William T. Connor
Der unheimliche Mörder Version: v1.0
Träge lag der Löwe in seinem Gehege im Zoo von New Yor...
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William T. Connor
Der unheimliche Mörder Version: v1.0
Träge lag der Löwe in seinem Gehege im Zoo von New York. Ein Stück von ihm entfernt dösten einige Weibchen mit ihren Jungen. Mit neugierigem Respekt beobachteten einige Besucher des Parks die Wildkatzen. Einmal gähnte der Löwe, bevor er sich herumdrehte, erhob, zum Wasser trottete und soff. Ein Mann um die 50 Jahre lehnte an der Brüstung, von der aus man in das Gehege blicken konnte. Seine Haare waren schon grau, sein schmales Gesicht wurde von einem eisblauen Augenpaar beherrscht. Er starrte den Löwen an, als wollte er ihn hypnotisieren. Grünlicher, wabernder Nebel kroch plötzlich im Gehege über den Boden und bildete die Gestalt eines Löwen. Dieses Nebelgebilde wurde von dem Raubtier
aufgesaugt.
Eine grünliche Aura zeichnete die Umrisse des Tieres nach. Es gab einige Zeugen, doch niemand wagte später auszusprechen, was er gesehen hatte. Jeder glaubte, einer Sinnestäuschung erlegen zu sein. Plötzlich warf der Löwe den mächtigen Schädel in den Nacken und stieß ein zorniges Brüllen aus. Die Augen des grauhaarigen Beobachters flackerten. Es war, als brannte ein Feuer in ihnen. Seine Lippen waren nur noch ein blutleerer, dünner Strich. Der Löwe brüllte erneut. Einige der Besucher spürten jähe Beklemmung. Etwas schien plötzlich in der Luft zu liegen. Unvermittelt warf sich das Raubtier herum. Mit langen Sätzen stürmte es auf eines der Weibchen zu, das sich jetzt schnell erhob. Es riss das Maul auf und brüllte ebenfalls. Da stürzte sich der Löwe auch schon auf das Weibchen. Ein Prankenhieb traf es und ließ es zur Seite kippen. Böses Knurren, das sich aus der Kehle des Tiers löste, war zu vernehmen. Das Weibchen versuchte zu fliehen. Der Löwe sprang auf seinen Rücken und verbiss sich in seinem Nacken. Die Löwin brach zusammen, einige unkontrollierte Zuckungen gingen durch ihren Körper, dann erschlaffte sie. Der Löwe begann, das Weibchen zu zerfetzen. Blut spritzte, als er ganze Stücke Fleisch aus dem Körper riss. Der Wärter, der mit einer Wanne voll Fleisch gekommen war, um die Löwen zu füttern, musste hilflos zusehen. Der Grauhaarige wandte sich ab. Das Flackern in seinen Augen war erloschen, hatte einem triumphierenden Ausdruck Platz gemacht. Die Kraft, die er seit geraumer Zeit in sich spürte, hatte an diesem Tag die Oberhand gewonnen. Dunkle Mächte hatten von ihm Besitz ergriffen. Schwarzmagische Einflüsse, die er über Jahre hinweg beschworen hatte, lenkten und leiteten ihn. Die Episode mit dem Löwen war nur eine Probe seiner unheimlichen Kräfte gewesen; er hatte das Tier zu seinem
willenlosen Werkzeug gemacht. Ein diabolisches Grinsen kräuselte die Lippen des Mannes. Jetzt war das Tier wieder friedlich. Der grünliche Nebel hatte den Löwenkörper wieder verlassen und kroch über den Boden davon, verschwand zwischen den Felsen innerhalb des Geheges. Der Löwe trottete zurück zum Wasser, um zu saufen. Das Weibchen lag zerfetzt im Gras. Wenig später traf der Zoodirektor ein. Einige Männer aus der Verwaltung begleiteten ihn. Der Wärter hatte Manson alarmiert. Jetzt erklärte er seinem Chef: »Es geschah aus heiterem Himmel, Sir. Der Löwe warf sich plötzlich herum und stürzte sich auf das Weibchen. Er war wie von Sinnen! Einige Minuten gebärdete er sich wie verrückt, dann ließ er unvermittelt wieder von dem toten Weibchen ab und war genauso ruhig wie zuvor.« Der Wärter verschwieg seine Beobachtung, den grünen Nebel betreffend. Die Zuschauer waren verschwunden, denn auch niemand von ihnen wollte sich zu dem Vorgang äußern. »Seltsam«, murmelte der Zoodirektor. »Hat das Tier in den vergangenen Tagen schon einmal irgendwelche Aggressionen gezeigt?« »In keiner Weise«, erwiderte der Wärter. »Zwischen ihm und den Weibchen herrschte absolute Eintracht.«
* George Randall arbeitete als Lieutenant bei der Mordkommission Manhattan. Seine Wohnung befand sich in der Perry Street in West Village. Das Liebesleben mit seiner Verlobten Sandy Mercier war ausgeglichen, sein Job machte ihm Spaß – er war mit sich und der Welt zufrieden. Um 19 Uhr betrat er seine Wohnung, eine richtige
Junggesellenbude. Es gab einen Livingroom, ein Schlafzimmer, ein kleines Arbeitszimmer, Küche und Bad. Randall ging unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte über seinen Körper und brachte das Blut zum Zirkulieren. Danach duschte Randall abwechselnd heiß und kalt. Als er aus der Dusche stieg, fühlte er sich wie neu geboren. Sein Telefon dudelte. Es war Sandy. »Kommst du heute Abend?«, fragte sie. »Legst du wert drauf?«, kam die Gegenfrage. George lächelte. »Wie kannst du daran zweifeln?« »Na schön. Nachdem du ohne mich scheinbar nicht sein kannst, muss ich wohl kommen.« »Bilde dir nur nicht zuviel ein.« »Du weißt doch, wie bescheiden und zurückhaltend ich bin.« »Eben. Ich bereite ein schönes Abendessen vor.« »Ich freue mich drauf. Den Wein bringe ich mit.« »In Ordnung. Bis wann kommst du?« »Gegen acht Uhr.« »Fein. Ich werde mich sputen.« Dann war die Leitung tot. Da Randall schon einmal am Telefon war, hörte er gleich ab, ob jemand eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Zunächst war nur leises Rauschen zu vernehmen, dann erklang eine seltsam verzerrte Stimme: »Du bist stellvertretender Leiter der Mordkommission Manhattan, Randall. Du bekommst Arbeit. Heute Nacht stirbt Sam Brewster, der bekannte Filmregisseur und du wirst es nicht verhindern können.« Ein schreckliches Lachen erklang, dann knackte es in der Leitung. George Randall war wie vor den Kopf gestoßen. Er musste das Gehörte erst einmal verarbeiten. Die Worte klangen in ihm nach …
und du wirst es nicht verhindern können. Randall legte in Gedanken versunken den Hörer auf den Apparat und zog sich an. Dann rief er beim Police Department an. Er bekam sofort einen Kollegen vom Homicide Squad an die Strippe. »Ich habe soeben meinen Anrufbeantworter abgehört, Jim. Jemand kündigte mir telefonisch die Ermordung des Filmregisseurs Sam Brewster an. Der Mord soll in dieser Nacht geschehen.« »Ich schicke sofort einige Leute zum Haus Brewsters. Ungewöhnlich … Normalerweise treten wir erst in Erscheinung, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Vielleicht war die Nachricht auf deinem Anrufbeantworter nur ein schlechter Scherz …« »Wollen wir es hoffen«, antwortete Randall ohne Überzeugung. »Ich schicke zwei Leute hin, die die Wohnung observieren.« »Danke, Jim.« Randall verließ die Wohnung, setzte sich ans Steuer seines Mitsubishi und lenkte ihn in Richtung 27. Straße, wo Sandy ein Apartment besaß.
