Günter Barudio
Tränen des Teufels Eine Weltgeschichte des Erdöls
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Günter Barudio
Tränen des Teufels Eine Weltgeschichte des Erdöls
scanned by unknown corrected by jens Eine umfassende Weltgeschichte des Erdöls - Technik, Wirtschaft, Politik und Kultur. Auf dem neuesten Stand. Mit einem Ausblick auf die Alternative Geowärme. ISBN: 3608916806 Verlag: Klett-Cotta Erscheinungsdatum: September 2001
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Buch Es hat Wirtschaftsimperien geschaffen und die beiden Weltkriege beeinflußt, es hat die technische Entwicklung der Neuzeit vorangetrieben und ganze Erdteile reich gemacht. Es ist der Stoff, ohne den unser Alltag aufhörte zu funktionieren - das Erdöl. Anschaulich und kompetent beschreibt Günter Barudio die Geschichte und die Macht dieser einzigartigen Substanz. Die ersten Bergbauversuche im Deutschland des 18. Jahrhunderts, die Fortschritte in der Bohr- und Fördertechnik, die Anfänge in Amerika und die sich stürmisch entwickelnde organische Chemie bis zum Aufkommen des »Big Oil«: Shell, Mobil Oil, Exxon, BP und anderer. Venezuela, Mexiko, der Kaukasus und die arabischen Förderländer werden dargestellt, das Verhältnis der Ölkartelle zur Politik, die Geschichte der OPEC. Eingehend analysiert wird die Rolle des Erdöls in den Weltkriegen und bei der Erschließung der Nordsee - bis zum »Brent Spar«-Vorfall, der einen Konsumenten-Boykott auslöste. In den letzten zehn Jahren hat sich ein grundlegender Wandel der Rolle des Öls vom Energieträger zum Grundstoff einer weltumspannenden »Life science«-Industrie vollzogen. Gestiegenes Umweltbewußtsein, das Ozonloch, Mega-Fusionen auch in der Erdöl-Industrie, der Preiskrieg an unseren Tankstellen bis in unsere Tage führt diese faszinierende Darstellung. Ein großes Werk der Wirtschafts- und Zivilisationsgeschichte. Es endet mit dem Appell, daß der Mensch sich seiner Treuhänderrolle der Natur gegenüber bewußt werden muß.
Autor
Günter Barudio 1942 geboren. Studierte nach Ausbildung zum Öltechniker (1962) und Externem Abitur (1965) Jura, Philosophie, Skandinavistik und Osteuropäische Geschichte. Promotion (1973). Mehrere Bücher über »Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 1648-1779« (FWG 25, 1981), »Gustav Adolf der Große« (1982), »Der Teutsche Krieg 1618-1648« (1985), »Paris im Rausch« (1989), »Politik als Kultur« (Lexikon, 1994). Barudio lebt in Frankfurt am Main.
Für Bernhard Köhler Stephan M. Hess Alexander Hannah Toiko
»Das Öl ist der Lebensnerv der Zivilisation, ohne das sie nicht bestehen könnte: ob es sich dabei um riesige Fabriken, um den Verkehr über Land, in der Luft und auf See handelt, ob es Flugzeuge oder Unterseeboote betrifft ohne Öl wären sie nur rostendes Blech.« Camal Abd el-Nasser
INHALT TRÄNEN DES TEUFELS: Einleitung ...........................................................9 ÖL IN DER FALLE..........................................................................................23 Feuer und Wasser............................................................................................ 26 Lagerstätten...................................................................................................... 37 Schall-Mauern .................................................................................................. 50 »NUR IMMER TIEFER!« ..............................................................................56 Deutsche Pioniere ............................................................................................ 62 Bohrwege ins Öl .............................................................................................. 71 Rotary ................................................................................................................ 78 AM KOCHPUNKT ...........................................................................................86 Welt der Sonden .............................................................................................. 89 Venezuela ........................................................................................................102 »Eigentum verpflichtet«...............................................................................125 DIE PEST AN BORD .................................................................................... 137 Öl im Fluß.......................................................................................................140 Das Tanker-Syndrom....................................................................................151 Höllentage.......................................................................................................159 EIN RING ZIEHT KREISE........................................................................ 165 Teufelsfarben..................................................................................................168 »Benzin im Blut«...........................................................................................182 Stoffe und Steine ...........................................................................................189 SUPER-KARTELLE ..................................................................................... 194 »Anaconda«....................................................................................................197 Sieben Schwestern.........................................................................................212 Der Opec-Traum............................................................................................224 DER AMERIKANISCHE TRAUM........................................................... 236
Öl-Könige .......................................................................................................239 Ein Alptraum..................................................................................................256 »Jenseits von Eden«......................................................................................266 FEUER ÜBER BAKU.................................................................................... 279 Nafta und Nobel.............................................................................................283 Umbrüche........................................................................................................296 Ein schweres Erbe .........................................................................................304 ÖL IM KRIEG ................................................................................................. 313 »Auf einer Woge Öl« ....................................................................................316 Der geölte Blitz..............................................................................................331 Vergasungen...................................................................................................343 DER GOLDENE GÜRTEL ......................................................................... 353 »Mexikos Blut«..............................................................................................357 Die Weiße Rose.............................................................................................370 Rotes Tuch Pemex.........................................................................................380 EIN GESCHENK GOTTES ........................................................................ 389 Arabiens Aufbruch........................................................................................392 Zaki Yamani...................................................................................................399 Petro-Islam......................................................................................................414 »KEIN BLUT FÜR ÖL« ............................................................................... 424 Ein bizarrer Traum........................................................................................426 Macht-Algebra ...............................................................................................436 Befreiung Kuwaits.........................................................................................443 BRENNPUNKT: NORDSEE....................................................................... 450 Freiheit der Meere .........................................................................................455 Ein Teufelskerl? .............................................................................................462 Brent Spar .......................................................................................................472 DER KONGRESS ADELT .......................................................................... 480 Öl oder Atom? ................................................................................................484 Ethik und Technik .........................................................................................492
Die neue Ölordnung......................................................................................503 HÖLLENSTURZ INS AUS? ....................................................................... 521 NACHWORT................................................................................................... 536 ANMERKUNGEN .......................................................................................... 539 Tränen des Teufels (S. 9-21) .......................................................................540 Öl in der Falle (S. 22-51) .............................................................................542 »Nur immer tiefer!« (S. 52-79) ...................................................................547 Am Kochpunkt (S. 80-126) .........................................................................551 Die Pest an Bord (S. 127-151) ....................................................................556 Ein Ring zieht Kreise (S. 152-177) ............................................................559 Super-Kartelle (S. 178-216).........................................................................562 Der Amerikanische Traum (S. 217-256)...................................................568 Feuer über Baku (S. 257-288).....................................................................573 Öl im Krieg (S. 289-324) .............................................................................578 Der Goldene Gürtel (S. 325-357) ...............................................................582 Ein Geschenk Gottes (S. 358-389) .............................................................585 Brennpunkt: Nordsee (S. 414-440).............................................................593 Der Kongreß adelt (S. 441 -477).................................................................596 Höllensturz ins Aus (S. 478-491) ...............................................................598 LITERATUR.................................................................................................... 600 Zeitschriften - Magazine - Zeitungen.........................................................605 ZEITTAFEL...................................................................................................607
TRÄNEN DES TEUFELS: Einleitung Öl ist ein Wunder der Natur. Es gleicht einem Nachtspeicher der Sonne, dessen Anfänge bis in die Altzeit oder das Paläozoikum des Planeten Erde reichen - mehr als 300 Millionen Jahre zurück. Zu diesem Vergleich kann man kommen, wenn die chemische Zusammensetzung dieses Stoffes berücksichtigt wird. Allein der Verbrennungsanteil von Kohlendioxid oder CO2 verweist auf die Photosynthese. Dieser elementare Wandlungsprozeß erzeugt aus energiearmen Mineralstoffen mittels Blattgrün, Sonnenlicht sowie Wasser energiereiche Grundstoffe für Fauna und Flora ohne sie wären weder das Öl noch der Mensch entstanden. Schon aufgrund dieser fundamentalen Bindung sollte Öl nicht mehr wie bisher nur als fossile Energie und damit als endlicher Rohstoff betrachtet, sondern auch als eine solare Kraft bewertet werden - in flüssigem Aggregatzustand, ähnlich der festen Kohle und dem flüchtigen Erdgas. Zur Zeit des Sonnenkultes im Pharaonischen Ägypten wurde denn auch Bitumen als entgastem Öl und Urstoff eine göttliche Verehrung zuteil. Man hatte es in Ausbissen oder oberirdischen Sickerstellen gefunden und für die Balsamierung der toten GottKönige verwendet. Eine meist nach Schwefel riechende, zähklebrige und schwarzbraune Masse, die Noah auf die Anweisung seines Gottes Jahwe zu nutzen hatte: »Baue dir eine Arche aus harzigem Holz… und überziehe sie innen und außen mit Pech« (Gen 6, 14). Diesen wasserabweisenden Stoff, der die Menschheit zu biblischer Zeit vor der Sintflut gerettet haben soll, nennt man in den Hauptsprachen der Welt entweder Erdöl, Nafta oder -9-
Petroleum. Wurde Öl einst als Dichtungsmaterial und Heilmittel bei Rheuma wie ein Segen empfunden, so gilt es heute für eine mobil gewordene Welt-Gesellschaft als steigende Belastung. Denn bald nach seiner industriellen Erschließung im Jahre 1859 bei Titusville/Pennsylvanien wurde es als Leuchtstoff von Millionen Öllampen zu Ruß verbrannt: In der Generation danach nutzte man es als Treibstoff für unzählige Feuerzeuge, Schiffsantriebe, Automotoren, Flugzeugdüsen, Traktoren, Rasenmäher, Baumsägen und Schneescooter. Die damit verbundene Pyromanie oder Verbrennungssucht des technischen Industrialismus und Konsumismus könnte man auch das Prometheus-Syndrom nennen. Denn dieses Verhalten trägt fast zwanghafte Züge. Ähnlich einer Krankheit, deren Diagnose mit einer Reihe verzerrter Begriffe gestellt wird und für die eine erfolgverspreche nde Therapie nur unter großen Mühen erarbeitet werden kann. Das ist nicht verwunderlich. Denn an die ungehinderte Verfügung über Rohöl und dessen Veredlungsprodukte wie Benzin, Diesel oder Kerosin ist noch immer die westliche Vorstellung von Fortschritt und Freiheit gekoppelt: Besonders der American way of life gilt diesem Konsumdenken als Inbegriff höchst erstrebenswerter Mobilität, Lebensart und Modernität. Der Preis jedoch für dieses materielle Dasein unkontrollierter Verschwendung scheint mit jeder Klimakonferenz seit Toronto im Jahre 1988 unaufhaltsam zu steigen. Neben der Entdeckung des Ozonlochs über den beiden Polkappen beunruhigt die Experten vor allem die fast ungebremste Verbrennungsorgie von Öl, Kohle und Gas in den wichtigsten Industrieländern wie den USA, Japan oder Rußland. Denn deren schädliche Rückstände verstärken Jahr um Jahr mehr den Treibhauseffekt und verändern das Klima nicht nur lokal und regional über industriellen Ballungsräumen, sondern auch global. Zum unwiderruflichen Schaden aller Menschen, Tiere und Pflanzen, -10-
den der englische Physiker Stephen Hawking schon in die Katastrophe münden sieht, daß die Erde das Los der Planeten Mars und Venus erleiden wird zuerst einen Kollaps der Biosphäre und am Ende den Hitzetod. Gegen den fast wahnhaften Vollzug dieser Entwicklung haben sich schon früh warnende Stimmen erhoben. In Deutschland war die Losung »Blauer Himmel über der Ruhr« bereits 1961 ein Wahlkampfthema, ohne große Resonanz zu finden. Aber seit 1969, als der erste Mensch auf dem Mond landete, engagiert sich die kalifornische Umweltbewegung Big Green gegen Big Oil. Angesichts der Wasser-, Erd- und Luftverschmutzungen (Smog über Los Angeles) lehrten die Aktivisten dieser Organisation die Ölleute das Fürchten und veranlaßten sie zumindest in Teilbereichen zum Umdenken. Diese geradezu historische Veränderung im Produktions- und Konsumverhalten umfaßt auch gezielte Gesetze für den Alltag im Sonnen-Staat Californien. Sie schreiben unter anderem einen erhöhten Prozentsatz neu zugelassener Autos mit NichtVerbrennungsmotoren vor, d.h. mit Hybrid-, Elektro- oder Brennstoffzellen-Antrieb. Ein solcher Wandel kann aber nur deshalb gelingen, weil sich die Umweltschützer über das Wesen und Wirken von Öl ein umfassendes und kompetentes Wissen erarbeitet haben: Sie gingen beispielhaft den Weg »aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit«, wie ihn Kant 1784 für die Erste Aufklärung gefordert hat, um Treuhänder gegenüber Natur und Mensch zu werden. Dieser mitunter schmerzhafte Lernprozeß führte auch in Westeuropa zu der Einsicht, daß der Kampf gegen den Autokult und die Industrie-Vergötzung nur dann Erfolg verspricht, wenn die Kritik bei der wirklichen Ursache ansetzt. Dazu gehört vor allem die Begriffsklärung, daß das Verbrennen von Heizöl oder Treibstoff kein Energie-Verbrauch sein kann. Das wird zwar seit vorindustrieller Zeit behauptet, tatsächlich aber muß dieser Vorgang als Energie-Verwertung eingestuft werden - mit -11-
enormen Folgelasten. Die Voraussetzungen für den hier so notwendigen Begriffsund Bewußtseinswandel hatte Julius Robert Mayer bereits 1842 geschaffen. Das war lange vor dem Epochenjahr 1867, als in Paris die Weltausstellung einige technische Triumphe feierte und das erste taugliche Verbrennungsaggregat erfunden worden war - der Otto-Motor als Gasmaschine, die ein neues Zeitalter einleitete. Mayer stellte nämlich fest, daß es auf Erden wie im gesamten Kosmos eine Konstanz aller Energie gibt, die nur in verschiedenen Formen auftritt. Werden demnach von einem Auto zehn Liter Benzin auf hundert Kilometer verbrannt, dann wird der Treibstoff nach der elektrischen Zündung nicht nur für die erwartete Maschinenarbeit oder Bewegung verwertet, sondern auch in Abwärme und allerlei Belastungsstoffe umgewandelt. In der berechtigten Kritik an diesem destruktiven Verhalten wird aber selbst von kompetenten Umweltschützern immer wieder die Tatsache übersehen, daß das auf allen Klimakonferenzen in Rio de Janeiro, Kyoto, Den Haag und Bonn angeprangerte Kohlendioxid kein Schadstoff ist, sondern ein Grundbaustoff des organischen Lebens. Es entsteht bei jedem Verbrennungsvorgang neu, also auch beim Atmen von Mensch und Tier sowie während der Photosynthese. Sie aber produziert Tag und Nacht gigantische Mengen an Kohlendioxid und speichert dieses unsichtbare, geruchlose und ungiftige Gas auf natürliche Weise durch die Kieselalgen der Meere und das Aufnahmevermögen der Wälder - gleichsam als Grundmasse für künftiges Öl. Das Problem ist nur: Was die Natur aus guten Gründen bindet, setzt der Mensch aus schlechter Gewohnheit künstlich frei. Das Verbrennen von Holz, Öl, Kohle und Gas muß demnach auf lange Sicht die gesamte Lebenswelt des Menschen negativ beeinflussen. Denn dabei werden vor allem das hochgiftige Gas Kohlenmonoxid oder CO ebenso in die -12-
Atmosphäre geblasen wie das toxisch wirkende Methangas oder das Seveso-Gift Dioxin, dessen Ausgangsbasis von Steinsalz und Erdöl gebildet wird - in Form von PVC, sobald dieser Baustoff brennt. Angesichts dieser Sachlage bedarf es genauer Kenntnisse, um aus den Fehlern der Vergangenhe it auf unsere gefährdete Gegenwart zu schließen und Entwicklungen umzukehren, soll die Zukunft der Menschheit nicht binnen weniger Generationen verheizt und der Planet vollends vergiftet werden. Noch sträuben sich einige Manager von Big Oil in den USA und Kanada gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft. Mit ihrer Lobby in Gestalt der Global Climate Coalition lassen sie sogar gegen eine verschärfte Umweltpolitik wettern, die sie als gewinnmindernd und geschäftsschädigend einstufen. Aber die Ölindustrie besonders in Europa hat längst damit begonnen, bei sich selbst einen qualitativen und nachhaltigen Wandel herbeizuführen. Mit Hilfe einer innovativen Technik und der Veränderung von Organisationsstrukturen konnte bereits im Bohrbetrieb, bei der Ölförderung, währ end des Transports und selbst hinsichtlich der Veredelung des Rohöls in Raffinerien manch eine zukunftsweisende Verbesserung erzielt werden. Möglich wurde diese Umkehr in erster Linie durch den politischen Druck einer von Verschmutzungen geplagten Öffentlichkeit, die nach zahlreichen Umweltskandalen eine rechtlich gesicherte Schadensabwehr verlangte. Gleichzeitig ergab sich selbst in den Chefetagen der Ölkonzerne eine fundamentale Änderung in der Einstellung zum eigenen Rohstoff. Wurden Öl und Gas während ihrer Industriegeschichte als Heizmaterial, Energieträger und Treibstoff eingesetzt, so hat sich diese Einstellung innerhalb nur eines Jahrzehnts erheblich geändert. Im Zuge auch von Großfusionen wie zwischen Esso und Mobil Oil hat längst das Nachdenken darüber begonnen, wie das Öl als Träger der technischen Zivilisation auf eine zukunftsgerichtete Weise optimiert werden kann - hin zu einem -13-
Grundstoff für die neue Lifescience-Kultur. Sie gilt im Zeichen auch der New Economy als eine hochinnovative Erweiterung der herkömmlichen Pharmazie, Biochemie und Gentechnik. Deren Ziel soll vornehmlich darin bestehen, die Lebensqualität des Menschen zu verbessern, im Bereich zahlreicher Krankheiten sein Dasein durch wissenschaftliche Kenntnisse entscheidend zu verändern und das Humankapital zur Stärkung des Gemeinwohls zu nutzen. Man denke hier nur an den hohen Paraffin- Anteil im Rohöl. Diese ungiftige Substanz findet als Trägerstoff für Salben und Cremes sowohl in der Pharmazie als auch in der KosmetikIndustrie eine heilsame Verwendung. Auch das toxische Phenol, das aus Öl gewonnen wird, hilft in bestimmten Dosierungen, vor allem das humangenetisch und damit auf Bakterienbasis hergestellte Insulin temperaturbeständig zu halten: Ein täglicher Segen für Abermillionen zuckerkranker Menschen in aller Welt - darunter König Fahd von Saudi-Arabien. Das jüngste Kapitel in der Firmen-Geschichte der seit 1863 so traditionsbewußten Frankfurter Hoechst AG verdeutlicht nachdrücklich die Umwertung des Öls vom schädlichen Treibstoff zum menschengerechten Kulturgut. Dieser fast dramatische Wandel im überkommenen Industrialismus ist allerdings nicht ohne Widerstände eingeleitet worden. Er mußte sogar in diesem Fall weniger den Gewerkschaften oder gar den Kartellbehörden abgerungen werden als vielmehr der Kuwait Oil Company. Sie nämlich hält knapp ein Viertel des AktienKapitals am alten Farben-Konzern, der sich neben der FuchsinProduktion und Kunststoffherstellung aus Erdgas schon früh einen Namen für die Sicherung von Penicillin und Insulin gemacht hat. Nach zeitweise zähen Verhandlungen gab der arabische Aktionär aber dann doch die Zustimmung dafür, das Unternehmen mit dem französischen Pharma-Riesen RhònePoulenc zu fusionieren, um daraus unter einem neuen Namen den Zukunftskonzern Aventis zu gestalten. -14-
Bei all diesen Veränderungen im Sinne eines historischen Strukturwandels, zu dem auch die Tatsache gehört, daß die Ölkonzerne Shell und BP mittlerweile die größten Hersteller und Nutzer von Solar-Zellen auf der Welt sind, bleiben ein paar fundamentale Fragen offen. Sprechen wir im Zeichen des Computers von einer Zweiten Industriellen Revolution, dann verlangen vor allem die Herausforderungen der Technik nach einer Zweiten Aufklärung (Neil Postman). Ihr obliegt gegen die »Entzauberung der Natur« durch die Erste Aufklärung die notwendige Rückgewinnung der Ethik als Normsystem zum Schutz von Natur und Mensch: Ein universelles Anliegen, dem sich die globalisierte Öl- Industrie nicht verschließen darf, wenn sie den Forderungen der Zukunft entsprechen will. Werden demnach Öl, Erdgas und Kohle immer weniger zu Heizzwecken eingesetzt und auch die Kernkraftwerke als Stromlieferanten abgebaut, dann braucht man für die fehlenden Kapazitäten einen gleichwertigen Ersatz. Dabei wird es zu einem besonderen Energie-Mix kommen müssen, der verbrennungsfreie, umweltgerechte und hocheffektive Energieformen zu einem intelligent optimierten Netzwerk verbindet. Der mittlerweile schon reichlich genutzten Wasser-, Solarund Wind-Energie wird deshalb künftig noch die Geowärme als Primärquelle hinzugefügt werden müssen. Sie ist vor allem den Tiefbohrern seit langem bekannt und beruht auf dem Phänomen der »geothermischen Tiefenstufe«. Darunter versteht man die stetige Zunahme der Erdwärme zum Erdmittelpunkt hin. In Europa und Nordamerika beträgt sie im Durchschnitt gut drei Grad Celsius auf 100 Meter Teufe, d.h., am Ende eines Bohrlochs von mehr als 2000 Meter herrscht eine konstante Wärme, die eingeleitetes Wasser bis zum Kochpunkt erhitzt. Diese Tatsache ist zwar auf den Bohrtürmen gefürchtet, weil Wasserspülungen wegen der Verdampfungsgefahr nicht mehr -15-
eingesetzt werden können. Doch in Island oder Italien wird diese Erhitzung schon längst genutzt. Auch das gut erprobte Hot-Dry-Rock-Verfahren aus den USA leistet seit Jahr und Tag in der Stadt Brandenburg bei Berlin hervorragende Dienste: Es kommt ohne Schadstoffe aus und ist völlig unabhängig von Ölbrennern, Kohle-Öfen, Gas-Herden, Solarzellen, Windrädern oder Uran-Brennstäben in Atom-Meilern, deren Endlagerung bis jetzt noch in keinem Land mit Kernkraftanlagen gelöst werden konnte. Allein die Erschließung und der Ausbau dieser bisher »vergessenen Energie« (Bußmann), bei der auch eingepumpte Luft zu nutzen wäre, würde Einzelgehöfte wie auf Island oder ganze Dörfer und Stadtteile mit Heizwärme versorgen, sauber und dauerhaft. Der gleichzeitig erzeugte Strom könnte die dringend erwünschte Umstellung auf das Elektro-Auto bewirken, das nachts aufgeladen wird, ohne mit einem Bedrohungs- oder Belastungspotential rechnen zu müssen: Das dabei eingesparte und so wertvolle Öl stünde dann in erhöhtem Maße der Life-Science zur Verfügung. Diese Vision von heißer Luft hat etwas sehr Reales. Denn sie kann eine fast zweihundertjährige Erfahrung in der Bohr- und Fördertechnik nutzen, die in Zukunft verstärkt in den Bereich der Überteufen vorstoßen wird und damit jenseits der Bohrgrenze von 5000 Metern. Der immer noch steigende Bedarf an Öl verlangt nach solchen Herausforderungen für eine Technik, die auch in die Tiefsee vordringen möchte. Allerdings bedeuten derartige Hochleistungen auch besondere Anstrengungen für das Investitionskapital, das die global tätigen Großkonzerne längst nicht mehr aus dem Treibstoffgeschäft allein erwirtschaften können. So haben an der europaweiten Erhöhung des Benzinpreises im Sommer 2000 nicht die Öl- Multis oder die ÖlScheichs bei den Autofahrern abkassiert, wie von Politikern, Medien oder Stammtischen oft böswillig unterstellt wurde. -16-
Vielmehr schrieben die Konzerne für diesen Geschäftsbereich tiefrote Zahlen, während der staatliche Fiskus den Hauptanteil an den Zapfsäulen forderte: Groß-Britannien als selbstversorgender Produzent und Exporteur 88%, Norwegen in der gleichen Lage 83%, Deutschland 77%, die Niederlande 45% und die USA lediglich 31,5% Mineralölsteuer. Dieses Beispiel allein verdeutlicht besonders im Hinblick auf die bundesdeutsche Öko-Steuer, daß die Ölwirtschaft nicht nur das wichtigste Fundament der Industrie bildet. Sie ist mittlerweile aufgrund der Besteuerung ihrer Produkte auch zur wichtigsten Einnahmequelle des jeweils nationalen Staatshaushaltes geworden. Das öl unterliegt demnach in einem hohen Maße dem Einfluß der Politik, die überdies gerade im Energiesektor für erhebliche Investitionslenkungen zuständig ist. Ein Blick nur auf die massive staatliche Förderung der friedlich genutzten Kernenergie beweist zur Genüge das bisherige Ungleichgewicht bei öffentlichen Investitionen zugunsten einer Stromerzeugung ohne Öl. Deren Bevorzugung förderte aber nicht das Ersetzen des Benzinmotors durch einen leistungsfähigen Elektro-Antrieb. Vielmehr wurde sie einzig und allein aus der Angst abgeleitet, vor einer auch politisch motivierten Ölverknappung zu stehen: Das nahm noch Willy Brandt als Bundeskanzler an, worauf seine sozialliberale Regierung 1973 mit Sonntags-Fahrverboten reagierte. Von den Warnungen des Club of Rome geleitet, dessen Experten bereits ein Jahr zuvor in ihrem Bericht über die »Grenzen des Wachstums« ernsthaft annahmen, daß es zur Jahrtausendwende kaum noch Öl geben würde, erscheinen derartige Beschlüsse der hohen Politik als Reaktion auf die Ölpreiskrise von 1973 verständlich. Sie zeigen aber auch ein enormes Informationsdefizit und einen geringen Kenntnisstand hinsichtlich der Welt des Öls, seiner Technik und der oft komplexen Preisbildung. Man erinnere sich nur daran, daß es noch im Februar 1999 die -17-
größte Ölschwemme der Geschichte gegeben hat und der Faßpreis zeitweise unter 10 Dollar gerutscht war, also die Preisgrenze von 12 Dollar im Krisenjahr 1973 unterbot. Hier wurde nicht nur die Vorhersage des Club of Rome vom Markt widerlegt, sondern auch darauf hingewiesen, daß es die Allmacht der Opec als staatliches Preis-Kartell so wenig gab wie jene der regelmäßig gescholtenen Öl- Multis. Trotz dieser und anderer Preisschwankungen bleibt die Sorge um die künftige Ölversorgung ein wesentliches Thema, zumal sich die Milliarden-Länder China und Indien anschicken, ihre Motorisierung hauptsächlich mit Öl- Treibstoffen voranzubringen. Heute schon für viele Kritiker dieses »amerikanischen Weges« ein Alp traum: Wegen der Smogbildung, Atemwegserkrankungen und sonstiger Umweltschäden erst in Japan und nun auch im übrigen Asien. Angesichts dieser realen Schreckens-Szenarien verrußter Städte ohne Lebensqualität muß über das Prometheus-Syndrom verstärkt nachgedacht werden, zumal die Warnung des Geologen Collin Campell von Gewicht ist. Nach seiner Auswertung der weltweit zugänglichen Förderdaten von etwa 1800 Ölfeldern auf der gesamten Erde stellte er zum Verhältnis von sicheren Vorräten und laufendem Bedarf fest, daß etwa viermal mehr Öl verwertet wird als neue Vorkommen gefunden werden. Ähnliche Rechnungen finden sich aber in der Geschichte dieses Rohstoffs zuhauf. Sie haben sich bis jetzt jedesmal als voreilig erwiesen und nicht genügend berücksichtigt, daß noch immer halbe Kontinente ölgeologisch und bohrtechnisch nicht erschlossen sind. Das gilt für Afrika ebenso wie für Lateinamerika, Asien oder die beiden arktischen Großräume samt ihren Küsten-Regionen, von der Tiefsee in allen sieben Meeren einmal ganz abgesehen. Außerdem wird in diesen Hochrechnungen weder auf die sekundären noch auf die tertiären Fördermethoden hinreichend Bezug genommen, mit -18-
denen alte und neue Ölträger behandelt werden können - bis zur optimalen Entleerung, die erst heute mit Hilfe von Bakterien möglich ist. Was immer auch zur Geologie, Technik, Wirtschaft und Politik dieses Grundstoffes im Zeichen der Post-Moderne gesagt werden kann, so bleibt doch im Rahmen dieses ersten Versuchs einer Weltgeschichte des Öls das damit verbundene ethische Problem virulent. Charles Austin Beard als Geschichtsschreiber der Industriellen Revolution von 1901 hat es ebenso bewegt wie John Silber in seinem aufrüttelnden Buch von 1989 Ist Amerika zu retten? oder auch Herbert Gruhl mit dem flammend 1992 verfaßten Endzeit-Bericht Himmelfahrt ins Nichts. Gemeint ist die Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Gegenwart, Macht und Moral, Technik und Ethik, letztlich nach dem Menschenbild selbst in der Öl- Industrie. Es muß hier in jedem behandelten Einzelfall erörtert werden und sollte sich nicht auf das verbreitete Klischee vom »Ölbohren, Biersaufen und Autofahren« beschränken, sondern das dem Menschen Zuträgliche erhellen. Dazu gehört vor allem die Erinnerung daran, daß schon in unvordenklicher Zeit die heilende Kraft des Öls aus dem Dunkel der Erde dabei geholfen hat, dem bedrängten Menschen gewisse Auswege zu eröffnen, und wenn es nur die Erkenntnis war, das Gute in sich selbst ständig erneuern zu müssen, um zu überleben. Wie schwer das fallen kann, hat die Klimakonferenz von Den Haag im Jahre 2000 auf eine erschreckende Weise gezeigt. Trotz eindeutiger Belastungen waren vor allem die USA, Kanada, Japan und Rußland als prozentual größte Verschmutzer der Erdatmosphäre nicht bereit, die Verpflichtungen von Kyoto zu ratifizieren, substantiell zu erweitern und den dringend notwendigen Klimaschutz zu stärken. Es mangelte wohl bei den zuständigen Politikern an jenem -19-
depositären Geist, der alle Religionen der Welt prägt und den John D. Rockefeller zwischen 1869 und 1937 auf seine persönliche Weise als Baptist zu pflegen wußte. Dieser so kapitalistisch handelnde Unternehmer, legendäre Gründer und Leiter der Esso als größtem Ölkonzern der Welt hat seinen sagenhaften Reichtum mittels einer Stiftung der öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht. Im Bewußtsein auch, ein Gegengewicht zu jener harschen Machinenwelt zu bilden, die permanent auf der Jagd nach den »Tränen des Teufels« war. Mit dieser Formel soll er einmal das Wesen des Öls gekennzeichnet haben, eingedenk auch der Schwefel-, Pech- und Blutspuren in einer Industrie, die er für den eigenen Profit und das öffentliche Wohl genutzt hat. Allein sein Werdegang wäre es wert, hier intensiv behandelt zu werden, schrieb er doch mit seinem langen und tätigen Leben ein erregendes Kapitel der Ölgeschichte. Es wird auch im Hinblick auf die frühe Tendenz zum Monopolismus und dann zur Kartell-Bildung als Zähmung des Marktes in dieser Ölgeschichte analysiert und bewertet. Aber gerade Rockefellers prägender Anteil vermittelt genau jene Defizite, die immer wieder auftreten, sobald auch bei seiner Biographie die Technikgeschichte des Öls ins Zentrum des Interesses rücken müßte, jedoch von seinen Biographen weitgehend ausgeblendet bleibt. Das ist verständlich, fühlen sich doch die meisten Historiker für diesen Bereich nicht kompetent genug. Außerdem war Rockefeller in erster Linie Kaufmann und bis 1919 ein Verfechter der Vermarktungsideologie oder des gewinnträchtigen Downstream. Diese unternehmerische Haltung in der Ölwirtschaft wollte mit dem Primärbereich der Erschließung und Produktion, dem Upstream, wenig zu tun haben. Das heißt, das geologische Aufspüren, mühsame Erbohren und aufwendige Fördern von Öl oder Gas überließ -20-
man risikofreudigen Pionieren und begnügte sich damit, den Downstream zu organisieren die Vermarktung des Schwarzen Goldes von der Förderstelle bis zur Zapfsäule. Vergleicht man Rockefe ller nur mit seinem ebenso erfolgreichen Zeitgenossen und Konkurrenten Ludvig Nobel, der von Baku aus ein globales Öl- Imperium aufgebaut hat, dann wird deutlich, daß eine Weltgeschichte dieses Rohstoffs ohne Bezugnahme auf die Technik nicht auskommen kann. Nobel, ein Bruder des Dynamit-Königs und Preisstifters Alfred Nobel, war nicht nur Kaufmann, sondern auch Erfinder und Techniker von hohen Graden, dem die Öl- Industrie manch eine epochemachende Innovation zu verdanken hat - vor allem den ersten Öltanker der Welt. Es gilt also, beide Bereiche dieser Grundstoff-Industrie von den Anfängen bis zum heutigen Strukturwandel an Schwerpunkten darzustellen. Dabei sollen sie einer immanenten Chronologie folgen und sich immer wieder auf den Rahmen des Rechts wie der Politik richten. Die eigene Erfahrung mit diesem Netzwerk der wichtigsten Welt-Industrie hat auch die IntegralMethode bestimmt, Geschichte auf eine Weise zu schreiben, bei der die Interdependenzen deutlich werden: Zwischen Personen und Ereignissen als unwiederholbaren Faktoren sowie zwischen Strukturen und Mentalitäten als wiederholbaren Elementen prägender Art. Daraus ergibt sich in diesem Versuch manch ein Faszinosum, das über den engen Sachbezug hinauswirkt und die grundsätzliche Frage stellt, wie wir gegenwärtig und künftig mit der Natur umgehen sollen. Allein das Verhältnis der Geognosie bis 1784 zum richtigen Verstehen des biblischen Schöpfungsberichtes und danach die Emanzipation der Geologie von den Vorgaben der Amtskirchen gehört zu den erregenden Vorgängen einer Aufklärung, deren oberstes Gebot in der Enttabuisierung der Natur lag: letztlich reduziert auf eine -21-
industriell verwertbare »tote Materie«. In diesem Prozeß der Moderne wurden Produktivkräfte entfesselt, die vor der Ersten Aufklärung nicht einmal denkbar waren. Jetzt aber nach gut 300 Jahren oft leidvoller Erfahrung wissen wir, daß sie nicht nur zu Steigerungen der Lebensqualität beigetragen haben, sondern sich in ihrem Technizismus auch äußerst destruktiv verhielten und Folgelasten auftürmten, die das Ende allen Lebens auf diesem Planeten bedeuten können. Wer eine solche Zukunft nicht erleben möchte und bereit ist, am Vorabend unserer Höllenfahrt ins Aus ein Bäumchen zu pflanzen, der ist gut beraten, sich auch anhand dieser Globalgeschichte des Öls sachkundig zu machen und der Natur mit treuen Händen zu begegnen: auf daß mit ihrer Hilfe das kostbare Raumschiff Erde in seinem Sonnensystem bewohnbar bleibe.
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ÖL IN DER FALLE Feuer und Wasser - Lagerstätten - Schallmauern Noch zur Zeit des Ölrausches von Texas ab 1901 und dann im Indianer-Territorium seit 1904, das erst 1907 als US-Staat Oklahoma der Union beitrat, stand für die meisten Bohrunternehmer und die mit ihnen verbundenen Bankiers fest, daß »die Geologie noch nie einen Tank mit Öl gefüllt hat«. Dieses schroffe Urteil über den praktischen Wert einer ganzen Wissenschaft war unfair. Es entsprach aber der Weltsicht aller Bohr-Pioniere von Titusville über Spindletop bis Tulsa. Denn diese Männer vertrauten in ihrer zupackenden Art mehr dem eigenen Öl-Riecher, Wünschelruten und anderem Aberglauben als wissenschaftlichen Gutachten von Geologen, die zwar schlau von Ausbissen, Leitfo ssilien und Antiklinalen daherredeten, jedoch dem begehrten Öl lange nicht auf die ausbeutbare Spur kamen. Diese Kluft zwischen Theorie und Praxis hat sich in den letzten hundert Jahren erheblich verringert und besonders den Öl-Geologen manch eine Anerkennung eingebracht. Dennoch halten sich in gewissen Ölkreisen der USA immer noch vorindustriell geprägte Positionen nach Maßgabe des Creationismus. Dessen oft fundamentalistisch gesinnte Verfechter nehmen das biblische Verständnis vom Alter der Erde wörtlich und gehen von einem Heilsplan Gottes aus, der erst vor nunmehr 6000 Jahren begonnen haben soll und nicht etwa vier Milliarden Jahre zurückreicht, wie die Anhänger des Evolutionismus seit Charles Darwin zu wissen glauben. So erregte vor kurzem noch Hayseed Stephens von der -23-
Ölfirma Ness Energy International einiges Aufsehen, als er in den Medien einen bizarren Plan erläuterte. Seiner Ansicht nach müßte jetzt unter dem Toten Meer endlich der weltumspannende Öl-Ozean angezapft werden, der im Erdinneren alle Kontinente tragen soll. Er konnte bisher von den ölarmen Israelis nur deshalb nicht genutzt werden, weil angeblich ein riesiger Salzpfropfen den Zugang verwehre: Wird dieser aber von den Bohrteams der Ness Energy durchteuft, dann erfülle sich auch für den Juden-Staat der Traum vom eigenen Öl. Was demnach die Araber schon seit Generationen genießen, könnte auch Israel zum Vorteil gereichen, wie es im Buch Jesaja der Bibel verheißen wurde. Allerdings erst nach einem Strafgericht Gottes gegen das Wüten der Verschwender, Ungerechten und Vollerer auf Erden, zu dessen schrecklichem Vollzug auch Pech und Schwefel gehören: Stoffe, die mit dem Teufel oder der heißen Unterwelt in Verbindung gebracht werden. Solche Bindungen an die Gottesvorstellung und das Naturverständnis der Bibel machen deutlich, daß gerade die Geo-Wissenschaft einige Anstrengungen unternehmen mußte, um sich vom Meinungsmonopol und der alleinigen Deutungsmacht erst der Römischen Universalkirche und dann der Reformationskirchen seit 1517 zu lösen: Beherrschten diese Kräfte doch die Universitäten, Akademien und Schulen des Abendlandes bis weit ins 18. Jahrhundert. Erst seit der Kopernikanischen Wende ging dieser Kampf um die geistige Eigenständigkeit der Einzelwissenschaften gleichzeitig mit der Forderung einher, Gott von der Erde in den Himmel zu verbannen und Fauna wie Flora einen irdischen Eigenwert zu verschaffen: Weg von der angenommenen beseelten Natur und hin zur Auffassung von einer toten Materie, die fortan freies Eigentum zu sein hatte. Das war im Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Technik oder von Theorie und Praxis ein erregender Vorgang, -24-
bei dem das verheerende Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 eine wichtige Rolle spielte. Zu einem Zeitpunkt, als der russische Universalgelehrte Michail Lomonossow zum ersten Mal Baku-Öl analysiert hatte und zu der Ansicht gekommen war, daß dieses Petroleum oder Steinöl einen organischen Ursprung haben müßte, ohne jedoch diesen näher bestimmen zu können. Das war erst möglich, nachdem Englands großer Naturforscher Michael Faraday im Jahre 1824 das Benzol entdeckt hatte und mit Hilfe der Elektrolyse neue Methoden zur Verfügung standen, die Rätsel des Öls zu lösen, eines Teufelsstoffes, der nicht nur Geologen und Chemikern allerlei Probleme bereitete, sondern auch den Juristen. Waren diese doch gehalten, sich von dieser flüssigen Masse aus dem Inneren der Erde als beweglicher Sache (res mobilis) einen handfesten Begriff zu machen, um dem seit Jahrhunderten geltenden Bergoder Regalrecht zu entsprechen. In den USA, die nach 1859 zum größten Ölproduzenten der Welt aufstiegen und heute der wichtigste Verwerter dieses Rohstoffes sind, fand man eine recht pragmatische Lösung. Öl wurde rechtlich dem Wert eines wilden Tieres oder seelenlosen Wesens gleichgesetzt: Wer es auffangen und in Fässern festhalten konnte, dem sollte es zur freien Verfügung stehen. Aus dieser Bewertung erklärt sich auch, daß eine Bohrung in bisher unerschlossenem Gebiet von amerikanischen Ölleuten trotz modernster Technik immer noch eine Wildcat genannt wird. Eine vorindustrielle Zuordnung, die der Öl- Gigant Esso seit Jahrzehnten für die Werbung nutzt, um Kunden überall auf der Welt mit dem Kraft-Slogan an die Zapfsäulen zu locken: »Der Tiger im Tank.«
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Feuer und Wasser Es ist keine geringe Kunst, Steine zum Sprechen zu bringen. Sie kann als göttliche Gabe oder wissenschaftliches Handwerk aufgefaßt werden, sofern die biblische Schöpfung nicht als »grenzenloses Feld der Spekulation« mißverstanden wird, wie der schottische Rechtsgelehrte Charles Lyell 1832 alle Freunde und Forscher der Geologie angemahnt hat. Dieser aufgeklärten Einstellung gemäß vermochte es bereits der Däne Nils Stensen, aus dem analysierten Einzelfall der Natur und im Vergleich auf das Ganze der Erde zu schließen. So hatte er in seinem Epochenwerk Prodromus (Der Westwind) den Mut, die von ihm lokal erforschte Toscana als Erklärungsmodell für global wirkende Gestaltungskräfte zu nehmen. Dazu gehörte auch, daß dieser »Vater der Geognosie« zum ersten Male ältere und jüngere Gesteinsschichten unterschied, damit aber die Zeitabfolge im biblischen Schöpfungsbericht radikal in Frage stellen mußte: ein gefährliches Unterfangen, zumal der Lutheraner Stensen zum Katholizismus konvertiert war. Dessen Dogmatiker ließen bekanntlich noch im Jahr e 1600 Giordano Bruno wegen einer von ihm erdachten Kosmogonie öffentlich als Ketzer verbrennen und verurteilten den Astronomen Galilei 1633 zum Schweigen. Seinem teutschen Kollegen und Lutheraner Johannes Kepler ist mit der Exkommunikation durch die eigene Kirche ein ähnliches Los widerfahren. Kaum anders verhielt sich das orthodoxe Rabbinat von Amsterdam: Es belegte den Linsenschleifer und Ethiker Spinoza 1654 wegen seines auf die Natur bezogenen GottesBegriffes (Deus sive natura) mit einem Bannfluch, der bis heute nicht aufgehoben worden ist. Erst mit der Generation von Stensen, Newton, Leibniz oder -26-
Polhem minderte sich das Risiko, für abweichende Erkenntnisse mit dem Leben bezahlen zu müssen. Am Ende dieses Klärungsprozesses stand dann 1784 die epochemachende Frage Kants: »Was ist Aufklärung?« Seine Antwort als Bekenntnis zum individuellen Gebrauch einer universellen Vernunft ohne theologische Bevormundung betraf auch die überkommene Erdkunde. Sie wurde im gleichen Jahr nicht mehr als Geognosie aufgefaßt, sondern Geologie genannt. Mit dieser fundamentalen Namensänderung vermittelte sie, was sich innerhalb von nur hundert Jahren mental und strukturell geändert hatte. Stellte Thomas Burnett noch 1680 eine Sacred Theory of the Earth auf, um den Schöpfungsbericht in der Natur abzusichern, so genügte es James Hutton, gut hundert Jahre später eine profane Theory of the Earth vorzustellen.
Ausbiß der Teerkuhle im Olgebiet von Baku
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Leitfossilien im Bohrkern Tektonische Ölfallen:
Antiklinale
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Verwerfung
Salzdom
Diskordanz
Darin wurde die von Stensen begründete Lehre einer bestimmten Schichtenfolge im Prinzip bestätigt. Hutton, den Kollegen bald als »Vater der Geologie« schätzten, hatte außerdem mit seinen Studien über versteinerte Fauna und Flora die Voraussetzungen geschaffen, ab 1799 von sogenannten LeitFossilien zu sprechen - gleichsam den Fingerabdrücken der -29-
Natur. Das können größere Ammoniten, winzige Trilobiten, mikroskopisch kleine Einzeller oder auch Pflanzenreste wie Pollen sein, die nur in einer bestimmten Erdschicht vorkommen und zu einem besonderen Profil der jeweiligen Formation gehören. Ein solches zu erstellen ist seit Jahrzehnten eine der wichtigsten Aufgaben nicht nur für wissenschaftlich arbeitende Paläontologen, sondern auch für praktisch tätige Ölgeologen vor Ort. Sie haben dabei vor allem zu beachten, daß an jeder Bohrstelle das von der Spülung hochgetragene Bohrklein Meter um Meter in besonderen Kästen gesammelt wird (sampler), damit sie dann vorhandene Petrefakte auswaschen, untersuchen und zuordnen können: Im Vergleich mit Fossil-Profilen schon bestehender Ölöder Gasfelder ist es dann möglich, bei entsprechenden Analogien auf einen ausbeutbaren Horizont oder Träger zu schließen. Diese praktische Nutzanwendung der Geologie erhöht sich noch, wenn ihre Spezialisten mit Bohrkernen umgehen. Dabei handelt es sich um »gewachsenes Gebirge«, das während des Bohrens auf längeren Kernstrecken (mehrere Meter) gezogen wird und die Kenntnisse aus dem Bohrklein substantiell ergänzt. Denn an diesen runden Steinstümpfen mit dem Durchmesser eines Männerarmes kann vor allem der Neigungswinkel der gekernten Schicht genau bestimmt werden, dann die Korngröße des Gesteins und auch der vorhandene Porenraum: Noch wichtiger aber ist die Messung seiner möglichen Durchlässigkeit oder Permeabilität in Milli-Darcy. Diese nach einem französischen Mineralogen benannte Maßeinheit bezieht sich auf eine fundamentale Unterscheidung aller Gesteine in zwei wesentliche Qualitäten oder Strukturen. Sie waren lange unter den Fachleuten umstritten und führten zu heftigen Kontroversen, zumal sich vor allem die Geologen in zwei akademische Richtungen spalteten. Auf der einen Seite glaubten die Neptunisten, daß alle Materie -30-
und besonders jedes Gestein durch das Wasser entstanden sei. Deshalb habe man sich auch auf Meeresablagerungen zu konzentrieren und damit auf die Sedimentgesteine, die in der Hauptsache aus Sand- oder Kalkverbindungen bestehen. Ihre Poren nun sind durch winzige Kapillare oder Haarröhrchen miteinander verbunden und deshalb für jede Flüssigkeit gleich welcher Viskosität durchlässig. Ihr mitunter riesiger Porenraum nimmt demnach Salzwasser, Öl oder auch Erdgas auf und gibt diese Medien ab, sofern sich der Druck in der Lagerstätte lockert oder unterbrochen wird - meist aufgrund einer Bohrung oder durch tektonische Brüche und Verschiebungen während eines Erdbebens. Diese strukturelle Eigenschaft der Durchlässigkeit ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß sich Öl und Gas nur in Sedimentgesteinen speichern lassen. Bedenkt man diese Grundbedingung, dann erscheint die Auskunft im Öl- Report der Zeitschrift GEO (1991) zur Geologie eines Ölträgers als ziemlich verzerrt: »Soll die Ausbeutung lohnen, muß unter dem Deckgestein (der Lagerstätte) ein möglichst poröses Speichergestein liegen, zum Beispiel ein altes Korallenriff, dessen Poren sich dann mit Erdöl gefüllt haben.« Genau besehen handelt es sich hier um Desinformation. Denn erstens wird eine lohnende Ausbeute von ganz anderen Faktoren abhängig gemacht (Stabilität des Trägers, Viskosität des Öls, Lagerstättendruck, Gasanteil, Randwassertrieb, Paraffingehalt, Temperaturlage), und zweitens ist auch das Deckgestein einer Lagerstätte porös, aber völlig undurchlässig: Erst durch diese einzigartige Konstellation entstehen überhaupt Ölfallen irgendwo in der Schichtenstruktur des etwa 2900 Kilometer mächtigen festen Erdmantels oberhalb des flüssigen Magma. Im Gegensatz zu den Neptunisten würdigten die Plutonisten unter den Geologen die gewaltigen Kräfte des Vulkanismus, der -31-
mit hoher Sicherheit erdgeschichtlich älter ist als das Wasser auf unserem Blauen Planeten. Im Rückgriff auf den Feuer-Gott Pluto der antiken Griechen kamen sie zur Auffassung des Grafen Georges de Buffon noch vor 1800, daß alle Materie einen »Feuerursprung« haben müsse. Deshalb rückten die Plutonisten auch die Entstehung der Eruptivgesteine ins Zentrum ihres Interesses und damit den Gneis, Basalt oder Granit: Sie verfügen zwar über ein hohes Poren-Volumen, besitzen aber keinerlei Durchlässigkeit, weil die Haarröhrchen fehlen. Allein ihre praktische Verwendung als Kopfsteinpflaster, Geleisschotter oder als Wetterschutz an Gebäuden sowie in der Denkmalkunst und beim Hausbau (Fenstersimse) vermittelt diese besondere Qualität, sich hermetisch gegen das Eindringen von Regen oder anderen Flüssigkeiten abzuschotten. In diesen sehr harten Gesteinen, die lange der Erosion (Verwitterung durch Wasser, Blitzeinschlag und Wind) widerstehen, kann demnach niemals Salzwasser, Öl oder Erdgas gespeichert sein. Aber sie sind neben anderen Materialien wie Tonschichten, Kohleflöze, Salzüberhänge und Feuersteinzonen notwendig, um Öl und Gas während ihrer Migration oder Wanderung aus der Entstehungsschicht festzuhalten, ja, in eine regelrechte Falle zu zwingen, bis diese von Geologen vermutet, durch Geophysiker geortet und dann von Bohrteams erschlossen wird. Die Auseinandersetzungen zwischen Plutonisten und Neptunisten als Anhängern der Gestaltungskräfte Feuer und Wasser sind längst Geschichte. Sie erklären aber neben den Kämpfen zwischen Creationisten und Evolutionisten die ideologischen Aufladungen der Geologie als Wissenschaft, die noch beim ersten Welt-Erdöl-Kongreß 1933 in London eine gewisse Rolle gespielt haben. Damals wurde von deutscher Seite zur Entstehung und Lagerung des Öls behauptet, daß es nur lokal sowie äußerst begrenzt vorkomme und ganze Kontinente -32-
dieses Stoffes entbehren müßten. Eine fatale Fehleinschätzung. Sie ist bald nachhaltig durch die Bohr- und Förderpraxis widerlegt worden und geht auf die Neigung mancher Akademiker zurück, Einzelkräfte in der Natur zu isolieren oder absolut zu setzen. Dagegen hatte sich schon der teutsche Geologe Peter Simon Pallas mit allem Nachdruck verwahrt. Er, der sich um die Erforschung des eurasischen Rußland historische Verdienste erworben hatte und als Geologe auch die Praxis des Bergbaus kannte, warnte seine Kollegen bereits 1778 eindringlich vor den Gefahren monokausaler Erklärungen: »Man muß verschiedene neue Hypothesen zusammennehmen, ohne sich an eine allein zu binden, wie (es) fast alle Urheber der verschiedenen Theorien der Erde getan haben…« Pallas wollte nicht, daß strukturbildende und gestaltformende Kräfte des Feuers wie des Wassers gegeneinander ausgespielt und für endgültige Welt-Erklärungen mißbraucht wurden. Er sah wie James Hutton in einer Stellungnahme von 1795 integrative Kreisläufe am Werk, die in Verbindung mit dem Einwirken von Feuer und Wasser auch den Gesteinsreichtum der Erde bedingten - vorbereitet und vollzogen im Rahmen einer besonderen Tiefenzeit, wie sie heute noch Stephen Gould annimmt. Neben diesen naturimmanenten Prozessen hat aber auch der Mensch auf seine Weise zumindest die Erdoberfläche geformt. Eindeichungen der Küsten, die Landwirtschaft, das Forstwesen und der Bergbau bezeugen diesen Einfluß, der nicht immer von Nutzen war: So sollten Flußbegradigungen die jährlichen Überschwemmungen verhindern und haben sie in Wirklichkeit wegen der erhöhten Fließgeschwindigkeit des Wassers eher gefördert. Solche und andere Fehleinschätzungen gehen zumindest in Europa und Amerika auf den prägenden Glauben an die -33-
Bibel zurück, daß die Erde um des Menschen willen von Gott geschaffen worden sei, d. h. in erster Linie vom Mann als Krone der Schöpfung genutzt werden soll. Dieses Menschenbild fand seine Bestätigung in der Lehre des Aristoteles ebenso wie in jener des Hippokrates, daß dem Mann angeblich die Natur-Elemente Feuer und Luft eigen sind, während die Frau die beiden anderen Elemente versinnbildlicht Wasser und Erde. Diese Zuordnungen wurden über mehr als zweitaus end Jahre final darauf gerichtet, daß die Natur dem Menschen gehört und von ihm zu unterwerfen sei. Gerade die Aufklärung hat diesen Eroberungsauftrag vor allem dadurch gesteigert, daß er von ihren Vertretern als linear gerichtetes Fortschrittsdenken ausgegeben wurde. Danach war dem Menschen als Mann das Ziel aller Geschichte vorgegeben, nämlich sich mit Hilfe der Wissenschaften und Technik zu perfektionieren, dabei Naturkräfte wie das Feuer zu entfesseln und sich am Ende gar als Gott aufzufassen. Diderot und andere Aufklärer haben dieses Programm empfohlen und damit auch gesagt, daß der neue Mensch in der industriellen Zukunft nicht mehr als Treuhänder, sondern als absoluter Herr der Natur aufzutreten hat. Diese Mentalität, in der Anbetung des Feuers den Inbegriff von Fortschritt um jeden Preis zu sehen, hat nicht nur den Industrialismus als Ideologie geprägt. Auch Historiker sahen sich veranlaßt, aus dem Gegensatz von Feuer und Wasser ähnlich den Geologen eine Geschichtserklärung abzuleiten, die heute noch akademische Gültigkeit beansprucht. Sie sprechen dabei vom »männlichen Prinzip« als Geschichtskraft und ordnen ihm vor allem die absolutistischen Fürsten zu. Diese hätten den modernen Staat als zentralistischen Familienbetrieb gegründet und wären als Groß-Unternehmer gerade im Bergbau und Hüttenwesen auch zu Förderern des Gemeinwohls geworden. Kurz: Als Anhänger des Prometheus wurden sie zu Trägern des Fortschritts stilisiert - unbesehen ihrer diktatorischen Energie. -34-
Bohrkerne
Rollenmeißel
Im Gegenzug dazu gelten die Vertreter des »weiblichen Prinzips« als erdverbundene Kräfte in Gestalt der libertären -35-
Stände wie der grünen Parteien, die nur den Eigennutz pflegten und damit dem Rückschritt dienten, letztlich eine konservierende Treuhandschaft gegenüber Land und Leuten einklagten sowie auch in Gestalt von Gewerkschaften zu bekämpfen seien. Stürmisches Feuer und hemmendes Wasser mögen als Metaphern für ein Menschenbild der Moderne zu einfach erscheinen, zumal sie auf antike Denkmodelle zurückgehen. Aber wer bedenkt, daß Bergbau, Feldlabors der Ölgeologen, Bohranlagen, Förderbetriebe, Öltanker und Raffinerien im Zeitalter der Emanzipation immer noch sehr wenige Frauen beschäftigen, der findet in diesen Prägemustern eine Erklärung: Öl als Inbegriff des Fortschritts hat auf jeder Ebene seiner industriellen Erschließung und Verwertung alleinige Männersache zu bleiben wie heute noch das Autofahren in Saudi-Arabien.
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Lagerstätten Der einst deutliche Hang der meisten Geologen, jeden Fund an Bodenschätzen zunächst in seiner lokalen Einmaligkeit zu erfassen, geht auf drei mentale Bindungen zurück. Vor allem die akademische Formung der Geologie durch den Positivismus hat dazu geführt, nur noch materielle Tatsachen gelten zu lassen. Biblische Herleitungen, magische Überhöhungen von Naturphänomenen oder gar Tabuisierungen wurden als unaufgeklärte Vorstellungen strikt abgelehnt: Es kam demnach in erster Linie darauf an, die Geologie ohne Anleihen bei himmlischen Kräften als Gesteins- und Erdkunde aus sich selbst zu erklären. Diese Sicht wurde noch durch die Forderung des Historismus gesteigert, alle Erscheinungen in Natur und Geschichte als Ausdruck von Einmaligkeit zu verstehen. Das konnte aber nur bedeuten, daß zeitlos gültige Gesetzmäßigkeiten nicht mehr anerkannt wurden: Eine wie auch immer geartete strukturelle Wiederholbarkeit blieb somit gedanklich ausgeschlossen. Die starke Einwirkung der Kasuistik aus dem römischen Recht, die stets den Präzedenzfall in den Mittelpunkt der Rechtsfmdung stellte, kam noch hinzu: jeden Einzelfund in der Natur wie einen juridischen Einzelfall zu behandeln. Keiner der frühen Geologen hat diese Konditionierung des eigenen Fachs so weit vorangetrieben wie Charles Lyell. Obgleich dieser Schotte im Hauptberuf ein Barrister oder Gerichtsadvokat war, fühlte er sich kompetent genug und berufen dazu, ein umfangreiches Werk mit dem respektheischenden Titel vorzulegen: The principles of Geology (1831-33). Als Jurist am Fall- Recht (Case law) geschult, versteifte er sich auf die dogmatische Haltung, daß sich in der Geschichte des -37-
Menschen wie in der Natur kein Ereignis auf identische Weise wiederholt: Lokal gewonnene Erkenntnisse durften also weder auf andere Regionen noch auf den ganzen Erdball angewendet werden. Mit dieser ideologischen Vorgabe, die stark an das zeitgenössische Politikverständnis in den USA erinnert – »all politics are local« –, wollte der einflußreiche Lyell lediglich darauf hinweisen, daß kein Kubikzentimeter der Erde mit einem anderen völlig identisch ist. Gleichzeitig bezog er mit seinem Gradualismus eine Gegenposition zur damals gängigen Katastrophen-Theorie. Sie wurde von dem französischen Naturforscher Georges Cuvier verfochten und bekämpfte das vorherrschende Modell des Lokalismus. Denn es war doch bei einer gründlichen Analyse lokaler und regionaler Räume offenkundig, daß es zu allen Zeiten der Erdgeschichte große strukturelle Zusammenhänge gegeben haben muß. Selbst schroffe Brüche und unvermittelt wirkende Übergänge in einem Gelände bestätigten ein Grundgefüge, das nur durch rapide Änderungen gestört oder auch in Großteilen zerstört worden ist, sei es durch tektonische Verschiebungen in der Erdrinde, aufgrund von Erdbeben, mit Hilfe der Erosion oder im Gefolge von Klimastürzen. Was bei Lyell und seiner Schule real, lokal und in hohem Maße autonom gedacht wird, das wird bei Cuvier und dessen Anhängern trotz aller Schwächen ein ernsthafter Versuch, strukturell, global und übergreifend zu denken: Dem integrativen Verfahren zugewandt und das Erkenntnisstreben wie schon bei Pallas auf die Interdependenzen eines Netzwerks gerichtet. Erst in der Abkehr von der Ersetzungsideologie Gradua lismus gegen Globalismus - öffnete sich der Blick für die Möglichkeiten des optimierten Ergänzens von lokalem Befund in seinem Eigenwert, regionaler Anlage, kontinentaler Struktur -38-
und globalem System. Zugespitzt könnte man hier sagen, daß der »Zauberstab der Analogie« (Novalis) dafür gewirkt hat, unter diesen Bedingungen eine gezielte Lagerstättenkunde zu betreiben - vor allem zum Aufspüren von typischen Öl- und Gas-Fallen. Die Schwierigkeiten, in diesem jüngsten und industriell gerichteten Tätigkeitsfeld der angewandten Geologie zu verläßlichen Modellen zu gelangen, beruhten aber nicht allein auf den Auswirkungen des Lyell-Cuvier-Streites. Es kam noch ein fundamentaler Faktor hinzu. Konnten nämlich Kohle-Flöze, Erzgänge oder Kali-Vorkommen im Tagebau oder Schachtbetrieb beim Begehen unmittelbar eingesehen werden, so war es lange Zeit für Geologen ein Problem, von den Oberflächenfunden auf den Untergrund zu schließen und zuverlässige Angaben zu machen: Es fehlte ihnen der direkte Einblick und materielle Zugriff in der Tiefe. Kein Wunder also, daß über die Struktur von Öl-Lager statten zahlreiche Spekulationen in Umlauf waren. Man denke nur daran, daß sich heute noch nicht nur die Creationisten im Erdinneren einen wahren Öl- Ozean vorstellen, der nur richtig angezapft werden müßte. Solche und andere Ideen, die nichts vom Speichervermögen der Sedimentgesteine und der Undurchlässigkeit bei Eruptivgesteinen wußten, wurden regelmäßig von der Bohrpraxis widerlegt und brachten die Geologie ziemlich in Verruf. Außerdem wußte man in den Geowissenschaften zu Beginn der industriellen Erschließung des Rohstoffes Öl nicht einmal, aus welchen Substanzen er entstanden war und auf welchem Weg er in das meist zufällig erbohrte Lager oder die Schichten-Falle gelangt sein könnte. Die besonders in den USA verbreitete Annahme, daß es sich beim Öl um eine Art verflüssigter Kohle handeln müsse (Carbonratio-Theorie), hielt sich ziemlich lange. Ihr bestimmender Einfluß hatte auch dazu geführt, daß ab 1859 entlang der reichen Kohle-Vorkommen von Pennsylvanien nach -39-
Öl gesucht wurde. Die Hauptursache für dieses Verfahren während der Pionierzeit muß in der Tatsache gesucht werden, daß es im weiteren Umfeld von Titusville zahlreiche Ausbisse oder Pitholes gab, die auch manchmal Seepages genannt wurden: Das waren kleinere oder größere Sickerstellen, aus denen Öl an die Erdoberfläche drang und sich in Teerkuhlen sammelte. Dieses über alle Kontinente verbreitete Phänomen konnte zwar zusammen mit Kohlevorkommen praktisch genutzt werden. Aber Ausbisse kamen auch dort vor, wo es weit und breit keine Kohle gab. Aus dieser und anderen Beobachtungen entstand denn auch langsam die Theorie, daß das Öl trotz starker chemischer Nähe zur Kohle eine eigene Genese durchlaufen haben muß. Darüberhinaus ergab sich aus der fortlaufenden Bohrpraxis ein weiterer und überraschender Befund. Die Ölsucher kamen nämlich auf die Idee, unmittelbar in einem Ausbiß oder ganz in seiner Nähe zu bohren. Denn sie glaubten, daß sich das Sickeröl in seiner Trägerschicht mehr oder weniger senkrecht unter dem Ausbißrand befinden würde und bei einer Erbohrung die Ausbeute schlagartig erhöhen müßte. Das aber war nur in seltenen Fällen eingetreten, während sich in der Regel die bereits vorhandene Ölspur im angebohrten Gebirge verlor, also wirtschaftlich nicht optimal genutzt werden konnte. Eine Erklärung für diese Art von Verlusten bei der früheren Ölsuche fanden die Geologen erst heraus, als sie mit dem Entdecken der Biogenese des Öls auf sogenannte Faulschlammschichten schlössen. Aus ihnen muß sich vor Millionen Jahren das Öl auf eine eigenartige Wanderung gemacht haben, bis es in einer tektonischen oder stratigraphischen Falle an der weiteren Migration zur Erdoberfläche gehindert wurde: Das Öl war also während seines langen Umwandlungsprozesses aus Fauna- und Flora-Resten in ganz anderen Erdschichten entstanden und hatte diese aus noch -40-
unbekannten Gründen verlassen. Dieses Phänomen der Austreibung und Wanderung erklärt, warum sich weit über die Pionierzeit dieses Rohstoffes hinaus die Ölproduktion im wesentlichen auf Flachbohrungen konzentrierte, d.h. auf Teufen zwischen 30 und 800 Metern. Aus Kenntnissen der Kohle-Geologie, den Erfahrungen beim Erbohren von Salzsolen und Erschließen von Thermalquellen ergab sich allmählich ein integratives Denkmodell, das bald in der Praxis als erste und geradezu klassische Ölfalle oder Lagerstätte angesehen wurde - die Antiklinale als Schichtenwölbung oder Sattelstruktur. Als Begründer des Antiklinalismus gilt der amerikanische Geologe Thomas Oldham. Er soll nach Auskunft von Sidney Power bereits im Jahre 1855 das später so berühmt gewordene Yenangyaung-Feld in Burma besichtigt und analysiert haben. Dabei gelang es ihm, die zahlreichen Öl- Ausbisse in den Hügeln von Tangyi mit der Gesamtstruktur des Gebietes zu verbinden: Das vorhandene Muldensystem als Synklinale antwortete im Sinne eines regionalen Kräfte-Ausgleichs der Sattelordnung oder Antiklinale - ähnlich Sinus und Cosinus. Bereits vier Jahre vor der ersten industriell betriebenen Ölbohrung durch den Colonel Drake bei Titusville war es also einem Geologen gelungen, mit Hilfe von Ausbissen einen fundamentalen Zusammenhang zwischen Wölbungen und Senkungen von Gesteinsschichten herzustellen, der auf eine besondere Ölansammlung schließen ließ. Ein historischer Befund, der im Ölgebiet von Titusville bis Oil Creek am Rande des Appalachen-Gebirges und den südlichen Zonen von Ohio zahlreiche Bestätigungen erfuhr. Gleichwohl war es immer noch nicht zuverlässig möglich, vom Oberflächenbefund (Ausbiß) und der antiklinalen Lokalstruktur aus unmittelbar Anleitungen für eine erfolgreiche Bohrtätigkeit zu geben. Auch die Ansicht, daß das Öl »lokalen Ursprungs« sein muß, wie Lyell gemäß formuliert wurde, blockierte bis zur Kenntnis -41-
seiner Migration die durchgehende Anwendung des AntiklinalDenkens: Die Vorstellung nämlich, daß das Öl auf seinem Weg durch einzelne Erdschichten zu solch einer Wölbung kommt und aufgrund des undurchlässigen Deckgebirges in einer Sedimentschicht gefangen bleibt - wie in einer steinernen Falle oder Trap. Trotz einiger Modifikationen hat das Sattel- oder Antiklinalen-Modell bei der Ölsuche bis heute Bestand, auch wenn es noch 1880 in einem Fachbericht zur Geologie Pennsylvaniens harter Krtitik unterzogen worden ist. Es heißt darin: »Die angenommene Verbindung von Öl und antiklinalen wie Synklinalen Achsen (samt) Verwerfungen… ist heute verdientermaßen vergessener Aberglaube. Geologen, die mit ÖlGebieten gut vertraut sind, setzen in diese Theorie nicht das geringste Vertrauen…« Entgegen dieser Absage hatte aber die Sattel- Theorie, wie sie unter deutschen Geologen genannt wurde, in der Ölindustrie Fuß gefaßt und genoß sogar eine gewisse Popularität, die jedoch nicht vor Mißverständnissen schützte. Denn viele Bohrunternehmer hielten nur noch Ausschau nach Sätteln und Mulden im Gelände, ohne sich dem Sachverstand der Geologen anvertrauen zu wollen. Dabei folgten sie gerne Flußläufen mit ausgreifenden Buchten oder Creeks und anschließendem Hügelland: Sie bezogen also das Sattelmodell für den Untergrund auf die Oberfläche und nannten diese Ölsuche Creekologie. Der Bohrerfolg entsprach dann aber eher einem Zufall denn geologischer Konsequenz. Erstaunlich ist auch, wie zäh sich diese Vulgär-Auffassung halten konnte, wurde doch noch durch den Action-Film »Oklahoma« aus den 1960er Jahren diese Methode dramatisch in Szene gesetzt: Der Bohrturm mit einer Pennsylvanischen Seilbohr-Anlage stand auf einem Hügel und dieser inmitten einer weiten Bucht. Bereitete das Antiklinal-Modell in der Öl-Geologie manch -42-
eine Überraschung, so verhielt es sich mit der Verwerfung (fault) als Ölfalle nicht wesentlich anders. Mit ihr wurden die Fachleute erst richtig vertraut, nachdem ihnen die Kenntnis von Hebungen und Senkungen als gestaltenden Kräften bewußt geworden war. Vor allem das zunehmende Verständnis für lokale, regionale und großräumige Brüche im Schichtensystem der Erdrinde lenkte das Interesse der Geologen auf die Phänomene von Horst und Graben als Voraussetzung für eine Verwerfung. Ein imponierendes Muster dieser Struktur bietet die vielgestaltige Geschichte des Rheintal- Grabens mit seinen besonderen Horsten. Sie erheben sich nach dem Abbiegen des Flusses bei Basel in Gestalt des Schwarzwaldes und der Vogesen sowie als Odenwald und Pfälzerwald, ehe der Strom bei Mainz nach Westen schwenkt und das Rheinische Schiefergebirge als antezedenten Durchbruch schroff durchschneidet. Das größte Geheimnis dieser so überaus fruchtbaren und geschichtsmächtigen Absenkzone im Herzen des europäischen Kontinents wurde erst am 31. Oktober 1928 gelüftet. An diesem wirklich historischen Tag beging der Geologe Hans Cloos den Tunnel am Lorettoberg bei Freiburg im Breisgau: Eine künstlich geschaffene Eisenbahn-Röhre, welche die Rheinebene mit dem Höllental und dem hinteren Schwarzwald verband. Cloos, der gut dreißig fahre später seine Lebensfahrt als Geologe und »Soldat im Ölkrieg« auf eine bemerkenswerte Weise beschrieb, hatte nämlich beim Ana lysieren der Felswände ein ganzes System von Gleitbahnen und Rutschfugen entdeckt, das »unter einem Winkel von nur 55 Grad vom Gebirge gegen und unter die Ebene schräg einfällt.« Die unmittelbare Begegnung mit einem Absenkgefälle dieses Ausmaßes bedeutete nicht nur ein erhöhtes Verständnis für die Wirkkräfte innerhalb eines Horst-Graben-Systems. Sie erweiterte auch die Kenntnisse der Öl- Geologen über das -43-
Zustandekommen von Verwerfungen als besonderen Auffangstellen oder Fallen für migrierendes Öl und Erdgas durch ein Zerbrechen, Verschieben oder Absenken einst weiträumig kohärenter Schichten. Wie zur Bestätigung findet sich auch am westlichen Rand des Rheintal-Grabens der Öl-Ausbiß von Pechelbronn im Elsaß, nahe der Gleitzone am Osthang des Vogesen-Horstes. Sein asphaltartiges Öl soll schon im Mittelalter als Heil- und Schmiermittel genutzt worden sein. Aber erst in den 1930er Jahren sah sich die französische Ölindustrie veranlaßt, in der Nähe dieser Sickerstelle zu bohren und das Vorkommen durch Pumpsonden nach 1785 neu zu erschließen. Dabei ergab sich noch eine Überraschung, mit der man aufgrund von Oberflächenbefunden nicht rechnen konnte. Die geothermische Tiefenstufe, die sonst bei etwa drei Grad Celsius Temperaturerhöhung auf hundert Meter Teufe liegt, beträgt im Rheintal-Graben bis zu vier Grad Celsius: Ein Dauerzustand, der seit Jahren beim Dorf Soultzsousle-Foret in einem Pilotprojekt zur Geowärme auf seine künftige Nutzung getestet wird. Nur wenige Kilometer weiter nördlich wurde mit dem Erbohren des Ölvorkommens von Landau in der Pfalz während der 1950er Jahre die Annahme bekräftigt, daß gerade die Verwerfung als klassisches Modell einer Ölfalle nicht verworfen, sondern beachtet werden sollte. Zwei weitere Ölund Gas-Vorkommen auf der rechtsrheinischen Seite bei Heilbronn und in der Nähe des hessischen Stockstadt (Kühkopf) gelten als zusätzliche Belege dafür, daß sich durch Hebungen und Senkungen regelrechte Fallensysteme für wanderndes Öl oder Erdgas bilden: Zahlreiche Verwerfungen in der großen Synklinale von der Golfküste Mexikos bis Louisiana belegen diese durch die Bohrpraxis gewonnene Einsicht. Die genaue Feststellung des Gleitwinkels im Höllental-Tunnel gehörte zu den Sternstunden der allgemeinen Geologie, -44-
gewährte doch die Erde gleichsam vor Ort und mit Hilfe einer überdimensionierten Horizontalbohrung fundamentale Einblicke in ihre Wirkkräfte: Ähnlich aufschlußreich für die praktische ÖlGeologie war die Entdeckung und Interpretation einer sogenannten Diskordanz am Loch Ranza bei Jedburgh in Schottland. Dieses besondere Winkelsystem mit seinen fast senkrecht stehenden und waagerecht liegenden Schichten wurde bereits im Jahre 1787 von James Hutton besichtigt und ein Jahr später einer wegweisenden Deutung unterzogen. Hutton, der als Mitbegründer der modernen Geologie gilt, konnte sich eine Wiederkehr von bestimmten Strukturen vorstellen und folgte dabei der Kosmogonie Isaac Newtons: Darin gibt es Kreisläufe im Dienste eines sich selbst regulierenden Gleichgewichts - im All wie im irdischen Alltag. Vor diesem Hintergrund erscheinen Diskordanzen als Ausdruck einer doppelt gestalteten Ablagerung oder Sedimentierung und damit auch als Ergebnis einer über Jahrmillionen währenden Erosion mit Brüchen, Umschichtungen, Sprüngen und Ablagerungen. Das Besondere an dieser Ölfalle, die zu den aufregendsten Konstellationen der Geologie zählt, liegt vor allem in ihrer auffallenden Doppelnatur. Denn in der Regel kommen die schräg oder senkrecht stehenden Schichten aus einer älteren Zeit und gelten als Ergebnis der Tektonik. Die erdgeschichtlich jüngeren und waagerecht liegenden Schichten darüber aber müssen als ein Resultat der Transgression angesehen werden. Das heißt: Geschichtetes Alt-Gebirge mit undurchlässigen Eruptivgesteinen wurde von Jung-Sedimenten des Meeres überlagert und bildete auf diese Weise eine Falle für migrierende Stoffe. Die auffallende Doppelnatur sichert diesem Strukturtypus immer wieder hohe Aufmerksamkeit, zumal er auch in der Ölgewinnung und Fördertechnik gut hantiert werden kann. Das -45-
Ölfeld Lehrte bei Hannover ist dafür beinahe ein Modellfall. Es liegt innerhalb der Norddeutschen Tiefebene (kontinental) im niedersächsischen Zechstein- Becken (regional) und gehört in seiner inneren Anlage zur Kronsberger Mulde (lokal), wo es schräg ansteige nd in einen für Diskordanzen typischen Keil ausläuft: Sein Trägergestein wird vom Cornbrash im Dogger gebildet, das durch einen schmalen Steg Wealden-Sandstein überlagert ist. Diese günstigen Bedingungen haben es in den 1950er und 60er Jahren möglich gemacht, durch eine Reihe sekundärer Fördermaßnahmen den stetigen Zufluß an Öl zu sichern. Als vor allem in der »Lehrte 13« der Lagerstättendruck sank, erreichte man mit einer Wasserflutung und Erhöhung des Randwassertriebs eine Stabilisierung der Öl- und GasGewinnung, bis das Vorkommen erschöpft war und heute zusammen mit kleineren Feldern des Lehrter Ölgebietes einen Rückbau oder Renaturierung der ehemaligen Förderstellen erlebt - nach etwa vierzig Jahren Nutzung. Verlockte einst die Diskordanz zu tief schürfenden Gedanken über die bewegenden und irgendwie geheimnisvoll wirkenden Kräfte in der Erde als »Ruine« (Burnett) oder als »Weltmaschine« (Hutton), so kann die Bildung von riesigen Salzstöcken dazu verleiten, an die Macht kristalliner Magie zu glauben. Denn diese bizarren Gebilde von oft großer Mächtigkeit, die an der Erdoberfläche nicht einmal erahnt werden können, verfügen über ein gewaltiges Quellvermögen. Aufgrund dessen ist das Wachsen ihrer Kristallstruktur in der Lage, mehrere auflagernde Schichten wie Antiklinalen aufzuwölben oder zu durchbrechen und wegzuschieben. Dieser seit der Zechstein-Zeit anhaltende und damit auf viele Jahrmillionen konzentrierte Prozeß einer stetigen -46-
Salzstockbildung hat in zahlreichen Beckenzonen und damit Ablagerungsgebieten der Erde eine eigentümliche Ölfalle entstehen lassen: Von den Emba-Lagern unterm Delta der Wolga über die Salzstock-Felder in der norddeutschen Tiefebene (Plön/Holstein, Meckelfeld/Hamburg, Georgsdorf/Emsland, Ölheim/Peine und andere) bis zu den reichen Öl- und Gas-Vorkommen in Louisiana, Texas und an der Golfküste Mexikos. Der Hauptgrund für diese außergewöhnliche Fallenbildung liegt darin, daß sich die Außenwand der aufgetürmten Salzmasse dem wandernden Öl oder Gas in den Weg stellt und es somit in seinem Speichergestein oder Trägerschicht verharren läßt: Obgleich das aufgetürmte Steinsalz in Wasser löslich ist und einen kristallinen Aufbau besitzt, kennt es keine Durchlässigkeit für Öl oder Erdgas. Das Erschließen ihrer Lagerstätten am unmittelbaren Ra nd von Salzstöcken oder auch Salzdomen, wie diese seltsamen Quellkörper in der Erde manchmal genannt werden, bereitet deshalb nicht selten erhebliche Schwierigkeiten. So muß beim Durchteufen von häufig vorkommenden Überhängen dieser kompakten Salzmassen die Bohrspülung radikal umgestellt werden. Statt der üblichen Ton-Süßwasser-Basis übernimmt eine Spülung auf Ton-Salzwasser-Basis oder aus speziellem Öl die wichtige Aufgabe, das Bohrklein zum Schüttelsieb oder Vibrator zu tragen, damit es vom Sampler sortie rt und vom Geologen analysiert werden kann. Gelingt diese wichtige Umstellung nicht beim Anbohren einer Salzzone, dann kommt es durch Auswaschungen des Süßwassers zu sogenannten Kolkungen der Bohrlochwand: Sie erweisen sich später beim Zementieren als äußerst nachteilig. Die deutsche Öffentlichkeit ist erst vor einigen Jahren mit dem Natur-Phänomen im Untergrund näher bekannt geworden, als der »Salzstock von Gorleben« in Niedersachsen ausgewählt wurde, um als mögliches Endlager für ausgediente -47-
Uranbrennstäbe zu dienen. Diese Wahl der Politiker erstaunt deshalb, weil sie die Gefahren eines Süßwassereinbruches geringschätzen und auch nicht recht bedenken wollen, daß der Bergbau mit der Quellfähigkeit eines Salzstocks oder den Spätfolgen eines solch massiven Eingriffs kaum Erfahrung besitzt. Neben den vier erwähnten Haupttypen und Großstrukturen bilden die Träger von Linsen und Molasse Ölfallen, die trotz ihres kleineren Ausmaßes von Bedeutung werden können. Im Gegensatz zu den tektonischen Lagerstätten gelten sie als Inbegriff stratigraphischer Herkunft, weil sie vornehmlich in Aufschüttungsgebieten von Meeren und damit im Rahmen einer Transgression entstanden sind. Im mitteleuropäischen Bereich trifft man sie im Voralpenraum an, von Fronhofen in der Nähe des Bodensees über Mönchsrot bis nach Darching südlich von München. Dabei handelt es sich allerdings um kleinere Felder mit Öl- und Gasvorkommen, deren Trägerschichten in der Hauptsache dem Mesozoikum und Tertiär angehören. Das Eigentümliche nun an diesen Lagerstättentypen ist, daß sie neben dem üblichen und durchlässigen Porenraum noch weitere Speichermöglichkeiten aufweisen. Vor allem die Molasse als eine Abraum- und Geröllzone kennt zusätzliche Hohlräume, in denen sich ölbildende Stoffe oder wie in einem Linsen-Speicher migrierendes Öl und Gas sammeln können. All diese Lagerstätten-Typen sind im Prinzip und in vielerlei Varianten auf jedem Kontinent anzutreffen. Die Ähnlichkeiten ihres inneren Aufbaus senden denn auch bestimmte Erkennungszeichen aus, sobald sie in Spezialverfahren der praktischen Lagerstättenerkundung mit Schallwellen oder besonderen Strahlen geortet werden. Das gelingt mit Hilfe einer längst computergesteuerten Technik, wie sie Geophysiker -48-
anwenden, wenn sie Klopfzeichen in die Erde schicken und spannende Antworten erhalten - auf Diagramme gebannt, als wären es Tontafeln aus der Tiefe.
