Ren Dhark Drakhon Band 21 Unheimliche Welt l. Gisol verschwand am Himmel! Von einer unheimlichen Kraft wurde der Worgun ...
19 downloads
657 Views
774KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ren Dhark Drakhon Band 21 Unheimliche Welt l. Gisol verschwand am Himmel! Von einer unheimlichen Kraft wurde der Worgun emporgerissen! Deutlich war zu sehen, wie er dagegen ankämpfte, wie er versuchte, diesem aus dem Nichts kommenden Kraftfeld zu entgehen. Aber es gelang ihm nicht. Und nach den ersten paar Sekunden wäre es ihm wohl auch nicht mehr sonderlich gut bekommen. Da befand er sich bereits viel zu hoch in der Luft. Mochte er zwar auch ein Gestaltwandler sein und als solcher selbst Stürze besser abfedern können als ein Mensch oder irgendein anderes Lebewesen, unverwundbar war er jedenfalls nicht! Wie leistungsfähig sein wandlungsfähiger Körper war, hatte er einigen terranischen Kolonisten unfreiwillig auf dem Planeten Babylon in der Menschheitsgalaxis Nai demonstriert, bei einem Unfall, nach welchem ei^ als Terraner mit schwersten Verletzungen in die nächste KlinikNotaufnahme hatte eingeliefert werden müssen. Nur war von den Verletzungen Gisols schon wenig später nichts mehr festzustellen gewesen. Damals hatte er sich »John Brown« genannt und auf Babylon wie auf vielen anderen Planeten der Galaxis, zum Schluß auf Terra als »Jim Smith« Informationen und Daten gesammelt über das Sternenvolk, welches das Erbe der Worgun angetreten hatte und sich den Grakos entgegenstellte. Und jetzt jagte er dem Himmel entgegen, um als kleiner Punkt in der Feme zu verschwinden! »Hinterher!« kommandierte Ren Dhark. Er, Manu Tschobe und Amy Stewart hetzten zu den beiden Flash. Deren Einstiegsluken waren nicht verriegelt. Dhark und Stewart sprangen gleichzeitig in die erste Maschine, der Afrikaner in die zweite, in welcher er mit Gisol hierher geflogen war. 9 Luken schließen und Blitzstart! Nur fand der nicht statt! Beide Flash blieben am Boden! Die Technik war tot. Alles war abgeschaltet. Es gab nicht einmal eine schwache Grundfunktion. Gerade so, als seien die MKonverter, die alle Energieverbraucher in den kleinen Raumbooten versorgten, ertobit. Leer! Nur konnte das nicht sein, weil diese Konverter bis zum Übermaß mit Tofiritstaub beschickt worden waren und somit noch für Jahre maximale Leistung bringen mußten. Aber warum taten sie es dann nicht? Warum funktionierte nichts mehr in den beiden Flash? Nicht einmal die Lukenverriegelung! Von Hand auf und zuschwenken ließ sich der Verschluß, aber nicht hermetisch verriegeln, weil das nur elektrisch ging, und Dhark war froh, daß sie vorhin die Luken nicht von außen mit der Gedankensteuerung geschlossen hatten, sonst hätten sie jetzt draußen vor den beiden Maschinen gestanden ohne zu wissen, warum diese sie nicht hineinließen. Auch die Gedankensteuerung hatte ihre Tätigkeit eingestellt. Beide Flash, zylindrische, mit drei Metern Länge und e4wa 1,50 Metern Durchmesser etwas plump wirkende Kleinstraumer, die dennoch zu erstaunlichen Flug und Kampfleistungen fähig waren, bestanden nur noch aus etlichen Tonnen Unitallschrott. Bizarr sahen sie aus, wie sie auf ihren spinnenbeinartigen Auslegern parkten und nicht mehr in der Lage waren, sich vom Boden zu erheben. »Bomben und Boliden!« tobte Tschobe. »Das hat uns gerade noch gefehlt!« Trotzdem dachte er nicht daran, ebenfalls auszusteigen, als Dhark und Stewart wieder aus ihrem Flash kletterten. Er blieb sitzen und sah den anderen zu. »Was jetzt?« wollte Amy Stewart wissen. »Die EPOY rufen?« »Vielleicht ist die ebenso stillgelegt«, wurde Tschobe zum Unheilspropheten. Stewart, erster weiblicher Cyborg, wirbelte zu ihm herum und stellte fest, daß er ihrem Blick sofort auswich. »Tschobe, spielen Sie nicht Kassandra, oder glauben Sie in dieser Ruinenstadt Troja wiederzuerkennen?« 10 »Troja?« murmelte Tschobe dumpf.
»Und wer soll die EPOY fliegen?« brachte Dhark es auf den Punkt. »Manlius, Oshuta oder Doorn? Abgesehen davon, daß der Römer und Doorn immer noch in der Medostation festsitzen, ist keiner der drei von Gisol autorisiert, den Ringraumer zu fliegen! Der einzige Autorisierte bin ich...« »Oshuta könnte mit einem dritten Flash...« begann Tschobe. Der Commander der Planeten winkte ab. »Manu, Lad Oshuta bleibt in der EPOY und hält Sitzwache für den Fall der Fälle!« »Und wir schlagen uns zu Fuß durch den Dschungel zurück zum Schiff, wie?« knurrte Tschobe, der Arzt und Funkspezialist. »Kennen wir das nicht von irgendwoher? Wir kämpften uns durch Deluges Regenwald, entdeckten eine tote Stadt, ein Höhlensystem und in dem einen Ringraumer. Hier fehlt uns in dieser Konstellation nur noch das Höhlensystem, aber das brauchen wir ja nicht, weil der Ringraumer bereits im Freien steht...« Dhark seufzte. Die Situation war ja wohl nicht vergleichbar. Damals, vor acht Jahren, waren sie nach der Notlandung der GALAXIS auf Hope von Rocco und seinen Schergen auf den Inselkontinent Deluge verbannt worden und hatten sich irgendwie durchschlagen müssen. Hier aber waren sie fast freiwillig. Das heißt, der Planet war eine Notlösung, aber der Forschungsflug mit den beiden Flash erfolgte nicht unter Zwang, sondern aus Neugier. Ursprünglich war die EPOY von Raumflotten der Zyzzkt- gejagt worden. Der Ringraumer wurde beschädigt, und nur mit einer riskanten Überbrückungsschaltung hatte Arc Doorn es fertiggebracht, Energie für eine letzte Nottransition an die Triebwerkseinheit schicken zu können. Während der Transition kam es zu weiteren Schäden. Die Überschlagsenergie mehrerer Explosionen hatte den Römer Manlius wie auch Doorn und Gisol schwer verletzt, die während der Hetzjagd auf das Schiff Reparaturen vorzunehmen versuchten. Während der Gestaltwandler Gisol seine Verwundungen relativ rasch regenerieren konnte, waren Doorn und Manlius ein Fall für die Medostation. Gisol beschloß, mit Sternensog zu einer Transition war seine stolze, supermoderne EPOY derzeit nicht mehr in der Lage den 11 nächsterreichbaren Sauerstoffplaneten anzufliegen und darauf zu landen, um in einer relativ normalen Atmosphäre das Schiff in Ruhe wenigstens soweit wieder instandzusetzen, daß er zu seiner Geheimwerft fliegen konnte. Die Medostation wurde vollautomatisch betrieben und war nach wie vor intakt; der Arzt Tschobe war dort nicht erforderlich. Also rekrutierte Gisol ihn und Lati Oshuta für die Reparaturarbeiten. Ren Dhark unternahm derweil in Begleitung Amy Stewarts Erkundungsflüge in die nähere Umgebung. Dabei entdeckten die beiden im Dschungel eine verlassene Ruinenstadt. Für die interessierte sich auch Gisol, und gemeinsam mit Tschobe gesellte er sich zu den beiden anderen. Er hatte festgestellt, daß es sich um eine Ansiedlung der Zyzzkt- handelte. Damit stand er vor einem ähnlich großen Rätsel wie einst Ren Dhark und seine Gefährten auf Hope, als sie auf die Ruinenstadt der Mysterious vor dem Höhlensystem stießen. Denn niemals zuvor hatten die Zyzzkt- eine Ansiedlung oder gar einen Planeten wieder aufgegeben, auf dem sie sich erst einmal festgesetzt hatten. Hier aber waren sie verschwunden, hatten alles leer zurückgelassen, so leer, daß die Terraner von sich aus niemals auf dieJdee gekommen wären, es könne sich um eine Zyzzkt-Stadt handeln. Aber Gisol kannte die typische Bienenstockbauweise des insektoiden Mördervolkes. Er schlug vor, nach dem einstigen Verwaltungszentrum der Ruinenstadt zu suchen. Aber dort warteten keine Erkenntnisse auf die Suchenden, dafür aber die Falle, die aus dem Nichts zuschlug und Gisol himmelwärts riß, wie von einem Pressorstrahl getrieben... Und seine Begleiter waren zur Untätigkeit verurteilt... Nur zwanzig Minuten später stellte Tschobe fest, daß die Instrumente des Raumboots wieder erwachten! Er war bisher im Flash sitzengeblieben und sich wunderte, warum sie hier am Rand des Dschungels nicht von Unmengen von Insekten umschwirrt wurden, 12
Schlagartig, von einer Sekunde zur anderen, stand die Energieversorgung wieder! Werte auf Optimum! »Ren, wir haben wieder vollen Saft!« rief er dem Commander zu. Der und Stewart sahen ihn nur ein paar Sekunden lang ungläubig an, dann reagierten sie spontan und sprangen in ihren Flash. »Start! Gisol suchen«, stieß Dhark hervor, ehe die Einstiegsluke sich über ihm und der Cyborg schloß. Tschobe klappte seine Luke bereits zu und bekam den Ruf nicht mehr mit, aber ihm war klar, daß es nichts anderes gab, als unverzüglich die Suche nach Gisol aufzunehmen. Antigrav ein! Blitzschnell wurden die spinnenbeinartigen Ausleger eingeklappt und schlössen fugenlos mit der Außenhülle der Flash ab. SLE kam und trug die Maschinen rasch aufwärts. Die Brennkreise verursachten kleine Feuer, die aber sofort wieder qualmend verloschen, weil die Feuchtigkeit der Pflanzen und des Bodens zu groß war. Dhark und Tschobe überließen die Suche nach dem Mysterious den Gedankensteuerungen der beiden Boote. Die arbeiteten präziser und schneller, als ein Mensch es gekonnt hätte. Die Ortungen spielten. Sie suchten nach Biowerten, die sich von tierischen und pflanzlichen unterschieden. Kalibriert auf die Biowerte eines Worgun, tasteten sie in alle Himmelsrichtungen. Alle fünf, dachte Ren in Erinnerung daran, daß das Völkchen der grünen Insel Irland fünf Himmelsrichtungen kannte Norden, Osten, Süden, Westen und Oben. Was nur logisch war Oben war die einzig wirklich korrekte Himmelsnch\\ing. Tschobe funkte die EPOY an und unterrichtete Oshuta von Gisols Verschwinden und dem vorübergehenden Energieausfall. Der Cyborg an Bord des Ringraumers wußte nur zu gut, daß er zum Abwarten gezwungen war. »Rechnen Sie damit, daß dieser Energieausfall jederzeit erneut auftreten kann, und dann vielleicht dauerhaft«, warnte er. »Wenn Sie dann aus großer Höhe abstürzen, hilft Ihnen kein Intervallfeld und Sie spielen Zaunpfahl mit dem Flash...« »Verstanden«, bestätigte Tschobe. 13 »Noch was«, glaubte Oshuta warnen zu müssen. »Passen Sie auf den Commander auf. Der ist nach Gisol der einzige, der die EPOY noch fliegen kann. Fällt er aus, sitzen wir hier endgültig fest, und ob die POINT OF und der Rest der Flotte uns hier aufspüren und abholen können, bezweifelt nicht nur mein Programmgehim stark. Die Wahrscheinlichkeit, daß uns die Zyzzkt- vorher finden, beträgt...« »99,9 Prozent«, mischte Stewart sich in den Funkverkehr ein. »Haben mitgehört. Ich passe auf den Commander auf.« Die Suche ging weiter, aber sie brachte kein Ergebnis. Die rund zwanzig Minuten Energieausfall hatten völlig gereicht, Gisol spurlos verschwinden zu lassen. Nach über einer Stunde brach Ren Dhark die ergebnislose Suchaktion ab. An eine Rücckehr zum Ringraumer war trotzdem noch nicht zu denken. Zum zweiten Mal besuchten die Terraner die verlassene Ansiedlung der Zyzzkt-. Diesmal landeten sie im Zentrum der Stadt und verbargen die Flash so, daß sie höchstens durch eijlen sehr unglückseligen Zufall gefunden werden konnten. Dann begannen sie zu Fuß mit einer erneuten Suche. Dhark vermutete, daß es hier im Stadtzentrum noch eine funktionierende technische Anlage geben mußte, die den Worgun angepeilt, als solchen erkannt und vermutlich getötet hatte. Es mußte sich um eine Worgunfalle handeln, denn sonst wären die Terraner ebenfalls erfaßt worden. Oder hatte Gisol nur zufällig einen Auslöser berührt, der die Pressorwaffe an exakt der Stelle wirksam werden ließ, wo er sich gerade befand? Aber dort, wo der Mysterious sich im Moment seines unfreiwilligen Höhenflugs befunden hatte, gab es nichts, was auf eine entsprechende Fallenschaltung oder eine energetische Anlage im Boden oder der Umgebung hindeutete. Stewart führte ein kleines tragbares Ortungsgerät mit sich, das eine solche Anlage unweigerlich aufgespürt hätte; es entstammte der Worguntechnologie. »Weiter...« 14
Sie drangen in eines der verfallenen Gebäude in der Nähe ein. Das Verwaltungszentrum befand sich nicht einmal hundert Meter entfernt, aber seine Durchsuchung hatte ja schon beim ersten Mal nichts erbracht. Aber im Gegensatz zu diesem mutmaßlichen Privatbau war es noch erstklassig erhalten. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. »Glauben Sie im Ernst, hier etwas zu finden, Ren?« fragte Tschobe kopfschüttelnd. »Hier bricht doch schon alles in sich zusammen, wenn man nur einmal kräftig hustet.« »Dann versuchen Sie etwas weniger kräftig zu husten«, empfahl Stewart etwas spitz. »Bei den Unmengen an Staub hier?« In der Tat hatte der Afrikaner Schwierigkeiten, halbwegs vernünftig atmen zu können, und klappte schließlich den transparenten Falthelm seines MRauM-Anzugs über den Kopf, allerdings ohne ihn komplett zu schließen. Auch Dhark wurde von dem Staub belästigt, den ihre Schritte ständig aufwirbelten. Stewart hatte auf ihr Zweites System umgeschaltet und war damit von der Außenluft unabhängig geworden. Ebensogut hätte sie sich unter Wasser befinden können, und im Phantzustand sogar im Vakuum des Weltraums. Während das Zweite System aktiv war, brauchte sie nicht zu atmen. Der Staub lag teilweise bis zu zwei Zentimeter hoch und erinnerte die beiden Männer an die Vorhöhle zum Industriedom auf Deluge. Dort waren gigantische Maschinenblöcke jäh zu amorphem Staub zerfallen, als Roccos Sprengkommandos auftauchten, um die Deportierten endgültig auszulöschen. War hier etwas Ähnliches geschehen? War die Einrichtung der Zyzzkt-Häuser zu Staub zerfallen? War das der Grund, weshalb die Insektenwesen die Stadt und vermutlich den ganzen Planeten verlassen hatten? Oder hatte der Zerfall erst nach ihrem rätselhaften Rückzug eingesetzt? Und wieso wenn alles zerfallen war konnte dann die Falle für Gisol noch existieren? Hätte sie nicht auch zu Staub werden müssen? Sie drangen weiter vor. Fenster gab es nur wenige, sie waren schmal und klein. So drang kaum Licht ins Innere des Bauwerks. Die Zyzzkt- waren Insekten, und Insekten verwerteten mit ihren 15 Facettenaugen das Lichtspektmm teilweise anders als die menschliche Netzhaut. Die libellenköpfigen Nogk waren dafür das beste Beispiel, auch wenn sie eine Mischung aus Insekt und Reptil darstellten. »Bäh!« vernahmen die beiden Männer plötzlich Stewarts Stimme. »Spinnen die gibt's aber auch wohl auf jedem Planeten, wie? Zum Teufel mit diesen Biestern!« Sie fuchtelte mit den Händen und wischte ein paar graue Schleiemetze beiseite. »Verdammt noch mal, wieso gibt's hier Spinnen, aber keine einzige Schmeißfliege, Stechmücke oder sonstiges Mistzeug?« »Weil Spinnen keine Insekten sind«, konterte Tschobe trocken. »Fünftes Schuljahr, Biologieunterricht...« »Das fünfte hab' ich glatt übersprungen«, behauptete Amy. Den beiden ist es also auch schon aufgefallen, daß es hier keine Insekten gibt, dachte Dhark. Seltsam,.. eine Welt ohne diesen Urtypus des Lebens, gibt's so etwas überhaupt? Gehört hatte er davon nie. Bisher war die Entwicklung auf allen Welten stets ähnlich verlaufen. Und die Planeten Oms machten keine Ausnahme schließlich gab es auch auf Terra Nostra, der Welt der Römer, jede Menge störender Schwirrer. Und die waren nicht vor r^nd zwei Jahrtausenden von den Mysterious von der Erde mitgebracht worden wie das Troßvieh der damaligen römischen Legion, sondern auf Terra Nostra selbst entstanden, weil sie kaum Ähnlichkeit mit irdischen Insekten hatten. Die besaßen sechs Beine und zwei Flügelpaare, die auf Terra Nostra vier Beine und drei Flügelpaare. Insekten auf Hope dagegen besaßen nur ein größeres Flügelpaar, aber auch sechs Beine. Sie gingen weiter. Trotz vorgeklapptem Raumhelm begann Tschobe plötzlich kräftig zu niesen. Im gleichen Moment gab der Boden unter dem vorangehenden Ren Dhark nach. Der Commander versuchte noch, sich mit einem Sprung rückwärts zu retten, aber der
Boden brach in einer solchen Ausdehnung unter ihm ein, daß er keine Chance mehr hatte. Er stürzte in die Tiefe! Da kam er auch schon auf und schaffte es gerade noch, sich fe 16 demd abzurollen. Dabei stieß er gegen Brocken des Materials, aus dem der mürbe Fußboden bestanden hatte und das mit ihm zusammen nach unten weggebrochen war. Die vorhandenen Reste zerbröselten unter dem Druck seines Anpralls nicht weiter, und der filmdünne M-Anzug konnte zwar nicht reißen, verhinderte aber auch nicht, daß Dhark vor Schmerz aufschreien mußte. Oben wollte Tschobe an die Bruchkante springen. »Ren, sind Sie verletzt?« »Zurück!« fuhr Stewart ihn an. »Die Kante ist nicht sicher! Wollen Sie auch da runterfliegen, Mann?« Tschobe fügte sich. »Ren, was ist mit Ihnen?« rief er erneut. »Ich lebe glaube ich.« Dhark richtete sich im Halbdunkeln wieder auf. Nur ein schmaler Lichthauch drang von oben herunter. Wir hätten Lampen mitnehmen sollen, dachte er. Sein Körper schmerzte an verschiedenen Stellen. Da gab's garantiert blaue Flecken und Blutergüsse. Aber wenigstens hatte er keinen Knochenbruch und auch keine Gehirnerschütterung erlitten. »Doktor Tschobe, Sie sollten wirklich nicht so laut husten«, vermerkte Amy Stewart kritisch. »Ich habe nicht gehustet, sondern geniest!« wehrte sich der Arzt. »Damit schaffen Sie's auch noch, die ganze Stadt zum Einsturz zu bringen.« »Wissen Sie was. Verehrteste?« säuselte Tschobe. »Sie wollten doch auf den Commander aufpassen! Und Sie sollten sich jetzt sehr gut festhalten, weil ich schon wieder einen Niesreiz in der Nase habe!« »Tschobe...!« drohte sie. »Wenn ihr zwei da oben fertig seid mit euren Festreden, könntet ihr vielleicht mal freundlicherweise nachschauen, ob ihr mich hier wieder rausbekommt«, schlug Ren Dhark derweil vor. Amy landete mit einem weiten Sprung nur zwei Meter von Dhark entfernt auf dem Boden. »Schön«, sagte er sarkastisch. »Jetzt sind wir schon zu zweit hier unten. Recht idyllisch für den Rest unseres Lebens, nicht wahr?« 17 »Durchaus nicht«, erwiderte Amy. »Ich werfe Sie nach oben, Tschobe fängt Sie auf, und ich springe dann ebenfalls wieder hinauf.« »Tschobe fängt Sie auf«, ächzte der Afrikaner. »Sind Sie wahnsinnig? Bin ich Herkules?« »Nun stellen Sie sich nicht so mädchenhaft an«, erwiderte Amy Stewart bissig. »Wer anderen Menschen beim Gespräch nicht ins Gesicht sehen kann, sollte wenigstens anderweitig seine Nützlichkeit unter Beweis stellen.« »Moment mal!« Dhark faßte die Cyborg am Arm. »Manu Tschobe hat vielleicht schon mehr für die Menschheit getan als jeder andere von uns! Jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Bei Tschobe ist es eben so, daß er den Blicckontakt scheut. Das sollten Sie akzeptieren.« Sie schwieg ein paar Sekunden. Dann nickte sie dem Commander zu. »Halten Sie sich bereit. Ich werfe Sie jetzt hinauf.« Dhark wußte, daß es kein leeres Versprechen war. Er hatte schon oft genug erlebt, zu welchen körperlichen Kraftanstrengungen Cyborgs nach Umschaltung auf ihr Zweiten Systems fähig waren. Er traute es Amy durchaus zu, daß sie ihn drei, vier Meter hoch schleuderte, um ihm dann mit einem Sprung aus den» Stand zu folgen. Im gleichen Moment glaubte er neben sich etwas Dunkles zu sehen. »Warten Sie!« bat er. »Da ist etwas.« In der Hand der Cyborg lag ein schußbereiter Blaster, dessen Abstrahlpol auf das Dunkle gerichtet war. Dhark machte einen Schritt in Richtung des Dunklen. »Stop!« warnte Stewart. »Gehen Sie da nicht hin!« Aber da hatte der Commander schon den zweiten und dritten
Schritt gemacht und war fast in dem Dunklen verschwunden. »Ein Durchgang«, sagte er. »Da geht es irgendwo hin. Wir scheinen uns in den Kellergewölben des Hauses zu befinden.« »Trotzdem sollten Sie da nicht so leichtsinnig hineingehen«, 18 inahnte Amy. »Was glauben Sie, was der alles kann?« spöttelte Tschobe von oben. »Alles, außer gute Ratschläge entgegennehmen.« »Manu«, drohte Dhark. »Sie scheinen brennend daran interessiert zu sein. Dir eigener Patient zu werden!« Tschobe kicherte vernehmlich. Amy Stewart zuckte mit den Schultern. An den lockeren Umgang dieser Leute miteinander die für die meisten Terraner lebende Legenden waren hatte sie sich noch immer nicht so recht gewöhnen können. »Wir sollten uns diesen Gang mal näher ansehen«, sagte Dhark. »Und das, was sich dahinter befindet.« Wortlos steckte Stewart den Blaster ein und setzte das tragbare Ortungsgerät ein, das sie an einem Schulterriemen trug. »Tatsächlich nur ein leerer Gang«, sagte sie. »Trotzdem sollten wir vorsichtig sein. Es ist nicht sicher, ob es weitere Kelleretagen unter dieser gibt und ob Doktor Tschobe wieder mal husten oder niesen muß.« Sie wandte sich um und sah zu der Öffnung empor. »Springen Sie«, verlangte sie. »Ich fange Sie auf.« Diesmal verzichtete der Arzt auf eine Bemerkung und sprang über die Abbruchkante hinweg. Die Cyborg fing ihn auf, drehte sich mit ihm, um den Schwung abzufangen, und stellte ihn auf die Füße. »Verdammt dunkel hier«, sagte Tschobe. »Dagegen sollten wir etwas tun.« Plötzlich hielt er einen Lichtstab in der Hand, drehte einmal kurz am Ende, und eine nahezu schattenlose Helligkeit breitete sich aus. Schon wieder wie damals auf Hope, dachte Dhark. Damals hatte Rocco den Deportierten nur die Kleidung gelassen, die sie am Leib trugen, nicht ein einziges Stück Ausrüstung, mit dem sie im Dschungel von Deluge den Hauch einer Überlebenschance gehabt hätten. Er wollte nicht, daß sie überlebten. Und dann hielt Tschobe plötzlich ein ThermFeuerzeug in der Hand! Wie er das durch die 19 Leibesvisitation geschmuggelt hatte, war bis heute sein streng gehütetes Geheimnis. Und jetzt tauchte er wieder mit einem besonderen Ausrüstungsstück auf! Er reduzierte die Lichtleistung sofort wieder, so daß nur eine kleine Helligkeitsinsel um die drei Terraner verblieb. »Die Batterie hält nicht besonders lange vor«, erläuterte er. »Deshalb sollten wir sparsam mit dem Licht umgehen.« »Gehen wir«, sagte Dhark. »Ich bin gespannt, was uns hier unten erwartet.« Eines stand schon nach wenigen Schritten fest: Es gab hier keinen Staub. Oder nicht mehr, als er ganz normal im Laufe einiger Dutzend Jahre anfällt. Er wurde auch nicht so aufgewirbelt wie im Erdgeschoß, die drei konnten sich relativ ungestört durch den Gang bewegen. Hier und da hingen Schleier von Spinnweben wie Vorhänge oder Wandteppiche herunter. Seltsame kleine Tiere, Mischungen aus Ratten und Eidechsen, flüchteten quiekend vor den Eindringlingen. An einer Stelle sahen sie das Skelett eines solchen Wesens in halber Höhe in einem der Spinnennetzschleier. Wie mochte es dort hinaufgekommen sein? Diese Netze schienen, so leicht zerreißbar sie einerseits waren, andererseits trotzdem sehr fest zu sein. Wieder huschte eine der Rattechsen vorüber. Plötzlich wurde sie in unmittelbarer Nähe eines der Netze von etwas getroffen. Mit schrillem Quieken sprang die Rattechse aus dem Stand fast zwei Meter hoch und landete direkt im Netz. Unwillkürlich krallte sie sich darin fest, um nicht abzustürzen. Das wurde ihr zum Verhängnis. Denn erst in diesem Moment quoll Klebstoff aus den aufgerissenen Netzfäden. Innerhalb weniger Augenblicke steckte die Rattechse unentrinnbar fest. »Teufel auch!« entfuhr es Stewart. »Und ich habe diese Netze so einfach beiseitegefetzt... kann mir einer sagen, weshalb ich meinerseits nicht dran klebengeblieben bin? An der Masse kann's nicht liegen, sonst müßten Fadenreste an den Handschuhen meines M-Anzugs haften.«
Ihr Programmgehirn gab ihr die Antwort: Es lag an ihrer Schnelligkeit! Sie war nicht lange genug in Berührung mit den Fä 20 den geblieben, als daß der herausquellende Klebstoff seine adhäsive Kraft entfalten konnte. Die Rattechse war abrutschend und festkrallend lange genug in Kontakt damit gewesen. Commander Dhark stellte sich eine ganz andere Frage. Woher war das gekommen, von dem die Rattechse so getroffen wurde, daß sie einen geradezu unwahrscheinlichen Hochsprung machte? Das Geschoß mußte doch irgendwo liegen! »Manu, können Sie mal den Boden ausleuchten? Da muß etwas liegen. So etwas wie ein Stein, eine Bola oder was auch immer.« Tschobe erweiterte das Lichtfeld etwas und begann den Boden abzusuchen. Aber er konnte nichts finden. »Da!« sagte Stewart plötzlich. »Sind Sie denn beide blind? Da liegt es doch und nicht anfassen!« Sie konnte Dhark gerade noch zurückreißen, der dorthin greifen wollte, wohin ihre Hand zeigte. Dabei sah er immer noch nichts. »Eine stachelige Giftkapsel«, verriet Amy, »und von normalen Menschenaugen nicht zu sehen. Ich kann sie sehen, weil ich mein Sehvermögen per Zweitem System am Lichtspektrum entlang verschoben habe.« »Cyborg müßte man sein«, brummte Tschobe, der selbst zeitweilig im BranaTal unter Echri Ezbals Leitung an der Entwicklung dieses Projekts mitgearbeitet hatte. Im gleichen Moment griff Stewart zu und riß den Commander mit einem schnellen Ruck zur Seite. Etwas Großes zischte haarscharf an ihm vorbei. Amys Blaster flog ihr förmlich in die Hand, und im nächsten Moment jagte es gleißend hell aus dem Abstrahlpol der Waffe und traf nur ein paar Meter neben ihnen etwas, das noch viel größer war und in einer Wandnische kauerte. Riesige, borstige Spinnenbeine zuckten, als das Ungeheuer hochschnellte und sich auf die Terraner werfen wollte, aber der Blasterstrahl trennte es mitten durch und ließ einen Teil der breiigen Masse im Spinnenkörper verkochen und verdampfen. Nur wenige Zentimeter vor den Menschen brach die Spinne endgültig zusammen, die noch im Sterben ihre Gegner, die sie mit Opfern verwechselt hatte, orit sich in den Tod hatte reißen wollen. »Teufel auch, wie das stinkt!« stöhnte Tschobe auf. Dhark konnte ihm nur zustimmen. 21 Über ihr Zweites System wurde nur Amy von dem Gestank nicht belästigt, versuchte aber, ihn anhand des Geruchsmusters zu analysieren und kam auf eine Mischung aus Ammoniak und Schwefel. Sie reduzierte die Energieleistung des Blasters und schoß abermals. Ein medizinballgroßes, stacheliges Etwas wurde sekundenlang sichtbar, flammte auf und verbrannte. »Das hatte das liebe Tierchen für Sie vorgesehen, Commander«, sagte Amy lakonisch und stellte die Abstrahlleistung des Blasters wieder auf normal zurück. Dhark schüttelte den Kopf. »Die Stacheln hätten den M-Anzug nicht durchdringen können. Das Material ist stabil genug.« »Das Material vielleicht, aber nicht Ihre Rippen, Dhark. Vermutlich hätten Sie Ihre Wirbelsäule vom im Brustkorb wiedergefunden.« »Herzlichen Dank«, murmelte Dhark und ließ offen, ob er damit die drastische Erklärung oder die Rettung vor der Riesenspinne meinte. »Faszinierend«, sagte Tschobe. »Daß so ein gigantisches Spinnenvieh von so kleinen Tieren wie dieser Rattechse leben kann. Schließlich wird es noch etliche weitere Spinnen hier geben, so versponnen, wie der Kellergang aussieht.« »Oder auch nicht«, hoffte Dhark. »Vielleicht hat das Biest all diese Fangnetze im Alleingang installiert.« Er gab sich einen Ruck. »Gehen wir weiter«, beschloß er. »Glauben Sie im Ernst, daß wir hier irgend etwas finden?« fragte Stewart. »Das Ortungsgerät zeigt nicht die geringste Energieemission an. Unter Umständen hat die Anlage mit Gisols Entführung ihre Kapazität verbraucht und sich zerstört, oder sie wurde abgeschaltet.« »Aber von wem?«
»Vielleicht ist sie auch abgeschirmt.« Sie setzten sich wieder in Bewegung. Überall gab es Abzweigungen. Kavernen, die hinter Wandöffnungen lagen, waren leer allenfalls ein paar Rattechsen versuchten quiekend zu flüchten, wenn Tschobe die Kammern kurz ausleuchtete. Bei Abzweigungen veränderte er das Lichtfeld zu einem Lichtstrahl und leuchtete 22 in die Gänge. Er und Stewart überließen Ren Dhark die jeweils einzuschlagende Richtung. Immer wieder kontrollierte Stewart die Anzeigen des tragbaren Ortungsgeräts, das nicht viel größer war als ein CDSpieler aus dem vergangenen Jahrtausend. Aber es gab nirgendwo ein Energieecho. Nicht einmal ein ganz schwaches. Dabei war Amy sicher, daß sie selbst eine so gut wie entladene HörgeräteBatteriezelle hätte anmessen können. Und das über eine Distanz von mehreren tausend Metern. »Wir müssen uns längst unter einem anderen Gebäude befinden«, sagte Dhark nach einer Weile. »Und zwar auf der anderen Straßenseite. Die Straße haben wir unterquert.« »Das hätten wir an der Oberfläche einfacher haben können«, murrte Tschobe. »Und sicher ungefährlicher. Da oben wird's diese Spinnen wohl kaum geben.« »Da ist etwas«, sagte Amy plötzlich. 2. Bin ich "wirklich ich? Artus, der Roboter? Der einzige seiner Art, der über ein echtes Bewußtsein verfügt? Ich denke, also bin ich! Und trotzdem fühle ich mich, als wäre ich gar nicht vorhanden. Eben noch stand ich kurz davor, geschreddert zu "werden. Nun befinde ich mich in den Armen eines reißen Roboterengels, der mit mir zum Himmel emporschwebt. Demnach wurde ich tatsächlich geschreddert und jetzt bin ich tot. Oder nicht? Kann eine Maschine überhaupt sterben? Normalerweise schaltet man Maschinen ab, und das war's. Andererseits bin ich eine ganz besondere Maschine. Eine, die lebt. Die einen terranischen Paß hat. Die auf der Kommandobrücke des wichtigsten Flaggschiffs der Erde mitfliegen darf. V Gehört das jetzt alles der Vergangenheit an? Aufgrund eines fehlgeschlagenen Experiments wurde mir echtes Leben eingehaucht. Wurde mir dieses Leben soeben wieder genommen? Offenbar waren mir lediglich acht Monate vergönnt, und nun geht es ab in den... Roboterhimmel? Gibt es tatsächlich ein eigenes Jenseits für lebende Maschinen? Der Engel setzt mich auf einer festen Substanz ab, die einer Wolke nicht unähnlich ist. Er strahlt ein helles, wärmendes Licht aus. Mit gütigem Lächeln schaut er mich an. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Er verheißt mir die ewige Glückseligkeit. Ich brauche nur einzuwilligen... Natürlich will ich ins Roboterparadies. Streben denn nicht alle Lebenden nach dem Elysium? Elysium. Das erinnert mich an irgend etwas. Der Roboterengel verzieht ärgerlich sein Gesicht. Er verbietet 24 mir strikt, in meinen Erinnerungen zu kramen, und verlangt nachdrücklich meine Einwilligung. Aber die hat er doch schon. Ja, ja, ja, ich will sie, die ewige Glückseligkeit! Laß mich ein ins Paradies! Bedingung? Was für eine Bedingung? Davon war nie die Rede. Ich soll ihm den Zugang zu meinem innersten Sein öffnen? Kommt gar nicht in Frage! Mein geheimstes Ich gehört nur mir allein. Ich bin ich, und außer mir ist niemand ich. Der Engel wird allmählich zornig. Ohne Überprüfung meiner Roboterseele käme ich nicht ins Jenseits, droht er mir. Na, dann eben nicht! Rutsch mir doch den Blechbuckel runter! Oha! Das hätte ich wohl besser nicht gesagt. Jetzt verwandelt er sich in einen Roboterdämon. Dämon? Augenblick mal, hier stimmt doch was nicht!
Dies hier ist nicht die Realität. Es ist ein Traum, eine Halluzination. Sofort blockieren! Der Engel ist fort. Das Licht hat er mitgenommen. Für einen Moment ist es völlig dunkel um mich herum. Ich löse ein Signal aus, aktiviere meine Sensoren und — erwache! Erwache! Von einem Augenblick auf den anderen war die Realität wieder da. Die seltsame Halluzination hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Ich lag im hohen Gras. Regen prasselte auf mich herab, nicht allzu stark, aber kontinuierlich. Ich stand auf, schaute mich nach allen Seiten um. Das Gras reichte mir jetzt bis zum Bauch. Offensichtlich befand ich mich in einer naturbelassenen Umgebung. Anhand des ungewöhnlichen Pflanzenwuchses erkannte ich, daß es sich nicht um die Erde handelte. Möglicherweise hatte man mich auf einem Dschungelplaneten ausgesetzt. 25 Man? Wer war dafür verantwortlich? Was genau war eigentlich passiert? Ich aktivierte meinen Gedächtnisspeicher und rief mir die vergangenen Stunden in Erinnerung, angefangen bei Dharks Viphoanruf in meiner Kabine auf der POINT OF. »Ich habe jetzt Zeit für dich, Artus, und erwarte dich in meiner Unterkunft.« Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade damit beschäftigt gewesen, einen Sechzehnsekunden-Schnellscan durchzuführen, um meine gesamten Speicher zu überprüfen und eventuelle Fehlerquellen zu beseitigen. Aufgrund der Dringlichkeit hatte ich den Scan zwei Sekunden früher abgebrochen und mich beeilt, der Aufforderung des Commanders Folge zu leisten. Ren Dhark mochte es nicht, wenn man ihn warten ließ. Ich hatte den Commander darum gebeten, die Rotte der von den Zyzzktvertriebenen Völker den Heerzug der Heimatlosen auf eigene Faust erkunden zu dürfen. Anfangs hatte er gezögert, doch nachdem ich ihm von meiner kleinen »Lebensversicherung« erzählt hatte, war er einverstanden gewesen. Der Heerzug war eine gigantische Flotte von Raumschiffen unterschiedlichster Formen und Farben, erbaut und bewohnt ^n mehreren Tausend verschiedenen Völkern. Die Schiffe bewegten sich synchron mit der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung. Es gab feste röhrenförmige oder auch flexible schlauchartige Übergänge, Wege von Schleuse zu Schleuse, die von einem Schiff zum nächsten führten, manchmal auch zu mehreren Schiffen zugleich. Transmitter waren nur vereinzelt vorhanden. Die gesamte Flotte wurde von einem riesigen, grobmaschigen, drahtähnlichen Metallkokon eingeschlossen, der ein spezielles Feld erzeugte, das es fremden Schiffen unmöglich machte, den Heerzug zu orten. Innerhalb der Rotte wurde überwiegend Worgun gesprochen, die Sprache der Mysterious, welche in der Galaxis Om allgemeiner Standard war. Nicht nur ich beherrschte diese Sprache inzwischen dank meiner unübertrefflichen Lernfähigkeit perfekt, auch die übrigen Terraner konnten Worgun sprechen, hatten dafür aber auf Terra Nostra Mentcaps einnehmen müssen. 26 Viele außergewöhnliche Wesen, jedes eine Einmaligkeit für sich, waren mir auf meiner kleinen Exkursion begegnet. Am meisten hatte mich das Volk der Bebir fasziniert. Die blasenförmigen, durchsichtigen Bebir, die in etwa die Größe eines Fußballs hatten, waren sozusagen die Heimatlosen unter den Heimatlosen. Sie verfügten über kein eigenes Raumschiff. Statt dessen schwebten sie von Schiff zu Schiff, unterhielten sich mit den Bewohnern und sammelten Wissen. Ihre Lebenserwartung lag umgerechnet ungefähr bei einer terranischen Stunde. Damit die gesammelten Informationen nicht auf ewig verlorengingen, kam für jeden verstorbenen Bebir sofort ein neuer auf die Welt und das Wissen des Sterbenden wurde komplett auf dessen Nachfolger übertragen. Bei einer Begegnung mit einem Bebir namens Kju hatte ich persönlich miterlebt, wie die Informationsübertragung vonstatten ging. Im Inneren von Kju hatte eine Art Energiefähnchen gewabert, ähnlich einer winzigen Nebelschwade. Diese Schwade hatte sich im Verlauf unserer Unterhaltung ständig vermehrt, bis die gesamte Blase proppenvoll war. Tja, und dann war Kju kurzerhand geplatzt...
... und an seiner Stelle hatte der frischgeborene Bebir Eja das Gespräch mit mir weitergeführt. Eja hatte alles gewußt, was Kju gewußt hatte, sogar meinen Namen. Leider verfügten die Bebir nur über ein begrenztes Aufnahmevermögen. Ältere Informationen verschwanden offenbar unweigerlich aus ihrem Gedächtnis. Kju hatte sich jedenfalls nicht mehr darauf besinnen können, von welchem Planeten er kam und wann sein Volk zum Heerzug gestoßen war. Auch über die genaue Größe seines Volkes hatte er mir keine Auskunft geben können. Meine diesbezüglichen Recherchen bei anderen Völkern innerhalb der Rotte hatten bisher nichts Konkretes ergeben. Keiner konnte sich mehr genau daran erinnern, wann die Bebir zum ersten Mal aufgetaucht waren. Sie waren einfach »schon immer dagewesen«, besuchten sporadisch mal dieses, mal jenes Raumschiff und kamen bei den verschiedenen Spezies mal mehr, mal weniger gut an. Einige mochten sie, anderen wiederum gingen sie auf die Nerven. Zwischendrin hatte ich das Gefühl gehabt, in Bezug auf die Be 27 bir irgend etwas ganz Wichtiges übersehen zu haben. Aber was? Sowohl Kju als auch sonstige Flottenangehörige hatten mich davor gewarnt, bei meiner »Lernwanderung« ins Herz der Flotte vorzustoßen. Dort gab es drei leerstehende, uralte Schiffe, die von allerlei Gesindel bevölkert wurden von Ausgestoßenen, Verbrechern, mit denen niemand im Heerzug etwas zu schaffen haben wollte. Sogar die Deeskalationsbeamten, eine multikulturelle Polizeitruppe, wagten sich nur selten in dieses Gebiet, welches von seinen zwielichtigen Bewohnern selbstironisch als »Elysium« bezeichnet wurde. Trotz der eindringlichen Warnungen hatte ich mich nicht davon abhalten lassen, das Elysium aufzusuchen. Meine Neugier hätte ich allerdings beinahe mit dem Leben bezahlt. Kaum hatte ich eins der verlassenen Schiffe betreten, steckte ich auch schon im dicksten Schlamassel. Eine Bande Diebe und Mörder nahm mich gefangen in der Annahme, ich sei nur ein ganz gewöhnlicher Roboter. Sie wollten mich zur »Festung des Herrn« bringen. Natürlich hätte ich mich leicht befreien können, aber ich war neugierig, was es damit auf sich hatte. Im übrigen hatte ich eh in die gleiche Richtung gewollt, weil ich von dort kurz zuvor ein Signal aufgefangen hatte, das von einem noch nicht fertiggestellten Hyperfunkgerät ausgegangen war. Das hatte mich stutzig gemacht. Seit ein unbekannter Verräter beinahe die Zyzzkt- auf die Spur des Heerzugs gebracht hatte, ließ der oberste Rat der Rotte Jagd auf jedes nicht registrierte Hyperfunkgerät machen. Die Verbrecher hatten mich tief ins Innere eines der drei Schiffe verschleppt, wo ich mit dem »Herrn«, dem Luwaren Dokemtar, Mitglied des Flottenrates, zusammengetroffen war. Noch bevor ich mich in seiner perfekt abgeschotteten »Festung« näher hatte umsehen können, hatte er mich in einem Fesselfeld gefangen und einer Energieentladung ausgesetzt. Obwohl ich mich vehement dagegen gewehrt hatte, war es ihm gelungen, meine interne Energieversorgung größtenteils zu blockieren, so daß ich ihm wehrlos ausgeliefert war. Soweit zu meinen abgespeicherten Erinnerungen. Über den weiteren Verlauf der Dinge konnte ich nur spekulieren. 28 Wahrscheinlich hatte mich Dokemtar irgendwie manipuliert anders war die merkwürdige Halluzination jedenfalls nicht zu erklären. Ich hatte »geträumt«, man habe mich in einen Metallschredder geworfen, und dann war ein Roboterengel gekommen... Wann und wie ich auf diesen Dschungelplaneten gebracht worden war, vermochte ich nicht zu sagen. Scheinbar hatte Dokemtar Teile meines Gedächtnisspeichers gelöscht. Oder einige meiner Speicher waren defekt. Eigentlich war ich eine durch und durch perfekte Konstruktion, dennoch konnte selbst ich Fehler nicht gänzlich ausschließen. Beispielsweise hatte mein Sprachmodul schon zweimal etwas anderes wiedergegeben, als ich beabsichtigt hatte einmal im Gespräch mit Dhark und ein weiteres Mal bei der Rezitation eines Gedichtes bei den Sirr. Ich hatte mich schlichtweg versprochen, obwohl das eigentlich unmöglich war.
Waren das Anzeichen für eine bevorstehende Funktionsstörung? Vielleicht sollte ich mich nochmals einem gründlichen Scan unterziehen, um die Fehlerquelle aufzuspüren und zu beseitigen. Ja, natürlich! Warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Dharks Viphoanruf. Die fehlenden zwei Sekunden. Der abrupte Abbruch meines SechzehnsekundenSchnellscans. Das war die Ursache für meine Versprecher! Ich wußte jetzt, was ich zu tun hatte: Der Scan mußte schleunigst wiederholt werden, und zwar vollständig und ohne Unterbrechung. Danach würde wieder alles mit mir in Ordnung sein. Ich schritt sofort zur Tat hier, mitten im Regen, mitten im Gras, mitten im Urwald. Sechzehn, fünfzehn, vierzehn... ... noch sechs, fünf, vier, drei Sekunden. In diesem Augenblick schoß ein riesiger, klebriger Tentakel aus dem aufgeweichten Erdreich und schlang sich um meinen Metallkörper. Das Untier, zu dem der Tentakel gehörte, mußte gewaltig groß sein. Es brachte mich zu Fall und versuchte, mich in die Erde hineinzuziehen. »Laß los!« brüllte ich mit kräftiger Roboterstimme. »Oder du wirst es berieseln!« Berieseln? 29 Schon wieder ein Versprecher?! Logisch, mir fehlten noch immer neue zwei lausige Sekunden... Die Überprüfung meiner Speicher mußte jetzt warten, denn es gab Dringenderes zu tun. Selbstverständlich war ein auf biologischer Basis existierendes Ungeheuer kein emstzunehmender Gegner für mich. Noch vor wenigen Stunden hätte ich es ohne viel Federlesens aus dem lockeren Erdreich herausgezerrt und bedenkenlos totgeschlagen ganz gleich, wie groß es war. Inzwischen aber hatte ich die Schöpfung in all ihrer Vielfältigkeit kennengelernt. Ich hatte mit bizarren Wesen, die meine verrücktesten Phantasien übertrafen, in ihren Raumschiffen zusammengesessen und hochintelligente Gespräche geführt. Dabei war mir klargeworden, daß nicht überall, wo Untier drauf stand auch eines drin war. So manches vermeintlich primitive Geschöpf verfügte in Wahrheit über einen messerscharfen Verstand. Ich richtete mich langsam auf. Das in der Erde verborgene Ungeheuer versuchte mit aller Macht, mich daran zu hindern, doch gegen die gewaltige Zugkraft einer Hochleistungsmaschine hatte es nicht die geringste Chance. Letztlich stand ich wieder aufrecht im bauchhohen Gras und bewegte mich um keinen Zentimeter. Meine Füße waren zwar bis zu den Metallknöcheln eingesunken, aber tiefer ließ ich mich nicht mehr herabziehen. Früher oder später würde das Tentakelmonster aufgeben oder mit mir in Kontakt treten müssen. Ich probierte es mit einer ersten Kontaktaufnahme per Funksignal so hatte es mit den Bebir Kju und Eja bestens funktioniert. Leider reagierte das im Erdreich befindliche Ungeheuer in keiner Weise darauf. »Wir sollten uns friedlich verständigen«, startete ich den nächsten Versuch auf Worgun. Reaktion gleich Null. Ein weiteres Dutzend Sprachen folgte, doch das Monstrum zog und zerrte an mir, als gäbe es dafür einen Preis zu gewinnen. Ich hielt es für das beste, dem fremden Wesen Auge in Auge, 30 beziehungsweise Auge in Sensor gegenüberzutreten. Mit beiden Greifhänden packte ich den Tentakel und zog ihn nach oben... ... und zog und zog und zog ... Sage und schreibe zwanzig Meter Tentakel holte ich aus dem Erdreich dann war Schluß, ohne daß ich erkennen konnte, wo vom und wo hinten war. Über einen Kopf, einen Rachen oder Augen und Ohren verfügte das Wesen nicht. Es bestand nur aus klebrigem Tentakel und sonst gar nichts. Andersherum ausgedrückt: Der Tentakel war das Wesen. Während ich mich mit dem einen Ende beschäftigte, grub sich das andere wieder ein. Ich ließ den lebenden Tentakel los und schaute zu, wie die gesamten zwanzig Meter langsam, aber sicher ins Erdinnere verschwanden, auf Nimmerwiedersehen.
Allem Anschein nach handelte es sich um eine intelligenzlose Form der Gattung Lebewesen, um eine Art Wurm oder Raupe. Fälschlicherweise hatte ich angenommen, daß zu dem vermeintlichen Fangarm noch ein mächtiger Körper gehörte. Ein Trugschluß. In fremder Umgebung traf nicht zwangsläufig immer das Naheliegendste zu. Wie bei den Bebir. Schon wieder überkam mich das Gefühl, in Bezug auf ihr Volk etwas Bedeutsames übersehen zu haben. Weil ich mich ausschließlich auf das verließ, was am naheliegendsten war... Eins nach dem anderen. Das BebirRätsel konnte warten. Zunächst einmal mußte ich mich um meine fehlerhaften Speicher kümmern. Diesmal hinderte mich niemand daran, den längst überfälligen Scan von vom bis hinten durchzuführen. Volle sechzehn Sekunden verharrte ich ungestört im feuchten Gras, im unaufhörlich niederprasselnden Regen, dann hatte ich es geschafft. Der harmlose Fehler war ausgemerzt. Künftig würde es keine Versprecher mehr geben. Versprochen. Ich verließ die Wiese und drang in den dichten Dschungel vor. Außerhalb des Urwalds spendeten gleich zwei Sonnen ausreichend 31 Helligkeit, dem fortwährenden Regen zum Trotz. Unter den Baumwipfeln hingegen herrschte ewige Dämmerung. Tiere, die hier heimisch waren, mußten verdammt gute Augen haben. Sehr viel trockener war es hier allerdings nicht. Der Regen brauchte nur etwas länger, bis er ganz unten ankam. Manchmal sammelte sich das Wasser in dichten Baumkronen, um sich dann in einem Schwall über den Boden zu ergießen. Zudem gab es zahlreiche Lichtungen, auf denen man ungeschützt war. Meinen Sensoren bereitete das Dämmerlicht keinerlei Probleme. Wenn es sein mußte, konnte ich mich in totaler Dunkelheit zurechtfinden, meist zog ich jedoch den Einsatz meiner eingebauten Augenscheinwerfer vor. Auch diesmal machte ich von ihnen Gebrauch und richtete sie ständig auf den Pfad, den ich entlangging. Mein Respekt vor fremden Existenzen ging inzwischen so weit, daß ich bei jedem Schritt höllisch aufpaßte, nichts zu zertreten. Der winzigste Käfer konnte Intelligenz beherbergen. Nur weil ein Wesen sehr viel kleiner war als ich, bedeutete dies nicht, daß es auch dümmer war. Und nur weil es sehr viel größer war als ich, war es nicht zwangsläufig klüger... So wie der wabbelige, graue Gigant, der auf einer Lichtung schlief und dabei laute Geräusche von sich gab, die menschlichen Schnarchtönen nicht ganz unähnlich waren. Sein schrumpeliger Körper glich einem benutzten Kaugummi, das man am Rinnstein von der Schuhsohle gestreift und anschließend achtlos in die Gosse geworfen hatte. Wohlgemerkt: Ein Riesenkaugummi etwa so groß wie ein zweistöckiges Haus. Der massige Leib des Giganten, der sich gemächlich auf und ab bewegte, war von blutleeren Insektenkadavem übersät. Sie blieben an ihm kleben und wurden in Sekundenschnelle ausgesaugt. Offensichtlich mußte sich der faule Koloß bei der Nahrungssuche nicht sonderlich anstrengen. Wie lange lag er hier wohl schon herum? Wechselte er ab und zu die Lichtung, oder war dies sein Stammplatz? Ich verkniff es mir, ihn zu fragen. Möglicherweise war er genauso beschränkt und angriffslustig wie der ZwanzigmeterTentakel. 32 Seine bequeme Art der Fangmethode zeugte allerdings von einer gewissen Klugheit. Wenn man zu fett war, um auf die Jagd zu gehen, ließ man die Beute halt zu sich nach Hause kommen. Menschen verfuhren manchmal genauso, wenn sie Hunger hatten indem sie den Pizzadienst anriefen. So lautlos wie möglich ging ich an dem schlafenden grauen Monstrum vorbei... ... und mußte aufs neue feststellen, wie falsch es war, stets das Naheliegendste anzunehmen. Der Graue schlief überhaupt nicht. Was ich für Schnarchtöne gehalten hatte, waren seine normalen Atemgeräusche. Der Gigant war hellwach, und er hatte mich längst bemerkt. Schnaufend richtete er sich auf und wollte mich mit seinem ganzen Gewicht unter sich begraben. Ich machte einen Satz nach vom und sprang kopfüber ins Dschungeldickicht. Hinter mir klatschte der graue Riese auf den Boden. Ein paar schwabbelige Schleimfetzen
lösten sich von seinem Körper, spritzten nach allen Seiten weg und blieben in Büschen und Bäumen hängen. Leider nicht nur dort. Ein lappiges, etwa hundert Quadratzentimeter großes Stück blieb in meinem Nacken haften. Ich entfernte es auf der nächsten Lichtung unter der Regendusche. Bei dieser Gelegenheit reinigte ich mich gleich gründlich von der klebrigen Lösung, die der Tentakelwurm auf mir hinterlassen hatte. Eine kleine Erholungs und Denkpause war mir nicht vergönnt. Plötzlich krabbelten aus mehreren Richtungen Scharen von ameisenähnlichen Insekten auf die Lichtung. Sie verströmten ein seltsames, überaus angenehmes Licht. Obwohl ich als Roboter gar nicht müde werden konnte, fühlte ich mich auf einmal irgendwie schläfrig. Die Ameisenwesen kreisten mich ein und kletterten an mir hoch. Sie schienen sich regelrecht in meine Metallhülle zu verbeißen. Nicht mit mir! Mittels eines leichten Stromstoßes schüttelte ich sie ab, woraufhin sie sich eiligst wieder in den Dschungel zurückzogen. Mein internes Überwachungsprogramm meldete sich. Es warnte mich vor einer exotischen, nicht exakt zu analysierenden Säure, die meiner äußeren Hülle schwer zusetzte. 33 Ich machte die Probe aufs Exempel und testete meine Gelenke. In der Tat waren meine Bewegungen nicht mehr so geschmeidig wie ich es gewohnt war. Scheinbar hatte die unbekannte Säure eine Art Korrosion ausgelöst. Ich konstatierte: Zunächst hypnotisierten die »Ameisen« ihre Jagdbeute mit dem wohligen Licht, anschließend fielen sie über ihr Opfer her und zersetzten es mit einer speziellen Säure die so stark war, daß sie sogar meinen unverwüstlichen Roboterkörper beschädigen konnte. Das war zumindest meine erste Schlußfolgerung, basierend auf den Gesetzen der Logik und den vorangegangenen Geschehnissen. Mittlerweile hatte ich jedoch dazugelemt und begriffen, daß in der Fremde der erste Anschein nicht immer zutraf. Deshalb richtete ich eine Detailanfrage an mein Überwachungssystem. Das Ergebnis war mehr als niederschmetternd. Die Korrosion meiner Außenhülle schritt unaufhörlich voran. Bald würde ich mich keinen Schritt mehr bewegen können. Nicht die ameisenähnlichen Krabbler waren schuld daran, sondern meine eigene Nachlässigkeit. Wenn man einen unbekannten Planeten betrat, gab es gewisse Regeln zu beachten. Regel Nummer eins war die sofortige Überprüfung der Umgebung. War sie zum (Über)Leben geeignet? Ich hatte einen solchen Test nicht für nötig gehalten. Schließlich war ich kein Mensch oder sonst ein verletzbares biologisches Lebewesen sondern Artus, der Unverwüstliche. Ich benötigte nicht einmal Sauerstoff zum Existieren. Auf den Gedanken, die Atmosphäre dieses Dschungelplaneten könnte eine für mich schädliche Substanz enthalten, wäre ich nie gekommen. Ein Fehler, wie sich nun herausstellte. Laut meinem Überwachungsprogramm war der in einem fort niedergehende Regen mit einer Säure durchsetzt, die für organisches Leben völlig unschädlich war nicht aber für Maschinen. Ziellos stapfte ich durch den Urwald, auf der Suche nach einem Platz, an dem es nicht allzu stark regnete. Aber mit Felsenhöhlen 34 war es offenbar wie mit Polizisten wenn man sie am dringendsten brauchte, waren sie weit weg. Nirgendwo war ein Berg auszumachen. Mir fiel es immer schwerer, mich zu bewegen. Ich schlich dahin wie ein lahmender Ackergaul. Auf der Erde konnte ich über einen tüchtigen Schauer nur lachen. In dieser Welt war das Regenwetter für mich jedoch eine lebensbedrohliche Gefahr die ich hätte abwenden können, hätte ich rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergriffen. Nun bekam ich die Quittung für meine Nachlässigkeit. Und für meine Überheblichkeit. Hätte ich mich nicht für unfehlbar und nahezu unverwundbar gehalten, wäre mir dieser fatale Fehler nie passiert. »Menschen machen Fehler Maschinen nie!« Wie oft hatte ich mich mit diesem Satz auf der POINT OF unbeliebt gemacht? Kein Wunder, daß die Gesamtheit meiner wahren Freunde an Bord auf einen Stecknadelkopf paßte. Man respektierte meine Leistung, akzeptierte mich als
Kampfgefährten, doch zu kameradschaftlichen Freizeitaktivitäten bat man mich nur selten hinzu. Mehr als einmal hatte ich mich auf Terra und in der übrigen Milchstraße als Menschenretter bewährt. Auch als Besatzungsmitglied des terranischen Flaggschiffs hatte ich bereits des öfteren unter Beweis gestellt, was für ein Potential an außergewöhnlichen Fähigkeiten in mir steckte. Die Menschen brauchten mich. Ohne die Hilfe von Maschinen waren sie nichts als hilflose Schwächlinge. Andererseits konnte ich nicht verleugnen, daß es Menschen waren, die Maschinen erfanden, bauten und programmierten. Sogar für meine Schöpfung waren sie verantwortlich auch wenn sie sich hinterher selbst nicht hatten erklären können, wie ich überhaupt zustande gekommen war. Menschen! Ich konnte nicht mit ihnen und schon gar nicht ohne sie! Was hätte ich darum gegeben, in dieser abgeschiedenen Wildnis eine menschliche Stimme zu hören. Sogar Dan Rikers rüder Tonfall wäre mir jetzt recht gewesen. Dharks Stellvertreter ließ mich ^gtäglich spüren, daß er mich auf der Brücke der POINT OF für 35 eine Fehlbesetzung hielt. In seinen Augen war ich nichts weiter als eine eitle, vorlaute Maschine, die wesentlich besserqualifizierten Besatzungsmitgliedem die Chance auf einen Posten in der Zentrale verbaute. »Man sollte dich auf einem Asteroiden aussetzen und die Koordinaten vergessen!« hatte er kürzlich seinem Ärger Luft gemacht, als ich ihm in einer verbalen Auseinandersetzung fortwährend widersprochen hatte. War er schuld an meiner augenblicklichen Situation? Hatten mich Riker und Dokemtar gemeinsam in eine Falle gelockt und nach hierher verfrachtet? Anschließend hatten sie Teile meines Gedächtnisspeichers gelöscht. Damit war Riker fein heraus, falls mich ein Suchtrupp finden und aufs Flaggschiff zurückbringen würde. Plötzlich empfing ich ein Funksignal. Der Sender, der es ausstrahlte, befand sich ganz in der Nähe. War man auf der Suche nach mir? Ich mußte mich unbedingt bemerkbar machen. Zum Glück betrafen die Zersetzungserscheinungen bisher nur meine äußere Hülle. Innen drin war noch alles in Ordnung mit mir. Problemlos sandte ich ein eigenes Funksignal aus. Kurz darauf stand ich in Verbindung mit einer planetaren Rettungsstation. Man übermittelte mir den genauen Standort, erkundigte sich nach dem Grad meiner Beschädigung und fragte mich, ob ich noch in der Lage sei, den Weg bis dorthin zu bewältigen. Die Unterhaltung wurde auf Worgun geführt. Hielten sich Menschen in der Station auf? Oder Bewohner von Om? »Es wäre mir lieber, mich würde jemand abholen«, erwiderte ich, während ich mühsam einen Fuß vor den anderen setzte. »Mein Bewegungssystem wird immer schwächer. Ich knirsche bei jedem Schritt.« »Streng dich mehr an!« forderte man mich auf. »Wir können niemanden zu deiner Rettung in den Regen hinausschicken. Das wäre viel zu gefährlich. Du mußt es allein schaffen!« »Aber warum?« fragte ich verwundert. »Der säurehaltige Regen ist nur für Maschinen gefährlich. Menschen kann nichts zustoßen.« »Menschen?« kam es über Funk zurück. »Auf unserer Station 36 gibt es kein biologisches Leben. Wir betreiben eine Rettungsstation für Roboter.« »Wer leitet die Station?« »Ich«, erhielt ich zur Antwort. »Der Zentralrechner der Rettungsstation. Ich bin eine lebende und selbständig denkende Maschine wie du.« Mit letzter Kraft kämpfte ich mich durch den Dschungel und den Regen, der immer stärker zu werden schien. Obwohl ich hätte schwören können, daß es weit und breit keine Erhebung gab, stieß ich am Rand des Urwalds auf eine Bergflanke. Hier lag irgendwo der Eingang zur Roboter-Rettungsstation. Während ich dem Leitsignal folgte, kam mir mein absurder Verdacht gegen Riker in den Sinn. Der zweite Mann auf der POINT OF schmiedete ein Komplott mit einem Außerirdischen, um einen unliebsamen Erdenbürger zu beseitigen? Einfach
lächerlich! Bis vor kurzem hatten die Menschen das Volk der Luwaren nicht einmal gekannt. Neun Millionen gab es von ihnen im Heerzug der Heimatlosen, verteilt auf achtzehn walzenförmige Schiffen, die jeweils etwa 2000 Meter dick und 7000 Meter lang waren. Die humanoiden Luwaren hatten sechs Finger und schmale Ohren. Im Schnitt wurden sie zwei Meter groß, bei einem Gewicht von nur knapp 65 Kilo. Dadurch wirkten sie dürr und zerbrechlich. Dokemtar, der sein Volk im Rat der Flotte vertrat, entsprach auf den ersten Blick diesen Durchschnittswerten. Er galt als angesehener Mann. Warum verkroch er sich dann tief im Herzen der Rotte, hinter verschlossenen Toren, in einem abgeschirmten Labor? »Festung« nannten die Bewohner des Elysiums diesen Bereich, den sie nicht betreten durften, und sie bezeichneten Dokemtar als ihren Herrn. Vermutlich nicht aus Respekt vor ihm, sondern weil er sie von Zeit zu Zeit mit Geld versorgte mit einer Währung, die nur innerhalb der drei leerstehenden Raumschiffe als Zahlungsmittel akzeptiert wurde, zum illegalen Erwerb von Drogen und gestohlenen Waren. 37 Höchstwahrscheinlich dmckte Dokemtar die Geldscheine selbst. Die sein Labor umgebenden Panzerschotts und Panzerwände waren mit Energiefeldem abgesichert. Durch das viele Metall ringsum konnten sie von außen nicht geortet werden. Trotz dieser Schutzmaßnahmen war ihm beim Bau eines leistungsstarken Hyperfunkgeräts ein kaum wahrnehmbarer Impuls entwichen den ich aufgefangen hatte. War Dokemtar der Verräter, der beinahe die Zyzzkt- auf die Spur der Flotte gebracht hatte? Plante er, den mißglückten Versuch noch einmal zu wiederholen? Und ausgerechnet mit so einem gewissenlosen Schurken sollte sich Dan Riker verbünden? Wie hatte ich Narr das nur glauben können? Wahrscheinlich nagte nicht nur der Rost an meinen Gelenken, sondern auch die Verzweiflung an meinem Verstand. Wenig später stand ich, fast schon gänzlich bewegungslos, vor dem verschlossenen Eingang zur Rettungsstation ein Bunker im Berginneren. Ich nahm Kontakt zum Zentralrechner auf und bat um Einlaß. »Selbstverständlich darfst du zu uns herein«, antwortete mir der Rechner. »Wir haben ein Mittel gegen die fortschreitende Korrosion und verfügen auch über Ersatzteile zum Auswechseln. Du wirst sehen, in ein paar Tagen fühlst du dich wie neu.« »Klingt verlockend«, meinte ich und wartete darauf, daß sich der Eingang öffnete. »Eine Bedingung mußt du allerdings noch erfüllen«, verkündete der Zentralrechner, dessen Stimme mir plötzlich mächtig bekannt vorkam. »Welche?« fragte ich, das Schlimmste befürchtend. »Wir müssen dich gründlich überprüfen«, sagte der Rechner. »Reine Routine. Du brauchst uns nur den Zugang zu deinem inneren Sein öffnen, alles andere erledigen wir dann schon.« Ich war so überrascht, daß mir drei Worte entfuhren, die auf Terra zum alltäglichen Sprachgebrauch gehörten. Erwachsene verboten ihren Kindern, sie zu benutzen, verwendeten sie aber selbst nur zu gem. »Ach du Scheiße!« 38 Blockieren, blockieren, blockieren...! Dokemtar war offenbar ein ernstzunehmender Gegner, ein Meister der Manipulation. Anfangs hatte er nur eine harmlose Halluzination in mir erzeugt. Der Roboterengel, das Roboterparadies... all das war für mich leicht zu durchschauen gewesen. Dann hatte er zum zweiten Schlag ausgeholt und mich wie einen dummen Ochsen an der Nase herumgeführt. Die verregnete Dschungelwelt hatte er so realistisch gestaltet, daß ich die Feuchtigkeit in meinen Gelenken regelrecht gespürt hatte. Glücklicherweise hatte ich zum Schluß hin doch noch gemerkt, daß man mich manipulierte. Der vermeintliche Zentralrechner hatte mit Dokemtars Stimme gesprochen, und er hatte das gleiche von mir gewollt wie der angebliche Engel.
Meine derzeit nur »auf Sparflamme« arbeitende Sensorik blockierte die Halluzination. Obwohl Dokemtar meine Energiezufuhr kontrollierte, konnte er das nicht verhindern. Seine künstlich erzeugte Scheinwelt brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Aus und vorbei. Ich war bereits gespannt auf die nächste gezielte Manipulation. Dokemtar war nicht der Mann, der nach zwei vergeblichen Versuchen aufgab. Er würde erst Ruhe geben, wenn er bekommen hatte, was er wollte. Bisher war mir »der Herr des Elysiums« jedesmal um einen Schritt vorausgewesen. Nun war es an der Zeit, ihn zu überholen. Falls es mir gelang, vorauszusehen, was er als nächstes plante, konnte ich entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Was würde ich an seiner Stelle tun? Wie würde ich weiter vorgehen, wäre ich Dokemtar? Der Engel war aufgeflogen, den Dschungelplaneten gab es nicht mehr. Das Manipulationsopfer war also gewarnt. Kein halbwegs gescheites Wesen war so leichtgläubig, daß es dreimal hintereinander auf denselben Trick hereinfiel es sei denn, die neue Variante des Tricks erwies sich als wahrhaft perfekt. Daher mußte die dritte Halluzination die ersten beiden um ein Vielfaches übertrumpfen. 39 Von einer Sekunde zur anderen fand ich mich in Dokemtars Labor wieder. Er stand nur einen Meter von mir entfernt und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Bei den Menschen war diese Körperhaltung gleichbedeutend mit Angriffslust. Hingegen wirkte Dokemtar eher lächerlich auf mich, in seiner flattrigen »DonQuichotteGestalt«. Posse statt Pose. Am liebsten hätte ich ihm seinen dürren Hals umgedreht, nach allem, was er mir angetan hatte. Starke Fesselfelder verhinderten allerdings, daß ich ihm zu nahe kam. »Ein Roboter mit eigenem Verstand«, murmelte der Luware. »Dazu sind selbst wir nicht in der Lage.« Ich registrierte seine Anmerkung. Wir? Wen meinte er damit? Offenbar hatte er die Blockade meiner eigenen Energieversorgung aufgehoben, um direkt mit mir zu kommunizieren. Er ahnte, daß ich eine denkende Maschine war doch es fehlte ihm der letzte Beweis. Wie sollte ich mich jetzt verhalten? Mich weiter dumm stellen? Oder... Ach du Scheiße! In diesem Moment wurde mir schlagartig bewußt, was Dokemtar vorhatte. Er beabsichtigte tatsächlich, mich ein weiteres Mal zu manipulieren. Mehr noch: Die dritte Manipulationsphase war bereits angelaufen. Dokemtar selbst war Bestandteil meines neuesten Traumes. Mein Erwachen in seinem Labor war nichts als eine raffiniert gestrickte Halluzination. Die Heimtücke dieses Mannes kannte offenbar keine Grenzen. Ich war weiß Gott kein Dummkopf, aber beinahe hätte er es wirklich geschafft, mich zum drittenmal zu überlisten. Blockieren! befahl ich meiner Sensorik. Sekundenbruchteile später zog ich den Befehl wieder zurück. Ich hielt es für ratsamer, Dokemtar mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und ihn im Glauben zu lassen, er habe mich aufs neue getäuscht. Möglicherweise bekam ich auf diese Weise mehr über seine schändlichen Pläne heraus. Bisher hatte ich ihn lediglich in Verdacht, den Heerzug der Heimalosen an den Feind verraten zu wollen. Sein Motiv war mir jedoch nicht ganz klar. Wurde die Flotte von 40 den Zyzzkt- aufgebracht, würde er wie alle anderen den Tod finden. Wenn ich geschickt genug vorging, fand ich vielleicht heraus, was genau er plante. Dokemtar durfte nur nicht merken, daß ich seine Manipulation durchschaut hatte. Andernfalls würde er den Kontakt zu mir sofort abbrechen, und ich würde hilflos in Dunkelheit versinken. Das durfte nicht geschehen, ich brauchte jetzt mehr denn je einen wachen Verstand. »Wie lautet der Name des Genies, das dich erschaffen hat? War es ein Mensch? Wo lebt er? Wie kann ich mit ihm in Kontakt treten?« Dokemtar, beziehungsweise die halluzinative Darstellung seiner Person, unterzog mich einem scharfen Verhör. Ich überlegte mir meine Antworten sehr sorgfältig. »Red schon!« verlangte der Luware voller Ungeduld. »Sonst wirst du geschreddert!«
Ich wußte, daß er bluffte. Kaputt war ich nutzlos für ihn. Einen zerstörten Roboter konnte man nicht mehr befragen. Und man konnte auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen an ihm durchführen. »Mein Schöpfer ist unser aller Schöpfer, und er trägt viele Namen«, antwortete ich ihm. »Der bekannteste lautet: Gott. Da ich ihm noch nie begegnet bin, vermag ich nicht zu sagen, ob er ein Mensch ist. Zwar behaupten die Menschen, sie seien als Krone der Schöpfung nach seinem Ebenbild geschaffen worden, doch angesichts der wundersamen Schöpfungsvielfalt in anderen Galaxien kommen ihnen allmählich Zweifel. Vielleicht ist Gott tatsächlich ein Mensch, er könnte aber auch genausogut Luware sein. Oder ein Chilp, eine Krowia, ein Bebir...« »Die Bebir als Vorbild für eine Gottheit?« spöttelte Dokemtar. »Dazu fehlt ihnen das Format. Ich hatte mal ein Streitgespräch mit einem von ihnen... ach, was geht's dich an, Roboter? Hör auf, mir solch einen Unfug zu erzählen und beantworte gefälligst meine Fragen.« »Selbstverständlich«, fuhr ich unbeirrt fort. »Wo Gott wohnt, 41 darüber kann ich nur spekulieren. Auf Terra war man früher überzeugt, sein Domizil befände sich im Himmel, hoch über den Wolken. Aber seit Juri Alexejewitsch Gagarin am 12. April 1961 die Erde in einer Raumkapsel umrundet hat, ist das kein Thema mehr. Auch bei späteren Raumflügen wurde im Himmel kein höheres Wesen gesichtet. Gagarin starb übrigens knapp sieben Jahre nach seinem Ausflug ins All bei einem Flugzeugabsturz im Alter von nur 34 Jahren. Ist das nicht paradox? Da bereist der Mann als erster Mensch das Weltall, übersteht dieses Abenteuer unbeschadet, und dann stürzt er in einem Flugzeug ab.« »Ich will keinen terranischen Geschichtsunterricht, sondern eine präzise Auskunft!« fuhr mich der Luware an. »Wie kann ich mit der Person in Verbindung treten, die dich erschaffen hat?« Ich blieb ihm die Antwort nicht schuldig. »Beten, beten und nochmals beten. So versucht man es zumindest auf Terra, schon seit Jahrtausenden. Es wurden sogar spezielle Gebäude für diese Art von Kontaktaufnahme errichtet. Zugegeben, vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist das totaler Unfug. Auf den Dächern jener Gebäude gibt es nicht einmal Antennen oder Satellitenschüsseln. Trotzdem sendet Gott den Seinen manchmal verschlüsselte Zeichen, und dann wissen sie, daß die Botschaft angekommen ist ohne Hyperfunk und andere technische Hilfsmittel. Apropos Hyperfunk. Besitzt du zufällig ein Funkgerät? Ich würde gern mit meinem Schiff Kontakt aufnehmen.« »Das könnte dir so passen, Klugschwätzer!« erwiderte Dokemtar ärgerlich. »Bevor du mir nicht alles gesagt hast, was ich wissen will, bleibst du hier in meinem Labor. Du bist anders als normale Roboter, weil du eigenständig denken kannst; so hat es jedenfalls den Anschein. Verfügst du tatsächlich über ein eigenes Bewußtsein? Hast du Gefühle wie ein lebendes Wesen? Oder ist dein merkwürdiges Gehabe nichts weiter als eine raffinierte Täuschung? Vielleicht bist du in Wahrheit doch nur eine gewöhnliche Maschine, eine, die besonders lebensecht konstruiert wurde. Ich werde dein Geheimnis lüften, selbst wenn ich dich dafür Stück für Stück in deine Einzelteile zerlegen müßte!« Auch ich hätte eine Menge Fragen an ihn gehabt. Auf welche Weise manipulierte er mich? War er telepathisch 42 begabt und las in meinen Gedanken wie in einem offenen Buch? Hatte er mich einer Gehirnwäsche unterzogen? Wurden die verschiedenen Scheinwelten von einem Gerät erzeugt, ähnlich dem Sensorium? Wie zog er seinen Nutzen aus meinen Traumerlebnissen? Verfügte er über einen Apparat, der meine Halluzinationen für ihn sichtbar machte? Fest stand, daß mich Dokemtar in meinem zweiten Traum ständig beobachtet und Rückschlüsse aus meiner Verhaltensweise gezogen hatte. Zum Schluß hin hatte er sogar selbst ins Geschehen eingegriffen, als Stimme des Zentralrechners. Und nun stand er »in persona« vor mir und stellte mir Fragen über Fragen. Aber wie transferierte er meine Antworten hinüber in die Realität? Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Die »Festung des Herrn« war eine Mischung aus wissenschaftlichem Labor und technischer Werkstatt. In Regalen standen Gefäße mit Chemikalien. An einer Wand hingen Werkzeuge, die ich noch
nie zuvor gesehen hatte. Gegenüber der Werkzeugwand befand sich ein großer Bildschirm, der Bestandteil eines noch größeren Suprasensors war. Links von mir hatte man seltsam anmutende Apparate aufgestellt. Rechts von mir stand ein offener Waffenschrank mit zwei luwarischen Strahlengewehren und einer vierläufigen Waffe, die Ähnlichkeit mit einer Schrotflinte hatte. Dies alles nahm nur ungefähr die Hälfte des Raumes ein. Der restliche Platz war leer und ungenutzt. Sah Dokemtars Labor wirklich so aus? Hatte er sich bei der Erzeugung der Scheinwelt an die tatsächlichen Gegebenheiten gehalten? Oder war dieser Raum lediglich ein Produkt seiner Phantasie? Eventuell war sein Originallabor wesentlich kleiner. Und vielleicht stand ich nicht aufrecht in einem Fesselfeld, sondern lag auf einem Seziertisch, angeschlossen an zahlreiche Kabel und Drähte. Als ich Dokemtars reales Labor durch eine Schleuse betreten hatte, hatte er sich mir sofort in den Weg gestellt, so daß ich nicht viel davon hatte sehen können. Er hatte einen blauen, viel zu weiten Kittel angehabt. Jetzt trug er einen enganliegenden olivgrünen Trainingsanzug, in dem er aussah wie ein terranischer Waffenmechaniker. Ich bezweifelte, daß er in der realen Welt genauso ge 43 kleidet war. Die meisten Luwaren bevorzugten schlabberige, bequeme Kleidung. Zweifelsohne hatten Dokemtar und ich ein Verständigungsproblem. Er wollte Auskünfte von mir, bekam aber keine. Statt dessen verarschte ich ihn nach Strich und Faden. Lange würde er sich das sicherlich nicht mehr bieten lassen. Was dann? Würde er seine Drohung wahr machen und mich nach dem Aufwecken zerlegen? Oder hatte er noch weitere Tricks auf Lager? Und wieder fragte ich mich: Was würde ich an seiner Stelle tun? Wie würde ich innerhalb eines Traums jemanden zum Reden bringen? Die wirksamste Methode, die mir einfiel, war Erpressung mit einer Geisel als Druckmittel. Hätte der fiktive Dokemtar einen meiner Schiffskameraden in seiner Gewalt, vielleicht sogar den Commander höchstpersönlich, könnte er mich zwingen, mit ihm zu kooperieren. Allerdings müßte er mir die Anwesenheit der Geisel irgendwie plausibel machen. Tür zum Nebenzimmer auf, Blick auf den gefesselten Commander, Tür wieder zu nein, das wäre zu plump. Das Ganze müßte wesentlich aufwendiger gestaltet werden... »Weißt du überhaupt, mit wem du es zu tun hast, du unwürdiges Nichts?« zischte mich Dokemtar drohend an. »Du würdest in Angst und Ehrfurcht erstarren, würdest du mein Geheimnis kennen!« »Erzähl's mir«, ermunterte ich ihn mit spöttelndem Unterton. »Anschließend messen wir dann, wie hoch mein Furchtpegel angestiegen ist.« Ich spürte, daß er kurz davor stand, die Nerven zu verlieren. In diesem Zustand verriet er mir vielleicht mehr über sich, als gut für ihn war. Sicherlich war auch sein reales Pendant bereits total entnervt. Plötzlich explodierte die Traumszene förmlich vor überraschender Aktion. Durch die hintere, kahle Laborwand schwebten nacheinander zwei Flash ein und setzten zur Landung an. Vier Personen entstiegen den Ringraumerbeibooten: Der dreiunddreißigjährige Ukrainer Pjetr Wonzeff, sein gleichaltriger Freund und Kamerad Mike Do 44 raner sowie zwei Cyborgs. Alle vier hielten Handfeuerwaffen in den Händen. Na bitte, Dokemtar enttäuschte mich nicht. Er hatte sich etwas Originelles einfallen lassen. Kein terranisches Holokino hätte mir aufregendere Unterhaltung bieten können. Meinen »Logenplatz« hätte ich jetzt gegen nichts auf der Welt eingetauscht. Ich war schon höllischgespannt, wie es weiterging. 3. »Ein ganz schwacher Reflex. Kaum wahrnehmbar. Fast hätte ich ihn übersehen.« Amy arbeitete an der Kalibrierung des Ortungsgeräts. »Jetzt kommt's deutlicher. Hier...« Dhark beugte sich zu ihr und betrachtete die Anzeige. »Da läuft aber was nur noch auf äußerster Sparflamme... sehen wir's uns doch mal an.« Hatten sie gefunden, was sie suchten?
Der Weg führte sie an einer Rampe in die oberen Etagen vorbei. »Notausgang«, bemerkte Tschobe lakonisch. Plötzlich standen sie vor einem Kellerraum, der sogar von einer Tür geschützt wurde. Verriegelt war sie allerdings nicht. Stewart schob Dhark rigoros zurück, als dieser als erster den Raum betreten wollte. »Denken Sie daran, wie wichtig Sie sind, Commander«, ermähnte sie ihn. »Wenn Gisol wirklich tot ist, sind Sie der einzige, der die EPOY fliegen kann!« Er sah die Logik zähneknirschend ein, aber es gefiel ihm gar nicht, von Sachzwängen plötzlich zur Nr. 2 degradiert worden zu sein. Das widersprach seinem Naturell. Der breitschultrige, weißblonde Sportlertyp mit dem energischen Kinn und den braunen Augen, in denen so gern ein Lachen aufblitzte, war ein Forscher, ein Sucher. Es drängte ihn immer weiter vorwärts, um die Geheimnisse des Universums zu erforschen. Und mit seinem Elan riß er die Gefährten immer wieder mit sich, aber sein Pflichtbewußtsein ihnen gegenüber brachte ihn auch immer wieder dazu, zuerst sich in die Gefahr zu stürzen und die anderen zu schützen. Daß es jetzt andersherum lief, konnte ihn nicht zufriedenstellen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Er war tatsächlich der einzige, der die EPOY von hier fortbringen konnte! 46 Stewart öffnete vorsichtig die Tür, in einer Hand wieder den Blaster. Das Licht aus Tschobes Stab riß ein bizarres Etwas aus den Schatten. Einen Roboter! Nichts geschah. Starr ragte der gut vier Meter hohe Koloß vor ihnen auf. Der Kopf berührte fast die Decke des Kellerraums. Im Gesicht deuteten sich schwach humanoide Züge an, aber die Nase wurde durch einen dunklen Fleck ersetzt, und statt der Ohren trug der Kopf zwei kurze Antennen mit Kugelköpfen. Der entfernt menschenähnliche, schlanke Metallkörper, dessen Gewicht Amys Programmgehim auf etwa 1,2 Tonnen kalkulierte, verfügte über zwei kräftig geformte Beine mit jeweils zwei Kniegelenken. Ebenso verhielt es sich mit den Armen. »Zwei verschiedenfarbige Augen«, stellte Amy fest. »Woran erkennen Sie das?« wollte Dhark wissen. »Ich sehe nur trübe Linsen.« »Die Linsen sind eingefärbt, eine grün, eine rot. Ich bin nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Optiken handelt oder um eine Kommunikationseinrichtung. Über die Zeit, in der 3DEffekte mit den Farben Grün und Rot simuliert wurden und die Menschen entsprechende Brillen benutzten, dürften die Worgun ja wohl schon seit ein paar Stunden hinaus sein.« »Sie halten diesen Burschen also für einen Worgunroboter?« »Wofür sonst? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Zyzzkt- Roboter in humanoider Grundform konstruieren. Ebensowenig würden wir unseren Maschinen Insektengestalt verleihen, außer, diese Gestalt wäre einer ganz bestimmten Situation angepaßt. Zudem erinnere mich, daß Gisol einmal einen Robotertyp beschrieb, der vor ein paar Jahrhunderten in großen Mengen gebaut wurde und danach nicht mehr. Eine gewisse Ähnlichkeit ist durchaus vorhanden.« »Kommunikationseinrichtung, vermuten Sie also«, sagte Tschobe und sah wieder einmal an Amy vorbei.« »Warum nicht? Vielleicht gibt er damit Blinksignale wie Morse 47 zeichen. Oder noch einfacher, rot für negativ, grün für positiv...« »Oder umgekehrt«, gab Tschobe zu bedenken. »Die Farbspielchen der Mysterious entsprechend annähernd unseren«, sagte Dhark. »Die Geheimnisvollen haben ja teilweise Zahlenbegriffe durch Farbsymbole ersetzt. Und wenn dieses Ungetüm tatsächlich von deren Fließband gelaufen ist, paßt alles zusammen.« »Der hier läuft jedenfalls nicht mehr. Der ist abgeschaltet. Vermutlich defekt. Ertobit, schätze ich mal«, brummte Tschobe. »Oder was zeigt die Ortung jetzt aus der Nähe an?« »Der Meßwert ist geringfügig stärker«, vermeldete Stewart. »Scheint, als wäre doch noch ein wenig mehr Energie verfügbar als angenommen.« »Vielleicht können wir den Burschen ja wecken«, überlegte Tschobe. »Und wie wollen Sie das machen? Anklopfen und >Hallo, aufwachen< sagen?«
Tschobe winkte ab. »Ich glaube, das geht auch anders. Ich brauche nur ein wenig Werkzeug aus dem Flash. Bin gleich wieder hier.« Er eilte davon und benutzte die »Notausgang«Rampe, um nach oben zu gelangen.Sekundenlang überlegte Dhark, ob er ihm Amy hinterherschicken sollte, für den Fall, daß an der Oberfläche inzwischen etwas lauerte, das gefährlich war. Aber Tschobe wußte sich schon zu helfen. Zudem würde die Cyborg nicht zulassen, daß Dhark allein hier unten blieb. Er betrachtete den stillgelegten Roboter. Irgend etwas stimmte mit dieser Maschine nicht! Tschobe eilte die Rampe empor. Es kam ihm vor, als müsse er höher steigen, als vorhin der Sturz in den Keller in die Tiefe geführt hatte. Möglicherweise hatten sie während ihres unterirdischen Weges ein Gefälle hinter sich gebracht. Den Lichtstab hatte er Dhark gelassen. Er selbst bewegte sich in 48 die Dunkelheit hinein. Hoffentlich gab es keine Hindernisse, gegen die er lief... plötzlich wurde es heller. Er näherte sich der Oberfläche! Vor ihm tauchte eine mehreckige Öffnung auf. Vorsichtig trat er ins Freie, die Hand am Kolben des Blasters. Er sah sich um und orientierte sich. Erstaunt stellte er fest, daß sie sich unter der Erde erheblich weiter von dem ursprünglichen Gebäude entfernt hatten, als Ren Dhark geschätzt hatte. Sie mußten eine Distanz von wenigstens fünfhundert Metern hinter sich gebracht haben. Ein leichter Windhauch strich durch die Straße, wirbelte Sand auf und Laub, das von Bäumen abgeworfen worden war. Sonst war nichts zu sehen. Wo war das Haus, in dem sie die Flash versteckt hatten? Er fand es wieder. Er merkte sich, an welcher Stelle er ans Tageslicht zurückgekehrt war, und lief hinüber. Plötzlich sah er einen Schatten, der sich bewegte. Da war etwas zwischen den Häusern! Aber was? Unwillkürlich stoppte er und zog den Blaster. Er lauschte. Da waren kratzende Geräusche und ein heiseres Bellen wie das eines Alligators aus den EvergladesSümpfen. Ein Tier, dachte Tschobe erleichtert. Damit konnte er fertigwerden. Bedrohlicher wären Fremdintelligenzen gewesen, die sich plötzlich hier zeigten. Denn die hätten nur Zyzzkt- sein können. Er ging weiter. Ein Schatten segelte lautlos und rasend schnell über ihn hinweg. Zu schnell, als daß er hätte erkennen können, was das für ein Tier war. Dann erklang wieder das heisere Bellen. »Von wegen tote Ruinenstadt«, murmelte er. Der Dschungel ergriff nicht nur in Form von Pflanzenbewuchs, der über die Randgebiete der Ansiedlung allmählich ins Innere hineinwucherte, von der Zyzzkt--Stadt Besitz, sondern auch die Fauna drängte herein. Etwas huschte zwischen den Häusern hervor, das aussah wie eine in verschiedenen Grautönen gefleckte, schwanzlose Raubkatze auf viel zu kurzen Beinen, von denen es zum Ausgleich acht Stück gab. Damit entwickelte das Biest ein unglaubliches Tempo und raste direkt auf Tschobe zu. 49 Der hielt immer noch den Blaster in der Faust, brauchte nur zu zielen und drückte den Strahlkontakt. Der grelle Energieblitz erfaßte die Acht-kurzbein-katze. Im nächsten Moment erlebte Tschobe die Überraschung seines Lebens. Das Biest hielt in seinem rasenden Lauf nicht an, schnappte aber mit dem Maul nach dem Strahl und bekam ihn direkt hinein, um die Energie im nächsten Moment wieder auf Tschobe zurückzuschleudem! Dabei nahm die Strahlenergie die Form eines Kugelblitzes an! Tschobe schaffte es gerade noch, sich zu Boden zu werfen und zur Seite zu rollen. So wurde er von dem Kugelblitz nur berührt. Der prallte ab und schmetterte in eine Hauswand. Krachend stürzte ein Teil der Fassade ein; es regnete Steinbrocken, und jede Menge Staub quoll empor. Tschobe fand keine Zeit, darauf zu achten. Sein M-Anzug hatte zwar die Teilentladung bei der Berührung durch den Kugelblitz überstanden, war dabei aber
heiß geworden. Und im nächsten Moment war die Achtkurzbeinkatze auch schon bei ihm, warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf Manu Tschobe! Aus! dachte der Afrikaner und schloß mit seinem Leben ab. ^ Vergeblich versuchte Tschobe, das Monstrum von sich abzuwerfen. Es ging nicht; die Bestie war zu stark und auch zu schwer und preßte ihn allein durch ihr Gewicht auf den Boden. Dicht vor seinem Gesicht klaffte das sabbernde Maul der Achtkurzbein-katze mit Reißzähnen, die eine Länge von wenigstens fünf Zentimetern hatten. Wenn die sich in sein Fleisch gruben, rissen sie Wunden, an denen er verbluten mußte, selbst wenn er dem Ungeheuer jetzt noch einmal entkam. Seinen Blaster hatte er beim Aufprall verloren. Ob es sinnvoll war, die Waffe nach dem Erlebnis von gerade eben noch einmal gegen das Tier einzusetzen, war ohnehin mehr als fraglich. Er bedauerte, daß er den Falthelm des M-Anzugs beim Verlassen des Gebäudes wieder nach hinten zurückgeklappt hatte, wo er 50 sich sauber und wie ein kleiner Kragen zusammengerollt hatte. Vielleicht hätte ihm das schwer zerreißbare Material noch etwas Schutz bieten können. Fauliger Atem wurde ihm ins Gesicht geblasen. Jetzt war das Maul des Ungeheuers unmittelbar vor seinen Augen. Und dann zuckte eine lange Zunge aus dem Maul hervor und wischte ihm klebrigklatschig durchs Gesicht! Mal von rechts nach links, mal von links nach rechts, quer, schräg, rauf und runter, und dabei begann das verdammte Biest auch noch in einer Lautstärke zu schnurren, daß es Tschobe beinahe die Trommelfelle platzen ließ! »Ah laß das!« keuchte er verzweifelt. Das war ein Fehler. Kaum war sein Mund offen, als die Monsterzunge einmal kurz hindurchschleckte. Ihm wurde übel. Das Mistvieh wollte ihn gar nicht fressen! Es wollte mit ihm spielen! Er drehte verzweifelt den Kopf zur Seite. »Hör auf damit, du verdammtes Biest! Äh braves Kätzchen, liebes Kätzchen laß ab!« Nur verstand das liebe Kätzchen kein Angloter. Es machte fröhlich weiter und dachte gar nicht daran, seinen bequemen Platz auf Tschobes Körper aufzugeben. Wartete das Biest jetzt vielleicht auch noch darauf, daß er es hinter den Ohren kraulte? Wie wurde er es endlich wieder los? Im nächsten Moment segelte das Blitzschnelle und Lautlose wieder heran, stieß aus der Luft herab und schlug seine Fänge in den Körper der Riesenkatze. Augenblicklich wurde das Tier emporgerissen. Es gab ein schrilles Miauen und Fauchen von sich. Zugleich versuchte es, mit seinen acht Tatzen Tschobe festzuhalten, aber die Krallen drangen nicht in den M-Anzug ein und glitten ab. Aus einem halben Meter Höhe stürzte Tschobe zurück auf den Boden. Der Aufprall war schmerzhaft, weil der Afrikaner keine Chance hatte, ihn abzufedern. Dennoch schaffte er es, sich auf die Seite zu rollen. Neben ihm lag sein Blaster. 51 Er griff zu. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam er auf die Knie und sah den Raubvogel mit seiner achtbeinigen Beute schon hoch am Himmel. Genau konnte er nicht erkennen, welcher Art Vogel der Geflügelte war, aber daß die Acht-kurzbein-katze rettungslos verloren war, war ihm klar. Er zielte beidhändig und schoß. Der Blasterstrahl traf den Raubsegler, dessen Körper in Flammen aufging. Der Vogel schrie, aber er ließ seine Beute nicht fallen. Wenn er normale Vogelkrallen hatte, konnte er das auch überhaupt nicht. Da mußte er das Fleisch der Beute erst mit dem Schnabel von seinen Klauen freihacken. Beide Tiere stürzten irgendwo, einen Dreiviertelkilometer entfernt, in den Dschungel. Tschobe richtete sich endgültig auf und steckte die Strahlwaffe wieder ein. Er wartete einige Minuten auf Feuerschein, aber das Feuer, das den Vogelkörper verzehrte, breitete sich nicht auf die Bäume aus. Keine Qualmwolke stieg empor.