* Sam Brewster war Gast auf der Party des bekannten Schauspielers Fred Mallone. Er spürte den Alkohol. Es ging auf den Morgen zu, viele Gäste hatten sich bereits verabschiedet. Brewsters Frau Alice fand, dass es auch für sie und ihren Mann an der Zeit war, ins Bett zu kommen. »Ich bin müde, Sam«, sagte sie. »Lass uns nach Hause fahren. Gegen Mittag hat schon wieder meine Schwester ihren Besuch für eine Shoppingtour angekündigt. Da will ich fit sein.« »Nur noch einen Drink, Darling«, erwiderte Brewster und nahm von dem Tablett, das ihm eines der hübschen Serviermädchen
hinhielt, ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Es handelte sich um erstklassigen Bourbon. »Du hast wieder mal Blut geschleckt, wie?«, giftete seine Gattin. »Wenn du einmal zu trinken anfängst, kannst du nicht mehr aufhören. Reiß dich am Riemen, Sam.« Sam Brewster lächelte. Seine Augen waren vom genossenen Alkohol leicht gerötet und ein wenig glasig. »Nur den einen Drink noch, Darling, dann fahren wir nach Hause. Ich verspreche es hoch und heilig.« Der Hausherr gesellte sich zu den beiden. Auch er hielt ein Glas in der Hand. Jetzt spielte er hauptsächlich Theater, zur Zeit hatte er eine Hauptrolle in einem Musical inne, das am Broadway aufgeführt wurde. Das Phantom der Oper … »Alice ist müde«, sagte Brewster mit etwas schwerer Zunge und lachte, dass seine Zähne blitzten. Um seine Augen bildete sich ein Kranz aus kleinen Falten. »Sie ist eben nicht mehr die Jüngste.« Er schielte hintergründig grinsend zu seiner Frau hin, die jedes Wort genau verstanden hatte und ihm einen giftigen Blick zuschoss. »Sie braucht ihren Schlaf.« »Es ist ziemlich spät«, versetzte Mallone. Demonstrativ blickte er auf seine Armbanduhr. »Halb fünf …« Er nippte an seinem Glas. »Bin schon fort«, sagte Brewster. »Ich hab den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.« Er trank mit einem Ruck sein Glas leer und stellte es auf einem Board ab. »Du hast Recht. Es reicht für heute …« »Nichts für ungut, Sam.« »Mach dir keine Gedanken. Wo ist eigentlich Lucy?« »Sie hat schon vor zwei Stunden das Weite gesucht«, antwortete der Hausherr. »Ihr ist es wie Alice gegangen. Sie ist eben auch nicht mehr die Jüngste.« Die beiden Männer lachten. Dann reichte Brewster Fred Mallone
die Hand. »Vielen Dank für die Einladung, Fred. Ich revanchiere mich. Sehr bald schon, schätze ich. Grüß mir Lucy.« »Mach ich.« Mallone verabschiedete sich überschwänglich von Alice. Dann ging das Ehepaar. Der Oldmobile parkte vor dem Haus. Sam Brewster öffnete die Türen per Fernbedienung und im Innern des Wagens ging das Licht an. »Ich fahre«, sagte Alice. »Wenn sie dich am Steuer erwischen, bist du deinen Führerschein für das nächste Jahr los.« »Ich bin nüchtern«, behauptete Sam Brewster. »Aber wenn du meinst.« Er öffnete seiner Frau die Tür auf der Fahrerseite. Sie klemmte sich hinter das Steuer. Der Regisseur gab ihr den Schlüsselbund mit dem Zündschlüssel. Dann ging er vorne um den Wagen herum. Als er die Beifahrertür öffnen wollte, kam schräg über die Straße ein etwa 25 Jahre alter Mann auf ihn zu. Bekleidet war er mit einem Trenchcoat, dessen Gürtel lose nach unten hing. Sein Blick war starr auf den Regisseur gerichtet. Er bewegte sich marionettenhaft, wie von Schnüren gezogen. Ein dünner Kranz aus grünlichen Flammen umfloss seine Gestalt. Sam Brewster schaute ihm wie gebannt entgegen. »Was ist?«, fragte Alice und es klang ziemlich ungeduldig. »Steigst du endlich ein.« »Einen Augenblick«, versetzte Brewster. Der seltsame Mann war einen Schritt vor ihm stehen geblieben. Er schien durch Brewster hindurch zu blicken. »Du bist Sam Brewster, nicht wahr?« »Was kann ich für Sie tun?« Der Unbekannte trat wortlos einen Schritt vor, hob beide Hände und legte sie um Brewsters Hals. Brewsters Mund klaffte auf, aber der Schrei löste sich nicht aus seiner zugepressten Kehle. Verzweifelt japste er nach Luft, die Augen quollen ihm aus den
Höhlen. Seine Hände umklammerten die Handgelenke des Unbekannten, mit aller Kraft versuchte er, sie auseinander zu drücken und so seinen Hals frei zu bekommen. Aber der Unbekannte schien über Bärenkräfte zu verfügen. Alice schwang sich aus dem Wagen und erfasste mit einem Blick, was sich auf der Beifahrerseite abspielte. »Hilfe!«, schrie sie aus Leibeskräften. »Überfall! Hiiilfe!« Ihre Stimme gellte durch die Straße. Sie rannte um den Wagen herum, packte mit beiden Händen den unheimlichen Würger, doch es gelang ihr nicht, ihn von Sam Brewster wegzuzerren. Ersticktes Röcheln drang aus Sam Brewsters Mund. Die Nebel der Benommenheit krochen auf ihn zu. Wie aus weiter Ferne hörte er Alices verzweifelte Hilferufe. Und dann schwanden ihm die Sinne. Eine weiche, schwarze Wolke schien ihn fort zu tragen. Sam Brewster merkte nicht, wie er starb. Der Unbekannte ließ ihn los. Der Regisseur brach zusammen und blieb verkrümmt vor seinem Auto am Boden liegen. Alice schrie wie von Sinnen. »Er hat den Tod verdient«, sagte der Mörder mit dumpfer Grabesstimme. Der leere Blick seiner toten Augen war auf Alice gerichtet, deren Zähne wie bei einem Schüttelfrost aufeinander schlugen. Der Mörder wandte sich ab und ging ohne besondere Eile davon. Seine Bewegungen wirkten abgehackt und linkisch. Er verschwand in einer dunklen Seitenstraße. Die Dunkelheit schlug über ihm zusammen. Eine durchscheinende Gestalt, geschaffen aus grünlichem Nebel, in dem unheilvolles Leben zu pulsieren schien, löste sich aus dem Körper des Mörders. Die Nebelgestalt schrumpfte zusammen und bildete gleich darauf nur noch eine kleine, grünliche Wolke, die langsam davon schwebte und sich in der Dunkelheit verlor. Der Mörder schüttelte den Kopf – er wusste nicht, was geschehen
war. Wie war er hierher gekommen? Der Besuch in der Kneipe hatte wohl einen deutlichen Tribut gefordert … Ahnungslos, dass er eben das Werkzeug einer teuflischen Macht gewesen war, setzte er seinen Weg fort.
* Alice wusste nicht, was sie tun sollte. Sie stand da, rang die Hände und war außer sich. Die Gedanken rotierten in ihrem Kopf. Ohne von einem bewussten Willen gesteuert ging sie zu ihrem Mann, der reglos am Boden lag. Seine Augen waren weit aufgerissen. Sie spiegelten das letzte Entsetzen seines Lebens wider. Das Licht einer Straßenlaterne brach sich in ihnen. Sie erinnerten an glitzernde Glasstücke. Alice kniete bei dem Toten nieder und berührte ihn vorsichtig. Sie schüttelte ihn. »Sam …« Ihre Stimme brach. Ein männliche Stimme sagte: »Was ist geschehen? Ist ihm schlecht geworden? Nun ja, er hat ziemlich viel getrunken.« Alice drehte den Kopf halb herum und schaute an dem Sprecher in die Höhe. Es war einer der Partygäste, der soeben die Wohnung Fred Mallones verlassen hatte. Neben ihm stand eine rothaarige Frau. »Er – er ist tot«, brach es verzweifelt über Alices Lippen.
* Als George Randall um acht Uhr morgens seinen Dienst im Police Department antrat, wurde er von der Hiobsbotschaft, dass Sam Brewster in den frühen Morgenstunden ermordet worden sei, überrascht.
