Der unheimliche Richter von Jason Dark
»Tot! Tot! Tot!« brüllte James Maddox und gebärdete sich wie ein Irrer. Er tobt...
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Der unheimliche Richter von Jason Dark
»Tot! Tot! Tot!« brüllte James Maddox und gebärdete sich wie ein Irrer. Er tobte und schrie, wand sich unter den Griffen seiner Bewacher und trat mit den Füßen um sich. Einem wurde es zu viel. Seine Faust schoß vor und verschloß James Maddox den Mund. Der Richter klappte zusammen. Die Männer ließen Maddox los. Schwer fiel er auf den kalten Steinboden. Vom Ende des Ganges rannten zwei andere Bewacher herbei, zu viert ließ sich der Richter besser bändigen. Er kroch ein Stück, drehte den Kopf und blickte seine Henker aus hervorquellenden Augen an. »Ihr werdet die ersten sein, die ich töte!« versprach er mit rauher Stimme.
Der Anführer seiner Bewacher lachte rauh und trat ihm in die Seite. »Du wirst gar nichts mehr, Maddox. Nur noch eins machen wir mit dir. Wir werden dich hängen.« Maddox spie aus. »Die Hölle wird euch verschlingen!« versprach er. »Im Ewigen Feuer sollt ihr verbrennen!« »Stopf ihm das Maul«, sagte einer der Hinzugekommenen. »Wozu?« Der Anführer lachte spöttisch. »Er hat doch nur Angst. Und da sagt man viel.« Die vier Bewacher blickten aus kalten Augen auf den am Boden liegenden Mann. Sir James Maddox, Richter Seiner Majestät des Königs, hatte verspielt. Über zwanzig Jahre hatte es gedauert, bis man ihm auf die Schliche gekommen war. Maddox hatte fast jeden Angeklagten mit dem Tod bestraft, und er hatte sich jede Hinrichtung angeschaut. Doch damit nicht genug. Er übte sein Amt noch aus, wenn er nicht im Dienst war. Nachts ging er auf Jagd, holte sich die Menschen, die seiner Überzeugung nach Verbrecher waren, und richtete sie hin. Der unheimliche Richter war zu einer großen Gefahr für Land und Leute geworden. Bis ihm ein Polizeiinspektor auf die Schliche kam. Sir James Maddox wurde festgenommen und verurteilt. Tod durch den Strang! So sprach ein Kollege von ihm. Drei Tage nach dem Urteilsspruch sollte Maddox gehängt werden. So ganz waren seine Taten noch nicht aufgeklärt worden. Es gab noch einige Unklarheiten, doch die störten die Verantwortlichen nicht. Hauptsache, Maddox wütete nicht mehr. Obwohl Maddox in einer sicheren Zelle gesessen hatte, fürchteten sich seine Bewacher vor ihm. Sein Blick war grausam, und die Verwünschungen, die er ausstieß, klangen dem Gefängnispersonal wie Höllengewitter in den Ohren. Es gab nur wenige, die sich in seine Zelle trauten und denen die Schwüre von Rache und Vergeltung
nichts ausmachten. »Der steht mit dem Teufel im Bunde«, sagte einer der vier Bewacher mit ernster Stimme, und die drei anderen nickten eifrig. Sie zogen Maddox hoch. Alle vier hatten mit Widerstand gerechnet, doch der Richter ließ sich kurzerhand abführen. Zwanzig Yards war der Gang lang. Zwanzig Schritte bis zum Tod! Sir James Maddox ging sie. Der Gang war breit genug, damit links und rechts neben Maddox je ein Bewacher herschreiten und ihn an den Armen festhalten konnten. Die anderen gingen voran. Bevor sie die Eisentür am Gangende erreichten, wurde diese aufgezogen. Erbärmlich quietschte sie in den Angeln. Zwangsläufig fielen die Blicke der Männer auf den düsteren Gefängnishof, dessen hohe, kahle Steinmauern jetzt allerdings vom Mondlicht angeleuchtet wurden. Man richtete nur bei Vollmond. So wollte es die Tradition, und die verantwortlichen Männer sahen keinen Grund, damit zu brechen. Die Schritte der Männer hallten von den kahlen Gangwänden wider. Maddox wurde mitgeschleift. Er brabbelte unverständliches Zeug vor sich hin, doch manchmal glaubten die Bewacher, auch das Wort Teufel herauszuhören. Sie erreichten die Tür. Auf der Schwelle blieben sie für einen Moment stehen. Mitten im Hof stand der Galgen! Ein altes Holzgerüst, zu dessen Plattform eine breite Holztreppe hochführte. Neben der Treppe hielten sich zwei Männer auf. Rechts stand der Gefängnisdirektor und links der Priester. Er war ein alter Mann mit spiegelblanker Glatze, die allerdings jetzt nicht zu sehen war, da er die Kapuze seiner Kutte über den Kopf gezogen hatte. Der Gefängnisdirektor trug einen Zylinder auf dem Kopf, einen
schwarzen Rock und eine schwarze Hose. Sein hageres Gesicht zuckte. Die Hinrichtungen hatten ihre Spuren bei ihm hinterlassen. Er war nur noch ein Nervenbündel. In zwei Jahren wurde er pensioniert, dann konnte er sich von seinem nervenaufreibenden Beruf erholen. Maddox begann zu lachen. Zuerst war es nur ein Kichern, dann wurde es lauter und steigerte sich zu einem dumpfen Dröhnen, das über den Gefängnishof schallte und die anderen Gefangenen aus ihrem Schlaf riß. Sie verließen die einfachen Holzpritschen, traten an die Fenster und klammerten ihre Hände um die Eisenstäbe. Einige von ihnen waren von Sir James Maddox verurteilt worden. Jetzt bereitete es ihnen ein großes Vergnügen zu sehen, wie der Richter selbst zum Galgen geführt wurde. Einer konnte sich nicht mehr halten. Er sollte zwei Tage später gehängt werden. Als mehrfacher Mörder war er hierzu verurteilt worden. »Ja!« brüllte er. »Hängt diesen Bastard auf! Hängt ihn, bis kein Leben mehr in ihm ist!« Er lachte ebenfalls. Und sein Gelächter vermischte sich mit dem Echo des Richterlachens. Maddox schaute zum Zellenfenster hoch. »Dich hole ich auch noch!« versprach er. »Warte nur, der Teufel lauert auf Typen wie dich!« Das Lachen verstummte. Selbst dem abgebrühten Gefangenen lief ein Schauer über den Rücken. Er zog seinen Kopf ein, verließ den Platz am Fenster und warf sich auf die Pritsche. Sir James Maddox aber hatte seinen Triumph. Ja, sein Einfluß war noch groß genug. Der Gefängnisdirektor hob die rechte Hand und winkte. Das Zeichen für die Bewacher. Sie schoben Maddox weiter. Das heißt, sie wollten es, doch der Richter stellte sich stur. Er öff-
nete den Mund. Wirr hing ihm das grauweiße Haar in die Stirn, als er schrie: »Schafft den Pfaffen weg! Bringt ihn weg! Ich will ihn nicht sehen!« Der Priester schaute Maddox an. »Ich würde Ihnen nicht raten, den Trost der Kirche abzulehnen«, sagte er mit einer Stimme, die gerade so laut war, daß sie die Ohren der Anwesenden erreichte. »Hau ab!« hielt ihm Maddox entgegen. Der Priester hob die Schultern. Über die Stufen hinweg blickte er den Gefängnisdirektor an. Der nickte. Noch einmal warf der Priester einen Blick auf den Gefangenen, murmelte: »Gott sei seiner Seele gnädig«, und verschwand. Er betrat den Gefängnisbau durch die schmale Seitenpforte. Die Bewacher aber stießen Maddox vor. Mit ihm zusammen betraten sie den vom Mond beschienenen Gefängnishof. Der Erdtrabant schickte sein Licht auch über das Galgengerüst und ließ die Konturen klar und deutlich hervortreten. Der Hof selbst war mit Kopfsteinen gepflastert. Sie glänzten, als wären sie lackiert worden. Maddox schritt auf das Gerüst zu. Die Bewacher hatten ihn losgelassen. Zwei gingen vor ihm, die anderen beiden hielten sich hinter seinem Rücken. Noch immer standen die Gefangenen an ihren Zellenfenstern. Nahezu gierig schauten sie in den Hof. Sie wollten keine Einzelheit dieser Hinrichtung verpassen. Die meisten von ihnen haßten Maddox wie die Pest, deshalb ließen sie sich nichts entgehen. Vor der Treppe blieb Maddox stehen. Er schaute nach rechts und dem Gefängnisdirektor ins Gesicht. Der senkte den Blick. Der Richter lachte höhnisch. »Angst, wie? Du hast Angst! Gib es zu!«
Der Gefängnisdirektor antwortete nicht. »Bist du stumm?« »Ist Ihnen Ihr letzter Wunsch erfüllt worden?« fragte er schließlich mit spröder Stimme. »Ja, das ist er. Man sollte mich in Ruhe lassen, und man hat mich in Ruhe gelassen.« »Dann ist es gut!« Wieder gab Parker ein Zeichen mit der rechten Hand. Es galt den vier Bewachern. Sie stießen Maddox an, damit der die Treppe hochging. Sechs Stufen waren es. Sechs Stufen bis zum Tod! Er mußte sie gehen, es gab keine andere Möglichkeit. Maddox hob den rechten Fuß und setzte ihn auf die unterste Stufe. Es gab einen dumpfen Laut, als er das Holz berührte. Dann schritt er weiter. Die Bewacher traten zur Seite. Sie wollten ihn den letzten Weg allein gehen lassen. Ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken, schritt er auf die Plattform zu. Die Schlinge war bereits geknüpft. Sie baumelte eine halbe Körperlänge unter dem waagerecht hervorstehenden Balken. Das Mondlicht fiel so in den Hof, daß die Schlinge einen Schatten auf die Falltür warf. Maddox drehte sich um. Zwei seiner Bewacher nahmen denselben Weg wie er. Die anderen beiden blieben zurück. Es hatte sich kein Henker gefunden, der den unheimlichen Richter vom Leben zum Tod beförderte. Deshalb wollten die Bewacher diese Aufgabe übernehmen. Parker, der Gefängnisdirektor, war vor dem Gerüst stehengeblieben, hatte seinen Kopf zurückgelegt und schaute zu dem Delinquenten hoch.
Die Blicke der Männer trafen sich. Kalt und gnadenlos glänzten die Augen des Richters, während der Blick des unten stehenden Gefängnisdirektors zuckte. Parker schaute auch schon bald zu Boden. Maddox lachte. Noch kurz vor seinem Tod fürchteten ihn die anderen. So sollte es auch sein. In diesem Augenblick fuhr ein Windstoß in den Gefängnishof, und er zerwühlte die Haare der Männer. Unwillig schüttelte Maddox den Kopf, bevor er hoch zur Schlinge deutete. »Los, beeilt euch!« rief er den Henkern zu. »Ich will nicht länger warten, mich friert. In der Hölle ist es wärmer.« Er lachte, als er den betretenen Blick des Gefängnisdirektors sah. Dieser Mann hatte schon viel erlebt, aber so etwas noch nicht. Fast alle hatten sie Angst vor dem endgültigen Aus, doch Maddox schien sich darauf zu freuen. War er noch normal? Nein, der nicht. Er hatte den Satan angebetet und Blasphemie betrieben. Solch ein Mensch gehörte an den Galgen. »Legt ihm die Schlinge um!« sagte der Gefängnisdirektor. Einer der Bewacher packte den Kopf des Richters und rückte ihn so zurecht, daß er ihm die Schlinge um den Hals legen konnte. Ein anderer umfaßte bereits den Hebel, der aus dem Holz ragte. Wenn er ihn zu sich heranzog, würde sich die Plattform unter den Füßen des Delinquenten öffnen. Maddox stand steif wie ein Brett. Das Gesicht war zu einem Grinsen verzerrt, in seinen Augen wetterleuchtete es. »Ihr werdet euch noch wundern!« rief er. »Die Hölle braucht mich, und damit bin ich unsterblich!« Parker gab das Zeichen. Der Henker legte den Hebel um. Noch einmal schrie Maddox. »Satan wird – aggghhh …« Die Klappe fiel nach unten. Maddox’ Füße baumelten über der
Luke. Kein Laut drang mehr über seine Lippen. Der unheimliche Richter war tot. Parker, der Gefängnisdirektor, schlug hastig ein Kreuzzeichen. Dann lief er fast fluchtartig weg …
* Niemand wollte den Gehenkten abschneiden. Und so ließen sie ihn baumeln. Als Warnung für die anderen, denn die Gefangenen starrten weiterhin durch ihre vergitterten Fenster, auch als Parker und die Henker verschwunden waren. Der Mond wanderte weiter, und die Dunkelheit füllte den Gefängnishof aus. Irgendwann in den frühen Morgenstunden geschah es. Niemand sah den drohenden Schatten, der sich dem Galgengerüst näherte. Er stand plötzlich im Hof, lief die Stufen hoch und nahm den Gehenkten ab. Leer bewegte sich die Schlinge im Wind. Der Schatten verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Als die Sonne aufging, wurde das Verschwinden des Richters bemerkt. Man alarmierte Parker, der sofort erschien und verständnislos zum Galgen hochschaute. Auch der Priester war plötzlich da. Er faltete die Hände zum Gebet und sagte hinterher: »Dieser Maddox war unheimlich. Ein wahrer Teufel, und wahrscheinlich hat ihm der Satan geholfen.« Parker nickte. »So wird es wohl gewesen sein.« Dann wandte er sich ab und ging. Zehn Tage später fand man ihn tot auf. Erhängt … Dann erwischte es die Henker. Der Reihe nach starben sie. Und sie waren ebenfalls so aufgehängt worden wie Parker, der Gefängnisdi-
rektor. Der Schatten des toten Richters geisterte über das Land. Doch mit der Zeit verblaßte die Erinnerung. Die Jahre vergingen, ein neues Jahrhundert wurde eingeläutet, und auch das alte Gefängnis existierte schon bald nicht mehr. Maddox geriet in Vergessenheit. Sein Geist spukte ebenfalls nicht mehr herum. Es wurden keine neuen Greueltaten gemeldet. Von Maddox sprach bald niemand mehr. Und doch lebte er weiter. Denn Asmodis persönlich hatte ihn für eine besondere Aufgabe vorgesehen …
* Sir James Powell starrte mich an, als wollte er mich fressen. Dabei stopfte er mit dem Nagel des rechten Zeigefingers auf die Schreibtischplatte. Wie ein armer Sünder saß ich vor ihm. Ich war regelrecht zitiert worden. Nun, bisher hatte niemand von uns ein Wort gesprochen. Auch Powell ließ sich Zeit. Hinter seinen dicken Brillengläsern wirkten die Pupillen unnormal groß. Mit dem rechten Zeigefinger klopfte er weiterhin, die linke Hand hielt das Glas umspannt, in dem sich sein Magenwasser befand. »Sie lassen nach, John!« Er sprach den Satz, schaute mich an und wartete auf das Echo. Das bestand in einem fragenden Grinsen. »Ja, Sie lassen nach.« Er deutete auf den Bericht, den ich am gestrigen Tag abgegeben hatte. »Grimes, dieser Ghoul, ist immer noch nicht gefaßt.« »Das ist auch nicht so einfach, wenn man keine Anhaltspunkte hat, wo er sich versteckt.«
Sir James Powell winkte ab. »Die Entschuldigung ist lächerlich. Meiner Ansicht nach. Grimes hat zahlreiche Spuren gelegt, und das Sinclair-Team war nicht in der Lage, sie erfolgreich auszuwerten. Das wirft ein schwaches Bild auf uns.« »Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand«, erwiderte ich. Langsam stieg die Wut in mir hoch. Nicht daß ich Lob und Anerkennung gewünscht hätte, nein, das nicht, aber ich wollte mich auch nicht herunterputzen lassen. Andererseits versuchte ich den Superintendenten zu verstehen. Sir James Powell stand unter Erfolgsdruck. Die Ghoul-Gefahr, die ihren Anfang in der Horror-Disco genommen hatte, war noch längst nicht gebannt. Auf meine Veranlassung hin wurden die Friedhöfe der Millionenstadt überwacht. Ein schwieriges Problem. Erstens gab es zahlreiche Friedhöfe, und zweitens waren nicht so viele Beamte vorhanden. Dadurch traten Lücken in der Überwachung auf, so daß jeder Friedhof höchstens zwei Stunden kontrolliert werden konnte. Die Beamten wußten nicht, worum es ging. Man hatte sie mit dem allgemeinen Begriff Terroristenfahndung gefüttert. »Das ist zu wenig, was Sie getan haben«, warf Sir Powell mir vor und trank einen Schluck Wasser. »Ich kann Grimes auch nicht herzaubern.« »Das weiß ich.« »Haben Sie einen besseren Vorschlag?« erkundigte ich mich. »Wenn es etwas mit der Organisation zu tun haben sollte, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.« Sein Zeigefinger deutete jetzt auf mich. »Der Mann an der Front sind Sie. Und Ihr chinesischer Freund. Außerdem noch Mr. Conolly. Was wollen Sie eigentlich mehr?« Ich klaubte mir eine Zigarette aus der Packung und zündete sie gelassen an. »Ich will nur in Ruhe arbeiten«, erklärte ich meinem Vorgesetzten. »Mehr nicht.« »Und das können Sie nicht?«
»Momentan hole ich mir hier eine Zigarre ab.« Der Superintendent lächelte ironisch. »Jetzt sagen Sie nur, ich halte Sie auf. Haben Sie denn eine Spur?« »Kaum.« »Na bitte.« Powell deutete auf meinen Bericht. »Was hier steht, das ist gut für den Papierkorb. Wenn ich die Seiten weiterleite, haben wir den Ärger.« »Wer sitzt Ihnen denn so hart im Nacken?« »Der zuständige Staatssekretär im Innenministerium. Dort ist die Ghoul-Sache hinlänglich bekannt. Außerdem ist einigen Zeitungsleuten unsere Überwachungstaktik aufgefallen. Sie sind natürlich wie die Geier und wollten wissen, was los ist.« Ich kannte Powell gut, sogar sehr gut. Wenn er so sprach, hatte er wirklich Ärger. Deshalb fragte ich: »Hat man Ihnen eine Frist von oben gesetzt?« »Ja.« »Wie lange?« »Drei Tage.« Das war knapp. Wo sollte ich Grimes finden? Er hatte sich verkrochen, das war mir klar. Powell hob drei Finger hoch. »Denken Sie an die Frist, John. Wenn Sie Grimes nicht fassen, gibt es Ärger. Dann müssen wir uns eine gute Ausrede einfallen lassen.« Ich stand auf. »Darüber werde ich mir jetzt schon Gedanken machen, Sir.« »Handeln Sie lieber.« Damit sprach mir mein Chef aus der Seele. Allerdings wußte ich nicht, wo ich den Hebel ansetzen sollte. Ich konnte ja nicht selbst die Friedhöfe überwachen. Ziemlich stürmisch riß ich die Tür zu meinem Vorzimmer auf. Glenda Perkins erschrak und legte ihre Hand dorthin, wo das Herz schlägt.
»Himmel, haben Sie mich erschreckt, John.« »Sorry.« Ich schloß die Tür behutsam und blieb neben ihr stehen. Die schwarzhaarige Glenda trug heute einen kessen Pferdeschwanz und sah aus wie ein Teenager der sechziger Jahre. Sie trug einen Pullover und einen grünen Cordrock. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, spürte die Wärme der Haut und merkte, daß Glenda erschauerte. »Kochen Sie mir eine Tasse Kaffee?« fragte ich. Sie drehte den Kopf und schaute mich aus ihren dunklen Augen an. »Er ist bereits fertig.« »Danke.« »Hatten Sie Ärger, John?« »Wieso?« »Das sieht man Ihnen an.« Glenda Perkins kannte mich eben sehr gut. Wir waren ein hervorragend eingespieltes Team. Sie stand auf, und meine Hand glitt von ihren Schultern. In dem Topf auf der Kaffeemaschine dampfte die heiße Brühe. Glenda schenkte ein, ich nahm mir Zucker. Zurück in mein Büro zu gehen, dazu hatte ich keine Lust. Ich blieb auf der Kante von Glendas Schreibtisch hocken. Sie schob ihren Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und schaute mich an. »Der Alte hat Sie angeniest, wie?« Ich nahm einen Schluck, trank und nickte. »Genau. Die Laune des guten Sir ist auf den absoluten Nullpunkt herabgesunken.« »Das habe ich gemerkt.« Glenda unterstrich ihre Worte mit einem Nicken. »Ich war ja schon da, als er kam. Sein Gesicht sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Worum geht es eigentlich? Hängt das mit Grimes zusammen?« »Ja.« »Wenn ich Ihnen helfen kann, John …?« Ich trank die Tasse leer. »Gern, vielleicht fällt Ihnen eine Lösung
ein. Ich jedenfalls weiß mir keinen Rat mehr. Außer der Friedhofsüberwachung wüßte ich nicht, wo ich anfangen sollte.« »Grimes ist doch ein Dämon, nicht wahr?« fragte sie. Ich nickte. »Kann man ihn denn nicht beschwören?« Ich pfiff durch die Zähne. Die Idee war gut, sie war sogar sehr gut. »Glenda, Sie sind Klasse«, sagte ich. »Eine Beschwörung ist nicht schlecht. Allerdings weiß ich nicht, wie ich sie durchführen soll. Nicht alle Dämonen reagieren auf eine x-beliebige Beschwörung. Sie muß sozusagen maßgeschneidert sein.« »Und diesen Wortlaut wissen Sie nicht?« fragte Glenda. »Nein.« »Wer kann denn Auskunft geben?« Ich brauche nicht lange zu überlegen, sondern dachte an Myxin, den Magier. Ich wußte jedoch nicht, wie ich ihn beschwören sollte. Außerdem zeigte er sich nur, wenn er Lust hatte. Auf ihn konnte ich mich nicht verlassen. »Sieht trübe aus, John, wie?« fragte Glenda. Ich nickte. Glenda hob die Schultern. »Gibt es denn keine Möglichkeit, um Grimes zu fangen?« »Nein.« Ich trat ans Fenster und schaute hinaus. Unten auf der Victoria Street rollte der Verkehr langsam in Viererreihen voran. Über London lag ein bleigrauer Regenhimmel. Es hatte in den letzten Tagen einen rapiden Wetterumschwung gegeben. Von Frost zum Regen, verbunden mit Glatteis. Grimes! Zum Henker, wo steckte dieser verdammte Ghoul? Ich hatte auch an eine Großfahndung gedacht, doch die Idee wieder fallenlassen, denn wenn jemand den Ghoul entdeckte und ihm nicht richtig entgegentrat, konnte das diesen Menschen das Leben kosten. Aus diesem Grunde lief die Fahndung im geheimen. Ich drehte mich wieder um und lächelte Glenda zu.
