Dirk Eichler Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen
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Dirk Eichler
Veränderungsprozesse pädago...
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Dirk Eichler Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen
VS RESEARCH
Dirk Eichler
Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen Organisationstheoretische Reflexionen vor dem Hintergrund gestiegener Anforderungen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans Merkens
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Freie Universität Berlin, 2008 D 188
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-15921-8
Geleitwort
Pädagogische Institutionen verändern sich mit der Zeit, es gibt aber auch bei ihnen die Notwendigkeit sie zu verändern, damit sie besser an eine sich verändernde Umwelt angepasst werden können, d. h. die Veränderungen müssen systematisch betrieben werden. Diesem Themenfeld ist die Arbeit von Herrn Eichler im empirischen Teil gewidmet. Veränderung kann man durch Tätigsein erreichen, so ist auch in der Erziehungswissenschaft bemerkenswert, dass es eher praktische Handlungsanweisungen und weniger theoretische Konzepte dazu gibt, wie erfolgreiche Veränderungsprozesse zu gestalten sind. Damit ähnelt die Situation durchaus der in anderen Bereichen. Es ist das Verdienst der Arbeit von Herrn Eichler im theoretischen Teil konzeptionelle Vorstellungen dazu zu entwickeln, wie die Veränderung von Organisationen gestaltet werden kann, wenn die Umwelt sich verändert. Dazu werden der Ansatz der offenen Systeme, der Neo-Institutionalismus und das organisationale Lernen erörtert, um Prozesse der Organisationsentwicklung systematischer gestalten und in ihrem Ablauf auch besser verstehen zu können. Dabei ist der Blick über die engen Grenzen des Faches hinweg sowie die Darstellung der übernommenen Ansätze, aber auch deren Umsetzung in Bezug auf die eigene Fragestellung von besonderer Bedeutung. Im Vergleich zu anderen ähnlichen Arbeiten ist bei der Empirie hervorzuheben, dass nicht ein einzelner Fall untersucht und vorgestellt wird, sondern Fälle aus unterschiedlichen Bereichen einbezogen werden. Dadurch wird deutlich, dass das entwickelte theoretische Konzept nicht einzelfallbezogen ist, sondern eine gewisse Allgemeinheit aufweist. Berlin, im Januar 2008
Hans Merkens
Danksagung
Für das Erstellen einer wissenschaftlichen Arbeit sind – und das ist nicht wirklich überraschend – ein großes Interesse am Thema, Kreativität im Umgang mit schwierigen Fragestellungen und Disziplin nötig. Die genannten Merkmale können allerdings nicht nur aus sich selbst heraus erbracht werden. Vor allem in der Begegnung mit anderen, in Gesprächen bzw. in der Unterstützung durch mehrere Perspektiven können sie geweckt und entwickelt werden. Zuallererst gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans Merkens, der mir die Möglichkeit gab, an der Freien Universität Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu arbeiten und durch die vielen gemeinsamen und konstruktiven Gespräche sehr zum Erstellen der Arbeit beitrug. Prof. Dr. Richard Münchmeier danke ich für die Übernahme der Zweitbegutachtung. Des Weiteren möchte ich Prof. Dr. Harm Kuper für dessen fachlich hilfreiche und persönlich zuverlässige Unterstützung danken. Vielen weiteren Personen bin ich zu Dank verpflichtet. Ohne den regelmäßigen und sowohl fachlich als auch zeitlich intensiven Gedankenaustausch mit Marius Herzog wäre diese Arbeit kaum vorstellbar. Die gemeinsam aufgebaute Arbeitsatmosphäre wird mir in bester Erinnerung bleiben. Dr. Anne Wessel danke ich, weil sie mir eine stetige, und insbesondere in der Endphase der Arbeit, wichtige Begleiterin im Arbeitsprozess war, die mir mit ihren professionellen Ratschlägen einige Umwege ersparte. Meinen ehemaligen Kollegen der Freien Universität Berlin danke ich herzlich für die angenehme Zusammenarbeit der vergangenen Jahre. Zakaria Ibba Limane und Michael Hampel unterstützten mich in vielen aufmunternden und anspornenden Telefonaten, und die gemeinsamen Mittagessen mit Christian Meinhardt in der Mensa der Freien Universität Berlin waren während vieler Arbeitstage in der dortigen Bibliothek eine erfreuliche Abwechslung. Zudem schätze ich mich glücklich, zu Schulzeiten von meinem Lehrer Dieter Schwarz den Zauber des Lernens vermittelt bekommen zu haben. Einen großen Anteil haben auch meine Eltern. Ihnen möchte ich für ihr anhaltendes Vertrauen danken. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich meiner Frau Natascha, sie leistete mit Sicherheit den größten Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit. Ihre kontinuierliche Unterstützung hat mich durch den gesamten Arbeitsprozess getragen. Berlin, im Januar 2008
Dirk Eichler
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Einführung in das Themenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielstellungen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 16 18 19 20
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4
Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen . . . . . . . . Erste Begriffsbestimmung pädagogischer Institutionen . . . . . . . . . . . . . Organisation des Verhältnisses zu den Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundfigur des pädagogischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoher Anteil an pädagogisch ausgebildetem Personal . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Relevanz eines institutionellen Organisationsverständnisses . . . . . . Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annäherung an eine Umweltdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen zur Zielbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierende und integrierende Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Prozessgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationen als vielschichtige Gebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 25 26 26 27 28 30 32 34 37 40 44
3
Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften von Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierung des Inputs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Bestimmung des Outputs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen zu Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umwelt von Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexe Zielbildungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 46 46 47 49 51 52
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6
10 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.3
Inhaltsverzeichnis
Eigenschaften freier Jugendhilfeträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierung des Inputs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Bestimmung des Outputs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen zu Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umwelt von freien Jugendhilfeträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexe Zielbildungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schule und freie Jugendhilfeträger als besondere soziale Organisationen
Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen und die Bedeutung des organisationalen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Veränderte globale Umweltbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt der ausgewählten pädagogischen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Herausforderungen von Schulen und organisationale Folgen . . . . . . . . . 4.2.2 Herausforderungen freier Jugendhilfeträger und organisationale Folgen 4.2.3 Konzepte des Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Organisationsentwicklung als Theorie der Veränderung? . . . . . . . . . . . . 4.4 Die fehlende theoretische Interpretation von Veränderungen . . . . . . . . .
53 55 55 56 58 60 60 61
4
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1
63 63 65 67 73 77 78 84
Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung . . . . . Organisationslernen als theoretischer Ansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationslernen, nicht Lernende Organisation! . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Auslöser des Organisationslernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Träger von Lernprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf und Qualität von Lernprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstände gegen organisationales Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fördernde Faktoren des Organisationslernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten und Grenzen des Organisationslernens . . . . . . . . . . . . . . Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen . . Der Aufbau von Fassaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassaden als kurzfristige Reaktion auf Unsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . Plädoyer für einen kombinierten organisationstheoretischen Interpretationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 85 87 88 93 98 103 106 111 112 114 123
Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis . . Evaluationsforschung als Organisationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionen von Evaluationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Gestaltung von Evaluationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erarbeitung eines Forschungsdesigns für drei Fallbeispiele . . . . . . . . . . Entwicklung eines Forschungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers . . . . . . . . . . . Anlässe zur Kooperation mit Externen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127 127 128 129 131 133 134 139 139 140
125
Inhaltsverzeichnis
6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6
11
6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5 6.5.6 6.6
Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Viele Vorhaben – reale Folgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der zweiten Untersuchungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation der Veränderungen: Hierarchisierungsprozess als tiefer gehender Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit . . . . . . . . . Anlässe zur Kooperation mit Externen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Fragiler Integrationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der zweiten Untersuchungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation der Veränderungen: Verbesserungslernen . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiel III: Veränderungsprozesse in einer Schule . . . . . . . . . . . . . . Anlässe zu Kooperation mit Externen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Unklare Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der zweiten Untersuchungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation der Veränderungen: Fassaden aufgebaut . . . . . . . . . . . . . . Die drei Fallbeispiele im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141 143 149 150
7 7.1 7.2
Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Theoretische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Praktische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.2 8.3 8.4
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interviewleitfäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenbereiche Fallbeispiele I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenbereiche Fallbeispiel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel gebildeter Indizes Fallbeispiel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragebeispiel aus den Kurzfragebögen zu Fallbeispiel I . . . . . . . . . . . . . Auswertungsverfahren der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 160 160 161 162 168 169 173 176 176 177 178 184 186 191 193
207 207 207 208 209 210 211
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Abbildungsverzeichnis
Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
1: 2: 3: 4: 5: 6: 7:
Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31:
Untersuchungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Dimensionen des offenen Systemansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Umweltdiagramm nach SCHREYÖGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Modell einer Stabs-Projektorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Untersuchungsebenen – erster Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Einfache Struktur nach MINTZBERG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Aufzählung einiger unmittelbarer Herausforderungen für einzelne Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Aufzählung einiger unmittelbarer Herausforderungen für freie Jugendhilfeträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Einfaches Trägermodell – Interdependenz von Organisationsmitgliedern und Organisationsgedächtnis . . . . . . . . 97 Modell des Organisationslernens in Anlehnung an ARGYRIS/SCHÖN 101 Die Ursprünge und Weiterentwicklung von formalen Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Kombination technischer und institutioneller Umwelten . . . . . . . . 117 Untersuchungsebenen – zweiter Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Forschungsrahmen für die Evaluation der drei Fälle . . . . . . . . . . . 133 Untersuchungsdesign – Fallbeispiel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Organigramm zur ersten Untersuchungsphase – Fallbeispiel I . . . 148 Organigramm zur zweiten Untersuchungsphase – Fallbeispiel I . . 155 Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen im Fallbeispiel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Untersuchungsdesign – Fallbeispiel II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Organigramm zur ersten Untersuchungsphase – Fallbeispiel II . . . 165 Organigramm zur zweiten Untersuchungsphase – Fallbeispiel II . 171 Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen im Fallbeispiel II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Untersuchungsdesign – Fallbeispiel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Indexwerte zur individuellen Förderung der Schüler . . . . . . . . . . . 179 Werte zum Gelingen der Wissensvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Indexwerte zu Funktionsfähigkeit der Kooperation und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Indexwerte zur allgemeinen Zufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Vereinfachtes Organigramm im Zeitraum zur ersten Untersuchungsphase – Fallbeispiel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Vereinfachtes Organigramm zur zweiten Untersuchungsphase – Fallbeispiel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen im Fallbeispiel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Integriertes Interpretationsmodell organisationaler Veränderungen für die drei Fallbeispiele in Gestalt einer Spule . . . 202
1
Einführung in das Themenfeld
1.1
Untersuchungsanlass
Wie so viele Arbeitsvorhaben, gleich welcher Art, hat sich dieses Arbeitsthema mit der Zeit herauskristallisiert und bekam teilweise wie von selbst seine Konturen.1 Bestimmte anfängliche Überlegungen erwiesen sich als nicht zielführend und sind nicht weiterverfolgt, andere hingegen weiter vertieft worden. Manchmal ergaben sich auch neue Fragestellungen, die zusätzliche Gedankengänge eröffneten. Doch bei aller Eigendynamik, die eine solche Arbeit entwickeln kann, sind einige Voraussetzungen zu erbringen, damit sich das Neue, das Eigene in einer Arbeit entwickeln kann. Eine dieser Voraussetzungen – so trivial es klingen mag – bestand darin, ein hinreichend großes, ein leidenschaftliches Interesse für die Beschäftigung mit Organisationen zu besitzen. Organisationen sind ein weit verbreitetes Phänomen moderner Gesellschaften und tragen erheblich zu ihrer Konstituierung bei. In diesem Kontext haben wir Menschen tagtäglich mit Organisationen zu tun. Mal sind wir Mitglieder in einer Organisation, wie z. B. in einem Verein, mal beanspruchen wir Leistungen, die von Organisationen erbracht werden, wie z. B. den Schutz der Polizei bei gut besuchten Fußballspielen. Die Beschäftigung mit Organisationen gewinnt ihren Reiz aus der optionalen Einnahme unterschiedlicher Perspektiven. Als wichtiger Bestandteil moderner Gesellschaften ist der Übergang zur gesellschaftlichen Analyse fließend. Auch kann es spannend sein, die Entwicklungsverläufe lange existierender Organisationen über verschiedene Jahrzehnte hinweg zu untersuchen. Dabei können sich die Produktpalette oder Formalstrukturen verändert haben, die möglicherweise von heftigen mikropolitischen Konflikten begleitet wurden. Des Weiteren kann die Erforschung von Organisationen auf die Individuen und ihr Handeln im organisationalen Kontext gerichtet sein. Solchermaßen ist u. a. das Wohlbefinden der Mitarbeiter ein sich anbietendes Forschungsthema oder aber der Einfluss einzelner Mitarbeiter auf das organisationale Geschehen. Die Erforschung von Organisationen bietet folglich ein fast unerschöpfliches Repertoire an Fragen und Facetten, das in der Regel nicht auf die rein theoretische Erörterung beschränkt bleibt. Oft gehört zur Organisationsforschung eine enge Verzahnung mit der Praxis. Diese ist z. B. beobachtbar in Gestalt des häufig fließenden Übergangs von der theoretischen Beschäftigung mit Organisationen zur Organisationsberatung. Gerade in den USA nehmen einige Organisationstheoretiker diese Doppelrolle ein. 1
Diese Arbeit wurde als Dissertation am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin unter dem Titel „Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen im Rahmen gestiegener Umweltanforderungen – Reflexionen zu drei Organisationsentwicklungsprozessen“ eingereicht.
16
1 Einführung in das Themenfeld
Eine weitere Voraussetzung für die Beschäftigung mit Organisationen ist die Wahl eines Forschungsgegenstands bzw. eines Themenbereichs. Innerhalb der Erziehungswissenschaft liegt die Erforschung pädagogischer Einrichtungen nahe. Die denkbaren Optionen für Forschungsgegenstände reichen von der Kindertagesstätte, über Ausbildungsbetriebe, Personalabteilungen in Unternehmen bis zu Schulen. Für die Wahl eines organisationstheoretischen Themas können z. B. die Organisationsstrukturen von Verwaltungen wie die der Schulverwaltung, Netzwerkstrukturen von Weiterbildungseinrichtungen, die Funktion des Bildungscontrollings für die Entscheidungsprozesse im Personalbereich usw. untersucht werden. Diese Arbeit befasst sich mit Veränderungsprozessen in Schulen und bei freien Jugendhilfeträgern. Die Wahl des Arbeitsthemas entstand einerseits durch die Tatsache, dass viele pädagogische Institutionen mit erheblichen Veränderungen konfrontiert sind und daraus Probleme resultieren, welche entsprechende Anpassungsleistungen verlangen. Exemplarisch seien hier die öffentlichen Diskussionen zu den Ergebnissen der PISA-Studie, die Gewaltausbrüche in Schulen oder generell zwischen Jugendlichen sowie die Herausforderungen der Wissensgesellschaft genannt. Andererseits ergab sich die Fokussierung auf Einrichtungen dieser beiden Bereiche durch die diesbezüglich große Nachfrage nach einer Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft. In diesem Kontext stellt die Evaluation von Veränderungsprozessen in drei pädagogischen Institutionen den Bezugspunkt dieser Arbeit dar. Damit sind die ursprünglichen Anlässe für die Wahl des Themenfeldes grob erfasst. Allerdings musste noch das organisationstheoretisch Besondere an den jeweiligen Situationen dieser Institutionen bestimmt werden. Hierbei mussten vergleichbare und systematische Gemeinsamkeiten schon bei der Problemstellung der Einrichtungen erkennbar sein, um einen gemeinsamen theoretischen Kontext herstellen zu können. Natürlich ergaben sich aufgrund der organisationalen Vielschichtigkeiten und Eigenheiten manche theoretische Fragen und Erkenntnisse erst im Verlauf der Forschung, die nicht von vornherein zu erwarten waren, so dass eine gewisse situative Offenheit einzuhalten war. Bei den drei untersuchten pädagogischen Einrichtungen deutete sich zu Beginn der Kooperation vor allem die Gemeinsamkeit wachsender Unsicherheiten über angemessene Strategien oder Aktivitäten an, die ausschlaggebend für eine Zusammenarbeit war.
1.2
Problemstellung
Diese Unsicherheiten bezogen sich auf den angemessenen Umgang mit veränderten Rahmenbedingungen, denen die drei pädagogischen Institutionen sich zu stellen hatten. Ein bestimmtes Maß an Unsicherheit über die künftigen Aufgaben und Herausforderungen kann prinzipiell als eine übliche und allgemeine Begleiterscheinung von Organisationen betrachtet werden. Doch hier geht es um andere Ausprägungen von Unsicherheiten. Nach dem Ende der Nachkriegsordnung sind insbesondere Prozesse in Gang gekommen, wie z. B. die Globalisierung, die zu einer Verbreitung ökonomischen Denkens führten. Infolgedessen werden auch Bildung und Erziehung viel aufmerksamer von der Öffentlichkeit verfolgt und mit neuen Forderungen bedacht, weil
1.2 Problemstellung
17
ihre Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklungen wieder höher bewertet werden. In diesem Zusammenhang haben sich die Rahmenbedingungen von pädagogischen Institutionen teilweise rasant verändert und werden sich weiterhin verändern. So steht z. B. die Bereitstellung finanzieller Ressourcen, angesichts knapper öffentlicher Kassen, unter einem größeren Rechtfertigungsdruck. Die Leistungen pädagogischer Einrichtungen werden deswegen nicht nur im Hinblick auf ihre Wirkungen, sondern auch auf die Effizienz der eingesetzten Ressourcen betrachtet (vgl. MERKENS 2006). Neue Steuerungskonzepte in öffentlichen Verwaltungen beziehen nicht zuletzt aus dieser ökonomischen Betrachtungsweise ihre Attraktivität. Auch Leistungsvergleichsstudien wie die PISA-Studie lassen sich u. a. in dieses Spektrum einfügen, denn über den Vergleich unterschiedlicher Schulsysteme werden diese in wettbewerbsähnliche Situationen zueinander gestellt. Die Ergebnisse dieses Vergleichs haben in der Bundesrepublik zu einigen Reformanstrengungen geführt, die sich u. a. auf der organisationalen Ebene von Schulen beobachten ließen. Alte Gewissheiten können dabei teilweise verloren gehen und organisationale Identitäten angekratzt werden. Ferner stellen soziokulturelle Veränderungen, wie der Wandel von Werten oder die Bedeutung interkultureller Kompetenz, neue Anforderungen an das pädagogische Handeln bzw. an die pädagogischen Institutionen dar. Doch wie lassen sich Veränderungen definieren? TÜRK (1989: 53f.) weist auf die Bedingtheit der beiden Dimensionen Zeit und Bewegung hin. Der Begriff Veränderung bedeutet, dass ein beobachtetes Merkmal im Vergleich zu seinen Ausprägungen zu mindestens zwei verschiedenen Messzeitpunkten eine Differenz aufweist. Der Begriff Veränderung kann als relativ neutral eingestuft werden, währenddessen mit Entwicklung und Wandel tendenziell eine bestimmte Veränderungsrichtung oder eine veränderte Qualität assoziiert wird. Die Relevanz einer festgestellten Differenz zwischen verschiedenen Messzeitpunkten hängt vom analytischen Bezugsrahmen ab, der einer Beobachtung zugrunde gelegt wurde. Dabei ist die „Transformationsdynamik“ (ebd.: 54) von entscheidender Bedeutung. D. h. es interessiert die Frage, inwiefern Organisationen sich verändert haben und ob die Veränderungen substanzieller oder weniger substanzieller Art sind. Irrelevant und theoretisch beliebig ist hingegen die Tatsache, dass bereits im alltäglichen Organisationsgeschehen immer wieder Veränderungen gemessen werden können, weil Organisationen keine Maschinen und daher rein identische Wiederholungen genau genommen unmöglich sind. Veränderungen auf der Organisationsebene können in einem engen Zusammenhang mit Veränderungen in der Umwelt stehen. Für viele pädagogische Institutionen ist das sehr typisch, weil sie in direkter finanzieller Abhängigkeit von öffentlichen, staatlichen Behörden stehen und infolgedessen auch die Einhaltung inhaltlicher Vorgaben kontrolliert wird. Deswegen lässt sich u. a. das Verhältnis vieler pädagogischer Einrichtungen zu ihrer Umwelt als systembedingt offen verstehen. Da aber trotz ähnlicher Rahmenbedingungen zwischen einzelnen pädagogischen Institutionen Unterschiede bestehen, und zwar sowohl im Leistungsvermögen als auch in organisationskultureller Hinsicht, muss es Elemente geben, die zu diesen Unterschieden führen. Es darf also vermutet werden, dass es Handlungsspielräume für pädagogische Einrichtungen gibt, die sie verschieden ausfüllen können. Diesbezügliche Anstrengungen und Aktivitäten werden organisationstheoretisch zu verstehen versucht und mit
18
1 Einführung in das Themenfeld
unterschiedlichen Konzepten überschrieben. So ist u. a. das Konzept Lernender Organisationen, welches zur Erklärung und Umsetzung von Veränderungsprozessen in Unternehmen oft herangezogen wird, auch auf die Pädagogik übertragen worden (vgl. z. B. ROLFF 2002; FEES 2004). Damit verbindet sich die Erwartung, in den alltäglichen Irrungen und Wirrungen, die Veränderungsprozesse verursachen können, lernend Orientierung zu schaffen und die Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Konzepte wie das der Organisationsentwicklung oder des Change Managements weisen in eine ähnliche Richtung; sie bieten Instrumente an, die den Wandel kontrollieren bzw. planen sollen. Diese Annahmen zum Wandel lassen sich kritisch hinterfragen und provozieren die Überprüfung des theoretischen Gehalts der Ansätze. Diesen Faden nimmt die vorliegende Arbeit auf und erörtert u. a., inwieweit die Vorstellung vom Lernen von Organisationen erklärungskräftig für den Wandel von pädagogischen Institutionen sein kann. Die Untersuchung von Organisationsentwicklungsprozessen in drei ausgewählten pädagogischen Einrichtungen bildet dafür den Bezugspunkt. Das übergeordnete Interesse richtet sich vor allem auf organisationstheoretische Reflexionen zu diesen Veränderungsprozessen. Zusammengefasst lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit: Wie können Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen organisationstheoretisch interpretiert werden?
1.3
Zielstellungen der Arbeit
Das Forschungsthema soll in einen allgemeinen Forschungskontext mit den folgenden Zielen eingebettet werden. 1. Ein Ziel ist es, die Arbeit nicht nur auf die Disziplin der Pädagogik zu beschränken, sondern auf eine interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der theoretischen Überlegungen zu achten. Dieses Ziel fügt sich in die vorherrschende interdisziplinäre Ausrichtung der organisationstheoretischen Diskurse ein. In den USA beispielsweise haben organisationstheoretische Reflexionen zu pädagogischen Themen eine lange Tradition und sind fest in die Organisationsforschung eingebunden (vgl. z. B. WEICK 1976, MEYER/ROWAN 1991). In der Bundesrepublik gibt es eine solche Tradition nicht, im Gegenteil, hier wurden Organisationen lange Jahre mit Argwohn bedacht. Dies hat sich in jüngster Zeit deutlich verändert; organisationstheoretische Überlegungen werden zunehmend in der Pädagogik erörtert (vgl. z. B. TERHART 1986; HELSPER 2000; BÖTTCHER 2002; KUPER 2001; SCHÖNING 2001; SCHAEFERS 2002; BORMANN 2002; MERKENS 2006). 2. Mit der Dynamisierung von Rahmenbedingungen erwächst u. a. ein Bedarf, Wandel und bestimmte Anpassungsmechanismen zu verstehen. Das wird anhand der Untersuchung von Veränderungsprozessen in den drei pädagogischen Institutionen angestrebt. Die Beschäftigung mit Veränderungen wird in der Organisationstheorie wichtiger (vgl. SCHREYÖGG 2003). Der Bewältigung von Wandel wurde lange Zeit wenig Aufmerksamkeit in der theoretischen Auseinandersetzung mit
1.4 Forschungsrahmen
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Organisationen zuteil. Reizvoll an der theoretischen Auseinandersetzung mit Veränderungen in Organisationen ist vor allem, dass die Reaktionen auf die neuen Rahmenbedingungen sehr organisationsspezifisch ausfallen können und dass zu den theoretischen Erörterungen des Wandels – trotz einer umfangreichen Literatur – genügend Raum zur Forschung bleibt. 3. Trotz der Vielfalt an unterschiedlichen Überlegungen, welche die Organisationstheorie insgesamt kennzeichnet, werden oft wenig gemeinsame Bezüge erkennbar. Diese Arbeit beruht auf der Motivation, neue Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Theorieüberlegungen zu erproben und eventuell vorhandene Schwächen einzelner Ansätze wechselseitig zu kompensieren. Konkret soll das durch eine Verknüpfung des Ansatzes organisationalen Lernens mit neo-institutionalistischen Überlegungen versucht werden. Der Rückgriff auf den Ansatz des Organisationslernens bietet sich aufgrund dessen inhärenter Beschäftigung mit dem organisationalen Wandel und des Interesses in der Pädagogik an diesem Ansatz an. Überlegungen des Neo-Institutionalismus werden jedoch üblicherweise nicht im Kontext des Wandels von Organisationen diskutiert. Allerdings sind die in diesem Ansatz erörterten Reaktionsmuster auf Umweltentwicklungen möglicherweise aufschlussreich, um bestimmte Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen genauer zu verstehen. 4. Da den Umweltfaktoren ein starker Einfluss auf die Geschehnisse in den pädagogischen Institutionen zugesprochen werden kann (z. B. in Gestalt von Schulverwaltungen oder den Jugendämtern), sollte das Verhältnis zwischen Umwelt und den pädagogischen Einrichtungen zumindest sortiert werden. Es wird versucht, ein Verständnis von Organisationen als umweltoffene Systeme zu platzieren.
1.4
Forschungsrahmen
Ausgehend von der skizzierten Problemstellung, der zentralen Fragestellung und den definierten Zielen können mehrere Forschungsfragen abgeleitet werden. Diese sind auf die organisationstheoretische Reflexion gerichtet und strukturieren die Bearbeitung des Themas. • Wie lassen sich pädagogische Institutionen charakterisieren? • Mit welchen Veränderungen sind Schulen und freie Jugendhilfeträger konfrontiert? • Welche Folgen können daraus entstehen? • Inwieweit trägt der Ansatz des organisationalen Lernens zum Verstehen des Wandels von pädagogischen Einrichtungen bei? • Ist diesbezüglich die organisationstheoretische Ergänzung mit neo-institutionalistischen Überlegungen sinnvoll? • Welche theoretischen und praktischen Schlussfolgerungen lassen sich aus den Ausführungen konzeptionell ziehen? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es eines Untersuchungsrahmens, der hier in zwei Stufen konzipiert wird. In einem ersten Schritt geht es darum, typische Merk-
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1 Einführung in das Themenfeld
male pädagogischer Institutionen zu erarbeiten, um einen strukturierten, diagnostischen Zugang auf dortige organisationale Geschehnisse zu erlangen. Dies ist insofern erforderlich, als durch die Möglichkeit, organisationale Merkmale beschreiben zu können, Veränderungen zwischen verschiedenen Erhebungszeiträumen erst feststellbar werden. Die organisationstheoretische Deutung der Veränderungen wird auf einer zweiten Ebene, auf der Interpretationsebene vollzogen. Die erarbeiteten Theorieüberlegungen werden hier herangezogen, um die zuvor beschriebenen Veränderungen in den Fallbeispielen interpretieren zu können.
Abbildung 1: Untersuchungsebenen
1.5
Aufbau der Arbeit
Da das Arbeitsthema theoretisch und empirisch noch wenig erschlossen ist, besteht die Herausforderung auch darin, auf vorhandene Theorieansätze zurückzugreifen. Die diskutierten Überlegungen beruhen vor allem auf betriebswirtschaftlichen und soziologischen organisationstheoretischen Ansätzen, welche zum Verständnis von pädagogischen Institutionen und deren Veränderungsprozesse geeignet scheinen. Die Suche nach Theoriebausteinen erfolgt bisweilen eklektisch, um Gemeinsamkeiten zwischen Einrichtungen zweier unterschiedlicher pädagogischer Teilbereiche (Schule und Jugendhilfe) und organisationsspezifischer Veränderungen herausarbeiten zu können. Insgesamt ist die vorliegende Arbeit entlang der Forschungsfragen strukturiert worden und folgt einer Dramaturgie vom Allgemeinen zum Besonderen.
Kapitel 2 In diesem anschließenden Kapitel werden einige begriffliche Grundlagen für das Verständnis pädagogischer Institutionen gelegt. Neben einer anfänglichen Skizze pädagogischer Institutionen wird auch ein Organisationsverständnis herauszuarbeiten versucht. Das resultiert aus der zugrunde gelegten Annahme, dass pädagogisches Handeln in pädagogischen Institutionen organisiert wird. Institution und Organisa-
1.5 Aufbau der Arbeit
21
tion werden dabei aber begrifflich nicht gleichgesetzt (vgl. auch MERKENS 2006). Die Erarbeitung eines Grundverständnisses pädagogischer Einrichtungen reicht aber weder aus, um Organisationen umfassend zu verstehen, noch um dortige Veränderungsprozesse analysieren zu können. Aufgrund dessen wird mit dem offenen Systemansatz ein Konzept genutzt und eingeführt, das Organisationen ganzheitlich betrachtet. Insbesondere wird darin ein Kontext zur Umwelt hergestellt, welcher aufgrund der Ausstattung mit Ressourcen für pädagogische Institutionen sehr wichtig ist. Im Verlauf der gedanklichen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten werden in diesem Kapitel die Dimensionen Ziele, Strukturen und Prozesse thematisiert.
Kapitel 3 Um möglichst typische Eigenschaften von pädagogischen Institutionen identifizieren zu können und diese gleichzeitig interdisziplinär nachvollziehbar darzustellen, ist die Beschränkung auf wenige Einrichtungstypen hilfreich. In diesem Kapitel wird dies anhand von freien Jugendhilfeträgern und Schulen versucht. Der offene Systemansatz bietet sich hierfür als diagnostische Grundlage an, um bestimmte Merkmale strukturiert zu erfassen. Neben der Bedeutung der Rahmenbedingungen wird u. a. die der Arbeitsprozesse für die Organisation pädagogischen Handelns herausgearbeitet.
Kapitel 4 Anschließend an die bisherigen grundlegenden Überlegungen werden in einem weiteren Schritt einige Veränderungen der Rahmenbedingungen erörtert, die pädagogische Institutionen mit einigen Herausforderungen konfrontieren, auf die sie reagieren müssen. Ausgehend von einem Ebenenmodell der Umwelt werden zunächst die globalen Veränderungen in der Umwelt dargestellt und dann die für die Einrichtungen Schule und freie Jugendhilfeträger unmittelbaren Herausforderungen skizziert. Damit geht eine Beschreibung der organisationalen Folgen einher. In pädagogischen Institutionen können sich dadurch Unsicherheiten über angemessene Handlungsweisen herausbilden. Klassischerweise wird im Ansatz der Organisationsentwicklung ein Konzept gesehen, das solche Unsicherheiten bearbeiten kann. Daran anknüpfend wird zunächst geprüft, inwieweit der praxisorientierte Ansatz der Organisationsentwicklung zum Verstehen von Veränderungsprozessen beitragen kann.
Kapitel 5 In diesem Kapitel wird versucht, einen Interpretationsrahmen zu erarbeiten, mit dem sich organisationale Veränderungsprozesse theoretisch fundieren lassen. Anknüpfend an die vorangegangene Hervorhebung des Lernaspektes werden in diesem (Haupt-) Kapitel die wichtigsten Elemente des Organisationslernens ausführlich erörtert. Es wird ein kognitiver Lernansatz verfolgt und dabei werden die Träger und die Auslöser des Organisationslernens sowie die Abläufe, möglichen Widerstände und förderlichen Faktoren thematisiert. Für den Versuch, die vielschichtigen Überlegungen zum Organisationslernen so weit wie möglich zu erfassen, wird eine viele Überle-
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1 Einführung in das Themenfeld
gungen integrierende Perspektive eingenommen. Im Kern wird die Vorstellung unterschiedlicher Lernstufen vertreten und diesbezüglich u. a. auf den Ansatz von ARGYRIS/SCHÖN (1996) rekurriert. Dieser weist aber an einer wichtigen Stelle eine Lücke auf, die in der Literatur oft unbeachtet bleibt. Deswegen wird eine Brücke zu neo-institutionalistischen Überlegungen geschlagen und überprüft, inwieweit dort kompensatorisches Wissen generiert werden kann.
Kapitel 6 Die erarbeiteten Theorieüberlegungen werden anhand drei verschiedener Evaluationsprojekte von pädagogischen Institutionen diskutiert. Es handelt sich um zwei freie Jugendhilfeträger und eine Oberschule, die jeweils einen Organisationsentwicklungsprozess durchführten, der evaluiert werden sollte. Alle drei Einrichtungen waren in Berlin ansässig. Zunächst sind dort jeweils die organisationalen Stärken und Schwächen (auf Basis des offenen Systemansatzes) analysiert und die daraus gewonnenen Erkenntnisse an die Einrichtungen rückgemeldet worden. Darin waren auch Empfehlungen für potenzielles Handeln enthalten. In einer zweiten Untersuchungsphase wurden die organisationalen Veränderungsprozesse bilanziert, die sich in der Zwischenzeit ergaben. Konzeptionell interessiert, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Organisationsentwicklungsprozessen erkennbar wurden, ob die angestellten theoretischen Überlegungen sich in den Veränderungen widerspiegeln und wie diese zu klassifizieren sind.
Kapitel 7 Aufgrund der empirischen Ergebnisse können Annahmen über die Möglichkeiten und Grenzen der kombinierten Theoriebildung erstellt werden. Es wird hierbei abschließend diskutiert, welche Eigenschaften Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen besitzen können und inwieweit sich dafür die angestellten theoretischen Überlegungen als tragfähig erweisen. Insgesamt ergeben sich aber aus den drei Fallbeispielen nicht nur theoretische Implikationen, sondern auch praktische, die zusätzlich erörtert werden.
2
Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Der organisationstheoretischen Untersuchung von Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen müssen mehrere thematische Begrenzungen vorausgehen. Dies erfordert zunächst, ein bestimmtes Begriffsverständnis von pädagogischen Institutionen zu erarbeiten. Am Anfang kann ein allgemeines Verständnis von pädagogischen Institutionen dargelegt werden. Danach ist eine Auswahl von pädagogischen Institutionen zu treffen, über die überhaupt diskutiert werden soll. Und in einem weiteren Schritt ist eine inhaltliche Spezifizierung und die Festlegung auf bestimmte organisationstheoretische Fragestellungen nötig; denn im Fall von Veränderungsprozessen in Organisationen liegt eine umfangreiche Literatur vor, die eine Begrenzung erfordert. Dieses Kapitel vollzieht den ersten Schritt. Es zielt auf eine begriffliche Bestimmung pädagogischer Institutionen ab. Um die Organisation pädagogischen Handelns in pädagogischen Institutionen erörtern zu können, liegt es nahe, ein Begriffsverständnis von Organisationen zu erarbeiten. Was sind typische Eigenschaften von pädagogischen Institutionen? Dass Schulen als solche definiert werden können, lässt sich vermuten. Aber was ist dann das Typische und lassen sich auch Betriebe, die ausbilden, als pädagogische Institutionen definieren? Welche organisatorischen Eigenschaften haben sie? Ist die Warteschlange vor einem Kassenschalter schon als Organisation zu erkennen? Diese und ähnliche Fragen werden im Folgenden diskutiert. In einer ersten allgemeinen Annäherung werden verschiedene Merkmale allgemein erörtert, um Grundlagen für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu schaffen. Es wird eine systematische Sichtweise erarbeitet und auf den Ansatz offener Systeme rekurriert, der ein Diagnoseschema für die Betrachtung organisationaler Dimensionen bieten kann. Dieses Schema soll die Strukturierung dieser Arbeit unterstützen.
2.1
Erste Begriffsbestimmung pädagogischer Institutionen
Die Beschäftigung mit organisationstheoretischen Überlegungen ist in der Pädagogik traditionell widersprüchlich verlaufen. Zwischen der Organisation pädagogischen Handelns und dem pädagogischen Anliegen der Erziehung wurde ein grundlegender Widerspruch gesehen (vgl. TERHART 1986; TIMMERMANN 2002). In allen Varianten des Organisierens werden Handlungen strukturiert und Freiheitsgrade immer ein Stück eingeschränkt. In der Pädagogik allerdings ist das prekär, da in pädagogischen Prozessen die Idee von Entwicklung angelegt ist, die gewisse Handlungsfreiheiten benötigt. In diesem Kontext weisen WEICK/WESTLEY (1996) darauf hin, dass Organisationen im Grunde zur Disziplinierung von Handlungen beitragen, während hingegen Lernen, als typisches Ziel von Bildungs- und Erziehungsprozessen, auf Entfaltung ausgerichtet sei. Auf der praktischen Ebene ist das erfahrbar, wenn z. B. der
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Unterricht in Schulen gewissen Organisationszwängen unterworfen ist und infolgedessen nur begrenzt auf aktuelle Bedarfe der Schülerschaft reagiert werden kann. In den Auseinandersetzungen mit organisationssoziologischen Themen wurde in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren dieses Missverhältnis anhand WEBERs Bürokratietheorie herausgearbeitet. Zwischen Erziehung und Verwaltung bzw. der Einzigartigkeit des Falles und den kollektiven Regeln wurden dabei Gegensätze sichtbar, die in der Rede von der administrativen „Verstörung der Schule“ (1966) besonderen Ausdruck fanden. In diesem Kontext wurde Macht als Thema, welche durch die Hierarchie festgeschrieben wird, sehr kritisch betrachtet. Das Spannungsverhältnis von Bildung und Erziehung kann aber nicht einfach aufgelöst werden, denn es sind organisatorische Rahmungen erforderlich, die dazu beitragen, Interaktionen nicht jedes Mal neu aushandeln zu müssen (vgl. KLAFKI 1977). In der Tat stellt eine rein funktionale (maschinenartige) Organisation mit einem hohen Formalisierungsgrad eine potenzielle Einengung pädagogischen Handelns dar. Da aber dieser Organisationstyp in reiner Form für die meisten pädagogischen Einrichtungen kaum Geltung hat, ist die Skizze starrer Gegensätzlichkeit nicht haltbar. Vor allem durch die Rezeption jüngerer angloamerikanischer Organisationstheorien eröffnete sich in der deutschen Erziehungswissenschaft eine andere Sichtweise auf das Verhältnis von Organisation und Pädagogik (vgl. z. B. TERHART 1986; HELSPER 2000; BÖTTCHER 2002; KUPER 2001; SCHÖNING 2001; SCHAEFERS 2002; BORMANN 2002; MERKENS 2006). Die organisatorische Rahmung pädagogischer Prozesse erfolgt in unterschiedlicher Gestalt. Schulen, Kinderhorte, Kindergärten, Heime, Jugendhilfeträger oder Behindertenwerkstätten, öffentliche Verwaltungen wie Jugendämter oder Schulaufsichtsbehörden sowie Weiterbildungsträger oder Altenpflegeeinrichtungen – sie alle gehören zum Alltag moderner Gesellschaften und werden alltagssprachlich als Institutionen bezeichnet. Sie verfolgen einerseits in irgendeiner Weise pädagogische Ziele und verfügen andererseits über typische Eigenschaften von Organisationen. Letztere verfolgen in einer grundsätzlichen Definition dauerhaft Ziele, sind arbeitsteilig strukturiert und von der Umwelt abgrenzbar (vgl. u. a. STAEHLE 1999; SCHREYÖGG 2003). Diese Merkmale werden an anderer Stelle vertieft. Hier soll zunächst der Rahmen pädagogischer Einrichtungen weiter abgesteckt und deren vielfältige Merkmale strukturiert werden. Durch Ausdifferenzierungsprozesse der aufkommenden neuzeitlichen Gesellschaften zerfiel die zuvor gültige Einheit der Familien- und Standeserziehung in unterschiedliche Teilfunktionen (KEMPER 1991: 293). Die Lebensläufe der Kinder ähnelten immer weniger denen ihrer Eltern und die komplexer werdenden Anforderungen an Wissenstransfers von einer Generation zur nächsten konnten immer weniger ausschließlich von den Familien wahrgenommen werden. Exemplarisch sei auf die Einführung der Schulpflicht verwiesen. In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Pädagogik spiegelt sich die Ausdifferenzierung disziplinär wider, z. B. in den Teilbereichen Kleinkind-, Schul-, und Sozialpädagogik oder Erwachsenenbildung. Erziehungsaufgaben wurden mit der Zeit von immer mehr und unterschiedlichen pädagogischen Institutionen wahrgenommen, woraus differenzierte Vorstellungen von den Aufgaben, Möglichkeiten und Zielen von Erziehung erwuchsen. Zwar wird auch
2.1 Erste Begriffsbestimmung pädagogischer Institutionen
25
heute noch der Großteil von Kenntnissen und Fertigkeiten sowie sozial erwünschter Handlungsmuster auf natürlichem Wege durch Ältere vermittelt, doch dies vollzieht sich nicht in systematischer Form (vgl. KEMPER 1991: 294). Die Systematik wird typischerweise von pädagogischen Institutionen erbracht. Eine allgemeine Theorie pädagogischer Institutionen ist aufgrund der Vielfalt an Einrichtungen und Angeboten allerdings nur schwer formulierbar (vgl. TIPPELT 2000). Das Spektrum an Zielen erstreckt sich u. a. auf die Vermittlung von allgemeiner und beruflicher Bildung oder auf die Behebung sozialer Notlagen, kultureller Defizite oder erzieherischer Mängel. TIPPELT (2000: 8) hat verschiedene Arbeitsfelder von pädagogischen Einrichtungen skizziert. Diese umfassen: • Kinder, Jugendliche, und Erwachsene als Adressaten von pädagogischer Arbeit, • Aspekte der Bildung und der Erziehung, des Lernens und der Hilfe und • in nicht unerheblichem Maße pädagogisch ausgebildetes Personal.
2.1.1 Organisation des Verhältnisses zu den Adressaten Auf Basis dieser begrifflichen Annäherung lassen sich unterschiedliche Aufgaben für pädagogische Institutionen ableiten. Eine Aufgabe ist, das Verhältnis zu den Adressaten zu organisieren. In pädagogischen Institutionen soll mit Kindern und Jugendlichen ein pädagogisches Verhältnis hergestellt werden, das Erziehung und/oder Bildung umfassen kann. Pädagogen verfügen durch Lebenserfahrung und Qualifikationen über ein Wissensportfolio, welches sie an die Kinder und Jugendlichen vermitteln können. Für Erwachsene gilt dies mit Einschränkung, da sie zwar auf ein bestimmtes Lernziel hin unterrichtet werden können, jedoch deren Persönlichkeit insoweit gefestigt ist, dass der Begriff Erziehung hier nicht mehr angemessen scheint. Für die Bereiche Erwachsenenbildung oder berufliche Weiterbildung ist vielmehr das Prinzip der Selbsterziehung gültig (vgl. MERKENS 2006). KADE (1993) spricht diesbezüglich von einem Aneignungsverhältnis. Zudem müssen unterschiedliche Adressatengrößen berücksichtigt werden, die verschiedene Organisationsstrukturen erfordern. Eine Schule wird in der Regel mehr Schüler zu betreuen haben als freie Jugendhilfeträger Klienten oder Weiterbildungsträger Kunden. Die Umwelten von pädagogischen Institutionen unterscheiden sich erheblich. Schulen, Kindergärten oder sozialpädagogische Einrichtungen sind üblicherweise größeren administrativen Regelungen (z. B. Festlegung der Anzahl der Unterrichts- oder Betreuungsstunden, Überwachung der Einhaltung der Leistungsangebote, Standardisierung von Qualitätskriterien usw.) unterworfen als Weiterbildungsträger, die z. B. ihre Dienstleistungen marktorientierter und flexibler konzipieren können bzw. müssen. Die Finanzierung und Kontrolle vieler pädagogischer Institutionen wird über Verwaltungsorganisationen zu decken versucht. Weil diese die Voraussetzungen für pädagogisches Handeln in anderen Einrichtungen schaffen, können im weiten Sinne z. B. auch Jugendämter oder Schulverwaltungen als pädagogische Institutionen bezeichnet werden. Aus alldem lässt sich festhalten, dass das Spektrum an pädagogischen Institutionen sehr breit ist und nur fallspezifisch betrachtet werden kann.
26
2.1.2
2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Grundfigur des pädagogischen Handelns
Mit den von TIPPELT genannten Aspekten Lernen und Helfen werden zwei weitere Grundbegriffe neben Bildung und Erziehung eingeführt. Hilfe ist im Grunde allen pädagogischen Prozessen inhärent – in den Termini Jugend- und Altenhilfe wird sie sogar semantisch berücksichtigt. Eine Hilfe kann schließlich auch die Beratung sein. Viele pädagogische Institutionen beraten und sind z. B. tätig in Bereichen der Drogen-, in der Erziehungs-, in der Berufs-, in der Schuldner-, in der Unternehmensoder in der Personalberatung. Beratung umfasst auch die Bereiche Coaching oder Supervision. Mit dem Begriff des Lehr-Lern-Verhältnisses wird eine Größe in das Aufgabenspektrum eingeführt, die nach MERKENS (2006) als Grundfigur von pädagogischem Handeln gelten kann und vor allem auf „Unterrichten“ und „Erziehen“ bezogen ist. Lehr-Lern-Verhältnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Selbstlernen bzw. Lernen wahrscheinlicher machen (vgl. ebd.: 63). Im Grunde lassen sich darunter auch pädagogische Grundbegriffe wie Bildung, Hilfe oder Beratung subsummieren, weil sie Lernprozesse implizieren. Pädagogisches Handeln dient in diesem Sinne generell der „Förderung von Lernprozessen, indem es versucht, diese zu initiieren, zu ermöglichen und zu steuern“ (FUHR 1994: 587). Lernen ist demnach im Zusammenhang mit Lehren anzutreffen, so dass sich daraus ein Lehr-Lern-Verhältnis konfigurieren lässt. Gleichwohl können Lehr-Lern-Verhältnisse durch unterschiedliche Intensitätsgrade gekennzeichnet sein, was von den Adressaten abhängig ist. In Schulen ist das Verhältnis intensiver ausgeprägt als in Seminaren zur beruflichen Weiterbildung. Neuere Überlegungen zum selbstgesteuerten Lernen legen nahe, ein Lehr-Lern-Verhältnis infrage zu stellen und die Lehre als Beiwerk zu betrachten. Doch selbst dort müssen organisatorische Rahmungen gesetzt sein, die Prozesse der Selbststeuerung fördern oder begünstigen. Zum Kern von Lehr-Lern-Arrangements gehören didaktische Ziele, d. h. aus den Zielen werden Strategien bzw. spezifische Angebote abgeleitet, die eine Entwicklung des Zu-Erziehenden, Klienten, Auszubildenden, Kunden usw. in eine definierte Richtung eröffnen (vgl. MERKENS 2006). Dabei wird ein wichtiger Aspekt pädagogischer Prozesse berührt: Die Wahrscheinlichkeit, bestimmte pädagogische Prozesse in Gang zu setzen, bedeutet nicht, zwangsläufig bestimmte Ziele zu erreichen. Zwischen pädagogischem Handeln und dessen Wirkungen besteht nach LUHMANN/SCHORR (1979) kein Kausalverhältnis. Die Effekte pädagogischen Handelns sind demnach nicht rational anzusteuern und der Einsatz von zielgerichteten Methoden immer mit Unsicherheit bezüglich der realen Wirkung verbunden. Anders als in manchen organisationstheoretischen Ansätzen wie dem Situativen Ansatz (auch als Kontingenztheorie bekannt), in der u. a. Technologie als unabhängige Variable gesehen wird, welche die Strukturbildung beeinflusst, kommt der Technologie in pädagogischen Institutionen keine besondere Bedeutung zu (vgl. ebd.; KUPER 2004).
2.1.3 Hoher Anteil an pädagogisch ausgebildetem Personal Das dritte Kriterium pädagogischer Institutionen in der Aufstellung TIPPELTs hebt den hohen Anteil pädagogisch ausgebildeten Personals hervor, der gewöhnlich dort
2.1 Erste Begriffsbestimmung pädagogischer Institutionen
27
anzutreffen ist. Diese Feststellung bezieht sich auf die Fachkräfte als Mitglieder von Organisationen. Die Möglichkeit, dass auch Schüler oder Klienten zum Mitgliederkreis von pädagogischen Institutionen gehören können, wird hierbei ausgeblendet. In vielen pädagogischen Institutionen müssen die beschäftigten Fachkräfte fast ausnahmslos über pädagogische Qualifikationen verfügen. In der Berliner Jugendhilfe wird beispielsweise der Personenkreis derer, die über keine angemessenen Qualifikationen verfügen, in den letzten Jahren durch Standardisierungsverfahren verdrängt. Des Weiteren müssen Lehrkräfte in Schulen ein pädagogisches Hochschulstudium absolviert haben, Dozenten von Weiterbildungskursen oft über pädagogische Zusatzqualifikationen verfügen, Ausbilder in Betrieben ebenfalls pädagogische Qualifikationen nachweisen und schließlich gehört in Kindertagesstätten eine erzieherische Ausbildung zum Standard. Diese Aufzählung ließe sich weiter verlängern, an dieser Stelle soll sie jedoch nur verdeutlichen, dass es in pädagogischen Institutionen bisher kaum Durchlässigkeiten für berufliche Quereinsteiger gibt, wenngleich gegenteilige Tendenzen zu beobachten sind, die aber eher Ausnahmen darstellen. In Berlin ist z. B. der Quereinstieg in den Lehrerberuf erleichtert worden, um einen Mangel an Lehrkräften im Bedarfsfall ausgleichen zu können (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006b). Mit den Qualifikationskriterien gehen Erwartungen an die Professionalität der Fachkräfte einher. Durch angemessenes und professionelles Handeln sollen günstige Lerngelegenheiten geschaffen werden. Inwieweit dieser Anspruch erfüllt wird, soll hier aber nicht weiter verfolgt werden.
2.1.4 Zusammenfassende Begriffsbestimmung Aus den Erörterungen wird zwar ein Rahmen für die inhaltliche Bestimmung von pädagogischen Prozessen erkennbar, es bleibt jedoch offen, wie weit die Definition reicht, um pädagogische Institutionen zu identifizieren. Pädagogisches Handeln im Sinne eines zielgerichteten Lehr-Lern-Verhältnisses ist z. B. auch in Betrieben anzutreffen, und zwar auch in denen, die nicht ausbilden. Denn Manager aller Organisationen können prinzipiell als Mentoren auftreten und Führungsnachwuchs quasi in einem pädagogischen Prozess heranziehen, obwohl dies explizit nicht als Pädagogik interpretiert werden dürfte. Es erscheint ratsam, das Spektrum pädagogischer Institutionen wie folgt zu ordnen und zu unterscheiden: • Institutionen, die überwiegend pädagogische Fachkräfte beschäftigen und operativ pädagogisch tätig sind. • Institutionen, die überwiegend pädagogische Fachkräfte beschäftigen und pädagogisches Handeln von anderen Organisationen ermöglichen. Institutionen, die auch ausbilden. • Institutionen, die nicht ausbilden, in denen aber stellenweise pädagogisches Handeln emergiert. Diese Arbeit wird sich im Folgenden auf die erste Kategorie beschränken. Gegenstand sind Einrichtungen, in denen überwiegend pädagogische Fachkräfte arbeiten und die zugleich operativ pädagogisch tätig sind.
28
2.2
2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Die Relevanz eines institutionellen Organisationsverständnisses
In einem weiteren Schritt lässt sich fragen, wie in pädagogischen Institutionen pädagogisches Handeln organisiert wird. Infolgedessen sind die Merkmale des Organisierens bzw. von Organisationen herauszuarbeiten. Organisationen sind ein konstitutives Element moderner Gesellschaften. Ohne die Vielzahl an Organisationen sind Gesellschaften heute nicht denkbar, es kann zugespitzt gar von Organisationsgesellschaften gesprochen werden (vgl. SCOTT 1986; MINTZBERG 1989; PERROW 1989). Menschen haben tagtäglich mit Organisationen zu tun, beispielsweise als Kunden eines Unternehmens oder aber auch als Mitarbeiter eines Betriebes, als Mitglieder eines Vereins oder einer Religionsgemeinschaft, als Lehrer bzw. Schüler oder als Bezieher von Jugendhilfemaßnahmen usw. Angesichts der weitreichenden Verankerung von Organisationen in der Gesellschaft bleiben diese in Zeiten starker gesellschaftlicher Veränderungen von Wandelprozessen nicht unberührt. Doch was heißt Organisation? Für die Untersuchung des Wandels von Organisationen ist die begriffliche Bestimmung von Organisation unerlässlich, um Bezugsgrößen für den Wandel identifizieren zu können. Dazu wird im Folgenden besonders auf betriebswirtschaftliche und soziologische Literatur rekurriert, in der diese Aspekte – anders als bisher in der Pädagogik – klassischerweise thematisiert werden. In der einschlägigen Literatur hat es sich weitgehend durchgesetzt, Organisationen, im Rahmen eines institutionellen Organisationsverständnisses, als soziale Gebilde zu betrachten (vgl. MAYNTZ 1963; SCHREYÖGG 2003; TIMMERMANN/STRIKKER 2004). Diese Sichtweise impliziert zum einen die Einbettung der Organisation in die Umwelt, und damit die Konfrontation mit Umwelterwartungen, und zum anderen eine Relativierung einer strikt rationalen Planbarkeitsannahme. Mit dieser gerade für die Organisationssoziologie typischen Perspektive kann eine ganzheitlichere Sichtweise eingenommen werden, die auch über die formale Ordnung hinausgehend ungeplante Prozesse, soziale Strukturen in Organisationen, Dysfunktionalitäten, Widersprüche oder Veränderungen z. B. in Bezug auf Ziele oder Strukturen usw. zu erfassen vermag. Entsprechende Konventionen, Werte oder Gepflogenheiten spiegeln sich letztlich mehr oder weniger auch in der Gestaltung der Organisationen und in dortigen Handlungsmustern wider. Regelmäßig werden in diesem Kontext drei grundsätzliche Eigenschaften von Organisationen genannt (vgl. BEA/GÖBEL 2002; MAYNTZ 1963; SCHREYÖGG 2003): • So wird darauf hingewiesen, dass Organisationen auf bestimmte Ziele ausgerichtet sind. Dies muss nicht nur ein einziges Ziel sein, sondern es kann mehreren Zielen nachgegangen werden, die nicht unbedingt konsistent zueinander stehen müssen. Auch können Organisationsmitglieder eigene Ziele bzw. Zwecke2 verfolgen, welche nicht notwendigerweise mit den Organisationszielen übereinstimmen müssen. 2
In Anlehnung an MAYNTZ (1963: 58) werden beide Begriffe synonym verwendet, weil eine Differenzierung an dieser Stelle keinen weiteren Erkenntnisgewinn für diese Arbeit bedeuten würde.
2.2 Die Relevanz eines institutionellen Organisationsverständnisses
29
Wichtig ist jedoch, dass Organisationsziele erkennbar sind, die in den jeweiligen Organisationen mehrheitlich akzeptiert und von ihnen dauerhaft verfolgt werden. Ziele können in diesem Sinne verhaltenssteuernd wirken. • Um die gestellten Ziele möglichst effizient zu erreichen und Komplexität zu reduzieren, wird versucht, das Handeln weitgehend bewusst zu planen und zu ordnen. In der Formalstruktur wird in diesem Kontext ein Instrument der Arbeitsteilung gesehen. Dadurch können Erwartungen an die Handlungen formuliert werden, die für die Organisationsmitglieder die Einnahme von Rollen ermöglichen. Das erfolgt u. a. über Regeln und Formen der Spezialisierung, Koordination sowie Delegation, wodurch letztendlich Handlungsrepertoires eingegrenzt werden. Nicht alle Regeln sind jedoch bewusst planbar, sie können auch spontan während des Arbeitsprozesses entstehen oder durch Professionen (z. B. Regeln einer Berufsgruppe) bedingt sein. Ebenso ist es möglich, dass sie durch die Interaktion mit der Umwelt in die Organisation einfließen. Letztendlich können die Handlungsmuster sowohl durch formale als auch durch informale Regeln konstituiert sein. Durch informale Strukturen sind Vertrauen und Verständigung unkompliziert herstellbar, die in Relation zur formalen Struktur eine kompensatorische Funktion erfüllen können. In dieser Lesart sind formale und informale Struktur nicht als Gegensätze zu betrachten, sondern als komplementär zu begrüßen. Die Bedeutung des Institutionellen wird besonders in der Herstellung normierter und erwartbarer Handlungsabläufe identifizierbar. • Des Weiteren wird angenommen, Organisationen ließen sich von ihrer Umwelt abgrenzen. Der Status der Mitgliedschaft wird dabei als wichtiges Merkmal hervorgehoben. Die Mitglieder von Organisationen können zum Erreichen der Ziele beitragen und sollen die Verhaltenserwartungen erfüllen. Über die Definition von Mitgliedschaft bzw. Zugehörigkeit können demzufolge Differenzen zwischen organisationaler Innen- und Außenwelt wahrgenommen werden. In diesem Sinne ist ein Teil der Aufmerksamkeit in Organisationen in Richtung Umwelt gelenkt, um dortige Entwicklungen zu reflektieren und entsprechend reagieren zu können. Auf ähnliche Weise hat STAEHLE (1999: 415f.) Organisationen zusammenfassend definiert.3 Sie sind demnach: • • • •
aus Individuen und Gruppen zusammengesetzt, bestrebt, bestimmte Ziele oder Zwecke zu erreichen, funktional differenziert und möglichst rational koordiniert sowie auf Dauer angelegt.
Die Erwähnung rationaler Koordination muss dabei nicht als Widerspruch zu informalen Geschehnissen in Organisationen verstanden werden, die sich häufig rationaler Planbarkeit entziehen. Organisationen müssen nicht rein nach rationalen Gesichtspunkten gestaltet und das Handeln rational bestimmt sein, sondern vielmehr wird rationale Koordination als „Leitbild oder Richtungsweiser“ (MAYNTZ 1963: 19) 3
In Anlehnung an PORTER/LAWLER/HACKMAN (1975: 69), die eine Literaturanalyse durchgeführt haben.
30
2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
beansprucht. Diese Denkweise kalkuliert, im Gegenteil, mit Abweichungen und eröffnet ein komplexes Verständnis von Organisationen, welches für deren Erforschung sinnvoll ist. Diese Definition STAEHLEs könnte jedoch um den expliziten Hinweis auf die Bedeutung der Umwelt erweitert werden. Die Interaktion mit der Umwelt ist für ein institutionelles Organisationsverständnis bedeutsam, weil die Gestaltung von Organisationen auf der Berücksichtigung von Umweltzuständen beruhen kann. Hier kann ein Funktionszusammenhang angenommen werden. Das gilt gerade im Hinblick auf den ausgeprägten Umweltbezug von pädagogischen Institutionen, der im Verlauf dieser Arbeit noch genauer erörtert wird.
2.3
Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
Die drei näher erörterten allgemeinen Merkmale des institutionellen Organisationsbegriffs (vgl. S. 18f.) reichen aus, um Organisationen grundsätzlich zu bestimmen. So kann mit diesen Merkmalen z. B. ein Unternehmen als Organisation, eine Warteschlange in einem Supermarkt hingegen als Nicht-Organisation klassifiziert werden (keine gemeinsamen und dauerhaften Ziele, keine geregelte Arbeitsteilung). Für die weitere Analyse von Organisationen sollte jedoch der Blickwinkel auf diese vergrößert werden, um Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen umfassender und strukturierter verstehen zu können. Ausgehend von einem institutionellen Organisationsverständnis können Veränderungen in der Außenwelt bzw. Umwelt für die Organisationen von Bedeutung sein. Organisationen sind in diesem Kontext als Teile einer Umwelt bzw. Teilsysteme „eines sie umfassenden sozialen Systems“ (MAYNTZ 1963: 45) zu betrachten. So gesehen befinden sie sich in einer Austauschbeziehung mit der Umwelt. Folgerichtig wird unterstellt, dass Organisationen zur Umwelt offen sind und über die Fähigkeit verfügen, sich ändernden Umweltzuständen anzupassen (vgl. ebd. 45f.). Wenn Umweltbedingungen sich verändern, kommt es in dieser offenen Systembetrachtung darauf an, wie Organisationen diese wahrnehmen und sich an die neuen Umstände anpassen bzw. wie sie intern reagieren und welche Maßnahmen sie ergreifen. Mit der Systemoffenheit wird eine sortierende Aussage über das Verhältnis von Organisationen zu ihren Umwelten getroffen, welches für viele pädagogische Institutionen bestimmend ist. Die Anpassungen können je nach Organisation sehr unterschiedlich ausfallen und setzen neben der Fähigkeit, Umweltentwicklungen zu beobachten und zu deuten, die internen „Fähigkeiten des Lernens und der Erneuerung“ (ebd.: 46) voraus. Ähnlich argumentiert SCHREYÖGG (2003), für den zwischen Organisation und Umwelt eher ein interaktionales Verhältnis besteht. Zwar ist es danach leicht vorstellbar, dass Organisationen starken Umwelteinflüssen ausgesetzt sein können, aber auch dann ist es möglich, wenigstens in begrenztem Maße gestaltend auf die Umwelt einzuwirken (vgl. SCOTT 1986: 160). In dieser Interpretation des Verhältnisses zwischen Organisation und Umwelt können pädagogische Institutionen Einfluss auf ihre Umwelt nehmen, indem sie sich z. B. gegenüber konkurrierenden Einrichtungen zu profilieren versuchen. Die Theoriebildung zur Betrachtung von Organisationen als offene Systeme zeichnete sich durch eine große Heterogenität aus (vgl. WOLLNIK 1978). Zusammengefasst
2.3 Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
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können folgende Theoriestränge im Rahmen des offenen Systemdenkens gezählt werden (vgl. ebd. 1978; SCOTT 1986; SCHREYÖGG 2003): • Kybernetische Ansätze, die das Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt eher als mechanistisch betrachten (z. B. in Analogie zu einem Thermostat). • Kontingenztheoretische (Situative) Ansätze, welche u. a. bestimmte strukturelle Anpassungen an diverse Umweltentwicklungen hervorheben. • Ressourcenabhängigkeitsmodelle, welche die Handlungsmöglichkeiten von Organisationen skizzieren, selbst wenn sie sehr stark von der Umwelt abhängig sind. • Struktur-funktionalistische Ansätze, die u. a. die Notwendigkeit zur Anpassung an Umweltbedingungen hervorheben. • Sozio-technische Ansätze, in denen die Optimierung technischer und sozialer Subsysteme wichtig für das Überleben in der Umwelt sind. • Interorganisationale Ansätze, welche Kooperationen mit anderen Akteuren im Rahmen von Netzwerken hervorheben. In den aufgezählten Systembetrachtungen werden Organisationen insofern als offen konzipiert, als sie interne Reaktionen auf bestimmte Umweltereignisse hervorrufen. Das impliziert zumindest die Anerkennung einer Bindung zur Umwelt. Organisationen werden dadurch mit den Elementen verknüpft, die sie umgeben. Historisch betrachtet hat der Ansatz offener Systeme in der Organisationstheorie die „Türen und Fenster“ (SCOTT 1986: 172) geöffnet und zu einem umfassenderen Begriffsverständnis geführt. “The organization has to find an obtain needed resources, interpret and act on environmental changes, dispose of outputs, and control and coordinate internal activities in the face of environmental disturbances an uncertainty” (Daft 1992: 9).
Der interne Leistungsvollzug stellt im Grunde den wichtigeren Aspekt des offenen Systemansatzes dar; denn obwohl der explizite Bezug zur Umwelt unterlässlich ist, werden überwiegend interne Strukturen, Prozesse oder Ziele der Organisationen analysiert (vgl. BERGER/BERNHARD-MEHLICH 2002: 163). Daraus lässt sich ein Schema ableiten, das für die Untersuchung von Organisationen relevant sein kann, wie es in der folgenden Abbildung präsentiert wird. Der Versuch, verschiedene Systemelemente strukturiert zu erfassen und hervorzuheben, die für ein umfassendes Verständnis von Organisationen von Bedeutung sind, begründet wenigstens teilweise die Attraktivität des offenen Systemansatzes für die Erforschung von Organisationen (vgl. WOLLNIK 1978: 80; HARRISON/SHIROM 1998). Durch den Bezug zur Umwelt bei gleichzeitiger Berücksichtigung interner organisationaler Elemente wird nicht nur eine Analogie zum propagierten institutionellen Organisationsverständnis hergestellt, sondern auch eine Option zur praxisnahen Analyse pädagogischer Institutionen eröffnet. Bei diesen besteht in der Regel eine strukturell bedingte Offenheit gegenüber der Umwelt bzw. der einzelnen Umweltfaktoren, die zwar bestimmte Reaktionsweisen erfordert, welche allerdings je nach Einrichtung variieren kann. Mit dieser Annahme geht die Anerkennung gewisser Spielräume bzw. (pro-)aktiver Gestaltungspotenziale von Organisationen einher. Im Folgenden werden die einzelnen Organisationsdimensionen näher betrachtet und verschiedene
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Abbildung 2: Dimensionen des offenen Systemansatzes4
organisationstheoretische Überlegungen zusammengetragen, die später zum besseren Verständnis von pädagogischen Institutionen beitragen können.
2.3.1 Annäherung an eine Umweltdefinition Im Kontext eines institutionellen Organisationsverständnisses als auch eines offenen Systemdenkens ist es erforderlich, Dinge zu identifizieren, die sich innerhalb und außerhalb der Organisation befinden (vgl. DAFT 1992: 8). Dadurch wird erst ein übergeordnetes Bezugssystem organisationaler Aktivitäten hergestellt. Konkret ist das von Bedeutung, weil deshalb erstens in der Umwelt Produkte oder Dienstleistungen der Organisationen abgesetzt und zweitens Rahmenbedingungen für organisationales Handeln gesetzt werden können (vgl. STAEHLE 1999: 624). “[...] an Organization can be tightly interconnected with elements in the external environment, but the organization must maintain itself as an entity distinct from the environment” (DAFT 1992: 8).
Wie erwähnt, kann aus der Zuschreibung von Mitgliedschaft auch die Definition von Nicht-Mitgliedschaft erfolgen, d. h. die Definition von Umwelt ließe sich aus einer Statuierung von Nicht-Mitgliedschaft ableiten. Forschungspraktisch ist das mit einigen Schwierigkeiten verbunden. SCOTT (1986: 241) hat festgestellt, die Grenzziehung zwischen Organisation und Umwelt sei in gewisser Weise willkürlich. Die 4
In Anlehnung an HARRISON (1994: 29).
2.3 Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
33
Festlegung des Status Mitgliedschaft erscheint oft relativ, weil die Interaktion zwischen Organisation und Umwelt Grenzen verschwimmen lassen kann. Die Bestimmung rein über ein arbeitsrechtliches Verhältnis kann dem Ansinnen einer Grenzziehung unter Umständen nicht vollständig gerecht werden, weil z. B. auch Kunden oder Lieferanten Einfluss auf organisationale Entscheidungen nehmen können. Mit der Inklusion von Kunden oder Lieferanten würde dagegen der Umfang einer Organisation erheblich anwachsen, so dass sie einer Analyse kaum mehr zugänglich wäre. In einer Schule können etwa die Schüler sowohl als Mitglieder als auch als Nicht-Mitglieder betrachtet werden. Im engeren Sinne gehören die Lehrkräfte zur Organisation Schule, weil sie dort langfristig beschäftigt sind und angenommen werden kann, dass sie an der Erarbeitung von dauerhaften Zielen ein direkteres Interesse als die Schüler haben. Werden wiederum generell Entscheidungsprozesse in Schulen betrachtet, dann sind die Schüler oder auch Eltern als beteiligte Mitglieder zu berücksichtigen. Sind jedoch organisationsklimatische Aspekte des Kollegiums Gegenstand analytischer Erörterungen, so ist es nicht erforderlich, den Mitgliederkreis über das Lehrerkollegium hinaus auszudehnen. Die Grenzziehung von Umwelt und Organisation ist folglich pauschal nicht zu beantworten und hängt von dem Erkenntnisinteresse und der Fragestellung ab. Organisationen haben im ontologischen Sinne keine natürlichen Grenzen (vgl. SCHREYÖGG 2003: 304). Die Wahrnehmung von Differenzen ist eher situationsabhängig. Das hängt wiederum in hohem Maße von der Perspektive des Beobachters bzw. vom theoretischen Standpunkt des Organisationsforschers ab. SCHREYÖGG (2003) plädiert dafür, Handlungen als zentrale Größe von Organisationen zu betrachten. In Anlehnung an die früheren Arbeiten von LUHMANN (1964: 26) können Verhaltenserwartungen als Größe betrachtet werden, die letztlich das Handlungssystem ordnen und indirekt eine Organisation von der Umwelt differenzieren können. Das kann zwar nahe an eine Definition über arbeitsrechtliche Regeln heranführen, die ebendiese Verhaltenserwartungen formal festlegen, aber dennoch eine situative Offenheit gegenüber weiteren, fallbedingt relevanten, Kriterien bewahren. Um auf Umweltentwicklungen reagieren zu können, müssen Organisationen Beobachtungssysteme in Richtung Umwelt aufbauen. Das kann auf sehr komplexe Weise über unzählige, schwer zu beobachtende Kanäle (z. B. Datenbanken, Seminare, Sitzungen, Gespräche, Zeitschriften, Messen usw.) erfolgen. Das soll im Einzelnen hier nicht verfolgt werden. Ebenso kann die Analyse möglicher Einflusskräfte in der Umwelt ohne eine Strukturierung zu einer kaum überschaubaren Flut an Informationen führen. Eine Option der Strukturierung stellt hierbei die Differenzierung zwischen Umweltfaktoren, die direkt mit der Organisation interagieren, und solchen, die eher in einem indirekten Verhältnis zur jeweils untersuchten Organisation stehen. Diese Ebenendifferenzen werden gängigerweise als allgemeine und als AufgabenUmwelt bezeichnet (vgl. z. B. DAFT 1992; STAEHLE 1999; SCHREYÖGG 2003; STEINMANN/SCHREYÖGG 2005).5 5
STEINMANN/SCHREYÖGG bezeichnen die Aufgabenumwelt als Wettbewerbsumwelt. Dieser Begriff trifft aber für pädagogische Institutionen nur bedingt zu, weil die Voraussetzungen und Konsequenzen des Wettbewerbs andere sind.
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Die allgemeine (oder globale) Umwelt ist demzufolge zusammengesetzt aus makroökonomischer, technologischer, politisch-rechtlicher, soziokultureller und natürlicher Umwelt. Darunter lassen sich vielfältige Entwicklungsprozesse in der Umwelt zuordnen, die prinzipiell alle Organisationen in irgendeiner Weise betreffen können, z. B. ökonomische Entwicklungen, technologische Entwicklungen – wie die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie –, Veränderungen in der Gesetzgebung, gesellschaftlicher Wertewandel, demografische Entwicklungen oder Veränderungen in der Quantität der zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen.
Globale Umwelt Aufgabenumwelt
Organisation
Abbildung 3: Umweltdiagramm nach SCHREYÖGG6
Aufgrund des direkten Bezugs ist die Aufgabenumwelt von besonderer Bedeutung für Organisationen. Im Unterschied zur globalen Umwelt richtet sich das Interesse hier auf sektorale Gegebenheiten, wie z. B. auf ein Geschäftsfeld, eine Branche bzw. auf einen pädagogischen Bereich. Dazu gehören alle Faktoren, die für die Erstellung der Produkte oder Dienstleistungen unmittelbar wichtig und zu berücksichtigen sind. Nach PORTER (1988) sind hierzu die direkten Konkurrenten zu zählen, die Markteintrittsbarrieren für potenzielle Neuanbieter, Substitutionsprodukte, Kunden, Lieferanten oder der staatliche Einfluss auf die Wettbewerbssituation in einer Branche. Auf pädagogische Institutionen übertragen können das z. B. Jugendämter, Schulaufsichtsbehörden, konkurrierende Anbieter usw. sein.
2.3.2 Anmerkungen zur Zielbestimmung Ohne bestimmte Ziele oder Zwecke werden Organisationen nicht gegründet. Ziele, egal ob bewusste oder unbewusste, verleihen dem Handeln eine Richtung. In diesem 6
Vgl. ebd. (2003: 315).
2.3 Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
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Kontext ähneln Ziele den Normen, denn auch Normen stellen eine „Richtschnur des Handelns“ (STAEHLE 1999: 277) dar. Die Wirkungen von Zielstellungen können sich im Kontext des offenen Systemansatzes auf die gesamte Organisation erstrecken. So können der Input, die Strategien, die Strukturen, die Handlungen, das Verhältnis zur Umwelt oder die Bestimmung des Outputs von der Formulierung von Zielen betroffen sein. Hinter dem Terminus Organisationsziel verbergen sich viele und komplexe Facetten. Er ist daher schwer zu erfassen und bereitet in der Organisationsforschung einige Schwierigkeiten (vgl. SCOTT 1986). Nach STAEHLE (1999: 438)7 zählt zu den Funktionen von Organisationszielen: • Die Rechtfertigung von Handlungen gegenüber Dritten, • die Informationsversorgung von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern über den Zweck der Anstrengungen, • die Handlungsanleitung für Mitglieder und • die Bemessungsgrundlage für Leistungsbeurteilungen. Der Aspekt der Leistungsbeurteilung ist u. a. für die Mitarbeiterbeurteilung oder die Evaluation von Organisationen von Bedeutung. Anhand von zuvor gesetzten Zielen lassen sich Veränderungen überhaupt erst bemessen. Des Weiteren werden in dieser Aufzählung die Funktionen als Stifter von Legitimität, von Motivation, von Entscheidungsfindungen und von Kognition (im Sinne des Erkennens einer Richtung) gestreift, die gleichermaßen bei der Analyse von Organisationszielen berücksichtigt werden können (vgl. SCOTT 1986: 348 f.). In dieser Hinsicht können sich pädagogische Institutionen beispielsweise extern evaluieren lassen, um Informationen über mögliche Effektivitätssteigerungen zu gewinnen, die sie für Veränderungsprozesse nutzen und intern kommunizieren können. Eine Evaluierung kann aber auch aus Gründen der Legitimitätsgewinnung erfolgen, um die Erkenntnisse weniger zur Steigerung interner Effektivität, sondern überwiegend als Präsentation nach außen zu nutzen. Hinsichtlich der Motivationsfunktion verweisen KIESER/HEGELE/KLIMMER (1998) auf die Bedeutung hin, eine Entwicklungsperspektive für die Organisation zu entfalten und diese zu kommunizieren, um organisationalen Wandel zu unterstützen. Diese sollte aber nicht zu eng gefasst sein und ausreichend Interpretationsspielräume für die Mitglieder zulassen. Es kommt darauf an, einen Denkrahmen zu schaffen, in dem sich eine größere Anzahl von Problemen und Situationen einordnen und lösen lassen. Eine Schwierigkeit in der Bestimmung von Zielen ist die Existenz sowohl von Individual- als auch von Organisationszielen. Individualziele können von jedem Organisationsmitglied verfolgt werden. Diese können auch ersatzweise durch Gruppen oder Verbände repräsentiert werden. Artikulieren Organisationsteilnehmer Ziele als Forderungen an die Organisationsleitung, so werden sie zu Zielen für die Organisation. Diese wiederum müssen nicht unbedingt präzise mit den Individualzielen übereinstimmen, sind aber im Rahmen von gemeinsamen Aushandlungsprozessen wichtig, weil in der Regel nur durch das Ringen um individuelle Ziele kollektive Organisationsziele gefunden werden können. 7
In Anlehnung an PORTER/LAWLER/HACKMAN (1975: 78f.).
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Des Weiteren können Organisationen selbst mehrere Ziele verfolgen, wodurch es zu Zielkonflikten kommen kann. Angesichts einer allgemein gesteigerten Komplexität in der Umwelt von Organisationen, d. h. auch von pädagogischen Institutionen, sind Zielkonflikte bezogen auf die Interpretation der Umwelt und das angemessene Handeln zu erwarten. Infolgedessen können erneute Aushandlungsprozesse erforderlich werden, um die Ziele unterschiedlich zu gewichten. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, Ziele unklar zu formulieren. Zielunklarheiten vermeiden nicht nur Zielkonflikte, sondern können helfen, insbesondere bei komplexen und/oder innovativen Entscheidungsproblemen, Aktionsspielräume zu schaffen (vgl. STAEHLE 1999: 441ff.). Sehr präzise gestellte Ziele können diesbezüglich das Handeln unangemessen einschränken. COHEN/MARCH/OLSEN (1972) gehen noch weiter; für sie sind unklare Ziele nicht nur in besonderen Situationen zu erwarten, sondern können kennzeichnend für Organisationen sein, weil Entscheidungsprozesse häufig mit einer Komplexität konfrontiert sind, welche nicht kontrollierbar ist. Ferner besteht in der Bestimmung von Zielen eine weitere Schwierigkeit: Offizielle Ziele müssen realiter nicht verfolgt werden. PERROW (1961) stellt offiziellen Zielen operative gegenüber – und das stellt eine weitere Herausforderung in der Untersuchung von Organisationszielen dar. Offizielle Ziele sind postulierte und für Außenstehende erkennbare Ziele, z. B. sind Leitbilder typische offizielle Ziele. Operative Ziele sind dagegen die Ziele, die von den Organisationsmitgliedern tatsächlich verfolgt werden und handlungsleitend sind. Sie werden eher stillschweigend (implizit) vertreten. Diese Differenz zwischen expliziten und impliziten Zielen ist üblicherweise in Organisationen anzutreffen und insofern unproblematisch, als sich mit offiziell verkündeten Zielen Umwelterwartungen berücksichtigen lassen und quasi Marketingzwecke erfüllt werden. Allerdings dürfen diesbezügliche Unterschiede nicht zu groß sein, weil sie andernfalls offenbar werden und die Legitimitätsfunktion eingebüßt werden kann. Wie mit dieser Diskrepanz umgegangen wird, ist Gegenstand späterer Erörterungen dieser Arbeit. Festzuhalten bleibt, dass es an dieser Stelle zu uneinheitlichen Zielen kommen kann. Daran anknüpfend kann die allgemeine Annahme, dass zuerst gedacht und dann gehandelt würde, hinterfragt werden. So weisen einige Autoren darauf hin, dass die offiziellen den operativen Zielen rückwirkend angepasst werden können (vgl. MINTZBERG 1989: 27f.; WEICK 1969: 38). Außerdem können Ziele sowohl vor den Handlungen entwickelt werden als auch während eines Prozesses emergieren bzw. sich formen (vgl. MINTZBERG 1989). Durch diese Sichtweise werden für die Erforschung von Organisationen situative Interpretationsmuster erforderlich, weil die Komplexität von Zielbildungen nur fallweise zu betrachten ist. Schlussendlich kommt es in einem diagnostischen Vorgehen darauf an, die relevanten und mehrheitlich akzeptierten Ziele zu identifizieren. Die Beschäftigung mit Organisationszielen kann sich zudem auf einen weiteren Aspekt beziehen: Den Trägern von Zielen. STAEHLE (1999: 439f.) sieht zu den Aushandlungsprozessen („Bargaining-Prozesse“) keine wirkliche Alternative. Die Dominanz einzelner Stakeholder (z. B. eines Investors, eines Eigentümers, eines charismatischen Akteurs oder – am Beispiel Schule – einzelner Lehrkräfte oder des Schulleiters) als wesentliche Träger von Zielformulierungen, so dass theoretisch kei-
2.3 Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
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ne Aushandlungen stattfinden müssen, betrachtet er als Extremfall. In kleineren Organisationen dürfte die Dominanz Einzelner jedoch häufiger vorkommen, weil insbesondere Entscheidungsträger den Knotenpunkt von Kommunikationsprozessen bilden und darüber erheblichen Einfluss auf die organisationalen Geschehnisse ausüben. Im Hinblick auf die Gewinnung von Zielen in größeren Organisationen wird das Einzelkämpfertum unwahrscheinlicher. Hier ist es aber möglich, dominierende Akteure zu identifizieren, die organisiert in Gruppen die Setzung von bestimmten Zielen anstreben. In Konzepten organisationaler Koalitionen wird ebendies berücksichtigt (vgl. CYERT/MARCH 1963). Die Aushandlungsprozesse bieten demnach das Forum für die Koalitionen, die darin versuchen, dem Gesamtsystem ihre Präferenzen aufzudrängen. Mit diesem Konstrukt ist es möglich, die Verknüpfung von Individualzu Organisationszielen theoretisch plausibler darzustellen und zwischen den verschiedenen Analyseebenen (Individuen, Gruppe, Organisation) zu wechseln. Organisationsziele sind demnach aggregierte Ziele.