»Ich denke, sein Haus wurde überwacht«, stieß Brewster hervor. »Wurde es auch«, versetzte der Kollege, der ihm die Nachricht überbrachte. »Allerdings war Brewster nicht zu Hause. Er befand sich auf der Party eines Schauspielers – sein Name ist Fred Mallone – in Clinton. Sie verließen die Party kurz nach 4 Uhr 30. Auf der Straße fiel dann ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann über Brewster her und erwürgte ihn.« »Gibt es Tatzeugen?« »Nur Brewsters Frau Alice.« »Wurde sie vernommen?« »Ja. Sie konnte nicht viel erzählen. Da sie unter Schock stand, wurde sie ins Bellevue Hospital eingeliefert.« »Warum hat man mir den Mord angekündigt?«, sinnierte Randall. »Welche Absicht verfolgt der Täter damit?« Darauf konnte ihm der Kollege auch keine Antwort geben. »Du hast, soviel ich weiß, die Stimme des Mörders auf dem Anrufbeantworter. Die Spurensicherung will eine Stimmanalyse durchführen. Könntest du den Kollegen den Anrufbeantworter zur Verfügung stellen? Du hast das Band doch nicht gelöscht?« »Natürlich nicht!« Randall dachte kurz nach. »Wurde dieser Fred Mallone schon vernommen?« »Er weiß nichts, außer dass Brewster und dessen Frau kurz nach halb fünf Uhr am Morgen seine Wohnung verließen. Ein Ehepaar, das nach den Brewsters die Party verließ, hörte noch die Hilfeschreie Alice Brewsters, kam aber zu spät.« »Wie heißen die Leute?« »John und Susan McKinney. Sie wohnen in Staten Island, Henderson Avenue. McKinney ist auch Schauspieler, aber nicht mal halb so berühmt wie Mallone.« »Ich werde den Fall selbst übernehmen«, sagte Randall. »Jetzt aber fahre ich nach Hause und hole den Anrufbeantworter. Leg mir alles,
was es bisher an Material über den Fall gibt, auf den Schreibtisch, Hank.« George Randall verließ noch einmal das Präsidium und fuhr nach Hause. Der Morgenverkehr in Manhattan brachte ihn an den Rand der Verzweiflung. Die Straßen waren hoffnungslos verstopft. Manhattan, so schien es, stand kurz vor dem verkehrsmäßigen Infarkt. Blechlawinen rollten durch die Häuserschluchten. Bei manchem Autofahrer wurden Urinstinkte freigesetzt, viele erlebten beinahe einen herben Rückfall ins Zeitalter des Faustrechts. Es dauerte fast eine Stunde, bis Randall die zwei Meilen zu seiner Wohnung zurückgelegt hatte. Er hörte sich noch einmal an, was der Anrufer gesprochen hatte. Die Stimme klang seltsam krächzend und unnatürlich. Vielleicht ein Stimmverzerrer … Randall zuckte zusammen, als das Telefon anschlug. Seine Brauen schoben sich zusammen. Jeder seiner Bekannten wusste, dass er um sieben Uhr das Apartment verließ, damit er um acht Uhr seinen Dienst im Police Department antreten konnte. Er pflückte den Hörer von der Gabel und nannte seinen Namen. Eine heiser krächzende Stimme erklang. »Na, habe ich zuviel versprochen, Randall? Brewster ist tot. Als nächster steht Fred Mallone, der Schauspieler, auf meiner Abschussliste. Er hat wie Brewster den Tod verdient. Waren ja auch dicke Freunde, die beiden. Er wird sterben, Randall. Und du wirst es nicht verhindern können.« Der Anrufer kicherte, unmenschlich und voll teuflischer Freude. »Warum tun Sie das?«, presste Randall hervor, während ihm das Blut in den Adern zu gefrieren drohte. »Sie sind Mörder. Das ist erst der Anfang! Nach Fred Mallone wird John McKinney sterben. Und dann … Nun, du wirst es sehen. Gib dir keine Mühe, Randall. Du kriegst mich nicht. Niemand kriegt mich.« »Weshalb kündigen Sie ausgerechnet mir die Morde an?«
»Du bist zweiter Mann bei der Mordkommission. Ich musste mich zwischen deinem Vorgesetzten und dir entscheiden. Ich habe dich ausgewählt. Du arbeitest noch selbst mit an den Mordfällen. Das verleiht der Sache mehr Würze.« »Wann soll der Mord an Mallone stattfinden?« »Du wirst es sehen, Randall.« Der Anrufer kicherte wieder, dann unterbrach er die Verbindung. Randall hielt noch eine ganze Weile den Hörer in der Hand. Gedankenverloren starrte er auf einen unbestimmten Punkt an der Wand. Dass der Anruf kein schlechter Scherz war, hatte der Mord an Brewster bewiesen. Eine Stunde später befand sich Randall wieder im Police Department. Er übergab seinen Telefonapparat inklusive des Anrufbeantworters dem Kollegen, der das Gerät zur Spurensicherung brachte. Um die Mitte des Vormittags dudelte Randalls Telefon. Nach einem Briefing bei seinem Vorgesetzten hatte der Lieutenant gerade damit begonnen, die Aussageprotokolle im Mordfall Brewster durchzulesen. Der Anrufer stellte sich als Beamter der SRD vor und sagte: »Ich habe den Anrufbeantworter gecheckt, Mr. Randall, aber die Kassette ist leer. Auf den Anrufbeantworter, den ich hier habe, hat niemand gesprochen. Haben Sie die Aufzeichnung vielleicht versehentlich gelöscht?« SRD steht für Scientific Research Division. Es handelt sich hierbei um den zentralen Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeidienststellen. »Nein«, versetzte Randall. »Im Gegenteil. Ich habe sie noch einmal abgehört, ehe ich das Gerät ins Department brachte. Haben Sie den richtigen Knopf für die Wiedergabe gedrückt?« Ein leicht säuerliches Schnauben genügte als Antwort. »Da ist nichts.« »Ich komme selbst vorbei. In einer halben Stunde bin ich bei
Ihnen.« Er fuhr zur SRD, die nicht im Police Department untergebracht war. Sein Telefonapparat stand auf dem Schreibtisch des Kollegen, mit dem er gesprochen hatte. Um den Anrufbeantworter abzuhören, bedurfte es nur des Anschlusses an die Stromversorgung, ein Anschluss ans öffentliche Telefonnetz war nicht nötig. »Dann schalten Sie mal auf Wiedergabe«, forderte Randall den Beamten auf und dieser drückte den entsprechenden Knopf. Aus dem Lautsprecher ertönte es: »Sie sind stellvertretender Leiter der Mordkommission Manhattan, Randall. Sie bekommen Arbeit …« Es war genau der Text, den Randall am Abend zuvor und noch einmal heute Morgen gehört hatte. »Da hören Sie’s«, sagte Randall. »Wahrscheinlich haben Sie vorhin doch den falschen Knopf gedrückt.« Der Kollege musterte ihn verständnislos. »Was ist los mit Ihnen? Aus dem Anrufbeantworter ist kein Wort gekommen. Die Kassette ist leer.« Randall starrte den Mann verblüfft an. »Ich höre die Stimme ganz deutlich. Haben Sie vielleicht etwas an den Ohren, Kollege?« Der andere zeigte ein beleidigtes Gesicht. Etwas schärfer als normal sagte er: »Tut mir Leid, Randall. Ich konnte nichts hören.« George Randall betätigte den Rücklauf, dann drückte er noch einmal die Wiedergabetaste. Und wieder erklang die seltsam krächzende Stimme. Aufmerksam beobachtete Randall den Beamten, der hinter seinem Schreibtisch saß und fast gelangweilt seinen Blick erwiderte. »Haben Sie es jetzt gehört?« »Nein. Keinen Ton. Ich hole einen Kollegen dazu …« Wenige Minuten später war sich George Randall sicher, dass nur er in der Lage war, die Stimme zu hören. Eine eisige Hand schien ihn zu berühren. Hatte er es mit einem übersinnlichen Phänomen zu tun? Oder – stimmte etwa mit ihm selbst etwas nicht mehr?