»Immer noch keine Lösung?« fragte sie. Mein Kopfschütteln sagte ihr genug. »Es tut mir leid für Sie, John. Wirklich.« Ich winkte ab. »Nun machen Sie sich mal keine Gedanken, denn das schadet dem Teint.« »Ihren Optimismus möchte ich haben, John!« Ich lächelte. »Den habe ich mir im Laufe der Zeit angewöhnt.« »Sagen Sie lieber angewöhnen müssen.« »Auch das.« Mit diesen Worten ging ich zurück in mein Büro. Dazu brauchte ich nur eine Tür zu öffnen. Immer wenn ich meinen Schreibtisch sehe, bekomme ich Komplexe. Ich agierte lieber an der Front, doch es blieb mir in diesem Fall nichts anderes übrig, als in meinem Büro sitzen zu bleiben. Kaum hatte ich Platz genommen, als das Telefon summte. »Sinclair!« Der Kollege unten an der Anmeldung hatte direkt durchgewählt. Das Gespräch lief nicht über das Vorzimmer. »Sir, da möchte unbedingt jemand zu Ihnen.« »Wer ist es denn?« fragte ich. Der Kollege gab mir eine Antwort, die mich fast vom Stuhl haute: »Der Mann, der Sie sprechen will, heißt Grimes …«
* Zwei Totenschädel rahmten ihn ein. Sie standen zu beiden Seiten des hochlehnigen Stuhles, auf dem der Richter hockte. Seine mageren Hände hatte er auf den Tisch gelegt, und in der rechten hielt er einen Holzhammer. Das breitflächige Gesicht war durch ein schiefes Grinsen perspektivisch verzerrt, die Haut wirkte lappig und faltig. Zwischen den Gesichtsfalten wuchsen Pusteln. Wie Stroh hingen die Brauen her-
unter, doch in seinen Augen lag ein erbarmungsloses Leuchten. Maddox hatte wieder seinen alten Posten erhalten. Allerdings nicht auf der Erde, sondern in einem Reich, das jenseits der sichtbaren Welt lag. Es war die Region des Bösen, Satans Land, eine Dimension des Schreckens. Wie auf der Erde, so gab es auch im Dämonenreich Strafen. Verbannung und Tod. Wer Fehler machte, über den wurde Gericht gehalten. Nachdem der Richter sein Urteil gefällt hatte, wurde dem Dämon entweder noch eine Chance gegeben oder er landete im Reich des Spuks, damit seine schwarze Seele für alle Ewigkeiten umherirrte und keine Chance erhielt, wieder in einen anderen Körper zu gelangen. Maddox freute sich jedesmal auf die Prozesse. Es war eine sadistische Freude, die er bereits in seinem ersten Leben empfunden hatte, wenn er hinter dem Richtertisch hockte. Hier war fast alles wie damals. Nur seine Macht hatte sich noch mehr gefestigt. Wenn er jemanden verbannte, dann hatte er den Satan hinter sich. Asmodis würde ihm nie ins Handwerk pfuschen und ein einmal gesprochenes Urteil widerrufen. Die Verhandlungen fanden in einem riesigen Gewölbe statt, das von Giftschwaden durchgezogen wurde. Am Eingang standen mehrere schrecklich anzusehende Gestalten und hielten Wache, damit niemand ungebeten den »Gerichtssaal« betreten konnte. Nur ranghohe Dämonen hatten jederzeit Zutritt. Dazu gehörte natürlich Asmodis als Herrscher der Hölle, der Spuk, andere hohe Dämonenfürsten wie der Schwarze Tod und natürlich auch Asmodina, die Tochter des Teufels. Sie war praktisch der neue Star am Dämonen-Himmel. Asmodis hatte sie geschaffen – als Gegengewicht zum Schwarzen Tod, den der Höllenherrscher langsam als Versager einstufte, weil er zu viele Niederlagen hatte einstecken müssen. Für den Fall, daß der Schwarze Tod ausfiel, hatte Asmodis vorgesehen, Asmodina als seinen
rechten Arm in der Höllenhierarchie einzusetzen. Die Tür des Gewölbes schwenkte zur Seite. Düsteres Licht drang in den Saal. Es kam von draußen, wo das Land ebenso karg und grausam war wie die Dämonen, die darin wohnten. Asmodina betrat das Gewölbe. Sie sah aus wie immer. Eine kalte Schönheit, aus deren Kopf zwei Hörner wuchsen. Sie trug ein lilafarbenes Gewand, das bei jedem Schritt gegen ihren Körper fiel und eine tolle Figur abmalte. Asmodina war die personifizierte teuflische Schönheit. Eine Frau ohne Gewissen und ohne Gefühle. Brutal und gnadenlos, ohne Herz und nur auf Vernichtung programmiert. Ein Gefühl jedoch war bei ihr besonders ausgeprägt. Der Haß. Und einen Mann haßte sie sehr. Mich, John Sinclair! Diesen Haß hatte ihr Asmodis eingeimpft. Es ging um Grimes. Der Ghoul hatte versagt. Er hatte nicht verhindern können, daß John Sinclair die Horror-Disco und damit einen Stützpunkt der Hölle ausgeschaltet hatte. Und so etwas verziehen weder Asmodis noch seine Tochter. Grimes mußte bestraft werden. Er kam vor den Dämonenrichter, und das war Sir James Maddox. Hinter Asmodina trottete Grimes in den Saal. Er ging gebückt, und es war ihm anzusehen, welche Angst er hatte. Hier sollte über ihn Gericht gehalten werden. Maddox kicherte höhnisch, als er den Ghoul sah. Er krümmte seine Hand zur Klaue und winkte mit dem mageren Zeigefinger. »Komm nur näher, du Feigling und Versager. Ich weiß, was dir angelastet wird.« Der Ghoul zitterte noch stärker. Er, der sonst vor nichts und niemandem Angst hatte, wurde nun vom großen Zittern erfaßt. Denn er wußte, was ihn erwartete.
Die ewige Verbannung. Das Eingehen in das Reich des Spuks, wo die Schwarzen Seelen dahinvegetierten und um ihr Überleben kämpften Asmodina trat zur Seite, während Grimes bis zum Richtertisch vorgehen mußte. Dort blieb er stehen. Maddox saß erhöht. Er beugte den Kopf vor wie ein Geier und schaute auf den Ghoul nieder. Seine lappigen Lippen wurden noch breiter, das Grinsen widerlicher. »Was erwartest du?« knurrte er. Der Ghoul schwieg. Maddox lachte und schaute Asmodina an. Sofort änderte sich sein Gesichtsausdruck. So etwas wie hündische Ergebenheit machte sich breit, denn Maddox wußte natürlich genau, daß Asmodina volle Rückendeckung bei ihrem Vater hatte. Und mit dem Teufel wollte Maddox es sich nicht verscherzen. »Was hat er angestellt?« fragte Maddox. »Er hat versagt«, erwiderte Asmodina. »Höchststrafe?« erkundigte sich Maddox lauernd. Die Worte vernahm auch der Ghoul, und er wußte, was sie bedeuteten. Er fiel auf die Knie und rang die Hände. »Nein!« jammerte er. »Ich will nicht. Ich kann nicht. Gebt mir eine Chance. Ich – ich werde alles wieder in Ordnung bringen.« »Wie viele Chancen hat er schon bekommen?« fragte Maddox. »Sehr viele!« antwortete Asmodina. »Dann ist das Urteil klar«, erwiderte der Richter kalt. »Wir werden ihn in das Reich des Spuks schicken.« Der Ghoul jammerte und sonderte schleimige Flüssigkeit ab, die sich wie ein See um seinen Körper herum ausbreitete und an der Oberfläche zu stinkenden Wolken verdampfte. Er bettelte um sein dämonisches Leben. Maddox streckte seine Hände vor und umklammerte den Tischrand. »Höchststrafe!« kreischte er wild. »Wir werden dich in die Verban-
nung schicken.« Er ließ sich wieder zurückfallen und griff nach seinem Hammer. Dreimal drosch er auf das Holz, während sich der Ghoul am Boden wälzte und heulte. »Eine Chance!« bettelte er. »Eine Chance nur …« »Nein!« Maddox brüllte die Antwort. Er war so mit dem Angeklagten beschäftigt, daß er den nachdenklichen Ausdruck nicht bemerkte, der in Asmodinas Augen getreten war. So ganz einverstanden schien sie mit dem Urteil nicht zu sein …
* Ich ließ einige Sekunden verstreichen, atmete tief durch und fragte vorsichtshalber noch mal nach: »Wer ist dort unten?« »Ein Mr. Grimes, Sir!« Das gab es nicht! Wollte man mich hier zum Narren halten? Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Stirn und forderte den Kollegen an der Zentrale auf, den Besucher zu beschreiben. »Etwas seltsam sieht er schon aus, Sir«, meldete er und dämpfte seine Stimme, weil er Angst hatte, der andere könnte wohl mithören. »Er trägt einen altmodischen dunklen Anzug, ein Hemd mit Stehkragen und einen Bowler auf dem Kopf. Außerdem riecht er nicht gut, wenn Sie mich fragen, Sir.« Kein Zweifel, das war Grimes, der Ghoul. Und er hatte die Frechheit, mich zu besuchen. Oder war er lebensmüde? »Was ist jetzt, Sir? Soll ich den Mann zu Ihnen schicken?« »Ja, tun Sie das.« Ich legte auf und spritzte von meinem Stuhl hoch. Einem stürmischen Liebhaber gleich stürmte ich in Glendas Vorzimmer. Erschreckt drehte sie sich um. »Was ist denn, John?« Schon war ich bei ihr und faßte sie am Arm. »Sie müssen ver-
schwinden, Glenda.« »Ja – aber warum denn?« Sie war ganz durcheinander, was ich ihr nicht verdenken konnte. Ich zog sie vom Stuhl hoch. »Stellen Sie keine Fragen, sondern gehen Sie.« »Wohin denn?« »Zu irgendeiner Kollegin.« Ich drängte sie zur Tür. »Machen Sie schon, Glenda.« »Wollen Sie mir nicht sagen, was los ist?« »Später. Ich bekomme Besuch.« Hastig schob ich meine Sekretärin nach draußen auf den Gang, wo sie sich von ihrer Bürotür entfernte. Zum Glück war von Grimes, dem Ghoul, noch nichts zu sehen. Rasch ging ich wieder zurück und setzte mich hinter meinen Schreibtisch. Die Beretta legte ich neben einen Ordner, wo sie gut gedeckt war, ich sie jedoch blitzschnell zur Hand hatte. Die Tür zwischen Vorzimmer und meinem Büro hatte ich offengelassen, so daß ich sah, wenn der Ghoul da war. Ich konnte es noch immer nicht fassen. Grimes, der Ghoul, besuchte mich, seinen Erzfeind. Wenn das kein Trick war, wollte ich Smith heißen. Die Sekunden wurden mir lang. Vielleicht hätte ich ihm entgegengehen sollen, anstatt hier zur warten. Jetzt war nichts mehr zu machen. Dann wurde die Tür des Vorzimmers geöffnet. Falls mein Besucher geklopft hatte, mußte ich es überhört haben. Ich spürte Schweiß in meinen Achselhöhlen. Meine rechte Hand legte ich auf den Griff der Waffe, beugte mich noch etwas weiter zur Seite und sah ihn. Ja, das war er! Der Mann an der Anmeldung hatte nicht gelogen. Ich sah Grimes, wie er leibte und lebte.
Der altmodische Anzug, der Topfhut, die Handschuhe … Er schloß die Tür. Ich zog die Beine an und versteckte sie unter meinem Schreibtischstuhl. Der Ghoul durchquerte das Vorzimmer. Dabei schaute er sich lauernd um, als würde er einen Angriff erwarten. »Komm ruhig näher!« sagte ich in die Stille hinein. Er zuckte zusammen, als er meine Stimme vernahm, denn bisher hatte er mich nicht gesehen. Doch nun wußte er, wo ich saß, und er nahm direkten Kurs auf mein Büro. Mit der rechten Hand stieß er die Tür auf, bis die Klinke die Wand berührte. Dann stand er auf der Schwelle. Grimes brachte den bekannten Geruch mit. Er roch nach Moder, Grab und Friedhof. So hatte es in meinem Büro noch nie gestunken. Ruhig blieb ich sitzen. Wir schauten uns an. In seinem wabbeligen Gesicht zuckte es. Auch die Hände befanden sich in permanenter Bewegung. Er knetete seine Finger, zog und zerrte. »Was willst du?« unterbrach ich das Schweigen. Grimes ging einen Schritt vor. »Ich will dich töten, John Sinclair!« Die direkte Antwort überraschte mich. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. War dieser Ghoul lebensmüde? Er mußte doch wissen, was ihn erwartete. »Hast du es dir auch genau überlegt?« fragte ich lauernd. »Ja.« »Weshalb willst du mich töten?« Ich rückte mit dem Stuhl ein wenig nach hinten. »Asmodina will es so!« »Die Tochter des Teufels?« Grimes nickte. »Sie ist meine neue Herrin.« Dieser widerliche Dämon hatte sich auf ihre Seite geschlagen. Das
überraschte mich nicht. Ich fand es nur merkwürdig, daß er mir offen entgegentrat. Normalerweise war das nicht die Art eines Ghouls. Sie waren sonst feige und gemein, hielten sich immer im Hintergrund und schickten andere vor. Irgend etwas stimmte da nicht. Es war mir einfach unvorstellbar, daß ein Dämon wie Grimes kurzerhand in mein Büro spazierte, um mich zu töten, auch wenn er mich bis aufs Blut haßte. Einen Trick hatte er sicherlich noch in der Hinterhand. Und den wollte ich herausfinden. Einen Schritt vor meinem Schreibtisch blieb er stehen. Wieder roch ich die Verwesungswolke, die mir von ihm aus entgegenströmte. Unwillkürlich hielt ich die Luft an. »Du willst mich also töten!« stellte ich nüchtern fest. »Ja.« Ich lächelte spöttisch. Mit Asmodina war mir offenbar eine höllisch gefährliche Gegnerin gewachsen, die ich auf keinen Fall unterschätzen durfte. Meine rechte Hand lag noch immer auf dem Waffengriff. Ich hob die Beretta hoch. Sechs geweihte Silberkugeln steckten im Magazin. Dagegen war der Ghoul machtlos. Ich ließ ihn in die Mündung schauen. »Bevor du deine schleimigen Pfoten an mich gelegt hast, bist du tot«, stellte ich nüchtern fest. »Dann wird deine schwarze Seele in die Hölle eingehen und dort für alle Ewigkeiten herumirren.« Er wußte Bescheid, und so etwas wie Angst glomm in seinen kalten Augen auf. »Du hast keine Chance!« sagte ich. Die Reaktion des Ghouls überraschte mich. Er warf sich vor und prallte gegen meinen Schreibtisch. Blitzschnell packte er die Kante und wuchtete ihn hoch. Soviel Schnelligkeit hätte ich diesem Horrorwesen gar nicht zuge-
traut. Auf jeden Fall kam ich nicht dazu, abzudrücken, sondern kippte zurück. Meine Oberschenkel klemmten unter der Kante fest. In dieser Stellung blieb ich für einen Moment hocken. Grimes warf sich quer über den Schreibtisch. Er stieß ein dumpfes Gurgeln aus und fegte die Sachen, die auf der Platte lagen, zu Boden. Akten, ein Locher, das Telefon – alles fiel zu Boden, während der Ghoul nach meiner Waffenhand schlug. Er traf auch. Seine schwammige Hand klatschte gegen mein Gelenk, und mir wurde der Arm zur Seite gewischt. Endlich war ich frei und kippte auf den Teppich. Sofort hechtete mir der Ghoul nach. Er sah Oberwasser und wollte mich mit seinem Gewicht erdrücken. Mir gelang es im letzten Augenblick, die Beine anzuziehen. Tief stieß ich die Füße in den Leib des Monsters. Der Ghoul wurde zurückgeworfen, fiel über den Schreibtisch und fuhr mit beiden Armen unkontrolliert in der Luft herum. Inzwischen kam ich auf die Beine. Meine Beretta hatte ich nicht losgelassen. Aus der Drehung feuerte ich. Der Ghoul schluckte zwei Kugeln. Beide waren so gezielt, daß sie sein Leben auslöschten. Grimes sackte zusammen. Es gab dabei ein Geräusch, als hätte jemand Luft aus einem Ballon gelassen. Plötzlich löste er sich auf. Sein Körpergebilde verwandelte sich in grünlich schimmernden Schleim, der von zahlreichen, winzigen Äderchen durchzogen war. Der Ghoul fiel plötzlich um und schrumpfte immer mehr zusammen. Ich konnte es nicht fassen. Lange hatten wir vergeblich nach Gri-
mes gefahndet, und nun hatte ich ihn mit zwei geweihten Silberkugeln erledigt, als er mein Büro betrat. Es war unglaublich. Ich schaute zu ihm nieder. Der Ghoul verging. Dabei sonderte er immer mehr Flüssigkeit ab, über deren Oberfläche eine stinkende Wolke schwamm. Ich öffnete beide Fensterflügel und pumpte die kühle Luft tief in meine Lungen. Für die letzten Reste des Ghouls hatte ich keinen Blick mehr übrig. Dann knallte plötzlich die Tür des Vorzimmers auf. Sie wurde bis gegen die Wand gedroschen und schwenkte wieder zurück. Zwei Kollegen stürmten mit schußbereiten Waffen in den Raum. Sie hatten die Schüsse gehört und waren aufmerksam geworden. Hinter ihnen sah ich Glenda Perkins und auch das Gesicht von Sir James Powell, meinem Chef. Ich hob beide Arme, stieg über die stinkende Lache hinweg und schloß die Tür zu meinem Büro. Powell drängte sich vor. »Was ist geschehen?« fragte er. »Wir haben Schüsse gehört.« Hinter meinem Chef standen die Neugierigen. Ich schickte sie mit wenigen Worten weg. Auch die Kollegen, die das Büro zuerst betreten hatten, verschwanden. Dann zündete ich mir eine Zigarette an. Powell verlangte eine Erklärung. »Die können Sie gern. haben«, sagte ich und lächelte dabei. »Ich habe Grimes getötet.« »Was haben Sie?« Und Glenda fragte: »Den Ghoul?« Ich nickte. »Genau den.« Noch nie zuvor hatte ich meinen Chef so fassungslos gesehen. Immer wieder schüttelte er den Kopf, und Glenda mußte sich erst ein-
mal setzen. Ich gönnte ihnen eine Pause. Schließlich meinte Powell schwer ausatmend: »Dann können wir davon ausgehen, daß dieser Grimes nicht mehr existiert.« »So ist es, Sir.« Mein Chef schaute mich an. »Aber wieso? Ich verstehe das nicht. Da jagen Sie ihn seit Wochen, sind schon sauer, daß Sie ihn nicht aufspüren können, und jetzt spaziert er so mir nichts dir nichts in Ihr Büro. Das kann ich nicht glauben.« Ich ging zur Tür und hielt sie offen. Wieder traf mich die Wolke üblen Gestanks. »Überzeugen Sie sich, Sir!« »Das tue ich auch.« Der Superintendent ging an mir vorbei und schaute in das Büro. Die übelriechende Lache lag nach wie vor auf dem Boden. Der Teppich hatte bereits einen Teil aufgesaugt, trotzdem hing der Gestank wie eine Wand in dem Raum. Schnüffelnd trat Sir James Powell näher. Er wurde zum ersten Mal mit einem Ghoul konfrontiert, sonst kannte er ihn nur aus den Erzählungen, und er nahm auch zum ersten Mal diesen Verwesungsgestank wahr. »Pfui, Teufel, da kommt einem ja der Magen hoch«, knurrte Powell. »Da sehen Sie mal, womit ich mich alles herumschlagen muß«, erwiderte ich. Powell schaute mich nur an. »Schließen Sie die Tür.« Wir gingen wieder zurück ins Vorzimmer, wo eine blasse Glenda Perkins wartete. »Was ist mit Ihnen?« fragte ich. »Der Geruch …« Ich hob die Schultern. »Eine Tasse Kaffee wirkt da oft Wunder.« Sie bereitete frischen vor. Sir Powell trank keinen, er nahm nur sein Magenwasser.
»Und damit wäre der Fall Grimes abgeschlossen«, stellte der Superintendent fest. Ich schwieg. Powell blickte mich mißtrauisch an. »Oder etwa nicht, Herr Oberinspektor?« »Doch, doch, Sir …« »Aber?« Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung, aber mir erschien die ganze Sache viel zu leicht.« »Seien Sie doch froh.« »Bin ich im Prinzip auch, doch ich traue den Burschen nicht. Die andere Seite ist raffiniert, für meinen Geschmack zu sehr. Die haben bestimmt noch einen Trumpf in der Hinterhand. Vor allen Dingen läßt sich Asmodina nicht so ohne weiteres ausbooten.« Powell winkte ab. »Sie sehen Gespenster, John.« Ich grinste. »Die sehe ich bei meinem Job öfter.« Für diese Antwort kassierte ich einen strafenden Blick. Powell erhob sich und ging zur Tür. An seinem Gesicht war abzulesen, wie sehr sich seine Laune schon gebessert hatte. »Ich werde sofort mit dem Innenministerium telefonieren und Bescheid geben, daß sie Grimes abhaken können.« Ich sagte dazu nichts. Als Powell keine Antwort erhielt, verließ er das Vorzimmer. »So ganz sind Sie mit dem Chef nicht einer Meinung«, sagte Glenda Perkins. »Das stimmt.« »Und was werden Sie jetzt tun?« »Sehen, daß mein Büro gesäubert wird. Solange werde ich unterwegs sein.« Glenda wurde leicht rot. »Ich dachte, Sie würden bei mir Ihre Zelte aufschlagen.« »Das wäre mir zu gefährlich.«
»Wieso?« fragte sie unschuldig. »Raten Sie mal«, gab ich lächelnd zurück und verließ mit einem knappen Gruß das Vorzimmer.
* Asmodina und Sir James Maddox, der unheimliche Richter, blieben allein in dem düsteren Gewölbe zurück. »Steht noch eine Verhandlung an?« fragte Maddox gierig. »Nicht sofort.« »Wann denn?« »Wenn ich Sinclair habe. Über ihn kannst du zu Gericht sitzen.« »Warum holst du ihn dir nicht?« fragte Maddox. »Weil ich noch etwas anderes zu tun habe.« »Der Schwarze Tod?« »Ja, genau.« Maddox kicherte. »Du kommst nicht an ihn heran, wie? Hat Asmodis dir noch keine freie Bahn gegeben?« »Doch, aber er ist verflucht stark. Er ist dabei, seine Vasallen neu zu informieren. Er bläst zum Großangriff auf John Sinclair.« »Wann schlägt er zu?« »Ich weiß es nicht genau. Aber ich hörte, daß es nach der irdischen Zeitrechnung nur noch ein paar Wochen dauert.« »Vielleicht brauchst du dich um Sinclair danach nicht mehr zu kümmern«, vermutete Maddox. »Das wäre möglich.« »Und ich käme nicht zu meiner Verhandlung.« »Stimmt.« Mit dieser Antwort verließ Asmodina das Gewölbe. Die Wärter machten respektvoll Platz, als die Teufelstochter hinaus in die Alptraumlandschaft trat. Zurück blieb Maddox, ein unzufriedener Richter.