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Schall-Mauern Wer die Geologie als »Musik der Erde« (Cloos) empfindet, der wird stets auf ihre Einzeltöne achten. Ob beim Rieseln des Sandes, im Brausen einer Brandung oder mit dem Schlag des Geologenhammers gegen einen Steinbrocken. Dabei ist ihm gleichzeitig bewußt, daß es eine gewisse Symphonie gibt, ein Zusammenklang aller Töne, der auf die steinernen Anfänge der Erde verweist. Solche Begegnungen ergeben sic h aber lediglich auf der Oberfläche unserer physischen Welt. Deren Kenntnis ist allerdings fundamental, will man auch ihren Untergrund erschließen und das betreiben, was zum Beginn jeder Ölsuche gehört - das Orten einer Lagerstätte im Rahmen einer systematischen Prospektion. Wer sich allerdings in einem weitverbreiteten »ABC der Naturwissenschaften und der Technik« (Brockhaus) von 1951 über verschiedene Schallverfahren und Erkundungsmethoden in der Ölindustrie informieren möchte, der findet für diesen Bereich nichts. Es gibt lediglich Hinweise auf die ErdbebenSeismik und eine nähere Beschreibung der Reflexionsweise als eine »Zurückwerfung von Strahlen (Wellen) an Grenzflächen zwischen zwei Medien«. Das gut gehandhabte Instrumentarium der Gravimetrie, Magnetik, Geo-Elektrik oder der Refraktions-Seismik gehörte aber schon lange vor 1951 zur Geophysik. Sie hat in den Jahrzehnten seither auch aufgrund der Satelliten-Technik anhaltend an Bedeutung gewonnen, zumal sie für die Ölindustrie die Vorarbeiten der Geolo gen substantiell ergänzt und im Informationswert erheblich steigert. Hier soll jedoch nur auf die Reflexionsseismik näher eingegangen werden: Die nach 1945 am -50-
meisten angewandte Methode, um über die Physik eines möglichen Bohrplatzes oder gar eines Ölfeldes annähernd sichere Auskünfte zu erhalten. So wie ein Lichtstrahl beim Aufprall auf ein Medium zurückgeworfen wird und die damit verbundene Reflexion je nach Oberflächenstruktur, Intensität und Einfallswinkel beschaffen ist, so ähnlich reagieren auch Schallwellen: Sobald sie auf Gesteinsschichten treffen, diese durchlaufen und bei anderen Schichten oder Medien ankommen. Dort verweilen sie aber nicht, sondern werden sofort abgelenkt und kehren wieder zur Oberfläche zurück - jedoch nicht als Total-Reflexion, sondern in einem besonderen Winkel und als Streusystem. Diese Erfahrung aus der Erdbeben-Forschung macht sich die angewandte Geophysik zunutze, indem sie an einem möglichen Bohrplatz ein lokal verursachtes, künstliches Beben erzeugt. Dabei wird in etwa sechs bis zehn Meter Tiefe eine Ladung Dynamit oder ein anderes Sprengmittel gezündet. Die in die Erdschichten dringenden, dann aber an der Grenzzone zweier Schichten reflektierten Wellen werden von Geophonen (pick ups) aufgefangen, in einen elektrischen Impuls umgewandelt und über Kabelleitungen einem Meßwagen zugeführt: Dort erscheint dann das Reflexionsergebnis auf einem Diagramm. Dieses mittlerweile optimierte Verfahren geht auf die Erkenntnis zurück, daß sich Eruptiv- und Sedimentgesteine nicht nur bei der Durchlässigkeit fundamental unterscheiden, sondern auch in der Dichte als dem Verhältnis von Gewicht (Masse) und Rauminhalt eines festen Körpers. Neben anderen Faktoren erklärt sich daraus ihr abweichendes Reflexionsverhalten, sobald sie von Schallwellen getroffen und in ihrer ganzen Mächtigkeit als Schicht durchlaufen werden: Das geschieht, wenn von einem festen »Schußpunkt« aus nach einer Sprengmittelzündung die künstlich erzeugten Wellen in die oberen Erdschichten dringen. Obgleich das gezielte Auswerten der erstellten Diagramme oft -51-
schwierig ist und heute mit Hilfe von Computern betrieben wird, so ergänzt doch das erstellte Schichtenprofil die bisherige Arbeit der Geologen, die aus der Wellengraphik auf mögliche Ölfallen schließen können. Seit einigen Jahren wird diese ausgefeilte Methode auch in Küstengebieten von Schiffen aus durchgeführt, nachdem es vor allem den Experten der ehemaligen Mobil Oil gelungen war, die Geophone auf der Erde in Hydrophone umbauen zu lassen und damit die Meeresseismik zu ermöglichen - die Voraussetzung für das Off-Shore-Bohren. Das Zusammenwirken von Geophysik, Spreng- und Meßtechnik sowie der Geologie konnte in der modernen Ölsuche schon manch eine Schall-Mauer durchbrechen, die davor als unüberwindlich galt. Selbst und gerade dort, wo so manch eine sorgfältige Oberflächenanalyse im Zusammenspiel mit genauen Satellitenbildern von EOSAT (seit 1991) wenig Hoffnung machte, im tiefen Untergrund auf Öl oder Gas zu stoßen, hat die richtige Auswertung der Seismik ein günstiges Ergebnis vorbereitet. All diese technisch aufwendigen Methoden sind unabdingbare Hilfsmittel der Ölsuche geworden. Gleichwohl bleibt immer noch ein erhebliches Restrisiko bestehen. Denn auch das intensive Abtasten aller als ölhöffig eingestuften Erdschichten bis in mehrere tausend Meter hinab kann den wirklichen Nachweis einer Lagerstätte nicht ersetzen: Es muß deshalb eine Aufschlußbohrung angesetzt werden. Wie abenteuerlich das Zusammenwirken von Geologie, Seismik und Bohren zuweilen sein kann, hat ein Unternehmer in seinen Memoiren beschrieben, der in der Ölszene Amerikas und Nord-Afrikas eher als Paradiesvogel wahrgenommen wurde denn als seriöser Wettbewerber - der »verrückte Arzt« Dr. Armand Hammer. Bis ins hohe Alter als Politik-Makler zwischen Kommunisten -52-
und Kapitalisten tätig, fädelte er als Miteigentümer des californischen Ölunternehmens Occidental oder Oxy im Libyen des Königs Idris I. auf seltsamen, um nicht zu sagen kriminellen Wegen einen spektakulären Bohr-Deal ein, der alles andere als branchenüblich war. Seine Bohrteams hatten im Konzessionsgebiet 102 bereits drei Aufschlußbohrungen abgeteuft, ohne auch nur eine Spur Öl oder Gas gefunden zu haben. Dem entstandenen Betriebsverlust dieser Trockenlöcher (dry holes) rechnete Hammer noch »zwei Millionen« Dollar hinzu, »die wir bereits für seismische Untersuchungen ausgegeben hatten.« Gegen alle Widerstände selbst im eigenen Unternehmen, das sich der Öl-Exploration in der Wüste Libyens nicht recht gewachsen fühlte, vertraute Hammer der Vorarbeit seiner Geologen und Geophysiker. Im November 1966 konnte er dann auch der Öl-Welt stolz verkünden, daß »sich das Glücksspiel ausgezahlt hatte«. Denn seine Bohrleute fanden eine Lagerstätte, die zu Beginn ihrer Erschließung eine Förderleistung von über 14000 Faß am Tag erbrachte. Bald danach sollen gezielt angesetzte Produktionsbohrungen die Tagesleistung des AugilaFeldes auf gut 100000 Barrel gesteigert haben - mit der hochwertigen und begehrten Qualität Arabian light. Ganz von Entdeckerstolz durchdrungen schwärmte Hammer auch bei anderen Bohrerfolgen in der Konzession 103 von »neuen seismischen Techniken«, mit denen man angeblich selbst die erfahrenen Experten der Mobil Oil ausgestochen hätte. Natürlich verfügten die Techniker dieses von 1911 bis 1998 selbständigen Ölkonzerns aus dem alten Esso-Imperium auch über die besten Methoden der Geophysik. Aber die Bohrteams dieses sehr innovativen Unternehmens besaßen zu diesem Zeitpunkt im gleichen Konzessions- und Bohrgebiet eben nicht das, was Hammer zu Recht als besondere Faktoren ins technisch ausgetüftelte Spiel brachte - »genügend Geduld«, eine »Menge Mut« zum Risiko und »etwas Glück«. -53-
Die Vorstellung, daß »Steine zu reden beginnen, weil ein Ohr ist, das sie hört« (Cloos), lebte einst aus der unmittelbaren Begegnung mit dem kristallinen und maritimen Reichtum an den vielgestaltigen Oberflächen unseres Planeten sowie aus dem ethischen Grundempfinden, der Schöpfung als Treuhänder begegnen zu wollen. Diese Natur-Erfahrung und Welt-Anschauung eines feinsinnigen Geologen oder Erd-Gelehrten ist längst einer lärmenden Wirklichkeit des Technizismus gewichen. In ihr haben sich die Naturwissenschaften den Erfordernissen des Industrialismus und Konsumismus weitgehend gebeugt, d. h. allen Ansprüchen an ein materiell besseres Leben kräftig zugearbeitet. Der Knall von Sprengsätzen aus Dynamit, deren Ergebnis über den Standort eines Bohrplatzes entscheidet, das Heulen von überstarken Motoren mit 10000 PS Leistung auf Superschweren Viermast-Anlagen oder das Scheppern der Bohrgestänge beim Einbauen und Aufholen selbst auf Bohrinseln im Küstenbereich bringt heute auf eine ganz andere Weise die Steine zum Sprechen als das Schwingen der Geologenhämmer. Und was diese Töne der Technik zu sagen haben, verweist nach unzähligen Einzelerfahrungen seit Titusville auf eine hinreichend gesicherte Tatsache: Das begehrte Öl und das reichlich vorhandene Erdgas, das nach Plänen der AutoIndustrie fortan zur Wasserstoffherstellung für Brennstoffzellen genutzt werden soll, lassen sich vornehmlich in BeckenSystemen aufspüren dort, wo einst in archaischer Zeit Feuer und Wasser aufeinanderprallten und sich tektonische wie stratigraphische Ölfallen bilden konnten. Bei dieser industriell verwertbaren Erkenntnis könnte man es belassen und die Geologie wie die Geophysik als technische Nutz-Wissenschaften für die Erz-, Kohle-, Salz-, Öl- und Gassuche einstufen: Bar jeder unmittelbaren Verantwortung für -54-
die Zukunft unserer endlichen Ressourcen und ohne Rücksicht auf die Biosphäre des Planeten. Unter diesem destruktiven Aspekt betrachtet sind auch die Geo-Wissenschaftler aller Sparten ein Opfer der Dromokratie. Der Philosoph Paul Virilio benannte den modernen Beschleunigungswahn mit diesem Begriff und drückte damit nur aus, daß das Prometheus-Syndrom in sein Endstadium getreten ist: nämlich in den Versuch, mit Hilfe hochgezüchteter Verbrennungsmotoren Raum und Zeit zu überwinden, ja die Schwerkraft selbst, um mit Hilfe von Raketen besondere Satelliten in die Umlauf der Erde zu bringen - zu ihrer geophysikalischen Vermessung und geologischen Erfassung der Oberfläche. Aber, ob diese neuen technischen Fertigkeiten genügen werden, den steigenden Energiebedarf und die Umweltprobleme zu bewältigen, scheint mehr als fraglich zu sein. Denn nach der oft brutalen »Entzauberung der Natur« seit Georg Agricola verweisen die Folgen des Raubbaus an notwendige Rückbindungen des industriell tätigen und konsumierenden Menschen: Er sollte sich einer Treuhandschaft auf Gegenseitigkeit zwischen den Generationen befleißigen, wenn er seine Zukunft umweltgerecht bestehen will. Eine Forderung, die nicht isoliert erfüllt werden kann, sondern nach einem integrativen Denken und Handeln verlangt. Das heißt auch, der Geophysiker bleibt auf das detonierende Dynamit als Auslöser eines künstlichen Erdbebens ebenso angewiesen wie der Geologe auf die Arbeit der Bohrteams: Nur sie können ihm die annähernd sichere Kunde aus der Tiefe beschaffen, wie ein künftiges Öl- oder Gasfeld strukturiert ist: mit Bohrklein oder Bohrkernen vor Ort und im Zeichen des alten Segensgrußes aller Kumpel ob im Schacht oder am Turm »Glück auf!«
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»NUR IMMER TIEFER!« Deutsche Pioniere - Bohrwege ins Öl - Rotary Wer hat als Kind im Öl- Zeitalter nicht davon geträumt, wenigstens einmal die Erde zu durchbohren? Besonders beim Anspitzen eines Bleistiftes in einem kleinen Globus aus Blech, um nach dem Drehen zu sehen, wo man am anderen Ende der Welt herauskommen könnte. Doch jede Liebesmüh war vergebens. Selbst Jules Verne, der wie einst Francis Bacon die technische Moderne mit Fernsehen, Untersee-Booten und Flugzeugen vorhergesehen hatte, flog zwar durchs All, kam aber trotz Aufbietung all seiner Kräfte nur bis zum Mittelpunkt der Erde. Was für den französischen Sachriftsteller vor gut hundert Jahren wie die Erfüllung eines Menschheitstraumes aussehen mochte, wäre in der heutigen Wirklichkeit weder zu wünschen noch technisch zu realisieren. Allein die geothermische Tiefenstufe von etwa drei Grad Celsius auf hundert Meter Bohrstrecke bereitet bereits ab zwei Kilometer Teufe Probleme. Denn durch die steigende Hitze geraten die beim Bohren üblichen Ton-Süßwasserspülungen bis zum Kochpunkt und werden in hohem Maße instabil. Ein Phänomen, das Bohrteams mitunter Alpträume bereitet und auch dazu geführt hat, daß das in den 1980er Jahren kühn vorangetriebene Projekt einer Kontinentalen Tiefbohrung bei Windischeschenbach in der Oberpfalz abgebrochen werden mußte. Man wollte wie die Bohrung »Teleskop« auf der Halbinsel Kola (Eismeer) in der ehemaligen Sowjetunion eine Endteufe von 10 000 Metern erreichen. Aber bei etwa der Hälfte der -56-
Strecke sah man sich genötigt, wegen der übergroßen Hitze jede weitere Bohrtätigkeit einzustellen. Auf der anderen Seite hat auch dieses Projekt alle Bemühungen bestätigt, künftig die konstante Geo-Wärme nicht nur in Island, den USA oder in Italien als eine Dauer-Energie zu nutzen, die vor allem unsere durch Kohle, Öl und Erdgas belastete Umwelt schont. Wer jedoch glaubt, daß die Technikfolgen ihrer Verfeuerung allein für die Belastungen der Biosphäre verantwortlich sind, der vergegenwärtige sich die kritischen Beobachtungen des bergbeflissenen Georg Agricola. In seinem Epochenwerk De re metallica von 1556, das als Bergbau-Bibel sogar an die Kirchenaltäre in der reichen Erzstadt Potosi (Bolivien) gekettet war, erläuterte er die Einwände aller Gegner des unkontrolliert betriebenen Bergbaus und dessen Schachtbetriebs. Zunächst wehren sie sich dagegen, »daß die Felder durch den Abbau (von Erzen) verwüstet werden«. Agricola bezieht sich hier auf alte Gesetze in Italien, die es untersagen, nach Bodenschätzen zu schürfen, wenn dadurch »den sehr fruchtbaren Feldern, Weinbergen und Ölgärten Schaden zugefügt« werde. Ein weiterer Grund der Kritik kommt aus der nächsten Phase des Erzschürfens, müssen doch für das Betreiben der Schächte und Metallschmelzen »Wälder und Haine abgeholzt werden«, um eine Feuer- und Glutorgie zu entfachen. Darüber hinaus droht aufgrund eines unmäßigen Holzeinschlags nicht nur der Grundwasserspiegel abzufallen: »Wir vernichten auch Vierfüßler und Vögel, von denen der Mensch reichlich gesunde und schmackhafte Kost gewinnt.« Doch mit diesen meist lokalen Zerstörungsaktionen um der Erze willen nicht genug. Denn »wenn man das Erz wäscht, (dann) vergiften die Abwässer davon Bäche und Flüsse, so daß die Fische umkommen oder vertrieben werden. Also haben die Bewohner solcher Gegenden wegen der Verwüstung der Felder, Wälder, Haine, Bäche und Flüsse heute Schwierigkeiten, sich -57-
das zum Leben Nötige zu beschaffen, und wegen der Rodung der Bäume sind sie zu sehr kostspieliger Bauweise gezwungen.« Agricola, der sich auch um die Stadtpolitik von Chemnitz verdient gemacht hat, war ein Zeitgenosse Leonardo da Vincis, dessen Sammlung über das technische Wissen seiner Zeit (Leicester-Codex) sich heute im Stiftungsbesitz des ehe maligen Ölmagnaten Dr. Armand Hammer befindet. Seine Kritik wirkt hochaktuell, besonders wenn man an die Pionierzeit des BohrBergbaus denkt, der gegenüber der Schacht- und StollenMethode ein bedeutender technischer Fortschritt im Aufspüren von Bodenschätzen aller Art war, aber auch die Umwelt erheblich belastete. Nimmt man es genau, dann begann der moderne Bohrbergbau im Jahre 1785 auf deutschem Boden mit einer Öl-Bohrung bei Pechelbronn (Elsaß). Dabei zeigte sich die hohe Abhängigkeit dieses neuen Verfa hrens vom Holz. Die primitiven Bohrgerüste waren aus schweren Stämmen und die sie schützenden Kauen aus dicken Bohlen gezimmert worden. Auch das Gestänge für den Steinmeißel aus Stahl bestand aus gehöhlten Baumstämmen, und die anfallenden Abwässer aus dem Bohrloch wurden meist über hölzerne Leitungen gelenkt - ungeklärt in Teiche, Bäche und Flüsse. Der Holz-Weg ins Öl und Salz war demnach zu Beginn aller Bohrtätigkeit unentbehrlich. Noch heute wird bei einigen deutschen Öl-Unternehmen ein Bohrplatz auf freiem Feld mit den hölzernen Hoffmanns-Platten abgedeckt: Zum Schutz der Ackerkrume oder des Wiesengrundes und als feste Unterlage für das Rohrlager, die Turmschmiede, das Geologen- Labor und die Mannschaftsbuden. In dieser Maßnahme eines umsichtigen Bohr-Inspekteurs der Preussag Ende der 1950er Jahre kündigte sich, neben der praktischen Nützlichkeit, bereits ein sich wandelndes -58-
Umweltbewußtsein an. Es mündete 1961 in die politische Forderung, vor allem im industriellen Ballungsraum des Ruhrgebietes für eine bessere Luft zu sorgen, wurde aber sofort von den Kräften des ungebremsten Wachstumsdenkens mit dem Trumpf gekontert: »Die Schlote müssen rauchen!«
»Springer« oder »Gusher« im Olgebiet von Baku (vor 1900) -59-
Zwar setzte sich diese grobe Ansicht durch, aber in der Folgezeit zeigte es sich, daß vor allem die Bohrindustrie auf bundesdeutschem Boden durch das frühe Umweltdenken einem Lernprozeß ausgesetzt wurde und Konsequenzen zog. Spülungsreste zum Beispiel, die trotz giftiger Zusätze früher einfach in Erdkuhlen neben den Bohranlagen vergraben wurden, mußten jetzt in Stahlbehältern gesammelt und auf Sondermülldeponien entsorgt werden. Auch die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen aller Bohrleute, die noch heute bei Wind und Wetter, in Hitze und Kälte ihren Mann zu stehen haben, fallen in diesen Bereich des Schutzes vor Schäden an Menschen, der Natur und selbst an Maschinen. Allein die technischen Fortschritte vom Schlagbohr-Verfahren seit 1809 zum Drehbohr-System (Rotary) nach 1901 und zum modernen Turbinenbohren bestätigen das Bemühen einschlägiger Ingenieurskreise, verstärkt über das Verhältnis zur Umwelt nachzudenken, ohne dadurch die Arbeitsleistung des Maschinenparks zu mindern. Wer jemals nur den Höllenlärm eines Kettenrad-Antriebs für Drehtische ohne Gehörschutz ertragen mußte und seit den 1960er Jahren den Übergang zu den »leisen« Kardanwellen erlebt hat, der kann ermessen, was hier im Sinne einer Humanisierung der Arbeitsplätze bis heute geleistet worden ist. Diese und andere Verbesserungen belegen einen Bewußtseinswandel gegenüber Mensch und Natur, der sich auch in der Post-Moderne fortsetzen muß. Schon um die Bohrtätigkeit aus dem fatalen Geruch zu bringen, daß sie wegen ihres oft rabiaten Auftretens ein »schmutziges Geschäft« sei, obgleich sie doch bei richtiger und umsichtiger Handhabe eher einer industriellen Kunst gleicht. Von ihr besaß der Neptunist Goethe anfänglich keine -60-
sonderlich gute Meinung. Aber als die Salzbohrer unter der Leitung Glencks bei Weimar auf ein ergiebiges SoleVorkommen stießen, rief er ihnen in einem Huldigungsgedicht anerkennend zu: »Nur immer tiefer!…/ Bezeichnet nun den weitgevierten Schacht/ Und wagt euch kühn zum Abgrund tiefster Nacht:/ Vertraut mir, daß ich Schatz zu Schätzen häufe./ Nun frisch ans Werk und muthig in die Teufe.«
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Deutsche Pioniere In der Begegnung mit dem Juristen und Bohrunternehmer Karl Glenck, dem 1809 bei Wimpfen mit 160 Metern Endteufe eine erfolgreiche Punktbohrung nach Salz gelungen war, sprach Goethe in Kenntnis der Technik des Schlagbohrens von »einfachstem Werkzeug«. Es hatte aber genügt, die »Stotternheim 1« bei Weimar im Jahre 1827 mit einem guten Salzfund abzuteufen, und zwar bei 370 Metern: Eine Generation vor Titusville, als man dort 1859 mit einem Salzbohrgerät auf Öl stieß - in gerade einmal 30 Metern Teufe. Salzbohrer schafften sogar Anfang der 1830er Jahre bei Neusalzwerk (Minden) die Rekordmarke von 695 Metern. Eine mehr als respektable Leistung, die aufgrund von zwei technischen Neuerungen möglich geworden war. Zunächst wurde das herkömmliche Bohrgestänge aus Holz durch ein Eisengestänge ersetzt. Dadurch minderten sich die durch den Aufschlag am Bohrgrund herbeigeführten Gestängebrüche. Dann erhöhte man den Bohrfortschritt während einer Betriebsschicht durch das Freifall-Verfahren. Dabei konnte der am Ende des Gestänges festgeschraubte Bohrmeißel öfters mit Muskelkraft gehoben und fallengelassen werden, um das anstehende Gestein zu zermalmen: Eine sogenannte Rutschschere oder ein Wechselstück verbesserte diese Methode dadurch, daß ein Puffer-Mechanismus im Gestänge den Staucheffekt und damit die Aufprallenergie abfangen konnte. In dieser technischen Umbruchszeit setzte Karl Freiherr von Oeynhausen, nach dem auch das heute so berühmte Solebad benannt wurde, in Neusalzwerk ein besonderes Zeichen. Er verwendete nämlich am 8. Juli 1834 nicht nur eine verbesserte Rutschschere, sondern auch zum ersten Mal ein eisernes Hohlgestänge: Es wurde aus Einzelstangen mit Gewinde -62-
zusammengedreht, die einen Durchmesser von vier Zentimentern und eine Wandstärke von fünf Millimetern besaßen. Mit dieser Innovation des unternehmerischen Freiherrn ergab sich nicht bloß eine wesentliche Gewichtsverminderung des gesamten Bohrstranges, den die Mannschaften mittels Bohrschwengel zu heben hatten. Es war jetzt auch möglich, durch den Hohlraum des Gestänges eine Spülung zum Meißel zu pumpen, um damit das Bohrklein ohne eine zusätzliche Schlammbüchse an die Oberfläche zu bringen. Doch ehe all diese Neuerungen im einzelnen optimiert und in einem Gesamtsystem koordiniert werden konnten, bedurfte es noch einer Reihe besonderer Erprobungen und Verbesserungen. Dabei spielte Karl G. Kind eine herausragende Rolle. Galt sein Lehrer Glenck als der »größte praktische Geognostiker seiner Zeit« und gar als ein »Kolumbus« der neuen Bohrwelt, so hatte sich Kind bald den Ruf erarbeitet, ein »Napoleon der Bohrmeister« zu sein. Denn er war davon überzeugt, strategisch vorgehen zu müssen, um seine Salzbohrungen zum Erfolg zu führen. Allerdings zahlte er dafür einen persönlich hohen Preis. Als er die »Stotternheim II« bei Weimar 1835 in 340 Metern Tiefe beendet hatte, gab ihm dieses Projekt nicht nur Anlaß zu seinem Buch »Anleitung zum Abteufen der Bohrlöcher«. Er beschrieb auch in bewegenden Worten und mit entwaffnender Offenheit, wie es nicht nur an diesem Bohrplatz zur Pionierzeit des Bohrbergbaus zugehen konnte: »Das Bohren ging im ganzen unglücklich. Von 700 Fuß (etwa 233 Meter) Teufe an erfolgte Gestängebruch um Gestängebruch. Im Laufe der Arbeit kamen im ganzen 215 Gestängebrüche vor; fü nfmal stürzte das Gestänge in das Bohrloch… Nie hat mir eine Bohrarbeit wieder so viel Sorge und Schrecken verursacht als die zwei Stotternheimer Bohrlöcher. Tag und Nacht war keine Ruhe für mich. Ich kam als blühender 30jähriger Mann nach Stotternheim -63-
und nach 4 Jahren waren meine Haare zur Hälfte schneeweiß.«
Beim Schlag- und Drehbohren erfordert jeder »Meißelmarsch« höchste Konzentration -64-
Trotz dieser Belastungen konnte er aber nicht von seinem selbstgewählten Metier lassen. Es ist, als hätte ihn wie Glenck, Oeynhausen und andere Pioniere der seltsame Drang erfaßt, das knochenharte, nervtötende und auch kostspielige Dasein »am Turm« gegen alle Widerstände der Natur wie der Technik durchzustehen, ja als gleichsam adelnde Lebensqualität zu empfinden - Bohren als Besessenheit. Dazu gehörte aber mehr als nur das Bedienen des von Hand gedrehten Krückeis auf der Arbeitsbühne und unmittelbar am Bohrloch, um den Meißel mittels des Bohrseils in eine andere Fallrichtung zu bringen. Der Eifer, alle verfügbaren Gerätschaften zu verbessern, gesellte sich bei Kind auf unverwechselbare Weise hinzu, bis er das System der Rutschschere optimiert hatte: Damit aber konnte er den Freifall des Bohrapparats auf eine bisher unbekannte Leistungsfähigkeit bringen. Mit der Teilung des Bohrstranges in ein Ober- und Untergestänge, das sich mit Hilfe einer durch Wasserdruck betätigten Schnappzange je nach Bedarf lösen und wieder einrasten ließ, begann er am 21. Januar 1842 bei Mondorf (Luxemburg) ein folgenreiches Experiment: Er beendete es am 16. Juni 1846 in einer Teufe von 736 Metern - bis 1871 die tiefste Punktbohrung der Welt. Machte Kinds Erfindung, die er sich in Frankreich patentieren ließ, auf den Bohrplätzen Mitteleuropas wirklich Furore, so bekam sie ab 1845 einen ernsthaften Wettbewerber: Denn der preußische Salinen-Direktor Karl L. Fabian hatte sich einen Freifall- Mechanismus ausgedacht, der nach dem Prinzip von Fuge und einrastendem Zapfen funktionierte. Dieses System war einfach und effektiv zu handhaben. Es konnte auch ohne Wassersäule in jedem Bohrloch zum Einsatz -65-
kommen, mußte aber über dem Meißel mit einer besonderen Schwerstange versehen werden. Sie hatte den Freifall des Bohrapparates zu beschleunigen und den Druck beim Aufprall des Meißels zu verstärken: eine Innova tion, die noch heute die Standard-Ausrüstung selbst des Dreh- und Turbinenbohrens ausmacht. Der Nachteil des Fabianschen Freifalls, der zum ersten Mal bei Rotenburg/Saale im Rahmen einer Kohlebohrung erprobt wurde, lag vor allem im hohen Gewicht: Es erschwerte den Hebebetrieb mit Körperkraft und ermüdete die Bohrteams schneller als bei der Kind-Methode. Dennoch fand das FabianSystem eine weite Verbreitung, weil der Preußische Staat seine Bohrbetriebe damit ausrüstete, die später neben SchachtBergwerken und Stahlhütten den Grundbestand der heute noch existierenden Preussag als Mischkonzern bilden sollten. Mit dem Staat als Großunternehmer, der sein patrimonial begründetes Regal- und Schürfrecht in eigener Beamten-Regie durch Bergbehörden wahrnahm, konnten bedeutende Investitionsmittel bereitgestellt werden, zu denen private Bohrunternehmer kaum fähig waren: Das galt vor allem für die epochale Umstellung des anstrengenden Handbetriebs auf Dampfmaschinen. Zwei Jahre vor Fabians Tod begann man ab 1853, sechs Jahre vor Titusville, mit der Ablösung des manuellen durch das maschinelle Bohren. Ein Meilenstein in der Geschichte des Bohrbergbaus, der erst ein halbes Jahrhundert später eine ähnliche Wandlung erlebte, als der Dieselmotor die Dampfmaschine ersetzte - noch heute der Hauptantrieb auf allen Bohranlagen der Welt. Es paßte zu dieser technischen Entwicklung, daß ab 1856 auch das Spülbohren zur Erprobung kam. Dabei wurde nach Vorversuchen schon in Neusalzwerk durch den Innenraum des -66-
hohlen Bohrgestänges Wasser bis zum Bohrmeißel gedrückt. Dort trat es durch besondere Schlitze (später Düsen) in den Ringraum zwischen Außenwand des Gestänges und der durchteuften Gebirgswand, um auf diese Weise auch das Bohrklein an die Oberfläche zu spülen - zur Analyse für die Geologen. Dieses einfache, aber wirkungsvolle Kreislauf-Verfahren gehört heute noch trotz Verbesserungen der Spülpumpen zur Grundausrüstung jeder Bohranalge und markiert auf seine Weise den »deutschen Weg« früh optimierter Tiefbohrtechnik, ganz im Gegensatz zu Frankreich und den USA. Dort hielt man sich nach dem Sensationserfolg von Titusville noch recht lange an das Seilbohren. Dieses Verfahren kam ohne Gestänge aus und ließ den Bohrmeißel über Seilwinden auf das anstehende Gebirge stürzen. Eine Methode, die wahrscheinlich von technisch interessierten Jesuiten aus China nach Frankreich gebracht worden ist und von dort nach Amerika gelangte: Eine Methode, die sich in ihrer kompakten Einfachheit nur für Flachbohrungen eignete und kaum nach einer wesentlichen Innovation verlangte. Deutsche Bohrkreise begnügten sich aber nicht mit ihren Erfolgen, wußten sie doch aus Erfahrung, welche Anforderungen an das künftige Bohren gestellt wurden, wollte man die 1000-Meter-Grenze durchbrechen. Dazu gehörte vor allem die wicht ige Beobachtung, daß die Wasser- oder Spülungssäule im gesamten Bohrloch einen stabilisierenden Druck ausübte. Als Hydrostatik wurde dieser Effekt stark beachtet, weil er den Druck des durchteuften Gebirges oder die Petrostatik auszugleichen hatte. Damit der erbohrte Hohlraum nicht zusammenbrach und den wertvollen Bohrkopf mit Meißel und Schwerstangen samt dem übrigen Gestänge verschüttete, gleichsam zum Fisch machte, zu einer Gerätschaft, die im Bohrloch nur schwer mit Hilfe eines »Teufelsrades« oder anderer Geräte zu angeln, zu lockern und dann zu heben war.
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Was den Stand der industriellen Geognostik und Bohrtechnik betrifft, so ist festzustellen, daß bis 1859 zum Ende des KrimKrieges als europäischem Großkonflikt ohne Ölinteressen das staatliche wie private Unternehmertum Mitteleuropas absolut führend war - in Theorie und Praxis die Freifall-Zeit herrschte. Mehr noch. Seit dem Wirken Georg Agricolas kann ein stetiger Transfer an Technologie aus dem Heiligen Reich vor allem nach England, Schweden, die Neue Welt (Mexiko, Potosi) und nach Rußland beobachtet werden. Er verstärkte sich nach dem Teutschen Frieden von 1648 im Zeichen des Freihandels (Libertas commerciorum) besonders auf dem Gebiet des Bergbaus und Hüttenwesens sowie in der Metallverarbeitung bei Kanonenguß, Handwaffen aller Art (Solingen), Haus- und Feldgeräten aus Weißblech, Gold- und Silberschmiedekunst (Augsburg). All diese Aktivitäten lassen daran denken, daß es lange vor James Watt und seinen Dampfmaschinen noch andere Wiegen und Wege der Industriellen Revolution gegeben hat als nur die Nutzung der Dampfmaschine: Schließlich konnte die Wasserkraft und Feuerenergie auf verschiedene Weise eingesetzt werden. Auch durch das erfolgreiche Wirken der 1763 im sächsischen Freiberg gegründeten ersten Berg-Akademie, die Agricolas Berg-Bibel ablöste, hieß es in England lange vor dem abwertenden »Made in Germany« für schlechte Massenwaren, daß aus dem Bereich des 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reiches die wichtigsten Ideen zur Industrialisierung kämen: »It was to Germany, that Britain turned for a model« (Ashford). Kein Wunder auch, daß dem Weifen-Haus Hannover auf Englands Thron das Können der »Deutschen Bergbohrerschule« (Rost) nicht lange verborgen blieb und es vor allem in seinem kontinentalen Herrschaftsbereich zu nutzen suchte. So ordnete das Innenministerium des Königreichs Hannover im Jahre 1857 an, das Gebiet der Lüneburger Heide nach Bodenschätzen -68-
abzusuchen. Dabei wurde eine Reihe von Aufschlußbohrungen niedergebracht, deren Endteufen zwischen 40 und 60 Metern lagen. Spezialanlagen aus Kinds Bohrpark kamen unter der Leitung des Bergprofessors Hunnäus auch dort zum Einsatz, wo Ausbisse die Vermutung der Geologen stärkten, daß im nahen Untergrund Öl zu finden sei. Tatsächlich stieß man auch bei Wietze auf das Vorkommen der »Teufelsinsel«. Das austretende Öl wurde anfänglich in einem Sickerschacht abgeschöpft, der später mit einem Rest der Anlage den Grundstock für das Deutsche Erdöl-Museum bildete. Im niedersächsischen Celle wiederum sollte es auch zur Gründung der Deutschen Bohrmeisterschule kommen, an der ganze Generationen von Tiefbohrern (seit 1943 staatlich anerkannter Lehrberuf) auf höhere Funktionen im Bohrbetrieb wie in der Ölgewinnung (Schichtführer, Bohrmeister) vorbereitet wurden und die weltweit ein Vorbild war. Beachtet man hier die 50jährige Entwicklung des seit 1809 tätigen Bohrbergbaus von einzelnen Punktbohrungen nach Salz, Kohle und Erz zu einer regelrechten Industrie, dann wird die erste Ölbohrung von Titusville im Jahre 1859 wo hl in ihrem historischen Signalwert bestehen bleiben: Aber für eine Überbewertung wie in Williamsons Technik-Geschichte zur Hundertjahrfeier von 1959 besteht kein sachlicher Anlaß. Denn die beste Bohrtechnik kam aus europäischen Unternehmen wie dem deutschfranzösischen Zusammenschluß Kind-Chaudron, von Haniel & Lueg oder Wirth in Erkelenz am Niederrhein. Ihre Dominanz zeigte sich besonders auf der Weltausstellung in Paris von 1867, als Kind wie sein Partner Chaudron mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde, nur drei Jahre vor dem dynastisch und damit vorindustriell begründeten Krieg zwischen Kaiser Napoleon III. und dem Haus Hohenzollern, das mit seiner katholischen Linie Sigmaringen den Thron Spaniens besetzen wollte. Verständlich, daß sich die Amerikaner eingedenk ihrer -69-
bisherigen Primitiv- Apparate in Paris auf manch ein Patent zur neuen Bohrtechnik stürzten, Lizenzen kauften und vieles zu Hause verbesserten. Vor allem ihr »Pennsylvanisches Seilbohrverfahren« kehrte als angeblich amerikanische Errungenschaft auf die Bohrfelder Europas (Galizien) zurück und eroberte sich wegen seiner Effizienz im Bereich der Flachbohrungen (bis 800 Meter Teufe) die neuen Bohrfelder im Orient (Persien), Hinterindiens (Burma) oder Lateinamerikas (Mexiko, Venezuela). Dieser Vorgang der »Nachahmungsbegierde« (Herder) ist in der Geschichte vor allem aus Rußland bekannt, läßt sich aber auch bei den Japanern und Chinesen nachweisen, die auf europäischen Wegen ihre innere Industrialisierung vorangetrieben haben, ehe sie sich mit Nachbauten auf den Weltmarkt wagten. Nicht wesentlich anders verhielten sich die USA, die im Hinblick auf das Epochenjahr 1870 nicht nur die Gründung der Esso als Vermarktungsunternehmen für Öl erlebten, sondern auch im industrielltechnischen Bereich die »Erfindung Amerikas« (Hughes) vorantrieben - auf den Bahnen Europas und mit Errungenschaften aus der Alten Welt, aber in eigener Regie.
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Bohrwege ins Öl In den Augen seiner Kritiker betrat das Erste Vatikanische Konzil im Jahre 1870 einen Holzweg der Gegenmoderne. Denn es verkündete die »Unfehlbarkeit« des Papstes in Glaubensdingen, vollzog aber damit nichts anderes als den wesentlich älteren englischen Grundsatz »The king can do no wrong«. Fast gleichzeitig trat im Spiegelsaal zu Versailles das Zweite Deutsche Kaiserreich seinen »Schleichweg zum Chaos« (Nietzsche) an, der in den Ersten Weltkrieg führte und Frankreich suchte als Dritte Republik einen patriotischen Ausweg, um endlich die historischen Illusionen von 1789 Wirklichkeit werden zu lassen - eine Gesellschaft in Gerechtigkeit. Abseits dieses Reigens von Großereignissen, die in allen Historienbüchern gebührend vermerkt sind, vollzog sich eine nicht weniger wichtige Weichenstellung in der Technikgeschichte. Denn von der staatlichen Bohranlage »Sperenberg« bei Berlin wurde eine schier unglaubliche Hochleistung gemeldet. Die Tiefbohrer um den tüchtigen Bohrinspektor Karl Zobel hatten 1867 ein kühnes Projekt begonnen und es 1871 bei einer Endteufe von 1271 Metern abgeschlossen - neuer Weltrekord im Tiefenrausch. Dieses ehrgeizige Vorhaben hatte aber nur deshalb Erfolg, weil jeweils eine Dampfmaschine zum Bohren und eine zum Fördern des Schmandes (Bohrklein mit Spülung) eingesetzt werden konnte. Außerdem hatte Zobel den Fabianschen Freifall erheblich verbessert und somit Voraussetzungen geschaffen, weit über die als »magisch« geltende 1000-Meter-Marke ins Gestein vorzudringen. Doch trotz der spektakulären Einzelleistung, die auf ein KaliVorkommen angesetzt war, zeigte es sich, daß man mit diesem -71-
Projekt nicht auf einem zukunftsträchtigen Erfolgsweg wandelte, sondern in eine Sackgasse geraten war. Denn erstens hatte das Freifallsystem trotz Dampfkraft seine technische Belastungsgrenze erreicht, und zweitens überstiegen die Kosten in Höhe von 175000 Mark selbst die Möglichkeiten der staatlichen Subventionierung von Pilotprojekten. Dennoch konnte aus den Erfahrungen Zobels manch ein Nutzen gezogen werden. Vor allem private Bohrunternehmer, deren Tätigkeitsbereich durch das neue Gesetz zur Bergfreiheit von 1865 erheblich ausgedehnt worden war, sahen in der Konzentration auf stabile und rentable Bohrverfahren bessere Chancen, ihre Kali-, Salz- und Kohle-Bohrungen einträglich zu gestalten, statt sich an Großprojekten zu verausgaben und gar zu ruinieren. Zu diesem strukturellen Vorteil gesellten sich noch zwei fundamentale Erfindungen. Sie eröffneten ganz neue Bohrwege vor allem im Ölbereich, der den Brennstoff für unzählige Petroleumlampen zu liefern hatte. Zunächst war es dem Steiger Emanuel Przibilla um 1870 gelungen, das Spülbohren mit Hohlgestänge wesentlich zu verbessern. Er benutzte zu Beginn einer Bohrung ein großkalibriges Gestänge, das nach dem Abbohren einer gewissen Bohrstrecke als Verrohrung des Bohrloches verwendete wurde; auf diese Weise schützte er die bereits erreichte Teufe vor einem Nachfall der durchteuften Schichten und setzte mit einem kleineren Kaliber die Bohrtätigkeit fort. Diese Teleskop-Technik in Verbindung mit einer kombinierten Abstimmung von Spülung und Bohrapparat bedeutete einen entscheidenden Durchbruch mit einer geradezu historischen Langzeitwirkung. Denn dieses System als geschlossener Kreislauf findet im Prinzip noch heute auf allen Bohrstellen der Welt zuverlässige Anwendung. Wie groß die -72-
technische Leistungssteigerung innerhalb nur einer Generation ausgefallen war, ergibt sich bei einem Vergleich des meßbaren Bohrfortschritts. Durfte man zu Glencks Zeiten darüber froh sein, an einem Tag gerade mal einen Meter tief in den gewachsenen Stein vorzudringen, so gelang es Przibillas Mannschaften, Bohrmeterleistungen bis zu 50 Meter am Tag zu erreichen. Auch außerhalb Mitteleuropas hatte Przibilla mit seiner Kombinationsanlage Erfolg. Von Spanien bis Rußland, wo in Baku am Kaspischen Meer auch seit 1859 zwischen unzähligen Ausbissen industriell nach Öl gebohrt wurde, trieben seine Leute fündige Löcher in die Erde und steigerten die Leidenschaft eines Tiefbohrers, der die Anerkennung des Bohrwesens als eigenständige Wissenschaft forderte und es als Tiefbohrkunst empfand. Wie berechtigt seine Forderungen nach einem Paradigmenwechsel im Bohrbergbau waren, ohne je ganz in seinem Sinne erfüllt zu werden, vermittelt auch die zweite wichtige Erfindung fast zur gleichen Zeit. Bestand das Bohren seit 1785 in der Hauptsache darin, die Gesteinsschichten mit einem fallenden Meißel in dessen Durchmesser zu zertrümmern, so gelang es jetzt, mit einem besonderen Diamant-Bohrer schmale Ringlöcher ins Gebirge zu treiben. Der stehengebliebene Gesteinskern wurde nach einer Bohrfahrt durch einen speziellen Mechanismus abgebrochen und mit dem Ausbau von Gestänge und Bohrmeißel zur Arbeitsbühne geholt - den Geologen zur Freude, die nun aus erster Hand die Verhältnisse vor Ort studieren konnten. Voraussetzung für diese Bohrtechnik war allerdings, ein zuverlässiges Verfahren zu finden, die teuren IndustrieDiamanten aus reinem Kohlenstoff und mit dem Härtegrad 10 in die Bohrkrone zu sintern. Als man dieses Problem gelöst hatte, konnte mit einem solchen Bohrkopf sowohl hartes Eruptivgestein zerschnitten als auch weicheres Sedimentgestein -73-
aufgerieben werden. Von Rudolf Leschot im Jahre 1863 erfunden und zum Bau des Mont-Cenis-Tunnels erstmals erfolgreich eingesetzt, wurde das Patent 1867 von einer US-Firma erworben. Bis 1870 baute es die Continental- Diamant-Rock-Boring-Company aus und exportierte das Verfahren auf Bohrstellen in aller Welt - mittels England besonders nach einem Europa, wo ein regelrechtes Bohrfieber ausgebrochen war. So verlockend das Diamant-Bohren auch sein mochte, es scheiterte meist an den hohen Investitione n und wurde bald von einem neuen Verfahren verdrängt, das sich anschickte, das Freifall- oder Schlagbohren auszureizen und am Ende gar zu überwinden - durch die Bohrapparate von Anton Raky. Aus dem hessischen Seelenberg gebürtig und im niedersächsischen Salzgitter gestorben, vollzog Raky in seinem wahrhaft abenteuerlichen Leben als Bohrunternehmer und Erfinder das Optimieren der bisherigen Technik. Als Schüler von Przibilla und dem sehr innovativen Ingenieur Hugo Lubisch, der sich als Diamantbohrer einen le gendären Namen gemacht hat, stellte Raky eines Tages fest, daß das herkömmliche Schlagbohren in großen Teufen immer ungünstiger wurde. Das Verhältnis von Hubzahl des Meißels samt Gestänge und seiner Leistung verschlechterte sich mit jedem Meter Bohrfortschritt: Eine entscheidende Verbesserung war jedoch nur dann möglich, wenn der starre Bohrschwengel in eine nachgebende, fast federnde Position gebracht wurde. Als Ergebnis seiner Experimente stellte Raky eine patentierte Schnellschlag-Anlage vor, der es auf Anhieb gelang, innerhalb von nur 42 Tagen nicht weniger als 628 Meter abzuteufen - den Aufbau des Bohrturms und des gesamten Maschinenparks eingeschlossen. Lange vor der Erfindung des Drillometers als Meß- und -74-
Orientierungsgerät für den besten Bohrdruck durch den Amerikaner Martin Decker hatte Raky wie andere Bohrfachleute die Erfahrung gemacht, daß es beim Bohren in der Hauptsache darauf ankam, den Druck auf den Meißel zu regulieren, und zwar so, daß er je nach Art und Härtegrad des Gesteins die volle Bohrleistung erbrachte. Gerade die Unregelmäßigkeit des Bohrdrucks war in vielen Fällen die Ursache für die ärgerlichen und kostspieligen Gestängebrüche. Deshalb hatte Raky sein Schnellschlaggerät ohne Rutschschere konstruiert, dafür aber eine Schraubenspindel installiert, mit der es möglich war, einen Druckausgleich herzustellen und somit einen optimierten Bohrfortschritt zu erzielen. Raky, der zusammen mit dem elsässischen Fabrikanten Vogt in Straßburg die »Internationale Bohrgesellschaft« gründete und deren Hauptsitz 1898 nach Erkelenz verlegte, hatte mit seiner Erfindung eine neue Epoche der Bohrtechnik eingeleitet. Denn mit seinem Gerät konnten Löcher von 200 Metern Teufe an einem Tag abgebohrt werden. Eine Leistung, die besonders gern dort gesehen wurde, wo er für Bergwerke die effektive Erbohrung von Steinkohle im nördlichen Westfalen um Ibbenbüren sowie in Belgien und Lothringen besorgte. Zusammen mit seiner Innovation kam dann bis zur Jahrhundertwende noch die Erfindung des Benzin- wie des Dieselmotors (1885, 1893) sowie der Autobau hinzu und damit jener Stoff, aus dem die Träume der technischen Moderne gezogen wurden - Erdöl, Nafta oder Petroleum. Nach seiner Bohrtätigkeit im elsässischen Pechelbronn wie bei Ölheim im Landkreis Peine, das um 1894 einen richtigen Ölrausch erlebte und als Klein-Pennsylvanien galt, hielt es Raky nicht mehr in der deutschen Petroleum-Provinz: Er machte sich auf den Bohrweg ins Öl nach Osten hin. Seinem Spürsinn und Wagemut ist es zu verdanken, daß das -75-
Ölfeld Moreni in Rumänie n entdeckt und erschlossen wurde. Ein Vorkommen, das zwar nicht so ergiebig wie jenes von Spindletop/Texas oder bei Tulsa in Oklahoma etwa zu gleichen Zeit war, aber ausreichte, um Leute wie Raky reich werden zu lassen. Trotz seiner Erfolge in Rumänien zog es ihn weiter nach Osten. Dort schloß er sich 1907 dem Nafta-Unternehmen der Gebrüder Nobel an und half tatkräftig mit, die Felder von Kertsch, Maikop und Baku auszubauen, bis ihn der Erste Weltkrieg zwang, nach Deutschland zurückzukehren. Er betrieb nun von Salzgitter aus ein neues Bohrunternehmen, das bei Nienhagen an der Weser und in Ölheim nach Öl suchte, aber auch Bohrungen auf Steinkohle und Eisenerz durchführte. Als die großen Erfolge ausblieben, sah sich Raky auch im Gefolge der großen Wirtschaftskrise 1930 gezwungen, seine Bohrgesellschaft aufzugeben und Teile an die 1894 gegründete Wintershall sowie an die Vorläuferin der späteren Preussag zu verkaufen. Anton Raky, der wie die meisten deutschen Bohr-Pioniere trotz eines reichen und spannenden Lebens nie Gegenstand einer großen Biographie geworden ist, verkörpert ähnlich wie Richard Sorge oder Albert Fauck den Aufstieg eines tüchtigen Technikers zum internationalen Unternehmer - vom Salz- und Kohlebohrer zum Ölsucher. Gewiß, ein absoluter Tiefenrekord war Raky versagt geblieben. Dafür durfte der Bohrinspektor Karl Köbrich 1886 der Welt verkünden, daß man mit der staatlichen Bohrung »Schladebach« eine Teufe von 1748 Metern erreicht hatte, die 1893 von der Bohrung »Paruschowitz V« im Kohlerevier Oberschlesien mit 2003 Meter noch übertroffen wurde. Aber auf einen solchen Ehrgeiz war es Raky gar nicht angekommen. Auch ohne eine derartige Höchstleistung steht er dennoch an der historischen Umbruchstelle, als die Holzkauen durch Stahltürme ersetzt wurden und Dampf- oder Dieselmaschinen den mühsamen wie knochenharten -76-
Handbetrieb ablösten. Bedenkt man noch, daß es Mannesmann 1892 gelungen ist, nahtlos gezogene Rohre herzustellen und damit auch die Bohrgestänge erheblich zu verbessern, dann ergibt sich eine Art Netzwerk der Innovationen, das den Bohrbergbau um 1900 in eine völlig neue Dimension vordringen ließ - von den Flachbohrungen zu den Tiefbohrungen. Wird hier nach dem Nutzen dieser Tätigkeit gefragt, so hat die punktgenaue Erschließung von Salz oder des »Weißen Goldes« seit 1809 in hohem Maße zum Gemeinwohl beigetragen. Außerdem ist erst durch das Erbohren von Sole die Vielfalt der deutschen Heilbäder begründet worden, manch einem Bohrkumpel zum Weh, der in Wind und Wetter oft Gesundheit und Leben riskiert hat, einigen Unternehmern zum Gewinn, aber auch Ruin, unzähligen kranken Menschen jedoch aus allen Gesellschaftsschichten und nicht wenigen Gesunden trotz allem zum leiblichen Wohl - ein Erfolg, den man nicht jeder Industrie gutschreiben kann.
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Rotary Als im Jahre 1901 Charles A. Beard seine Geschichte der »Industriellen Revolution« veröffentlichte, konnte ihm die Ölindustrie nicht sonderlich bewußt sein. Gleichwohl hatte sie ihre Bedeutung für die Produktion vor allem von Lampenöl weltweit längst unter Beweis gestellt und schickte sich zur Jahrhundertwende an, zum wichtigsten Treibstoff der technischen Moderne zu werden - im Zeichen von Rotary als Drehbohrsystem. Der Fama gemäß soll diese Alternative zum herkömmlichen Schlagbohren das erste Mal 1901 bei Spindletop in Texas zum Einsatz gekommen sein, als eines der größten Ölvorkommen der Geschichte erschlossen wurde. Von dem österreichischen Ingenieur Anton Lucas entwickelt setzte sich diese Technik bald auf allen Bohrplätzen der Welt durch und hat bis heute nur im Turbinenbohren eine Variante erfahren. Der Übergang von einem System zum anderen erfolgte aber nicht schlagartig, sondern brachte eine ganze Reihe von Mischformen hervor. Denn neben Raky waren noch andere Ingenieure und Tüftler tätig, die respektable Bohrsysteme entwickelten und damit auch das forcierten, was als Kampfbohren (competitive drilling) unseligen Angedenkens in die Ölgeschichte der USA, Rumäniens oder Rußlands (Baku) eingegangen ist -Turm an Turm und oft von einer kriminellen Erwerbsgier beherrscht. Hatte es Raky verstanden, mit der Erfindung des »Sprungschlüssels« eine ganze Bohrstange in einem Arbeitsgang abzubohren, so war dem Ingenieur Emil Meyer ein anderer Durchbruch gelungen. Er entwarf noch 1904 einen Seilschnellschlag, der sich bis Teufen um 800 bestens bewähren sollte. Auf den Ölfeldern Rumäniens war es seinem -78-
Unternehmen sogar gelungen, dem Raky-Verfahren mit Gestänge erfolgreich zu begegnen. Meyers Maschinerie war nämlich nicht nur schnell und sicher, sie brachte auch ziemlich gerade Bohrlöcher nieder, was für die Installierung von Pumpen, Steigerohren (tubings) und anderem Fördergerät unschätzbare Vorteile bot. Die Hoffnungen aber zahlreicher Ölleute trog, mit dem Verbessern des Schlagbohrens am Seil oder mit Gestänge das neuartige Drehbohren aufhalten zu können. Die Zukunft dieses Systems deutete sich bereits an, als der Ingenieur Heinrich Thumann ab 1883 in der Lausitz nach Braunkohle bohrte. Er verwendete dabei ein kombiniertes Verfahren aus Spülbohren und einer mit dem Gestänge gedrehten Bohrkrone. Diese Methode hatte der Däne Olaf Terp ersonnen und damit die Wirkung technisch geschickt umgesetzt, die beim Seilbohren zu beobachten war: Der oft starke Drall im Seil versetzte den Bohrmeißel in eine gewisse Drehbewegung. Solche und andere Zwitterlösungen sind zwar technikhistorisch von Interesse. Sie stellten sich auch dem harten Wettbewerb, erzielten aber bei weitem nicht den Erfolg, welcher dem Rotary-Verfahren beschieden war. Er wurde bis heute vor allem dadurch erzielt, daß ein kompakter Drehtisch (rotary table) den bisherigen Bohrschwengel vollständig ersetzte. Seine wichtigste Aufgabe liegt darin, das Gestänge mit dem Bohrkopf in eine Dauerrotation zu versetzen. Das geschieht mit Hilfe einer vier- oder sechskantigen Mitnehmerstange (kelly). Sie wird in der Mitte des Drehtisches eingelassen und bleibt während ihres Abbohrens mit dem Gestänge verschraubt: Das ist zwar ein einfacher, aber unzählige Male hoch bewährter Mechanismus, der von Alaska über Angola bis Australien zum Einsatz kommt. Noch in den 1960er Jahren wurde die notwendige Drehkraft von einem wuchtigen Kettenrad auf den Drehtisch übertragen. Es war auf die Antriebswelle gekeilt und mittels einer schweren -79-
Stahlkette mit den Motoren verbunden worden. Obgleich sie auch wegen der Wärmebildung in einem Ölbad lief, erzeugte sie einen Höllenlärm, der allen Bohrleuten bis zum Turmschmied zusetzte, kam doch der Gehörschutz erst ein Jahrzehnt später auf, als schon Kardanwellen den Lärmpegel erheblich verringert hatten. Die zweite Hauptaufgabe des Drehtisches besteht im Festhalten des Bohrgestänges, sobald der abgenutzte Meißel ausgetauscht werden muß, was in der Regel alle 24 Stunden üblich ist, d.h. gemäß bundesdeutschem Tarif- und Bergrecht nach einer Frühschicht (6-14 Uhr), Spätschicht (14-22 Uhr) und einer Nachtschicht (22-6 Uhr). Dazu ist es aber nötig, den gesamten Bohrstrang aufzuholen. Das geschieht dadurch, daß jeweils drei Stangen zu einem Zug verschraubt sind (etwa 36 Meter lang) und im Drehtisch mit Abfangkeilen (slips) gesichert werden. Dann führen die beiden Lochmänner jeweils eine mechanische oder hydraulisch gesteuerte Gestängezange (power tong) an den zu brechenden Zug heran und der Kranfahrer löst die feste Verschraubung zum nächsten Zug mit Hilfe des Hebewerkes. Der nun am Flaschenzugblock frei schwebende Zug wird auf besonderen Stellblöcken aus Holz abgesetzt und in Höhe der Aushängebühne (stabbing board) vom Turmsteiger gesichert bei Superschweren Viermast-Anlagen wie 1965/66 auf der »Staffelsee l« nahe Murnau in einer Höhe von etwa 50 Metern. Der gleiche Vorgang beim wirklich schweißtreibenden Aufholen vollzieht sich in anderer Reihenfolge während des Einlassens der gesamten Garnitur (Meißel, Nachräumer, Schwerstangen, Bohrgestänge, Stabilisatoren, Mitnehmerstange), um weiterbohren zu können. In der alten deutschen Bohrsprache, die heute kaum noch bekannt ist oder verwendet wird, nannte man diesen Vorgang des Aufholens, Meißelwechsels und Einlassens den Meißelmarsch. Die heutigen Bohrleute aber verwenden wege n -80-
der absoluten Dominanz der amerikanischen Ölindustrie den Begriff »Roundtrip«, der wie andere Ausdrücke auch plastisch und treffend zugleich ist: So nennen die US-Driller ein Spill oder kleine Hebetrommel am Hebewerk wegen der äußeren Form »cathead - Katzenkopf«; ein künstlich abgelenktes Bohrloch bezeichnen sie als »dogleg = Hundebein« und zur Aushängebühne hoch oben im Turm sagen sie »monkeyboard = Affenschaukel«. Mit dem Rotary-Verfahren und seiner unmittelbaren Drehung des Gestänges mußte sich auch die Form des Meißels ändern. Denn jetzt wurde das Gestein nicht mehr durch einen wuchtigen Aufprall zertrümmert, sondern vom Meißel im Drehen zerbrochen und zerbröckelt oder aber beim Kernbohren aufgrund der Diamantbohrkrone zu Staub zerrieben - je nach Gesteinsart. Im mitteleuropäischen Bereich hat man seit den Anfängen mit einem sogenannten Fischschwanzmeißel gearbeitet. Er kam aber nur für das Durchteufen der oberen oft lockeren Schichten in Frage und hatte mit dem Erreichen der Ankerrohrtour (bis etwa 200 Meter) ausgedient. Für die dann folgende Zwischenrohrtour (bis 1800 Meter) verwendete man einen Rotary-Blatt-Meißel, auch kurz B-Meißel genannt. Gelangte die Bohrung in die Nähe eines Öl- oder Gasträgers, wurde zum notwendigen Ziehen eines Kerns oft eine Diamant-Bohrkrone aufgeschraubt, mit der im Wechsel zum B-Meißel meist auch die Produktionstour bestritten wurde. Dieses anfänglich deutsche System hatte sich zwar im Prinzip bewährt. Es konnte aber auf die Dauer nichts gegen die Effizienz der berühmten Rollenmeißel (rockbit) ausrichten. Dieser revolutionierende Meißeltyp wurde bereits im Jahre 1905 von der Ölgerätefirma Hughes in Houston/Texas entwickelt und beruht auf dem System dreier Stahlrollen, die im Winkel von jeweils 120 Grad mit ihren Wolframnocken genau ineinandergreifen und jedes Gestein kleinkriegen. -81-
Am Siegeszug dieses technischen Meisterwerkes, das mittlerweile in unzähligen Varianten gebaut und eingesetzt wird, hat sich auch der junge George Bush beteiligt: Er fuhr ab 1948 für die texanische Ölfirma Ideco (Dresser Industries) von Bohrturm (rig) zu Bohrturm und verkaufte nichts als Rollenmeißel. Dabei war dem späteren US-Präsidenten bewußt, daß dieser Meißeltyp nur dann die höchste Wirksamkeit erzielen konnte, wenn seine Rollen umfassend und durchgehend vom Bohrklein (cuttings) gesäubert wurden - dafür aber hatte die Spülung (mud) zu sorgen. Seit den ersten Versuchen des Franzosen Favelle, mittels einer umlaufenden Spülung auf Wasserbasis den Bohrmeißel vor Ort zu kühlen und das Bohrklein an die Erdoberfläche zu bringen, ist besonders im Banne der Rotary-Methode dieser Bereich der Bohrtechnik zu einer eigenen Wissenschaft geworden. Denn was da von leistungsstarken Spülpumpen über den besonderen Spülkopf (goosepipe) durch das Bohrgestänge zum Meißel gepumpt und über den Ringraum zum Schüttelsieb (vibrator) gedrückt wird, ist für manche Chemiker und Spülungs ingenieure ein wahres Kunstwerk. Schon zu Freifallzeiten sowie während der Schlußphase des Schnellschlagbohrens nutzte man einfaches Wasser zur Meißelkühlung, dann zum Hochschwemmen des Bohrkleins und zur Bohrlochsicherung vor Nachfall. Eine Maßnahme, die nicht nur diese drei Vorteile besaß, sondern auch in Öl- und Gasträgern zu dem führen konnte, was auf allen Bohrfeldern der Welt gefürchtet wurde - zum »Wasserblock« und damit zur Blockade des Ölzuflusses. Aus diesem Grunde untersagte die Preußische Bergbehörde am 1. Dezember 1904 das Verwenden von Wasserspülungen, sobald das Bohrteam in die Nähe öl- oder gasführender Schichten kam. Diese bürokratische Verordnung sollte trotz der Revolution von 1918 und der Weimarer Verfassung bis 1929 in -82-
Kraft bleiben, obgleich aus der Praxis der frühe Nachweis erbracht worden war, daß die Verwässerung eines Ölträgers durch Spülung wesentlich geringer war, als es Beamte und Theoretiker in den Bergämtern glauben wollten. Allein diese behördliche Blockade von 25 Jahren Dauer belegt auf ihre Weise den anhaltenden Niedergang der einst so innovativen Bohrtechnik im deutschen Bereich. Ihr hat allerdings der 1908 verstorbene Ingenieur Theodor Tecklenburg mit seinem »Handbuch der Tiefbohrkunde« ein ähnlich historisches Denkmal gesetzt, wie es Georg Agricola für den Bergbau und das Hüttenwesen mit De re metallica gelungen war. Konnte dieser aber für die Zukunft ein global genutzter Wegweiser sein, so handelten Tecklenburgs Auskünfte nur noch eine große Vergangenheit ab, die keine Zeichen mehr für den technischen Prozeß und die industrielle Praxis setzte. Denn das neue Rotary-Bohren erforderte auch eine fundamentale Verbesserung der Umlaufspülung als geschlossener Kreislauf. Sie wurde zunächst dadurch erreicht, daß der herkömmlichen Süßwasserbasis das beliebte Mittel Tixoton zugeführt wurde. Es dickte die Spülung an, machte sie für das Bohrklein tragfähig und sicherte auch ihre Gelfähigkeit, nämlich bei einem Bohrstillstand (Wechsel des Meißels) gleichsam bis zum erneuten Umlauf angedickt im Bohrloch zu verharren. Doch bei solch einfachen Zusätzen blieb es nicht. Denn es wurden besonders bei Bohrungen jenseits der 2000-MeterMarke wegen der Geo-Wärme immer höhere Anforderungen gestellt, die heute bei der Zusammensetzung aller Beimischungen von computergesteuerten Spülungsprogrammen bewältigt werden. Sie gehen also weit über das hinaus, was noch in den 1960er Jahren einen qualitativ hohen Standard ausgemacht hat: Dabei wurde »Aquagel« beigemengt, um freies Grundwasser zu binden, dann kam noch »Fibertex« hinzu, um klüftiges Gebirge abzudichten, und beim Durchbohren von -83-
Salzschichten half »Zeogee«, das Salz zu neutralisieren. Wie immer auch heute ein chemisches Spülungsprofil aussehen mag, so darf es an einer Qualität nicht sparen, die schon vor Jahrzehnten geleistet werden mußte, nämlich den Aufbau eines Filterkuchens (filtercake). Dabei geht es um die Fähigkeit der Spülung, auf der Bohrlochwand einen sich verfestigenden und doch flexiblen Film zu bilden. Er hat eine Wandstärke von etwa 4 Millimetern aufzubauen und soll die durchteuften Schichten eben gegen freies Wasser oder andere störende Zuflüsse abdichten und gleichzeitig auch die gefürchteten Wasserblöcke verhindern. Mit dieser fundamentalen Fähigkeit einer stimmig komponierten Spülung hat man gute Erfahrungen gemacht. Allerdings ist es auch notwendig, nach dem Erreichen eines Öloder Gasträgers, die Bohrlochwand vom Filterkuchen zu befreien, um die notwendige Zementation des Ringraumes nicht zu erschweren. Dazu wurden einst besondere Kratzer (scratcher) auf die Futterrohre (casings) gezogen, die das Bohrloch hermetisch abdichteten und gleichsam als verschraubte Stahlwand mit der Gesteinswand einen neuen Ringraum bildeten, der mit Zementbrühe aufgefüllt wurde. Erst wenn diese Arbeit abgeschlossen ist, haben der Bohrturm und die Bohrteams ihren Auftrag erfüllt, eine Öl- oder Gaslagerstätte zu erschließen. Besonderheiten wie das Richtbohren, bei dem Bohrlöcher nach einem Gestängebruch abgelenkt werden oder das neue Horizontalbohren, wie es in den USA entwickelt worden ist, um Träger von größerer Mächtigkeit besser entleeren zu können, sind nur Funktionsvarianten des Rotary-Verfahrens. Selbst das in der Sowjetunion lange Zeit bevorzugte Turbinenbohren, bei dem die Spülung eine Turbine antreibt, die wiederum den Bohrmeißel in Rotation versetzt, war keine grundlegende Neuerung und hat sich aus Wirtschaftlichkeitsgründen auch nicht gegen das robuste Drehbohren durchgesetzt. -84-
Dagegen gelang es nach Vorversuchen französischer Experten aus den Erfahrungen in der algerischen Wüste, besonders im berühmten Ölfeld »Maison verte« (Hassi Messaoud), eine revolutioniernde Spülungsmethode zu entwickeln. Statt Wasser oder auch Öl, wie es bei Überteufen wegen der hohen Wärme verwendet wird, pumpten sie ganz einfach Luft durchs Gestänge. Dieses Verfahren, das vor allem das Unternehmen Cif-Air auch an der »Staffelsee l« im Jahre 1966 eingesetzt hat damals die tiefste Bohrung Europas mit über 6000 Metern Teufe -, kommt allerdings nicht ohne chemische Zusätze (Schäumer) aus. Es kann auch nur dann effektiv arbeiten, wenn DiamantMeißel das Gebirge nicht zum üblichen Bohrklein zerbrechen, sondern fast zu Staub zerreiben. Dieses Ergebnis ist aber weder für die Geologen von Vorteil, werden doch auch wichtige Leitfossilien zerstört, noch für die Stabilität des Bohrlochs, dem die Hydrostatik der Spülungssäule fehlt. Was immer auch an Neuerungen erprobt wird, so ze igt die Tiefbohrkunst selbst auf den hypermodernen Bohrinseln (compact rig), daß sie nach dem Ende des Schlagbohrens über das klassische Drehbohren nicht hinausgekommen ist und das Rotary-System wohl auch für den Rest ihrer Technikgeschichte nicht grundsätzlich überwinden wird - auch nicht die halb- oder gar vollautomatischen Bohranlagen, die in den USA erprobt werden. Alle Aktivitäten des Bohrbergbaus waren vor 1859 in der Hauptsache auf das Erschließen von Salz-, Kohle oder Erzlagerstätten gerichtet und haben dann durch das industrielle Erbohren von Öl und Erdgas einen ungewöhnlichen Aufschwung genommen, ja daraus die größte Industrie der Welt entstehen lassen. Zu ihr gehört aber auch jener Bereich, der in einschlägigen Technikgeschichten noch nicht einmal eine Erwähnung findet und ohne dessen besondere Leistungen kein Tropfen Öl aus den Bohrlöchern strömen würde - die Fördertechnik der Ölge winnung. -85-
AM KOCHPUNKT Welt der Sonden - Venezuela - »Eigentum verpflichtet« Selbst wer nur auf einem Gasherd kocht, bei kaltem Wetter die Ölheizung einschaltet und sein Auto zur Tankstelle fährt, sollte zuweilen bedenken, daß es großer Anstrengungen bedarf, den lebenserhaltenden Brenn-, Heiz- und Treibstoff in hinreichender Menge und dauerhaft bereitzustellen - oft aus Tausenden Meter Tiefe und meist über Tausende Kilometer Land- und Seeweg hin. Denn mit dem Erbohren eines ergiebigen Trägers ist es in der Ölindustrie nicht getan: es bedarf der besonderen Sicherung der gefundenen Lagerstätte und damit des Ölzuflusses wie der Gasregulierung. Sie hat in der Regel etwa vierzig Jahre lang zu halten, ehe das Vorkommen erschöpft ist und der Rückbau so gestaltet wird, daß bald niemand mehr sieht, ob an dieser Stelle Öl gefördert wurde. In dieser Anstrengung steckt ein zweckrationa les Denken. Es läßt keine Nostalgie zu und blendet die historische Seite der Ölsuche ebenso aus wie die abgeschlossene Förderung. Im Zuge der Rekultivierung alter Bohrplätze und Förderstellen geht es jetzt nur noch darum, die bestehenden Löcher mit einem BetonPfropfen für immer zu versiegeln, um dann über einer stabilen Abdeckplatte wieder Gras und Getreide wachsen zu lassen dem Recht der Natur und den Gesetzen des aktiven Umweltschutzes gemäß. Gäbe es derartige Maßnahmen außerhalb Deutschlands auf jedem erschöpften Ölfeld der Welt, dann könnte manch eine Demütigung der Natur wie z. B. Verseuchung des Wassers behoben werden und am Ende gar versöhnend stimmen: So aber -86-
bleiben oft geborstene Eruptionskreuze, rostende Fördertürme mit festgefahrenen Pumpböcken und korrodierte Ölleitungen zurück - dem Wind ausgesetzt und oft eine Belastung fürs Grundwasser. Diese Einrichtungen zur Ölgewinnung, wie in der deutschen Fachsprache der gesamte Förderbereich genannt wird, haben eine eigene und oft dramatisch gestaltete Entwicklung erlebt: Sie reicht vom Tjumen-Feld im eiskalten Sibirien über das Ölfeld Lehrte im Hannoverschen bis zum feuchtheißen TiaJuana-Feld im Golf von Maracaibo, mitten in Venezuela. Der Hinweis auf dieses sonderbare Land, dem Alexander von Humbold t einige Grunderfahrungen seines Gelehrtenlebens verdankte und das Ende 1999 besonders in der Ölprovinz Falcon von einer Jahrhundertflut heimgesucht wurde, ergibt sich vornehmlich daraus, daß es in der Geschichte der Ölförderung eine wichtige Rolle spielen durfte. Zu ihr gehört auch die Entstehung der Opec im Jahre 1960 und das Bemühen, auf dem globalen Ölmarkt einen annähernd gerechten Preis durchzusetzen, mit dem die Produzenten ebenso leben können wie die Zwischenhändler und Endkonsumenten vor allem in den Industrieländern. Mit populistischen Schuldzuweisungen und einer Anstachelung zur »Benzinwut« bei Preiserhöhungen gegenüber habgierigen »Scheichs« und profitsüchtigen »Multis« ist dem komplexen Prozeß der Ölpreisbildung nicht beizukommen. Denn es gibt in diesem fundamentalen Umfeld der Weltwirtschaft hinreichend genug technische, ökonomische, monetäre, politische, rechtliche und fiskalische Faktoren, die eine einseitige Verurteilung nicht zulassen. Einen besonders guten, aber weitgehend unbekannten Einblick in die Politik und rechtliche Bewältigung der Ölförderung gewährt der größte Ölprozeß des 20. Jahrhunderts. Ihn hat das US-Unternehmen Pennzoil gegen den Großkonzern Texaco im Jahre 1985 geführt, dabei den Rechtsstreit bis an die -87-
Grenze des emotionalen Kochpunktes getrieben und vor einem Geschworenen-Gericht in Houston/Texas gewonnen - mit einem Schadensersatz von 10,6 Milliarden Dollar, der auch geleistet wurde. Gerade dieser Fall zeigt exemplarisch, daß sich die ÖlIndustrie selbst im Förderbereich nicht in einem rechtsfreien Raum bewegt und sich schon deshalb nicht auf eine reine Technikgeschichte reduzieren läßt.
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Welt der Sonden In der Geschichte des industriell erschlossenen Öls gab es seit 1859 auf allen Kontinenten immer wieder tosende Ereignisse. Sie fügten der unmittelbaren Umwelt eines Bohrplatzes schweren Schaden zu, wurden aber lange von Bohrleuten und die sie finanzierenden Bankiers wie die Erfüllung eines Traums von Reichtum und höchstem irdischem Glück gefeiert: Es handelte sich dabei um den Ausbruch (blow out) eines »Springers« oder »Gushers«, wie er einst in amerikanischen Ölkreisen bejubelt wurde. Schoß in einem solchen Fall der erbohrte Ölstrom unter hohem Druck der Lagerstätte aus dem Trägergestein ins Freie, dann nannte man diesen Fund in Analogie zu den Eruptivgesteinen eine Eruptiv-Sonde, weil keine Pumpmaßnahmen erforderlich waren, um das Öl an die Erdoberfläche zu bringen. Spektakuläre Ausbrüche sind heute nur noch in Ausnahmefällen wie auf der Piper-Alpha-Plattform in der Nordsee oder bei den »Teufelsfeuern« in der algerischen Sahara möglich. Denn mit der Konstruktion und zwingend vorgeschriebenen Installierung von Preventern wird im Falle eines gefährlichen Druckanstiegs entweder der Ringraum des Bohrloches oder auch dieses selbst hermetisch abgeriegelt: Das besorgen hydraulisch gesteuerte Absperrblöcke, die unterhalb des Drehtisches im Bohrkeller montiert sind und so stabil gebaut werden, daß sie jeden Öl- oder Gasausbruch automatisch verhindern und selbst extrem hohen Druck ausha lten können. Mag auch die amerikanische Öl- Industrie von der Erwerbsmaxime »Time is money« geprägt sein, so steht sie doch in weit höherem Maße unter dem verpflichtenden Motto »Safety first«, schon um möglichen hohen -89-
Schadensersatzforderungen zu entgehen. Schließlich kennen gerade die USA seit 1969 mit Big Green eine Umweltbewegung, die sich gegen alle Laschheiten von Big Oil zu Wehr setzt: Angesichts des schweren Öltankerunfalls der »Exxon Valdez« vor der Küste Alaskas eine Notwendigkeit, hatte er doch Milliardenschäden angerichtet.
Pump-Station im Golf von Maracaibo/Venezuela
Auch wenn die äußerlich recht massiven Schaeffer- oder -90-
Cameron-Preventer als bekannteste Sicherheitsblöcke eine lokale Umweltkatastrophe verhindern und die Bohrteams vor Schaden bewahren können, so erfordert es doch Kraft, Zeit, Nerven und technisches Geschick, diese schweren Riegel als Grundausrüstung des Bohrturms durch einen besonders stabilen und sichernden Sondenkopf vollständig zu ersetzen. Dafür sind vor allem in den USA oder in Venezuela, wo ein enormer Lagerstättendruck herrschen kann, Spezialisten zuständig. Sie lösen in solchen Situationen die üblichen Bohrteams ab und demonstrieren allein schon mit ihren besonderen Overalls als Arbeitskleidung, daß jetzt die zweite Phase des Upstream begonnen hat - nach Ablauf des Bohrbetriebes die gezielte Ölgewinnung mit Hilfe eines Eruptionskreuzes zu sichern und technisch zu steuern. US-Experten in ihrer oft blumigen, aber meist zutreffenden Fachsprache haben dem Eruptionskreuz den Namen Christmastree gegeben, das als oberirdisch sichtbares Abschlußsystem den Ölstrom bremst und reguliert. Der weitverzweigte Aufbau besonderer Leitungen, die festgeschraubten Druckmesser oder Manometer sowie die verschiedenen Drehhähne und Stutzen erinnern tatsächlich an einen reich geschmückten Baum aus Gußeisen, Stahl und Glas, ein bizarres Gebilde, das es allerdings in sich hat und alles andere darstellt als ein technisches Spielzeug irgendwo in der Pampa, Sahara oder gar in der Taiga. Zum Ernst der La ge im Umfeld einer Eruptivsonde, die es in Europa außerhalb der Nordsee im Ölbereich kaum gibt, gehört auch die technische Verläßlichkeit von unterschiedlichen Zusatzgeräten. Sie waren beim ersten Auftauchen von sichernden Sondenköpfen im Jahre 1917 noch nicht genormt. Aber seit das American Petroleum Institute (API) als NonProfit-Unternehmen im Jahre 1919 seine Tätigkeit aufgenommen hat, findet hier eine ständig überwachte Standardisierung statt, die auch der hochgeschätzten Sicherheit -91-
zu dienen hat und seit 1933 ein Dauerthema der Welt-ErdölKongresse ist. Unter all den spezifischen Geräten in einem derartigen Sondenkopf gehört die Gasschleuse zu den wichtigsten Vorrichtungen, um die Eruptivsonde funktionsfähig zu halten. Denn dieser Teil ermöglicht den gefahrlosen Einbau verschiedener Instrumente zur Wartung der gesamten Anlage. So müssen von Zeit zu Zeit Paraffin-Ablagerungen durch besondere Stahlbürsten in den Steigerohren (tubings) entfernt werden. Außerdem werden durch die Gasschleuse auch Meßgeräte eingelassen, die regelmäßig Auskunft über den inneren Zustand der hermetisch verrohrten und zementierten Eruptivsonde geben. Zum weiteren Qualitätsstandard wird ein besonderer Düsenkörper gerechnet, mit dem sich die Förderung ununterbrochen regeln läßt, d.h. eine genaue Dosierung der anfallenden Öl- und Gasanteile. Dabei wird stets aus einer einzigen Düse gefördert und der Downstream bedient, damit bei einer Störung oder Blockade der gewünschte Ölstrom durch die zweite Düse geleitet werden kann. Es ist wohl dieses Regulierungssystem mit allerlei Schiebern und Handrädern an den Eruptionskreuzen, das zu der verbreiteten Annahme geführt hat, die »Scheichs« und »Multis« brauchten nur an einem Hahn zu drehen, um jeden gewünschten Faßpreis auf dem Weltölmarkt zu erzielen. Deshalb zeigen Bilder in den Medien meist nur Eruptivsonden, sobald aus der persischarabischen Golfregion zur Lage des Öls oder des Benzinmarktes berichtet wird: Sie kennt angesichts ihrer zahlreichen Flachbohrungen mit hohem Lagerstättendruck kaum jene Förderanlagen, die als Pumpsonden gelten. Diese Einrichtungen mit dem markanten Pferdekopf, der sich von einem festen, oberirdischen Pumpenbock einige Meter in -92-
die Tiefe senkt und im Aufrichten das Öl aus den Steigerohren in die Tanks oder Pipelines drückt, war über Jahrzehnte hin das Erkennungszeichen der TV-Seifenoper »Dallas« mit Bösewichten, schönen Frauen, schnellen Autos und dubiosen Ölgeschäften. Pumpsonden in dichter Staffelung signalisieren im Zeitalter des Fernsehens materiellen Ölreichtum und gleichzeitig eine bestimmte menschliche Armut. Genau der Stoff, aus dem in den Medien der amerikanische Traum als Kitsch-Geschichte gestaltet werden kann, ohne sich groß um technische Dinge kümmern zu müssen. Dabei zeigte gerade die Dichte der Pumpböcke ein besonders prägendes Prinzip der Ölszene in den USA: Der Erwerb eines »Oil property« berechtigte den jeweiligen Eigentümer, auf eigenem Grund und Boden zu bohren und zu fördern. Es konnten demnach zahlreiche Bohrungen dicht an dicht niedergebracht werden und eine einzige Lagerstätte erreichen. Verständlich, daß sich unter diesen Umständen des sogenannten »Kampfbohrens« der Druck im Ölträger vermindern mußte und dadurch ein Pumpensystem geradezu erzwang. Aus dieser mitunter destruktiven Erfahrung, die auf den amerikanischen »Besitz-Individualismus« (McPherson) und das angelsächsische Bergrecht zurückgeht, hat besonders die Republik Venezuela eine historisch gewordene Konsequenz gezogen. Denn auf seinen Ölfeldern muß der Abstand von einer Sonde zur anderen mindestens 75 Meter betragen. Wie noch näher zu sehen sein wird, ging diese vernünftige Regelung nicht auf private Profiterwartungen zurück, sondern von der Überlegung aus, daß es sich beim Öl um ein nationales Gesamterbe oder Patrimonium handele, das treuhänderisch und damit schonend gefördert werden müsse. Diese Entscheidung aus dem Katastrophenjahr 1925 hat insofern Schule gemacht, als sie hochpolitisch den englischen und amerikanischen Ölkonzernen abgetrotzt werden mußte und später auch von -93-
Saudi-Arabien übernommen wurde Hauptpartner bei der Opec-Gründung.
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1960
Venezuelas
In Fernsehberichten über Ölkrisen wirken die grün oder schwarz angestrichenen Pumpböcke mit der geruhsamen Bewegung der Pferdeköpfe wie eine gelungene Versöhnung von Natur und Technik. Doch diese seltsamen Kunstwerke lassen an der Erdoberfläche kaum ahnen, wieviel Gewalt der Erde angetan werden muß, um nach dem Erbohren des Ölträgers das Schwarze Gold zum Fließen zu bringen, falls der Lagerstättendruck nicht ausreicht, es zum Sondenkopf zu pressen, was vor allem bei Tiefbohrungen der Fall sein kann. Erscheint also nach dem Kernbohren im Träger die Ölmenge ausreichend, um aus dem Bohrloch eine Produktionssonde zu gestalten, dann setzt eine Reihe von technischen Maßnahmen ein, die für die weitere Zukunft des Ölfundes von Bedeutung sind. Dabei ist das Freispülen des gesamten Loches ebenso wichtig wie sein Vermessen nach dem Schlumberger-Verfahren. Daraus ergeben sich recht genaue Werte über das Volumen und die Gestalt des Bohrlochs, das nach diesen Vorarbeiten durch zwei fundamentale Arbeitsvorgänge stabilisiert werden muß. Das geschieht zum einen durch den Einbau von Futterrohren (casings) und zum anderen aufgrund einer Zementierung des entstandenen Ringraums zwischen Gebirge und Rohrwand vom Bohrkeller bis zum Bohrgrund. Diese schweißtreibende und im Zementstaub äußerst schädliche Knochenarbeit mußte noch bis in die Mitte der 1960er Jahre vom Bohrteam selbst geleistet werden; seither übernehmen Spezialtrupps besonders von der weltweit agierenden Texas-Firma Halliburton diese wichtige Maßnahme vor Ort. Hat die Zementschlemme abgebunden, der zeitweise sogar radioaktive Substanzen beigemischt wurden, um sie in -94-
speziellen Ortungsverfahren überprüfen zu können, muß in der Höhe des Ölträgers eine Perforation vorgenommen werden. Sie erfolgte vor 1914 oft mit Dynamitladungen, wurde aber nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges mit Schußapparaten und Spitzkugeln bewältigt, die nach dem Zweiten Weltkrieg von behutsameren und besseren Methoden abgelöst wurden, vor allem durch die Beaumont-Methode. Bei ihr kommt ein Sandstrahlverfahren zum Einsatz, das in Höhe des Ölträgers die Stahlwand des Futterrohres und den Zementmantel durchschneidet: Aufgrund dieser Öffnung oder Perforation kann das Öl oder Gas ausströmen. Will der geöffnete Träger aber immer noch nicht das Öl in den Pumpraum entlassen, weil sich einer der gefürchteten Wasserblöcke im vorderen Porenraum gebildet hat oder Spülungsreste den Fließweg sperren, dann werden verschiedene Methoden des »Säuerns« (mudcleaningacid) und damit Reinigens ausprobiert: Am Ende wird gar das »Fracen« als eine regelrechte Kunst in der Fördertechnik eingesetzt. Denkt man dabei an eine Fraktur als Knochenbruch, dann wird diese Tätigkeit im Träger ziemlich genau beschrieben. Denn es handelt sich um ein gezieltes Aufbrechen der Schußoder Schnittstellen, die durch das vorausgegangene Perforieren entstanden sind. Stabiler Arcola-Sand oder Kunststoffpartikel helfen dabei, die neuen Risse so offenzuhalten, daß mit dem Anschaukeln (swabbing) des Ölträgers begonnen werden kann. Hierbei wird mit Hilfe eines Spezialöls eine Art Saugeffekt erzielt, bis das erbohrte Öl in den Pumpraum tröpfelt, sickert, rinnt, fließt oder strömt: Die Sonde also wirklich das ist, was nicht nur amerikanischen Ölleuten Tränen der Freude in die Augen treibt, wenn sie nach all ihren Mühen, Ängsten und Hoffnungen endlich die Zauberworte sagen können - on stream. Das Bohrglück wandelt sich aber erst dann in wirkliche Förderfreuden, wenn es gelingt, eine leistungsfähige Pumpe im perforierten Träger zu installieren. Sie wird zusammen mit -95-
sogenannten Packern in der Tiefe stabilisiert und ist mit einem kleinkalibrigen Pumpgestänge verschraubt, das von den bereits erwähnten »Pferdeköpfen« mittels eines kurzen Seilzuges bewegt wird und auf diese Weise das Öl durch die Steigerohre zur oberirdischen Förderstelle bringt. Im Gegensatz zu den Eruptivsonden, die meist noch in einer Flachbohrung einen extrem kurzen Produktionsweg haben, bedürfen derart ausgerüstete Pumpsonden einer anhaltenden Pflege und oft kostspieligen Wartung. Das gilt besonders für die häufige Verstopfung des gesamten Pumpapparats durch Paraffin, das als einziger ungiftiger Stoff im Öl auch den großkalibrigen Pipelines zu schaffen machen kann, wie noch zu sehen sein wird. Neben diesen nicht einfachen Wartungsarbeiten, bei denen oft der gesamte Förderapparat ausgebaut und mühsam gesäubert werden muß, bereiten den Förderteams noch andere Belastungen erhebliche Sorgen. Sie treten dann ein, wenn der Lagerstättendruck abnimmt oder sich die Viskosität (Zähflüssigkeit) des Öls aufgrund von Entgasungen ändert und der natürliche Zufluß aus dem Träger nicht mehr ausreicht, die Pumpe zu betätigen. Mit diesem Phänomen hat die Ölindustrie seit ihren Anfängen im Jahre 1859 zu kämpfen. Es erklärt auch, warum über Jahrzehnte hin höchstens ein Drittel des vorhandenen Öls wirklich an die Erdoberfläche gebracht werden konnte, während der übergroße Rest ungenutzt im Träger hängenblieb. Das oft anarchisch anmutende »Kampfbohren« besonders auf amerikanischen Feldern hat auch hier eine Ursache in der Urangst vieler Bohrunternehmer und Raffineriebetreiber, der Ölstrom könnte urplötzlich versiegen. Verständlich, daß fieberhaft daran gearbeitet wurde, die Produktion in einem als ergiebig eingeschätzten Feld zu erhöhen und einen stetigen Zufluß zu sichern. Das gelang jedoch erst, als man gelernt hatte, daß sich im Träger nicht nur das begehrte Öl -96-
befand, sondern auch Erdgas und Salzwasser in einer hochverdichteten Emulsion oder Mischung. Diesen Umstand machte man sich vor allem seit den 1930er Jahren Schritt für Schritt zunutze, indem zuerst das GasliftVerfahren entwickelt wurde. Es erschloß der Fördertechnik und damit der Produktionszunahme (!) eine völlig neue Dimension. Läßt man hier einige spezielle Varianten außer acht, so konzentriert sich bei dieser Methode alles darauf, das im Öl gelöste Gas gleichsam als eine Art Lift oder Aufzug in nutzbare Dienste zu nehmen. Die Grundüberlegung ging davon aus, daß das strömende Gas nicht nur das zähflüssige Öl in der Hitze des Trägers noch geschmeidiger machte, sondern es auf seinem Weg zum Pumpraum ganz einfach mit sich riß und auf diese Weise die Lagerstätte wesentlich besser entleerte: Konnten vor dem Gaslift nur etwa ein Drittel des vorhandenen Öls gewonnen werden, so waren es jetzt mindestens zwei Drittel des realen Vorkommens. Dieser technischen Neuerung lag die Tatsache zugrunde, daß es einen speziellen Gasentlösungspunkt gibt. Er benennt genau, wann das Gas »aus Lösung geht«, demnach das Trägeröl verläßt. Die amerikanische Fachsprache hat dafür den Begriff bubble point gefunden, während im Deutschen analog zum erhitzten Wasser, das Blasen schlägt, vom Kochpunkt die Rede ist. So lag im jetzt fast erschöpften Ölfeld Lehrte bei Hannover der durchschnittliche Kochpunkt in den einzelnen Lagerstätten bei 70 atü. Das heißt, von dieser Druckhöhe aus trennte sich das spezifisch leichtere Gas von der Emulsion aus Öl und Salzwasser, um in die Steigerohre zu strömen: Wird aber der Lagerstättendruck künstlich von außen erhöht, dann bleibt das Gas »in Lösung«. Die Nutzung einer gezielten Gasentlösung, die natürlich vom Öl-Gas-Verhältnis im Träger abhängig ist, führte zu mehreren sogenannten sekundären Fördermethoden. Es lag dabei auf der -97-
Hand, mit einem künstlichen Einpressen von Gas den Ölträger in hohem Maße zu aktivieren und seinem durchlässigen Porenraum neue Ölmengen zu entnehmen: Geglückte Versuche ergaben in sehr günstigen Fällen bis zu drei Viertel der gespeicherten Menge als Endförderung. Lassen es die lokalen Umstände besonders bei tektonischen Ölfallen zu, dann kann der gute Erfolg mit dem Gaslift noch einmal um etwa 10 Prozent gesteigert werden, sobald der vorherrschende Randwassertrieb von außen verstärkt wird. Durch Zusatz- oder Hilfsbohrungen, die in bestimmten Abständen zur Hauptfördersonde niedergebracht wurden, drückte man Salzwasser in den Träger und unterstützte auf diese Weise auch den Gaslift: Das Öl wurde gleichsam von unten durchs Salzwasser und von oben durch das Erdgas in eine Druckmangel genommen und mittels dieser Wasserflutung aus den durchlässigen Poren über den Pumpraum zum Sondenkopf ins Strömen gebracht - mit einer Entleerungsrate von über 80 Prozent, freilich auch mit hohen Kosten verbunden. Diese sekundären und nun auch die tertiären Fördermethoden, bei denen besondere Bakterien zur fast völligen Entleerung der Porenräume genutzt werden, erlauben eine wesentliche Verbesserung dessen, was in der Ölgewinnung der überaus wichtige Produktivitätsindex genannt wird. Dessen Umfang errechnet sich aus dem Verhältnis von Fördermenge, Druckdifferenz im Träger, Teufenwärme vor Ort sowie der Viskosität des Öls. Er gilt als zuverlässiger Maßstab für die Überlegung, ältere und sogar stillgelegte Horizonte unter Umständen wieder an die Fördertätigkeit anzuschließen und nicht unbedeutende Restmengen selbst aus Sonden zu fördern, die in den USA »Stripper-Wells« heißen - steuerbegünstigte Tropfstellen des Öls mit wenigen Faß Leistung pro Tag. Geht man heute davon aus, daß nicht alle Fördertechniken in jedem Ölfeld anwendbar sind, so bleibt das Faktum, daß gut 80 Prozent eines Vorkommens genutzt werden können, der Rest -98-
aber in der Erde bleibt. Kommen also Zahlen hinsichtlich der Ölreserven eines Feldes oder Landes in die öffentliche Diskussion, dann sollte beachtet werden, daß es sich hier um Schätzungen der Geologen handelt und etwa ein Fünftel abgezogen werden muß, weil es nicht gefördert werden kann: Von weiteren Verlusten im Bereich des Downstream gar nicht zu reden, die allein in Ruß land pro Jahr etwa 15 Millionen Tonnen betragen sollen, verursacht durch Schlamperei an den Eruptionskreuzen, aufgrund schlechter Wartung der Pumpsonden, durch gebrochene Pipelines und gestrandete Tanker auf Flüssen oder den Sieben Meeren. Hält man hier an der Nahtstelle zwischen technischer Produktion und weiterer Nutzung oder Vermarktung des Öls inne, dann ergibt sich von der größten Industrie der Welt ein oft zwiespältiges Bild. Sie begann in ihrem Vorlauf seit 1785 mit Punktbohrungen als technischer Alternative zum traditionellen Schacht-Bergbau und gewann bald ein unverwechselbares Eigenprofil. Im Zusammenwirken von Geo-Wissenschaften, Bohrpark und Fördertechnik entstand ab 1859 eine Ölindustrie, ohne die unsere technische Moderne mit all ihren Errungenschaften der Mobilität und bequemen Lebensweisen nicht in den überkommenen Formen möglich gewesen wäre. Allerdings hatte sich auch diese Entwicklung nicht isoliert vollzogen, selbst wenn die Öffentlichkeit nur selten davon Kenntnis nahm. Denn sie blieb in einen Rechtsrahmen einbezogen, der aus vorindustrieller Zeit stammte und strukturell wie mental immer noch nachwirkt, wie am Beispiel Venezuelas und anderer Ölländer zu sehen sein wird. Darüber hinaus wurde gerade diese Industrie in ihrem Produktionsbereich auch ein Opfer jener Aufklärungs ideologie, die in der Verdinglichung der Natur als »toter Materie« gleichsam einen Freibrief ausstellte, bei der Verfolgung des Fortschritts (pursuit of happiness) und der Erschließung von Bodenschätzen rücksichtslos vorgehen zu -99-
dürfen, ohne hinreichend zu bedenken, welche Folgelasten ihre materielle Entfaltung als Produktivkraft hinterläßt. Diese Beobachtung trifft auch dort zu, wo das Öl in Form von Benzin (Auto), Diesel (Panzer, U-Boote) und Kerosin (Flugzeuge) seit 1917 zum wichtigsten strategischen Stoff der Kriegsführung avancierte und es bis heute geblieben ist, auch im Zeichen des Atomantriebs. Man kann hier also von Bedürfnislagen und Erwartungshorizonten sprechen, die von außen an das Öl herangetragen wurden und dem seine expandierende Industrie im Zeichen des Wachstumsdenkens zu genügen suchte. Verständlicherweise vollzog sich die nationale wie internationale Ausgestaltung dieser Rohstoffbeschaffung im engen Verbund mit der fast gleichzeitig entwickelten PetroChemie, die sich auch im Gefolge des Ersten Weltkrieges weitgehend von der Kohle als Basisstoff löste und seither das Öl bevorzugt, heute ergänzt durch eine steigende Nutzung des Erdgases. Es sei nicht bestritten, daß man in allen Bereichen der Ölindustrie aus eigenen Schäden und zum Zweck der technischen wie ökonomischen Optimierung viel dazugelernt hat. Ja, sie bemüht sich auch, Umweltschutz nicht mehr durchgehend als Profitminderung aufzufassen, sondern zur Stärkung des eigenen Profils und der gesellschaftlichen Akzeptanz aktiv zu betreiben. Auf Bohrinseln mit ihren geschlossenen Systemen etwa beim Spülungsumlauf gehört deren Sicherung schon längst zum Standard. Und auch an den Förderstellen, wenn sie in Industrieländern betrieben werden, haben sich die Zustände erheblich gebessert, unterliegen die Ölfirmen doch hier einer oft strengen rechtlichen Bergaufsicht und einem gesetzlich vorgeschriebenen Gewässerschutz. Ölaktivitäten hingegen in Entwicklungsländern lassen wie in Angola, Brasilien, Mexiko, Nigeria oder auch Venezuela manches zu wünschen übrig, was nicht nur dem »rohen -100-
Kapitalismus« zur Last gelegt werden kann. Es entspringt auch einer Verachtung der Natur und damit letztlich des Menschen, dessen Wohlergehen diese Industrie doch dienen möchte, statt dessen aber durch menschliches Fehlverhalten und maschinelle Mängel nicht nur Greenpeace bis zum Kochpunkt der Entrüstung treibt.
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Venezuela Im Jahre 1942 forderte Venezuelas Präsident Isaias Medina während der Konzessionsverhandlungen mit amerikanischen Ölkonzernen eine »gerechte Beteiligung« des Staates an den Erträgen seines strategisch so begehrten Öls, und zwar auf einer ähnlichen Preisbasis, wie sie in ganz Texas galt. Was Medina mitten im Krieg und auf seiten der Alliierten einforderte, entsprach zunächst nur dem strukturellen Gebot des kommutativ Gerechten, nämlich ohne Ansehen des Ursprungslandes das Öl als Schüttgut (commodity) und im Rahmen des Freihandels gleichwertig aufzufassen. Einen Unterschied zwischen der Ölregion Texas und Venezuela an beiden Küsten des Golfs sollte es fortan nicht mehr geben: Es sei denn auf dem Gebiet der Ölqualität, die vom unabhängig tätigen API mit wissenschaftlichen Meßmethoden festgestellt wurde. Was hingegen in Medinas hochpolitischer Position das distributiv Gerechte betraf, so sollte der erwartete Anteil am künftigen Gewinn für den eigentlichen Öleigner und damit den Staatshaushalt der Republik Venezuela hinreichend und angemessen sein: Medina zielte bereits auf das Jahre später historisch gewordene Prinzip des Fifty-Fifty zwischen Eigner und Nutzer, d.h. hier den konzessionierten Ölkonzernen. Der langfristige Erfolg einer solchen Teilungspolitik, in der die privaten Ölgesellschaften plötzlich einen staatlichen Partner mit hohen Ansprüchen zu berücksichtigen hatten, war allerdings nur dann möglich, wenn sich in Venezuela selbst überlebte Strukturen ebenso änderten wie die Mentalität der Korruption auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung, aber auch in den politischen Parteien mit ihrem Netzwerk familiärer Seilschaften. Dazu war es jedoch hochnötig, endlich die eigene Bergbauund -102-
Ölgeschichte sowie die nationale Energiepolitik aufzuarbeiten, um zu erfahren, woran denn dieses materiell so reiche Gemeinwesen litt und was die auswärtigen Ölfirmen oft so mißtrauisch machte, in dieses Faß ohne Boden auf lange Sicht zu investieren: Schien doch gegen den Tribalismus kein Kraut gewachsen zu sein.