Nein! Der angekündigte Mord war ausgeführt worden. Er hatte sich das nicht aus den Fingern gesaugt, er war nicht übergeschnappt. Die Vorgänge überstiegen seinen Verstand. »Der Mörder hat mich heute erneut angerufen. Er hat zwei weitere Morde angekündigt. Als nächstes soll Fred Mallone sterben, dann John McKinney.« »Bei Mallone fand doch die Party statt. Und McKinney kam mit seiner Frau dazu, kurz nachdem Brewster erdrosselt worden war.« »So ist es. Und es war dieselbe Stimme, die zu mir sprach. Ich verstehe das nicht.« Der Beamte der Spurensicherung musterte George Randall mit einem seltsamen Blick.
* Es stellte für George Randall kein Problem dar, die Adresse Fred Mallones herauszufinden. Er meldete seinen Besuch telefonisch an. Mallone schien nicht besonders erbaut darüber zu sein, schon wieder die Polizei im Hause zu haben. »Ich habe Ihren Kollegen schon alles gesagt«, erklärte er grollend. »Ich weiß nichts, außer dass die Brewsters gegen halb fünf Uhr meine Wohnung verlassen haben.« »Ich möchte Sie trotzdem sprechen, Mr. Mallone. Irgendwie scheinen Sie in die Sache verwickelt zu sein.« »Versuchen Sie mir bloß nichts anzuhängen.« »Ich meinte nicht den Mord, Mr. Mallone.« Randall zögerte ein wenig. Die nächsten Worte wollten ihm nicht so recht über die Lippen kommen. »Der Mörder Brewsters hat mich heute Morgen angerufen. Als nächsten, sagte er, würde er Sie ermorden.«
»Mich?« »Ich darf den Anruf nicht auf die leichte Schulter nehmen, Mr. Mallone. Auch der Mord an Brewster wurde angekündigt. Wir haben sogar das Haus Brewsters überwachen lassen. Natürlich konnte niemand ahnen, dass er sich in dieser Nacht als Gast in Ihrem Haus befand.« Randall hörte Mallone stoßweise atmen. »Na schön, kommen Sie her. Die Adresse kennen Sie ja.« Mallone bewohnte eine exklusive Penthouse‐Wohnung in Midtown. Vom Fenster des Livingroom aus hatte man den Blick auf den Central Park frei. Sicher kein billiges Domizil, dachte Randall. Und außerdem ist es nur eine von mehreren Wohnungen, die dem Schauspieler hier und sonst wo in Amerika gehören … Er läutete an der Wohnungstür. Ein Mann von etwa 40 Jahren öffnete ihm und stellte sich ihm als Fred Mallone vor. Doch das wäre nicht notwendig gewesen, denn Randall hätte ihn auch so erkannt. Der Star bat den Lieutenant in das Apartment und forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Randall ließ sich in einen der schweren Sessel sinken. Mallone setzte sich auf die Couch. Eine Dogge lag unter dem Tisch und döste vor sich hin. »Ist der Hund gefährlich?«, fragte Randall und zog vorsichtshalber die Beine an. »Der gutmütigste Hund, den ich kenne«, antwortete Mallone. Seine Stimme klang belegt. Ein verzerrtes Grinsen zog seinen Mund in die Breite. »Benno hat seine Zähne wirklich nur zum Fressen.« Es sollte locker und flapsig klingen, doch es gelang Mallone nicht, seine Nervosität zu überspielen. Sie kam in jedem Zug seines Gesichts zum Ausdruck. »Was hat der Kerl gesagt?«, stieg es heiser aus seiner Kehle. »Hat er einen Grund dafür genannt, dass er mich umbringen will?« Randall nickte. »Er sagte, Sie seien ein Mörder und hätten den Tod verdient.«
Mallone prallte regelrecht zurück. Dann entfuhr es ihm: »Melanie Shephard! O mein Gott …« Seine Stimme erlosch. Er sprang auf und begann, unruhig im Zimmer herumzuwandern. Dabei knetete er seine Hände. In seinem Gesicht zuckten die Nerven. »Was hat es mit Melanie Shephard auf sich?«, fragte Randall. Erwartungsvoll musterte er Mallone. Der Schauspieler ging zum Fenster und starrte auf einen imaginären Punkt in der Ferne. »Eine junge Schauspielerin. Wir drehten zusammen einen Film. Sie genügte unseren Anforderungen nicht und die Rolle – es war eine Hauptrolle –, wurde mit einer anderen Darstellerin besetzt. Für einen Mimen der Todesstoß. Nachdem Melanie keine Rollen mehr bekam, begann sie zu trinken und wurde tablettensüchtig. Eines Tages fand man sie tot in ihrer Wohnung. Sie war nur 26 Jahre alt geworden.« »Und Sie glauben, dass jemand Ihren Tod plötzlich zu rächen versucht?« Mallone zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber Melanies Vater warf uns damals vor, sie auf dem Gewissen zu haben. In diesem Zusammenhang fiel auch das Wort Mörder.« »Sie sprechen immer in der Mehrzahl, Mr. Mallone. Wer war noch betroffen?« Randall glaubte die Antwort zu kennen … »Ich weigerte mich, länger mit Melanie zusammen zu arbeiten. John McKinney unterstützte mich. Ich glaube, zwischen McKinney und Melanie hatte es sogar mal was gegeben, doch Melanie soll John den Laufpass gegeben haben. Nun, er war jedenfalls nicht gut auf sie zu sprechen. Nachdem wir drohten, alles hinzuschmeißen, feuerte Sam Brewster Melanie. Sam konnte es sich nicht leisten, dass John und ich, die beiden Zugpferde, die dem Film zum Erfolg verhelfen sollten, absprangen.« »War Melanie wirklich so schlecht?« Mallone schüttelte den Kopf. »Es herrschte eine tiefe Antipathie von meiner Seite und ich ließ Brewster keine Ruhe, bis er die Rolle
Melanies mit einer anderen Schauspielerin besetzte. Im Nachhinein tut es mir Leid. – Was John zu unserer Forderung verleitete, sagte ich Ihnen bereits. Melanie hatte ihm den Laufpass gegeben. Er war stinksauer auf sie.« »Das sieht mir sehr nach Rache aus. Wer bekam die Rolle der Melanie Shephard?« »Kath Forsyth. Sie lebt in Los Angeles.« »Haben Sie ihre Telefonnummer?« »Sicher.« »Geben Sie sie mir.« »Sie denken, dass auch Kath gefährdet ist?« »Ich will es nicht ausschließen. Wo lebte Melanie Shephard?« »In New York. Ihr Vater ist Besitzer einer Kette von Restaurants. Sein Name ist Cole Shephard.« »Von dem habe ich schon gehört.« »Er hat genug Geld, um einen Killer anzuheuern. Die – die Polizei muss mir Schutz gewähren.« »Ich werde vor Ihrer Wohnungstür zwei Polizisten postieren«, versprach Randall. »Verlassen Sie ihre Wohnung erst wieder, wenn ich Ihnen grünes Licht gebe.« »Vielen Dank«, murmelte Mallone. Randall verließ die Wohnung. Als er wieder in seinem Wagen saß, holte er seinen Taschenkalender heraus, blätterte darin, knurrte zufrieden und tippte eine Nummer in sein Handy. Dreimal war das Freizeichen zu hören, dann erklang eine Stimme: »McKinney.« »Lieutenant Randall, Mordkommission Manhattan«, sagte der Lieutenant. »Ich ermittle in der Mordsache Brewster und hätte Sie gerne gesprochen, Mr. McKinney.« »Ich bin erst heute Morgen ins Bett gekommen«, kam es etwas ungehalten von McKinney. »Erst der Mord, dann das Verhör durch
