, der wie ein Streichholz geknickt worden und auf ein weiteres Gebäude gestürzt war. »Ich nehme Kurs auf die nächstgelegene Transmitterstation von Wallis Industries!« erklärte Riker. »Von dort aus können wir zur Erde springen.« »Vorausgesetzt, wir bekommen Priorität und müssen uns nicht hinten anstellen - bei dem Verkehr, der im Augenblick zwischen Eden und Terra herrscht!« »Sobald wir das System verlassen haben, werden wir wahrscheinlich wieder Funkkontakt haben«, vermutete Riker. »Und die Buccaneers werden uns wohl kaum daran hindern, das System zu verlassen.« *
»Selbst wenn sie es wollten - sie könnten es nicht«, gab Riker zurück. Nach einer Pause des Schweigens fragte er zögernd: »Wie geht es dem Kleinen?« »Schlecht. Er atmet, aber... « Dhark schluckte. »Er braucht jetzt sehr dringend fachkundige medizinische Versorgung!« Und zwar eine, die sich mit der Physiologie eines Menschenkindes auskennt! setzte er in Gedanken hinzu. Also kam es auch nicht infrage, irgendeine medizinische Einrichtung der Buccaneers aufzusuchen, wobei es ohnehin zweifelhaft war, welcher medizinisch-technische Standard bei den Freibeutern herrschte. Riker steuerte Flash 002 durch den Ring aus Raumschiffen, der sich nach wie vor im Orbit um Tortuga befand.
Innerhalb kürzester Zeit hatte der Flash auf ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Riker aktivierte den Sternensog-Antrieb und jagte aus dem System, vorbei an den noch immer anwachsenden Buccaneer-Flottenverbänden an der Peripherie. »Sämtliche Funkfrequenzen sind wieder ungestört«, stellte Riker fest. »Das gilt sowohl für das normale Funkwellenspektrum als auch für das Hyperband. Wir können den To-Richtfunk wieder einsetzen.« »Okay, dann funke Wallis an!« Riker nickte. Per Transmitter dauerte die Reise von der Station bis zur Erde nur gut fünf Minuten. Voraussetzung war allerdings, daß Flash 002 für diese Passage eine oberste Priorität erhielt. Dan Riker nahm Funkkontakt mit der TERENCE auf, dem Flaggschiff von Wallis' neuer Flotte. Er wurde umgehend zu Terence Wallis persönlich durchgestellt. In knappen Worten faßte der ehemalige Chef der TF zusammen, was geschehen war und in welcher Lage sich Dharks Sohn befand. »Kein Problem«, erklärte der Großindustrielle, der inzwischen auf dem Planeten Eden seinen eigenen Staat gegründet hatte, weil er mit der Politik Terras in vielerlei Hinsicht nicht einverstanden war. »Ich werde mich persönlich um das Problem kümmern.« »Danke«, sagte Riker. »Wenn Sie die Transmitterstation erreichen, wird alles für die Passage vorbereitet sein.« Dhark erschien die Zeit quälend lang, bis die 002 endlich die nächste Transmitterstation erreichte. Die Station proji-
zierte zwei Transportfelder. Aus dem einen traten jene Transportkapseln aus, die von der Erde aus hier ankamen, in das andere mußte man sich begeben, wenn man den umgekehrten Weg antreten und ins Sol-System gelangen wollte. Ein kurzer Funkspruch von Wallis erreichte Riker, in dem der Industrielle noch einmal bestätigte, daß alles für die Passage geregelt sei. Riker schickte die ID-Kennung des Flash an die Station und erhielt daraufhin sofort die Freigabe zum Einflug in das Transmitterfeld. Dhark hielt derweil seinem Sohn im Arm, blickte auf das regungslose Gesicht des Kleinen, dem es erkennbar immer schlechter ging. Wenn er stirbt, werde ich mir das nie verzeihen! durchzuckte es die Gedanken des Terraners. »In fünf Minuten haben wir die Erde erreicht!« sagte Riker, während er Flash 002 in das Transmitterfeld steuerte. Es gab keine schnellere Möglichkeit der Rückkehr als eine Transmitterpassage. Aber vielleicht war sie in diesem Fall nicht schnell genug... Wird fortgesetzt...