Lea Arnold Unabhängige Wirtschaftspolitik
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Lea Arnold
Unabhängige Wirtschaftspolitik Wissenschaftliche ...
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Lea Arnold Unabhängige Wirtschaftspolitik
VS RESEARCH
Lea Arnold
Unabhängige Wirtschaftspolitik Wissenschaftliche Politikberatung seit 1968 am Beispiel der Fünf Wirtschaftsweisen
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17553-9
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit ergreifen und all den Menschen danken, ohne deren Hilfe die gesamte Untersuchung – und damit auch das vorliegende Buch – in dieser Form nicht hätte entstehen können. Zuvorderst zu nennen sind die amtierenden und die ehemaligen Mitglieder des Sachverständigenrates. Ohne ihre Kooperation hätte manche Frage ungeklärt bleiben müssen. Auch dem Bundeswirtschafts- sowie dem Bundesfinanzministerium sei herzlich gedankt für die große Hilfe einerseits bei der Beschaffung von Jahreswirtschaftsberichten, andererseits aber auch für die Möglichkeit, in Form von Interviews Informationen aus der politischen und administrativen Praxis zu erhalten. Ein besonderer Dank gilt auch der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, die mir Zugang zu dem großen Archiv der frühen Sachverständigengutachten ermöglicht hat. Nicht zuletzt möchte ich auch Prof. Dr. Torsten Oppelland vom Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena danken, der die Betreuung dieser Magisterarbeit übernahm und mir im Zuge der Vorbereitung und Durchführung der Untersuchung mit vielen nützlichen Tipps und Hinweisen wichtige Orientierungen gegeben und damit einen wichtigen Beitrag nicht zuletzt zum Gelingen der vorliegenden Buchpublikation geleistet hat. Für redaktionelle Unterstützung danke ich ganz herzlich Frau Ref. iur. Kati Lungershausen, Frau Dipl. Ing. Lena Kirschner und Herrn Daniel Thieme. Jena, im Juli 2010
Lea Arnold
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ......................................................................................................... 5 Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... 7 Abbildungen und Tabellen............................................................................... 11 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 13 1. 1.1 1.2 1.3
Einleitung ................................................................................................. 15 Aktualität des Themas und Fragestellung .............................................. 15 Forschungsstand .................................................................................... 19 Quellen und methodisches Vorgehen .................................................... 22
2.
Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik .............. 25 2.1 Wirtschaftspolitik in Deutschland.......................................................... 26 2.2 Politikberatung in Deutschland .............................................................. 30 2.2.1 Wissenschaftliche Politikberatung .................................................... 33 2.2.2 Theoretische Konzeptionen zum Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaftspolitik ............................................................................. 35 2.2.2.1 Die traditionelle Theorie der Wirtschaftspolitik ..................... 36 2.2.2.2 Neue wirtschaftswissenschaftliche Theorien zur Einordnung des Sachverständigenrates....................................................... 38
3.
Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland ............................................................. 41 3.1 Die Wissenschaftlichen Beiräte beim Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium ...................................................................... 42 3.2 Die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute .................................. 44 3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik ................... 48
8
Inhaltsverzeichnis
3.3.1 Der Weg zum „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates“..................................................................... 48 3.3.2 Gesetzesgrundlage und Aufgaben des Sachverständigenrates .......... 55 3.3.3 Aktuelle Kritik am Sachverständigenrat ........................................... 58 4.
Einordnung des Sachverständigenrates in die Theorien der Wirtschaftspolitik .................................................................................... 61
5.
Empirische Untersuchung ...................................................................... 63 5.1 Die erste Phase 1964-1969: „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“? ........ 64 5.1.1 Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte .................................... 64 5.1.2 Heterogener Sachverständigenrat und der Beginn der keynesianischen Wirtschaftspolitik .................................................. 66 5.1.3 Zusammenfassung ............................................................................ 78 5.2 Die zweite Phase 1969-1982: Von der Nachfrage- zur Angebotspolitik...................................................................................... 80 5.2.1 Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte .................................... 80 5.2.2 Ratsmehrheit versus Ratsminderheit................................................. 80 5.2.3 Zusammenfassung .......................................................................... 100 5.3 Die dritte Phase 1982-1998: Wirtschaftspolitische „Wende“ und Wiedervereinigung............................................................................... 101 5.3.1 Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte .................................. 101 5.3.2 Bewährungsprobe für die beworbene Angebotspolitik ................... 102 5.3.3 Zusammenfassung .......................................................................... 119 5.4 Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik? ............................................................................... 120 5.4.1 Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte .................................. 120 5.4.2 Der Sachverständigenrat und der „Dritte Weg“ .............................. 122 5.4.3 Zusammenfassung .......................................................................... 134 5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen .................................. 136
6.
Schlussbetrachtung ............................................................................... 149
Inhaltsverzeichnis
9
7.
Literaturverzeichnis .............................................................................. 153 7.1 Primärliteratur ...................................................................................... 153 7.2 Sekundärliteratur.................................................................................. 157
8.
Anhang ................................................................................................... 167
Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3:
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4:
Beratung durch den Sachverständigenrat laut Stabilitätsgesetz .................................................................... 144 Beratungsprozess in der gängigen Praxis .............................. 145 Anhang 1: Seitenumfang der Jahresgutachten des Sachverständigenrates im Untersuchungszeitraum 1964-2005 (eigene Darstellung)............................................ 167
Ratsbesetzung nach Falleinteilung ........................................ 141 Übersicht der Vier-Phasen-Einteilung .................................. 147 Anhang 2: Übersicht der Ratsbesetzung 1964 bis 2005 (eigene Darstellung) .............................................................. 168 Anhang 3: Schriftliche Anfragen an Ratsmitglieder, die bei ihrer Berufung von Gewerkschaftsseite unterstützt wurden .................................................................................. 172
Abkürzungsverzeichnis
BMF BMWi CEA DIW HWWA IfW IWH JG JWB MHV RWI StabG SVR SVRG WSI
Bundesfinanzministerium Bundeswirtschaftsministerium Council of Economic Advisers Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv Institut für Weltwirtschaft Institut für Wirtschaftsforschung Halle Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung Minderheitsvotum/Minderheitsvoten in den JG Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der HansBöckler-Stiftung
1. Einleitung
1.1
Aktualität des Themas und Fragestellung „Rational nenne ich eine Politik, die planmäßig auf die Verwirklichung eines umfassenden, wohldurchdachten und in sich ausgewogenen Zielsystems gerichtet ist und dabei den höchsten Erfolgsgrad erreicht, der unter den jeweiligen Um-ständen möglich ist. Die zentrale Aufgabe einer rationalen Wirtschaftspolitik besteht darin, die tatsächliche sozialökonomische Situation möglichst weitgehend einer bestimmten 1 Programmsituation anzunähern.“
„Die Krise in der Krise“ – so könnte die aktuelle Debatte in der deutschen Wirtschaftswissenschaft bezeichnet werden. Durch die jüngste Wirtschaftskrise hervorgerufen, muss sich das Fach vorhalten lassen, weder wirtschaftliche Entwicklungen voraussehen noch befriedigende Lösungen erarbeiten zu können. In den vergangenen Monaten entstand in diesem Kontext in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zwischen namhaften deutschen Wirtschaftswissenschaftlern eine Kontroverse, deren Mittelpunkt der Stellenwert ordnungspolitischer Maßnahmen bildet.2 So fordert die eine Seite eine stärkere Ausrichtung der deutschen Wirtschaftswissenschaft nach „internationalen Standards“3 und bezieht sich dabei auf die gängige Praxis in den Vereinigten Staaten, wo Ordnungspolitik in ihrem traditionellen Sinne als überholt angesehen und in der Wirtschaftswissenschaft verstärkt auf mathematische Modelle zurückgegriffen wird. Als Folge sollen deutsche Wirtschaftspolitiklehrstühle umstrukturiert 1 Giersch, Herbert, Allgemeine Wirtschaftspolitik. Grundlagen, Wiesbaden 1991, S. 22ff. Hervorhebungen aus der Quelle übernommen. 2 Vgl. Goldschmidt, Nils/Wegner, Gerhard/Wohlgemuth, Michael/Zweynert, Joachim, Was ist und was kann Ordnungsökonomik?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 19.06.2009, aufgerufen am 03.07.2009. 3 Plickert, Philip, Der Streit unter den Ökonomen eskaliert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 04.06.2009, aufgerufen am 08.08.2009.
16
1 Einleitung
werden, indem Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik nicht mehr strikt voneinander getrennt und verstärkt empirische Daten in wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen genutzt werden.4 Vorteil wäre eine bessere Verzahnung theoretischer wirtschaftswissenschaftlicher Ergebnisse mit „politikberatenden“5 Bereichen, da „die Trennung in Lehrstühle für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik“6 die Politikberatung nicht verbessert habe. Bereits lange vor der derzeitigen Diskussion um wirtschaftswissenschaftliche Theorie und deren Verknüpfung mit praktischer Politikberatung wurde in der bundesdeutschen Geschichte ein Gremium gegründet, dass sich in dem Balanceakt zwischen Wissenschaft und Beratung bewähren muss: der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (SVR), besser bekannt als die „Fünf Wirtschaftsweisen“. Die Idee durch ein unabhängiges Beratungsgremium wirtschaftspolitische Entscheidungen derart zu unterstützen, dass sie im Rahmen eines Ziel-Mittel-Systems wertneutrale Aussagen zu bestimmten „Programmsituationen“ treffen können, wurde erstmals von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard in den 1950er Jahren in die politische Diskussion eingebracht. Mit Hilfe von Prognosen über wirtschaftliche Zusammenhänge sollte Politikberatung möglich werden.7 Das größte Problem wirtschaftswissenschaftliche Politikberater war und ist die Frage nach den Möglichkeiten oder „Unmöglichkeiten“ einer Werturteilsfreiheit bei wissenschaftlichen Aussagen.8 Der SVR entstand im Rahmen politischer Ordnungsvorstellungen rationaler Politik in den 1960er Jahren, in dem sich ein starker Trend zur „Verwissenschaftlichung“ der Politik beobachten ließ. Der Rat, bestehend aus Wissenschaftlern, sollte die gesamtwirtschaftliche Realität der Bundes4 Vgl. Bachmann, Rüdiger, Ordnungsökonomik reicht nicht. Die entzweiten Ökonomen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, http://www.faz.net/s/RubB8DFB31915A443D98590B0D538FC0BEC/Doc~E6F06C01DC0694EA3 B9F7349372F58548~ATpl~Ecommon~Scontent~Atype~Econtra.html#ProContraArea vom 06.06. 2009 aufgerufen am 03.07.2009. 5 Vgl. ebd. 6 Plickert, Frankfurter Allgemeine Zeitung am 04.06.2009. 7 Vgl. Kirchgässner, Gebhard, Homo Oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 3., ergänzte und erweiterte Auflage, Tübingen 2008, S. 7. 8 Vgl. den mündlichen Beitrag von Prof. Wolfgang Kasper auf dem Symposium „Zur Lage der Ordnungstheorie“ im Rahmen der „Hayek-Tage“ 2009 in Jena am 26.06.2009.
1.1 Aktualität des Themas und Fragestellung
17
republik nachvollziehbar erläutern und auf dieser Grundlage wirtschaftspolitische Ansätze entwerfen.9 Durch dieses wissenschaftliche Fundament sollte die Plan- und Steuerbarkeit der Wirtschaftspolitik erhöht werden. Mit dem SVR wurde erstmals ein unabhängiges Politikberatungsgremium geschaffen, das zu einer wertneutralen Wirtschaftspolitik beitragen sollte. Gerade in diesem Politikfeld bedienen sich die politischen Entscheidungsträger des fachlichen Wissens von Experten – ist das Feld doch zu kompliziert, als dass der Laie die wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhänge überblicken könnte. Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, Finanzierungsengpässe in den sozialen Sicherungssystemen und Staatsverschuldung sind bisher ungelöste Herausforderungen der Politik.10 Im Prozess der Politikgestaltung, sei es beim „AgendaSetting“ oder der konkreten Umsetzung politischer Vorhaben, ist es in Deutschland nicht ungewöhnlich, bei komplexen Problemfeldern auf externe Sachverständige zurückzugreifen, die trotz fehlender Legitimation durch gewähltes Mandat an konsensualer Politik teilhaben.11 Die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung steht jedoch seit längerem in der Kritik. Auch der SVR bleibt davon nicht verschont. Als Erhard in den 1950er Jahren dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer dieses Gremium vorschlägt, das als neutraler Akteur die Regierungspolitik und die Tarifpolitik unterstützen soll, reagiert dieser brüskiert: „Erhard, woll’n se sich ne Laus in’n Pelz setzen?“12 Doch Erhards Idee der entpolitisierten Wirtschaftspolitik entspringt einem Interesse, das sich aus der damaligen wissenschaftlichen Debatte um Wirtschaftspolitik speist. Herbert Gierschs Definition der rationalen 9 Vgl. Strätling, Ansgar, Sachverständiger Rat im Wandel. Der theoretische Argumentationshintergrund des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zur Beschäftigungspolitik von 1964-1999 (Hochschulschriften, Bd. 71), Marburg 2001, S. 20. 10 Vgl. Cassel, Susanne, Politikberatung und Politikerberatung. Eine institutionenökonomische Analyse der wissenschaftlichen Beratung der Wirtschaftspolitik (Beiträge zur Wirtschaftspolitik, Bd. 76), Bern 2001, S. 1. 11 Vgl. Streit, Manfred E., Wissenschaftliche Politikberatung zwischen Wissensmangel und Opportunismus, in: Freytag, Andreas (Hrsg.), Weltwirtschaftlicher Strukturwandel, nationale Wirtschaftspolitik und politische Rationalität. Festschrift für Juergen B. Donges zum 65. Geburtstag, Köln 2005, S. 30-35, hier: S. 33. 12 Konrad Adenauer zit. nach: Lambsdorff, Otto Graf von, Politikberatung im Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaftlichkeit und Durchsetzbarkeit, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 1963-2003, Wiesbaden 2003, S. 76-82, hier: S. 77.
18
1 Einleitung
Wirtschaftspolitik aus dem Jahr 1961 spiegelt Erhards Grundgedanken einer Entpolitisierung wider. Eine wirtschaftspolitische Situation sollte richtig eingeschätzt werden können, um dann kurzfristig auf diese reagieren zu können und durch eine effiziente Wahl die geeigneten Mittel zur Zielerreichung zu finden.13 Wird im Folgenden also von „rationaler“ bzw. „entpolitisierter Wirtschaftspolitik“ gesprochen, stehen die beiden Elemente der sachlich korrekten Einschätzung wirtschaftlicher Entwicklungen sowie der Wahl der richtigen Mittel zur Zielerreichung im Fokus. Die Ergebnisse beider Aufgaben können einerseits durch (partei-)taktische Überlegungen, andererseits durch ausschließlich sachliche Überlegungen beeinflusst sein. Letzteres wollte Erhard erreichen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine rationale Politikberatung zur Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik heute noch durch den SVR gewährleistet werden kann. Dabei ergeben sich zwei Problemebenen. Zunächst setzt eine rationale und entpolitisierte Politik voraus, dass das Beratungsgremium selbst auch entpolitisiert ist und handelt. Nur darauf aufbauend kann eine entpolitisierende Wirkung auf die Wirtschaftspolitik erreicht werden. Handelt das Gremium rational, müssen jedoch auch Widersprüche zwischen politischer und wissenschaftlicher Rationalität berücksichtigt werden. Wenn z.B. der Wirtschafts- und Finanzminister Helmut Schmidt 1972 erklärt: „Fünf Prozent Inflation sind besser als fünf Prozent Arbeitslosigkeit. [...] auch ein wissenschaftlich zweifelhafter Zusammenhang kann mich nicht davon abbringen, in einer Wahlveranstaltung vor 10.000 Ruhrkumpeln in der Dortmunder Westfalenhalle das politisch Nützliche zu verkünden“14 wird deutlich, dass hier eher die politische Rationalität der Machterhaltung bzw. die Rationalität der praktischen politischen Durchsetzbarkeit überwiegt.15 Auch der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl hat auf wissenschaftliche Kritik wiederholt geantwortet: „Ich will nicht den Ludwig-Erhard13
Vgl. Zweifel, Peter, Warum eine rationale Wirtschaftspolitik, in: Milde, Hellmuth/Monissen, Hans G. (Hrsg.), Rationale Wirtschaftspolitik in komplexen Gesellschaften. Gérard Gäfgen zum 60. Geburtstag, Stuttgart, u.a. 1985, S. 149-161, hier: S. 149. 14 Helmut Schmidt zit. nach: Schlecht, Otto, An der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Beratung und politischer Umsetzung, in: ders./van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 19-22, hier: S. 20f. 15 Vgl. Mayntz, Renate, Die Organisation wissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland, in: Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland, Wiesbaden 2006, S. 115-122, hier: S. 121.
1.2 Forschungsstand
19
Preis, sondern die nächsten Wahlen gewinnen!“16 Diese unterschiedlichen Zweckrationalitäten prägen das Verhältnis von wissenschaftlicher Beratung und praktischer Politik stark und müssen bei der Analyse berücksichtigt werden.17 Die zentrale Fragestellung der Arbeit lautet vor diesem Hintergrund: Kann der SVR durch eine rationale Politikberatung eine entpolitisierende Wirkung auf die Wirtschaftspolitik in Deutschland entfalten? Im Fokus der Untersuchung stehen dabei die folgenden zwei Ebenen: zum einen die Arbeit innerhalb des Rates und zum anderen die Wirkung des Rates nach außen auf die Regierungspolitik. Diese Arbeit versteht sich explizit nicht als wirtschaftswissenschaftliche Arbeit mit der Untersuchung wirtschaftlicher Kalküle und Analysen, sondern setzt sich mit den politischen Verhältnissen und den Wechselwirkungen zwischen SVR, dem Bundeskanzleramt, dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und dem Bundesfinanzministerium (BMF) auseinander. 1.2
Forschungsstand
Der SVR und seine Arbeit sind in der einschlägigen Literatur sehr ausführlich dargestellt, jedoch mit einseitigem Fokus und wirtschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt. So hat z.B. das ehemalige Ratsmitglied Ernst Helmstädter eine umfassende Beschreibung der Entstehung und Arbeitsaufnahme des SVR in den 1950er und 1960er Jahren publiziert.18 Speziell zur Beschäftigungspolitik des SVR veröffentlichte Ansgar Strätling eine Untersuchung, die sich mit dem theoretischen Argumentationshintergrund des SVR im Zeitraum 1964 bis 1999 beschäftigt. Strätlings Arbeit befasst sich jedoch nicht mit der Besetzung des Rates und dessen Wirkung, sondern konzentriert sich auf die Beschreibungs- und Er-klärungsmuster des SVR.19 Die zum 30- und 40-jährigen Bestehen des Gremiums abgehaltenen Diskussionsrunden fokussieren sich stark auf die 16
Helmut Kohl zit. nach: Schlecht, Schnittstelle, S. 21. Vgl. Donges, Juergen B., Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung. Festvortrag anlässlich des 10-jährigen Bestehens des IWH, in: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.), Wirtschaft im Wandel (9/2002), Halle 2002, S. 239-247, hier: S. 240. 18 Vgl. Helmstädter, Ernst, Die Vorgeschichte des Sachverständigenrates und ihre Lehren, in: Nienhaus, Volker/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), Grundlagen und Erneuerung der Marktwirtschaft. Festschrift für Hans Besters, Baden-Baden 1988, S. 155-184. 19 Vgl. Strätling, Wandel, S. 21. 17
20
1 Einleitung
Entstehung und Perspektiven des SVR.20 Die diesbezügliche Literatur problematisiert vorwiegend die Effektivität des Gremiums und gibt Reformvorschläge.21 Die vorliegende Arbeit reiht sich nicht ein in die reformorientierten Debatten in den wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen, sondern fragt nach der entpolitisierenden Wirkung des SVR und deren Voraussetzungen. Da die Debatte um Werturteile in den Wirtschaftswissenschaften in der Entstehungsphase des Rates sehr aktuell war, finden sich etliche Veröffentlichungen, die sich unter diesem Aspekt dem SVR nähern.22 Ob insbesondere die Ratsmitglieder eigennützig handeln, wurde dabei noch nicht untersucht. In der Literatur besteht zudem Uneinigkeit über ihr rationales Handeln.23 Dass auf Seiten der Politiker ein Eigeninteresse besteht, wird allerdings zum großen Teil bestätigt.24 Eine sehr ausführliche Festschrift zum Thema „Rationale Wirtschaftspolitik in komplexen Gesellschaften“ ist 1985 erschienen. Sie analysiert die die Idee rationaler Wirtschaftspolitik kritisch und eröffnet anschließend für einzelne Politikfelder Möglichkeiten rationaler Wirtschaftspolitik.25 Ingo Pies fordert, dass der Berater sich nicht auf die Suche nach erstbesten Lösungen für ökonomische Probleme machen, sondern dabei helfen sollte, den Interessenkonflikt aufzulösen, der die Probleme erst verursacht hat.26 Im Gegensatz dazu fordern Hartmut Berg, Dieter Cassel und Karl-Hans Hartwig eine Trennungslinie zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Entscheidung.27 Mit 20
Die Beiträge wurden in den Bänden „30 Jahre Sachverständigenrat“ und „40 Jahre Sachverständigenrat“ veröffentlicht. 21 Vgl. z.B. Rürup, Bert/Bizer, Kilian, Der Sachverständigenrat und sein Einfluss auf die Politik, in: Jens, Uwe/Romahn, Hajo (Hrsg.), Der Einfluss der Wissenschaft auf die Politik, Marburg 2002, S. 59-73, hier: S. 65. 22 Vgl. Apolte, Thomas/Wilke, Thomas, Größere Effizienz der Wirtschaftspolitik durch institutionalisierte wissenschaftliche Politikberatung? in: Cassel, Dieter (Hrsg.), 50 Jahre Marktwirtschaft (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Bd. 57), Stuttgart 1998, S. 769-789, hier: S. 770. 23 Vgl. z.B. contra: Streit, Manfred E., Rationale Wirtschaftspolitik in einem komplexen System (Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Diskussionsbeitrag 05-2000), Jena 2000, S. 10, pro: Cassel, Politikberatung, S. 28. 24 Vgl. z.B. Kirchgässner, Oeconomicus, S. 254; Cassel, Politikberatung, S. 28. 25 Vgl. Milde, Hellmuth/Monissen, Hans G. (Hrsg.), Rationale Wirtschaftspolitik in komplexen Gesellschaften. Gérard Gäfgen zum 60. Geburtstag, Stuttgart u.a. 1985. 26 Vgl. Pies, Ingo, Ordnungspolitik in der Demokratie: ein ökonomischer Ansatz diskursiver Politikberatung (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Bd. 116), Tübingen 2000, S. 301f. 27 Vgl. Berg, Hartmut/Cassel, Dieter/Hartwig, Karl-Hans, Theorie der Wirtschaftspolitik, in: Bender, Dieter, u.a. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, München 2003, S. 171-295, hier: S. 270.
1.2 Forschungsstand
21
Blick auf die Beziehungen zwischen Politik und Politikberatung gab es in den vergangenen Jahren neuere theoretische Entwicklungen, auf die in Kapitel 2.2.2.2 noch näher einzugehen sein wird. Das Politikfeld der Wirtschaftspolitik ist in der Literatur gut erfasst. Es dominieren jedoch v.a. wirtschaftswissenschaftliche Darstellungen. Eine Zusammenfassung der Wirtschaftspolitik bis zur rot-grünen Regierung findet sich z.B. bei Reimut Zohlnhöfer.28 Bemerkenswert ist jedoch, dass die Wirtschaftsgeschichte der jüngeren Bundesrepublik sehr viel weniger erschlossen ist als ihre politische Geschichte. Während sich die wirtschaftsgeschichtliche Erforschung der Bundesrepublik bislang auf die unmittelbare Nachkriegszeit und auf die Phase des „Wirtschaftswunders“ konzentriert, steht eine umfassende wissenschaftliche Gesamtdarstellung der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik bislang aus.29 Es liegen auch keine Untersuchungen vor, die die Entwicklung der wirtschaftspolitischen Politikberatung mit Fokus auf den SVR und den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung (JWB) bis heute aufzeigen.30 Analysen der Gutachten des SVR liegen nur bruchstückhaft vor, was auf die Länge der Jahresgutachten des Sachverständigenrates (JG) zurückzuführen sein könnte.31 Auch eine Untersuchung der JWB im Hinblick auf die Rezeption der JG ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive noch nicht erfolgt. Die folgende Untersuchung soll vor diesem Hintergrund insbesondere einen Beitrag dazu leisten, die Besetzung des SVR im Zusammenhang mit regierungspolitischen Veränderungen zu betrachten, um daraus die Wirkung des Rates abzuleiten.
28 Vgl. Zohlnhöfer, Reimut, Vom Wirtschaftswunder zum kranken Mann Europas? Wirtschaftspolitik seit 1945, in: ders./Schmidt, Manfred G. (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949, Wiesbaden 2006, S. 285-31. 29 Vgl. Rödder, Andreas, Die Bundesrepublik Deutschland 1969-1990 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 19A), München 2004, S. 174f. 30 Vgl. Nützenadel, Alexander, Wissenschaftliche Politikberatung in der Bundesrepublik. Die Gründung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage 1963, in: Schulz, Günther, u.a. (Hrsg.), Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Bd. 89), Wiesbaden 2002, S. 288-306, hier: S. 289. 31 Der Umfang der JG hat innerhalb des Untersuchungszeitraumes stark zugenommen. Eine Übersicht über die Länge der JG findet sich in Anhang 1.
22 1.3
1 Einleitung
Quellen und methodisches Vorgehen
Nach einem theoretischen Teil, der auf der einschlägigen Literatur zum Thema SVR und wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung beruht, wird eine empirische Untersuchung erfolgen. Diese gliedert sich in vier Phasen, in denen jeweils Spezifika bzgl. der Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik herausgearbeitet werden.32 Als Quellen für die Untersuchung werden die JG des SVR der Jahre 1965 bis 2008 und die JWB der Bundesregierung der Jahre 1968 bis 2007 herangezogen.33 Die JG werden insbesondere unter Berücksichtigung der Ratsbesetzung auf Minderheitsvoten (MHV) untersucht, da diese in Frage stellen, dass es für jedes Problem nur genau eine richtige wissenschaftliche Lösung gibt. An die SVR-Mitglieder, die regelmäßig MHV abgegeben haben, wurde vor diesem Hintergrund eine kurze schriftliche Anfrage gestellt, deren Ergebnisse mit in die Untersuchung einfließen werden. Die MHV werden als Indikatoren für eine Entpolitisierung innerhalb des Gremiums herangezogen. Der Idealfall eines entpolitisierten Gremiums wäre, wenn die Mitglieder keine Eigeninteressen34 verfolgen und die verschiedenen wirtschaftspolitischen Positionen zu gleichen Teilen in das JG mit einfließen würden. Von einem politisierten Gremium wird in dieser Arbeit in zwei Fällen ausgegangen. Zum einen, wenn eine wirtschaftspolitische Ausrichtung oder eine Partei überproportional häufig im SVR vertreten ist und wenn diese Ausrichtung auch wirtschaftspolitischen Grundpositionen der Bundesregierung entspricht. Zum anderen, wenn der Rat zwar heterogen besetzt ist, doch nach außen keine einheitliche Meinung zu wirtschaftspolitischen Problemstellungen abgibt. Da zu Beginn der ersten Phase Ratsmitglieder austraten, wird auch dies in der Untersuchung berücksichtigt. In den JWB sollen die Reaktionen der Regierung auf die JG analysiert werden. Als Indikatoren für eine entpolitisierende Wirkung des Rates nach außen wird untersucht, inwiefern der JWB auf MHV in den JG eingeht und ob Vorschläge der Wissenschaftler berücksichtigt werden. Diese Vorgehenswei32
Nach Durchsicht aller JG und JWB wurde eine Themenauswahl getroffen, da eine Untersuchung des gesamten Quellenmaterials den Rahmen dieser Bearbeitung übersteigen würde. 33 Der JWB wurde erst mit dem „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (StabG) im Jahr 1967 eingeführt und erschien erstmalig 1968. 34 Cassel spricht von „Eigeninteressen“ der Politikberater, wenn die Hauptmotivation als Berater tätig zu werden „Ehre und Steigerung der Reputation“ sind; Cassel, Politikberatung, S. 134.
1.3 Quellen und methodisches Vorgehen
23
se macht es notwendig, die Entwicklungen in der Wirtschaftspolitik mit zu berücksichtigen und diese, wo sinnvoll, mit politischen Hintergrundinformationen zu ergänzen. Anhand der Indikatoren soll geprüft werden, wie interdependent der SVR und die Politik sind, und ob vom Rat eine entpolitisierende Wirkung auf die Wirtschaftspolitik ausgeht.
2. Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
Der SVR ist neben den Wissenschaftlichen Beiräten des BMWi und des BMF das älteste Gremium wissenschaftlicher Politikberatung im Bereich der Wirtschaftspolitik. Wirtschaftswissenschaftlicher Beratung kommen im Idealfall zwei Funktionen zu: Einerseits kann sie Argumente liefern, um sich über Gruppeninteressen oder kurzfristig attraktive, langfristig aber schädliche Lösungsvorschläge hinwegzusetzen. Andererseits kann wissenschaftliche Beratung die Urteilsbildung der Öffentlichkeit erleichtern, die damit im Idealfall wiederum eine „Kontrolle“ über die Qualität der Wirtschaftspolitik ausüben kann.35 In einem funktionierenden Dialog zwischen Wirtschaftswissenschaften und Politik sollen die Berater ökonomische Fehlentwicklungen und unerwünschte Nebenwirkungen erkennen.36 Ein immer wiederkehrender Konflikt ist, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen in der Demokratie stets im Spannungsverhältnis zwischen Sachverstand und Mehrheitsmeinung gefällt werden müssen. Auch die Kritik an wirtschaftspolitischer Beratung wird meist an diesem Spannungsfeld festgemacht. Die Divergenzen zwischen Ökonomen und Politikern sind nicht zuletzt in dem begrenzt rationalen Verhalten, der sog. „bounded rationality“37, begründet. Ob dieses Verhalten jedoch lediglich den Politikern zu unterstellen ist, die Stimmenmaximierung für anstehende Wahlen betreiben, und ob Wissenschaftler im Gegensatz dazu rational handeln, wird auch einer der Schwerpunkte in der
35
Vgl. Donges, Juergen B./Freytag, Andreas, Allgemeine Wirtschaftspolitik, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 2004, S. 31f. 36 Vgl. Jens, Uwe, Erkenntnisse aus der aktuellen Politik für die Sozialwissenschaften, in: ders./Romahn, Hajo (Hrsg.), Der Einfluss der Wissenschaft auf die Politik, Marburg 2002, S. 9-21, hier: S. 14. 37 Döring, Thomas, Ökonomische Politikberatung in der Demokratie – Was lässt sich von Walter Euckens ordnungspolitischer Konzeption lernen? in: Pies, Ingo/Leschke, Martin (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik (Konzepte der Gesellschaftstheorie, Bd. 8), Tübingen 2002, S. 102-111, hier: S. 103.
26
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
empirischen Untersuchung sein.38 Bevor die wirtschaftswissenschaftliche Beratung näher betrachtet wird, sollen zunächst die Charakteristika des Politikfeldes Wirtschaftspolitik dargestellt werden. 2.1
Wirtschaftspolitik in Deutschland
Eine sehr prägnante Definition gibt Giersch, indem er Wirtschaftspolitik als „die Gesamtheit aller Bestrebungen, Handlungen und Maßnahmen, die darauf abzielen, den Ablauf des Wirtschaftsgeschehens in einem Gebiet oder Bereich zu ordnen, zu beeinflussen oder unmittelbar festzulegen“39 beschreibt. Nach diesen Merkmalen umfasst Wirtschaftspolitik allgemein alle staatlichen Aktivitäten im wirtschaftlichen Bereich. Die deutsche Wirtschaftsordnung ist aus Sicht des Grundgesetzes beliebig, doch schon vor der Währungsreform im Jahr 1948 entstand in Westdeutschland die Konzeption der „Sozialen Marktwirtschaft“.40 Es waren insbesondere Walter Eucken und Franz Böhm von der „Freiburger Schule“ sowie Friedrich August von Hayek, die diese neue Ordnung ins Leben riefen.41 Wichtige verfassungs-, aber beispielsweise auch wirtschaftspolitische Entscheidungen wurden damit noch vor Gründung der Bundesrepublik unter dem Besatzungsregime getroffen.42 In der Sozialen Marktwirtschaft erfolgt Wettbewerb und Freihandel innerhalb eines gemeinwohlorientierten, rechtsstaatlichen Rahmens.43 Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ wurde später stark von Alfred Müller-Armack geprägt, der sich dabei auf die Arbeiten von Hayek und 38
Vgl. Jens, Erkenntnisse, S. 12. Giersch, Wirtschaftspolitik, S. 17. 40 Vgl. Hüther, Michael, Unzeitgemäße Politikberatung – Warum wir über Ordnungspolitik reden müssen, in: Freytag, Andreas (Hrsg.), Weltwirtschaftlicher Strukturwandel, nationale Wirtschaftspolitik und politische Rationalität. Festschrift für Juergen B. Donges zum 65. Geburtstag, Köln 2005, S. 36-52, hier: S. 38. 41 Vgl. Müller-Armack, Alfred, Stil und Ordnung der sozialen Marktwirtschaft, in: Messner, Johannes/Lagler, Ernst (Hrsg.), Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Ordnung, Wien 1952, S. 2738, hier: S. 28. 42 Vgl. Schmidt, Manfred G./Zohlnhöfer, Reimut, Rahmenbedingungen politischer Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949, in: dies. (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949, Wiesbaden 2006, S. 11-29, hier: S. 22. 43 Vgl. Hillebrand, Rainer/Welfens, Paul J.J., Globalisierung der Wirtschaft: Wirtschaftspolitische Konsequenzen des internationalen Standortwettbewerbs, in: Cassel, Dieter (Hrsg.), 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Bd. 57), Stuttgart 1998, S. 403-440, hier: S. 404. 39
2.1 Wirtschaftspolitik in Deutschland
27
Eucken stützte.44 Die praktische Umsetzung des Konzepts kam Erhard als Wirtschaftsminister zu. Im Gegensatz zu gänzlich freiheitlichen Wirtschaftsordnungen sollte in der Sozialen Marktwirtschaft der Staat sowohl eine Rolle bei der Einkommensumverteilung, als auch in der Ausgestaltung der Finanz- und Sozialpolitik spielen. So wurde die Idee des freien Wettbewerbs mit sozialem Fortschritt verbunden und ebnete den Weg zum deutschen „Wohlfahrtsstaat“.45 Die finanz- und sozialpolitischen Aspekte werden auch im Fokus der empirischen Untersuchung stehen. Als allgemeine wirtschaftspolitische Ziele gelten z.B. Wohlstandssteigerung, Erhöhung der materiellen Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz.46 In der praktischen Wirtschaftspolitik ist jedoch immer mit einem Bündel an Zielen zu rechnen, deren Beziehungen auch bei der Politikberatung beachtet werden müssen.47 Für jedes der wirtschaftspolitischen Ziele ist ein Träger zuständig, d.h. für jeden Teilbereich der Wirtschaftspolitik gibt es eine „federführende Institution“.48 Als Beispiele sind die Arbeitsteilung zwischen BMWi und BMF, die Tarifautonomie der Tarifparteien und auch die Bundesbank bis 1999, die von der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung weitgehend unabhängig war, zu nennen.49 Um Merkmale der Wirtschaftspolitik besser kategorisieren zu können, wird der Begriff der Wirtschaftspolitik und damit „alle Maßnahmen, mit denen die Wirtschaftsordnung eines Landes sowie die Abläufe und Strukturen beeinflusst werden sollen“50, in der Literatur weiter differenziert. Auf dem Fundament der sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung setzt sich Wirtschaftspolitik aus den Teilbereichen Ordnungs-, Prozess- und Strukturpolitik zusammen.51 Während 44
Vgl. Woll, Artur, Wirtschaftspolitik, München 1984, S. 84. Vgl. ebd., S. 86. 46 Vgl. Donges/Freytag, Wirtschaftspolitik, S. 4ff. 47 Vgl. ebd., S. 8. 48 Albach, Horst, Erfahrungen im Sachverständigenrat, in: Gahlen, Bernhard/Meyer, Bernd/Schumann, Jochen (Hrsg.), Wirtschaftswachstum, Strukturwandel und dynamischer Wettbewerb. Ernst Helmstädter zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1989, S. 403-420, hier: S. 415. 49 Vgl. Schmidt/Zohlnhöfer, Willensbildung, S. 13. 50 Pollert, Achim/Kirchner, Bernd/Polzin, Javier Morato, Wirtschaftspolitik, in: dies. (Hrsg.), Das Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z (BpB, Bd. 414), Bonn 2004, S. 157-158, hier: S. 157. 51 Vgl. Wilke, Gerhard, Pocket. Wirtschaft in Deutschland (BpB), Bonn 2003, S. 120. 45
28
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
Ordnungspolitik die allgemeinen Fundamente für die wirtschaftliche Betätigung der Wirtschaftssubjekte festlegt, dient die Prozesspolitik der konkreten Steuerung des wirtschaftlichen Geschehens.52 Innerhalb der deutschen Wirtschaftspolitik und auch bei der folgenden empirischen Untersuchung kommt dieser Unterscheidung eine erhebliche Bedeutung zu. Sie stützt sich auf Eucken, der die primäre Aufgabe der Wirtschaftspolitik als die Errichtung und Erhaltung einer Wirtschaftsordnung begreift.53 Zunächst sei es deswegen Aufgabe der Wirtschaftspolitik, Grundsatzentscheidungen zu treffen (Ordnungspolitik), um im Folgenden diese Entscheidungen zu steuern (Prozesspolitik). So sind Beispiele für Ordnungspolitik die „Sicherung von Privateigentum, Tarifautonomie und Notenbankunabhängigkeit“54, wohingegen Prozesspolitik die Konsequenz der Ordnungspolitik ist und spezielle Wirtschaftspolitik zur Beeinflussung der laufenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie z.B. der antizyklischen Konjunkturpolitik, unternimmt. Ausgehend von der Unterscheidung der Ordnungs- und Prozesspolitik bildeten sich in der praktischen Wirtschaftspolitik Deutschlands verschiedene Strömungen heraus. So herrschte in der jungen Bundesrepublik der Ordoliberalismus vor, der die Ordnungsfunktion des Staates in Anlehnung an die „Freiburger Schule“ in den Mittelpunkt stellte, um die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Einzelnen zu sichern und einen funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten. Die deutsche Ausprägung des Ordoliberalismus, häufig auch im negativen Sinne als „Neoliberalismus“ bezeichnet, geht in ihren Wurzeln auf die Werke Euckens zurück.55 Ein Ende fand diese Phase mit dem Abklingen des Wirtschaftswunders. Dieses veränderte die Ansichten über eine effektive Wirtschaftspolitik durch eine Wende zum „Keynesianismus“. Die empirische Analyse wird auf diese Veränderungen noch ausführlich eingehen. In der Theorie des Keynesianismus, die auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes zurückgeht, betreibt der Staat in wirtschaftlichen Krisen eine aktive Konjunkturpolitik, um die gesamtwirt-
52
Vgl. Donges/Freytag, Wirtschaftspolitik, S. 266. Vgl. Woll, Wirtschaftspolitik, S. 14. 54 Schlösser, Hans-Jürgen, Staat und Wirtschaft (BpB, Bd. 294), Bonn 2007, S. 56. 55 Vgl. Donges/Freytag, Wirtschaftspolitik, S. 270. 53
2.1 Wirtschaftspolitik in Deutschland
29
schaftliche Nachfrage zu stärken. Aus späteren Haushaltsüberschüssen sollen die Schulden dann wieder getilgt werden, so die optimistische Theorie der sog. Globalsteuerung.56 Diese ist eines der wichtigsten Instrumente der keynesianischen Theorie und meint die „Beeinflussung volkswirtschaftlicher Gesamtgrößen wie Wachstum, Volkseinkommen, Preisniveau, Investitionen, Außenhandel oder Beschäftigung durch die Wirtschafts- und Geldpolitik“57. Der Keynesianismus war eine Reaktion auf die „klassische Nationalökonomie“ und Adam Smiths Vorstellung der „unsichtbaren Hand“, die den Markt reguliert. Sie fordert im Gegenzug die Inkaufnahme der Verschuldung des Staates, das „deficit spending“.58 Keynes war ein Gegner der These, dass sich ein Angebot seine Nachfrage selber schaffe. Nachdem jedoch in Amerika und den meisten europäischen Staaten in den 1950er und 1960er Jahren eine keynesianisch geprägte Wirtschaftspolitik vorherrschte, vermehrte sich die Skepsis gegenüber der Globalsteuerung infolge der Auswirkungen der Ölkrisen. Die Wiederkehr des ordnungspolitischen Denkens in die Wirtschaftspolitik setzte Mitte der 1970er Jahre mit der Entwicklung der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik als Folge der zweiten großen Rezession von 1975 ein.59 Durch diese mittelfristig ausgelegte Politik wurden die prozesspolitischen Maßnahmen des Keynesianismus weitgehend verdrängt.60 Auf diesen Aspekt wird im empirischen Teil noch einzugehen sein. Im Gegensatz zum Keynesianismus sieht die Angebotspolitik zu hohe Lohnkosten als Problem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und weist den Tarifparteien, die gemäß Art. 9 III des Grundgesetzes das Grundrecht der Tarifautonomie besitzen, ein erhebliches Maß an Verantwortung für die Beschäftigung zu. Über die Einwirkung auf die Investitionen, die zu Produktion, Beschäftigung und Einkommen führen, soll zusätzliche mittelbare Nachfrage geschaffen werden.61 Diese beiden theoretischen Ansätze 56
Vgl. Wilke, Wirtschaft, S. 64. Pollert, Achim/Kirchner, Bernd/Polzin, Javier Morato, Globalsteuerung, in: dies. (Hrsg.), Das Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z (BpB, Bd. 414), Bonn 2004, S. 138-139, hier: S. 138. 58 Hüther, Michael, John Maynard Keynes. Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1936), in: ders. (Hrsg.), Klassiker der Ökonomie. Von Adam Smith bis Amartya Sen (BpB, Bd. 611), Bonn 2006, S. 155-168, hier: S. 158. 59 Vgl. Hüther, Ordnungspolitik, S. 46. 60 Vgl. Wilke, Wirtschaft, S. 6. 61 Vgl. Donges/Freytag, Wirtschaftspolitik, S. 307. 57
30
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
der Angebots- und Nachfragepolitik waren für die wirtschaftswissenschaftliche Debatte und wirtschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland prägend und sind eng mit der Geschichte des SVR verbunden. Welche Rolle der SVR in dieser Debatte einnimmt, wird in der empirischen Untersuchung noch zu klären sein. Als Beratungsgremium ergeben sich für den Rat neben den wirtschaftswissenschaftlichen Kontroversen auch spezielle Beratungskonflikte. Welche Charakteristika Politikberatung, und hier insbesondere wissenschaftliche Politikberatung wie sie auch der SVR leistet, in Deutschland innehat, wird im Folgenden betrachtet. 2.2
Politikberatung in Deutschland
Der Begriff der Politikberatung ist sehr vielfältig und wird häufig als „Sammelbegriff für unterschiedliche Formen der Unterstützung und Absicherung politischer Entscheidungen“62 verwendet. Dies meint zunächst die Beratung unterschiedlicher Träger der Wirtschaftspolitik durch beratende Einrichtungen wie z.B. den SVR. Dabei ist das wichtigste Merkmal dieser Form der Beratung, dass sie „auf wissenschaftlicher Expertise oder anderen Formen der Erfahrung und des Fachwissens beruht“.63 Die institutionelle Einbindung wirtschaftswissenschaftlicher Interessen beruht auf einer langen Tradition korporatistischer Zusammenarbeit in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Muster durch eine regelrechte Planungseuphorie ergänzt. Politiker und führende Soziologen, wie z.B. Helmut Schelsky, setzten sich mit dem Thema „Politikberatung“ praktisch und theoretisch auseinander. Sowohl unter den Wissenschaftlern als auch unter Politikern bestand der Wunsch, die als Folge der NS-Zeit hervorgerufene Diskreditierung einer Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft zu überwinden. Dabei orientierte sich Deutschland stark an angloamerikanischen Vorbildern, wie z.B. den „Think Tanks“ und den Beratern der amerikanischen Präsidenten. Deren Grundzüge wurden übernommen und den 62
Schubert, Klaus/Klein, Martina, Politikberatung, in: dies. (Hrsg.) Politiklexikon (BpB, Bd., 497), Bonn 2006, S. 230. 63 Ebd.