Ihre Kollegen. Kommen Sie heute Abend, wenn ich ausgeschlafen bin.« »So lange kann ich nicht warten, Mr. McKinney«, erklärte Randall entschieden. »Der Mörder hat bereits weitere Morde angekündigt. Als nächstes soll Fred Mallone sterben – und dann Sie.« Randall nahm kein Blatt vor den Mund. »Sind Sie jetzt bereit, gleich mit mir zu sprechen?« Randall hörte McKinney geradezu nach Luft schnappen. »Er will auch mich …« »So ist es. Ich komme gerade von Mallone.« »Kommen Sie her, Lieutenant. Beeilen Sie sich. Gütiger Gott, haben Sie eine Ahnung, wer der Mörder sein könnte?« »Nein.« »Ich warte auf Sie, Lieutenant.« Randall rief im Department an und bat, zwei Polizisten zur Wohnung Fred Mallones abzuordnen. Dann fuhr er los. Er nahm den Weg über Brooklyn, fuhr über die Verrazano Narrows Bridge und erreichte Staten Island. Dort, wo die Brücke in den Staten Island Expressway mündete, wandte er sich nach Norden. Die McKinneys bewohnten eine große Villa in einem weitläufigen, parkähnlichen Garten. Wie es den Anschein hatte, war das Beste gerade gut genug für sie. Vor der Haustür stand eine schwarze Limousine. Ein Mercedes 500 S. Susan McKinney öffnete ihm. Eigentlich hatte Randall einen livrierten Diener erwartet. »Mein Mann hat mir schon erzählt, was Sie herführt, Lieutenant«, sagte Mrs. McKinney. »Ich bin froh, dass Sie endlich hier sind. Denn ich habe keine ruhige Minute mehr, seit ich weiß, dass dieser Verrückte auch meinen Mann umbringen will.« »Ihr Mann wird unter Polizeischutz gestellt, Mrs. McKinney«, versicherte Randall. »Ich werde sofort ein paar Kollegen vom Revier
in Staten Island anfordern, sobald ich mit Ihrem Mann gesprochen habe.« Susan McKinney führte Randall in das Wohnzimmer, das mit erlesenen Möbeln ausgestattet war und über einen offenen Kamin verfügte. Sie bat ihn, Platz zu nehmen. Wenig später erschien John McKinney. Er kam die Treppe herunter, die auf einer Balustrade endete, von der aus Türen in verschiedene Zimmer führten. McKinney war nur mit einem Morgenmantel bekleidet. Er hielt eine Zigarette zwischen den Fingern seiner Rechten. Nervös sog er an dem Glimmstängel. »Tut mir Leid, wenn ich unhöflich war …« Randall winkte ab. »Keine Ursache. Ich habe mit Fred Mallone gesprochen. Er hat mir von einer Melanie Shephard berichtet, die vor einiger Zeit gestorben ist. Auch Sie standen in gewisser Beziehung zu ihr.« McKinneys Miene wurde hart. »Das ist drei Jahre her. Melanie hat sich – um es ungeschminkt auszudrücken – zu Tode gesoffen. Sie war eine mittelmäßige Schauspielerin.« »Man hat ihr eine Hauptrolle weggenommen«, sagte Randall. »Sie und Mallone sollen daran maßgeblich beteiligt gewesen sein.« »Wie ich schon sagte: Sie war nur eine mittelmäßige Schauspielerin und eine schlechte Besetzung für die Rolle. Mallone weigerte sich, weiterhin mit ihr zusammen zu arbeiten. Auch ich habe Brewster beeinflusst, sie zu feuern. Aber was hat das mit dem Mord an Brewster zu tun?« »Ich weiß es noch nicht. Melanies Vaters hat damals Sie, Brewster und McKinney als Mörder bezeichnet.« »Das stimmt. Aber wieso sollte er jetzt plötzlich, nach drei Jahren, einen Rachefeldzug starten?« »Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls ist die Morddrohung ernst zu nehmen. Ich werde Sie unter polizeilichen Schutz stellen, Mr. McKinney. Verlassen Sie auf keinen Fall das Haus. Das gleiche gilt
für Sie, Mrs. McKinney.« Randall warf einen raschen Blick zu der Frau, die auf der Couch sitzend der kurzen Unterhaltung gespannt gefolgt war. »Natürlich nicht. Wir sind ja nicht lebensmüde.« »Eine Frage noch, Mr. McKinney.« »Bitte …« »Kann ich offen sprechen?«, fragte Randall mit einem Seitenblick auf Mrs. McKinney. »Es geht um das Verhältnis, das ich mit Melanie hatte, nicht wahr? Fred hat Ihnen davon erzählt.« »So ist es.« »Meine Frau weiß Bescheid. Es war nur eine kurze Affäre, die ich sehr schnell wieder beendete. Melanie …« Randall unterbrach den Schauspieler. »Ich denke, Melanie hat Schluss gemacht.« McKinney presste die Lippen zusammen. Hart sprangen die Backenknochen aus seinem Gesicht hervor. Dann sagte er: »Es spielt keine Rolle, wer Schluss gemacht hat. Jedenfalls war es keine Trennung im Guten.«
* Der grauhaarige Mann konzentrierte sich. Seine Augen begannen zu leuchten, als würde ein Feuer in ihnen brennen. Es war Abend. In New York brannten Hunderttausende von Lichtern – im Haus des Grauhaarigen in Queens jedoch war es finster. Als ihn plötzlich grünlicher, wabernder Nebel umgab, fiel er auf die Knie nieder und sein Körper zuckte unkontrolliert. Er war sich seiner unheilvollen Macht bewusst. Die Mächte der Finsternis hatten ihm telepathische Fähigkeiten verliehen; ein
Prozess, der drei Jahre in Anspruch genommen hatte. Der Grauhaarige hatte sich dem Bösen verschrieben. Es wuchs in ihm heran und der Hass auf die Männer, die seiner Meinung nach Melanie Shephard auf dem Gewissen hatten, stieg. Es war ein Hass, der an Besessenheit grenzte: unauslöschlich, grenzenlos – dämonisch. Er war nicht mehr er selbst. Seine Persönlichkeit war gestorben und hatte dem Dämon Platz gemacht, den sein Hass nährte. Er war ein Geschöpf der Hölle geworden, das Mensch und Tier zu seinem Werkzeug machen konnte. »Töte ihn!«, keuchte der Grauhaarige mit dumpfer Grabesstimme. »Er hat den Tod verdient. Töte Fred Mallone!« Der grüne Nebel, der den Grauhaarigen umfloss, formte sich zu einer Gestalt, deren Augen in einem unförmigen Schädel glühten. Hecheln erfüllte den Raum, dann war ein gefährliches Knurren zu hören. Es kam aus dem Maul der Nebelgestalt. Sie schrumpfte zusammen, wurde zu einer kleinen Wolke und entfernte sich von dem Grauhaarigen, um im nächsten Moment durch die geschlossene Tür zu verschwinden. Das Hecheln und Knurren verklang. Der Grauhaarige wirkte wie ein Erwachender. Das Flackern in seinen Augen war erloschen. Dennoch kam es über seine Lippen: »Töte!« Es war nur ein heiseres, fanatisches Geflüster …
* Fred Mallone schaute fern. Es war ein alter Hollywood‐Schinken, der schon zum x‐ten Mal gesendet wurde. Zu der Zeit, als der Film gedreht wurde, hatte er, Mallone, noch im Sandkasten gespielt. Ein alter Schwarz‐Weiß‐Film, die Stimmen klangen blechern.