2.3.3 Differenzierende und integrierende Strukturen Eine getrennte Betrachtung der Dimensionen Struktur und Prozesse ergibt sich einerseits aus einigen Interpretationen des offenen Systemansatzes (vgl. z. B. HARRISON 1994; HARRISON/SHIROM 1998; STAEHLE 1999). Andererseits ist eine getrennte Betrachtung gerade in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre nicht unüblich und wird unter den Begriffen Aufbau- und Ablauforganisation diskutiert (so z. B. bei BEA/GÖBEL 2002). Die Aufbauorganisation bezieht sich auf das Strukturgefüge bzw. die Hierarchie einer Organisation. Mit Ablauforganisation wird die räumlich-zeitliche Rhythmisierung und die Abstimmung der Arbeitsgänge bezeichnet. Auch wenn die Trennung durch die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte gerechtfertigt scheint, ist sie dennoch künstlich geschaffen. Denn eine Struktur ist ohne Prozesse nicht denkbar, das gilt auch umgekehrt (vgl. SCHREYÖGG 2003). In dieser Arbeit werden beide Bereiche dennoch getrennt erörtert, weil es zum einen zu einer besseren Übersicht beitragen kann und zum anderen diese – trotz aller Gemeinsamkeiten – schließlich doch unterschiedliche Richtungen verkörpern. Strukturen markieren in erster Linie eine Differenzierung in einer Organisation, wobei es Organisationsstrukturen gibt, die auch integrativ wirken. Prozesse sind dagegen insbesondere darauf ausgerichtet, die separierten Arbeitsgänge so abzustimmen und zusammenzufügen, dass letztlich ein Ganzes entsteht. Die Organisationsstruktur stellt sozusagen das Skelett einer Organisation dar. Sie wird vor allem über die Spezialisierung (Arbeitsteilung) differenziert, die als ein zentraler Bestimmungsfaktor dieses Skeletts gesehen wird (vgl. BEA/GÖBEL 2002). Konkret trägt die Spezialisierung zur Differenzierung von Aufgaben- und Verantwortungsgebieten bei.8 In diesem Kontext werden auch Kommunikationsstrukturen 8
BEA/GÖBEL (2002) zählen neben der Spezialisierung u. a. die Koordination zu den Instrumenten der Aufbauorganisation. Diese Unterscheidung ist nicht unumstritten. STAEHLE (1999) z. B. zählt die Koordination zu den Prozessaufgaben. Diese Einschätzung wird in dieser Arbeit geteilt.
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
formal festgelegt und schließlich auch Entscheidungskompetenzen zugeteilt. Zu den zwei klassischen Spezialisierungsarten werden allgemein die Gliederung nach Funktionen (auch Verrichtungen genannt) und nach Objekten gezählt (vgl. u. a. DAFT 1992; BEA/GÖBEL 2002; SCHREYÖGG 2003). Eine Arbeitsteilung nach Funktionen zeichnet sich durch eine Ordnung nach Sachfunktionen aus. Funktionsbereiche in herkömmlichen Industriebetrieben können z. B. Einkauf, Forschung und Entwicklung, Produktion sowie Marketing sein. Üblicherweise ist die funktionale Gliederung ein wichtiger Bestandteil bürokratischer Organisationen, wie sie idealtypisch von WEBER (1980) beschrieben worden ist. Eine funktional gegliederte Struktur ist eher für Organisationen typisch, die relativ homogene Produkte bzw. Dienstleistungen anbieten. Der Spezialisierungsgrad im funktionalen Modell ist in der Regel hoch. Der Vorteil wird vor allem in der Gliederung von eindeutigen, arbeitsteiligen Zuständigkeiten gesehen, die im Idealfall zu klaren Kommunikationswegen über die Hierarchie und zur effizienten Nutzung vorhandener Ressourcen (z. B. Kostenkontrolle) führen kann, weil dadurch homogene Handlungseinheiten möglich sind. Zu den Nachteilen werden indes u. a. die Zentralisierung der Verantwortung, aber auch ein möglicher Egoismus der Funktionsbereiche, eine geringe Zurechenbarkeit von Ergebnissen oder eine potenzielle Überlastung der Leitungsebene gezählt. Eine Arbeitsteilung nach Objekten basiert auf der Gliederung nach Produkten, Dienstleistungen, Kunden oder Märkten. Dementsprechend können sich verschiedene Divisionen (alternative Begriffe: Sparten oder Geschäftsbereiche) ausbilden. Im Fall einer Abgrenzung der Geschäftsbereiche nach Produkten wäre z. B. eine Diversifizierung nach Produkten A, B, C usw. denkbar. Eine Spezialisierung über Objekte korrespondiert in der Regel mit der Größe einer Organisation und mit einer wachsenden Diversifizierung der Produktpalette. Der Gliederung in diversifizierte Einheiten wird, anders als dem funktionalen Organisationsmodell, eine größere Flexibilität und eine verbesserte Nähe zu den Marktanforderungen zugetraut. Die einzelnen Einheiten arbeiten relativ autonom und die erbrachten Ergebnisse sind im Idealfall direkter zuordenbar. Die jeweilige Leitungsebene hat darin eine verstärkte strategische Funktion. Zudem wird in einer diversifizierten Struktur, bedingt durch die größere Eigenverantwortung, ein höheres Motivationsniveau als in der funktional gegliederten Organisation vermutet (vgl. BEA/GÖBEL 2002). Die Schwachstelle in der Arbeitsteilung nach Objekten wird vor allem in der Steuerung der autonomen Einheiten gesehen. Eine Herausforderung kann daher das Ausbalancieren zwischen der Differenz der Divisionen und der notwendigen Integration in die Gesamtorganisation darstellen. Die beiden erörterten Spezialisierungsarten sind als idealtypisch zu betrachten. Eine Organisation, die nach Funktionen strukturiert ist, kann in einzelnen Abteilungen nach Objekten gegliedert sein. Die Kombination beider Gliederungsansätze ist nicht ungewöhnlich (vgl. SCHREYÖGG 2003: 133),9 die Praxis folglich komplexer. In Jugendämtern kann sich z. B. die Organisation verschiedener Hilfeformen in unterschiedlichen Fachbereichen niederschlagen, was die Annahme einer diversifizierten 9
Besonders kann das Zusammenspiel beider Differenzierungsmuster in der Gestalt von Matrixorganisationen angetroffen werden.
2.3 Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
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Struktur nahe legt. Dennoch weisen Jugendämter traditionell starke bürokratische Züge auf, wie sie für funktional gegliederte Organisationen typisch sind. So werden beispielsweise die Kosten über die Hierarchie zu kontrollieren versucht. Strukturelle Differenzierungen führen im Hinblick auf die Gesamtaufgabe stellenweise zu Unterbrechungen des Leistungsflusses. Um diesen mit Blick auf die Gesamtaufgabe zu gewährleisten, kann es erforderlich sein, die separierten Aufgabenteile horizontal wieder zusammenzuführen. Hierfür kann die Einrichtung von Ausschüssen oder Konferenzen hilfreich sein (vgl. SCHREYÖGG 2003), die Kooperationen quer zur Hierarchie erlauben. In der Jugendhilfe existiert z. B. der Jugendhilfeausschuss, der in gewisser Weise als Überbrückung des strukturellen Gefälles zwischen freier und öffentlicher Jugendhilfe dient. Unterschiedliche Konferenzarten wiederum stellen einen wichtigen kooperativen Bestandteil in Schulen dar. Ähnliche integrative Arbeitsformen stellen die Projekt- und die Netzwerkorganisation dar, die mitunter auch für pädagogische Institutionen relevanter werden. Eine Projektorganisation in reiner Form ist typischerweise nicht auf Dauer angelegt und basiert auf einem extra für die Durchführung eines Projektes zusammengesetzten Projektteam, das sich in der Regel aus unterschiedlichen Organisationsbereichen rekrutiert (vgl. BEA/GÖBEL 2002; SCHREYÖGG 2003, SCHULTE-ZURHAUSEN 2003). Die Projektleitung kann entweder in die direkte Linienverantwortung eingebunden sein oder aber eine beratende (Stabs-)Funktion wahrnehmen.
Abbildung 4: Modell einer Stabs-Projektorganisation10
Mit Projektmodellen wird versucht, fachübergreifende Dialoge zu erleichtern und entsprechend innovative Problemlösungsansätze zu generieren. Die zeitliche Befristung der Unternehmung und die bewusste Förderung horizontaler Kooperation stellen entscheidende Unterschiedskriterien zu den nach Funktionen oder Objekten gegliederten Organisationen dar. Gerade der zunehmende Druck auf Organisationen, flexibel auf Umweltanforderungen zu reagieren, kann den Aufbau projektartiger, temporärer Strukturen erfordern (vgl. BENNIS 1975: 480). In diesem Zusammenhang kann z. B. das Erstellen eines Schulprogramms als ein Projekt aufgefasst werden, das für einen befristeten Zeitraum fächerübergreifende Kooperationen erfordert. Aller10
Nach BEA/GÖBEL (2002: 346).
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
dings erzeugen Projektorganisationen einen hohen Koordinationsaufwand, weil übergreifend kommuniziert und kooperiert werden muss. Das setzt entsprechende offene Verhaltens- und Einstellungsmuster der Beteiligten voraus. Unter Netzwerken wird allgemein recht Unterschiedliches verstanden. In der Quintessenz stellen Netzwerke allerdings das Gegenteil einer funktional strukturierten Organisation dar. Ihr Markenzeichen sind autonom agierende Einheiten oder Teams, die sich zu einem Ganzen kooperativ zusammenfügen. Der Terminus Netzwerk kann sowohl intraorganisational gewichtet (z. B. die vernetzte Kooperation zwischen verschiedenen Abteilungen) als auch auf Beziehungen zwischen Organisationen fokussiert sein. Das Organisationsprinzip ist jedoch im Grunde ähnlich. In Netzwerken sind unterschiedliche Aktivitäten, Einheiten oder Organisationen miteinander verflochten. Durch diese Form der engeren Kooperation sollen Potenziale und Synergien ausgeschöpft sowie Wettbewerbsvorteile partnerschaftlich errungen werden (vgl. BEA/GÖBEL 2002; SCHREYÖGG 2003, SCHULTE-ZURHAUSEN 2003). Obwohl Kooperationen zwischen Organisationen vertraglich fixiert sein können, ist die typische Eigenschaft von Netzwerken, die weitgehend erhaltene Autonomie der einzelnen Partner, die im weiten Sinne lose voneinander gekoppelt agieren. Der Vorteil von Netzwerken wird im Austausch von Ressourcen und Know-how sowie in der flexiblen Anpassung an Umweltanforderungen gesehen. Kleinere und mittlere Organisation können zudem in interorganisationalen Netzwerken teilweise wie große agieren und ein anderes Gewicht erhalten. Der Nachteil kann insbesondere im hohen Abstimmungsbedarf liegen, der zu erbringen ist, um die Funktionsfähigkeit herzustellen. In der Pädagogik sind Netzwerkstrukturen häufiger zu beobachten. Im Hinblick auf regionale Arbeitsmarktstrukturen versuchen z. B. Weiterbildungsträger, regionale Bedarfe stärker zu berücksichtigen und Überkapazitäten abzubauen. Das führt zu intensiver betriebenen interorganisationalen Abstimmungsprozessen zwischen den Trägern, um die Effektivität der Angebotsstrukturen zu erhöhen. Freie Jugendhilfeträger können auf der regionalen Ebene in ähnlicher Weise miteinander kooperieren, um Synergieeffekte zu erzielen. Für Schulen wiederum wird der Austausch mit anderen Schulen wichtiger, um beispielsweise im Sinne des „best practice“ kooperativ zu lernen und sich zu verbessern.
2.3.4 Die Bedeutung der Prozessgestaltung Die Gestaltung der Prozesse ist eine Aufgabe der räumlich-zeitlichen Rhythmisierung und erfordert die Abstimmung der Arbeitsgänge (vgl. BEA/GÖBEL 2002). In diesem Kontext wird sie zu einer zentralen Aufgabe von Organisationen. Für pädagogische Institutionen ist aus dieser im Grunde allgemeinen Aussage zugleich eine besondere Bedeutung abzuleiten. Das hat mehrere Gründe, die im Folgenden kurz angeführt werden: • Ein Kausalverhältnis zwischen pädagogischen Handlungen und deren Ergebnissen lässt sich nur schwer herstellen (vgl. LUHMANN/SCHORR 1979; KUPER 2004). Das macht die Auswahl geeigneter Maßnahmen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, schwieriger. Daher sind Bedingungen zu schaffen, die ein Gelingen von Handlungen wahrscheinlich werden lassen.
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• Des Weiteren haben pädagogische Institutionen oft eine kleine Organisationsgröße und sind arbeitsteilig kaum differenziert. Deshalb kann die Gestaltung der Strukturen weniger wichtig als die der Prozesse sein. Insofern können organisationale Veränderungen in pädagogischen Institutionen besonders über die Gestaltung der Prozesse erfolgen. • Schließlich ist in pädagogischen Institutionen11 überwiegend pädagogisch ausgebildetes Personal tätig (vgl. TIPPELT 2000), so dass die Arbeitsprozesse durch die von Fachkräften erworbenen Qualifikationen dominiert werden können. Veränderungen organisationaler Prozesse können folglich das professionelle Selbstverständnis in Frage stellen, wodurch zusätzliche Spannungen entstehen können. Klassischerweise wird mit Prozessen die Transformation des Inputs in Output bezeichnet. Es handelt sich um ein Element der Leistungserstellung im Rahmen einer Wertschöpfungskette. Pädagogische Institutionen jedoch zeichnen sich dadurch aus, ihre personenbezogenen Dienstleistungen nicht in regelhaften Handlungsvollzügen (wie z. B. in industriellen Produktionsprozessen), sondern fallweise herzustellen (vgl. TIMMERMANN/STRIKKER 2004). Der Handlungskontext kann folglich von Fall zu Fall neu und organisationsspezifisch geprägt sein. Nach BEA/GÖBEL (2002) lassen sich im weiten Sinne drei Ziele für eine erfolgreiche Gestaltung von Prozessen definieren: • Der effiziente Einsatz von Ressourcen. Übertragen auf die Pädagogik kann das bedeuten, die zur Verfügung stehenden Personalressourcen, die Räumlichkeiten oder Sachmittel so einzusetzen, dass pädagogische Ziele bestmöglich erreicht werden. • Ein weiteres Ziel ist die Gewährleistung der Motivation der Mitarbeiter. Hierfür wird vor allem der regelmäßige fachliche Austausch unter Kollegen und die Beachtung, wichtige Arbeitsroutinen nicht zu starr werden zu lassen, empfohlen. • Daran schließt der dritte Aspekt direkt an: Die Arbeitsprozesse sind so abzustimmen, dass auf Herausforderungen angemessen reagiert werden kann. Die Organisation der Arbeitsprozesse bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld aus Kontrolle bzw. Standardisierung auf der einen und Autonomie sowie Flexibilität bezüglich der jeweiligen Arbeitssituationen auf der anderen Seite. Mit diesen Zielen ist der Bereich der Prozesse zwar eingegrenzt, aber noch nicht hinreichend erfasst worden. SCHULTE-ZURHAUSEN (2002) betont die Bedeutung einer funktionierenden informationellen Versorgung für die Steuerung des Handelns. Hiervon sind u. a. Koordination, Kooperation, Prozesse der Entscheidungsfindungen, Konflikte, Kontrollaspekte, die Generierung von Informationen oder das Erarbeiten von Problemlösungen betroffen, die als wichtige Bestandteile der Dimension Prozesse gesehen werden (vgl. HARRISON/SHIROM 1998). Die Koordination ragt dabei klassischerweise als sehr wichtiges Instrument heraus (vgl. STAEHLE 1999). Die Betrachtung koordinativer Elemente erfasst im Grunde alle anderen der genannten Elemente. Daher werden im Folgenden die Koordinationsinstrumente in Organisationen näher erörtert. 11
Im zuvor definierten Sinne.
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2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Unter Koordination kann die „Abstimmung von Einzelaktivitäten zu einer gemeinsamen Aufgabenerfüllung“ (BEA/GÖBEL 2002: 257) verstanden werden. Der Koordinationsbedarf in Organisationen korreliert hoch mit dem Grad der Spezialisierung. Eine vielzitierte und überschaubare Darstellung verschiedener Koordinationsmechanismen liefert MINTZBERG (1989). Demzufolge bestehen sechs verschiedene Möglichkeiten, die Abstimmungsprozesse in Organisationen zu organisieren: direkte Kontrolle, die Standardisierung der Arbeitsabläufe und der Outputs, gegenseitige Abstimmung sowie die Standardisierung von Normen und von Fertigkeiten.12 Nach MINTZBERG besteht zwar eine Verbindung der Koordinationsmechanismen mit gewissen Strukturmustern, dennoch ist das gleichzeitige Auftreten mehrerer Mechanismen in einer Organisation wahrscheinlich. • Der Mechanismus der direkten Kontrolle kann mit dem Instrument der Weisungsbefugnis ausgeübt werden. Sie erfolgt über die Linie in einem Leitungssystem der Über- und Unterordnung. Eine obere Stelle ist einer unteren befugt, vertikal Weisungen zu erteilen. Dieser Koordinationsmechanismus wird typischerweise mit einer hierarchischen Konzentration auf wenige Personen in Verbindung gebracht, die gerade in kleinen Organisationen mit einer gering ausdifferenzierten Hierarchie anzutreffen ist. Das gilt für viele pädagogische Institutionen, so dass z. B. die Abläufe oft auf einzelne Führungsfiguren fokussiert sind. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass dieser Mechanismus in fast allen Organisationen mehr oder weniger zu beobachten ist. • Des Weiteren können Organisationen über Programme koordiniert werden. In der Regel werden Programme schriftlich fixiert. Dieser Mechanismus entfaltet seine Wirkung vor allem über die Standardisierung von Arbeitsabläufen. Programme können Verknüpfungsleistungen zwischen spezialisierten Tätigkeiten detailliert herstellen (Welche Stelle ist wann im Arbeitsprozess involviert?) und zu einer Routinisierung der Arbeitsabläufe beitragen. Dieser Mechanismus kann somit eine starke bürokratische Ausprägung haben. Nach MINTZBERG werden Programme von Stabsstellen (der sogenannten „technostructure“) kontrolliert und auf der operativen Ebene ausgeführt. Qualitätsmanagementverfahren, wie sie z. B. in manchen sozialpädagogischen Einrichtungen durchgeführt werden, können auf der Basis von Qualitätsprogrammen gesteuert werden. • Ebenso können Pläne bzw. Ziele die Arbeitsvorgänge koordinieren. Aus offiziell verfolgten Zielen für die Gesamtorganisation lassen sich für die verschiedenen Bereiche im Stellengefüge der Organisation jeweils spezifische Ziele bzw. Outputs ableiten. Dieser Koordinationsmechanismus wird z. B. im Verfahren des Management by Objectives erkennbar, in dem arbeitsteilige Leistungsprozesse in einer Organisation durch Zielvereinbarungen abgestimmt werden sollen (vgl. STAEHLE 1999; SCHREYÖGG 2003). Anders als bei der Standardisierung der Arbeitsprozesse stehen nicht Verfahrens- bzw. Verhaltensrichtlinien im Vordergrund, sondern es 12
Diese nennt MINTZBERG (1983: 3ff.) „direct supervision“, „standardization of work processes“, „standardization of outputs“, „mutual adjustment“, „standardization of norms“ und „standardizations of skills“.
2.3 Der Ansatz offener Systeme als Diagnoseschema
43
zählt vor allem das Ergebnis des Leistungsprozesses. Die Leitungsebene der Organisation kann Ziele vorgeben und das Erreichen dieser Ziele – ex-post – kontrollieren. In pädagogischen Institutionen lassen sich z. B. zunehmend Versuche beobachten, aussagekräftige Indikatoren für den Output zu entwickeln und entsprechend darüber zu steuern. So setzt es sich in deutschen Universitäten immer mehr durch, den Fakultäten bzw. Fachbereichen Ziele vorzugeben. • Konträr zum Instrument der direkten Kontrolle oder einer strikten Standardisierung der Arbeitsabläufe können sich horizontale Abstimmungsprozesse ereignen. Dies erfordert zwar einerseits, entsprechende strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, andererseits aber auch die Fähigkeit und Bereitschaft zu kooperativem Verhalten. Grundsätzlich ist die Form der horizontalen Koordination auf allen Hierarchieebenen praktizierbar (zumindest in Teilbereichen), so z. B. in den erwähnten Abteilungsleiterkonferenzen, in Ausschüssen oder aber auch in Gruppenarbeiten. Mit gegenseitigen Kooperationen verbindet sich die Hoffnung, die Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen. Sie setzt aber bestimmte professionelle Fähigkeiten und Fertigkeiten voraus. MINTZBERG (1989) glaubt, ausgeprägte wechselseitige Abstimmungsprozeduren u. a. in Beratungs- oder Softwarefirmen anzutreffen. In pädagogischen Arbeitsfeldern ist dieser Mechanismus z. B. teilweise in Kindertagesstätten vorzufinden. Letztendlich werden Kooperationen auch bei stark hierarchisierten Organisationen immer wenigstens ein Stück weit existieren, weil nicht alle Prozesse durch Strukturen vollständig vertikal zu kanalisieren sind. • Organisationen können auch durch ihre Normen koordiniert werden. Organisationen haben eigene kulturelle Eigenschaften, die u. a. in Werten, Normen, Glaubensmustern, Annahmegefügen oder Sprachmustern verkörpert sind, welche organisationale Geschehnisse beeinflussen können. Oft sind diese Eigenschaften weniger explizit zu beobachten (z. B. über Symbole), als vielmehr implizit – spürbar – vorhanden (vgl. SCHREYÖGG 2003). Die von den Mitgliedern vertretenen Normen können z. B. die Handlungen leiten, ohne dass sie explizit reflektiert werden. • Schließlich können Organisationen durch professionell erworbene Handlungsmuster ihrer Mitglieder koordiniert werden. Durch die Aneignung professionellen Wissens bilden sich quasi standardisierte Qualifikationen und Kenntnisse heraus, die zu berechenbaren Verhaltensweisen und Handlungen führen können. Diese Form der Koordination beruht im Idealfall auf einem weitgehenden Verzicht von Weisungen oder Programmen, weil jeder der Professionellen seine Aufgabe beherrscht und kaum kontrollierbar ist. So entsteht das Erfordernis zur horizontalen (Selbst-) Abstimmung der Professionellen (vgl. SCHREYÖGG 2003). Das setzt entsprechendes Vertrauen zwischen Kollegen und in die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter voraus. Angesichts einer sich rasant verändernden, globalisierten Welt reicht jedoch die Gültigkeit erworbener Qualifikationen oft nicht mehr für die Zeit einer ganzen Berufsspanne aus. D. h. die Wissensbestände von Professionellen werden schneller hinterfragbar und das Vertrauen in sie kann schneller schwinden. Organisationen mit einem großen Anteil von spezifisch ausgebildetem Personal können daher einem größeren Rechtfertigungsdruck in Bezug auf ihre Leistungen ausgesetzt sein, wie es aktuell auch pädagogische Institutionen erleben.
44
2.4
2 Allgemeine Annäherungen an pädagogische Institutionen
Organisationen als vielschichtige Gebilde
Bis hierhin sind einige begriffliche Grundlagen diskutiert worden, die für das Grundverständnis von pädagogischen Institutionen wichtig sind. Zunächst wurde festgelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um den in dieser Arbeit verwendeten Begriff der pädagogischen Institution zu entsprechen. Des Weiteren ist aufgrund des Erfordernisses, pädagogisches Handeln zu organisieren, das Organisationsverständnis diskutiert worden. Um das von der Pädagogik noch wenig erschlossene Thema zu bearbeiten, wurde dazu auf betriebswirtschaftliche und soziologische Literatur zurückgegriffen. Die organisationalen Merkmale sind jedoch nur ansatzweise beschrieben worden. Hierfür wurde auf das strukturierende Schema offener Systeme zurückgegriffen. Zu den speziellen Dimensionen offener Systeme zählen die Umwelt, die Ziele, die Strukturen und die Prozesse von Organisationen, die zwar einzeln diskutiert worden sind, im Grunde aber nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Diese mehrdimensionale Perspektive auf Organisationen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Grundlage genutzt, um pädagogische Institutionen und deren Veränderungsprozesse systematisch darstellen zu können. Das ist die praxisrelevante Seite des offenen Systemansatzes.
Abbildung 5: Untersuchungsebenen – erster Schritt
In seiner theoretischen Eigenschaft modelliert der offene Systemansatz, als ein Diagnoseschema, im Grunde ein interaktionales Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt. Demzufolge wird Organisationen die Möglichkeit eingeräumt, individuell auf als relevant wahrgenommene Umweltereignisse zu reagieren, selbst wenn die Rahmenbedingungen formal kaum Handlungsspielräume erkennen lassen. Neben dem Umweltbezug stellt die Bedeutung der Prozessgestaltung einen wichtigen Aspekt dar – speziell in der Erörterung pädagogischer Institutionen. Diese müssen sich aufgrund der geringen direkten Steuerungsfähigkeit pädagogischen Handelns auf die Gestaltung möglichst günstiger Gelingensbedingungen konzentrieren. Veränderungsprozesse in pädagogischen Einrichtungen stehen folglich in einem engen Zusammenhang zu beiden Dimensionen (Umwelt und Prozesse), wie im weiteren Verlauf deutlicher wird.
3
Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Nachdem die grundlegenden organisationalen Eigenschaften von pädagogischen Institutionen diskutiert wurden, erfolgt nun eine thematische Fokussierung, um das Thema dieser Arbeit gezielter zu bearbeiten. Es werden die Merkmale pädagogischer Institutionen anhand ausgewählter Einrichtungstypen konkretisiert. In organisationalen Veränderungsprozessen treten häufig vergleichbare Muster auf, die unabhängig von der jeweiligen Branche zu identifizieren sind. So sind beispielsweise bei angekündigten Strukturveränderungen Unsicherheiten oder Konflikte zu erwarten, egal ob die betreffende Organisation öffentlich oder über den freien Markt finanziert wird. Dennoch gibt es Spezifika, die je nach Branche oder Organisation unterschiedlich ausfallen können. Um diese verstehen zu können, liegt es nahe, die Eigenschaften genauer herauszuarbeiten, was in diesem Kapitel für Schulen und freie Jugendhilfeträger geschieht. Es wird nach den gemeinsamen und den unterschiedlichen Merkmalen beider pädagogischer Einrichtungstypen gesucht, um diesbezüglich ein Grundverständnis zu ermöglichen. Für die Herstellung eines systematischen Untersuchungsrahmens wird auf den zuvor skizzierten offenen Systemansatz rekurriert. Infolgedessen wird zur Strukturierung das Schema der verschiedenen organisationalen Dimensionen (Umwelt, Input, Ziele, Strukturen, Prozesse und Output) zugrunde gelegt.
3.1
Eigenschaften von Schulen
Schulen hat es z. B. schon im antiken Griechenland gegeben. Immer wieder gab es Formen der Unterrichtung von Schülern, die mehr oder weniger organisatorisch umrahmt waren. Im Mittelalter beispielsweise unterrichteten Studenten als fahrende Scholaren Schüler im Rechnen und Schreiben (vgl. MERKENS 2006). Die Schule der Neuzeit lässt sich von diesen Organisationsformen dadurch abgrenzen, dass die Einführung der allgemeinen Schulpflicht die Unterrichtung der Masse sicherstellte. Schulbildung war fortan nicht mehr einem exklusiven Kreis vorbehalten. Die Vorbereitung auf ein Leben in komplexen Gesellschaften kann, so scheint es, nicht mehr wie bis vor ca. 200 Jahren allein durch die Familien gewährleistet werden. Lernprozesse werden vielmehr über die Schule als Organisationsform institutionalisiert. Schulen tragen seither die Verantwortung, Schüler über einen festgelegten Zeitraum, herausgelöst aus ihrem sonstigen Alltag, zu unterweisen, Curricula umzusetzen und das Erreichen von Lernzielen sicherzustellen. Eine pauschale Beschreibung von Schulen ist kaum möglich. Nach FLITNER (2004: 181) gibt es keine überzeugende „Theorie der Schule“, welche die Vielfalt von Schulen zu analysieren und zu ordnen vermag. Vor diesem Hintergrund sind Theorien zu Schulen nur als Annäherungen zu interpretieren, die jedoch bestimmte Eindrücke
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
vermitteln können. Für ROLFF (1995: 121) ist Schule eine „besondere soziale Organisation“, weil sie durch den Bildungs- und Erziehungsauftrag anders sein muss als eine ökonomisch-technische Produktionseinheit. Auch wenn relativierend berücksichtigt werden kann, dass personenbezogen Dienstleistungen typischerweise immateriellen Charakter haben und schwer zu bemessen sind, so stellt jedoch die pädagogische Institution Schule eine derart bedeutsame Einrichtung von Sozialisationsprozessen dar, dass sie Leistungsanalysen nicht verschlossen bleiben kann. Schulen sind nicht gleich Schulen. In der Bundesrepublik gibt es unterschiedliche Schulformen wie Grund-, Sonder-, Haupt-, Realschulen sowie Gymnasien, Gesamtschulen, Berufsschulen usw. Sie können sich u. a. geografisch, nach Art der Gliederung, nach rechtlichen Rahmenbedingungen, hinsichtlich der Verteilung von Ressourcen oder aufgrund ihrer Organisationskultur unterscheiden. Ihnen sind, so BESSOTH (1987), jedoch die allgemeinen Organisationsmerkmale gemein: Sie verfolgen dauerhaft Ziele, sie haben Mitglieder und sie sind arbeitsteilig strukturiert.
3.1.1 Regulierung des Inputs Die Schullandschaft in Deutschland ist überwiegend von öffentlichen Schulen geprägt; d. h. diese werden in Gänze vom Staat finanziert und getragen. Selbst private Schulen werden überwiegend von der öffentlichen Hand bezuschusst. Die Finanzierung wird dabei nicht mit der Einhaltung von Soll-Größen oder Leistungskriterien begründet, sondern sie beruht auf festgelegten Verteilungsschlüsseln, die u. a. die Lehrergehälter, die Klassengrößen oder das Lehrdeputat berücksichtigen (vgl. BÖTTCHER 2002). Ein weiteres Merkmal von Schulen ist es, dass dort fast durchweg Fachkräfte arbeiten, die akademische Qualifikationen entlang des bestehenden schulischen Fächerkanons erworben haben. Das ermöglicht eine professionstypische soziale Kontrolle der Aktivitäten (vgl. MÜLLER/TENORTH 1984: 154). Im Hinblick auf die Auswahl ihres Personals hatten Schulen bundesweit bisher kaum Einfluss. Dies gilt v. a. für die Rekrutierung von Fachkräften. Zudem waren Lehrkräfte nach ihrer Ausbildung traditionell zu keinen weiteren Fortbildungen verpflichtet. Der Besuch von Fortbildungen, mit dem sich die Palette verfügbarer organisationaler Ressourcen erweitern lässt, basierte auf einem Prinzip der Freiwilligkeit. Ferner trägt das Berufsbeamtentum der Lehrerschaft dazu bei, die Fluktuation in Schulen relativ gering zu halten. Allerdings können diesbezüglich Veränderungen in der Einstellungspraxis wahrgenommen werden. Das Land Berlin verzichtet beispielsweise mittlerweile auf die grundsätzliche Verbeamtung von Lehrkräften.
3.1.2 Zur Bestimmung des Outputs Der von Schulen erbrachte Output oder Outcome ist schwer zu bemessen, ihm wird aber angesichts identifizierter Defizite im Bildungssystem gegenwärtig eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Die Notengebung ist eine traditionelle Methode der Leistungsbewertung in und von Schulen. Sie beruht auf der „Vorstellung der Gleichförmigkeit institutioneller Bedingungen, so dass Unterschiede in den Ergebnissen individuell zugerechnet werden können“ (BAUMERT 2001: 14). Im Gegensatz dazu ge-
3.1 Eigenschaften von Schulen
47
hen Leistungsvergleichsstudien wie die PISA- oder TIMSS-Studien von institutionellen Unterschieden zwischen Einzelschulen oder gar Bildungssystemen aus und beanspruchen sie abzubilden. Insbesondere die Bedeutung der Einzelschulen für den Lernerfolg der Schüler ist von der Schulforschung seit einigen Jahren gut belegt (vgl. z. B. FEND 1986; TERHART 2000). Die Einführung des Zentralabiturs in fast allen Bundesländern in Deutschland13 fügt sich in diese Differenzannahme ein, denn dadurch können Ergebnisse auch auf der Schulebene aggregiert und den Schulen Rückmeldungen gegeben werden. Die Berücksichtigung des Outputs wird insofern thematisch auf der organisationalen Ebene. Langfristig sieht BÖTTCHER (2002) die Möglichkeit, eine verbesserte Erfassung des erbrachten Outputs bei der Ressourcenallokation zu berücksichtigen, sprich von einer Input- auf eine Outputsteuerung umzustellen. Solchermaßen könnten Anreize gesetzt werden, um vermutete Leistungspotenziale auszuschöpfen. Wie das konkret für Schulen aussehen könnte, soll hier aber nicht weiter erörtert werden.
3.1.3 Die Bedeutung der Prozesse Die Bedeutung der Prozesse für pädagogische Institutionen bzw. für Schulen ist wiederholt angedeutet worden. Der Unterricht wird als ein Zentrum für die Bearbeitung schulischer Qualität gesehen (vgl. u. a. DITTON 2000; FEND 2000; OELKERS 2003). Seine Strukturierung erfährt der Unterricht in der Bundesrepublik durch die Gliederung nach Jahrgängen und Fächern (vgl. HELSPER/KEUFFER 2004). Aber auch die Klassengröße, die Zusammensetzung von Klassen, die Curricula sowie die Stundentafel schaffen einen äußerlich festen Rahmen, dessen Beeinflussung sich den einzelnen Lehrkräften entzieht. Zum einen verlangen diese Bedingungen erhebliche koordinative Anstrengungen, um die Abläufe zum Funktionieren zu bringen. Zum anderen muss sich das pädagogische Handeln in diesen Rahmen einfügen und dementsprechend ausrichten. Deswegen wird die Handlungsfreiheit von Lehrkräften formal begrenzt (vgl. RUMPF 1966). Doch trotz dieser Einschränkungen bestehen wiederum einige Freiheitsgrade in Bezug auf die Gestaltung des Unterrichts, die den Lehrkräften eigene Akzente setzen und situations- sowie fallangemessen Entscheidungen treffen lassen (vgl. HELSPER/KEUFFER 2004). In diesem Sinne können Lehrkräfte ihre – begrenzte bzw. „unvollendete“ (ROLFF 1995: 128ff.) – Professionalität realisieren; denn die Bedeutung der persönlichen Begegnung in pädagogischen Prozessen lässt sich nur schwer standardisieren und verschafft den Lehrkräften eine gewisse Autonomie (vgl. ebd.). Die Relevanz der Prozesse für das Gelingen schulischer Aktivitäten lässt sich exemplarisch an der Erarbeitung einer Stundentafel demonstrieren. Diese höchst komplexe Aufgabe erfordert u. a. die Abstimmung zwischen der Zahl der zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden pro Lehrkraft, den Unterrichtsstunden pro Fach in einer Klasse und der zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Diese Aufgabe birgt Konfliktpotenzial und ihre Ausführung lässt sich zugespitzt formuliert mit dem Vollzug eines Kunststücks vergleichen. Weitere Koordinationsprozesse sind im Hinblick auf die 13
Nur das Bundesland Rheinland-Pfalz verzichtet vollständig auf die Einführung des Zentralabiturs.
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Unterrichtsinhalte von Bedeutung. So können (formale oder informale) Abstimmungen über die didaktisch-methodische Gestaltung des Unterrichts fachübergreifend zwischen Lehrkräften getroffen werden, was z. B. im Rahmen von Projektarbeiten erforderlich wird. Auch Fachkonferenzen können Abstimmungsprozesse zwischen und innerhalb einzelner Fächer erleichtern und die Anschlussfähigkeit der Unterrichtsinhalte für die Schüler sicherstellen. Ähnliches gilt für Abstimmungsprozesse in Klassenkonferenzen. Aus den skizzierten Aspekten zur Gestaltung der Prozesse in Schulen lassen sich verschiedene organisationstheoretische Elemente zusammenfassend erkennen. Einerseits unterliegen Schulen formal bürokratischen Bestimmungen bzw. der bürokratischen Kontrolle, andererseits verfügen die Lehrkräfte über einige Freiheiten in Bezug auf die Gestaltung ihres Unterrichts, die sich einer direkten Kontrolle entziehen und somit eine lockere Kopplung zwischen den Regeln der Unterrichtsgestaltung und deren Umsetzung offenbaren. Des Weiteren wirken professionelle, fachspezifische Handlungsvorstellungen in den Unterricht hinein. Ferner können Kooperationen zwischen Lehrkräften maßgeblich zum Erfolg der Schule beitragen, welche sowohl strukturell verankert sein (Fachkonferenzen, Gesamtkonferenzen, Schulkonferenzen) als auch informal erfolgen können. Infolge der skizzierten Eigenschaften werden in Schulen einige der zuvor skizzierten MINTZBERG’schen Koordinationsmechanismen (vgl. 2.3.4) wirksam. So kann hinsichtlich der bürokratischen Kontrolle mit dem Koordinationsmechanismus der direkten Kontrolle gearbeitet werden. Üblicherweise ist das ein Instrument, das der Schulleitung vorbehalten bleibt, damit die Schule die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach den Weisungen der Schulaufsichtsbehörde und die Grundsatzbeschlüsse von Lehrer- oder Schulkonferenzen einhält (vgl. ROLFF 1995: 177 f.). Die Schulleitung stellt formal einen Informationsknotenpunkt in der Schule dar. Dennoch kann die Weisungsbefugnis nur zurückhaltend eingesetzt werden, weil die Schulleitung zwar für den geordneten Schulbetrieb die Gesamtverantwortung trägt, jedoch aufgrund der begrenzten Kontrollmöglichkeit auf der operativen Ebene auf die aktive Mitarbeit der Lehrkräfte angewiesen ist. Daher ist auf eine erträgliche Arbeitsatmosphäre Wert zu legen. Folglich wird ein kooperatives Verhalten zwischen Schulleitung und Lehrkräften wichtig. Wie schon anhand des fachübergreifenden Unterrichts diskutiert, ist jedoch auch der Koordinationsmechanismus zwischen den Lehrkräften bedeutsam. Das gilt gerade im Hinblick auf Entscheidungsprozesse, denn die sind in Schulen formal demokratisiert und oft durch Mehrheitsbeschlüsse in Konferenzen zu legitimieren. In Schulen werden auch teilweise Arbeitsabläufe standardisiert und als Koordinationsmechanismus wirksam. Die Einhaltung der Rahmenlehrpläne verlangt beispielsweise, entsprechende Lehr-Lern-Arrangements auf der Schul- bzw. Unterrichtsebene zu schaffen. Das schließt auch die Berücksichtigung des Fächer- und Jahrgangsprinzips ein. Dadurch wird u. a. der Spielraum pädagogischen Handelns formal eingeschränkt. Ein weiterer Koordinationsmechanismus wird in Schulen über die erworbenen, fächerbezogenen Qualifikationen der Lehrkräfte wirksam. Das kann zwischen Lehrkräften fachspezifische Kooperationen und Abstimmungsprozesse erleichtern. Es
3.1 Eigenschaften von Schulen
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kann aber auch abschottende Verhaltensmuster ausbilden, wie sie bei Organisationen, in denen viele Professionelle arbeiten, zu erwarten sind (vgl. MINTZBERG 1989). Das Problem entsteht demnach aufgrund spezifischer Wissensbestände von Professionellen, die nur schwer kontrollierbar sind. Daraus kann sich eine Haltung entwickeln, die zur Vernachlässigung eines Bewusstseins für die Gesamtheit der Organisation führt. In diesem Kontext hält ROLFF (1995: 130) die Ausbildung isolierten Denkens und Handelns in Kategorien wie „Ich und meine Klasse“ für möglich. Schließlich etablieren sich in Organisationen immer auch bestimmte Normen und Annahmen, die das organisationale Handeln und Denken beeinflussen können. Das beruht u. a. auf Erfahrungen und der Auseinandersetzung mit der Umwelt. In Schulen können z. B. Zuschreibungen angenommen werden, die sie beispielsweise als „basisdemokratisch“, „liberal“ oder „konservativ“ bezeichnen. Der Glaube an die Gültigkeit dieser Bezeichnungen kann auf die Schulkultur einwirken.
3.1.4 Anmerkungen zu Organisationsstrukturen Die erörterten Prozessaspekte deuten die Vielschichtigkeit von Steuerungsprozessen in Schulen an. Diese erschweren zugleich die Herausarbeitung eines eindeutigen Verständnisses der Organisationsstrukturen in Schulen. In der Prozessbeschreibung wurde ein spezifisches Nebeneinander von Kontrolle und Autonomie erkennbar, welches für ROLFF (1995) Schulen als Organisation zu einer Besonderheit macht. Anknüpfend an die Beobachtung der Autonomie von Lehrkräften im Unterricht besteht die Möglichkeit, Schulen zumindest teilweise als professionelle Organisationen zu betrachten (vgl. ROLFF 1995). Diese zeichnen sich, in Anlehnung an eine Typisierung von MINTZBERG (1989), durch einen großen Anteil an hoch qualifiziertem Personal aus, welches operativ weitgehend autonom agieren kann. Die Autonomie ist durch die spezialisierten Fähigkeiten der Experten bedingt. Gleichzeitig können die Professionellen in kollegialen Abstimmungsverfahren großen Einfluss auf Entscheidungsprozesse in ihrer Organisation ausüben, was jedoch in aufwändige Koordinationsverfahren münden kann. Es kann auch dazu führen, dass Strategien sehr fragmentiert ausfallen und keine einheitliche Unterstützung erfahren, so dass viele „ihr eigenes Süppchen“ kochen. Mithin können daraus Innovationsprobleme erwachsen, die von der Umwelt (z. B. Öffentlichkeit, Gesetzgeber, Behörden) mit bürokratischen Verfahren zu kontrollieren versucht werden (vgl. ebd.). Diese Kontrollverfahren führen dazu, dass das Organisationsmodell der „professionals“ von MINTZBERG (1983) auch als Bürokratie bezeichnet wird, und sie erinnern an diesem Punkt an Standardisierungen, wie sie für funktionale Organisationen typisch sind. MINTZBERG sieht diesen Organisationstypus in der US-amerikanischen Gesellschaft u. a. in Universitäten, Schulen oder Krankenhäusern realisiert. Einige der Kriterien des professionellen Modells sind auch in Bezug auf Schulen in der Bundesrepublik erfüllt, z. B. eben eine gewisse Autonomie der Lehrerschaft bei der Unterrichtsgestaltung oder die Tatsache, dass fast ausschließlich akademisch geschulte Lehrkräfte in Schulen arbeiten. Beides führt zu einer dezentralen Leistungserbringung. Analog zur professionellen Bürokratie versucht der Staat bzw. die Schulaufsicht, die Einhaltung übergeordneter pädagogischer Ziele über die Hierarchie bürokratisch zu kontrollieren (vgl. RUMPF 1966; ROLFF 1995).
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Trotz einiger übereinstimmender Merkmale können Schulen nicht vollständig als professionelle Bürokratien gesehen werden. Der Autonomie im Unterricht ist insofern Grenzen gesetzt, als es eben Lehrpläne, das Fächer- oder Jahrgangsprinzip usw. gibt, die zu berücksichtigen sind. Zudem kann die Bezeichnung des Professionellen hinterfragt werden. So werden Lehrkräfte zwar für den Lehrberuf fachspezifisch ausgebildet, doch verfügen sie oft über wenig systematisches Wissen, wie Wissen vermittelt werden kann. Das wird ihnen zwar im Referendariat mit der Unterstützung von Praktikern weiterzugeben versucht, diesem auf Nachahmung basierenden Vorgehen fehlt aber oft die methodisch-didaktisch fundierte Absicherung. MERKENS (2006: 251) sieht darin auf bestimmte Weise „Vorformen des Professionellen“. Die skizzierte strukturelle Autonomie14 lässt sich auch als „lose Kopplung“ bezeichnen (vgl. TERHART 1986; ROLFF 1995). Diesbezügliche Überlegungen gehen vor allem auf WEICK (1976) zurück und sind mittlerweile verschiedenartig interpretiert worden (vgl. ORTON/WEICK 1990). Es handelt sich vereinfacht beschrieben um die lockere Verknüpfung von Elementen oder Bausteinen in Systemen, die durch eine hohe Eigenständigkeit der Elemente und nur eine komplexe Steuerbarkeit charakterisiert sind. Im Hinblick auf eine Strukturanalyse in Organisationen stellt die nach Funktionen strukturierte Organisation im Grunde das Gegenteil einer lose gekoppelten Organisation dar. Für die Rezeption organisationstheoretischer Ansätze bieten sich Überlegungen zu entkoppelten Elementen insofern an, als sie anschlussfähig an Beobachtungen in Schulen sind, wonach Unterricht je nach Lehrkraft sehr individuell gestaltbar ist, und zwar unabhängig von Schulform oder Schulklasse (vgl. MERKENS 2006). Diese Sichtweise impliziert die Option zur strukturell horizontalen Kooperation zwischen einzelnen Lehrkräften und kann im günstigen Fall zu tragfähigen intraorganisationalen Netzwerkstrukturen führen, die Veränderungen anstoßen können. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass die Geschehnisse in Schulen auf eine eigene komplexe Art zwischen Autonomie und bürokratischer Kontrolle zu verorten sind. Die Formalstruktur hat hier eine geringere Bedeutung, weil z. B. die Lehrkräfte verschiedene Fächer lehren und deshalb verschiedenen Fachbereichen angehören können. Eine rein diversifizierte Arbeitsteilung über Fachbereiche (wie sie zuvor in 2.3.3 diskutiert wurde) lässt sich somit ebenfalls nicht erkennen. Durch die skizzierte Autonomie im Unterricht und der Zugehörigkeit zu verschiedenen Fachbereichen werden Gelegenheiten zur horizontalen Kooperation geschaffen, die stärker von freiwilligen, locker gekoppelten Arrangements leben und auch spontaneres Handeln erlauben. Insofern lässt sich eine Relevanz der Prozesse in Schulen identifizieren. Diese Bedeutung der Prozesse wird in einem weiteren Strukturmodell von MINTZBERG (1989) erkennbar, das Züge aufweist, die von Interesse sind. Im Modell der einfachen Struktur ist die Hierarchie weniger wichtig, Spezialisierungen von Tätigkeiten oder Standardisierungen sind kaum anzutreffen. Um dennoch koordinieren zu können, erwächst daraus ein hoher Kommunikationsbedarf. Der Leitung wird eine hervorgehobene Rolle als Ideengeber, Visionär und Verantwortungsträger zugemes14
Merkens (2006: 202) weist darauf hin, dass es auch Schulen gibt (z. B. Montessori- oder Waldorfschulen), für die das nicht unbedingt gelten muss.
3.1 Eigenschaften von Schulen
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sen. Sie ist jederzeit erreichbar und pflegt intensiv den informellen Austausch mit den Mitarbeitern. Das Aufgabengebiet der Leitung bleibt in der Regel nicht ausschließlich auf der Leitungsebene beschränkt, sondern kann auch die Ausführung operativer Tätigkeiten implizieren. Übertragen auf das Schulsystem ist diese Eigenschaft auch in Schulen anzutreffen. Schulleiter sind keine reinen Administratoren, sie sind in der Regel selbst auf der operativen Ebene, im Unterricht als Lehrer tätig. Im Unterschied zum Idealtypus der einfachen Struktur jedoch tragen Schulleitungen zwar die Gesamtverantwortung für die Arbeit der Schule, doch deren Machtfülle entspricht dieser formal nicht, weil z. B. Schulbehörden oder diverse schulische Konferenzen diesbezüglich die Macht von Schulleitungen begrenzen (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006a). Allerdings können sie Einfluss über die (informelle) Kommunikation ausüben, die in Schulen aufgrund der Prozessbedeutung wichtig ist.
3.1.5 Die Umwelt von Schulen ROLFF (1995: 137) glaubt, in (öffentlichen) Schulen eine systembedingte Offenheit zur Umwelt zu erkennen. Demnach nehmen die (öffentlichen oder freien bzw. privaten) Träger, ebenso Parteien, Kirchen, Medien und Eltern Einfluss auf das innere Geschehen von Schulen. Die Annahme der Offenheit ist insofern bemerkenswert, als bisher die organisationstheoretische Reflexion der Offenheit von pädagogischen Institutionen wenig Aufmerksamkeit gefunden hat (vgl. MERKENS 2006). Aber insbesondere in der jüngeren Vergangenheit gibt es einige Umweltentwicklungen, die pädagogische Institutionen zwingen, vermehrt Rechenschaft über ihre erbrachten Leistungen abzulegen und sich insofern wie offene Systeme zu verhalten. Durch die Betonung der Unterschiede zwischen Einzelschulen (vgl. FEND 1986), unabhängig von der Schulform, rückt z. B. zunehmend die Frage in den Mittelpunkt, weshalb sich spezifische Eigenschaften in Schulen herausbilden und warum manche Schulen erfolgreicher als andere agieren. Das legt zum einen den Blick auf das interne Geschehen von Schulen nahe, zum anderen kann das nicht losgelöst vom jeweiligen Umweltkontext betrachtet werden, weshalb dieser ebenfalls analysiert werden sollte. Ein zentraler und direkter Umweltfaktor für Schulen ist die Schulaufsicht. Sie gibt Erlasse und Verfügungen zum Ablauf in Schulen heraus und soll diese formal kontrollieren. Sie ist für die Umsetzung von Erlassen und Gesetzen zu Bildungszielen und Fachdidaktiken verantwortlich und übt damit einen großen Einfluss auf die Abläufe in Schulen aus. Dennoch wird ein Teil dieser Kontrolle in Gestalt von Schulbesuchen nur selten ausgeübt (vgl. RUMPF 1966; MERKENS 2006). Deshalb sind Charakterisierungen erklärlich, die das Verhältnis zur Schulbehörde tendenziell als eher fern und anonym beschreiben (vgl. RUMPF 1966: 80). Trotz der Konfrontation mit einem bürokratischen Verwaltungsapparat verfügen Schulen dadurch über Handlungsoptionen, die u. a. dazu führen können, unterscheidbar zu werden. Neben der Schulverwaltung können die schulpsychologischen Dienste, Jugendhilfeeinrichtungen, Horte, Hausaufgabenhilfen, andere Schulen, die mediale Öffentlichkeit, der Gesetzgeber sowie Eltern und Schüler zur Aufgabenumwelt gezählt werden, die das pädagogische Handeln beeinflussen können. Letztere erfüllen je nach
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Definition Kriterien der Mitgliedschaft, wenn sie beispielsweise über Schulkonferenzen an Entscheidungsprozessen organisiert mitwirken. Diese verschiedenen Umweltfaktoren werden aufgrund der gegenwärtigen Entwicklungen im Schulsystem in Deutschland insgesamt wichtiger, wie später noch genauer erörtert wird. Das verlangt zugleich von Schulen, die Aufmerksamkeit in Richtung Umwelt zu erhöhen, wodurch die Offenheit zunimmt.
3.1.6 Komplexe Zielbildungsprozesse Ein grundsätzliches Ziel von Schulen ist z. B. die Ausbildung der Schüler und ihre angemessene Vorbereitung auf das Leben (vgl. PETER 1973). Ein weiteres Ziel kann, vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, auf die langfristige Existenzsicherung gerichtet sein. Bei insgesamt abnehmenden Schülerzahlen kommt es zunehmend darauf an, für die unmittelbare Umwelt so attraktiv zu sein, dass die Auslastung gewährleistet ist. Aus diesen exemplarisch genannten Zielen ergeben sich jedoch noch keine konkreten Handlungsschritte, die zur Zielerreichung beitragen. Das Erarbeiten konkreter Ziele ist weder eine einfache Aufgabe noch ist es leicht, diese aus einer Beobachtungsperspektive zu erfassen. Zielbildungs- und Strategieentwicklungsprozesse fallen in Schulen sehr komplex aus. Genau genommen können Schulen ihre Ziele nur zum Teil selbst bestimmen. Den Schulen werden von der Schulverwaltung bzw. von der Politik Ziele vorgegeben, die sie selbst nur im Detail modifizieren können (vgl. MERKENS 2001: 80). Die Schulleitung hat insofern die Aufgabe, die Zielvorgaben auf die Einzelschule zu übersetzen und gleichzeitig die Zielvorstellungen auf der operativen Ebene zu bündeln und zu moderieren. Da die Lehrkräfte relativ autonom bezüglich der Auslegung von Lehrplänen sind, ist zudem davon auszugehen, dass die operativen Ziele sich erheblich von den offiziell verkündeten unterscheiden. Die große Ausprägung informaler Abstimmungsprozesse in Schulen kann die Etablierung einer gemeinsamen Orientierung auf ein Gesamtziel erschweren. Ziele können auch durch die Auseinandersetzung mit anderen Umweltfaktoren als der Schulverwaltung gewonnen werden. So ist z. B. die Öffentlichkeit durch Leistungsvergleichsstudien wie der PISAStudie aufmerksamer auf die Geschehnisse in Schulen geworden, woraus sich Erwartungen an Schulen bzw. an das Schulsystem artikulieren lassen. Im Hinblick auf Entscheidungsprozesse müssen letztlich intern auf Konferenzen und in Gremien Mehrheiten für bestimmte (formale) Ziele und Strategien errungen werden, um Handlungen eine übergeordnete Richtung zu geben. Vor diesem Hintergrund komplexer Zielbildungsprozesse sind die Anstrengungen, Schulprogramme zu erstellen, auch als Versuch zu verstehen, homogenere Zielstellungen zu erfassen, um in der Folge Veränderungsprozesse besser koordinieren zu können (vgl. HAMEYER/SCHRATZ 1998). Im Idealfall kann ein Schulprogramm zu gemeinsamen Handlungen motivieren und zur Profilbildung der Einrichtung beitragen. Da die Mitwirkung an Planungs- und Gestaltungsfragen der Schule oder des Unterrichts in der Regel nicht umfassend verpflichtend ist, ist es bei der Erarbeitung eines Schulprogramms oder der Durchführung eines Schulentwicklungsprozesses von Bedeutung, möglichst viele Kollegen zur freiwilligen Mitarbeit zu bewegen.
3.2 Eigenschaften freier Jugendhilfeträger
3.2
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Eigenschaften freier Jugendhilfeträger
Neben der Schule und der Familie entwickelte sich im Verlauf der Industrialisierung ein weiteres Netz von Erziehungsinstanzen. Die sich ausbreitenden Stadtkulturen, die fortschreitende Alphabetisierung und die wachsende Bevölkerungszahl führten zu sehr unterschiedlichen sozialen Verhältnissen, die durch pädagogische Einrichtungen gezielt ausgeglichen werden sollten (vgl. MOLLENHAUER 1995). So wurden beispielsweise Armenhäuser für Kinder eingerichtet, mit der Absicht, die ökonomische und kulturelle Integration in eine gesellschaftliche Ordnung zu erreichen. Auch das Entstehen von Erziehungsheimen kann in diesen Kontext gestellt werden. Hinter den Anstrengungen verbargen sich v. a. zwei Motive: Einerseits ging es darum, das aufklärerische Ideal der Erziehung zur Vernunft und andererseits die funktionale Eingliederung in die industrialisierte Gesellschaft zu verwirklichen (vgl. ebd.). Mit der Zeit kam es zur Ausdifferenzierung pädagogischer Arbeitsfelder (z. B. die neue Bedeutung von Kindheit und Jugendalter) und darauffolgend zur Gründung neuer sozialpädagogischer Einrichtungen. Insbesondere im 20. Jahrhundert fand ein Ausbau der Infrastruktur sozialpädagogischer Dienstleistungen statt (vgl. THIERSCH 1992). Entsprechend sind die Beschäftigtenzahlen angewachsen, die Angebote noch differenzierter geworden und ein höherer Professionalisierungsgrad erreicht worden. „Soziale Dienste und öffentliche Erziehung sind untrennbar mit dem Projekt der Moderne und ihrer Entfaltung als Industriegesellschaft verknüpft“, fasst RAUSCHENBACH (1992: 26) die Entstehungsgeschichte sozialpädagogischer Institutionen zusammen. Oder, um es mit Mollenhauer (1995: 449) auszudrücken, es vollzog sich eine „Vergesellschaftung der Erziehung“. Die Jugendhilfe wird zum Spektrum sozialpädagogischer Dienstleistungen bzw. Sozialer Arbeit gezählt. Insofern können Träger der Jugendhilfe auch als sozialpädagogische Einrichtungen bezeichnet werden. Die Aufgaben und Maßnahmen der Träger sind derart verschieden, dass – anders als im Vergleich zu Schulen – nur schwer Gemeinsamkeiten zu erkennen sind (vgl. MOLLENHAUER 1995: 448). Als kleinster gemeinsamer Nenner kann das Reagieren auf Bedarfe und Folgen gesellschaftlicher Strukturmerkmale (Armut, Drogenprobleme, Immigration, Kriminalität, Ungleichheit usw.) genannt werden, von denen Kinder und Jugendliche in besonderer Weise betroffen sind (vgl. ebd.: 453). Formal sind die Leistungen der Jugendhilfe im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) bzw. im Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) definiert, hierzu zählen nach § 2 • Angebote der Jugendarbeit (z. B. Jugendclubs, Freizeiteinrichtungen), • Angebote zur Förderung der Erziehung in Familien (z. B. Beratung bei Trennung und Scheidung), • Angebote der Kindertagesbetreuung, • die Hilfen zur Erziehung (u. a. Erziehungsberatung, Vollzeitpflege, Sozialpädagogische Familienhilfe oder Gruppenarbeit, Heimerziehung), • Hilfen für seelisch behinderte Kinder- und Jugendliche sowie • Hilfen für junge Volljährige.
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Diese Leistungen werden umfangreich von freien Trägern, die den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege angehören, wie dem Diakonischen Werk, dem Deutschen Caritasverband, der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Roten Kreuz und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland erbracht (vgl. JORDAN/SENGLING 2000: 256). Finanziert werden die freien Träger von der öffentlichen Jugendhilfe, d. h. zumeist von den Kommunen, aber auch von den Bundesländern. Dort liegt letztendlich auch die Verantwortung für die Durchführung der Jugendhilfeleistungen. Administriert wird der Vollzug der Jugendhilfeleistungen von den örtlichen Jugendämtern (vgl. VAN SANTEN u. a. 2003). Das Jugendamt ist im Rahmen des § 70 (KJHG) zweigliedrig verfasst. Es besteht einerseits aus der Verwaltung und andererseits aus dem Jugendhilfeausschuss. Letzterem wird ein Beschlussrecht bei strategischen bzw. grundlegenden Angelegenheiten der Jugendhilfe eingeräumt. Im Jugendhilfeausschuss sind Mitglieder der Vertretungskörperschaft oder sachkundige Bürger sowie Vertreter anerkannter Träger der freien Jugendhilfe stimmberechtigt (vgl. JORDAN/SENGLING 2000). Die Ausdifferenzierung sozialpädagogischer Arbeitsfelder und der Vielschichtigkeit der Aufgaben führten zu schwer überschaubaren Strukturen und unterschiedlichen Interessen. Daher ist es auch teilweise erklärlich, weshalb dem Inkrafttreten des KJHG im Jahr 1991 eine knapp 20-jährige Reformdiskussion voranging (vgl. JORDAN/SENGLING 2000). Durch dieses Gesetz wurde ein differenzierter Katalog von Leistungs- und Angebotsstrukturen geschaffen, welcher es ermöglichen soll, modernen Anforderungen an die Jugendhilfe gerecht zu werden. Allgemein ermöglicht das KJHG eine umfangreichere Adressatenbeteiligung und es wird eine größere Berücksichtigung individueller Lebenslagen konstatiert (vgl. MERCHEL 1996; Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend 1999). Neben einigen anderen Hilfen sind in diesem Regelwerk auch die Leistungen der ambulanten und teilstationären Hilfen zur Erziehung definiert (HzE) worden (§§ 27–35), die für die untersuchten freien Träger dieser Arbeit von besonderer Bedeutung waren. Personenberechtigten wird darin ein Rechtsanspruch auf HzE bei entsprechender Bedarfslage eingeräumt, d. h. wenn eine angemessene Erziehung und Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen durch die Eltern nicht gewährleistet ist (§ 27). Eine bestimmte Hilfeform kann allerdings nicht beansprucht werden; die Zuteilung einer geeigneten Hilfe bleibt den örtlichen Jugendämtern vorbehalten. Am Hilfeplanverfahren (§ 36) sind mindestens ein Vertreter des zuständigen Jugendamtes, die Sorgeberechtigten des Kindes/Jugendlichen, die betroffenen Kinder/ Jugendlichen sowie die betreuenden Fachkräfte des freien Trägers beteiligt.15 Dort werden die pädagogischen Ziele der Betreuung festgeschrieben, wodurch eine organisatorische Grundlage pädagogischen Handelns geschaffen wird. Der gesetzliche Überbau des KJHG regelt das Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Trägern. Die Fallbetreuung, die im Hilfeplanverfahren formal geregelt werden soll, wird zumeist von den freien Trägern gewährleistet und von den Jugendämtern finanziert. Das schafft ein besonderes Verhältnis zwischen den beiden Einrichtungen, welches 15
Je nach Fallsituation können noch weitere Personen aus weiteren betreuenden Einrichtungen oder der Pflegestellen beteiligt sein.
3.2 Eigenschaften freier Jugendhilfeträger
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später genauer erörtert wird. Festzuhalten bleibt, dass die operativen Aufgaben in der Jugendhilfe in der Regel von den freien Trägern wahrgenommen werden, deren Dienstleistungsangebot allerdings sehr variieren kann, so dass es „den“ freien Jugendhilfeträger schlechthin nicht gibt. Zumal die genannten freien Träger nur als Dachverbände agieren, unter denen eine Fülle meist rechtlich selbständiger (Unter-) Organisationen arbeiten und Fälle relativ autonom betreuen können. Auch die überwiegend kommunale Organisation der Jugendhilfe eröffnet regional unterschiedliche Gestaltungsmuster. Um organisationale Merkmale von pädagogischen Institutionen im Jugendhilfebereich zu erörtern, sind gezielt Einschränkungen vorzunehmen. Im Folgenden werden die Dimensionen einer Organisation anhand der Situation freier Träger in Berlin diskutiert, zu deren Dienstleistungen vor allem die Hilfen zur Erziehung gehören (und die jeweils einem Dachverband angehören).
3.2.1 Regulierung des Inputs Jugendhilfeträger, die HzE anbieten, finanzieren sich in der Regel über die Fachleistungsstunden, d. h. über die Anzahl der Stunden, die von den einzelnen Fachkräften für die Fallbetreuung nach einem Regelsatz aufgebracht werden (vgl. KLATETZKI/ WINTER 2003). Es besteht dadurch für die freien Träger eine direkte, finanzielle Abhängigkeit von der Fallzuteilung durch das Jugendamt, weil die Finanzierung des eigenen Personals von der Berücksichtigung bei der Fallvergabe abhängt. Bei knappen öffentlichen Kassen kann das rasch zu einem existenziellen Problem für die freien Träger anwachsen, vor allem, wenn überwiegend Hilfen zur Erziehung angeboten werden und keine alternativen Finanzierungsquellen zugänglich sind. Die Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Fachkräfte werden in Berlin durch Leistungsbeschreibungen geregelt, die für die HzE zusätzlich zum KJHG festgelegt werden (vgl. z. B. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2005). Die Leistungsbeschreibungen stellen daher einen Schlüssel dar, mit dem u. a. die Professionalisierung der Jugendhilfe gesteuert werden kann. Während früher der Arbeitsmarkt für viele sozialpädagogische Tätigkeiten auch Fachfremden offen stand, ist der Zugang in der Vergangenheit immer stärker eingeschränkt und zunehmend nur noch ausgebildeten Fachkräften ermöglicht worden. Entsprechend haben in freien Jugendhilfeeinrichtungen Professionalisierungen eingesetzt.
3.2.2 Zur Bestimmung des Outputs Analog zur Bestimmung des Outputs und Erfolgs von Schulen sind auch die erbrachten Leistungen in der Jugendhilfe bzw. bei den Hilfen zur Erziehung schwer zu bemessen. Die fachliche Begründung eines erzielten Ergebnisses ist mit Ungewissheiten verbunden (vgl. MERCHEL 2000b). Teilweise gelingt es, eine Leistung zu messen, z. B. wenn eine Verhaltensauffälligkeit wie das Schulschwänzen eines Schülers abnehmen soll und der Schulbesuch im Laufe der Fallbetreuung zunimmt. In anderen Fällen, z. B. bei Veränderungen von Beziehungsmustern zwischen Eltern und Kindern, sind geeignete Indikatoren nur schwer zu ermitteln. So ist es erklärlich, dass ein
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Mangel sowohl an der messtechnischen Erfassung des Produkts als auch an der Zuordenbarkeit zwischen Ursache und Wirkung festgestellt wird (vgl. MERCHEL 2000b). Ein wichtiges Element in der Leistungsbeurteilung ist die Übereinstimmung zwischen der zuständigen Verwaltungskraft im Jugendamt, des Klienten und der fallbetreuenden Fachkraft des verantwortlichen freien Trägers über den Fallverlauf und den Sinn der getroffenen Maßnahmen sowie der eingesetzten Methoden. In diesem Kontext gibt es bisher allerdings wenige Versuche, die Effekte erzieherischer Hilfen umfangreich zu erfassen (vgl. z. B. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002).
3.2.3 Anmerkungen zu Organisationsstrukturen Mit der Einführung des Hilfeplanverfahrens, der Leistungsbeschreibungen oder generell des KJHG ist eine deutlichere Standardisierung von Arbeitsprozessen und damit eine Einschränkung der Autonomie pädagogischen Handelns in der Jugendhilfe einhergegangen. Die damit ausgeübte Kontrolle erinnert an Verfahren, wie sie für funktional gegliederte Organisationen typisch sind. Interne Organisationsstrukturen können bei freien Jugendhilfeträgern jedoch anders gestaltet sein. Die oben genannten Kontrollverfahren haben zugleich die qualifikatorischen Anforderungen definiert. Die Festlegung auf qualifikatorische Standards hat zu einer Professionalisierung der betroffenen Bereiche der Jugendhilfe beigetragen. Nach KLATETZKI (1995) wäre es in Anlehnung an die MINTZBERG’schen Organisationsmodelle denkbar, mindestens die Jugendämter ebenfalls als professionelle Bürokratien zu betrachten. Dies begründet er u. a. mit der Tatsache, dass die Fachkräfte diese standardisierten Fertigkeiten erworben haben und es dadurch möglich wäre, die Fallbetreuungen relativ selbstbestimmt zu gestalten. Allerdings gibt er zu bedenken, dass im Gegensatz z. B. zum Ingenieurswesen, zur Medizin oder zur Jurisprudenz die Sozialarbeit oder die Sozialpädagogik als Profession „nicht über eine […] vergleichbare, einheitliche Wissensgrundlage“ (KLATETZKI 1995: 15) verfügt. Die Abstimmungsprozesse über professionelle Wissensbestände ergeben sich demzufolge nicht von selbst und eröffnen die Etablierung weiterer Kontrollmechanismen, wie z. B. die oben genannte Kontrolle der Arbeitsprozesse. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen an sozialpädagogische Arbeitsprozesse, wie sie später genauer erörtert werden. Ein weiteres Merkmal von freien Jugendhilfeträgern sticht hervor, welches für die Gestaltung der Organisationsstrukturen wichtig sein kann; das ist die geringe Größe der Träger. Die interne Kommunikation erfolgt über kurze Wege und ist automatisch weniger standardisiert, sondern hat eher informellen Charakter. Die Leitungsebene übt in diesen Einrichtungen eine zentrale Funktion aus. Über sie laufen die Kommunikationswege im Wesentlichen unbürokratisch zusammen und im Hinblick auf die strategische Ausrichtung kann ihr eine besondere antizipative, planerische Rolle zukommen. Bürokratische, kontrollierende Regelungen sind nicht typisch für diesen Organisationstypus, sondern werden, so weit vorhanden, der Organisation eher von außen aufgezwungen. Hier werden Analogien zum Modell der einfachen Struktur erkennbar, welches für das Verständnis freier Jugendhilfeträger häufig geeignet scheint
3.2 Eigenschaften freier Jugendhilfeträger
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(vgl. MERKENS 2006). Das Modell liegt aber womöglich auch aus einem anderen Grund zur Erörterung von freien Jugendhilfeinstitutionen nahe. Die einfache Struktur ist nach MINTZBERG (1989) eher ein Modell einer jungen Organisation, daher bezeichnet er es alternativ als „entrepreneurial organization“. Fest etablierte Strukturen sind auch deshalb weniger wahrscheinlich. Dieses Merkmal ist vielen freien Berliner Trägern zu eigen, die sich im Bereich der Hilfen zur Erziehung engagieren. In der folgenden Darstellung der einfachen Struktur wird die Dominanz der operativen (breiter, unterer Baustein) und der strategischen, leitenden (schmaler, oberer Baustein) Ebenen sichtbar,16 die kurze und direkte Kommunikationswege zwischen beiden Ebenen ermöglicht.
Abbildung 6: Einfache Struktur nach MINTZBERG17
Durch die typischerweise geringe Standardisierung von Entscheidungsprozessen, Informationen oder Kontrollen hängt der Erfolg dieser Organisationen insbesondere vom Gelingen der Kommunikationsprozesse ab, was eine entsprechende Kooperationsbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter und der Leitung erfordert. Dieser kooperative und unbürokratische Strukturtyp stellt ein Gegenmodell zu hierarchisch geprägten Organisationen dar, die traditionell in der Pädagogik kritisiert wurden. Es können zu den bisherigen Ausführungen zur strukturellen Gestaltung von freien Trägern noch weitere Merkmale erörtert werden. Viele freie Träger bieten mehr als nur eine Art der Hilfe an, ihr Angebot ist vielseitiger bzw. diversifiziert. Die Diversifikation erfolgt entweder im Rahmen der HzE (z. B. Soziale Gruppenarbeit und Familienhilfe) oder sie reicht darüber hinaus auf andere Gebiete der Jugendhilfe (z. B. Familienhilfe und Partnerschafts- und Trennungsberatung). Strukturell kann sich das in einer diversifizierten Gliederung niederschlagen (vgl. 2.3.3), so dass die einzelnen Hilfearten in organisationalen Einheiten organisiert sein können. Die verschiedenen Hilfen zur Erziehung verlangen unterschiedliche fachliche Spezialisierungen, die einerseits in den Leistungsbeschreibungen geregelt sind und andererseits über die 16 17
Stäbe sind für dieses Organisationsmodell untypisch. Vgl. ebd. (1983: 159).
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Hilfeplanverfahren transportiert werden. Insofern können unterschiedliche Einheiten zu jeweils eigenen Abstimmungsprozessen gelangen. Dennoch kann kaum von einer Dominanz diversifizierter Strukturen bei freien Jugendhilfeträgern ausgegangen werden. Denn einerseits lässt sich durch die kleine Organisationsgröße vieler freier Träger eine klare strukturelle Trennung kaum durchhalten und andererseits erfordern die diversen Hilfeangebote nicht unbedingt die Ausgestaltung derart unterschiedlicher Kompetenzbereiche, weil Fachkräfte mehrere Hilfeangebote ausfüllen und oft nicht ausschließlich einer Organisationseinheit zuordenbar sind. Die durch das KJHG eröffneten formalen Kooperationsmöglichkeiten zwischen freien Trägern und Jugendämtern, wie sie z. B. im Jugendhilfeausschuss, in der Jugendhilfeplanung oder im Hilfeplanverfahren sichtbar werden, können im Idealfall den regelmäßigen Austausch und die Partizipation der freien Träger an der strategischen Ausrichtung der Jugendhilfe fördern (vgl. MERCHEL 2000a). In diesem Kontext ist auch die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften zu erwähnen. Nach § 78 KJHG können Arbeitsgemeinschaften zwischen öffentlichen Trägern der Jugendhilfe und anerkannten freien Trägern gebildet werden, um die operative Umsetzung geplanter Maßnahmen zu koordinieren. Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung können z. B. die Qualitätsstandards zum Hilfeplanverfahren erörtert und diesbezüglich konkrete Vorschläge unterbreitet werden. Solchermaßen werden strukturell netzwerkartige Beziehungen geknüpft, die den Austausch von Erfahrungen fördern und durch Kooperation zu Effektivitätssteigerungen führen können.
3.2.4 Die Bedeutung der Prozesse Wie zuvor bei der Erörterung der pädagogischen Institution Schule gilt auch für freie Jugendhilfeträger mit dem inhaltlichen Schwerpunkt HzE, dass die Prozesse nur schwer getrennt von der Struktur zu diskutieren sind. Eine inhaltliche Kontrolle der Arbeitsprozesse wird durch die Dokumentationspflicht der Fallbetreuung zu erzeugen versucht, die vor allem durch das Hilfeplanverfahren und die Fallfinanzierung entsteht. Beides ergibt sich aufgrund des im KJHG zugrunde gelegten Vertragsverhältnisses zwischen Jugendamt und freien Trägern. Das Jugendamt trägt für die Wahrnehmung der gesetzlich definierten Aufgaben die Verantwortung. Daraus leitet sich eine Kontrollfunktion in Bezug auf die Einhaltung fachlicher Kriterien bei der Fallbetreuung und über den Einsatz der bereitgestellten finanziellen Mittel ab. Die Dokumentationspflicht stellt in diesem Kontext einen wichtigen Bestandteil der Kontrollausübung und ein typisches Merkmal bürokratischer Ordnungen dar (vgl. MAYNTZ 1963; WEBER 1980). Das Hilfeplanverfahren verlangt nach § 36 KJHG zu Beginn einer Hilfe den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe und die notwendigen Leistungen und Methoden festzulegen und in diesem Kontext auch Ziele zu formulieren. Daran soll eine regelmäßige Überprüfung anknüpfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Durch das Verfassen von Fallberichten (z. B. Zwischen- oder Abschlussberichte) kann der Fallverlauf in ein Verhältnis zu den anfänglich dokumentierten Zielen im Hilfeplan gebracht und bewertet werden. Insofern stellt das Hilfeplanverfahren den Versuch dar, in gewisser Weise Teile der Arbeitsabläufe in der
3.2 Eigenschaften freier Jugendhilfeträger
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Fallbetreuung zu standardisieren. Aufgrund der Fallspezifität steht das Hilfeplanverfahren in einem Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Lebenssituation der Betroffenen und den festgelegten Verfahrenswegen bzw. zwischen der Autonomie und der Kontrolle pädagogischen Handelns (vgl. THIERSCH 2002). Den freien Trägern entstehen verschiedene Kosten, die unterschiedlich finanziert werden (vgl. KLATETZKI/WINTER 2003). So müssen z. B. die Nutzung der Räumlichkeiten, Instandhaltungen, die Administration oder das Personal finanziert werden. Die Deckung dieser Kosten wird in der jeweiligen Fallfinanzierung berücksichtigt (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin 2005). Das wiederum erfordert ein anteilsmäßige Dokumentation der Kosten, was auch eine differenzierte Darstellung der Arbeitszeiten notwendig macht. So müssen z. B. sowohl die reinen Arbeitszeiten mit den Kindern und Jugendlichen und die Arbeit mit den Eltern als auch die Zeit für die Fallverwaltung dokumentiert werden. Diese Dokumentationspflichten sind zeitaufwändig und erhöhen die bürokratischen Anforderungen, welche das skizzierte Spannungsverhältnis zwischen pädagogischem Handeln und dessen Organisation verschärfen können. Die größere bürokratische Kontrolle resultiert vor allem aus dem Kostendruck der öffentlichen Hand, der an die freien Träger weitergegeben wird. Infolgedessen wird versucht, die Wirkungen pädagogischen Handelns im Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen zu kontrollieren und zu dokumentieren. Dieses wird u. a. im nächsten Kapitel näher dargestellt. Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung kommen die verschiedenen zuvor diskutierten Koordinationsmechanismen auf unterschiedliche Weise zum Tragen. Zum einen besteht durch die Kontrollfunktion des Jugendamtes die Möglichkeit, Vorstellungen über die zu leistende Betreuung per Weisungsbefugnis durchzusetzen. Dies könnte z. B. im Hilfeplanverfahren zwischen den Mitarbeitern der Jugendämter und denen der freien Träger geschehen, wenn diese über die Art der Fallbetreuung unterschiedliche Vorstellungen haben. Durch die Kooperationsverpflichtung zwischen Jugendamt und freien Trägern dürfte von diesem Instrument allerdings nur bedingt Gebrauch gemacht werden, um keine unnötigen atmosphärischen Verstimmungen zu riskieren. Der Koordinationsmechanismus der wechselseitigen Kooperation ist nicht nur im Verhältnis zwischen Jugendamt und freien Trägern, sondern ist auch innerhalb der Abläufe freier Jugendhilfeträger wahrscheinlich. Die zuvor dargestellte Bedeutung informaler Abstimmungen beruht auf funktionierenden Kooperationsmustern zwischen Kollegen. Das kann sich u. a. auf administrative Angelegenheiten des freien Trägers beziehen. Auf formaler Ebene können gemeinsame Sitzungen oder Supervisionen die Abstimmungen zur Organisation sozialpädagogischer Arbeit unterstützen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999). Die genannten fachlichen Abstimmungen müssen aber nicht nur administrativen Zwecken dienen, sondern können in der Reflexion des pädagogischen Handelns zur Entwicklung von Fachlichkeit führen. In gewisser Weise leistet das einen Beitrag zur Professionalisierung. Das kann in der Folge zu einer stärkeren Homogenisierung der Methoden- und Problemlösungskompetenzen der Fachkräfte führen. Dies wird zusätzlich unterstützt durch eine Standardisierung von Qualifikationserwartungen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung.
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Ein weiterer Koordinationsmechanismus, die Standardisierung von Arbeitsabläufen, kann, wie erwähnt, über die Hilfeplanverfahren oder die Dokumentationspflicht versucht werden. Dies stellt einen Rahmen pädagogischen Handelns dar. Allerdings dürften in der operativen pädagogischen Arbeit genügend Handlungsspielräume für fallspezifische Auslegungen bleiben. Schließlich lässt sich die für Schulen formulierte Annahme, dass bestimmte Normen, Werte oder Gepflogenheiten das organisationale Handeln und Denken beeinflussen können, auch auf freie Jugendhilfeträger übertragen. Diese können sich u. a. in Symbolen (z. B. Organisationslogo), in Ritualen (z. B. Begrüßungsritualen) oder der Art zu kommunizieren (z. B. offen oder zurückhaltend) ausdrücken.