2.2 Politikberatung in Deutschland
31
deutschen Gegebenheiten angepasst. Die Wissenschaftlichen Beiräte des BMWi und des BMF sind ein gutes Beispiel für die Adaption amerikanischer Gremien, da sie dem 1946 gegründeten „Council of Economic Advisers“ (CEA) nachempfunden wurden. Für die Unterscheidung der zahlreichen Politikberatungsgremien werden in der Literatur bestimmte Merkmale herangezogen. Grundsätzlich kann Politikberatung entweder „angebotsorientiert“ oder „nachfrageorientiert“ sein.64 D.h. die Beratung wird entweder nachgefragt, wie beispielsweise bei den Wissenschaftlichen Beiräten, die meist im Auftrag eines Bundesministeriums eine Untersuchung durchführen, um z.B. eine verbesserte Organisation oder Finanzierung zu erreichen.65 Oder es wird ein „Think Tank“ gegründet, der seine Ergebnisse auf dem Beratungsmarkt „anbietet“ und versucht im „policy-cycle“ einzubringen. Dabei zielt die „klassische“ Politikberatung meist auf inhaltliche Politikgestaltung, u.a. auf Lösungsansätze zu Fragen der Wirtschaftspolitik oder der Umweltpolitik.66 Mittlerweile wird präzise zwischen „policy advice“, der Maßnahmen und Programmvorschläge beinhaltet, und „political consulting“, der Unterstützung in Wahlkämpfen, unterschieden.67 Politikberatung kann von ressorteigenen Beiräten, Ad-hoc-Beratungen, Bund-Länder-Einrichtungen (z.B. die staatlichen Wirtschaftsforschungsinstitute) oder eigenständigen Forschungseinrichtungen geleistet werden.68 Der SVR hat als unabhängiges Gremium eine Sonderrolle im Kreise der Beratungsgremien. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind der Adressatenkreis der Politikberatung, die Zusammensetzung des Gremiums und ob eine Geschäftsstelle, wie z.B. die des SVR beim Statistischen Bundesamt, betrieben wird. 64
Vgl. Mayntz, Politikberatung, S. 115. Diese etwas missverständliche Begriffswahl steht nicht im Zusammenhang mit den wirtschaftspolitischen Ausrichtungen der Angebots- und Nachfragepolitik. 65 Vgl. Wewer, Göttrik, Politikberatung und Politikgestaltung, in: Schubert, Klaus/Bandelow, Nils C. (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse, München 2003, S. 361-390, hier: S. 370. 66 Vgl. ebd., S. 371. 67 Vgl. Thunert, Martin, Politikberatung in der Bundesrepublik Deutschland: Entwicklungslinien, Leistungsfähigkeit und Legitimation, in: Kaiser, André/Zittel, Thomas (Hrsg.), Demokratietheorie und Demokratieentwicklung. Festschrift für Peter Graf Kielmansegg, Wiesbaden 2004, S. 391-421, hier: S. 392. 68 Vgl. Münkel, Daniela, „Das große Gespräch“. Willy Brandt und seine Berater, in: Fisch, Stefan/Rudloff, Wilfried (Hrsg.), Experten und Politik: Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 168), Berlin 2004, S. 277296, hier: S. 278.
32
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
Außerdem spielt es eine Rolle, ob die Beratung z.B. während der Politikformulierung oder erst während der Implementation erfolgt.69 Die Nachfrage nach Politikberatung kann demnach dahingehend motiviert sein als eine Art Frühwarnsystem, aber auch als Kontrollinstrument von bereits getroffenen Entscheidungen eingesetzt zu werden.70 Sie kann Grundlagenforschung über Themen der Politik leisten, aber auch nur eine Legitimationsfunktion durch die wissenschaftliche Absicherung für politische Positionen übernehmen. Diese ist sehr umstritten, da häufig eine „Feigenblattfunktion“ unterstellt wird. Selten adressieren Beratungsgremien unmittelbar die Regierung, da diese nicht selber Gesetzesentwürfe entwickelt, sondern über bereits erarbeitete Vorschläge entscheidet. Eine direkte Ansprache des Bundeskanzlers oder des Kabinetss bietet sich nur bei besonders hoher politischer Bedeutung und Aktualität eines Regelungsbereiches an, wie geschehen in der Hartz- und der RürupKommission, die als externe Berater einen direkten Regierungsauftrag hatten.71 In Deutschland spielt die Ministerialbürokratie im Prozess der Politikentwicklung eine weitaus größere Rolle.72 Neben wissenschaftlichen Politikberatern haben seit den 1990er Jahren zunehmend Lobbyisten an Bedeutung gewonnen.73 Sie vertreten meist spezifische Interessen partikularer Gruppen. Die Interessen der Allgemeinheit, wie sie z.B. die wissenschaftliche Politikberatung als Leitlinie haben sollte, sind häufig schwierig im politischen Prozess zu vermitteln. Der Rückgriff auf Lobbyisten ist für Politiker oft lohnender, um die eigene Wiederwahl durch Befriedigung von Partikularinteressen sicherzustellen.74 Dies geht einher mit einem Prozess der Pluralisierung innerhalb einer technologisierten und internationalisierten Welt, 69 Vgl. Murswieck, Axel, Wissenschaftliche Beratung im Regierungsprozess, in: ders. (Hrsg.), Regieren und Politikberatung, Opladen 1994, S. 103-119, hier: S. 104. 70 Vgl. Rudloff, Wilfried, Wissenschaftliche Politikberatung in der Bundesrepublik – historische Perspektive, in: Dagger, Steffen, u.a. (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland. Praxis und Perspektiven, Wiesbaden 2004, S. 178-199, hier: S. 181. 71 Vgl. Strätling, Ansgar, Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in: Falk, Svenja, u.a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006, S. 353-362, hier: S. 355. 72 Vgl. Mayntz, Politikberatung, S. 120. 73 Vgl. Dagger, Steffen u.a., Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland. Praxis und Perspektiven, Wiesbaden 2004, S. 11-20, hier: S. 15. 74 Vgl. Speth, Rudolf, Politikberatung als Lobbying, in: Dagger, Steffen, u.a. (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland. Praxis und Perspektiven, Wiesbaden 2004, S. 164-177, hier: S. 165.
2.2 Politikberatung in Deutschland
33
der sich auch auf die Beratungsgremien auswirkt. Die Grenzen zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Beratung verwischen, worunter die Glaubwürdigkeit der beteiligten Experten und die Wissenschaft als Institution leiden.75 Die Ausweitung der Politikberatung in den letzten Jahren erfolgte primär durch die vermehrte finanziell entlohnte Beratung, die als Dienstleistung z.B. in den Bereichen politischer Werbung und Public Relations angeboten wird. Von dieser „professionellen Politikberatung“76 ist die wissenschaftliche Politikberatung zu trennen. 2.2.1
Wissenschaftliche Politikberatung
Schon vor Gründung des SVR gab es nach 1945 in der Bundesrepublik ein großes Interesse an wissenschaftlicher Politikberatung nicht zuletzt auf der polity-Ebene, um die Rationalität der Politik zu steigern und „Sachverstand“ in den politischen Prozess einzubringen.77 Und auch heute wird vor dem Hintergrund einer Entwicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft seitens der Politik wissenschaftliche Hilfestellung in Anspruch genommen. Wie bereits erwähnt kann der Ursprung wissenschaftlicher Politikberatung im 19. Jahrhundert verortet werden, als es zu einer starken Ausweitung der Staatsfunktionen kam.78 Die anfängliche wissenschaftliche Politikberatung bis 1945 erfolgte meist aufgrund der Nachfrage durch die Regierung als Auftraggeber und Adressaten. Die Beratungsleistungen richteten sich demnach primär nach der Bedarfslage. Im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik wurde dabei häufig auf die Beratung der organisierten Interessen zurückgegriffen.79 Die Funktionen wissenschaftlicher Politikberatung haben sich im 20. Jahrhundert im Gegensatz zu damals erweitert. Im weiten Sinne wird wissenschaftliche Politikberatung 75
Vgl. Rudloff, Politikberatung, S. 197. Kuhne, Clemens, Politikberatung für Parteien. Akteure, Formen, Bedarfsfaktoren, Wiesbaden 2008, S. 27. 77 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 289. 78 Vgl. Weingart, Peter, „Demokratisierung“ der wissenschaftlichen Politikberatung – Eine Antwort auf die Legitimationsdilemmata im Verhältnis von Wissenschaft und Politik? in: Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland, Wiesbaden 2006, S. 73-84, hier: S. 73. 79 Vgl. Thunert, Politikberatung, S. 395. 76
34
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
heute als „Beratung durch Personen“ bezeichnet, „die wissenschaftliche Methoden und Denkweisen [anwenden]“80. Im engeren Sinne wird die „meist institutionalisierte Beratung in unterschiedlichen Formen durch diejenigen, die hauptberuflich in der Forschung arbeiten und auf Grund (neuer) wissenschaftlicher Erkenntnisse politische Instanzen beraten“81 darunter gefasst. Dabei kann Wissenschaft sowohl eine legitimierende als auch eine delegitimierende Wirkung haben.82 D.h. dass häufig Beratung angefragt wird, um Entscheidungen wissenschaftlich zu untermauern oder zu rechtfertigen. Zeigt die wissenschaftliche Untersuchung jedoch ein gegenteiliges Ergebnis, kann sie auch unerwünscht und delegitimierend wirken. Im Gegensatz zu demokratischen Systemen, die durch Interessenkonflikte, Machtstreben, Konsens- und Mehrheitsentscheidungen gekennzeichnet sind, soll im wissenschaftlichen System primär die „Wahrheitssuche“ im Vordergrund stehen.83 Die Logik demokratischer Entscheidungsprozesse und die vermeintliche Rationalität wissenschaftlicher Erkenntnisse stehen dabei in einem steten Konflikt, was insbesondere darin begründet liegt, dass Wissenschaftler weniger äußeren Zwängen unterliegen, als dies bei Abgeordneten der Fall ist.84 Denn diese besitzen zwar ein freies Mandat, doch sie sind durch Fraktionsdisziplin und Wahlen zahlreichen externen Ansprüchen ausgesetzt.85 So kann dem Politiker durch die wissenschaftliche Beratung auch nicht das Risiko der Entscheidung und die politische Verantwortung abgenommen werden.86 Dennoch wird die Beeinflussung der Entscheidungsträger durch politisch nicht legitimierte Berater und Experten in der Literatur häufig als „eine ständige
80
Lompe, Klaus, Traditionelle Modelle der Politikberatung, in: Falk, Svenja, u.a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006, S. 25-34, hier: S. 25. 81 Ebd. 82 Vgl. Weingart, Demokratisierung, S. 77. 83 Vgl. Lompe, Politikberatung, S. 25. 84 Vgl. Weingart, Peter, Wissenschaftssoziologie, Bielefeld 2003, S. 91. 85 Vgl. Münch, Ingo von, Wissenschaft und Politik – Unterschiede und Gemeinsamkeiten, in: Galler, Heinz P./Wagner, Gert (Hrsg.), Empirische Forschung und wirtschaftspolitische Beratung. Festschrift für Hans-Jürgen Krupp zum 65. Geburtstag (Reihe „Wirtschaftswissenschaften“, Bd. 38), Frankfurt am Main 1998, S. 522-534, hier: S. 527. 86 Vgl. Lompe, Klaus, Wissenschaftliche Beratung der Politik. Ein Beitrag zur Theorie anwendender Sozialwissenschaften (Wissenschaft und Gesellschaft. Schriften des Forschungsinstituts für Gesellschaftspolitik und beratende Sozialwissenschaft e.V., Bd. 2), Göttingen 1966, S. 195.
2.2 Politikberatung in Deutschland
35
potentielle Bedrohung des durch Wahlen dokumentierten Willens des Volkes“87 kritisiert. Für die Einbettung des SVR in die Entwicklung wissenschaftlicher Politikberatung ist es interessant, dass sich Perioden ausmachen lassen, in denen der Austausch zwischen wissenschaftlichen Experten und Regierungsarbeit besonders markant in Erscheinung trat. Kurz nach Gründung der Bundesrepublik hatte wissenschaftliche Beratung primär eine ordnungspolitische Unterstützungsfunktion zur Etablierung des demokratischen Systems. In der sich anschließenden Ära der „Inneren Reformen“ von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre traten die Sozialwissenschaften zunehmend bei der Politikberatung in den Vordergrund. Seit den 1970er Jahren kamen verstärkt umweltpolitische und technologische Problemstellungen auf, die ein wissenschaftliches Hintergrundwissen unabdingbar machten.88 Damit einher ging die Notwendigkeit, den Staat zu „verschlanken“ und die Verwaltung zu vereinfachen. In den 1980er und 1990er Jahren standen die deutsch-deutsche Politik und die Wiedervereinigung im Vordergrund.89 Das generelle Problem der Wissenschaft ist es, ihren Platz im Spannungsfeld wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftspolitischer Relevanz zu finden. Im Rahmen der theoretischen Diskussion zur wissenschaftlichen Politikberatung und deren Rationalität ist auch die Frage nach der Entpolitisierung durch den SVR zu beachten, zu der es bereits in den 1960er Jahren Erklärungsansätze gab, die das spezielle Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaftspolitik behandeln.90 2.2.2
Theoretische Konzeptionen zum Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaftspolitik
Wie scharf die Trennung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Entscheidung zu ziehen ist, bildete in den 1950er und 1960er Jahren den Kern 87
Weingart, Wissenschaftssoziologie, S. 92. Vgl. Rudloff, Politikberatung, S. 196. 89 Vgl. ebd., S. 197. 90 Vgl. Kalbitzer, Ute, Das Schweigen der Ökonomik. Wissenschaftliche Politikberatung als wirtschaftspolitischer Diskurs (Diskussionsbeiträge aus dem Volkswirtschaftlichen Seminar der Universität Göttingen, Beitrag Nr. 107), Göttingen 2001, S. 1. 88
36
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
der Diskussion um wissenschaftliche Beratung der Wirtschaftspolitik in Deutschland.91 Diese entstand durch die Beratung der Politik auf Grundlage von theoretischen Erkenntnissen wie der keynesianischen Theorie bzw. der Globalsteuerung und deren wirtschaftspolitischen Vorschlägen.92 Auch in der Literatur gibt es über das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaftspolitik seit den 1960er Jahren eine rege Debatte. Diese hatte als Bezugspunkt „die traditionelle Theorie der Wirtschaftspolitik“, die im Kern auf den Soziologen Jürgen Habermas zurückgeht und bis heute die institutionelle Gestaltung der wissenschaftlichen Beratung in der Bundesrepublik prägt. Im Folgenden soll das Beratungsverständnis dieser traditionellen Theorie dargestellt werden. Neuere Entwicklungen der wirtschaftspolitischen Theorien ergänzen die Habermas’sche Theorie insbesondere im Hinblick auf den Grad des rationalen Handelns der Akteure im Beratungsprozess. 2.2.2.1 Die traditionelle Theorie der Wirtschaftspolitik Seit den 1960er Jahren ist in der deutschsprachigen Literatur innerhalb der Theorien zur Wirtschaftspolitik eine Einteilung in die traditionellen Modelle der Politikberatung nach Habermas vorherrschend. Prägendste Voraussetzung dieser Theorie ist die Annahme, dass sowohl die politischen Entscheidungsträger als auch die wissenschaftlichen Berater wohlwollend agierende Akteure sind und Politiker und Berater einzig die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt anstreben.93 Habermas unterscheidet dabei in der wissenschaftlichen Politikberatung drei Modelle, die bis heute starken Einfluss auf die Grundsatzdiskussion des Spannungsverhältnisses von Wissenschaft und Politik haben94: das technokratische, das dezisionistische und das pragmatische Modell.95 Was definiert diese Modelle und inwiefern unterscheiden sie sich?
91
Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 11. Vgl. ebd., S. 20. 93 Vgl. ebd., S. 2. 94 Vgl. Lompe, Politikberatung, S. 26. 95 Vgl. Habermas, Jürgen, Verwissenschaftlichte Politik in demokratischer Gesellschaft, in: Krauch, Helmut, u.a. (Hrsg.), Forschungsplan. Eine Studie über Ziele und Strukturen amerikanischer Forschungsinstitute, München 1966, S. 130-144, hier: S. 132f. 92
2.2 Politikberatung in Deutschland
37
Das technokratische Modell nimmt eine eindeutige Überordnung der Wissenschaft gegenüber der Politik vor.96 Bei dieser Konstellation stehen politische Normen und Gesetze unter den Sachgesetzlichkeiten, sodass Politik im Sinne der normativen Willensbildung nicht existiert.97 Das dezisionistische Modell setzt demgegenüber eine klare Abgrenzbarkeit der beiden Bereiche voraus. Die Wissenschaft liefert der Politik die wertfreie Information und das technische Wissen, woraufhin der Politiker seine Entscheidungen fällt. Er allein ist im Beratungsprozess der Wertende. Die wissenschaftlichen Berater verhalten sich in der dezisionistischen Theorie, anders als etwa die Akteure im Markt, nicht eigeninteressiert.98 Es wird unterstellt, dass die politischen Entscheidungsträger das notwendige Wissen besitzen, um ihren Beratern ein vollständiges und widerspruchsfreies Zielsystem vorzugeben, zu dessen Erreichung diese die notwendigen Lösungen vorschlagen. Häufig kritisiert wird dabei die Annahme, dass lediglich die Ableitung von Zielen Werturteile beinhalte, die Ermittlung der geeigneten Mittel hingegen ohne Wertungen möglich sei, obgleich Ziele und Mittel interdependent sind.99 Es entsteht im dezisionistischen Modell dennoch ein Auftragsverhältnis, bei dem die Politik tendenziell der Wissenschaft übergeordnet ist. Orientiert an Max Webers Wissenschaftsideal der Wertfreiheit geht Habermas davon aus, dass nur den Politikern die Kompetenz zu Werturteilen zugesprochen wird, nicht jedoch den Wissenschaftlern, die nur zur effizienten Erreichung der jeweiligen Ziele beitragen können.100 Technokratisches und dezisionistisches Modell werden häufig auch als „reine Typen“ im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik angesehen. Die Literatur geht davon aus, dass die beiden „reinen“ Beratungsmodelle in den 1960er Jahren ungeachtet aller Kritik die Wahrnehmung des Beratungsprozesses von Politikern und Beratern dominierten. Dennoch überwog die Meinung, dass durch die Wissenschaft die politischen Interessenkonflikte nicht
96
Vgl. Habermas, S. 131. Vgl. Lompe, Politikberatung, S. 27. 98 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 18. 99 Vgl. ebd., S. 17. 100 Eine gute Zusammenfassung der traditionellen Modelle und des Problems der Werturteilsfreiheit findet sich bei Lompe, Beratung. 97
38
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
ausgeschaltet werden konnten.101 Um diese Problematik zu umgehen, bildete Habermas das pragmatische Modell als Kompromiss zwischen den beiden vorhergehenden Modellen.102 Angestrebt war eine wechselseitige Kommunikation, bei der einerseits die Wissenschaftler die Politiker beraten und umgekehrt die Politiker die Wissenschaftler nach Bedarf beauftragen. Dabei sind die Wissenschaftler auch an der Formulierung der ihnen gestellten Aufgaben beteiligt und nehmen je nach Art der Probleme nicht zuletzt Einfluss auf die Konzipierung.103 Daraus ergibt sich für das pragmatische Modell, dass eine langfristige Zusammenarbeit in einer Wechselbeziehung zwischen Beratern, politischen Institutionen und der Öffentlichkeit typisch ist.104 Dennoch wurde in jüngster Zeit vermehrt Kritik an diesem „dualen Mo105 dell“ von Wissenschaft und Politik geübt, da es die Wirklichkeit nicht richtig abbilde. Der größte Streitpunkt ist dabei das Handeln der Beratenden: können diese tatsächlich rational beraten oder sind auch sie wie die Politiker durch Eigeninteressen in ihrem Verhalten beeinflusst?106 In den vergangenen Jahren wurde die traditionelle Theorie der Wirtschaftspolitik aufgrund der Kritik durch neuere Ansätze ergänzt und erweitert. Da diese wirtschaftspolitischen Ansätze auch Probleme des SVR und dessen Mitglieder betreffen, soll an dieser Stelle auf die alternativen Theorien der Wirtschaftspolitik eingegangen werden. 2.2.2.2 Neue wirtschaftswissenschaftliche Theorien zur Einordnung des Sachverständigenrates Die neueren, ökonomisch geprägten Theorien haben ihren Ursprung in dem Versuch, den geringen Einfluss der Wissenschaftler auf die Politik zu erklären und dabei deren Eigeninteressen zu berücksichtigen. So hält der wirtschaftswissenschaftlich geprägte Public-Choice-Ansatz Habermas’ Theorie entgegen, dass allen am Beratungsprozess Beteiligten die Verfolgung von Eigeninteressen zu unterstellen ist. Die Public-Choice-Theorie geht davon aus, dass in einem 101
Vgl. Lompe, Politikberatung, S. 28. Vgl. Weingart, Demokratisierung, S. 76. 103 Vgl. Lompe, Politikberatung, S. 30. 104 Vgl. ebd., S. 31. 105 Wewer, Politikberatung, S. 368. 106 Vgl. ebd. 102
2.2 Politikberatung in Deutschland
39
demokratischen Staatswesen die Politiker und die Berater nicht nur oder nicht primär dem Allgemeinwohl dienen, sondern auch Eigeninteressen verfolgen – ähnlich den Wirtschaftssubjekten im Marktprozess. So nehmen Vertreter der Public-Choice-Theorie an, dass das in der ökonomischen Theorie gängige Verhaltensmodell des „homo oeconomicus“107 auch auf das Verhalten der Akteure im politischen Prozess übertragen werden kann. Wenn die politische Rationalität dann von der ökonomischen Rationalität abweicht, stellen sich bei den Entscheidungsträgern kurzfristige Sichtweisen in den Vordergrund.108 Die Theorie beruht demnach auf der Ernüchterung der Ökonomen über den marginalen Einfluss ihrer Erkenntnisse auf den politischen Prozess.109 Der Politiker ist häufig primär daran interessiert, kommende Wahlen zu gewinnen, während der Berater als „homo oeconomicus“ daran interessiert ist, Folgeaufträge zu erhalten oder seine Reputation zu erhöhen.110 Während Habermas das Beratungsversagen und die Kommunikationsstörungen zwischen Beratern und Entscheidungsträgern für ein zu behebendes Defizit hält, sehen die Vertreter der Public-Choice-Theorie den Beratungsmisserfolg gerade als Folge des interessengeleiteten Verhaltens der beteiligten Akteure. Es wird generell in Zweifel gezogen, „dass Regierende und demokratische Mehrheiten im Prinzip zu gemeinwohl- und entwicklungsorientiertem Handeln fähig und bereit sind“.111 Die aus der Public-Choice-Theorie erwachsene „neue institutionenökonomische Analyse“, der sich die Politikberatung seit einigen Jahren bedient, rückt zunehmend in den Fokus der Wirtschaftswissenschaften.112 Auch diese sog. „Neue Institutionenökonomik“ vertritt die Auffassung, dass es in der 107
Dazu Kirchgässner, Oeconomicus. Vgl. Donges, Politikberatung, S. 245. 109 Vgl. Apolte/Wilke, Wirtschaftspolitik, S. 770. 110 Vgl. Mause, Karsten/Heine, Klaus, Ökonomische Analysen wissenschaftlicher Politikberatung, in: Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft (Hrsg.), Politische Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (44. Jahrgang), Wiesbaden, 2003, S. 395410, hier: S. 397. 111 Funk, Lothar, Wissenschaftliche Beratung der Wirtschaftspolitik: Ist Politiker-Beratung wirklich obsolet? in: Albertshauser, Ulrich/Knödler, Hermann (Hrsg.), Ökonomie und Politikberatung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. Tagungsband der INFER-Jahrestagung 2000, Berlin 2000, S. 75-101, hier: S. 79f. 112 Vgl. Cassel, Susanne, Politik- und Politikerberatung – welche Fortschritte bringt die Wissenschaft? in: Jens, Uwe/Romahn, Hajo (Hrsg.), Glanz und Elend der Politikberatung, Marburg 2005, S. 175-195, hier: S. 177. 108
40
2 Wissenschaftliche Politikberatung in der Wirtschaftspolitik
Politikberatung auf Seiten der zu Beratenden und auf Seiten der Berater Wertvorstellungen und Überzeugungen gibt, die rationales Handeln auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen ausschließen.113 Eine neue wichtige Unterscheidung treffen insbesondere Vertreter einer „normativen Institutionenökonomik“ dadurch, dass sie Ökonomen in einer Demokratie weniger PolitikerBeratung als vielmehr Politikberatung im Sinne von Öffentlichkeitsaufklärung zugestehen.114 Den Kern dieser Beratungskonzeption bildet die Abkehr von der reinen Politikerberatung, wie sie in der Theorie der traditionellen Wirtschaftspolitik angelegt ist. Politikerberatung sollte demnach durch mehr Öffentlichkeitsarbeit ergänzt werden.115 Besondere Aufmerksamkeit fand in diesem Zusammenhang die Dissertation von Susanne Cassel aus dem Jahr 2004, die mit dieser starken Unterscheidung die aktuelle Diskussion um wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung stark geprägt hat. Auch nach ihrer Theorie kann den Defiziten der Politikberatung entgegen getreten werden, wenn die Öffentlichkeit stärker in den Kreis der Beteiligten einbezogen wird. Cassel wendet diese neue Theorie auch auf den SVR an und kommt zu dem Schluss, dass der Rat reformiert werden müsste, um die Voraussetzungen der Theorie zu erfüllen.116 Problematisch stellt sich hierbei dar, dass diese Arbeit den SVR rein wirtschaftswissenschaftlich betrachtet und politische Konstellationen außer Acht lässt. Zudem wird das unterstellte eigeninteressierte Handeln bzw. das rationale Handeln der Akteure nicht näher erläutert. Inwiefern die neuen Entwicklungen der theoretischen Einordnung des SVR für die vorliegende Arbeit anwendbar sind, wird im Anschluss an die Betrachtung des Gremiums durch dessen Einordnung in die Theorien und deren Konsequenzen für eine entpolitisierende Wirkung des Rates erfolgen.
113
Vgl. Thunert, Politikberatung, S. 394. Vgl. Funk, Wirtschaftspolitik, S. 75. 115 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 5. 116 Vgl. Weingart, Demokratisierung, S. 82. 114
3. Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland
Neben dem SVR sind es die Wissenschaftlichen Beiräte des Bundeswirtschaftsund Bundesfinanzministeriums und die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute, die als institutionalisierte Politikberatungsgremien angesehen werden können. Von einer institutionalisierten Form der Beratung kann gesprochen werden, wenn es sich um „eine zeitlich unbefristete, fachlich grob begrenzte Dauerberatung“117 handelt, die „zumeist kollektiven Akteuren aufgegeben“118 ist. Hierfür sind die Wirtschaftsforschungsinstitute, die Wissenschaftlichen Beiräte und der SVR beispielgebend. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden einige der bis heute größten Wirtschaftsforschungsinstitute, gefolgt von den Wissenschaftlichen Beiräten, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden. Diese Institute und Räte sind staatlich finanziert, um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten.119 Weitere Beispiele der institutionalisierten Beratung im Wirtschaftsbereich sind der Konjunkturrat, der Finanzplanungsrat und die Monopolkommission.120 Hier soll der Fokus jedoch auf den Wissenschaftlichen Beiräten des Bundeswirtschafts- und des Bundesfinanzministeriums, sowie auf den großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten und dem SVR liegen, da es eine starke personelle Verflechtung zwischen diesen Gremien gab und gibt.121 Die Wissenschaftlichen Beiräte haben erheblich zur Entstehung des SVR beigetragen und die Forschungsinstitute müssen zudem häufig einem Vergleich mit dem SVR standhalten, da auch sie Herbstgutachten herausgeben, in denen die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Deutschlands dargestellt wird. 117
Wewer, Politikberatung, S. 375. Ebd. Vgl. Speth, Lobbying, S. 166. 120 Vgl. Wewer, Politikberatung, S. 375. 121 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 156. 118 119
42 3.1
3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
Die Wissenschaftlichen Beiräte beim Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium
Der Wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium nahm seine Arbeit bereits am 23. Januar 1948 auf, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Bundesrepublik noch gar nicht bestand. Die Wirtschaftsverwaltung bestellte 18 angesehene Hochschullehrer, die sich zu anstehenden Grundfragen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus beraten sollten.122 Der „Wissenschaftliche Beirat bei der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes“ war damit das erste wissenschaftliche Beratungsgremium der Bundesrepublik.123 Das Beispiel der Wirtschaftsverwaltung machte umgehend Schule, so dass auch die Verwaltung für Finanzen 1948 einen „Steuerbeirat“ gründete.124 Mit diesen Beiräten folgte Deutschland dem Vorbild der USA, wo es bereits während des „New Deal“ in den dreißiger Jahren zu einer engen Zusammenarbeit zwischen ökonomischen Sachverständigen und staatlichen Behörden gekommen war. So war auch 1946 der CEA gegründet worden, der dem Präsidenten als oberstes wirtschaftliches Beratungsorgan zur Seite stehen sollte. Die Einrichtung dieses Gremiums stand in enger Verbindung mit dem „Employment Act“ von 1946, mit dem ein moderates keynesianisches Wirtschaftsprogramm etabliert wurde.125 Institutionen wie der CEA wurden immer wieder als ein mögliches Modell für die bundesdeutsche Politik diskutiert, da die amerikanischen Besatzungsbehörden die Gründung der Wissenschaftlichen Beiräte förderten. Unter den renommierten Ökonomen des Wissenschaftlichen Beirats bei der Wirtschaftsverwaltung waren Professoren wie Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Franz Böhm, Gerhard Weisser, Wilhelm Kromphardt und Karl Schiller, die laut § 2 der Ratssatzung als „Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Wirtschafts- oder Rechtwissenschaften als Hochschullehrer tätig sind“, den Rat besetzten. Die Wirtschaftsverwaltung hatte die Beiratsmitglieder bewusst aus
122
Vgl. Rudloff, Politikberatung, S. 178. Vgl. Tietmeyer, Hans, Die Gründung des Sachverständigenrates aus Sicht der Wirtschaftspolitik, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 1963-2003, Wiesbaden 2003, S. 22-33, hier: S. 22. 124 Vgl. Rudloff, Politikberatung, S. 179. 125 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 291f. 123
3.1 Die Wissenschaftlichen Beiräte beim Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium
43
einem breiten ordnungspolitischen Spektrum ausgewählt.126 Dem „liberalen“ Flügel mit Eucken und Böhm standen die planwirtschaftlich-sozialistisch orientierten Weisser und Schiller gegenüber. Eine wirtschaftspolitische Kompromisshaltung vertraten Kromphardt und Müller-Armack. Der Beirat, der u.a. eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Währungsreform spielte, wurde nach der Gründung der Bundesrepublik dem BMWi zugeordnet. Sowohl der Beirat beim BMWi, als auch der Beirat beim BMF wurden als unabhängige Beratungsorgane konzipiert, die bei der Wahl der Themen und der Erstellung der Gutachten nicht an politische Vorgaben gebunden waren, jedoch auf die Beratung der auftraggebenden Behörden beschränkt waren.127 Die Wahl des Beratungsgegenstandes liegt demnach im Ermessen des Beirates, geht jedoch oft von den Ministerien aus.128 Auch der Veröffentlichungszeitpunkt der Gutachten wird von den Ministerien festgelegt.129 Die ca. 25 Mitglieder jedes Beirates werden durch ein Berufungsverfahren auf Lebenszeit berufen und arbeiten auf ehrenamtlicher Basis. Die Gefahr einer Überalterung der Gremien ist häufig Kritikpunkt an diesem Berufungsverfahren.130 Eine Abberufung kann jedoch auf Vorschlag des Beirats durch den zuständigen Bundesminister erfolgen. Die Hauptadressaten sind die zuständigen Minister und die Exekutive. Es besteht eine generelle Veröffentlichungspflicht der Gutachten, in denen Minderheitsmeinungen abgegeben werden können.131 Dies soll sicherstellen, dass die Öffentlichkeit die Meinungsverschiedenheit auf der Ebene der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wahrnimmt und die unterschiedlichen Ansichten in ihrer Meinungsbildung entsprechend berücksichtigt. So wurde z.B. dem ersten Beiratsgutachten ausdrücklich eine Mindermeinung gegenübergestellt, die ein planwirtschaftliches System forderte, das so nicht angedacht war. Später waren
126 Vgl. Blesgen, Detlef J., Der Nationalökonom als Politikberater. Thema und Variation am Beispiel von Erich Preiser (1900-1967), in: Fisch, Stefan/Rudloff, Wilfried (Hrsg.), Experten und Politik: Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 168), Berlin 2004, S. 239-259, hier: S. 245. 127 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 292. 128 Vgl. Blesgen, Nationalökonom, S. 246. 129 Vgl. ebd., S. 254. 130 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 133. 131 Vgl. ebd., S. 132.
44
3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
die MHV in den Fußnoten üblich, damit die Außenwirkung des Gremiums nicht litt.132 Die Gutachten des Beirats beim BMWi erlangten insbesondere in der Frühphase der Bundesrepublik einen erheblichen wirtschafts- und ordnungspolitischen Einfluss.133 So gäbe es den SVR zumindest in seiner heutigen Form ohne den Beirat beim BMWi nicht, da dieser sich gemeinsam mit dem BMF seit Mitte der 1950er Jahre in seinen Gutachten für ein Gremium wie den SVR einsetzte.134 Dabei war eine partielle „Personalunion“ des SVR und des Beirates nicht selten. Schon im ersten SVR war der Beirat des BMWi mit Herbert Giersch und Fritz W. Meyer „vertreten“. Gegenwärtig „stellt“ der Wissenschaftliche Beirat beim BMF das Ratsmitglied Wolfgang Wiegard. Von den bislang insgesamt 36 Ratsmitgliedern gehörten zwölf zugleich dem „Wirtschaftsbeirat“ und drei dem „Finanzbeirat“ an. Abgesehen von Wilhelm Bauer, dem ersten Vorsitzenden des SVR, waren von den sechs folgenden Vorsitzenden drei schon bei ihrer Wahl Mitglieder des „Wirtschaftsbeirats“ und ein Vorsitzender war Mitglied des „Finanzbeirats“. Der vierte Vorsitzende des SVR, Olaf Sievert, war seit seinem Ausscheiden aus dem Gremium 1985 Mitglied des Wirtschaftsbeirates. Diese erkennbare Homogenität führte in der Diskussion um wissenschaftliche Beratung häufig zu Kritik, da eine Einschränkung der Meinungsvielfalt befürchtet wurde.135 Neben den Beiräten zählen die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute zu den institutionalisierten Politikberatungsgremien, die zum großen Teil staatlich finanziert sind. 3.2
Die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute
Unter die sechs großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute werden das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Hamburgische WeltWirtschafts-Archiv (HWWA), das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, das 132
Vgl. Blesgen, Nationalökonom, S. 253. Vgl. ebd., S. 240f. 134 Vgl. Kloten, Norbert, Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 60-62, hier: S. 60. 135 Vgl. Kloten, Beirat, S. 62. 133
3.2 Die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute
45
Institut für Weltwirtschaft (IfW), das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) gefasst, die häufig als sog. „Blaue Liste“ bezeichnet werden. Zweimal im Jahr veröffentlichen sie gemeinsam im Auftrag der Regierung ein Gutachten zur konjunkturellen Lage in der Bundesrepublik.136 Seit 1953 enthalten die Gutachten auch eine Gemeinschaftsprognose zur wirtschaftlichen Entwicklung. Neben den Gemeinschaftsgutachten veröffentlicht jedes Institut außerdem einmal vierteljährlich eine eigene Prognose der Wirtschaftsentwicklung.137 Die Gemeinschaftsdiagnose trifft in der Öffentlichkeit jedoch auf die größte Resonanz, da sich die Institute trotz ihrer sehr unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen dort auf eine einheitliche Einschätzung verständigen.138 Kritik an der Gemeinschaftsprognose wird an den Kompromissen geübt, da diese letztlich kaum zu alternativen Politikvorschlägen führten.139 Außerdem seien die Institute daran interessiert, Folgeaufträge zu erhalten und versuchten deshalb, die von ihnen erwarteten Ergebnisse zu produzieren – was ein deutlicher Hinweis auf ein Eigeninteresse der Akteure wäre. Adressaten der Gutachten sind die politischen Entscheidungsträger. Die Finanzierung erfolgt durch die Bundesregierung und das jeweilige Sitzland, ergänzt durch das Beratungsgeschäft, das 25 bis 30% der Einnahmen ausmacht.140 Die Auftragsarbeiten dienen primär der Exekutive, was häufig zu der Kritik führt, dass die Regierung gegenüber dem Parlament einen Informationsvorsprung habe, um eigene Positionen besser rechtfertigen zu können.141
136 Vgl. Döhrn, Roland, Politikberatung durch wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute – Das Beispiel der Gemeinschaftsdiagnose, in: Jens, Uwe/Romahn, Hajo (Hrsg.), Glanz und Elend der Politikberatung, Marburg 2005, S. 49-57, hier: S. 52. 137 Vgl. Panel II, Perspektiven für die Arbeit des Sachverständigenrates, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 19632003, Wiesbaden 2003, S. 83-103, hier: S. 90. 138 Vgl. Döhrn, Forschungsinstitute, S. 52. 139 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 152. 140 Vgl. Eekhoff, Johann, Erwartungen der Wirtschaftspolitik, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 12-18, hier: S. 12. 141 Vgl. Klemmer, Paul, Wirtschafts- und Umweltforschung und die politischen Realisierungschancen, in: Jens, Uwe/Romahn, Hajo (Hrsg.), Der Einfluss der Wissenschaft auf die Politik, Marburg 2002, S. 23-34, hier: S. 30.
46
3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
Das älteste Wirtschaftsinstitut ist das DIW, das bereits 1925 als Institut für Konjunkturforschung gegründet wurde und durch diesen Schwerpunkt auch maßgeblich an der Erstellung der Gemeinschaftsdiagnose beteiligt ist.142 Das SVR-Mitglied Hans-Jürgen Krupp war vor seiner Ratstätigkeit Vorsitzender des DIW in Berlin.143 Die Arbeitsgebiete des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung sind Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zwischen Industrieländern, Wirtschaftssystem und Wirtschaftsbeziehungen osteuropäischer Länder, Entwicklungspolitik und Wirtschaftsordnung.144 Neben der Mitarbeit an der Gemeinschaftsdiagnose veröffentlicht das HWWA vierzehntäglich die Schrift „Konjunktur von morgen“ und erstellt drei- bis viermal jährlich umfassende Diagnosen und Prognosen. Dies ist mit Blick auf den SVR eine weitaus höhere Veröffentlichungsrate, die jedoch weniger umfassend ausfällt. Die Vertreter des HWWA werden vom Rat ebenso wie die der anderen großen Institute in jedem Herbst zu einer Anhörung geladen.145 Das ifo-Institut wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 neu gegründet. Das IfW betreibt als Hauptaufgabe anwendungsorientierte Wirtschaftsforschung und verfolgt einen marktliberalen Ansatz.146 Das IWH entstand 1991 als Neugründung in den neuen Bundesländern.147 Es veröffentlicht halbjährliche Gesamtübersichten und Prognosen.148 Seit 1993 nimmt das Institut auch an der Gemeinschaftsdiagnose teil.149 Das RWI ging aus dem historischen Vorläufer der 1926 gegründeten Abteilung West des Instituts für Konjunkturforschung (heute DIW) hervor. 1942 wurde dann das RWI als eingetragener Verein selbstständig gegründet. Es gehört jedoch immer noch zu 142
Vgl. Hoffmann, Lutz, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 40-43, hier: S. 40. 143 Vgl. Adam, Hermann, Wirtschaftspolitik und Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung (BpB), Bonn 1995, S. 117. 144 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 145f. 145 Vgl. Schmahl, Hans-Jürgen, HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 43-45, hier: S. 44. 146 Vgl. Kuhne, Parteien, S. 49. 147 Vgl. Wegner, Manfred, Institut für Wirtschaftsforschung Halle, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 49-55, hier: S. 50. 148 Vgl. ebd., S. 49. 149 Vgl. Döhrn, Forschungsinstitute, S. 52.
3.2 Die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute
47
den kleinen Wirtschaftsforschungsinstituten im Kreise der sechs Großen (neben dem Hallenser Institut).150 Die Gutachten der Forschungsinstitute unterlagen in den vergangenen Jahren einem beträchtlichen Wandel. Insbesondere hat sich das Interesse von der reinen Konjunkturanalyse stärker hin zur mittel- und langfristigen Perspektive verschoben.151 Dies mag daran liegen, dass die Institute ihren Haupteinflussbereich hauptsächlich im akademischen Bereich sehen. Ihre Wirkung auf die öffentliche Diskussion wird als gering eingeschätzt.152 Dies liegt primär daran, dass sich das öffentliche Interesse häufig auf das erwartete Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit und die Inflationsrate beschränkt.153 Dabei ist auffällig, dass die Gemeinschaftsprognose zwar häufig nicht die reale wirtschaftliche Entwicklung voraussagen kann, sie jedoch „in den meisten Fällen die Prognose des SVR voraussagt“154, was an der Arbeitsteilung zwischen den Gremien liegen mag.155 Da die Beiräte und die Forschungsinstitute durch die Vorgabe von Themen nachfrageorientierter Politikberatung betreiben, können sie nicht als unabhängig gelten. Mit der Gründung des SVR sollte im Gegensatz dazu eine unabhängige, neutrale wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung gewährleistet werden.
150
Vgl. Kuhne, Parteien, S. 49. Vgl. Döhrn, Forschungsinstitute, S. 54. Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 151. 153 Vgl. Döhrn, Forschungsinstitute, S. 55. 154 Schanetzky, Tim, Die große Ernüchterung. Wirtschaftspolitik, Expertise und Gesellschaft in der Bundesrepublik 1966-1982 (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, Bd. 17), Berlin 2007, S. 189. 155 Vgl. Schmahl, HWWA-Institut, S. 45. 151 152
48
3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
3.3
Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik - Beratung durch den Sachverständigenrat
3.3.1
Der Weg zum „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates“
“The Creation both of the German and the American council reflects a sense that there can be such a thing as a “wertfrei” economics. In Germany, belief in the existence of objective economic truth seems to have been a good deal stronger than in the United States.”156
Die bundesdeutsche Gründungsgeschichte war stark mit wirtschaftspolitischen Grundsatzentscheidungen verknüpft.157 Wissenschaft sollte als Garant für Sachlichkeit und Objektivität dienen. Dies war das Leitbild der Ordoliberalen und des Bundeswirtschaftsministers Erhard. Während in den ersten Jahren der Bundesrepublik besonders Fragen der Ordnungspolitik im Vordergrund standen, rückten im Laufe der 1950er Jahre immer deutlicher die Themen Einkommensverteilung und soziale Sicherung in den Vordergrund. Zunehmend kam es zu einer Diskussion über die Rolle und Gestaltung einer marktwirtschaftlichen Politik und über angemessene Wege zur Vermeidung von Verteilungskonflikten. Erhard war als erster deutscher Bundeswirtschaftsminister überzeugt, dass der Erfolg der CDU von der Wirtschaftspolitik abhing. Über die Förderung von Wettbewerb sollte Aufschwung angestoßen werden. Nur so sei „Wohlstand für Alle“158 zu erreichen. Der Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft sollte die wirtschaftliche Entwicklung nur überwachen, sich jedoch nicht direkt einmischen.159 Schon vor Entstehung des SVR gab es durch die Forschungsinstitute und die Wissenschaftlichen Beiräte Verbindungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaftspolitik, doch erst die Gründung des SVR sollte einen verstärkten
156
Wallich, Henry C., The German Council of Economic Advisers in an American Perspective, in: Richter, Rudolf (Hrsg.), Zeitschrift für Staatswissenschaften (Bd. 140), Tübingen 1984, S. 355-363, hier: S. 355. 157 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 289. 158 Hüther, Michael, Ludwig Erhard. Wohlstand für alle (1957), in: ders. (Hrsg.), Klassiker der Ökonomie. Von Adam Smith bis Amartya Sen (BpB, Bd. 611), Bonn 2006, S. 209-223, hier: S. 211. 159 Vgl. ebd.