Mallone sah die Bilder, doch sie erreichten nur den Rand seines Bewusstseins. Mit seinen Gedanken war er weit weg. Die Todesdrohung ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Seine Frau Lucy lag auf der Couch, knabberte Chips und trank dazu Wein. Wie kann sie nur so gelassen sein?, fragte sich der Schauspieler. Dann sagte er sich, dass wohl die beiden Polizisten, die vor der Tür standen, ihr diese Ruhe vermittelten. Auch er selbst versuchte, eine Nervosität abzulegen, doch es gelang ihm nicht. Er erhob sich, ging zur Bar und goss sich einen Whisky ein. Mit einem Schluck trank er ihn, sofort schenkte er nach. Lucy beobachtete ihn, aber sie schwieg. Auf dem Teppich vor dem Fernseher lag die Dogge. Sie schlief. Mallone kehrte zum Sessel zurück und ließ sich hinein sinken. Die Unruhe bereitete ihm körperliche Unbehaglichkeit. Er blickte auf die Uhr. Es war kurz vor 21 Uhr. Von Lieutenant Randall hatte er nichts mehr gehört. Fred Mallone nippte an seinem Glas. Die scharfe Flüssigkeit brannte seinen Hals hinunter. Der fade Geschmack in Mallones Mundhöhle ließ sich nicht vertreiben. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Grünlicher Nebel floss durch das Fenster ins Rauminnere. Mallone streckte die Arme aus, als wollte er so verhindern, dass sich ihm der Nebel näherte. Seine Lippen formten tonlose Worte. Lucy entging sein seltsames Verhalten nicht. Sie folgte mit den Augen seiner Blickrichtung und sah ebenfalls den grünen Nebel, der sich am Boden vor dem Fenster sammelte. Plötzlich ging mit der grünlichen Wolke eine seltsame Veränderung vor. Sie verformte sich … und nahm die Gestalt der Dogge an. Und dann – Lucy Mallone traute ihren Augen nicht –, schlüpfte das nebelhafte Gebilde in die Dogge hinein. Eine grüne Aura umfloss daraufhin den Körper des Tieres. Mit einem Ruck erhob sich der Hund. Ein unheilvolles Grollen
stieg aus ihrer Kehle und langsam wandte sie den Kopf. Sie fletschte die Zähne. Die Lefzen hoben sich über dem mächtigen Gebiss. Die Nackenhaare sträubten sich und fingen an zu zittern. Das Knurren wurde lauter, zorniger. Mit einem gewaltigen Satz drückte sich der Hund vom Boden ab und sprang dem Mann direkt an die Kehle. Fred Mallone wurde zu Boden gerissen. Der schale Atem der Bestie streifte sein Gesicht, dann schlugen die scharfen Zähne in seiner Kehle zusammen! Rasender Schmerz durchfuhr ihn. Um ihn herum versank die Welt. Lucy presste die flache Hand auf ihren Halsansatz, als könnte sie so ihren fliegenden Atem beruhigen. Ihr Herz pochte rasend in der Brust. Ihr Mund hatte sich zu einem stummen Schrei geöffnet. Sie musste zusehen, wie die Dogge die Kehle ihres Mannes zerfleischte. Der erlösende Schrei brach aus ihrer Kehle und alarmierte die beiden Polizisten vor der Tür. Aber sie war von innen verriegelt. Einer der Cops warf sich mit seinem vollen Gewicht gegen das Türblatt. Es hielt nicht stand und flog auf. Die beiden Polizisten stürmten in den Livingroom. Der Hund hatte sich immer noch in Fred Mallones Kehle verbissen. Blut rann auf den Teppich und versickerte. Einer der Polizisten zog die Pistole. Das Tier flog förmlich auf ihn zu und stieß ihn zu Boden. Dem anderen Cop gelang es, die Pistole zu ziehen, als sich aus dem Tierleib grünlicher Nebel löste, dicht über dem Boden zum Fenster kroch und verschwand. Die Dogge wich winselnd zurück. Sie lief zu ihrem Herrn und beschnüffelte ihn. Dann setzte sie sich und schaute aus treuen Augen Lucy Mallone an, die das Grauen fest im Klammergriff hielt. Namenloses Entsetzen prägte ihr Gesicht. Einer der Polizisten beugte sich über Fred Mallone. »Tot«, sagte er erschüttert. »Der Mann ist tot.«
* George Randall wurde informiert. Er fuhr sofort zum Tatort. Die Spurensicherung war bereits ebenso eingetroffen wie ein Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Coroner. Ein Kriminalbeamter versuchte, Lucy Mallone zu befragen, aber die Frau stand noch viel zu sehr im Bann der Ereignisse. Einer der beiden Uniformierten, die die Wohnung bewacht hatten, wandte sich an Randall. »Ich weiß nicht, ob ich meinen Augen trauen soll, Lieutenant. Aber nachdem der Hund meinen Kollegen umgerissen hatte, kam aus seinem Körper eine grünliche Nebel‐ oder Gaswolke, von der Größe eines Fußballes vielleicht. Sie schwebte zum Fenster und verschwand.« »Grünlicher Nebel«, wiederholte der Lieutenant nachdenklich. »Sie irren sich auch nicht?« »Sicher kann Ihnen Mrs. Mallone dies bestätigen, wenn sie wieder ansprechbar ist. Die Wolke war nicht zu übersehen.« »Haben Sie sie auch gesehen?«, fragte Randall den anderen Cop. »Ich lag am Boden und war starr vor Schreck, als mich der Hund anfiel«, erhielt er zur Antwort. »Nachdem diese Bestie seinen Herrn zerfleischt hatte, sah ich meine letzte Stunde gekommen.« Mallone wandte sich dem Hund zu. Er lag auf dem Teppich und rührte sich nicht. Aus großen, feucht glänzenden Augen schaute er Randall an, der ihm über den Kopf strich. Der Hund fühlte sich sichtlich wohl. »Kaum zu glauben, dass dieses Tier einen Menschen zerrissen haben soll«, murmelte Randall wie im Selbstgespräch. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Und plötzlich war er wie elektrisiert. Mallones Ermordung war ihm, Randall, angekündigt worden. Schlagartig begriff er. Die Stimme, die er gehört hatte, stammte nicht vom Anrufbeantworter und war auch nicht durch die
Telefonleitung zu ihm gedrungen. Darum hatte sie auch der Beamte von der Spurensicherung nicht hören können … Die Stimme war nur in seinem Kopf aufgeklungen. Telepathie! Randall zog sich der Magen zusammen. Welche dämonische Macht trieb hier ihr schauerliches Spiel? Bei Mallone hatte sich der Mörder des Hundes bedient. John McKinney hingegen besaß keinen Hund – aber bei ihm hielt sich seine Ehegattin auf! Randall spürte den eisigen Schauer, der ihm über die Wirbelsäule hinunter rieselte. Der Killer wird seine eigene Ehefrau auf McKinney hetzen … und ich werde zu spät kommen. Verdammt, was kann ich tun? Er rannte aus der Wohnung, warf sich in sein Auto und nahm seinen Taschenkalender zur Hand. Mit Hilfe der Innenbeleuchtung konnte er McKinneys Telefonnummer in dem Büchlein finden. Er tippte die Nummer in das Handy seiner Freisprechanlage und baute die Verbindung auf. Das Freizeichen erklang. »Melde dich endlich!«, knirschte er. Als habe sie es gehört, antwortete eine Stimme: »John McKinney.« Ein Stein fiel Randall vom Herzen. »Ich befürchtete schon …« Er brach ab. »Wer spricht da?«, fragte McKinney. »Lieutenant Randall. Ist bei Ihnen alles in Ordnung, Mr. McKinney?« »Natürlich. Gibt es einen besonderen Anlass?« »Das kann man wohl sagen. Fred Mallone wurde von seinem eigenen Hund getötet.« »Was – was sagen Sie da?«, stammelte der Schauspieler. »Er – er wurde von seinem eigenen Hund …« McKinneys Stimmbänder versagten.