Venezuelas Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover -103-
Nimmt man es genau, dann wurde im April 1539 das erste Faß mit Erdöl von Venezuela nach Sevilla in Spanien verschifft. Über den riesigen Atlantik hinweg und den Guadalquivir hinauf brachte der Segler Öl oder Naturteer in Form von Bitumen nach Andalusien. Ein zähklebriger und übelriechender Stoff, der mit großer Sicherheit einer »Mene« entnommen worden war: So nannten die Ureinwohner einen Ausbiß mit entgastem Öl oder Teerkuhlen mit Natur-Asphalt, der für Heilzwecke, als Dichtungsmaterial und als Heizstoff genutzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt besaßen noch die Augsburger Handelshäuser Ehinger und Welser wie die späteren Ölkonzerne eine Art Konzession, die neu entdeckten Gebiete am südlichen Gestade des Golfes von Mexiko und im Schlagkreis des Orinoco-Stroms für ihren Fernhandel zu nutzen. Aber schon ab 1546 noch zu Lebzeiten Georg Agricolas hatten die beiden teutschen Interessenten, die sogar mit Kupfer aus Chile handelten, kaum noch etwas mit dem Goldstrom aus NeuGranada und den umliegenden Ländern der Krone Spaniens zu tun. Denn das ewig geldklamme Haus Habsburg verstärkte unter Kaiser Karl V., den vor allem das Augsburger Handelshaus Fugger bei der Kaiserwahl unterstützt hatte, seine mitunter rabiaten Bemühungen, die reichen Gebiete in der Neuen Welt als absolutes und patrimoniales »Erbe und Eigen« zu beanspruchen: Eine Haltung, die sich auf alle Bodenschätze, Edelmetalle und eben auch auf Asphalt oder Teer bezog. Nicht umsonst finanzierte das Haus Habsburg als Casa de Austria auf dem spanischen Thron auch den Teutschen Krieg von 1618 bis 1648 aus den Erlösen der Silberflotten, sofern sie nicht von holländischen oder englischen Kaperfahrern aufgebracht und ausgeraubt wurden. Trotz des unendlichen Zuflusses an materiellen Gütern aus Lateinamerika mußte sich das Erzhaus Habsburg gut hundert Jahre später aus den eigenen Reihen sagen lassen, daß das Wirtschaften seiner Kaiser, Könige -104-
und Fürsten im Zeichen des sterilen Cameralismus und absoluten Patrimonialismus nichts anderes sei als ein »bankerottes Geschäft« (Leopold II.). Gleichwohl stimmte dieser ehemalige Herzog der Toscana und ab 1790 Wahlkaiser im Heiligen Römischen Reich der geheimen Erbpolitik seines kaiserlichen Bruders Joseph II. zu, dieses gute Land 1784 in ein habsburgisches Patrimonium oder Vatererbe mit Erstgeburtsrecht zu verwandeln: An der libertären Verfassung mit ihrem Treuha ndgebot und den zuständigen Landständen als unabdingbaren Vertragspartnern vorbei - ein despotischer Akt. Im gleichen Jahr verordnete der spanische Habsburger Carlos III. die berüchtigten Ordenanzas de Mineria für ganz Lateinamerika außer Brasilien, und dazu gehörte natürlich auch Venezuela. Ausdrücklich heißt es in dieser Bergwerks-Ordnung, daß alle Mineralien, Erze und sonstigen verwertbaren Bodenschätze ein absolutes »Eigentum der Krone« sind und auf ewige Zeiten bleiben. Eine patrimoniale Verordnung, die ohne jede Einrede, Rechtsprüfung oder gar Beteiligung der Stände erfolgte, die in Spanien seit 1683 storniert waren und erst wie in Asturien 1983 erneut als Parlament zugelassen wurden. Aus dieser dynastischen und possessiven Abschottung eines halben Kontinents, dessen materieller Reichtum gleichsam zum Patrimonialeigentum des Hauses Habsburg erklärt wurde, ergibt sich bis heute das Grundproblem jeder nationalen Wirtschaftspolitik im Rohstoffbereich. Denn die dafür notwendigen Eliten sind auch nach der staatlichen Unabhängigkeit von Spanien seit 1809 nie richtig am vertraglichen Treuhandwesen oder Depotismus geschult worden: Statt in dessen drittwirkendem Geist dem Gemeinwohl der jeweiligen Nationen zu dienen, war der Eigennutz der jeweils herrschenden Cla ns oder der Kirche zu bedienen. Es ist also nicht der fehlende Mittelstand allein in den souverän gewordenen Nachfolgestaaten der habsburgischen -105-
Hausmacht, der sie für Korruption und den Putschismus des Militärs so empfänglich macht. Vielmehr haben die führenden Familien jedes Landes das absolutistische und tribalistische Verhalten der Habsburger für sich selbst verinnerlicht und die damit verbundene »Florentinische Krankheit« (Oxenstierna) als ausbeuterisches Netzwerk fortwuchern lassen, nämlich Mein und Dein nicht genau zu unterscheiden. Diese Mentalität des fast ungehinderten Verfügens über Menschen, Natur und Material, dem die katholische Amtskirche nur geringen Widerstand entgegensetzen wollte, hatte auch jene erfaßt, die sich beim Abschöpfen von »Teufelsdreck« (stercus demoni) als Herren über unzählige Menes, Ausbisse, Teerkuhlen oder Sickerstellen wähnten - als absolute Eigentümer des Öls. Als der venezolanische Gutsadlige Simón Bolívar, den Alexander von Humboldt nicht für fähig hielt, den Befreiungskampf Lateinamerikas gegen Spanien zu führen, ab 1813 den Krieg gegen die alte Kolonialmacht begann und bis 1826 durchhielt, bestätigte sich die Befürchtung des Naturforschers. Der steinreiche Bolivar machte sich in dieser Zeit nicht nur zum Diktator Venezuelas und anderer Länder in Neu-Granada: Er betrachtete auch alle Bergwerke und sonstigen Bodenschätze als ein »nationales Eigentum«. In Wirklichkeit hatte der selbsternannte Befreier vom Spanischen Joch mit der Ausrufung einer souveränen Republik nichts anderes getan, als sich selbst an die Stelle der bisherigen Vize-Könige von Habsburgs Gnaden zu setzen, d. h. die Ausbeutung von Land und Leuten in die eigene Regie zu nehmen - nach dem Vorbild Caesars und Napoleons als »Diktator auf Lebenszeit« bis 1829. Gewiß, der venezolanische National-Kongreß in der Hauptstadt Caracas hatte zwar 1832 der Nationalisierung aller Bodenschätze zugestimmt. Aber in diesem -106-
scheindemokratischen Gremium saßen neben dem schwach ausgebildeten Mittelstand (Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer) nur die Vertreter einer Oberschiecht, die schon unter den Vizekönigen vor 1809 wußten, wie sie ihre Latifundien zu sichern und zu erweitern hatten: auf Kosten der Indios ohnehin und zu Lasten einer erbarmungslos ausgebeuteten Restbevölkerung. Wer sich darüber wundert, daß zur Jahrtausendwende etwa 80 Prozent der Venezolaner unterhalb des Existenzminimums leben müssen, der hat in der patrimonialen Struktur und tribalistischen Mentalität seiner politischen Klasse eine fundierte Erklärung für die weitgehe nde Nichtbeachtung von Menschenrechten als Inbegriff höchster Treuhandschaft. Nicht ohne Grund nannte denn auch der liberale Publizist und Politiker Dr. Arturo Uslar Pietri nach eigenen Erfahrungen mit elterlichen Latifundien und mit der oft chaotischen Ölszene das ganze System Venezuelas ein »bankrottes Geschäft«. Dieser redliche Reformer war im Jahre 1936 in seiner Kritik genau dort angekommen, wo sich Erzherzog Leopold fast verzweifelt Gedanken darüber machte, wie der sterile Absolutismus mit seiner kriminellen Energie abgeschafft werden könnte. In der historisch nachprüfbaren Erkenntnis, daß den Menschen nichts mehr in seiner Schaffenskraft lahmt als die demütigende Gewißheit, das Eigentum eines anderen sein zu müssen - letztlich ohne jede Garantie und Einklagbarkeit der Menschenrechte. Genau diese Situation beschrieb Pietri als Verfechter einer entschieden depositären Gegenbewegung in einem Leitartikel der Caracas-Zeitung »A Hora« vom 14. Juli 1936. Bedenkt man die gewollte historische Nähe zum Revolutionstag in Frankreich, dann wird verständlich, daß dieser von Paris geprägte Literat und spätere Erziehungs- wie Finanzminister (1939-45) nach Jahrhunderten der inneren Versklavung der Venezolaner durch eine Handvoll »raffgieriger Familien« -107-
endlich die Chance im Treuhandwesen suchte - verbunden mit einer sozialen Marktwirtschaft und dem vertraglichen Rechtsstaat. Pietri prangerte auch die Praxis der seit 1911 in Venezuela tätigen Ölkonzerne mit ungewohnter Schärfe an. In einem geradezu teuflischen Bündnis mit Patrimonialisten, Tribalisten und Putschisten hätten sie das ölreiche Land an die Grenze der völligen Verarmung getrieben. Jetzt aber käme es darauf an, das für Land und Leute zu tun, was jeden Bauern zum Treuhänder seiner Äcker macht: Das Öl müsse gesät werden - sembrar el petroleo. Die für Venezuela revolutionäre Botschaft Pietris und anderer Kritiker der bisherigen Präsidialwirtschaft mit ihrem ausgeprägten Nepotismus fiel zunächst auf fruchtbaren Boden. Schließlich war nach dem Tod des Präsidenten Gomez (1936) eine gewisse Aufbruchstimmung zu neuen Horizonten entstanden, die nach grundlegenden Reformen verlangte. Die leidlich demokratische Wahl des neuen Präsidenten fiel allerdings auf den General Lopez-Contreras und das deutete doch eher darauf hin, daß trotz Einzelreformen nichts Wesentliches geändert werden sollte: Das heißt an der seit Bolivar tradierten Auffassung, daß auch das Öl nichts anderes sein dürfe als Nationalgut. Dieser Meinung waren auch Pietri und die liberalen Reformer. Es kam ihnen jedoch darauf an, daß vor allem die Exporterlöse umverteilt werden sollten, um wenigstens in der arbeitenden Bevölkerung ein Stück weit soziale Gerechtigkeit herzustellen. Schließlich war Venezuela mit über tausend Förderstellen hinter den USA zum größten Ölproduzenten der Welt geworden - nach einer schrecklichen Ära in der nationalen Ölgeschichte. Sie begann nach einem wenig spektakulären Vorlauf seit 1911 genau am 14. Dezember 1922. Auf dem Bolivar-Küstenfeld »La -108-
Rosa« war das Bohrteam der »Los Barrosos 2« in etwa 500 Metern Teufe auf eine unter hohem Druck stehende Trägerschicht gestoßen. Ein Preventer oder Sperrblock, wie er seit 1917 immer häufiger benutzt wurde, stand noch nicht zur Verfügung. Deshalb schoß ein gigantischer Springer völlig unkontrolliert aus dem unzureichend gesicherten Bohrloch ins Freie. Die verheerenden Folgen für die unmittelbare Umwelt und die Wirtschaft waren nur mit ähnlichen Vorgängen im texanischen Spindletop seit 1901 zu vergleichen, denn jeden Tag sollen etwa 100000 Barrel Öl ausgeströmt sein, dessen Qualität später mit »16 Grad API« gemessen wurde. Man stelle gegen diese ungeheuere Tagesmenge einer einzigen Eruptivsonde die Förderleistung aller Pumpsonden im Hannoverschen Feld Ölheim- Berkhöpen- Eddesse von »jährlich rund 70000 Tonnen«, um die damaligen Größenordnungen zu ermessen. Neun Tage lang kämpften die Mannschaften gegen hochschießendes Öl, Gestank und Schlamm, ehe dieses wahrhafte Teufelsloch unter Kontrolle gebracht werden konnte, aus dem l Million Faß oder 159 Millionen Liter Rohöl auf ein unberührtes Umfeld aus Wind, Erde und Wasser klatschten. Ähnliche Vorfälle häuften sich in den kommenden Jahren und veranlaßten die Politiker um den Präsidenten Gomez, nicht nur die nationale Ölgesellschaft CVP (Compañía Venezolana del Petróleo) zu gründen, sondern auch die Fördermenge staatlich zu kontrollieren und damit den Export zu regulieren. Zur weiteren Sicherung dieses wertvollen Rohstoffs vollzog man einen geradezu historischen Umbruch und stellte Öl wie den gesamten Bergbau als Nationalgut (patrimonio) unter den besonderen Schutz der venezolanischen Verfassung. Ab 1927 wurde auch das aus den USA eingeführte Kampfbohren untersagt und darauf gedrungen, den erwähnten Mindestabstand von Bohrplätzen und Förderstellen unbedingt einzuhalten: Venezuela war in dieser Hinsicht ein Vorbildland geworden, -109-
besonders für Saudi- Arabien, das zu dieser Zeit noch gar nicht als souveräner Staat existierte und auf den ersten Ölfund warten mußte. Was unter diesen und anderen Restriktionen den vornehmlich englischen (Shell) und amerikanischen (Exxon) Ölkonzernen in Venezuela blieb, war zwar immer noch das von ihnen technisch beherrschte Bohr- und Fördergeschäft sowie die gesamte Vermarktung des Öls. Aber die Frage nach der Verfügung über das nationale Öl-Eigentum hatte sich entscheidend verlagert. Sie sollte bald noch weitere Antworten zeitigen, zumal die Entdeckung neuer Giga-Felder in den großen Beckenzonen des weitläufigen Landes besonders seit 1928 Furore machte. Allein die Zerstörung der Ölstadt Lagunillas de Agua am 15. Juni 1928 durch einen wirklich titanischen Ölausbruch (oil blaze), der sich Jahre danach wiederholte, ließ die Gemüter in Caracas nicht mehr zur Ruhe kommen. Nicht anders die Pioniertat, vom Festland aus in den Golf von Maracaibo vorzustoßen und die Offshore-Technik zu beginnen, der das berühmte Feld »Tia Juana« seine Entstehung verdankt: Venezuela war zu einem führenden Ölland der Welt geworden. Mit dieser Position begab es sich aber in eine dreifache Abhängigkeit, der das Land bis heute nicht entkommen konnte. Es wurde vor allem bei den Öl- Katastrophen schmerzhaft daran erinnert, daß es sich Forderungen an eine Technik ausgesetzt sah, die es wegen seiner schwachen Industrie nicht selbst bewältigen konnte. Daraus erwuchs die Vorstellung, daß Venezuela nur als Rohstoff- Lieferant zu gelten hat und somit zum »Hinterhof der USA« wird. Das bedeutete gleichzeitig, die internationale Preisbildung beachten zu müssen und darin wiederum der Energiepolitik Washingtons wie der Ölkonzerne ausgeliefert zu sein, ohne sie groß beeinflussen zu können. Das zeigte sich im Zuge der Ölschwemme und des Börsenkrachs von 1929 sehr deutlich. Wurde Venezuela zur Konservierung des US-Öls, wie sie seit 1919 anstand, in die -110-
Politik der Strategischen Reserve einbezo gen, so hinderte das die US-Regierung jetzt nicht, über Schutzmaßnahmen für die heimischen Ölproduzenten nachzudenken, die nicht wie Exxon oder Sinclair venezolanisches Öl auf den US-Markt bringen konnten: Am 6. Juni 1932 war es dann soweit, daß auf jedes Faß Rohöl oder Veredlungsprodukt eine besondere Importabgabe zu entrichten war, die sich je nach Erzeugnis von 21 Cent bis zu 1,05 Dollar erstrecken konnte. Diese Regulierung im Zeichen der New Deal-Politik Präsident Roosevelts mag Puristen des freien Marktes stören. Sie zeigt nur, daß Öl in all seinen Formen nicht allein Schüttgut auf dem Weltmarkt war, sondern seit dem Ersten Weltkrieg auch als strategischer Stoff betrachtet wurde und somit stets eine politische Dimension mitzutragen hatte, auch und gerade in der zwischenstaatlichen Preisbildung. Außerdem führte das von USFirmen aus Venezuela importierte billige Öl dazu, daß in den USA über eine radikale Erneuerung der Fördertechnik nachgedacht wurde. Man wollte eine Steigerung der Eigenproduktion erreichen, was als Gaslift und Wasserflutung auch in Venezuela mit Erfolg erprobt werden sollte. Dieser technischen Revolution von außen konnte das schwach industrialisierte Land nur den Versuch entgegensetzen, die Nutznießung des Öleigentums zu verbessern. Dazu gehörte das verfassungsmäßige Zugeständnis an die eigenen Ölarbeiter, sich ab dem Februar 1936 in einer Gewerkschaft als »Sindicato« zu organisieren und endlich in den Genuß eines seit langem geforderten Arbeitsrechts zu gelangen. Das Ziel dieser und anderer Reformen wie der Gesundheitsdienst für Ölarbeiter und die Schulbildung ihrer Kinder war die Abschaffung der berüchtigten Ölslums und die Stärkung des Bewußtseins, die Öleinkünfte für das Gemeinwohl zu nutzen. Anleihen bei Reformen der Volksfront-Regierung Leon Blums in Frankreich oder in Mexiko sind unverkennbar. Der geschärfte Sinn für eine umfassende Treuhandschaft führte auch -111-
zu ersten gesetzlichen Maßnahmen gegen die Wasserverschmutzung durch auslaufendes Öl. Es war dem unermüdlichen Engagement von Nestor Luis Pérez zu verdanken, von den Ölkonzernen zu verlangen, die durch ihre Bohr- und Förder-Aktivitäten verschmutzten Strande des Golfes von Maracaibo zu säubern, und zwar nach dem Verursacherprinzip auf Firmenkosten. Wurde noch im Zeichen der berühmten Wildcat-Bohrung »Oficina l«, die auch literarischen Ruhm erwerben sollte, gegen die patrimoniale Vergangenheit eine depositäre Zukunft Venezuelas als unumkehrbarer Weg in die Moderne beschworen, so zeigte sich bald nach den ersten Reformen, wie sich wieder die Patrimonialisten in allen Lagern regten und auf Abwehr sannen. Der seit Generationen verwöhnten Oberschicht, die den Staat als private Pfründe betrachtete, schmeckte diese liberalsoziale Reformpolitik so wenig wie den Militärs als eigener Kaste, die einen korrupten Staat nur als Zulieferer auffaßte. Vor allem aber die Ölkonzerne, die vollkommen patrimonial eingestellt waren, leisteten erheblichen Widerstand. Dieser drückte sich vornehmlich darin aus, daß sie in ihren Unternehmen keinerlei Gewerkschaften als Treuhänder von Arbeiterrechten, Kontrolleure des Umweltschutzes oder gar als Tarifpartner akzeptieren wollten. Obgleich die Landesverfassung und entsprechende Gesetze die Annahme von gewählten Arbeiter-Vertretern zwingend vorschrieben, lehnten die Konzerne den Vollzug strikt ab, allen voran Rockefellers Exxon, die seit 1919 auch im Upstream- Geschäft tätig geworden war und den Wettbewerber Shell besonders in Venezuela bekämpfte. Man muß sich diese mächtige Front der Reformgegner vergegenwärtigen, um zu verstehen, wieviel politische, soziale und selbst literarischgesellschaftliche Energie aufzuwenden war, sollte der Umbruch Venezuelas zu einer modernen -112-
Industriegesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft, Rechtstaatlichkeit und einer depositären Ölpolitik gelingen. Daran hatten Intellektuelle und Teile der politisch bewußten Ölarbeiterschaft ein hohes Interesse: Aber die Ölkonzerne mit Exxon und Shell an der Spitze betrachteten das vielgestaltige, schöne und von Alexander von Humboldt bewunderte Land in erster Linie als billigen Rohstofflieferanten und sonst gar nichts. Venezolaner wurden zwar in einem begrenzten Umfang für das Bedienen von Bohr-, Förder- und Raffinerie-Technik ausgebildet, aber das dafür bereitgestellte Gerät konnte nicht im Lande selbst produziert werden. Die nationale Abhängigkeit von auswärtiger Technik blieb demnach vollkommen bestehen, was für den Bereich der Geologie und Öl- Prospektion ebenso zutrifft wie für den Transport. Die großen Hoffnungen auf einen historischen und dauerhaften Umbruch von 1936 erfüllten sich also nur am Rande und veränderten trotz Ergänzungen zur Verfassung nicht den Kern. Statt die Erträge des meist exportierten Rohöls wirklich vernünftig zu säen, damit Land und Leuten gedient war, wurden sie von den Mächtigen in der Staatsverwaltung oder beim Militär vorab geerntet und zu erheblichen Teilen privat veruntreut. In Kenntnis dieser Praxis, die keine wirksame konstitutionelle Kontrolle störte, waren die auswärtigen Ölkonzerne nicht bereit, Venezuelas kostspielige Sozialexperimente und industrielle Zukunft aktiv mitzugestalten. Sie konzentrierten sich auf das unabdingbare Aktionärs- oder Eigentumsinteresse ihrer Unternehmen (shareholder value) sowie auf die weitere Investitionsfähigkeit. Für diese strukturellen und mentalen Bindungen gab es im Alltagsgeschäft genügend Anschauungsunterricht. Ein Beispiel mag genügen, um die Lage zu kennzeichnen. Anfang 1937, als man sich in Paris auf den zweiten Welt-Erdöl-Kongreß der Geschichte vorbereitete, sah sich Shell gezwungen, das stark -113-
geförderte Ölprojekt »CR-2« aufzugeben. Es war ein Trockenloch, das dem Konzern nur den Ruhm einbrachte, mit knapp 3000 Metern Endteufe die damals tiefste Bohrung der Welt niedergebracht zu haben. Für diese technische Hochleistung des Rotary-Verfahrens auf venezolanischem Boden konnte sich Shell außer geologischen Aufschlüssen und technischer Reputation nichts kaufen. Diese und andere Fehlinvestitionen waren nicht geeignet, den Reformpolitikern in Caracas den Rücken zu stärken, zumal noch das Gespenst einer Nationalisierung der gesamten Ölindustrie herumgeisterte, wie sie 1938 in Mexiko gelungen war. In dem damals viel gelesenen Roman Mene (Ausbiß) von Ramón Díaz Sánchez wurde die steigende Tendenz erkennbar, die bisherige Praxis mit auswärtigen Ölkonzernen aufzugeben und die gesamte Produktion in eigener Regie zu übernehmen: Ein Traum, der sich erst vierzig Jahre später verwirklichen ließ. Denn unter Venezuelas Politikern hatte sich die Position durchgesetzt, mit gezielten Konzessionen die Konzerne zu nutzen und eine Besteuerungspolitik nach dem Anteil-System (ratioagreement) zu treiben - einer Vorstufe des späteren FiftyFifty. Eingedenk der technischen Rückständigkeit des Landes gestand man denn auch den Ölkonzernen im Konzessionskompromiß eine Laufzeit von »vierzig Jahren« zu, wohl in der Hoffnung, während dieser Zeitspanne die Verhältnisse so ändern zu können, daß man vom RohstoffLieferanten zum industriellen Schwellenland aufsteigen könnte. Diese starke strukturelle Bindung Venezuelas, das wegen der geringen Motorisierung und aufgrund des schlecht ausgebauten Straßennetzes kaum eine nennenswerte Binnen-Nachfrage besaß und extrem auf den Öl- Export angewiesen war, erweiterte sich noch. Denn das Land schloß am 6. November 1939 ein historisch gewordenes Handelsabkommen (Reciprocal Trade Agreement) mit den USA. Darin erhielt Venezuela nicht nur -114-
eine internationale Aufwertung als Partner des größten Ölmarktes der Welt: Es wurde auch von Washington eine Kürzung der seit 1932 erhobenen Importabgaben um die Hälfte zugestanden und garantiert, daß Venezuela 90 Prozent der gesamten Importquote der USA für Öl übernehmen darf. Die enge Beziehung zwischen Hinterhof und Zentralmacht erfuhr dann 1942 noch eine Festigung, als mit dem von Japan erzwungenen Kriegseintritt der USA der Golfnachbar Venezuela zum wichtigsten Öllieferanten der Alliierten wurde, allerdings auch erleben mußte, daß der Weltkrieg in seiner globalen Vernetzung bis in die eigenen Häfen und Industriezentren reichte. Denn Raffinerien und Tanker wurden in den Küstengebieten von U-Booten unter dem Hakenkreuz beschossen oder torpediert - im Rahmen der »Operation Paukenschlag«. Lagen während des Teutschen Krieges vor allem seit 1621 niederländische und auch englische Kaperschiffe im Atlantik auf der Lauer, um die Silberflotten des habsburgischen Spanien aus Venezuela abzufangen, so wurden jetzt die Schiffe mit dem Schwarzen Gold aus diesem Land aufgebracht oder zerstört. Diese Analogie wirkt wie eine Laune der Geschichte. Und doch erscheint sie wertvoll genug, um einzusehen, daß es strukturelle Stetigkeiten gibt, die im Gegensatz zum einmaligen Ereignis auf Wiederholungen ausgerichtet sind. Den venezolanischen Politikern ist zumindest bewußt geworden, daß ihr Nationalgut Öl über den politischen Alltag hinaus auch als strategisch bedeutsamer Globalstoff aufgefaßt wurde und dadurch allein einen besonderen Preis besaß. Keinem anderen Politiker Venezuelas waren diese Zusammenhänge so bewußt wie Rómulo Betancourt. Er hatte am 18. Oktober 1944 den bisherigen Präsidenten Medinas durch einen Staatsstreich gestürzt und ein weiteres Kapitel in der ruhmlosen Geschichte des Putschismus als Geißel Lateinamerikas aufgeschlagen. Gleichwohl muß ihm aber in der -115-
praktischen Ölpolitik zugute gehalten werden, daß er sich zeitweise von Pietri beraten ließ und den Weg Medinas im Prinzip fortsetzte. Dabei galt die Herabsetzung des Literpreises für Benzin auf 0,10 Bolivares (etwa 15 Pfennig) zwar als Weltrekord, aber auch als Populismus, denn dadurch wurde die Binnennachfrage nic ht zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor. Wichtiger jedoch war, daß sich Venezuela unter Betancourt mit dem Bretton-Woods-Abkommen von 1944 anfreunden konnte, 1945 der in San Francisco gegründeten UNO beitrat und 1947 Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde, also im Schlepptau der USA deren Rohstoff- und Geldpolitik konstruktiv flankierte: Gestützt auf das Erschließen neuer GigaFelder im Maturin- Becken, die ab 1946 die Tagesproduktion von Venezuela auf über l Million Barrel schnellen ließen. Diese Steigerung war auch deshalb möglich geworden, weil die sekundären Fördermaßnahmen eine wesentliche Steigerung der Ausbeute auch jener Träger ermöglichten, deren anfängliche Eruptivkreuze jetzt durch Pumpböcke ersetzt werden mußten: Bei mittlerweile 5000 Förderstellen bedeutete diese Innovation eine erhebliche Verbesserung der Produktionslage. In dieser Umbruchszeit machte sich der Rechtsanwalt Pérez Alfonzo nützlich. Er verfocht unter dem neuen Präsidenten Rómulo Gallegos eine Umverteilungspolitik, in deren Zentrum eine Steuerreform stand. Sie zielte darauf, die soziale Lage der Ölarbeiter Venezuelas zu verbessern, nicht aber die Situation in anderen Branchen. Was nach innen galt, sollte auch nach außen Wirkung zeitigen, deshalb machte er sich für das Fifty-FiftyPrinzip zwischen Staat und Ölkonzernen stark: Das war eine historische Leistung, die am 12. November 1948 rechtlich verankert und auch gesetzlich vollzogen wurde. Mit der erfolgreichen Umsetzung der neuen Verteilgerechtigkeit hatte aber nach Alfonzos Vorstellung noch ein zweiter Umbruch zu erfolgen. Venezuela brauchte nach -116-
seinen Plänen einen großen Nationalkonzern, der weniger die mexikanische Pemex als die britische BP zum Vorbild nehmen sollte. Außerdem mußte die nationale Raffinerie-Kapazität ausgeweitet werden, um die bisherigen Abhängigkeiten von den USA auch hinsichtlich des völlig einseitigen Technologietransfers zu verringern: Alfonzo war also gewillt, Venezuela sowohl gegenüber den Ölkonzernen wie den USA in eine wesentlich bessere Position bringen, um das zu werden, was später ein autonomer Global Player genannt wurde. Diese Entwicklung Venezuelas als das Land mit der tiefsten Bohrung und dem niedrigsten Benzinpreis der Welt wollte den Ölkonzernen gar nicht gefallen, zumal sie auf ihren erwirtschafteten Gewinn eine erhöhte Abgabe zu zahlen hatten. Es gab auch ab 1949 in amerikanischen Bankkreisen von New York gewichtige Stimmen genug, die Caracas signalisierten, man könne sich angesichts dieser Abschöpfungspolitik auch anders orient ieren und das Land in seiner Sonderrolle für die USA durch Saudi- Arabien ersetzen. Im Wissen um die Entdeckung der neuen Giga-Felder »Mapiri« und »Soto« reiste aber eine venezolanische Expertengruppe unter Alfonzo gegen alle Warnungen im September 1949 nach Saudi-Arabien. Sie wollte dort über eine Strategie beraten, wie die eigenen Ölinteressen in einem Verbund am besten gegenüber den Multis gewahrt werden könnten. Dieses wahrhaft historische Treffen von Vertretern zweier aufstrebender Öl- Eigner wurde in der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Krisen um Berlin, Israel und Korea beschäftigten mitten im Kalten Krieg die Gemüter weit mehr als der Beginn einer langfristigen Zusammenarbeit zwischen dem dynastischen Patrimonialstaat Saudi- Arabien und der diktatorisch beherrschten Republik Venezuela, in der Ende 1949 bereits 5 Milliarden Barrel Öl als sichere Reserve vermutet wurden. In dieser Phase einer strukturellen und globalisierten -117-
Umorientierung kam von Seiten der Multis ein wegweisender Vorschlag. Auch sie waren letztlich an einer Stabilität und Stetigkeit des Ölflusses vital interessiert und sahen ein, daß die nationalen Öl-Eigner etwas für die innere Entwicklung ihrer Länder tun mußten, um auch die Tätigkeit der Ölkonzerne begründen und absichern zu können. Dazu aber waren kontinuierliche Einnahmen nötig, mit denen im Rahmen der Staatshaushalte für die Zukunft geplant werden konnte: Deshalb kam 1950 von der ehemaligen Esso-Tochter Socony der Vorschlag, besonders in der persischarabischen Golfregion einen Festpreis pro Faß (posted price) einzuführen. Wurde ein derartiges Preissystem durchgesetzt, dann relativierte sich der übliche Markt-Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Gleichzeitig verstärkte sich die seit 1928 vorherrschende Tendenz der Kartellisierung des globalen Ölmarktes im Bereich der Multis und die Zusammenarbeit mit staatlichen Ölpartnern, die sich um die Finanzierung ihrer Haushalte oder nationalen Entwicklungspläne zu kümmern hatten. Die Kombination von Festpreis und festen Steuern oder ÖlAbgaben schien zu dieser Zeit das Zaubermittel zu sein, endlich aus den Unsicherheiten der Vergangenheit herauszukommen. Die Besitzrechte der nationalen Öl- Eigner und die berechtigten Ansprüche der Ölkonzerne bewegten sich in ihrer distributiven wie kommutativen Struktur tatsächlich auf ein »gerechtes System« zu. Es wurde außerdem noch durch den stabilen PetroDollar im Rahmen der globalen Leitwährungen seit BrettonWoods gestützt und durch die strategische Stärke der 1949 gegründeten NATO gegen die »kommunistische Gefahr« gesichert. Auch für Venezuela wurde 1952 ein Festpreis ausgehandelt, ohne daß sich Washington gegen die Markt-Regulierung gewendet hätte. Im Gegenteil. Es hatte ja selbst seinen nationalen Ölmarkt einer enormen Kontrolle unterworfen, wie -118-
noch zu sehen sein wird und gestattete Caracas ein neues Handelsabkommen: Darin wurde Venezuela garantiert, Rohöl von der Spitzenqualität »25 Grad API« ohne jede Quotierung in die USA exportieren zu dürfen. Mit dieser Regelung hätte man in Ruhe die innere Entwicklung konsolidieren können. Aber zwei bestimmende Kräfte haben immer wieder in diesem Land für Unruhe gesorgt. Das war einmal das diktatorische Regime, das nur eine Formale Demokratie erlaubte, und dann auch ein gewisser Nationalismus, der auf die Ölpolitik einwirkte und zeitweise nur schwer zu kanalisieren war. Konnte Washington die Diktatur im Hinblick auf ihren dezidierten Anti-Kommunismus hinnehmen, so war es für die Regierungen unter General Eisenhower ungleich schwerer, den Nationalismus als Ausdruck des AntiKolonialismus überall dort in der Welt zu bewältigen, wo Ölinteressen auf dem Spiel standen und sich die USA genötigt sahen, die einstige Rolle Englands als Schutzmacht zu übernehmen. Das zeigte sich vor allem am Beispiel Persiens. In diesem ölreichen Land hatte das Parlament (Majles) am 15. März 1951 unter der Führung des Rechtsanwalts Mossadegh den historischen Beschluß gefaßt, die Verstaatlichung oder Nationalisierung der mächtigen Ölgesellschaft Anglo-Iranian zu betreiben: Eine Lösung, die dem Treuhandmodell des Venezolaners Alfonzo vollkommen zuwiderlief. Im Gegensatz zu Mossadegh, der die Ölpolitik gerne auf einen emotionalen Kochpunkt der sachlich unkundigen Massen brachte, war dem Rechtsanwalt in der Neuen Welt bewußt, was der gleiche Schritt schon 1938 in Mexiko oder auch 1918 in der Sowjetunion unter dem Rechtsanwalt Lenin angerichtet hatte: Absolutes Patrimonialeigentum am Nationalgut Öl schmeichelte wohl für kurze Zeit dem Nationalismus auch als Ausdruck einer gelungenen Entkolonialisierung, aber Losungen zur politischen Selbstbestimmung waren noch keine Lösung für anstehende -119-
ökonomische Probleme. Denn aufgrund solch isolierter Alleingänge wurde kein Faß Öl oder Kubikmeter Erdgas mehr, besser oder gar billiger gefördert und noch weniger auf einem Weltmarkt verkauft, der in der Hauptsache seit 1928 vom Kartell der Sieben Schwestern kontrolliert wurde: Mossadegh in Persien wie Cárdenas in Mexiko fehlte ganz einfach die Bohrund Fördertechnik, das Investitionskapital und das organisatorische Netzwerk der Multis, um das nationale Öl vom Bohrloch bis zur Zapfsäule optimal nutzen zu können. Das mechanische Austauschen von Eigentums- und Nutzungstiteln war nicht Alfonzos Strategie. Überzeugt vom depositären Denken als Inbegriff optimierter Gegenseitigkeit von innerem Öleigner und äußerem Ölkonzern mußte er aber bald feststellen, daß es noch einen Faktor gab, den er und andere Reformer lange Zeit nicht recht wahrhaben wollten. Das änderte sich im September 1952. Venezuela wurde trotz seiner Diktatur nach Banff (Kanada) eingeladen, um dort am Treffen der Inter State Oil Compact Commission (ISOCC) teilzunehmen. Während der Tagung dieses inneramerikanischen Gremiums, dessen Struktur wie ein Vorgriff auf die Opec von 1960 wirkt und an die Nafta erinnert, kam offen zur Sprache, was besonders Alfonzo erstaunt hat. Nach außen predigten die US-Amerikaner gleich welcher Partei die Segnungen des Freihandels wie des Freien Marktes im Rahmen des GATT. Aber nach innen im eigenen Land war der mit Abstand größte Ölmarkt der Welt in hohem Maße reguliert und auch staatlich gelenkt allerdings nicht patrimonial, sondern depositär und einem vertraglichen Rechtsstaat ebenso unterworfen wie einer parlamentarischen Demokratie zugeordnet. In dieses System spielten die schlechten Erfahrungen von 1919 hinein, als die Konservierungsdebatte tobte, dann die schwere Krise von 1929 mit Ölschwemme und Börsenkrach sowie seit 1939 die große Sorge, daß die USA trotz mehr als 100000 Eruptiv- und Pumpsonden auf die Dauer den steigenden -120-
Ölbedarf nicht decken könnten. Die verantwortlichen USPolitiker waren also schon aus »nationalem Interesse« (Kissinger) gehalten, nicht nur als Treuhänder (trustee) die tägliche Grundversorgung in Krieg und Frieden zu sichern, sondern auch die Konservierung der eigenen Vorkommen zu betreiben: Für die wachsende Kriegs- und Handelsflotte, den rapide ansteigenden Luftverkehr sowie vor allem für das amerikanische Selbstverständis in Gestalt des Autokults. Alfonzo und seine Experten aus Venezuela, das am 6. Februar 1953 Vollmitgied der ISOCC geworden ist, verstanden jetzt besser als je zuvor, was den Kern der amerikanischen Ölpolitik ausmachte. Die Globalmacht USA war im Kalten Krieg bestrebt, ihre strategische Reserve erheblich zu verstärken und auf lange Sicht zu sichern. Als Hauptpartner dafür hatte man ohne Ansehen der inneren Machtstrukturen Venezuela und Saudi-Arabien vorgesehen. Länder, die unter US-Präsident Eisenhower bald in den Genuß der besonderen Beziehung (special relationship) kamen - als Freunde Amerikas und ökonomische wie politische Nutznießer der gewährten Meistbegünstigung als Ausdruck des distributiv Gerechten. Eingebunden in dieses von den USA dominierte Netzwerk erlebte Venezuela nach 1953 nicht nur einen wahren Ölboom. Bis zum Ende des Jahrzehnts gab es etwa 10000 ertragreiche Eruptiv- und Pumpsonden im ganzen Land, wobei die sicheren Reserven auf 10 Milliarden Faß geschätzt wurden. Es zeigte sich auch, das das Treuhanddenken im Kreis um Alfonzo und alle versuchten Strukturreformen die patrimoniale Selbstbedienungsmentalität noch lange nicht beendet hatten. Ja, sie war zeitweise in ihrer Korrumpierung so unerträglich geworden, daß 1958 ein erneuter Staatsstreich die Diktatur des bisherigen Präsidenten Pérez Jiménez ablöste und den Weg zur depositären Demokratie bereitete: Gerade zu einem Zeitpunkt, als sich wieder einmal eine regelrechte Ölschwemme ankündigte und die Preise in den Keller rutschen ließ. -121-
Wie zum Hohn sah sich die Eisenhower-Regierung unter dem Druck des Marktes gezwungen, nach den Empfehlungen des Carson-Planes zum Mittel der regulierenden Importquoten zu greifen, um den Binnenmarkt der USA vor auswärtigem und billigerem Öl abzuschotten. Die Entrüstung in Caracas über diese erneute »Diskriminierung« venezolanischen Öls geriet in die Nähe des nationalistischen Kochpunktes - gegen die »Gringos« und ihre verdammten »Verdes« (Dollar). Verständlich, daß der alte Putschist und neue Präsident Romulo Betancourt Mühe hatte, die laute Forderung nach einer vollständigen Nationalisierung der Ölindustrie abzufangen. Er bemühte sich statt dessen, der ehemaligen Losung Pietris »Das Öl säen« eine neue Perspektive zu geben. Deshalb setzte er auch durch, daß die Multis nicht mehr die Hälfte der erzielten Ölerträge an die Staatskasse abzuführen ha tten, sondern zwei Drittel ihrer Profite. Wer aber glaubte, die im Lande tätigen Konzerne wirklich abgeschöpft zu haben, der mußte sich bald eines Besseren belehren lassen. Denn entgegen der oft scheinheiligen Proteste der Konzern-Manager gegen die erhöhte Besteuerung nutzten sie den unter Eisenhower geduldeten »Goldenen Kniff«. Damit konnte jeder im Ausland gezahlte Petro-Dollar zur Besteuerung an den heimischen Steuergesetzen vorbei abgesetzt werden: Das heißt, der amerikanische Steuerzahler subventionierte die Profite der Ölkonzerne in Venezuela! Diese in hohem Maße verfassungswidrige, ja betrügerische Regelung erklärt, warum sich die Manager der Multis in Venezuela und die Aramco in Saudi-Arabien trotz Verbalattacken auf die jeweilige Besteuerungspolitik zurückhielten. Sie mußten gleichzeitig fast ohnmächtig zusehen, daß alle Regulierungen und Kartellabsprachen nicht ausreichten, um die Marktkräfte auf Dauer zu bändigen. Denn am 6. Februar 1959 war genau das eingetreten, was man für alle Zeiten abgestellt glaubte: Das Dekaden-Tief hatte zugeschlagen und -122-
Shell als ersten Multi veranlaßt, den bisherigen Festpreis für Rohöl aufzukündigen. Ein historischer Beschluß, der allerdings den streng regulierten Ölmarkt der USA kaum berührte, wohl aber Venezuela und Saudi- Arabien im Kern ihrer Entwicklungspolitik traf: Caracas und Riad standen am Rande des Kochpunktes. Selbst der besonnene und geduldige Pérez Alfonzo ließ vor dem Nationalkongreß (Senat und Deputiertenkammer) mächtig Dampf ab, hatte doch Eisenhower ganz im Sinne der von Republikanern beherrschten Öl- Lobby plötzlich die Öllieferungen aus Venezuela als »Bedrohung der nationalen Sicherheit« ausgegeben und das getan, was er sonst zur Pflege des GATT und in der Kritik am Kommunismus mit hehren Worten bekämpfte die USA wurden wieder einmal abgeschottet. Man kann darin einen Ausdruck des Isolationismus sehen. Es sollte aber auch bedacht werden, welch schlechte Erfahrungen die USA mit dem zuweilen chaotischen Ölmarkt seit 1859 alle zehn Jahre zu bewältigen hatten. Doch darauf wollte sich Alfonzo jetzt nicht einlassen und suchte erneut den 1949 begonnenen Kontakt mit der arabischen Ölwelt, die im April 1959 in Kairo ihren ersten Kongreß abhielt. Dort kam es dann auf seine Anregung hin zur Gründung einer Oil Consultation Commission, noch ohne Saudi- Arabien, jedoch mit dem ölreichen Persien unter Schah Reza Pahlevi L, der sich mit Hilfe des englischen und amerikanischen Geheimdienstes 1953 an die Macht geputscht hatte. Aus dieser internationalen Initiative, die gut zum »Geist von Bandung« (1955) paßte, als sich die Neutralen unter der Führung Schwedens und Indiens gegen die USA und den Weltkommunismus als Dritte Kraft etablieren wollten, entstand eine Reihe von bemerkenswerten Aktivitäten, bis hin zur Gründung der Opec. In Venezuela selbst gab man dem nationalistischen Populismus nach und richtete aufgrund des -123-
Präsidentendekrets Nr. 26234 einen nationalen Ölkonzern ein. Entgegen dem patrimonial geprägten Vorläufer aus den 1920er Jahren erhielt er im Geist des Depotismus den Namen Corporación Venezolana de Petróleo (CVP) und signalisierte den Multis, daß sie spätestens nach Ablauf ihrer Konzessionen im Jahre 1976 mit einem erneuten Umbruch zu rechnen hatten - die Verstaatlichung der Ölindustrie stand an. Analog zur Ölgewinnung von zunächst einem Drittel, dann der Hälfte und zwei Dritteln bis zur fast vollständigen Entleerung der Lagerstätten hatte sich in Venezuela von 1911 bis 1976 ein erregendes Kapitel der Ölund Besteuerungsgeschichte vollzogen. Erst fremdbestimmt durch die Multis, dann aufgrund der strategischen Interessen der USA hochpolitisch geprägt, schon um ein Gegengewicht zum kommunistischen Kuba des CastroClans zu bilden und nach Ablauf der Konzessionsdauer von vierzig Jahren von der Hoffnung bestimmt, mittels einer vollständigen Verstaatlichung alle Probleme lösen zu können: zur Zeit eines hohen Ölpreises auf dem Weltmarkt, den das Opec-Kartell als Inflationsausgleich und Investitionsgrundlage kurzfristig durchgesetzt hatte, ohne dem Dekaden-Tief zu entkommen - besonders im Katastrophenjahr 1999.
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»Eigentum verpflichtet« Der Traum des venezolanischen Rechtsanwalts und Olministers Alfonzo, mit Hilfe der Opec endlich Stabilität in den globalen Ölpreis zu bringen und dadurch auch die industrielle Entwicklung des eigenen Landes zu fördern, erfüllte sich trotz enormer politischer Anstrengungen und persönlicher Rechtschaffenheit nicht. Das Scheitern im Inneren hing damit zusammen, daß er und die Reformbewegung die Gefahr des Putschismus nicht dauerhaft bannen konnten. Sie waren auch nicht zu jener strukturellen und mentalen Integration fähig, die in England 1688 und von den USA 1787 auf revolutionäre Weise geleistet worden ist: Nämlich das gegenseitige Durchdringen von Rechtsstaat, reguliertem Markt und depositärer Demokratie - auf der Basis des Vertragsdenkens und zur Abwehr des ErbAbsolutismus durch Dynasten. Diese Lehre der Geschichte im Zeichen von »Liberty and property« ist in Venezuela nur von wenigen wie Alfonzo beherzigt worden. Auch Rubin Sader Perez, der erste Generaldirektor der neuen CVP, dachte noch in diese Richtung, als er 1969 eine bemerkenswerte Dokumentation vorlegte: The Venezuelan State Oil Reports to the People. Darin prangerte er alle Fehler der Vergangenheit an und bezeichnete das Verhältnis der Multis zu einzelnen Präsidenten als »eine Geschichte der organisierten Korruption«. In der Kritik an der eigenen politischen Klasse ist auch das Fehlverhalten der Konzern-Manager herauszulesen. Waren diese doch an der wirklichen Entwicklung des Landes so gut wie nicht interessiert und betrachteten Venezuela nur als Rohstoff-Kolonie - ohne jede Rücksicht auf die Natur oder die Bevölkerung. Ein Vorfall genügt hier, um ihre eigene patrimoniale -125-
Grundeinstellung zu kennzeichnen. Als durch das PräsidentenDekret Nr. 187 (nicht durch einen gemeinsamen Beschluß von Regierung und Nationalkongreß!) der CVP zugestanden wurde, ein Drittel des heimischen Ölmarktes bedienen zu dürfen, hörte von seiten der Multis jede moderne Prospektion schlagartig auf die geologische Grundsicherung der Ölzukunft hatte befehlsgemäß auf der Stelle zu stagnieren. Es paßte zu dieser Politik der Daumenschraube, daß zum ersten Mal in der Ölgeschichte des Landes keine Erhöhung der venezolanischen Reserven verkündet werden konnte. Die CVP sah sich sogar gezwungen, mit den Multis sogenannte »Dienstleistungsverträge« (service contracts) abzuschließen, um für gutes Geld die eigenen technischen Defizite auszugleichen angesichts des Vertröpfelns der alten Giga-Felder aus den 1920er Jahren ein alarmierendes Zeichen für eine beginnende Verlangsamung des Wachstums und sinkender Staatseinnahmen. Die Steigerungen des Ölpreises bis 1979 haben zwar für einen gewissen Ausgleich gesorgt. Aber die Mono-Struktur des ÖlLandes Venezuela blieb wie jene der übrigen Opec-Länder von den Schwankungen des Weltmarktes abhängig, und dieser besaß immer auch eine politischpsychologische Dimension - schon wegen des Israel-Araber-Konfliktes und aufgrund der Herausforderung durch die kommunistische Globalmacht Sowjetunion. Überdies reichten die nominellen Nationalisierungen der Ölproduktion oder des Upstream innerhalb der Opec nicht aus, um die Multis in Gestalt der »Sieben Schwestern« zu ersetzen, schließlich beherrschten sie weiterhin vor allem das lebenswichtige Downstream-Geschäft, also die gesamte Vermarktung des geförderten Öls. Diese schmerzhafte Erfahrung mußte auch Venezuela machen. Es war zwar Volleigentümer seines Öls, besaß auch einen Nationalkonzern dafür, konnte aber diese Position nicht -126-
recht nutzen. Kein Wunder, daß allein schon aus dieser Konstruktion manch ein innenpolitischer Konfliktstoff angereichert wurde und die Gefahr eines Putsches wachsen ließ. So hatte der jetzige Präsident Hugo Chávez im Gefolge des Dekadentiefs mit seinem Preisverfall seit 1986 und der Rezession in den USA bereits 1992 als Militär einen Putschversuch unternommen, war allerdings am Widerstand der Demokratie gescheitert. Aber mitten in der größten Absatzkrise für venezolanisches Öl und während der Tiefstpreisphase bis 1999 war er wieder mit seinen Kumpanen zur Stelle. Er gab sich charismatisch als Erbe Bolivars aus, fühlte sich gar als der Retter des Vaterlandes vor der herrschenden Korruption und ließ nach einer demokratischen Wahl zum Präsidenten die Verfassung für eine »bolivianische Republik« ändern. Auf seine patrimonialen, tribalistischen, militärischen und diktatorischen Bedürfnisse so zugeschnitten, wie es sich wohl für den Personenkult um einen Caudillo als Nachfolger der spanischen Vize-Könige gehört: im Kern nur dem absolutis tischen Machtmotto verpflichtet: ›Eigentum vernichtet‹, nämlich die depositäre Demokratie, das Marktprinzip und den Rechtsstaat. Der Klassiker Maitland für Englands und Beard für Amerikas Verfassungsgeschichte wurden aus bester Kenntnis der Wirtschaft und Industrie ihrer rechtlichpolitisch so verwandten Länder nicht müde, immer wieder das Eigentum als große und prägende, aber oft von Historikern und Politikern verdrängte Geschichtskraft zu beschwören. Man denke hier nur an den Kernsatz der Schein-Verfassung Rot-Chinas von 1975, um sofort zu verstehen, daß alle Kommunisten oder Staatssozialisten stets Patrimonialisten und Monopolisten sein müssen. Sie zelebrierten im Schatten des stalinistischen Mao-Kultes mit der totalen Sozialisierung aller -127-
Produktivkräfte oder Schlüsselindustrien seit 1949 genau das, was schon der Absolutismus zwischen 1618 und 1918 als »bankerottes Geschäft« vorgeführt hatte: Das sozialistische Eigentum ist unantastbar. Bedenkt man, welche Probleme es dem heutigen Ölland Rotchina bereitet, auch nur annähernd die rechtlichen Standards modernen Wirtschaftens zu erfüllen und sich den Bindungen der Welt-Handels-Ordnung (WTO) zu fügen, dann liegt eine der Hauptursachen darin, daß sich die KP noch immer als alleiniger Eigentümer Chinas auffaßt. Deshalb gibt die Führung in Peking auch die Ansprüche auf Taiwan oder National-China so wenig auf wie die possessiven Ölinteressen im Südchinesischen Meer. Dessen gerechte Aufteilung des Festlandsockels, wie 1958 im Nordseegebiet geschehen, ist noch immer nicht geregelt: mit Sicherheit ein hochpolitischer Krisenherd der Zukunft, sind doch Länder wie Vietnam und die Philippinen unmittelbar involviert. In all diesen ungelösten Besitz- und Verfügungsfragen taucht immer wieder eine strukturelle und mentale Alternative auf, die auch außerhalb des angelsächsischen Erfahrungsbereichs anhaltenden Erfolg vorweisen kann. Sie steht im Artikel 14 des Bonner Grundgesetzes von 1949 und gilt als Reaktion darauf, der patrimonialen Orgie der »Arisierungen« oder Enteignungen jüdischen Eigentums durch die Nationalsozialisten im Dritten Reich eine depositäre Ordnung entgegenzustellen. Gegen die Degradierung des Menschen zum Arbeitssklaven, Habenichts und Kanonenfutter fordert dieser Artikel eine menschenwürdige Grundkonstante der Geschichte ein: Eigentum verpflichtet. In diesem geradezu universell verstandenen Auftrag der Verfassung, der mit Recht an das »Noblesse oblige« aus dem treuhänderischen Lehnswesen des vertraglichen Feudalismus erinnert, drückt sich nicht nur das Gemeinwohl-Gebot der sozialen Marktwirtschaft aus. Es stellt neben den arbeitenden Menschen als Lohnoder Gehaltsempfänger -128-
(Betriebsverfassung) auch die Eigentümer von Produktionsmitteln oder Dienstleistungsbetrieben unter einen umfassenden Rechtsschutz - im Vertrauen auf eine nutzbringende Gegenseitigkeit von Arbeit und Kapital. Dieses seit 1949 währende System hat sich im Rahmen einer ausgeprägten West- und Wertbindung der alten Bundesrepublik als Garant wachsender Prosperität bewährt. Es bestand sogar nach der Sanften Revolution von 1989 und der nicht immer gelungenen Arbeit der Treuhand-Anstalt zur Reprivatisierung von »volkseigenen Betrieben« der ehemaligen DDR seine schwerste Belastungsprobe. Die damit verbundene Mentalität der Sozialpartnerschaft zwischen Nutznießer und Eigentümer erklärt außerdem, warum im deutschen Bereich so sensibel auf sogenannte feindliche Übernahmen im Wirtschaftsleben reagiert wird. Ganz im Gegensatz zu den USA, wo solche Eigentumsverschiebungen an der Tagesordnung sind und auf eine fast romantische, aber furchtbar effektive Weise an eine wichtige Figur aus vorindustriellen Zeiten erinnern: Nicht an den »Schwarzen Prinzen«, der vor 1969 im Libyen des Königs Idris I. auf korrupte Weise Ölkonzessionen verscherbelte, wohl aber in zugespitzten Eigentumsverhandlungen an einen »Weißen Ritter« (White knight), der in buchstäblich letzter Minute ein lukratives Geschäft vereiteln oder sichern kann. Wie in einem solchen Fall die Gemüter auf beiden Seiten aneinandergeraten und sich ihre emotionalen Energien entladen können, vermittelt der größte Schadensersatzprozeß der Ölgeschichte aus dem Krisenjahr 1985. Sinkende Ölpreise, der Wertverfall des Dollars, die politische Unsicherheit in der Golfregion - die neben anderen Gründen 1984 das Texas-Unternehmen Gulf die Existenz gekostet hat und langsam versiegende Lagerstätten schürten eine Krisenstimmung in den Konzernzentralen. Man suchte oft fieberhaft nach eigenen und damit zukunftssicheren Reserven. -129-
Dabei gab es im Prinzip nur zwei Möglichkeiten, aus der Kalamität herauszukommen: Entweder man riskierte Eigenkapital beim Erschließen neuer Ölfelder auf eigenem Grund (oil property), oder man kaufte sich mittels Aktien in ein bestehendes Ölunternehmen ein, um auf diese Weise an dessen Reserven zu gelangen. Für den zweiten Weg entschied sich das Unternehmen Pennzoil unter seinem Manager Hugh Liedtke. Es war die Nachfolgerin der Zapata Petroleum, die George Bush mit anderen Partnern gegründet und bis 1964 geleitet hatte, ehe er in die hohe Politik ging. Dieses mittlere Unternehmen bemühte sich darum, mittels Aktienkauf an einige Felder der Getty Oil heranzukommen. Obgleich die einzelnen Aktienpakete dieser Öl-Dynastie auf verschiedene Familien-Mitglieder und Stiftungen verteilt waren, gelang es dem geschickten Rechtsanwalt Liedtke, eine Art freundliche Übernahme von bestimmten Getty-Aktien zu organisieren: Aber Pennzoil wurde in absolut letzter Minute von Texaco ausgestochen - von einem »White knight« und damit aufgrund eines besseren Angebotes pro Aktie. Das war noch kein außergewöhnlicher Fall für die Ölindustrie. Aber der versierte Jurist Liedtke zog vor ein Geschworenengericht in Houston/Texas und klagte auf vollständigen Schadensersatz wegen ungerechten Eigentumsverlustes. Die Ausgangslage dieses dramatischen Rechtsfalles, der tiefe Einblicke in die Struktur der amerikanischen Ölszene gewährt, hatte etwas mit den Urängsten der Texaco-Manager zu tun. Angesichts der weltweiten Verstaatlichungen von Ölressourcen, besonders in den Opec-Ländern, fürchteten sie, die eigene Ölbasis nicht mehr aufgrund von »Oil properties« sichern oder gar ausweiten zu können. Man muß zum besseren Verständnis dieser Einstellung hier berücksichtigen, daß Texaco seit seiner Gründung während des Ölrausches von Spindletop (1902) das -130-
erste wirklich vollintegrierte Unternehmen der US-Geschichte war. In der gelungenen Verbindung von Upstream und Downstream verhielt sich der autokratisch geführte Konzern nach der Kampfphase mit Shell, Gulf, Sinclair und auch Exxon bis 1928 flexibel genug, sich mit anderen Wettbewerbern bei der Produktion zu verständigen: Er stimmte sogar zu, sich an Konsortien zu beteiligen - im depositären und korporativen Vertragsgeist. Trotz dieser Zugeständnisse wollte die Konzernzentrale in Houston/Texas aber nicht auf ihren Pioniergeist verzichten und beschloß einen kühnen Alleingang. Statt im feuchtheißen Orinoco-Becken Venezuelas einer unsicheren Zukunft entgegenzubohren oder sich in Nigeria mit korrupten Politikern herumzuschlagen, wählte man den Bohrweg auf heimischem Grund - »North to Alaska«, weit über den Polarkreis und selbst die Prudhoe-Bay hinaus. In diesem riesigen Raum der unberührten Arktis mit zahlreichen Beckenzonen und häufigen Ausbissen selbst im ewigen Eis oder in den Permafrostböden hatten Geologen und Geophysiker des Konzerns eine bizarre Bohrstelle ausgemacht: Auf einer einsamen Insel mitten im Eismeer und nicht weit vom Nordpol entfernt sollte eine Aufschlußbohrung niedergebracht werden als »Unternehmen Mukluk«. Hatten sich die Investitionen bei Einzelbohrungen dieser Art im Golf von Mexiko während der 1960er oder in der Nordsee im Laufe der 1970er Jahre auf einer mehrstelligen Millionenhöhe bewegt, so sah sich Texaco auf »Mukluk« gezwungen, etwa 2,5 Milliarden Dollar aufzubringen. Anfangs der 1980er Jahre war das ein gewaltiges Volumen, das buchstäblich in den gefrorenen Sand gesetzt wurde und dem »CR-2«Projekt von Shell in Venezuela ähnelte: Es war ein verlustreiches Trockenloch. Wie im Boxen der »Lucky punch« als glücklicher Befreiungsschlag aus einer mißlichen Lage gilt, so hatten die Texaco-Manager um John McKinley darauf gehofft, mit -131-
»Mukluk« am Rande Alaskas einen Großteil ihrer Ölzukunft zu sichern: Die damit verbundene Investitionskatastrophe lenkte jetzt wieder alle Aufmerksamkeit in Richtung heimischer Ölunternehmen, die in der Reagan-Krise zum Kauf anstanden. Mit ihrem Erwerb wollte man den Bestand an »Oil properties« erweitern und die künftige Tätigkeit weltweit stärken. Dafür war als Mittel all das gut, was im Rahmen des Rechts erlaubt wurde, auch die mittelalterlich anmutende Einrichtung eines »Weißen Ritters«. Damit meint man im Börsen-, Aktien- oder Übernahmegeschäft einen »legalen Trick« oder auch »goldenen Kniff«, um in laufende Verhandlungen anderer Unternehmen eingreifen zu können: Mit dem erklärten Ziel, kurz vor einem endgültigen Vertragsabschluß eine feindliche Übernahme zu erzwingen - durch ein höheres Gebot pro Aktie und damit als Rettung aus höchster Not. Hinter diesem Verfahren, das bundesdeutschen Vorstellungen von einem lauteren Wettbewerb (BGB seit 1900) widerspricht, steht die Überlegung: Wenig reinstecken und viel herausholen. Ein Denken aus den Anfangszeiten der Ölindustrie, das in gewisser Weise auch dem Geist des alten Kampfbohrens und seinem oft brutal vollzogenen Erwerbsmotto entspricht: Zeit ist Geld. Im Falle Pennzoil gegen Texaco hatten es vor allem die Anwälte des Houston-Konzerns geschafft, das freundliche Übernahmegeschäft zwischen Pennzoil und Getty Oil erfolgreich zu stören, ja dabei Pennzoil wie in einem Ritterturnier regelrecht auszustechen. Doch statt sich geschlagen zu geben, zog Hugh Liedtke eine Art Musterprozeß durch, der als »der größte Bankrottfall in der Geschichte« bewertet werden sollte. Hier sei aus dem Prozeßverlauf, der in Europa ziemlich unbekannt geblieben ist, nur jener Bereich herausgegriffen, der sich mit den verschiedenen Faktoren der Preisbildung für Rohöl auseinandergesetzt hat. Texaco war es schließlich gelungen, sich -132-
kurzfristig durch ein geringfügig besseres Angebot pro GettyAktie an die Stelle von Pennzoil zu setzen und diesem Unternehmen einen Milliardenschaden zuzufügen. Wirklich rechtsrelevant war in diesem besonderen Fall, daß die wesentlich kleinere Pittsburgh-Firma in ihrem vertraglich erworbenen Öl-Eigentum erheblich geschädigt wo rden ist - und dazu gehörten Ölfelder in der Neutralen Zone nahe Kuwait, die der legendäre Paul Getty ab 1948 hatte erschließen lassen. Dieser Zusammenhang aber mußte vor einem GeschworenenGericht in Houston schlüssig nachgewiesen werden. Dabei drehte sich alles um eine einzige Vertragsformel, deren Interpretation völlig konträr ausfiel. So galt das zwischen Pennzoil und Getty Oil ausgehandelte Agreement in principle bei Liedtke und seinen Anwälten als ein »geschlossener Deal« oder Vertragsabschluß, der nur noch einiger technischer Einzelregelungen bedurfte. Die Hausjuristen von Texaco hingegen gingen bei dieser Fundamentalformel von New Yorker Gepflogenheiten aus und betrachteten die Absprachen zwischen beiden Unternehmen als eine völlig offene Angelegenhe it, in die Texaco als »White knight« zu seinem Vorteil und Eigennutz intervenieren durfte also rechtmäßig durch den Aktien-Erwerb ein »Oil property« sicherte. Das Gericht in Houston, dessen Geschworene geradezu lächerliche Tagessätze aus vorindustrieller Zeit zugestanden bekamen, bildete sich nach einer Reihe langer und intensiver Kreuzverhöre aller Beteiligter aber eine eigene Meinung darüber, wie die »reichen Getty-Reserven« einzuschätzen seien, um Pennzoil eine »gerechte Entschädigung« zu gewähren. Zunächst wurde vom Gericht die lokale Herkunft des Rohöls geklärt. Es lag außerhalb der USA und war an die Felder in der neutralen Zone gebunden, erforderte demnach besondere Aufwendungen und einen entsprechenden Transport. Die gesamten Erschließungskosten von der geologischen -133-
Prospektion über die Seismik, das Bohren und Installieren der Sondenköpfe wurden ebenso in Rechnung gestellt wie die Transportkosten mit Pipeline und Tanker bis zu den Raffinerien. Der gesamte Bereich des Upstream wie des Downstream fand gebührende Beachtung. Nicht weniger als die API-Qualität des geförderten Öls, die für den Marktwert im Vergleich zu den globalen Spitzenwerten wie Western Intermediate (Texas), Brent Blend (Nordsee) oder Arabian Light (Libyen) von hoher Wichtigkeit war. Die Richter Farris und Jamail sowie die Geschworenen als Vertreter des Volkes hatten sich also zum äußerst komplizierten Problem der Ölpreisbildung außerhalb der USA umfassend sachkundig machen müssen. Dazu erfuhren sie von dem Experten Richard Keeton, »daß Pennzoil sieben und ein halb Milliarden Dollar verloren hat. Und dieses Ergebnis schließt Barrels von auswärtigen Feldern ebenso ein wie eine ganze Reihe von Barrels Schweröl mit niedrigem Wert…« Auch hier wurde aus kompetentem Mund bis in Einzelheiten dargelegt, daß Öl nicht gleich Öl ist und es besonderer Kenntnisse bedurfte, wollte man auf dem Markt zu einem annähernd »gerechten Preis« kommen und dort auch auf Dauer halten. Und noch etwas Wichtiges offenbarte dieser Jahrhundertprozeß: In Texas galt selbst ein Handschlag als Vertrag oder Deal, auch wenn das New Yorker Rechtsanwälte nicht wahrhaben wollten. Alle ihre Künste und Kniffe nutzten also Texaco nichts, das nach dem Milliarden-Verlust von »Mukluk« dazu verurteilt wurde, Pennzoil 1985 vollwertig zu entschädigen - mit sage und schreibe 10,6 Milliarden Dollar! Es ist diese Rechtsstruktur der politischen Kultur in den USA, die solch ein Urteil unter dem Billigkeits-Gebot und der Treuhandschaft möglich macht sowie den Vollzug selbst gegen Giga-Konzerne der Ölindustrie zwingend und fristgerecht durchsetzt. Ein Vorgang, der im Reich patrimonialer und damit -134-
meist staatlicher Öl- Monopole wie einst in der Sowjetunion oder heute noch in Rot-China und selbst in Saudi- Arabien, Brunei, Mexiko, Libyen, Algerien, Nigeria oder Aserbeidschan aus strukturellen wie mentalen Gründen ausgeschlossen wäre. Die USA sind geradezu aus der Abwehr patrimonialen Mißbrauchs durch Englands Könige als politisches Gemeinwesen entstanden, und ihre Eliten wissen sehr wohl, was sie dem Prozeß der Entkolonialisierung zu verdanken haben. Deshalb gibt es auch seit ihrer Verfassung von 1787 so zahlreiche konstitutionelle Restriktionen vor allem im Industriebereich, der überwiegend privatwirtschaftlich strukturiert ist, aber einer permanenten öffentlichen Kontrolle unterliegt - vor allem die Öl-Industrie durch die USBergbaubehörde (Federal Bureau of Mines). J. E. Hartshorn, der wohl beste Kenner der Preis-Geschichte des Rohöls bis zu den Anfängen der Opec, hat hinreichend gezeigt, was sich in den USA Ölfirmen von der Klitsche bis zum Konzern an Überwachung gefallen lassen müssen, ehe aus ihren Eruptiv- oder Pumpsonden auch nur ein Faß abgefüllt werden darf. So legten bis in die 1960er Jahre drei Beamte des Ölstaates Texas in einem Houstoner Hotel fest, »wieviel Öl die größte einzelne Privatindustrie der Welt im nächsten Monat fördern soll«. Als Zauberwort für diese inneramerikanische Tarierung des wichtigsten Rohstoffes gilt ein Kürzel, das Ölgeschichte geschrieben hat und als MER allen Experten in den USA geläufig ist. Darunter versteht man die sogenannte Maximum efficient flow rate und meint den höchsten Fördereffekt jeder der etwa 100 000 Sonden. Dabei stuft man in einer Art geometrischer Progression hochergiebige Felder mit einem stetigen Förderstrom anders ein als Sonden, die erst zwei Jahre on stream sind. Als dritte Kategorie gelten die Stripper-Wells, die wegen ihrer geringen Tagesförderung nicht mehr unter die strikte Staatskontrolle (Hot -135-
Oil Act) fallen, wohl aber alle Raffinerien: Jene Anlagen der Veredelung des Rohöls, zu denen der kostbare Stoff transportiert werden muß - nach eigenen Gesetzen sowie durch Wüsten, Dschungel und über alle Sieben Meere.
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DIE PEST AN BORD Öl im Fluß - Das Tanker-Syndrom - Höllentage Das Menetekel zum Millenium werden Frankreich und die medienlüsterne Welt nicht so schnell vergessen können. Während auf der anderen Seite des Atlantiks in Venezuela und Brasilien eine wahre Sintflut ganze Berge und Dörfer binnen Tagen ins Meer spülte, raste der Orkan »Lothar« vom Golfstrom her über Land und Leute hinweg - hinter sich eine gewaltige Spur der Verwüstung. Erst in den Nachbarländern Italien, Schweiz und Deutschland nahm dieses apokalyptische Unwetter ein Ende. Es kostete zahlreiche Menschenleben und verheerte nicht allein Gärten, historische Parkanlagen wie jene im Versailles des einstigen Sonnenkönigs und Wälder vor allem in den Vogesen. Auch die Stromversorgung wurde zeitweise lahmgelegt: Millionen Haushalte, Fabriken und Geschäfte sahen sich binnen Minuten in einen vorindustriellen Zustand versetzt und waren heilfroh, über Öllampen oder Paraffinkerzen zu verfügen. Zu diesem Unglück gesellte sich noch eine andere Katastrophe. Sie bahnte sich im Laufe des 12. Dezember 1999 an, als der marode Öltanker »Erika« vor der bretonischen Küste in Seenot geriet, in zwei Hälften zerbrach und einen Teil seiner Ladung Schweröl in den sturmgepeitschten Atlantik ergoß: Sie kam von einer Raffinerie, die dem belgischfranzösischen Großkonzern Elf- Total-Fina gehört und war unter der Billigflagge von Malta für Italien bestimmt. Eingedenk des Tankerunfalls der »Amoco Cadiz« im Jahre 1978 fast an der gleichen Stelle machte Frankreichs noch -137-
schwache Umweltbewegung den Betonköpfen in den Pariser Ministerien bewußt, was schon Häuptling Seattle gut hundert Jahre früher den technikvernarrten weißen Amerikanern beizubringen versucht hat: »Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht gewebt, er ist nur ein Strang dieses Netzes. Was immer er ihm antut, trifft ihn selbst.« Diese Bindung kann auch auf das industrielle Zusammenleben bezogen werden. Denn es hat fast analoge Strukturen und Systeme entwickelt, um in technisch organisierten Netzwerken und Kreisläufen die Konsumansprüche der modernen Zivilisation zu bewältigen. Und in diesem Dienst am Kunden, der nach einer amerikanischen Verkaufsideologie zu jeder Tagund Nachtzeit ein König und in Japan sogar ein Gott sein soll, steht vor allem die Ölwirtschaft - als lokaler Produzent und globaler Verteiler oder Vermarkter ihrer lebenswichtigen Produkte. Angesichts solcher Herausforderungen verwundert es nicht, daß selbst gestandene Ölleute einen gewissen Glanz in die Augen bekommen, sobald es nach dem Installieren eines Sondenkopfes und einer Pipeline heißt, die Bohrstelle XY befindet sich als Fördersonde on stream. Unter allen Zauberworten, die in der Ölgeschichte erfunden worden sind, um das Besondere der eigenen Tätigkeit zu kennzeichnen, entfaltet diese Formel eine noch immer unwiderstehliche Magie. Ob es sich um einen Ölfund bei den russischen Großkonzernen Gazprom oder Lukoil handelt oder um eine geglückte Erschließung von Vorkommen im Küstengebiet Gabuns durch die französische Elf Aquitaine, stets löst diese Formel ein bestimmtes Glücksgefühl aus. Mit ihr allein hat die eigentliche Produktion (Upstream) den technischen Abschluß gefunden. Nun muß sich zeigen, wie gut die Ölleute bis jetzt gearbeitet haben, damit die Teams für den Transport und die weitere Vermarktung (Downstream) das strömende Schwarze Gold schnell und sicher an den Mann -138-
bringen. Einen Stoff, aus dem nicht nur Träume für unheilbar Kranke und unbändig Gesunde auf »raffinierte« Weise destilliert werden, sondern auch Alpträume erwachsen: Auf den nicht ungefährlichen Wegen vom Sondenkopf über alle Meere bis zu den Spotmärkten wie Rotterdam, Raffinerien und Zapfsäulen der ganzen Welt - so wie in einige Milliarden Tanks zwischen Hammerfest am Nordkap und Ushuaia in Feuerland.
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Öl im Fluß Zur Pionierzeit von 1859 an wurden für den Transport von Öl, Teer und Asphalt einfache Kesselkarren eingesetzt. Sie trugen meist Daubenfässer und später größere Blechkanister, in denen das von Teerkuhlen abgeschöpfte und dann erbohrte Erdpech zu den Ölkuchen geschafft wurde, den ersten primitiven Raffinerien. Legendär für diese Leistung war der Arba in der Ölregion um Baku am Kaspischen Meer. Als dort die industrielle Erschließung etwa zeitgleich mit jener in Amerika begann, waren alle fündig gewordenen Bohrstellen auf die zweirädrigen hölzernen Karren der Tataren angewiesen. Sie mußten allerdings für den Öltransport so umgebaut werden, daß sie die Holz- oder Blechfässer unterhalb der Ladefläche trugen: meist nur von einer Pferdestärke durch Schlamm und unzählige Schlaglöcher zu den Raffinerien gezogen, während der Kutscher oft arglos eine Pfeife schmauchte. Diese Idylle, die sich auch auf der anderen Seite des Globus zwischen Titusville, Pithole und Oilcreek in Gestalt der berühmten teamsters ausmachen läßt, hielt aber nicht lange vor. Denn die anschwellenden Mengen Rohöl bedurften anderer, schneller und effektiver Transportmittel. Der rationalisierende Ernst des Industrialismus brach sich Bahn und kam auf die naheliegende Idee, das System der bisherigen Wasserleitungen auf die Ölgewinnung zu übertragen: Undichte Holzrinnen wurden bald von zuverlässigen Blechröhren ersetzt und diese wiederum von Gußeisen- oder später Stahlrohren, die heute oft Plastikstoffen weichen müssen. Mit der Erfindung der Pipeline in Amerika und Rußland begann die nicht selten aufregende Geschichte der direkten Verbindungen von Ölfeldern und verarbeitenden Raffinerien, -140-
die auch von stählernen Kesselwagen der Eisenbahnen oder sogar seit 1878 durch spezielle Tankschiffe wie von Baku aus beliefert werden konnten: Der Ferntransport für Rohöl und Ölprodukte war zu einem neuen Erwerbszeig und Wettbewerb geworden, der die Welt verändern sollte. Obgleich die Vorteile einer leistungsfähigen Pipeline heute sofort einleuchten, waren anfänglich einige Nachteile nicht zu übersehen. Denn erstens mußte in einem so depositären Land wie den USA das Bau- und Nutzungsrecht für solch eine Ölleitung geklärt und entgolten werden, was viel schwieriger war als im patrimonialen Rußland oder heute im dynastischen Saudi-Arabien. Dann fehlte es an Erfahrung mit dem Pumpensystem über viele Kilometer und Terrainunterschiede hinweg. Schließlich konnten die zunächst oberirdisch gelegten Röhren nachts angezapft oder gar von der Konkurrenz und enttäuschten Fuhrleuten zerstört werden - ohne Rücksicht auf die Umwelt und das Grundwasser. Tatsächlich kam es mitunter zu rabiaten Vorfällen. Man denke hier nur an die Verlegung der ersten Pipeline bei Pithole in Pennsylvanien. Damals protestierten die Fuhrleute (teamsters) heftig dagegen, weil sie von einem Tag auf den anderen arbeitslos wurden. Sie betätigten sich gar als Maschinenstürmer und zwangen die Ölfirmen, ab 1865 bewaffnete Wachmannschaften einzusetzen, um die Rohrleitungen zu schützen - rund um die Uhr. Nicht wesentlich anders sah es bald danach in der Region um die »Schwarze Stadt« Baku aus. Dort hatten die rührigen Gebrüder Nobel im Jahre 1877 geeignetes Rohrmaterial aus Glasgow in Schottland bezogen, das hundert Jahre später selbst ein Ölzentrum am Rande der Nordsee werden sollte: Damit verbanden sie ihr ergiebiges Balakhany-Feld mit den Raffinerien in Baku selbst. Die Verlegung der 5-Zoll-Pipeline wollte aber den Tataren mit ihren klapprigen, langsamen und meist undichten Arbas gar -141-
nicht gefallen. Sie wurden wie ihre Kollegen in Amerika gewalttätig und nötigten die Nobels zu dem Entschluß, die erste Ölleitung Rußlands über die Vermittlung des Zaren von zuverlässigen Kosaken-Einheiten bewachen zu lassen - Tag und Nacht. Gewiß, die Gesamtkosten für dieses effektive Röhrensystem beliefen sich damals auf stolze 50000 US-Dollar. Doch nach nur einem einzigen Betriebsjahr hatte sich die gesamte Anlage samt Kosaken-Wachdienst bereits bezahlt gemacht. Zu diesem günstigen Ergebnis trug auch ein Faktor bei, mit dem die Nobels anfangs nicht gerechnet hatten. Mußten nämlich vor den Zeiten der Pipeline für die Beförderung von einem Pud (16,38 Kilogramm oder Liter) in der Regel 10 Kopeken an die ArbaKutscher entrichtet werden, so ergab sich jetzt bei der gleichen Menge nur noch eine halbe Kopeke an Frachtkosten: Das war selbst den Wettbewerbern genehm, die für fünf Kopeken ihr Rohöl durch die Nobel-Leitung fließen lassen durften. Trotz der Pionierleistung von Baku und der Nobels bleibt es das historische Verdienst von Sam Van Syckel, für das Bohrund Fördergebiet von Pithole die erste Pipeline gebaut zu haben. Und dem Ingenieur Henry Harley kann nicht streitig gemacht werden, daß er dafür das notwendige Pumpensystem konstruiert hat, eine Rohrleitung in ihrer Leistung zu optimieren: Sie sollte demnach nicht nur Raffinerien unmittelbar mit Rohöl versorgen, sondern auch auf Kesselwagen mit Entgasungsklappen abgestimmt werden - die neueste Errungenschaft der Eisenbahnen. Beide Einzelleistungen waren für sich selbst sehr wichtig. Aber sie konnten erst dann ihren Effekt voll entfalten, wenn man sie organisatorisch integrierte. Das gelang dem Clevelander Kaufmann John D. Rockefeller. Wie noch zu sehen sein wird, interessierte ihn bis 1919 nicht die risikoreiche Produktion von Öl, wohl aber die Effizienz seiner Verwertung. Und dazu brachte er es immer wieder fertig, die Eisenbahn-Könige der -142-
USA für seine Belange bestens einzuspannen. Rockefeller hatte wie kein anderer früh erkannt, daß mit dem Transport von erbohrtem und raffiniertem Öl das gesamte Geschäft stand und fiel. Mochten seine Techniker, Ingenieure und Chemiker noch so gutes Lampenöl für Amerika und die ganze Welt herstellen, so war es kaum etwas wert, wenn es in Fässern und Tanks ungenutzt vor sich hinschwappte, statt gekauft und verwertet zu werden. Was immer auch Puristen des urliberalen Modells von Angebot und Nachfrage als Regelsystem des Warenverkehrs annehmen mögen, sie kommen am »dritten Faktor« nicht vorbei, und das ist der Transport als ein wesentliches Element der Preisgestaltung sowie des Marktes. Gelangen einmal Bilder über eine Verlegung von Gas- oder Ölpipelines in die Medien, dann können diese heute großkalibrigen, nahtlos gezogenen und vor Ort zusammengeschweißten Röhren schon imponieren. Auch die Tatsache, daß durch diese Leitungen der wichtigste Rohstoff der technischen Moderne gepumpt wird - von der Trans-Arabian Pipeline (TAP) ans Mittelmeer bis zur »Pipeline der Freundschaft« aus Sibirien nach Mitteleuropa -, läßt zumindest Respekt vor der Ingenieurs- und Arbeiterleistung aufkommen. Allerdings fällt es den Medien schwer, sich den Innenraum eines solchen Röhrensystems als einen Bereich vorzustellen, der vielen Belastungen ausgesetzt wird und einer dauerhaften Wartung bedarf, soll es effektiv bleiben und allen Umweltauflagen entsprechen. Das größte Hindernis für einen rückstaufreien Ölfluß sind nicht natürliche Steigungen im Verlegungsgelände, selbst wenn es sich über Tausende von Kilometern erstrecken sollte. Gezielte Ausschachtungen, Untertunnelungen oder oberirdische Stelzenführungen wie bei der Trans-Alaska-Pipeline (TAP) wirken diesem natürlichen Hemmnis entgegen. Darüberhinaus -143-
sorgen Hochleistungspumpen von Station zu Station dafür, daß das kostbare Gut ohne große Druckverluste seine Verwertungsorte kontinierlich erreicht, vornehmlich VerladeHäfen und Raffinerien.
Brennender Öltanker nach Havarie
Pipeline auf einer Stelzenführung in Alaska -144-
Was aber wirklich das erwünschte ungehinderte Fließen empfindlich stören kann, ist ein Bestandteil des Rohöls selbst das eigenartige Verhalten des Paraffins. Rheumakranke oder Patienten mit Muskel- und Gelenkschmerzen kennen die wohltuende Wirkung von Paraffinpackungen. Sie passen sich bei einem bestimmten Wärmegrad dem zu behandelnden Körperteil an und verhärten ähnlich dem Wachs, wenn sie abkühlen. Was jedoch dem kranken Menschen von Nutzen ist, erweist sich beim Transport durch eine Pipeline als inneres Hindernis: Entstehen in einer Ölleitung selbst winzige Turbulenzen oder wird sie in den Dauerfrostböden Alaskas wie Sibiriens anhaltender Kälte ausgesetzt, dann bilden sich an der Innenwand bestimmte Verklumpungen, die den Ölfluß behindern. Der Grund für dieses Verhalten liegt in der chemischen Struktur des Paraffins. Es enthält in fester oder flüssiger Form eine Reihe von gesättigten Kohlewasserstoffen (Alkane) und gilt deshalb als äußerst träge. Das ist ein Vorteil für die Pharmazie, die Paraffin als Trägermaterial für allerlei Heilsalben nutzt, nicht anders als für die Kosmetikindustrie, deren Cremes ohne diesen Stoff kaum angerührt werden könnten: Er ist für diese Verarbeitung auch deshalb so beliebt, weil er im Gegensatz zu den meisten anderen Ölsubstanzen nicht kanzerogen ist und einen Erstarrungspunkt hat, der bei gut 50 Grad Celsius liegt. All diese Vorteile werden aber zu gravierenden Nachteilen, wenn der Paraffingehalt im Rohöl sehr hoch ist. Es kann demnach schon zwischen dem Ölträger und dem Sondenkopf geschehen, daß es zu besonderen Blockaden kommt, sobald sich zum Beispiel an den Gewindehälsen des Pumpgestänge innerhalb der Steigerohre aus minimalen Verwirbelungen ansehnliche Paraffinklumpen gebildet haben: Unter solchen Umständen muß das gesamte Pumpgestänge ausgebaut und gründlich gereinigt werden - eine teuflisch stinkende Arbeit. -145-
Gegen dieses Phänomen besonders in Flachbohrungen, in denen sich die Erdwärme nur bedingt auswirkt, wußten sich die Ölleute der Pionierzeit nicht anders zu helfen, als daß sie bestimmte Torpedos ins verstopfte Bohrloch senkten. Sie bestanden meist aus stabilen Glasflaschen, die mit Schießpulver geladen waren und gezündet wurden - zur Auflösung von kompakten Paraffinblöcken durch die künstlich entstandene Sprengwirkung und Hitze. Mit solch rabiaten Methoden, die nach der Erfindung des Dynamits im Jahre 1867 effektuiert wurden, konnte man verständlicherweise nicht in einer Pipeline vorgehen, ohne sie zu zerstören. Es kam also darauf an, den Wärmehaushalt im Ölfluß so konstant zu halten, daß sich die Paraffinanteile nicht verfestigen konnten. Außerdem mußten besondere Kolbenapparate den Innenraum der Rohrleitungen permanent selbst von feinsten Ablagerungen befreien, um Verklumpungen zu verhindern: Sie werden in der deutschen Ölsprache »Molche« genannt, heißen unter US-Experten aber »Pigs«, und ihre reinigende Tätigkeit gilt als »Pigging« einer Pipeline. Diese etwas drastische Wortwahl entspricht der bildhaften wie treffenden Ausdrucksweise amerikanischer Ölleute und läßt an das Ausmisten eines Saustalls denken. Wahrscheinlich aber kam die Bezeichnung von dem Quietsch- und Grunzlaut, den das eingesetzte Kolbengerät auslöste, sobals es mit Kratzern und Schabern im Rohr rotierte und dessen Innenwand von Pumpstation zu Pumpstation gründlich säuberte. In der Anfangszeit der Pipelines soll noch ein mit Draht umwickelter Ballen Stroh ausgereicht haben, um in den kleinkalibrigen Leitungen die nötige Putzarbeit zu verrichten. Doch aufgrund der Entwicklung immer größerer Durchmesser war es mit solchen Strohmolchen oder einfachen Kolben, die einen Lederlappen zum Reinigen gegen die Innenwand der Pipeline preßten, vorbei. Vor allem während und im Gefolge des Zweiten Weltkriegs -146-
erstarkte die aufstrebende Pipeline-Industrie und wandelte sich in einen High- Tech-Bereich, der heute mit Computern und ausgeklügelter Elektronik arbeitet, also eine effektive Dienstleistung erbringt und mittlerweile beim Intelligent Pigging angekommen ist - als zeitgemäße Form der Betreuung und Wartung von Rohrleitungen. Um diesen Kernbegriff hat sich in den letzten Jahrzehnten eine bestimmte Pipeline-Kultur aufgebaut. Ihr wesentliches Ziel besteht darin, Risikofragen, Systemtechnik, Rentabilitätsberechnung und Umweltbelange gleichwertig zu integr ieren, um eine Preis-Leistungssteigerung zu erreichen. In einem speziellen Scoring-System werden für dieses anpeilte Optimum alle nur denkbaren Faktoren analysiert, um eine Pipeline als »Schlagader« oder »Nervenstrang« des Industrialismus effektiv und am Ende auch rentabel zu halten. Denn eine durch Korrosion gebrochene, von Paraffin verstopfte oder durch Überdruck geborstene Ölleitung ist für keinen der Beteiligten wie Betroffenen ein glücklicher Anblick - von natürlichen Unfällen wie bei Erdrutschen oder Erdbeben ganz abgesehen. Eine Liste von unabdingbaren Maßnahmen der Betreuungsund Wartungsteams mag verdeutlichen, was ohne jede zeitliche Unterbrechung zu bedenken ist, um eine neu verlegte Pipeline vor und während des Ölflusses in eine optimale Verfassung zu bringen sowie diese dann dauerhaft zu erhalten. Dazu gehört an erster Stelle das vollständige Wegräumen von Schlackenresten an den elektrisch geschweißten Verbindungsnähten sowie das Entfernen anderer Kleintrümmer oder auch Staub aus der gesamten Leitung. Das Hantieren des Testwassers zum Abdrücken der Pipeline muß ebenso beherrscht werden wie das durchgehende Trocknen des Röhren-Innenraums. Das Verhindern von Paraffinschichten während des Ölflusses kann sich nicht weniger zu einem -147-
Problem auswachsen als das Säubern verschlammter Rohrabschnitte. Denn hier werden genaue Kenntnisse der meist chemischen Schutzmittel verlangt, und das setzt ein anhaltendes Schulen des Personals voraus. Das gilt auch für das überaus wichtige Kalibrieren oder Eichen von Leit ungen, die das Öl unmittelbar vom Sondenkopf der Bohrstelle aufnehmen sollen den Onstream-Pipelines. In der täglichen Praxis werden einfache Säuberungen (cleaning) von stabilen Molchen vorgenommen. Sie sind aufgrund besonderer Gelenke in sich beweglich, können sich demnach Kurven und Höhenunterschieden anpassen und tasten mit ihrer Kolbenform den gesamten Innenraum einer Leitung ab - Millimeter um Millimeter. Werden verschiedene Ölprodukte in einer einzigen Leitung transportiert, die voneinander getrennt sein müssen (batching), dann kommen Spezialmolche zum Einsatz. Für all diese Apparate gilt, daß sie als wirksame »Arbeitstiere« (nonintelligentvehicles) aufgefaßt werden, die in der Regel durch den Druck des Ölflusses selbst im Röhrensystem bewegt werden - von einer Pump- oder auch Molchstation zur anderen. Es gibt mittlerweile sogar Meßsysteme, die mit Hilfe der radioaktiven Gammastrahlung die Pipeline-Struktur »durchleuchten«, ähnlich wie die Geophysiker während der Ölprospektion den Erdmantel mit Schallwellen durchdringen. Die reflektierte Strahlung soll Auskunft über den Zustand vor allem des Rohrmantels geben. Denn nichts anderes alarmiert die Wartungsteams mehr, als wenn ein »intelligenter Molch« nach außen signalisiert, daß sich im Stahlmantel der Öl- oder Erdgasleitung feine Haarrisse gebildet haben. In einem solchen Fall konzentriert sich ihr Interesse auf mechanische Ermüdungen im strapazierten Material sowie auf Ursachen und Wirkungen der gefürchteten Korrosion. Diese störende Erscheinung in der Welt von Eisen und Stahl, aus dem immer noch die meisten Pipelines gefertigt werden, -148-
obgleich es bereits korrosionsbeständige Plastik-Alternativen gibt, wird verständlich, sobald man die Oxidation berücksichtigt die chemische Verbindung von Eisen und Sauerstoff, die zum Rost führt. Gewiß, die Verwendung von rostfreiem Stahl und eine wasserabweisende Ummantelung der Einzelrohre hat hier schon eine wirksame Abhilfe geschaffen. Aber es kommt immer wieder vor, daß Wasser und Luft mit ihren Sauerstoffanteilen den Rohrstrang angreifen können, vor allem wenn er durch Meere und Flüsse führt, also natürlichen Dauerbelastungen ausgesetzt wird wie im Öl- und Gasgebiet der Nordsee, des Kaspischen Meeres, vor der Küste Gabuns oder im Golf von Mexiko. Auch die Korrosion von innen kann erhebliche Probleme verursachen, wenn die Schwefelanteile im Ölfluß unterschätzt werden. Der seit einiger Zeit erprobte Einsatz von schwefelzersetzenden Bakterien scheint auch nicht unproblematisch zu sein. Denn es gibt Anzeichen dafür, daß sie selbst an Sonderformen der Korrosion beteiligt sein könnten oder diese sogar auslösen durch Angriffe auf die meist chemischen Beschichtungen der Innenwand einer Leitung. Ein GAU oder »Worst case«, also der Leitungsbruch, kann demnach außer bei Naturkatastrophen und mutwilligen Sprengungen wie in Kolumbien oder in Nigeria nur dann verhindert werden, wenn das technisch Mögliche getan wird, um den Ölfluß in einem Optimum zu halten. Die bisherige Geschichte zeigt, daß menschlicher Erfindungsgeist, Ingenieurskunst und Treuhanddenken als Schadensabwehr einiges geleistet haben, um den Öltransport über kurze und lange Strecken sicher zu machen. Niemand, dem die Gegenwart und Zukunft der Erde am Herzen liegt, wird gegenüber einem Pipelinebruch irgendwo auf der Welt gleichgültig sein, auch wenn er bei mehr als 300000 PipelineKilometern und 4 Milliarden Tonnen Ölfluß pro Jahr statistisch -149-
nur ein einziges Mal in einem Produktionsjahr vorkommt: Der große Leitungsbruch der staatlichen Petrobras vor dem Naturwunder der Iguaòu-Fälle (Brasilien) als Auftakt für das Unfalljahr 2000 sollte jedoch allen Experten Warnung genug sein, die Wartung nicht zu vernachlässigen.