Tschobe atmete tief durch. Prompt stieg ihm der faulige Gestank aus seinem schleimverschmierten Gesicht wieder in die Nase. Er würgte und erbrach sich. Danach ging es ihm auch nicht viel besser. Aber allmählich ließ der Schmerz seines Sturzes nach. Tschobe wankte zu einem in der Nähe stehenden Strauch mit großen, breiten, saftigen Blättern. Er löste einen der Handschuhe seines RauM-Anzugs, pflückte eines der Blätter und zerdrückte ein kleines Stückchen auf dem ungeschützten Handrücken. Dann wartete er ab. Nach etwa einer Viertelstunde zeigte sich noch keine allergische Reaktion. Das besagte zwar noch nicht viel, zeigte ihm aber, daß ein eventuelles Pflanzengift nicht besonders stark sein konnte. Und er wollte das Blatt ja auch nicht versaften. Er nahm einige der Blätter und wischte sich das Gesicht sauber. Dafür mußte es eben reichen. Schließlich fühlte er sich etwas besser. »Verrückte Welt«, murmelte er. »Exotische Raubkatzen, die Terraner nicht als Beute, sondern als Spielzeug sehen...« Er streifte den Handschuh wieder über, sorgte für luftdichten 52 Verschluß und setzte seinen Weg fort. Weiterhin unbehelligt erreichte er das Gebäude, in welchem sie die beiden Flash versteckt hatten. Niemand hatte sich in der Zwischenzeit an den beiden Maschinen vergriffen. Nun, wer hätte das auch tun sollen? Volle Energie war auch noch vorhanden. Er öffnete seinen Flash, kramte im Stauraum zwischen den beiden Sitzen, die Rücken an Rücken positioniert waren, und fischte einige spezielle Werkzeuge heraus. Er atmete auf; es waren genau die, welche er benötigte! Zusätzlich nahm er noch einen weiteren Lichtstab mit. Ein dritter wurde nicht benötigt; die Cyborg war auch in der Lage, im Infrarotbereich zu sehen und benötigte zusätzliches Licht nicht unbedingt. Dann kehrte er zurück in die Tiefe. Er aktivierte den Leuchtstab und kam deshalb auf dem Rückweg schneller voran. Vor Ort war alles unverändert. Im Lichtschein, der von Dharks Stab ausging, schimmerte der Roboter metallisch. Erstaunlich, dachte Tschobe. Eigentlich müßte eine Staubschicht diese Maschinenkonstruktion bedecken. Aber das war offensichtlich nicht der Fall. »Sie haben aber lange gebraucht«, empfing ihn Amy Stewart. »Haben Sie sich verlaufen?« »Ich hatte eine faszinierende Begegnung mit einem Teil der heimischen Tierwelt«, erwiderte er. »Wenn der gute Alfred Brehm das noch hätte erleben können er wäre entzückt.« »Sagen Sie bloß. Sie hätten ein reizendes, schnurrendes Miezekätzchen gestreichelt«, schmunzelte Dhark. Tschobe zuckte zusammen, winkte aber ab. Im Moment wollte er das Thema nicht weiter verfolgen. »Miß Stewart«, bat er. »Können Sie den Blechkameraden vielleicht ein wenig drehen? Ich muß an seine Rückenpartie.« Und die war der Wand zugerichtet. Amy verzog das Gesicht, erfüllte die Bitte dann aber. Für ihre Cyborgkraft war es kein Problem, die rund 1,5 Tonnen Masse zu bewegen. Dhark betrachtete mißtrauisch den Instrumentensatz, den Tschobe an seinem Gürtel befestigt hatte. Der Afrikaner tastete die 53 Rückenpartie des Roboters ab. Plötzlich schwang eine Klappe auf, die einen Teil des technischen Innenlebens der Maschine offenbarte. »Licht, bitte...« Seinen eigenen Lichtstab überreichte Tschobe ebenfalls Dhark. Wenn er sich mit dem Roboter befassen wollte, benötigte er dazu beide Hände. Zunächst sah er sich die Schachtelkontakte und freien Energiepole an. Von Kabeln hatten die Mysterious noch nie viel gehalten. Bei ihnen lief alles über freie Überschlagstrecken, drahtlose Energieübertragung oder Kontaktsätze. Tschobe setzte ein Prüfinstrument an. »Teufel auch«, murmelte er. »In dem Burschen steckt mehr, als wir dachten... Wenn der unter Energiemangel leidet, bin ich der CAL der Giants!«
»Ich messe immer noch nur geringe Werte an«, berichtete Amy. »Dann ist der Knabe verflixt gut abgeschirmt«, knurrte Tschobe und setzte eines der Werkzeuge an. »Ich dachte immer. Sie seien Arzt, kein Feinmechaniker«, spöttelte Dhark. »Habe mir bei den Notreparaturen an der EPOY so einiges bei unserem Freund Gisol abgeguckt«, brummte Tschobe. »Demnächst werde ich Arc Doorn überflügeln.« Er wandte den Kopf und grinste Dhark an, aber ihre Blicke kreuzten sich dennoch nicht. Dann wandte er sich wieder dem Roboter zu. Hin und wieder fluchte er verhalten, während er arbeitete. »Den hat einer ziemlich radikal abgeschaltet«, knurrte er. »Da sind ein paar üble Kurzschlüsse drin, die kein Mensch braucht. Die müssen doch zu überbrücken sein! Heiliger Polarstem, was ist das denn schon wieder für ein Mist... ?« Etwas zischte und knackte. Ein Lichtbogen sprang über. Dann tanzten sekundenlang Elmsfeuer über den Roboterkörper. Tschobe zuckte mit einer Verwünschung zurück. Dann, als die Überschlagelektrizität verpufft war, griff er noch einmal zu, schloß dann die Arbeitsklappe und hieb mit dem Werkzeug kräftig dagegen, als klopfe er einem Pferd auf die Kruppe, um es zum Losgehen zu bewegen. 54 Durch den Roboter ging ein Ruck. Dann machte er seine ersten torkelnden Schritte. Dhark pfiff durch die Zähne. »Perfekt, Manu«, murmelte er. »Wenn wir mal wieder Leute im Maschinenraum der POINT OF brauchen, schicke ich Sie dorthin.« Tschobe verzog das Gesicht. »Ich dachte eher an eine höhere Besoldung.« »Immerhin«, murmelte Stewart anerkennend. »Ich hatte nicht wirklich geglaubt, daß Sie das schaffen. Gratuliere, Doc.« Der Roboter drehte sich jetzt. Durch die jeweils zwei Kniegelenke federte er in den Beinen zunächst leicht schaukelnd durch, ehe sich ein Kniepaar versteifte. Die beiden Augen, grün und rot, glommen schwach. Plötzlich begann der Roboter zu sprechen. Er gab mit leicht metallischer Stimme in rascher Folge schnarrende und klickende Laute von sich, die niemand verstand. Auch Stewarts Programmgehim kapitulierte. Es besaß nicht genügend Informationen, um das, was der Roboter von sich gab, übersetzen zu können. Immerhin erkannte Dhark die Sprache, auch wenn er sie nicht beherrschte. »Zyzzkt«, stieß er leise hervor. »Diese Laute sind charakteristisch.« Tschobe, neben seinem Arztberuf auch ausgebildeter Funker, stimmte ihm zu. »Sie stimmen mit Funksprüchen überein, die wir in Om aufgefangen haben und nicht übersetzen konnten. Feme Sender, die sich unterhielten... richtig anpeilen konnten wir sie nicht, aber hin und wieder fingen wir Fragmente auf. Da war auch dieses Klicken und Schnarren drin.« Dhark atmete tief durch. Ein Worgunroboter, der sich der Sprache des Feindes bediente! In einer verlassenen Ruinenstadt des Feindes! Der Commander redete den Roboter in der Worgunsprache an. Das Resultat war mehr als verblüffend. Im Vorderkörper des Maschinenmenschen öffneten sich drei Waffenluken. Schneller, als die Menschen reagieren konnten, 55 fauchten Schockstrahlen. Paralysiert brachen die Terraner zusammen. Ebenso rasch, wie die Waffen ausgefahren worden waren, verschwanden sie wieder im Körper der Maschine. Die Luken schlössen fugenlos, wie es bei den Mysterious üblich war. Drei Menschen lagen reglos im Staub vor einer Maschine! Amy Stewart war nicht paralysiert. Da ihr Zweites System aktiv war, konnte der Schockstrahl des Roboters sie nicht beeinträchtigen. Sie hätte auch mühelos ausweichen oder den Roboter zerstören können, aber sie verzichtete darauf. Abwarten! befahl ihr Programmgehim. Keine akute Lebensgefahr. Beobachten und analysieren. Natürlich bestand keine Lebensgefahr, sonst hätte der Roboter gleich tödliche Waffen anstelle der Paraschocker benutzt. Also hatte er noch etwas mit seinen Opfern vor.
Er oder die Macht, die hinter ihm stand. Nur zweifelte Stewart, daß es diese Macht derzeit noch gab, weil der Planet offenbar vollständig von intelligenten Lebewesen verlassen worden war. Sie stellte sich also paralysiert, um besser herausfinden zu gönnen, was als nächstes geschah. Sie hütete sich, sich zu bewegen, damit das Rechengehirn des Roboters nicht auf die krude Idee kam, radikalere Mittel gegen sie einzusetzen. Der Maschinenmann zögerte nicht lange, entwaffnete seine drei Opfer und sammelte sie vom Boden auf. Daß er nur zwei Arme besaß, es aber mit drei Personen zu tun hatte, störte ihn dabei nicht. Alle drei umschlang der Viermeterkoloß mit einem seiner Arme so, daß sie ihm nicht wegrutschen konnten, und setzte sich dann in Bewegung. Die noch brennenden Lichtstäbe ließ er achtlos zurück. Trotz seines enormen Gewichts bewegte er sich nicht stampfend, sondern schritt geradezu leichtfüßig und schnell durch den dunklen Korridor und dann die »Notausgang-Rampe« hinauf. Augenblicke später befand er sich bereits an der Oberfläche und erhob sich mit seinen Gefangenen in die Luft. Der Rüg währte nicht lange. Er führte zu einer anderen Gebäu 56 deruine. Der Metallkoloß landete vor einem großen Eingangsportal und betrat den brüchigen Bau. Drinnen erreichte er eine breite Treppe, mußte sich seiner Größe wegen dennoch in Schräglage begeben und flog so eine Etage höher. Dort füllte ein Saal fast die gesamte Etage aus. Sorgsam legte der Roboter seine Gefangenen auf dem Boden ab. Amy sah sich so unauffällig wie möglich um und nutzte dafür die Gelegenheiten, wenn der Koloß ihr den Rücken zuwandte. Dabei ging sie das Risiko ein, daß er auch hinten versteckte optische Systeme besaß, aber als er auch beim vierten Mal nicht reagierte, war sie sicher, daß er nur nach vom sehen konnte. Das Gebäude zumindest dieser Saal war früher offenbar die Kommunikationszentrale der Ansiedlung gewesen. Die Einrichtung deutete jedenfalls darauf hin. Aber es gab nur noch wenige Geräte hier, in denen Stewart ehemals hochwertige Funkgeräte erkannte, doch die sahen samt und sonders zerstört und verfallen aus. Regelrecht verrottet. Dennoch versuchte der Roboter, sie zu aktivieren. Wollte er einer Dienststelle außerhalb des Planeten Bericht über seinen Fang erstatten? Das konnte ihm nicht gelingen, weil er nicht in der Lage war, die beschädigten Funkgeräte in Betrieb zu nehmen. Deren Zerstörungen waren zu groß, so daß nicht einmal ein Arc Doorn aus den Resten von fünf oder sechs Apparaten einen funktionierenden hätte zusammenbasteln können. Allmählich wurde der Koloß immer hektischer. Es war gerade so, als tobe er eine Art maschinellen Wahnsinn aus, er eilte von Gerät zu Gerät, versuchte immer wieder und wieder, den Schrott zu aktivieren, ohne zu begreifen, daß er zum Scheitern verurteilt war. Sein Rechengehim kam mit der Situation offenbar nicht zurecht. Daß diese Kommunikationszentrale ausfallen könnte, war wohl in seinem Programm nicht vorgesehen. Unterdessen erwachten Dhark und Tschobe fast gleichzeitig wieder aus ihrer Paralyse. Mit wenigen Worten erklärte Stewart ihnen, was sich in der letzten halben Stunde abgespielt hatte. »Sie haben richtig gehandelt, indem Sie nicht eingriffen, Amy. Und nun sollten wir zusehen, daß wir schnellstens hier verschwin 57 den, solange der Blechkamerad beschäftigt ist«, flüsterte Dhark. Es war zu spät. Der Roboter hatte die Unterhaltung bemerkt. Blitzschnell wandte er sich den Menschen zu und hatte nicht vergessen, daß Ren Dhark ihn im Keller des anderen Gebäudes in der Worgunsprache angeredet hatte. Drohend baute er sich vor den Terranem auf und redete sie nun ebenfalls auf Worgun an. Nicht nur Dhark, der die Sprache der Mysterious bereits in der Sternenbrücke gelernt hatte, verstand ihn. Auf Terra Nostra hatten alle anderen Terraner der
OmExpedition Mentcaps geschluckt, die ihnen die Sprachkenntnis ebenfalls vermittelten. Sie verstanden, was der Robotergigant ihnen vorwarf! Er hielt sie für Spione oder Hilfswillige des »Volkes der Mörder«! Und mit dem Volk der Mörder waren die Worgun gemeint, das unterjochte Ziel einer über Jahrhunderte währenden schmutzigen Verleumdungskampagne, mit der die Zyzzkt- dafür gesorgt hatten, daß sie selbst als die edlen Retter des Universums dastanden, die Worgun dagegen als Unterdrücker und Ausbeuter. Aber auch wenn die Worgun selbst im Laufe ihrer langen Entwicklungsgeschichte nie sonderlich zimperlich gewesen waren, sah die ^irklichkeit doch eher umgekehrt aus. Nirgendwo in der Galaxis Om hielt noch jemand die Zyzzkt- für die Guten; diesen Ruf hatten sie sich durch ihr Auftreten längst und endgültig verscherzt. Nur den Worgun selbst gegenüber hielten sie diesen Schein immer noch aufrecht. Mit brachialer Gewalt, wenn es sein mußte. Aber im Regelfall reichte die permanente Gehirnwäsche völlig aus. Die Worgun glaubten selbst daran, daß sie als Volk verbrecherisch und mörderisch veranlagt waren und in der Vergangenheit entsprechend gehandelt hatten und daß sie dafür Strafe verdienten. Nur eine Handvoll Rebellen stemmte sich dem immer noch entgegen. Aber sie waren chancenlos, so wie auch Gisol auf Dauer chancenlos bleiben mußte, falls nicht ein Wunder geschah. Denn auf sich alleingestellt konnte er den Zyzzkt- immer wieder nur kleine Nadelstiche versetzen. Und die Terraner, deren Hilfe er erhoffte, konnten sich einen intergalaktischen Krieg rund zehn Millionen 58 Lichtjahre von ihrer Heimatgalaxis entfernt nicht leisten. Terra hatte schon genug geblutet im Krieg gegen die Grakos. Und im Vergleich zu denen waren die Zyzzktnoch weitaus mächtiger und gefährlicher. Allein durch ihre große Zahl. Der Roboter redete immer noch und wiederholte sich dabei mehrmals. Ren Dhark ahnte, worauf alles hinauslief. Über Funk wollte der von den Zyzzkt- übernommene Worgunroboter seine Herren davon informieren, daß er Agenten des »Volkes der Mörder« aufgegriffen habe. Aber da er keinen Kontakt bekam, lag es nahe, daß er den anderen Weg ging und diese Agenten eliminierte. Bedauerlich, daß es Tschobe gelungen war, diese verdammte Maschine zu reaktivieren! Da unterbrach Ren Dhark den Redefluß des Roboters. Er schickte einen Vorrangbefehl voraus, und die Maschine verstummte tatsächlich. »Wir dienen den gleichen Herren wie du«, begann er... Unermüdlich redete er in Worgunsprache auf den Koloß ein. Er versuchte ihm begreiflich zu machen, daß er und seine Begleiter nicht für die Worgun arbeiteten, daß aber ihre Sprechorgane nicht in der Lage waren, die hohe Sprache der »Verehrten« nachzubilden. Nur deshalb bediene man sich der Mördersprache. Die »Verehrten« so ließen die Zyzzkt- sich von den unterjochten Worgun nennen! Dhark ging noch einen Schritt weiter. Er gab sich als Agent der Verehrten aus, der die letzten ihrer Art von diesem Planeten holen sollte. Plötzlich glaubte der Roboter ihm! Geschafft! dachte der Commander erleichtert. »Wo kann ich die letzten Verehrten auf dieser Welt finden?« wollte er wissen. »Ich verstehe nicht«, schnarrte der Koloß. »Du sprichst von den letzten Verehrten auf dieser Welt. Das ist unlogisch. Diese Welt verfügt über viele Ansiedlungen der Verehrten, und alle sind bevölkert.« 59 »Du warst lange abgeschaltet«, widersprach Ren Dhark. »In der Zwischenzeit hat sich sehr viel verändert.« »Ich war niemals abgeschaltet«, entgegnete der Roboter. »Dann sieh dich doch um! Diese Funkzentrale sie ist außer Betrieb, die Geräte beschädigt und zerfallen. Schau aus dem Fenster. Siehst du dort einen Verehrten? Sie sind alle fort aus dieser Stadt.« »Als ich euch hierher brachte, sah ich keinen Verehrten«, bestätigte der Roboter. »Diese Stadt scheint leer.« »Sie ist leer«, beharrte Dhark. »Prüfe es.«
»Aber wie ist das möglich? Gerade eben waren sie doch noch alle hier. Gerade eben sendete und empfmg diese Zentrale noch.« »Die Verehrten sind gegangen. Sie haben die Stadt aufgegeben. Sie geben den ganzen Planeten auf. Wir sollen die letzten von ihnen holen. Wo können wir sie finden?« Er wollte damit die Koordinaten anderer Ansiedlungen herausfinden. Vielleicht war Gisol dorthin entführt worden? In der Tat gab der Roboter ihm die gewünschte Information. Stewart speicherte die Daten in ihrem Programmgehim. Es handelte sich um fast zwei Dutzend Siedlungsanlagen. Eine davon schien einen Raumhafen zu beherbergen. Dhark wurde nachdenklich. Die Zyzzkt- schienen sich auf dieser Welt nicht besonders weit ausgebreitet zu haben. Sie mußten den Planeten schon sehr kurz nach der Inbesitznahme wieder aufgegeben haben. Das war beinahe noch unwahrscheinlicher als die Tatsache, daß sie überhaupt eine ockupierte Welt wieder räumten. Was war hier geschehen? Noch ein Rätsel mehr... 60 4. Dokemtar war unglaublich schnell am Waffenschrank. Er ergriff den Vierläufer und nahm die Eindringlinge sofort unter Beschuß. In der Wirklichkeit war er wahrscheinlich nicht halb so flink, doch als »Herr über meine Träume« bestimmte er seine Reaktionsschnelligkeit selbst. Seine Waffe war kein gewöhnlicher Energiestrahler, sondern eine tragbare Schallkanone. Bevor Doraner und die anderen Deckung fanden, riß es sie mit viel Getöse von den Füßen. Benommen blieben die Piloten liegen. Nur die Cyborgs überstanden die Attacke weitgehend unversehrt. Dokemtars seltsames Gewehr hatte noch mehr Funktionen. Nachdem er einen Sensorschalter betätigt hatte, jagten vier glühendheiße Feuersalven aus den Läufen. Gab es solch eine Waffe wirklich bei den Luwaren, oder war sie nur ein Produkt seiner Phantasie? Diesmal waren die Cyborgs auf der Hut. Sie suchten Schutz hinter den Flash und zogen die beiden Piloten mit sich. Was mich erstaunte, war die Ähnlichkeit von Doraner und Wonzeff mit ihren lebenden Vorbildern. Offenbar war Dokemtar über unsere Besatzung gut informiert. Er wußte sogar, wen man für meine Befreiung entsenden würde die beiden waren ein perfektes Team, Spezialisten für riskante Blitzaktionen. Allmählich kamen sie wieder zu sich. Kaum waren sie wieder vollständig bei Bewußtsein, griffen sie ins Kampfgeschehen ein. Für Dokemtar wurde es jetzt brenzlig. Die Energiestrahlen fauchten ihm nur so um die schmalen Ohren. Kurzerhand kippte er den gepanzerten Waffenschrank um und ging dahinter in Deckung. Doraner sprang hinter seinem Flash hervor und ging zum Direktangriff über. Dokemtar visierte ihn mit ruhiger Hand an. Er 61 konnte den heranstürmenden Piloten gar nicht verfehlen. Gleich würde Doraner in Flammen aufgehen... In letzter Sekunde riß Wonzeff seinen Freund zu Boden. Der vierfache Feuerschwall jagte über beide hinweg. Dokemtar schaffte es nicht, eine weitere Salve auszulösen, da ihn die Cyborgs sofort unter Dauerbeschuß nahmen. Ich kam nicht umhin, ihm eine gewisse Anerkennung zu zollen. Bei der Gestaltung der Kampf szenen gab er sich sehr viel Mühe. Allerdings machte er auch Fehler. Im echten Leben war Wonzeff der schlagfertige Draufgänger mit gelegentlichen Anflügen von Leichtsinn, nicht Doraner. Aber das konnte Dokemtar nicht wissen. Im übrigen war die Anwesenheit der beiden unlogisch. Niemand auf der POINT OF wußte, in welcher Gefahr ich schwebte. Zudem war Dokemtars Labor gegen Anpeilungen von außen geschützt, so daß man mich hier nie gefunden hätte. Wie weit würde Dokemtar wohl gehen? Würde er alle Angreifer »töten«, mit Ausnahme der potentiellen Geisel?
Das Gegenteil war der Fall. Um die Sache noch glaubhafter zu gestalten, legte der Luware sein Gewehr beiseite und ergab sich. Logisch, lange hätte er der geballten Übermacht ohnehin nicht standhalten können. Und nun? Was hatte Dokemtar sonst noch auf Lager? Ich tippte auf einen spektakulären Fluchtversuch seinerseits, bei dem mindestens zwei Protagonisten ums Leben kamen. Doraner befreite mich aus dem Fesselfeld. Da er sich mit den fremden Apparaten nicht auskannte, schaltete er einfach alles ab, was ihm zwischen die Finger kam. »Paß auf, daß du nicht versehentlich die Lebenserhaltungssysteme deaktivierst«, ermahnte ihn Wonzeff. Dabei hatte er allen Grund, selbst aufzupassen. Wie ich es erwartet hatte, war Dokemtars Kapitulation nur eine Finte. Am rechten Handgelenk trug er einen Chronometer, an dem er wie beiläufig herumfummelte. Außer mir fiel das niemandem auf. Die Vorderseite des Chronometers, das vermutlich eine getarnte Handfeuerwaffe war, zeigte in Wonzeffs Richtung. Mach's gut, mein Freund, sagte ich in Gedanken zu dem ukrai 62 nischen Piloten. Auf Wiedersehen in der Realität. Nach meiner Rücckehr auf die POINT OF würde ich dem echten Wonzeff ausführlich von »seinem Tod« in Dokemtars Scheinwelt erzählen. Die Menschen liebten makabre Geschichten. Angeblich lebten Totgesagte länger, doch das war wohl nur ein unbewiesener Aberglaube. »Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?« erkundigte ich mich bei Doraner, ohne Dokemtar aus den Augen zu lassen. »War bestimmt schwierig, oder?« »Nicht im geringsten«, antwortete der Raumpilot. »Deine sogenannte Lebensversicherung hat uns auf direktem Weg hierhergeführt.« Lebensversicherung? Schlagartig wurde mir klar, daß ich einen schwerwiegenden Fehler gemacht hatte. Ohne zu zögern ging ich in die Offensive. Bevor Doraner reagieren konnte, versetzte ich ihm einen heftigen Stoß. Schon auf der legendären GALAXIS hatte der ukrainische Raumpilot Pjetr Wonzeff seinen Militärdienst versehen. Später war er dann in die Dienste von Sam Dharks Sohn Ren getreten. Auf der POINT OF hatte sich der hochgewachsene Mann mit den eisgrauen Augen zu einem der besten Flashpiloten entwickelt. Schade um ihn. Ich hatte einen Fehler gemacht. Nur mir war Dokemtars unauffällige Fummelei am ArmbandChronometer aufgefallen. Anstatt Wonzeff zu warnen, hatte ich meine Beobachtung für mich behalten. Weil ich geglaubt hatte, mich in einer von Dokemtar manipulierten Traumwelt zu befinden. Ein fataler Irrtum! Lediglich der Engel und der Dschungelplanet waren Halluzinationen gewesen, ausgelöst durch irgendeine luwansche Erfindung oder spezielle parapsychologische Kräften Dokemtars. Hingegen war alles, was sich seit meinem Erwachen im Labor abgespielt hatte, real. Meine Befragung, das Eindringen der Flash in die Festung, die Kämpfe, Doraners leichtsinniger Di 63 rektangriff/.. nichts davon war gestellt, alles hatte sich wirklich so zugetragen. Mein Verdacht, bei Dokemtars Chronometer könnte es sich um eine Waffe handeln, hatte sich als richtig erwiesen. Der Luware hatte damit auf Wonzeff gezielt und einen tödlichen Energiestrahl in seine Richtung abgefeuert, ohne daß ich es hatte verhindern können. Es wäre schade um Wonzeff gewesen, hätte'ihn der Strahl getroffen. Glücklicherweise hatte ich letztendlich doch noch das richtige getan und Doraner einen kräftigen Stoß versetzt. Erschrocken hatte Mike Halt gesucht und Dokemtars rechten Arm zu fassen gekriegt. Dadurch hatte Dokemtar den Schuß verrissen, und der Strahl war knapp, sehr, sehr knapp an Wonzeffs Kopf vorbeigezischt. Pjetr hatte keine Sekunde gezögert und Dokemtar paralysiert. »Ich verdanke dir mein Leben«, sagte er nun erleichtert zu mir und ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. »Ich bin dir was schuldig.« »Du bist mir gar nichts schuldig«, erwiderte ich kleinlaut. »Hättet ihr mich nicht aus Dokemtars Gefangenschaft gerettet, hätte er mich bis auf die letzte Schraube auseinandergenommen.«
Daß ich mich beinahe an Wonzeffs Tod mitschuldig gemacht hätte, verschwieg ich den beiden lieber, und ich hatte auch nicht vor, jemals irgendwem davon zu erzählen. Ich hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt. Mein Zögern hätte den Ukrainer fast das Leben gekostet. Zum Glück wußte nicht einmal Dokemtar von meinem Irrtum, obwohl er versucht hatte, mir bis auf den Grund meiner Seele zu schauen. Hätte er mich wie angedroht auseinandergenommen, wäre ihm unter der Wartungsklappe an meiner Brust ein kleiner, batteriebetriebener UKWSender mit Quarzuhr aufgefallen meine »Lebensversicherung«, die ich mir selbst installiert hatte. Auf der POINT OF hatte man darüber Bescheid gewußt. Das extrem primitive Gerät war so geschaltet, daß es entweder nach 36 Stunden oder bei einem Totalausfall meiner Energieversorgung sofort einen UKWImpuls abgab. Außerdem konnte ich es mittels eines kurzen Signals aktivieren was ich beim Übergang vom ersten in den 64 zweiten Traum unterbewußt getan hatte. (Ich löse ein Signal aus, aktiviere meine Sensoren und erwache!) Nichts im unendlichen Universum war unfehlbar. Ich nicht und die geniale Abschirmung von Dokemtars Labor schon gar nicht. Der UKWImpuls hatte sie mühelos durchdrungen. Zwar hatte der Luware an fast alles gedacht, aber sich gegen eine so primitive, längst überholte Technik wie UKWFunk abzuschirmen, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Auf der POINT OF war das entsprechende Frequenzband von der Funkzentrale automatisch überwacht worden. Doraner funkte Riker an und erstattete ihm kurz und knapp Bericht. Daß Wonzeff noch lebte, war in erster Linie seinem Freund zu verdanken. Als Doraner meine »Lebensversicherung« erwähnte, wurde mir schlagartig klar, daß wir uns nicht in einem Traum, sondern in der Realität befanden. Dokemtar wußte nichts von dem versteckten UKWSender demzufolge konnten auch seine vermeintlichen ScheinweltGeschöpfe nichts davon wissen. »Riker ist bereits auf dem Weg hierher, zusammen mit einer Truppe der Flottenpolizei«, sagte Doraner, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Wir wußten, was wir zu tun hatten. Um Dans Begleitern den Zugang zu diesem geschützten Bereich zu ermöglichen, sperrten wir die Schleusen und Tore auf. Die beiden Cyborgs hielten Wache, damit nicht heimlich Gesindel ins Labor eindrang. »Was hat der Luware eigentlich von dir gewollt?« fragte mich Doraner, während wir auf die Eingreiftruppe warteten. »Er hatte sich wohl erhofft, mit meiner Hilfe das Geheimnis des Lebens zu ergründen«, antwortete ich ihm. »Apropos Geheimnis. Dokemtar hat so einiges zu verbergen. Wärt ihr ein klein wenig später eingeflogen, hätte er es mir bestimmt verraten. Ich hatte ihn fast schon soweit.« »Das ist Artus, wie wir ihn kennen und lieben«, spöttelte Wonzeff und verzog seine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. »Wir holen ihn aus der Hölle, und er beschwert sich darüber, daß wir zum falschen Zeitpunkt kamen.« 65 »War nicht so gemeint«, entschuldigte ich mich obwohl Entschuldigungen nicht zu meinem gewohnten Repertoire gehörten. »Ihr konntet ja nicht wissen, wann die Zeit zum Eingreifen am geeignetsten war. Um es mit einem Zitat des Freiherm von Auffenberg zu sagen: >Die Zeit besiegt die Welt und ihren Willen; sie herrscht im Reich der wandelbaren Laune, und ewig wechselnd schreitet sie voran<.« »Kommt mir bekannt vor«, meinte Doraner. »Aus welchem Werk stammt der Text?« »Es heißt: >Die Bingermäuseturmnacht<«, antwortete ich ihm. »Bist du sicher?« erkundigte sich der Flashpilot skeptisch. »Während meines Studiums hatte ich Literatur nur als Nebenfach belegt, aber wenn mich nicht alles täuscht, lautete der Titel: Die Bartholomäusnacht^ basierend auf den grausigen Geschehnissen während der Pariser Bluthochzeit im Jahre 1572.« Er hatte natürlich recht. Wieder einmal hatte sich ein Versprecher eingeschlichen. Aber wie war das nur möglich? Mit der vollständigen Durchführung meines SpeicherSchnellscans hatte ich das Problem doch beseitigt... In der Nacht zum 24. August 1572 wurden mehrere tausend Hugenotten niedergemetzelt, darunter auch ihr Anführer Admiral Gaspard de Coligny, der sich
für eine Allianz von Hugenotten und Katholiken gegen Spanien eingesetzt hatte. Gleichzeitig hatte sich der Adel in Paris zur Hochzeit des Protestanten Heinrich von Navarra und der Katholikin Margarete von Valois versammelt. Derlei Informationen schüttelte ich mir locker aus dem (nichtvorhandenen) Ärmel, und ich gab sie stets korrekt wieder. Deshalb wunderte mich mein neuerlicher Versprecher, hatte ich doch geglaubt, mit mir sei alles wieder in Ordnung. Ein Irrtum und leider nicht mein erster an diesem Tag. Selbstverständlich wurde durch die Wiederholung des Scans, den ich auf der POINT OF abrupt abgebrochen hatte, der Fehler ein für allemal ausgemerzt. Aber diese Wiederholung hatte noch gar nicht stattgefunden. Nicht ich hatte auf dem Dschungelplaneten 66 sechzehn Sekunden lang im Gras verharrt, um meine Speicher zu überprüfen und sämtliche Fehlerquellen zu beseitigen sondern mein ScheinweltPendant. Dadurch hatte der Scan keinerlei Auswirkungen gehabt. Ich bat Doraner und Wonzeff, mich für ein paar Sekunden in Frieden zu lassen. Sie stellten keine Fragen und das Reden ein. Eins, zwei, drei... zehn, elf, zwölf ... sechzehn, siebzehn, achtzehn... Dan Riker, einige bewaffnete Männer von der POINT OF und die multikulturellen Deeskalationsbeamten der Flottenpolizei trafen ein. Zwei Sekunden! Wieder einmal! Mein SechzehnsekundenSchnellscan war erst seit zwei Sekunden beendet, und schon wimmelte es im Labor von Terranem, einarmigen Olm, zweiköpfigen Savipem, dreiäugigen Chilp, sechsfingrigen Luwaren, seltsam verformten Penst, stachligen Sirr sowie rothäutigen Ivel. Natürlich fehlten auch die Namm nicht, deren Physiognomie senkrecht verlief. Sogar ein Krowia war mit dabei, obwohl sich dieses mürrische Völkchen nur selten an Gemeinschaftsaktionen beteiligte. Wesentlich beliebter waren die Sagwas, die die meiste Zeit über schwiegen. Jeder Polizeiangehörige trug eine beige Uniform mit einem aufgenähten Halbkreis, ähnlich dem terranischen Buchstaben D. Außer im Elysium wurden die Deeskalationsbeamten überall in der Flotte respektiert. Sie hatten sozusagen die Staatsgewalt im Heerzug der Heimatlosen. Wurde jemand beim Tragen einer DUniform erwischt, ohne daß er zur Flottenpolizei gehörte, mußte er mit der Todesstrafe rechnen. Wie schon erwähnt, hatte ich meinen Scan zwei Sekunden vor dem Eintreffen der Eingreiftruppe beendet. Damit war der kleine »Sprachfehler« aus der Welt geschafft für immer und endgültig. Dan Riker begrüßte mich wie einen alten Freund. Offenbar hing er doch mehr an mir, als er zugeben wollte. »Ganz schön leichtsinnig, dein Alleingang«, meinte er. »Hat dich denn niemand davor gewarnt, die drei leeren Schiffe im Herzen der Flotte zu betreten?« »Darüber hat nie jemand ein Wort verloren«, log ich, daß sich 67 die Metallstützen unter der Decke bogen. »Ich war völlig überrascht, als ich von Verbrechern überfallen und nach hierher verschleppt wurde. Dokemtar scheint so etwas wie der inoffizielle Regent der Ausgestoßenen zu sein. Sie reden ihn mit »Herr« an und bezeichnen sein Labor als Festung. Für meine Ergreifung hat er sie mit Dokes bezahlt, einer Geldwährung, die nur in diesem Bereich Gültigkeit hat.« »Wahrscheinlich stellt er das Geld selbst her«, warf ein Olm ein und deutete mit seinem Arm auf eine Druckmaschine, die in einem Nebenraum stand. Dokemtar, der weiterhin bewußtlos war, wurde in eins der Schnellboote getragen, mit denen die Deeskalationsbeamten gekommen waren. Die leichten, wendigen Boote waren eine Spezialanfertigung für die Flottenpolizei. Damit gelangten die Polizisten innerhalb des Röhrengeflechts schnellstmöglich von Punkt A nach Punkt B. Der Bordcomputer errechnete die jeweils kürzeste Strecke, den Rest übernahm der Autopilot. »Der Herr hat ausgeherrscht«, mokierte sich ein Ivel. »Die Festung wurde eingenommen, die Regierung gestürzt somit ist der Doke als Währung nichts mehr wert.« Die Polizisten waren Profis und wußten, worauf sie sich bei der ersten oberflächlichen Durchsuchung des Labors hauptsächlich zu konzentrieren hatten.
Schon nach kurzer Zeit hatten sie Dokemtars noch nicht ganz fertiggestelltes Hyperfunkgerät entdeckt. Außerdem stießen sie auf elektronische Aufzeichnungen, die bewiesen, daß er es gewesen war, der das Chaos in der Flotte verursacht und die Zyzzkt- herbeigerufen hatte. Um nicht jedesmal das Elysium durchqueren zu müssen, hatte er sich über einen Transmitter Zugang zum Labor verschafft. »Dokemtar hat mich irgendwie manipuliert, indem er mir Träume schickte, die von der Realität kaum zu unterscheiden waren«, berichtete ich. »Möglicherweise hat er dafür eine aufwendige Technik benutzt. Ich würde das Labor gern näher in Augenschein nehmen, wenn ich darf.« »Abgelehnt«, entschied Riker. »Du steigst zu mir in den Flash und kehrst zurück auf die POINT OF. Wir sind nur Gäste im Heerzug, deshalb steht es uns nicht zu, bei den weiteren Ermittlungen 68 anwesend zu sein. Das ist eine innere Angelegenheit der Flotte. Dokemtar wird auf das Schiff des Flottenrats gebracht und dort verhört. Und um die weitere Untersuchung des Labors kümmern sich ausgewählte Spezialisten.« »Warum darf ich nicht wenigstens beim Verhör dabeisein?« entrüstete ich mich. »Immerhin habe ich den Stein erst ins Rollen gebracht.« Bevor Riker etwas erwidern konnte, ergriff ein luwarischer Polizeibeamter das Wort. »Ich bin sicher, der Rat hat nichts gegen Artus' Anwesenheit einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Weil er direkt in die Sache verwickelt ist, wird man bestimmt eine Menge Fragen an ihn haben. Ich schätze, die Ratsmitglieder werden über Dokemtars Verrat genauso entsetzt sein wie mein Volk, wenn es davon erfährt. Ich schäme mich für den Verräter und hoffe, daß sein verabscheuungswürdiges Verbrechen kein schlechtes Licht auf alle Luwaren wirft.« Riker stimmte widerwillig zu, mich aufs Schiff des Rates zu bringen statt auf die POINT OF. Prima, dann mußte ich wenigstens nicht laufen. Unterwegs traf ich dann auf eine alte Bekannte... Lackkap war mit sich und der Welt zufrieden. Der Verkauf des gefangenen Roboters an den »Herrn« hatte ihr einen ordentlichen Geldsegen beschert. Die kümmerlichen Anteile ihrer Komplizen fielen dabei kaum ins Gewicht. Sie hatte ihre Ansprüche voll und ganz durchgesetzt und war bei der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich gewesen. Hier im Elysium herrschte das Recht des Stärkeren. Lediglich Cimmic hatte sich beim Teilen nicht über den Tisch ziehen lassen. Er gehörte dem Volk der Namm an und betrieb in der ehemaligen Kommandozentrale eines der drei leeren Raumschiffe eine Bar der ganz besonderen Art. Bei ihm konnte man Drogen in jeder Form kaufen als berauschendes Getränk, in Form von Pillen oder Pülverchen, zum Spritzen oder Rauchen... es war für jeden Bedarf und jede Spezies etwas mit dabei. 69 Woher er sich »den Stoff« beschaffte, darüber kursierten die verschiedensten Gerüchte. Cimmic konnte alles organisieren, was es in der Flotte gab. Sogar im Prostitutionsgewerbe hatte er seine Finger drin. Die Gäste seiner namenlosen, offiziell nicht existierenden Bar bezahlten ihn mit Dokes, diversen Tauschobjekten oder Sex. Letzteres kam für Lackkap nicht in Frage. Sie wog vier Zentner, hatte Beine wie Elefantenstampfer und muskulöse Arme, die fast bis zum Boden reichten. Neben ihr wirkte der schmächtige Barbetreiber wie ein Strich in der Landschaft. Eine leidenschaftliche Umarmung von ihr würde er kaum überleben. Im übrigen war sie allergisch gegen zuviel Vertraulichkeit. Erst kürzlich hatte sie einen aufdringlichen Namm mit einem einzigen Ellbogenhieb getötet. Theoretisch hätte Lackkap Cimmic beim Beuteteilen genauso übervorteilen können wie die anderen. Doch die Muuu wollte es sich nicht mit ihm verderben. Sie war Stammgast in seiner Drogenbar, der einzigen Abwechslung im Elysium. An der Theke gab es sogar einen speziell für sie gefertigten stabilen Sitz. Lackkap befand sich auf dem Heimweg. Ihr Zuhause war ein ungepflegtes ehemaliges Offiziersquartier. Bei ihrem Einzig hatte sie sich seinerzeit mit dem vorherigen Bewohner, einem verstoßenen Krowia, herumstreiten müssen. Der Mann hatte partout nicht einsehen wollen, daß auch die kleineren Kabinen auf dem Mannschaftsdeck einen gewissen wohnlichen Reiz versprühten. Schließlich hatten
sich beide doch noch geeinigt, und er war ausgezogen. Seine persönlichen Sachen hatte sie ihm hinterhergetragen er hatte nicht alles auf einmal wegschleppen können mit seinem frisch gebrochenen Bein. Zum wiederholten Male zählte Lackkap die Dokes, die sie in den Händen hielt, und sie rechnete sich aus, wie oft sie dafür Cimmics Bar aufsuchen konnte. Der geschäftstüchtige Gastwirt hatte ihr einen kleinen Vorrat Fom und Zigu angeboten. Fom war ein starkes Gebräu, das man nur mit Vorsicht genießen durfte. Die zerkleinerten Blätter der ZiguPflanze nahm man über die Atemwege ein. Die Muuu liebte es, an der Theke oder daheim im extrabreiten 70 Schalensessel zu sitzen, ein gutes Schlückchen Fom zu trinken und zwischendrin ein paar kräftige Züge aus einer mit Zigu gestopften pfeife zu nehmen. Dennoch hatte sie das Angebot abgelehnt, nicht zuletzt aufgrund des horrenden Preises. Sie wollte ihr »sauer verdientes« Geld nicht gleich wieder loswerden. Obwohl sie ihren halslosen Kopf keinen Zentimeter bewegte, entging ihr nicht, daß in unmittelbarer Nähe ein Beiboot auftauchte. Mit ihren chamäleonartigen Augen beobachtete sie, wie das Boot durch die Wand schwebte und dann in ihre Richtung einbog. Sie kannte die Schnellboote der Flottenpolizei. Dies hier war keines davon. So eins hatte sie noch nie zuvor gesehen. Raubüberfälle waren im Elysium an der Tagesordnung, daher stellte sich Lackkap auf einen Kampf ein. Daran, daß sie die Auseinandersetzung für sich entscheiden würde, hatte sie keinen Zweifel. Ihre Kampfqualifikationen waren brachiale Gewalt, rücksichtslose Brutalität, Gemeinheit und Hinterlist. Keinen einzigen Doke würden die Wegelagerer erbeuten, eher würde sie die Geldscheine herunterschlingen! Doch die beiden Insassen des Bootes, das neben ihr auf sechs dünnen Auslegern landete, hatten es nicht auf ihr Geld abgesehen. Ein Roboter entstieg dem zylinderförmigen, drei Meter langen Boot und begrüßte sie in freundlichem Tonfall. Offenbar gehörte er zur gleichen Serie wie der, den sie dem Herrn verkauft hatte. Auch diese Maschine trug ein schwarzes Stirnband mit demselben Erkennungsmerkmal. »Keine Sorge, ich will dir nichts tun«, sprach der Roboter sie an. »Obwohl ich allen Grund dazu hätte, nach allem, was ihr mir angetan habt. Aber ich bin nicht nachtragend.« »Willst du damit andeuten, daß du derselbe Roboter bist, den wir zur Festung gebracht haben?« fragte Lackkap verblüfft. »Das ist unmöglich. Niemand kann von dort entkommen.« »Ich hatte Helfer«, erwiderte das Maschinenwesen. Die Muuu glaubte ihm nicht. »Das ist ein Trick, nicht wahr? Von deiner Sorte gibt es wahrscheinlich Hunderte. Oder funktioniert das ganze so ähnlich wie bei den Bebir? Einer löst sich auf, und ein anderer erscheint an seiner Stelle.« »Unsinn, dann wäre ich doch immer noch in der Festung«, sagte 71 der Roboter. »Mich gibt es nur ein einziges Mal im ganzen Universum. Die Flottenpolizei hat mich aus den Fängen eures selbsternannten Herrschers befreit und seine Festung besetzt. Mit seiner Regentschaft ist es aus und vorbei. Künftig könnt ihr von ihm weder Befehle noch Geld erwarten. Letzteres ist nach seinem unfreiwilligen Abtritt eh nichts mehr wert.« »Nichts mehr wert?« wiederholte Lackkap ungläubig. »Aber das ist ungerecht! Jetzt, wo ich tüchtig abkassiert habe...« »Seit wann geht es auf der Welt gerecht zu?« entgegnete der Roboter ungerührt. »Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Jeder Regierungssturz zieht unweigerlich den Verfall der gültigen Geldwährung mit sich.« »Wer weiß bisher darüber Bescheid?« wollte die Muuu wissen. »Hier im Elysium? Wahrscheinlich noch keiner. Doch das ganze wird sich schon bald wie ein Lauffeuer herumsprechen, mach dir also keine falschen Hoffnungen.« »Demnach habe ich noch Zeit, mein gesamtes Geld auszugeben«, murmelte Lackkap und marschierte auf ihren Stampfern schnurstracks zur Bar zurück. »Hoffentlich steht Cimmics Angebot noch.« Der Roboter stieg wieder ins Boot und nahm auf dem Zweitsitz Platz. »Danke, daß du kurz angehalten hast, Riker.« »Was hattet ihr beide denn Wichtiges zu bereden, Artus?« erkundigte sich der Pilot.
»Ich wollte die Dicke nur ein bißchen argem. Sie gehörte zu der Bande, die mich in die Festung verschleppt hat. Dafür hat sie ein hübsches Sümmchen kassiert. Ich habe ihr das Geschäft madig gemacht und ihr mitgeteilt, daß man hier für Dokes bald nichts mehr zu kaufen kriegt.« »Wer sagt das?« »Einer der Deeskalationsbeamten, ein Ivel. Er meinte, der Doke sei als Währung künftig nichts mehr wert. Schließlich kann Dokemtar kein Geld mehr nachdrucken.« »Und wenn schon«, erwiderte Dan Riker. »Der Sturz eines Regenten muß nicht zwangsläufig eine sofortige Geldentwertung zur Folge haben, das ist von Situation zu Situation verschieden. So 72 lange der Doke innerhalb dieses Bereichs allgemein als Zahlungsmittel akzeptiert wird, kommt es zu keiner Inflation. Die Bewohner der verlassenen Schiffe täten sich keinen Gefallen damit, würden sie den im Umlauf befindlichen Geldscheinen ihren Wert aberkennen. Geld ist mit Abstand das praktischste aller Tauschobjekte.« »Und je geringer die Anzahl eines Tauschobjekts ist, um so begehrenswerter wird es«, spann Artus den Gedankengang weiter. »Demzufolge könnte der Doke im Lauf der Zeit einer enormen Wertsteigerung ausgesetzt sein, und es wäre grundfalsch, sein gesamtes Erspartes auf einen Schlag auszugeben.« »Schaden kann es jedenfalls nicht, wenn man als Bewohner dieses zwielichtigen Bezirks ein paar Dokes auf der hohen Kante hat.« »Damit wäre meine Rache perfekt«, sagte der Roboter und lehnte sich gemütlich in seinem Sitz zurück. »Die werte Dame ist nämlich gerade im Begriff, ihr ganzes Geld sinnlos zu verplempern.« »Besser, du läßt dich nie wieder hier blicken«, riet ihm Riker schmunzelnd. »Sonst macht sie Metallspäne aus dir. Übrigens: Ich hörte, wie der Name Bebir fiel. Was hat es damit auf sich?« Artus erzählte ihm von seiner Begegnung mit Kju und Eja und von seinen Gesprächen mit anderen Völkern über die Bebir... »Ich hätte nie gedacht, daß ich so leicht zu manipulieren bin«, sagte ich zu Dan Riker, als er mich im Schiff des Flottenrates aussteigen ließ. »Falls ich morgen früh in einem Labor erwache, und jemand erzählt mir, ich hätte den größten Teil meines kurzen Lebens nur geträumt ich würde es ihm unbesehen glauben. Hat es auf der Erde jemals einen vergleichbaren Vorfall gegeben?« »Wenn mich meine Geschichtskenntnisse nicht trügen, gab es Mitte der Achtziger des vorigen Jahrhunderts in Dallas einen vermögenden Mann, der unter der Dusche hervorkam und feststellte, daß sich die wichtigsten Ereignisse seines Lebens nur in einem Traum abgespielt hatten. Seine Geschichte wurde sogar verfilmt. 73 Ich glaube, man hat damals eine ganze Femsehserie daraus gemacht und noch alles mögliche hinzugedichtet.« »Ein reicher Mann kommt unter der Dusche hervor und das reicht als Grundlage für eine komplette Serie?« fragte ich ungläubig. »Sicherlich gab es nur wenige Fortsetzungen.« »Ein paar Hundert, soweit ich informiert bin. Themenwechsel, Artus. Ich habe mir das, was du mir über die Bebir berichtet hast, durch den Kopf gehen lassen. Ist dir eigentlich nichts aufgefallen?« »Rein gar nichts«, antwortete ich und ahmte einen menschlichen Seufzer nach. »Ständig hatte ich das Gefühl, ein wichtiges Faktum total außer Acht zu lassen. Aber welches? Ich komme einfach nicht darauf!« »Um es mit einem menschlichen Sprichwort zu sagen: Du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht.« »Diese Redewendung ist mir auch schon in den Sinn gekommen«, entgegnete ich. »Nur hilft mir das nicht weiter.« »Mit wie vielen Bebir hast du geredet?« fragte mich Riker. »Mit zweien«, erwiderte ich. »Zur selben Zeit?« »Natürlich nicht. Erst war Kju da, danach Eja. Eja hat(e Kjus Wissen übernommen. Sowohl Kju als auch Eja erinnerten sich nicht mehr an die ursprüngliche Herkunft ihres Volkes. Möglicherweise gibt es andere Bebir mit größerem Erinnerungsvermögen. Vielleicht weiß aber kein einziger von ihnen mehr, wo er
einst zur Welt gekommen ist und wann sein Volk zum Heerzug der Heimatlosen stieß.« »Du sprachst mit Personen, die ebenfalls Kontakt mit einem Bebir hatten. Hat einer deiner Gesprächspartner jemals zwei Bebir gleichzeitig zu Gesicht bekommen?« »Nicht daß ich wüßte, zumindest wurde das nie erwähnt.« »Genau das ist mir aufgefallen«, zog Riker ein Resümee. »Und noch etwas: Die meisten Völker werden nur selten von den Bebir besucht; es liegen jedesmal große Abstände dazwischen. Was schließt du daraus, Artus?« »Daß es sich um ein recht kleines Volk handelt. Die Bebir sind überwiegend Einzelgänger und...« 74 Ich unterbrach mich. Plötzlich war mir klar, worauf Riker hinauswollte. »Es kann nur einen geben.« Riker nickte. »Dich gibt es nur ein einziges Mal auf der Welt, Artus, und darüber bin ich nicht gerade unglücklich. Mit den Bebir besser gesagt: dem Bebir verhält es sich vermutlich ebenso: Es gibt nur einen! Und dieser eine regeneriert sich alle sechzig Minuten. An seinen Ursprung erinnert er sich schon lange nicht mehr. Er ist fest überzeugt, Angehöriger eines Volkes von Wanderern zu sein, das vor langer Zeit zum Heerzug stieß, und er glaubt, seine Brüder und Schwestern schweben wie er in einem fort von Schiff zu Schiff, ohne sich jemals zu begegnen. In Wahrheit aber hat er gar keine Anverwandten. Er ist ganz allein.« »Vielleicht ist das der Grund für seine Erinnerungslücken«, überlegte ich laut. »Sein schlechtes Gedächtnis ist eine Art Selbstschutz. Da er sich seiner Einsamkeit nicht bewußt ist, leidet er auch nicht darunter.« Glücklicherweise war ich nicht allein! Ich hatte Freunde. Jamie Savannah. Roy Vegas. Frank Buscetta. Ren Dhark. Und die halbe Menschheit. Nun ja, zumindest kannte mich die halbe Menschheit. Zwischen Bekanntschaft und Freundschaft lagen allerdings Welten. Auf Terra begrüßte man mich oftmals mit: »Hallo, mein Freund!« Drei Worte, die leicht dahergesagt waren. Doch nicht immer waren sie ehrlich und aufrichtig gemeint. Die Menschen gebrauchten viele Floskeln, die sie nicht wortwörtlich meinten. »Wie geht's dir?« mal eben so dahingeplappert, auf der Straße, im Vorübergehen. Aber interessierte sich der Fragesteller tatsächlich dafür, wie sich der Gefragte gerade fühlte? Oder war es ihm im Grunde genommen total egal? Ich stellte solche Überlegungen nicht von ungefähr an; sie basierten auf meinen Beobachtungen und Analysen des terranischen Alltagsgeschehens. Auf meiner kleinen Exkursion hatte ich viele neue seltsame Völker kennengelernt doch die Menschen waren mit Abstand die Seltsamsten unter den Seltsamen. Dan Riker verabschiedete sich von mir, um auf die POINT OF zurückzukehren. Der Flottenrat hatte ihn nicht eingeladen, er 75 drängte sich auch nicht auf. »Ich werde Leutnant Leon Bebir von deiner Begegnung mit dem Bebir erzählen«, sagte er noch zu mir, kurz bevor sich unsere Wege vorerst trennten. »Vielleicht macht es ihm Freude, zu hören, daß es im Heerzug eine Spezies gibt, die zufälligerweise seinen Namen trägt.« Obwohl wir mit dem Flash den kürzesten Weg gewählt hatten, waren die Schnellboote der Deeskalationsbeamten schon vor uns auf dem Ratsschiff eingetroffen. Meine kleine Unterhaltung mit Lackkap hatte wohl mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich gedacht hatte. Ich hatte dabei nicht auf den Zeitmesser geschaut. Dokemtar war inzwischen erwacht. Sein Verhör fand im Ratssaal statt, im Beisein mehrerer Ratsmitglieder. Der Heerzug war wirklich mit allem ausgestattet, was man zum Leben brauchte, beziehungsweise was man glaubte, zum Leben zu brauchen. Sogar über Verhörspezialisten verfügte die Flotte. Dabei war deren Anwesenheit überhaupt nicht vonnöten, denn Dokemtar legte auch ohne Druck ein volles Geständnis ab. »Ja, ich wollte den Untergang der gesamten Flotte herbeifiihren! Mir konnte nichts zustoßen, ich wäre durch meinen Transmitter an Bord des Großkampfschiffes ARKAN1 gegangen. Die Unmengen von AlaMetall an Bord der fremden Schiffe hätten die Zyzzkt- erfreut. Je knapper jenes Metall wird, um so wertvoller ist es.«
Ona Then Grom, ein tentakelbewehrtes Wesen mit zwei Köpfen, die jeweils über nur ein Auge verfügten, gehörte dem Volk der Saviper an. Wie alle übrigen Ratsmitglieder war er über Dokemtars geplanten Verrat erschüttert. »Wie konntest du uns das antun? Die Zyzzkt- machen kurzen Prozeß mit uns, wenn sie uns erwischen. Hattest du nicht wenigstens deinem eigenen Volk gegenüber Skrupel? Kein einziger Luware hätte das Massaker überlebt!« Dokemtar verzog herablassend die Mundwinkel und schwieg. Unvermittelt griff ich ins Verhör ein mit einer Frage, die alle verblüffte. 76 »Machen die Luwaren eigentlich große Fortschritte bei der Entwicklung von Robotern?« Dokemtar schaute mich verwundert an. »Beantworte meine Frage!« forderte ich ihn ungehalten auf. »Was soll das?« wollte Ona Then Grom wissen. »Was hat der technische Entwicklungsstand des luwarischen Volkes mit Dokemtars Verrat zu tun?« »Das erkläre ich gleich«, erwiderte ich und beharrte weiterhin auf einer Antwort. »Die luwarischen Wissenschaftler und Techniker beschäftigen sich überwiegend mit der Verbesserung ihrer Raumschiffsantriebe, Einsparungen bei der Energieversorgung und effektiver Nahrungserzeugung«, gab Dokemtar mir bereitwillig Auskunft. »Mit dem Bau von Robotern haben sie nur wenig Erfahrung. Natürlich gibt es auch bei uns roboterähnliche Arbeitsmaschinen zur Unterstützung...« »Bei uns?« unterbrach ich ihn. »Wen meinst du damit?« »Mein Volk, die Luwaren«, entgegnete Dokemtar. Er spielte seine Rolle wirklich perfekt. Aber mich konnte er nicht täuschen. »Ein Roboter mit eigenem Verstand«, zitierte ich ihn, wobei ich seine Stimme imitierte. »Dazu sind selbst wir nicht in der Lage.« Ich benutzte wieder meine eigene Stimmenfrequenz. »Das waren doch deine Worte, nicht wahr, Dokemtar?« Allmählich begriffen die Ratsmitglieder, was ich mit meiner Fragerei bezweckte. »Selbst wir«, wiederholte ich die beiden entscheidenden Worte. »Hört sich nach einem technisch hochentwickelten Volk an, das sich mit dem Bau von Robotern bestens auskennt. Nur mit der Erschaffung eines intelligenten Maschinenwesens wie mir wäre man dort überfordert.« »Mit jenem Volk sind garantiert nicht die Luwaren gemeint«, zog der Saviper sofort die richtigen Schlüsse. »Bist du überhaupt ein Luware?« Gegen seinen Willen wurde Dokemtar in einem Nebenzimmer einer oberflächlichen ärztlichen Untersuchung unterzogen. Man stellte fest, daß er zehn Kilo mehr wog als es für einen Luwaren 77 seiner Größe und Statur üblich war. »Gibt es auf diesem Schiff ein Labor?« erkundigte ich mich bei den Ratsmitgliedem. »Wir sollten dort an Dokemtar eine DNSÜberprüfung vornehmen, vielleicht bringt uns das weiter.« Bisher hatte Dokemtar alles über sich ergehen lassen, wenn auch murrend. Nun setzte er sich mit aller Macht zur Wehr. Als man ihn ins Labor bringen wollte, schlug er auf seine beiden Bewacher ein und versuchte, sich loszureißen. Ich öffnete eine Klappe seitlich an meinem Metallkörper und nahm ein »Beruhigungsmittel« heraus. Eine leichte Paralyse brachte den Tobenden rasch zur Vernunft. Das Ergebnis der Laboruntersuchung machte die Angehörigen des Flottenrates für einen Augenblick sprachlos. Dokemtar hatte eine gänzlich andere DNS als ein Luware. Ihre Struktur war völlig unbekannt. Der Mann, der wie ein Luware aussah, aber kein Luware war, gehörte einer fremden Spezies an, die in der Flotte niemand kannte. 78 5. Plötzlich rastete der Roboter wieder aus! Gerade eben noch hatte er Dhark die Geschichte von den Agenten der Verehrten geglaubt, als er sie plötzlich wieder für Knechte des Mördervolks hielt! Mit dieser Reaktion hatte zu diesem Zeitpunkt keiner von ihnen mehr gerechnet. Von einem Moment zum anderen verbot ihnen der Koloß wieder jegliches
Sprechen, und als Dhark das Verbot ignorierte und ihn auf seinen Denkfehler hinzuweisen versuchte, fuhr der Roboter wieder seine Strahlwaffen aus und feuerte auf den Commander! Schneller als der Roboter war Cyborg Stewart in ihrer Reaktion, schnellte vom Boden empor und sprang mitten in den Schockstrahl hinein, um Dhark gegen die paralysierende Energie abzuschirmen. Ihrem Zweiten System konnte der Strahl nichts anhaben. Der Roboter zeigte sich irritiert und feuerte erneut. In seinem Programm war die Resistenz organischer Wesen gegenüber Schockstrahlen nicht enthalten. Abermals warf Stewart sich in die Strahlbahn und wollte dann den Roboter selbst angreifen, als dieser plötzlich das Waffensystem tauschte! Der Abstrahlpol des Paraschockers verschwand wieder im Leib des Roboters und wurde durch eine Blastermündung ersetzt. »Nein!« schrie Dhark entsetzt auf und mußte an Holger Alsop denken, den Cyborg, der erst vor kurzem auf dem Planeten Pscherid von einem Zyzzkt- erschossen worden war. Gegen Blasterstrahlen war auch ein Cyborg nicht gefeit! Aber Amy Stewart war schneller als der Roboter. Vielleicht waren es die immer noch vorhandenen Fehlschaltungen im Innern des Vienneterkolosses, die ihr eine Chance gaben. Sie schnellte sich in die Höhe, spreizte in der Luft die Beine, und der Blasterstrahl, aus 79 nächster Nähe auf ihren Oberkörper gezielt, flammte unmittelbar unter ihr hinweg. Dhark und Tschobe konnte er nicht treffen, weil die noch flach auf dem Boden lagen, aber hinter ihnen flog eines der beschädigten Funkgeräte in einem grellen Aufblitzen auseinander. Da mußte noch Restenergie in einer internen Batterie gesteckt haben. Noch in der Luft kippte Stewart sich nach vom, prallte gegen den Oberkörper der Maschine und versetzte ihr einen Impuls rückwärts. Der Roboter stürzte. Stewart vollzog einen Flickflack nach hinten und landete wieder bei Dhark und Tschobe. Die waren bereits aufgesprungen. »Weg hier, bevor der wieder auf die Beine kommt!« stieß Tschobe hervor. Im Innern des Kolosses schienen immer neue Fehlschaltungen stattzufinden. Er rollte sich zur Seite und gab mehrere weitere Blasterschüsse ab genau in Richtung der Tür, die in diesen Saal führte. Dort begann nur Sekunden später eine flammende Hölle zu toben. Sie mußten einen anderen Weg nehmen! Unter normalen Umständen hätte der Koloß keine wirkliche Gefahr für sie bedeutet. Ein einziger Blasterschuß genügte, um ihn zu einem Haufen geschmolzenen Metalls verglühen zu lassen. Aber ihre Waffen lagen im Keller eines anderen Gebäudes! Und ihn mit bloßen Händen unschädlich zu machen war auch für ein CyborgKraftpaket nicht zu schaffen. Ihnen blieb nur die Flucht. Und die gelang nur, wenn sie schneller waren als der Roboter, der jetzt mit Hilfe seines Antigravs wieder auf die Beine kam. Der Koloß verfügte tatsächlich über wesentlich mehr Energie, als Stewart anfangs geortet hatte. Sonst wäre er trotz seiner vorhandenen Defekte nicht zu solch enormen Leistungen fähig gewesen. Der Roboter drehte sich. Er suchte nach den Flüchtenden. »Mördervolcknechte!« schnarrte er metallisch. »Mördervolcknechte! Mördervolcknechte!« »Ob der mir wohl langsam auf den Keks geht?« zischte Stewart. Sie riß ihre beiden Begleiter mit sich, weil sie eben einen schmalen 80 Durchgang bemerkt hatte. Im nächsten Moment waren sie hindurch. Hinter ihnen flammte es auf. Gluthitze fauchte hinter ihnen her. Es ging nach oben. »Falsche Richtung!« rief Tschobe. »Wir müssen nach unten, nicht nach oben! Da sitzen wir in der Falle! Nur in sauschlechten Filmen flüchten die Leute aufwärts, damit sie spektakulär vor der Kamera dreißig Stockwerke tief stürzen können...« »Vertrauen Sie mir!« forderte Stewart. »Ich weiß, was ich tue!«
Hinter ihnen versuchte der Roboterkoloß, sich in den schmalen Durchgang zu zwängen, aber er blieb stecken. Dhark rechnete damit, daß er jeden Moment wieder das Feuer eröffnete, aber offenbar war er nicht in der Lage, zwei Dinge zugleich durchzuführen. Als sein Programm ihm befahl, erneut zu schießen, waren die drei Terraner schon durch eine Abzweigung verschwunden. »Den sind wir los«, behauptete Stewart. »So durchgeknallt, wie der ist, wird er versuchen, die Tür zu verbreitem und braucht dafür eine Stunde, weil er erst ein Stadtsanierungsprogramm laden muß.« »Und wohin jetzt?« fragte Dhark. »Dieser Gang führt in ein benachbartes Gebäude«, sagte Stewart. »Es ist eine Art Brücke. Ich habe sie gesehen, als der Blechkamerad uns hierher flog, und seine architektonische Position memoriert.« »Dann los«, sagte der Commander. »Sehen wir zu, daß wir von hier verschwinden und die Flash erreichen.« Stewart spielte Fremdenführerin. Sie eilten durch den Gang und einige Abzweigungen. Sie mußten sich bereits im Nachbargebäude befinden. Rechts und links gab es Türöffnungen zu kleineren und größeren Räumen, die allesamt völlig leer waren. Schließlich erreichten sie ein breites Treppenhaus, das vermuten ließ, daß es sich auch bei diesem Bauwerk um ein öffentliches Gebäude handelte. Plötzlich raste ihnen ein feuerspeiendes Etwas entgegen! Der Roboter! Er hatte einen anderen Weg gewählt und die Flüchtenden wie dergefunden. Mit einem Spmng war Stewart an einem der kleinen Fenster. »Da raus!« schrie sie den anderen zu. »Und festhalten!« »Was?« keuchte Tschobe entgeistert. »Mir nach!« rief Dhark, der sofort begriffen hatte, was Amy wollte. Die flog bereits mit einer Drehung durchs Fenster und hing plötzlich an der Außenwand. Dhark schnellte sich hinterher, wirbelte sekundenlang durch die Luft und bekam plötzlich Amys Taille zu fassen. Er umklammerte sie und hielt sich fest. Tschobe folgte gerade noch im letzten Moment. Aber er stürzte an Stewart vorbei! Die sah seinen Sprungwinkel. Blitzschnell errechnete ihr Programmgehim die Entfernung, in welcher er an ihr vorbei in die Tiefe stürzen mußte. Sie streckte einen Arm aus und bekam ihn mit der Hand am Gürtel seines RauM-Anzugs zu fassen. Dabei hing sie nur noch mit einer Hand am Fensterbord! Ein heftiger Ruck ging durch ihren Körper. Prompt rutschte Dhark tiefer, konnte jetzt nur noch einen ihrer Oberschenkel umfassen und sich an ihrem Gürtel festhalten. Drinnen, im Treppenhaus, registrierte der defekte Roboter irritiert, daß die Mördervolcknechte jäh verschwunden waren. Er stoppte seinen TreppaufFlug und sah sich um, konnte aber niemanden mehr erkennen. Die Cyborghand am Fenster registrierte er nicht. Draußen vergingen bange Sekunden. Auf Tschobes Stirn perlte der Angstschweiß. Dhark war wesentlich ruhiger, weil er der Cyborgkraft vertraute. Er hatte da schon ganz andere Dinge erlebt. Dennoch konnte er ein Unbehagen nicht verdrängen, weil es immerhin noch mehr als acht Meter tief hinabging. »Tschobe, unter ihnen befindet sich ein weiteres Fenster«, rief Stewart ihm zu. »Glauben Sie, daß Sie sich da hinemschwingen können?« »Nein«, keuchte der Afrikaner, dessen Bedarf an lebensgefährlichen Situationen für heute mehr als gedeckt war. »Aber ich versuche es trotzdem!« Er begann leicht zu pendeln, während Stewart ihn immer noch mit einer Hand am Gürtel hielt. Schließlich glaubte er genug 82 Schwung zu haben. »Jetzt!« Stewart ließ ihn los. Sekundenlang fühlte er sich wieder im freien Fall und glaubte schon, im nächsten Moment in die Tiefe stürzen zu müssen, als er drinnen ankam, mit den Füßen voran auf festem Boden landete und feststellte, Treppenstufen unter sich zu haben. Er strauchelte vorwärts, prallte gegen ein Geländer und merkte, wie
es zerbrach. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich zurückwerfen und ausbalancieren. Eine halbe Etage über ihm drehte sich der Roboter suchend im Kreis. So lautlos wie möglich eilte Tschobe die Stufen weiter hinab bis ins Erdgeschoß. Dort stürmte er nach draußen. Was war mit Dhark und Stewart? »Achtung!« stieß Dhark hervor, als er eher zufällig nach oben sah. »Der Roboter!« Der Koloß war endlich zu der Erkenntnis gelangt, daß seine Beute ihm auf etwas ungewöhnlichem Weg entwischt war. Er entdeckte das Fenster und schwebte heran, um sich umzuschauen. Er beugte sich vor und sah Dhark und Stewart. Und die beiden hingen direkt unter der Fensterkante! Aber Amy Stewart hatte jetzt eine Hand frei. Mit der griff sie nach einem der Arme des Roboters. Es gab einen heftigen Ruck, als sie zog, und der Koloß, der sich von seinem Antigrav unterstützt nur ein paar Zentimeter zu weit vorgebeugt hatte, verlor das Gleichgewicht. Stewarts Programmgehim hatte die erforderlichen Daten blitzschnell errechnet, und die Cyborg machte daraus, was sie machen konnte. Der Roboter kippte nach draußen, über sie hinweg! Mit seinen durch die Fehlschaltungen verlangsamten Reaktionen konnte er das Antigravfeld nicht schnell genug neu justieren. Er sauste über Stewart und Dhark hinweg in die Tiefe und schlug krachend auf. Da turnte Amy schon nach oben, kletterte durchs Fenster nach 83 innen und halfDhark, ebenfalls hereinzukommen. Sie warf einen kurzen Kontrollblick nach unten und zuckte sofort zurück. Ein Blasterstrahl des auf dem Rücken liegenden Metallungeheuers verfehlte sie nur knapp. »Weiter, und raus hier!« rief Dhark. »Wir müssen zu den Flash. Wo ist Tschobe?« »Wenn er schlau ist, schon unterwegs!« »Also los!« Der Commander rannte bereits die Treppe hinunter. Amy holte ihn ein und hielt ihn am letzten Absatz fest. »Vorsichtig! Irgendwo da draußen ist der Blechkamerad. Der Sturz hat ihn nicht zerstört. Vielleicht lauert er uns schon auf. Lassen Sie mich zuerst nach draußen.« Er sah sie an. In ihren Augen sah er im Halblicht des Gebäudeinnem ein eigenartiges Funkeln. »Sie machen sich wirklich Sorgen um mich, wie?« fragte er. Über ihre Rückschaltphase versuchte die Cyborg, seine Worte emotional zu deuten. Sie fand keinen spöttischen Klang darin. »Sie sind der Commander der Planeten, und Sie sind außer Gisol der einzige, der uns von diesem Planeten wegbringen kann«, sagte sieleise. »Aber das ist nicht alles«, erwiderte er. Und nach ein paar Sekunden: »Oder doch?« Sie sah ihn nur stumm an. Für einen ganz kurzen Moment glaubte Ren, eine seltsame Spannung zu fühlen, die sich zwischen ihnen aufbaute. Eine positive Spannung, die sie knisternd einander nahem wollte. Es war lange her, daß er so etwas gespürt hatte. Nicht einmal damals, als er Joan Gipsy kennenlernte. Damals auf Hope... Anja Field... vielleicht... aber dann hatte er bemerkt, daß sie sich weniger zu ihm als zu seinem Freund Dan Riker hingezogen fühlte, daß die beiden sich liebten, und so hatte er stumm zurückgesteckt und den beiden ihr gemeinsames Glück gegönnt. Jetzt hieß sie Anja Riker... Im nächsten Moment war es auch schon wieder vorbei. »Gehen wir«, sagte sie und schob sich an ihm vorbei, als sei nichts gewesen. 84 Tschobe hielt sich vorsichtshalber in der Nähe eines Hauseingangs, behielt das Gebäude, aus dem er geflüchtet war, aber unter Beobachtung. Allmählich entspannte er sich wieder. Einige Male während der letzten Minuten hatte er geglaubt, diesen Planeten nicht mehr lebend verlassen zu dürfen. Aber er war dem Roboter entkommen. Wo blieben Dhark und Stewart? Hatte die verdammte Maschine die beiden doch erwischt?
Plötzlich sah er sie aus dem gleichen Portal treten, das er selbst benutzt hatte. Sie schienen unverletzt zu sein. Aber gleichzeitig sah er auch den Roboter ums Haus kommen! »Vorsicht!« schrie er. »Zurück Deckung!« Die vorangehende Cyborg reagierte sofort und riß den Commander mit sich ins Gebäude zurück. Der Roboter war diesmal schnell! Er vernahm Tschobes Warnung, drehte sich einmal kurz und schoß. Eine ganze Reihe von Blitzen flammte im Halbsekundentakt aus seiner Blastermündung. Zwei weitere Öffnungen bildeten sich, und weitere Blaster spien ihre Energiebahnen aus. Tschobe mußte in die Ruine hinein fliehen. Hinter ihm glühte Mauerwerk und platzte auseinander. Teile der Wand stürzten ein. Der Roboter schien eine fast schon menschliche Wut zu entwickeln. Jetzt folgte er Tschobe und schickte sich an, das Gebäude ebenfalls zu betreten. Warum flog er nicht? War sein Antigrav beim Sturz aus dem Fenster beschädigt oder zerstört worden? Stewart machte ein paar Schritte vor. »Was haben Sie vor?« fragte Dhark. »Die Rückenklappe öffnen und das Mistding abschalten!« »Das schaffen Sie nicht«, warnte Dhark. »Er wird Ihre Schritte hören und Sie abschießen.« Sie zögerte. »Vielleicht haben Sie recht«, sagte sie dann. »Aber irgendwas müssen wir tun, sonst schießt er Tschobe ab.« »Wir müssen ihn in eine Falle locken«, überlegte Dhark. »Und wie?« 85 Er grinste kurz. »Sie haben ein Programmgehim zum Planen. Ich habe nur einen einfachen organischen Verstand.« Sie lächelte zurück. »Untertreiben Sie nicht, Dhark.« Sie wurde wieder ernst. »Ich denke an den schmalen Durchlaß, in dem er sich festkeilte. Wenn wir das noch einmal irgendwo hinbekommen, steckt er vielleicht gerade lange genug fest, daß ich ihn wieder abschalten kann. Er hätte gar nicht erst aktiviert werden dürfen.« »Immerhin hat er uns ein paar Informationen geliefert«, gab Dhark zu bedenken. »Wir wissen jetzt, wo es weitere Ansiedlungen der Zyzzkt- gibt. Vielleicht hilft uns das bei unserer Suche nach Gisol weiter.« »Zuerst mal müssen wir diesen Blechblödmann loswerden. Dem traue ich zu, daß er uns sogar noch hinterherfliegt, wenn wir mit den Flash von hier verschwinden.« »Dann können wir ihn wenigstens abschießen.« Im Moment war es allerdings nur der Roboter, der immer noch schoß. Aus der Tiefe der Ruine drang das Echo fauchender Strahlschüsse bis nach draußen. Dhark sah das als gutes Zeichen. Solange der Roboter feuerte, lebte Tschobe noch. Aber es war allmählich an der Zeit, daß sie etwas unternahmen, um ihm zu helfen. »Wir gehen jetzt rein«, sagte Amy. Diesmal übernahm sie das Kommando. Manu Tschobe irrte durch labyrinthähnliche Korridore, über Rampen und Treppen, aufwärts und abwärts. Hin und wieder gab es keine Fenster und keine Türöffnungen mehr, dann stolperte er durch totale Dunkelheit. Immer wieder hörte er hinter sich das Fauchen der Blasterstrahlen. Den Roboter selbst hörte er nicht; der bewegte sich trotz seines Gewichts extrem leise und hatte auch seine »Mördervolcknechte«Rufe eingestellt. Zweimal geriet Tschobe in eine Sackgasse und mußte wieder umkehren. Beide Male hatte er das unwahrscheinliche Glück, zuvor genügend Vorsprung herausgeholt zu haben, um dem Roboter 86 nicht gleich vor die Blastermündungen zu laufen. Aber dann ging es plötzlich nicht weiter. Der Korridor, in dem der Arzt sich gerade befand, mündete in einen Quergang. Aber an genau dieser Stelle war der Boden eingebrochen! »Verdammt«, murmelte der Afrikaner. »Mir bleibt aber auch gar nichts erspart!«
Fieberhaft überlegte er, was er tun konnte. Es gab nur drei Möglichkeiten: Nach unten springen und das Risiko eingehen, sich bei dieser Höhe die Füße zu verstauchen oder zu brechen; immerhin waren die einzelnen Etagen bis zu fünf Meter hoch. Oder nach rechts oder links in den Seitengang zu flüchten, und beide Male mußte er wie ein Fassadenkletterer um die Kante herum, weil das Loch im Boden jeweils bis in das Gangstück hineinreichte. Er hoffte, daß dort, wohin er haltsuchend trat, nicht gleich noch mehr abbröckelte! Wenn er hier abstürzte, war er erledigt. Der Roboter war schon ganz nahe! Er schien Tschobes Weg über Infrarot zu verfolgen. So konnte er die Spur nicht verlieren, egal, welche Haken der Arzt und Funkspezialist in diesem Labyrinth schlug. Tschobe entschied sich für den Weg nach rechts. Er versuchte sich an dem Wandstück festzuhalten und verlagerte vorsichtig sein Körpergewicht, versuchte sich halb um die Ecke herumzuschieben. Sein Fuß tastete nach Halt. Und fand ihn. Vorsichtig belasten! Hielt der Boden, oder brach er gleich unter Tschobes Gewicht nach unten weg? Erhielt! Jetzt oder nie! Tschobe gab sich einen letzten Ruck, landete auch mit dem anderen Fuß auf festem Boden und ~ prallte gegen Gestein. Ein paar kräftige Brocken lauerten direkt an der Abbruchkante in der Dunkelheit. »Verdammt!« zischte Tschobe. Hier war sein Weg zu Ende! Ein großer Teil der Decke war zusammengebrochen, und nicht nur der. Noch mehr Geröll war von oben gefolgt; da schienen mehrere Etagen gleichzeitig eingestürzt zu sein. Jedenfalls ragten die Steinbrocken bis zum Rest der Korridordecke hinauf. Es gab keine 87 Möglichkeit, sich irgendwo hindurchzuwinden und zu entkommen. Es gab aber auch keine Möglichkeit, das Loch im Boden mit einem weiten Sprung zu überwinden, denn Tschobe hatte nicht genug Platz, einen ausreichenden Anlauf zu nehmen. Der Roboter hatte es da einfacher. Er konnte Antigrav benutzen und brauchte sich dann nur einmal zu drehen, um Tschobe endgültig vor den Mündungen zu haben. Schon flammten grelle Schüsse heran. Der Koloß war schon ganz nahe. Immer noch suchte Tschobe fieberhaft nach einem Ausweg, fand aber keinen. Er preßte sich dicht an die Wand, in der Hoffnung, daß der erste Schuß ihn verfehlte und er vielleicht auf irgendeine Weise doch noch eine Chance bekam. Da tauchte der Roboter auf. Er machte einen Schritt vorwärts, wollte sich dabei zu Tschobe herüberdrehen und hatte vergessen (bzw. sein defektes Steuerungsprogramm bekam entweder keine Ausfallmeldung oder bezog die in seine Kalkulationen nicht mehr ein), daß sein Antigrav nicht mehr funktionierte. Wie ein 1,5 Tonnen schwerer Stein stürzte er ab, kam durch die Drehung falsch auf und fiel auf seine Frontpartie. Die herausragenden Blastermündungen verformten sich. Der Roboter hatte den Abschußimpuls aber schon gegeben; die drei Strahlwaffen feuerten gleichzeitig. Und explodierten. Die freiwerdende Energie fetzte den Metallkörper des Viermeterriesen auf und ließ ihn zu einem Klumpen Schrott zusammenschmelzen. Wenig später half Amy Stewart dem Afrikaner aus seiner Falle und zog ihn über das Loch im Boden hinweg in Sicherheit. Unten verglühten die Reste des Roboters. »Danke«, murmelte Tschobe und sah einen Moment lang an Amy vorbei zu Boden. Dann hob er den Kopf und nickte ihr zu. »Danke«, wiederholte er noch einmal. Die drei kehrten zu den Flash zurück, nicht ohne noch einen 88 Abstecher in den Kellertrakt gemacht zu haben, in welchem sie auf den Roboter gestoßen waren. Dort sammelten sie ihre Blaster und die beiden Lichtstäbe ein. Wenig später saßen sie in den beiden Flash, die immer noch unter voller Energie standen. Dem Start stand nichts im Wege.
Sie flogen nacheinander die Koordinaten an, die Stewart in ihrem Programmgehim gespeichert hatte. Sie waren auf die anderen Ansiedlungen gespannt. Gab es hier ein Lebenszeichen von Gisol, das sie in der ersten Stadt nicht gefunden hatten? Die Ortungen der Flash suchten permanent nach Biowerten, erhielten aber kein Echo. Die Städte, unterschiedlich groß und in verschiedenen Regionen des Planeten in unterschiedlichsten Landschaften gelegen, waren samt und sonders leer. Verlassen. Es gab keinerlei energetische Aktivitäten und keine Spuren von Gisol. Es war, als habe diese unheimliche Welt ihn ebenso verschluckt wie die Zyzzkt-. Schließlich brach Ren Dhark die Suche ab. Niedergeschlagen kehrten die drei zur EPOY zurück. Als erstes suchte Ren Dhark die Medostation auf und schaute nach Arc Doorn und dem Römer Manlius. Inzwischen waren beide zwar wieder ansprechbar, aber immer noch behandlungsbedürftig. Die vollautomatische Station verweigerte die Entlassung der beiden Patienten. Die steckten bis zum Kopf in Regenerationstanks. Was sich in deren Innerem im Detail abspielte, blieb Dhark verborgen. Instrumentenanzeigen waren abgeblendet. Die Automatiken waren informiert, das reichte ihnen. Vermutlich blendeten die Anzeigen nur auf, wenn ein Worgunmediziner selbst die Behandlung übernahm. Doorn und Manlius waren bestürzt, als sie von Gisols Verschwinden erfuhren. »Das heißt also, daß wir hier festsitzen, wenn die Notreparaturen nicht abgeschlossen werden können«, seufzte Doorn. »Dhark, geben Sie mir ein Vipho, damit ich den anderen 89 erklären kann, was sie im Maschinenraum zu tun haben.« Das verweigerte die MedoAutomatik. Die Patienten dürften nicht unter Streß gesetzt werden, signalisierte die Hauptkontrolle. »Verdammte Mysterious!« knurrte Doorn nicht zum erstenmal. »Der Teufel soll sie holen...« ^ Fromme Wünsche dieser Art hatten aber noch nie weitergeholfen. Manu Tschobe nutzt die Einrichtungen der Medostation und machte sich zu seinem eigenen Patienten, was blaue Flecken, Blutergüsse und diverse andere Kleinigkeiten anging. Auch wenn der M-Anzug ihn weitgehend geschützt hatte, war er darunter doch ziemlich zerschrammt. Danach zog er sich für ein paar Ruhestunden in seine Kabine zurück. Dhark suchte die Kommandozentrale auf. Oshuta wollte seinen Platz räumen, aber der Commander winkte ab. Er ließ sich in einem der anderen Sitze vor dem Hauptsteuerpult nieder und lehnte sich zurück. Es war ein Fehler gewesen, nur eine Handvoll Menschen als Notbesatzung mitzunehmen. Ein paar von Miles Congollons Technikern und Ingenieuren wären jetzt sicher hilfreich. Sie hätten Doorn und den Römer ersetzen und die Reparaturen vorantreiben können. Immerhin waren die POINT OF und die EPOY weitgehend baugleich, nur besaß die POINT OF scheinbar mehr kleine technische Raffinessen und Gemeinheiten, während die EPOY dafür um Jahrhunderte modemer war. Aber die Prinzipien von Antrieb und Energieversorgung hatten sich im Laufe von tausend Jahren praktisch nicht verändert. Andererseits: Noch vor ein paar Wochen hätte Gisol, vielleicht mit der Ausnahme Ren Dharks, überhaupt keinen Fremden an Bord seines Raumschiffs gelassen. Er steckte voller Mißtrauen und Vorsicht. Es war schon ein Wunder, daß er überhaupt einer kleinen Handvoll Terraner Zutritt gewährt hatte. Früher hätte er diese Mission im Alleingang durchgeführt. Und wäre jetzt garantiert verloren. So bestand aber immer noch die vage Möglichkeit, ihm zu helfen, auch wenn die Suchaktion bislang erfolglos geblieben war. Schweren Herzens entschied Dhark, zunächst keine weitere Su 90 che zu starten. Da irgendeine fremde Kraft die Flash manipulieren konnte, wollte er zuerst versuchen, mehr darüber herauszufinden, um künftig vorbeugend reagieren zu können. Das Risiko, daß eine der Maschinen während des Fluges abgeschaltet wurde, abstürzte und ohne Intervallfeld am Boden zerschellte, war zu groß. Dhark nahm Verbindung mit der Gedankensteuerung auf. Aber auch die konnte ihm keine entscheidenden Hinweise geben, was hier geschehen war.
Auch nicht darauf, wie die Reparaturen im Schiff bewerkstelligt werden könnten. Das wußte offenbar nur Gisol selbst, und Doorn mit seinem intuitiven Einfühlungsvermögen in Fremdtechniken fehlte als »Ersatz«. Auch wenn Manu Tschobe ihm eifrig über die Schulter geschaut und sich einiges an Wissen angeeignet hatte, war er noch lange nicht befähigt genug, an so hochkomplizierten Dingen wie dem Antrieb herumzubasteln. Unter Umständen würde so etwas in eine ähnliche Katastrophe münden wie die Aktivierung des defekten Roboters.... Dennoch: Es mußte eine Lösung geben, es würde eine Lösung geben! Ein Mann wie Ren Dhark steckte niemals auf. 6. Der nächste Morgen begann mit einer Überraschung. Völlig unerwartet meldete sich Gisol über Vipho! Dhark stürmte direkt in die FunkZ, in welcher Tschobe den Anruf entgegengenommen hatte. Deutlich zeichnete sich das JimSmithGesicht des Worgun in der holografischen Bildwiedergabe ab. »Was ist passiert?« drängte Dhark. »Wo zum Teufel steckst du? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, haben nach dir gesucht, dich aber nirgendwo finden können!« »Ihr konntet mich auch nicht finden, Ren«, sagte Gisol. »Näheres dazu später. Ich habe hier eine gewaltige Entdeckung gemacht. Zu deiner Beruhigung: Es geht mir gut, es gibt keine Probleme.« »Was ist das für eine Entdeckung?« fragte Dhark. »Auch darüber reden wir später. Jetzt ist erst einmal die Zei^des Handelns. Deshalb rufe ich an. Unternimm nichts gegen das, was nun geschehen wird.« »Und was...« ... genau "wird das sein? hatte er fragen wollen. Aber Gisol hatte bereits abgeschaltet. »Der Teufel soll dich holen, du verdammter Geheimniskrämer!« brummte Dhark und mußte dann grinsen, weil er daran dachte, daß Doorn genau die gleichen Worte im gleichen mürrischen Tonfall von sich gegeben hätte. »Heiliger Saturn mit Ring und Kette, soviel Zeit wird der Bursche doch wohl noch haben, daß er uns kurz einweihen kann!« Die Zeit des Handelns. Deshalb rufe ich an. Unternimm nichts! »Deshalb rufe ich an«, echote Dhark kopfschüttelnd. Gisol konnte sich doch denken, daß seine Freunde sich um ihn sorgten und wissen wollten, was mit ihm los war. 92 Hätte er deshalb angerufen, wäre Ren wesentlich zufriedener gewesen. Jetzt blieb ihm erst einmal nur, die Minimalbesatzung von Gisols Anruf zu informieren und darauf hinzuweisen, daß irgend etwas passieren würde. Fragen mußte er abwimmeln, weil Gisol ihm ja auch nur mit Halbheiten gekommen war. Dhark wechselte von der FunkZ in die Kommandozentrale und schaltete die FunkFunktionen zu sich herüber. Lau Oshuta, der kleine, quirlige Japaner, tauchte wieder auf und ließ sich unaufgefordert neben dem Commander nieder. Unwillkürlich mußte Dhark sich eingestehen, daß er lieber Amy Stewart neben sich gesehen hätte... dabei hatte er überhaupt nichts gegen Oshuta. Sie harmonierten miteinander, sie hatten schon einige riskante Abenteuer gemeinsam erlebt. Der kleine, schwarzhaarige Cyborg mit dem Temperament einer Quecksilberkugel, der von vielen immer wieder unterschätzt wurde, befand sich im »Normalzustand«. Es gab derzeit keinen Grund, auf das Zweite System umzuschalten. »Jetzt bin ich ja mal gespannt, was unser molluskenhafter Freund mit uns vorhat«, sagte er. »Aber wenn er dahinter steckt, laufen wir wenigstens keine Gefahr, daß der Raumer zerstört wird.« »Ihre Fantasie ist wohl grenzenlos«, spöttelte Dhark großmütig. »Toter als tot können wir hinterher schließlich nicht sein... da, es geht los!« Ein Ruck ging durch den Ringraumer. Blitzschnell schaltete Oshuta die Ortungsanzeigen zu sich herüber auf das Kommandopult. »Passivortung«, teilte er mit. »Wir werden von einem Antigravfeld erfaßt.« »Wie gestern bei Gisol?« überlegte Dhark.