3.2.5 Die Umwelt von freien Jugendhilfeträgern Das Jugendamt ist für freie Träger eine zentrale Referenzgröße in der Umwelt. Auch wenn das KJHG grundsätzlich die Kooperation zwischen Jugendamt und den anerkannten, freien Trägern fordert, ist das Jugendamt in einer anderen Machtposition als die freien Träger. Konkret schlägt sich das in einer Abhängigkeit von der Fallzuteilung nieder, die in hohem Maße zur Finanzierung der Einrichtungen beiträgt. Das kann zu einer fragwürdigen ökonomischen Fokussierung auf die Akquise von Fällen führen (vgl. HINTE 2000). Dennoch verfügen freie Träger, wie erwähnt, auch über Mitwirkungsrechte, die sie formal Einfluss auf die Geschehnisse in der Jugendhilfe nehmen lassen. Die Auswirkungen einer wirkungsvollen Einbringung setzt allerdings funktionierende Abstimmungsprozesse zwischen freien Trägern voraus, die im Jugendhilfeausschuss oder in Arbeitsgemeinschaften vertreten sind sowie im Rahmen der Jugendhilfeplanung eingebunden werden sollen. Das führt zu einer Situation, in der freie Träger einerseits im Rahmen der Fallakquise sich gegenseitig als Konkurrenten wahrnehmen, andererseits gemeinsame Interessen gegenüber dem Jugendamt vertreten können. Letzteres kann potenziell zu Auflösungen von Grenzen zwischen freien Trägern führen, welche jedoch im Kontext des Konkurrenzaspektes immer wieder herstellbar sind. Die Klienten von freien Jugendhilfeträgern sind eher als Empfänger von Leistungen zu verstehen und in der Regel nicht direkt in organisationsspezifische Entscheidungen eingebunden. Deswegen fällt die Zuordnung der Klienten zur Umwelt einfacher, als das in Schulen mit den Schülern der Fall ist. Dennoch ergibt sich aus den individuellen Fallkonstellationen eine relevante Berücksichtigung der Klientenbedarfe, die letztlich in die organisationale Gestaltung einfließen. Weitere relevante unmittelbare Umweltfaktoren für freie Jugendhilfeeinrichtungen, die vor allem HzE anbieten, können z. B. Schulen, Schulverwaltungen, Horte, Erziehungsberatungsstellen, Kindergärten, Kinderkrippen, Nachbarn, Sponsoren usw. sein. Das Verhältnis zu diesen Umweltfaktoren ist gegenwärtig einigen Veränderungen unterworfen, die im anschließenden Kapitel näher begründet werden.
3.2.6 Komplexe Zielbildungsprozesse Die Gleichzeitigkeit eines Konkurrenz- und Kooperationsverhältnisses zu anderen freien Trägern und einer Vielzahl von Umweltfaktoren, die berücksichtigt werden
3.3 Schule und freie Jugendhilfeträger als besondere soziale Organisationen
61
können, wirken sich entsprechend auf die Zielstellungen aus. Einerseits müssen die Einrichtungen auf die kontinuierliche Fallzuteilung ausgerichtet sein und insofern durch ihr Handeln Gründe liefern, die eine regelmäßige Berücksichtigung gerechtfertigt erscheinen lassen. Sie müssen quasi ein eigenes organisationales Profil erarbeiten. Andererseits dürfen sie diese Rolle nicht zu stark ausfüllen, denn in der Kooperation mit anderen Einrichtungen müssen sie wiederum das Gemeinsame hervorheben. Daher baut sich ein Spannungsverhältnis in den Zielstellungen auf. Ausgehend von der Annahme, eher einfache Strukturen bei freien Jugendhilfeträgern anzutreffen, werden die Zielbildungs- und Strategieentwicklungsprozesse vor allem auf der strategischen Ebene entworfen und gesteuert. Führung ist ein zentrales Element der einfachen Struktur (vgl. MINTZBERG 1989), so dass die Entwicklung von Zielen und Strategien ohne die direkte Verwicklung der Leitung kaum vorstellbar ist.
3.3
Schule und freie Jugendhilfeträger als besondere soziale Organisationen
In diesem Kapitel sind die zuvor allgemein erörterten Merkmale von Organisationen anhand der pädagogischen Institutionen Schule und freie Jugendhilfeträger (mit dem Schwerpunkt HzE) fokussierter betrachtet worden. Diese Grundlage soll im weiteren Verlauf der Arbeit das Verstehen von dortigen Veränderungsprozessen erleichtern, und zwar auch für diejenigen, die sich bisher nicht mit diesen pädagogischen Institutionen befasst haben. In beiden Einrichtungstypen ist das Qualifikationsniveau der Belegschaften hoch, die Zielstellungen stehen in einem konkreten administrativen Zusammenhang zu Behörden und politischen Entscheidungen, und im Kontext von Erziehung und Bildung sind ihre produzierten Ergebnisse kaum auf bestimmte Maßnahmen direkt zurückzuführen. Das führt zu komplexen Aufgabenstellungen und zu einem eigenen Spannungsverhältnis zwischen der Autonomie pädagogischen Handelns und dem Versuch, dieses gleichzeitig von außen bürokratisch zu kontrollieren. In Anlehnung an ROLFF (1995), der sich auf Schulen bezieht, erlaubt das die Etikettierung als besondere soziale Organisationen.18 Die Abhängigkeit von einer übergeordneten Verwaltungsbehörde hat eine stellenweise direkte Beeinflussung und Kontrolle durch Jugendämter bzw. Schulverwaltungen zur Folge. Dennoch verfügen sie über Gestaltungsspielräume bezogen auf ihr pädagogisches Handeln, und zwar sowohl nach außen (z. B. Profilierung, Kooperation) als auch nach innen (z. B. Abstimmungsmodi, Ziele). Die Bedeutung der Prozesse beruht vor allem darauf, dass Lehr-Lern-Verhältnisse sich kaum direkt über die Organisationsstruktur steuern lassen und eine situative Offenheit in der Arbeit mit den Adressaten benötigen. Das Erreichen möglichst optimaler Gelingensbedingungen wird in der Regel durch die Kombination mehrerer Koordinationsmechanismen versucht. 18
Mit „sozial“ wird hier auf ein institutionelles Verständnis abgestellt, das in Anlehnung an MAYNTZ (1963) Organisationen als soziale Gebilde betrachtet.
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3 Ausgewählte pädagogische Institutionen und ihre spezifischen Merkmale
Die Kombination bestimmter Merkmale der MINTZBERG’schen Organisationsmodelle, und nicht die Festlegung auf nur einen Modelltyp, bietet sich auch im Hinblick auf die Beschreibung von Struktureigenschaften pädagogischer Institutionen an. Die eine Organisationsstruktur einer Schule oder eines freien Jugendhilfeträgers lässt sich nicht identifizieren. Diese Vielfalt erschwert z. B. auch die Herstellung eines empirischen Zusammenhangs zwischen bestimmten organisationalen Ausprägungen und bestimmten Umweltfaktoren, welches z. B. ein zentrales Anliegen des Situativen Ansatzes ist. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Veränderungsprozesse in der Umwelt der beiden pädagogischen Einrichtungen verändern sich die Rahmenbedingungen und können zu Veränderungen im Hinblick auf die hier diskutierten organisationalen Merkmale führen. Das ist Gegenstand des anschließenden Kapitels.
4
Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen und die Bedeutung des organisationalen Wandels
Diese Arbeit sucht nach einer Interpretation von Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen, doch zuvor müssen die Anlässe zu den Veränderungsprozessen thematisiert werden. Im bisherigen Verlauf wurden die veränderten Rahmenbedingungen von pädagogischen Institutionen, auf die sie reagieren müssen, nur angedeutet. In diesem Kapitel werden die Veränderungen in der Umwelt von pädagogischen Institutionen konkretisiert, welche für diese beobachtbar und folgenreich sein können. Um sie strukturiert erörtern zu können, wird auf die im zweiten Kapitel vorgestellte Analyse der Umweltebenen rekurriert. Demzufolge können direkte oder indirekte Einflussgrößen auf organisationale Geschehnisse identifiziert werden. So lassen sich allgemeine Umweltentwicklungen von spezielleren differenzieren und damit unterschiedliche Anforderungen qualifizieren, die auf pädagogische Institutionen wie Schulen und freie Jugendhilfeträger einwirken können. Die folgende Darstellung greift das auf, setzt sich zunächst mit allgemeineren Veränderungen auseinander und geht dann über zur Diskussion speziellerer Umweltentwicklungen. Es wird nicht beansprucht, alle Herausforderungen darzustellen, sondern vielmehr nur einige wichtige zu diskutieren, mit denen pädagogische Einrichtungen konfrontiert sind. Werden bestimmte Ereignisse als relevant identifiziert, müssen sich pädagogische Institutionen zu diesen Umweltentwicklungen verhalten bzw. sich an sie anpassen. Am Ende des Kapitels wird damit begonnen, erste Interpretationsansätze von Veränderungsprozessen zu erörtern.
4.1
Veränderte globale Umweltbedingungen
Werden die globalen Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen mit dem zuvor diskutierten Umweltmodell (vgl. 2.3.1) analysiert, so lassen sich gravierende Veränderungen feststellen. Spätestens seit dem Ende der Nachkriegsordnung sind weltweite Prozesse im Gange, die sich unter dem Begriff der Globalisierung subsummieren lassen. Ökonomisch betrachtet sind neue, zuvor abgeschottete, Märkte erschlossen worden und neue Wettbewerbssituationen entstanden. Davon sind Staaten oder Regionen betroffen sowie infolgedessen auch Organisationen, als relevante Bestandteile moderner Gesellschaften. Die Umwelt ist für viele Organisationen seither weniger stabil, weniger berechenbar, sondern vielmehr dynamischer, unkalkulierbarer geworden. Sie sind mit einer fast durchgehend wachsenden Wettbewerbsintensität konfrontiert (vgl. PAWLOWSKY 1998). In einer Analyse über die Auswirkungen weltweit veränderter Wettbewerbsbedingungen für überwiegend klassische, produzierende Industriebetriebe zählen BAETHGE/BAETHGE-KINSKY (1998) einige Veränderungsaspekte auf. So sind bei-
64
4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
spielsweise tendenziell die Produktzyklen erheblich kürzer geworden, wodurch sich die Forderung nach Innovationen in immer kürzeren Zeitabständen stellt. Ferner hat sich der Druck auf Preisbildungen der Wettbewerber erhöht, was sich auf der Einnahmenseite mit einer größeren Unsicherheit bemerkbar macht. Zudem tragen technische Entwicklungen dazu bei, z. B. in der Informations- und Kommunikationstechnologie, räumliche Distanzen zu überwinden und die Erreichbarkeit zu erhöhen. Damit können sowohl kooperative Vernetzungen als auch intensivere Konkurrenzsituationen hervorgerufen werden. Gleichzeitig wird der Qualität von Produkten eine hohe Bedeutung beigemessen, um ihren Absatz zu gewährleisten. WALGENBACH/BECK (2000: 348) sprechen diesbezüglich, zumindest für Deutschland, von einer „sozialen Bewegung“, die zur breiten Anerkennung des Qualitätsmanagements führte. Und – schließlich – hat die Herstellung von Kundennähe bzw. die Ausrichtung auf die Kundenbedarfe noch an Bedeutung gewonnen, um im Wettbewerb bestehen zu können (vgl. BAETHGE/BAETHGE-KINSKY 1998). Das deutet sich u. a. im Konzept der Prozessorganisation an, das insbesondere auf einer ausgeprägten Kundenorientierung beruht (vgl. BEA/GÖBEL 2002), um individuellere Problemlösungen anbieten zu können. Als Konsequenz der dargelegten Entwicklungen wird für Organisationen eine Notwendigkeit gesehen, ihre Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass sie in hohem Maße flexibel reagieren können (vgl. z. B. BAETHGE/BAETHGE-KINSKY 1998). In diesem Kontext wird vor allem die Bedeutung der Prozesse hervorgehoben, die tendenziell hierarchieübergreifend zu organisieren seien. Die skizzierten Entwicklungen bleiben nicht auf privatwirtschaftlich verfasste Organisationen begrenzt, sondern gelten auch für nicht-erwerbswirtschaftliche Organisationen. Denn infolge dynamischerer Marktsituationen geraten Staaten als Einheiten in Konkurrenz um bestmögliche Investitions- und Lebensbedingungen.19 Das erhöht den Druck auf der Einnahmeseite, der u. a. durch verschärfte Kostenkontrollen auf der Ausgabenseite von öffentlichen Haushalten ausgeglichen werden kann und oft mit finanziellen Einschnitten einhergeht. Das kann sich auch auf pädagogische Institutionen auswirken, die in der Regel staatlicher Mittel bedürfen und infolgedessen mit dem Primat der Knappheit öffentlicher Kassen konfrontiert sind. Potenziell konkurrieren sie dadurch um die Verteilung knapper Mittel, wodurch wettbewerbsähnliche Kriterien auch in nicht-erwerbswirtschaftlichen bzw. bedarfsdeckenden Organisationen angetroffen werden können. Deswegen wird die Konzipierung attraktiver Angebote und die Sicherung sowie die Entwicklung von Qualität zum wichtigen Thema der Pädagogik. Ferner kann die zunehmende Bedeutung von Wissen im Kontext veränderter makroökonomischer Bedingungen genannt werden. Hierbei wird eine zunehmende Wertschätzung von Wissen als Ressource bzw. Produktionsfaktor diagnostiziert, die bei vielen Produkten und Dienstleistungen die Wissensintensität steigen lässt (vgl. STEHR 1994; PAWLOWSKY/REINHARDT 1998; BEA/GÖBEL 2002). Für Organisationen wird Wissen somit ein wichtiger Faktor der Profilierung und der Innovation in Wettbewerbssituationen – ein Faktor, dessen Vermittlung zum Kern pädagogischen Handelns gehört. 19
In diesem Zusammenhang wird in Diskussionen über die Entwicklung von Staaten oder Regionen oft das Schlagwort „Standort“ benutzt.
4.2 Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt der ausgewählten pädagogischen Institutionen
65
Weitere Veränderungen der Umweltbedingungen lassen sich in soziokultureller Hinsicht identifizieren, die zwar in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext platzierbar sind, aber auch Auswirkungen auf pädagogische Institutionen haben. Diskussionen um den Wertewandel in hoch entwickelten Industrienationen können beispielsweise hier genannt werden. So ist in den vergangenen Jahrzehnten die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und Werte wichtiger geworden. KLAGES (1999: 65) spricht in diesem Zusammenhang von einer Werteverschiebung von „Pflicht- und Akzeptanzwerten“ zu mehr „Selbstentfaltungswerten“. Demzufolge werden gesellschaftliche Werte und institutionelle Regeln stärker hinterfragt und von einer Aufwertung autonomeren, individuelleren Handelns abgelöst. Für Organisationen hat das allgemein zur Folge, nicht nur stärker individuelle Kundenbedürfnisse, sondern z. B. auch die Motivation von Mitarbeitern als wichtiges Themenfeld berücksichtigen zu müssen. Auch werden gesellschaftliche Probleme generell als vielschichtiger oder mehrdeutiger wahrgenommen. BECK (1986) subsumiert darunter Phänomene wie die Fragilität von Sicherheiten, wie sie für eine „Risikogesellschaft“ üblich sind. Die Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen oder der Verlust von Sicherheiten, bezogen auf das Handlungswissen und leitenden Normen, bedingen eine größere Auswahl an Optionen in der Gestaltung von Lebensentwürfen. Ähnliches kann u. a. hinsichtlich der längeren Lebenserwartungen beobachtet werden, die Erwerbsbiografien verändern und neue Strategien für Produkte oder Dienstleistungen erfordern oder die Finanzierung sozialer Sicherungssysteme erschweren. Globalisierungsprozesse können die Zahl interkultureller Begegnungen erhöhen, die einige Herausforderungen für moderne Gesellschaften und bestehende kulturelle Systeme darstellen können. Wissen wird bezüglich des Umgangs mit diesen Risiken auch deshalb so wichtig, weil es strukturierte Problemzugänge eröffnet und so zur Bewältigung von Komplexität beitragen kann. Aus den Ausführungen zu den globalen Umweltentwicklungen lässt sich vor allem festhalten, dass die Rahmenbedingungen von Organisationen sich generell verändert haben und vielfältiger geworden sind, was sich indirekt auf pädagogische Institutionen auswirken kann. Viele Organisationen sind vor diesem Hintergrund herausgefordert, ihr bisheriges Handeln intensiv zu hinterfragen und eventuell anders auszurichten, um angemessene Produkte oder Dienstleistungen erbringen zu können. Die disziplinübergreifende Aktualität der Beschäftigung mit dem organisationalen Wandel ist vor diesem Hintergrund erklärlich (vgl. STAEHLE 1999).
4.2
Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt der ausgewählten pädagogischen Institutionen
In einem weiteren Schritt werden nun einige Umweltbedingungen herausgearbeitet, mit denen viele pädagogische Institutionen unmittelbar beschäftigt sind. Einen Anknüpfungspunkt bildet z. B. das Thema Bildung. Diesem Thema wird seit einigen Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit beigemessen – nicht selten wird behauptet, es sei zu einem „Megathema“ (z. B. DEWE/GALILÄER 2002: 163) geworden. Auf ähnliche Weise lässt sich das auf die Soziale Arbeit bzw. die Kinder- und Jugendhilfe
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4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
übertragen, denn auch ihrem zentralen Thema Erziehung kommt eine wachsende Bedeutung im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess zu (vgl. WINKLER 2004: 59). Die verschiedenen Gründe werden im Folgenden zu strukturieren versucht. Teilweise geschieht dies in einer getrennten Darstellung für die direkten Umwelten von Schulen und freien Jugendhilfeträgern. Da aber für die beiden pädagogischen Bereiche auch gemeinsame Herausforderungen feststellbar sind, werden zunächst diese thematisiert. Die zuvor erörterten soziokulturellen Veränderungen üben auf pädagogische Institutionen insofern Einfluss aus, als damit z. B. ein Wandel der Familienstrukturen, der Bevölkerungsstruktur und der Bewertung von individuellen Problemlösungen verbunden sein kann. Bezogen auf veränderte Familienstrukturen wird vor allem eine Lockerung familiärer Bindungen bzw. eine kleinere Anzahl an möglichen Bezugspersonen hingewiesen. Darin wird ein Abbau familiärer Erfahrungsmöglichkeiten gesehen, der durch institutionelle Erziehungsangebote zur Unterstützung von Sozialisationsprozessen zu kompensieren versucht wird (vgl. z. B. MÜNCHMEIER 1992; ROLFF 1995). Die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur sind für pädagogische Institutionen wie Schulen oder freie Jugendhilfeträger u. a. folgenreich, weil der Anteil der unterrichteten oder betreuten Kinder und Jugendlichen mit nicht-deutscher Herkunft stetig angestiegen ist und das eine stärkere interkulturelle Kompetenz im pädagogischen Handeln verlangt. Ein weiterer soziokultureller Aspekt, mit dem sich pädagogische Institutionen beschäftigen müssen, ist die stärkere Ausrichtung auf die individuellen Bedarfe der Adressaten. Obwohl das zum Kern pädagogischer Prozesse gehört, ist die Absicht, individuelle Bedingungen der Adressaten systematisch zu berücksichtigen, noch relativ jung (vgl. TIPPELT 2000; DEWE/GALILÄER 2002). In diesem Kontext sind auch Forderungen einzuordnen, die auf eine engere Vernetzung zwischen Jugendhilfe und Schule abzielen (vgl. z. B. THIMM 1999; HOLTAPPELS 2004). Im Hinblick auf die ökonomischen Bedingungen sind die beiden pädagogischen Bereiche Jugendhilfe und Schule mit einer immer prekärer werdenden öffentlichen Finanzsituation konfrontiert, die für umfangreiche Investitionen in das Bildungs- und Erziehungssystem, wie sie oft für nötig gehalten werden (vgl. z. B. Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft 2004), kaum Spielräume lassen. Das kann mit den oben beschriebenen Anforderungen kollidieren. Die Berücksichtigung demografischer Entwicklungen, veränderter Familienstrukturen und individueller Bedarfe führen zu weiteren Ausdifferenzierungen der pädagogischen Aufgaben und können mit entsprechenden Kosten verbunden sein. Ein weiteres gemeinsames Thema von Schulen und Jugendhilfeträgern ist die Sicherung und Entwicklung der Qualität ihrer Arbeit. Das Thema Qualität wird aktuell intensiv erörtert (vgl. DEWE/GALILÄER 2002). Die Aufmerksamkeit, die dieses Thema genießt, hat mehrere Ursachen, welche in der unmittelbaren Umwelt zu suchen sind. Zum einen lassen sich ungelöste Probleme des Bildungs- und Erziehungssystems ausmachen, die zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den pädagogischen Leistungen herausfordern. Anhand der PISA-Studie oder dem Thema Jugendgewalt lässt sich das exemplarisch demonstrieren. Zum anderen führen problematische Haushaltssituationen der öffentlichen Hand dazu, die Allokation finanzieller Mittel
4.2 Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt der ausgewählten pädagogischen Institutionen
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genauer zu überprüfen und sie in Relation zu den Erträgen zu stellen. HEINER (1998) unterscheidet zwischen Qualitätssicherung sowie Qualitätskontrolle auf der einen und Qualitätsentwicklung auf der anderen Seite. Letzteres versteht sie als Maßnahme, Neues zu entdecken und zu entwickeln. MERCHEL (2000b) teilt dieses Begriffsverständnis und weist auf die dialogische, prozesshafte Komponente der Qualitätsentwicklung hin, welche eine bestimmte situative Offenheit erfordere und für die Bewertung pädagogischen Handelns angemessen sei. Die Qualitätsdebatte in der Pädagogik ist in einen Zusammenhang mit neuen Steuerungsansätzen in der öffentlichen Verwaltung zu stellen. Diese Bewegung ist in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre in besonderer Weise von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt)20 beeinflusst worden und gründet sich u. a. auf den Finanzierungsproblemen des Sozialstaates, der nachlassenden Steuerungsfähigkeit sowie in Effizienz- und Akzeptanzdefiziten staatlicher Institutionen (vgl. WEISS 2001). Das Handeln in öffentlichen Institutionen wird demzufolge verstärkt auf die Parameter Effizienz und Effektivität auszurichten versucht, um das Management mit öffentlichen Verwaltungen zu reformieren. WEISS (2001: 69) bezeichnet dieses Vorhaben als „steuerungsstrategischen Paradigmenwechsel“ in der Ausgestaltung des öffentlichen Sektors. Zwischen der Steigerung von Qualität und organisationalen Veränderungen wird eine enge Beziehung hergestellt, wie sie typisch u. a. für den Ansatz der Organisationsentwicklung ist. Ein Kernelement des „Neuen Steuerungsmodells“ bzw. „New Public Management“ ist das Ziel, über den Output zu steuern (vgl. STÖBE 1998), wie es z. B. BÖTTCHER (2002) für die Steuerung von Schulen für möglich hält. Diese Neuausrichtung des Verwaltungshandelns beruht auf der Voraussetzung, den Output definieren zu können. Um die definierten Outputs zu erreichen, werden Ziele vereinbart (im Rahmen eines Kontraktmanagements), die schließlich zur Bemessungsgrundlage des Verwaltungshandelns werden (vgl. ebd.). Anders als bei der traditionellen Input-Steuerung werden den Organisationen zur Erreichung der Ziele mehr Handlungsspielräume eingeräumt, was tendenziell zu flacheren Hierarchien führen kann.
4.2.1 Herausforderungen von Schulen und organisationale Folgen Veränderungen im Schulsystem lassen sich prinzipiell auf drei Ebenen betrachten: auf der Unterrichtsebene, der Schulebene und der Systemebene (vgl. FEND 2000). Der Blick der Erziehungswissenschaft war im Rahmen von Schulsystemanalysen lange Jahre auf die Makroebene bzw. die Systemebene gerichtet (vgl. BÖTTCHER 2002: 39). Vor allem der beginnende Ausbau des Bildungssystems vor etwas mehr als drei Jahrzehnten zielte darauf ab, die Bedingungen für Bildung umfassend zu verbessern (vgl. TERHART 2001). Die damalige Forschung konzentrierte sich darauf, eventuell auftretende Unterschiede zwischen integrierten und gegliederten Schulsyste20
Es handelt sich hierbei um ein von Städten, Gemeinden und Kreisen gemeinsam getragenes Entwicklungszentrum des kommunalen Managements. Sie wurde 1949 gegründet und hieß bis zu ihrer Umbenennung 2005 Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung.
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men zu identifizieren. Nachdem jedoch immer deutlicher wurde, dass beträchtliche Differenzen zwischen Schulen auftreten können, und zwar unabhängig von der Systemzugehörigkeit und der Schulform, richtete sich das Interesse zunehmend auf die Einzelschule als Untersuchungsebene (vgl. ebd.). Die Ausführungen von FEND (1986) zur „guten Schule“ begründeten wesentlich die Orientierung auf die Einzelschule. Infolgedessen rückte die Organisation der Schule in den Mittelpunkt von Bildungsanalysen. Durch die Betonung der Relevanz der Einzelschule für den Erfolg von Lehr-Lern-Prozessen, wird eine Anschlussfähigkeit an organisationstheoretische Reflexionen eröffnet. Vor dem Hintergrund verschiedener Umweltereignisse werden diese Reflexionen auf der Schulebene wichtiger. Im Folgenden werden einige Entwicklungen in der Umwelt von Schulen erörtert, welche direkten Einfluss auf deren Gestaltung nehmen können. Bei der Darstellung dieser Herausforderungen des pädagogischen Handelns in Schulen handelt es sich um die Auswahl einiger Faktoren, die eine Veränderungsdynamik erzeugen können.
Bedeutung von Kompetenzen
Leistungsvergleichsstudien
Qualitätsdebatte
Professionalität der Lehrkräfte
Schule
Soziokulturelle Veränderungen
Schulprogrammentwicklung
Abbildung 7: Aufzählung einiger unmittelbarer Herausforderungen für einzelne Schulen
Leistungsvergleichsstudien Ein starker Veränderungsdruck auf das Schulsystem und die einzelnen Schulen wird gegenwärtig durch Leistungsvergleichsstudien erzeugt. Studien wie TIMSS oder PISA haben eine Vergleichbarkeit der Wirksamkeit zwischen nationalen und regionalen Schulsystemen hergestellt, die einen internationalen Bildungswettbewerb eröffneten (vgl. OELKERS 2003). Obwohl darin deutliche Differenzen zwischen den Schulsystemen festgestellt wurden, konnten die Ergebnisse aber nicht dazu genutzt werden, bestimmte Schulsysteme oder -formen als überlegen zu bezeichnen (vgl. ebd.). Vielmehr bestätigte sich die Diagnose von FEND (1986), wonach komplexe Kriterienbündel und nicht einzelne Variablen ursächlich für erfolgreiches Handeln in einzelnen Schulen sind. Die Effektivität von Schulen ist folglich vom individuellen
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Potenzial einer Schule abhängig, angemessene Lehr-Lern-Verhältnisse zu organisieren. Aufgrund der Tatsache, dass die Leistungen von Schulen sehr unterschiedlich ausfallen können, ist eine Diskussion darüber entstanden, wie die Potenziale in den Einzelschulen einer möglichst optimalen Entfaltung zugeführt werden können. Allgemein werden diesbezügliche Aktivitäten unter dem Begriff der Schulentwicklung subsumiert (vgl. z. B. ROLFF 1995; VAN ACKEREN 2003). Bedeutung von Kompetenzen Eine weitere Herausforderung erwächst aus der Perspektive der Wissensgesellschaft, in der Wissen zur zentralen Voraussetzung gesellschaftlicher Entwicklung wird. Einerseits lässt sich daraus ableiten, möglichst viele Bürger gut auszubilden, andererseits erfordert das ein Umdenken hinsichtlich des Erwerbs von Wissen. Der Annahme folgend, die Gültigkeit der erworbenen Wissensbestände verringere sich erheblich, leitet sich die Forderung nach lebenslangem Lernen ab (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 1998). Insofern wird es zunehmend wichtig, über Lernmethoden bzw. -strategien zu verfügen, welche die Aneignung neuer Wissensbestände erleichtern. Der Erwerb von Kompetenzen gewinnt in diesem Kontext an Bedeutung, wie z. B. in der PISA-Studie, da mit ihnen eine allgemeine Fähigkeit und Fertigkeit einhergeht, über bloß abprüfbare Wissenselemente auch situations-unabhängige Problemlösungen zu entwickeln. Kompetenz steht in einem Anwendungszusammenhang und wird in konkreten Handlungssituationen erkennbar (vgl. LICHTENBERGER 1999). Die Entwicklung von Kompetenzen zielt auf die Handlungsfähigkeit des Individuums ab bzw. dessen erfolgreiche Auseinandersetzung mit den Anforderungen, Aufgaben und Problemen seiner Umwelt (vgl. ERPENBECK/HEYSE 1996: 37). Die Organisation von Schule ist deshalb gefordert, entsprechende Lernarrangements zu schaffen und Lerntechniken zu vermitteln, um Kompetenzen erwerben zu können. Hierfür können strukturelle Gliederungen nach Fächern und Jahrgängen weniger bedeutsam sein (vgl. Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft 2003). Soziokulturelle Veränderungen Im Hinblick auf soziokulturelle Veränderungen sind Schulen, vor allem in städtischen Gebieten, mit einer wachsenden Heterogenität konfrontiert. So sind beispielsweise in Berlin Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshintergrund stark vertreten (vgl. Bildungskommission der Länder Berlin und Brandenburg 2003: 45).21 Dieser gestiegene Anteil führt zu einer wachsenden Vielfalt an Wert- und Normorientierungen, an sozialen Verhaltensweisen sowie an Herkunftssprachen, bei zunehmender Segregation einzelner, stark vertretener Minderheiten, die für die Organisation von Schule zu berücksichtigen sind. 21
In der Studie der Bildungskommission wird ein Migrationshintergrund als gegeben angenommen, wenn mindestens der Vater oder die Mutter nicht in Deutschland geboren sind. Für den Altersjahrgang der 15-Jährigen in Berlin ergab sich im Jahr 2000 in diesem definitorischen Sinne ein Anteil von 25,2%.
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4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
In diesem Zusammenhang ist auch die stärkere Anerkennung von Individualität zu erwähnen, die sich durch Werteverschiebungen ergibt. Ebenso können veränderte Familienstrukturen (z. B. Alleinerziehung der Kinder), Erfahrungen mit dauerhafter Arbeitslosigkeit oder, im Gegenteil, eine zeitlich intensive berufliche Beanspruchung der Eltern zu Vernachlässigungen führen,22 die u. a. Schulen vor erweiterte Erziehungsaufgaben stellen (vgl. ROLFF 1995). Die Einrichtung von einigen Schulstationen in Berlin, die Schulsozialarbeit leisten, können als eine Folge dieser Entwicklung interpretiert werden. Die Gesamtheit dieser soziokulturellen Entwicklungen rückt den individuellen Förderbedarf der Schüler stärker in den Blickpunkt pädagogischen Handelns. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund der skizzierten Bedeutung des Wissens für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wichtig. Insofern werden projektbezogene Lernarrangements, fächerüber- oder jahrgangsübergreifende Lernformen als bedeutsame Bausteine moderner Schulgestaltung betrachtet (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 1998; LENZEN 2002), was entsprechend zusätzliche kooperative Abstimmungsprozesse für die Organisation des Unterrichts erfordert. Qualitätsdebatte Diese insgesamt vielschichtigen Herausforderungen sind eng verknüpft mit dem Thema Qualität, denn die Diskussionen um die Situation und Ausrichtung des Bildungs- bzw. Schulwesens sind letztlich eng verknüpft mit der Frage, wie die Sicherung und die Entwicklung von Qualität geleistet werden kann (vgl. DEWE/GALILÄER 2002). Auf der Ebene der (Einzel-)Schule stellen Qualitätsverbesserungsmaßnahmen den Kern von Schulentwicklung dar (vgl. BÜELER 1998). Leistungsvergleichsstudien können einen Beitrag zur Sicherung von Qualität leisten, wobei die Ergebnisse von der System- auf die Schulebene runtergebrochen werden müssen, um vor Ort Handlungsanregungen geben zu können. Die Vergleichsstudien müssen nicht unbedingt international oder national ausgerichtet sein, sondern können auch auf Länder- oder kommunaler Ebene durchgeführt werden. Ergänzend können z. B. Vergleichsarbeiten zwischen Schulen oder Klassen gezählt werden. Auch das Zentralabitur, das mittlerweile in fast allen Bundesländern eingeführt wurde, erfüllt eine vergleichende Funktion. Ferner weisen die Entwicklung von Bildungsstandards oder die Durchführung externer Evaluationen von Schulen ebenfalls in die Richtung, ein Qualitätsbewusstsein durch vergleichende Untersuchungen zu etablieren. Dadurch wird ein Wettbewerbsdruck zwischen Schulen aufgebaut. Die empirisch begründete Fokussierung auf die Einzelschule führt letztendlich dazu, die Qualitätsmaßnahmen auf der Schulebene in den Blickpunkt zu rücken. Ein zentrales Element erfolgreichen Handelns der Einzelschule wird in der Gestaltung des Unterrichts gesehen (vgl. ROLFF 1995; DITTON 2000). Formal ist die Schulauf22
Dazu passt, dass die Bildungskommission der Länder Berlin und Brandenburg (2003: 114f.) darauf hinweist, dass der sozialpädagogische Förderbedarf von Schülerinnen und Schülern im Vergleich 1998/1999 und 2002/2003 erkennbar zugenommen hat.
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sicht für die Kontrolle der dort erbrachten Leistungen zuständig. Die Ergebnisse von Leistungsvergleichsstudien wie TIMSS oder PISA lassen jedoch deren Funktion kritisch hinterfragen (vgl. z. B. STRYCK 2000). Da sich Unterschiede zwischen Schulen ausbilden konnten und zentrale Kontrollsysteme das nicht verhindert haben, gibt es eine sichtbare Neigung, für eine größere Autonomie der Schulen zu plädieren (vgl. z. B. FISCHER/ROLFF 1997; TERHART 2001; Bildungskommission der Länder Berlin und Brandenburg 2003). Die Erörterungen um eine erweiterte Selbstverantwortung der Schulen beziehen sich auf personelle, inhaltliche und finanzielle Dimensionen. Es ist allerdings anzumerken, dass es sich dabei weniger um eine vollständige und bundesweit einheitliche Realisierung von Schulautonomie handelt, sondern um verschiedene Konzepte, die je nach Bundesland unterschiedlich implementiert werden. Internationale Erfahrungen mit größeren Freiheitsgraden von Einzelschulen konnten bislang die Überlegenheit dieses Steuerungsmodells empirisch nicht nachweisen (vgl. BÖTTCHER 2002: 124). Interessant, im Hinblick auf die Beschreibung von Umweltereignissen, ist die Anschlussfähigkeit der Debatte um Schulautonomie an neue Steuerungsmodelle, wie sie generell für öffentliche Verwaltungen stärker erprobt werden (vgl. LANGE 1999, 2001). Dort geht es zwar darum, den Organisationen hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufgaben größere Freiheitsgrade zu gewähren, daraus folgt aber kein Verzicht auf Kontrollmechanismen, sondern diese sollen auf andere Weise wirksam werden. Wie erwähnt, ist die Orientierung am Output ein wesentlicher Bestandteil des neuen Steuerungsmodells. Die Bereitstellung von Ressourcen erfolgt demnach über eine Verknüpfung mit operativ zu erbringenden Zielvorgaben, die zuvor definiert werden müssen. Um aber eine Relation zwischen vereinbarten und tatsächlich erreichten Zielen herstellen zu können, ist das Leistungsergebnis zu ermitteln. Insofern nimmt die Bedeutung von Wirkungskontrollen oder Evaluationen zu, weil sie der Rechenschaftslegung („accountability“) dienen und zugleich als Basis kontinuierlicher Verbesserungen („improvement“) genutzt werden können (vgl. TERHART 2000; LANGE 2001; BÖTTCHER 2002). Ein solches Steuerungsverständnis entspricht in idealer Weise der Steuerung in diversifizierten Organisationen. Die einzelnen Teilbereiche, Divisionen oder Sparten arbeiten autonom und erbringen die Leistungen dezentral. Die Leistungskontrolle ist demnach auf die zu erreichenden Ergebnisse bzw. den Output ausgerichtet. Übertragen auf das Verhältnis der Einzelschule zur Schulverwaltung würde damit die bürokratische Kontrolle seitens der Schulaufsicht gelockert bzw. verändert. Das würde jedoch eine Intensivierung der Kooperation der Lehrkräfte zum Zwecke der Qualitätssteigerung verlangen, die mit erheblichem Mehraufwand (z. B. mehr gemeinsame Sitzungen, gegenseitige Unterrichtshospitationen) verbunden wäre. Im Vergleich zur traditionellen Organisation von Schule bedeutete das ein Umdenken und könnte die Unsicherheit und das Konfliktpotenzial in Schulen erhöhen (vgl. TERHART 2001). Komplementär zu externen Evaluationen wird die Durchführung von internen Evaluationen als Bestandteil von Schulautonomie betrachtet (vgl. z. B. FISCHER/ ROLFF 1997; LANGE 1999). Mit internen Evaluationen wird Raum für Selbstreflexionen geschaffen. Dadurch kann zugleich die Legitimität von Schulentwicklungsprozessen erhöht werden. Die interne Reflexion mit schulischen Erfahrungen eröffnet die
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4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
Möglichkeit, sich auch über die Unterrichtsebene hinaus mit organisationalen Aspekten zu befassen, was eine Voraussetzung für organisationalen Wandel darstellt. Schulprogrammentwicklung Schulprogramme können beispielsweise eine Bezugsgröße für die Durchführung interner Evaluationen darstellen (vgl. FISCHER/ROLFF 1997) und können zur Koordination der Arbeitsprozesse beitragen. Auch wird die Erarbeitung von Schulprogrammen als mögliches identitätsstiftendes Element nach innen und außen, quasi als kulturelle Rahmung, gesehen. In einigen Bundesländern verpflichten Schulgesetze die Schulen zur Erarbeitung von Schulprogrammen. Diese sind schriftliche Ausformulierung von Leitbildern und enthalten grundsätzliche Ziel- und Strategieformulierungen (vgl. HAMEYER/SCHRATZ 1998: 94). Die Loyalität zum Schulprogramm lebt von der Einbindung möglichst vieler Lehrkräfte bzw. von der Identifikation mit den dort formulierten Zielen. Im Schulprogramm ist des Weiteren die strategische Kommunikation zur Umwelt definiert, d. h. zur Öffentlichkeit, zu den Eltern, zur Region oder Kommune oder zu anderen Schulen. Die Herausforderung für pädagogische Institutionen besteht darin, ein Schulprogramm zu erarbeiten und es als Orientierungsrahmen zu nutzen. Im Berliner Schulgesetz werden nach § 8 Abs. 1 die Schulen zur Erarbeitung eines Schulprogramms verpflichtet. „[...] In dem Schulprogramm legt die einzelne Schule dar, wie sie den Bildungs- und Erziehungsauftrag und die Grundsätze seiner Verwirklichung ausfüllt. Dabei soll sie den besonderen Voraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler sowie den besonderen Merkmalen der Schule und ihres regionalen Umfelds in angemessener Weise inhaltlich und unterrichtsorganisatorisch Rechnung tragen. Das Schulprogramm muss Auskunft geben, welche Entwicklungsziele und Leitideen die Planungen der pädagogischen Arbeiten und Aktivitäten der Schule bestimmen, und muss die Handlungen der in der Schule tätigen Personen koordinieren.“
Veränderungen der Professionalität der Lehrertätigkeit Die dargestellten Herausforderungen machen auch die Professionalität der Lehrkräfte hinterfragbar. ALTRICHTER (2000) sieht in den skizzierten Rahmenbedingungen eine Bedrohung der Lehrerautonomie heranwachsen, weil der Unterricht und die Kompetenz der Lehrkräfte deutlicher zu bewerten wären. Das kann Unsicherheiten erhöhen. Die bisherige Lehrerbildung wird zudem (zumindest teilweise) für die Defizite des Schulwesens mitverantwortlich gemacht (vgl. OELKERS 2001). Die institutionellen Folgen für die Ausbildung der Lehrkräfte interessiert an dieser Stelle weniger als die Folgen der Schulentwicklungsprozesse für die Abläufe in den Schulen. Denn neben dem möglichen Konfliktpotenzial bergen die Herausforderungen auch Optionen zu Leistungs- oder Qualitätssteigerungen und können z. B. Chancen zu Professionalisierungen eröffnen (vgl. z. B. BASTIAN/COMBE/REH 2002). Verstärkte Koordinationen der Arbeitsabläufe unter Kollegen und eine damit einhergehende Zunahme von Kooperation und Kommunikation implizieren die Möglichkeit, kontinuierliche Lernanlässe herzustellen und dadurch die Professionalität zu entwickeln.
4.2 Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt der ausgewählten pädagogischen Institutionen
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4.2.2 Herausforderungen freier Jugendhilfeträger und organisationale Folgen Die Jugendhilfe hat viele Facetten, die, in Analogie zum Schulwesen, auf drei verschiedenen Ebenen untersucht werden können. Auf einer Systemebene können die Entwicklungen in der Jugendhilfe als Interaktion zwischen Einrichtungen diskutiert werden. So kann z. B. das Zusammenspiel von freien und öffentlichen Trägern oder die Beziehung von freien Trägern zum Jugendhilfeausschuss erforscht werden. Auf einer unteren (Meso-)Ebene können die einzelnen Träger und deren Wirken untersucht werden. Und schließlich kann eine (Mikro-)Perspektive eingenommen werden, wobei z. B. pädagogische Interaktionen zwischen Fachkräften und Klienten Gegenstand der Erörterungen sein können. Für eine organisationstheoretische Betrachtung eignet sich vor allem eine Fokussierung auf die Makro- und die Mesoebene. Im Folgenden werden einige Herausforderungen für freie Jugendhilfeträger in Berlin diskutiert.
Soziokulturelle Veränderungen
Neue Steuerungsverfahren
Freie Träger
Sozialraumorientierung
Finanzielle Knappheit
Qualitätsentwicklung
Abbildung 8: Aufzählung einiger unmittelbarer Herausforderungen für freie Jugendhilfeträger
Finanzielle Knappheit der öffentlichen Hand Eines der Probleme, mit denen freie Jugendhilfeträger konfrontiert sind, welche Hilfen zur Erziehung anbieten, erwächst aus der fallabhängigen Finanzierung bei gleichzeitiger Verschuldung der öffentlichen Hand (vgl. HINTE 2000; VAN SANTEN u. a. 2003). Eventuell erfolgende Sparmaßnahmen können den finanziellen Umfang an zur Verfügung stehenden Geldern reduzieren, was wiederum eine Reduktion des Fallaufkommens zur Folge haben kann. Bei der Gewährleistung von Hilfen bestehen Ermessensspielräume für die fallzuständigen Sachbearbeiter im Jugendamt (vgl. THIERSCH 2002). Entsprechend kann die Schwelle der Fallbewilligung der Finanzlage angepasst werden, so dass hierüber eine Regulierung des Fallaufkommens mög-
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lich wird (vgl. HINTE 2000). Die Reduzierung der Fallzahlen führt einerseits die freien Träger in eine stärkere Konkurrenz zueinander, andererseits bedeuten höhere Zugangsbarrieren, dass sich die individuellen Problematiken der zu betreuenden Fälle automatisch erhöhen können. d. h. die Fallkriterien, die zur Fallaufnahme berechtigen, können nach oben verschoben werden und somit zu einer Höherschwelligkeit führen. Infolgedessen ist es nicht unwahrscheinlich, dass Kinder- und Jugendliche mit sehr großen Verhaltensauffälligkeiten vermittelt werden und die pädagogische Betreuung der Fälle erschwert wird. Eine weitere Folge der finanziellen Misere der öffentlichen Hand kann die Erweiterung der Angebotspalette der freien Träger sein. Um nicht mehr allzu abhängig von der Fallzuteilung der Jugendämter zu sein, kann es für freie Träger, die HzE anbieten, nahe liegen, zunehmend alternative Hilfen anzubieten, die über Drittmittel (z. B. Stiftungsgelder, Spenden usw.) oder gegen kleine Entgelte der Klienten finanziert werden. Das Anbieten von Elterntrainings oder schulbezogenen Erziehungshilfen sind beispielsweise Maßnahmen, die einer solchen Flexibilisierung folgen. Allerdings kann diese Strategie nicht zum vollständigen Ersetzen der Finanzierung über HzEFälle führen, da sie in der Regel nur ein Zubrot für die freien Träger sind. In Bezug auf die Sicherung von Einnahmequellen kann es wirksamer sein, zwei weitere Strategien zu verfolgen, und zwar eine erweiterte Zusammenarbeit mit anderen freien Trägern oder den Jugendämtern bzw. eine Erweiterung der Angebotspalette fest finanzierter Hilfen (z. B. mit der Übernahme von Kindertagesstätten). Erstere Strategie zielt auf eine vernetztere Koordination der Angebote ab, die zu Synergieeffekten in der Angebotsplanung führen kann. Letztere kann kalkulierbare und dauerhafte Einnahmen erbringen, und damit das Finanzierungsrisiko streuen. Beide erörterten Strategien implizieren eine weitreichende kommunale Verankerung und damit eventuell einen lokalen Bedeutungszuwachs. Die freien Träger müssen entsprechende Kommunikationsstrukturen zur Umwelt aufbauen und pflegen sowie gleichzeitig über die Fähigkeit verfügen, flexibel auf vorhandene Bedarfe zu reagieren. Das erfordert eine komplexe Koordination nach innen und nach außen. Zudem erfordert eine Expansion die Akquise neuer Qualifikationen, die entweder durch Qualifizierungsmaßnahmen oder durch die Rekrutierung neuen Personals gelingen kann. Soziokulturelle Entwicklungen Weiterhin erschwerend für die Fallbetreuung sind soziokulturelle Veränderungen. So wird darauf hingewiesen, dass ein Teil der Klienten, denen noch eine Hilfeform bewilligt wird, aufgrund fortlaufender gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse nicht mehr in der Lage zu sein scheint, für eine durchschnittliche Lebensführung die notwendigen Verhaltenspotenziale und Werthaltungen aufzubringen (vgl. MÜNCHMEIER 1992: 143). Um Familien beschreiben zu können, die mit einer Reihe von Faktoren (Armut, Devianz, Schulversagen, Krankheit usw.) belastet sind, wird teilweise der Begriff der „Multiproblemfamilien“ (vgl. z. B. CLEMENZ/COMBE 1990) verwendet. Für die Jugendhilfe hat das zur Folge, dass für viele Familien bzw. Kinder und Jugendliche, die bisherigen Maßnahmen und Methoden kaum mehr ausreichen, um kurativ wirken zu können. Auch aus diesem Grund ist schon seit einigen Jahren ein
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Trend zur Prävention zu beobachten (vgl. MÜNCHMEIER 1992), um möglichst zeitnah bei der Problemwerdung ansetzen zu können. Viele freie Jugendhilfeträger stellen sich auf diese Entwicklung ein und versuchen durch eine Erweiterung ihrer Angebote dem gerecht zu werden. Wie zuvor für das Schulwesen festgestellt, ist auch – oder gerade – die Jugendhilfe mit den Folgen der gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert. Steigende Unsicherheiten, eine Erosion lebensweltlicher Zusammenhänge oder die Pluralisierung von Lebensstilen stellen Eigenschaften dieses Wandels dar, zu denen sich Jugendhilfe verhalten muss. Die daraus erwachsende Heterogenität der Adressaten erfordert, differenzierte und individuelle Konzepte in der Klientenbetreuung zu erarbeiten (vgl. van SANTEN u. a. 2003). So gehören mittlerweile Angebote u. a. für die Überwindung der psychosozialen Folgen von Arbeitslosigkeit, gestiegenen Scheidungsraten oder von Migration zum Repertoire vieler freier Jugendhilfeträger. Auf der organisationalen Ebene führt das zu einer Diversifizierung von Arbeitsformen (vgl. MÜNCHMEIER 1992). Das kann sich bei einer entsprechenden Organisationsgröße in den Organisationsstrukturen (Diversifizierung) oder in den Prozessen (wachsender Kommunikationsbedarf) bemerkbar machen. Neue Steuerungsverfahren Im Zusammenhang mit den veränderten finanziellen und soziokulturellen Rahmenbedingungen rücken zunehmend Steuerungsfragen in den Mittelpunkt der Sozialpädagogik. Das geht mit Reformüberlegungen zum öffentlichen Verwaltungshandeln einher. Einerseits lassen sich die Ideen zur Umsteuerung in der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich mit den Zielen des KJHG verknüpfen. So sind kooperative Strukturen, in denen weniger per Dekret als vielmehr im Dialog kommuniziert wird, in den Kooperationen zwischen freien Trägern und den Jugendämtern schon teilweise im Jugendhilfeausschuss, in der Jugendhilfeplanung, in den Arbeitsgemeinschaften oder im Hilfeplanverfahren realisiert (vgl. MERCHEL 2000a; SCHRÖDER 2000). Andererseits stellen Kernanliegen neuer Steuerungsmodelle neuartige Herausforderungen für die Sozialpädagogik dar. Zu diesen gehören neben dezentraleren Strukturen die Verständigung auf Ziele, zwischen öffentlichen Kostenträgern und Leistungserbringern (infolge eines Kontraktmanagements), und deren Überprüfung. Dazu ist der Aufbau eines Kontrollsystems nötig, das die Leistungserbringer zur Rechenschaftslegung auffordert (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2000). Dies setzt wiederum voraus, den Output bemessen zu können. Anders als im Schulwesen, in dem zumindest die Notenvergabe ein Symbol der Leistungsbeurteilung ist oder Leistungsvergleichsstudien den Erwerb von Kompetenzen bewerten, ist die Erfahrung mit dem Erfassen des Outputs gering. Innerhalb des Hilfeplanverfahrens kann es beispielweise bei der Bewertung der Fallentwicklung zu Aushandlungsprozessen zwischen den Beteiligten kommen, die sich einem vollständig standardisierten Bewertungsschema entziehen. Daher wird in der aktuellen Qualitätsdebatte die Erörterung von Prozessqualität favorisiert (vgl. MERCHEL 2000b). Im Zuge dessen sollen Rahmenbedingungen für pädagogisches Handeln geschaffen werden, die möglichst große Wirkungen zeitigen können.
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4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
Sozialraumorientierung Eine weitere Entwicklung, mit der freie Jugendhilfeträger konfrontiert sind, ist die Sozialraumorientierung. Es handelt sich hierbei um ein sozialpädagogisches Konzept, das nach zeitgemäßen Handlungsansätzen sucht (vgl. HINTE 2000). Im Rahmen der Sozialraumorientierung werden die Adressaten der Jugendhilfen sowohl als Konsumenten als auch (Mit-)Produzenten sozialer Dienstleistungen in den Mittelpunkt gestellt (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2002). Es wird auf eine komplexe Vernetzung von Ressourcen territorial definierter Einheiten abgezielt. Damit wird beansprucht, einerseits inhaltlich die Passgenauigkeit von Angeboten und andererseits die Effektivität der eingesetzten Mittel zu erhöhen (vgl. ebd.). Das erfordert, flexibel auf Bedarfe reagieren zu können, um die Zielgruppen zu erreichen (vgl. PETERS 2000). Mit der Sozialraumorientierung werden über die Verbesserung der sozialen Infrastruktur praktisch ökonomische und sozialpädagogische Elemente zu verknüpfen versucht, die auch andere Arbeitsfelder wie Gesundheit und Schule erfassen und zu weiteren Kooperationen zwischen Organisationen bzw. zu netzwerkartigen Strukturen führen können. Freie Jugendhilfeträger sind deshalb gefordert, vermehrt über die Grenzen der eigenen Einrichtung hinaus zu planen und entsprechend zu handeln. Qualitätsentwicklung Die skizzierten Herausforderungen der Jugendhilfe sind kaum isoliert voneinander zu erörtern. Die Überlegungen zu einer angemessenen Ausrichtung sozialpädagogischen Handelns haben im Grunde die Beobachtung von Qualität als gemeinsamen Bezugspunkt. Formal wurden die Bedingungen des Qualitätsthemas insbesondere durch die Novellierung des KJHG23 sichtbar, infolgedessen die §§ 78 a–g („Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung“) eingefügt wurden (vgl. VAN SANTEN 2003 u. a.). Diese Regelungen machten die Gewährung der finanziellen Leistungen fortan von der Einhaltung vereinbarter Leistungs- bzw. Qualitätsziele abhängig und sollten zu einer besseren Kalkulierbarkeit und Kontrolle der Kosten im Jugendhilfesektor sowie zu einer größeren Effizienz der eingesetzten Mittel führen. Mit den Vereinbarungen werden Erwartungen an das pädagogische Handeln artikuliert, welches sanktionierbar wird. Die gesetzlichen Ergänzungen berühren die Prozess- und die Ergebnisqualität und werden in der beruflichen Praxis konkret erfahrbar (vgl. MERCHEL 2000b). Insbesondere die Prozessqualität wird davon berührt, weil die Abläufe in den pädagogischen Institutionen direkt betroffen sind (vgl. DEWE/GALILÄER 2002). So sind z. B. nach § 78b genauere Angaben zu Inhalt, Umfang und Qualität der Fallbetreuung zu machen, differenzierte Leistungsvereinbarungen zu treffen sowie spezifische Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung zu vereinbaren. Zur Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben wurden in den Bundesländern entsprechende Rahmenverträge zwischen den Bundesländern und den Verbänden der Leistungserbringer abgeschlossen 23
Die neuen Vorschriften sind zum 01. 01. 1999 in Kraft getreten.
4.2 Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt der ausgewählten pädagogischen Institutionen
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(vgl. VAN SANTEN u. a. 2003). Für die Hilfen zur Erziehung sind infolgedessen z. B. in Berlin die Leistungen und Anforderungen (Qualifikationen der Fachkräfte, Berechnungsgrundlage) der Hilfen konkret beschrieben und mithin standardisiert worden. Auf der organisationalen Ebene der freien Träger, welche die Fälle betreuen, verpflichten diese Standards zur aufwändigen fachlichen Dokumentation. Die Leistungserbringung muss formal differenzierter als bisher dargelegt werden und die finanziellen Vereinbarungen verlangen, die einzelnen Arbeitsschritte detailliert zu dokumentieren. Damit soll im Sinne des Kontraktmanagements Transparenz geschaffen und Rechenschaft über das Handeln abgelegt werden (vgl. WOHLFAHRT 2000). Insofern fließt an dieser Stelle eine Denkweise ein, die bislang eher für erwerbswirtschaftliche Unternehmen typisch war. Die bürokratischen Kontrollverfahren können auf der operativen Ebene zu Irritationen und zeitlichen Belastungen bei den pädagogischen Fachkräften führen. MERCHEL (2000b: 166) spricht vom „Gefühl der Enteignung der eigenen Profession“, die mit dem Einsickern der (ökonomischen) Kontrollverfahren einhergehen kann, weil die Autonomie des pädagogischen Handelns durch formalisierte Verfahren begrenzt wird. Dennoch stiftet die intensivere Beschäftigung mit der Qualität Sozialer Arbeit auch Orientierung. Sozialpädagogisches Handeln, insbesondere das in der Jugendhilfe, ist aufgrund der skizzierten Rahmenbedingungen komplexer geworden, weil die Anforderungen quantitativ und qualitativ gewachsen sind. In diesem Sinne dient die Einhaltung von Qualitätskriterien auch der Vergewisserung der sozialpädagogischen Arbeit (vgl. WINKLER 2000: 148). Positiv gewendet, beinhalten Qualitätsmanagementverfahren Profilierungsmöglichkeiten der freien Träger. Die Propagierung von Qualität kann z. B. als Selbstzweck dienen, indem es für die freien Träger nicht mehr primär um die Entwicklung von Qualität geht, sondern um das Signalisieren gegenüber der Umwelt, an Qualität zu arbeiten bzw. modern zu sein (vgl. WALGENBACH/BECK 2000). Auf der Trägerebene erfordert die Thematisierung der Qualität eine kontinuierliche fachliche Verständigungen über mögliche Potenziale zur Leistungssteigerung. Das gilt in besonderer Weise für die Durchführung von Qualitätsmanagementsystemen, wie z. B. dem Total Quality Management (TQM), deren erfolgreiche Umsetzung von der Akzeptanz und der Loyalität gegenüber einzelnen Schritten abhängt. Im Hinblick auf die Gestaltung von Organisationen ist die in diesen Ansätzen angelegte Kundenund Prozessorientierung von Interesse, da sie Folgen für das organisationale Geschehen haben kann; denn in einem solchen Rahmen können kooperative Arbeitsformen und Kommunikationsstrukturen etabliert werden (vgl. GISSEL-PALKOVICH 2002). Und das berührt sowohl die Prozesse als auch die Strukturen.
4.2.3 Konzepte des Wandels Aus der Darstellung einiger unmittelbarer Herausforderungen für Schulen bleibt festzuhalten, dass derzeit eine neue Dynamik im deutschen Bildungssystem entfacht worden ist, derer sich einzelne Schulen kaum noch entziehen können. Die Erwartungen an pädagogisches Handeln sind vielschichtiger geworden. Insgesamt wird die Leistungsfähigkeit pädagogischer Institutionen vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen kritischer betrachtet. Dadurch wird pädagogischen Institutio-
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4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
nen zunehmend abverlangt, Rechenschaft über ihre erbrachten Leistungen abzulegen. Das stellt im Grunde einen Wandel der Rationalitätsannahmen in Bezug auf pädagogisches Handeln dar (vgl. MERKENS 2006: 269). Nicht nur die Wirkungen bestimmter Maßnahmen, sondern auch der diesbezügliche Einsatz von Ressourcen werden aufmerksamer beobachtet und zu kontrollieren versucht. Die Diskussionen um Schulentwicklung inkludieren in diesem Sinne eine Erwartungshaltung an Schulen, sich als Organisation zu entwickeln, um das Leistungsvermögen zu steigern. Davon können verschiedene organisationale Dimensionen betroffen sein. Die Veränderungen in der Umwelt und die damit einhergehenden Herausforderungen haben eine größere disziplinäre Öffnung der Pädagogik zu Fragen des Managements von Bildungsprozessen zur Folge (vgl. TERHART 2000). In diesem Zusammenhang sehen einige Autoren die Verknüpfung zwischen der Entwicklung von Schulen und dem Lernen von Schulen als Organisation (vgl. z. B. ROLFF 1995; BÖTTCHER 2002). Die Übergänge scheinen darin nahtlos zu sein und kaum differenzierbar. Sinnbildlich für die Erörterung von Veränderungsprozessen in Schulen stehen begriffliche Überschreibungen wie die „Lernende Schule“ (vgl. FULLAN 1999; BÖTTCHER 2002) bzw. die „Lernende Organisation“ (vgl. SCHLEY 1998; DÖBERT/KLIEME/ SROKA 2004). Ähnliches ist auch in der Jugendhilfe zu beobachten. Freie Jugendhilfeträger sind aufgrund der skizzierten Umweltveränderungen gedrängt, sich als Organisation zu entwickeln und infolgedessen ihre Angebotspalette zu überarbeiten sowie generell ihre Leistungserstellung zu überdenken. MERCHEL (2000b) sieht in dialogischen Prozessen, wie sie durch interne Evaluationen, Benchmarking oder kollegiale Visitationen begünstigt werden können, eine Möglichkeit, die neuen Herausforderungen in den Einrichtungen zu integrieren. In den Zielstellungen von Jugendhilfeinstitutionen müssen diese vielschichtigen Bedingungen Berücksichtigung finden und sind daher vermutlich nicht immer eindeutig präzisierbar (vgl. STAEHLE 1999). Die freien Träger haben in der Regel ein Interesse, möglichst breit aufgestellt und anschlussfähig an vielfältige Entwicklungen zu sein, welche vor allem das Risiko der Finanzierung streuen und das Überleben sichern. Deswegen kann es zu einer Ausweitung und Flexibilisierung des Angebots kommen, was entsprechend Veränderungen in den Prozessen und Strukturen bewirken kann. Die Organisation kann in diesem Sinne als Ganzes berührt werden. Daher ist auch in der Sozialpädagogik bzw. Jugendhilfe die Lernende Organisation (vgl. HEINER 1998; MERCHEL 2001) zum Sinnbild für Veränderungen der einzelnen pädagogischen Institutionen geworden. Die Lernende Organisation wird als Voraussetzung gesehen, die Entwicklung von Qualität als kontinuierlichen und dialogischen Prozess ernsthaft realisieren zu können.
4.3
Organisationsentwicklung als Theorie der Veränderung?
Die Folgen der skizzierten Herausforderungen können zu einer größeren Unsicherheit führen – eine Unsicherheit über angemessene Reaktionsweisen. Und dies bleibt prinzipiell nicht auf pädagogische Institutionen beschränkt, sondern ist als ein gesellschaftliches Phänomen feststellbar.
4.3 Organisationsentwicklung als Theorie der Veränderung?
79
„Es ist eine Gesellschaft, die nach Wahrheit lechzt, nach Glaubwürdigkeit, nach verlässlichen Zeugen und Spuren, Gutachten, Expertisen, Standards und Normen, Vertrauen und sicherem Grund – nach etwas, worauf man sich verlassen kann“ (Ortmann 2004: 87).
Die dargestellten Veränderungen in der Umwelt der pädagogischen Institutionen Schule und freie Jugendhilfeträger sensibilisieren für die Effektivität eingesetzter Ressourcen und führen dazu, pädagogisches Handeln gezielter auf die individuellen Bedarfe der Klienten auszurichten. In diesem Kontext werden sowohl die Qualität der erbrachten Leistungen als auch die Gestaltung der Organisation gleichermaßen berührt (vgl. GREVE/PFEIFFER 2002). Die Qualitätsverfahren zielen auf die Optimierung von Arbeitsabläufen wie etwa der Kommunikationsstrukturen oder der Standardisierung bestimmter Handlungs- und Arbeitsprozesse ab. Die dialogische Komponente, welche Qualitätsentwicklungsverfahren implizieren, lässt Handlungsspielräume für organisationsspezifische Antworten zu (vgl. GISSEL-PALKOVICH 2002). In der organisationstheoretischen Beschäftigung mit dem Wandel von Organisationen wird das klassischerweise von der Organisationsentwicklung erwartet (vgl. z. B. BURKE 1994). In der Praxis werden Organisationsentwicklungsverfahren vor allem als Technik eingesetzt, um Veränderungen geplant herbeizuführen (vgl. STAEHLE 1999; SCHREYÖGG 2003). Da es sich bei Organisationsentwicklung um einen Ansatz handelt, der zwar sehr verschieden interpretiert wird, jedoch einige gemeinsame Grundzüge aufweist, werden diese im Folgenden herauszuarbeiten versucht. Ursprünge der Organisationsentwicklung Ideengeschichtlich betrachtet speist sich der Ansatz der Organisationsentwicklung nach RICHTER (1994) und GAIRING (2002) aus mehreren Quellen. Zum einen werden in DEWEYs pragmatischem pädagogischen Konzept (z. B. in „Demokratie und Erziehung“ [1964]) verschiedene Aspekte gesehen, die später in der Organisationsentwicklung Anschluss fanden. Das aktive Lernen aus Erfahrung, der experimentelle Charakter von Lernprozessen, die Anwendung von Projektmethoden oder die Bedeutung von Interaktions- und Kommunikationsprozessen mit der sozialen Umwelt sind Bestandteile DEWEYS Pädagogik (vgl. MARTENS 1981), die auch zum Repertoire der Organisationsentwicklung gehören. Für DEWEY bildet die Demokratie die passende Plattform, um sein Erziehungskonzept verwirklichen zu können, weil nur hier nichtentfremdetes Leben möglich sei (vgl. BOHNSACK 1979). Das Konzept beruht folglich auf einem nicht-deterministischen Verständnis der Beziehung des Menschen zur Welt. Dieses Interaktionsverständnis ist typischerweise sowohl in der Organisationsentwicklung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Organisation und Mitgliedern als auch im skizzierten offenen Systemansatz hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Organisation und Umwelt anzutreffen. Als weiteren wichtigen Beitrag zur Organisationsentwicklung wird bei den oben genannten Autoren der gruppentherapeutische Ansatz von MORENO (1974) angeführt. Demnach ist der „latente Genius“ des Menschen durch die Sozialisation entstellt, ausgelöst durch die Übernahme von Rollenstereotypen und durch die Unterdrückung von Spontaneität. Ziel ist es, die informale „Tiefenstruktur“ von sozialen Systemen zu verstehen und die Differenz zur „Oberflächenstruktur“ zu reduzieren
80
4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
(vgl. DOLLASE 1975: 83). Dazu entwickelte MORENO die triadische Gruppenpsychotherapie, die in verschiedenen Phasen angelegt ist. Durch soziometrische Untersuchungen wird versucht, Gruppenstrukturen zu erkennen. Durch gezielte Gespräche, durch Psychodrama und durch Umgestaltungen der Gruppenkonstellationen sollen anschließend Konflikte in Gruppen oder bei den Individuen bearbeitet werden, um neue Gruppenstrukturen entstehen zu lassen. Es handelt sich hierbei um die Idee, die Gesundung der Gruppe als Ganzes und der einzelnen Gruppenmitglieder zu fördern (vgl. GAIRING 2002). Der Beitrag MORENOs für die Organisationsentwicklung wird in der Konzentration auf Gruppenprozesse gesehen, die mithilfe der analytischen und beraterischen Kompetenz eines „Soziotherapeuten“ (vgl. RICHTER 1994: 57) unterstützt werden können. Dieses Muster findet sich heute implizit in der Gestalt der Organisationsberatung wieder, die sich aus der Begleitung von Organisationsentwicklungsprozessen herstellen lässt. Schließlich wird im gruppendynamischen Ansatz von LEWIN einer der grundlegenden Beiträge zur Entstehung von Organisationsentwicklung gesehen, und LEWIN selbst wird in nahezu der gesamten einschlägigen Literatur als der eigentliche Begründer der Organisationsentwicklung betrachtet (vgl. z. B. COMELLI 1985; FRENCH/ BELL 1994; SCHREYÖGG/NOSS1995). Basierend auf dem Konzept der Aktionsforschung wird die Verzahnung von Theorie und Praxis angestrebt bzw. die sozialpsychologische Erforschung der Bedingungen verschiedener Formen sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung (LEWIN 1946: 280). Die Gruppe stellt hierfür eine wichtige Bezugsgröße seiner Forschung dar. Seine Motivation für die Erforschung von Gruppen bezog Lewin aus seinem Interesse an den Problemen von Minoritäten. Das Individuum sieht er als abhängig von der Kultur der Gruppe, der es angehört. Dadurch wurde ein überindividueller Kontext eröffnet, der später für viele theoretische Ansätze zum Organisationslernen typisch wurde. Um eine Verhaltens- oder Einstellungsveränderung beim Individuum zu bewirken, ist es für ihn notwendig, die Kultur der Gruppe zu verändern (vgl. ebd. 1968: 96). Berühmt geworden ist die Überlegung, erfolgreiche Veränderungsprozesse liefen in drei Phasen ab (vgl. LEWIN 1958; CUMMINGS/WORLEY 1993; STAEHLE 1999; GAIRNG 2002). Ein solcher Veränderungsprozess kann demnach nur erfolgreich verlaufen, wenn zunächst das bestehende Gleichgewicht hinterfragt wird (Phase 1: „unfreezing“), dann neue Handlungsmuster ausgebildet werden (Phase 2: „moving“) und schließlich diese als gültig akzeptiert und integriert werden (Phase 3: „freezing“). Es handelt sich um eine Betrachtung unterschiedlicher sozialer Kräfte, und zwar zwischen reformerischen Kräften, die auf Veränderungen drängen und denjenigen, die diese behindern bzw. auf den Erhalt bisheriger Leistungen beharren. Letztendlich ist ein Interessenausgleich herzustellen, der beide Kräfte miteinander in ein relativ stabiles und neues Gleichgewicht bringt. Organisationsentwicklung als Technik geplanter Veränderungen In den USA wurden die Gruppenverfahren, die besonders von der Aktionsforschung geprägt worden sind (FRENCH/BELL 1994; BURKE 2002; GAIRING 2002), alsbald zur Unterstützung von Organisationen bzw. wirtschaftlicher Entwicklung eingesetzt. Et-
4.3 Organisationsentwicklung als Theorie der Veränderung?
81
wa zu Beginn der 1960er Jahre wurde hierfür der bis heute gültige Begriff des „Organization Development“ gefunden (vgl. FRENCH/BELL 1994). Die Idee, Organisationen zu entwickeln, stieß in Deutschland erst in den 1970er Jahren auf größere Resonanz (vgl. RICHTER 1994; GAIRING 2002). Das mündete schließlich institutionell in der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Organisationsentwicklung (GEO) im Jahr 1980. Aus den skizzierten Ursprüngen haben sich verschiedene (klassische) Interventionstechniken entwickelt, von denen einige im Folgenden kurz vorgestellt werden. Es werden generell zwei Quellen der Organisationsentwicklung genannt: die Laboratoriumsmethode und die Survey-Feedback-Methode (vgl. z. B. RICHTER 1994; FRENCH/BELL 1994). Beides sind Feedbackverfahren, die darauf abzielen, Problemlösungen in Gruppen bzw. in Organisationen zu erarbeiten und zu fördern. Die Prozessberatung, als weitere Methode, ist im Grunde die Fortführung der Laboratoriumsmethode (vgl. FRENCH/BELL 1994). Bei dieser Technik werden Gruppen bzw. Organisationen quasi sozialtherapeutisch in Entwicklungsprozessen begleitet (vgl. SCHEIN 1969; SCHREYÖGG 2003). Die Prozessberatung ist ein Verfahren, in dem weniger das Ergebnis, sondern vielmehr der Veränderungsprozess selbst von Bedeutung ist. Im Grunde können auch das Coaching oder Supervisionsverfahren im weiten Sinne der Prozessberatung zugeordnet werden, weil sie prozessbegeleitend angelegt sind (vgl. NELLESEN 2002). Ferner ist die Konfrontationssitzung als Organisationsentwicklungsinstrument zu erwähnen, mit der versucht wird, in oft akuten Krisen in möglichst kurzer Zeit systematisch Diskussionsprozesse zwischen den Organisationsmitgliedern herzustellen und veränderungsfördernde Maßnahmen zu beschließen und zu einem späteren Zeitpunkt zu überprüfen (vgl. SCHREYÖGG 2003). Die Grid-Technik ist eine umfassende, sehr strukturierte und häufig eingesetzte Methode, die ebenfalls zur Organisationsentwicklung gezählt werden kann (vgl. STAEHLE 1999: 965ff.; SCHREYÖGG 2003). Hierbei werden Personal-, Team- und Organisationsentwicklung stufenweise integriert und in einem mehrphasigen, langfristigen Programm systematisch und zielgerichtet Veränderungen herbeizuführen versucht. Die genannten Techniken der Organisationsentwicklung beziehen sich üblicherweise stark auf die Veränderungen von Organisationen durch personale Veränderungen, wie z. B. von Einstellungen oder Kommunikationsverhalten. Parallel zu den verhaltenswissenschaftlichen Arbeiten LEWINs entwickelte sich jedoch im englischen Tavistock-Institut eine ähnliche Forschung von Gruppenbeziehungen (vgl. RICHTER 1994; GAIRING 2002). Sie orientierte sich hingegen neben sozialen auch auf technische oder strukturelle Aspekte von organisationalen Veränderungsprozessen und erweiterte den Blick auf die Organisation als System. Die dortige Forschung wies einen Zusammenhang zwischen strukturellen Veränderungen und der Arbeitskultur nach. So zeigten sie z. B. anhand eines Projektes in der britischen Kohle-Industrie, dass durch technische Neuerungen ausgelöste Veränderungen der Arbeitsorganisation negative Wirkungen auf die Arbeitsmotivation bzw. -leistung haben können (vgl. TRIST 1975, COMELLI 1985; GAIRING 2002). Allen genannten Interventionstechniken ist gemein, dass die Organisationsentwicklungsprozesse zunächst einer Diagnose bedürfen, um einen Ist-Zustand abzubilden (vgl. RICHTER 1994). Darauf aufbauend können Veränderungen geplant und
82
4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
eingeleitet werden. Üblicherweise werden die Veränderungsprozesse extern koordiniert und moderiert (vgl. SCHREYÖGG/NOSS 1995), wodurch Organisationsentwicklung und Organisationsberatung synchronisierbar werden. Zudem beruht Organisationsentwicklung klassischerweise auf der aktiven Mitwirkung der betroffenen Organisationsmitglieder. Überdies werden stets zwei Hauptziele von Organisationsentwicklung genannt (vgl. COMELLI 1985: 89; STAEHLE 1999: 925): • Die Verbesserung der subjektiven Arbeitssituation der Mitarbeiter und • die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Organisation. Beide Ziele setzen auf unterschiedlichen Ebenen an (der individuellen bzw. personalen und der organisationalen) und sind entsprechend unterschiedlichen Rationalitäten (Verbesserung atmosphärischer Belange vs. Steigerung von Effektivität und Effizienz) verpflichtet und sollen doch miteinander in Einklang gebracht werden. Dieses Muster ähnelt umfassenden Qualitätsverfahren, die gleichermaßen das Leistungsvermögen einer Organisation und die Motivation der Mitarbeiter im Blick haben können. Organisationsentwicklung und die blinden Flecken Die zwei unterschiedlichen Zielrichtungen der Organisationsentwicklung können auf unterschiedlichen Wegen angestrebt werden. So lässt sich versuchen, Veränderungen über neue Verhaltensweisen, Einstellungen oder Werte von Mitarbeitern zu erwirken. In diesem Kontext können beispielsweise Teamentwicklungsmaßnahmen eine Möglichkeit sein, die Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen und – so die Erwartung – letztlich Veränderungen auf der Organisationsebene zu erreichen. Ein solches Vorgehen kann zunächst unabhängig von weiteren Faktoren der Organisationsgestaltung erfolgen. Alternativ zum (personalen) Ziel, die Arbeitszufriedenheit zu steigern, sind z. B. Organisationsentwicklungsprozesse über die Veränderungen von Strukturen initiierbar, wie es spätestens durch die Forschungen des Tavistock-Instituts gezeigt werden konnte. Von Kritikern wird allerdings bemängelt, dass im Verlauf der Geschichte der Organisationsentwicklung die Verfolgung des personalen Ansatzes offenbar vorrangig war (vgl. KUBICEK/LEUCK/WÄCHTER 1979: 306; FRENCH/BELL 1994: 233; BRADFORD/BURKE 2005: 200). D. h. Veränderungsinitiativen stellten vor allem den Menschen als Ressource des Wandels und die Steigerung dessen Arbeitszufriedenheit in den Mittelpunkt. Politische Programme wie die das der „Humanisierung der Arbeitswelt“, welches über verschiedene Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Unternehmen beitragen sollte, um so u. a. mehr Raum für Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter zu schaffen, fügten sich in diesen Kontext ein (vgl. STAEHLE 1999). Allein mit Blick auf den offenen Systemansatz können Veränderungsprozesse aber nicht nur auf eine organisationale Dimension fokussiert sein. So stellen Strukturen, Prozesse, Zielstellungen oder die Umwelt Einflussgrößen dar, die Organisationen in Bewegung setzen können. D. h. es liegt nahe, mehrere Dimensionen zu berücksichtigen – was in der Regel sogar mit Organisationsentwicklung beansprucht wird (vgl. BURKE 2002; GAIRING 2002). Das gilt umso mehr im Hinblick auf intensive Wett-
4.3 Organisationsentwicklung als Theorie der Veränderung?
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bewerbssituationen, die einen Rechtfertigungsdruck in Bezug auf die erbrachten Leistungen erzeugen, dem eben allein mit personalen Maßnahmen oft nicht zu begegnen ist. BRADFORD/BURKE (2005: 199f.) weisen aber diesbezüglich auf eine Missachtung ökonomischer Bedingungen („lack of business perspective“) bzw. von Leistungs- und Wirtschaftlichkeitsaspekten hin, die bei Organisationsentwicklern zur Vernachlässigung von Effektivitätskriterien führen könne. In diesem Kontext würde sich die Aufmerksamkeit von Organisationsentwicklern zwar sehr auf das Finden von Problemlösungen, zu wenig jedoch auf die Umsetzung der geplanten Maßnahmen richten (vgl. ebd.: 201). Angesichts dieser tendenziellen Vernachlässigung ist die Attraktivität konkurrierender Konzepte verständlich, die Struktur- oder Strategieaspekte gerade nicht ausblenden. Hierfür stehen exemplarisch Ansätze wie Business Reengineering (vgl. HAMMER CHAMPY 1994), Reorganisation (vgl. BEA/GÖBEL 2002: 428f.), Lean Management (WOMACK/JONES/ROOS 1992) oder Change Management (vgl. REISS/VON RONSENSTIEL/LANZ 1997). Trotz der unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtung ist den genannten Konzepten gemein, dass sie grundsätzlich auf organisationale Veränderungen abzielen. Der Ansatz der Organisationsentwicklung muss nicht auf der Steigerung der Arbeitszufriedenheit bzw. dem personalen Ansatz beschränkt bleiben, sondern kann sich auch auf die genannten Gestaltungsparameter erstrecken, was FRENCH/BELL (1994: 233) oder BRADFORD/BURKE (2005: 212) für erforderlich halten. Mit Blick auf die skizzierten Herausforderungen pädagogischer Institutionen, die u. a. durch eine stärkere Rechenschaftspflicht gekennzeichnet sind, scheint diese Forderung berechtigt. Diesen skizzierten Kritikpunkten an der Organisationsentwicklung lassen sich weitere hinzufügen. Die Vernachlässigung von Machtaspekten in Organisationen, die Erwartung, unterschiedliche, zugleich optimistische Zielstellungen (Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Arbeitszufriedenheit) relativ unproblematisch harmonisieren zu können, sowie die implizite Annahme der direkten Steuerungsfähigkeit von Veränderungsprozessen und deren Betrachtung als überschaubarer Sonderfall werden als eher realitätsfern kritisiert – vor allem vor dem Hintergrund dynamisierter Umwelten (vgl. u. a. BECKER/KÜPPER/ORTMANN 1988; KUBICEK/LEUCK/WÄCHTER 1979; SCHREYÖGG/NOSS 1995; SCHREYÖGG 2003). BURKE (2002: 2f.) weist in diesem Kontext auf die Nicht-Linearität von Veränderungsprozessen hin; KIESER/HEGELE/ KLIMMER (1998: 182ff.) überschreiben das als „Segeln im Chaos“. Diese Kritik an der direkten Beeinflussung gilt auch für pädagogische Institutionen, gerade vor dem Hintergrund der Steuerungsfähigkeit pädagogischer Prozesse (vgl. DEWE/GALILÄER 2002). Als Reaktion auf die vorgetragenen Schwächen des Ansatzes der Organisationsentwicklung plädieren BRADFORD/BURKE (2005) für eine Veränderung der Perspektive und eine Hinwendung zum allgemeineren „Change“, welche die vorgetragenen Kritikpunkte berücksichtigt. Unabhängig davon bleiben in theoretischer Hinsicht jedoch noch offene Fragen. So wird die theoretische Fundierung der Abläufe in Organisationsentwicklungsprozessen bemängelt und u. a. eine Theorie der Veränderung (vgl. KUBICEK/LEUCK/WÄCHTER 1979: 312ff.) gefordert, die versucht zu verstehen, warum und wie sich Veränderungen vollziehen und welche Einflussgrößen dafür bestimmend sind.