3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik
49
Fokus auf Versachlichung bzw. „wertfreie“ Wirtschaftspolitik legen.160 Die Idee eines Sachverständigengremiums kam in den 1950er Jahren auf, als man sich dem Zustand der Vollbeschäftigung näherte und Stabilitätspolitik in den Vordergrund rückte.161 Erhard strebte eine gemäßigtere Lohnsteigerung an, da diese sich durch die Vollbeschäftigungssituation beschleunigt hatte.162 Am Beispiel des SVR lässt sich erkennen, dass es zu einer tiefgreifenden Veränderung im Verständnis von Wissenschaft und Politik sowie deren Verhältnis zueinander kam. Die Wirtschaftswissenschaft hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Phase kräftigen Wachstums erlebt und gerade die Ordoliberalen wie Erhard waren überzeugt, dass Politik wissenschaftlich fundiert sein müsse.163 Doch wie das neue wirtschaftliche Beratungsgremiums gestaltet sein sollte, war heftig umstritten. Dabei konkurrierten im Wesentlichen zwei Modelle: zunächst ein stark korporatistisch ausgerichtetes Gremium unter Einbeziehung von wirtschaftlichen Verbänden, Gewerkschaften und Wissenschaftlern. Als historisches Vorbild dienten der „Preußische Volkswirtschaftsrat“ und der „Reichwirtschaftsrat“ der Weimarer Republik. Zum anderen wurde ein unabhängiges, ausschließlich aus Wissenschaftlern besetztes Gremium erwogen. Diese sehr gegensätzlichen Modelle trugen dazu bei, dass sich das wissenschaftliche Beratungswesen in der Bundesrepublik sehr viel später institutionalisierte als in anderen westlichen Industriestaaten.164 So war die Beratung des Präsidenten in den USA durch wirtschaftswissenschaftliche Experten bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit Gründung des CEA fester Bestandteil einer keynesianischen Wirtschaftspolitik.165 In Europa wurden in den 1940er und 1950er Jahren Beratungsgremien eingerichtet, die den deutschen Wissenschaftli160 Vgl. Bauer, Wilhelm, Die Rolle des Sachverständigenrates bei der wirtschaftspolitischen Urteilsbildung, in: Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer e.V. (Hrsg.), Die Aussprache (19. Jahrgang, Heft 10), Bonn 1969, S. 296-300, hier: S. 296. 161 Vgl. Metzler, Gabriele, Versachlichung statt Interessenpolitik. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in: Fisch, Stefan/Rudloff, Wilfried (Hrsg.), Experten und Politik: Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 168), Berlin 2004, S. 127-152, hier: S. 127. 162 Vgl. Bauer, Sachverständigenrat, S. 296. 163 Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 138f. 164 Vgl. Nützenadel, Alexander, Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949-1974 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 166), Göttingen 2005, S. 135. 165 Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 130.
50
3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
chen Beiräten jedoch sehr ähnelten.166 Die Errichtung des SVR am 14. August 1963 war erst nach Abschluss jahrelanger Initiativen aus verschiedenen politischen Lagern möglich.167 Den ersten Vorschlag unterbreiteten die Wissenschaftlichen Beiräte. Sie sprachen sich für ein Gremium mit Sachverständigen für prozesspolitische Fragen aus.168 Bereits 1950 erwähnte der Wissenschaftliche Beirat des BMWi eine solche Institution in seinem Gutachten, stieß jedoch im BMWi auf keine Reaktion. Im September 1954 wurde die Frage innerhalb des Beirats erneut aufgegriffen. Für dessen Mitglieder war zwar eine Art CEA nach amerikanischem Vorbild erstrebenswert, doch sie hielten diese Idee für politisch nicht durchsetzbar. Größtes Hindernis waren die Befürchtungen seitens der Regierung, dass das Gremium die Regierungsarbeit denunzieren würde: „The government exposes itself to serious embarrassment at the hands of a built-in potential critic”.169 Auch Adenauer fürchtete einen zu großen Einfluss der Experten. In einem im Oktober 1954 angefertigten Gutachten sprach sich der Beirat des BMWi für die Einführung einer umfassenden volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus, welche ein „unerlässliches Hilfsmittel“ für eine „rationale Koordinierung der Wirtschaftspolitik“170 sei. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung zur Vorlage eines jährlichen Berichtes über die aktuelle Wirtschaftslage sowie zur Vorlage einer Prognose über das kommende Jahr verpflichtet werden. Dafür sollte eine eigenständige „Zentralbehörde für volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“ Sorge tragen, die neben diesen statistischen auch beratende Aufgaben wahrnehmen sollte.171 Diesmal fand das BMWi mehr Gehör, da ähnliche Überlegungen auch von politischer Seite angestellt wurden. So legte die FDPBundestagsfraktion im Dezember 1955 einen Gesetzesantrag vor, der die Einrichtung eines „Konjunkturbeirats“172 vorsah. Dieser sollte die Regierung in allen wichtigen Fragen der Wirtschaftspolitik beraten, zugleich aber auch zur
166
So z.B. 1948 in Belgien, 1950 in den Niederlanden, 1957 in Italien und 1958 in Frankreich. Vgl. Helmstädter, Sachverständigenrat, S. 155ff. 168 Vgl. ebd., S. 157. 169 Wallich, Council, S. 355ff. 170 Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 293. 171 Vgl. ebd. 172 Ebd., S. 294. 167
3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik
51
Schlichtung von Tarifkonflikten eingeschaltet werden. Der Antrag fand jedoch keine Zustimmung des Bundestages.173 Auch ein Antrag der SPD-Fraktion zur Errichtung eines volkswirtschaftlichen Beirats wurde am 6. Juni 1956 eingereicht, der den Entwurf eines Gesetzes „zur Förderung eines stetigen Wachstums der Gesamtwirtschaft“ vorsah.174 Der Beirat sollte im Zentrum einer umfassenden staatlichen Konjunktur- und Wachstumspolitik stehen, sich allerdings im Unterschied zum FDPModell nicht in Tarifauseinandersetzungen einmischen. Gedacht war an ein politisch unabhängiges Gremium „zur Erörterung laufender grundsätzlicher wirtschaftspolitischer Probleme“175, nicht an eine Schlichtungsinstanz für die Verhandlungen der Tarifparteien. Obwohl auch CDU und CSU dieser Idee eines Sachverständigengremiums nicht abgeneigt gegenüber standen, griff die Regierung diese Initiative zunächst nicht auf. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi legte am 8. Juli 1956 zusammen mit dem Wissenschaftlichen Beirat beim BMF ein Gutachten zum Thema „Instrumente der Konjunkturpolitik und ihrer rechtlichen Institutionalisierung“176 vor. Dieses Gutachten griff auch die institutionellen Anregungen zu einem Sachverständigengremium auf, die zuvor von der FDP sowie der SPD vorgeschlagen worden waren.177 Doch erst durch eine Regierungsinitiative im Frühjahr 1958 durch Bundeswirtschaftsminister Erhard, der ein Sachverständigengremium zur Begutachtung der Wirtschaftsentwicklung im Sinn hatte, wurde das Thema wieder diskutiert. Erhard forderte die Professoren Wilhelm Kromphardt, Erich Preiser und Heinz Sauermann auf, die Konzeption für einen Rat zu entwerfen, der auf eine „rationale Wirtschaftspolitik hinwirken“178 konnte. Es ging Erhard demnach nicht um eine zusätzliche interne Beratung für die Bundesregierung selbst. Diese stand seiner Meinung nach ausreichend im BMWi zur Verfügung. Ihn interes173
Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 294. Vgl. Kämper, Norbert, Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Aufgaben und Rechtsstellung (Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 561), Bochum 1988, S. 18. 175 Tietmeyer, Sachverständigenrat, S. 23. 176 Ebd. 177 Vgl. ebd. 178 Wünsche, Horst Friedrich, Es fehlt ein Rat, der im Sinne von Ludwig Erhard bewirkt, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 103-107, hier: S. 106. 174
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3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
sierte vielmehr ein Gremium, das besonders die politische Öffentlichkeit besser informieren konnte. Am 10. Juni 1958 erörterten die Professoren im BMWi ihre Vorschläge mit Erhard, doch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten wurde die Sitzung abgebrochen.179 Die folgende Idee des CDU-Wirtschaftsexperten Curt Beckers zielte auf ein Sachverständigengremium, dem Vertreter des ifo-Instituts, des DIW und des Statistischen Bundesamtes angehören sollten. Als Vorsitzender war eine neutrale, von den Sozialpartnern anerkannte Persönlichkeit vorgesehen. Das Gremium sollte sich in regelmäßigen Abständen gutachterlich über die „zu erwartende wirtschaftliche Entwicklung und die möglichen Auswirkungen von gewerkschaftlichen Lohn- und Arbeitszeitverkürzungen aussprechen“180. Erhard erhoffte sich von den Wirtschaftswissenschaftlern eine tatkräftige Unterstützung seines marktwirtschaftlichen Kurses sowie eine Stärkung seiner Position gegenüber den Verbänden. Er sah damit auch die Möglichkeit, den Einfluss von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf den politischen Entscheidungsprozess zu verringern.181 Dennoch war sich der Wirtschaftsminister bewusst, dass er mit seinem Vorhaben nur dann Bundeskanzler Adenauer überzeugen konnte, wenn er die Unterstützung der Gewerkschaften und der Wirtschaftsverbände erhielt.182 Erhard schlug aus diesem Grund ein kleines Gremium, bestehend aus Vertretern des ifo-Instituts, des DIW und des „Instituts für Weltwirtschaft“, der Bundesbank und einigen Professoren vor.183 Erhard hatte diese Zusammensetzung in Absprache mit Arbeitsminister Theodor Blank erarbeitet und sich damit stark der sozialdemokratischen Position genähert. Ein zweites Gremium sollte sich unter Einbeziehung der Sozialpartner mit den politischen Konsequenzen der Gremiumsgutachten befassen. Während Einigkeit über die Nützlichkeit eines wissenschaftlichen Rates bestand, stieß die Errichtung der zweiten Institution bei den Gewerkschaften auf Ablehnung. Auch die Forschungsinstitute zeigten sich skeptisch und befürchteten Überschneidungen
179
Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 294. Ebd., S. 294f. Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 155. 182 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 295. 183 Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 156. 180 181
3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik
53
zwischen ihrer Tätigkeit und den Aufgaben des neuen Rates.184 Das Sachverständigengremium fand schlussendlich den Rückhalt der beteiligten Gesprächspartner, das zweite Organ mit stärker politischen Aufgaben hingegen war nicht konsensfähig.185 So begann kurze Zeit später die Gesetzeserarbeitung für ein Gremi186 um. Eine erste Namensliste sah insgesamt acht Ratsmitglieder vor, die neben den Leitern der vier großen Wirtschaftsforschungsinstitute drei Hochschullehrer vorsah – Preiser, Sauermann und Kromphardt. Ferner schlug das BMWi Schiller wegen seiner fachlichen Qualifikation vor. Die Besetzung war jedoch einer der Gründe dafür, dass Erhard bei Adenauer abermals scheiterte. Der Präsident des IfW, Fritz Baade, war aktives Mitglied der SPD, Kromphardt gehörte zu den Nationalökonomen, die sich gegen Erhards Liberalisierungskurs ausgesprochen hatten. Preiser war dafür bekannt, dass er nicht nur eine aktive Konjunkturpolitik unterstützte, sondern auch weitreichende sozial- und verteilungspolitische Eingriffe des Staates befürwortete. Er vertrat wirtschaftspolitische Positionen, die sich mit dem keynesianischen Programm der SPD eher vereinbaren ließen, als mit den liberalen Vorstellungen der CDU. Lediglich bei Sauermann handelte es sich um einen Kandidaten, der den Vorstellungen des BMWi entsprach. Außerdem hatte Erhard sein Vorhaben nicht im Kabinett abgestimmt und das BMF war erst spät in die Vorarbeiten des Gesetzentwurfs einbezogen worden.187 Als der Kanzler schließlich von dem neu entstandenen Gremium erfuhr, verbot er Erhard, das Vorhaben weiterzuverfolgen. In einem Schreiben vom 22. Mai 1958 äußerte Adenauer „schwere Bedenken“188. Hinzu kam, dass sich BDIPräsident Fritz Berg, mit dem Adenauer eng zusammenarbeitete, ebenfalls gegen den Rat aussprach.189 In Folge dieser klaren Absage wurde das Projekt zunächst nicht weiter verfolgt. Einen erneuten Anstoß bekam das Vorhaben, als die FDP 1961 wieder in der Regierung vertreten war und ein erneuter Anlauf günstig schien. Erhard 184
Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 296. Vgl. ebd., S. 297. 186 Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 157. 187 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 298f. 188 Nützenadel, Ökonomen, S. 155. 189 Vgl. ebd. 185
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3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
begründete seine Initiative im März 1962 mit den „erheblichen Gefahren“190, welche die hohen Lohnzuwächse für die Preisstabilität hätten. Das Gremium sollte lediglich aus drei Wirtschaftsprofessoren bestehen, die Wirtschaftsforschungsinstitute hingegen sollten nicht vertreten sein. Im Vorfeld eines jährlichen Gutachtens sollten Vertreter der Gewerkschaften, der Wirtschaftsverbände und der Regierung angehört werden können. Schließlich sollte der Rat keine konkreten Empfehlungen geben dürfen, sondern lediglich „die voraussichtliche Entwicklung und ihre Auswirkungen unter den verschiedenen Annahmen aufzeigen und auf Entwicklungen aufmerksam machen“191. Diese Einschränkungen zielten offenbar darauf, mögliche Bedenken Adenauers auszuräumen. Sowohl das BMF als auch die Bundesbank sicherten Erhard am 23. März 1962 ihre Unterstützung für sein Konzept zu. Von besonderem Gewicht war die Tatsache, dass nunmehr auch die Arbeitgeberverbände geschlossen hinter der Initiative des BMWi standen. Nachdem auch der Kabinettsausschuss für Wirtschaft dem Plan zugestimmt hatte, erarbeitete Erhard einen Gesetzesentwurf, den das Bundeskabinett am 11. April beriet. Über den Verlauf dieser Sitzung ist nichts bekannt, doch die Vorlage des BMWi fand im Kabinett keine Zustimmung.192 Dies lag primär daran, dass eine Reihe von CDU-Abgeordneten dem geplanten Sachverständigengremium weiterhin skeptisch gegenüberstand. Doch der Vorschlag fand bei FDP und CSU breite Unterstützung.193 So wurde ein erneuter Antrag, der auf Erhards Initiative beruhte, schließlich Ende Juni durch CDU/CSU und FDP in den Bundestag eingebracht und am 25. Oktober 1962 in erster Lesung beraten. Aufgrund zu großer Kontroversen wurde der Antrag an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.194 Der Gesetzesentwurf selbst wurde vom Ausschuss weitgehend in der eingebrachten Fassung angenommen und kann auch als Grundlage des heute geltenden „Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (SVRG)
190
Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 301. Ebd. 192 Vgl. ebd., S. 302. 193 Vgl. ebd., S. 302f. 194 Vgl. Glöckler, Wolfgang , Sachverständigenrat und Statistisches Bundesamt: 40 Jahre Zusammenarbeit, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 1963-2003, Wiesbaden 2003, S. 107-122, hier: S. 108. 191
3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik
55
angesehen werden.195 Der Entwurf wurde im August 1963 mit wenigen Änderungen als Gesetz verabschiedet und von allen Parteien im Bundestag unterstützt. Bis zur ersten Besetzung vergingen einige Monate, sodass die konstituierende Sitzung letztendlich am 28. Februar 1964 stattfand.196 Welche Aufgaben sich aus dem SVRG für die Arbeit des Gremiums ergeben, wird im Folgenden erläutert. 3.3.2
Gesetzesgrundlage und Aufgaben des Sachverständigenrates
Die Ziele im SVRG waren ursprünglich für eine Prozesssteuerung gedacht, die auf rationaler Wissenschaft aufbauen sollte.197 Nach Prüfung der wirtschaftspolitischen Situation Deutschlands sollten die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten modelltheoretisch analysiert werden.198 Die Analyse zielt gemäß § 1 I SVRG auf alle „wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen“, was neben der Regierung die Öffentlichkeit, die Bundesbank und das Statistische Bundesamt umfasst.199 Unter Öffentlichkeit ist insbesondere die Fachöffentlichkeit zu verstehen.200 Gemäß § 1 III SVRG dürfen die Mitglieder des SVR nicht Repräsentanten oder Mitarbeiter eines Wirtschaftsverbandes, einer Arbeitgeberorganisation oder einer gewerkschaftlichen Organisation sein. Es besteht demnach ein striktes Verbot, bestimmte öffentliche Ämter zu bekleiden und Tätigkeiten für privatrechtliche Verbände zu übernehmen. § 2 SVRG sieht das jährlich anzufertigende Gutachten vor und verweist auf die Aufnahme der Ziele Preisstabilität, stetiges Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.201 So kann immer derselbe Aufbau der Gutachten festgestellt werden.202 Sie enthalten zunächst eine Übersicht über die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung des vergangenen Jahres 195
Vgl. Kämper, Sachverständigenrat, S. 19. Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 136f. 197 Vgl. Rürup/Bizer, Sachverständigenrat, S. 59. 198 Vgl. Albach, Sachverständigenrat, S. 411. 199 Vgl. Rürup/Bizer, Sachverständigenrat, S. 68. 200 Vgl. Adam, Wirtschaftspolitik, S. 116. 201 Der SVR spricht von außenwirtschaftlichem Gleichgewicht, „wenn bei Zahlungsbilanzgleichgewicht von außenwirtschaftlicher Seite keine negativen Auswirkungen auf den Geldwert und die Beschäftigung im Inland zu erwarten sind“; Vgl. Pollert, Achim/Kirchner, Bernd/Polzin, Javier Morato, Außenwirtschaftliches Gleichgewicht, in: dies. (Hrsg.), Das Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z (BpB, Bd. 414), Bonn 2004, S. 129, hier: S. 129. 202 Vgl. Strätling, Wandel, S. 16. 196
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mit den dazugehörenden statistischen Daten, die im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut wurde.203 Dann erfolgt eine Prognose für das folgende Jahr und die Nennung möglicher Fehlentwicklungen. Jedes Gutachten widmet sich außerdem am Ende einer speziellen wirtschaftspolitischen Problematik.204 Da die Mitglieder des SVR gemäß § 2 II SVRG über besondere wirtschaftswissenschaftliche und volkswirtschaftliche Erfahrungen verfügen müssen, stellten in den zurückliegenden Jahren außer in der Anfangszusammensetzung mit dem Wirtschaftsprüfer Paul Binder und dem Arbeitsdirektor Harald Koch nur Wirtschaftsprofessoren die Mitglieder im SVR.205 Die Amtszeiten sind derart gestaffelt, dass in jedem Jahr zum 1. März die Amtszeit eines Mitglieds endet.206 Das vorgesehene Empfehlungsverbot umgehen die Sachverständigen häufig, indem mehrere Alternativen gegenübergestellt werden und nur eine Alternative als akzeptabel bewertet wird.207 Kann ein Mitglied dieser Alternative nicht zustimmen, ist gemäß § 3 II SVRG ein MHV möglich.208 Wie sich im empirischen Teil zeigen wird, wurde diese Möglichkeit häufig genutzt. Die Beschlüsse des SVR benötigen gemäß § 8 SVRG die Stimmen mindestens dreier Mitglieder. Gemäß § 4 SVRG hat der Rat ein Anhörungsrecht gegenüber geeignet erscheinenden Personen, was insbesondere Vertreter von Organisationen im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich umfasst. Dieses Anhörungsverfahren hat dazu geführt, dass die nachrückenden Ratsmitglieder ähnliche wirtschaftstheoretische Positionen wie ihre Vorgänger vertreten.209 Außerdem finden gemäß § 5 SVRG regelmäßige Gespräche mit dem Bundesfinanz- und dem Bundeswirtschafts- oder auch dem Bundesarbeitsminister statt. Auf Arbeitgeberseite werden regelmäßige Gespräche mit der Spitze des „Industrieund Handelskammertages“ (vor 2001 „Deutscher Industrie- und Handelstag“) und der „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ und des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“ geführt. Auf Arbeitnehmerseite 203
Vgl. Krelle, Wilhelm, 20 Jahre Sachverständigenrat: War es die Mühe wert? in: Richter, Rudolf (Hrsg.), Zeitschrift für Staatswissenschaften (Bd. 140), Tübingen 1984, S. 332-354, hier: S. 335. Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 172. 205 Vgl. Glöckler, Sachverständigenrat, S. 110. 206 Vgl. Strätling, Wandel, S. 15. 207 Vgl. Thunert, Politikberatung, S. 397. 208 Vgl. Glöckler, Sachverständigenrat, S. 112. 209 Vgl. Adam, Wirtschaftspolitik, S. 116. 204
3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik
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stellen die Leiter des „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ und ver.di wichtige Gesprächspartner dar.210 Auch der Präsident der Deutschen Bundesbank kann angehört werden. Das Gutachten ist nach Fertigstellung gemäß § 6 I SVRG der Bundesregierung zuzuleiten, die dieses an Bundestag und Bundesrat weiterleitet. Jeweils zum 15. November des Jahres werden die JG dann als die zentrale Leistung des Rates veröffentlicht.211 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber dem SVR die Möglichkeit gegeben, im Falle aktueller Fehlentwicklungen zusätzliche Gutachten, sog. Sondergutachten, zu erstatten. Auch die Regierung selbst kann den SVR mit der Erstellung zusätzlicher Gutachten beauftragen. Wie die empirische Untersuchung noch zeigen wird, wurde die Möglichkeit der Sondergutachten gerade in der Anfangszeit des Gremiums rege genutzt.212 Das SVRG ist seit Inkrafttreten nur in § 6 geändert worden. Neu hinzugefügt wurde 1967 in § 6 II SVRG die Regelung, dass die Bundesregierung spätestens acht Wochen nach Vorlage des JG zu diesem Stellung beziehen muss.213 Die Gutachten erscheinen nun zeitgleich mit Übergabe an die Regierung.214 Dies ist auf den Erlass des StabG am 8. Juni 1967 zurückzuführen. Die Stellungnahme der Bundesregierung zum JG wurde nun Teil des JWB, der meist vom BMWi, und nur in Einzelfällen vom BMF herausgegeben wurde.215 Gemäß § 7 SVRG werden die Mitglieder auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten für fünf Jahre berufen.216 Formal liegt der entscheidende Einfluss des Berufungsverfahrens bei der Bundesregierung. Doch die Mitwirkung des Rates ist nicht zu unterschätzen, da er ein Veto gegen potentielle Neumitglieder einlegen kann. Die Mitglieder wählen aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden für drei Jahre. Bisher galt die ungeschriebene Regel, dass weder ein arbeitgeber- noch ein arbeitnehmernaher Repräsentant diesen Posten inne210
Vgl. Albach, Sachverständigenrat, S. 405. Vgl. Strätling, Sachverständigenrat, S. 353. 212 Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 137. 213 Vgl. Wiegard, Wolfgang, Begrüßung, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 1963-2003, Wiesbaden 2003, S. 1314, hier: S. 13. 214 Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 171f. 215 Vgl. Albach, Sachverständigenrat, S. 404. 216 Vgl. Nützenadel, Sachverständigenrat, S. 304. 211
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3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
hat.217 Diese Regelung ist jedoch spätestens mit dem aktuellen Vorsitzenden Wolfgang Franz obsolet, da dieser gerade auf Empfehlung der Arbeitgeberseite das Ratsamt bekleidet. Gemäß § 9 SVRG nimmt das Statistische Bundesamt die Aufgabe einer Geschäftsstelle für die Wirtschaftsweisen wahr und stellt dem SVR Quellenmaterial zur Verfügung. § 10 SVRG legt die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder über ihre Beratungen und die als vertraulich zu behandelnden Themen fest. Gemäß § 11 SVRG werden die Mitglieder des SVR für ihre Tätigkeit entschädigt. Die entsprechenden Kosten trägt der Bund. Sie werden im jeweiligen Bundeshaushalt im Titel 0608 „Statistisches Bundesamt“, also innerhalb des Titels des Bundesinnenministeriums, aufgeführt.218 Der Vorsitzende erhält 37.000 € jährlich, die einfachen Mitglieder 33.000 €.219 In der ersten Jahreshälfte, in der die konzeptionellen und empirischen Vorarbeiten für das JG geleistet werden, tagt der Rat, wenn keine Sondergutachten erstellt werden sollen, in jedem Monat an zwei bis drei Tagen, während die Ratsmitglieder von September bis zur Veröffentlichung des Gutachtens Mitte November fast durchgehend in Wiesbaden anwesend sind.220 Daraus ergeben sich rund 90 Sitzungstage pro Jahr. Die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Gremiums steht auch im Mittelpunkt der Kritik, die nun näher ausgeführt werden soll. 3.3.3
Aktuelle Kritik am Sachverständigenrat
In den vergangenen Jahren häuft sich die Kritik am SVR in der öffentlichen Ausein- andersetzung mit dem Rat. Dabei gibt es drei zentrale Aspekte, die am häufigsten diskutiert werden. Erster Kritikpunkt ist die Art und Weise, wie die Gutachten verfasst und der Öffentlichkeit vermittelt werden. Der Rat wird von 217
Vgl. Astheimer, Sven/Krohn, Philipp/Müller, Matthias, Guter Rat ist teuer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.11.2008 aufgerufen am 27.12.2008. 218 Vgl. Glöckler, Sachverständigenrat, S. 114. 219 Diese Information wurde nach Anfrage beim SVR mitgeteilt. In der Literatur finden sich lediglich die Zahlen aus dem Jahr 1994, mit dem Verweis, aktuellere Zahlen würden nicht mitgeteilt. Ob sich daraus eine veränderte Öffentlichkeitsarbeit ableiten lässt, sei an dieser Stelle dahingestellt. 220 Vgl. Glöckler, Sachverständigenrat, S. 116.
3.3 Die Entstehung der Idee entpolitisierter Wirtschaftspolitik
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journalistischer Seite angegriffen, weil er keine kontinuierliche Pressearbeit unternehme, in der er die Teilergebnisse seiner Arbeit schon vorab einer breiten Öffentlichkeit vermittelt. Die Berichterstattung stelle dann häufig allein auf die Konjunkturprognose ab, die zwar eine wichtige Grundlage der Beratung des SVR ist, die aber das differenzierte Bild der diversen wirtschaftspolitischen Botschaften des JG nicht übermitteln kann. Die Terminologie, die in den meisten Gutachten zu sehr in der Fachsprache der Ökonomen verharrt, erreicht die eigentlichen Adressaten, Öffentlichkeit und Politik, nur begrenzt. Hinzu kommt, dass die JG einen zu großen Umfang aufwiesen, der im Laufe der Zeit noch stark gestiegen ist. Nach der Präsentation des Gutachtens endet der Dialog mit der Politik und der Öffentlichkeit zumeist schon nach kurzer Zeit und wird normalerweise erst mit dem nächsten JG wieder aufgegriffen.221 Durch die geringe Presseresonanz zum JG seit einigen Jahren wird die Urteilsbildung in der Öffentlichkeit noch erschwert.222 Der zweite Kritikpunkt ist das gesetzlich vorgeschriebene Empfehlungsverbot des Rates. In der Praxis enthalten die Wenn-dann-Aussagen des Gremiums praktisch immer Empfehlungen. Da der Rat damit dieses Verbot ohnehin in seinen JG umgeht, scheint eine Abschaffung des Empfehlungsverbotes gerechtfertigt. Damit einher geht eine Forderung nach einer Reform des Gremiums, da das Konzept des SVR überholt scheint.223 Verbesserungsvorschläge sind z.B. das Gremium entsprechend den Größen der Fraktionen im Parlament zu besetzen.224 Denkbare Reformen wären auch eine hauptberufliche Besetzung des Gremiums, eine Streichung der Zielfestlegung auf das „Magische Viereck“ und eine vermehrte Untersuchung ökologischer Faktoren.225 Damit würde auch das Problem des Rates, auf der einen Seite keine tagespolitischen Empfehlungen
221
Vgl. Tietmeyer, Sachverständigenrat, S. 32. Vgl. Welfens, Paul J.J., Politikberatung als Problem in Deutschland: Institutionelle Fragen und Aspekte der Neuen Politischen Ökonomie, in: Jens, Uwe/Romahn, Hajo (Hrsg.), Glanz und Elend der Politikberatung, Marburg 2005, S. 235-270, hier: S. 255. 223 Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 152. 224 Vgl. Krupp, Hans-Jürgen, Unabhängige Beratung und politische Verantwortung. Überlegung zur Konzeption des deutschen Sachverständigenrates, in: Gahlen, Bernhard/Meyer, Bernd/Schumann, Jochen (Hrsg.), Wirtschaftswachstum, Strukturwandel und dynamischer Wettbewerb. Ernst Helmstädter zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1989, S. 421-428, hier: S. 428. 225 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 216. 222
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3 Institutionalisierte Formen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung
geben zu dürfen, aber auf der anderen Seite dennoch verstärkt Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, erleichtert. Der dritte Kritikpunkt, und damit für die Frage der Entpolitisierung wichtigster Aspekt, sind die MHV der Gutachter. Immer häufiger äußern sich die Mitglieder des SVR zu politischen Fragen sehr unterschiedlich. Das aktuellste Beispiel war die Diskussion um staatliche Mindestlöhne, in der drei verschiedene Meinungen im Gremium vertreten waren. Diese uneinheitlichen Meinungen zeigen deutlich die Unterschiede auch in der wissenschaftlichen Diskussion und werden in der Frage um die entpolitisierende Wirkung des Rates eine erhebliche Rolle spielen. Die MHV führten insbesondere zu der drastischen Forderung nach einer Abschaffung des Gremiums, wie z.B. durch den Vorsitzenden der SPDBundestagsfraktion Peter Struck, der den fünf Wirtschaftsweisen Inkompetenz vorwarf.226 Auch die Theorien der Wirtschaftspolitik gehen auf die Kritik am SVR ein und fordern insbesondere eine Reform des Gremiums.
226
Vgl. Handelsblatt, Struck will Sachverständigenrat abschaffen vom 16.11.2008, aufgerufen am 27.12.2008.
4. Einordnung des Sachverständigenrates in die Theorien der Wirtschaftspolitik
In der Entstehungsgeschichte des SVR wurden sehr unterschiedliche Erwartungen an das neue wirtschaftswissenschaftliche Gremium deutlich. In der endgültigen Fassung des SVRG und der Praxis des SVR finden sich Elemente aller drei traditionellen Politikberatungsmodelle. Die Bildung des SVR ist ohne Zweifel durch das dezisionistische Beratungsmodell geprägt. Es sollte eine strenge Trennung zwischen wissenschaftlichen Beratern und politischen Entscheidungsträgern geben und damit auch eine deutliche Trennung von Werturteilen und Sachaussagen. Da der SVR jedoch die Urteilsbildung seiner Adressaten beeinflusst, ist auch ein technokratisches Element zu erkennen.227 Diese Überzeugung, dass durch geeignete Maßnahmen die Ziele der Politiker erreicht werden können, beruhte auf der Idee des Keynesianismus und der antizyklischen Fiskalpolitik.228 Doch auch das pragmatische Modell wird in der Literatur auf den SVR angewandt, da durch die Einbindung der Öffentlichkeit ein kritisches Wechselverhältnis entstehen kann.229 In der Theorie der traditionellen Wirtschaftspolitik wird davon ausgegangen, dass sich politische Entscheidungsträger als perfekte Agenten der Bürger verhalten.230 Die neueren Theorien in der Wirtschaftspolitik und deren Annahme eines deutlichen Eigeninteresses der Akteure wird hier eher kritisch gesehen. In der Literatur der Public-Choice-Theorie und deren Anwendung auf den SVR konnte nicht eindeutig ein Eigeninteresse der Ratsmitglieder nachgewiesen werden. Auch diese Arbeit kann dies nicht leisten, sondern lediglich versuchen, Indizien für ein Eigeninteresse der Akteure aufzunehmen und mit der entpolitisierenden Wirkung in Verbindung zu bringen. Viel stärker in den Fokus der 227
Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 139. Vgl. ebd., S. 140. 229 Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 142. 230 Vgl. Cassel, Politikberatung, S. 141. 228
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4 Einordnung des Sachverständigenrates in die Theorien der Wirtschaftspolitik
entpolitisierenden Wirkung des Rates muss jedoch aus politikwissenschaftlicher Perspektive das Wechselspiel zwischen den Ratsmitgliedern und der Regierung gerückt werden. Auch aus diesem Grund stehen bei der empirischen Untersuchung die JG und die JWB unter Berücksichtigung der Ratsbesetzung im Vordergrund. Unabhängig von der Frage, ob der SVR Politikberatung oder Politikerberatung betreibt, stellt sich die weiterführende Frage, ob die Mitglieder des SVR rational handeln können und dies auch zu einer Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik führt. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, welche Aufgaben der SVR wahrnehmen kann und wie er sich als wissenschaftliches Beratungsgremium in seiner Arbeitsweise von anderen Institutionen der Politikberatung unterscheidet. Deutlich hervorzuheben war dabei die Entstehungsgeschichte, da diese für die Idee der Entpolitisierung von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Inwiefern der SVR als unabhängiges Beratungsgremium in seinen nunmehr über 40 Jahren Bestand zur Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik beitragen konnte, soll anhand der nun folgenden empirischen Untersuchung aufgezeigt werden. Die entpolitisierende Wirkung des Rates wird schwerpunktmäßig mithilfe der MHV und der Zusammensetzung des SVR untersucht. Dabei soll der gerade aus politikwissenschaftlicher Perspektive interessanten Frage nachgegangen werden, wie der JWB auf die Gutachten reagiert.
5. Empirische Untersuchung
Aufbauend auf den grundsätzlichen Merkmalen der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung mit Bezug auf den SVR soll die entpolitisierende Wirkung des Gremiums empirisch in Form einer Längsschnittanalyse untersucht werden. Die Datenbasis der empirischen Untersuchung setzt sich zusammen aus den jährlichen Gutachten des SVR und dem regelmäßig zwei Monate später erscheinenden JWB der Bundesregierung. Da der gesamte Zeitraum seit Gründung des SVR im Jahr 1964 betrachtet werden soll, wird sich die Untersuchung auf einige wirtschaftspolitische Themen der JG fokussieren, die zu Beginn jeder Phase als sog. „wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte“ kurz dargestellt werden. Die Einteilung der Untersuchung in vier Phasen ergibt sich aus politischen Gegebenheiten. So ist in der ersten und dritten Phase die CDU stärkste Partei, in der zweiten und vierten Phase die SPD. Zum einen soll die Einteilung verdeutlichen, wie sich wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen von CDU- und SPDgeführten Regierungen unterschieden und ob Veränderungen im Gremium231 konkrete Auswirkungen auf die JG und die JWB hatten. Zum anderen soll geprüft werden, ob die Vorschläge des SVR von der Regierung umgesetzt wurden. Da der JWB erstmals 1968 erschien, wird sich die Untersuchung in den ersten drei Jahren auf die JG des SVR konzentrieren, in denen jedoch bereits ein kurzer Kommentar der Bundesregierung enthalten ist. Nach erstmaligem Erscheinen des JWB variiert dessen Aufbau über die Jahre stark, da verschiedene wirtschaftspolitische Schwerpunkte gelegt wurden. Das Grundkonzept des JWB enthielt zu Beginn eine Einteilung in drei Abschnitte: eine Stellungnahme zum JG, eine Darlegung der für das laufende Jahr von der Bundesregierung angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele (sog. „Jahresprojektion“) in 231
In Anhang 2 findet sich eine Übersicht über die SVR-Mitglieder während des Untersuchungszeitraumes und deren (wirtschafts-)politischer Ausrichtung.
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5 Empirische Untersuchung
Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Zielvorstellungen) und eine Darlegung der für das laufende Jahr geplanten Wirtschafts- und Finanzpolitik (Maßnahmen). Inwiefern und aus welchen Gründen mit dieser exakten Trennung gebrochen wurde, wird in der empirischen Untersuchung gezeigt werden.232 Die Primärquellen werden, sofern notwendig, mit Hintergrundinformationen zu den Ratsmitgliedern sowie zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Diskussionen ergänzt. 5.1
Die erste Phase 1964-1969: „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“?
Die erste Phase beinhaltet die Anfangszeit des Rates in der bürgerlichen Koalition, sowie die Zeit der Großen Koalition mit der CDU/CSU als stärkster politischer Kraft. Nach der Gründung des SVR im Jahr 1963 sollte die entpolitisierte Wirtschaftspolitik, die Erhard anstrebte, auch praktisch in der Regierungspolitik umgesetzt werden. Die Untersuchung der ersten Phase unter dem Titel „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“ stützt sich auf die JG und ab 1968 zusätzlich auf die JWB. 5.1.1
Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte
Für die erste Phase bis 1969 waren es zwei Themenbereiche, die die größten wirtschaftspolitischen Debatten hervorriefen, und die aus diesem Grund auch als Untersuchungsgegenstand dienen sollen. Zum einen wurde von Beginn an die Einführung sog. „flexibler Wechselkurse“ vom SVR anvisiert.233 Durch die flexiblen Wechselkurse sollten die Kurse am Devisenmarkt gemäß Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Im System fixer Wechselkurse, wie es in Deutschland bis dato üblich war, wurden die Wechselkurse noch politisch festgesetzt.234 232
Vgl. Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Zum Jahresgutachten 1967 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zum Jahreswirtschaftsbericht 1968 der Bundesregierung, Hamburg 1968, S. 38. 233 Unter Wechselkurs ist üblicherweise der „Preis für eine ausländische Währungseinheit“ zu verstehen; vgl. Pollert, Achim/Kirchner, Bernd/Polzin, Javier Morato, Wechselkurs, in: dies. (Hrsg.), Das Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z (BpB, Bd. 414), Bonn 2004, S. 240241, hier: S. 240. 234 Vgl. Pollert/Kirchner/Polzin, Wechselkurs, S. 240.
5.1 Die erste Phase 1964-1969: „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“?
65
Der Rat wollte durch eine größere Wechselkursstabilität ermöglichen, auch die Preisniveaustabilität zu sichern, da in den meisten Handelspartnerländern, besonders in den Vereinigten Staaten, höhere Inflationsraten als in Deutschland herrschten.235 Mit einer Flexibilisierung des Wechselkurssystems sah der SVR die einzige Möglichkeit, das angestrebte Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu erreichen. Der Vorschlag des SVR stieß jedoch auf Ablehnung der Regierung, da die Wechselkursdebatte sowohl politisch als auch wirtschaftswissenschaftlich erst in der Entstehungsphase war.236 Das zweite prägende Thema der ersten Phase waren die konjunkturpolitischen Vorschläge des SVR, die im deutlichen Widerspruch zur Wirtschaftspolitik der Ordoliberalen standen. Der SVR forderte im Gegensatz zu Erhards marktwirtschaftlich orientierter Wirtschaftspolitik mehr Einfluss des Staates und eine Stärkung der Nachfragepolitik. Wie sich diese Forderungen des SVR in die wirtschaftspolitische Diskussion einfügten und wie sich das Verhältnis zum BMWi gestaltete, wird einen Teil der Untersuchung ausmachen. Als Erhard im Jahr 1963 das Amt des Bundeskanzlers übernahm, wurde Kurt Schmücker zum neuen Bundeswirtschaftsminister benannt und bekleidete das Amt bis 1966. In dieser vergleichsweise kurzen Amtszeit Schmückers lag auch die Erstbesetzung des SVR, bei der sowohl die Professorendominanz innerhalb des Rates als auch die Einflussnahme von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bei der Benennung von jeweils einem Ratsmitglied begründet wurde.237 Schmücker selbst stand dem neuen Gremium skeptisch gegenüber. So antwortete er auf die Frage nach den Möglichkeiten wertneutraler Wirtschaftspolitik: „Ich lasse mich auch vom besten Sachverstand nicht von meinen politischen Überzeugungen abbringen!“238 Ob der SVR „besten Sachverstand“ gewährleisten konnte und ob dieser Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der
235
Vgl. Donges, Politikberatung, S. 240f. Preisniveaustabilität herrscht, wenn „die Kaufkraft des Geldes konstant bleibt“; Schlösser, Wirtschaft, S. 57. 236 Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 335. 237 Vgl. Andersen, Uwe, Kurt Schmücker, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1949-1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2001, S. 612-614, hier: S. 613. 238 Lambsdorff, Politikberatung, S. 77.
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5 Empirische Untersuchung
Regierung hatte, soll in der folgenden Untersuchung der ersten Phase analysiert werden. 5.1.2
Heterogener Sachverständigenrat und der Beginn der keynesianischen Wirtschaftspolitik
In der ersten Phase waren sowohl die beiden großen Parteien CDU und SPD mit jeweils einem Mitglied vertreten, als auch jeweils ein Mitglied mit keynesianischen bzw. mit angebotspolitischen Ansichten. Das fünfte Mitglied lässt sich als parteipolitisch unabhängig einstufen. Wie sich in der späteren Untersuchung noch zeigen wird, lag diese heterogene Mischung in den nachfolgenden Jahren nicht mehr vor. Meyer, der bis 1965 Ratsmitglied blieb, war ein Schüler Euckens und im Gremium ein vehementer Vertreter der Ordnungstheorie. Neben ihm besetzte auch Binder den Rat. Der Wirtschaftsprüfer und ehemalige Württembergische Finanzstaatssekretär war von 1964 bis 1967 im Gremium aktiv. Sein Arbeitsschwerpunkt lag auf der Währungs- und Konjunkturpolitik. Arbeitsdirektor Koch, Mitglied der SPD-Fraktion im ersten Bundestag, arbeitete seit 1964 im SVR und beschäftigte sich mit tarif- und arbeitsrechtlichen Fragen. Mit Binder und Koch wurden zwei Personen berufen, die bei Amtsantritt zwar keine partei- oder verbandspolitischen Ämter innehatten, aber doch als arbeitgeber- bzw. gewerkschaftsnah galten.239 Giersch, der auch ab 1964 im SVR aktiv war, prägte stark die „Konzertierte Aktion“ und das Konzept der Globalsteuerung. Nach seiner Tätigkeit im SVR wurde er Präsident des IfW und war von 1960 bis 2007 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim BMWi. Giersch galt als einer der einflussreichen Volkswirte, der sich nach seinem Austritt aus dem Rat vom Keynesianismus löste und angebotspolitische Standpunkte vertrat.240 Zudem war Wilhelm Bauer von 1964 bis 1973 im SVR und Präsident des RWI. Das erste JG dieser Erstbesetzung erschien am 11. Januar 1965. Es stützte sich stark auf den Gesetzesauftrag der Einhaltung des „Magischen Vierecks“ und forderte als wirtschaftspolitische Maxime eine „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“. So heißt es im Gutachten: 239 240
Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 164. Vgl. ebd., S. 165.