Das Feld hob die EPOY an. Die Bildkugel zeigte, wie schnell der Raumer emporschwebte und an Höhe gewann. Das Tempo glich dem, mit welchem gestern Gisol am Himmel verschwunden war. 93 »Ausgangspunkt des Feldes nicht zu erfassen«, meldete Oshuta. »Höhe über Normalnull achthundert Meter, weiter steigend. Kurs Nordnordwest. Fluggeschwindigkeit...« Ohne eigenen Antrieb schwebte das beschädigte Schiff über den Dschungel auf die Küste zu. Die Instrumente verrieten, daß die 45 Paar Ausleger, auf denen der Ringraumer parkte, nicht eingefahren worden waren. Plötzlich meldete Gisol sich erneut über Vipho. »An Bord alles in Ordnung, Ren?« »Wenn wir mal von einem unterschwelligen Zomesgrummeln wegen deiner verdammten Geheimniskrämerei absehen ja«, erwiderte Dhark. »Wie wäre es, wenn du endlich mal mit Details herausrückst?« »Geduld, mein Freund. Nicht alles auf einmal. In aller Kürze nur: Ich befinde mich in einer geheimen Forschungsstation meines Volkes und bin vom Hyperkalkulator als Worgun identifiziert worden. Deshalb wurde ich gestern in die Station gebracht. Der Rechner wollte allerdings meine Befehlsgewalt anfangs nicht anerkennen. Er besaß keine Daten über mich, und ich besaß keinen Berechtigungscode für die Befehlsgewalt. Wir haben ziemlich lange darüber diskutiert und gestritten. Aber schließlich hat das verflixte Ding kapituliert, und nun bin ich Herr über die Station.« »So lange, bis der Klapparatismus sich wieder anders entscheidet?« fragte Dhark sarkastisch. »Diese Entscheidung ist unumstößlich«, sagte Gisol. »Ich unterbreche jetzt wieder. Wir sehen uns in Kürze.« Sein Abbild erlosch. Die Bildkugel zeigte, daß der Ringraumer die Küste erreichte. Und der Transportflug, getragen von dem fremden Antigravfeld, ging weiter... Immer weiter schwebte die EPOY aufs Meer hinaus, entfernte sich rasend schnell von der Küste. Befand sich die geheime Forschungsstation auf einem anderen Kontinent? 94 »Ausgangspunkt des Feldes immer noch nicht zu erfassen«, meldete Oshuta. Plötzlich keimte in Dhark ein Verdacht. »Wassertiefe ausloten«, bat er. »450 Meter! Dhark, glauben Sie...?« »Warum nicht? Die Ringraumerwerft von Dockyard befand sich auch auf dem Meeresboden«, erinnerte der Commander sich an die Berichte von Manu Tschobe, Chris Shanton und dem Cyborg Mark Carrell, die seinerzeit von Hope aus die Transmitterstraßen der Mysterious erforscht hatten und dabei sowohl auf Dockyard als auch auf ERRON1 stießen und auf Schwarze Weiße, die auf Dockyard ihr Unwesen trieben... »Prüfen Sie weiterhin die Wassertiefe, Lau. Versuchen Sie auch mit Aktivortung eine eventuelle Unterwasserstation zu erfassen.« Immer noch wurde die EPOY auf gleicher Höhe transportiert und weiter auf das Meer hinausgezogen. Die Dschungelküste lag schon weit hinter ihnen, war nur noch ein Schatten am Horizont. »600 Meter Tiefe, fallend...« Dann, nur ein paar Minuten später: »800 Meter... kein Energieecho.« Bei 835 Metern Meerestiefe änderte sich der Kursvektor der EPOY jäh. Der Flug wurde gestoppt, der Ringraumer sank dem Meeresspiegel entgegen und versank schließlich im Wasser. »Energieecho«, meldete Oshuta. Es war nur schwach. Für den Betrieb einer Unterwasserstation reichte es niemals aus, allenfalls für das Transportfeld, das die BPOY jetzt in die Tiefe zog. Das Unitallgewicht hätte trotz der Luftfüllung des Raumers diesen nicht wie ein Schiff an der Wasseroberfläche fahren lassen. Die Masse war wesentlich größer als der Auftrieb.
Aber die EPOY sank nicht so schnell, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Das Feld hielt sie also immer noch im Griff. »810 Meter gleich setzen wir auf, Commander«, warnte Oshuta vor. Sie setzten nicht auf. Von einem Moment zum anderen entstand ein Intervallfeld um 95 die EPOY hemm. Verblüfft starrte Dhark auf die Steuerschalter seines Kommandopults. Die hatten sich nicht bewegt. Die Gedankensteuerung der EPOY war also nicht für das Intervallfeld verantwortlich. Dafür war es auch zu klein? Jeder Ringraumer, von der modernen EPOY bis zum letzten SKreuzer, wurde anstelle von Energieschirmen durch ein doppeltes Intervallfeld geschützt. Jedes stellte ein eigenes, künstliches Minikontinuum dar, in Gestalt einer 3000 Meter durchmessenden Kugel. Beide Intervallfelder ragten zu je einem Fünftel ineinander, und in diesem Fünftel elliptischen Zuschnitts befand sich das Raumschiff. Hätte die EPOY eines ihrer beiden Intervallfelder aufgebaut, so wäre jetzt, gerade noch 25 Meter über dem Meeresboden, die Worgunstation für das Raumschiff einfach verschwunden. Hier aber lag das Feld dicht am Ringkörper an. Da befanden sich nur ein paar Meter zwischen. Es wurde von außen um die EPOY herum projiziert! »Station wird sichtbar!« Es hätte der Meldung des Cyborgs nicht bedurft. ^ Die Bildkugel zeigte die Station genauer gesagt, den Teil, der aus dem Meeresboden hervorragte. Nicht gerade viel; die Station mußte tief in den Boden hinein gebaut worden sein. »Wir dringen ein...« Auch das zeigte die Bildkugel. Immer noch wurde der Ringraumer von dem Antigravfeld gelenkt und glitt jetzt, eingehüllt in das Intervallum, durch die Außenwandung der Station in deren Inneres. »Hoo!« schrie Oshuta auf, als vor ihm die Anzeige der Energieortung von einer Sekunde zur anderen Maximalwerte anzeigte. Im Inneren der Station schöpften die Mysterious wieder mal aus dem Vollen »Perfekt abgeschirmt... besser sind die Tamschirme der Römer auch nicht!« behauptete der Japaner. »Aber mit dieser Station stimmt etwas nicht!« Dhark stimmte zu. Eine hochenergetische Forschungsstation der 96 Worgun auf einem Planeten der Zyzzkt-? Selbst bei dieser perfekten Tarnung mußte das doch ein Risikospiel gewesen sein, ehe die Zyzzkt- den Planeten wieder aufgaben. Denn irgendwie mußte die Station doch Kontakt mit der galaktischen Außenwelt halten, sonst hätte ihre Existenz hier nicht den geringsten Nutzen. Da erlosch das fremde Intervallfeld. Die EPOY befand sich in einem Hangar, der gerade groß genug war, den 180 Meter durchmessenden Unitallring aufzunehmen, und setzte leicht federnd auf ihren immer noch ausgefahrenen Auslegern auf. Sofort wurde das Schiff neu ausbalanciert, da es hier auf einer ebenen Fläche stand und nicht auf unebenem Dschungelboden. Dann gab es auch das Antigravfeld nicht mehr. Aber es gab im Eingangsportal des Hangars einen Gisol, der sein Raumschiff strahlend vor Freude erwartete! Mit dieser Station stimmte tatsächlich etwas nicht: Sie war winzig! Völlig untypisch für die Worgun, die den Größenwahn zur Kultur erhoben hatten, besaß diese Anlage lediglich maximal fünfhundert Meter Länge und Breite sowie achtzig Meter Höhe. Dhark war darüber mehr als verblüfft. Bei den zehn bis fünfzigfachen Abmessungen hätte er sich nicht gewundert, sondern diese Gigantomanie als völlig normal empfunden. Im Vergleich zu anderen Worgunanlagen kam ihm diese hier vor, als trete er aus einem Raumschiff wie der POINT OF in eine GeminiRaumkapsel aus den Anfängen der menschlichen Raumfahrt.
Daß diese Station geheim angelegt worden war, konnte nur ein Teil der Erklärung sein. In der Milchstraße hatten die Mysterious geheime Anlagen geschaffen, die weitaus gigantischer waren. Gisol führte Dhark und die anderen mit Ausnahme der beiden Paüenten, die nach wie vor in der Medostation festlagen durch 98 die Station. Die arbeitete vollautomatisch mit einem autonomen Rechner, der noch leistungsfähiger war als die Gedankensteuerung an Bord der EPOY. Natürlich war der StationsHyperkalkulator ebenfalls auf Gedankenkommunikation ausgelegt. Ren machte dem Worgun Vorwürfe. »Warum hast du dich nicht früher gemeldet?« fragte er. »Wir hätten uns eine Menge Ärger und Sorgen ersparen können.« »Ich konnte es nicht«, gestand Gisol. »Die Gedankensteuerung dieser Anlage wollte mich nicht mit der Außenwelt kommunizieren lassen. Strengste Geheimhaltung sei angesagt.« »Aber das ist ein Computer, und du bist ein Worgun, also auf jeden Fall übergeordnet! Die Befehle eines Worgun sollten doch wohl Vorrang vor einer uralten Programmierung haben!« »Nicht in jedem Fall«, gab Gisol zurück. »Das ist eben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Theorie ist, wenn jeder alles weiß und nichts funktioniert. Praxis ist, wenn alles klappt und keiner weiß warum.« Er grinste kurz. »Hier hatte leider die Theorie Vorrang. Ich habe fast die gesamte Zeit damit zugebracht, mit dieser verdammten Gedankensteuerung über meine Befehlsberechtigung zu streiten. Wie schon bei unserem Viphogespräch erwähnt: Ich besaß keinen Berechtigungscode. Ich mußte erst einmal das Vertrauen dieser Maschine gewinnen.« Jetzt war es Ren Dhark, der grinste. »Damit sind Arc Doorn und ich bisher immer wesentlich schneller fertiggeworden.« »Vor allem auf dem Planeten Cutout«, erwiderte Gisol trocken. »Doorn hat mir davon erzählt.« Dhark winkte ab. »Doorn ist eine Plaudertasche.« Dabei war der stets mürrisch wirkende Sibirier genau das Gegenteil. Wortkarg und brummig redete er lieber zehn Sätze zu wenig als ein Wort zuviel. Um ihn aus der Reserve zu locken und zum Sprechen zu bringen, mußte schon eine gewaltige Portion Ärger auf irgendwas in ihm stecken. »Interessiert es dich, was damals am Ende des Krieges passiert ist?« fragte Gisol schließlich, als die Stationsführung beendet war und die anderen sich wieder in der EPOY befanden. Sie fühlten sich in der Station nicht besonders wohl. Das Vollautomatische in 99 allen Abläufen rief in den Menschen Gefühle der Kälte und Ablehnung hervor. Natürlich wurden auch die meisten Vorgänge in der EPOY selbst automatisch gesteuert, sonst hätte Gisol den Ringraumer kaum allein fliegen können. Aber irgendwie war es im Schiff alles doch etwas... menschlicher, weil hier eben auch organisches Leben existierte und wenn" s nur die Erinnerung war, daß anfangs Gisol allein das Schiff beherrscht hatte. Die EPOY war darauf ausgelegt, nicht als Robotschiff zu agieren, sondern von Lebewesen geflogen zu werden. Beim Bau der Station war man scheinbar davon ausgegangen, daß keine Worgun vor Ort benötigt wurden; die Automatik des Zentralrechners war sich selbst genug. Auch Dhark fühlte sich in der Station etwas unwohl. Dennoch bejahte er sofort, als Gisol ihn fragte. Er war nach Om gekommen, um Informationen zu sammeln, und wenn er sie hier bekam, warum sollte er darauf verzichten? »Dann setz dich, mein Freund«, schmunzelte Gisol, der sich nach wie vor in seiner JimSmithGestalt zeigte. »Und wohin bitte?« fragte Dhark spöttisch und reckte die Faust mit gestrecktem Daumen vor. »Auf meinen dicken Daumen, oder was?« »Nur keine Ungeduld.« Gisol grinste und schien der Gedankensteuerung einen Befehl gegeben zu haben.
Plötzlich befanden sich zwei äußerst bequem wirkende Sessel in dem relativ kleinen Raum. Woher sie so schnell gekommen waren, konnte Dhark nicht feststellen. Waren sie aus einer Bodenluke hochgeklappt worden, deren Platte sich darunter wieder fugenlos geschlossen hatte, oder waren sie per Transmitter hierher gestrahlt worden? Er hielt beides für möglich. Die Technik der Worgun kannte nur wenige Grenzen. Unaufgefordert nahm der Commander in einem der beiden Sessel Platz. Dessen Konturen glichen sich sofort seinen Körpermaßen an und sorgten für Bequemlichkeit. Gisol setzte sich ihm gegenüber in den zweiten Sitz. Der Worgun lächelte wissend; offenbar hatte er die Prozedur der Wissensübermittlung schon hinter sich gebracht. 100 Unwillkürlich erwartete Ren Dhark, daß der Sessel eine Art Haube ausfuhr und die über seinen Kopf plazierte, um ihm auf diese Weise in einer Art Hypnoschulung das Wissen zukommen zulassen. Aber nichts dergleichen geschah. Statt dessen gab Gisol wohl wieder einen Gedankenbefehl. Im nächsten Moment begann es. In Dharks Bewußtsein glommen Bilder auf. Fremde Bilder, verwaschen zunächst, als müsse die Projektion sich erst auf seine nichtworgunische Art zu denken einstellen. Aber von Sekunde zu Sekunde wurden sie deutlicher. Die Gedankenübertragung lief ab wie ein Film... Die Zyzzkt- eroberten einen Worgunplaneten nach dem anderen. Was auch immer die Worgun ihnen an Kampfschiffen entgegenwarfen die Wimmelwilden waren zahlenmäßig immer überlegen. Die Worgun verloren eine Schlacht nach der anderen. Zyzzkt- plünderten und übernahmen Werften und Flottenstützpunkte eroberter Planeten. Sie flogen die erbeuteten Ringraumer der Worgun und setzten diese gegen ihre ursprünglichen Erbauer ein. Damit verfügten sie über Waffen, die denen der Worgun gleichwertig waren, und konnten ihre größere Zahl in die Waagschale werfen. Ihre Vermehrungsrate war immens; während die Worgun einen Zyzzkt--Raumer mit 200 Insassen vernichteten, schlüpften deren 20 000 aus den Eiem. Und sie wuchsen in schier unglaublichem Tempo heran, waren schon nach kurzer Zeit ausgewachsen, lernten ständig hinzu und wurden alsbald in Raumschiffe gestopft, um für eine weitere Ausdehnung ihres Reiches zu sorgen. Es war, als gäbe es nur ein großes Zyzzkt-Kollektiv. Individualismus wurde nicht beachtet. Jeder Wimmelwilde ordnete sich dem großen Ziel unter, immer neue Planeten zu erobern und die Zahl seines Volkes zu vermehren. Sie kämpften ohne Rücksicht auf eigene Verluste, gerade so, als 101 sei ihnen das eigene Leben ebensowenig wert wie das ihrer Gegner. Mit dieser Einstellung und ihrer immensen Vermehrungsrate waren sie allen Völkern Oms unendlich überlegen. Viel zu spät hatten die Worgun reagiert. Anfangs hatten sie verhandelt, später waren sie ausgewichen ihre Art, ein Sternenreich zu schaffen, zu vergrößern und groß zu halten, unterschied sich gewaltig von der der Wimmelwilden. Sie waren Forscher, die Zyzzkt- waren Krieger, die sich dann gefangener und unterjochter Worgun als Forscher bedienten. Inzwischen wußten die Worgun, daß sie gleich zu Anfang mit aller Härte hätten zuschlagen sollen. Doch dafür war es jetzt längst zu spät. Sie wurden immer weiter zurückgedrängt, mußten, eine Welt nach der anderen aufgeben, verloren eine Kampfflotte nach der anderen. Das Oberkommando ging mehr und mehr dazu über, vorwiegend nur noch Robotschiffe an die Front zu schicken. Aber deren Hyperkalkulatoriken dachten in Worgunbahnen, dachten nicht so wie die Zyzzkt-, die immer wieder ihre Taktik variierten. Die Roboter an Bord der Ringraumer und in den Leitstellen der Geschwader waren nicht flexibel genug in ihren Reaktionen, trotz ihrer enormen rechnerischen Kapazitäten. ^
Hinzu kam, daß die Zyzzkt- eine Reihe von Welten erobert hatten, auf denen AlaMetall abgebaut wurde. Langsam aber sicher wurden die Worgun mit einem bis dahin für sie völlig unbekannten Phänomen konfrontiert: mit Energiemangel. Es hieß, daß einst die beiden Genies Margun und Sola auf dem Planeten Kaso in der Galaxis Nai einen Superrechner geschaffen und in ein Experimentalraumschiff eingebaut hatten, der allem überlegen war, was die von Worgun kontrollierten Galaxien jemals gesehen hatten. Aber dieses Raumschiff war eine Legende, und es war sicher niemals geflogen. Falls es wirklich existierte, war es nun unerreichbar weit entfernt. Niemand durfte mehr Nai anfliegen; Drakhon drohte, Nai war von allen Worgun geräumt worden, und die Strahlungswerte des galaktischen Magnetfeldes stiegen immer weiter an. Man rechnete jederzeit damit, daß es zur totalen Vernichtung Nais und Drakhons kam. Nach worgunischem Dafürhalten konnte schon jetzt der entfesselten Magnetstürme we 102 gen kaum noch organisches Leben in Nai möglich sein. Aber selbst wenn noch jemand hingeflogen wäre, um nach ienem legendären Raumschiff zu suchen, selbst wenn er es entdeckt und geborgen hätte: Es wäre ein Raumschiff mit einem Supergehim gewesen. Was half das schon gegen die unzähligen Brennpunkte in Om, an denen verzweifelte Abwehrschlachten tobten? Sie kämpften mit dem Rücken zur Wand, mußten immer mehr Welten und Stützpunkte an die Zyzzkt- abgeben. Es ließ sich bereits ausrechnen, wann auch der letzte Worgun zur Heimatwelt Epoy evakuiert werden mußte. Dort drohte bereits alles aus allen Nähten zu platzen, es kam zu Versorgungsengpässen, sowohl was Nahrung als auch was Medizin anging. Einst waren die Worgun von hier in die Galaxis hinausgezogen, um die übervölkerte Heimatwelt zu entlasten und neuen Lebensraum zu gewinnen. Jetzt schrumpfte das Imperium. Lange konnte es nicht mehr so weitergehen. Aber es gab nichts, was man dagegen tun konnte. Entweder man kämpfte und starb in Freiheit, um auch den anderen die Freiheit noch kurze Zeit weiter zu erhalten, oder man gab auf und wurde versklavt oder abgeschlachtet, wenn die Zyzzktfanden, daß Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten des betreffenden Gefangenen ihnen nicht von Nutzen waren. Und dann erreichte eine seltsame, fast unglaubwürdige Meldung das militärische Hauptquartier der Worgun... Es hieß, der Planet F104G im System Aka3tar sei von den Wimmelwilden kurz nach der Besiedelung wieder vollständig geräumt worden! Das war unglaublich. »Nachricht prüfen!« ordnete Lonthar an. Oberkommandierender der Worgunverteidigung in Om. Noch nie zuvor hatten die Zyzzkt- ^ne Sauerstoffwelt, auf der sie sich einmal eingenistet hatten, wieder aufgegeben. Lonthar begann, sich für diesen Planeten zu interessieren. 103 Was hatte es mit dem Aka3tarSystem auf sich? Welche Besonderheit wies Planet F104G auf, daß die Zyzzkt- zum ersten Mal das Interesse an einer ockupierten Welt verloren? Das war ein in der Geschichte dieses langen Krieges einmaliger Vorgang. Für die Worgun war F104G ohne Bedeutung. Deshalb hatten sie ihm auch nur eine Nummer und keinen Namen gegeben. Eine Welt, deren Oberfläche zu mehr als 60 Prozent von Wasser bedeckt war, mit ausgedehnten Dschungelgebieten. Wo keine Flora ungestüm wucherte, ragten blanke Felsmassive empor. Diesen Planeten zu besiedeln, hatte sich nie gelohnt, zumal er über keine nennenswerten Bodenschätze verfügte, erst recht nicht über AlaMetall. Damals hatte man darauf verzichtet, den Planeten zu übernehmen, weil es genug andere gab. Jetzt aber, in der Zeit höchster Bedrängnis, war es vielleicht doch lohnend, Städte zu bauen. Unterwasserstädte, die von den Wimmelwilden nicht geortet werden konnten auch wenn es nicht die Art der Worgun war, sich unter Wasser zu verkriechen. Dort oder in unterplanetarischen Aushöhlungen pflegten sie allenfalls industrielle Anlagen zu bauen. In diesem Fall aber... Eine von den Zyzzkt- verlassene Welt bot möglicherweise Überlebensmöglichkeiten für die Worgun, denn warum sollten die Wimmelwilden noch einmal dorthin zurücckehren? Irgend ertvas mußte es dort geben, das sie abschreckte.
Sofern denn die Meldung stimmte... Sie stimmte! Vier Überprüfungen erbrachten dasselbe Ergebnis. Die Wimmelwilden hatten F104G tatsächlich wieder geräumt! Da entschloß sich Lonthar zu vorsichtigem Handeln. Lonthar ließ einen Corus programmieren, um das Phänomen der von Zyzzktverlassenen Welt näher zu erkunden. Bei dem Corus handelte es sich um einen speziellen Roboter, der sich in einen XeFlash integrieren, aber auch unabhängig von ihm handeln konnte. Der Corus erhielt seine detaillierten Programmanweisungen, die ihm weitestmögliche eigene Entscheidungsfreiheit ließ, aber bei bestimmten Dingen sehr enggefaßt waren. 104 Der Corus flog mit seinem XeFlash das System Aka3tar an. Zehn Lichtmonate oberhalb der Ekliptik schaltete er den Sternensog ab und ging auf Schleichfahrt, um die Umgebung zu kontrollieren. Die Tarnvorrichtung war aktiviert; die Passivortung überwachte den umgebenden Weltraum. Wenn es sich um eine Falle bandelte, würde er sie rechtzeitig erkennen. Als der Corus zu dem Schluß kam, daß der Raum sauber war, setzte er auch Aktivortung ein. Aber nichts deutete auf die Anwesenheit von Zyzzkt- hin. Da schaltete er noch einmal kurz den Sternensog ein; fast ein Jahr wollte er nicht mit lichtschnellem Flug vergeuden. Einige Stunden später erreichte er den Planeten und schwenkte in eine versetzte polare Umlaufbahn ein, die ihn im Laufe eines Planetentages einmal um ganz F104G führte. Immer noch zeigte sich keine Gefahr. Der Roboter erfaßte zwar einige der verlassenen Städte und einen leergefegten Raumhafen, aber alles war stillgelegt. Die Energieversorgung der Häuser und sonstigen Anlagen war abgeschaltet worden. Auf dem gesamten Planeten gab es wohl nur noch pflanzliches und tierisches Leben. Der Corus sammelte Informationen, speicherte sie ab und ordnete sie nach Dringlichkeit. Die als wichtig eingestuften Daten wurden verarbeitet und analysiert. Dann tauchte er in den Ozean ein. In über 800 Metern Tiefe stieß er auf Grund. Der Wasserdruck konnte ihm nicht schaden. Er analysierte die Materialbeschaffenheit des Bodens und errechnete die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Der Corus war in der Lage, mit einer in seinen flexibel gestalteten Körper eingebauten Maschine Materie bis zu einem gewissen Grad umzuformen. Das im Meeresboden vorhandene Material erwies sich als geeignet. Zunächst baute der Corus einen größeren Umwandler, um schneller arbeiten zu können. Die Energieversorgung erfolgte über den XeFlash. Dessen Vorrat hielt nicht ewig. Das war dem Corus durchaus bekannt, also widmete er sich als nächstes exakt diesem Problem und konstruierte eine Energiestation, die die thermische Kraft subozeanischer Vulkane anzapfte. Drei Vulkane im näheren Umkreis hatten künftig die Energieversorgung zu übernehmen; dazu kam 105 die aus Unterwasserströmung geschöpfte Energie sowie die tektonische Kraft aneinander reibender Kontinentalschollen. Wesentlich effektiver wäre das Anzapfen der Sonne gewesen. Aber das war zu auffällig, denn der Corus besaß nicht die Möglichkeit, den Zapfstrahl so abzuschirmen, daß er nicht angemessen werden konnte. Das war etwas für später, wenn die Worgun diesen Planeten in Besitz nahmen und selbst entschieden, was zu tun war. Das war als Femziel im Programm des Corus verzeichnet, aber auch, daß er selbst zwar die Grundvoraussetzungen dafür schaffen konnte, sofern es ihm die Situation erlaubte, alles weitere aber nicht mehr seiner Obhut unterlag. Vorerst reichte die vulkanische und tektonische Energie aus. Seinem Programm folgend, begann der Corus damit, eine Station zu errichten. Dazu benutzte er nur das, was der Planet ihm an umwandlungsfähigem Material zur Verfügung stellte. Atome und Moleküle wurden teilweise umgeschmolzen. Mit der Zeit wurde die Station größer; ein Raum fügte sich an den anderen nach einem genau vorgegebenen Plan. Die Anlage war für die Verhältnisse der Worgun geradezu winzig. Aber so lange nicht ausgeschlossen werden konnte, daß die Zyzzkt- nicht doch eines Tages noch einmal zurücckehrten oder wenigstens ein
Patrouillenschiff schickten, war es besser, kompakt zu bleiben; der Energieaufwand war entsprechend gering und konnte besser abgeschirmt werden. Längst lieferte der Corus nur noch die Pläne, baute nicht mehr selbst. Dazu hatte er Hilfsmaschinen generiert, die ihm diese Arbeiten abnahmen. Nach der Fertigstellung der Stationshülle und der Räume wurden dezentralisierte Kraftstationen eingerichtet, die auf drahtlosem Weg die künftige Einrichtung mit Strom versorgen würden. Der Corus selbst integrierte sich fest in die Station und wurde zu deren Zentralrechner. So wie die Station selbst wuchs, baute der Corus auch seine eigene Kapazität aus. Schon bald besaß er keine Ähnlichkeit mehr mit seinem anfänglichen Aussehen. Er war auch nicht mehr in der Lage, sich aus der Station zu lösen. Er hatte sich selbst fest einbauen lassen und war zu einem Teil der Geheimstation geworden. Rückgängig machen wollte er den Vorgang nicht mehr. Er konnte es auch nicht, da er sonst Daten verloren hätte. 106 Statt dessen arbeitete er daran, die Station zu perfektionieren. Alles mußte automatisch ablaufen können. Kleine Peripherierechner steuerten Geräte, bekamen ihrerseits Anweisungen vom Corus. Mit der Zeit entstand eine absolut perfekte Basis. Dann kam die zweite Phase. Die Station produzierte eine Vielzahl kiemer Sonden und schoß sie in die Atmosphäre hinauf, um F104G zu erkunden, einschließlich der verlassenen ZyzzktSiedlungen. Nach einem exakten Plan durchkreuzten die Sonden den Luftraum des Planeten und sammelten Informationen. Sie verzichteten darauf, sie an die Unterseestation zu funken, sondern kehrten, sobald die Datenspeicher gefüllt waren, in die Station zurück, um diese Daten direkt an den Corus zu überspielen. Ein plausibler Grund, aus dem die Zyzzkt- den Planeten wieder aufgegeben hatten, ließ sich allerdings nicht erkennen. Der Rückzug schien zwar sehr rasch, aber auch sehr geplant vonstatten gegangen zu sein. Alle wichtigen Einrichtungen wurden entfernt und mitgenommen, jeglicher Besitz. Was nicht ausgebaut werden konnte, wurde so weit wie möglich zerstört, um es einem eventuellen Gegner nicht in die Hand fallen zu lassen. Auch die Energieversorgung wurde stillgelegt. Die Konverter und Speicherbänke wurden aus den Kraftwerken entfernt und mitgenommen. Die Zyzzkt- verschwanden, um nie wieder hierher zurückzukehren. Das errechnete der Corus, der jetzt als extrem leistungsfähiges Zentralgehim der Station füngierte, aus den gesammelten Daten. Wieder und wieder sandte der Corus seine Sonden aus und ließ weitere Informationen zusammentragen. Jede Kleinigkeit konnte wichtig sein. Bodenproben wurden ebenso genommen wie die von Pflanzen; Tiere wurden eingefangen und untersucht, in" den unterschiedlichsten Regionen des Planeten. Irgend etwas mußte es doch geben, das die Zyzzkt- vertrieben hatte! Solange der Corus das nicht herausfand, war sein Auftrag nicht erfüllt. Er schaltete einige der Peripherierechner zusammen. Funktio 107 nen, die momentan nicht benötigt wurden, brauchten vorübergehend keine Kontrolle, also konnte die Rechnerkapazität anderweitig genutzt werden. Mit der Zeit ging der Corus dazu über, diese Kapazität gebündelt zu lassen und statt dessen weitere Peripherierechner für die zwischenzeitlich stillgeschalteten Maschinen und Aggregate zu konstruieren. So stieg das Leistungsvermögen des Zentralrechners immer weiter an und überstieg schon bald das der meisten Hyperkalkulatoren. Aus dem immer noch existierenden XeFlash kopierte der Corus die Gedankensteuerung und fügte diese Funktion seiner Rechnerkapazität hinzu für den Fall, daß die Worgun die Station persönlich aufsuchten. Dann war die Kommunikation wesentlich einfacher. Und eines Tages kam der Moment der Erkenntnis. Eine der Sonden, von denen immer weniger hinausgeschickt wurden, weil es immer weniger Unbekanntes zu erforschen gab, kehrte mit einer Sammlung von Mikropilzen zurück. Um diese Lebensform, nicht Pflanze und nicht Tier, hatte der Corus sich bisher noch nicht gekümmert. Jetzt begann das Biolabor mit üen entsprechenden Untersuchungen und Forschungen. Das Ergebnis war verblüffend.
Eine dieser Mikropilzarten war in der Lage, Chitin zu zerstören! Sofort sandte der Corus mehrere hundert Sonden aus, die den ganzen Planeten noch einmal abtasteten und überall nach diesem Mikropilz suchten. Es stellt sich heraus, daß er überall wuchs, auf jedem Kontinent, jeder Insel, im Dschungel ebenso wie in den Bergen. Wo es gerade noch Moose und Flechten gab, gab es auch diesen Pilz. Der zersetzte Chitin, weichte es auf, ließ es zerfließen! Versuche mit künstlich erzeugtem Chitin erbrachten ein eindeutiges, immer wiederholbares Ergebnis. Deshalb also gab es aufF104G nicht ein einziges Insekt! Insekten mit ihrem Chitinpanzer, ihrem Außenskelett, hatten hier keine Überlebenschancen. Möglicherweise hatten sie sich 108 niemals entwickeln können. Wie auch, wenn es nichts gab, was ihre Körperflüssigkeiten und Sekrete zusammenhielt? Keine Insekten auf F104G... Die Zyzzkt- waren Insekten... Das war die Lösung! Sie hatten auf diesem Planeten nicht überleben können. Deshalb gaben sie ihn wieder auf. Die Konsequenzen waren klar. Dieser Mikropilz war die ultimative Waffe gegen die Zyzzkt-... Das Hauptquartier, der Oberkommandierende Lonthar sie mußten davon erfahren. Hier auf dem bislang als völlig unbedeutend angesehenen Planeten F104G lag der Schlüssel zum Sieg über den vermehrungswütigen, mörderischen Feind. Aber eine Kontaktaufnahme war nicht möglich. Die Station war ein Geheimprojekt. Deshalb befand sich in der Programmierung des Corus und damit auch des Zentralgehims das strikte Verbot der aktiven Kontaktaufnahme mit dem Worgunreich. Vorgesehen war, daß Lonthar nach einer gewissen Zeit eine Raumpatrouille entsandte, um die von der Station gesammelten Daten entgegenzunehmen und auszuwerten. Doch die Patrouille kam nicht. Das Reich meldete sich nicht mehr. Die Jahrzehnte und Jahrhunderte vergingen. Der Corus sammelte weiter Informationen, soweit es noch welche zu sammeln gab, und ließ in den Biolabors Experimente durchführen. Bis irgendwann die Anwesenheit eines Hohen auf dieser Welt festgestellt wurde. Intelligenzwesen landeten auf F104G, und einer davon zeigte eindeutig die Biowerte eines Hohen. Da ließ der Corus ihn mit den Mitteln der Station unverzüglich zu sich holen. Dieser Hohe war Gisol. Und von ihm erfuhr der Corus endlich, weshalb das Reich niemals mehr jemanden ausgesandt hatte, um die gesammelten Daten entgegenzunehmen. Unmittelbar nachdem der Oberkommandierende den Corus ausgesandt hatte, kam es zum Zusammenbruch, 109 der umfassenden Niederlage gegen die Zyzzkt-. Die Erkenntnis, wie die Wimmelwilden zu besiegen waren, kam um Jahrzehnte zu spät. Die letzte Schlacht war längst verloren, überlebende Worgun wurden von den Zyzzkt- eingesammelt und nach Epoy deportiert. Die Gedankenbilder verschwammen, glitten davon in ein Ungewisses Dunkel. Ren Dharks Bewußtsein kehrte aus der Gedankenübertragung in die Wirklichkeit zurück. , Gisol erhob sich als erster. Sein Sessel verschwand ebenso blitzschnell wieder, wie er vorhin aus dem Nichts erschienen war. Jün Smith zeigte ein zufriedenes Lächeln. »Komm, Ren«, bat er. »Ich möchte dir etwas zeigen.« Der Commander folgte ihm. Der Worgun führte ihn in den Labortrakt und dort in eine besonders gesicherte Abteilung. Die Wände waren ringsum von einer Art Tresorfächer ausgefüllt, an deren Luken sich beschriftete Plastikschilder befanden. Dhark konnte die Worgunschrift fließend lesen. Er erkannte biologische oder medizinische Bezeichnungen und Zahlenreihen. Gisol berührte eine der Klappen, die sofort aufschwang. In einem Kühlfach befand sich ein kleines Behältnis, mit den gleichen Buchstaben und Ziffern beschriftet wie die Luke. Gisol nahm das Behältnis
heraus. Es glich zwei kleinen Flaschen, deren Böden man entfernt hatte, um die Röhren miteinander zu verbinden. Der Worgun sah deutlich begeistert aus. Er hielt Dhark die »Doppelflasche« entgegen. »Das ist es«, sagte er zufrieden. »Was meinst du damit?« fragte der Commander etwas mißtrauisch. Gisol sah ihm eine kleine Spur zu zufrieden aus. »Das ist die ultimate Waffe gegen den Feind«, verkündete der Worgun. »In den vergangenen Jahrhunderten hat die Station die Sporen der Mikropilze weiterentwickelt. Es gibt nun Versionen, die auf allen uns bekannten Planeten überlebensfähig sind, unter den unterschiedlichsten Umweltbedingungen. Das heißt, wir können jede Welt, die jemals von den Wimmelwilden überfallen 110 wurde, von ihnen befreien. Wir brauchen diese Sporen nur in genügend großen Mengen in die jeweilige Atmosphäre abregnen zu lassen. Und schon bald sieht es dort so aus wie hier auf F104G: eine von den Zyzzkt- verlassene Welt...« »Das gefällt mir nicht«, sagte Ren Dhark betroffen. »Weshalb? Befürchtest du, daß das ökologische System der jeweiligen Planeten kippt?« fragte Gisol überrascht. »Meinst du, wenn sämtliche Insekten auf einem Planeten absterben, finden deren Jäger keine Beute mehr, verhungern, und diese Kette setzt sich weiter fort? Ren, auch auf dieser Welt gibt es vielfältiges Leben. Der Insekten bedarf es dazu nicht.« »Das wäre mit ein Grund«, sagte Dhark. »Wichtiger ist aber, daß es sich hier um eine biologische Massenvemichtungswaffe handelt. Damit könnten die Zyzzktkomplett ausgerottet werden.« »Sie haben es nicht anders verdient«, erwiderte Gisol. »Sie sind gnadenlose Mörder und Unterdrücker. Wer sich ihnen entgegenstellt, den drängen sie nicht einfach beiseite, sondern sie vernichten ihn. Warum also sollen wir sie schonen? Gibt es nicht in einer eurer Weltreligionen das Wort >Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen !« »Nicht jeder Zyzzkt- ist ein Krieger und Mörder«, gab Dhark zu bedenken. »Die weiblichen Wesen, die Eier legen und sich um die Brutpflege kümmern, ziehen sicher nicht gleichzeitig in die Schlacht. Aber sie werden mitgetötet.« »Dann können sie wenigstens keine neuen Wimmelwilden mehr in die Welt setzen«, erwiderte der Worgun hart. »Gisol, der Schlächter«, sagte Dhark. »Ich kann es nicht glauben, daß du so tief sinken willst. Du begibst dich auf die gleiche Stufe mit deinen Feinden, vielleicht sogar noch tiefer. Biologische, chemische und atomare Waffen wurden auf Terra schon im vorigen Jahrhundert geächtet, und das aus gutem Grund. Sie sind unmenschlich, sie treffen immer die Unschuldigen. Die Schuldigen verstehen es stets, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.« »Es geht hier nicht um die Menschen von Terra«, erwiderte Gisol. »Es geht um mein Volk, es geht um viele andere Völker, die ebenfalls von den Zyzzktausgerottet werden! Ren, hast du den Heerzug der Heimatlosen vergessen? Hast du die Pscheriden 111 schon vergessen? All die anderen, die von ihren Welten vertrieben oder brutal ermordet wurden? Hörst du nicht die Schreie ihrer Seelen im Moment des unverdienten Todes? Ren, hast du Holger Alsop schon vergessen?« Dharks Gesicht verhärtete sich. »Das ist unfair«, preßte er hervor. »Die Zyzzkt- sind eine Sternenpest«, sagte Gisol leise. »Hier endlich erfüllt sich mein Wunschtraum, sie doch noch schlagen zu können. Warum nur hat man diesen Planeten nicht ein paar Jahre früher entdeckt? Aber jetzt kann ich endlich zu Ende führen, was einst begann.« »Nicht mit mir«, sagte Ren Dhark. »Biologische Kriegführung mache ich nicht mit. Es muß einen anderen Weg geben. Ich weiß, daß wir diesen anderen Weg finden werden. Wenn du aber diesen weitergehen willst«, dabei deutete er auf die Doppelflasche in Gisols Hand, »wirst schließlich du es sein, der die Schreie der sterbenden Seelen hört. Dann bist du keinen Deut besser als die, welche du bekämpfst.« Minutenlang sahen sie sich schweigend an.
Dann schließlich wandte Gisol sich wieder den »Schließfächern« zu und legte das Behältnis zurück. Er schloß das Kühlfach. »Bist du jetzt zufrieden?« fragte er bitter. »Ich will keinen Streit mit dir, Ren. Ich werde dir den Gefallen tun und die Finger von diesen Sporen lassen. Die Zyzzktwerden weiter morden und siegen, und andere Völker werden weiter sterben oder verjagt werden.« »Sie werden es nicht«, sagte Dhark entschlossen. »Wir finden einen Weg, sie zu stoppen. Wir haben die Giants von Terra verjagt, wir haben die Gefahr von Drakhon beseitigt. Wir werden auch das hier schaffen.« »Und wie willst du das anstellen?« »Es wird mir schon etwas einfallen«, erwiderte Ren Dhark. Er wandte sich ab und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzuschauen. So entging ihm Gisols suchender Blick. Schließlich tat der Worgun einige Schritte, öffnete blitzschnell ein bestimmtes Fach und schloß es ebenso schnell wieder. Aber er hatte ihm eine jener 112 Doppelflaschen entnommen, die er jetzt unter seiner Kleidung und darunter in einer rasch ausgeformten Hautfalte verschwinden ließ. Eine ganz spezielle Sporenflasche.. Dann erst folgte er Ren Dhark. 7. »Drakhon! Drakhon! Drakhon! Allmählich kann ich diesen Namen nicht mehr hören! Wen interessiert denn noch Drakhon?« Alle Augen und Kameras richteten sich auf den fünfundfünfzigjährigen Dave Paley. Der Generalsekretär der Fortschrittspartei (FP) schwieg abrupt. Wie zur Salzsäule erstarrt saß er auf seinem Stuhl. Nur sein stechender, verschlagener Blick wanderte unruhig hin und her. Am liebsten hätte er seine Worte wieder zurückgenommen, doch dafür war es jetzt zu spät. Alle warteten darauf, daß er seine provozierende Äußerung näher erläuterte. Verlegen kratzte er sich an seinem sauber geschnittenen, rötlich angehauchten Backenbart. Was war nur in ihn gefahren? Er hatte sich doch fest vorgenpmmen, auf der Pressekonferenz den Mund zu halten und Antoine Dreyfuß das Feld zu überlassen. Dreyfuß, ein blaßgrauer Berufspolitiker mittleren Alters, der stundenlang schwammige Reden führen konnte, ohne etwas Konkretes auszudrücken, war die große Hoffnung der Fortschrittspartei. Bei der kommenden Neuwahl des Commanders der Planeten trat er als Kandidat gegen Ren Dhark an. Wie kein anderer verstand er sich darauf, seine Finger in offene Wunden zu legen und über das Versagen des Ehrenvorsitzenden der Partei für Demokratie (PfD) zu wettern. Kein Geringerer als Ren Dhark selbst war jener Ehrenvorsitzende, und wie gewohnt war er auch diesmal nicht persönlich erschienen, um sich den Fragen der Medien zu stellen obwohl seinem Büro ein offizielles Einladungsschreiben der FP zugegangen 114 ^var, wie Dreyfuß am Mikrophon inzwischen mehrfach betont hatte. Dharks Regierungsstellvertreter Henner Trawisheim hatte ebenfalls eine Einladung zugeschickt bekommen. Er hatte jedoch dankend abgelehnt. Die Pressekonferenzen in der Zentrale der Fortschrittspartei dienten in erster Linie dem Zweck, über die ständige Abwesenheit des amtierenden Commanders zu lamentieren und die PfD öffentlich vorzuführen. Selbstverständlich gehörten die geladenen Journalisten zu 75 Prozent dem IntermediaKonzem an, welcher Dreyfuß' Wahl nach Kräften unterstützte mit großzügigen finanziellen Spenden und einer wohlwollenden Berichterstattung. Auf dieses fiese Spielchen ließ Trawisheim sich erst gar nicht ein, dafür war er als einziger Cyborg auf geistiger Basis zu gewitzt. »Sehr verehrter Herr Generalsekretär«, hatte er Paley geschrieben. »Ich bedanke mich bei Ihnen und Ihrem Spitzenkandidaten sehr herzlich für die Einladung. Öffentliche Diskussionen in Ihrem werten Hause sind immer äußerst erholsam für mich. Ich brauche nur selten etwas zu sagen, weil Kollege Dreyfuß stets das Reden für mich mit übernimmt. Leider kann ich mir augenblicklich keinen Kurzurlaub
leisten. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich nämlich Regierungsgeschäfte zu erledigen. Mit freundlichen Grüßen...« In seiner Medienansprache hatte Dreyfuß von einer »zynischen Absage des stellvertretenden Regierungschefs« gesprochen, ohne näher auf den Inhalt des Schreibens einzugehen. Er hatte Dhark und seinen terranischen Stellvertreter als Feiglinge bezeichnet, die sich vor jeglicher Verantwortung drückten, und zum wiederholten Male die Frage in den Raum gestellt: »Wo treibt sich der Commander der Planeten herum, wenn er zu Hause am dringendsten gebraucht wird?« Der Zwischenruf eines Zeitungsreporters hatte ihn kurz zum Verstummen gebracht. »Glauben Sie wirklich, daß man alle Probleme von zu Hause aus lösen kann, Monsieur Dreyfuß? Als Drakhon mit der Milchstraße zu verschmelzen drohte, warf man Ren Dhark ebenfalls vor, dau 115 emd im Weltall unterwegs zu sein und Terra in höchster Not im Stich zu lassen. Später profitierten wir dann alle von seinen Nachforschungen in der fremden Galaxis. Dhark hat nicht nur die Menschheit, sondern die gesamte Milchstraße gerettet mit Hilfe einiger Bewohner von Drakhon.« Noch während Dreyfuß über eine treffsichere Erwiderung nachgedacht hatte, hatte sich Paley eingemischt. »Wen interessiert denn noch Drakhon?« Und nun sitzt er in der Falle, der feine Herr Generalsekretär, dachte Joseph Randolph Gordon Skittleman, der in einem Nebenzimmer den Verlauf der Konferenz via Bildschirm mitverfolgte. Was nun, Dave? Hättest du nicht deinen vorlauten Mund halten können? Joe R. G. Skittleman war der Geschäftsführer des Medienkonglomerats Intermedia. Der Sechsundvierzigjährige hatte nicht nur für seinen Freund Paley nichts als Verachtung übrig, er fühlte sich auch sonst allen Menschen geistig überlegen. Das Schicksal hatte ihm Macht und Einfluß verliehen, und beides kostete der kleine, dünne Mann, der meist eine unsicherkuschende Haltung an den Tag legte, genüßlich aus. Damit jedermann sehen konnte, was für eine wichtige Persönlichkeit er war, trat er gern betont protzig auf. Sein pinkfarbener HispanoSuizaJett vom Typ Imperial wifrde meist von drallen Blondinen bevölkert. Blondinen wie die Australierin Sue White, die neben ihm saß und mit etwas ratloser Miene auf den Bildschirm schaute. So ganz begriff sie nicht, was eigentlich passiert war. Dieser Paley hatte offenbar einen Fehler gemacht. Aber welchen? Politik war wirklich eine komplizierte Angelegenheit. Schönheitsoperationen gehörten im dritten Jahrtausend längst zum normalen Alltag. Schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hatten sich viele Menschen nicht mehr mit ihrem naturgegebenen Aussehen abfinden wollen und medizinische Eingriffe an sich vornehmen lassen. Immer mehr Arztpraxen hatten sich seitdem darauf spezialisiert, Nasen zu richten, die Gesichtshaut zu liften, Busen und Po zu vergrößern oder zu verkleinern und Fett an Körperstellen abzusaugen, an denen es nach Meinung der Patienten nicht hingehörte. 116 Glücklicherweise gab es auch noch Ärzte, die sich um Kranke kümmerten. Und Männer und Frauen, die nicht aus lauter Eitelkeit an sich herumdoktern ließen. Auch Sue hatte bereits erste kleinere »Reparaturen« an sich vornehmen lassen, obwohl sie die aufgrund ihrer Jugend gar nicht nötig gehabt hätte. Ein bißchen Straffen hier, etwas Silikon da bislang war ihr Körper noch kein »Ersatzteillager«, aber sie befand sich schon auf dem besten Weg dorthin. Skittleman liebte schöne Frauen. Ihm war es egal, ob die Natur oder ein Chirurg für die Gestaltung eines kurvenreichen Körpers gesorgt hatte Hauptsache, die Maße stimmten. Daran, daß seine Begleiterinnen manchmal als »billige Flittchen« bezeichnet wurden, störte ihn lediglich die Bezeichnung »billig«. Hatten seine Mitmenschen überhaupt eine Vorstellung, was ein gutgebautes blondes beziehungsweise blondiertes Betthäschen heutzutage kostete? Blond war von jeher seine Lieblingshaarfarbe, nicht nur beim weiblichen Geschlecht. Sein eigenes, bis zu den Brustwarzen reichendes, gewelltes Haar war unübersehbar straßenköterblond, und auch sein Schnurrbart wies helle Töne auf.
Sogar die Kette um seinen Hals paßte sich farblich an Gold war schließlich auch so eine Art von Blond. Marc Senacas Haar war so schwarz wie seine Hautfarbe. Der vierzigjährige, freiberuflich tätige Afrikaner arbeitete noch nicht lange mit Intermedia zusammen. Ein Bekannter hatte ihm den Kontakt zur Zeitungsredaktion verschafft, und nun wollte Marc allen beweisen, daß er das Zeug zu einem wirklich guten Journalisten hatte. Auf der Pressekonferenz gehörte er zu den aktiven Reportern, die sich nicht nur aufs Zuhören beschränkten. Mit dem Ergebnis seines mutigen Vorstoßes konnte er zufrieden sein. Seine kritische Zwischenfrage hatte den FPSpitzenkandidaten Antoine Dreyfuß leicht ins Schleudern gebracht. Und das beste: FPGeneralsekretär Dave Paley hatte geglaubt, eingreifen zu müssen nun saß er in der Patsche. 117 Zahlreiche Holokameras übertrugen die Konferenz live auf die heimischen Bildschirme. Mit Sicherheit war der Großteil der Zuschauer genauso geschockt wie Paley selbst. Wenn es ein Thema gab, bei dem Terraner nicht mit sich spaßen ließen, dann war es Drakhon. Jeder auf der Erde wußte, wie knapp die Milchstraße dem Untergang entronnen war, und daß Ren Dhark und seine Mitstreiter seinerzeit ihr Leben riskiert hatten, um Milliarden Menschen und andere Geschöpfe zu retten. Die damalige Rettungsaktion öffentlich zu verunglimpfen kam einem politischen Todesurteil gleich. Falls Paley nicht noch im letzten Moment die Kurve kriegte, würden sich die kommenden Umfrageergebnisse für seine Partei katastrophal entwickeln. Marc Senaca, Antoine Dreyfuß, Joe Skittleman... alle dachten in diesem Augenblick das gleiche. Wie kommt Paley aus dieser Nummer wieder raus? Nur Sue Whites Gedanken gingen in eine andere Richtung. Dieser Paley wirkt ziemlich charmant, und er ist viel attraktiver als Joe. »Wen interessiert denn noch Drakhon? Eine provozierende Frage, zugegeben, meine Damen und Herrn. Ich weiß genau, was Sie jetzt denken: >Halt! So geht das aber nicht! Bringt diesen Mann zum Schweigen !< Tut mir leid, aber so leicht lasse ich mir nicht den Mund verbieten. Wenn ich etwas Wichtiges zu sagen habe, bremst mich niemand auf der Zielgeraden aus. >Halt< habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen, weil es ausschließlich aus negativen Buchstaben besteht. H wie heruntergekommen, a wie ausgelaugt, l wie lustlos und t wie tot. Ich möchte weder das eine noch das andere sein, deshalb ignoriere ich grundsätzlich jegliche Haltrufe und gehe unerschrocken meinen Weg. Die Zeit macht schließlich auch keinen Halt. Sie dreht sich weiter und weiter, die Erde ebenfalls, und wir alle drehen uns mit, ob wir wollen oder nicht. 118 Nur der Commander der Planeten hat sich aus dem Reigen entfernt. Er eignete sich das beste Raumschiff an, das Terra jemals besessen hat, und flog mit unbekanntem Ziel davon. Unter fernen Sternen fühlt er sich offenbar am wohlsten. Dort kümmert er sich rührend um die Nöte fremder Völker. Unsere irdischen Sorgen hingegen sind ihm zu profan. Es ist wahr, Ren Dhark hat mehr für die Menschheit getan als wir alle zusammen. Ohne ihn gäbe es uns längst nicht mehr. Ich wäre daher der letzte, der seine großen Heldentaten in den Schmutz ziehen würde. Nicht von ungefähr haben wir ihn einst zu unserem Regierungsoberhaupt ernannt. Das bedeutet jedoch nicht, daß wir auf ewig seine Leibeigenen sind, mit denen er nach Gutdünken verfahren kann. Wir können mit Fug und Recht von ihm erwarten, daß er uns denselben Respekt entgegenbringt wie wir ihm. Und daß er uns ernst nimmt. Mal ehrlich, wie lange will sich dieser Mann noch auf seinen Lorbeeren ausruhen? Drakhon war gestern! Die fremde Galaxis bedrohte unsere Existenz, so wie die Milchstraße ihre Existenz bedrohte aber inzwischen ist die Bedrohung auf beiden Seiten ausgestanden. Wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern im Heute, im Hier und Jetzt, wo wir neuen Gefahren ausgesetzt sind. Als der von Telrebellen gekaperte, mit einer Hyperbombe beladene Doppelkugelraumer DRAKHON beinahe unseren gesamten Planeten vernichtet hätte, hätten wir die POINT OF, das kampfkräftigste Schiff der Terranischen Flotte,
gut gebrauchen können mitsamt ihrem heldenhaften Kommandanten und der erfahrenen, kampferprobten Besatzung. Leider war Dhark zum Zeitpunkt des Rebellenangriffs weit fort von hier. Wir wissen nicht einmal, wo er sich aufhält und ob er jemals wiederkommt. Früher glänzte der Commander durch Mut und Entschlossenheit, heute nur noch durch Abwesenheit. Wie alle Terraner habe auch ich unsere glückliche Rettung in letzter Sekunde ausgiebig gefeiert. Der TelRaumsoldat Kon Azir gehört für mich zu den tapfersten Kriegern seines Volkes. Er hat den Orden, der ihm auf unserem Planeten verliehen wurde, mehr ^s verdient, und ich bin sicher, daheim wurde er mit weiteren 119 Auszeichnungen überhäuft. Bestimmt feierte man ihn auch dort tagelang als Helden. Doch jede Feier ist irgendwann einmal zu Ende. Früher oder später kehrt man zwangsläufig in den nüchternen Alltag zurück. Und man stellt fest, daß sämtliche Probleme, die man für ein paar Tage erfolgreich verdrängt hatte, noch immer da sind. Das gilt für die Tel genauso wie für uns. Mal angenommen, das Attentat wäre nicht so glimpflich ausgegangen. Dann wäre Dhark eines Tages heimgekommen und hätte seinen Heimatplaneten nicht mehr vorgefunden. Die Erde hätte nicht mehr existiert, und man hätte sie von sämtlichen Sternenkarten entfemen müssen. Nur in den Annalen der Geschichte hätte sie noch einen festen Platz gehabt. Was für eine Ironie des Schicksals! Erst rettet Ren Dhark die Milchstraße vor einer Verschmelzung mit der Galaxis Drakhon und dann wird sein Zuhause von einem bombenbeladenen Raumschiff ausradiert, das zufällig ebenfalls den Namen DRAKHON trägt. Wie hätten die Geschichtsschreiber diesen Abschnitt im Leben des Commanders wohl übertitelt? Am treffendsten wäre wohl: Ren Dhark Der DrakhonZyklus. Untertitel: Aufstieg und Fall des mächtigsten Mannes der Erde. * Zum Glück ist der Kelch noch einmal an uns vorübergegangen, und die gute alte Mutter Erde erfreut sich bester Gesundheit. Aber was wird sein, wenn wir das nächste Mal von einem Fremdvolk angegriffen werden? Ist der Commander bis dahin zurück und steht uns bei, oder macht er weiterhin mit dem Flaggschiff Ausflüge in weit entfernte Sternenwelten? Wir brauchen keinen Weltallvagabunden als Regierungsoberhaupt, sondern einen bodenständigen Menschen, der unsere wirtschaftlichen Probleme und Alltagsnöte kennt und sie gemeinsam mit uns in Angriff nimmt. Deshalb wird die Fortschrittspartei bei der nächsten Parlamentssitzung einen Änderungsentwurf zur terranischen Verfassung einbringen. Wir fordern, daß in Zukunft nur noch Kandidaten zum Commander der Planeten gewählt werden dürfen, die vor der Wahl mindestens ein halbes Jahr persönlich auf Terra präsent sind! Zumindest sollten sie für jedermann in den 120 sechs Monaten per Hyperfunk erreichbar sein. Der FPSpitzenkandidat Antoine Dreyfuß ist einer von uns. Einer aus dem Volk. Ein Politiker zum Anfassen. Dhark hingegen können Sie nicht berühren, meine Damen und Herren dafür brauchten Sie schon einen sehr, sehr langen Arm.« Die Bar, in der Dave Paley, Antoine Dreyfuß, Joe Skittleman und Sue White zusammensaßen, servierte Drinks vom Feinsten und vom Teuersten. In einem verschwiegenen Separee feierte man die erfolgreichste FPPressekonferenz aller Zeiten. »Das war wirklich eine geniale Rede«, lobte Dreyfuß den Generalsekretär. »Wenn unsere Wähler nur halb so ergriffen waren wie ich, haben wir den Wahlsieg so gut wie in der Tasche. Ich kann es kaum erwarten, die aktuellen Umfrageergebnisse in die Hände zu bekommen.« »Wer kann, der kann«, erwiderte Paley mit der für ihn typischen Bescheidenheit. »Nun übertreib mal nicht, Dave«, bemerkte Skittleman herablassend. »Denkst du, ich habe nicht gemerkt, wie du Blut und Wasser geschwitzt hast? Dein unüberlegter Einwand hätte uns beinahe Kopf und Kragen gekostet. Glücklicherweise sind dir noch die richtigen Worte fürs Wahlvieh eingefallen.«
»Aus dem Stegreif!« warf der Spitzenkandidat ein. »Das soll ihm erst mal einer nachmachen. Sogar ich benötige meist Notizen.« »Sony, daß ich in Ihre vorbereitete Rede eingegriffen habe, Antoine«, entgegnete Paley. »Hoffentlich habe ich Sie nicht allzusehr aus dem Konzept gebracht.« Dreyfuß winkte ab. »Halb so schlimm. Wenn demnächst das Parlament zusammentritt, habe ich sicherlich noch Verwendung für meine abgebrochene Rede.« »Worüber wollten Sie eigentlich sprechen, Mister Dreyfuß?« erkundigte sich der IntermediaGeschäftsführer. »Über die innere Zerrissenheit der Partei für Demokratie. Bei 121 der PfD zeichnet sich immer mehr die Spaltung in drei Fraktionen ab. Die erste Gruppe steuert einen Kurs, der eine gewisse Konsensbereitschaft mit der Fortschrittspartei signalisiert. Die zweite betreibt Totalopposition ganz gleich, was wir vorschlagen, man ist grundsätzlich dagegen. Und die dritte hüllt sich in einen Grauschleier. Sie hält ihr Fähnchen hoch und wartet ab, von woher der Wind weht, damit man sich je nach Entwicklung der Dinge auf die vermeintlich günstigere Seite schlagen kann. Eine derart zerstrittene Partei gehört meiner Meinung nach nicht an die Regierung.« »Die Partei für Demokratie ist zerstritten?« wunderte sich Sue White. »Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.« »Natürlich sind sich nicht alle Parteimitglieder einig, aber total zerstritten sind sie nicht«, erklärte ihr Paley, der sie schon die ganze Zeit über mit seinen Augen auszog. »Wir behaupten das nur, um sie in Mißkredit zu bringen.« »Ist das nicht Diffamierung?« fragte Sue ungläubig. Der Generalsekretär nickte. »In der Politik muß man mitunter mit unsauberen Mitteln arbeiten, will man Erfolg haben. Unser angekündigter Änderungsentwurf beispielsweise ist nichts weiter als Mittel zum Zweck. Obwohl wir genau wissen, daß wir für das neue Wahlgesetz niemals die benötigte Dreiviertelmehrheit aufbringen, werden wir auf einer Abstimmung bestehen.« »Verstehe ich nicht.« »Ich bin gern bereit, Ihnen das gelegentlich näher zu erläutern, Sue. Vielleicht an meinem nächsten freien Tag, in meinem Landhaus in den Bergen.« Sue lächelte ihn verheißungsvoll an. »Daraus wird leider nichts, Mister Paley. Joe ist nämlich furchtbar eifersüchtig, müssen Sie wissen. Er kann keine Minute ohne mich...« »Geht klar«, fuhr Skittleman ihr ins Wort. »Etwas politische Bildung könnte Sue wirklich nichts schaden.« »Willst du damit sagen, ich sei dumm?« entgegnete die Blondine pikiert. »Ich verstehe allemal genug von Politik, um mitreden zu können.« »Um so besser«, meinte Dave Paley. »Dann können wir uns auf meinem Landsitz den angenehmeren Seiten des Lebens widmen. Es ist ziemlich öde, dauernd nur von Politik zu reden. Ich bin si 122 cher, mit Ihnen kann man sich auch über andere intelligente Themen unterhalten, Sue.« »Selbstverständlich, Mister Paley«, antwortete Sue White und warf Skittleman einen geringschätzigen Blick zu. »Kommt immer ganz auf den Gesprächspartner an.« »Nennen Sie mich Dave«, sagte der Generalsekretär lächelnd und wandte sich dann wieder Dreyfuß zu. »Ich schlage vor, wir überarbeiten Ihre Rede noch ein wenig, Antoine. Das mit der Zerstrittenheit gefällt mir, wir sollten allerdings betonen, daß in erster Linie die Abwesenheit des Commanders schuld an der Uneinigkeit seiner politischen Freunde ist. Der PfD fehlt eine starke Hand. Jemand muß den Parteigenossen sagen, wo es langgeht, ein Mann, der mit beiden Beinen fest auf terranischem Boden steht, statt in fernen Weltraumtiefen nach Abenteuern zu suchen.« Paley war überzeugt, die richtigen Worte gefunden zu haben. Daß er gerade eifrig dabeiwar, sich selbst das Wasser abzugraben, ahnte er noch nicht. »Was geschieht eigentlich mit Ihrem Möchtegemjoumalisten?« erkundigte sich Antoine Dreyfuß bei Skittleman. »Der vorlaute Bursche hat mir während der Pressekonferenz ganz schön zugesetzt. Sie sollten diesen politischen Brandstifter
nach Ecuador versetzen. Dort kann er dann versuchen, den Chimborazo zu entzünden.« Der IntermediaGeschäftsführer hob die Schultern. »Mir sind die Hände gebunden, leider. Marc Senaca ist nicht mein Angestellter. Er arbeitet freiberuflich für eine meiner Zeitungen, ist jedoch nicht vertraglich an das Blatt gebunden. Daher kann ich ihm keine Anweisungen erteilen. Statt dessen mache ich ihm ein Geschenk.« »Du willst ihm was schenken, Joe?« fragte Paley ungläubig. »Was denn?« Skittleman grinste. »Das, was ein Freiberufler mehr liebt als alles andere auf der Welt: seine berufliche Freiheit. Von nun an darf er für jede Zeitung arbeiten, die ihm gefällt, und auch alle sonstigen Medienbereiche stehen ihm offen. Allerdings nicht mehr in Einern Konzern. Ich sorge persönlich dafür, daß ihm bei Intermedia in Zukunft sämtliche Türen vor der Nase zugeschlagen werden.« 123 »Das kommt ja einem Rausschmiß gleich«, entfuhr es Sue White. »Gut erkannt«, lobte Paley sie, und auch er verzog die Mundwinkel zu einem breiten, selbstgefälligen Lächeln. »Ich erwähnte ja bereits, daß ich Sie für ein intelligentes Mädchen halte mit vielfältigen Talenten.« 8. Gisol versicherte dem Corus, dem Superrechner, daß die Geheimstation jetzt wieder in die strategischen Überlegungen der Worgun einbezogen werde und man seine Dienste bald wieder benötige. Das Funkverbot hielt er allerdings aufrecht. Das Risiko, daß die Station doch noch entdeckt wurde, war zu groß. Selbst wenn die Zyzzkt- F104G zum gesperrten Planeten erklärt hatten, reichte ein Blitzangriff aus dem Raum, die Station unter dem Ozean im Handumdrehen zu vernichten. ToFunk war in diesem Fall keine Lösung. In der EPOY gab es zwar jede Menge Tofiritstaub in den vollen Tanks, aber keine Kristalle, die den Sendern der Station als Verstärker und Bündler vorgeschaltet werden konnten. Zudem hätte die Station permanent die aktuelle galaktische Position des Ringraumers kennen müssen, um Gisol per tofiritgebündeltem Richtstrahl anfunken zu können. Der verlangte, daß die EPOY mit den Mitteln der Station provisorisch repariert wurde, so daß sie zumindest wieder bedingt überlichtflugtauglich wurde. Innerhalb kürzester Zeit ließ der Rechner diese Reparaturen von seinen Maschinen durchführen. Wenig später startete der Raumer, verließ die Station wieder mittels eines von dieser projizierten Intervallfelds und jagte dann in den Weltraum hinaus. Gisol schaltete um auf Sternensog, um seine Position den Zyzzkt- rieht durch die bei einer Transition unvermeidlichen Strukturerschütterungen zu verraten, und flog dann einen Dunkelplaneten in einer Gaswolke am Rande Oms an. Dieser Planet besaß keine Sonne, nicht einmal eine Atmosphäre. Die mußte er schon vor Ewigkeiten verloren haben, denn sonst hätte es wenigstens Spuren 125 von gefrorenen Gasen gegeben. Aber da war nichts. Nur eine erdgroße, kalte Steinkugel in der Schwärze des Weltraums. Nichts was jemanden hätte interessieren können. Auf den ersten Blick. Erst der zweite Blick offenbarte, weshalb Gisol diese tote, gefrorene Welt anflog, diesen Irrläufer, der sich vielleicht vor Millionen von Jahren von seiner Sonne losgerissen hatte, um in die Weltraumtiefen abzudriften. Gisol bediente sich der Gedankensteuerung seines Raumers. SLE aus! Antigrav ein! Intervallfelder aus! Langsam senkte sich das Schiff auf einen bestimmten Punkt nieder. Auf einen UKWSteuerimpuls hin veränderte sich plötzlich der Steinboden unter der EPOY. Eine Öffnung klaffte auf, groß genug, um mehrere Ringraumer gleichzeitig nebeneinander aufzunehmen. Ein riesiger Schacht führte in die Tiefe. Mit Antigrav sank die EPOY hinab.
Über dem Schiff schloß sich die Luke wieder. Von außen deutete jetzt wieder nichts mehr auf das Geheimnis hin, das sich in der Tiefe dieser einsamen Welt verbarg. Weiter und weiter ging es hinab. ^ Die Instrumente zeigten eine Tiefe von 5000 Metern an, als der blau violett schimmernde Unitallring endlich seinen Sinkflug stoppte und waagerecht in einen gigantischen Hangar glitt. Gewaltige Schleusentore öffneten und schlössen sich wieder. Nicht nur Ren Dhark hielt unwillkürlich den Atem an. 15 weitere Ringraumer parkten hier, und es war noch Platz für mehr als die doppelte Menge. Gisol ließ die EPOY an ihnen vorbei treiben in einen Bereich, in dem es von gigantischen Maschinen und Robotern nur so wimmelte. Unwillkürlich fühlte Dhark sich an das Höhlensystem von Deluge erinnert, an den Industriedom, die Ringraumerhöhle... das hier war nur eine verkleinerte Ausgabe. Dennoch war sie gigantisch genug kein Terraner hätte in diesen Dimensionen geplant und gebaut. Und das alles hatte Gisol allein erschaffen? 126 Schließlich setzte die EPOY auf ihren Auslegern auf. »Endstation Werkstatt«, sagte er. »Willkommen in meinem Reich.« Wie schon in der Geheimstation aufF104G, spielte Gisol auch hier den Fremdenführer. Ren Dhark wunderte sich einmal mehr über das enorme Vertrauen, das der anfangs so mißtrauische und stets ablehnende Worgun den Terranem plötzlich entgegenbrachte, indem er sie in seine Geheimnisse einweihte. Ebensogut hätte er dafür sorgen können, daß sie für die Zeit des Aufenthalts in seinem unterirdischen Geheimstützpunkt im Innern der EPOY verblieben. Aber offenbar begriff er allmählich, daß sie nur durch vorbehaltlose Zusammenarbeit vorwärtskamen. Und vermutlich hatte er nach all den Jahren des Einzelgängertums einfach das Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Die Anlage besaß eine erhebliche Ausdehnung. Es gab einen Wohntrakt, der gut zweihundert Worgun oder Menschen Raum bot etwa die Maximalbesatzung für einen Ringraumer wie die EPOY oder die POINT OF. Die Raumer konnten zwar auch von einer fünfzigköpfigen Besatzung geflogen werden, aber Dhark hatte immer dafür gesorgt, daß die maximale Sollstärke für einen Vierschichtbetrieb verfügbar war. Nachdem die Menschen entdeckt hatten, daß nicht nur die Flash, sondern auch die POINT OF selbst über eine Gedankensteuerung wrfügte, wäre es ihnen prinzipiell möglich gewesen, auch dieses Schiff im Einmannbetrieb zu fliegen. Allerdings war eine ausreichend große Besatzung in der Lage, die Leistungsfähigkeit des Schiffes beträchtlich zu erhöhen, vor allen in Notlagen. ^ Die EPOY ließ sich durch weitgehende und gezielte Automatisierung von einer Person allein fliegen, aber Gisol hatte wohl auch den Extremfall mit auf seiner Rechnung... Und wenn ein vollbemanntes Schiff sich in diesem Hangar be 127 fand, mußte natürlich auch außenbords entsprechender Wohnraum geschaffen werden. Die anderen Ringraumer, die der Rebell sich angeeignet hatte, flogen automatisch oder wurden von der EPOY aus femgesteuert. Es gab große Energieanlagen, es gab Produktionsstätten, Werkstätten und Labors und außerdem eine vollautomatische Reparaturwerft. Deren Einrichtung machte sich unverzüglich über die EPOY her, kaum daß die Insassen das Schiff verlassen hatten. Komplizierte Aggregate dockten an oder drangen ein, und es wimmelte plötzlich von Robotern. Unter anderem befanden sich darunter einige, die zumindest Manu Tschobe unwillkürlich einen Schauer über den Rücken laufen ließen: Viermeterkolosse, wie die Terraner einen in der verlassenen Zyzzkt-Stadt entdeckt hatten... Arc Doorn und der Römer Manlius waren hellauf begeistert von der Anlage. Sie waren inzwischen beide wieder genesen. Der sonst so wortkarge Doorn kam ins
Schwärmen und behauptete, diese Anlagen seien um einiges besser als Teile des Industriedoms von Deluge oder der unterseeischen Ringraumerwerft von Dockyard. Manlius zeigte sich wesentlich zurückhaltender. Er hatte auch allen Grund dazu. Immerhin hatte sein Volk die Raumschiffe der »Hohen« im Laufe der Jahrhunderte erheblich verbessert und weiterentwickelt. Allerdings mußte er eingestehen, daß "die »Hohen«, die Worgun, die Möglichkeit zu einer solchen Weiterentwicklung nicht mehr bekommen hatten. Sie waren von den Zyzzkt- unterjocht worden, und die setzten Worgunwissenschaftler größtenteils für andere Forschungen und Entwicklungen ein. Dennoch konnte Manlius nicht umhin, dem Worgun Respekt zu zollen. Immerhin hatte dieser die Anlage in der Tiefe des kalten Planeten im Alleingang geschaffen, anfangs mit den primitivsten Hilfsmitteln. Als Gisol seine Führung beendete, waren die Werkstattroboter schon eifrig am Werk. Teilweise war die EPOY nicht wiederzuerkennen. Große, meterstarke Unitallplatten waren gelöst worden, um den Aggregaten und Robotern leichteren Zugriff zu gewähren. Fasziniert blieb Arc Doorn in der Werkstatt zurück und verfolgte die Arbeiten aufmerksam. Er lernte und hoffte, sein Wissen notfalls auch einmal bei der POINT OF einsetzen zu können, falls 128 diese ein ähnliches Schicksal erleiden sollte wie das Raumschiff des Rebellen. In nur 24 Stunden wurde die EPOY generalüberholt und war wieder so gut wie neu. Am folgenden Tag drängte Gisol darauf, daß Dhark sich auf dem Planeten Epoy umsah. »Ren, du solltest dir mit eigenen Augen ansehen, was die Wimmelwilden meinem Volk angetan haben und immer noch antun. Vielleicht verstehst du dann besser, was mich antreibt.« »Wenn du auf die Pilzsporen anspielst...« Gisol winkte ab. »Ich habe dir gesagt, daß ich deinen Wunsch respektiere und die Finger davon lasse«, unterbrach er den Terraner. »Es geht um die allgemeinen Dinge. Ich weiß durch die Daten, die ich monatelang in deiner Galaxis auf euren Planeten sammelte, wie fasziniert du von meinem Volk bist. Du hast die Worgun teilweise verehrt. Jetzt hast du die Chance, sie direkt kennenzulernen. Nicht nur mich allein, nicht nur Gisol, den Schlächter, sondern auch die anderen, die Opfer. Schau dir an, was aus ihnen geworden ist! Erzählen kann man viel, aber sich selbst ein Bild machen, das ist doch etwas ganz anderes!« Der Commander nickte langsam. »Du hast wohl recht, mein Freund«, sagte er. Ein Zwiespalt der Gefühle tobte in ihm. Zum einen war da die Neugier. Diese Neugierde, die ihn immer wieder angetrieben hatte. Einmal die Heimatwelt der Mysterious betreten, nach der er so viele Jahre gesucht hatte! Damit ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Wie oft hatte er mit seinem Freund Dan Riker über die Geheimnisvollen diskutiert, hatte spekuliert, wie sie in Wirklichkeit aussehen mochten, woher sie kamen, warum sie vor tausend Jahren spurlos aus der Milchstraße verschwanden... Und jetzt war er seinem Traum zum Greifen nah. Epoy sehen, die Ursprungswelt dieses einst mächtigen Volkes, den Planeten, von dem aus sie vor Jahrhunderttausenden aufgebrochen waren, um sich den Weltraum Untertan zu machen. 129 Aber mußte dieser Traum nicht zum Alptraum werden, nach allem, was er mittlerweile wußte? Er fieberte danach, Epoy und seine Bewohner zu sehen, aber zugleich fürchtete er sich auch davor. Er fürchtete sich vor der Enttäuschung, statt mächtigen Wesen sich duckenden Sklaven gegenüberzustehen. Doch die Neugier siegte. Er wollte das, was er auf Hope begonnen hatte, zu Ende bringen. Um welchen Preis auch immer. »Ich werde dich begleiten«, sagte er. Gisol hatte seiner Heimatwelt zuletzt vor acht Erdenjahren einen Besuch abgestattet, und es wurde von Mal zu Mal gefährlicher, sie aufzusuchen. Die Zyzzkt- waren wachsam. Sie rechneten damit, daß der Rebell eines Tages zurücckehrte, und setzten alles daran, ihn zu erwischen.
Deshalb benutzte Gisol nie die EPOY oder einen seiner anderen Ringraumer, um die Blockade um den Planeten zu durchbrechen und zu landen. Er setzte zu diesem Zweck stets seinen Spezialflash ein, ein Raumboot, das er eigens für diese Aufgabe umkonstrüiert hatte. Der Flash verfügte über besondere Tarnvorrichtungen, besser als die der EPOY oder anderer Raumschiffe. Für die Geräte, welche diesen speziellen Tamschirm emittierten, wurde natürlich Platz gebraucht. Also hatte Gisol das Transitionstriebwerk ausgebaut! Der Flash konnte nicht mehr durch den Hyperraum springen. Er hatte nur noch die Möglichkeit, mit Sternensog im Schutz des Intervallfelds »normal« überlichtschnell zu fliegen, oder den SLE für Geschwindigkeiten unterhalb der des Lichtes zu benutzen. Das reichte an sich aus, zumal SLE und Sternensog normal stark ausgelegt waren. Arc Doorn sah sich die technische Einrichtung des umkonstruierten Flash besonders interessiert an. »Bevor Sie starten, Gisol haben Sie mal 'nen Vorschlaghammer und 'neu Schraubenzieher?« 130 »Bitte? Ich verstehe nicht...«, wunderte sich der Mysterious. »Ein bißchen Werkzeug. Ich denke, Manlius geht es nicht anders als mir. Wir möchten aus Ihrem Spielzeug ein richtiges Raumfahrzeug machen.« »Ich verstehe immer noch nicht, was Sie meinen, Doorn.« Jetzt war es der Römer, der dorthin deutete, wo sich die Zusatzeinrichtungen für die Tarnung befanden. »Das da«, sagte er, »war doch schon veraltet, als unsere Vorfahren auf Terra sich noch mit den Karthagern geprügelt haben!« »Erlauben Sie mal!« protestierte Gisol. »Diese Vorrichtung habe ich selbst weiterentwickelt. Sie ist besser als alles, was mein Volk zuletzt noch konstruiert hat. Sogar noch besser als alles, was selbst auf Terra Nostra entwickelt wurde! Allerdings ein Unikat, weil...« Doorn unterbrach ihn. »Ich sehe da noch weiteres Entwicklungspotential. Kommen Sie, Manlius, wir bauen das Ding erst mal aus und machen es auf. Ich wette, wir können die Leistung noch steigern.« Er tauchte bereits mit dem Oberkörper in den Spezialflash ein und begann, mit einem Fänger die Schachtelkontakte zu lösen, die für Energie und Schaltimpulse sorgten. »Was soll das?« protestierte Gisol. »Hören Sie damit auf! Sie wissen nicht, was Sie tun!« Dhark zupfte ihn am Ärmel. »Komm mit, Jim Smith, und laß die beiden machen. Doorn weiß, was er tut.« »Wenn nicht, werfe ich ihn dem Groall zum Fraß vor«, murrte Gisol, ließ sich aber von Dhark wegziehen. Unterdessen hatte sich beim Rest der Besatzung herumgesprochen, welche Aktion bevorstand. Einmal den Fuß auf die Heimatwelt der Worgun setzen, das wollte sich niemand entgehen lassen. Aber Gisol machte ihnen unmißverständlich klar, daß es nur einen Plash gab, mit dem er nach Epoy fliegen konnte, und daß es in diesem wie in allen anderen Modellen dieses Typs nur Platz für zwei Personen gab. Diese zweite Person war Ren Dhark. Die Proteste der anderen fruchteten nicht. Eine Diskussion über seine Entscheidung ließ Kommandant Gisol erst gar nicht zu. Er vertröstete nicht einmal auf einen späteren Termin. Ren glaubte, ihn warnen zu müssen. »Gisol, das Problem hatten 131 wir schon einmal, als wir auf F104G festlagen: Ich bin neben dir der einzige, der der Gedankensteuerung und dem Hyperkalkulator gegenüber befugt ist, dieses Raumschiff zu fliegen. Wenn wir beide draufgehen, sitzen die anderen hier ein für allemal fest.« »Soll das heißen, daß du nicht mitfliegen willst?« staunte der Worgun. »Natürlich nicht. Es heißt, daß du dir für den Notfall etwas überlegen solltest, mein Bester. Oder willst du wirklich, daß die anderen hier versauern?« »Ich habe mir schon etwas überlegt«, sagte Gisol. »Ich werde Arc Doorn das Kommando übertragen. Ich halte ihn für den Geeignetsten, weil er am meisten von unserer Technik versteht. Manlius käme von seinem Wissen her zwar auch in Frage, aber... er ist ein Römer.«
»Traust du ihm nicht?« »Er ist ein Römer«, wiederholte Gisol. »Ich kenne ihn noch nicht lange genug.« »Na, da wird Doorn sich aber freuen, stellvertretender Kommandant zu werden...« Der freute sich gar nicht. »Nicht meine Welt«, brummte er, fügte sich aber in sein Schicksal. »Und aus Ihrer Flashtamung, Meister, haben wir noch 30 Prozent mehr Leistung herausgekitzelt. Ich fertige Ihnen noch eine Bastelanleitung an, damit Sie beim nächsten Mal gleich mehr realisieren können, wenn Sie wieder mal so was konstruieren.« Der Worgun knurrte etwas Unverständliches. Wenig später startete er die EPOY und steuerte sie aus dem Werkstattbereich wieder hinaus und durch den riesigen Hangar zum Start und Landeschacht. An der Oberfläche des Planeten arbeiteten verborgene Ortungsstationen. Gisol rief die Daten ab, und als er sicher war, daß sich kein Zyzzkt--Raumer in Ortungsreichweite befand, flog er aus. Hinter dem Ringraumer schloß sich der Boden wieder. Nichts deutete mehr darauf hin, daß ein paar tausend Meter tief im kalten Fels eine große Geheimstation existierte. Der Unterschlupf Gisols, des Schlächters, war perfekt und sicher. Der Rebell beschleunigte den Raumer und flog einen sternenarmen Bereich etwa 50 Lichtjahre von Epoy entfernt an. Den Weg 132 dorthin legte er wieder per Sternensog zurück und verzichtete auf eine Transition mit ihren verräterischen Strukturerschütterungen. Gisol brachte den Raumer im Schutz seines Tarnfeldes zum relativen Stillstand und übergab die Kommandoautorität an Arc Doorn. »Wie lange bleiben Sie fort?« wollte der Sibirier wissen. »Das läßt sich noch nicht bestimmen. Es hängt von der Situation ab, die wir vorfinden. Weshalb fragen Sie?« »Vielleicht möchte ich auch die Tarnung Ihres Schiffes verbessern.« »Vergessen Sie's«, sagte Gisol. »Soweit reicht Ihre Ermächtigung nicht, daß Sie Umbauten vornehmen können. Die Gedankensteuerung wird das nicht zulassen. Außerdem gestatte ich derlei Arbeiten nur innerhalb meines Stützpunktes. Aus Sicherheitsgründen, Doorn.« »Schon gut. Wer nicht will, der hat schon«, knurrte Doorn. »Und jetzt raus aus meinem Kommandositz, Mister Smith. Sie haben Starterlaubnis.« Gisol starrte Doorn verblüfft an. Dhark grinste. »Tja, mein Lieber er ist jetzt der Kommandant!« Dhark und Gisol nahmen in dem Spezialflash Platz, der sich äußerlich nicht von allen anderen Maschinen dieses Typs unterschied. Ren drehte sich um und sah, wie Gisol oben auf seinem Kopf ein Auge ausbildete, mit dem er den Bildschirm über seinem Platz mühelos kontrollieren konnte. Die EPOY blieb getarnt zurück, während der Flash Kurs auf die Heimatwelt der Worgun nahm. In Raumtiefen schimmerte eine blaue Sonne... Im Schutz des Intervallfelds jagte der getarnte Flash dem Sonnensystem mit hoher Überlichtgeschwindigkeit entgegen. Die Passivortungen waren in ständigem Einsatz. Gisol zeigte sich erstaunt, wie wenig Raumschiffverkehr es in diesem Sektor noch gab. Dhark schnappte nach Luft. In einer Raumkugel von etwa zehn 133 Lichtjahren zeichneten die Echos von mehr als 100 Zyzzkt--Raumern! Das als wenig zu bezeichnen, erschien ihm wieder mal als typisch worgunsche Gigantomanie. »Es sind wirklich nur noch wenige Schiffe«, beharrte Gisol. »Früher patrouillierten hier wesentlich mehr Zyzzkt--Ringraumer. Die vier bis fünffache Zahl war völlig normal. Offenbar ist Epoy für die Wimmelwilden uninteressant geworden.« Per Sternensog näherte Gisol sich dem Planeten so weit wie möglich. Erst als es schon danach aussah, daß er einfach überlichtschnell hindurchrasen müßte, schaltete er auf SLE um und bremste den Raumer gewaltig ab. Dennoch glitt er tief in den Boden hinein, beim direkten Eintauchen mit abgeschaltetem SLE, so daß der Brennkreis kein Loch in den Boden schmelzen konnte, was später Mißtrauen erwecken würde.
Erst etliche Kilometer unter der Oberfläche schaltete er den SLE wieder ein und setzte den Weg fort. Nach einer Weile kam er in einem Kellerraum wieder heraus, wo er den Flash knapp über dem Boden in der Schwebe hielt. »Wir sind da«, erklärte er, schaltete das Intervallfeld ab und klappte die Einstiegsluke hoch. »Und wo ist >da« fragte Dhark. Das Eintauchen in die Atmosphäre war dermaßen schnell abgelaufen, daß er kaum etwas Von dem hatte wahrnehmen können, was sich an der Oberfläche zeigte. »Wir sind in den Kellerbereichen einer Wohnpyramide«, erklärte Gisol. Er schwang sich nach draußen und brachte zwei falsche IDDämpfer sowie Zyzzkt-kleidung mit ins Freie. Auch Dhark stieg jetzt aus. Der Raum war dunkel, und wurde nur von den Scheinwerfern des Flash erhellt, die ihr Licht erst nach dem Abschalten des Intervallums nach »draußen« verströmen konnten. Gisol streifte seine Kleidung ab, verwandelte sich in einen massigen Zyzzkt- und schlüpfte dann in die mitgebrachte Insektenkleidung. Die Umwandlung benötigte einige Zeit. Der Worgun besaß eine Körpermasse von einhundert Kilogramm, ein durchschnittlicher Zyzzkt- konnte gerade mit der Hälfte aufwarten. Also mußte Gisol seine Zellstruktur erheblich komprimieren, um die »dünnere« Gestalt anzunehmen. Was er nicht ändern konnte, war sein Gewicht. 134 Er wurde zu einem etwas mehr als l ,50 Meter »großen« Insekt mit schwarzem Chitinpanzer, Facettenaugen, Fühlern und Beißzangen. Zyzzkt- gingen auf zwei Beinen aufrecht und besaßen vier Arme mit klauenartigen Fingern. Sie erinnerten ein wenig an Bocckäfer ohne Flügel; die Flügelansätze waren zwar noch rudimentär vorhanden, im Laufe der Evolution aber geschrumpft. Nachdem er sich neu eingekleidet hatte, legte Gisol den falschen IDDämpfer an. Den zweiten reichte er Dhark. »Unbedingt jederzeit tragen und nicht verlieren«, schärfte er dem Terraner ein. Diese Dämpfer sollten verhindern, daß sich Gestaltwandler heimlich unter die Zyzzkt- mischten eben das, was Gisol momentan tat. Schon bald hatten Widerständler unter den Worgun Imitate konstruiert, die von den Originalen nicht zu unterscheiden waren, nicht einmal unter Einsatz meßtechnischer Hilfsmittel. Die Rebellen pflegten diese falschen Dämpfer zu tragen. »Du wirst immer drei Schritte hinter mir gehen«, verlangte er. »Dann sieht es so aus, als wärest du ein Sklave oder Diener aus einem der unzähligen Fremdvölker, von denen die Zyzzkt- beileibe nicht alle kennen. Und sieh zu, daß du deinen Blaster versteckst.« Unwillkürlich zuckte Dhark zusammen. Daran hatte er überhaupt nicht gedacht. »Gib ihn am besten mir«, sagte Gisol. »Ich lasse ihn in einer Körperhöhlung verschwinden. Wenn du ihn brauchst, gebe ich ihn dir zurück.« Er öffnete seine Jacke und formte eine Ausbuchtung. Kaum hatte er den Blaster darin untergebracht, als sich ein Hautlappen darüber legte. »Merk dir die Stelle«, verlangte Gisol. »Notfalls reiß sie auf. Ich werde keinen Schmerz spüren. Auf entsprechende Nervenbahnen dort habe ich verzichtet.« Er stakste im typischen Insektengang zu einer Tür hinüber, die aus diesem Raum führte. Sie blieb verschlossen. Auch der Sensorschalter für die Beleuchtung funktionierte nicht. »Energieausfall«, brummte Gisol. »Was jetzt?« Aus einer weiteren Hauttasche zog der Gestaltwandler ein klei^s Gerät hervor, dessen Schalter er betätigte. Die Flashiuke ^hloß sich, das Intervallfeld schmiegte sich eng um den zylindri 135 sehen Flugkörper, und im nächsten Moment versank er im Boden. »Dann wollen wir mal«, sagte Gisol und zog die Kellertür mittels Körperkraft auf. Dahinter war es ebenfalls dunkel. Das Abenteuer, dachte Ren Dhark, beginnt nicht gerade unter erfreulichen Voraussetzungen... 9.