84
4 Veränderte Rahmenbedingungen pädagogischer Institutionen
Mit der Idee des Lernens von Organisationen sind Erwartungen verbunden, die Kritikpunkte an der Organisationsentwicklung zu umgehen, weil zum einen eine dynamischere und ergebnisoffenere Perspektive des Wandels eingeführt wird (vgl. SCHREYÖGG/NOSS 1995) und zum anderen mit dem Lernen eventuell verstanden werden kann, wie sich organisationale Veränderungen vollziehen. Die Beschäftigung mit dem Lernen von Organisationen stellt deshalb eine womöglich interessante Theorieoption dar, welche aber eher keine konkurrierende zum praxisorientierten Ansatz der Organisationsentwicklung ist, weil die Prämissen andere sind.
4.4
Die fehlende theoretische Interpretation von Veränderungen
In diesem Kapitel wurden die verschiedenen Ebenen relevanter Umweltveränderungen beschrieben, mit denen die beiden pädagogischen Institutionen Schule und freie Jugendhilfeträger konfrontiert sind und die einen zunehmenden Rechfertigungs- und Handlungsdruck in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit erzeugen. Damit kann eine größere Unsicherheit über das angemessene pädagogische Handeln und dessen Organisation einhergehen. Die veränderten Rahmenbedingungen können aber zugleich wichtige Impulse für die Einrichtungen geben, ihre Organisation zu überprüfen und gegebenenfalls anders zu gestalten. Das legt die theoretische Auseinandersetzung mit den organisationalen Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen nahe. Der dargestellte Ansatz der Organisationsentwicklung stellt ein Instrument dar, Veränderungen herbeizuführen bzw. zu unterstützen – wobei in Bezug auf die Steuerbarkeit von Veränderungen (dem „planned change“) Zurückhaltung geboten ist. Er besitzt anscheinend, insbesondere im Hinblick auf dynamische Veränderungen in Umwelten und Organisationen, einige blinde Flecken und nicht die erforderliche theoretische Erklärungskraft. Die Erarbeitung eines Interpretationsschemas von Veränderungsprozessen steht folglich noch aus. Im anschließenden Kapitel soll eine solche theoretische Perspektive auf Veränderungsprozesse in Organisationen bzw. pädagogischen Einrichtungen entworfen werden. Grundsätzlich wird dazu an das Konzept der Lernenden Organisation angeknüpft, mit dem in beiden pädagogischen Teilbereichen oft sympathisiert wird, um dem Wandel von Einrichtungen begrifflich zu erfassen.
5
Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
Bisher wurden die wesentlichen Merkmale von pädagogischen Institutionen, die Veränderungen im Erziehungs- und Bildungssystem und deren organisationale Folgen sowie die eventuellen Optionen der organisationstheoretischen Beschäftigung mit dem Thema des Wandels erörtert. Die Arbeit ist in ihrem Verlauf aus einer anfänglichen Beschreibung der Eigenschaften pädagogischer Institutionen zunehmend auf die Frage nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit deren Veränderungen fokussiert worden. Für die theoretische Auseinandersetzung wurden bisher einige Anhaltspunkte erarbeitet. So müssen die Überlegungen – zumindest in dieser Arbeit – kompatibel mit dem offenen Systemverständnis sein und dessen organisationale Dimensionen weitgehend berücksichtigen können. Ferner sollte angesichts gestiegener Umweltanforderungen eine Zurückhaltung bei der Annahme gepflegt werden, Veränderungen direkt herbeiführen zu können. Schließlich sollte der eventuelle Einfluss einzelner Organisationsmitglieder auf Veränderungsprozesse nicht ausgeblendet bleiben. Die Überlegungen zu Lernenden Organisationen stehen sinnbildlich für Veränderungsprozesse in Organisationen und erfüllen möglicherweise einige der oben genannten Kriterien. Mit dem Ansatz gehen zumindest hohe, sehr positive Erwartungshaltungen einher. Übertragen auf die Pädagogik verfügen Organisationen bzw. pädagogische Institutionen, die lernen, idealtypisch über die (Lern-)Fähigkeit, sich auf dynamische Umweltereignisse permanent, flexibel und schnell einzustellen sowie die Qualität ihres Handelns zu erhalten und zu verbessern. Solchermaßen fast euphorische Erwartungen verlangen jedoch die kritische Reflexion. Es ist zu überprüfen, welche Möglichkeiten der Ansatz des Organisationslernens für die Interpretation von Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen bereit hält, aber auch welche Schwierigkeiten sich dahinter verbergen und, soweit vorhanden, ob und wie sie sich durch ergänzende Perspektiven lösen lassen. Für eine theoretische Auseinandersetzung mit Veränderungen bzw. für eine Interpretation von Veränderungsprozessen wird folglich nicht nur der Frage nachgegangen, inwieweit Lernmodelle zum Verstehen von Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen beitragen können, sondern es wird auch der organisationstheoretische Ansatz des Neo-Institutionalismus herangezogen, um möglicherweise den Umgang mit Unsicherheit, welcher die beiden Einrichtungstypen ausgesetzt sind, besser verstehen zu können.
5.1
Organisationslernen als theoretischer Ansatz?
Die Literatur zum Wandel von Organisationen ist derart heterogen, dass es oft schwer fällt, Strukturen und Ordnungen zu erkennen. TÜRK (1989) identifiziert drei Grundmodelle des Wandels von Organisationen:
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
• Entwicklungsmodelle, • Selektionsmodelle und • Lernmodelle. Demnach wird Organisationen ein aktiver Part vor allem in den Lernmodellen zugedacht (vgl. STAEHLE 1999). Diesen wird über ihre Mitglieder sowohl die Fähigkeit zur Reflexion als auch zur Variation ihres Reaktionsrepertoires zuerkannt. Implizit folgen die Diskussionen um Lernmodelle einem Optimierungspfad zu höherer Effizienz sowie Effektivität und lassen sich daher in die skizzierten Herausforderungen von Schulen und freien Jugendhilfeträgern einfügen. Organisationen können sich darin eigenständig mit der Umwelt auseinandersetzen. Entsprechend verfügen sie über mehr oder weniger große Spielräume, ihre Strukturen, Prozesse, Ziele oder Strategien den jeweiligen Rahmenbedingungen entsprechend angemessen zu formieren. Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Organisationslernen hat interdisziplinäre Wurzeln in der Psychologie, Ethnologie, Soziologie und der Wirtschaftswissenschaft (vgl. BERTHOIN ANTAL 1998). CYERT/MARCH (1963) gehörten zu den Ersten, die sich theoretisch mit dem Organisationslernen befassten. Mit einem Beitrag von ARGYRIS/SCHÖN (1978) setzte eine Phase der konzeptionell-theoretischen Fundierung ein, in dessen Folge nicht nur eine Vielzahl von Beiträgen veröffentlicht, sondern auch eine Reihe von unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen erkennbar wurde. Den verschiedenen Sichtweisen liegt ein „kognitives und aktionales Metasystem“ (TÜRK 1989: 94) zugrunde, das unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Bei einigen (behavioristisch geprägten) Autoren stellt das Handeln allein den Schwerpunkt des Organisationslernens dar, bei anderen – und dies in zunehmendem Maße – sind die kognitiven Prozesse von besonderem Gewicht (vgl. KLIMECKI/LASSLEBEN 1998; SCHREYÖGG 2003). In Anlehnung an kognitive, individuelle Lerntheorien werden Handlungen durch vorhandenes Wissen kontrolliert. Die Wissensbestände können demnach in Gestalt von Bildern, Plänen, Karten, Schemata, Gewohnheiten, Regeln usw. verfügbar sein. Lernen ist in diesem Kontext als Informationsverarbeitungsprozess vorstellbar, das zur Veränderung von Wissensbeständen führt (vgl. KLIMECKI/LASSLEBEN 1998: 72). Die Veränderungen von Handlungen sind insofern nicht mehr zwingend erforderlich; es geht primär um die Veränderung des Wissens, welches Handeln potenziell verändert. Organisationen, die lernen, sind nach GARVIN (1993) “[…] skilled at creating, acquiring, and transferring knowledge, and at modifying its behavior to reflect new knowledge and insights.”
In den 1990er Jahren entdeckte auch die Erziehungswissenschaft das Thema des Organisationslernens. Anders als bei bisherigen organisationstheoretischen Erörterungen rief es allerdings hier weniger Berührungsängste hervor. Im Gegenteil, im Lernen von Organisationen wurde und wird eine Möglichkeit zur Überbrückung der Gegensätze von Ökonomie und Pädagogik gesehen (vgl. PAWLOWSKY 1998). Was WEICK/WESTLEY (1996) im Verhältnis von Organisieren und Lernen als Widerspruch verhandeln, wird nun als Chance zur Annäherung an ökonomische Denkweisen erkannt, wie sie sich schon bei den skizzierten Rahmenbedingungen im vorigen Kapitel andeutete.
5.1 Organisationslernen als theoretischer Ansatz?
87
5.1.1 Organisationslernen, nicht Lernende Organisation! Im Gegensatz zum Organisationslernen, das hier vorwiegend theoretisch diskutiert wird, bezieht sich die praxisrelevante Metapher der Lernenden Organisation auf eine Einstellung bzw. einen Zustand von Organisationen, infolgedessen Lernprozesse kontinuierlich ablaufen und institutionalisiert sind. SENGE (1990) hat maßgeblich zur Prominenz dieses Begriffs beigetragen. Die Konjunktur des Begriffs lässt sich mit den zunehmend dynamischeren Marktumwelten begründen, in denen sich Organisationen bewegen. Einer Lernenden Organisation wird zugetraut, mit immer neuen Herausforderungen Schritt halten und diese letztlich bewältigen (vgl. BEA/GÖBEL 2002) zu können. Zu den konkreten Merkmalen einer Lernenden Organisation werden z. B. das Setzen gemeinsamer Ziele und Visionen, die Orientierung am Nutzen des Kunden, die Kooperations- und Konfliktfähigkeit der Mitarbeiter sowie das Ausüben eines demokratischen und partizipativen Führungsstils gezählt – Merkmale, die an den Ansatz der Organisationsentwicklung erinnern. Ebenso genannt werden die Prozessorientierung, die Integration von Personal- und Organisationsentwicklung, die Belohnung von Engagement und Fehlertoleranz bei riskanten Vorgaben oder die Fähigkeit zur (Selbst-)Beobachtung und Prognose (vgl. ebd.). Diese exemplarischen Konkretionen begründen u. a. die Praxisrelevanz des Konzepts der Lernenden Organisation. Dennoch verbirgt sich dahinter ein nicht aufzulösendes Paradoxon. Es wird folgerichtig die Idee suggeriert, ständig optimieren zu können und nahezu perfekte Zustände zu erreichen, die sich aber aufgrund der Eigenschaft des Lernens selbst, als ein nicht enden wollender Prozess, sich nicht dauerhaft etablieren lassen. SCHREYÖGG (2003: 568ff.) warnt in diesem Kontext vor der Gefahr einer „totalen Lernorganisation“. Er verbindet damit eine chronisch ruhelose, strukturlose und letztlich orientierungslose Organisation. Die Zuspitzung einer strukturlosen Organisation wäre in der pädagogischen Praxis kaum realisierbar, weil, wie beschrieben, bestimmte Strukturelemente vorhanden sein müssen, um pädagogisches Handeln zu organisieren. Es gilt folglich einen Kompromiss zwischen der Notwendigkeit zur Strukturierung der Organisation und ihrer Arbeitsprozesse und dem extremen, fast zwanghaften Permanenzanspruch der Lernenden Organisation zu finden. Das Ausbilden von Routinen ist wichtig, sollte aber regelmäßig beobachtet und hinterfragt werden (vgl. SCHREYÖGG 2003). Die Attraktivität des Konzepts der Lernenden Organisation, die selbst auf die traditionell organisationsskeptische Pädagogik ausstrahlt, dürfte mit der prozesshaften Optimierungsvorstellung zumindest teilweise erklärbar sein. Der Begriff Lernende Organisation überschreibt einen „way of life“ (FULLAN 1999: 19), der nicht auf einzelne Reformvorhaben beschränkt bleibt, sondern dem eine ganzheitliche Dimension zugrunde liegt. Wandel gehört darin zum natürlichen Bestandteil der Organisation. Für die Erörterung von Veränderungsprozessen einer Lernenden Organisation muss zwangsläufig auf das Organisationslernen zurückgegriffen werden. Es bedarf der theoretischen Explikation der Lernelemente, die sich aus einer Metapher nicht von selbst ableiten. Veränderungen von Organisationen bzw. pädagogischer Institutionen können beispielsweise durch einfach zu quantifizierende Kennzahlen wie Umsatz, Gewinn, Investitionen oder Personalbestand festgestellt werden oder aber auch durch empirische Erhebungen zu Mitarbeiter- oder Kundenzufriedenheit. Somit kann ergebnis-
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
bezogenes Wissen akquiriert werden. Dadurch erklärt sich aber nicht, welche Faktoren ergebnisbestimmend waren. Eine lernanalytische Betrachtung erfordert die Reflexion über diese Faktoren. Um organisationale Lernprozesse in pädagogischen Institutionen theoretisch zu fundieren, können fünf Fragen gestellt werden, die nachfolgend erörtert werden: Warum lernen Organisationen, wer lernt dort, wie wird gelernt, was verhindert und was fördert Lernen? Diesen Fragen folgend wird nicht ein Ansatz allein diskutiert – dafür ist das Angebot oft zu diffus –, sondern es werden verschiedene Überlegungen zusammengetragen und zu integrieren versucht.
5.1.2 Mögliche Auslöser des Organisationslernens Zur theoretischen Erörterung organisationaler Veränderungsprozesse gehört die Begründung gewählter Handlungen, weil so ein präziseres Verständnis hinsichtlich der Qualität von Veränderungen erzielt werden kann. Angenommen eine Schule, die bislang großen Wert auf einen eigenen fremdsprachlichen Schwerpunkt legte, profilierte sich neuerdings mit dem Aufbau eines zusätzlichen naturwissenschaftlichen Schwerpunkts, und das erweiterte Profil ließe sich möglicherweise als Ergebnis eines Organisationslernprozesses bestimmen, so wären u. a. die Beweggründe für die Neuordnung des Profils zu klären. Ein Verzicht auf die Suche nach den Gründen bedeutete, ein wichtiges Erklärungselement zu vernachlässigen. Es gibt vielfältige Annahmen über die Triebkräfte bzw. die Auslöser des Organisationslernens. Diese können von Organisation zu Organisation variieren. Eine einheitliche Referenzgröße besteht jedoch in der Existenz der Umwelt. Ohne einen Umweltbezug sind Initialzündungen des Lernens nicht denkbar, da die Konfrontation mit dem Umfeld wesentlich zur Einschätzung der Situation einer Organisation beiträgt. Die interaktionale Interpretation des Organisation-Umwelt-Verhältnisses im Rahmen des offenen Systemansatzes stellt eine hilfreiche Annahme für das Organisationslernen dar. Die Einnahme einer umweltdeterministischen Perspektive würde dagegen kaum passen, weil durch Lernprozesse auch das Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt verändert werden kann (vgl. TÜRK 1989: 101). Häufig sind die Skizzen über die Auslöser untereinander beziehungslos und basieren auf unterschiedlichen Ebenenbetrachtungen. Genau genommen ist das nicht allzu problematisch, weil die Auslöser je nach Fallsituation betrachtet werden und unterschiedlichen Bewertungen unterliegen können. Das legt eine flexible Handhabung nahe. Es soll hier ein Überblick über die verschiedenen möglichen Auslöser erarbeitet werden, der auf Überlegungen von KLIMECKI/LASSLEBEN (1998) beruht. Zusätzlich wird eine spätere Veröffentlichung zu diesem Thema herangezogen (KLIMECKI/ LASSLEBEN/THOMAE 2001). Hauptsächlich können demnach vier verschiedene Lernauslöser identifiziert werden. Erfahrungen als Auslöser Ein Großteil der einschlägigen Literatur identifiziert Erfahrungswerte als wichtigste Quelle des Lernens. Vor allem sind es krisenhafte Erfahrungen, die zu Veränderun-
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gen motivieren können. DUNCAN/WEISS (1979) argumentieren erfahrungsbasiert, indem sie auf Diskrepanzen zwischen den von den Entscheidungsträgern angestrebten Soll- und den tatsächlichen Ist-Zuständen („performance gaps“) hinweisen, die ein Suchen nach neuem Wissen stimulieren können, um die vorhandenen Leistungslücken zu schließen. ARGYRIS/SCHÖN (1996) glauben, dass Organisationsmitglieder auf Basis organisationaler Handlungstheorien agieren. Ein erfahrbares Auseinanderklaffen von Ergebnis und Erwartung kann Irritationen hervorrufen, zur Überprüfung der Handlungstheorien anregen und infolgedessen Lernprozesse auslösen. MARCH/ OLSEN (1990) entwickeln wiederum einen Lernzyklus, welcher die Organisation über Verhaltensanpassung an die Umwelt lernen lässt. Dieser kommt aufgrund individuell festgestellter Diskrepanzen zwischen bestehenden und erwünschten Umweltzuständen in Gang. In einem zirkulären Prozess können sich erst individuelle und in der Folge organisationale Handlungen verändern, die wiederum Reaktionen in der Umwelt hervorrufen. Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zuständen sind z. B. auch durch das Experimentieren erfahrbar (vgl. MARCH/OLSEN 1990; GARVIN 1993). Das Experimentieren ist beispielsweise in Qualitätsentwicklungsprozessen vorzufinden, wenn diese dialogisch und zumindest teilweise offen konzipiert sind. Innerhalb von Qualitätsverfahren bestehen oft Freiheitsgrade zur Verständigung auf Qualitätsziele, deren Erreichen zu einem späteren Zeitpunkt bilanziert wird (vgl. z. B. GREVE/PFEIFFER 2002). Solchermaßen ermöglichen sie eigenständige Bearbeitungsschritte für die Organisationen. Es besteht allerdings keine vollständige Freiheit zum Experimentieren; die Prozesse sind in der Regel durch die jeweiligen Bestimmungen der Verfahren eingegrenzt. Im Hinblick auf dynamische Umwelten bleibt oft wenig Spielraum für das Erproben neuer Maßnahmen. Ferner beruhen Rückmeldungen auf Erfahrungswerten und haben im Prinzip den Zweck, auf vorhandene Verbesserungspotenziale aufmerksam zu machen bzw. den Sinn für Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zuständen zu schärfen. Informationen werden häufig im Kontext von Organisationsentwicklungsprozessen rückgemeldet, so z. B. im Rahmen der Survey-Feedback-Methode. Auf ähnliche Weise wirken selbstredend formativ gestaltete Evaluationen, die organisationale Veränderungsprozesse begleiten und unterstützen können. Diesem methodischen Spektrum können weiterhin das Monitoring oder das strategische Controlling zugeordnet werden. Interne Spannungen als Auslöser Organisationale Lernprozesse können durch Spannungen ausgelöst werden, die in Auseinandersetzungen um die Interpretation der Umwelt entfacht werden können. Nach CANGELOSI/DILL (1965) aktivieren Divergenzen zwischen der Individual- und der Gruppenebene Lernprozesse, wenn Konflikte über die Wahrnehmung der Umwelt und der zu ergreifenden Maßnahmen Spannungen hervorrufen, die gültige Toleranzwerte überschreiten. Deswegen kann ein sehr hohes Stressniveau erreicht werden, das organisationale Lernprozesse anregen kann, wenn der Konflikt gelöst werden muss und zu veränderten Verhaltens- und Denkweisen förmlich zwingt (vgl. ebd.; PROBST/BÜCHEL 1998). KIM (1993) sieht in der Diskrepanz zwischen indivi-
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duellen und organisational geteilten mentalen Modellen einen Ausgangspunkt für organisationales Lernen. Allerdings müssen Konflikte nicht nur positiv genutzt werden. Im Gegenteil, sie können auch Blockaden hervorrufen und Organisationslernen verhindern. Das wird an späterer Stelle genauer erörtert. Um einen positiven Lernprozess zu erreichen, müssen bestimmte Interpretationen oder Handlungen mehrheitlich akzeptiert werden (vgl. DUNCAN/WEISS 1979). Visionen als Auslöser Im Gegensatz zum Erfahrungslernen, das üblicherweise vergangenheitsorientiert ist, kann die zeitliche Perspektive in die Zukunft verschoben werden (vgl. DIERKES/ MARZ/TEELE 2003). Die Lernauslöser müssen nicht unbedingt auf erfahrenen, krisenhaften Situationen beruhen. Eine auf die Zukunft gerichtete Sichtweise ist insbesondere mit dem zugrunde liegenden kognitiven Lernverständnis möglich, das Lernen nicht mehr nur als Reaktion auf Ereignisse, sondern auch als (pro-)aktives Wahrnehmen und Handeln interpretiert. Organisationen können anfangen zu lernen, selbst wenn die bisherige Entwicklung wenig Anlass zu Sorgen gab. Konzeptionell wird das Organisationslernen durch eine solche Sichtweise bereichert und flexibler. SENGE (1990) hebt u. a. die Bedeutung von Visionen als Auslöser von Lernprozessen hervor. Die Kluft zwischen erlebter Realität und antizipierter Zukunft kann kreative Spannungen hervorrufen, die Organisationslernen initiieren können. Im Prinzip können hierunter auch die Versuche von Organisationen eingeordnet werden, die auf das Verfassen eines Leitbildes abzielen. Üblicherweise beinhaltet ein Leitbild eine Vorstellung davon, wie eine Organisation innerhalb gegebener äußerer Rahmenbedingungen operieren soll. Die Bestimmung von Soll-Größen kann orientierend und kanalisierend auf Strategiebildungen wirken. Ein solcher Lernimpuls ist beispielsweise durch das Verfassen von Schulprogrammen erreichbar. Entscheidend ist bei diesem Auslöser jedoch, inwieweit die propagierten Zielstellungen tatsächlich innerhalb der Organisation akzeptiert werden und sich in veränderten Handlungen niederschlagen. Das gilt gerade dann, wenn z. B. neues Führungspersonal rekrutiert wird und infolgedessen neue Ziele definiert werden.24 Analog hierzu kann im Ressourcenreichtum eine weitere mögliche (nicht unbedingt kriseninduzierte) Quelle des Organisationslernens gesehen werden. Manche Autoren betonen die Bedeutung freier Kapazitäten bzw. von Strukturredundanz, welche ein hohes Veränderungspotenzial bergen und Innovationskraft entfalten können (vgl. PROBST/BÜCHEL 1998; STAEHLE 1999). Diese Überlegungen beruhen auf der These, zusätzliche Ressourcen ließen mehr Spielräume zu freier und kreativer Gestaltung zu, wodurch Innovationspotenziale freigelegt würden. Das wird üblicherweise mit dem Begriff des „organizational slack“ zu beschreiben versucht. Vergleiche mit anderen Organisationen als Auslöser Imitationen oder Beobachtungen von anderen Organisationen sind weitere mögliche Verursacher des Organisationslernens. GARVIN (1993), HEDBERG (1981), HUBER 24
Diese Lernmöglichkeit bezeichnet Wiesenthal (1995) als „invasion“.
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(1991) oder MINER/MEZIAS (1996) beschäftigen sich mit dem Lernen von anderen, was den Diskussionen um Benchmarking gleicht. Benchmarking orientiert sich an den erfolgreichen Praktiken anderer Akteure, die zumeist zur unmittelbaren Umwelt zählen. Voraussetzung des Vergleichs ist die Anwendung gewisser Verfahrensweisen, die für übertragbar auf die eigene Organisation gehalten werden. DIMAGGIO/POWELL (1991) haben im Rahmen ihrer neo-institutionalistischen Analysen die Unsicherheit hervorgehoben, die den Mechanismus des Beobachtungslernens in Gang setzen kann. Der Vergleich kann demnach dazu dienen, Unsicherheiten zu reduzieren. Innerhalb der Überlegungen zum Organisationslernen interessieren diesbezüglich die Auswirkungen der Beobachtungen auf der Handlungsebene, welche aus dem Vergleich mit anderen resultieren können. Der Vergleich mit anderen wird in der Pädagogik zum Teil auf der Makroebene zwischen Systemen gesucht. So ist die PISA-Studie als Leistungsvergleich zwischen Schulsystemen unterschiedlicher Staaten konzipiert. Auf der Mesoebene wird das Benchmarking beispielsweise zwischen Nachbarschulen wahrscheinlich, die um ähnliche Zielgruppen konkurrieren. Selbiges lässt sich für freie Jugendhilfeträger annehmen, die gemeinsam im gleichen Sozialraum agieren und sich um die Akquisition von Fällen bemühen. Die Umwelt als zentrale Bezugsgröße Die aufgezählten Optionen des Lernauslösens können je nach Fallsituation unterschiedlich auftreten. Die schlichte Aneinanderreihung verschiedener Triebkräfte vermag aber nicht unbedingt den zuvor betonten Umweltbezug herzustellen, der gerade für pädagogische Institutionen aus den skizzierten Gründen gegeben ist. Es lässt sich folglich fragen, an welchen Stellen Auslöser einen Bezugspunkt zur Umwelt erkennen lassen. Sichtbar wird der Zusammenhang z. B. beim Lernen aus Erfahrungen. Die Artikulation von Zielen kann im Grunde nur über die Auseinandersetzung mit der Umwelt und dort vermuteten Entwicklungen erfolgen. Es müssen dafür – im Sinne des offenen Systemansatzes – Indikatoren in Richtung Umwelt entwickelt werden, die das Gewinnen von Erkenntnissen über die Veränderungen von Rahmenbedingungen ermöglichen. Die internen Anstrengungen, die für das Erreichen eines gewünschten Ergebnisses nötig sind, hängen so mit der Wahrnehmung der Umwelt zusammen. Das Erhalten von Feedbacks oder die Durchführung von Experimenten haben in der Umwelt auf ähnliche Weise einen Bezugspunkt. Konflikte in Organisationen können, wie zuvor erörtert, auf unterschiedlichen Interpretationen zu Umweltentwicklungen und der daraus abzuleitenden Ziele und zu ergreifenden Handlungen basieren. Auch das Entwickeln von Visionen als ein antizipativer Prozess kann nicht isoliert von Umweltbeobachtungen betrachtet werden. Dies impliziert eine Diskrepanzannahme, die in diesem Fall in die Zukunft verlagert ist. Selbst die initiatorische Wirkung von redundanten Ressourcen („slack“) ist im Grunde nicht ohne die Relevanz des Faktors Umwelt entfaltbar. Die Kreativität, die dadurch ermöglicht werden kann, basiert zwar auf dem Spiel mit internen Ressourcen, das sich jedoch durch eine externe Rahmung überhaupt erst entfalten kann. Dies fügt sich ebenfalls in das skizzierte Grund-
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verständnis vom offenen Systemansatz ein. Dem Auslösertypus des Imitationslernens ist der Umweltbezug schon rein begrifflich inhärent. Wenn Organisationen von anderen lernen, lernen sie von der Umwelt. Entsprechend werden beim Imitationslernen über die direkte Beobachtung von anderen Lernprozesse ausgelöst. Die verschiedenen Auslöser beruhen im Grunde auf der Herstellung eines Verständnisses über die Situation der eigenen Organisation und ihrem Verhältnis zur unmittelbaren (Aufgaben-)Umwelt (vgl. DUNCAN/WEISS 1979; PAWLOWSKY 1992). Im Sinne von WEICKs (1985) „enactment“ können über die Umwelt bestimmte Sichtweisen und infolgedessen Handlungsperspektiven entwickelt werden (vgl. ORTMANN 2004: 203), die dazu führen, organisationale Ziele, Strategien oder Prozesse zu definieren. Um Anhaltspunkte für Handlungen zu gewinnen, sind nach KLIMECKI/LASSLEBEN (1998: 80ff.) bestimmte Unterscheidungen zu treffen. Organisationen stellen demnach in Bezug auf ihre Umwelten Unterschiede zwischen ihrem tatsächlichen und dem gewollten Leistungsstand fest. BATESON (1985: 582) nennt das: „Unterschied, der einen Unterschied ausmacht“. In Anlehnung an KLIMECKI/LASSLEBEN (1998) können organisationale Lernprozesse nur durch die Beobachtung von Unterschieden erfolgen. Die Kontrastierung von Differenzen kann somit ein dialektisches Lernen bewirken. ARGYRIS/SCHÖN (1996), deren Lernmodell in der Regel als Reaktion auf bestehende Probleme interpretiert wird, sehen in der Differenz von Soll- und Ist-Werten den entscheidenden Lernanlass, und zwar unabhängig von der zeitlichen Richtung. Sie nennen einige Differenzen, die Lernen auslösen und die bisherige Diskussion zusammenfassen können. • “Interpretations of past experiences of success or failure; • inferences of causal connections between actions and outcomes and their implications for future action; • descriptions of the shifting organizational environment and its likely demands on future performance; • analysis of the potentials and limits of alternative organizational strategies, structures, techniques, information systems, or incentive systems; • descriptions of conflicting views and interests that arise within the organization under conditions of complexity and uncertainty; • images of desirable futures and invention of the means by which they may be achieved; • critical reflections on organizational theories-in-use and proposals for their restructuring; and • description and analysis of the experiences of other organizations” (vgl. ebd.: 17). Die Umwelt stellt in dieser Darstellung eine zentrale Referenzgröße dar. Die Differenzen bzw. Diskrepanzen sind nur zu konstatieren, wenn zur Umwelt Indikatoren entwickelt werden. In diesem Kontext wird die Analogie des Lernens mit einem Informationsverarbeitungsprozess verdeutlicht (vgl. HUBER 1991). DAFT/WEICK (1984) beschreiben diesen Prozess als Kreislauf offener Systeme, welche die Umwelt nach bestimmten Informationen absuchen („scanning“), wie z. B. nach Trends, Ereignissen, Wettbewerbern, Märkten oder technologischen, prozessualen sowie strukturellen Entwicklungen. Dabei erreichen nur Daten den Status von Informationen,
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die auch anschlussfähig an bestehende Wissensbestände sind. In einem weiteren Schritt werden die gewonnenen Informationen auf das vorhandene Wissen bezogen, übersetzt und in ein gemeinsames Verständnis überführt („interpretation“). Und schließlich können auf der Basis der neuen Interpretationen neue Handlungen wirksam werden („learning“). Mit diesem kognitiven Lernverständnis geht einher, dass Organisationslernen in Form von Handlungen beobachtbar sein kann, jedoch nicht muss. Lernen kann sich ebenso „in den Köpfen“ entfalten, ohne dass es zwingend zu Modifikationen der Handlungen oder Verhaltensweisen kommt. D. h. zwar, dass ein nicht unwesentlicher Anteil an organisationalen Lernprozessen empirisch nicht abzubilden sein wird, aber immerhin macht Organisationslernen die Veränderbarkeit von Handlungen wahrscheinlicher (vgl. HUBER 1991).
5.1.3 Träger von Lernprozessen Neben der Herstellung eines kognitiven Analyserahmens und der Betonung der Differenzbedeutung ist es angebracht, über die Träger von organisationalen Lernprozessen nachzudenken. Wenn Organisationslernen auf der Verarbeitung von Informationen und der Diagnose von Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zuständen beruht, ist zu fragen, wie weit die Lernprozesse in die Organisationen reichen müssen. Sind es Individuen, sind es Gruppen, über die Organisationslernen prozessiert wird oder muss der Lernprozess vielleicht noch abstrakter gedacht werden? In der Regel werden drei verschiedene Trägerebenen unterschieden: Die Individual-, die Gruppenund die Organisationsebene (vgl. z. B. WIEGAND 1996; PROBST/BÜCHEL 1998; SCHERF-BRAUNE 2000). Bei NONAKA (1994) wird überdies eine interorganisationale Ebene zumindest angedacht. Die Bedeutung einzelner Organisationsmitglieder In der einschlägigen Literatur wird die Bedeutung des Individuums im Kontext organisationalen Lernens oft hervorgehoben (vgl. u. a. DUNCAN/WEISS 1979; ARGYRIS/ SCHÖN 1996; SCHOTT 2003). Jene Ansätze, die sich auf die einzelnen Organisationsmitglieder beziehen, stellen deren Motive, Interessen, Werthaltungen oder Handlungen in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Einzelne Organisationsmitglieder können grundlegende Prämissen hinterfragen und erlangtes Wissen auf Problemsituationen anwenden. In diesem Zusammenhang wird auch von einer Agentenrolle gesprochen (vgl. z. B. WIEGAND 1996; SCHERF-BRAUNE 2000). Demnach führen in der Organisation einflussreiche Individuen Lernprozesse herbei, die sich auf der Organisationsebene abbilden können. Nach MARCH/OLSEN (1990) kann sich das Organisationslernen nur über die individuelle Ebene vollziehen. In einem zyklischen Prozess verbindet sich das individuelle mit dem organisationalen Lernen, was schließlich, durch die Interaktion mit der Umwelt, individuelles Lernen bewirkt. Auch für ARGYRIS/ SCHÖN (1996) hat das Organisationslernen seinen Ausgangspunkt im individuellen Lernen. Individuen stellen als Agenten die oben skizzierten Diskrepanzen zwischen Erwartung und Ergebnis fest und wägen die zu ergreifenden Maßnahmen ab. Einer
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ähnlichen Herangehensweise folgt KIM (1993). Demzufolge ist in einem selbst entwickelten Modell das individuelle Lernen zwar eine notwendige Bedingung für Organisationslernen, jedoch nur im Kontext organisationaler Prozesse vorstellbar. Ebenso geht HEDBERG (1981) vom Einfluss der Individuen auf das Organisationslernen aus, weist aber besonders auf das überindividuelle Element des Organisationslernens hin, das er in einem kollektiven Organisationsgedächtnis verankert sieht. Folgerichtig wird immer wieder betont, dass Organisationslernen mehr ist als bloß die Summe individuellen Lernens (vgl. u. a. HEDBERG 1981; PROBST/BÜCHEL 1998). Die Konzentration auf einzelne Organisationsmitglieder hat dem Ansatz des Organisationslernens einerseits die Kritik eingebracht, Lernprozesse als zu einfach zu betrachten. Dabei wird u. a. bemängelt, dass kaum auf die Frage eingegangen wird, wie individuelle Lernprozesse sich auf der Ebene der Organisation abbilden können (vgl. WIEGAND 1996). Andererseits sind organisationale Lernprozesse ohne die Beteiligung der Mitarbeiter nicht vorstellbar. Für Organisationen mit einer einfachen Struktur, wie sie zum Teil im dritten Kapitel für pädagogische Institutionen wie Schulen und freie Jugendhilfeträger diagnostiziert wurde, ist ein Lernimpuls, der auf der Initiative weniger beruht, womöglich nahe liegend. In Anlehnung an MINTZBERG klassifiziert SHRIVASTAVA (1983: 20) Organisationen mit einer einfachen Struktur als Lerntyp mit einer „one man institution“. “This is an organization learning situation in which one man, the peak coordinator […], who is knowledgeable about all aspects of the business, is the key broker of knowledge.”
Lernprozesse werden dabei vorwiegend auf der Leitungsebene vollzogen. Die Klassifikation dieses Lerntyps basiert zwar auf der Fokussierung einer Person, schließt aber nicht unbedingt die Erweiterung auf einen größeren, aber dennoch begrenzten Personenkreis aus. Somit wird eine größere Flexibilität in Bezug auf das Verstehen von Organisationslernprozessen erreicht. Gruppen als Träger von Lernprozessen Gruppen als Träger von Lernprozessen wird zunehmend eine größere Aufmerksamkeit zuteil (vgl. WIEGAND 1996: 387). So wird z. B. im Kontext von Qualitäts- oder Managementverfahren den Gruppen eine wichtige Rolle zugemessen, um zu Effizienz- und Effektivitätssteigerungen zu gelangen (vgl. ebd.). SENGE (1990) erwartet, um eine prominentes Beispiel einzufügen, von kooperativen Akteuren einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung komplexer Aufgaben.25 Innovationsteams, mikropolitisch dominante Koalitionen oder ganze Funktionsbereiche können praktisch Träger des Organisationslernens sein. Mit der Gruppe als Lernträger ist die Möglichkeit geboten, abweichend von der Formalstruktur, hierarchie- oder stellenübergreifend zusammenzuarbeiten und somit Lernanlässe potenziell zu erhöhen, weil der Informationsaustausch über den formalen Organisationsrahmen hinaus angeregt werden kann. Diese Idee wird u. a. mit der Initiierung von Projektorganisationen verfolgt. 25
Das „Team-Lernen“ stellt einen von fünf wichtigen Bausteinen (Disziplinen) dar, die organisationale Lernprozesse begünstigen können.
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Diese Formen der Gruppenbildungen können sowohl informal entlang von strukturellen Schnittstellen-Themen als auch formal entstehen. NONAKA (1994) oder NONAKA/TOYAMA/BYOSIÈRE (2003) betonen beispielsweise in ihrem Middle-up-down-Modell die Bedeutung der (Projekt-)Gruppe der mittleren Managementebene. Diese wird als ein Motor der Wissensgenerierung dargestellt, die auf der Schnittstelle zwischen Leitungs- und operativer Ebene vermittelt. Auch DUNCAN/WEISS (1979) beziehen sich auf die Gruppenebene. Sie sind auf eine die Organisation dominierende Koalition von Mächtigen fokussiert, welche über Lernprozesse maßgeblich organisationale Veränderungen initiiert. MAIER/PRANGE/VON ROSENSTIEL (2003) heben die Bedeutung des Gruppenlernens gegenüber dem individuellen Lernen hervor, weil Gruppen mehr Wissen als Individuen speichern können. Die Relevanz der Gruppe wird außerdem deutlich, wenn daran erinnert wird, dass der Ansatz der Organisationsentwicklung Wurzeln in gruppendynamischen Prozessen hat. In Analogie zum Verhältnis zwischen Individuum und Organisation ist aber auch hier einzuwenden, dass Organisationslernen mehr sein muss als die bloße Aggregation des Gruppenlernens. Wie auch beim Lernen von Individuen, ist es beim Lernen von Gruppen wichtig, dass es Veränderungen in der Organisation bewirkt. Die Lernprozesse weniger können nur zum Organisationslernen werden, wenn sie „Spuren“ im Wissen und/oder Handeln hinterlassen. Im Idealtypus der Lernenden Organisation wird tendenziell angenommen, alle Organisationsmitglieder würden lernen (vgl. SENGE 1990). Die Konzentration auf das Lernen Einzelner oder dominanter Gruppen gibt dagegen diese doch eher unrealistische Annahme auf. Zudem wird damit die Existenz heterogener Ziele und Handlungen der einzelnen Mitglieder tolerierbar. Von Bedeutung sind in diesem Kontext lediglich jene, die sich mehrheitlich und erkennbar durchsetzen und die Richtung der Organisation bestimmen. Gruppenlernprozesse sind im Grunde in jeder Organisation vorstellbar. Die skizzierten theoretischen Überlegungen beziehen sich auf hierarchiebedingte Grenzen von Organisationen und sehen in Gruppenarbeiten eine Form der Überwindung hierarchisch streng getrennter Organisationseinheiten. Projektarbeiten in der pädagogischen Institution Schule, die fächer-, klassen- oder jahrgangsübergreifendes gemeinsames Handeln von Lehrkräften erfordern, stellen solchermaßen öffnende Kooperationen dar, von denen neue Impulse erwartet werden, die organisationales Lernen hervorrufen können (vgl. FEES 2004). Die Organisation als abstrakte und unverzichtbare Trägerebene Wenn die Summe des individuellen Lernens bzw. des Gruppenlernens nicht mit dem Organisationslernen gleichzusetzen ist, muss eine gedankliche Metaebene existieren. Eine solche übergeordnete Ebene wird eindrücklicher vorstellbar, wenn ihr ein abstraktes Organisationsgedächtnis (vgl. HEDBERG 1981; HUBER 1991; PROBST/ BÜCHEL 1998) bzw. eine organisatorische Wissensbasis (vgl. DUNCAN/WEISS 1979; PAUTZKE 1989) unterstellt wird. Die Organisation und die Individuen (oder Gruppen) stehen demnach in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander (vgl. PAWLOWSKY 1992), welches individuelles Lernen in organisationales transzendiert und umgekehrt.
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Die Denkfigur des organisationalen Gedächtnisses ist insbesondere im Hinblick auf ein kognitives Lernverständnis hilfreich. Die kognitive Interpretation organisationaler Lernvorgänge macht die Aneignung neuen Wissens erforderlich. “Organizational memory is the means by which knowledge is stored for future use” (HUBER 1991: 90).
Es bedarf insofern eines Speichers, der die Wissensbestände aufnimmt und diese der Organisation bzw. den Mitgliedern potenziell zur Verfügung stellt. Das stellt eine komplizierte konzeptionelle Herausforderung dar, weil das Denken und Handeln der Individuen einerseits durch den organisationalen Kontext geprägt wird, andererseits können individuelle Lernvorgänge, wenn sie mehrheitlich akzeptabel sind, das organisationale Gedächtnis verändern. Die Akquise von Wissen findet folglich in den Köpfen statt, wird aber zugleich durch Wahrnehmungs- und Handlungsmuster strukturiert und beeinflusst. In Anlehnung an MERKENS’ (2004) Definition der Quellen des Organisationsgedächtnisses können diese Muster wiederum unterschiedlich beeinflusst sein, und zwar durch • die Aufbau- und Ablauforganisation sowie • die kulturellen Selbstverständlichkeiten der Organisation. Der erste Punkt bezieht sich auf das Managementsystem von Organisationen bzw. auf die Dimensionen Prozesse und Strukturen, welche die Kommunikation, Handlungen und letztlich die Akquise von Wissen rahmen. Dies hat, wie erwähnt, formale als auch informale Aspekte. Hierzu können Regeln, Vorschriften, Programme, Pläne, Verträge und Stellenbeschreibungen usw. gezählt werden, die äußerlich erkennbar oder bekannt sein können. Teilweise bleibt das Organisationsgedächtnis hierbei abstrakt, weil das Gedächtnis im Aufbau und Ablauf einer Organisation nur schwer konkretisierbar ist. Die Kultur einer Organisation besteht aus Normen, Werten, Symbolen oder Annahmen. Auch hier gibt es Muster, die sichtbar (z. B. durch Symbole) und andere, die unsichtbar sind (vgl. SCHEIN 1984). Typischerweise ist der unsichtbare Anteil der Kultur so groß, dass auch der auf Organisationen bezogene Kulturbegriff folgerichtig abstrakt bleibt. Kultur lässt Selbstverständlichkeiten entstehen und beeinflusst ebenfalls das Handeln und die Kommunikation von Organisationsmitgliedern. Der Versuch, einige der dargestellten Elemente des Organisationsgedächtnisses zu identifizieren, wird je nach Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, weil verschiedene Faktoren zu berücksichtigen sind. So ist z. B. das Organisationsgedächtnis in größeren Organisationen vermutlich stärker über die Organisationsstruktur verankert als in kleineren, weil bei Letzteren z. B. die Bedeutung der Strukturen eher relativiert ist (so z. B. bei der einfachen Struktur). Zudem ist es wahrscheinlich, dass kulturelle Elemente in jungen Organisationen weniger verankert sind als in älteren. Das Organisationsgedächtnis kann somit verschiedene Ausprägungen annehmen, was aber nicht bedeutet, ganz auf die gedankliche Konstruktion eines solchen Speichersystems zu verzichten. Es verleiht einer Organisation in ihrer Gesamtheit etwas Unverwechselbares.
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Die unterschiedliche Gestalt des Organisationsgedächtnisses wird u. a. im Fall des Ausscheidens einzelner Personen aus einer Organisation erkennbar. In einigen Fällen führt das Ausscheiden zu einem großen, kaum kompensierbaren Wissensverlust, in anderen Fällen wiederum macht sich das kaum bemerkbar (vgl. MERKENS 2004a). Dies hängt insbesondere von den eben genannten Faktoren ab wie der Organisationsgröße, dem Alter der Organisation, der mikropolitischen Bedeutung der ausscheidenden Person oder der Existenz eines funktionierenden Informationssystems. Pädagogische Institutionen, wie z. B. freie Jugendhilfeträger, sind oftmals kleine Organisationen. Formale Strukturen spielen dann eine geringere Rolle als informale. Nicht selten üben die Leitungsebenen einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Einrichtungen aus. Zudem ist die Bedeutung eines umfassenden, personenunabhängigen Informationssystems erst in jüngster Zeit zu einem wichtigen Thema geworden, vor allem im Hinblick auf die Sicherung von Qualität. Es kann folglich angenommen werden, dass das Organisationsgedächtnis in diesen Fällen maßgeblich durch die Personen der Leitungsebenen repräsentiert wird. Scheiden diese aus, ist damit oft ein erheblicher Wissensverslust verbunden, der sich zu einer Existenzbedrohung auswachsen kann. Je schneller es gelingt, diesen Verlust zu kompensieren, sei es durch die Mobilisierung der verbliebenen Fachkräfte oder durch die Rekrutierung neuen Personals, desto eher ist der Fortbestand auf dem bisher erreichten Niveau denkbar. Etwas differenzierter stellt sich die Situation bezüglich des Alters einer pädagogischen Einrichtung dar. Schulen sind z. B. in der Regel älter als viele andere pädagogische Institutionen. Es können sich Traditionen etablieren und mit den Jahren sehr prägnant für organisationale Handlungen sein. Dadurch institutionalisierte, stabile Regeln und Gewissheiten können sich auf der Handlungsebene in festen Routinen niederschlagen. Die Repräsentationsfähigkeit des Organisationsgedächtnisses durch wenige Personen ist somit im Vergleich zu freien Jugendhilfeträgern relativierbar. Dennoch bestehen insbesondere auf der Unterrichts- und der Leitungsebene Handlungsoptionen, die individuell ausgefüllt werden und letztlich Veränderungen auf der Organisationsebene anstoßen können.
Individuum (Gruppen)
Organisationsgedächtnis
Abbildung 9: Einfaches Trägermodell – Interdependenz von Organisationsmitgliedern und Organisationsgedächtnis
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Organisationsgedächtnis auf eine abstrakte Weise die Informationsverarbeitung konstituieren kann, die Entscheidungsprozesse und die Kommunikation strukturiert sowie das Handeln in Organisationen beeinflusst. Es bildet Routinen aus, die für eine Organisation unabdingbar sind und Verlässlichkeit erzeugen. Daher können durch organisationale Lernprozesse vollzogene tiefer gehende Veränderungen Zeit benötigen, vom Fall einer akuten Krise mal abgesehen.
5.1.4 Ablauf und Qualität von Lernprozessen Im Grunde verändern sich Organisationen permanent (vgl. STAEHLE 1999: 587). So können auch Lernvorgänge zu jeder Zeit auftreten, so dass nicht beansprucht werden kann, jegliches Lernen zu erfassen. Es kommt darauf an, aus einer Perspektive des Beobachtens heraus einige Lernprozesse zu identifizieren und sie zu erörtern (vgl. ARGYRIS/SCHÖN 1999). Den bisherigen Ausführungen folgend, lernen pädagogische Institutionen bzw. Organisationen, wenn eine Unterscheidung zwischen einem Istund einem Soll-Zustand getroffen wird. Unmittelbar mit dem Lernprozess ist die Aneignung neuen Wissens verbunden. Dies wiederum erfolgt über die Organisationsmitglieder, die im organisationalen Kontext lernen. Ein abstrahiertes Organisationsgedächtnis kann deren Lernvorgänge strukturieren. Trotz der bis hierhin diskutierten Elemente des Organisationslernens ist noch offen, wie Lernprozesse genauer ablaufen und wie sie in einen Zusammenhang mit den Dimensionen des offenen Systemansatzes Umwelt, Ziele, Prozesse und Strukturen zu bringen sind. Viele Autoren differenzieren mehrere Lernstufen (vgl. z. B. PAWLOWSKY 2003), was vor allem durch das Konzept von ARGYRIS/SCHÖN (1996) beeinflusst wurde. Diese Unterscheidung soll im Folgenden aufgegriffen werden, um verschiedene Qualitäten des Organisationslernens definieren zu können. Das ist insofern von Bedeutung, als in der Rede von der Lernenden Organisation potenziell ein grundlegender Wandel beschworen wird, der in der Praxis nicht pauschal bei allen Organisationen zu erwarten ist und es folglich differenzierter Lerndefinitionen auch jenseits des fundamentalen Wandels bedarf. Die Bedeutung von Handlungstheorien Nach ARGYRIS/SCHÖN (1996) – die ihre Überlegungen teilweise sehr sperrig darlegen26 – kann das Lernen von Organisation dreistufig analysiert werden. Die Basis ihres Denkens bildet die Fokussierung auf Handlungstheorien („theories of action“), welche Wissen bündeln und für organisationale Aktivitäten bestimmend sein können. Im Wesentlichen sind die Handlungstheorien als ein Reservoir an Wissen zu verstehen, das eine spezifische Weltanschauung der Organisation verkörpert. Das Wissen, das im Organisationsgedächtnis abstrakt gespeichert sein kann, sollte in Anlehnung an DUNCAN/WEISS (1979: 85ff.) prinzipiell von den Organisationsmitgliedern verstanden und mehrheitlich akzeptiert werden sowie sich im Handeln niederschlagen 26
Vgl. u. a. die Kritik von Wiegand (1996: 212).
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können. In diesem Sinne sind die Handlungstheorien durch das Organisationsgedächtnis geprägt. Die Autoren unterteilen die „theories of action“ in offizielle Handlungstheorien („espoused theories“) und Gebrauchstheorien bzw. handlungsleitende Theorien („theories-in-use“). Offizielle Handlungstheorien werden beispielsweise in Leitlinien oder in Grundsatzprogrammen erkennbar artikuliert oder in empirischen Befragungen von den Organisationsmitgliedern vertreten. Mit den postulierten Handlungstheorien wird quasi versucht, eine Corporate Identity der Organisation herzustellen. Sie legitimieren sozusagen das Verhalten in sozialen Kontexten (vgl. WIEGAND 1996: 207f.). Dieser Teil der Handlungstheorien beschäftigt ARGYRIS/SCHÖN aber im weiteren Verlauf ihrer Überlegungen nicht mehr! Für die Konzeptionalisierung des Organisationslernmodells sind für sie insbesondere die Gebrauchstheorien von Bedeutung. Diese sind situationsspezifische Handlungstheorien und werden von den einzelnen Organisationsmitgliedern in ihren Handlungen vertreten. Gebrauchstheorien sind nur von einem Beobachterstatus aus zu erfassen und sind für die Organisationsmitglieder durch Reflexionen erfahrbar. Sie kontrastieren zu den verlautbarten offiziellen Handlungstheorien (vgl. ARGYRIS/SCHÖN 1996). “Like the rules of collective decision and action, organziational theories-in-use may be tacit rather than explicit and tacit theories-in-use may not match the organizations’s espoused theory” (ebd.: 14).
Die Überlegungen sind demnach klar auf die Handlungsebene konzentriert. Nur über die Veränderung der – größtenteils unbewussten – Gebrauchstheorien ist Organisationslernen und damit auch Veränderung möglich. Doch was ist der Bestandteil der Gebrauchstheorien? Sie sind nach TÜRK (1989: 105) kollektiv geteilte Erwartungen über Funktionszusammenhänge zu Zielen, Strategien, Situationen, Techniken, angemessenen Handlungen sowie der entsprechenden technischen, ökonomischen und sozialen Normen. ARGYRIS/SCHÖN (1996: 14) definieren die Bestandteile der Gebrauchstheorien wie folgt: “This [...] theory includes norms for corporate performance (for example, margin of profit or return on investment), strategies for achieving values (for example, strategies of plant location or selection of manufacturing technology), and assumptions that bind strategies and values together (for example, the assumption that maintenance of a high rate of return on investment depends on the continual introduction of new technologies).”
Die Normen können in dieser konkreten begrifflichen Bestimmung auch als Ziele betrachtet werden. In dieser Hinsicht wird auch verständlich, warum manche Autoren in der Rezeption der Überlegungen von ARGYRIS/SCHÖN den Norm- durch den Zielbegriff ersetzen (vgl. z. B. PROBST/BÜCHEL 1998; SCHREYÖGG 2003). Die beiden anderen Bestandteile lassen sich als Strategien und Handlungsmuster interpretieren, die aus den Normen bzw. den Zielen abgeleitet werden können. Gebrauchstheorien stellen folglich Arbeitshypothesen dar, die sowohl das Verhalten und die Handlungen der Organisationsmitglieder als auch die Wahrnehmung und die Interpretation von Informationen über die Umwelt und den Leistungsstand der
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Organisation beeinflussen. Von der Beschaffenheit der Gebrauchstheorien hängt der Verlauf des organisationalen Lernprozesses ab. Wie zuvor dargelegt, wird das Lernen durch eine Differenz zwischen Erwartung und erzieltem Ergebnis ausgelöst, wobei die Individuen von entscheidender Bedeutung für das Organisationslernen sind. Das Lernziel ist das Schließen der Lücke zwischen Ist- und Soll-Zustand. Dies geht wiederum nur mit einer Veränderung der Gebrauchstheorien einher. “Organizational learning occurs when individuals within an organization experience a problematic situation and inquire into it on the organization’s behalf. They experience a surprising mismatch between expected and actual results of action and respond to that mismatch through a process of thought and further action that leads them to modify their images of organization or their understandings of organizational phenomena and to restructure their activities so as to bring outcomes and expectations into line, thereby changing organizational theories-in-use” (ARGYRIS/SCHÖN 1996: 16).
Differenzierung unterschiedlicher Lernniveaus Die Veränderung der Gebrauchstheorien kann unterschiedliche Ausmaße annehmen, die zu unterschiedlichen Lernqualitäten führen kann. ARGYRIS/SCHÖN (1996) bestimmen drei Stufen, die sie als „single-loop learning“, „double-loop learning“ sowie „deutero learning“ bezeichnen. Analoge Differenzierungen spiegeln sich in bedeutungsverwandten Begriffen wie „lower-level learning“ und „higher-level learning“ (FIOL/LYLES 1985), „adjustment learning“, „turnover learning“ und „turnaround learning“ (HEDBERG 1981), „Assimilation“, „Akkomodation“ und „Äquilibration“ (STAEHLE 1999), „Anpassungslernen“, „Veränderungslernen“ und „Prozesslernen“ (PROBST/BÜCHEL 1998) wider. Beim Single-Loop-Lernen bzw. Verbesserungslernen27 handelt es sich um eine Korrektur eines wahrgenommenen „mismatch“ zwischen erwartetem und tatsächlichem Ergebnis, welche innerhalb des bestehenden Normen- oder Zielgefüges durchgeführt wird. D. h. die Richtung bleibt bzw. die wesentlichen Merkmale der Gebrauchstheorien bleiben unverändert, lediglich die Handlungen und Strategien werden angepasst, vergleichbar etwa mit der Regulierung eines Thermostates in Reaktion auf die Temperatur der Umwelt (vgl. ARGYRIS/SCHÖN 1996: 21). Es wird versucht, lediglich die Aufgabenerfüllung zu optimieren. Die operativen Anpassungen berühren aber nicht die Ziele und Normen, diese werden nicht hinterfragt (vgl. SPANDAU 2002: 77). Eine solche Lernstufe ist beispielsweise erreicht, wenn innerhalb von Qualitätssicherungsverfahren Abweichungen korrigiert werden, nicht aber das Verfahren selbst zur Disposition gestellt wird. So kann eine Schule einen Schulentwicklungsprozess durchführen, in dem bestimmte Arbeitsabläufe zur Herstellung möglichst optimaler Gelingensbedingungen pädagogischen Handelns vorgegeben werden. Werden zwischenzeitlich Abweichungen von diesen standardisierten Arbeitsabläufen 27
Dieser Begriff wird in Anlehnung an PROBST/BÜCHEL (1998) und KLIMECKI/LASSLEBEN/ THOMAE (2000) alternativ genutzt, wie später auch der Begriff Veränderungslernen als Alternative zum Double-Loop-Lernen.
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5.1 Organisationslernen als theoretischer Ansatz?
festgestellt, können Anstrengungen unternommen werden, um den Vorgaben wieder zu entsprechen. Die standardisierten Abläufe selbst bleiben in diesem Rahmen unangetastet. Die Veränderung der Handlungen reicht weniger tief in die Gebrauchstheorien hinein als es der Fall wäre, wenn auch die Normen oder Ziele, die dem Schulentwicklungsprozess bzw. den Standards zugrunde gelegt sind, hinterfragt würden. Infolgedessen dürfte es möglich sein, entsprechende Veränderungen schneller herbeizuführen. So hält HEDBERG (1981) beispielsweise dieses Lernniveau bzw. Verbesserungslernen für kurzfristig erreichbar. Das sollte jedoch etwas relativiert werden, denn selbst Veränderungen mit geringerem Umfang erfordern die Einhaltung bestimmter Abstimmungsprozeduren, die zeitintensiv sein können.
Normen, Werte, Ziele
Handlungen, Strategien
Diskrepanzen, zwischen Soll- und Ist-Zustand
Beseitigung von Fehlern, Anpassung bzw. Veränderung von Handlungen und Strategien Single-loop-Lernen
Veränderung von Normen, Werten und Zielen Double-loop-Lernen
Metakognitive Fähigkeit (Lernen zu lernen) Deutero-Lernen
Abbildung 10: Modell des Organisationslernens in Anlehnung an ARGYRIS/SCHÖN28
Als Double-Loop-Lernen bzw. Veränderungslernen werden kognitiv höherstufige Lernprozesse klassifiziert, die auch zu einer Veränderung der Normen, Werte und Ziele führen. Die bislang gültigen Arbeitshypothesen werden aufgrund von Mängeln bezüglich der Effektivität oder Effizienz des Outputs hinterfragt, die zu einer Neuordnung der gesamten Gebrauchstheorien führen können. Der Lernprozess erfasst damit eine tiefere Ebene als das Verbesserungslernen. Im Prinzip bildet dieses Lernniveau in den Diskussionen zum Organisationslernen die bedeutsamere Stufe, weil nur so von einem grundlegenden, fundamentalen Wandel gesprochen werden kann. Dabei verändert sich das Normen- und Zielgefüge, infolgedessen auch die Handlungen und Strategien (vgl. PAWLOWSKY 1992). 28
Vgl. ebd. (1996); auch nach ARGYRIS (1990).
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
Ein solches Lernen kann bei Organisationen konstatiert werden, die z. B. neue Märkte oder Geschäftsfelder erschließen. Dadurch wird in der Regel auch das Selbstverständnis von Organisationen tangiert und von einem neuen ersetzt. In einer Organisation, die z. B. bisher auf lokale Märkte fokussiert war und nun über diese hinaus wächst, können sich die bisherigen Gebrauchstheorien verändern, weil die Bedingungen andere sind und neue Antworten und Sichtweisen verlangen. Übertragen auf pädagogische Institutionen lassen sich solche Aufgabenerweiterungen oft sowohl in Schulen als auch bei freien Jugendhilfeträgern beobachten, die in ihrer Aufgabenumwelt die Vernetzung mit anderen Akteuren suchen. Die Realisierung des Veränderungslernens stellt ein zentrales Ziel der Überlegungen von ARGYRIS/SCHÖN (1999) dar. Dies glauben sie mit externer Beratung, die zur Unterstützung der organisationalen Lernprozesse herangezogen werden sollte, erreichen zu können (vgl. ebd.: 121). Da in dieser Arbeit die indirekte Steuerung betont wurde, sind die Erwartungen an externe Beratungen jedoch insoweit zu relativieren, als sie Lernprozesse ermöglichen können (vgl. SCHREYÖGG 2003: 568). In enger begrifflicher Anlehnung an BATESON (1985)29 haben ARGYRIS/SCHÖN einen weiteren, dritten Lerntypus eingeführt, das Deutero-Lernen bzw. Metalernen. Diese Stufe ist erreicht, wenn Organisationen fähig sind, über bisherige Lernerfahrungen (Sinlge-Loop- und Double-Loop-Lernen) bzw. den jeweiligen Lernkontext zu reflektieren und künftige Lernprozesse aktiv selbst zu steuern und zu kontrollieren. Indem die eigene Lernfähigkeit zum Thema wird, kann die Qualität der Lernprozesse verbessert werden. Organisationen, die über diese metakognitive Fähigkeit verfügen, können je nach Situation unterschiedlich gestuft reagieren. Allerdings ist das eine sehr theoretische Annahme für Organisationen, denn es verlangt eine Distanz zu sich selbst aufzubauen, über die Organisationen der Praxis nur schwer verfügen können (vgl. HEDBERG 1981). Diese dritte Lernstufe ist eher im Kontext von Reflexionen über vergangene, länger zurückliegende Ereignisse in Organisationen vorstellbar, weil durch die historische Betrachtung naturgemäß eine Distanz zum damaligen Geschehen leichter aufgebaut werden kann. Die Unterscheidung von Lernstufen ist auf den ersten Blick reizvoll, denn sie verspricht die Differenzierung verschiedener Qualitäten und damit der Klassifikation von Lernprozessen in Fallstudien. Dennoch birgt gerade die Klassifikation der beiden ersten Lernstufen einige Probleme (vgl. ARGYRIS/SCHÖN 1996: 25). Bei großen Organisationen ist eine weitgehend akzeptierte „theory-in-use“ schwer identifizierbar, weil verschiedene Organisationseinheiten ihren ganz eigenen Handlungslogiken folgen können. Der Grad der Unterschiedlichkeit hängt letztlich von der strukturellen Kopplung zwischen diesen Einheiten ab. Die Absicht einzelner Lehrkräfte, die Unterrichtsgestaltung stärker miteinander zu koordinieren, könnte vor dem Hintergrund des traditionellen Autonomieverständnisses als eine zunehmende Betonung des Wertes der Kooperation und somit als Veränderungslernen interpretiert werden. Jedoch muss diese Veränderung nicht mit Blick auf die gesamte Organisation eintreten. Des Weiteren kann ein festgestelltes SingleLoop-Lernen sich in der zeitlichen Verlängerung zu einem Double-Loop-Lernen aus29
Vgl. ebd. das Lernen II (1985: 371–389).
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geweitet haben. Korrekturen in der Herstellung bestimmter Dienstleistungen, mit dem Ziel, deren Effektivität zu steigern (Verbesserungslernen), können Werte und Normen erfassen und zu tiefer gehenden Veränderungen führen (Veränderungslernen). Die Übergänge können folglich fließend sein. Für die Feststellung von organisationalen Lernprozessen ist es daher wichtig, zeitliche Ausgangs- und Endpunkte sowie die zu beobachtenden Inhalte zu bestimmen, um zu Ergebnisaussagen über Lernereignisse zu gelangen.
5.1.5 Widerstände gegen organisationales Lernen Organisationslernen wurde bisher eher als störungsfreier Prozess dargestellt. Es dürfte aber oft der Realität entsprechen, dass trotz vorhandener Lernanlässe nicht gelernt wird, weil vielfältige Widerstände Lernprozesse behindern können. In solchen Fällen würde nicht mal ein Single-Loop-Lernen einsetzen. Bei den gegenwärtigen Reformvorhaben im deutschen Schulsystem sind z. B. auf der Ebene der Einzelschule auftretende Widerstände zu erwarten. EKHOLM (1987) zeigt am Beispiel von schwedischen Schulen, dass selbst jahrelange Reformbemühungen sich nicht auf der Schulebene niederschlagen müssen. LEWIN (1958) hat Widerstände gegen Veränderungen als übliche Begleitumstände von Veränderungen dargestellt. KIESER/HEGELE/KLIMMER (1998: 121f.) bezeichnen die Barrieren des Wandels als „organisatorischen Konservatismus“ – in der englischsprachigen Literatur findet sich auch der Begriff der „inertia“, der Trägheit. Diesbezüglich weisen sie auf ernüchternde Studien hin, die sich mit dem Erfolg neuer Managementkonzepte (Initiativen zur Qualitätssteigerung, zur Kundenorientierung, zur Lean Production oder zum Business Reengineering) befassten. Widerstände müssen nicht die Verhinderung jeglichen Wandels bedeuten, sondern können auch zu einem geringeren Umfang an Veränderungen führen. Dabei interessiert hier die Frage, ob Organisationen dennoch gelernt haben. ARGYRIS/SCHÖN (1996) messen beispielsweise den Hindernissen große Aufmerksamkeit bei. Denn das Erkennen von nicht tolerierbaren Differenzen zwischen Sollund Ist-Zuständen muss nicht zwangsläufig organisationale Lernprozesse auslösen, sondern kann auch Widerstände wecken (vgl. PROBST/BÜCHEL 1998). Lernen impliziert Veränderungen, und diese können ambivalent sein. Mit ihnen gehen neue Chancen und zugleich Risiken einher. Letztere können dominierend wahrgenommen werden und Ängste hervorrufen. Selbst wenn Einsicht in Veränderungsnotwendigkeiten besteht, muss dies nicht zu neuen Handlungsmustern bzw. zu einer „positiven Identifikation“ (vgl. SCHEIN 1975: 135ff.) führen. Bei politischen Entscheidungsprozessen kann dieses Phänomen oft beobachtet werden – ohne jetzt ein Beispiel nennen zu wollen. Hindernisse sind aber nicht per se negativ zu bewerten, sie können auch eine stabilisierende Funktion haben, gerade dann, wenn Veränderungsprozesse als zu schnell, zu überwältigend empfunden werden und eine Bedrohung für die Identität von Organisationen darstellen (vgl. KÜHL 2000: 58). In diesem Teilabschnitt werden mögliche Widerstände beschrieben, die erklärungsbedürftig sind, weil sie sich nicht zwingend aus einer Veränderungssituation ableiten lassen. Eine objektive Verschlechterung der Lebenssituation, z. B. durch geplante Entlassungen in Konsequenz von Umstrukturierungen, führt zu Abwehr-
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haltungen, die evident sind. Erklärungsbedürftig sind hingegen diejenigen Widerstände und Ängste, die zwar aufgrund neuer Herausforderungen erwachsen, deren Nachteile objektiv betrachtet jedoch nicht größer sein müssen als deren Vorteile – Widerstände also, wie sie im Hinblick auf Reformprozesse im Erziehungs- und Bildungssystem derzeit zuhauf in pädagogischen Institutionen zu erwarten sind. Widerstände sind vor allem dann zu erwarten, wenn tief verankerte Normen, Werte, Routinen, Privilegien usw. von Veränderungen bedroht sind oder, anders betrachtet, die sich andeutenden Veränderungen im Widerspruch zum Organisationsgedächtnis stehen. Widerstände sind schwer zu fassen, weil sie meist in verschlüsselter Form geäußert werden. Sie zu demaskieren, zu ergründen und zu lokalisieren (bei einzelnen Mitgliedern, in Gruppen, in Strukturen, in Prozessen oder in kulturellen Elementen) bereitet große Schwierigkeiten, denen mit einfachen Maßnahmen nur schwer begegnet werden kann. PROBST/BÜCHEL (1998) haben Abwehrhaltungen strukturiert, die Organisationslernen verhindern. Die Autoren befassen sich mit drei möglichen Faktoren, die in Organisationen überindividuell verankert sind und das Organisationslernen behindern können. Dazu zählen sie • defensive Muster, • hinderliche Normen, Privilegien oder Tabus sowie • mögliche Informationspathologien (vgl. ebd.: 74ff.). Defensive Muster Defensive Verhaltensmuster können aus bedrohlich und unangenehm empfundenen Situationen resultieren. Eine mögliche Verhaltensreaktion kann, nach ARGYRIS (1990), die „skilled incompetence“ sein (vgl. ebd.: 21ff.). Neue Herausforderungen können bedrohlich wirken und zur Hinterfragung bisheriger Verhaltensmuster führen, so dass Vermeidungsstrategien wahrscheinlicher werden. Um Bestehendes zu erhalten, werden gekonnt Erklärungen, Verzerrungen, Ungenauigkeiten, Auslassungen, Entschuldigungen usw. genutzt. Eine weiteres defensives Verhaltensmuster, die „defensive routines“, versucht Tabuisierungen sicherzustellen. In der Folge sind unangenehme Themen wie Schwächen oder Fehler nur schwer zu diskutieren (vgl. ebd.: 43). Eine solche Verhaltensweise kann zwar in sich stabil sein, belastet jedoch Veränderungsvorhaben. Das dritte defensive Verhaltensmuster wird als „fancy footwork“ bezeichnet. Das kann die Zuordnung von Verantwortlichkeiten behindern. Im Rahmen dieses Verhaltens kann es zu Beschuldigungen Dritter kommen (vgl. ARGYRIS 1990: 46). Diese drei genannten defensiven Muster können nach PROBST/BÜCHEL (1998) in den meisten Organisationen in irgendeiner Form angetroffen werden. In der Gesamtheit entsteht ein allgemeines Unbehagen, dass sich vor allem in der Verhinderung des Organisationslernens niederschlagen kann. Die Korrektur dieser Verhaltensweisen kann nach ARGYRIS (1990) durch Organisationsberatungsprozesse gelingen. Hinderliche Normen, Privilegien oder Tabus Während die zuvor skizzierten Widerstände gerade von einzelnen Organisationsmitgliedern verkörpert werden, können sich auf der Organisationsebene systematisch Routinen, Überzeugungen oder Strukturen bilden, die wesentliche Voraussetzungen
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für die Zusammenarbeit in Organisationen sind. Das äußert sich z. B. in Arbeitszeiten, in der Kleidung, in der Art zu kommunizieren, in der Hierarchie usw. Diese Eigenheiten einer Organisation werden von Privilegien, Normen oder organisationalen Tabus gestützt (vgl. WATSON 1975; PROBST/BÜCHEL 1998). Veränderungsprozesse können bestehende Strukturen, Prozesse oder Ziele geradezu aufbrechen und neu ordnen. So können gewohnte Handlungsmuster, bereitgestellte Ressourcen oder bislang gültige Machtordnungen sowie Ziele bzw. Weltanschauungen in einer Organisation hinterfragt werden. Das kann Gegenkräfte provozieren und Unsicherheiten erzeugen, gerade von denjenigen, die vom bisherigen Status quo profitiert haben. Für die Legitimierung von Veränderungen ist es günstig, sie überzeugend zu kommunizieren und entsprechend zu handeln, um möglichen Widerständen vorzubeugen (vgl. WATSON 1975). Informationspathologien und weitere Hindernisse Ein wichtiger Grund für Widerstände und Ängste ist die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen, die häufig mit Unwissenheit einhergeht. In diesem Kontext wird von Informationspathologien gesprochen, die Hürden auf dem Weg zu Veränderungen darstellen. In Anlehnung an PAUTZKE (1989) weisen u. a. PROBST/BÜCHEL (1998) auf kommunikationsstrukturelle Barrieren hin. Ungünstige Konstellationen der Formalstruktur können den Kommunikationsfluss behindern und die informationelle Versorgung möglichst vieler Mitarbeiter einschränken. FIOL/LYLES (1985: 805) sehen z. B. in einer mechanischen, funktionalen Struktur tendenziell ein Hindernis für das Organisationslernen, weil sich darin bestehende Verhaltensweisen durch unflexible Strukturen tendenziell verfestigen können. Deshalb wird die Frage aufgeworfen, inwieweit eine zentralisierte und hierarchische Aufbauorganisation die effektive Kommunikation von Abteilungen, Stäben, Arbeitsabläufen usw. zu verhindern vermag. Da in pädagogischen Einrichtungen die Organisationsstruktur oft nicht die Bedeutung wie z. B. in industriellen Organisationen hat, ist diese Zuspitzung nicht vollends auf die beiden pädagogischen Teilbereiche Jugendhilfe und Schule übertragbar. Außerdem können an den Schnittstellen hierachieübergreifender Kooperationen Widerstände erwachsen und organisationale Einheiten sich gegenseitig blockieren. Die Herstellung effektiver Kommunikation hängt folglich nicht ausschließlich von der Organisationsstruktur ab, sondern auch von den Personen. Ergänzend zur bisherigen Strukturierung lassen sich weitere potenzielle Hindernisse des Organisationslernens nennen. Eine große Anzahl zu berücksichtigender Umweltfaktoren kann beispielsweise die Identifikation relevanter Informationen erschweren. Das fördert die Herausbildung einer Interpretationsvielfalt, die schwer zu gemeinsamen Sichtweisen integrierbar ist (vgl. CANGELOSI/DILL 1959). Das kann die Erarbeitung einer tragfähigen organisationalen Strategie verhindern. KIESER/HEGELE/KLIMMER (1998: 127) weisen in diesem Kontext auf die Möglichkeit hin, dass eine mangelnde strategische Ausrichtung Veränderungen behindern kann, weil Orientierungsgrößen fehlen. Schließlich wird in der Literatur auch die Möglichkeit gesehen, dass erfolgreiche Organisationen Gefahr laufen, einen eventuell auftretenden Bedarf an Veränderungen zu verkennen, weil erzielte Erfolge ihnen als Bestätigung ihres bisherigen Handelns erscheinen können. Dies wird allgemein unter dem Begriff der „Kompetenzfalle“ diskutiert (vgl. z. B. KIESER/HEGELE/KLIMMER 1998).
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Die skizzierten Hindernisse zeigen, wie voraussetzungsreich Prozesse des Organisationslernens sein können und mit welch komplexen Situationen zu kalkulieren ist. Die Schwierigkeit besteht darin, zu lernen und dabei Wissen, Handlungen, Strukturen usw. zu verändern. HEDBERG (1981) hat diesbezüglich den Begriff des Verlernens („unlearning“) geprägt. Es sind unterschiedliche Varianten des Verlernens denkbar. So können gezielte Maßnahmen angewendet werden, um Verhaltensweisen zu verlernen, z. B. mithilfe von personalen Organisationsentwicklungsverfahren. Auf extreme Weise können Entlassungen, und damit der Verzicht auf Wissensbestände, zum Verlernen beitragen (vgl. HUBER 1991). Eine andere Variante besteht im Aufbau von Alternativen, so dass bislang praktizierte Handlungen nicht mehr unbedingt ausgeübt werden müssen. Diese Variante erscheint unkomplizierter, denn das Verlernen muss hierbei nicht aktiv betrieben werden, um überhaupt Organisationslernen zu ermöglichen (kein Lernen des Verlernens, um zu lernen), sondern es erfolgt – quasi natürlich – während der Etablierung neuer Handlungen. Insofern handelt es sich auch nicht um einen wirklichen Prozess des Verlernens, sondern eher des Vernachlässigens. Im Grunde wird ein neuer Kontext als bedeutsam erkannt und der alte bekommt Konkurrenz (vgl. BATESON 1985).
5.1.6 Fördernde Faktoren des Organisationslernens Um neue Handlungsmuster zu generieren bzw. möglichst lernförderliche Bedingungen zu schaffen, werden in der Literatur relativ unspezifisch verschiedene Maßnahmen genannt. Teilweise werden diese z. B. auch im Rahmen des Human Resource Managements (vgl. z. B. STAEHLE 1999) oder des Change Managements (vgl. z. B. REISS/VON ROSENSTIEL/LANZ 1997) diskutiert. Die vorigen Teilabschnitte berücksichtigend, lässt sich fragen, inwieweit identifizierte Differenzen zwischen Soll- und Ist-Zuständen das Organisationslernen wahrscheinlich machen, so dass neues Wissen kreiert werden kann und nicht nur die Ebene der „espoused theories“, sondern gerade die tatsächliche Handlungsebene (die „theories-in-use“) erreicht wird. Damit ist auch die Anforderung verknüpft, Widerstände aufzufangen und zu verringern. Die Auseinandersetzung mit den Gelingensbedingungen führt zwangsläufig auf eine praktische Ebene. ARGYRIS/SCHÖN (1999) favorisieren eine Organisationsberatung, die auf die Bewusstwerdung der Gebrauchstheorien bzw. der leitenden Handlungstheorien abzielt. Je nach Fallsituation bieten sich verschiedene Maßnahmen an, die zur Förderung des Lernens von Organisationen beitragen können. Die folgenden Ausführungen skizzieren diesbezüglich günstige Faktoren. Es handelt sich um die Auswahl von einigen Maßnahmen (unter vielen), die keine Vollständigkeit beansprucht, und in ihrer Gliederung die Dimensionen des offenen Systemansatzes zum Teil widerspiegelt. Nach PROBST/BÜCHEL (1998) lassen sich z. B. strategische, strukturelle und personale Förderbedingungen des Organisationslernens unterscheiden, die in der Regel kombiniert auftreten. Artikulation eines Soll-Zustands Die beiden Autoren messen der Entwicklung von Zielen und Strategien eine wichtige Funktion zu, um zunehmend komplexen und dynamischen Herausforderungen be-
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gegnen zu können (ebd.: 95). Das hängt mit dem Umgang mit Unsicherheit und dem Bedürfnis nach Orientierung zusammen. Konträr dazu kann die Bearbeitung von Komplexität aber auch die Vermeidung von Zielpräzisierungen nahe legen (vgl. 2.3.2). Um beide Argumentationen miteinander zu versöhnen, ist mit KIESER/HEGELE/KIMMERLE (1998) anzunehmen, dass langfristige Zielvorstellungen zum Gelingen von Veränderungsprozessen beitragen können. Der Grad an Detailliertheit in der Definition der Ziele ist dabei variabel. Die Techniken, die PROBST/BÜCHEL (1998) nennen, sind auf den ersten Blick explizite Zielreflexionen, die insbesondere die offiziellen Handlungstheorien („espoused theories“) erreichen. Da diese jedoch für das wirkliche Handeln und infolgedessen für das Lernen von geringerer Bedeutung sind, kommt es darauf an, dass die erarbeiteten Ziele und Strategien zum Hinterfragen der Gebrauchstheorien („theories-inuse“) führen. Letztendlich müssen die Köpfe und das Handeln der Organisationsmitglieder für Veränderungen tatsächlich erreicht werden. Techniken der Ziel- und Strategieentwicklung können sowohl auf Erfahrungen als auch auf der Antizipation künftiger Entwicklungen beruhen, um ein Bild eines erwarteten (Soll-)Zustands zu erarbeiten. PROBST/BÜCHEL (1998) nennen exemplarisch die Option, mithilfe von Spielen kreativ Ziele zu definieren und Strategien zu entwickeln. So können Entwicklungen und Handlungsmuster simuliert werden. Solche experimentellen Versuche (z. B. Rollenspiele, Computersimulationen usw.) haben den Vorteil, von Sanktionen entbunden zu sein und erlauben, unverbindlich über den bisherigen Kontext hinaus zu denken. In diesen Kontext lassen sich prinzipiell auch Verfahren wie die visualisierte Diskussionsführung30 (vgl. KÜHL 2002) stellen, die darauf abzielen, diskursiv Problemlösungen und damit auch Strategien zu generieren. Die visualisierte Diskussionsführung lässt sich gut mit kleinen Gruppen durchführen. Angewandt bei freien Jugendhilfeträgern, die eine begrenzte Mitarbeiterzahl haben, können mit diesem Verfahren große Teile der Belegschaft erreicht werden, was theoretisch die Möglichkeit bietet, rasch Zugang zu Problemlösungen finden zu können. Eine weiteres Instrument zur Ziel- und Strategieentwicklung kann z. B. die Szenariotechnik darstellen (vgl. PROBST/BÜCHEL 1998). Organisationsmitglieder können demnach Szenarien erarbeiten und möglichst umfassend künftige, potenzielle Entwicklungen modellieren. Aufgrund der gegenwärtigen Situation und den entsprechend verfügbaren Informationen wird eine wahrscheinliche Entwicklung skizziert, welche durch ein Trendszenario abgebildet wird. Im Gegensatz dazu können für den angepeilten Zeithorizont zusätzliche Extremszenarios entwickelt werden: ein positives und ein negatives Extremszenario. Dadurch sollen alle logisch möglichen und empirisch wahrscheinlichen Szenarien erfasst werden, so dass rechtzeitig auf das Eintreten bestimmter Ereignisse reagiert und die Kontrolle darüber weitgehend erreicht werden kann. Die Szenariotechnik kann in diesem Sinne dazu beitragen, grundsätzliche und zukunftsrobuste Strategien zu entwickeln (vgl. FINK/SCHLAKE/ SIEBE 2001). In der Erörterung der Szenarien und der Antizipation künftiger Ent30
Die auch unter den Markennamen Metaplan-Moderationsmethode, Pinnwand-Technik, Neuland-Moderation oder ModerationsMethode bekannt ist (vgl. KÜHL 2002: 243).