Er ahnte, daß ihm Sinclair durch die Lappen gehen würde. Das war nicht der Sinn der Sache. Er hatte soviel von ihm gehört, wollte ihn vernichten. Es bestand zwar ein Plan, den er und Asmodina ausgeheckt hatten, doch Maddox traute dem nicht so recht. Deshalb wollte er selbst die Dinge in die Hand nehmen. Ein grausames Lächeln umspielte seine faltigen Mundwinkel, als er daran dachte, daß der Richter seine schreckliche Arbeit bald wieder aufnehmen würde …
* Wenn Ezra Parker in seinem Büro saß und durch das große Fenster über der Themse schaute, dann war er stolz. Stolz auf sich und das, was er erreicht hatte, und stolz auf seine Familie. Ihm gehörten zwei große Konservenfabriken, und er hatte auch mehrere Fischkutter laufen. Die Firma florierte trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage, und sein ältester Sohn Harold war so geraten, daß er in wenigen Jahren den Laden übernehmen konnte. Maud, seine zwanzigjährige Tochter, studierte in Cambridge, und er selbst hatte gute Chancen, auch in der Politik seinen Weg zu machen. Natürlich nur als Mitglied des Oberhauses. Aus gut unterrichteten Kreisen hatte er vernommen, daß man vorhatte, ihn in den Adelsstand zu erheben. Sir Ezra Parker! Wie sich das anhörte. Er war begeistert. Die Voraussetzungen für eine Erhebung in den Adelsstand waren äußerst günstig, denn wer die Ahnenreihe durchforstete, fand nur bekannte Namen. Unternehmer, Geschäftsleute, Fabrikbesitzer – und einen Gefäng-
nisdirektor. Der einzige Ausrutscher. Nicht wegen des Berufs, denn schließlich ist ein Gefängnisdirektor ein hoher Beamter des Kingdom, nein, dieser Mann war auf eine dumme Art und Weise ums Leben gekommen. Man hatte ihn ermordet. Aufgehängt, wie in der Familienchronik zu lesen war. Der Mörder war nie gefaßt worden, denn das Verbrechen geschah auf eine mysteriöse Art und Weise. Ein Toter sollte ihn umgebracht haben. Ein Richter sogar – oder dessen Geist. Ezra Parker hatte oft darüber nachgedacht, aber Sorgen machte er sich keine. Das war Vergangenheit und vergessen. Zudem glaubte Parker nicht an Geister. Er war ein modern denkender Geschäftsmann, dem die Bilanzen mehr sagten als Geschichten über Spuk und Geister. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag die in Leder gebundene Unterschriftenmappe. Ezra Parker schlug sie auf. Es war die letzte Arbeit, die er sich für diesen Tag vorgenommen hatte. Er wollte heute etwas früher Feierabend machen, da man ihn im Club erwartete, wo noch ein politisches Programm durchgesprochen werden sollte. Er setzte seinen Namen unter die Briefe und klappte die Mappe wieder zu. Er wollte seiner Erstsekretärin schon Bescheid geben, als das grüne Telefon läutete. Ezra Parker runzelte die Stirn. Wer rief ihn denn auf diesem Apparat an, eine Nummer die nur wenige kannten? Er meldete sich mit einem forschen »Parker!« Zuerst hörte er nichts. Dann ein leises Lachen, das irgendwie beängstigend klang und in Parkers Innern sofort die panische Angst vor Terroristen wachrief. »Ezra Parker?« fragte eine rauhe Stimme. »Ja.«
»Deine Stunde ist gekommen, Parker. Ich habe beschlossen, dich zu töten!« Obwohl Ezra Parker ein knallharter Geschäftsmann war, lief ihm beim Klang dieser Stimme eine Gänsehaut über den Rücken. Schwer holte er Luft. »Was erlauben Sie sich?« schrie er in den Hörer. »Sie sind ein Witzbold, aber ein mieser.« »Es ist kein Witz, Ezra Parker. Ich bin wieder da und hole dich.« »Was soll das heißen – ich bin wieder da?« »Denk an deinen Ahnherrn Lionel!« Das waren die letzten Worte des unbekannten Anrufers. Einen Herzschlag später legte er auf. Auch Parker hängte ein. Sehr, sehr langsam. In den Falten seiner gefurchten Stirn glitzerten dicke Schweißtropfen. Warum hatte dieser Anrufer seinen Ahnherrn erwähnt, diesen Gefängnisdirektor Lionel Parker? Wie er aus den Unterlagen wußte, war Parker eines unerklärlichen Todes gestorben. Seinen Mörder hatte man ja nie erwischt und deshalb von einem Geist gesprochen. Und was hatte der Anrufer gesagt? Ich bin wieder da. Es hörte sich ganz so an, als wäre der Anrufer der Mörder seines Ahnherrn gewesen. Unsinn, dachte Ezra Parker. Jetzt spinnst du. Er war so in Gedanken versunken, daß er das Klopfen seiner Sekretärin überhörte. Erst als die Tür geöffnet wurde und ein kühlerer Luftzug sein schweißfeuchtes Gesicht traf, schaute er auf. »Sie entschuldigen, Mr. Parker, aber …« »Ich weiß, die Post. Bitte sehr.« Die Sekretärin trat näher, und Parker gab ihr die Unterschriftenmappe. Lächelnd schritt die Frau davon. Ezra Parker blieb noch einige Minuten in Gedanken versunken hinter seinem Schreibtisch sitzen. Er wartete darauf, daß sich der Anrufer ein zweitesmal melden würde, dann wollte er das Gespräch
aufnehmen. Es tat sich nichts. Eine Warnung reichte. Ezra Parker stand auf. Die Zeit war schon sehr knapp. Er trat an den großen eingebauten Wandschrank und öffnete die mittlere Tür. Leicht ließ sie sich aufziehen. Von innen hatte sie einen Spiegel. Ezra Parker sah sein Spiegelbild. Er war ein noch gut aussehender Mann mit einer schlanken Figur, eisgrauen, straff zurückgekämmten Haaren und einem energisch vorspringenden Kinn. Der blaugraue Anzug paßte ihm gut, und die Perle in der Seidenkrawatte war echt. Parker griff nach dem leichten Kamelhaarmantel. Er wollte gerade mit dem linken Arm hineinschlüpfen, als sein Blick wieder in den Spiegel fiel. Normalerweise mußte er sein Gesicht wiedergeben, doch das war nicht der Fall. Der Spiegel zeigte eine Horrorfratze! Ein Typ mit grausam verzerrtem Gesicht, knochigen Händen, langen, grauweißen, strohigen Haaren und Augen, in denen das Feuer der Hölle gloste. Doch das war nicht alles. Der Unheimliche schaute durch eine fachmännisch geknüpfte Henkersschlinge. Ezra Parker erstarrte. Plötzlich bekam er keine Luft mehr. Automatisch fuhren seine Hände hoch zum Hals. »Ich hole dich«, sagte das Spiegelbild mit dumpfer Grabesstimme. »Schon an diesem Tage und noch bevor die Uhr Mitternacht geschlagen hat.« Ezra Parker wich zurück. Abwehrend streckte er dabei beide Hände vor. »Nein!« keuchte er. »Nein, dich gibt es nicht. Du bist ein Teufel! Dich darf es nicht geben. Geh weg, geh weg!« Der Henker lachte. Dabei öffnete sich der zahnlose Mund, und das Gesicht zerfiel in zahlreiche Falten.
Ezra Parker aber stieß mit dem Rücken gegen die Kante des Schreibtisches. Seine Arme fanden auf der Platte Halt, die Hände fuhren darüber hinweg, und der Mantel lag dicht vor dem Schrank auf dem olivfarbenen Teppichboden. Parkers Finger fanden zufällig die marmorne Statue aus Indien, die ihm ein Geschäftsfreund geschenkt hatte. Parker benutzte sie normalerweise als Briefbeschwerer. Jetzt allerdings als Wurfgeschoß. Er hob den rechten Arm und schleuderte die Statue in den Spiegel hinein. Klirrend ging er zu Bruch. Die Splitter regneten auf den Boden. Einige blieben im Teppich stecken, die Kanten zeigten nach oben. Das Bild war verschwunden. Schwer atmete Parker aus. Er schüttelte den Kopf, wischte sich über die Augen und schluckte. Der Krach war im Nebenzimmer gehört worden. Aufgeregt betrat seine Erstsekretärin das Büro, sah den zerbrochenen Spiegel, preßte beide Hände gegen die wohlgelegte Frisur und stieß einen kieksenden Laut aus. Ezra Parker drehte sich um. »Aber Mr. Parker. Sir, was ist geschehen?« Parker grinste schief. »Sehen Sie das denn nicht? Der Spiegel ist zerbrochen.« »Wie konnte das geschehen?« »Ich habe ihn zerstört. Aus Versehen. Sagen Sie der Putzfrau Bescheid, damit sie die Scherben wegräumt.« »Natürlich, Mr. Parker.« Die Frau verstand die Welt nicht mehr. Daß jemand einen Spiegel zerstörte, war ein Ding der Unmöglichkeit, so etwas durfte nicht geschehen. Das brachte sieben Jahre Pech. Sacht schloß sie die Tür hinter sich. Ezra Parker zitterte. Aus dem kleinen Barschrank holte er eine Flasche Whisky. Er setzte die Öffnung direkt an den Mund und trank
einen langen Zug. So etwas tat er sonst nie. Danach stellte er die Flasche auch sofort wieder weg. Immer noch leicht benommen, hob er den Mantel auf, streifte ihn über. Auf den Hut verzichtete er. Er mußte sich schwer zusammenreißen, als er sein Büro verließ. Die Sekretärin saß hinter ihrem Schreibtisch. »Alles in Ordnung, Sir?« fragte sie. »Ja.« Parker blieb stehen. Fast wäre er noch rot geworden, als hätte er ein schlechtes Gewissen. »Weiß die Putzfrau schon Bescheid?« »Ich sage es ihr, wenn sie kommt.« Parker nickte und ging. »Einen schönen Abend noch«, rief die Sekretärin ihm nach. »Danke.« Auch das zweite Vorzimmer war besetzt. Parker hatte das Gefühl, als würden die beiden Mädchen hinter der hohlen Hand kichern, obwohl sie arbeiteten. Vielleicht taten sie auch nur so. Grußlos betrat Parker den Gang, ging zum Aufzug und fuhr nach unten. Neben dem Firmengelände gab es einen Hof, wo die Besucher ihre Wagen abstellen konnten. Parkers Mercedes 350 stand in der dafür vorgesehenen Parklücke. Nur sein Fahrer war nicht zu sehen. Ärgerlich blieb Ezra Parker neben dem Wagen stehen. »Wo sind Sie, Morton?« Er erhielt keine Antwort. Langsam wurde er sauer. »Morton, verdammt, sagen Sie was!« Nichts. Nur der Hausmeister öffnete eine schmale Hintertür, steckte seinen Kopf ins Freie. »Haben Sie Morton gesehen?« rief Parker. »Nein, Sir.« »Verdammt, wo treibt er sich denn herum?«
Der Hausmeister verschwand rasch. Er mochte es nicht, wenn der Alte schlechte Laune hatte. Dann war er kaum zu ertragen. Ezra Parker schritt den Hof ab. Die Fenster im Erdgeschoß waren zur Hälfte mit einem undurchsichtigen Glas ausgefüllt. Darunter lagen die Kellerfenster. Durch Zufall fiel Parkers Blick dorthin. Vor jedem Fenster befand sich ein kleiner Schacht. Als er in den letzten Schacht schaute, traf ihn der Schock. Über den Rand hinaus ragte eine verkrümmte Hand!
* Parker weigerte sich, den nächsten Schritt zu gehen. Sein Herzschlag schien sich verdoppelt zu haben. Er wußte, zu wem die Hand gehörte, denn den Ring mit dem flachen Stein hatte Morton von seinem Vater geerbt. Er war immer so stolz darauf gewesen. Ezra Parker hatte schon viel in seinem Leben erlebt, doch so etwas wie heute war noch nie vorgekommen. Langsam trat er näher. Er hielt seine Hände in den Manteltaschen vergraben, beugte sich etwas vor, so daß er in den Schacht schauen konnte. Verkrümmt lag dort sein Fahrer. Er trug noch die graue Kleidung. Der oder die Unbekannten hatten ihn regelrecht in den engen Schacht hineingestopft. Aus einer Wunde an der Stirn sickerte Blut. War Morton tot? Ezra Parker wollte es genau wissen, beugte sich nieder und streckte seinen Arm aus. Er fühlte nach dem Puls. Der schlug. Morton war nur bewußtlos.
Parker fiel ein Stein vom Herzen, doch gleichzeitig sagte er sich, daß man seinen Fahrer nicht aus einer puren Laune heraus in diesen Schacht gesteckt hatte. Dahinter steckte System. Plötzlich spürte er ein Prickeln auf der Haut. Ein Zeichen, daß er nicht mehr allein war. Jemand befand sich dicht in seiner Nähe. Wie bei einer Zeitlupenaufnahme drehte sich Ezra Parker um. Als wollte er nicht wahrhaben, daß etwas passieren könnte. Und doch traf ihn der Schock! Er schaute genau in das Gesicht des unheimlichen Richters!
* Er wußte nicht, wo diese Gestalt so plötzlich hergekommen war. Auf jeden Fall stand sie da und starrte ihn nur an. Ezra Parker begann zu zittern. Seine Hand fuhr hoch, drehte den Kragen des eleganten Mantels zusammen, seine Blicke irrten an der Gestalt vorbei und durch den Hof, auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Die Dämmerung war schon hereingebrochen. Tiefe Schatten füllten den Hof aus, und nur aus zwei Fenstern in der ersten Etage drang Licht. Die anderen Büroräume lagen zur Straßenfront hin. Der unheimliche Richter hielt die Schlinge in der Hand. Wie ein Pendel schwenkte er sie hin und her, und zwar in der Höhe seines Gesichts, so daß er Ezra Parker durch die Schlinge sehen konnte. Parker holte tief Luft. Er riß sich stark zusammen, als er fragte: »Wer sind Sie?« »Ich bin Sir James Maddox.« »Der – der Name sagt mir nichts.« »Das glaube ich!« kicherte der Richter. »Sagt dir denn der Name Lionel Parker etwas?« »Ja.« »Kennst du auch die Geschichte dieses kleinen Gefängnisdirek-
tors, der mich, den großen Sir Henry, hat aufhängen lassen?« »Die – die kenne ich.« »Das ist gut«, kicherte der Richter. »Sir Henry ist aber nicht gestorben, wie es gewisse Leute gern gesehen hätten. Ich bin zurückgekehrt. Damals schon und auch heute. Vor zweihundert Jahren, da habe ich mir Lionel Parker geholt. Er mußte an den Galgen, diese Schande konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich verhielt mich danach ziemlich ruhig, doch nun ist es Zeit für mich, die alten Dinge wieder fester in die Hand zu nehmen. Es tut sich was im allgewaltigen Reich der Hölle. Gewisse Dinge sind in Bewegung geraten. Durch Asmodina und den Schwarzen Tod. Aus diesem Grunde bin auch ich wieder aktiv geworden und in die sichtbare Welt zurückgekehrt.« Ezra Parker verstand nichts davon. Er vernahm die Worte zwar akustisch, aber er begriff den Sinn nicht. Er wußte nur, daß ihm der unheimliche Richter feindlich gesinnt war. »Was wollen Sie von mir?« ächzte Parker. »Wir werden eine kleine Spazierfahrt unternehmen«, erhielt er zu Antwort. »Wohin?« »Das wirst du schon sehen!« Ezra Parker schaute auf seinen Wagen. Der Richter bemerkte den Blick und lachte. »Ja, den nehmen wir. Du wirst dich hinter das Lenkrad setzen und fahren.« Parker nickte. So seltsam es für ihn war, aber er hatte sich an den Unheimlichen gewöhnt. Parker überwand schnell seinen Schock, sein Gehirn lief bereits auf vollen Touren. Im Geschäftsleben mußte er oft innerhalb weniger Minuten eine Entscheidung treffen. Hier hatte er sich auch bereits entschieden. Er wollte fahren. Aber nicht zum Ziel des Richters, sondern zu Scotland Yard. Während der Fahrt konnte ihn dieser Typ ja wohl schlecht umbringen.
Als er diese Möglichkeit durchgedacht hatte, ging es ihm wieder besser. Tief atmete er ein und schritt auf seinen Wagen zu. Der Richter blieb hinter ihm. Er trug nur die Schlinge und sonst keine sichtbare Waffe. Eigentlich leichtsinnig von ihm. Zum erstenmal dachte Ezra Parker auch über eine Flucht nach. Die Chance wurde ihm genommen. Der Unheimliche war nicht allein erschienen. Hinter dem Mercedes erhoben sich plötzlich zwei Gestalten. Sie traten aus dem Schatten der Mauer, und jetzt verspürte Ezra Parker wirklich Angst. Es waren übergroße Kerle, dunkel gekleidet, und in ihren Händen hielten sie Lanzen. Unwillkürlich blieb Parker stehen. Die beiden Knechte traten auf ihn zu. Sie senkten ihre Waffen, so daß die Spitzen auf Ezra Parker zeigten. Die schwarze Kleidung entpuppte sich als zwei lange Umhänge. Auf ihren Köpfen saßen Schlapphüte, doch unter der Krempe … Parker schaute zweimal hin. Sein Herz begann plötzlich schneller zu schlagen. Die Männer hatten keine Gesichter! Statt dessen schimmerten unter den Krempen grauweiße Flächen, fast konturenlos, auf jeden Fall ohne Nasen, Lippen oder Wangen. Ezra Parker erstarrte. Er konnte einfach nicht mehr weitergehen, diese beiden Gestalten flößten ihm mehr Angst ein als der Unheimliche mit der Henkersschlinge. Hinter ihm lachte der Richter auf. »Hattest du an eine Flucht gedacht?« Parker sagte nichts. »Steig ein!« forderte Maddox. Parkers rechte Hand glitt in die Manteltasche. Obwohl er sich normalerweise fahren ließ, trug er immer einen Wagenschlüssel bei
sich. Mit zitternden Fingern holte er ihn hervor und schloß die Fahrertür auf. Die beiden Gestalten standen links und rechts von ihm. Sie beobachteten jede seiner Bewegungen. Verkrampft hockte er auf seinem Sitz, entriegelte die anderen Türen. Im Fond nahmen die Schrecklichen mit ihren Lanzen Platz, während sich Maddox neben Parker setzte; Vier Türen schwappten zu. Ezra Parker spürte plötzlich den Druck im Nacken. Und er wußte, daß es die Spitzen der Waffen waren, die gegen sein Fleisch gepreßt wurden. Er startete. Der Motor sprang sofort an. Ezra Parker mußte zurücksetzen, fuhr dann einen Bogen und rollte auf die Ausfahrt des Hofs zu. Er fuhr einem ungewissen Schicksal entgegen …
* Die drei Unheimlichen warfen zwar immer ein Auge auf Ezra Parker, doch niemand achtete auf Al Morton, den Chauffeur. Er hatte, wie man so schön sagt, einen Schädel aus Eisen. Der Schlag konnte ihn zwar umwerfen, doch die Bewußtlosigkeit hielt nicht sehr lange an. Morton erwachte. Seine Hand rutschte von der Kante und fiel ihm auf den Bauch. Er spürte den Druck und öffnete verwirrt die Augen, trotz der bohrenden Kopfschmerzen. Sofort fiel ihm seine mißliche Lage auf. Al Morton versuchte seine Beine anzuziehen, doch so einfach ging das nicht. Er mußte erst eine Schulter herumdrehen, dann hatte er etwas mehr Platz. Mühsam richtete er sich auf. Das heißt, er schaute über den Rand des Schachts und hütete sich, das Versteck zu verlassen, denn was er auf
dem Hof sah, raubte ihm den Atem. Dort stand sein Chef und wurde bedroht. Aber nicht von normalen Menschen, sondern von drei Horror-Gestalten, wie sie ein Grusel-Regisseur nicht besser hätte erfinden können. Al sah den unheimlichen Richter, der nach wie vor die fertig geknüpfte Schlinge in der Hand hielt und damit wedelte. Er sah auch die beiden gesichtslosen Wesen, die hinter dem Mercedes auftauchten und Ezra Parker bedrohten. Morton wischte sich über die Augen. Er konnte kaum fassen, was er dort sah. War es ein Traum? Nein! Die Wagentüren schlugen zu. Parker startete den Mercedes, schaltete das Licht ein, fuhr einen Bogen und näherte sich dem Ausgang. Hastig duckte sich der Chauffeur, damit ihn das Licht nicht streifte. Die Scheinwerferbahnen glitten vorbei. Al Morton wartete noch einige Minuten, dann kroch er aus seinem Loch. Als er kniete, ging es ja noch, doch nachdem er sich aufgerichtet hatte, wurde ihm schwindelig. Er mußte sich an der Hausmauer abstützen, ein paarmal durchatmen und traute sich erst dann, weiterzugehen. Wie ein Betrunkener schwankte er auf die Seitentür zu. Mit der Faust hämmerte er dagegen, weil sie von außen nicht zu öffnen war. Hoffentlich hörte ihn der Hausmeister. »Tür auf!« brüllte er. »Verdammt noch mal, öffne die Tür!« Es dauerte eine Weile, bis der Hausmeister erschien. Er schimpfte, als er die Tür schließlich aufzog. Al Morton fiel ihm in die Arme. »He, was ist denn mit dir?« fragte der Hausmeister. »Bist du besoffen?« Dann verstummte er, denn er hatte das Blut gesehen, das aus Als
Kopfwunde rann. »Überfall!« krächzte Morton. »Wir sind überfallen worden, und sie haben den Chef entführt.« »Wer?« Morton hob den Kopf und schaute den Hausmeister an, der sich über den entsetzten Gesichtsausdruck des Chauffeurs wunderte. »Monster haben ihn entführt!« flüsterte Al. »Drei Horror-Monster …« Jetzt spinnt er völlig, dachte der Hausmeister, nahm Morton aber mit in seine Bude, wo ein Telefon stand …
* Ich war nach Hause gefahren. Im Büro konnte ich es nicht mehr aushalten. Nicht nur wegen des Geruchs, nein, der Fall machte mich verrückt. Ich konnte einfach nicht begreifen, daß ich den Ghoul so leicht erledigt hatte. Zwei Kugeln – und Schluß. Nach einer halben Stunde fiel mir die Decke auf den Kopf. In der Wohnung hielt ich es auch nicht mehr aus, ich mußte weg. In einen Pub zu gehen, dazu hatte ich keine Lust, dafür kam mir jedoch ein anderer Gedanke. Die Sauna! Ja, ich konnte mal wieder die Sauna besuchen. Ich hatte mir eine Zehnerkarte gekauft, und fünf Marken waren noch frei. Allein wollte ich auch nicht gehen, Suko und Shao waren nicht da, also rief ich Jane Collins an. »Hast du Zeit?« fragte ich sie. Jane folgerte richtig, aber dennoch rasch. »Brauchst du meine Hilfe, John? Liegt wieder ein Fall an?« Ich lachte. »Das nicht, aber ich habe keine Lust, allein in die Sauna
zu gehen.« »Ach so.« »Du willst also nicht?« »Das habe ich nicht gesagt«, versicherte Jane Collins rasch. »Ich muß zwar noch etwas schriftlichen Kram erledigen, doch der kann bis morgen warten. Wo treffen wir uns?« »Vor der Sauna?« »Einverstanden.« Die Sauna lag auf halbem Weg zwischen unseren Wohnungen. Meine Tasche war schnell gepackt. Handtücher, Bademantel, Schlappen, alles da. Der Bentley wartete unten in der Tiefgarage. Er sah wieder aus wie neu. Die Männer von der Werkstatt hatten eine gute Arbeit geleistet. Und die Rechnung übernahm Scotland Yard. Eine Inspektion war direkt mitgemacht worden. Ich stürzte mich in den Londoner Verkehr. Die Sauna lag in der Nähe der Westminster Cathedral, in einer schmalen Nebenstraße. Es war eine echte Sauna und kein verstecktes Bordell, wie es sie in London fast zu Hunderten gab. Dem alten Bau sah man von außen nicht an, wie sehr er innen umgebaut worden war. Daneben befand sich ein freier Platz, wo ich meinen Wagen abstellen konnte. Direkt neben Janes VW. Ich schaute mich um, sah die Detektivin nirgendwo und nahm an, daß sie schon hineingegangen war. Ich vergrub den Klingelknopf unter dem Zeigefinger, wartete zwei Sekunden, dann wurde die Tür aufgedrückt. Ein breiter Treppenflur nahm mich auf. Die Sauna befand sich im Erdgeschoß, oben wohnten Mieter. Ein Masseur empfing mich. Er hatte Tausende von Sommersprossen im Gesicht und grinste von Ohr zu Ohr. Ich blieb vor ihm stehen und blickte zu ihm hoch,
wobei ich mir richtig klein und mickrig vorkam, obwohl ich nun auch nicht gerade ein Zwerg bin. Er drückte mir so fest die Hand, daß ich um meine Knochen fürchten mußte. »Mr. Sinclair, daß man Sie auch mal wieder hier sieht. Ist direkt ein Wunder.« »Ja«, grinste ich mühsam und schlenkerte meine Hand. »Ich bin eben immer für eine Überraschung gut.« »Miss Collins wartet bereits.« Er gab die Tür frei, und ich trat ein. Weiches Licht erhellte den Gang. Rechts und links befanden sich die Umkleidekabinen, geradeaus ging es zu den Schwitzräumen. Ich nahm die letzte Kabine auf der rechten Seite und entledigte mich meiner Kleidung. Nur das Kreuz behielt ich um. Von der Kabine gab es einen Durchgang zum Saunaraum. Jane wartet schon in der großen Schwitzhöhle. Es war wenig los um diese Zeit. Nur vier der sechzehn Ruhebänke waren belegt. Es gab auch Zweierkabinen, doch die waren teurer. Die Liegebänke waren jeweils an den vier Wänden angebracht. Jane lag rechts der Tür auf der untersten. Ich sah sie nur schemenhaft, denn soeben hatte der Masseur einen neuen Aufguß zubereitet, und dicke weiße Schwaden zogen durch den Raum. Jane winkte mir zu. Ihre Haare hatte sie hochgebunden, auf dem Körper glänzte der Schweiß. Sie lag in einer malerischen Pose auf der Bank, und wären wir nicht in einer Sauna gewesen, hätte ich die Situation ganz anders genutzt. So aber legte ich mich brav auf die Bank. Die drei anderen Saunagäste, zwei ältere Frauen und ein dickbäuchiger Mann, kümmerten sich nicht um uns, sondern schwitzten um die Wette. Auch mir strömte der Schweiß aus allen Poren. Ich streckte mich lang, faltete die Hände unter dem Kopf zusammen und versuchte, mich zu entspannen.