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Das Tanker-Syndrom Bei vielen Erdbeben in der Karibik oder im Umkreis des Schwarzen Meeres wird durch tektonische Brüche oder Verschiebungen von Schichten im Erdmantel eine bestimmte Menge Öl freigesetzt. Die dabei entstehenden Ausbisse, Pitholes oder Mene sind der sichtbare Ausdruck dieser Bewegungen der Erde selbst, die das verursacht, was den Indianern Oklahomas lange vor Titus ville aufgefallen ist: Oil makes water bad. Gegen derartige Eigenverschmutzungen der Natur ist der Mensch völlig machtlos. Auch schwere Stürme auf allen Frachtrouten der Sieben Meere können Schiffsbesatzungen trotz guter Technik und Satelliten-Navigation in die schiere Ohnmacht treiben und Umwelt-Katastrophen auslösen - falls Rohöl das Meerwasser, Küsten und Strande mit der Ölpest belastet. Die Franzosen nennen seit ihren schlechten Erfahrungen mit Tankerunfällen die schwarzbraune Brühe aus den Schiffsladeräumen »Marée noire«. Sie schwärzen damit die Ursprungsbezeichnung für »Ebbe und Flut« an und meinen damit auch eine Verkettung unglücklicher Umstände. Im Falle der Tanker wirken Wetterlage, Meeresströmungen, Küstennähe sowie technisches und menschliches Versagen zusammen und führen entweder zum Leckschlagen oder auch Explodieren von Ölschiffen, die seit 1878 die Flüsse und Meere der Welt befahren. Man braucht unter den zahlreichen Unfällen nur an den Tanker »Argo Merchant« zu denken, der 1976 mit einer Ölladung aus Venezuela vor der Küste von Massachusetts (USA) auf Grund lief und Millionen Liter Rohöl verlor. Auch die Erinnerung an die erwähnte »Amoco Cadiz« verdeutlicht die Gefährdungen von Fauna, Flora und Mensch: Sie war 1978 mit -151-
gut 200000 Tonnen Rohöl an Bord aus der Golfregion aufgebrochen, hatte Afrika umschifft und befand sich auf dem Weg zum wichtigsten Spotmarkt für Europa in Rotterdam - in einem schweren Sturm brach sie auseinander und verschmutzte die bretonische Küste. Die bisher größte Tanker-Katastrophe ereignete sich aber vor Alaska. Dort strandete 1989 die »Exxon Valdez«, wurde von den Felsen in der Prinz-William-Bucht regelrecht aufgeschlitzt und verlor mehrere hunderttausend Tonnen Rohöl aus den arktischen Feldern um die Prudhoe-Bay: der Natur mit Fischen und Vögeln zu einem unermeßlichen Schaden, dem Schiffseigner Exxon aber neben dem ökonomischen Verlust und Schadensersatz in Milliardenhöhe auch zum Nachteil seiner ökologischen Kompetenz, ja marktethischen Akzeptanz, die in den USA eine zunehmendstarke Rolle spielt. All diese und zahllose andere Schiffbrüche wären zu einem guten Teil verhindert worden, hätten nur Schiffsbauer, Tankereigner, Reedereien und auch Charterfirmen im Geist christlicher Seefahrt jene Lehren gezogen, die dem Erfinder der Tankschiffe so angelegen war - dem russischen Schweden Ludvig Nobel. Diesem Bruder von Alfred Nobel, dem Miterfinder des Dynamits, war es als Waffen- und Ölunternehmer zusammen mit seinem Bruder Robert gelungen, die »Zoroaster« fertigen zu lassen. Den ersten flußgängigen und auch seetüchtigen Öltanker der Geschichte - auf der berühmten Motala-Werft im heimatlichen Schweden. Dieses flach im Wasser liegende Schiff war aus bestem Bessemer-Stahl gebaut worden und übernahm über Jahrzehnte hinweg den Massentransport vornehmlich von leicht brennbarem Leuchtöl (Fotogen), übers Kaspische Meer hinweg und die Wolga hinauf. Stand also dieser leistungsstarke Tanker im guten Zeichen des Licht- und Feuergottes der Parsen und alten Perser, so brachte auch das Folgeschiff mit dem -152-
geheiligten Namen »Buddha« als Ausdruck innerer Erleuchtung den Gebrüdern Nobel den erhofften Segen und Gewinn. Aber als sie dem dritten Tanker dieser Pionierserie den Namen des schwedischen Polarforschers »Nordenskjöld« gaben, wandte sich das Glück nach anfänglicher Zufriedenheit mit diesem Dampftanker ab: Er sank im Jahre 1881 in einem wahren Feuerinferno. Der Schwede Karl W. Hagelin, der bei den Nobels als einfacher Schlosser begonnen hatte und zum Manager aufsteigen sollte, berichtete darüber in seinem bemerkenswerten Tagebuch: Er war während einer Arbeitsschicht für das Beladen des Tankers zuständig, hörte plötzlich einen dumpfen Schlag im Schiff und entdeckte Rauch von der Kommandobrücke her. Sofort wurden nach seinen Angaben die Pumpen ausgeschaltet, »aber das Unglück war bereits geschehen.« Hagelin, geschätzt für seine Umsicht und Zuverlässigkeit, erklärte es mit dem Umstand, daß im Baku-Gebiet »ein starker Sturm innerhalb von wenigen Minuten aufkommen kann«. Die dabei entstehende heftige Brandung im Ölhafen Bakus schüttelte das nur schwach vertäute Tankschiff durch und riß den Betankungskopf aus dem Einfüllstutzen. Das Leuchtöl ergoß sich über das Deck und rann in den Maschinenraum. Dort aber war man mit Reparaturarbeiten beschäftigt - im Schein einer Petroleumlampe. Hagelin konnte zur nun einsetzenden Kettenreaktion nur noch als Chronist feststellen: »Das Boot begann zu brennen, die Kammern explodierten, und die Leute an Bord, die nicht die rettende Brücke erreichten, sprangen entweder in die See oder verbrannten.« Eine Reihe weiterer Brandunfälle veranlaßte Ludvig Nobel, den wirklichen Ursachen auf den Grund zu gehen und sofort Abhilfe zu schaffen. Die technische Ursache lag nach seiner Analyse eindeutig an der Einfüllvorrichtung. Sie war zu starr angeordnet und konnte nicht den Bewegungen der Meeresbrandung folgen. Deshalb konstruierte er ein System aus -153-
drehbaren Kugelgelenken, das selbst bei hohem Seegang gut funktionierte und derartige Unfälle fortan verhinderte. Auf die »Exxon Valdez« übertragen müssen sich die Schiffswerft und Exxon als Eigner wie Betreiber fragen lassen, warum dieser Tankerriese nicht mit der gesetzlich vorgeschriebenen zweiten Sicherheitswand im Ladebereich ausgestattet worden war. Außerdem: Wie ging das integrierte Welt-Unternehmen mit der fachlichen Schulung und psychologischen Betreuung seiner verantwortlichen Angestellten um? Schließlich soll der Kapitän dieses TankerGiganten während der Unglücksfahrt unter Alkoholeinfluß gestanden haben. Im Blick auf die Zukunft des modernen Tankertransportes von Flüssiggas und Öl stellt sich auch die Frage nach der Verantwortung von sogenannten Billigflaggen. Die Betreiber solcher Schiffe, wie auch im Fall »Erika« zu sehen war, betrachten die technische Sorgfalt und die Ausbildung der Mannschaften oft immer noch wie zu Zeiten der »Seelenverkäufer« oder »Totenschiffe« (B. Traven) - als lästige Kosten im Wettbewerb. Das aber kann die neue Welt-HandelsOrdnung (WTO), die das 1947 gegründete GATT abgelöst hat, nicht hinnehmen, wenn sie mit ihrem Anspruch auf »gerechte Verhältnisse« in Handel und Wandel sowie in der Treuhandschaft gegenüber der Umwelt glaubwürdig bleiben will. Noch heute könnte manch ein Ölkonzern oder Transportunternehmen einiges von den Gebrüdern Nobel lernen, die auf schwedischen, deutschen und britischen Werften ihre Tanker bauen ließen, weil Rußland selbst dazu noch nicht in der Lage war, lange bevor die amerikanische Öl- und TransportIndustrie um Rockefeller begriffen hatte, welche Chancen im Öltanker als neuem Beförderungsmittel lagen. Die Pioniertat der Nobels widerlegt die noch vor kurzem von deutscher Seite aufgestellte Behauptung, das erfolgreiche -154-
Konzept der Dampftanker gehe auf eine Vision des Bremer Ölhänd lers Heinrich Riedemann zurück. Tatsächlich war es diesem mutigen und weitsichtigen Kaufmann gelungen, mit seinen in England gebauten Tankern »Andromeda« und »Glückauf« ab 1884 die Atlantikroute zwischen Bremen und New York zu eröffnen. Riedemann führte also nur das NobelKonzept auf einer anderen Ebene weiter; es erfuhr durch drei Tanker aus Norwegen (von 1814 bis 1905 in einer Realunion mit Schweden) eine weitere Bestätigung - mit der »Stat«, »Jan Mayn« und der »Lindemoer«. Die Amerikaner und auch die Briten sind in diesem sehr einträglichen Geschäft des Öltransportes über Flüsse, Seen, Binnenmeere und Ozeane recht spät aufgetreten und wurden von anderen Europäern regelrecht vorgeführt. Wird noch bedacht, daß die 1894 erstmals erfolgte Umstellung von Kohlebefeuerung der Dampfmaschinen auf ein leistungsfähiges Ölaggregat ebenfalls vom Nobel-Unternehmen in Baku veranlaßt wurde, dann verschiebt sich die bisherige Einschätzung von der industriellen Dominanz oder gar Vorreiterrolle Englands und Amerikas im industriellen Prozeß nicht unwesentlich nach Nordosten. Obgleich um 1900 bereits Millionen Tonnen Rohöl, Brennspiritus, Leuchtöl, selbst Diesel und Benzin erst durch Pipelines gepumpt und dann auf Tanker verladen wurden, konnte niemand die weitere Entwicklung auch nur erahnen. Denn der Siegeszug der Verbrennungsmotoren und insbesondere des Autos sowie des Flugzeugs deutete sich erst zaghaft an. Außerdem glaubten die meisten Schiffsbauer, daß man mit Tankern bis 10000 BRT an die Grenze der Leistungsfähigkeit und Belastung geraten sei. Es dauerte immerhin bis 1939, ehe wiederum eine Werft in Schweden das Risiko einging, zum ersten Mal einen Großtanker mit 15000 BRT zu bauen: Er trug den aristokratischen Namen »Ariston« -155-
(Das Beste) und gehörte einem jungen Reeder, der bald als der »Tankerkönig« Ölgeschichte machen sollte - Aristoteles Onassis. Dieser 1906 im türkischen Smyrna geborene Grieche, dessen Clan mit Tabakwaren zu Wohlstand gekommen war, hatte zu Beginn seiner einzigartigen Karriere im globalen Transportgeschäft eine ähnliche Unternehmensphilosophie entwickelt wie die Gebrüder Nobel oder Mogule in der Ölindustrie: Im entscheidenden Augenblick darf man nicht kleckern, sondern muß klotzen. Durch das Charter-Konzept der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs reich geworden, sah Onassis nach 1945 seine Lebenschance darin, mit einer Tankerflotte von mehr als hundert Schiffen verschiedener Größe weltweit die Abnehmer von Rohöl zu bedienen. In seiner Gigantomanie und unkonventionellen Art, gute Geschäfte gleichsam zu wittern, gab er sogar der bundeseigenen Howaldtswerft in Hamburg den sensationellen Auftrag, ihm einen 40000-Tonnen-Tanker zu bauen - auf den Namen seiner Tochter »Tina Onassis« getauft. Mit dieser Tonnage stieß Onassis in einen Operationsbereich vor, der die Bindung an Binnengewässer verließ und nur noch für das offene Meer geeignet war, also keine Kanäle mehr passieren konnte. Diese kühne Entscheidung für die Globalisierung fand kurze Zeit später eine überraschende Bestätigung. Denn General Gamal Abd el-Nasser hatte 1956 den Suez-Kanal gesperrt und erreichte trotz der militärischen Intervention von Engländern und Franzosen die Nationalisierung der Suez-Kanal- Betriebsgesellschaft. Die zeitweilige Schließung dieser wichtigsten Wasserstraße der Welt betraf auch den Öltransport aus der Go lfregion nach West- und Nordeuropa. Die krisenbedingten Ausfälle mußten entweder über Pipelines ausgeglichen werden, deren Bau immer -156-
auch eine politische Dimension hatte, oder aber durch Großtanker, die ohnedies wegen ihrer hohen Tonnage oder Wasserverdrängung den Suez-Kanal so wenig passieren konnten wie den Panama-Kanal. Was auch aus Kostengründen vor der Suez-Krise von 1956 erst in Ansätzen erkennbar war, gestaltete sich jetzt zu einem globalen Geschäft. Denn selbst eine Tankerfahrt von der Golfregion um ganz Afrika herum erwies sich mit dem Massentransport von Rohöl als rentabel und politisch so gut wie risikofrei, war erst einmal die umstrittene Straße von Hormuz passiert. Dieses Kalkül, das auch die Ölversorgung Asiens und insbesondere des aufstrebenden Industrie-Staates Japan in Rechnung stellte, begünstigte nicht nur Onassis. Auch sein griechischer Rivale Stavros Niarchos wollte in diesem neuen Geschäft präsent sein. Er ließ deshalb zu dieser Zeit den 45000Tonnen-Tanker »World Glory« fertigen, um auch aus Prestigegründen seinen Wettbewerber Onassis zu übertrumpfen. Diese Größenpolitik wurde dadurch noch begünstigt, daß Einzelreeder neben den Sieben Schwestern und deren Tankflotten zunehmend die Chance bekamen, am weltweiten Öltransportgeschäft mit seinen Festpreisen mitzuverdienen und das Kohlezeitalter langsam aber sicher abzulösen. Nur gut ein Jahrzehnt nach dieser Erfahrung und Erweiterung half wieder eine militärischpolitisch bedingte Blockierung des Suez-Kanals im Sechstagekrieg von 1967, die Tankertonnage in schier unvorstellbare Höhen zu treiben, zumal Pipelines schnell und leicht aus strategischen Gründen gesperrt werden konnten: Man ging auf den Werften der industriellen Welt über die magische 100000- Tonnen-Grenze hinaus. Diese Gigantomanie, die mittlerweile bei Riesentankern angekommen ist, die sogar 500000 BRT und mehr ins Wasser bringen, hat zwar zur Jahrtausendwende eine merkliche Beruhigung gefunden. Sie zeigt aber, wozu industrielles Denken -157-
auch in der Praxis fähig ist, wenn gleichzeitig kaufmännischer Verstand und Risikobereitschaft das Kapital bereitstellen, solche Großexperimente zu wagen. Allerdings findet ihre Verwirklichung besonders auf den Werften Süd-Koreas dort zunehmend eine Art ökologischer Begrenzung, wo aus schlechten Erfahrungen auf einen verstärkten Umwelt- und Küstenschutz geachtet wird: So dürfen seit der Katastrophe mit der »Amoco Cadiz« diese Supertanker nicht mehr mit voller Ladung den Kanal passieren, um ihr Rohöl am Spotmarkt Rotterdam zu löschen. Was also die Technik leisten kann, wird aus Gründen einer Verzicht-Ethik zurückgenommen. Zu ihrer Schadensabwehr gehört aber auch der menschliche Faktor als das schwächste Glied in einer Katastrophenkette. Nicht umsonst stellte Eric Aamot von der Norvegian Shipowners Association (NSA) nach einer Analyse über die künftigen Herausforderungen im Öl- und Gastransport zur See ernüchternd und wegweisend zugleich fest: »Wir wissen, daß 80% der Unfälle (mit Tankern) das Ergebnis menschlicher Fehler sind.«
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Höllentage Fachleuten ist längst bewußt, daß nicht das unraffinierte Rohöl der Hauptfeind aller Umwelt ist, sondern die Verbrennungswut des unkundigen, sorglosen und auch bequemen Konsumenten von Ölprodukten. So verheerend der Naturstoff Rohöl in seiner Konzentration auf Fauna und Flora der Unglücksstelle auch einwirkt, so ist doch gleichzeitig festzustellen, daß er im Wasser relativ schnell verklumpt und auf den Boden der betroffenen Fluß-, Seeoder Meeresgebiete sinkt. Ein Teil verflüchtigt sich auch unter der Sonneneinstrahlung, und nicht unbedeutende Anteile können schnell von Spezialschiffen abgesaugt werden, sofern die Wasser- und Wetterverhältnisse günstig sind. So hat sich gerade nach der kriegsbedingten Umweltkatastrophe an den Küsten Kuwaits seit dem Frühjahr 1991 gezeigt, wie schnell sich nach dem Löschen der brennenden Eruptiv- und Pumpsonden sowie dem Reinigen der Strande die Fauna und Flora regenerieren konnte. Am Beenden dieser von Menschen aus politischen Gründen bewußt verursachten Ölpest war auch ein Feuerlöscher beteiligt, der in der Ölgeschichte schon zu seinen Lebzeiten eine Legende wurde - der »amerikanische Held« Red Adair. Er wird uns an gewissen Brennpunkten in der Nordsee, der Sahara oder im Golf von Mexiko wieder begegnen, soll hier aber einen gleichsam abrundenden Bericht darüber geben, wie Höllentage auf See erlebt und bewältigt werden können. Zu Beginn des dramatischen Jahres 1979 mit dem Sturz des Schah und der Islamischen Revolution im Ölland Persien sowie der Besetzung Afghanistans durch die Invasionstruppen des Öllandes Sowjetunion fand das Pemex-Team von der Bohrplattform »Ixtoc-1« ein ungewöhnlich ergiebiges Öl- und -159-
Gasvorkommen. Die erfolgreiche Wildcat vor der Küste des uralten Maya-Gebietes Yucatán war aber explodiert und hatte mitten im Wasser der Buc ht von Campeche Feuer gefangen. Die Funktionäre und Techniker der ziemlich maroden Pemex waren angesichts dieses Infernos völlig überfordert und sahen in Red Adair die letzte Rettung. Doch statt auf seinen guten Rat zu hören und mit Spezialgerät aus Texas eine sogenannte Richtbohrung als Entlastung abzuteufen, setzte ein bürokratisches Gerangel ein, das nicht nur Adair am gesunden Menschenverstand dieser Mexikaner fast verzweifeln ließ. Eitelkeiten, Dünkel und Inkompetenz setzten sich fatal in Szene. Obwohl das Ixtoc-Team nicht mit eigenem, sondern mit gemietetem Gerät aus Texas (Sedco Inc.) den Ölfund erbohrt hatte, sollte jetzt dieses Ölland mit seinen Erfahrungen außen vor bleiben. Denn das Pikante an der Geschichte war, daß dem republikanischen Gouverneur William Clemens, den George Bush als Parteifreund und Ölmann kumpelhaft »Bill« nannte, dieses Unternehmen gehörte und daß er während einer kritischen Phase in der Presse vorgeprescht war. Gleichzeitig schwappte vor der Küste von Texas eine Ölpest heran, deren Auswirkungen er recht ungeschickt mit den Worten abgeschmettert haben soll: »Die Strande von Galveston waren schon mit Öl verschmutzt, bevor im Golf von Mexiko nach Öl gebohrt wurde und das… bißchen Öl könnte ja nicht viel schaden.« Über so viel Zynismus brach ein Sturm der Entrüstung los, in dem die Kritiker von Clemens nicht immer sachlich blieben. So wurde von ihrer Seite behauptet, daß das angelandete Öl von der Ixtoc-1 stamme, obgleich allein die riesige Entfernung dagegen sprach: Schließlich hatte es zur gleichen Zeit in dieser Küstengegend noch einen Zusammenstoß zwischen zwei Tankern gegeben. In diesen ganzen »politischen Mist« (Kemmie Adair) mit seinen Widersprüchen und Desinformationen auf texanischer -160-
Seite platzte auch noch die Meldung, die Pemex hätte auf eigene Faust die »Operation Sombrero« gestartet, ein fünfzig Millionen Dollar-Projekt, um das ausströmende Öl aufzufangen. Das war ein Fehlschlag, und im Frühjahr 1980 trat man erneut an Red Adair heran, seinen Plan mit einer Entlastungsbohrung zu verwirkliehen. Tatsächlich gelang es ihm und seinem erprobten Team, den Ölausbruch zu stoppen, indem er eine SchwerspatSpülung einpreßte und danach das Inferno mit einer Abdichtung des Bohrlochs beendete: ein Erfolg, den ihm die sachunkundigen, aber sensationslüsternen Texas-Medien gar nicht mehr zugetraut hatten. Man stelle sich vor, wieviel Rohöl und Erdgas allein von dieser Bohrstelle aus in den Golf von Mexiko gequollen war, und kann dem Urteil zustimmen, daß Ixtoc-1 »die schlimmste Ölpest aller Zeiten verursacht« hat. Eine Katastrophe, die kein Einzelfall blieb und auf die individuellen Fehler eines mexikanischen Bohrmeisters zurückzuführen war: Er hatte aus Schlamperei, Unkenntnis oder Sorglosigkeit zum falschen Zeitpunkt der Bohrung die falsche Spülung im Loch, konnte also den Druck im Träger nicht mit einem Gegendruck ausgleichen. Stellt man den menschlichen Faktor in Rechnung, so gehören zu solchen Katastrophen nicht nur Bedienungsfehler oder falsche Reaktionen, sondern oft auch Profitgier und sogar Zerstörungswut, ja Maschinenstürmerei, ohne die Folgelasten bedenken zu wollen. Eine Auflistung spektakulärer Öl- Unfälle allein im Laufe des Krisenjahres 1990, an dessen Ende die Monstrosität der KuwaitBrände in Bagdad als eine Art Umweltwaffe beschlossen und dann umgesetzt wurde, sollte deutlich machen, wie schnell aus menschlicher Schwäche und Materialermüdungen ein lokaler Schaden entstehen kann, wo man sonst einen Nutzen erwartet. Am 2. Januar 1990 führte ein zu spät erkannter Pipelineriß in Arthur Kill (US-Staat New York) zu einem Austritt von mehr -161-
als 2 Millionen Liter Öl. Zum 25. Januar vermeldet die Unglücks-Chronik einen politisch motivierten GuerillaAnschlag auf die Pipeline am Catatumbo-Fluß in Kolumbien: Über 3 Millionen Liter Rohöl ergossen sich ins Erschließungsgebiet. Den 7. Februar wird die Besatzung eines Tankers wohl nie mehr vergessen. Denn der eigene Anker schlug in der Huntington Beach (US-Staat Californien) ein Leck in den Laderaum und 1,5 Millionen Liter Öl flössen ins Meer. In Roxana (US-Staat Illinois) belastet am 19. Februar ein PipelineBruch die nächste Umwelt mit 2,5 Millionen Liter Öl. Trotz Radar, erfahrener Lotsen und elektronischer Navigation geschieht am 29. März das schier Unmögliche: In der Meerenge des Bosporus (Türkei) stößt ein Öltanker mit einem Frachter zusammen und verliert etwa 2 Millionen Liter seiner Ladung. Nur wenige Tage später löst ein Pipeline-Bruch in Syzran (ehemalige Sowjetunion) eine riesige Belastung der Trassenführung aus; 8 Millionen Liter Öl quellen am 2. April aus den gebrochenen Röhren, ehe der unkontrollierte Zufluß abgestellt werden kann. Der 12. Mai verzeichnet gleich zwei schwere Verluste. In Start Point (Devon, England) verliert ein Tanker nach einer Kollision mit einem Trawler mehr als l Million Liter Öl, und in Kolumbien nehmen Guerilla-Kämpfer nach einem Anschlag auf die Pipeline im Zapatosa-Gebiet das Freisetzen von 2,3 Millionen Liter Rohöl in Kauf. Im Golf von Mexiko, unweit der texanischen Küste, strömen am 9. Juni nicht weniger als 14,8 Millionen Liter nach TankerExplosionen ins bereits verschmutzte Meer. Der Zusammenstoß zwischen einem Tanker und einem Frachter läßt am 28. Juli in der Galveston Bay (US-Staat Texas) 2,6 Millionen Öl ins Wasser schwappen. Kurz darauf können sich vor Tarifa (Spanien) zwei Tanker nicht rechtzeitig ausweichen, prallen aufeinander und verlieren am 6. August gut 11 Millionen Liter -162-
Öl. Das alte und ölerfahrene Houston (US-Staat Texas) erlebt am 15. September einen Höllentag ganz besonderer Art: Ein Blitzschlag bringt einen Vorratstank zur Explosion, 6 Millionen Liter Öl treten aus und verbrennen. Mitten im Atlantik schlägt am 13. November ein Tanker leck und verliert 8 Millionen Liter Öl während eines Sturmes. Die Ölplattform »Troll« im norwegischen Sektor der Nordsee muß am 10. Dezember vermelden, daß bei einem Test gut 400000 Liter Rohöl in den Schelf geraten sind. Eine ähnliche Horrorliste könnte für jedes Jahr der gesamten Ölgeschichte erstellt werden. Man denke nur an die Explosionen auf der größten Bo hrinsel der Welt, der P-36 (Petrobras) vor der Küste Brasiliens im März 2001, als 1,5 Millionen Liter an Benzin, Diesel und Rohöl im Atlantik versanken, während gleichzeitig die russische Raumstation »Mir« im Südpazifik versenkt wurde, mit allerlei Schadstoffen an Bord. Dennoch käme niemand auf die Idee, den Transport von Rohöl und seine Folgeprodukte verbieten zu wollen. So wenig wie das Auto aus dem Verkehr gezogen wird, nur weil bis zu 10000 Unfalltote jährlich allein in der Bundesrepublik Deutschland vo r 1990 zu beklagen waren, von den Hunderttausenden an Verletzten und den Opfern des Luft- und Fährverkehrs ganz zu schweigen: Der Preis des Fortschritts wird zwar bedauert, aber immer wieder neu bezahlt. Was heute und in der Zukunft zur Verbesserung und Optimierung der Transportsicherung bei Öl und Erdgas unternommen wird, konzentriert sich darauf, weitgehend geschlossene Systeme zu schaffen, die nach innen wie nach außen für die Umwelt keine Belastungen verursachen und der Schadensabwehr dienen. Trotz einiger Rückschläge und Mißgriffe der Industrie ist man in dieser Hinsicht recht gut vorangekommen, hat doch das »Safety first« angesichts des -163-
gewachsenen Umweltbewußtseins einen zusätzlichen Stellenwert bekommen. Das zeigt sich bei den in Finnland oder in Schottland gebauten Bohrinseln nicht weniger als bei Pipelines und Tanker-Giganten. Galt hier im Zeichen des Wachstumsdenkens das Schlagwort »Big is beautyful«, so hat sich die Lage schon aus Kostengründen zur Jahrtausendwende verändert, denn der anhaltende Trend konzentriert sich auf leistungsfähige und langlebige Spezialtanker zwischen 50000 und 200000 Tonnen, um auch den gestiegenen Ansprüchen der Petro-Chemie zu genügen. Allen Optimierungen im technischen Bereich zum Trotz bleiben wir bestimmten Naturkräften unterworfen, denen mit Technik allein nicht beizukommen ist und die uns schmerzhaft an die eigene Ohnmacht erinnern, besonders wenn Springfluten selbst Supertanker in Seenot geraten lassen, uns eine Ölpest droht und Orkane, Hurrikans oder Tornados stählerne Überlandleitungen wie Streichhölzer knicken, während wir im Dunkeln nach einer Lampe suchen - mit Leuchtöl aus einer Raffinerie.
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EIN RING ZIEHT KREISE Teufelsfarben - Benzin im Blut - Stoffe und Steine Träume im Sinne von Visionen spielten in der Geschichte des Öls eine wichtige Rolle. Das gilt für die Erschließung der Gigafelder Spindletop 1901 und Burgan in Kuwait 1938 ebenso wie für die Entwicklung der Petro-Chemie als einer Wissenschaft und Industrie, die besonders aus der Nutzung von Kohlenwasserstoffen (Döbereiner) eine neue Welt entstehen ließ auf der Basis von Kohle, Öl und Erdgas. Am Aufbau dieser Wunderwelt, deren Nutzen uns das Leben erleichtert und deren Folgelasten das Dasein weit in die Zukunft beschweren, waren zahlreiche europäische Forscher und Gelehrte beteiligt, ehe sie ab 1859 allmählich auch in den USA Fuß faßte. Vor allem der Schwede Jakob Berzelius, der für seine bahnbrechenden Leistungen im Bereich der Organischen Chemie sogar in den Freiherrenstand erhoben worden ist, hat der »neuen Wissenschaft« (Vico) bis zu seinem Tod im Jahre 1848 die Grundlagen verschafft. Die Methode zur Bestimmung der Atomgewichte aller bereits bekannten Elemente und das Entdecken weiterer Grundstoffe haben ihn zum Lehrer der gleichsam ersten Generation von Petro-Chemikern werden lassen, die in die Welt der Atome und Moleküle vordrangen und aus ihren Ergebnissen auf eine glänzende Zukunft schlössen. Deren begeisterter Verkünder war Justus von Liebig, einer der erfolgreichsten Anhänger des Berzelius, der selbst den Juristen, Naturforscher und Literaten Goethe mit seiner Atomlehre stark beeinflußt hatte. Von diesem in Gießen tätigen Begründer der -165-
modernen Agrar-Chemie ist denn auch eine markante Vision erhalten, die einiges über den Fortschrittsoptimismus seiner Aufbruchszeit sagt: »Wir halten es für möglich, ganze Städte aufs glänzendste zu erleuchten mit Lampen ohne Flamme, ohne Feuer und zu denen Luft keinen Zutritt hat… Wir glauben, daß morgen oder übermorgen jemand ein Verfahren entdeckt, aus einem Stück Holzkohle einen prächtigen Diamanten, aus Alaun Saphire und Rubine, aus Steinkohlenteer den herrlichen Farbstoff des Krapps oder das wohltätige Chinin oder das Morphium zu machen.« Der prometheische Traum von hellen Städten sollte sich ebenso erfüllen wie die Vorstellung von einer leistungsstarken Farben-Chemie. Für deren Entwicklung lieferte der Berliner Gewerbelehrer Friedrich Wöhler eine wegweisende Entdeckung. Ihm war es bereits 1828 als erstem gelungen, den Harnstoff, wie er im Urin von Menschen und Tieren vorkommt, aus anorganischem Material künstlich zusammenzusetzen oder zu synthetisieren, wie das neue Zauberwort hieß. Damit war der unumstößliche Nachweis erbracht worden, daß »tote Materie« hochwirksam verarbeitet werden konnte, sofern sie mit besonderen Methoden gezielt behandelt wurde - selbst Steinkohlenteer als bisheriges Abfallprodukt bei der Herstellung von Leuchtgas konnte demnach von Nutzen sein. Seinen fundamentalen Beitrag hat in diesem Zusammenhang Michael Faraday geleistet. Dem vielseitigen englischen Forscher war die Entdeckung des Benzols im Leuchtgas gelungen. Eine wesentliche Voraussetzung für den in Darmstadt tätigen Chemiker August Kekulé, die Struktur dieses gesättigten Kohlenwasserstoffs zu entschlüsseln: Das gelang 1861, als ihm die Formel für den Benzolring in einer Art Tagtraum erschien C6 H6. Mit dem Benzol und der Kenntnis seiner chemischen Struktur war nicht nur ein »Grundkörper der aromatischen Verbindungen« aus Kohle und Öl isoliert worden. Er zeigte den -166-
Petro-Chemikern auch neben dem niedrigen Energieniveau eine stark vernetzte Stabilität und Giftigkeit wie im verwandten Naphtalin oder Anthracen. Aber trotz der toxischen Gefahren, die davon ausgehen konnten, wurde Benzol zum wichtigsten Grundstoff für die Chemie: Der Ring zog Kreise. Dessen folgenreiche Nutzung im Zeichen des Regenbogens legte nicht nur das Fundament für die größten Farbenkonzerne der Welt wie BAYER (1863), HOECHST (1863) oder BASF (1865), sondern bereitete auch den Weg für das seit 1859 industriell erschlossene Erdöl in die chemische Industrie. Das hieß, einen Fundamentalstoff der Petro-Chemie auszuwerten und zu steigern, deren Geschichte eine Reihe erfüllter Träume kennt und von geplatzten Träumen zu berichten weiß, aber auch an Alpträumen überreich ist.
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Teufelsfarben Unsere moderne Welt wäre ohne gefärbte Kleider, Farbfilme und Farbfernsehen kaum noch vorstellbar. Von der täglichen Flut bunter Werbeprospekte, Illustrierten, Magazine oder Zeitungen ganz zu schweigen: Überall soll auf eine bestimmte Weise Farbe bekannt werden und doch wird dadurch meistens das Wesentliche verdeckt. Diese Sucht nach dem Glanz des Regenbogens, der sogar die Aktivisten der Umwelt-Organisation Greenpeace als RainbowWarriors den Namen gegeben hat, ist aber unter der Sonne nichts Neues. Alle Zeugnisse menschlicher Geschichte von den Höhlenzeichnungen in Altamira über die einst bemalten Pyramiden bei Gizeh bis zu den kostbaren Gewändern gottähnlicher Herrscher oder Hoherpriester vermitteln den Drang zu besonderen Farben, die selbst eine politische und ökonomische Qualität bekommen können. Die Begehrtheit des »kaiserlichen Purpurs« aus den Extrakten einer Schnecke, die an den Gestaden Syriens zu finden ist, oder das »königliche Safran« aus gelben Krokusblüten in Arabien zeigen, wie wertvoll und teuer diese Naturfarben gewesen sein mußten und es immer noch sind. Was lag also näher, als Fauna und Flora chemisch zu überlisten, um mit Hilfe der Analyse und dann der Synthese diese und andere Farben wesentlich günstiger herzustellen, ja ihre »aristokratische Qualität« in ein Massenprodukt zu verwandeln und sie damit zu demokratisieren. Das beste Beispiel für das frühe Zusammenwirken von elitär ausgerichteter Farben-Chemie und industrieller Verwertung ihrer Spitzenprodukte lieferte der erst 17jährige William H. Perkin. Als Assistent bei dem legendären August W. Hofmann am Londoner Royal College of Chemistry tätig, gewann er 1856 -168-
aus Steinkohlenteer ein besonderes Anilin-Violett. Er nannte diese erste synthetische Farbe der Geschichte wegen ihrer LilaFärbung »Tyrian Purple« und konnte für die Vermarktung dieser epochemachenden Erfindung den Stuttgarter Farbenhersteller Knosp gewinnen: Dieser setzte das neue Färbemittel ab 1859 in der Seidenfärberei ein. Das ökonomische Interesse an der Produktion und marktgängigen Verwertung künstlicher Farben mag groß gewesen sein, zumal mit der Erfindung der Lithographie und damit des »chemischen Druckes« durch Alois Senefelder ab 1797 die Farbnachfrage zusätzlich stieg. Gleichwohl ist unter den Chemikern eine gewisse ideelle Dimension in der Farbenforschung nicht zu übersehen. Es ging dabei vor allem darum, natürliche Stoffe in ihre Einzelteile zu zerlegen, um sie dann neu zusammenzusetzen oder mit anderen Stoffen reagieren zu lassen. Auf diese Weise wurde auch später in der chemischen Verbindung von Steinsalz und Erdöl der heute so begehrte Werk- und Baustoff PVC gefunden: Bei dessen Verbrennung allerdings entsteht das Gift Dioxin - einst ein Alptraum für Seveso in Italien und wesentlich giftiger als Zyankali. Hinter dieser Methode steckte das Bestreben schon der alten Alchimisten und nun der Chemiker, im Sinne der Aufklärung nicht nur die eigene Wissenschaft zu perfektionieren, sondern auch den Menschen: Man strebte demnach eine Veredelung aller Stoffe an, um sich selbst auf eine qualitativ höhere Stufe zu bringen, die vom Fortschritt der Wissenschaft erwartete wurde. Aus diesem Natur- und Menschenbild leitete sich folgerichtig die Bezeichnung Rohstoff für Materialien im natürlichen Urzustand ab, die durch che mische Prozesse verbessert oder verfeinert werden sollten: Deshalb spricht noch heute die angelsächsische Börsensprache beim Rohöl von Crude und meint damit ein nicht »zivilisiertes« oder raffiniertes Öl als Ausgangsstoff in der sicheren Erwartung, daraus etwas ganz Besonderes herleiten zu können. So wie seit Urzeiten erst durch -169-
die geistige Arbeit eines Menschen ein Stein zur Statue wurde, sich das Holz zum Haus gestaltet fand oder Gold als Geschmeide eine Wertsteigerung erfuhr, so erging es auch dem Rohöl: Diese oft als »Teufelsdreck« eingestufte Masse, die so durchdringend nach Schwefel riechen konnte, sah sich ab 1859 auf allen Fundstellen der Welt und noch mehr in den ChemieLabors und Raffinerien auf besondere Weise geadelt - als »Schwarzes Gold«. Aus dem verwandten Stoff der Kohle wurde zu Beginn der Petro-Chemie vor allem das als göttlich, himmlisch oder königlich eingestufte Blau synthetisiert. Eine Farbe, die in Europa über Jahrhunderte hin aus Extrakten der Waid-Pflanze hergestellt wurde und erst durch das Indigo abgelöst werden konnte. Ein historischer Vorgang, der ein wichtiges Kapitel Wirtschaftsgeschichte bis an die Schwelle des Ersten Weltkrieges mitbestimmt hat. Dabei handelt es sich um eine Staude, die besonders gut im feuchtheißen Klima Ind iens wächst. Deren Blätter mit einer hohen Konzentration an Blaustoffen wurden so lange mit Urin behandelt, bis sie in Form von Preßballen transportiert und als Pulver zum intensiven Färben eingesetzt werden konnten. Als der Portugiese Vasco da Gama im Jahre 1498 den Seeweg nach Indien gefunden hatte, begann sofort das europäische Rennen nach diesem einzigartigen Farbstoff: Er übertraf das herkömmliche WaidBlau bei weitem an Kraft und »edlem Glanz«. Man muß hier tatsächlich von der ersten Globalisierung der Wirtschaftsgeschichte sprechen. Denn der Indigo-Export von Goa nach Lissabon und von dort über ganz Europa hin veranlaßte drastische Maßnahmen zum Schutz des WaidAnbaus. So untersagte eine kaiserliche Anordnung im Jahre 1577 die Einfuhr und Verwendung von Indigo im ganzen Heiligen Römischen Reich, dem größten Länderkomplex und -170-
Markt des Kontinents. Indigo als Färbemittel wurde gar 1654 erneut vom Kaiser zur »Teufelsfarbe« erklärt und seine Anwendung verboten. Erst 1737 hat man diese Restriktion aufgehoben, was die Waid-Bauern in ganz Mitteleuropa zwang, fortan andere Nutzpflanzen anzubauen - das Krapp für die Rotfärbung ebenso wie die nützliche Kartoffel aus Südamerika und das krebserregende »Teufelskraut« Tabak aus Nordamerika. Hatten Portugal und Spanien, dann Frankreich, die Niederlande und vor allem England als frühe See- und Kolonialmächte mit Indigo über Generationen hin gute Geschäfte gemacht und manch einen familiären Reichtum ermöglicht, so sollte sich das Blatt allmählich zu ihren Ungunsten wenden. Denn es kam fast gleichzeitig mit dem natürlichen Erdöl (Crude) ein besonderes Kunst-Blau auf den europäischen Markt - Anilin genannt. Es sollte sich über die ganz Welt genau in jenem Sinn verbreiten, wie es Karl A. Schenzinger 1937 in seinem gleichnamigen Tatsachen-Roman dem Indigo-Kapitel vorangestellt hat: »Wirft man auf eine glatte Wasseroberfläche einen Stein, so verursacht dieser Stein einen Wasserring, der die Ursache wird zu einem zweiten, dritten und vierten Ring…« Allerdings verlief die Geschichte der Kunstfarben Anilin-Blau und dann auch Anilin- Rot etwas anders, als es sich Schenzinger in der Verherrlichung des deutschen Chemie-Adels und eines »rassisch gesunden Volkes« für eine Millionen-Leserschaft zurechtgebogen hatte. Denn auch in England als größtem Indigo-Markt und Hauptland eines Weltreiches ruhten die vom Liebig-Schüler Hofmann ausgebildeten Chemiker nicht, bis sie der ersten Kunstfarbe von Perkin weitere hinzufügen konnten und dazu gehörte der Ehrgeiz, das mittlerweile sehr preisgünstige natürliche und vor allem hautfreundliche Indigo zu ersetzen. Noch verhinderte der hohe Preis des Kunst-Blau etwa im Werte des Edelmetalls Platin eine Massenproduktion und -171-
Vermarktung. Aber schon regten sich innovative Kräfte, die erkannten, daß die verschiedenen Anilin-Farben als Ersatz für Naturstoffe chemisch etwas mit dem Benzol als Kohlenwasserstoff zu tun haben mußten. Bestätigte sich diese Vermutung, dann verlagerte sich die industrielle Zukunft der Farben-Chemie neben der Kohle vor allem auf die Nutzung des Erdöls - ohne die bisherigen Umwege über die Produktion von Leuchtgas aus Koks und den dabei anfallenden Steinkohlenteer. Doch ehe es zu dieser Entwicklung kommen konnte, waren wichtige Zwischenschritte nötig. Einer von ihnen sei am Entstehen der BASF in Ludwigshafen am Rhein erläutert, heute der größte Chemie-Konzern der Welt. Dessen Geschichte allein zeigt, daß nicht das Öl die Petro-Chemie hervorgebracht hat. Vielmehr bestand diese schon in wesentlichen Bereichen, ehe man statt der Kokskohle den neuen Rohstoff nutzen konnte. Ein oft übersehenes Phänomen, das sich auch dort ausmachen läßt, wo Berzelius und Liebig bereits im Jahre 1838 das Benzin als Begriff und Sache gefunden hatten, es aber erst fünfzig Jahre später (!) für die Motorentechnik als Treibstoff zum Einsatz kam und heute noch für die meisten Autos unentbehrlich ist. Derartige Verzögerungen sind in der Technikgeschichte nichts Ungewöhnliches. Sie zeigen nur, daß auch an Alternativen gedacht wurde und Entwicklungen anfangs nicht so eindeutig waren, wie sie heute scheinen mögen. Tatsächlich ging der Verwertung von Öl, das in Europa zwischen 1859 und 1959 nur begrenzt zugänglich war, eine intensive Nutzung verschiedener Gas-Formen voraus. Mehr noch: Leuchtgas, das aus Steinkohle (Koks) ge wonnen werden konnte, hatte schon 1814 in London und in anderen Städten Englands die bisher genutzten Öllampen abgelöst, ehe diese wieder etwa fünfzig Jahre später zu Ehren kamen.
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Eine Raffinerie der Zukunft, vorgestellt auf dem Welt-Erdöl-Kongreß in Frankfurt a in Main, 1963
Modernes Tanklager einer Raffinerie
In dieser historischen Umbruchszeit erkannte der gelernte -173-
Goldschmied Friedrich Engelhorn aus Mannheim seine Lebenschance. Er beteiligte sich an der Produktion von Portativgas. Ein Unterfangen, das nicht selbstverständlich war, wurde doch diesem in einem Eisenbehälter transportierten Gas (Destillationsprodukt aus Steinkohle und Steinkohlenteer) ein weit verbreiteter Widerstand bei den Kunden entgegengebracht, der auch heute nicht ganz überwunden ist - vor allem wegen der übelriechenden Ausdünstungen, die schon damals Gesundheitsschäden befürchten ließen. Der im Revolutionsjahr 1848 gegründeten Gas-Firma »Engelhorn & Cie« war anfänglich nur wenig Erfolg beschieden. Das änderte sich jedoch nach den politischen Wirren und Barrikadenkämpfen auch in Mannheim schnell. Denn der mit Susanne Bassermann verheiratete Jungunternehmer wurde ab 1851 zusammen mit den GasPionieren Spreng und Sonntag am Mannheimer Gaswerk beteiligt: Ein Unternehmen, das sich seiner Ansicht nach »gut rentierte und der Grundstein für unsere Zukunft war«. Bemerkenswert sind hier weniger die Beziehungen des Mannheimer Gasfabrikanten Engelhorn zur »Badischen Gesellschaft für Gasbeleuchtung«, die ihre Rohstoffe aus dem saarländischen Kohlevorkommen von Duttweiler bezog; von wesentlich höherem Interesse ist sein rasches Ausgreifen nach Amerika im historischen Jahr 1859. ! Auf seine Initiative hin wurde in New York das Unternehmen »Engelhorn & Co« gegründet, das den Import und Export regelte, während eine weitere Firma für die Verschiffung zuständig war. Unter den damaligen Verhältnissen kann man bei ihm von einer globalen Tätigkeit sprechen. Sie verstärkte sich noch, als sich seine Aktivitäten vom Leuchtgas auf die Farbenproduktion verlagerten - zum blauen Anilin, das die BlauWerker herstellten. Es steht außer Zweifel, daß die Forschungen August W. Hofmanns zu »organischen Basen im Steinkohlenteer« seit 1843 -174-
bahnbrechend für die Anilin-Chemie geworden sind, die er ab 1845 in London intensivierte, während es zur gleichen Zeit Emanuel Verguin in Lyon glückte, das pflanzliche Krapp-Rot mit einer künstlichen Alternative zu ersetzen: Dem seit 1859 aus Steinkohlenteer gewonnenen »Fuchsin« oder Anilin- Rot, das ab 1863 den Lucius-Farbwerken in Hoechst eine Zukunft geben sollte - den »Rot-Werkern«. Liebigs Traum als Vision hatte sich zwar nicht hinsichtlich der Edelsteine erfüllt, wohl aber in seiner Vorhersage des begehrten Krapp-Rot. Ein Beobachter dieser ungemein innovativen Petro-Chemie-Szene meinte sogar angesichts der neuen Errungenschaften aus dem Reich der Kohlenwasserstoffe: »Die Welt stand wie unter einer Hypnose, ähnlich wie in Kalifornien die ersten Goldfunde gemacht wurden« (Voigtländer-Tetzner). Engelhorn behielt trotz der ausgebrochenen Begeisterung einen klaren Kopf und ergänzte seine Gas-Fabrikation im Jahre 1860 mit einem neuen Unternehmen, das als Anilin- und Teerfarbenfabrik tätig werden sollte. Dafür erhielt er auch vom Großherzogtum Baden mittels der recht demokratisch geordneten Stadt Mannheim eine »amtliche Konzession zum Betrieb einer Farbenfabrik«. Allerdings nur unter der »Voraussetzung, daß bei dem Fabrikbetrieb nicht durch Ausdünstung üblen Geruchs oder durch Ausfluß giftiger Stoffe Belästigungen oder Benachteiligungen der Nachbarschaft entstehen…« Diese staatliche Umwelt-Vorschrift für eine private Unternehmer- Tätigkeit erscheint zu diesem Zeitpunkt überraschend. Nicht anders als dieser Befund: Die industrielle Produktion des in England entdeckten Anilin und des in Frankreich gewonnenen Fuchsin begann auf deutschem Boden nicht in den Farbwerken Bayer oder Lucius-Hoechst, sondern auf einem Mannheimer Werksgelände. Sie soll im ersten Geschäftsjahr 1862/63 bereits einen Reingewinn von gut 266000 -175-
Florint erbracht haben. Ein Ergebnis, das Engelhorn aber nicht sonderlich zufriedenstellte, dem es gelungen war, neben honorigen Geschäftspartnern auch ausgezeichnete Fachleute an sein junges Unternehmen zu binden: Carl Clemm, Julius Giese sowie vor allem später den weltkundigen und kreativen Chemiker Heinrich Caro. Engelhorns Unmut richtete sich in erster Linie gegen den Verein Chemischer Fabriken in Mannheim. Dessen Preispolitik kam ihm hinderlich vor und ließ in jeden Tag neu spüren, wie abhängig er war. Das verwundert nicht. Schließlich produzierte und lieferte dieses Unternehmen all jene anorganischen Stoffe in Form von Säuren und Soda, die zur massenhaften Herstellung von Anilin und Fuchsin nötig waren. Was lag also für den strebsamen Engelhorn näher, als eine Fusion mit dem Zulieferer zu betreiben? Das Scheitern dieser 1864 klug eingefädelten Übernahme gehört zu den Schattenseiten des profitorientierten Wirtschaftens, das ja nicht nur aus reiner Rationalität besteht. Ein zeitgenössischer Chronist merkte denn auch zur Ablehnung der geplanten Vereinigung beider Unternehmen an: »In allzu stolzem Selbstbewußtsein und einem gewissen Starrsinn hat der Verein damals einen schweren Fehler begangen, denn der Abbruch der Verhandlungen mußte den die Fusion anstrebenden Großabnehmer der Produkte des Vereins zum selbstfabrizierenden Konkurrenten machen.« Ein ähnliches Lehrstück kann auch heute noch bei freundlichen wie »feindlichen Übernahmen« nicht nur in der Ölindustrie oder Chemie beobachtet werden. Engelhorn und seine Partner - darunter das Bankhaus Ladenburg & Söhne kamen denn auch nach Vorverhandlungen im März 1865 überein, statt die weitere Fusion zu betreiben, eine neue Aktiengesellschaft zu gründen. Das Vorhaben gelang am 6. April 1865, wobei dem Unternehmen der Name Badische Anilin & Soda-Fabrik (BASF) gegeben wurde: Es erhielt ein -176-
Grundkapital von 1,4 Millionen Gulden mit 1400 Aktien zu je 1000 Florint und sollte seinen Sitz in Mannheim nehmen. Zum Leidwesen Engelhorns durfte er diesen Traum aber nicht in seiner Vaterstadt verwirklichen. Denn es kam zu einem komplizierten Streit um den Erwerb eines städtischen Grundstücks für das neue Fabrikgelände. Die Niederlassung auf ehemals kurpfälzischem und nun badischem Boden scheiterte wieder einmal an der Eigentumsfrage. Engelhorn zog aus der Ablehnung durch die Stadt Mannheim seine Konsequenzen. Er wich in die Nachbarschaft nach Ludwigshafen aus. Aufs linke Rheinufer und damit ins 1804 geschaffene patrimoniale Königreich Bayern, dem bei der dynastischen Neuordnung Mitteleuropas auf dem Wiener Kongreß 1814/15 endgültig die Pfalz zugesprochen worden war. Die Standortvorteile von Ludwigshafen und der Pfalz gegenüber Mannheim und Baden lagen auf der Hand: Das industriell ausgerichtete Investitionsklima, die Rheinbegradigung mit dem neuen Hafen, der nach dem BayernKönig Ludwig I. benannt worden war, die Endstation der Ludwigs-Bahn, die ins kohlereiche Saargebiet führte sowie der günstige Kauf von Eigentum im Umfeld des alten Hemshofdem neuen Betriebsgelände. Bereits bei der ersten Generalversammlung im Oktober 1866 konnte den Aktionären eine erstaunliche Erfolgsbilanz vorgelegt werden. Sie ist deshalb so bemerkenswert, weil die BASF unter der Direktion von Engelhorn frühzeitig das erreicht hat, was der Texaco 1902 glückte und Rockefeller für seine 1870 gegründete ESSO erst 1919 als Organisationsvorteil einsehen wollte: Es handelte sich um ein integriertes Unternehmen. Das heißt, der neue Chemie-Konzern verfügte über die Rohstoffe (Kohle) für die Farbenproduktion ebenso wie er deren Veredelung betrieb und auch die Vermarktung der eigenen Erzeugnisse organisierte - bis nach Amerika. Sicher, Friedrich -177-
Engelhorn führte sich manchmal so selbstherrlich auf wie John D. Rockefeller; als wäre er nicht bloß Teilhaber, sondern der absolute Volleigner. Doch trotz dieser Schattenseite behielt er einen wachen Blick für Entwicklungen in der Farben-Chemie weltweit, hatte auch immer wieder den Mut, besten Fachleuten eine Chance zu bieten und blieb mit kaufmännischem Geschick ein deutscher Pionier der Kohlenwasserstoff- Industrie im anbrechenden Farben-Zeitalter. Obwohl das gewinnorientierte Wirtschaften im Vordergrund stand, bemühte sich Engelhorn um eine treuhänderisch ausgerichtete Unternehmenskultur. Dazu gehörte eine Gesundheitsvorsorge für gefährdete Mitarbeiter, dann eine Sozialverpflichtung, ihnen menschenwürdigen Wohnraum zu verschaffen und durch das Aufkommen von Gewerbesteuern der meist sozialdemokratisch regierten Stadt Ludwigshafen die Möglichkeit zu geben, sich als Industriekern mit einem großen bäuerlich strukturierten Hinterland (Wein, Tabak, Wald) zu entwickeln: Allerdings um den Preis eines permanenten Schwefelgestanks in der belasteten Stadtluft, der erst unter dem rührigen Oberbürgermeister Werner Ludwig in den 1980er Jahren durch Umweltmaßnahmen verschwunden ist. Engelhorn, der Nationalliberale und seit 1871 ein BismarckVerehrer, kam bei aller Geschäftigkeit und Aufbauwillen persönlich nicht zu kurz. Als er 1882 die BASF verließ, soll sein Vermögen den Wert von 28 Millionen Goldmark erreicht haben. Allerdings verlor er davon eine ganze Menge aufgrund seiner Börsenspekulationen zum riskanten Eisenbahn-Geschäft in den USA. Diese Verluste bereiteten ihm ebenso Verdruß wie die Eskapaden seines Sohnes Louis, den er schon früh nach New York ziehen ließ, damit er das globale Geschäft der aufstrebenden Petro-Chemie kennenlerne und darin seinen Mann stehe: Aber statt der erhofften Gewinne sorgte Louis Engelhorn nur für Verluste und wurde deshalb vom Vater vollständig enterbt. -178-
Eine Maßnahme, die noch nichts vom heutigen Pflichtteil sogar eines ungeratenen Erben wußte, jedoch daran erinnert, daß die BASF selbst sich nicht so leicht von ihrem eigenen Unternehmenserbe trennen konnte. Unter Engelhorn angetreten, um im weltweiten Wettbewerb endlich das synthetische und »große Indigo« preiswert auf den Farbenmarkt zu bringen, investierte das Unternehmen mehr als 18 Millionen Mark in die Forschung. Und doch gelang es ihm nicht, Indigo als erster künstlich herzustellen. Nicht das hochkarätige Team der BASF fand die ersehnte Lösung, sondern wieder einmal ein Einzelkönner: Adolf Baeyer von der Gewerbe-Akademie Berlin - ab 1883 Chemie-Professor in München - war es 1868 geglückt, die chemische Formel für Indigo zu erarbeiten - C16 H10 N2 O2 . Wie einst Berzelius wurde auch Baeyer für diese und andere wissenschaftliche Leistungen mit dem Erb-Adel geehrt. Eine solche Standeserhöhung ist zwar den Blau-Werkern von der BASF nicht widerfahren, aber auch sie krönten ihre Anstrengungen im Jahre 1897 mit der ersten industriellen Produktion künstlichen Indigos. Noch war es so teuer wie Gold. Doch seine ausgefeilte Fabrikation hatte unbestreitbare Vorteile gegenüber dem natürlich hergestellten Farbstoff: Man mußte auch nicht um den halben Erdball segeln, um aus Indien zu besorgen, wonach Europa und Amerika seit Generationen geradezu gierten. Konnten von englischen Indigo-Plantagen noch 1897 etwa 10000 Tonnen als relativ billiges Färbemittel auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, so war diese Menge bis zum Jahre 1911 auf gerade noch 800 Tonnen gesunken. Für das von der BASF und anderen deutschen Farbwerken produzierte Kunstprodukt hingegen verhielt es sich umgekehrt. Statt 600 Tonnen im ersten Produktionsjahr wurden 1911 gut 22000 Tonnen synthetisches Indigo vermarktet: Für einen äußerst günstigen Preis und doch wieder bedroht von einem neuen -179-
BASFeigenen Erzeugnis - dem 1901 entwickelten und äußerst farbechten Küpenstoff Indanthren. Dieser dramatische Umbruch vollzog sich zu einer Zeit, als im inneren Kreis der britischen Weltmacht von 1901 bis 1912 die heftig geführte Diskussion anstand, ob seine global agierende Flotte vom bisherigen Kohleantrieb auf Öl- Aggregate umgestellt werden sollte. Eine Entscheidung von wirklich historischer Tragweite, die noch heute für alle Flotten der Welt gilt und auf absehbare Zeit auch nicht durch den Atomantrieb vollständig ersetzt wird. Diesen Mut, auf den heimischen Rohstoff Kohle fortan zu verzichten und künftig das Erdöl zu bevorzugen hatte die deutsche Chemie damals nicht. Stein- und Braunkohle blieben im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg die unverzichtbare Grundlage vor allem der Farbwerke: Auch für die Produktion von Salpetersäure als Basisstoff des Schießpulvers, für die Herstellung von Giftgas als Kampfmittel und zur Synthetisierung von Benzin als Treibstoff für militärische Kraftfahrzeuge - das Kohle-Benzin von Leuna. Es kann unter diesen strukturellen Bedingungen besonders im Rahmen der IG-FARBEN, zu deren Organisation auch die BASF gehörte, nicht verwundern, daß die massive Umstellung von Kohle auf Öl und Erdgas als ergiebigeren und billigeren Rohstoffen erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgen konnte, aufgrund auch des ungewöhnlich niedrigen Ölpreises zwischen 1947 und 1973 (etwa 2 Dollar pro Barrel), der seine ökonomischen Kreise zog und die Kohlenzechen an Saar und Ruhr reihenweise sterben ließ. Dieser industriellen Wende konnte sich auch die nach der Entflechtung der IG-FARBEN neu gegründete BASF nicht entziehen. Sie setzte sogar in Verbindung mit dem Ölunternehmen Wintershall AG ein eigenes Zeichen für den Anbruch des Öl-Zeitalters. Denn deren Bohrteams ist es in den 1950er Jahren gelungen, der Geologie des Ölfeldes von -180-
Pechelbronn im nahen Elsaß zu folgen und auf pfälzischer Seite eine klassische Verwerfungs-Lagerstätte zu erschließen: Das Ölfeld von Landau zwische n Kartoffeläckern, Weinbergen, Edelkastanien, Mandelbäumen und Tabakstauden. Eine trügerische Idylle, denn an bestimmten Förderstellen wurde über Jahrzehnte hin das anfallende Gas nicht aufgefangen und verwertet, sondern abgefackelt - Gift- und Schadstoffe aller Art über eine paradiesische Landschaft breitend, bis das Vorkommen zur Jahrtausendwende erschöpft war und der Rückbau begann.
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»Benzin im Blut« Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Ölgeschichte, daß sich auch ihre Pioniere im Bereich der Petro-Chemie als »Geschöpfe des Prometheus« (Beethoven) empfunden haben. Denn über alle Buchstaben und Zahlen hinweg, aus denen sich ihre Nomenklatur zusammensetzte, fanden sie einen gewissen Gefallen, aber auch einen hohen Nutzen am kontrollierten Befeuern des Roh- und Ausgangsstoffes: Ohne Funken, Flammen, Glühkörper (Platindrähte) und Öfen jeder Art wären die Petro-Chemie sowie ihre Folge-Industrien kaum denkbar gewesen. Es überrascht also nicht, daß sich der große Berzelius schon früh darum bemüht hat, einen kleinen Brenner für sein Labor zu fertigen, damit er in Reagenzgläsern, Tiegeln und Kolben unter dosierter Wärmezufuhr experimentieren konnte. Der Chemiker Robert Bunsen entwickelte fast zur gleichen Zeit nicht nur die Gas-Analyse als Grundvoraussetzung für die gezielte Nutzung dieses flüchtigen Stoffes. Er konstruierte auch ein handliches Gerät, mit dem eine »vollkommene Verbrennung« dadurch möglich werden sollte, daß Leuchtgas etwas Luft beigemischt wurde. Ein Verfahren, das sich als Bunsen-Brenner gegen die Berzelius- Lampe (Zündprinzip) in allen Labors und Schulen der Welt bis heute durchgesetzt hat. Es erinnert im Vergleich mit Döbereiners Feuerzeug (Glühprinzip) auch daran, daß Gas-LuftGemische am Beginn einer technischen Revolution standen und neben den großen Dampfmaschinen (Lokomotiven) nun das Zeitalter der kleinen Verbrennungsmotoren einleiteten - weg von der Kohle und übers Gas zum Öl mit dessen Treib- oder Kraftstoffen. Ohne die Entwicklung der Laborbrenner wäre diese Technik -182-
nicht so schnell möglich gewesen. Trotz elektronisch gesteuerter Zündungen können heute noch die mit Benzin betriebenen Autos nicht auf ihre speziellen Zündkerzen verzichten. Bei Diesel-Motoren hingegen sind weiterhin besondere Glühkerzen nötig. Sie befördern hier nur das Anlassen des Motors und bleiben während dessen Lauf passiv, denn dieser wird von einer permanenten Selbstzündung unter Hochdruck in Gang gehalten: Ob als Antrieb in Personenautos, Lastkraftwagen, Omnibussen, Triebwagen, Schiffen, Unterseebooten oder auf Bohrtürmen und Förderanlagen mit Pumpen für Pipelines. Es ist also zur Technikgeschichte des Öls festzuhalten: Die gesteuerte Handhabe eines Gas-Luftgemisches ging der Entwicklung leistungsfähiger Motoren voraus! Als erstem Erfinder in dieser Richtung war dem Franzosen Lenoir bereits 1860 eine Leuchtgas-Maschine geglückt. Doch erst den deutschen Konstrukteuren Langen und Otto gelang die konsequente Umsetzung des Laborbrennerprinzips in eine Viertakt-Gasmaschine als Urmodell eines Verbrennungsmotors: Der bisher benutzte Brennstoff der offenen Flamme wandelte sich zum Treibstoff im geschlossenen Zylinder. Dieser fundamentale Funktionswandel bot unbestreitbare Vorteile. Durch die kontrollierte Abfolge von regelmäßigen Explosionen oder Selbstzündungen in einem engen Zylinderraum wurde aus dem zugeführten Gas-Luft-Gemisch eine besondere Kraft gezogen und damit reale Arbeit geleistet: Ein beweglicher Kolben übertrug diese Arbeits-Kraft mittels einer Pleuelstange auf das Getriebe und von dort auf zwei, manchmal drei (Motorrad) oder vier Räder (Auto), ja selbst auf Schiffsschrauben, Lokomotivräder und Flugzeug-Propeller meßbar in Pferdestärken oder PS. Nach der epochalen Erfindung des Otto-Motors 1867 zur Zeit der Pariser Weltausstellung dauerte es aber noch fast zwei Jahrzehnte, ehe der Stuttgarter Ingenieur Gottlieb Daimler die -183-
Umstellung von Gas auf das leicht entzündbare Benzin schaffte. 1885 überraschte er die technische Welt mit einem Motor, der 1,5 PS leistete. Daimler montierte ihn auf ein Fahrgestell, das eine Geschwindigkeit von 18 Kilometer in der Stunde erreichen konnte - also dreimal so schnell fuhr wie ein Mensch ging. Zur gleichen Zeit tüftelte der Karlsruher Ingenieur Karl Friedrich Benz, der Sohn eines Lok-Führers, ebenfalls an einem mit Benzin getriebenen Kraftwagen, den er 1886 der Öffentlichkeit vorführte. Beide Erfinder gründeten zwar jeweils eigene Motoren- und Fahrzeugfabriken und hatten sich bald vor allem der Konkurrenz aus Frankreich zu stellen (Peugeot, Renault). Aber einen durchschlagenden Erfolg auf dem wachsenden Automarkt erzielten sie erst nach ihrer Fusion zur Daimler-Benz AG im Jahre 1925, als auch die IG-FARBEN gegründet wurden - das größte Industrieprojekt der Weimarer Republik. Brauchten die beiden deutschen Auto-Pioniere vierzig Jahre Entwicklung und Erfahrung, um aus dem Wettbewerber einen Partner für die Zukunft zu machen, so vergingen in der zweiten Phase ihrer gemeinsamen und wechselvollen Geschichte fast achtzig Jahre, ehe sie sich einen neuen Kompagnon suchten: Noch vor der Jahrtausendwende verbanden sie sich mit einem der führenden US-Unternehmen zur Daimler-Chrysler: Allerdings zunächst mit geringem Erfolg, steckte doch die epochemachende Innovation eines Brennstoffzellen-Antriebs als Alternative zum bisherigen Verbrennungsmotor noch im Erprobungsstadium. Hatten Daimler und Benz neben anderen Tüftlern wie Barrington, Kostowitsch, Markus oder Munigotti gleichsam »Benzin im Blut«, wie gut hundert Jahre nach ihren Erfindungen eine deutsche Fernsehserie über Rennfahrer genannt wurde, so konzentrierte sich der Augsburger Ingenieur Rudolf Diesel auf einen ganz anderen Stoff als Antriebsmittel. Eingedenk der leichten Entflammbarkeit des Benzins und der -184-
damit verbundenen Explosions- und Brandgefahr bei einem Unfall experimentierte er mit Schweröl. Er arbeitete also an einem Motor, der keinerlei Zündanlage brauchte und fand die Lösung in der Verdichtung angesaugter Luft im Zylinder auf etwa 30 bis 50 atü. Dadurch erhitzte sie sich bis auf 700 Grad Celsius und reagierte mit einem eingespritzten, sofort entzündbaren Kraftstoff (Gas-Öl), wodurch der Kolben nach unten bewegt wurde und damit die erwünschte Arbeit leistete. Hatte Diesel bereits 1878 mit seinen Versuchen begonnen, so trat er erst 1893 mit der Schrift Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors an die interessierte Öffentlichkeit. Die praktische Umsetzung seiner Ideen zum wirtschaftlichen Dieselmotor besorgte fortan die Maschinenfabrik AugsburgNürnberg (MAN). Sie leitete damit eine ähnliche Umwälzung des Transportwesens ein wie der erste mit einem Ölbrenner ausgerüstete Tanker der Gebrüder Nobel in Baku: Sie ließen bald Diesels Erfindung nachbauen und erregten mit einem ihrer Tanker 1905 in San Francisco hohes Aufsehen wegen seiner ungewöhnlich geringen Rauchentwicklung. Die Erfolgsgeschichte der Verbrennungsmotoren als Wunderwerke neuer Mobilität, denen sich ab 1903 nicht nur die englische Nobelmarke Rolls Royce widmete, ist oft analysiert und beschrieben worden. Aber ein wesentlicher Faktor im Werdegang dieser Schlüssel- Industrie kam dabei zu kurz oder wurde abgetrennt behandelt, obgleich er ein integraler Bestandteil der Motoren- und Fahrzeugentwicklung war: Dem heute so dominierenden Bau von Personen- und Lastwagen ging zu Beginn seiner Geschichte die Konstruktion von Rennwagen und Sportautos voraus! Diese Reihenfolge überrascht nicht, wenn man bedenkt, daß neben der Veredelung von Kohle, Gas und Öl durch eine Reihe geadelter Geistesgrößen auch der Automobilbau auf einen gewissen Aristokratismus ausgerichtet war: das heißt auf die -185-
Einzelfertigung eines Wagens, der als Prototyp erprobt und optimiert wurde, ehe er in Serie gehen durfte. Der Hauptgrund für diese qualitative Bindung lag einfach darin, daß nur FürstenHäuser, begüterte Adlige und Bankiers oder die neue Klasse der Industriellen als »Schlot-Barone« über das nötige Risiko- und Spielkapital verfügten: War denn das erste Autorennen der Geschichte zwischen Paris und Rouen im Jahre 1894 etwas anders als ein Glücksspiel mit hohem Einsatz? Es siegte übrigens ein Peugeot im Zeichen des aufgerichteten Löwen als dem König der Tiere, mit einem Daimler-Motor versehen und abseits fester Regeln. Diese wurden im Jahre 1900 von Gordon Bennett aufgestellt und international angenommen. Der Herausgeber des New York Herald (USA) hatte also die erste brauchbare Rennformel geschaffen, die von jedem beteiligten Rennwagen ein Mindestgewicht von 400 Kilogramm und ein Höchstgewicht von 1000 Kilogramm erwartete. Genau hundert Jahre nach Richard Trevithik, der 1801 den ersten Dampfmaschinenwagen zur Personenbeförderung gebaut hatte, schickte sich die industrielle Welt an, mit der zunehmenden Perfektion von benzin- und dieselgetriebenen Einzelfahrzeugen das Transportwesen außerhalb der KohleDampf- Eisenbahnen radikal zu verändern - und mit dieser Mobilität auch auf die künftige Kriegsführung einzuwirken. Zwar wurden 1901 im Gründungsjahr des Verbandes der deutschen Automobilindustrie nur etwa 880 Autos gebaut, während sich gut 1000 motorisierte Wagen auf die Straße wagten. Aber ihre technische Leistungsfähigkeit hatte sich von 1,5 PS bereits auf 90 PS gesteigert. Vor allem die Rennautos waren bereits mit der Magnetzündung, der Konuskupplung, dem Mehrganggetriebe oder dem Kettenantrieb ausgerüstet: Einem Verfahren, das heute noch außer bei BWM (Kardan) in der Motorradkonstruktion dominiert und sich auf den seit 1901 gebauten Rotary-Bohranlagen durchzusetzen begann, ehe es in den 1960er Jahren durch den Antrieb des Drehtisches mit -186-
Kardanwellen abgelöst wurde. Zugespitzt könnte man sagen, daß die weitere technische Entwicklung in diesem Bereich über Jahrzehnte hin von der Überlegung beherrscht wurde, aus dem Rennwagen von heute den Tourenwagen von morgen zu machen. Ein veredeltes Einzelstück konnte demnach zur Massenware werden und gar die Vermarktung mit dem Werbeslogan prägen, den NSU zu einem spritzigen Kleinwagen erfolgreich in Umlauf brachte: »Prinz fahren und König sein.« Diese integrierte Produktions- und Vermarktungsmethode, aus einer individuellen Hochzüchtung der Motoren die Basis für ein Massengut zu schaffen, das flächendeckend an den Mann gebracht werden konnte - Frauen war noch nicht der Führerschein erlaubt -, führte vor allem Henry Ford zur Perfektion. Dabei profitierte auch er vom Einsatz der Rennwagen und verstand es, technische Neuerungen einzelner Konstrukteure aus Europa in seiner 1903 gegründeten FordMotor-Company für die erste Massenproduktion der Automobilgeschichte zu nutzen. Dabei half das von ihm entwickelte Fließband, die Herstellung großer Stückzahlen erheblich zu rationalisieren und dadurch auch die Produktionskosten zu senken. Die weiteren Ergebnisse dieses Auto-Königs und »Kaisers von Amerika« konnten sich in der Tat sehen lassen. Er vermarktete trotz der künftigen Konkurrenz durch General Motors oder Chrysler und andere Unternehmen bald mehr als 15 Millionen Fahrzeuge, darunter das legendäre Modell »Tin Lizzy« (Blechliesel). Dessen Verkaufsrekord sollte erst nach 1945 durch den deutschen VW-Käfer übertroffen werden. Ein Entwurf von 1938, den der Rennund Sportwagen-Konstrukteur Ferdinand Porsche für die NS-Organisation »Kraft durch Freude« gestaltet hatte, um auch das aristokratische Vergnügen an der Beschleunigung (Mussolinis Auftrag für den Faschismus als technische Zukunftskraft!) auf einen Volkswagen zu übertragen. -187-
Aber ehe dieser in die Massenproduktion gehen konnte, wurde seine auch von Porsche entwickelte Militärvariante während des Zweiten Weltkriegs einem Dauertest unterworfen: Der legendäre Kübelwagen mit einem luftgekühlten Viertakt-Motor bewährte sich auf den vereisten Knüppeldämmen Rußlands ebenso wie unter Rommel im heißen Wüstensand Nord-Afrikas - der zivilen Version des »Käfers« danach zum technischen Nutzen.
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Stoffe und Steine Von dem bergbeflissenen Dichter Novalis alias Friedrich von Hardenberg kennen wir das ehrfürchtige Wort »Steine und Stoffe sind das Höchste«. Er, der einiges zur geologischen Kartierung der Braunkohlenlager in der Lausitz beigetragen hatte, während er seine Hymnen an die Nacht verfaßte, geht den »geheimnisvollen Weg« vom Festen zum Flüssigen. Doch er versteht es auch in Kenntnis englischer Spezial-Öfen für das Hüttenwesen, den Schritt vom Flüssigen zum Flüchtigen zu vollziehen - hin zum Gas als einem gestaltlosen, aber gleichwohl gehaltvollen und oft unsichtbaren Stoff. Die gewählte Reihenfolge ähnelt dem historischen Gang von der Alchimie zur Chemie. Das heißt auch vom alten Glauben an eine »qualitas occulta« oder »geheime Kraft« in allen irdischen Substanzen, die zur rationalen Behandlung von »Eigenschaften und Umwandlungen der Stoffe« führt. Letztlich zu einer PetroChemie, die sich als Wissenschaft und Industrie von einer einst ganzheitlichen Auffassung der Natur ebenso gelöst hat wie die Geologie vom biblischen Schöpfungsbericht (Creationismus). Im Zuge dieser Emanzipation entwickelte sie sich zu einer technisch verwertbaren Steinkunde, die den Bergbau vorantreibt und das immer bessere Aufspüren von Bodenschätzen sichert, darunter Öl und Erdgas als nutzbaren Grundstoffen ganzer Industrien. Man mag heute am Eingang zu einem Zeitalter der Öl- Kultur, das die privatisierte und durch Fusionen erweiterte BP im Jahre 2000 als Beyond Petroleum in Zeitungsanzeigen verkündet hat, diese Entzauberung durch den Technizismus beklagen und eine neue Ethik einfordern. Aber es steht auch fest, daß ohne den forschenden und entethisierten Zugriff neben dem offenkundig Destruktiven der Petro- und Großchemie - wie die Herstellung -189-
von Kampf- und Vernichtungsgasen (Zyklon B) in zwei Weltkriegen und darüber hinaus - viel Nützliches und Menschenfreundliches verborgen geblieben wäre: Kunststoffe für Hüftgelenke, Zahnfüllungen und Herzklappen, Kleiderstoffe wie »Trevira« oder »Diolen« und selbst Baustoffe wie Zement, der ohne Kohlen-, Öl- oder Erdgas-Befeuerung so wenig herstellbar wäre wie die feuerfesten »Steine« der modernen Refratechnik für Drehöfen, Stahlschmelzen oder Heizkessel technisch hochwirksam gebrannte Kunstwerke, die bis zu 2000 Grad Celsius Hitze aushalten können. An der mitunter diabolischen Dialektik des PrometheusSyndroms als Verbrennungsmanie kommt die technische Moderne auch in ihren Spätphasen nicht vorbei. Das zeigt sich besonders in der Großverwertung der Öl- und Gas-Industrie. Vor allem die Destillation zu Beginn der Petro-Chemie beruhte auf einer dosierten Befeuerung, um flüchtige Anteile von schwer verdampfbaren Stoffen im Öl durch gezieltes Erhitzen zu isolieren und gelegentlich abzukühlen. Diese einfache, aber wirkungsvolle Technik beruht darauf, daß in einem Destillationskolben oder einer Retorte die aufbereiteten Rohstoffe verdampft werden, um sie dann in einem zweiten Gefäß oder Vorlage zu einer neuen Flüssigkeit zu verdichten. Dabei entsteht ein Kondensat oder Destillat, das ganz andere Eigenschaften haben kann als der Ausgangsstoff: Es läßt außerdem zahlreiche Kombinationen zu und ermöglicht überdies bestimmte Derivate. So wird das schon 1838 entdeckte Benzin als Kraftstoff für die meisten Personenautos überwiegend durch das Destillieren aus bestimmten Erdöl-Sorten gewonnen, die leichtsiedende Kohlenwasserstoffe enthalten. Das dabei anfallende nützliche Wundbenzin für Desinfizierungen zeigt nur zusätzlich, daß sich die Petro-Chemiker auf dem Weg der Veredelung des ursprünglichen Rohstoffes befinden und dabei nicht nur auf schädigende Verbindungen stoßen. -190-
Dieser in den Anfängen der Petro-Chemie häufig gebrauchte Begriff zur Legitimation der eigenen industriellen Tätigkeit ist im deutschen Sprachraum so gut wie verschwunden. Das Veredeln aber bedeutete in Wirklichkeit nichts anderes als das englische »Refining« und das französische »Raffinage«, nämlich die Reinigung, Verfeinerung oder Optimierung von Ausgangsstoffen und Zwischenprodukten. Bezieht sich das Destillieren hauptsächlich auf die spezifisch leichten Anteile im erhitzten Öl, so ergibt sich im weiteren Verwertungsprozeß das Problem, wie die schwersiedenden Öl verbindungen aufgebrochen werden können. Das war bis zum Ersten Weltkrieg kaum möglich und konnte erst durch die Pioniertat von Sinclair-Chemikern zum dauerhaften Erfolg geführt werden - in Gestalt des gezielten Crackens. Bei diesem Verfahren wird durch eine Überhitzung das Destillationsmaterial in seiner Molekularstruktur zusätzlich aufgebrochen (crack), um die Benzin-Ausbeute zu erhöhen. Diese technische Entwicklung spielte besonders in den USA eine große Rolle, als im Gefolge des Ersten Weltkriegs nicht nur die Motorisierung auf der Straße eine bisher ungeahnte Ausweitung erfuhr (Ford allein baute beim Kriegseintritt der USA im Jahre 1917 genau 785432 Autos), sondern auch der Flugzeugbau vorankam - mit steigendem Bedarf an hochwertigem Kerosin als Kraftstoff für Flugmotoren mit Propellerschrauben und nach 1945 zunehmend für Turbo-PropAggregate und Düsentriebwerke (jet fuel). All diese Methoden stoßen aber dann an immanente Grenzen, wenn vor allem Schweröle verwertet werden sollen, die erst zwischen 230 und 350 Grad Celsius zu sieden beginnen. Für diesen Bereich der Ölverwertung setzte man seit 1913 das von dem Chemiker Friedrich Bergius erfundene Bergin- Verfahren ein, das heißt eine Hochdruck-Hydrierung. Sie kam zum ersten industriellen Einsatz, um aus Steinkohle nicht nur Benzin zu gewinnen, sondern auch Treiböle und -191-
Gasöl. Mit Hilfe von speziellen Katalysatoren gelang es, die Produktpalette erheblich zu erweitern, allerdings mit ziemlich hohen Vorgaben, die kostentreibend waren. So mußten für eine Tonne Benzin in der bekannten Leuna-Qualität etwa vier bis fünf Tonnen Kohle gemahlen und mit Wasserstoff aufbereitet oder eben »hydriert« werden. Hergestellt in der LeunaRaffinerie bei Leipzig, die ab 1925 auch das Fischer-DropschVerfahren zur Entschwefelung von Kohle und zur Benzingewinnung anwandte: Einst der Stolz der deutschen Petro-Chemie und heute nach dem DDR-Zwischenspiel vom französischen Energiekonzern Elf Aquitaine-Total auf Ölbasis betrieben. In Ermangelung einer gesicherten und ausreichenden Öl zufuhr war die ehemalige Kohle-Benzin-Gewinnung ein aufwendiger und auch kostspieliger Ausweg, ja ein »deutscher Sonderweg«, der am Ende in eine Sackgasse führte. Dennoch imponierte ihre Technik in Gestalt riesiger Hydrieranlagen und Kontaktöfen dem ESSO-Aristokraten Walter Teagle bei einem Besuch der Leuna-Werke Ende der 1920er Jahre: Er sah sogar darin die wirkliche Zukunft der Petro-Chemie - und weniger in der weiteren Ausrichtung auf das in den USA damals noch reichlich vorhandene Öl und Erdgas. Die populäre Kohle-Verflüssigung kam dem Traum deutscher Wirtschaftskreise und selbst demokratischer Politiker von der nationalen Energie-Autarkie ziemlich nahe. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß nach der Machterschleichung durch die Nazis das »Energiewirtschaftsgesetz« von 1934 nicht nur auf zentralistische Weise den Krieg vorbereiten half, sondern auch nach 1949 unter demokratischen Verhältnissen geltendes Recht blieb (!), ja sogar die Basis für die seit 1969 forcierte KohleVerstromung bildete. Von der Sozialdemokratie als »Jahrhundertvertrag« gefeiert und von dem gesetzlich eingeforderten »Kohlepfennig« pro Kilowattstunde durch den Stromkunden mitfinanziert, erwies sich diese Lösung zur -192-
Rettung des verbliebenen und hochsubventionierten KohleBergbaus als nicht tragfähig - abgesehen von der Umweltbelastung durch die Kohlekraftwerke mußte sie als verfassungswidrig abgestellt werden. Bei allen positiven Leistungen im Zeichen der Kohlenwasserstoffe, die wahrlich viele Kreise gezogen und das moderne Leben wie kein anderer Stoff geprägt haben, steht außer Zweifel, daß die Altlasten aus den Anfängen des Bergbaus, Hüttenwesens und der Petro-Chemie Belege genug geben, die Behauptung zu stützen: Ein Planet wird vergiftet. Die dafür aufgebotenen Sachargumente sprechen ihre eigene Sprache und müßten auch jene nachdenklich stimmen, die im chemischen Ersatz von Naturprodukten immer noch einen industriellen »Königsweg« in die Moderne sehen möchten. Denn es ist längst bekannt, daß z.B. gerade Azo-Farben, in denen Benzol- und Naphtalinkerne lästige Allergien und andere Hautkrankheiten verursachen können, also zunehmend die Kauflust der bisherigen Kunden dämpfen, um keinen Schaden zu nehmen. Was also bleibt, stiften nicht jene Petro-Chemiker, die Gifte in Geld wandeln und alle Benzol- Abkömmlinge als »Pflanzenschutzmittel« bezeichnen. Wohl aber werden jene Kollegen einen konstruktiven Beitrag leisten, die Kohlen-, Öloder Gasstoffe auf lebenserhaltende Spuren wie das Paraffin abklopfen und in der Natur nicht einen zu vernichtenden Feind sehen, sondern einen Partner, der auf eine erhöhte Treuhandschaft angewiesen bleibt: Dem Segen der Erde verpflichtet, wie ihn der norwegische Autor Knut Hamsun aus eigener Kenntnis der Öl gebiete in Pennsylvanien wie in Baku empfand.
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SUPER-KARTELLE »Anaconda« Sieben Schwestern Der Opec-Traum Als Urbild des Strebens nach einem Monopol im Sinne wirtschaftlicher Alleinherrschaft gilt seit der Antike der sagenumwobene König Midas. Ihm gewährten einst die Götter die Erfüllung eines sonderbaren Traums: Alles, was er nach eigenem Wunsch berührte, sollte sich auf der Stelle in pures Gold verwandeln, um ihn dadurch zum Herrn der Welt zu machen. Der schöne Schein des zugestandenen, aber nicht ehrlich erarbeiteten Reichtums hatte jedoch eine grausame Schattenseite. Denn auch das Essen und Trinken dieses hybriden Menschen wurde zu Gold. Erst in diesem Augenblick erkannte »der traurigste aller Alchimisten« (Baudelaire), daß ihn die Götter für seine Goldgier gestraft hatten: Midas sollte im Glanz des Überflusses verhungern - allen Menschen zur ewigen Warnung. In Gestalt einer historischen Provinzposse erging es den Gebrüdern Hunt aus Houston in Texas ähnlich. Diese beiden ÖlMilliardäre hatten sich bis 1980 eine geradezu absurde Idee in den Kopf gesetzt. Sie wollten mit Hilfe der Erträge aus dem Schwarzen Gold das Silber-Monopol auf der ganzen Welt erwerben. Im Streben nach globaler Macht kauften sie nicht nur das übliche Silber als Handelsware auf, sondern streckten ihre Hände auch nach antiken Silbermünzen aus: Sie horteten alle Schätze in der Hoffnung, irgendwann durch eine gezielte Verknappung den bestehenden Silbermarkt unterlaufen und am Ende der Kampagne übernehmen zu können. Bekanntlich ist dieser ziemlich plumpe Versuch einer Manipulation des Marktprinzips auch deshalb gescheitert, weil -194-
die wichtigsten Silberproduzenten der Welt wie die ehemalige Sowjetunion, Mexiko und Süd-Afrika allen ideologischen Unterschieden zum Trotz eine Art Zeit-Kartell bildeten, um der künstlichen Marktstörung aus Texas wirkungsvoll zu begegnen: Es ließ die beiden Hobby-Spekulanten durch Absprachen auf der Angebotsseite zwischen ihren Silberhügeln regelrecht verhungern. Hätten die beiden Öl-Mogule doch nur die Geschichte und Gegenwart ihrer eigenen Branche bedacht, wäre ihnen diese Blamage und der ökonomische Verlust erspart geblieben. Denn sie hatten ja nicht nur gegen das rechtlich ziemlich regulierte Marktprinzip (GATT) verstoßen, sondern auch versucht, ihr erkauftes Eigentum am Silber für ein Preisdiktat aus Egoismus zu mißbrauchen. Aber schon Edmund Burke, der große Kritiker der Revolution in Frankreich (1790), hatte davor gewarnt, das jedem Eigentum innewohnende Gemeinwohlgebot zu vergessen und an den Grundsatz erinnert: A law against property is a law against industry. Versteht man diese Empfehlung aus einer langen historischen Erfahrung richtig, dann wollte der englische Gelehrte und Politiker mit Nachdruck darauf hinweisen, daß auch industrielles Eigentum schutzwürdig ist und einer Rechtsgarantie unterliegt. Berücksichtigt man diese Bindung, dann wird auch das Wesen und Wirken eines Kartells verständlich. Denn in einem solchen Zusammenschluß von Unternehmen bleibt das Eigentum jedes Mitglieds mit allen Rechten und Pflichten erhalten: Was also dabei entsteht, ist lediglich ein Zweckverband auf Zeit. In dieser Struktur der Selbständigkeit jedes Teilnehmers ähnelt das Kartell dem in der Bohr-Industrie so bewährten Konsortium als Modell einer zielgerichteten Kooperation zweier oder mehrerer Unternehmen, um einer Konzession gemäß ein neues Öl- oder Gasvorkommen gemeinsam zu erschließen. Diese Erläuterung ist deshalb so wichtig, weil das Kartell oft -195-
vor allem bei linken Kapitalismus-Kritikern mit dem Monopol verwechselt wird. Fühlen sich Kartellisten für einen gemeinsamen Zweck auf Gegenseitigkeit verantwortlich, so streben Monopolisten danach, ihre Wettbewerber vollständig auszuschalten, ja auch deren Eigentum aufzukaufen oder gar bei einem Staatsmonopol dieses mit oder ohne Schadensersatz einzuziehen. Diese Unterscheidung sollte immer berücksichtigt werden, weil ohne sie bestimmte Verzerrungen und Irreführungen bestehenbleiben, die vor allem den gesamten DownstreamBereich in ein schiefes Licht rücken und damit auch Rockefellers Vermarktungspolitik zwischen 1870 und 1911: Bis zu jenem Jahr, als seine ESSO in verschiedene Entitäten zerschlagen wurde. In diesem Zeitraum läßt sich eine Frühphase der amerikanischen Ölwirtschaft beobachten, die in der Spannung von versuchtem Monopol und verstecktem Kartell sich oft selbst geschädigt hat. Den sogenannten Sieben Schwestern ist eine ähnliche Erfahrung nicht erspart geblieben. Diese neben Nobel in Baku einst größten Ölkonzerne der Welt sahen erst nach einer verlustreichen Kampfzeit von etwa 1907 bis 1928 ein, daß ihr Einzelstreben nach einem Monopol auf dem Ölmarkt nicht zu verwirklichen war: Sie fanden sich deshalb bereit, aus ökonomischer Vernunft untereinander kartellartige Absprachen zu treffen. Dabei entstand eine Struktur und Verhaltensweise oder Mentalität, die auch von dem 1960 gegründeten Staatskartell der OPEC nicht aufgebrochen wurde und gegen die sogar nationale Kartellämter nur mit Mühe etwas unternehmen können: Wie im Jahre 2000 geschehen, als die Inhaber Freier Tankstellen die Raffinerien von Giga-Oil wegen »unlauteren Wettbewerbs« vor dem Berliner Kartellamt beschuldigten: Sie sahen sich durch die Preispolitik für Benzin und Diesel in der gerechten Nutzung ihres Eigentums erheblich behindert. -196-
»Anaconda« Kein Unternehmer in der Pionierzeit des zunehmend komplex gewordenen Ölgeschäfts der USA war sich der Gefährdung seiner Tätigkeit als Vermarkter von Ölprodukten aller Art so bewußt wie der Cleveländer Kaufmann John D. Rockefeller. 1839 geboren, hatte er als blutjunger Anfänger kurz nach dem Bürgerkrieg (1865) aus nächster Nähe erlebt, wie rasch der Traum vom schnellen Geld zerrinnen konnte, als er den glänzenden Aufstieg und mörderischen Fall der Öl- Stadt Pithole beobachtete. Der trügerische Schein seiner Theater, die Spielhöllen sowie das für sein Empfinden gottlose Treiben in den rauchigen Saloons war nicht nach dem Geschmack eines aktiven Baptisten. Mit einer gewissen Genugtuung stellte er fest, daß alle die über Nacht eingefahrenen und nicht ehrlich erarbeiteten Gewinne am Tageslicht wieder zum Teufel gingen. Rockefeller sah in dem wüsten Treiben der Ölleute einen unchristlichen Tanz ums Goldene Kalb und empfand den Zusammenbruch des gefeierten Ölgötzen als eine gerechte Strafe Gottes an Glücksrittern, die nur für den Tag lebten und sich keine Sorgen um die nächste oder ferne Zukunft machen wollten. Es überrascht also nicht, daß der sparsame und äußerst gewissenhafte Ölhändler aus Cleveland im US-Staat Ohio, wo auch seit 1870 der Sitz seiner Standard Oil (ESSO) war, nachtschwarze Befürchtungen hegte. In seiner Angst aus Unkenntnis der wahren Ölsituation formulierte er einmal einen Zweifel, der noch den Publizisten Anton Zischka 1934 oder die Experten des Club of Rome im Jahre 1972 umtrieb: »Du hast zwar schon ein ganz nettes Vermögen. Sicher. Jetzt sieht es aus wie ein anständiger Besitz - aber stell' dir vor, es gibt kein Erdöl mehr, das ganze Erdöl ist einfach weg?« -197-
Immer neue Funde um Titusville und Oilcreek konnten ihn zwar vorübergehend beruhigen, während er sich gleichzeitig zu mühen hatte, die Ölschwemme (Glut) von 1869 mit ihrer Preiskrise zu bewältigen. Aber Rockefellers Sorgen vor einem plötzliehen Verlust des Öls und damit der Basis seines wachsenden Reichtums wollte bis an sein Lebensende im Jahre 1937 nicht recht weichen. Als Baptist vertraute er trotz aller Zweifel dann doch der Vorsehung Gottes, dessen Segen er bei der Mehrung des eigenen Vermögens am Werke sah. Er blieb sich jedoch bewußt, was im christlichen Verständnis die Rache des Himmels auch vermochte, sobald das angehäufte Kapital zur Eitelkeit und nacktem Egoismus mißbraucht wurde: Vor seinem strengen Gott fühlte er sich verpflichtet, den Gelderwerb aus dem vermarkteten Öl als ein Depositum oder anvertrautes Treuhandgut zu betrachten und weder die eigene Dynastie, die Teilhaber, die Mitarbeiter auf allen Ebenen noch die Kunden oder gar das Gemeinwohl (Steuern) zu vernachlässigen. Schon aus diesem haushälterischen Grund eines Treuhänders wollte er keinen Cent unnötig verschenken. Deshalb störte ihn auch die Gewinnspanne der Zwischenhändler, die sich ins Geschäft der zahlreichen Bohrunternehmer mit den Raffinerien eingeschaltet hatten: Rockefe ller bevorzugte statt dessen den Direktkauf von jedem Bohrturm oder Förderstelle und lernte auf diese Weise auch die wirkliche Lage in den Ölfeldern kennen. Bezeichnend an diesem Verhalten war der Verzicht des ESSO-Gründers, sich an der Erschließung des Öls unmittelbar zu beteiligen, demnach am mühsamen Bohren meist mit Seilbohrgeräten und am unbequemen Fördern. Das rauhe und lockere Leben vieler Ölleute stieß ihn ebenso ab wie das ziemlich hohe Risiko, Trockenlöcher zu produzieren und bei einem Öl- oder Gasausbruch die wertvollen Mitarbeiter zu verlieren und das teuer angeschaffte Material dazu. Rockefeller betrachtete sich in erster Linie als Kaufmann. Er achtete mit Energie darauf, nicht die Produktion (Upstream) zu -198-
kontrollieren, sondern den gesamten Bereich der Vermarktung (Downstream) möglichst ganz zu beherrschen, d.h. den Transport von der »Ölquelle« zu den Raffinerien und von dort zum zahlenden Kunden. Dabei war es ihm ein persönliches Bedürfnis, sich auf den Verlade-Bahnhöfen der einzelnen Eisenbahn-Gesellschaften wie der Erie-, New York Centraloder Pennsylvania-Bahn über den technischen Zustand der eingesetzten Kesselwagen zu informieren oder in den Raffinerien nach dem Rechten zu sehen - das Augenmerk stets auf vermeidbare Verluste gerichtet. Rockefeller lebte zwischen Kontor und Kontrolle vor Ort seine Organisationswut aus, ermattete zuweilen sogar die strebsamen Brüder und ruhte nicht, bis einem unliebsamen Wettbewerber auf dem Ölmarkt die Luft ausging. Seine Gegner nannten ihn nicht umsonst die »junge Anaconda« und meinten mit diesem Hinweis die riesige Abgottschlange aus dem Amazonasgebiet, die ihre Opfer langsam erdrückt. Kein unpassender Vergle ich. Auch wer nicht den moralisierenden Urteilen der Historikerin Ida Tarbell folgen möchte, die sich als Tochter eines Raffinerie-Eigners gegen Rockefellers Übernahme wehrte, kommt nicht an dem Motiv des bewußten »Abwürgens« von Gegnern und dem Gründen immer neuer Tochter-Firmen vorbei: Eine Doppel-Kunst, die er meisterhaft beherrschte - bei Gelegenheit aller religiösen Bindung zum Trotz auch mit doppelter Zunge. Als Muster für sein zielbewußtes und zweckgerichtetes Vorgehen kann das Verhalten angesehen werden, als die Southern Improvement Company (SIC) im Jahre 1872 gegründet wurde und neben Konstruktionsfehlern auch an der Unlauterkeit einiger Mitglieder vorzeitig scheitern sollte. Nach allem, was zu diesem Zweckverband als gesichert gilt, bereitete die Ölschwemme von 1869 Rockefeller große Sorgen. -199-
Ständig neue Ölfunde drückten von der Angebotsseite dramatisch den Preis pro Faß oder Barrel (159 Liter) und heizten einen geradezu ruinösen Preiskampf an, der nicht nur die gesamte Branche erschütterte, sondern auch auf die durchweg privaten Eisenbahnen übergriff: Hing es doch von deren Frachttarifen und Rabattgewährungen ab, wie günstig das geförderte Rohöl (Crude) zum Endverkauf an Raffinerien anstand und von dort aus meist als Leuchtöl für Lampen oder Schmiermittel den Kunden geliefert wurde. Was die Situation der Eisenbahnen betraf, so hatten sie während des Ölbooms enorme Investitionen getätigt, um am steigenden Öltransport gehörig zu verdienen. Hier ging es also um ein gigantisches Geschäft auf der Schiene und mit Kesselwagen, ehe die Idee des Pipeline-Systems schnell, kostengünstig und vor allem betriebssicher verwirklicht werden konnte. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Initiative zur SIC von Tom Scott ausging, dem machtbewußten Boss der Pennsylvania-Bahn: Rockefeller soll diesen Eisenbahn-König als die »vielleicht beherrschendste, autokratische Macht« aufgefaßt haben, die es jemals in Amerikas Eisenbahn- und Transportgeschichte gegeben hat. Dieser Tom Scott nun hatte den Plan ausgeheckt, mit Hilfe der SIC und entsprechenden Aktien-Anteilen die Transportprobleme der Ölindustrie wie der Eisenbahnen endgültig zu lösen, natürlich auf Kosten anderer Wettbewerber im chaotisch brodelnden Markt, dem noch vernünftige Regelungen fehlten. Den internen Absprachen gemäß erhielten die Raffinerie-Eigner besondere Rabatte, die sie konkurrenzlos günstig machten und in letzter Konsequenz die Übernahme oder den Bankrott der Gegner bedeuteten. Der Grundgedanke des Scott-Planes gefiel Rockefeller so gut wie den sonstigen Partnern im SIC-Projekt. Denn er strebte schon lange eine Bereinigung des geradezu militant gewordenen Ölmarktes in seinem Heimatstaat an, der angesichts der völlig -200-
neuen Situation erst noch rechtliche und konstitutionelle Erfahrungen sammeln mußte, ehe er mit seiner Gesetzgebung eingreifen konnte. Rockefe ller hatte also mit SIC nichts anderes im Sinn als eine dauerhafte Beruhigung des ewig schwankenden Ölpreises - zum Nutzen seiner Stammkunden wie der eigenen Ertragslage, von der ja auch die Investitio nen abhängig waren. Entgegen einer bis heute verbreiteten Ansicht, daß Rockefeller den Sozialdarwinismus in der Ölindustrie auf die Spitze getrieben hätte, zeigt sich in seinem Verhalten von 1872 eher das Gegenteil. Der ESSO-Boss wollte statt der bisher vorherrschenden Konfrontation im »Krieg aller gegen alle« (Hobbes) eine ausgewogene Kooperation auch mit kapitalschwächeren Partnern allerdings unter seinem prägenden Einfluß! In diesem Ringen konnte Rockefeller das aufdringliche Machtgehabe des Tom Scott nicht sonderlich behagen. Aber er sah jenseits der persönlichen Schwächen einen großen strukturellen Vorteil. Denn mit der Verwirklichung des SICPlanes bot sich die einzigartige Chance, »ein doppeltes Kartell fürs Öl und die Bahn zu schaffen« (Chernow). Das heißt, man zielte auf eine Art Holding, deren Aktienbasis eine Überraschung bereithielt: Die Rockefeller-Gruppe mit ihren Sympathisanten sollte nur etwa 1000 der 2000 Anteile besitzen zwar das Hauptkontingent, aber kein entscheidendes Übergewicht. So schlüssig und für den Ölpreis stabilisierend der Scott-Plan auch aussehen mochte, so erforderte seine Umsetzung eine eiserne Disziplin jedes Kartell-Mitgliedes. Und daran hatte Rockefeller von Anfang an seine Zweifel, kannte er doch aus leidvoller Erfahrung die verbreitete Neigung amerikanischer Unternehmer, sich als »Independents« zu fühlen und bei der geringsten Aussicht auf einen kurzfristigen Profit den mitbeschlossenen Zweckverband auf der Stelle zu verlassen. Eine wichtige Beobachtung zur Ideologie des Schnellen -201-
Geldes und Flüchtigen Glücks, der jedes langfristige Planen zuwider ist. Sie läßt sich auch bei den Sieben Schwestern seit 1928 und bei der OPEC von 1960 an nachweisen, und wirft die Frage auf: Wie effektiv kann ein Kartell letztlich arbeiten, wenn es mehr sein soll als nur die Befriedigung des absoluten Machttriebs einzelner Mitglieder?