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wicklungen erkennen PROBST/BÜCHEL (1998) Anlässe, die zum Organisationslernen führen können. PROBST/BÜCHEL (1998) listen auch das strategische Controlling als ein weiteres lernförderliches Instrument auf. Mit dem strategischen Controlling geht eine kontinuierliche Überprüfung gesetzter Ziele und Strategien einher. Deswegen wird die Einhaltung angestrebter Zustände zu kontrollieren versucht. Dem strategischen Controlling liegt, im Gegensatz zum operativen Controlling, eine mittel- bis langfristige Ausrichtung bzw. eine Entwicklungsperspektive zugrunde. Mit diesem Instrument sollen Abweichungen von den gesetzten Zielen möglichst frühzeitig erkannt, analysiert und korrigiert werden, um die strategische Führung zu unterstützen (vgl. HORVÁTH 2001). In pädagogischen Institutionen wird das strategische Controlling möglicherweise in der Zukunft bedeutsamer, wenn aufgrund zunehmender Wettbewerbssituationen die Profilierung der Einrichtungen konsequent betrieben und die Existenzsicherung stärker berücksichtigt werden muss. Ziele und Strategien sind auch mithilfe von Leitbildern bestimmbar (vgl. DIERKES 1992; KIESER/HEGELE/KLIMMER 1998; DIERKES/MARZ/TEELE 2003). In diesen Entwicklungsperspektiven werden Grundsätze, Normen oder Ziele einer Organisation artikuliert, die langfristige Gültigkeit beanspruchen. Dennoch bedürfen Leitbilder einer regelmäßigen Überprüfung oder gar der Anpassung an neue Gegebenheiten, um ihre Verbindlichkeit zu bewahren. In diesem Kontext können sie Orientierung und Sinn stiften, an denen sich die Verarbeitung von Informationen und die Handlungen ausrichten lassen. Des Weiteren ist ihre Verbindlichkeit von der Loyalität der Organisationsmitglieder abhängig. Diese ist besonders über die Einbindung der Mitarbeiter in den Erarbeitungsprozess eines Leitbildes herstellbar, was letztlich eine Frage gelingender Kommunikation ist (vgl. z. B. KIESER/HEGELE/KLIMMER 1998). Übertragen auf pädagogische Institutionen fungieren Schulprogramme als konkretisierte Leitbilder schulischen Handelns (vgl. HAMEYER/SCHRATZ 1998). Diskussion struktureller Voraussetzungen Die Erörterungen über die Gestaltung von organisationalen Lernprozessen sind eng mit der Gestaltung von Strukturen und Prozessen verknüpft. Viele Autoren des Organisationslernens sehen im Aufweichen zentraler Steuerungen und in Organisationseinheiten übergreifenden Kooperationen wesentliche Beiträge, organisationale Lernprozesse zu ermöglichen (vgl. z. B. HEDBERG 1981; FIOL/LYLES 1985; MINTZBERG 198931). Insofern können diese Überlegungen die Skepsis gegenüber Organisationsstrukturen aufweichen, die in der Pädagogik traditionell gepflegt wurden. Mit der Etablierung flacher Strukturen und teilautonomer Gruppen verbindet sich die Hoffnung, Potenziale, Kreativität und Innovation besser freisetzen zu können, um dadurch den Kommunikationsfluss zu begünstigen, die Partizipation der Mitarbeiter zu erhöhen, den Arbeitsinhalt anzureichern und die Aneignung neuen Wissens zu unterstützen. 31
Hier speziell im Organisationsmodell der „adhocracy“, dessen wesentliches Merkmal das Lernen ist.
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Projektorganisationen können in diesem Sinne als lernförderlich betrachtet werden (vgl. PROBST/BÜCHEL 1998). In pädagogischen Institutionen sind sie beispielsweise in Gestalt von Steuergruppen bei Schulentwicklungsprozessen zu beobachten. Wie erörtert (vgl. 2.3.3), sind Projektorganisationen in der Regel temporäre Gebilde, arbeiten an einem spezifischen Problem und setzen sich hierarchieübergreifend zusammen. Der Vorteil einer solchen Organisationsform besteht im Idealfall in einer flexiblen und unbürokratischen Kommunikation, die motivierend sein kann. NONAKA (1994) favorisiert ein Middle-up-down-Modell, in dem ein hierarchieübergreifendes Projektteam zum Promotor von organisationalen Veränderungen wird. Dieses Team setzt sich vor allem aus dem mittleren Management zusammen und versucht die neuen Handlungen auf den unteren, operativen Ebenen zu etablieren. Von Bedeutung ist dabei die enge Kooperation mit der oberen Managementebene, ohne deren mikropolitische Unterstützung der Erfolg von Projektarbeiten schwer möglich wäre. In der Realisierung von intraorganisationalen, netzwerkartigen Strukturen sehen PROBST/BÜCHEL (1998) ebenfalls günstige Bedingungen für das Organisationslernen geschaffen. Sie kontrastieren mit der formalen bürokratischen Ordnung und symbolisieren die Überwindung der Hierarchie. Im Grunde handelt es sich bei diesen Organisationsmodellen um ausgedehnte Projektorganisationen (vgl. SCHREYÖGG 2003: 264). Die informale Koordination ist hierbei von großer Bedeutung. Allerdings, so SCHREYÖGG (2003: 273), sind diesbezüglich Ansätze teilweise oft noch wenig durchdacht, da sie eine Fülle von (teilweise verwirrenden) Einzelaspekten berücksichtigen wollen. Weiterhin können interorganisationale Kooperationsformen organisationale Lernprozesse anstoßen. Über ein Beziehungsgeflecht zwischen Organisationen lassen sich Informationen, Technologien oder Problemlösungserfahrungen austauschen. Die Spannbreite an interorganisationalen Kooperationen ist breit, sie reicht von einfachen, offiziellen Kooperationen, informalen Kooperationen, Joint Ventures bis hin zu Fusionen (vgl. PROBST/BÜCHEL 1998). In der pädagogischen Praxis zeigen sich diesbezüglich einige konkretere Formen, beispielsweise in der Kooperation freier Jugendhilfeträger. Die Rolle der Personalentwicklung Im Kontext des Organisationslernens können Personalentwicklungsverfahren eine wichtige Funktion einnehmen (vgl. STAEHLE 1999: 872). Ansetzend am Individuum, können sie zur Professionalisierung und schließlich auf der Organisationsebene zur Entwicklung organisationaler Lernfähigkeit beigetragen. Hierzu lassen sich eine Reihe von Maßnahmen aufzählen, die zur persönlichen Verbesserung der Arbeitsqualität der Mitarbeiter und damit ihres Handelns beitragen können. Zum einen nennen PROBST/BÜCHEL (1998) die Organisation von lernpartnerschaftlichen Beziehungen als Instrument, Interaktionen zwischen Menschen zu fördern und damit Lerngelegenheiten zu schaffen. Solche Lernpartnerschaften können trainierenden (Coaching) oder begleitenden (Mentoring) Charakter haben. Diesen Formen ist das Arbeiten mit Rückmeldungen gemein. Sie unterscheiden sich vor allem in der zeitlichen Perspektive, die für die Lernergebnisse veranschlagt werden. Instruktionen sind auf das Erzielen möglichst schneller Ergebnisse ausgerichtet, während die beiden
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anderen Verfahren mittel- bis langfristiger angelegt sind. Die in der (sozial-)pädagogischen Praxis gängigen Supervisionsverfahren, die neben der angestrebten Verbesserung der Prozessqualität auch eine die Persönlichkeit entwickelnde Funktion haben, können inhaltlich in der Nähe des Coachings und Mentorings eingeordnet werden, weil sie auf die Steigerung von Professionalität abstellen (vgl. NELLESEN 2002). Des Weiteren betrachten PROBST/BÜCHEL (1998) arbeitsplatznahe Interventionen als Instrument, welches organisationale Lernprozesse hervorrufen kann. In diesem Kontext können Jobrotationen, die Vergrößerung von Aufgabengebieten (Job Enlargement) oder die Bereicherung von Tätigkeiten (Job Enrichment) um Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen gefördert werden, damit verkrustetes Denken aufgebrochen und die Einnahme neuer Perspektiven über bisherige Tätigkeiten hinaus ermöglicht wird (vgl. SCHREYÖGG 2003). Als Folge dessen werden automatisch einsetzende Qualifizierungsprozesse erwartet. Darüber hinaus wird der Aufbau funktionierender Informations- und Kommunikationsströme als geeignet gesehen, Mitarbeiter möglichst umfassend informationell zu versorgen und Transparenz in organisationale Entwicklungen zu erzeugen (vgl. ebd.). Auch Anreiz- und Belohnungssysteme (Entgelt, Aufstiege, Statussymbole usw.) können Organisationslernen bewirken, wenn sie so gerichtet sind, dass sie innovative Lösungen und kreative Vorschläge hervorrufen (vgl. ebd.). Ferner lassen sich Qualitätszirkel zu den arbeitsplatznahen Maßnahmen der Personalentwicklung zählen (vgl. STAEHLE 1999: 880). Diese sind im deutschsprachigen Raum oft auch als „Lernstatt“ bekannt (vgl. SCHREYÖGG 2003: 254). Schließlich sind der Skizze möglicher Personalentwicklungsinstrumente arbeitsplatzferne Qualifizierungsmaßnahmen wie externe Weiterbildungen hinzuzufügen. Im Zusammenhang mit dem Organisationslernen können sie Veränderungsprozesse initiieren. Die skizzierten Maßnahmen zur Förderung organisationalen Lernens lassen erkennen, welche Vielfalt im Angebot zur Veränderung von Organisationen besteht. Der Umgang mit Widerständen und Ängsten in der Belegschaft zielt letztlich auf die Erhöhung der Lernfähigkeit von Organisationen ab. Im Grunde streben viele Ansätze des Organisationslernens an, eine idealtypische Atmosphäre zu schaffen, in der • Fehler zulässig sind, • Mitarbeiter einander Vertrauen können, • Möglichkeiten zur Partizipation und persönlichen Entwicklung gegeben sind, • Risikobereitschaft besteht, • Leistung Anerkennung findet und • Ambivalenz und vielfältige Sichtweisen toleriert werden (vgl. i.w.S. HARRISON/ SHIROM 1998: 379). Insgesamt zielen die förderlichen Bedingungen sehr auf die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit ab, die für organisationale Veränderungsprozesse bedeutsam ist (vgl. KIESER/HEGELE/KLIMMER 1998). Das kann thematisch alle Dimensionen einer als offen definierten Organisation berühren. Neben dem Versuch, die Veränderungen möglichst weit in die Organisation zu kommunizieren und für Unterstützung zu werben, wird der Einsatz der Maßnahmen leichter akzeptiert, wenn sich erste Erfolge einstellen (vgl. FRENCH/BELL 1994). Dadurch lässt sich Stabilität erlangen. Im
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Sinne der Akzeptanz des Wandels wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass organisationale Lernprozesse ohne die Unterstützung von Führungsebenen kaum vorstellbar sind (vgl. z. B. FRENCH/BELL 1994; BRADFORD/BURKE 2005).
5.1.7 Möglichkeiten und Grenzen des Organisationslernens An dieser Stelle soll zusammenfassend erörtert werden, welches Potenzial in den skizzierten Überlegungen zum Organisationslernen „schlummert“, um Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen zu verstehen. In den Ausführungen zum Organisationslernen konnten einige Anhaltspunkte zur Interpretation organisationaler Veränderungsprozesse identifiziert werden. Organisationslernen wurde als ein kognitiver Vorgang modelliert, der zu veränderten Handlungsweisen führen kann, aber nicht muss. Empirisch sind vor allem solche Lernprozesse erfahrbar, die im Handeln konkretisiert werden. D. h. beobachtetes Organisationslernen steht immer unter dem Vorbehalt möglicherweise nur einen Teil des Lernens abgebildet zu haben. Der hier erörterte Ansatz von ARGYRIS/SCHÖN, in dem die größtenteils stillschweigenden Gebrauchstheorien im Zentrum des Organisationslernens stehen, beinhaltet z. B. eine solche Schwierigkeit. Doch werden die impliziten Handlungstheorien von den Autoren nicht als Messproblem diskutiert, sondern sie vertrauen, im Gegenteil, darauf, dass diese Theorien durch Beobachtungen erschlossen werden können. Somit wird auch ein enger Bezug zur Organisationsberatung hergestellt. Als ein Bestandteil der Interpretation von Veränderungsprozessen in pädagogischen Einrichtungen bietet sich die Untersuchung der Trägerebene an. Die Lernprozesse können zwar von Organisationsmitgliedern getragen werden, sind aber nur in einem organisationalen Kontext interpretierbar. In Organisationen gespeichertes Wissen, das über verschiedene Kanäle (z. B. Strukturen, Prozesse, Ziele) wirksam wird, konstituiert den Lernprozess. Aufgrund der Beschaffenheit vieler pädagogischer Institutionen (geringe Organisationsgröße) sind organisationale Lernprozesse bei wenigen, einflussreichen Mitgliedern zu vermuten. Die Lernergebnisse müssen allerdings weitgehend geteilt werden, um im Konstrukt des Organisationsgedächtnisses abstrakt verankert zu werden. Jedoch ist eine Akzeptanz aller Organisationsmitglieder nicht unbedingt erforderlich (vgl. SHRIVASTAVA 1983). Eine breite Mehrheit muss von den Lernprozessen erfasst und Wissen angemessen transferiert werden, um sich in Veränderungen niederschlagen zu können. Um organisationale Lernprozesse auszulösen, müssen Differenzen festgestellt werden. Unter Berücksichtigung des offenen Systemansatzes stellt die Umwelt eine wichtige Bezugsgröße dar, wie es auch bei pädagogischen Einrichtungen der Fall ist. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt beruht auf der Reflexion der organisationalen Dimensionen in der Interaktion mit der Umwelt. Eine besondere Differenzierung von Veränderungsprozessen kann mit dem Rückgriff auf verschiedene Lernstufen gewonnen werden. Demnach können sich unterschiedliche Qualitäten des Organisationslernens ausbilden. Viele Ansätze sind auf fundamentale Veränderungen des Lernens fokussiert. Aufgrund der dargestellten Differenzierungen in Form der Lernstufen lässt sich diese Annahme nicht in dieser Radikalität aufrecht erhalten, denn Organisationen können gerade auch auf einer we-
112
5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
niger tiefen Ebene lernen. Es lassen sich drei Lernstufen definieren. Im Zuge des Verbesserungslernens bzw. des Single-Loop-Lernens werden leichte Veränderungsprozesse innerhalb bestehender normativer Ordnungen vollzogen. Veränderungslernen bzw. Double-Loop-Lernen ist ein „more cognitive process“ (FIOL/LYLES 1985: 808), das zu anderen Normen und Zielen führt. Idealtypisch wird ein Wandel von Organisationen erst auf dieser Lernstufe realisiert (vgl. SHRIVASTAVA 1983; ARGYRIS/SCHÖN 1996). Da dieses Lernen tiefer in die Organisation reicht bzw. die Gebrauchstheorien verändert, kann es Zeit erfordern bis die neuen Ziele und Normen erst „in den Köpfen“ der Organisationsmitglieder gültig geworden sind. Im Deutero-Lernen wird das eigene Lernverhalten reflektiert, was zu Lernprozessen des Verbesserungs- oder Veränderungslernens führen kann. Mit diesem dritten Lernniveau wird eine Meta-Ebene konzipiert, die im Grunde in den Darstellungen der permanenten und ruhelosen Lernenden Organisation angelegt ist. Die skizzierten Widerstände und Hindernisse können erklären helfen, warum Veränderungsprozesse oft beschwerlich verlaufen. Grundsätzlich muss in Organisationen immer mit Abwehrhaltungen als Reaktion auf bevorstehende Veränderungen gerechnet werden. Im Hinblick auf pädagogische Institutionen ist vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Reformdiskussionen über das Erziehungs- und Bildungssystem mit erheblichen Ängsten beim Personal der Einrichtungen zu rechnen, so dass trotz offensichtlicher Veränderungsbedarfe sich kein Lernen einzustellen vermag. Die Diskussion einer Auswahl von lernförderlichen Maßnahmen zeigte einige Möglichkeiten auf, die dazu beitragen können, Abwehrhaltungen zu mildern und Gelingensbedingungen für das Organisationslernen herzustellen. Diese Maßnahmen werden teilweise auch im Rahmen des Human Resource Managements (vgl. z. B. STAEHLE 1999) oder des Change Managements (vgl. z. B. REISS/VON ROSENSTIEL/ LANZ 1997) diskutiert. Bis hierhin sind Aspekte diskutiert worden, die möglicherweise einige Veränderungsprozesse in pädagogischen Einrichtungen theoretisch zu interpretieren vermögen. Dennoch bleibt in der Darstellung über die Qualität des Lernens ein wichtiger Aspekt offen: die offiziell vertretenen Handlungstheorien („espoused theories“) werden von ARGYRIS/SCHÖN zwar ins Spiel gebracht, aber letztlich nicht weiter theoretisch genutzt. ROLFF (1992) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der Fassade, ohne aber diesen näher zu erörtern. Dies soll im Folgenden versucht werden, weil angenommen wird, dass die nach außen verkündeten Theorien eine wichtige Funktion in Veränderungsprozessen erfüllen. Das kann insbesondere vor dem Hintergrund unsicherer Rahmenbedingungen und dynamischer Umweltentwicklungen bedeutsam sein, wie im Folgenden erörtert wird.
5.2
Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen
Während die Reflexionen zum Organisationslernen letztendlich an der Handlungsebene ansetzten, sind nun einige Überlegungen auf die symbolische Ebene gerichtet. Hiervon sind u. a. die Ziele von Organisationen betroffen.
5.2 Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen
113
Der Neo-Institutionalismus wird üblicherweise nicht direkt in Beziehung zu theoretischen Überlegungen zum Wandel von Organisationen gesetzt. Dennoch sind darin einige Anregungen enthalten, die zur Erörterung organisationaler Veränderungen von Nutzen sind. Dem Einfluss der Umwelt auf die Gestaltung von Organisationen wird dabei besondere Aufmerksamkeit zuteil, weshalb sich leicht eine Verknüpfung zur skizzierten Veränderungsthematik in pädagogischen Institutionen herstellen lässt. Der Ansatz des Neo-Institutionalismus stammt aus der Organisationssoziologie und wurde in den USA u. a. durch die Analyse des dortigen Bildungssystems in den 1970er Jahren entwickelt. In der deutschen Erziehungswissenschaft hingegen wurden neo-institutionalistische Überlegungen bislang nur wenig rezipiert. SCHAEFERS (2002) hat allerdings dargelegt, wie sie für die Schulpädagogik genutzt werden können. Die Erörterungen zum Neo-Institutionalismus führen in ihrer Gesamtheit weder zu einer geschlossenen organisationstheoretischen Perspektive noch bleiben sie nur auf eine wissenschaftliche Disziplin beschränkt (vgl. WALGENBACH 2002). Es besteht die Möglichkeit, den Ansatz relativ flexibel anzuwenden, so dass einer Übertragung auch auf andere erziehungswissenschaftliche Teilbereiche wie der Sozialpädagogik bzw. der Jugendhilfe prinzipiell nichts im Wege steht. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit der Neo-Institutionalismus für diese zwei Teilbereiche der Pädagogik gewonnen werden und zum Verstehen von Veränderungsbemühungen pädagogischer Einrichtungen beitragen kann. Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch einen hohen Komplexitätsgrad aus, in denen Anforderungen und Erwartungen an handelnde Akteure vielschichtig ausgeprägt sein können (vgl. BECK 1986; SCHAEFERS 2002). Auf der Ebene von Organisationen kann sich das durch Unsicherheiten bezogen auf angemessene Reaktionsformen bzw. Handlungen bemerkbar machen. An dieser Stelle setzen neo-institutionalistische Erklärungsversuche an. Der Neo-Institutionalismus basiert im Grunde auf einer interagierenden Interpretation des Organisation-Umwelt-Verhältnisses, wie es für offene Systemansätze typisch ist. Die Ausrichtungen von Organisationen gründen demnach auf der Reflexion von Umweltereignissen bzw. -erwartungen. Zu den drei „Meilensteinen“ (HASSE/KRÜCKEN 1999) der Theoriebildung des Neo-Institutionalismus werden die Arbeiten von MEYER/ROWAN (1991), DIMAGGIO/POWELL (1991) und ZUCKER (1991) gezählt.32 Wesentliches Merkmal der theoretischen Arbeiten zum Neo-Institutionalismus ist das Hinterfragen der Rationalität von Handlungsmustern. MEYER/ROWAN sind auf makroinstitutionalistische Belange fokussiert, DIMAGGIO/ POWELL nehmen eine mesoinstitutionalistische Perspektive ein und ZUCKER beschäftigt sich mit der mikroinstitutionalistischen Ebene. Allgemein interessieren sich Makroinstitutionalisten für die Gestaltung von Organisationen vor dem Hintergrund der globalen Ausbreitung der westlichen Rationalitätsideologie und stehen in diesem Sinne in der Tradition von WEBER (1980) und PARSONS (1985). Die Mesoinstitutionalisten interessiert vor allem das Interagieren mehrerer Organisationen, die in bestimmten gesellschaftlichen Sektoren gemeinsam tätig sind. 32
Alle drei Artikel wurden ursprünglich früher veröffentlicht (MEYER/ROWAN 1977; DIMAGGIO/ POWELL 1983, ZUCKER 1977) und sind 1991 in einem Sammelband (vgl. Literaturverzeichnis) gemeinsam mit Arbeiten anderer Autoren erschienen.
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
Ansätze, die sich thematisch auf der Mikroebene bewegen, betonen die Bedeutung aktiver Aneignung und Weitervermittlung sozialer Erwartungen von Organisationsmitgliedern. Die Ebenentrennung bedeutet aber nicht, dass die unterschiedlichen Ebenenbetrachtungen auf sich selbst begrenzt bleiben müssen. Zur Analyse einzelner pädagogischer Institutionen können auch makroinstitutionalistische Argumente herangezogen werden. Für ein Theoriekonzept der Veränderung pädagogischer Institutionen eignen sich insbesondere makro- und mesoinstitutionalistische Überlegungen. Im Unterschied zu anderen Organisationstheorien, wie dem bürokratietheoretischen oder dem Situativen Ansatz, resultiert nach neo-institutionalistischem Verständnis z. B. die Gestaltung der Organisationsstruktur weniger aus Effizienzgründen als vielmehr aus dem Versuch, institutionellen Erwartungen zu entsprechen. Organisationen „entwickeln formal-rationale Strukturen zur Erzielung von Legitimität und nicht zur möglichst effizienten Problembearbeitung“ (HASSE/KRÜCKEN 1999: 13). Diese Vorstellung reiht sich in moderne organisationstheoretische Ansätze ein, die nicht mehr die Bedeutung von Rationalität in Organisationen hervorheben, sondern, im Gegenteil, gerade Irrationalitäten und Mehrdeutigkeiten berücksichtigen (so z. B. MARCH/OLSEN 1990). Dennoch lässt sich mit TÜRK (2000: 132) argumentieren, dass das Erzielen von Legitimität im Prinzip nicht wirklich die Abkehr vom strategischzweckrationalen Organisationsmodell zur Folge hat, sondern gerade das eine ökonomisch sinnvolle Handlung sein kann. Exkurs: Institutionalisierung Der Entstehungsprozess von Institutionen wird als Institutionalisierung bezeichnet und ist ein zentrales Thema des Neo-Institutionalismus (vgl. WALGENBACH 2002). Den theoretischen Bezugspunkt bildet in der neueren Institutionentheorie die Wissenssoziologie, wie sie u. a. von BERGER/LUCKMANN (1995) geprägt wurde. Demnach gehen Habitualisierungsprozesse jeder Institutionalisierung voraus (vg. ebd.: 57). Bestimmte Handlungsmuster setzen sich durch, werden kontinuierlich vollzogen und gewinnen im Verlauf ihrer Anwendung an Legitimität und Akzeptanz. Dadurch entwickeln sich soziale Beziehungen und Handlungen zu nicht mehr hinterfragten Mustern, die quasi routiniert ablaufen und als „objektiv“ gegeben betrachtet werden (vgl. GUKENBIEHL 1995: 101; WALGENBACH 2002: 321). Regeln werden als außerhalb ihres Einflussbereiches liegend gedeutet, obwohl sie durch Interaktionen von Menschen entstanden sind. Ein reflektierter Umgang hinsichtlich des Sinns bzw. der Veränderbarkeit institutioneller Regeln wird durch eine solche Haltung erschwert, weil der Glaube an die Existenz einer gegebenen Realität in den Köpfen verankert ist. Das hat, wie schon angemerkt, Vorteile, denn die Habitualisierung der Handlungen folgt einer inneren Ökonomie, wodurch sich Zeit und Energie sparen lässt sowie risikoloser interagiert werden kann. Kritische Ausmaße nimmt es an, wenn auf diese Weise Verfahren etabliert werden, die nicht unbedingt effektiv sind.
5.2.1 Der Aufbau von Fassaden Der derzeitige Trend in Schulen, Schulentwicklungsprozesse einzuleiten, um in der Gesamtheit durch diese Anstrengungen profilierter und qualitativ besser zu arbeiten,
115
5.2 Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen
ist mit dem Streben nach höherer Effektivität begründbar. Doch angesichts höchst unterschiedlicher und keineswegs geradliniger Veränderungsprozesse werden viele Effektivitätsziele nicht erreicht. Widerstände, Skepsis oder Ängste können hierzu beitragen. Dennoch werden Schulen, deren Anstrengungen ins Stocken geraten, vermutlich auf das – offizielle – Eingeständnis eines etwaigen Scheiterns verzichten. Stattdessen werden sie eher an ihrem offiziellen Bekenntnis zum Schulentwicklungsprozess festhalten. Andernfalls würde die derzeitige Attraktivität von Schulentwicklung in ihrer Gesamtheit schon längst verblasst sein. Dieses Phänomen ist als Fassade bestimmbar und wird im Folgenden erörtert. Anregungen für organisationstheoretische Reflexionen über Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen sind, wie erwähnt, im Neo-Institutionalismus gerade durch die Relativierung von Effizienz und Effektivität zu finden. Das kann zum einen mit der Funktion von Mythen und zum anderen mit der Konkretisierung von Mechanismen, die bestimmte organisationale Gestaltungsmuster hervorrufen können, präziser verstanden werden. Die Bedeutung von Mythen Makroinstitutionalistische Überlegungen gehen von einem bedeutenden Einfluss der globalen Umwelt auf Organisationen aus. Die gesellschaftliche Modernisierung und die formalstrukturellen Folgen sind zentrale Bezugsgrößen dieses Denkens. Modernisierungsprozesse können den Neo-Institutionalisten zufolge über zwei unterschiedliche Pfade erfolgen: Einerseits über die Komplexität von Netzwerken gesellschaftlicher Organisationen und der damit
The prevalence of rationalized elements
The presence and elaboration of formal organizational structures
Societal Modernization
The complexity of networks of social organization and exchange
Abbildung 11: Die Ursprünge und Weiterentwicklung von formalen Organisationsstrukturen33
33
Nach MEYER/ROWAN (1991: 46).
116
5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
verbundenen Austauschbeziehungen, andererseits über die Vielzahl institutionalisierter Regeln der Rationalität. Es ist der zweite Aspekt, dem von den Neo-Institutionalisten eine große Bedeutung zugesprochen wird und der hier weiter verfolgt werden soll. MEYER/ROWAN (1991: 46) behaupten, in modernen Gesellschaften das Phänomen „rational“ erachteter Regeln häufiger antreffen zu können als in traditionellen oder weniger entwickelten Gesellschaften. Tatsächlich erschwert die Komplexität in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften das Herstellen von Transparenz. Die vollständige Versorgung mit Informationen, um rational handeln zu können, bleibt ein fast unerfüllbarer Zustand. Rationale Entscheidungen sind somit nur eingeschränkt möglich, was u. a. auch als „bounded rationality“ (SIMON 1991) bezeichnet wird. Nichtsdestotrotz ist der Glaube an diese Form der Rationalität ein bedeutsames und konstitutives Element moderner Gesellschaften. Rationalität wird dabei zum Mythos und das kann den Mangel an Überschaubarkeit kompensieren helfen. In diesem Kontext können Handlungen symbolisch motiviert sein und der Etikettierung unterliegen. Je nach Fallsituation können sie (auch) aufgrund von Legitimitätsüberlegungen gewählt werden. Das Verfügen über Legitimität kann die Wettbewerbsposition von Organisationen und den Zufluss von Ressourcen begünstigen. Dieses Streben kann derart dominant werden, dass selbst objektiv verfügbare Informationen keine Bedeutung mehr besitzen. Der geteilte, gesellschaftliche Glaube an die Gültigkeit rationaler Regeln ist daher wichtig, um Mythen wirksam werden zu lassen. In Organisationen können sie sich auf verschiedene Weise niederschlagen und ein entsprechend hohes organisierendes Potenzial entwickeln. “[...] organizations are driven to incorporate the practices and procedures defined by prevailing rationalized concepts of organizational work and institutionalized in society. Organizations that do so increase their legitimacy and their survival prospects, independent of the immediate efficacy of the acquired practices and procedures. Institutionalized products, services, techniques, policies and programs function as powerful myths, and organizations adopt them ceremonically” (ebd. 41).
Demzufolge können Organisationen ihr Handeln an vermeintliche Umwelterwartungen bzw. institutionelle Regeln ausrichten, die als relevant erkannt werden und einer objektiven Prüfung, z. B. im Hinblick auf ihre Effizienz, nicht mehr zugänglich sind. Diese Erwartungen werden dann innerhalb von Organisationen reproduziert, u. a. in der Gestalt von entsprechenden Dienstleistungen, Produkten, Programmen, Strategien oder Formalstrukturen. Damit kann in Richtung der Umwelt Aktivität signalisiert werden. Um weiter zuzuspitzen, wurden in der Frühphase der neo-institutionalistischen Theoriebildung zwei Umwelten unterschieden: technische und institutionelle Umwelten. Die Unterscheidung zwischen diesen Umwelten basiert auf der Annahme, dass in Organisationen mit ausgeprägten technischen Umwelten das organisationale Handeln von Effizienzkriterien dominiert wird. Im Idealfall vollziehen sich in solchen Umwelten Steuerungsprozesse überwiegend auf der Basis objektiver Kriterien. Anders vollzieht sich hingegen die Steuerung von Organisationen, die in stärker institutionell geprägten Umwelten operieren (vgl. SCOTT 1994). Institutionelle Um-
5.2 Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen
117
welten stellen idealtypische Situationen für neo-institutionalistische Überlegungen dar. Für Organisationen, die mit diesen Umwelten konfrontiert sind, ist es vorrangig, mit institutionalisierten Regeln konform zu gehen, um Legitimität zu erreichen. Die klassische neo-institutionalistische Konzentration auf institutionelle Umwelten lässt sich auch mit der Vielzahl an früheren empirischen Studien erklären, in denen Organisationen des öffentlichen Sektors untersucht wurden, wie z. B. Schulen. Daher entstand der Eindruck, der Neo-Institutionalismus würde vor allem eine Theorie nur für diesen Sektor begründen, in dem Effizienz- und Effektivitätslogiken vergleichsweise schwer messbar und von geringerer Bedeutung sind. Mittlerweile hat sich eine derart scharfe Trennung als nicht praktikabel erwiesen, weil zum einen die Bedeutung institutioneller Regeln auch für privatwirtschaftliche Sektoren anerkannt wird und zum anderen im öffentlichen Sektor zunehmend der Nachweis von Effizienz und Effektivität erbracht werden muss. WALGENBACH (2002) weist in diesem Sinne darauf hin, dass sich diese Differenz mit der Zeit als nicht tragfähig erwies, die Trennung aber immerhin als analytische beibehalten werden kann. Organisationen können in beide Kontexte in unterschiedlichem Maße eingebunden sein. Eine zuspitzende Aufteilung in zwei Umwelten birgt das Risiko, Anpassungsmechanismen an institutionelle Umwelten entweder nur als mystisch und rational kaum erklärbar oder als vollständig rational zu verklären. Folgerichtig lassen sich Umwelten denken, welche Ausprägungen in beide Richtungen haben.
Abbildung 12: Kombination technischer und institutioneller Umwelten34
In der obigen Abbildung wird der differenziertere Zugang erkennbar. Die Klassifizierung beruht zwar auf der Analyse der US-amerikanischen Gesellschaft, aber eine Übertragung auf das bundesdeutsche System mag relativ unproblematisch sein. Schulen als pädagogische Institutionen sind mit stärker ausgeprägten institutionellen und schwächer ausgeprägten technischen Umwelten konfrontiert, weil der Output als Grundfigur der Effizienzlogik nur oder noch schwer zu bestimmen ist. Ebenso ließen 34
Nach SCOTT/MEYER (1991: 124) am Beispiel der USA und mit Hinzufügung freier Jugendhilfeträger.
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
sich freie Träger in der Jugendhilfe hier einordnen, weil hier die Ausrichtung an institutionellen Regeln – bislang zumindest – besonders wichtig war. Durch die zunehmende Standardisierung der Arbeitsprozesse in der Jugendhilfe ist die Effizienzorientierung weiter ausgeprägt als in Schulen. Da aber die Rationalisierung der Sozialen Arbeit noch recht jung ist, um weitgehend Akzeptanz und Anwendung zu finden, können legitimierende, symbolische Aktivitäten von sehr großer Bedeutung sein. Exemplarisch für die Adaption legitimierender Regeln und Verfahren ist für WALGENBACH/BECK (2000) die Durchsetzung des Total Quality Managements (TQM), dessen Anwendung in der Regel mit einem hohen Prestigegewinn verbunden ist. Das TQM kann entweder zur Erhöhung der organisationalen Leistung oder aber der Zertifizierung wegen betrieben werden. Es kann selbstverständlich auch beides auftreten, die Neo-Institutionalisten schärfen zumindest das Bewusstsein für den legitimierenden Aspekt. Das TQM lässt immerhin genügend Spielräume, um ein solches Verfahren je nach Organisation unterschiedlich auszufüllen. Die Zertifizierung weist somit lediglich das Erreichen eines Standards aus, ohne die Vitalität dahinter bzw. die tatsächliche Akzeptanz zu erfassen. Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung von Mythen liefern FAUST/BAHNMÜLLER (1996). Sie diagnostizierten die Funktion anhand des Einsatzes von Computern in Arbeitsämtern. In einer langjährig durchgeführten Studie befanden sie, dass der Einsatz nicht zu höheren Effizienz- und Effektivitätswerten geführt hätte, sondern dieser vor allem der Befolgung institutionalisierter Erwartungen geschuldet war. Das Assessment Center gilt mittlerweile als selbstverständliches Mittel der Personalselektion, obwohl es offenbar keine eindeutigen Nachweise dafür gibt, dass diese Form der Auswahl die herkömmlichen Methoden übertrifft (vgl. WALGENBACH 2002: 321). In diesem konkreten Fall ist die Vorstellung von der Überlegenheit des Assessment Centers gegenüber anderen Formen institutionalisiert; sie wird nicht mehr hinterfragt, sondern einfach akzeptiert. Unternehmen hingegen, die auf traditionelle Weise Personal auswählen, können leicht in den Verdacht geraten, unmodern zu sein. Folglich ist es möglich, dass Organisationen vermeintlich rationale Muster anwenden, die sich im Hinblick auf den Output als ineffizient erweisen können. Durch die Berücksichtigung des institutionellen Kontextes können sich Wettbewerbspositionen von Organisationen zumindest kurzfristig verbessern. Das impliziert zugleich, Organisationen fest im gesellschaftlichen Kontext verankert zu sehen. Vor diesem Hintergrund können die Qualitätsdiskussionen in der Pädagogik kritisch betrachtet werden. Je nach Fallsituation ist zu prüfen, ob mit bestimmten Maßnahmen oder Verfahren ernsthaft effizientes und effektives Handeln angestrebt wird oder ob vielmehr der Umwelt ein vermeintlich adäquates Handeln signalisiert werden soll. In diesem Kontext kann die Funktion von Organisationsentwicklungsprozessen kritisch hinterfragt werden, zumal wenn sie extern bzw. wissenschaftlich begleitet werden und der Prestigegewinn dadurch erheblich sein kann. Die Entkopplung des Redens vom Handeln Die bislang erörterten neo-institutionalistischen Argumente zeigten, dass dem Erlangen von Legitimität ein größeres Gewicht eingeräumt werden kann als den Kriterien Effektivität und Effizienz. Allerdings wurde noch nicht diskutiert, wie sich das im
5.2 Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen
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Handeln der Organisationen niederschlägt. Bei der Einführung von Qualitätsmanagementverfahren sind z. B. erkennbare Maßnahmen zu treffen, um Aktivität zu demonstrieren. So können Qualitätsbeauftragte ernannt und formal in der Organisationsstruktur berücksichtigt werden, es können regelmäßig spezielle Sitzungen zur Verbesserung der Qualität einberufen werden oder gewisse Standards in der Bearbeitung von Arbeitsprozessen (z. B. bei der Dokumentation von Akten) eingehalten werden. Wenn aber trotz der sichtbaren Anstrengungen bei der Einführung des Qualitätsmanagementverfahrens das oberste Ziel in Wirklichkeit nicht die Steigerung der Qualität, sondern das der Legitimität sein sollte, stellt sich die Frage, wie mit diesem Konflikt praktisch umzugehen ist. MEYER/ROWAN (1991) weisen hinsichtlich dieser Dualität von Rationalitäts- und Legitimitätsanspruch auf die Möglichkeit hin, die Organisationsstruktur praktisch zu entkoppeln. Demzufolge kann eine Formalstruktur lose gekoppelt von einer Aktivitätsstruktur existieren. Die Formalstruktur ist demnach eine Art offizielles, nach außen gut erkennbares, organisationales Design, das Legitimität sichern hilft, während die tatsächlichen Handlungen als Reaktion auf aktuelle und praktische Erfordernisse parallel zur formalen Struktur ablaufen können. Durch den Handlungsaspekt bleibt die Überlegung der Entkopplung nicht auf die Organisationsstruktur beschränkt, sondern sie weitet sich aus; so auch auf die organisationale Dimension Prozesse, aber eben auch auf die Ziele. Denn wenn eine Formalstruktur etwas Signalisieren soll, wird damit unweigerlich auch ein Ziel verfolgt und ist in diesem Kontext postulierbar. BRUNSSON/OLSEN (1993) beobachteten z. B. Reformen in der öffentlichen Verwaltung. Ihre Forschung führte sie zur Feststellung von Differenzen. Mit „talk“ bezeichnen sie die offizielle Anwendung eines Reformvokabulars, während „action“ sich auf die tatsächlichen Handlungs- und Deutungsmuster bezieht. Beide Begriffe stehen quasi komplementär zueinander, weil der informale Sprachgebrauch in dem Maße an Bedeutung gewinnt, wie der formale die tatsächlichen Abläufe nicht mehr zu benennen vermag. Dies führt zu einem diskrepanten Verhältnis. “Actors have dual systems which are decoupled from each other; they may argue that they follow a standard while not doing so in practice” (BRUNSSON 2002: 130).
Das erinnert an die PERROW’sche Zieldifferenz von offiziellen und operativen Zielen (vgl. 2.3.2). Vor allem aber kann an dieser Stelle die identifizierte, noch unbeantwortete Frage des Organisationslernens aufgegriffen werden, die da heißt: Welche Funktion haben die offiziellen Handlungstheorien („espoused theories“) für die Erörterung von Veränderungsprozessen? Der praktische Vorteil der Entkopplung liegt in der Wahrung des Scheins, welche den Konflikt zwischen vorgeblichem und tatsächlichem Handeln nicht offen ausbrechen lässt. Deswegen können nach außen Fassaden vermeintlicher Rationalität bzw. Aktivität zeremoniell aufrecht erhalten und wiederkehrend beschworen werden, so dass das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der betreffenden Organisation gesichert wird. Das dient auch der späteren Rechtfertigung im Fall erfolgloser Handlungen. So kann immer darauf verwiesen werden, „alles versucht“ zu haben. Ein gegenteiliges, „ehrliches“ Verhalten bzw. ein Bekenntnis zu etwaigen Inkonsistenzen ginge aus neo-institutionalistischer Sicht mit einem Vertrauensverlust einher und führte
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
schlimmstenfalls zur Bedrohung der Existenz. Eine Schule etwa, die offen ihre Ablehnung gegenüber Schulentwicklungsprozessen artikulieren würde, unter Verweis auf die bislang geleistete, erfolgreiche Arbeit, hätte womöglich mit großen Legitimitätsproblemen zu kämpfen. Sie würde sich gegen den Zeitgeist stellen und damit ein hohes Risiko eingehen. Konkretisierung der Anpassungsmechanismen an institutionalisierte Erwartungen Rationalität wird im Neo-Institutionalismus als Mythos gehandelt. Auf der praktischen Ebene kann sich das in einer ambivalenten Aneignung dieses Mythos niederschlagen, so dass es zur Ausbildung entkoppelter Strukturen bzw. zu Differenzen zwischen den offiziell verkündeten und den tatsächlich handlungsleitenden Zielen kommen kann. Offen bleibt, welche Mechanismen zur Aneignung institutionalisierter Erwartungen führen. Das wird im Folgenden zu erörtern versucht. DIMAGGIO/POWELL (1991) betrachten Institutionalisierungsprozesse weniger aus einer globalen gesamtgesellschaftlichen, sondern aus der für Organisationen unmittelbaren Umweltperspektive. Sie gehen der Frage nach, wie sich Organisationen gegenseitig beeinflussen können und damit die Verbreitung von institutionellen Mustern bedingen. Mit dieser stärker interaktionalen Sichtweise konkretisieren sie die Konsequenzen, die aus der Bedeutung des Mythos resultieren. Organisationen passen demzufolge ihre Ziele, Strukturen und ihr Handeln an die Erwartungen der Umwelt auf eine bestimmte Weise an. Den grundlegenden Mechanismus, der schließlich zu ähnlichen Gestaltungsmustern führt, bezeichnen sie als Isomorphismus. “[...] we contend, bureaucratization and other forms of organizational change occur as the result of processes that make organizations more similar without necessarily making them more efficient” (ebd.: 64).
Auch wenn mit dem Isomorphismus begrifflich ein Strukturangleichungsprozess beschrieben wird, bezieht sich dieser nicht ausschließlich auf die Formalstrukturen, sondern kann sich vielmehr auf Organisationen als Ganzes erstrecken, d. h. auf die Prozesse, Produkte, Programme, Ziele, Strategien usw. DIMAGGIO/POWELL (1991) sind weniger auf einzelne Organisationen fokussiert als vielmehr auf Gruppen von Organisationen, in welchen die einzelnen Organisationen in ein gemeinsames Sinnsystem eingebunden sind, das sich durch gemeinsame Regulationsmechanismen und aufeinander bezogene Handlungen auszeichnet (vgl. SCOTT 1994: 70f.). Einen solchen erkennbaren Bereich institutionellen Lebens bezeichnen DIMAGGIO/POWELL (1991) als organisationales Feld. Beispielsweise können für ein Unternehmen die Zulieferbetriebe und Abnehmer, regulierende Behörden oder andere Organisationen zu einem gemeinsamen Feld gehören (TÜRK 2000). In diesem erwächst eine Fülle von Erwartungen, die auf irgendeine Weise berücksichtigt werden müssen. Übertragen auf ein organisationales Feld Schule ließen sich Akteure der Aufgabenumwelt wie andere Schulen, die Eltern-, Lehrer- und Schülervertretungen oder die Schulbehörde, für den Jugendhilfebereich freie Träger, die betreuten Kinder, die Eltern oder das Jugendamt nennen.
5.2 Die vernachlässigte Symbolik: Neo-institutionalistische Reflexionen
121
Ein entwickeltes organisationales Feld begrenzt die Diversifikation von Änderungen und führt, so DiMAGGIO/POWELL (1991: 4), tendenziell zur Homogenisierung von Organisationen. Damit nehmen sie zugleich eine Gegenposition zu organisationstheoretischen Selektionsmodellen ein, die den Mechanismus der Variation betonen, der helfen kann, durch Heterogenität die Überlebensfähigkeit zu sichern. Die Gleichartigkeit bedeutet für pädagogische Institutionen, ähnliche Handlungsmuster in pädagogischen Teilbereichen aufzubauen. In dieser Hinsicht kann z. B. die Verbreitung und Einrichtung von Steuergruppen in Schulen zur Erarbeitung von Schulprogrammen oder Schulentwicklungsmaßnahmen als Phänomen des Isomorphismus betrachtet werden. Auch Bemühungen, Qualität im Jugendhilfebereich zu entwickeln, ließen sich hier einordnen. Viele Programme der Weiterbildung beinhalten Seminare zum Zeitmanagement, was ebenfalls als institutionalistisches Phänomen bzw. als Ergebnis isomorpher Prozesse gedeutet werden kann. Allerdings können die Angleichungsprozesse organisationsintern zur Reduktion von Variationen führen. Im Extremfall könnte das zu totalen Angleichungen führen, was aber hier nicht verfolgt wird. Es interessiert lediglich die Angleichung auf einer formalen, sichtbaren Organisationsebene. Die informal existierende Aktivitätsstruktur lässt genügend individuelle Handlungsspielräume zu, so dass sich Organisationen in der tatsächlichen Praxis erheblich unterscheiden können. DIMAGGIO/POWELL (1991) unterscheiden drei Angleichungsprozesse: Isomorphismus durch Zwang („coercive isomorphism“), durch normativen Druck („normative isomorphism“) und schließlich als Ergebnis von Imitation („mimetic isomorphism“). • Isomorphismus durch Zwang kann durch rechtliche Aspekte wie Regeln, Vorschriften oder Gesetze hervorgerufen werden. Auch kann der Zwang zur Angleichung aus Abhängigkeitsverhältnissen einzelner Organisationen voneinander resultieren. Demzufolge wird dieser Isomorphismus von den unabhängigen Organisationen ausgelöst. Diese Argumentation folgt der Logik: Je größer die Abhängigkeit, desto weitreichender werden institutionelle Muster umgesetzt. Der Einfluss von formalen Regeln kann z. B. in der Pädagogik durch Schulgesetze beobachtet werden. Die Verpflichtung von Schulen zur regelmäßigen Durchführung von Evaluationen erfordert den Aufbau entsprechender Kontrollstrukturen, die sich auf die Arbeitsprozesse der Schulen auswirken werden. In der Jugendhilfe ist das schon der Fall, z. B. über die Versuche, die Fallbetreuungen mit bestimmten Standards (bezüglich Qualifikation, Dokumentation oder der Zielvereinbarungen) zu kontrollieren. • Ein normativer Prozess ist vor allem auf voranschreitende Professionalisierungsprozesse zurückzuführen. So definieren Berufsgruppen Bedingungen und Methoden der Arbeitswelt, was sich z. B. in Qualifizierungsanforderungen oder Verfahrensstandards manifestieren kann. Professionsvereinigungen stellen für ihre Mitglieder einen Orientierungsrahmen her, der zur Entfaltung normativer Bindungen führt. Dadurch wird die Entwicklung ähnlicher Problemlösungsmuster gefördert, die von Berufsgruppen vertreten werden. Da sich solche Muster organisationsübergreifend etablieren können, sind in Organisationen, die im gleichen Sektor agieren, verwandte Orientierungen und Dispositionen vorzufinden (vgl. WALGENBACH
122
5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
2002: 336). Der normative Isomorphismus in pädagogischen Bereichen ist beispielsweise in Schulen zu finden. Lehrkräfte sollen während ihres Studiums auf die Organisation der Schule und auf entsprechendes Wissen im Schuldienst vorbereitet werden. Allerdings ist, wie erwähnt, im Zusammenhang mit pädagogischen Institutionen die Verwendung des Professionsbegriffs nicht unproblematisch. Im Hinblick auf den wachsenden Einfluss ökonomischen Denkens in der Pädagogik, dürfte die Frage nach der Professionalität der pädagogischen Arbeit und der Kompetenz der Leistungsträger aufmerksamer verfolgt werden (vgl. MERKENS 2006: 269). Entsprechende Folgen hätte das für den normativen Anpassungsmechanismus, dessen Bedeutung wichtiger für das Verstehen organisationaler Veränderungen würde. • Isomorphismus durch Imitationen kann sich insbesondere unter den Bedingungen von Unsicherheit entfalten. Organisationen versuchen andere Organisationen zu kopieren, die innerhalb ihres organisationalen Feldes bedeutsam sind. Wenn die Zieldefinitionen der Organisationen unklar sind, die Umwelt entweder nur schwer einzuschätzen ist oder wenn ein Mangel an Problemlösungstechnologien besteht, können Organisationen verstärkt dazu neigen, andere zu beobachten und die zu imitieren, die als erfolgreich wahrgenommen werden. WALGENBACH (2002: 335) weist darauf hin, dass die Verbreitung von Qualitätsprogrammen US-amerikanischer Unternehmen in weiten Teilen als Versuch gewertet werden kann, Erfolgsfaktoren japanischer und europäischer Firmen nachzuahmen. Für das Verstehen von Veränderungsprozessen in pädagogischen Einrichtungen bietet sich dieser Isomorphismus an, weil die Unsicherheit im Umfeld deutlich zugenommen hat. Schulen, Jugendhilfeträger, Weiterbildungseinrichtungen, Kindertagesstätten usw. stehen vor der Frage, wie sie unter den dynamischen und weniger überschaubaren Umweltbedingungen handeln sollen, welche Inhalte sinnvollerweise zu vermitteln sind, wie sie die Qualität ihrer Angebote zumindest behaupten können oder wie sie schlicht dauerhaft das eigene Überleben sichern können. Die Isomorphismen bieten insgesamt vor allem eine analytische Grundlage. Sie sind in kombiniertem Auftreten vorstellbar. So können Empfehlungen von Unternehmensberatungen zur Struktur- oder Prozessgestaltung sowohl eine normative als auch eine mimetische Komponente haben. Professionelles Verständnis, wie „etwas auszusehen habe“, kann sich mit Beobachtungen von „best practice“ mischen. Der Isomorphismus durch Zwang kann z. B. in Form gebundener Institutionen einen Handlungsdruck und zugleich Unsicherheit erzeugen, was den Vergleich mit anderen erforderlich macht. Das Besondere an den Überlegungen DIMAGGIO/POWELLs sind die Taken-forGranted-Annahmen, die im Zuge der Angleichungsprozesse in den Blickpunkt rücken. Deren Überlieferung wird mit der Definition von organisationalen Feldern verständlich. Die Autoren skizzieren, welche kognitiven Prozesse den Angleichungsprozessen zugrunde gelegt sind. Zugleich rücken sie die Sichtweise MEYER/ROWANS ein Stück weit zurecht, die weniger auf die Interaktion zwischen Organisation und Umwelt fokussiert sind. Indem Organisationen die Fähigkeit zugesprochen wird, andere beeinflussen zu können, wird implizit von einer Interdependenz bzw. einem interaktionalen Verhältnis mit der Umwelt ausgegangen. Mit der Homogenisierung auf einer formalen Ebene wird ein bedeutsamer Aspekt für pädagogische Institutio-
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nen herausgestellt. Durch die große finanzielle Abhängigkeit von öffentlichen Institutionen sind pädagogische Institutionen fast zwangsläufig gefordert, sich Legitimität zu verschaffen. Das führt zum Paradoxon, sich einerseits profilieren zu müssen und andererseits nicht allzu sehr voneinander abweichen zu dürfen. Letzteres kann entweder negativ sanktioniert oder im positiven Fall nachgeahmt werden, so dass immer wieder Angleichungsprozesse initiierbar sind.
5.2.2 Fassaden als kurzfristige Reaktion auf Unsicherheiten Der Neo-Institutionalismus rückt vom Rationalitätsprinzip traditioneller organisationstheoretischer Vorstellungen ab. In den zugrunde gelegten Ausführungen wurde das in der Entkopplung von Strukturen bzw. in der Differenz vom Reden und Handeln verdeutlicht. Diesbezüglich wurde die bisher noch nicht geklärte Funktion der von ARGYRIS/SCHÖN (1996) definierten offiziellen Handlungstheorien („espoused theories“) als Fassade erörtert. In einem weiteren Schritt soll der Zeitpunkt ihres Auftretens diskutiert werden. Institutionalisierungen können auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen beobachtet werden. Zu den theoretischen Mängeln gehört z. B. die kaum vorhandene Berücksichtigung des Phänomens Macht, welches präzisere Erklärungen darüber verhindert, durch wen und wie Rationalitätsmythen institutionalisiert werden (vgl. WALGENBACH 2002: 352). Die Diskussion um die Angleichungsprozesse klärt in dieser Hinsicht nur über die Mechanismen auf, die wirksam werden, sobald sich ein Mythos entwickelt hat, bleibt aber gegenüber deren Entstehung unscharf. Es besteht zudem die Gefahr, jegliches Handeln immer nur institutionell zu deuten und damit den Einfluss individueller Interessen auszublenden. Das kann teilweise zur diffusen Interpretation der Interaktion zwischen Organisation und Umwelt führen. Für die Zwecke dieser Arbeit bleibt jedoch Folgendes festzuhalten: • Der Ansatz ermöglicht ein erweitertes Verständnis für Organisation-Umwelt-Beziehungen. Das organisationale Handeln kann entlang institutioneller Erwartungen ausgerichtet sein und zum Aufbau von Fassaden führen. • Mit dem Streben nach Legitimität wird ein analytisches Element gewonnen, dass die Diskussion um Effizienz und Effektivität organisationaler Aktivitäten relativieren kann. • Der Aufbau von Fassaden kann sich auf verschiedene Dimensionen in einer Organisation beziehen wie auf die Prozesse, die Strukturen, Ziele, den Input oder den Output. • Der Aufbau von Fassaden bedeutet noch keine realen Veränderungen im Sinne des Organisationslernens. Im Grunde wird im Neo-Institutionalismus eine langfristige Perspektive der Angleichungsprozesse eingenommen, denn es braucht in der Regel Zeit, bis institutionelle Regeln etabliert sind. Paradoxerweise muss aber der Aufbau von Fassaden gerade nicht die Folge tief gehender Anpassungen sein, sondern kann, im Gegenteil, oberflächlich erfolgen. Damit würde jedoch eine kurzfristige Perspektive einnehmbar. Je schneller es gelingt, Fassaden zu erstellen, um so eher kann Legitimität ge-
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
wonnen werden. Der Begriff der Fassaden bezieht sich auf etwas Äußerliches und erfasst eben nicht den Kern eines Gegenstands. Dieser Logik folgend kann zur Interpretation kurzfristiger Veränderungsphänomene in Organisationen der Neo-Institutionalismus herangezogen werden. So kann hinterfragt werden, ob es sich bei Angleichungsprozessen im Sinne von DIMAGGIO/POWELL (1991) ausschließlich um die Veränderung der fest verankerten „deep structures“ (CROWSON/BOYD 1996: 209; BURKE 2002: 65) handeln muss oder ob sich mit dem Isomorphismus auch die Betrachtung von kurzfristig erstellten Fassaden vereinbaren lässt. Dieses Argument wird begrifflich untermauert durch BRUNSSONs Charakterisierung von vorgeblichen Handlungen, die er als „fashion trend“ (2002: 152) bezeichnet. Typischerweise bezieht sich der Begriff der Mode nicht auf einen dauerhaften Zustand. Zusammengefasst lassen sich in neo-institutionalistischen Diskussionen im Prinzip zwei Richtungen identifizieren. Zum einen können damit theoretisch Widerstände in Entwicklungsprozessen zumindest ansatzweise erklärt werden. Verfahren, Programme, Produkte, Strukturen oder Normen sind demzufolge tief in den Köpfen von Organisationsmitgliedern verankert. Reformen treffen daher auf Skepsis und Ablehnung und können kaum eine Wirkung erzielen. Im Prinzip handelt es sich somit um ein Kräftespiel zwischen alten und neuen Regeln. Als Beispiel können schwedische Reformbemühungen im Schulsystem angeführt werden. Hier stellt EKHOLM (1997) dar, dass sich trotz lang anhaltender schulpolitischer Anstrengungen, den Schulen mehr Autonomie zu verleihen, die schulischen Arbeitsweisen sich dennoch nicht erkennbar geändert haben. Eine zweite mögliche Lesart des Neo-Institutionalismus basiert auf einer entgegengesetzten Annahme. Hiernach beschleunigen dynamisch interpretierte institutionelle Muster organisationale Veränderungsprozesse – zumindest formal. Mit dem Aufbau von Fassaden werden vermeintliche Umwelterwartungen nicht nur akzeptiert und nach außen erkennbar integriert, sondern es wird ein Beitrag zu deren weiteren Verbreitung geleistet. Dieser Prozess ist motiviert durch das Erzielen von Legitimität und dient dem organisationalen Überleben. Institutionalisierungen sind demzufolge eher schnell zu realisieren. So interpretiert ist der Neo-Institutionalismus mit dem Organisationslernen kombinierbar. Die Erörterung des Sinngehalts einer aufgebauten Fassade kann eine Erklärungslücke des Organisationslernens schließen. Für die Pädagogik eröffnen sich mit ebendieser zweiten Interpretation neue Optionen des Verstehens organisationaler Prozesse. WALGENBACH/BECK (1998) sehen in den Bemühungen, organisationale Aktivitäten immer stärker anhand bestimmter Qualitätsprogramme oder -richtlinien auszurichten, institutionelle Prozesse ablaufen. Kombiniert vor allem mit der Annahme, Institutionalisierungen würden u. a. in unsicheren Situationen auf fruchtbaren Boden fallen (vgl. DIMAGGIO/POWELL 1991), drängt sich die Rezeption neo-institutionalistischer Ausführungen in der Erziehungswissenschaft geradezu auf. Denn einerseits besteht in pädagogischen Organisationen aufgrund der skizzierten Rahmenbedingungen ein hohes Maß an Unsicherheit, wie pädagogisches Handeln auszufallen hat, und – oder gerade deswegen – andererseits wird mit Qualitätsentwicklungsverfahren versucht, einen Beitrag zur Selbstvergewisserung pädagogischen Handelns zu leisten. Die Schwierigkeit in der Bewertung pädagogischer Einrichtungen liegt gerade darin, dass der Output pädagogischer Pro-
5.3 Plädoyer für einen kombinierten organisationstheoretischen Interpretationsansatz
125
zesse üblicherweise nur schwer in ein kausales Verhältnis zum Input und zu den angewandten Methoden zu stellen ist. Zuspitzend weist BRUNSSON (1989: 4) auf Beispiele von Schulen und Universitäten hin, die weder selbst noch deren Umwelt wirklich wissen, was sie produzieren. Sie wissen auch nicht ganz genau, welche Faktoren zum vermeintlichen Gelingen von Pädagogik beitragen können. Vor dem Hintergrund dieser unsicheren Handlungsbedingungen ist die Beschwörung rationaler Mythen und infolgedessen der Aufbau von Fassaden eine fast zwingende Konsequenz. Fassaden können infolgedessen in Konzepten der autonomen Schule, der Lernenden Schule bzw. der Lernenden Organisation, in Evaluations- oder Qualitätsverfahren usw. vermutet werden. Diese Begrifflichkeiten implizieren die Überschreibung der Organisation pädagogischen Handelns mit neuen Leitbildern, die viel Interpretationsspielräume zulassen. Eine pädagogische Einrichtung kann leicht in die Gefahr geraten, als unmodern etikettiert zu werden, wenn sie sich diesen Entwicklungen verschließt. Mit Blick auf Qualitätsentwicklungsverfahren können einige Maßnahmen kritisch begleitet werden. So ist das gegenwärtig zu beobachtende Streben von sozialpädagogischen Einrichtungen, sich zertifizieren zu lassen (vgl. MERCHEL 2000b), zu hinterfragen und kann möglicherweise vorwiegend dazu dienen, Legitimität zu erlangen. In diesem Sinne führt ein organisationaler Mythos zu einer nicht mehr zu hinterfragenden Entwicklung, die von Entscheidungsträgern als gegeben akzeptiert wird.
5.3
Plädoyer für einen kombinierten organisationstheoretischen Interpretationsansatz
Die beiden erörterten theoretischen Elemente des Organisationslernens und des NeoInstitutionalismus ergänzen sich einerseits entlang der skizzierten Handlungstheorien nach ARGYRIS/SCHÖN und der offen gebliebenen Funktion der offiziellen Handlungstheorien und andererseits entlang des Faktors Zeit. Mit der Kombination der beiden Ansätze lässt sich u. a. die Unterscheidung von expliziten und impliziten Zielen wiederaufgreifen. Von besonderer Bedeutung ist dabei eine Instrumentalisierung der offiziellen Ziele, die nicht auf eine Harmonisierung mit den operativen Zielen ausgerichtet sein muss. Organisationslernen wird eher selten kurzfristig vollzogen, der Aufbau von Fassaden kann hingegen als kurzfristige Maßnahme helfen, Handeln zu signalisieren. Da dies in erster Linie der Legitimitätssicherung dient und sich zunächst auf nur einer symbolischen Ebene abspielt, muss die Handlungsebene eben nicht zwingend erreicht werden. Die in den vorangegangenen Kapiteln näher betrachteten pädagogischen Institutionen, Schulen und freie Jugendhilfeträger, sind auf verlässliche Umweltbeobachtungen angewiesen und müssen in irgendeiner Weise reagieren. Veränderungen zeigen sich dort vermutlich vor allem in den Handlungen und den Zielsetzungen. Beide können jedoch divergieren, und dafür bietet die Kombination der beiden organisationstheoretischen Ansätze ein Interpretationsschema. Die Entwicklung von Organisationen verläuft in diesem Zusammenhang nicht nach einem Masterplan, sondern kann jeweils sehr spezifisch ausfallen. Konträr zu herkömmlichen Verfahren der Organisationsentwicklung wird nicht von einer Planbarkeit des organisationalen Wandels ausgegangen, vielmehr wird Wandel im Kon-
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5 Konzept eines theoretischen Doppelansatzes der Veränderung
text von Lernen allenfalls für indirekt steuerbar gehalten. Die diskutierten Förderbedingungen können jedoch genutzt werden, um Organisationslernen möglichst wahrscheinlich zu machen. Auf der Grundlage der verfolgten theoretischen Konzeption der Veränderung lässt sich aber kritisch hinterfragen, ob Organisationen überhaupt gelernt bzw. sich gewandelt haben und wenn ja, mit welcher Intensität. Mit dieser Annahme wird eine Differenzierung der Veränderungsprozesse erreicht, in der sich vermutlich viele praktische Erfahrungen in der Beratung von Organisationen einordnen lassen. Die bis hier angestellten Überlegungen lassen schlussfolgern, dass es keine Veränderungen im Sinne des Lernens geben kann, ohne dass die Handlungen von pädagogischen Institutionen (potenziell) verändert werden. Der Absicht, Veränderungen herbeizuführen, kann ein Lernprozess vorausgegangen sein, jedoch muss kritisch geprüft werden, inwieweit tatsächlich die Weichen für die Veränderungen der Handlungen gestellt werden. Ist Letzteres nicht zu beobachten, können bestimmte Maßnahmen bloß als Fassaden fungieren. In den hiesigen Ausführungen wurde die Funktion der Fassade als erste Maßnahme bzw. kurzfristige Pufferfunktion dargestellt. D. h. mittel- oder langfristig werden den offiziellen Ankündigungen reale Handlungen folgen müssen, andernfalls könnten die Fassaden als solche erkannt werden und zu Vertrauensverlusten führen. Denkbar ist aber auch, dass die Fassade selbst Deinstitutionalisierungsprozessen unterliegt und ihre Funktion verliert, weil mittlerweile andere Verfahren und Maßnahmen als modern etikettiert werden und als erstrebenswert gelten. Die ursprünglich als relevant betrachteten Maßnahmen würden so an Gültigkeit verlieren. Mit dem kombinierten Theorieansatz ist der letzte konzeptionelle Schritt zur Beantwortung der zentralen Forschungsfrage, wie Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen interpretiert werden können, vollzogen worden. Im weiteren Verlauf soll empirisch betrachtet werden, inwieweit dieser Ansatz zur Interpretation von Veränderungsprozessen beitragen kann.
Diagnoseebene Offener Systemansatz
Interpretationsebene Organisationslernen Neo-Institutionalismus
Abbildung 13: Untersuchungsebenen – zweiter Schritt
6
Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
Im Folgenden werden drei Fallbeispiele vorgestellt und im Rahmen der bisherigen Ausführungen erörtert. Es handelt sich hierbei um eine Betrachtung von Veränderungsprozessen in drei pädagogischen Institutionen aus den Bereichen Jugendhilfe und Schule. Die drei Institutionen wurden vom Arbeitsbereich Empirische Erziehungswissenschaft der Freien Universität Berlin evaluiert. Die Evaluation wurde in je zwei Phasen durchgeführt, um dortige Organisationsentwicklungsprozesse zu unterstützen. Einerseits sollten Ansatzpunkte für Organisationsentwicklungsprozesse gefunden und andererseits Veränderungsprozesse zwischen den beiden Untersuchungsphasen erfasst werden. Mit den Untersuchungen wurde nicht beansprucht, Veränderungen der Outputs, sondern vor allem der Arbeitsprozesse oder der Ziele feststellen zu können. Grundlegend war zudem die Annahme, dass pädagogische Institutionen selbst unter schwierigen Bedingungen über einige Handlungsspielräume verfügen, die sie unterschiedlich nutzen. Das impliziert kein deterministisches Verhältnis zwischen Umwelt und Organisation. Vor der Präsentation der Fallbeispiele werden einige Eigenschaften der Evaluations- bzw. Organisationsforschung erörtert. Nur aus der Absicht zur Durchführung einer Evaluation oder aus den zuvor diskutierten organisationalen Merkmalen leitet sich nicht automatisch ein Forschungsdesign zur Evaluierung pädagogischer Institutionen ab. Es stellt sich folglich die Frage, wie evaluiert werden kann und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind. Dabei können Evaluationen unterschiedliche Funktionen erfüllen. Nach dem Herausarbeiten organisationsrelevanter Merkmale der Evaluationsforschung, die für die drei Fallbeispiele von Belang sind, wird anschließend das Forschungsdesign präzisiert, das der Evaluation der Fälle zugrunde gelegt wurde. Die Veränderungen in den jeweiligen Fallbeispielen werden mithilfe der Dimensionen des offenen Systemansatzes beschrieben. Darauf bauen die organisationstheoretischen Interpretationen der Veränderungen auf. Die Funktionen der Evaluation können an dieser Stelle selbst thematisch werden.
6.1
Evaluationsforschung als Organisationsforschung
Die derzeitige Bedeutung der Evaluationsforschung ist im Kontext der weltweiten politischen, ökonomischen und technischen Veränderungen zu betrachten und den resultierenden Bedarf, diese zu bewältigen (vgl. STOCKMANN 2000). Die Schnittstelle zwischen der Evaluations- und der Organisationsforschung besteht im beiderseitigen Vorhaben, Qualität zu steigern. Evaluationsforschung ist üblicherweise auf die Optimierung von Qualität ausgerichtet (vgl. KROMREY 2000: 241), und auch die Organisations-
128
6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
entwicklung, als Option von Organisationsforschung, stellt u. a. auf Leistungssteigerungen von Organisationen ab. Die Bearbeitung von Qualität in Organisationen weist in die gleiche Richtung. Werden organisationale Veränderungsprozesse im Kontext der Verbesserung organisationaler Leistungen abgebildet, entspricht das folgerichtig einem zentralen Anliegen der Evaluationsforschung. Beide Begriffe, Organisationsund Evaluationsforschung, sind somit an dieser Stelle sehr eng miteinander verknüpft. Die im vierten Kapitel skizzierten Veränderungen globaler Umwelten führen in ihrer Gesamtheit zu dynamischen Veränderungen und wachsenden Unsicherheiten. Diesen wird mit Maßnahmen zu begegnen versucht, die häufig selbst der Rechtfertigung bedürfen. In diesem Kontext konstatiert vON KARDORFF (2003: 238) einen zunehmenden Bedarf moderner Wissensgesellschaften „an wissenschaftlich abgesicherten Nachweisen über die Wirksamkeit, Effizienz, Qualität und Akzeptanz politischer Programme und Maßnahmen in allen gesellschaftlichen Bereichen“. Im Spannungsverhältnis von Modernisierungserfordernissen und verschärfter Effizienzund Kostenkontrolle gewinnt die Evaluationsforschung zunehmend an Bedeutung. Das gilt auch für die Pädagogik bzw. für pädagogische Institutionen (vgl. MERKENS 2004c). Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen tangieren pädagogisches Handeln und dessen Organisation. Bisher gültige Maßnahmen können hinterfragt, neue Handlungsprogramme entworfen oder Reformvorhaben angestoßen werden. Evaluationsforschung kann in dieser Hinsicht dazu beitragen, Unsicherheiten zu reduzieren und Handlungen abzusichern.
6.1.1 Funktionen von Evaluationen Nach STOCKMANN (2000: 14ff.) lassen sich vier verschiedene Funktionen von Evaluationen unterscheiden: • Erkenntnisfunktion, • Kontrollfunktion, • Dialogfunktion und • Legitimitätsfunktion. Die Erkenntnisfunktion bezieht sich auf das Sammeln von Informationen und Erkenntnissen über den Erfolg von Programmen oder Projekten (des Evaluationsgegenstands). Beispielsweise sind das Erreichen von Zielgruppen oder die Bedarfe von Zielgruppen, die Akzeptanz einer Intervention, eventuelle Veränderungen von Rahmenbedingungen, das Erreichen von Zielen oder bestimmte Wirkungen einer Maßnahme Themen, die von Evaluationen bearbeitet werden können. Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen die Unterfütterung von Steuerungsentscheidungen, um auf eventuell vorhandene Probleme angemessen reagieren zu können. Evaluationen können in diesem Zusammenhang auch Anlass zu Veränderungen geben und initiatorisch für das Ergreifen neuer Maßnahmen wirken. Organisationsentwicklungsprojekte bzw. organisationale Veränderungsprozesse können z. B. in diesem Kontext durch Evaluationen unterstützt werden (vgl. HEINER 1998). Darüber hinaus üben Evaluationen mehr oder weniger eine Kontrolle aus, die praktisch beiläufig durch das Gewinnen von Erkenntnissen emergiert. Der Fokus dieser Funktion liegt eher auf den Mängeln und der Aufgabenerfüllung innerhalb eines Programms oder Projekts, um bei Bedarf korrigierend eingreifen zu können.
6.1 Evaluationsforschung als Organisationsforschung
129
Die Dialogfunktion von Evaluationen beruht auf der Herstellung von Transparenz der gewonnenen Informationen. Offen gelegte Erkenntnisse sind üblicherweise – im Sinne offener Systeme – an die Umwelt adressiert und ermöglichen den Dialog zwischen Stakeholdern von Evaluationen (Finanziers, Durchführungsorganisation, Zielgruppen, sonstige Beteiligte oder Betroffene usw.) über eventuell eingeschlagene Richtungen oder getroffene Maßnahmen. Die ermittelten Ergebnisse können z. B. bilanzieren, inwieweit eine Zusammenarbeit zwischen Akteuren erfolgreich verlief. Schließlich können Evaluationen Projekten oder Programmen auch Legitimität verschaffen, wodurch ebenfalls ein enger Funktionszusammenhang mit der Umwelt erkennbar wird. Der Nachweis von Effizienz oder Effektivität im Umgang mit bereitgestellten Mitteln legitimiert die bisher geleistete Arbeit. Legitimität kann aber auch durch die Durchführung einer Evaluation an sich erlangt werden, wie in der neo-institutionalistischen Erörterung des Aufbaus von Fassaden analysiert wurde. D. h. es kommt dann nicht so sehr auf die Wirksamkeitsprüfung als auf die Bemühung an, sich überhaupt evaluieren bzw. sich wissenschaftlich bestätigen zu lassen. STOCKMANN (2000: 16) beschränkt diese „dekorative“ Symbolik vor allem auf den Politikbetrieb. Das reicht aber nicht weit genug, denn auch in anderen Bereichen (z. B. in der Wirtschaft oder im Bildungswesen) kann diese Funktion als taktisches Motiv zum Tragen kommen – wie es ja gerade von einigen Neo-Institutionalisten betont wird. Es liegt sogar nahe, das Auftreten des dekorativen Elements häufiger zu vermuten, da bei Evaluationen immer auch der Kontext von Konkurrenz und Wettbewerb (vgl. MERKENS 2004b) zu berücksichtigen ist. In intensiven Wettbewerbssituationen ist die Bedeutung von Symbolik nicht zu unterschätzen. Schlussendlich treten die verschiedenen Funktionen nicht exklusiv auf; in der Regel erfüllen Evaluationen mehrere Funktionen gleichzeitig. Von Bedeutung ist jedoch, welcher Funktion ein besonderes Gewicht in Evaluationsvorhaben zugemessen wird. In Verknüpfung mit Organisationsentwicklungsprozessen kann die Bewertung der Funktionen den Verlauf von Veränderungsprozessen beeinflussen. Würden Evaluationen vor allem der Legitimität wegen durchgeführt werden, dürfte z. B. die Bereitschaft, tatsächlich Handlungen zu verändern, gering ausgeprägt sein. Der Fokus läge auf symbolischen Handlungen.
6.1.2 Zur Gestaltung von Evaluationen Festlegung der Ziele Für die Durchführung einer Evaluation ist die Bestimmung der Untersuchungsziele bedeutsam (vgl. KROMREY 1995). Diese können aus den zu evaluierenden Programmen oder Projekten selbst bzw. im Fall von Organisationsentwicklungsprozessen aus den Zielstellungen eingeleiteter Maßnahmen abgeleitet werden. Ein solches Vorgehen setzt ein theoretisches Wissen über die Struktur der Zusammenhänge zwischen Zielen, Maßnahmen, Wirkungen oder Umwelteinflüssen voraus. Evaluationen von Organisationen erfordern eine organisationstheoretische Verankerung. Aus den dargelegten organisationstheoretischen Überlegungen heraus lassen sich Fragen und Ziele für eine Evaluation artikulieren. Die deskriptive Sichtweise auf Organisationen
130
6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
ist in dieser Arbeit durch den offenen Systemansatz geprägt. Die Interpretation der Vorgänge beruht jedoch auf der zuvor diskutierten Kombination zweier organisationstheoretischer Ansätze. Im Rahmen der Zielstellung lassen sich weitere Differenzierungen bezüglich des Gegenstands von Evaluationen vornehmen. Einerseits können die Wirkungen von Programmen oder Projekten, andererseits deren Implementation untersucht werden. Wirkungsforschungen beschäftigen sich mit den erzielten Effekten eines Projekts oder eines Programms. Der Blick der Implementationsforschung ist hingegen auf deren Durchsetzung und deren Vollzug gerichtet. Letzteres thematisiert beispielsweise das Zustandekommen von Programmzielen, eventuell auftretende Zielkonflikte oder Lösungsmöglichkeiten für auftretende Probleme. Ferner können im Rahmen der Implementationsforschung die zur Verfügung stehenden Ressourcen, die Rahmenbedingungen und ihre möglichen Veränderungen oder die Maßnahmen evaluiert werden, die unternommen wurden, um die gesetzten Ziele zu erreichen (vgl. KROMREY 1995). Für die Evaluation von Organisationsentwicklungsprozessen in pädagogischen Institutionen bietet sich die Fokussierung auf die Implementationsforschung an, weil die Wirkungen in pädagogischen Prozessen schwer, hingegen die Durchführung von Maßnahmen leichter zu bewerten sind. Überlegungen in Bezug auf den Zeitpunkt Auch hinsichtlich des Zeitpunkts einer Evaluation ist eine Entscheidung zu treffen. Sie kann einerseits am Ende eines zu evaluierenden Projekts bzw. Programms durchgeführt werden und – summativ – dessen Ergebnisse, Effekte oder Effizienz bilanzieren. Andererseits können Evaluationen während der Durchführung eines Projekts bzw. Programms prozessbegleitend – formativ – ansetzen. Zum formativen Vorgehen gehört typischerweise die Rückmeldung von Ergebnissen an die evaluierte Organisation. Infolgedessen übt die Evaluation selbst Einfluss auf den untersuchten Gegenstand aus und zielt auf dessen Optimierung ab. Die Erkenntnisfunktion ist in diesem Fall von besonderer Bedeutung, da über das Feedback Veränderungsprozesse unterstützt werden können. An dieser Stelle wird eine inhaltliche Nähe zu prozesshaften Verfahren wie das der Qualitätsentwicklung (vgl. KROMREY 2000), aber auch der Organisationsentwicklung sichtbar (vgl. WESTERMANN 2002). TORRESS/ PRESKILL/PIONTEK (1996) beschäftigen sich wiederum mit Evaluation als Instrument, um Organisationslernen zu fördern. Für die Untersuchung von Veränderungsprozessen in Organisationen oder pädagogischen Institutionen ist insofern ein formatives Vorgehen nahe liegend. Es wird kein „fertiges“ Programm evaluiert, vielmehr trägt die Evaluation in diesem Sinne dazu bei zu konturieren (vgl. KROMREY 1995). Ein formativer Evaluationsansatz kann somit Orientierung stiften. HEINER (1998) sieht in ihr die Möglichkeit zur Verknüpfung von Praxishandeln und Praxisforschung. Interne und externe Evaluationen In Anlehnung an KROMREY (1995) kann ein weiteres Differenzierungsmerkmal hinzugefügt werden. Es ist zu unterscheiden, wem die Evaluationsaufgabe übertragen wird. Evaluationen können sowohl von interner als auch von externer Seite durchgeführt werden.
6.2 Erarbeitung eines Forschungsdesigns für drei Fallbeispiele
131
Beim internen Vorgehen ist das Personal des Projektträgers selbst für die Evaluation verantwortlich. Der Vorteil wird darin gesehen, einen direkteren Zugang zur Organisation zu haben und mit den internen Prozessen und Mechanismen vertraut zu sein. Nachteilig kann sich ein Mangel an erforderlichen Kompetenzen für die Durchführung einer Evaluation bemerkbar machen. Auch kann die geringe Distanz zum Forschungsgegenstand als Risiko betrachtet werden, weil diese das kritische Hinterfragen aus einer neutralen Position heraus erschwert. Zudem besteht die Gefahr, dass mikropolitische Verflechtungen den Grad an Objektivität mindern. WESTERMANN (2002) differenziert zusätzlich zwischen interner und Selbstevaluation. Demnach ist Selbstevaluation die Untersuchung eines bestimmten Gegenstands (z. B. eines Programms oder eines Projektes) und wird von denjenigen durchgeführt, die an der Gestaltung und Ausführung des Gegenstands selbst beteiligt sind. Im Gegensatz dazu liegt eine interne Evaluation vor, wenn die Evaluatoren zwar aus der gleichen Einrichtung stammen, aber nicht direkt an der untersuchten Maßnahme beteiligt sind. Das tritt beispielsweise ein, wenn eine zentrale Evaluationsstelle einer Universität einen bestimmten Studiengang evaluiert. Externe Evaluationen werden von außenstehenden unabhängigen Forschern durchgeführt. Die Professionalität in der Durchführung der Evaluation ist hierbei eher gewährleistet, wodurch die Legitimität der Evaluation erhöht wird. Ebenso ist hierbei ein höherer Grad an Objektivität zu erwarten als bei der internen Evaluation. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, einen unverstellten kritischen Blick auf die Organisation und deren Probleme zu werfen. Die Schwierigkeit jedoch besteht vor allem im Zugang zu relevanten Daten. Ein externer Evaluator ist zunächst ein Fremder und nicht mit den Prozessen der zu untersuchenden Organisation vertraut. Selbst wenn sich alle in die Evaluation einbezogenen Organisationsmitglieder kooperativ verhalten und die Untersuchung bereitwillig unterstützen, wird es viele Informationen geben, die einer systematischen Forschung nicht zugänglich sind – Unternehmensberatungen sind einem solchen Verdacht typischerweise ausgesetzt. Eine weitere Kritik an externe Evaluationen lässt sich bezüglich der zeitlichen Beschränkung festmachen. Im Hinblick auf die Idee des kontinuierlichen Wandels müssten unterstützende Evaluationen längerfristig angelegt werden. Die Übertragung der Evaluationsaufgabe ist somit immer vom Fall abhängig, eine pauschale Beurteilung nicht möglich. Letztlich sind die zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen von besonderer Bedeutung für die Entscheidung der Durchführung einer internen oder externen Evaluation. Grundsätzlich ist auch eine Kombination beider Vorgehensweisen denkbar. Pädagogische Institutionen können bspw. zunächst extern evaluiert werden. Die daraus gewonnenen Erfahrungen und Kompetenzen können später dazu genutzt werden, um die Evaluation intern oder in Form der Selbstevaluation fortzuführen.