Es war nicht möglich. Zu viele Gedanken kreisten durch meinen Kopf. Immer wieder dachte ich an Grimes, den Ghoul. Mir kam es zu einfach vor, wie ich Grimes erledigt hatte. Aber er war tot! Oder? »John!« Janes Stimme riß mich aus meinen Gedanken. »John! Kletter mal eine Stufe höher.« »Dein Wunsch ist mir Befehl.« Ich nahm mein Handtuch, stand auf und stieg über die kleine Leiter eine Liege nach oben. Hier war es noch heißer. Mein Körper glänzte, als hätte ich ihn mit einer Speckschwarte eingerieben. Schon jetzt freute ich mich auf den Eiskeller, der uns den Kälteschock brachte. Fünfzehn Minuten hielten wir es in dem Schwitzkasten aus. Die drei anderen Saunakollegen waren schon verschwunden, als Jane sagte: »Ich glaube, es reicht.« Gleichzeitig schwangen wir uns von den Pritschen. Ich fühlte mich völlig ausgelaugt. Noch eine Sitzbank höher zu steigen, dazu hatte ich keinen Nerv mehr. Jane schaute mich an. Ihre Augen glänzten, schwer ging ihr Atem. Sie hatte eine tolle Figur. »Lüstling«, sagte sie lachend, als sie meinen Blick bemerkte. Ich hob die nackten Schultern. »Ich kann eben nicht gegen meine Natur an.« »Das werden wir ja bei der Eisdusche sehen«, konterte Jane Collins, drehte sich um und lief mit schwingendem Hinterteil auf die schmale Holztür zu, die in den Duschkeller führte, von dem aus man das Schwimmbad betreten konnte. Rasch lief ich hinter ihr her. Der Temperaturschock war enorm. Obwohl wir noch nicht unter der Dusche standen, war es doch wesentlich kühler als in dem Schwitzraum.
Zum Eiskeller führte ein sanfter Gang. Die Wände waren hellblau gefliest, rechts und links befanden sich zahlreiche kleine Düsen, aus denen sternförmig die eiskalten Wasserstrahlen schossen. Zitternd blieb Jane am Beginn des Kellers stehen. »Geh du zuerst, John«, bibberte sie. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt, eine Gänsehaut lief über ihren Rücken. So hatten wir nicht gewettet. Ich gab Jane einen leichten Klaps auf ihren Po, packte sie unter und trug sie blitzschnell in den Eiskeller hinein. Jane zappelte und schrie. Sie drohte mir Fürchterliches an, denn auch sie kannte den Mechanismus. Wir unterbrachen eine Lichtschranke, dadurch wurde ein Kontakt ausgelöst, und aus zahlreichen Düsen spritzte das Wasser. Es war wirklich eiskalt. Die Strahlen jagten von allen Seiten auf uns zu, auch von oben. Sie hämmerten auf unserer Haut, massierten sie gleichzeitig, und ich ließ Jane Collins los. Jetzt hatte sie den ersten Schock überstanden. Drehend und hüpfend bewegten wir uns in dem Eiskeller. Schrien und kreischten dabei wie die Kinder, während wir mit kräftigen Zügen Luft in unsere Lungen pumpten. Jeder konnte das nicht vertragen, doch wir waren körperlich topfit und kerngesund. Jane Collins stürmte als erste hinaus. Das nasse Haar klebte ihr wie ein goldener Helm auf dem Kopf. Sie verließ den Eiskeller, wandte sich nach links und schob die Kunststofftür zur kleinen Schwimmhalle auf. Dicht vor dem Becken stemmte sie sich ab. Ich sah ihren Körper wie eine Bogensehne in der Luft, dann tauchte sie in die Fluten des Beckens. Es war ziemlich groß, und es gab sogar ein Sprungbrett. Ich folgte
Jane. Sie kraulte bereits dem gegenüberliegenden Rand zu. Ein Kopfsprung brachte mich ebenfalls ins Wasser. Es war direkt warm nach der eiskalten Dusche. Mit weiten Zügen durchschwamm ich das Schwimmbecken zweimal in der Länge. Jane Collins spielte toter Mann. Sie lag auf dem Wasser und ließ sich treiben. Nur hin und wieder bewegte sie ihre Füße. Ich schwamm an sie heran, tauchte und umfaßte ihre Hüften. Zusammen mit mir glitt sie unter Wasser. Plötzlich spürte ich ihren Körper. Fest preßte Jane sich an mich und umschlang mit beiden Armen meinen Nacken. Gemeinsam tauchten wir auf. Jane schüttelte sich das nasse Haar aus dem Gesicht und lachte mich an. »Herrlich, John, einfach herrlich. Warum können wir so etwas nicht öfter machen?« »Weil die Zeit zu knapp ist.« »Sag den Dämonen, sie sollen eine Pause einlegen.« »Das wäre schön.« Ich paßte nicht auf, und Jane rächte sich. Plötzlich hatte sie mein Bein umklammert, riß es zur Seite, und diesmal verschwand ich unter Wasser. Jane tauche mir nach. Wir trieben die verrücktesten Spiele und benahmen uns wie Kinder. Erlauben konnten wir es uns, denn wir waren die einzigen in der Schwimmhalle. Schließlich tauchte ich wieder auf. Die Zeit war knapp geworden. Ich wollte wieder zurück ins Büro. Mit einer Kopfbewegung schüttelte ich mir das nasse Haar aus der Stirn. Mein Blick wurde noch von zahlreichen Wassertropfen getrübt, und ich mußte mir erst über die Augen wischen, um klar sehen zu können. Jane schoß dicht vor mir aus dem Wasser. Ich bemerkte den Geruch zuerst. Und plötzlich rann mir ein
Schauer über den Rücken, nicht weil das Wasser so kalt war, sondern weil ich etwas eingeatmet hatte, das mir am Morgen schon einmal den Appetit verdorben hatte: Modergeruch. Ich schaute in die Runde. Sie saßen am Rand des Beckens. Drei widerliche Ghouls. Sie grinsten mich und Jane Collins an. Noch ein vierter Ghoul hatte sich eingefunden. Er hockte auf dem Sprungbrett. Bowler, schwarzer Anzug, Handschuhe, ein Stehkragen und ein fettes Gesicht. Kein Zweifel – es war Grimes!
* An der Einfahrt mußte Ezra Parker warten, bevor er eine Lücke im fließenden Verkehr fand. »Wohin soll es gehen?« erkundigte er sich mit belegter Stimme. »Zu dir nach Hause!« kicherte der Richter. »Was?« »Ja, fahr schon los. Wir wollen schließlich auch deine Familie mit unserem Besuch beglücken.« Parker schluckte. »Das – das kann ich nicht. Laß sie bitte aus dem Spiel.« »Nein.« »Dann fahre ich nicht.« Demonstrativ nahm Ezra Parker beide Hände vom Lenkrad. Sofort reagierten die beiden Vasallen. Sie drückten kräftiger zu, und Parker spürte den Schmerz, kurz bevor ihm etwas Warmes den Nacken hinabrann. Blut! »Fährst du jetzt?« fragte Maddox.
»Ja.« Er drückte den Blinker nach unten und bog links in die Straße ein. Ezra Parker wohnte in Belgravia, einem Londoner Stadtteil, den sich Begüterte als Domizil ausgesucht hatten. Um dorthin zu gelangen, mußten sie auf die andere Seite der Themse. Sie fuhren erst nach Süden bis Vauxhall Bridge, überquerten den Fluß und stießen auf der Vauxhall Bridge Road in den Stadtteil Belgravia. Vor dem Bahnhof Victoria Station verließen sie die Straße, erreichten die Warwick Road und bogen dann in die Aldernay Street ein, wo Parker wohnte. Er hatte das Haus von seinem Großvater geerbt. Dazu gehörte ein parkähnlicher Garten mit altem Baumbestand und einem Rasen, der von zwei Gärtnern in Ordnung gehalten wurde. Zwischen den Grünflächen blühten im Sommer Blumen, so daß der Garten eine Oase der Erholung bot. Das große Eingangstor, das die Mauer teilte, glitt zurück, als der schwere Mercedes eintraf und Parker die Fernbedienung eingeschaltet hatte. Der kalte Schweiß rann über seinen Rücken. Er konnte nicht mehr ruhig sitzen, seine Nerven vibrierten. Mit dieser Fahrt brachte er seine Familie in Gefahr. Wenigstens seinen Sohn Harold und die Tochter Maud. Lilian, seine Frau, war nicht da. Sie befand sich zur Kur in Blackpool. Die breiten Reifen knirschten über den geharkten Kiesweg. Die Gärtner hatten bereits Feierabend. Niemand befand sich mehr auf dem Grundstück. Im Kreisbogen führte die Auffahrt zu dem prächtigen Haus hoch. Die große Freitreppe vor dem Eingang schimmerte feucht. Ebenso die Äste und Zweige der Eichen, Buchen und Platanen. Vor der Treppe stoppte Ezra Parker. »Und jetzt?« fragte er mit zittriger Stimme.
»Gehen wir ins Haus«, erwiderte der Richter. Parker hakte den Gurt los. »Wer ist alles da?« wollte Maddox wissen. »Ich weiß nicht. Vielleicht mein Sohn oder meine Tochter.« Maddox kicherte. »Das wäre ein Aufwaschen«, sagte er. »Die ganze Familie muß ausgerottet werden.« Ezra Parker gab es einen Schock. Für einen Moment schloß er die Augen. Dabei sah er seine Kinder vor sich. Maud mit ihrem braunen Haar und den verträumten braunen Augen der Mutter. Dann Harold, ein gut aussehender junger Mann. Er hatte heute einen Geschäftsfreund besuchen wollen und war vielleicht schon zurück. Nur nicht daran denken … Dann fiel Ezra Parker die Waffensammlung ein. Er sammelte alte Gewehre und Pistolen. Die kostbaren Gegenstände bewahrte er in seinem Arbeitszimmer auf. Viele Waffen waren geladen und schußbereit. Wenn es ihm gelang, an eine der Pistolen oder ein Gewehr heranzukommen, konnte er diesen Richter vielleicht töten. »Schlaf nicht ein!« Schmerzhaft drang die Stimme des Richters an seine Ohren. Ezra Parker stieg aus. Gleichzeitig mit ihm schwangen sich auch die beiden Knechte aus dem Wagen. Maddox bildete den Schluß. Mit schweren Schritten und gebeugt ging Ezra Parker auf die Treppe zu. Normalerweise stürmte er die Stufen immer noch wie ein Jüngling hoch, doch jetzt schritt er zögernd. Die Knechte rahmten ihn ein. Keine Sekunde ließen sie ihn aus den Augen. Sie würden ihn töten, wenn er eine unbedachte Bewegung machte, das wußte Parker genau. Er mußte den Weg gehen.
Vor der Tür blieb er stehen. Er hatte sie nachträglich einbauen lassen. Mit ihren Holzschnitzereien paßte sie ausgezeichnet zu der verschnörkelten Hausfassade. Die alte Tür hatte ein modernes Schloß. Ezra Parker öffnete und merkte, daß seine Hände zitterten. Wenn ihm jetzt eines seiner Kinder entgegenkam, war alles verloren. Die düstere Halle nahm ihn auf. Der Parkettboden glänzte frisch gebohnert, scheinbar wahllos verstreut lagen die kostbaren Teppiche aus dem Orient und aus China. Ein großes Sideboard nahm einen Teil der Wand ein. Darüber hing ein Landschaftsbild aus Cornwall. Maddox schloß die Tür. Er hämmerte sie regelrecht zu, und Parker schien es, als hätte jemand einen Sarg verschlossen, in dem er lag. Die beiden Knechte gingen an Parker vorbei und bauten sich vor der Treppe auf. »Welche Räume befinden sich in den oberen Etagen?« wollte der Richter wissen. »Die Schlafzimmer, Bäder und die Zimmer meines Sohnes sowie meiner Tochter.« »Sonst nichts?« »Nein!« Maddox schritt durch die Empfangsdiele. Dabei wedelte er mit seiner Schlinge und verzog das Gesicht zu einem bösen Lächeln. »Du hast ein prächtiges Haus, Parker. Sogar ein sehr prächtiges. Deine Vorfahren haben viel Geld gescheffelt, bis auf den lieben Lionel. Er war nur ein kleiner Gefängnisdirektor, doch in seinem Bereich ein rechter Tyrann. Er konnte den Gefangenen das Leben schon zur Hölle machen, wenn er wollte. Auch bei mir hat er zugeschaut, wie ich gehängt worden bin. Er hat sogar das Zeichen gegeben. Nun, ich habe mich gerächt und ihn geholt. Dabei habe ich ihn ebenso aufgehängt, wie ich umgekommen bin. Und das in seiner eigenen Wohnung.« Maddox streckte die Hand aus und wies mit dem
Finger auf Parker. »Dein Ahnherr ist in seinem eigenen Haus gestorben, und du wirst auch in deinem Haus sterben. Heute bin ich jedoch großzügiger als damals. Du kannst dir den Platz zum Sterben aussuchen, Parker.« »Du willst mich wirklich umbringen?« fragte Ezra Parker, nachdem er die Worte verdaut hatte. »Ja.« »Aber ich habe dir nichts getan.« »Du nicht, aber dein Ahnherr.« »Den hast du doch schon bestraft.« »Das spielt keine Rolle. Es ist Zufall, daß du jetzt schon an der Reihe bist. Es hätte auch deinen Sohn treffen können, als ersten, meine ich. Ich bin aus einem bestimmten Grund auf die Erde zurückgekehrt, weil ich einen Mann verurteilen will.« »Wer ist dieser Mann?« »John Sinclair.« »Kenne ich nicht«, sagte Parker. »Das ist auch nicht tragisch, weil sich sein und dein Fall gar nicht berühren. Doch wenn ich schon einmal hier bin, ist es ein Aufwaschen. Die Parkers müssen verschwinden.« Ezra Parker hatte sich bereits mit dem Grauen abgefunden, so daß er wieder klar denken konnte. »Du bist ein Geist?« fragte er. »Ja und nein.« Maddox lachte. »Ich bin gestorben und doch nicht tot. Man nennt dieses untot. Du kannst auch Wiedergänger sagen. Hast du dich entschieden? Wo willst du sterben?« Tief atmete Parker durch. »Ja, ich habe mich entschieden. Ich will in meinem Arbeitszimmer sterben.« »Kann man dich dort gut aufhängen?« Parker nickte nur. »Dann geh vor.« Ezra Parker wandte sich nach links. Schräg schritt er an dem Treppenaufgang vorbei und gelangte an eine hohe Holztür. Mit der rech-
ten Hand drückte er sie auf. Das Arbeitszimmer, gleichzeitig auch Bibliothek und Sammlerraum, war sehr groß. An den Wänden stapelten sich die hohen Regale. Sie waren mit Hunderten von Büchern gefüllt, und nur der Platz für das Fenster blieb frei. Durch die Scheibe schaute man in den Garten, wo sich ein leerer Pool den Blicken des Betrachters bot. »Die Vorhänge zu!« befahl Maddox. Ezra Parker gehorchte und drehte sich um. Die beiden Knechte hatten an der Tür Aufstellung genommen, Ihre Lanzen hielten sie mit der rechten Faust umklammert. Sie standen dort als Wächter. Maddox’ Blick fiel hoch zur Decke. wo der gewaltige Kronleuchter hing. Ein böses Lächeln glitt über sein Gesicht, und Parker ahnte, daß er an diesem Kronleuchter aufgehängt werden sollte. Die kleine Trittleiter stand neben dem Schreibtisch. Sie wurde sonst dafür benutzt, um Bücher aus den oberen Regalen zu holen. Der unheimliche Richter sah die Leiter ebenfalls und kicherte hohl. »Alles steht bereit«, sagte er. »Hol die Leiter her!« Ezra Parker nickte. Er hatte gedacht, vor Angst keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können, doch er wunderte sich, wie ruhig er plötzlich war. Vielleicht noch ein Rest von dem Kampfeswillen, den man ihnen im Zweiten Weltkrieg beigebracht hatte. Die Leiter stand nicht nur neben dem Schreibtisch, sondern auch ganz in der Nähe des Waffenschranks. Den Schlüssel dafür trug Parker immer bei sich. Er mußte schnell genug sein. Schlüssel ins Schloß, ein geladenes Gewehr hervorreißen, herumwirbeln und schießen. So nahm er es sich vor. Zuerst wollte er den Richter erledigen, danach die beiden HorrorGestalten an der Tür. Langsam ging er auf die Leiter zu.
Sein Gesicht war unbewegt, es zeigte nichts von dem, was sich in seinem Inneren abspielte. Er hatte sich immer beherrschen müssen, das gereichte ihm jetzt zum Vorteil. Der große Kronleuchter verstreute kein Licht, dafür jedoch die vier Wandlampen. Ihre Pergamentschirme dämpften die Helligkeit und erfüllten den Raum mit ihrem gemütlichen Schein. Parker schaute zur Seite. Auf dem Schreibtisch stand neben anderen Utensilien auch ein gerahmtes Foto. Es zeigte seine Familie. Parker sah die lachenden Gesichter, und plötzlich hatte er eine hundsgemeine Angst davor, daß er es nicht schaffen würde. Aber wenn er es nicht fertigbrachte, wer dann? Er mußte es versuchen, um seine Familie zu retten. Ezra Parker drehte sich so, daß er die linke Hand ungesehen in die Tasche schieben konnte. Seinen Mantel hatte er zuvor ausgezogen. Parker holte den Schlüssel hervor und bückte sich langsam, um nach der Trittleiter zu fassen. Seine Finger umklammerten das obere Brett. Noch einmal holte er tief Luft, dann kreiselte er herum und schleuderte die Leiter aus der Drehung heraus auf Sir James Maddox. Parker traf gut, und der Richter war zu überrascht, um noch ausweichen zu können. Die Leiter knallte gegen seinen Kopf, und die Wucht riß den Richter von den Beinen. Blitzschnell wechselte Parker den Schlüssel in die rechte Hand, schloß die Tür zum Waffenschrank auf, riß eine geladene doppelläufige Schrotflinte hervor. Wieder fuhr er herum. Maddox lag noch am Boden. Aber die beiden Knechte griffen ihn an. »Fahrt zur Hölle!« brüllte Ezra Parker und drückte ab. Krachend entlud sich die Waffe. Eine lange Mündungsflamme stach aus dem rechten Lauf. Mit ihr zusammen prasselte der Schrothagel gegen die rechte Gestalt und fegte sie von den Füßen. Sofort
schwenkte Parker die Waffe und riß den Stecher noch einmal durch. Wieder brüllte das Schrotgewehr auf. Abermals hämmerte er die Ladung aus dem Lauf und traf die zweite Horror-Gestalt. Auch sie wurde zu Boden gedroschen, doch dann war es aus mit der Herrlichkeit. Parker hatte sich verschossen. Er schleuderte die Schrotflinte weg und griff zu einem Henry-Stutzen aus dem letzten Jahrhundert. Auch dieses Gewehr war geladen, und die Kugeln hatte er sich für Maddox aufbewahrt. Er feuerte aus der Hüfte. Das Blei jagte aus dem Lauf, hieb in den Körper des Richters, doch es konnte ihn nicht töten. Ebensowenig wie das Schrot die beiden anderen Wesen getötet hatte. Sie standen wieder auf. Und alle drei bewegten sich langsam auf Ezra Parker zu. Parker nahm den Finger vom Abzug. Er schüttelte den Kopf. Seine Augen quollen aus den Höhlen, er wollte einfach nicht wahrhaben, was er sah. Der Richter und seine Knechte waren nicht umzubringen. Nicht auf diese Art und Weise. Sogar die Schlinge hielt Maddox noch in der Hand. Und er freute sich. »Hattest wohl gedacht, du könntest deinem Schicksal entgehen, wie?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, Ezra Parker, du bist dran, und dir hilft keiner.« Parker ließ das Gewehr fallen und riß voller Verzweiflung die Hände vor sein Gesicht …
* Ich stand im Wasser, staunte und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Der Mann auf dem Sprungbrett war in der Tat Grimes.