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„Nun ist allerdings zu bedenken, dass die Wirtschaftspolitik aus einem Guß, [...] erforderlich scheint, um die im Gesetz des SVR niedergelegten Ziele gleichzeitig zu erreichen.“241
Der Rat warnte demnach nicht nur vor den Inflationsgefahren, sondern verwies auch auf den Zielkonflikt von Geldwertstabilität, Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum. Ein Zielkonflikt entstünde, da die „Verfolgung eines Ziels“ die „Erfüllung anderer Ziele“242 beeinträchtige. Zudem zweifelte der Rat anfangs selbst daran, ob er seine Aufgabe trotz politischer Restriktionen sinnvoll erfüllen könne. „[Diese Ziele sind] möglicherweise wegen zahlreicher innen- und außenpolitischer Rücksichten und Bindungen nicht oder nur auf längere Sicht realisierbar.“243
Die Reaktion der Bundesregierung auf das erste JG, die im Anhang beiliegt, war dementsprechend verhalten. So lobte die Regierung, dass es „keine Minderheitsvoten“244 gab, und dass der Auftrag des Rates damit als „im Wesentlichen erfüllt“245 angesehen werden könne. Im Weiteren beschränkte sich die Bundesregierung jedoch nur auf eine knappe Kommentierung der wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen, die der Rat gezogen hatte.246 Dies war in einer grundlegenden Disharmonie zwischen Regierung und Rat begründet. Wie auch zuvor in einem Sondergutachten aus dem Frühsommer 1964 ausgeführt, sah das erste JG als wirtschaftliche Hauptgefahr die Preiserhöhung durch den Außenhandelsüberschuss, die durch das System fester Wechselkurse zu einer „importierten Inflation“ führe. Das JG sprach zwar, wie im Gesetz vorgesehen, keine konkreten Empfehlungen an die Regierung aus, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass ein flexibles Wechselkurssystem für die langfristige Bekämpfung der Geldent-
241
Das Zitieren aus den JG und den JWB wird unter Angabe der Randnummer erfolgen, da dies eine bessere Nachfolziehbarkeit der entsprechenden Textpassagen ermöglicht. Da einige Texte sowohl in der Einleitung als auch in den Anhängen der Quellen keine Randnummer besitzen, werden diese mit den arabischen bzw. römischen Seitenzahlen zitiert; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1964/65: Stabiles Geld – Stetiges Wachstum, Stuttgart 1965, Rn. 255. 242 Schlösser, Wirtschaft, S. 57. 243 Sachverständigenrat, JG 64/65, Rn. 255. 244 Ebd., Beilage, Rn. 1. 245 Ebd., Beilage, Rn. 2. 246 Vgl. ebd., Beilage, Rn. 3.
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5 Empirische Untersuchung
wertung als notwendig angesehen wurde.247 Die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Erhard, sprach sich jedoch sehr deutlich gegen den Vorschlag des SVR für flexible Wechselkurse aus und verwies darauf, dass dieses Thema auch in der „wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion“248 umstritten sei. Dass Erhard dem Gremium nach Erscheinen des ersten Gutachtens nicht wohl gesonnen war, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass mit den Schlussfolgerungen des SVR nicht den Lohnansprüchen der Gewerkschaften die Hauptschuld an der Inflation gegeben wurde, sondern dem außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht und der inkonsistenten Wirtschaftspolitik der Regierung. Damit war das Gegenteil dessen eingetreten, was sich Erhard von dem neu geschaffenen Gremium erhofft hatte.249 Das Ziel, durch den SVR eine Stütze der eigenen Wirtschaftspolitik und eine Hilfe im Konflikt mit den Tarifparteien etabliert zu haben, war nicht erreicht worden und die Wechselkursänderung blieb in den folgenden Jahren ständiges Thema der JG. Auch der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi wies in einem Gutachten 1967 ausdrücklich auf die problematischen Auswirkungen fester Wechselkurse auf die Preisstabilität hin und stützte damit die Position des SVR.250 Das JG 65/66251 hielt sich in Folge der scharfen Reaktionen der Bundesregierung auf das erste JG zu diesem Thema stark zurück. Es befasste sich stattdessen primär mit den Anzeichen des bevorstehenden wirtschaftlichen Abschwungs. Als markantestes Merkmal des zweiten JG kann die „Konzertierte Aktion“ angesehen werden, deren Konzept erstmals vorgestellt und später von Bundeswirtschaftsminister Schiller umgesetzt wurde.252 Mit der „Konzertierten Aktion“ wollte der SVR erreichen, dass durch ein „abgestimmtes Verhalten von Bundesbank, Fiskus und Tarifvertragsparteien“253 die Inflation von über drei Prozent abgesenkt würde, ohne dass die Beschäftigungszahlen darunter zu leiden 247
Vgl. Sachverständigenrat, JG 64/65, Rn. 164. Ebd., Beilage, Rn. 9. 249 Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 166. 250 Vgl. ebd., S. 170. 251 Es ist sowohl in den JG bzw. JWB als auch in der einschlägigen Literatur üblich diese verkürzte Schreibweise zu gebrauchen. So steht z.B. JG 65/66 für das Jahresgutachten 1965/1966. 252 Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 339. 253 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1965/66: Stabilisierung ohne Stagnation, Stuttgart 1965, Rn. 186. 248
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hatten. Der Grundgedanke des Konzepts wurde von der Regierung positiv zur Kenntnis genommen.254 Dennoch kam es bis zum Ende der Kanzlerschaft Erhards zu einer dauerhaften Auseinandersetzung zwischen Rat und Kanzler, in der Erhard immer mehr in die Defensive gedrängt wurde und die einen erheblichen Anteil daran hatte, dass seine bis dahin unbestrittene wirtschaftspolitische Autorität nachließ. Im Sommer 1965 fanden die Spannungen zwischen SVR und Politik nach einem weiteren Sondergutachten des Rates auf dem Tiefpunkt. Im JG 67/68 findet sich ein Brief des SVR an den Bundeskanzler vom 19. Juni 1965, um ihn auf bevorstehende wirtschaftspolitische Gefahren hinzuweisen. So heißt es dort, dass der SVR „das Ziel der Stabilität und des Preisniveaus nach wie vor für ernsthaft gefährdet hält“255. Durch die Zinserhöhungen der Bundesbank 1965 kam es dann auch tatsächlich zum ersten Konjunktureinbruch der Nachkriegszeit.256 Dass die JG des SVR zunehmend die Wirtschaftspolitik der Regierung kritisierten, lag auch am Paradigmenwechsel in der Wirtschaftswissenschaft weg von der ordoliberalen Politik hin zu einer an Keynes orientierten Prozesspolitik.257 Als Instrument dieser Politik wurde, von Erhard kritisch betrachtet, im BMWi bereits der Entwurf des StabG erarbeitet, bei dessen Erlass 1967 Erhard allerdings nicht mehr im Amt war.258 1966 kam es zum ersten Personenwechsel im SVR. Nachfolger des ordnungspolitisch orientierten Meyer wurde Wolfgang Stützel als Vertreter marktwirtschaftlicher Grundsätze. Dennoch kam es noch im selben Jahr zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Rat.259 Um die Lage zu entspannen, fand unter Vorsitz von Schmücker im BMWi ein Gespräch über die wirtschaftliche Lage statt, bei dem auch die Mitglieder des SVR anwesend waren.
254
Vgl. Giersch, Herbert, Aus der Anfangszeit des Rates, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 23-27, hier: S. 25. 255 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1967/68: Stabilität im Wachstum, Stuttgart 1967, Anhang III, S. 256. 256 Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 290. 257 Vgl. Andersen, Uwe, Ludwig Erhard, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 231-241, hier: S. 239. 258 Vgl. ebd., S. 240. 259 Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 167.
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5 Empirische Untersuchung
„Die Teilnehmer bekunden ihre Bereitschaft, auch in ihren Bereichen an den Bemühungen zur Sicherung des Geldwertes im Sinne der Grundgedanken des Sachverständigengutachtens durch gleichzeitiges und gemeinsames Handeln mitzuwirken.“260
Weitere Teilnehmer waren Bundesminister, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sowie Vertreter des Verbraucher- und Bauernverbandes.261 Mit der Teilnahme an diesem Treffen demonstrierte der SVR eine Strategie der Konflikteskalation, weil er sich davon eine Stärkung seiner Verhandlungsmacht und seines Ansehens erhoffte.262 Die Einladung Schmückers zu diesem Gespräch kann als Vorläufer der später stattfindenden „Konzertierten Aktionen“ angesehen werden. Der Entwurf des StabG enthielt bereits zentrale Elemente der Globalsteuerung, auf die noch näher einzugehen sein wird. Trotz dieser wichtigen Vorarbeit hinterließ Schmücker als Bundeswirtschaftsminister in der öffentlichen Wahrnehmung keinen großen Eindruck, da er als Nachfolger von Erhard und als Vorgänger von Schiller als blasse Figur erschien.263 Problematisch war auch die nur mäßige Zusammenarbeit zwischen Erhard und Schmücker. Während Erhard die Organisation von Entscheidungsprozessen verstärkt außerhalb der Ministerialbürokratie ansiedelte, wie am besten zu erkennen an der im Jahr 1964 ins Leben gerufenen Expertenrunde „Brigade Erhard“, widmete sich das BMWi unter Schmücker dem StabG. Die „Brigade Erhard“, die sich u.a. aus Wahlforschern, Publizisten und dem Wirtschaftsexperten Müller-Armack zusammensetzte, um wirtschaftspolitische Entscheidungen der Regierung vorzubereiten, kann als klarer marktwirtschaftlicher Kontrast zur Idee der Globalsteuerung gesehen werden.264 Doch Erhard konnte gegen Ende seiner Amtszeit 1966 die sich ankündigende keynesianische Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik nur mehr kommentieren, nicht jedoch verhindern und wurde nach Bildung der Großen Koalition am 1. Dezember 1966 als Bundeskanzler von Kurt Georg Kiesinger abgelöst. 260 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1966/67: Expansion und Stabilität, Stuttgart 1966, Anhang IV. 261 Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 291. 262 Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 168. 263 Vgl. Andersen, Schmücker, S. 614. 264 Vgl. Koerfer, Daniel, Ludwig Erhard, in: Oppelland, Torsten (Hrsg.), 17 biographische Skizzen aus Ost und West (Bd. 1), Darmstadt 1999, S. 152-162, hier: S. 160.
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Nach Bildung der Großen Koalition wurde Schiller am 29. November 1966 als Nachfolger von Schmücker zum neuen Bundeswirtschaftsminister vereidigt, wofür er von seiner Lehrstuhltätigkeit als Wirtschaftsprofessor befreit wurde.265 Mit dem Eintritt der SPD und des neuen Bundeswirtschaftsministers in die Regierung änderte sich auch die konzeptionelle Ausrichtung der Wirtschaftspolitik erheblich. „Antizyklische Finanzpolitik“ war nun das Credo der Regierung und laut Schiller war „nicht Marx, sondern Keynes [...] der Mann der Stunde“266. Doch die Kompetenzüberschneidungen zwischen BMWi und BMF unter Leitung von Franz Joseph Strauß bereiteten anfangs Probleme. Trotz vieler Gegensätze fanden Schiller und Strauß jedoch bald zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit und wurden sogar mit den Kosenamen „Plisch und Plum“267 betitelt. Die Regierungserklärung der Großen Koalition von Kiesinger vom 13. Dezember 1966 kündigte die gemeinsam ausgehandelten Gesetzes- und Reformvorhaben von CDU und SPD an. Zwei Tage später wurde ein aus vier Punkten bestehendes Wirtschaftsprogramm im Parlament vorgestellt, welches die wesentlichen ökonomischen Ziele „Vollbeschäftigung, Kontinuität der Wirtschafts- und Kreditpolitik, Orientierung nach Stabilität und Wachstum und die Ausrichtung der Bundesbank an der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung“268 beinhaltete. Finanzexperten wie der spätere Finanzminister Alexander Möller erkannten die Schwierigkeiten dieser optimistischen keynesianischen Zielsetzung sofort.269 Doch auch der SVR gab im März 1967 ein Sondergutachten heraus, um für keynesianische Wirtschaftspolitik zu werben. „Die Wirtschaftslage stellt sich im März 1967 erheblich ungünstiger dar, als der SVR im Herbst vorigen Jahres vorausgeschätzt hat.“270 „Der SVR muss davon aus-
265 Vgl. Lütjen, Torben, Karl Schiller (1911-1994). „Superminister“ Willy Brandts (Historisches Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe: Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 76) Bonn 2007, S. 220. 266 Goldberg, Jörg/Semmler, Bernd, Der starke Mann des Kapitals. Die wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen des F.J. Strauß, Köln 1980, S. 46. 267 Lütjen, Schiller, S. 222; die Bezeichnung „Plisch und Plum“ ist auf eine Geschichte Wilhelm Buschs zurückzuführen, in der zwei sehr gegensätzliche Hunde zusammen Streiche aushecken. 268 Schneider, Andrea H., Die Kunst des Kompromisses: Helmut Schmidt und die Große Koalition 1966-1969, Paderborn 1999, S. 167. 269 Vgl. ebd. 270 Sachverständigenrat, JG 67/68, Anhang V, Rn. 1.
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5 Empirische Untersuchung
gehen, dass sich mehrere Ziele gleichzeitig nur erreichen lassen, wenn man entsprechend viele Instrumente gleichzeitig einsetzt.“271
Die erwähnten Instrumente bezogen sich auf die neuen Möglichkeiten der Regierung durch den Erlass des StabG. Es stellte das wichtigste Projekt der Großen Koalition während der Rezession im Jahr 1967 dar. Schiller beeinflusste das StabG, mit dem der Keynesianismus auch in Deutschland Einzug erhielt, stark. „Wettbewerb so weit wie möglich, Planung so weit wie nötig“272 besagte bereits das Godesberger Programm der SPD von 1959. Diesen Grundsatz wollte Schiller nun auch praktisch umsetzen. Das StabG war Ausdruck eines Paradigmenwechsels in der Wirtschaftswissenschaft und der Wirtschaftspolitik und wird in der Literatur sogar als „prozesspolitisches Grundgesetz“273 der damaligen Zeit angesehen. Vorrangiges Ziel des Gesetzes war die Beschleunigung konjunkturpolitischer Eingriffe mit wirtschaftspolitischen Mitteln, die sich mit der marktwirtschaftlichen Ordnung vertrugen.274 Hatte sich der Entwurf des StabG unter Schmücker überwiegend Fragen der Bekämpfung einer konjunkturellen Überhitzung gewidmet, sollte die Bundesregierung mit der überarbeiteten Fassung in die Lage versetzt werden, durch antizyklischen Einsatz der Finanzpolitik Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu nehmen.275 Doch das StabG gab der Regierung nicht nur die Möglichkeit, im Rahmen der Globalsteuerung mit konjunkturpolitischen Instrumenten die gesamtwirtschaftlichen Hauptziele zu vereinheitlichen, sondern verpflichtete die Regierung auch darauf, das Problem des „Magischen Vierecks“ zu lösen (§ 1 StabG).276 Weiterhin war die Regierung nun zur Herausgabe des JWB verpflichtet, der eine Stellungnahme zum JG 271
Sachverständigenrat, JG 67/68, Anhang V, Rn. 12. Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Godesberger Programm, aufgerufen am 19.05.2009, S. 9. 273 Andersen, Uwe, Karl Schiller, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 583-588, hier: S. 584. 274 Vgl. Teichmann, Ulrich, Wirtschaftspolitik. Einführung in die demokratische und die instrumentelle Wirtschaftspolitik, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2001, S. 16. 275 Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 292. 276 Im StabG wurden die Ziele des SVRG durch das Ziel des hohen Beschäftigungsstandes ergänzt und bildeten damit das „Magische Viereck“. Dieses beinhaltet stabiles Preisniveau, hohen Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges Wachstum. Die vier Ziele werden als „magisch“ bezeichnet, da sie kaum alle gleichzeitig verwirklicht werden können. 272
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beinhalten musste.277 Als wichtigste instrumentelle Innovation des StabG kann die vom SVR initiierte „Konzertierte Aktion“ (§ 3 StabG) angesehen werden. Schiller nutzte die gesetzlichen Vorgaben, um eine regelmäßige Gesprächsrunde der wichtigsten staatlichen und verbandlichen Akteure der Wirtschaftspolitik zu etablieren, was jedoch auch zu Kritik führte.278 Die einen befürchteten, die „Konzertierte Aktion“ werde die staatliche Wirtschaftspolitik verbandsabhängig machen, während andere vor einer Verstaatlichung der Verbände warnten.279 Auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Erhard kritisierte den „neuen Interventionismus“280 in den Konjunkturzyklus stark. Er selbst hatte stets angestrebt, die politische Verantwortung des Staates nicht von Interessengruppen und ihren Forderungen untergraben zu lassen. Das korporatistische Element der „Konzertierten Aktion“ stand im krassen Widerspruch zu Erhards Auffassung von Ordnungspolitik, bei der der Staat und kein „Runder Tisch“ und kein Bündnis ordnungspolitische Entscheidungen zu verantworten hat.281 Doch Erhard sollte sich nicht nur über die SPD empören, denn auch Kiesinger schuf mit der Einrichtung des „Kressbronner Kreises“ ein korporatistisches Gremium. In diesem Kreis trafen wichtige Vertreter der Regierung, der Wirtschaft und der Verbände zu Gesprächen zusammen.282 Im Gegensatz zu den späteren Kommissionen hatte der „Kressbronner Kreis“ zwar keinen allzu großen Einfluss auf die Agenda, doch hier wurden erstmals auch Entscheidungen getroffen, bevor sie in offiziellen Gremien wie Kabinett oder Parlament ausführlich diskutiert wurden, was über die Zielsetzung der „Brigade Erhard“ hinaus ging. Der Einfluss des StabG auf die Politikgestaltung war jedoch wesentlich höher. So spiegelte auch das JG 67/68 den Erlass des StabG wider, indem es das Ziel des stetigen und angemessenen Wachstums in den Vordergrund rückte. Die Verstetigung des
277 Vgl. Hacke, Christian, Kurt Georg Kiesinger, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 353-359, hier: S. 355. 278 Vgl. Glöckler, Sachverständigenrat, S. 109f. 279 Vgl. Andersen, Schiller, S. 585. 280 Wünsche, Horst Friedrich, Die Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft, in: Schlecht, Otto/Stoltenberg, Gerhard (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft. Grundlagen, Entwicklungen, Perspektiven, Breisgau 2001, S. 61-114, hier: S. 109. 281 Vgl. ebd., S. 110. 282 Vgl. Lütjen, Schiller, S. 223.
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5 Empirische Untersuchung
Wirtschaftsablaufes wurde vom SVR als ein gemeinsames Element aller großen Ziele der Konjunkturpolitik gekennzeichnet.283 Im Jahr 1968 erschien der erste JWB der Bundesregierung, herausgegeben vom BMWi.284 „Der JWB enthält die Stellungnahme zu dem JG des SVR, eine Darlegung der für das laufende Jahr von der Bundesregierung angestrebten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele und eine Darlegung der für das laufende Jahr geplanten Wirtschaftsund Finanzpolitik. Dieses Verfahren erzwingt ein ausführlicheres Eingehen auf die Meinung des SVR als bisher.“285
Neben der konkreten Stellungnahme zum JG fanden sich auch in den anderen Kapiteln des JWB Bezüge auf den SVR. Die Stellungnahme fiel infolge des neuen gesetzlichen Auftrages umfassender und gründlicher aus, als die vergleichbaren Stellungnahmen der früheren Bundesregierung zu den jeweiligen JG.286 Im ersten JWB wurde sehr deutlich, was das prägendste Argument der Nachfragepolitik sein sollte: eine Anregung der Kaufkraft durch höhere Löhne. „Erst im Jahre 1967 wurden bewusste Anstrengungen unternommen, den erstmals so starken Rückgang der privaten Investitionstätigkeit durch konjunkturpolitische Gegensteuerung der öffentlichen Investitionen tendenziell auszugleichen.“287
Das BMWi unter Schiller stützte die nachfrageorientierte Politik und ging auch explizit auf die Erfüllung des „Magischen Vierecks“ ein: „Eine ausreichende Expansion der Lohn- und Gehaltssumme ist auch unter Nachfrageaspekten geboten.“288 „Sie [die Bundesregierung] ist entschlossen, mit Hilfe des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft weiterhin direkte Konjunkturpolitik zu betreiben und [...] sich nicht nur auf die Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank zu verlassen.“289
Zudem gab der erste JWB eine Definition der Ziele des „Magischen Vierecks“:
283
Vgl. Strätling, Wandel, S. 98. In den Jahren 1999 bis 2002 wurde der JWB vom BMF veröffentlicht. Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1968 der Bundesregierung, Bonn 1968, S. 2. 286 Ca. vier der 22 Seiten des JWB beschäftigten sich mit dem JG. 287 Bundeswirtschaftsministerium, JWB 68, Rn. 2. 288 Ebd., Rn. 4. 289 Ebd., Rn. 5. 284 285
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„Vollbeschäftigung entspricht einer Arbeitslosenquote von 0,8 % bei normalem Winterwetter. Preisstabilität entspricht einer Differenz der Zunahme des nominalen Bruttosozialprodukts zum Wachstum des realen BSP von 1 %. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht entspricht einem Anteil des Außenbeitrages am BSP von 1 %, und damit den voraussichtlichen finanziellen Verpflichtungen. Angemessenes Wirtschaftswachstum entspricht einer Zuwachsrate des realen BSP von 4 %.“290
Bewähren musste sich das neue konjunkturpolitische Instrumentarium in den ersten Jahren der sozial-liberalen Koalition allerdings kaum, da sich die gesamtwirtschaftliche Situation positiv darstellte. Seit Ende des Jahres 1967 verzeichnete die Bundesrepublik wieder einen Wirtschaftsaufschwung, mit dem auch die Popularität Schillers seinen Höhepunkt erreichte. Da das „Magische Viereck“ realisiert schien, lagen von diesem Zeitpunkt an die ökonomischen Herausforderungen nicht mehr darin, die Konjunktur anzukurbeln, sondern sie zu mäßigen, damit es nicht zu inflationären Tendenzen kam.291 Außerdem blieb neben der keynesianischen Politik das Thema der Aufwertung der D-Mark aktuell: „Seit dem Sommer 1968 wird in der Bundesrepublik über kein wirtschaftliches Thema so lebhaft debattiert wie über die Frage einer Aufwertung der DM.“292
Im ersten JWB war das Thema ausgeklammert worden. Auf einer internationalen Währungskonferenz in Bonn im März 1968 wandten sich Schiller und Strauß stattdessen gemeinsam gegen die internationale Aufwertung der D-Mark und ergriffen steuerliche Ersatzmaßnahmen.293 Auch der vom SVR vorgeschlagene „Rahmenpakt für Expansion und Stabilität“ wurde von der Bundesregierung nicht unterstützt.294 Zu diesen Spannungen zwischen BMWi und SVR kamen Probleme innerhalb des Gremiums. 1968 wurde der CDU-Politiker Manfred Schäfer in den Rat kooptiert und blieb zwei Jahre im Gremium. Binder schied nach Ablauf seiner regulären Amtszeit aus dem Gremium aus. Doch mit Stützel trat erstmals ein Mitglied aufgrund von Meinungsverschiedenheiten von seinem Amt zurück.295 Aus einem Sondergutachten vom 3. Juli 1968 lässt sich folgern, 290
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 68, S. 23. Vgl. Schneider, Koalition, S. 172. 292 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1968/69: Alternativen außenwirtschaftlicher Anpassung, Stuttgart 1968, Rn. 197. 293 Vgl. Andersen, Schiller, S. 586. 294 Vgl. Bundeswirtschaftsministerium, JWB 68, Rn. 42. 295 Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 340. 291
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5 Empirische Untersuchung
dass Stützel sich gegen eine Aufwertung der D-Mark gewandt hatte und so die politisch vorherrschende Meinung unterstützte, sich damit jedoch gegen die Ratsmehrheit aussprach.296 Als Grund für Stützels Ausscheiden aus dem Gremium wurden unterschiedliche Auffassungen innerhalb des SVR über die zweckmäßige Arbeitsweise zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrages genannt. Stützel war der Meinung, er sei an der Abgabe eines MHV gehindert worden, was eine öffentliche Diskussion hervorrief.297 Auch der letzte JWB der Großen Koalition unter Bundeswirtschaftsminister Schiller rückte nachfragepolitische Maßnahmen in den Vordergrund und nahm ausführlich zum JG, das von der Ratsmehrheit auch keynesianische Positionen vertrat, Stellung: „Die Bundesregierung hebt insbesondere die Feststellung des SVR hervor, dass entscheidende Impulse für den schnellen und kräftigen Erholungsprozess den Konjunkturprogrammen [...] zur Belebung der Nachfrage zu verdanken sind.“298
Die Bundesregierung unterstützte das Vorhaben des SVR, die internationale Koordinierung der Wirtschaftspolitik anzustreben. Laut eines Briefes des Staatssekretärs Jean Baptiste Schöllhorn ging es dabei um „die Entwicklung einer international, koordinierten, gleichermaßen auf Stabilität und Wachstum gerichteten Politik“.299 Doch die Frage nach den flexiblen Wechselkursen blieb weiterhin umstritten: „Er [der SVR] ist in seinem neuen Gutachten bei einer sehr engen Definition des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts angelangt, die sowohl wissenschaftlich, wie auch besonders hinsichtlich ihrer praktischen Anwendung noch sorgfältig diskutiert werden muss.“300
Ganz deutlich wird hier, dass der JWB die Problematik des flexiblen Wechselkurses nicht direkt ansprechen wollte, sondern sich in vagen Aussagen verlor. Erst als Bundesminister Schiller im Frühjahr 1969 seine Position änderte und eine Aufwertung als Instrument gegen die „importierte Inflation“ unterstützte, 296
Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1969/70: Im Sog des Booms, Stuttgart 1969Anhang IV, Zweites Sondergutachten, Rn. 9. 297 Vgl. Metzler, Versachlichung, S. 143. 298 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1969 der Bundesregierung, Bonn 1969, Rn. 3. 299 Sachverständigenrat, JG 68/69, Anhang III, S. 98. 300 Bundeswirtschaftsministerium, JWB 69, Rn. 10.
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wurden die Wechselkurse politisch thematisiert. Schiller scheiterte mit seinen Ansichten jedoch an der CDU/CSU-Mehrheit im Kabinett, da Kiesinger und Strauß eine Änderung des Wechselkurses weiterhin strikt ablehnten.301 Es kam vermehrt zur Kritik, dass Schiller im Vorfeld der Wahl mit seiner Meinungsänderung lediglich wahlpolitische Ziele verfolgte – durch die Aufwertung der DMark konnte die Bevölkerung wieder günstiger Urlaub im Ausland machen.302 Dass die Wähler bei der Wahl 1969 dennoch Schiller große wirtschaftspolitische Kompetenz zutrauten, lag auch an der Rückendeckung durch die Bundesbank und den SVR. Dieser veröffentlichte im Juni 1969, mitten im Wahlkampf, ein Sondergutachten zur Frage der „Binnenwirtschaftlichen Stabilität und außenwirtschaftlichen Gleichgewichts“, da sich die deutsche Wirtschaft „mitten in einem Boom, der die Hochkonjunktur von 1965 übertrifft“303 befände. Der SVR musste aus diesem Grund feststellen, dass die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes „auf längere Sicht nur gewährleistet werden [können], wenn die Bundesregierung sich zu einer Wechselkursanpassung entschließt.“304 Da Bundesfinanzminister Strauß die keynesianischen Grundsätze des SVR nicht teilte, kam es im selben Jahr zu einem erneuten Rücktritt eines Ratsmitglieds. Koch, der auf Vorschlag der Gewerkschaften von Beginn an dem Rat angehört hatte, verließ aus Protest gegen einen Angriff von Strauß den SVR. In einem Schreiben, dass dem JG 69/70 beiliegt, begründete Koch seinen Austritt wie folgt: „Herr Bundesfinanzminister Strauß hat den SVR [...] nach Pressemitteilungen in der Öffentlichkeit der ‚Meinungsmanipulation’ und der ‚terroristischen Beeinflussung’ anderer bezichtigt. Ich möchte nicht länger einem Gremium angehören, dessen Arbeit, die ein vertrauensvolles Verhältnis gerade auch zu den zuständigen Fachministern voraussetzt, in so unerträglicher Art gestört und erschwert wird. Träte der Rat in seiner Gesamtheit zurück, so entspräche das den Wünschen derer, die bisher vom Rat der Öffentlichkeit und den wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen gegenüber vertretenen Ansichten für falsch halten. Dabei ist in dieser wirtschaftspolitischen Situation unabhängiger und unbeeinflusster Rat wohl besonders wichtig.“305
301
Vgl. Nützenadel, Ökonomen, S. 169. Vgl. Finger, Stefan, Franz Joseph Strauß – Der verhinderte Kanzler, Bonn 2005, S. 181. Sachverständigenrat, JG 69/70, Anhang IV (Erstes Gutachten), Rn. 1. 304 Ebd., Anhang IV, Rn. 37. 305 Ebd., Anhang VII, S. 127. 302 303
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5 Empirische Untersuchung
Der SVR war in die Schusslinie geraten, da die Haltung des Gremiums in der Aufwertungsdebatte von Strauß als „Meinungsmanipulation“ und „terroristische Beeinflussung“306 der Wähler bezeichnet wurde. Angesichts der bevorstehenden Wahlen entsprach die Meinung des SVR nicht der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Union, woraufhin Strauß sich öffentlich gegen den SVR aussprach. So waren in der ersten Phase zwar keine MHV abgeben worden, doch zwei Mitglieder hatten den Rat auf eigenen Wunsch verlassen. Die Situation der Großen Koalition stellte zusätzlich ein Problem dar, da Wirtschafts- und Finanzminister von SPD und CDU gestellt wurden. Für die Umsetzung wirtschaftspolitischer Ziele, insbesondere bei der Frage nach den flexiblen Wechselkursen, war jedoch die Zusammenarbeit beider Ressorts nötig, die in diesem Fall nicht funktionierte. 5.1.3
Zusammenfassung
Der inhaltliche Schwerpunkt der Ratstätigkeit lag in der ersten Phase sehr deutlich auf der Einhaltung der beiden Ziele „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ und „stetiges Wachstum“. Diese sollten durch die Einführung flexibler Wechselkurse und keynesianischer Wirtschaftspolitik gefördert werden. Mit seinen Vorschlägen steuerte der heterogen besetzte Rat zu Beginn deutlich gegen die Politik der CDU-Regierung und konnte sich zunächst nicht mit seiner Kritik und seinen wirtschaftswissenschaftlichen Positionen durchsetzen. Zwar wurde in dieser Zeit unter Bundeswirtschaftsminister Schmücker bereits das StabG vorbereitet, doch die Unionsregierung zielte mit diesem Gesetz auf die Bekämpfung einer konjunkturellen Überhitzung. Einen keynesianischen Anstrich bekam der Gesetzesentwurf erst in der Großen Koalition unter Schillers Einfluss. Die vom SVR geforderte „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“ wurde erst nach den Wahlen 1966 und der Bildung der Großen Koalition unter einer stark veränderten wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Regierung angegangen. Durch den Einfluss der SPD und Schillers Unterstützung der keynesianischen Politik wurden viele Vorschläge des SVR, wie z.B. die „Konzertierte Aktion“, umge-
306
Nützenadel, Ökonomen, S. 169.
5.1 Die erste Phase 1964-1969: „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“?
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setzt, doch die CDU stand der keynesianischen Politik weiterhin skeptisch gegenüber. Mit dem Erlass des StabG und der Einführung der „Konzertierten Aktion“ erreichte die nachfragepolitische Ausrichtung dennoch ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Hinwendung zum Keynesianismus in der Wirtschaftspolitik ist auf den Einfluss der SPD in der Großen Koalition zurückzuführen. Die Vorschläge des SVR zu keynesianischer Politik wurden also in dem Moment umgesetzt, als eine keynesianisch ausgerichtete Partei an der Regierungsmacht beteiligt war und das BMWi leitete. Bei der Reaktion der Regierung auf die JG fällt ein Ausklammern problematischer wirtschaftspolitischer Felder, insbesondere der Frage des Wechselkurssystems, auf. Ratsmitglied Stützel, der eher angebotspolitische Positionen einnahm und sich gegen einen flexiblen Wechselkurs einsetzte, verließ aufgrund seiner Mindermeinung sogar den Rat. Dies zeigt, dass das einheitliche Auftreten des SVR nach außen und das Fehlen von MHV nicht unbedingt für ein entpolitisiertes Gremium sprechen müssen. Die deutliche Politisierung innerhalb des Gremiums und abweichende Auffassungen in den JG wurden in den JWB nicht berücksichtigt.307 Der Austritt des Keynesianers Koch aus dem Rat war von anderer Qualität als der Austritt Stützels. Es waren keine Konflikte innerhalb des Rates, die zu diesem Schritt führten, sondern Meinungsverschiedenheiten zwischen Politik und Rat. Beispielhaft wurde in der Situation zwischen Strauß und Koch deutlich, dass Regierung und Wissenschaftler in unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Realitäten agierten: Strauß bezichtigte den Rat der Meinungsmache innerhalb der Debatte um flexible Wechselkurse. D.h. er nahm die Aussagen des Rates nicht als rationale Lösungen wahr, sondern befürchtete, diese Lösungen würden sein parteipolitisches Programm nicht stützen. Erschwert wurde die Situation zusätzlich dadurch, dass die wirtschaftspolitischen Lösungen in den JG des SVR zum Teil von der SPD, insbesondere von Schiller, umgesetzt wurden. Die entpolitisierende Wirkung der Berater auf die Wirtschaftspolitik, die Erhard im Sinn hatte, trat nicht ein, da sowohl die Konflikte innerhalb des Rates aufgrund verschiedener wirtschaftswissenschaftlicher Ansichten als auch die Konflikte
307
Vgl. Deutsche Angestellten Gewerkschaft, JWB 68, S. 39.
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5 Empirische Untersuchung
zwischen Rat und Politik nicht aus parteipolitischen Konflikten herausgelöst werden konnten. 5.2
Die zweite Phase 1969-1982: Von der Nachfrage- zur Angebotspolitik
5.2.1
Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte
Auch in der Zeit der sozial-liberalen Koalition standen Diskussionen um einen flexiblen Wechselkurs und um die prozesspolitische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik im Vordergrund. Mit den Regierungen Brandt und Schmidt wurden jedoch neue wirtschaftspolitische Impulse gegeben, die von früheren abwichen. Die größte Veränderung war die Aufwertung der D-Mark und das Bekenntnis der neu gebildeten Regierung zu flexiblen Wechselkursen im Herbst 1969. Dies wurde von der Vorgängerregierung trotz inflationärer Risiken immer wieder abgelehnt. Zudem zeigte sich in den 1970er Jahren, dass die Voraussetzungen einer erfolgreichen Globalsteuerung nicht zu unterschätzen waren. Dies führte zu einer einschneidenden Veränderung in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Mehrheit des SVR: der Abkehr vom Keynesianismus hin zu angebotspolitischen Positionen. Bis zum Regierungswechsel 1982 führte der SVR dieses neue wirtschaftspolitische Konzept in seinen JG detailliert aus. Im Zuge dieses Umschwungs von der keynesianischen zur angebotspolitischen Wirtschaftspolitik kam es in den JG des SVR erstmals zu eindeutigen MHV einiger Ratsmitglieder. Welchen Einfluss sie auf die Politisierung innerhalb des SVR hatten und ob die JWB auf die unterschiedlichen Meinungen in den JG eingingen, wird im Hinblick auf die entpolitisierende Wirkung analysiert. 5.2.2
Ratsmehrheit versus Ratsminderheit
Um erneut für eine Wechselkursfreigabe der D-Mark zu werben, beschäftigte sich ein Sondergutachten vom 4. Oktober 1969 mit der damaligen währungspolitischen Situation. Der SVR begründete die Notwendigkeit flexibler Wechselkur-
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se abermals mit seinem gesetzlichen Auftrag der Einhaltung des „Magischen Vierecks“. „Vieles spricht dafür auf die Fixierung einer neuen Parität gänzlich zu verzichten. Damit hätte man sich für die der Marktwirtschaft angemessenste Form der außenwirtschaftlichen Absicherung entschieden.308 „Damals [1960] wie heute erwies sich eine Aufwertung der D-Mark als unvermeidlich, vor allem wegen der Gefahren, die sich aus dem außenwirtschaftlichen Überschuss-Ungleichgewicht für das Ziel der Geldwertstabilität ergeben.“309
Mit dem JG 69/70 löste Norbert Kloten den zurückgetretenen Stützel im SVR ab. Er war von 1970 bis 1976 Vorsitzender des Gremiums. Im selben Jahr wurde auch Klaus Köhler für fünf Jahre berufen, mit dessen Eintritt in den SVR die Periode der MHV in den JG begann, womit sich bereits ab 1969 eine Trennung in die angebotspolitische und die keynesianische Richtung abzeichnete. Köhler setzte sich in seinen MHV für eine keynesianische Politik ein und bevorzugte einen klar nachfrageorientierten Kurs.310 Die anderen Mitglieder des Rates votierten im JG 69/70 jedoch bereits gegen eine rein keynesianische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Sie sahen die Aufgabe des Staates primär in der Garantie von „Preisstabilität für ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum, indem die Geldmenge reguliert wird.“311 „Seine [SVR] Gutachten haben dazu beigetragen, den Weg für die entscheidende stabilitätspolitische Maßnahme des Jahres 1969 zu ebnen, nämlich für die Verbesserung der Parität der Deutschen Mark. Dieser Verdienst des Rates wird nicht dadurch geschmälert, dass Freigabe und Neufestsetzung des Wechselkurses erst nach der Bundestagswahl, also mit folgenreicher Verspätung beschlossen wurden.“312
Der erste JWB nach der Bundestagswahl 1969 bekannte sich zu den flexiblen Wechselkursen, die insbesondere von Schiller gefordert worden waren. Als 308
Sachverständigenrat, JG 69/70, Anhang VI, Rn. 15. Sachverständigenrat, JG 69/70, Rn. 90. 310 Vgl. z.B. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1970/71: Konjunktur im Umbruch – Risiken und Chancen, Stuttgart 1970, Rn. 296; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1971/72: Währung, Geldwert, Wettbewerb – Entscheidungen für morgen, Stuttgart 1971, Rn. 312ff, 368. 311 Ahlers, Friedrich Rudolf, Ursachen und Auswirkungen globalisierungsbedingter Strukturveränderungen der Arbeitslosigkeit, Berlin 2007, S. 123. 312 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1970 der Bundesregierung, Bonn 1970, Rn. 1. 309
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weiteres Zugeständnis an die Vorschläge des SVR kann angesehen werden, dass es zu einer vermehrten Anwendung konjunkturpolitischer Instrumente, wie z.B. der „Konzertierten Aktion“, kommen sollte. „Die Bundesregierung stimmt mit dem SVR darin überein, dass die Aufgabe der Stabilisierung ohne Stagnation eine konzertierte Aktion der Gebietskörperschaften, der Gewerkschaften und der Unternehmensverbände gemäß § 3 StabG verlangt. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass die Bereitschaft zu einem gemeinsamen stabilisierungskonformen Verhalten von den autonomen Gruppen nur dann erwartet werden kann, wenn der Staat in seinem eigenen Aktionsbereich mit gutem Beispiel vorangeht. Gerade nach den Erfahrungen mit der zu lange verzögerten Aufwertungsentscheidung, die auch zu Ungleichgewichten in den Verteilungsproportionen geführt hat, ist eine straffe und in sich widerspruchsfreie staatliche Wirtschaftspolitik für das Gelingen der Stabilisierung ohne Stagnation eine unabdingbare Voraussetzung.“313
Laut JWB sollten die stabilitätspolitischen Ziele mit einer Stärkung der Nachfragepolitik erreicht werden, die sich gerade nach der Aufhebung der festen Wechselkurse als einzige wirtschaftspolitische Prämisse durchsetzen konnte, da Deutschland stark von Exporten abhängig war. Der JWB griff den Begriff der „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“ aus dem ersten JG des SVR auf und forderte eine „Strukturpolitik aus einem Guß“, in der die Politikbereiche besser aufeinander abgestimmt und enger miteinander verzahnt würden.314 Im Gegensatz zur nachfragepolitischen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik wurde im SVR die angebotspolitische Ausrichtung gestärkt, als es zu etlichen Neubesetzungen im Rat kam. Das neue Ratsmitglied Schäfer wurde auf Vorschlag der Arbeitgeberseite kooptiert. Auch Armin Gutowski wurde 1970 in den Rat berufen und arbeitete danach ab 1978 als Leiter des HWWA-Instituts.315 Er galt als Anhänger einer liberalen Wirtschaftsordnung. Mit Sievert stieß 1970 ein ehemaliges Mitglied des „Kronberger Kreises“ zum Rat. Bis 1973 blieb diese Besetzung des Rates erhalten und stärkte die angebotspolitischen Ansätze im Gremium, was zu Konflikten innerhalb des Gremiums führte. So verfasste der SVR am 21. März 1970 einen Brief an den Bundeskanzler, der sich vorrangig der Forderung nach einem konjunkturpolitischen Dämpfungsmittel der Inflation 313
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 70, Rn. 8. Vgl. ebd., Rn. 66. 315 Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 342. 314
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widmete.316 Doch der SVR war sich in grundlegenden Fragen uneins, und insbesondere Köhler kritisierte noch immer die Entscheidung zu den flexiblen Wechselkursen. „Das Schreiben wurde von Herrn Professor Dr. Bauer, Herrn Dr. Schäfer und von mir [Sievert] im Einvernehmen mit Herrn Professor Dr. Köhler, der z.Z. verreist ist, abgefasst. Herr Professor Dr. Köhler sieht wie die übrigen Ratsmitglieder die Gefahr weiterer konjunktureller Fehlentwicklungen, jedoch verstärken sich seiner Meinung nach die konjunkturimmanenten Abschwungkräfte seit einiger Zeit so sehr, dass seine Sorge vornehmlich einem raschen Abgleiten der wirtschaftlichen Lange in eine Rezession gilt. Daher hätten auch jegliche restriktiven notenbankpolitischen Maßnahmen unterbleiben müssen.“317
Das BMWi ging in seinem JWB auf dieses Sondervotum nicht ein, da es eine stringente Argumentation im JWB nicht möglich machte und sogar die Position von Regierungskritikern wie Strauß gestärkt hätte. Zwei Monate später erschien ein Sondergutachten des SVR „Zur Konjunkturlage im Frühjahr 1970“, das sich konkret zur aktuellen Wirtschaftsentwicklung äußerte und in dem die Mehrheit des Rates zu einer Abkehr der „reinen“ Nachfragepolitik rät. „Die Prognose von 1970 ist, vor allem was die Entwicklung der Nachfrage betrifft, vom tatsächlichen Konjunkturverlauf überholt worden. So ist gegenwärtig das Ziel der Geldwertstabilität gefährdet.“318
Die Ratsmehrheit stellte demnach 1970 bereits in Frage, ob eine alleinige Ausrichtung auf die Nachfrageseite genüge. Als Reaktion trat im JWB 71, in Anlehnung an die „Zielprojektion des DGB von 1971-75. Die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland“, neben die drei ursprünglichen Abschnitte des Berichts ein viertes Kapitel über die „fortgeschriebene mittelfristige Zielprojektion 1971 bis 1975“. Die Projektion der Arbeitnehmervertreter sollte zeigen „bis wann und in welchem Umfang die gewerkschaftlichen Forderungen während dieser Zeit verwirklicht werden können.“319 So wollte auch der JWB zu einer längerfristig geplanten Wirtschaftspolitik beitragen, indem Ziele für die kommenden vier Jahre bereits
316
Vgl. Sachverständigenrat, JG 70/71, Anhang IV, S. 108. Ebd., S. 109. 318 Ebd., Anhang V, Rn. 1. 319 Ebd., Anhang VII, S. 119. 317
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geplant wurden und die „Strukturpolitik aus einem Guß“ umgesetzt werden konnte. „Die mittelfristige Zielprojektion zeigt, auf welche Punkte die Bundesregierung über die Jahre hinweg ihre Wirtschaftspolitik ausrichtet und welche Entwicklungsperspektiven mehrjährigen staatlichen Planungen in verschiedenen Bereichen, insbesondere auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzen, zugrunde liegen.“320
Dass diese Initiative jedoch verschiedenen Motivationen folgte, zeigt sich durch die kurze Überlebensdauer des Projektes bis lediglich 1973. Zum einen wurde auf die öffentliche Finanzierung eingegangen, insbesondere aufgrund der bereits Anfang der 1970er Jahre immens gestiegenen öffentlichen Ausgaben zur Finanzierung sozial-liberaler Reformen. Die „Milfrifi“321, die mittelfristige Finanzplanung, wurde zum geflügelten Wort. Durch die mittelfristige Zielprojektion erhoffte sich das BMWi zum anderen weniger Kritik vom BMF. Zudem machte sich das BMWi unangreifbar, indem es auf die Uneinigkeit der Wissenschaftler in Bezug auf die zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklungen verwies. Erstmals wurde deswegen im JWB ein MHV auch für eine Begründung der Bundesregierung zur Diskussion um die Konjunkturpolitik herangezogen, um das Regierungshandeln nach beiden Seiten argumentativ untermauern zu können. „...Minderheitsvotum eines Ratsmitgliedes, das weitere restriktive Eingriffe der Wirtschaftspolitik als gegenwärtig, auf Grund der sich seit einigen Monaten abzeichnenden Entspannungstendenzen, nicht erforderlich bezeichnete, während die Mehrheit sich im Mai 1970 zugunsten einer Verstärkung der Maßnahmen zur Konjunkturdämpfung aussprach. Auch im Bereich der wissenschaftlichen Konjunkturdiagnose und- prognose war also das Bild durchaus uneinheitlich.“322
Unterstützt wurde die Mehrheit des SVR jedoch auch von zwei der großen Wirtschaftsforschungsinstitute, dem ifo-Institut und dem DIW, die „in Anbetracht der herrschenden Konjunkturtendenzen keinen Grund [sahen], die bis dahin ergriffenen Maßnahmen zur Dämpfung des Preisanstiegs stärker zu dosieren.“323 So wurden die „Konzertierte Aktion“ und die mittelfristige Zielpro320 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1971 der Bundesregierung, Bonn 1971, S. 7. 321 Finger, Strauß, S. 166. 322 Bundeswirtschaftsministerium, JWB 71, Rn. 6; Hervorhebungen sind aus dem JWB übernommen. 323 Ebd.