John D. Rockefeller (1839-1937)
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Einen solchen unterstellten die Kritiker des SIC-Projektes, das durch einen Zufall vorzeitig aufgedeckt wurde und in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung auslöste. Es kam in der gesamten Öl-Region um das Zentrum Titusville fast zu einem Aufstand und bürgerkriegs ähnlichen Zuständen: Der zeitweise militante Kampf der Öl- Produzenten gegen ein geplantes Kartell der Öl- Vermarkter ging als ClevelandMassaker in die Geschichte ein. Der verständliche Zorn der ausgeschlossenen Bohrunternehmer, Zwischenhändler, Eisenbahnbosse und Raffineriebesitzer richtete sich aber weniger gegen Tom Scott als gegen John D. Rockefeller: In ihm ve rmutete die Tageszeitung »Oil City Derrick« den wirklichen »Schurken« und verglich ihn wieder mit dem suggestiven Bild des Erwürgens - »The Anaconda«. Rockefeller, der in dieser kritischen Zeit mit einem Revolver ins Bett gegangen sein soll, fühlte sich allerdings 1872 schon so groß, daß er die öffentliche Kritik am SIC-Projekt als ziemlich kleinkariert empfand. In Briefen an die geliebte Ehefrau Cettie deutete er aber für alle Fälle an, daß seine private Unabhängigkeit als Volleigner, Teilhaber und Aktionär auf einer soliden Grundlage ruhe, die längst nicht mehr von »Investitionen im Ölgeschäft« allein bestimmt werde: »Aber ich glaube, mein Ölkapital ist doch das beste Fundament.« Zur krisenfesten Sicherung seines Eigentums schien er sogar bereit zu sein, sich an Holding-Experimenten zu beteiligen. Darin besaß er zwar nicht am Anfang die Aktien-Mehrheit, konnte sie jedoch auf lange Sicht erwerben, falls er genügend Geduld aufbrachte und die Marktbewegungen genau beobachtete. Gleichzeitig aber kaufte er nicht nur kleinere Wettbewerber auf, er betrieb auch eine fortlaufende Modernisierung seiner firmeneigenen Kesseltransporter und Raffinerien. Dabei leitete ihn die Vorstellung, ein inneres Wachstum durch eine stetige Qualitätssteigerung seiner -203-
Ölprodukte zu erreichen: Das beste ESSO-Öl zu einem billigen Preis für die Lampen der USA wie der übrigen Welt war Rockefe ller gerade gut genug. Diese Leistungsphilosophie, die er 1908 in seinen Memoiren Männer und Ereignisse gegen alle Einreden der Kritiker verteidigte, hatte wenig mit der Öl- Industrie an sich zu tun. Sie war vielmehr Ausdruck eines Aristokratismus und Royalismus im gesamten Wirtschaftsleben der USA und prägte selbst die härtesten Gegner der Standard Oil - die Bohrunternehmer und deren Belegschaften. Durch das Bekanntwerden des SIC-Planes mehr als aufgeschreckt, schlössen sich die meisten Öl- Produzenten zu einem Zweckverband zusammen, um im Ölkrieg von 1872 mit den Vermarktern bestehen zu können. Ihre Maßnahmen zur Stabilisierung des extrem niedrigen Faßpreises reichten vom sofortigen Bohrstopp bis zur Aussperrung Rockefellers von direkten Öleinkäufen, ja zu seiner Blockierung an der Ölbörse von Titus ville. Diese wild entschlossenen Produzenten gingen sogar noch weiter. Sie bildeten selbst ein Kartell mit einem Startkapital von l Million Dollar, »um den Verkauf zu überwachen« (Abels) und einen künftigen Faßpreis von mindestens 5 Dollar zu sichern den Raffinerien vor allem, den Kunden und sich selbst zu einem fortgesetzten Schaden. Das waren Verzweiflungsschläge, die nichts mit einer rationalen Reaktion auf Angebot, Nachfrage und Preisbildung zu tun hatten. Sie tauchen in Varianten immer dann in der Ölgeschichte seit 1859 im Dekaden-Rhythmus auf, wenn das Abstimmen von Upstream und Downstream ohne rechtzeitiges Gegensteuern gestört wird. Im gegebenen Fall war es deshalb nur eine Frage der Zeit, ob und wann die frustrierten Produzenten wieder mit Rockefeller verhandelten, um aus der Konfrontation eine Kooperation zu gestalten - zum Nutzen aller. Rockefeller hatte unterdessen die Kampfansage der Produzenten sehr ernst genommen und einen nationalen -204-
Zweckverband der Raffinerie-Besitzer organisiert. Dieser Zusammenschluß der Arbeitgeber besaß Gewicht und konnte auch bald einen historischen Erfolg vermelden: Er hatte sich mit der Agentur der Öl-Produzenten auf den Vertrag von Titusville im Jahre 1873 geeinigt - auf den »Pakt mit dem Teufel«. Doch trotz gegenseitigen Bemühens, die anhaltende Öl schwemme und den weiteren Preisverfall in eine feste, kontrollierbare Form zu bringen und den gelenkten Markt zu formieren, scheiterte auch diese Annäherung. Der Hauptgrund lag bei den disziplinlosen Produzenten, im raffgierigen Verhalten einiger Raffinerie-Eigner sowie auch bei Rockefeller selbst: Denn er nutzte unter der Hand gewährte Sonderrabatte der Eisenbahnen und zerstörte damit das Abkommen zur Preisstabilisierung. Zu dieser verfahrenen Situation, für deren Regulierung es kaum eine gesetzliche Handhabe gab, merkte die ÖlHistorikerin Ida Tarbeil in ihrer eigenen Ohnmacht an: »Erzürnt darüber, daß nur wenige habgierige Menschen sich an ihren Gaben bereicherten, ließ Mutter Natur aus weit geöffneten Adern das Öl die Erde überfluten…« Auf diesen Gefühlsausbruch, der die Natur als Nemesis erscheinen ließ, erwiderte der moralisch abgekanzelte Rockefeller nur trocken: »Mutter Natur hätte sich wohl gehütet, ihre Adern zu öffnen, wenn die Produzenten sie nicht dazu gezwungen hätten.« Rockefeller hatte recht. Aber trotz einer fast monopolartigen Raffinerie-Kapazität konnte er dennoch kaum etwas zur erwünschten Preisstabilität beitragen. Denn die Ölproduktion und damit der Upstream war ihm ebenso verschlossen wie die unmittelbare Verfügung über den notwendigen Bahntransport: Außerdem war er gegenüber einem Kauf-Boykott von Kunden, die in ihm die Wurzel des herrschenden Öl-Übels sahen, ohnedies machtlos. Im Streben nach der gleichsam geheiligten Unabhängigkeit, das noch heute viele Amerikaner im Erwerbsleben umtreibt, -205-
wurde Rockefeller in solchen Krisen daran gemahnt, daß er trotz seiner Finanzkraft den strukturellen wie mentalen Abhängigkeiten im Wirtschaftsprozeß nicht entrinnen konnte, demnach Männer und Ereignisse keineswegs ausreichten, um eine Krise zu lösen. Denn hier ging es um die Optimierung der Struktur von Upstream und Downstream, die bis heute (!) nur zeitweise gelingt: Ihre auch mentalen Mängel erklären die zyklisch auftretenden Ölschwemmen und die Angst, im Überfluß an Öl zugrunde zu gehen. Selbst wenn man die Öl- Produzenten von Pennsylvanien und Ohio als rechte Stümper im Vergleich zum Vermarkter Rockefeller betrachtet, gar als »verdammt feigen, unorganisierten Haufen« (Abels) einstuft, so steht doch auch fest, daß sie trotz Gegenwehr und allem individuellem Bemühen um eine Bewältigung der Krise fast hilflos zwei strukturellen Kräften ausgeliefert blieben: Einer großteils selbstverschuldeten Sättigung der Angebotsseite und der Herausforderung, in Rockefellers ESSO den »einzigen Aufkäufer« ertragen zu müssen - als absoluten Herrn der Nachfrage. Produzenten und Vermarkter auf dem inneramerikanischen Markt waren 1873 an ein strukturelles Problem geraten, das noch heute den globalen Ölmarkt in Spannung hält. Auf der einen Seite fühlten sich die Bohrfirmen als unabhängige Unternehmer und nannten sich stolz Independents. Ähnlich erging es den Raffinerie-Betreibern, die sich gegen Rockefellers Übernahmepolitik wehrten und auf ihre Eigentumstitel pochten. Es war auch diese mentale Fixierung auf das geheiligte OilProperty als Erfüllung des Amerikanischen Traums der ungehinderten Selbstve rwirklichung, die beide Seiten des Ölmarktes zum Schaden aller blockierte. Statt einseitig auf die patrimoniale Eigentumsideologie zu pochen, hätten Produzenten und Vermarkter erkennen müssen, daß sie im Markt selbst Dependenten waren angewiesen auf das Funktionieren einer vertraglichen Gegenseitigkeit und damit einer grundlegenden -206-
Interdependenz unterworfen. Ein Befund, der genau hundert Jahre später im Krisenjahr 1973 wieder von Grund auf diskutiert werden mußte, als sich staatliche Unternehmer im Rahmen der OPEC wie einst die amerikanischen Independents verhielten und mühsam zu lernen hatten, daß die Produktion von Öl nicht alles ist, sondern daß es auch vermarktet werden muß. Rockefeller war sich nach der Öl- und Bankenkrise von 1873 der prekären Lage vo ll bewußt. Dennoch schreckte er vor dem historischen Schritt zurück, aus der ESSO ein »integriertes Unternehmen« zu formen, das Produktion und Vermarktung gleichermaßen beherrschte, den gesamten Kreislauf vom Bohrloch bis zur Zapfsäule selbst bestimmte. Das sollte ihm erst 1919 gelingen, als er schon 80 Jahre alt war und immer noch kräftig im Ölgeschäft auf seine Weise mitmischte: Und dazu gehörte eine Übernahme- und Geheimpolitik, die in all ihren Methoden und Zielen beim vorindustriellen Absolutismus in die Schule gegangen zu sein scheint. Als Beispiel unter vielen kann zum näheren Verständnis der Erwerb einer besonderen Raffinerie in New York herangezogen werden. Sie gehörte dem eigenwilligen Baptisten und ehemaligen Farbenfabrikanten Charles Pratt. Ihm und seinen tüchtigen Chemikern war es gelungen, mit der Marke »Astral Oil« ein hochwertiges Lampenöl auf den Markt zu bringen, das verstärkt nach Europa und Asien exportiert wurde. Eine Tatsache, die Rockefeller nicht ruhen ließ, bis er den innovativen Wettbewerber durch gezielten Ankauf erworben hatte. Schließlich festigte diese spektakuläre Übernahme nicht nur die neu aufgebaute Position in New York, das bald der eigentliche ESSO-Sitz werden sollte. Sie ermöglichte auch den effektiven Einstieg in den Weltmarkt für Öl als begehrten Leuchtstoff. Mehr noch: Dieser strukturelle Zusammenschluß ließ auch den so nüchtern kalkulierenden Rockefeller davon träumen, in absehbarer Zeit der einzige globale Anbieter zu ein -207-
»im Dienst der Menschheit«. Für diese Vision einer produktbezogenen Allmacht gibt es beim ESSO-Boss und seinen wichtigsten Mitarbeitern wie John D. Archbold oder Henry M. Flagler eine Reihe bester Belege. Aber ihrer Verwirklichung standen einige Hindernisse im Wege. Dazu gehörte nicht allein Thomas A. Edisons epochale Erfindung der elektrischen Glühlampe im Jahre 1879, sondern auch die Konkurrenz der Gebrüder Nobel: Sie bauten zur gleichen Zeit von Baku aus ihr eigenes Öl- Imperium auf, belieferten den europäischen Raum und bedienten den Weltmarkt mit einem hervorragenden Leuchtöl - auch gegen ESSO gerichtet. Neben diesen Herausforderungen regte sich in den USA selbst ein wachsender Widerstand gegen das versteckte KartellVerhalten Rockefellers, den dieser lange unterschätzt hat. Es war die veröffentlichte Meinung vornehmlich in den Printmedien, die ihm und seinem jetzt wie ein Krake betrachteten Konzern pauschal den Vorwurf des Monopolismus machte. Dieser aber stand im Widerstreit zur US-Verfassung, die den depositären Rechtsstaat, die parlamentarische Demokratie und den freien Markt als unabdingbar für den »Pursuit of happiness« jedes einzelnen Bürgers betrachtet, der Anspruch auf Gerechtigkeit hat. Dem Vorwurf, durch seine Übernahmepolitik die vertragliche Substanz genau dieser revolutionären Errungenschaften seit 1688 und 1787 auf lange Sicht zu untergraben, begegnete Rockefeller mit dem Hinweis, daß er mit bisherigen Wettbewerbern eine Kooperation betreibe, und zwar auf einer legalen Aktien-Basis. Das Kartell galt ihm also nur als ein Instrument zur Kontrolle des Ölpreises und als Sicherung einer stetigen Ölversorgung des ganzen Landes: Allein der günstige Preis seiner veredelten Produkte sei nicht nur ein Beitrag zum Gemeinwohl, sondern auch ein Beweis der Demokratisierung eines lebenswichtig gewordenen Industriestoffes - erschwinglich -208-
für jeden. Auf dem Höhepunkt dieser Kampagne gegen den vermeintlichen Monopolisten, in die sich auch US-Präsident Theodore Roosevelt eingemischt hatte, war es dann der Zweckgemeinschaft aus Politik und Publizistik gelungen, Rockefellers Standard Oil in ihrer kartellartigen Struktur vollständig zu zerschlagen. Am 15. Mai 1911 wurde durch Beschluß des Obersten Gerichtshofes der USA das ESSOImperium als Entität aufgelöst und in mehrere unabhängige Einzelunternehmen gegliedert. Sie waren fortan gehalten, eigenverantwortlich zu wirtschaften und als Wettbewerber gegen den reduzierten Mutterkonzern anzutreten - also Mobil Oil oder Socal (später Chevron) gegen Exxon, wie die Standard Oil auch genannt wurde. Eine wirklich sonderbare Konstruktion, die erst 1998 teilweise revidiert wurde, als Exxon und Mobil Oil trotz Bedenken, doch mit Zustimmung des US-Kartellamtes fusionieren durften. 1911 aber triumphierten die Independenten als Hauptträger der Anti- Trust-Bewegung, deren Gesetzgebung durch den US-Kongreß noch heute bemüht werden kann, um befürchtete Monopol- Bestrebungen wie von Bill Gates und dessen Computer-Firma Microsoft zu unterbinden - bisher das Vorzeige-Unternehmen der New Economy. Wie aber staunten die Verfechter eines freien Marktes, als Einzelheiten über die innere Struktur des Esso-Imperiums ans Licht der Öffentlichkeit gelangten. Trotz eines fast manischen Glaubens an die Macht patrimonialen Eigentums als Inbegriff amerikanischer Selbstbestimmung hatte es Rockefeller zugelassen, daß die Aktien-Basis seines Imperiums geteilt wurde: Ganz im Sinne eines Kartell- und Holdingdenkens, das auf die Optimierung einer wertsteigernden Kooperation gerichtet war. In diesem fast föderativ angelegten System verteilten sich die 983383 Anteile der Standard Oil keineswegs monolithisch und -209-
patrimonial. Denn der Konzernherr John D. Rockefeller besaß lediglich 244385 Aktien und sein Bruder William gar nur bescheidene 6000 Anteile, während der weitaus größere Rest auf die assoziierten Familien Flagler, Harkness, Payne, Bratt und Rogers sowie noch andere Aktionäre fiel. Tatsächlich trugen 1910 genau 6006 Aktionäre das Kapital der ESSO, das in den USA die höchsten Dividenden abwarf, aber nicht an der New Yorker Börse gehandelt werden konnte! Dieser Überraschung folgte die nächste, mit der niemand unter den ESSO-Gegnern gerechnet hatte. Die höchstrichterliche Aufspaltung des Rockefeller-Trusts ließ den Marktwert der vorhandenen Aktien innerhalb von drei Monaten um 200 Millionen Dollar steigen. Darin drückte sich auch das Vertrauen der Anleger aus, daß die neuen Einzelunternehmen außerhalb von Exxon in ihrer Prosperität zunehmen würden: Vor allem angesichts der stürmischen Entwicklung des Autos, der Schiffe und Flugzeuge, für die immer größere Mengen an Benzin, Diesel und Kerosin benötigt wurden - demnach den Leuchtstoff als Hauptprodukt des Öls ablösten. Was den oft erhobenen Vorwurf der Profitgier betraf, der Rockefeller seit 1870 wiederholt gemacht wurde, so zeigte sich bei der Offenlegung einschlägiger Akten, daß die ESSOGewinne lange nicht die Größenordnung erreicht hatten, wie aus Unkenntnis oder blanker Vermutung unterstellt worden war: Ein »Betrug am Kunden«, wie oft behauptet wurde oder gar ein Mißbrauch der Macht konnte hier nicht nachgewiesen werden. Zum fortgesetzten Ärger der Anti-Trustler erwies sich dann auch noch der oberste Richterspruch aus Washington als wahrer Segen. Denn das Hauptunternehmen Exxon und seine »Schwestern« sahen sich angesichts der erzwungenen Umstrukturierung genötigt, der bisherigen Zentralisierung vom Firmensitz New York aus entgegenzuwirken und das eigene Potential zu steigern. Dazu gehörte auch die langfristige Strategie, das bisherige Transport-, Raffinerie- und -210-
Tankstellengeschäft mit Bohrbetrieben und Förderanlagen zu ergänzen. Das geforderte Integrieren von Upstream und Downstream wurde aber erst ab 1919 ernsthaft in Angriff genommen, als wieder eine Ölschwemme zu bewältigen war, die Inflation des Dollars als Rückstau aus dem Krieg aufgefangen werden mußte und ein dramatischer Preisverfall nach Regulierungen verlangte.
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Sieben Schwestern Im Gegensatz zu Kartellen haben Monopole die Tendenz, jeden Wettbewerb absolut und flächendeckend zu unterbinden. Sie machen einen offenen Markt zu einem hermetisch geschlossenen Absatzgebiet und sind Ausdruck des patrimonialen Eigentums an Land und Leuten, denen als Konsumenten keine oder nur eine sehr beschränkte Wahlfreiheit zugestanden wird. Unter diesen Bedingungen erscheint das Monopol selten der Innovation fähig, fehlt doch der optimierende Wettbewerb. Die daraus erwachsenden Nachteile waren bereits den Verfechtern und Kritikern des Cameralismus während der Frühen Neuzeit gut bekannt. Hatte noch der Teutsche Frieden von 1648 als erste Verfassung der Welt das Prinzip des Freihandels (Libertas commerciorum) festgeschrieben und das Heilige Römische Reich nach dreißig Jahren Krieg relativ schnell gesunden lassen, so schafften es in der Folgezeit vor allem die Fürsten des Absolutismus, diese Kultur des depositären Wirtschaftens in ihren dynastischen Diktaturen zu unterbinden: Wirtschaftliche Stagnation, rechtliche Entmündigung der Stände, politische Sterilität und innere Militarisierung waren die Folge. Gleichwohl argumentierten die Cameralisten zugunsten der »absoluten und independenten« Fürsten, denen die Verfügung über das staatliche Gewaltmonopol mit Polizei, Verwaltung und Stehendem Heer ebenso erlaubt wurde wie über die »Monopolia« in der Wirtschaft. Von denen wußten die Kritiker, wie schädlich sie für ein Gemeinwesen sind: Sie führen zu Monostrukturen, die nicht mehr von den politisch und rechtlich entmachteten Ständen kontrolliert werden können. Dieser Rückgriff in die Geschichte läßt sich im Umfeld Rockefellers ohne Mühe bestätigen, der ja zu Beginn seiner -212-
Tätigkeit mit der ESSO ein Monopol anstrebte und erst nach schlechten Erfahrungen auf das Kartell auswich. So wurde er als ein »neuer Monarch« angesehen, und seine Industriellendynastie kam einer »Heiligen Familie« gleich: Was also 1686 dem Hause Habsburg im Urteil der Cameralisten bis 1918 recht war, konnte dem Hause Rockefeller 1886 unterm Schutz der göttlichen Vorsehung nur billig sein - der geheimen Triebkraft im Erwerbsdenken und Profitstreben, wenn es auch nach dem Kapitalismusverständnis des Calvinisten Max Weber geht. Die Erinnerung an Essentials des vorindustriellen Absolutismus, der in Sonderformen als geschichtswirksame und gestaltende Kraft vor allem dort nachzuweisen ist, wo ÖlEinnahmen wie im arabischen Raum eine Mono-Struktur bilden, ist hier mehr als geboten. Denn wer den zeitweise brutalen Kampf der größten Ölkonzerne um lokale, nationale und globale Marktanteile verstehen will, der muß einen Zugang zu ihrer Machtmentalität und Monopol- Gesinnung finden: Er liegt in den Varianten des patrimonialen Prinzips, das die Konzerne prägte, ehe sie es ab 1928 mit einem Kartell versuchten und sich als »Schwestern« nach außen depositär und kooperativ verhielten. Jede Begegnung mit dem dichten Regelwerk, das heute die amerikanische Ölindustrie trotz einiger Deregulierungen kennzeichnet, vermittelt etwas von einer ehemals chaotischen Markt-Geschichte. John D. Rockefeller hat sie auch in Ermangelung einer ausreichenden Gesetzgebung mit seinem Einzelunternehmen in Kartellabsprachen zu ordnen versucht und ist nach gut vierzig Jahren Kampf politisch gescheitert. Dennoch hat sein Bemühen wie jenes der Gegner (Independents) wenigstens dazu geführt, den seit 1859 anhaltenden Raubbau an den Ölvorkommen doch zu dämpfen und einzusehen, daß ein oft gnadenloses Dumping beim Faßpreis weder den Ölmarkt in der Gegenwart stärkt noch seine Zukunft sichert. Bis zu dieser Einsicht war es allerdings außerhalb der ESSO-213-
Kreise ein weiter und seltsam gewundener Weg. J. E. Hartshorn hat ihn in seinem verdienstvollen Werk Erdöl zwischen Mächten und Märkten von 1962 nachgezeichnet und dabei bewußt gemacht, daß die von den Konzernen gerne verkündete Gleichung nicht stimmen konnte: »Ölpreise seien Ergebnisse des ›Wettbewerbs‹«. Denn zu jeder Preisbildung gehörte stets auch eine politische Dimension, zumal es sich beim Rohöl seit 1917 mit dem Kriegseintritt der USA um einen strategischen Stoff handelte. Der Londoner Kaufmann Marcus Samuel, der aus Sentimentalität an den Muschelkästchen seines Vaters hing und deshalb sein eigenes Handelshaus 1897 Shell nannte, war davon überzeugt, daß Öl mehr sein mußte als nur ein handelsübliches Schüttgut (commodity). Denn in der Konfrontation mit Rockefellers ESSO auf dem globalen Markt spielte sofort auch die Rivalität zwischen der Weltmacht Großbritannien und den USA hinein, zumal von ihm noch Baku-Öl der Gebrüder Nobel eingesetzt wurde, um ESSO Marktanteile abzunehmen. Der jüdische Brite Samuel, der später in den Adelsstand erhoben werden sollte und zeitweise Bürgermeister von London war, hatte es sogar verstanden, die New Yorker ESSO-Zentrale so stark unter Druck zu setzen, daß diese von US-Politikern forderte, den russischen Öltankern die Fahrt durch den SuezKanal zu untersagen. Als ob das nicht ein schwerer Schlag gegen das Prinzip des Freihandels gewesen wäre und eine unlautere Verzerrung des freien Wettbewerbs dazu - von einer »Provinzfirma« zugemutet, wie Sir Marcus einmal die ESSO äußerst geringschätzig nannte. Zur Stärkung seiner Position als global tätiger Ölhändler, der nur den Downstream-Bereich bediente, verbündete er sich mit dem niederländischen Unternehmen Royal Dutch. Das gelang allerdings erst nach harten Auseinandersetzungen mit diesem Rivalen auf dem asiatischen Ölmarkt. Von Jean Kessler 1890 gegründet, bot diese aufstrebende Öl- Handelsgesellschaft vor -214-
allem dem Buchhalter Henri Deterding die Chance zu einer glänzenden Karriere, die Ölgeschichte schrieb - und Deterding wiederum nutzte seine Position gegen den »Ölritter« Sir Marcus. Dabei spielte der später ebenfalls nobilitierte Deterding nicht nur seine persönlichen Stärken aus, wozu ein phänomenales Zahlengedächtnis gehörte. Er verstand es auch, sich der Schwächen des manchmal eitlen und auf äußeres Prestige erpichten Shell-Vorsitzenden bestens zu bedienen. Dazu zählte dessen Neigung, das ganze Geschäftsleben in Personalbeziehungen aufzulösen und sich dem Kartellismus zu ergeben, demnach Preisabsprachen zu treffen, die anhand der Marktlage nicht immer realistisch waren. Als zum Beispiel im texanischen Spindletop ab 1901 ein riesiges Ölvorkommen erschlossen wurde, kam Sir Marcus mit der im gleichen Jahr gegründeten Gulf überein, »einundzwanzig Jahre lang jährlich 100000 Tonnen Öl zu einem Fixpreis abzunehmen« (Sampson). Dieser blitzschnell geschlossene Vertrag erwies sich aber sehr bald als ziemlich voreilig, konnte die doch der Mellon-Bank (Pittsburgh) verpflichtete Gulf aus ihrer Texasproduktion die getroffenen Absprachen nicht erfüllen: Für Sir Marcus ein herber Prestigeverlust. Er hatte zwar Rockefeller gezeigt, was als Gegenposition auf dem Weltmarkt vor allem für Leuchtöl möglich war. Aber auch sein britisches Handelshaus konnte nicht die gewünschte strukturelle Stetigkeit zwischen Ölgewinnung und Vermarktung erzwingen: Schon gar nicht bei Überkapazitäten und damit auf der Angebotsseite, die für Fix- oder Festpreise beinahe tödlich wirken. Eine Erkenntnis, zu der auch Deterding gelangte, als 1906 die Royal Dutch mit der Shell fusionierte und diese Verbindung ihre weltweite Tätigkeit erheblich ausbaute - mit ihm als dem geschäftsführenden Direktor. Es wurde ihm außerdem schnell klar, daß die Beherrschung des Öls nur als Handelsware auf Dauer nicht genügen konnte, sollte die Kontinuität der Gewinne -215-
als oberstes Betriebsziel gesichert werden. Denn nach fünfzig Jahren Erfahrung mit Öl als Leuchtstoff und angesichts der neuen Dimension im Benzin-, Diesel- und Kerosin- Bereich leuchtete Sir Marcus wie Sir Deterding die Auskunft der PetroChemiker ein: Rohöl kann eine völlig unterschiedliche Qualität haben - von Feld zu Feld. Es war also notwendig, sich im neuen Markt nach dem Leuchtstoff- Zeitalter auf die Forderungen nach immer besseren Treibstoffqualitäten einzustellen. Diese Dimension der künftigen Ölwirtschaft war dem exzentrischen Joseph Cullinan sehr bewußt, der im Zuge des Spindletop-Rausches 1901 die Texas Company gegründet hatte, zusammen mit dem DeutschAmerikaner Arnold Schlaet. Dieser Ölkonzern ruhte auf einer Aktionärsbasis und hat unter dem Namen Texaco auf vielfältige Weise bis heute die Ölgeschichte mitgeprägt: Allein schon durch die historische Entscheidung, sich als wirklich erstes integriertes Unternehmen der US-Ölwirtschaft zu konstituieren. Unter dem Firmensymbol des weißen fünfzackigen Sterns betrieb man von der Prospektion über die Produktion bis zum Endverkauf an den Tankstellen ein Geschäft, das einem in sich geschlossenen Kreislauf glich und dessen Erfolge den Kunden zugute kamen. Freilich ist nicht zu übersehen, daß die Manager des Konzerns oft innerbetrieblich einen diktatorischen Ton anschlugen und für ein autokratisches Verhalten berüchtigt waren allerdings basisdemokratisch durch die Aktionärsversammlungen kontrolliert und auch korrigiert. Als Rockefellers ESSO im Jahre 1911 vornehmlich in die drei neuen Entitäten Exxon, Mobil Oil und Socal (Chevron) geteilt wurde, trafen diese drei größten Folgeunternehmen der ehemaligen ESSO auf die Gulf, Texaco und die RoyalDutch/Shell als Wettbewerber in einem Markt, der eine rasante Expansion erlebte. Diesen sechs Giganten gesellte sich noch 1912 die British Petroleum (BP) hinzu: Gleichsam die »siebte Schwester«, allerdings nicht als privates Unternehmen, sondern -216-
als Regierungskonzern! Die Betonung dieser Besonderheit ist hier wichtig. Denn BP durfte nur bedingt am üblichen Marktgeschehen teilnehmen, bestand doch ihre Hauptaufgabe darin, die Royal Navy weltweit mit billigem Treibstoff zu versorgen. Sie war auf politischen Druck Winston Churchills aus der Anglo-Persian Oil Company (Apoc) entstanden, die wiederum von William Knox D'Arcy gegründet wurde. Dieser englische Goldsucher und Abenteurer ließ ab 1901 auf persischem Boden nach Öl suchen, blieb aber lange Zeit erfolglos, während in Texas und Oklahoma ein GigaFeld nach dem anderen erschlossen wurde. Erst am 26. Mai 1908 sollten seine Bohrteams fündig werden und eine Entwicklung einleiten, die bis heute die Geschichte und Gegenwart der Perser prägt: drei Jahre nach der Revolution von 1905, die neben Persien auch der Türkei und Rußland eine konstitutionelle Ordnung »westlichen« Zuschnitts gebracht hatte sowie das Königreich Norwegen von Schweden unabhängig machte - Jahrzehnte später ein führender Ölstaat in Europa. Was sich in diesem oft übersehenen, aber wichtigen Jahr 1905 so hoffnungsvoll in Richtung depositärer Demokratie gestaltete, fand mit dem Ausbruch des Weltkrieges 1914 ein jähes Ende. Gleichzeitig sahen sich die großen Ölkonzerne aufgrund der Kriegslage genötigt, ihren bisherigen Preiskrieg und harten Kampf um Marktanteile weitgehend einzustellen. Es zeigte sich dabei nicht nur die hohe Abhängigkeit des Regierungskonzerns BP von der machtpolitischen Lage, sondern auch die Verpflichtung der privaten Konzerne, im Dienst am Vaterland nicht abseits zu stehen. Hatte der Krieg zwischen 1914 und 1918 jedem Ölinteressenten vorgeführt, daß es Formen »höherer Gewalt« gab, die durch das Eingreifen des staatlichen Machtmonopols jeden Marktmechanismus außer Kraft setzen konnten, so glaubte man in der großen Ölflaute von 1919, wieder zur alten Kampfführung zurückkehren zu müssen. Der Öl- Aristokrat -217-
Walter Teagle von Exxon meinte gar, Sir Deterding von Shell einen Preiskampf auf Biegen und Brechen liefern zu müssen, das hieß auch, die Überproduktion von Öl durch ein Unterbieten im Preis bei Endprodukten abzufangen. Ein Erfolg mit dieser Dumpingpolitik war allerdings nur dann möglich, wenn der Kunde am Ende der gesamten Produktionsund Vermarktungskette mitspielte. Dieser Kunde aber blieb die große Unbekannte im Poker aller Konzerne und sonstigen Unternehmen, die seine freiwillige Kaufentscheidung nicht zwingend beeinflussen konnten. Hier kam es also auf die emotionale Energie oder »Ausstrahlung« eines Öl- Konzerns (Werbung!) an, ja selbst auf eine gewisse »moralische Akzeptanz«, die sich nicht an betriebswirtschaftliche Gewinnvorstellungen halten mußte. Man denke nicht nur an die Haßkampagnen unter der Federfü hrung von Ida Tarbeil gegen ESSO, sondern auch an manch eine geschäftsschädigende Aktion gegen Shell in den Niederlanden. Dabei reichte von politischer Seite die Vermutung, daß sich der Konzern wieder einmal zu sehr mit einer menschenverachtenden Diktatur wie zeitweise im Ölland Nigeria eingelassen oder sich wie bei der »Brent Spar« umweltschädlich verhalten hatte. Schon zu Henri Deterdings Zeit galt Shell als die »Häßliche Schwester« und ihr Versuch, auf dem US-Ölmarkt Fuß zu fassen, wurde gar in RockefellerKreisen als die »Gelbe Gefahr« ausgegeben. Deterding zu großem Verdruß, dem es in seinem Kampf gegen die Bolschewiki Lenins und Stalins - wegen der Enteignung seines Konzerns - wenig ausmachte, sich bis zu seinem Tode im Jahre 1936 mit den Nazis Hitlers zu verbünden und den machtpolitischen wie strategischen Faktor bei der Öl preisbildung auszuspielen - zu seinen Gunsten. Berücksichtigt man die Individualentscheidung des Benzinoder Dieselkunden an der Zapfsäule, die den Konzernen weitgehend entzogen war sowie die politische Dimension dieses -218-
strategischen Stoffes, dann wird verständlich, daß die Konzerne von Big Oil aus einem Dauerkampf heraustreten mußten, den auf lange Sicht keiner gewinnen konnte: Sie schalteten deshalb von der Konfrontation auf Kooperation und ersetzten ihre kurzatmigen Midas- Träume vom Ölmonopol durch langfristig wirkende Kartellabsprachen. Die Strategie, den bisherigen Wettbewerber und Gegner am Markt nicht zu zerstören, sondern ihn zur eigenen Optimierung zu nutzen, wäre ohne politischen Druck von außen kaum so schnell zu einem Ergebnis gekommen. Hier spielte vor allem das Außenministerium der USA eine wesentliche Rolle: Denn man war im State Department seit 1918 bemüht, weltweit eine Politik der »Offenen Tür« zu betreiben, um auch die Vorherrschaft des Britischen Weltreiches in der globalen Ölwirtschaft zu brechen. Gründe für dieses Streben lagen in der Tradition des Freihandels, den man 1853 gegenüber Japan unter militärischem Druck durchgesetzt hatte, sowie in der heftigen Diskussion über die Konservierung der eigenen Öl- und Gas-Reserven, die manch einem US-Politiker Sorge bereitete. Diesen Faktoren gesellt sich noch ein strategischer Umstand hinzu, der zunächst mit Öl nur indirekt etwas zu tun hatte: Die 1918 erzwungene Neuordnung des gesamten Nahen Ostens oder Kleinasiens nach der Auflösung des Osmanischen Reiches in independente Einzelländer und depositäre Gebiete. Darunter gewann die Monokratie der Haschemiten-Dynastie im Irak bis zur Revolution von 1958 an Bedeutung, nicht anders die Republik Türkei unter Kemal Atatürk oder Syrien, das unter französische Treuhandschaft geraten war. Obgleich dieser Raum außerhalb der Bagdadbahn verkehrsmäßig und wirtschaftlich noch der Erschließung harrte, wollten die Politiker in London, Paris und Washington den neu entstandenen Staaten nicht die nationalen Bodenschätze allein überlassen - schon gar nicht die -219-
militärisch und industriell so wertvollen, aber erst noch vermuteten Ölvorkommen. In diesem Ringen um Einfluß und künftige Marktanteile kam es 1928 zu zwei historischen Abkommen, deren Auswirkungen bis heute massiv zu spüren sind. Zunächst ging es bei der ökonomischen Neuordnung um das sogenannte RotstiftAbkommen. Es wurde im belgischen Seebad Oostende ausgehandelt und offenbarte eine überraschende Bereitschaft Londons, den USA auch für die geleistete Kriegshilfe bis 1918 substantiell entgegenzukommen und die globale Ölwirtschaft im Geist des Freihandels ein Stück weit zu öffnen. Das Kernstück dieser Politik, die auch gegen die monopolistische Sowjetunion gerichtet war, betraf vor allem die Umstrukturierung der ehemaligen Turkey Petroleum Company (TPC). An ihre Stelle sollte die Iraq Petroleum Company (IPC) treten, wobei der Aktienbestand einer anderen Gewichtung und Zuteilung unterworfen wurde. Großbritannien und damit der regierungseigene Ölkonzern BP sowie Royal Dutch/Shell gestanden in dieser Verschiebeaktion dem bisherigen Rivalen Exxon immerhin einen Anteil in Höhe von 23,7% zu. Selbst dem nervös drängelnden Frankreich, das im Rahmen des 1920 gegründeten Völkerbundes mit seinen Treuhand- oder Mandatsgebieten berücksichtigt werden mußte, räumte man 24 % der IPC-Anteile ein: Sie gingen an die Compagnie Franòaise de Pétrole (CFP) ein staatsbeherrschter Ölkonzern nach dem Muster der BP und Vorläufer der Elf Aquitaine. Das Erstaunliche an diesem Abkommen war, daß die Westmächte über die Köpfe der eigentlichen Öl- Eigentümer hinweg deren Bodenschätze unter sich aufteilten. Dabei soll der armenische Kaufmann Calouste Gulbenkian, der als »Mister Five Percent« im globalen Ölgeschäft bekannt war und sich als Kunstförderer betätigte, mit einem Rotstift das künftige Schürfgebiet umrissen haben. Das Königreich Ägypten, das Kaiserreich Persien und das seit 1899 unter dem besonderen -220-
Schutz Großbritanniens stehende Erb-Emirat Kuwait blieben ausgeschlossen: Dafür umfaßte es die gesamte arabische Halbinsel im Süden und die Türkei im Norden. Dieser ökonomisch motivierte und strategisch gestützte Teilungsplan war jedoch nicht nur zur Optimierung der Westmächte und ihrer Ölkonzerne gedacht, sondern auch gegen potentielle Rivalen gerichtet, darunter das demokratisch gewordene Deutsche Reich der Weimarer Republik, das Königreich Italien, das Kaiserreich Japan als »Habenichtse« und die ölreiche Sowjetunion, die 1918 alle ausländischen Konzerne entschädigungslos enteignet hatte. Man erkennt unschwer die Kern-Konstellation des Weltkrieges von 1914 sowie jene von 1939 und damit auch die Relativierung aller Marktkräfte hinsichtlich der Ölpreisbildung in der Zukunft. Diese wurde noch dadurch in einem Übermaß beeinflußt, daß vor allem die wichtigsten Ölkonzerne im August 1928 die sogenannte As-Is-Regelung fanden und damit ein global gerichtetes Preis-Kartell organisierten. Wie es sich für den pseudofeudalen Lebensstil der Öl- Mogule und Konzernmanager gehörte, trafen sich damals Walter Teagle von der Exxon und Sir Henri Deterding von Royal Dutch/Shell auf dem schottischen Schloß Achnacarry. Sie ahnten nicht einmal, daß sie ganz in der Nähe eines riesigen Ölvorkommens unter der Nordsee tagten, während sie darüber verhandelten, Produktion und Vermarktung gegen das bisherige Chaos vernünftig und zuträglich zu regulieren. Das Herzstück dieser auch politisch folgenreichen Übereinkunft, die noch auf das epochale Ölabkommen und Währungssystem von Bretton Woods (1944) einwirkte, ja bis 1974 eine gewisse Geltung besaß, lag im Golf-Plus-System. Mit dieser und einigen anderen Maßnahmen sollte eine Art globaler Einheitspreis erzielt werden, und zwar auf einem recht hohen, wirklich profitablen Niveau: Als Maßstab galt der Faßpreis des Öls, wie er im Produktionsraum des Golfs von Mexiko üblich -221-
war - zuzüglich der anhängigen Frachtkosten. Diese ASIS -Regelung zur Optimierung des Produktions- und Preis-Kartells außerhalb der USA sowie der Sowjetunion als den beiden größten Ölproduzenten der Welt (!) sollte durch ein ausgetüfteltes Kontrollsystem der Londoner Kommission gesichert werden: Sie konnte sogar Bußgelder gegen Ausbrecher verhängen. Nimmt man es genau, dann versuchten die seit 1928 als Sieben Schwestern bezeichneten Großkonzerne Exxon, Mobil Oil, Chevron, Royal Dutch/Shell, Gulf, Texaco und BP nichts anderes, als einen sensiblen Markt zu kontrollieren, den keiner von ihnen allein als Monopol beherrschen konnte. Der einzige Ausweg aus der bisherigen Kampfsituation, die zu erheblichen Verlusten geführt hatte, war das Kartell - ein Zweckverband von Wettbewerbern, die sich an den Tankstellen und in der Werbung Scheingefechte lieferten. Markt-Puristen mag dieser Nachteil stören. Aber es liegt auf der Hand, daß ein solches Netzwerk eine Reihe von Vorteilen bot. Es sicherte zunächst einmal eine hohe Qualität des vom Kunden gewünschten Endprodukts (Leuchtstoff, Benzin, Diesel, Kerosin, Heizöl, Erdgas). Dann gewährte es eine strukturelle Stetigkeit und damit vernünftige Zukunftsplanungen in den einzelnen, vom Öl abhängigen Nationalwirtschaften. Schließlich stützte es natürlich die eigenen Profite, garantierte das Renditeninteresse der Aktionäre und ermöglichte die notwendigen Investitionen bei der Öl- und Gassuche. Die nach 1944 betriebene Politik des Festpreises pro Faß geht auch auf diese Abkommen und Absprachen von 1928 zurück. Sie sind geradezu ein historisches Lehrbeispiel dafür, wie in bestimmten Bereichen der materiellen Grundversorgung das völlig freie Spiel der Kräfte ein akademisches Wunschmodell ist, die Realität aber von einem gelenkten Markt auszugehen hat. Selbst dieser kann an bestimmte Grenzen stoßen, wenn es -222-
keine hinreichend guten Mechanismen gibt, um extremen Marktschwankungen entgegenzuwirken. In den USA sind sie aus leidvoller Erfahrung mit Ölschwemmen vorhanden, gelten aber nicht global. Das erklärt auch, warum sich mit der gewaltigen Überproduktion von 1959 besonders im Gebiet des Rotstift-Abkommens einiges geändert hat. Denn dort hatte wie in Venezuela die wirtschaftliche Monostruktur mit Belastungen zu kämpfen, deren Ursachen nicht im Öl selbst, wohl aber in der Inflation und seiner Politisierung lagen, letztlich gar im Abstreifen des ökonomischen Kolonialismus auf der Produzentenseite und damit der nationalen Öl- Eigner - als staatliche Independenten.
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Der Opec-Traum Als am 15. September 1960 der Zusammenschluß von fünf staatlichen Öl- Eigentümern zur OPEC (Organization of Petroleum Exporting Countries) eine Tatsache geworden war, beschwor der Venezolaner Pérez Alfonzo in Bagdad ein überraschendes Zukunftsszenario: »Wir haben einen sehr exklusiven Club gegründet… Wir kontrollieren gemeinsam 90 % des Erdölexports auf die Weltmärkte, und wir sind jetzt einig. Wir machen Geschichte.« In dieser von Stolz geprägten Stellungnahme des Rechtsanwalts aus Caracas, der im Vorfeld der Opec-Gründung vor allem mit Saudi-Arabien verhandelt hatte, erscheint die Gewißheit von Bedeutung, mit Hilfe des Ölexports auf die Geschicke der Import- und Industrieländer entscheidend und langfristig einwirken zu können: Als ob es nicht um eine fundamentale Gegenseitigkeit ginge. Die Vision Alfonzos und der Opec-Traum von der Selbstbestimmung aller nationalen Produzenten fanden allein schon darin ihre erste Grenze, daß weder die USA noch die Sowjetunion als die größten Ölproduzenten der Welt an dieser Organisation beteiligt waren. Außerdem hatte bereits die USRegierung unter Dwight Eisenhower im Trade Agreement Act von 1955 sowie im Trade Expansion Act von 1962 unter John F. Kennedy klargemacht, daß Importe von Rohöl wie von Fertigprodukten niemals auch nur in die Nähe einer Gefährdung der nationalen Sicherheit kommen durften. Bei aller Bereitschaft der USA, im Rahmen des 1947 eingerichteten GATT den Freihandel zu fördern und mit Hilfe selbst der UNO bestehende Monopole zu bekämpfen, war man weder von Seiten der ölfreundlichen Republikaner noch bei den Demokraten bereit, sich in der eigenen Ölversorgung von -224-
Drittmächten über Gebühr abhängig zu machen. Schon gar nicht von den fünf Gründungs-Mitgliedern der Opec, die als Staatskartell für eine erhöhte und gesicherte Einnahme ihres einzigen Rohstoffs kämpfen wollte, namentlich der seit 1958 revolutionäre Irak, Kuwait, Persien, Saudi-Arabien und die seit 1958 wieder demokratisch regierte Republik Venezuela. Der äußere Anlaß dieses Zweckverbandes souveräner Staaten und UNO-Mitglieder (mit Ausnahme von Kuwait, das erst 1961 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen werden sollte) lag im dramatischen Preisverfall aufgrund einer Überproduktion von Öl. Sie ließ im Jubiläumsjahr von Titusville, das 1959 auf dem 5. Welt-Erdöl-Kongreß in New York gefeiert wurde, einigen Ölkonzernen anscheinend keine andere Wahl, als das bisherige System der Festpreise zu unterlaufen und damit die Ausgleichsarbeit der Sieben Schwestern als privates Firmenkartell zu gefährden. Vor allem Exxon unter dem neuen Direktor Monroe Rathbone sah sich aus Eigeninteresse veranlaßt, den bisher vereinbarten Festpreis per Faß nicht mehr an die staatlichen Öleigner zu zahlen und sie einem New Yorker Preisdiktat zu unterwerfen. Eine vorherige Konsultation in dieser hochwichtigen Angelegenheit fand weder mit den Ölministern in Venezuela oder am Golf statt, noch hatte sich Rathbone mit den übrigen sechs Schwestern verständigt oder gar einen der zahlreichen Independenten in den Entscheidungsprozeß einbezogen - wie Paul Getty, der im Ölgeschäft am Golf eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Das selbstherrliche Vorgehen der politisch und mental überforderten Exxon-Leitung löste Reaktionen aus, von denen Beobachter meinten, daß »eine Hölle losgebrochen« sei. Als sich die anfängliche Erregung gelegt hatte, wurde der Erste Arabische Ölkongreß 1959 nach Kairo einberufen, an dem insgeheim auch eine Delegation aus Venezuela teilnahm: Aus -225-
dieser Sammlungsbewegung entstand ein Jahr später die Opec, der es in publikumswirksamen Verlautbarungen stets nur um einen »gerechten Preis« ging. Was ihre Mitglieder darunter verstanden, wurde in einer ersten Stellungnahme zum Preis-Diktat der Exxon deutlich, dem sich auch die übrigen Schwestern nicht entziehen konnten. Selbst wenn sie es wie BP aus politischer Erfahrung und Kenntnis der arabischen Mentalität zunächst wollten, um weiteren Schaden abzuwenden. Die Opec verlangte darin, »daß die Ölgesellschaften unveränderte Preise zahlen, die keinen unnötigen Schwankungen unterliegen. Die Mitglieder werden mit allen verfügbaren Mitteln danach trachten, die derzeitigen Preise auf das vorige Niveau zurückzuführen…« Abgesehen von der moderaten Tonlage ist hier unschwer zu erkennen, daß sich die staatlichen Öl- Eigner als Produzenten auffaßten und sich 1959 ähnlichen Bedingungen ausgesetzt sahen wie einst Rockefeller und die privaten Ölproduzenten angesichts des Dekaden-Phänomens der Überkapazität seit 1859. Der strukturellen Herausforderung, wie das Massenprodukt öl trotz seiner unterschiedlichen Feld-Qualitäten zu einem gerechten Preis vermarktet werden sollte, gesellte sich neben der hohen Politik noch die mentale oder emotionale Seite hinzu. Ähnlich hundert Jahre zuvor wurde vor allem in den sachunkundigen Medien von Betrug, Machtmißbrauch und Profitgier geredet, jetzt nur ergänzt durch den Vorwurf, in Gestalt des Preisdiktats der Sieben Schwestern eine koloniale Ausbeutung ertragen zu müssen. Solche Losungen eigneten sich gut zur Stimmungsmache gegen die Sieben Schwestern oder Multis, wie sie im deutschen Sprachraum genannt wurden, weil sie in vielen Ländern tätig waren. Doch die randvollen Tanklager der Angebotsseite und die schwache Nachfrage des Marktes straften nicht nur die aktuellen Kritiker Lügen, sondern auch einflußreiche Publizisten wie Anton Zischka oder Politiker wie Harold I. Ickes. Beide -226-
gingen zwanzig Jahre früher davon aus, daß der bisherige Ölstrom ganz schnell versiegen wird. Ickes als USInnenminister sah sich gar veranlaßt, 1943 einen flammenden Aufruf zu formulieren und das im Krieg kämpfende Amerika auf die globale Losung einzuschwören: »Fighting for oil.« Diese Ängste waren auf Unkenntnis gebaut. Sie verdrängten auch, daß sich die Produktionsseite mit den neuen sekundären Förderverfahren technisch erheblich verbessert hatte, ja die angebohrten Träger bis zu 80 % entleeren konnte. Darüber hinaus kam es im weltweiten Ölgeschäft darauf an, mit dem Angebot die Nachfrage zu stimulieren, und das bedeutete auch, stets eine gewisse Balance zwischen Upstream und Downstream herzustellen, ein oft kompliziertes System des anhaltenden Tarierens, dem drei Steuerungsmittel zur Verfügung standen. Mit dem Anbieten spottbilligen Heizöls konnte man die historische Wende auf dem Energiemarkt verstärken, löste doch das Schwarze Gold die Kohle als Energieträger ab und eroberte so klassische Kohleländer wie Deutschland für künftigen und erhöhten Absatz. Das zweite Mittel lag im fortgesetzten Anheize n des Automobilismus als angeblich höchste Form von Lebensart, Selbstbestimmung und Freiheit, vom Kleinstwagen in Gestalt eines Gogo-Mobils bis zur Luxuslimousine. Als drittes Mittel nutzte man den Tourismus mit einer gigantischen Ausdehnung des Flugverkehrs - sowohl im Linienbetrieb wie im Charterbereich und bei der Luftfracht. Die weitere Entwicklung im Zeichen ungebremsten Wachstums bestätigte das dringend nötige Korrelieren von Angebot und Nachfrage, vor allem nach dem Abschotten des gesamten Ostblocks vom Weltmarkt durch den Bau der Berliner Mauer 1961 und der Verstärkung des Eisernen Vorhangs als Höhepunkte des Kalten Krieges. Aber ein wirklich gültiges Modell zur Bewältigung der zyklischen Krisen im Ölgeschäft konnte nicht gefunden werden. Auch die sachkundigen Sekretäre und Ölminister der Opec, die erst ihren Sitz in Genf -227-
nahm und sich dann auf Dauer in Wien einrichtete, wußten so wenig wie die Manager der Groß-Konzerne oder die Independenten wie Paul Getty, Frank Phillips oder Armand Hammer, auf welche Weise man diesem Phänomen rational begegnen könne und müsse: Im Grunde blieb die Opec ein Produzenten-Kartell souveräner Eigner-Staaten, das ein Kartell mächtiger Privatkonzerne (außer BP) zu einer »gerechten Preisformel« veranlassen wollte. Dieser Wunsch von 1962 ist trotz wiederholter Anstrengungen bis zur Jahrtausendwende nicht in Erfüllung gegangen, an der die größte Ölschwemme der Geschichte zu bewältigen war. Ein wesentlicher Grund für die oft unterbrochene Stetigkeit in der Preisbildung liegt in der Natur eines Kartells. Es beruht nämlich auf vertraglichen Absprachen zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles, ohne den einzelnen Mitgliedern ihre Autonomie zu nehmen und damit die Eigenverantwortung für die Wirtschaftlichkeit oder das Haushaltsverhalten. Diese freiwilligen Abmachungen verleiten immer wieder dazu, aus der eisernen Kartell- Disziplin auszubrechen, um das »schnelle Geld« zu machen, wenn es opportun erscheint: Damit hatte schon Rockefeller selbst seine Probleme, aber auch die Sieben Schwestern und sogar die Opec blieben davon nicht verschont. Im Rahmen ihrer genau festgelegten Förderquoten, die bei den halbjährlichen Treffen aller Mitglieder überprüft und je nach Marktlage justiert werden, ist es immer wieder zu Krisen gekommen, die hart an den Rand des Auseinanderbrechens führten. Das war vor allem in den Kriegen der arabischen Mitglieder gegen Israel (1967 und 1973) ebenso der Fall wie im Krieg zwischen den Opec-Mitgliedern Irak und Iran (1980-88) oder während der Kuwait-Krise von 1990/91. Sie ist bis heute nicht vollständig bereinigt. Noch immer gelten gewisse Sanktionen der UNO wie das Programm »Oil for food« (zweckgebundener Ölverkauf des Irak für Lebensmittel), und -228-
Streitkräfte der USA wie Großbritanniens überwachen aktiv die Flugverbotszonen im Norden und Süden des Irak. Es spricht aber trotz vieler Alleingänge, Sonderregelungen wie zwischen Saudi- Arabien und den USA oder Spezialrabatten bei langfristigen Lieferungen für die Opec als Kartell, daß sie über nunmehr vierzig Jahre hin ein hoher Stabilitätsfaktor der Weltwirtschaft geblieben ist und selbst schwerste Krisen ausgehalten hat. Das hängt ganz sicher auch mit der inneren demokratischen Struktur der Organisation zusammen, die durchgehend akzeptiert wird, obwohl die meisten Mitglieder dauerhaft oder zeitweise (Venezuela, Nigeria, Indonesien) als Diktaturen gelten müssen. Man hat wohl seit Beginn der Kartell- Tätigkeit erkannt, daß das Kommutationsgebot (»Ohne Ansehen der Person«) aus dem Vertragswesen das beste Prinzip ist, unterschiedliche nationale Interessen, Ölqualitäten und Markterfordernisse auszugleichen und damit materiell gerecht zu wirken. Die Bedeutung dieses Prinzips, das schon Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik (Buch V) beschrieben hat, zeigte sich besonders im Fall Irak. Dessen Mitgliedschaft in der Opec wurde mit dem Überfall auf die Islamische Republik Iran zunächst nur storniert. Saudi- Arabien und Kuwait erklärten sich gleichzeitig bereit, einen Teil der irakischen Ölgeschäfte abzuwickeln. Als aber der Krieg 1988 so plötzlich abgebrochen wurde, wie er von Saddam Hussein begonnen worden war, durfte der Irak in der Opec wieder seine Mitgliedschaft aktiv betreiben: Dabei gestand man die gleiche Quote zu wie dem bekämpften Iran - 2 640 000 Faß am Tag. Gewiß, diese auf Ausgleich bedachte Gerechtigkeit und eine mitunter überraschende Flexibilität im Hantieren des Alltagsgeschäftes der Opec hat nicht verhindert, daß der Diktator von Bagdad nur zwei Jahre später das Opec- und UNOMitglied Kuwait überfiel, gerade als auch mit dessen Zustimmung ihm eine Tagesleistung von 2 783 000 Faß -229-
genehmigt worden war. Trotz dieser schweren Belastung, zu der ja auch noch die inneren Krisen anderer Mitglieder wie Ecuador, Nigeria, Algerien, Indonesien oder Venezuela gerechnet werden müssen, erwies sich dieses Staatenkartell stark genug, über alle Brüche hinweg ein Grundpfeiler der Stabilität in der globalen Ölversorgung zu sein - trotz des Rückgangs von 90% des Exportvolumens im Jahre 1960 auf etwa 35% zur Jahrtausendwende. In dem als Kultbuc h ausgegebenen Essay-Band The Crisis of Global Capitalism (1998) von George Soros wird man den Namen Rockefeller so wenig finden wie einen erhellenden Hinweis auf die Bedeutung der Sieben Schwestern als ältesten Global Playern der Weltwirtschaft: Selbst die Opec wird nur kurz zur Ölpreiskrise von 1973 und 1979 mit teilweise falschen Zahlen am Rande erwähnt. Eine ähnliche Beobachtung kann man bei den WirtschaftsHistorikern Paul Kennedy, Daniel S. Landes oder auch bei Francis Fukuyama in ihren letzten Großwerken machen. Selbst die neuesten Versuche von Jared Diamond oder dem Australier Graeme Donnald Sooks gegen die abgeschotteten Nationalgeschichten im Sinne einer geistigen Globalisierung wieder eine Weltgeschichte zu verfassen, wollen oder können sich auf den Öl-Faktor nicht einlassen: Selbst Ruffmann brachte es fertig, Öl und Gas als die größte Industrie der staatsmonopolistischen Sowjetunion, ja als Spitzenreiter der Weltproduktion außer acht zu lassen. Dabei hatte schon Gamal Abd el-Nasser nach seinem erfolgreichen Militärputsch von 1952 im Rückgriff auf die Geschichte und in der Vorschau auf die Zukunft festgestellt: »Das Öl ist der Lebensnerv der Zivilisation, ohne das sie nicht bestehen könnte; ob es sich dabei um riesige Werke für die -230-
Produktion, um die Kommunikation über Land, in der Luft und auf See handelt, ob es Flugzeuge über den Wolken oder Unterseeboote in den Meeren sind. Ohne Öl wäre alles nur rostendes und lebloses Blech.« Das Erstaunliche an General Nassers Erläuterung, der vom Obersten Gaddafi in Libyen seit 1969 und von Saddam Hussein im Irak seit 1964 glühend verehrt wird, war der Umstand, daß es damals in Ägypten nur eine bescheidene Ölproduktion gab. Er hoffte aber im Zeichen der Arabischen Liga von 1945 sowie im Glauben an den »arabische n Sozialismus« darauf, bald politisch über den Öl-Reichtum Nord-Afrikas und der Golf-Region verfügen zu können - als Druckmittel gegen Israel und die USA. Aber wie im Falle Pérez Alfonzos verlief die Geschichte anders, als sie erträumt wurde. Denn es war wider alle Erwartung einzelnen Dynastien wie jener der Saudis in Arabien oder der Shabahs in Kuwait gelungen, ihre eigenen HausDiktaturen als Patrimonialstaaten zu stabilisieren, wie sie auch aus dem Erb-Absolutismus in Europa seit 1627 (Habsburg in Böhmen) bekannt sind als streng überwachte Wohlfahrtssysteme, die ihre Öl- Einnahmen aus der Opec als ein Monopol auffaßten! Ließen der dynastisch und damit auch patrimonial gesinnte Rockefeller sowie einige der sehr autoritär geführten Sieben Schwestern wenigs tens eine Art Aktionärsdemokratie zu, die in Rechts- und Verfassungsstaaten zu agieren hat, so gibt es in keinem Opec-Land des Jahres 2000 eine gefestigte innere Demokratie. Auch nicht in Venezuela, wo der 1999 demokratisch gewählte Präsident Hugo Chávez als Militär und ehemaliger Putschist (1992) alles unternimmt, ein sogenanntes boliviani sches Regime zu etablieren, d.h. seine persönliche Diktatur mit dem unmittelbaren Zugriff auf die Öleinnahmen! Neue Mitglieder in der Opec wie die Vereinigten Arabischen Emirate am Golf, Libyen, Algerien, Nigeria, Indonesien oder auch das zerfallende Ecuador werden meist von autoritären -231-
Regimes im Sinne des Tribalismus als familiäre Selbstbedienung verwaltet. Nimmt man noch dynastische HausDiktaturen wie im ölreichen Brunei hinzu oder seit 1990 die ÖlOligarchen in der Republik Rußland um den Giganten Gazprom, dann könnte der Eindruck entstehen, als gäbe es hier eine strukturelle und mentale Zwangsläufigkeit - zwischen Öleigentum und Diktatur. Aber allein die historische Tatsache, daß es in den USA als dem Pionierland dieses Rohstoffes demokratische Eingrenzungen und rechtliche Regulierungen seiner Produktion und Nutzung gibt, widerspricht diesem Junktim. Außerdem: Bedeutende Öl- und Gas-Produzenten wie die dynastisch geprägten Königreiche Dänemark, Großbritannien, die Niederlande oder Norwegen besitzen seit Jahrhunderten stabile Rechtsstaaten als vertraglich gestaltete Eigentumsordnungen aus vorindustrieller Zeit: Öl und Gas als neue Produktivkräfte wurden demnach in ihrem Eigentumscharakter definiert und ins schon bestehende Verfassungs- und Rechtssystem integriert. Hier strukturiert nicht das Öl den Staat, sondern dieser bedient sich der Verkaufserlöse und Steuern, um als öffentlicher Treuhänder seinen Haushalt fürs Gemeinwohl zu sichern. Aber selbst dieses rechtliche Netzwerk mit allen denkbaren Regulierungen und Kontrollen hat es bis jetzt nicht vermocht, in den eigenen Wirtschaftsräumen den Faßpreis auf lange Zeit wirklich stabil zu halten. Der Hauptgrund für diese wiederkehrende Unruhe in der Preisbildung liegt wohl darin, daß es auf der Produktionsseite in ziemlich regelmäßigen Abständen zu einem »potentiellen Überschuß« (Geoffrey Chandler) kommt, der nicht genau berechnet werden kann. Treten dann noch Störungen politischer Art hinzu, die das »Öl als Waffe« einsetzen, wie es die Oapec als arabischer Kern der Opec gegen Israel versucht hat, dann wird die erwünschte strukturelle Stetigkeit immer wieder unterbrochen werden. Schwankungen der Konjunktur, das Gespenst der Inflation, das -232-
Umschalten von Öl auf andere Energieformen, Umweltauflagen oder Rüstungsausgaben, die keine materiellen Wert schaffen, aber Steuergelder binden, tun ein Übriges, um auf die Preisbildung einzuwirken - vom shareholder value der ÖlAktionäre ganz abgesehen. All diese Faktoren müssen berücksichtigt werden, soll eine faire Diskussion über Nutzen und Nachteile dieser Öl- Historie stattfinden. Im Falle der Opec, deren vorzeitiger Tod von Zaki Yamani, dem ehemaligen Ölminister Saudi-Arabiens, schon mehrfach verkündet worden ist, ohne daß er eintreten will, kommen noch zwei besondere Effekte hinzu, an deren Wirkung man anfänglich nicht gedacht hat. Im Kampf gegen das Firmenkartell der Sieben Schwestern und für einen »gerechten Preis« griff man zum Mittel der inneren Monopolisierung der gesamten Produktion im Bereich des Upstream. Diesen Schritt der Enteignung nannten die Eiferer einmal Entkolonialisierung, dann wieder Nationalisierung, auch Sozialisierung oder schlicht Verstaatlichung. Das auffallende Pochen, endlich in den Besitz von Öl- Eigentum zu kommen, stärkte wohl für eine gewisse Zeit den emotionalen Selbstwert. In der Realität aber zeigte es sich schnell, daß die Öl produzenten aller Opec-Länder nur nominell unabhängig oder independent geworden sind, denn ohne die Technik der Konzerne hatten sie kaum etwas auszurichten. Der Glaube, man könnte die Sieben Schwestern als lästige Zwischenmächte ausschalten, um direkt mit der Kundschaft in den Industrieländern in Verkaufskontakt zu treten, war eine Illusion. Tatsächlich wurden die Ölkonzerne weiterhin dringend in allen Bereichen der Ölwirtschaft gebraucht, vor allem aber im Bereich der Distribution und Vermarktung, schließlich besaß kein Opec-Produzent ein ausreichendes Tanker-Potential oder gar ein Tankstellennetz, um seinen Rohstoff in veredelten Formen an den Kunden zu bringen. Kein Wunder auch, daß die Sieben Schwestern in der Ölpreiskrise von 1973, der schon -233-
einige Verstaatlichungen wie im Irak, Algerien und Libyen vorausgegangen waren, die höchsten Gewinne ihrer Betriebsgeschichte eingefahren haben - im vollen Abschöpfen des Downstream! Auch der zweite Effekt ihrer Hochpreispolitik seit der Krise von 1973 wurde von der Opec lange unterschätzt. Aufgrund der politischen Unsicherheiten in der Golfregion und der erheblichen Preissteigerungen (Inflationsausgleich gegenüber dem Petro-Dollar) lohnten sich plötzlich Investitionen im Offshore-Bereich des Golfs von Mexiko ebenso wie in der Nordsee. Man kann sogar sagen, daß die Vervielfachung des Ölpreises auf 12 Dollar pro Faß eine wesentliche Voraussetzung dafür war, in diesen bohrtechnisch schwierigen Gebieten die bereits begonnene Ölsuche zu forcieren: Selbst hier sah die Ölgeschichte nicht die Opec als eigentlichen Gewinner, wohl aber die Sieben Schwestern, vo n denen allerdings Gulf im Jahre 1984 auf der Strecke blieb und von Chevron übernommen wurde - einer Esso-Tochter. Nicht alles, was John D. Rockefeller in seinem fast hundertjährigen Leben mit seinem Goldhändchen anfaßte, wurde zu Öl. Aber das von ihm vermarktete Schwarze Gold hat trotz vieler Schattenseiten in seinem Unternehmertum manch Gutes bewirkt. Dazu zählt mit Sicherheit die RockefellerStiftung, die Wissenschaft und Forschung ebenso unterstützt wie humanitäre Projekte in aller Welt. Auch das einfache Faktum zählt hier, daß Exxon seit 1911 alle Krisen mit zwei Weltkriegen überlebt hat und nach der Fusion mit Mobil Oil wohl der größte Global Player der Ölwirtschaft ist, aber nicht als Monopolist, sondern als Kartellist, der den Wettbewerb braucht, um sich selbst zu optimieren. Darin liegt wohl der beste Ertrag des Ölkampfes um Marktanteile, daß erst Rockefeller als Einzelkämpfer und dann die Sieben Schwestern im Verbund die Vorteile der -234-
Arbeitsteiligkeit erkannt haben, um mit deren Hilfe die eigenen Betriebsergebnisse und Gewinne zu verbessern. Nicht umsonst bilden die Konzerne unter sich oder mit guten Independenten zum Erschließen neuer Öl- und Gasfelder sogenannte Konsortien. Das ist ein recht familiärer und versöhnlicher Begriff, der sich auf das lateinische Wort »sors« bezieht und damit eine »Schwester« meint, letztlich ein gemeinsames Band. Mit dessen Hilfe erstrebt man ein vernünftiges wirtschaftliches Ziel und nicht die Realisierung von Midas- Träumen, während es weiterhin erlaubt ist, auf eigene Faust Geschichte zu machen manchmal gegen die Opec und zuweilen mit ihr, aber stets zum eigenen Nutzen und Vorteil der Kunden.
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DER AMERIKANISCHE TRAUM Öl-Könige - Ein Alptraum »jenseits von Eden« Auf einer russischen Brigg soll es 1816 vor der Küste Californiens zu einer bemerkenswerten Diskussion gekommen sein. Im berüchtigten »Jahr ohne Sommer«, als die Asche eines Vulkanausbruchs in Asien die Sonne verfinsterte und sogar Irlands Hungersnot auslöste, machte sich eine illustre Runde Gedanken über die seit 1776 bestehende Republik USA. Nach dem Niederringen Napoleons in Europa und angesichts des Befreiungskampfes in Lateinamerika, der bald zur MonroeDoktrin von 1823 führen sollte: »Amerika den Amerikanern!« Unter den Teilnehmern lobte Adalbert von Chamisso den Staatsmann und Sklavenhalter Thomas Jefferson. Der deutsche Dichter, der von Hugenotten abstammte und sich ähnlich Novalis im Bergbau auskannte, sah nämlich im Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, dem Gründer der Demokratischen Partei, dem Stifter der Universität von Virginia sowie im ehemaligen US-Präsidenten einen »wirklichen Edelmann und echten Mann des Volkes«. Mit diesen Worten zitierte Klaus Mann in seinem Bericht Der Amerikanische Traum von 1940 die Einschätzung des Weltreisenden Chamisso. Zur näheren Erläuterung fügte der älteste Sohn von Thomas Mann noch eine Passage aus der Stellungnahme des deutschen Adligen hinzu: »Da hat endlich einmal jemand ein wirklich plausibles Konzept von Demokratie, welches mit den Idealen der Aristokratie nicht unvereinbar ist.« Eingedenk des Verfassungsauftrages von 1787, bei der Verfolgung allen privaten und materiellen Glücks als echter -236-
Amerikaner und Patriot nie das Gerechtigkeitsgebot zu vergessen (»to realize justice«), konnte Chamissos Urteil über den beliebten Präsidenten nur so verstanden werden: Jefferson verband als Aristoteliker das ausgleichend oder kommutativ Gerechte des Vertragswesens (Ohne Ansehen der Person=Demokratie) mit dem zuteilend oder distributiv Gerechten (Mit Ansehen der Person=Aris tokratie). Man könnte im Sinne der Nikomachischen Ethik auch sagen, der Demokrat Jefferson verschränkte Quantität und Qualität, Gemeinwohl und Eigennutz, Patrimonialbesitz und Treuhandschaft, Wahl und Erbe zu einer Ordnung auf Gegenseitigkeit, in der Recht und Gerechtigkeit (equity) als zeitlos gültige Prinzipien zu gelten hatten - in jedem Konfliktfall zur Schadensabwehr und Nutzenmehrung. Ins Öl-Zeitalter seit 1859 übertragen, bedeutete vor allem das Kommutationsgebot, dessen Wirkung der Amerikakritiker und Aristokrat Tocqueville nicht recht verstehen wollte, daß jeder unbescholtene, mündige, männliche, vertragsfähige, steuererfaßte und wahlberechtigte Amerikaner vor allem seit der Sklavenbefreiung von 1863 unbesehen seiner Hautfarbe, Religion oder Beruf das unabdingbare Recht besaß, Öl oder Ölprodukte aller Art auf dem Markt jedes Einzelstaates wie der gesamten Union zu beziehen und nach eigener Entscheidung zu verwerten - sofern er mit einer »gerechten Münze« oder entsprechender Dienstleistung bezahlen konnte und dabei keinen Dritten schädigte. Prägt also das ausgleichend und arithmetisch Gerechte das Wirtschaftsleben der USA auf allen denkbaren Ebenen, dann wird auch verständlich, warum die erste Exportnation der Welt die mit Abstand niedrigste Mineralölsteuer aller Industriestaaten hat. Verlangt der Fiskus in Ländern wie Großbritannien, Norwegen oder Deutschland etwa vier Fünftel des Literpreises für Benzin als Steuer, um den öffentlichen Haushalt zu finanzieren, so begnügen sich die USA mit etwa einem Drittel. -237-
Ihre Politiker in den beiden großen Parteien der Republikaner und Demokraten sehen in der relativ geringen Abschöpfung eine Entscheidung für den Ausgleich zwischen arm und reich: Öl gilt als demokratischer Treibstoff zu Wasser, zu Lande und in der Luft, weshalb er auch so schwer verhandelbar ist, wenn es um den Umweltschutz geht. Einen Steuerangriff auf das Öl empfinden besonders die Republikaner, die in den Wahlen aktiv von den reichlichen Spenden des »Ölblocks« (Roosevelt) profitieren, als Verstoß gegen das Demokratiegebot und die hehre Idee der Selbstbestimmung als Independents. Darin aber drückt sich auch ein starker Individualismus aus, wie ihn nur die Aristokraten in Europa kennen. Allein die Auswahlformel »E pluribus unum« für den Präsidenten nach römischem Vorbild belegt das zuteilend Gerechte als ein elitäres Leistungsprinzip. Es tritt neben einer Präsidenten-, Senatoren- oder Gouverneurs- und Richterwahl vor allem bei einer Heirat als Vertrag auf Gegenseitigkeit zutage: Wird doch von Seiten des künftigen Ehemannes »the best man« aufgeboten und von der Ehefrau die »maid of honor« - beide gelten als die qualitativ am höchsten stehenden Zeugen und Treuhänder einer solchen Verbindung vor dem Gesetz und Altar. Bedenkt man in der Einschätzung Amerikas diese Essentials eines aristotelischen Erbes, das Charles Austin Beard 1913 für seine ökonomische Bewertung der US-Verfassung so wertvoll erschien, dann wird auch ein Grundzug in Gertrude Steins Jahrhundertwerk The making of the Americans verständlich. Sie verfaßte es von 1906 an, als in den USA von Texas bis Oklahoma ein wahrer Ölrausch ausgebrochen war, der von Europäern oft übersehene Mittelstand mit Verbissenheit seine Eigentumsund Erbrituale pflegte und von der ganzen Gesellschaft erwartet wurde, »daß wir hier demokratisch und aristokratisch sein sollen«.
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Öl-Könige Folgt man dem witzigen und sarkastisch gemeinten Rat des US-Komikers Bob Hope, dann ist es in den USA »immer noch leicht, Millionär zu werden, falls man vorher Milliardär gewesen ist.« Dieser Hinweis auf die stets virulente Gefahr eines Abstiegs innerhalb der Gesellschaft des Geld-Adels erinnert an die Kunst des Konsolidierens von Profiten oder Kapitalerträgen sowie ihre Nutzung zugunsten des Gemeinwohls in Gestalt treuhänderischer Stiftungen. Wie schon zu sehen war, ist John D. Röckefeiler dieses Kunststück ebenso gelungen wie dem Auto-König Henry Ford. Dazu gehörte nicht nur das Geschick im Umgang mit erworbenem Geld, sondern auch der soziale Aufstieg vom einfachen Kaufmann zum »König« der ÖlMogule, der seine eigene Dynastie begründete und bis heute sichern konnte - mit tüchtigen Erben. An solchen Glücksfällen, die immer wieder das Interesse der Historiker erregten, ist Amerikas abenteuerliche Ölgeschichte überreich. Aber ihnen stehen ebenso viele Karrieren gegenüber, die oft tragisch endeten und keine persönliche oder familiäre Kontinuität fanden, ja nicht einmal die Bearbeitung durch einen Biographen erfuhren. Der schon mehrfach erwähnte Harry Sinclair mit seiner Innovationskraft, seine m Expansionswillen und seiner Sozialverantwortung den eigenen Leuten in der harten Maloche gegenüber wäre ein überaus lohnenswertes Feld. Trotz eines Klumpfußes hat er von 1903 bis 1949 wirklich ein großes Stück Ölgeschichte gemacht, in dem auch die Schattenseiten nicht zu kurz kommen: Vor allem seine Beteiligung am immer noch nicht ganz geklärten Teapot-DomeSkandal aus den 1920er Jahren, der das Ausmaß einer Grauzone zwischen Öl und Politik nur ahnen läßt. -239-
Sinclairs Werdegang als risikobereiter Unternehmer »im Öl« wurde zeitgleich nur noch von Leuten wie Paul Getty und vor allem Frank Phillips auf eine Weise übertroffen, wie sie außerhalb der USA kaum denkbar ist. Selbst so glänzende Literaten wie Upton Sinclair mit seinem legendären TatsachenRoman Petroleum oder John Steinbeck in den berühmten Früchten des Zorns konnten in ihrer Kritik am Amerikanischen Traum das an Erfindungskraft nicht aufbieten, was die Realität vorzuzeigen hatte: Dazu ist das Leben und Wirken von Frank Phillips ein Paradebeispiel - des »Königs der Wildcatter«. Die Verwirklichung seines Traums begann schon mit der Geburt am 28. November 1873 in Scotia (US-Staat Nebraska). Denn die kinderreiche Farmer-Familie pflegte ihre historischen Wurzeln bis zu den Pilgervätern als dem Gründungsadel des weißen und nonkonformistischen Amerika seit 1620. Ein gewisses Auserwähltsein gehörte also zur ersten sozialen Prägung. Sie verstärkte sich noch, als der junge Frank die Geschichten von Horatio Alger über besondere amerikanische Helden las und sich unter seinen neun Geschwistern zu etwas Höherem berufen fühlte, als nur Farmer zu werden. Seine erste berufliche Tätigkeit in Creston, wo er als Friseur mit Haaröl umzugehen hatte, hielt denn auch in diesem Energiebündel nicht lange vor: Mit nur 17 Jahren verließ er Iowa und wandte sich nach Westen, den lockenden Rocky Mountains zu. In der aufstrebenden Stadt Denver, die als »Königin der Plains« galt, war es unmöglich, dem seit 1890 anhaltenden Gold- und Silberboom der Bergbau-Region Colorado zu entgehen. Täglich wurde auch in Franks Friseurstube von dem steinreichen Silber-Baron Horace Tabor gesprochen, und Frank Phillips witterte die Chance, mitten im Silberzentrum von Aspen sein Geschick mit Schere, Kamm und Rasiermesser in Gold zu wandeln. Er verdiente unter den Glücksrittern nicht schlecht, war sechs Tage in der Woche rastlos auf den Beinen und wunderte sich -240-
erst über bestimmte Zusammenhänge von Industrie, Wirtschaft, Recht, Währung, Politik und Alltagsgeschäft, als 1893 in den USA ein besonderes Erdbeben die gesamte Nation erschütterte: Der Sherman Silver Purchase Act hatte gerade den US-Kongreß passiert. Nach einer langen Depressionsphase, die auch dem Ölgeschäft John D. Rockefellers und seiner ESSO zu schaffen gemacht hatte, wurde die US-Währung durch dieses Gesetz vom bisherigen Silberstandard auf die Gold-Deckung umgestellt von einem Tag auf den anderen. Selbst dem größten Ignoranten mußte im Zuge dieser Maßnahme klar werden, was ein solch massiver Eingriff des Staates und damit der hohen Politik letztlich bedeutete: Bei der Produktion und Vermarktung von Rohstoffen war immer auch ein politischer Anteil im Preis zu zahlen. Und dieser hatte in der Silberregion Colorado fatale Folgen. So wie einst die glänzende Ölstadt Pithole in Pennsylvanien aufgrund der Ölschwemme und des Preisverfalls gleichsam über Nacht in sich zusammenbrach, so erging es jetzt auch dem unglücklichen Aspen. Von dessen neureichen Bürgern hieß es denn auch ganz im Sinne des royalistischen Denkens: »Die Silberkönige verloren ihre Krone n.« Horace Tabor soll diese Krise der eigenen Überproduktion mit anschließendem Preisverfall so übel mitgespielt haben, daß er binnen kurzer Zeit am Bettelstab ging und in einem Hotel in Denver den Tod fand. Frank Phillips aber sah im raschen Aufstieg und rapiden Absturz der Edelmetall- Helden ein wegweisendes Zeichen. Er war einer der ersten, der das krisengeschüttelte Aspen verließ und sich in Ogden ansiedelte, einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt in Utah, gleichzeitig die Geschäftsbasis der Continental Oil Company, an der hauptsächlich das New Yorker Bankhaus J. P. Morgan beteiligt war. Mit diesem Unternehmen kam der junge Friseur zwar erst viel -241-
später in näheren Kontakt. Aber er konnte in Erfahrung bringen, daß bei gezielter Vermarktung von Ölprodukten aus den Raffinerien des Ostens im entwicklungsbedürftigen Westen der USA gutes Geld verdient wurde und dabei die Banken im Hintergrund kräftig mitmischten. Es dauerte auch nicht sonderlich lange, bis der selbständig (independent) gewordene Friseur seine Rasierstube verkaufte und ins Bankfach wechselte: von dem Bankier John Gibbon veranlaßt, dessen Tochter Jennie er 1897 geheiratet hatte. In dieser Zeit des Wandels und der Selbstfindung bewunderte Frank Phillips besonders die schier unglaubliche Karriere des Stahl-Königs Andrew Carnegie, der neben einem großen Vermögen eine berühmte Stiftung hinterlassen hat. Auch die Erfolgsgeschichte des Öl- Königs John D. Rockefeller ließ dem ehemaligen Friseur und jetzigen Bankier keine Ruhe. Er sah in diesen Industriellen das amerikanische Ideal des Selfmademan verwirklicht, der so lange seine Talente und Chancen auf allen denkbaren Ebenen erprobt, bis er seine wirkliche Berufung erkennt und fortan alle Kräfte darauf richtet, etwas Dauerhaftes zu leisten - über den Ort und Tag hinaus. Eine Haltung, die jedem ernsthaften Abkömmling der Pilgerväter aus England ziemte und gerade bei Frank Phillips auf fruchtbaren Boden fiel. Er wollte etwas Großes aus seinem Leben machen und traf im entscheidenden Augenblick auf einen Methodisten-Prediger, der ihm für die Zukunft die Augen öffnete. Während eines Besuches der Weltausstellung in Saint Louis hatte der Jung-Bankier Phillips den Bruder Larrabee aus Creston kennengelernt. Dieser Gottesmann hatte vor, in das sogenannte IndianerTerritorium zu gehen, um dort möglichst viele Indianer zum Christentum zu bekehren. Sein religiöser Auftrag galt aber auch der Rettung jener christlichen Seelen, die als Glücksritter, Abenteurer und Gangster in dieses noch Staats- und rechtsfreie Gebiet kamen, um zwischen den Städtchen Tulsa und -242-
Bartlesville nach Öl zu bohren, die Leute übers Ohr zu hauen oder von der Wegelagerei zu leben. Frank Phillips aber, der 1898 Vater des Sohnes John-Gibson geworden war und auch an dessen Zukunft dachte, malte er eine Vision aus, der kaum zu widerstehen war: Im Indianergebiet, das ab 1907 als neuer US-Staat den Namen Oklahoma (Rotes Volk) bekommen sollte, »fließt das Öl aus dem Untergrund wie Wasser. Es ist flüssiges Gold und es gibt Männer, die damit reich werden, sehr reich« (Wallis). Als Frank Phillips nach Beratungen mit dem Schwiegervater und einigen seiner tüchtigen Brüder 1904 beschloß, den Öl rausch von Oklahoma für sich zu nutzen, begann eine einzigartige Schatzsuche im Wilden Westen. Michael Wallis hat sie im Geist von B. Travens ölgetränktem Vitalismus aus einem reichlich vorhandenen Quellenmaterial nachgezeichnet und eine gute Grundlage geschaffen, dem aufregenden Werdegang dieses neuen Independenten nachzuspüren. Nirgendwo in der Ölgeschichte der USA spielten die Eigentumsvorstellungen der Indianer eine größere Rolle als zur Zeit des Ölbooms in diesem Zufluchtsgebiet des Mittleren Westens. Vor allem die Stämme der Cherokee, Osage und Semiolen, die nach einem langen »Zug der Tränen« aus ihren alten Stammesgebieten an der Golfküste zwangsweise in den Westen umgesiedelt worden waren, behielten trotz zahlreicher Pressionen von weißer Seite ihr treuhänderisches Bewußtsein über das kollektive Stammeseigentum, das von der Regierung in Washington garantiert worden war. Es gab nur insoweit ein Zugeständnis an die neuen Verhältnisse, als Einzelmitglieder des Stammes oder eines Clans bestimmte Landflächen privat nutzen durften, ohne auch nur eine Handbreit Boden an Weiße zu veräußern - das betraf vor allem den Abbau von Bodenschätzen jeder Art. Die erlaubten Pacht- und Mietregelungen sollten denn auch für die Ölsuche in Regionen Oklahomas wichtig werden, wo es -243-
zahlreiche Ausbisse oder Pitholes gab. Ihr Öl wurde von den Indianern oder Trappern meist als Heilmittel verwendet und erfuhr jetzt mit dem sich stürmisch entwickelnden Automobilbau unter der Regie von Henry Ford eine kaum abzuschätzende Wertsteigerung. Es konnte sogar zur Einnahmequelle für Indianer und weiße Unternehmer werden, wenn diese mit den Stämmen und deren rechtlichen Ansprüchen genausogut zurechtkamen wie mit dem oft unbeständigen Ölmarkt. Frank Phillips, der eine gute Witterung für zukunftsträchtige Geschäfte besaß, erfaßte einmal eine Art Vision, als er durch Zufall auf dieses Großthema des 20. Jahrhunderts gestoßen wurde. Er sah nämlich eines Tages von seinem Bankbüro aus ein Auto die Straße heruntertuckern und schaltete im Gespräch mit einem seiner damals arbeitslosen Brüder blitzschnell: »Diese neuen Karren brauchen Benzin. Das dürfte der Stoff für die Zukunft werden. Es mögen jetzt erst wenige Wagen sein, aber irgendwann werden wir davon Millionen haben. Öl kostet im Augenblick nur 28 Cents für ein Barrel (159 Liter). Aber was wird es in zehn Jahren kosten?« (Wallis) Vom stetigen Wachstumsdenken geprägt und ohne nähere Kenntnis des bisherigen Ölgeschäfts, konnte Phillips nicht wissen, daß dieses seit 1859 alle zehn Jahre einen Tiefstand der Faßpreise durchzustehen hatte. Ein Phänomen, das ihn nicht beschäftigte, als er zusammen mit seinem Schwiegervater und anderen Investoren 1904 das Risiko einging, die Anchor Oil and Gas Company zu gründen. Das Unternehmen besaß ein Startkapital von 100000 Dollar und beteiligte sich an einer Industrie, von der im landesüblichen Royalismus geschwärmt wurde: »Öl stand bereit, König zu werden. Bartlesville war dazu bestimmt, eines seiner wichtigsten Reiche zu werden, und Frank Phillips würde der Kronprinz sein.« Doch ehe sich diese hochgespannten Erwartungen auch nur annähernd erfüllen konnten, standen den unerfahrenen, aber -244-
risikofreudigen Öl-Bankern ein paar harte Prüfungen bevor. Die erste Bohrung in diesem neuen Schürfgebiet des Wilden Westens war bereits am 15. April 1897 in knapp 400 Metern Teufe mit Dynamit oder einer »Teufelsladung« (Godevil) erschlossen worden: Doch ein wildes Losbohren in der Nähe von Ausbissen führte nicht immer zum schnellen Erfolg. Das mußte auch Frank Phillips erfahren. Obwohl sein erster Versuch mit einem gemieteten Bohrturm als »Holland l« auf Öl gestoßen war, verplätscherte die Tagesausbeute im Handumdrehen. Zwei weitere Bohrungen blieben trocken. Sie schienen die Skepsis seines Bruders Lee Elias zu bestätigen, der lange fest daran glauben wollte, daß durch eine besondere göttliche Bestimmung nur Rockefeller Glück im Ölgeschäft hätte, dabei beteiligte sich dessen ESSO gar nicht am Bohrbetrieb und an der Ölgewinnung (Upstream). Frank Phillips' Geduld im grassierenden Ölfieber wurde aber bald nach der ersten Durststrecke reichlich belohnt: Die vierte Bohrung »Anna Anderson Nr. l« nördlich von Bartlesville war ein Volltreffer - der Springer oder Gusher lieferte am Tag kontinuierlich eine Ausbeute von etwa 200 Barrel, immerhin mehr als 30000 Liter. Verglichen mit den Tagesleistungen in Texas mochte diese Menge lächerlich gering erscheinen, aber sie war ja lediglich ein Anfang. Tatsächlich blieb in der Folgezeit das Bohrglück den Phillips-Brüdern mehr als hold. Sie erschlossen 81 Sonden im sogenannten Bartlesville-Sand als Träger hintereinander, ohne ein einziges Trockenloch (dry hole) als Fehlinvestition beklagen zu müssen: Eine Strecke, die fünfzig Jahre später erst wieder die Zapata Petroleum des George Bush in Texas übertreffen sollte. Was die beiden zielstrebigen Phillips-Brüder als Ölunternehmer aber trotz ihrer Bohrerfolge noch lernen mußten, war die finanzielle Absicherung dieser neuen industriellen Tätigkeit mit ihren hohen technischen und personellen Risiken. Das schafften sie durch die Gründung der Citizens Bank and -245-
Trust Company am 4. Dezember 1905, ein historisches Datum, das Frank Phillips dreißig Jahre später während der Großen Depression und drängender Tagessorgen vergessen haben sollte. Die zweite Grundbedingung ihres Industrialismus bereitete ihnen wie zahllosen anderen Wildcattern und selbst den großen Konzernen weit größere Sorgen. Denn Lagerung, Transport, Verarbeitung und Absatz des Schwarzen Goldes (Downstream) stießen im chaotischen Ölmarkt auf Widerstände, die sie selbst nicht bestimmen, kontrollieren oder gar beseitigen konnten: Das Ringen um einen »gerechten Preis« im Verhältnis zum technischen Aufwand glich auch 1909 immer noch einem Vabanquespiel. Erfahrene Ölleute wie Rockefeller, Sir Marcus oder Sir Deterding standen vor einem Rätsel. Dessen Lösung suchte die Öl-Historikerin Ida Tarbeil aber nicht im zyklischen Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage. Sie fand vielmehr eine passende Antwort im Fluch der Natur, die mit periodisch auftretenden Ölschwemmen die Marktkräfte verwirre, um die Hybris der Öl-Könige zu brechen, die sich wie Midas fühlten.