Ich hatte es geahnt. Und recht behalten. Man hatte mich geleimt. Ich war in die Falle getappt. Jetzt konnten sie ihre Rechnung präsentieren. Ich fühlte Janes Hände auf meinen Schultern und ihre weichen Lippen an meinem rechten Ohr. »Das ist doch Grimes, nicht wahr?« flüsterte sie. »Ja, er ist es.« Mir war klar, daß er und die drei anderen Ghouls uns nicht aus dem Becken lassen würden. Zum Beweis dafür hoben sie plötzlich lange Stangen vom Boden auf. Dinger, die vorn spitz zuliefen und mich an Speere erinnerten. Damit konnte man einen Menschen aufspießen. Jetzt wurde es wirklich gefährlich. Was hatten wir für Waffen? Unsere Fäuste, und ich trug mein Kreuz. Nur nutzte es mir nicht viel, weil ich nicht nahe genug an die Ghouls herankam. Mit ihren Stangen würden sie sich uns schon vom Leibe halten. Grimes amüsierte sich köstlich. »Sinclair, ich habe dich selten so dumm aus der Wäsche schauen sehen«, sagte er. Dabei hatte ich gar keine Wäsche an, aber das sagte ich ihm nicht. Nachher meinte er noch, ich würde ihn nicht ernst nehmen. »Was willst du, Grimes?« »Dein und das Leben deiner kleinen Freundin da.« Das hatte ich mir gedacht, trotzdem wollte ich es noch einmal von ihm hören. Ich hatte noch zahlreiche Fragen und wollte sie auch stellen, denn das wiederum bedeutete Zeitgewinn. »Ich habe einen Ghoul umgebracht«, sagte ich. »Wer war das?« »Ein Doppelgänger!« Grimes wollte sich ausschütten vor Lachen, als er mir die Antwort gab. »Und warum das alles?« fragte ich ihn. »Es sollte eine Falle für dich sein. Außerdem war es die letzte
Chance. Ich habe bereits vor dem Dämonenrichter zur Aburteilung gestanden.« Dämonenrichter? Ein für mich völlig neuer Begriff. Noch nie hatte ich davon gehört. Sollte er vielleicht im Reich des Schreckens die gleiche Funktion besitzen wie bei uns ein Richter? Ich fragte danach. »Ja, Dämonen, die versagt haben, kommen vor ein Gericht. Und Sir James Maddox, der Dämonenrichter, spricht sie dann schuldig und setzt ihre Strafe fest. Meist die ewige Verbannung.« »Im Reich des Spuks?« »Richtig.« So lief der Hase also. »Und dich, Grimes, wollte man auch verbannen. Oder täusche ich mich da?« Er schüttelte den Kopf, daß die Fleischmassen in wabbelnde Bewegung gerieten. »Du täuschst dich nicht, doch durch Asmodinas Fürsprache habe ich noch eine Chance erhalten.« »Und was hat der Richter dazu gesagt?« wollte ich wissen. »Er war natürlich nicht einverstanden. Aber ich werde ihm deine Leiche präsentieren, und dafür brauche ich erst gar nicht wieder in unsere Zeit zurückzukehren, sondern kann hier in London bleiben, wo auch der Richter aufgetaucht ist.« Das war die zweite Überraschung. Dieser Dämonenrichter in London! Bestimmt nicht zum Vergnügen, sondern weil er einen Plan hatte. »Wo steckt der Richter?« fragte ich den Ghoul. »Das ist egal«, erwiderte Grimes und bewegte sich so, daß das Sprungbrett durchbog und langsam wieder in seine Stellung schwang. »Ich werde deine Leiche schon zu ihm bringen.« Grimes war verdammt siegessicher. Und wenn ich ehrlich war, standen seine Chancen auch gar nicht so schlecht. Die drei Ghouls hatten sich erhoben. Es waren widerliche Gestalten. In Lumpen eingehüllt und mit ei-
ner Aura des Grauens umhüllt. Einer sah besonders schlimm aus, da sein linkes Auge doppelt so groß war wie das rechte. Der Kerl stand auf dem Sprungbrett gegenüber, an der anderen Schmalseite des Beckens. Die Lanzenspitze berührte die Wasserfläche. Die beiden anderen Ghouls hatten die gleiche Stellung eingenommen. Auch sie wirkten konzentriert und warteten nur darauf, uns den Todesstoß versetzen zu können. Die geringen Ausmaße des Beckens waren günstig für sie. Wenn die Ghouls sich streckten, konnten sie uns jederzeit mit ihren Lanzen stechen. Jane Collins hatte sich die ganze Zeit über ruhig verhalten und mich die Verhandlungen führen lassen. Ich spürte ihren Arm an meiner Hüfte und merkte, wie sehr sie zitterte. Klar, Jane hatte Angst. Auch mir war es nicht besonders wohl in meiner Haut, nur, was sollte ich tun? Wen sollte ich zuerst angreifen? Grimes? Er hatte an und für sich den schwächsten Halt. Ein Sprungbrett war nicht gerade ein sicherer Stand. Wenn ich mich aus dem Wasser schnellte, konnte ich ihn vielleicht packen. »Ich hole mir Grimes!« flüsterte ich der Detektivin zu. »Gib nur acht!« »Sicher!« Grimes schien gerochen zu haben, was wir vorhatten, denn er zog sich zurück. Dabei streckte er beide Arme vor und schrie: »Los, tötet sie! Ich will sie tot sehen!« Und die Ghouls griffen an!
* Dreimal hatte Ezra Parker den unheimlichen Richter getroffen. Und
drei Kugeln steckten in seinem Körper. Parker sah wohl die Einschußlöcher, doch keine Wunde. Die schweren Geschosse hatten dem Dämon nichts anhaben können. Ebensowenig wie die Schrotladung den beiden anderen HorrorKnechten. Ihre Gewänder waren zum Teil zerfetzt, aber sie schritten mit dem Richter wie Roboter auf Parker zu. Die Lanzen hatten sie gekippt. Die Spitzen zeigten jetzt auf Parkers Körpermitte. Der unheimliche Richter wedelte mit der Schlinge, während sein irres Gelächter durch die Bibliothek schallte. Parkers Chancen lagen bei Null. Darüber war er sich klar. Er wußte, daß es keine Rettung mehr für ihn gab. Seine Knie begannen zu zittern, die Angst nagte in ihm wie ein Tier. Er hatte den Mund geöffnet, und ein heiseres Stöhnen drang über seine Lippen. Sie würden ihn töten! Das Gewehr rutschte ihm aus den Fingern. Er brauchte es nicht mehr. Wozu auch? Die Horror-Knechte blieben stehen. Sie hatten die Arme ausgestreckt, und die Spitzen der Lanzen berührten die Brust des Fabrikanten. Parker schielte auf die Waffen. Salzig rann ihm der Schweiß in die Augen. Sie begannen zu schmerzen, doch Parker spürte es nicht. Er dachte nur an seinen Tod. »Nimm die Leiter«! flüsterte der Richter. Wie durch Watte gedämpft, drang der Befehl an Parkers Ohren. Und er gehorchte. Parker bückte sich, hob die Leiter an und wußte, wohin er zu gehen hatte. Unter dem Kronleuchter blieb er stehen. Die beiden Knechte hatten sich gedreht und bedrohten ihn jetzt von beiden Seiten. »Klapp sie aus!«
Ezra Parker bückte sich. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, so sehr zitterte er. Seine Augen schwammen in Tränen. Er klappte die nach innen gebogenen Trittstufen herunter und merkte es kaum. Seine Gedanken beschäftigten sich bereits mit dem Tod. Danach mußte er zurücktreten. Die beiden Horror-Knechte bewachten ihn scharf. Unter ihren Schlapphüten pulsierte und flimmerte die grauweiße Masse. Maddox stieg zuerst die Stufen hoch und befestigte das Seil an dem Kronleuchter. Der unheimliche Richter sprang wieder zu Boden. Seine weißgrauen Haare sträubten sich in wilder Vorfreude, als er auf die Schlinge und Ezra Parker schaute. »Steig hinauf!« Parker atmete tief ein. Trotzdem erfaßte ihn ein Schwindel. Er hob das rechte Bein und ging die letzten Schritte in seinem Leben. Die Knechte und Maddox beobachteten ihn. Der Richter stieß ein zufriedenes Knurren aus. Ja, so hatte er es sich immer gewünscht. Auf der winzigen Leiterplattform blieb Ezra Parker stehen. Sein Blick war starr gegen die Wand gerichtet. Die Knechte hatten ihre Lanzen etwas angehoben, und die Spitzen deuteten schräg auf den Verurteilten. Der unheimliche Richter schritt die Leiterstufen hoch, faßte die Schlinge und legte sie Parker um den Hals. Dann stieg er wieder hinunter. Parker sagte kein Wort. Nur seine Beine drohten nachzugeben. Sie zitterten so sehr, daß er mit den Füßen auf der kleinen Plattform trommelte. »Und so wirst du hängen, bis du tot, tot, tot bist«, sprach der unheimliche Richter mit dumpfer Stimme das schon längst beschlossene Urteil. Sein rechter Arm fiel nach unten. Das Zeichen für die Knechte.
Gemeinsam traten sie die Leiter weg. Ein Ruck ging durch Ezra Parkers Gestalt. Im selben Augenblick flog die Tür auf!
* Wuchtig stieß der Ghoul mit seiner Lanze zu. Sie war auf meinen Kopf gezielt. Ich warf mich zur Seite, und schubste Jane aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. Sie tauchte unter. Die Lanze verfehlte uns beide. Aber da stieß bereits der andere Ghoul zu. Ich sah im Herumwerfen den Schatten ins Wasser tauchen, warf meine Arme vor und versuchte, den Schaft zu packen. Ich rutschte ab und tauchte sofort wieder auf. »Vorsicht, John!« schrie Jane Collins. Ihre Stimme brach sich an den kahlen Wänden des Schwimmbads. Der Ghoul mit den zwei verschiedenen Augen stieß seine Lanze vor. Plötzlich sah ich sie dicht vor meinem Gesicht. Für ein Ausweichen war es zu spät, da warf sich Jane Collins mit dem Mute der Verzweiflung nach vorn, drosch ihre Faust gegen den Lanzenschaft und brachte die Waffe aus der Flugrichtung. Um Haaresbreite wischte die gefährliche Spitze an meiner linken Schläfe vorbei. Jane Collins hatte mir in diesem Augenblick das Leben gerettet. Ich warf mich sofort herum. Bevor die Lanze auf den Grund sank, bekam ich sie zwischen die Finger. Jetzt war ich nicht mehr so wehrlos. Vor allen Dingen hatten wir den Rücken frei. Der waffenlose Ghoul heulte vor Wut. Ich knirschte grimmig mit den Zähnen. Die widerlichen Geschöpfe sollten mich kennenlernen. Jane Collins schwamm zurück. Sie näherte sich der Stirnseite des Beckens. Dort stand der entwaffnete Ghoul.
Ich aber hatte die drei anderen vor mir. Grimes hinzugerechnet, der seinen unsicheren Platz verlassen und sich mit dem Rücken an die Wand gedrückt hatte. Von seinem Standort aus schrie er haßerfüllte Befehle. Er trieb seine Vasallen an, doch ohne mich. Ich würde ihnen schon zeigen, wie der Hase lief. Zuerst einmal belauerten wir uns. Ich schaute mit Kopf und Schultern aus dem Wasser und hatte meinen Arm so erhoben, daß ich schräg von unten die Beutewaffe gegen die Ghouls schleudern konnte. Dabei befand ich mich in der schlechteren Position, denn ich mußte mich gegen zwei Ghouls wehren. Grimes griff vorerst nicht in den Kampf ein. Langsam wurde mir kalt. Längst hatte eine Gänsehaut meinen Körper überzogen, die Muskeln waren nicht mehr so geschmeidig wie sonst. Ich mußte den Kampf schnell beenden. Die Ghouls bewegten sich hin und her. Sie belauerten mich und suchten einen schwachen Punkt. Ich riskierte einen schnellen Blick zurück. Jane stand noch im Wasser, der andere Ghoul jedoch war bis an den Beckenrand getreten. Es war klar, daß er die Detektivin angreifen würde. Und wahrscheinlich kam auch noch Grimes hinzu, denn Jane Collins war das beste Druckmittel gegen mich. Auf einen langen Fight konnte ich mich nicht einlassen. Aber nutzte mir die Lanze überhaupt etwas? Konnte ich einen Ghoul damit töten? Es war mehr als fraglich. Wenn die Spitze aus geweihtem Silber gewesen wäre, dann bestimmt – aber so kaum. Da kam mir eine Idee, wie ich mein Kreuz wirkungsvoll einsetzen konnte. Ich mußte die Kette um die Lanzenspitze wickeln und damit zustoßen. Das würde kein Ghoul verkraften. Gedacht, getan. Blitzschnell streifte ich die Kette über den Kopf,
während ich von der rechten Seite wieder attackiert wurde. Ich warf mich zurück. Wasser sprühte über mein Gesicht und rann mir als feuchter Film in die Augen. Sofort stieß ich mich wieder hoch, hielt das Kreuz schon in der Hand, als ich den Schrei hörte. Jane! Ich kreiselte herum. Der Ghoul hatte sich vom Beckenrand fallen lassen und war auf die Detektivin gestürzt. Mit seinen eisenharten Fäusten drückte er sie unter Wasser. Jane wehrte sich verzweifelt, doch der Ghoul hatte sie so eingeklemmt, daß sie keinen ihrer Judogriffe einsetzen konnte. Blasen sprudelten aus ihrem Mund, und ich sah, daß ihre Bewegungen schwächer wurden. Keine Sekunde durfte ich verlieren. Wie ein Torpedo arbeitete ich mich durch das Wasser. Hoch spritzte es auf, der Ghoul wurde aufmerksam, drehte sich um, und ich schaute in sein verzerrtes Gesicht. Mein rechter Arm schnellte aus dem Wasser. Hoch hielt ich das Kreuz, bannte damit den Ghoul, und im nächsten Augenblick warf ich mich auf ihn. Dabei drückte ich das Kreuz gegen seinen Körper. Sein mörderischer Schrei hallte von den kahlen Wänden der kleinen Schwimmhalle wider. Der Ghoul zuckte, als stünde er unter Strom. Das geweihte Kreuz hatte ein regelrechtes Loch in seinen Körper gebrannt. Er verlor den Boden unter den Füßen und tauchte unter. Sofort begann die Auflösung. Schlierenartig vermischte sich das Zeug mit dem Wasser. Ich kümmerte mich um Jane und riß sie hoch. Sie trieb dicht unter der Oberfläche. Die Detektivin war so schwach, daß sie kaum stehen konnte. Der Ghoul hatte ihr sehr stark zugesetzt.
Ich drehte mich, damit ich die beiden anderen Wesen im Auge behalten konnte, hob Jane Collins hoch und setzte sie auf den Beckenrand. »Paß auf!« keuchte sie und spie Wasser aus. Ich nickte und wandte mich wieder den Ghouls zu. Diesmal wollte ich den Kampf nicht vom Wasser aus führen, sondern auf dem Trockenen. So rasch es ging, lief ich um das Becken herum. Dabei wickelte ich die Kette um die Lanzenspitze, prüfte durch einen Zug, daß sie auch gut hielt, und nickte zufrieden. Von Grimes sah ich nichts mehr. Dieser Feigling hatte es vorgezogen, zu verschwinden oder sich zu verstecken. Er würde erst wieder auftauchen, wenn seine beiden Vasallen mich erledigt hatten. Dazu wollte ich es nicht kommen lassen. Auch die Ghouls liefen. Sie hatten die Wirkung des Kreuzes erlebt und keine Lust, mit dem geweihten Gegenstand Bekanntschaft zu machen. Wie es aussah, wollten sie das kleine Schwimmbad verlassen. Der erste riß bereits die Kunststofftür auf, als ich mich noch in die Höhe des Sprungbretts befand. Der zweite Ghoul befand sich einige Schritte hinter dem ersten. Er hielt die Lanze in der Hand, drehte den Kopf, und als er sah, wie dicht ich ihm bereits auf den Fersen war, zeichnete Erschrecken sein schwammiges Gesicht. Aber auch Haß. Urplötzlich blieb er stehen und hob den rechten Arm, um seine Waffe auf mich zu schleudern. Ich sprang aus vollem Lauf nach rechts, prallte gegen die Wand und prellte mir die Schulter. Da schleuderte der Ghoul die Lanze. Er hatte die Wurfrichtung im letzten Moment korrigiert, um mich an die Wand nageln zu können. Ich ließ mich fallen. Das Zischen war zu hören, als die Lanze über meinen Kopf hin-
weg fuhr, gegen die gekachelte Wand prallte und von dem Rückstoß bis ins Becken geschleudert wurde. Der Ghoul stand für eine Sekunde starr. Er hatte fest mit einem Treffer gerechnet und erlebte jetzt diese Überraschung. Dann war ich an der Reihe. Im Aufspringen holte ich aus, schleuderte die Lanze wuchtig aus dem Armgelenk. Ich traf besser. Die Spitze mit dem geweihten Silberkreuz traf den Ghoul in der Körpermitte. Es war ein ungeheuer wuchtiger Aufprall, der das Horrorwesen über den Boden schleuderte und bis an die Querwand trieb, wo es gestoppt wurde. Kein Schrei drang aus dem Rachen, nur ein dumpfes Röcheln. Ich rannte auf den Ghoul zu. Er löste sich bereits auf. Die mir schon so bekannte schleimige Flüssigkeit rann über den Boden, lief die kleine Treppe hinunter, die in das Becken führte. Jane Collins saß am Rand und hatte beide Hände gegen den Mund gepreßt. Ich nahm die Lanze und das Kreuz auf. Dann nickte ich ihr zu. »Komm, Jane, es läuft noch einer frei herum.« Sie nickte. Als erster betrat ich die Duschräume. Vorsichtig bewegte ich mich weiter und hatte plötzlich Angst. Ich spürte das drückende Gefühl in der Magengegend und dachte an den Masseur. Obwohl er äußerst kräftig war, konnten die Ghouls ihn überrascht haben. Rechts lagen die Duschräume. Ihnen gegenüber befanden sich die Schwitzkabinen. Die erste Tür lag in meiner Reichweite. Ich drückte sie auf und blieb wie festgeleimt stehen. Der Masseur lag auf einer Bank. Sein rechter Arm war herabgerutscht und berührte den Boden.
Der Mann war tot. Ein Ghoul hatte sich an ihm zu schaffen gemacht!
* Der unheimliche Richter und seine beiden Knechte wirbelten auf der Stelle herum. Sie waren ebenso überrascht wie der junge Mann in der Tür. Es war Harold Parker! Er brauchte Sekunden, um zu begreifen. Harold sah die drei Monster, er sah seinen Vater, der soeben sein Leben aushauchte, und die Bilder verschwammen plötzlich vor seinen Augen. Schmerzhaft stöhnte er auf. Sein Gesicht verzerrte sich. Er riß den Mund zu einem gellenden Schrei auf und wankte zurück. Das war für die drei Horrorwesen aus einer anderen Dimension das Startsignal. Maddox schrie: »Killt ihn!« Die Knechte schleuderten ihre Lanzen. Als hätte der letzte Befehl des Richters Harolds Lebenswillen mobilisiert, so reagierte er genau richtig. Er floh zwar, aber im Weglaufen schlug er die Tür zu. Sie knallte ins Schloß, und noch in derselben Sekunde sägten die beiden Lanzen in das dicke Holz. Zum Glück war die Tür so stabil gebaut, daß die Waffen stecken blieben. Maddox fluchte. »Hinterher!« trieb er die Gestalten an. »Laßt ihn nicht entkommen.« Die Knechte rannten sofort los, rissen ihre Waffen aus der Tür und sprinteten in die Empfangshalle. Der junge Parker hatte einige Sekunden gewonnen und einen kleinen Vorsprung herausgearbeitet. Dann allerdings beging er einen
Fehler. Harold lief nicht auf die Ausgangstür zu, sondern rannte über die Treppe nach oben zu seinem Zimmer. Dort lag in der Schublade eine Luger-Pistole. Von der nackten Furcht gepeitscht, jagte Harold Parker die Stufen hoch. Er nahm zwei auf einmal, sein Mund stand offen, der Atem ging keuchend. Nur weg von hier. Die rechte Hand hatte er auf das Geländer gelegt und die Finger darum gekrallt. Ein Sprung noch – er hatte es geschafft. Parker hatte noch die Nerven, sich am Ende der Treppe umzudrehen. Die beiden finsteren Gestalten in den langen Umhängen hatten bereits die ersten Stufen erreicht. Sie hielten wieder ihre Lanzen in den Fäusten. Harold jagte weiter. Mit Riesenschritten durchquerte er den Gang, passierte mehrere Türen, lief unter einem Deckenbogen hindurch und warf sich mit der Schulter gegen seine Zimmertür, wobei er mit der linken Hand die Klinke niederdrückte. Harold stolperte über die Schwelle, rammte die Tür wieder zu und drehte zweimal den von innen steckenden Schlüssel nach rechts. Jetzt war abgeschlossen. Er hastete zu der alten Kommode, die neben seinem Bett stand, und riß die oberste Schublade auf. Geölt und geladen lag dort die Luger. Harold nahm sie auf. Dann drehte er sich herum. Auf dem Gang hörte er die Schritte seiner Verfolger. Sie wurden lauter, näherten sich. Türen schlugen. Jetzt schauten sie in den übrigen Zimmern nach. Harold wischte sich über die Stirn. Sein Herz hämmerte zum Zerspringen. Wieder sah er die Szene in der Bibliothek vor sich, und er glaubte, durchzudrehen.
Sein Vater war tot. Drei Bestien hatten ihn eiskalt umgebracht. Der junge Parker war fest entschlossen, zu schießen. Er wollte diesen Mördern keinen Pardon geben. Harold zog den Schlitten der Waffe zurück. Dann richtete er die Mündung auf die Tür. Zitternd wartete er ab. Plötzlich bewegte sich die Klinke, sie fiel nach unten, und da merkten die Verfolger, daß abgeschlossen war. »Kommt nur, kommt nur her«, flüsterte Harold Parker heiser. »Ich werde euch mit Blei …« Etwas donnerte gegen die Tür. Wuchtig hatten sich die Höllenknechte dagegen geworfen. Noch hielt die Tür, doch sie zitterte, als würde ein Erdbeben das Haus erschüttern. Harolds Zeigefinger umfaßte den Abzug. Langsam zog er ihn zurück. Bis zum Druckpunkt. Noch wartete er. Seine Nerven vibrierten. Doch er war sicher, daß die Kugeln die beiden Wesen stoppen würden. Leider hatte er in der Eile und Aufregung nicht gesehen, daß auf die Gestalten schon geschossen worden war und sie dennoch lebten. Wieder wuchteten die beiden Körper gegen die Tür. Und dann nahmen sie die Lanzen zu Hilfe. Erst dröhnte das Holz nur, dann splitterten einzelne Stücke ab, und plötzlich sah Harold Parker eine Lanzenspitze durch den Spalt ragen. Er wollte schon schießen, doch im letzten Moment riß er sich zusammen. Wieder schlugen die beiden Horrorwesen zu. Und plötzlich riß das Holz auf. Ein schwerer Tritt fegte gegen die Tür, und der reichte. Wuchtig flog das ganze Ding aus dem Rahmen. Das Türblatt prallte zu Boden, und die beiden Höllenknechte fielen hinterher.
Einer konnte sich fangen, während der andere auf der Schulter landete. Harold Parker wich zurück. Die Luger zitterte in seiner Hand. Er hatte sich alles so einfach vorgestellt, doch jetzt konnte er kaum den Finger heben. Dann dachte er an seinen Vater. Harold drückte ab. Peitschend entlud sich die Waffe. Das Geschoß raste aus dem Lauf und fuhr der einen Monstergestalt mitten in die Brust. Der Höllenknecht hatte sich auf den jungen Mann stürzen wollen, doch die Wucht des Einschlages stoppte ihn. Er krachte zu Boden. Sofort richtete Harold Parker die Mündung der Luger auf die zweite Gestalt, die sich soeben vom Boden hochraffte. Diesmal drückte er zweimal ab und traf auch. Das Monster war davon nicht zu beeindrucken. Es schluckte die Kugeln wie der erste Gesichtslose. Harold Parker begriff nicht. Doch als er es faßte, raubte ihm dieses Wissen fast den Verstand. »Nein!« brüllte er auf. »Nein und nein!« Er hielt sich den Kopf. Die beiden Höllenknechte erhoben sich wie zwei Marionetten. Sie hatten nur ein Ziel. Harold Parker! Schauriges Gelächter brandete auf und begleitete ihren Weg. Im Türrahmen stand der unheimliche Richter. Er hatte den Mund weit geöffnet, die Zähne waren grausam gefletscht, und sein Haar sträubte sich wie die Stacheln eines Igels. Der erste Gesichtslose packte zu. Sie wollten ihn nicht sofort durch einen Lanzenstich töten, sondern erst einmal quälen. Das wurde Harold klar, als er die kalte Hand auf seiner Schulter spürte. Die Haut war dünn wie Papier. Er reagierte automatisch, warf sich nach hinten. Der Griff löste sich, und Harold fiel aufs Bett.