Terence Wallis runzelte beim Anblick der aktuellen Umfrageergebnisse kritisch die Stirn. »Wenn die Meinungsentwicklung so weitergeht, wird Dreyfuß die Wahl im November haushoch gewinnen. Das wäre Terras politischer Untergang. Warum unternimmt niemand etwas gegen diese fatale Entwicklung? Schläft die Regierung?« »Kann Ihnen doch egal sein, Chef«, meinte Liao Morei. »Schon bald bestimmen Sie auf Ihrem eigenen Planeten die Geschicke der Bevölkerung. Dann können Sie uns allen beweisen, daß Sie es besser können.« Wallis' Stirnrunzeln verstärkte sich noch. »Könnte es sein, daß aus Ihrem letzten Satz ein gewisser ironischer Unterton herauszuhören war?« Die zierliche Chinesin setzte ihr unschuldigstes Gesicht auf. »Ich und ironisch? Das würde ich nie wagen. Ich kann Ironie nicht einmal buchstabieren.« »Schon gut. Sie haben ja recht«, erwiderte Wallis schmunzelnd. »Bs gehört schon eine Portion Verrücktheit dazu, seine Siebensachen zusammenzupacken, auf einen weit entfernten Planeten zu reisen und dort einen eigenen Staat zu gründen. Dennoch bin ich fest entschlossen, mein Vorhaben von Anfang bis Ende durchzuziehen. Es gibt kein Zurück mehr.« Mit »Siebensachen« meinte er nicht etwa seinen persönlichen Hausrat plus Kulturbeutel, sondern Wallis Industries, das größte Industriekonglomerat der Erde, mit Firmen rund um den ganzen Globus. Von der Schwerindustrie bis zur Hyperraumtechnologie war alles vertreten. Sitz der Firmenzentrale war ein rund achtzig Quadratkilometer unifassendes Gelände bei Pittsburgh, Pennsylvania. 137 Der siebenundvierzigjährige Terence Wallis war groß, schlank und sportlich. Sein langes, leicht schütteres Haar trug er meist zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz. Der leidenschaftliche Golfer liebte elegante Anzüge, aber auch grellbunte Westen, die nicht zwangsläufig zum übrigen Outfit paßten. Außer WI gehörten ihm Wallis Star Mining, Biotechnologique sowie zahlreiche weitere Tochtergesellschaften. All seine Besitztümer machten ihn zum reichsten Mann der Erde was für viele Mitmenschen gleichbedeutend mit dem zufriedensten Mann der Welt war. Zufrieden war der unkonventionell denkende Multimilliardär jedoch ganz und gar nicht. Er hielt nicht viel von der klassischen Politik und ihren undurchschaubaren Beziehungsgeflechten. Zwar war er alles andere als ein Umstürzler, aber hier und da hatte er der Regierung bereits die Zähne zeigen müssen. Nachdem er Dharks Stellvertreter Trawisheim klargemacht hatte, wer von ihnen der bessere Geschäftsmann war, gehörte ihm nicht nur das AchmedSystem samt seinem Asteroidengürtel aus Tofirit, sondern auch ein Planet namens Eden im Kugelstemhaufen M 53. (Genaugenommen befanden sich jeweils 2,5 Prozent von beidem im Besitz des Ehepaars Hooker, aber das war eine andere Geschichte.) Für den Schutz der wertvollen Sonnensysteme hatte Wallis seither selbst zu sorgen wobei ihm die Regierung laufend Aeue Steine in den Weg legte. Unter strengster Geheimhaltung ließ er in seinem Stammwerk zwölf schwerbewaffnete Ikosaederraumschiffe bauen, aus dem neuartigen Verbundwerkstoff Carborit, einer Entwicklung seiner besten Wissenschaftler. Privatleuten war der Besitz von Raumschiffen mit schwerer Bewaffnung streng verboten. Deshalb schützte momentan die terranische Flotte das AchmedSystem, was sich Trawisheim teuer bezahlen ließ. Doch wenn sich Wallis erst einmal auf Eden »selbständig« gemacht hatte, war er nicht länger der terranischen Gesetzgebung unterworfen. Sein Plan, mit Hilfe eines raumflugfähigen Fundamentes aus Carborit das Stammwerk in Pittsburgh aus dem Erdreich zu lösen und durchs Weltall nach Eden zu transportieren, war genauso geheim wie der Großumzug an sich. Zwar sickerten bereits erste Gerüchte durch, doch Wallis' begabte Sicherheitschefin Liao Morei hatte 138 erst kürzlich den besten Agenten der Galaktischen Sicherheitsorganisation aufs Glatteis geführt und falsche Spuren gelegt.
Die einunddreißigjährige Chinesin wirkte nach außen hin wie eine zarte Geisha, die in Männern Beschützerinstinkte erweckte. Dabei konnte sie sich selbst sehr gut beschützen. Sie beherrschte mehrere Kampfsportarten. Wallis wußte sie nicht nur deswegen zu schätzen, er nutzte auch ihren messerscharfen Verstand. Laufend unterrichtete sie ihn über die aktuelle politische Lage, wobei sie ihm mitunter Informationen zukommen ließ, über die in den Medien erst anderentags berichtet wurde. Wie sie darangekommen war, verriet sie ihm nie. Auch die neuesten Umfrageergebnisse waren der Bevölkerung noch nicht bekannt. Morei konnte sie ihrem Chef schon frühzeitig präsentieren. Terence Wallis bedankte sich bei ihr dafür mit einem Lächeln und natürlich mit einem überdurchschnittlichen Gehalt. Vielleicht dachte Liao ja gerade an ihre hohen Bezüge, als sie beim Verlassen seines Büros zurücklächelte. Oder an einen besonders schönen Moment in ihrem Leben. Wallis empfand ihr Lächeln jedenfalls als überaus bezaubernd. Nicht zum ersten Mal verspürte er das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen und kräftig zu drücken, nicht wie eine Geliebte, eher wie ein Vater seine Tochter. Irgendwie fehlte ihm jedoch der Mut zu dieser vertraulichen Geste, so etwas war einfach nicht seine Art. Liao Morei spürte seinen unterdrückten Wunsch, und sie fragte sich, warum sich ausgerechnet die gestandensten Männer in manchen Situationen als kleine Feiglinge erwiesen. Der kräftig gebaute, zweiundsechzigjährige Kanadier George Lautrec, ein erfahrener Wissenschaftler auf den unterschiedlichsten Gebieten, kannte Feigheit hingegen nur vom Hörensagen. George wußte, was er wollte, und er sagte, was er dachte, ohne Rücksicht auf eventuelle negative Konsequenzen. Es gab für ihn keinen Anlaß, sein Verhalten jemals zu ändern. Millionen von Hasen verdankten ihr Dasein fast ausschließlich ihren Fluchtreflexen 139 Lautrec hatte keine, er lief nie davon, das war ihm viel zu anstrengend. Im Auftrag von Terence Wallis hatte der Kanadier eine Mannschaft zusammengestellt, die das Stammwerk für den Transport nach Eden vorbereitete. Zudem hatte er die Gesamtleitung des Projekts übernommen. Wallis suchte ihn in seinem Büro auf. Daß er ihn dort nicht antraf, wunderte den Unternehmer nicht. George Lautrec war kein Mann, der seinen Schreibtischsessel warmhielt und anderen die Drecksarbeit überließ. Man fand ihn immer dort, wo der Staub am dicksten war. Wallis und Lautrec trafen unter der Erde zusammen, in einem verwinkelten Tunnelsystem unter dem Werksgelände. Dort arbeiteten zahlreiche Roboter und einige Menschen Hand in Hand. Lautrec informierte seinen Auftraggeber ausführlich über den Stand der Dinge. »Der Start ins All erfolgt weder heute noch morgen«, machte der Wissenschaftler seinem Boß abschließend klar. »Aber übermorgen fallen Ihnen vor Staunen die Augen aus den Höhlen, darauf verwette ich meinen Bart.« Natürlich waren mit »übermorgen« nicht tatsächlich zwei Tage gemeint. * Erst kurz nach der Wahl im November wollte Wallis seinen Umzugsplan in die Tat umsetzen, um das Wahlergebnis nicht zu beeinflussen. Lautrec hatte ihm zugesichert, bis dahin startbereit zu sein. Der Unternehmer glaubte ihm unbesehen. Für »Urmenschen« wie George Lautrec hatte der alte Ausspruch »Ein Mann, ein Wort, ein Wort, ein Mann ist besser als ein Schwur getan!« noch Bedeutung. Leider war diese verbindliche Zusicherung im Geschäftsleben mittlerweile zu einer leeren Floskel verkommen, was Wallis sehr bedauerte. Einer der wenigen Männer, die noch wirklich meinten, was sie sagten, war Henner Trawisheim. Trotz gelegentlicher Auseinandersetzungen wußte Wallis, was er an dem stellvertretenden Re 140 gierungschef hatte. Trawisheim war ein Politiker, der sich auf sein »Handwerk« verstand. Per Vipho machten beide einen Gesprächstermin aus. Privat lebte der Geschäftsmann Wallis auf einem großen Landgut im Lancaster County, mitten unter den Amischen, die auch heute noch auf Pferdekutschen und Handarbeit setzten. Zu dem Landsitz gehörte ein eigener Golfplatz. Obwohl Terence
Wallis noch gar nicht nach M 53 aufgebrochen war, vermißte er dieses Anwesen jetzt schon. Er nahm sich vor, auf Eden alles wieder genauso aufzubauen. Oder noch besser, größer, schöner... Der achtunddreißigjährige Henner Trawisheim war seit rund drei Jahren stellvertretender Regierungschef von Terra. Ihm konnte man nicht so leicht ein X für ein U vormachen. Trotzdem rätselte auch er an Wallis' wahren Absichten herum. Laut seinen letzten (GSO)Informationen wollte der Unternehmer sein Hauptwerk nach Australien verbringen und hatte dort sogar schon ein geeignetes Areal ins Auge gefaßt. Aber warum? »Was hat das Gelände in Australien, das die Gegend um Pittsburgh nicht hat?« fragte Trawisheim Wallis direktheraus. »Bessere Arbeitsbedingungen, niedrigere Regionalsteuem und umfassende Abschreibungsmöglichkeiten«, antwortete ihm der Multimilliardär lapidar und damit hatte sich's. Trawisheim war gegen Abend per Transmitter auf Wallis' Landsitz gekommen. Beide saßen vor dem erloschenen Kamin im feudalen Hauptgebäude. Auf dem Tisch stand eine Flasche schottischer Whisky, natürlich Single Malt. Ein Roboter servierte ein paar kulinarische Köstlichkeiten. »Werden Sie den Landsitz nach Ihrem Umzug behalten?« erkundigte sich Trawisheim. »Oder verlegen Sie Ihr Privatdomizil ebenfalls auf einen anderen Kontinent?« »Weiß ich noch nicht«, antwortete Wallis ausweichend. »Ich hänge an der hiesigen Landschaft. An einen neuen Arbeitsplatz hat an sich schnell gewöhnt, aber im Privatbereich tut man sich schwer mit Veränderungen.« 141 »Geht mir genauso, auch bei Umgestaltungen im Arbeitsbereich. Als wir uns seinerzeit in der 39. Etage des Regierungsgebäudes einrichteten, Dhark, Riker, Eylers, die anderen und ich, hatte jeder sein eigenes Vorzimmer, und es wimmelte nur so von kaffeekochenden Sekretärinnen. Mittlerweile wurde fast der gesamte Apparat der Dienstleistungen in die darunterliegenden Etagen verbannt, aus Sicherheitsgründen. Lediglich unsere persönlichen Ordonnanzen und Assistentinnen dürfen sich zeitweise in unserer Etage aufhalten. Sie verfügen über beste Manieren und eine ausgezeichnete Bildung, aber von einer guten Tasse Kaffee verstehen sie nichts. Glücklicherweise bildet meine Privatsekretärin, eine ehemalige Vorzimmerdame der alten Schule, die rühmliche Ausnahme. Sie ist intelligent, verschwiegen und kocht den besten Kaffee der Welt.« »Es sind halt die kleinen Freuden, die uns Männern das Leben lebenswert machen«, merkte Wallis schmunzelnd an. »Und natürlich die Frauen. Wie ich Sie einschätze. Henner, ist Ihre Sekretärin jung, ledig und bevorzugt kurze Röcke.« »Mrs. Welby geht auf die Fünfzig zu, trägt gepflegte, dezente Kleidung und ist seit fünfundzwanzig Jahren mit Mr. Welby verheiratet. Sie konnten mich noch nie gut einschätzen, Terence. Hin, gegen sind Sie für mich mitunter wie ein offenes Buch.« »Und? Was lesen Sie gerade in mir?« »Daß Sie mir nicht die volle Wahrheit über den Grund Ihrer Werksverlegung sagen. Wenn Sie einen derart kostspieligen Umzug in Angriff nehmen, steckt garantiert ein Riesengeschäft dahinter. Zunächst dachte ich, es käme Ihnen ausschließlich auf Steuerabschreibungen an. Aber das ist mir zu simpel. Sie planen den ganz großen Coup, stimmt's?« »Stimmt«, bestätigte ihm der Unternehmer. »Und damit mir die Konkurrenz nicht vorzeitig in die Suppe spuckt, habe ich äußerste Geheimhaltung angeordnet. Nicht einmal meine engsten Mitarbeiter wissen Bescheid. Jeder von ihnen kennt nur einen Teil des Plans, eine Vorsichtsmaßnahme, für den Fall, daß sich einer von ihnen verplappert.« »Was haben Sie vor?« ließ der Regierungschef nicht locker. »Geben Sie mir wenigstens einen winzigen Tip.« 142 Wallis warf einen kurzen unauffälligen Blick in Richtung eines kleinen Bücherregals, das nahe der Sitzecke an der Wand hing. Er verfügte über eine ansehnliche Bibliothek. In diesem Regal lagerten lediglich die Bücher, die er sich derzeit zu Gemüte führte. In einem davon steckte ein Lesezeichen.
George Lautrec hatte Wallis »Die fliegenden Städte« von James Blish ausgeliehen, ein altes, vergilbtes Buch, welches den Kanadier überhaupt erst auf die Idee gebracht hatte, das achtzig Quadratkilometer große Hauptwerk von Wallis Industries durchs Weltall schweben zu lassen. Zu diesem Zweck wurden derzeit Platten aus Carborit in den Untergrund des Werkes eingezogen. Zur Aufrechterhaltung des Luftdrucks im Weltall war eine CarboritUmmantelung des Stammwerks nicht notwendig. Es genügte ein einfacher Energieschirm, um die Anlagen zu schützen. Roboter würden das komplette Werksgelände mit Antigravantrieb aus dem Boden lösen und mit Sprungtriebwerken nach Eden fliegen. Lebende Menschen durften sich in der »fliegenden Stadt« nicht aufhalten, da der Sprungschock zu heftig für sie wäre. Falls Trawisheim das BlishBuch zufällig entdeckte, zog er möglicherweise die richtigen Schlüsse. Geschickt legte Wallis eine falsche Fährte aus. »Geben Sie es auf, von mir bekommen Sie nicht den geringsten Hinweis«, sagte er unmißverständlich. »Wenn meine wahre Absicht vorzeitig durchsickert, würde das meinem Konzern größten Schaden zufügen.« »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« erwiderte Trawisheim. »Selbst wenn Sie ein Dutzend großer Geschäfte in den Sand setzen, würde das Ihren Konzern lediglich ein bißchen ankratzen. Immerhin sind Sie der reichste Mann der Welt.« »Das könnte sich leicht ändern, sollte mir ein gewiefter KonkurTent den Coup vermasseln. Der kleinste Fehler treibt mich unweigerlich in den Konkurs, deshalb darf nichts schiefgehen.« Das genügte vorerst als Ablenkungsmanöver. Trawisheim wollte ^ar noch etwas sagen, doch der Unternehmer blockte ab und Wechselte abrupt das Thema. »Wir sind nicht zusammengekommen, um über meine geschäftlichen Risiken zu plaudern. Henner. Vielmehr geht es um die poli 143 tische Zukunft der Erde. Wir wissen beide, daß Dhark kaum Interesse an der Politik hat und Terra in erster Linie von Ihnen geführt wird.« »Haben Sie mich zu sich bestellt, um mir vorzuschlagen, den Commander zu stürzen?« fragte Trawisheim, halb im Scherz. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Terence. Ich bin nicht auf eine Machtübernahme aus.« »Auch nicht, wenn Sie dadurch den Wahlsieg der Fortschrittspartei verhindern könnten?« stellte Wallis ihm die Gewissensfrage. Dharks Stellvertreter begriff, wie ernst es Wallis damit war. »Dreyfuß hat keine Chance gegen den Commander«, antwortete er ihm, was allerdings ein wenig unsicher klang. »Das Volk weiß, was es Ren Dhark zu verdanken hat. Paley und Konsorten werden scheitern mit ihren miesen Intrigen. Sie haben ihren ominösen Änderungsantrag für die morgige Parlamentssitzung auf die Tagesordnung gesetzt. Wie kommt Paley nur darauf, daß er dafür die nötige Mehrheit erlangen wird? Ich hätte ihm mehr Realitätsnähe zugetraut.« »Ich schätze, er weiß genau, was er tut«, bemerkte Wallis mit düsterer Miene. »Schon als er den Antrag in seiner flammender Rede ankündigte, war ihm bewußt, daß er ihn im Parlament niemals durchkriegt.« Trawisheim nickte. »Ja, darüber habe ich mir auch schon meine Gedanken gemacht. Paley ist es wahrscheinlich völlig egal, ob er diese Verfassungsänderung durchbekommt oder nicht. Hauptsache, sein Spitzenkandidat kann während der Sitzung Kübel von Dreck über Ren Dhark ausschütten. Eine schäbige Taktik. Falls die beiden damit Erfolg haben und die Wahl letztendlich für sich entscheiden, kann sich Terra einsargen lassen. Aber so weit wird es nie kommen.« »Mal ehrlich, so richtig glauben doch auch Sie nicht mehr an einen Wahlsieg des Commanders«, bohrte Wallis weiter nach. »Ich schwanke«, räumte Trawisheim ein. »An manchen Tagen bin ich felsenfest überzeugt, daß die Partei für Demokratie mit einem machtvollen Kandidaten wie Ren Dhark gar nicht verlieren kann. Dann wiederum befallen mich erhebliche Zweifel, und ich 144 denke, wir brauchten schon ein Wunder, um diese Wahl zu gewinnen.«
»Oder eine politische Revolte! Womit wir wieder beim ursprünglichen Thema angelangt wären dem Sturz des derzeitigen Regierungsoberhaupts. Dhark muß weg!« »Haben Sie die Seiten gewechselt?« echauffierte sich Trawisheim und erhob sich aus seinem Sessel. »Oder wollen Sie mich zum Narren halten? Das kann unmöglich Ihr Ernst sein.« Er trat einen Schritt auf das kleine Bücherregal zu. Scheinbar gedankenverloren nahm er das Buch mit dem Lesezeichen zur Hand. Offensichtlich war ihm Wallis' verstohlener Blick zum Regal nicht entgangen. Cyborgs waren gute Beobachter. Nachdem er sich das Buch kurz angesehen und die gekennzeichnete Seite aufgeschlagen hatte, klappte er es wieder zu und stellte es zurück. Henner Trawisheim setzte sich und schaute seinem Gesprächspartner fest in die Augen. Terence Wallis hielt seinem Blick stand. »Sprechen Sie mir bitte nach, Terence, laut und deutlich: >Ren Dhark ist mein Freund, und mein Vorschlag, gegen ihn zu revoltieren, war nichts weiter als ein dummer Witz.< Na los, ich warte!« »Mir ist es wirklich ernst damit«, betonte Wallis mit fester Stimme. »Dhark muß weg! Darin stimme ich voll und ganz mit den Forderungen der Fortschrittspartei überein. Paley und Dreyfuß wollen unbedingt einen Sieg. Warum geben wir den beiden nicht, was sie wollen?« Bevor Henner Trawisheim im Morgengrauen den Landsitz des Multimilliardärs verließ, wie er gekommen war durch den Transmitter schüttelten sich beide Männer freundschaftlich die Hände. Terence Wallis und der stellvertretende Regierungschef hatten einen teuflischen Pakt geschlossen. Geplant war, die Bombe ?1 nächsten Tag bei der Parlamentssitzung platzen zu lassen. Es war für Wallis ein hartes Stück Arbeit gewesen, Dharks Loyalsten Mitarbeiter davon zu überzeugen, daß es unbedingt vonüöten war, den Commander der Planeten durch einen anderen 145 Mann zu ersetzen. Letzten Endes hatten ihn die aktuellen Umfrageergebnisse umgestimmt. Da Ren Dhark dazu nicht befragt werden konnte, mußte über seinen Kopf hinweg entschieden werden. »Tut mir leid, Ren, alter Freund«, murmelte Wallis, als er allein war. »Du bist selbst schuld an deinem politischen Schicksal. Terra braucht einen starken, verantwortungsbewußten Mann an der Spitze, der es gewohnt ist, hart durchzugreifen.« Sein Blick fiel auf das Buch, das Trawisheim zur Hand genommen hatte. Es handelte sich um einen Operetten und Opernführer. Wallis hatte vor ein paar Tagen darin geblättert. Das Buch von James Blish stand selbstverständlich nicht mit im Regal. Rechtzeitig vor dem Eintreffen des stellvertretenden Regierungschefs hatte Wallis seinem Roboterbutler den Befehl erteilt, es aus dem Wandregal zu entfernen und in die Schublade seines Nachtschranks zu legen. Während des Gesprächs mit Trawisheim hatte sich der Gastgeber durch einen kurzen unauffälligen Blick (offenbar nicht kurz und unauffällig genug) davon überzeugt, daß seine Anweisung ausgeführt worden war. Terence Wallis schlug die Stelle mit dem Lesezeichen auf. Zuletzt hatte er sich über die Oper »Der fliegende Holländer« informiert. Er begab sich nach nebenan ins Schlafzimmer und nahm das Buch mit. Wallis wollte noch ein paar Minuten lesen und sich anschließend zwei, drei Stündchen aufs Ohr legen. Danach würde er dann den Holobildschirm aktivieren und bei einem verspäteten Frühstück im Bett gemütlich zuschauen, wie im Parlament an Dharks Stuhl gesägt wurde. 10. Es blieb dunkel. Der gesamte Pyramidenbau schien ohne Energieversorgung zu sein. Anfangs bewegten Gisol und Dhark sich durch die Finsternis, tasteten sich vorwärts, bis sie aus den Kellerbereichen hinaus gelangten. Ab Parterre gab es Fenster und Lichtumlenkungseinrichtungen. Sie dienten dazu, das normale,
bläuliche Tageslicht auch ins Innere der Pyramidenräume gelangen zu lassen. Zumindest teilweise. Denn nicht nur Menschen, sondern lange vor ihnen auch die Worgun hatten herausgefunden, daß ständiges Kunstlicht, so sonnenähnlich es in seiner Farbmischung auch war, auf Dauer schadete. Also gab es sowohl die künstliche Beleuchtung als auch das Lichtumlenkungssystem. In diesem Fall zeigte es sich als außerordentlich nützlich. Denn die künstliche Beleuchtung existierte wegen Energiemangels nicht. Doch so konnten die beiden Besucher wenigstens außerhalb des Kellers einigermaßen sehen, wo sie sich befanden und bewegten. Unwillkürlich erschauderte Ren Dhark. War dies wirklich das Ziel seiner Träume? Die legendäre Heimatwelt der Mysterious!? So lange hatte er danach gesucht, und nun befand er sich auf genau diesem Planeten! In einem Wohngebäude dieses Volkes, vor dem er immer noch Ehrfurcht empfand, wenn er an die technischen Großtaten dachte, die es vollbracht hatte. Dabei war das, ^as er in der Milchstraße erlebt hatte, nur ein geringer Bruchteil dessen, was ihn in Om erwartete und was Gisol ihm andeutete. Aber was war von dem gigantischen Reich geblieben, von den Herrschern über Galaxien, von den Schöpfern technischer Wunder? Von jenen Wesen, die Sterne aus ihren Bahnen verschoben hatten, um eigene Sternbilder zu erschaffen, oder Sternenleere 147 Transitionsinseln im dichten Zentrumdmsbereich der Galaxis freizuräumen? Sie waren Unterdrückte. Sie waren ein sterbendes Volk. Sie waren nicht mehr das, wovon Dhark immer geträumt hatte. Selbst in dieser Wohnpyramide zeigte sich der Niedergang. Im schwachen Tageslicht erkannte Dhark überall Zeichen des Verfalls. Nichts wurde mehr gepflegt. Er sah Schmutz, der früher bei den Mysterious undenkbar gewesen wäre. Selbst in Räumen und Anlagen, die seit tausend Jahren leerstanden, hatte immer geradezu klinische Sauberkeit vorgeherrscht, mit Ausnahme jener Orte, wo es zu Zerstörungen gekommen war und Maschinen und andere Einrichtungen zu Staub zerfallen waren. Der Terraner schwieg. Es gab nichts, was er hierzu hätte sagen können. Da war immer noch die Ehrfurcht, der leichte Schauer, der ihm über den Rücken lief, wenn er daran dachte, wo er sich befand, aber da war auch eine unendlich große Enttäuschung, die ihn schon seit jenem Moment begleitet hatte, als er in der Milchstraße mit Gisol zusammentraf und dieser ihn, den Terraner, bat, den einst so mächtigen Mysterious zu helfen. Immer wieder hatte Dhark versucht, diese Enttäuschung zu verdrängen, aber mit der Zeit wurde sie immer größer. Er konnte sich, ablenken, indem er sich mit den Problemen anderer Völker dieser Galaxis beschäftigte, aber sie kam stets zurück. Und jetzt brach sie sich endgültig Bahn. Nein, das konnte es doch nicht sein. Es durfte nicht sein, daß ein so gigantisches, staunenswertes Imperium auf diese entwürdigende Weise zerfiel. Nach wie vor hielt er sich weisungsgemäß etwa drei Schritte hinter Gisol, um bei einer Begegnung mit echten Zyzzkt- nicht aufzufallen. »Wohin gehen wir?« fragte er, weil der Weg durch die Pyramide kein Ende zu nehmen schien. Während des Fluges nach Om hatte Gisol den Menschen von seinem Werdegang und auch von Epoy erzählt, und von den Transmitterstraßen, die die Wohnpyramiden miteinander verbanden, aber auch gebäudeintem für ein rascheres Vorankommen sorgten. Aber die Transmitter funktionierten hier nicht mehr. Auch für sie stand keine Energie zur Verfügung. 148 »Zu Maluk«, sagte Gisol. »Maluk?« »Er ist einer meiner Freunde aus dem Widerstand. Ich hoffe, er lebt noch und wohnt noch hier. Früher lebten einige Worgunwiderständler in dieser Pyramide, die mit mir zusammenarbeiteten. Wir haben uns häufig bei Maluk eingefunden, um zu beratschlagen und Pläne zu schmieden.« »Wie lange ist es her, sagtest du, seit du zuletzt hier warst?«
»Etwa acht Jahre deiner Zeitrechnung«, sagte Gisol düster. Dhark nickte stumm, was der Worgun nicht sehen konnte, da der Mensch hinter ihm ging. Vor etwa acht Jahren waren Terraner erstmals auf Spuren der Mysterious gestoßen. Wieder eine Duplizität? In der Pyramide war es fast worgunleer. Nur hin und wieder tauchten in einiger Entfernung Worgun auf, die aber sofort wieder aus dem Korridor in die Räume verschwanden, aus denen sie soeben kamen, sobald sie den vermeintlichen Zyzzktsahen. Sie gingen ihren Unterdrückern so weit wie möglich aus dem Weg. Nur keinen Zusammenstoß riskieren, nur nicht auffallen. Einfach nur in Ruhe gelassen werden. Warum, überlegte Dhark, tun sie sich nicht zusammen und fallen über den einzelnen Zyzzkt- her? Haben sie Angst vor einer Massenbestrafung, wenn sich die einzelnen Täter bei einer Vernehmung nicht feststellen lassen? Warum beantworten sie Terror nicht mit Terror? Waren die Worgun schon so weit degeneriert, daß sie sich überhaupt nicht mehr wehren konnten? »Ich glaube, sie ziehen alle fort von hier«, sagte Gisol leise. »Wahrscheinlich liegt es am Energieausfall. Ein beliebtes Mittel der Wimmelwilden. Sie schalten die Energieversorgung ab. So sind die Bewohner gezwungen, das Gebäude allmählich zu räumen. Sie ziehen um in andere Pyramiden, die dadurch noch mehr übervölkert werden. Der zusätzliche Druck dort sorgt für weiteres Aussterben, oft aus Verzweiflung der Vertriebenen. Die Zyzzkt- dagegen nehmen ein Bauwerk nach dem anderen für sich selbst in Besitz. Sie säen nicht, sie ernten nur.« Ren Dhark schwieg weiterhin. Warum ließen die Worgun sich 149 das alles gefallen? Eine Schlacht im Weltraum zu verlieren war die eine Sache. Die Selbstachtung zu verlieren, eine ganz andere. Fast ungesehen kamen sie zu Maluks Apartment. So, wie Dhark die Rampen einschätzte Treppen gab es nicht, aber Antigravschächte, nur waren die natürlich außer Betrieb befand es sich etwa im fünften Stockwerk der Wohnpyramide. Also noch ziemlich weit im unteren Bereich. Eine funktionierende Türklingel oder eine sonstige Anmeldevorrichtung gab es nicht, weil der Strom dafür fehlte. Gisol pochte ein Klopfzeichen an die Tür, ein seltsamer Rhythmus, den sich einzuprägen dem Commander unmöglich war. Zu kompliziert war die Abfolge von Klopfen und Pausieren. Immerhin: eine gute Absicherung gegen unerwünschte Besucher. Kam jemand, der das Klopf signal nicht kannte, würde wahrscheinlich schnellstens alles weggeräumt, was ein Zyzzktoder ein Zyzzkt-höriger Worgunsklave nicht zu sehen brauchte. Plötzlich eine Stimme in der Worgunsprache. »Wer ist da?« »Gisol. Öffne, Maluk.« Die Tür schwang auf. Ein Worgun in seiner Originalgestalt befand sich dahinter im halbdunklen Flur. » Sah den Zyzzkt-. Griff sofort zur Waffe und schoß! »Nicht!« schrie Gisol auf und warf sich zur Seite. Der tödliche Blasterstrahl verfehlte ihn nur knapp. Zugleich begannen Kopf und Hände sich zu verändern. Nahmen Ren Dharks Aussehen an. Der hingegen riß sich den falschen IDDämpfer ab etwas, das wohl kein Unterdrückter jemals in Gegenwart eines echten Zyzzktgewagt hätte. »Nicht schießen, Maluk!« schrie er dem Rebellen zu. »Willst du deinen Freund Gisol töten?« Maluk fuhr herum. Gerade hatte er ein zweites Mal feuern wollen, jetzt richtete er die Waffe auf Ren Dhark. »Wer bist du, daß du meinen Namen kennst?« 150 »Gisol nannte ihn mir.« »Es stimmt«, sagte der und formte immer noch an seinem Kopf herum. »Ich bin Gisol. Jener ist Ren Dhark, ein Terraner. Er stammt aus Nai, vom gleichen Planeten wie die Salter. Dürfen wir endlich hereinkommen, oder sollen wir weiter hier auf dem Gang stehen, bis uns ein echter Wimmelwilder findet?«
Maluk zögerte noch. Aber daß zumindest Gisol ein Worgun war, ein Gestaltwandler, ließ sich nicht verleugnen. Auch nicht, daß er einen falschen IDDämpfer trug, denn er verwandelte sich trotzdem. Er zeigte jetzt den Kopf eines Giants. Den auf dem Körper eines Zyzzkt- zu sehen, war für Ren Dhark beinahe erschreckend. Auch die Giants, ein von den Mysterious entwickeltes Volk aus biologischen Robotern, waren einst Gegner der Menschen gewesen. Hier sah Dhark gleich zwei Feinde in einem vor sich: den alten Gegner Giant und den neuen Feind Zyzzkt-. Nicht gerade etwas, das ihn heiter stimmen konnte. »Kommt herein«, sagte Maluk schließlich. Er behielt seine amöbenähnliche Gestalt bei. Den Blaster behielt er weiterhin schußbereit in der Hand, in welcher einer seiner ausgeformten Tentakelarme endete. Dhark betrachtete die Strahlwaffe. Sie glich jener, die er in der ZwittStation in der Kabine MaSoors gefunden hatte, des letzten Kommandanten der Sternenbrücke. Entsprechend gewaltig mußte die Feuerkraft dieses Blasters sein. Vermutlich hatte Maluk eben nur mit einem Bruchteil der Leistung geschossen. In der Wohnung war es relativ dunkel. Etwas Licht kam durch eine halboffene Tür, die auf einen Balkon hinausführte. Offenbar gehörte Maluk zu den Privilegierten, die eines der begehrten Außenapartments bewohnen durften. »Warum bist du gekommen?« fragte Maluk. »Willst du wieder eine geheime Versammlung wie beim letzten Mal?« »Bs könnte nicht schaden«, sagte Gisol vorsichtig. »Dann können wir ja sofort mit der Diskussion anfangen.« »Wie meinst du das?« fragte Gisol mißtrauisch werdend. »Unsere Versammlung, einschließlich des Gastes«, Maluk wies 151 auf Ren Dhark, »ist hiermit komplett, mein Freund. Wir beide sind die letzten Rebellen...« »Das ist unmöglich!« entführ es Gisol. »Du warst lange nicht hier«, sagte Maluk. »In den letzten acht Jahren hat sich vieles verändert auf Epoy. Der Widerstand ist zerbrochen zumindest hier, möglicherweise auch auf den anderen Planeten. Ich erhalte keine Informationen mehr. Ich bin der letzte von allen Widerständlem auf Epoy. Alle anderen Kämpfer sind tot oder verschwunden.« »Ich kann es nicht glauben«, raunte Gisol. »Es ist einfach undenkbar. Es kann nicht sein, Maluk! Acht Jahre... es sind nur acht Jahre!« »Acht lange Jahre. Einer nach dem anderen verschwanden sie. Von einigen weiß ich, daß sie getötet wurden. Immer mehr fehlten. Nur ich blieb übrig. Aber nicht nur wir Widerständler schmolzen dahin. Das ganze Volk der Worgun wird immer kleiner. Heute gibt es nur noch knapp zwei Milliarden von uns und sie leben nur noch auf diesem Planeten, genauer gesagt nur auf dieser HälftQ von Epoy. Die andere Hälfte der Wohnpyramiden ist mittlerweile von Zyzzkt- übernommen worden. Damit haben sie sich nun endgültig auch auf unserer Heimatwelt festgesetzt und werden uns über kurz oder lang völlig auslöschen. Sie verdrängen uns einfach. Wenn sie kommen und weiteren Wohnraum in Besitz nehmen, bleibt uns nichts anderes übrig, als zu weichen.« »Nur noch zwei Milliarden«, wiederholte Gisol betroffen. »Und nur noch auf Epoy? Was ist mit jenen, die als Forscher oder Arbeiter zu anderen Zyzzkt-Welten geholt wurden?« »Ich weiß es nicht«, gestand Maluk. »Ich sagte schon: Ich erhalte keine Informationen mehr. Deshalb gehe ich davon aus, daß es sie nicht mehr gibt. Daß die Wimmelwilden sich ihrer entledigt haben.« Gisol wandte sich Ren Dhark zu. »Begreifst du allmählich, was hier geschieht? Wenn wir ihnen nicht Einhalt gebieten, wird es nicht mehr lange dauern, und in ganz Om gibt es ausschließlich 152 nur noch Zyzzkt- und keine anderen intelligenten Lebensformen mehr! Sie werden uns ausrotten, so wie sie alle anderen ausrotten. Bs ist alles nur noch eine Frage der Zeit.«
»Zumindest hier auf Epoy führen die Wimmelwilden zwar keinen offenen Krieg gegen uns, aber nach wie vor verschwinden immer noch ständig begabte junge Erwachsene wie einst du, Gisol.« »Also muß es irgendwo da draußen doch noch welche von uns geben.« »Ich weiß nicht, was dort mit ihnen geschieht, ob sie weiterleben dürfen oder getötet werden.« »Das ergäbe keinen Sinn. Töten könnten sie uns auch hier auf Epoy.« »Aber es geschieht noch mehr«, fuhr Maluk unbeirrt fort. »Manchmal verschwinden inzwischen auch junge Worgun direkt nach der Geburt. Warum, frage ich dich, Gisol! Du bist draußen im Weltraum unterwegs. Du hast Informationsquellen. Was geschieht in Om mit uns Worgun?« »Auch junge Worgun verschwinden?« Gisol war fassungslos. »Nein, Maluk, ich weiß ebensowenig wie du! Ich war längere Zeit nicht hier, ich war in Nai.« »Nai müßte längst untergegangen sein.« »Nai existiert noch, und Drakhon ist wieder in sein eigenes Kontinuum zurückgekehrt. Die Terraner hatten die richtige Lösung. Und einer von ihnen, der mein Freund wurde, Ren Dhark, ist Jetzt hier.« »Darüber wirst du mir mehr erzählen müssen«, sagte Maluk. »Und du mir über verschwindende Worgunkinder!« »Vielleicht ist es nur ein Gerücht«, wich Maluk aus. »Aber zumindest ich halte es für glaubhaft. Viele andere auch. Mittlerweile sind viele Worgun aufgewacht und wollen sich gegen die Wimnielwilden wehren. Aber es ist zu spät. Wir haben unsere große Chance verpaßt. Wir hätten viel früher aufbegehren sollen, als wir noch stärker waren, vor hundert, zweihundert, dreihundert Jahren oder noch viel eher. Aber wir ließen uns unterdrücken. Wir wollen lieber als Sklaven leben denn als Freie sterben. Das war ein Fehler. Jetzt führt kein Weg zurück.« 153 »Vielleicht doch«, murmelte Gisol. »Wir müssen ihn nur finden. Es gibt immer einen Weg.« In diesem Moment ertönte von draußen das schrille Fauchen von Strahlschüssen. Erschrocken walzte Maluk mit für die Unförmigkeit seiner Gestalt erstaunlichem Tempo in Richtung Tür und hinaus auf den Gemeinschaftsbalkon. Dhark und Gisol folgten ihm. Der Worgun holte Dharks Blaster aus seiner Hautfalte hervor und drückte ihn dem Terraner in die Hand. Gleichzeitig begann er sich wieder komplett in einen Zyzzkt- zu verwandeln. Dhark sah draußen auf einer freien Fläche zwischen dieser und der nächsten Wohnpyramide eine Zusammenrottung von mehreren hundert Zyzzkt-. Sie trugen keine Uniformen, sondern zivile Kleidung, wie Dhark es einschätzte. Besonders farbenfroh war die allerdings nicht. Er fand keine Zeit, die Oberfläche des Planeten näher zu betrachten, die Landschaft, den Himmel. Statt dessen sah er, wie Blitze aus den Waffenmündungen zuckten, wie grelle Energiefinger nach der Wohnpyramide tasteten und wie von dort andere Strahlbahnen zurückloderten und zwischen den Zyzzkt- einschlugen. Maluk schrie vor Wut und Verzweiflung. Er hob seine Waffe und feuerte ebenfalls auf die Insektenartigen. »Was geschieht hier?« rief Dhark. »Die Wimmelwilden wollen jetzt auch diese Pyramide für sich erobern«, gab Maluk bitter zurück. »Dabei haben sie uns das ewige Wohnrecht hier garantiert! Jetzt kommen sie und verjagen uns auch von hier!« »Du sagtest vorhin, sie führten keinen offenen Krieg auf Epoy.« »Den Krieg haben die unseren begonnen«, stieß Maluk hervor. »Ich weiß, daß einige sich Waffen gebaut haben, heimlich. Ich kann sie am Klang von den ZyzzktWaffen unterscheiden. Vielleicht waren es anfangs nur Warnschüsse. Aber jetzt geht es um Leben und Tod.« »Ewiges Wohnrecht garantiert?« fauchte Gisol. »Ihr Narren. Habt ihr immer noch nicht begriffen, daß keine Garantie der >Verehrten< die Folie wert ist, auf der sie geschrieben steht?« Maluk antwortete nicht mehr. Er konzentrierte sich darauf, eben 154
falls auf die Zyzzkt- zu schießen. Gisol schloß sich ihm an. Und schließlich blieb auch Ren Dhark nichts anderes übrig, wollte er sich nicht zum Außenseiter machen. Allerdings bemühte er sich, sauber zu zielen und die Zyzzkt- nur zu verletzen, nicht zu töten. Die Insekten bekamen bald Verstärkung. Immer mehr von ihnen strömten heran und stürmten auf die Pyramide zu. Die Schießerei wurde wilder. Auf den Baikonen hatten die Worgun Deckung, aber die Zyzzkt- deckten sie mit Blasterfeuer ein, daß sie kaum noch die Köpfe heben und zielen konnten. Noch war der Kampf unentschieden. Doch dann plötzlich vernahm Dhark das seltsam sirrende Geräusch, das immer lauter wurde, immer näher herankam. Er sah nach oben. Dort tauchte ein schwerer Kampfgleiter der Zyzzkt- am Himmel auf. Da wußten Maluk, Dhark und Gisol, daß auch für sie bald alles zu Ende war. Gegen den gepanzerten Gleiter kamen sie mit ihren Handwaffen nicht an. Aber die Bordkanonen waren in der Lage, ganze Mauerteile samt der Balkone über Hunderte von Quadratmetern mit je einem einzigen Schuß hinwegzufegen. Schon flammte das Geschütz auf... 11. Rothaarig, verschlagen, ausdauernd, mit dem Teufel im Bunde eine solche Frau erweckte bei sensiblen Männern Furcht, gleichzeitig fühlte man(n) sich aber auch zu ihr hingezogen. Kamen allerdings noch die Attribute zäh, knallhart und schlagkräftig hinzu, verringerte sich die Anziehungskraft gewaltig. Der leicht untersetzte neunundzwanzigjährige Sensationsreporter Bert Stranger kannte keine Frau, auf die diese Beschreibung zutraf. Aber es gab einen Mann, auf den sie voll und ganz paßte: Bert Stranger. Zumindest sahen ihn seine Freunde so. Er selbst fühlte sich nicht als schlagkräftige Kämpfernatur, mehr als Tolpatsch, den seine berufsbedingte Neugier fortwährend in Schwierigkeiten brachte. Schwierigkeiten, aus denen er sich jedesmal wacker rausboxte, nicht allein mit Waffen und Fäusten, sondern hauptsächlich mit Köpfchen. Aufgrund seiner unkonventionellen Art der Problembewältigung' zählte Stranger zu den Besten seines Berufes. Kaum ein anderer Journalist konnte ihm das Wasser reichen. So mancher Auftrag hätte ihn fast das Leben gekostet, doch zu guter Letzt war er dem Tod noch immer von der Schippe gesprungen. Hinterher neigte er oftmals zum Angeben, indem er so tat, als sei alles nur ein Kinderspiel gewesen das war seine ganz persönliche Methode der Angstbewältigung. Profane Aufträge lehnte er grundsätzlich ab. Prominentenklatsch überließ er anderen, und für Sport und Politik hatte er ebenfalls nicht viel übrig. Es sei denn, ein berühmter Sportler wurde ermordet, oder es wurde ein politisches Attentat verübt... »... wovon mir nichts bekannt ist, Eylers. Oder besitzen Sie Geheiminformationen über einen geplanten Bombenanschlag auf das terranische Kongreßgebäude?« 156 »Wenn dem so wäre, dürfte ich Ihnen darüber keine Auskunft geben«, sagte Bernd Eylers, Leiter der Galaktischen Sicherheitsorganisation, am Vipho zu Stranger, den er angerufen hatte. »Ich gebe Ihnen lediglich den Tip, sich heute mittag mit einem Kamerateana bei der Parlamentssitzung einzufinden. Könnte recht interessant werden.« »Interessant?« spottete Bert. »Die Sitzungen triefen doch vor Langeweile. Es sind immer dieselben Wortführer, die sich immer dieselben Beschimpfungen an den Kopf werfen. Der Rest der Abgeordneten beschränkt sich auf Schmährufe oder Applaus. Nicht zu vergessen diejenigen, die sich desinteressiert in ihren Bänken herumlümmeln oder eingeschlafen sind. Nein danke!« »Wie Sie meinen, Stranger«, entgegnete der wortkarge GSOChef und brach die Verbindung kurzerhand ab. »Was bildet sich der Kerl ein?« knurrte Stranger, der in seinem Apartment beim Frühstück saß. »Ich bin doch kein popeliger Parlamentsreporter. Vergiß es!« Zu spät. Der Stachel saß. Ein Hinweis vom GSOChef höchstpersönlich da mußte doch was dran sein! Oder...?
Bert Stranger war nicht der einzige, der die parlamentarischen Routinesitzungen in Alamo Gordo sterbenslangweilig fand. Henner Trawisheim teilte seine Meinung. Üblicherweise zog er es vor, seinen Regierungsgeschäften nachzugehen, statt sich auf einer schlecht gepolsterten Kunststoffbank nichtssagendes Geschwätz anzuhören. Nur selten nahm der stellvertretende Regierungschef persönlich an einer Parlamentsdebatte teil, meistens dann, wenn es Themen von außergewöhnlicher Bedeutung zu behandeln gab. Das war diesmal nicht der Fall, es standen nur Routinefragen auf der Tagesordnung so unbedeutend, daß nicht einmal FPGeneralsekretär Dave Paley sein Erscheinen für nötig hielt. Er hatte seinen Schützling Antoine Dreyfuß ausreichend instruiert, so daß theoretisch gar nichts schiefgehen konnte. 157 Bekanntermaßen lagen zwischen Theorie und Praxis jedoch Welten. Schon am Tag vor der Sitzung hatte Dreyfuß allen erreichbaren Parteifreunden eingeschärft, für die von Paley angeregte Verfassungsänderung zu stimmen, um der Bevölkerung gegenüber Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Fraktionssaal gab er die Parole erneut aus. »Kein Abweichler darf sich mittels Stimmenthaltung drücken, ist das klar? Wir stehen nach außen hin zusammen wie eine geschlossene Einheit. Einer für alle, alle für einen so etwas bringt Wählerstimmen! Nach der Abstimmung ergreife ich dann noch mal das Wort und ziehe über die innere Zerrissenheit der PfD her. Das dürfte ihnen den Rest geben.« Auch Dreyfuß wußte, daß die Abstimmung nicht zu gewinnen war, aber darauf kam es ihm nicht an. Er beabsichtigte, die Partei für Demokratie wieder einmal öffentlich vorzuführen, und er freute sich bereits auf die nachfolgenden Medienberichte und Kommentare. Kritik an seiner Vorgehensweise war kaum zu erwarten. Die IntermediaBerichte lagen eh schon fix und fertig in den Schubladen der Redakteure. Und selbst der Medienkonzem TerraPress, der stets fair und unabhängig zu berichten pflegte, würde nicht daran vorbeikommen, die erfolgreiche Strategie der Fortschrittspartei zu loben. Die PfD war selbst schuld, wenn sie in eine derart offensichtliche Falle tappte. Trawisheims überraschendes Auftauchen im Kongreßgebäude sorgte unter den Journalisten für leichte Unruhe. TerraPressReporter Bert Stranger konnte sich an fünf Fingern abzählen, daß Eylers9 Tip mit Trawisheims Teilnahme an der Sitzung zusammenhing. Ein Skandal lag in der Luft. Stranger konnte ihn mit der Zungenspitze schmecken. Zunächst sah alles ganz und gar nicht nach einer Sensation aus. Henner Trawisheim ließ sich unter dem Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« auf die Rednerliste setzen und nahm dann ruhig und gelassen in seiner Bankreihe Platz. Enttäuschte Gesichter bei einigen Reportern. Andere wiederum gaben sich den wildesten Spekulationen hin. Stranger zeigte seine innere Erregung nicht was ihm nicht 158 sonderlich schwerfiel, angesichts des Blabia, das die meisten Redner von sich gaben. Selbst die gewohnten Kübel von Dreck, die Dreyfuß über die PfD auskippte, rissen ihn nicht vom Stuhl. Ihn interessierten ausschließlich brisante Neuigkeiten, nicht das wiederholte Aufwärmen von Kaffee, der schon gestern und vorgestern recht lau geschmeckt hatte. Nach unendlicher langer Zeit (so erschien es Bert zumindest) brachte Dreyfuß das Gespräch auf den Gesetzesentwurf zur Verfassungsänderung. »Es geht nicht an, daß wir von einem Mann regiert werden, der ständig im Weltall unterwegs ist, und den das Schicksal von Terra einen Dreck schert«, lautete sein vorletzter Satz. Und mit dem letzten fügte er hinzu: »Damit wäre die Diskussion über die vorgeschlagene Verfassungsänderung, die hoffentlich noch heute verabschiedet wird, eröffnet ich bitte um rege Beteiligung aller Anwesenden.« Antoine Dreyfuß verließ das Rednerpult und Henner Trawisheim erhob sich würdevoll von seinem Platz und begab sich ans Mikrophon. Ein leises Räuspem genügte, und es war mucksmäuschenstill. Sämtliche Journalisten spitzten die Ohren. Auch Stranger und sein Team waren einsatzbereit.
»Der hochgeschätzte Kandidat der Fortschrittspartei hat die Diskussion eröffnet«, sagte Trawisheim, »und ich möchte sie am liebsten gleich wieder schließen.« »Feigling!« rief ein übereifriges Parteimitglied der FP dazwischen. »Nicht aus Feigheit«, klärte der gelassene Redner seine Zuhörer auf, »sondern aus Gründen der Zeitersparnis. Die Fortschrittspartei strebt eine Verfassungsänderung an, nach der Wahlkandidaten nur dann Anspruch auf das Amt des Commanders der Planeten haben, Wenn sie in dem halben Jahr vor der Wahl auf Terra anwesend beziehungsweise über Hyperfunk von Terra aus erreichbar sind. Ich ^eme, das ist eine gute Sache im Sinne aller Parteien und der gesamten Bevölkerung. Darum bitte ich sämtliche Abgeordneten der Partei für Demokratie sowie alle anderen Kollegen hier im Parlament, diesen Antrag zu unterstützen und ihm ohne Wenn und Aber zuzustimmen! Ersparen wir uns überflüssige, zeitraubende Diskussionen und machen statt dessen Nägel mit Köpfen. Vertrauen Sie mir!« Mit diesen Worten trat er ab und verließ den Saal. Es war eine der kürzesten Reden, die je ein hoher Politiker gehalten hatte. Anfängliches Erstaunen wandelte sich in Gemurmel, das immer lauter wurde. Trawisheims Ratschlag zum Trotz wurde eifrig diskutiert, allerdings nicht mehr so zivilisiert wie zuvor. Die Gespräche fanden nicht am Mikrophon statt, sondern in den Bankreihen. Teilweise kam es zu tumultartigen Szenen, wie so oft, wenn gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallten und niemand nachgeben wollte. Vergebens rief der Parlaments Vorsitzende zu mehr Disziplin auf. Keiner beachtete ihn; er hätte die Hose herunterlassen können, ohne daß es jemanden gekümmert hätte. Antoine Dreyfuß wurde von seinen Parteifreunden bedrängt, endlich die Initiative zu ergreifen. »Was sollen wir tun, Antoine? Deinem Rat folgen und für den Antrag stimmen? Oder Trawisheims Rat folgen und, äh, ebenfalls für den Antrag stimmen?« Dreyfuß war ratloser denn je. Antoine Dreyfuß zog sich aus der wild diskutierenden Menge zurück, was gar nicht so einfach war. Erst auf der menschenleeren Toilette des Kongreßgebäudes fand er Gelegenheit, ungestört sein Armbandvipho zu aktivieren, ohne daß jemand mithörte. Paley hatte sein tragbares Vipho abgeschaltet. Auch in seinem Büro war er nicht zu erreichen, und zu Hause schon gar nicht. Dreyfuß konnte ihn somit nicht um Rat fragen und mußte selbst eine Entscheidung treffen. »Wir verfahren wie abgesprochen«, murmelte er. »Was kann dabei schon schiefgehen?« Als er wieder den Sitzungssaal betrat, war die Diskussion noch immer im Gange. Etliche PfDAbgeordnete weigerten sich schlichtweg, Trawisheims Vorschlag zu folgen. Satzfetzen wie »... ist wohl durchgeknallt...« oder »... wurde garantiert besto 160 chen...« drangen an Antoines Ohr. Aber auch bei der FP stand man dem seltsamen Verhalten des stellvertretenden Regierungschefs skeptisch gegenüber. Man vermutete einen schäbigen Trick des politischen Gegners. Dreyfuß hielt Ausschau nach dem Parlaments Vorsitzenden, der seinen Platz inzwischen verlassen hatte. Er fand ihn nebenan in seinem Büro. »Ich habe die Sitzung unterbrochen«, erklärte ihm der Vorsitzende. »Und ich werde sie nicht fortsetzen, bevor wieder Ruhe herrscht. Die Abstimmung sowie alle weiteren Tagesordnungspunkte können wir dann wohl vergessen.« Antoine versprach ihm, für die nötige Ordnung zu sorgen. Beide kehrten in den Parlamentssaal zurück. Der Vorsitzende setzte sich wieder an seinen gewohnten Platz, und Dreyfuß stellte sich ans Mikrophon. Er sagte nichts, stand nur da, bis ihn die ersten Streitenden bemerkten. Immer mehr Anwesende wurden auf ihn aufmerksam, und da man auf seine Stellungnahme gespannt war, wurde es allmählich stiller. Dreyfuß spürte, welche Macht er über die Massen hatte, und fühlte sich unheimlich gut dabei. Ja, ja, ja! Wenn es darauf ankommt, brauche ich Paley überhaupt nicht! Geduldig wartete er ab, bis auch der letzte Sitzungsteilnehmer schwieg. »Liebe Parteifreunde«, sagte er schließlich. »Ein jeder von uns ist nur seinem eigenen Gewissen verpflichtet, und sonst niemandem. Deshalb kann und werde ich euch keine Anweisung erteilen, wie ihr über den Änderungsantrag abzustimmen
habt. Ich möchte lediglich eine Bitte äußern, wie Mister Trawisheim es gegenüber seinen Parteimitgliedern getan hat. Bitte stimmt dem Antrag zu! Hier und heute ziehen die Fortschrittspartei und die Partei für Demokratie ausnahmsweise an einem Strang, eine seltene Gelegenheit, die wir nicht zerreden sollten. Der Worte sind genug gefallen lassen wir Taten sprechen. Der ehrenwerte Vorsitzende wird die unterbrochene Sitzung gleich fortsetzen, und wir können dann ohne weitere Verzögerung zur Abstimmung schreiten.« »Die Sitzung wurde unterbrochen?« flüsterte Bert Stranger ei 161 nem Kollegen vom Kamerateam zu. »Wann denn?« »Keine Ahnung«, erhielt er leise zur Antwort. »Hab ich auch nichts von mitgekriegt.« Die Abstimmung wurde nicht länger hinausgezögert, sie verlief routiniert und ohne weitere Zwischenfälle. Mit den Stimmen der Regierungskoalition und der Fortschrittspartei wurde die Verfassungsänderung mit einer Mehrheit von 82 Prozent angenommen. Die übrigen 18 Prozent trauten dem Frieden noch immer nicht. Mitglieder aller Parteien hatten sich teils der Stimme enthalten, teils dagegen gestimmt. Die Abhandlung weiterer Tagesordnungspunkte wurde auf den nächsten Sitzungstermin verschoben, so daß sich Antoine Dreyfuß voll und ganz dem Presserummel widmen konnte. Er betonte immer wieder seine Erleichterung darüber, daß die PfD endlich zur Vernunft gekommen sei, und er bot seinen »zukünftigen Oppositionspartnem« eine faire Zusammenarbeit an. Daß sich die Wähler zu seinen Gunsten entscheiden würden, jetzt, wo Ren Dhark aus dem Rennen war, stand für ihn so fest wie das Amen in der Kirche. Nur der Commander der Planeten hätte ihm ernsthaft gefährlich werden können; andete Kandidaten verfügten nicht über Dharks Format. Stranger mochte sich das eitle Geschwätz nicht länger anhören. Gegenüber vom Parlamentssaal gab es ein für Journalisten eingerichtetes Studio. Dort stellte er seinen Bericht fertig und schickte ihn an TerraPress. Anschließend entließ er sein Team in den Feierabend. Durch einen Seitenausgang verließ Bert Stranger das Haus, um etwas frische Luft zu schnappen. Sein Schweber parkte ganz in der Nähe. Der TerraPressMann überlegte, ob er heimfahren sollte. Hier würde sich ohnehin nichts Neues mehr tun. Oder doch? Ein Schwebertaxi näherte sich dem Seiteneingang. Instinktiv zog sich Bert nach drinnen zurück, wobei er sich noch die Identifikationsnummer des Taxis einprägte. Der Reporter verbarg sich hinter einer Säule und wartete ab. Wenig später stürmte Generalsekretär Dave Paley ins Gebäude, mit einem Gesicht wie sieben Tage Donnerwetter. Stranger beglückwünschte sich für seinen guten Riecher. Offen 162 bar war seine Arbeit doch noch nicht vorüber. Er langte in seine Hemdtasche und nahm einen Gegenstand heraus den er hier eigentlich gar nicht bei sich haben durfte, weil dessen Verwendung höchst illegal war. Glücklicherweise hatte man ihn bei der Sicherheitskontrolle aufgrund seines Bekanntheitsgrades nur oberflächlich gefilzt... »Einmal nur, ein einziges lausiges gottverdammtes Mal möchte ich erleben, wie Sie ohne mich zurechtkommen, Antoine! Meine freien Tage sind rar gesät, gerade jetzt in den Monaten vor der Wahl. Warum gönnen Sie mir nicht eine kleine Pause?« »Meinethalben hätten Sie nicht zu kommen brauchen, Dave. Ich habe die Situation voll im Griff.« Dave Paley war außer sich. Dreyfuß hatte mehrfach versucht, ihn übers Vipho zu erreichen und hatte überall dringende Mitteilungen für ihn hinterlassen, die das Schlimmste befürchten ließen. Daraufhin hatte sich Paley ein Taxi gerufen und war auf dem kürzesten Weg nach Alamo Gordo geeilt. Er war in den Parlamentssaal gestürmt, hatte den Spitzenkandidaten mitten aus dem Presserummel herausgeholt und sich mit ihm in ein abhörsicheres Büro begeben, zu dem nur einige auserwählte Politikgrößen zugangsberechtigt waren. Und nun wollte Dreyfuß ihm weismachen, sein persönliches Erscheinen sei völlig unnötig?
»Draußen im Flur wimmelt es von Journalisten, die uns beide hartnäckig verfolgt haben, bis vor die Tür dieses Büros«, zischte er den Spitzenkandidaten wütend an. »Sogar der penetrant neugierige Schnüffler Stranger ist mit darunter. Ich mußte ihm einen kräftigen Reinpier verpassen, damit er mich vorbeiließ. Für mich sieht das ganz und gar nicht danach aus, als hätten Sie alles im Griff.« »Habe ich aber!« erwiderte Antoine trotzig. »Ach ja? Falls zutrifft, was ich unterwegs in den aktuellen Nachrichten gehört habe, haben Sie einen ganz schönen Bock geschossen, mein Bester! Ich will jetzt aus Ihrem Munde hören, was während meiner Abwesenheit passiert ist. Und lassen Sie ja 163 nichts aus!« Haarklein berichtete Dreyfuß dem Generalsekretär, was in den vergangenen Stunden geschehen war. Dank spezieller technischer Schutzvorrichtungen konnte von draußen niemand mithören. Wände, Tür und Fenster waren hundertprozentig schalldicht, und selbst hochwertige Abhörgeräte wurden mittels eines Störsignals außer Gefecht gesetzt. Fassungslos hörte sich Paley die Schilderung an. Mit jeder Minute kochte sein Zorn höher. »Sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?« fragte er, nachdem Dreyfuß geendet hatte. »Wieso, in Dreiteufelsnamen, haben Sie zugelassen, daß unsere Abgeordneten dem Änderungsantrag zustimmen?« »Aber... aber das hatten wir doch so abgesprochen«, stammelte der Gefragte. »Ja, das hatten wir«, räumte Paley ein. »Ich konnte doch nicht ahnen, daß Trawisheim den Spieß plötzlich umdreht.« »Na und? Wo liegt Ihr Problem, Dave? Wir haben erreicht, was wir wollten. Die Verfassungsänderung ist beschlossene Sache. Zugegeben, der Antrag diente in erster Linie der Bloßstellung der Regierung. Daß wir Dhark auf diese Weise loswerden, damit hatte keiner gerechnet. Ich nenne das einen glücklichen Umstand, denn nun habe ich keinen emstzunehmenden Gegenkandidaten mehr.« »Die Partei für Demokratie wird mit Sicherheit einen neuen Kandidaten aufstellen«, prophezeite ihm der Generalsekretär. Dreyfuß winkte lässig ab. »Und wenn schon. Den drücke ich ohne viel Kraftanstrengung an die Wand, wollen wir wetten?« »Unterschätzen Sie Henner Trawisheim nicht ein bißchen?« »Trawish...? Ach, du liebe Güte! An den hatte ich gar nicht gedacht! Glauben Sie wirklich, er kandidiert für das Amt des Commanders? Immerhin ist er Dharks Freund, und Freunden fällt mau nicht in den Rücken.« »Gerade weil Trawisheim Dharks Freund ist, hat er der Gesetzesänderung zugestimmt«, erklärte Paley. »Er weiß genau, daß der Commander in seinem Amt nicht mehr bestätigt werden wird. Die Bevölkerung hat Dhark längst das Vertrauen entzogen, dafür haben wir mit unseren diversen Rufmordkampagnen schließlich 164 selbst gesorgt. Was liegt also näher, als ihn aus dem Spiel zu nehmen und den Ersatzmann aufzustellen? Mit Trawisheim als Spitzenkandidat hat die PfD eine überdurchschnittliche Gewinnchance. Laut den neuesten Umfrageergebnissen ist er beim Volk sehr beliebt. Nicht einmal Intermedia hat es geschafft, Trawisheims guten Ruf zu zerstören, obwohl Skittleman mit allen Mittel kämpft. Sogar einen Diplompsychologen hat er für seine Zwecke eingespannt, um Dharks Stellvertreter in Talkshows öffentlich lächerlich zu machen. Nach zahlreichen erbosten Zuschauerreaktionen verschwand dieser windige Typ rasch wieder in der Versenkung.« »Trawisheim will also der neue Commander werden«, bemerkte Dreyfuß nachdenklich. »So viel Weitblick hätte ich ihm gar nicht zugetraut.« »Ich auch nicht«, gab Paley offen zu. »Offensichtlich hat er ausgezeichnete Berater. Ich könnte mir vorstellen, daß Terence Wallis dahintersteckt. Möglicherweise hat er Henner zu diesem kühnen Schritt veranlaßt, das würde zu ihm passen.« Seit er mit Wallis im »Los Morenos« zusammengetroffen war, haßte er den Mann wie die Pest. Der Multimilliardär hatte sich seinerzeit strikt geweigert, für die Fortschrittspartei zu spenden, trotz einer versteckten Enteignungsdrohung. Keinen Cent wollte Wallis herausrücken. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, Paleys
Lokalrechnung zu übernehmen und hatte ihn dadurch wie einen Zechpreller aussehen lassen. Die MorenoBrüder hatten ihre »Mahnung« direkt an die FPParteizentrale geschickt nicht etwa in einem geschlossenen Umschlag, sondern auf einer fröhlichen spanischen Ansichtspostkarte. Paleys Sekretärin hatte den Betrag daraufhin sofort überwiesen und die Karte vernichtet. Glücklicherweise hatte die Presse keinen Wind davon bekommen. Paley und Dreyfuß verließen das abhörsichere Büro und stellten sich den Medien. Sie gaben sich als Sieger und verstanden es meisterhaft, ihre eigentliche Schlappe zu verschleiern. »Selbstverständlich haben wir keine Geheimnisse vor Ihnen«, ^rsicherte Paley den Journalisten, die sich um die beiden scharten. »Ich wollte dem guten Antoine lediglich unter vier Augen deinen Glückwunsch für die erfolgreich verlaufene Abstimmung 165 aussprechen. Er hat seine Sache wirklich gut gemacht, der zukünftige Commander der Planeten, und ich bin stolz darauf, sein Freund zu sein.« Ganz gegen seine Art drängelte sich Bert Stranger rigoros nach vom und nutzte sogar die Gelegenheit, den Generalsekretär kurz am Jackenzipfel zu berühren. Als Paley ihn leicht verärgert aufforderte, etwas mehr Abstand zu halten, nickte Bert ihm lächelnd zu und ging wie gewünscht auf Distanz indem er sich gänzlich aus dem Gebäude entfernte. »Und wer ist schuld daran? Die Regierung natürlich!« »Unsinn, man kann doch nicht alles auf die Regierung schieben. Daß ein Arbeitsplatz nach dem anderen wegrationalisiert wird, liegt am technischen Fortschritt. Ein Roboter erledigt locker die Arbeit von zehn Mann. Und wenn sich erst einmal verstärkt Außerirdische auf Terra breitmachen...« »Was wäre daran so schlimm? Die arbeiten dann bei uns, und wir arbeiten auf ihren Planeten. Heutzutage ist eine gewisse Mobilität dringend vonnöten.« »Nicht nur Mobilität, sondern auch Flexibilität. Und genau daran1 mangelt es den meisten Arbeitslosen. Die wollen doch gar nicht arbeiten! Deshalb müßten die Ämter härter durchgreifen. Mein Vorschlag: Jeder faule Nichtstuer kriegt einen Arbeitsplatz zugeteilt. Nimmt er die Stelle nicht an, werden ihm rigoros sämtliche Bezüge gestrichen.« »Und woher willst du all die Arbeitsplätze für die angeblichen Nichtstuer nehmen, du selbsternannter Arbeitsmarktexperte? Von Jahr zu Jahr werden es weniger.« »Wer Arbeit will, der kriegt auch welche.« Am Stammtisch des »Löwen«, einer kleinen Gaststätte etwas außerhalb von Alamo Gordo, ging es meist zu wie bei einem Kaffeekränzchen. Wer bei den wöchentlichen Zusammenkünften fehlte, wurde tüchtig durchgehechelt. Diesmal drehte sich der Männerklatsch um einen Stammtischbruder, der vor kurzem seine Stelle in der Fabrik verloren hatte und seither auf staatliche Unterstützung 166 angewiesen war. Da er sich sein Bier augenblicklich nicht leisten konnte, war er zu Hause geblieben. Am Nebentisch saß leicht zusammengesunken ein kleines Frauchen vor einer halbgeleerten Schnapsflasche. Ihr schmales Gesicht reizte zum Vergleich mit einer Spitzmaus, ihr stoppeliges rotes Haar glich allerdings mehr den Stacheln eines Igels. Sie war noch verhältnismäßig jung. Ob sie über eine ansprechende Figur verfügte, konnte man aufgrund ihrer viel zu weiten Kleidung nicht erkennen. »Wahrscheinlich auch arbeitslos«, raunte einer der Stammtischschwätzer seinem Sitznachbam zu. »Wir sollten sie auf ein Gläschen einladen«, schlug der andere vor. »Kommt nicht in Frage, ich unterstütze keine Sozialschmarotzer. Von meinen Steuern leben, und die ganze Stütze versaufen so was habe ich gem.« ... habe ich gern, notierte sich die vermeintlich Betrunkene unauffällig. Die berühmte TerraPressKlatschkolumnistin KC (Klatschtante Claire) hatte es sich hier mehr oder weniger bequem gemacht. Sie recherchierte derzeit für einen Bericht mit dem Arbeitstitel »Leben und leben lassen Vorurteile in der Bevölkerung«. Gleich zu Beginn ihrer Recherchen war ihr eines klargeworden: Toleranz war etwas
sehr Kostbares und rar gesät, obwohl fast jeder zweite terranische Bürger von sich selbst behauptete, überaus tolerant zu sein. Sittenstrenge Tugendwächter betrachteten Toleranz von alters her als eine verabscheuungswürdige Ideologie des Wegsehens, frei nach der Devise: »Wer tolerant ist, weigert sich, den rechten Weg zu gehen.« Statt sich auf die Welt des anderen einzulassen, pflegten sie lieber ihre Vorurteile gegen fremde Milchstraßenbewohner, Schweberfahrer, Männer, Frauen, Politiker, Unternehmer, Rauher, Hundebesitzer, Arbeitslose, Kranke... die Palette war weitgefächert, die Feindbilder waren austauschbar. Die ewigen Meckerer wollten emstgenommen und respektiert werden, vergaßen dabei aber, daß auch Toleranz ein Zeichen des Respekts gegenüber seinen Mitlebewesen war. Der Stammtisch des »Löwen« war für Claire eine sprudelnde 167 Quelle von Vorurteilen aller Couleur. Aber auch anderswo war sie bereits fündig geworden auf der Straße, in Kaufhäusern, im Cafe, im Museum, beim Tratsch am Tresen, ja sogar am eigenen Arbeitsplatz. Gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten hatte Intoleranz Hochkonjunktur. Manche Gesprächspartner schaukelten sich regelrecht gegenseitig hoch und suhlten sich in ihrer Selbstgefälligkeit. Je intoleranter sich jemand verhielt, um so mehr Toleranz forderte er für sich selbst ein. Glücklicherweise traf das nicht auf alle Menschen zu, denen Claire tagtäglich begegnete. Es brachte ihr auch Freude, sich mit ihren Mitgeschöpfen einzulassen und auf sie einzugehen, denn auf jede negative Begegnung folgte eine positive. Positiv verlaufen war auch ihre erste Begegnung mit Bert Stranger, der ihr journalistisches Talent damals auf Anhieb erkannt und nach Kräften gefördert hatte. Früher wäre es für Claire undenkbar gewesen, sich in eine schäbige Kneipe zu begeben, den Wirt zu bestechen, damit er ihr eine Schnapsflasche voll Wasser auf den Tisch stellte, und die Gespräche an den Nachbartischen zu belauschen. Mittlerweile gehörten derartige Aktionen bei ihr längst zur Routine. Stranger hatte einige Mühe, sie ausfindig zu machen. In der Redaktion war man nur teilweise informiert über ihren augenblicklil chen Aufenthaltsort. Doch er kannte seine »Schülerin« gut genug, um ihre Spur aufzunehmen. Als er den »Löwen« betrat und sich zu KC an den Tisch setzte, verfolgten die Stammtischbrüder jede seiner Bewegungen aufmerksam mit wobei sie so taten, als interessierten sie sich überhaupt nicht für ihn. Kaum saß er auf seinem Hosenboden, ging das Geflüster los. »Den kenne ich. Das ist der Sensationsreporter Sinatra.« »Richtig, und jetzt erkenne ich auch die Frau. Sie moderiert irgendein Klatschmagazin, vielleicht sogar mehrere. Scheint ganz schön heruntergekommen zu sein.« »Du siehst dir Klatschmagazine an?« »Nicht wirklich, ich schalte nur manchmal zufällig rein.« Claire entging nicht, wer an ihrem Tisch Platz nahm. Sie hob den Kopf, lächelte Bert an und fragte ihn erst gar nicht, wie er sie 168 gefunden hatte. Er war ihr Lehrmeister, der oberste Rudelführer aller Spürhunde. Er hätte sie auch im hintersten Kaukasus aufgestöbert. Böswillige Redaktionskollegen dichteten Claire und Stranger ein Verhältnis an, doch die beiden waren nichts weiter als gute Freunde. Er war nicht ihr Typ, sie nicht seiner, und damit hatte es sich. Bert hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. Er kam gleich zur Sache und drückte Claire einen winzigen, flachen Metallgegenstand in die Hand, der Form und Farbe einer Baumwanze hatte. »Brisante Informationen?« fragte sie ihn leise. Bert nickte. »Ein vertrauliches Zwiegespräch auf allerhöchster Politebene. Leider darf ich es nicht verwenden.« »Logisch. Der Einsatz dieser kleinen Aufzeichnungsgeräte ist strafbar. Wem hast du es an die Kleidung geheftet?« »Dave Paley, dem Generalsekretär der Fortschrittspartei. Das Anheften brachte mir einen leichten Ellbogenstoß in die Magengrube ein, und als ich die Wanze später
wieder an mich nahm, erntete ich einen Rüffel. Daheim hörte ich die Aufzeichnung dann in aller Ruhe ab.« »Dafür braucht man ein verbotenes Zusatzgerät für den Suprasensor«, erwiderte Claire. »Laß dich bloß nie damit erwischen. Hat sich das Risiko wenigstens gelohnt?« »Wie man's nimmt. Ich weiß jetzt definitiv, daß Dreyfuß nur eine unbedeutende Marionette in der Fortschrittspartei ist. Paley ist der eigentliche Drahtzieher. Möglicherweise hängt auch er nur an einem Faden. Um das herauszufinden, brauche ich dich.« »Wow, der großartige Stranger benötigt meine Unterstützung! Ich fühle mich geehrt. Was kann ich für dich tun?« »Paley kam mit einem Schwebertaxi zum Kongreßgebäude«, berichtete Stranger. »Ich habe mir die IDNummer gemerkt und den Fahrer ausfindig gemacht. Gegen Bares erfuhr ich von ihm, daß er den Generalsekretär auf einem Landsitz abgeholt hatte, in den Bergen rings um Alamo Gordo.« Er reichte Claire einen Notizzettel mit der exakten Anschrift. »Das Landhaus befindet sich im Besitz einer Immobilienholding, die wiederum eine Tochterfinna von Intermedia ist. Dämmert's bei dir?« KC nickte und nannte nur einen Namen. »Skittleman.« 169 »Schnapp dir bitte deinen Kameramann und statte dem Landsitz einen kleinen Besuch ab.« »Wann?« »Möglichst gestern. Jetzt ist die Spur noch heiß, morgen kann sie schon erkaltet sein.« »In Ordnung«, entgegnete Claire und erhob sich von ihrem Stuhl. »Ich knöpfe mir die Bewohner des Landhauses mal vor, und dann sehen wir ja, was dabei herauskommt.« Die Stammtischbrüder nebenan hatten fleißig die Ohren gespitzt, jedoch vergebens, denn Stranger und Claire verstanden sich meisterhaft auf den gedämpften Austausch wichtiger Informationen. Die Journalistin begab sich zum Nebentisch und schaute lächelnd in die Runde. Ihre Recherchen hier betrachtete sie als beendet; wahrscheinlich hatte man sie inzwischen eh erkannt. »Ich habe einen guten Rat für Sie, meine Herren. Bei Ihren weiteren Hetztiraden sollten Sie die Regel >Erst nachdenken, dann reden< beherzigen und nicht >Erst reden und nie mehr darüber nachdenken^ Einen schönen Tag noch.« Kaum hatten Bert und sie die Gaststube verlassen, ging das Geschwätz ungebremst weiter. »Typisch Reporter. Immer und überall müssen sie ihre Mitmenschen belehren.« »Hör mir bloß auf mit denen! Das sind doch alles sensationsgierige Paparazzi. Für eine gute Story verraten sie sogar ihre eigene Mutter.« »Apropos Mutter. Bei uns in der Siedlung wohnt eine sechsköpfige Familie. Die Eltern verstehen rein gar nichts von Kindererziehung, und die Gören machen, was sie wollen.« »Ja, ja, die Jugend von heute. Wir waren damals...« Allmählich sollte ich mir einen anderen Beruf suchen, dachte KC, als sie den steilen Weg zu Skittlemans Landsitz in den Bergen emporstieg. Auf Dauer ist das nichts für eine Frau von Format. Einige ihrer früheren Kommilitoninnen hatten inzwischen vermögend geheiratet. Claire war alles andere als eine Schönheitsko 170 nigin, hatte aber dennoch ein paar lukrative Heiratsangebote bekommen. Bekommen und abgelehnt. Ihre Freiheit war ihr wichtiger als Geld. Und überhaupt: Journalismus war ein spannendes Handwerk. Jeden Besitz konnte man verlieren ein Handwerk nicht, das blieb einem bis zum Ende des Lebens. Allerdings mußte man zunächst einmal die nötige Geduld beim Erlernen aufwenden... Claire deren Nachnamen kaum einer in der Redaktion kannte Öffnete ein niedriges Gartentor und betrat einen verwilderten Vorgarten. Sie fragte sich, wozu der Garten von einem Zaun umgeben war. Die nächsten Nachbarn waren kilometerweit
entfernt, es konnte also kein Haus und Hofhund »heimtückischerweise« zwischen die Wildkräuter koten. Eine Klingel gab es am Haus nicht. Über der Haustür hing eine Glocke mit einem angegammelten Strick am Klöppel. »Sind wir überhaupt richtig?« fragte Pinto Rhanui, ihr philippinischer Kameramann. »Das ganze sieht aus wie ein brachliegender Bergbauemhof. Ausgerechnet hier soll ein Mann wie Skittleman seine Freizeit verbringen?« »Warum nicht? Die schäbige Fassade paßt doch prima zu seinem Charakter. Ich bin sicher, das Äußere ist nur Tarnung. Skittleman und seine Freunde möchten inkognito bleiben. Kein vorüberziehender B ergwanderer würde beim Anblick des verfallenden Hauses auf den Gedanken kommen, daß es einem angesehenen Geschäftsmann gehört.« Claire umrundete das Gebäude und prüfte oberflächlich die Bausubstanz. Dir Verdacht bestätigte sich. Das Haus verfiel nicht wirklich, der marode Zustand war lediglich das Werk eines kreativen Architekten. Hinter einem der geschlossenen Fenster nahm Claire eine Bewegung wahr. Daraufhin begab sie sich zurück zur Haustür. Noch bevor sie anklopfen konnte, öffnete sich die Tür. Eine bildschöne Blondine trat nach draußen. Ihre Augen funkelten zornig. »Was haben Sie hier zu suchen? Wieso schleichen Sie wie Diebe um mein Haus herum? Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei!« Rhanui richtete sofort die Kamera auf die Blondine. Phänomenal! Was für ein Motiv! »Das ist nicht Ihr Haus«, sagte Claire der Frau auf den Kopf zu. »Soweit ich informiert bin, gehört es dem Geschäftsführer von Intermedia. Ab und zu verleiht er es mal an Freunde, richtig? Freunde wie den Generalsekretär Dave Paley, mit dem Sie ein Verhältnis haben. Widersprechen Sie mir, wenn ich mich irre, Miß...« »White heiße ich«, erwiderte sie, und ihre Gesichtszüge wurden freundlicher. »Sind Sie nicht KC? Ich kenne Ihr Magazin. Berichten Sie jetzt etwa über mich?« »So ist es«, behauptete Claire. »Ein Exklusivbericht über Ihr Leben wäre eine Bereicherung für meinen Prominentenklatsch. Immerhin sind Sie Paleys Geliebte und somit selbst prominent.« »Ich und prominent?« juchzte Sue White aufgeregt. »Na ja, es stimmt, ich bin kein unbeschriebenes Blatt. Zu meinem Freundeskreis zählen viele wichtige Leute.« »Ist es Ihnen eigentlich ernst mit Paley?« warfPinto ein. »Und wie!« versicherte ihm Sue. »Wir lieben uns. Aber kommen Sie doch beide herein, dann gebe ich Ihnen ein ausführliches Interview.« Claire und ihr Kameramann folgten der Aufforderung nur zu gem. Drinnen hatte Skittleman an nichts gespart. Jeder Einbrecher hätte angesichts der luxuriösen Einrichtung vor Freude einen Herzkasper gekriegt. Aber wer brach schon in ein Gemäuer ein, das nach außen hin derart verkommen wirkte? Im übrigen war das Haus sicherlich mit einer hochmodernen Alarmanlage ausgestattet. Bei Tee, Gin und Plätzchen schilderte Sue White ihren beiden Besuchern ihr halbes (Liebes)Leben. Claire stellte ihr unentwegt Zwischenfragen, und Pinto Rhanui zeichnete das Gespräch mit seiner Holokamera auf. Dave Paley ließ sich die ganze Zeit über nicht blicken, vermutlich blieb er bis auf weiteres in Alamo Gordo. »Ich kann es kaum erwarten, Dave von dem Interview zu erzählen«, sagte Sue zum Abschied an der Tür. »Behalten Sie unsere Unterhaltung lieber noch ein Weilchen für 172 sich«, riet Claire ihr. »Um so größer ist seine Überraschung, wenn er morgen den Holoschirm einschaltet und Sie ihm auf mehreren Kanälen entgegenlächeln.« »Außerdem wird ihn Ihr hübsches Gesicht von jedem Kiosk anstrahlen«, sagte Pinto, der seine Faszination nur schwer verbergen konnte. »Mindestens drei Tage lang sind Sie die TitelblattKönigin zahlreicher Zeitschriften.« »Sie gefällt dir, nicht wahr?« fragte ihn Claire, als sich beide auf dem Rückweg zum Schweberparkplatz befanden. »Sie hat das gewisse Etwas«, antwortete der Kameramann ehrlich.
»Das haben außer dir noch andere Männer begriffen«, entgegnete KC. »Hast du gemerkt, wie sie bei meinen Fragen nach Skittleman ins Schwimmen geriet? Wahrscheinlich steht sie auf der Gehaltsliste von Intermedia. Besser gesagt: Sie stand auf der Gehaltsliste. Sobald unser Bericht erscheint, wird man sie ohne viel Federlesens an die Luft setzen.« »Irgendwie kann sie einem leid tun. Erst wird sie von einem Mann zum anderen herumgereicht, nun erhofft sie sich, eine große Berühmtheit zu werden und am Schluß steht sie dann vor dem Nichts.« »Kriegst du etwa Skrupel? Für drei Tage ist Sue White die bekannteste Blondine von ganz Terra. Das ist mehr, als andere Möchtegemstars und Sternchen jemals erreichen. Ihr größter Lebenswunsch wurde ihr somit erfüllt. Daß sie danach die Konsequenzen zu tragen hat, ist ihr Problem; daraus kann sie nur lernen.« Bert Stranger rollte die Zeitschrift, in der er gerade geblättert hatte, zusammen und warf sie in einen Papierkorb, der am Straßenrand stand. KC hatte wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Die Story von der »großen innigen Liebe« zwischen Paley und White machte die Runde um den Erdball. Schade, daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, als er davon erfuhr, dachte Stranger und grinste sich eins. 173 Der saubere Herr Generalsekretär traf sich heimlich mit einer von Skittlemans ständigen Begleiterinnen es gab also ohne jeden Zweifel eine enge Verbindung zwischen Intermedia und der Portschrittspartei. Das erklärte auch die zahllosen positiven Berichte über Antoine Dreyfuß. Mittlerweile hatte Stranger die »Baumwanze« mitsamt den verbotenen Aufzeichnungen vernichtet. Die winzigen, selbsthaftenden Geräte waren nur für den Einmalgebrauch gedacht. Sie waren gegen sämtliche gängigen Störsignale immun und daher immens teuer. Augenblicklich besaß Bert nur noch eine Handvoll davon. Es war spät am Abend, und er hielt sich in einer wenig befahrenen Seitenstraße von Alamo Gordo auf. Seinen Schweber hatte er in der Nähe geparkt. Stranger wartete auf einen Mann, der hier jeden Tag zur selben Zeit mit seinem Rauhhaardackel Gassi zu gehen pflegte: Curt Czerch. Czerch, dessen Privatwohnung zwei Straßen weiter lag, war der Schatzmeister der Fortschrittspartei. Vielleicht würde er Näheres über die Beziehung zwischen Intermedia und der FP ausplaudern wenn Stranger es geschickt genug anstellte. Noch wußte der Journalist nicht, wie er vorgehen würde. Wenn Czerch vor ihm stand, würde ihm sicherlich das richtige einfallen. Fünf Minuten später tauchte der Schatzmeister an der Straßenecke auf. Stranger marschierte direkt auf ihn zu. Über seiner Schulter hing sein tragbares Aufnahmegerät. Czerch blieb unter einer Laterne stehen, vermutete einen abendlichen Überfall. Hastig kramte er in seiner Tasche nach dem chemischen Abwehrspray, das er stets bei sich trug. Als der Dackel merkte, daß etwas nicht stimmte, knurrte er. »Keine Aufregung«, sagte Bert. »Ich komme von TerraPress und möchte Ihnen eine Frage stellen. Weshalb bekommt die Fortschrittspartei von Intermedia mehr finanzielle Zuwendungen, als nach dem Parteiengesetz erlaubt ist?« »Woher wissen Sie...?« entfuhr es dem Schatzmeister überrascht. Im selben Moment begriff er, daß der Reporter rein gar nichts wußte und nur ein bißchen auf den Busch geklopft hatte. Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. 174 »Woher weiß ich was?« setzte Stranger noch hinterher, doch Curt Czerch verweigerte ihm hartnäckig jede weitere Stellungnahme. Er machte auf dem Absatz kehrt, zog seinen Hund an der Leine hinter sich her und verschwand wieder um die Ecke. Bert verzichtete darauf, ihn bis vor seine Wohnung zu verfolgen. Der TerraPressMann suchte sein Büro auf, wertete das spärliche Ergebnis seiner begonnenen Recherchen aus und war mehr als unzufrieden mit sich selbst. Noch ahnte er nicht, welche Lawine er mit seiner kleinen verbalen Attacke gegen den FPSchatzmeister losgetreten hatte.
Als er zwei Stunden später auf dem Redaktionsparkplatz seinen Schweber besteigen wollte, bekam er eine erste Kostprobe. Zwei kräftige Männer griffen ihn von hinten an. Sie ließen ihm keine Chance zur Gegenwehr. Ein Handkantenschlag ins Genick raubte Bert die Sinne. Als er allmählich wieder zu sich kam, fand er sich in der zentralen Transmitterstation von Alamo Gordo wieder, die um diese späte Stunde fast menschenleer war. Wie aus weiter Feme vernahm er die Stimme eines der beiden Schläger. »Na, wieder munter, Kanonenkugel? Leider müssen wir dich gleich wieder einschläfern und zwar für immer. Du wirst jetzt nämlich einen tödlichen Transmitterunfall erleiden.« 12. Ren Dhark, Gisol und Maluk waren hinter der niedrigen Brüstung des Gemeinschaftsbalkons in Deckung gegangen und beobachteten von dort aus das Geschehen. Gisol hatte inzwischen die von den Zyzzkt- definierte Standardworgungestalt angenommen. Die Kleider, die er zuvor in Gestalt eines insektoiden Zyzzkt- getragen hatte, waren von ihm in einer Tasche aus organischer Membran verstaut worden, die sein amöbenhafter Körper nach Belieben auszubilden vermochte. Mit einem Tentakel hielt er seinen Strahler, mit dem er sich an der Verteidigung der Wohnpyramide beteiligt hatte. Gisol hob die Waffe, zielte auf den Gleiter. Der Strahl traf die matt schimmernde Oberfläche. Ohne Wirkung. Der kaum sichtbare Energieschirm, der den Kampf gleiter wie eine zweite Außenhaut umgab, sorgte dafür, daß die Energie des Strahlschusses sofort absorbiert wurde. »Es ist aus«, sagte der Worgun resigniert. Er drehte seinen amöbenhaften Körper etwas herum. Ein Gesicht hatte er in diesem Zustand nicht. »Es tut mir leid, daß ich dich in diese aussichtslose Sache hineingezogen habe, Ren«, fuhr er fort. Ren Dhark überprüfte die Energieversorgung seines Handblasters. Er kauerte in Deckung, um nicht vom Energiefeuer der Zyzzkt-Angreifer erfaßt zu werden. »Niemand hätte diese Wendung der Dinge vorhersehen können«, erklärte der Commander der Planeten gefaßt. Gisol stimmte ihm zu. »In den acht Erdenjahren, die seit meinem letzten Aufenthalt aufEpoy vergangen sind, hat sich offenbar noch viel mehr verändert, als ich befürchtet habe!« Maluk fuhr nun ebenfalls einen Tentakel aus, der eine Waffe 176 hielt. Der Worgun langte über die niedrige Brüstung des Gemeinschaftsbalkons und feuerte in Richtung der angreifenden Zyzzkt-. »Verkaufen wir uns so teuer wie möglich«, sagte Gisol währenddessen. »So sagt man doch auf Terra, nicht wahr?« Immer näher schwebte der Kampfgleiter heran. Noch hatte er nicht in das Geschehen eingegriffen. Sobald er es tat, würde der weitere Fortgang der Schlacht einem Gemetzel gleichen. Die Waffen an Bord des Gleiters waren ohne weiteres in der Lage, die gesamte Wohnpyramide innerhalb kürzester Zeit in Schutt und Asche zu legen. Für die Worgun, die sich bislang notdürftig verteidigt hatten, bestand jetzt nicht mehr die geringste Chance, das Gefecht für sich zu entscheiden. Der Gleiter verlangsamte die Fahrt. Äußerlich sichtbare Strahlgeschütze wurden hin und hergeschwenkt. Aber noch feuerten sie nicht. Warum zögern sie? ging es Ren Dhark durch den Kopf. Eine günstige Kampfdistanz haben sie doch längst erreicht... Es wäre für die Gleiterbesatzung ein leichtes gewesen, den Kampf durch ein paar gezielte Schüsse auf die Wohnpyramide zugunsten der Zyzzkt- zu entscheiden. Die Verteidiger hatten den WaffensySternen des Gleiters nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Darüber hinaus verfügte die Wohnanlage über keinerlei Schutzschirme.