Partei-Konvent der Republikaner zur Wiederwahl von George Bush 1992 -246-
Chevron-Raffinerie in Louisiane sichert den »American way of life«
Das Eigenartige an dieser sehr moralischen Einstellung ist nun, daß es in der Öl- Wirklichkeit verblüffende Bestätigungen für diese These zu geben schien. So wurde E.W. Marland, der nach Aussagen von Zeitgenossen »eine Nase für Öl und das Glück des Teufels« besaß, ebenso ein Opfer der Marktsättigung wie Joe Cosden, der als »Prinz des Petroleums« gefeiert wurde: Und der legendäre Billy Roeser schaffte es ohne Mühe, 50 Millionen Dollar, die er aus dem Ölgeschäft gezogen hatte, schneller durchzubringen, als eine Flachbohrung dauerte. Zwei Generationen später, als sich 1989 der DekadenRhythmus in der Ölpreiskrise erneut bestätigt hatte, kam John Silber einer Erklärung dieses Phänomens recht nahe, indem er auf die mangelhaft abgestimmte Balance zwischen den Marktkräften hinwies und das Fragile allen Menschenwerks anmahnte: »Wir müssen sehen, daß der Reichtum keine natürliche Existenz hat. Er muß erarbeitet werden. Gold wäre wertlos, wenn es keine Güter gäbe, gegen die es eingetauscht werden kann. Um aus Erdöl eine Quelle großen Reichtums zu -247-
machen, muß es Automobile, Kraftwerke und eine petrochemische Industrie geben. Ohne die im Westen geschaffene Technologie wäre das Öl des Nahen Ostens nicht mehr als eine geologische Kuriosität.« Man hört bei Silber, dem Präsidenten der Universität Boston, die Sorge heraus, als könnte in der Depression der späten 1980er Jahre, in denen der einstige Ölmann George Bush als USPräsident die schwere Nachfolge von Ronald Reagan antrat, das alte Arbeitsethos mit seiner sozialen Verantwortung verschwinden und Reichtum allein per Mausklick zu erwerben sein - der Traum aller Vertreter der New Economy um Bill Gates. Selbst Frank Phillips, der unermüdliche Verfechter der Old Economy als Verbindung von körperlicher Arbeit, maschineller Leistung und geistiger Tätigkeit, wollte zuweilen ob all der Anstrengungen erlahmen, trotz seiner Erfolge im Ölgeschäft: Denn die Ölschwemme und Preisflaute vo n 1909 machten ihm mächtig zu schaffen. Zwar verstand er es, ihre Auswirkungen leidlich abzufangen, aber die Einsicht wuchs mit jedem Jahr mehr, daß er von Marktkräften abhängig war, die er nur bedingt beeinflussen konnte. Seine Skepsis, hier eine dauerhafte Lösung zu finden, steigerte sich noch während einer Weltreise im Jahre 1913. Sie hatte ihn nach Asien, in den Nahen Osten und nach Europa geführt und ihm zusätzlich bewußt gemacht, daß die Prosperität im eigenen Lande weitgehend vom Export und dem globalen Markt für Leucht- oder Lampenöl aus den USA abhängig war, demnach auch von seinem Unternehmertum. Diese Einsicht förderte aber nicht sein Engagement. Vielmehr verstärkte sie noch eine gewisse Ermattung bis hin zu der ernsthaften Überlegung, sich ganz aus dem anstrengenden Ölgeschäft zurückzuziehen. Es reichte ja, sein Kapital sowie das der eigenen Bankkunden künftig »arbeiten« zu lassen: Frank -248-
Phillips fühlte sich als Independenter zu abhängig von Marktkräften, die außerhalb seiner Verfügungsmacht standen und sich der Steuerung durch ein Einzelunternehmen entzogen. Mit dem Kriegsausbruch aber von 1914 und dem Eintritt der USA in die Kriegskoalition zwischen Großbritannien und Frankreich erlebte Frank Phillips eine patriotische Läuterung: Bei aller Liebe zum Bankwesen fühlte er sich jetzt doch in erster Linie als Ölmann und Kämpfer für die Freiheit von der Heimatfront aus. In seiner Analyse der eingetretenen Lage sah er eine riesige Nachfrage für Öl voraus. Sie umfaßte längst nicht mehr nur das auf dem Weltmarkt so begehrte Leuchtöl, sondern auch AutoBenzin, Schiffsdiesel und vor allem das hochwertige Kerosin für die sich entwickelnde Luftfahrt. Frank Phillips begann also wieder zu bohren, zunächst im »Los 185«. Er hatte es auf dem Gebiet der Osage-Indianer gepachtet und ab dem 13. Februar 1917 bearbeitet. Doch was mit einer optimistischen Aufbruchstimmung begonnen hatte, endete in einem Trockenloch nach dem anderen. »Onkel Frank«, wie er über den Familienkreis hinaus in ganz Oklahoma anerkennend genannt wurde, mußte sich in dieser Zeit harten Geduldsproben aussetzen und auf sein altes Bohrglück hoffen. Bereits gut einen Monat später fand er am 21. März 1917 seine schon sprichwörtliche Zähigkeit bestens belohnt: Sein Bohrteam traf auf einen Springer, der in jeder Stunde mehr als 250 Barrel Öl aus der Trägerschicht des Bartlesville-Sandes an die Oberfläche steigen ließ. Dieser Erfolg reichte zwar bei weitem nicht an Tagesleistungen heran, wie sie im texanischen Spindletop seit 1901 üblich waren. Aber die neuen Ölfunde brachten Frank Phillips im ganzen Mittleren Westen endgültig den Ruf ein, der »König der Wildcatter« zu sein. Der Tatsache wohl bewußt, daß man sich für solche Medien-249-
Titel rein gar nichts kaufen konnte, entschloß er sich zusammen mit seinem Bruder Lee, eine Umorganisation des Unternehmens vorzunehmen. Sie nannten es fortan Lewcinda Oil and Gas Company, freuten sich über den Preis, der von 40 Cents auf über einen Dollar pro Faß gestiegen war, und spürten, wie mit jeder fündigen Bohrung im Osage-Gebiet ihr Gewicht in der Ölbranche Oklahomas zunahm. Es dauert auch nicht lange, bis sie der Dynamik nachgaben und einen neuen Firmennamen erfanden. Er sollte eines Ölkonzerns würdig sein und den Familiennamen als zeitlos gültige Qualität der Kundschaft empfe hlen: In diesem Sinne kam 1917 die Phillips Petroleum Company zustande. Aus dem klassischen Independenten-Unternehmen gestaltete sich seither zwar kein »Mayor« oder gar eine neue »Schwester« im Rahmen von Big Oil. Doch dieser Oklahoma-Konzern eines ehemaligen Friseurs und Bankiers erwarb sich auf allen Feldern der Ölindustrie Amerikas einen gehörigen Respekt und schrieb auf seine Weise ein bedeutendes Stück Ölgeschichte: dank der guten Hand des Gründers, ausgezeichnete Fachleute an das Unternehmen zu binden, das vollwertig die Produktion wie die Vermarktung bediente - im Upstream und Downstream zu Hause war. Phillips' Petroleum ist es unter anderem zu verdanken, daß das bei der Ölgewinnung anfallende Gas nicht einfach abgefackelt, sondern aufgefangen wurde, um es in Form von Flüssiggas nutzbar zu machen: eine Idee aus dem Jahre 1917, die erst heute in der Branche zum globalen Gemeingut wird. Die Verbesserungen des Flugbenzins durch Phillips-Chemiker fanden nicht nur früh beim Militär und nach 1918 in den zivilen Fluggesellschaften steigenden Anklang und Nachfrage. Auch so prestigebesetzte Unternehmungen wie der erste Nonstop-Flug von Californien nach Hawaii in einer einmotorigen Maschine sahen Phillips' Petroleum als Sieger - im überaus populären Dolerace vom 17. August 1927 mit der Maschine »Woolaroc«. -250-
Frank Phillips verstand es trotz der Alkoholprobleme seines einzigen Erben, der sich kaum für den Ölkonzern interessierte, die familiären Krisen zu überwinden und weiterhin kreativ zu bleiben. So gehört es zu seinen Verdiensten, zwischen Angebot und Nachfrage als den Hauptkräften des Marktes eine geschickte Werbung für seine Ölprodukte zu schalten. Galt der berühmte Highway 66 als die »Mutter aller Straßen« von Chicago durch den Mittleren Westen nach Los Angeles, so wurde sein Spitzenbenzin der Marke »Phillips 66« geradezu ein Inbegriff des Fortschritts in der amerikanischen Autokultur: Es fand aufgrund der Werbung und seiner hohen Leistung sogar in den schweren Absatzzeiten der Großen Depression auch dann noch Käufer, als andere Marken leer ausgingen. Seine Firmenidentität lebte davon, die neuen Tankstellen überall im Land geschmackvoll auszustatten und das Personal in Firmenkleidung zu einem besonders freundlichen Service zu motivieren. Hier konnten die Kunden nicht nur Benzin oder Diesel tanken, sondern auch Flüssiggas für Küche und Heizung in sicheren Stahlbehältern mitnehmen, ja sich auf eine Weise wohlfühlen, die den American way of life entscheidend mitprägte - nämlich auch auf der Straße zu Hause zu sein. Zu dieser dienstleistenden Seite seines freien Unternehmertums paßte der von Frank Phillips oft beschworene Traum, dort technische Neuerungen und Höchstleistungen zu versuchen, wo andere Wettbewerber aus Kostengründen, Profitgier oder Mangel an Investitionsmut zurückschreckten. Gegen alle Widerstände war es denn auch seinen Ingenieuren und Technikern gelungen, eine Benzinleitung von Borger (Texas) nach East St. Louis (Louisiana) in Rekordzeit zu legen: Als sie am 20. September 1930 die Phillips-Tankstelle in St. Louis erreichte, eilten mehr als 10000 Autofahrer herbei und tankten in sieben Stunden nicht weniger als 70154 Gallonen »Phillips 66« - Weltrekord! Solche und andere Erfolge selbst in der Großen Depression -251-
konnten ihn aber nicht darüber hinwegtrösten, daß der Alkoholismus des Sohnes John für ihn persönlich eine Katastrophe war. Es hat »Onkel Frank« getroffen, das eigene Lebenswerk nicht an einen tüchtigen Erben zu treuen Händen übergeben zu können. Doch mit diesem Verlust stand er in der Ölwelt nicht allein. Auch Harry Sinclair, mit dem er sich gut verstand, ist ein ähnliches Los widerfahren, nicht anders Dr. Armand Hammer und anderen Independenten. Lediglich George Bush hatte hier mehr Glück. Er riet seinem ältesten Sohn George W. nach Alkohol- und Drogenproblemen, diese Abhängigkeit radikal zu bewältigen, das Ölgeschäft zu verlassen und sich der Politik zu widmen. Mit Erfolg: Denn der junge Bush wurde erst Gouverneur von Texas und 2001 auch nach einer umstrittenen Wahl US-Präsident - Big Oil zum Jubeln und den Umweltschützern von Big Green zum Heulen. Trotz der Schattenseiten im Privatleben und manch einer autokratischen Marotte gegenüber dem Personal im Konzern hat das renommierte Oil and Gas Journal schon früh erkannt, was »Onkel Frank« neben seiner sozialen Tätigkeit in Oklahoma geleistet hat. Es lobte den Firmengründer und seine tüchtigen Brüder als »besonders smarte Ölleute in der Industrie«. Denn sie hätten doch das Bank- und Ölgeschäft stets mit Kompetenz, Fairneß und hoher Verantwortung betrieben - zum eigenen Nutzen und dem Wohle vieler Amerikaner in der Not der 1930er Jahre. Frank Phillips verfolgte sein arbeitsreiches Leben lang immer hochfliegende Pläne, die er zu einem großen Teil auch verwirklichte. Es mag ihm deshalb auch so gefallen haben, daß ihn der Stamm der Osage-Indianer als ersten Weißen zum Ehren-Häuptling erklärt hat, mit dem bezeichnenden Beinamen Hulah Kihekah - Adler-Chief. Diese ungewöhnliche Ehrung fand im Krisenjahr 1931 statt, als Frank Phillips vor der größten Herausforderung seines Lebens stand, nämlich den Konzern durch die Unwägbarkeiten -252-
der Großen Depression und eines chaotischen Ölmarktes zu führen. Er schaffte es allein schon dadurch, daß er jedem einzelnen der gut 6000 Aktionäre von Phillips Petroleum einen persönlichen Brief schrieb und dabei zusicherte, durch fortlaufende Innovation das flaue Ölgeschäft ankurbeln zu wollen. Die Reduzierung seines eigenen Einkommens auf einen symbolischen Dollar im Jahr war sicher ein werbewirksamer Gag. Aber diese Geste der äußeren Selbstbescheidung war wirksam genug, der Belegschaft auf allen Ebenen des Unternehmens bis 1940 einen bestimmten Lohnverzicht abzuverlangen ohne daß ihre Loyalität oder Leistungsbereitschaft darunter gelitten hätte. Natürlich verdiente Phillips Petroleum nicht nur aus eigener Anstrengung. Auch eine Reihe von strukturellen und konjunkturellen Programmen des New Deal verschafften dem Ölkonzern manch einen Aufschwung. Diese staatliche Stimulanz unter der Regierung von Präsident Franklin D. Roosevelt geht auf den Einfluß von John Maynard Keynes zurück, der seit den 1920er Jahren als Verfechter eines gelenkten Marktes das Wirtschaftsleben Amerikas, aber auch Skandinaviens mit der Vorstellung vom Wohlfahrtsstaat bis heute geprägt hat. In der konkreten Situation hat z. B. Phillips Petroleum 75 % der eigenen Butan- und Propangas-Produktion nicht auf dem freien Markt verkauft, sondern dem US-Militär und damit dem Staat. Kein Wunder, daß nach der Durststrecke während der Depression im Zeichen der neuen Wirtschaftspolitik auch die Gewinne stiegen: Wurden 1940 genau 11590300 Dollar an Profit erwirtschaftet, so erreichte man im letzten Kriegsjahr 1945 beinahe eine Verdoppelung auf 22571000 Dollar. »Onkel Franks« Zusagen, im Dienste von Gas und Öl die Interessen der Aktionäre (shareholder value) ebenso wahrzunehmen wie jene der Belegschaft und zahlreicher Zulieferer, hat sich auf vielfaltige Weise erfüllt und ihm Zeichen -253-
aufrichtiger Dankbarkeit eingebracht. Dabei fühlte er sich keineswegs als Asket, sondern pflegte den üppigen Lebensstil der Erfolgreichen und des industriellen Geldadels: Mit Privatmaschine, prächtigen Landsitzen und dem zu jener Zeit unvermeidlichen Ideal eines jeden Independenten und angeblich echten Amerikaners - dem Genuß von »Car and Cigar«. Über viele Jahre hin ließ sich »Onkel Frank« in einem Lincoln durch die Lande kutschieren, ehe es auch aus Gründen des Prestiges ein Cadillac sein durfte, das besondere Erkennungszeichen dafür, daß sich jemand den amerikanischen Traum vom materiellen Erfolg und gesellschaftlicher Reputation erfüllt hat den Aufstieg vom »Friseurladen zum Öl- Imperium« (Kansas City Star). Als Frank Phillips, ein direkter Nachfahr der Pilgerväter, am 23. August 1950 starb, blieb Freund und Feind weit über Oklahoma hinaus bewußt, daß hier ein großer Pionier der amerikanischen Ölindustrie in die ewigen Jagdgründe eingegangen war. Sein wirklich kühner Unternehmergeist beflügelte lange über seinen Tod hinaus den wohlgeordneten Konzern. Es waren nicht von ungefähr Phillips-Bohrteams, die 1952 das Alaska-Öl in der Prudhoe-Bay entdeckten, und nicht die Wettbewerber von Exxon. Ihrem Wagemut und Können war es auch zu verdanken, daß 1969 das erste große Ölfeld in der Nordsee unter der Bezeichnung »Ekofisk« erbohrt wurde; und schließlich fanden die Phillips-Leute 1981 auf heimischem Grund sogar das GigaFeld »Point Arguello« vor der Küste Californiens. Mit unermüdlichem Fleiß, Sachkompetenz, Risikobereitschaft und einem Gottvertrauen, das außerhalb Amerikas gern belächelt wird, war es diesem Farmerssohn aus Nebraska vergönnt, am großen Abenteuer des 20. Jahrhunderts teilzunehmen und sogar eigene Zeichen zu setzen. Mag einiges an seinen gelegentlichen Machtlaunen und sein Outlaw-Gehabe der unvermeidlichen patrimonialen Prägung entsprechen, so -254-
hinterläßt dieser Öl-König doch eine weitgehend anständige Fama. In der Einschätzung seines Lebenswerks soll er ähnlich dem bewunderten Vorbild John D. Rockefeller einmal mit vollem Ernst gesagt haben: »Gott hat es mit mir gut gemeint.«
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Ein Alptraum Als im weltweiten Krisenjahr 1956 mit dem Suez-Debakel sowie den Volksaufständen in Ungarn und Polen die Phillips Petroleum zum ersten Mal in der Konzerngeschichte die 1Milliarde-Dollar-Grenze an Umsatz-Einkommen überschritt, kämpfte eine winzige Ölfirma aus Californien ums nackte Überleben. Sie war in den 1920er Jahren gegründet worden, nannte sich etwas großspurig Occidental Petroleum und verfügte angeblich nur noch über »14000 Dollar Bargeld auf der Bank«. Diese Auskunft bestätigt nicht nur die lebenswichtige Verbindung von Ölgeschäft und Banken, sondern verweist auch auf einen Informanten, der in der amerikanischen wie globalen Ölgeschichte äußerst bizarre Spuren hinterlassen hat - Dr. Armand Hammer. Schon seine Angaben zum Kontostand der OXY, wie das Unternehmen abgekürzt noch heute in der Ölwelt durchaus mit Respekt genannt wird, müssen angezweifelt werden. Denn der studierte Arzt Hammer frönte der fatalen Neigung, sich permanent selbst zu inszenieren und es mit Sachauskünften nicht genau zu nehmen: Edward F. Epstein hat denn auch in einer neueren Untersuchung überzeugend nachgewiesen, daß gegenüber Hammers farbig geschriebenen Memoiren höchste Vorsicht geboten ist. Aber einiges im Leben dieses Öl- Wanderers zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten kann doch als leidlich gesichert gelten. Im Jahre 1898 geboren, wollte sich dieser Arzt und umtriebige Unternehmer bereits mit 58 Jahren aufs Altenteil begeben: Aber aus Gründen der Steuerersparnis bei Bohr-Investitionen kaufte er sich mit 100000 Dollar bei der OXY ein. Gemäß seinem Erfolgsmotto »Geld -256-
regiert die Welt« (He who hath the gold makes the rules) strebte er mit immer neuen Finanztricks danach, die 1956 so marode Ölfirma binnen dreißig Jahren äußerster Geschäftigkeit auf eine Ebene zu heben, die ihm als Lebenstraum erschien, aber allen anderen Beteiligten wie ein Alptraum vorkam: Er wollte OXY zur Achten Schwester machen. Dafür war ihm jedes nur denkbare Mittel recht. Selbst vor einem Teufelspakt wollte er nicht zurückschrecken und konstruierte sich ein mafiotisches Machtsystem, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem russischen Kinderspielzeug einer »Puppe in der Puppe« hat. Damit war Hammer seit 1921 vertraut, als er für die hungernde Sowjetunion unter Lenin günstige Getreidekäufe auf dem westlichen Weltmarkt organisierte und mit seinem Vater sogar in der Nähe von Moskau eine Bleistiftfabrik leitete, bis ihn Stalin 1929 aus dem Arbeiter-Paradies vertrieb. Mit einer Handvoll kostbarer ZarenEier, die er den Bolschewik! billig abgekauft hatte, kam er nach Paris, wo diese vom Atelier Fabergé gefertigt worden waren, und begann auch von ihrem Erlös in den USA ein Unternehmertum: Es führte ihn von Los Angeles aus ins Öl. Wußte er nach eigenen Angaben noch im Jahre 1957 nicht genau, ob er »Ölmensch oder Medienboss sein sollte«, so klärte sich die Lage bald, als er im Libyen des Königs Idris I. ein riesiges Ölgeschäft witterte. So wie die »Puppe in der Puppe« und die Ostereier des Zaren von außen als kompakte Einheit erscheinen, aber innen komplex verschachtelt sein können, so legte er auch seine Paket-Lösungen an, um »im Pokerspiel um die Ölkonzession in Libyen« ein As mehr im Ärmel zu haben als die weitaus größeren Mitbewerber wie Exxon, Mobil Oil oder Shell. Zunächst gründete er gegen den Rat aus den eigenen Reihen der OXY, in der er nicht einmal die Aktienmehrheit besaß, die Firma Oxylibya. Das war im Jahre 1961, als der Kalte Krieg mit dem Bau der Berliner Mauer seinen Höhepunkt erreicht hatte, -257-
gerade die Opec gegründet worden war und alle ökonomischen Zeichen im Westen auf stetiges Wachstum zeigten. Hammers Absicht mit der neuen Firma bestand aber nicht allein darin, für die Ölsuche in Libyen eine Konzession zu erhalten. Er wollte darüber hinaus auch noch nach Wasser bohren lassen, um die dann sich entwickelnde Landwirtschaft mit Kunstdüngern aus einer eigenen Fabrik zu versorgen: Wie in einem geschlossenen Kreislauf sollte ein Hammer-Unternehmen ins andere greifen und den Wüstenstaat in ein blühendes Land verwandeln. Dieses integrierte und kompakte Projekt einer praktischen Entwicklungshilfe hörte sich schlüssig an. Es galt aber Hammer nur als Lockangebot für eine Bohrerlaubnis, nachdem EssoLibya während der ersten Konzessionsphase seit dem Petroleum Act von 1955 das äußerst ergiebige Zelten-Feld erschlossen hatte - am 12. April 1959 und mit einer Tagesleistung von unglaublich anmutenden 500000 Faß meist der hochwertigen Qualität »Arabian light«. Die vage Aussicht auf Erfolg in diesem gerissenen Geschäft will Hammer gegen alle Widerstände, Oxys Möglichkeiten zu überfordern, vornehmlich darauf gebaut haben, daß sein PaketVorschlag »den patriotischen Sinn des Königs für das Wohlergehen seines Volkes ansprach und nicht die käufliche Seite seines Charakters« (Hammer). Verfängliche Worte! Denn Hammer kannte das Klima der Korruption und Vetternwirtschaft am Hof des erbenlosen und alternden Königs nur zu gut, der ein Spielball seiner Berater war. Er schildert selbst den Versuch des berüchtigten »Schwarzen Prinzen« Abdullah Abbad, ihm für eine 3-ProzentBeteiligung am künftigen Ölsegen eine Konzession beim König verschaffen zu können. Hammer spielte in seiner Darstellung der Verhandlungen den naiv lauteren und ehrbaren Geschäftsmann aus Amerika: Dabei war er längst mit raffiniert versteckten Bestechungssummen am Werk, um endlich in -258-
Libyen bohren zu dürfen. Erfahren im Umgang mit den Roten Zaren von Lenin bis Bresnev und deren autokratischem Personalismus sowie besessen vom Großen Spiel um die zu erwartenden ÖlMilliarden aus der libyschen Wüste, betrieb Hammer vom Frühjahr 1965 an ein äußerst riskantes Verfahren, doch noch eine Libyen-Konzession zu ergattern. Nachdem alle Annäherungsversuche gescheitert waren, bemühte er sich über andere Kanäle, an einen gewissen Omar Shelhi heranzukommen - ein von König Idris adoptierter Sohn und dessen möglicher Nachfolger im höchsten Stammes- und Staatsamt. Mit Hilfe des amerikanischen Abenteurers Wendeil Phillip, der sich als Archäologe im arabischen Raum auskannte und gelegentlich in dortigen Ölgeschäften mitmischte, konnte Armand Hammer einen wichtigen Kontakt zu Hans-Albert Kunz herstellen. Dieser Schweizer verdingte sich bei Spezialaufgaben der arabischen Ölwelt und kannte einen gewissen Kemal Zeinal Zade - den entscheidenden Verbindungsmann zum Idris-Hof in Tripolis und zum »Kronprinzen« Shelhi. Zade, der Sohn eines Asarbeidschaners und einer Tschetschenin, verfügte über persönliche Beziehungen bis in die Baku-Führung des Geheimdienstes KGB. Obgleich es diesem wichtigen Kontaktmann fast lachhaft vorkam, wie sich der Rußland-Schwärmer Hammer zum Herausforderer der Sieben Schwestern stilisieren wollte, ließ er sich bei einem geheimen Treffen in Düsseldorf auf das ein, was Hammer glänzend beherrschte: das Vorgaukeln einer Öl- Vision. Sie bestand für den Oxy-Unternehmer darin, das angebliche »Monopol« der amerikanischen Groß-Konzerne mit seiner Hilfe zu brechen, um Libyen einen nationalen Ölweg zu erschließen. Das war in hohem Maße politisch und nicht ökonomisch gedacht. Doch Shelhi wollte so wenig wie Zade selbst und die anderen Beteiligten auf jenen 3-Prozent-Anteil verzichten, den Hammer zuvor dem »Schwarzen Prinzen« aus gespieltem Stolz -259-
verweigert hatte. Außer dieser laufenden Abgeltung aus den künftigen Ölerträgen waren an die libyschen Partner vorab 2,8 Millionen US-Dollar (damals mehr als 10 Millionen DM) als eine Art Provision zu zahlen. Dazu gab es die interne Absprache, daß diese und alle weiteren Zahlungen von Oxy über eine Schweizer Bank (!) abgewickelt werden sollten: Und zwar so, daß von diesen illegalen Transaktionen kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit dringen konnte. Als »Lohn der Angst« erhielt Dr. Armand Hammer endlich die Zusage, in den Blöcken 102 und 103 bohren zu dürfen. Das war am 26. Februar 1966 und überraschte mehr als vierzig Unternehmen, die weit größere Erfahrung bei der Ölsuche in einer Wüste besaßen als Oxy. Hammers Methode, nicht aus eigener Kompetenz stark zu sein, sondern die Schwächen von Partnern zu nutzen, hatte wieder einmal ihre Bestätigung gefunden und sah sich bald von einem überrasche nden Erfolg gekrönt. Denn im November des gleichen Jahres stieß das OxyBohrteam auf Öl und erschloß das Augila-Feld: Es lieferte über 90000 Faß pro Tag und dazu noch die Spitzenqualität »Arabian Sweet«, d.h. äußerst schwefelarm und hervorragend geeignet, daraus Benzin herzustellen. Ein ähnliches Bohrglück widerfuhr Hammers Oxy im Block 103, als man dort auf das ergiebige Idris-Feld stieß. Dessen dritte Eruptivsonde allein soll nach Hammers Angaben 74867 Faß pro Tag geliefert haben. Ende 1967 schätzten Experten die libyschen Ölreserven der Oxy auf »drei Milliarden Barrel«. Bei etwa drei Dollar pro Faß, die damals für hochwertiges Rohöl gezahlt wurden, konnte es nicht nur Dr. Armand Hammer schwindelig werden; er durfte sich jedenfalls angesichts dieser Öl-Tatsachen als Milliardär betrachten, nachdem er zehn Jahre zuvor als kleiner Medien-Millionär ins Ölgeschäft eingestiegen war. Was Außenstehenden wie die Erfüllung eines unbändig -260-
herbeigesehnten Traums erscheinen mag, galt den Insidern von Oxy als nervtötender Alptraum. Zwar konnte bei einer spontanen Hochrechnung mit einem wahren Dollarsegen gerechnet werden, aber jede Tagesproduktion erhöhte auch die anstehenden Belastungen. Denn das Beherrschen des Upstram war eine Sache im Ölgeschäft, eine ganz andere hingegen bestand im Hantieren des Downstream, und von der erfolgreichen Verknüpfung beider hatte Hammer so gut wie keine Ahnung. Er war bei all seinem Verhandlungsgeschick im Vorfeld eines Öl-Deals genau in jene Falle geraten, die seit 1859 jeden independenten Ölunternehmer quält: Wo und wie soll das erbohrte Öl gelagert, transportiert und am Ende bis zur Zapfsäule vermarktet werden? Hammer fand zwar nach einer dramatischen Suche im Bechtel-Konzern einen zeitweiligen Partner, der ihm von den Ölfeldern in der Wüste die notwendigen Pipelines an die Mittelmeerküste baute. Doch die gespannte Situation blieb erhalten und machte dem selbsternannten Öl- Tycoon zumindest bewußt, wie schwierig es war, in die seit Generationen gewachsenen Netzwerke der Sieben Schwestern einzudringen, die Produktion und Vermarktung glänzend beherrschten. Von einer solchen Optimierung war Hammers Oxy weit entfernt. Sein Traum von der Achten Schwester, den zeitweise auch Paul Getty verfolgt hatte und an dem er scheiterte, zerschellte nicht an der Tüchtigkeit seiner Bohrteams. Sie hat Oxy in Kolumbien, im Golf von Mexiko, sogar in der Nordsee oder auch in Pakistan weltweit einen guten Ruf und aufsehenerregende Erfolge eingebracht. Seine Vision ließ sich vor allem deshalb nicht realisieren, weil das californische Unternehmen chronisch unterkapitalisiert war, keine Großbank im Hintergrund als Absicherung des Öl- Abenteuers besaß und für einen integrierten Konzern, der global tätig sein muß, einfach zu wenig Substanz aufbauen konnte. -261-
Zum Bohrglück der auch bei größeren Wettbewerbern geachteten Oxy-Drillern kam im Falle Libyen noch politisches Pech hinzu. Kaum hatte sich das exotische Geschäft mit Öl aus der Wüste entwickelt und leidlich stabilisiert, da übernahm im Jahre 1969 der erst 27jährige Oberst Muhammar al-Gaddafi nach einem Staatsstreich der Armee die Macht im Wüstenreich des Königs Idris I. Damit aber waren alle Beziehungen zum bisherigen Machthaber mit einem Schlag gekappt, so daß die Verhältnisse zwischen den neuen Mächtigen und den auswärtigen Ölkonzernen einer anderen Ordnung bedurften. Obgleich es Armand Hammer gelang, bei der an der Sowjetunion orientierten Revolutionsregierung des »arabischen Sozialismus« ein paar Abmilderungen der radikalen Maßnahmen zu erreichen, mußte auch Oxy die Produktion erheblich drosseln und endlich einsehen, daß man im Poker der wirklich Mächtigen letztlich auf Dauer nicht mithalten kann - schon gar nicht in einer anhaltenden Ölflaute wie 1969. Kampagnen in der arabischen Presse gegen den »Juden« Armand Hammer und seine Beziehungen zum absoluten Todfeind Israel waren seiner künftigen Position in Libyen so wenig günstig, wie ihm jetzt die Kreml-Herren mit ihrer Protektion bei Gaddafi beispringen wollten. Gleichzeitig erwuchs ihm aus den eigenen Reihen eine Gefahr, die ihm lange nicht bekannt war. CIA und FBI hatten nämlich ein waches Auge auf den umtriebigen Wanderer zwischen den ideologischen Welten geworfen, der sich sogar in Rotchina am Kohlebergbau beteiligen wollte, um auf diesem Umweg von den Peking-Kommunisten eine Bohr-Konzession zu erhalten. Die auffallende Nähe des Kapitalisten Hammer zu den Sozialisten in Moskau, Peking und nun auch in Tripolis blockierten in Washington einflußreiche Kreise. Seine hohen Spenden für die Wahlkampfkassen waren zwar stets willkommen, aber sie sicherten ihm nicht den so heiß -262-
erwünschten Umgang mit den jeweils regierenden USPräsidenten: Gleichwohl rühmte er sich mehrfach, vom Demokraten John F. Kennedy bis zum Republikaner Ronald Reagan als Ratgeber in Ost-West-Fragen bemüht worden zu sein. Dr. Armand Hammer, der wie Paul Getty oder Calouste Gulbenkian als generöser Kunstsammler auftrat und gar den »Leicester Codex« von Leonardo da Vinci erwarb, um seine Geltungssucht zu befriedigen, galt als eiskalter Autokrat und skrupelloser Machtmensch. Vor allem David Murdock bekam zu spüren, wohin die kriminelle Energie einen Geschäftsmann treiben kann, der kein Maß kennt und glaubt, daß er mit Geld alles kaufen dürfe. Als Hauptaktionär von Oxy war Murdock nach allen Machtkapriolen und Finanztricks Hammers daran gelegen, den eigenwilligen und selbstherrlichen Konzern-Chef zu stürzen, um weiteren Schaden vom Unternehmen zu wenden. Doch statt Hammer aus seiner Position drängen zu können, sollte er eine böse persönliche Überraschung erleben: Denn der Absolutist Hammer hatte über ihn ein privates Dossier anfertigen lassen, dessen angedrohte Veröffentlichung Murdock mehr geschadet als der Sturz von Hammer genutzt hätte. Diese Art des Machiavellismus wurde durch Hammers Bestechungsmanie ebenso ergänzt wie seine wiederholten Versuche, mit Kniffs geltendes Recht zu brechen, Gesetze zu umgehen und bestehende Regeln im Ölgeschäft zu unterlaufen. Diese Seiten überschatten bei weitem seine humanitären Aktionen in Hungersnöten oder zur Förderung der KrebsForschung. Mit einer schier unerschöpflichen Energie ausgestattet, lebte er nicht nur zeitweise in »Bigamie«, sondern nährte auch den Wahn, daß ihm der Friedensnobelpreis zuerkannt werden müßte, nachdem er einmal Norwegens König Olaf V. imponiert haben will - mit der Sonderanfertigung eines -263-
Rolls Royce. Wie krankhaft dieses ständige Protzgehabe ausgeprägt war, zeigte sich noch in der Schlußphase seines langen Lebens. Trotz eines akuten Krebsleidens ließ es sich Dr. Armand Hammer nicht nehmen, von Los Ange les aus nach Washington zu fliegen: Dort wollte er bei der Vereidigung des von ihm unterstützten Republikaners George Bush als Präsident der Vereinigten Staaten ganz vorn dabei sein. Dieses feierliche Verfassungsfest fand am 20. Januar 1989 statt. Mitten in einer schweren Ölkrise mit Überproduktion und Preisverfall sowie nur ein paar Monate vor dem Sturz der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa, deren sowjetisches »Reich des Bösen« (Reagan) Armand Hammer seit 1921 vertraut war und außer der Stalin-Zeit für manch ein Geschäft genutzt wurde. Was immer auch noch zu bestimmten Schandtaten dieses sprachkundigen, auch charmanten und gebildeten Arztes im Ölgeschäft veröffentlicht werden mag, so stellt sich doch die Frage, was ihn wirklich umgetrieben hat. Der in Hollywood gedrehte Öl-Film »The Formula« könnte darauf eine Antwort geben. Darin spielte Marion Brando, der schon als mexikanischer Revolutionsheld Zapata den Ölmann George Bush beeindruckt hatte, den Öl- Tycoon »Adam Steiffei«. Ein fiktiver Name, der sich wie das deutsche »Teufel« anhört und ein machiavellistisches Programm verkörpert: nämlich mit allen nur denkbaren Finessen den Weltmarktpreis für Öl zu untergraben, um anschließend als Herrscher der Welt aufzutreten und den Markt mit seinen Hauptkräften auszuschalten - König Midas und die Gebrüder Hunt bringen sich in Erinnerung. Dr. Armand Hammer soll sich trotz des nicht vorteilhaften Images von Adam Steiffei öffentlich gerühmt haben, von Brando bewußt porträtiert worden zu sein. Als eine besondere -264-
Kraft im Wirtschafts- und Kulturleben, die sich am liebsten auf Kosten anderer selbst inszeniert und sich dabei virtuos der Ölszene zu bedienen weiß: Erst am 12. Oktober 1990 fanden alle Bluffs des ausgebufften Spielers im Ölpoker ein Ende - das Alter von John D. Rockefeller oder gar dessen Übertrumpfung war ihm aber von der Natur nicht vergönnt worden.
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»Jenseits von Eden« Was immer auch der strebende Mensch auf der Rückseite des Paradieses erwartet, kann nur eine Art Hölle sein. James Dean hat sie im Familien-Drama »East of Eden« als Bohnenzüchter durchlitten, aber in »Giganten« (1955) daran mitgewirkt, als Ölpionier einen privaten Garten Eden als Gegenwelt aufzubauen. In diesem Streifen verkörperte er nicht das sozial gestörte, sondern das dynamische Amerika. Als kometenhaft aufsteigender Unternehmer realisiert er den Amerikanischen Traum der 1950er Jahre: Independent geht er als »Jett Rink« seinen eigenen Weg, hat materiell Erfolg und bemüht sich, trotz aller Widrigkeiten im Leben einen »guten Job« zu machen. Dahinter wirkt auch der Grundgedanke, wie ihn einst John F. Kennedy im Geist der depositären Verfassung von 1787 für das moderne Amerika formuliert hat, nämlich in erster Linie nicht danach zu fragen, was der Staat für den einzelnen Bürger tut, sondern was dieser für sein Land und dessen Gemeinwohl leistet. Diese Art des Patriotismus war auch dem Republikaner Prescott Bush eine lebenslange Verpflichtung. Über Jahre hin als Firmen-Sanierer tätig und dabei mit manch einer sozialen Härte im Arbeitsleben konfrontiert, heuerte er als Manager bei US-Rubber an. Ab 1953 vertrat er Massachusetts im US-Senat und fühlte sich altrömischen Tugenden verbunden, ohne die er sich ein Gemeinwesen auf Vertragsbasis gar nicht vorstellen konnte. Als immerwährenden Leitstern gab er denn auch die Maxime an seine Kinder und Parteifreunde weiter: »Je mehr Vorteile und Vorzüge ein Mann besitzt, desto größer ist die Pflicht, sich und sein Vermögen in den Dienst des Gemeinwesens zu stellen.«
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Diese Vorstellung von aristokratischer Eigenbestimmung und demokratischer Treuhandschaft hat vor allem sein zweiter Sohn George Bush auf besondere Weise zu leben versucht. Am 2. Juni 1924 in Milton (Massachusetts) geboren, studierte er am vornehmen Yale-College Nationalökonomie und wollte nach seinem Einsatz als Kampfflieger an der Pazifikfront gegen Japan früh erwerbstätig werden. Religiös vom Episkopalismus geprägt und schon im Alter von zwanzig Jahren mit Barbara Pierce in New York verheiratet, lockte ihn nach dem gewonnenen Weltkrieg das freie Unternehmertum - als Independenter. Doch der Eintritt in diesen Garten Eden Amerikas bedurfte nach aller Theorie eines praktischen Vorlaufs, ehe er es wagen durfte, selbständig zu wirtschaften, um dann aus gesichertem Wohlstand auch politisch tätig zu werden. Gefördert von Neil Malion, einem nahen Freund der Familie Bush und unverheirateten Boss von Dresser Industries, zu dem auch die Bohrgerätefirma Ideco (International Derrick and Equipment Company) gehörte, folgte George Bush dessen Rat, in den Ölfeldern von Texas sein materielles Glück zu suchen. Bald ansässig in Odessa/Texas, ahnte er 1948 nicht, daß er vierzig Jahre später einem Politiker aus dem ursprünglichen Odessa am Schwarzen Meer auf höchster politischer Ebene begegnen würde, um mit diesem nicht nur den Kalten Krieg zu beenden, sondern auch die Teilung Deutschlands und Europas zu überwinden - Michail Gorbacev. Statt dessen hatte er einem jugoslawischen Ingenieur die »Sprache der Ölfelder« zu vermitteln, die er selbst gerade bei Ideco erlernen mußte. Diese erste Begegnung mit einem Kommunisten hinterließ weit weniger Spuren als das kommende Wanderleben zwischen verschiedenen Ölfeldern von Bakersfield in Californien bis nach Midland in Texas. George Bush kam in diesem riesigen Gebiet dem Firmenauftrag nach, eine Bohranlage (rig) nach der anderen zu besuchen, um dort vor Ort vor allem Bohrmeißel (rock bit) zu verkaufen. Er legte dafür in -267-
seinem Studebaker jeden Monat bis zu 6000 Meilen zurück, ein harter Job oft abseits der Straßen, um die wachsende Familie zu ernähren, den Sportinteressen (Baseball) nachzugehen und einen anerkannten Status besonders in der Republikanischen Partei zu gewinnen - und das im Texas der dort vorherrschenden Demokraten. Bald nach Midland versetzt, der »Königin aller Präriestädte« und mitten in einem Perm-Becken, erlebte George Bush den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg und vor allem einen Ölboom ohnegleichen. Es hatte zwar in diesem Gebiet schon in den 1890er Jahren eine Reihe von Such- und BohrAktivitäten gegeben, doch erst am 28. Mai 1922 geschah das »Wunder der Heiligen Rita«. Der Texas Oil and Land Company ist es auf dramatische Weise widerfahren. Das Unternehmen wollte seine mühsam vorangetriebene Bohrung bei etwa tausend Meter Teufe aufgeben. Aber dann schien plö tzlich ähnlich wie bei Spindletop die Erde förmlich zu explodieren, war doch das Team auf einen Springer oder Gusher gestoßen, der den gesamten Bohrplatz und das weitere Umfeld dazu mit einer schwarzbraunen, klebrigen und stinkenden Masse überzog. George Bush, der sich viele Jahrzehnte später im Clean Air Act von 1990 für den Umweltschutz einsetzte, konnte als Meißelverkäufer bei solchen Ereignissen noch nicht die Verbindung zu sauberem Grundwasser und unbelasteter Luft herstellen, um daraus politische Konsequenzen zu ziehen: Er sah in solchen Folgelasten nichts anderes als den Preis, der um des technischen Fortschritts willen zu entrichten war. Doch zeigte er zumindest in seiner Autobiographie Looking forward von 1987 eine gewisse Sensibilität für das Unwägbare im Ölgeschäft, sei es in der Umweltfrage oder im Nachdenken über das DekadenSyndrom. Es hatte auch 1949 wieder zugeschlagen und jedem Ölmann klargemacht, wo das Problem lag: Steigerungen in der Produktion führen bei geringer Verwertung des Schwarzen -268-
Goldes zu einer Ölschwemme und damit zu einem Preisverfall. Erfahrene Ölleute brauchten nur an die Katastrophe von 1929 zu erinnern, als in West-Texas mit dem Ölzentrum Midland neue Funde das bisherige Angebot auf dem Binnenmarkt massiv erhöhten, so daß ein Faß Wasser mehr wert war als ein Faß vom besten Öl - dafür wurden gerade einmal 10 lächerliche Cents bezahlt. Unternehmer wie Harry Sinclair oder Frank Phillips verstanden es, diese fast zyklische Entwicklung von Aufschwung und Absturz des Ölmarktes (boom and bust) mit besonderen Maßnahmen abzufangen. Aber selbst eine Reihe struktureller Reformen während des New Deal wie die Abschaffung des Universalbankensystem, an dessen Stelle vornehmlich Investmentbanken auch die Risiken des Ölgeschäfts mittrugen, vermochte diese ökonomische Merkwürdigkeit nicht abzustellen: Auch 1959 zur Hundertjahrfeier stand die amerikanische Ölwirtschaft vor dem gleichen Problem - wohin nur mit dem ganzen Öl? Zu diesem Zeitpunkt hatte George Bush ein erfolgreiches Jahrzehnt hinter sich. Dank auch John Overbey, mit dem er sich 1950 geschäftlich verbunden und die Firma Bush-Overbey Oil Development Co gegründet hatte. Als sich der Yale-Absolvent, Meißel-Experte und Familienvater Bush von Dresser-Ideco verabschiedete, um sich seinen eigenen Garten Eden als Independenter einzurichten, erhielt er vom erfahrenen Neil Mallon den Rat, jeden Mitarbeiter als Untergebenen stets fair und gerecht zu behandeln: »Reich' eine Hand, George!« In dieser Zeit der ersten Gehversuche lernte der äußerst strebsame Bush die Gebrüder Liedtke kennen. Sie waren aus dem Öl staat Oklahoma nach Midland gekommen und galten als junge »hungrige« Rechtsanwälte, die sich auch vom Ölfieber packen ließen und bald mit Bush zusammenarbeiteten. -269-
Besonders mit Hugh Liedtke verstand er sich bestens, dem eine Generation später das wirkliche Meisterstück gelingen sollte, den legendären Jahrhundertprozeß gegen Texaco 1985 zu gewinnen und dabei 10,6 Milliarden Dollar Schadensersatz zu kassieren. Von diesem cleveren Rechtsanwalt hatte Bush recht früh gelernt, daß sich die Ölsuche wie die Ölgewinnung und die Vermarktung niemals in einem rechtsfreien Raum bewegen. Selbst alle Aktivitäten zwischen Bohrbetrieb, Banken und Börse mußten stets auf die Rechte oder Interessen Dritter bezogen werden und damit auf das Wirken geschlossener Verträge, wozu schon ein Handschlag und die Bekräftigung reichte: »Mein Wort ist mein Bürge - My word is my bond.« Im genauen Gegensatz zu Armand Hammer, der immer an Verfassung, Recht und Gesetz vorbei seine Ölgeschäfte betreiben wollte, bemühte sich George Bush, die Möglichkeiten der Rechtsordnung zu nutzen und in deren Rahmen seine eigenen Spielräume zu finden. Dazu gehörte auch die Bereitschaft zum kalkulierten Risiko, wie sie bei großen Ölkonzernen kaum noch vorhanden war, aber dem kleinen Bohrunternehmer gewisse Chancen bot. Bush hat diese Wirklichkeit aus eigener Erfahrung einmal recht anschaulich beschrieben: »Ein Independenter geht zu einem Integrierten sagen wir zu Esso oder Gulf - und erläutert sein Angebot. ›Ihr habt vier Schürfgebiete… Verkauft mir zwei davon und ich werde bohren, um zu sehen, ob es Öl gibt. Stoße ich auf ein Vorkommen, dann habt ihr die Gewißheit, daß es Öl gibt, ohne euer Kapital riskiert zu haben. Wird nichts gefunden, ist es mein Pech und harter Verlust…‹« In solchen und anderen Nischen sahen die kleinen und mittleren Ölunternehmer als sogenannte »Contractors« oder Vertragsbohrer ihre Chance. War es ihnen aber auf lange Sicht einfach zu wenig, um Schürfrechte oder Bohrgenehmigungen zu kämpfen, dann konnten sie sich mit einem wesentlich höheren Risiko in Gebiete wagen, die geologisch wie öltechnisch kaum -270-
erschlossen waren: Und dazu rechnete man noch in den 1950er Jahren den Schelf im Golf von Mexiko - die Basis des OffshoreAbenteue rs. Die Landratte George Bush besaß nach eigenem Bekunden eine besondere Schwäche für das Meer und das Steuern schneller Motorboote. Deshalb bereitete es ihm wohl weniger Sorgen als anderen Ölunternehmern, sich vor der Küste von Texas zu betätigen: Er hatte Zutrauen in die Leistung seiner Teams und entschied oft aus dem Gefühl heraus, schon das Richtige zu tun, sobald er das Netzwerk von Familie und Freunden einbezogen hatte. So verhielt er sich auch, als er mit den Gebrüdern Liedtke ein größeres Unternehmen gründen wollte. Man verfügte über ein Startkapital von l Million Dollar und ging mit wahrem Pioniergeist in die neue Öl- Offensive: hinaus aufs Meer und den Blick fest auf Schelfbohrungen mittels moderner Plattformen gerichtet. Doch ehe sie richtig losle gen konnten, mußte für das Unternehmen ein attraktiver Name gefunden werden. Schon beim Aufschlagen des Branchen- und Telefonbuches sollte der Firmenname ins Auge fallen: »Entweder er beginnt mit A oder mit einem Z« (Hugh Liedtke). Mitten in den Spielereien um die beste Bezeichnung kam ein Zufall zu Hilfe. In einem Kino-Palast von Midland lief der Film »Viva Zapata« mit Marion Brando in der Hauptrolle. Mochte der mexikanische Revolutionsführer Emilio Zapata von 1910 für die einen als Bandit in die Geschichte des Nachbarlandes eingegangen sein, so betrachteten ihn andere als mutigen Patrioten, der für seine armen Bauern unter dem Motto kämpfte »Tierra y libertad - Land und Freiheit«. Diese Umkehrung der englischen Revolutionsparole von 1688 »Liberty and property« gefiel den beiden Öl-Juristen Liedtke ebenso wie dem Landaufkäufer Overbey und vor allem Bush -271-
selbst. Sie sahen in diesem historischpolitischen Programm des Mexikaners »genau das, was wir für das Firmen-Image suchten«: einen Wegweiser zu wirtschaftlicher Prosperität, die den unabhängigen Unternehmer ebenso voraussetzte wie sie den freien Bürger erforderte - im Vertragsgeist der Verfassung von 1787. Die 1954 gegründete Zapata Petroleum stand mit der ausgefallenen Namensgebung unter einem guten Stern. Be reits am Ende des ersten Jahres ihrer Ölsuche verfügte sie über 71 Sonden an Land, die durchschnittlich 1250 Barrel Öl pro Tag lieferten. Bald darauf förderte das Unternehmen aus 127 Sonden, die niedergebracht wurden, ohne auch nur ein einziges Trockenloch (dry hole) als Fehlinvestition hinnehmen zu müssen. Dieses überaus günstige Ergebnis war selbst für texanische Verhältnisse erstaunlich, und mancherorts in der Branche sprach man von einem »unglaublichen Glück«. George Bush hingegen wollte diese Erklärung nicht gelten lassen. Er hätte auf die einst so günstige Bohrstrecke von Frank Phillips in Oklahoma hinweisen können, begnügte sich aber mit der Anerkennung einer systematischen Suche, die sich wissenschaftlicher Methoden bediente: »Es war weniger Glück als angewandte Geologie.« Das Jamieson-Feld der Bush-Company war sicher nicht das ergiebigste Ölvorkommen in Texas. Aber es bildete den Grundstock des Zapata-Unternehmens und bereitete mit seinen stetigen Erträgen auch als Banksicherheit (Kredite) dafür den Boden, daß sich die Gesellschaft der aufstrebenden OffshoreTechnik annehmen konnte. George Bush, der in dieser Zeit des Aufbruchs den Tod seiner jungen und leukämiekranken Tochter Robin zu beklagen hatte, besaß Mut genug, sich neuen und tragfähigen Ideen zu öffnen. Deshalb stimmte er auch als Boss des Zapata-Unternehmens einem riskanten Projekt zu, das den 2200 Aktien-Inhabern abgerungen werden mußte. Er wollte R. G. Le Tourneau, dem -272-
Revolutionär unter den Konstrukteuren von Bohrplattformen, die Chance geben, seine Vorstellungen zu verwirklichen: Tatsächlich baute dieser Neuerer für das Unternehmen Zapata Off-Shore die damals hochmodernen Plattformen »Scorpion«, »Vinegarron« und »Maverick«. Trotz gewisser Anfangsprobleme mit ihrer Ausleger-Struktur kamen sie im strömungsintensiven Golf gut zurecht, hielten sogar Wirbelstürmen stand und bestätigten mit ihren Bohrerfolgen den alten Grundsatz: »Erst investieren, dann kassieren.« In dieser Zeit des hohen Risikos formte sich George Bush zu einem Unternehmer, dem bewußt blieb, was er gegenüber seinen Teilhabern, den Aktionären und vor allem den Mitarbeitern an tätiger Treuhandschaft zu leisten hatte, um das Gesamtunternehmen zu optimieren. Im Gegensatz zur Dr. Armand Hammer, der keinerlei Ausbildung im Wirtschaften erfahren hatte und darin nur eine recht windige Geldmacherei sah, hatte Bush in Yale gelernt, was ein Volks- und Betriebswirt zu leisten hat, wenn er auf Dauer Erfolg haben wollte. So betont er mit allem Nachdruck den fortwährenden Einfluß von qualitativen und quantitativen Doppelkräften, die auf den Wirtschaftsprozeß jedes Einzelunternehmens einwirken: »Angebot und Nachfrage« zu kennen war genauso wichtig wie das Beobachten der Börsenkurse oder die Zinsfestlegungen der jeweiligen Regierung, nicht anders das richtige Einschätzen von Risiko und Lohn, Gewinn und Verlust oder »Arbeit und Ethik«. Im Integrieren all dieser Faktoren erkannte er seine Hauptaufgabe als Industrieller auf einem Ölmarkt, der seit dem New Deal und dem Weltkrieg erheblichen Regulierunge n unterlag und das freie Spiel der Kräfte nur bedingt zuließ. Bush fand sich mit seinen guten Leuten darin zurecht und konnte 1964 auf ein gewichtiges Lebenswerk »im Öl« zurückblicken. Er gab es in andere Hände, um in die Politik zu gehen, und stimmte auch einer Namensänderung zu: Fortan nannte sich das -273-
bisherige Zapata-Unternehmen Pennzoil, das heute noch existiert. Zum 25jährigen Bestehen dieser Ölfirma unter der geschickten Leitung von Hugh Liedtke erinnerte sich Georg Bush 1979 auf der Schwelle zu den höchsten Staatsämtern an seine Zeit als Ölmann. Er ist in seinem Urteil fair genug, allen Ölleuten vor Ort an den Bohrtürmen, in den Samplerbuden, bei den Pumpböcken oder auf den Plattformen ein ehrliches Zeugnis auszustellen und seinen Respekt zu bekunden: »In jenen Tagen hatten die meisten Arbeiter auf den Ölfeldern nur eine geringe Bildung. Sie kamen aus gänzlich anderen Verhältnissen als ich. Aber der Weg, dem sie sich mit Haut und Haaren verschrieben hatten, ihre geradezu grimmige Loyalität, ihr Wettbewerbseifer und Kampfgeist waren eine Quelle der Inspiration: Das machte einen bleibenden Eindruck auf mich.« Mag auch etwas vom Glanz einer Idealisierung über der eigenen Pionierzeit liegen, so hat doch George Bush in den Ölfeldern von Texas und Californien einiges an Teamwork gelernt, das ihm für die Parteiarbeit von Nutzen war. Als überzeugter Republikaner, dem das Einmischen des Staates in den wirtschaftlichen Prozeß stets ein Greuel blieb, wenn es über die notwendigen Steuern und sonstigen Rechtsschutzmaßnahmen hinausging, schien es im Texas der Demokraten geradezu tollkühn, sich politisch zu engagieren. Denn der Öl-Staat war die Heimat des ungemein populären USPräsidenten Lyndon B. Johnson. Als John F. Kennedy am 22. November 1963 im texanischen Dallas ermordet wurde, trat er als Vizepräsident dessen Nachfolge an und gewann 1964 die Präsidentschaftswahlen gegen den Republikaner Barry Goldwater. In dieser Situation bewarb sich George Bush um einen Sitz im US-Senat und mußte während seiner Wahlkampagne ernüchtert feststellen, daß in der politischen Wirklichkeit ein oft rauherer Ton herrschte als selbst unter hartgesottenen Ölleuten. Vor -274-
allem warf man ihm von der Gegenseite vor, er stünde dem »Ölblock« und damit der mächtigen Öl- Lobby in Washington nahe, obwohl seine Kontakte zum politisierenden ÖlKapitalismus erst noch entwickelt werden mußten. Konnte er diese Angriffe auf seine Abhängigkeiten noch ohne große Mühe parieren, so machte den 42jährigen Kandidaten das eigene politische Lager ziemlich ratlos und manchmal auch sprachlos. Allein der Druck der Öl- Lobby auf seinen Vater, als es um die Gas Deregulation Bill von 1956 ging, machte ihm deutlich, was einige Öl- Mogule im Vorfeld der hohen Politik anrichten konnten: Dafür war der Begriff Erpressung noch ein mildes Wort, wurde doch mit der Vernichtung der eigenen Existenz gedroht, sollte der Senator Prescott Bush »falsch« abstimmen. In diesen Kreisen ging es mitunter so rabiat zu, daß manches am Verhalten des betrogenen Betrügers Hammer durchaus verstehbar wird. George Bush aber wollte sich damit nicht gemein machen oder gar anfreunden. Er teilte auch nicht das vernichtende Urteil des republikanischen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower, daß es in der amerikanischen Ölindustrie eine »unglaubliche Blödheit« (incredible stupidity) gebe. Aber er konnte aus eigenem schmerzhaften Erleben Eisenhowers weitere EinSchätzung zumindest nachvollziehen, auch wenn er sich als Episkopalist ganz anders verhielt: Der »Ölblock« mache mit seinen gezielten Stimmungskampagnen »die amerikanische Politik für jeden zu einer öden und frustrierenden Erfahrung, der noch irgendeine Vorstellung von moralischen und ethischen Standards hat.« George Bush wollte aber gerade auf sie nicht verzichten und als Öl-Gangster gelten. Er mochte noch nic ht einmal erwägen, in Texas die Partei zu wechseln, um damit seine persönlichen Ambitionen in der Politik zu verbessern. Statt dessen nahm er zusammen mit Peter O'Donnel und Thad Hutcheson den Kampf gegen das Establishment der eingesessenen Demokraten auf -275-
zur inneren Erneuerung der Grand Old Party nach dem Wahldebakel mit Goldwater und für eine bessere Zukunft. George Bush begann seine politische Karriere als »Underdog«, bekannte sich aber mit einer zähen Zielstrebigkeit, die er im Ölgeschäft gelernt hatte, zu vier Grundregeln, die im Wirtschaftsleben wie in der politischen Kultur des Landes zu gelten hatten und in Anlehnung an seinen ehrbaren Vater altrömisches Format erkennen lassen: I. selbst in harten Sachkonflikten nichts »persönlich« zu nehmen, II. stets die anstehenden Hausaufgaben (Homework) zu erledigen und sachbezogen zu debattieren, III. das Gebot der Gegenseitigkeit und damit der Drittwirkung zu pflegen, IV. immer auch die Bedürfnisse von Kollegen zu beachten, d.h. menschlich und fair im Umgang zu bleiben (Looking forward). Mit diesem Verhaltenskodex gelang es George Bush, sich als Kongreß-Abgeordneter, Senator, Botschafter in Rotchina, UNOBotschafter, Chef des US-Geheimdienstes CIA und als Vizepräsident unter Ronald Reagan so zu bewähren, daß sich 1988 sein zweiter Amerikanischer Traum erfüllte: die fast 25 Jahre lang angestrebte Präsidentschaft. Obwohl er im Zug der Sanften Revolution, die in Osteuropa den Kommunismus stürzte, auch große Verdienste um die staatliche Wiedervereinigung der Deutschen erworben hatte, die »gerechte Sache« in der Kuwait-Krise ausfechten ließ, ohne es zu einem Großkonflikt kommen zu lassen und sich auch auf dem Klima-Gipfel in Rio de Janeiro 1992 für den Umweltschutz aussprach, erneuerten die US-Wähler sein Mandat nicht: Sie gaben dem wesentlich jüngeren Demokraten Bill Clinton den Vorzug. Das war wohl in seinem erfolgsverwöhnten Leben die bitterste Niederlage. Sie wurde allerdings acht Jahre später in einen dynastischen Sieg verwandelt. Denn sein ältester Sohn George W. Bush trat in der Präsidentenwahl als TexasGouverneur gegen den Vizepräsidenten Al Gore an und wurde -276-
nach einer sehr umstrittenen Stimmen-Auszählung in Flordia, wo sein Bruder Jeb Bush Gouverneur war, zum 43. Präsidenten der USA bestellt - am 20. Januar 2001. War das allein schon ein Ereignis, das Washington und die Welt beschäftigte, so hatte am Tag zuvor der scheidende Präsident Clinton mit einem Paukenschlag für zusätzliche Aufregung gesorgt: Er machte von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch und ließ den »größten Händler des Jahrhunderts« (Weinberg) in dessen Genuß kommen - den Milliardär Marc Rich. Der Aufschrei in den Medien über diesen letzten Mißgriff Clintons galt einem Finanz-Jongleur, dessen Aktivitäten sie an das Wort Roosevelts vom Einfluß des »Ölblocks« in der USPolitik erinnerten. Dabei standen unter der Nutzung »bester Beziehungen« (daisy chain) bis in Regierungskreise zwei besondere Geschäfte im Vordergrund, die Marc Rich »auf einem gesetzlosen Weg« (Weinberg) zur eigenen Bereicherung genutzt haben soll: Das Verhältnis von »Old Oil« und »New Oil« im Jahre 1976 sowie der Bruch des Öl- Embargos der UNO gegen das Südafrika der Apartheid von 1979 bis 1993. Im ersten Fall handelte es sich um eine Maßnahme der CarterRegierung zur Neuordnung des inneramerikanischen Ölmarktes. Danach durfte Öl aus Sonden, die vor 1972 installiert wurden, für 6 Dollar pro Barrel verkauft werden, aber das danach geförderte Öl erbrachte bis zu 40 Dollar pro Faß. Rich und seinem Partner Green wird nun von den Steuerbehörden der USA vorgeworfen, sie hätten auf dem Umweg über Firmen in Panama große Mengen Alt-Öl unter dem Etikett Neu-Öl verkauft und den Fiskus hintergangen. Im zweiten Fall soll Rich mit seinen Partnern vor allem sowjetisches Öl mit horrendem Gewinn nach Südafrika geschafft haben, wobei er nur Schwachstellen im internationalen Recht zu nutzen verstand. -277-
Aber mit manipulativen Ölgeschäften nicht genug. Rich hatte auch versucht, wie die Gebrüder Hunt mit ihrem Tick, das Silbermonopol zu erwerben, den Zinn-Markt aufzurollen. Er mußte aber erleben, wie die USA aus Eigenbeständen (federal stockpile) gegen die Rich-Spekulation die Marktlage normalisierten und ihm einen Riesenverlust bescherten. Gleichwohl blieb er weltweit im Geschäft, siedelte 1983 in die Steueroase Zug/Schweiz um und erwarb einen israelischen sowie spanischen Paß. Vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 setzte Rich das fort, was Armand Hammer lange vor ihm mit den Sowjets betrieben hatte: gewinnträchtige Rohstoff- Deals innerhalb seines eigenen Machtsystems und im Streben nach Monopolen. Das waren schon zu Rockefellers Zeit mehr als nur Kavaliersdelikte. Diese Vergehen sollten nun gemäß der Gnade Bill Clintons nicht vor Gericht untersucht, sondern gleichsam belohnt werden. Doch die Wettbewerbshüter und Gesetzeswächter um den Rechtsanwalt Charles James, den neuen Chef der Anti-Trust-Behörde im US-Justizministerium, werden das nicht tatenlos hinnehmen. So wenig wie sich die Kämpfer in den Reihen von Big Green mit der umweltmuffeligen Haltung der neuen Bush-Regierung abfinden wollen: Ozonlöcher, Smogalarm, Treibhauseffekte, Kerosinwolken und Klima-Katastrophen in den USA bleiben Warnsignale, die bestehenden Belastungen nicht zu erhöhen oder populistisch zu verdrängen. Amerika in der Spannung von Autarkie-Streben und Treuhandschaft sowie von Old Economy und New Economy (Fall Microsoft und Bill Gates) dürfte noch einige Krisen erleben. Aber auch sie werden jenen Pioniergeist kaum beenden können, der immer wieder Unternehmer und Tiefbohrer (driller) aller Art gleichsam »ins Öl« lockt: Seit 1991 verstärkt ans Kaspische Meer - ihrem neuen Bohr-Paradies im alten Ölland um Baku. -278-
FEUER ÜBER BAKU Nafta und Nobel - Umbrüche - Ein schweres Erbe
Warum nur haben die Götter der griechischen Antike eine Felsenwand im Kaukasus-Gebirge gewählt, um dort Prometheus für seinen Frevel entsetzlich leiden zu lassen? Dem Mythos gemäß hat dieser Titan und Götterfeind den Menschen nicht nur die Architektur beigebracht und die Schiffahrt gelehrt, sondern auch vom Olymp das Feuer entwendet, um es allen Bewohnern der Erde zukommen zu lassen. Das Verwerfliche dieser folgenschweren Tat lag nicht allein in der Heimtücke gegenüber dem Göttervater Zeus und dem Feuer-Gott Hephaistos. Vielmehr verstand es Prometheus nach seiner Raubtat nicht, den Menschen beizubringen, jederzeit pfleglich mit diesem Urelement umzugehen: Statt ihnen anhaltend den Himmel wärmenden Feuers zu sichern, bereitete er ihnen »eine dunkle Hölle« (Maxim Gorki), sobald es außer Kontrolle geriet. Zeus strafte den Übeltäter, der sich als Wohltäter der Menschheit empfand, indem er ihn an einen Felsen schmieden ließ. Aber damit nicht genug, denn ein Adler hackte ihm bei Tag die Leber aus dem Leib, die zur Nachtzeit wieder nachwuchs: ein grausames Spiel, das erst Herkules beenden durfte. Der Blick auf das industriell gewonnene wie individuell verwertete Öl mahnt denn auch, diesen kostbaren Stoff nirgendwo auf der Welt durch gedankenloses Verbrennen zu mißbrauchen. Ein ernster Denkanstoß, der besonders für die -279-
überreiche Ölregion im Umkreis des Kaukasus-Gebirges gilt, zumal für deren Zentrum Baku am Westufer des Kaspischen Meeres. Dorthin pilgerten einst Parsen aus Indien und andere Anhänger des Feuer-Gottes Zarathustra oder Zoroaster, um sich am Tempel des Ewigen Feuers von allen Sünden und Fehlern zu reinigen. Das einfache Heiligtum mit seinen vier Flammenecken lag mitten in einem Ausbiß dieses Erdbebengebietes, der sich in grauer Vorzeit entzündet hatte - Tag und Nacht aus unbekannter Tiefe gespeist. Darf man dem Bericht Marco Polos glauben, der auf einer abenteuerlichen Reise nach China auch durch den Kaukasus gekommen sein will, dann gab es in diesem zerklüfteten Gebiet schon vor gut 700 Jahren »einen großen Brunnen mit Öl«: Zu ihm zogen die Menschen aller Völker, um es sich für ihre Lampen zu holen oder auch zur Heilung von Hauterkrankungen bei Mensch und Tier. Leuchtender Brennstoff und linderndes Heilmittel zugleich. In dieser Verbindung wurde das Öl bis nach Persien hinein als eine besondere Gabe der Götter aufgefaßt, die den Menschen über Jahrtausende hin zum Nutzen gereichte, sofern sie das rechte Maß nicht überschritten. Allerdings wußten sie bis in unsere Tage nicht, daß sich das verfeuerte Nafd oder Nafta, wie das Petroleum oder Felsenöl im ganzen Kaukasus genannt wird, zu ihrem Nachteil wandelte und dabei den Luft- und Lebensraum mit Gasen vergiftete - über alle Reichsgrenzen, Clangebiete und Weidegründe hinaus. Dieser fundamentale Zusammenhang war auch jenen Pionieren nicht bewußt, die schon vor Titusville das kaukasische Ausbiß-Öl in einfachen Raffinerien oder »Teufelsküchen« vielfältig nutzten, um vor allem einen billigen Leuchtstoff zu produzieren. Mit dem Jahre 1859 ist auch für Baku die industrielle Erschließung des Öls durch Schlagbohrungen nachgewiesen, jedoch nur an Land (Onshore) im Küstengebiet, auf Inseln im Kaspischen Meer oder in den Beckenzonen von -280-
Baku selbst bis nach Grozny und zu den später so umkämpften Maikop-Feldern westlich der »Schwarzen Stadt«. Wie wichtig die Ölproduktion als Triebkraft bei der Industrialisierung Rußlands und als Devisenbringer seit der Tätigkeit von Ludvig und Robert Nobel geworden war, zeigt sich in einer Szene aus dem Jahre 1879. Die beiden naturalisierten Russen aus Schweden hatten dem Kronprinzen Nikolaj bei einem Besuch des Zaren in Baku einen Bohrturm aus purem Silber geschenkt. Darin sah er fortan die industrielle Zukunft Rußlands und war bald als Zar Nikolaj II. nicht weniger von den neuen Automobilen angetan als Kaiser Wilhelm II. auf deutscher Seite. Wassili Maklakov von der Kadetten-Partei griff sogar im Jahre 1915 das Bild von einem Zaren auf, der wie ein Wahnsinniger am Steuer eines großen Autos saß und »Mütterchen Rußland« nicht spazierenfuhr, sondern mit diesem in den Abgrund raste. Der Politiker wollte mit diesem Vergleich die wahre Natur des Auto-Krators kennzeichnen, der seine absolute Macht nutzt, um die Industrie für die dynastischen Zwecke des Hauses Romanov zu mißbrauchen - selbstherrlich und durch keinen Senat oder Parlament gebremst. Tatsächlich sah Nikolaj II. 1914 den Ruin vor Augen, fuhr jedoch hinein. Denn es gehörte zu seinem Wesen als Zar aller Reußen, daß er im Vollgefühl des ungehinderten Eigenbesitzes über Land und Leute in der Regel keine Einreden duldete und auch nichts dazulernen wollte: Für ihn bedeutete Wissen nicht Macht, wie es Francis Bacon als Motto der Aufklärung verkündet hatte, sondern Macht allein schon hatte Wissen zu sein. Diese Einstellung, wie sie die Romanovs seit 1613 allen technischen Reformen zum Trotz in ihrer Zaren-Position gepflegt haben, kann auch bei den Bolschewiki beobachtet werden. Lenin und Trotzki betrachteten nach dem geglückten Putsch vom 7. November 1917, den sie als »Große Oktober-281-
Revolution« verklären ließen, ganz Rußland als eine Art heilige Erde des Sozialismus und verfügten darüber so patrimonial wie einst die Zaren: Der neue Mensch, den Sozial-Ingenieure schaffen sollten, wurde nicht als depositärer Demokrat aufgefaßt und damit als Treuhänder, sondern als ein Arbeitssklave, der blind dem neuen Partei-Adel im Politbüro und Zentralkomitee der KPdSU zu gehorchen hatte. Wie wenig sich die roten Kreml-Herrscher von den RomanovZaren unterschieden, zeigt allein der sowjetische Film »Feuer über Baku«. In der mehrfach abgelichteten Vergewaltigung der Natur durch die industrielle Ölproduktion finden sich auch Hinweise auf die Tätigkeiten des Georgiers Josef Dschugaschwili, der als Stalin und Nachfolger Lenins in die Geschichte der totalitären Sowjetunion eingegangen ist. Ein ehemaliger Priester-Seminarist, Bankräuber und Berufsrevolutionär, der zeitweise sogar auf Bohranlagen der Gebrüder Nobel gearbeitet haben soll und wie Lenin vom Öl fasziniert war - dem Treibstoff des Sozialismus seiner Vorstellung. Stalin war voll bewußt, daß er mit dieser Produktivkraft das wichtigste Machtmittel in Händen hielt, und zwar nach innen für die Industrialisierung des riesigen Reiches wie auch zur Gestaltung der Außen- und Sicherheitspolitik: Man denke hier nur an seinen Pakt von 1939 mit Hitler, der dem Großdeutschen Reich bis 1941 Öllieferungen aus Baku sicherte und damit strategisch den Nazi-Krieg in halb Europa stützte. Diese Ölpolitik hatte einen langen Vorlauf und zeitigte Nachwirkungen, die in der Geschichte des begehrten Rohstoffs einzigartig sind. Sie erinnern wie in keinem anderen Ölland mit allem Nachdruck daran, was der Mensch in der Verbindung von Technik und Ethik leisten muß, sobald er die Natur zum eigenen Vorteil nutzt.
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Nafta und Nobel Es gehört zu den bequemen Gewohnheiten vieler Publizisten, alles was außerhalb der USA in der Ölgeschichte Rang und Namen erworben hat, auf Amerika zu beziehen. Dadurch entsteht eine ziemlich selektive Wahrnehmung, die zu Überbewertungen und Verzerrungen neigt oder Leistungen wie jene der deutschen Salz- und Kohlebohrer vor 1859 nicht einmal zur Kenntnis nimmt.
Bohrtürme im Ölgebiet von Baku um 1900
In Brand geratene Förderstelle nahe Baku
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Diese Ignoranz ist den Gebrüder Nobel zwar nicht widerfahren, aber statt sie in ihrem Eigenwert zu belassen und als originäre Ölpioniere aufzufassen, hat man sie als die »Russischen Rockefeller« (Tolf) bezeichnet. Niemand unter den Historikern Amerikas käme also jemals auf die Idee, John und William Rockefeller als »Amerikanische Nobels« aufzufassen. In einem solchen Fall müßte man ja zugeben, daß die beiden Russen schwedischer Herkunft letztlich in der Ölwelt bedeutender waren als die Kaufleute aus Cleveland und die bisherige Rangordnung erheblich zu ändern wäre. Im Lichte der Geschichte gesehen sprechen jedoch ein paar Tatsachen dafür, die übliche Sichtweise zu überprüfen und die Eigenleistung der Nobel-Brüder anzuerkennen. So setzten sie die Tätigkeit ihres ingeniösen Vaters Immanuel Nobel fort, indem sie dessen Waffenfabrik in St. Petersburg betrieben, noch ehe John D. Rockefeller im Jahre 1870 seine Standard Oil als Handelsgesellschaft gründete. Außerdem überragten Ludvig und Robert Nobel seit 1873 mit ihrem Nafta-Konzern an persönlicher Innovationskraft, Organisationstalent und Risikobereitschaft die beiden Clevelander Kaufleute bei weitem - als Erfinder, Konstrukteure, Ingenieure und Petro-Chemiker allemal. Darüber hinaus hatten die Gebrüder Nobel auch von der kaufmännischen Seite her ihr Ölunternehmen schon früh als integrierten Betrieb strukturiert, der bohrte, förderte, transportierte und alle selbst raffinierten Produkte weltweit an den Mann brachte. Dem Nobel-Konzern war demnach schon zwei Jahrzehnte vor Texaco (1902) und erst recht vor der Esso Rockefellers (1919) ein Optimum in der Verbindung von Produktion und Vermarktung gelungen. Allein schon der Name »Spinoza«, den die Nobel-Brüder für einen ihrer leistungsfähigen Spezialtanker gewählt haben, weist -284-
in Richtung einer strukturellen Integration aller Ölbereiche. Wußten sie doch, wie sich die Ethik (1677) des niederländischen Philosophen, Linsenschleifers und Pantheisten auf eine gegenseitige Durchdringung, ja Wechselwirkung von Gott, Natur und Mensch bezog. In der industriellen Praxis bedeutete dieser hohe Anspruch nichts anderes als eine täglich neu zu erprobende Treuhandschaft gegenüber Land und Leuten, Menschen und Maschinen: Dazu gehörte auch die Sozialbindung des Eigentums und eine hohe Fürsorgepflicht für alle Mitarbeiter. Was die beiden tüchtigen Nobel-Brüder anstrebten, denen der selbständig wirtschaftende Bruder Alfred Nobel als DynamitKönig mit Kapitalhilfen beisprang, war der »beseelte Betrieb« (Sombart) als ein optimiertes Netzwerk guter Fachleute und effektiver Organisation. Diese Unternehmensphilosophie lief aber nicht immer wie ein Schweizer Ührchen, sondern hatte zeitweise mit enormen Reibungsverlusten zu kämpfen, erwies sich doch die Infra-Struktur (Verkehrswege) des Zarenreiches als schwach und störungsanfällig. Ja, selbst zwischen den beiden Brüdern kam es zu Unstimmigkeiten und Mißverständnissen. Zur gleichen Zeit, als in Amerika John D. Rockefeller das Scheitern des SIC-Projekts zu bewältigen hatte, machte sich Robert Nobel auf den Weg von St. Petersburg nach Baku. Er war 1873 im Auftrag seines älteren Bruders Ludvig mit 25000 Rubel in den Süden geschickt worden, um in der Kaukasus-Region ein besonderes Walnußholz zu kaufen: Man benötigte es für den Schaft des belgischen Bredan-Gewehres, das im Zuge einer Modernisierung in der Zarenarmee eingeführt werden sollte und von den Nobels zu produzieren war. Als Robert Nobel aber die Tätigkeiten in und um Baku sah, das als die »Schwarze Stadt« gleichsam im Öl zu schwimmen schien, erkannte er die Unternehmenschance seines Lebens. Statt dem zaristischen Regierungsauftrag für die eigene -285-
Waffenfabrik zu entsprechen, erwarb er neben einer kleinen Raffinerie noch andere Ölgelegenheiten und Liegenschaften: Das zu treuen Händen anvertraute Kapital wurde von ihm ohne vorherige Rücksprache mit dem Bruder Ludvig selbstherrlich angelegt. Die Mißstimmung im Hause Nobel wegen dieser Eigenmächtigkeit legte sich aber bald wieder, ließ sich doch Ludvig von der neuen Chance überzeugen. Er wurde sogar zur treibenden Kraft, als Ergänzung zur väterlichen Waffenfabrik in St. Petersburg einen Ölkonzern in Baku aufzubauen. Das gelang binnen weniger Jahre so vorzüglich, daß die Nobels ihre guten Nafta-Produkte bald in ganz Rußland und halb Europa, ja selbst in Asien mit steigendem Gewinn verkaufen konnten Rockefellers Esso zu manch einem Verdruß. Natürlich verlief dieser Prozeß, ein lokales, regionales, nationales und gar globales Verteilersystem für Ölprodukte zu installieren, nicht geradlinig und störungsfrei. Im Gegenteil. Explosionen auf den Bohr- und Förderstellen oder Feuersbrünste in den Raffinerien, von denen auch Öltanker nicht verschont blieben, säumten einen schwierigen Weg, der manch ein wertvolles Menschenleben kostete und den Verlust teuer erworbener oder selbst hergestellter Maschinen dazu. Dennoch schaffte es der Nobel-Konzern, sein Verteilernetz vom Kaspischen Meer her zügig auszubauen, an der Wolga entlang bis nach Moskau und St. Petersburg. Auch das Baltikum wurde einbezogen, um vom Ostseehafen Labiau aus ganz Skandinavien und Mitteleuropa beliefern zu können. Das stetige Wachstum des Nobelschen Ölimperiums hing sicher mit der großen Nachfrage zusammen, die sein guter Leuchtstoff (Fotogen) ausgelöst hatte. Aber die zunehmende Prosperität war auch davon abhängig, daß das Betriebsklima auf allen Ebenen die Voraussetzungen für ein innovatives und effektives Zusammenarbeiten schuf. Zu dem besonderen Unternehmensgeist bemerkte einmal Karl -286-
W. Hagelin: »Wir hatten in unseren Diensten Schweden, Finnen, Russen, Norweger, Balten, Armenier, Perser und Tataren…, kurz gesagt: Männer aller Nationalitäten. Aber alle empfanden sich zuerst als Nobeliten. Die Firma war unsere Firma. Deren Gedeihen und Verderben wurde von uns so aufgefaßt, als wäre es jedem einzelnen widerfahren.« Was heute in jeder Unternehmensberatung als leistungssteigernde »Corporate identity« gepriesen wird, hat im Nobel-Konzern ein recht frühes Vorbild. Gegen allerlei Wettbewerber wie die vom Frankfurter und Pariser Bankhaus Rothschild kontrollierte Mazut Corporation verstanden es die Techniker und Experten aus aller Herren Länder, Nafta und Nobel zu einer besonderen Qualitätsmarke zu ge stalten. Wegen der ungewöhnlichen Sozialleistungen für die Belegschaft und deren Familien stand der Konzern als bester Arbeitgeber ohnedies an erster Stelle in ganz Rußland. Auch aus diesem Grunde war er gut gerüstet: Gegen die Versuche Rockefellers, auf dem »wilden Markt« des Riesenreiches ein Teil-Monopol für Esso-Ölprodukte zu erobern. Angesichts des zunehmend aggressiven Wettbewerbs in Skandinavien, Mitteleuropa und bis in die Schweiz hinein machte sich Rockefeller einige Absatzsorgen und ließ den innovativen Anbieter aus Baku ständig beobachten. Denn die »Nobel Brothers«, wie sie in der New Yorker Esso-Zentrale durchaus mit Respekt genannt wurden, unterboten nicht nur wegen der geringen Löhne die Preise des amerikanischen Konkurrenten, sondern sie lieferten auch den wesentlich besseren Leuchtstoff für die Lampen der Welt - fast rauch- und geruchsfrei. Aufgrund einer Eisenbahnverbindung von Baku am Kaspischen Meer nach Batum am Schwarzen Meer, die 1883 ihren Betrieb aufnahm, verstärkte sich noch die Wettbewerbskraft der Nobeliten. Denn erstens stieg -287-
mengenmäßig der Öl-Export nach Europa und durch den neuen Suez-Kanal nach Asien sprunghaft an, so daß der NobelKonzern mit seiner modernen Tankflotte einen erheblichen Standortvorteil genoß. Außerdem konnte das BakuUnternehmen immer wieder gezielte Preissenkungen vornehmen und damit Esso permanent unter Druck setzen. Der US-Konsul J. C. Chambers, der von Baku aus die Nobel-Aktivitäten beobachtete, soll denn auch die sonst so selbstsicheren Global Players in New York und Rockefeller persönlich mit dem Hinweis geschockt haben: Es gäbe bei den Russen »den quixotischen Ehrgeiz, das amerikanische Öl von den Märkten der Welt zu drängen« (Tolf). Das war eine ziemliche Unterschätzung. Schließlich glichen die Gebrüder Nobel in keiner Weise dem Ritter von der traurigen Gestalt. Sie kämpften nicht mit überholten Ideen gegen Windmühlen, sondern erwiesen sich als äußerst überlegte Unternehmer, geschickte Erfinder und effektive Organisatoren. Sie wußten erstens etwas von der strategischen Bedeutung des global verkauften Öl und zweitens sicherten sie trotz guter Renditen ihre Investitionen mittels Bankkrediten. Deshalb hielten sie auch beste Kontakte zu jeder zaristischen Regierung als eine Art materieller und politischer Rückhalt des eigenen Unternehmertums: Denn aus dem Kreml kamen die lukrativen Waffen-Aufträge, die gleichzeitig als Banksicherheiten galten. Die Regierung selbst unter dem wirtschaftsliberalen Grafen Witte sorgte außerdem mit Hilfe der Geheimpolizei Ochrana sowie der Kosaken auch für die »Sicherheit« auf den Ölfeldern, in denen es mitunter wüst zugehen konnte. Allein aufgrund dieser strukturellen Bindungen wurde der Nobel-Konzern in der Kombination von Waffen- und Ölproduktion bis 1905 zu einem operativen Bestandteil des Zarismus - einer Autokratie ohne Konstitution und Parlament, die sich als »Geschlossene Gesellschaft« abschottete. Man könnte zur näheren Kennzeichnung dieser Verbindung -288-
von Öl, Industrie und Politik das Geschäftsgebaren der nach außen so unabhä ngigen Esso gegenüberstellen. Aber es sei hier nur an Rockefellers eigene Aussagen erinnert, um sich klarzumachen, wie eng auch in einer »Offenen Gesellschaft« der Demokratie und des Parlamentarismus die Beziehungen von Wirtschaft und Politik sein konnten: »Unsere Botschafter, Gesandte und Konsuln haben geholfen, uns den Weg in neue Märkte zu bereiten, selbst in den entlegensten Ecken der Welt« (Tolf). Bedenkt man noch, daß die meisten Außenminister der USA wie z.B. Henry Kissinger (Esso), George Shultz (Be chtel) oder Jimmy Baker (Texaco) und gar ein Präsident im vergangenen Jahrhundert gleichsam »aus dem Öl« in ihr Amt gekommen sind und nicht selten für amerikanische Ölkonzerne politisch Einfluß genommen haben, dann wird dieser Hinweis bedeutend genug, die Nobel-Brüder richtig einzuschätzen. Ludvig und Robert Nobel waren als selbsteignende Unternehmer so wenig wie ihr erfolgreicher Bruder Alfred Nobel Anhänger der parlamentarischen Demokratie. Sie sollte in Rußland ähnlich wie im autokratischen Persien oder im Osmanischen Reich erst mit der Revolution von 1905 ihren Einzug halten und dabei keine sonderlich gute Tradition begründen. Denn ihre vertragliche Rückversicherung in einem Rechtsstaat mißlang ebenso wie die Stabilisierung einer Marktordnung des lauteren Wettbewerbs. Den beiden Schweden blieb als naturalisierten Russen vor 1905 nichts anderes übrig, als die wenigen Spielräume im zaristischen System zu nutzen. Als Schlot-Barone hatten sie weder Gewerkschaften zu fürchten, noch mutete ihnen jemand zu, auf ihren Royalismus zu verzichten: Sie waren dem Eigennutz ergeben, pflegten ihre patriarchalische Fürsorge für all ihre Belegschaften und blieben auf das Gemeinwohl bedacht. Die damit verbundene Güterabwägung im Konfliktsfall war nicht immer leicht. Denn persönliche Beziehungen zur -289-
Regierung mit ihrer Anfälligkeit für Korruption und zum Zarenhof spielten eine überragende Rolle, vor allem wenn sich das Unternehmen außerhalb Rußlands betätigen wollte. Öl war eben längst mehr als bloß ein Schüttgut (commodity), mit dem man auf normale kapitalistische Marktweise sein Geld verdiente - es galt mittlerweile als strategischer Stoff und damit als hochpolitische Ware. Dieser und andere Gründe spielten in die Weigerung der Gebrüder Nobel hinein, die Standard Oil Rockefellers am eigenen Öl-Unternehmen zu beteiligen. So weit zu sehen ist, gingen die Annäherungsversuche seit 1884 von Rockefeller aus. Er wollte mit diesen beiden neuen Baku-Moguln ins weltweite Geschäft kommen, während es ihm gleichzeitig sehr angelegen war, das billigere und bessere Nobel-Lampenöl vom US-Markt fernzuhalten, den er zu etwa 80 % kontrollierte. Es spricht einiges dafür, daß die ablehnende Haltung der Nobels dazu führte, Esso in die Offensive gehen zu lassen. So wurde jetzt die Anglo-American Oil Company in London gegründet, um das Fast-Monopol für die Ölversorgung auf den Britischen Inseln zu sichern. Die Deutsch-Amerikanische Petroleum- Gesellschaft mit Sitz in Bremen sollte Esso in Mitteleuropa und ganz Skandinavien zumindest die Marktführerschaft einbringen, während von einem Öl- Terminal in Rotterdam aus die Be nelux- Länder und Frankreich beliefert wurden: Alles Maßnahmen, die gegen das expandierende NobelImperium gerichtet waren und damit gegen dessen Naftaport in Berlin. In der Mitte Europas also prallten das amerikanische und das russische Öl-Imperium in Privathand aufeinander, ehe es in der hohen Politik eine ähnliche Konstellation geben sollte. Mehr noch: Im Umfeld des einflußreichen Finanzministers Sergej Graf Witte wurden Pläne diskutiert, diese wirtschaftliche Konfrontation nicht auf die Spitze zu treiben und einen globalen Ausgleich zu suchen. Man dachte daran, Nobel, das Bankhaus -290-
Rothschild mit seinen russischen Ölinteressen (Mazut Corporation) und die Esso zu einer weltumfassenden Kooperation zu bringen. Diese Konstellation paßte in die seit 1890 radikal veränderte Sicherheitslage und Europa-Strategie. Denn in diesem Jahr der Entlassung Bismarcks war auch der Rückversicherungsvertrag zwischen Berlin und St. Petersburg von Kaiser Wilhelm II. nicht mehr verlängert worden. Dafür näherten sich das demokratische Frankreich und das autokratische Rußland und begründeten das, was als Einkreisung Mitteleuropas gefürchtet wurde, d.h. die strategische Isolierung Wiens und Berlins: Das politische Mächtesystem von 1914 zeichnete sich ab, nachdem es im Ölgeschäft schon vorgeprägt worden war! Mochte es auch vor allem seit 1894 in Deutschland einen gewissen Ölboom geben, der besonders die Region östlich von Hannover mit dem Zentrum Ölheim in ein »KleinPennsylvanien« verwandelte, so spielte dieser Rohstoff doch in dem klassischen Kohleland keine große politische Rolle: Auf dem Weltmarkt allerdings bereiteten sich Größenordnungen vor, die auch den Erben von Ludvig und Robert Nobel einige Sorgen bereiteten. Bei einer recht konstanten Jahresproduktion von gut 10 Millionen Tonnen zur Jahrhundertwende bedeutete diese Menge nicht nur die Hälfte der Weltproduktion. Die russischen ÖlUnternehmen mit Nobel an der Spitze hatten damit bereits die USA in der Ölgewinnung überflügelt. Sollte jedoch dieser Stand gehalten und die Qualität der Raffinerieprodukte gesteigert werden, dann bedurfte es erheblicher Investitionen und das gelang nicht mehr aus eigener Kapitalkraft: Emanuel Nobel, der Erbe und Nachfolger seines Vaters Ludvig sah sich denn auch schon 1897 gezwungen, bei einer Berliner Bank einen Kredit in Höhe von 21,6 Millionen Mark (10 Millionen Goldrubel) aufzunehmen - bei 4,5 Prozent Zinsen und 20 Jahren Laufzeit, also bis 1917. -291-
Dieser Schritt in die monetäre Abhängigkeit mit ihren politischen Implikationen war sicher gewagt. Aber er stellte sich bald als richtig heraus. Denn im gleichen Jahr begann die Tätigkeit der von Marcus Samuel gegründeten Shell, und ab 1901 kamen mit den riesigen Ölfunden in Texas noch die ne uen Wettbewerber Texaco und Gulf hinzu, die neben anderen Unternehmen auf den Weltmarkt drängten. In dieser Umbruchszeit, die Weichen für die Zukunft stellte, versuchten es die Rothschilds, Nobels und Rockefellers erneut, zu einer Annäherung zu kommen. Sie fanden auch 1900 ein Arrangement, das ganz im Sinne des Kartelldenkens von Rockefeller angelegt war. Angesichts der steigenden Nachfrage besonders im Zeichen des Verbrennungsmotors und des Automobilismus konnte diese globale Abstimmung dreier Giganten im Ölgeschäft nur von Vorteil sein: Doch ihr Scheitern hängt auch damit zusammen, was seit den Zeiten des Manchester-Kapitalismus und Karl Marx die soziale Frage genannt wurde - eine hochpolitische Herausforderung. Niemand wird ernsthaft bestreiten können, daß die NobelDynastie in St. Petersburg und Baku auf altväterliche Weise ihre Mitarbeiter gut behandelt und besser bezahlt hat als andere ÖlUnternehmen. Aber sie ließ weder Gewerkschaften zu, noch erlaubte sie den Belegschaften, auf alle Vergünstigungen im sozialen Bereich einen einklagbaren Rechtsanspruch erheben zu dürfen. Das hätte auch das zaristische Machtsystem gar nicht erlaubt, betrachtete es doch alle Untertanen als »Cholopen« oder Erb-Sklaven, die letztlich das Eigentum des dynastischen HausStaates der Romanovs waren. Das Sozialverhalten der Nobels war demnach eine große Ausnahme und auch dadurch gesteuert, daß in ihrem ÖlImperium zahlreiche Europäer tätig waren, die anders behandelt sein wollten als Russen oder Tataren. Sie mochten auch aufgrund ihrer guten Ertragslagen »nobel« sein, aber an den geradezu himmelschreienden Zuständen einer gnadenlosen -292-
Ausbeutung von Mensch und Natur änderten die Nobeliten grundsätzlich nichts. So wenig wie an der Rechtlosigkeit der Arbeiter auf den Bohrtürmen, an den Förderstellen, in den Raffinerien oder an den Füllstationen für Kesselwagen und Tankschiffe: Oft Himmelfahrtskommandos für Teufelsdreck. Was Upton Sinclair im Öl- Roman »Petroleum« von 1929 über die Verhältnisse auf amerikanischen Ölfeldern berichtete oder B. Traven zwei Jahre später in der »Weißen Rose« von mexikanischen Ölcamps schrieb, das wurde schon eine Generation früher für Baku und das Kaukasus-Gebiet geschildert. Wer die kaum bekannten Aufzeichnungen des schwedischen Nobel-Direktors Karl W. Hagelin zu lesen versteht, der bekommt einen nachhaltigen Eindruck vom Elend in den Schlagschatten der »Schwarzen Stadt«. Knut Hamsun, der auch das Leben in der Ölregion Pennsylvaniens beobachtet hatte, bestätigte nur Hagelins Berichte, nachdem er 1901 eine Reise zu den Nobels in Baku unternommen hatte und vom Lärm, Dreck und aller menschlichen Not im Zeichen der Bohrtürme erschüttert war. Gab es in Rußland eine »wahre Brutstätte der Revolution« (Lenin), wie sie 1905 und im Februar 1917 gegen das entwürdigende Zaren-System ausgebrochen ist, dann war es weniger das aristokratische St. Petersburg oder das altgläubige Moskau, sondern dieses ölgetränkte Prometheus-Land im Kaukasus mit Baku als Zentrum. Wohl nirgendwo auf den damaligen Ölfeldern der Welt von Sumatra bis Spindletop wurden die Öl- und Raffinerie-Arbeiter auf eine solch brutale Weise behandelt wie zwischen Baku und Batum. Denn zu einer regulären 12-Stunden-Maloche mit gerade einmal 50 Cents Lohn am Tag (!) ohne jede Sozialeinrichtung oder menschenwürdige Behausung kam noch die völlige Entrechtung der Arbeiter als »tote Seelen«. Von Kündigungsschutz, Tarif- Autonomie, Krankenversicherung, Arbeitsrente oder gar Streikrecht durften sie nicht einmal -293-
träumen. Dafür herrschte zeitweise der blanke Terror der zaristischen »Schwarzen Hundertschaft«: einer Schlägerbande, die aus entlassenen Schwerverbrechern zusammengesetzt worden war, um beim geringsten Zeichen von Widerstand, Sabotage oder Arbeitsverweigerung für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wie dringend eine umfassende Reform der Arbeitswelt in und um Baku gewesen wäre, zeigte die Streikbewegung von 1903, als in Baku »der Teufel selbst wütete« (Tolf) und noch mehr der Auftakt zur Revolution von 1905. Das Blut der Rache floß in Strömen. Juden durchlitten in Sippenhaft ein schauerliches Pogrom, weil man das Bankhaus Rothschild für die Absatzkrise und die Preisflaute im Ölgeschäft verantwortlich machte: Einzelne Bohrtürme und Förderstellen wurden von der Schwarzen Hundertschaft ebenso in Brand gesetzt wie Raffinerien, bis ganz Baku einem Feuer-Inferno glich. Als dieser schwärzeste Tag in der Geschichte der leidgeprüften Ölstadt sich in immer neue Orgien steigerte und in St. Petersburg der »Blutsonntag« das Ende des völlig überforderten Zarismus ankündigte, weilte Emanuel Nobel am 24. September 1905 in Berlin. Dort unterzeichnete er wie schon 1897 einen Vertrag zu einem neuen Investitionskredit: Er belief sich bei der Discount-Bank auf 32,4 Millionen Mark mit 5 Prozent Jahreszins und hatte wieder eine Laufzeit von zwanzig Jahren. Was also fern von Baku wie die Sicherung der Nobel-Zukunft aussah, erwies sich in Wirklichkeit als eine Feuerprobe nicht gekannten Ausmaßes. Zwar hatte der Nobel-Konzern als ein »russisches« Unternehmen weit weniger Verluste an Menschen und Material zu beklagen als zum Beispiel die Mazut-Firma der Rothschilds, die offenkundig auch ein Opfer des militanten Antisemitismus geworden war. Aber das weitere Investitionsklima hatte sich nach dieser Brand-Katastrophe radikal verändert. Denn neben den enormen Zerstörungen der -294-
Infrastruktur (Eisenbahnen, Straßen, Pipelines), die nur allmählich behoben werden konnten, mußte Emanuel Nobel auch noch auf die »gute Schiene« zu Graf Witte verzichten: Dieser liberale und fähige Minister des Zaren Nikolaj II. war bereits 1903 gestürzt worden und konnte am Zarenhof nicht annähernd ersetzt werden. Was sich im personellen Bereich geändert hatte, fand im strukturellen Umfeld und in den mentalen Ausrichtungen eine folgenschwere Fortsetzung. So wurde der von Rußland gegen Japan verlorene Krieg mit der berühmten Seeschlacht von Tsushima für den Zarismus zu einem demütigenden Ende gebracht; mittels des US-Präsidenten Theodore Roosevelt, der dafür sogar den von Alfred Nobel 1896 gestifteten Friedensnobelpreis (!) erhielt. Die Rückwirkungen dieses Krieges in Asien trugen viel zur inneren DeStabilisierung und zur Verschärfung der ökonomischen Lage bei, zumal die großen Ölfunde in Texas, Oklahoma und Persien den Weltmarkt nachhaltig mit einem Überangebot beeinflußten: Auch im Hinblick auf die Qualität, war doch das Baku-Öl mit seinem hohen Schwefelanteil für die jetzt einsetzende Benzin-, Dieselund Kerosin- Herstellung nicht sonderlich attraktiv. Bis zum Ausbruch des Weltkrieges im August 1914 sah sich also Emanuel Nobel als Leiter des Nafta-Konzerns gezwungen, sich einer stark veränderten Welt zu stellen. In Rußland selbst hatten sich während der Revolution von 1905 zum ersten Mal in der Geschichte des Landes sogenannte Sowjets gebildet. Das waren vornehmlich in den Städten besondere Räte als basisdemokratische Plattformen, an deren Arbeit auch die neuen politischen Parteien teilnahmen und damit die Tätigkeit der Duma als Parlament ergänzten: Dorthin aber schickten organisierte Ölarbeiter aus Baku die Vertreter einer Partei, die sich 1904 während eines Kongresses der Russischen Sozialdemokratie in London durch eine Parteispaltung gebildet hatte - die Bolschewiki Lenins. -295-
Umbrüche Emanuel Nobel, dem es eine Zeitlang nicht recht gefallen wollte, daß tüchtige Leute aus der Verwandtschaft im Konzern tätig wurden, hat bei all seiner Neigung zur Eigenbrötelei dennoch aus der Krise von 1905 einige Konsequenzen gezogen. Es war ihm nach dem Inferno von Baku klar geworden, daß etwas für die Verbesserung der mentalen Lage in der Ölregion getan werden mußte, und dazu gehörte auch eine Lösung der »sozialen Frage«, selbst innerhalb des eigenen Konzerns. Auf seine Initiative hin wurde für die Arbeiter der Waffenund Maschinenfabrik in St. Petersburg ein für damalige Verhältnisse vorbildliches Sozialprogramm verwirklicht. In seiner Fürsorge ähnelt es den Bemühungen des amerikanischen Öl- Moguls Harry Sinclair, seinen Belegschaften vom jährlichen Öl gewinn mehr zukommen zu lassen als nur die ausgehandelten Tariflöhne. Nobel stellte seinen Leuten ein kostenlo ses Krankenhaus zur Verfügung, ließ die Kinder der Arbeiter in einer firmeneigenen Schule unterrichten und gewährte ihnen auch eine wochenlange Freizeit: Allerdings erwartete dieser Nobelsche Gunsterweis auch ein konstruktives Wohlverhalten. Verbesserungen für die Ölarbeiter in Baku gehörten zwar auch zu diesem innerbetrieblichen Befriedungsprogramm. Doch was den Nobeliten gewährt wurde, galt noch lange nicht für die anderen Ölfirmen, die oft noch am brutalen Manchestertum hingen und nicht einsehen wollten, daß sich nach einem Jahrhundert Industrialisierung die Arbeitskultur zu verändern begann und die Maschinenwelt vor ganz neuen Herausforderungen stand. Die Erben der Gründer-Nobels hatten diese Zeichen rechtzeitig erkannt und erwarben für sich selbst und ganz Rußland eine historisch gewordene Lizenz - zum Alleinbau und Monopolvertrieb des Dieselmotors. -296-
Selbst dieses Interesse unterschied ihn wie die anderen Nobels sehr von den Rockefellern. die zwar auch Ausschau nach Innovationen hielten, im wesentlichen aber doch Kaufleute blieben. Bei den Nobels spielte wohl ein familiäres Erbe eine gewichtige Rolle. Denn ihr Stammvater, der aus dem schonischen Kirchspiel Nöbbelöv kam und sich 1682 als Student in Uppsala zu Nobelius verfeinerte, hat sich mit einer Tochter von Olaf Rudbeckius verheiratet, Schwedens Universalgenie, auf das sich die Erfinder-Dynastie Nobel stets gerne berief. Aus ihr ragte in der neuen Generation vor allem Carl Nobel hervor, der jüngere Bruder von Emanuel. Denn er begeisterte sich nicht nur für die neue Energieform Elektrizität, die der Schwedenstämmige Edison in den USA für die neue Glühlampe nutzte und damit dem Leuchtstoff aus Öl eine große Konkurrenz machte. Carl Nobel begeisterte sich auch für Motoren aller Art. Leider starb er 1893 zu früh an seiner Diabetes, nachdem er in einem Züricher Hotel in ein Koma gefallen war: Zu einem Zeitpunkt, als er sich über die neuen Entwicklungen auf dem Motorengebiet informiert und Wind von etwas Revolutionärem bekommen hatte - vom Dieselmotor. Emanuel beklagte den Verlust dieser »edelsten Seele und redlichsten Menschen« tief und nahm selbst die vom Bruder ausgemachte Fährte auf, für den eigenen Rohstoff neue Verwertungsformen zu finden und nicht beim Lampenöl stehenzubleiben. Es war ihm dabei klar, daß der elektrische Strom, den er bereits selbst in seinen Häusern und Fabriken nutzte, ein ganz neues Zeitalter der Energie prägen würde und ihn als Ölunternehmer zwang, vollständig andere Wege zu gehen, sollte er in Zukunft überleben. Die zwingende Notwendigkeit dieses dramatischen Wandels trieb Emanuel Nobel schon 1898 zu einem spektakulären Schritt. Mitten in der weltweit grassierenden Ölflaute suchte er über Mittelsmänner wie Anton Carlsund den Kontakt zu dem -297-
deutschen Erfinder Rudolf Diesel. Mit diesem konnte er bereits im Februar des erwähnten Jahres eine folgenreiche Übereinkunft treffen. Im Beisein und unter Mitwirkung des schwedischen Bankiers Marcus Wallenberg kam Emanuel Nobel mit dem Augsburger Erfinder überein, eine Dieselmotor-Fabrik für Rußland und Schweden zu gründen. Während der Verhandlungen, die im Berliner Hotel Bristol stattfanden, soll Diesel darauf hingewiesen haben, daß er auch mit Rockefeller in Kontakt stünde. Das aber war wohl ein Bluff, um bei Nobel den Preis für die Lizenz hochzutreiben, der dann auch reichlich zahlte: 800000 Mark für die Produktionsrechte in Rußland, davon 600000 bar auf die Hand und 200000 Mark in Form von Aktien des neuen Unternehmens Russian Diesel Motor Company mit Sitz in Nürnberg! Mit Hilfe ausgezeichneter Ingenieure vornehmlich aus Schweden wie Carlsund und Hesselman gelang es Emanuel Nobel, bis zum tragischen Tode Diesels, dem er sehr freundschaftlich verbunden war, ein einzigartiges Motorenprogramm zu verwirklichen. Von den unterschiedlichen Versionen zwischen 20- und 400-PS-Maschinen profitierten nicht nur die Pumpstationen der Transkaukasischen Pipeline zwischen Baku und Batum. Auch andere Nobel-Fabriken, die zaristische Artillerie und die eigene Tankerflotte sowie unzählige Getreidemühlen in ganz Rußland wurden mit diesen robusten Verbrennungssystemen ausgerüstet - dem Siegeszug der Glühkerze folgend. Mit dieser Entscheidung für eine technische Innovation hatte Nobel einen glänzenden Ersatz für den abnehmenden Leuchtstoff gefunden. Über diesen Erfolg hinaus, der die konzerneigene Dieselproduktion steigerte und auch noch an der Verwertungsmaschine verdiente, war dem tüchtigen Karl W. Hagelin ein besonderes Kunststück gelungen. Er hatte für die zaristische Flotte nach der Katastrophe von 1905 ein völlig neues Tanker- und Antriebskonzept entwickelt und sie auf den -298-
modernsten Stand in der Welt gebracht. Tatsächlich ging die konsequente Umrüstung der Flotte des Zaren Nikolaj II. dem Umbau der Britischen Flotte ab 1912 voraus: Sogar die ersten Unterseeboote wurden ab 1908 in Rußland und nicht im Deutschen Reich des Admirals Tirpitz gebaut - mit Dieselmotoren von Nobel. Als dann nach dem Balkankrieg von 1912 der Große Krieg 1914 ausbrach, bildete das Nobel-Imperium im Familienbesitz das wichtigste industrielle Rückgrat für den Zarismus des Hauses Romanov - ähnlich Krupp für den Militarismus des Hauses Hohenzollern in Berlin. Es steht außer Zweifel, daß die Revolution im Motoren- und Schiffsbau die Prosperität des Konzerns steigerte. Davon profitierten auch die Sozialeinrichtungen in allen Nobel-Firmen, ohne jedoch die drängende »soziale Frage« unter den Ölarbeitern besonders in der Baku-Region wirklich zu lösen. Denn die Vorteile der Nobeliten wurden nur selten nachgeahmt, galt doch in der gesamten Ölregion das Kampfbohren (competitive drilling) als höchster Ausdruck der Ölsuche und des Fortschritts: Wie in den USA und damit oft auf engstem Raum ein Raubbau an Natur und arbeitendem Mensch. Zu allem Unglück wurde unter den Ölarbeitern auch noch die »nationale Frage« virulent, konnten sich doch Tataren, Armenier oder Tschetschenen schon aus religiösen Gründen auf den Tod nicht ausstehen. Obwohl sie an den Bohranlagen den gleichen Gefahren und Demütigungen ausgesetzt waren, fanden sie nicht zu einer übernationalen Solidarität, die auf eine dringend gebotene Humanisierung der Arbeitswelt hätte hinwirken können. Eine Variante der nationalen Frage kam noch im Chaos nach 1905 hinzu: Vor allem konservative Kräfte in der Duma forderten eine Verstaatlichung der Ölindustrie im Glauben auch, damit alle Probleme mit einem Schlag lösen zu können - gegen den verhaßten Kapitalismus. -299-
Die entschädigungslose Enteignung der privaten Ölkonzerne durch die Bolschewiki nach ihrem November-Putsch von 1917 ging demnach auf eine frühe nationalistische Bewegung zurück. Sie war getragen von einem starken Antisemitismus, der sich in erster Linie gegen die Rothschilds wandte, obwohl diese längst zum Christentum konvertiert waren. Entgegen der Sachlage wurden in vielen russischen Köpfen einfach Kapital, Judentum und Bankwesen ohne großes Wissen oder Nachdenken gleichgesetzt. Ein dumpfer Ausländerhaß verstärkte noch die Unkenntnis über technische, finanzielle, ökonomische und rechtliche Zusammenhänge, so daß es keine Mühe machte, die Depression und steigende Arbeitslosigkeit von 1909 an pauschal den Fremden anzulasten - auch den Nobels. In Wirklichkeit hatten in der gesamten Ölbranche ganz andere Faktoren als nur die Profitgier der Kapitalisten auf die Dauer destruktiv gewirkt. So wurde zum Beispiel das Baku-Öl zwischen 1859 und 1909 im Schlagbohrverfahren erschlossen, das nur zu Flachbohrungen bis etwa 800 Meter Teufe taugte. Die Eruptiv- oder Pumpsonden dieser ersten und langen Bohrphase waren aber mittlerweile erschöpft. Die Unternehmen sahen sich daher gezwungen, Lagerstätten in größeren Tiefen zu finden, und dazu bedurfte es einer gänzlich anderen Technik. Wie bereits zu sehen war, wurden in dieser Zeit der politischen wie technischen Umbrüche eine Reihe von Alternativen angeboten. Aber letztlich setzte sich doch das seit 1901 in Texas erprobte Drehbohr- oder Rotary-Verfahren durch, mit dem sowohl Flach- als auch Tiefbohrungen durchgeführt werden konnten. Die Nobels in Baku erkannten den Wert dieser Neuerung und entschlossen sich zu einer geradezu historischen Investition: Ab 1911 waren für sie zwölf Rotary-Anlagen in Betrieb. Ihr Bohrerfolg aber hatte einen hohen Preis schon bei der Anschaffung und aufgrund der Bedienung durch ausgebildete Spezialisten. Die Zeiten waren vorbei, in denen ein Bohrmuckel -300-
dumm und stark zu sein hatte. Er bedurfte jetzt der gezielten Ausbildung und Schulung an einem Maschinenpark, der ein integratives Denken und Funktionieren der Bohrteams erforderte. Diese und andere Kosten wurden auf den Preis für marktgängiges Öl geschlagen, der fortan zweimal höher lag als der Kohlepreis pro Tonne aus den Gruben des Donez-Beckens: Mit der Folge, daß Kohle zum Befeuern günstiger war als BakuÖl. Die Binnennachfrage litt darunter ebenso wie der einst so florierende Export in aller Herren Länder. War Rußland mit seinem Baku-Öl vor 1905 der größte Produzent und Exporteur der Welt, so hatte sich mit dem katastrophalen Flächenbrand und völlig veralteter Technik die Situation radikal gewandelt: Die USA lagen aufgrund der gewaltigen Vorkommen in Texas und Oklahoma nun sechsmal höher in der Ölproduktion als der bisherige Rivale aus dem Osten - trotz der Erschließung neuer ergiebiger und küstennaher Felder bei Maikop westlich von Grozny. Veränderungen in der Organisation der Ölindustrie, an deren Finanzierung sich jetzt auch die Deutsche Bank verstärkt beteiligte, um ihre Ölinteressen in Rumänien abzustützen, bis hin zur nationenübergreifenden Gründung der European Petroleum Union (EPU) halfen da wenig. Denn es stand überdeutlich fest, daß die erste große Ölzeit mit ihren weltweit beachteten Feuerzeichen für die Prometheus-Region spätestens 1919 vorüber war. Als wäre es schon ein Abgesang auf diese Zeit, veräußerte auch noch das Pariser Bankhaus Rothschild seine Ölinteressen in Rußland an Henri Deterdings Ro yal Dutch/Shell. Auch der Norweger Hans Olsen, der Nobel so lange treu gedient hatte, zog sich zermürbt aus dem Rußland-Geschäft zurück, siedelte in das 1905 souverän gewordene Königreich Norwegen über, gründete eine Bank und beteiligte sich an dem heimischen Energie-Unternehmen Norsk Hydro: zwei Generationen später -301-
ein halbstaatlicher, leistungsstarker und börsenfähiger Konzern dank des nach 1958 entdeckten Nordsee-Öls. Diese Absetzbewegungen signalisierten früh eine gute Kenntnis um die schleichende Systemkrise des Zarismus, den Emanuel Nobel mit seiner eigenen Waffen-, Motoren- und ÖlDynastie bis zuletzt auf vielfältige Weise gestützt hat. Ja, als der Krieg im August 1914 begann, zeigte sich sogar, daß letztlich der Zar als Obereigentümer ganz Rußlands und all seiner Bewohner im Privat-Imperium der Nobels das wirkliche Sagen hatte. Denn alle Nobel-Unternehmen waren per Ukas gehalten, in drei Schichten pro Tag den Forderungen der Kriegs-Diktatur Nikolajs II. nachzukommen. Jetzt diktierten nicht mehr die Marktgesetze, Kredit-Laufzeiten und Zinssätze oder das Streben nach Monopolen den Preiskrieg ums Öl, sondern die Bedürfnisse einer kämpfenden Armee, einer Flotte und bald auch einer Luftwaffe: Ohne daß die Beteiligten genau wußten, ob der Zar als Auftraggeber am Ende des Ringens um dynastische Ehren auch die Zeche bezahlen konnte. Bedurfte es noch eines letzten Beweises, wie eigentumsbezogen die Selbstherrschaft in ihrem Wesen war, so offenbarte die Übernahme des Oberbefehls durch den Zaren persönlich im Jahre 1915 die wahren Machtverhältnisse in Rußland. Der Votcinismus als Haus- und Erbgut-Ideologie degradierte im eisernen Zugriff des Autokraten sowohl die Duma als auch jegliche Privatwirtschaft zum bloßen Zulieferer und blind gehorchenden Erfüllungsgehilfen. Es spricht einiges dafür, daß Emanuel Nobel in Erinnerung an seinen Großvater Immanuel, der im Vertrauen auf den Zarismus nach dem Krim-Krieg mit seiner Waffenfabrik bankrott ging, oft so zögerlich war, den Nobel-Konzern bereits zu Friedenszeiten noch höher in den Diensten des Zaren zu engagieren und sich bei den Banken zu verschulden. Sein Zaudern nützte aber am Ende nichts mehr. Denn der Krieg von 1914 mündete ins infernalische Feuer der März-Revolution von 1917 und führte -302-
dann zur Auslöschung der gesamten Dynastie Romanov durch die Bolschewiki: Der Rechtsanwalt und Rote Zar Lenin ließ es sich danach nicht nehmen, die gesamte Ölindustrie Rußlands entschädigungslos und vollständig seinem Sowjet-System zu übereignen - am 1. August 1918.