6.2
Erarbeitung eines Forschungsdesigns für drei Fallbeispiele
Die bisher größtenteils allgemeinen Ausführungen zur Evaluation von Organisationen werden nun mit Blick auf die drei Fallbeispiele konkretisiert. Nach HARRISON
132
6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
(1994: 12f.), der Organisationen sehr praxisnah erforscht, können sechs Praxisphasen der Organisationsdiagnostik unterschieden werden: • Scouting: Am Anfang einer Evaluation von Organisationen gibt es bestimmte Anlässe, die zum Evaluationsvorhaben motivieren. Es kommt zu einer Suche nach Kooperationspartnern. In dieser ersten Phase sondieren Forscher und Beforschte bzw. Evaluatoren und Evaluierte eine gemeinsame Kooperation. Damit lässt sich schon ein erster Überblick über den Forschungsgegenstand gewinnen. • Contracting: Die zuvor vollzogene Überprüfung einer gemeinsamen Zusammenarbeit führt im positiven Fall zu der Vereinbarung, tatsächlich eine Evaluation durchzuführen. • Study Design: In dieser Phase wird die Durchführung der Evaluation geplant. Es werden die Untersuchungsphasen, die Stichproben, die Untersuchungsmethoden sowie die Auswertungsverfahren festgelegt. • Data gathering: Das ist die eigentliche Untersuchungsphase. In ihr werden Informationen gewonnen. Diesbezüglich verschiedene Methoden werden später erörtert. • Analysis: Im Anschluss an die Untersuchungsphase(n) wird das Forschungsmaterial strukturiert, zusammengefasst und interpretiert. Allerdings dient die Analyse an dieser Stelle der Rückmeldung und muss den Praxisbezug berücksichtigen. Eine vertiefte Theoriebildung steht hierbei nicht im Vordergrund. • Feedback: Die Ergebnisse der Untersuchung werden nun den Klienten, Untersuchten oder Evaluierten präsentiert. Rückmeldungen können spezielle Empfehlungen oder aber allgemeine Aussagen beinhalten, um Diskussionen, Entscheidungsfindungen oder Handlungen zu stimulieren. Die Aufzählung der einzelnen Phasen deutet mit dem Aspekt des Feedbacks ein prozessbegleitendes Design an, wie es in Organisationsentwicklungsprozessen anzutreffen ist (vgl. CUMMINGS/WORLEY 1993; FRENCH/BELL 1994; BURKE 2002; SCHREYÖGG 2003). Insofern besteht zwischen der Organisationsentwicklung und der Organisationsdiagnostik ein enger Zusammenhang, zumal auch Letztere einen Beitrag zur Verbesserung und Veränderung von Organisationen leisten kann (vgl. HARRISON 1994: 1). Ein solcher Zweck kann mit den originären Zielen von Evaluationen korrespondieren. NESTMANN (1987: 206) definiert das Diagnostizieren so, dass es den Funktionen von Evaluation sehr nahe kommt: „Das Ziel diagnostischer Praxis ist die Erleichterung, Absicherung, Kontrolle, oder die Legitimation lediglich nachfolgender Entscheidungen.“
Der Veränderungsimpuls im Erstellen einer Diagnose ist typischerweise in der Medizin anzutreffen. Diagnosen werden nicht nur des Befundes willen erstellt, sondern gerade um geeignete Maßnahmen und Therapiemöglichkeiten ergreifen zu können. Eine wesentliche Eigenschaft der Diagnose ist folglich die Problemorientierung. Probleme können jedoch nur identifiziert werden, wenn Abweichungen zwischen gewünschten und tatsächlichen Zuständen festgestellt werden können (vgl. HERSEY/ BLANCHARD/JOHNSON 2001: 378f.). Es müssen Unterschiede erkennbar sein. Der offene Systemansatz stellt eine solche Option dar, Organisationen strukturiert zu untersuchen (vgl. z. B. CUMMINGS/WORLEY 1993; HARRISON 1994).
6.2 Erarbeitung eines Forschungsdesigns für drei Fallbeispiele
133
6.2.1 Entwicklung eines Forschungsrahmens Das hauptsächliche Anliegen dieser Arbeit ist jedoch, Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen organisationstheoretisch zu interpretieren. Daraus ergibt sich das Erfordernis, Anhaltspunkte zu identifizieren, die Veränderungen indizieren. Das skizzierte offene Systemmodell soll im Folgenden als strukturierendes, empirisches Grundgerüst dienen, um die Veränderungen in den drei Fallbeispielen zu beschreiOffener Systemansatz
Doppelter Theorieansatz
Deskription der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Interpretation der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Output
Aufbau von Fassaden
Art und Umfang der Dienstleistungen, Akzeptanz bei Klientel und Auftraggebern, Wirkungen der Leistungen
Nutzen bestimmter Zielsetzungen, Handlungen, Maßnahmen usw. zur Signalisierung von Aktivität Identifikation organisationaler Lernprozesse
Input
Anzahl der Mitarbeiter, Qualifikationen, räumliche und finanzielle Ausstattung, Alter der Organisation Umwelt
Wesentliche Akteure der unmittelbaren Umwelt, relevante Umweltfaktoren, Art und Umfang der Kooperation und Kommunikation mit den Akteuren der Umwelt
Tatsächlich eingetretene Veränderungen, beobachtbare Folgen der signalisierten Aktivitäten Auslöser
Beweggründe für eingetretene Veränderungen Trägerebene
Verortung maßgeblicher Veränderungsinitiativen in der Organisation
Prozesse
Qualität der Lernprozesse
Koordination der Arbeitsprozesse, Art und Umfang von Kommunikation und Kooperation, Entscheidungsbildungen, Kontrollmechanismen, Konflikte, Widerstände
Klassifizierung der Art und des Umfangs der Veränderungsprozesse bezogen auf die Handlungstheorien Widerstände
Organisationsstruktur
Aufbau der Organisation, informale Strukturen, Verteilung von Verantwortung, Spezialisierungen
Begründung von Konflikten und Widerständen im Zusammenhang mit den Veränderungen Förderliche Faktoren
Ziele
Artikulation und Dokumentation formaler Ziele, informaler Ziele, Normen, Werte, Vertreter der Ziele, Ableitung von Strategien
Begünstigende Bedingungen und Ereignisse für die Veränderungen
Abbildung 14: Forschungsrahmen für die Evaluation der drei Fälle35 35
Die Ausprägungen der Dimensionen in der linken Spalte sind an HARRISON (1994: 28ff. und 34f.) angelehnt.
134
6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
ben. Zur Interpretation der Veränderungen wird schließlich der kombinierte Ansatz aus Überlegungen des Organisationslernens und des Neo-Institutionalismus herangezogen. Die Deskription der Veränderungen in den drei Fallbeispielen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen jeweils zwei Untersuchungsphasen. Die Interpretation der Ergebnisse ist vor allem auf den zweiten Untersuchungszeitraum gerichtet. In der vorstehende Tabelle (s. S. 119) wird das Untersuchungsvorhaben konkretisiert. In der linken Spalte sind einige Aspekte bzw. Ausprägungen der organisationalen Dimensionen aufgezählt, die eine Basis zur Beschreibung organisationaler Geschehnisse und Veränderungen ermöglichen. In der rechten Spalte werden Aspekte des kombinierten Modellansatzes genannt, die zur organisationstheoretischen Interpretation beitragen sollen.
6.2.2 Methodisches Vorgehen Nach dem Abstecken eines Rahmens für die Evaluation von pädagogischen Institutionen, werden nun anwendbare Methoden diskutiert. Mögliche Methoden Die Evaluation von Organisationen basiert weder auf einer allgemein akzeptierten Organisationstheorie noch auf einer einheitlichen methodischen Vorgehensweise. Um Informationen zu generieren, können methodisch schriftliche Befragungen, Interviews, Beobachtungsverfahren, Dokumentenanalysen oder gruppenorientierte Verfahren eingesetzt werden (vgl. HARRISON 1994; STRODTHOLZ/KÜHL 2002; MERKENS 2004b). Die Durchführung schriftlicher Befragungen eignet sich insbesondere zur Untersuchung großer Populationen. In der Regel ermöglichen schriftliche Befragungen, als standardisierte Verfahren, einen relativ schnellen Gewinn von Informationen. Das gilt vor allem für vollständig strukturierte Fragebögen mit geschlossenen Fragen. Zudem haben die Befragten mehr Zeit, ihre Antwort zu durchdenken als bei mündlichen Befragungen, und das Risiko eines verzerrenden Einflusses von Interviewern ist nicht gegeben (vgl. DIEKMANN 2000). Das Risiko, gerade bei sehr strukturierten schriftlichen Befragungen, besteht vor allem in ihrer begrenzten Reichweite, so dass Feinheiten und Details (z. B. Konflikte oder handlungsleitende Theorien), die sich jenseits der vorgelegten Antwortkategorien befinden, nicht erfasst werden (vgl. HARRISON 1994: 72; DIEKMANN 2000: 374). Eine offenere, weniger strukturierte Gestaltung von Fragebögen kann dieses Problem relativieren. Der Einsatz typischer, qualitativer Methoden in der Organisationsforschung stellt dagegen einigermaßen sicher, ein tieferes Verständnis von der Komplexität organisationaler Geschehnisse zu erlangen (vgl. KREPS/HERNDON/ARNESON 1993: 8f.). STRODTHOLZ/KÜHL (2002: 16f.) beobachten gar eine „Verschiebung zur qualitativen Organisationsforschung“ und begründen dies mit einer wachsenden Anerkennung einer organisationstheoretischen Forschungsperspektive, die Planungsrationalität re-
6.2 Erarbeitung eines Forschungsdesigns für drei Fallbeispiele
135
lativiert und spezifische Interaktionen und zwischenmenschliche Beziehungsmuster berücksichtigt. Das Verstehen komplexer Zusammenhänge erfordert entsprechend andere Herangehensweisen, die der traditionell eher quantitativen Orientierung überlegen sein können. In der Praxis der Organisationsforschung werden qualitative Methoden bevorzugt in der Organisationskulturforschung und der Qualitätsforschung angewendet (vgl. z. B. VON ROSENSTIEL 2003; VON KARDORFF 2003; EICHLER/MERKENS 2006). Organisationskultur lässt sich durch Merkmale beschreiben, die weniger auf unmittelbaren und sichtbaren Variablen beruhen und eher mit offenen Methoden erfasst werden können. Die Erforschung von Qualität konzentriert sich insbesondere im Dienstleistungsbereich auf die Prozesse der Leistungserstellung. Um diesbezügliche Abläufe genauer zu berücksichtigen und nachzuvollziehen, eignet sich ebenfalls der Rückgriff auf qualitative Instrumente. Ein weiteres Argument für den Einsatz von qualitativen Methoden ist die Organisationsgröße. So reicht die Population in vielen Fällen nicht aus, um eine Organisation für quantitative Verfahren zugänglich zu machen. Das trifft besonders für pädagogische Institutionen zu. Die teilnehmende Beobachtung, als das wichtigste Beobachtungsverfahren, stammt ursprünglich aus der Anthropologie und der Ethnologie. Sie eignet sich für die Untersuchung komplexer Situationen im natürlichen Milieu und wird im Rahmen der Organisationsforschung eher mit anderen Methoden kombiniert (vgl. BACHMANN 2002: 353). Im deutschsprachigen Raum fand die teilnehmende Beobachtung lange Zeit wenig Anerkennung (vgl. LÜDERS 2003). Im Zusammenhang mit der Evaluation von Organisationen handelt es sich jedoch um eine Methode, zu der häufig keine sinnvolle Alternative besteht, denn sie kann Einblicke gewähren, die kaum auf andere Weise erreichbar sind. Das Interesse richtet sich auf Interaktionen, und zwar nach innen zwischen Organisationsmitgliedern als auch nach außen mit der Umwelt. So können z. B. Verhaltens- und Handlungsmuster mit Klienten bzw. Kunden oder zwischen Organisationsmitgliedern sowie kulturelle Merkmale wie Symbole oder Kleidung beobachtet werden. Der Nachteil der Methode besteht vor allem im Aufwand, der mit ihr verbunden ist. Das gilt sowohl für die Datenerhebung als auch für die Auswertung. Interviews werden in der qualitativen Erforschung von Organisationen sehr häufig angewandt (vgl. KING 1995: 14). Mit qualitativen Interviews kann relativ rasch Zugang zu den subjektiven Sichtweisen der Befragten gefunden werden. Dadurch können tiefere Bezüge hergestellt werden, die z. B. die Identifikation der im organisationalen Kontext gültigen handlungsleitenden Theorien bzw. Gebrauchstheorien erlauben. Die Strukturierung eines Interviews hängt davon ab, welche Kenntnisse zum Untersuchungsfeld vorliegen, inwieweit Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Interviews hergestellt und die Generierung von Informationen zu verschiedenen Dimensionen einer Organisation sichergestellt werden soll. Die Evaluation von Organisationen geht meist mit der Absicht einher, bestimmte Aspekte genauer zu untersuchen, weshalb es sich anbieten kann, für den Gebrauch von qualitativen Interviews Leitfäden zu formulieren. Die Gruppe stellt, wie erwähnt, innerhalb der Organisationsforschung eine wichtige Untersuchungseinheit dar. Ein bedeutsames Gruppenverfahren ist die Gruppen-
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
diskussion. Wie schon bei der teilnehmenden Beobachtung, liegt auch hier die Annahme zugrunde, dass relevante Informationen in natürlichen Situationen gewonnen werden können. In Anlehnung an BOHNSACK (2003) lassen sich unterschiedliche Wurzeln der Gruppendiskussion bestimmen, welche für die Analyse von Organisationen geeignet sind. In der Tradition von MANGOLD (1960) bilden sich Gruppenmeinungen als Produkt kollektiver Interaktionen aus und nicht als die Summe von Einzelmeinungen. In Gruppendiskussionen werden demzufolge die Gruppenmeinungen lediglich aktualisiert. Dieser Ansatz eignet sich besonders, wenn man annimmt, starke Organisationskulturen zu untersuchen, in denen weitgehend homogene Normen, Werte, Symbole oder Sprachstile anzutreffen sind. Eine weitere Wurzel findet sich im ethnografisch geprägten Ansatz von WILLIS (1979), der die Gruppe als eine Grundeinheit identifiziert, ohne dass er methodische Konzepte entwickelt hat. Durch die Befragung von Gruppen lassen sich allgemeine Annahmen formulieren (in Willis’ Forschung über Jugendliche). Dahinter verbirgt sich die These, dass in Gruppen mit der Zeit ein gemeinsam geteilter Wille bzw. eine geteilte Sichtweise erwächst. Somit wird Gemeinsames identifizierbar. Allerdings setzt das voraus, dass die Gruppen nicht erst zum Zweck der Befragung zusammengestellt werden, sondern natürliche Gruppen sind (vgl. MERKENS 2004b). Die Dokumentenanalyse zielt auf die systematische Bearbeitung von dokumentierbarem Material ab. Die Untersuchung von Dokumenten führt direkt auf eine Aggregatebene, die Gemeinsamkeiten in einer Organisation erkennen lässt. Ebenso wie die teilnehmende Beobachtung eignet sich die Anwendung dieser Methode vor allem in der Kombination mit anderen Verfahren (vgl. MERKENS 2004b). Im Rahmen der Evaluation von Organisationen können Akten, schriftliche Mitteilungen, Verträge, Leitbilder, Unternehmenszeitungen, von den Organisationsmitgliedern erstellte Tagebücher usw. als Datenmaterial genutzt werden. Ebenso können Protokolle von Beobachtungen oder Befragungen, Transkripte von Interviews oder Gruppendiskussionen inhaltsanalytisch ausgewertet werden. Varianten der Dokumentenanalyse zählen zu den am häufigsten eingesetzten Methoden der Organisationsforschung. Es können Einblicke in die Prozesse gewonnen werden, die z. B. ein Verstehen von Kommunikationsmustern, von Entscheidungsprozessen, von Konflikten usw. ermöglichen. Auch dem Organisationsgedächtnis kann auf diese Weise näher gekommen werden. Des Weiteren eröffnet das Verfahren die Einnahme einer historischen Perspektive, einen Blick in die Vergangenheit und damit in die kulturellen Wurzeln einer Organisation. In Zeiten dynamischer Veränderungen kann sich die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit identitätsstiftend auf Organisationen auswirken. Angewandte Methoden Evaluationen sind aufgrund der Individualität der Fälle und der zeitlich eng konstruierten Projektabläufe oft durch pragmatische Vorgehensweisen gekennzeichnet (vgl. z. B. HEINER 1998; KUCKARTZ 2006). Die Untersuchung der drei Fallbeispiele dieser Arbeit war darauf ausgerichtet, möglichst viele Akteure und Informationen zu erfassen und die Ergebnisse möglichst zeitnah zurückzumelden. Aufgrund der unterschiedlichen Organisationsgrößen konnte sich allein daraus je nach Fallsituation ein
6.2 Erarbeitung eines Forschungsdesigns für drei Fallbeispiele
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anderes Untersuchungsdesign ableiten. Folglich musste ein situationsspezifisches und pragmatisches Vorgehen gewählt werden. Für die Evaluation der beiden Jugendhilfeträger wurden vor allem qualitative Verfahren eingesetzt, während bei der evaluierten Schule zunächst eine quantitative Methode eingesetzt wurde. Zudem wurde die Entscheidung über den Methodeneinsatz auch von den Rahmenbedingungen und der Art der Entwicklungsziele in den pädagogischen Institutionen beeinflusst. Freie Jugendhilfeträger haben beispielsweise häufiger Kontakt mit öffentlichen Verwaltungen bzw. mit den Jugendämtern als das vergleichsweise bei Schulen und deren Verhältnis zu Schulverwaltungen der Fall ist. Daher liegt es näher, die Untersuchung von freien Trägern der Jugendhilfe auf die Mitarbeiter der Jugendämter auszudehnen, während bei Schulevaluationen die Mitarbeiter von Schulverwaltungen nicht einbezogen werden müssen. Letztere sind nur bei einem spezifischen Erkenntnisinteresse relevant für die Informationsgewinnung. Den Fallbeispielen lag ein Verständnis von Organisationen als offene Systeme zugrunde. Demnach interagieren Organisationen mit der Umwelt. Die zu berücksichtigenden Dimensionen sind der Input, der Output, die Umwelt, die Prozesse, die Strukturen und die Ziele einer Organisation (vgl. HARRISON 1994). Wie erwähnt, ist die Gliederung in diese Dimensionen nicht immer trennscharf, was insbesondere für die Dimensionen Strukturen und Prozesse gilt. Aber auch wenn die Grenzen verschwimmen mögen, kann dennoch dem Modell das Strukturierungspotenzial nicht abgesprochen werden. Und das ist einerseits die Grundlage, um die Untersuchungsergebnisse interpretieren zu können, und andererseits kann damit die Entwicklung von Leitfäden unterstützt werden. Im Folgenden werden die drei Methoden vorgestellt, die vorwiegend in den Fallbeispielen eingesetzt wurden. Zu den Leitfaden-Interviews wird u. a. das Experteninterview gezählt, das in der Evaluation der Fallbeispiele auch zum Einsatz kam. In der empirischen Sozialforschung wird die Methode des Experteninterviews sehr oft angewandt (vgl. LIEBOLD/ TRINCZEK 2002: 34). Obwohl der Begriff Experteninterview unpräzise und Experte ein relationaler Status ist (vgl. MEUSER/NAGEL 2005), ist es für die Erforschung von Organisationen eine flexible, sich anbietende Methode. Die Experten werden nicht als Personen, sondern als Träger von Wissen (über die Organisation) befragt (vgl. ebd.). Der Status des Experten kann sich dementsprechend auf diejenigen erstrecken, deren Befragung den Zugang zu umfassenden, noch nicht bekannten Informationen verspricht. In Organisationen kommen dadurch prinzipiell alle Hierarchieebenen für ein Interview in Betracht. Eine eventuelle Einschränkung des Personenkreises hängt von der Fragestellung ab. Die Auswahl der Interviewpartner bedarf jedoch gewisser Kenntnisse über die zu untersuchende Organisation, wie z. B. der Organisationsstrukturen, der Kompetenzverteilungen oder der Entscheidungswege. Diese Informationen können schon durch Sondierungsgespräche vor der Durchführung der Evaluationen gewonnen werden und können dann in der Konstruktion des Leitfadens Berücksichtigung finden. Der Reiz des Experteninterviews für die Evaluation von Organisationen liegt in dessen Forschungspragmatismus und Flexibilität. Das Verfahren wird allerdings schon mal als „schmutzig“ (vgl. TRINCZEK 2005: 209) bezeichnet, weil es keine
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
„reine“ methodische Ausrichtung präsentiert und flexibel angewendet wird. So kann der Leitfaden die inhaltliche Ausrichtung des Interviews zu weit strukturieren, so dass wichtige Informationen verschlossen bleiben. Zudem kann die Offenheit und Flexibilität hinsichtlich des Auswertungsvorhabens kritisiert werden. Doch diese Kritik kann insofern relativiert werden, als zum einen bei Mitarbeiterbefragungen in Organisationen Zeit eine wertvolle Ressource ist, was eine Leitfadenstrukturierung nahe legt (vgl. TRINCZEK 2005). Zum anderen kann aufgrund der Vielschichtigkeit organisationaler Geschehnisse ein forschungspragmatisches Vorgehen gerechtfertigt sein. Das Interesse der Auswertung des Experteninterviews richtet sich auf thematische Einheiten, auf inhaltlich zusammengehörende, über die Texte verstreute Passagen (vgl. MEUSER/NAGEL 2003). Anders als z. B. in der objektiven Hermeneutik ist daher die Sequenzialität nicht von Bedeutung. Es ist also nicht entscheidend, wann bestimmte Aussagen in den Interviews gemacht, sondern dass sie gemacht wurden. Mit einem solchen Vorgehen wird die Vergleichbarkeit der Interviewtexte weitgehend erzeugt. Die Auswertung des Experteninterviews erfolgt zunächst über die Verschriftung des Interviewmaterials. In den drei Fallbeispielen wurden die Interviews entsprechend paraphrasiert. Dann erfolgt die textnahe Überschriftung der vorliegenden Interviewtexte nach thematischen Einheiten, die sich an die Schwerpunkte des Leitfadens anlehnen können (vgl. LIEBOLD/TRINCZEK 2002). Daran anknüpfend werden die Überschriften der einzelnen Interviews und die jeweiligen Textpassagen bzw. die betreffenden Aussagen thematisch miteinander verglichen, um diese auf Vollständigkeit und Validität hin zu überprüfen sowie eine Einheitlichkeit der Überschriften in Bezug auf das gesamte Interviewmaterial herzustellen. Das Textmaterial kann somit verdichtet werden. In der nächsten Phase wird die Sequenzialität der Interviews aufgehoben, indem die als wichtig identifizierten Textpassagen nach inhaltlichen Einheiten und Gemeinsamkeiten neu geordnet werden (vgl. MEUSER/NAGEL 2005). Abschließend wird das gesamte vorliegende Material reorganisiert bzw. nochmals überprüft und thematisch verschiedenen Dimensionen zugeordnet, die z. B. in tabellarischer Form durch das sortierte extrahierte Textmaterial Gestalt bekommen können (vgl. LIEBOLD/TRINCZEK 2002). Die den Textpassagen übergeordneten Dimensionen können somit verschiedene Ausprägungen haben. So kann (in Anlehnung an Abb. 14) die Dimension „Prozesse“ z. B. thematisch unterteilt werden in Aussagen zu „Entscheidungsbildungen“, „Kommunikation“ usw. In allen drei Fallbeispielen wurde zudem die Methode des Gruppeninterviews angewandt. In Analogie zur skizzierten Methode des Experteninterviews wurden die Gruppen sehr forschungspragmatisch befragt. Einerseits strukturierten die organisationstheoretischen Überlegungen die Leitfäden, andererseits wurde die Offenheit der Interviewsituation zu gewährleisten versucht, um neues Wissen erfahrbar zu machen. Rekurrierend auf den Ansatz von WILLIS (1979) wurden Gruppen interviewt, die nicht künstlich zusammengestellt waren, sondern auch im Alltag miteinander interagierten. Der Vorteil der Gruppenbefragung lag neben dem ökonomischen Zeiteinsatz insbesondere in der Entdeckung einer gemeinsam geteilten Sichtweise in der Organisation und in einer insgesamt großen Fülle von prozessualen Informationen, die das Verständnis für die jeweiligen Einrichtungen vertiefte.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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Die schriftliche Befragung wurde in einem Fallbeispiel ausschließlich in nur einer Untersuchungsphase, in einem weiteren Fall zudem nur in Form von Kurzfragebögen durchgeführt. In der betreffenden pädagogischen Institution, in der die schriftliche Befragung zeitweilig die einzige Erhebungsmethode war, sollten möglichst viele Beteiligte erfasst werden. Die Größe der Population machte den Einsatz von Fragebögen erforderlich. Da mit dieser Befragung ein erster Überblick über die Einrichtung erarbeitet werden sollte, konnte das Risiko eingegangen werden, mit schriftlichen Befragungen nur eine geringe inhaltliche Tiefe zu erreichen. Die Auswertung der Antworten verblieb auf der Ebene der Deskription. Da durch die aktive Beteiligung der Befragtengruppen an der Gestaltung der Fragebögen die Items und Indizes zu den Antworten der Befragtengruppen kaum vergleichbar waren, wurde primär mit Häufigkeitsauszählungen gearbeitet, die ähnliche Richtungen und Tendenzen indizierten.
6.2.3 Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele Im Folgenden werden drei verschiedene Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen fallweise vorgestellt, die jeweils evaluiert wurden. Obwohl die untersuchten pädagogischen Einrichtungen mit unterschiedlichen Problemen und Herausforderungen konfrontiert waren, bildeten sich in den Vorgesprächen zur Planung der Evaluationen jeweils Gemeinsamkeiten heraus, die zugleich den Rahmen für die Durchführung der Evaluation bildeten: 1. Alle drei pädagogischen Institutionen waren mit dynamischen Umweltentwicklungen konfrontiert, die Einfluss auf sie hatten. 2. Die drei pädagogischen Institutionen suchten externe Unterstützung (in Gestalt formativer Evaluationen), um jeweils einen Organisationsentwicklungsprozess durchführen zu können. 3. Es sollte je eine Stärken-Schwächen-Analyse durchgeführt, die Ergebnisse an die Einrichtungen rückgemeldet und später eine zweite Untersuchungsphase angeschlossen werden, um eventuell Veränderungen feststellen zu können. Dabei wird zunächst immer erläutert, welche Rahmenbedingungen dazu geführt haben, dass die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis zustande kam. Es wird skizziert, wie die Vorhaben wissenschaftlich begeleitet und welche Methoden konkret angewendet wurden. Anschließend werden die Ergebnisse der ersten und der zweiten Untersuchungsphase auf der Basis des offenen Systemansatzes strukturiert beschrieben. Ein Zwischenfazit und ein Fazit interpretieren jeweils Ergebnisse der drei Fallbeispiele. Die Interpretationen beruhen auf der besonderen Berücksichtigung des erarbeiteten organisationstheoretischen Doppelansatzes, der sich aus einer Verknüpfung organisationslerntheoretischer und neo-institutionalistischer Überlegungen zusammensetzt.
6.3
Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
In diesem Fallbeispiel wird die Entwicklung eines freien Trägers der Berliner Jugendhilfe über einen Zeitraum von knapp eineinhalb Jahren skizziert. Nach einer
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
mehrstufigen Kontaktaufnahme wurde eine Evaluation mit dem Ziel vereinbart, eine Ist-Analyse über die pädagogische Institution durchzuführen, um darauf aufbauend Rückschlüsse für die organisationale Entwicklung zu gewinnen. Der freie Träger hatte bislang ambulante Hilfen zur Erziehung (HzE) angeboten, vor allem Familienhilfen,36 und darüber hinaus eine Schulstation37 betrieben. Nun wurden Möglichkeiten gesucht, das Angebot zu erweitern sowie das eigene Profil zu schärfen. Dies sollte mithilfe eines Organisationsentwicklungsprozesses geschehen. Die formale Funktion der Evaluation bestand in der diesbezüglichen Unterstützung bzw. in der informationellen Versorgung der handelnden Akteure, um den Veränderungsprozess systematisch reflektieren zu können.
6.3.1 Anlässe zur Kooperation mit Externen Die Zusammenarbeit zwischen freiem Träger und wissenschaftlicher Einrichtung entstand schon etwas früher, durch die Evaluation der oben genannten Schulstation. Mit der Schulstation wurde sowohl eine erkennbare Ausweitung des Dienstleistungsangebots, über die HzE hinaus, als auch eine damit einhergehende stärkere Vernetzung im Bezirk angestrebt und errichtet. Diese Untersuchung soll aber nicht Gegenstand der weiteren Erörterungen sein, weil es dort mehr um die Generierung von Akzeptanzwerten als um organisationale Veränderungen ging. Im Verlauf der Kooperation entstand die Überlegung, auch die Dienstleistungserstellung der HzE bzw. ambulanten Hilfen zu evaluieren. Parallel zur bezirksweiten und pflichtgemäßen Jahresauswertung, eine Dokumentation fallbezogener, zumeist quantitativer Informationen (z. B. die Anzahl der betreuten Fälle), die dem Jugendamt jährlich vorzulegen ist, sollten zusätzliche qualitative Informationen generiert werden. Diese erweiterte Ist-Analyse wurde vor allem über interne organisationale Prozesse (z. B. Kommunikation, Koordination, Kontrolle) angestrebt, welche für den Erfolg von praktischer Sozialarbeit und für die organisationale Entwicklung in pädagogischen Einrichtungen von hoher Bedeutung sind. Mit einer zweiten Untersuchungsphase sollten eventuell eingetretene Veränderungen seit der ersten Befragung erfasst werden. Nachdem eine Übereinstimmung mit der Leitungsebene über ein Untersuchungsdesign erzielt wurde, konnte das Evaluationsvorhaben der gesamten Belegschaft vorgestellt werden. Die Mitarbeiter erklärten sich auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem Design der Untersuchung einverstanden. Die Träger der freien Jugendhilfe in Berlin waren schon in den Jahren zuvor mit den Folgen der Sparmaßnahmen konfrontiert. Zu Beginn der Evaluation kündigten sich jedoch weitere erhebliche Veränderungen im Umfeld an (z. B. mit der Sozialraumorientierung), die für freie Träger schnell zur existenziellen Frage werden konn36
Die Sozialpädagogische Familienhilfe wird im Rahmen des § 31 KJHG angeboten. Mit ihr wird versucht, die Selbsthilfekompetenzen von Familien zu stärken. 37 Eine Schulstation ist eine sozialpädagogische Einrichtung, die zusätzlich zum Schulalltag in der Schule verhaltensauffällige Schüler kurzzeitig betreut. Schulstationen erfüllen somit eine erhebliche Entlastungsfunktion für Schulen. Die Finanzierung erfolgt weitgehend durch die öffentliche Hand.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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ten. Umso mehr lag es nahe, sich mit der Entwicklung der eigenen Organisation zu beschäftigen.
6.3.2 Untersuchungsdesign In der ersten Untersuchungsphase wurden die in den HzE (inkl. Begleiteter Umgang)38 tätigen Fachkräfte interviewt und, um die Aussagen mit denen der Umwelt abgleichen zu können, auch Mitarbeiter des zuständigen Jugendamtes verschiedener Hierarchieebenen. Die Befragungen wurden nach der Methode leitfadengestützter Interviews durchgeführt. Der Leitfaden beruhte auf den Informationen der Vorgespräche sowie dem offenen Systemansatz und wurde sukzessive an neue Wissensbestände angepasst, die sich durch die vorangegangenen Interviews erschlossen hatten. Ferner wurde bei der Befragung der Familienhelfer in jedem Interview konkret Bezug auf einen Fall genommen, zu dem die Befragten vorher gebeten worden waren, einen Fragebogen auszufüllen, der Fragen zu der jeweiligen Form der Bearbeitung des Falles und zu organisationalen Aspekten beim Träger enthielt. Zu den jeweils diskutierten Fällen lagen zusätzlich Aktendokumente vor (in Kopie und mit geschwärzten Namen und Adressen). Diese wurden als erforderlich erachtet, um einen Einblick in die Dokumentation der Prozesse zu bekommen und damit das Qualitätsmanagement berücksichtigen zu können. Nach Abschluss der ersten Interviews mit den Mitarbeitern der HzE bzw. den Familienhelfern in der ersten Untersuchungsphase wurde ein erster Zwischenbericht verfasst und anschließend mit den Fachkräften des Trägers besprochen.39 Nach Abschluss der Interviews mit den Mitarbeitern des Jugendamtes wurde ein Abschlussbericht zur ersten Untersuchungsphase erarbeitet und dem Träger übergeben. Die zweite Untersuchungsphase ist zeitlich in kürzerem Umfang durchgeführt worden. Bei ihr lag der Fokus der Betrachtung auf den Veränderungsprozessen des Trägers seit der ersten Untersuchung. Nunmehr stand die Organisation selbst stärker als die Fallbearbeitung im Zentrum der Untersuchung, was sich aus den Erfahrungen der ersten Untersuchungsphase ableitete. Der Einbezug der Fallbearbeitung war zunächst insofern wichtig, als kaum Wissen über die Arbeit mit den Klienten vorhanden war. Die Ausgangslage war bei der zweiten Untersuchungsphase durch den Gewinn bisheriger Informationen anders. Zum einen war die Einsicht in Aktendokumente nicht mehr als notwendig angesehen worden. Zum anderen wurde versucht, nur noch wenige Interviewpartner auszuwählen und dennoch genügend Informationen zu ge38
Der Begleitete Umgang ist eine Form der Unterstützung und Förderung des Kontaktes zwischen Kind und nicht mit ihm zusammenlebenden wichtigen Menschen wie z. B. Vater, Mutter, Geschwister oder Großeltern. Diese Hilfe, die nicht zu den HzE gehört, ist u. a. nach § 18 KJHG geregelt und wird bei einem hohen Konfliktpotenzial und bei Loyalitätskonflikten des Kindes eingesetzt. Der untersuchte freie Träger bot diese Hilfe an, die von Mitarbeitern der HzE geleistet wurde. 39 Währenddessen reifte der Entschluss, zusätzlich zur Fortführung der Evaluation an drei Tagen extern moderierte Workshops durchzuführen, um damit gezielt die Arbeit an den Veränderungsprozessen in der Einrichtung unterstützen zu können.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
nerieren. Um Letzteres sicherzustellen und den Leitfaden angemessen auf die organisationalen Veränderungen seit der ersten Erhebung zu konzentrieren, wurde in drei Schritten vorgegangen. Zunächst wurde die Geschäftsführung des Trägers gebeten, möglichst auf zwei bis drei Seiten die Veränderungen seit der ersten Untersuchungsphase schriftlich zu skizzieren. Diese Angaben wurden, neben den Erkenntnissen der ersten Untersuchungsphase, bei der Entwicklung eines Kurzfragebogens berücksichtigt. Dieser wurde den Familienhelfern vorgelegt. Die Gruppe der Familienhelfer war nicht vollständig identisch mit der Gruppe zuvor. Es nahmen zwei neue Mitarbeiter an der Befragung teil. Drei Mitarbeiter, die in der ersten Untersuchungsphase befragt wurden, waren nicht mehr für den evaluierten Träger tätig.40 Inhaltlich richteten sich die Fragen auf bestimmte organisationale Aspekte und deren Veränderungen, die sich seit der ersten Befragung (in den vergangenen 16 Monaten) ereignet hatten. Die neuen Mitarbeiter sollten so weit es ihnen möglich war antworten. Die Fragebögen waren kodiert. Es konnte nur zwischen Leitungs- und operativer Ebene unterschieden werden. Ausgehend vom Kriterium, ein möglichst differenziertes Antwortverhalten zu identifizieren, wurden von beiden Hierarchieebenen jeweils zwei Mitarbeiter ausgewählt, um mit diesen erneut Interviews zu führen. Dieser Schritt hatte den Zweck, die schriftlichen Angaben in den Fragebögen genauer zu verstehen. Erneut wurden auch die Fachkräfte im Jugendamt befragt (ebenfalls schriftlich per Kurzfragebogen zu Veränderungen in den vergangenen Monaten). Dieser Kreis der befragten PersoBefragte Fachkräfte des Trägers
Fachkräfte des Jugendamtes
1. Untersuchungsphase
2. Untersuchungsphase
Dezember 2003
Mai – Juni 2005
11 Familienhelfer (3 Leitungskräfte und 8 operativ tätige Fachkräfte) in 20 Interviews zumeist einzeln interviewt
11 Familienhelfer (3 Leitungskräfte und 8 operativ tätige Fachkräfte) schriftlich befragt; anschließend 4 Familienhelfer (2 Leitungs- und 2 operativ tätige Fachkräfte) zur Kontrolle einzeln interviewt
Leitfadengestützte Interviews
Kurzfragebögen; leitfadengestützte Interviews
April – Juni 2004
Mai 2005
8 Fachkräfte (der verschiedenen 6 Fachkräfte (der verschiedenen Hierarchieebenen) einzeln interviewt Hierarchieebenen) schriftlich befragt
Leitfadengestützte Interviews
Kurzfragebögen
Abbildung 15: Untersuchungsdesign – Fallbeispiel I 40
Eine Fachkraft kam aus dem Erziehungsurlaub zurück, während die andere neu eingestellt wurde. Von den im Vergleich zur ersten Untersuchungsphase fehlenden drei Mitarbeitern, befand sich eine im Erziehungsurlaub und zwei waren bei dem Träger ausgeschieden.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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nen war mit dem zuvor identisch, nur zwei Fachkräfte im Jugendamt waren bei der Durchführung der Befragung terminlich verhindert.
6.3.3 Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase Die finanzielle Abhängigkeit von den Hilfen zur Erziehung Die Einrichtung wurde erst Ende der 1990er Jahre gegründet. Durch die Ausgliederung ambulanter Hilfen in freie Trägerschaft waren Fachkräfte nur noch als Mitglieder eines freien Trägers zugelassen. Die Gründung der evaluierten pädagogischen Institution ging aus einem Zusammenschluss einer Gruppe von ehemals freien Mitarbeitern der Familienhilfe hervor, die gemeinsam regelmäßig eine Supervision in Anspruch nahmen. Aufgrund dessen entwickelte sich ein „basisdemokratisches“ Selbstverständnis, indem die individuellen Interessen der jeweiligen Mitarbeiter als gleichberechtigt gegenüber den anderen galten und bei Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen waren. Mit der Ausgliederung wurden Leistungsbeschreibungen formuliert, die u. a. auf das Qualifikationsniveau der freien Träger standardisierend wirkten. Es durfte nur noch sozialpädagogisch geschultes Personal Fälle betreuen. Somit ging mit der Ausgliederung der Hilfen eine Professionalisierung einher, was zur Folge hatte, dass der Abstimmungsbedarf über die Art der Fallbetreuung zurückging. In diesem Kontext merkte eine Mitarbeiterin im Jugendamt über die Zusammenarbeit mit Fachkräften der freien Träger an: „Früher habe ich mich häufiger mit den Fachkräften getroffen, um fachliche Unterstützung zu leisten.“
Die Qualifikationen der Fachkräfte des freien Trägers waren entsprechend hoch. Neben diplomierten Pädagogen, Psychologen und Soziologen verfügten viele Mitarbeiter über Zusatzqualifikationen wie die der systemischen Familientherapie. Das Geschlechterverhältnis war ausgeglichen. Die Finanzierung erfolgte über die Betreuung der Fälle, die vom Jugendamt finanziert wurden und bei denen ein festgelegter Anteil dem freien Träger zur Deckung seiner Ausgaben zur Verfügung stand. Diese Finanzierungsform führte zur Abhängigkeit vom Jugendamt und letztendlich von der finanziellen Situation der öffentlichen Hand. Dementsprechend mussten angesichts der prekären Haushaltslage in der jüngsten Vergangenheit schon deutliche Einschnitte verkraftet werden und es konnte in Zukunft mit weiteren gerechnet werden. Ein weiterer Aspekt des Inputs, die Ausstattung mit Räumen, wurde insbesondere von der Leitungsebene kritisiert und für verbesserungswürdig gehalten. Konkret wurde die Anzahl der Räume, die für Fallbetreuungen zur Verfügung standen, als zu klein eingestuft und die mangelhafte Ausstattung mit Büroräumen bemängelt, die für die administrative Arbeit hinderlich sei. Konzentration auf wenige Hilfeangebote Im Zeitraum der ersten Untersuchungsphase war das Angebot an Dienstleistungen nur sehr klein. Der freie Träger war vor allem im Bereich der Familienhilfe tätig und
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
bot zudem Betreuungsleistungen innerhalb der Schulstation sowie bezüglich des Begleiteten Umgangs an. Zusätzlich wurden Elterntrainings und sozialpädagogische Hausaufgabenhilfen angeboten, die teilweise in Kooperation mit anderen freien Trägern der Region erfolgten.41 Diese zusätzlichen Angebote stellten einen Versuch dar, neue Angebote sowie die Vernetzung mit anderen freien Trägern zu erproben. Die Angebote waren weniger formalisiert und sollten Synergieeffekte zwischen den Trägern erzeugen. In den Interviews mit den Fachkräften wurde insbesondere die Arbeit mit Familien nach § 31 (KJHG) thematisiert. Sozialpädagogische Familienhilfe ist folgendermaßen definiert: „Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen, im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.“
Trägerspezifische Fragen wurden in den Interviews mit den Mitarbeitern des Jugendamtes aus Gründen der zu wahrenden Neutralität den freien Trägern gegenüber nicht gestellt. Die Befragung der Fachkräfte bestätigte die Annahme der schweren Messbarkeit von Erfolgen und Wirkungen der sozialpädagogischen Hilfen bzw. der Familienhilfen. Der regelmäßige Schulbesuch eines Klienten, der bei Beginn der Hilfemaßnahme nicht gegeben war, oder die Beendigung des Drogenkonsums lassen sich relativ sicher feststellen und womöglich in Teilen auf die Hilfeleistung zurückführen. In der Regel sind eindeutige Erfolgsindikatoren eher selten zu erkennen. Letztlich kommt es sehr auf subjektive Einschätzungen an, und zwar sowohl beim fallzuständigen Sachbearbeiter im Jugendamt als auch beim Familienhelfer und beim Klienten (Kind/Jugendlicher oder Eltern). In Gesprächen kann der Erfolg einer Hilfeleistung quasi verhandelt werden. Umweltentwicklungen und günstige Kooperationsmuster Zur unmittelbaren (Aufgaben-)Umwelt des freien Trägers konnten vor allem das Jugendamt, aber auch die Eltern, die Klienten und die anderen Träger in der Region gezählt werden. Angesichts der Sparmaßnahmen in der Jugendhilfe und des Beschlusses, im Zuge der geplanten Umsetzung der Sozialraumorientierung die Ressourcen in den jeweiligen Regionen stärker zu bündeln und miteinander zu vernetzen, kam in den vorangegangenen Jahren erheblich Bewegung in das Arbeitsfeld der Jugendhilfe. Zum Zeitpunkt der ersten Untersuchungsphase war infolgedessen ein zunehmendes Abstimmungserfordernis absehbar. Die freien Träger würden ihre Angebotsstrukturen stärker miteinander verzahnen und enger kooperieren müssen. Das Jugendamt versuchte zudem, eigene Strukturen zu flexibilisieren und organisationsstrukturelle Dif41
Diese Angebote waren prinzipiell offen für jeden im Kiez, richteten sich also nicht nur an Klienten der HzE als Zielgruppe. Die Angebote wurden von überwiegend externen Mitarbeitern betreut. Die Finanzierung erfolgte durch die Träger selbst (u. a. über Spenden). Die Kooperation der Träger beruhte z. B. auf der gegenseitigen Bereitstellung von Räumen und Personal.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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ferenzierungen, wie z. B. in psychosoziale Hilfen, familienunterstützende Hilfen oder die allgemeine Förderung junger Menschen und Familien, teilweise aufzuheben. Der Kontakt der freien Träger zum Jugendamt wird bei den HzE wesentlich über die Fallverteilung und die Überprüfung der Fallentwicklung hergestellt. Die Befragten gaben allgemein an, für die Verteilung der Fälle an die Träger wären keine trägerspezifischen Präferenzen bzw. keine Ungleichbehandlungen vorhanden. Die zeitliche Überprüfung der Fallentwicklung orientierte sich formal entlang eines Qualitätsleitfadens, der im Zuge eines Qualitätssicherungsverfahrens auf Bezirksebene (vom Arbeitskreis Qualitätssicherung) erstellt worden war. Darin wurde der Kontakt des Jugendamtes zu freien Trägern bzw. von fallzuständigen Mitarbeitern beider Seiten im Rahmen des Hilfeplanverfahrens geregelt. Durch die Verteilung, Finanzierung und Überwachung der Fallbetreuung durch das Jugendamt besteht zwischen Jugendamt und freien Trägern ein asymmetrisches Machtverhältnis. Deshalb sind funktionierende Kommunikationsstrukturen zum Jugendamt für die freien Träger wichtig. Das schien gegeben zu sein. Es konnte ein insgesamt kooperatives Arbeitsverhältnis zwischen Jugendamt und freien Trägern festgestellt werden, wie u. a. eine Fachkraft vom Jugendamt exemplarisch anmerkte: „Die Kooperation funktioniert allgemein gut.“
Die Bedeutung der Prozesse Pädagogisches Handeln ist immer im Kontext mehrerer Faktoren zu betrachten (z. B. das familiäre Setting oder die Peergroups eines Klienten), die ihrerseits Einflussgrößen auf die Entwicklung betreuter Fälle darstellen können. Aus der daraus resultierenden indirekten Steuerbarkeit pädagogischen Handelns kann für die Praxis die Strategie abgeleitet werden, möglichst optimale Gelingensbedingungen für die Fallbetreuung zu schaffen. Folglich ist die Gestaltung bzw. die Qualität der Prozesse von großer Bedeutung für die Leistungsfähigkeit einer pädagogischen Einrichtung. In der Untersuchung der Prozesse ließen sich zwei Bereiche differenzieren: • Die Betrachtung der Prozesse, die direkt im Kontext der Fallbearbeitung standen und • die Prozesse, die sich im Zusammenhang mit der allgemeinen Koordination zwischen den Mitarbeitern ergaben. Die Prozesse, die direkt im Kontext der Fallbearbeitung standen, wurden mit dem Hilfeplanverfahren teilweise standardisiert und zu kontrollieren versucht. Die Fachkräfte des Jugendamtes und der freien Träger verständigten sich auf ein Arbeitskonzept, vorausgesetzt es bestand grundsätzliche Einigung über die gemeinsame Zusammenarbeit und die anzuwendende Hilfeform. Kurze Zeit später wurden Ziele sowie zu ergreifende Maßnahmen und Methoden für die Entwicklung des Falles vereinbart und nach einem halben Jahr Zwischen- oder Abschlussberichte von den Fachkräften der freien Träger verfasst. Der pädagogischen Arbeit mit den Klienten blieben trotz dieses Versuchs, die Arbeitsprozesse zu standardisieren, Handlungsspielräume. Die Fallsituationen waren jeweils zu unterschiedlich, als dass sie sich in ein bestimmtes Schema einfügen ließen. Aus den Befragungen wurde allerdings erkenn-
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
bar, dass die Orientierung an den Zielen nicht immer stringent durchgehalten werden konnte, weil sich bei Fällen unkontrollierbare Eigendynamiken entwickeln konnten, die kaum vorhersehbar waren. Mit dem Hilfeplanverfahren wurde auch ein Beitrag zur Qualitätssicherung geleistet. So sollte z. B. ein standardisiertes Vorgehen eine Träger- und Personenunabhängigkeit in der Fallbearbeitung gewährleisten. Das Qualitätsthema forderte zugleich die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten heraus. In einer dynamischeren Umwelt wurden kontinuierliche Qualifizierungen erforderlich. Damit wurde teilweise der prozesshafte Begriff Professionalisierung erst als dauerhafte Anforderung im Sinne des Wortes eingelöst. Qualität konnte hierbei entweder durch Fortbildungen oder – vor allem – durch Maßnahmen der Prozesskontrolle (z. B. das Hilfeplanverfahren) und des regelmäßigen fachlichen Austauschs über die Prozesse gewährleistet werden. So stellte die regelmäßig stattfindende Supervision eine Maßnahme zur Professionalisierung dar, die den Mitarbeitern die Möglichkeit gab, ihre fachlichen Erfahrungen zu reflektieren. Ferner finanzierte der untersuchte Träger Fortbildungen seiner Mitarbeiter, wenn sie aktuelle Qualifizierungsbedarfe der Organisation zu decken versprachen, wodurch eine weitere Option zur Entwicklung und Verbesserung von Fachlichkeit bestand. Ansonsten wurde offenbar versucht, den Mitarbeitern mit zeitlichen Freistellungen den rechtlich verbürgten Anspruch auf Bildungsurlaub zu gewähren. Im Zuge des Hilfeplanverfahrens wurden über die Fälle Akten geführt, die es ermöglichten, die Kontakte zum Klienten regelmäßig zu dokumentieren. Damit konnte zum einen, bei kontinuierlicher Dokumentation (z. B. in Form von Kurzprotokollen zu den Betreuungsterminen), das Verfassen der Berichte unterstützt werden und zum anderen, im Fall von Urlaubs- oder Krankheitsvertretung, Kollegen das Hineindenken in die Fallverläufe erleichtert werden. Eine gestiegene Sorgsamkeit im Umgang mit der Dokumentation der Fälle konnte im Zuge dessen nicht nur die Qualität der Berichte und die Kooperation mit Kollegen verbessern, sondern auch die Arbeit mit den Klienten unterstützen, weil durch das Schreiben regelmäßige Reflexionen über das eigene professionelle Handeln erforderlich wurden. In Aussagen wurde angedeutet, dass die Möglichkeit, mit Kurzprotokollen zur Verbesserung der Prozessqualität beizutragen, erkannt, aber nicht durchgängig praktiziert wurde. Somit konnte ein Ansatzpunkt für die Entwicklung der Organisation identifiziert werden. Die diesbezüglich nicht zu erkennende Systematik indizierte eine geringe Bedeutung, die der Standardisierung von Arbeitsprozessen zugemessen wurde, schlug sich jedoch im Vergleich der freien Träger offenbar nicht in bemerkbaren Qualitätsdefiziten bei den Berichten nieder. Die Befragung der Mitarbeiter des Jugendamtes ergab keine derartigen Anhaltspunkte. Dieser Aspekt standardisierter Arbeitsprozesse wurde offenbar auch im Jugendamt noch unterschätzt. Entsprechend wurde dort teilweise darauf hingewiesen, dass es bezüglich der Berichtsqualität noch allgemein einen ziemlichen Entwicklungsbedarf in der gegenseitigen Abstimmung zwischen freien Trägern und dem Jugendamt gebe. Die Zwischen- und Abschlussberichte sind letztlich auch der Versuch, sich stärker auf die Entwicklung der Klienten zu orientieren. In diesem Kontext war auch die Forderung eines Mitarbeiters im Jugendamt zu verstehen, kritisch zu fragen: „Für wen ist der Hilfeplan eigentlich gedacht?“
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Dahinter verbarg sich eine Sensibilität für die Bedarfe der Adressaten, die im Rahmen knapper Kassen und einer zunehmenden Professionalisierung künftig wichtiger werden dürften. Im Hinblick auf die allgemeine, interne Koordination erwies sich die wöchentlich stattfindende Teamsitzung als zentrale Einrichtung. In der Teamsitzung wurden Strategien besprochen, Entscheidungen über künftige Vorhaben getroffen oder neuere Entwicklungen der Jugendhilfe kommuniziert. Hier bestand die Möglichkeit, Veränderungen zu erklären und Kollegen von diesbezüglich zu ergreifenden Maßnahmen zu überzeugen. Durch die Bedeutung der Kommunikation von Veränderungen für Organisationsentwicklungsprozesse war die Teamsitzung von entsprechendem Gewicht. Sie wurde nach Aussagen der Fachkräfte früher rotierend, d. h. abwechselnd von Mitarbeiter zu Mitarbeiter moderiert. Im Verlauf der Jahre habe es sich aber ergeben, dass nur noch der Geschäftsführer die Sitzungsleitung übernahm. Das entstand fast zwangsläufig durch den „Informationsvorsprung“ der Leitungsebene, die durch ihre Repräsentationspflichten viele Kontakte zur Umwelt pflegte und, im Vergleich zu den rein operativ tätigen Fachkräften, mehr Informationen über die gegenwärtigen und künftigen Rahmenbedingungen erlangte. Somit waren die Prozesse insgesamt stark auf die Leitungsebene zentriert. Exemplarisch ließ sich das mit einer Aussage zur Leitung der Teamsitzung unterstreichen: „Er [der Geschäftsführer] ist der Boss. [...] Das Team funktioniert so, dass, wenn er da ist und sagt, wir fangen an, alle anfangen.“
Dennoch wurden wichtige Entscheidungen, wie die Rekrutierung oder Fortbildung von Personal, immer mehrheitlich im Team beschlossen und nicht allein von der Leitungsebene. An dieser Stelle wurde in den Interviews häufiger die bislang gültige „basisdemokratische Kommunikationskultur“ thematisiert, die möglicherweise nicht mehr in dieser Form zu erhalten sei. Mitarbeiter befürchteten angeblich, durch eine Vergrößerung und weitere Vernetzung des Trägers nicht mehr alle Entscheidungsprozesse überschauen zu können und real weniger in diese eingebunden zu werden. Dieses rief Widerstände hervor, die Veränderungen hinterfragten. „Das [die Perspektive, neue Dienstleistungen anzubieten] löst natürlich Ängste aus und es gibt immer die Kollegen, die sich zwar beteiligen, aber den Schwerpunkt in ihrem speziellen Feld sehen. Das finde ich durchaus legitim. Diesen Prozess muss man mitmachen, die Kollegen machen sich auch mit auf den Weg, aber jedes Mal muss man den Widerstand auch zurückholen.“
Trotz aller geäußerter Sorgen wurde überwiegend die positive Atmosphäre hervorgehoben, was Veränderungsprozesse günstig beeinflussen kann. „Den Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten erlebe ich als sehr positiv.“
Relative Bedeutung der Formalstruktur Einem Organigramm des Trägers zufolge konnten zwar mit den Hilfen zur Erziehung (plus dem Begleiteten Umgang) und der Schulstation zwei Sparten bzw. zwei Fach-
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teams unterschieden werden, doch die jeweiligen Fachteams verfügten nicht über die für eine diversifizierte Organisation typische Autonomie der Sparten. Insgesamt war die Hierarchie formal weniger bedeutsam. Die Formalstruktur zeichnete sich durch eine Struktur der kurzen Wege aus. So betreuten die Mitarbeiter der Leitungsebene auch selbst Fälle, weshalb die strukturelle Differenzierung formal durchlässiger war. Informal hatte die Leitungsebene jedoch eine besondere Stellung. Die Kommunikationswege des Trägers (Teamsitzungen, Fallakquise, Zukunftsplanung usw.) liefen regelmäßig in der Leitungsebene zusammen. Die Entscheidungen wurden hier zwar nicht endgültig getroffen, jedoch maßgeblich vorbereitet. In Analogie zu MINTZBERG waren daher typische Züge einer einfachen Struktur zu erkennen, bei der die Leitungsebene den wichtigsten Bereich der Organisation verkörpert. Dazu passte auch, dass es sich um eine junge und kleine Organisation handelte.
Geschäftsführung, Koordination
Gesamtteam
Fachteam ambulante Hilfen (und BU)
Fachteam Schulstation
Abbildung 16: Organigramm zur ersten Untersuchungsphase – Fallbeispiel I42
Es war allerdings absehbar, dass durch die zunehmende Vernetzung in der Region mit anderen Trägern und mit dem Jugendamt, die sich aus der Umsetzung der Sozialraumorientierung ergeben sollte, die Struktur zur Umwelt hin stärker ausfransen würde. Die Abgrenzung würde damit schwerer fallen, mit entsprechenden Folgen für die Identität der Belegschaft. Ambitionierte Ziele Bei Äußerungen zu möglichen Veränderungen und Zielen fiel eine starke Diskrepanz zwischen Leitungs- und operativer Ebene auf. Das ist generell nicht ungewöhnlich, wäre aber angesichts der betonten „basisdemokratischen“ Kommunikationskultur 42
Da die Zusatzangebote, Hausaufgabenhilfe oder Elterntraining, nur als ein Probelauf konzipiert waren, mussten sie nicht unbedingt formal im Organigramm berücksichtigt werden.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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und der Relativität der Formalstruktur in dem Maße nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Die Mitarbeiter der Leitungsebene nannten die Notwendigkeit zur Kooperation mit anderen Trägern der Region, um im Rahmen der Sozialraumorientierung Akzente setzen zu können. Ein Stiftungsantrag zur Finanzierung des schon bestehenden interorganisationalen, aber selbst finanzierten Sozialraumprojekts wurde gerade erarbeitet.43 Von den Interviewpartnern der Leitungsebene wurde, wie erwähnt, eine verbesserte räumliche und technische Ausstattung sowie eine Entlastung von der administrativen Arbeit für erforderlich gehalten. Auf einem der extern moderierten Workshops mit dem Gesamtteam, der den Organisationsentwicklungsprozess unterstützen sollte, wurde die Geschäftsführung gebeten, künftige Herausforderungen zu benennen und daraufhin Strategiefelder zu skizzieren.44 So wurde die angespannte finanziellen Situation der öffentlichen Hand thematisiert, mit der auch in Zukunft weiterhin zu rechnen sei. Daher wurde von der Leitungsebene daran gedacht, die Produktpalette zu erweitern, um die finanzielle Abhängigkeit von der Finanzierung durch die HzE zu verringern und die finanziellen Risiken zu streuen, wie z. B. die Inbetriebnahme einer eigenen Kita.45 In diesem Kontext sollte inhaltlich eine stärkere Orientierung auf vorbeugende Hilfen vollzogen werden, um die Probleme von Kindern und Jugendlichen schon zu bearbeiten, bevor ambulante Hilfen nötig werden. Auch die Bedeutung von Qualitätsentwicklung (und Zertifizierung) und die Absicht, dieses Thema zu bearbeiten, wurden als Zielgröße genannt. Grob zusammengefasst ließen sich in den Zielen zwei Hauptelemente für die künftige grundsätzliche Ausrichtung des Trägers erkennen: die Profilierung im Kiez und die Erweiterung des Dienstleistungsangebots. Die Befragten der operativen Ebene hatten hierzu jedoch kaum bzw. keine Anmerkungen gemacht.
6.3.4 Zwischenfazit: Viele Vorhaben – reale Folgen? Insgesamt deuteten sich nach der ersten Untersuchungsphase einige Veränderungen an, die zu einigen Unsicherheiten darüber führten, in welche Richtung sich der Träger bewegen sollte. Der evaluierte freie Träger war mit einer dynamischen Umwelt konfrontiert, in der sich strukturelle und finanzielle Bedingungen verschoben. Der finanzielle Umfang für die Hilfen zur Erziehung wurde im Bezirk geringer, und gleichzeitig sollte es zu vermehrten interorganisationalen Kontakten kommen. Im Hinblick auf die sich ankündigenden Veränderungen schien der freie Träger jedoch günstige Kommunikationsstrukturen zur Umwelt aufgebaut zu haben. Die Durchführung der 43
Das Elterntraining und die sozialpädagogische Hausaufgabenhilfe sollte nun mithilfe von Stiftungsgeldern breiter finanziert und die Kooperation mit den anderen Trägern der Region formalisiert werden. 44 Der Workshop fand innerhalb der ersten Untersuchungsphase statt und wurde vom Autor dieser Arbeit teilnehmend beobachtet, wobei insbesondere die Arbeitsergebnisse schriftlich festgehalten wurden. 45 In Berlin sollten die Kitas aus der städtischen Trägerschaft in die freie Trägerschaft übergehen, wodurch die Übernahme einer Kita potenziell möglich wurde.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
Evaluation konnte in diesem Kontext als Funktion zu mehr Orientierung in diesem ungewisseren Umfeld betrachtet werden. Durch größere Anforderungen an die Organisation von Jugendhilfe und durch eine Zunahme an Kontakten und Koordinationsverpflichtungen erwuchs für die Leitungsebene ein informationeller Vorsprung, der die Wissenslücke über mögliche Entwicklungen und zu ergreifende Maßnahmen zwischen Leitung und operativer Ebene vergrößerte. Das führte zu Befürchtungen, dass das bisher ausbalancierte Verhältnis zwischen den beiden Ebenen destabilisiert würde und das „basisdemokratische“ Selbstverständnis verloren ginge, und damit die Koordination über kulturelle Gewissheiten erschwert würde. Die Konzentration der Entscheidungsprozesse entsprach der einer einfachen Organisationsstruktur. Folgerichtig wurden die Ziele für die weitere Entwicklung der Einrichtung vor allem von der Leitung artikuliert. Durch die Ausrichtung auf die Erweiterung des Dienstleistungsangebots war zu erwarten, dass die Bedeutung von Leitungsaufgaben weiter zunehmen würde. Die kaum vorhandene Artikulation von gemeinsamen Zielen auf der operativen Ebene wies entweder auf eine größere Diskrepanz in der Beurteilung künftiger Herausforderungen zwischen den Organisationsebenen hin, die in diesem Ausmaß ein Risiko für weitere Veränderungen des Trägers darstellten, weil gemeinsames Handeln erschwert werden konnte, oder aber auf eine mehrheitlich stillschweigende Übereinstimmung mit Zielen der Einrichtungen. Letzteres jedoch kann insofern eingeschränkt werden, als von partiellen Widerständen gegen Veränderungen berichtet wurde. Diese sind womöglich mit persönlichem Widerstreben gegen Veränderungen, aber eben auch mit Bezug auf mögliche Veränderungen von bislang akzeptierten organisationalen Normen, aber auch mit problematischen Kommunikations- und Koordinationsprozessen erklärbar, die aus der Vielzahl an neuen Anforderungen entstehen und organisationales Lernen verhindern können. Der Kommunikation kann in einfachen Strukturen eine besondere Bedeutung zugemessen werden. Insbesondere der Leitung, als zentraler Baustein dieser Struktur, gelang es offenbar, erfolgreich zu kommunizieren, denn die Konflikte und Widerstände schienen sich nicht zu verselbständigen. Die Atmosphäre wurde trotz des stellenweise auftretenden Unbehagens insgesamt als positiv beschrieben. Die Befragungen der ersten Untersuchungsphase fügten sich insgesamt zu einem Bild des freien Trägers zusammen, der gewillt ist, aktiv auf Herausforderungen zu reagieren und am Aufbau von Netzwerken mitzuwirken. In der zweiten Untersuchungsphase sollte überprüft werden, wie sich der Träger seit der ersten Untersuchungsphase entwickelt hatte, ob sich die von der Geschäftsführung artikulierten Ziele realisieren ließen, wie mit Widerständen weiter umgegangen wurde, ob sich die Ankündigungen tatsächlich in einem beobachtbaren Handeln niederschlugen und wenn ja, welche Bedingungen dafür förderlich waren.
6.3.5 Die Ergebnisse der zweiten Untersuchungsphase Erweiterung des Dienstleistungsangebots Das Dienstleistungsangebot des Trägers hatte sich zwischen den beiden Untersuchungsphasen erheblich erweitert. Neben den bisher angebotenen Hilfen zur Er-
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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ziehung, dem Begleiteten Umgang und der Schulstation konnte nun das beantragte Sozialraumprojekt gemeinsam mit anderen Trägern der Region realisiert werden. Zudem wurde ein weiteres Kooperationsprojekt mit anderen Trägern verwirklicht, infolgedessen ein Computerclub eröffnet werden konnte, in dem es für Kinder und Jugendliche möglich war, sich im Umgang mit Computern zu erproben. Des Weiteren wurde eine Sportgruppe gegründet, an der Kinder teilnahmen, die entweder schon in Erziehungshilfen betreut wurden oder einfach nur interessierte Anwohner waren. Und schließlich ist dem Träger die Übernahme dreier privatisierter Kindertagesstätten sowie eines Kinderhorts bewilligt worden, der an die Schule der Schulstation angeschlossen war. Diese gehörten allerdings zum zweiten Untersuchungszeitraum noch nicht offiziell zum freien Träger46 bzw. wurden erst während der zweiten Untersuchungsphase in Betrieb genommen. Die dortigen Mitarbeiter sind daher nicht befragt worden, weil nur Veränderungen in der Zeit zwischen den beiden Untersuchungszeiträumen interessierten. Verbesserte Ressourcensituation Durch die Übernahme der Kitas und des Horts hatte sich nicht nur das Angebot erweitert, sondern es bedeutete auch sowohl eine Steigerung der Beschäftigtenzahlen weit über das bisherige Personaltableau hinaus als auch mittelfristig eine größere finanzielle Unabhängigkeit von dem Fallaufkommen in den Hilfen zur Erziehung. Zugleich bedeuteten die zusätzlichen Mitarbeiter einen wachsenden Pool an Qualifikationen, der später zur Ausweitung des Leistungsangebots des Trägers konsequent genutzt werden konnte. Auch kam es im Team der ambulanten Hilfen zu Neueinstellungen, weil einige Fachkräfte Erziehungsurlaub nahmen. Insgesamt wurde die Rekrutierung neuer Kollegen als erfrischend und positiv wahrgenommen. Zudem wurde beschlossen, eine Bürokraft einzustellen, um die Leitung von administrativen Aufgaben zu entlasten. Zu guter Letzt wurden auch neue Räumlichkeiten angemietet, um die Angebote wie den Computerclub oder im Rahmen des Sozialraumprojekts (sozialpädagogische Hausaufgabenhilfe und Elterntraining) bewerkstelligen zu können. Infolgedessen hatte sich auch die räumliche Situation für die Mitarbeiter des Trägers entspannt. Turbulente Umweltentwicklungen Die Befragung der Mitarbeiter hatte ergeben, dass im Hinblick auf die Umwelt der Abstimmungsbedarf insgesamt erheblich gestiegen war. Die Rahmenbedingungen sowohl für das Verhältnis zwischen Jugendamt und freien Trägern als auch zwischen den freien Trägern selbst wurden neu definiert und die organisationale Abgrenzung voneinander erschwert. Das Jugendamt gab einen Teil seiner Verantwortung über die Fallverteilung ab, indem in einem neuen Gremium, dem Fallteam, gemeinsam mit dem Jugendamt über die Fallzuteilung diskutiert werden sollte. Das Fallteam sollte sowohl aus Vertretern des Jugendamtes und der freien Träger (je nach Erfordernissen 46
Der Hort wurde offiziell erst nach der zweiten Untersuchungsphase in die Trägerschaft des freien Trägers übernommen.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
des Falles auch Beteiligte aus den Bereichen Schule, Kita usw.) bestehen. Diese Umstrukturierung ist im Rahmen der Sozialraumorientierung vollzogen worden, um zu dezentraleren Verantwortungsstrukturen auf Bezirksebene zu gelangen. In Bezug auf die Klärung diesbezüglicher Entscheidungsfindungen waren gemeinsame Fortbildungen geplant. Des Weiteren erörterten regionale Kiezrunden, an denen möglichst viele Repräsentanten verschiedener Institutionen (z. B. auch der Polizei) teilnehmen und mitarbeiten sollten, gemeinsame Maßnahmen zur Entwicklung des Sozialraums. Auch zu den Kiezrunden waren zum zweiten Untersuchungszeitraum Fortbildungen gemeinsam mit den Gremienpartnern in Planung. Die für die gemeinsamen Gremienarbeiten wichtige Voraussetzung der Kooperation war mit dem Jugendamt offenbar immer noch gegeben, wie z. B. ein Jugendamtsmitarbeiter anmerkte: „[Die Kooperation mit den freien Trägern ist] weiterhin sehr konstruktiv.“
Die Leitungsebene des Trägers war bemüht, die Mitarbeiter der operativen Ebene zunehmend für die Mitarbeit in diesen Gremien zu gewinnen, um zeitliche Entlastungen zu erfahren, aber auch um den Kreis derer zu erweitern, die Informationen direkt aus der Umwelt erhalten konnten. Befragt zur künftigen Anzahl der Träger angesichts der zunehmenden Vernetzung und erwarteten Reduktion weiterer finanzieller Mittel, schien sich keine akute Gefahr für die Existenz des Trägers zu ergeben. Vor allem durch die Diversifikation des Angebots hatte dessen Verankerung und Bedeutung in der Region zugenommen. Hinsichtlich der Anzahl der zu betreuenden Fälle wurden keine Hinweise auf systematische Veränderungen gegeben. Es wurden zwar teilweise Anmerkungen gemacht, wonach das Fallaufkommen zugenommen hätte. Diese Aussagen konnten allerdings nicht erhärtet werden. Die veränderten Angebotsstrukturen im Bezirk sind zunehmend auf die Bedarfe der Klienten gerichtet worden. Es war zu erwarten, dass die angestoßenen Dezentralisierungsprozesse ihre eigene Dynamik entfalten und somit Angebotskonzeptionen immer flexibler und schneller entwickelt würden, was eine Zunahme an Dynamik zur Folge hätte. Es ließe aber auch die Anzahl der Umweltfaktoren variieren (z. B. neue Partnerschaften zwischen schulischen und sozialpädagogischen Akteuren) und würde somit zu Komplexitätssteigerungen führen. Einführung eines Qualitätsmanagements und neue Kommunikationsstrukturen Die skizzierten Veränderungen blieben für die Prozesse nicht folgenlos. Der Koordinationsbedarf mit der Umwelt nahm durch die erwähnten Projekte und Gremienarbeiten zu. Die Dimension Prozesse ließ sich wie zuvor differenziert betrachten, und zwar • sowohl im Kontext der Fallbearbeitung • als auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Koordination der Mitarbeiter des Teams.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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Im Kontext der Fallbearbeitung konnten bezüglich des Hilfeplanverfahrens als traditionelle Kontaktschnittstelle zum Jugendamt einige Veränderungen in den vergangenen Monaten (zwischen den beiden Untersuchungsphasen) identifiziert werden, die zu unterscheiden sind. Kaum Veränderungen hatte es im Hinblick auf die Entwicklung des Berichtswesens gegeben, wie eine Mitarbeiter des Trägers äußerte: „Nein, da hat sich eigentlich nichts verändert, wir orientieren uns weiter an dem [Qualitäts-]Leitfaden.“
Allerdings schien das in Bezug auf die Kooperation mit dem Jugendamt zu keinem Problembewusstsein zu führen. Die schriftliche Befragung der Jugendamtsmitarbeiter brachte an dieser Stelle jedenfalls nichts dergleichen hervor. Die Supervision, die eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Prozessqualität darstellt, sollte ferner teilweise auch auf die neuen Angebote ausgedehnt werden und nicht nur auf die Hilfen zur Erziehung und die Schulstation beschränkt bleiben. Ein wichtiger Schritt, und zwar insbesondere im Sinne der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Organisation, wurde durch die Aufnahme in die Qualitätsgemeinschaft des übergeordneten Wohlfahrtsverbands vollzogen. Das führte zur Aufnahme eines Qualitätsentwicklungsprozesses, der perspektivisch eine programmatischere Steuerung der Arbeitsabläufe eröffnete. Koordiniert wurden die Qualitätsbemühungen durch einen Mitarbeiter, der zum Qualitätsbeauftragten ausgebildet wurde. Der Entwicklungsprozess bzw. die Programmplanung erstreckte sich auf mehrere organisationale Dimensionen, denen unterschiedliche, trägereigene Prioritäten eingeräumt werden konnten. Damit wurde der Prozess der Qualitätsentwicklung mit dem der Organisationsentwicklung verknüpft. Es mussten hierzu Ziele definiert werden, deren Erreichung später (im Sinne eines Controllings) kontrollierbar werden sollte. Im Zuge dessen ist bis zum Zeitraum der zweiten Untersuchungsphase u. a. ein Fortbildungsplan entwickelt worden, der die Qualifizierung systematischer erfassen und zur Integration von Organisations- und Personalentwicklung beitragen sollte. Die dadurch mögliche Professionalisierung kann sich nicht nur positiv auf die Abstimmungsprozesse auf der Organisationsebene auswirken, sondern auch auf die Betreuungen der Fälle, die mithilfe von gezielten Fortbildungen an Qualität gewinnen können. „Wir haben zwar nicht zu wenig Fortbildungen, aber wir haben das bisher nicht so systematisch organisiert und geplant.“
Eine Neuerung der trägerinternen, kommunikativen Prozesse betraf die Organisation der Teamsitzung, die jetzt nur noch 14-tägig stattfand und der Leitung Zeit gab, sich untereinander enger abzustimmen und die Teamsitzungen strukturierter vorzubereiten. Das war insofern überraschend, als sich zuvor die informationelle Versorgung der Mitarbeiter durch die Leitungsebene als Problem erwies. Dennoch wurde der neue Rhythmus von den Mitarbeitern der operativen Ebene nicht wirklich beklagt: „Ich denke, wir kriegen die wichtigen Sachen auch in diesem Rhythmus hin.“
Dem Problem der Kommunikation von wichtigen Informationen von der Leitungsauf die operative Ebene wurde mit anderen Maßnahmen zu begegnen versucht. Kom-
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
pensatorisch sollten bald regelmäßige Teamsupervisionen eingerichtet werden, an der alle Mitarbeiter teilzunehmen hätten und zu der rein organisationale Aspekte besprochen werden könnten. Auf der fachlichen Ebene wurden zudem Kleinteams gebildet, die aus mindestens drei Mitarbeitern bestanden, die sich im Krankheitsfall vertreten konnten. So entstanden dezentrale Einheiten, die Kommunikation und – wechselseitige – Koordination im kleineren Rahmen institutionalisierten und den Informationsaustausch auf der operativen Ebene förderten. Für die verstärkte Gremienarbeit, z. B. in den Kiezrunden oder den Fallteams, wurden teilweise Mitarbeiter der operativen Ebene ausgewählt, auch um die zunehmende Entgrenzung des Trägers von seiner Umwelt für mehr Mitarbeiter direkt erfahrbar zu machen. Durch die Partizipation an den bezirklichen Entscheidungsprozessen – die im Grunde einem Job Enrichment entsprach – war den Mitarbeitern gezielt die Möglichkeit zur Vernetzung und Informationsgewinnung auf Bezirksebene eröffnet worden. Die sich in der ersten Untersuchungsphase abzeichnende Veränderung der „basisdemokratischen“ Kommunikationskultur hatte sich in erheblichem Maße vollzogen. Im Zuge der Ausdifferenzierung der Angebotspalette und der damit einhergehenden Rekrutierung neuer Mitarbeiter, aber auch aufgrund der zunehmenden Vernetzung im Kiez konnten tradierte Kommunikationsmuster nicht mehr aufrechterhalten werden. Der zentrale Status der Teamsitzung, als Symbolstätte der Partizipation, relativierte sich zugunsten der oben genannten vielschichtigen und neuen Kommunikationspfade. Um die Entwicklung der Organisation nachvollziehen zu können, mussten sich die Mitarbeiter nun verstärkt selbst Informationen beschaffen. Die Überschaubarkeit der internen Abstimmungsprozesse und der Umweltereignisse nahm ab. In der Gesamtheit hatte sich ein tiefer gehender Wandel zugetragen, der in der Beurteilung bzw. im Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart durchgängig identifizierbar war. „Vom ursprünglichen Träger ist kaum noch etwas zu erkennen.“
Trotz der damit einhergehenden Unsicherheiten gelang es der Leitungsebene anscheinend, Mehrheiten für ihren Kurs der Veränderung zu organisieren, so z. B. ein Mitarbeiter der operativen Ebene: „Ich könnte mir vorstellen, dass es für manche Kollegen zu schnell geht, aber ich würde sagen, die Mehrzahl kommt da gut hinterher.“
Allgemein wurde zwar von einer angestrengteren Atmosphäre, gleichzeitig jedoch von einem weiterhin bestehendem kollegialen Verhältnis berichtet. Vermutlich wurden die Spannungen von der Leitung angemessen wahrgenommen und berücksichtigt, was die Arbeitzufriedenheit sichern half. „Ich würde sagen, es ist eine gute Stimmung. Zwischenzeitlich war es ein bisschen schwieriger, aber im Moment habe ich ein gutes Gefühl, dass da auch eine Kommunikation mit der Leitung gut funktioniert.“
Eine weitere Erklärung für die positive Atmosphäre ist womöglich mit Blick auf die informalen Wege zu finden, die zwischen den verschiedenen Ebenen weiterhin
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6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
kurz geblieben sind. Die Leitung war für die Mitarbeiter erreichbar. In diesem Zusammenhang war wohl auch von Bedeutung, dass grundlegende Entscheidungen nach wie vor gemeinsam im Team getroffen wurden. Zumal in der Leitung selbst offenbar unterschiedliche Vorstellungen über die Entwicklung des Trägers vertreten wurden, was mitunter zu ausgewogenen Beurteilungen über die anstehenden Herausforderungen und die angemessenen Reaktionen führen konnte. Veränderte Organisationsstruktur Die dargelegten Veränderungen in der Angebotspalette schlugen sich zwangsläufig in der Formalstruktur nieder. Das Kita-Team gehörte zwar offiziell schon zum Träger, nahm aber erst kurze Zeit nach der zweiten Untersuchungsphase den Dienst auf. Diese Situation ist im Organigramm berücksichtigt. Das Personal der Bereiche ambulante Hilfen und Begleiteter Umgang führte teilweise (in Kooperation mit den Mitarbeitern anderer Träger und zusätzlichen externen Fachkräften) die neuen, offiziellen Projekte wie Elterntraining oder sozialpädagogische Hausaufgabenhilfe durch. Die verstärkte Gremienarbeit einzelner Mitarbeiter, z. B. in den Kiezrunden oder den Fallteams, ist nicht abgebildet, weil mit ihr u. a. zwar ein Prestigegewinn, aber keine formal veränderten Entscheidungskompetenzen in Relation zu den Kollegen verbunden waren. Allgemein wurde ein Hierarchisierungsprozess konstatiert,47 der die Leitungsebene stärker von der operativen Ebene separiert hat. Symbolisch wurde dieser Prozess insoGeschäftsführung, Koordination
Kita-Team (3 Kitas)
Bisheriges Gesamtteam
Fachteam ambulante Hilfen (und BU)
Fachteam Schulstation
Neue flexible (präventive) Projekte
Abbildung 17: Organigramm zur zweiten Untersuchungsphase – Fallbeispiel I 47
Dieser wird im Vergleich zur ersten Untersuchungsphase mit einer nun durchgezogenen Linie zwischen Geschäftsführung und Gesamtteam gekennzeichnet.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
weit vollzogen, als sich die Leitung, aufgrund zeitlicher Engpässe, fast vollständig aus der Fallbetreuung herauszog und fast nur noch administrativ arbeitete. „[...] Veränderung der Leitungsstruktur, Veränderung der Hierarchie – es ist ein Hierarchisierungsprozess, weg von der Basisdemokratie.“
Ernsthaft verfolgte Ziele Im Hinblick auf die zuvor artikulierten Ziele sind zwischen den beiden Untersuchungsphasen viele erreicht worden. Das konnte an einem erfolgreichen Kommunikationsstil der Leitung liegen, aber auch an fehlenden realisierbaren Alternativen zu den Veränderungen. Letztere konnten in der zweiten Untersuchungsphase nicht identifiziert werden. Die strategische Alternative zur Diversifikation des Angebots wäre die Spezialisierung innerhalb der ambulanten Hilfen auf eine bestimmte Klientel gewesen. Doch angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen war das für die Mitarbeiter der Leitungs- und der operativen Ebene kaum vorstellbar. „Man hätte sich auch fachspezifisch weiterqualifizieren können und hoch qualifizierte Angebote für ganz bestimmte Gruppen machen können. Ich weiß nur nicht, inwieweit man da kommt, ob man da letztendlich überhaupt noch Mittel dafür bekommt, wenn alle eher in eine andere Richtung gehen.“
So wurde letztlich eine Wende vollzogen, die der Prävention strategisch mehr Bedeutung zuwies. Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche sollten mit den neuen Angeboten flexibler und früher, vor dem Entstehen schwieriger Problemsituationen, erreicht werden. Assoziiert wurden die Veränderungen in diesem Kontext als Wandel „vom Fall zum Feld“, d. h. ein Perspektivwechsel, der eine engere Orientierung an den Bedarfen in der Region zur Folge hatte. In diesem Kontext konnte das Ziel erreicht werden, Stiftungsgelder für das gemeinsam mit anderen freien Trägern durchgeführte Sozialraumprojekt bewilligt zu bekommen. Des Weiteren wurden mit der beschlossenen Rekrutierung einer Bürokraft, als Entlastung der Leitung von administrativen Aufgaben, und der Übernahme der Kitas und des Horts ebenfalls vorher aufgestellte Ziele erreicht. Schließlich ist mit der angestrebten Aufnahme des Qualitätsentwicklungsprozesses ein wichtiger Schritt zur Steigerung der Leistungsfähigkeit gemacht worden. Aufgrund der gesamten Entwicklungsschritte sahen die befragten Mitarbeiter den Träger mittlerweile gut profiliert und betonten die eigene gute Erreichbarkeit und das schnelle Reaktionsvermögen auf vorliegende Bedarfe. Die Leitung trug offenbar entscheidend zu den Veränderungsprozessen bei, wie exemplarisch ein Mitarbeiter der operativen Ebene hervorhob: „Das [der Auslöser für die Veränderungen] war die Leitungsebene insofern, weil sie die Informationen reingetragen hat und die Notwendigkeit dargestellt hat, dass man da reagieren sollte, auf so einen gedachten, gefühlten oder gespürten Bedarf.“
In dieser Aussage wird die Abhängigkeit der Veränderungsprozesse von einzelnen Akteuren deutlich, die Handlungsspielräume erkennen und sie zu nutzen wissen.