Aber noch unternahm die Gleiterbesatzung nichts. Vielleicht sollen sie die Wohnpyramide bei der Eroberung nicht nachhaltig beschädigen, überlegte Dhark. Das konnte eine Erkläning für die ungewöhnliche Passivität sein, die der Kampfgleiter bislang an den Tag legte. Er bremste ab. Das Tempo verlangsamte sich zusehends. »Was spielen die für ein Spiel?« fragte der einzige Mensch auf Epoy. Gisol holte sein Armbandgerät hervor, das er zusammen mit der Zyzzkt-kleidung in der Gewebetasche verstaut hatte. »Die Waffensysteme des Gleiters sind voll aktiviert«, stellte er fest. »Vielleicht warten sie nur auf einen günstigen Moment, um 177 möglichst viele Worgun töten zu können.« »Möglich...« murmelte Ren Dhark. Unruhe entstand unter den angreifenden und offenbar von blanker Mordlust erfüllten Zyzzkt-. Einige dieser bocckäferartigen Insektoiden hatten sich sogar noch mit ihren Beißwerkzeugen an die auf dem Vorplatz der Wohnpyramide getöteten Worgun herangemacht, um deren Körper zu zerfetzen. Doch jetzt schreckten sie auf. Die Anwesenheit des Kampfgleiters scheint sie zu irritieren, erkannte Dhark. Warum nur? Der weißblonde Terraner konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Ein gleißender Energiestrahl, abgeschossen aus einer der Bordwaffen des Kampf gleiters, zuckte durch die Luft. Zur Überraschung aller war dieser Strahl keineswegs auf die Wohnpyramide oder die Stellungen der Worgunverteidiger gerichtet. Statt dessen erfaßte der Strahl ein halbes Dutzend Zyzzkt-. Halbverkohlte Kadaver blieben zurück. Erneut wurde aus den Bordwaffen des Kampfgleiters geschossen. Mehrere Strahlschüsse erfaßten insgesamt fast zwei Dutzend der insektoiden Angreifer. Regungslos blieben ihre toten Körper zurück. Spätestens jetzt war klar, daß das Feuer des Kampf gleiters auf die Zyzzkt- mit voller" Absicht abgegeben worden war. »Was geht da vor sich?« fragte Ren Dhark. »Um ehrlich zu sein, bin ich vollkommen überfragt«, gab Gisol zurück. Auch Maluk, der sich eigentlich mit den gegenwärtigen Verhältnissen auf der zwischen Zyzzkt- und Worgun aufgeteilten Ursprungswelt der Mysterious am besten auskennen mußte, schien ratlos zu sein. »Ich habe keine Erklärung, die einen Sinn ergeben würde«, sagte er. »Wir haben wohl in letzter Sekunde einen neuen Bundesgenossen bekommen«, stellte Dhark fest. Die angreifenden Zyzzkt- hatten einige Augenblicke gebraucht, um zu begreifen, daß ihnen offenbar von ihren eigenen Artgenossen höchste Gefahr drohte. Erbarmungslos setzte die Besatzung 178 des Kampf gleiters ihre Bordwaffen ein. Immer wieder zuckten Strahlschüsse aus den Geschützmündungen des Kampf gleiters. Abwechselnd wurden breitgestreute Strahlenteppiche und gezieltes punktfeuer verschossen. Die Zyzzkt- hatten keine Chance. Sie starben wie die Fliegen. Die Strahlenteppiche erfaßten jeweils Dutzende von ihnen auf einmal. Manche starben, andere wurden lediglich kampfunfähig. Das Punktfeuer machte ihnen endgültig den Garaus. Verzweifelt suchten die Angreifer Deckung zu finden oder zu flüchten. Viele waren bereits tot, ehe sie überhaupt die neue Lage erfaßt hatten. Nicht lange, und der Vorplatz der Wohnpyramide war übersät mit toten Zyzzkt-. Einige der Insektoiden versuchten sich in sinnloser Gegenwehr, feuerten mit ihren Strahlwaffen vergeblich auf die von einem Energieschirm geschützte Außenhaut des Fluggefährts. Die Wirkung war gleich null. Die Strahlschüsse prallten von dem Schutzschirm ab oder wurden absorbiert. Die letzten Überlebenden unter den käferartigen Angreifem suchte ihre Rettung in heilloser, chaotischer Flucht. Sie stoben auseinander, zogen sich zurück. Manche
versuchten in das Umland zu entkommen. Doch auch auf die Flüchtenden wurde noch geschossen. Die Zielerfassungsgeräte an Bord des Kampfgleiters arbeiteten mit gnadenloser Perfektion und Genauigkeit. ' Nur wenigen Zyzzkt-Flüchtlingen gelang es, den engeren Bereich um die Wohnpyramide zu verlassen und in der spärlichen Vegetation des Umlandes Deckung zu finden. Selbst sie waren jedoch in Gefahr, von den OrtungssySternen des Kampfgleiters erfaßt und im nächsten Moment anvisiert zu werden. Immer wieder zuckten die Strahlenblitze durch die Luft und vernichteten mit tödlicher Sicherheit ihre Ziele. Sofern wirklich Zyzzkt- an den Steuerkonsolen dieses Gleiters sitzen, so gehen sie gegen ihresgleichen mit derselben Härte und Grausamkeit vor wie gegen Angehörige anderer Spezies, überlegte Ren Dhark. Er konnte noch immer nicht so recht fassen, was da vor seinen Augen geschah. Weder Dhark noch Gisol vermochten sich einen Reim auf die Handlungsweise der Gleiterbesatzung zu üiachen. Der Kampf wenn man überhaupt von einen solchen sprechen konnte war schnell vorbei. Von den Zyzzkt-Angreifem blieb nichts zurück außer zahlreichen toten Insektenkörpem. Hier und da zuckte noch ein Bein. Reine Nervenreaktionen. Leben war in keinem der Getroffenen mehr. Die wenigen Überlebenden des Gemetzels waren in die Umgebung verschwunden. Der Angriff auf die Wohnpyramide war beendet. Trotzdem hielt sich die Begeisterung bei den Worgunverteidigem in Grenzen. Die meisten blieben in ihren Stellungen und behielten Deckung. »Wer immer sich auch in dem Gleiter befindet es wäre vielleicht nicht besonders gut, wenn er euch beide sehen würde«, äußerte Maluk, an Dhark und Gisol gewandt. »Keine Sorge, wir bleiben in Deckung«, versprach der Commander. Ganz gleich, welche Meinungsverschiedenheiten es möglicherweise zwischen unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der Zyzzkt- geben mochte, so war nicht anzunehmen, daß ein bei den Insektoiden als Widerstandskämpfer berüchtigter Worgun wie Gisol mit freundlicher Aufnahme rechnen konnte. Der Gleiter senkte sich, schwebte über dem Schlachtfeld. Er kam tiefer und landete schließlich in der Mitte des Vorplatzes. Der Schutzschirm wurde deaktiviert. Die flimmernde Lichtmembran, die das Gefährt umgab, verschwand von einem Augenblick zum nächsten. Sie sind immerhin bereit, ein gewisses Risiko einzugehen, erkannte Dhark. Zwar war nicht damit zu rechnen, daß die Worgunverteidiger mit ihrer behelfsmäßigen Bewaffnung den schweren Kampf gleiter der Zyzzkt- wirklich zu zerstören vermochten. Schließlich verfügte dieser zusätzlich noch über eine dicke Panzerung. Aber die Zyzzkt- gingen mit der Deaktivierung des Schutzschirms immerhin das Risiko ein, durch Strahlenbeschuß schwere Schäden an der Außenhülle des Schwebers zu erleiden. 180 Doch kein einziger der Worgun war so dumm, diese Situation auszunutzen. Sie wußten sehr genau, daß sie der Gnade der Gleiterbesatzung mehr oder weniger ausgeliefert waren. Die Kräfteverhältnisse waien eindeutig, die Übermacht geradezu erdrückend. Jedem Worgun mußte klar sein, daß es für die Zyzzkt- ein leichtes war, Verstärkung zu rufen, falls der Gleiter beschädigt wurde. Nötigenfalls konnte innerhalb kürzester Zeit ein ganzes Geschwader schwerer Kampfmaschinen am Horizont erscheinen und die Wohnpyramide in Schutt und Asche legen. »Es scheint fast so, als wollten die Zyzzkt- einen Kommunikationsversuch unternehmen«, stellte Gisol ziemlich überrascht fest. »Kaum zu glauben«, erwiderte Maluk. Gisol wandte sich an seinen Gastgeber. »Hat es so etwas in der Zeit meiner Abwesenheit schon einmal gegeben? Zyzzkt-, die gegen Zyzzkt- kämpfen?« Maluk verneinte das. »Glaub mir, ich hätte bestimmt davon gehört«, erwiderte er. »Um ehrlich zu sein, es fällt mir immer noch schwer zu glauben, was ich hier miterlebt habe...«
»Vielleicht sind die Zyzzkt- doch nicht eine so monolithische Einheit, wie es bisher schien«, äußerte Ren Dhark. »Legt die Waffen nieder. Es wird niemandem etwas geschehen!« tönte es in diesem Augenblick über die Lautsprecheranlage des Kampfgleiters. Der Sprecher hatte die Worgunsprache benutzt. Ein Außenschott öffnete sich. Die vielgliedrige, an einen überdimensionalen irdischen Bocckäfer erinnernde Gestalt eines Zyzzkt- trat ins Freie. Er wandte den Kopf, rieb die Beißwerkzeuge aneinander. Die Pacettenaugen schimmerten leicht. Einige Augenblicke verharrte er dann vollkommen starr. Dhark fiel auf, daß die Kleidung dieses Zyzzkt- mit glänzenden Abzeichen nur so gespickt war. Vielleicht handelte es sich um Orden und Ehrenzeichen. »Es muß sich um einen hochrangigen Offizier handeln«, sagte Maluk. Gisol, der ebenfalls einen Blick aus der Deckung heraus wagte, dieser Einschätzung zu. »Die Kleider lassen daran keinen 181 Zweifel! Das ist die Uniform eines Bezirksoffiziers. Mindestens!« »Mit einem Femsichtgerät könnte ich vielleicht die Datenstreifen entschlüsseln, die Auskunft über den Rang geben«, ergänzte Maluk. Auf dem Vorplatz herrschte Stille. Einige der Worgunverteidiger wagten sich nun ebenfalls aus ihrer Deckung heraus, hielten aber die Waffen im Anschlag. Der Zyzzkt-Offizier hob einen seiner Greif arme. Am oberen Körpersegment trug er ein Translatormodul, das drahtlos mit der Lautsprecheranlage verbunden war. »Hört meine Worte! Ich spreche im Namen der Gemeinschaft aller Verehrten«, sagte der Offizier. Er spricht von seiner eigenen Gattung als »die Verehrten« und benutzt damit den Namen der Worgunsklavenfür die Zyzzkt-, überlegte Ren Dhark. Das heißt, daß er die gegenwärtigen Autoritätsverhältnisse aufEpoy als gegeben ansieht und keineswegs ein etwaiger Zyzzkt-Rebell ist! Der Offizier fuhr in seiner Rede fort. Offenbar hielt er es nicht für notwendig, eine genaue Rangbezeichnung oder gar das Zyzzkt-Äquivalent eines individuellen Namens anzugeben. Er schien es gewohnt zu sein, daß sein Auftreten allein genügte, um seine Umgebung einzuschüchtern und Autorität auszustrahlen. Ganz gleich,l ob es sich dabei um Angehörige seiner eigenen Art, der vor Äonen besiegten Worgun oder irgendeines unbedeutenden Hilfsvolkes handelte. »Ich möchte mich für das Verhalten jener Zyzzkt-, die versucht haben, euch Worgun anzugreifen, ausdrücklich entschuldigen«, erklärte der Offizier. Er machte eine Pause, wandte leicht den Kopf. Die Emotionen dieser vom terranischen Standpunkt aus sehr fremdartig wirkenden Spezies waren für Dhark schwer nachzuvollziehen. Aber der Commander der Planeten hatte den Eindruck, daß es dem Offizier schwerfiel, diese Worte über das Translatormodul zu lassen. Vielleicht interpretiere ich auch ein' fach nur zuviel in die Worte des Zyzzkt- hinein! überlegte Dhark. Eine gewisse Unsicherheit im Auftreten des Offiziers war jedoch unverkennbar. Die Worgun hörten den Worten des Zyzzkt- schweigend zu. 182 Der Offizier fuhrt fort: »Die unseligen Angreifer haben sich damit aus der Gemeinschaft der Verehrten selbst entfernt. Sie waren iung, handelten unbeherrscht und haben die Gesetze mißachtet, die auf Epoy auch weiterhin Geltung haben. Insbesondere gilt dies für die Aufteilung dieses Planeten. Eine Hälfte Epoy s gehört den Worgun. So sei es: Wie in der Vergangenheit, so heute und in Zukunft,« »Seine letzten Worte waren die WorgunUbersetzung der traditionellen Rechtsbekräftigungsformel der Zyzzkt-, wie sie in Prozessen bei der Urteilsverkündung des Richters verwendet wird«, erläuterte Maluk vollkommen überrascht in Dharks Richtung. »Nicht zu glauben! Ein Zyzzkt- als Garant des Rechtes!« stieß Gisol sarkastisch hervor.
Damit drückte er wahrscheinlich genau die Gedanken aus, die zur Zeit in den Gehirnen der meisten der Worgunverteidiger herumschwirrten. Am Horizont tauchte ein halbes Dutzend weiterer Gleiter auf und näherte sich rasch. Maluk gab jedoch schon gleich bei ihrem Erscheinen Entwarnung. »Es handelt sich nicht um weitere Kampf gleiter, sondern um Transporteinheiten«, erläuterte der Worgun. Die Gleiter kamen schnell näher, bildeten eine halbkreisförmige Formation und landeten rund um den Vorplatz der Wohnpyramide. Sie waren wesentlich kleiner als die schweren Kampfgleiter. Ihre Flug und Landemanöver führten sie absolut synchron durch. Die Außenschotts öffneten sich. Roboter aus ehemaliger WorgunProduktion kamen hervor und begannen damit, die toten Zyzzkt-körper einzusammeln und im Inneren der Transportgleiter zu verstauen. Der hochrangige Zyzzkt- blickte sich noch einige Augenblicke lang schweigend um, rieb dabei die Beißwerkzeuge aneinander. Dann hob er wie bei seiner Begrüßung einen Greifarm und drehte hj, sich herum. Ohne sich zu beeilen, kehrte der Offizier ins Innere des Kampfgleiters zurück. Das Schott schloß sich selbsttätig hinter ihm. Der Kampfgleiter erhob sich schon im nächsten Moment wieder. Eiü leichtes Flimmern machte deutlich, daß der Schutzschinn wie der aktiviert war. Der Kampfgleiter flog eine hyperbelförmige Bahn, kam dabei bis auf wenige Meter an die Wohnpyramide heran und entfernte sich anschließend zusehends von ihr. Die Roboter waren rasch mit ihrem makabren Werk fertig. Die toten Zyzzkt- waren in den Laderäumen der Transporteinheiten verstaut. Die Schotts schlössen sich eines nach dem anderen hinter der jeweils letzten Robotereinheit, die an Bord ging. Die Gleiter erhoben sich. Sie folgten dem Kampfgleiter in einigem Abstand und hielten dabei ihre halbkreisförmige Formation ein. Dhark und Gisol kamen vollständig aus ihrer Deckung hervor, als die abziehenden Zyzzkt-Gleiter nur noch dunkle Punkte im Widerschein der blauen Sonne Foru waren. »Was auch immer dieses Ereignis zu bedeuten haben mag ich glaube, keiner von uns hätte gedacht, die nächste Stunde noch unter den Lebenden zu sein!« verkündete Gisol mit spürbarer Erleichterung. »Es scheint unter den Zyzzkt- größere Meinungsverschiedenheiten zu geben, als uns bisher bekannt war«, vermutete Dhark. Er wandte sich an Maluk. »Hast du irgend etwas darüber gehört?« »Nein. Die Gesellschaftsstruktur der Zyzzkt- ist absolut hierarchisch. Es herrscht ein System von Befehl und Gehorsam. Bisher dachte ich, daß da für individuelle Abweichungen kein Platz ist. Aber jetzt muß ich meine Meinung offenbar revidieren.« »Es würde mich interessieren, ob dieser Zyzzkt-Offizier aus eigenem Entschluß oder auf Befehl gehandelt hat!« sagte Dhark. Für Gisol war diese Frage klar zu beantworten. »So, wie ich die Zyzzkt- bisher kennengelernt habe, war es zweifellos ein Befehl von oben.« »Sollte das zutreffen, dann schützt die Führung der Zyzzkt- die Worgun!« stellte Dhark fest. Gisol antwortete nicht darauf. Er schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Immer, wenn er nicht seine menschliche JimSmithGestalt angenommen hatte, sondern mit seinen hundert Kilogramm Körpermasse einen amöbenhaften Worgunkörper bildete, hatte Dhark große Schwierigkeiten, von irgendwelchen körperlichen Reaktionen auf Gisols Gefühlslage zu schließen. 184 Als Jim Smith hatte Gisol das Gesicht eines Terraners. Ein menschliches Antlitz, in dessen Mimik sich lesen ließ. Während seines Aufenthalts auf der Erde hatte Gisol sich, auch was das Mienenspiel der Gesichtszüge anging, an seine Umgebung angepaßt. Schließlich war es damals sein Ziel gewesen, so wenig wie möglich aufzufallen.
Irgend etwas beschäftigt ihn sehr stark! ging es dem Terraner durch den Kopf. Aber offensichtlich will er es zur Zeit noch mit niemandem teilen... Über eine besonders kodierte Botschaft wurde eine Versammlung der etwa hundert Worgunkämpfer einberufen, die an der Verteidigung der Wohnpyramide teilgenommen hatten. Maluk wandte sich an seine Gäste. »Ihr beide seid natürlich ebenfalls dazu eingeladen«, erklärte er. »Diese Versammlung könnte interessant werden«, meinte Gisol. »Ich bin gespannt darauf zu erfahren, was meine Artgenossen von dem heutigen Vorfall halten.« »Um ehrlich zu sein, ich kann noch immer nicht fassen, was sich ereignet hat«, gestand Maluk. »Und ich denke, das wird den meisten ähnlich gehen!« »Zumindest widerspricht es allem, was ich bisher über die Zyzzkt- weiß«, bekannte Ren Dhark. Maluk wandte sich an den Commander der Planeten. »Es wäre eine Ehre für uns, wenn auch du an der einberufenen Versammlung teilnehmen würdest!« »Ich bin kein Worgun«, gab Dhark zu bedenken. »Aber du hast dich an der Verteidigung unserer Wohnpyramide ebenso beteiligt wie alle anderen und dich dadurch in Lebensgefahr begeben! Dafür gebührt dir der Respekt aller, Ren.« »Nun, dann nehme ich die Einladung gerne an und an dieser Versammlung teil.« »Es ist ein gewisses Risiko dabei«, gestand Maluk ein. »Aber zweifellos können wir dort genauere Informationen über die gegenwärtige Lage auf Epoy erhalten«, entgegnete Gisol. »Du solltest inzwischen wissen, daß ich nicht besonders ängstlich bin«, gab Ren Dhark zurück. »Nein, das gewiß nicht. Aber du kennst auch nicht den Mut der Verzweiflung, von dem ich erfüllt bin. Wir könnten den Worgun hier auf Epoy durch deine Anwesenheit ein Zeichen der Hoffnung geben, Ren. Die Mitglieder der Versammlung würden davon erfahren, daß wir mit den Terranem einen Verbündeten haben, der uns helfen könnte, das Joch der Zyzzkt- endlich abzuwerfen, zu alter Macht zurückzufinden und...« »Man sollte ihre Hoffnungen nicht zu sehr schüren«, warf Ren Dhark ein. »Euphorische Illusionen, die später wie Seifenblasen zerplatzt sind, dürfte es in der langen Unterdrückungsgeschichte der Worgun schon oft genug gegeben haben.« »... und du könntest noch etwas mehr über die verzweifelte Lage erfahren, in der sich mein Volk inzwischen befindet!« fuhr Gisol unbeirrt fort. Die Lage der einst so erhabenen und machtvollen Mysterious war tatsächlich verzweifelt. Kaum die Hälfte ihrer Ursprungswelt Epoy wurde ihnen, die einst die Galaxis Om beherrscht hatten, noch von den regierenden Zyzzkt- zugestanden. Ein kläglicher Rest. Wie der heutige, offenbar vollkommen unautorisierte Zyzzkt-Angriff aber gezeigt hatte, war selbst dieser Rest in ständiger Gefahr. Wenn es den Zyzzkt- beliebte, dem einstmals so erhabenen und technisch überlegenen Volk der Worgun endgültig den Garaus zu machen, so war dies jederzeit möglich. Daß es den Worten des Zyzzkt-Offiziers und Kampfgleiterkommandanten nach zumindest derzeit nicht dem Ziel der offiziellen Politik der Insektoiden entsprach, eine vollkommene Vernichtung der letzten Worgun anzustreben, konnte dabei nur ein schwacher Trost sein. Die Aussicht auf einen Aufschub. Mehr konnte man darin wohl kaum sehen. Maluk bewegte sich auf Dhark zu. Er legte ihm einen Tentakel auf die Schulter. »Ich freue mich, daß du bei uns bist, Ren Dhark«, erklärte er fast 186 feierlich. »Deine Anwesenheit ist für mich tatsächlich ein Zeichen der Hoffnung.« Dhark dachte mit leichtem Schauder daran, mit welchen Gefühlen er noch vor kurzem den Boden des Planeten Epoy betreten hatte. Gefühle der Ehrfurcht vor allem. So lange hatte er nach dem Ursprung der Mysterious gesucht, jenem geheimnisvollen Volk, dessen technischen Errungenschaften die Menschheit so viel verdankte. Nun hatte er diesen Ursprung gefunden und wurde von den Angehörigen
dieses einstmals so mächtigen Volkes offenbar als gleichwertig anerkannt, vielleicht sogar als Retter gesehen. »Laßt uns zur Versammlung gehen«, forderte Gisol. Dhark mußte unwillkürlich schmunzeln. Er benutzt tatsächlich das WorgunÄquivalent für »gehen«, obwohl man seine Art der Fortbewegung in seiner gegenwärtigen körperlichen Gestalt wohl kaum mit diesem Begriff bezeichnen kann, überlegte der Terraner. Etwa hundert Worgun hatten sich in dem mittelgroßen Gemeinschaftsraum versammelt. Es herrschte offensichtlich große Aufregung unter den Teilnehmern. Selbst für Dhark als NichtWorgim war ihre Unruhe gleich erkennbar. »Kann man den Anwesenden trauen?« wandte sich Ren Dhark leise an Gisol. »Sei unbesorgt, Ren. Deine Furcht ist unbegründet.« Maluk hatte die Worte des Terraners gehört. »Jeder Worgun, den du hier antriffst, ist absolut vertrauenswürdig«, erklärte er in Dharks Richtung. »Natürlich kann man Verrat nie vollkommen ausschließen. Aber du darfst mir glauben, daß wir außerordentlich vorsichtig sind.« »Das habe ich auch nie anzweifeln wollen!« »Wie du sehen wirst, ist unser Volk in einer verzweifelten Lage. Wir stehen am Abgrund. Da ist es leicht, mutig zu sein. Schließlich haben wir nichts zu verlieren.« Dhark blickte sich um und registrierte, daß Maluk einigen Worßün ein Zeichen gab. Er fuhr dazu ein Tentakel aus seinem amö 187 benhaften Körper aus. Einige Worgun, die Maluk zu kennen schien, besetzten daraufhin die Ausgänge des Gemeinschaftsrau' mes. Anschließend wandte er sich an Gisol und Dhark. »Für eure Sicherheit ist alles getan, was in unserer Macht steht«, erklärte er. »Nach dem, was sich vorhin ereignet hat, kann mir so schnell nichts mehr Angst machen«, erwiderte Dhark. Einzelne Worgun kamen auf die Dreiergruppe zu und sprachen sie an. »Wir kennen euch nicht, aber wir haben euer Verhalten während des Angriffs der Zyzzkt- gesehen«, erklärte einer von ihnen. »Mein Name ist Sragon, und ich darf jedem von euch meine höchste Anerkennung aussprechen.« »Danke«, erwiderte Gisol. Sragon wandte sich Ren Dhark zu. »Diese Anerkennung schließt dich ausdrücklich mit ein, Fremdling.« »Ich habe viel Mut unter den Verteidigern dieser Pyramide gesehen«, erwiderte Ren Dhark. »Allerdings hätte wohl niemand von uns den heutigen Tag überlebt, wenn es nicht zum Eingreifen dieses Kampfgleiters und seiner Besatzung aus Wimmelwilden gekommen wäre.« »Ein Phänomen, das für mich vermutlich so unerklärlich ist wie für jeden anderen hier im Raum«, sagte Sragon. »Wer bist du ' und woher kommst du. Fremder?« »Er wird euch gleich vorgestellt werden«, griff jetzt Maluk in die Unterhaltung ein. Sragon schwieg einige Augenblicke. Möglicherweise dachte er über Maluks Worte nach. Dem Äußeren seiner amöbenhaften Gestalt war das natürlich nicht anzusehen. Zumindest was Ren Dhark betraf, dem die Körpersprache der Worgun natürlich vollkommen fremd war. »Daß er auf unserer Seite steht, hat dieser Fremde ja eindrucksvoll bewiesen«, erklärte Sragon schließlich. »Ich habe ihn während des Kampfes auf die Zyzzktschießen sehen. Der Energiestrahl seiner Waffe unterscheidet sich in der Färbung etwas von dem, was wir mit unserer behelfsmäßigen Bewaffnung verschießen.« »Das mag sein«, gab Ren Dhark zu. Ein aufmerksamer Beobachter, überlegte der Commander der Planeten. Er hätte gerne 188 mehr über diesen Worgun gewußt, dessen sozialer Status offenbar recht hoch zu sein schien. Zumindest wenn man von der Ehrerbietung ausging, mit der er unter anderem von Maluk behandelt worden war. Ein Signal ertönte. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Gongschlag, wurde ganz offensichtlich aber elektronisch erzeugt. Zumindest konnte Ren Dhark keine Quelle dieses
Geräusches ausmachen. Ihm wurde klar, daß die Zyzzkt- die Energieversorgung der Pyramide wiederhergestellt haben mußten »Die Versammlung beginnt«, erklärte Maluk. »Das eben war das Signal!« Die Worgun nahmen ihre Plätze ein und bildeten dabei eine Art Halbkreis. Sitzgelegenheiten, wie Menschen oder andere Humanoide sie gewohnt waren, gab es natürlich nicht. Für die amöbenhafte Anatomie der Worgun wären sie auch vollkommen ungeeignet gewesen. In der Mitte des Raumes befand sich ein Quader, von dem Ren Dhark annahm, daß es sich um eine Konsole handelte. Gisol durch seinen langen Aufenthalt unter Menschen daran gewöhnt, deren Körpersprache und Mimik zu lesen raunte Dhark leise eine Erklärung zu. »In deiner Kultur würde man dieses Ding ein Rednerpult nennen«, sagte er. »Es verfügt unter anderem über eine Möglichkeit der Verstärkung akustischer Signale!« »Verstehe«, murmelte Dhark. Es herrschte zunächst einige Augenblicke lang Stille. Sragon stand an jenem etwa einen Meter hohen Quader, den Gisol als »Rednerpult« bezeichnet hatte. »Wir sind soeben Zeuge seltsamer Ereignisse geworden. Ereignisse, die wohl nicht nur dich zutiefst verwirrt haben. Viele von uns hatten die Hoffnung längst aufgegeben, gegen die gut bewaffneten und in ihrer Grausamkeit beispiellosen Massenvermehrer, die wir die >Verehrten< nennen müssen, im Kampf zu bestehen. Die Übermacht schien zu groß. Und als dann noch dieser Kampf gleiter auftauchte, hat sicherlich niemand von uns damit gerechnet, daß ein Offizier der verhaßten Unterdrücker zu unseren Gunsten in das Geschehen eingreifen würde.« Sragon machte eine Pause. 189 Seine Worgungestalt zog sich etwas zusammen und bildete zwei Tentakel aus, mit denen er sich am Rednerpult festhielt. »Jeder der Anwesenden hat das gute Recht, sich zu Wort zu melden. Da ich der Älteste in diesem Kreis bin, nehme ich das Privileg in Anspruch, die Versammlung zu leiten und die Reihenfolge der Redebeiträge zu bestimmen!« Ein Schwall von zustimmenden Lauten kam Sragon entgegen. Dieser nahm sie mit einer Tentakelgeste zur Kenntnis, woraufhin wieder Schweigen einkehrte. »Ich bitte also um Wortmeldungen!« rief Sragon nun. Es war Maluk, der sich als erster meldete. Er bewegte sich ohne sichtbare Eile zum Rednerpult hin, an dem Sragon Platz für ihn machte. Zuvor berührten sich Maluk und Sragon kurz gegenseitig mit den Außenmembranen ihrer Worgunkörper. Vielleicht ein Zeichen dafür, daß sie sich gut kennen, überlegte Ren Dhark. Maluk ergriff im nächsten Moment das Wort. »Wir sind heute Zeuge geworden, wie ein Wimmelwilder sich gegen andere seiner Art gestellt hat. Ich kann mich nicht erinnern, daß so etwas schon jemals vorgekommen wäre!« Laute der Zustimmung gingen von den versammelten Worgun ' aus. »Aber vielleicht bin ich einfach nicht gut genug informiert darüber! Ihr wißt, daß wir uns heimlich treffen müssen und unsere Kommunikationskanäle einer Zensur unterliegen, weil wir immer damit rechnen müssen, daß die Käfer uns belauschen. So frage ich alle Anwesenden: Hat unter uns jemand von einem vergleichbaren Ereignis gehört?« Einen Moment lang war es still. Dann folgten die ersten Antworten. »Nein, niemals!« rief ein Worgun. »Das hat es nie zuvor gegeben!« stimmte ein anderer zu. Ein wahres Stimmengewirr erhob sich. »Solange ich die Zyzzkt- kenne, habe ich nicht von einem einzigen gehört, der so etwas getan hätte wie dieser Offizier!« »Ja, und es war ein hoher Offizier!« 190 »Vielleicht gibt es unterschiedliche Fraktionen unter den Wimmelwilden!« »Ein interner Kampf um die Macht!«
»Daß ein Zyzzkt- aus reiner Selbstlosigkeit zugunsten von ein paar worgunischen Pyramidenbewohnem eingreifen würde, kann ich mir nicht vorstellen nach allem, was ich mit ihnen erlebt habe!« »Genau!« »Da stimme ich dir zu!« »Es muß Gründe dafür geben!« »Worgunfreundlichkeit kann das ja wohl kaum sein!« Maluk hob seinen Tentakel, ließ ihn noch etwas länger werden. Das Stimmengewirr verebbte. Wenig später herrschte Schweigen. Maluk führ fort. »Nach allem, was wir wissen, haben wir es also mit einem völlig einmaligen Ereignis zu tun. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, was es zu bedeuten hat. Ich persönlich muß zugeben, in dieser Hinsicht völlig ratlos zu sein. Für mich waren die Zyzzkt- bislang Tiere mit grausamer Intelligenz, bar jeden Mitgefühls. Aber möglicherweise muß ich meine Auffassung überdenken...« Protestrufe waren aus dem Auditorium zu hören. Allein der Gedanke, daß Zyzzktso etwas wie Mitgefühl überhaupt kannten, erschien den meisten Worgun wie Hohn. Zu sehr hatten sie unter dem Vemichtungswillen der Insektoiden gelitten. »Was ist schon ein einzelner Offizier gegen das Milliardenheer dieser Bestien, denen das Schicksal anderer Völker vollkommen gleichgültig ist!« rief jemand. Gisol wandte sich an Dhark. Die Außenmembran der Worgungestalt berührte den Commander der Planeten leicht. »Komm, Ren. Jetzt haben wir unseren Auftritt!« »Was hast du vor?« »Warte es ab und folge mir zum Rednerpult!« Dhark folgte Gisol zu dem Quader in der Mitte des Raumes. Maluk machte dort für ihn Platz. »Ich bitte um das Wort!« wandte sich Gisol an Sragon. »Es sei dir erteilt!« 191 Das allgemeine Gemurmel, das bis dahin geherrscht hatte, erstarb, als Gisol plötzlich seine Gestalt zu verändern begann. Aus dem amorphen Worgun wurde langsam die Gestalt eines Humanoiden. Gesichtszüge und Einzelheiten bildeten sich heraus. Innerhalb weniger Augenblicke stand Jim Smith hinter dem Rednerpult. Jener Jim Smith, als der Gisol unerkannt auf der Erde gelebt hatte. Noch während dieser Umwandlung holte der Worgun auch die Zyzzkt-kleidung aus der Tasche heraus, die er mit Hilfe seiner Körpersubstanz gebildet hatte. Er legte sie an, obwohl sie natürlich auf Grund der vollkommen unterschiedlichen Physiognomie von Menschen und Insektoiden nur ein paar schlechtsitzenden Fetzen gleichkam. Lautes Stimmengewirr erhob sich unter den Worgun. »Wie ist das möglich?« »Er trägt einen IDDämpfer! Wie kann er trotzdem seine Gestalt verändern?« »Was geht hier vor?« »Kennt irgend jemand von euch diesen Worgun?« »Ein Agent der Zyzzkt-!« / Augenblicke später verstummten auch die letzten Mitglieder der Versammlung, als sich Gisols nun menschlicher Körper veränderte. Der Torso glich schließlich jenem eines Zyzzkt-, während Extremitäten und Kopf menschlich blieben. Ein groteskes Mischwesen stand vor dem Auditorium. Die Zyzzkt-kleidung saß nun einigermaßen. Die versammelten Worgun waren fassungslos. Genau das hatte Gisol offenbar auch beabsichtigt. Er war zufrieden mit der Wirkung seines Auftritts. »Ihr werdet euch fragen, wer ich bin und wie es kommt, daß ich meine Gestalt trotz eines angelegten IDDämpfers zu verändern vermag.« Gisols humanoides Gesicht zeigte ein verhaltenes Lächeln. Wer unter den Worgun vermag schon w verstehen, was das bedeutet? ging es Ren Dhark durch den Kopf, während er wie alle anderen auch darauf wartete, daß Gisol seinen Wortbeitrag fortsetzte.
192 »Ich bin der, den man auch >der Schlachten nennt«, erklärte der Worgun schließlich. Gisol ließ eine Pause folgen. Für einige Sekunden war diese Pause mit ungläubigem Schweigen gefüllt. Die Worgun schienen kaum fassen zu können, was ihnen da gesagt worden war. Schließlich brachen erste Jubelrufe los. Sie verbreiteten sich schnell im Raum. »Gisol!« »Es lebe Gisol!« »Gisol ist hier, um uns zu befreien!« »Dies ist der Anfang vom Ende der Zyzzkt-Herrschaft!« »Gisol! Gisol!« Es kam zu tumultartigen Szenen, die erst durch eine Geste beendet wurden, die Gisol mit seinen humanoiden Armen ausführte. Gespannte Ruhe herrschte, als er fortfuhr. »Der falsche IDDämpfer, den ich trage, hindert mich nicht an einer Verwandlung, so wie es die Gesetze der Zyzzkt- vorschreiben, weil sie die gestaltwandlerischen Fähigkeiten unseres Volkes fürchten wie sonst kaum etwas!« »Wann wird der Aufstand losbrechen?« meldete sich ein Sprecher im Saal. »Ja, wir sind bereit für den Kampf!« rief ein anderer. »Gib uns ein paar dieser falschen IDDämpfer und unsere Kämpfer werden sich in der Gestalt von Zyzzkt- unter die >Verehrten< mischen und ihnen zeigen, wie sehr wir sie tatsächlich verehren!« Ren Dhark beobachtete die Stimmung unter den Worgun mit wachsender Sorge. Gisol wird die Hoffnungen, die er bei ihnen geweckt hat, zwangsläufig enttäuschen müssen! überlegte er. Er spielt mit dem Feuer. Ich hoffe, er weiß, was er tut. Gisol ergriff wieder das Wort, und innerhalb von wenigen Augenblicken verstummten die Worgun. Man mußte keineswegs ein Telepath sein, um die Gedanken der amöbenhaften Wesen in die im Augenblick lesen zu können. Sie waren von grenzenloser Euphorie erfüllt. Gisol, der Schlächter jener berühmte Widerstandskämpfer mußte ihnen wie das Symbol einer neuen Hoffnung 193 erscheinen. Doch nun hatte Gisol dafür zu sorgen, daß die Emotionen der Anwesenden nicht überbordeten. Gisol faßte Ren Dhark am Arm und schob ihn ein Stück näher an den Quader heran, der das Rednerpult darstellte. »Dies ist Ren Dhark. Er ist der Repräsentant einer Spezies aus der Galaxis Nai, die sich Menschheit nennt und ihren Ursprung auf dem Planeten Terra hat. Die Vorfahren der Terraner gehörten zu den humanoiden Völkern, die von uns Worgun in der Zeit unserer alten Macht gefördert wurden. Ihre interstellare Raumfahrt basiert größtenteils auf den zahlreichen Hinterlassenschaften unserer Technologie in Nai. Bald schon könnte der Tag gekommen sein, da sie uns zu helfen vermögen.« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Ren Dhark spürte die Aufmerksamkeit der Worgun, die jetzt seiner Person galt. »Die Terraner sind hier, um uns bei unserem verzweifelten Kampf gegen die Tyrannei der Zyzzkt- zu helfen«, verkündete Gisol. »In der Zukunft werden sie sehr wichtige Verbündete für uns sein.« »Wie groß ist die Flotte, die den Terranem zur Verfügung steht?« fragte Sragon skeptisch. Sogleich meldete sich einer der anderen Worgun zu Wort. »Wann wird losgeschlagen?« fragte der Sprecher. »Ich glaube, jeder von uns wäre bereit, an Bord eines Kampfschiffs zu gehen, um gegen die verfluchten Sabocaer zu Felde zu ziehen!« Sabocaer Ren Dhark kannte diesen Begriff. Wörtlich bedeutete er »Wimmelwilde« und drückte die ganze Verachtung aus, die die Worgun für die Zyzzkt- empfanden. »Verfluchte Sabocaer!« rief jemand anderes. »Man sollte sie vom Antlitz dieser Galaxis tilgen! Und zwar endgültig!« Die Stimmung war auf dem Siedepunkt.
Es war so gekommen, wie Ren Dhark befürchtet hatte. Der unter der Oberfläche lodernde Haß, den die Worgun gegen ihre Unterdrücker empfanden, war zum Ausbruch gekommen. Ein winziger Funke hatte genügt. Daran änderte auch das Auftreten des Zyzzkt-Offiziers nichts. Gisol schien es zu gefallen, an dieser Lunte zu zündeln. Am liebsten würde auch er wohl sofort in den Kampfe" 194 fien, dachte Dhark. Vorausgesetzt, es bestünde eine realistische Chance, die ZyzzktHerrschaft zu stürzen. Doch bislang konnte davon keine Rede sein. Gisol versuchte die aufgebrachte Versammlung durch Gesten wieder zur Ruhe zu bringen, was ihm schließlich auch gelang. »Unser Tag wird kommen«, versprach Gisol. »Aber zur Zeit ist unser größtes Problem der Energiemangel in Om. Es gibt einfach zu wenig Tofirit. Dieses Problem muß zuerst gelöst werden, alles, was danach folgt, ist dann vergleichsweise leicht!« »Sag uns, was wir tun sollen, Gisol!« meldete sich ein Worgun zu Wort, der Ren Dhark schon durch lebhafte Beteiligung an der Diskussion aufgefallen war. »Du hast doch unsere Not heute gesehen! Um ein Haar hätten uns die marodierenden Bestien aus unserer Wohnpyramide vertrieben und wahrscheinlich ein Blutbad unter uns angerichtet. Sollen wir das noch langer ertragen?« »Für den großen Konflikt ist es noch zu früh«, erklärte Gisol betont ruhig und gelassen. ^ Er versuchte, die maßgeblich durch seinen Einfluß erhitzten Gemüter wieder zu beruhigen. Kein leichtes Unterfangen. Er fuhr fort: »Noch haben wir einfach nicht die Mittel dazu. Ich weiß, daß eure Lage verzweifelt ist. Die letzten zwei Milliarden Angehörigen unseres Volkes leben auf dieser Halbkugel Epoys zusammengedrängt. Und selbst diese bescheidene Existenz ist in ständiger Gefahr, ganz gleich, was dieser hochrangige Zyzzkt-Offizier auch gesagt haben mag. Es ist eine Existenz, die von der Gnade der Wimmelwilden abhängt!« Ein anderer Worgun meldete sich zu Wort. »Mein Name ist Gowen. Ich glaube im Namen vieler hier zu sprechen, wenn ich dich darum bitte, eine Weile hier auf Epoy zu bleiben. Unser Volk braucht dich als Zeichen der Hoffnung!« »Es ist leider nicht möglich, daß ich mich länger als unbedingt notwendig auf Epoy aufhalte«, erwiderte Gisol. »Ihr wißt von dem Kopfgeld, das auf mich ausgesetzt wurde. Für die Zyzzkt- bin ich nach wie vor eine Bedrohung. Sie werden jede Gelegenheit wahrnehmen, um mich doch noch zur Strecke zu bringen. Aber ich glaube kaum, daß irgendwer in diesem Raum, den Wimmelwilden diesen Triumph gönnen möchte!« 195 »Was ist dann der eigentliche Gmnd für deinen Aufenthalt auf Epoy?« fragte Sragon. »Ich bin hier, um dem Repräsentanten unserer Verbündeten den Ernst der Lage klarzumachen, denn zweifellos werden wir auf die Unterstützung der Terraner angewiesen sein, wenn wir das Joch der Insektenherrschaft in absehbarer Zeit abschütteln wollen! Außerdem sammle ich Informationen zur gegenwärtigen Lage in Om.« Gisols Antwort stellte die anwesenden Worgun nicht so recht zufrieden. Hier und da war Gemurmel zu hören. Schließlich meldete sich Gowen noch einmal zu Wort. Er wandte sich direkt an Gisol. »Du willst deinem terranischen Verbündeten also unsere Lage klarmachen...« »So ist es!« bestätigte Gisol. »Die Frage ist, inwiefern du selbst denn überhaupt über die aktuellen Entwicklungen auf Epoy informiert bist! Es hat sich vieles verändert, seit man das letzte Mal von dir gehört hat!« »Ich weiß nicht, worauf du anspielst, Gowen«, gab Gisol freundlich zurück. »Die Zyzzkt- haben immer schon unsere besten Forscher und Ingenieure entführt, wie du ja selbst am besten weißt... wir konnten nichts dagegen tun! Aber inzwischen kommt es immer häufiger vor, daß die Wimmelwilden uns auch unsere Kinder wegnehmen!« Zustimmendes Geraune erfüllte die Versammlung.
Gisols JimSmithKopf wandte sich in Ren Dharks Richtung. Die beiden wechselten einen kurzen Blick. Maluk ergriff jetzt das Wort, trat ans Rednerpult heran und sagte: »Ich weiß, daß in letzter Zeit viele Gerüchte die Runde machen. Darunter auch welche, die das Verschwinden von WorgunNachwuchs betreffen...« »Das sind keine Gerüchte!« ereiferte sich Gowen. »Wenn du irgend etwas Näheres darüber weißt, dann solltest du uns das jetzt mitteilen!« forderte Maluk. Gowen bewegte sich nach vom. Die anderen Worgun machten ihm bereitwillig Platz und rutschten mit ihren schweren Amöbenkörpem zur Seite. Maluk entfernte 196 sich vom Rednerpult, so daß Gowen sich dort positionieren konnte. »Wie einige von euch vielleicht wissen, habe ich mich erst vor kurzem gepaart. Aus der Nachwuchsmasse, die dabei gezeugt wurde, gingen nicht wie üblich vier, sondern fünf Kinder hervor. Mein Partner hatte zwei, in mir reiften drei Fruchtkapseln heran. Vier unserer Kinder waren von vollkommen normaler Größe, nur das fünfte hatte eine Körpermasse, die etwas unter dem üblichen Durchschnitt lag. Aber auch dieses fünfte Kind war ohne Zweifel gesund und lebensfähig. Ich habe es von einem Arzt begutachten lassen. Wenig später verschwand dieses Kind aus meiner Wohnung. Spurlos.« »Und du bist dir sicher, daß eine Entführung durch die Wimmelwilden die Ursache für das Verschwinden deines Kindes ist?« hakte Maluk nach. »Was denn sonst?« rief Gowen. »Es gibt keine andere Erklärung. Sämtliche Kindersicherungssysteme waren aktiviert... nur Sabocaer hätten die Möglichkeiten dazu, dennoch ein Kind einfach verschwinden zu lassen.« Sragon meldete sich zu Wort. »Das Entstehen von fünf Kindern aus der gemeinsamen Nachwuchsmasse zweier Worgun ist höchst selten«, stellte er fest. »Man könnte sogar von einer Art genetischem Unfall sprechen...« Gowen wollte das nicht gelten lassen. »Ehrenwerter Sragon, das fünfte Kind war vollkommen gesund! Die einzige Abweichung von der Standardnorm war die etwas geringere Körpermasse!« Ein weiterer Sprecher mischte sich ein und berichtete von ähnlichen Fällen aus seinem Bekanntenkreis. »Handelte es sich ebenfalls um Fünflinge?« fragte Maluk. »Nein«, erklärte der Sprecher. »Im Fall meiner Bekannten handelte es sich um eine Nachwuchsmasse, aus der lediglich drei Kinder hervorgingen, die allerdings ein Übergewicht von etwa 25 Prozent aufwiesen.« »Was geschah mit den Kindern?« erkundigte sich Maluk. »Sie verschwanden alle drei ebenso spurlos wie Gowens Fünfling!« war die Antwort. 197 Sragon trat an das Rednerpult heran. »Könnte es sein, daß die Zyzzkt- verhindern wollen, daß unser Volk degeneriert und deshalb Nachwuchs aussortieren, der offenbar von der Norm abweicht?« »Warum sollten sie das tun?« entgegnete Gowen erregt. »Den Wimmelwilden kann es doch gleichgültig sein, ob unser Volk degeneriert. Außerdem haben sie uns wahrscheinlich alle umgebracht, bevor sich eine genetische Degeneration wirklich bemerkbar machen würde...« »Immerhin nutzen die Zyzzkt- nach wie vor die Dienste unserer Forscher und Ingenieure«, gab Maluk zu bedenken. »Es könnte also sein, daß die Insekten zumindest daran interessiert sind, daß ein gewisser Rest unseres Volkes überlebt.« »Reine Spekulation!« rief Gowen. »Und wie ist sonst das Verhalten des Offiziers zu werten, das uns allen heute das Leben gerettet hat?« war Maluks Gegenargument. »Wenn man das Verschwinden nicht normgerechten Worgunnachwuchses und die Geschehnisse von heute in einem Zusammenhang sieht, so ergibt das meiner Ansicht nach Sinn!« »Es wird Zeit, die alte Macht wieder zu errichten!« rief Gowen. »Nie hätte es damals eine fremde Spezies gewagt, sich an unserem Nachwuchs zu vergreifen!«
Zustimmendes Stimmengewirr erhob sich. Laute Rufe nach Wiederherstellung des alten, galaxienumspannenden Worgunreiches wurden laut. Hier und da entbrannten unter den Teilnehmern der Versammlung hitzige Debatten über das weitere Vorgehen. War es richtig, sofort massiven Widerstand gegen die Zyzzkt-Herrscher zu organisieren? Oder konnten derartige Versuche angesichts der erdrÜckenden Überlegenheit der Wimmelwilden nur in einem Desaster enden? Ren Dhark wandte sich an Maluk. »Ich glaube, es wäre das beste, die Versammlung jetzt zu beenden«, schlug der Terraner vor. »Langsam beginnt hier alles außer Kontrolle zu geraten. Und das kann niemandem von uns recht sein.« Maluk schien derselben Auffassung zu sein. »Ich werde mich an Sragon wenden«, versprach er. »Gut.« 198 Maluk bewegte sich auf den Ältesten zu, der die Versammlung eröffnet hatte und dem es zweifellos auch oblag, sie zu einem offiziellen Ende zu führen. Von ihrer Unterhaltung konnte Ren Dhark nur Bruchstücke verstehen. Zu laut war das Stimmengewirr der eifrig miteinander diskutierenden Worgun. Einige sprachen Dhark dabei auf die Stärke seiner Flotte und deren technischen Stand an. Der Commander der Planeten hielt sich dabei natürlich sehr bedeckt. Gisol war mit seinem Auftritt viel weiter vorgeprescht, als es Dhark eigentlich lieb war. Noch wußte er nämlich keineswegs, ob es wirklich im Interesse der Terraner lag, aktiv in diesen Konflikt einzugreifen. Dhark war hier, um Erkenntnisse zu sammeln. Gisols Ziel hingegen war der Umsturz der bestehenden Machtverhältnisse in der Galaxis Om. Sragon trat inzwischen an das Rednerpult und schloß die Versammlung. Unter dem Aspekt der Sicherheit betrachtet hatte diese Zusammenkunft ohnehin schon viel zu lange gedauert. Schließlich waren überall in den Wohnpyramiden der Worgun auch Spione zu finden, die mit den Zyzzkt- kollaborierten. Trotz des Sieges, den sie an diesem Tag errungen hatten, blieb ihre Lage prekär. Die meisten Worgun hatten bereits den Gemeinschaftsraum verlassen, als sich Gowen an Ren Dhark wandte. K »Du hast gehört, was auf Epoy vor sich geht. Fremder.« W »Ja und ich bin erschüttert über das, was ich erfahren habe«, erklärte Dhark. Das war die Wahrheit. Es gab nichts Schlimmeres, was man einem vernunftbegabten Wesen antun konnte, als ihm seinen Nachwuchs zu stehlen. Aus L welchen Gründen auch immer. p Worgun und Menschen mochten physiologisch gesehen nicht t ^el gemeinsam haben. Aber was den Schmerz über ein entführtes Kind anbetraf, gab es zwischen beiden Spezies sicher keine großen Unterschiede. »Du hast mein volles Mitgefühl, Gowen«, erklärte Ren Dhark. »Wir brauchen mehr als dein Mitgefühl, Terraner. Wir brauchen ^ Hilfe.« 199 »Es wäre unehrlich, euch irgend etwas versprechen zu wollen, das wir am Ende nicht halten können.« Der Worgun schwieg einige Augenblicke lang. »Damit hast da natürlich recht, Fremder. Trotzdem dein Auftreten hier ist für uns alle ein Zeichen der Hoffnung. Und Hoffnung haben wir bitter nötig.« 13. ... ratter, ratter, ratter... Bert Stranger traute seinen Sinnen nicht. Hörte er tatsächlich seine kleinen grauen Gehirnzellen arbeiten, oder bildete er sich das nur ein? Woher stammte die Bezeichnung »kleine graue Zellen« eigentlich? Soweit Bert informiert war, hatte die englische Schriftstellerin Agatha Christie den Begriff in ihrem Roman »Mord im OrientExpreß« verwendet, ein kriminalistisches Meisterwerk, das ihren fiktiven belgischen Detektiv Hercule Poirot mit einem Schlag weltberühmt machte. Christies Werke waren bis heute unübertroffen, und ihr Dauerbrenner »Die Mausefalle« wurde im neugestalteten Londoner WestendTheater, das bei der GiantInvasion so einiges abbekommen hatte, noch immer in schöner Regelmäßigkeit aufgeführt. »Ich möchte zu gern wissen, was ihm in diesem Augenblick durch den Kopf geht.«
»Gar nichts. So wie du zugeschlagen hast, herrscht bei ihm erst mal Sendepause. Er wird gar nicht mitkriegen, was wir gleich mit ihm anstellen.« Irrtum. Stranger war nicht mehr bewußtlos. Der harte Genickschlag, den ihm einer der beiden vermummten Männer, die auf dem Redaktionsparkplatz über ihn herfallen waren, verpaßt hatte, hatte ihn nur zeitweise außer Gefecht gesetzt. Bert war es gelohnt, Prügel einzustecken. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er sich in der zentralen Transmitterstation von Alamo Gordo wiedergefunden. Man hatte ihn am Boden abgelegt, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Durch seine leicht geöffneten Augenlider beobachtete er, wie heitere mit Tüchern vermummte Männer die vereinzelten Passa 201 giere, die sich um diese späte Stunde noch in der Station aufhielten, unter Waffengewalt nach draußen trieben. Seine beiden Peiniger wichen derweil keinen Schritt von seiner Seite. Stranger ahnte, was die Vermummten mit ihm vorhatten. Verzweifelt kämpfte er gegen seine aufkeimende Angst an. Er durfte jetzt nicht durchdrehen, mußte seine Gedanken ordnen. In derart kritischen Situationen versuchte er meist, an etwas anderes zu denken, an irgend etwas Schönes... An Krimis von Agatha Christie beispielsweise. Oder an eine erlesene Mahlzeit in einem guten Lokal. Oder an einen sonnigen Strand mit Veronique de Brun im Arm. Allmählich bekam Stranger seine Furcht in den Griff und entspannte sich innerlich ein wenig. Mit halbwegs klarem Kopf analysierte er seine Situation. Bert war überzeugt, daß Curt Czerch, der Schatzmeister der Fortschrittspartei, hinter dem feigen Überfall steckte. Nun bekam Stranger die Quittung für seine Dreistigkeit. Es mußte ihm gelingen, die Vermummten auszutricksen. Aber wie? ... ratter, ratter, ratter... Da war es wieder, das Geräusch seiner unaufhörlich arbeitenden Gehirnzellen gespenstische Laute, die außer Bert niemand wahrnahm. Wie aus weiter Feme hörte er die Stimme eines der beiden Schläger. »Na, wieder munter, Kanonenkugel? Leider müssen wir dich gleich wieder einschläfern na ja, nicht richtig. Du wirst jetzt nämlich einen tödlichen Transmitterunfall erleiden.« Diese Anmerkung trug nicht gerade zu Strangers Wohlbefinden bei. Aufs neue versuchte er, seine Ängste zu besiegen. Ein lauer Sommerabend auf einer Veranda. Ein kühles Bier an der letzten Tankstelle vor der Wüste. Eine heiße Tasse Tee mit Rum an einein knackig kalten Wintertag... Ein heftiger Tritt in die Seitengegend riß ihn aus seinen Träumereien. »Stell dich nicht ohnmächtig, Kerl! Ich weiß genau, daß du wach bist!« Bert schlug die Augen auf. Seine Rippen schmerzten, sein Kopf 202 dröhnte. Wo blieb nur das Wachpersonal, das hier nachts auf Streife ging? Stranger schaute sich um, und seine Hoffnung auf Rettung schwand dahin wie das Kleingeld eines Spielsüchtigen am Automaten. Das Bedien und Wachpersonal war mit Paralysatoren überwältigt worden. Reglos lagen die wenigen Männer und Frauen am Boden, jeweils dort, wo man sie betäubt hatte. Bert befürchtete sogar, daß einige von ihnen, die sich vielleicht zur Wehr gesetzt hatten, nicht mehr lebten. Roboter waren weit und breit nicht zu sehen, was ziemlich ungewöhnlich war. Was nun? Ein rettender Einfall mußte her! ... ratter, ratter, ratter... Stranger entschied sich dafür, Zeit zu schinden. Früher oder später würden die aus der Station vertriebenen Reisenden die Polizei benachrichtigen. Und falls nicht? Menschen, die null Zivilcourage besaßen und sich einen Dreck um die Nöte ihrer Mitbürger scherten, waren keine Seltenheit. Möglicherweise hatten sich die verscheuchten Transmitterpassagiere längst in alle Windrichtungen zerstreut, in der Erwartung, einer der anderen würde schon irgend etwas unternehmen. »Hört mal zu, Jungs«, sprach Bert seine beiden Bewacher betont locker an. »Ihr seid wahrscheinlich stinksauer auf mich, aber...« Ein Tritt mitten ins Gesicht brachte ihn zum Verstummen.
»Willst Zeit rausschinden, was, Kanonenkugel? Wird dir nichts nutzen. Bis die Polizei eintrifft, bist du längst spurlos verschwunden.« Nur die zwei Bewacher unterhielten sich mit ihm. Die übrigen vermummten Schläger verteilten sich in der Station und sicherten die Ein und Ausgänge. Einer von ihnen, der von der Figur her einem klobigen Schrank ähnelte, kannte sich mit Transporttechnik offenbar bestens aus. Er Öffnete mit flinken Handgriffen die Verkleidung der Transmittersteuerung und installierte darin ein kleines Gerät. »Was macht er da?« erkundigte sich Stranger bei seinen Wäch 203 »Du gehst gleich auf eine lange, lange Reise«, erhielt er zur Antwort. »Wir schicken dich durch den Transmitter nach Nirgendwo. Der kleine Wunderapparat sorgt dafür, daß du nie am Zielort ankommst. Statt dessen verschwindest du auf Nimmerwiedersehen im Hyperraum.« Stranger hatte keinen Zweifel, daß die Kidnapper ihre Drohung wahr machen würden. Demnach hatte er nichts mehr zu verlieren. Das Endergebnis war eh immer das gleiche: Setzte er sich zur Wehr, tötete man ihn. Ergab er sich in sein Schicksal, tötete man ihn ebenfalls. Und um Gnade brauchte er erst gar nicht zu betteln, gedungene Mörder kannten kein Mitleid. Wenn ich schon sterben muß, dann wenigstens wie ein Mann, sagte sich Bert und ging zum Angriff über. Kaum hatte der schweigsame Techniker sein Spezialgerät eingeschaltet, schritt der am Boden liegende Reporter zur Tat. Mit einem Fußfeger riß er einen seiner Bewacher von den Beinen. Der Mann stürzte rücklings in den Transmitter und stieß einen langgezogenen Schrei aus. Stranger reckte seine Beine kerzengerade in die Höhe, kippte sie mit viel Schwung wieder nach vom und sprang gekonnt auf die Füße ein artistisches Kunststück, das mit gefesselten Händen nur unter größter Konzentration zu bewältigen war. Der zweite Bewacher war darüber so verblüfft, daß er es versäumte, nach seinem Strahler zu greifen. Bert senkte den Oberkörper und rannte wie ein wütender Stier auf den zweiten Wächter zu, so als wolle er ihm den Kopf in die Magengrube rammen ein typischer Anfängerangriff, gegen den es eine erfolgreiche Abwehrmethode gab: Knie hochreißen und gleichzeitig mit der Handkante in den Nacken des Angreifers schlagen. Jeder erfahrene Nahkämpfer beherrschte diese Methode aus dem Effeff. Stranger verspürte jedoch nicht die geringste Lust, sich schon wieder in den Nacken schlagen zu lassen. Sein scheinbar unbeholfener Angriff war nur eine Finte. Im letzten Augenblick riß er den Kopf hoch und rammte ihn mitten ins vermummte Gesicht seines Gegners. Das unschöne Geräusch des zerbrechenden Nasenbeins wurde durch das Tuch gedämpft. 204 “Unberechenbare Aktionen wie diese hatten Stranger den Spitznamen »Kanonenkugel« eingebracht, sagten einige seiner Kollegen. Andere meinten, das hinge mit der Treffsicherheit seiner journalistischen Recherchen zusammen. Auch seine rundliche Figur wurde damit in Zusammenhang gebracht. Bert war es egal, wann und wo er sich den Beinamen eingefangen hatte er wunderte sich allerdings darüber, daß die Vermummten ihn kannten. Offensichtlich waren sie bestens über ihn informiert. Der gefesselte Reporter wollte nun auch auf den Techniker losgehen, aber er kam nicht mehr dazu. Jemand sprang ihn von der Seite her an und riß ihn zu Boden ein Mann, von dem Bert angenommen hatte, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Mit einem langgezogenen Aufschrei stürzte Strangers Bewacher Nummer eins mitten durch den Transmitter und fiel auf der anderen Seite wieder heraus, denn die gesamte Apparatur war plötzlich »klinisch tot«. Beim Betätigen seines kleinen Zusatzgeräts hatte der Techniker versehentlich einen begrenzten Kurzschluß ausgelöst. Und jetzt warf sich der Totgeglaubte auf den Reporter und riß ihn zu Boden. Stranger hatte nicht ernsthaft erwartet, daß er es schaffen würde, sich den Weg aus der Station mit gefesselten Händen freizukämpfen. Doch wenigstens ein paar Meter in Richtung Ausgang hatte er bewältigen wollen, so weit weg vom Transmitter wie nur möglich. Damit, daß der erste Bewacher »wiederauferstehen« und blitzschnell
ins Geschehen eingreifen würde, hatte er nicht gerechnet. Bben noch hatte dessen Angstschrei die Luft erfüllt, jetzt attackierte er den wehrlosen Stranger mit Faustschlägen. »Kannst du den Klops nicht endlich ruhigstellen?« beschwerte sich der Techniker. »Wie soll ich mich bei dem Tohuwabohu auf nieine Arbeit konzentrieren? Ich kann mir keinen weiteren Fehler leisten, sonst bricht hier die gesamte Energiezufuhr zusammen.« »Manchmal sind Fehler ganz praktisch«, bemerkte der Angesprochene, in Anspielung auf den Kurzschluß, der genau im richti 205 gen Augenblick den Transmitter lahmgelegt hatte. Da sein gefesseltes Opfer sich nicht mehr rührte, senkte der Schläger die Fäuste. Derweil beseitigte der Techniker die Fehlfunktion an seinem Gerät, installierte es erneut und fuhr den Transmitter wieder hoch. Seine beiden Komplizen ergriffen den scheinbar bewußtlosen Reporter bei den Armen und rissen ihn unsanft hoch. Dann schleiften sie ihn zum eingeschalteten Transmitter. »Wir sollten ihn aufwecken«, merkte der Kidnapper mit der gebrochenen Nase haßerfüllt an. »Sonst hat er gar nichts von seinem Höllentrip. Ich will ihn leiden sehen!« »Lassen wir ihn lieber schlafen«, entgegnete der andere. »Der Bursche ist unberechenbar.« Er wandte sich dem Techniker zu. »Pack mal mit an. Der Kerl wiegt mindestens...« »Vergiß es«, unterbrach ihn der »Schrank« herablassend. Er kam ein Stück näher, machte aber keine Anstalten, zuzufassen. »Ihr beide werdet für die Drecksarbeit bezahlt, nicht ich. Meine Aufgabe war es, die Roboter mit einem Störsignal außer Funktion zu setzen und den Transmittör zu präparieren. Das wäre erledigt, den Rest...« Weiter kam er nicht. Plötzlich explodierte Stranger förmlich. Er richtete sich auf, zog die linke Schulter hoch und ließ sie gegen die blutige Nase des verletzten Entführers krachen. Damit riß das schwächste Glied in der Kette. Der Mann brüllte vor Schmerz und ließ los. Es gelang Bert, sich mit einer ruckartigen Bewegung aus dem Griff des zweiten Schlägers zu befreien, der sofort angriffslustig die Fäuste ballte. Doch Stranger hatte es nicht auf ihn, sondern auf den Techniker abgesehen. Noch bevor ihn jemand daran hindern konnte, führte er einen gezielten kräftigen Tritt gegen dessen Knie aus. »Das war für den Klops!« Ein muskulöser Arm legte sich von hinten um Strangers Hals und drückte ihm die Luft ab. Der Journalist sah keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Wenn er wenigstens die Hände freigehabt hätte...! 206 »Dir hättet ihm auch die Beine zusammenbinden sollen!« zeterte der Techniker und humpelte auf den Gefangenen zu. »Halt ihn gut fest, damit ich ihm noch ein paar letzte Grüße mitgeben kann!« Er holte mit der Faust aus und erstarrte mitten im Schlag. Sein Körper bebte wie bei einem epileptischen Anfall. Unter wilden Zuckungen brach er zusammen und blieb bewußtlos liegen. Ein mit Paralysatoren ausgestatteter Trupp der Galaktischen Sicherheitsorganisation hatte ihn von mehreren Seiten unter Beschuß genommen. Stranger traute seinen Augen nicht. In der Station wimmelte es auf einmal von GSOLeuten. Routiniert paralysierten sie einen Vermummten nach dem anderen. Auch Berts Bewacher bekamen ihren Teil ab. Ohne Bewußtsein lagen sie ihm zu Füßen. Viel Zeit zum Triumphieren blieb ihm leider nicht. Ein »VonwoherauchimmerStreifschuß« erwischte ihn am rechten Bein. Wieder einmal ging er zu Boden. Das Bein würde für Stunden gelähmt sein. Hilflos mußte Stranger mit ansehen, wie die Vermummten ihre Handstrahler auf tödliche Wirkung umstellten. Einige von ihnen zückten zudem scharfe Waffen mit einer größeren Reichweite.
Bernd Eylers' Leute waren auf jede Art von Angriff vorbereitet. Sie erwiderten den Beschuß mit der gleichen Intensität und setzten sogar Strahlkarabiner ein. Verzweifelt &och Stranger unter Einsatz seines kugelförmigen Bauchs auf dem harten Boden umher, auf der Suche nach Deckung. Querschläger der Kampf strahlen brachten ihn mehrfach in Lebensgefahr. »Könnt ihr nicht besser aufpassen?« schrie er wütend in Richtung seiner Retter. »Wenn ich jetzt vor die Hunde gehe, hättet ihr genausogut zulassen können, daß man mich in den Transmitter wirft!« Er hätte besser sein vorlautes Mundwerk gehalten. Ein Vermummter wurde auf ihn aufmerksam und richtete den Strahler auf ihn. Bert schloß a.) die Augen und b.) mit seinem Leben ab. Als er die Augen wieder öffnete, war der Vermummte nur noch ^ von Brandwunden übersäter Leichnam. Ein GSOMann hatte 207 ihn mit dem Karabiner erledigt. Aus großer Entfernung der tödliche Strahl hatte sich quer durch die Halle seinen Weg gebahnt, von einem Ende der Station zum anderen. Ein Meisterschuß. Der Schütze ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus und stürzte sich gleich wieder in den Kampf. Ein Dankeschön erwartete er nicht; es gehörte zu seinem Job, das Leben von Unschuldigen zu schützen. Endlich fand Bert ein geeignetes Versteck, hinter einer öligen Maschine in einem Nebenraum. Dort verhielt er sich ganz still. Nebenan zischten und fauchten die Kampf strahlen. Die Deckenbeleuchtung war nur noch teilweise intakt. Das Halbdunkel innerhalb der Station wurde sporadisch von zuckenden, todbringenden Lichtem erhellt. Der Ausgang des schweren Feuergefechts war ungewiß, ebenso die Anzahl der Toten. Fest stand nur, daß der Sachschaden in der Halle beträchtlich sein würde. »Mein Bein ist so taub wie ein hundertfünfzigjähriger Greis!« machte Bert Stranger im Hauptquartier der GSO seinem Ärger Luft. Die fiese Bemerkung »Wo hat Ihre Bonbontruppe eigentlich Schießen gelernt?« verkniff er sich, schließlich hatte ihn die Treffsicherheit des Karabinerschützen vor einem frühzeitigen Ableben bewahrt. Der zweiunddreißigjährige, etwas unbeholfen wirkende GSOChef Bernd Eylers kratzte sich an seinem linken Unterarm. Er wußte genau, daß er sich das Jucken nur einbildete, da Prothesen bekanntlich nicht kribbelten, trotzdem hörte er mit dem Kratzen nicht auf. Als er merkte, daß es Stranger nervös machte, verstärkte er es sogar noch. »Wieso haben Ihre Leute nicht früher eingegriffen?« fragte der Journalist gereizt. »Ich habe tausend Ängste ausgestanden! Sie wollen mir hoffentlich nicht weismachen, Bernd, Ihr Einsatzkommando sei rein zufällig an der Transmitterstation vorübergekom 208 men, während eines gemütlichen Kneipenbummels. Jede Wette, daß Sie mich schon seit geraumer Weile beobachten lassen.« Der wortkarge GSOLeiter, der hinter seinem Büroschreibtisch saß, nickte nur. Er hatte Stranger auf die brisante Parlamentssitzung im Kongreßgebäude von Alamo Gordo hingewiesen, und der wißbegierige Journalist war mit einem Kamerateam dort erschienen. Seit Bert das Gebäude wieder verlassen hatte, waren ihm ständig GSOAgenten auf den Fersen gewesen, wechselweise und nahezu unsichtbar, wie sich das für die perfekt ausgebildeten Mitarbeiter des staatlichen Sicherheitsdienstes gehörte. Auf jener Sitzung hatte die FP eigentlich nur einmal mehr die Regierung vorführen und lächerlich machen wollen. Daß Trawisheim den Spieß umgedreht und eine Verfassungsänderung ermöglicht hatte, war in Paleys Plänen nicht vorgesehen gewesen. Und im Gegensatz zum abwesenden Ren Dhark war Henner Trawisheim ein Kandidat mit erstklassigen Aussichten bei der Wahl im November. Mittlerweile hatte Dave Paley selbst mit einer Medienkampagne zu kämpfen. Eine von Skittlemans blonden Freundinnen verbreitete überall, den Generalsekretär innig zu lieben. Einige Klatschmagazine hörten sogar schon die Hochzeitsglocken läuten. Je mehr Paley dementierte, um so weniger glaubte man ihm.
Kein Geringerer als Bert Stranger war für den wilden Tratsch verantwortlich. »Er hatte eine seiner besten Mitarbeiterinnen auf Paley und Skittleman angesetzt, um den beiden kräftig eins auszuwischen. Und das war erst der Anfang. Derzeit stellte der ehrgeizige Journalist intensive Recherchen an, um eine Spendenaffäre zwischen Intermedia und der Fortschrittspartei aufzudecken. Bert war überzeugt, daß nicht nur Dreyfuß und Paley die Hände nach der Macht im Staate Terra ausstreckten, sondern auch Skittleman und Konsorten ihren Teil vom Kuchen abbekommen wollten. Die Spitze der Fortschrittspartei war möglicherweise nur eine Marionette des Medienkonzems. Kein Wunder, daß Stranger sich immer mehr Feinde machte. Hätte der allgegenwärtige Eylers nicht vorsorglich seine Beschat^ng angeordnet, wäre es in dieser Nacht aus mit ihm gewesen. Kein einziger GSOAgent hatte in der Transmitterstation sein Leben lassen müssen, allerdings hatte es mehrere Verletzte gegeben. Hingegen hatten die Vermummten schwere Verluste einstecken müssen. Die wenigen Überlebenden wurden derzeit einem Verhör unterzogen. Eylers erkundigte sich übers Vipho nach dem Stand der Dinge. Stranger durfte über den eingebauten Lautsprecher mithören. »Der anonyme Auftraggeber war leider nicht zu ermitteln«, gab ein GSOVerhörspezialist Auskunft. »Wer auch immer hinter dem gescheiterten Anschlag auf Stranger steckt, er hat jeden Hinweis auf seine Identität geschickt verschleiert und sämtliche Spuren verwischt. Unsere Gefangenen wissen nur das, was sie für die Durchführung des Auftrags an Informationen benötigten.« »Gehören sie irgendeiner Organisation an?« »Ich denke schon, obwohl sie sich zu diesem Punkt noch ausschweigen. In letzter Zeit mehren sich die Gerüchte über eine weltweit agierende Killergruppe, die Mord und Totschlag als ganz normales Geschäft betrachtet. Ihre Aufträge erhalten sie über dunkle Kanäle, welche nicht mehr zurückzuverfolgen sind. Sie fragen niemals, warum ihre Delinquenten sterben sollen und forschen nie nach, wer den jeweiligen Tötungsauftrag erteilt hat. Wir sollten unsere Soko für organisiertes Verbrechen auf die Bande ansetzen. Vielleicht gelingt es uns, ein paar verdeckte Ermittler einzuschleusen und das gesamte Verbrechemest auszuheben.« »Dafür müssen wir zunächst mehr über die Gruppe wissen«, erwiderte Eylers. »Holen Sie aus den Gefangenen so viele Informationen wie möglich heraus. Bezahlte Profikiller, die sich weltweit organisieren, sind eine emstzunehmende Bedrohung für die ganze Erde.« Er trennte die Verbindung. Stranger saß gegenüber Eylers' Schreibtisch in einem bequemen Sessel und versuchte, durch fortwährendes Reiben die Durchblutung in seinem Bein zu fördern. »Im Grunde genommen sind sich Agenten und Journalisten gar nicht mal so unähnlich«, bemerkte er. »Auch wir betätigen uns oftmals als verdeckte Ermittler. Ich fing schon ganz früh damit an, als ich noch für eine unbedeutende Kleinstadtzeitung arbeitete. 210 Fast ein halbes Jahr lang betrieb ich heimliche Recherchen in einem auf mittelalterlich getrimmten Schloßmuseum. Ich jobbte dort für ein Handgeld nebenberuflich als Fremdenführer. Erst als ich dem halbseidenen Museumsdirektor hundertprozentig nachweisen konnte, an illegalen AntiquitätenSchiebereien größeren Ausmaßes beteiligt zu sein, gab ich meine Tarnexistenz auf. Mein Artikel erschien am darauffolgenden Tag. Der ehrenwerte Herr Direktor wurde des Morgens in seiner Villa verhaftet. Es heißt, er soll die Frühstückszeitung noch in der Hand gehalten haben, als man ihn abführte.« »Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum meine Männer in der Transmitterstation bis zum allerletzten Moment gewartet haben. Erst mit der vollständig durchgeführten Manipulation des Transmitters und dem gewaltsamen Versuch, Sie hineinzuwerfen, Bert, lagen gerichtsverwertbare Fakten vor. Alles wurde bis ins kleinste Detail aufgezeichnet. Somit haben die gedungenen Mörder keine Chance, sich herausreden. Den Rest ihres erbärmlichen Lebens verbringen sie hinter Gittern, dafür setze ich mich höchstpersönlich ein.«
»Wissen Sie, was das Schlimmste an meinem Tamjob war, Bernd? Das schlechte Benehmen mancher Museumsbesucher während der Führungen. Einige besonders gesprächige Zeitgenossen hörten mir überhaupt nicht zu. Völlig ungeniert unterhielten sie sich miteinander rals wäre ich gar nicht vorhanden. Zur Auflockerung und um die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken, streute ich hier und da ein Späßchen ein mit dem Ergebnis, daß die Schwätzer laufend versuchten, mir in Hofnarrenmanier die Pointen zu stehlen. Glücklicherweise waren das nur Ausnahinefälle; den meisten Besuchergruppen konnte ich auf meine ganz spezielle Art und Weise viel Wissenswertes vermitteln.« »Von zahllosen gepeinigten Museumsbesuchem mal abgesehen ^ wer könnte sonst noch ein Interesse an Ihrem Tod haben, Bert?« erkundigte sich Eylers in einem Anflug von Galgenhumor. »Wem ^d Sie in letzter Zeit zu kräftig auf die Füße getreten?« »Sensorium Incorporated, Fortschrittspartei, Intermedia«, zählte Stranger auf. »Ach ja, und dann wäre da noch...« Er schwieg abrupt. 211 »Sprechen Sie ruhig weiter«, ermunterte ihn Eylers. »Ich ahne, wen Sie meinen. Wie hieß doch gleich der Informant, der Ihnen den Tip mit der Fabrik in Addis Abeba gab?« »Netter Versuch, Bernd«, sagte der Reporter und erhob sich von seinem Platz. »Mein Bein erholt sich allmählich. Bis nach Hause werde ich es schon schaffen.« »Ich lasse Sie in einem Dienstschweber heimbringen«, bot Eylers ihm an, »mit einem Wachroboter an der Steuerung. Auf Dauer kann ich allerdings nicht für Ihre Sicherheit garantieren. Am besten, Sie leasen sich wieder einen Robotleibwächter.« Stranger schüttelte den Kopf. »Abgelehnt. Clint hat sich zwar als überaus nützlich erwiesen, und ich verdanke ihm mein Leben, doch bei verdeckten Recherchen ist eine Maschine viel zu hinderlich. Stellen Sie sich vor, ich hätte damals im Museum ständig einen Roboter in meiner Nähe gehabt.« »Heutzutage würde das gar nicht auffallen«, meinte Eylers. »Ein Großteil der Museumsführungen wird inzwischen eh von Robotern durchgeführt, weil es denen herzlich egal ist, ob man ihnen zuhört oder nicht.« Stranger seufzte. »Leblose Automaten, die abgespeicherte Texte herunterleiern das ist der endgültige Niedergang der terranischen Kultur...« Osman Mülyz das war der Name, auf den Bernd Eylers aus war. Aber Bert Stranger gab seine Informanten niemals preis. Auch dann nicht, wenn es sich um Mörder und Drogenbarone handelte. Mülyz und Stranger waren Erzfeinde. Vor einiger Zeit hatten sie sich zu einer Zweckgemeinschaft zusammengefunden und einen kurzzeitigen Waffenstillstand geschlossen. Der war inzwischen vorüber. Deshalb hielt Bert es nicht für ausgeschlossen, daß Osman ihm die Killer auf den Hals gehetzt hatte. Aber warum hätte sein türkischer Widersacher Attentäter mieten sollen? Mülyz verfügte über genügend eigene Männer, die er auf ihn hätte hetzen können. 212 »Andererseits haben gedungene Mörder den Vorteil, daß man die Fährte zum Auftraggeber nicht so leicht zurückverfolgen kann«, überlegte der Reporter auf der Heimfahrt laut. »Bitte wiederholen«, schnarrte der Mehrzweckroboter, der den Schweber steuerte. »Habe Anweisung nicht verstanden.« »Macht nichts«, entgegnete Stranger müde. »Fahr mich nur heim und halt ansonsten die Klappe.« Seine modern eingerichtete Wohnung lag in einem ruhigen Wohngebiet in Alamo Gordo. Sie war Bestandteil einer Wohnkugel, die auf einer hohen Säule angebracht war und sich fortwährend drehte, allerdings in einem derart gemächlichen Tempo, daß man es nur an der wechselnden Aussicht merkte. Bert liebte solche Spielereien. Auch seine Einrichtung barg manche Überraschung. »Schlummertrunk!« rief er in Richtung Hausbar, als er sein Wohnzimmer betrat. Wenig später hielt er einen Cocktail in den Händen, der im wesentlichen aus Milch und Honig bestand. Daß sich Bert nach dem Leeren des Glases noch einen zweiten
Drink bestellte, lag am Unwesentlichen an dem kräftigen Schuß Wodka, den sein vollautomatischer Barkeeper hinzugefügt hatte. Der »Mixedman« (Produktbezeichnung) war fest in die Hausbar installiert und bestand hauptsächlich aus zwei beweglichen Armen mit Metallgreifem. Berts Bett war riesig, kuschelig und urgemütlich. Wie ein Stein fiel er hinein, kaum daß er sich seiner Kleidung entledigt hatte. Außer seinem Armbandvipho trug er nichts mehr. Für einen Augenblick dachte er daran, daß man sich vor dem Schlafengehen eigentlich duschen sollte... Und dann war er hin und weg. Bald darauf erwachte er wieder, weil er ein Geräusch zu hören glaubte. Er stand auf und machte einen Kontrollgang durch seine Wohnung. Alles war in schönster Ordnung. Plötzlich tauchte ein großer Schatten an seinem Küchenfenster auf. Ein Schweber. Bert, nackt wie Gott ihn geschaffen hatte und noch halb verschlafen, erblickte eine unheimliche Gestalt darin und warf sich bäuchlings auf die kalten Fliesen. »Licht aus!« befahl er und in sämtlichen Räumen verloschen 213 die Lampen. Stranger wollte seinen Feinden kein leichtes Ziel bieten. Ihm fiel ein, daß er in der Wohnung eine Waffe für Notfälle versteckt hatte. Aber wo? Draußen herrschte Morgendämmerung. Dadurch wirkte die Gestalt im Schweber noch eine Spur grauslicher. »Im Schweber?« entfuhr es Bert verwundert. Normalerweise waren Bodenschweber nicht dafür gerüstet, so hoch aufzusteigen. Es sei denn, jemand hatte daran herummanipuliert. Stranger hob vorsichtig den Kopf sah genauer hin. Hätte ich mir ja denken können! Ärgerlich betätigte er sein Vipho und stellte die Verbindung zum GSOHauptquartier her. Bernd Eylers erschien auf seinem Bildschirm. Schlief der Kerl denn nie? »Was gibt's?« erkundigte sich Eylers. »Ich nahm an. Sie würden längst ihr Kopfkissen küssen.« »Das war auch der Fall«, erwiderte Stranger knurrig. »Doch dann merkte ich, daß vor meinen Fenstern eine Hexe auf ihrem Besenstiel patrouilliert.« »Ach, Sie meinen wohl den Wachroboter, der Sie heimgefahren hat! Ich habe ihm den Befehl erteilt, ein Sensorauge auf Sie zu werfen, während Sie schlafen, Bert.« »Pfeifen Sie die Blechbüchse sofort zurück, Bernd!« »Meinethalben. Für den Rest der Nacht schützt Sie dann aber niemand mehr vor ungebetenen Besuchern.« Mit diesen Worten kappte Eylers die Verbindung. »Welchen Rest?« grummelte Stranger und stand auf. Viel war in der Tat von der Nacht nicht mehr übrig. Der Schweber entschwand mitsamt Roboter am Horizont, wo zaghaft die ersten Strahlen der Morgensonne aufflackerten. Bert ließ sich ein warmes Bad ein, mit viel Schaum. Kurz darauf stieg er in die Wanne, setzte sich sein Quietscheentchen auf den Bauch und überlegte, ob er nach dem Baden wieder ins Bett gehen oder lieber gleich aufstehen sollte. Die Entscheidung erledigte sich von selbst. Stranger schlief in der Badewanne ein. Er schnarchte leise. Seine Bauchwölbung 214 senkte sich langsam auf und nieder, offenbar sehr zur Freude der knallgelben Ente, denn sie grinste unentwegt mit ihrem breiten Schnabel. Der Journalist bekam nicht mit, wie die Alarmanlage deaktiviert wurde und sich leise die Tür zu seiner Wohnung öffnete. Eine Person, bekleidet mit einem dunkelblauen Trainingsanzug, huschte in die Diele. Der Eindringling hielt ein Gerät in der Hand, das von der Form her dem kleinen Apparat ähnelte, den der technisch begabte Vermummte in den Transmitter eingebaut hatte. Zuerst suchte er im Schlafzimmer nach dem Wohnungsinhaber, traf dort aber niemanden an. Erst im Bad gelangte der ungebetene Besucher ans Ziel seiner Wünsche. Stranger schlummerte im mittlerweile erkalteten, leicht trüben Wasser selig vor sich hin. || »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele Menschen laut
Statistik in der Badewanne sterben?« flüsterte der uneingeladene Gast und streckte die Hand nach dem arglosen Schläfer aus. 14. Am vorausberechneten Punkt trat die CHARR aus dem Hyperraum in die Bezugswelt des dreidimensionalen RaumZeitKontinuums über. Der Flug in Richtung Große Magellansche Wolke verlief bisher reibungslos. Die Sichtsphären im Hauptleitstand des Ellipsenraumers waren ohne Ausnahme aktiviert. Elektronische Signale wisperten, während sie die Anzeigen mit Informationen belieferten. »Wir sind im Normalraum, Skipper«, ließ sich Lee Prewitt vernehmen. »Alle Tiefenraumtaster arbeiten. Abschirmfelder auf volle Kapazität. Dunkelfelder in Betrieb.« Der Erste Offizier im Pilotensessel vor seinem Leitstand kontrollierte routiniert die Anzeigen, um etwaige Kursabweichungen festzustellen. Es gab nichts zu korrigieren. An diesem Sprung war nichts Außergewöhnliches, nur ein weiterer unter vielen. »Danke, Lee«, sagte Frederic Huxley mechanisch. Für einen Augenblick schweiften seine Gedanken ab. Zwei StandardTerratage waren vergangen, seit der Fünfhundertmeterriese aus nogkscher Konstruktion den zweiten Planeten jenes namenlosen Systems in dem relativ Sternenarmen Seitenarm der Galaxis verlassen hatte, um sich auf die Expedition ins Unbekannte zu begeben, lediglich auf die vage Aussage eines sterbenden, uralten blauen Nogk hin, dem Hüter des virtuellen Simulationszentrums der in einer atomaren Gluthölle untergegangenen NogkAnsiedlung .* * Siehe DrakhonZyklus, Band 20: »Im Zentrum der Macht« 216 ;r Terminus »namenloses System« stimmte allerdings so nicht mehr, mußte sich Huxley berichtigen. Professor Bannard, stets darauf bedacht, seine Sternenkarten auf den neuesten Stand zu bringen, hegte eine tiefgreifende Animosität gegen namenlose, nicht katalogisierte Systeme und Welten. Deshalb ließ er es sich nicht nehmen, als Kartograph zu füngieren und neuentdeckte Stemsysteme nach eigener Vorstellung mit Namen und Bezeichnungen zu belegen. Ob er hoffte, auf diese Weise einmal als ein Vasco da Gama des Universums in die Annalen der Königlichen bzw. Terranischen Astronomiegesellschaft Einzug zu finden? Möglich wäre es, dachte der Colonel, und ein winziges Grinsen nistete in seinen Mundwinkeln. Jedenfalls hatte der Bordastronom der CHARR jener Systemsonne zu der Bezeichnung »Krayens Stern« verholten und die Planeten aufsteigend mit römischen Ziffern belegt. Jetzt wandte sich Colonel Huxley an seinen Zweiten Mann im Leitstand: »Was macht der Kurs, Mister Maxwell?« »Keinerlei Abweichungen, Sir.« »Vorzüglich.« Bislang war die Reise ohne Komplikationen verlaufen. Fast konnte man von Routine sprechen. Nein, nicht ganz, schränkte der Colonel ein. Auf eine bestimmte Art hob sie sich von den anderen ab, weil sie die CHARR in eine bislang unbekannte Region des Alls brachte. Im Augenblick allerdings erst einmal mitten hinein in den Sternenlosen Abgrund zwischen der Milchstraße und den beiden benachbarten StemsySternen der Magellanschen Wolken. »Irgendwelche Ortungen, Mister Perry?« fragte Huxley scharf in die wispernde Geschäftigkeit des Hauptkontrollraumes hinein. »Negativ, Colonel«, antwortete der Ortungsoffizier. »Wir sind allein auf weiter Flur.« »Punksignale?« »Nichts, Sir«, erwiderte Iggy Lori von seiner Konsole. Huxley schwieg einen Moment, dann sagte er: »John!« »Kornmandant?« meldete sich John Butrovich, der Funktechniker der CHARR von seinem Pult neben dem des Dritten Offiziers. »Sind die Funksprüche zum Flottenhauptquartier und zum Rat der Fünfhundert rausgegangen?«
»Sind per ToRichtfunk auf dem Weg zur Erde und nach Reet, Sir«, bestätigte Butrovich, der Frederic Huxley bereits gedient hatte, als dieser noch mit der FO I im All unterwegs war, und er setzte hinzu: »Komprimiert und kodiert, wie von Ihnen angeordnet.« »Ausgezeichnet«, brachte der Colonel seine Genugtuung über die erfolgte Aktion zum Ausdruck. Centfield und Charaua würden jetzt Bescheid darüber wissen, was die CHARR zu tun im Begriff war. Huxley lehnte seinen hageren, durchtrainierten Körper etwas entspannter im Kommandantensessel zurück. Harte Linien prägten sein vom langen Weltraumaufenthalt rötlich ledern gewordenes Gesicht, zu dem das Eisgrau seiner Augen einen starken Kontrast bildete. Das Haar hatte die gleiche Farbe wie seine Augen; wenn er die Mütze nicht trug, was häufig der Fall war, sah man, daß er es an den Seiten kurz geschoren, oben jedoch etwas länger trug, was die kantige Form seines Schädels hervorhob. Die Schirme übertrugen die üblichen Werte; der nogksche NavRechner hielt die CHARR exakt auf dem berechneten Kurs. Gemessen an den Dimensionen des ihn umgebenden, Sternenlosen Mediums bewegte sich der Fünfhundertmeterriese scheinbar ohne Fahrt durch den Weltraum. Doch dieser Eindruck täuschte. Gewaltig sogar. In Wirklichkeit bewegte sich das Wunderwerk nogkscher Raumschiffsbaukunst fast mit der Geschwindigkeit des Lichtes entlang seines programmierten Kurses durch die Tiefen des Alls. Huxleys Blick glitt durch den Leitstand und verharrte bei Meenor. Der SeniorMeeg hielt sich mit einigen seiner Wissenschaftskollegen am linken Ende der weit geschwungenen Hauptkonsole auf und schien in eine angeregte Diskussion verwickelt zu sein. Hier und da bewegten sich sogar die insektenartigen Beißwerkzeuge an den Libellenköpfen. Die Nogk waren ein hybrides Volk, eine Mischung aus Insekt und Reptil, knapp zweieinhalb Meter groß, mit langen Sprungbeinen, kräftigen Armen und vierfingrigen Händen. Sie waren in der 218 Lage, sich mit einer raubechsenhaften Schnelligkeit zu bewegen, sollte es erforderlich sein. Soweit nicht von Kleidung bedeckt, war ihre lederartige, braune Haut überwiegend gelblich gepunktet. Das absolut Fremdartige an ihnen war der mächtige libellenartige Kopf mit den bedrohlich wirkenden Mandibeln, den großen, seitlich am Kopf stehenden schwarzen Facettenaugen und den beiden langen Fühlerpaaren dazwischen, deren verwirrendes Spiel einen Großteil der nogkschen Mimik und Gefühlswelt beinhaltete — und auch nach außen transportierte. Eine »Sprache« im herkömmlichen Sinn war ihnen nicht eigen. Untereinander verständigten sie sich über semitelepathische Bildimpulse. Dabei handelte es sich nicht um Telepathie im klassischen Sinn, kein Nogk war in der Lage, die Gedanken eines Menschen wirklich »abzuhören«. Gleiches galt für die Menschen. Um mit den Libellenköpfen wie die Nogk mitunter ein wenig flapsig tituliert wurden in Kontakt treten zu können, bedurfte es eines gut konfigurierten Translators. Er, Huxley, hatte wohl als einziger Terraner einen unbestreitbaren Vorteil, wie er sich mit einiger Genugtuung eingestand. Denn seit er Bürger des Nogkimperiums und in dessen Rat der Fünfhundert aufgenommen geworden war, verfügte er über ein Implantat, das ihn zur direkten gedanklichen Kommunikation befähigte unter anderem! Die semitelepatfiische Bildsprache war jedoch nicht das einzige Auffällige an den Nogk: Ihr Metabolismus war strahlungsabhängig, weshalb sie an einen ganz bestimmten Typus von Sonne mit einem stabilen solaren Energiefeld gebunden waren. Eine Abhängigkeit, die das Dilemma ihrer Existenz beinhaltete. Veränderte sich nämlich das Strahlungsniveau ihrer jeweiligen Heimatsonne, ob auf natürliche Weise oder durch Manipulationen künstlich herbeigeführt, wie in den letzten zweitausend Jahren immer wieder durch die »Sonnenbomben« des unbekannten Feindes geschehen, mußten sie sich erneut auf die Suche nach einer Heimatwelt machen, wollten sie nicht als Volk untergehen. So hatten die Nogk bereits mehrere Male in ihrer langen Geschichte ihre Heimstätten verlassen und sich eine andere
Bleibe suchen müssen. Ständig dabei von der Hoffnung beseelt, endlich eine Heimat auf Dauer zu 219 finden und ständig auf der Flucht vor einem gesichtslosen »alten« Feind. Als die Menschheit im Frühjahr 2052 im ColSystem zum ersten Mal auf die Nogk traf, lebten diese noch auf den Planeten der roten Riesensonne Charr und nannten eine rund zweitausend Jahre in die Vergangenheit reichende, lückenlos dokumentierte Geschichte ihr eigen. Aber auch bereits vor dieser Zeit, so die Mythen und Legenden, waren die Nogk immer wieder aus ihren SonnensySternen vertrieben worden, als der unbekannte Feind ihre Sonnen zu Novae entarten ließ. An diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt, mußte sich Huxley eingestehen, daß es bis dato noch nicht eindeutig klar geworden war, um wen es sich bei diesem Feind eigentlich handelte. Im Leitstand war ein schepperndes Geräusch zu hören. Etwas war zu Boden gefallen und sorgte dafür, daß sich Huxley s Reminiszenzen an die nähere Vergangenheit auflösten. Vorerst, zumindest. Er gähnte verstohlen und drehte seinen Gliedersessel in Prewitts Richtung. »Wie lange geht Ihr Dienst noch mal, Lee?« richtete er das Wort an seine Nummer Eins. »Bis Mittemacht, Skipper. Warum fragen Sie?« »Weil«, verriet Huxley und sah auf sein Chrono es war der 27. Mai 2059, exakt 22 Uhr Standardzeit, »meiner in diesem Moment zu Ende gegangen ist.« Ein flüchtiges Lächeln spielte um seine Lippen, als er fortfuhr: »Ich ziehe mich in meine Kabine zurück. Sie übernehmen das Schiff, Lee.« »Aye, Sir.« Huxley winkte ihm zu und verließ den Hauptleitstand. In seiner Kabine angekommen, aktivierte er das große »Fenster«, das ihm einen Ausblick in die endlosen Tiefen des Raumes zwischen den Galaxien bot. Huxley entledigte sich seiner Kleider und stellte sich unter die Dusche. Nur wenig später lag er unter den Laken der Formliege. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, blickte er zur Decke. Stille herrschte... 220 Huxley legte sich auf die Seite und bekam das »Fenster« ins Blickfeld. ' Der Schirm, verbunden mit den Rechnern der Astrolabs, lieferte in der Art eines »Bildschirmschoners« gestochen scharfe Abbildungen des umgebenden Alls im normaloptischen Bereich. Im Augenblick lag weit vor der CHARR der verwaschene Lichtfleck der Andromedagalaxis im Blickfeld des Betrachters. In Richtung von M 31 zeigte sich der Hintergrund des Alls nicht als samtene Dunkelheit, sondern als fein strukturierter, blau und violettschimmemder Nebel, der in Wirklichkeit aus Milliarden von Sternenclustem bestand. M31. Andromeda... Die Nachbargalaxis schien eine ungewöhnlich intensive Anziehungskraft auf die unterschiedlichsten Sternenvölker der Milchstraße auszuüben. Vor allem auf die Nogk. Nachdem die Barriere des Exspects nicht mehr vorhanden ist, stünde ihnen jetzt der Weg nach Andromeda eigentlich offen, dachte Huxley und erinnerte sich im selben Augenblick an die erregte Diskussion im Rat der Fünfhundert anläßlich seiner letzten Sitzung in diesem Gremium vor nicht einmal ganz vier Monaten, bei der es nicht nur um die Zustimmung des Rates zur Expedition der CHARR, sondern auch um die Zukunft des NogkVolkes gegangen war. Mit einigem Erstaunen hatte er dabei erkennen müssen, daß bis auf wenige Ausnahmen niemand mehr so recht an einem Exodus nach Andromeda interessiert gewesen war. Huxley versuchte zu ergründen, was das Auditorium in seiner Mehrheit wohl bewogen haben mochte, sich gegen Andromeda auszusprechen. Mitten in diesen Gedanken schlief er ein. 15. Gisol und Ren Dhark folgten Maluk in dessen Wohnung. »Hier seid ihr fürs erste sicher«, versprach Maluk. Er wandte sich an Gisol. »Bleib, solange du möchtest! Dasselbe gilt natürlich für deinen Freund!«
»Wir werden diesen Planeten so schnell wie möglich wieder verlassen«, versprach demgegenüber Gisol. »Das Risiko ist nicht nur für uns extrem hoch, sondern auch für dich und alle anderen, mit denen wir Kontakt hatten.« »Ich habe keine Angst«, sagte Maluk. Gisol bewegte sich unruhig hin und her. Er hatte eine unverdächtige Worgungestalt angenommen und die Zyzzkt-Kleider wieder in einer eigens dafür ausgebildeten Gewebetasche untergebracht. »Ich möchte diesen Offizier treffen, der für das Eingreifen des Kampfgleiters verantwortlich ist«, brachte er dann heraus. »Danach sollten wir uns aus dem Staub machen.« »Dein Vorhaben ist ziemlich riskant!« gab Dhark zu bedenken. »Mal abgesehen davon, daß es ziemlich schwierig sein dürfte, an diesen Offizier heranzukommen.« »Aber ich sehe keinen anderen Weg. Versteh doch! Das Eingreifen des Kampfgleiters ist etwas dermaßen Ungeheuerliches, daß ich einfach nicht anders kann, als der Ursache auf den Grund zu gehen.« »Das ist Wahnsinn!« widersprach Maluk. Aber Gisol ließ sich nicht beirren. »Wenn es jemand schaffen könnte, diesen Offizier zur Rede zu stellen, dann bin ich es. Ich muß einfach wissen, ob es möglicherweise doch unterschiedliche Fraktionen im nach außen hin so monolithisch wirkenden Machtgefüge der Wimmelwilden gibt!« »Ich verstehe«, murmelte Dhark. 222 »Das dürfte auch für unser weiteres Vorgehen hier in Om von entscheidender Bedeutung sein. Ich schlage vor, daß du solange hier bei Maluk bleibst und damit fortfährst, mit Hilfe von Maluks Hyperkalkulator das Datennetz nach relevanten Informationen zu durchforsten.« »Es wäre tatsächlich gut, wenn ich dafür noch etwas Zeit hätte«, stimme Dhark zu. »Schließlich ist unser Wissen über die gegenwärtigen Zustände auf Epoy bislang noch sehr bruchstückhaft.« »Sollte ich innerhalb eines Tages nicht zurück sein, dann mußt du den Planeten ohne mich verlassen, Ren. In diesem Fall bin ich sehr wahrscheinlich enttarnt worden und irgendein Zyzzkt- unterzieht mich entweder einem schmerzhaften Verhör oder...« »Oder?« hakte Dhark nach. »Jemand hat sich mein Kopfgeld verdient. Es wäre auf jeden Fall nicht richtig, um meinetwillen die gesamte Mission zu gefährden.« Gisol machte eine Pause und setzte schließlich noch hinzu: »Ich ahne, welche Gedanken dir bei der terranischen Entsprechung des Worgunbegriffs für >Kopfgeld< angesichts meiner gegenwärtigen Gestalt durch das Him geistern. Terranischer Humor ist mir seit meiner Zeit auf der Erde durchaus nicht fremd, Ren.« Dhark lächelte verhalten. »Viel Erfolg, Gisol!« »Diese Sache sollte gut vorbereitet sein«, meldete sich Maluk zu Wort. »Ich nehme an, dir schwebt vor, diesem Offizier in Zyzzkt-Gestalt zu begegnen.« »Das ist richtig«, bestätigte Gisol. »Davon kann ich nur abraten. Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm.« »Ich trage ein Gerät, daß die Impulse eines regulären IDDämpfers simuliert und auch so aussieht!« widersprach Gisol. »Mag sein. Aber ich halte es für nahezu unmöglich, dir auf die Schnelle eine angemessene Zyzzkt-Identität zu verschaffen. Mal davon abgesehen, würdest du dich wahrscheinlich durch viele Kleinigkeiten im Verhalten verraten. Es ist sehr schwer für jemanden, der nicht sein Leben lang Teil der Zyzzkt-Militärhierarchie war da keinen Fehler zu machen.« Gisol antwortete zunächst nicht. Er schien über etwas nachzudenken. »Und was schlägst du vor, Maluk?« fragte er schließlich. Offenbar hatten ihm Maluks mit Vehemenz vorgetragene Argumente eingeleuchtet. »Wenn du mit deinem Vorhaben bis morgen wartest, könnte ich dir eine perfekte Worgunidentität verschaffen. Die Daten wären dann über das Netz abrufbar. Keiner der Besatzer würde Verdacht schöpfen.« Gisol blieb skeptisch.