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jektion von der Bundesregierung weiter vorangetrieben und sollten sogar noch ausgebaut werden, um eine Zusammenarbeit zwischen Politik und „autonomen Gruppen“ zu verbessern. „Die Bundesregierung beabsichtigt, in der nächsten Sitzung der Konzertierten Aktion die Vorstellungen der autonomen Gruppen ihren eigenen, im Anhang zu diesem JWB veröffentlichten mittelfristigen Zielvorstellungen gegenüberzustellen.“324
Die Hervorhebung der mittelfristigen Ziele sollte der keynesianischen Wirtschaftspolitik eine nicht nur kurzfristige Perspektive bescheinigen. „Wettbewerbspolitik, Konjunkturpolitik, Strukturpolitik und Gesellschaftspolitik sollen zu einem Gesamtkonzept verschmolzen werden. Die Wirtschaftspolitik wird sich zur Steuerung des Wirtschaftsprozesses weiterhin der bereits bewährten Mittel der Globalsteuerung, d.h. globaler marktkonformer Maßnahmen bedienen.“325
Während Köhler in einem Sondervotum weiterhin für feste Wechselkurse votierte,326 forderte die Mehrheit des SVR dringend eine Reform des Weltwährungssystems und unterstützte die Einführung flexibler Wechselkurse.327 In einem Brief vom 6. Mai 1971 an den Bundeswirtschaftsminister bestärkte der SVR dies erneut, da „die Hoffnung, dass sich mit der Abkühlung des Konjunkturklimas der Geldwertschwund mindern werde, [...] bislang nicht erfüllt“328 wurden. „Die Freigabe des D-Mark-Wechselkurses erlaubt es, sowohl der aktuellen währungspolitischen Krise in einer ordnungspolitisch unbedenklichen Form zu begegnen, als auch unverzüglich wirksame binnenwirtschaftliche Stabilisierungsmaßnahmen zu ergreifen.“329
Köhler gab auch in einem weiteren Sondergutachten eine eigene Meinung ab, in dem er Bedenken gegenüber der Politik größerer Flexibilität der Wechselkurse äußerte. Doch das BMWi unterstützte flexible Wechselkurse, da Möller 1971 als Finanzminister zurücktreten war und Schiller „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen geworden war.330 Am 24. Mai 1971 erschien ein Sondergutachten des 324
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 71, Rn. 13. Ebd., Rn. 72. 326 Vgl. Sachverständigenrat, JG 71/72, Rn. 312ff. 327 Vgl. ebd., Rn. 249ff. 328 Ebd., Anhang IV, Rn. 1. 329 Ebd., Anhang IV, Rn. 7. 330 Vgl. Andersen, Schiller, S. 586. 325
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SVR „Zur konjunktur- und währungspolitischen Lage im Mai 1971“, welches sich positiv über die von politischer Seite umgesetzte Freigabe des Wechselkurses äußerte. „Die Entwicklung der Verbraucherpreise und stärker noch die der Erzeugerpreise für industrielle Produkte zeigen ein inflatorisches Klima an, das die Bedingungen der Stabilitätspolitik in der Bundesrepublik nachhaltig zu verschlechtern droht. Die Bundesregierung ist den Fehlentwicklungen am 9. Mai 1971 mit einem Stabilisierungsprogramm entgegengetreten, das durch die Freigabe der D-Mark außenwirtschaftlich abgesichert wird.“331
Und auch hier war es wiederum Köhler, der den Vorschlägen der Mehrheit des Rates widersprach, da er der Auffassung war, „dass ein restriktives wirtschaftspolitisches Konzept der augenblicklichen konjunkturellen Situation nicht gerecht wird.“332 Außerdem plädierte er für eine Stärkung der nachfragepolitischen Wirtschaftspolitik, um die Ziele des „Magischen Vierecks“ einzuhalten. „Preisstabilität, Vollbeschäftigung und ein angemessenes Wirtschaftswachstum lassen sich gleichzeitig realisieren, wenn es der Wirtschaftspolitik gelingt, die Nachfrageentwicklung den Angebotsmöglichkeiten anzupassen.“333
In der fortgeschriebenen mittelfristigen Zielprojektion des JWB 72 wurde noch eine „angemessene Stützung der allgemeinen Nachfrage“334 anvisiert, doch im Jahr 1972 kam es zu einem einschneidenden Ereignis für die Wirtschaft: Das internationale „Bretton-Woods-System“ fester Wechselkurse zerbrach. Mit diesem Zusammenbruch des Weltwährungssystem und dem dadurch entstandenen Handlungsspielraum der nationalen Zentralbanken in Bezug auf die Geldmengenentwicklung bekam die angebotspolitisch orientierte Geldtheorie neuen Antrieb.335 Nach der Bestätigung der sozial-liberalen Koalition bei der Wahl 1972 wurde die Zusammenlegung des Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministeriums rückgängig gemacht. Mit Hans Friderichs wurde ein FDP-Politiker Bundeswirt331
Sachverständigenrat, JG 71/72, Anhang V, Rn. 1. Ebd., Anhang V, Rn. 47. 333 Ebd., Anhang V, Rn. 48. 334 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1972 der Bundesregierung, Bonn 1972, Rn. 52. 335 Vgl. Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945 (BpB, Bd. 460), Bonn 2005, S. 426. 332
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schaftsminister.336 Schon bei Schillers Rücktritt waren die mit dem Konzept der Globalsteuerung verbundenen Hoffnungen auf eine rationale, konfliktfreie Steuerung der Gesamtwirtschaft deutlich in Frage gestellt und auch Friderichs bezeichnete sich in seiner Antrittsrede als „Offizialverteidiger der Marktwirtschaft“337, nicht des Keynesianismus. Die Ölkrise hatte die hochgesteckten Erwartungen an die Steuerbarkeit des Wirtschaftsprozesses mit Hilfe des StabG enttäuscht. Wie gestaltete sich die Rolle des SVR in diesen Veränderungen der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen? Nach der monetaristischen Wende kam es zu häufigen MHV Köhlers, da er an seinen geldpolitischen Vorstellungen festhielt. Zu diesem Zeitpunkt waren auch noch die anderen Ratsmitglieder der Meinung, dass neben angebotspolitischen Schwerpunkten eine aktive staatliche Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nötig und möglich sei. So führte der SVR zu diesem Zeitpunkt die positive Entwicklung des Aufschwungs trotz der Ölkrise auf die stabilitätspolitischen Instrumente der Regierung zurück und lobte das von ihm initiierte Konzept der Globalsteuerung. „Steht das Jahr 1973 im Zeichen eines Aufschwungs, der allmählich an Kraft gewinnt, so ist dies von der konjunkturellen Situation her die Stunde der Globalsteuerung.“338
Dass diese Aussage mehr als fraglich ist, zeigte Schillers Rücktritt als Bundesminister im selben Jahr. Die Auswirkungen des Bretton-Woods Zerfalls zeigten sich im JWB 73 durch einen neuen Aufbau, dessen auffälligstes Merkmal der Wegfall der Zielprojektion war. Die insbesondere ordnungspolitischen, langfristigen Projekte verloren damit an Gewicht. „Die gegenüber früheren Jahren geänderte Reihenfolge der einzelnen Berichtsteile entspricht einem vielfach geäußerten Wunsch; sie ist nicht Ausdruck einer anderen Wertung des Inhaltes. Auf eine Fortschreibung der mittelfristigen Zielprojektion
336
Vgl. Andersen, Uwe, Hans Friderichs, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 257-260, hier: S. 257. 337 Ebd., S. 258. 338 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1972/73: Gleicher Rang für den Geldwert, Stuttgart 1972, Rn. 409.
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wird in diesem Bericht verzichtet. Diese wird zusammen mit der neuen mittelfristigen Finanzplanung im Laufe des Jahres vorgelegt.“339
Dass die Zielprojektion nun über das Jahr verteilt ausgeführt wurde, erschien wie eine Umgehungsstrategie. Eine wirtschaftspolitisch sinnvolle Wirkung war in diesem Zusammenhang nicht zu verzeichnen. In Bezug auf den SVR äußerte der JWB sich erstmals sehr ausführlich und konkret zum Gremium und seiner Arbeit an sich. Da die Mehrheitsmeinung des Rates der Regierungsarbeit zuträglich war, wurde die frühere Kritik an der Regierungsarbeit in den MHV nicht erwähnt. „Die Unabhängigkeit und das hohe wissenschaftliche Niveau der Sachverständigen gewährleisten, dass ihre gutachterlichen Äußerungen in der Öffentlichkeit als objektive Informationsquelle und wichtiger Anhaltspunkt für die eigene Meinungsbildung akzeptiert werden. In der Bundesrepublik trägt der SVR dankenswerterweise dazu bei, dass in der öffentlichen Diskussion die Grenzen der wirtschaftspolitischen Steuerungsmöglichkeiten zunehmend deutlicher werden und dass mehr und mehr auch die längerfristigen Folgewirkungen kurzfristiger Ansprüche erkannt und in Rechnung gestellt werden.“340
Die Regierung nutzte die Gelegenheit dazu, auf die generellen Probleme der „wirtschaftspolitischen Steuerungsmöglichkeiten“ hinzuweisen, wie z.B. auf die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen trotz Inanspruchnahme stabilitätspolitischer Maßnahmen. Hier waren erste Zugeständnisse dahingehend zu erkennen, dass das Konzept der Globalsteuerung für brüchig gehalten wurde. Aufgrund der stetig wachsenden Inflation veröffentlichte der SVR am 4. Mai 1973 ein Sondergutachten „Zur konjunkturpolitischen Lage im Mai 1973“, da „die Nachfrageexpansion boomartige Züge“341 annahm. „Monetäre Politik und Finanzpolitik müssen die Nachfrage eindämmen, um den Aufschwung noch zu zügeln und den Inflationstrend zu brechen.“342
Auch das JG 73/74 war beherrscht von den Themen Ölkrise und Freigabe des Wechselkurses am 12. März 1973, und auch hier gab Köhler ein MHV für feste Wechselkurse ab.343 339
Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1973 der Bundesregierung, Bonn 1973, S. 3. 340 Ebd., Rn. 45. 341 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1973/74: Mut zur Stabilisierung, Stuttgart 1973, Anhang IV, Rn. 1. 342 Ebd., Anhang IV, Rn. 84.
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„Die außenwirtschaftliche Absicherung durch flexible Wechselkurse hat die Geldpolitik von der Fessel befreit, bei ihren auf Geldwertstabilität gerichteten Aktionen stets auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht Rücksicht nehmen und schließlich diesem Ziel sogar Vorrang geben müssen, sofern nicht durch eine Änderung des Wechselkurses vorübergehend neuer Handlungsspielraum geschaffen wurde.“344
1974 verließen Bauer und Köhler den SVR. Gerhard Scherhorn wurde von der Gewerkschaftsseite kooptiert und trat für keynesianische Nachfragepolitik ein.345 Er hielt die Möglichkeiten von Politikberatung für begrenzt. MHV sah er als „ultima ratio“, doch nachdem er in seinem ersten JG zunächst die angebotspolitische Wachstumsstrategie der JG mitgetragen hatte, änderte sich dies 1977 mit seinem ersten MHV.346 Dies mag auch daran liegen dass laut Scherhorn der Mainstream347 der Wirtschaftswissenschaft „seit den 1970er Jahren [...] angebotstheoretisch orientiert“348 ist. Aus diesem Grund sieht das SVR-Mitglied auch eine Gefährdung der rationalen Beratung durch den Rat, „wenn der Mainstream nur eine Position toleriert“349. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass nach Aussage Scherhorns der SVR „keine eigenen Untersuchungen anstellen“350 kann und sich der ihm z.B. vom Statistischen Bundesamt, zur Verfügung gestellten Daten bedienen muss. Ob diese Daten dann jedoch auch als unabhängig und neutral einzustufen sind, ist laut Scherhorn fragwürdig.351 Das zweite neue Mitglied Kurt Schmidt war bis 1984 im Rat und unterstützte die ordnungspolitische Ausrichtung der Mehrheit. Bis 1975 wurde diese Besetzung beibehalten. Es waren demnach keine Parteimitglieder im Gremium vertreten, jedoch eine Mehrheit an Angebotspolitikern. Auch Bundeswirtschaftsminister Friderichs trat stärkerem Staatseinfluss entschieden entgegen und verfolgte einen klar marktwirtschaftlichen Kurs. Er bildete damit einen Gegenpol 343
Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 343. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1974/75: Vollbeschäftigung für morgen, Stuttgart 1974, Rn. 374. 345 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1977/78: Mehr Wachstum – Mehr Beschäftigung, Stuttgart 1977, Rn. 471. 346 Vgl. ebd., Rn. 471ff. 347 Scherhorn, Gerhard, Antwortschreiben vom 07.08.2009 auf eine schriftliche Anfrage, Hervorhebung aus der Quelle übernommen. 348 Ebd. 349 Ebd., Hervorhebung aus der Quelle übernommen. 350 Ebd. 351 Vgl. ebd. 344
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zu den Reformbestrebungen innerhalb der Regierung.352 Nachdem er 1977 in die Wirtschaft gegangen war, wurde der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP Otto Graf von Lambsdorff – damals ein großer Unterstützer des SVR – sein Nachfolger.353 Auch das JG 74/75 beschäftigte sich mit der Ölkrise von 1973. Als erste Notenbank der Welt kündigte die Bundesbank am 5. Dezember 1974 ein Geldmengenziel für das folgende Jahr an. Parallel dazu trug der SVR im JG 74/75 sein bereits in den beiden Vorjahren in Ansätzen erkennbares Konzept vor, das ähnliche Vorschläge unterbreitete.354 Die Zentralbankgeldmenge sollte so gesteuert werden, dass ihr Wachstum der erwarteten Ausweitung des Produktionspotenzials entsprach. Der SVR unterstützte damit die Einführung der Geldmengensteuerung durch die Bundesbank.355 Dass diese Orientierung kritisch gesehen wurde, spiegelte sich in den folgenden Jahren nicht zuletzt in einer erheblichen Zahl von MHV in den Gutachten des SVR wider. „Was die monetäre Politik auf mittlere Sicht zu erreichen mag, ist uns genauer bekannt als die kurzfristigen Wirkungen. Von daher ist es sinnvoll zu verlangen, dass die monetäre Politik mittelfristig orientiert ist“.356
Durch diese mittelfristige Politik sollte auch der Einsatz konjunkturpolitischer Instrumente wieder möglich sein, denn auch der SVR hatte noch nicht den Glauben daran aufgegeben, die Konjunktur könne gesteuert werden. Allerdings war das Konzept der Globalsteuerung in Folge der Rezession durch die Ölkrise schwierig umzusetzen.357 Der SVR verdeutlichte aus diesem Grund die Grenzen der keynesianischen Politik und verschaffte damit dem angebotspolitischen Ansatz in Deutschland mehr und mehr Anerkennung.358 So stellte der Rat im JG 74/75 fest, dass es neben den kurzfristig eingesetzten stabilitätspolitischen 352
Vgl. Andersen, Friderichs, S. 260. Vgl. ebd., S. 259. 354 Vgl. Issing, Otmar, Die Jahresgutachten des Sachverständigenrat im Spiegel der Politik, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 1963-2003, Wiesbaden 2003, S. 63-66, hier: S. 63f. 355 Vgl. Sievert, Olaf, Vom Keynesianismus zur Angebotspolitik, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 19632003, Wiesbaden 2003, S. 34-46, hier: S. 36. 356 Sachverständigenrat, JG 74/75, Rn. 374. 357 Vgl. Sievert, Angebotspolitik, S. 35ff. 358 Vgl. Tietmeyer, Sachverständigenrat, S. 31. 353
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Instrumenten auch eine mittelfristige Wirtschaftspolitik geben müsse.359 Der JWB 75 griff diese Kehrtwende auf: „Zwar hält der SVR eine antizyklische Ausgabenpolitik über Zusatzhaushalte in Rezessionsphasen sowie die diskretionäre steuerliche Beeinflussung der privaten Konsum- und Investitionsneigung für durchaus angebracht, zugleich macht er aber die Grenzen für eine weitergehende antizyklische Handhabung der Finanzpolitik deutlich. Der Hinweis auf die Bedeutung einer kontinuierlichen und stetigen Finanzpolitik wird von der Bundesregierung begrüßt. Der antizyklische Einsatz der Finanzpolitik kann insbesondere notwendig werden, wenn bei mittelfristiger Ausrichtung der Geldpolitik kurzfristig konjunkturpolitisch unerwünschte Auswirkungen eintreten sollten.“360
Im darauffolgenden JG stellte die Mehrheit des SVR den Keynesianismus und die Globalsteuerung als Konzept in Frage. So hielt das Gremium im JG 75/76 fest, dass „die herkömmliche Globalsteuerung [...] in eine Krise geraten [sei].“361 Dies war die Reaktion darauf, dass die keynesianische Ausrichtung die Wirtschaftspolitik, die das Gremium in den 1960er Jahren maßgeblich beeinflusst hatte, unter Umsetzungsproblemen litt. Die schwerste Rezession der Nachkriegszeit zog ein Wegbrechen der Auslandsnachfrage im Laufe des Jahres 1975 nach sich, wodurch die Einhaltung der Ziele des „Magischen Vierecks“ in Gefahr geriet. Der SVR ging in diesem und in den folgenden Gutachten davon aus, dass die Inflation die Beschäftigung hemme und das Beschäftigungsziel gefährde. Nicht die „Krise der Marktwirtschaft“, sondern zu hohe Löhne, verbunden mit einer Überausdehnung der Staatstätigkeit, wurden deswegen als Ursachen der wirtschaftlichen Probleme konstatiert.362 Dennoch sah der Rat den Zweck der angebotsorientierten Politik darin, die Fehlentwicklungen zu korrigieren, um später wieder zum Instrument der Globalsteuerung zurückzukehren.363 Doch die Arbeitsplatzlücke konnte laut Ratsmehrheit nur durch ein Wachstum des Produktionspotenzials geschlossen werden. Die keynesianische Theorie bot dem SVR hierzu keine Argumentationsgrundlage mehr. Dass unzureichende Investitionen 359
Vgl. Sachverständigenrat, JG 74/75, Rn. 417. Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1975 der Bundesregierung, Bonn 1975, Rn. 61. 361 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1975/76: Vor dem Aufschwung, Stuttgart 1975, Rn. 383. 362 Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 344. 363 Vgl. Sachverständigenrat, JG 75/76, Rn. 383. 360
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5 Empirische Untersuchung
und Arbeitslosigkeit das Thema der nächsten dreißig Jahre sein würde, war damals noch nicht abzusehen. Eine Rückkehr zum Keynesianismus schien nicht ausgeschlossen.364 Die Reaktionen anderer Wissenschaftler auf die Wende des SVR stützten teilweise die zur Mindermeinung gewordene nachfragepolitische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Am 5. November 1975 erschien z.B. das erste Memorandum der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, die mit dem gleichen Anspruch der „Öffentlichkeitsberatung“ auftrat wie der SVR.365 Die Wissenschaftler des Memorandums widersprachen in erster Linie dem angebotspolitischen Konzept des Rates. Sie forderten ein Festhalten an der staatlichen Konjunktursteuerung und am Keynesianismus mit Inkaufnahme höherer Staatsverschuldung.366 Dass auch der SVR die Anwendung stabilitätspolitischer Instrumentarien noch nicht gänzlich ausschloss, machte sein JG „Vor dem Aufschwung“ deutlich, in dem das Gremium die vergangenen Jahre als „Reinigungskrise der Globalsteuerung“367 bezeichnete. Der JWB versuchte auf die Kritik des SVR an der Globalsteuerung dahingehend zu reagieren, dass die Gründe für das Scheitern der stabilitätspolitischen Instrumente nicht in der eigenen Politik gesucht wurden. Als entscheidende außenwirtschaftliche Gründe für den geringen Wirkungsgrad der Globalsteuerung wurde stattdessen „das zu lange internationale Festhalten am System der festen Wechselkurse und die Ölpreisexplosion“368 genannt. Am Konzept der „Konzertierten Aktion“ zur Erreichung einer wirkungsvollen Wirtschaftspolitik wurde noch immer festgehalten. „In einer eingehenden Analyse setzt sich der SVR ausführlich mit der mittelfristigen wirtschaftlichen Problematik in der Bundesrepublik auseinander. Über die komplexen mittelfristigen Zusammenhänge zwischen Wachstum, Vollbeschäftigung, Investitionen, Staatstätigkeit und Einkommensentwicklung befindet sich die Bundesregierung seit Herbst letzten Jahres auch in einem Meinungsaustausch mit den in der Konzertierten Aktion vertretenen autonomen Gruppen.“369
364
Vgl. Sievert, Angebotspolitik, S. 39. Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 192. 366 Vgl. ebd., S. 194. 367 Sachverständigenrat, JG 75/76, Rn. 375ff. 368 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1976 der Bundesregierung, Bonn 1976, Rn. 50. 369 Ebd., Rn. 64. 365
5.2 Die zweite Phase 1969-1982: Von der Nachfrage- zur Angebotspolitik
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Die „Konzertierte Aktion“ eignete sich dazu, die Verantwortung für ein mögliches Scheitern wirtschaftspolitischer Maßnahmen nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei den anderen Teilnehmern des Bündnisses zu suchen. Außerdem sollte die „Konzertierte Aktion“ die Tendenz der steigenden Arbeitslosigkeit bekämpfen, da dies nach Ansicht des SVR ein „wirtschaftspolitisches Kernproblem für die nächsten Jahre“370 sei. „Dass dies prinzipiell erreichbar ist, wird vom Rat ausdrücklich bestätigt.“371 Im Sonderkapitel „Krise der Marktwirtschaft?“ des JWB wurde problematisiert, ob die Entwicklung der Marktwirtschaft in eine Sackgasse geraten sei.372 Diese Ahnung, dass die „Konzertierte Aktion“ scheitern würde, sollte im selben Jahr mit dem Rückzug der Gewerkschaften aus dem Bündnis auch tatsächlich eintreten.373 Gerhard Fels, der von 1976 bis 1982 Mitglied des SVR und ab 1983 als Direktor das DIW in Köln tätig war, wirkte stark an der angebotstheoretischen Ausrichtung mit und stützte die Neuausrichtung des Gremiums.374 Bis 1977 wurde die Besetzung mit vier angebotspolitisch orientierten Mitgliedern beibehalten, die auch im JG 76/77 mit der endgültigen Abkehr von der Nachfrage- zur Angebotspolitik ihren Ausdruck fand. „Die Mittel, die für eine angebotsfördernde Wachstums- und Strukturpolitik aufzuwenden sind, wären verschwendet, wenn es mittelfristig gesehen, an Stetigkeit in der Lohnpolitik der Tarifparteien, in der Haushaltspolitik des Staates und in der Geldmengenpolitik der Bundesbank fehlte.“375
1976 wurde zudem das erste Mal der Begriff „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“376 verwendet, um die wirtschaftspolitischen Veränderungen auszudrücken.377 Diese waren auch in anderen Ländern zu erkennen, so z.B. in Großbritannien unter Margret Thatcher und in den Vereinigten Staaten unter Ronald
370
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 76, Rn. 65. Ebd. 372 Ebd., Rn. 71. 373 Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 200. 374 Vgl. Lennings, Manfred, Institut der deutschen Wirtschaft, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 63-65, hier: S. 63. 375 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1976/77: Zeit zum Investieren, Stuttgart 1976, Rn. 309. 376 Ebd., Rn. 284. 377 Vgl. Sievert, Angebotspolitik, S. 38. 371
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5 Empirische Untersuchung
Reagan. In beiden Ländern etablierte sich mit der „Supply Side Economic“, eine neue Wirtschaftspolitik ähnlicher Vorstellungen. Das Verhältnis des SVR zu Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff, der mit dem berühmten „Lambsdorff-Papier“ Anfang der 1980er Jahre selbst eine angebotspolitisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik forderte, war sehr gut. Lambsdorff hatte als Bundeswirtschaftsminister versucht, das Gremium mit Mitgliedern zu besetzen, die seine angebotspolitische Ausrichtung unterstützten. Die Gewerkschaften lehnten hingegen das angebotsorientierte Stabilitätskonzepts seit seiner deutlichen Ausformulierung im JG 76/77 konsequent ab. Und auch die SPD lag lange Zeit auf Konfrontationskurs mit den finanzpolitischen Folgerungen, die der SVR aus seinem Stabilitätskonzept zog.378 Deutlich wurde dies durch die Abwesenheit des Kanzlers 1976 zur jährlichen Übergabe des JG. Die Stellungnahme der Bundesregierung zum JG 76/77 ging konkret auf die angebotspolitischen Forderungen des SVR ein. Die Regierung war „sich der Grenzen einer Konjunktursteuerung durch eine antizyklische Finanzpolitik wohl bewusst.“379 Auch aus diesem Grund stimmte sie mit dem Rat überein, dass „mittelfristige Orientierungen im Bereich der Geld-, Haushalts- und Lohnpolitik erforderlich seien.“380 Dem Rat kam zugute, dass Lambsdorff Minister des BMWi war, das den JWB herausbrachte. Lambsdorff verfolgte bereits während der sozial-liberalen Koalition eine Wirtschaftspolitik mit angebotspolitischem Schwerpunkt, die er unter der CDU-geführten Regierung tatsächlich durchsetzte. Innerhalb des SVR hatte die Einführung des angebotspolitischen Konzepts die Häufigkeit der Sondervoten wieder verstärkt. So gab SVR-Mitglied Scherhorn ein MHV ab, da er „nicht die Hoffnung der Mehrheit des SVR [teilte], die Wirtschaftspolitik könne bei weiterer Verbesserung der Angebotsbedingungen auf eine so kraftvolle Beschleunigung des Wirtschaftswachstums rechnen.“381 Doch die Ratsmehrheit sah die Probleme der Wirtschaftspolitik nicht bei der Regierung, sondern im Verhalten der Tarifparteien:
378
Vgl. Albach, Sachverständigenrat, S. 416. Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1977 der Bundesregierung, Bonn 1977, Rn. 37. 380 Ebd., Rn. 42. 381 Sachverständigenrat, JG 77/78, Rn. 471. 379
5.2 Die zweite Phase 1969-1982: Von der Nachfrage- zur Angebotspolitik
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„Eine wesentliche Komponente der Wirtschaftspolitik haben Regierung und Parlament nicht in der Hand: die lohnpolitischen Entscheidungen.382
Die Lohnpolitik stand im Mittelpunkt der Kritik, da statt der gewünschten Fortsetzung des leichten Aufschwungs, der auch im JG vorausgesagt worden war, das Wachstum wieder gesunken war.383 Zurückhaltung bei der Lohnerhöhung müsse geübt werden, anstatt die Nachfrage zu steigern. So sei es auch keineswegs zwingend, „dass die Nachfrage dem Angebot vorauslaufen muss“384, äußerte die Ratsmehrheit im JG 77/78. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der SVR zu Recht kritisiert, da die Ökonomen nicht mit einer Stimme sprachen und es eine heftige Diskussion um das JG 77/78 mit den Gewerkschaften gab.385 Die Fehlbarkeit wissenschaftlicher Expertise konnte nicht deutlicher zur Schau gestellt werden: „Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre hat eine Schlappe erlitten. Ausgerichtet darauf, die Inflation zu überwinden, im staatlichen ebenso wohl wie im privaten Bereich der Wirtschaft die Verzerrungen zu beseitigen, die aus dem inflatorischen Übermaß an Ansprüchen entstanden waren, hat sie mit dem Konzept der mittelfristigen Orientierung in der Geldpolitik und der Finanzpolitik auf die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft gesetzt. Das Konzept, das diese Schlappe erlitten hat, ist im Prinzip auch das Konzept, für das der Sachverständigenrat geworben hat.“386
„Eine Schlappe erlitten“ hatte jedoch nicht nur das Konzept des SVR, sondern auch der SVR selbst, der Probleme hatte die angebotspolitische Kehrtwende nach außen einheitlich überzeugend zu vertreten. Die Stellungnahme der Bundesregierung zum JG 77/78 des SVR fiel dementsprechend verhalten aus. „Die Bundesregierung verkennt nicht die Wirkungszusammenhänge zwischen Lohnentwicklung, Preissteigerung und Beschäftigungsgrad. Sie hat jedoch Zweifel, ob der Rat bei seiner Analyse den Zeitbedarf, mit dem Preise, Verbrauchsnachfrage, Investitionen und Beschäftigung auf niedrige Lohnzuwächse reagieren, hoch genug veranschlagt.“387
382
Sachverständigenrat, JG 77/78, Anhang IV, Rn. 14. Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 188. 384 Sachverständigenrat, JG 77/78, Rn. 389, 26*. 385 Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 199; Albach, Sachverständigenrat, S. 406. 386 Sachverständigenrat, JG 77/78, Rn. 335. 387 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1978 der Bundesregierung, Bonn 1978, Rn. 53. 383
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5 Empirische Untersuchung
Der SVR war der Meinung gewesen, dass es „schwer einzuschätzen“388 sei, wie schnell Investitionen getätigt werden. Auf das MHV Scherhorns im JG wurde im JWB nur am Rande eingegangen. Die Regierung sah die Probleme der Lohnfindung bei den Tarifparteien. Die Gewerkschaften reagierten mit der Forderung nach der Auflösung oder vollständigen Umgestaltung des SVR, um Stellungnahmen gegen eine keynesianische, gewerkschaftsfreundliche Politik zu verhindern.389 „Die Gewerkschaften dürften einen Korrekturbedarf kaum anerkennen, zumindest nicht ausdrücklich, obwohl sie den Kostenaspekt der Löhne grundsätzlich nicht bestreiten. Erst im Nachhinein stellte sich häufig heraus, dass die Abschlüsse zu hoch waren.“390
Auch Scherhorn sah ein, dass die Instrumente der nachfragepolitischen Ausrichtung nicht genügend gewirkt hatten, doch eine endgültige Absage erklärte er dem Keynes-ianismus nicht. „[Prof. Scherhorn] teilt nicht die dieses Sondergutachten bestimmende Grundauffassung der Mehrheit, die Volkswirtschaft könne über höhere Wachstumsraten zur Vollbeschäftigung zurückfinden. Erforderlich ist, den Strukturwandel des Angebots und der Nachfrage zu fördern.“391
Wegen der weiterhin schlechten wirtschaftlichen Entwicklung wurde am 19. Juni ein Sondergutachten „Zur wirtschaftlichen Lage im Juni 1978“ vom SVR veröffentlicht, in dem Scherhorn abermals der Mehrheit widersprach und „nicht die dieses Sondergutachten bestimmende Grundauffassung der Mehrheit, die Volkswirtschaft könne über höhere Wachstumsraten zur Vollbeschäftigung zurückfinden“392, teilte. Die Politisierung der Expertise spitzte sich Ende der 1970er Jahre zu, nachdem Werner Glastetter als Scherhorns Nachfolger berufen worden war. Er hatte zuvor die Memoranden unterstützt bzw. unterschrieben und im gewerkschaftseigenen „Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut“ (WSI) gearbeitet, war also der erste bekennende Kritiker innerhalb des Gremi-
388
Sachverständigenrat, JG 77/78, Rn. 362. Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 333. 390 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1978/79: Wachstum und Währung, Stuttgart 1978, Rn. 394. 391 Ebd., Anhang IV, Rn. 42, Hervorhebung aus dem JG übernommen. 392 Ebd. 389
5.2 Die zweite Phase 1969-1982: Von der Nachfrage- zur Angebotspolitik
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ums.393 Die Gegenexpertise hatte damit erstmals den Weg in den Rat gefunden und Glastetter war im Kreise der Professoren Sievert und Fels, des liberalen Finanzwissenschaftlers Schmidt und des 1978 von Arbeitgeberseite unterstützten Betriebswirtes Horst Albach von Beginn an auf eine Außenseiterposition festgelegt.394 Mit den Ereignissen der zweiten Ölkrise 1979 nahm die Häufigkeit der MHV in den JG nicht ab.395 Die Stellungnahme der Bundesregierung zum JG 79/80 des SVR stützte sich auf die Mehrheit des Rates und sah die Gewerkschaften in der Pflicht. Auf das MHV zur Lohnpolitik wurde nur am Rande eingegangen. „Die Bundesregierung teilt die Überzeugung des Rates, dass die deutsche Wirtschaft mit der Ölverteuerung des vergangenen Jahres besser fertig werden kann als mit der Ölkrise 1973/74, wenn alle Beteiligten sich situationsgerecht verhalten.“396
Die Stellungnahme der Bundesregierung zum JG 80/81 des SVR erschien in einer wirtschaftlich äußerst schwierigen Phase. Der JWB beschränkte sich darauf „den Beitrag des Rates zur Versachlichung der Diskussion über die Staatsverschuldung“397 zu begrüßen. Außerdem stellte die Bundesregierung fest, „dass auch das Minderheitsvotum in wichtigen wirtschaftspolitischen Aussagen mit der Ratsmehrheit übereinstimmt.“398 Als am 4. Juli 1981 das Sondergutachten „Vor Kurskorrekturen. Zur finanzpolitischen und währungspolitischen Situation im Sommer 1981“ erschien, machte Glastetter, der ganz offen für mehr Nachfragepolitik warb399, seine Position noch einmal stark, bevor er das Gremium verließ.400 Er bezweifelte, ob Lohnkosten tatsächlich von so großer Bedeutung für die autonomen Investitionsentscheidungen der Unternehmen seien, wie von 393
Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 205. Vgl. ebd., S. 207. 395 Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 345. 396 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1980 der Bundesregierung, Bonn 1980, Rn. 53. 397 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1981 der Bundesregierung, Bonn 1981, Rn. 58. 398 Ebd., Rn. 65. 399 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1980/81: Unter Anpassungszwang, Stuttgart 1981, Rn. 495. 400 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1981/82: Investieren für mehr Beschäftigung, Stuttgart 1981, Anhang IV, Rn. 43. 394
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5 Empirische Untersuchung
Angebotspolitikern behauptet.401 Der Keynesianer stellte damit im Gegensatz zu den anderen Minderheitsschreibern das wirtschaftliche Gesamtkonzept des SVR, das in dieser Phase stark angebotspolitische Züge trug, in Frage.402 „Ein Mitglied des SVR, Werner Glastetter, kann sich in zwei Punkten – hinsichtlich des finanzpolitischen Kurses und hinsichtlich des geldpolitischen Kurses – der Mehrheitsmeinung nicht anschließen.“403
Nach Glastetters Rücktritt aus dem Gremium am 1. September 1981 wurde dessen Entscheidung von den anderen Ratsmitgliedern im folgenden JG 81/82 gerechtfertigt: „Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Professor Glastetter ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, im Sachverständigenrat seien die Möglichkeiten einer Minderheit, konkurrierenden wirtschaftspolitischen Auffassungen in einem Gutachten den ihnen in Form und Inhalt gebührenden Ausdruck zu geben, unangemessen beengt. Dieser Eindruck ist unzutreffend.“404
Nach Stützel war Glastetter damit der zweite, der sein Amt aus Protest und wegen unüberbrückbarer Differenzen niedergelegt hatte. Sein Rücktritt löste eine öffentliche Debatte über wissenschaftliche Politikberatung und den Nutzen des Gremiums aus.405 Nach den Diskussionen über Glastetters Rücktritt war die angebotspolitische Mehrheit des SVR bemüht, ihren Ruf zu retten. „Wissenschaftliche Arbeit beruht auf Tatsachenwissen, Schätzurteilen und Logik. Dass Werturteile sich allenthalben einmischen, gilt als unbestritten. Aber Wissenschaftler können sich wechselseitig dazu zwingen, ihre Auffassungsunterschiede auf Unterschiede in ihren Schätzurteilen zu reduzieren.“406
Mit dieser Aussage gestand der Rat ein, dass sich wissenschaftliche Unsicherheit nicht nur bei Prognosen, sondern auch bei Diagnosen zeige, was mit der angebotspolitischen Wende für eine nachhaltige Politisierung des Gremiums spricht. Einem breiten Einvernehmen über die wirtschaftspolitische Gesamtkonzeption war damit die Grundlage entzogen. Der Zwiespalt des Gremiums war auch in der Regierungskoalition zu erkennen. In der Rede, die Bundesfinanzminister Hans 401
Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 206. Vgl. ebd., S. 207. 403 Sachverständigenrat, JG 81/82, Anhang IV, Rn. 43. 404 Ebd., S. III. 405 Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 208. 406 Sachverständigenrat, JG 81/82, Vorwort, Rn. 5. 402
5.2 Die zweite Phase 1969-1982: Von der Nachfrage- zur Angebotspolitik
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Matthöfer bei der Einbringung des Haushalts 1982 am 16. September 1981 im Deutschen Bundestag hielt, war keine weitgehende Übereinstimmung der Ratsmehrheit und der Regierung erkennbar. Doch die Ratsmehrheit unterstützte zwischen 1980 und 1982 die Regierung Schmidt in ihrem rigorosen Sparprogramm.407 1982 war auch die Ratszeit von Fels und so wurden für ihn und Glastetter das SPD-Mitglied Krupp und der parteipolitisch unabhängige HansKarl Schneider in den SVR kooptiert. Wie auch Glastetter setzte sich Krupp, der von Gewerkschaftsseite unterstützt wurde, für vermehrte Nachfragepolitik ein408. Dies zeigte sich nicht zuletzt in späteren MHV.409 Schneider war von 1982 bis 1992 Mitglied des SVR und von 1985 bis 1992 dessen Vorsitzender. Ab 1968 war er zudem Mitglied des Wissen-schaftlichen Beirats des BMWi. Im Herbst 1982 näherte sich der wirtschaftspolitische Konflikt zwischen den Koalitionsparteien seinem Höhepunkt. Bei der Aufstellung des Haushaltes 1983 blockierten sich die Koalitionsfraktionen gegenseitig. Während die SPDFraktion ein Beschäftigungsprogramm vorschlug, das entweder durch Kredite oder durch eine „Ergänzungsabgabe“ auf höhere Einkommen finanziert werden sollte, forderte die FDP-Fraktion Einsparungen im Sozialhaushalt zur Haushaltskonsolidierung und zur Finanzierung höherer staatlicher Investitionen. Die Wirtschaftspolitik wurde so zur Koalitionsfrage.410 Am 9. September 1982 legte Lambsdorff ein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ vor.411 Er machte darin die Unvereinbarkeit der Positionen innerhalb der Koalition öffentlich und zwang Bundeskanzler Schmidt indirekt, ihn und die übrigen FDP-Minister zu entlassen.
407
Vgl. Lipp, Ernst-Moritz, Plädoyer für klare Botschaften und bessere Außenwirkung, in: Schlecht, Otto/van Suntum, Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Krefeld 1995, S. 77-81, hier: S. 78. 408 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1982/83: Gegen Pessimismus, Stuttgart 1982, Rn. 185, 299. 409 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1983/84: Ein Schritt voran, Stuttgart 1983, Rn. 289, 313. 410 Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 441. 411 Vgl. Andersen, Uwe, Otto Graf Lambsdorff, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 404-409, hier: S. 406.
100
5 Empirische Untersuchung
Der Weg war nun frei für ein konstruktives Misstrauensvotum, das zum 1. Oktober den Regierungswechsel herbeiführte.412 5.2.3
Zusammenfassung
Die zwei prägendsten Merkmale der zweiten Phase sind die Abkehr des SVR von der Nachfrage- zur Angebotspolitik und die daraus resultierenden häufigen MHV in den JG. Dabei machte sich die Abkehr von der Nachfragepolitik in einem langsamen Prozess bemerkbar, der immer wieder auf eine Mischung beider wirtschaftspolitischer Ausrichtungen hinauslief. Die Ratsmitglieder mit keynesianischen Grundsätzen, Köhler und Scherhorn, sahen sich dennoch regelmäßig zu MHV veranlasst. Köhler votierte kontinuierlich vor und nach der Einführung des Systems flexibler Wechselkurse weiterhin für feste Wechselkurse. Und auch Scherhorn stellte sich gegen die Ratsmehrheit und warb für eine reine Nachfragepolitik wie sie Keynes stets gefordert hatte. Dass es zu dieser stark angebotspolitisch geprägten Ratsmehrheit kommen konnte – regierte doch die SPD mit traditionell keynesianischer Wirtschaftspolitik, ist primär auf den Einfluss des BMWi und der Bundeswirtschaftsminister zurückzuführen, die es sich zunutze machten, dass sich Brandt und vor allem Schmidt nicht mit den SVR anfreunden konnten. Der steigenden Arbeitslosigkeit als relativ neuem Problem und der steigenden Staatsverschuldung wollte der Rat nach der „Reinigungskrise der Globalsteuerung“ und dem Scheitern der Konzertierten Aktion ab 1976 nunmehr mit Angebotspolitik entgegentreten. Doch die Neuausrichtung des Gremiums konnte sich nach außen vorerst nicht glaubhaft durchsetzen. Die MHV Glastetters und sein darauf folgender Rücktritt ließen in der Öffentlichkeit Zweifel am SVR und seinen wirtschaftspolitischen Vorschlägen aufkommen. Eine Werturteilsfreiheit des Gremiums bei diesen gegensätzlichen Meinungen konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Nachdem die Bundesregierung wissenschaftliche Zweifel und Meinungsverschiedenheiten als nicht überbrückbar eingestanden hatte, wurden die Widersprüche sowohl innerhalb des Rates als auch in der Wirtschaftspolitik der Regierung deutlich. Der SVR, forciert durch
412
Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 442.