Sich überschlagend gelangte er wieder auf die Füße und sah nur zwei Schritte weiter das Fenster. Die Rettung. Er hechtete auf das Fenster zu und streckte sich. Die Finger fanden den Griff, drehten ihn herum. Ein Ruck, und das Fenster war offen. Kalte Luft strömte in das Zimmer. Nie hätte Harold gedacht, daß er so schnell sein konnte. Er wußte nicht, wie er auf die Fensterbank gelangt war, und als einer der Höllenknechte nach ihm griff, da schnellte sein Bein vor. Er traf das Monster im Gesicht, so daß es zurückflog. Aber der andere Höllenknecht schleuderte die Lanze. Sie hätte den jungen Mann auch durchbohrt, doch Harold hatte Glück im Unglück. Die Lanze traf den mittleren Fensterrahmen, der die Scheibe in zwei Hälften teilte. Und dieser Rahmen bestand aus bestem Stahl mit einer Kunststoffschicht darüber. Die Lanze prallte ab. Das gab Harold eine Galgenfrist. Er drehte sich auf der schmalen Bank, um zu springen, als er den roten Spitfire sah. Der Wagen stoppte vor dem Haus, die Tür schwang auf, und Maud Parker stieg aus dem Fahrzeug …
* Hastig zog ich die Tür zu. Meine Gesichtsfarbe mußte eine grüne Tönung angenommen haben, denn Jane Collins schaute mich starr an. »Ist er tot?« hauchte sie. »Ja.« »Der Ghoul?« Ich nickte. »Mein Gott.« Jane Collins schluchzte auf.
»Er ist noch da«, sagte ich. »Der hat sich hier irgendwo versteckt. Wir müssen ihn finden, Jane, bevor er noch weiteres Unheil anrichten kann.« »Und Grimes?« fragte sie. »Ich weiß es nicht.« Ich atmete tief ein und wandte mich den Duschräumen zu. Wenn der noch übriggebliebene Ghoul oder Grimes sich versteckt hatten, dann meiner Ansicht nach nur dort. Jetzt wäre ich froh gewesen, meine Beretta bei mir zu haben, doch die lag zu Hause. Nackt, wie Gott mich erschaffen hatte, schlich ich vor. Jane hielt sich dicht hinter mir. Ich vernahm ihren schweren Atem. Auch sie hatte Angst, ein ganz natürliches Gefühl, nach dem, was wir erlebt hatten. Vor den Duschräumen blieb ich stehen. Jane hatte mir die Lanze abgenommen, mein Kreuz hielt ich jetzt in der rechten Hand. Ich legte den Finger auf die Lippen. Jane verstand das Zeichen und nickte. Wir lauschten. Rechts ging es zum Eiskeller. Dort hatte sich der Ghoul sicherlich nicht versteckt, denn er endete in einer Sackgasse. Von uns aus links lagen die einzelnen Duschräume. Es gab nur Einzelduschen, modern ausgestattet mit drei Düsen, so daß man auch von den Seiten angestrahlt wurde. Die Duschen hatten Türen. Ich schaute den Gang hinunter. Jede Tür war geschlossen. Oder? Eine fiel mir auf. Die zweitletzte in der Reihe. Wenn mich nicht alles täuschte, stand sie einen Spaltbreit offen. Sollte sich der Ghoul dort verkrochen und in der Eile vergessen haben, die Tür zu schließen?
»Bleib du zurück!« wies ich Jane flüsternd an. Sie sagte nichts. Ihr Gesicht wirkte konzentriert, denn auch sie wußte, um was es ging. Auf Zehenspitzen – und diesmal im wahrsten Sinne des Wortes – schritt ich über die Fliesen weiter. Trotzdem konnten wir ein Schrittgeräusch nicht vermeiden. Der Ghoul konnte uns hören. Und er hörte uns! Plötzlich wurde die Tür, die schon offen gewesen war, vollständig aufgestoßen. So hart, daß sie gegen die danebenliegende Tür knallte und wieder zurückgeworfen wurde. Da war der Ghoul schon draußen. Er rannte in die entgegengesetzte Richtung, aber das war eine Falle. Der Gang endete vor einer Mauer. Der Ghoul klatschte förmlich dagegen, weil er nicht rechtzeitig abstoppen konnte. Jane hielt es nicht mehr aus. Sie drängte sich an mir vorbei, riß die Lanze hoch und wollte sich auf den jetzt unbewaffneten Ghoul schleudern. »Nein!« schrie ich. Die Detektivin hörte nicht. Mit einem harten Griff entwand ich ihr die Waffe. Jane Collins fiel gegen die Gangwand und schaute mich aus großen Augen an. »Was ist mit dir?« »John, ich …« Sie begann plötzlich zu weinen und sackte an der Wand zusammen. Ich aber ging auf den Ghoul zu. Den rechten Arm ausgestreckt, und in der Hand hielt ich das Kreuz. Die Waffe, die dieser Dämon am meisten fürchtete. Wie ein Häufchen Elend hockte er vor der Wand. Nichts war mehr von seiner Gefährlichkeit zu merken. Kein Unbedarfter hätte wohl je
geglaubt, hier eines der grausamsten Wesen der Finsternis vor sich zu haben. Er trug Lumpen. Fetzen aus alten Kleiderresten. Die Arme hatte er erhoben und den Kopf darin vergraben. Einen Schritt vor ihm blieb ich stehen. Die Wolke erreichte meine Nase. Automatisch atmete ich nur ganz flach. »Wo steckt Grimes?« fragte ich. Er schwieg. Ich bückte mich, packte mit der freien Hand zu und riß ihm die Arme vom Gesicht weg. Er jaulte auf. Dieser Ghoul hatte eine widerliche Physiognomie, eine regelrechte Fratze. Eine durchsichtige Haut, unter der es pulsierte und floß. Kleine rote Adern durchzogen das Gewebe. Als der Ghoul sein Maul öffnete, sah ich die kräftigen Zähne. »Wo ist Grimes?« wiederholte ich meine Frage. »Ich weiß es nicht.« Dem Ghoul glaubte ich nicht. Deshalb verschärfte ich meine »Verhörmethoden« und hielt das Kreuz dicht vor sein Gesicht. Schaurig brüllte er auf. Er sackte noch mehr zusammen, wollte sein Gesicht schützen, doch ich schlug ihm die Arme zur Seite. Meine Finger berührten dabei die teigig weiche Masse, und ich fuhr angeekelt zurück. Er schien wirklich nicht zu wissen, wo Grimes steckte, denn dann hätte er geredet. Ihm war klar, welch ein Schicksal ihn erwartete, und dem wollte er entgehen. Der Ghoul griff mich an. Er dachte wohl, daß mich die Fragen abgelenkt hätten, wollte es jetzt versuchen. Beide Fäuste klatschten gegen meine Oberschenkel. Ich fiel zurück, stützte mich zwar mit der rechten Hand ab, doch der Ghoul huschte an mir vorbei.
Jane Collins reagierte sofort. Blitzschnell versperrte sie dem Dämon den weiteren Weg und rammte die Lanze vor. Sie traf. Der Ghoul begann plötzlich zu wanken. Obwohl ihn die Waffe nicht tötete, behinderte sie ihn doch sehr in seiner Standfestigkeit. Und dann war ich mit dem Kreuz da. Eine leichte Berührung reichte aus, um den Ghoul in ein schleimiges Wesen zu verwandeln, dessen Überreste langsam im Abfluß versickerten. Drei Ghouls hatten wir erledigt. Doch einer fehlte noch. Grimes! Wieder war er mir entwischt. Allmählich wurde der Kerl zu einem Trauma für mich. »Wir sollten die Sauna durchsuchen«, schlug Jane Collins vor. Ich war einverstanden. »Doch zuvor ziehen wir uns erst einmal an. Nackt ist zwar bei manchen Leuten ›in‹, aber so ganz wohl fühle ich mich ohne Kleidung nicht.« Jane schloß sich meiner Meinung an. Zwei Minuten später waren wir angezogen. Ich kämmte mich, dann begann ich mit der Suche nach einem Telefon. Ich fand es im Büro des Masseurs, wo er die Saunakarten verkauft hatte. Jane stand neben mir. Ich wollte vermeiden, daß sie den Masseur sah. Ich rief die Mordkommission an. Diese Anrufe gehören zu den Dingen, die ich nur ungern mache. Leider wurde ich zu oft dazu gezwungen. Jane schaute betreten zu Boden. Mit der linken Hand streichelte ich ihre Wange und versuchte ein Lächeln. So ganz gelang es mir nicht. Wir hatten uns auf einen Saunabesuch gefreut, und dann waren diese Monster aufgetaucht. Die Mächte der Finsternis, denen wir den Kampf angesagt hatten, ließen uns kaum Zeit für ein Privatleben. Ich wollte dem Leiter der Mordkommission erklären, was vorgefallen war, doch er unterbrach mich. »Gut, daß Sie anrufen, Mr. Sinclair. Es ist ein Rundspruch vom
Yard ergangen. Sie werden dringend gesucht.« »Wieso?« »Sie sollen sofort Ihren Chef, Superintendent Powell, anrufen. Was genau vorgefallen ist, weiß ich nicht.« »Okay, danke!« »Was ist los?« fragte Jane. Ich erklärte es ihr. »Himmel, gönnt man dir denn niemals Ruhe?« »Anscheinend nicht«, erwiderte ich und wählte schon Sir James Powells Nummer. Er schien neben dem Apparat gelauert zu haben, denn bereits nach dem ersten Läuten hob er ab. Ich melde mich. »Endlich!« stöhnte Powell auf. »Sagen Sie mal, haben Sie es nicht nötig, sich abzumelden?« »Entschuldigen Sie, Sir, wir hätten ja die Büros tauschen können.« »Sagen Sie wenigstens Bescheid, wohin Sie fahren.« »Ich wollte nachdenken.« Er lachte blechern. »Und hier ist inzwischen die Hölle los. Wir brauchen Sie dringend. Ein gewisser Ezra Parker ist entführt worden. Nach den Aussagen seines Chauffeurs von Monstern. Während so etwas geschieht, machen Sie sich einen schönen Tag.« »Erstens bin ich kein Hellseher, und zweitens habe ich mir keinen schönen Tag gemacht«, konterte ich. »Ich habe drei Ghouls erledigt und bin wieder auf Grimes gestoßen.« Schweigen. Der Superintendent war baff. »Sie sind nicht betrunken?« fragte Powell vorsichtig. »Ich war noch nie so nüchtern.« »Aber Grimes ist tot.« »Das dachte ich auch. Doch man hat uns geleimt. Sein Auftauchen war eine Finte. Man hat einen Doppelgänger von ihm in mein Büro geschickt. Das war der ganze Trick, und ich bin darauf reingefallen,
obwohl mir die Sache gleich komisch vorkam.« »Und jetzt?« frage Powell. »Werde ich Grimes wohl suchen müssen.« »Er ist Ihnen also wieder entkommen?« »Ja.« Powell schnaufte. Er sagte nichts, und das war gut so, sonst wäre ich an die Decke gegangen. Dann meinte er etwas versöhnlicher: »Kommen Sie trotzdem so rasch wie möglich zum Yard. Dieser Chauffeur will mit Ihnen reden.« »Okay, ich beeile mich.« Jane Collins schaute mich an. »War der Alte sauer?« »Und wie.« »Was ist geschehen?« Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung. Auf jeden Fall muß ich so rasch wie möglich ins Büro.« »Soll ich mitfahren?« »Nein, nicht nötig. Fahr du nach Hause.« Jane war zwar nicht sofort einverstanden, doch nach einigen Überredungskünsten gab sie sich geschlagen. Sie fuhr schon ab, während ich noch das Eintreffen der Mordkommission abwarten wollte. Die Beamten erschienen zwei Minuten später. Chef der Mannschaft war ein gewisser Oberinspektor Brabham. Ich kannte ihn zwar dem Namen nach, sah ihn aber zum ersten Mal. Er wußte über meinen Job Bescheid. »Wo Sie auftauchen, gibt es meist Dinge, die …« Er wußte nicht mehr so recht weiter, und ich sagte: »Die mit Geistern und Dämonen zu tun haben.« »Ja.« »Das stimmt.« Ich führte ihn zur Seite und erklärte, was vorgefallen war. Er atmete scharf ein. »Das ist tatsächlich wahr?«
»Ja.« Er informierte seine Leute. In einem Zinksarg wurde der tote Masseur abtransportiert. Ich konnte mich nicht länger aufhalten. Wenn Fragen auftauchten, wußte Brabham, wo er mich erreichen konnte. Mein Bentley stand vor dem Haus. Jetzt sah ich auch, weshalb wir nicht von anderen Besuchern gestört worden waren. Grimes hatte einfach das Schild ›Heute geschlossen‹ vor die Eingangstür gehängt, so daß er und seine Vasallen ungestört blieben. Dumm war dieser Ghoul nicht. Aber irgendwann würde ich ihn packen, das schwor ich mir … Maud Parker hatte sich bereits zwei Schritte von ihrem Wagen entfernt, als sie der Ruf erreichte. Überrascht blieb sie stehen und schaute zum Fenster hoch. Im ersten Augenblick glaubte sie, einer Täuschung zu erliegen. Der Mann auf dem Fensterbrett war in der Tat ihr Bruder. »Harold!« rief sie. Mit der linken Hand hielt Harold sich am Fensterkreuz fest. Mit der rechten winkte er ihr zu. »Weg!« schrie er. »Lauf weg, Maud. Hol die Polizei, sie …« Er verstummte, weil hinter ihm plötzlich jemand auftauchte und versuchte, ihn in das Zimmer zu zerren. Maud Parker blieb steif stehen und beobachtete nur. Sie war unfähig zu reagieren. Das Girl mit den braunen Haaren und dem schick geschnittenen Hosenanzug konnte sich nicht vorstellen, daß sich sein Bruder in Lebensgefahr befand. Harold kämpfte verzweifelt. Seine Hand rutschte vom Fensterkreuz ab, obwohl er sich hart gegen den Griff des Gesichtslosen stemmte. Dann griff der zweite Höllenknecht ein. Und er packte Harolds rechte Schulter. Parker war den beiden ausgeliefert. Hart rissen sie ihn von der
Fensterbank. Mit dem Hinterkopf zuerst schlug Harold auf den Boden. Der Teppich dämpfte zwar den Aufprall, doch für einen Moment blitzten Sterne auf. Als er wieder richtig reagieren konnte, war es bereits zu spät. Beide Monster hielten ihn gepackt. Ein Gesichtsloser hockte auf seinen Beinen, der andere drückte seine Schultern gegen den Boden. Der Kerl auf seinen Beinen hielt außerdem noch die Lanze fest, deren Spitze auf das Kinn des jungen Mannes wies. Plötzlich lag Harold Parker still. Sein Atem ging keuchend, die Brust hob und senkte sich. Er vernahm Schritte. Der Richter. Neben Harold blieb er stehen und schaute dem jungen Mann ins Gesicht. »Du hattest gedacht, dem Richter zu entkommen, aber das war ein Trugschluß. Mir entkommt niemand. Ich habe bisher jeden gekriegt. Jeden! Verstehst du?« Harold Parker gab keine Antwort. Er hatte auch nicht richtig hingehört, was der andere sagte. Er dachte nur an seine Schwester. Hoffentlich reagierte sie richtig und fuhr weg. Aber er hatte den Motor des Spitfires noch nicht aufheulen hören. Sie war demnach noch unten. Allerdings war der Richter nicht auf das Mädchen eingegangen. Vielleicht hatte er gar nicht bemerkt, daß Maud angekommen war. Und die beiden Gesichtslosen hatten ihm auch nichts gesagt. Harold betete stumm. Der unheimliche Richter sprach weiter. Er kam sich dabei vor wie in einem Gerichtssaal und sprach mit ähnlich dumpfer Stimme, wie er es auch tat, wenn er die Dämonen verurteilte. »Ich werde dich hängen wie deinen Vater, Harold Parker. Denn die Sippe der Parkers soll und muß ausgerottet werden. Nichts wird mehr an euch erinnern. Lange genug habe ich auf meine Rache gewartet. Jetzt ist
der Zeitpunkt endlich da.« Harold schwieg. Statt dessen schielte er auf seine Pistole, die er hatte fallen lassen müssen. Sie lag neben dem Fenster, für ihn unerreichbar. Doch genutzt hätte sie ihm auch nichts. Die anderen waren stärker. Sir James Maddox gab seinen beiden Knechten einen Wink. Die Gesichtslosen erhoben sich, der Druck auf den Körper des jungen Mannes verschwand. »Steh auf«, befahl er Parker, »damit wir endlich zur Hinrichtung schreiten können.« Harold wälzte sich auf die Seite und stemmte sich hoch. Es war nicht einfach, denn seine Knie zitterten zu sehr. Die Beine schienen unter seinem Körper wegrutschen zu wollen, so schwach fühlte er sich. Am Bettpfosten stützte sich Harold ab. Seine Stirn glänzte schweißnaß. Er sah die zerbrochene Tür, doch dieser Fluchtweg war ihm versperrt. Die beiden Gesichtslosen standen davor. Ihre Lanzen hielten sie über Kreuz gegeneinander. Harold Parker erhielt einen Stoß in den Rücken, der ihn nach vorn trieb. »Geh schon!« befahl der Richter. »Ich will hier nicht für alle Zeiten bleiben. Mein Platz ist woanders.« Parker taumelte auf die beiden Gesichtslosen zu. Sie traten zur Seite, drehten sich sofort und blieben dicht hinter Harold Parker, als er über den Gang taumelte. Von schreiten oder gehen konnte keine Rede sein. Er war einfach zu schwach. Sie erreichten die Treppe. Im Bogen führte sie nach unten, und trotz seiner verhängnisvollen Situation sah Parker, daß die Haustür nicht ganz ins Schloß gefallen war. Maud war im Haus!
Dieser Gedanke durchzuckte wie ein Blitzstrahl sein Gehirn. In seinem Herzen gab es einen schmerzhaften Stich. Plötzlich schwankten die Stufen vor seinen Augen. Unsicher tastete er nach dem Geländer, fand den Handlauf und stützte sich ab. Die Gesichtslosen drückten ihm die Lanzenspitzen in den Rücken. Ein Zeichen, daß er gehen mußte. Harold schritt vor. Wie ein Schlafwandler nahm er die ersten Stufen. Sein Blick war auf die Empfangsdiele fixiert. Er suchte seine Schwester, sah sie aber nicht. Hatte sie sich irgendwo versteckt? Links der Treppe befand sich die Tür zur Bibliothek. Wenn Maud dort hineingegangen war, erlitt sie den Schock ihres Lebens. »Geh weiter!« forderte ihn der unheimliche Richter auf. »Du sollst dort sterben, wo auch dein Vater umgekommen ist.« Das waren harte Worte. Aber die Androhung seines Todes schockte ihn nicht so sehr wie das Wissen um seine Schwester. Wenn sie in die Hände der Monster fiel – nicht auszudenken, was dann geschah. Die erste Hälfte der Treppe hatte Harold hinter sich gelassen. Wie oft in seinem Leben war er diese Stufen bereits hinuntergelaufen, und nun brachten sie ihn seinem Ende näher. Da wurde die Tür zur Bibliothek aufgestoßen. Allerdings von innen. In Harolds Gehirn schrillten die Alarmglocken. Maud Parker war also in dem Raum gewesen. Und schon wankte sie über die Schwelle, kreidebleich in dem vor Entsetzen verzerrten Gesicht. Sie sah ihren Bruder, und ein gellender Schrei drang über ihre Lippen …
* Ich fuhr so schnell, wie es der Verkehr zuließ. Powells Anruf hatte
mich aufgeschreckt. Während Jane und ich mit den Ghouls kämpften, mußte woanders etwas Grauenhaftes passiert sein. Manchmal war es zum Verzweifeln. Dann hätte ich gern zehn Hände oder Arme gehabt, um überall eingreifen zu können, wo es lichterloh brannte. Ein paarmal überholte ich riskant. In der Victoria Street staute sich der Verkehr. Lange warten konnte ich nicht und fuhr kurzerhand durch eine Fußgängerzone. Zwei Bobbys hielten mich an. Mein Ausweis verschaffte mir Platz. Ich atmete erst auf, als ich den Bentley auf dem Hof des Yard Building abstellte. Einen freien Lift fand ich zum Glück vor, der mich nach oben schoß. Unter meiner linken Achsel verspürte ich wieder den vertrauten Druck der mit Silberkugeln geladenen Beretta. Im Laufschritt stürmte ich über den langen Flur. Glenda erschrak, als ich meine Bürotür aufriß. »John, der Chef wartet bereits.« »In seinem Zimmer?« »Ja.« Sie hatte das Wort kaum ausgesprochen, da befand ich mich schon auf dem Weg. Powell gegenüber saß ein bulliger Mann, der allerdings einen ziemlich aufgelösten Eindruck machte. Ein Pflaster zierte seine breite Stirn. Er wußte nicht, wohin mit den Händen, und er knetete sie, als wären sie aus Teig. »Das ist John Sinclair!« stellte mich Sir James Powell vor. Ich nahm mir einen Stuhl, reichte dem Mann die Hand, erfuhr, daß er Al Morton hieß und als Chauffeur bei einem gewissen Ezra Parker angestellt war. Powell sagte: »Es wird Sie interessieren, was Mr. Morton zu berichten hat.«
Ich nickte dem Mann aufmunternd zu. Er rückte mit seiner Geschichte heraus und berichtete davon, wie er überwältigt worden war und in einem Kellerschacht wieder zu sich kam. »Dann sah ich die drei Gestalten«, erzählte er mit leiser Stimme weiter. »Es waren grausame Geschöpfe. Zwei von ihnen hatten keine Gesichter. Einer jedoch trug in der Hand eine Schlinge. Sie war fertig geknüpft, so wie man es immer in den Western sieht. Die drei zwangen meinen Chef, in den Mercedes zu steigen, und sind dann mit ihm abgefahren.« »Können Sie sich denken, wohin?« wollte ich wissen. »Nein.« »Wie sah die Gestalt aus, die den Strick trug?« »Schlimm.« Er hob die Schultern. »So genau habe ich sie nicht gesehen, meist nur von hinten. Ich sah aber das grauweiße, zottelige lange Haar.« »Hat diese Gestalt etwas gesagt?« forschte ich nach. »Ja und nein.« Ich schaute ihn scharf an. »Können Sie etwas deutlicher werden, Mr. Morton. Es ist sehr wichtig.« »Sie haben sich wohl mal unterhalten.« »Dann haben Sie doch sicherlich etwas verstanden?« Al Morton schwieg. Mit der linken Hand wischte er sich über das Gesicht. »Es ist alles so schwierig, Sir, ehrlich. Außerdem schmerzte mir mein Kopf.« Powell mischte sich ein. »Sie können sich mit dem Überlegen ruhig Zeit lassen, Mr. Morton.« »Danke, Sir, doch ich kann mich wirklich kaum erinnern.« Ich hakte nach. »Was heißt kaum?« Er hob die breiten Schultern. »Nun, ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, doch einmal glaubte ich das Wort Richter verstanden zu haben.« Meine Augen wurden schmal. »Sagten Sie Richter?«
»Ja, Sir.« Das war ein Ding. Hatte mir der Ghoul nicht von dem geheimnisvollen Richter erzählt, der ihn schon aburteilen wollte, es sich aber dann anders überlegt hatte? Durch welchen Umstand auch immer. »Haben Sie was, John?« fragte Powell. Ihm war meine Veränderung nicht entgangen. »Das erzähle ich Ihnen später«, erwiderte ich und wandte mich an den Zeugen. »Mehr haben Sie nicht verstanden?« »Nein.« »Können Sie sich wirklich nicht denken, wo man Ihren Chef hingeschleppt hat?« »Vielleicht in ein Versteck. Mr. Parker ist ein reicher Mann. Wenn die Entführer Lösegeld haben wollen …« Ich winkte ab. »Diese Theorie können wir getrost abhaken, Mr. Morton.« »Oder in sein Privathaus«, sagte er plötzlich. Powell und ich schauten uns an. »Der Gedanke ist gar nicht so schlecht«, murmelte ich, und Powell schob mir bereits einen seiner drei Telefonapparate in die Reichweite. Ich fragte Morton: »Wissen Sie die Nummer auswendig?« Er sagte sie mir, und ich wählte … Es läutete ein paarmal durch, doch im Haus hob niemand ab. »Keiner da?« fragte der Superintendent. Ich hob die Schultern. »Es meldet sich zumindest niemand. Was nicht heißt, daß keiner zu Hause ist.« »Sie wollen hinfahren?« »Natürlich.« »Kann ich jetzt gehen?« fragte der Chauffeur. Powell gab seine Einwilligung. »Bis der Fall ausgestanden ist, nehmen wir Sie in Schutzhaft. Haben Sie Familie?« »Nein, Sir.« »Das ist gut.« Der Superintendent sorgte dafür, daß Al Morton ab-
geholt wurde. Ich blieb noch da. »Sie haben bereits von diesem seltsamen Richter gehört?« fragte mich mein Chef. »So ist es.« Ich berichtete ihm, was mir Grimes, der Ghoul, mitgeteilt hatte. Sehr aufmerksam hörte Powell zu. »Das ist allerhand«, meinte er. »Dann gibt es in den Dämonenreichen ähnliche Gesetze wie bei uns?« Ich nickte. »Versager werden sogar abgeurteilt, bevor sie in das Reich des Spuks eingehen.« »Aus welchem Grunde ist dieser Dämonenrichter in unsere Welt eingedrungen?« Ich hob die Schultern. »Wahrscheinlich paßte es ihm nicht, daß Grimes doch noch freigekommen ist.« »Das kann sein. Nur was hat die Familie Parker mit ihm zu tun? Warum hat er Ezra Parker entführt?« Darauf wußte ich auch keine Antwort. »Sehen Sie eine Verbindung zwischen Grimes, dem Richter und Ezra Parker?« fragte mich Powell. »Im Moment noch nicht.« »Aber es könnte eine geben?« James Powell ließ nicht locker. Er war ein alter Fuchs. »Sicher«, gab ich zu. Der Superintendent nahm einen kräftigen Schluck von seinem Magenwasser. Er spülte den Mund aus, schluckte das kohlensäurearme Zeug hinunter. »Wo könnte dieser Grimes stecken?« »Bestimmt nicht bei Parker.« »Da vermuten Sie den Richter«, sagte Powell. »Genau.« Powell schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. »Dann fahren Sie doch hin.« »Das wollte ich auch.« Ich hatte mir die Adresse gemerkt, als ich
nach der Nummer gesucht hatte. An der Tür hielt mich Powells Stimme auf. »Und denken Sie auch an Grimes, John.« Ich lächelte ergeben. »Sicher, Sir. Ich denke Tag und Nacht an ihn. Besonders nachts, da wird er mir nämlich zum Alptraum.« Nach dieser Antwort schloß ich die Tür von draußen.