»Und du glaubst, dieser Offizier würde mich empfangen einen Worgun?« wunderte er sich. »Mit etwas Glück durchaus. Ich nehme an, daß es sich bei dem Offizier um denjenigen handelt, der für die Verwaltung dieses Bezirks zuständig ist. Sicher kann ich das natürlich nicht sagen, weil ich dem Bezirksleiter nie persönlich begegnet bin. Und öffentliche Auftritte, wie wir heute einen gesehen haben, sind für einen Zyzzkt-Offizier eher ungewöhnlich.« Gisol schien leicht verwirrt zu sein. »Wie soll ich dann an ihn herankommen?« »Du könntest ihm eine Petition überreichen, in dem die Unterzeichner das Verhalten dieses Offiziers lobend hervorheben und gleichzeitig nach verstärktem Schutz durch die Sicherheitskräfte verlangen. Schließlich ist ja nicht ausgeschlossen, daß es zu weiteren Übergriffen mörderischer Zyzzkt- auf unsere Wohnpyramiden kommt...« »Ein genialer Plan«, mußte Gisol zugeben. »Ich hätte selbst darauf kommen müssen...« »Warum sollte der Bezirksoffizier die Petition annehmen?« mischte sich jetzt Ren Dhark ein, der Maluks Worten ebenso interessiert zugehört hatte wie Gisol. »Weil es den von den Zyzzkt- erlassenen Gesetzen entspricht«, erklärte Maluk. »Wir haben das Recht, den >Verehrten< Petitionen und Gesuche zu überbringen, und der zuständige Bezirksoffizier hat die Pflicht, sie zu prüfen und den Bittsteller gegebenenfalls sogar von Angesicht zu Angesicht anzuhören«, erläuterte Maluk. »Nach allem, was ich bisher über die Zyzzkt- gehört habe, über 224 rascht es mich, zu erfahren, daß sie offenbar sogar so etwas wie eine Rechtskultur mit bürgerlichen Mitwirkungsmöglichkeiten besitzen«, erwiderte Dhark. Er fragte sich gleichzeitig, wie stark auch andere Informationen über die Herrscher von Om, die von den Neurömem oder Gisol stammten, vom grenzenlosen Haß auf die Insektoiden geprägt waren. Einem Haß, der angesichts der Tyrannei, unter der die Völker Oms litten, vollkommen verständlich war. Andererseits wirkte dieser Haß womöglich wie ein Informationsfilter, dem wesentliche Details zum Opfer fielen. »Was man auch immer von den Massenvermehrem halten mag man sollte sie nicht unterschätzen«, meinte Maluk. »In keiner Beziehung. Wenn sie nur irgendwelche Barbaren des Alls wären, hätten sie niemals ein derart gewaltiges Herrschaftsgebiet erobern und ihre Macht auf Dauer festigen können!« Dhark hob die Augenbrauen und kam auf den Kern der Sache zurück. »Der Bezirksoffizier nimmt also tatsächlich wirklich jede Petition persönlich entgegen? Der Kerl muß in Arbeit ersticken!« »Keineswegs«, widersprach Maluk. Dhark hob die Augenbrauen. »Das verstehe ich nicht.« »Ganz einfach. Das Einreichen von Petitionen entspricht zwar dem Gesetz, kommt aber äußerst selten vor. Die meisten Worgun auf Epoy wissen, daß diese Prozedur nahezu sinnlos ist. Vorgeblich prüft der zuständige Bezirksoffizier zwar die Eingaben, aber es ist mir kein einziger Fall zu Ohren gekommen, in dem ein Worgun Erfolg damit hatte. Vielleicht stellte diese Vorgehensweise früher eine Art Ventil für die Unzufriedenheit unseres Volkes dar. Inzwischen ist sie nur noch ein juristisches Fossil. Es ist noch nicht einmal garantiert, daß sich der Bezirksoffizier in diesem Fall Überhaupt an die Gesetze hält...« Gisol konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen. »Du siehst, daß es mit der juristischen Hochkultur der Zyzzkt- doch nicht so weit her ist, Ren.« »Tja..,« »Sie sind Barbaren. Und zwar solche der schlimmsten Sorte!« Ein rechnergesteuertes Gleitertaxi holte Gisol am nächsten Morgen ab. Es war ein Modell, das lediglich für einen einzelnen Worgun genügend Platz bot. Einen derartigen Gleiter konnte man jederzeit über das Datennetz bestellen. Sein Kurs war in jeder Flugphase von den Besatzungsbehörden kontrollierbar. Es war also vollkommen ausgeschlossen, daß ein derartiges Gefährt zu irgendwelchen umstürzlerischen Aktivitäten mißbraucht werden konnte. Schon die IDKontrolle im Taxi war der erste Test für die falsche Identität, die Maluk für Gisol erschaffen hatte. Das interne Steuermodul des Gleitertaxis verglich etwa hundert physiologische Parameter Gisols mit den im Netz verfügbaren Daten eines Worgun namens Ratron. Die Daten stimmten überein.
Gisol alias Ratron wurde vom Steuermodul akzeptiert und zu dem etwa zwanzig Kilometer entfernten Gebäude der Distriktverwaltung gebracht. Ursprünglich hatte Gisol sich mit seinem Flash im Tamflug in die Nähe des Verwaltungsgebäudes bringen wollen, aber Maluk hatte ihm davon abgeraten. Wenn jemand das Verwaltungsgebäude betrat, wurde zunächst routinemäßig überprüft, mit welchem Verkehrsmittel er gekommen war. Ließ sich kein Gleitertaxiflug nachweisen, war das ein Verdachtsmoment. Falls es allerdings zu Komplikationen kam, war Gisol jederzeit in der Lage, über sein Steuergerät den unterhalb der Wohnpyramide geparkten Flash vollautomatisch an jeden beliebigen Ort des Planeten zu rufen. Das Gleitertaxi erreichte den Bau der Bezirksverwaltung, einen Quader von etwa zwanzig Metern Höhe und einer Länge von ungefähr fünfzig Metern. In direkter Nachbarschaft befand sich eine Landefläche, auf der eine Reihe von Kampf und Transportgleitem abgestellt waren. Gisol bewegte sich auf das schlichte Portal zu. Die Stufen waren für Worgunverhältnisse recht hoch und offenbar an die käferartige Anatomie der Zyzzkt- perfekt angepaßt. Gisol mußte zunächst verschiedene Sicherheitsüberprüfungen über sich ergehen lassen. Maluk hatte offenbar gute Arbeit geleistet, denn Gisol überstand die Kontrollen ohne Beanstandung* 226 Seine RatronIdentität wurde akzeptiert. Die Daten stimmten mit denen überein, die über das Netz abrufbar waren, und damit gab man sich zunächst einmal zufrieden. Nun wurde Gisol von bewaffneten Sicherheitskräften in das Büro eines Beamten namens Kzzrrh geführt. Kzzrrh nahm die Petition, die ihm Gisol in Form eines Datenträgers überreichte, entgegen. Er überprüfte mit Hilfe seiner Konsole kurz den Inhalt, wobei er die ganze Zeit über seine Beißwerkzeuge aneinander rieb. »Ich werde die Petition ordnungsgemäß weiterleiten«, versprach Kzzrrh schließlich. »Sie können gehen, Ratron. Seien Sie gewiß, daß dem Bezirksoffizier Ihr Anliegen vorgelegt wird. Er wird dann zu gegebener Zeit darüber entscheiden.« »Ich möchte mit dem Bezirksoffizier persönlich sprechen«, erwiderte Gisol. In ihm brodelte es. Aber den unbändigen Haß, den er auf die Zyzzkt- empfand, mußte er so weit wie möglich unterdrücken. Wenn du hier ans Ziel kommen willst, bleibt dir nichts anderes übrig, als das w tun, was die Terraner »kleine Brötchen backen« nennen, überlegte er. Äußerste Höflichkeit, ja Unterwürfigkeit. .. ein anderer Weg wird dich kaum ins Büro des Bezirksofßziers bringen. »Das gestrige Eingreifen des Bezirksoffiziers bei der Wohnpyramide 3213 wurde von den Bewohnern sehr begrüßt. Ich bin nicht hier, um auch nur die kleinste Kritik am Verhalten des Bezirksoffiziers zu üben. Im Gegenteil, sein Verhalten wird von allen Unterzeichnern der Petition ausdrücklich begrüßt.« »Waren Sie persönlich bei den gestrigen Ereignissen um Wohnpyramide 3213 anwesend?« fragte Kzzrrh. »Ja.« Gisol fragte sich, ob sein Gegenüber diese Frage nur stellte, um Zeit zu gewinnen. Bine Pause folgte. »Es kommt selten vor, daß Petitionen überreicht werden«, stellte der Zyzzktschließlich fest. »Ich weiß.« »Dir Anliegen scheint ziemlich ungewöhnlich zu sein.« »Es wäre mein größter Wunsch, daß der Bezirksoffizier persön lich diese Angelegenheit mit mir bespricht.« »Der Bezirksoffizier ist sehr beschäftigt, wie Ihnen sicher klar sein dürfte, Ratron.« »Ich bin überzeugt davon, daß er gerade diese Petition sehr gerne selbst entgegennehmen würde!« Die kalten Facettenaugen des Zyzzkt- musterten Gisol einige Augenblicke lang. »So wirklich?« »Es ist eine Petition, die die Arbeit des Bezirksoffiziers ausdrücklich würdigt. Der Bezirksoffizier hat das Recht, sie persönlich entgegenzunehmen.«
»Mir scheint, Sie wollen eigentlich sagen, daß es Ihr Recht ist, die Petition persönlich zu überbringen. Ein Recht, auf dem Sie mit aller Macht bestehen wollen. Ohne Rücksicht auf die Effektivität unserer Verwaltung!« »Der Hinweis auf dieses Recht geschah durch Sie nicht durch mich!« stellte Gisol klar. Er mußte sich sehr zusammenreißen. Am liebsten hätte er Kzzrrh sofort getötet. Die Arroganz, die dieser niedere Bedienstete der Zyzzkt-Verwaltung an den Tag legte, war nur mit äußerster Beherrschung zu ertragen. Aber Gisol dachte an das Ziel, das er erreichen wollte. Es war wichtig, dem Bezirksoffizier von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, um so viel wie möglich über die Beweggründe für dessen entschlossenes Eingreifen auf Seiten der bedrängten Worgun herauszufinden. Diesem Ziel mußte alles andere untergeordnet werden. Wieder herrschte einige Augenblicke lang Schweigen. Schließlich rief Kzzrrh über ein Sprechgerät an seiner Konsole zwei bewaffnete Wächter herein. Die beiden Zyzzkt- postierten sich links und rechts der Tür. Kzzrrh wandte sich an Gisol. »Sie warten hier, Ratron.« »Werden Sie mit dem Bezirksoffizier sprechen?« »Ja.« Kzzrrh verließ den Raum. Die Schiebetür schloß sich selbsttätig hinter ihm. Gisol blieb nichts weiter übrig, als abzuwarten. Einen ersten Etappensieg hatte er zweifellos errungen. Die Ungeduld in 228 ihm wuchs. Ich muß mich emotional absolut beherrschen, überlegte er. Andernfalls besteht immer die Gefahr, daß ich kurzzeitig die Kontrolle über meinen Körper verliere und unwillkürlich die Gestalt verändere... In dem Fall war für jeden Zyzzkt- sofort klar, daß etwas mit ihm oder seinem IDDämpfer nicht stimmte, und Gisols gesamte Tarnung war hinfällig. Nach einer Weile kehrte Kzzrrh zurück. »Bezirksoffizier Virrssk empfängt Sie persönlich und nimmt Ihre Petition entgegen.« »Danke.« »Danken Sie nicht mir, sondern der Großzügigkeit des Bezirksoffiziers.« Mit diesen Worten gab Kzzrrh dem Worgun den Datenträger zurück, auf dem die Petition gespeichert war. Anschließend wandte er sich an die beiden Wächter. »Begleitet ihn!« befahl Kzzrrh. Die Wächter führten Gisol in das spartanisch eingerichtete Büro des Bezirksoffiziers Virrssk. Es befand sich in der obersten Etage des Verwaltungsgebäudes. Durch die ovalen Fenster hatte man einen hervorragenden Blick auf die hügelige Landschaft der Umgebung. ^ Bezirksoffizier Virrssk stand an einem dieser Fenster und sah hinaus. Seine ZyzzktGestalt wirkte vollkommen regungslos, wie erstarrt. »Hier ist der Worgun, der die Petition zu überbringen wünscht«, meldete einer der Wächter vorschriftsmäßig. Virrssk bewegte sich noch immer nicht. Selbst die Beißwerkzeuge am Kopf standen vollkommen still. Einige Augenblicke vergingen schweigend. Er will klarstellen, ^em hier die Autorität zukommt, wurde es Gisol klar. Eine Demonstration der Macht. Alles steht still, wenn nur dieser Virrssk es WZf. Schließlich drehte sich der Bezirksoffizier mit einer schnellen Bewegung herum. Seine Facettenaugen musterten Gisol von oben bis unten. »Name?« »Ratron.« »Es ist lange her, seit das letzte Mal jemand auf seinem Recht bestand, eine Petition zu überbringen.« »Ich bestand nicht auf diesem Recht. Es war einer Ihrer Untergebenen, der...« Virrssk wandte sich an die Wächter und unterbrach mit seinen Worten Gisols Redefluß. »Laßt mich mit ihm allein«, forderte er. Die beiden Wächter schienen im ersten Augenblick irritiert zu sein.
»Sind Sie sicher, Bezirksoffizier?« fragte einer von ihnen. »Vollkommen sicher. Es geht keine Gefahr von diesem Worgun aus. Anderenfalls hätte er die Sicherheitsüberprüfungen nicht problemlos durchlaufen können.« »Jawohl.« »Im übrigen bin ich nicht dafür bekannt, besonders ängstlich zu sein. Davon abgesehen wäre es mir ein Vergnügen, diesen Angehörigen des Volkes der Mörder in Notwehr töten zu dürfen...« Die letzte Äußerung des Zyzzkt- ließ Gisol aufhorchen, kam in ihr doch unverblümter Haß auf die Worgun zum Ausdruck. Etwas, das Gisol in dieser Form nicht erwartet hatte. Wie paßt das zusammen? Diese absolute Verachtung gegenüber unserem Volk, die auch Virrssk offen zur Schau trägt auf der einen und das beherzte Eingreifen während des Gefechtes um die Wohnpyramide auf der anderen Seite. Die Wächter gehorchten und verließen den Raum. Virrssk wartete, bis sich die Schiebetür hinter ihnen geschlossen hatte. Dann wandte er sich an Gisol. »Legen Sie Ihre Petition auf meine Konsole da vome. Ich sehe sie mir später an. So, wie es das Gesetz befielt.« »Wie Sie wünschen«, sagte Gisol unterwürfig und gehorchte. Nachdem er den Datenträger auf die Konsole gelegt hatte, wich der Worgun respektvoll einen Meter zurück. »Soweit ich informiert bin, fordern Sie einen verstärkten Einsatz unserer Sicherheitskräfte, um Vorfälle wie gestern an Ihrer Wohnpyramide in Zukunft im Keim zu ersticken«, stellte Virrssk fest. 230 »Das ist richtig«, bestätigte Gisol. »Dir Eingreifen hat unter den Worgun meiner Wohnpyramide Bewunderung und tiefe Dankbarkeit hervorgerufen.« »Nun übertreiben Sie mal nicht, Ratron.« »Ich spreche die Wahrheit.« »Jeder der Worgun, deren erbärmliches Leben wir gestern gerettet haben, haßt unser Volk wie sonst nichts im Universum!« »Das ist nicht wahr!« Die Beißwerkzeuge des Zyzzkt- rieben sich geräuschvoll aneinander. Ein unangenehmer, schabender Laut entstand dabei, der für die Hömerven eines Worgun schwer erträglich waren. »Schweigen Sie, Ratron!« unterbrach der Bezirksoffizier Gisol, »Ich kann Lobhudeleien nicht ausstehen!« »Es ist keine Lobhudelei. Ich spreche lediglich von Tatsachen.« »Tatsachen? Ich weiß nicht, ob ein einfältiger Worgun wirklich weiß, was Tatsachen sind.« »Ihre Handlungsweise gestern wird sich herumsprechen. Bezirksoffizier Virrssk!« »Ja, ich fürchte, das wird sie!« »Ich denke, daß allen Worgun, die insgeheim mit Terroristen wie Gisol dem Schlächter sympathisieren, durch die Ereignisse des gestrigen Tages der Wind aus den Segeln genommen wird.« Virrssk bewegte sich blitzschnell. Mit einer seiner oberen Extremitäten schlug er?geräuschvoll auf seine Konsole. Anschließend schleuderte er den Datenträger mit Gisols angeblicher Petition quer durch den Raum. Der Datenträger knallte gegen die Wand. Mit einer derart heftigen Reaktion hatte Gisol nicht gerechnet. »Sie einfältiger WorgunNarr! Ich bin keineswegs ein Freund Ihres Mördervolkes! Sie fordern einen verstärkten Einsatz der Sicherheitskräfte zu Gunsten Ihrer Leute! Aber ich werde in dieser Hinsicht nur genau soviel tun, wie mir vorgeschrieben wird. Haben Sie das verstanden, Ratron?« Gisol gab sich weiterhin unterwürfig und kleinlaut. Er spürte, daß Virrssk nahe daran war, die Kontrolle zu verlieren. »Ihre Worte waren sehr deutlich«, stellte der Worgun sachlich fest. »Schön, daß wir uns so gut verstehen, Ratron! Und noch etwas 231 möchte ich Ihnen sagen: Die Gesetze und die Verträge, die wir mit Ihrem Volk abgeschlossen haben, interessieren mich nicht im mindesten. Sie sind mir vollkommen gleichgültig. Aber ich bin ein gehorsamer Soldat und werde jederzeit jeden Befehl ausführen, der mir von unserer Führung übermittelt wird.«
Virrssks Beißwerkzeuge schabten heftig gegeneinander, die oberen Extremitäten zitterten leicht. Der Bezirksoffizier schien heftig erregt zu sein. Gisol war klar, daß er jetzt sehr auf der Hut sein mußte, damit sich die ungefilterte Wut dieses Insektoiden nicht gegen ihn richtete. Andererseits war der Worgun darauf aus, mehr über die verwirrenden Hintergründe zu erfahren, die mit der gestrigen Handlungsweise des Bezirksoffiziers in Zusammenhang standen. »Ihr Volk kann froh sein, daß wir Zyzzkt- ihm die Hälfte dieses Planeten bisher überlassen haben. Wenn ich das Sagen hätte...« Virrssk sprach nicht weiter. ... dann "würde es "wahrscheinlich sehr bald einen Befehl zur völligen Ausrottung der letzten Worgun geben! vollendete Gisol in Gedanken den Satz des Offiziers. Grimm stieg in ihm auf. Dieser Wimmelwilde war also keineswegs von einer kompromißbereiten Haltung den Worgun gegenüber geprägt. Er hatte auf Befehl gehandelt, wenn auch widerstrebend. Geräuschvoll tickte Virrssk mit einer seiner Extremitäten gegen die Konsole. »Vor etwa einer Stunde kam der Befehl zu einem Einsatz bei Wohnpyramide 3213. Ein paar Hundert von uns versuchen die Angehörigen des Volkes der Mörder aus ihren Löchern zu treiben, und persönlich habe ich vollstes Verständnis für ihre Handlungsweise! Aber was soll ich tun? Ich habe dem Befehl natürlich Folge geleistet und zwei Kampfgleiter losgeschickt, obwohl es mir im Innersten widerstrebte, auf Angehörige meiner eigenen Spezies schießen lassen zu müssen.« »Aber die Führung der Verehrten scheint, was das Schicksal der Worgun betrifft, eine andere Meinung zu vertreten«, stellte Gisol sachlich fest. Es gab innerhalb der Zyzzkt-Hierarchie offenbar große Meinungsverschiedenheiten, was die Behandlung der Worgun betraf. Dies zu erfahren bedeutete für Gisol bereits eine ausgesprochen wertvolle Information. Möglicherweise tobt da ein ver 232 deckter Machtkampf hinter den Kulissen, überlegte er. Ein Machtkampf, von dem vermutlich das zukünftige Überleben der Worgun abhing. Schließlich hielten die Zyzzkt- die Zügel ihrer Herrschaft fest genug, um die Worgun jederzeit endgültig vom Antlitz des Universums tilgen zu können. Der Zyzzkt-Offizier wiegte den Kopf hin und her, knarrte anschließend mit seinen Beißwerkzeugen. »Irgend jemand in unserer Führung hält die Hand über Ihr Volk, Ratron. Seien Sie froh darum, denn es wird nicht mehr lange dauern, bis die wahren Zyzzkt- die Herrschaft übernehmen werden! Dann sind die Tage des Mördervolkes gezählt!« Gisol war fassungslos. Die Bedrohung, in der sein Volk schwebte, war viel schlimmer als er angenommen hatte. Ging man nach den Worten dieses Zyzzkt-, dann konnte ein Machtwechsel jederzeit bevorstehen. Der gegenwärtige Zustand war also kein Status Quo, sondern nur das Vorspiel eines beispiellosen Völkermordes. Die letzten der Worgun waren nichts weiter als wehrlose Opfer in einem Machtspiel unter den Zyzzkt-. Noch hielt deren Führung ihre Hand über Gisols Volk. Aber früher oder später würde sie dem Drängen der unteren Ränge der Zyzzkt-Hierarchie nachgeben müssen, das auf eine Vernichtung der Worgun hinauslief. Virrssk vollführte eine ruckartige Bewegung. Von einer Sekunde zur anderen erstarrten alle Extremitäten und die Beißwerkzeuge. Der Blick der ^TFacettenaugen fixierte Gisol geradezu. Ein Greif arm des Zyzzkt- griff zur Konsole, offenbar um die Wachen über Interkom zu rufen. Einen Sekundenbruchteil nur brauchte Gisol, um zu begreifen, weshalb sein Gegenüber so reagierte. Nur einen winzigen Moment lang hatte der Worgun sich nicht unter Kontrolle gehabt. Zu sehr war er durch die Worte des Zyzzkt- emotional berührt worden, so daß sich unwillkürlich seine Körperform verändert hatte. Der Körper Ratrons hatte sich verändert, war zu dem von Gisol geworden. Für einen Menschen mochten alle Worgun gleich aussehen, aber ein Zyzzkt-, der schon viele Jahre Dienst auf Epoy machte, erkannte den Unterschied natürlich sofort. Gisols Tarnung war aufgeflogen. 233 Dem Bezirksoffizier mußte klar sein, daß mit diesem Worgun etwas nicht stimmte, wenn er sich trotz angelegtem IDDämpfer zu verwandeln vermochte. Gisol reagierte blitzartig.
Er formte einen Tentakel mit stahlharter Spitze. Noch bevor der Offizier das Interkom aktivieren und die Wachen rufen konnte, hatte diese Spitze den Insektenleib durchbohrt. Die Extremitäten des Zyzzkt- ruderten hilflos herum. Der aufgespießte Offizier gab einen zirpenden, unartikulierten Laut von sich. Gisol hob ihn hoch, schwenkte den mit seinen 50 Kilo Körpermasse nur halb so schweren Virrssk herum und drückte ihn schließlich gegen die Wand. Der Zyzzkt-Offizier war vollkommen hilflos. »Bevor du stirbst, sollst du wissen, wer dich getötet hat!« sagte der Rebell. »Ich bin Gisol, der Schlächter!« Virrssk stieß einen hohen Ton aus. Ein Schmerzenslaut vielleicht. Gisol bildete weitere Tentakel aus und holte sein Steuergerät hervor, um damit den Flash zu rufen, den er im Keller der Wohnpyramide geparkt hatte. Im Intervallflug war der Flash in der Lage, auch feste Materie zu durchdringen. Das zweisitzige Raumboot konnte vom Keller der Wohnpyramide aus unter der Planetenoberfläche bis zum Verwaltungsgebäude des Bezirksoffiziers gelangen und anschließend in den obersten Stock fliegen. Innerhalb von wenigen Augenblicken war diese Distanz überwunden. Das drei Meter lange, zylinderförmige Raumboot drang durch den Boden des Büros. Im nächsten Moment war das Intervallfeld abgeschaltet. Der Flash stand zur Flucht bereit. »Tod den Worgun!« krächzte der Zyzzkt-. Gisol ließ den sterbenden Bezirksoffizier zu Boden sinken. Eine seiner Extremitäten zuckte unkontrolliert. Gisol beeilte sich, den Rash zu besteigen. Ihm war bewußt, daß das Beiboot mit eingeschaltetem Brennkreis geflogen war. Die Löcher im Boden mußten auf mehreren Stockwerken die diensthabenden Zyzzktalarmiert haben. Die Schiebetür öffnete sich, und die Wächter schnellten mit schußbereiter Waffe herein. 234 Gisol startete den Flash und aktivierte das Intervallfeld und die Tamanlage. Mit eingeschaltetem Brennkreis durchdrang das Beiboot die Außenwand des Büros. Einer der Zyzzkt-Wächter feuerte seinen Strahler in Richtung des flüchtenden Gisol. Aber der Strahl konnte dem Intervallum nichts anhaben. Der andere Wächter beugte sich über den sterbenden Bezirksoffizier. Ihm konnte niemand mehr helfen. Aber der Sterbende hatte noch etwas zu sagen. Er rieb die Beißwerkzeuge gegeneinander. Unartikulierte Laute kamen aus seiner Mundöffnung. Schließlich bildete er mühsam Worte. »Gisol... der... Schlächter! Er war... hier! Systemweite Fahndung... sofort!« 235 16. Die CHARR drang immer tiefer in den Leerraum ein. Die voraussichtliche Flugdauer veranschlagte Prewitt mit etwa sieben Standardtagen. Der Ellipsenraumer hätte die Distanz vermutlich auch in einem einzigen gewaltigen Hyperraumsprung bewältigen können, aber erstens gab es über den angepeilten Raumbezirk keine verläßlichen Koordinatensätze in den Speichern, und zweitens wollte Huxley nichts riskieren; bislang hatte er derartige Gewalttransitionen tunlichst vermieden. Es kursierten die wildesten Gerüchte in der Flotte über Kapitäne, die derartiges unternommen haben wollten. Obwohl Tantal in seinem jugendlichen Eifer wiederholt darauf drängte, die Reise so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, erschien es Huxley vernünftiger, die Distanz in einer Reihe von Transitionen zu bewältigen, immer wieder unterbrochen von längeren Orientierungsstrecken im Normalraum. Verschärften Dienst anzuordnen, hielt Huxley für überflüssig; die verantwortlichen Deckoffiziere taten das ihre, die Besatzung zu beschäftigen. Da das Leben aller an Bord vom einwandfreien Funktionieren sämtlicher Komponenten abhing, befleißigte sich jeder aus freien Stücken, seinen Teil dazu beizutragen. Die Meegs, Tantal sowie die restlichen Kobaltblauen nutzten die Zeit zur ausgedehnten Regeneration in dem Teil des Sonnenhangars, der auf ihren
Metabolismus abgestimmt war. Die Freiwache vergnügte sich in den Aufenthaltsräumen oder ruhte in ihren Quartieren. Huxley selbst hielt sich überwiegend im Leitstand auf. Auch jetzt. Die CHARR bewegte sich relativ gesehen zwar schnell, trotzdem schien es eine kaum wahrnehmbare Fahrt zu sein vor dem dunklen 236 Hintergrund des Alls. Schwach reflektierte die golden schimfliemde Hülle den Schein entfernter Galaxien und Sternhaufen. Seit vier mal vierundzwanzig Stunden Normzeit befanden sich sämtliche Hauptsysteme im Schiff im verschärften Bereitschaftsmodus: Antrieb, Navigation, Waffen, Ortung, Lebenserhaltungssysteme. Die Langreichweitentaster der Passivortung suchten beständig den Raum in Flugrichtung nach verräterischen Echos ab. Huxley wandte sich an Prewitt. »Liegen wir im Zeitplan, I. 0.?« richtete er das Wort an seinen Ersten Offizier. Prewitt füngierte als Pilot, Henroy als Kopilot. »Wir liegen, Skipper«, beeilte sich Lee Prewitt mit der Antwort, der die leichte Ungeduld aus der Stimme des Colonels heraushörte. »Noch zwei Transitionen, dann sollten wir den äußeren Rand erreicht haben.« »Danke, Lee.« In Frederic Huxley breitete sich langsam Spannung aus, so als ob in Kürze etwas geschehen würde. Zwar verfügte der ehemalige Absolvent der KallistoAkademie über eine von ihm nicht kontrollierbare, latente präkognitive Fähigkeit, sporadisch in die nähere Zukunft »sehen« zu können. Aber dies hier war etwas anderes. Er wußte einfach, daß er mit einer riskanten und ungewöhnlichen Situation konfrontiert werden würde. Das sagte ihm sein Gefühl, das ihn im Laufe seine? langjährigen Praxis als Raumschiffskommandant noch nie in Stich gelassen hatte. »Colonel!« Die Stimme Sybilla Bontempis ertönte in seinem Rücken. »Captain...?« Huxley wandte sich der jungen Frau zu, die mit zwei Bechern in der Hand hinter ihn getreten war. »Kaffee, Sir?« »Danke«, sagte Huxley mechanisch. »Danke was?« »Wie... ich verstehe nicht...« Sein Blick ruhte einen Moment auf der zweiunddreißigjährigen Frau mit der blauschwarzen Pagenfrisur. Obwohl schlank und zierlich wirkend, war sie ein richtiges Kraftbündel und sehr versiert in asiatischer Kampfkunst. Die promovierte Anthropologin und Fremdvölkerexpertin hatte seinem Team im Sommer 2057 bei den äußerst schwierigen Verhandlungen mit den Utaren durch Kompetenz und Klugheit letztendlich zum Durchbruch verholfen. Daß sie nach Beendigung der schwierigen Mission der FO I als ständiges Besatzungsmitglied im Range eines Captains zugeteilt wurde, war nur die logische Folgerung. Eine Entscheidung der Raumflottenadmiralität, die Colonel Frederic Huxley noch zu keiner Stunde hatte bereuen müssen. »Danke ja oder danke nein!« Sie sah Huxley mit leicht gewölbten Brauen an. Täuschte er sich, oder drückte der Blick ihrer mandelförmigen Augen Erbe der thailändischen Großmutter Belustigung aus? Auch in der Zentrale der mächtigen CHARR schien sich verhaltene Heiterkeit auszubreiten. Der Colonel richtete ein drohendes Räuspem an die Adresse seiner Männer, dann streckte er die Hand aus. »Geben Sie schon her, Captain.« Mit einem »Ich mag Männer, die entschlußfreudig sind«, reichte sie ihm den Thermobecher. Dann nahm sie neben dem Taktischen Offizier Lern Foraker Platz. Ob der ebenfalls ihren Vorstellungen über Entschlußfreudigkeit entsprach? »Vermutlich«, murmelte der Colonel vor sich hin. Niemand hörte es. Er rief sich zur Ordnung und nahm einen vorsichtigen Schluck, man konnte ja nie wissen. Der Kaffee war jedenfalls ausgezeichnet. Heiß, aber gut.
Frederic Huxley drehte sich wieder in Richtung der Hauptsichtsphäre und vertiefte sich erneut in die Betrachtung des extrastellaren Raumes, den die CHARR augenblicklich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durcheilte. Welch eine Vorstellung! Eine winzige metallene Blase, ein mikroskopisch kleines Samenkorn, erfüllt mit menschlichem und extraterrestrischem Leben, schickte sich an, einen dunklen, unauslotbaren Abgrund voller Gefahren und Unwägbarkeiten zu überbrücken, um von einer Galaxis in eine andere zu gelangen. Wahrlich homerische Dimensionen. 238 In den Heckfeldem der in Gradienten segmentierten Allsichtsphäre zeigte sich die ehrfurchtgebietende Ansicht der heimischen Milchstraße. Für jemanden, der senkrecht zur galaktischen Ebene in sie einflog, oder wie im Fall der CHARR sich senkrecht von ihr entfernte, bot sie sich als die Abbildung eines offenen Spiralnebels, mit einem strahlend hellen Zentrum aus Sternen, Nebeln und glühenden Gaswolken. Aus diesem Zentrum heraus drehten sich die Äste der Spiralarme, weit hinausreichend und ausfasernd, bis sie schließlich mit der Unendlichkeit des schwarzen Hintergrundes verschmolzen. Dazwischen nebelartige, kleinere Filamente, ebenfalls aus Milliarden Sonnen bestehend Galaxien, die so unglaublich weit entfernt hinter ihr standen, daß sie nur den Eindruck von Licht vermittelten. Durch die Position der CHARR bedingt, war Huxley nur der Blick von unten auf die heimatliche Galaxis möglich; eine dicht gepackte Scheibe aus Milliarden von großen und kleinen Sonnen. Ihr Durchmesser in der Ebene betrug einhunderttausend Lichtjahre. In ihrer Mitte, im Gebiet Schütze und Schild, der visuellen Beobachtung durch die Absorption der interstellaren Materie entzogen, das Zentrum der Milchstraße das nun wieder »gezähmte« Schwarze Loch. Eine unvorstellbar energiereiche Radio und Infrarotstrahlungsquelle mit einem Durchmesser von knapp fünfzig Lichtjahren und etwas mehr als 500 Millionen Sonnenmassen. Die Milchstraße gehörte mit M 31, Andromeda, und dem Spiralnebel M 33, der TriangulumGalaxis, zu einer Gruppe von zirka 30 Galaxien, die gemeinsam ein Raumgebiet von vier Millionen Lichtjahren Durchmesser für sich beanspruchten. Weitere Galaxien fanden sich erst in einem erheblichen Abstand von sieben bis zehn Millionen Lichtjahren Distanz. Deshalb bezeichneten irdische Astronomen die Galaxiensysteme in der näheren Umgebung der Milchstraße in den Sternenkarten als »Lokale Gruppe«. Die Mitglieder der Lokalen Gruppe nahmen nach inzwischen gesicher^n Kenntnissen nicht an der allgemeinen Expansion des Universums teil dazu waren die Distanzen zu klein sondern wurden schlicht und einfach durch die Gravitation zusammengehalten. Abgesehen von den drei großen Galaxien Milchstraße, Andromeda und Maffei l waren alle anderen in der Lokalen Gruppe 239 Zwerggalaxien, Begleiter der großen Brüder. Beim Andromedanebel mit seinem Durchmesser von hundertfünfzigtausend Lichtjahren und einer Entfernung von drei Millionen Lichtjahren waren das NGC 205 und NGC 221. Bei den Trabanten der heimischen Milchstraße, die unter den drei »Großen« in der Gruppe den zweiten Platz einnahm, handelte es sich um die Kleine und die Große Magellansche Wolke. Letztere war das Ziel der CHARR. Wenn man sich die Lokale Gruppe als eine ebene Projektion dachte, mit der Milchstraße am ungefähren Schnittpunkt von 90 Grad galaktischer Länge und 90 Grad galaktischer Breite, dann lagen die beiden Magellanschen Wolken etwa 170.000 Lichtjahre »unterhalb« der galaktischen Hauptebene. Beide Sternbilder waren für die Seefahrer der frühen Erde eminent wichtige Bezugspunkte für die Standortbestimmung in den Weiten des endlosen Ozeans auf der südlichen Erdhalbkugel gewesen, wie Frederic Huxley wußte. Etwas rührte sich in seinem Gedächtnis. Und unerwarteterweise kam ihm Jorgan Huxley in den Sinn, der ihm zum ersten Mal die beiden Magellanschen Wolken gezeigt hatte. Frederic war acht Jahre alt gewesen und durfte in den Sommerferien seinen Vater besuchen, der in Südafrika eine Ausgrabung leitete. Warum Menschen, die alle Annehmlichkeiten der Zivilisation haben konnten, sich Monate, ja Jahre damit beschäftigten, im staubigen Boden Löcher zu graben und über jeden gefundenen
Knochen oder ein anderes Artefakt, das irgendwie bearbeitet aussah, in helles Entzücken geraten konnten, war dem kleinen Huxley damals ein Rätsel gewesen. Ein Rätsel, das ihn allerdings nicht sonderlich beschäftigte. Wichtig war für ihn nur, daß er bei seinem Vater sein durfte, wenn auch immer nur für die begrenzte Zeit der Sommerferien. In einer mondlosen Nacht hatten sein Vater und er etwas abseits des Lagerfeuers auf einer kleinen Anhöhe gesessen. Zikaden 240 lärmten in den Akazien. Das hämische Lachen von Hyänen war in der Ferne zu hören. Sonst war es still; das Lachen und Trommeln der einheimischen Ausgrabungshelfer war längst verstummt. Sein Vater hatte den Arm um ihn gelegt, ihn an sich gedrückt Frederic liebte den Geruch nach Pfeife und Leder und Abenteuer, der der Kleidung seines Vaters entströmte und gemeinsam hatten sie hinauf in den Nachthimmel gesehen. Er war übersät gewesen mit Tausenden und Abertausenden Sternen. Ein Meer von glänzenden Sonnen. Es mußte dieser Anblick gewesen sein, der in dem kleinen Huxley den Wunsch geweckt hatte, einmal dieses Sternenmeer zu durchfahren. Um die Ruhe der Nacht nicht zu stören, hatte sein Vater mit verhaltener Stimme damit begonnen, ihm die einzelnen Sternbilder zu erklären. Frederic war schwer beeindruckt gewesen vom Wissen seines Vaters. »Und was sind diese beiden Flecke dort?« f Frederic hatte auf die Lichtwölkchen gedeutet, die tief am Süd' himmel etwas abseits des schimmernden Bandes der Milchstraße zu sehen gewesen waren. »Das, mein Junge, sind die Große und die Kleine Magellansche Wolke.« In dieser Nacht hatte Frederic noch erfahren, daß die beiden Magellanschen Wolken extragalaktische Sternsysteme waren, Begleitgalaxien der MVIchstraße, und daß sie w der Galaxienvereinigung gehörten, die auch als Lokale Gruppe bekannt war. »Und warum heißen sie so, Dad?« Sein Vater hatte lachend seine unbändige Haarmähne verwuschelt. »Du willst es aber wieder mal genau wissen, mein Junge, nicht wahr?« Frederic hatte geantwortet: »Von wem ich das wohl habe?« »Recht so, mein Sohn. Nur wer neugierig bleibt, erfährt etwas ^on der Welt. Aber um deine Frage zu beantworten: Die Bezeichnung erinnert an den portugiesischen Seefahrer und Weltumsegler Fernäo de Magellan, der sie in seinen Reiseberichten erstmals ermähnte.« Noch heute, nach vielen Jahrzehnten, hörte Huxley die Stimme seines Vaters erzählen, roch den Geruch seines Tabaks und erinnerte sich des schrecklichen Augenblicks, als seine Mutter eines Abends mit aufgelöster Miene in sein Zimmer gekommen "war, um ihm vom Tod des Vaters z.u berichten. Er war von Grabräubern ermordet worden, die es auf die wertvollen Artefakte abgesehen hatten. Afrika. Der Tod seines Vaters. Weniger Jahre später der Tod seiner Mutter sie sei an gebrochenem Herzen gestorben, erzählte man ihm alles lag schon so weit zurück, daß es ihm wie ein Traum erschien. Dennoch, letztendlich waren es sein Vater und die Magellanschen Wolken gewesen, die ihn zu dem hatten werden lassen, was er heute war: Kommandant eines gigantischen NogkRaumschiffes, das in ferne Bezirke des Universums vorstieß, neue Planeten entdeckte, neue Zivilisationen. Viele solche Reisen hatte er bereits unternommen, manche erfolgreich, andere weniger. Und dennoch waren alle diese Expeditionen jede einzelne seiner Anstrengungen wert gewesen, wie er fand. Nicht mehr lange, und er würde sich innerhalb der Großen Magellanschen Wolke befinden. Er wünschte nur, sein Vater hätte noch davon erfahren... Mit einem Ruck fuhr Huxley seinen Gliedersessel von der Konsole zurück und erhob sich. »Lee, Sie übernehmen. Sollte etwas sein, ich bin im Astrolab.« »Aye, aye, Skipper.« Die Astrometrie war kein besonders großer Raum an Bord der CHARR. Ein knappes Dutzend Konsolen befanden sich in halbkreisförmiger Anordnung vor dem
großen Allsichtschirm, der den Bereich dominierte und auf dem im Augenblick der Weltraum in Art einer Merkatorprojektion in Echtzeit abgebildet zu sehen war. Professor Bannard erwartete ihn bereits. Huxley hatte sein Kommen von unterwegs avisiert. 242 »Was kann ich für Sie tun, Colonel?« empfing er den Kommandanten und deutete auf einen Sessel. »Hat Ihr Besuch einen bestimmten Grund?« Wie so viele Besatzungsmitglieder der CHARR hatte Professor Allister Bannard schon auf der FO I unter Huxley gearbeitet, auch damals bereits als Leiter der Astroabteilung. Die Jahre intensivsten Einsatzes hatten Spuren hinterlassen; tiefe Falten auf der Stirn und um die Augen kündeten davon. Dennoch verbreitete er trotz seiner weißen Haare eine Aura der Stärke und Autorität. Sein Wissen über Sterne war immens. »Eigentlich nicht, Professor«, erwiderte Huxley und setzte sich. »Hm... äh.« Bannards weiße Brauen sträubten sich. »Und uneigentlich?« Huxley lachte. »Man kann nichts vor Ihnen verbergen, wie?« »Dazu gehört ja nicht viel«, meinte der Bordastronom trocken. »Sie vergessen, daß wir uns schon eine Weile kennen, Colonel.« »Das wird es sein«, nickte Frederic Huxley. »Tatsächlich bin ich gekommen, um von Ihnen ein paar Einzelheiten über unser Ziel zu erfahren.« »Was möchten Sie hören, Colonel? Eine wissenschaftlich fundierte Abhandlung, oder eine mehr allgemeinverständliche Zusammenfassung?« »Letztere, Allister. Letztere«, beeilte sich der Colonel mit seiner Antwort und machte eine abwehrende Handbewegung. Um Professor Bannards Mund spielte ein Lächeln. »Wie Sie möchten, Kommandant. Auf Ihre Verantwortung.« Dann wurde es doch eine fast wissenschaftliche Abhandlung, da Allister Bannard zur Verdeutlichung dessen, was die Magellanschen Wolken waren, auch das HubbleKlassifikationsschema über Galaxien heranziehen mußte. Die Kleine Magellansche Wolke gehörte demzufolge dem Typus irregulär an, die Große hingegen war eine Balkenspirale. Grob vereinfacht hieß das: irreguläre Galaxiensysteme zeigten kein Zentrum und keine Symmetrie in ihrem Aufbau. Balkenspiralen hingegen glänzten mit einem mittelgroßen Kembereich und ausgeprägten Armen. Beide Wolken waren reich an interstellarer Materie sowie an heißen, jungen und massereichen Sternen der Spektraltypen 0 und B. Auch enthielten sie etliche Sterne der Leuchtkraftklassen la und Ib, also echte Überriesen. »Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch« merkte Professor Bannard an, »daß die bislang nur radiotechnisch nachzuweisende Brücke aus neutralem Wasserstoffgas zwischen beiden Wolken eine optische Visualisierung erfahren hat. Ich darf Ihnen das gerade mal zeigen.« Bannard schaltete an seiner Konsole. Die Ansicht auf der Allsichtsphäre erführ eine Änderung, als der Astrorechner eine virtuelle Darstellung der beiden Wolken mit räumlicher Tiefe und Ausbreitung erzeugte und in den Vordergrund hob. Deutlich war ein helles Band zwischen den beiden Zwerggalaxien zu erkennen. Huxley hatte sich interessiert vorgebeugt und ließ sich von der Ansicht fesseln. »Dieses Band«, sagte er, »findet da ein Materieaustausch zwischen der Kleinen und der Großen Magellanschen Wolke statt?« Bannard verneinte. Wie er ausführte, ließ die Wasserstoffgasbrücke nur auf eine gemeinsame Entstehung und ein gleiches Alter der Wolken schließen. »Die Große Magellansche Wolke ist für eine Zwerggalaxis ein recht großes Gebilde. Der maximale lineare Durchmesser beträgt rund 50 000 Lichtjahre. Der >Balken< im Zentrum allein hat eine Länge von 6 Kiloparsec. Bisher wurden 415 Emissonsnebel, 900 Sternhaufen und 95 planetarische Nebel registriert. Der hellste Emissionsnebel in der Wolke ist übrigens der Tarantelnebel, in den Sternenkarten auch als 30 Doradus beziehungsweise NGC 2070 geführt, mit mindestens 300 000 Sonnenmassen. Zum Schluß darf ich vielleicht noch anmerken, daß der
Durchmesser der Magellanschen Wolken im Radiofrequenzbereich erheblich über dem optischen liegt. Das wäre es dann schon.« »Tja, viel war es tatsächlich nicht«, bekannte der Colonel. »Ich sagte doch: auf Ihre Verantwortung, Kommandant. Immerhin rechne ich es Ihnen hoch an, daß Sie sich dafür persönlich in mein Refugium bemüht haben. Danke.« Huxley machte eine abwehrende Handbewegung. »Nicht doch, 244 Professor. Ich unterhalte mich nun mal gern mit Urnen«, meinte er und stand auf. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich kann mich ja irren, Allister, aber Sie machen auf mich einen etwas besorgten Eindruck. Gibt es einen Grund dafür?« »Eigentlich nicht«, sagte der Professor mit einem nicht eindeutig zu verifizierenden Unterton. »Aber es könnte sein, daß wir einige Probleme innerhalb der Wolke bekommen werden.« Huxleys Brauen wölbten sich fragend. »Werden Sie deutlicher, Allister!« forderte er und sah ihn stirnrunzelnd an. »Wenn ich das könnte...« gab der Wissenschaftler zu verstehen. Er nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und begann es zu massieren, während sich über seiner Nasenwurzel eine Falte bildete, eine Angewohnheit, die Huxley schon viele Male bei ihm gesehen hatte. »Ich kaufe Ihnen das nicht ab, Professor.« Huxleys Stimme transportierte seine Skepsis. »Was beunruhigt Sie?« Bannard schwieg zunächst. Schließlich meinte er: »Es ist noch zu früh, meine Besorgnis zu konkretisieren, Colonel. Die astrometrischen Daten sind aus dieser Entfernung noch zu ungenau. Aber es könnte sein, daß wir in der Großen Magellanschen Wolke ein hohes Strahlungsniveau vorfinden werden, das uns zu schaffen machen könnte.« f Huxley lachte kurz auf. »Das ist meine geringste Sorge, lieber Professor. In puncto Schutzschirmtechnologie haben die nogkschen Meegs in den vergangenen Monaten einen Quantensprung erzielt. Ich weiß daher, daß wir innerhalb der CHARR vor jeder bekannten kosmischen Strahlung geschützt sein werden.« Er schwieg einen Moment, dann fragte er abschließend, schon auf der Schwelle stehend: »Haben Sie eigentlich Kenntnis darüber, ob die beiden Magellanschen Wolken schon von uns erforscht wurden?« »Meines Wissens nicht«, ließ er verlauten. »Wir werden die ersten sein. Zumindest«, fügte er einschränkend hinzu, »die ersten Menschen...« 245 Anstatt sich auf den Weg zur Hauptzentrale zu begeben, machte Huxley einen Umweg. Die grünlich pulsierenden Gleitfelder brachten ihn entlang der Hauptachse durch den Leib des Fünfhundertmeterriesen bis zum Aufenthaltsraum, einige Decks entfernt vom Astrolab. Ihm stand der Sinn nach Kaffee und einer kleinen Pause, die er mit ungestörtem Nachdenken verbringen wollte, was ihm in der relativen unruhigen Leitzentrale wohl kaum möglich sein würde. Nur wenige Leute waren in den Korridoren und Antigravschächten. Neben dem Eingang zum Aufenthaltsraum flimmerten die Veranstaltungsanzeigen auf dem schwarzen Brett. Der Filmkreis der CHARR bot an sieben aufeinander folgenden Abenden eine Retrospektive der alten TVSerie »Raumschiff Orion« aus dem 20. Jahrhundert. Allerdings nicht in der ursprünglichen Schwarzweißfassung, sondern komplett in Farbe und für Holographie bearbeitet, so wie sie Weihnachten 2058 auf den Markt gekommen war. ' »Erschreckend«, murmelte er, »was sich meine Leute in ihrer Freizeit antun.« Der Aufenthaltsraum war um diese Uhrzeit kaum frequentiert. Er suchte sich einen Platz und streckte die Beine unter den Tisch. »Kaffee, Kommandant?« Der diensthabende Maat erschien mit einer chromblitzenden Kanne in der Hand. Huxley nickte und sah zu, wie das braune Getränk in den Becher lief. »Noch etwas dazu, Sir?«
»Danke, nein. Aber Sie können die Kanne ruhig hier lassen, Maat Harmon.« »Selbstverständlich, Kommandant.« Die erste Tasse trank er rasch und gierig. Die zweite etwas weniger schnell. Bei der dritten ließ er sich Zeit und hing seinen Gedanken nach. Sein Chrono zeigte den frühen Nachmittag, und die CHARR kam ihrem Ziel beständig näher. Das Ende der Expedition war abzuse 246 ben. Eine Reise, die vor wenigen Wochen auf Reet begonnen hatte und über die unterschiedlichsten Zwischenstationen nun bis in die Große Magellansche Wolke führte. Möglicherweise war sie der Schlußpunkt ihrer Suche. Vielleicht war sie jedoch auch nur wieder eine weitere Station auf der Suche nach dem unbekannten, gesichtslosen Feind, der die Nogk aus dem Verborgenen mit geradezu manischem Eifer und unerbittlicher Härte verfolgte. Plötzlich spürte Huxley die Anwesenheit Tantals hinter sich. Er lächelte versteckt und sagte leichthin über die Schulter: »Tritt ruhig näher, Tantal. Du bist willkommen.« Huxley nahm ein paar unklare Bildsymbole wahr, die er dank seines Implantats als Überraschung erkannte. Er lächelte stärker, drehte sich herum und sah sich von den starren Facettenaugen des kobaltblauen, mit »nur« zwei Metern Körpergröße kleinwüchsigem Nogk fixiert. Tantal war allein. Kein Meeg begleitete ihn, keiner der anderen neun Vertreter seiner Art. »Sei gegrüßt, Ratsherr Huxley«, signalisierte der blaue Nogk. »Sei gegrüßt, Tantal. Willst du dich setzen?« Tantals Insektenschädel neigte sich in einem etwas ungelenk wirkenden Nicken. Eine Geste, die üblicherweise nicht zum Repertoire nogkscher Verständigungssymbole gehörte. Aber der enge Kontakt mit den Menschen an Bord der CHARR verleitete viele Nogk dazu, menschliche Gestik zu imitieren. Die Sitzschale am Tisch veränderte ihre Form automatisch und paßte sich der Gestalt des blauen Nogk an. Huxley hütete sich, den Kobaltblauen zu einer Tasse Kaffee einzuladen; das wäre schlichtweg einem Todesurteil gleichgekommen. Jedwede Art von übermäßiger Feuchtigkeit brachte den Metabolismus der Reptilieninsekten in arge Bedrängnis. Regen, dem sie ungeschützt ausgesetzt waren, ließ sie binnen kurzer Zeit sterben. Das Trinken von Flüssigkeiten in solchen Mengen, wie es die Spezies der Menschen bevorzugte, beschleunigte ihr Ableben erheblich. Die grauen Augen des Schiffskommandanten blickten prüfend auf Tantals insektoides Gesicht. »Kann es sein, daß du mir aus dem Weg gehst?« fragte er. 247 »Welchen Grund hätte ich, Ratsherr Huxley?« Es war unmöglich, aus dem Gesicht eines Nogk irgendwelche Gemütsreaktionen ablesen zu wollen. Die großen Facettenaugen sahen Frederic Huxley auf eine Weise an, die einem Terraner nur als unbeteiligt und eisig erscheinen konnte. »Ich weiß es nicht. Sag du es mir.« Eine Pause des Schweigens folgte, ohne daß irgendwelche semitelepathischen Bildimpulse dabei übertragen wurden. Tantals Fühler spielten leicht, in den Facetten seiner Augen spiegelten sich die Lichter des Aufenthaltsraumes. Schließlich reagierte er. »Es gibt keinen, Kommandant Huxley. Ich habe mich in den letzten Zeitperioden nur intensiv mit den auf Krayen II erhaltenen Informationen auseinandergesetzt«, ließ ihn der Kobaltblaue wissen. Huxleys Implantat sorgte dafür, daß die Signale Tantals innerhalb seines Sprachzentrums in Worte umgewandelt wurden. Das funktionierte wesentlich bedeutungsgenauer, als es jeder noch so effiziente Translator vermocht hätte. »Du meinst, was ihr in dem Simulationszentrum erlebt habt?« Tantal sandte bejahende Impulse. »Und? Hast du neue Erkenntnisse gewonnen? Einen Hinweis vielleicht, den du zunächst übersehen hast, weil er dir nicht wichtig erschien?«
Wie erwartet, verneinte der Kobaltblaue. Aber da waren ein paar Impulse, die derart unbestimmt waren, daß Frederic Huxley nicht so recht wußte, worauf sein nogksches Gegenüber abzielte. Doch dann, aus heiterem Himmel, konfrontierte ihn Tantal mit einem Geheimnis nogkscher Verständigung, wie sie Huxley so noch zu keiner Zeit erlebt hatte und von der ihm auch Charaua nichts berichtet hatte. Um ihn herum verschwand der Aufenthaltsraum wie bei einer Überblendung und er »sah« mit Tantals Augen, was dieser gesehen hatte, als er mit den anderen im Innern des Simulationszentrums auf Krayen II aus dem virtuellen Szenario erwacht war: den uralten kobaltblauen NogkWächter der Anlage.* Und er * Siehe DrakhonZyklus, Band 20: »Im Zentrum der Macht« 248 hörte, wie dieser eindringlich und beschwörend sagte: >Nokil. Vergeoßt es nie. Nokil<. »Du meine Güte!« stieß Huxley hervor und blinzelte heftig, als er wieder er selbst war. »Das war eine ganz neue Erfahrung. Ich wußte gar nicht, daß ihr Nogk zu einer solchen Manipulation des i», menschlichen Geistes fähig seit.« »Das war keine Manipulation deines Geistes«, wehrte sich Tantal gegen den versteckten Vorwurf des Kommandanten. »Ich habe dir lediglich meine Sicht der Dinge gezeigt. Ich habe dir diesen Einblick gewährt, weil er mir weniger zeitaufwendig erschien als jede noch so langatmige Erklärung.« Colonel Huxley beugte sich etwas vor, seine eisgrauen Augen verengten sich. »Mache das nie wieder«, sagte er. »Es sei denn, ich bitte dich darum.« Der Blick der großen Facettenaugen des Kobaltblauen wirkte abweisend und kalt, aber niemand wußte besser als Huxley, daß es unmöglich war, daraus etwas ableiten zu wollen. Die relativ nervös wirkenden Fühlerbewegungen des blauen Nogk verdeutlichten ihm, daß Tantal betroffen schien. Jetzt sagte er: »Ich verstehe. Der Vorgang, der für uns etwas vollkommen Natürliches ist, löste unangenehme Empfindungen in dir aus.« Eine Pause folgte. Schließlich fuhr der Kobaltblaue fort: »Ich versichere dir, es wird nicht mehr ohne dein Einverständnis geschehen.« Huxley nickte langsam, eine Geste, die der Kobaltblaue inzwischen längst zu interpretieren wußte. »Ich denke, damit kann ich leben.« Er schwieg einen Moment, dann wechselte er das Thema. »Was mich schon die ganze Zeit beschäftigt, Tantal«, sagte er sachlichen Tones, »haben die Nogk eigentlich jemals die beiden Sterneninseln der Kleinen und Großen Magellanschen Wolken erforscht?« Das hätten sie nicht, signalisierte ihm der Kobaltblaue, obwohl sie in ihren Sternenkarten verzeichnet waren. »Bist du sicher?« erstaunte sich Huxley. Das sei er, bestätigte der NogkMutant. »Du irrst dich auch bestimmt nicht in diesem Punkt?« Wieder sandte Tantal verneinende Impulse an den grauhaarigen, 249 hochgewachsenen Terraner, der fast seine Größe hatte. »Ich kann das nicht glauben«, zweifelte Huxley. »Und wenn du in die Vergangenheit deines Volkes zurückblickst?« »Auch dann nicht, Kommandant Huxley. In den zweitausend Jahren dokumentierter Geschichte fand ich nicht den kleinsten Hinweis auf Expeditionen nach Nokil«, sagte Tantal und verwendete wie selbstverständlich den alten NogkBegriff für die Sterneninsel. »Und was ist mit der Zeit davor?« Huxley stellte diese Frage aus gutem Grund. Er konnte nicht nachvollziehen, daß ein Volk, dessen Einzelwesen eine Lebenserwartung von rund vierhundert Erdenjahren hatten, keine länger in die Vergangenheit reichende Geschichte haben sollte. Schon deshalb nicht, weil die NogkZivilisation zu Beginn ihrer dokumentierten Geschichte bereits eine Hochkultur mit entsprechend fortgeschrittener Technologie gewesen war. Es war nicht vorstellbar, daß so etwas aus dem Nichts heraus entstehen konnte, ohne daß dem einejahrtausendelange Entwicklung vorausging. »Sei versichert, Kommandant Huxley, daß ich immer wieder versucht habe, über die zeitliche Begrenzung meiner Kollektiverinnerungen zu blicken. Es ist mir noch nicht gelungen. Ich besitze keine gesicherte Erinnerung über die CharrÄra hinaus. Bis auf einige wenige Hinweise vielleicht, von denen ich meine, sie müßten eigentlich in der VorCharrÄra angesiedelt sein. Doch möglicherweise irre ich mich
einfach oder bin fehlerhaften Interpretationen aufgesessen. Aber vielleicht werden wir in der Großen Magellanschen Wolke ein paar Antworten auf dieses Rätsel finden.« Huxley runzelte die Stirn. »Eher nicht«, bekannte er. »Und was bringt dich zu dieser Einschätzung?« Tantal zeigte sich verwundert. »Nokil ist groß. Die Wolke hat eine lineare Ausdehnung von 15 Kiloparsec... wohin sollen wir uns wenden, wo beginnen mit der Suche, ohne konkreten Hinweis? Es gleicht der Suche nach der berüchtigten Stecknadel im Heuhaufen.« Eine Folge verwirrter Impulse erreichte Huxley. 250 »Stecknadel? Heuhaufen? Du sprichst in Rätseln, Kommandant Huxley.« »Es ist nur eine menschliche Metapher, Tantal«, entgegnete Huxley. »Damit umschreibt man eine nahezu aussichtslose Suche nach etwas.« »Ich verstehe.« Er schwieg einen Augenblick, dann ließ er verlauten: »Es gibt vielleicht doch einen Anhaltspunkt. In der alten Sprache, die zu sprechen eigentlich verboten ist, steht Nokil als Synonym für die Große Magellansche Wolke, gleichzeitig aber auch für Aelle Wolke<.« »Helle Wolke?« echote der Terraner. Eine Ahnung begann in ihm aufzusteigen. »Was ist das hellste Objekt in der Zwerggalaxis, Ratsherr Huxley?« »Aber ja«, rief Huxley halblaut und schlug die linke Faust in die rechte Hand. »Der Tarantelnebel!« 17. »Hier, bewahre ihn gut auf!« Maluk reichte Ren Dhark den Speicherkristall. »Ich danke dir für deine großzügige Hilfe«, sagte Dhark. »Ohne deine Fähigkeiten wäre ich niemals so weit gekommen.« »Viele ehedem geheime Daten sind nicht mehr so stark gesichert, wie es früher der Fall war. Der Grund dafür liegt klar auf der Hand. Wir Worgun wären den Zyzzktim Falle eines offenen Aufstandes dermaßen unterlegen, daß es überhaupt keine Rolle spielen würde, wie gut wir informiert wären.« »Nach dem, was ich bisher über Epoy und die letzten Worgun erfahren habe, hast du wohl recht.« »Vielleicht wird sich das Blatt ja eines Tages zu unseren Gunsten wenden«, sagte Maluk. »Mit eurer Hilfe...« Das akustische Signal seines Viphos bewahrte Ren Dhark davor, in diesem Augenblick klar Stellung beziehen zu müssen. Gisol meldete sich. Der Bildschirm des Vipho zeigte sein JimSmithGesicht. »Was gibt es? Alles glatt gelaufen?« fragte Dhark. »Ren! Ich befinde mich im Keller der Wohnpyramide und sitze im Flash. Komm so schnell wie möglich her.« »Was ist passiert?« »Das werde ich dir später erklären. Nur so viel: Wir können davon ausgehen, daß zur Zeit sämtliche Sicherheitskräfte im gesamten ForuSystem hinter mir her sind.« »Ich bin gleich da!« Maluk hatte die Unterhaltung mit angehört. »Wie es scheint, wird dein Aufenthalt hier auf Epoy abrupt unterbrochen.« »Ich möchte mich nochmals sehr für deine Unterstützung bedanken.« Dhark hob den Speicherkristall empor. Das bläuliche 252 Licht der Sonne Epoys fiel durch eines der Fenster und ließ ihn funkeln. »Diese Daten werden uns vielleicht noch sehr wichtige » Erkenntnisse liefern.« IH' »Ich habe dich gerne unterstützt. Die bedrängte Lage, in der sich unser Volk befindet, ist dir hoffentlich während deines Aufenthal\^ tes auf Epoy klar geworden.« 1| »Das ist sie.« ^ »Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.« »Ich weiß. Aber noch steht es nicht in unserer Macht, daran etwas zu ändern.« »Wir müssen uns beeilen. Ich nehme an, daß hier sehr schnell Sicherheitskräfte der Sabocaer auftauchen werden, um alles auf den Kopf zu stellen. Es gibt schließlich mehr als nur eine Spur, die zu dieser Wohnpyramide führt.« »Wir?« echote Dhark. »Ich werde dich in den Keller begleiten.« Dhark blickte durch ein ovales Fenster ins Freie. Dunkle Punkte tauchten am Horizont auf und wurden rasch größer. Maluk
hatte sie auch bemerkt. »Kampfgleiter der Zyzzkt-!« stellte der Worgun fest. »Ich hoffe, ihr bekommt hier keine Schwierigkeiten!« »Wir werden es überleben, Ren Dhark. Wie so vieles andere auch.« Maluk begleitete Ren Dhark in den Keller. Teile der Wohnpyramide waren zur Zeit unbewohnt, und so trafen sie nur wenige Worgun auf den Korridoren. Über einen Antigravschacht schwebten sie hinab in den Keller. So schnell wie möglich eilten sie dann zum Standort des Flash. Gisol deaktivierte kurzzeitig das Intervallum, so daß der Com mander einsteigen konnte. »Ich wünsche euch alles Gute!« sagte Ren Dhark zum Abschied. »Wir werden uns wiedersehen«, versprach Maluk. Ren Dhark bestieg den Flash. Gisol verlor keine Zeit, sondern startete sofort. Er aktivierte das Intervall. 253 Der Flash senkte sich in den Boden hinein, schien darin zu verschwinden. Gisol startete. »Jetzt geht es erst einmal abwärts«, kündigte er an. »Wir fliegen mitten durch den Planeten. So können wir unsere Spuren am besten verwischen.« »Du machst den Eindruck, als wäre der Teufel hinter dir her!« meinte Dhark. »Wenn wir in diesem Bild terranischer Mythologie bleiben wollen: Genau das ist der Fall. Ich bin enttarnt worden.« »Und nun sucht jeder Zyzzkt- im ForuSystem nach Gisol dem Schlächter«, schloß Ren Dhark. Es war also genau das passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Er verkniff sich eine entsprechende Bemerkung an Gisols Adresse. »Keine Sorge, wir kommen da schon heraus«, erklärte der Worgun zweckoptimistisch. »Die Tarnvorrichtung meines Spezialflash hat bislang großartig funktioniert. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß das bei unserer Rücckehr zur EPOY anders sein könnte.« Ren Dhark wurde förmlich in seinen Sitz hineingepreßt. Über seinem Kopf befand sich der Bildschirm, auf dem er normalerweise sehen konnte, was außen vor sich ging. Aber jetzt durchdrang Gisols Flash das Sedimentgestein der Oberfläche von Epoy. Je weiter das Beiboot ins Planeteninnere vordrang, desto schwieriger würde es den Sicherheitskräften der Zyzzkt- fallen, ihre Spur aufzunehmen. Selbst die kleinste Energiesignatur würde sich bald verlieren, wenn der Flash in das Magma eindrang, um schließlich sogar den überwiegend aus glühendem Eisen bestehenden Planetenkem zu durchstoßen. »Was ist bei deinem Rendezvous mit diesem Bezirksoffizier vorgefallen?« hakte Ren Dhark noch einmal nach. »Ich hoffe nicht, daß die Scheinidentität, die Maluk dir geschaffen hat, für deine Enttarnung verantwortlich ist.« »Nein, ich konnte alle Sicherheitskontrollen überwinden und bin bis zum Bezirksoffizier vorgelassen worden. Dort habe ich etwas sehr Wichtiges erfahren. Es gibt offenbar unter den Zyzzkt- eine Bewegung, die eine völlige Ausrottung der Worgun anstrebt, sobald sie an die Macht gelangt.« 254 Aber dieser Offizier hat doch sehr beherzt zu Gunsten deines 'olkes eingegriffen!« erwiderte Dhark. »Richtig. Doch er tat es auf Befehl seiner Vorgesetzten. Innerlich hat er keinerlei Sympathie für diese Entscheidung. Die Worgun stehen vor einem Abgrund, Ren.« Inzwischen beschleunigte der Flash weiter, durchdrang den planetaren Kern und tauchte wenig später auf der gegenüberliegenden Seite Epoys durch die vergleichsweise dünne Kruste der Planetenoberfläche. Die durch den eingeschalteten Brennkreis hervorgerufene Lichterscheinung war jedoch das einzige, was ein Beobachter davon hätte sehen können. Allerdings hatte Gisol das Gebiet, in dem er den Flash hatte auftauchen lassen, mit Bedacht ausgewählt. Es handelte sich um einen dichtbewachsenen Park zwischen zwei Pyramidenbauten. Für die planetaren Ortungssysteme der Zyzzkt- war Gisols Flash nach wie vor unsichtbar. y Das Beiboot verließ die Atmosphäre und befand sich wenig später im freien Raum. Fünfzig Lichtjahre lagen jetzt zwischen dem Flash und der EPOY, die im Schutz ihres Tarnfeldes auf die Rücckehr von Gisol und Ren Dhark wartete.
Am unteren linken Rand der Bilderfassung leuchtete Foru, , Epoys blaue Sonne. i »Ich nehme an, Maluk hat dir bei deinen NetzRecherchen helfen können«, sagte Gisol. Ren Dhark konnte das nur bestätigen. ; »Er ist ein wahres Genie! Wir sind an die Koordinaten zahlreicher Sauerstoffwelten gelangt, zu denen den Zyzzkt- der Zugang offenbar verboten ist.« »Vielleicht existieren auf ihnen Organismen, die für die Massenvermehrer genauso tödlich sind wie diese Pilzsporen...« »Nein, das glaube ich nicht. Nach dem vorhandenen Datenmaterial wären all diese Welten für Zyzzkt- ohne weiteres zu besiedeln. Mit einer Ausnahme!« »Ah, ich ahne bereits...« meinte Gisol. »P104G«, bestätigte der Terraner. »Allerdings ist diese Welt out einem völlig anderen Code versehen als alle anderen Sauerstoffplaneten, auf die wir gestoßen sind.« »Hast du irgendeine Vermutung, was das zu bedeuten haben könnte, Ren?« »Nein, darauf kann ich mir noch keinen Reim machen. An Bord der EPOY werden wir Gelegenheit haben, das Datenmaterial einer eingehenden Analyse zu unterziehen.« »Ich würde vorschlagen, diese Welten der Reihe nach anzufliegen. Zumindest die wichtigsten von ihnen.« »Nichts dagegen. Wir werden das mit den anderen besprechen, sobald wir wieder an Bord der EPOY sind«, sagte Ren Dhark. Der Commander der Planeten war überzeugt davon, daß auf diese Weise ein vollständigeres Bild der Verhältnisse in Om entstehen würde. Diese Sauerstoffwelten hatten zweifellos eine besondere Bedeutung. Anders war nicht erklärlich, weshalb man sie gewissermaßen zu Tabuzonen erklärt hatte. Gisol geht es vermutlich in erster Linie darum, wirksame Waffen gegen die Zyzzkt- zu finden, schoß es Ren Dhark durch den Kopf. Er mußte an den Vorfall auf der Sporenwelt zurückdenken, als Gisol allen Ernstes vorgeschlagen hatte, die für die Zyzzkt- tödlichen Pilzsporen als eine Art biologische Waffe gegen die verhaßten Feinde einzusetzen. Dieses eine Mal noch hat er nachgegeben. Die Frage ist nur, wie er sich in vergleichbaren Situationen in der Zukunft verhalten wird. Dhark war sich da keineswegs sicher. Die Verhältnisse, unter denen die letzten Worgun auf Epoy ihr Dasein fristeten, waren noch weitaus bedrückender, als selbst Gisol angenommen hatte. Es drängte ihn daher noch mehr als zuvor dazu, endlich zu handeln. Gefühlsmäßig vermochte Ren Dhark das sehr gut nachzuvollziehen. Andererseits war das Wissen über Om noch immer unvollständig. Es war unmöglich, sich ein einigermaßen stimmiges Gesamtbild zu machen. Noch fehlten zu viele Teile in diesem komplexen Mosaik. »Ich orte eine Gruppe von fünf Ring-Raumern, die sich auf Abfangkurs befinden«, stellte Gisol plötzlich fest. Noch flog der Spezialflash mit SLEAntrieb. Das Intervallfeld war nach wie vor eingeschaltet und umgab das Beiboot wie ein Schutzschirm. »Abfangkurs?« echote Dhark. »Ja, klingt absurd...« 256 »Kann es sein, daß sie unsere Tarnvorrichtung irgendwie geknackt haben?« »Halte ich eigentlich für unmöglich, Ren. Andererseits...« »Was?« »Ich orte weitere Raumschiffsbewegungen in einem Umkreis von ein bis zwei Lichtjahren um das Foru-System. Da ist einiges in Aufruhr!« »Besteht die Möglichkeit, daß sie unsere Spur aufgenommen haben?« Gisol schwieg zunächst. Was ist bei seiner Zusammenkunft mit dem Bezirksoffizier wirklich geschehen? überlegte Ren Dhark. Bislang hat Gisol es vermieden, darüber irgendwelche Einzelheiten preiszugeben. Ob das einen besonderen Grund hat? »Ich mußte den Flash per Fernsteuerung rufen, um aus dem Bezirksgebäude zu entkommen«, erklärte der Worgun schließlich. »Wegen des eingeschalteten
Brennkreises sind dabei natürlich die Zyzzkt- auf mich aufmerksam geworden. Aber ich wüßte nicht, wie sie die Tarnung hätten knacken oder sich irgendwie an unsere Fersen hätten heften sollen.« »Wenn wir jetzt einfach mit Sternensog im Überlichtflug zurücckehren, bringen wir die EPOY vielleicht in Gefahr«, erklärte Ren Dhark. »Zumindest so lange wir nicht wissen, ob sie vielleicht tatsächlich unsere Tarnung geknackt haben.« Gisol war derselben Ansicht. Daher hatte er bislang auch damit gezögert, den Sternensog-Antrieb zu aktivieren. Schließlich wollte er die Zyzzkt- nicht auf direktem Weg zur EPOY führen und diese in Gefahr bringen. »Du hast recht, Ren.« »Was schlägst du vor?« »Ich gehe auf Ausweichkurs. Mal sehen, ob die Zyzzkt--Raumer dieses Manöver mitmachen.« Gisol aktivierte kurz den Sternensog und sorgte dafür, daß der Spezialflash wenig später eine Position erreichte, die in senkrechter Linie zur Umlaufbahn von Epoy etwa ein halbes Lichtjahr von der gegenwärtigen Position des Planeten entfernt war. Die Reaktion der Zyzzkt--Ringraumer war nicht eindeutig. 257 Weitere Einheiten stießen zu dem Verband, der jetzt eine Art regelmäßiger Formation annahm. Die Abstände zwischen den einzelnen Ring-Raumern wurden aneinander angeglichen. Der gesamte Verband schien synchron gesteuert zu werden. Immer wieder materialisierten weitere Ringraumer, die offenbar von weiter entfernt liegenden SySternen herbeordert worden waren, um die hiesigen Kräfte zu unterstützen. Die Suchaktion nach Gisol schien absolute Priorität zu genießen. Das war unter anderem auch daran zu erkennen, daß die an der Suche beteiligten Einheiten sich während ihrer Synchronmanöver im energieintensiven Stemsogmodus befanden, anstatt durch Transition die Position zu verändern. Für die Ausschaltung Gisols schien es den Verantwortlichen gerechtfertigt zu sein, kostbare und knappe Energievorräte zu opfern. Selbst unter der Voraussetzung, daß sie in absehbarer Zeit kaum vollständig ersetzt werden konnten. »Ein zweiter Verband nähert sich uns«, meldete Gisol wenig später. »Wie viele Einheiten?« fragte Dhark. »Insgesamt fünf Ringraunier. Sie fliegen in einer Art Suchformation, in der der Abstand zwischen den einzelnen Räumern immer größer wird.« »Daß das eine Suchformation ist, ist reine Interpretation«, gab Dhark zu bedenken. »Liegt es nicht nahe?« erwiderte Gisol. »Offenbar werden im weiteren Umkreis weitere Einheiten alarmiert und herbeordert. Die Ortungsanzeigen lassen sich jedenfalls dahingehend auslegen.« K »Und sie alle sind auf der Suche nach dem Worgun, der Gisol, " der Schlächter genannt wird«, stellte Dhark fest. »Die Zyzzkt- müssen eine gewaltige Angst vor dir haben, wenn sie buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dich zu fangen.« »Sie haben Grund dazu, mich zu fürchten«, sagte Gisol düster. »Sie haben wirklich allen Grund dazu, denn die Tage ihrer grausamen Herrschaft sind gezählt...« Er brach plötzlich ab. Irgend etwas schien ihn zu beunruhigen. »Was ist los?« fragte Dhark, der sofort merkte, daß etwas nicht in Ordnung war. Weitere Einheiten stießen zu dem Verband, der jetzt eine Art regelmäßiger Formation annahm. Die Abstände zwischen den einzelnen Ring-Raumern wurden aneinander angeglichen. Der gesamte Verband schien synchron gesteuert zu werden. Immer wieder materialisierten weitere Ringraumer, die offenbar von weiter entfernt liegenden SySternen herbeordert worden waren, um die hiesigen Kräfte zu unterstützen. Die Suchaktion nach Gisol schien absolute Priorität zu genießen. Das war unter anderem auch daran zu erkennen, daß die an der Suche beteiligten Einheiten sich während ihrer Synchronmanöver im energieintensiven Stemsogmodus befanden, anstatt durch Transition die Position zu verändern. Für die Ausschaltung Gisols schien es den Verantwortlichen gerechtfertigt zu sein, kostbare und knappe Energievorräte zu opfern. Selbst unter der Voraussetzung, daß sie in absehbarer Zeit kaum vollständig ersetzt werden konnten. »Ein zweiter Verband nähert sich uns«, meldete Gisol wenig später.
»Wie viele Einheiten?« fragte Dhark. »Insgesamt fünf Ringraunier. Sie fliegen in einer Art Suchformation, in der der Abstand zwischen den einzelnen Räumern immer größer wird.« »Daß das eine Suchformation ist, ist reine Interpretation«, gab Dhark zu bedenken. »Liegt es nicht nahe?« erwiderte Gisol. »Offenbar werden im weiteren Umkreis weitere Einheiten alarmiert und herbeordert. Die Ortungsanzeigen lassen sich jedenfalls dahingehend auslegen.« »Und sie alle sind auf der Suche nach dem Worgun, der Gisol, " der Schlächter genannt wird«, stellte Dhark fest. »Die Zyzzktmüssen eine gewaltige Angst vor dir haben, wenn sie buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dich zu fangen.« »Sie haben Grund dazu, mich zu fürchten«, sagte Gisol düster. »Sie haben wirklich allen Grund dazu, denn die Tage ihrer grausamen Herrschaft sind gezählt...« Er brach plötzlich ab. Irgend etwas schien ihn zu beunruhigen. »Was ist los?« fragte Dhark, der sofort merkte, daß etwas nicht in Ordnung war. Ohne zunächst zu antworten, aktivierte Gisol den Sternensog und legte eine Art Blitzstart hin. Der Worgun sorgte per Gedankensteuerung dafür, daß der Spezialflash auf maximale Beschleunigung ging. »Die Ringraumer wenden Mix4 an«, stellte er anschließend fest, während er den Flash wieder bremste und in einer Position unterhalb jener Ebene verharren ließ, die durch die Umlaufbahn von Epoy gebildet wurde. »Ihr Verhalten ist vollkommen logisch!« stellte der Worgun fest. »Sie können auf Grund meines Auftritts im Bezirksgebäude und der anschließenden Flucht davon ausgehen, daß wir mit eingeschaltetem Intervall zu flüchten versuchen. Das zweite Faktum, von dem sie ausgehen können ist, daß wir über eine ihnen bisher unbekannte Tarnung verfügen, die es ihnen schwermacht, uns zu orten.« »Jetzt hoffen sie auf Zufallstreffer durch Mix4, die unser Intervall abschwächen oder zerstören.« »Das könnten sie dann orten. Sie gehen ganz systematisch vor. Die Mix4Felder sind breit gestreut und von niedrigem energetischem Niveau.« »Das bedeutet, daß unsere Tarnung nach wie vor funktioniert.« »Sieht ganz so aus, Ren.« »Aber woher wissen sie, daß dieser Spezialflash nicht zu transi'tieren vermag?« < »Ich nehme nicht an, daß sie es wissen. Wahrscheinlich versuchen sie gleichzeitig die Umgebung des Foru-Systems nach Raumanomalien oder anderen Spuren einer Transition abzusuchen.« Wer immer auch für diese Taktik der Zyzzkt--Raumer verantwortlich zeichnete Ren Dhark mußte ihm unwillkürlich Respekt zollen. Die Insektoiden wandren eine sehr intelligente Methode an, einen unsichtbaren Gegner zu suchen. »Sie streuen die Mix4 Felder praktisch wahllos in den Raum hinein«, stellte Gisol fest. »Ein System ist dabei nicht erkennbar.« »Soll wohl auch nicht erkennbar sein«, schloß Ren Dhark. »Ich schlage vor, wir verschwinden jetzt von hier!« »Nichts dagegen.« Gisol sorgte wieder für maximale Sternensog-Beschleunigung. Der Spezialflash wurde von ihm allerdings nicht auf direktem Weg 258 259 in Richtung der gegenwärtigen Position der EPOY gelenkt. Der Worgun wollte sichergehen, daß sich wirklich niemand an seine Fersen zu heften vermochte. Er steuerte den Spezialflash daher zunächst direkt auf die blaue Sonne Foru zu, anschließend dicht an ihr vorbei. Das starke Magnetfeld der blauen Sonne würde eine Ortung selbst bei abgeschalteter Tarnung erschweren. Plötzlich durchlief eine Erschütterung den Spezialflash. »Was ist passiert?« »Ein Dreierverband von Zyzzkt--Ring-Raumern ist aus dem Hyperraum materialisiert, hat uns mit Mix4 beschossen und getroffen.« »Intervallfeld?« hakte Ren Dhark sofort nach. »Ist geschwächt und stabilisiert sich wieder. Wir sind nicht voll erwischt worden. Ich gehe jetzt auf Ausweichkurs.«
Gisol ging auf maximale Beschleunigung, während die Zyzzkt--Einheiten damit begannen, das Gebiet zu beschießen, in dem sich wenige Augenblicke zuvor noch der Speziaflash befunden hatte. Gisol ließ das Raumboot ein paar Haken fliegen. Dann steuerte er es auf direkten Kurs zu einer etwa zehn Lichtjahre entfernten Sonne, die keine eigenen Planeten hatte, sondern nur von einer Gaswolke umkreist wurde. Dort stoppte Gisol den Flash. Jetzt hieß es erst einmal abwarten, ob es den Zyzzkt-Einheiten gelang, den Kurs des Flash bis hierher zu verfolgen. In dem Fall war immerhin die EPOY nicht in Gefahr. »Jetzt können wir nur hoffen, daß die Zyzzkt- uns gegenüber wirklich so blind sind, wie wir bisher immer geglaubt haben«, meinte Gisol. Er deaktivierte das Intervallfeld, nicht aber die Tarnung. Im langsamen und energiesparenden SLEFlug bewegte sich der Flash auf die Gaswolke zu, die vielleicht so etwas wie einen mißglückten Versuch dieser namenlosen Sonne darstellte, ein Planetensystem zu bilden. Auf den Anzeigen des Ortungsabtaster konnten Gisol und Ren Dhark die Bewegungen der Raumschiffe im weiteren Umkreis verfolgen. »Ich sagte dir ja, daß relativ wenig Raumschiffe rund um das Fo 260 ruSy stem unterwegs sind«, meinte Gisol an den Commander der Planeten gewandt. Dhark grinste. »Jetzt sind dir selbst diese wenigen Ringraumer zuviel!« erwiderte er nicht ohne Ironie. »Es war ja eigentlich auch nicht vorgesehen, daß sie Jagd auf uns machen.« »Auch wieder wahr.« »Trotzdem nach allem, was wir über die Verhältnisse in Om bislang in Erfahrung bringen konnten, sieht es danach aus, daß der interstellare Verkehr gewissermaßen mit angezogener Handbremse betrieben wird.« »Angesichts des Tofiritmangels doch kein Wunder!« »Wenn das Problem derart drängend ist, dann frage ich mich, weshalb die Zyzzktdafür bislang noch keine Lösung gefunden haben.« »Hoffen wir, daß das noch lange so bleiben wird. Außerdem wissen wir nicht, wie weit sie in dieser Hinsicht schon sind...« Mehrere Stunden warteten Gisol und Ren Dhark ab. Aber es war ihnen niemand in das planetenlose System der namenlosen Sonne gefolgt. So steuerte Gisol den Spezialflash schließlich mit Sternensog-Antrieb zurück zup gegenwärtigen Standort des Mutterschiffs, der EPOY. Auch Ren Dhark empfand Erleichterung, als er den großen Ringraumer endlich sehen konnte. In Höhe von Deck vier befanden sich 14 Doppelhangars, in denen die 28 Beiboote der EPOY normalerweise untergebracht waren. Gisol nahm Kontakt mit dem Leitstand des Mutterschiffs auf. Wenig später erschien das wie immer etwas mürrisch wirkende Gesicht von Arc Doorn auf dem Bildschirm. Aber in der nächsten Sekunde hellten sich die Züge des rothaarigen Sibiriers sichtlich auf. »Wie ich sehe, habt ihr den Flug nach Epoy heil überstanden.« B^Mehr oder weniger«, erwiderte Dhark. pich hoffe, die Mühe hat sich gelohnt.« »Davon bin ich überzeugt. Wir sind in den Besitz wertvoller formationen gelangt, die wir jetzt gemeinsam auswerten müssen. 261 Alles weitere werden wir besprechen, sobald wir an Bord sind.« »Okay«, antwortete Doorn. »Wir kommen jetzt rein«, kündigte Gisol an. Der Spezialflash bremste ab, flog im langsamen SLEFlug auf die EPOY zu und behielt seine Flugbahn einfach bei. Das Beiboot drang mit eingeschaltetem Intervall durch die Außenhülle des Mutterschiffs und befand sich wenig später in seinem Hangar, wo es sanft und punktgenau landete. Nach der Rücckehr zur EPOY begaben sich Gisol und Ren Dhark sofort in den Leitstand des Ringraumers. Arc Doorn, Amy Stewart und Manlius warteten dort bereits auf sie.