5.3 Die dritte Phase 1982-1998: Wirtschaftspolitische „Wende“ und Wiedervereinigung
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eine starke Veränderung der Ratsbesetzung unter den FDP-Bundeswirtschaftsministern, vertrat Positionen, die insbesondere von der SPD nicht mitgetragen wurden. Die Mehrheit des SVR strebte eine Wende zu angebotspolitisch ausgerichteter Wirtschaftspolitik an – und dies in einer Zeit, in der die sozialliberale Koalition mit den Instrumentarien des StabG die Nachfragepolitik förderte. Es deutete sich an, dass die FDP ihren wirtschaftspolitischen Kurs änderte und die Positionen des SVR mehrheitlich unterstützte. Die Ratsmehrheit sah in den 1970er Jahren die primäre Aufgabe der Wirtschaftspolitik darin, die Inflation zu bekämpfen, um die Ziele des „Magischen Vierecks“ einhalten zu können. Dazu sollte eine Senkung der Reallöhne eingeleitet werden. Erst gegen Ende der 1970er Jahre zeigte sich eine Trendwende in den JG, und das Beschäftigungsproblem rückte in den Vordergrund.413 Die Phase war gekennzeichnet durch einen sehr homogen besetzten Rat, der mehrheitlich für angebotspolitische Wirtschaftspolitik eintrat. Dies ist zurückzuführen auf den Einfluss von Friderichs und Lambsdorff, die im BMWi stets für eine Wirtschaftspolitik ohne übermäßige Eingriffe des Staates eintraten. Der SVR hatte jedoch keine entpolitisierende Wirkung, da die Vorschläge des SVR zum Großteil keinen Weg in die Politik fanden. Grund dafür war die Regierungsmehrheit der SPD, ohne die die Wirtschaftspolitik nicht durchzusetzen war, die jedoch den Wechsel von der Nachfrage- zur Angebotspolitik als stärkerer Koalitionspartner nicht mittrug. 5.3
Die dritte Phase 1982-1998: Wirtschaftspolitische „Wende“ und Wiedervereinigung
5.3.1
Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte
Zu einem zentralen ökonomischen und politischen Problem hatte sich seit Mitte der 1970er Jahre in Deutschland die hohe Arbeitslosigkeit entwickelt. Auch bei der Regierungsübernahme durch die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl 1982 stieg die Arbeitslosenquote, wobei insbesondere die Sockelarbeitslo413
Vgl. Krelle, Sachverständigenrat, S. 337.
102
5 Empirische Untersuchung
sigkeit414 und die Langzeitarbeitslosigkeit zunahmen.415 Auch der SVR beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit der Bekämpfung der hohen Arbeitslosenrate, da der „hohe Beschäftigungsstand“ als Glied des „Magischen Vierecks“ gefährdet war. Aus diesem Grund bildet die Arbeitsmarktpolitik auch einen Untersuchungsschwerpunkt in der dritten Phase. Unter Arbeitsmarktpolitik werden dabei insbesondere Maßnahmen und Instrumente verstanden, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsmärkte richten und das Angebot und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen sollen.416 Ob der SVR nach innen entpolitisiert arbeiten und durch seine Lösungskonzepte in den JG die Diskussion um die Arbeitslosigkeit auch nach außen entpolitisieren konnte, soll im Folgenden untersucht werden. Das zweite dominierende Thema der dritten Phase war die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1990. Welche wirtschaftspolitischen Veränderungen die „Wende“ auslöste und wie der SVR die wirtschaftspolitischen Herausforderungen lösen wollte, wird im Zusammenhang mit dessen Rezeption durch die Regierung analysiert. 5.3.2
Bewährungsprobe für die beworbene Angebotspolitik
Die Besetzung des SVR unter der Regierung Kohl war geprägt durch die Veränderungen im Gremium, die sich schon seit Ende der 1970er Jahre angedeutet hatten. Zu Beginn der Legislaturperiode waren Krupp, der als SPD-Mitglied noch unter der sozial-liberalen Regierung berufen worden war, und drei Mitglieder mit angebotspolitischen Positionen vertreten. Schneider kann als unabhängig eingestuft werden. Acht Tage nach der Ernennung Kohls zum neuen Bundeskanzler erschien am 9. Oktober 1982 ein Sondergutachten417 des SVR indem „für das nächste Jahr
414
Diese „bezeichnet die Arbeitslosigkeit, die dadurch zustande kommt, dass die während einer Rezession abgebauten Arbeitsplätze in Zeiten des Aufschwungs nie in vollem Umfang wieder neu geschaffen werden“; Vgl. Ahlers, Arbeitslosigkeit, S. 72. 415 Vgl. Sachverständigenrat, JG 82/83, Anhang IV, Rn. 90. 416 Vgl. Pollert, Achim/Kirchner, Bernd/Polzin, Javier Morato, Arbeitsmarktpolitik, in: dies. (Hrsg.), Das Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z (BpB, Bd. 414), Bonn 2004, S. 127128, hier: S. 127. 417 Vgl. Sachverständigenrat, JG 82/83, Anhang IV, Rn. 1ff.
5.3 Die dritte Phase 1982-1998: Wirtschaftspolitische „Wende“ und Wiedervereinigung
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[...] im Jahresdurchschnitt 2¼ Millionen Arbeitslose“418 erwartet wurden. Auch die Bundesregierung griff in ihrer Stellungnahme zum JG 82/83 das Problem der hohen Arbeitslosigkeit auf. Sie sah die Voraussetzungen für die Lösung des Problems in einer wirtschaftspolitischen Neuausrichtung durch eine Abkehr von der Nachfragepolitik hin zur Angebotspolitik. „Der Rat hat deutlich gemacht, in welch schwieriger Ausgangssituation die neue Bundesregierung ihr Amt angetreten hat. Die Bundesregierung hält die Analyse im Gutachten für zutreffend, wonach die Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Produktion vor allem dadurch entstanden ist, dass die negativen Wirkungen der bereits seit längerer Zeit verschlechterten Wachstumsbedingungen durch ungünstige Nachfrageeffekte verstärkt wurden. [...] Die Bundesregierung hält folglich, wie der SVR, weitere Maßnahmen für notwendig, die im Rahmen einer aktiven Wachstumspolitik auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft ansetzen.“ 419
Während die sozial-liberale Regierung gegen Ende ihrer Legislatur auf eine Mischung aus Angebots- und Nachfragemaßnahmen gesetzt hatte, sprach sich die neue Regierung deutlich für eine Verstärkung der angebotsorientierten Politik aus. Damit verbunden waren eine Reduzierung der Staatsaktivitäten, Einschnitte in das soziale System, Rentabilitätsverbesserungen für Unternehmer und Kontrolle der Finanzpolitik der Regierung. Zuträglich für die Wirtschaftspolitik des alten und neuen Bundeswirtschaftsministers Lambsdorff war, dass sich die Wirtschaft ab 1982 allmählich zu erholen begann und sich wieder auf einem stabilen Wachstumspfad bewegte. Das Bruttoinlandsprodukt stieg und die Inflationsrate sank von fünf auf etwa zwei Prozent.420 Primär profitierte die Wirtschaft von der konjunkturellen Erholung der Weltwirtschaft, denn die Inlandsnachfrage belebte sich ebenso wenig wie der europäische Markt.421 Und so blieb das Wachstum zunächst weitgehend ohne Durchschlagskraft auf den Arbeitsmarkt.422
418
Sachverständigenrat, JG 82/83, Anhang IV, Rn. 87. Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1983 der Bundesregierung, Bonn 1983, Rn. 54. 420 Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 255. 421 Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 447. 422 Vgl. Oppelland, Torsten/Larres, Klaus, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989, Erfurt 1999, S. 83. 419
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Neben Sicherheitspolitik waren Wirtschafts- und Haushaltsfragen dann auch die Hauptthemen des Wahlkampfes 1983.423 Zu Beginn ihrer Regierungszeit reagierte die Koalition auf die herrschende Rezession nicht mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen, sondern wollte zunächst den Bundeshaushalt konsolidieren, um anschließend die Steuerbelastungen zu senken. Durch Steuersenkungen sollten die Angebotsbedingungen verbessert werden, was, so die Überzeugung von CDU/CSU und FDP, zu einer Ausweitung von Investitionen und in Folge zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen sollte.424 Die anfänglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, insbesondere die nicht abnehmende Arbeitslosigkeit, wurden von der neuen Regierung auf die schlechte Politik der Vorgängerregierung zurückgeführt. „Erstmalig seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hatte der kräftige Exportanstieg jedoch keine Belebung der Binnennachfrage zur Folge, was vor allem mit den langjährigen Fehlentwicklungen im Inland zu erklären ist […].425
Als wichtige Maßnahme der christlich-liberalen Koalition im Rahmen der angebotspolitischen Wirtschaftspolitik können die vermehrten Privatisierungstendenzen öffentlicher Einrichtungen angesehen werden.426 Erstmalig sprach die Bundesregierung die neue Privatisierungspolitik in ihrem JWB 83 an und auch in den folgenden JWB gab es stets ein Unterkapitel zur Privatisierungspolitik.427 Auch im SVR erfolgten nach dem Regierungswechsel einige Personaländerungen. Helmstädter löste 1983 Albach im Rat ab und galt neben Dieter Pohmer, der 1984 kooptiert wurde als parteipolitisch neutral. Beide Wissenschaftler stützten die Regierungspolitik in den Folgejahren und gaben keine MHV ab. Im JG 83/84 befasste sich das Gremium in einem speziellen Kapitel mit dem Titel „Gegen Gewöhnung an hohe Arbeitslosigkeit“ ausführlich mit dem Thema Arbeitslosigkeit. Seit dem JWB 84 verzichtete die Bundesregierung auf eine
423
Vgl. Oppelland/Larres, Geschichte, S. 80. Vgl. Zohlnhöfer, Reimut, Parteien, Vetospieler und der Wettbewerb um Wählerstimmen: Die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Ära Kohl (ZeS-Arbeitspapier Nr. 7/01, Zentrum für Sozialpolitik), Bremen 2001, S. 15. 425 Bundeswirtschaftsministerium, JWB 83, S. 4. 426 Vgl. ebd., Rn. 2ff. 427 Vgl. Mayer, Florian, Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates. Privatisierungspolitik in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, Wiesbaden 2006, S. 210. 424
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gesonderte Stellungnahme zu den JG.428 Sie beschränkte sich vielmehr darauf, in einzelnen wirtschaftspolitischen Feldern im JWB auf den SVR zurückzugreifen. Um bei anstehenden Reformen eine Rechtfertigung für eine möglicherweise nur zögerliche Verbesserung in der Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit zu haben, wurde im folgenden JWB der Rat zitiert: „Zu Recht weist der Rat darauf hin, dass der erforderliche Zeitbedarf für eine durchgreifende Besserung der Beschäftigungssituation nicht gering einzuschätzen ist.“429
Die Regierung zeigte deutliche Veränderungen bei der Regulierung des Arbeitsmarktes, der wieder stärker als Markt organisiert werden sollte.430 Mit dem Haushaltsbegleitgesetz aus dem Jahr 1984 kam es zur Senkung des Schlechtwetter, Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeldes sowie der Arbeitslosenhilfe für Bezieher ohne Kinder. Diese Maßnahmen führten sogar dazu, dass die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit trotz des sprunghaften Anstiegs der Arbeitslosigkeit zwischen 1981 und 1983 sanken.431 Obwohl die Strukturreformen insgesamt nicht so tiefgreifend waren, wie angekündigt, verfolgte die Bundesregierung mit den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen eine Stärkung der Privatisierungsstrategie.432 „Die Bundesregierung wird ihre bereits im JWB 1983 angekündigte Absicht weiterverfolgen, öffentliches Vermögen dort zu privatisieren, wo dies ohne Beeinträchtigung staatlicher Belange möglich ist. Sie sieht sich hierin durch den SVR bestätigt.“433
1984 verließen Krupp und der angebotspolitisch orientierte Schmidt den SVR. Die zweite Amtszeit von Schmidt war nach weiteren fünf Jahren im Gremium zu Ende. Von Gewerkschaftsseite wurde der Keynesianer Dieter Mertens vorgeschlagen, der den angebotspolitischen Kurs der Bundesregierung nicht unterstützte. Die Ratsmehrheit stellte jedoch bereits Fortschritte in den wirtschaftlichen Entwicklungen fest und stärkte der Regierung den Rücken: 428
Laut BMWi liegen die Gründe lediglich in der daraus folgenden besseren Lesbarkeit des Berichtes. Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1984 der Bundesregierung, Bonn 1984, Rn. 18. 430 Vgl. Zohlnhöfer, Beschäftigungspolitik, S. 17. 431 Vgl. ebd. 432 Vgl. ebd., S. 19. 433 Bundeswirtschaftsministerium, JWB 84, Rn. 21. 429
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„Beeindruckend ist: Gravierende Fehlentwicklungen konnten in wenigen Jahren beseitigt werden. Energische Inflationsbekämpfung hat die deutsche Volkswirtschaft dem Ziel der Geldwertstabilität nahe gebracht.“434
Die Übereinstimmung von Ratsmehrheit und Politik darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine konzeptionell geschlossene Politik ebenso schwierig war wie zur Zeit der sozial-liberalen Koalition.435 Die Schwierigkeiten fingen Mitte 1984 mit dem Rücktritt von Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff nach der Anklage wegen Bestechlichkeit in Folge des „Flick-Parteispenden-Skandals“ an. Dies blieb auch für den SVR nicht ohne Konsequenzen. Zwar gab es auch unter dem neuen Chef des BMWi, Martin Bangemann, inhaltliche Übereinstimmungen zwischen der Ratsmehrheit und dem JWB, dennoch hatte das Gremium mit Lambsdorff einen seiner größten Unterstützer verloren.436 „Zu Recht hat der SVR festgestellt, dass gravierende Fehlentwicklungen inzwischen beseitigt wurden und daher die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der konjunkturellen Expansion so gut wie lange nicht mehr sind.“437
Dass sich auch ein MHV von Mertens gegen die arbeitsmarkt- und finanzpolitischen Regierungsziele richtete, wurde im JWB nicht erwähnt. „Der SVR bewertet den finanzpolitischen Kurs der Bundesregierung als uneingeschränkt richtig, ja sogar als ‚unausweichlich’.“438
„Der SVR“ meinte in diesem Zusammenhang lediglich die Mehrheit des Rates. Mertens hingegen stand der neuen angebotspolitischen Ausrichtung der Regierungspolitik, wie schon zuvor die Professoren Krupp und Glastetter, skeptisch gegenüber und äußerte dies auch in seinem MHV: „Es kann mit einer solchen Grundlinie allein die Frage nicht beantwortet werden, wie gleichzeitig mit den anderen wirtschaftspolitischen Zielen auch ein hoher Beschäftigungsstand gewährleistet werden kann.“439
434 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1984/85: Chancen für einen langen Aufschwung, Stuttgart 1984, Rn. 285. 435 Vgl. Schanetzky, Ernüchterung, S. 258. 436 Vgl. Andersen, Uwe, Martin Bangemann, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 117-120, hier: S. 119. 437 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1985 der Bundesregierung, Bonn 1985, Rn. 1. 438 Ebd., Rn. 23.
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Doch auch die anderen Ratsmitglieder ruderten nach der Aussage des JWB von einem „uneingeschränkt richtigen Kurs“440 der Wirtschaftspolitik zurück. Vermehrt sollten langfristige Ziele in den Vordergrund rücken. Das 1985 kooptierte CDU-Mitglied Helmut Hesse als Nachfolger des angebotspolitischen Sievert unterstützte diese Forderung. „Es ist zu befürchten, dass die Wirtschaftspolitik unter starkem Handlungsdruck Entscheidungen trifft, die sich aber schon bald als nachteilig für die wirtschaftliche Entwicklung herausstellen. Es besteht ohnehin nicht der Eindruck, als verfolge die Wirtschaftspolitik in Bund und Ländern gegenwärtig unbeirrt ein konsistentes und glaubwürdiges Konzept zur Kräftigung des Wachstums und zur Verminderung der Arbeitslosigkeit. Vielmehr scheint sich eine Neigung zu Ad-hoc-Maßnahmen, mit denen auf Einzelentwicklungen und besondere Ereignisse reagiert wird, und zu sektorspezifischen Maßnahmen auszubreiten, die sich einem klaren, eindeutigen Kurs schwerlich zurechnen lassen.“441
Als Reaktion auf die Kritik des SVR sprach sich die Regierung im nächsten JWB auch für mittelfristige wirtschaftspolitische Lösungen aus und nahm Bezug auf dessen Aussagen, um ein einheitliches Bild mit dem SVR abzugeben. „Die Bundesregierung unterstreicht mit dem Rat, dass eine stetige, voraussehbare und in sich widerspruchsfreie Politik die besten Voraussetzungen für sichere Erwartungen schafft.“442
Das neue Ratsmitglied Rüdiger Pohl gab 1986 als Nachfolger Mertens’ gleich in seinem ersten Ratsjahr ein MHV ab.443 Er wurde von Gewerkschaftsseite unterstützt und war der Meinung, dass eine nachfrageorientierte Politik die Probleme der Arbeitslosigkeit besser lösen könne als die angebotspolitische.444 Obwohl Pohl den gegenwärtigen Wirtschaftsaufschwung „als weniger robust“ und „weniger optimistisch“445 einschätzte, als die Ratsmehrheit, bezog sich die Bundesregierung in ihrem JWB lediglich auf das Urteil der Ratsmehrheit, 439
Sachverständigenrat, JG 84/85, Rn. 339. Vgl. Bundeswirtschaftsministerium, JWB 85, Rn. 23. 441 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1985/86: Auf dem Weg zu mehr Beschäftigung, Stuttgart 1985, Anhang IV, Rn. 2. 442 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1986 der Bundesregierung, Bonn 1986, Rn. 23. 443 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1986/87: Weiter auf Wachstumskurs, Stuttgart 1986, Rn. 234. 444 Vgl. ebd. 445 Ebd. 440
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„dass ‚defensive Strategien’ wie Subventionen, Außenschutz, staatliche Beschäftigungsprogramme oder eine staatlich forcierte Nachfrageexpansion mit höheren Haushaltsdefiziten sich nicht eignen, das Angebot an rentablen Arbeitsplätzen auszuweiten.“446
Die CDU-Sozialausschüsse legten 1987 das Programm „Arbeit für alle“ vor, in dem sie unter anderem ein Investitionsprogramm forderten. Obwohl das wenig später tatsächlich beschlossene Programm eine Ausnahme blieb447, sah sich die Regierung in ihrer Politik bestätigt, da „die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland [...] in ihr sechstes Jahr [ging]“448. Jedoch hatte die hohe Arbeitslosenquote bereits zu einem Popularitätsrückgang der christlich-liberalen Regierung geführt.449 Helmstädter wurde 1988 von Otmar Issing, einem der führenden Vertreter der angebotspolitischen Theorie in Deutschland, im Rat abgelöst. Im selben Jahr wurde Helmut Haussmann mithilfe von Lambsdorff, der seit 1988 neuer Parteichef war, Nachfolger von Bangemann als Bundeswirtschaftsminister.450 Die Veränderungen im Gremium und im BMWi stärkten die angebotspolitische Ausrichtung des SVR und der Regierungspolitik, was auch im JWB erkennbar ist: „Es bleibt zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik, für gute Angebotsbedingungen zu sorgen. Eine Politik zur Stimulierung der Nachfrage über höhere Staatsausgaben lehnt die Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem SVR ab.“451
Lediglich SVR-Mitglied Pohl gab auch in den Jahren 1988 und 1989 MHV zur wirtschaftspolitischen Ausrichtung ab. Er blieb mit seiner Meinung, nachfragepolitische Instrumente zu stärken, allein, da auch Herbert Hax, der seit 1989 als Nachfolger Hesses im SVR tätig war, als engagierter Verfechter der freien 446 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1987 der Bundesregierung, Bonn 1987, Rn. 17. 447 Vgl. Zohlnhöfer, Beschäftigungspolitik, S. 15. 448 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1988 der Bundesregierung, Bonn 1988, Rn. 1. 449 Vgl. Oppelland/Larres, Geschichte, S. 84. 450 Vgl. Andersen, Uwe, Helmut Haussmann, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 303-306, hier: S. 304. 451 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1989 der Bundesregierung, Bonn 1989, Rn. 13.
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Marktwirtschaft galt und weniger staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsablauf forderte. Einen Monat vor dem Mauerfall forderte der SVR die Bundesregierung auf, Steuerkürzungen einzuleiten, doch kurz nachdem der SVR sein JG veröffentlicht hatte, änderte sich die wirtschaftspolitische Situation erheblich.452 Nach 1989 standen der Aufbau-Ost und die Herausforderungen der deutschen Vereinigung im Vordergrund.453 Die zweite Hälfte der Ära Kohl war aus diesem Grund durch eine Fokussierung auf die Steuerpolitik gekennzeichnet454, da nach der Wiedervereinigung, anders als die Regierung und der SVR vorhergesehen hatten, massive Steigerungen öffent-licher und privater Investitionen notwendig waren.455 Die Finanzierung der Vereinigungspolitik und des Aufbaus-Ost basierte im Wesentlichen auf öffentlicher Verschuldung, denn die Bundesregierung begegnete der neuen Situation mit einem „Vereinigungskeynesianismus wider Willen“456, der zu einem Anstieg der Staatsquote und der Staatsverschuldung führte.457 Hinzu kam, dass die Bundesbank auf diese Verschuldungspolitik der Bundesregierung mit einer starken Hochzinspolitik reagierte und die Leitzinsen auf Höchstsätze hob. Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen durch die Gegensätze der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland und der Planwirtschaft in Ostdeutschland waren für die kommenden Jahre ein besonderer Schwerpunkt in den JWB und den SVR. In einem „Zehn-Punkte-Programm“ zur Wiedervereinigung unterbreitete Bundeskanzler Kohl seine „Vorstellungen zur Überwindung der deutschen Teilung“.458 „Der Wirtschaftspolitik kommt herausgehobene Bedeutung zu. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Deutschlandpolitik der Bundesregierung im Rahmen des Zehn-
452 Vgl. Czada, Roland, Zwischen Stagnation und Umbruch. Die politisch-ökonomische Entwicklung nach 1989, in: Süß, Werner (Hrsg.), Deutschland in den neunziger Jahren. Politik und Gesellschaft zwischen Wiedervereinigung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 203-225, hier: S. 204. 453 Vgl. ebd., S. 203. 454 Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 302. 455 Vgl. Czada, Umbruch, S. 205. 456 Jäger, Wolfgang, Helmut Kohl, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 367-380, hier: S. 379. 457 Vgl. Czada, Umbruch, S. 211. 458 Deutscher Bundestag (Hrsg.), Franz Möller, Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen (Bd. 17), Boppard am Rhein 1982, S. 233.
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Punkte-Programms zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas, das der Bundeskanzler am 28. November 1989 vorgelegt hat.“459
Das größte wirtschaftspolitische Projekt war die Wirtschaftsreform in der DDR. Ein Sondergutachten des SVR vom 20. Januar 1990 „Zur Unterstützung der Wirtschaftsreform in der DDR: Voraussetzungen und Möglichkeiten“ plädierte für eine rasche Übernahme des Systems der Sozialen Marktwirtschaft: „Der Abschied von der Planwirtschaft, die konsequente Hinwendung zur Marktwirtschaft muss gewollt sein und dann auch vollzogen werden.“460
Sogar Pohl unterstützte das JG in allen Punkten und gab keine MHV ab, so dass der Rat erstmals nach langer Zeit wieder „mit einer Stimme“ sprach. Dies kann primär auf die besonderen wirtschaftspolitischen Herausforderungen durch die Zusammenführung der beiden Teilstaaten gesehen werden. Pohl ist auch im Nachhinein davon überzeugt, dass das Gremium in der Lage ist, rationale Wirtschaftspolitik zu fördern: „[...] die berufenen Mitglieder sind völlig unabhängig und fühlen sich insbesondere auch gegenüber der Bundesregierung nicht verpflichtet. [...] der SVR ist nicht nur formal, sondern auch faktisch ein unabhängiges Gremium.“461 Dennoch konnte sich das Gremium mit seinen Vorschlägen zu einem der wichtigsten Vorhaben der Regierung, der Währungsreform, nicht durchsetzen. „Anders als die von den politischen Instanzen in der Bundesrepublik und in der DDR getroffene Entscheidung, die Währungsunion zeitgleich mit der Wirtschaftsund Sozialunion in Kraft zu setzen, sah das vom SVR zur Diskussion gestellte Modell ein Vorgehen in Stufen vor.“462
Der SVR hatte zur Zeit der Wiedervereinigung andere Pläne als insbesondere der Bundeskanzler, konnte sich jedoch trotz einheitlicher Ratsunterstützung nicht durchsetzen. Im Sondergutachten vom 20. Januar bekräftigte der SVR seine
459 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1990 der Bundesregierung, Bonn 1990, Rn. 12. 460 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1990/91: Auf dem Wege der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, Stuttgart 1990, Anhang IV, Rn. 6. 461 Pohl, Rüdiger, Antwortschreiben vom 08.07.2009 auf eine schriftliche Anfrage, Anhang 3. 462 Sachverständigenrat, JG 90/91, Rn. 297.
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Vorschläge erneut und der Ratsvorsitzende Schneider schrieb am 9. Februar 1990 in einem Brief an den Bundeskanzler: „Wir halten die rasche Verwirklichung der Währungsunion für das falsche Mittel, um dem Strom von Übersiedlern Einhalt zu gebieten. Mit einer raschen Währungsunion werden Anpassungsprozesse in Gang gesetzt, die die Produktion und die Beschäftigung in der DDR beeinträchtigen können.“463
Doch unter dem Druck der außenpolitischen Unsicherheit über den Kurs der Sowjetunion und der wachsenden Flucht aus der DDR unterbreitete Bundeskanzler Kohl im Februar 1990 das Angebot einer schnellen Währungs- und Wirtschaftsunion bereits vor der angestrebten Einheit. Die zentralen wirtschaftspolitischen Entscheidungen wurden am 1. Juli 1990 durch den „Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ geregelt, mit dem auch die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik auf die DDR übertragen wurde.464 Diese Entscheidung war ganz deutlich Ausdruck des „Primats der Politik“ bzw. insbesondere des Kanzlers, da neben dem SVR auch die Bundesbank und das BMWi Stufenpläne zur Währungs- und Wirtschaftsunion bevorzugt hatten. Auch im anschließenden Verhandlungsprozess und bei der Umsetzung spielten Bundeswirtschaftsminister Haussmann und das BMWi nur eine Nebenrolle, während die Entwicklung vor allem vom BMF und vom Bundeskanzleramt bestimmt wurde.465 Da das Bundeskanzleramt in den wirtschaftspolitischen Angelegenheiten zu einem guten Teil an die Stelle des Wirtschaftsministers getreten war, verzichtete Haussmann 1990 nach der Bundestagswahl auch auf eine erneute Amtszeit.466 Zu Beginn seiner dritten Legislatur erklärte Kohl die Hilfe und Unterstützung Ostdeutschlands zum innenpolitischen Hauptziel und wurde dabei durch eine optimistische Prognose für die folgenden Entwicklungen vom SVR unterstützt: „Wenn alles gut läuft, kann sich die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern schon im Verlauf des Jahres 1991 zum Besseren wenden.“467 463
Sachverständigenrat, JG 90/91, Anhang V, S. 306. Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 300. Vgl. Andersen, Haussmann, S. 306. 466 Ebd., S. 305. 467 Sachverständigenrat, JG 90/91, Rn. 53*. 464 465
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Als neuer Bundeswirtschaftsminister räumte Jürgen Möllemann jedoch bald ein, dass die Probleme in den neuen Ländern von der Regierung unterschätzt worden waren. Deshalb würden Steuererhöhungen auf fünf Jahre und zugleich die Kürzung der Subventionen um zehn Prozent erforderlich.468 Die Überwindung der Schwierigkeiten sollte durch eine möglichst schnelle Integration der neuen Bundesländer in das marktwirtschaftliche System erreicht und durch vermehrte Privatisierungen gestützt werden. „Neben der schnellen Privatisierung bestehender Betriebe ist auch die Gründung neuer Unternehmen und Produktionsstätten unverzichtbar für die strukturelle Entwicklung, wie der SVR mit Recht feststellt.“469 „Die Bundesregierung stimmt mit dem SVR darin überein, dass Privatisierung zugleich der beste Weg zur erfolgreichen Sanierung ist.“470
Dass die Bundesregierung trotz der wirtschaftspolitischen Maßnahmen keine Prognose zur künftigen Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland machen konnte, wurde mit Bezug auf den SVR wissenschaftlich abgesichert: „Angesichts des Ausmaßes und der Einzigartigkeit der zu beobachtenden Strukturanpassung sowie auch aufgrund unzureichender statistischer Informationen sind ausreichend verlässliche quantitative Aussagen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern derzeit kaum möglich. Auch der SVR kommt zu diesem Urteil.“471
Trotz der Rückendeckung durch die Wissenschaft waren die wirtschaftlichen Anpassungsprozesse langwieriger als gedacht und „blühende Landschaften“ in weiter Ferne. Aus diesem Grund erschien am 13. April 1991 ein Sondergutachten des SVR „Zur Wirtschaftspolitik für die neuen Bundesländer“. Anlass dieses Gutachtens war, dass „die Anpassungskrise der ostdeutschen Wirtschaft in den neuen Bundesländern den totalen Umschwung der Stimmungslage und der
468
Vgl. Gellner, Winand/Schön, Markus, Jürgen W. Möllemann, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 490-493, hier: S. 492. 469 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Bonn 1991, Rn. 26. 470 Ebd., Rn. 29. 471 Ebd., Rn. 91.
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Erwartungen bewirkt“472 hatte. Rolf Peffekoven, der von der Regierung Kohl für Issing in den SVR berufen worden war, und der neu kooptierte Horst Siebert forderten ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.473 Dies war darin begründet, dass der SVR befürchtete, die wirtschaftlichen Probleme könnten zu politischen Kurzschlussreaktionen führen und die staatliche Unterstützung für die Neuen Länder zu sehr in die Höhe getrieben werden. Der „Vereinigungskeynesianismus“ widersprach dem angebotspolitischen Richtungskurs. „Anlass für das Sondergutachten ist die Sorge, dass die sich ausbreitende Unruhe die Wirtschaftspolitik zu überhasteten Aktionen veranlasst und so zu Fehlentwicklungen führt. Dieser Weg ist mit dem immer weiter vorangetriebenen Ausbau der staatlichen Fördermaßnahmen bereits eingeschlagen worden. Das Sondergutachten wendet sich gegen eine Fortsetzung dieses wirtschaftpolitischen Kurses.“474
Stattdessen wollte der SVR die Privatisierungsbestrebungen der Regierung gestärkt sehen und forderte „Vorrang für die Privatisierung“475. Nur mithilfe solcher Maßnahmen könne die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig gesichert werden. Eine weitere Voraussetzung für eine ordnungspolitisch stringente Angebotspolitik sei Geduld: „Man weiß aus Erfahrung, dass Angebotspolitik einen langen Atem braucht. Erfolge werden nicht schnell sichtbar. Die Politik darf die mittelfristige Perspektive nicht aus dem Auge verlieren.“476
Als Nachfolger von Schneider wurde Juergen B. Donges, der als Vertreter des ordnungspolitischen Ansatzes der Wirtschaftspolitik galt, 1992 in den SVR kooptiert. Die ökonomischen Schwierigkeiten blieben bestehen und auch Westdeutschland geriet Anfang der 1990er Jahre in eine tiefe Rezession, die zu einem neuerlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führte.477 Aufgrund der hohen Arbeitslosenquote kam es 1993 schließlich zu einer Diskussion um tiefer liegende Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft. Letztere wurden in einem 472 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1991/92: Die wirtschaftliche Integration in Deutschland. Perspektiven – Wege – Risiken, Stuttgart 1991, Rn. 1. 473 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1993/94: Zeit zum Handeln – Antriebskräfte stärken, Stuttgart 1993, Rn. 387. 474 Sachverständigenrat, JG 91/92, Rn. 3. 475 Ebd., Rn. 26. 476 Ebd., Rn. 46. 477 Vgl. Zohlnhöfer, Beschäftigungspolitik, S. 23f.
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vom Kabinett verabschiedeten Papier „Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland“ auch zutreffend benannt, doch Reformen ließen auf sich warten. Der Versuch des neuen Bundeswirtschaftsministers Günter Rexrodt, die „Konzertierte Aktion“ wiederzubeleben, blieb vorerst erfolglos.478 1993 erschien ein „Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm“, dass jedoch keine Reform der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik vorsah, wie sie sowohl seitens des SVR als auch von Politikern u.a. des Arbeitnehmerflügels gefordert wurde.479 Die deutsche Einheit hatte in der Finanz- und der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu gewissen Pfadabweichungen geführt, die die Koalition ab 1993 wieder beheben wollte.480 Die zunehmende Arbeitslosigkeit musste sich aus diesem Grund dem Ziel der Wachstumssteigerung unterordnen, denn Wachstum wurde als Voraussetzung für Investitionen angesehen, die dann verstärkt in neue Arbeitsplätze münden sollte. „Die wachstumsorientierte Politik der Bundesregierung, zu der es auch nach Auffassung des SVR keine Alternative gibt, wird ergänzt durch arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen.“481
Der JWB 94 widmete sich dem von der Regierung im selben Jahr initiierten „Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung“. Im Hinblick auf die kommenden Wahlen sollte das Programm Kernelement der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Bundesregierung sein: „Die Bundesregierung hat ein Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung abgeschlossen. Es wird [...] als integraler Bestandteil des JWB 1994 vorgestellt.“482
Dabei wurde wiederholt festgestellt, dass nur eine mittelfristig angelegte Wirtschaftspolitik die Probleme lösen könne. Der SVR stimmte mit der Bundesregierung in dieser Frage überein, war jedoch der Meinung, dass das Aktionspro-
478
Vgl. Andersen, Uwe, Günter Rexrodt, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 535-539, hier: S. 537. 479 Vgl. Zohlnhöfer, Beschäftigungspolitik, S. 25. 480 Vgl. ebd., S. 29. 481 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1994 der Bundesregierung, Bonn 1994, Rn. 22. 482 Ebd., S. 5.
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gramm der christlich-liberalen Koalition zu kurz griff, um die Probleme der außergewöhnlichen wirtschaftspolitischen Situation nach der Wende zu lösen. „Mit Recht weist der SVR darauf hin, dass eine durchgreifende und nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungslage nicht kurzfristig als Ergebnis einer konjunkturellen Erholung zu erwarten ist, sondern konsequentes Festhalten an einer langfristig orientierten Politik erfordert, die die Voraussetzungen für Wachstum verbessert.“483
Pohl wurde 1994 durch den Keynesianer Franz abgelöst. Mit den Professoren Donges und Hax waren nun zwei ordnungspolitisch orientierte Wissenschaftler vertreten, deren Positionen von CDU-Mitglied Peffekoven unterstützt wurden. Siebert galt als parteipolitisch unabhängig. Franz war von den Gewerkschaften berufen worden, wandte sich jedoch schnell von der keynesianischen Theorie ab und unterstützte die Ratsmehrheit in ihrer angebotspolitischen Ausrichtung. Im Jahr 1994 kam es trotz dieser homogenen Ratsbesetzung zu einer Auseinandersetzung mit der Regierung, deren Auslöser die Diskussion um die Pflegeversicherung war. Der Bundestag hatte hierzu eine konkrete Problemerörterung vom SVR gefordert, die den Rat veranlasste, am 18. März 1994 ein Sondergutachten zur „wissenschaftlichen Beratung“ zu veröffentlichen. „Der Bundestagsbeschluss zur Pflegeversicherung sieht im Gegensatz zur bisherigen Konzeption des SVR vor, dass der SVR sich zu einer von vornherein stark eingeengten Frage in Bezug auf eine spezielle sozialpolitische Maßnahme äußern soll. Dabei wird eine auf der politischen Eben zutreffende Entscheidung unmittelbar mit dem Ergebnis der Stellungnahme des Rates verknüpft.“484
Der SVR weigerte sich, eine Stellungnahme zur Pflegeversicherung abzugeben, da das Gremium sich durch den konkreten Auftrag in seiner wissenschaftlichen Unabhängigkeit verletzt sah. „Mit einem derartigen Auftrag würde der SVR in politische Entscheidungen eingebunden und unmittelbar an tagespolitischen Auseinandersetzungen beteiligt. Damit würde ein Präzedenzfall geschaffen. Es läge nahe, in Zukunft auch in anderen Fällen Schwierigkeiten im Prozess der politischen Entscheidungsfindung zu umgehen, indem kontroverse Entscheidungen zwar nicht rechtsverbindlich, aber doch faktisch dem SVR zugeschoben würden. Der Rat würde dadurch unmittelbar in Auseinandersetzungen über politische Streitfragen hineingezogen. In dem Maße, wie er an 483
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 94, Rn. 25. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1994/95: Den Aufschwung sichern – Arbeitsplätze schaffen, Stuttgart 1994, Anhang IV, Rn. 17. 484
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politischen Entscheidungen unmittelbar beteiligt wäre, würde seine Autorität als unabhängiges wissenschaftliches Gremium dahinschwinden“485
Dass eine konkrete Stellungnahme des SVR zur Pflegeversicherung in Auftrag gegeben wurde, ist primär auf die vermehrten Anforderungen an die Politik zurückzuführen, die auch die Erwartungen an die Politikberatung veränderten.486 In zunehmendem Maße waren politische Bereiche voneinander abhängig und es entstanden in den 1990er Jahren vermehrt Beratungsgremien, die der Regierung und dem Parlament direkt zuarbeiteten. So gab es in der zwölften Legislaturperiode insgesamt 127 Beiräte und Sachverständigenkommissionen.487 Diese Veränderungen im Bereich der Politikberatung berührten in der Debatte um die Pflegeversicherung erstmals auch den SVR, der um konkrete Handlungsanweisungen gebeten wurde. Die Diskussion überrascht jedoch insofern, als dass der Rat schon zuvor häufig konkrete Vorschläge unterbreitet hat, die von der Regierung übernommen wurden. Vielmehr scheint die heftige Reaktion des Rates zu zeigen, dass nach außen dennoch das Bild eines unabhängigen Gremiums bestehen bleiben sollte. Denn in diesem begründet sich letztlich auch die Autorität des SVR. Dass das Gremium sehr homogen besetzt war und die Regierung starken Einfluss auf die Auswahl der Wissenschaftler hatte, machte den Rat vor allem von Seiten der Opposition angreifbar. Die Reaktion auf die Pflegeversicherungsdebatte half sicherlich auch Regierungskritiker zu beruhigen. In der Arbeitsmarktpolitik kritisierte die Regierung im JWB 96 „Vorrang für Beschäftigung“488 die Tarifabschlüsse, da „die Lohnentwicklung [...] der wirtschaftlichen Entwicklung weit vorauseilt. Auch der SVR sieht hierin einen schweren Fehler.“489 Mit dem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung“ im April 1996 sollten in erster Linie die aktiven Maßnahmen der Arbeits-
485
Sachverständigenrat, JG 94/95, Anhang IV, Rn. 18. Vgl. Gohl, Christopher, Eine gut beratende Demokratie ist eine gut beratene Demokratie, in: Dagger, Steffen u.a. (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland. Praxis und Perspektiven, Wiesbaden 2004, S. 200-215, hier: S. 203. 487 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Drucksache 12/8378. Wissenschaftliche Beratung und Information in der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland vom 18.08.1994, Bonn 1994, S. 15ff. 488 Seit 1996 enthält der JWB einen Titel, der den inhaltlichen Schwerpunkt des Berichtes verdeutlicht. 489 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1996 der Bundesregierung: Vorrang für Beschäftigung, Bonn 1996, Rn. 22. 486
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marktpolitik verbessert werden490, doch dem SVR gingen die Maßnahmen nicht weit genug. Der Konflikt zwischen BMWi und SVR wurde in einem am 27. April 1996 erschienenen Sondergutachten „Zum wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf im Frühjahr 1996“ deutlich, das die Arbeitsmarktpolitik der Regierung rügte: „Obwohl nach langjährigen Debatten in der Öffentlichkeit die Ursachen für die gesamtwirtschaftlichen Fehlentwicklungen bekannt sind und Therapievorschläge auf dem Tisch liegen, darunter im „Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze“ im JWB 1996 der Bundesregierung, dominierte im politischen Prozess das Zaudern, wurde zu viel zu lange in der Schwebe gehalten. Das Werben des SVR für eine verlässlich mittelfristig angelegte wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik in Verbindung mit einer konsequent beschäftigungsorientierten Lohnpolitik war, bisher jedenfalls, erfolglos.“491
Die Kritik des SVR zielte auf das strukturell nicht gelöste Problem der steigenden Arbeitslosigkeit ab. Unter der Regierung Kohl gab es 1996 mit dem „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ und 1997 mit dem „Bündnis für Arbeit Ost“ zwar schon Vorläufer für das rot-grüne „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“, doch als sich die Legislaturperiode dem Ende neigte, war die Arbeitslosigkeit nicht gesunken. Aus diesem Grund befasste sich auch der JWB 97 mit „Reformen für Beschäftigung“492 Die Umsetzungsprobleme der Arbeitsmarktprogramme wurden hierin auf die fehlende Kooperation zwischen Politik und Tarifpartnern zurückgeführt: „Die Bundesregierung hat [...] einen Großteil ihrer Zusagen erfüllt, die sie im Rahmen des ‚Bündnisses für Arbeit und zur Standortsicherung’ am 23. Januar 1996 abgegeben hat. Der Tarifpolitik kommt bei der Sicherung und Stärkung der Beschäftigung ebenfalls zentrale Bedeutung zu. Der SVR weist deutlich auf die Verantwortung der Tarifpartner hin und warnt zu Recht vor einem falschen Rollenverständnis zwischen Staat und Tarifvertragsparteien.“493
490
Vgl. Zohlnhöfer, Beschäftigungspolitik, S. 24. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1996/97: Reformen voranbringen, Stuttgart 1996, Rn. 2. 492 Gloe, Markus, Expertengremien im System Schröder, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hrsg.), Kanzler und Minister 1998-2005. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008, S. 108-133, hier: S. 129. 493 Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1997 der Bundesregierung: Reformen für Beschäftigung, Bonn 1997, Rn. 23. 491
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5 Empirische Untersuchung
Da sich die Bundesregierung der Widerstände der Tarifparteien bewusst war, wurde wiederum Bezug auf den SVR genommen, um die Entscheidung wissenschaftlich zu untermauern. „Die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen an die Tarifpolitik bleiben hoch. Wenn die Beschäftigungskrise überwunden werden soll – so auch der SVR -, gibt es in den nächsten Jahren keine Alternative zu einer moderaten Lohnpolitik und zu weiterer Flexibilisierung von Lohnbildung und Arbeitszeit.“494
Da Ratsmitglied Franz von seiner keynesianischen Meinung abgerückt war und das Gremium in seiner angebotspolitischen Ausrichtung unterstützte, war die nachfragepolitische Position, wie sie die Gewerkschaften befürworteten, nicht mehr vertreten. Der Rat befürwortete auch die Privatisierungsbestrebungen der christlich-liberalen Koalition, die gegen Ende der Legislatur noch einmal betont wurden, indem ein Gremium eingesetzt wurde, um entsprechende Reformen einzuleiten. „Der von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ hat zahlreiche Vorschläge zur Rückführung von Staatstätigkeit, zum Abbau überflüssiger Bürokratie und zur Modernisierung der Verwaltung vorgelegt, die jetzt umzusetzen sind.“495
Die Wortschöpfung „Schlanker Staat“ lehnte sich an das wirtschaftswissenschaftliche Konzept des „schlanken Managements“ an. Und auch der JWB 98 „Den Aufschwung voranbringen – Arbeitsplätze schaffen“ war ein Plädoyer für eine angebotspolitische, unternehmerfreundliche Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. „Eine langfristig orientierte Wirtschaftspolitik, die einen verlässlichen Rahmen und günstige Bedingungen für Investoren schafft, ist der Kern der angebotspolitischen Konzeption, die der SVR in seinem JG 76/77 erstmals präsentiert und im jüngsten Gutachten noch einmal prägnant dargestellt hat.“496
Kurz vor der Bundestagswahl 1998, in deren Wahlkampf das Thema Wirtschaftspolitik insbesondere durch die hohe Arbeitslosigkeit dominiert wurde497, klang der JWB wie eine Rechtfertigung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen der 494
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 97, Rn. 24. Ebd., Rn. 61. Bundesministerium für Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1998 der Bundesregierung: Den Aufschwung voranbringen – Arbeitsplätze schaffen, Berlin 1998, Rn. 7. 497 Vgl. Jäger, Kohl, S. 377. 495 496
5.3 Die dritte Phase 1982-1998: Wirtschaftspolitische „Wende“ und Wiedervereinigung
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vergangenen Legislaturperioden, da „manche Kritiker[...] wegen der im letzten Jahr noch weiter gestiegenen Arbeitslosigkeit die Wirksamkeit der Angebotspolitik in Frage [stellen]. Sie unterschätzen vor allem den Zeitbedarf einer mittelfristig ausgerichteten Politik.“498 5.3.3
Zusammenfassung
Die dritte Phase war stark durch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und die wirtschaftspolitischen Neuerungen aufgrund der Wiedervereinigung geprägt. Die Regierung unter Bundeskanzler Kohl und seinem Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff setzte zu Beginn der Regierungszeit verstärkt auf angebotspolitische Lösungen. Sie kritisierte die Politik der Vorgängerregierung, die zu einer stetigen Verschuldung des Staates geführt hatte und setzte im Gegensatz dazu auf vermehrte Privatisierungspolitik. Die Ausrichtung der Wirtschaftpolitik und deren angebotspolitische Merkmale wurden von der Ratsmehrheit zu großen Teilen mitgetragen. Lediglich die von Gewerkschaftsseite unterstützten Wissenschaftler Krupp, Mertens und Pohl gaben in dieser Zeit stetig MHV für mehr Nachfragepolitik ab. Abgesehen davon war der SVR in dieser Phase homogen besetzt: die Mehrheit der Mitglieder war entweder CDU-Mitglied oder vertrat angebotspolitische Positionen. Der Einfluss des Bundeskanzlers und des BMWi ist dabei unverkennbar. Der Rat wurde mit hauseigenen Wissenschaftlern besetzt. Und so konnte die angebotspolitische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, wie sie der SVR in den 1970er Jahren bereits gefordert hatte, auch praktisch umgesetzt werden. Dennoch war in der dritten Phase nur ein vorsichtiger Politikwechsel zu erkennen499, was primär auf die deutsche Wiedervereinigung zurückzuführen ist. Sie bestärkte den „Primat der Politik“ und den Einfluss des Bundeskanzlers. In Folge der Wiedervereinigung dominierte in den ersten Jahren in vielen Bereichen eine vergleichsweise breite Übereinstimmung in wirtschaftsund sozialpolitischen Fragen, ein „Vereinigungskonsens“, der auch durch den SVR mitgetragen wurde.500 Dies zeigt sich deutlich in der Abnahme der Anzahl 498
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 98, Rn. 7. Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 299. 500 Vgl. ebd., S. 301. 499
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5 Empirische Untersuchung
an MHV. Die Kritik an der Regierungspolitik durch den SVR vermehrte sich erst wieder gegen Ende der Legislatur, als die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen des Rates nicht umgesetzt wurden. Eine Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik lässt sich in dieser dritten Phase jedoch aus zwei Gründen nicht ableiten. Zunächst war durch Franz’ Positionswechsel im Rat nur noch eine wirtschaftspolitische Richtung vertreten. D.h. Alternativvorschläge zu angebotspolitischen Lösungen konnten vom SVR nicht mehr erwartet werden. Zum anderen wurden lediglich die Vorschläge auch tatsächlich umgesetzt, die in das regierungspolitische Konzept passten. Sehr deutlich wurde dies nach der Wiedervereinigung, als der Rat nicht die Meinung des Kanzlers wiedergab und die Empfehlungen des SVR zu einer schrittweisen Währungsreform nicht umgesetzt wurden. Die beiden Ebenen der Entpolitisierung des SVR nach innen und der entpolitisierenden Wirkung nach außen waren in der dritten Phase nicht gewährleistet. Insofern konnte vor dem Hintergrund dieser Analyse keine rationale Wirtschaftspolitik durch den SVR gefördert werden. 5.4
Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik?