* Grimes, der Ghoul, hielt sich im Schutze der Telefonzelle verborgen. Er zitterte vor Wut und Angst. Aber besonders vor Wut. Mit drei seiner Artgenossen war er angetreten, und doch hatte Sinclair es geschafft, zu entkommen. Und nicht nur das. Er hatte sogar die anderen Ghouls zur Hölle geschickt. Jetzt stand Grimes wieder am Anfang. Als er merkte, daß der Kampf nicht mehr zu gewinnen war, hatte er fluchtartig die Sauna verlassen. Von seinem Standort aus konnte Grimes den Eingang der Sauna überwachen. Er wartete darauf, daß John Sinclair oder die Blonde herauskommen würden, doch vorerst tat sich nichts. Der Ghoul dachte nach. Wahrscheinlich würde Sinclair die Mordkommission anrufen, weil sie den Toten gefunden hatten. So dauerte es noch etwas, bis er kam. Liebend gern hätte Grimes ihn auch mit einer Kugel getötet, doch im Augenblick besaß er keine Waffe. Er konnte sich nur auf seine widerlichen Fähigkeiten verlassen, und die würden zuviel Aufsehen erregen. Dann wurde die Eingangstür der Sauna geöffnet. Die blonde Detektivin verließ das Haus. Grimes preßte sich noch enger an die Zellenwand und bekam mit, wie die Frau zu einem alten VW ging, einstieg, startete und wegfuhr. Das heißt, sie mußte erst drehen, so daß Grimes Gelegenheit
hatte, nach einem Taxi Ausschau zu halten. Und wie so oft im Film vorexerziert wird, so hatte Grimes diesmal Glück. Es fuhr tatsächlich einer der hochrädrigen Wagen über die Straße. Er war noch leer. Grimes winkte. Zu seinem Glück war die Detektivin mit dem Wenden des Fahrzeugs beschäftigt, so daß sie den Ghoul nicht entdeckte. Der Fahrer stoppte und hielt die Tür auf. »Wohin, Sir?« fragte er. Der Ghoul stieg erst einmal ein. »Fahren Sie diesem VW nach.« Der Fahrer lachte meckernd. »Ist das Ihre Puppe?« »Noch nicht. Aber sie könnte es werden.« »Dann viel Glück.« Der Fahrer machte sich an die Verfolgung. Daß er dabei den Wagen der Mordkommission schnitt, störte ihn nicht. Er wollte der Blonden auf den Fersen bleiben. Eine Weile ging alles gut. Etwa in Höhe des Green Parks begann der Fahrer plötzlich zu husten und zu schnüffeln. »Riechen Sie nichts?« fragte er seinen Fahrgast. »Nein, wieso?« »Irgendwie stinkt es hier komisch.« »Wie denn?« »Na ja, ich weiß nicht so recht. Auf jeden Fall.« Er lachte plötzlich. »Wie auf einem Friedhof, wissen Sie. In der vorigen Woche haben sie einen alten Onkel von mir zu Grabe getragen, da roch es auch so. Widerlich, sage ich Ihnen.« »Vielleicht hängt Ihnen der Geruch noch in der Nase«, meinte der Ghoul. »Das wird es sein.« Jane merkte von der Verfolgung nichts. Sie konzentrierte sich auf den Londoner Nachmittagsverkehr, denn der war schlimm genug. Immer wieder mußte sie schalten, Gas geben und stoppen. Zudem
waren zahlreiche Taxen in der Nähe, so daß eine einzelne überhaupt nicht auffiel. Normalerweise erreichte Jane ihre Wohnung von der Sauna aus innerhalb von zwanzig Minuten, doch diesmal brauchte sie fast doppelt so lange. Aufatmend fuhr sie in die Tiefgarage hinunter. Sie stieg aus dem Wagen, schloß ihn ab und hängte sich die Tasche über die Schulter. Darin steckte ihre Astra-Pistole. Sie war wie meine Beretta mit Silberkugeln geladen. Jane Collins konnte sich gut verteidigen, wenn es hart auf hart ging. Zusammen mit einem Hausbewohner fuhr sie nach oben. Es war ein älterer Mann, ein pensionierter Oberst, der noch in Indien gekämpft hatte, wie Jane wußte. Wenn sie sich trafen, erzählte er jedesmal einen alten Militärwitz, den Jane schon längst kannte. Sie lachte jedoch pflichtschuldig mit. Die Detektivin wollte dem Mann den Spaß lassen. Zwei Stockwerke früher stieg der Major aus und grüßte zackig. Jane lächelte noch, als sie wenig später den Lift verließ und zu ihrer Wohnung schritt. Nichts warnte die junge Frau, als sie durch den langen Flur schritt, wo zu beiden Seiten die Türen abzweigten. Vor ihrer Tür blieb Jane Collins stehen und steckte den flachen Schlüssel ins Schloß. Die Tür schnappte auf. Da hörte sie die Schritte hinter sich. Jane Collins fuhr herum. Zu spät. Die widerliche Pranke des Ghouls schoß vor und klatschte in ihr Gesicht. Der Schlag war so wuchtig, daß die Detektivin in die Wohnung hineinfiel, den Halt verlor und zu Boden prallte. Die Handtasche rutschte ihr dabei von der Schulter, und nicht Jane schloß die Tür, sondern Grimes, der Ghoul. Jane Collins war seine Gefangene!
* Die beiden Geschwister schauten sich an. Maud sah zwar ihren Bruder, doch sie nahm ihn gar nicht wahr. Zuviel Schreckliches hatte sie in den letzten Minuten gesehen. Ihr Schrei hallte schaurig durch das Haus, wurde als Echo von den Wänden zurückgeworfen und jagte Harold eine Gänsehaut über den Rücken. Der Schrei endete. Wie von selbst schloß sich bei Maud der Mund. Dann streckte sie die Arme aus und setzte ein Bein vor das andere. Sie ähnelte einer Schlafwandlerin, die sich auf ihre nächtliche Wanderung begeben hatte. Doch das wollte der unheimliche Richter nicht zulassen. Kein Mitglied aus der Parker-Sippe sollte überleben »Packt sie!« befahl er den beiden Gesichtslosen. Diesen Befehl hörte auch Harold. Und wenn jemand aus der Familie überleben sollte, dann Maud. Sie war stehengeblieben, hatte den Kopf gedreht und schaute zur Treppe hoch. In ihren Augen tanzte ein irrer Ausdruck. Vielleicht war sie sogar dem Wahnsinn nahe. Und wenn, sie durfte auf keinen Fall in die Klauen dieser grausamen Wesen fallen. Die beiden Gesichtslosen hatten bisher hinter Harold Parker gestanden. Als sie jedoch den Befehl hörten, setzten sie sich in Bewegung, um das Mädchen zu schnappen. Harold ließ sie passieren. Als sie sich eine Stufe vor ihm befanden, handelte er. Harold hob sein rechtes Bein an und ballte seine linke Hand zur Faust. Den rechten Fuß schleuderte er vor, ebenso die linke Faust. Er traf den ersten Gesichtslosen in Höhe der Hüfte. Der Tritt schleuderte ihn die restlichen Stufen hinunter. Der Faustschlag häm-
merte in den Nacken des Wesens. Es kippte nach vorn, verlor das Gleichgewicht und stürzte sich überschlagend bis an den Fuß der Treppe. Harold aber hatte freie Bahn. Mit drei gewaltigen Sätzen überwand der junge Mann die Distanz zu seiner Schwester, die stehengeblieben war und den Kopf gedreht hatte. Harold packte sie an den Schultern und schleuderte sie auf die Haustür zu. »Lauf weg!« schrie er. »Los, lauf weg! Du kannst hier nicht bleiben, Maud.« Das Girl prallte gegen die Tür und drückte sie ins Schloß. Die Hand schlug nach der Klinke, verfehlte sie jedoch. Ob Maud die Flucht noch schaffte, darum konnte sich Harold nicht kümmern. Er mußte sich den Gesichtslosen stellen. Der eine schleuderte seine Lanze vom Boden liegend. Die schwere Waffe raste auf Harold zu, der sich im letzten Moment zur Seite warf. An seiner Schulter rasierte die Lanze vorbei und hieb hinter ihm in die Wand. Harold hatte früher viel Sport getrieben, deshalb war er noch wendig und auch gut in Form. Er tauchte zu Boden, rollte sich ein paarmal um die eigene Achse und riß einen Stuhl hoch, den er als Deckung vor seinen Körper hielt. Wuchtig fuhr die nächste Lanze auf ihn zu. Es war ein mörderischer Wurf, dem Harold normalerweise nichts entgegenzusetzen hatte. Doch er hielt den Stuhl so, daß er sich genau in der Flugbahn der Waffe befand. Die Spitze krachte gegen die untere Sitzfläche und zerstörte sie. Allerdings war die Wucht stark gebremst worden, daß Harold nicht verletzt wurde. Trotzdem riß ihm der Aufprall den Stuhl aus der Hand. Nun war er deckungslos. Harold sprang auf die Füße.
Zur Hälfte hatte er es geschafft, als ihn der Gesichtslose angriff. Ein Tritt schleuderte ihn wieder zu Boden. Hart prallte er mit dem Hinterkopf auf. Im nächsten Augenblick hatten sie ihn überwältigt. Plötzlich konnte er sich nicht mehr rühren, weil sie wieder auf seinen Schultern und den Beinen hockten. Und Maud? Sein Kopf hatte noch genügend Bewegungsfreiheit. Ihn drehte Harold herum. Seine Schwester hatte die Flucht nicht geschafft. Sie lehnte mit dem Rücken an der Tür, hatte die Arme halb erhoben und die Hände zu Fäusten geballt. Ihr Blick schien kaum wahrzunehmen, was um sie herum geschah. Er veränderte sich auch nicht, als der unheimliche Richter auf sie zutrat, sie mit seiner knochigen Klaue an der Schulter packte und herumzerrte. Maud stolperte nach vorn. »Du bist eine Parker«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Eine verdammte Parker. Und dafür wirst du büßen.« Maud schaute ihn an. Ihr voller Mund stand halb offen. Die Hände zitterten. Riesengroß war ihre Angst. Zwei Tränen rannen wie Perlen an ihren Wangen entlang. Der unheimliche Richter zerrte das Girl auf den am Boden liegenden Harold und den beiden Gesichtslosen zu. »Sieh ihn dir an!« grollte er. »Sieh dir deinen Bruder genau an! Noch lebt er. Aber nicht mehr lange, denn wir werden ihn hängen. So wie dein Ahnherr mich damals gehängt hat, wird auch er baumeln!« Mauds Kopf sank nach vorn. Sie wußte, daß sie gleich sterben sollte. »Hast du deinen Vater gesehen?« fragte Maddox sie. Keine Antwort. Dafür meldete sich Harold Parker. »Ja!« schrie er. »Sie hat ihn gesehen! Sie muß ihn gesehen haben, denn sie kam aus dem Zimmer.
Himmel, warum quält ihr sie denn so?« »Halt dein Maul!« schrie Maddox den jungen Mann an. »Du kannst noch winseln, wenn es soweit ist.« Der Richter machte eine wütende Handbewegung und drehte sich um. Dann schritt er auf die Tür der Bibliothek zu, zog sie jedoch nicht ganz ins Schloß, nachdem er den Raum betreten hatte. Harold Parker konnte nicht hören, was er in der Bibliothek tat, er vernahm jedoch ein Poltern und schloß daraus, daß der Richter seinen toten Vater aus der Schlinge genommen hatte. Jetzt war sie frei für den nächsten Mord … James Maddox kehrte zurück. Und diesmal hielt er die Schlinge wieder in der Hand. Harold hatte richtig gefolgert. Sein Vater lag jetzt irgendwo am Boden. Maddox trat seitlich an den jungen Mann heran und zeigte ihm die Henkersschlinge. »Sie wird auch dich vom Leben in den Tod befördern«, versprach er. Parker schluckte. Maud, seine Schwester, stand neben ihm. Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Schwer holte sie Luft. Auf ihrem Gesicht glänzte der Schweiß. »Stellt ihn auf die Beine!« befahl der unheimliche Richter seinen beiden Vasallen. Die Höllenknechte bückten sich. Mit jeweils einer Hand wurde Harold hochgehievt, in der anderen hielten sie nach wie vor ihre gefährlichen Lanzen. Harold Parker schwankte in ihrem Griff. Er war seelisch und körperlich ziemlich am Ende. Hätten ihn die beiden nicht festgehalten, er wäre sicherlich gefallen, denn aus eigener Kraft konnte er sich kaum mehr auf den Füßen halten. Der Richter trat dicht an ihn heran. In der rechten Hand hielt er die Schlinge, mit der anderen hatte er das Gelenk des Mädchens umklammert.
»Weißt du eigentlich, wo wir dich aufhängen werden, Harold Parker?« fragte er. »Nein!« schrie ihn Harold an. »Im Garten«, erwiderte Maddox. »Dort habe ich wunderschöne Bäume mit starken Ästen gesehen. Sie sind genau das richtige für dich, Harold Parker!« »Geh zur Hölle!« Maddox lachte. »Ja, zum Teufel gehe ich auch, aber erst, wenn du gehängt worden bist.« Parker zuckte zusammen. Der Unheimliche sprach völlig normal von der Hölle. So, als wäre sie nichts Besonderes. Maddox öffnete die Tür. Kalter Wind fuhr in die Diele. Der Himmel sah grau aus. Regenwolken zogen heran. Nicht mehr lange, und die Erde würde in einem nassen, vom Himmel fallenden Schleier versinken. Harold fröstelte, als er die Treppe betrat. Doch nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst. Diese Henker kannten kein Pardon. Sie waren unbarmherzig in ihrer Rache. Leer lag der große Vorgarten vor ihnen. Kein anderer Mensch befand sich auf dem Grundstück. Der sonst so grüne Rasen sah winterlich braun aus. Letzte Laubreste vom Herbst lagen noch dort. Niemand hätte Harold Parker gehört, wenn er um Hilfe schrie. Zu groß und weiträumig war das Grundstück. Sie schritten die Treppe hinab. Stufe für Stufe nahmen sie. Maud stolperte zweimal. Der unheimliche Richter ließ sie jedoch nicht fallen, sondern zog sie weiter. Jede Stufe brachte die beiden Geschwister dem Sterben näher. Maddox ging vor. Als die Treppe hinter ihm und dem Mädchen lag, beschleunigte er sogar noch seine Schritte. Sein Ziel war der erste
große Baum auf dem gewaltigen Rasen. Die Eiche befand sich dicht hinter dem Blumenrondell. Im Sommer blühten hier farbenprächtige Gewächse, jetzt bedeckte Humus die Muttererde. Die alte Eiche streckte ihre Äste und Zweige wie zahlreiche Finger vor. Viele waren knorrig, aber man sah dem Baum an, welch eine Kraft noch in ihm steckte. Er war gesund, und er würde das Gewicht halten. Unter dem von Maddox ausgesuchten Ast blieben sie stehen. Er lag ziemlich hoch, und dem unheimlichen Richter fiel ein, daß sie die Trittleiter zurückgelassen hatten. Er schickte einen der beiden Höllenknechte los, um sie zu holen. Der zweite bewachte nach wie vor Harold Parker. Er hielt seine Lanze so, daß der junge Mann erst gar nicht auf die Idee kam, Widerstand zu leisten. Das Mädchen war zu Boden gesunken. Maud saß auf dem Rasen und hatte ihr Gesicht in beide Hände vergraben. Ein krampfhaftes Schluchzen schüttelte ihren Körper. Der unheimliche Richter warf ihr einen verächtlichen Blick zu. Er haßte Menschen, die eine Schwäche zeigten. Der Höllenknecht kehrte zurück. In der rechten Hand hielt er seine Lanze, in der linken die Trittleiter. Es sah schaurig aus, wie er über den Weg lief. Fast konnte man meinen, er würde den Boden überhaupt nicht berühren. Sein weiter Umhang flatterte, unter dem Hutrand flimmerte das grauschwarze Oval. Irgendwie hatten die beiden Knechte Ähnlichkeit mit dem Spuk. Und in der Tat hatte sich der unheimliche Richter diese Vasallen von dem Spuk quasi ausgeliehen. Die Leiter wurde unter den starken Ast gestellt. Ausgeklappt war sie längst. Der Delinquent brauchte nur hinaufzusteigen. Harold Parker schaute die Schlinge an. Seine Augen waren aus den Höhlen
getreten, in seinem Mund spürte er einen scharfen Geschmack. Pelzig lag die Zunge in seinem Gaumen. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, Luft zu holen. Alles verschwamm vor seinen Augen. Ein Tränenschleier lag auf seinen Pupillen. Maddox bückte sich und riß dem Mädchen, das zusehen sollte, die Hände vor dem Gesicht weg. »Los, sieh ihn dir an!« kreischte er. Die beiden Höllenknechte hatten Harold gepackt. Sie führten ihn auf die Leiter zu. »Hoch mit dir!« schrie Maddox. Harold blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl zu gehorchen. Er setzte seinen Fuß auf die erste Stufe, wie es auch schon sein Vater getan hatte. Nun ging er denselben Weg. Tod allen Parkers! So hatte es Maddox angekündigt. Harold ging weiter. In seinem Gesicht zuckte es. Man sah ihm die Angst an, die ihn durchschüttelte. Der Tod war nah … Seine Schwester hockte noch immer auf dem kalten Boden. Aus großen Augen schaute sie zu Harold hoch. Sie sah, wie sich die Schlinge im Wind bewegte und dann von James Maddox festgehalten wurde, damit der Delinquent seinen Kopf hindurchschieben konnte. Der unheimliche Richter ging hinter ihm her. Er stieß Harold in den Rücken, damit er sich in eine bessere Position stellte. Links und rechts der Leiter hatten sich die beiden Gesichtslosen postiert. Zwei schreckliche Wärter, die den Tod des Delinquenten überwachen sollten. Maddox prüfte noch einmal die Schlinge und den Knoten. Er nick-
te zufrieden und legte sie dem Delinquenten dann um den Hals. Sie saß so, wie er es sich wünschte. »Jetzt wirst du sterben, Harold Parker!« versprach James Maddox. Er lachte und stieg die kleine Leiter wieder hinab. Er schnalzte mit der Zunge. Das Zeichen für die beiden Gesichtslosen. Synchron hoben sie ihre Beine ein wenig vom Boden ab. Einer das linke, der andere das rechte. Parker schaute geradeaus. Er sah auf das Haus, die Fassade schwankte. Ein einzelner Sonnenstrahl drang durch die Wolken und spiegelte sich in einem Fenster. »Ich will nicht sterben!« brüllte er plötzlich mit all seiner noch vorhanden Kraft. »Ich will nicht …!« Die Leiter war umgekippt, Parker hing in der Luft.