»Ich bin froh, daß euch nichts passiert ist«, sage Amy Stewart an Ren Dhark gewandt. Die attraktive Cyborgfrau blickte ihm selbstbewußt entgegen. Ein freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen. In ihren Augen blitzte es, als sie fortfuhr: »Auf der anderen Seite wäre ich natürlich liebend gerne selbst mit nach Epoy geflogen.« »Für den Umstand, daß der Flash nur für zwei Personen Platz bietet, kann ich nichts«, erwiderte Dhark. »Ich weiß.« Sie seufzte. »Es muß ein erhebendes Gefühl sein, die Ursprungswelt jenes Volkes zu betreten, dem wir so viel verdanken...« Dhark schüttelte den Kopf. »Die Zustände dort sind schlimmer, als wir befürchtet haben. Die letzten zwei Milliarden Worgun auf Epoy sind möglicherweise sogar in Kürze von der endgültigen Vernichtung bedroht.« Manlius, der Verbindungsoffizier der Neurömer von Terra Nostra, hatte sich bislang im Hintergrund gehalten. »Letztlich werden die Zyzzkt- niemanden neben sich dulden«, erklärte er schließlich. »Sie kennen Kooperation allenfalls auf Zeit. Ansonsten muß jeder, der sich mit ihnen einläßt, mit völliger Vernichtung rechnen... selbst wenn er sich den Insektoiden unterwirft!« Gisol berichtete von seiner Vermutung, daß es innerhalb der 262 bislang so monolithisch wirkenden Zyzzkt--Hierarchie offenbar erhebliche Meinungsunterschiede über die Behandlung der Worgun gab. Ren Dhark übergab inzwischen Doorn den Speicherkristall mit dem Datenmaterial, das er aus dem Netz von Epoy gewonnen hatte. »Hier sind die Koordinaten einer ganzen Reihe von Sauerstoffwelten, die für die Zyzzkt- aus irgendeinem Grund tabu sind«, erklärte er. Gerade in diesem Augenblick betrat Manu Tschobe den Leitstand der EPOY. Der dunkelhäutige Arzt und Funkspezialist verfügte über die schwache Gabe der Hypnosuggestion. Auch deshalb vermied Tschobe für gewöhnlich direkten Blicckontakt. Amy Stewart mochte ihn aus diesem Grund nicht besonders. Meistens hielt Tschobe den Blick gesenkt. »Nur nicht stören lassen«, sagte er. Ren Dhark nickte ihm freundlich zu. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Es ist die Frage, was wir mit diesen Koordinaten anfangen.« Arc Doorn hatte inzwischen dafür gesorgt, daß die auf dem Kristall gespeicherten Daten dekodiert worden waren. Durch ein paar Eingaben in eine Konsole aktivierte der Sibirier eine Projektion, die die ungefähr Lage der bezeichneten Welten innerhalb der Galaxis Om dreidimensional veranschaulichte. Eine dieser Sauerstoffwelten war besonders gekennzeichnet. »Das ist die Sporenwelt F104G, auf der wir gewesen sind«, erklärte Dhark dazu. »Die Koordinaten sind auf andere Weise kodiert worden als die Daten aller anderen aufgelisteten Welten.« »Zumindest läßt sich aus der räumlichen Verteilung dieser Planeten innerhalb von Om auf den ersten Blick kein Rückschluß ziehen«, äußerte sich Manlius. »Oder ist der Bordrechner da vielleicht anderer Meinung?« Arc Doorn schüttelte energisch den Kopf. Seine Finger glitten Über die Tasten der Konsole. Eine Anzeige erschien. »Kein Muster erkennbar«, sagte Doorn. »Ich schlage vor, daß wir diese Welten einfach der Reihe nach ^fliegen«, erklärte Dhark. »Sie müssen irgend etwas gemeinsam 263 haben. Wenn wir wissen, was es ist, werden wir die Verhältnisse in Om vielleicht besser beurteilen können.« »...oder wir finden endlich wirksame Waffen, mit denen die Herrschaft der Zyzzktbeendet werden kann!« sagte Gisol. »Ich hoffe nur, daß das schnell genug geschieht, um das grausame Schicksal der letzten Worgun noch abwenden zu können.« Die anderen waren mit dem Vorschlag einverstanden. Es gab keinen Grund, der dagegen sprach, die markierten Sauerstoff weiten der Reihe nach zu erforschen. »Fragt sich nur, mit welchem dieser Planeten wir beginnen!« meinte Manu Tschobe. »Aus dem Datenmaterial ist kein Grund für irgendeine Präferenz erkennbar«, meinte Ren Dhark.
»Dann sollten wir einfach mit den Koordinaten beginnen, die uns derzeit von der Entfernung her am nächsten sind«, schlug Arc Doorn vor. Ren Dhark nickte. »Worauf warten wir dann noch?« 264 18. Seit vier Stunden Schiffszeit befand sich die CHARR nun schon innerhalb der Großen Magellanschen Wolke. Der Einflug hatte sich unspektakulär vollzogen. In zwei rasch hintereinander erfolgenden Transitionsetappen überwand der NogkRaumer eine Distanz von mehreren hundert Lichtjahren, rematerialisierte nach dem letzten Sprung im Normalkontinuum und sah sich von der stemflimmemden Kulisse der Zwerggalaxis umgeben. Eingehüllt in seine gestaffelten Tarn und Schutzfelder bewegte sich das golden schimmernde Ovoid seitdem mit knapper Unterlichtfahrt in Richtung Tarantelnebel. Im Maschinenraum arbeiteten die Konverter mit hundert Prozent Auslastung, bereit, binnen Sekundenbruchteilen die erforderlichen Energien für einen Notsprung zu liefern. Der Hauptleitstand war voll besetzt. Alle Plätze vor den Konsolen und Überwachungsgeräten waren doppelt belegt; niemanden hielt es in diesem Stadium der Expedition in den Kabinen oder Aufenthaltsräumen. Nicht jetzt. \>" Nicht, nachdem man endlich den äußeren Rand der Großen Magellanschen Wolke passiert hatte. Vor allem deshalb nicht, weil man nicht wußte, was die CHARR im Innern der Wolke vorfinden würde. Es konnte gut sein, daß man sich unversehens einem waffenstarrenden Gegner gegenübersah, der ohne Vorwarnung das Feuer eröffnete. Deshalb flog die CHARR unter voller Alarmbereitschaft. Deshalb waren die Strahl und Neutronenkanonen gefechtsbe^it. Die Taktikrechner in den jeweiligen Waffenstationen mit ihren hyperschnellen Ortungs und Zielerfassungstastem waren über den Zentralrechner direkt zur Feuerleitkonsole geschaltet, vor der 265 Lern Foraker ein wachsames Auge auf die Anzeigen hatte. Kein fremdes Raumschiff würde die CHARR überraschen, mochte der Angriff noch so schnell und unerwartet kommen. »Alle Systeme klar, Kommandant«, meldete Lee Prewitt im Sitz des Piloten; Lukas Henroy, der Kopilot, saß neben ihm, bereit, jederzeit einzugreifen, falls es sich als notwendig erweisen würde. »Sehr gut, I. O.« Zu Prewitts Linken saß Frederic Huxley vor seiner Kommandantenkonsole. Dahinter, am anderen Ende des bogenförmigen Leitstandes, ließ Ortungsoffizier Perry seine Systeme nicht aus den Augen, assistiert von John Butrovich. Huxley sah erneut auf die Schirme. Aber da er dort offensichtlich nicht fand, was er suchte, wandte er sich an seinen Dritten Offizier. »Mr. Perry, was sagt die Funkpeilung? Irgendwelche Signale aufzufangen, die uns sagen, daß wir nicht allein sind?« »Nichts, Sir«, antwortete der Funk und Ortungsoffizier von seinem Platz, »außer dem Hintergrundrauschen im 21ZentimeterBand und dem Rülpsen von Radiosternen. Wahrscheinlich noch zu früh. Wir sind nicht weit genug eingedrungen.« »Was ist mit Hyperfunkverkehr?« hakte Huxley etwas ungeduldiger nach, als er es eigentlich beabsichtigte. »Wird ebenfalls nicht empfangen«, bedauerte Iggy Lori vor seinem Pult, »wir können aber auch nicht senden.« »Hm«, brummte Huxley. »Können wir das ändern?« »Ich versuche es, Sir«, versprach Lori. »Versuchen Sie es schnell«, ordnete der Kommandant an. »Ohne ToFunk sind wir relativ hilflos.
»Ich tue mein Bestes, Sir.« »Tun Sie das«, nickte Huxley. Emeut blickte er mit gerunzelten Brauen auf die Schirme und ließ dabei bedächtig den heißen Kaffee im Thermobecher kreisen, den man ihm vor kurzem aus der Bordkantine gebracht hatte. Hin und wieder nahm er eineü Schluck. Halblaut gingen die Kommandos hin und her. Die tiefenräumliche Allsichtsphäre und alle Nebenschirme im Leitstand zeigten die Kulisse, vor der die nächsten Tage oder 266 vielleicht sogar Wochen ablaufen würden. Sie vergrößerten die Sterne, die schimmernden Nebel, so daß deren Leuchten intensiver schien, als es bei einer direkten optischen Wahrnehmung der Fall sein würde. i ^. Huxley drehte sich etwas in Richtung des Hauptschirmes und ^ vertiefte sich in die Betrachtung dessen, was der ihm zeigte. Vor der CHARR breitete sich der äußere Bereich der Großen Magellanschen Wolke aus, dicht mit schimmernden Sternenschwärmen übersät, deren Leuchten teilweise von interstellaren Nebeln etwas gedämpft wurde. In südlicher Richtung der Hauptebene türmte sich eine zerrissene Wand aus einer Dunkelwolke, die Tausende von Lichtjahren weit hinaus in den Raum reichte. In Flugrichtung lag der Tarantelnebel. Strahlend, geheimnisvoll, drohend. Eine dicht gepackte Region aus Millionen großer und kleiner Sonnen, zwischen einem viertel und einem halben Lichtjahr auseinanderliegend. ! Das Ziel der CHARR. »Sir!« machte Maxwell — ehemals Sergeant auf der FO I, seit 2056 aber aufgrund seiner herausragenden Leistungen der Zweite Offizier an Bord der CHARR Colonel Huxley auf etwas aufmerksam und deutete mit dem Kinn auf einen Nebenschirm. Eine Anzeige leuchtete auf, zuerst zögernd, pulsierend, dann mit gleichbleibender Intensität. Der grauhaarige, hagere Colonel las stimrunzelnd die Werte, die in den Schirm gespiegelt wurden. • »Was haben wir denn da?« Plötzlich breitete sich eine neue Stimmung im Leitstand aus: ^ Unbehagen. Furcht. Angst vor etwas Unbekanntem. P. Die interstellare Materie, die im scheinbar leeren Raum vorhanden war und die Schirme eines Raumschiffes üblicherweise nicht oder nur geringfügig belastete, schien hier viel stärker zu sein als die Norm. Wesentlich stärly sogar. Huxley überlegte nur einen Augenblick, dann stellte er eine Verbindung zu Professor Allister Bannard, dem Bordastronomen der CHARR, her. »Sie haben recht, Kommandant«, bekannte der Bordastronom später dem Colonel, nachdem er seine Instrumente konsul 267 tiert hatte. »Üblich ist eine Partikeldichte von einem Staubteilchen auf fünf Millionen Kubikmeter Rauminhalt. Meine Instrumente zeigen eine Dichte von 21 Partikeln pro fünf Millionen Kubik an. Das ist zwar noch immer kein sichtbares Phänomen, darf aber auch nicht vernachlässigt werden. Es kann durchaus sein, daß weiter drin in der Wolke die Dichte sogar noch zunimmt.« »Besteht Gefahr für die CHARR?« Bannard wehrte ab. »Nein, nein, Colonel. Es führt lediglich zu einer DauerGrundbelastung der Schutzschirme, die wir aber nur auf den Instrumenten registrieren können. Sichtbare Auswirkungen werden keine auftreten.« Er verstummte für einen Moment, und fuhr dann fort: »Allerdings erhöhen die vielen Emissionsnebel innerhalb der Großen Magellanschen Wolke auch die kosmische Strahlung. Die Kombination aus Strahlung und erhöhter Materiedichte wird unseren Hyperfunkverkehr stark beeinträchtigen. Sie müßten eigentlich...« »Haben wir schon registriert«, unterbrach ihn Huxley. »Daher weht also der Wind.« »Wenn Sie es so ausdrücken wollen, Colonel. Es ist aber sehr wahrscheinlich auch mit einer Beeinträchtigung des normalen Funkverkehrs zu rechnen. Jede Menge
Interferenzen durch die vielen Radiosterne im Nebel, Sie verstehen. Auch Hyperraum-Sprünge könnten zu einem Problem werden.« »Hm, was schlagen Sie vor, Professor? Haben Sie eine Lösung für das Phänomen?« »Ja. Die GMW verlassen... halt, halt, hören Sie mich doch erst zu Ende an, Colonel!« rief er halblaut, als Huxley ein unwilliges Schnauben ausstieß. »Natürlich weiß ich, daß das dem Sinn unserer Expedition widerspricht. War ja auch nur eine scherzhaft gemeinte Bemerkung. Was ich allerdings empfehle, ist, wenn schon Transitionen, dann ein Vortasten nur in kleinen Sprüngen.« Inzwischen hatten sie bereits ein gutes Dutzend dieser sogenannten »kleinen« Sprünge absolviert Jeweils über eine Distanz von 20 268 Lichtjahren in Richtung auf den Tarantelnebel. Zwischen den einzelnen Transitionen wurden Horchpausen eingelegt, in denen die Tasterphalanx der CHARR nach Signalen forschte. Bislang ohne Erfolg. Spannung knisterte im Schiff und entlud sich mitunter in mehr oder minder lautstark geäußerten Bemerkungen über die »Schleichfahrt«. Verständlich. Bei einem Durchmesser der Großen Magellanschen Wolke von rund 50 000 Lichtjahren konnte sich die Suche nach eventuellem Leben beziehungsweise einer raumfahrenden Spezies zu einem Geduldsspiel auswachsen. »Wiedereintritt in den Normalraum«, meldete Lee Prewitt. Es war die achtzehnte Transition. Wieder nur über zwanzig Lichtjahre. Jetzt raste der Fünfhundertmeterriese dem nächsten Transitionspunkt entgegen, den der Navigationsrechner dafür vorgesehen hatte. Eine weitere Transition. Dann die zwanzigste... Die einundzwanzigste. Immer tiefer hinein in den Kembereich der Großen Magellanschen Wolke führten die Sprünge. Transitionen nogkscher Raumschiffe verliefen nach einem anderen Schema als bei Schiffen der Erde. Terranische Raumer mußten bis knapp auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, damit sie den Normalraum verlassen und in den höherdimensionalen Hyperraum übertreten konnten. Nicht so die Nogkraumer. Gewaltige Energien, erzeugt von entsprechend leistungsstarken Konvertern, umhüllten die Ellipsenschiffe vor einer Transition mit einer Minussphäre, wodurch diese augenblicklich als Fremdkörper aus dem Normalraum ausgestoßen wurden, mit allem, was sich im Inneren dieser Kraftfelder aufhielt. Durch einen Wechsel der Polarität kehrten die Nogkschiffe auf die gleiche einfache Art in das Normalkontinuum zurück. Dieser Wechsel war sozusagen auch aus dem »Stand« heraus möglich. Bannard meldete sich aus dem Astrolab. .»Die Dichte der interstellaren Materie hat weiter zugenompen, SU"' •• m 269 Kommandant«, ließ er den Colonel wissen. »Es scheint hier ziemlich turbulent zuzugehen.« »Keine Sorge, Professor«, versicherte Frederic Huxley. »Die bekanntermaßen ausgefeilte Schutzschirm der Nogk wird auf keinen Fall versagen, nicht vor derartigen Kleinigkeiten. Selbst wenn die Materiedichte die Konsistenz eines halbstarren Mediums annehmen sollte.« »Natürlich ist mir das bekannt«, murmelte Allister Bannard. »Ich wollte es auch nur erwähnt haben.« Er beugte sich etwas vor, blickte prüfend. »Sie wirken ein wenig angespannt, Colonel«, stellte er fest. »Aber das wird bald vorbeigehen.«
Frederic Huxley grunzte zunächst etwas Unverständliches, dann wurde er deutlicher: »Ich weiß Ihre Sorge um mein Wohlergehen durchaus zu schätzen, Allister. Aber was sollte Ihre letzte Bemerkung?« »Die Strahlung in der Wolke«, versetzte der Wissenschaftler. »Was ist mit ihr?« »Seit wir hier sind, habe ich eine Reihe von Messungen durchführen lassen. Das Übliche eben.« »Und, Professor?« Huxley verspürte leichte Unruhe. »Haben Sie konkrete Befürchtungen?« »Sie ist für Nogk geradezu ideal und ihrem Metabolismus äußerst zuträglich. Sie hat allerdings auch Einfluß auf unser Wohlbefinden.« »In welcher Weise? Kommen Sie schon, Professor. Müssen wir uns vor ihr schützen?« »Nicht die Bohne«, versetzte Allister Bannard und schmunzelte. »Sie scheint im Gegenteil unser Immunsystem aufs Angenehmste anzuregen. Seien Sie versichert, daß Sie sich bald wesentlich besser fühlen.« Der Bordastronom widmete sich wieder seiner Arbeit und verschwand vom Sichtschirm. Der Ellipsenraumer drang weiter in Richtung jenes Raumbezirks vor, der auf den Karten als Tarantelnebel verzeichnet war. Die siebenundzwanzigste Transition... »Was sagen die Taster diesmal, Nummer Drei?« fragte Huxley fast beschwörend. 270 »Tut mir leid, Sir. Keinerlei Funkverkehr in der Wolke. Weder im hyperphysikalischen Bereich, noch auf den EM-Bändem. Ich habe ein Suchmuster in den Rechner gegeben, der ständig die ganze Bandbreite im EM-Bereich absucht. Nichts! Es gibt auch keine Energiesignaturen, die auf eine eventuell vorhandene Raumfahrt hindeuten.« Lee Prewitt räusperte sich ärgerlich und sagte nachdrücklich: »Verdammt!« »Wie meinen Sie das, Lee?« fragte Huxley, augenscheinlich nur mäßig interessiert. »Es geschieht nichts. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, daß es bis zum Sankt Nimmerleinstag so weitergehen wird.« »Bis dahin wohl kaum, aber ein bißchen mehr Geduld sollten Sie schon aufbringen, Mister Prewitt. Allein der Mannschaft wegen. Was macht das für einen Eindruck, wenn nicht einmal die Schiffsführung vom Gelingen einer Mission überzeugt ist?« »Sie haben natürlich recht, Skipper«, bekannte Lee Prewitt und grinste unsicher. »Ja, meistens habe ich das«, war Huxleys lakonische Antwort. Er nickte seiner Nummer Eins zu, der den Kopf schüttelte und sagte: »Ihren gesunden Optimismus in Ehren, Skipper, aber manchmal wird er mir unheimlich.« Jetzt war es Huxley, der grinste. »Mir auch, Lee. Glauben Sie mir, mir auch. Ich...« Er verstummte. Die Funkpeilung meldete sich mit ihrem charakteristischen Signal. »Hier rührt sich etwas. Endlich!« sagte Jeff Perry lautstark und Ware fast aus seinem Gliedersessel gesprungen. »Kapitän!« Iggy Lori wirkte überrascht. »Ein Funksignal im konventionellen Bandbereich.« »Visuell aufbereitet?« »Nur Audio, Sir«, bedauerte der Funker. »Lassen Sie hören, Maat Lori!« »Es wird Sie nicht freuen, Kommandant, der Funkspruch ist verschlüsselt. Wollen Sie reinhören?« Aus den Audiophasen drangen zuerst Statik und das schna^ |emde Prasseln eines Neutronenstems, den die CHARR im UnteF 271 lichtflug in einer Entfernung von zehn Lichtjahren an Backbord passiert hatte. Dann regelte die Automatik die Lautstärke und filterte alle nicht relevanten
Störgeräusche aus. Was blieb, war ein in kurzen und längeren Passagen zerhacktes Signal von gleichbleibender Tonhöhe. »Also doch!« ließ sich der Zweite Offizier vernehmen. Es klang erleichtert. »Leben in der Großen Magellanschen Wolke!« »Ein Flug der Überraschungen!« bestätigte Frederic Huxley. »Klingt für mich wie ein Hilferuf«, ließ sich Luke Henroy vernehmen; der Kopilot grinste unsicher. Huxley runzelte die Brauen. »Könnte sich auch um eine automatisch arbeitende Funkboje handeln.« Er überlegte einen Moment. »Nummer Eins! Lokalisieren Sie den Ausgangspunkt des Funksignals und bringen Sie uns hin.« Die CHARR überwand die Entfernung bis zum ungefähren Ausgangspunkt des Funksignals in einer Kurztransition. Als sie wieder im Normalraum erschien, hatten die Funksignale aufgehört und jetzt begann tatsächlich eine Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, wie Huxley im Geheimen befürchtet hatte. Da half es auch nicht viel, daß die Meegs von ihren Konsolen aus in die Ortungstechnik eingriffen, um eine raschere Lokalisierung herbeizuführen. Mehrere Stunden vergingen in mehr oder weniger eintöniger Routine, die Quelle der Signale ausfindig zu machen. Die Ortungstaster liefen auf Hochtouren. Das Areal, das erfaßt werden mußte, war gewaltig und unbekannt. Die ungewöhnlich hohe Strahlung in der Wolke im Verein mit der Massendichte wirkten sich teilweise wie Störfeuer auf die Instrumente aus. Huxley hatte sich die ganze Zeit kaum aus seinem Sessel gerührt und die Bemühungen seiner Mannschaft mit stoischer Miene und knappen Kommentaren begleitet. Rings um die CHARR funkelten die Sterne. Leuchtende Schleier aus Lichtpunkten, durchsetzt mit langgestreckten Filamenten aus dunklem, nur an den Rändern glühendem Wasserstoffgas. 272 Huxley beugte sich aus seinem Gliedersitz etwas vor, als wolle er die auf der Allsichtsphäre hereinströmenden Bilder besser in Augenschein nehmen. In Flugrichtung löste sich ein schon länger zu beobachtender offener Sternenhaufen in unzählige Einzelsonnen auf. An Steuerbord glühte das Innere eines Dunkelnebels wie der Eingang zur Hölle, eine typische Kinderstube für neu entstehende Sternsysteme. Eine Stimmung angespannter Erwartung herrschte an Bord. Das galt besonders für die Nogk, wobei es keinen Unterschied machte, ob es sich um Kobaltblaue oder um Vertreter der herkömmlichen Form dieser Spezies handelte. »Ganz schön was los dort draußen, Skipper«, riß Lee Prewitts Stimme Huxley aus seinen Gedanken heraus. »Richtig, I. 0.«, stimmte der Colonel zu. »Die Magellanschen Wolken sind relativ jung, gemessen am Alter des Universums, und überschaubarer. Hier liegen Geburt und Tod der Sterne eng beieinander. Ja?« »Kommandant! Die Taster haben ein Objekt aufgespürt«, ließ sich Alberto Kitta vernehmen. Der junge Ortungstechniker aus Perrys Team überwachte die Nahbereichstaster. »Es ist eine halbe astronomische Einheit von uns entfernt.« »Einzelheiten?« fragte Huxley. »Bis jetzt noch nicht«, erwiderte Kitta. »Der hohe Anteil interstellarer Materie im Innern der Wolke erschwert eine klarere Erkennung. Aber ich arbeite daran.« »Dann ist's ja gut«, meinte der Colonel, und nur Lee Prewitt war in der Lage, die winzige Spur Ironie aus der Stimmlage des Skippers herauszuhören. »Wann werden Sie damit fertig sein?« »Schon erledigt, Sir«, erklang die selbstsichere Stimme des jungen Mannes. »Was, beim Jupiter...« rief Prewitt, der als erster sah, was der Schirm preisgab. Huxley sah ihn überrascht an, dann bemerkte er, warum der Mann den Ruf ausgestoßen hatte, als er der Blickrichtung seines Ersten folgte. Im Zentrum der Allsichtsphäre schwebte der langgestreckte, 273 glänzende Rumpf eines Raumschiffes, dessen Hülle das Licht ferner Materienebel und Sonnen reflektierte. Und jetzt wußte der Colonel auch nicht mehr zu sagen als sein Erster Offizier: »Was, beim Jupiter...«
Der Ausruf hatte seine Berechtigung. Was sich da auf der Hauptsichtsphäre und den Nebenschirmen überall im Schiff abzeichnete, war laut den eingespiegelten Tasterdaten ein dreihundert Meter langes und maximal einhundertfünfzig Meter dickes, tonnenförmig geschnittenes Raumgefährt, das um einen zentralen Düsentunnel von zirka zehn Metern Durchmesser gebaut war. Das Schiff rotierte relativ rasch um die Längsachse, offenbar, um im Inneren Fliehkräfte zu erzeugen, die eine künstliche Gravitation imitieren sollten denn die charakteristischen Energiefelder eines Schwerkrafterzeugers waren nicht anzumessen. Bug und Heckbereich ließen sich nicht eindeutig bestimmen. Aber ein Ende, Huxley entschied sich, darin den Bug zu sehen, besaß eine Vorrichtung, die aussah wie der Öffnungsmechanismus eines riesig dimensionierten Schirmes. Ein filigranes Gestänge, das dazu diente, einige mehrere Quadratkilometer große Segel aus hauchdünner Folie zu spannen. Jetzt allerdings waren sie überwiegend zerstört, hingen in Fetzen herum. Langsam begann der Colonel zu ahnen, welche Tragödie sich dort draußen abgespielt hatte, und daß die Funksignale tatsächlich Notrufe sein mußten. »Phantastisch...!« murmelte Luke Henroy auf dem Platz des Kopiloten. »Sonnensegel! Sie betreiben die Raumfahrt mit Lichtdruck!« »Vermutlich nur für lange Reisen«, ließ sich Chief Erkinsson vernehmen, der inzwischen im Leitstand erschienen war und seinen Platz am Kontrollpult des Chefingenieurs eingenommen hatte. »Ziemlich ineffektiver Antrieb, vor allem nicht zu gebrauchen in Planetennähe.« »Besonders nicht in der GMW«, ließ Allister Bannard verlauten, der auf einem Nebenschirm mit dem Leitstand verbunden war. »Die interstellare Materie ist hier so dicht, daß ein Segeln mit Lichtdruck unmöglich ist. Deshalb sind die Segel auch zerstört. Unverständlich, daß die Besatzung es dennoch riskiert hat...« »Nein, das ist keines von unseren Schiffen«, beantwortete Tantal 274 Huxley s diesbezügliche Frage. »Die Konfiguration ist primitiv, der Antrieb ebenfalls. Die nogksche Geschichtsschreibung kennt auch keine Spezies, die derartige Raumfahrzeuge besitzt.« »Vermutlich befinden sie sich erst am Beginn einer interstellaren Raumfahrt«, meinte Lee Prewitt. »Sozusagen Dampfmaschinenzeitalter. .. was tun die hier draußen?« »Offenbar reagiert man auf unsere Funksprüche«, gab Iggy Lori in diesem Moment bekannt. »Die Signale haben wieder angefangen.« Mit einiger Mühe riß sich Frederic Huxley vom Anblick des Schiffes los. »Schalten Sie den Haupttranslator dazwischen«, ordnete er an. »Vielleicht ermöglicht er uns in Kürze eine vernünftige Verständigung.« »Aye, Sir.« »Ich empfange Lebenszeichen, Kommandant«, meldete der Dritte Offizier. »Wie viele?« »Augenblick, Kapitän...« Dann ein überraschter Ausruf: »Achthundert! Ziemlich große Besatzung für ein Raumschiff dieser Größe und Konfiguration, wenn Sie mich fragen.« »Nicht wenn es sich um ein Auswandererschiff handelt. Eine Sternenarche oder ein Generationenschiff. Der Antrieb läßt darauf schließen«, warf Huxley ein. »Ich bin mir fast sicher. Von wo könnte es gekommen sein? Und wo wollte es hin? Mister Maxwell, stellen Sie fest, welche Planetensysteme sich innerhalb der Reichweite eines derartigen Antriebs befinden. Vielleicht hilft uns das, Informationen über Start und Ziel der Arche zu bekommen.« »Aye, Sir.« Der Zweite Offizier der CHARR machte sich an die Luke heran, bereit I^Colonel Huxley!« Huxley wandte sich seinem Funk und Ortungsoffizier zu. . Wir empfangen eine Nachricht«, meldete JeffPerry. Antwort aus dem unbekannten Schiff?« »Ja, Sir. Man ruft uns.« »Wieder nur Audio?« 275 »Nein. Sichtspruch diesmal, der Fülle an Daten zufolge.«
»Stellen Sie eine Verbindung her.« »Kommt, Sir.« Eine Sekunde verstrich, bis sich das Bild auf dem Allsichtschirm klärte. Der Anblick war dazu angetan, eine leichte Unruhe im Leitstand entstehen zu lassen. Es war kein humanoides oder insektoides Wesen, das sie vom Schirm herab ansah, sondern es mußte aus der Klasse der Amphibien hervorgegangen sein. Der Schädel war breit an der Basis und verjüngte sich nach oben. Er saß ohne Ansatz auf einem tonnenförmigen Oberkörper, soweit dieser in der Bilderfassung zu sehen war. Die fliehende Schädeldecke war blauschwarz und gekörnt. Die riesigen Augen waren gelb und reptilienhaft und mit Lidern versehen, die sich zu senkrechten Spalten schlössen. Der mächtige, lippenlose Mund war breit und reichte von einem Ohr zum anderen. Die Haut war grün und gelb gepunktet und schien von einem Feuchtigkeitsfilm bedeckt zu sein. »Unglaublich«, murmelte Sybilla Bontempi. »Ein Amphibium, ein Riesenfrosch. Wenn das der selige Lamarck erleben dürfte! Ich frage...« Huxley räusperte sich verweisend, und die Fremdvölkerexpertin verstummte. Jetzt öffnete sich der mächtige Kiefer des Amphibiums, ließ eine scharfkantige Knochenreihe anstelle von Zähnen sehen, und eine knarrende Stimme erreichte die CHARR, dank des Schiffstranslators in Angloter. »Hier... aaahhrg... Führer XXooorgggh... aarghh... Kommandant Xorg vom Raumschiff NOHALIMIS. Freude... viel Freude... daß... gefolgt... Hilferuf. Ihre Identifikationsdaten haben wir... wir erhalten. Wir hoffen, daß Sie sich uns iü friedlicher Absicht annähern.« Anfänglich hatte das Translatorprogramm noch ein paar kleinere Schwierigkeiten, aber je länger dieser Xorg sprach, um so flüssiger wurde die Verständigung. Huxley hob die Hand in einer Geste der Begrüßung. »Hier spricht Kommandant Frederic Huxley von der CHARR 276 Unsere Instrumente zeigen, daß Ihr Schiff manövrierunfähig ist. Können wir helfen?« Der Bildausschnitt der von der NOHALIMIS gesendeten visuellen Projektion änderte sich. Ein Teil der Zentrale des Tunnelschiffes wurde sichtbar. Amphibische Pendants des Kommandanten, der sich selbst als Xorg bezeichnet hatte, besetzten die meisten Konsolen. »Wir stecken fest«, bekannte Xorg, und jetzt war zu sehen, daß sich zwei weiße Kehlsäcke links und rechts des nicht vorhandenen Halses aufblähten. »Unser Antrieb ist ausgefallen. Wir haben keine Möglichkeit, ihn zu reparieren.« Der nogksche Schiffstranslator hatte keine Mühe mehr mit der Sprache des amphibischen Wesens. Huxley erwiderte: »Meine Ingenieure und Techniker sind möglicherweise in der Lage, Ihnen zu helfen. Erlauben Sie uns, an Bord zu kommen, um uns mit Ihren Problemen vertraut zu machen?« Xorg wandte sich an seine Besatzung im Hintergrund des Bildes. Was sie untereinander an Kommunikation austauschten, wurde nicht zur CHARR übertragen. »Was brauchen die so lange, sich zu entscheiden?« meinte Huxleys Nummer Zwei. »Diese, diese...« Maxwell suchte nach einer genehmen Bezeichnung der amphibischen Wesen. In die Stille sagte eine helle Stimme: »Frogs. Es sind Frogs!« Huxleys Kopf ruckte hoch. »Wer war das?« »Ich, Sir.« AufPerrys Seite hob sich eine Hand. »Kitta, Ortung.« »Eine unqualifizierte Äußerung, Kitta«, rügte Perry seinen Mann. »Ich sollte Sie...« Huxley hob die Hand. »Nein, nein, Mister Perry, warten Sie.« Er wandte sich an den Ortungstechniker, dem es sichtlich unangenehm war, im Zentrum von Huxleys Interesse zu stehen. »Sagen Sie es mir, Mister Kitta, wenn ich falsch liege. Aber Sie sind nicht zufällig ein Fan der Uraltserie >Raumschiff Orion<, die zur Zeit im Schiff rauf und runtergespielt wird?« Alberto Kitta grinste verlegen. »Doch, Sir. Ich besitze sogar gedruckte Exemplare der von dem 277
berühmten Schriftsteller Jean Knievel in den Printmedien fortgeführten Serie.« »Ist nicht wahr«, staunte Huxley, sichtlich gerührt. »Dieses phänomenale Werk der Weltliteratur! Also, Mister Perry«, wandte er sich wieder an seinen Dritten Offizier, »lassen Sie den Mann in Ruhe. Seine Bezeichnung der Fremden ist gar nicht so verkehrt. Einigen wir uns darauf, sie fortan Frogs zu nennen.« »Aye, Kommandant.« Da meldete sich wieder Xorg zu Wort: »Wir sehen keinen Grund, warum wir Ihnen den Wunsch versagen sollten, an Bord zu kommen«, erklärte der Riesenfrosch, und seine Kehlsäcke blubberten sacht. Die Vorbereitungen für den Erstkontakt gingen routiniert über die Bühne. Prewitt brachte die CHARR innerhalb von Minuten bis auf eine Entfernung von 6000 Meter an die NOHALIMIS heran. Er steuerte das Schiff auf eine enge Kreisbahn, so daß es relativ zu dem um seine Längsachse rotierenden Frograumer still im Raum stand. Ein rasch durchgeführter Datenaustausch hatte inzwischen gezeigt, daß die Frogs Sauerstoff atmer waren, die ein triefend feuchtes Klima an Bord bevorzugten. Wenig geeignet für Nogk, weshalb der Colonel Tantals Wunsch, an Bord der CHARR bleiben zu dürfen, akzeptierte. Er wandte sich an Maxell. »Ich möchte, daß Sie mich begleiten, Nummer Zwo.« »Jawohl, Sir«, nickte dieser. »Mister Prewitt, Sie haben während meiner Abwesenheit das Kommando auf der CHARR. Ich erwarte keine Komplikationen. Captain Bontempi und Sergeant Cooper gehören ebenfalls zum Team.« Huxleys Blick richtete sich auf Erkinsson. »Sie natürlich ebenfalls, Chief. Es wäre außerdem gut, wenn uns zwei Ihrer Ingenieure begleiten könnten, die über Solarwind-Antriebe Bescheid wissen. Wir wissen nicht, welche technischen Standards in dieser Hinsicht auf dem Schiff der Fremden vorgefunden werden. Ver 278 geßt mir vor allem nicht die Translatoren. Ich habe keine Lust, jedes einzelne Wort übersetzen zu müssen.« Zehn Minuten später verließ ein Beiboot die CHARR und setzte zur NOHALIMIS über. Maxwell saß Seite an Seite mit dem Colonel an der vorderen Konsole und steuerte das Boot auf den Frograumer zu. Als er ihn erreicht hatte, flog er einmal um ihn herum und fand die von Kommandant Xorg beschriebene Hangarbucht mit weit offenen Toren. Magnetfelder griffen nach der Raumfähre und leiteten sie in den Hangar, wo ebenfalls magnetische Halterungen das Boot verankerten. Als sie den Hangarboden der Frograumers betraten, fühlte sich Huxley bemüßigt, letzte Verhaltensmaßregeln an sein Team weiterzugeben. »Und bitte, keine Handlungen, die zu Mißverständnissen Anlaß bieten könnten!« Ein dunstiges Zwielicht lag wie Nebel im Hangar und ließ Ecken und Kanten merkwürdig gebrochen erscheinen. Die wasserdampfgesättigte Luft legte sich zudem beklemmend auf die Brust. Feldwebel Cooper schnüffelte ein paarmal. »Die Luft riecht komisch«, sagte er. »Muffig. Abgestanden. Alt.« »Der Dunst von Frö...« .Erkinsson räusperte sich drohend. |^... von Frogs«, sagte einer der beiden Ingenieure. Captain Bontempi hatte längst ihr Prüfgerät in der Hand und kontrollierte die Anzeigen. »Sauerstoffanteil ist normal«, sagte sie dann halblaut. »Die Luft ist sauber, Mikroben sind nicht vorhanden, nur ein leicht erhöhter Anteil von Faulgasen. Scheint eine ausgedehnte Flora im Schiff vorhanden zusein. Aber kein Grund zur Beunruhigung. Was Sie riechen, ist der typische Parotoidgeruch, der auch den großen Amphibien Terras anhaftet.« »Ich fühle mich wie in einer Sauna«, klagte der zweite Ingenieur. »Das vergeht«, meinte der Chief ungerührt, »bis du deine zweite Frau hast.« »Beruhigt ja ungemein«, brummte der Mann.
Maxwell schnaubte. »Haltet Disziplin, Männer.« 279 »Ich schlage vor, wir lassen unseren Gastgeber nicht länger warten.« Colonel Huxleys Schritte klangen dumpf auf den metallenen Platten, während er zielstrebig auf den Frog zuging, der am Innenschott aufgetaucht war und ihnen entgegensah. Es schien nicht Xorg zu sein. Aber Frederic Huxley wollte sich da nicht festlegen. Die menschliche Wahrnehmung war noch nicht genügend auf die Unterscheidung der feinen Individualmerkmale in den Gesichtern der Frogs trainiert. Die Begrüßung gestaltete sich ein wenig zäh. Wie begegnet man einem aufrechtgehenden Frosch von etwa 1,60 Meter Größe, der noch dazu in eine Kleidung gehüllt war, die aus lauter gepolsterten Ringen zu bestehen schien, was ihn noch voluminöser machte? Anders herum: Wie war es wohl um die Befindlichkeit dieses Wesens bestellt, als es sich plötzlich einer Gruppe von merkwürdig hageren Riesen gegenübersah? Sie musterten sich zunächst schweigend: die Terraner und der Frog, der aus gelben Augen zu den Menschen hochsah, dann aber die Situation offenbar doch gelassener nahm. »Willkommen«, knarrte und knarzte seine Stimme aus den Translatoren der Terraner. »Mein Name ist Xruug. Ich bin autorisiert, Sie zum Kommandanten zu bringen.« 280 19. 'in Wächter bist du. '.in Wächter der Mysterious. [her auch ein menschliches Bewußtsein, das in einem metallischen Körper gefangen ist. Du bist die organische Komponente eines polymetallischen Roboters aus Tofirit und Tofiritle gierungen, dessen äußere Gestalt du nach Belieben verändern kannst. Einzige Einschränkung ist der dabei benötigte Energieaufwand. Auf deiner Heimatwelt Terra würde man dich als Monstrum ansehen. Simon war in seinen Gedanken und Erinnerungen versunken. Was war noch menschlich an ihm, so fragte er sich. Ein Wächter war dafür konstruiert, ein kontrollierendes Bewußtsein organischer Herkunft in sich aufzunehmen. Der Ursprungskörper starb dann normalerweise ab, konnte aber konserviert werden. Das in den robotischen Wächterkörper integrierte Bewußtsein war allerdings nicht unumschränkter Herrscher über den Roboter. Vielmehr unterlag dieses Bewußtsein der grundlegenden Hauptprogrammierung des Wächters. Manchmal empfand Simon die Bezeichnung »Wächter« für seine Person als regelrechten Hohn. Gefangener! Dieser Begriff kam seinen Empfindungen viel näher. Seine entfernt humanoide, rötlich schimmernde Gestalt wirkte schon eine ganze Weile nahezu regungslos. Simons Körper konnte im Notfall sämtliche Waffensysteme ausbilden, über die die Mysterious oder Worgun verfügt hatten. Selbst eine Transition aus dem Stand war für den Tofiritkörper möglich, sofern genügend Energie vorhanden war. Wahrscheinlich hatte es nie zuvor einen Menschen gegeben, 281 dessen Körper einen derart hohen Grad an Unverwundbarkeit aufwies. Eigentlich die Erfüllung eines alten Menschheitstraumes. Und doch sehnte sich Simon nach nichts so sehr, als in seinen vergleichsweise empfindlichen und anfälligen HomosapiensKörper zurückzukehren. Eine Funkbotschaft erreichte Simon. Wir müssen schleunigst hier "weg! Simon achtete zunächst nicht weiter darauf, hing immer noch seinen Gedanken und Erinnerungen nach. Erinnerungen, die ihn zurück in das Jahr 2053 führten, als er Noreen Welean auf den Planeten Hope begleitet hatte.
Damals war es geschehen... Beim Betreten einer MysteriousAnlage war sein Bewußtsein in den Tofiritkörper des Wächters übergegangen. Wir müssen hier schleunigst weg! funkte der spindelförmige Roboter zum zweitenmal. Simon hatte ihm den Namen Hugo gegeben. Immer mit der Ruhe, antwortete Simon. Gegenwärtig besteht keine Gefahr. Zusammen mit einem halben Dutzend spindelförmiger Roboter befand sich Simon im Leitstand der NOREEN WELEAN. Simons Ringraumer stand sicher im Hangar der PROJEKT LEBEN. Dieses Raumschiff hatte Simon von vogelartigen Schrotthändlem erworben, um sich besser vor den Zyzzkt- tarnen zu können. Die Energiesignatur der NOREEN WELEAN war den Insektoiden nämlich mittlerweile bekannt, und so war bei jedem Manöver damit zu rechnen, daß man auf sie aufmerksam wurde. Simon lehnte sich im Pilotensessel der NOREEN WELEAN zurück, von wo aus zur Zeit auch die PROJEKT LEBEN gesteuert wurde. Er versank wieder in seinen Gedanken. Du bist ein menschliches Bewußtsein in einem Robotkörper, dessen Erscheinungsform sich nach Belieben verändern läßt, überlegte er. Zwei Komponenten, die auf den ersten Blick eines der mächtigsten Wesen ergeben, das man sich nur vorstellen kann» aber letztlich nicht zusammenpassen. Simons Ziel war, wieder einen menschlichen Körper zu erhalten, und die INSTANZ hatte ihm genau das in Aussicht gestellt, wenn 282 » er seine Mission erfüllte. Einen menschlichen Körper, der jenem glich, den er verloren hatte. Restauriert aus einer Probe seiner Original-DNS. Aber bis es soweit war, lag wohl noch ein weiter Weg vor ihm. Ein Weg voller Gefahren. Simon richtete die Optik seines Robotkörpers auf die Bildkugel im Leitstand der NOREEN WELEAN. Die gewaltigste Raumflotte aller Zeiten befand sich am Rand der Galaxis Om, und Simons Begleitroboter waren unablässig damit beschäftigt, die eingehenden Daten zu sammeln. Nur stichprobenhaft konnten sie die einzelnen Raumschiffe anpeilen. Bis jetzt schienen sämtliche Einheiten mit Zyzzkt- bemannt zu sein. Die Raumschiffe flogen mit äußerst wenig Energie. Es machte beinahe den Anschein, als würden sie auf etwas warten. Nur auf was? überlegte Simon. Was wird hier gespielt? Handelt es sich um das Vorspiel eines gigantischen, vielleicht sogar intergalaktischen Krieges? Gegen diese Vermutung sprach, daß es sich bei der großen Mehrzahl der Raumschiffe keineswegs um Kampfeinheiten handelte. Bei dem Arkan-Raumschiff tut sich etwas, drang in diesem Moment Jokers Funkbotschaft in Simons Bewußtsein. Simon hatte den spindelförmigen Roboter auf diesen Namen getauft. Das gab ihm zumindest die Illusion, daß seine Gesprächspartner tatsächlich so etwas wie eine Persönlichkeit besaßen. Simon fühlte sich dann nicht so allein. Sein menschliches Bewußtsein brauchte das einfach. Was ist da los? fragte Simon über Funk. Das gewaltige ArkanSchiff erschien auf der Bildkugel. Es handelte sich um jenen Raumer, der von dem Zyzzkt-Schiff angeflogen worden war, das Simons Tofirit von Himmfahr hertransportiert hatte. Das Energieniveau des ArkanRaumers ist eindeutig gestiegen, meldete Joker. Geht er in den Vollbetriebsmodus, Joker? fragte Simon. Negativ, antwortete der Roboter. Es liegt lediglich ein erhöhtes .ßnergieniveau vor. 283 Der Energieverbrauch eines ArkanRaumers lag um den Faktor 1300 höher als der eines gewöhnlichen Ringraumers. Ein solches Raumschiff im Vollbetriebsmodus zu fliegen verbrauchte Unmengen an Tofirit. Und genau das war im Moment in ganz Om so knapp wie kaum etwas sonst. Energieniveau des ArkanSchiffes steigt weiter, meldete Joker. Nenn mich Simon, antwortete das menschliche Bewußtsein in dem rotschimmemden TofiritRoboter. Joker gehorchte. Simon?
So etwas nennt man wohl den Anschein von Persönlichkeit, dachte Simon. Aus Versehen funkte er diese Botschaft auch seinem Gegenüber zu. Es tut mir leid, wenn ich deine Erwartungen als Gesprächspartner nicht zu erfüllen vermochte, erklärte Joker. Schon gut, versuchte Simon zu beschwichtigen. Das war eigentlich nicht für dich bestimmt. Außerdem ist der ArkanRaumer im Moment wichtiger... Simon fragte sich, ob sich die Roboter vielleicht inzwischen so weit auf ihn eingestellt hatten, daß sie sogar Mißverständnisse simulierten, nur um einen Kommunikationsanlaß zu finden. Schließlich bestand ein Großteil menschlicher Unterhaltung genau daraus. Warum sollte eine künstliche Intelligenz nicht in der Lage sein, derartige Muster zu erkennen und sogar zu kopieren? Wir sollten uns jetzt wirklich mit dem Arkan-Raumer befassen, meinte Simon. Das sehe ich auch so, entgegnete der Roboter. Ich bin allerdings der Ansicht, daß wir viel w wenig räumliche Distanz zu dieser gewaltigen Flotte haben und uns nach wie vor in extremer Gefahr befinden. Immer mit der Ruhe, Joker, erwiderte Simon. Das Risiko halte ich für vertretbar. Deine Angst scheint mir übertrieben zu sein. Joker reagierte etwas irritiert auf Simons letzte Funkbotschaft. Vielleicht darf ich dich daran erinnern, daß ich ein Roboter bin und Emotionen wie Angst nur als theoretisches Wissen kenne, das in meinen Datenspeichern enthalten ist. Du kannst meine Bemerkung auf einer metaphorischen Ebene verstehen, erklärte Simon und fuhr nach kurzer Pause fort: In der 284 Tat für einen Moment hatte ich beinahe das Gefühl, es mit einem ganz normalen Gesprächspartner zu tun zu haben. , Du wolltest sagen, einem menschlichen Gesprächspartner, (II schloß Joker. Ich darf bemerken, daß ich mich trotzdem in keiner Weise diskriminiert fühle. Das freut mich zu hören, antwortete Simon. Wenn er noch seinen menschlichen Körper besessen hätte, so wäre in seinem Gesicht in diesem Moment vielleicht ein Lächeln zu sehen gewesen. Zwar besaß Simon gewisse morphische Fähigkeiten, die es ihm erlaubten, die Gestalt seines Tofiritkörpers zu verändern, aber menschliche Gesichtszüge, die sich entsprechend der Stimmungslage änderten, konnten damit nicht nachgebildet werden. So perfekt der Robotkörper auch in anderer Hinsicht sein mochte Simon wurde zum wiederholten Mal schmerzlich bewußt, wie unzureichend sich diese Tofirithülle an sein menschliches Bewußtsein anzupassen vermochte. Aber das hatte ja möglicherweise sein Ende, wenn die INSTANZ ihr Versprechen hielt und er seinen menschlichen Körper zurückerhielt. , Simons ganze Hoffnung war darauf gestützt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Versprechen dieses körperlosen Gehirns des von den Worgun erbauten Ultraraumers ARKAN12 zu vertrauen. Aber bevor er die Erfüllung dieser Zusage von der INSTANZ einfordern konnte, mußte er seinen Auftrag zuerst erfüllen. Hier in Orn mehr als ein Universum vom gegenwärtigen Standort von Arkan12 entfernt. Hugo meldete sich in diesem Augenblick über Funk zu Wort. Das Energieniveau des Arkan-Raumers steigt weiter, übermittelte er. Gibt es eine Hypothese? fragte Simon. Ich nehme an, daß er eine Transition vorbereitet, gab der Roboter zur Antwort. Verschiedene weitere Parameter lassen sich ebenfalls dahingehend interpretieren. Ich möchte dazu insbesondere ... Simon unterbrach seinen Gesprächspartner. Dann hängen wir uns an ihn dran! bestimmte er. Ich möchte \sen, was die Besatzung des Arkan-Schiffes im Schilde fuhrt. 285 Hugo hatte keinerlei Einwände. Ich schlage vor, du übernimmst die Steuerung der NOREEN WELEAN wieder per direkter Gedankensteuerung, meinte der Roboter.
Genau das hatte ich vor, erwiderte der Wächter. Er wandte sich mit seinen Gedanken an den Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN, über den jetzt auch die Systeme der PROJEKT LEBEN gesteuert wurden. Das gewaltige ArkanSchiff erschien auf der Bildkugel. In einem Teilfenster der Bildkugel wurden Daten veranschaulicht, die die Ortungssysteme übermittelten. Nur Sekundenbruchteile nachdem der Wiederaustrittspunkt des ArkanRaumers angemessen war, transitierte auch die PROJEKT LEBEN mit der NOREEN WELEAN in ihrem Hangar. Die Automatik arbeitete perfekt. Etwa fünfhundert Lichtjahre entfernt tauchten beide Schiffe aus dem Hyperraum auf. Die Gefügeerschütterungen durch das Gigantschiff waren so gewaltig, daß der im Verhältnis dazu winzige Tranistionsimpuls der PROJEKT LEBEN völlig überlagert wurde. Die neue Position befand sich mitten im interstellaren Raum. Außer ein paar Trümmerfeldern von vagabundierenden Asteroiden gab es hier buchstäblich nichts. Hier kann nicht das Ziel dieser Reise sein, überlegte Simon. Er wartete ab. Es dauerte nicht lange, und die Ortung gab ihm recht. Das Arkan-Schiff versucht erneut zu transitieren! meldete die Gedankenstimme des Hyperkalkulators. Dann bleiben wir in seinem Windschatten! befahl Simon. Gleichgültig, wie oft dieses Schiff noch transitiert ich möchte wissen, wo das Ende dieser Reise ist! Joker meldete sich zu Wort. Ich nehme an, daß das Arkan-Schiff durch das Transitieren in kleineren Raumsprüngen Energie zu sparen versucht, funkte er an Simon. Das wäre zumindest eine logische Erklärung, meinst du nicht auch? Gut möglich, stimmte Simon zu. Die PROJEKT LEBEN folgte dem Arkan-Raumer erneut. Wieder 286 betrug die bei dem Raumsprung zurückgelegte Distanz etwa fünfhundert Lichtjahre. Der Zielpunkt lag in der Nähe eines planetenlosen roten Riesen, der sich inzwischen wohl dermaßen aufgebläht hatte, daß sein ehemaliges Planetensystem jetzt Teil der Sonnenmasse geworden »war. Nach kurzer Zeit folgten eine dritte und vierte Transition. Die Prozedur war immer dieselbe. Das Arkan-Schiff arbeitete sich in Sprüngen von fünfhundert Lichtjahren auf ein bisher unbekanntes Ziel zu. Es folgten schließlich noch zwei kleinere Transitionen über jeweils etwa zweihundert Lichtjahre. Das Arkan-Schiff und die PROJEKT LEBEN erreichten annähernd zeitgleich den Zielpunkt der letzten Transition, der sich in der Nähe einer Sonne befand, die nach den Angaben der Femortung etwa die dreifache Masse Sols aufwies. Der Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN meldete sich zu Wort. In den Datenspeichern der PROJEKT LEBEN wird diese Sonne mit dem Namen Zaratan bezeichnet. Es ist nicht klar, ob das ein altworgunischer Begriff für »Helles Licht« ist oder nur den Namen des worgunischen Entdeckers bezeichnet. j, Gibt es Planeten? erkundigte sich Simon sofort. l In den Datenspeichern ist davon nichts zu finden. Aber unsere Fernortung zeigt acht Trabanten, gab der Hyperkalkülator Auskunft. Daß es in den Datenspeichern der PROJEKT LEBEN keinerlei Angaben zu den Planeten dieser Sonne gab, erschien Simon eigenartig. Möglicherweise unterlagen die Daten über das System der Geheimhaltung und waren deshalb nicht verzeichnet. Welchen Grund konnte es schließlich geben, eine planetenlose Sonne anzufliegen? Was sagt die Ortung über die acht Planeten? wollte Simon vom Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN wissen. Irgendwelche Besonderheiten? Der Bordrechner faßte nüchtern die Daten zusammen, die die Ortungssysteme bislang gesammelt hatten: Nummer IV und V befinden sich in der sogenannten Lebenszone. Auf Planet V existieren allerdings auf Grund der stark schwefelhaltigen Atmosphäre
287 nur primitive Organismen. Planet IV hingegen ist erdähnlich. Die Gravitation beträgt 0,98 g, die Atmosphäre besteht zu 31 Prozent aus Sauerstoff. Es gibt einen größeren und kleineren Kontinent, die zusammen etwa 43 Prozent der Oberfläche ausmachen. Hier mußte das Ziel des Arkan-Raumers liegen! Eine Sauerstoffwelt, die auch für die Besiedlung durch Zyzzkt- auf den ersten Blick außerordentlich gut geeignet zu sein schien. Simon verfolgte gespannt die Anzeigen in der Bildkugel. Der erdähnliche Planet IV wurde in der Vergrößerung dargestellt. Das Arkan-Schiff schlich im Unterlichtflug auf den namenlosen Planeten zu. Der Abstand zur PROJEKT LEBEN betrug fast einen halben Lichttag. Näher hätte sich Simon nie an das riesige Schiff herangewagt. Aber wenn er mehr erfahren wollte, ging es nun nicht anders. Er mußte näher an den Ort des Geschehens heran. Ich schlage vor, die PROJEKT LEBEN in der Sonnenkorona zu parken, schlug der Hyperkalkulator vor. Von dort aus können wir die Geschehnisse um Planet IV gefahrlos beobachten. Einverstanden, sandte Simon seine Gedankenbotschaft an den Bordrechner der NOREENWELEAN. Über die Gedankensteuerung aktivierte er die Triebwerke und ließ die PROJEKT LEBEN mit schwachem Schub auf das Zentralgestim dieses Systems zufliegen und in die Korona eintauchen. Die NOREEN WELEAN befand sich dabei nach wie vor im Hangar der größeren PROJEKT LEBEN. Dir Intervallschirm schützte beide Schiffe wirksam gegen die auch im Außenbereich dieser Sonne mörderischen Temperaturen von mehreren tausend Grad. Jetzt hieß es erst einmal abwarten. Über einen Zeitraum von mehreren Stunden geschah nichts. In angespannter Erwartung beobachteten Simon und seine Roboter jede auch noch so geringfügige Aktivität des Arkan-Schiffes. Noch war allerdings nicht so recht erkennbar, was die Besatzung des Riesenschiffes eigentlich vorhatte. Joker meldete mehrfach ein Schwanken des Energieniveaus an Bord des gewaltigen Raumers. Es konnte nur spekuliert werden, welche Bedeutung das haben mochte. 288 Schließlich wurde ein Ringraumer aus dem Arkan-Schiff ausgeschleust. Von einem Intervallum umgeben, das Flüge durch feste Materie ermöglichte, trat er einfach durch die massive Panzerung des Arkan-Schiffes hindurch und schwebte wenig später im freien Raum. Ein vergleichsweise winziger ringfönniger Körper, der neben dem gewaltigen Mutterschiff kaum auffiel. Auf der Bildkugel im Leitstand der NOREEN WELEAN war deutlich zu sehen, wie der Ringraumer auf Planet IV zuschwebte. Er schickte sich offenbar zur Landung an und war bereits wenig später in die Atmosphäre der Sauerstoffwelt eingetaucht. Befinden sich auf Planet IV irgendwelche Anzeichen für das Vorhandensein militärischer Anlagen? fragte Simon. ^lugo gab ihm Auskunft. Bislang negativ. ^esiedelung durch Zyzzkt-? fragte Simon. ebenfalls negativ, gab Hugo zurück. Da muß irgend etwas sehr Interessantes auf der Oberfläche von Planet IV zu finden sein, funkte Simon an seine Roboter. Was meint ihr? Ich nehme an, du möchtest jetzt die Bestätigung von mir bekommen, daß es sinnvoll wäre, sich dort auch einmal umsehen, antwortete Hugo. Er hat Recht! ging es Simon nicht ohne einen Schuß Bitterkeit durch den Tofiritkopf, der allerdings keinesfalls der alleinige Sitz seines Bewußtseins war. Es gab derzeit nichts an ihm, was mit einem menschlichen Gehirn vergleichbar gewesen wäre. Genau das bist du, Simon: ein menschliches Bewußtsein, das in einem Klumpen Tofirit gefangen ist und sich durch die Unterhaltungen mit Robotern bei geistiger Gesundheit hält. Der Gedanke gefiel Simon nicht. Aber er traf den Kern der Sache.
Hör auf w grübeln! schalt er sich selbst. Vor dir liegt eine Aufgabe, die du erfüllen mußt. Konzentriere dich auf das Nächstliegende und verschwende deine Zeit nicht damit, dich selbst w bedauern. Simon erhob sich aus dem Pilotensessel, in dem er die letzten Stunden nahezu regungslos verharrt hatte. Sein quasihumanoider 289 Tofiritkörper hatte dabei dem unvollendeten Rohling einer starren Skulptur geglichen, die nichts anderes als eine Art Abstraktion des menschlichen Körpers war. Das Arkan-Schiff verläßt die Umlaufbahn um Planet IV, meldete Joker. Werden wir ihm weiter folgen? Nein, antwortete Simon sofort. Ich will wissen, was der Ringraumer aufPlanet IV w suchen hat. Denkst du daran, selbst auf dem Planeten zu landen? fragte Joker. Sicher, bestätigte Simon. Aber fang jetzt nicht wieder davon an, daß das Risiko zu hoch ist! Simon verfolgte auf den Anzeigen der Bildkugel, welchen Kurs das Arkan-Schiff nahm. Es entfernte sich auf einer Flugbahn, die senkrecht zu jener Ebene verlief, auf der die Planetenbahnen des Systems zu finden waren. Wenig später transitierte der Riesenraumer und verschwand im Hyperraum. Es ist anzunehmen, daß er zu dem Flottenverband am Rande Orns zurücckehrt, meldete Hugo. Zumindest legt der Vektor der gemessenen Sprungdaten diesen Schluß nahe, Simon hatte inzwischen einen Entschluß gefaßt. Wir werden die PROJEKT LEBEN hier in der Korona Zaratans zurücklassen. Ihr bordeigenen Schutzschirme sind stark genug. Sie ist unsere Lebensversicherung filr alle Fälle. Joker meldete sich über Funk zu Wort. Bedeutet das, du hast allen Ernstes vor, die NOREEN WELEAN für eine Landung auf Planet IV zu benutzen? erkundigte er sich. Darf ich daran erinnern, daß uns die Energie Signatur der NOREEN WELEAN verraten könnte? Das Risiko muß ich eingehen, gab Simon zurück. Aber wir behalten auch die Option einer schnellen Flucht. Schließlich können "wir die PROJEKT LEBEN jederzeit herbeirufen. Simon setzte sich wieder in den Pilotensitz. Antigrav aktivieren, befahl er über Gedankensteuerung. Die Systeme der PROJEKT LEBEN sollen in ständiger Rufbereitschaft bleiben. Die Triebwerke der NOREEN WELEAN liefen an. Das Raum 290 schiff verließ den Hangar der PROJEKT LEBEN und durchdrang dabei mit Hilfe des Intervallums deren Außenhaut. Mit aktivierter Tarnung steuerte Simon die NOREEN WELEAN auf den vierten Planeten zu. Die Distanz zwischen Sonnenkorona und Planet IV wurde mit Hilfe des Sternensogantriebs zurückgelegt. Anschließend schaltete Simon auf SLE um. 291 20. Der niedrige Raum war nicht sonderlich groß, er enthielt eine Anzahl rechteckiger Sitzpolster, ansonsten war er leer. Was immer er an technischer Ausstattung bot, verbarg sich hinter den Wänden und den Ranken und Zweigen, die überall wucherten. Der Raum wirkte wie die verkleinerte Ausgabe eines hydroponischen Gartens. Er war Xorgs privater Raum. Ein kleines Stück Natur in einem Sternenschiff irgendwo im lebensfeindlichen Universum. Chief Erkinsson und seine beiden Ingenieure hatten sich um die zerstörte Technik des Frograumers bemüht, mußten aber schnell einsehen, daß sie nicht helfen konnten. Es war nur noch sehr wenig heil, und dieses Wenige würde in absehbarer Zeit gänzlich ausfallen. Das Schiff war nur in einer entsprechend ausgerüsteten Werft zu reparieren. Seit zwei Stunden sprachen sie nun miteinander: Xorg und das Team um Colonel Huxley.
Zweimal sechzig Minuten, in denen Xorg den Männern und Captain Bontempi vom Zweck seiner Mission und ihrem kläglichen Scheitern berichtete. Mit dem von seinem Volk perfektionierten SonnensegelAntrieb sollte ein Nachbarstem erreicht und einer dessen Planeten besiedelt werden. Der Grund für den Exodus von 800 Individuen, Männer, Frauen und Kindern, war eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Frogs in ihrem Heimatsystem, die in ihrer letzten Konsequenz die gesamte Art auszulöschen drohte. Sie hatten sich inzwischen über ein Lichtjahr von ihrem Heimatsystem entfernt, als das Desaster über sie hereinbrach. »Was ist geschehen?« fragte Huxley den Kommandanten der Arche und war sich fast sicher, zu wissen, was den Frogs widerfahren sein mußte. 292 Xorgs Worte bestätigten seine und die Vermutungen der anderen. »Uns war zwar bekannt, daß interstellare Materie existierte, ihre Dichtigkeit aber haben wir unterschätzt«, erklärte Xorg. »Sie schien uns vemachlässigbar gering. Wir wußten zu diesem Zeitpunkt nämlich nicht, daß nur der Strahlungsdruck der Sonnenwinde unseres Heimatstems den Raum bis in eine Entfernung von etwa einem Lichtjahr freihielt und so für den geringen Anteil von interstellarer Materie verantwortlich war. Weiter draußen jedoch...« Er verstummte für einen Moment. Die senkrecht geschlitzten Lider schlössen sich, und dünne Sekretflüssigkeit sickerte aus den Poren. »O Gott!« Sybilla Bontempi ahnte, was geschehen sein mußte. Und Xorgs Worte bestätigten ihre Befürchtungen, als er fortfuhr: »Wir flogen mit immenser Geschwindigkeit, als das Schiff wie gegen eine unsichtbare Mauer aus Steinen zu prallen schien. Das abrupte Abbremsen beschädigte unser Antriebssystem irreparabel. Seitdem sitzen wir fest. Gestrandet im All. Verloren.« »Wie lange befindet ihr euch denn schon auf dieser Reise?« fragte die Anthropologin. »Vor neun eurer Jahre haben wir die Arche gebaut und sind mit ihr ins All gestartet.« Es war laut in der NOHALIMIS, was im frogschen Sprachgebrauch Sternenbarke bedeutete, zumindest war das die Interpretation der Übersetzer. Es handelte sich um ein Seufzen und Keuchen wie von einem riesigen, asthmatischen Tier, das jeden Augenblick zu verenden drohte. Darauf angesprochen, hatte Xorg erklärt, daß es sich um die defekten Luftemeuerer handelte, die häufig ausfielen und immer mühsamer repariert werden mußten. »Konntet ihr denn keine Hufe anfordern?« wollte die Fremdvölkerexpertin wissen. »Zuhause weiß man noch nichts von unserer Havarie, die vor acht Monaten eurer Zeit geschah. Unser Funk ist nicht schneller als das Licht. Bis Hilfe kommt, werden wir vermutlich schon alle gestorben sein. Wir haben nur noch für maximal sieben Monate Energie, um die Ökosysteme und uns am Leben zu erhalten.« 293 »Verdammt«, stieß Maxwell hervor, während Sybilla Bontempi verstummte vor dem Ausmaß der Tragödie, die dieses Generationenschiff heimgesucht hatte. Erst nach einem längeren Schweigen sagte die Fremdvölkerexpertin leise und betroffen: »Und weshalb kehrt ihr nicht um und versucht nach Hause zu gelangen? Was ist mit dem Düsentunnel? Es ist doch eine Art Antrieb, kann er euch nicht zur Rückehr verhelfen?« Es war Erkinsson, der Sybilla aufklärte. Der stämmige Chefingenieur und Triebwerksexperte hatte sich die Wirkungsweise von seinem frogschen Pendant erläutern lassen. »Der Düsentunnel tritt erst bei Annäherung an einen Stern in Aktion. Jetzt nicht mehr funktionstüchtige Aggregate erzeugen vor dem Bug des Schiffes ein elektromagnetisches Trichterfeld, das die Strahlung der Sonne einfängt und im Düsentunnel bündelt.« Er wischte sich über das breitflächige Gesicht, das von Wasserperlen bedeckt war, die ihm beständig aus den buschigen Augenbrauen tropften; die Luftfeuchtigkeit war für seine Begriffe entschieden zu hoch. Dann fuhr er mit seiner Erklärung fort: »Ein geringer Teil dieser Energie wird zum Betrieb der
Schiffssysteme abgezweigt, ebenso wie vorher aus den dann einzuholenden Sonnensegeln, die restlichen 99 Prozent werden im Tunnel durch starke elektromagnetische Felder beschleunigt und dienen dem Vortrieb auf den betreffenden Stern zu. Zum Abbremsen entfaltet man dann wieder die Segel. Im Prinzip eine einfache Sache, langwierig, arbeitsaufwendig, aber kaum mit gravierenden Fehlem behaftet wenn man ihn nicht gerade innerhalb der Magellanschen Wolke mit ihrem enorm hohen Anteil an interstellarer Materie einsetzt.« Frederic Huxley wandte sich an Xorg. »Das heißt also, daß ihr euch ohne fremde Hilfe nicht mehr bewegen könnt. Stimmt's?« »Das trifft zu«, bekannte der Frog, und seine Kehlsäcke erzeugten ein leises Geräusch, das wie ein menschlicher Seufzer klang. Huxley kniff kurz die Augen zusammen, dann wandte er sich an Erkinsson. »Chief?« Der Chefingenieur schüttelte den Kopf. »Wir können die Arche nicht mehr betriebsbereit machen. Trotz 294 unserer Werkzeuge und den guten Leuten, die wir haben.« »Eine Idee, wie wir den Gestrandeten dennoch helfen könnten?« »Ja«, erwiderte der Triebwerksexperte. »Wir könnten sie alle sicher nach Hause bringen wenn sie gewillt sind, ihre Sternenbarke aufzugeben.« »Informieren Sie mich, Chief«, bat der der hagere, grauhaarige Colonel und blickte seinen Chefingenieur erwartungsvoll an. Erkinssons Idee war so simpel wie erfolgversprechend. Sein Vorschlag: die FO I ausschleusen und in deren Hangar die 800 Frogs für die paar Stunden unterbringen, die der Rückflug in ihr ein Lichtjahr entferntes Heimatsystem dauern würde. Huxley überlegte nur Sekunden, dann aktivierte er sein Armbandvipho und schloß sich mit den Technikern an Bord der CHARR kurz, die ihm versicherten, daß es keine Probleme bereiten würde, die Luftfeuchtigkeit im Hangardeck der FO I auf jenes Niveau anzuheben, das die Frogs zum Leben benötigten. »Dann bereitet alles vor«, befahl der Colonel. »Zeitrahmen?« »Keine Stunde, Sir«, erwiderte der Leitende Techniker der Instandsetzung. »Wir müssen nur die Umweltkontrolle für den Hallgarbereich neu einstellen.« »Melden Sie sich, Haines, wenn Sie soweit sind.« »Aye, Sir.« Huxley wechselte die Phase. Das Bild, das sich nun auf dem winzigen Schirm formte, zeigte seinen Stellvertreter an Bord der CHARR. »Prewitt! Sie haben gehört, worum es geht?« »Jedes Wort, Skipper. Ich lasse bereits die energetische Gleitrampe der Hangarschleuse so modifizieren, daß sie zu einem luftdichten Tunnel wird. Auf diese Weise schaffen wir die Frogs problemlos an Bord.« »Informieren Sie mich, wenn Sie damit fertig sind, Lee.« »Verstanden, Skipper.« Huxley senkte den Arm. Dann wandte er sich an den Kommandanten der NOHALIMIS. 295 »In unserem Bestreben euch zu helfen, habe ich die wichtigste Frage noch gar nicht gestellt«, gestand er und hoffte, der Translator würde seine Worte richtig interpretieren. »Die Frage nämlich, ob ihr überhaupt gewillt seid, euch helfen zu lassen?« Xorg lauschte Huxleys Worten eine Weile nach, während seine Kehlsäcke leicht pulsierten. Seiner exotischen Physiognomie eine Regung zu entnehmen, ob zustimmend oder ablehnend, erwies sich als illusorisch. Dann öffnete sich der riesige, lippenlose Mund. Die Folge an blubbernden, rasselnden Kehllauten übersetzte der Translator in angemessenes Angloter.
Wie er sagte, glaubte Xorg das zwar alles nicht, was er an technischen Informationen erfahren hatte, sah sich aber außerstande, Huxleys Hilfe zurückzuweisen. Das Leben der seiner Führung unterstehenden achthundert Artgenossen hatte Vorrang vor allem anderen. Alles war besser, als sinnlos im All zu sterben. Die nächste Stunde war von pausenloser Arbeit erfüllt. Aus allen Teilen der Sternenbarke wurden die Frogs zusammengerufen; sie versammelten sich im größten Hangar, den die NOHALIMIS aufzuweisen hatte. Sämtliche Beiboote und Bodenfahrzeuge, die sie mit sich führten, waren vorher in den Raum gestoßen worden und trieben wie Müll neben dem Generationenschiff her. Dennoch herrschte drangvolle Enge. Eine Enge, der die Frogs allerdings mit erstaunlicher Disziplin begegneten. Cheftechniker Haines meldete, daß alles bereit sei für die Änderung der Hangaratmosphäre. »Wie weit sind Sie, Lee?« wollte Huxley wissen und schaute auf das kleine Bildkarree seines Armbandviphos. »Wir können«, war Prewitts knapper Kommentar. »In Ordnung, Nummer Eins. Beginnen Sie mit der Annäherung. Aber schön vorsichtig. Ich kann Kratzer im Lack nicht ausstehen, wie Sie wissen.« »Ich weiß, ich weiß«, nickte Prewitt und lächelte verhalten. Einen Moment später sagte er: »Wir sind unterwegs. Halten Sie sich bereit, NOHALIMIS.« »Sind bereit«, erwiderte Maxwell, der die Evakuierung leitete. Der mit Frogs bis zum Platzen gefüllte Hangar der NOHALIMIS wies unter der Decke eine Reihe von Monitoren auf, die der frog 296 sehen Hangarkontrolle zur Überwachung der Ausschleusungsvorgänge dienten. Sie waren aktiviert, ein letztes Mal, und die Frogs B sahen in den Raum hinaus. Dann entstand jählings eine Orgie disharmonischer Geräusche, verursacht von den vibrierenden Kehlsäcken der überraschten, verängstigten und sicher auch total beeindruckten Amphibien, als auf den Schirmen mit einem Mal das gewaltige Ellipsoid der CHARR vor der rotierenden Kulisse der Sterne erschien und nahezu den gesamten Hintergrund verdeckte. Prewitt hatte das Schiff in eine enge Kreisbahn um den Frograumer gebracht, die dessen Rotation entsprach. So konnte die Gravitation imitierende Fliehkraft an Bord der Arche aufrechterhalten werden. Der riesige Hangar des Ellipsenschiffes öffnete sich gähnend, grelles Licht fiel in die Dunkelheit des Weltalls, als der 200 Meter lange, pfeilförmige Drucckörper der FO I ins Freie glitt und sich entfernte, um die folgende Prozedur nicht zu behindern. II Jetzt glitt die CHARR mit äußerst geringer Fahrt Meter um Meter näher; sanft wie eine Daunenfeder schob sich der Fünfhundertmeterriese an die Sternenbarke der Frogs heran. Mittlerweile hatte sich das Hangarportal wieder geschlossen und einen halbtransparenten Energietunnel erzeugt, der den Weltraum zwischen den beiden so verschiedenen Raumfahrzeugen überbrückte und sich mit seinem sanft glühenden Andockring wie ein Saugrüssel um die Hangarschleuse der NOHALIMIS heftete. Die äußeren Blendverschlüsse der Schleusentore fuhren auf. Als der Druckausgleich hergestellt war, öffneten sich die Innenschotts. »Druck ist aufgebaut, Colonel«, kam Prewitts Meldung aus der CHARR. »Die Evakuierung kann beginnen.« Über die Intemmonitore verfolgte die Besatzung der Zentrale des Ellipsenraumers, wie Besatzung und Passagiere des frogschen Generationenschiffes durch den Tunnel in den Hangar der FO I hasteten. Vier Minuten vergingen... sieben... zehn. Nach fünfzehn Minuten meldete sich der Colonel aus der Hallgarkontrolle. »Wir sind vollzählig, Prewitt. Sie können die Leinen kappen und ' ^gen!« 297 Geräuschlos glitt das große Schott in der golden schimmernden Druckhülle zu, paßte sich nahtlos wieder in die Hülle ein.
Nachdem er auch sein Beiboot zurückgeflogen hatte, erschien Huxley im Leitstand seines Schiffes. Lee Prewitt erhob sich vom Platz des Kommandanten, den er bis dahin eingenommen hatte, und wechselte auf den Platz des Piloten. »Welcher Kurs liegt an, Skipper?« fragte er knapp. »Wir fliegen unsere Passagiere heim, Lee. Dies sind die Koordinaten...« Er tippte eine Reihe von Zahlen in den Kartenspeicher, der mit den Hauptkonsolen der leitenden Offiziere gekoppelt war. Prewitt warf einen Blick darauf und nickte bestätigend. »Wir machen das in einem Rutsch«, bestimmte Huxley. »Bereiten Sie alles für die Transition vor, I.O.« »Aye, aye, Sir!« Kurz darauf tauchte die CHARR quasi aus dem Stand in das übergeordnete Kontinuum dös Hyperraums ein... und glitt einen kaum meßbaren Augenblick später wieder in das normale Weltall zurück. Gefolgt von der FO I, die parallel zu ihr mitgeflogen war. Ein Lichtjahr lag zwischen den Koordinaten der Ent und der Rematerialisation. In einer einzigen Etappe hatte der Ellipsenraumer diese lächerlich geringe Distanz zwischen dem havarierten Generationenschiff NOHALIMIS und dem Heimatsystem der Frogs überwunden. Als die stemflimmemde Kulisse des Weltalls wieder auf den Schirmen erschien, ließ Colonel Huxley die CHARR stoppen. Sie befand sich hoch über der Ekliptik eines ausgedehnten Planetensystems, über dem Nordpol der Sonne, einem mächtigen Zentralfeuer, das sein verschwenderisches Licht über vierzehn Welten ausschüttete. Huxley stellte eine Verbindung zur Hangarkontrolle her. Dort hielt sich Xorg zusammen mit Sybilla Bontempi auf. »Welche dieser Welten sind bewohnt?« erkundigte er sich bei dem Frog. 298 Es waren Planet Nummer drei und vier, wie Huxley erfuhr. Als er nach dem Namen der Sonne und der bewohnbaren Welten fragte, erlebte er eine herbe Enttäuschung. Zum ersten Mal verweigerte der Translator die Mitarbeit! Offenbar waren die frogschen Bezeichnungen für Menschen unaussprechlich, weshalb er sie einfach numerierte. Die ursprüngliche Heimatwelt der Frog nannte er »Vier«, die andere, sonnennähere, »Drei«. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn beendete der Colonel die Verbindung mit Xorg. Doch dann erhellte sich seine Miene, als sein Blick zur Ortung ging. Alberto Kitta saß an seinem Pult. Jp »Nachdem Sie uns mit der Bezeichnung >Frog< schon einmal aus der Verlegenheit geholfen haben, junger Mann, dürfen Sie sich jetzt bewähren«, wandte sich der Kommandant an Kitta. »Welcher Name wäre Ihnen denn für die Systemsonne genehm?« »»McLanes Star«, kam die prompte Erwiderung. Vereinzelt wurde Lachen laut, anzügliche Bemerkungen. Huxley hob die Hand. Als wieder Ruhe eingekehrt war, fuhr er fort: »Und welcher für die beiden bewohnten Planeten? Bedenken Sie, Sie gehen in die Geschichte ein. Unser allseits geschätzter Bordastronom wird Sie als den Taufpaten dieses Systems in den Sternenkatalogen verewigen. Diese Chance bekommen nur wenige Mitglieder meiner Besatzung.« ll Alberto Kitta nahm die Chance seines Lebens wahr und taufte die Heimat der Amphibienwesen ebenfalls »Frog«, den sonnennäheren Planeten nannte er »Jagellovsk«. Huxley wandte sich einem Nebenschirm auf seiner Kommandantenkonsole zu. »Haben Sie gehört, Professor?« Bei Annäherungen an ein System stand die Phase zum Astrolab permanent offen. : »Mitgehört und gespeichert, Colonel.« Unverändert hielt die CHARR ihre Position außerhalb des McLaneSystems. Die Schirme der Raumüberwachung waren in Betrieb, die Taster aktiviert. Lern Foraker hielt das gesamte Schiff in Alarmbereitschaft. Er würde es so lange tun, bis er von seinem Kommandanten gegenteilige Order erhielt. Colonel Huxley fuhr den Gliedersessel etwas zurück und stand auf.