5.4.1
Wirtschaftspolitische Themenschwerpunkte
Nach dem Regierungswechsel im Oktober 1998 und der Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen rückten wieder vermehrt nachfragepolitische Maßnahmen in den Vordergrund. Unterstützt wurde diese Wende sowohl vom DIW als auch von den Gewerkschaften.501 Die SPD hatte im Wahlkampf 1998 erfolgreich mit dem Leitmotiv „Innovation und soziale Gerechtigkeit“ geworben und die Reformen der Vorgängerregierung bei Kündigungsschutz, Renten- und Krankenversicherung oder Entgeltfortzahlung als „sozial unausgewogen“502 kritisiert. In seiner Regierungserklärung kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder dann 501
Vgl. Donges/Freytag, Wirtschaftspolitik, S. 300. Eichhorst, Werner/Zimmermann, Klaus F., Eine wirtschaftspolitische Bilanz der rot-grünen Bundesregierung, in: APuZ (43/2005), Bonn 2005, S. 11-17, hier: S. 12. 502
5.4 Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik?
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auch fundamentale politische Reformen, insbesondere in der Arbeitsmarktpolitik, an: „Wir wollen uns jederzeit – nicht erst in vier Jahren – daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen“503.
Mit arbeitsmarktpolitischen Programmen und einer Neuauflage des „Bündnisses für Arbeit“ sollte das Regierungsziel erreicht werden.504 SPD und Grüne vereinbarten dazu im Koalitionsvertrag ein „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“505. Teil der reformorientierten Politik war auch die Eingliederung der „Grundsatzabteilung“ des BMWi in das BMF unter Leitung von Oskar Lafontaine. Diese Abteilung hat die wichtige Aufgabe, bei der Regierungsarbeit auf Konsistenz und Langfristorientierung in der Wirtschaftspolitik zu drängen, in das BMF unter der. Das BMF konnte sich nun in maßgeblichen wirtschaftspolitischen Fragen selbst kontrollieren und mithin interne Kritik abwehren.506 Am 7. Dezember 1998 kam es unter Leitung Schröders zum ersten Treffen im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“.507 In den Folgejahren griff Schröder vermehrt auf Bündnisse und auf die Zuarbeit von Kommissionen zurück, um im Gegensatz zu seiner Vorgängerregierung diese sehr öffentlichkeitswirksam einzusetzen und sie auch zu nutzen, um Agenda-Schwerpunkte in die Öffentlichkeit zu tragen. Für die Arbeitsmarktpolitik hatte die Hartz-Kommission eine erhebliche Bedeutung, doch das wohl einschneidendste Reformvorhaben in der Arbeitsmarktpolitik war die „Agenda 2010“. Diese wird im Folgenden auch einer der Untersuchungsschwerpunkte der vierten Phase sein, da die Agenda und 503 Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 10.11.1998 vor dem Deutschen Bundestag, Regierungonline, aufgerufen am 19.05.2009, Rn. 2. 504 Vgl. Siefken, Sven T., Die Arbeit der so genannten Hartz-Kommission und ihre Rolle im politischen Prozess, in: Falk, Svenja, u.a. Hrsg.), Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006, S. 374-389, hier: S. 374. 505 Bündnis 90/Die Grünen, Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert: Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen, vom 20.10.1998, aufgerufen am 19.06.2009, I 2. 506 Vgl. Donges, Politikberatung, S. 245. 507 Vgl. Gloe, Expertengremien, S. 111.
122
5 Empirische Untersuchung
der von Schröder angestrebte „Dritte Weg“ auch Veränderungen der Arbeit des SVR zeigten. Wie sich der Rat zusammensetzte, in welchem Verhältnis er zu den neu aufkommenden Beratungsgremien stand und ob er eine entpolitisierende Wirkung auf die Wirtschaftspolitik der Regierung ausüben konnte, soll in der folgenden vierten Phase analysiert werden. 5.4.2
Der Sachverständigenrat und der „Dritte Weg“
Der erste JWB unter der neuen rot-grünen Regierung „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“ hatte mit der Neubesetzung und Umstrukturierung des BMF und des BMWi auch einen neuen Aufbau, in dem die separate Stellungnahme zum JG 98/99 auffällt, wie sie auch in den Jahren vor 1982 gängig war. Der Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik wurde auch im JWB angekündigt: „Mehr Beschäftigung und ein gesichertes, leistungsgerechtes Einkommen erfordern einen problemadäquaten Policy Mix aus Angebots- und Nachfragepolitik. Ordnungs- und Prozesspolitik müssen sich also gegenseitig ergänzen. Erst eine ausreichende Gesamtnachfrage lässt angebotspolitische Verbesserungen auch zugunsten von Beschäftigungswachstum lohnend erscheinen.“508
Eines der Hauptziele der neuen Regierung war die Senkung der Arbeitslosenquote. Im Gegensatz zur Vorgängerregierung wurde deutlich darauf hingewiesen, dass Angebotspolitik nicht die einzige Alternative sei, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. „Mit den grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Ausführungen des Rates besteht insoweit Übereinstimmung als die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit absolute Priorität besitzt. Der Rat sieht wie bisher allein in der Verbesserung der Angebotsbedingungen den geeigneten wirtschaftspolitischen Ansatz. Es ist Stand der Wissenschaft, dass mit Angebotspolitik die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gesteigert werden kann. Diese ist jedoch nur eine notwendige, keinesfalls eine hinreichende Bedingung für mehr Wachstum und Beschäftigung.“i
Die Bundesregierung betonte, dass eine Steigerung der Beschäftigungszahlen auch „von einer ausreichenden Nachfrage bei stabilen Preisen ab[hänge].“509 Dass neben der Nachfragepolitik auch die Lohnpolitik eine verstärkte Rolle 508
Bundesministerium für Finanzen, Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung: Neue Wege zu mehr Beschäftigung, Berlin 1999, Rn. 64. 509 Ebd.
5.4 Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik?
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einnahm, zeigte sich in den Kernaussagen des „Bündnisses für Arbeit“ mit dem ein „ausgewogener Mix aus Nachfrage- und Angebotspolitik“ 510 umgesetzt werden sollte und „den angebotspolitischen Aspekten [...] ebenso wie nachfragepolitischen Aspekten gleichermaßen Bedeutung [beimisst]. Die Bundesregierung sieht in dem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ein geeignetes Instrument, diesen Anforderungen Rechnung zu tragen.“511
Das zentrale wirtschaftspolitische Instrument der neuen Regierung zielte auf eine Konzertierung von Regierung und Sozialpartnern im Rahmen des Bündnisses. Allerdings konnte eine Koordinierung der zentralen wirtschaftspolitischen Akteure in diesem Gremium nur schwerlich erreicht werden. Eine Einbindung der Zentralbank war z.B. nicht möglich, da geldpolitische Entscheidungen seit dem 1. Januar 1999 durch die Europäische Zentralbank getroffen wurden. Der SVR forderte die Tarifvertragsparteien zu weiterer Lohnzurückhaltung auf, doch die rot-grüne Bundesregierung ergänzte mit einer mittelfristigen Perspektive und der Berücksichtigung der Nachfrageseite die Forderungen des Rates bzgl. der Lohnpolitik: „Wie auch in den vergangenen Jahren mahnt der Rat dazu, den Pfad der Lohnzurückhaltung nicht zu verlassen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Lohnpolitik einen beschäftigungsfördernden Kurs fahren sollte, der sich an der mittelfristigen Produktivitätsentwicklung orientiert und nicht zu rückläufigen Lohnstückkosten führt. Die Mindestanforderungen, die nach Einschätzung der Gutachter erfüllt sein müssen, um dem ‚Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit’ realistische Erfolgsaussichten einzuräumen, sind relativ anspruchsvoll, aber auch nach Meinung des Rates keineswegs unerfüllbar.“512
Dennoch überraschen die Übereinstimmungen zwischen JG und JWB, da die Besetzung des SVR stark durch die angebotspolitische Ausrichtung geprägt war. Da die Arbeitsmarktpolitik der Regierung Kohl in den vergangenen Jahren nicht gefruchtet hatte und die Sozialdemokraten nicht mehr nur auf nachfragepolitische Wirtschaftspolitik setzten, wurde eine inhaltliche Kongruenz zwischen Rat und Regierung möglich. Wichtigster Unterstützer einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik war der am 1. März 1999 kooptierte Jürgen Kromphardt, der 510
Bundesfinanzministerium, JWB 99, Rn. 51. Ebd. 512 Ebd., Rn. 149. 511
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als Keynes-Anhänger galt und durch eine veränderte Lohnpolitik mehr Nachfrage erreichen wollte.513 Dennoch sah sich die Regierung zunächst mit einem Gremium konfrontiert, in dem vier von fünf Mitgliedern angebotspolitische Positionen vertraten und lediglich Kromphardt in MHV für Nachfragepolitik eintrat. Aufgrund der finanziellen Belastungen durch die Einheit, und verstärkt durch den Druck des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, wurde die Privatisierungspolitik der Regierung Kohl weitergeführt.514 So kam es bezüglich dieses wirtschaftspolitischen Aspektes im Gegensatz zur Fiskalpolitik nach 1998 zu keinem Politikwechsel.515 Die finanzpolitische Ausrichtung der rot-grünen Regierung änderte sich jedoch nach einem Regierungsjahr erheblich. Nach der klassisch-sozialdemokratischen Wende 1998 folgte schon 1999 die erneute Wende. Mit Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Lafontaine hatten sich zuvor zwei verschiedene wirtschafts- und fiskalpolitische Konzeptionen gegenüber gestanden. Während Schröder schon bald hohe Arbeitskosten für die Arbeitslosigkeit verantwortlich machte, ging Lafontaine weiter von einer Nachfrageschwäche aus.516 Spätestens durch das „Schröder-Blair-Papier“517 im Jahr 1999 wurde deutlich, dass die SPD-Spitze in Zukunft einen „Dritten Weg“ einschlagen wollte. Die nachfrageorientierte Globalsteuerung verlor nach dem Rückzug Lafontaines aus dem Amt des Bundesfinanzministers an Gewicht, und angebotsorientierte Strategien der Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik rückten in den Vordergrund.518 So erarbeitete Lafontaines Nachfolger Hans
513
Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1999/00: Wirtschaftspolitik unter Reformdruck, Stuttgart 1999, Rn. 366; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2001/02: Für Stetigkeit – gegen Aktionismus, Stuttgart 2001, Rn. 432f. 514 Vgl. Mayer, Privatisierungspolitik, S. 238. 515 Vgl. ebd., S. 239. 516 Vgl. Dörre, Klaus, Die SPD in der Zerreißprobe. Auf dem „Dritten Weg“, in: ders. u.a. (Hrsg.), Die Strategie der „Neuen Mitte“. Verabschiedet sich die moderne Sozialdemokratie als Reformpartei?, Hamburg 1999, S. 6-24, hier: S. 6. 517 Ebd., S. 7. 518 Vgl. Schmid, Josef, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik – große Reform mit kleiner Wirkung?, in: Egle, Christoph/Zohlnhöfer, Reimut (Hrsg.), Ende des rot-grünen Projektes. Eine Bilanz der Regierung Schröder 2002-2005, Wiesbaden 2007, S. 271-294, hier: S. 275.
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Eichel ein 15-Milliarden-Euro Sparpaket, das auch starke Einschnitte bei Sozialleistungen vorsah.519 Nach der verlorenen Wahl in Hessen 1999 war ein Regieren ohne CDU und FDP, die seitdem im Bundesrat die Mehrheit besaßen, kaum mehr möglich. So kam es zunehmend zu parteiübergreifenden Konsensgesprächen.520 Auch das im selben Jahr beschlossene „Zukunftsprogramm der Bundesregierung zur Sicherung von Arbeit, Wachstum und sozialer Stabilität“ ähnelte dem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung“ der Regierung Kohl aus dem Jahr 1996 insofern, als dass es ebenfalls Kürzungen im Sozialbereich und Verschiebungen der Kosten von der Bundes- auf die Länder- und Gemeindebene beinhaltete.521 Der JWB 00 mit dem Titel „Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähigkeit gewinnen“ grenzte sich in Bezug auf das Verhältnis von Nachfrage- und Angebotspolitik deutlich von der SVR-Mehrheit ab: „Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Rates, dass eine wirksame Politik für mehr Beschäftigung grundsätzlich einer Verbindung von geeigneten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Strukturreformen bedarf. Sie teilt nicht die Auffassung des Rates, dass die gegenwärtige Beschäftigungskrise in Deutschland ausschließlich auf Funktionsmängel in der marktwirtschaftlichen Anpassung zurückzuführen ist, dass folglich Angebotspolitik die einzig wirksame Politik sei.“522
Noch immer dominierten im Rat die Vertreter der angebotspolitischen Positionen und nur Kromphardt unterstützte nachfragepolitische Positionen. Dass das „Bündnis für Arbeit“ nicht die von der Ratsmehrheit empfohlenen Instrumentarien für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bereit hielt, wurde durch die Rechtfertigung der Bundesregierung im JWB, speziell in Bezug auf die neuerlichen Bemühungen deutlich, die „autonomen“ Gruppen in Konsensgesprächen mit der Regierungspolitik in Einklang zu bringen. Diese Konzertierung wurde notwendig, weil als „neue Form der Arbeitskostensenkung“523 die Reduzierung der Lohnne519
Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 305. Vgl. Gloe, Expertengremien, S. 112. 521 Vgl. Butterwegge, Christoph, Krise und Zukunft des Sozialstaates, Wiesbaden 2006, S. 168. 522 Bundesministerium für Finanzen, Jahreswirtschaftsbericht 2000 der Bundesregierung: Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähigkeit gewinnen, Berlin 2000, Rn. 170. 523 Mendl, Michael, Die Faszination des „einfachen Denkens“. Eine Ideologiekritik der Politischen Ökonomie des „Dritten Weges“, in: Dörre, Klaus, u.a. (Hrsg.), Die Strategie der „Neuen Mitte“. Verabschiedet sich die moderne Sozialdemokratie als Reformpartei?, Hamburg 1999, S. 148-158, hier: S. 150. 520
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benkosten als Eckpunkt der neuen wirtschaftspolitischen Ausrichtung galt. Dass der JWB sich in seiner Argumentation nicht der MHV Kromphardts bediente, zeigte, dass die nachfragepolitische Position nicht im Mittelpunkt der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik stand. „Der Rat misst dem ‚Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit’ nicht die hohe Bedeutung zu, wie die Bundesregierung. Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung des Rates, dass institutionalisierte Gespräche zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland wesensfremd seien. Sie ist der Ansicht, dass die Kooperation zwischen den wirtschaftspolitischen Akteuren die Soziale Marktwirtschaft von Anfang an geprägt und ihren Erfolg mitbegründet hat.“524
Der große Einfluss des BMWi auf die Besetzung des SVR wurde durch die Berufungen in den Jahren 2000 und 2001 deutlich. Der parteilose Bundeswirtschaftsminister Werner Müller kooptierte jeweils ein SPD-Mitglied ins Gremium, sodass für den angebotspolitisch orientierten Hax im Jahr 2000 Rürup in den Rat kam, der bereits in verschiedenen Regierungskommissionen mitgearbeitet hatte: Von 1992-2002 war er in der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages „Demografischer Wandel“ und von 1999 bis 2001 Mitglied im Expertenkreis des Bundesarbeitsministers zur Vorbereitung der Rentenreform 2001. Ab 2002 bekam er auch den Vorsitz in der „Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkommen“ und in der „Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“, die besser bekannt ist als die RürupKommission. Doch dass mit dieser Neubesetzung mit parteiinternen Wissenschaftlern keineswegs der Weg zurück zur Nachfragepolitik vollzogen wurde, zeigten die folgenden Jahre. Lediglich Kromphardt sah bei einer arbeitgeberfreundlichen Lohnpolitik das Problem einer zu geringen Nachfrage. Es drohe die Gefahr, „dass die Lohnsenkung in den Unternehmen die konkurrierenden Betriebe ebenfalls zwingt, Lohnkürzungen durchzusetzen, sodass eine produktivitätsorientierte Lohnentwicklung verhindert“525 sei.
524
Bundesfinanzministerium, JWB 00, Rn. 171. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2000/01: Chancen auf einen höheren Wachstumspfad, Stuttgart 2000, Rn. 440. 525
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Der JWB 01 „Reformkurs fortsetzen – Wachstumsdynamik stärken“ fasste die Ergebnisse der Regierungsarbeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zusammen und führte diese primär auf das „Bündnis für Arbeit“ zurück. „Die Bundesregierung teilt die Einschätzung des Rates, dass die jüngsten Abschlüsse der Tarifpolitik dazu beigetragen haben, die Nachfrage nach Arbeitskräften zu stärken. Zu diesem positiven Ergebnis hat sicherlich beigetragen, dass über eine beschäftigungsfördernde Tarifpolitik zwischen Vertretern von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung im fünften Spitzengespräch des ‚Bündnisses für Arbeit. Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit’ am 9. Januar 2000 Einigung erzielt worden war.“526
Dass der SVR die Wirtschaftspolitik im Ganzen als positiv beurteilte, beruhte auf zwei Aspekten: zum einen auf der veränderten Ratsbesetzung, die immer stärker mit parteieigenen Mitgliedern besetzt worden war und zum anderen auf der stärkeren Mischung von nachfragepolitischen mit angebotspolitischen Instrumenten, die sich primär durch den Fokus auf niedrige Löhne zeigte. Regierung und Rat stimmten in der Politik des „Dritten Weges“ dem Kompromiss von nachfrage- und angebotspolitischen Maßnahmen überein und die SPD löste sich unter Aufgabe alter sozialdemokratischer Grundsätze von keynesianischer Wirtschaftspolitik und Globalsteuerung. „Die gesamtwirtschaftliche Grundausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik wird vom Rat als gut beurteilt. Die vom Rat betonte Notwendigkeit weiterer Strukturreformen an den Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkten wird im Grundsatz auch von der Bundesregierung so gesehen.“527
Als SPD-Mitglied Wiegard im Jahr 2001 Nachfolger des CDU-Mitglieds Peffekoven im SVR wurde, war mit Donges nur noch ein „rein“ angebotspolitisch ausgerichtetes Mitglied im SVR. Dass die anderen SVR-Mitglieder jedoch auch keine nachfragepolitischen Positionen vertraten, zeigten die MHV von Kromphardt. Als einziges Ratsmitglied setzte er sich im JG 01/02 verstärkt für Nachfragepolitik ein und forderte „dass auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit die Reallohnentwicklung [...] neben der Kostenseite auch die Nachfragerseite berücksichtigt“528 werde. Ende 2001 geriet die „Politik der ruhigen Hand“ 526
Bundesministerium für Finanzen, Jahreswirtschaftsbericht 2001 der Bundesregierung: Reformkurs fortsetzen – Wachstumsdynamik stärken, Berlin 2001, Rn. 186. 527 Ebd., Rn. 177. 528 Sachverständigenrat, JG 01/02, Rn. 13.
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angesichts der ungünstigen konjunkturellen Entwicklung und steigender Arbeitslosigkeit in die Defensive. Mit dieser Phase begann auch eine verstärkte Inanspruchnahme des Rates. Der steigende Trend der Sockelarbeitslosigkeit (diese lag Anfang der 1970er Jahre bei 150.000 Personen, stieg bis 1980 auf 800.000 und erreichte um 2001 mit 2,5 Mio. Arbeitslosen seinen vorläufigen Höhepunkt529) war ein Indikator für ein fundamentales Arbeitsmarktproblem und sollte mit dem „Job-Aqtiv-Gesetz“530 bekämpft werden.531 Dieses zielte u.a. auf primär auf eine Verbesserung der Aufgabenerfüllung durch die Arbeitsämter. Diese aus dem britischen „welfare-to-work“-Programm entlehnte Maßnahme zeigte jedoch in Deutschland nur mäßigen Erfolg.532 Das „Job-Aqtiv-Gesetz“ wurde allerdings vom SVR nur in Maßen unterstützt, da eine zu große Staatstätigkeit für die Arbeitsbekämpfung befürchtet wurde: „Die im Job-Aqtiv-Gesetz vorgesehene Erweiterung der ABM um das Instrument der ‚beschäftigungsschaffenden Infrastrukturförderung’ ist kritisch zu sehen, weil die Gefahr besteht, bei der öffentlichen Auftragsvergabe durch die Ergänzung um nicht leistungsbezogene Vergabekriterien zu verursachen.“533
Der JWB 02 „Vor einem neuen Aufschwung – Verlässliche Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen“ ignoriert diese Kritik des SVR und stellt die Konjunkturkrise in den Vordergrund. „Der SVR beurteilt die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung grundsätzlich positiv. Insbesondere teilt der SVR die Auffassung der Bundesregierung, auch in der gegenwärtigen Konjunkturschwäche am eingeschlagenen Kurs der mittelfristigen Konsolidierung festzuhalten und plädiert damit für eine ‚Politik der ruhigen Hand’.“534
Die Opposition hatte Konjunkturprogramme gefordert, doch die Regierung hatte diese Forderungen mit Unterstützung des SVR nicht erfüllt.535 2002 verließ 529
Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 448. „Aqtiv“ steht als Abkürzung für „Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln“. 531 Vgl. Siefken, Hartz-Kommission, S. 374. 532 Vgl. Reutter, Werner, Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, in: Gohr, Antonia/Seeleib-Kaiser, Martin (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftspolitik unter Rot-Grün, Wiesbaden 2003, S. 289-304, hier: S. 299. 533 Sachverständigenrat, JG 01/02, Rn. 14. 534 Bundesministerium für Finanzen, Jahreswirtschaftsbericht 2002 der Bundesregierung: Vor einem neuen Aufschwung – Verlässliche Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen, Berlin 2002, Rn. 229. 535 Vgl. Sachverständigenrat, JG 01/02, Rn. 387. 530
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Donges den Rat und der parteipolitisch unabhängige Axel A. Weber wurde kooptiert. So waren nun zwei SPD-Mitglieder, ein Keynesianer und zwei als neutral einzustufende Mitglied im Gremium vertreten. Siebert war zwar kein Parteimitglied, doch er gab MHV zu mehr Freiheit bei den Tarifverträgen ab und galt als eher wirtschaftsliberal.536 Auch Kromphardt gab weiter MHV zu der Frage nach mehr Nachfragepolitik ab und stellte fest, dass „ein Zurückbleiben des Lohnniveaus [...] nicht beschäftigungsfördernd“537 sei. Neben dem SVR waren es primär Kommissionen, die der Regierung thematisch zuarbeiten sollten. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik war die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ von großer Bedeutung für die folgenden Jahre. Wegen ihres Vorsitzenden Peter Hartz, dem damaligen VW-Personalchef, war sie besser bekannt als „Hartz-Kommission“. Der „Vermittlungsskandal“ in der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 2002, der auf gezielter Verzerrung der Statistik in den Arbeitsämtern beruhte, bot die Möglichkeit, die bis dahin blockierte Strukturreform der Arbeitsmarktpolitik in Angriff zu nehmen.538 Auch die Einrichtung der Hartz-Kommission kann als kurzfristige Reaktion darauf gewertet werden. Die Mitglieder wurden unter Leitung des Kanzleramtes gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium ausgewählt.539 Die vom Kommissionsbericht angestoßenen Maßnahmen stellten zu einem erheblichen Teil eine Rücknahme der bisher betriebenen Arbeitsmarktpolitik dar. Am 16. August 2002 erfolgte die Übergabe des Berichts im Kanzleramt durch den Kommissionsvorsitzenden an Kanzler Schröder. Fünf Wochen später fand die Bundestagswahl statt, was den feierlichen Rahmen der Ergebnispräsentation erklärte.540 Schröder stellte sich vollständig hinter den Bericht der Kommission und strebte eine „Eins-zu-eins-Umsetzung“ an. Zwar bestand eine generelle Unterstützung durch die Gewerkschaftsspitzen, doch innerhalb der Gewerkschaften gab es heftige Kritik. Die Hartz-Kommission und auch die neue 536
Vgl. Sachverständigenrat, JG 01/02, Rn. 437. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2002/03: Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum, Stuttgart 2002, Rn. 659. 538 Vgl. Eichhorst/Zimmermann, Bilanz, S. 14. 539 Vgl. Siefken, Hartz-Kommission, S. 375f. 540 Vgl. ebd., S. 383. 537
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Einbindung des SVR schienen sich zu ähneln: eine vermehrte Einbindung konkreter Vorschläge dieser Gremien wurde unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit üblich. Dass die Gremien aber zum Großteil mit parteieignen Personen besetzt waren, lässt an deren wissenschaftlicher Rationalität zweifeln. Dass der Kommissionsbericht von Peter Hartz kurz vor der Bundestagswahl medienaufwendig vorgestellt wurde, macht deutlich, dass das öffentliche Bild der Regierung eine große Rolle spielte. Die von Schröder im März 2003 angekündigte „Agenda 2010“ baute die Hartz-Vorschläge dann noch aus.541 Der erste JG 02/03 „Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum“ nach der Bundestagswahl 2002 und der Weiterführung der rot-grünen Regierung kritisierte den neuen Koalitionsvertrag, da in diesem die Langfristperspektive für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik fehlte. Vor allem hatten die Vorschläge des SVR nicht die konkrete Anwendung z.B. der Hartz-Vorschläge gefunden, und die Ratsmitglieder waren der Meinung, „die wiederholt und nachdrücklich vorgebrachten Argumente und Vorschläge aus der Wissenschaft wurden hartnäckig ignoriert“.542 „Das in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung vom 16. Oktober 2002 sowie in den Ad-hoc-Maßnahmen und den Vorschaltgesetzen angelegte Kurieren an den Symptomen ist der falsche Weg. Notwendig ist vielmehr eine schonungslose Diagnose, denn nur auf ihr lässt sich eine langfristig orientierte, ganzheitliche Therapie aufbauen.“543
Um größeren Einfluss auf die konkrete Politik-Umsetzung zu haben, stellte der SVR im JG 02/03 ein „Zwanzig-Punkte-Programm“ auf, das zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt werden sollte. Es wurden z.B. Steuersenkungen und eine Rückführung der Staatstätigkeiten gefordert. Aber auch mit Blick auf weitere Forderungen musste sich die deutsche Wirtschaft zufrieden mit den Vorschlägen zeigen.544 So waren die Vorschläge des SVR zur Arbeitsmarktpolitik z.B. gekennzeichnet durch die Befristung von Arbeitslosengeld, die Integration der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe und durch eine Reform der Sozialhilfe.545 541
Vgl. Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 306. Sachverständigenrat, JG 02/03, Rn. 353. Ebd., Rn. 18. 544 Vgl. ebd., Rn. 374ff. 545 Vgl. ebd., Rn. 472ff. 542 543
5.4 Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik?
131
Ratsmitglied Siebert trat in einem MHV sogar für eine noch stärkere Kürzung des Arbeitslosengeldes ein.546 Bemerkenswert für die Entwicklung des SVR ist, dass viele Punkte aus dem „Zwanzig-Punkte-Programm“ im Folgejahr konkret in die „Agenda 2010“ aufgenommen wurden. Auch wenn die Vorschläge zur Lohn- und Arbeitsmarktpolitik in der Vergangenheit nicht zu den erfolgreichsten des Rates gezählt hatten, so war sich die Regierung bewusst, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit positiven Reaktionen der Öffentlichkeit zu rechnen war. Die Absicherung durch wissenschaftliche Expertise schien günstig, denn die Mehrheit der Ratsmitglieder unterstützte die Regierungsarbeit.547 Kritik an dem „ZwanzigPunkte-Programm“ kam in Form eines „Blauen Briefes für falsche Wirtschaftspolitik“ von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die die nachfragepolitischen Ziele in diesem Programm vernachlässigt sah.548 Ratsintern äußerte Kromphardt Kritik. Er war noch immer nicht der Meinung, dass „die Entwicklung des Lohnniveaus [...] zur desolaten Lage auf dem Arbeitmarkt beigetragen“549 habe. Dies jedoch war eine der Kernaussagen des „Zwanzig-Punkte-Programms“. Als der JWB 03 „Allianz für Erneuerung – Reformen gemeinsam voranbringen“ erschien, wurde die Arbeit der Hartz-Kommission und deren Ergebnisse dargestellt. Dem SVR gingen die Vorschläge im Gegensatz zu ihrem „Zwanzig-Punkte-Programm“ noch nicht weit genug. „Die Bundesregierung teilt grundsätzlich die Auffassung des Rates, dass eine Verringerung der Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt aus konjunkturellen Gründen nicht zu erwarten ist. Sie geht aber davon aus, dass die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission wichtige positive Impulse für den Arbeitsmarkt bringt. Dieser Aspekt wird vom Rat in seiner Projektion nicht berücksichtigt.“550
Durch den großen Einfluss der Kommissionen, deren Arbeit vor allem in der breiten Öffentlichkeit einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad hatten als die JG des SVR, sah sich der Rat vor neue Herausforderungen gestellt. Um es 546
Vgl. Sachverständigenrat, JG 02/03, Rn. 451. Vgl. Panel I, Die Jahresgutachten des Sachverständigenrates im Spiegel der Politik, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), 40 Jahre Sachverständigenrat. 1963-2003, Wiesbaden 2003, S. 47-62, hier: S. 51. 548 Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2002. Kurzfassung, Köln 2002, S. 1. 549 Sachverständigenrat, JG 02/03, Rn. 351. 550 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Jahreswirtschaftsbericht 2003 der Bundesregierung: Allianz für Erneuerung – Reformen gemeinsam voranbringen, Berlin 2003, Rn. 11. 547
132
5 Empirische Untersuchung
zugespitzt zu formulieren: Der Schwerpunkt wurde vom SVR vermehrt auf tagespolitische Probleme und nicht auf langfristige Problemlösungen gelegt, obwohl diese stets vom Gremium gefordert wurden. So wurde auch erstmals im JWB der Begriff „Empfehlung“ verwendet, die der SVR laut Gesetz gar nicht abgeben darf. An der „Agenda 2010“, die sich in großen Teilen auf das „Zwanzig-Punkte-Programm“ des SVR bezog, wurde der Empfehlungscharakter der JG jedoch sehr deutlich. „Die Bundesregierung verbessert durch Strukturreformen auf den Güter- und Arbeitsmärkten sowie in den sozialen Sicherungssystemen die Bedingungen für eine Erhöhung des Wachstumspotenzials und der Beschäftigungsintensität des Wachstums. Damit entspricht die Bundesregierung der Empfehlung des Rates, der dies angesichts des geringen Wachstumsbeitrages des Faktors Arbeit in den neunziger Jahren gefordert hat.“551
Franz wurde 2003 als Nachfolger von Siebert ins Gremium kooptiert – dieses Mal jedoch von der Arbeitgeberseite berufen. Und auch im JG 02/03 blieb Kromphardt das einzige SVR-Mitglied, das der starken angebotspolitischen Ausrichtung der Gremiumsmehrheit widersprach. Er konnte sich „weder der Forderung der Mehrheit nach einem Zurückbleiben der Entwicklung des Lohnniveaus hinter dem Anstieg des Verteilungsspielraums noch seiner Berechnungsmethode [...] anschließen.“552 Die Ratsmehrheit berief sich primär auf die Umsetzung der „Agenda 2010“, da viele Forderungen des SVR in der Agenda verwirklicht worden waren und der Rat feststellte: „In diesem Jahr fällt die Beurteilung der Wirtschaftspolitik deutlich besser aus. Mit der „Agenda 2010“ hat die Bundesregierung mutige und in einzelnen Bereichen weit reichende Reformen auf den Weg gebracht. Viele der vom SVR – aber natürlich auch von anderen Wissenschaftlern und Beratungsgremien – aufgezeigten Reformnotwendigkeiten in den Systemen der Sozialen Sicherung und auf den Arbeitsmärkten sind mittlerweile von der Politik aufgegriffen worden.“553
Bemerkenswert ist, dass der SVR ganz deutlich die anderen Beratungsgremien erwähnte und den Erfolg der Reformen auch auf deren Arbeit zurückführte. Der
551
Bundeswirtschaftsministerium, JWB 03, Rn. 20. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2003/04: Staatsfinanzen konsolidieren – Steuersystem reformieren, Stuttgart 2003, Rn. 659. 553 Ebd., Rn. 390. 552
5.4 Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik?
133
JWB 04 „Leistung, Innovation, Wachstum“ befasste sich mit der „Agenda 2010“, ihrer Umsetzung und ihren Ergebnissen: „Mehr Wachstum und Beschäftigung schaffen, die Arbeitslosigkeit verringern und am Ende des Jahrzehnts wieder Vollbeschäftigung erreichen – das bleiben die wirtschaftspolitischen Kernziele der Bundesregierung. Mit der Agenda 2010 hat sie wesentliche Schritte getan, um diesen Zielen näher zu kommen.“554
Mit diesem Lob der Agenda sollte v.a. den sehr negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit auf das Programm entgegengetreten werden. 2004 kam für den parteipolitisch unabhängigen Weber die ebenfalls unabhängige Weder Di Mauro. Auch Kromphardt verließ den Rat und überließ seinen Platz Bofinger. Auf Nachfrage, wie Kromphardt die Möglichkeiten rationaler Wirtschaftspolitik einschätze, antwortete der Keynesianer: „Ohne das Vorschlagsrecht der Gewerkschaften wäre der SVR überwiegend völlig einseitig besetzt.“555 Im Gegensatz zu Pohl ist die Einschätzung Kromphardts als Hindernis für rationale Wirtschaftspolitik zu deuten. Dies mag darin begründet liegen, dass Pohl seine rein keynesianische Ausrichtung im Laufe der Ratstätigkeit nicht so stringent verfolgte wie Kromphardt. Dieser gab, wie auch Bofinger, in den folgenden JG MHV zu den lohnpolitischen Forderungen der Ratsmehrheit ab.556 Auch er sah die nachfragepolitische Seite vernachlässigt und kritisierte, dass „sich die Tariflohnentwicklung weiterhin unterhalb des realen Verteilungsspielraums bewegt.“557 Der JWB 05 „Den Aufschwung stärken – Strukturen verbessern“ betonte, dass „gegen heftigen öffentlichen Widerstand insbesondere bei den Arbeitsmarktreformen und trotz starker Verluste in Meinungsumfragen [...] die getroffenen Entscheidungen im Grundsatz unverändert umgesetzt [wurden].“558
554
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Jahreswirtschaftsbericht 2004 der Bundesregierung: Leistung, Innovation, Wachstum, Berlin 2004, Rn. 1. 555 Kromphardt, Jürgen, Antwortschreiben vom 06.07.2009 auf eine schriftliche Anfrage, Anhang 3. 556 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2004/05: Erfolge im Ausland – Herausforderungen im Inland, Stuttgart 2004, Rn. 57, 717; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2005/06: Die Chancen nutzen – Reformen mutig voranbringen, Stuttgart 2005, Rn. 322. 557 Ebd., Rn. 57. 558 Sachverständigenrat, JG 04/05, Rn. 31.
134
5 Empirische Untersuchung
Wiegard befürwortete wie die anderen drei Sachverständigen einen strikten Sparkurs der Finanzpolitik und angebotsorientierte Reformen. Dennoch war das Diskussionsklima unter den „Fünf Weisen“ insbesondere wegen der keynesianischen Ansichten Bofingers gereizt und Wiegard wollte aus diesem Grund nicht erneut als Vorsitzender kandidieren.559 Selbst das ehemalige Ratsmitglied Pohl, der von Gewerkschaftsseite berufen wurde, legte Bofinger wegen seiner wirtschaftspolitischen Alleingänge nahe, aus dem Rat auszutreten. Das ehemalige Ratsmitglied Peffekoven warnte: „Die öffentliche Diskussion ist eine Beschädigung des Rates.“560 Aufgrund des sich zuspitzenden Disputs innerhalb des SVR wurden in Folge vermehrt Forderungen nach einer Reform des Gremiums laut.561 5.4.3
Zusammenfassung
Deutlicher Themenschwerpunkt im Bereich der Wirtschaftspolitik war in der vierten Phase die Arbeitsmarktpolitik. Nach dem ersten Regierungsjahr mit nachfragepolitischer Ausrichtung kam es bereits 1999 zur Kehrtwende. Der „Dritte Weg“ als eine Mischung aus Nachfrage- und Angebotspolitik konnte sich als neue Politikstrategie der SPD durchsetzen. Im Zuge dieser wirtschaftspolitischen Veränderungen waren auch neue Tendenzen der Rolle des SVR zu erkennen. Zwar wurde wie auch in den beiden vorhergehenden Phasen versucht, das Gremium mit parteinahen Mitgliedern zu besetzen, doch trotz dieser sehr homogenen Besetzung gab es deutliche Veränderungen. Zuvor hatte es stets eine klare Zuweisung von nachfrage- und angebotspolitischen Positionen gegeben: CDU-geführte Regierungen setzten den Schwerpunkt auf Angebotspolitik, SPDgeführte Regierungen hingegen auf nachfragepolitische Wirtschaftspolitik. Dies 559
Vgl. Handelsblatt, Heftiger Streit im Sachverständigenrat, vom 02.01.2005, aufgerufen am 01.01.2009. 560 Peffekoven zit. nach Handelsblatt, Kopfschütteln über Sachverständige. Ex-Weise fürchten um Reputation des Gremiums vom 04.01.2005, aufgerufen am 01.01.2009. 561 Vgl. Handelsblatt, Kopfschütteln über Sachverständige. Ex-Weise fürchten um Reputation des Gremiums vom 04.01.2005, aufgerufen am 01.01.2009.
5.4 Die vierte Phase 1998-2005: „Neue Mitte“ oder Kontinuität der Wirtschaftspolitik?
135
ergab sich daraus, dass z.B. die Hartz-Kommission einen konkreten Regierungsauftrag hatte und diesen in einem vorgeschriebenen Zeitfenster erfüllen sollte. Dass der Einsatz der Expertengremien eine qualitative Veränderung erfahren hatte, zeigte sich auch in der Erhöhung der für die Gremienarbeit im Bundeshaushalt bereitgestellten Mittel von 15,5 Mio. DM im Jahr 1999 auf 10,91 Mio. Euro (21,3 Mio. DM) im Jahr 2003 allein für die Arbeit von Beiräten. Die Expertenkommissionen wurden zum Teil mit eigenen Budgets ausgestattet und gezielt eingesetzt, um Informationen in die Öffentlichkeit zu tragen.563 Die Gefahr der kurzfristig eingesetzten Kommissionen, die nicht die Dauerhaftigkeit des SVR besaßen, war, dass zu schnell das politisch Machbare und der Kompromiss gesucht wurden. Eine längerfristige, ordnungspolitische Ausrichtung hätte also durch den SVR besser gewährleistet werden können.564 Als prägnantestes Beispiel unter der rot-grünen Regierung bezüglich der veränderten Rolle des SVR ist die „Agenda 2010“ zu nennen, die gezeigt hat, dass konkrete Hinweise des Rates direkten Eingang in den politischen Entscheidungsprozess fanden. So wurden z.B. die Vorschläge zur Lohnzurückhaltung in der Arbeitsmarktpolitik übernommen. Für die Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik war kennzeichnend, dass der Rat in der Mehrheit den „Dritten Weg“ in der Wirtschaftspolitik unterstützte. Wissenschaftler mit keynesianischen Ansichten wie Kromphardt und Bofinger gaben häufig MHV ab, doch sie stellten innerhalb des ansonsten homogen besetzten Rates die Ausnahme dar. Die SPDfreundliche Mehrheit unterstützte die neue Politikausrichtung. Die entpolitisierende Wirkung des Rates ist vor diesem Hintergrund stark in Frage zu stellen, da zum einen auch in dieser Phase wieder parteigene Mitglieder kooptiert wurden, aber zum anderen auch, da das Gremium stark in die aktuelle Tagespolitik der Regierung eingebunden war.