* Ich stand auf der Mauer des Grundstücks. Das Tor hatte ich verschlossen vorgefunden, mir blieb deshalb nur dieser etwas unkonventionelle Weg. Vor mir breitete sich das gewaltige Grundstück aus. Wer dieses Land sein eigen nannte, der gehörte nicht zu den Armen. Allein das Gelände war Millionen wert. Denn auch in London steigen die Grundstückspreise ins Unermeßliche, weil alles in die Stadt drängt. Ich sprang zu Boden. Die Distanz war nicht groß, außerdem dämpfte der Rasen meinen Aufprall. Das Haus konnte ich noch nicht sehen. Ein gepflegter Weg durchschnitt die weiten Rasenflächen mit dem alten Baumbestand. Der Wind spielte mit meinem Haar, und hier und da wurde noch Laub vom letzten Jahr hochgewirbelt. Schneereste sah ich nicht mehr. Der warme Südwestwind hatte auch die letzten Flecken weggetaut. Nach der Kälte der vergange-
nen Tage konnte man dieses Wetter direkt als frühlingshaft empfinden. Ich bemühte mich, immer in Deckung der Bäume zu bleiben. Nicht jeder brauchte mein Kommen jetzt schon zu bemerken. Der Rasen wirkte wie ein dicker Teppich, in den meine Füße einsanken. Das Gras war feucht, die Unterlage glitschig. Ein paar Spatzen lärmten in den kahlen Zweigen und Ästen der Bäume. Graue Wolken zogen über den Himmel. Hin und wieder schimmerte ein hellblauer Fleck hindurch. Manchmal sah ich auch die Hausfassade. Das Gebäude lag auf einem kleinen Hügel. Ich beschleunigte meine Schritte. Nichts war von einem dämonischen Eingreifen oder Wirken zu spüren, doch ich traute dem Frieden nicht. Die Ruhe kam mir trügerisch vor. Ich spürte, daß irgend etwas in der Luft lag. Da hörte ich die Stimmen. Oder war es nur eine? So genau konnte ich das nicht feststellen. Es spielte auch keine Rolle. Ich wußte nur, daß ich mich nicht allein auf dem großen Grundstück befand. Irgendein Gefühl zwang mich, noch schneller zu gehen. Vielleicht war es eine innerliche Angst, zu spät zu kommen. Ich jedenfalls hörte darauf. Schräg lief ich auf das Haus zu. Ich glaubte, eine Bewegung zwischen den Bäumen zu sehen, war mir aber nicht sicher. Sicherheitshalber zog ich meine Beretta. Die Bäume standen zwar nicht sehr dicht beieinander, dafür jedoch seitlich versetzt, so daß mein freier Durchblick immer wieder von einem Stamm oder gleich mehreren Bäumen behindert wurde. Dann aber sah ich die Gestalten. Sie standen neben dem dicken Stamm einer Eiche. Ich konnte noch nicht erkennen, was sie taten, hörte jedoch einen gellenden, in To-
desangst und voller Verzweiflung ausgestoßenen Schrei. »Ich will nicht sterben. Ich will nicht!« Diese Sätze brannten sich in mein Gehirn. Hier schwebte ein Mensch in Lebensgefahr, hier mußte geholfen werden. Ohne Rücksicht darauf, daß man mich vorzeitig entdeckte, und auch ohne an meine eigene Sicherheit zu denken, spurtete ich los. Nach einigen Yards hatte ich freies Blickfeld und vernahm gleichzeitig ein dröhnendes Gelächter. Die nächsten Sekunden schienen sich wie Ewigkeiten in die Länge zu ziehen. Fünf Personen sah ich. Eine grauhaarige, unheimliche anzusehende Gestalt, zwei gesichtslose Wesen, wie ich sie aus dem Reich des Spuks schon kannte, ein völlig verängstigtes junges Mädchen und einen jungen Mann, der in einer Schlinge baumelte. Man hatte ihn gehenkt! Aber er war noch nicht tot! So etwas gab es, und so etwas geschah auch immer wieder. Wenn die Schlinge nicht genau saß, hatte der Bedauernswerte noch mitunter lange zu leiden. Diese Zeit mußte mir reichen. Mit Riesensätzen jagte ich auf den Mann zu, hörte einen wütenden Befehl des Weißhaarigen, und die beiden Knechte warfen sich mir in den Weg. Ich fand keine Zeit, um sie mit Silberkugeln aus dem Weg zu räumen, sondern schlug kurzerhand mit den Armen nach beiden Seiten aus. Sie fielen zu Boden. Ich war wie ein Ungewitter zwischen sie gekommen, und sie hatten der Wucht meiner Schläge nichts entgegenzusetzen. Der nächste Schritt brachte mich zu dem Gehenkten. Ich konnte ihn nicht so einfach aus der Schlinge hieven, sondern mußte die Lei-
ter aufstellen. Die Arbeit nahm nicht einmal Sekunden in Anspruch. Dann fanden die Füße Halt. Zeit, ihm die Schlinge über den Kopf zu streifen, hatte ich nicht. Ich mußte das um den Ast gewickelte Ende des Stricks lösen. Der Knoten sprang auf, nachdem ich zweimal kräftig an ihm gezogen hatte. Und schon griffen die beiden Gesichtslosen an. Ich schleuderte den jungen Mann von der Leiter, und er krachte zu Boden. Ich aber stand noch auf dem kleinen Podest. Der Grauhaarige, von dem ich annahm, daß es sich um den unheimlichen Richter handelte, sah seine Felle wegschwimmen und versuchte zu retten, was überhaupt noch zu retten war. Er packte das wie erstarrt dasitzende Mädchen und riß es mit sich fort. Ich wollte hinterher, doch dagegen hatten die beiden Gesichtslosen etwas. Sie standen wieder auf den Beinen. Einer war mir schon verdammt nahe gekommen. Weit bog er seinen Arm nach hinten und holte zum tödlichen Wurf aus …
* Jane Collins wollte sofort wieder auf die Füße springen und die Handtasche an sich reißen, doch sie hatte die Wendigkeit des Ghouls unterschätzt. Er war schneller. Mit einem Hechtsprung warf er sich auf die Detektivin zu. Die Arme hatte er vorgestreckt, das Gesicht war grausam verzerrt, und bei dem Sprung rollte ihm der Bowler vom Kopf. Wuchtig prallte er gegen Jane Collins. Sie ließ noch die Faust von oben nach unten sausen und traf dabei den blanken Schädel des
Ghouls. Grimes grunzte nur. Dieser Schlag erschütterte ihn nicht, im Gegenteil er motivierte ihn noch. Seine Arme packten zu und umschlossen Janes Hüften. Die Tür zum Livingroom war nicht geschlossen. Beide prallten dagegen und fielen in den Wohnraum hinein. Jane befand sich dabei in einer schlechteren Position, da sie unter Grimes lag. Und diese Lage nutzte der Ghoul weidlich aus. Er preßte Jane mit seinem Gewicht zu Boden. Aus seinem Maul drang ein dumpfes Grunzen. Der Friedhofsgeruch wurde aus der Nähe so stark, daß Jane sich regelrecht ekelte. Sie versuchte ihre Arme zu befreien und sie hochzustemmen, damit sie das Kinn des Ghouls zur Seite drücken konnte. Grimes schlug mit dem Kopf zu und traf Jane hart an der Stirn. Detektivin schrie auf. Vor ihren Augen platzten Sterne, die raketengleich nach allen Seiten wegzischten, und für wenige Augenblicke trat sie geistig weg. Die Chance nutzte der Ghoul. Seine Hände fanden Janes Kehle. Er drückte zu. Plötzlich wurde Jane die Luft brutal abgeschnitten. Sie riß noch den Mund auf, und ihre Augen weiteten sich, doch atmen konnte sie nicht. Sie blickte nur in das verzerrte Gesicht des widerlichen Dämons. Hilflos flatterten ihre Arme. Sie wollte beide Beine anziehen, schaffte es aber nicht, den Ghoul von sich wegzustemmen. Der Luftmangel wurde stärker. Die Lunge bekam keinen Sauerstoff mehr, die Atmung stockte. Jane fühlte die Wogen der Bewußtlosigkeit. Sie nahten wie riesige Schatten, die alles verdeckten. Auch Jane Collins. Eine gewaltige Hand packte zu und riß sie hinein in den dunklen Schacht …
* Ich ließ mich einfach fallen. Genau in dem Augenblick, als der Gesichtslose seine Lanze losließ. Die Waffe fegte über meinen Kopf hinweg und wuchtete in den knorrigen Eichenstamm. Es gab einen dumpfen Laut. Sie blieb stecken. Der Schaft zitterte noch leicht nach. Im Fallen hatte ich die Beretta gezogen. Bei der Befreiungsaktion hatte ich sie einstecken müssen. Jetzt aber feuerte ich. Zwei Kugeln opferte ich, doch die Geschosse jagten durch die Gestalt. Sie war gar nicht existent. Es dauerte eine Sekunde, bis ich das begriff, dann aber mußte ich mich zur Seite werfen, denn schräg von oben stieß der zweite Höllenknecht die Lanze auf mich zu. Ich rollte mich herum. Dicht neben meiner Hüfte rammte die Spitze der Waffe in die feuchte Erde. Das war haarscharf gewesen. Ich schleuderte meinen Arm nach hinten, packte den Schaft, sprang auf die Füße und zog die Lanze dabei aus dem Boden. Gleichzeitig riß der erste Höllenknecht seine Waffe aus dem Baumstamm. Er fuhr damit herum, hielt sie mit beiden Fäusten fest und schlich leicht geduckt auf mich zu. Der zweite Gesichtslose hielt sich im Hintergrund. Er wartete ab, was sein Artgenosse wohl mit mir anstellen würde. Meine Beretta steckte ich wieder ein. Ich wollte es auf einen Kampf mit gleichen Waffen ankommen lassen, um dann eine Möglichkeit zu finden, den Fight zu beenden. Von dem unheimlichen Richter sah ich nichts mehr. Er war mit dem Mädchen verschwunden. Wahrscheinlich hielt er sich im Haus versteckt. Wenigstens hatte ich ihn die Treppe hochgehen sehen.
Doch das war im Moment zweitrangig. Erst mußte ich die beiden Schattenwesen ausschalten, vorher kam ich an den Richter nicht heran. Wir umkreisten uns. Jeder wartete auf eine Schwäche des anderen. Mal befand sich der Galgenbaum in meinem Rücken, mal im Rücken des anderen. Der zweite Gesichtslose hielt sich zurück. Er stand jedoch so, daß er jeden Augenblick eingreifen konnte. Er hatte sich gebückt und einen Stein aufgenommen, doppelt so groß wie eine normale Männerhand. Der Höllenknecht stieß zu. Es war ein blitzschneller Angriff, doch ich bemerkte ihn rechtzeitig, kippte meine Lanze, rammte sie seitlich gegen den Schaft der anderen Waffe. Sofort sprang ich wieder zurück. Den ersten Angriff hatte ich pariert. Der zweite folgte sogleich. Diesmal fegte die Spitze von unten nach oben. Sie hätte mich aufgespießt, doch ich trat blitzschnell zurück, so daß sie mich verfehlte. Dann hatte ich freie Bahn, ich setzte alles auf eine Karte und schleuderte halbhoch die Lanze auf meinen Gegner zu. Der Plan gelang. Hinter dem Gesichtslosen befand sich der Stamm des Galgenbaums. Die Lanze wischte zwar durch den Umhang und tat dem Höllenknecht nichts, aber sie nagelte das Kleidungsstück an dem Baumstamm fest. Ich hatte sehr viel Kraft hinter den Stoß gelegt. Die Lanzenspitze war tief in die Rinde eingedrungen und so leicht nicht mehr hervorzuziehen. Der Gesichtslose hing fest. Bis er sich befreit hatte, blieben mir einige Sekunden Galgenfrist, die ich zu nutzen wußte. Die Beretta schien mir von selbst in die rechte Hand zu springen.
Sofort legte ich an. Ich zielte auf das flimmernde Gesichtsoval und drückte ab. Die Kugel hieb genau ins Zentrum. Aber da war noch der zweite. Aus den Augenwinkeln nahm ich die Bewegung wahr. Instinktiv duckte ich mich, zog den Kopf zwischen die Schultern, und das war mein Glück. Der kantige Stein traf nicht meinen Schädel, sondern knallte mir gegen die Schulter. Trotzdem war der Aufprall hart genug. Ich spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Armseite und hatte Mühe, die Waffe in der Hand zu behalten. Einige Schritte taumelte ich zur Seite. Der Gesichtslose faßte dies als Schwäche auf, setzte sofort nach. Ich ließ mich zu Boden fallen, zog die Beine an und stieß sie sofort wieder nach vorn. Meine Füße wühlten sich in den Leib des Monsters und schleuderten ihn zurück. Er war in diesem Augenblick existent. Wahrscheinlich konnte er innerhalb weniger Augenblicke seine körperliche Struktur ändern. Das mußte ich ausnutzen. Bevor der Gesichtslose auf die Füße kam, hatte ich mich aufgerichtet und schoß. Sicherheitshalber setzte ich die Kugeln in sein grauweißes Oval unter der Kapuze. Das Silber zerstörte die Fläche. Es gab eine lautlose Explosion, und dann lag nur noch die Kleidung auf dem Rasen. Der zweite Höllenknecht war wie sein Kumpan endgültig vernichtet. Ich stand auf. Mein Atem ging keuchend. Die rechte Seite schmerzte noch immer. In den ersten Sekunden taumelte ich, fing mich jedoch wieder und ging neben dem jungen Mann in die Knie, von dem ich annahm, daß
es sich dabei um Harold Parker handelte. Ich fühlte nach dem Pulsschlag. Mir fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Harold Parker lebte. Ich nahm ihm die Schlinge vom Hals. Unter dem Kinn war die Haut aufgerissen. Er blutete. Das war zu verkraften. Sein Leben war gerettet, nur das zählte. Blieb das Mädchen! Ich fragte mich, wo der Richter es hingeschleppt haben konnte. Wahrscheinlich ins Haus. Ich hatte mich nicht getäuscht. Ein Geräusch – das Splittern einer Fensterscheibe – machte mich aufmerksam. Ich wirbelte herum. In der letzten Etage hatte der Unheimliche die Scheibe eingeschlagen. Dort befand sich ein kleiner Vorbau. Mir war klar, was dieser Richter vorhatte. Er wollte das Mädchen aus dem Fenster stürzen. Und die Chancen, einen Sturz aus dieser Höhe zu überleben, standen eins zu hundert …
* Jane Collins war nicht sehr lange bewußtlos. Sie kam wieder zu sich und stellte fest, daß ihr Hals fürchterlich schmerzte. Aber da war doch noch etwas anderes. Der kalte Druck an ihrer Stirn. Ohne es genau gesehen zu haben, wußte sie, daß es die Mündung einer Waffe war, die man gegen ihre Stirn gepreßt hielt. Gleichzeitig nahm sie den Modergeruch wahr, und ihr wurde klar, daß Grimes ihr die Waffe gegen die Stirn hielt. Er wollte sie töten.
Nur – warum hatte er das nicht getan, als sie noch bewußtlos gewesen war? Vielleicht wollte er diesen Mord auskosten. Der Ghoul war solch ein Sadist. Mit menschlichen Maßstäben konnte man ihn wirklich nicht messen. Jane saß steif auf der Couch. Der Ghoul hockte rechts neben ihr und preßte ihr die Mündung der Waffe gegen die Stirn. Er sprach nicht, sonderte nur diesen Schleim ab, ein Zeichen seiner innerlichen Erregung. Es sah böse aus für die Detektivin, denn Grimes würde nicht durch Geld und gute Worte davon zu überzeugen sein, von der grausamen Tat Abstand zu nehmen. Er wollte ihren Tod. »Warum hast du mich nicht getötet, als ich bewußtlos war?« fragte sie. »Dann hättest du ja nichts gespürt«, erwiderte der Ghoul und kicherte böse. Das hatte sich Jane gedacht. »Dann drück ab«, sagte sie. »Nein, erst sollst du leiden!« »Und wie?« Jane gab sich bewußt gelassen, so schwer es ihr auch fiel, denn innerlich zitterte sie vor Angst. »Du sollst um dein Leben betteln und winseln, bevor du stirbst und ich mich …« »Hör auf!« schrie Jane. Grimes lachte nur. Janes Verstand arbeitete plötzlich präzise wie ein Uhrwerk. Sie dachte darüber nach, wie sie Grimes erledigen konnte. Er hatte sich aus der Handtasche ihre Astra geholt. Sie war mit Silberkugeln geladen, mit absolut tödlichen Geschossen für einen Ghoul. Jane schielte nach rechts. Der Ghoul hatte sein Gesicht zu einem siegessicheren Grinsen ver-
zogen. Für ihn war Jane schon so gut wie tot. Den Gestank konnte sie fast nicht mehr aushalten. Er legte sich auf ihre Atemwege, und Jane holte nur noch flach durch den Mund Luft. Die Astra hielt der Ghoul in der rechten Hand. Sein Arm beschrieb dabei einen Bogen, um die Mündung gegen die Schläfe zu pressen. Es war gar nicht einfach, ihn in dieser Stellung ruhig zu halten. Jane Collins merkte auch, wie die Mündung langsam nach unten sackte. Zwar kaum meßbar, aber doch stetig. Sollte es trotz allem noch eine Möglichkeit geben? Sie sagte, und ihre Stimme hatte einen weinerlichen Ton: »Mach endlich Schluß, Grimes!« »Du bettelst, wie?« »Ich kann es nicht mehr aushalten.« Der Ghoul lachte. Und da schlug Jane Collins zu. Selten in ihrem Leben hatte sie so rasch reagiert. Die Hand fuhr von unten nach oben, traf das Gelenk des Ghouls, und im nächsten Augenblick wurde ihm die Astra aus den Fingern gewirbelt. Grimes brüllte wütend und wollte sich auf Jane Collins werfen. Damit hatte die Detektivin gerechnet. Schlangengleich wischte sie vor, warf sich zu Boden und hechtete dabei unter den Tisch, denn dorthin war die Waffe gerutscht. Ihre Finger griffen zu. Sie packten den Griff. Jane drehte sich, brachte dabei den Tisch zum Wanken, und noch in derselben Sekunde war Grimes da und schleuderte den Tisch völlig zur Seite, damit er die Detektivin angreifen konnte. Er kam nicht dazu, sich auf Jane Collins zu stürzen. Jane lag auf dem Rücken, und die Waffe hielt sie fest umklammert. Ihre Mündung zeigte auf den widerlichen Ghoul. Grimes erstarrte.
»Sie ist mit geweihten Silberkugeln geladen«, erklärte Jane Collins mit fester Stimme. »Du weißt, was das für dich bedeutet?« Grimes wich zurück. Abwehrend streckte er die Hand aus. Er zitterte plötzlich und winselte um sein erbärmliches dämonisches Leben. Jane richtete sich auf, bis sie nicht mehr lag, sondern auf dem Boden saß. Der Ghoul begann zu greinen. In regelrechten Wogen floß der Schleim über sein Gesicht. Er heulte und zeterte, versprach Jane Collins goldene Berge, doch die Detektivin ließ sich nicht beirren. Sie wußte, welches Grauen dieser Ghoul bereits auf der Erde verbreitet hatte. Es gab nur eine Möglichkeit. Sie mußte ihn stoppen. Jane Collins krümmte den Zeigefinger …
* Wie ein Leichtathlet, dem es um die Erreichung einer Goldmedaille ging, sprintete ich durch das große Haus. Treppen hoch, Absätze, neue Stufen. Ich hörte das Schreien des Mädchens, für mich ein ausgezeichneter Wegweiser. Aber wo steckten sie? Dann war die Treppe zu Ende. Keuchend blieb ich stehen und schaute mich wild um. Ich war in einem Gang gelandet, und an dessen Ende sah ich die Leiter. Sie führte zum Boden. Zwei Atemzüge später kletterte ich bereits über die ersten Sprossen nach oben. Nach der Leiter begann die Luke. Ich schoß förmlich hindurch, gelangte auf einen geräumigen Speicher, der mit allerlei Gerümpel vollgestellt war, und sah auch das zerstörte Fenster, vor dem die beiden unterschiedlichen Gegner
noch immer kämpften. Das Mädchen befand sich auf der Verliererstraße. Der unheimliche Richter hatte sie hochgehoben. Mit dem Oberkörper lag sie bereits auf der Brüstung, während die Beine noch in den Speicher hineinragten. Doch auch sie hielt der Richter bereits in Höhe der Oberschenkel gepackt. Ich war wirklich im letzten Augenblick aufgetaucht. »Laß sie los!« brüllte ich. Das tat der Richter wahrhaftig. Aber anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Er kreiselte nämlich herum und zog in der Bewegung das Mädchen mit sich. Plötzlich hielt er sie als Schild vor seinen Körper. Maud begriff überhaupt nicht, was mit ihr geschehen war. Sie war zusammengesunken, aus ihrem Mund drang ein erbarmungswürdiges Wimmern. Ich konnte nicht schießen. Höhnisch grinste mich der Richter an. Dann tat er etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Wuchtig schleuderte er das Girl auf mich zu. Ich hätte zwar noch zur Seite weichen können, doch dann wäre sie voll auf den harten Boden des Speichers gefallen. So fing ich sie auf und verlor kostbare Sekunden. Mit einer nahezu hexenhaften Geschwindigkeit kletterte der unheimliche Richter aus dem Fenster und damit aufs Dach. Ich ließ das Girl zu Boden gleiten. Wenige Sprünge brachten mich ebenfalls zum Fenster, und genauso schnell wie der Unheimliche war auch ich draußen. Leichtfüßig wie ein Tänzer lief er das schräge Dach hoch. So konnte ich ihm nicht folgen. Ich hatte Mühe, mich überhaupt zu halten, denn die Dachpfannen waren glitschig. Moos und winzige Algen hatten sich darauf abgesetzt. Ich rutschte immer wieder zurück. Es war zudem noch
schwierig, weil ich in einer Hand meine Beretta hielt. Der unheimliche Richter gewann einen immer größeren Vorsprung. Ich drehte mich auf die linke Seite, fand mit den Füßen einigermaßen Halt, stemmte sie auch ein und hob den rechten Arm. Mit der Mündung verfolgte ich den Lauf des unheimlichen Richters. Er blieb plötzlich stehen und wandte sich um. Drohend reckte er die Faust gegen mich. Ich schoß. Im selben Augenblick ließ er sich zur anderen Seite des Daches hin abrutschen und war verschwunden. Die Kugel pfiff in den bleigrauen Himmel. Ich kletterte wieder zurück. Der Richter war mir entkommen. Doch ich war sicher, daß ich weiterhin von ihm hören würde. Das Girl lag auf dem Boden und weinte. Ich tröstete sie, half ihr hoch und führte sie nach draußen. Wankend kam ihr Bruder die Treppe hoch. »Was – was ist geschehen?« krächzte er. Ich lächelte. »Das, Mr. Parker, ist eine lange Geschichte.« Ich bat die beiden, in der Diele zu warten, doch zuvor zeigten sie mir den Toten. Für Ezra Parker kam jede Hilfe zu spät. Ihn hatte die Rache des unheimlichen Richters voll getroffen. Von dem Mörder sah ich nichts mehr, obwohl ich den Garten durchsuchte. Dann alarmierte ich die Kollegen der Mordkommission.
* Jane Collins drückte ab. Sie jagte Kugel auf Kugel aus dem Lauf, und jedes Geschoß erreichte den flüchtenden Ghoul. Er schaffte es nicht mehr, aus dem Zimmer zu fliehen. Vor der Tür brach er zusammen.
Die Detektivin stand auf. Das Magazin der Waffe war leergeschossen. Die Mündung wies zu Boden, als sie langsam auf den sterbenden Ghoul zuschritt. Diesmal verging Grimes endgültig. Es war kein Doppelgänger, der dort in der Wohnung starb. Jane stieg über den vergehenden Grimes hinweg. Sein Körper hatte sich bereits zum größten Teil aufgelöst. Die restlichen Teile schwammen in der Lache. Sein Gesicht war zur Unkenntlichkeit verzerrt. Ein Arm erhob sich noch aus der Brühe, die Finger waren gekrümmt, als suchten sie irgendwo einen Halt.
* Stunden später saßen wir in Sir James Powells Büro beisammen. Mein Chef wirkte ungeheuer aufgeräumt, und immer wieder blickte er mich schadenfroh an. »Wie lange haben Sie Grimes gejagt?« Ich hob die Schultern. »Einige Wochen, Sir.« »Und dann muß erst eine Frau wie Jane Collins kommen, um ihn zu erledigen. Schlimm, sehr schlimm …« Jane mischte sich ein. »Wer Grimes erledigt hat, ist doch egal. Hauptsache, er kann keinen Schaden mehr anrichten.« Da gab ich ihr recht. »Und was ist mit diesem geheimnisvollen Richter?« erkundigte sich der Superintendent. Ich hob beide Hände. »Keine Ahnung. Wir wissen ja inzwischen, wie es im Dämonenreich funktioniert. Ich bin sicher, daß ich ihn nicht zum letzten Mal gesehen habe. Wenn es gegen den Spuk geht, werde ich wohl mit ihm zusammentreffen. Denn die beiden bilden ein höllisches Tandem.« Powell nickte. Dann erhob er sich, streckte seinen rechten Arm aus
und reichte Jane Collins die Hand. »Ich darf mich bei Ihnen noch einmal bedanken. Sie haben unserem Land einen sehr großen Dienst erwiesen, Miss Collins.« Einen Händedruck erhielt ich nicht, sondern die Ermahnung, den Schwarzen Tod so schnell wie möglich auszuschalten. Der lag Powell im Magen. »Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte ich. »Hoffentlich, John, hoffentlich.« Wir waren entlassen. Vor der Tür stieß ich Jane Collins an. »Jetzt darfst du dir drei Tage die Hände nicht waschen.« »Wieso?« »Schließlich hat dir ein geadelter Herr die Hand gedrückt«, erwiderte ich und lachte … ENDE
Der Joker des Teufels von Jason Dark Es war kalt in der Tiefe des Kellergewölbes. Kalt und feucht. Dennoch trugen die vier bildhübschen Mädchen nur leichte, enganliegende Rollkragenpullis und schwarze, glänzende Disco-Jeans. Sie hießen Sally, Wanda, Audrey und Carrie. Und sie hatten sich aus einem ganz bestimmten Grund in diesem unheimlichen Keller eingefunden: Sie wollten Töchter des Bösen werden.