»Ich komme zu ihnen«, sagte Randall. »Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn ich die Nacht über bei Ihnen bleibe.« »Gewiss nicht.« Es knackte in der Leitung, als McKinney auflegte. Kaum drückte Randall den roten Knopf, um die Leitung frei zu machen, klingelte das Handy. Er nahm das Gespräch an. Die verzerrte Stimme sagte: »Du hast es nicht verhindern können, Randall! Mallone ist tot. Du wirst auch nicht verhindern können, dass ich McKinney umbringe. Und dann kommt Kath Forsyth an die Reihe. Auch sie hat den Tod verdient.« Es ist wegen Melanie Shephard, nicht wahr?, dachte George Randall gezielt. »Ja«, sagte die Stimme, »es ist wegen Melanie. Sie starb, weil sie ungerecht behandelt wurde. Mallone und McKinney haben sie verleumdet. Sie haben nicht eher geruht, bis Brewster ihre Rolle mit einer anderen Schauspielerin besetzte. Und diese Schlampe hat nur darauf gewartet, an Melanies Stelle zu treten. Auch sie hat nichts unversucht gelassen, Melanie zu schaden. Melanie ist daran zerbrochen.« Wer sind Sie? Sind Sie Melanie? Höhnisches Kichern war die Antwort. Wie werden Sie McKinney töten? Benutzen Sie seine Ehefrau als Werkzeug? Wieder kam nur das höhnische Kichern. Es brachte Randall fast um den Verstand. »Ich kriege dich. Ich werde dich jagen und stellen. Mein Wort drauf. Du entkommst mir nicht.« Dann war es still. Randall griff sich mit beiden Händen an den Kopf. Er hatte es mit einer dunklen Macht zu tun, darüber war er sich nun völlig im Klaren. Bei dem Mörder handelte es sich um einen Dämon oder Geist, der unmöglich mit weltlichen Mitteln zu besiegen war. George Randall fühlte sich, als werde er von einer eisigen Hand
berührt. Der Mörder muss sich eines Mediums bedienen, sinnierte er. Er kann nur mit Hilfe eines Mediums in diese Welt eingedrungen sein. Melanies Vater? Ich habe ihn heute nicht erreicht. Seine Sekretärin erzählte mir, dass er verreist sei. Ist er das wirklich? Hat sie mich belogen? Oder hat Cole Shephard auch sie mit der Unwahrheit bedient? Tausend Fragen durchströmten George Randall – Fragen, auf die er keine Antwort fand. Alles, was er sich im Kopf zurecht legte, waren Mutmaßungen. Nur eines war sicher: Er hatte es mit einem Gegner zu tun, der mit herkömmlichen Waffen nicht zu bezwingen war. Besiegen konnte er ihn wahrscheinlich nur, wenn er das Medium zerstörte, das ihm das Eindringen in diese Welt ermöglichte. Es musste offen sein für das Böse, musste selbst von Grund auf böse sein. Melanies Vater hatte Rache geschworen. Hatte es drei Jahre gedauert, bis die Zeit dafür reif war? Hatte er sich dem Bösen geöffnet, seine Seele den dunklen Mächten verschrieben? George Randall fuhr an und lenkte den Wagen in Richtung Brooklyn Bridge. Sein Ziel war Staten Island. Es wurde elf Uhr, bis er vor dem Haus, in dem die McKinneys wohnten, den Wagen parkte. Aus zwei Fenstern des Hauses fiel Licht. Als er den Garten betrat, wurde er angesprochen. »Stop! Wohin wollen Sie?« Es war einer der Cops, die das Haus bewachten. Er trat hinter einem Strauch hervor. Matt schimmerte das Metall der Pistole in seiner Hand. »Ich bin es, Lieutenant Randall von der Mordkommission Manhattan. Sie können beruhigt sein.« »Können Sie sich ausweisen?«, kam es aus der Dunkelheit. Der zweite Polizist hatte die Frage gestellt. »Gewiss.« Randall zückte seinen Ausweis und hielt ihn dem Uniformierten hin. Der knipste eine Taschenlampe an und studierte im Lichtschein die ID‐Card.
George Randall fühlte sich nicht gefordert, eine Erklärung abzugeben. Er sagte nur: »Ich werde die Nacht über im Haus bleiben. Sie halten weiterhin Wache. Sollte ihnen etwas auffallen, geben Sie mir Bescheid.« Dann nahm Randall wieder seinen Ausweis entgegen und ging zur Haustür. Er legte den Daumen auf die Klingel.
* George Randall saß in einem der schweren Sessel im dunklen Wohnzimmer. John und Susan McKinney waren vor etwa zwei Stunden zu Bett gegangen. Ein Regulator an der Wand tickte monoton; soeben hatte er zweimal geschlagen. Neben George Randall lag ein Kreuz. Es hatte an der Wand im Livingroom gehangen, ehe er es abnahm. Er wusste nicht, ob es ihm etwas nützen würde, aber es verlieh ihm etwas Sicherheit. Den bösen Mächten der Dunkelheit war oft nur mit Utensilien des christlichen Glaubens beizukommen; Weihwasser, Kreuze, andere geweihte Gegenstände … … zumindest glaubte Randall das. Las man es nicht immer so? Bei der Pistole, die George Randall in der Hand hielt, handelte es sich um einen absolut profanen Gegenstand, mit dem Dämonen und bösen Geistern nicht beizukommen war. Aber Menschen und Tieren schon; und auf einen Menschen oder ein Tier wartete Randall. Die Müdigkeit drohte Randall zeitweise zu übermannen. Manchmal döste er ein. Die Ruhe, die ihn umgab, das gleichmäßige Ticken der Uhr, die Dunkelheit – all das machte ihn schläfrig. Es kostete ihm alle Anstrengung, die Augen offen zu halten. Die Tür zum Schlafzimmer war geöffnet. Es war nicht auszuschließen, dass der Dämon in Susan McKinney schlüpfte, um durch sie John McKinney zu ermorden.
Randall hörte leise Schnarchtöne. Hin und wieder erhob er sich, schlich zur Tür und lauschte in das Zimmer hinein. Durch die beiden Fenster fiel genügend Licht von der Straße, so dass er die beiden Schlafenden undeutlich wahrnehmen konnte. Die Stimme in Randalls Kopf war nicht mehr zu hören gewesen. Wusste der Killer, dass er, George Randall, sich im Haus seines nächsten potentiellen Opfers befand? Wenn ja – würde er trotzdem zuschlagen? Randall war fest davon überzeugt. Dieses Katz‐ und Mausspiel verschaffte dem Mörder offenbar eine immense Genugtuung. Die Zeit schien stillzustehen. Ein leises Surren erklang, dann schlug die Uhr einmal. Es war Viertel nach Zwei. Der Klang des Gongs riss Randall aus seiner Versunkenheit. Er saß aufrecht und lauschte. Jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen angespannt. Es verstrichen noch einige Sekunden, in denen das Läutwerk der Uhr nachklang. Plötzlich gab es einen fürchterlichen Krach. Die Außentür flog auf, Glas splitterte und klirrte. Randall sah die Konturen eines Mannes im Türrechteck, von einer grünlichen Aura umflossen. Einer der Cops, die vor dem Haus Wache hielten! Das Böse hatte von ihm Besitz ergriffen … Mit einem Ruck kam George Randall hoch. Der Besessene näherte sich ihm. In seiner Faust lag die Pistole. Ein Schuss donnerte, das Mündungsfeuer zerschnitt die Finsternis. Randall hatte sich schon zur Seite geworfen. Die Kugel strich dicht über ihn hinweg. Ein hasserfülltes Fauchen kam aus dem Mund des Cops. Ehe er jedoch das Ziel neu aufnehmen konnte, feuerte Randall. Das Mündungsfeuer blendete ihn für den Bruchteil eines Augenblicks. Der Polizist zuckte zusammen und stöhnte. Die Waffe entfiel seiner Hand, seine Hände verkrallten sich vor der Brust. Grüner Nebel löste sich von dem Mann. Der Cop brach zusammen. Der
Nebel bewegte sich auf George Randall zu. Höhnisches Kichern erklang. Du kannst mich nicht aufhalten, Randall. McKinney wird durch deine Hände sterben. Du wirst das Werkzeug sein, durch das ich ihn töte. Der Lieutenant hatte das Empfinden, der Kopf müsse ihm platzen. Er kniete am Boden. Die grüne Wolke war schon greifbar nahe. Sie begann sich zu verwandeln und wieder die Gestalt eines Menschen anzunehmen. Das Kreuz! Randall kam hoch, sprang zum Tisch, tastete nach dem Kruzifix und – stieß es von der Tischplatte. Es fiel zu Boden. Randall schoss auf die Nebelgestalt, die sich aus der Wolke gebildet hatte. Die Kugel konnte ihr nichts anhaben. Randalls Hände wischten über den Boden. Er ertastete das Kreuz, packte es und schleuderte es auf die Gestalt, die an einen Astralkörper erinnerte. Ein gellender Aufschrei betäubte Randalls Trommelfelle. Die Nebelgestalt schrumpfte zusammen, bildete sich zu einer Wolke zurück und huschte zur Schlafzimmertür. Dort stand Susan McKinney! Die Wolke wurde eins mit der Frau. Randall, der sich gerade nach dem Kreuz bücken wollte, erhielt einen fürchterlichen Stoß, der ihn von den Beinen riss. Er landete auf dem Rücken, rollte herum und wollte in die Höhe schnellen, als ihn Susan McKinney mit beiden Händen packte, mit Leichtigkeit vom Boden hochhob und durch den Raum schleuderte. Er prallte gegen ein Board und krachte zu Boden. Heftiger Schmerz zuckte bis unter seine Schädeldecke. Die Pistole hatte er verloren. Ein böses Grollen ausstoßend, näherte sich ihm der Dämon in der Gestalt Susan McKinneys. Randall riss die Panik in die Höhe. Geduckt und sprungbereit stand er da.