6.3 Fallbeispiel I: Der Wandel eines freien Jugendhilfeträgers
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6.3.6 Interpretation der Veränderungen: Hierarchisierungsprozess als tiefer gehender Wandel Die Motivation zur Kontaktaufnahme mit externen Institutionen kann im Zusammenhang einer allgemeinen Unsicherheit über die künftige Entwicklung als Organisation betrachtet werden, als Reaktion auf und in Reflexion über Umweltereignisse. Es war vieles in Bewegung geraten, das verarbeitet werden musste. Die Jugendhilfe im Bezirk befand sich in einer Umbruchsituation, in der neue sozialräumliche und partnerschaftliche Steuerungsverfahren umgesetzt werden sollten und in der mit finanziell knapperen Mitteln geplant werden musste. Flankierend entwickelte sich die Beschäftigung mit dem Thema Qualität zu einem wichtigen Thema. Aufgrund der Gesamtsituation sah sich der freie Träger zunehmend gezwungen, seine Position im Bezirk zu überdenken und irgendwie zu agieren. Es wurde folglich eine Differenz zwischen dem Ist-Zustand und dem für das Überleben erforderlichen Soll-Zustand der pädagogischen Institution spürbar. Insoweit hatte die Evaluation eine Erkenntnis- und Beratungsfunktion. Darüber hinaus darf auch eine Legitimitätsfunktion der Evaluation unterstellt werden. In diesem Sinne diente die Zusammenarbeit mit einer wissenschaftlichen Einrichtung als Fassade professioneller Aktivität, um zur Legitimierung der Einrichtung in einem schwierigen Umfeld beizutragen (vgl. MEYER/ROWAN 1991). Die evaluierte pädagogische Institution verharrte aber nicht bei der Reflexion und begnügte sich nicht mit symbolischen Aktionen, sondern begann zu handeln. Die organisationalen Dimensionen veränderten sich. Der Handlungsdruck stieg insgesamt durch knappe öffentliche Mittel, Sozialraumorientierung, wachsender interorganisationaler Vernetzung und intensivierter Qualitätsdiskussionen über die Leistungen in der Jugendhilfe an. Deswegen entstand ein höherer Kommunikationsbedarf der Kooperationspartner, dem auch die Leitung Genüge tun musste. Das führte sowohl zu geringeren Präsenzzeiten der Leitung beim Team als auch zum gleichzeitigem Gewinn neuer Informationen, welche an die Mitarbeiter kommuniziert werden mussten. Die Diskrepanz im Wissen um erforderliche Entwicklungsstrategien zwischen Leitungs- und operativer Ebene wurde deshalb insgesamt größer. Trotzdem ist zwischen den beiden Untersuchungsphasen die Produktpalette erweitert worden (es wurde ein Sozialraumprojekt realisiert, eine Sportgruppe gegründet, ein Computerclub eröffnet sowie ein Hort und Kitas übernommen), was für gelungene Kommunikationsprozesse spricht. Die Konzentration auf die Hilfen zur Erziehung wurde dementsprechend, zugunsten einer Entwicklung alternativer, größtenteils flexibler, niedrigschwelliger Hilfeangebote aufgebrochen. Das hatte eine Diversifikation der Angebote zur Folge. Die einfache Struktur blieb aber erhalten, weil die Größe des Trägers zur zweiten Untersuchungsphase noch nicht wirklich anders war als zu Beginn der Evaluation. Im Hinblick auf das organisationale Selbstverständnis ließ sich allerdings ein tiefer gehender Wandel konstatieren, in dessen Folge das organisationale Geschehen noch mehr auf die Leitungsebene konzentriert war. Das fand seinen Ausdruck in der Veränderung des „basisdemokratischen“ Selbstverständnisses, das im Organisationsgedächtnis verankert war. Das Normengefüge hat sich zwischen den beiden Untersuchungszeiträumen gewandelt und zeichnete sich durch eine größere Akzeptanz hierarchi-
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
scher Unterschiede aus. Insofern lässt sich im Sinne von ARGYRIS/SCHÖN (1996) ein Double-Loop-Lernen feststellen. Der Wandel bzw. die Hierarchisierungsprozesse könnten sich mit der Integration der Kitas und des Horts mit der Zeit verschärfen. Die Veränderungen machten sich auch in den artikulierten Zielen bemerkbar, die sich, neben der breiteren Ausrichtung der Dienstleistungen, auch auf einen Bedeutungszuwachs in der Region richteten. Das entsprach einer Neuausrichtung der pädagogischen Institution. Die Ziele konnten mit einer Geradlinigkeit erreicht werden, die angesichts der äußeren Rahmenbedingungen – aus der für freie Träger keine allgemeingültigen Handlungsskripte abzuleiten waren – bemerkenswert ist. Die Beziehungsmuster der Kollegen untereinander sind auf eine gewisse Art professioneller, nüchterner geworden. Mit Blick auf das begonnene Qualitätsmanagementverfahren wurde auch ein wichtiger Schritt in die Professionalisierung der Arbeitsprozesse unternommen. Wird Bilanz auf der Basis der klassischen Ziele von Organisationsentwicklung gezogen, so lässt sich feststellen, dass die Voraussetzungen für die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Organisation geschaffen wurden. Vor dem Hintergrund der dynamischen Veränderungen im Arbeitsfeld der Jugendhilfe wurde das Ziel, die Arbeitszufriedenheit zu steigern, zumindest insofern erreicht, als trotz allen Drucks und der durchschrittenen Veränderungen offenbar kaum Beeinträchtigungen für qualifiziertes pädagogisches Handeln entstanden sind. Die Leitungsebene konnte als Träger des Organisationslernens identifiziert werden. Über Lernprozesse auf der Leitungsebene wurden die Veränderungen in die pädagogische Institution hineingetragen. Durch den Aufbau von Kommunikationsstrukturen in die Umwelt konnten Entwicklungen antizipiert und somit eine Differenz zwischen dem bisherigen und dem künftig erforderlichen Handeln hergestellt werden. Insofern können Visionen als ein Auslöser des Organisationslernens definiert werden. Aber auch die Erfahrung mit Diskrepanzen in der Gegenwart zwischen der bisherigen Betreuung von Klienten und sich schon verändernden Anforderungen (zunehmende Qualitätserwartungen) können wichtige Impulse zu Veränderungen gegeben haben. Der Leitung war es letztlich gelungen, ihre Vorstellungen von notwendigen Veränderungen zu erklären und mehrheitlich überzeugend darzustellen. Dass das nicht ruckartig durchgesetzt wurde und Widerstände ernst genommen wurden, dafür sprach die Atmosphäre beim Träger, die zwar allgemein als angespannter wahrgenommen worden ist, aber dennoch positiv zu sein schien. Insgesamt wurden die Handlungsspielräume aktiv und individuell genutzt. In den Interviews der zweiten Untersuchungsphase, die auch mit Mitarbeitern der operativen Ebene geführt wurden, berichtete man zwar von Widerständen, die u. a. mit den Veränderungen der bislang gültigen basisdemokratischen Orientierung in Verbindung gebracht werden konnten, jedoch war keine mehrheitliche Unterstützung für bestehende Bedenken erkennbar. Letztlich wurde glaubhaft der Eindruck vermittelt, dass die Zielsetzungen der Leitungsebene weithin Akzeptanz im Gesamtteam fanden. Womöglich hat auch die Rekrutierung neuer Mitarbeiter dazu geführt, den Wandel zu erleichtern, weil neues Personal traditionellen Gepflogenheiten nicht verbunden ist. Dazu wird auch die Einbindung einzelner Mitarbeiter in die verschiedenen Gremienarbeiten beigetragen haben, wodurch Handlungserfordernisse auf einer breiteren Basis erkannt und die Veränderungen von mehr Mitarbeitern mitgestaltet wurden.
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Die eingeleiteten neuen Steuerungsverfahren auf Bezirksebene, die Aufnahme eines Qualitätsmanagementverfahrens und die Integration der neuen Angebote waren allerdings während der zweiten Untersuchungsphase noch nicht abgeschlossen. Es war eine Tendenz zu erkennen, mittelfristig nicht von einer signifikanten Beruhigung der Veränderungsdynamiken auszugehen. „Es ist einfach im Moment so viel Dynamik in dem Feld, dass man sich dem nur schwer entziehen kann. Man kriegt keine Ruhephasen mehr zum Innehalten, aber andererseits bietet es ganz viele Gestaltungsmöglichkeiten.“
Um weiteren Herausforderungen konstruktiv begegnen zu können, wird die organisationale Lernbereitschaft zu einer wichtigen Ressource des Überlebens. Das kann auch bedeuten, sich zu vergewissern, welche Bedingungen den Wandel begünstigt Offener Systemansatz
Doppelter Theorieansatz
Deskription der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Interpretation der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Output
Aufbau von Fassaden
Sozialraumprojekt realisiert, Sportgruppe gegründet, Computerclub eröffnet, Übernahme von Hort und Kitas bewilligt bekommen
Evaluation auch als Legitimitätsfunktion
Input
Identifikation organisationaler Lernprozesse
Reale Veränderungen – pädagogische Institution hat gelernt
Neue Räumlichkeiten Auslöser Umwelt
Dezentralisierungsprozesse in der Organisation der Jugendhilfe auf Bezirksebene, d.h. stärkere partnerschaftliche Kooperation zwischen freien Trägern und dem Jugendamt
Differenz zwischen Soll- und Ist-Zustand (antizipiert und erfahren) Trägerebene
Leitungsebene Prozesse Qualität der Lernprozesse
Aufnahme eines Qualitätsmanagementprozesses, Double-Loop-Lernen (Veränderungen von Norneue Kommunikationsstrukturen (alternativ zur men und Zielen) Teamsitzung) Organisationsstruktur
Widerstände
Hierarchisierungsprozess (innerhalb der einfachen Struktur), dennoch Erweiterung der Aufgaben einiger Mitarbeiter
Auf operativer Ebene Skepsis gegenüber tief gehenden Veränderungen Förderliche Faktoren
Ziele
Mehr Wachstum und Vernetzung
Kommunikation der Leitung, Partizipation der Mitarbeiter, schnelle Erfolge der Umsetzungen, Berücksichtung von Widerständen, Zusammensetzung der Belegschaft
Abbildung 18: Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen im Fallbeispiel I
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
haben. Neben der skizzierten Kommunikation der Leitungsebene hatte auch der Erfolg der bisherigen Bemühungen (z. B. die Akquisition der Kitas und des Horts) dazu beigetragen, die Ziele und Strategien zu legitimieren. Trotz der vielen Aktivitäten schienen die Widerstände ausreichend berücksichtigt zu werden. D. h. den Mitarbeitern wurde teilweise Zeit eingeräumt, um die Veränderungen verarbeiten und akzeptieren zu können. Ferner dürfte es förderlich gewesen sein, zunehmend Mitarbeiter der operativen Ebene mit weiteren Aufgaben zu betrauen und ihr Arbeitsfeld zu erweitern (z. B. mit Gremienarbeiten). Schließlich wurden in den Befragungen öfter die gemischte Zusammensetzung der Belegschaft mit Mitarbeitern unterschiedlichen Alters hervorgehoben.
6.4
Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit
Im zweiten präsentierten Fallbeispiel wird ebenfalls die Entwicklung eines freien Trägers der Berliner Jugendhilfe skizziert, der aber in einem anderen Bezirk ansässig und bisher vor allem im Bereich Familienhilfe tätig war. Durch die Aufnahme von Gruppenarbeiten wurden die Hilfeangebote ausgeweitet. Das neue Angebot passte aber in seiner Art nicht zum bisherigen Konzept und Selbstverständnis des freien Trägers. Mit einem Organisationsentwicklungsprozess sollte dessen Integration erreicht werden. Mit der durchgeführten Evaluation wurde die Unterstützung dieses Prozesses angestrebt. Anders als im vorangegangenen Fallbeispiel wird hier ein organisationaler Integrationsprozess einer Hilfe in die bislang bestehende Angebotsstruktur erörtert. Das war insofern eine besondere Herausforderung, als neben dem ohnehin grundsätzlich schwierigen Integrationsprozess die äußeren Rahmenbedingungen dieser neuen Hilfeform die Integration erschwerten.
6.4.1 Anlässe zur Kooperation mit Externen Der erste Kontakt zum untersuchten freien Träger entstand auch in diesem Projekt über die Planung eines anderen Evaluationsprojektes. Es sollten vor allem die angebotenen Familienhilfen evaluiert werden, die für die Einrichtung seit ihrer Gründung einen Schwerpunkt bildeten. Infolge der verschärften Finanzsituation der öffentlichen Hand und bezirklichen Umstrukturierungsmaßnahmen in der Jugendhilfe sollte die Evaluation den legitimierenden Nachweis der Wirksamkeit der angebotenen Hilfen des Trägers und die Professionalität der Handlungen erbringen – von der man ohnehin überzeugt war –, um die Wettbewerbsposition des Trägers um die Fallverteilung optimieren zu können. Aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen, die für dieses umfangreiche Projekt benötigt wurden, konnte das Evaluationsvorhaben jedoch nicht realisiert werden. Parallel dazu meldete der Träger einen weiteren Unterstützungsbedarf an. Knapp ein Jahr zuvor wurde in dessen Bezirk die Soziale Gruppenarbeit (SGA) nach § 29 (KJHG) aus der öffentlichen in die private Trägerschaft ausgegliedert und nun u. a. auch von diesem Träger angeboten. Während das ursprüngliche Evaluationsvorha-
6.4 Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit
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ben eine Untersuchung von etablierten Hilfen gewesen wäre, war die Untersuchung der organisationalen Einheit Soziale Gruppenarbeit mit einer vergleichsweise schwierigeren Situation konfrontiert. Bei Sozialer Gruppenarbeit handelt sich definitionsgemäß um: „Die Teilnahme an sozialer Gruppenarbeit soll älteren Kindern und Jugendlichen bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen helfen. Soziale Gruppenarbeit soll auf der Grundlage eines gruppenpädagogischen Konzepts die Entwicklung älterer Kinder und Jugendlicher durch soziales Lenen in der Gruppe fördern.“
Der Integrationsprozess in den freien Träger verlief aus verschiedenen Gründen problematisch, weshalb der Handlungsdruck als hoch empfunden wurde. Das Ziel der pädagogischen Institution war, einen Organisationsentwicklungsprozess zu initiieren, an dessen Ende die erfolgreiche Integration der SGA in die gesamte Angebotsstruktur des Trägers stehen sollte. Die Evaluation diente der Unterstützung dieses Prozesses. Infolgedessen wurde mit der Gesamtleitung des freien Trägers und der Leitung dieser Hilfeart die Durchführung der Evaluation vereinbart. Zunächst sollte ein Ist-Stand erhoben und die Ergebnisse rückgemeldet werden, um Orientierungsgrößen für einen Organisationsentwicklungsprozess zu gewinnen. Das Projekt wurde schließlich dem Team der Fachkräfte der Sozialen Gruppenarbeit vorgestellt und dort bewilligt.
6.4.2 Untersuchungsdesign Da in der ersten Untersuchungsphase in der Sozialen Gruppenarbeit nur zwölf Mitarbeiter tätig waren, lag es nahe, den gesamten Personenkreis in die Untersuchung aufzunehmen. Es wurden neun Fachkräfte auf der operativen Ebene in zwei Gruppen befragt48 und auf der Leitungsebene sowohl die verantwortliche Person der Gesamtleitung als auch die dieser Organisationseinheit49 einzeln interviewt. Zusätzlich wurden auf der Seite des Jugendamtes drei Fachkräfte auf unterschiedlichen Hierarchieebenen einzeln befragt, die mehr oder weniger speziell mit der SGA auf Jugendamtsseite beschäftigt waren. Alle Interviews basierten auf einem aus Vorgesprächen entwickelten Leitfaden, der sukzessive weiterentwickelt wurde. Nach Auswertung der Befragungen sollte ein Zwischenbericht verfasst und eine weitere, zweite Untersuchungsphase durchgeführt werden, um die eingetretenen Entwicklungen beobachten und analysieren zu können. Aufgrund einiger Umstrukturierungen sowohl auf Träger- als auch auf Jugendamtsseite waren die Interviewpartner in der zweiten Untersuchungsphase nicht mehr vollständig identisch mit denen der ersten Untersuchungsphase. Zwar wurden die bisherigen Leitungspersonen in ähnlicher Funktion erneut einzeln interviewt, doch die Anzahl der Mitarbeiter der SGA sank dramatisch zwischen den beiden Phasen. Nur noch eine Fachkraft, die zuvor schon befragt wurde, konnte erneut (dieses Mal einzeln) befragt werden. Ansonsten sind noch drei regelmäßig aushelfende Fachkräfte aus der organisationalen Einheit Familienhilfe einzeln interviewt worden. Im 48 49
Eine Mitarbeiterin konnte aus terminlichen Gründen nicht am Interview teilnehmen. Offiziell wurden die Fachteamleitungen als pädagogische Koordinatoren bezeichnet.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
Jugendamt wurden die früheren Interviewpartner erneut befragt, da aber zumindest ein Interviewpartner dort nicht mehr direkt mit der SGA befasst war, wurde der Personenkreis um zwei weitere Fachkräfte erweitert, die noch mit der SGA kontinuierlich beschäftigt waren. Wie alle anderen, wurden auch diese einzeln mithilfe von Leitfäden interviewt. Befragte Fachkräfte des Trägers
Fachkräfte des Jugendamtes
1. Untersuchungsphase
2. Untersuchungsphase
Dezember 2002 – Februar 2003
Juli – November 2004
2 Leitungskräfte einzeln interviewt und 9 operativ tätige Fachkräfte in 2 Gruppen interviewt
2 Leitungskräfte und 4 operativ tätige Fachkräfte einzeln interviewt
Leitfadengestützte Interviews
Leitfadengestützte Interviews
April – Mai 2003
September – Oktober 2004
3 Fachkräfte (der verschiedenen Hierarchieebenen) einzeln interviewt
5 Fachkräfte (der verschiedenen Hierarchieebenen) einzeln interviewt
Leitfadengestützte Interviews
Leitfadengestützte Interviews
Abbildung 19: Untersuchungsdesign – Fallbeispiel II
6.4.3 Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase Das zu integrierende Hilfeangebot Die Integration der Sozialen Gruppenarbeit bedeutete in personeller Hinsicht eine große Herausforderung. Mit der Ausgliederung aus der öffentlichen Trägerschaft wurden für die SGA die qualifikatorischen Zugangsbedingungen für die Fachkräfte berlinweit standardisiert. Festgelegte Leistungsbeschreibungen definierten von nun an das erforderliche Qualifikationsniveau, was es so zuvor offenbar nicht gab. Fortan durften formal nur noch Personen in der SGA tätig sein, die entweder ausgebildete Diplom-Sozialarbeiter oder Diplom-Pädagogen waren oder eine vergleichbare Ausbildung in der Arbeit mit Gruppen absolviert hatten. Da aber primär die betreuten Gruppen und nicht die einzelnen Gruppenbetreuer an die freien Träger ausgegliedert wurden, kam es dazu, dass nicht alle Fachkräfte, die automatisch über die betreuten Gruppen zugeteilt wurden, die neuen Formalitäten erfüllten. So arbeiteten zunächst auch Betreuer in der SGA, die das angestrebte Qualifizierungsniveau formal nicht erfüllten. Es wäre denkbar gewesen, qualifikatorische Defizite durch systematische Fortbildungen von Mitarbeitern zu beheben. Aufgrund anstehender Umstrukturierungsmaßnahmen im betreffenden Berliner Bezirk, die noch erörtert werden, und der damit einhergehenden Unsicherheiten wurde hierzu eine entsprechende Zurückhaltung gepflegt.
6.4 Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit
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Eine besondere Schwierigkeit bestand in der Finanzierung der Hilfe. Sie erfolgte durch das Jugendamt, und zwar pauschal über die Gruppe. In der Leistungsbeschreibung war dafür eine Soll-Gruppengröße von durchschnittlich acht Kindern bzw. Jugendlichen vorgesehen. Eine Unterauslastung der Gruppen bedeutete automatisch die Verteuerung der Hilfen für den Bezirk. Die freien Träger mussten daher ihre Aufmerksamkeit auf die Auslastung der Hilfen richten, wollten sie der Schließung von Gruppen entgehen. Da aber nicht jedes Kind oder jeder Jugendliche willkürlich den Gruppen zugeordnet werden konnte, erwuchs daraus eine Spannung zwischen dem Prinzip der Auslastung und dem Ziel, Gruppenstrukturen zu erreichen, die ein qualifiziertes pädagogisches Arbeiten ermöglichten. In diesem Kontext wurde eine Gruppe während der ersten Untersuchungsphase wegen einer mangelnden Auslastung geschlossen. Das erfolgte kurz nach der Durchführung der Interviews mit den Fachkräften des Trägers und noch vor denen mit den Fachkräften des Jugendamtes. Ferner wurde in den Befragungen der ersten Untersuchungsphase hinsichtlich der Ressourcen der gemeinsame Sitzungsraum kritisiert, der räumlich sehr weit entfernt lag von der zentralen Verwaltungsstätte und insgesamt von den Betreuungsräumen. Die gering geschätzte Hilfe Die Soziale Gruppenarbeit ist fokussiert auf ältere Kinder und Jugendliche mit dem Ziel, Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten zu überwinden. Sie ist nicht mit einer Gruppe der Jugendarbeit zu vergleichen, denn sie ist geschlossen, im Sinne einer verpflichtenden regelmäßigen Teilnahme eines bestimmten Personenkreises. Die Sozialen Gruppen werden von jeweils zwei Fachkräften betreut. Um von der Betreuung in Gruppen profitieren zu können, müssen die Kinder und Jugendlichen zu sozialer Interaktion in der Gruppe fähig sein. Der Kontakt zu den Eltern ist in die Gruppenarbeit mit eingeschlossen, der über Elterngespräche oder Elternabende erfolgt. Die hauptsächliche Aufmerksamkeit dieser Hilfeform gilt den Kindern und Jugendlichen und nicht so sehr der gesamten Familie. Das steht deutlich im Gegensatz zu den Familienhilfen nach § 31, welche bislang den Schwerpunkt des Leistungsangebotes des evaluierten Trägers bildeten und sich auf alle Mitglieder eines Familiensystems richteten. Aufgrund der geringen Reichweite in den Binnenraum der Familie kann die SGA im Vergleich zur Familienhilfe als sehr spezielle Hilfeleistung betrachtet werden. In diesem Kontext wurde von den Befragten berichtet, die SGA sei sowohl im evaluierten Träger selbst als auch im Jugendamt weniger geschätzt, wie folgende Aussage demonstrierte: „Der § 29 ist jedoch nie wirklich ernst genommen worden vonseiten der fallzuständigen Fachkräfte im Jugendamt, obwohl die SGA eine sinnvolle Hilfe ist. [...] Das Spielelement in der SGA wird häufig mit abfälligen Bemerkungen begleitet, dabei ist Spielen das Hauptmedium des sozialen Lernens.“
Warum das Spielelement eher negativ bewertet wurde, ob es eine vermeintliche fehlende Systematik in der Spielbetreuung oder etwas anderes war, konnte nicht genauer ergründet werden.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
Undurchschaubarkeit der Umwelt Das Jugendamt war der überragende Umweltfaktor. Die Klienten stellten zwar per se eine wichtige Bezugsgröße dar, selbstverständlich galt dies auch für die Eltern, doch durch die Abhängigkeit vom Jugendamt, die sich durch das Monopol der Fallzuteilung und der Fallüberprüfung ergab, richtete sich ein großer Teil der Aufmerksamkeit des freien Trägers auf die dortigen Entscheidungsprozesse. Die Aufnahme der Fallbetreuung und die Überprüfung der Fallentwicklung wurde durch ein neues Hilfeplanverfahren standardisiert, das in der SGA erst kurz nach der Ausgliederung dieser Hilfe in die freie Trägerschaft eingeführt wurde. Zuvor konnten zunächst die Eltern mit den freien Trägern die Hilfeleistung schriftlich vereinbaren, worauf erst dann das Jugendamt eingeschaltet wurde, welches in der Regel der Aufnahme zustimmte. Nun musste zuerst eine Vereinbarung zwischen Eltern und Jugendamt getroffen werden. Der Auftrag zur Fallbetreuung wurde anschließend vom Jugendamt an die freien Träger vergeben. Dadurch gelangte das Jugendamt in eine starke Position gegenüber den freien Trägern und der Zugang zur Hilfe verringerte sich. Wie im Fallbeispiel zuvor beschrieben, wird mit dem Hilfeplanverfahren eine strukturierte Überwachung angestrebt, die letztlich die Zusammenarbeit des Jugendamtes zu den fallzuständigen Mitarbeitern der freien Träger regelt. Der Aufbau funktionierender Kommunikationsstrukturen zum Jugendamt ist für die freien Träger daher besonders wichtig, um die Erwartungen und Kriterien bei der Fallvergabe berücksichtigen zu können. Dies war bei diesem Fallbeispiel umso wichtiger, als weitere Einsparungen in der Jugendhilfe angekündigt wurden und des Weiteren der Berliner Bezirk im Zuge einer sich vollziehenden Sozialraumorientierung bald regionaler strukturiert werden sollte. D. h. es gab Planungen, den Bezirk in verschiedene Regionen territorial aufzuteilen und nur noch eine bestimmte Anzahl an Trägern zuzulassen, die zudem ihre Angebote auf nur eine definierte Region konzentrieren sollten. Das hätte im Fall der Sozialen Gruppenarbeit das Aus einiger Gruppen bedeutet, weil die Gruppen in mehreren Regionen des Bezirks angeboten wurden. Außerdem hätten die Hilfeangebote stärker auf spezifische Kiezbedarfe ausgerichtet werden müssen. Neben der spannungsgeladenen Relation zwischen Gruppenauslastung und finanziellen Engpässen der öffentlichen Hand glaubten die befragten Fachkräfte des Trägers auch Unkenntnisse über die Eigenschaften bzw. Chancen und Möglichkeiten auf Seiten der fallzuständigen Sachbearbeiter im Jugendamt ausmachen zu können. Insgesamt führten diese Gegebenheiten zu großen Unsicherheiten und Irritationen bezogen auf die Kooperation mit dem Jugendamt. In den Interviews deutete sich beiderseits eine Tendenz an, zukünftig verstärkt flexiblere Gruppenangebote anbieten zu wollen, die ohne Hilfeplanverfahren auskämen, zudem nicht mehr zwingend an eine Vollfinanzierung durch das Jugendamt gebunden wären und dennoch einen vorhandenen Bedarf an Hilfemaßnahmen decken könnten. So wäre den Empfängern von Gruppenangeboten leichter und niedrigschwelliger Zugang verschafft worden und die bemängelten Eigenschaften der SGA wären umgehbar gewesen. Brisante Organisationsstruktur Die Organisationsstruktur gliederte sich in zwei Einheiten, Familienhilfe und Soziale Gruppenarbeit, die beide in Fachteams organisiert waren. Diesen Teams stand je-
6.4 Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit
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weils eine Fachkraft vor. Damit ging u. a. die Leitung der jeweiligen Teamsitzungen oder die Repräsentanz der Einheit nach außen einher. Das Anbieten der SGA führte auf den ersten Blick zu einer Diversifizierung der Struktur. Die Einheiten waren jedoch nicht wirklich autonom und mit einer diversifizierten Struktur nicht gleichzusetzen. So wurde das Fachteam Familienhilfe gemeinsam bzw. gleichzeitig von der Gesamtleitung und der pädagogischen Koordination geleitet. Der Kontakt der Leitung zum Fachteam Familienhilfe war dadurch enger als zum Fachteam Soziale Gruppenarbeit. Die alten Strukturen, wie sie vor der Integration der SGA bestanden, wurden praktisch fortgeschrieben. Daher wird in Abbildung 21 die Leitung des Fachteams Familienhilfe als durchlässig (gestrichelte Linien) zur Gesamtleitung hin dargestellt. Aufgrund der zentralen Rolle der Gesamtleitung waren typische Charakteristika einer einfachen Struktur zu identifizieren.
Abbildung 20: Organigramm zur ersten Untersuchungsphase – Fallbeispiel II
Unsicherheiten im Umgang mit Prozessen Im Hinblick auf die Prozesse der Leistungserstellung konnten wie im Fallbeispiel zuvor zwei unterschiedliche Themenbereiche identifiziert werden: • Die Arbeitsprozesse, die unmittelbar mit der Fallbetreuung selbst im Zusammenhang standen, und • diejenigen, die sich eher auf interne Abstimmungsprozesse erstreckten. Durch die Ausgliederung der Sozialen Gruppenarbeit in freie Trägerschaft wurde ein höherer Organisationsgrad erreicht. Die Gruppen wurden freien Trägern zugeordnet, wodurch die Gruppenbetreuer in ein Angestelltenverhältnis wechseln mussten, mit entsprechenden Folgen für ihre Arbeit. Mit der formalen Zugehörigkeit zu einem freien Träger erwuchs die Notwendigkeit zur wechselseitigen Koordination im Kollegium. Zudem wurde das aus der Familienhilfe bekannte Hilfeplanverfahren kurz
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
nach der Ausgliederung auf die SGA übertragen, welches das Verfahren der Fallaufnahme und dessen -beendigung (oder -verlängerung) standardisierte. Dadurch sind nicht nur zeitliche Rahmen gesetzt worden, sondern es ging auch die Verpflichtung zur Fallbearbeitung entlang vereinbarter Zielgrößen sowie zur Erstellung von Zwischen- bzw. Abschlussberichten einher. Zudem wurde, wie erwähnt, die Fallakquise neu geregelt, so dass die Schwelle zur Fallaufnahme insgesamt nach oben geschoben wurde. Schließlich wurde die SGA über ein festgelegtes Stundenkontingent finanziert, das für die Tätigkeiten in der SGA einen zeitlichen Rahmen festlegte (z. B. für Arbeit mit dem Kind/Jugendlichen, Elternarbeit) und dessen Einhaltung vom Träger selbst kontrolliert wurde. In den Befragungen wurde das von den Mitarbeitern der operativen Ebene beklagt, der Zeitaufwand und das bürokratische Prozedere habe sehr zugenommen. Insgesamt sind die empfundenen negativen Effekte der verstärkten Prozessorientierung sehr hervorgehoben worden, ohne dass ein breites Verständnis für die Standardisierungsversuche erkennbar war. „Man hat teilweise das Gefühl, als müsse man sich mehr um die formalen Dinge kümmern, als um die eigentliche Arbeit mit den Kindern.“
Aufgrund der Irritationen und Unsicherheiten vor allem im Umgang mit den Berichten versuchte die Leitung des Fachteams der SGA, den Mitarbeitern zu den einzelnen Berichten gezielte Rückmeldungen zu geben, um mehr Sicherheit mit dieser Form der Arbeitsabläufe zu gewinnen. Im Hinblick auf interne Koordinationsmuster wurden die Neuerungen allgemein als positiv erlebt, die formal mit der Option des engen fachlichen Austauschs einhergingen. Dafür standen die Teamsitzung, Supervisionen, Fachanleitungen oder einfach informelle Kommunikationswege zur Verfügung. Fachanleitungen bestanden aus regelmäßig stattfindenden Gesprächen zwischen der pädagogischen Koordination der organisationalen Einheit mit einzelnen Fachkräften. Dieses Treffen sollte den fachlichen Austausch fördern und die Fallbearbeitung erleichtern. Auf eine ähnliche Weise sollte die Supervision als weitere Maßnahme zur Prozessverbesserung beitragen. Am Anfang, so die befragten Mitarbeiter, hatte die Supervision vor allem eine organisationsberaterische Funktion und trug zur Teambildung bei. Allgemein bestand der Bedarf, mehr über die Arbeitserfahrungen mit den Fällen zu sprechen, die Teamsitzungen ließen dafür anscheinend nicht genügend Raum. Eine weitere Option, die Prozessqualität zu verbessern, war die qualifikatorische Lücken mithilfe von Fortbildungen, als Instrument der Personal- und Organisationsentwicklung, systematisch zu schließen. Aus den schon genannten Gründen wurden entsprechende Aktivitäten jedoch zurückgestellt. Von Brisanz waren die Entscheidungsprozesse aufgrund der engen Verschmelzung zwischen Gesamtleitung und dem Fachteam Familienhilfe. Dort getroffene Entscheidungen hatten angeblich ein höheres Maß an Verbindlichkeit. Die Mitarbeiter der SGA wiesen auf das bei Entscheidungen mitschwingende potenzielle Erfordernis der nochmaligen Absprache mit der Gesamtleitung hin. „Bei uns werden häufig Konfusionen ausgelöst, weil wir nicht wissen, an wen wir uns zu wenden haben.“
6.4 Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit
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Ein angeblich höheres Qualifikationslevel der Familienhelfer, die teilweise unverbindlichen Entscheidungsprozesse und allgemein die Tatsache, als Gruppe en bloc zur Organisation hinzugestoßen zu sein – all das erschwerte den Integrationsprozess. Es war, als befänden sich zwei unterschiedliche Kulturen unter einem Dach. Auch wenn die befragten Mitarbeiter davon sprachen, die Situation habe sich merklich verbessert, wurde dennoch von atmosphärischen Spannungen zwischen den Fachteams berichtet. „Das [das Fachteam Familienhilfe] ist irgendwie eine Familie und wir sind die Angeheirateten.“
Im Grunde bestand eine Kluft zwischen beiden Fachteams. Die Familienhilfe war im Angebot nicht mehr konkurrenzlos, gleichzeitig hatten die Fachkräfte der SGA Umstellungsprobleme hinsichtlich einer für sie neuen Form der Organisiertheit. Integration als Ziel Die Übernahme der Sozialen Gruppenarbeit war zwar von der Leitungsebene gewollt, weil die Angebotspalette breiter und das Gewicht im Bezirk größer wurde. Das vor allem von der Gesamtleitung und der pädagogischen Koordination der SGA verfolgte Ziel war, die Integration zum Erfolg zu bringen. Zu kompliziert war die Situation, zu schwierig die Alltagserlebnisse, die einerseits durch die Betreuung von oft sehr heterogenen Gruppen und die unsicheren finanziellen und steuerungspolitischen Rahmenbedingungen, andererseits durch die internen Koordinationsprobleme hervorgerufen wurden. Die Veränderungen sollten sich an der Norm des Teams Familienhilfe ausrichten, das innerhalb des Trägers als sehr professionell galt. Übertragen auf das Fachteam der SGA leitete sich daraus die Strategie ab, die Integration vor allem über eine systematische Professionalisierung zu fördern. Das konnte u. a. durch eine größere Aufmerksamkeit gegenüber den Kriterien des Hilfeplanverfahrens erreicht werden (wie sie ja teilweise auch bestand), durch Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter oder durch die Kooperation zwischen den beiden Fachteams Familienhilfe und SGA (z. B. die Förderung des gemeinsamen Austauschs über die Fallarbeit), die bis dahin getrennt voneinander operierten. Letztlich wurde eine bessere Profilierung im Wettbewerb der zu vergebenden Fallaufträge angestrebt. Bezogen auf die konkrete Betreuungsarbeit wurden die oft sehr heterogen zusammengesetzten Gruppen kritisiert und es wurde allgemein der Wunsch geäußert, themenspezifischer mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. D. h. die Gruppen sollten entweder aufgrund eines gemeinsamen Problemhintergrunds der Kinder und Jugendlichen gebildet werden (z. B. Trennungs- und Scheidungskinder oder Kinder von psychisch erkrankten Eltern) oder aber aufgrund einer bestimmten Zielstellung für die Gruppe (z. B. Theaterpädagogik). Die relativ begrenzte Anzahl an Sozialen Gruppen im Bezirk setzte solchen Überlegungen enge Grenzen, weil durch den bestehenden Rechtsanspruch auf eine Hilfe in erster Linie die Betreuung von oft sehr unterschiedlichen Problemlagen gewährleistet sein musste. Auf der Leitungsebene des freien Trägers wurden daher Pläne entwickelt, künftig alternative Gruppenangebote mit bestimmten Themenschwerpunkten, außerhalb des
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
§ 29 (KJHG), zu verfolgen und die bürokratischen Hürden zu umgehen. Diese Pläne waren aber noch nicht in der Realisierungsphase angekommen.
6.4.4 Zwischenfazit: Fragiler Integrationsprozess In diesem Fallbeispiel war die Unsicherheit über die zu ergreifenden Handlungen in besonderer Weise ausgeprägt. Das bezog sich im Grunde auf alle organisationalen Dimensionen. Am Ende der ersten Untersuchungsphase konnte vor allem ein erhebliches Integrationsdefizit der SGA in den evaluierten Träger diagnostiziert werden. Durch die Ausgliederung der Hilfen, die Einführung des Hilfeplanverfahrens und die Qualifikationsanforderungen wurden Strukturen und Standards geschaffen, welche pädagogisches Handeln einforderten, das für die Mitarbeiter bisher unbekannt war und verunsichernd wirkte. Gleichzeitig stieg der interne Koordinationsbedarf, der mithilfe von Teamsitzungen, Supervisionen oder Fachanleitungen offenbar noch nicht gedeckt werden konnte. Insgesamt zeigte sich dadurch eine erhebliche Frustration in Bezug auf standardisierte Arbeitsprozesse, die durch die problematische Integration in eine bestehende Trägerstruktur noch verstärkt wurde. Zusätzlich wurden Irritationen bezüglich der Aufgaben und Inhalte der SGA erkennbar, die von einer Geringschätzung dieser Hilfeart insgesamt getragen wurde. Die evaluierte pädagogische Institution ähnelte trotz der strukturellen Gliederung in zwei Fachteams dem Modell der einfachen Struktur. Die Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen waren vollständig auf die Gesamtleitung zugeschnitten, zumal diese zum Teil direkten Einfluss auf die Abläufe des für den Träger so bedeutsamen Fachteams Familienhilfe ausübte. Operativ und kulturell waren beide Fachteams voneinander getrennt. Es war absehbar, dass insbesondere aufgrund der anstehenden Regionalisierung bzw. Sozialraumorientierung mit weiteren herausfordernden Umweltentwicklungen gerechnet werden musste. Innerhalb der geltenden Rahmenbedingungen hätte, im Sinne eines die Humanressourcen betonenden Organisationsentwicklungsprozesses, vor allem an der Professionalisierung der Fachkräfte bzw. des Fachteams SGA und an der Bearbeitung der bestehenden Konflikte im Zusammenhang mit der Akzeptanz im Träger gearbeitet werden müssen. Diesbezüglich wären eine systematische Qualifizierung der Mitarbeiter und des Weiteren ein gezielter Austausch von Informationen zu organisieren gewesen, um die Folgen der Ausgliederung präziser zu verstehen und angemessene Handlungen zu entwickeln. Die Dokumentation der Fälle verlangte zwar einen zeitlichen Mehraufwand, beinhaltete aber auch das Potenzial zu einer intensiveren und qualifizierteren Fallbearbeitung. Durch die kontinuierliche Abarbeitung an diesen beiden Aufgaben wären Profilierungseffekte und intern positive Folgen für das Selbstverständnis der SGA und deren Integration in den freien Träger zu erwarten gewesen. Schließlich hätte es auch eines bewussteren Umgangs mit den problematischen und asymmetrischen Entscheidungsstrukturen bedurft. Die weiteren Bemühungen in Richtung einer Integration konnten prinzipiell nur über zwei Wege erreicht werden. Zum einen hätte eine Integration in bestehende Handlungsmuster, Ziele des Trägers oder Normen angestrebt werden können. Zum anderen hätte die Bearbeitung des Integrationskonflikts auch zu grundlegenden Ver-
6.4 Fallbeispiel II: Die Integration einer organisationalen Einheit
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änderungen der Einrichtung führen können, und zwar durch eine Suche nach einem neuen Selbstverständnis, nach neuen Normen und Zielen für den gesamten Träger. Dazu hätte die organisationale Einheit Familienhilfe in den Organisationsentwicklungsprozess einbezogen werden müssen. Beide Optionen wären jedenfalls ohne die Unterstützung der Gesamtleitung nicht zu realisieren gewesen.
6.4.5 Die Ergebnisse der zweiten Untersuchungsphase Folgenschwere Umweltereignisse Da zwischen den beiden Untersuchungsphasen in der Umwelt einige Veränderungen vollzogen wurden, die wiederum für die freien Träger nicht folgenlos blieben, wird des besseren Verständnisses wegen mit der Beschreibung der Dimension Umwelt begonnen. Die knappe Haushaltslage führte zu einer deutlicheren Überprüfung der Gruppenauslastungen. Wie erwähnt, führten Unterauslastungen von Gruppen zu Mehrkosten. Drei von den sechs zu Beginn der Evaluation bestehenden Gruppen des evaluierten Trägers wurden aufgrund einer festgestellten Unterauslastung geschlossen. In der Logik der öffentlichen Haushaltung konnten somit Ineffizienzen beseitigt und Einspareffekte erzielt werden. Eine weitere Veränderung wurde auf der bezirklichen Steuerungsebene der Jugendhilfe vollzogen. Die dezentrale Einteilung des Bezirkes in vier territorial definierte Regionen, wurde eingeführt. Der evaluierte Träger durfte wie alle Träger nur noch in einer der vier Regionen sozialpädagogisch tätig sein. Die drei verbliebenen Sozialen Gruppen konnten zwar behalten werden, doch zwei von ihnen waren nicht in der zugedachten Region des Trägers ansässig und konnten in der nächsten Zeit ausgetauscht werden. Die Zuordnung von Trägern zu bestimmten Regionen und die Trägerbegrenzung pro Region führte dazu, den Kreis derer, die Hilfen zur Erziehung anbieten konnten, stärker zu begrenzen als früher. Im Zuge dessen wurde von den Trägern erwartet, sich in ihren Regionen zunehmend miteinander über ihre Angebote abzustimmen, um ineffiziente Strukturen zu vermeiden. Die strukturelle Kooperation von Trägern stellte zugleich ein typisches Merkmal der Sozialraumorientierung dar. Die vernetzteren Angebotsstrukturen sollten zudem die individuelle Passgenauigkeit von Hilfen erhöhen. Die Träger der HzE waren aufgefordert, zusätzlich zu ihrem bisherigen Bemühen, ihre Organisationen überlebensfähig zu halten, auch einen interorganisationalen Kontext zu berücksichtigen. Die Leistungsfähigkeit der partnerschaftlichen Kooperation der Träger stellte nun eine weitere Herausforderung dar. Neukonzipierung der Hilfe Die skizzierten Entwicklungen führten zu einer Reduktion des Umfangs an Sozialer Gruppenarbeit, nicht aber zu deren vollständiger Aufgabe. Die Arbeit mit Gruppen wurde, im Gegenteil, generell positiver betrachtet als noch in der ersten Untersuchungsphase und das Gruppenangebot des untersuchten Trägers sogar ausgeweitet. Die wohlwollende Haltung konnte bei allen Befragten festgestellt werden, mit Ausnahme derjenigen Fachkräfte im Jugendamt, die auf der operativen Ebene fallzuständig für die SGA waren. Dort wurde z. B. eine intensivere Hortarbeit als passendes
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
und kostensparendes Substitut erachtet. Auf den Hierarchieebenen des Jugendamtes jedoch, die mit Planung, Steuerung und Kontrolle befasst sind, wurde die Notwendigkeit zur Gruppenarbeit bzw. zum sozialen Lernen angesichts vorhandener Bedarfe kaum bezweifelt. Allerdings wurden die Schwächen der SGA weiterhin deutlich von diesen strategisch arbeitenden Befragten angesprochen. Sie sei objektiv zu teuer, zu hochschwellig, zu bürokratisch und zu unflexibel. Insbesondere wurde die fehlende Möglichkeit bemängelt, Gruppen zügig zu schließen, sobald ein entsprechender Bedarf nicht mehr vorhanden sei. Denn mit den betreuten Kindern und Jugendlichen wurden individuelle und unterschiedliche Betreuungszeiträume vereinbart, die in zeitlicher Hinsicht zu fragilen Gruppenzusammensetzungen führen konnten. Es sind daher neben den regulären, nach dem KJHG geregelten, Gruppenhilfen alternative Gruppenarbeiten initiiert worden, die flexibler und themenspezifischer organisiert waren, und zu denen kein Hilfeplan verfasst werden musste. So wurden vom evaluierten Träger reittherapeutische Angebote realisiert, die sich z. B. an Sonderschulen für geistig behinderte Kinder richtete und auf der Finanzierung durch die Schulen selbst beruhte. Weitere flexible, themenspezifische Hilfen waren in Planung. In diesem Kontext ist auch die Prognose eines befragten Jugendamtsmitarbeiters zu erwähnen, die Gruppenarbeit nehme „langfristig“ zu. Inwieweit der § 29 in diesem Sinne flexibel interpretiert werden kann oder ob nicht doch ein schleichendes Ersetzen durch alternative Gruppenarbeitsstrukturen stattfinden würde, war nicht voraussehbar. Jedenfalls wurden mit der Verwirklichung der konzipierten alternativen Gruppenangebote die bürokratischen Nachteile der SGA umgangen. Neubewertung der Ausstattung Der Wegfall dreier Gruppen und die unsichere Situation über den Verbleib der restlichen Gruppen führte zum Ausscheiden fast aller Fachkräfte der Sozialen Gruppenarbeit, deren Arbeitsverträge ausliefen. Nur eine Fachkraft des operativen Teams, die eine reittherapeutische Zusatzqualifikation besaß, gehörte weiterhin der Belegschaft des Trägers an. Die verbliebenen drei Gruppen wurden betreut durch ebendiese Person und durch die Fachkraft, die bisher mit der pädagogischen Koordination betraut und nun operativ tätig war sowie drei regelmäßig aushelfenden Fachkräften aus dem Fachteam Familienhilfe, von denen eine regelmäßig auch alternative Gruppen betreute. Der Einsatz der hoch qualifizierten Familienhelfer führte formal zu einer Steigerung des Qualifikationsniveaus der Mitarbeiter der SGA und konnte damit zur Professionalisierung der Sozialen Gruppenarbeit beitragen. Die Ausstattung mit Sitzungsräumen für die SGA war durch die Umstrukturierungen und die Auflösung eines eigenständigen Fachteams kein Thema mehr. Sitzungen wurden fortan gemeinsam mit dem Fachteam Familienhilfe abgehalten. Die strukturellen Grenzen innerhalb des Trägers zwischen beiden Hilfearten sind somit durchlässiger geworden. Verschmelzung der organisationalen Einheiten Die Auflösung des Fachteams Soziale Gruppenarbeit und das dennoch weiter bestehende Hilfeangebot führte strukturell betrachtet zu einer Sonderform. Die Leitungs-
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stelle der SGA (pädagogische Koordination) wurde formal abgeschafft, weil sie angesichts der geringeren Anzahl an betreuten Gruppen nach dem KJHG ihre Funktion verloren hatte. Die betreffende Fachkraft war nun operativ tätig. Aus dem Fachteam Familienhilfe unterstützten jetzt regelmäßig drei Mitarbeiter die Soziale Gruppenarbeit, um das Angebot gewährleisten zu können. Folglich wurden die Grenzen zwischen Gruppenarbeit und Familienhilfe jetzt formal, durch die Zusammenarbeit der Betreuer auch informal, durchlässiger. Die Person, die für die Gesamtleitung verantwortlich war, und gleichzeitig auch ein Team der Familienhilfe gleitet hatte, war nun direkt für die SGA zuständig. Diese Erweiterung des Verantwortungsbereichs auf der Leitungsebene ließ weiterhin eine Analogie mit dem Modell der einfachen Struktur erkennen, in dem die Leitung den Knotenpunkt der Einrichtung bildete.
Abbildung 21: Organigramm zur zweiten Untersuchungsphase – Fallbeispiel II
Möglicherweise war diese Organisationsstruktur nur eine vorübergehende. Durch die Etablierung alternativer Gruppenangebote und die Planung, solch flexible Angebote weiter auszubauen, wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, später wieder ein neues Fachteam Gruppenarbeit aufzubauen. Professionalisierung Wiederum werden die Prozesse differenziert betrachtet, und zwar im Kontext • der Fallarbeit sowie • der internen Koordination.
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
Im Hinblick auf die Bearbeitung der Fälle haben sich einige Veränderungen ergeben. Durch die Einbindung der Familienhelfer, die im Übrigen vorwiegend aufgrund des Kriteriums noch freier zeitlicher Kapazitäten in der SGA aushalfen, steigerte sich, wie erwähnt, zumindest potenziell das Qualifikationsniveau in der Gruppenarbeit. Die verbesserte Koordination über professionelle Handlungsmuster schien sich konkret durch das Verschwinden von Unsicherheiten hinsichtlich des Hilfeplanverfahrens bemerkbar zu machen. Mögliche Irritationen über das Hilfeplanverfahren im Allgemeinen und das Verfassen von Berichten und den diesbezüglichen Erwartungen im Speziellen wurden nicht mehr geäußert. Auch der bürokratische und zeitliche Aufwand wurde nicht mehr beklagt. Möglicherweise hätte eine Vereinfachung des Verfahrens entsprechende Aussagen begünstigen können, doch es konnten keine Veränderungen bezüglich der Inhalte und Anforderungen des Hilfeplanverfahrens oder des Berichtswesens konstatiert werden. Der Nutzen der höheren Qualifikationen machte sich nicht nur allgemein durch eine größere Systematik in der Fallbearbeitung, sondern auch speziell durch die Kompetenzen in der Familienarbeit bemerkbar, so z. B. in der Elternarbeit. „Es macht einen Unterschied, ob Leute Erfahrungen in der Familienhilfe gesammelt haben oder nicht. Die können in der Elternarbeit sehr viel systematischer arbeiten und anders anleiten.“
Die Folgen dieser gesamten Entwicklung hätten leicht einen Qualitätsverlust bedeuten können, der aber nirgends bestätigt wurde. Eher war das Gegenteil der Fall, es schien eine Qualitätssteigerung gegeben zu haben. Die aushelfenden Familienhelfer sahen im Hilfeplanverfahren und im Verfassen von Berichten keinen Unterschied zur Handhabung in der Familienhilfe. Ihnen waren die Standards vertraut. Beeindruckt zeigten sie sich dagegen von den Anforderungen einer Gruppenarbeit, selbst wenn sie selbst schon Erfahrungen mit Formen der Gruppenarbeit hatten. Der Umgang mit den heterogenen Gruppenkonstellationen erforderte, so die Befragten, viel Energie und Arbeitsintensität. Hinsichtlich der internen Abstimmungsprozesse war der Wegfall der Teamsitzungen die logische Konsequenz aus der Personalreduktion in der SGA. Die Belange der (Sozialen) Gruppenarbeit konnten nun in gemeinsamen, großen Teamsitzungen (mit dem Fachteam Familienhilfe) besprochen werden. Weiterhin hatten die Mitarbeiter die Möglichkeit, die Prozesse über Fachanleitungen oder Supervisionen zu optimieren. Durch die nicht mehr stattfindenden Teamsitzungen reduzierte sich der Umfang an formalen Absprachemöglichkeiten. Von den Befragten wurde das aber nicht als Problem wahrgenommen, vermutlich auch durch die Etablierung einer Gesamtteamsitzung. Die zuvor bemängelten Entscheidungsprozesse gewannen durch gemeinsam veranstaltete Teamsitzungen an Verbindlichkeit, weil nun ein direkter Draht zur Leitung des Trägers hergestellt wurde. Neuer Kontext, Ziele erreicht Im Vergleich zur ersten Untersuchungsphase hatte sich der Kontext deutlich verändert. Die Ziele, die in der ersten Untersuchungsphase identifiziert wurden, richteten
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sich auf die Integration der organisationalen Einheit im Rahmen der bestehenden Bedingungen, also auf den Erhalt einer möglichst großen Anzahl von Gruppen mit der zur Verfügung stehenden Belegschaft. Mit einer gelungenen Integration hätte sowohl die Arbeitszufriedenheit als auch die Leistungsfähigkeit gesteigert werden sollen. Wie in der klassischen Organisationsentwicklung hätten vor allem die personalen Ressourcen entwickelt werden müssen. Nun galt aber die Maxime, das Überleben der SGA zu sichern. Mit strukturellen Eingriffen wurden im Grunde die alten Ziele über Umwege erreicht. Die Professionalisierung nahm zu, die Leistungsfähigkeit anscheinend nicht ab, und insgesamt ist die Integration der Gruppenarbeit weitgehend erreicht worden. Strategische Alternativen zu den getroffenen Entscheidungen und Folgen wurden nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Gesamtleitung konnte als wichtigster Träger und Initiator der Veränderungsprozesse identifiziert werden. Die Kommunikationsströme flossen hier – im Sinne der einfachen Struktur – zusammen, alternative Kräfte waren nicht zu erkennen. „Da konnte man immer fragen und hat eine Antwort bekommen.“
Die Aufnahme der SGA in die bestehende Angebotspalette wurde anfangs womöglich unterschätzt. Um es mit den Worten der Gesamtleitung auszudrücken: „Ich denke, mein ursprüngliches Leitmotiv aus der Familienhilfe, hohe Qualifikationsniveaus und viel Freiraum, passte in der SGA nicht. Ich habe den Kontext nicht beachtet.“
6.4.6 Interpretation der Veränderungen: Verbesserungslernen Die Kooperation mit dem freien Träger und die Vereinbarung zur begleitenden Evaluation entstand aus der sich überlappenden Unsicherheit über die Entwicklung externer Bedingungen und die Integration der organisationalen Einheit Soziale Gruppenarbeit. Insofern hatte die Evaluation eine Erkenntnisfunktion. Aber gerade bestehende Unsicherheiten können mit Blick auf den Neo-Institutionalismus zum Bedarf der Legitimierung des Handelns führen. Die Evaluation kann in diesem Sinne dazu dienen, als Fassade Modernität und Professionalität zu signalisieren. Zumal der zentrale Adressat, das Jugendamt, selbst in die Befragung einbezogen wurde und sowohl von der Evaluation als auch von dem Organisationsentwicklungsprozess Kenntnis nehmen konnte. Ähnlich wie im Fallbeispiel I lösten nicht nur weitere Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand einen Großteil der Verunsicherung aus, sondern auch die in diesem Berliner Bezirk noch zu realisierende Sozialraumorientierung und die Qualitätsdiskussionen. Der überragende Umweltfaktor in diesem Kontext war für den untersuchten freien Träger das Jugendamt. Es herrschte eine ausgeprägte Fokussierung auf das Agieren im Jugendamt. Das Gefühl, die Veränderungen kontrollieren zu können, war angesichts der sich andeutenden Neuordnungen kaum mehr gegeben. Zudem mussten mit der engeren Kooperation mit anderen freien Trägern zusätzliche Umweltfaktoren berücksichtigt werden, was die Komplexität ansteigen ließ. Die skizzierten externen Bedingungen erhöhten den Veränderungsdruck. Die Differenz zwi-
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
schen dem von der Leitungsebene erwarteten Zustand der Gruppenarbeit und den real erlebten Schwierigkeiten konnte unter den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr weiter ausgehalten werden. Es musste förmlich zu Veränderungen kommen. Nur zu welchen? Insgesamt handelte es sich bei dem Veränderungsprozess auf den ersten Blick um einen Downsizing-Prozess, der als Chance genutzt und infolgedessen eine Perspektive für die Gruppenarbeit entwickelt wurde. Die zuvor konstatierte Integrationsproblematik wurde entspannt, wenn nicht sogar aufgelöst. Der untersuchte freie Träger reagierte, ähnlich an dieser Stelle wie der im ersten Fallbeispiel, mit einer Ausweitung der Produktpalette, und zwar in Gestalt einer Flexibilisierung der Gruppenangebote. Ferner nahm der Handlungsdruck durch die Schließung von Gruppen und die weitere Bedrohung der bestehenden zu. Als Konsequenz wurden auslaufende Arbeitsverträge nicht mehr verlängert. Dass aber eine Fachkraft des alten Fachteams der SGA weiter beschäftigt wurde, und gerade ihre Zusatzqualifikation zum Ausbau von Gruppenarbeiten genutzt wurde, ist das Eigenständige der Entwicklung dieses freien Trägers. Es kam einem Bekenntnis zur Gruppenarbeit gleich. Das begründete eine höhere Akzeptanzbereitschaft gegenüber der vormals noch sehr kritisch betrachteten Arbeit mit Gruppen. Der Integrationsprozess wurde zusätzlich durch die Mitarbeit der Familienhelfer begünstigt. Die Trennung der beiden Fachteams wurde somit aufgehoben. Die Mitarbeit der Familienhelfer wirkte sich offenbar positiv auf die Professionalität aus. Der Umgang mit dem Hilfeplanverfahren, das ein Instrument der Qualitätssicherung in der Jugendhilfe ist, löste nun keine Irritationen mehr aus. Auch die Tatsache, dass die Abstimmungsprozesse offenbar ausreichten, obwohl mit der Abschaffung einer eigenständigen Teamsitzung ein wichtiges Koordinationsgremium nicht mehr existierte, und dies keine Beunruhigung hervorrief, kann als Indiz für eine Professionalisierung gewertet werden. Die Veränderungen vollzogen sich auf der Handlungsebene und nicht auf der Ebene der Ziele und Normen. Es handelte sich um ein Verbesserungslernen bzw. im Sinne von ARGYRIS/SCHÖN (1996) um ein Single-Loop-Lernen. D. h. die Optimierung der Handlungen war die entscheidende Veränderungsgröße bei diesem evaluierten Träger. Das bedeutete in diesem Fall zugleich eine Stabilisierung der Organisation. Die Auslöser der Veränderungen sind in den negativen Erfahrungen mit der Integration der SGA zu suchen, teilweise dürften auch die internen Frustrationen und Konflikte den Veränderungsdruck erhöht haben. Obwohl die Umweltbedingungen sich deutlich gewandelt hatten, waren die Veränderungen in der organisationalen Einheit insofern nicht radikal, weil die Integration der SGA nicht das Ziel- und Normengefüge der Einrichtung erreichte. Wie im letzten Zitat deutlich wurde, passte die anfängliche Erwartungshaltung der Leitung an die Qualität der SGA nicht zum Ist-Zustand. Dieses Spannungsverhältnis existierte zur zweiten Untersuchungsphase nicht mehr, da der Ist-Zustand verändert wurde und infolgedessen u. a. die Arbeitsabläufe nicht mehr als problematisch wahrgenommen wurden. Analog zum einfachen Strukturmodell konnte auch in diesem Fallbeispiel die Gesamtleitung als Zentrum der Interaktionen identifiziert werden. Die gesamten Prozesse im Träger flossen an dieser Stelle immer wieder zusammen. Ohne die dortige Erkenntnis und den Willen, etwas zu ver-
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ändern, wäre die Entwicklung so nicht vollzogen worden. Durch die Veränderungen ist die Position der Gesamtleitung noch gestärkt worden, so dass auch in diesem Fallbeispiel ein Hierarchisierungsprozess zu beobachten war. Die Widerstände, die mit der Integration bzw. der stärkeren Kontrolle des pädagogischen Handelns (strukturiertes Hilfeplanverfahren, höhere Qualifikationsanforderungen) einhergingen, ließen sich auf unterschiedlichen Ebenen verorten. Auf der individuellen Ebene war eine fachliche Unsicherheit der Fachkräfte, auf der organisationalen Ebene eine als gestört empfundene Kommunikation zur Gesamtleitung sowie ein wahrgenommener Unterschied in der Reputation beider Hilfen (SGA und Familienhilfe) feststellbar. Die Konflikte wurden einerseits mikropolitisch durch die Durchführung der strukturellen Maßnahmen entschärft. Andererseits wurden die vorhandenen personalen Ressourcen besser genutzt, was typischerweise mit OrganiOffener Systemansatz
Doppelter Theorieansatz
Deskription der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Interpretation der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Output
Aufbau von Fassaden
Weniger Soziale Gruppen, Realisierung alternativer Gruppenangebote
Evaluation auch als Legitimitätsfunktion Identifikation organisationaler Lernprozesse
Input
Mitarbeitende Familienhelfer
Reale Veränderungen – pädagogische Institution hat gelernt
Umwelt
Auslöser
Einsparungen durch Schließung von Gruppen, Sozialraumorientierung, wohlwollendere Einstellung gegenüber Gruppenarbeit auf den höheren Hierarchieebenen im Jugendamt
Differenz zwischen Soll- und Ist-Zustand (erfahren)
Prozesse
Kaum mehr Unsicherheiten bezüglich Hilfeplanverfahren, Professionalisierung, verbesserte Koordination
Trägerebene
Leitungsebene Qualität der Lernprozesse
Single-Loop-Lernen (Veränderung der Handlungsmuster, Normen gleich geblieben)
Organisationsstruktur
Verschmelzung beider Fachteams Ziele
Etablierung der Gruppenarbeit, Beibehaltung des Leistungsanspruchs
Widerstände
Hinsichtlich der Integration der Gruppenarbeit in den freien Träger Förderliche Faktoren
Bessere Ressourcennutzung, schneller Erfolg der Maßnahmen, starke Stellung der Gesamtleitung
Abbildung 22: Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen im Fallbeispiel II
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
sationsentwicklung zu erreichen versucht wird. Die rasch als positiv empfundenen Folgen der Veränderungen waren dann für die Neuordnung der Gruppenarbeit hilfreich.
6.5
Fallbeispiel III: Veränderungsprozesse in einer Schule
In einem weiteren Fallbeispiel wird ein Veränderungsprozess in einem Berliner Gymnasium skizziert. Die Schule war in einem sozioökonomisch günstigen Umfeld verortet und versuchte sich inhaltlich durch einen fremdsprachlichen und einen musischen Schwerpunkt zu profilieren. Außerdem war sie international vernetzt und unterhielt Partnerschaften zu einigen Schulen im Ausland. Die Schule hatte keine Probleme damit, neue Schüler zu rekrutieren. Zu jedem neuen Schuljahr lagen die Aufnahmeanträge über den zur Verfügung stehenden Aufnahmekapazitäten. Einzig die langjährige Verzögerung bei der Neubesetzung der Schulleitung, die politische Ursachen hatte, sorgte für einigen Unmut innerhalb der Schule, der jedoch durch die Berufung der neuen Leitung langsam verflog. Zum Beginn der Kontaktaufnahme mit der Schule waren vor allem äußere Rahmenbedingungen der Anlass zum Nachdenken über die Zukunft der Schule. Angesichts der jüngsten bildungs- bzw. schulpolitischen Diskussionen entwickelte sich ein diffuses Gefühl, eine Ist-Analyse durchführen zu müssen, um sich der eigenen Stärken und Schwächen zu vergewissern. Aufgrund der gesammelten Informationen zielten die Vorstellungen hierzu sehr allgemein darauf ab, die Schule so zu entwickeln bzw. sicherzustellen, dass sie auch in Zukunft attraktiv für Schüler und deren Eltern bleiben würde. Im Grunde wurden auch hier die klassischen Ziele eines Organisationsentwicklungsprozesses beansprucht: • die Steigerung der Arbeitszufriedenheit und • die der Leistungsfähigkeit. Im Laufe der Kooperation mit der Schule wurde das dahingehend konkretisiert, dass formal ein Schulprogramm entwickelt werden sollte. Ein solches Vorhaben verläuft aber nicht reibungslos, wie auch diese Schule erfahren hat, was im Folgenden näher betrachtet wird.
6.5.1 Anlässe zu Kooperation mit Externen Die Kooperation zwischen der Schule und der wissenschaftlichen Einrichtung kam u. a. vor dem Hintergrund der diskutierten bildungs- und schulpolitischen Folgen aktueller Leistungsvergleichsstudien wie der PISA-Studie zustande. Erste Kontakte entwickelten sich über einen Vortrag an dieser Schule zur Interpretation der PISA-Ergebnisse. Wie oben angedeutet, leitete sich das Interesse an einer Kooperation nicht aus einer wahrgenommenen Krisensituation der Schule, sondern aus einem allgemeinen Interesse der Schule, und zwar insbesondere der Schulleitung, an Potenzialen zur Qualitätsverbesserung ab. Die Schule plante zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme
6.5 Fallbeispiel III: Veränderungsprozesse in einer Schule
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die Durchführung einer schriftlichen Befragung von Schülern, Eltern und Lehrern. Dadurch sollte eine Ist-Analyse durchgeführt werden, aus der Informationen über zu ergreifende Arbeitsschritte für einen Schulentwicklungsprozess gewonnen werden sollten. Die Zusammenarbeit wurde über die Entwicklung entsprechender Fragebögen konkretisiert. Die externe Beratung war auf die Unterstützung bei der Gestaltung, der Durchführung und der Auswertung der Befragungen sowie auf die Begleitung etwaiger Veränderungsschritte fokussiert.
6.5.2 Untersuchungsdesign Die Befragung der Eltern, Lehrer und Schüler wurde als erster Untersuchungsschritt geplant. Daran konnten sich weitere Untersuchungsphasen anschließen, die allerdings noch nicht genauer bestimmt waren. Es sollten erst die Ergebnisse dieser ersten Untersuchung abgewartet und die Informationen rückgemeldet werden. Die Befragtengruppen sollten in die Gestaltung der Fragebögen einbezogen werden, um ihr Expertenwissen über die Schule berücksichtigen zu können. Die Elternund Schülerbefragungen wurden zu einem späteren Zeitpunkt angesetzt als die Lehrerbefragung. Auf einer Gesamtkonferenz der Schule wurde das Evaluationsvorhaben vorgestellt und um eine möglichst breite Beteiligung geworben. Die Entwicklung der Fragebögen erfolgte in Kooperation mit zwei Lehrkräften, die schon an einem ersten Gespräch mit der Schulleitung teilgenommen hatten und fortan als die ersten Ansprechpartner seitens der Schule galten. Zudem hatten sie die Aufgabe, die Evaluation nach innen zu koordinieren. Die Gestaltung der Fragebögen basierte im Wesentlichen auf einer in der Schule schon erarbeiteten Vorlage. Die Befragtengruppen konnten ergänzende Vorschläge für die Fragebogenentwicklung unterbreiten, deren Gehalt gemeinsam mit den beiden Ansprechpartnern überprüft und eventuell integriert werden sollte. Die Ergebnisse der Lehrerbefragung wurden zuerst mit den beiden Ansprechpartnern besprochen und später auf einer Gesamtkonferenz der Schule präsentiert. Die Ergebnisse der einige Monate später durchgeführten Eltern- und Schülerbefragung wurden ebenfalls rückgemeldet. Im Folgenden werden die Resultate der drei schriftlichen Befragungen dargestellt, zusätzlich ergänzt um Protokolle aus gemeinsamen Gesprächen mit Vertretern der Schule und durch eine veröffentlichte, umfassende Schulbroschüre der Schule. In der zweiten Untersuchungsphase wurde die Frage verfolgt, ob und welche Veränderungen sich seit der ersten Untersuchungsphase ereignet hatten. Von Interesse war vor allem die organisationale Entwicklung innerhalb des Schulentwicklungsprozesses, weniger nur die des Unterrichts. In diesem Kontext bildeten sich zwei Gruppen heraus, die auf unterschiedliche Weise versuchten, einen Beitrag zur Schulentwicklung zu leisten. Diese beiden Gruppen schienen die Aktivitäten im Rahmen der Entwicklung der Schule zu dominieren. Andere zu berücksichtigende Akteure konnten nicht identifiziert werden. Aufgrund der kleinen Gruppengrößen und der Absicht, tiefere Verhaltensmuster erkennen zu können, wurden in der zweiten Untersuchungsphase Interviews mit beiden Gruppen durchgeführt.
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Abbildung 23: Untersuchungsdesign – Fallbeispiel III
6.5.3 Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase Unterschiedliche Facetten des Leistungsvermögens Die Schule hatte sich ein erkennbares Profil erarbeitet. Zu den Besonderheiten des Gymnasiums zählte die Betonung der musischen und der fremdsprachlichen Erziehung. Infolgedessen konnten die Schüler zu diesen Schwerpunkten zusätzliche Unterrichtsstunden belegen. Des Weiteren versuchte sich die Schule über viele freiwillige, außerunterrichtliche Angebote zu profilieren (z. B. Schüleraustausch mit Schulen im Ausland, umfassende Chor- und Orchesterarbeit, Darstellendes Spiel, Sport oder Kunst), die vor allem in Arbeitsgemeinschaften organisiert waren. In der ersten Untersuchungsphase ging es nicht darum, den Erfolg von Unterricht zu testen und zu überprüfen, sondern sich einen ersten Überblick über die organisationalen Geschehnisse der Schule zu verschaffen. Um aber einen ersten Eindruck von der allgemeinen Leistungsfähigkeit der Schule zu bekommen, können Indikatoren akzeptiert werden, die Einstellungen oder Meinungen zum Ergebnis der Leistungserstellung abbilden. Im Fall der untersuchten Schule konnten in den Antworten der Befragten Tendenzen identifiziert werden, die in zwei Richtungen wiesen: Einerseits bezogen sie sich auf die individuelle Förderung der Schüler – die Berücksichtigung individueller Bedarfe stellt, wie beschrieben (vgl. 4.2.1), eine Herausforderung für pädagogische Institutionen dar – und andererseits auf einen Bereich, der mit dem Begriff der Vermittlungskompetenz weitgehend erfasst werden kann. 50 51
Es nahmen damit ca. 2/3 des Kollegiums an der Befragung teil. Es nahmen damit ca. 50% der Schüler an der Befragung teil.
6.5 Fallbeispiel III: Veränderungsprozesse in einer Schule
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Die Werte für den Bereich der individuellen Förderung deuteten an, dass die Deckung spezieller Schülerbedarfe, wie die Förderung von Begabungen oder die Bearbeitung individueller Lernschwächen, nach Ansicht der Befragten noch stärker zu berücksichtigen war. Das Antwortverhalten zeigte bezogen auf diesen Aspekt bei allen Befragtengruppen relative Stabilität. Somit konnte ein Anhaltspunkt für einen möglichen Schulentwicklungsprozess gewonnen werden.
Abbildung 24: Indexwerte zur individuellen Förderung der Schüler52
Eine weitere Erkenntnis aus den Antworten ergab sich durch die Erfragung der Vermittlungsleistung von Wissen. Zum Fokus gehörten Fragen zur Vermittlung grundlegenden Wissens oder zur Vorbereitung der Schüler auf die Zeit nach Beendigung der Schullaufbahn.
Abbildung 25: Werte zum Gelingen der Wissensvermittlung53 52 53
Skala von 1 [trifft voll zu] bis 4 [trifft nicht zu]. Skala von 1 [trifft voll zu] bis 4 [trifft nicht zu].
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Differenziertere und umfassendere Fragen wurden hierzu den Eltern gestellt (z. B. über die Vermittlung von mathematischen, naturwissenschaftlichen, Deutsch- oder Fremdsprachen-Kenntnissen). Sie sahen die Bemühungen der Wissensvermittlung durchweg als gelungen an. Eltern können die Leistungseinschätzungen von außen auf die Schule distanzierter wahrnehmen und mit denen über andere Schulen vergleichen. Der positive Wert für die Vermittlungskompetenz der Schule konnte daher als deutlicher Indikator für das Leistungsvermögen der Schule gelten. Die Eltern wurden auch zu Merkmalen gefragt, die weitgehend als Schlüsselqualifikationen definierbar54 bzw. an die Kompetenzdiskussion anschlussfähig sind. In diesem Rahmen wurde die Vermittlung von Kenntnissen thematisiert, wie z. B. die Fähigkeit, eigenständig Informationen zu gewinnen oder Lernstrategien zu entwickeln. Solche Fertigkeiten und Fähigkeiten werden gesellschaftlich bedeutsamer, da die Gültigkeit von Wissensbeständen in modernen Gesellschaften schneller abnimmt und regelmäßig neues Wissen und neue Problemlösungen generiert werden müssen. Infolgedessen wird es wichtiger, über Lerntechniken zu verfügen, die der Aneignung von Wissen zuträglich sind. Zu deren Bedeutung gab es laut Elternangaben noch kein so ausgeprägtes Bewusstsein (Mittelwert: 2,7). Auch das hätte Gegenstand der Erörterungen von Schulentwicklungsprozessen sein können. Kritik an den Räumlichkeiten Die Ausstattung von Schulen mit Ressourcen ist durch die Debatte um die Qualität von Bildungsleistungen in Deutschland in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Finanzielle und personelle Fragen der Ausstattung wurden von den Befragungen aber nicht berührt, weil zum damaligen Zeitpunkt diese Aspekte für Schulen außerhalb ihres Einflussbereiches lagen und sie wohl auch nicht Anlass zur Kritik gaben. Anders verhielt es sich mit den zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Deren Zustand wurde thematisiert und allgemein bemängelt. Am deutlichsten kritisierten die Eltern die Räumlichkeiten und zeigten sich damit sehr unzufrieden.55 In Gesprächen mit Vertretern der Schule wurde die Kritik konkretisiert und bezog sich vor allem auf die Zahl, Größe und Ausstattung der Räume. Die schnelle Beseitigung dieser empfundenen Mängel war jedoch nicht zu erwarten, so dass der Veränderungsspielraum ohne bauliche Maßnahmen stark begrenzt war. Dynamische Umweltentwicklungen Die zentralen Umweltfaktoren für die Schule, zu denen Abhängigkeiten bestanden, waren die Schulverwaltung und letztlich auch die Schulpolitik. Die Schulverwaltung 54
Nach MERTENS (1974) sind das Qualifikationen, die der Erschließung von sich schnell änderndem Fachwissen dienen. Hierzu zählen Sozial-, Methoden-, Selbst- und Handlungskompetenz. 55 Dem Item „Die Klassengröße ist der Raumgröße nicht angemessen“ stimmten die Eltern mit einem Mittelwert von 1,9 eher zu. Die Befragung der Schüler zum selben Item ergab einen ähnlichen Mittelwert (2,1). Die Antworten der Lehrkräfte wichen davon auch nicht ab. Der Aussage „Die Klassenräume tragen nicht zu einer produktiven Lernatmosphäre bei“ stimmten sie eher zu (Mittelwert: 2,1).
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bzw. die Schulaufsichtsbehörde trifft Bestimmungen z. B. über die Unterrichtszeiten, die Curricula, die Arbeitszeiten der Lehrkräfte oder über den Einsatz von Informations- und Kommunikationsmedien und kann Standards für die Fort- und Weiterbildungen festlegen. Vonseiten der Schulpolitik kündigten sich einige Veränderungen an, die für die Arbeit der Schulen erhebliche Folgen hatten. Während der ersten Untersuchungsphase wurde gerade an einem neuen Schulgesetz gearbeitet, das einige Umstellungen mit sich bringen würde. Die Gesetzesplanungen reihten sich auch in den Rahmen der damaligen Diskussion um die ersten PISA-Ergebnisse ein, die in der Öffentlichkeit und schließlich im Bildungswesen selbst viele Gewissheiten zur Disposition stellten. Die daran anknüpfenden Qualitätsdiskussionen und der sich dadurch erhöhende Konkurrenzdruck zwischen den Schulen trugen dazu bei, die Herausforderungen zu vergrößern. Insgesamt wurden deswegen auch Unsicherheiten erzeugt. Die bekannten Umweltfaktoren veränderten sich nicht nur dynamisch (Schulverwaltung, Öffentlichkeit und Eltern wurden aufmerksamer bezüglich der Geschehnisse in Schulen), sondern es kamen auch neue hinzu (neue Anforderungen aus möglichen Gesetzesvorgaben). Günstige Voraussetzungen für Schulentwicklungsprozesse In der untersuchten Schule bestanden einige formale und informale Möglichkeiten zur Koordination der organisationalen Aktivitäten. Wie in Schulen üblich konnten die Lehrkräfte in unterschiedlichen Gremien wie Klassen-, Fach-, Gesamt- oder Schulkonferenzen formal an Entscheidungsprozessen partizipieren. Damit ist ein bestimmter Partizipationsgrad in der Schule sichergestellt worden, der zugleich den Entscheidungsspielräumen der Schulleitung Grenzen setzte. Die Arbeitsabläufe in Schulen können formal neben Rahmenlehrplänen auch durch die Teilnahme an bestimmten Modellversuchen oder die systematische Durchführung von Hospitationen des Unterrichts koordiniert werden. Diesbezügliche Aktivitäten waren in der Schule nicht zu erkennen. Für die Gestaltung der Prozesse an dieser Schule war daher neben der Nutzung der skizzierten formalen Wege die der informalen von großer Bedeutung, um Kommunikation, Koordination, Kooperation und Entscheidungsfindungen zu ermöglichen. Eltern und Schüler haben formal das Recht, über eigene Vertretungen an wichtigen Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden, so auch an der evaluierten Schule. Dennoch werden auch hier informelle Kommunikationswege (z. B. vertrauliche Gespräche zwischen einzelnen Lehrkräften und den Eltern) die größere Bedeutung für die Einbindung der Eltern und Schüler gehabt haben. Hierfür spricht u. a. die Konstruktion der Fragebögen, welche von den Befragten selbst stark beeinflusst wurde. So sind dort Fragen zur Prozessqualität platziert worden, die auf individuelle Kooperationsformen zwischen den Akteuren fokussiert waren und die ihre Lebendigkeit aus nicht standardisierten Abläufen bezogen. Beispielsweise wurden Fragen zum wechselseitigen Kontakt und Verstehen, zur gegenseitigen Unterstützung oder zum Informationsfluss gestellt. Die Kooperationswerte der Schule waren überwiegend hoch. Nur die Antworten der Schüler bezogen auf die Kooperation mit den Lehrern wichen etwas ab, was auf der Asymmetrie der innerschulischen Machtverteilung zwischen Lehrkräften und
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Schülern beruhen konnte. Die Angaben zur Funktionsfähigkeit der Kooperation zwischen Lehrern und Eltern zur Schulleitung waren durchweg positiv. Ebenso gelungen, sogar besser, wurde von Elternseite die Kooperation mit den Lehrern eingestuft. Das Antwortverhalten der Lehrkräfte zu diesem Aspekt bestätigte dies zwar nicht, aber interessant war daran, dass die Bewertung der Schule von außen auch in diesem Fall sehr von Wohlwollen getragen zu sein schien. In der Gesamtheit deuteten die Ergebnisse zur Dimension Prozesse in der Tendenz gute Ausgangsbedingungen für die Entwicklung der Schule an.