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Ein schweres Erbe Die radikale Sozialisierung der Ölindustrie, die in Rußland vor 1930 zu 85 Prozent auf die Baku-Region konzentriert war, bedeutete nicht nur eine Verschiebung des absoluten Eigentums zugunsten der Kommunisten. Vielmehr war damit auch die Vertreibung auswärtiger Fachleute verbunden und fast jede Möglichkeit abgeschnitten, den veralteten Maschinenpark zu erneuern oder den westlichen Weltmarkt als Absatzgebiet zu nutzen: Der brutal enteignete Sir Deterding sorgte mit seinen Presse-Kampagnen und anderen politischen Einflußnahmen schon dafür, daß die Sowjets vom Öl- und Kreditmarkt ausgeschlossen blieben. Das Sowjetsystem unter Lenin bis 1924 und auch in den ersten Jahren unter Stalin bis 1929 erhielt zwar aus den USA manch eine technische Hilfe und verstand es, im Geiste von Rapallo seit 1922 mit dem Deutschen Reich der Weimarer Republik wirtschaftliche und militärische Kontakte zu pflegen. Aber es brauchte bis an die Schwelle zu den 1930er Jahren, ehe es eine Ölproduktion von etwa 10 Millionen Tonnen erreichte den Stand von 1900 zu zaristischen Zeiten. Es steht außer Frage, daß Lenin nach dem Bürgerkrieg ein schweres Erbe zu bewältigen hatte. Er versuchte zwar, es mit dem Programm der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) zu verwalten und forcierte hierbei vor allem die Schwerindustrie im Dreiklang von Kohle, Öl und Stahl, schon aus militärischer Notwendigkeit, um die Rote Armee mit schwerem Gerät zu versorgen und die Infrastruktur in dieser riesigen Landmasse mit acht Zeitzonen auszubauen. Aber das politische Unterdrückungssystem einer »Diktatur über das Proletariat« (Trotzki) blockierte auch im ökonomischtechnischen Bereich die erforderliche Innovationskraft. -304-
Die Entdeckung neuer Ölfelder wie im Wolga-Delta das Emba-Gebiet oder im Ural die Uchta-Region geht auf die Aktivierung von Restbeständen an Sachkompetenz zurück, die sich erst allmählich wieder erweiterte und auch Erfolge aufweisen konnte, wie das Turbinenbohren zeigt, ohne allerdings wirtschaftlich zu sein. Doch mit diesen und anderen Annäherungen an westliche Standards in der Ölindustrie war keineswegs die Erkenntnis aus leidvoller Erfahrung verbunden, den Raubbau abzustellen. Man beachte nur den Propaganda-Roman von Alexis Tolstoj mit dem bezeichnenden Titel Nafta (Rohöl) und versteht, wie wenig Sinn die Baku-Bolschewiki jetzt als Staats-Kapitalisten für eine geregelte Treuhandschaft aufbringen konnten, d.h. Technik und Ethik vor allem hinsichtlich der Folgelasten in eine natur- und menschengerechte Relation zu bringen. Eine fundamentale Forderung, mit deren Umsetzung auch gestandene Demokraten und Republikaner in den USA bis heute ihre Probleme haben. Nimmt man noch hinzu, daß die Bolschewiki als glühende Atheisten und Materialisten ohnedies die revolutionären Errungenschaften der Menschenrechte als bürgerliche Ideologie und damit als falsches Bewußtsein verachteten, dann braucht man sich nicht zu wundern, daß es zur Sowjetzeit zwischen 1917 und 1990 nur in der Schlußphase eine schwache Umweltbewegung gegeben hat. In diesem System des »Demokratischen Zentralismus« (Lenin) mit seinen riesigen Kombinaten waren Frei- oder Spielräume dieser Art undenkbar, zumal noch eine totalitäre Partei jede Kritik an Umweltverschmutzung als systemgefährdend unterdrückte. Neben diesen strukturellen Begrenzungen und mentalen Prägungen, wie sie der »blinde Gehorsam« auf allen Ebenen erzwingen kann, fehlte es an Kenntnissen und Erfahrungen mit den sekundären Fördertechniken. Gas-Lift, Frac-Behandlung oder Wasserflutung, wie sie in den USA seit den 1930er Jahren entwickelt worden sind, fanden bei den Sowjets erst nach 1945 -305-
eine größere Anwendung. Darf man den offiziellen Zahlenangaben vertrauen, dann zeigt sich in diesem Bereich eine recht interessante Entwicklung. Wurden 1940 nur 23,6% der Fördersonden mit Hilfe sekundärer Methoden behandelt, um die Lagerstätten besser zu entleeren, so stieg dieser Anteil bis 1948 minimal auf 29,2 %. Danach aber verdoppelte er sich bis 1955 auf 58 %, um nur zwei Jahre später bereits 70,2% zu erreichen. Wird das Jahr 1957 weiterhin zum Maßstab genommen, dann stand der Ölindustrie über das gesamte Produktionsjahr hin fast 100 Millionen Tonnen Rohöl unterschiedlicher Qualität zur Verfügung: Davon wurden allein 23 Millionen Tonnen durch besondere Druckmethoden aus dem Boden geholt, wobei man täglich mehr als 300000 Kubikmeter Wasser in die Lagerstätten gepreßt haben will. Über diesen Stand der Fördertechnik berichteten einige Experten während des 5. WPC 1959 in New York, ohne jedoch der dort versammelten Ölwelt außer der schieren Ölmenge imponieren zu können. Denn die erwähnten Methoden waren im Westen längst gut erprobter Standard, der in Einzelfällen bereits Förderanteile bis zu 80 % der Trägermenge erzielte. Das spezifisch »Sozialistische« an der gesamten Ölwirtschaft der Sowjets vor allem während der Stalinzeit (1924-53) bestand vornehmlich darin, daß es weder einen Wettbewerb noch eine ernsthafte Kosten-Nutzen-Rechnung gab, sondern nur der mengenmäßig geforderte Bedarf an Rohöl und Erdgas als PlanSoll gedeckt werden mußte: Ähnlich wie in der Atom-Industrie nach 1945, deren friedliche Nutzung bei der Stromerzeugung nicht kostengerecht zu sein hatte, sondern lediglich der Machterhaltung diente. Die Korrelation der Öl- und Atom-Industrie als Stabilisatoren der Macht erklärt die Dauer der Kommunisten-Herrschaft, der es selbst nach der Entstalinisierung von 1956 nicht gelang, auch die Konsumgüterproduktion an westliche Standards heranzubringen. Trotz des Autobaus in Gestalt der SIL-306-
Limousinen, dem »Moskwitsch« oder dem robusten »Lada« aus den von FIAT mit moderner Technik bestückten TogliattiWerken kam die private Motorisierung nur schleppend voran. Sie galt deshalb auch als Kennzeichen der Stagnation unter Leonid Bresnev bis in die Ära Gorbacev, die mit dem SuperGAU im Atomkraftwerk von Tschernobyl 1986 ihre EndKatastrophe erlebte den absoluten Tiefstand in der Verachtung von Natur und Mensch. Allein die Vorstellung, das seit 1991 formell demokratisierte Rußland könnte sich unter nunmehr kapitalistischen Bedingungen ähnlich motorisieren wie die USA und Westeuropa, läßt die Hoffnung schwinden, daß in diesem Teil der industrialisierten Welt jemals das Prometheus-Syndrom gebrochen werden könnte. Denn die ehemals zaristischen und dann kommunistischen Prägungen im Verhältnis zur Natur lassen sich nur langsam in ein vertragliches Treuhanddenken wandeln. Dabei böten abertausend verrohrte und zementierte Bohrlöcher die Möglichkeit, die Geowärme ab 2000 Meter Teufe für die Stromerzeugung zu nutzen. Statt dessen hält man fünfzehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl unter Präsident Vladimir Putin immer noch an der Kernkraft als Stromlieferant und Plutonium- Erzeuger fest, während gleichzeitig die Öl- und Gassuche in ganz Sibirien bis nach Sachalin auch im Küstenbereich forciert wird. Allerdings sind Bremseffekte im Erbe der ehemaligen Kommandowirtschaft nicht zu übersehen. Abgesehen vom mengenmäßigen Absturz der Ölproduktion um mehr als ein Drittel zeigt auch der Bohrbereich trotz der erlaubten Privatisierung eine beträchtliche Reduzierung der Aktivitäten. Hatte man noch 1997 im heutigen Rußland nach der Neuordnung von 1991 immerhin 4290 Bohrungen niedergebracht, so fiel diese Zahl dramatisch mit etwa einem Viertel auf 3220 Unternehmungen im Folgejahr. Die historisch -307-
größte Ölschwemme von 1999 mit ihrem rapiden Preisverfall unter 10 Dollar pro Faß sowie die Rubelschwäche und die fehlende Innovationskraft haben verständlicherweise den Niedergang der Ölindustrie noch verstärkt und gleichzeitig eine marktbedingte Konzentration der Unternehmen veranlaßt. Natürlich hat sich die kremlnahe Gazprom als Öl- und Erdgas-Gigant auch in der nachkommunistischen Zeit behaupten können. Sie gilt als der größte Steuerzahler in der neuen Republik Rußland und beherrscht das Geschäft mit Westeuropa, konnte sie doch die Beziehungen aus der Zeit der Giga-Pipeline »Freundschaft« (Druschba) vor der Revolution von 1990 auf die neuen Gegebenheiten umlenken. Daneben scheint der Konzern Lukoil an struktureller Stetigkeit zu gewinnen und sich zu einem echten Wettbewerber auf dem nationalen Markt zu entwickeln. Sollten sich die Fusionspläne auch politisch realisieren lassen, die vom Unternehmen Rosneft angestrebt werden, dann käme ein dritter wichtiger Faktor ins Spiel. Denn dessen Management steht seit 1999 in Verhandlungen, mit Slavneft, Onaco und Zarubeshneft eine Kooperation zu beginnen - zwecks Kostensenkung, Investitionssicherung und Rentabilität. Das Bemühen ist offenkundig, endlich Strukturen aufzubauen, die einem modernen Wirtschaften entsprechen. Aber ob es jemals in Rußland zu einem optimierten Zusammenwirken von Rechtsordnung, Demokratie, Markt und Umweltbewußtsein kommen wird, erscheint immer noch fraglich. Man denke hier nur an die Beobachtungen des »Oligarchien« Vadim Rabino vich, der einmal einen Öl-Manager im sibirischen Tjumen-Feld besucht haben will: Dort »sah ich zum ersten Mal in meinem Leben, wie aus Tausenden von Bohrtürmen Öl gepumpt wurde, sah den gewaltigen Dreck, gewaltige Öllachen, größer als Charkow, und sah die wunderbare Taiga« - zerstört von Ölleuten, die ohne jede rechtliche oder parlamentarische Kontrolle »sich alles erlauben konnten.« Diese Mentalität der Allmacht ist ein zaristisches wie -308-
kommunistisches Erbe, das auch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu beobachten ist, wo es nicht einmal um westliche Standards einer Demokratisierung geht, sondern der Tribalismus weniger Clans die politische und ökonomische Hauptkraft ist. Vertreter des amerikanischen Big Oil, die sich z. B. in Aserbeidschan als Kernland der Ölregion um Baku gleich nach dessen staatlicher Unabhängigkeit von Moskau engagiert haben, mußten sehr schnell feststellen, daß der Verwirklichung ihrer hochfliegenden Pläne einige wesentliche Hindernisse im Wege standen: Angefangen von der mangelnden Rechtssicherheit über die technologische Rückständigkeit bis zu gravierenden Mängeln der Infrastruktur und der clanbezogenen Korruption. Nach Angaben von World Oil wurden in diesem alten Prometheusland mit ziemlich hohen Ölreserven während des Jahres 1997 lediglich 42 Bohrungen abgeteuft, darunter nur eine einzige Aufschlußbohrung an Land und eine im Kaspischen Meer - ohne größeren Erfolg. Tatsächlich hat sich die anfängliche Euphorie im gesamten kaukasischen Ölkreis längst gelegt und ist realistischen Analysen gewichen, zu denen es auch gehört, die politisch komplizierte Lage zu berücksichtigen. Ein Blick nur auf das seit Jahren heftig umkämpfte Ölzentrum Grozny in Tschetschenien belehrt zur Genüge, daß Ölsuche und Ölgewinnung immer auch eine politische Dimension haben. Ihre Aufladung mit den Positionen von Islamisten, die sich »Wahhabiten« nennen, nach staatlicher Eigenbestimmung verlangen und sogar militärischen Widerstand gegen Moskau leisten, trägt zusätzliche Spannungen in ein altes Ölgebiet, das für manch eine Überraschung gut ist. So werden seit Beginn der 1970er Jahre Rußlands Ölleute von einem Phänomen in Atem gehalten, das eine neue und faszinierende Wirklichkeit begründet, vor allem bei Ölfunden in der Vorkaspischen Senke (Precaspian Depression). -309-
Die gewaltigen Vorkommen in der Nähe von Orenburg nördlich des Uralflusses seit 1974, dann bei Astrachan westlich der Wolga von 1986 an sowie südlich des Embaflusses im Tengiz-Feld, das heute zum unabhängigen Kasachstan gehört, überraschten die Bohr- und Förderleute mit einer geologischen Besonderheit: Die schier unglaubliche Mächtigkeit der erbohrten Ölträger. Ähnlich wie das Flöz im Kohlebergbau oft nur ein geringes Abbauvolumen von wenigen Metern Dicke besitzt, so kannte man auch im Ölbereich meist nur Lagerstätten mit geringen Durchmessern. Jetzt aber tauc hten in den erwähnten Ölfeldern plötzlich Förderstrecken von mehr als 500 Metern Mächtigkeit auf wie im Orenburg-Feld, die in einer Teufe von 1400 Metern erschlossen werden konnten. Bedeutete diese Tatsache schon einen bisher unbekannten Kraftaufwand auch für die Fördertechnik, so stellten sich bald noch ganz andere Dimensionen ein. Im Feld von Karachaga nak sah man sich nicht nur gezwungen, eine Überteufe von 5250 Metern zu bewältigen, sondern das Bohrteam traf auch auf eine Produktionsmächtigkeit in der La gerstätte von sage und schreibe 1650 Meter! Man kann sich unschwer vorstellen, was derartige Verhältnisse nicht nur beim Bohren mit Spezialspülungen wegen der übergroßen Hitze bedeuten. Auch die Förderteams werden gefordert, mit den unterschiedlichen Druckverhältnissen, der schwankenden Durchlässigkeit oder Kavernen, lokalen Bruchzonen und Kolkungen fertig zu werden. Tätige Abhilfe dürfte hier in Zukunft die neue Technik des Horizontalbohrens aus den USA leisten, die in einem fast rechten Winkel solche mächtigen Träger in bestimmten Abständen anbohren kann und damit ihre Entleerung wesentlich erhöht. Berücksichtigt man noch, daß Geologen, Meßtrupps der Geophysiker, Bohr- und Förderteams oder die Pipelinebauer oft unter schweren klimatischen Verhältnissen wie in Sibirien -310-
arbeiten müssen, dann wird den Ölleuten Rußlands der Respekt für ihren Mut, Wissen und Entbehrungen nicht versagt werden können. Gleichwohl darf aber auch nicht der kritische Hinweis fehlen, daß sie Hunderte Millionen Tonnen Öl (1997 knapp 6 Millionen Faß pro Tag, World Oil) und Milliarden Kubikmeter Gas aus einer von ihnen geschundenen Erde holen und dabei etwa 15 Millionen Tonnen Öl pro Jahr verlieren, schon aufgrund des völlig maroden Pipeline-Systems, und damit eine enorme Umweltbelastung verursachen: Einem Begriff von Fortschritt ausgeliefert, der obsolet geworden ist und dessen Neufassung von jedem Ölmann verlangt, künftig nicht als Naturvernichter, sondern als Lebenserhalter tätig zu sein. Als Michail Gorbacev Nachfolger Bresnevs und Generalsekretär der KPdSU geworden war, machte er nach 1984 eine Bestandsaufnahme, um seine künftige Politik der Perestrojka als eines strukturellen wie mentalen Umbaus zu begründen. Er stellte darin zum Zustand von Land und Leuten fest: »Wir bleiben auf allen Gebieten zurück. Wir haben verlernt zu arbeiten… Es gibt viele Säufer, Diebe und Veruntreuer von Staatsvermögen. Weshalb sitze ich die ganze Zeit über den Lenin-Bänden? Ich lese, um neue Wege zu finden…« Der ökonomisch, technisch und selbst politisch völlig überforderte Jurist aus Odessa am Schwarzen Meer suchte also auf dem Höhepunkt der Systemkrise nach Lösungen bei einem Juristen und Roten Zaren, der von der Moderne nur das lernen wollte, was sich auch Mussolini oder Hitler und andere »Sozialisten« von dem Futuristen Marinetti wider bessere Vernunft einreden ließen, nämlich in der technischen Beschleunigung den Inbegriff des alleinseligmachenden Fortschritts zu sehen. Diese permanente Steigerung der Geschwindigkeit, der in gleicher Weise auch Kapitalisten, Demokraten, Markt-Puristen und Naturrechtler erliegen können, wenn ein schnelles Auto -311-
lockt, wäre ohne das Feuer nicht möglich. Es technisch gebändigt zu haben ist sicher eine respektable Leistung all derer, die sich als »Söhne des Prometheus« empfinden. Aber sie ist keine Garantie dafür, daß die kontrollierte Verbindung von Feuer und Öl nicht für ein Zerstörungswerk mißbraucht werden könnte: Millionen Verkehrstote und jeder Krieg seit 1914 sind dafür ein erhellender Beweis!
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ÖL IM KRIEG »Auf einer Woge Öl« - Der geölte Blitz - Vergasungen Wegen Öl wurde seit 1859 noch nie ein Krieg begonnen, Wohl aber vorzeitig beendet. Diese Einschätzung mag all jene überraschen, die als Ursache von Krisen, Konflikten und offenen Kriegen immer nur ökonomische Interessen am Werke sehen, nicht aber auch Rechts- und Gebietsansprüche aus vorindustrieller Zeit oder »emotionale Energien« bis hin zum Rassismus. Man denke hier nur an die Reaktion des französischen Botschafters Jules Cambon am Vorabend des Krieges von 1914. Nach seinen Sondierungen in Berlin und London stellte er den zögernden Engländern in Regierung und Opposition die für ihn alles entscheidende Frage: »Und die Ehre? Versteht eigentlich England, was die Ehre bedeutet?« Die Mißverständnisse um diesen ethischen Grundbegriff aus dem Ritterleben und Dasein ehrbarer Kaufleute, die in Gestalt der Londoner City als Kreditzentrum der Welt strikt gegen einen Krieg waren, haben 1914 mehr bewirkt als die Ölproduktion an irgendeinem Punkt der Welt. Natürlich kennt die Geschichte auch Fälle, in denen primär wirtschaftliche Gründe einen Krieg ausgelöst haben. Der Salpeter-Krieg von 1879 zwischen den Republiken Chile, Peru und Bolivien, in den sich auch Großbritannien als einzige Globalmacht eingemischt hat, gibt deutlich zu verstehen, daß zur Sicherung von strategisch wichtigen Stoffen ganze Armeen und Flotten bemüht werden können. Auch bei einem Blick auf den Bürgerkrieg im reichen Angola läßt sich ohne Mühe feststellen, daß sich die Regierungsseite auf die Öleinkünfte stützt und die Rebellen im -313-
Hinterland ihre Militäraktionen mit Hilfe »blutiger Diamanten« finanzieren. Gleichwohl gab es besonders im 20. Jahrhundert zahlreiche Kriege, deren Ursache nichts mit dem Kampf um Rohstoffe zu tun hatte. Wie zu sehen sein wird, gilt diese Feststellung sowohl für den Ersten wie für den Zweiten Weltkrieg. Auch alle militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem 1948 gegründeten Staat Israel und seinen arabischen Nachbarn drehten sich bis heute nicht um das Öl des Nahen Ostens als Kriegsziel. Mögen auch einige arabische Regierungen ihr »Öl als Waffe« eingesetzt haben, um gegen den Juden-Staat neben militärischen Operationen noch ein ökonomisches Druckmittel zu nutzen, so hat es weder 1967 im Sechstagekrieg noch 1973 im Yom-Kippur-Krieg politisch und rechtlich viel ausgerichtet. Unter amerikanischer Vermittlung fand sich Israel im Frieden von Camp David 1979 sogar bereit, die auf der Sinai-Halbinsel eroberten Ölfelder Ägyptens zurückzugeben und an den ehemaligen Kriegsgegner eine angemessene Entschädigung für deren Nutzung seit 1967 zu zahlen. Die beiden militärischen Hauptmächte des Nahen Ostens, die bis heute keine Ölländer sind (!), hielten sich demnach genau an einen Grundsatz des Völkerrechts, der mit Öl nichts, aber viel mit dem kommutativ Gerechten und der Regel zu tun hat: Victory gives no rights. Sie ist von Argentiniens Außenminister Carlos Saavedra Lamas 1935 entwickelt worden, um den lange schwelenden Chaco-Krieg zwischen Bolivien und Paraguay zu beenden, dem primär ein alter Grenzstreit zugrunde lag und nicht der Kampf um angebliche Ölvorkommen in der Halbwüste des Gran Chaco. Selbst bei den innerarabischen Konflikten wie Nassers Invasion im Yemen 1962 oder Syriens Intervention im Libanon ging es primär so wenig ums Öl wie im Kuwait-Krieg von 1991. Und doch spielte es natürlich als strategischer Treibstoff für die eingesetzten Truppen zu Wasser, zu Lande und in der Luft eine tragende Rolle: Nicht anders als im Krieg des Irak gegen den -314-
Iran von 1980 bis 1988 - zweier Opec-Mitglieder. In dieser Funktion muß das Öl im Krieg gesehen werden. Denn es wurde mit seinen raffinierten Produkten das entscheidende Antriebsmittel der Motorisierung und erfüllte den Traum aller Militärs in Diktaturen wie in Demokratien: Die Steigerung der Beweglichkeit jeder Waffengattung und ihre Beschleunigung als höchstes Ziel der Militärdoktrin - unter dem Diktat einer Dromokratie, die es erlaubt, mit Hilfe der Technik ein Land »an jedem Punkt der Welt zu verteidigen« (Charles de Gaulle).
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»Auf einer Woge Öl« Im Sommer 1914 war auf höchster politischer und somit auch dynastischer Ebene mehrfach die »göttliche Gerechtigkeit« angerufen worden. Sie sollte nach dem Balkankrieg von 1912 im anhebenden europäischen Ringen um nationale Ehre und kontinentale Vorherrschaft die himmlische Absicherung für ein Höllenwerk liefern: An dessen Anfang ließen zwei Vorkommnisse ahnen, wie das Ende dieses Groß- und Weltkrieges aussehen könnte. So zeigte die Einheit des Leutnants Feldmanns bereits am l. August 1914 auf kaiserlichen Befehl hin, wie schnell sie mit Hilfe der neuen Motorentechnik geworden war. Sie nutzte zum ersten Mal in einem Krieg das Transportmittel Automobil, um am Tag vor der allgemeinen Mobilmachung das luxemburgische Grenzstädtchen Ulflingen (Trois-Vierges) militärisch zu besetzen - ein eklatanter Bruch des Völkerrechts wie der Neutralität des souveränen Großherzogtums mit einer deutschen Dynastie! Das zweite Vorkommnis schließt sich nahtlos an und drückt eine Verlogenheit aus, die immer noch erstaunt, faßten sich doch die Beteiligten als Ehrenmänner eines adligen und gleichsam untadligen Lebens-Codex auf, der dem Dekalog zu entsprechen hatte. Denn als materieller Kriegsanlaß wurde in Berlin nicht die oft beschworene Nibelungentreue zum habsburgischen Kaisertum oder das Ultimatum Wiens an Serbien vorgeschoben, sondern eine dreiste Behauptung aufgestellt. Der Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg hatte vor dem Reichstag die Desinformation verbreitet, daß Luftschiffe aus Frankreich die alte Reichsstadt Nürnberg bombardiert hätten. Der deutsche Botschafter von Schoen in Paris bekräftigte diese offenkundige Lüge gegenüber dem Ministerpräsidenten -316-
Viviani. Er fügte noch hinzu, daß französische Flieger belgisches Gebiet überflogen und damit die Neutralität dieses Königreichs mit einer deutschen Dynastie gebrochen hätten: Fortan befände sich das »Deutsche Reich im Kriegszustand mit Frankreich«. Die seit Hugo Grotius (1625) völkerrechtlich gebotene Billigkeit zur Begründung aller Notwehr und eines »gerechten Krieges« war mit diesen Stellungnahmen bewußt und plump gebrochen worden. Dieser materielle wie ideelle Gewaltakt gegen den Frankfurter Frieden von 1871 wird nur dann verständlich, wenn die Machtgesinnung der Eliten im Militär, bei Hofe, in Verwaltung und Industrie sowie an den Schulen und Universitäten bekannt ist: Keiner unter den Zeitgenossen der Kriegsgeneration hat sie so schonungslos und kenntnisreich freigelegt wie der ehemalige Krupp-Direktor Wilhelm Muehlon. An der persönlichen Integrität des 1878 geborenen Kaufmanns gibt es so wenig Zweifel wie an seiner beruflichen Kompetenz und der Fähigkeit, nach kritischem Vergleichen ein sicheres Urteil zu formulieren. Er hat es mehrfach in seinem erst 1989 veröffentlichten Tagebuch getan, das den Vorabend und die erste Phase des Weltkrieges umfaßt. Es gehört heute neben den Riezler-Tagebüchern zu den besten Quellen, um etwas Sicheres über die Mentalität der »wilhelminischen Deutschen« vor 1914 zu erfahren. Muehlon, der viel ins benachbarte Ausland reiste und seine Landsleute genau beobachtete, fühlte sich zeitweise als ein Fremder im eigenen Land, weil ihn das machtversessene und rechtsvergessene Gebaren seiner Zeitgenossen anwiderte. Die Tiraden des Geschichtsprofessors Heinrich von Treitschke, der sich als ehemaliger 1848er Liberale r nun im Staatsdienst des Hohenzollernreiches über das Recht lustig machte, sprachen schon Bände und noch mehr sein Motto, das er den Studenten einhämmerte: »Macht, Macht und noch einmal Macht.« -317-
Dieses unkultivierte und rechtslästernde Benehmen, das als »Grobianismus« ein Kennzeichen Preußens seit dem Staatsstreich von 1650 war, hielt Muehlon in einem galligen Ton fest, der vor allem für die Eliten des Kaiserreiches, aber auch dessen untere Funktionsträger alles andere als schmeichelhaft war: »Man fand die Deutschen brutal, wo sie Politik machten, hartherzig, wo sie herrschten, skrupellos, wo sie Geschäfte trieben, unbedeutend und verknöchert, wo sie dozierten, ungewandt und anmaßend, wo sie auftraten, geschmacklos, wo sie kauften, lächerlich, wo sie distinguiert sein wollten, ungerecht, wo sie über Fremde zu urteilen hatten: Man hielt sie für eine Pest, und gerade die Höchstgestellten und Reichsten unter ihnen traf diese Abneigung am meisten.« Wer nach den Gründen für diese Haltungen fragt, wird unweigerlich die Machtmentalität des »blinden Gehorsams« berücksichtigen müssen, der vor allem seit 1701 die preußischen Heere prägte. Denn dieser Einstellung gemäß bedeutet das Ausführen eines Befehls nichts anderes als das Vollziehen eines Hoheitsaktes, der nicht ge richtlich hinterfragt werden darf. Damit aber wird der jeweilige Vollstrecker jeder weiteren Verantwortung enthoben - ein mögliches Unrechtsbewußtsein über die begangene Tat bleibt also ausgeschlossen. Diese besondere Machtprägung des Absolutismus wie aller rechten und linken Diktaturen wirkte sich nicht nur im militärischen und bürokratischen Alltag aus. Sie blockierte auch dort, wo nicht ein blindes Ausführen von Machtlaunen gefordert wurde, sondern Offenheit für neue Entwicklungen angemessen war. Ein Beispiel dieser Betriebsblindheit auch aus Ignoranz läßt sich bei den Befürwortern der Flotten-Expansion des Zweiten Kaiserreiches nachweisen. Im Machteifer und Hegemoniedrang, mit Englands Flotte gleichziehen zu können, waren vor allem die Leute um den Konteradmiral Alfred von Tirpitz vollkommen von der Schlagkraft ihrer mit Steinkohle getriebenen -318-
Dampfschiffe überzeugt: Es kam also nach einer Denkschrift von Tirpitz aus dem Jahre 1897 lediglich darauf an, den Kohlenvorrat für eine künftige Seekriegsführung zwischen Brest und Sankt Petersburg zu sichern - Nord- und Ostsee hatten in deutsche Hand zu kommen. Ein Ölantrieb, wie ihn die Gebrüder Nobel in Baku für Tanker und andere Schiffe, bald aber auch für dieselgetriebene Unterseeboote entwickelt und erfolgreich erprobt hatten, wurde überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Ja, bis zum Kriegsausbruch im August 1914 spielte Öl noch nicht einmal bei der Besteuerung zur Sicherung des öffentlichen Haushaltes eine nennenswerte Rolle. Man überließ sogar angesichts der schwachen Eigenproduktion von etwa 100000 Tonnen Rohöl pro Jahr (Ölheim, Pechelbronn, Wietze) der amerikanischen Esso als »Monopolist« und Zulieferer aus einem neutralen Land den nationalen Markt für Benzin, Diesel, Kerosin, Leuchtöl und Schmierfette. Ganz anders sah die Situation beim demokratischen Hauptgegner Großbritannien aus, der vom Reichsmarineamt in Berlin wegen seiner global tätigen Kriegs- und Handelsflotte bewundert und gefürchtet wurde. Dort hatte der Admiral John A. Fisher im Jahre 1901 begonnen, die mächtigste Marine der Welt radikal vom platzraubenden Kohleantrieb auf raumsparende Öl aggregate umzustellen. Dieser hellsichtige und äußerst innovativ tätige »Pate des Öls« erkannte in der historischen Veränderung der Technik die zukunftsträchtigen Vorteile einer »Fleet in being«, demnach einer Flotte, die sich ständig optimierte und auf folgende Bereiche konzentrierte: größere Laderäume, erhöhtes Fahrtempo, gesteigerte Reichweiten, stärkere Panzerung, gebündelte Feuerkraft und verbesserte Tarnung durch wesentlich weniger Rauchentwicklung. So einleuchtend dieses Zukunftskonzept auch sein mochte, Fisher hatte selbst im weltoffenen, parlamentarischen England -319-
mit einer verknöcherten Beamtenschaft in den entscheidenden Ministerien zu kämpfen. Mit Leuten, die nicht einsehen wollten, daß man auf die Basis der heimischen Steinkohle verzichten sollte, um die Flotte zu größerer Effezienz zu bringen. Als Erster Seelord aber verstärkte Fisher ab 1904 seine Anstrengungen für eine revolutionierende Umrüstung und knüpfte erste Kontakte zu Marcus Samuel, dem Gründer und Haupteigner des Ölhandelskonzerns Shell. Das war eine gute Wahl. Denn diesem überaus erfolgreichen Unternehmer, der trotz seines Judentums in den englischen ErbAdel aufgenommen worden war und im Ober-Haus saß, sollte es gelingen, jenen Politiker zu finden, der Fishers Traum von der großen Beschleunigung verstand und für dessen Verwirklichung sorgte. In einem Schreiben vom November 1911 traf Sir Marcus genau den historischen Wendepunkt in der Technik überhaupt und machte Fisher auf seine unverwechselbare Weise Mut: »Die Entwicklung des Verbrennungsmotors ist das Größte, was die Welt je gesehen hat. Denn so sicher, wie ich diese Zeilen schreibe, wird er den Dampf ablösen, und das mit fast tragischer Geschwindigkeit… Mir tut das Herz weh, da ich doch weiß, daß Sie (Fisher) den Machenschaften der Beamten ausgeliefert sind und es einen starken und sehr fähigen Mann brauchen wird, den Schaden wiedergutzumachen, den diese Leute angerichtet haben. Sollte Winston Churchill dieser Mann sein, dann werde ich ihn mit Leib und Seele unterstützen.« Churchill war tatsächlich 1912 dieser Mann der technischen Revolution in der Marine der damals einzigen Weltmacht. Er sollte 1940 unter anderen Umständen noch einmal entscheidend auf die Geschicke seines Landes, Europas und der Welt einwirken, als die Schlacht um England hauptsächlich in der Luft tobte - wie schon 1914 aus der geographischen Mitte Europas entfesselt, durch einen Diktator, der nach der Weltherrschaft greifen wo llte. So sehr Churchill auch aus ökonomischen Gründen die von -320-
Fisher geforderte Modernisierung vor allem der neuen »Dreadnoughts« (Schlachtschiffe) in Angriff nahm, stets stand auch die substantielle Frage an, wie denn eine völlig umstrukturierte Marine dauerhaft und besonders im Kriegsfall mit Treibstoffen aller Art versorgt werden sollte: Schließlich konnte man 1912 noch nicht einmal ahnen, daß es im Schelf der Britischen Inseln zur Nordsee hin Öl fast im Überfluß gab - erst nach Churchills Tod entdeckt. Eine Möglichkeit bestand darin, die Ölzufuhr dem Unternehmen von Sir Marcus anzuvertrauen. Obwohl Churchill an der patriotischen Gesinnung dieses geadelten Unternehmers keinen Zweifel hatte, behagte es ihm nicht, von einem Privatkonzern abhängig zu sein, der zum eigenen Überleben am Ölmarkt und Profit ausgerichtet sein mußte und nicht am Altruismus. Auch eine Zulieferung durch US-Konzerne wie Esso sagte Churchill schon aus Gründen der wachsenden Rivalität mit den USA nicht sonderlich zu. Denn diese aufstrebende Macht, die gerade den Kubakrieg von 1898 für sich entschieden hatte, bereitete sich trotz einer zeitweiligen Splendid-Isolation-Politik darauf vor, als zweite Globalmacht dem einstigen Mutterland ins weltpolitische Gehege zu kommen: Die Friedensvermittlung seines Präsidenten Roosevelt zwischen Japan und Rußland von 1905 war für diese künftige Entwicklung mehr als nur ein vereinzeltes Signal. Von allen denkbaren Optionen blieb am Ende nur der Schluß, das notwendige Öl aus dem Raum »Östlich von Suez« zu beziehen. Das bedeutete in der Realität nichts anderes, als die Anglo-Persian zum Regierungskonzern British Petroleum (BP) umzugestalten - ein Unternehmen ohne Profitanspruch und Marktgebundenheit des Ölpreises, dafür aber ein verläßlicher Zulieferer. Als Hauptzentrum für die Ölversorgung der Britischen Weltflotte kam dann auch nur der Hafen Abadan am Nordufer des Arabisch-Persischen Golfs in Frage, auf dessen Areal der -321-
größte Raffinerie- und Verladekomplex der Welt gebaut wurde. Kein Wunder, daß im November 1914 mit dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches (Türkei) verschiedene Angriffe von Bagdad her militärisch abgewehrt werden mußten. Aber nicht einmal Kriegsoperationen wie der legendäre Marsch unter dem Befehl des kaiserlichen Feldmarschalls Falkenhayn konnten das strategisch so wichtige Ölzentrum Abadan wirklich gefährden: Auch die politisch motivierten Aktionen des sprachkundigen Konsuls Wilhelm Waßmuß im benachbarten und neutralen Persien der Kadscharen-Dynastie vermochten es nicht, diese ÖlBastion der Britischen Weltmacht auszuschalten. Alle Bestrebungen, unter Nutzung der 1912 fertiggestellten Bahnlinie von Berlin nach Bagdad ein hegemoniales und vornehmlich landgestütztes Gegengewicht zu den seefixierten Briten aufzubauen, blieben ab 1914 so gut wie erfolglos. Gleichwohl deutete sich in der Position des »deutschen Lawrence«, wie Waßmuß mit Respekt selbst beim Gegner genannt wurde, eine künftige Perspektive an, deren emotionaler Energie sich schließlich auch Englands Politik beugen mußte dem Streben nach nationaler Selbstbestimmung. Die Versuche Persiens, sich gegen Briten und Araber im Süden, die Türken im Westen und gegen die Russen im Norden zu behaupten, führten zwar 1951 mit der Verstaatlichungspolitik des Rechtsanwaltes Mossadegh zu einem Teilerfolg. Aber letztlich gelang es erst 1979 mit der Islamischen Revolution über sich selbst und das Nationalgut Öl zu verfügen - politisch auch gegen die USA als Folgemacht Englands im Golf- Gebiet gerichtet, den »großen Teufel«. Damit vollzogen die Perser im Grunde nichts anderes als das, was Churchill mit der Errichtung der BP schon 1912 angestrebt hatte, nämlich eine rein britische Gesellschaft zu sein, und das bedeutete für ihn und die anderen Reformer, frei von privaten Rücksichtnahmen, Marktturbulenze n und jedem ausländischen Einfluß zu bleiben. -322-
Dieses historisch bedeutsame Ziel hatte Churchill unter großen Mühen erreicht. Dennoch mußte er 1915 das Amt des Ersten Seelords aufgeben und durfte außerhalb der Regierung miterleben, daß sein Flottenstolz in der einzigen Seeschlacht des Ersten Weltkrieges noch nicht alle Vorteile integriert und optimiert umsetzen konnte. Am 31. Mai 1916 feuerten im Skagerrak nördlich der dänischen Halbinsel Jütland die Schlachtschiffe der Kaiserlichen Kohleflotte auf die Kampfeinheiten der Königlichen Öl-Flotte und fügten dieser einen beträchtlichen Schaden zu: 115000 Tonnen Schiffsraum der Engländer gingen auf den Grund der Nordsee, während das Berliner Reichsmarineamt nur einen Verlust von 61000 Tonnen zu verzeichnen hatte. Man könnte den unentschiedenen Ausgang dieser Seeschlacht einen Achtungserfolg für die Kohleflotte nennen. Es sollte jedoch dabei bedacht werden, daß die Ölflotte noch im Ausbau war (fleet in being), aber mit ihrem Einsatz bereits andeutete, daß Fishers und Churchills Strategie die alleinige Zukunft gehörte. Das verstand man auch im Umfeld des Admirals Tirpitz und stellte nach diesem Großereignis eine neue Seewaffe in Dienst: Man hatte sie sich den Russen abgeschaut und schickte ab 1917 dieselgetriebene U-Boote in den Kampf, die der Britischen Flotte zeitweise schwer zu schaffen machten. Auch diese Entscheidung läßt erkennen, wie sich selbst die auf Kohle fixierte Kriegspolitik Berlins den neuen Ansprüchen stellen und auf Öl umschalten mußte. Die erfolgreiche n Versuche, nach dem Bergius-Verfahren von 1913 aus Steinkohle bestimmte flüssige Treibstoffe herzustellen, haben hier ebenso verändernd gewirkt wie die tägliche Kriegserfahrung seit 1914, daß hohe Beweglichkeit und die Kraft zur Beschleunigung unschätzbare militärische Trümpfe sein konnten. Diese Technisierung des Ersten Weltkrieges, in dem das Pferd noch eine wesentliche Rolle spielte, förderte denn auch das, was -323-
bald in der hohen Politik die Öl- Diplomatie genannt wurde. Und dazu gehörte manch eine Klage führender Militärs, die oft zu spät einsahen, daß die geliebte Kavallerie von PSstarken Panzern abgelöst und Brieftauben von Flugzeugen ersetzt werden konnten. Ferdinand Foch, Frankreichs wohl bester Heerführer während des Großen Krieges und an dessen Ende 1918 Oberbefehlshaber der verbündeten Streitkräfte aller Westmächte, schätzte nach Jahren des Stellungskrieges den Umschlag in den Bewegungskrieg mit Autos, Panzern und Flugzeugen sehr realistisch ein: »Wir brauchen Öl oder wir verlieren den Krieg« (Sampson). Ein historisches Wort, das 1942 fast gleichlautend von Adolf Hitler zu hören war, aber jetzt eher einer Banalität gleichkam. In der Not der Westmächte haben die USA den dringend benötigten Stoff ab 1917 geliefert. Über den Atlantik und trotz der kaiserlichen U-Boote, die nur auf die Erhöhung der Abschußquoten warteten und dafür auch unbewaffnete Öltanker mit Torpedos angriffen, aber immer häufiger selbst getroffen und versenkt wurden - bis die November-Revolution von 1918 ein Ende setzte. Man halte hier inne und lasse einen Zeitzeugen unterer Militärränge zu Wort kommen, der die Technisierung und seine Einstellung zum Krieg auf eine besondere Weise festgehalten hat. In den Feldpostbriefen des Leutnants Reinhart Biernatzki, die bereits 1915 veröffentlicht worden sind, lassen sich die Veränderungen vom Pferd zur Pferdestärke ebenso nachvollziehen wie der Wandel des Krieges vom Schlagabtausch zweier Heere zu Materialschlachten bisher unbekannten Ausmaßes. Der hochdekorierte Offizier und Angehörige einer PionierEinheit fragt beim Einmarsch in Belgien nicht danach, ob der Bruch der Neutralität dieses Königreiches mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar ist und sein eigener Einsatz einer -324-
moralischen Rechtfertigung bedarf. Zwischen Liebeserklärungen an die Verlobte in der Heimat und Beschreibungen ländlicher Idyllen hält er lediglich fest, nicht genügend über die Zeitläufte informiert zu sein, und notiert als Besonderheit:»Wir sahen verschiedene deutsche Flieger mit zwei schwarzen Kreuzen unter den Flügeln.« Schon am 12. August 1914 berichtet er von einer »Riesenanzahl großer Kraftwagen für Lebensmittel- und VerwundetenTransport, vielleicht vierzig Stück.« Mit Stolz vermerkt Biernatzki, daß er und seine Kameraden gegenüber der Zivilbevölkerung von Lüttich »sehr anständig sind« und gerne den Zuruf von Belgiern hören: »Ihr seid brave Menschen.« Seine Männer sind bereits nach wenigen Tagen Kampferfahrung angeblich in der Lage, »bei Kanonendonner und Gewehrfeuer zu schlafen« und sich gehörig einzustimmen: »Wir freuen uns alle sehr auf Frankreich. Die Belgier waren dumm genug, gegen uns zu kämpfen. Jetzt kommen die Franzosen, unsere Erzfeinde, die uns ja nie zufrieden lassen können. Sie werden es schon merken, was wir können…« Auf dem weiteren Vormarsch läuft sich Leut nant Biernatzki die Füße wund und erfährt zum ersten Mal von einem Motorfahrer, daß er vorrücken soll. Seiner wachen Beobachtung entgeht auch nicht, daß »Militärflieger schon ganz gewöhnliche Erscheinungen sind« und es zum Vernichtungswerk des modernen Krieges gehört, wenn in der Stadt Soissons »das Gaswerk in die Luft geflogen« ist: Sein Hauptmann aber verteilt zur Nacht noch »Kerzen an die Wagen für Laternen - alles aus einem geplünderten Kaufmannsladen.« In den Berichten des Leutnants ist immer wieder vo n Pferden die Rede, gehörte doch auch Kavallerie zu seiner Division. Aber als Mitte September 1914 die Blätter fielen und er laut Kaiser Wilhelm II. längst wieder zu Hause sein sollte, erhielt sein Hauptmann den Befehl, mit ein paar ausgewählten Leuten bestimmte Brücken zu sprengen: Zu ihrem Einsatzort ritten sie -325-
aber nicht wie üblich davon, sondern »fuhren in Autos fort«, die zunehmend dem Divisionsstab zur Verfügung standen. Gewiß, diese Soldaten in Feldgrau trugen die Kampflosung »Gott mit uns« auf ihrem Koppelschloß. Das war der Schlachtruf in der alten Schwedenarmee des Königs Gustav II. Adolf ab 1630 zur Zeit des Teutschen Krieges. Aber sie haben nie erfahren, welch freiheitlicher und rechtlicher Geist dahinterstand, der auf den gerechten Gehorsam gerichtet war, wie ihn Grotius, der Freund des Königs, aus vertraglicher Gegenseitigkeit gefordert hat. Davon war in den HohenzollernArmeen von 1650 bis 1918 allerdings nie die Rede, wohl aber galt die Machtmaxime aus dem Politischen Testament Friedrichs II. von 1752: »Die Manneszucht führt im Heer blinden Gehorsam ein.« Dieser »Sozialdisziplinierung« (Oestreich) auf allen Ebenen des Haus-Staates wurde auch noch Folge geleistet, als selbst Leutnant Biernatzki 1915 ins Grübeln geriet und angesichts des sich steigernden Krieges als Massenvernichtung sogar die Frage stellte: »Gibt es nun eigentlich einen Gott oder nicht?« In der Diskussion über diese weltbewegende Frage bemüht er ebenso Aristoteles wie den Philosophen Ostwald und dessen monistische Energie- Lehre. Kurz vor der Schlacht an der Aisne schreibt er sogar: »Krieg ist eine furchtbare Energievergeudung. Kulturwerte verfallen, ohne neue Werte zu schaffen. Es wird vergeudet, daß es keine Art mehr hat. Alles ist wertlos, wenn man es nicht essen oder mit sich tragen kann. Ein Monist muß natürlich den Krieg von seinem energetischen Standpunkt aus rundweg verwerfen… Aber wir entgegnen ihnen, durch den Krieg sollen höhere Werte geschaffen werden dadurch, daß wir für Recht und Wahrheit gegen Trug und Lüge eintreten unter Aufopferung unserer Person. Ganz im Sinne, wie Pastor Brünning predigte.« Abgesehen davon, daß man Energie weder verbrauchen noch vergeuden, sondern nur in Wärme und meist in Schadstoffe -326-
umwandeln kann, wie die Giftgas-Einsätze bald jedem brutal vor Augen führten, hat dieser Krieg so wenig höhere Werte geschaffen wie der nächste Weltkrieg. In seinen Stahlgewittern ging wohl einiges zum Teufel, was noch aus vorindustrieller Zeit Bestand hatte und sich in hilflosen Gesten wie jener äußerte, als Biernatzki zum Ritterkreuzträger wurde - einem Adelscodex verpflichtet, der sich angesichts der Maschinenwelt als absurd empfinden mußte. Ernst Jünger, der zur gleichen Zeit den Krieg als kaiserlicher Offizier erlebte und ihm auch noch eine reinigende Funktion zusprach, hin zu einem höheren Menschenwert, hat erst eine Generation später für sich die Konsequenzen gezogen. Mitten im Zweiten Weltkrieg notiert er am 11. September 1943 in Paris: »Das ist unsere horoskopischmetaphysische Lage; die Kriege, Bürgerkriege und Vernichtungsmittel stellen sich ein als sekundärer, als zeitlicher Dekor. Die Aufgabe, die wir zu lösen haben, ist die Überwindung der Vernichtungswelt, die nicht auf der historischen Ebene gelingen kann…« Die Anrufung der himmlischen Mächte aber zeitigte 1943 so wenig konkrete Ergebnisse wie 1915, als Biernatzki trotz höchster Anerkennung seiner soldatischen Leistungen manch einem »Versuchungsgedanken« ausgesetzt war und sich gar zu dem erstaunlichen Bekenntnis durchrang: »Ob wir siegen oder unterliegen, ganz gleichgültig, nur zu Ende mit diesem Morden!« Es sollte aber noch ein paar Jahre anhalten und Ströme von Blut kosten, deren Sinn gerade auf wilhelminischer Seite immer schwerer zu vermitteln war und jede Loyalität auf eine harte Probe stellte. Das ga lt nicht nur für Sozialdemokraten, die entgegen ihrem Pazifismus 1914 mit dem Kaiser-Staat eine Art »Burgfrieden« für die Dauer des Krieges geschlossen hatten. Auch der wertkonservative Krupp-Direktor Muehlon sah schon früh eine moralische Katastrophe heraufziehen. Als er sich zum -327-
»Öl neuer Siegesnachrichten« in der Berliner Presse äußerte, berief er sich auf die Aussagen eines Großindustriellen, »der die Verhetzung und Verblendung nicht mitmacht, in die sich die Deutschen immer mehr hineinsteigern«. Dieser Herr aus dem Süddeutschen vertraute Muehlon bereits im November 1914 die nicht ungefährlichen Worte an: »Der Krieg sei nur von wenigen Personen gemacht worden, über welche die Geschichte ihr Urteil sprechen werde, wenn auch erst nach Jahren; alle Deutschen, die den führenden Verbrechern Helfersdienste als Hetzer geleistet haben, würden dann beschämt dastehen…« Zu diesem moralischen Notstand gesellte sich auf der kaiserlichen Seite noch die materielle Not, die selbst Hindenburg und Ludendorff in der Obersten Heeresleitung (OHL) zunehmend Sorge bereitete. Der Hauptgrund für die eingetretene Lage mußte wohl darin gesehen werden, daß das Konzept des Kurzkrieges gescheitert war: Es sollte mit schnellen Schlägen vollendete Tatsachen schaffen und alle Militäraktio nen zeitlich äußerst begrenzt halten, endete aber in einem langwierigen Stellungskrieg. Es stimmte zwar nicht ganz, daß »den Deutschen jeder Tropfen Öl fehlte« (Sampson). Doch der Mangel an Benzin, Diesel und Kerosin war schon bald nach Kriegsbeginn spürbar geworden. Denn die ziemlich effektive Seeblockade durch die Britische Flotte ließ kaum eine Tanktonnage von Westen her zu, und das Bergius-Verfahren reichte noch nicht aus, um mit der sogenannten Kohleverflüssigung den dringend benötigten Treibstoff für den motorisierten Krieg aus den eigenen Kohlebeständen zu beschaffen: Lastwagen und Luftschiffe (Zeppeline), Motorräder als Krad-Melder und U-Boote, Personenwagen und Flugzeuge brauchten diesen Stoff Tag für Tag. Die OHL hatte zwar gehofft, sie könnte die sich verschärfende Versorgungslage durch die Ölzufuhr aus den ergiebigen Feldern Rumäniens wesentlich verbessern, doch -328-
diese Möglichkeit zerschlug sich im Herbst 1916. Denn die militärische Besetzung der dortigen Ölfelder mißlang, und als der Durchbruch Ende November in der Walachei geschafft war, hatte ein britischer Einzelkämpfer ganze Arbeit geleistet - John Norton-Griffiths. Dieser tollkühne Bursche war als »Höllenfeuer-Jack« bekannt und hatte es sich nicht nehmen lassen, im Krieg etwas Besonderes zu unternehmen. Dabei war es ihm gelungen, neben dem rumänischen Ölzentrum Ploesti auch andere Felder in Brand zu setzen, ehe die Einheiten der OHL mit ihrer militärischen Besetzung beginnen konnten: Das Inferno von Kuwait im Jahre 1991 hatte also in der Ölgeschichte einen spektakulären Vorgänger. General Ludendorff, der »ohne das Getreide und Öl Rumäniens« das Überleben des Kaiserreiches gefährdet sah, konnte angesichts dieser Hiobsbotschaft nur noch bedingt damit rechnen, »die Ölversorgung unseres Heeres und der Heimat« sicherzustellen. Das sollte erst nach einem Jahr Instandsetzung möglich sein, als sich auch die zweite Hoffnung der OHL zerschlagen hatte: Trotz des Scheinfriedens von Brest-Litowsk mit dem bolschewistischen Rußland Lenins, Trotzkis und Stalins im März 1918 war das dringend ersehnte Öl aus Baku am Kaspischen Meer nicht erreichbar. Denn selbst hier hatte ein britisches Kommando-Unternehmen von Persien aus die Zerstörung der Förderanlagen, Pipelines und Lagertanks besorgt, ehe die Osmanische Armee die Ölregion besetzen und für die weitere Kriegsführung auch von Berlin her nutzen konnte. Von diesen und anderen Versorgungslinien abgeschnitten, sah sich die kaiserliche Seite vor allem nach den Streiks von Munitionsarbeitern und Meutereien in der Marine genötigt, wegen des täglich wachsenden Öl- Notstandes einen Waffenstillstand an allen Fronten zu suchen, auch vom Gegenangriff der Alliierten unter Marschall Foch ermattet und letztlich von der November-Revolution 1918 gezwungen. -329-
Es steht angesichts dieser Lage außer Frage, daß der »Griff nach der Weltmacht« (Fischer) vom wilhelminischen Berlin nicht von Öl- Eroberungen verursacht worden war. Denn Wilhelm II. als Hauptverantwortlicher wollte gemäß seiner berühmten Rede vom 4. August 1914 im Herbst des gleichen Jahres wieder zu Hause sein. Aber der strategische Faktor Öl wirkte aufgrund der rapide steigenden Motorisierung stärker ins Kriegsgeschehen ein, als alle Beteiligten wohl zu Anfang glaubten - mit Ausnahme einiger Briten wie dem Kriegsminister Lord Kitchener. Doch auch sie hatten sich hinsichtlich der Länge des Krieges verrechnet und waren heilfroh, daß ihnen die USA ab 1917 verstärkt zu Hilfe kamen. Lord Curzon, der im Kriegskabinett tätig gewesen war, fand denn auch während der PetroleumKonferenz in London 1918 die richtigen Worte zum vorzeitigen Ende des Großen Krieges: »Die alliierte Sache ist auf einer Woge von Öl zum Sieg geschwommen.«
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Der geölte Blitz Das Machtbewußtsein der militärischen Elite im Kaiserreich vor 1914 gründete sich auf die heimische Produktion von Kohle und Stahl. Man glaubte in diesen Kreisen auch an die steigende Leistungsfähigkeit der Groß-Chemie schon im Hinblick auf die Ammoniak- oder Pulver-Herstellung durch Karl Bosch und pflegte in Anlehnung an den Militärtheoretiker Clausewitz die Illusion vom erfolgreichen Kurzkrieg an zwei Fronten. Doch diese vom Eisenbahnnetz abhängige Form der Aggression geriet im Westen hinter Metz und im Osten hinter Tannenberg nach schnellen Anfangserfolgen ins Stocken, sah sich also mit einem Stellungs- oder Abnutzungskrieg konfrontiert. In dessen Verlauf konnten die gnadenlosen Materialschlachten so wenig ausbleiben wie die Sperrung der Meerengen, Wirtschaftsembargos und Seeblockaden als wirksame Waffen der materiellen wie mentalen Ermattungsstrategie. Aufgrund dieser bitteren Erfahrungen zwischen 1914 und 1918 mußte jedem Strategen klar sein, daß die steigende Technisierung der künftigen Kriegsführung immer größere Abhängigkeiten von der Ölbasis schuf: Ohne Rohöl und Treibstoffe war weder an einen Endsieg noch an einen Siegfrieden zu denken. Es sei denn, man fand ein Mittel, das unbegrenzt zugänglich war und das Öl als Rohstoff vollständig ersetzte. Verschiedene Methoden der Kohle-Hydrierung boten sich bereits seit 1913 an, wurden laufend verbessert und erhielten trotz ihrer hohen Kosten ab 1933 mit der »Machterschleichung« (Jung) der Nazis ein gefährliches Gewicht - die Herstellung von Kohlebenzin vornehmlich bei Leuna sollte der militärischen Aufrüstung dienen. -331-
Obgleich die angewandten Verfahren in der Regie des Konzernverbandes IG Farben aufwendig und kostspielig waren, begeisterten sie Hitler ebenso wie Walter Teagle von der Esso. Denn mit dem künstlich hergestellten Treibstoff war genau das zu verwirklichen, was den Diktator an der Technik ebenso faszinierte wie Benito Mussolini im Königreich Italien - das rauschhafte Potential der Technik mit ihrer erheblichen Beschleunigung. Von der Motorisierung und den Giftgas-Einsätzen des Ersten Weltkriegs geprägt, stellte sie Hitler wie kein anderer Politiker seiner Generation in den Dienst des ureigenen »Willens zur Macht«. Er besaß zwar keinen Führerschein, aber er war wie Wilhelm II. und Nikolaj II. in schnelle Autos geradezu vernarrt und ließ sich mit Vorliebe in offenen Mercedes-Karossen durch Stadt und Land fahren, auch zum Zelebrieren des Führerkults. Verständlich, daß er den schon 1932 begonnenen Bau von Autobahnen zwischen Bonn und Köln verstärkte, aus militärischen Gründen forcierte und den weitverbreiteten Konsumwunsch nach einem Volkswagen (VW) förderte: Dessen Urform entwarf Ferdinand Porsche 1938, aber gleichzeitig wurde sein luftgekühlter Motor auch von den Kübelwagen genutzt - der Kälte des Nordens und Ostens ebenso gewachsen wie den Wüsten Nordafrikas. Doch mit der Auto-Leidenschaft nicht genug. Die Ideologie der Beschleunigung als Zukunftsprogramm übertrug sich auch auf die Flugbegeisterung Hitlers und seiner Paladine. Als erster Wahlkämpfer der Moderne nutzte er das Flugzeug, um so schnell wie möglich von einer Großstadt zur anderen zu kommen und ließ es durch die »Legion Condor« in Spaniens Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 erproben - zur Vorbereitung des eigenen Kriegs. Nimmt man noch den Film- Enthusiasmus Hitlers hinzu, der seit seinem Stummfilm- Erlebnis »Fridericus Rex« geradezu einen Friedrich-Kult inszenierte und an die Verbindung von -332-
»Preußentum und Sozialismus« (Spengler) glaubte, dann erscheint seine Karriere vom verhinderten Kunstmaler zum Führer des Großdeutschen Reiches keineswegs als Zufall der Geschichte. Er war nie stark aus eigener Kraft, aber er nutzte geschickt die Schwächen der Demokraten und all jener Deutschen, die einer neuen Form des Aristokratismus erlagen – den Sportskanonen, Lokführern, Rennfahrern, Flugzeugpiloten, U-Boot-Kapitänen und Filmstars, bald auch den Kriegs helden des von Himmler geschaffenen »Neu-Adels«. Die geradezu manische Technikgläubigkeit der führenden Nazis, die sogar mit Hilfe der Eugenik einen neuen und rassereinen Menschen züchten wollten, macht verständlich, daß sie früh die Nähe zur Industrie suc hten und als eine der ersten Kriegsvorbereitungen das Energiewirtschaftsgesetz von 1934 durchsetzten. Sieht man von ein paar Begleitordnungen technischer Art ab, so wurde vordergründig die gesamte deutsche Öl- und Gaswirtschaft dem Allgemeinen Berggesetz von 1865 (Preußen) angepaßt. Gleichzeitig aber unterstand die weitere Suche und Gewinnung von Öl, Erdgas und Asphalt allein dem Staat als Obereigentümer, der die technische Erschließung dieser strategisch wichtigen Rohstoffe privaten Firmen überlassen konnte. Es besteht kein Zweifel daran, daß mit dieser formellen Novellierung und Anpassung ein wesentlicher Schritt zur Kriegsführung getroffen worden war: die Konzentration aller verfügbaren Roh- und Treibstoffe in der Hand des Diktators sowie die Schaffung vo n Absatzgebieten mit RegionalMonopolen. Eine hermetische und überaus dauerhafte Struktur, in deren Rahmen nicht nur bis 1939 die »Sozialisierung der ErdölIndustrie« vorangetrieben, sondern auch ein besonderes ReichsBohrprogramm gefördert wurde, dessen technische Anforderungen nach einem neuen Facharbeiter-Beruf verlangten - ab 1943 ließen die Bergämter eine dreijährige Lehre als -333-
Tiefbohrer zu. Ziel dieser als Friedenspolitik getarnten Kriegsplanung war die wirtschaftliche Autarkie im Energiebereich, die auch nichtfaschistische Länder wie Mexiko, die USA oder Schweden anstrebten. Als dann mit dem scheinlegalen Anschluß der Republik Österreich 1938 die Ölvorkommen von Gänserndorf bis Zistersdorf im Wiener Becken dazukamen, verfügte das Großdeutsche Reich zu Beginn des Zweiten Welkrieges neben dem Leuna-Benzin der IG Fraben gerade mal über l Million Tonnen Jahresproduktion: Das war immerhin zehnmal mehr als 1914 und im Krisenjahr 1929. Rechnet man noch hinzu, daß mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 zur klammheimlichen Teilung Polens erhebliche Mengen Rohöl aus der sonst so verhaßten Sowjetunion bis 1941 kontinuierlich geliefert wurden, dann hatte sich die Ausgangslage zusätzlich verbessert, zumal Rumänien als Verbündeter weitere Kontingente bereitstellte. Vergleicht man aber diese Mengen mit den mehr als 100 Millionen Tonnen Rohöl, die in den USA Jahr für Jahr aus Eruptiv- und Pumpsonden gewonnen wurden, dann reichten die Vorräte der Wehrmacht nicht hin, einen längeren Krieg zu führen. Deshalb kam man auch auf die Idee, das Konzept des Kurzkrieges von 1914 noch enger zu fassen: In den Medien, vor allem aber in der Deutschen Wochenschau als Vorspann zu jedem Kino-Programm wurde deshalb zunehmend von einem Blitzkrieg geschwärmt. Obgleich sich dieser Begriff einer weiten Beliebtheit erfreute und in Bezeichnungen wie Opel-Blitz für einen Lastwagen (General Motors) oder Blitz-Mädel als Kriegshelferinnen vorkam, konnte sich Hitler persönlich lange nicht mit diesem Kunstbegriff anfreunden. Doch nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 (»Unternehmen Barbarossa«) hat -334-
er »das ganz blödsinnige Wort Blitzkrieg« mit anderen Augen betrachtet und im Rauschgefühl des schnellen Sieges geprotzt: »Noch niemals ist ein Riesenreich in kürzerer Zeit zertrümmert worden und niedergeschlagen worden als dieses Mal Rußland.« Was er am 8. November 1941 zur Erinnerung an seinen Putschversuch von 1923 an der Münchener Feldherrnhalle zum Vormarsch im Osten verkündete, war aber nur die halbe Wahrheit. Denn ein erheblicher Teil des Kriegspotentials der Sowjetunion unter Stalin konnte nicht zerstört werden, vor allem nicht die Ölbasis vom Ural bis Baku. Es sollte sich auch bald zeigen, daß Hitler zusammen mit dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) in eine ähnliche Bedrängnis geriet wie einst Wilhelm II. mit seiner Obersten Heeresleitung: Sie wollten nach Baku vorstoßen, aber nicht als primäres Kriegsziel, sondern als Folge eines nicht vorhergesehenen Mangels - und schafften es nicht. Dafür gelang der Wehrmacht manch ein anderer Streich. Seit 1934 nicht mehr auf die Weimarer Verfassung mit Friedensgebot, Menschenrechts-Garantie und Demokratiebindung vereidigt, sondern auf Adolf Hitler persönlich nach Maßgabe des »bedingungslosen Gehorsams« verpflichtet, überfiel sie wehrlose Nachbarn. Bestätigte sich mit der Eroberung Polens, Dänemarks, Norwegens und der Niederlande das Konzept des Blitzkrieges oder schnellen Schlages gegen überaus schwache Gegner, so war es doch eine Überraschung, daß sich die III. Republik Frankreichs ab dem 10. Mai 1940 das zufügen ließ, was Militärs, Politiker und Intellektuelle noch heute schmerzt - die »seltsame Niederlage«. Diese Formel wählte der Historiker Marc Bloch als Titel für die wohl härteste Analyse, die jemals zur militärischen Elite und politischen Klasse seines Landes erstellt worden ist. In bestimmten Urteilen über ihre Mentalität finden sich Hinweise, die mit Muehlons Einschätzung des »unmoralischen Deutschen« -335-
gut übereinstimmen und in der beißenden Kritik an führenden Franzosen kaum ein gutes Haar lassen - aus eigenem Erleben als Militär. Der Fachhistoriker Bloch, der sich bei »wundertätigen Königen« des Mittelalters auskannte und ein Mitbegründer der Annales-Schule war, die auf Strukturen und Mentalitäten in der Geschichte achtet, sah sich zu Beginn des Krieges urplötzlich einer neuen Aufgabe gegenüber - ohne jede technische Qualifikation wurde er zum höchsten Treibstoff-Offizier der am »stärksten motorisierten Armee« Frankreichs ernannt. In der militärischen Praxis galt er als »oberster Spritherr« mit weitreichenden Kompetenzen, die er aber aufgrund der Kriegslage nicht voll wahrnehmen konnte. Zum gewaltsamen Vormarsch der Wehrmacht, die unter Bruch des Völkerrechts und der Neutralität Belgiens wie 1914 einfach die MaginotLinie umgangen hatte (Sichelschnitt), notierte er resigniert: »Fast täglich erhielt ich die Nachricht, daß wieder einmal eines der rückwärtigen Benzinlager den Deutschen in die Hände gefallen war.« Der Patriot Bloch, den die Gestapo 1944 als luden grausam ermordete, erkannte die Ursache der Niederlage vornehmlich darin, daß die verknöcherte Militär-Elite in ihrer Hochburg Saint-Cyr bei Paris seit dem Großen Krieg nichts dazugelernt hatte. Im sterilen Glauben an Vaubans Festungsdenken aus dem 17. Jahrhundert, man könne Frankreich mit der Maginot-Linie nach Osten hin absichern, erwiesen sich die militärischen wie politischen Strategen in den feinen Suiten von Paris als ein ziemlich naiver Nachbar. Bloch stellte denn auch mit einigem Sarkasmus und enttäuscht fest: »Unsere militärischen Führer wollten im Jahre 1940 tatsächlich den Krieg von 1914-1918 wiederholen. Die Deutschen aber führten den von 1940.« Dazu gehörte für den Weltkrieg-I-Veteranen Bloch jenseits der moralischen Fragen vor allem die Kombination aus Überraschungsmoment, hoher Beschleunigung von -336-
Kampftruppen, großer technischer Effizienz und taktischem Geschick. In all diesen Bereichen war die eigene Armee hoffnungslos unterlegen. Im Zeichen des Geologismus könnte man die Situation dieser völlig überforderten Elite nach den Beobacht ungen Blochs so charakterisieren: Versteinerter Bürokratismus, fossil anmutender Offiziersdünkel, erodierte Ethik an den Kriegsakademien sowie ein hoher Grad an politischen Verwerfungen schon aus Gründen der Parteibindungen blockierten sich gegenseitig im Augenblick des Überfalls zu Pfingsten 1940. Jean-Paul Sartre hat dazu als Meteorologe an der MaginotLinie manch eine treffende Beobachtung gemacht, die das bestätigt, was Bloch fast verzweifeln und als Chronist festhalten ließ: »Wir hatten nicht genügend Panzer, nicht genügend Flugzeuge, nicht genügend Lastwagen, Motorräder, Zugmaschinen und waren damit von vorneherein außerstande, die Operationen durchzuführen, wie es nötig gewesen wäre.« Die ganze Ohnmacht des französischen Militärs, das seit 1635 mit dem Eintritt in den Teutschen Krieg an der Seite Schwedens keinen Krieg aus eigener Kraft gewonnen, aber oft aus grotesken Fehlentscheidungen begonnen hatte, drückt sich bei Bloch in einer geradezu bizarr anmutenden Szene aus: Sie erscheint in ihrer Absurdität als ein fast tragikomischer Höhepunkt der Öl geschichte in Kriegszeiten. Dieser feinsinnige Professor, dessen ganze Sehnsucht darauf gerichtet war, nach »Wahrheit und Gerechtigkeit« zu streben, wie er bekannte, geht eines Tages in einem der wenigen verbliebenen Treibstofflager auf ein Benzinfaß zu: Wie ein ›König des Kerosins‹ hält er eine große Pipette hoch, zieht Treibstoff in sie hinein und verteilt diesen gerecht in bereitstehende Kanister für eine motorisierte Armee, die schon nicht mehr existierte -Tröpfchen für Tröpfchen.
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Ganz so dramatisch war die Treibstofflage in der Wehrmacht Hitlers 1940 noch nicht. Aber wenn es nach den Plänen der Generalstäbe Frankreichs und Großbritanniens gegangen wäre, dann hätten die Nazi- Eroberer vor allem von den Öllieferungen der Sowjets abgeschnitten werden müssen, die etwa die Hälfte ihres Eigenbedarfs aus der Baku-Gegend bezogen. Dieser in der Geschichtsschreibung selten genannte Umstand, daß Stalin die Blitzkriege Hitlers in Europa mit seinen Öllieferungen abstützte, veranlaßte die Westmächte, das streng geheime Kaukasus-Projekt in Angriff zu nehmen. Aufgrund einer der unzähligen Schlampereien, die Marc Bloch am französischen Armeewesen gegeißelt hatte, wurden am 19. Mai 1940 auf dem Bahnhof des Städtchens La Charité einige Geheimakten des Generalstabs gefunden. Darüber staunten die deutschen Stellen nicht wenig, denn es ging aus ihnen hervor, daß französische und britische Kommandos die Ölfelder von Baku bombardieren sollten - auch unterm Bruch des Völkerrechts und der türkischen Neutralität. Hitler griff diesen sensationellen Quellenfund begierig auf und tobte sich am 19. Juli 1940 vor dem gleichgeschalteten Reichstag ziemlich scheinheilig aus. Die Politiker und Militärs der beiden Westmächte, die gemäß ihrer Bündnispflicht für die Souveränität Polens in den Krieg gezogen waren, hätten nicht nur Finnland, Schweden und Norwegen zum Kriegsschauplatz machen wollen, sondern auch den Balkan, vor allem aber seien Franzosen und Engländer frevlerisch bestrebt, die »Zerstörung russischer Ölfelder« zu betreiben. Tatsächlich hatten sich General Gamelin und Admiral Darlan eine Großoperation vorgestellt, die gezielte Luftschläge gegen Baku ausführen sollte. Die Frage war nur, ob man die Bomber vom türkischen Ölzentrum Diyarbakir an der Südgrenze zum Irak starten lassen sollte oder vom Iran aus. Selbst die irakische Ölstadt Mosul wurde zeitweise als Ausgangsbasis in Betracht gezogen: demnach Orte, an denen die Flugzeuge mit dem -338-
nötigen Kerosin versorgt werden konnten. Während noch auf französischer Seite die Lage nach dem Völkerrecht erörtert wurde, wie es sich für einen Rechtsstaat und eine Demokratie gehört, spielte die britische Seite sogar eine mögliche Landoperation durch: Sie sollte vom Territorium der Türkei aus gegen die Ölregionen von Maikop und Baku erfolgen, ohne auf die Neutralität dieses Landes sonderlich Rücksicht zu nehmen. War also hier mit einem diktatorisch angeordneten Überraschungsangriff nicht zu rechnen, so gedieh dennoch der sogenannte »Südplan« der Westmächte mit dem erklärten Ziel, den »totalen Zusammenbruch des Kriegspotentials der UdSSR« herbeizubomben. Zu seiner Umsetzung waren genau 117 Flugzeuge vorgesehen. Sie sollten in nur zehn hochkonzentrierten Einsätzen mehr als 500 Tonnen Bomben so genau abwerfen, daß im Laufe eines Monats nur die gesamte Ölproduktion und Treibstoffherstellung dauerhaft ausgeschaltet wurde - von Maikop bis Baku. Mit dieser Operation von Mosul aus, auf das man sich schließlich geeinigt hatte, glaubten die führenden Militärs um Weygand und Mitchel, dem Chef der Britischen Luftwaffe im Vorderen Orient, alle Förderstellen und gut 100 Raffinerien zum völligen Stillstand zu bringen. Ein wahnhafter Plan. Denn erstens waren die Fehlabwürfe der damaligen Luftwaffen gut bekannt, überdies setzte diese Operation bestes Flugwetter voraus, und drittens durfte mit keiner Flugabwehr gerechnet werden - weder vom Boden aus noch in der Luft. Trotz dieser technischen und auch rechtlichen Einwände soll der neue Kriegspremier Winston Churchill dieses Projekt gebilligt haben, aber es war zu spät. Denn unter dem Losungswort »Weserübung« besetzte im April 1940 die Wehrmacht in Zusammenarbeit mit der Kriegsmarine und Luftwaffe das Königreich Norwegen: zur Sicherung der Erzzufuhr aus dem neutralen Schweden über den Hafen Narvik -339-
damit aber war auch der »Südplan« beider Westmächte gegen Baku gescheitert. Wieder einmal hat sich gezeigt, was Beschleunigung bei Militäraktionen bedeuten kann, wenn sie zur rechten Zeit betrieben wird und dafür das richtige Material zur Stelle ist. Diese Überlegung prägte auch das Konzept eines Blitzkriegs zur See, dessen Hauptziel darin zu bestehen hatte, vor allem England von der Ölzufuhr aus den USA und Venezuela abzuschneiden: Dazu wurde 1940 mit U-Booten die »Operation Paukenschlag« begonnen. Der Überfall auf Pearl Harbor (Hawaii) durch die kaiserliche Flotte Japans am 7. Dezember 1941, wo die Pazifik-Flotte der USA ankerte, wird heute in jedem Schulbuch als Großereignis des Zweiten Weltkriegs zumindest erwähnt: Von der Herausforderung der US-Navy vor der Atlantikküste und im Golf von Mexiko durch U-Boote unter der Hakenkreuzflagge ist jedoch selbst Fachhistorikern wenig bekannt. Das verwundert um so mehr, als der totale Einsatz aller UBoote vor jeder Kriegserklärung an die USA eine vollendete Tatsache war. Der Befehlshaber und spätere Großadmiral Karl Dönitz, schon im Ersten Weltkrieg ein U-Boot-Fahrer, gab denn auch gemäß seiner Machtfülle und ohne jedes Rechtsbedenken die Richtung vor, an die sich jeder U-BootKommandant zu halten hatte: »Keine Leute retten und mitnehmen. Keine Sorge um Boote des (abgeschossenen) Dampfers. Wetterverhältnisse und Landnähe sind gleichgültig. Nur Sorge um das eigene Boot und das Streben, so bald wie möglich den nächsten Erfolg zu erringen! Wir müssen hart in diesem Krieg sein. Der Gegner hat den Krieg angefangen, um uns zu vernichten…« Eine notwendige Unterscheidung zwischen Gegner und Feind macht Dönitz hier ebensowenig wie er den völkerrechtlichen -340-
Umstand berücksichtigt, daß keine Kriegserklärung an die USA vorlag. Die Kommandanten von Harald Gelhaus (U 107) bis Reinhard Hardegen (U 123) hatten demnach die Erlaubnis, alles zu versenken, was ihnen auf den Atlantikrouten vor die Torpedorohre kam, vor allem Öltanker, selbst wenn sie nicht bewaffnet waren. Jeder dieser Befehlshaber war unter diesen Umständen nur noch darauf erpicht, so schnell wie möglich die Versenkungsrate von 100000 BRT Schiffsraum zu erreichen. Denn mit einem solchen Abschußerfolg durfte ein Kommandant das berühmte »Halsjucken« genießen - bei der Verleihung des begehrten Ritterkreuzes durch Dönitz persönlich, der 1945 nach Hitlers Tod dessen Nachfolger werden sollte. Es mag unter diesen selbsternannten Raubrittern der technischen Moderne eine allgemeine Ansicht gewesen sein, daß sie sich über die »scheinheilige Neutralität der Amerikaner« (Hardegen) bis zur Kriegserklärung Hitlers am 12. Dezember 1941 geärgert haben. Aber konnte das denn jenseits der Christlichen Seefahrt wirklich eine Heldentat sein, auch unbewaffnete Schiffe abzuknallen und die überlebenden Schiffbrüchigen der oft brennenden See zu überlassen? Gewiß, es gab unter den U-Boot-Kommandanten, die bis nach Venezuela operierten und im Atlantik von speziellen Tankschiffen (»Melkkühe«) mit Treibstoff versorgt wurden, einige Ausnahmen in diesem Kampf gegen die Ölzufuhr aus Übersee. Sie allein zeigen, daß die U-Boot-Besatzungen nicht nur Täter, sondern auch Opfer einer Seekriegsführung waren, die sich schon 1917 verrechnet hatte. Die häufige Formel in Dönitz' Funksprüchen »Falls Brennstoffvorrat erlaubt« belegt unzweideutig, daß auch sein Konzept des Blitzkrieges zur See schon wegen der äußerst schmalen Diesel-Basis auf Dauer nicht durchgehalten werden konnte. Lothar Buchheims Bericht und Film »Das Boot« läßt nur ahnen, welche Tragödien sich nicht nur im Nord-Atlantik -341-
abgespielt haben, sondern auch vor Aruba in der Karibik oder selbst vor Abadan am Golf, wo U-Boote unterm Hakenkreuz sogar Raffinerien beschossen, alles nur, um die global organisierte Ölversorgung der Alliierten zu stören, ohne sie je zerstören zu können. Denn ihr Geleitzug- oder Convoy-System machte die U-Boote von Jägern zu Gejagten: Besonders nach der Entschlüsselung der Funk-Codes (Enigma-Maschine) fuhren sie von Emden oder Brest zu einem Himmelfahrtskommando aus. Hitler selbst hat die eigene Abhängigkeit vom Öl gelegentlich eingesehen und seinen nächsten Befehlshabern eine gehörige Nachhilfe in Strategie erteilt. So durfte Ende November 1942 der Feldmarschall von Manstein zur Lage der 6. Armee in Stalingrad einiges zur Bedeutung des Öls hören. Auf die am Telefon gestellte Frage des hochadligen Manstein: »Mein Führer, bitte sagen Sie mir, was die Heeresgruppe A im Kaukasus überhaupt soll«, antwortete sein höchster Kriegsherr nach Auskunft des Adjutanten Alexander Stahlberg: »Es geht um den Besitz von Baku, Herr Feldmarschall. Wenn wir das Öl bei Baku nicht kriegen, ist der Krieg verloren…«
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Vergasungen Nimmt man die besondere Prägung des Diktators Hitler wie auch jene Mussolinis durch das Öl als »futuristischen Stoff« ernst, dann muß auch vom Gas gesprochen werden. Allerdings nicht als Kampfstoff, dessen zeitweiliges Opfer Hitler persönlich im Ersten Weltkrieg geworden war. Es soll hier auch nicht um den technischen Vorgang des Zerstäubens von Benzin in einem speziellen Vergaser gehen, der seine Zündfähigkeit erhöht und dadurch einen Motor treibt. Vielmehr sei die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Seite des Vernichtungsdenkens gerichtet, das mit dem maritimen Holocaust während der »Operation Paukenschlag« in einem strukturellen wie mentalen Zusammenhang steht. Primo Levi, italienischer Staatsbürger jüdischer Herkunft und Chemiker von Beruf, hat in seinen Berichten aus der »Hölle von Buna« genau analysiert, warum sich ein totalitäres Regime jedes Mittels bedienen kann, um sich Widerstandskämpfer oder anderer unliebsamer Personen zu entledigen - auch der Vergasung mit toxischen Stoffen aus dem Öl, das ja zu einem gewissen Teil aus Leichengiften oder Ptomainen besteht. Als Mitglied der Partisanengruppe »Gerechtigkeit und Freiheit« hatte Levi aktiv den Faschismus und die Kriegsdiktatur Mussolinis bekämpft, war aber nach seiner Verhaftung als eine Art Sklavenarbeiter in jenen Industriekomplex abkommandiert worden, wo unter der technischen Regie der IG Farben vor allem künstliches Gummi für die Fahrzeuge der Wehrmacht hergestellt wurde, in den Buna-Werken. Dort erlebte er das genaue Gegenteil einer Treuhandschaft den Menschenrechten gegenüber, wie sie aus dem Verfassungsgebot »Eigentum verpflichtet« abgeleitet wird: -343-
»Buna ist ho ffnungslos, durch und durch trübe und grau. Diese ausgemachte Wirrnis von Eisen, Zement, Schlamm und Qualm ist die Verneinung der Schönheit schlechthin. Ihre Straßen und Bauten werden mit Zahlen und Buchstaben benannt wie wir, wenn sie nicht unmenschliche und unheilvolle Namen tragen. In diesem Bereich wächst kein Grashalm, und die Erde ist getränkt mit den giftigen Säften von Kohle und Petroleum. Nichts lebt hier, nur Maschinen und Sklaven und jene mehr als diese.« Levis Beobachtungen stammen aus dem Jahre 1944, als es dem Rüstungsminister Albert Speer gelang, trotz der Flächenbombardierungen durch die Alliierten die Kriegsproduktion mit Hilfe von Sklaven- und Zwangsarbeitern aus halb Europa auf ihren höchsten Stand zu treiben und damit auch die Ardennen-Offensive gegen die Invasionstruppen der Westmächte zu sichern. Das Reduzieren auf Buchstaben und Nummern, mit denen auch die U-Boote gekennzeichnet wurden, war dem Chemiker Levi aus der Nomenklatur der eigenen Wissenschaft geläufig: Aber in Buna wirkte dieses Verfahren wie eine rücksichtslose Verdinglichung jedes Menschen, dessen Eigenwert so wenig galt wie jener der Natur. Etwas von dieser technischen Kälte des blanken Numerierens findet sich noch in dem weit verbreiteten Lexikon Der Große Herder von 1952. Dort wird über den Kunststoff Buna so technokratisch berichtet, als ob es einen Mißbrauch dieser Großleistung der Farben-Chemie durch das NS-Regime nie gegeben hätte. Dazu heißt es: »Buna, das, seit 1934 in Deutschland fabrikmäßig hergestellter künstlicher Kautschuk. Aus Azetylen wird durch katalytischen Prozeß über Quecksilbersalzen und Behandlung mit Natronlauge, Anlagerung von Wasser Butadien (ein ungesättigter ParaffinKohlenwasserstoff) hergestellt. Durch Emulgieren und Polymerisation entsteht daraus eine Latexmilch wie beim Gummibaum, die mit Natrium den vulkanisierbaren RohKautschuk liefert. B., eine Wortbildung aus Butadien und -344-
Natrium, ist dem Naturgummi vielfach überlegen…« Seine Herstellung wurde von Zwangsarbeitern besorgt, die noch im Jahre 2000 auf eine materielle Wiedergutmachung für ihre Leiden warten mußten, weil die deutsche Industrie ihren vollen Anteil am Entschädigungsfonds nicht rechtzeitig geleistet hatte. All die furchtbaren Entbehrungen im Zeichen des Zynismus »Arbeit macht frei« konnten aber Primo Levi nicht davon abhalten, an ein anderes Menschenbild zu glauben, das Technik und Ethik nicht gegeneinander ausspielte, sondern sich dem Treuhanddenken auf Gegenseitigkeit und mit institutioneller Drittwirkung (Gerichtswesen) verpflichtet fühlte. Er verlor seine Zuversicht auch nicht, wenn unter den Lagerveteranen von einem »Muselmann« gesprochen wurde: Damit meinten sei die »schwachen, untauglichen und selektionsreifen Häftlinge« als nächste Opfer für befohlene Vergasungen. Der Muselmann, Muslim oder Mohammedaner galt vor der Vernichtungsorgie der antisemitischen Nazis als Religionsangehöriger des Islam in all seinen Richtungen. In dieser Qualität wurde er als Feind der Juden zeitweise heftig umworben, aber auch im Hinblick auf eine künftige Ölversorgung aus der weiten Golfregion. Doch trotz der unermüdlichen Bemühungen des deutschen Gesandten Fritz Grobba von Dschidda aus, das arabische Öl schon 1938 für die Achsenmächte nutzbar zu machen, sind all seine Versuche gescheitert, Engländer und Amerikaner aus diesem Zukunftsgeschäft zu drängen; selbst die Unterstützung muslimischer Befreiungsbewegungen von Berlin aus und damit das nationale Abschütteln einer Fremdbestimmung durch Engländer, Franzosen und Amerikaner führten nicht zum erwünschten Ziel. Außerdem gab es eine gewisse Rivalität der ölsüchtigen Diktatoren. Denn Mussolini favorisierte nach seinen Pleiten in Libyen und Äthiopien stark den Irak mit dessen Haschemiten-345-
Dynastie und hieß Bestrebungen gut, die ölreiche Provinz Khusistan dem Nachbarn Persien mit Gewalt abzunehmen, der seit Wilhelm Waßmuß traditionell am Deutschen Reich ausgerichtet war. Ein Projekt, das Saddam Hussein ab 1980 aus anderen Gründen mit militärischer Gewalt verwirklichen wollte, ganz im Sinne der Baath-Bewegung für einen Arabischen Sozialismus. Deren Hauptideologe aber war nicht ein Muselmann, sondern der Christ Michael Aflak, ein Bewunderer Mussolinis und Fürsprecher des Faschismus, der einem »heldischen Menschenbild« huldigte - gegen die Juden im Siedlungsgebiet Palästinas und den Zionismus gerichtet. Was im Golfgebiet politisch, diplomatisch und ökonomisch nicht zum Sieg führte, wurde jetzt im eigenen Machtbereich auf eine schauerliche Weise vollzogen. Nach den beruflichen wie materiellen Enteignungen seit 1933 durch die Arisierungen jüdischen Eigentums, den scheinlegalen Maßnahmen zum angeblichen »Schutz des deutschen Blutes und der Ehre« von 1935 und der Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern stand nach dem Kriegsausbruch jetzt gleichsam die Schlußpha se an: Am 20. Januar 1942 wurde während der berüchtigten Wannsee-Konferenz die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen ein teuflisches Vorgehen gegen wehrlose Menschen hinter den militärischen Fronten und »bis zur Vergasung«. In diesem schrecklichen Kapitel, das unter dem SSSchlagwort »Blut und Ehre« Millionen unschuldiger Menschen einen grausamen Tod beschert hat, spielte der Mißbrauch in der Ölproduk tion eine ziemlich perverse Rolle. Sie ist dank der Erinnerungen von Berthold Beitz erst vor einigen Jahren in Teilbereichen offengelegt worden und bestätigt auf schauerliche Weise auch das, was Muehlon an ethischen Defekten schon unter wilhelminischen Deutschen 1914 festgestellt hat - »ganz -346-
normale Männer« (Browning) konnten sich im Schutz höchster Befehle als Hoheitsakte wie Bestien verhalten. Der spätere Krupp-Bevollmächtigte Beitz hatte seine berufliche Karriere als Kaufmann bei der Royal Dutch/ Shell in Hamburg begonnen und war im Juli 1941 in das Ölgebiet von Ost-Galizien beordert worden. Dort sollte er als kaufmännischer Leiter der Karpaten-Öl-AG auf Geheiß des Berliner Reichswirtschaftsministeriums nach dem Rechten sehen und die weitere Ölgewinnung als kriegswichtiges Gut sichern. Zu Beginn seiner Tätigkeit im Rückraum der nach Osten vorstoßenden Wehrmacht hatte Beitz wohl kaum damit gerechnet, daß er bis zum Frühjahr 1944 als »Vater der Juden« oder als »Engel in der Hölle« zum gelegentlichen Lebensretter werden würde. Er kam im eigenen Mercedes mit Frau und Tochter in eine geologisch vielgestaltige Beckenzone, die als Teil Polens im Herbst 1939 von der Sowjet-Armee besetzt worden war. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 erhielt das wertvolle Ölgebiet eine neue Besatzung, in der sich vor allem einzelne SS-Männer selbstherrliche Übergriffe bis zum Mord auf offener Straße an der Zivilbevölkerung zuschulden kommen ließen. Beitz, der mit seiner Familie in Boryslaw festes Quartier bezogen hatte und die Ölproduktion inspizierte, stellte früh fest, daß ein Großteil der in der Ölwirtschaft tätigen Leute vom Lochmann über den Bohrmeister bis zum Ingenieur und ÖlChemiker in den Raffinerien des Gebietes Juden waren. Er konnte sie ohne Mühe daran erkennen, daß ihnen das Tragen von »weißen Armbinden mit einem blauen Davidstern« befohlen worden war - Jahre später die Symbolik der Flagge des Staates Israel. Verhaftungen jüdischer Intellektueller und sogar Exekutionen durch die Besatzer wie ihrer Hilfstruppen aus der Ukraine waren -347-
Beitz nicht entgangen und ließen ihn nach eigenen Angaben reagieren, nämlich für die Dauer dieser Hölle »in unmenschlicher Zeit Mensch« zu bleiben. Seine Bemühungen beschränkten sich allerdings am Anfang nur auf die relative Sicherstellung einzelner Frauen und Männer als unabkömmlichen Fachkräften im Dienst der Karpaten-Öl-AG, an deren Aktienkapital auch die Deutsche Bank beteiligt war. Bei seinem persönlich riskanten Eingreifen zugunsten Gedemütigter half ihm oft ein besonderes Telegramm des OKW, um dem Vernichtungswahn der SS wenigstens von Fall zu Fall entgegenzuwirken und das Schlimmste zu verhüten. In diesem hochoffiziellen Schreiben wurde das Öl Galiziens als außerordentlich kriegswichtig eingestuft, nachdem das Scheitern der Blitzkrieg-Strategie auf sowjetischem Boden schon abzusehen war. Obwohl das Berliner Ministerium darauf bestanden hatte, in den Ölfeldern Galiziens keine jüdischen Fachkräfte zu beschäftigen, setzte es die Geschäftsleitung des Konzerns durch, die bisherigen Mitarbeiter als »unentbehrlich« zu bewerten und sie auf diese Weise vor der sicheren Vernichtung durch SS- oder Polizei- Einheiten zu bewahren: Vor allem das Buchstabenzeichen »R« für »Rüstungs-« oder »RaffinerieArbeiter« verschaffte manch einem in der Ölindustrie tätigen Juden den Broterwerb und einen relativen Schutz. Auf andere Maßnahmen der SS hatte Beitz allerdings keinen Einfluß und konnte oft nur ohnmächtig reagieren, wie bei der Sonderbehandlung jüdischer Mädchen und Frauen. Ehe sie den Vergasungen ausgesetzt wurden, hat man sie kahl geschoren und die Haare in Kartoffelsäcken von Galizien gen Westen verfrachtet. Nach der Auskunft von Beitz war dieses Material »für irgendwelche Spezialzwecke für die U-Boote bestimmt, für Dichtungen und dergleichen…« Aber nicht genug mit solchen Aktionen. Die Produktion von Öl und dessen Verarbeitung in den Raffinerien »Galicia«, -348-
»Naphta« oder »Polmin« wurde selbst zur tödlichen Gefahr für die Angehörigen der jüdischen »R«-Fachkräfte. Denn im nahen Vernichtungslager Belzec wurde das fast täglich auf eine geradezu perverse Weise praktiziert, was heute noch in jedem Parkhaus der Welt an den Wänden wie eine Flammenschrift oder ein Menetekel vor drohendem Unheil warnt: »Bei laufendem Motor Vergiftungsgefahr!« Die von Beitz durch Beschäftigungsverträge mit der Karpaten-Öl-AG geretteten Arbeiter und Angestellten sahen sich also gezwungen, den Stoff zu produzieren, bei dessen Verbrennung ihre Familien vergast wurden! Der gegen diese Vernichtungsaktionen kritisch eingestellte SS-Mann Kurt Gerstein sollte als Inspekteur im galizischen Ölgebiet von solchen Maßnahmen im August 1942 angewidert gewesen sein. Er hatte aus nächster Nähe erlebt, wie Hunderte nackter Menschen in winzige Räume gepreßt wurden, um dann mit Giften, Schadstoffen und Gasen (Kohlenmonoxid) so lange berieselt zu werden, bis sie elend erstickten - in den Auspuffgasen tuckernder Dieselmotoren. Solche und andere Vernichtungsorgien steigerten sich vor allem in Birkenau und Auschwitz in geradezu diabolische Dirnensionen, ermöglicht auch durch neue Giftgase aus dem Arsenal der IG Farben, unter denen das Blausäuregas Zyklon-B eine mehr als traurige Berühmtheit erlangte. Was durch selbsternannte Herrenmenschen in einem völlig rechtsfreien Raum mit der systematischen Vernichtung von sogenannten Untermenschen industriell vollzogen wurde, erfuhr noch dort eine Entsprechung, wo selbst die Natur dem bedrängten Menschen nicht helfen konnte: Laut Beitz war es »den Ghettobewohnern nicht möglich, selbst Gemüse anzubauen, da der Boden im gesamten Stadtgebiet von Boryslaw durch Öl verseucht war.« Es wäre hier zu einfach, das Unglück von Mensch und Natur dem Öl anzulasten, schließlich wurde es erst in der Hand -349-
verantwortungsloser Militärs oder fahrlässiger Industrieller zu einem lebensfeindlichen Mittel. Die Gründe für diese Hölle in Galizien, die durch die »Tränen des Teufels« verursacht wurden, müssen statt dessen in der NS-Diktatur gesucht und auch in dem gesehen werden, was Muehlon schon 1914 zum »unmoralischen« Zustand in der Wilhelminischen Gesellschaft beim Namen genannt hat: »Zu Hause, in der Schule, in der Kaserne, in der Berufsarbeit hat sich niemand Mühe gegeben, die Menschen auf eine höhere, freiere Stufe zu bringen. Man hat ihnen befohlen, und sie haben gehorcht.« Erstaunlich ist, daß die Holocaust-Forschung auf diese fundamentale Prägung durch den Kadavergehorsam bis heute kaum einen Bezug genommen hat und auf Erklärungen wie den »eliminatorischen Antisemitismus« (Goldhagen) ausweicht. In Einzelfällen mag dieses Vernichtungsdenken noch steigernd hinzugekommen sein, aber entscheidend waren immer die Befehle zur Vernichtung, die ohne ethische Hemmungen in der Regel befolgt wurden - auch gegen Nicht-Juden wie die Zigeuner. Von einem Heer williger Vollstrecker, das auf Adolf Hitler als Parteiführer, oberster Dienstherr und höchster Befehlshaber durch einen dreifachen »Eid« einseitig verpflichtet war und das vollzog, was von 1934 bis 1945 als absolute Machtmaxime verinnerlicht wurde: »Führer befiehl, wir folgen dir!« In der Endphase dieses Führerkultes, der fast ein ganzes Volk beherrscht hatte, gelang Primo Levi in einer genauen Beobachtung ein historischer Bogen zu den Anfängen der Motorisierung des Krieges, die ohne Öl und dessen Produkte kaum denkbar gewesen wäre. Zum Verlauf des 20. Januar 1944 notierte er, wie ihm auf dem Buna-Gelände eine seltsame Karawane und Völkerwanderung vo n Osten nach Westen begegnete: »Schon seit drei Tagen zog in aufeinanderfolgenden Wellen die fliehende Wehrmacht vorüber. Panzerwagen, ›Tiger-350-
Panzer‹ mit weißem Tarnanstrich, Deutsche zu Pferd, Deutsche auf Fahrrädern, Deutsche zu Fuß…« Darunter befanden sich auch die Teufelskerle mit den Totenköpfen auf ihren schwarzen Uniformen und den Ritterkreuzen am Hals. Ihnen konnten nicht einmal jene Militärs und Zivilisten wirklich in den mörderischen Arm fallen, die am 20. Juli 1944 den Aufstand des Gewissens probten. Denn statt das Land vom Tyrannen zu befreien, wurden die Widerständler nach dem mißglückten Attentat des Grafen Stauffenberg in Plötzensee an Fleischerhaken aufgehängt oder in Berlins Bendlerblock hingerichtet. Nicht weit von jenem Bunker entfernt, in dem Adolf Hitler gemäß seiner Stellung auch als höchster Gerichtsherr im Großdeutschen Reich sich selber richtete: niemandem auf Erden verantwortlich, schon gar nicht dem Deutschen Volk, mitten im Inferno der Kanonen, der Bombenteppiche aus der Luft und dann auf seinen wohl letzten Befehl hin verbrannt - in einer Lohe aus Benzin! Nimmt man es genau, dann ist im 20. Jahrhundert zweimal der kriegerische Versuch gescheitert, aus der Mitte Europas eine Hegemonie über den Kontinent zu erringen und auf Dauer zu festigen. Ein wesentlicher Grund für beide Katastrophen muß in der Fehleinschätzung des Kurz- und Blitzkrieges als Machtmittel gesehen werden: Denn es verfügte nur über eine begrenzte Energiebasis und war vor allem aus Ölmangel nicht auf Dauer einsetzbar. Aber neben dieser strukturellen Schwäche wirkten sich auch die mentalen Mängel beider Kriegsführungen aus. Dem Patrioten und ehrbaren Kaufmann Wilhelm Muehlon waren sie schon 1914 bewußt, als er auch gegen die Hetztiraden einer »verrohten Presse« aus historischer Erfahrung mahnte: »Es sind die fremden Ideen einiger Weniger, wofür die Völker kämpfen müssen; es sind die Gefahren, die einige Wenige heraufbeschwören, die aber die Gesamtheit der Völker zu -351-
verantworten hat. Leichtgläubig gegenüber den Regierenden lassen sich die Völker mißtrauisch gegeneinander machen und bleiben dumme, von Gespensterfurcht und Aberglauben erfüllte Herden. Nichts ist schrecklicher als solche lenkbaren Herden, in denen man je nach Bedarf wahre Gefühlsepidemien erzeugen kann. Sie bleiben immer geistig blind, tun das Schlechte wie das Gute ohne innere Erkenntnis. Sie geben sich dem gewaltigen Strom der Massenbewegung hin, mag diese von einem Engel geführt, von einem Teufel geritten oder von einem Phantom gejagt sein…«
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DER GOLDENE GÜRTEL »Mexikos Blut« - Die Weiße Rose - Rotes Tuch Pemex Wer sich anhand des Katalogs zur Ausstellung »Imagen de Mexico« ein Bild von diesem einzigartigen Land der Drei Kulturen machen möchte, der wird schnell auf eine Merkwürdigkeit stoßen. Denn die ausgewählten Ölbilder, Graphiken und Fotos aus der Zeit zwischen 1900 und 1960 zeigen kaum Werke eines Künstlers, der sich mit der Arbeitswelt des Industrialismus oder gar des Öls auseinandergesetzt hätte: Obgleich dieser Rohstoff nach der Revolution von 1910 und mit der Verfassung von 1917 als das wichtigste Nationalgut angesehen wird - bis heute das »Blut Mexikos«. Lediglich das Ölgemälde »Los mineros« von Antonio Ruiz aus dem Jahre 1941 weicht vom üblichen Bilderreigen ab. Werden sonst nur arme Bauern auf dem flachen Land und reiche Bürger aus den Städten gezeigt, so widmet sich Ruiz einer Gruppe Bergleute. In Sandalen, ausgebeulten Hosen und mit einfachen Hüten betreten die halbnackten Männer im Gleichschritt einen mit Holzstreben abgestützten Schacht: Eine Grubenlampe, Spaten und Pickel vergegenwärtigen den Alltag in den stickigen Stollen des erzhaltigen und nahezu baumlosen Berges. Doch der Schein dieser Wirklichkeit trügt. Denn die Grubenarbeiter drehen dem Betrachter den Rücken zu. Sie wenden sich ab, wirken wie »tote Seelen« am Eingang zur Unterwelt, und der verhüllte Wächter kann nicht verbürgen, daß jeder der Todgeweihten nach seiner Schicht wieder heil aus der Grube zurückkehrt. -353-
Die Suggestion dieses Trupps läßt daran denken, wie der Mensch in seinen Begegnungen mit der Natur das Gesicht verliert, sobald er ihr Gewalt antut und beim Erschließen von Bodenschätzen ohne Rücksicht verfährt. Ruiz bestätigt im Motiv des Bergbaus den Totenkult in seinem Land, der in jedem November das Flüchtige und Nichtige der materiellen Welt mit den poetischen Worten anmahnt: »Auch Jade zerbricht. Selbst Gold wird zerstört. Sogar die Federn des Vogels Quetzal reißen…« Einem solchen Denken, das Leben und Tod auf ewige Kreisläufe bezieht, kann das Streben nach materiellen Gütern nicht alleiniger Lebenszweck sein. In diesem Sinne betrachten religiös gebundene Mexikaner den »amerikanischen Weg« ihrer nördlichen Nachbarn mit Skepsis, denen das Anbeten des Ölgötzen und das Anhäufen von Reichtümern wichtiger zu sein scheint als das Seelenheil. Gleichwohl sind viele des 100Millionen-Volkes längst dem Konsumismus erlegen und streben vehement danach, zumindest den im Land gebauten VW-Käfer als Statussymbol zu erwerben. Sie zeigen in ihrem Verhalten, daß das Verhältnis zur Erde als Lebens gut ebenso gestört ist wie zur nationalen Errungenschaft des ejido: ein von der Verfassung garantierter Treuhandbesitz für einst landlose Bauern, der dem familiären Eigennutz wie dem Gemeinwohl (Steuern) zu dienen hat. Die menschliche Beziehung zur Natur in vorindustrieller Zeit drückt sich auch darin aus, daß die zahlreichen Ausbisse zwischen den Ölzentren Colomo und Culebra im Einzugsgebiet der Golfküste noch immer mit einem anrührenden Ausdruck benannt werden: Er setzt sich aus einem spanischen und aztekischen Wort zusammen und heißt Ojo de Chapopote Auge des Geruchs. Den Azteken als einem Hauptvolk des alten Mexiko war das hochgesickerte oder durch Erdbeben freigelegte Öl so wertvoll, daß sie es für das Fertigen eines besonders festen Mörtels auch -354-
zum Bau von Stufenpyramiden nutzten. Andere Völker wie die Totonaken oder Huasteka hatten dagegen früh entdeckt, daß sich dieser dunkle, klebrige und stinkende Stoff hervorragend eignete, um Farb-Ornamente auf Tongefäßen haltbar zu machen. Selbst als Heilmittel und Leuchtstoff war ihnen das Öl ebenso bekannt wie den Indianern von Oklahoma, den Heidebauern in Niedersachsen oder den Beduinen von Kuwait. Angesichts der vielfältigen Verwendung des Öls konnte Jesus Reyes Heroles, der Präsident des 7. Welt-Erdöl-Kongresses von 1967 in Mexico City zu Recht sagen, daß »das Öl auf die eine oder andere Weise schon immer mit dem Leben in Mexiko ganz eng verbunden war«. Diese natürliche Beziehung änderte sich aber, als man im Jahre 1863 begann, das Öl als Rohstoff industrie ll zu erschließen. Damals hatte der Ölpionier Manuel Gil y Saenz einen ergiebigen Ausbiß in der Nähe von Tepetitlan (Provinz Tabasco) zu einem Sickerschacht ausgebaut und eine Entwicklung eingeleitet, die gut hundert Jahre später das Öl zu einer »Säule der mexikanischen Wirtschaft« werden ließ, zur Basis auch der Industrialisierung und damit einer Umweltbelastung besonders in der Hauptstadt Mexico City einst gerühmt für ihre saubere Luft. Während dieser fundamentalen Verschiebung glaubten einflußreiche Intellektuelle Mexikos wie der sozialistische Maler Diego Rivera, sie könnten die indigene Mentalität der Naturnähe mit den Anforderungen der technischen Moderne verbinden, gar den Regengott Quetzalcoatl mit dem Feuerstoff des Ölgötzen versöhnen. Noch im Jahre 1952 nannte David Alfaro Sequeiros sein monumentales Wandbild im Nationalen Polytechnischen Institut von Mexico City »Der Mensch - Herr, nicht Sklave der Technik«. Eine verständliche Vision, wenn man die Geschichte Mexikos bedenkt. Sie stand von 1540 bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1821 unter dem Diktat spanischer Vizekönige, die den Reichtum -355-
des gesamten Landes fast wie eine Privatschatulle und seine Menschen wie Sklaven betrachteten. Man vergegenwärtige sich nur die Berichte Alexander von Humboldts aus den Silbergruben von Guanajuato im Jahre 1803 und versteht das Freiheitsbedürfnis gegen diese Erniedrigung. Aber mit der Befreiung vom spanischen Joch verhalf man nur den eigenen Diktatoren und ihren Clans dazu, einen neuen Besitzdünkel auszuleben, bis er mit der Revolution von 1910 durch ein depositäres Verfassungswerk ersetzt werden konnte. Allerdings: unter dem Einfluß der selbsternannten Staatspartei PRI sowie des staatlichen Ölkonzerns Pemex kehrte ab 1938 die Mentalität zurück, Land und Leute als einen Selbstbedienungsladen zu betrachten - der Revolutionsparole »Land und Freiheit« zum Trotz.