Du musst sterben, Randall. Du bist gefährlicher, als ich dachte. Darum werde ich dich töten. Jetzt … Der Dämon sprang Randall an. Er drehte sich halb, sein Oberkörper pendelte nach vorn, er hob das linke Bein und ließ es dem Gegner entgegenschnellen. Fernöstliche Kampftechnik – Taekwondo. Er rammte dem Dämon sein Bein in den Leib. Das höllische Geschöpf wurde zurückgestoßen und brüllte auf. Der menschliche Wirtskörper verspürte Schmerzen und war verletzbar. Aber hatte Randall auf die Dauer der übernatürlichen Kraft etwas entgegenzusetzen? Er glaubte selbst nicht daran. Er hielt Ausschau nach seiner Pistole. Sie lag irgendwo auf dem Fußboden, ebenso wie das Kreuz. Es schien eine brauchbare Waffe im Kampf gegen den Dämon zu sein. Wo war der zweite Polizist? Siedend heiß durchzuckte ihn diese Frage. Hatte ihn sein vom Dämon besessener Kollege umgebracht? Plötzlich flammte Licht auf. In der Tür zum Schlafzimmer stand John McKinney, fassungslos auf die Szene starrend, die sich ihm bot. Er sah seine Frau von der Seite, die wie eine Furie den Lieutenant angriff. Die Finger der erhobenen Hände waren gekrümmt wie Klauen. Die Haare hingen ihr wild in die Stirn. Ihre Augen versprühten grünliche Blitze. Randall versetzte dem Dämon wieder einen Tritt, der ihn zurücktaumeln ließ. Plötzlich warf sich Susan zu McKinney herum. Sie bleckte die Zähne. Das dämonische Feuer in ihren Augen glühte. Ihr Mann stand wie angewachsen, als wäre er zu Stein erstarrt. Im nächsten Moment spürte er starke Hände, die seinen Hals umklammerten. Todesangst überflutete ihn. Er begriff, dass es nicht mehr seine Frau war, die ihn gepackt hatte. »Stirb!«, zischte der Dämon. Stinkender Atem schlug McKinney ins Gesicht. Randall sprang hinzu und riss den Dämon zurück. Doch dieser ließ McKinneys Hals nicht los. Der Dämon und sein Opfer stürzten
zu Boden. McKinney kam auf der höllischen Gestalt zu liegen. Er erwachte aus seiner Lethargie und schlug dem Höllengeschöpf die Faust ins Gesicht. Die Luft wurde ihm knapp; seine Lungen begannen schon zu stechen. Ein Schrei kämpfte sich in seiner Brust hoch, staute sich in ihm und kam als klägliches Ächzen aus seiner Kehle. George Randall sah das Kreuz und griff danach. Daneben lag auch seine Pistole. Er hob sie auf. McKinneys Gesicht war bereits angelaufen, die Augen quollen weit aus den Höhlen. Verzweifelt versuchte er, die Hände des Dämons auseinander zu drücken, doch er konnte der Kraft des Bösen nichts entgegen setzen. Randall drückte dem Dämon das Kreuz auf die Stirn. Dort, wo es die Haut berührte, erlosch die grünliche Aura. Sonst zeigte sich keine Wirkung. Im Körper des Menschen war der Dämon immun gegen das geweihte Utensil. Der Lieutenant sah keine andere Möglichkeit, als auf Susan McKinney zu schießen. Er drückte ihr die Pistole gegen die Schulter und zog durch. Der gequälte Aufschrei der Frau vermischte sich mit dem Donnern der Waffe. Der Griff um McKinneys Hals lockerte sich. Es gelang dem Schauspieler, sich loszureißen. Noch einmal schlug er in das verzerrte Gesicht, dann kam er hoch und trat zurück. Aber auch der Dämon erhob sich. Er hatte noch nicht aufgegeben. Er gab Laute von sich, die beängstigend anzuhören waren. Das Blut, das aus der Schulterwunde drang, war schwarz; ein Zeichen dafür, dass der Dämon von Susan McKinney vollkommen Besitz ergriffen hatte. Er griff wieder an. Und bei der Eingangstür krachte ein Schuss.
*
Der zweite Polizist griff ohne zu zögern in den Kampf ein. Er war nach kurzer Ohnmacht erwacht, in die sein Kollege ihn geschickt hatte, als der Dämon in ihn gefahren war. Sein Schuss traf zielgenau. Susan McKinney brach tödlich getroffen zusammen. Dagegen war auch der Dämon machtlos. Er schlüpfte aus ihrem Körper und schwebte über dem Boden auf den Polizisten zu, der mit verschmutzter Uniform in der Tür stand. Randall schleuderte das Kreuz. Es traf die Wolke und sprengte sie. Vier, fünf kleine Nebelfetzen entstanden, waberten, pulsierten. Ein furchtbarer, lang gezogener Aufschrei ertönte. Blitze zuckten aus dem Kreuz und trafen die kleinen Wolken, die in der Luft verpufften. Die dunklen Rauchwolken zerflatterten. Der Dämon war zerstört. »Geht es Ihnen gut?«, wandte sich Randall an McKinney. Der Schauspieler rieb sich den Hals und nickte. Mit heiserer Stimme hauchte er: »Großer Gott, Susan …« Er beugte sich über seine Frau. Ihr Mund stand halb offen. In den aufgerissenen Augen spiegelte sich die absolute Leere des Todes. Das Blut, das aus den Wunden der Frau sickerte, war wieder rot. »Was – was ist geschehen?«, fragte der Polizist mit etwas schriller Stimme, in der das Grauen schwang. »Plötzlich kam Lane auf mich zu und schlug mich mit seiner Pistole nieder. Und dann der Angriff der Frau auf Mr. McKinney. Die grüne Wolke, das Kreuz – ich glaube, ich werde verrückt.« Er griff sich an den Kopf und fixierte mit einer Mischung aus stummer Frage und Verständnislosigkeit den Lieutenant.
* Am folgenden Morgen fuhr Randall zur Wohnung Cole Shephards.
Der Millionär besaß ein luxuriöses Haus in einem Nobelviertel in Queens. Niemand öffnete auf Randalls Läuten hin. Der Lieutenant forderte ein paar Kollegen an. Gewaltsam drangen sie in das Gebäude ein. Im Livingroom lag auf dem Fußboden ein toter grauhaariger Mann. Sein Gesicht war vom Todeskampf verzerrt, aber nichts wies darauf hin, dass er gewaltsam gestorben war. Sehr schnell war allen klar, dass es sich um Cole Shephard handelte. Ein Polizeiarzt kam und bald stellte sich auch der Coroner ein, der den Totenschein ausstellen musste. Da ein Verbrechen dennoch nicht auszuschließen war, wurde der Leichnam beschlagnahmt und ins gerichtsmedizinische Institut überführt. Schon am Nachmittag wurde die Obduktion durchgeführt. Der Gerichtsmediziner kam zu dem Ergebnis, dass der Tod durch Herzversagen in der Nacht zwischen zwei und drei Uhr eingetreten war. George Randall erfuhr es an seinem Schreibtisch. Er erinnerte sich, auf die Uhr geblickt zu haben, nachdem der Dämon zerstört worden war. Es war 20 Minuten nach zwei Uhr gewesen. Er wandte sich an den Kollegen, der ihm den pathologischen Bericht gebracht hatte. »Der Tot ist um zwanzig nach Zwei eingetreten. Shephard ist in dem Moment gestorben, in dem ich …« Er brach ab. »Warum sprichst du nicht zu Ende?« »Du würdest es mir doch nicht glauben«, sagte Randall und griff nach dem Telefon. Er rief Sandy an, um sich mit ihr für Abend zu verabreden. ENDE