299 »Lee, Sie haben das Schiff. Wenn etwas sein sollte, finden Sie mich bei Xorg.« »In Ordnung, Sir.« Die Hangarkontrolle hing wie ein Vogelhorst unter der Decke. Huxley stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor der transparenten Trennscheibe und sah hinab. Von seinem Standpunkt aus konnte er die Frogs sehen, die sich in dem Hangar der FO I überall auf dem Boden verteilt hatten. »Helfen Sie mir, Xorg, ich brauche Informationen über das, was uns in diesem System erwartet«, wandte er sich jetzt dem Frog zu, der hinter ihm auf einem Polster saß und sein Heimatsystem betrachtete, das auf einem großen Schirm abgebildet war. »Wie sind die ökonomischen Verhältnisse innerhalb Ihrer Zivilisation? Wie ist das politische System? Wie funktioniert euer Zusammenleben? Gibt es Militär? Seid ihr in Ständen organisiert? In Kasten? Welche Gesetze regeln euer Zusammenleben?« Xorg begann zu berichten. Was er sagte, war nicht neu. Es geschah so oder in Abänderungen in unzähligen Zivilisationen. Alles wiederholt sich, dachte Huxley, während er zuhörte, auf die eine oder andere Art. Die Frogs waren auf dem vierten Planeten zu Hause, einer erdähnlichen Welt von hoher Luftfeuchtigkeit und tropischem Klima. Als sich ihre Zivilisation aufgrund einer überbordenden Fruchtbarkeit mit einem Wachstum herumschlagen mußte, das nur noch ein Leben auf engstem Raum erlaubte, hatte man vor einem Zeitraum, der etwa fünfzig irdischen Jahren entsprach, damit begonnen, den sonnennäheren Planeten des Systems, die Nummer drei, zu besiedeln. Dieser war eigentlich wenig geeignet für eine dauerhafte Kolonisation. Heiß, staubtrocken, eine Wüstenwelt durch und durch. Die Frogs umgingen diese Widrigkeiten durch die Errichtung von Kuppelstädten, in denen sie leben konnten. Die fehlende Feuchtigkeit holten sie sich aus artesischen Brunnen. Da abzusehen war, daß diese Ressourcen nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stehen würden, hatte man sich darangemacht, aus dem Asteroiden300 gürtel Eis zu fördern und nach Jagellovsk zu bringen, um den Planeten zusammen mit anderen Maßnahmen zu einer lebensfähigen zweiten Heimat umzugestalten. Xorg arbeitete zu der Zeit als Kapitän eines Eisfrachters. R Dennoch wuchsen die Kosten für den Unterhalt der Kolonie der Zentralregierung auf Planet IV über den Kopf. Zumal sich die Kolonie mit einem unerklärlichen Phänomen konfrontiert sah, das JH sie der Regierung gegenüber jedoch geheimhielt: Immer, wenn ! sich die Umweltbedingungen auf Jagellovsk langsam besserten und erste Regenfälle eine Wende zum Guten versprachen, kippte das Klima zurück auf den alten Stand, und die Kolonisten mußten yfc wieder von vome beginnen. W Der Unterhalt der Kolonie wurde immer mehr zum Zankapfel politischer und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen, bis man sich schließlich ernsthaft überlegte, die Kolonie aufzulösen. Dem kam diese zuvor, indem sie vor zehn Jahren ihre Souveränität ausrief und sich für selbständig erklärte. Seitdem herrschte Krieg zwischen den Planeten. Krieg mit allen Konsequenzen. Zerstörung. Leid. Tod. Ein Krieg, der die Arbeiten am Erhalt der Kolonie zum Erliegen brachte und ihre wirtschaftlichen Kapazitäten an den Rand des Ruins. Da die Zentralwelt trotz Übervölkerung auf längere Sicht mehr Ressourcen ihr eigen nannte, war abzusehen, daß die Kolonie den Krieg verlieren würde. Weshalb man sich vor neun Jahren dazu entschlossen hatte, eine Arche zu bauen, die NOHALEMIS, um auf einer geeigneten Welt eine neue Kolonie ins Leben zu rufen. »Die Mission ist kläglich gescheitert. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie Kvax darauf reagieren wird«, schloß Xorg mit pulsierenden Kehlsäcken. 301
Die CHARR hatte Fahrt aufgenommen. Das golden schimmernde Ellipsoid bewegte sich ins Innere des Systems, gefolgt von der FO I, in deren Leitstand Luke Henroy als Pilot füngierte. Huxley saß schweigend vor seiner Kommandantenkonsole und betrachtete die Bilder, die die Schirme wiedergaben. Ein Teil von ihm war gespannte Aufmerksamkeit, ein anderer Teil beschäftigte sich noch mit der Geschichte der Frogs, so wie sie ihm von Xorg berichtet worden war. Die Sonne, McLanes Star, an Backbord, so näherte sich die CHARR dem dritten Planeten, Jagellovsk. Der Colonel wandte sich an seinen Navigator. »Steht der Kurs, Mister Maxwell?« fragte er. »Steht, Sir«, erwiderte sein Zweiter Offizier. Huxley s Stimme klang beherrscht und ruhig: »Mister Perry! Schon etwas zu sehen?« »Nein, Kommandant.« Das Schiff jagte auf dem eingegebenen Kurs weiter; weg von der Sonne, hinein ins System. Huxley s Blick streifte kurz den Nebenschirm, auf dem die FO I zu sehen war. Sie flog in gebührendem Abstand an der Seite def CHARR. »Meine Herren«, sagte Huxley halblaut, »wir erleben vermutlich in Kürze eine Situation, die unserer ganzen Aufmerksamkeit bedarf. Es kann sein, daß wir in militärische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Nach meinem Kenntnisstand führen die Frogs Krieg gegeneinander, und ich möchte, daß wir uns der Neutralität befleißigen, solange wir nicht selbst angegriffen werden und uns unserer Haut erwehren müssen.« Die CHARR hatte die Bahn des zweiten Planeten passiert, einen Asteroidenring durchquert und näherte sich der Position von Jagellovsk, als die Taster zu lärmen begannen. »Bericht, Mister Perry!« Huxleys Stimme klang kühl, fast unbeteiligt. »Im Bereich des Planeten Jagellovsk findet offenbar eine Raumschlacht statt, Colonel!« »Details, Nummer Drei, Details!« Die Vergrößerungen holten das Geschehen heran. Wie merkwürdige Insekten glitt eine Flotte von Raumseglern 302 mit weit gespannten Flügeln außerhalb des Schwerefeldes des Planeten auf verwickelten Bahnen umeinander, gigantischen Motten gleich, die, angezogen vom Licht, sich ins das verderbenbringende Feuer von Schwärmen von Raumtorpedos stürzten und darin untergingen. Dazwischen gedrungene, röhrenförmige Schiffe, gänzlich ohne Segel. Erst nach einer Weile wurde den Beobachtern in der CHARR klar, daß es sich bei diesem Typ Schiff ebenfalls um Raumsegler handelte, die lediglich ihren Tunnelantrieb dazu benutzten, Tod und Verderben in die Reihen der Gegner zu tragen. In der Nähe des mächtigen Zentralfeuers waren sie erstaunlich schnell, erreichten nahezu fünf Prozent Lichtgeschwindigkeit, wie die eingespiegelten Tasterdaten zeigten. Die Kampfraumschiffe der Frogs waren wesentlich kleiner als die NOHALIMIS, schneller und entsprechend manövrierfähiger. Die CHARR war inzwischen nähergekommen. Eingehüllt in ihre mächtigen Abwehrschirme mußte sie nichts befürchten. Ihr konnte allenfalls ein gleichwertiger Gegner etwas anhaben, weshalb sich Frederic Huxley auf die Rolle des unbeteiligten Zuschauers beschränkte. Noch! Langsam kristallisierte sich heraus, wer Angreifer, wer Verteidiger war. Die Schiffe der Kolonisten bildeten einen Abwehrring um Jagellovsk, den eben ein kleinerer Verband aus sieben Schiffen der ProgFlotte zu durchbrechen suchte. Pausenlos feuernd näherten sie sich ihrem Ziel bis auf eine unglaublich geringe Distanz und versuchten den äußeren Abwehrring in einem gewagten Manöver zu durchbrechen, als sie im letzten Augenblick von einem Hagel Raumtorpedos und Strahlbahnen aus Lasergeschützen erfaßt wurden. Das Ergebnis war ein Desaster. Die Kettenreaktion der atomaren Zerstörung sprang von Schiff zu Schiff und hinterließ einen Katarakt an schaurig schönen Farbklecksen, die sekundenlang das Licht der Sterne überlagerten. Als die Lichtwolken schließlich zerstoben und sich
auch noch die letzten Glutspuren im All verflüchtigt hatten, waren die Angreifer spurlos von den Schirmen der CHARR verschwunden... bis auf einen, dem es wider Erwarten gelungen war, die Reihen der Ver 303 leidiger zu durchbrechen und eine Atombombe auf eine der großen Kuppelstädte der Kolonie zu werfen. Über der Ansiedlung entfaltete sich ein Höllenfeuer. Es wuchs und wuchs, dehnte sich aus und wurde zum typischen Riesenpilz einer Kernexplosion. Diesem atomaren Inferno entkam nichts und niemand... Am Schlachtgetümmel draußen im All hatte sich nichts geändert. Gerade zog ein Pulk Angreifer diagonal über den sichtbaren Ausschnitt der Allsichtsphäre, dem sich eine Formation der Verteidiger mit grell feuernden Lichtkanonen in den Weg stellte und ein Schiff des gegnerischen Verbandes in lodernden Staub verwandelte. Als sich die glühenden Wolken verzogen hatten und die Sterne des Alls wieder durchschienen, vergrößerte die Automatik einen bestimmten Bereich im Zentrum des Hauptschirmes der CHARR. »Achtung!« sagte Butrovich. »Man hat unsere Anwesenheit bemerkt!« Er zeigte auf die wandernden Lichter des Orterschirmes. Alle in der Zentrale wandten ihm ihre Aufmerksamkeit zu. Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann bestätigte der Dritte Offizier Butrovichs Angaben. »Wir sind im Fokus ihrer Zielerfassung.« »Kontakte auf Rot-Neun-Null-Null-Zwei«, verkündete der Taktische Offizier lapidar. »Entfernung achtundvierzigtausend Kilometer...« »Sollen wir ausweichen, Kommandant?« fragte Lee Prewitt. »Wir fliegen direkt darauf zu«, entschied Frederic Huxley. »Sie werden sich an unserer Technik die Zähne ausbeißen.« »Direktanflug, aye, Sir!« bestätigte der Erste Offizier. »Oho!«, knurrte Butrovich. »Die Jagdzeit hat begonnen. Wem sollen wir jetzt Glück wünschen?« »Wie war's mit unseren Gegnern?« schlug Lern Foraker vor. »Ich denke nicht, daß sie wissen, worauf sie sich einlassen!« Der Pulk Lichtsegler kam näher. Jetzt trennte sich der Verband. Einige der Raumsegler tauchten nach unten weg, andere nahmen eine überhöhte Position ein. Foraker verzog das Gesicht, als er sah, was sie zu tun beabsichtigten: Sie wollten den so unvermittelt aufgetauchten neuen Gegner m die Zange nehmen. 304 l »Zielerfassung steht, Sir«, meldete Foraker von seiner Konsole. »Nicht auf die Schiffe feuern«, befahl der Colonel. »Nur Abwehrmaßnahmen einleiten, falls man uns beschießt.« »Verstanden, Kommandant... Sir, sie feuern bereits!« Der Lichtseglerverband der Frogs spie Salven von schweren Raumtorpedos in Richtung des Nogkschiffes. Von zwei Seiten liefen sie auf die CHARR zu und wurden ausnahmslos von deren Strahlkanonen zerstört, ohne auch nur in ihre Nähe zu kommen. Huxley betrachtete das Geschehen auf seinem Schirm. Plötzlich sagte er: »Mister Foraker. Lassen Sie einen Raumtorpedo durch.« »Sir?« zeigte sich Foraker verblüfft. »Sie haben richtig gehört. Wir wollen unseren Angreifem klarmachen, daß sie keine Chance gegen unsere Technologie haben, auch wenn wir nicht zurückfeuem.« »Verstanden, Sir«, bestätigte der Taktische Offizier mit einem leichten Grinsen. Die Demonstration der Überlegenheit gelang. Der Raumtorpedo mit seinem atomaren Gefechtskopf verpuffte wirkungslos bereits im äußersten der mehrfach gestaffelten Schutzschirme. l »Und nun, Mister Prewitt«, wandte sich der Colonel mit einem Funkeln seiner eisgrauen Augen an seinen Ersten Offizier, »bringen Sie etwas frischen Wind in die Angelegenheit.« »Mit Vergnügen, Skipper!« feixte Prewitt. Seine Finger griffen in die Steuerung; das Schiff gehorchte jedem Impuls wie ein hochgezüchtetes Reittier. Aus den
Abstrahlgittem entluden sich Partikelströme und beschleunigten die CHARR um zwei Potenzen. Binnen Sekunden hatte sie die Phalanx der Angreiferflotte erreicht, brach durch sie hindurch wie ein Planetoid durch einen Schwärm Asteroiden, und ihre Abwehrschirme wirbelten die Lichtsegler, von denen eine ganze Reihe ihre Sonnensegel einbüßten, wie lose Blätter durch den Raum. 1 Aus einer überhöhten Position hielt die CHARR an, um den Erfolg der Aktion »Frischer Wind« zu begutachten. Konfus und ohne erkennbare Ordnung floh die Rotte der Angreifer vor der brachialen Gewalt des goldenen Raumschiffs in Richtung ihres Heimatplaneten. Unbehelligt von der Verteidigern Jagellovsks, die keinerlei Anstalten machten, sich an ihre Fersen zu heften. 305 »Wohin jetzt?« erkundigte sich der Erste. »Welchen Kurs, Skipper?« Huxley lehnte sich zurück und wies schweigend auf den Planeten, der sich im fahlen Gelbbraun einer heißen Wüstenwelt auf den Schirmen zeigte: Jagellovsk. »Dort hinunter, Nummer Eins. Wir wollen unsere Passagiere nach Hause bringen. Das ist unsere vorrangige Mission.« Das schimmernde Ellipsoid der CHARR wurde abgebremst, durchstieß heulend die ersten Luftschichten, änderte den Eintauchwinkel und schoß hinunter auf die Oberfläche des Planeten. In siebentausend Meter Höhe wurde die Flugbahn flacher. Schallwellen donnerten durch die Atmosphäre. »Mister Prewitt!« »Sir?« »Bringen Sie uns zunächst zu der zerstörten Kuppelstadt.« »Sie wollen dort landen, Kapitän?« fragte der Erste entgeistert. »Dort lebt nichts mehr, steht kein Stein mehr auf dem anderen. Abgesehen von der RStrahlung, die uns rösten wird wie Truthähne zum Erntedankfest.« »Guter Vergleich«, grinste Maxwell. Huxley blickte seinen Ersten an. »Ihre Besorgnis ist rührend, Lee, aber grundlos. Wir werden nicht landen, ich will nur nicht die FO I alleine lassen.« Huxley hatte noch beim Anflug auf Jagellovsk Henroy angewiesen, aus dem an Bord des Forschungsraumers vorhandenen Dekontaminationsvorrat einen RNeutralisator über die Ruinen zu versprühen, der die Strahlung der Bombe neutralisierte, damit zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Feuer erloschen waren, die Rettungstrupps zumindest in Schutzanzügen in die Ruinen vordringen und aufräumen konnten. Die Charr landete nicht außerhalb der zerstörten Stadt, sondern blieb in der Luft und verfolgte aus dieser Position den Einsatz der FOL Der Hauptschirm übermittelte den grauenvollen Anblick alle 306 Terraner kannten ihn aus dem Studium der eigenen Geschichte. Die trostlose und hoffnungslose Stimmung der ausradierten Kolonie sprang sie an wie ein Schreckbild. Kein Einwohner der Kuppelstadt hatte überlebt, wie die Biotaster verrieten. Entweder waren sie von der Bombe selbst oder dem darauffolgenden direkten und ungeschützten Kontakt mit der extremen Trockenheit außerhalb ihres Sanktuariums getötet worden. »Ein deprimierender Anblick!« sagte Sybilla Bontempi und schauderte leise. »Atomare Katastrophen haben immer etwas Schreckliches an sich«, pflichtete Huxley ihr bei. Nach zweimal sechzig Minuten hatte die FO I die Dekontaminierung zum Abschluß gebracht. Gemeinsam brachen die beiden Schiffe auf, flogen vier Kilometer über Grund über die eintönige Wüstenlandschaft; dies war eine Höhe, die deutlich alle Einzelheiten offenbarte, ohne daß man den Überblick verlor. Die Längenund Breitengrade des planetaren Koordinatennetzes, die ihnen Xorg zur Verfügung gestellt hatte, führten die Schiffe. Die Lufthülle war dünn, ähnlich wie die Terras in großen Höhen, aber ohne zusätzliche Sauerstoffversorgung atembar. Jagellovsk besaß auch eine geringere Dichte. Keine Meere. Der Äquatorialumfang betrug 39 000 Kilometer, die Schwerkraft sieben Achtel der irdischen. »Sehen Sie... dort unten, Skipper!«
Huxley blickte auf den Vorausschirm innerhalb der Allsichtsphäre, auf die Perry deutete. Die Oberfläche kam sehr schnell näher. Und mit ihr die zentrale Kuppelstadt der autonomen FrogKolonie. Unter den Schaltungen Prewitts wurde die CHARR langsamer. Huxley stemmte den rechten Fuß auf die Raste seines Kommandantensessels und wandte sich an den Funkoffizier. »Signale?« Der Dritte Offizier nickte. »Sie haben uns bereits gesichtet und ihre Funkfeuer aktiviert. Man erwartet unsere Ankunft.« »Dann wäre es unhöflich, sie warten zu lassen«, brummte der Colonel und richtete die Lehne seines Gliedersessels etwas auf. 307 Auf dem Hauptschirm konnte Frederic Huxley den Komplex in seiner ganzen Größe sehen. Das Bild der gewaltigen, mehrere Quadratkilometer großen Kuppelanlage, die einsam in einer vegetationslosen, hitzeflirrenden Ebene lag, faszinierte ihn. Die Kolonisten mußten einen enormen Aufwand betrieben haben, dieses Gebilde in der Ödnis von Jagellovsk zu errichten. Es bestand aus drei Teilen. Da war zunächst ein äußerer Ring von kleineren Kuppeln. Darin eingebettet lag ein innerer Zirkel würfelförmiger Gebäude, durch Straßen und Kanäle verbunden. Das Herz der Stadt bildete ein halbkugelförmiger Zentralkomplex mit einem Radius von achthundert Metern. Über die gesamte Anlage spannte sich noch einmal eine riesige Kuppel aus transparentem Material. Alles in allem beanspruchte die Hauptstadt von Jagellovsk ein ringförmiges Areal mit einem Durchmesser von vier Kilometern. Sie war nach Xorgs Informationen eine von insgesamt vierundzwanzig, zum Teil hunderte von Kilometern voneinander entfernt liegenden Kuppelstädten. »Wo landen wir?« holte ihn die Stimme des Navigators aus seinen Gedanken. »Dort, Nummer Eins!« Am Rande der Kolonie lag ein von allen Unebenheiten gesäubertes und befestigtes Areal. Der Raumhafen. Eine separat stehende Kuppel an der westlichen Peripherie mit einem Antennenmast am Scheitelpunkt ließ die Vermutung zu, daß es sich um ein Kontrollgebäude handelte. »Suchen Sie sich einen Platz etwas abseits dieser ganzen Zubringer, Lee. Nicht daß jemand zu Schaden kommt.« Auf den Schirmen war zu sehen, daß auf dem Start und Landeareal laufend Zubringer eintrafen, zweiteilige Transportmodule, die die Kampftruppen der draußen im Raum operierenden Lichtsegler austauschten, welche aufgrund ihrer Bauweise nicht auf Jagellovsk selbst landen konnten. Die CHARR ließ sich mit aktivierten Antigravprojektoren auf den Raumhafen hinab und setzte auf. Die Aggregate wurden heruntergefahren; erstmals seit langer Zeit kehrte so etwas wie Ruhe in dem Raumschiff ein. Eine Ruhe, die nicht lange währte. 308 John Butrovich meldete sich von seinem Platz. »Sir, ein Konvoi nähert sich uns.« Huxley stand auf und blickte auf die Schirme. Aus Richtung der Kuppelstadt rumpelte eine Reihe von tonnenförmigen Fahrzeugen heran. Der blaue Qualm, den sie ausstießen, ließ darauf schließen, daß sie von fossilem Brennstoff angetrieben wurden. »Unser Empfangskomitee?« mutmaßte Lee Prewitt. »Gehen wir hinunter vor die Schleuse und finden es heraus«, sagte Frederic Huxley mit einem nachdenklichen Zug um den Mund. Es war das Empfangskomitee, aber nicht für die Besatzung der CHARR, sondern hauptsächlich für die heimkehrenden Frogs aus der Arche. Man stattete die Frogs mit Schutzanzügen aus, lud sie in die Fahrzeuge und brachte sie in die Stadt, ohne daß sie sich dabei dem extrem trockenen Klima aussetzen mußten. Als der Hangar wieder leer war, führte ihn Huxley wieder seiner eigentlichen Bestimmung zu und ließ die FO I einschleusen, was unter den Frogs, die das
Schauspiel verfolgten, Tumulte der Bewunderung auslöste. Die hier zum Einsatz kommende Antigravtechnik beeindruckte sie gewaltig. Es vergingen einige Stunden, nachdem die Havaristen aus dem Generationenschiff in der Stadt verschwunden waren, in mehr oder weniger eintöniger Routine. Dennoch herrschte eine Stimmung angespannter Erwartung an Bord. Das galt insbesondere für die Nogk, wie Huxley mit leichter Verwunderung erkennen mußte, wobei es keinen Unterschied machte, ob es sich um Kobaltblaue oder Meegs handelte. Irgend etwas schien sie zu beschäftigen. Huxley hatte noch einmal den Hangar mit der FO I inspiziert und kehrte in die Zentrale zurück, als sein Armbandvipho summte. Das Gesicht des diensthabenden Funkers Iggy Lori erschien auf dem Minischirm. »Wir empfangen eine Nachricht aus der Stadt, Sir!« meldete dieser. 309 »Bin schon auf dem Weg zu Ihnen!« versetzte Huxley. Als er wenig später den Leitstand der CHARR erreichte, erhob sich Lee Prewitt vom Platz des Kommandanten, den er bis dahin mit Beschlag belegt hafte. Tantal war ebenfalls anwesend. Seine Facettenaugen waren zwar auf den grauhaarigen Colonel gerichtet, aber es gab keinerlei telepathische Bildimpulse. Huxley sah Lori auffordernd an. »Legen Sie die Nachricht auf meine Konsole.« Die Projektion eines FrogGesichts erschien auf dem Schirm; für menschliche Augen waren die Köpfe dieser Riesenfrösche schwer unterscheidbar, was ursächlich mit der kurzen Dauer ihrer Begegnung zu tun hatte. Dennoch kannte ihn Huxley inzwischen recht gut. Es war Kapitän Xorg, der im Namen seines Oberbefehlshabers/Präsidenten (der Translator konnte sich nicht recht entschließen, wie er die frogsche Bezeichnung für das Oberhaupt der Kolonie interpretieren sollte) Huxley und wen immer er noch dabei haben wollte zu einem Besuch in die Stadt einlud. Der Colonel bekundete sein Einverständnis, und Xorg ließ ihn noch wissen, daß er und seine Begleiter von einem Fahrzeug abgeholt werden würden. Huxley gab seine Befehle. »Lee, Sie haben das Schiff während meiner Abwesenheit.« »Aye, Skipper.« Lern Foraker meldete sich zu Wort. »Sir, ich bitte Sie, eine bewaffnete Eskorte mitzunehmen. Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, ist Jagellovsk mit einer Militärdiktatur vergleichbar. Ich bitte inständig darum, nicht ohne Schutz zu gehen.« »Keine Eskorte«, schüttelte Huxley den Kopf. Foraker verzog das Gesicht. Huxleys kategorische Ablehnung zu diskutieren war eigentlich illusorisch, dennoch wagte er einen erneuten Einwand: »Sir... akzeptieren Sie wenigstens den Schutz durch zwei meiner Leute!« Huxley schürzte die Lippen. »An wen haben Sie gedacht?« »Feldwebel Cooper und Mart Siverts.« 310 »In Ordnung. Aber nur, damit Sie Ruhe geben.« »Danke, Sir.« Huxleys Blick fiel auf Tantal, dessen Fühler Signale auszusenden schienen. Mit einem Lächeln sagte er: »Du gehörst natürlich auch dazu, Tantal. Es wäre außerdem gut, wenn uns ein Meeg begleiten könnte.« 311 21. Ren Dharks Blick war auf die Bildkugel inmitten der Zentrale der EPOY gerichtet. Gisol hatte die Position des Piloten inne und steuerte den Ringraumer in das System einer gelben Riesensonne. Insgesamt sechsundzwanzig Planeten umkreisten sie, darunter vier Gasriesen von der mehrfachen Masse des Jupiter.
In den Daten, die Ren Dhark von Epoy mitgebracht hatte, waren die Koordinaten von Planet Nummer 16 enthalten. Er war unter der Worgunbezeichnung Satroy verzeichnet, hatte eine Sauerstoffatmosphäre und eine Schwerkraft, die etwa zwanzig Prozent über der Erdnorm lag. »Auf den Sternkarten von Terra Nostra ist diese Welt ebenfalls verzeichnet«, erklärte der Römer Manlius, während er seine Anzeigen verfolgte. Ren Dhark wandte sich an den Verbindungsoffizier der Römer von Terra Nostra. »Ist bei euch irgend etwas darüber bekannt, weshalb Satroy für Zyzzkt- tabu sein könnte?« Manlius schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid. In den Daten, die mir vorliegen, ist keinerlei Hinweis auf den Grund für das Tabu zu finden.« Fast ein Drittel der Bildkugel wurde von dem gleißenden Zentralgestirn dieses Systems eingenommen. Ein dunkler, schwarzer Fleck war darauf zu sehen. Innerhalb der letzten halben Stunde war dieser Fleck ein Stück nach links gewandert. Dhark wußte aus den Daten, die in einem Teilfenster der Bildkugel angezeigt wurden, daß es sich um einen Gasriesen handelte, der in einer sehr engen Umlaufbahn seine Sonne umkreiste. Manu Tschobe meldete sich aus der Ortungszentrale. Sein ebenholzfarbenes Gesicht erschien auf einem kleinen Nebenbildschirm. 312 »Die Fernaufklärung zeigt die Transition eines Arkan-Schiffes an!« meldete Tschobe. »Zielpunkt ist ein 84 Lichtjahre entferntes Sonnensystem mit der Bezeichnung Zaratan. Der vierte Planet ist ebenfalls eine jener Sauerstoffwelten, die auf der Tabuliste der Zyzzkt- stehen.« »Ein Arkan-Schiff steuert eine der Welten an, deren Geheimnis wir herauszufinden versuchen«, murmelte Ren Dhark. »Ich frage mich, was dieses Riesenraumschiff dort zu suchen hat.« Der römische Verbindungsoffizier Manlius meldete sich zu Wort. »Angesichts des herrschenden Energiemangels muß es sich um eine Mission von einiger Wichtigkeit handeln«, vermutete er. »Gleichgültig, was da auch vorgehen mag es muß für uns von Interesse sein«, glaubte Tschobe. Gisol war derselben Meinung. »Satroy und seine Riesensonne laufen uns schließlich nicht weg«, meinte der Worgun. »Ich schlage vor, kurzfristig umzudisponieren und diese Sauerstoffwelt anzufliegen, zu der das Arkan-Schiff transitierte.« “ »Einverstanden«, sagte Dhark. »Wir bleiben natürlich im Sternensog. Schließlich soll niemand auf uns aufmerksam werden.« Arc Doorn zuckte die breiten Schultern. »Die Reihenfolge, in der wir die Koordinaten anfliegen, ist ja ohnehin eher willkürlich.« »Ich nehme jetzt den Kurswechsel vor und beschleunige«, erklärte Gisol. Die Anzeige der Bildkugel veränderte sich. Das Zentralgestirn des Satroy-Systems war wenige Augenblicke später nicht mehr zu sehen. Ein dumpfes Vibrieren ging durch die EPOY, während die Triebwerke für maximale Beschleunigung sorgten. Mit aktiviertem Intervallum verließ die EPOY das Sonnensystem mit Überlichtgeschwindigkeit. Dhark wandte sich an Tschobe. »»Ich möchte, daß wir den Arkan-Raumer im Auge behalten!« »In Ordnung«, bestätigte Tschobe. Amy Stewart, die sich ebenfalls im Leitstand der EPOY befand, musterte Ren Dhark einige Augenblicke lang. Für einen kurzen Moment traf sich ihr Blick mit dem des Commanders der Planeten. 313 »Wenn ein Arkan-Schiff dieses 84 Lichtjahre entfernte System anfliegt, befinden sich dort vielleicht wichtige militärische Anlagen der Zyzzkt-«, vermutete die Cyborgfrau. »Jedenfalls wäre das in meinen Augen eine logische Schlußfolgerung.« Dhark nickte. »Wir werden äußerste Vorsicht walten lassen müssen, um nicht entdeckt und angegriffen zu werden.« »Auf jeden Fall können wir unterstellen, daß es sich um eine außerordentlich wichtige Mission handelt, die das Arkan-Schiff auszuführen hat«, meldete sich Arc
Doorn zu Wort. »Schließlich hat ein derart riesiges Schiff selbst bei kleineren Transitionen einen geradezu astronomischen Energieverbrauch.« »Offenbar ist den Zyzzkt- die Sache eine Menge Tofirit wert«, stellte Dhark fest. Im Intervallflug erreichte die EPOY schließlich das 84 Lichtjahre entfernte System. »Was sagen die Abtaster über Planet IV?« erkundigte sich Ren Dhark bei Manu Tschobe. »Eine geradezu paradiesische Sauerstoffwelt. Ich orte an einigen Stellen Strukturen, bei denen es sich möglicherweise um Gebäude handelt.« »Was macht das Arkan-Schiff?« fragte Dhark. Die Anzeige der Bildkugel holte den gewaltigen Raumer heran. Schon optisch war zu sehen, daß er offenbar die Umlaufbahn um Planet IV verlassen hatte und sich zusehends entfernte. »Energieniveau an Bord des Arkan-Schiffs steigt rapide an«, meldete Tschobe. »Können die uns bemerkt haben?« mischte sich Amy Stewart ein. »Halte ich für ausgeschlossen!« widersprach Arc Doorn. Der rothaarige Sibirier betrachtete mit angespanntem, wie üblich ziemlich mürrisch wirkendem Gesicht die Anzeigen seiner Konsole. »Ich nehme an, daß eine Transition unmittelbar bevorsteht. Der Gigant verläßt das System.« Wenig später erfüllte sich Doorns Vermutung. 314 Das Arkan-Schiff entschwand in den Hyperraum. Manu Tschobe stellte fest, daß der Zielpunkt etwa vierhundert Lichtjahre entfernt lag. »Möglicherweise handelt es sich nur um eine Zwischenstation«, vermutete der Afrikaner. »Durch eine Abfolge mehrerer kleinerer Transitionssprünge läßt sich Energie sparen oder irre ich mich da, Arc?« Der Sibirier bestätigte Tschobes Annahme mit einem stummen Nicken. »Gibt es irgendwelche Daten aus der Ortung, die uns daran hindern könnten. Planet IV anzufliegen?« erkundigte sich Dhark. »Negativ«, erklärte Tschobe. »Es sind keinerlei fremde Schiffe im System.« »Militärische Abwehranlagen?« vergewisserte sich der Commander der Planeten. Schließlich wollte er nicht, daß die Expedition ins offene Messer lief. »Es liegen keine Anzeigen vor, die auf das Vorhandensem von Abwehranlagen hindeuten«, bestätigte Tschobe. Eine Falte erschien auf Dharks Stirn. Daß das Arkan-Schiff eine Reise über wahrscheinlich mehrere tausend Lichtjahre unternommen hatte, nur um einen Kurzbesuch im Orbit einer unbewohnten Sauerstoff weit zu machen, erschien dem Terraner wenig wahrscheinlich. Wir werden uns wohl auf einige Überraschungen gefaßt machen müssen! überlegte er. »Dann nehmen wir jetzt am besten Kurs auf Planet IV«, bestmimte Dhark. »Alles klar«, sagte Gisol. Dhark kannte ihn gut genug, um den leicht unzufriedenen Unterton in der Stimme des Worgun herauszuhören. Es gefiel ihm offenbar nicht, daß der Terraner auf Gisols Schiff Befehle gab, auch wenn er deren Berechtigung einsah. Aber Gisol hütete sich davor, das offen zu äußern. Der Worgun kommandierte die EPOY und betrachtete sie als sein rechtmäßiges Eigentum. Aber Dhark war schließlich der Kommandant der gesamten OrnExpedition. Dies und die Tatsache, daß Gisol für die Zukunft annahm, auf die Terraner als Bundesgenossen angewiesen zu sein, bewirkten wohl, daß er die Anweisungen des Terraners so anstandslos hinnahm. 315 Noch sind unsere Ziele vollkommen identisch, ging es dem Commander der Planeten durch den Kopf. Es ist die Frage, ob das in Zukunft so bleiben wird... Dhark wußte, daß es für den WorgunRebellen ein einziges großes Ziel gab, dem er alles andere notfalls unterordnen würde. Die Befreiung Oms von der ZyzzktHerrschaft. Wie weit er dabei gehen würde, hast du aufF104G gesehen, überlegte Dhark. Gisol steuerte die EPOY näher an den vierten Planeten heran.
»Ich bekomme weitere Daten herein«, meldete Manu Tschobe. »Bei den gebäudeähnlichen Strukturen handelt es sich um Ruinen einer vorindustriellen Kultur.« »Irgendwelche Zeichen intelligenter Lebensformen?« fragte Dhark. »Negativ. Diese Kultur scheint schon vor langer Zeit ein Ende gefunden zu haben.« »Das Arkan-Raumschiff wird Planet IV kaum angesteuert haben, um eine Gruppe Archäologen auszuschleusen«, stellte Arc Doorn für seine Verhältnisse überraschend eloquent fest. »Ich glaube, die Annahme, daß die Zyzzkt- sich für so etwas wie Archäologie auch nur im Entferntesten interessieren könnten, ist völlig absurd«, kommentierte Amy Stewart kühl. Dhark lächelte mild. »Vielleicht haben wir ihre Kultur bislang unterschätzt«, sagte er ironisch. Gisol schien dafür allerdings keinerlei Verständnis zu haben. »Sie haben keine Ehrfurcht vor irgendeiner Kultur, ob das nun die Vergangenheit oder die Gegenwart betrifft«, widersprach er mit bitterem Unterton. »Die Zyzzktkennen nur die Zerstörung und die Eroberung. Eine Sauerstoffwelt nach der anderen machen sie sich Untertan. Die ursprünglich dort beheimateten Intelligenzen werden vernichtet. So ist es auf unzähligen Welten in ganz Om geschehen. Warum sollte es hier anders sein?« Kurz vor Erreichen der Umlaufbahn schaltete Gisol von Sternensog auf SLEAntrieb um. Die EPOY schwenkte in eine stabile Kreisbahn ein. In der Bildkugel schimmerte Planet IV als blaue Kugel, fast wie ein Zwilling der Erde. Nur die Verteilung der Kontinente, die hier und da durch die Wolkenwirbel hindurch er 316 kennbar war, machte klar, daß es sich keineswegs um die Heimatwelt der Menschheit handelte. Die Ortungssysteme des Ringraumers arbeiteten auf Hochtouren. Manu Tschobe ließ die Oberfläche des Planeten systematisch abtasten. Es stellte sich heraus, daß die Überreste jener vorindustriellen Zivilisation, die es offenbar einst auf Planet IV gegeben hatte, weitaus spärlicher vorhanden waren, als man zunächst hätte vermuten können. Ein besonders dicht besiedelter Planet schien diese Welt nie gewesen zu sein. Ansonsten waren die Bedingungen auf der Oberfläche wahrhaft paradiesisch. Die beiden Kontinente wurden vom Äquator durchschnitten. Ein breiter Gürtel tropischer und subtropischer Vegetation war hier zu finden. Weiter nördlich gab es ausgedehnte Ebenen, die zumeist von einer savannenartigen Vegetation bedeckt wurden. Der Anteil der Wüstengebiete war recht gering. Gewaltige Ströme durchzogen den größeren Westkontinent wie ein verzweigtes Adersystem. Mehrere Binnenmeere verhinderten, daß das Klima im Inneren des Kontinents zu trocken wurde. Der kleinere Ostkontinent war sehr gebirgig. Hier gab es auch Anzeichen von aktivem Vulkanismus. Beide Pole wurden von Eiskappen bedeckt, die in ihrer Ausdehnung etwas kleiner ausfielen, als dies in den Warmzeiten der Erdgeschichte üblich war. Der planetenumspannende Ozean war ausgesprochen flach. Mit Ausnahme eines etwa tausend Meter tiefen, verzweigten Grabensystems lag die durchschnittliche Wassertiefe bei nicht mehr als 150 bis 200 Meter. Im südlichen Teil des Ozeans waren einige größere Krater auf dem Meeresboden zu sehen. Man konnte sie selbst vom Weltraum aus erkennen. Vermutlich handelte es sich um die Einschlagkrater von Asteroiden, die in femer Vergangenheit auf die Planetenoberfläche aufgetroffen waren. »Diese Einschläge müssen gewaltige Flutwellen erzeugt haben«, stellte der Römer Manlius fest. »Falls nicht die Zyzzkt- für die Vernichtung der einheimischen Zivilisation verantwortlich sind, haben diese Einschläge ihr vermutlich ein Ende gesetzt, bevor sie 317 sich richtig entfalten konnte.« »Gut möglich«, murmelte Ren Dhark. Während der nächsten halben Stunde gab es keinerlei Erkenntnisse, die der EPOYBesatzung irgendwie weitergeholfen hätten. Es gab zunächst weiterhin weder
Hinweise auf technische oder militärische Einrichtungen der Zyzzkt- noch andere Beobachtungen, die erklären konnten, was der Arkan-Raumer hier gesucht hatte. Dann kam eine Meldung von Manu Tschobe, die alle alarmierte. »Ich orte einen sehr schwachen Hyperimpuls auf der Oberfläche.« In der Bildkugel des Leitstandes wurde ein Fenster gebildet, daß eine Karte des Planeten zeigte. Die Position, an der Tschobe den Hyperimpuls gemessen hatte, war markiert. »Irgendeine Erklärung?« fragte Dhark. »Nein. Aber es fällt auf, daß dieser Impuls abgedämpft zu sein scheint«, gab Tschobe Auskunft. Manlius hob die Augenbrauen. »Das könnte dafür sprechen, daß sich dort eine Tarnvorrichtung befindet!« »Ich schlage vor, daß wir uns ansehen, w,as man dort vor uns zu verbergen versucht«, meinte Dhark. »Nichts dagegen!« sagte Gisol. »Ich setze zum Landeanflug an.« Die EPOY tauchte in die bläulich schimmernde Atmosphäre von Planet IV ein. Die Anzeige in der Bildkugel wurde bald fast völlig von einem Fleckenmuster aus Wolkenformationen eingenommen. Es dauerte nicht lange, und erste Einzelheiten der Oberfläche waren zu sehen. Deutlich erkennbar zeichnete sich die Küstenlinie des Westkontinents ab. In einem kleineren Nebenfenster blieb die Kartendarstellung zu sehen, auf der auch die gegenwärtige Position der EPOY angezeigt wurde. Der Ringraumer sank immer tiefer. Deutlich waren jetzt ausgedehnte Waldgebiete und Einzelheiten der Topographie zu erkennen. In einer Höhe von kaum mehr als zweihundert Metern überflog die EPOY dann die nördliche Steppenebene des Westkontinents. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis sie die Zielposition er318 reicht hatten. In der Bildkugel erschien ein Objekt am Horizont. Es wirkte zunächst wie ein dunkler Fleck auf der Anzeige der Bildkugel. Dieser Fleck wurde allerdings innerhalb von Sekunden größer. Mit wahnwitziger Geschwindigkeit raste etwas auf die EPOY zu. Beinahe wie ein Geschoß. Ein Ruck ging durch das Schiff. Gisol hatte blitzschnell reagiert und die EPOY seitwärts aus ihrer Flugbahn brechen lassen. »Achtung! Beinahekollision mit unbekanntem Rugobjekt!« rief Manu Tschobe. Die Optik der Bildkugel folgte dem Objekt, das offenbar dem Ortungssystem entgangen war. Es raste weiter. Seine Flugbahn zog sich in einem Bogen gen Himmel. »Ein Ringraumer!« entfuhr es Ren Dhark fassungslos. »Die Ortungssysteme haben dieses Ding nicht angezeigt!« rief Manu Tschobe. »Es scheint nur optisch erfaßt werden zu können! Die Energieabstrahlung ist sehr gering. Offenbar hat dieses Schiff eine Tarnung, die der unseren ebenbürtig ist!« Gisol aktivierte die Waffensysteme der EPOY. Eine Salve Nadelstrahlen schoß in Richtung des davonrasenden Ringraumers. Die Zielerfassung funktionierte dabei ausschließlich über die angemessenen Energieabstrahlungen des fremden Raumschiffes und über die optischen Systeme. Eine Ortung im konventionellen Sinn war nicht möglich, die Zielsicherheit dementsprechend eingeschränkt. Ein Treffer war auf diese Weise vor allem Glückssache. Gisol verwendete daher Streufeuer. Der fremde Ringraumer änderte plötzlich und nicht vorhersehbar seine Bahn. Die Nadelstrahlen der EPOY gingen ins Leere. Das andere Schiff flog einen Bogen. Die EPOY veränderte ebenfalls ihren Kurs. Dhark war schnell klar, was Gisol vorhatte. Er versucht einen Angriff! durchzuckte es den Commander der Planeten. Gisol hat gar nicht erst den Versuch gemacht, Kontakt aufzunehmen... 319
Das Jim-Smith-Gesicht des Worgun war zu einer starren Maske geworden. Erneut eröffnete Gisol mit der EPOY das Feuer. »Dieser Gegner darf auf keinen Fall entkommen«, preßte der Worgun zwischen den Lippen seines zur Zeit menschlich wirkenden Körpers hindurch. Der Pilot des fremden Ringraumers schien sein Handwerk jedoch ebenfalls zu verstehen. Er folgte einer Flugbahn, die man mathematisch gesehen als chaotisch betrachten mußte. In unregelmäßigen Abständen ließ der fremde Pilot den Ringraumer einfach in die Tiefe fallen. Wenig später wurde das Schiff dann wieder durch gezielten Schub aufgefangen. Eine seltsame, fast torkelnde Flugbahn entstand dadurch, die für den Gegner nicht vorhersehbar war. Ein Manöver, mit der schon Jagdflieger des zwanzigsten Jahrhunderts feindlichen Angriffen durch Lenkwaffen ausgewichen waren und terranische Motten das Sonar von Fledermäusen zu überlisten pflegten. Der Angriff der EPOY ging erneut ins Leere. Gisol fluchte vor sich hin. Sein menschliches Gesicht verzog sich grimmig. »Gisol!« sprach Ren Dhark ihn an. Der Worgun reagierte nicht. Er war voll auf die Kampfhandlungen konzentriert. An seiner Entschlossenheit, dieses plötzlich aufgetauchte und hervorragend getarnte Schiff zu vernichten, konnte kein Zweifel bestehen. Aber wenn er nicht schnell handelte, war der fremde Ringraumer entwischt. »Warum greifst du den Ringraumer an, Gisol?« fragte Dhark. Seine Frage blieb unbeantwortet. Der fremde Ringraumerpilot flog jetzt erneut einen Bogen und ging seinerseits auf Angriffskurs. Er eröffnete das Feuer. Eine Mischung aus Nadelstrahlen und Mix4 wurde auf die EPOY abgefeuert. Gisol änderte abrupt den Kurs, um dieser Attacke auszuweichen. Allerdings schaffte er es nicht ganz. Ein Teil der verschossenen Strahlen erfaßte die EPOY. Erneut durchlief eine Erschütterung das Raumschiff. »Wir wurden getroffen!« meldete Arc Doorn, der sich an einer der Konsolen festgehalten hatte. 320 »Schadensbericht!« verlangte Dhark, während Gisol bereits zurückfeuerte. Auch er verwendete eine Mischung aus Nadelstrahlen und Mix 4, in der Hoffnung, das Intervallfeld des feindlichen Schiffes zu neutralisieren. »Das Intervallum ist abgeschwächt. Durch Aktivierung der Energiereserven kann das aber ausgeglichen werden!« meldete Doorn. Wir sind also mit einem blauen Auge davongekommen! ging es Dhark erleichtert durch den Kopf. Manu Tschobe meldete sich zu Wort. »Der andere scheint ebenfalls Schwierigkeiten damit zu haben, uns zu orten«, erklärte er. »Ansonsten hätte uns eine Salve von Nadelstrahlen und Mix4 auf diese kurze Distanz voll treffen müssen.« »Dann herrscht ja wenigstens eine Art Waffengleichheit!« erklärte Gisol grimmig. Er schaltete den SLE-Antrieb auf maximale Beschleunigung. Die EPOY raste geradezu in einem Zickzacckurs über die Oberfläche von Planet IV. Die Flughöhe betrug dabei kaum mehr als fünfzig Meter. Der fremde Ringraumer feuerte. Die Strahlenschüsse gingen links und rechts neben der EPOY in den Boden, versengten das Steppengras und die staudenartigen Gewächse, die hier zu finden waren. Kleinere Feuer loderten schon wenig später wie in einer Perlenkette angeordnet. Eine Spur der Verwüstung zog sich über die Ebene. Gisol ließ die EPOY nach wenigen Augenblicken abrupt den Kurs wechseln. Sie schoß mit hoher Beschleunigung in einer senkrecht zur Oberfläche verlaufenden Bahn empor. Das Feuer des fremden Schiffes ging ins Leere. Gisol änderte erneut abrupt die Flugrichtung und feuerte anschließend auf den unbekannten Gegner. Diesmal versuchte der Kommandant der EPOY es mit breitgestreuten Strahlschüssen, unterstützt von Mix4. Aber der gegnerische Pilot stellte zum wiederholten Mal sein Können unter Beweis.
Auch der fremde Raumer änderte urplötzlich den Kurs und sank mit aktiviertem Intervallfeld in den Boden ein. »Alle Achtung! Er weiß genau, was er tut«, meinte Arc Doorn. Sobald sich der Ringraumer im Inneren des Planeten befand, 321 war es für die optischen Systeme der EPOY natürlich unmöglich, ihn zu erfassen. Mit Energieabstrahlungen der Waffensysteme des Ringraumers war ebenfalls nicht zu rechnen, solange nicht gefeuert wurde. »Der Pilot will offenbar einem Kampf ausweichen«, vermutete Gisol. »... und ich fürchte, wir haben ihn verloren«, sagte Ren Dhark. Aber Gisol wollte davon nichts wissen. »So schnell gebe ich nicht auf! Diese Zyzzkt-Brut werde ich nicht davonkommen lassen!« Er tauchte mit der EPOY ebenfalls ins Planeteninnere ein, raste Richtung Planetenkem und erreichte bald schon die glühendheiße Magma. Aber das Intervallfeld schützte die EPOY. Es bildete ein eigenes Kontinuum für das Schiff, so daß feste Materie nicht nur durchdrungen werden konnte, sondern der Ringkörper auch vor hohem Druck und Temperatur geschützt blieb. Der Druck im Inneren eines Planeten von Erdgröße war dermaßen hoch, daß trotz enormer Temperaturen, die den Siedepunkt um ein Vielfaches übertrafen, der metallische Kern nicht schmelzen konnte. So lange die EPOY jedoch durch ihr Intervallum geschützt blieb, war das kein Problem. »Das hat doch keinen Sinn, Gisol!« beschwerte sich Arc Doorn. »Wir können uns in dieser heißen Magmasuppe ein Blindrennen um den Planetenkem mit diesem Fremden liefern, aber wir haben nicht den Hauch einer Chance, ihn noch einmal zu orten, sofern er nicht so dumm ist, seine Waffensysteme zu benutzen.« Gisol wollte offenbar noch immer nicht aufgeben. »Wenn der Ringraumer entkommt, wird er uns weitere Zyzzkt-Einheiten auf den Hals hetzen!« stellte der Worgun fest. Wie stark muß sein Haß auf die Zy^.kt sein! ging es Dhark durch den Kopf. Manlius meldete sich zu Wort. In seiner schneeweißen römischen Toga wirkte er auf Dhark immer wie ein leibhaftiger Anachronismus. »Vielleicht haben die Zyzzkthier auf Planet IV eine Tarnvorrichtung entwickelt und getestet, die der unseren ebenbürtig ist«, vermutete der Römer. »Es könnte auf der Planetenoberfläche noch ebenfalls gut getarnte militärische Anlagen ge 322 ben, deren Energieabstrahlungen unseren Ortem bislang entgangen sind.« »Ich hoffe, daß Sie sich irren, Manlius«, bekannte Ren Dhark. »Ansonsten werden unsere zukünftigen Operationen in Om um einiges schwieriger.« Dhark wandte nur einen kurzen Blick zur Bildkugel. Derzeit waren dort keine brauchbaren Bilder zu sehen. Nur ein glühendes Magmameer. »Ich habe hier eine leichte energetische Anomalie in den Anzeigen«, ließ sich Manu Tschobe plötzlich vernehmen. »Manlius, vielleicht könnten Sie sich das mal ansehen!« »Ich habe die Daten hier auf meiner Konsole«, bestätigte der Römer. »Ich würde sagen, daß es sich um eine Energiesignatur handeln könnte.« »Aber etwas stimmt damit nicht! Wenn es die Energiesignatur des fremden Ringraumers wäre...« Tschobe sprach nicht weiter. »Ich werde diese Anomalie einer genauen Analyse unterziehen«, versprach Manlius. »Was mich verwirrt, ist der exotische Strahlenbereich, in dem sie gemessen wurde.« Gisol steuerte unterdessen genau jene Position im Planeteninneren an, wo die energetische Anomalie geortet worden war. »Ich nehme an, daß es sich tatsächlich um eine Energiesignatur des Ringraumers handelt«, erklärte schließlich Manlius. »Sie wird allerdings stark abgedämpft und schimmert nur in diesem exotischen Strahlenbereich durch die Tarnung. Offenbar ist die Tarnvorrichtung unseres Gegners noch nicht völlig perfekt...« »Signatur wird erneut geortet!« stellte Tschobe fest. »Ist aber sehr schwach. Wir drohen sie zu verlieren.« »Ich gehe auf Verfolgungskurs!« entschied Gisol. »Signatur wird schwächer. Distanz zum angemessenen Objekt hingegen größer«, meldete Tschobe.
»Maximale Beschleunigung!« murmelte Gisol. Ein Befehl, der über die Gedankenkontrolle natürlich auch direkt an den Hyperkalkulator der EPOY ging, der ihn sofort umsetzte. Aber schon nach wenigen Augenblicken war die Energiesignatur nicht mehr meßbar. »Tut mir leid. Sie ist weg!« stellte Tschobe fest. 323 Gisol steuerte die EPOY mitten durch den Planetenkem hindurch. »Ist es wirklich ausgeschlossen, daß es sich bei dieser angeblichen Energiesignatur nicht um Effekte im Zusammenhang mit dem planetaren Magnetfeld handelt?« erkundigte sich Dhark bei Manlius. Der Römer hob die Augenbrauen. Sein Gesicht wirkte nachdenklich. Er zog sich die weiße Toga enger um die Schultern und meinte schließlich: »Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher.« Die EPOY trat wenige Augenblicke später auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten aus dem flachen Ozean heraus. Gisol ließ sein Schiff schnell emporsteigen. Mit SLEAntrieb erreichte es den freien Raum. »Der Ringraumer könnte sich auf unbestimmte Zeit im Planeteninneren versteckt halten, ohne daß wir etwas davon mitbekommen«, erklärte Tschobe. Gisol schüttelte den Kopf. »Daran glaube ich nicht. Sie werden versuchen, von hier zu verschwinden.« Die EPOY beschleunigte nun nicht mehr, sondern bewegte sich im Unterlichtflug auf die Bahn von Planet V zu. »Die Ortungssysteme sollen nach dieser Signatur suchen und dabei auch alle energetischen Anomalien berücksichtigen, die vielleicht nur eine teilweise Übereinstimmung zeigen!« bestimmte der Worgun. »Das ist eine gute Idee«, lobte Manlius. »Schließlich wissen wir nicht, zu wieviel Prozent diese Energiesignatur durch die Tarnung hindurchschimmerte. Irritationen durch das planetare Magnetfeld sind im freien Raum auf jeden Fall auszuschließen.« Augenblicke lang herrschte angespanntes Schweigen im Leitstand der EPOY. Die Ortungssysteme liefen auch Hochtouren. Ren Dhark war bewußt, daß die Wahrscheinlichkeit dafür, die Energiesignatur wiederzufinden, sehr gering war. Dies galt unabhängig davon, ob sich der Ringraumer noch im Inneren von Planet IV versteckt hielt oder die Flucht in den freien Raum gesucht hatte. »Das Ergebnis der Ortung ist bislang leider negativ«, stellte Tschobe schließlich fest. »Wir müssen es weiter versuchen!« forderte Gisol. »So schnell dürfen wir nicht aufgeben.« Amy Stewart wandte sich an Ren. »Es sieht ja nun ganz danach 324 aus, daß auch die Zyzzkt- über eine Tarnung verfügen, die der unseren in etwa ebenbürtig ist! Wir werden in Zukunft sehr viel vorsichtiger agieren müssen.« »Diese Tarnung dürfte auch auf einem ähnlichen Prinzip beruhen!« ergänzte Manlius. Ren Dhark nickte. § »Das macht mir tatsächlich Sorgen.« Gisol aktivierte den Sternensog und schwenkte wenig später in äe Umlaufbahn von Planet VI des Systems ein. ^ Die Ortung der EPOY lief noch immer auf Hochtouren. Sämtliche auch nur entfernt verdächtigen Daten wurden genauestens analysiert und auf Ähnlichkeiten mit der aufgezeichneten Energiesignatur verglichen. Ohne Erfolg. »Wenn Sie mich fragen: Dieser fremde Ringraumer ist längst auf und davon«, meinte Manlius. »Er könnte sich auch irgendwo im System versteckt halten und plötzlich wieder auftauchen!« glaubte Gisol. »Vielleicht sollten wir uns den sonnennahen Bereich mal vornehmen. Die Korona ist auch immer ein günstiger Ort, wenn man sich verstecken will...«
»Wir müssen damit rechnen, daß es hier bald von Zyzzkt- nur so wimmelt«, mahnte Amy Stewart. »Schließlich wird der Pilot seinen Kampf mit der EPOY nicht für sich behalten. Also sollten wir zusehen, daß wir so schnell wie möglich verschwinden, ehe hier eine Rotte auftaucht!« »Vielleicht kehrt sogar dieser riesige Arkan-Raumer zurück!« glaubte Arc Doorn. »Ich bin dafür, daß wir unserem ursprünglichen Ziel folgen und den Ausgangspunkt des Hypersignals auf der Oberfläche von Planet IV ansteuern«, erklärte Ren Dhark. »Die Suche nach dem Ringraumer hat so gut wie keine Erfolgsaussichten. Und bis hier eine Zyzzkt-Armada eintrifft, haben wir vielleicht etwas Zeit, um herauszufinden, was das Geheimnis dieser Welt ist.« Gisol schien wenig begeistert zu sein. Die Tatsache, daß der Ringraumer verschwunden blieb, faßte er offenbar als persönliche Niederlage auf. Am liebsten hätte der Worgun den fremden Ringraumer zerstört. Nun mußte er sich allerdings mit den Gegebenhei 325 ten abfinden. Innerlich zollte Gisol dem Piloten sogar einen gewissen Respekt, wenn auch widerstrebend. Aber das Fluchtmanöver war ausgesprochen geschickt gewesen. Ein Ruck ging durch den Worgun, der aussah wie ein Mensch. Er wandte sich an Manu Tschobe. Ein letzter Strohhalm blieb noch. »Gab es irgendwelche Anzeichen für eine Transition hier im System?« erkundigte er sich. »Negativ«, sagte Tschobe. »Es kam während unseres gesamten bisherigen Aufenthaltes hier im Umkreis von zehn Lichtjahren zu keiner Transition abgesehen von dem Raumsprung des Arkan-Schiffs.« »Der Ringraumer ist wahrscheinlich mit Sternensog geflüchtet!« stellte Dhark fest. »Das liegt doch auf der Hand.« »Vorausgesetzt, er hatte dazu genug Energie!« gab Gisol zu bedenken. »Die kleine Auseinandersetzung, die wir mit ihm hatten, deutete eigentlich nicht an, daß man an Bord des Ringraumers jedes Kömchen Tofirit einzeln abwiegen mußte«, äußerte sich Arc Doorn. Ren Dhark wandte sich an Gisol. »Ich denke, wir sollten uns damit abfinden, daß der Fremde geflüchtet ist.« Das absolut menschliche Gesicht wirkte etwas verkniffen. Schließlich nickte Gisol. »Wahrscheinlich hast du recht, Ren.« »Falls die Zyzzkt- eine ebenso perfekte Tarnung entwickeln konnten, wie wir sie auf euren Schiffen installiert haben, dann wird es in Zukunft sehr ungemütlich für uns«, sagte Manlius. »Eigenartig, diese Kreativität hätte ich den Insektoiden gar nicht zugetraut...« »Ich halte das für ausgeschlossen«, meinte Gisol. »Vor acht Jahren war ich das letzte Mal in Om und ich halte es gelinde gesagt für undenkbar, daß die alles andere als besonders erfinderischen Zyzzkt- in dieser Zeit einen derartigen technologischen Sprung machen konnten.« Er wandte sich Manlius zu. »Selbst ihr Römer habt doch wesentlich länger dazu gebraucht, die Technik der Worgun weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zu euch sind die Zyzzkt- doch reine Kopisten ohne Phantasie!« 326 Manlius zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur hoffen, daß Sie recht haben, Gisol. Andernfalls wäre wahrscheinlich nur eine schnelle Flucht unsere einzige Rettung...« Ren Dhark ergriff das Wort und nahm seine Entscheidungsbefugnis als Leiter der gesamten Orn-Expedition in Anspruch. »Ich möchte jetzt endlich wissen, was dieser Hyperimpuls zu bedeuten hatte. Also ist der nächste Schritt eine Landung in der Nähe des Ausgangspunktes. Wir werden die EPOY dort an einer geeigneten Stelle landen und uns dann umsehen.« »Der Hyperimpuls könnte von dem Ringraumer verursacht worden sein«, erwiderte Gisol. »In dem Fall hat der Fremde an dieser Stelle irgend etwas gesucht und ich bin gespannt darauf, was das sein könnte.« Gisol ließ die EPOY erneut in die Atmosphäre von Planet IV eintauchen und flog jene Koordinaten an, von denen der gedämpfte Hyperimpuls ausgegangen war. Manlius und Tschobe waren derweil damit beschäftigt, diese Daten einer
eingehenden Analyse zu unterziehen, die vielleicht weitere Erkenntnisse bringen konnte. Sie blieben aber zunächst erfolglos damit. Der Zielpunkt lag in einem Waldgebiet am Rand der nördlichen Steppe auf dem Westkontinent. Als die EPOY die Ursprungskoordinaten des Hyperimpulses erreichte, erschien in der Bildkugel etwas, das alle verwirrte. Die Gestalt eines überdimensionalen goldenen Zyzzkt- ragte aus dem mäßig bewaldeten Umland heraus auf. »Wer hätte das gedacht! Ein Goldener!« stieß Ren Dhark hervor. Auf zahlreichen ehemaligen Stützpunktplaneten der Worgun waren die Terraner auf die sogenannten »Goldenen« gestoßen. Diese oft mehrere hundert Meter emporragenden Statuen ähnelten zumeist gesichtslosen Humanoiden und waren über unterirdischen technischen Großanlagen errichtet worden. Ihre genaue Funktion war bis heute ein Rätsel geblieben, dasselbe galt für die Tatsache, daß sie im Gegensatz zu den in vielen Kulturen bis zu einer gewissen Entwicklungsstufe üblichen Monumentalskulpturen von Herr327 schern oder Göttern nie ein Gesicht besaßen. Ein Goldener verfügte normalerweise über zahlreiche Waffensysteme. Verschiedene Strahlarten konnten aus Kopf und Händen abgefeuert werden. Körperhaltung und Gliedmaßen ließen sich bewegen, ohne daß die Statue dabei ihren Platz verließ. Außerdem bestand die Möglichkeit, die gesamte Anlage mit Schutzschirmen zu umgeben. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß unsere Ortungssysteme dieses Riesenobjekt bislang nicht angezeigt haben, überlegte Ren Dhark. Die andere Möglichkeit war, daß die Anlage überhaupt nicht in Betrieb war und deswegen auch keinerlei energetische Abstrahlungen verursachte. Ob der gedämpfte Hyperimpuls in den technischen Anlagen des Goldenen seine Ursache hatte, würde noch aufzuklären sein. Auf jeden Fall mußte hier das Ziel des fremden Raumschiffs gewesen sein. Und es war auch anzunehmen, daß das Auftauchen des Arkan-Schiffes mit der gigantischen Statue in Zusammenhang stand. »Abgesehen davon, daß wir bislang keinen Goldenen in Form eines Zyzzktgefunden haben, sind alle charakteristischen Merkmale vorhanden«, meldete sich Tschobe. »Die Höhe der Statue beträgt fünf Kilometer. Der Sockel, auf dem der Goldene errichtet wurde, ist einen Kilometer hoch.« »Zusammengerechnet hat das Ding also die Höhe eines mittleren Andengipfels«, knurrte Amy Stewart. »Sind inzwischen irgendwelche energetischen Aktivitäten zu verzeichnen?« fragte Dhark an Tschobe gewandt. »Immer noch negativ«, meldete der Afrikaner. »Es ist nicht die geringste Aktivität feststellbar. Die Anlage scheint außer Betrieb zu sein.« »Dann frage ich mich allerdings, was der fremde Ringraumer hier gewollt hat ganz zu schweigen von dem Arkan-Schiff!« murmelte Dhark. »Ich glaube nämlich nicht, daß wir hier eine Ruine vor uns haben.« »Ich werde auf dem Vorplatz des Goldenen landen!« kündigte Gisol an. »Bislang gibt es keinerlei Anzeichen für die Anwesenheit irgendwelcher Raumschiffe im System«, meldete Tschobe. »Noch sind wir völlig allein hier!« 328 Ren Dhark atmete tief durch. »Hoffen wir, daß dieser Zustand lange genug anhält, um sich hier alles in Ruhe ansehen zu können.« »Die Optimisten sterben auch nie aus«, kommentierte Arc Doorn die Situation. Gisol nickte düster. Die EPOY sank langsam tiefer und setzte auf dem Boden auf. Die gesamte gegenwärtige Mannschaft schickte sich an, die EPOY über eine Außenschleuse zu verlassen. Kurz bevor Ren Dhark und die Angehörigen seiner Expedition ins Freie traten, kontrollierte Gisol über sein Armbandgerät noch einmal die vollautomatisch laufenden Ortungssysteme. Aber nach wie vor waren keinerlei Anzeichen dafür erkennbar, daß Zyzzkt--Raumer in dieses Sonnensystem hineintransitierten. Außerdem wurde noch einmal die Zusammensetzung der planetaren Atmosphäre überprüft insbesondere im Hinblick auf eventuell
schädliche Krankheitserreger. Auch in dieser Beziehung blieb die Überprüfung negativ. »Für einen Aufenthalt auf der Planetenoberfläche sind keinerlei besondere Schutzmaßnahmen notwendig«, verkündete Gisol. Mit Standardausrüstung und bewaffnung verließen Ren Dhark und alle anderen Mannschaftsmitglieder die Außenschleuse der EPOY. Gisol trug außerdem den Stirnreif, der ihn mit der Gedankensteuerung seines Raumschiffs verband. Sobald dessen Ortung etwas anmessen würde, konnte er reagieren. Der Vorplatz des wahrhaft monumentalen Goldenen hatte allein schon gewaltige Ausmaße, die die Landeflächen der meisten Raumhäfen wohl bei weitem überstiegen. Die Gruppe marschierte los, auf den imposanten Sockel der Statue zu. Inzwischen waren Wolken aufgezogen. Sie hüllten den oberen Teil des überdimensionalen Zyzzkt- ein, so daß der Kopf sowie einige Extremitäten nur noch als dunkle Schemen sichtbar waren. Als sich die Gruppe ein Stück von der EPOY entfernt hatte, blieb Gisol plötzlich stehen. 329 Er wandte sich zu seinem Ringraumer herum. Mit Hilfe des Armbandgerätes aktivierte er ein Intervallfeld, das den Raumer umhüllte. In seiner Jim-Smith-Gestalt wirkt er wie ein ganz gewöhnlicher Terraner! ging es Ren Dhark durch den Kopf. Als Gisol fertig war, ging die Gruppe weiter Richtung Sockel. »Ich hoffe nur, daß dieses riesige Zyzzkt-Monstrum nicht plötzlich verrückt spielt«, meldete sich Amy Stewart zu Wort. Manu Tschobe blickte zum wiederholten Mal auf sein Ortungsgerät. »Ich kann nach wie vor keinerlei energetische Aktivitäten feststellen geschweige denn irgend etwas, das auf die Aktivierung irgendwelcher Waffensysteme hindeuten würde! Die gesamte Anlage muß komplett abgeschaltet sein.« Ren Dhark richtete eine Frage an Gisol. »Hast du jemals etwas von einem Goldenen in Gestalt eines Zyzzkt- gehört?« Gisol alias Jim Smith schüttelte entschieden den Kopf. »Nein«, erklärte er. »Du weißt, wie mein Volk zu den Zyzzkt- steht. Kein Worgun hätte jemals die Gestalt eines Wimmelwilden auf diese Weise verewigt. Das ist vollkommen ausgeschlossen!« »Wer sagt uns, daß es Worgun waren, die diese Anlage errichteten?« fragte Amy Stewart. Ein dünnes Lächeln erschien in Gisols menschlichem Antlitz. »Die Zyzzktrekrutieren bis heute Forscher und Ingenieure unter den Worgun. Warum wohl? Weil sie zu wirklich kreativen Leistungen nicht imstande sind.« »Du traust es den Insektoiden also nicht zu, eine derartige Anlage zu errichten«, stellte Ren Dhark fest. »So ist es«, bestätigte Gisol. »Zumindest bis jetzt. Aber die Gestalt dieses Goldenen spricht andererseits für sich...« »Wirklich interessant dürfte das sein, was wir in den Anlagen finden, die sich unterhalb der Planetenoberfläche befinden«, glaubte Amy. »Vielleicht läßt sich ein Teil davon sogar reaktivieren, und wir finden wertvolles Datenmaterial.« Sie setzten ihren Weg fort. Imposant ragte vor ihnen die glatte Sockelmauer des Goldenen auf. Zwischendurch versuchte Gisol auf dem Boden Energiesignaturen zu finden, die vielleicht doch darauf hindeuten mochten, daß 330 im Inneren der unterirdischen Anlage irgendwelche Aktivitäten zu verzeichnen waren. Aber das Ergebnis blieb stets negativ. Die Kernfrage ist, was das Arkan-Schiff hier gesucht hat, überlegte Ren Dhark. Aber dafür gab es bislang keine logische Erklärung. Wozu der Aufwand, eine offenbar stillgelegte Anlage anzufliegen und das angesichts des immer gravierender werdenden Energiemangels in Orn? Dhark bemerkte aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung. Er drehte sich herum, starrte ungläubig auf einen bestimmten Punkt auf der glatten, harten
Oberfläche des Vorplatzes. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, daß der Boden sich aufwölbte. Aber das war eine Täuschung. Ein gewaltiges, ringförmiges Objekt trat im Schutz eines Intervallfeldes aus dem Boden heraus. »Ein Ringraumer!« entfuhr es Gisol. »Wie konnte unsere Ortung dieses Schiff nur übersehen?« fragte Tschobe. Gisol warf einen Blick auf die Anzeigen seines Armbandgerätes. »Die Bordsysteme dieses Raumers laufen im Vollbetriebsmodus. Die Waffensysteme sind aktiviert und voll einsatzbereit«, meldete er. Arc Doorn hielt seinen Blaster im Anschlag. Sein Gesichtsausdruck wirkte grimmig. »Wir sitzen in der Falle!« stellte er fest. Der Weg zurück zur EPOY war abgeschnitten. Schutzlos standen . die Mitglieder der Expedition da. Gegen die Waffen des fremden || Ringraumers hatten sie keine Chance, l 332 22. Ein benzingetriebenes Vehikel holte sie ab; es vollführte einen Höllenlärm und war zudem schlecht gefedert. Der Colonel bewunderte insgeheim die stoische Ruhe der beiden Nogk, die in ihren goldenen Schutzanzügen und den schwarzen, verspiegelten Visieren fremdartiger denn je wirkten. Cooper und Märt Siverts hatten ihre Pokergesichter aufgesetzt, die ihnen in Anwesenheit eines Vorgesetzten immer angeraten schienen. Die Terraner steckten in leichten Schutzanzügen mit in den Halskrausen integrierten semistabilen Helmen, die jetzt noch zurückgefaltet waren. Cooper und Märt Siverts trugen kurzläufige Blaster in den Seitentaschen der breiten Gürtel. Huxley hatte einen Handstrahler im Schulterhalfter. Ob die Nogk bewaffnet waren, ließ sich nicht sagen. Huxley hatte auch nicht vor, danach zu fragen. Während der Fahrt auf die Kuppelstadt zu wandte sich Cooper an Huxley. »Ist Ihnen das auch aufgefallen, Sir?« »Was, Feldwebel Cooper?« Sie konnten sich unbesorgt unterhalten; der Translator war nicht aktiviert. »Diese Kolonie ist ein einziger, riesiger militärischer Stützpunkt!« Dieser Einschätzung konnte nicht widersprochen werden. Man hatte es schon beim Überflug erkennen können: Jagellovsk »brummte« auch am Boden förmlich vor Aktivitäten, die rein militärischen Charakter hatten. Die Nahbereichstaster der CHARR hatten häufig genug autarke, gepanzerte Fahrzeuge entdeckt, die in Talsenken und auf Hochebenen mit weithin sichtbaren Staubschleppen Manöver abhielten. 333 »Sie befinden sich im Krieg«, kommentierte Huxley Coopers unausgesprochene Befürchtungen. »Wir sollten uns vorsehen, Sir.« »Tun wir das nicht immer, Sergeant?« »Natürlich, Colonel...« War es im Freien knochentrocken, so empfing die Gruppe unter der weitgespannten Kuppel ein richtiges Froschparadies: schwülwarm und wasserdampfgesättigt. Die Stadt wirkte durchaus normal: Gebäude, Straßen, viele kleine Teiche und Tümpel in üppig wuchernden parkähnlichen Bereichen. Nur waren die Größenverhältnisse der Fensteröffnungen und Eingänge auf frogsche Verhältnisse ausgerichtet. Ein etwas groß geratener Mensch oder beispielsweise ein Nogk würde sich auf längere Sicht gesehen nicht wohlfühlen. Das größte Gebäude unter der großen Mittelkuppel beherbergte die Kommandantur. Und der größte Raum darin war der Amtssitz von Kvax, dem Oberbefehlshaber der autonomen Kolonie Jagellovsk. Die militärische Omnipräsenz der Frogs war unübersehbar. Martialisch bewaffnete Wachen empfingen die Delegation aus der CHARR. Der Raum, zu dem sie geführt wurden, war jedoch nicht von jener spartanischen militärischen Kargheit, die Huxleys Vorstellung einer Militärpräfektur entsprach,
sondern von einer üppigen Schwüle, die wohl nur Frogs als adäquat empfinden konnten. Xorg nahm sie in Empfang und führte sie zu Kvax. Der Raum war in gedämpftes rötliches Licht getaucht und schien recht groß zu sein. Überall wuchernde Schlingpflanzen und hohe, schilfähnliche Halme vermittelten den Eindruck eines Feuchtbiotops. Sicher das private Refugium des Oberbefehlshabers, in dem er hochrangige Gäste zu beeindrucken pflegte. Xorg führte sie durch die exotische, vor Feuchtigkeit triefende Umgebung zum Mittelpunkt des Raumes, wo sie Kvax auf einer Art Thron empfing. Als sie näherkamen, warf Huxley einen beiläufigen Blick auf die 334 überbreiten Armlehnen, die an Bedienkonsolen von technischen Einrichtungen erinnerten. Kvax war ein alter Frog. Seine Haut hatte nicht mehr jene feuchte Straffheit, die Huxley beispielsweise bei Xorg entdecken konnte. Und seine Kehlsäcke hingen faltig unterhalb der klaffenden Kiefern, die er jetzt öffnete. »Aaarghh... ah, willkommen«, kam die Übersetzung aus den Translatoren der Besucher. »Mein Name ist... Kvax, ich bin der Oberbefehlshaber und heiße Sie willkommen. Bitte nehmen Sie Platz...« Nachdem die Förmlichkeiten ausgetauscht waren, klärte Kvax seine Besucher lang und breit über die Lage der Frogs auf Jagellovsk auf: Seit sich die Kolonie vom Mutterplaneten abgenabelt und selbständig gemacht hatte, war durch den vom Heimatplaneten entfesselten Krieg jede weitere Entwicklung der Kolonie praktisch zum Erliegen gekommen. Seine Raumkapitäne hatten dem Oberbefehlshaber von den enormen Möglichkeiten der CHARR berichtet. Unumwunden kam er auf sein Anliegen zu sprechen: Er ersuchte Huxley um Hilfe im Kampf gegen den Mutterplaneten und dessen korrupte Regierung. Ein Raumschiff wie die CHARR war allen bekannten Konstruktionen der Frogs um viele Generationen überlegen. Dieses Schiff war in der Lage, im Alleingang das Glück in dem interplanetaren Krieg zu wenden. Huxley war davon alles andere als begeistert und versuchte, seine Ablehnung in entsprechende Formulierungen zu kleiden, die den Frog nicht allzusehr verprellten. »Wissen Sie, Kvax, wir Terraner haben es uns zur Aufgabe gemacht, uns nicht in interne Konflikte fremder Zivilisationen einzumischen. Es sei denn, es gäbe einen Grund, um unsere Neutralität außer acht zu lassen. Weshalb eigentlich hat sich Ihre Kolonie selbständig gemacht und von der Heimat abgenabelt? Gibt es denn auf dieser Welt irgend etwas, wofür es sich lohnt, einen Krieg vom Zaun zu brechen? Nach Ihrem eigenen Bekunden haben Sie nicht einmal mehr genügend Ressourcen, um die Kolonie auf längere Sicht lebensfähig zu erhalten, oder?« Kvax reagierte auf diese verbrämte Aufforderung des Colonels, die Karten auf den Tisch zu legen, nicht. Dennoch hatte Huxley 335 mit seiner Frage etwas angestoßen, wie er vermutete. Xorg beugte sich zu Kvax und redete leise flüsternd auf ihn ein; worüber sie sich austauschten, wurde nicht von den Translatoren erfaßt. Fast zu spät erinnerte sich Huxley an die Möglichkeiten seines Implantats. Mit einem entsprechenden Gedankenimpuls erhöhte er die Sensibilität des Empfangs und hörte gerade noch, wie Xorg darauf bestand, daß der Oberbefehlshaber den Besuchern »die Anlage« zeigen sollte, um sich ihrer Mithilfe beim Kampf gegen die Mutterwelt zu versichern. Kvax brauchte offenbar einen Augenblick, um sich zu einer Entscheidung durchzuringen. Doch dann stimmte er Xorg zu, und Huxley, der ein bemüht beiläufiges Gesicht machte, war sich sicher, daß er nicht angelogen wurde, als Kvax sich auf seinem Thron zurechtsetzte und mit normaler Stimme sagte: »Doch, doch... es gibt auf dieser Welt etwas, wofür es lohnt, zu kämpfen. Ich werde es Ihnen zeigen...« Kvax und Xorg führten sie durch einen Flur zu einem Aufzug. »Wohin fahren wir?« fragte Huxley, nur um das Schweigen zu brechen, das die beiden Frogs an den Tag legten.
Doch niemand antwortete. Nachdem sich die Tür der Kabine geschlossen hatte, drückte Xorg auf den untersten Knopf einer Leiste, die eine ganze Reihe von Knöpfen aufwies und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Die Fahrt dauerte, Indiz dafür, daß es tief hinab in die Fundamente der Kuppelstadt ging. Als der Fahrstuhl endlich anhielt und die Tür sich öffnete, lag ein hell erleuchteter Gang vor ihnen. Die Wände waren nackter Fels, nur grob geglättet, die Decke so niedrig, das Meenor ständig gebückt laufen mußte, um sich nicht den Libellenschädel zu stoßen. Eine sicher sehr unbequeme Art der Fortbewegung für den Meeg. Der Gang war leer; niemand begegnete ihnen. Als Huxley seine Frage wiederholte, diesmal mit mehr Nachdruck, bequemte sich Kvax doch zu einer Erklärung. Hier unten, so ließ er verlauten, befand sich eine uralte Anlage, 336 die von ihnen vor elf Jahren zufällig entdeckt worden war. Von der dort vorgefundenen Hochtechnologie versprach man sich in der Kolonie große Vorteile. Vorteile, die man mit den Frogs auf der Heimatwelt nicht zu teilen beabsichtigte. Huxley sah seine Vermutungen bestätigt, die er schon seit einiger Zeit hegte: Der Krieg drehte sich letztendlich nur um den Zugang zu dieser Anlage. Aber, Ironie des Schicksals, durch eben diesen Krieg hatte auch Jagellovsk keine Ressourcen mehr, sich intensiver um die Erforschung der Geheimnisse dieses Komplexes zu kümmern. Nach etwa vierhundert Metern erreichten sie den Eingang zu dem fraglichen Bereich. Frogs, martialisch bewaffnet, bewachten den Zugang ein rundes Schott, das aus Stahl zu sein schien. Es schloß den Gang völlig ab und war konvex wie eine Seifenblase. Schwere Zuhaltungen links und rechts sicherten es. Auf einen knarrenden Befehl Kvax5, den der Translator unübersetzt ließ, öffneten die Wachen den Zugang. Er führte in einen Raum, eine Schleuse, die am anderen Ende von einem weiteren Schott verschlossen war. Kvax und Xorg griffen sich zwei Schutzanzüge, die an der Wand hingen, und zogen sie über. »Die Atmosphäre hinter dieser Tür ist so trocken, daß wir uns ihr nur wenige Minuten aussetzen dürfen«, erklärte der ehemalige Kommandant der NOHALIMIS. »Wir haben die Luftzusammensetzung unverändert gelassen, um die Anlage nicht zu beschädigen.« Nachdem die Wächter das äußere Schott wieder geschlossen hatten, öffnete sich lautlos die innere Tür und die Nogk klappten aufatmend ihre semistabilen und polarisierten Visiere zurück. Die Frogs schienen zu erstarren, als sie die Libellenköpfe erstmals zu Gesicht bekamen. Sie stießen knarrende Laute aus; die Drüsen hinter ihren Augen sonderten verstärkt Sekret ab. Ihre Kehlsäcke erzeugten ein tiefes, schwingendes Brummen. Es dauerte, bis sie sich wieder beruhigt hatten. Schließlich führten sie Huxley und sein Team in aller Eile durch den ausgedehnten Komplex in einen zentralen Raum, in dem eine Gruppe FrogWis, senschaftler in Schutzanzügen gebannt vor einer aktivierten AU 337 sichtsphäre verharrte. »Was...!« entfuhr es Huxley, als er sah, was da auf dem Schirm ablief und begriff schlagartig, daß dies eine noch immer betriebsbereite Anlage eines NogkVolkes war, das älter sein mußte als das von Charaua und von Tantal. Gleichzeitig verstand er im selben Augenblick die Reaktionen der Frogs, als sie Tantal und Meenor zu Gesicht bekommen hatten. Vor allem aber Tantal. Denn in der Sphäre war auch ein Nogk zu sehen, der, in eine grüngoldene Robe gekleidet, eine salbungsvolle Rede hielt. Ein blauhäutiger Nogk! Während Huxley noch diese Überraschung verarbeitete, versuchte er zu ergründen, was der Nogk sagte. Dieser redete in einer sehr alten Sprache, die zu verstehen selbst Tantal und Meenor große Mühe bereitete, wie ihre Signale an Huxley
bekundeten. Dennoch kristallisierte sich heraus, daß der blaue Nogk eine Lobrede zum 100. Thronjubiläum des weisen Kaisers Hitaura hielt. Tantal schien eigentümlich berührt. Seine Fühler bewegten sich unstet, in den Facetten seiner Augen brach sich das Licht und erzeugte eigenartige Muster. So sind die Legenden unseres Volkes also doch mehr als bloße Erzählungen ohne konkreten Bezug, sandte er seine Impulse auf rein gedanklicher Ebene an Meenor und Huxley, so daß die Frogs nichts von der Unterhaltung mitbekamen. Es existiert eine Vor-Charr-Ära. Unser Volk ist in seiner Gesamtheit viel, viel älter, als man uns glauben machen will. Die Symbole, die technische Einrichtung hier drin, die Lobrede auf diesen Kaiser Hitaura, von dem nicht einmal unsere Legenden künden alles deutet auf eine Periode hin, die "weit vor der CharrÄra und somit auch jenseits unseres Rassegedächtnisses liegt, Ratsherr Huxley. Ich stimme dir vorbehaltlos zu, aber das setzt voraus, daß es einen Grund dafür geben muß, "weshalb das Wissen um eure eigene Vergangenheit nicht weiter zurückreicht als diese ominösen zweitausend Jahre. Wer könnte ein Interesse an einer derartigen Blockade eurer Erinnerung haben? Der Feind, der alte Feind. Ich stimme dir wieder zu. Viele von euch hatten ja geglaubt, daß es sich bei dem uralten Feind um die Grakos handelt. Aber das 338 l » war ein Trugschluß, wie wir jetzt wissen... Huxley verwendete wie selbstverständlich dieses »wir«. Hast du nicht erwähnt, daß es Anzeichen dafür gäbe, die Kobaltblauen würden die ursprüngliche Form der Nogk-Spezies repräsentieren? Das ist wahr. Diese Hinweise existieren. Offensichtlich zu Recht, wie man sieht, sandte Huxley seine Gedanken an Tantal und blickte dabei demonstrativ auf die Allsichtsphäre. Die ganze, auf geistiger Ebene geführte Diskussion hatte keinen Augenblick gedauert und war von niemandem außer dem Meeg bemerkt worden. Nach wie vor redete der blauhäutige Nogk von der Sichtsphäre herab. Kvax zufolge hatten die Frogs die Allsichtsphäre zufällig aktiviert, als sie auf gut Glück herumprobierten. Allerdings hatten sie seitdem keine Fortschritte gemacht, was Huxley nicht verwunderte. Zum einen überstieg die NogkTechnologie den Wissenshorizont der Frogs um ein Vielfaches, zum anderen besaßen sie keine Translatoren, die ihnen verständlich gemacht hätten, daß es sich bei der »Botschaft« nur um eine uralte Konserve handelte. Obwohl sie Tantal mit Fragen bestürmten, konnte dieser den Frogs auch nicht helfen. Ohne genauere Kenntnisse über die Anlage konnte er nicht einmal sagen, welchem Zweck sie gedient hatte oder noch immer diente. Huxley, eingedenk des Auftrages, der ihm vom Rat der Fünfhundert auf Reet erteilt worden war, bot Kvax seine Hilfe bei der Entschlüsselung der Anlage durch seine Wissenschaftler und Techniker an. Nicht ohne Hintergedanken, die vor allem aus der nur ihm zugänglich gemachten Bitte Tantals resultierten, sich unter allen Umständen näher mit der Anlage beschäftigen zu dürfen, um möglicherweise Licht in das Dunkel ihrer Herkunft bringen zu können. Der Oberbefehlshaber von Jagellovsk war nach einigem Zögern damit einverstanden, knüpfte allerdings einige Auflagen daran. So bestand er darauf, daß jeder Mensch oder Nogk einen Frog als Partner an die Seite bekam, der die Fortschritte überwachte. Huxley akzeptierte ohne Zögern. 339 Die Arbeit begann, und sie verlief nahezu störungsfrei, auße, daß die frogschen Wissenschaftler ein bißchen zu penetrant über jede noch so winzige Kleinigkeit informiert werden wollten. Sie waren sowieso ein bißchen gehandikapt und schienen frustriert über ihre Arbeitsbedingungen innerhalb der Anlage, vor allem, daß sie unter Anleitung der Fremden arbeiten mußten. Während die menschlichen Techniker nur kleine Masken zur Befeuchtung ihrer Atemluft brauchten, die Nogk sogar vollkommen uneingeschränkt arbeiten konnten, steckten die Frogs in ihren voluminösen
Schutzanzügen, die ihnen die feuchtwarme Umwelt lieferten, auf die sie nun einmal angewiesen waren. Colonel Huxley war überall zu finden. Einmal diskutierte er mit Kvax und Xorg über den Fortschritt der Arbeit, dann wieder schlichtete er kleine Auseinandersetzungen zwischen den Frogs und den Nogk, und langsam kam die Arbeit voran, zeitigte erste Ergebnisse. Nach wenigen Tagen fanden die Meegs heraus, worum es sich bei diesem Komplex wirklich handelte: Es war die Steuerzentrale eines planetenweiten Klimakontrollsystems, das, einmal aktiviert, vollautomatisch dafür sorgte, daß auf Jagellovsk Nogk-Lebensbedingungen herrschten. Und sie registrierte bereits wieder seit einigen Jahren einen Anstieg der Luftfeuchtigkeit, was für die nahe Zukunft eine kleine Korrektur nötig machen würde... Als Kvax davon in Kenntnis gesetzt wurde, verlangte er kategorisch die komplette Deaktivierung der Anlage. Tantal und die Meegs warnten davor, da die Konsequenzen daraus noch nicht abzusehen waren. Zum einen war die Einrichtung unbekannt, zwar hochentwickelt und unverwüstlich wie alle nogkrelevante Technik eben, aber auf einem älteren technischen Standard, den die Nogk Charauas schon zu Beginn ihrer Geschichtsschreibung längst hinter sich gelassen hatten. Um die Anlage risikolos abzuschalten, mußte noch umfangreichere und intensivere Forschung betrieben werden. Der Streit ging hin und her und führte schließlich dazu, daß die 340 Frogs alle menschlichen und nogkschen Techniker aufforderten, die Anlage vorerst zu verlassen, bis man sich im Rat der Frogs darüber einig geworden sei, wie weiter verfahren werden sollte. Um einer drohenden Eskalation aus dem Weg zu gehen, erklärte sich Huxley einverstanden, Kvax Zeit zu geben, seine Entscheidung zu überdenken, das Für und Wider abzuwägen. Für die Dauer dieser Entscheidungsfindung bat er darum, sich auf Jagellovsk umsehen zu dürfen, da man Hinweise auf ehemalige NogkSiedlungen gefunden hatte, denen man nachgehen wollte, um mehr über die Vergangenheit des Planeten zu erfahren. Huxley hatte Widerstand erwartet. Aber Kvax vermutlich unter dem Einfluß von Xorg überraschte ihn, indem er keine Einwände erhob. Die Wüste erstreckte sich über Tausende von Kilometern. Die FO I flog in einer Höhe von zwanzig Kilometern fast um den halben Planeten, ehe Maxwell meldete: »Wir erreichen in wenigen Augenblicken das Zielgebiet.« Huxley nickte. Dann wandte er sich einem Nebenschirm zu, auf dem ein Bildausschnitt des CHARR-Leitstandes zu sehen war, mit Lee Prewitt im Fokus. Die Phase stand permanent. »Haben Sie gehört, Prewitt?« »Aye, Sir«, kam dessen Erwiderung. | Die Ortungsinstrumente liefen auf Hochtouren, die Nahbereichsaster suchten die Oberfläche ab. Sekunden vergingen, wurden zu einer Minute. Schließlich meldete der Zweite Offizier: »Zielgebiet liegt unter ins.« »Voller Halt, Mister Maxwell.« Die FO I verharrte von einer Sekunde zur anderen. »Höhe?« »Exakt zwanzig Kilometer über Grund.« »Gehen Sie tiefer.« Der pfeilförmige Forschungsraumer fiel nahezu senkrecht aus dem Himmel. 341 Huxley behielt die Anzeigen im Auge. »Stop!« sagte er, als die digitale Wiedergabe bei zweitausend Meter angelangt war. »Ortung. Vergrößern des Terrains unter uns!« In der Allsichtsphäre öffnete sich ein Fenster, hob sich in den Vordergrund und zeigte die Oberfläche aus einer fiktiven Höhe von höchstens fünfhundert Metern. Huxley zog die Brauen zusammen. »Wüste!« sagte Maxell nur und verstummte wieder. Sein Kommandant mußte ihm beipflichten. Er betrachtete schweigend das, was der Sichtschirm zeigte: einen Ausschnitt von etwa vier Quadratkilometern Ausdehnung.
Huxley warf Tantal einen Blick zu. »Wo ist nun die angebliche NogkSiedlung?« sandte er ihm seine Impulse, vom Implantat in Laute verwandelt, damit auch die anderen im Leitstand mithören konnten. »Unter dem Sand«, erwiderte Tantal, und seine Fühler knickten leicht ein. Huxley kannte ihn lange genug, um zu erkennen, daß der Kobaltblaue sich amüsierte, weil man das Offensichtliche nicht erkannte. Die Tiefenprüfung des Areals unter der FO I bestätigte Tantals Angaben. Massive Objekte von erheblicher Ausdehnung erstreckten sich in etwa hundert Metern Tiefe, begraben unter Abertonnen trockenen Sandes. »Jetzt müßte man eine genügend große Schaufel haben«, sinnierte Sybilla Bontempi, »um die Siedlung freizulegen.« Huxley sah Maxwell an. »Haben wir eine, Nummer Zwei?« »Haben wir«, nickte dieser und grinste. Er griff selbst in die Steuerung, brachte die FO I bis auf einhundert Meter Höhe über die verschüttete Siedlung, und vergrößerte den Radius des Hauptantigravfeldes bis in die Tiefe der Anlage. Die plötzlich nicht mehr vorhandene Gravitation innerhalb des Feldes wirkte wie ein gewaltiger Exkavator; der Unterdruck saugte den Sand an und bildete einen Wirbelsturm aus, der den lockeren Boden in weit entfernte Gegenden transportierte. Es dauerte keine zwanzig Minuten. 342 Als sich der Sandsturm gelegt hatte, lag die Siedlung frei. »NogkArchitektur, kein Zweifel!« stellte Tantal fest. Seine Fühler bewegten sich hektisch. »Die Aufteilung der Gebäude... die Anordnung der Straßen, der Plätze, alles ähnelt jener, wie sie in der Anfangszeit auch im ChanSystem üblich war. Aber sie ist älter, viel älter. Davon bin ich überzeugt. Wir sollten hinunter und uns umsehen.« »Landen Sie, Maxwell«, befahl Huxley. »Aber bleiben Sie ein wenig von dem Krater weg, in dem die Siedlung liegt.« »Aye, Sir.« Tantal, Meenor und die Fremdvölkerexpertin bildeten mit Huxley das Team, das zunächst als einziges die Siedlung erkunden wollte. Huxley lenkte den Schweber, mit dem sie die rund neunhundert Meter Luftlinie zwischen dem Landeplatz und der verlassenen Ansiedlung zurücklegten. Der Kombischweber setzte inmitten der Siedlung zwischen zwei pyramidenförmigen Gebäuden auf. Huxley war der erste, der ins Freie trat. Dann folgten die anderen. Ihre Schritte wirbelten feinen Staub empor, der sofort wieder zu Boden sank. Innerhalb der von der FO I geschaffenen großen Senke regte sich kein Lüftchen. Die Hitze schlug ihnen ins Gesicht, und das blendende Licht der Sonne brannte sich scheinbar mühelos durch die polarisierenden Scheiben der Helmvisiere. Sie näherten sich eben einem der größeren Gebäude, als sich von einer Sekunde zur anderen die Situation grundlegend änderte. »Achtung, an alle!« kam Lee Prewitts Stimme mit einem merkwürdigen Dopplereffekt über den Funk der FO I aus der fernen CHARR. »Code Blau! Ich wiederhole: Wir haben einen Code Blau!« Code Blau bedeutete, daß sich das Team ohne weitere Nachfrage sofort an Bord der FO I zu begeben hatte. Das Außenteam brauchte exakt zehn Sekunden, um den Schweber zu erreichen. Überstürzt enterten sie ihn. Huxley beschleunigte das Gefährt im Alarmstart und flog auf die Position der FO I zu. Maxwell hatte den Raumer bereits gestartet und kam ihnen mit 343 weit geöffnetem Hangar entgegen. »Jetzt bin ich mal neugierig«, brummte Henroy neben dem Zweiten Offizier. Maxwell grinste nur und machte keine Anstalten, die Fahrt der FO I zu reduzieren. Huxley bremste kurz vor Erreichen des Forschungsraumers ab, vollführte eine halbe Rolle, paßte sich der Geschwindigkeit des Raumers an und slipte seitwärts in den Bootshangar hinein. »Er hat es nicht verlernt«, sagte Maxwell, während Henroy nur bewundernd den Kopf schüttelte. »Der Skipper ist noch immer unschlagbar.«
Als Huxley in der Zentrale des spindelförmigen Raumers erschien und im Kommandantensessel Platz nahm, der etwas überhöht hinter den beiden Pilotensitzen stand, hatte die FO I bereits zwei Drittel der Strecke bis zur Kuppelstadt hinter sich gebracht. »Eine Ahnung, was vorgefallen ist, Mister Maxwell?« bellte der Colonel. »Nicht die Spur, Sir«, bedauerte der Offizier und reduzierte die Geschwindigkeit der FO I, als die Stadt unter ihr lag. Beim Überflug war auf den Schirmen deutlich zu sehen, daß es dort unten zu schweren Explosionen gekommen sein mußte und noch immer kam. In der Hauptkuppel klafften gewaltige Lücken, und überall waren Brände ausgebrochen. Huxley hatte eine steile Falte zwischen den Brauen, während Maxwell auf den Liegeplatz der CHARR zuhielt. »Sir! Sehen Sie!« machte Henroy den Colonel aufmerksam. »Verdammt«, preßte der Colonel hervor und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Schirm, »sind hier jetzt alle verrückt geworden?« Die CHARR lag nach wie vor unversehrt unter ihren Schutzschirmen, wie er mit einem inneren Aufatmen feststellte, war aber umzingelt von mehreren konzentrischen Reihen von Panzern und Artillerie, die ein ebenso heftiges wie wirkungsloses Trommelfeuer auf den Schutzschirm des Raumschiffes abgaben. Er öffnete eine Phase zur CHARR. »Mister Prewitt!« sagte er scharf und akzentuiert. »Was geht da vor? Sind Sie für das Desaster in der Stadt verantwortlich, oder 344 was? Ich möchte...« Er verstummte völlig perplex. Traute seinen Augen nicht. Die CHARR hob im Alarmstart vom Boden ab. »Maxwell! Folgen!« befahl Huxley noch, dann verfiel er in Schweigen, während die Falten auf seiner Stirn sich vertieften. Aber es verblieb ihm keine Sekunde des Nachdenkens, des Überlegens. Der Hauptschirm in der FO I wechselte die Ansicht, und Prewitts gestreßtes Gesicht erschien. »Transitieren Sie, Skipper! Der Rechner hat die Daten für den Austrittspunkt bereits in den Speicher der FO I übermittelt. Bei allem was Ihnen heilig ist transitieren Sie! Die Sonne explodiert JETZT!« Das letzte Wort schrie er fast. Maxwell kannte den Ersten lange genug, um zu wissen, daß jedes Wort von ihm ernst gemeint war und keine Zeit für Nachfragen vergeudet werden durfte, wenn es um Leben und Tod ging. Er wartete auch nicht darauf, daß sein Kommandant ihm den Befehl erteilte. Seine Hand fiel auf den roten Schalter, der die Nottransidon einleitete. Die FO I war im Zuge ihrer ständigen Angleichung an den neuesten Stand der nogkschen Technik auf Reet auch mit den Transitionstriebwerken ausgerüstet worden, die ein Schiff dazu befähigten, quasi aus dem Stand in den Hyperraum zu springen. Fast zeitgleich mit der CHARR verschwand die FO I aus dem Normalraum und stürzte in das übergeordnete Kontinuum. Währenddessen hatte sich McLanes Star zu einem monströsen Ungeheuer aufgebläht, dehnte sich aus, schien für einen nicht meßbaren Zeitpunkt noch einmal zu schrumpfen, und dann sprang die Wellenfront aus strahlender Materie mit der Geschwindigkeit des Lichtes durch das System und tilgte alle Planeten, alles Leben des Systems aus dem All. Die beiden Raumschiffe rematerialisierten ausreichend weit entfernt von der Supernova. Die Distanz zwischen ihnen betrug nicht 346 mehr als zwei Lichtminuten. Sofort nahm die FO I Kurs auf die CHARR. Nachdem sie sie erreicht hatte, öffnete sich in dem goldenen Druckörper die riesige Hangarbucht, und Maxwell begann mit dem Einschleusen. Minuten später sank die FO I auf ihre Bettungen. Magnetische und mechanische Zuhaltungen schnappten ein und fesselten sie unverrückbar auf die Lager.
Als der normale Atmosphärendruck innerhalb des Spezialhangars wiederhergestellt war, öffnete Maxwell die Schleusen des Forschungsraumers, und Huxley verließ als erster schnellen Schrittes das Schiff. Die grünlich pulsierenden Gleitfelder trugen ihn durch die Hauptachse zur Zentrale des Ellipsenraumers ganz vom im Bug. Lee Prewitt erhob sich vom Platz des Kommandanten, den er bis dahin eingenommen hatte, und kehrte zu seinem Pilotensessel zurück. Huxley hielt sich nicht lange mit Vorreden auf. »Was zum Teufel war bei Ihnen los, Lee? Die Stadt, waren Sie dafür verantwortlich? Reden Sie schon, Mann!« Der Erste klärte ihn in aller Kürze auf. Er versicherte dem Colonel, daß nicht er die Stadt unter Beschuß genommen hatte, sondern daß es zu den ersten Explosionen gekommen war, kurz bevor die Frogs vergeblich natürlich versuchten, die CHARR zu erobern, um sie in ihren Besitz zu bekommen. »Die Explosionen ereigneten sich unter der Stadt, Colonel. Vermutlich in der NogkAnlage.« Es war Tantal, der sagte: »Offenbar wollte Kvax sie abschalten lassen, ohne zu wissen, daß er damit einen Selbstzerstörungsmechanismus aktivieren würde.« Wie Lee Prewitt weiter berichtete, versuchte Kvax daraufhin die CHARR in seinen Besitz zu bringen, scheiterte jedoch kläglich an der überlegenen Schutzschirmtechnologie des Ellipsenraumers. Doch die wirkliche Hiobsbotschaft war, daß das Astrolab der CHARR per Hyperortung die Impulse einer Sonnenstation in der Korona von McLanes Star angemessen hatte, die genau zu diesem Zeitpunkt die Sonne in eine Supernova verwandelte. 347 »Die Kausalität der Ereignisse«, murmelte Huxley, und seine Stirn furchte sich. »Manchmal frage ich mich...« Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick geschah etwas völlig Unerwartetes und zudem Erschreckendes. In einer Entfernung von nicht mehr als 300 000 Kilometern trat eine mächtige Flotte von Ellipsen-Raumern aus dem Hyperraum.