563
Vgl. Siefken, Sven T., Expertenkommissionen des Bundesregierung, in: Falk, Svenja, u.a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006, S. 215-227, hier: S. 218. 564 Vgl. Lambsdorff, Politikberatung, S. 81.
136 5.5
5 Empirische Untersuchung
Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
Anhand der vier verschiedenen Phasen und der Untersuchung des Quellenmaterials konnten die Spezifika der Arbeit des SVR sehr gut verdeutlicht werden. Für das Verhältnis zur Regierung und die entpolitisierende Wirkung des Rates lassen sich für die Phasen jeweils fünf Merkmale festhalten. In der ersten Phase war die wirtschaftspolitische Position der Ratsmehrheit keynesianisch ausgerichtet. Dennoch war der Rat in dieser Phase sehr heterogen besetzt. Dies schien zunächst nach außen nicht der Fall zu sein, denn MHV waren in dieser Zeit noch unüblich. Und so wurden Konflikte innerhalb des Rates erst nach außen sichtbar, als zwei Mitglieder den SVR vor Ablauf der üblichen Ratsmitgliedschaft verließen. Als Gründe wurden die Hinderung an MHV und wenig Akzeptanz des SVR seitens der Politik, insbesondere des Finanzministers Strauß, genannt. Als drittes Merkmal kann die Regierungsführung der CDU und die damit verbundene Besetzung des Bundeskanzleramtes über beide Legislaturperioden gesehen werden. Der vierte Aspekt ist die Personalie des Bundeswirtschaftsministers, da sich aus der empirischen Untersuchung ergeben hat, dass dieser einen wesentlichen Anteil an der Ernennung der Ratsmitglieder haben kann. Bis 1966 waren demnach sowohl das Bundeskanzleramt als auch das BMWi durch CDU-Mitglieder besetzt. Erst mit der Bildung der Großen Koalition und der Ernennung Schillers zum Bundeswirtschaftsminister änderte sich dies. Bereits durch diese Personaländerung zeigten sich auch Veränderungen in der Umsetzung der Ratsvorschläge. Unter Bundeswirtschaftsminister Schmücker von der CDU wurden die keynesianischen Vorschläge des Rates nicht umgesetzt. Unter Schillers Ministerzeit sollten diese aber ihre Blüte erfahren. Als abschließende Aussage zu der entpolitisierenden Wirkung des SVR auf die Wirtschaftspolitik lässt sich demnach sagen, dass innerhalb des Gremiums eine Politisierung zwischen keynesianischen und eher traditionellen, ordoliberalen Wirtschaftspolitik bestand. Diese Politisierung wurde auf die Ebene der Wirtschaftspolitik weitergetragen, da erst durch den Eintritt der keynesianisch ausgerichteten SPD die Vorschläge des SVR unter dem starken Einfluss von Bundeswirtschaftsminister Schiller umgesetzt wurden. Dies kann
5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
137
nicht als Entpolitisierung gedeutet werden, da die Vorschläge des SVR in das wirtschaftspolitische Konzept passten. In der zweiten Phase war die wirtschaftspolitische Position der Ratsmehrheit zunächst weiterhin keynesianisch ausgerichtet. Das änderte sich Mitte der 1970er Jahre, indem sich diese in eine angebotspolitische Richtung verschob. Auch in dieser längeren Phase war der Rat sehr heterogen besetzt. Nach außen machte sich dies primär durch MHV derjenigen Ratsmitglieder bemerkbar, die abweichende Meinungen zu der Ratsmehrheit vertraten. Diese MHV fanden jedoch keinen Weg in den JWB. Als drittes Merkmal kann die Regierungsführung der SPD über beide Legislaturperioden gesehen werden und die damit verbundene Besetzung des Bundeskanzleramtes. Der vierte Aspekt ist die Besetzung des Bundeswirtschaftsministers. Bis 1972 wurde er durch Schiller und Schmidt von der SPD gestellt. Danach war mit dem FDP-Politiker Lambsdorff bis zum Ende der Regierungszeit Schmidt ein Anhänger des SVR Bundeswirtschaftsminister. Nach dem Umschwung des SVR auf die angebotspolitische Ausrichtung übernahm die SPD diese Positionen nicht. Im Gegensatz dazu unterstützte die FDP und primär der Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff die Neuausrichtung. Durch das geringe Interesse des Bundeskanzleramtes am SVR unter Schmidt konnte Lambsdorff als Bundeswirtschaftsminister mit angebotspolitischen Ansichten das Gremium nach seinen Wünschen besetzen. In den 1980er Jahren wurde mit dem Regierungswechsel die Angebotspolitik dann auch praktisch umgesetzt. Die entpolitisierende Wirkung des SVR auf die Wirtschaftspolitik in der zweiten Phase kann als sehr gering angesehen werden, da es wiederum innerhalb des Gremiums zu einer Politisierung kam. Sie entstand durch die Front zwischen der keynesianischen Position und der neuen angebotspolitischen Ausrichtung. Diese Politisierung fand ihr Pendant auf der politischen Ebene: Nachdem die FDP das BMWi übernommen hatte und Lambsdorff seine wirtschaftspolitische Ausrichtung immer stärker angebotspolitisch orientierte, kam es zu Schwierigkeiten zwischen BMWi und der SPD-Führung. Die angebotspolitischen Vorschläge des SVR wurden durch den Widerstand der SPD nicht umgesetzt, doch bevor die FDP in die Koalition mit der CDU ging, hatte sie ihre wirtschaftspolitischen Prämissen geändert und forderte weniger Eingriffe des Staates in den Wirtschaftskreislauf.
138
5 Empirische Untersuchung
Die dritte, über den längsten Zeitraum verlaufende Phase war sowohl im SVR als auch in der Politik deutlich angebotspolitisch ausgerichtet. Dies ist auf die homogene Besetzung des SVR zurückzuführen, die vor allem der langen Regierungszeit der CDU/CSU-FDP Regierung geschuldet war. Außer dem regelmäßig von Gewerkschaftsseite benannten Mitglied des Rates wurden alle Mitglieder durch die FDP-Minister und das Bundeskanzleramt benannt und unterstützten die Politik der Koalition. Die keynesianisch orientierten Professoren Krupp, Mertens und Pohl gaben regelmäßig MHV in den JG ab, die aber in den JWB nicht erwähnt wurden. Die Vorschläge der Ratsmehrheit wiederum wurden bis 1989 häufig umgesetzt und Rat und Politik fuhren eine gemeinsame Linie. Die Bundeswirtschaftsminister wurden über die gesamten 16 Jahre von der FDP gestellt. Einen Bruch gab es mit der Wende und der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Sehr deutlich zeigte sich hier der begrenzte Einfluss der Wissenschaftler. Gerade die Vorschläge, die wirtschaftspolitisch geboten waren, wurden aus polit-taktischen Gründen nicht umgesetzt und das Handeln Kohls bestärkte den „Primat der Politik“. Da das Problem der hohen Arbeitslosigkeit auch gegen Ende der Kohl-Ära nach wie vor einer Lösung harrte, kam seitens des SVR immer deutlicher auch Kritik. Die Wissenschaftler mussten nicht zuletzt auch um ihre eigene Reputation fürchten, wenn sie keine wirtschaftspolitischen Lösungen hervorbringen konnten. Die entpolitisierende Wirkung des SVR auf die Wirtschaftspolitik in der dritten Phase kann als sehr gering angesehen werden, da es wiederum innerhalb des Gremiums zu einer Politisierung kam, die vor allem dadurch geprägt war, dass der angebotspolitischen Ratsmehrheit ein keynesianisch orientiertes Mitglied gegenüberstand. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das von Gewerkschaftsseite unterstützte Mitglied Franz sich kurze Zeit nach Eintritt in den Rat in seiner Meinung der angebotspolitischen Mehrheit anschloss und in dieser Zeit auch keine MHV in den JG zu finden sind. Es gab demnach keine Contra-Position mehr im Rat. Außerdem trat nach der Wiedervereinigung der wissenschaftliche Rat zunächst in den Hintergrund. Vielmehr standen nun schnelle realpolitische Handlungen standen im Vordergrund. Interessant waren die Entwicklungen während der rot-grünen Regierung, da in dieser Phase eine neue Konstellation in der wirtschaftspolitischen
5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
139
Diskussion geschaffen wurde, die auch den SVR stark prägte. Der „Dritte Weg“ als Mittelweg zwischen den beiden bisherigen wirtschaftswissenschaftlichen Polen Nachfrage- und Angebotspolitik wurde sowohl von der Ratsmehrheit als auch von der Regierung als neuer wirtschaftspolitischer Weg unterstützt. Dass die Trennung zwischen Keynesianismus und Angebotspolitik in der vierten Phase verwischte, zeigte auch der SVR: Nach der Wahl 1998 wurden alsbald diejenigen Wissenschaftler in das Gremium kooptiert, die die Politik des „Dritten Weges“ mittrugen. Die Vorschläge der Ratsmehrheit wiederum wurden häufig umgesetzt und die keynesianischen Stimmen der Professoren Kromphardt und Bofinger blieben in den JWB ungeachtet. Die Bundeswirtschaftsminister wurden Müller und SPD-Mitglied Clement. Da sich SVR und Regierung, v.a. in Gestalt der Bundeswirtschaftsminister Müller bzw. SPD-Mitglied Clement ,in den Hauptlinien der Wirtschaftspolitik immer ähnlicher wurden, mischte sich der Rat auch immer stärker in tagespolitisches Geschehen ein. Die generelle Ausrichtung der Wirtschaftspolitik wurde nur in den MHV in Frage gestellt, die jedoch keinen Eingang in die JWB erfuhren. Erschwerend zu einer langfristigen Ausrichtung kamen die konkurrierenden Institutionen der Politikberatung hinzu. Sie hoben die Marktführerschaft des SVR auf und der SVR wurde in der öffentlichen Wahrnehmung mehr als Konjunkturforschungsinstitut wahrgenommen. Die entpolitisierende Wirkung des SVR auf die Wirtschaftspolitik in der vierten Phase kann als sehr gering angesehen werden, da es innerhalb des Gremiums zu einer Politisierung kam, die vor allem dadurch geprägt war, dass mit der Politik des „Dritten Weges“ Wissenschaftler kooptiert wurden, die diesen Weg mittrugen. Die bisherige Zuordnung der rein keynesianischen Wirtschaftspolitik zur SPD war damit endgültig aufgehoben. Die häufig in der Literatur genannte „Parteidifferenzhypothese“565 ist im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik für die vierte Phase demnach problematisch, da eine klare Zuordnung bestimmter wirtschaftswissenschaftlicher Theorien zu einer bestimmten Partei seit dem Aufkommen des „Dritten Weges“ nicht mehr gegeben ist. Die folgende Übersicht gibt auf Basis einer Falleinteilung in vier Fälle die Besetzung des SVR wieder. Fall 1 beinhaltet die Ratsmitglieder, die den
565
Zohlnhöfer, Wirtschaftswunder, S. 309.
140
5 Empirische Untersuchung
wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung unterstützen, damit jedoch innerhalb des Gremiums eine Mindermeinung vertreten. Fall 2 umfasst Mitglieder, die sowohl die Regierungspolitik als auch die Mehrheitsmeinung im Gremium unterstützen. Unter Fall 3 fallen die Mitglieder, die sowohl die Regierungspolitik als auch die Mehrheitsposition im SVR nicht unterstützen. Als Fall 4 werden die Mitglieder eingeordnet, die inhaltlich die Regierungspolitik unterstützen und auch die Ratsmehrheit mittragen.
141
5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
Tabelle 1: Ratsbesetzung nach Falleinteilung Fall 1: Inhaltlich pro Regierungsmehrheit, contra Ratsmehrheit
Fall 2: Inhaltlich pro Regierungsmehrheit, pro Ratsmehrheit
Fall 3: Inhaltlich contra Regierungsmehrheit, contra Ratsmehrheit
Fall 4: Inhaltlich contra Regierungsmehrheit, pro Ratsmehrheit
CDU-Mehrheit bis 1969 Meyer Binder Koch Giersch Bauer Stützel Schäfer SPD-Mehrheit bis 1982 Kloten Köhler Gutowski Sievert Scherhorn Schmidt Fels Albach Glastetter Krupp Schneider CDU-Mehrheit bis 1998 Helmstädter Mertens Pohmer Hesse Pohl Issing Hax Siebert Peffekoven Donges Franz SPD-Mehrheit bis 2005 Kromphardt Rürup Wiegard Weber Franz Di Mauro Bofinger
142
5 Empirische Untersuchung
Diese Einteilung zeigt eine deutliche Verschiebung von Fall 1 und 4 zu Fall 2 und 3, die sich in dieser Graphik als Trichterform darstellt. Die erste Phase stellt dabei eine Ausnahme dar, da sie auf der heterogenen Anfangsbesetzung des Rates beruht. Erst im Laufe der folgenden Jahre ist Bewegung in der Tabelle zu erkennen. Die zweite Phase verdeutlicht den hohen Einfluss des Bundeswirtschaftsministers: Trotz einer SPD-Mehrheit in der Regierung ist der SVR „inhaltlich gegen die politische Mehrheit“. Dies ist primär auf die enge Zusammenarbeit von Lambsdorff und dem SVR ab 1977 zurückzuführen. Mit der dritten Phase beginnt sich eine neue Tendenz in der Ratsbesetzung zu zeigen. Dies liegt darin begründet, dass CDU/CSU und FDP in der Wirtschaftspolitik eine ähnliche Grundausrichtung verfolgen. Sowohl das Bundeskanzleramt als auch der Bundeswirtschaftsminister befürworten eine angebotspolitische Wirtschaftspolitik und dementsprechend ändert sich auch die Besetzung des Gremiums in eine angebotspolitische Richtung. Lediglich die von Gewerkschaftsseite unterstützten Ratsmitglieder geben Minderheitsvoten ab. In der rotgrünen Regierungszeit kommt zu den typischen Merkmalen der Ratsbesetzung noch eine weitere Veränderung hinzu, die die Konzentration auf den zweiten und dritten Fall erhöhen. Wie auch unter der Vorgängerregierung wird der SVR mit „regierungsfreundlichen“ Mitgliedern besetzt. Dennoch kann die vierte Phase sowohl wirtschaftspolitisch und auch für den SVR als eine Zäsur gewertet werden. Der „Dritte Weg“ als ein Kompromiss dieser beiden grundsätzlichen wirtschaftswissenschaftlichen Ausrichtungen ändert auch die Konfliktlinien im SVR. Denn die strikte Zuordnung der angebotspolitischen Positionen zur CDU/CSU und die der nachfragepolitischen Positionen zur SPD sind mit dieser Phase aufgehoben. Im Fokus steht demnach nicht primär die Parteizugehörigkeit, sondern die wirtschaftswissenschaftliche Einordnung des Ratsmitgliedes und ob diese mit der Regierungsposition konform geht. Diese Einschätzung wird auch von Scherhorn geteilt: „Die Parteizugehörigkeit war m.W. nicht so wichtig, mehrere Ratsmitglieder gehörten keiner Partei an, ich denke sogar die meisten. Das war auch gar nicht nötig, das Procedere war Garantie dafür, dass der Rat in Sachen Lohnpolitik stets eine arbeitgeberfreundliche Mehrheit hatte.“
5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
143
Die Zahl der MHV hat in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Besonders Bofinger übte regelmäßig Kritik an der Mehrheit des Rates und vertrat „zu der arbeitsmarkt- und lohnpolitischen Konzeption [...] eine andere Meinung.“566 Nach Meinung Bofingers werden die Mitglieder des SVR nicht kooptiert, sondern „ausschließlich von der Bundesregierung bestellt“567 – ein großer Einfluss der Regierung ist damit unverkennbar. Dennoch sieht Bofinger es als Anliegen des Rates, „eine rationale Wirtschaftspolitik zu fördern“.568 Trotz der Meinungsverschiedenheiten ist er der Auffassung, „dass dies auch mit dem hohen Einfluss der Regierung bei der Besetzung erreicht werden kann“.569 Als es 2008 innerhalb des Gremiums zu einer heftigen Debatte um einen staatlichen Mindestlohn kam und die Ratsmitglieder unterschiedliche und sich widersprechende Empfehlungen abgaben, kam verstärkt öffentliche Kritik auf. Während die Professoren Beatrice Weder di Mauro und Wolfgang Franz abrieten, Mindestlöhne zu beschließen, sprach sich der Vorsitzende des Rates, Bert Rürup, nachdrücklich für einen einheitlichen Mindestlohn von 4,50 Euro aus. Peter Bofinger warb ebenfalls für einen Flächen-Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro, wie ihn der DGB verlangte.570 Daraufhin erklärte der frühere Förderer des Gremiums Lambsdorff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das Gremium habe sich selbst für überflüssig erklärt: „Fünf Sachverständige mit drei Meinungen – was soll die Regierung mit solcher Beratung anfangen?“571 In einer Situation in der eine Entpolitisierung zum ersten Mal möglich schien, weil verschiedene wissenschaftliche Meinungen Beachtung fanden, wird deutlich, dass dies den Politikern widerstrebte. Besonders die Tatsache, dass Lambsdorff eine Auflösung des Gremiums forderte, zeigt, dass er sich über das Gremium 566 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/09: Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken, Stuttgart 2008, Rn. 602. 567 Bofinger, Peter, Antwortschreiben vom 27.07.2009 auf eine schriftliche Anfrage, siehe Anhang 3. 568 Ebd. 569 Ebd. 570 Vgl. Göbel, Heike, Wenig weise, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 27.12.2007 aufgerufen am 02.11.2008. 571 Hank, Rainer, Schafft den Sachverständigenrat ab, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 04.01.2008, aufgerufen am 02.11.08.
144
5 Empirische Untersuchung
stellt und der SVR nicht gleichwertig mit der Politikerebene ansiedelt wird. Vor dem Hintergrund dieser Äußerungen ist es nur schwer vorstellbar, dass sich Lambsdorff vom JG der Wirtschaftsweisen gewissermaßen vorschreiben lässt, wie die Wirtschaftspolitik auszusehen habe. Vielmehr wird hier die untergeordnete Rolle des Rates gegenüber der Politik deutlich – anhand der Besetzung des SVR und dem Umgang mit den JG und insbesondere den MHV. Laut StabG sollen SVR und Bundesregierung gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der SVR agiert unabhängig und kann im Idealfall durch seine JG eine entpolitisierende Wirkung auf die Wirtschaftspolitik der Regierung ausüben. D.h. es entsteht kein Beratungsprozess, da der zu Beratende keine Einflussnahme auf den Berater nehmen kann.
SVR (Einfluss auf die Wirtschaftspolitik durch die JG)
Bundesregierung (Regierung nimmt wissenschaftliche Vorschläge auf und richtet ihre Wirtschaftspolitik danach aus)
Starke Entpolitisierung
Abbildung 1:
Beratung durch den Sachverständigenrat laut Stabilitätsgesetz
Doch die im StabG vorgesehene Beratungspraxis wird durch den Einfluss der Regierung auf die Auswahl der Ratsmitglieder und die selektive Rezeption der JG untergraben. Wie auch eine Mitarbeiterin aus dem BMF beurteilt, werden „der Regierung [...] wohl gesonnene Ökonomen“572 kooptiert. Auch die vier von Gewerkschaftsseite vorgeschlagenen Ratsmitglieder sehen den hohen Einfluss der Regierung als typisch für die Besetzung des Gremiums.573 Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Bundesregierung in der Entscheidungsmacht über dem SVR 572
Baumann, Elke, Antwortschreiben vom 24.07.2009 auf eine schriftliche Anfrage. Dr. Elke Baumann ist Mitarbeiterin des BMF und hat an den JG des SVR mitgearbeitet. 573 Vgl. Anhang 3.
145
5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
steht. Von ihr geht eine starke Politisierung des Rates aus, während der SVR kaum in der Lage ist, entpolitisierend auf die Regierungspolitik zu wirken.
Bundesregierung (Einfluss auf den SVR durch Besetzung des Rates und Sicherung der eigenen wirtschaftspolitischen Unabhängigkeit durch selektive Rezeption der JG)
Starke Politisierung
Schwache Entpolitisierung
SVR (Einfluss der Ratsmehrheit auf die Wirtschaftspolitik)
Abbildung 2:
Beratungsprozess in der gängigen Praxis
Über die Möglichkeiten einer Förderung rationaler Wirtschaftspolitik sind sich die SVR-Mitglieder uneins. Sowohl Pohl als auch Bofinger halten es für möglich, dass eine rationale Wirtschaftspolitik durch den SVR gefördert werden kann, wobei Kromphardt und Scherhorn dies unter den aktuellen Voraussetzungen der Ratsbesetzung bezweifeln. Es zeigt sich hier sehr deutlich, dass die
146
5 Empirische Untersuchung
Einschätzung der Mitglieder stark durch die jeweilige persönliche Meinung geprägt ist. Für weiterführende Untersuchungen wären tiefgreifende Interviews notwendig. Dennoch konnten die Voraussetzungen einer entpolitisierenden Wirkung des SVR anhand der vier Phasen verdeutlicht werden. Die nachfolgende Tabelle führt die Merkmale der Phasen nochmals als Überblick auf und hebt wichtige Einflussfaktoren hervor.
147
5.5 Auswertung der Daten und aktuelle Tendenzen
Tabelle 2: Übersicht der Vier-Phasen-Einteilung Merkmal
1. Phase bis 1969
2. Phase bis 1982
Wirtschaftspolitische Position der Ratsmehrheit
Keynesianisch
Angebotspolitisch
Besetzung des Rates
Heterogen (ein SPD-Mitglied, ein CDU-Mitglied, ein Keynesianer, ein angebotspolitisch orientiertes und ein neutrales Mitglied)
Regierungsführung
CDU
Homogen (mehrheitlich angebotspolitische Positionen und ein Mitglied auf Vorschlag der Gewerkschaften) SPD
Bundeswirtschaftsminister
Bis 1966 CDU (Schmücker); bis 1969 SPD (Schiller): Umsetzung der Ratsvorschläge erst unter Schiller
Innerhalb des Rates/entpolitisierende Wirkung des Rates
Politisiert/keine entpolitisierende Wirkung
Bis 1972 SPD (Schiller, Schmidt; bis 1982 FDP (Friderichs, Lambsdorff): keine Umsetzung der Ratsvorschläge Politisiert/keine entpolitisierende Wirkung
3. Phase bis 1998
4. Phase bis 2005
Angebotspolitisch
„Dritter Weg“ (keynesianisch und angebotspolitisch)
Homogen (mehrheitlich angebotspolitisch orientiert, CDU-Mitglieder und ein Mitglied auf Vorschlag der Gewerkschaften)
Homogen (mehrheitlich Keynesianer und SPD-Mitglieder, deren Positionen dem „Dritten Weg“ zuzuordnen sind) SPD
CDU Bis 1998 FDP (Lambsdorff, Bangemann, Haussmann, Möllemann, Rexrodt): Umsetzung der Ratsvorschläge; ab 1990 überwiegt „Primat der Politik“
Bis 2005 SPD (Müller, Clement): Umsetzung der Ratsvorschläge
Politisiert/keine entpolitisierende Wirkung
Politisiert/keine entpolitisierende Wirkung (starke Instrumentalisierung des Rates)
6. Schlussbetrachtung
Die Befassung mit dem SVR in seinen verschiedenen Facetten ist momentan en vogue. Während jedoch in der derzeitigen „Krise“ der Wirtschaftswissenschaften der Fokus sehr stark auf wissenschaftlichen Theorien zu ordnungspolitischen Grundsätzen und deren praktischer Anwendung in der Politikberatung gelegt wird, konnte durch die vorliegende Analyse zumindest für den SVR festgestellt werden, dass für die entpolitisierende Wirkung des Rates auch eine von außen wirkende Komponente berücksichtigt werden muss: der Einfluss der Politik. Es hat sich gezeigt, dass die Wurzel der entpolitisierenden Wirkung des SVR innerhalb des Gremiums zu verorten ist – bzw. vielmehr wäre. Demzufolge mussten für eine Einschätzung der entpolitisierenden Wirkung des SVR nicht die Umsetzungsprobleme der wissenschaftlichen Ratschläge und deren Effektivität in den Fokus gerückt werden, sondern die Ebene der ratsimmanenten Probleme. Obwohl als unabhängiges Beratungsgremium geschaffen, wird der SVR in den vergangenen Jahren immer stärker in die konkrete Politikformulierung integriert. Bei der korrekten Einschätzung des wirtschaftspolitischen Ziel-Mittel-Systems zu wirtschaftspolitischen Sachverhalten werden die Wissenschaftler demnach vermehrt durch politische Gegebenheiten beeinflusst. Unter diesen Voraussetzungen wird die Arbeit des SVR zwar der Regierung nützen, doch eine rationale Politik, die zu einer Entpolitisierung führt, kann so nicht geleistet werden. Dabei wären die Möglichkeiten des SVR zu langfristiger, rationaler Behandlung wirtschaftspolitischer Probleme im Gegensatz zu regierungsnahen Kommissionen und Beiräten weitaus größer, da der Rat qua Gesetz unabhängig arbeiten kann – sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf Legislaturperioden. Damit ergibt sich der Vorteil des Rates, dass er auch langfristige Perspektiven eröffnen kann. Diese Chance wird jedoch untergraben, wenn Parteimitglieder oder parteinahe Mitglieder kooptiert werden. Im bereits erwähnten „Ziel-Mittel-System“ werden dann womöglich nur die Regierungsziele gesehen und politisch umsetzbare Mittel
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6 Schlussbetrachtung
gewählt, wobei langfristige, womöglich rationale Perspektiven aus dem Blick geraten. Die SVR-Mitglieder stehen dann dem politischen Programm nicht mehr unabhängig gegenüber, sondern gestalten dieses aktiv mit, wie z.B. geschehen bei der „Agenda 2010“. Damit kann zwar das Problem der unterschiedlichen Zweckrationalitäten umgangen werden, doch dies ist keineswegs mit einer entpolitisierenden Wirkung gleichzusetzen. Das Gegenteil tritt ein, wenn mehr Ratsmitglieder in die aktuelle Tagespolitik eingebunden werden: Die Durchsetzung wissenschaftlich rationaler Lösungen – zumindest soweit es sie gibt –, die im politischen Tagesgeschäft zunächst jedoch nicht als rational erscheinen, wird schwieriger. Die rationale Suche nach wirtschaftspolitischen Lösungen durch Wissenschaftler ist offensichtlich überlagert durch den politischen Wettstreit und politische Rationalitäten. Aus diesen Gründen ist die Besetzung des SVR Dreh- und Angelpunkt für die Entpolitisierung innerhalb des Gremiums. Diese Tendenz zieht sich de facto über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1964 bis 2005. Davon sind auch mit Ausnahme der Anfangsjahre alle Phasen gekennzeichnet. Die anfängliche Besetzung des SVR unter Bundeswirtschaftsminister Erhard, die eine gewisse wirtschaftswissenschaftliche Heterogenität sicherstellen sollte, ist spätestens seit der dritten Phase nicht mehr gewährleistet. Eine schleichende Instrumentalisierung des Rates ist unübersehbar und die Konzentration auf regierungsfreundliche Mitglieder bis heute vorherrschend. Neben dem informellen Einfluss der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite, der sich nur schwer empirisch erfassen lässt, muss der tatsächliche Einfluss der Regierung demnach als sehr hoch eingeschätzt werden. Insbesondere hat die Untersuchung gezeigt, dass das Bundeskanzleramt und der Bundeswirtschaftsminister entscheidende Akteure sind. Sie kooptieren die Ratsmitglieder, die in ihren wirtschaftswissenschaftlichen Ausrichtungen der Regierungspolitik förderlich sind. Außerdem werden Regierungskritiker oder wissenschaftliche Außenseiter im SVR auch in den JWB weitgehend ignoriert. Die Berichte berufen sich vielmehr stets auf die homogene Ratsmehrheit – MHV werden nicht beachtet. Damit kommt im politischen Entscheidungszentrum nur die Mehrheitsmeinung des SVR an – und diese lässt sich durch die Ratsbesetzung seitens der Bundesregierung stark beeinflussen. Diese Entwicklung fand bereits in den Gründungsjahren des SVR ihren Anfang, wurde jedoch von der CDU-
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geführten Regierung in den 1980er Jahren und der SPD-geführten Nachfolgeregierung fortgeführt und erweitert. Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik – konnte dieses Ziel durch die Beratung seitens des SVR letztlich erreicht werden? Die vorliegende Arbeit sieht sich nicht als Teil der kontroversen Reformdebatte, die hauptsächlich in wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen zutage tritt. Doch bevor diese zu einem fruchtbaren Ergebnis kommen kann, muss zunächst der ursprüngliche Charakter des SVR als unabhängiges Beratungsgremium für Regierung und Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Diesem auf den Grund zu gehen und Rückschlüsse auf aktuelle Probleme mit dem Rat zu ziehen, war Anliegen dieser Arbeit. Entpolitisierung als originäre Idee Erhards bei Schaffung des SVR ist sowohl in der aktuellen Diskussion als auch in früheren Debatten zu wenig berücksichtigt worden, was höchstwahrscheinlich der wirtschaftswissenschaftlich dominierten Betrachtung des Gremiums geschuldet ist. Im Fokus der Debatte um den SVR sollte nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung nicht mehr primär die Effektivität des Gremiums stehen. Wirtschaftswissenschaftliche Analysen des Rates und deren Forderungen nach einer Reform des SVR haben wichtige Voraussetzungen für die Arbeit des Beratungsgremiums nicht berücksichtigt. Mithilfe der Analyse der JG und der JWB konnte gezeigt werden, dass keine entpolitisierende Wirkung vom Rat ausgehen kann, solange der SVR durch das bisher gängige Berufungsverfahren besetzt wird und der Einfluss der Regierung so stark ist. Damit ist das Gremium politisiert und die Wissenschaft in der Beziehung zwischen Rat und Regierung deutlich der Politik untergeordnet. Eine Einbindung des Rates in die Regierungsarbeit als unabhängiges Gremium wird so nicht gewährleistet und eine rationale Politikberatung kann nicht betrieben werden. Für weitere Untersuchungen wäre es interessant, die Problematik des Eigeninteresses der Ratsmitglieder noch näher zu untersuchen. Neben dem Einfluss der Politik kann durchaus als zweite, ebenfalls von außen wirkende Komponente auf den SVR das ökonomische Interesse der Wirtschaftsweisen stehen. Dass die Ratsmitglieder damit in eine Grauzone von wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Interessen geraten, ist höchst problematisch, da so das Ziel unabhängiger Beratung in weite Ferne rückt. Für die aktuelle Diskussion um den
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6 Schlussbetrachtung
SVR hat sich gezeigt, dass nicht die Umsetzungsprobleme der wissenschaftlichen Vorschläge angegangen werden müssen, sondern es müsste zunächst dafür Sorge getragen werden, dass der SVR prinzipiell in die Lage versetzt wird, eine rationale, entpolitisierende Beratung gewährleisten zu können. Dies erfordert zunächst ein Beratungsgremium, das nach innen entpolitisiert ist und deswegen auch nach außen entpolitisierende Wirkung entfalten kann. Die aktuelle Debatte um die Effektivität des SVR muss demnach auf eine andere Diskussionsgrundlage gestellt werden, um das eigentliche Anliegen des SVR zu erfassen und kritisch zu beleuchten: nämlich seine entpolitisierende Wirkung.
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8. Anhang
Abbildung 3:
Anhang 1: Seitenumfang der Jahresgutachten des Sachverständigenrates im Untersuchungszeitraum 1964574-2005 (eigene Darstellung) Umfang der JG 1964-2005
800
700
600
S eiten zah l
500
400
Seitenzahlen
300
200
100
04
20
00
02
20
20
96
98
19
19
92
94
19
19
88
90
19
19
84
86
19
82
19
80
19
19
76
78
19
74
19
72
19
19
68
70
19
66
19
19
19
64
0
Jahr
574
Die zwei ersten JG erschienen, aufgrund des verspätet veröffentlichten JG 64/65, beide im Jahr 1965. Zur besseren Übersicht wird das JG 64/65 hier dennoch mit dem Jahr 1964 wiedergegeben.
168
8 Anhang
Tabelle 3: Anhang 2: Übersicht der Ratsbesetzung 1964 bis 2005 (eigene Darstellung) Vertreter angebotspolitischer Positionen Vertreter keynesianischer Positionen CDU-Mitglieder SPD-Mitglieder Parteipolitisch unabhängige Mitglieder/neutral Jahr
1964
Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
K. Schmücker
K. Schiller
CDU/FDP
CDU/SPD
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
1965
1966
1967
F. W. Meyer
F. W. Meyer
P. Binder
P. Binder
P. Binder
P. Binder
H. Koch
H. Koch
H. Koch
H. Koch
H. Giersch
H. Giersch
H. Giersch
H. Giersch
W. Bauer
W. Bauer
W. Bauer
W. Bauer
W. Stützel
W. Stützel
1968
1969
1970
1971 K. Schiller (Wirtschafts- & Finanzminister)
SPD/FDP H. Koch
H. Giersch
W. Bauer
W. Bauer
H. Giersch
W. Bauer
N. Kloten
N. Kloten
W. Bauer
N. Kloten
A. Gutowski
A. Gutowski
W. Stützel
M. Schäfer
K. Köhler
K. Köhler
M. Schäfer
K. Köhler
O. Sievert
O. Sievert
169
8 Anhang
Jahr
1972
Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
H. Schmidt/ H. Friderichs
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
1973
1974
1975
W. Bauer
W. Bauer
N. Kloten
N. Kloten
N. Kloten
N. Kloten
A. Gutowski
A. Gutowski
A. Gutowski
A. Gutowski
G. Scherhorn
G. Scherhorn
K. Köhler
K. Köhler
O. Sievert
O. Sievert
O. Sievert
O. Sievert
K. Schmidt
K. Schmidt
1978
1979
1976
1977 O. Graf von Lambsdorff
A. Gutowski
A. Gutowski
G. Scherhorn
O. Sievert
G. Scherhorn
G. Scherhorn
O. Sievert
K. Schmidt
O. Sievert
O. Sievert
K. Schmidt
G. Fels
K. Schmidt
K. Schmidt
G. Fels
H. Albach
G. Fels
G. Fels
H. Albach
W. Glastetter
1980
1981
1982
1983
CDU/FDP O. Sievert
O. Sievert
O. Sievert
O. Sievert
G. Scherhorn
G. Scherhorn
K. Schmidt
K. Schmidt
O. Sievert
O. Sievert
H.-J. Krupp
H.-J. Krupp
K. Schmidt
K. Schmidt
H. Albach
E. Helmstädter
W. Glastetter
W. Glastetter
H.-K. Schneider
H.-K. Schneider
170
8 Anhang
Jahr
1984
Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
M. Bangemann
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
1985
1986
1987
O. Sievert
D. Mertens
D. Pohmer
D. Pohmer
D. Mertens
D. Pohmer
E. Helmstädter
E. Helmstädter
D. Pohmer
E. Helmstädter
H.-K. Schneider
H.-K. Schneider
E. Helmstädter
H.-K. Schneider
H. Hesse
H. Hesse
H.-K. Schneider
H. Hesse
R. Pohl
R. Pohl
1988 H. Haussmann
1989
1990
1991 J. Möllemann
D. Pohmer
D. Pohmer
D. Pohmer
H.-K. Schneider
O. Issing
O. Issing
O Issing
H. Hax
H.-K. Schneider
H.-K. Schneider
H.-K. Schneider
R. Pohl
H. Hesse
H. Hax
H. Hax
H. Siebert
R. Pohl
R. Pohl
R. Pohl
R. Peffekoven
1992
1993 G. Rexrodt
1994
1995
H. Hax
H. Hax
H. Hax
H. Hax
R. Pohl
R. Pohl
W. Franz
W. Franz
H. Siebert
H. Siebert
H. Siebert
H. Siebert
R. Peffekoven
R. Peffekoven
R. Peffekoven
R. Peffekoven
J. B. Donges
J. B. Donges
J. B. Donges
J. B. Donges
171
8 Anhang
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
Jahr Bundeswirtschaftsminister Regierung Ratsbesetzung
1996
1997
1998
1999
W. Müller SPD/Grüne H. Hax
H. Hax
H. Hax
H. Hax
W. Franz
W. Franz
W. Franz
J. Kromphardt
H. Siebert
H. Siebert
H. Siebert
H. Siebert
R. Peffekoven
R. Peffekoven
R. Peffekoven
R. Peffekoven
J. B. Donges
J. B. Donges
J. B. Donges
J. B. Donges
2000
2001
2002
2003
W. Clement
J. Kromphardt
J. Kromphardt
J. Kromphardt
J. Kromphardt
H. Siebert
H. Siebert
H. Siebert
W. Franz
R. Peffekoven
W. Wiegard
W. Wiegard
W. Wiegard
J. B. Donges
J. B. Donges
A. A. Weber
A. A. Weber
B. Rürup
B. Rürup
Bert Rürup
B. Rürup
2004
2005
W. Franz
W. Franz
W. Wiegard
W. Wiegard
B. Weder Di Mauro
B. Weder Di Mauro
B. Rürup
B.Rürup
P. Bofinger
P. Bofinger
172
8 Anhang
Tabelle 4: Anhang 3: Schriftliche Anfragen an Ratsmitglieder, die bei ihrer Berufung von Gewerkschaftsseite unterstützt wurden SVR-
Frage 1: Wurden
Frage 2: Wie hoch schätzen
Frage 3: Denken Sie, dass
Mitglied
Sie von Gewerk-
Sie den Einfluss des
eine rationale Wirtschafts-
(Zeitraum
schaftsseite oder
Bundeswirtschaftministers
politik durch den SVR
der
der Regierung in
bzw. Bundesfinanzministers
gefördert werden kann,
Ratstätigkeit)
den SVR berufen?
bzw. Bundeskanzlers auf die
auch wenn die Regierung
Kooptation der SVR-
starken Einfluss auf die
Mitglieder?
Besetzung des Gremiums hat?
G. Scherhorn
[Von Gewerk-
Die Ernennungsurkunde wird
Sicher kann sie durch einen
(1974-1978)
schaftsseite
vom Bundespräsidenten und
SVR gefördert werden, in
vorgeschlagen]
vom Bundeskanzler
dem die jeweils zentralen
unterschrieben, der
wirtschaftspolitischen
Bundeswirtschaftsminister
Positionen angemessen
bereitet die Ernennungen vor.
vertreten sind. Doch wie
Gegen den Einspruch eines
kann es dazu kommen,
dieser Ressorts wird niemand
wenn der Mainstream nur
kooptiert; ich bin sicher, dass
eine Position toleriert? Das
auch der Bundesfinanzminis-
gilt zumindest für Bereiche
ter gefragt wird. Sie wissen,
wie die Lohnpolitik und die
dass für die fünf Ratsstellen
Verteilungspolitik, die
verschiedene gesellschaftli-
durch seriöse öffentliche
che Gruppierungen ein
Argumentation politisch
zumindest informelles
beeinflussbar wären. Aber
Vorschlagsrecht haben. Die
wenn eine ernsthafte
eingehenden Vorschläge
Auseinandersetzung in der
werden nach Möglichkeit
Wirtschaftswissenschaft
berücksichtigt. Die
gar nicht stattfindet, wie
Vorschlagsrechte sind so
soll sie sich dann im SVR
173
8 Anhang verteilt, dass die Wahl stets
einstellen? Er ist ja z.B.
auf eine Person aus dem
immer noch der Meinung,
wirtschaftswissenschaftlichen
Arbeitszeitverkürzung sei
Mainstream fallen kann. Der
kein relevantes Thema. – In
war immer konservativ, seit
anderen Bereichen wie
den 1970er Jahren hat er sich
etwa der Subventionspoli-
angebotstheoretisch
tik dagegen würde auch die
orientiert. Eine Ausnahme
kritischste Meinung des
bilden nur die Gewerkschaf-
SVR die Verteilung der
ten, sie haben meist versucht,
politischen Gewichte nicht
einen sozial- und nachfrage-
beeinflussen.
ökonomisch orientierten
Im Übrigen ist nicht nur in
Wirtschaftswissenschaftler
der Besetzung des
zu benennen. Die Parteizuge-
Gremiums ein Einflussfak-
hörigkeit war m.W. nicht so
tor. Der SVR kann keine
wichtig, mehrere Ratsmit-
eigenen Untersuchungen
glieder gehörten keiner Partei
anstellen, er bedient sich
an, ich denke sogar die
der öffentlich bzw.
meisten. Das war auch gar
wissenschaftlich zugängli-
nicht nötig, das Procedere
chen Informationsquellen,
war Garantie dafür, dass der
der Daten des Statistischen
Rat in Sachen Lohnpolitik
Bundesamtes und der
stets eine arbeitgeberfreund-
Auskünfte der Regierungs-
liche Mehrheit hatte.
ressorts, für die er ein Anhörungsrecht hat. Aber die Auskünfte, die er von diesen bekommt, muss er dann auch zu pari nehmen, und mit den Daten der amtlichen Statistik, die ihm großzügig zur Verfügung gestellt werden, muss er sich dann auch begnügen.
174
8 Anhang
R. Pohl
Ich bin vom DGB
Zuständig ist BMWi. Da der
Die klare Antwort ist: ja.
(1986-1993)
vorgeschlagen
Vorschlag aber von der
Zwar bestimmt die
worden. „Berufen“
Bundesregierung zu machen
Bundesregierung die
bin ich natürlich
ist, gehe ich davon aus, dass
Mitglieder des SVR. Aber
vom Bundespräsi-
eine Abstimmung mit den
die berufenen Mitglieder
denten auf
anderen Ressorts und dem
sind völlig unabhängig und
Vorschlag der
Kanzleramt im Vorfeld
fühlen sich insbesondere
Bundesregierung.
stattfindet.
auch gegenüber der Bundesregierung nicht verpflichtet. Aus langjähriger Erfahrung kann ich Ihnen sagen, der SVR ist nicht nur formal, sondern auch faktisch ein unabhängiges Gremium.
J.
Ich wurde von der
Die Berufung wird zwischen
Ohne das Vorschlagsrecht
Kromphardt
Bundesregierung
dem zuständigen Bundesmi-
der Gewerkschaften wäre
(1999-2003)
auf Vorschlag der
nister und dem Bundeskanz-
der SVR überwiegend
Gewerkschaften
leramt abgestimmt.
völlig einseitig besetzt.
berufen, ebenso wie mein Nachfolger, Herr Bofinger. Auf der Gegenseite ist Herr Franz auf Vorschlag der Arbeitgeberseite berufen worden.
P. Bofinger
[Von Gewerk-
Es findet beim SVR keine
Eine rationale Wirtschafts-
(2004-heute)
schaftsseite
Kooptation der Mitglieder
politik zu fördern, ist
vorgeschlagen]
statt. Die neuen Mitglieder
immer das Anliegen des
175
8 Anhang
werden ausschließlich von
Rates. Bei allen Meinungs-
der Bundesregierung bestellt.
verschiedenheiten bin ich der Auffassung, dass dies auch mit dem hohen Einfluss der Regierung bei der Besetzung des SVR erreicht werden konnte.