Abbildung 26: Indexwerte zu Funktionsfähigkeit der Kooperation und Kommunikation56
Diese Aussage kann noch durch sehr positive Zufriedenheitswerte untermauert werden. In diesem Kontext wurden Fragen zur Atmosphäre im Kollegium, das allgemeine Wohlbefinden oder die Integration der Schüler gestellt. Damit werden Eigenschaften der Schule bewertet, die sich auf den gemeinsamen Umgang beziehen.
Abbildung 27: Indexwerte zur allgemeinen Zufriedenheit57 56 57
Skala von 1 [trifft voll zu] bis 4 [trifft nicht zu]. Skala von 1 [trifft voll zu] bis 4 [trifft nicht zu].
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Ähnlich den Kooperationswerten indizieren diese Werte aus Sicht der Befragten eine recht angenehme Atmosphäre. Alle Befragtengruppen waren durchweg zufrieden mit der allgemeinen Situation in der Schule. Das konnte als Bestätigung der Annahme günstiger Ausgangsbedingungen für einen Schulentwicklungsprozess und für die wechselseitige Koordination der Akteure gesehen werden. Die Zufriedenheitswerte deuteten unkomplizierte Interaktionen an. Die Gliederung über die Fächerstruktur Die Formalstruktur der Schule war maßgeblich durch die Fachbereichsstruktur gegliedert. Fast jedem Fachbereich standen Fachbereichsleiter oder Fachleiter vor. Die Leiter der Fachbereiche bzw. Fächer fungierten als kommunikative Schnittstelle zwischen der Schulleitung und den Lehrkräften und konnten formal über die Fachbereichsleiterkonferenzen einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse in der Schule ausüben.
Abbildung 28: Vereinfachtes Organigramm im Zeitraum zur ersten Untersuchungsphase – Fallbeispiel III 58
Die Schulleitung verfügte qua Schulgesetz nicht über die Entscheidungskompetenzen, wie sie das Organigramm suggerieren mag. Die Organisationsstruktur war insofern nur bedingt von Bedeutung, zumal die Lehrkräfte durch Fächerkombinationen 58
Insgesamt wurden in der Schule 17 Fächer unterrichtet: Biologie, Chemie, Physik, Mathematik, Deutsch, Englisch, Französisch, Latein, Philosophie, Geschichte, Erdkunde, Informatik, Musik, Kunst, Darstellendes Spiel, Religion, Sport. 58 Zusätzlich zur dargestellten Struktur waren zudem schulübliche unterstützende Stabsstellen wie das Sekretariat oder die Hausmeisterstelle anzutreffen, die den regelmäßigen Betrieb der Schule ermöglichten.
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mehreren Fachbereichen angehören konnten und eine eindeutige strukturelle Differenzierung nach Fächern nicht möglich war. Die Ausübung von Leitungsfunktionen oblag neben der Schulleitung (Schulleiter und stellvertretender Schulleiter) auch zwei pädagogische Koordinatoren. Letztere übten eine Beratungsfunktion zu erzieherischen und organisatorischen Fragen des Schulalltags aus und waren z. B. an der Erstellung von Stunden- und Prüfungsplänen beteiligt. Typischerweise waren die Funktionsträger der Schulleitung auch operativ im Unterricht tätig. Die Distanz zwischen Leitungs- und operativer Ebene war deshalb faktisch abgemildert. Eingeschränkte Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse von Leitungspersonal in öffentlichen Schulen bezüglich der Personalauswahl oder des Umgangs mit finanziellen Ressourcen markieren zugleich einen Unterschied zu vielen anderen Organisationen. Aufgrund der Interessen der Stakeholder (Eltern, Lehrkräfte, Schüler, Schulbehörde oder andere Bildungseinrichtungen) ist der Aufgabenbereich von Schulleitungen sehr komplex. Zum Aufgabenspektrum gehört u. a., die Schule zu repräsentieren, die Schüler, Eltern und Lehrkräfte zu beraten, die Einhaltung von Vorschriften und des Bildungsauftrags der Schule sicherzustellen sowie grundsätzlich Kommunikation und Kooperation, sowohl nach innen als auch nach außen, zu gewährleisten. Schulentwicklung als Ziel Die Durchführung der Befragungen stellte einen ersten Schritt im Rahmen des angestrebten Schulentwicklungsprozesses dar. Letztendlich sollte durch diesen die Schule weiter profiliert werden. Konkrete, realisierbare Ziele und Strategien wurden in den Fragebögen aber nicht thematisiert, eher ließen sich hierzu Informationen in den Gesprächen rund um die Befragungen generieren. Obwohl mit den beiden Themenschwerpunkten erkennbar profiliert, sollten Informationen generiert werden, um Orientierung für einen Schulentwicklungsprozess zu stiften. In der ersten Untersuchungsphase konnte kein konkretes Zielbündel identifiziert werden, weil dies erst mit der Zeit aus den Erhebungen abgeleitet und erarbeitet werden sollte. Das galt auch für die den Zielen anzupassenden Strategien. Die Motivation, einen Schulentwicklungsprozess durchzuführen, beruhte jedoch offenbar nicht auf einer aktuellen krisenhaften Gesamtsituation der Schule – dafür gaben die Ergebnisse der Befragungen keinen Anlass. Sie resultierte vielmehr aus den sich abzeichnenden und antizipierten Veränderungen im Bildungssystem und deren erwarteten Konsequenzen.
6.5.4 Zwischenfazit: Unklare Wege Werden die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase mit den klassischen Zielen der Organisationsentwicklung abgeglichen, so kann deren umfassende Erfüllung konstatiert werden, ohne dass der Entwicklungsprozess überhaupt begonnen hatte. Spitzfindig interpretiert hätten die positiven Ergebnisse die Einstellung des Schulentwicklungsvorhabens begründen können. Arbeitszufriedenheit schien in hohem Maße vorhanden zu sein und die Leistungsfähigkeit schien hinsichtlich der Werte für die Vermittlungskompetenz der Schule auch gegeben. Warum also noch Schul-
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entwicklung betreiben? Von Einzelnen wurde die Entwicklung der Schule für notwendig gehalten. Es waren insbesondere externe Diskussionen über die erforderlichen Bedingungen und dynamische Entwicklungen des Bildungssystems (u. a. Leistungsvergleichsstudien, Qualitätsdebatten, die wachsende Bedeutung von Kompetenzen), welche die Schule erreichten und zur Einleitung eines Schulentwicklungsprozesses führten. Angesichts der bevorstehenden Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen würde der Kontext ein anderer werden. Die Schule musste sich darauf einstellen und reagieren. Das war der eigentliche Anlass zur Evaluation. Es sollten nicht einfach das bisherige Handeln beurteilt, sondern vielmehr Erkenntnisse für zukünftiges Handeln gewonnen werden. Allerdings war noch nicht absehbar, in welche Richtungen Aktivitäten geplant und vollzogen werden sollten. Das ergab sich erst in den Gesprächen mit Vertretern der Schule zwischen beiden Untersuchungsphasen. Vor diesem Hintergrund erfüllte die Evaluation auch eine Legitimitätsfunktion, denn sie signalisierte Aktivität an die Eltern, die Schulaufsicht, die Schüler usw., die zum damaligen Zeitraum noch keiner Konkretisierung bedurfte, weil insgesamt keine Krise identifizierbar war. Mit der schriftlichen Befragung konnten jedoch Eigenschaften und Tendenzen identifiziert werden, aus deren Berücksichtigung sich bestimmte Ansatzpunkte für einen Schulentwicklungsprozess ergeben konnten. Insgesamt indizierten die Ergebnisse der Befragungen gute Ausgangsbedingungen für einen solchen Entwicklungsprozess. Mit der Schule waren die Befragten generell zufrieden. Abgefragte Prozessvariablen deuteten funktionierende Kooperations- und Kommunikationswege an, welche die Integration der organisationalen Differenzierungen, wie die Gliederung in Fachbereiche, begünstigen konnten. Für die Schule motivierende Tendenzwerte wurden ebenfalls im Hinblick auf die Leistungen der Wissensvermittlung erkennbar. Diese fanden insbesondere bei der Befragtengruppe der Eltern Anerkennung, denen unterstellt werden kann, die Meinung der Öffentlichkeit bzw. die Rede dieser über die Schule zu kennen, zu beeinflussen und widerzuspiegeln. Die allgemein positiven Werte für die Arbeit der Schulleitung konnten jedoch möglicherweise relativiert werden. Da die Schulleitung noch relativ neu im Amt war, bestand die Möglichkeit, dass die Antworten auch die Arbeit der alten Schulleitung bewerteten. Des Weiteren konnte die Orientierung der pädagogischen Prozesse auf die einzelnen Schüler kritisch betrachtet werden. Die stärkere Berücksichtigung individueller Bedarfe und die wachsende Bedeutung von Schlüsselqualifikationen wurden in den Befragungen thematisiert. In diesem Bereich des individuellen Förderns deutete sich ein Bearbeitungsbedarf an. Durch die Relativität der Formalstruktur wurden im Grunde Elemente einer einfachen Struktur erkennbar. Daher war die Gestaltung der Prozesse von entscheidender Bedeutung für den Schulentwicklungsprozess. Durch ihn sollte das pädagogische Handeln überprüft und bei Bedarf neu organisiert werden. Letztlich entscheidend dafür ist, ob der Prozess von den beteiligten Akteuren mehrheitlich und tatsächlich getragen wird. Kommunikation und Kooperation stellen dabei sehr wichtige Prozessvariablen dar, um die Akzeptanz von Veränderungen herzustellen oder Veränderungen überhaupt erst einleiten zu können. Es blieb abzuwarten, ob und wie sich das verändern sollte.
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Die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase wurden den Beteiligten bei mehreren Gelegenheiten präsentiert. So wurden die Resultate der Lehrerbefragung auf einer Gesamtkonferenz vorgestellt, die der Schüler- und Elternbefragung bei einem speziellen Termin mit Lehrkräften, Eltern- und Schülervertretern, und die Gesamtergebnisse wurden auf einer Sitzung der Fachbereichs- bzw. Fachleiter erörtert.
6.5.5 Die Ergebnisse der zweiten Untersuchungsphase Erste Schritte auf dem Weg zum Schulprogramm? Bezogen auf die bisherigen profilbildenden musischen, fremdsprachlichen und außerunterrichtlichen Schwerpunkte konnten keine Veränderungen konstatiert werden. Sie waren auch weiterhin von Gewicht in der evaluierten Schule. Aufgrund des erhobenen Ist-Zustands waren Reflexionen oder gar Handlungsänderungen beim Aspekt des Förderns vorstellbar gewesen. Allerdings wurden hierzu formal keine systematischen und organisationsweiten Anstrengungen unternommen. Vor dem Hintergrund der rückgemeldeten Ergebnisse und neuer gesetzlicher Regeln, kristallisierte sich in kontinuierlich stattfindenden Beratungsgesprächen das Ziel heraus, ein Schulprogramm zu verfassen und zu verabschieden. Schon während der ersten Untersuchungsphase wechselte eine der beiden Ansprechpartner die Schule, so dass nur noch eine Lehrkraft für die Koordination zwischen der Schule und der wissenschaftlichen Einrichtung verantwortlich war. Zwischen den beiden Untersuchungsphasen wurde der Schulleiter stellvertretend für die Schule immer mehr zum direkten Ansprechpartner, weil die Veränderungsmaßnahmen eines umfassenden Entwicklungsprozesses die Herstellung einer direkteren Kooperation mit der Leitung erforderten. Die artikulierte Absicht, ein Schulprogramm zu erstellen, entsprang einerseits der Erkenntnis, bei der Entwicklung der Schule zu Anfang ein grundlegendes Schulprogramm zu erstellen, um Entwicklungsrichtungen zu skizzieren, aus denen sich weitere Handlungsschritte hätten ableiten können. Andererseits sollte ein solches Programm aus einem gesetzlichen Erfordernis des neuen Schulgesetzes heraus entstehen, wonach Berliner Schulen bis zum 01. 09. 06 ein solches der Schulverwaltung vorzulegen hatten (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2004). Das Schulprogramm bedeutet eine offizielle und grundsätzliche Markierung eines Schulentwicklungsprozesses. Diesbezüglich wurde offiziell eine Gruppe gegründet, die für die Erarbeitung eines Schulprogramms verantwortlich sein sollte. Dieser, als „Organisationsgruppe“ bezeichneten Gruppe, gehörten neben der Schulleitung die beiden pädagogischen Koordinatoren und zwei weitere Lehrkräfte59 an, die sich der Schulprogrammentwicklung annehmen sollten. Mindestens ein Elternteil und ein Schüler sollten noch für die Mitarbeit in dieser Projektgruppe gewonnen werden. Nach Durchführung der Gruppeninterviews ließ sich aber feststellen, dass die Schulprogrammarbeit noch nicht vollzogen wurde. Auf informalem Wege erwuchs eine zweite Veränderungskraft, die weniger mit der Organisation als Ganzes beschäftigt war, sondern sich gezielt für die Verbesserung des Unterrichts interessierte. Eine 59
Es handelte sich nicht um eine der beiden bisherigen Ansprechpartner der Schule.
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Gruppe von einigen Lehrkräften, die im Folgenden „Aktivitätsgruppe“ genannt wird, schloss sich bald nach der ersten Untersuchungsphase mit dem Ziel zusammen, die Unterrichtsprozesse zu verändern und den individuellen Lernerfolg der Schüler stärker zu verfolgen. Dazu besuchten die Lehrkräfte privat Fortbildungen zum Thema Kommunikations- und Methodentraining, aufgrund deren sie neue Unterrichtsmethoden erprobten. Im Grunde wurde mit diesen individualorientierten Ansätzen an Ergebnisse der Evaluation angeknüpft. Die so aktiven Lehrkräfte pflegten einen teilweise intensiven fachlichen Austausch untereinander. Erhebliche Veränderungen der Rahmenbedingungen Zwischen den beiden Untersuchungsphasen hatten sich einige Veränderungen in der Umwelt ergeben, die für die Schule Folgen hatten. Insbesondere das novellierte Berliner Schulgesetz führte zu allerlei Änderungen, von denen einige nachfolgend genannt werden (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006a). Neben der genannten gesetzlichen Regel zur Erstellung von Schulprogrammen (§ 8) mussten von nun an individuelle Bildungspläne für versetzungsgefährdete Schüler erstellt werden. Darin sollten Fördermaßnahmen festgelegt werden, um Leistungsrückstände aufzuholen (§ 59 [2]). Des Weiteren wurden die Schulen erstmals zur kontinuierlichen Qualitätssicherung verpflichtet, indem sowohl die Durchführung interner als auch externer Evaluationen bestimmt wurden (§ 9). Die Schulen mussten und müssen dazu entsprechende Vorbereitungen treffen und Kriterien sowie Qualitätsmerkmale für die internen Evaluation selbst entwickeln. Ferner wurden den Eltern und Schülern größere Mitspracherechte eingeräumt. Der Schulkonferenz, als oberstem Entscheidungsgremium der Schule, sollten jeweils vier Vertreter der Lehrer-, der Schüler- und Elternschaft sowie ein externes Mitglied und der Schulleiter angehören (§§ 75–78). Dadurch werden von den Schulen entsprechende Kommunikationsstrukturen eingefordert, die den Austausch mit Schülern und Eltern begünstigen können. In diesem Kontext der Öffnung werden Schulen ausdrücklich ermuntert, mit ihrem Umfeld zu kooperieren (§ 5). Praktisch vollzog die untersuchte Schule einen Schritt in diese Richtung, indem eine Schulstation in dem Gebäude der Schule eingerichtet wurde, die von einem freien Jugendhilfeträger verantwortet wurde. Außerhalb der neuen gesetzlichen Regelungen ergaben sich Veränderungen auch durch die Einführung von Vergleichsarbeiten, die seit 2006 Bestandteil des mittleren Schulabschlusses waren und die im Jahr 2007 erstmals geschriebenen zentralen Abiturarbeiten, welche Schulvergleiche ermöglichten. Für die untersuchte Schule bedeutete die Vorbereitung auf diese Themen einerseits einen Mehraufwand, der zeitlich zu erbringen war, und andererseits in eine verschärfte Wettbewerbssituation zu geraten, die im Hinblick auf die Attraktivität der Schule nicht zu unterschätzen war. Ferner wurde das Lehrdeputat der Lehrkräfte um zwei Stunden auf 26 Wochenstunden erhöht, was in besonderer Weise eine Bürde für Reformvorhaben bedeutete und die Einnahme einer offenen Einstellung zu ihnen erschwerte. Zum Zeitraum der zweiten Untersuchungsphase war die Schule insgesamt damit beschäftigt, diese vielen neuen Herausforderungen anzunehmen, die sich vor allem
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auf die Arbeitsprozesse niederschlugen und noch weiter niederschlagen würden. Das betrifft zum einen die Notwendigkeit zur engeren Kooperation in Bezug auf Unterrichtsinhalte (z. B. durch die Vergleichsarbeiten) und zum anderen auf die Organisation als Ganzes (z. B. durch die Qualitätssicherungsmaßnahmen oder das Schulprogramm). Der Druck auf die Schule hatte sich zweifellos erhöht. Die Umwelt ist durch die skizzierten Veränderungen insgesamt dynamischer geworden. Es darf angenommen werden, dass die Erwartungshaltungen der Eltern insgesamt gestiegen sind, auch im Hinblick auf eine stetige Anpassung an neue Herausforderungen. Auch die Komplexität der Umwelt hat zugenommen, denn nun sind die Leistungen anderer Schulen, aber auch die stärkere Vernetzung mit dem Umfeld wichtig geworden, so dass mehr Umweltfaktoren als zuvor zu berücksichtigen sind. Keine Veränderungen bei der Ausstattung Das neue Schulgesetz hatte jedoch wenig Auswirkungen auf die bereitgestellten Ressourcen. Im Hinblick auf die Dimension Input änderten sich Verantwortungen für die Auswahl und die Qualifizierung des Personals kaum. Auch die Finanzierung der Schule erfolgte im selben Modus wie zuvor. Die Räumlichkeiten wurden weiterhin als Problem wahrgenommen. Allerdings starteten einige Eltern private Initiativen, die zur Renovierung einiger Klassenräume führten. Dennoch blieb die kritisierte Zahl und Größe der Räumlichkeiten davon unberührt. Aktivitäten und Widerstände Die skizzierten Umweltereignisse forderten Handlungen ein, um den verschiedenen Herausforderungen gerecht werden zu können. Durch die Bedeutung der Prozesse in pädagogischen Institutionen waren die Aktivitäten der beiden Gruppen von Interesse, die an dieser Stelle ansetzen sollten. Der Organisationsgruppe war eine initiatorische Funktion zugedacht worden. Sie sollte den Kommunikationsprozess über ein Schulprogramm in Gang setzen, Vorschläge aufgreifen und letztlich die Erarbeitung des Programms koordinieren. Da es aber noch zu keiner offiziellen Sitzung kam und die Ernennung der Schülervertreter und somit die Komplettierung der Gruppe noch nicht erfolgt war, konnte die Funktion noch nicht voll ausgefüllt werden. Stellenweise wurde in dem Gruppeninterview mit der Organisationsgruppe der Zweck der Gruppe selbst bezweifelt und für eine formlosere Variante der Organisation des Schulprogrammprozesses plädiert. „Ich halte es nicht für sinnvoll, eine solche Gruppe einzurichten. Ich bin der Meinung, hier wäre es angebrachter, eine Zentralstelle der Sammlung von Vorschlägen zu einem Entwurf einzurichten, und dann in Gruppen und in Gremien einzutreten. […] Mir geht es darum, einen konkreten Vorschlag auf den Tisch zu legen und zu sagen: ‚So, jetzt könnt ihr alles gegebenenfalls zerreißen, aber jetzt liegt was Konkretes vor.‘“
Infolgedessen wurden u. a. engagierte Lehrkräfte und die Fachbereichsleiter bzw. Fachleiter angeschrieben, mit der Bitte, Vorschläge für ein Schulprogramm zu unterbreiten. Mit der Rücklaufquote waren die Initiatoren dieses Schreibens aber nicht zu-
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frieden, sie lag bei ca. 20–25%. Erklärt wurde das vor allem mit der Überlastung der Lehrkräfte in Zeiten allgemein neuer Anforderungen an Schule, wie z. B. der Erhöhung des Lehrdeputats. Die befragte Aktivitätsgruppe setzte sich aus Lehrkräften zusammen, die zum Kern derer gehörten, die an einer systematischen und flächendeckenden Einführung von neuen Unterrichtselementen interessiert waren. Dadurch sollten den Schülern Kenntnisse vermittelt werden, ihr eigenes Lernverhalten und ihre Präsentationsfähigkeiten zu optimieren. Im Verlauf der Zeit besuchten, so die Befragten, ca. 35–40% der Kollegen entsprechende Fortbildungen. Die praktische Umsetzung dieser neuen Unterrichtselemente verlangte die Anpassung an die spezifischen Bedarfslagen des Unterrichts und der Fächer. Dafür waren eine umfassende, wechselseitige Koordination notwendig, und das erforderte insgesamt viel Zeit (inkl. der Fortbildungen), welche die Lehrkräfte hierfür privat aufbrachten. Die Techniken wurden in Berlin innerhalb eines Modellversuchs („Pädagogische Schulentwicklung“) vermittelt, zu dem sich Schulen als Teilnehmer bewerben konnten. Nach einer mehrheitlichen Zustimmung auf einer Gesamtkonferenz bewarb sich die evaluierte Schule als Modellschule, fand aber keine Aufnahme in das Projekt, weil nur eine begrenzte Anzahl an Schulen hierfür ausgewählt wurde. Die interviewten Lehrkräfte der Aktivitätsgruppe waren aber dennoch an den Inhalten des Modellversuchs interessiert, so dass sie in zwei 7. Klassen begannen, die besagten Methoden und Techniken eigenständig zu erproben. Aufgrund angeblich positiver Erfahrungen wollten die in diesem Kontext aktiven Lehrkräfte eine erneute Bewerbung am Modellversuch einreichen. In einer Gesamtkonferenz fand das Vorhaben jedoch diesmal keine mehrheitliche Unterstützung, weil der mit dem Status der Modellschule verbundene Mehraufwand für das Kollegium nun insgesamt als zu hoch erachtet wurde. Angesichts vieler Veränderungen in der Schullandschaft hätte die Teilnahme für den Modellversuch weitere Arbeitsbelastungen erbracht, auch durch zeitliche Freistellungen, die viele nicht mittragen wollten. Zudem bestanden einige Zweifel am Sinn dieser ungewohnten Unterrichtselemente. Wie vorsichtig mit Veränderungsmaßnahmen umgegangen wurde, unterstreicht auch die Tatsache, dass die Organisationsgruppe sich selbst nicht Steuergruppe nannte. Das resultierte aus den konfliktreichen Diskussionen um die Bewerbung für den Modellversuch, der die Einrichtung einer Steuergruppe vorsah. Der Begriff Organisationsgruppe sollte einen Beitrag zur Abgrenzung leisten und symbolisch weniger direktiv wirken. In diesem Kontext fiel die Unkenntnis der befragten Lehrkräfte der Aktivitätsgruppe auf, die weder den Begriff Organisationsgruppe noch deren Aufgabe, das Schulprogramm zu managen, kannten. Als typisch kann die Aussage einer Lehrkraft der Aktivitätsgruppe hierzu angeführt werden: „Wir sprechen nie über Schulprogramm.“
Es konnten keine Anhaltspunkte gefunden werden, welche zur Annahme zielgerichteter und systematischer Kommunikationsstrukturen zur Schulprogrammentwicklung berechtigten. In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass die Organisationsgruppe lediglich einmal das Kollegium mit der Bitte um Vorschläge für die Schulprogrammarbeit
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angeschrieben hatte. Sie war, wie dargestellt, selbst bis dato nicht einmal zu einer offiziellen Sitzung einberufen worden. „Wir haben nicht als Organisationsgruppe zusammengesessen, sondern es lief mehr so zwischen Tür und Angel.“
Im Gegensatz zur zuvor konstatierten positiven Atmosphäre wurden in der zweiten Untersuchungsphase Konflikte offenbar, wie sie bei Richtungsentscheidungen über organisationale Veränderungsprozesse zu erwarten sind. Im Prinzip vertraten die beiden interviewten Gruppen unterschiedliche Herangehensweisen. Die einen wollten von der operativen Ebene beginnend zügig und viel reformieren. Die andere Gruppe hingegen war sich über die zu ergreifenden Maßnahmen noch nicht schlüssig, bevorzugte aber tendenziell die Steuerung über die Hierarchie. Doch die Konflikte beeinträchtigten die Leistungsfähigkeit der Schule offenbar nicht. Die Befragten schätzten interessanterweise die Schule als insgesamt wettbewerbsfähig ein, wie z. B. eine Lehrkraft der Aktivitätsgruppe anmerkte: „Wir gelten normalerweise als ein bisschen verstaubt und konservativ, aber durchaus gut im Unterricht. […] Wir sind kein frustriertes Kollegium, was den Unterricht angeht.“
Die formale Einrichtung einer Organisationsgruppe Die formale Organisationsstruktur der Schule hatte sich im Wesentlichen nicht verändert. Dennoch wurde durch die Einrichtung einer Organisationsgruppe, die den
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6.5 Fallbeispiel III: Veränderungsprozesse in einer Schule
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Schulprogrammprozess managen sollte, eine stabsähnliche Stelle geschaffen. Das ist ein Vorgehen, das nicht untypisch für Organisationsentwicklungsprozesse ist. Diese Gruppe setzte sich sowohl aus der Leitungs- als auch aus der operativen Ebene zusammen, zuzüglich jeweils und mindestens eines Vertreters der Eltern- und der Schülerschaft. Da die Organisationsgruppe mit der Entwicklung eines Schulprogramms befasst war, dessen Fertigstellung zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht werden sollte, handelte es sich um ein temporäres Unternehmen. Demzufolge wies die so formierte Stabsstelle Züge einer Projektstabsstelle auf. Die Aktivitäten der Aktivitätsgruppe ließen sich formal nicht abbilden, weil einerseits die Lehrkräfte quer zur Fächerstruktur kooperierten und andererseits weil sie informal sowie freiwillig agierte. Daher wurden ihr formal auch keine Extra-Ressourcen zur Verfügung gestellt. Der (lange) Weg vom Ziel zur Handlung Das allgemeine Ziel der Schulentwicklung wurde insofern präzisiert, als zunächst ein Schulprogramm entwickelt werden sollte. Das wurde in den Gesprächen mit der Schule eindeutig artikuliert und in einigen gemeinsamen Gesprächen immer wieder betont. Das Ziel schlug sich jedoch nicht in konkretes Handeln nieder. Die Strategie, ein Schulprogramm durch das Sammeln von Vorschlägen zu entwickeln, erwies sich als nicht erfolgreich. Der Rücklauf stellte nicht zufrieden. Angesichts der Zweifel über den Sinn der Etablierung einer Organisationsgruppe innerhalb der eigenen Gruppe kann es nicht verwundern, dass das Vorhaben, ein Schulprogramm zu entwickeln (noch) nicht in die Breite der Institution vordrang. Die Zielsetzungen blieben zu unspezifisch, als dass sie in Handlungen hätten überführt werden können. Beispielsweise wurde weder die Absicht, ein Schulprogramm erstellen zu wollen, noch die Tatsache, dass dafür eine Organisationsgruppe gegründet wurde, offensiv kommuniziert. Ein klar gesetztes Oberziel „Schulprogrammentwicklung“ hätte womöglich auf einer Umsetzungsebene diverse Ziele und Strategien zur erfolgreichen Erarbeitung eines solchen Programms zulassen können.
6.5.6 Interpretation der Veränderungen: Fassaden aufgebaut Die Evaluation hatte, wie erwähnt, eine Erkenntnis-, aber auch eine Legitimitätsfunktion. Aufbauend auf einer Ist-Analyse sollten zunächst Handlungsoptionen für einen Schulentwicklungsprozess identifiziert werden. Mit der Zeit entwickelte sich daraus die Absicht, zunächst ein Schulprogramm, als Ausgangspunkt eines Schulentwicklungsprozesses, zu entwickeln. Mit der Evaluation wurde zugleich eine unspezifische Aktivität nach innen und nach außen signalisiert, die mit der Einrichtung einer Organisationsgruppe eine Richtung bekam. Es wurde eine erste Etappe zur Veränderung beschritten. Der Schritt von der Rhetorik zum erkennbaren Handeln ist jedoch nicht vollzogen worden. Hinter der Absicht, ein Schulprogramm zu entwickeln, entstand keine Vitalität. Sie diente als Fassade bzw. als versuchte Demonstration, die anstehenden Herausforderungen offensiv anzunehmen. Doch die Widerstände und Zweifel, bezogen auf tatsächliche Veränderungen innerhalb der Schule, waren offen-
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6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
bar stark ausgeprägt. Das ist generell nicht negativ zu bewerten, sollte aber ergründet werden. Im Prinzip verfolgten die beiden interviewten Gruppen der zweiten Untersuchungsphase zwei kontrastierende Strategien, die beide zum Schulprogramm hätten führen können. Die Organisationsgruppe wollte ein Schulprogramm in einem Topdown-Ansatz erarbeiten. Die Lehrkräfte sollten dabei Vorschläge unterbreiten, die auf der oberen Hierarchieebene gebündelt und verarbeitet werden sollten. Die Aktivitätsgruppe dagegen hoffte, mit einem Bottom-up-Ansatz quasi von unten Ideen und Problemlösungen zu entwickeln und in einem Schneeballsystem immer mehr Unterstützer für die Unterrichtsentwicklung zu gewinnen. Neben den unterschiedlichen Ansätzen lässt sich eine weitere Differenz entlang der Interpretation des Professionellen ziehen. Die Organisationsgruppe zielte auf die Einbindung der Lehrkräfte, deren Freiräume im Unterricht nicht angetastet, die aber über die Hierarchie zu Mitarbeit am Schulprogramm bewegt werden sollten. Die Aktivitätsgruppe wollte neue Formen des Organisierens etablieren und hinterfragte damit indirekt bislang gültige Normen. Die bisher übliche Autonomie des Unterrichts wäre dadurch berührt worden. Das hätte engere Kooperations- und Kommunikationsmuster in der Schule notwendig gemacht und zu einem anderen Organisationsgrad geführt, was wahrscheinlich mit einem zeitlichen Mehraufwand verbunden gewesen wäre. Ein weiterer Grund für eine Trägheit der Institution mag die Größe der Schule gewesen sein, die mit denen der beiden zuvor betrachteten freien Jugendhilfeträgern nicht zu vergleichen ist. Ihre Struktur war über die Fächer ausdifferenziert und die Kooperation der Fachkräfte formal weniger selbstverständlich. Zusätzlich entstanden durch Veränderungen des Schulgesetzes neue Herausforderungen (z. B. Erhöhung des Lehrdeputats) bei weitgehend unveränderten Ausstattungsbedingungen. Des Weiteren war objektiv keine Krise zu erkennen, die zu Veränderungen drängte. Die Bewerberzahlen waren hoch und die allgemeine Bewertung der Schule war positiv. Beobachtbarer Erfolg, wie in dieser Schule, kann Veränderungen fragwürdig erscheinen lassen (Risiko der Kompetenzfalle). Dagegen sind die Erträge eines Schulentwicklungsprozesses erst mittel- bzw. langfristig einzufahren. Das alles sind Faktoren, welche die Überzeugungsarbeit zu einem Schulentwicklungsprozess erschwert haben mögen. Ein solcher hätte gewohnte Handlungs- und Kommunikationsmuster hinterfragt oder an der Autonomie des Unterrichts gerüttelt. Dennoch wurden mithilfe der Aktivitätsgruppe neue Koordinationsformen erprobt, die ohne einen Bedarf zu identifizieren, nicht gegründet worden wäre. Gemäß der Annahme dieser Arbeit, dass Organisationen Spielräume haben und sie nutzen können, hätten folglich erkennbare Maßnahmen ergriffen werden können. Das Schulprogramm wäre, trotz aller Widrigkeiten, in den Eckpunkten formulierbar gewesen. Um Handlungen zu initiieren, hätte womöglich ein Soll-Zustand der Schule angedeutet und kommuniziert werden müssen. Das ist zwar auch die Aufgabe von Schulprogrammentwicklungen, doch wären die Ziele der Arbeitsschritte und -phasen sowie des Nutzens eines solchen Programms präziser darzulegen gewesen. Somit hätte ein Bewusstsein für erforderliche Veränderungen geschaffen werden können. Angesichts der skizzierten neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen darf jedoch vermutet werden, dass eine derartige Abwehrhaltung sich nicht sehr lange aufrecht-
193
6.6 Die drei Fallbeispiele im Vergleich
erhalten lässt. Selbst wenn ein Schulprogramm nur um des gesetzlichen Zeitdrucks wegen verfasst werden sollte, wird bezüglich der weiteren Herausforderungen, wie z. B. den Schulevaluationen, eine intensive Beschäftigung mit der künftigen Entwicklung der Schule wahrscheinlich nicht ausbleiben können. Offener Systemansatz
Doppelter Theorieansatz
Deskription der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Interpretation der Veränderungen zwischen den zwei Untersuchungsphasen
Output
Aufbau von Fassaden
Möglicherweise verbesserte Lernkompetenz bei Schülern, die mit neuen Unterrichtsmethoden (durch die Aktivitätsgruppe) konfrontiert waren.
Evaluation vor allem als Legitimitätsfunktion Identifikation organisationaler Lernprozesse
Neue gesetzliche Regeln
Gründung einer Organisationsgruppe, aber keine wesentlichen veränderten Handlungen auf der organisationalen Ebene
Prozesse
Widerstände
Umwelt
Aktivitätsgruppe experimentierte mit neuen Unter- Belastungen des Kollegiums durch veränderte richtsmethoden Schulpolitik, Trägheit u.a. durch bisherigen Erfolg, Soll-Zustände wurden kaum definiert Organisationsstruktur
Gründung einer Organisationsgruppe Ziele
Entwicklung eines Schulprogramms
Abbildung 30: Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen im Fallbeispiel III
6.6
Die drei Fallbeispiele im Vergleich
Die drei präsentierten Fallbeispiele sind in ihrer Art gewiss nicht vollständig miteinander zu vergleichen. Das wurde auch nicht beansprucht, weil (a) die Geschehnisse in Organisationen immer sehr eigene, fallspezifische Züge aufweisen, es sich (b) um unterschiedliche pädagogische Teilbereiche handelte und (c) weil unterschiedliche Problemkonstellationen in den Fällen anzutreffen waren. Dennoch weisen die Fälle vergleichbare Charakteristika auf, die insbesondere vor dem Hintergrund des skizzierten organisationstheoretischen Ansatzes miteinander in Beziehung gesetzt werden konnten. In allen drei Fallbeispielen bestand die Absicht, organisationale Veränderungen herbeizuführen, um den veränderten Rahmenbedingungen gerecht werden zu können. Es waren überall individuelle Handlungsspielräume vorhanden. Diese wurden jedoch von diesen pädagogischen Institutionen auf unterschiedliche Weise genutzt.
194
6 Veränderungsprozesse pädagogischer Institutionen in der Praxis
Mithilfe des Diagnoseschemas des offenen Systemansatzes und den organisationalen Dimensionen (Umwelt, Input, Ziele, Struktur, Prozesse, Output) konnten einerseits Veränderungen festgestellt und andererseits die jeweiligen Organisationsentwicklungsprozesse unterstützt werden. Im ersten Fallbeispiel war die pädagogische Einrichtung selbst sehr aktiv und vernetzte sich frühzeitig mit anderen Trägern. Zwischen den beiden Untersuchungsphasen hatten tatsächlich erhebliche Veränderungen stattgefunden, die sich vor allem in neuen Hilfeleistungen, in verstärkten Kooperationen mit anderen Trägern, in veränderten internen Kommunikationsstrukturen und einem neuen Qualitätsbewusstsein zeigten. Insgesamt war ein organisationaler Lernprozess auf der zweiten Stufe bzw. ein Double-Loop-Lernen nach ARGYRIS/SCHÖN (1996) zu beobachten, weil das Selbstverständnis des Trägers sich gewandelt hatte. Die Veränderungen des zweiten Falls basierten auch auf einem organisationalen Lernen, allerdings nicht in der Tiefe wie im Fall zuvor. Auch hier wurde zumindest eine neuartige Hilfeleistung angeboten, die Arbeitsweisen wurden professionalisiert und die Integration der evaluierten organisationalen Einheit weitgehend vollzogen. Allerdings blieb das bislang gültige Normengefüge und die Ziele erhalten, so dass nur ein Single-Loop-Lernen konstatierbar war. In diesem Fall ging mit dem Lernprozess eine Stabilisierung einher. In beiden Fällen blieb es nicht bei der Absicht, die eigene Organisation zu entwickeln, sondern es zeigten sich tatsächlich veränderte Handlungen. Selbiges ließ sich in Bezug auf die Evaluationen feststellen. Zwar konnten diese zur Legitimitätsgewinnung der beiden Träger beitragen, es blieb aber nicht bei der bloßen Signalwirkung nach außen. Es schlossen sich tatsächliche Veränderungen im Sinne des Organisationslernens an. Das dritte Fallbeispiel lag etwas quer zu den beiden anderen Fällen, verdeutlichte aber besonders, dass bei Projekten der Organisationsentwicklung nicht unbedingt in sich konsistente Entwicklungen zu erwarten sind. In diesem Fall wurden die verschiedenen Kräfte in der pädagogischen Institution nicht miteinander in Einklang gebracht. So zeigten sich fast exemplarisch die Widerstände, die in solchen Prozessen auftreten können. Letztendlich ist es hier nicht gelungen, das Ziel zu erreichen, die Schulprogrammentwicklung zu stabilisieren. Den Ankündigungen, zumindest ein Schulprogramm im Rahmen der Schulentwicklung erstellen zu wollen, folgten keine erkennbaren Taten in diese Richtung. Es blieb zunächst bei symbolischen Handlungen bzw. beim Aufbau von Fassaden. Die Evaluationen der drei pädagogischen Einrichtungen erfüllten im Sinne von STOCKMANN (2000) vor allem eine Erkenntnis- und Legitimitätsfunktion. Das Forschungsdesign beruhte auf einer formativen, prozessbegleitenden Interpretation der Evaluation. Im Zusammenhang der Unterstützung von Organisationsentwicklungsprozessen erscheint dieses Vorgehen als angemessen. Allerdings dienten die Erkenntnisse der Evaluation nur zur Verbesserung der Entscheidungsgrundlage. Eine direkte Ableitung zu Handlungen wurde nicht beansprucht, weil nur vom indirekten Steuerungspotenzial in Veränderungsprozessen ausgegangen wurde. In diesem Kontext werden Evaluationen eine weitere, eine Beratungsfunktion zuteil. Sie fungieren quasi als Change Agent (VON KARDORFF 2003: 244).
6.6 Die drei Fallbeispiele im Vergleich
195
Angesichts des Konfliktpotenzials, das sich in Veränderungsprozessen ergeben kann, schien die externe, neutrale Herangehensweise günstig zu sein, um Glaubwürdigkeit bezüglich der gewonnenen Informationen herzustellen. Bei den evaluierten Einrichtungen gab es keine Planungen, die externen Evaluationen anschließend in interne zu überführen, das könnte als ein weiteres Indiz für die Bedeutung der Legitimitätsfunktion, wie sie in den Erörterungen zum Neo-Institutionalismus herausgearbeitet wurde, gelten. Die Strukturierung der Analyse auf der Basis der Dimensionen des offenen Systemansatzes erwies sich als praktikabel, weil sie systematische Fallbetrachtungen ermöglichte. Unabhängig vom organisationstheoretischen Hintergrund war jedoch die Informationsverarbeitung und damit auch die Rückmeldung der Ergebnisse mit dem Risiko behaftet, zeitlich immer etwas hinterherzuhinken. Denn die sich turbulent entwickelnden Umwelten verändern die Rahmenbedingungen der zu evaluierenden Vorhaben oft in einem Tempo, die Projektergebnisse schnell veralten lassen. Oft bilden die präsentierten Ergebnisse einen Zustand ab, der zum Zeitpunkt ihrer Vorlage kaum noch Gültigkeit besitzt (vgl. WOLFF/SCHEFFER 2003). Trotzdem lassen sich auch aus nicht mehr ganz aktuellen Ergebnissen Schlüsse für künftiges Handeln in ähnlichen Situationen ziehen. Die Reflexion des organisationalen Handelns bleibt angesichts dynamischer Umweltentwicklungen und der zu vollziehenden Veränderungen alternativlos. Im Hinblick auf das Organisationslernen wurde die initiatorische und richtungsweisende Bedeutung von Zielvorstellungen erkennbar. Auch die Kommunikation zwischen den Organisationsmitgliedern bzw. zwischen strategischer und operativer Ebene konnte maßgeblich zu Veränderungen beitragen oder diese beeinflussen. Im zweiten Fallbeispiel zeigte sich interessanterweise die Bedeutung der Hierarchie für das Organisationslernen, deren Vernachlässigung in der Organisationsentwicklung oft kritisiert wird (vgl. u. a. KUBICEK/LEUCK/WÄCHTER 1979). Die Ausübung der Leitungsfunktion spielt eine wichtige Rolle für die Veränderungsfähigkeit von Organisationen. Dies gilt besonders in kleinen Organisationen, in der die organisationalen Geschehnisse auf wenige konzentriert sind. Sie können in diesem Sinne erheblich zu Veränderungsprozessen beitragen. In größeren Organisationen oder Einrichtungen ist das aufgrund einer größeren Regelungsdichte schwieriger. Deshalb ist es möglich, dass sich ein Bewusstsein für Veränderungsprozesse dort erst später etabliert.
7
Gesamtfazit
Die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit, die Beschäftigung mit dem Wandel von pädagogischen Einrichtungen, eine theoretische Verknüpfung von Organisationslernen und Neo-Institutionalismus sowie die Platzierung eines umweltoffenen Organisationsverständnisses waren Ziele dieser Arbeit. Die Ergebnisse der Bearbeitung dieser Ziele werden in diesem abschließenden Kapitel diskutiert. Veränderte Rahmenbedingungen des Erziehungs- und Bildungssystems, die das Ergebnis gesellschaftlicher Umbrüche sind, fordern pädagogische Institutionen heraus. Die Umweltverhältnisse vieler pädagogischer Einrichtungen sind insgesamt weniger überschaubar geworden und ihre Vorhersehbarkeit hat abgenommen. Auf der Ebene pädagogischer Institutionen ist u. a. ein ökonomischeres Denken etabliert worden, welches dazu führt, dass über das pädagogische Handeln stärker Rechenschaft abgelegt werden muss. Zudem konnte eine gestiegene Sensibilität für die Bedarfe der Adressaten des pädagogischen Handelns und diesbezüglich die Konzipierung entsprechender pädagogischer Angebote beobachtet werden. Insofern sind die Veränderungen im für die Pädagogik typischen Spannungsfeld zwischen der Kontrolle und der Autonomie pädagogischen Handelns zu verorten. Die organisationale Beantwortung der Herausforderungen ist zu einem zentralen Thema von Theorie und Praxis geworden. Die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen kann zu organisationalen Identitätskonflikten, zu Problemen bei Zielfindungen, zu Motivationskrisen und insgesamt zu größeren Unsicherheiten über die Weiterentwicklung der Organisation führen. Das wird u. a. in einem größeren Beratungsbedarf sichtbar. Diese Entwicklungen lassen sich nicht nur mit Blick auf die Pädagogik, sondern auf ähnliche Weise in anderen gesellschaftlichen Bereichen und den dort operierenden Organisationen beobachten. D. h. die angestellten Überlegungen müssen nicht auf die hier diskutierten pädagogischen Institutionen begrenzt bleiben, sondern können sich theoretisch auch auf andere Organisationstypen erstrecken. Die Gliederung beruhte auf dem Abarbeiten an den Forschungsfragen (vgl. 1.4). Zu Beginn der Arbeit wurde das Themenfeld auf Einrichtungen eingegrenzt, die überwiegend pädagogische Fachkräfte beschäftigen und operativ pädagogisch tätig sind. Des Weiteren ist ein Organisationsbegriff gewählt worden, für den die Bedeutung institutioneller Arrangements für das Handeln in Organisationen wichtig war. In diesem Kontext wurde ein erster Bezug zur Umwelt hergestellt, der im weiteren Verlauf mit dem offenen Systemansatz vertieft wurde. Dieser Ansatz eröffnet eine umfassende, diagnostische Sichtweise auf Organisationen, in dem zum einen Organisation und Umwelt interagieren und zum anderen Organisationen aus verschiedenen Dimensionen bestehen, die unterschiedliche Facetten haben. Das erarbeitete Diagnoseschema unterstützte anschließend die Betrachtung von Eigenschaften freier Jugendhilfeträger und Schulen. Darauf aufbauend konnten einige Folgen der veränderten Rahmenbedingungen systematisch diskutiert
198
7 Gesamtfazit
werden. Die ausführlicheren Reflexionen über Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen begannen an diesem Punkt mit praktischen Überlegungen. Weiterführende organisationstheoretische Reflexionen wurden erst in einem weiteren Schritt angestellt. Es ist nach theoretischen Ansätzen gesucht worden, die einen Beitrag zur Interpretation von Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen leisten können. Dazu wurde zunächst der Ansatz des Organisationslernens berücksichtigt. Neben der Erörterung verschiedener Auslöser, der Trägerebene, der Hindernisse und der förderlichen Bedingungen wurden die Abläufe von organisationalem Lernen diskutiert. Das Hinzufügen weiterer organisationstheoretischer Überlegungen setzte an der Konzeption propagierter, organisationaler Handlungstheorien an. Deren symbolischer Effekt wurde bislang tendenziell vernachlässigt. Üblicherweise wird das in neo-institutionalistischen Ansätzen erörtert. Verknüpft mit dem Organisationslernen können die offiziell verkündeten Ziele oder Maßnahmen als Beitrag zur Legitimitätssicherung interpretiert werden, ohne dass aus den Ankündigungen zwingend neue Handlungen abgeleitet werden müssen. Die doppelten organisationstheoretischen Überlegungen wurden daraufhin zur Betrachtung von Fallbeispielen dreier pädagogischer Einrichtungen und deren Veränderungen zwischen zwei Erhebungszeiträumen herangezogen. Zur Strukturierung der Diagnose wurde auf den offenen Systemansatz rekurriert. Die Interpretation der Veränderungen erfolgte über das erarbeitete Kombinationsmodell. Die letzte Forschungsfrage nach den theoretischen und praktischen Schlussfolgerungen der Arbeit wird im Folgenden genauer erörtert.
7.1
Theoretische Implikationen
Für die Beschäftigung mit Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen wurde vorwiegend auf betriebswirtschaftliche und soziologische Literatur rekurriert, weil dort die organisationstheoretischen Reflexionen wichtige Bestandteile dieser Disziplinen darstellen und entsprechend ein großer Fundus an Anregungen zu finden ist. In der Pädagogik gibt es eine solche organisationstheoretische Tradition (noch) nicht. Mit dieser Arbeit kann folglich auch der Versuch gesehen werden, zur Auseinandersetzung mit Organisationstheorien in der Pädagogik beizutragen. Im Kontext der skizzierten Herausforderungen pädagogischer Institutionen wurde die Bedeutung der Umwelt als Referenzgröße für die Organisation pädagogischen Handelns sichtbar. Es lag nicht die Absicht vor, die Herausforderungen vollständig zu erfassen und zu diskutieren, sondern einige Umweltentwicklungen zu skizzieren, mit denen die Einrichtungen regelmäßig konfrontiert waren. Finanzielle Engpässe öffentlicher Haushalte, Qualitätserwartungen, zunehmende Rechenschaftspflichten bezogen auf pädagogische Leistungen, die Realisierung neuer Steuerungsverfahren oder auch soziokulturelle Veränderungen stellen Anforderungen an pädagogische Institutionen dar, die den dort Handelnden bisher eher fremd waren. In diesem Rahmen werden pädagogischen Einrichtungen Veränderungen in der Organisation pädagogischen Handelns von außen aufgezwungen, d. h. die Auslöser für organisationale Ver-
7.1 Theoretische Implikationen
199
änderungen sind überwiegend in der Auseinandersetzung mit der Umwelt zu suchen. Insofern kann das Verhältnis zwischen Umwelt und pädagogischen Institutionen als offen definiert werden. Im empirischen Teil zeigte sich, dass Veränderungen von pädagogischen Institutionen fallweise sehr unterschiedliche Formen annehmen können. Alle drei Einrichtungen verfügten über Handlungsspielräume, die sie nutzen konnten. Sie waren zwar mit äußeren Rahmenbedingungen konfrontiert, die das Handeln teilweise stark beschränkten, jedoch bestand auch dann das Potenzial zum selbst gewählten Handeln. Das unterstützt die Annahme des (pro-)aktiven organisationsspezifischen Steuerungsvermögens in Veränderungsprozessen. Diese ist mit dem dargestellten offenen Systemansatz vereinbar, welcher sich zudem als Diagnoseschema bewährt hat, weil er die Herstellung eines einheitlichen Analyserahmens ermöglichte, so dass eine gemeinsame Betrachtungsweise der unterschiedlichen pädagogischen Teilbereiche Jugendhilfe und Schule möglich wurde. Allerdings ließen sich aus dem hier angewendeten Diagnoseschema noch keine organisationstheoretischen Erkenntnisse über organisationale Veränderungsprozesse ableiten. Es handelte sich vielmehr um eine Beschreibung von Ist-Zuständen, um verschiedene Fälle betrachten zu können. Deswegen wurde zunächst ein für den offenen Systemansatz oft üblicher Praxisbezug gewählt (vgl. CUMMINGS/WORLEY 1993; HARRISON 1994; HARRISON/SHIROM 1998). Weitergehende Interpretationen, warum sich Veränderungen ereignen, sind damit nicht zu erreichen. An dieser Stelle ließe sich der offene Systemansatz als theoretisch beliebig kritisieren. Die theoretische Besonderheit des zugrunde gelegten offenen Systemansatzes ist jedoch in der grundlegenden Bestimmung eines Verhältnisses zwischen Organisation und Umwelt zu sehen. Die Umwelt kann demnach organisationale Geschehnisse beeinflussen. Diese Annahme hilft, die Auswahl möglicher organisationstheoretischer Ansätze zu sortieren. Sowohl der Ansatz des Organisationslernens als auch der des Neo-Institutionalismus fügen sich in diese Grundannahme ein. Der Ansatz des Organisationslernens stellt eine Möglichkeit dar, Veränderungsprozesse in Organisationen zu interpretieren. Angelehnt an TÜRK (1989) wäre dies auch mithilfe von Entwicklungs- oder Selektionsmodellen möglich. Für die Entscheidung einer lerntheoretischen Konzeption sprach die Möglichkeit zur Interaktion mit der Umwelt, die auch zu dem vorgestellten Grundverständnis des offenen Systemansatzes passte. Damit geht u. a. die Annahme einher, organisationale Veränderungen nicht direkt hervorrufen zu können (vgl. SCHREYÖGG/NOSS 1995). Sie sind demnach zwar initiierbar, aber ihr Ausgang ist nicht direkt zu beeinflussen (vgl. BURKE 2002: 2ff.). Lernprozesse können Eigendynamiken entwickeln, die für Organisationsberatungen eine gewisse Zurückhaltung anraten lassen (vgl. SCHREYÖGG/NOSS 1995). Zudem werden Veränderungen im organisationalen Lernmodell nicht als Sonderfall, sondern als potenziell kontinuierlich vorkommende Ereignisse betrachtet. Die Feststellung organisationaler Lernprozesse erfolgt letztendlich aus einem Beobachterstatus, was voraussetzt, dass diese sich in veränderten Handlungsweisen erkennbar niederschlagen müssen. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass sich viele Lernvorgänge bereits „in den Köpfen“ der meisten Mitglieder ereignen, ohne dass sich dies schon konkret beobachten ließe. Damit wird riskiert, Lernprozesse, die potenziell zu veränderten Aktivitäten führen können und sich womöglich zunächst in an-
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7 Gesamtfazit
deren Zielvorstellungen äußerten, nicht als solche zu definieren. Dieses Risiko scheint jedoch vertretbar zu sein, weil bei nicht veränderten Handlungen immer noch geprüft werden kann, inwieweit neue Ziele immerhin ernsthaft in Erwägung gezogen werden. In der Diskussion der Auslöser konnte die Bedeutung der Umwelt als zentrale Bezugsgröße für das organisationale Lernen herausgearbeitet werden. Die Veränderungen in pädagogischen Institutionen selbst werden, mit Blick auf die Empirie, eher von einzelnen Akteuren getragen, die im organisationalen Kontext agieren. Mit dem Organisationsgedächtnis steht ein abstraktes Konstrukt zur Verfügung, welches das Verstehen der Lernprozesse von der Individual- bzw. Gruppenebene auf die Organisationsebene unterstützen hilft. Mit den Lernstufen können organisationale Lernprozesse differenziert werden. Dadurch wird es möglich, verschiedene Qualitäten des Lernens festzustellen. Diese Unterscheidung konnte z. B. in den untersuchten Fallbeispielen angewendet werden. Das Stufenmodell lässt sich allerdings mit Blick auf die oft vorhandene Vielfalt von organisationalen Handlungstheorien kritisieren. Organisationen sind keine monolithischen Gebilde und können von einer Einheitlichkeit weit entfernt sein. Ferner können die Unterscheidungen zwischen den Lernstufen verschwimmen. Diese Kritik kann jedoch das skizzierte Lernmodell nicht grundsätzlich infrage stellen, erfordert aber die Prämissen der Beobachtung organisationalen Lernens zu reflektieren. Die Klassifizierung der Veränderungsprozesse in den drei Fallbeispielen bezog sich auf vermeintlich bedeutsame und beobachtbare Veränderungen zwischen zwei Erhebungszeiträumen und auf deren Intensität. In der Kombination mit neo-institutionalistischen Überlegungen wurde eine weitere Differenzierung von Veränderungsprozessen vollzogen. Demnach kann nicht jede Veränderung als organisationaler Lernprozess eingestuft werden. Die Ankündigung, als Organisation bestimmte Maßnahmen ergreifen zu wollen, bedeutet noch nicht, dass die Veränderungen in den Köpfen der Mitarbeiter wirklich verinnerlicht und akzeptiert wurden. Die Symbolik kann eine wichtige legitimierende Funktion erfüllen, besonders vor dem Hintergrund unsicherer Umwelten, wie sie für pädagogische Institutionen skizziert wurden. Eine Absichtserklärung, bestimmte Maßnahmen ergreifen zu wollen, reicht nicht aus, um einen organisationalen Lernprozess festzustellen. Mit dem kombinierten Theoriezugang ließe sich folglich das Verhältnis von Reden und Handeln in Organisationen bzw. pädagogischen Einrichtungen neu betrachten. Die Auflösung der Diskrepanz zwischen Rede und Handeln ist zu erwarten, wenn einerseits die propagierten Ziele tatsächlich angestrebt werden, und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, und andererseits die Diskrepanz zu groß und offensichtlich geworden ist, so dass ihre Funktion und ihr Nutzen verloren geht. Letzteres, der Verlust ihrer Funktion, könnte eine Aufgabe der Fassade bedeuten. Es soll aber nicht der Eindruck entstehen, Fassaden seien per se negativ zu bewerten. So können sich pädagogische Einrichtungen institutionellen Vorgaben oftmals politisch nicht widersetzen und können sich gezwungen sehen, zum Schein ihre Unterstützung zu bezeugen. Exemplarisch ist das gerade anhand der verbindlichen Erarbeitung von Schulprogrammen häufiger als nur im erörterten dritten Fallbeispiel zu erwarten. Die Verpflichtung, ein Schulprogramm zu erstellen, zieht nicht zwangsläufig dessen Akzeptanz nach sich. Das Erzielen von Legitimität bzw. der Zustim-
7.1 Theoretische Implikationen
201
mung von außen kann im Rahmen eines offenen Systemverständnisses als ein fast natürliches Streben von Organisationen eingeschätzt werden. Fassaden sind im erarbeiteten Doppelansatz als erste Etappe eines Veränderungsprozesses zu verstehen. Eine Rhetorik der Veränderung kann neben der Legitimierung von außen auch nach innen wirken und zur Motivation der Belegschaft und zu Veränderungen beitragen (vgl. KIESER/HEGELE/KLIMMER 1998). Der dargelegte organisationstheoretische Doppelansatz impliziert auch einige Risiken. So ist bei neo-institutionalistischen Überlegungen das Risiko gegeben, jedwedem Handeln eine Legitimitätsfunktion zu unterstellen bzw. es der Fassade zu verdächtigen. Dem ist insofern zu widersprechen, als zu einer Fassade nur wenige, präsentable Handlungsmuster zuordenbar sind (wie z. B. die erklärte Absicht, evaluiert zu werden, einen Organisationsentwicklungsprozess durchzuführen oder als Organisation beraten zu werden) und somit die erarbeitete Idee der Fassade sich nicht wahllos auf andere Begebenheiten übertragen lässt. Außerdem darf angenommen werden, dass im Kontext von Veränderungen auch andere Motive Gültigkeit haben. Bei der Evaluation von Organisationen kann z. B. sowohl die Leistungsverbesserung als auch das Streben nach Anerkennung von Bedeutung sein. Unterschiedliche Motive flossen immer auch in die Evaluationen der drei pädagogischen Institutionen ein (dort hatten die Evaluationen immer auch eine Erkenntnisfunktion). Jedoch spielte gerade in den drei Fallbeispielen die Wirkung nach außen eine große Rolle und kann nicht unterschlagen werden. Organisationstheoretisch ist der Rückgriff auf den Neo-Institutionalismus auch reizvoll, da er nicht zuvorderst zu den Theorien des Wandels gezählt wird. Mit der Erarbeitung des Fassadenbegriffs, als kurzfristige Strategie, wurde auf eine Pufferfunktion hingewiesen, derer sich pädagogische Institutionen bedienen können. Sie können mit dem Aufbau von Fassaden eine andere als die reale Praxis vortäuschen, um vermeintlichen Umwelterwartungen zu entsprechen – um „mitzuspielen“ – und damit den Druck zu Veränderungen etwas herausnehmen zu können. Das muss aber nicht nur für Veränderungsprozesse in pädagogischen Einrichtungen exklusiv gelten, sondern kann allgemein auf Organisationen ausgeweitet werden, wodurch eine interdisziplinäre Anschlussfähigkeit dieses Modells möglich wäre. In der Pädagogik, in der keine Tradition der Effektivitätsmessung anzutreffen ist, wird dieses Muster vermutlich häufig identifizierbar sein. Für die Legitimitätssicherung ist die Entwicklung von funktionierenden Informationssträngen in Richtung Umwelt wichtig, um aktiv Erwartungen in Erfahrung zu bringen, deren Berücksichtigung das Überleben als Einrichtung sicherstellen können. Das illustrierte organisationale Veränderungsmodell pädagogischer Einrichtungen (vgl. Abb. 31) modelliert Veränderungen in Analogie zu einer Spule als potenziell stets fortlaufenden Prozess. Am Anfang eines Vorhabens (wie die Verbesserung der Leistungsfähigkeit) kann z. B. eine begleitende, externe Evaluation vereinbart und zur Umwelt kommuniziert werden. Die Ankündigung, sich evaluieren zu lassen – am besten von einer wissenschaftlichen Einrichtung –, kann als Fassade interpretiert werden, weil damit symbolisch Modernität, Reformbereitschaft, Professionalität oder Aktivität vermittelbar sind. Ob an die Evaluation tatsächliche Veränderungen bzw. organisationale Lernprozesse anschließen, ist je nach Einrichtung und Fall zu
202
7 Gesamtfazit
überprüfen. Dasselbe lässt sich prinzipiell auch hinter der Absicht vermuten, einen Organisationsentwicklungsprozess durchzuführen bzw. sich von externer Seite beraten zu lassen. Im Fall, dass es dann zum organisationalen Lernen kommt, sind unterschiedliche Niveaus denkbar. Das Organisationslernen auf der zweiten Lernstufe wirkt tiefer in die Handlungstheorien ein und stellt im Grunde einen echten Wandel dar. Den beobachteten Veränderungen können neue Veränderungsvorhaben folgen bzw. es können auch parallel dazu, unabhängig von einer Evaluation, weitere Vorhaben realisiert werden.
Abbildung 31: Integriertes Interpretationsmodell organisationaler Veränderungen für die drei Fallbeispiele in Gestalt einer Spule
Dieses Veränderungsmodell bezieht sich auf die Erfahrungen mit der Evaluation der drei pädagogischen Institutionen. Diese lassen sich jedoch nicht verallgemeinern und z. B. auf sämtliche pädagogische Einrichtungen übertragen. Es geht vielmehr darum, organisationale Veränderungen differenzierter zu betrachten und zu hinterfragen. Das Modell stellt daher einen möglichen Interpretationsansatz für Veränderungsprozesse in pädagogischen Institutionen dar. So können Qualitätsverfahren z. B. auch auf der Basis von Qualitätshandbüchern implementiert werden. Ein solches Vorgehen wäre weniger öffentlichkeitswirksam und eine Fassade nur schwer identifizierbar. Allerdings würde mit dem Verzicht auf die Symbolik auf ein möglicherweise hilfreiches und wirkungsvolles Kommunikationsmittel verzichtet werden.
7.2 Praktische Implikationen
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Das illustrierte Veränderungsmodell berücksichtigt außerdem unterschiedliche Zeit- bzw. Veränderungsrhythmen der pädagogischen Institutionen. Je nachdem, wie die Veränderungsprozesse ablaufen, können die Abstände der Spule größer (längere Dauer) oder kleiner (kürzere Dauer) abgebildet werden. Die Dimension Zeit ist es auch, der, über diese Arbeit hinaus, mehr Aufmerksamkeit in den Diskussionen um den organisationalen Wandel zu wünschen ist. Es gibt keinen „one best way“ der Veränderung. Dafür sind zu viele Eigenheiten und Faktoren zu berücksichtigen. Wenn Veränderungen nachhaltig wirken und in den Köpfen der Mitarbeiter akzeptiert werden sollen, dann bedarf es oft der Zeit. Die Fassaden können neben der Signalwirkung auch aufgebaut werden, um ebendiese Zeit zur Realisierung der Veränderungsnotwendigkeit zu bekommen. Das ist mit Organisationsentwicklungstechniken und dem Herstellen förderlicher Bedingungen nur zum Teil zu verkürzen, weil neue Ideen erst einmal verarbeitet, quasi verdaut werden müssen. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Flexibilitätserwartungen an pädagogische Institutionen bzw. grundsätzlich an Organisationen, wie sie auch in Vorstellungen zu Lernenden Organisationen vertreten sind, kann das die Ansprüche an die jeweiligen Veränderungsfähigkeiten relativieren und zur Rücksicht mahnen. Aufgrund der Aktualität des Themas des Wandels von pädagogischen Institutionen sind zu diesem Themenfeld weitere Forschungen nötig, um Veränderungsprozesse besser verstehen und begleiten zu können. Die hier angestellten Überlegungen sind als Angebot zu verstehen, sich mit einer bestimmten Sichtweise dem Wandel von pädagogischen Institutionen zu nähern. In der Arbeit ist auf bestehende Ansätze zurückgegriffen und diese sind neu verknüpft worden. Das wäre ein möglicher Weg der organisationstheoretischen Auseinandersetzung, ein anderer könnte die Rezeption neuerer Ansätze implizieren, wie z. B. der Netzwerktheorien. Netzwerke werden für pädagogische Institutionen wichtiger, um weitreichend und flexibel mit vielzähligen Akteuren zu kooperieren und pädagogisches Handeln erfolgreich zu koordinieren. Das stellt ein Themenfeld dar, das einige sehr interessante Fragen birgt. Das könnte auch in Verknüpfung mit dem diskutierten Doppelansatz geschehen. Zu überprüfen wäre z. B., ob und inwieweit Überlegungen zum Organisationslernen auf einen interorganisationalen Kontext übertragbar sind und inwieweit dabei der symbolische Charakter der Fassaden als Funktion von Bedeutung ist. Eine alte organisationstheoretische Frage bleibt bestehen: Lassen sich Umweltbedingungen identifizieren, die zu prognostizierbaren Veränderungen auf Seiten der Organisation führen? Im Situativen Ansatz ist diese Frage u. a. zwar aufgegriffen, empirisch bisher aber nicht hinreichend gelöst worden (vgl. KIESER 2002; SCHREYÖGG 2003). Für die Analyse von Veränderungsprozessen in pädagogischen Institutionen läge es womöglich nahe, nicht nur nach gesetzesmäßigen Auswirkungen von Umweltereignissen auf die Organisationsstrukturen, sondern auch auf die für die Einrichtungen bedeutsamen Prozesse zu suchen.
7.2
Praktische Implikationen
Obwohl der Fokus der Arbeit auf der Erarbeitung eines organisationstheoretischen Konzepts lag, ließen sich einige Anhaltspunkte erkennen, die für die Praxis der
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7 Gesamtfazit
Organisationsberatung von Belang sein können. Damit beschäftigt sich der letzte Teilabschnitt. Einer Organisationsdiagnose muss ein bestimmtes Begriffsverständnis von Organisationen vorausgehen (vgl. CUMMINGS/WORLEY 1993; HARRISON/SHIROM 1998). Andernfalls ist weder klar, was untersucht werden soll, noch welche Zusammenhänge zwischen beobachteten Aspekten bestehen. Der hier angewendete offene Systemansatz entsprach diesen Anforderungen. Die im erarbeiteten Diagnoseschema differenzierten organisationalen Dimensionen ermöglichten einen systematischen und praktischen Zugang zur Beschreibung von Ist-Zuständen. Mit diesem strukturierten Raster können im Idealfall relativ zügig Informationen gewonnen werden. Zudem lassen sich damit Interdependenzen sowohl zwischen Organisationen und ihren Umwelten als auch zwischen den einzelnen Dimensionen innerhalb der Organisationen (Input, Ziele, Strukturen, Prozesse, Output) erfassen. So hängt beispielsweise die Strukturierung einer Organisation auch von der Beschäftigtengröße ab, die Strukturen wiederum können die Prozesse beeinflussen usw. Die praktische Eignung des offenen Systemansatzes wird zudem dadurch untermauert, dass viele Organisationsforscher auf ihn zurückgreifen und ihre Arbeit in hohem Maße an Praktiker adressieren (vgl. z. B. CUMMINGS/WORLEY 1993; HARRISON 1994; HARRISON/SHIROM 1998). Die Methoden der Organisationsentwicklung sind als praktische Verfahren dargestellt worden, deren Prämissen und deren theoretische Fundierung kritisiert wurden. Mit Blick auf praktische Gegebenheiten, wie der gesellschaftlich zunehmenden Bedeutung ökonomischen Denkens, wurde u. a. die Einnahme einer unspezifischeren „Change“-Perspektive erwogen. Hinsichtlich der Theoriekritik an der Organisationsentwicklung wurde eine organisationale Lernperspektive favorisiert. Dennoch kann das nicht als Absage an die Organisationsentwicklung gelten, sondern ihre Bedeutung erlangt diese, in Abgrenzung zum Organisationslernen, vor allem als Instrument des organisationalen Wandels. Die Techniken der Organisationsentwicklung und das Herstellen förderlicher Bedingungen können demnach zum Organisationslernen bzw. zum Wandel von Organisationen beitragen (vgl. SCHREYÖGG/NOSS 1995). Ein großes Manko im Hinblick auf die Prämissen wird in der Konzentration auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter gesehen, währenddessen der strukturelle Kontext bzw. die Leistungserbringung oft ausgeblendet werden (vgl. LEUCK/KUBICEK/WÄCHTER 1979, BRADFORD/BURKE 2005). Die Fallbeispiele können diese Kritik insofern unterstützen, als die Organisationsstrukturen wichtig für die jeweiligen organisationalen Entwicklungen waren. Mit Blick auf das Fallbeispiel III ist u. a. die etwas starre Organisationsstruktur als ein Grund angeführt worden, um die organisationale Trägheit zu erklären. Im Fallbeispiel II gingen die Veränderungen in hohem Maße mit den Veränderungen der Organisationsstruktur einher. Hinsichtlich des Fallbeispiels I wiederum darf vermutet werden, dass die Expansion, und infolgedessen die zwangsläufige Strukturveränderung, den freien Jugendhilfeträger nochmals deutlich beeinflussen und verändern wird. Das legt insgesamt das Einnehmen einer umfassenden Sichtweise auf Organisationen nahe, die zu einer angemessenen Diagnose von Organisationen führen und damit auch zum Ergreifen angemessener Maßnahmen in Organisationsentwicklungsprozessen kann.
7.2 Praktische Implikationen
205
Eine weitere praktische Implikation leitet sich aus der Annahme der indirekten Steuerbarkeit von Veränderungsprozessen ab. Sie mahnt zur Bescheidenheit in der Begleitung von Organisationsentwicklungsprozessen. Aufgrund eines relativierten Rationalitätsverständnisses sollte eine skeptische Haltung gegenüber linear und effizient verlaufenden Veränderungsvorhaben eingenommen werden. Wie in der Empirie gesehen, sind Widerstände übliche Begleiter, und es entwickelt sich oft eine Eigendynamik in Veränderungsprozessen, die nur beschränkt prognostizierbar und kontrollierbar ist. Eine begleitende Forschung oder Beratung sollte im Hinblick auf die Unterstützung und Realisierbarkeit von Veränderungen daher Zurückhaltung pflegen. Das erfordert jedoch nicht den Verzicht auf Organisationsberatung. Eine externe Beobachtung kann Dinge erfassen, die aus der organisationsinternen Routine heraus übersehen werden können. Angesichts dynamischer Umwelten nimmt der Bedarf zudem zu, Beratungen zu beanspruchen, um Orientierung zu gewinnen. Das führt wiederum zur Reflexion über die Rolle der Organisationsberatung. In Analogie zu den Funktionen von Evaluationen (Legitimitäts-, Kontroll-, Erkenntnis- und Dialogfunktion) sollten die möglichen Funktionen von Beratungsprozessen im Veränderungsprozess reflektiert werden. Die Legitimitätsfunktion kann, wie dargelegt, von besonderem Gewicht sein, wodurch Empfehlungen weniger bedeutsam sind als die Tatsache, überhaupt beraten zu werden. Für die Beurteilung von Erfolgsmeldungen im Zusammenhang mit Organisationsentwicklungsprozessen ist daher eine gewisse Skepsis geboten. Ferner ist der Faktor Zeit zu berücksichtigten. Neben der Herstellung begünstigender Rahmenbedingungen brauchen Veränderungen, wie erörtert, Zeit, um in den Köpfen der Organisationsmitglieder bzw. im Organisationsgedächtnis Verankerung zu finden. Auch aus diesen Gründen ist eine Bescheidenheit in der Planung von Organisationsentwicklungsprozessen anzumahnen, die Veränderungen bewirken sollen. Fallweise kann die Dauer von Veränderungen unterschiedlich sein, aber unabhängig von der Organisationsgröße und -kultur, der Führungs- und Kommunikationsstile usw. können Organisationen in der Regel nicht im Schnelldurchgang verändert werden. Dies steht jedoch im Widerspruch zum Veränderungsbedarf, der beispielsweise in den skizzierten pädagogischen Teilbereichen möglichst schnelle Veränderungen erfordert. Diese Gegensätzlichkeit kann zwar nicht aufgelöst werden, sollte jedoch zu einer sensiblen Überprüfung wechselseitiger Erwartungen zwischen Beratern und Klienten führen. Mit Blick auf die drei Fallbeispiele lässt sich versuchen, mögliche Erfolgsfaktoren von Organisationsentwicklungsprozessen zu identifizieren. Um organisationales Lernen zu ermöglichen, muss grundsätzlich ein Problembewusstsein existieren. Das kann durch eine festgestellte Differenz zwischen einem Soll- und einem Ist-Zustand entstehen (vgl. 5.1.2). Die Identifikation von Anhaltspunkten für Veränderungen, einschließlich der zu ergreifenden Maßnahmen, sollte zumindest von der Leitungsebene geteilt und unterstützt werden. Das scheint eine wichtige Voraussetzung für den Wandel von Organisationen zu sein. Zum Erfolg tragen jedoch weitere Aspekte bei. So konnten Anhaltspunkte gefunden werden, welche die Bedeutung der Kommunikation von grundsätzlichen Zielvorstellungen oder der Partizipation der Mitarbeiter bestätigten, die zuvor in den theoretischen Erörterungen hervorgehoben
206
7 Gesamtfazit
wurde (vgl. z. B. 5.1.6). Exemplarisch ist das anhand des Fallbeispiels I demonstrierbar, bei dem eine tiefer gehende Veränderung feststellbar war. Dies wurde u. a. auf gelungene Kommunikations- und Partizipationsverfahren zurückgeführt, welche vor allem zu den Bestandteilen der Dimension Prozesse zu zählen sind. Von Seiten der Leitungsebene wurden Ziele definiert und gemeinsam die Vision entworfen, die Bedeutung als Organisation im Kiez zu steigern und das Dienstleistungsangebot zu erweitern. Die Vision beruhte, im Sinne von KIESER/HEGELE/KLIMMER (1998: 168), weniger auf der Extrapolation von vergangenen, sondern vielmehr auf einer Vorstellung von künftigen Entwicklungen, die als Grundorientierung fungierte und unterschiedliche Schritte zu ihrer Erfüllung offen ließ. Es wurde ein Gefühl dafür erarbeitet und vermittelt, „wohin die Reise geht“. Des Weiteren wurden Mitarbeiter der operativen Ebene zunehmend strukturell in die strategische Arbeit integriert. Das erleichterte die Kommunikation in die gesamte Einrichtung hinein, trotz komplexer werdenden Aufgabenstellungen, welche die informationelle Versorgung aller Mitarbeiter zur Herausforderung machten. Für pädagogische Institutionen, in denen die Prozesse von Bedeutung sind, stellt die Herstellung gelingender Kommunikation (als ein Teil der Dimension Prozesse) ein wichtiges Element organisationaler Gestaltung dar. Die erwähnte Bedeutung der Vermittlung einer Vision weist u. a. auch auf die Relevanz der Zielerarbeitung bzw. Strategieentwicklung hin. Vor dem Hintergrund dynamischer Umwelten kann die Erarbeitung von Vorstellungen über die langfristige organisationale Entwicklung Entscheidungsprozesse in pädagogischen Institutionen unterstützen und zu deren Legitimität beitragen. Für die Praxis der Organisationsberatung liegt es womöglich nahe, sich verstärkt mit Themen und Techniken der Zukunftsforschung zu befassen, wie z. B. der Szenariotechnik (vgl. z. B. FINK/SCHLAKE/ SIEBE 2001). Allerdings ist dieses Verfahren ressourcenintensiv und dürfte für viele pädagogische Institutionen vermutlich nur in Netzwerken realisierbar sein. Infolge der vielfältigen Herausforderungen entsteht zudem ein Bedarf an neuen Angeboten (z. B. die Elterntrainings), welche die systematische Qualifizierung des Personals bzw. die Etablierung eines strategischen Personalmanagements in pädagogischen Einrichtungen wichtiger werden lässt. Entsprechend bedeutsamer wird die Frage nach der besseren Nutzung der vorhandenen personalen Ressourcen.
8
Anhang
8.1
Interviewleitfäden
8.1.1 Themenbereiche Fallbeispiele I und II Input • Berufserfahrung • Qualifikation • Qualifizierungsmaßnahmen • Räumliche Ausstattung • Finanzielle Ausstattung Output • Kriterien der Fallbewertungen • Bewertung der Fallbetreuungen Umwelt • Kooperation zwischen freien Trägern und Jugendamt • Kommunikation zwischen freien Trägern und Jugendamt • Kooperation zwischen freien Trägern • Kooperation mit weiteren Akteuren wie Eltern, Schüler, Soziadienste usw. Prozesse • Fallaufnahme • Einhaltung formaler Kriterien • Fachlich-methodisches Vorgehen • Kooperation mit Kollegen • Kommunikation mit Kollegen • Ablauf von Entscheidungsprozessen Organisationsstruktur • Tätigkeitsbeschreibung • Aufgabenverteilung • Strukturentwicklungen Ziele • Verfolgte Ziele • Allgemeine Herausforderungen im Arbeitsfeld • Herausforderungen in der Organisation • Verbesserungspotenziale
208
8 Anhang
8.1.2 Themenbereiche Fallbeispiel III (Zweite Untersuchungsphase) Input • Qualifikation • Veränderungen der Ausstattungen Output • Angebote der Aktivitätsgruppe • Arbeit der Organisationsgruppe Umwelt • Kooperation mit der Schulaufsicht • Kooperation mit anderen Schulen • Kooperation mit weiteren Akteuren wie Eltern, Schüler usw. Prozesse • Fachlich-methodisches Vorgehen • Kooperation allgemein mit Kollegen • Kommunikation mit Kollegen • Koordination zwischen Organisations- und Aktivitätsgruppe • Ablauf von Entscheidungsprozessen Organisationsstruktur • Fächerstrukturen • Aufgabenverteilung • Strukturentwicklungen Ziele • Verfolgte Ziele • Allgemeine Herausforderungen im Arbeitsfeld • Herausforderungen in der Schule • Verbesserungspotenziale
8.2 Beispiel gebildeter Indizes Fallbeispiel III
8.2
209
Beispiel gebildeter Indizes Fallbeispiel III (Erste Untersuchungsphase)
Indexwerte zur individuellen Förderung der Schüler (Skala von 1 [trifft voll zu] bis 4 [trifft nicht zu])
Items-Lehrerbefragung • • • •
Lernschwächere Schüler fördere ich besonders stark. Schüler mit Lernschwächen werden an dieser Schule besonders gefördert. In meinem Unterricht werden leistungsstarke Schüler besonders gefördert. An der Schule werden leistungsstärkere Schüler besonders gefördert.
Items-Schülerbefragung • Wenn ich Schwierigkeiten habe, wird mir geholfen. • Meine individuellen Begabungen werden gefördert. Items-Elternbefragung • Schüler mit Lernschwächen werden an der Schule gefördert. • Die individuellen Begabungen der Schüler werden gefördert.
210
8.3
8 Anhang
Fragebeispiel aus den Kurzfragebögen zu Fallbeispiel I (Zweite Untersuchungsphase, Befragung der Mitarbeiter des freien Trägers)
Gab es in den letzten 16 Monaten Vorhaben in Ihrer Organisation, die zwar angekündigt, aber nicht realisiert wurden? Falls ja, welche waren das?
Gibt es Dinge, die sich in der Einrichtung idealerweise verbessern ließen und wenn ja, welche?
8.4 Auswertungsverfahren der Interviews
8.4
211
Auswertungsverfahren der Interviews
1. Arbeitsschritt: Thematisches Überschriften der Interviewtexte60
2. Arbeitsschritt: Aufhebung der Sequenzialität des einzelnen Interviewtextes
3. Arbeitsschritt: Reorganisation des Materials entlang der Dimensionen
60
In Anlehnung an LIEBOLD/TRINZCEK (2002), die davon ausgehen, dass die Überschriftung der Interviews eng an die Themen der Leitfäden angelehnt ist.
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