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»Mexikos Blut« Die Wege des Öls in diesem Land der ältesten Maiskultur der Welt, der gezuckerten Totenköpfe und der lebensfrohen Mariachi verliefen nur wenig anders als beim Abbau von Kupfer, Silber und Gold, das Vizekönige verschleuderten oder die Kirchen schmückte. Und doch unterlag dieses »Blut Mexikos« nach seiner ersten industriellen Nutzung ein paar Eigentümlichkeiten, die von der herkömmlichen Geschichte des Bergbaus und des frühen Fabrik- oder Manufakturwesens abwichen. Folgt man den Beobachtungen Humboldts, der schon vor seinem Tod im historischen Jahr 1859 als der »zweite Entdecker Amerikas« geehrt wurde, dann war ganz Lateinamerika südlich des Rio Grande vollkommen vom Patrimonialverhalten geprägt. Das äußerte sich nicht nur in einer ausufernden Vetternwirtschaft und fortgesetzter Korruption, sondern auch in einem typischen Machtmißbrauch: »Die Fabrikherren machen, was man in den Werkstätten Quitos oder auf den Haziendas ganz Spanisch-Amerikas macht, überall, wo es schwierig ist, Arbeitskräfte zu finden. Sie schicken ihre Aufseher zu den unglücklichen Armen und lassen diesen anstandslos das Geld zukommen, sich zu betrinken. Schon hat man vom Herrn abhängige Schuldner, Sklaven, die ihre Schuld abarbeiten müssen. Der Herr bezahlt die Arbeit nach Gutdünken oder mit Kleidungsstücken, auf die er sechzig Prozent aufschlägt. Der Unglückliche arbeitet das ganze Jahr und wird seiner Schuld niemals ledig… Wo hat man Beispiele, daß eine ganze Nation alles Eigentum verlor?« Was Humboldt hier als Teufelskreis beschreibt, war nichts spezifisch Spanisches. Denn ein ähnliches Eigentumsverhalten -357-
fand sich zur gleichen Zeit auch im Sklavensystem der USA bis 1863 und selbst in Schweden, wo die »Statarna« als halbdingliche Land- und Saisonarbeiter bis 1945 (!) von meist adligen Gutsherren oder Bruks-Patronen ausgenutzt, mit Schnaps entlohnt und so gar gezüchtigt werden durften. Diese oft menschenunwürdigen Zustände, die im 19. Jahrhundert als die »soziale Frage« heftig diskutiert wurden, erfuhren im Bereich der Ölgewinnung dadurch eine gewisse Entspannung, daß ihre Lösung in Mexiko von der öffentlichen Hand in Privathand verlagert wurde. So erfolgte 1884 unter dem Diktator Porfirio Diaz eine Neufassung des Bergbau-Gesetzes von 1784. Sie ging von der habsburgischen Eigentumsbestimmung ab und bevorzugte das angelsächsische Muster. Danach richtete sich die volle Verfügung über Erdöl, Bitumen oder Asphalt nach dem Privatbesitz, auf dem diese Naturtstoffe gefunden wurden. Man ging hier von der Überlegung aus, daß das in den Ausbissen oder Teerkuhlen gelagerte Öl in der Regel »abgeschöpft« und nicht bergmännisch durch Stollen und Schächte »abgebaut« wurde, demnach einer anderen Produktionsweise unterlag. Öl-Pioniere wie Dr. Adolfo Autrey, der 1869 nahe Papantacruz tätig geworden war, oder auch Simon Sarlat und Serapion Carillo, die 1883 in Macuspana/Tabasco erste gezielte Schürfversuche unternommen hatten, konnten sich demnach mit dieser Eigentumslösung hinreichend gesichert fühlen, ohne vom Staat als absolutem Obereigentümer bedrängt zu werden. Wie überall auf der Welt folgten sie mit ihren Bohrteams zunächst den zahlreich vorhandenen Ausbissen vornehmlich im TuxpanBecken und längs der breiten Küstenzone des Golfs von Mexiko mit seinen komplizierten geologischen Strukturen, vor allem in Gestalt der Verwerfungen. Aber die Produktion von Öl allein verschaffte den jeweiligen Besitzern noch lange keine realen Einkünfte, mußte doch diese klebrige Masse verkauft oder an den Mann gebracht werden: -358-
Das leidige Problem des Zusammenwirkens von Upstream und Downstream harrte auch in Mexiko einer Marktregulierung. Gil y Saenz bekam denn auch gleich zu Beginn seiner mühsamen Ölgewinnung diesen strukturellen wie konjunkturellen Zwang schmerzhaft zu spüren. Als er nämlich mangels einer Binnennachfrage in Mexiko selbst sein Ausbiß-Öl in New York verkaufen wollte, machten eine Ölschwemme und Preisflaute den ersten Exportversuch zunichte. Wie risikoreich die Ölsuche selbst für Experten immer noch war, zeigte sich 1892, als ein US-Unternehmen die Hazienda »El Cougas« in Pacht nahm. Obwohl auf einem Gelände von mehr als 2500 Hektar intensiv gesucht wurde, stießen die Bohrteams nur auf unergiebige Träger. Trotz dieses Fehlschlags und anderer Investitionsruinen längs der Golfküste stieg die Produktion des für Mexiko typischen Schweröls, das bald als »Mexican Heavy« zu einem Exportschlager werden sollte: in den Sonnenstaat Californien, der bis 1848 zur Republik Mexiko gehört hatte und seitdem wie Texas, Neumexiko oder Arizona ein Teilstaat der landhungrigen und damals kriegerischen USA geworden war. Zur Jahrhundertwende erreichte die Belieferung Californiens bereits mit 2,6 Millionen Barrel einen vorläufigen Höhepunk t. Zehn Jahre später stand der Import aus dem mittlerweile revolutionär gewordenen Mexiko bereits bei 55 Millionen Barrel. Eine ähnliche Entwicklung und Wachstumsrate verzeichneten auch die unmittelbaren US-Nachbarstaaten am Golf: Betrug die Ausfuhr dorthin im Jahre 1901 noch 4,4 Millionen Barrel, so waren 1909 bereits 49 Millionen Faß zu verzeichnen. Diese doch erstaunliche Steigerung zugunsten des mexikanischen Schweröls, das oft unraffiniert als Heizstoff eingesetzt wurde, hing mit dem Umstand zusammen, daß Californien und die US-Grenzstaaten zu Mexiko hin kaum Steinkohle oder einschlagfähige Wälder besaßen - im Gegensatz -359-
zu den reich gesegneten Staaten im Einzugsgebiet der Ostküste. Außerdem besaß die Esso Rockefellers wenig Interesse daran, sich im Bereich der Schweröl-Vermarktung zu engagieren, und überließ dieses einträgliche Geschäft weitgehend ein paar Independenten wie Harry Sinclair. Ihr Einsatz beiderseits des Rio Grande wurde noch durch eine epochemachende Erfindung begünstigt, für deren technische Entwicklung und wirtschaftliche Eignung die Gebrüder Nobel in Baku/Rußland einiges geleistet hatten: Den Bau von speziellen Ölbrennern auch zur Heizung von Fabriken und Privathäusern. Diese Neuerung, von Sinclair in Chicago ebenso gefördert wie auf Kuba, setzte sich auch deshalb in der Neuen Welt so schnell durch, weil beim Verbrennungsvorgang der freiwerdende Schwefel gebunden werden konnte und somit die Korrosionsgefahr erheblich vermindert wurde. Was für den Schiffsantrieb galt, der Churchill und die britische Admiralität bis 1912 fieberhaft beschäftigte, fand auch für die Lokomotiven der Eisenbahn verstärkt Verwendung: Auch wenn die letzte mit Kohle betriebene Lokomotive in den USA erst 1955 außer Dienst gestellt wurde, so gelang die zügige Erschließung Mexikos und des Wilden Westens durch neue Bahnstrecken hauptsächlich mit Loks, die eine Schweröl- Heizung besaßen der wachsende Markt verlangte danach. Die steigende Investition von Privatseite in die Ölsuche hing mit Sicherheit an der seit 1884 gewährten Eigentumsgarantie. Aber diese Verlagerung schloß nicht aus, daß auch die staatliche Seite aktiv wurde und hier vor allem der Präsident Diaz. Denn ihm stand von Amts wegen die Kompetenz zu, allein bestimmte Konzessionen für den Bohrbetrieb und die Ölgewinnung zu erteilen, d.h. innerhalb eines begrenzten Gebietes und für einen festgelegten Zeitraum. Aufgrund einer Reihe von Reformen, die sich angelsächsischen Erfolgsmustern anglichen, war es diesem -360-
Diktator gelungen, auswärtiges Kapital und Investoren ins Land zu holen. Sie sollten vor allem den heruntergekommenen Bergbau modernisieren und neben der Landwirtschaft die Industrialisierung Mexikos vorantreiben: Zu diesem günstigen Entwicklungsklima paßte es, daß knapp vierzig Jahre nach dem ersten industriell genutzten Ölfund am 1. Mai 1901 die Mexican Petroleum Company (MPC) gegründet wurde. Edward L. Doheny, ein Ölunternehmer aus Californien, sah früher als andere Investoren die Chancen, die sich aus der Kombination von Eisenbahnbau und Ölproduktion ergaben. Nahe der bald legendär gewordenen Ölstadt Tampico ließ er denn auch seine MPC an der Bahnstrecke nach San Luis Potosi bohren und stieß in einer Teufe von nur 425 Fuß (ca. 140 Meter) auf das typische Schweröl. Diese Aktivitäten der MPC, die nach californischem Recht organisiert worden war, führten bald nach diesem Bohrerfolg zu einem mexikanischen Ableger. Man nannte das neue Unternehmen Huasteca Petroleum Company und gründete in seinem Rahmen kleinere Bohrgesellschaften. Diese suchten in der Nähe der zahlreichen Ausbisse von Veracruz im Norden bis nach Tamaulipas im Süden der Golfküste nach Öl und erschlossen ein Feld nach dem anderen: Bald sprachen die Bohrkumpel in den Bodegas der Ölcamps und Bankiers selbst außerhalb Mexikos nur noch vom »Goldenen Gürtel« - von der »Faja de Oro«. Es sollte aber bis zum 3. April 1904 dauern, ehe mit der »La Pez No. l« die Ölindustrie Mexikos wirklich ihren Anfang nahm. Denn bei den bisherigen Funden handelte es sich um Einzelaktionen mit einem relativ geringen Ölzufluß, der überdies im eigenen Land schwer zu vermarkten war. Jetzt aber förderte diese Sonde aus einer Teufe von 1647 Fuß (549 Meter) während der ersten Produktionszeit etwa 1500 Faß pro Tag und ermöglichte eine strukturelle Stetigkeit der Ölindustrie. Noch im gleichen Jahr konnte das San-Cristobal-Feld genutzt -361-
werden. Es lag an der Bahnstrecke nach Tehuantepec und nahe Minatitlan, wo eine erste Raffinerie gebaut wurde. Sie erhielt später den Namen des Präsidenten Cárdenas, der 1938 die gesamte Ölindustrie »nationalisieren« konnte und hat ab 1904 mitgeholfen, nicht allein den Eigenbedarf Mexikos an Heizöl zu liefern, sondern auch den Export in die USA und nach Kuba anzukurbeln. An dieser geradezu historischen Investition in eine Zukunftsindustrie war der englische Unternehmer Weetman Pearson maßgebend beteiligt. Er zog einige Jahre später als Lord Cowdray ins britische Oberhaus und fühlte sich dafür zu Recht geadelt, daß er zusammen mit seinem Sohn den Hafen von Dover und den Blackwell- Tunnel unter der Themse gebaut hatte: Das waren unschätzbare Erfahrungen, die er ebenso beim Tunnelbau in New York nutzte wie beim Bau von Hafenanlagen längs der Golfküste Mexikos. Eine wesentliche Voraussetzung für die Tätigkeit von Pearson war allerdings die enge Freundschaft zum Diktator-Präsidenten Diaz, dem die Öffnung seines Landes für US-Kapital auf die Dauer nicht ganz geheuer war. Das Engagement des Engländers kam ihm daher als eine Art Gegengewicht sehr gelegen. Allerdings hatte dieser mit zwei Problemen zu kämpfen. Zum einen konnte die von ihm errichtete Raffinerie Minatitlan nicht genügend Öl aus der heimischen Produktion erhalten, so daß von Texas der fehlende Rohstoff hinzugekauft werden mußte, und zum ändern war der Binnenmarkt Mexikos noch so schwach entwickelt, daß die veredelten Raffinerieprodukte nach England und ins übrige Europa exportiert wurden: Dort aber trafen sie auf die schärfsten Wettbewerber, die man sich denken konnte Esso und Nobel. Angesichts der besonderen Situation Mexikos entschloß sich das Team Pearson & Son, das Vermarktungsgeschäft durch Eigenproduktionen abzusichern, also den Nobel-Weg des integrierten Ölkonzerns zu gehen. Es beteiligte sich deshalb mit -362-
eigenen Bohrtrupps an der Ölsuche und stieß am 4. Juli 1908 auf einen spektakulären Fund. An diesem wirklich denkwürdigen Tag in der Ölgeschichte Mexikos erlebte die Bohrstelle San Diego de la Mar No 3 einen gewaltigen Ausbruch (blow out). Der Springer entzündete sich zum Entsetzen der Bohrmannschaft wie der Unternehmer und konnte lange Zeit nicht genutzt werden. Trotz des täglichen Verlusts von abertausend Tonnen Rohöl wirkte diese Brandorgie wie ein Fanal für auswärtige Investoren, am künftigen Ölreichtum Mexikos teilhaben zu wollen. Auch Pearson ließ sich von dem Dos-Bocas-Feuer, wie es überall beschrieben wurde, nicht abschrecken und gründete noch im gleichen Jahr die Compania Mexicana de Petróleo El Aguila - CMP oder auch El Aguila genannt. Das war eine ungewöhnliche und folgenschwere Entscheidung. Denn Pearson interessierte nicht das bergrechtlich erlaubte patrimoniale Eigentum an dieser Ölgesellschaft. Er besaß vielmehr eine depositäre Einstellung zu allem Wirtschaften, die auf die Ölindustrie einwirken sollte, d. h. neben dem privaten Profitstreben hatte für ihn auch das Gemeinwohl Mexikos seinen Platz. Aus diesem Grund begnügte sich Pearson mit der Position eines Direktors, während der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Gouverneur des Öl- Staates Veracruz war, ein intimer Freund des Präsidenten Diaz. Roch bereits diese Konstellation nach Korruption, so verstärkte sich der Eindruck von Vetternwirtschaft, als der Sohn und der Schwiegersohn des Diktators in diesem Firmengremium Platz nehmen durften: der letztere war immerhin der größte Landbesitzer im vorrevolutionären Mexiko und soll allein in der Provinz Chihuahua 17 Millionen Hektar Land sein Erbe und Eigen genannt haben. Allen depositären Vorstellungen Pearsons zum Trotz ergänzten sich hier das Politische und Private im Geflecht von Nepotismus, Tribalismus und Nationalismus zu einem -363-
profitablen Netzwerk aller Beteiligten. Tatsächlich kann man in dieser Firmenkonstruktion der El Aguila, die bewußt den Adler aus Mexikos Staatswappen in ihren Namen und Emblem aufgenommen hat, den ersten Versuch sehen, die Verfügung über den Rohstoff Öl als das »Blut Mexikos« so nahe wie möglich in nationaler Regie zu halten. Das Ziel dieser Politik sollte wohl sein, auswärtiges Kapital vor allem aus den USA abzudrängen und durch einheimische Interessen zu ersetzen. Darüber hinaus hatte die gesamte Prospektion, das Bohren, Fördern, Transportieren, Raffinieren und Tankstellengeschäft in den Händen von mexikanischen Fachleuten zu liegen. Kurz: Öl mußte auf lange Sicht zum Nationalgut und letztlich zum Monopol werden. Einen Vorgriff auf dieses Zukunftsmodell hatte zur gleiche n Zeit im privaten Öl- Sektor Henry Clay Pierce virtuos erprobt. Er besaß schon vor 1900 in Mexiko gewisse Beteiligungen an Bergwerken sowie am stetig wachsenden Eisenbahnnetz und hatte mit dem Aufkommen der Ölverwertung für Lampen die Waters Pierce Oil Company gegründet. An diesem besonderen Unternehmen des US-Amerikaners hielt jedoch die Esso genau 65% der Aktien. Pierce verfügte über die restlichen 35 % und führte das operative Geschäft in eigener Hand. Bei den Verhandlungen mit dem Diktator Diaz war es ihm gelungen, für ganz Mexiko ein Monopol zu bekommen. Sein Unternehmen durfte demnach ganz allein Ölprodukte aus den Raffinerien der benachbarten USA nach Mexiko bringen und dort verkaufen. Pierce nutzte weidlich dieses Zugeständnis der Staatsspitze und mißbrauchte seine Zuständigkeit. Er verlangte überhöhte Preise und geriet aufgrund eines fehlenden Wettbewerbers in die Kritik der AntiTrust-Bewegung in den USA. Denn nach deren Auffassung von einem lauteren Wettbewerb hatte er aufgrund seines Monopols den offenen Markt für den blanken Eigennutz umfunktioniert: Pierce mußte deshalb den mächtig aufstrebenden Öl- Staat Texas -364-
verlassen, zahlte die Esso aus und wurde uneingeschränkter Volleigner der Waters Pierce - bis Harry Sinclair das Unternehmen übernahm. Allein dieses Modell der privaten Monopolbildung von 1911, als in den USA der Esso-Konzern gerade auf höchsten Gerichtsbeschluß hin zerschlagen worden war, zeigt seinem Wesen und Wirken nach, wie Pearsons Treuhanddenken ins genaue Gegenteil umschlagen konnte, sobald sich Eigennutz und Gemeinwohl nicht auf der Grundlage von Verträgen ergänzten. Der Fall Pierce machte auch überdeutlich, wie schmal der Grat war, der Versuchung nachzugeben, das Nationalgut Öl einer Nationalisierung, Sozialisierung oder Verstaatlichung zu unterwerfen und zu den Verhältnissen vor 1884 zurückzukehren. Nicht wenige Revolutionäre von 1910 liebäugelten nach der Diaz-Diktatur mit dieser Möglichkeit der Eigentumsverschiebung. Aber es sollte noch eine gute Generation dauern, ehe diese Lösung erprobt wurde. Schließlich gab es noch ganz andere Formen, die Erträge aus dem Ölgeschäft dem Gemeinwohl zugänglich zu machen - zum Beispiel über eine gezielte Besteuerung. Der Präsident-Diktator Diaz rechnete es sich seit 1884 als nationale Leistung an, Mexiko auch dadurch in die industrielle Moderne geführt zu haben, daß er die technische Kompetenz auswärtiger Unternehmen nutzte, um die Mexikaner mit allerlei Techniken vertraut zu machen. In Kenntnis des hohen Risikos bei allen Investitionen erhob er in mehr als 25 Jahren seines politischen Wirkens kaum Steuern auf Industrieanlagen und ihre Produktion: Die Entwicklung Mexikos sollte dadurch nicht unnötig gestört oder gefährdet werden. Das besondere Amigo-System des Diktators, an dem er selbst und sein Clan am meisten profitierten, war aber den -365-
mittelständisch ausgerichteten Constitutionalisten um Venustiano Carranza ebenso verdächtig wie den BauernGenerälen Emilio Zapata und Pancho Villa, die an einer grundlegenden Landreform im Geiste des ejido interessiert waren - an nationalem Eigentum und politischer Freiheit, an »tierra y libertad«. Francisco Madero hingegen, der erste gewählte Präsident der revolutionären Republik von 1910, war sich darüber im klaren, daß das überkommene Besitzdenken in der Industrie nicht die alleinige Lösung der Zukunft sein konnte. Deshalb versuchte er es mit einer ersten Besteuerung. Sie war noch mehr als moderat und verlangte von jeder Tonne Rohöl, die aus mexikanischem Boden gefördert wurde, gerade einmal 20 Centavos an Steuerabgabe. Diese Einnahmequelle brachte der maroden Staatskasse im Jahre 1912 zwar nur 494275 Pesos ein. Doch fünf Jahre später hatte sich diese Summe bereits auf 7074968 Pesos erhöht und sollte im Jahre 1922 gar die Rekordmarke von 58 177029 Pesos erreichen: jährliche Einkünfte, die bis zur Nationalisierung hochwillkommen waren. Trotz dieser nutzbringenden Steigerung staatlichen Abschöpfens waren die maßgeblichen Revolutionäre in den Reihen der Constitutionalisten sowie im Führungsgremium der Technischen Petroleum-Kommission (CTP) nicht zufrieden. Eine treibende Kraft in diesem von Carranza 1915 eingerichteten Gremium zur Kontrolle der Ölindustrie war der neue Industrieminister Pastor Rouaix. Er verkörperte wie die meisten seiner Mitstreiter die Aufsteiger- und BeamtenMentalität einer Mittelklasse, die zunehmend von Erwartungen und Interessen der technischen Intelligenz gepägt wurde, aber gern die nationale Eigentumskarte spielte: In Abwandlung der Monroe-Doktrin von 1823 gipfelte ihr revolutionäres Empfinden allein in der populären, aber ökonomisch wenig ergiebigen Forderung »Mexiko den Mexikanern«. Auch wenn es wie ein billiges Schlagwort aussieht, das in der -366-
Geschichte besonders bei Nationalisierungen der Ölindustrie bemüht wird, so war es im Falle Mexikos zumindest emotional von erheblichem Gewicht. Denn dahinter stand die Angst vor einer ausländischen Dominanz im eigenen Wirtschaftsleben, die sogar die politische Souveränität des Landes bedrohte. Deshalb bestanden auch die meisten Revolutionäre von 1910 darauf, die seit 1915 geforderte Verstaatlichung der Ölindustrie als unabdingbares Politikgebot in die neue Verfassung von 1917 zu schreiben, um den eigenen Besitzstand zu sichern. Das Ergebnis der äußerst heftig geführten Debatten um das Nationalgut Öl war dann der Artikel 27. In ihm wurde gemäß dem klassischen Verständnis von Revolution als Rückkehr zum »guten alten Recht« nichts anderes formuliert als der Zustand vor 1884, daß nämlich alle Bodenschätze unterhalb der Erdoberfläche staatliches Gemeingut sind und es auf ewig bleiben. Die Revolutionäre waren dort wieder angekommen, wo der Absolutismus des Hauses Habsburg sein angebliches Vatererbe oder Patrimonium einforderte und ganz Lateinamerika als ausbeutbaren Privatbesitz behandelte: Und das sollte wirklich ein Fortschritt sein? In der aufgeheizten Stimmung am Ende des Ersten Weltkrieges, an dem Mexiko nicht teilgenommen hatte, war es verständlich, daß die Carranza-Bewegung in Zusammenarbeit mit der CTP alle nationalistischen Register zog, um die ausländischen Ölgesellschaften in einen Würgegriff zu bekommen. Diese Politik einer stufenweise durchgesetzten Konfiszierung begann mit genauen Nachrechnungen der Steuerabgaben, neuen Bedingungen für Bohr- und Förderkonzessionen bis hin zur Unterbindung jeder industriellen Tätigkeit auf den Ölfeldern oder in den Raffinerien, solange die Gesetzgebung noch nicht den künftigen Rechtsrahmen für die gesamte Ölindustrie Mexikos abgesteckt hatte. Die Revolutionäre belasteten durch ihre rigiden Maßnahmen allein El Aguila mit einem Tagesverlust von 100000 Pfund -367-
Sterling. Lord Cowdray sah sich unter diesen Umständen gezwungen, die mißliche Lage der Regierung in London mitzuteilen. Der Höhepunkt dieser Kampagne war jedoch weniger die geforderte Steuerbelastung als das Dekret vom 19. Februar 1918. In Verbindung mit dem Artikel 27 der Verfassung sollten alle auswärtigen Firmen ihre Besitztitel und Pachtverträge im Ministerium für Industrie, Handel und Arbeit registrieren lassen. Im Fall der Nichtbeachtung wurden die firmeneigenen Liegenschaften als »vakant« erklärt und dem Interesse mexikanischer »Dritter« angeboten. In dieser mitunter sehr verhetzten Auseinandersetzung fanden die Rechtsanwälte der Ölgesellschaften nur im Artikel 14 der Verfassung Mexikos einen fundamentalen Rückhalt. Denn darin wurde eine rückwirkende Anwendung von Verfassungsartikeln untersagt, so daß sich daraus ein gewisser Rechts- und Eigentumsschutz für jene Öl- Unternehmen ableiten ließ, die schon vor 1917 in Mexiko Land-, Bohr- oder Förderrechte erworben hatten. Die politische Heftigkeit dieses Streites nahm auch deshalb zu, weil die revolutionäre Republik um ihre diplomatische Anerkennung rang. Der Nachbar USA gewährte sie formal im August 1917, während die einflußreiche Lobby der Ölkonzerne in Washington ganz andere Pläne verwirklicht sehen wollte. Sie verlangte nicht nur die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Carranza, sondern erwartete auch eine militärische Intervention, um die Eigentumsrechte der Ölgesellschaften zu sichern. Dieser von beiden Seiten hochgetriebene Konflikt mündete letztlich in die erfolglose Rebellion des Gouverneurs von Veracruz - der größten Ölprovinz des Landes gegen die Zentralmacht in Mexico City. Auch wenn sich die Aufregungen um das Nationalgut Öl allmählich abschwächten und das höchste Gericht Mexikos die weitere Tätigkeit der auswärtigen Unternehmen rechtlich absicherte, so blieb doch das Öl als das »Blut Mexikos« ein -368-
Symbol für die nationale Einheit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, letztlich Ausdruck einer emotio nalen Energie im Rahmen historischer Erinnerungen. Denn es war im Jahre 1517, als der Aztekenherrscher Moctezuma dem spanischen Eroberer Cortés sein blutgetränktes Reich mit allen Schätzen überließ; er tat es im Vertrauen auf eine uralte Prophezeiung, daß ein Gott nach Mexiko zurückgekehrt sei, um sein ursprüngliches Eigentum wieder in Besitz zu nehmen. Jetzt, genau 400 Jahre später, besannen sich mexikanische Revolutionäre darauf, den fremden Öl- Göttern aus den USA und England das eigene ölhöffige Land zu entreißen, um es zu besitzen, allerdings ohne recht zu wissen, was sie selbst mit dem Schwarzen Gold anfangen könnten, sollte die fremde Technik nicht mehr zur Verfügung stehen. Es reichte ihnen wohl die vage Hoffnung, mit diesem Nationalgut aus eigener Kraft die Selbstversorgung oder Autarkie an Heizöl, Benzin, Diesel und Kerosin zu sichern und vielleicht auch noch den Export zu bedienen.
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Die Weiße Rose Die anhaltenden Streitereien über die Verfügung aller Erträge aus dem Ölreichtum Mexikos glichen in den 1920er Jahren jenem Gesellschaftsspiel, das nach der Revolution so beliebt war: »Alle Leute liefen mit Pistolen bewaffnet herum; wenn es ihnen Spaß machte, schössen sie einfach die Straßenlaternen der Avenida Madero aus und zogen sich dadurch natürlich Ärger zu. Nachts zerschossen sie diese Lampen der Reihe nach oder sie ballerten aus Jux in der Gegend herum…« Was Frida Kahlo, die legendäre »Malerin der Schmerzen« und heimliche Königin Mexikos, aus der Erinnerung an ihre erste Begegnung mit dem Muralisten und späteren Ehemann Diego Rivera zum Verlauf des Jahres 1923 berichtet, vermittelt zweierlei. Zum einen die Sorglosigkeit in gewissen Kreisen der mexikanischen Klassen-Gesellschaft, ohne Unrechtsbewußtsein nationales Eigentum zerstören zu dürfen sowie der offenkundige Mangel, das indigene Ejido-Denken ernst zu nehmen, nämlich Eigennutz und Gemeinwohl zu verbinden - zum Vorteil aller. Ein solches Bewußtsein konnte sich nicht mit einem revolutionär erzwungenen Machtwechsel und einer demokratischen Verfassung allein bilden. Es bedurfte einer langen Erfahrung und auch Schulung, die nicht so geleistet wurde, wie es die historische Situation erfordert hätte. Tatsächlich bestimmten Aufsteiger aus der Mittelschicht als Technokraten wie Joaquin Santaella oder Alberto Langarica von der mächtigen CTP die politische Szene Mexikos zwischen 1917 und 1938. Und deren Einstellung ähnelte im Hinblick auf die nationale Verfügung über das Schwarze Gold jener Machtgier, die schon den Eroberer Cortés befallen und zu dem Aufschrei veranlaßt hatte: »Schickt mir Gold. Denn ich und meine Gefährten leiden an einer Krankheit des Herzens, die nur -370-
mit ihm geheilt werden kann.« An dieser nationalen Neurose schienen alle rationalen Vorschläge abzuprallen, nämlich im Hinblick auf das Öl die technischen Standards von außen optimal zu nutzen, um die innere Entwicklung Mexikos zumindest im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit voranzutreiben, wie sie die Revolution von 1910 erstrebt hat. Der dabei auftretenden Spannungen zwischen politischen Ansprüchen, ökonomischen Erfordernisse, rechtlichen Bindungen und indigenen Prägungen hat sich nach 1925 ein deutscher Abenteurer auf literarische Weise angenommen, die es hier wert ist, vorgestellt zu werden, um die Stimmung in Mexiko zu kennzeichnen, ehe die historische Entscheidung zur Nationalisierung der Ölindustrie fiel. Es ist die eigenwillige Stimme eines Chronisten der Arbeitswelt von außen, die zwar mittels der Fiktion vorgeht, aber doch auf ihre Art ein besonderes Kapitel der Ölgeschichte Mexikos vermittelt, ja eine Mentalität der Selbstherrlichkeit verdeutlicht, auf die Frida Kahlo bereits aufmerksam gemacht hat. Das, was Karl Guthke in der bisher besten Analyse zu diesem geheimnisumwitterten Autor in Erfahrung bringen konnte, zeigt einen eher schmächtigen Mann, der sich im Schlagkreis der Revolution von München 1918 Red Marut genannt hat. Ein paar Jahre später ist er nach Mexiko ausgewichen, hat auch versucht, bei der El Aguila als Ölarbeiter unterzukommen, nannte sich zeitweise Traven Torsvan und pub lizierte unter dem Autorennamen B. Traven für die gewerkschaftseigene Büchergilde Gutenberg in Berlin Tatsachenromane. Seine Szenarien aus einer kapitalistischen Industriewelt, die unter dem Begriff »Asphalt-Literatur« vor allem von den Nazis bekämpft worden sind, fanden ähnlich Schenzinger ein MillionenPublikum und erhalten allein dadurch ein historisches Gewicht für diese Ölgeschichte, weil sie das Menschen- und Maschinenbild einer ganzen Generation mitgeprägt haben. -371-
Es spricht einiges dafür, daß Upton Sinclairs Klassiker Petraleum von 1929 das Vorbild oder zumindest die Anregung für Travens vielgelesenen Öl- Roman Die Weiße Rose von 1931 abgegeben hat. Darin ging es um einen für das damalige Mexiko typischen Grund-Konflikt: Der Indio Hacinto sollte seine Hazienda »La Rosa blanca« als Ejido-Besitz an den USKonzern Condor Oil Company veräußern, die im Boden seines Anwesens Öl vermutete. Dieses fruchtbare Stück Land, auf dem die gesamte Sippe des Indios wohnte und arbeitete, war im Grundbuch zwar als Hacintos »Eigentum« ausgewiesen. Doch in Wirklichkeit besaß er nicht das Recht, die Liegenschaften ohne Zustimmung der anderen Familienmitglieder und aller »Compadres« (Gevatter) zu verkaufen oder anderweitig zu belasten: Hacinto durfte wie in den adligen Ganerbenschaften oder Fidei-Kommissen Europas, die noch bis 1918 Bestand hatten, nur ein Nutz- und Nießrecht auf Lebenszeit wahrnehmen, mehr nicht. Dem begriffsstutzigen Rechtsanwalt Perez, der für das USUnternehmen tätig war und mit Lockungen oder Drohungen den Indio bedrängt hatte, erklärte er denn auch die Sachlage: »Ich bin nur der Verwalter für die, die später leben wollen und später leben werden. Wie mein Vater nur der Verwalter war und dessen Vater und dessen Vater und so immer weiter zurück und so immer weiter voran.« Das Denken und Handeln als Treuhänder verbindet sich mit dem Generationenvertrag, dessen mentale Kraft stärker ist als aller Glanz des Geldes. Nichts vermag den Indio in die Stadt zu locken. Auch am Karrierewesen der neuen Mittelschicht Mexikos will er sich mittels Schulbildung und Studium nicht beteiligen. Selbst die Aussicht auf ein Automobil und andere Segnungen der modernen Technik lassen ihn völlig kalt. Denn er lebt in einem Kreislauf des natürlichen und ewigen Wiederholens, das auf die Güte und Fruchtbarkeit der Erde vertrauen darf: Zur gerechten Gestaltung eines guten Daseins -372-
braucht Hacinto nur die Einsicht, daß »Land Brot ist und Brot ist Leben«. Perez, der als Ausdruck seines sozialen Aufstiegs Zigaretten als Statussymbol raucht, bezieht in »all seiner Rechtsgelehrsamkeit« die radikale Gegenposition. Sie aber hat genau jene ökonomischen und dann ökologischen Probleme geschaffen, mit denen das Mexiko der Jahrtausendwende unter dem neuen Präsidenten Vincente Fox fast verzweifelt kämpfen muß. Traven läßt in seinem holzschnittartigen Stil Perez eine Sicht des materiellen Fortschritts entwickeln, den die Zerstörung der Umwelt oder der eigenen Gesundheit nicht berühren. Zynisch erklärt er die moderne Lebensweise: »Was gehen uns die an, die nachkommen? Nach uns der Weltuntergang mit drahtloser Filmvorführung im Schlafzimmer. Land, Land, Land. Was ist Land? Wir brauchen das Land für Öl, damit wir unsere Automobile füttern können. Mais? Land für Mais? Zur Hölle mit diesem verblödeten Indianer! Wenn wir Mais gebrauchen, weil wir alles Land verölt haben, dann machen wir ihn mit der Maschine und kaufen ihn in Konservenbüchsen.« Abgesehen davon, daß Traven fünf Jahre vor der ersten Fernseh-Übertragung während der Olympischen Spiele in Berlin (1936) dieses technische Wunder vorhergesagt hat, so vermittelt er in beiden Positionen ein Grundproblem der technischen Moderne: Soll die überkommene Landwirtschaft durch die Industrie vollständig ersetzt oder doch so ergänzt werden, daß daraus eine Agrar-Industrie entsteht, von der Agrar-Chemie schon aufgrund der Kunstdünger und Pestizide beherrscht, ja mittels der Gen-Technik gesteuert? Mexiko sollte ab 1944 genau auf diese Fragen mit der »Grünen Revolution«, die von der Esso-Stiftung finanziert wurde, seine spezifischen Antworten geben und dabei Indios wie Hacinto völlig aus dem Prozeß der technischen Modernisierung drängen, die nur eine Forderung zu kennen schien: Schafft Öl herbei! -373-
In einem solchen System des schnell erworbenen Geldes durch Landverkauf und des Verschleißes an Menschen wie Material kann eine Abschätzung der Technikfolgen kaum aufkommen. Auch wird die Frage nicht gestellt, wie lange denn der Bann und Wirkungskreis des Schwarzen Goldes anhält. Hacinto aber, Travens idealisiertes Sprachrohr, scheut sich nicht, dem Rechtsanwalt und Agenten der Condor Oil genau diese Problematik vor Augen zu führen: »Es wird nicht ewig gebohrt. Einmal ist es doch alle, das Öl. Dann haben alle Männer vergessen, wie man Mais anbaut…« Der Condor-Agent wirkt zwar angesichts dieser Zukunft verunsichert, doch er findet keine Kraft, sich dem Sog des technischen Fortschritts zu entziehen oder sich gar eine Alternative auszudenken. Außerdem weiß er aus Erfahrung, daß im Ernstfall die Kapitalisierung der Ölgewinne gesichert bleibt, während die Verluste und angerichteten Schäden, welche die Ölindustrie hinterlassen hat, der Sozialisierung zugerechnet werden - jedem Steuerzahler zur Last. Traven, der aus seinen Sympathien für die politische Linke nie einen Hehl gemacht hat, spricht hier als Anti-Kapitalist, obgleich an anderen Stellen des Romans auch zu erkennen ist, wie sehr er Aufsteiger als gleichsam allmächtige Öl- Bosse bewundert. Er kannte wohl das Treiben besonders auf den Feldern von Tampico aus eigenen Beobachtungen, aber wirklich tätig wurde er an den Bohrtürmen oder Förderstellen nicht. Dennoch besitzt er ein gutes Kombinationsvermögen, um den neuen Teufelskreis maschinenhafter Rationalität zu durchschauen: »Nahrung allein wird die Fabrik sein, das Ölkamp, die Kupfermine, die Textilfabrik, wo alle Nummern sind und alle Nummern haben, die am Abend beim Verlassen der Fabrik an einer Tafel aufgehängt werden« (Die Weiße Rose). Was Traven hier als Konsequenz der Arbeitsteilung und Effizienz beschreibt, ist ein Ausdruck des Kommutationsgebotes in der Verkehrs- oder Vertragsgerechtigkeit. Sie geht -374-
bekanntlich »ohne Ansehen der Person« vor, ist quantitativ ausgerichtet und findet sich im eingangs beschriebenen Bild von Ruiz ebenso wie in jedem Geldgeschäft des personenneutralen Tauschs oder in der Analyse Primo Levis vom Buna-Werk gut zehn Jahre nach Travens Ölgeschichte. Verständlich, daß er sich gegen diese Abstrahierung der individuellen Qualitäten des Menschen wehrt und darin ein wahres Teufelswerk sieht, das den Menschen als Arbeitstier völlig verfügbar und letztlich als Nummer austauschbar macht. Auf der Suche nach einer Alternative zu dieser maschinenhaften Entfremdung entkommt er aber nicht dem Zahlenhaften und landet bei der »Number One« des Ölkonzerns - bei »Mister Collins« als Boss der Condor Oil. Unter dessen Leitung hat das amerikanische Unternehmen bereits die Maisfelder des Indio-Clans in die Erschließungslose »Nr. 95 bis Nr. 144« aufgeteilt und das im Vorgriff auf den sicheren Erwerb von Grund und Boden geleistet, was bereits mit dem Vermessen eines Industriegeländes seit den Tagen der Aufklärung als »Entzauberung der Natur« gilt. Dieser Rationalisierung stellt Traven seinen Traum von einem »echten König« selbst in dieser Arbeitswelt gegenüber. Er drückt darin genau jenen Aristokratismus aus, den schon Karl Marx gemeint hat, als er das Industrieproletariat im Gegensatz zum Land- und Lumpenproletariat den »Adel der Menschheit« nannte und für fähig hielt, mit Hilfe einer Diktatur den Manchester-Kapitalismus abzulösen und zunächst einen »rohen Kommunismus« zu begründen. Es kann also nicht überraschen, daß er den Öl- Boß Collins zu einem Ölgötzen stilisiert, ihn gar zum Genie erklärt und von den üblichen Sittengesetzen ausnimmt. So darf er sich wie beim Tezcatlipoca-Kult der Azt eken oder im Islam gleich vier Frauen genehmigen. Unter diesen gibt es eine »Fürstin«, der sich Collins als ebenbürtig erweisen muß, wenn er den Status als Boß eines Ölkonzerns halten will. Als sei ein solches Unternehmen -375-
genau jenes moderne Reich der Technik und des Kapitals, das Rockefeller aufgebaut hat, aber auch das Produkt einer Spielernatur wie Dr. Armand Hammer, der sich in Mexiko zeitweise eine Nebenfrau mit Familie leistete. In solchen Szenarien schwingt Travens Narzißmus mit. Aber auch Bewunderung für das, was er selbst nie leisten konnte, doch gern erreicht hätte. Kein Wunder, daß er beim Porträt des Konzernchefs sich selbst einbringt, als lebte er in einem entschuldigenden Traum: »Ein Mensch, der die Gabe hatte, in der Organisation der Ölproduktion wahrhaft geniale Fähigkeiten zu entwickeln,… wäre weder ein Wüstling und Bigamist noch ein Mörder Tausender von Existenzen… Der Präsident der Condor Oil Co. wäre (also) ein Mensch gewesen, gut wie ich, wahrscheinlich viel besser und nobler als ich. Denn er besaß etwas, was nur wenige Menschen besitzen: Größe. In unserer Zeit konnte er diese Größe nur zeigen durch Brutalität, durch Rücksichtslosigkeit, durch Skrupellosigkeit. Seine Schuld war es nicht.« So könnte auch die Entschuldigung eines der absolutistischen Fürsten aussehen, die zwischen 1618 und 1918 ihre dynastischen Haus-Staaten wie Familienunternehmen bis zum politischen Bankerott geführt haben. Als historische Vorbilder für die mexikanischen Vizekönige, den blutig geopferten Interventions-Kaiser Maximilian I. von Habsburg (1861-67) und die folgenden Diktator-Präsidenten bis 1910, die unter Historikern und Schriftstellern immer wieder engagierte Verteidiger gefunden haben. Auch Traven verhält sich hier nicht anders. Er baut einen Popanz auf, um bei jeder Gelegenheit seinen vergötterten ÖlBoß zu exkulpieren. Ob dieser seine Position gegenüber den Aktionären der Condor Oil stärkt, einen Wettbewerber ausschaltet, der einen extrem benzinsparenden Motor (!) entwickelt hat, Lohnkürzungen der Arbeiter im Kohlebergbau erzwingt, gewagte Spekulationen an der Börse treibt oder -376-
Marktmanipulationen um des Profits willen versucht, stets findet Traven eine passende Erklärung. Gewiß, die Ironie als literarisches Mittel der Kritik am Kapitalismus ist an zahlreichen Stellen herauszulesen. Die Verehrung jedoch für das robuste Beharrungsvermögen des ÖlBosses ist ebenso unverkennbar. Collins, der seine Hauptfrau nach jedem Erfolg im Öl- oder Kohlegeschäft »Meine Kaiserin« nennt, setzt am Ende aller Verhandlungen mit Hacinto die Bohrtätigkeit auf dessen Hacienda durch und geht dabei natürlich über Leichen. Für Travens Helden gelten auf dem Schlachtfeld des Öls die Opfer gar nichts. Eine soziale Verantwortung, wie sie immerhin in Upton Sinclairs Petroleum vorkommt und in der Realität von Harry Sinclair bis zu den Nobels geleistet wurde, wird bei ihm nicht einmal angedeutet: Denn »was kümmert uns der Mensch? Wichtig ist nur das Öl.« In diesem letzten Satz des Romans von 1931 kommt ein gerüttelt Maß Resignation zum Ausdruck. Schließlich traut B. Traven den Arbeitern als Gestaltungskraft der Zukunft nicht viel zu, auch wenn er ihren Kampf gegen die Konzerne als ehrenwert empfindet. Der Grund für seine Skepsis liegt in einer wichtigen Beobachtung. Er will auf den Bohrstellen von Tampico sogenannte »freie Kontrakt-Arbeiter« getroffen haben. Sie gehörten keiner Gewerkschaft an und faßten sich als »Selbständige« auf, deren Selbstwertgefühl stark zur Arbeitshaltung der mexikanischen Ölarbeiter kontrastierte. Nach Travens Ansicht fühlten sich diese ScheinSelbständigen frei, weil sie »zwei oder dreihundert Dollar im Monat« verdienen, sofern auf den Bohrtürmen oder an den Förderstellen angemessene Arbeit vorhanden war. Hat einer dieser Öl-Männer aber gerade mal keinen Job, dann »winselt er, glaubt aber immer noch, er sei ein freier Mann. Und weil sie die -377-
freien amerikanischen Arbeiter sind, darum schuften sie zwölf Stunden täglich, in nur zwei Schichten. Die mexicanischen Arbeiter tun das nicht, die arbeiten nur acht; die lassen sich auch nicht halb so viel gefallen wie die freien amerikanischen. Aber die amerikanischen haben alle die Idee, sie könnten einmal Milliardär werden. Das ist der Trick, mit dem sie hier geknebelt werden…« Was Traven zum Verständnis seines erfolgreichsten und von John Houston verfilmten Buches Der Schatz der Sierra Maare (1927) zur Lage der Ölarbeiter anmerkt, von denen einige wie Humphrey Bogart in die Berge gehen, um richtiges Gold zu schürfen, war übertrieben. Denn ein guter Tool-Pusher, Driller oder Maschinist fand meistens eine Anstellung. Schließlich gehörte er zu den Fachkräften, und viele unter ihnen wären wohl schon zufrieden gewesen, bloß Millionäre zu werden. Ein Ziel, das nicht mit einem Bohr-Lohn zu erreichen war, sondern nur über den Erwerb von gewinnträchtigen Aktien oder von Konzessionen. Gleichwohl ist es nicht falsch, wenn Traven von der »mörderischen Ausbeutung der Arbeitskraft in den Ölfeldern« spricht, sobald man nur die Relation von Löhnen und Profiten berücksichtigt - eingedenk auch der Verletzten und Toten aufgrund zahlreicher Unfälle oder Ölausbrüche. Nach Angaben Travens konnte ein ungelernter Indio-Arbeiter in den Ölcamps bis zu acht Pesos am Tag verdienen. Das waren gut 200 Pesos im Monat für einfache Handlanger, und wenn sie »sparen, statt alles zu vertrinken, können sie sich bald einen Laden kaufen.« So stellte sich Traven eine bescheidene ÖlKarriere im Mexiko anfangs der 1930er Jahre vor. In einem Land, das bald ein Zufluchtsort für politische Flüchtlinge aus Deutschland und aus Spanien während des Bürgerkriegs (193639) werden sollte, selbst Leo Trotzki auf der Flucht vor Stalin Exil gewährte, aber gleichzeitig in eine schwere ökonomische, politische und soziale Krise geraten war. Sie erschreckte die Schicht der alten Großgrundbesitzer wie -378-
der neuen Schlot-Barone und bedrängte die sich entwickelnde Mittelklasse mit ihren Rechtsanwälten und Technokraten. Am Ende erreichte sie auch die Geistes-Aristokratie um den sozialistischen Maler-Fürsten Diego Rivera, der 1932 für den AutoKönig Ford wie den Öl-Monarchen Rockefeller teure Panorama-Bilder gemalt hat: Ja, sie bereitete gleichsam Unter dem Vulkan (Malcolm Lowry) einen gewaltigen Ausbruch vor, von dem sich das Land erst heute richtig zu erholen beginnt - die Nationalisierung der Ölindustrie.
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Rotes Tuch Pemex Die Klagen über Korruption als persönliche Bereicherung in einem öffentlichen Amt sind seit der Antike bekannt und gewiß nichts Mexikanisches. Man braucht auf deutscher Seite nur an die Rohöl- Termingeschäfte beim einst bundesdeutschen Stahlkonzern Klöckner zu denken, um auf ein weltweit virulentes Problem zu stoßen. Manager, die als Verwalter tätig sein sollten und dabei Rechte Dritter zu berücksichtigen haben, gefallen sich in besonders lukrativen Situationen als »Eigentümer«: Sie verhalten sich nach Gutsherrnart, verfügen am Anfang über alles und haften am Ende für nichts. Sind bewußte Verstöße gegen die guten Sitten im Geschäftsleben demokratischer Rechtsstaaten und gesicherter Marktordnungen bereits eine Herausforderung, so muß sich die Lage dramatisch verschärfen, wenn der Staat bestimmte Monopole erzwingt, sich als Eigentümer selbst kontrollieren soll und seine Amtsinhaber gewähren läßt. Die Republik Mexiko ist dafür ein Sonder- und Musterfall zugleich. Man erinnere sich der Forderung innerhalb der einflußreichen Carranza-Bewegung seit 1915. Das landeseigene Öl wurde auf ihr Betreiben hin zum höchsten industriellen Gut der Nation erklärt, unter den besonderen Schutz der Verfassung von 1917 gestellt und darauf ausgerichtet, nur von mexikanischen Unternehmen erschlossen und vermarktet zu werden. Obgleich 1921 alle Versuche der Carranzisten mit Hilfe des obersten Gerichtes abgewehrt wurden, die Republik zum Volleigner sämtlicher Ölfelder und Raffinerien Mexikos zu machen, blieb das Thema Nationalisierung oder Verstaatlichung auf der politischen Tagesordnung. Denn mit dem ökonomischen Autarkiestreben verband sich noch die Vorstellung, daß das Land seine Souveränität beeinträchtigen lasse, sollte es in -380-
irgendeiner Form von auswärtigen Ölkonzernen abhängig sein: Und das durfte kein freiheitsbewußter Mexikaner hinnehmen. Diese ideologische Aufladung des Jahrhundertkonflikts steigerte sich noch, als die Streikbewegungen der Ölarbeiter während der 1920er Jahre zu mächtigen Gewerkschaften führten, die sich mit der Politik auf ein soziales Zukunftsprogramm einigten. Unter Cárdenas, der ab 1934 die auf sieben Amtsjahre festgelegte Präsidentschaft antrat, schafften sie es sogar, nicht nur Lohnerhöhungen bei den Ölkonzernen durchzusetzen. Sie forderten daneben auch eine Reihe anderer Sozialleistungen wie Urlaub, Krankenversicherung und Renten in einem Maß, das an die Volksfront-Regierung in Frankreich denken läßt: Damit aber waren einige Ölgesellschaften überfordert, zumal in den Auswirkungen der Großen Depression seit 1929, die auch Mexiko nicht verschonte. Die Ölarbeiter, ohnedies schon die bestverdienende Schicht unter Mexikos Lohnabhängigen, forcierten jedoch 1936 mit den Funktionären vor allem des Gewerkschaftsbundes den Druck auf die linksorientierte Cárdenas-Regierung, endlich die Sozialbindung des Nationaleigentums Öl zu verwirklichen. Daraus ergab sich eine grundlegende Frontstellung gegen die auswärtigen Großkonzerne wie Esso, MPC, Atlantic Refming, Texaco oder Sinclair Consolidate. Deren Präsident merkte einmal aus langer Erfahrung fast resignativ zur Ölsituation Mexikos an: »Es ist kein Problem, in diesem Land Öl zu finden, wohl aber, es am Markt zu halten.« Harry Sinclair, der in seinem eigenen Konzern ein vorbildliches Sozialsystem unterhielt, dachte natürlich an die Profitrate in einem Geschäft, das zeitweise Mühe hatte, das mexikanische Schweröl auf dem internationalen Markt gewinnträchtig unterzubringen. Cárdenas und die ÖlGewerkschaften aber ließen sich von solchen Problemen der Vermarktung nicht beeindrucken. Denn das Öl sollte nicht für -381-
die Profite auswärtiger Konzerne aus dem Boden Mexikos geholt, sondern zur inneren Entwicklung des Landes genutzt werden, ganz im Sinne des zeitgenössischen Autarkiedenkens. In der letzten Konsequenz bedeutete diese Haltung nichts anderes, als von der bisherigen Besteuerungspolitik geförderten Öls abzurücken und die vollkommene Enteignung der Ölkonzerne anzustreben: Sie erfolgte auch am 18. März 1938. Es dürfte heute feststehen, daß Präsident Cárdenas vornehmlich den Forderungen der Ölarbeiter nachgegeben hat, als daß er selbst diese folgenschwere Entscheidung so schnell erzwingen wollte. Er begründete denn auch die laut geforderte Nationalisierung, die in Wirklichkeit eine Verstaatlichung war, nicht aus ökonomischer Notwendigkeit, sondern als ideologischen Anspruch: Die auswärtigen Ölkonzerne hätten gegenüber der Republik Mexiko eine »arrogante und rebellische Haltung« eingenommen und es versäumt, die Verfügungs- und Entscheidungsfreiheit einer souveränen Nation genügend zu respektieren. Jetzt erst glaubten viele Intellektuelle und Politiker vor allem in der PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution, seit 1929), daß die Umwälzung von 1910 wirklich gesiegt hatte: Mexiko war ihrer Ansicht nach im Bereich des Nationalgutes Öl endlich Herr seiner selbst geworden und hatte das seit 1884 geltende angelsächsische Prinzip aufgegeben. Dieser historische Entschluß, der anfangs als eine glückliche Großtat gefeiert wurde, fand bald darauf seine Bestätigung in der Gründung der PEMEX (Petróleos Mexicanos) am 20. Juli 1938 - als Staatskonzern mit einem absoluten Ölmonopol. Denkt man hier an die BP in Großbritannien, die auch 1923 von einer Labour-Regierung ganz eng mit dem Staat verbunden wurde, oder an die Verstaatlichung der Ölindustrie durch Lenin in Rußland, dann war dieser Schritt mexikanischer LinksPolitiker nichts Neues. Der Glaube an die Allmacht des Staates schien auch hier stärker zu sein als die ökonomische Vernunft, -382-
nämlich auswärtige Investoren zu nutzen, um mit deren überlegener Technik die eigene Modernisierung voranzubringen, die doch als Staatsziel angestrebt wurde. Gerade an dieser Forderung ließen die Politiker und Funktionäre Mexikos keinen Zweifel. Aber sie wurden recht schnell in ihren nationalistischen Träumen von der Selbstbestimmung auf den Boden harter wirtschaftlicher und technischer Tatsachen geholt. Denn das Faktum allein, daß die Pemex jetzt als integrierter Staatskonzern die gesamte Ölindustrie vom Bohrloch bis zur Zapfsäule konkurrenzlos beherrschte, brachte keinen Peso mehr an Profit ein. Im Gegenteil. Wurden noch 1938 für die ersten drei Monate 15 Millionen Pesos an Gewinn verbucht, so waren 1939 die eingetretenen Verluste auf über 21 Millionen Pesos angewachsen. Ein Jahr später stellte die Pemex-Führung sogar die Steuerzahlungen an die Staatskasse ein und zwang die Präsidialregierung zu einer schier unglaublichen Rettungsaktion: Sie ließ 1940 dem Staatsmonopolisten 60 Millionen Pesos aus dem allgemeinen Steueraufkommen zuteilen, damit der Koloß auf tönernen Füßen seiner steuerrechtlichen Verpflichtung nachkommen konnte. Allein diese Konstruktion zeigt, in welch ein destruktives Räderwerk die Politiker Mexikos geraten mußten, sobald sie die Marktkräfte aus Gründen der nationalen Selbstgenügsamkeit unterbanden. Dazu gehörte vor allem der Abzug aller wichtigen Ölkonzerne aus Mexiko nach Kolumbien oder Venezuela. Die Folgen konnten nicht ausbleiben. Denn Mexiko verlor einen hohen Anteil bester Technik vom Bohrturm bis zur Raffinerie. Das Land selbst konnte trotz seiner langen Bergbaugeschichte die notwendigen Geologen, Techniker oder Ökonomen noch nicht durch eigene Leute ersetzen. Auch die Nachfrage auf dem wenig entwickelten Binnenmarkt vermochte nicht die eingetretenen Verluste auszugleichen, zumal der Preis für Ölprodukte künstlich und angeblich sozialverträglich niedrig -383-
gehalten wurde. Mittels dieser Politik aber war bald die Substanz erreicht, so daß meist aus Mangel an Investitionskapital die vorhandenen Anlagen heruntergefahren wurden, jedem Anspruch auf Umweltschutz zum Trotz, und eine systematische Erschließung neuer Ölvorkommen lange Zeit kaum möglich schien. Ein Blick nur auf die Sowjetunion, wo man ab 1918 ähnlich verfahren ist, vermittelt zur Genüge, daß ein absolutes Eigenturn an Staatsmonopolen noch lange kein gedeihliches und umweltgerechtes Wirtschaften begründet. In Mexiko kam noch die Besonderheit hinzu, daß die nach außen hochgelobte Selbstbestimmung im Ölbereich nach innen einer organisierten Selbstbedienung glich. Allein die Organisation der Pemex lud gerade dazu ein. So berief der Präsident der Republik fast in der Art der alten Vizekönige das Management und die Mitglieder des Aufsichtsrates (Board). Darin saßen fünf Vertreter der Präsidialregierung, ein Repräsentant der neu geschaffenen »Administración General del Petróleo Nacional« (AGPN) sowie drei Angehörige der Ölarbeiter-Gewerkschaft STPRM: Der Staatspräsident und dieser Aufsichtsrat zusammen hatten den jeweiligen Jahresetat der Pemex zu genehmigen. Es liegt bei dieser Konstruktion auf der Hand, daß ein derartiges Verfahren, das nicht einmal die Kontrolle durch den National-Kongreß oder einer Aktionärsversammlung zuließ, die Mentalität der Selbstbedienung nur fördern konnte. Tatsächlich betrachtete die Pemex als ein politisch motiviertes Monopol ganz Mexiko nicht mehr als einen Markt mit mehreren Wettbewerbern, sondern als uneingeschränktes Absatzgebiet, das ohne Rücksicht auf Verluste oder die Umwelt beherrscht wurde. Doch trotz aller Defizite stieg die Ölproduktion des Landes besonders in den Golfregionen Nord-Ost, Tampico-Nautla, Veracruz, Tabasco und Isthmus. Dieser Erfolg war nur deshalb möglich, weil auch nach 1938 hauptsächlich kleinere -384-
Bohrfirmen aus den USA tätig sein durften: in Ölgebieten, die geologisch äuß erst kompliziert sein konnten. Denn der Goldene Gürtel als Kernstück der ölführenden Träger ist Teil einer großflächig übergreifenden Geosynklinale, die bis nach Texas und Louisiana reicht. Sie wird an zahlreichen Stellen von Salzdomen durchbrochen und bir gt neben Ölfallen auch Gas-Lagerstätten aus dem Eozän und Oligozän. Kreideund Jura-Formationen sowie Schichten aus dem Miozän und Paläozän ergänzen eine geologische Gesamtlage, die im Einzelfall hohe Anforderungen an die Bohr- und Fördertechnik stellt. Das gilt heute vor allem dann, wenn der Bereich der Flachbohrungen bis etwa 800 Meter Teufe verlassen wird und wirkliche Tiefbohrungen niederzubringen sind - stoßen doch die Bohrteams dabei immer wieder auf Verwerfungen und andere schwierig zu erschließende Strukturen. Berücksichtigt man den radikalen Wechsel von 1938, als eine exportgerichtete Ölwirtschaft in ein Monopol der nationalen Selbstversorgung umgepolt wurde, dann sind die Leistungen der Pemex trotz Korruption, Reibungsverlusten und veralteter Technik nicht durchgehend negativ zu bewerten. Besonders nach der Steuerreform von 1960 und mit einer vorsichtigen Öffnung zu den USA gelang es, die vernachlässigte Ölsuche neu zu ordnen und mit US-Technik zu verstärken. Von 361 Bohrprojekten im Jahre 1965 wurden allein 139 als Aufschlußbohrungen niedergebracht. Dabei waren 99 dieser geologischen Erkundungen als Wildcats angelegt, die in bisher unerschlossenen Gebieten sechs Öllagerstätten und neun Gasfunde erbohrten: Eine für damalige Verhältnisse gute Ausbeute. Mit der Gründung des Mexikanischen Petroleum- Instituts (MPI) im Jahre 1965 nach dem Vorbild des API in den USA von 1919 unternahm die Präsidialregierung zusammen mit der Pemex einen längst überfälligen Schritt: die technische und -385-
wissenschaftliche Schulung des eigenen Personals vom Driller bis zum Direktor nach internationalen Standards. Diese und andere Anstrengungen wurden denn auch von der globalen Ölindustrie auf besondere Weise belohnt: Mexiko durfte 1967 den 7. Welt-Erdöl-Kongreß ausrichten. Nach knapp dreißig Jahren »sozialistischen« Experimentie rens hatte sich mit Nachdruck gezeigt, daß es in der Wirtschaft nicht genügt, einfach mechanisch die Eigentümer an Produktionsmitteln auszuwechseln und ideologische Überhöhungen zu predigen, um die anstehenden Probleme zu lösen - nicht nur in der Produktion, sondern auch bei der Vermarktung. Mit guten Gründen aus schlechten Erfahrungen hat Präsident Salinas 1988 auch die wahren Wurzeln des »mexikanischen Übels« ungeschminkt beim Namen genannt, ohne jedoch auf die spanische Auffassung vom Bergregal als absoluter Verfügung über alle Bodenschätze hinzuweisen: »Ein Staat, der Eigentümer von allem und jedem ist, kann nach heutigen Vorstellungen kein gerechter Staat mehr sein; auf jeden Fall wird es ihm an Kraft und Innovation fehlen.« Hatte einst Alexander von Humboldt während seiner MexikoReise beobachtet, daß »sich die Unternehmer so wenig mit der Zukunft… beschäftigen«, so gingen die Absichten des Präsidenten Cárdenas und dessen Nachfolger in die entgegengesetzte Richtung. Ihnen schwebte nicht nur ein »neuer Mensch« (Rivera) vor, der Naturnähe und Industrialisierung ohne Widersprüche in sich vereinigte. Sie wollten mit der Verstaatlichung der Ölindustrie auch noch die Landwirtschaft modernisieren: Man dachte dabei, daß die Erlöse aus dem Öl und die Kunstdünger sowie die Pestizide der Petrochemie das sichern könnten, was seit 1944 die Grüne Revolution genannt wurde. Dieses gewagte Projekt unter der Leitung des amerikanischen Pflanzen-Pathologen Norman Borlaug hatte ein großes Ziel. Auf -386-
den weiten Anbauflächen von Atizapán in der Nähe von Mexico City sollten durch künstliche Hochzüchtungen bestimmte Sorten von Mammutmais, Riesenreis und Wunderweizen so optimiert werden, daß Mexiko ein Selbstversorger wurde und auch noch Getreide exportieren konnte. Trotz aller Anstrengungen, die nicht von der Pemex finanziert wurden, wie ursprünglich beabsichtigt war, sondern von der Rockefeller- und FordStiftung, ist aber das auch nach Indien oder Ägypten transferierte Experiment nur zum Teil gelungen - dem Friedensnobelpreis für Borlaug im Jahre 1970 zum Trotz. Angesichts auch dieser Investitionsruine scheint es mehr als fraglich zu sein, ob der gemeinsame Markt mit den USA und Kanada wirklich zustande kommt. Die Absichten unter dem ÖlNamen NAFTA (North American Free Trade Agreement) sind sicher ein Gebot der Zukunft, und der neue Präsident Vincente Fox, der endlich die lähmende Dominanz der PRI im politischen Leben Mexikos zwischen 1929 und 2000 abgelöst hat, arbeitet energisch daran, aus der Freihandelszone einen gemeinsamen Markt zu gestalten und gleichzeitig mit der Europäischen Union zu kooperieren. Doch allein die Realität im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA, die sich gegen die Zuwanderung aus dem Süden sperren, spricht eher gegen die Nafta-Vision. Nicht anders die berüchtigten »Teufelsfirmen« (maquiladoras), denen längs des Rio Grande giftige Dämpfe und ungeklärte Abwässer entweichen, dem Fluß und der Umwelt zum schweren Schaden. Sie wurden auf mexikanischem Boden ganz hart an der Grenze errichtet und gewähren den Arbeitern nicht einmal das Streikrecht. Die benötigten Rohstoffe dürfen aus den USA zollfrei bezogen und nach ihrer Verarbeitung in die Vereinigten Staaten exportiert werden unter günstiger Besteuerung, hoher Ausbeutungsenergie und ohne große Umweltauflagen. Diese Art von Manchester-Kapitalismus kann kein menschenwürdiges und umweltgerechtes Zukunftsmodell sein, -387-
sondern bleibt im Kern ein brutales Abschöpfungsgeschäft. Das hat vor allem in Mexiko eine lange Tradition begründet. Humboldt beschrieb sie in bewegenden Berichten aus den Bergwerken und Manufakturen. Aber weder die Unabhängigkeit im Jahre 1821 noch die Revolution von 1910 oder die Verstaatlichung des Öls 1938 haben den ersehnten »neuen Menschen« geschaffen: Auch nicht die schwere Währungskrise von 1992, die fast einem Staatsbankrott gleichkam und nur mit internationaler Hilfe (Weltbank) abgefangen werden konnte. Aber sie hat zumindest in den Eliten dieses 100Millionenvolkes zu der Besinnung geführt, daß es in erster Linie um den »erneuerten Menschen« geht, der trotz vorhandener Mängel aus Fehlern der Vergangenheit lernt, um besser die Zukunft meistern zu können. Diese Lehre der Geschichte meinte Rene Navarre, als er in Kenntnis des mexikanischen Weges 1967 zur Eröffnung des 7. Welt- Erdöl-Kongresses die berühmte Klage des »Edlen von Guatemotzin« zitierte. In einem Land, das gerade die nationale Motorisierung mit dem Weiterbau von Auslaufmodellen der deutschen Marken Borgward und Volkswagen vorantrieb, aber so gut wie nichts in den Umweltschutz investierte: »Warum hat mich mein Volk aufgegeben? Warum habt ihr mich zerstört? Meine Anweisung war doch stets darauf gerichtet, die Schattenseiten zu bekämpfen…«
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EIN GESCHENK GOTTES Arabiens Aufbruch - Zaki Yamani – Petro-Islam Man halte inne wie nach einer Sure im Koran und bedenke, daß das Öl außerhalb christlicher Vorstellungen vom Teufelsdreck auch als ein Geschenk Gottes aufgefaßt werden kann. Einer derartigen Einstellung fällt es natürlich schwer, vor allem die europäischen Massenmedien zu verstehen, die bei Erhöhungen des Heizöl- oder Benzinpreises in der Regel »die Scheichs« dafür kritisieren, daß sie aus der Abhängigkeit der Industrieländer vom Rohstoff Öl ungerechte Profite ziehen wollen. Damit ist die ölr eiche Golf- Region gemeint und vor allem Saudi-Arabien, ein immer noch geheimnisumwittertes Land, dessen Name allein schon darauf hindeutet, daß es sich seit der Staatsgründung von 1932 um einen absoluten Besitz der SaudiDynastie handelt, die heute aus etwa 5000 Prinzen mit ihren eigenen Familien besteht. Wen diese personale Bindung eines Landes verwundert, der sollte sich daran erinnern, daß auch Penn-Sylvanien, das Pionierland der modernen Ölindustrie, seinen Namen von einem Clan-Chef erhalten hat: Im Jahre 1681, als William Penn in einer Charta oder Verfassung sich und seine Dynastie zu »wahren und absoluten Besitzern aller genannten Ländereien und Dominion« erklärte - gegen die eingesessenen Indianer-Nationen. Dieser historische Hinweis erscheint hier deshalb so wichtig, weil es zwischen Saudi- Arabien und den USA eine in Jahrzehnten gewachsene Öl- und Sicherheits-Partnerschaft gibt, die auch im Hinblick auf die Existenz des 1948 gegründeten Staates Israel einzigartig ist. Soll die technische Entwicklung -389-
dieses wahhabitisch geprägten Landes mit den heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina zum größten Ölproduzenten der Welt und Gründungsmitglied der Opec verstanden werden, dann ist die Kenntnis der special relationship zu den USA unabdingbar. Als Fixpunkt für diese ungewöhnliche Beziehung in der Ölgeschichte eignet sich das Jahr 1929. Denn zur Bewältigung seiner schweren Krise mit dem Börsenkrach im »Mekka des Kapitals« New York, Ölschwemme und Preisverfall auch bei anderen Rohstoffen wurden besonders in den USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt im Zeichen des New Deal staatliche Maßnahmen ergriffen, die zu bestimmten Zeiten auch in Saudi- Arabien wiederkehrten. Dieses Land, um dessen innere Staatlichkeit zur gleichen Zeit noch kriegerisch gekämpft wurde, verfuhr also nicht »islamisch«, sondern hörte wie die USA oder auch das krisengeschüttelte Schweden auf die Empfehlungen des englischen Theoretikers John Maynard Keynes. Ihm war aus guter Kenntnis der Wirtschaftsgeschichte bewußt geworden, daß das »Freie Spiel der Kräfte« im Markt bestimmter Regulierungen, Eingriffe und Rahmenbedingungen von staatlicher Seite bedurfte, sollten Produktionsverfall, Arbeitslosigkeit und politische Instabilität vermieden werden. Kurz: Die Marktkräfte mußten durch Interventionen des Staates gelenkt werden - dem Eigennutz der Privatwirtschaft wie dem Gemeinwohl zugute. Ohne die Kunst des Keynesianismus wäre die weltweit wirkende Krise nach dem Schwarzen Freitag (29. Oktober 1929) kaum zu bewältigen gewesen. Das seither verfolgte Streben nach Wachstum, Vollbeschäftigung und Wohlfahrt bei gleichzeitiger politischer Stabilität ist ein Kennzeichen gerade des Öl-Zeitalters. Denn es hat spätestens mit der Gründung der Opec im Jahre 1960 immer wieder Eingriffe zur Preisregulierung erlebt; damit aber wurde das global -390-
nachvollzogen, was die USA für den eigenen Binnenmarkt im Geiste Keynes' vorgemacht haben. Bedenkt man nur den Anteil der Mineralölsteuer in selbstversorgenden Exportländern wie Großbritannien oder Norwegen, der bei über 80 % des Benzinpreises liegen kann, dann wird das Prinzip des gelenkten Marktes sichtbar: SaudiArabien verfährt also nicht anders und kann dennoch im Banne des Petro-Dollars, wie er seit 1944 als Verrechnungseinheit im weltweiten Ölgeschäft üblich ist, von Steuergewinnen wie in Europa nicht einmal träumen.
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Arabiens Aufbruch In Mekka, der heiligen Hauptstadt des Islam, bezogen 1929 nicht alle Öllampen ihren Leuchtstoff aus eigener Herstellung. Es sollte noch bis 1935 dauern, ehe aus den Steigleitungen des ersten Ölfundes »Dammam Nummer 7« nicht Tränen des Teufels das Dunkel der Wüstennacht erhellten, sondern ein wahrhaftes Geschenk Gottes - von amerikanischen Öltechnikern nahe der Stadt Dhahran an der südlichen Küste des Golfs ans Tageslicht geholt. Der Zeitpunkt dieses Ereignisses ist wichtig. Denn es war nach der endgültigen staatlichen Einigung des »Magic Kingdom« (Mackey) eingetreten, die der Clan-Chef und Beduinen-Fürst Abdul Aziz auf kriegerische Weise erzwungen hatte: ein Staatsgründer, den die Geschichte Arabiens und der Welt nur als Ibn Saud kennt. In langwierige Clan- und Stammeskämpfe verwickelt, war es ihm nach der Niederschlagung eines Aufstandes gelungen, den der Ikhwan-Geheimbund angezettelt hatte, ein dichtes Netz persönlicher Beziehungen in seinem Machtbereich zu knüpfen und dabei mit gezielten Heiraten (Polygamie) eine innere Befriedung zu erreichen: »Kein Mensch und keine Institution stand zwischen dem König und seinem Volk, schon gar nicht eine unpersönliche Bürokratie«. Diese Position, die Mackey als etwas Einzigartiges ausgibt, erinnert jedoch sehr an den Personalismus in den dynastischen Diktaturen Europas zwischen 1618 und 1918. Sie waren ebenso auf einen absoluten Besitz fixiert, der vererbt werden konnte, wie jetzt der neue Beduinen-Staat, in dem Ibn Saud über eine absolute Macht verfügte. Allerdings hatte er auf andere ClanChefs und Stammesscheichs Rücksicht zu nehmen, nicht anders als auf die muslimischen Bruderschaften und Geheimbünde der -392-
Beduinen. Auch die alt eingesessenen Kaufmannsfamilien in Mekka und Medina besaßen ein gesellschaftliches Gewicht, das er ebenso beachten mußte wie den Einfluß der jährlichen Pilgerströme aus aller Welt, die zur Kaaba mit dem Schwarzen Stein aus dem All drängten. Ibn Saud, von dem übereinstimmend berichtet wird, daß er als militärischer Beduinenführer über ein besonderes Charisma verfügt haben soll, verstand es, mittels gezielter Zusammenkünfte oder Majlis, wie sie auch in Kuwait gepflegt wurden, alle wichtigen Gruppierungen anzuhören und im Konflikt zwischen ihnen als oberster Schlichter zu wirken. Er galt denn auch zwischen Dschidda am Roten Meer und Dhahran am Golf, zwischen dem »Leeren Viertel« an der Grenze zum Yemen und dem Hafen von Akaba im Norden als »Scheich der Scheichs«. Gleichzeitig war er Emir von Nejd und besaß den religiösen Status eines Imam, der eine Fatwa oder Rechtsbescheid erstellen durfte und durchsetzen konnte: Ibn Saud fungierte unbestritten als Erster unter scheinbar Gleichen und behielt trotz aller Anhörungen in jedem Fall das souveräne oder letzte Wort. Was immer auch der Rat der Prinzen aus der eigenen Dynastie, der Rat der Ulemas als Versammlung von islamischen Rechtsgelehrten oder gar der Rat der Ministerien dem SaudiChef vorträgt, besitzt lediglich empfehlenden Charakter und niemals eine bindende Natur. Dieses personalistische System kennt keine Gewaltenteilung nach Maßgabe drittwirkender Verträge und wird von Vetternwirtschaft gleichsam in Reinkultur betrieben, in der die höchste Entscheidungskompetenz beim jeweils herrschenden ClanOberhaupt liegt - beim Saudi-König. Seine Machtfülle in Regierung, Wirtschaft und Rechtswesen findet nur bei der Nachfolge gewisse Begrenzungen. Denn wegen der durch den Koran erlaubten Polygamie kommt es zu einer Rangordnung der Hauptfrauen und damit zu manch einer -393-
Komplikation in der Erbfolge. Sie erfolgt aber stets im inneren Kreis der Abkömmlinge Ibn Sauds und kennt sogar das Prinzip der Idoneität, d.h. der geistigen Eignung, das höchste Amt im Saudi-Staat nach Maßgaben des Koran wahrzunehmen - denn eine Verfassung wie in konstitutionellen Monarchien gibt es nicht. Gemäß seinem Titel »Treuhänder der Heiligen Stätten« in Mekka und Medina unterliegt dieser Beduinenfürst außerdem Verpflichtungen, die das Wahhabitentum verlangt. Diese sittenstrenge Bewegung innerhalb des sunnitischen Islam begann sich bereits im 17. Jahrhundert zu entwickeln. Ihre Verfechter am Saudi- Hof wie in der übrigen Clan- und Stammesgesellschaft versagen sich jeder Neuerung, sofern sie nicht aus dem Koran schlüssig begründet werden kann, der Sunna als vorindustrieller Gewohnheit widerspricht oder nicht auf zwingenden Vernunftgründen beruht. Wie stark diese Auffassung im Verbund mit der Scharija als Rechts-, Straf- und Lebenskodex trotz einiger Lockerungen am Saudi-Hof und in der Oberschicht immer noch den Alltag in Arabien bestimmt, beweist die allgegenwärtige Sittenpolizei. Sie unterbindet jede echte oder vermeintliche Störung des öffentlichen Lebens sofort und läßt es nicht einmal zu, daß Frauen im eigenen Land Auto fahren dürfen; selbst ein Gespräch über Politik und Religion kann nach den Erfahrungen des deutschen Arztes Joachim Müske erhebliche Probleme schaffen, falls es ein Saudi- Araber mit einem Ungläubigen oder Christenhund geführt hat. Diese und andere Hindernisse wie die fehlende Infrastruktur erklären auch, warum es relativ lange gedauert hat, bis im Hauptland der Arabischen Halbinsel mit der systematischen Ölsuche begonnen werden konnte: Der fehlgeschlagene Versuch des englischen Majors und Ölpioniers Frank Holmes im Jahre 1923 blieb ein Einzelfall. -394-
Die Lage besserte sich erst, als sich Ibn Sauds Situation nach der Ikhwan-Rebellion im Laufe des Jahres 1930 zusehends verschlechterte. Er war als Emir von Nejd und Beschützer der Heiligen Stätten des Islam in erhebliche Geldnöte geraten. Denn die von Großbritannien gewährte Jahrespension in Höhe von 60000 Pfund Sterling oder 300000 US-Dollar, die ihm für seinen Kampf gegen das Osmanische Reich der Türken zugestanden worden war, reichte bei weitem nicht aus, die eigenen Kosten zu decken: Auch die Einnahmen aus den jährlichen Abgaben der Pilger genügten schon lange nicht mehr, die wachsenden Bedürfnisse zu finanzieren. Auf seiner fieberhaften Suche nach neuen und stetigen Einkünften wurde Ibn Saud bei dem Engländer John Philby fündig. Dieser zum Islam übergetretene Arabist riet ihm, alle Bodenschätze des weiträumigen Landes mit Hilfe moderner Technik aus dem Westen zu erschließen. Der Gelehrte verstand es, durch Hinweise auf bestimmte Koranstellen den wahhabitischen Imam und Beduinenfürsten davon zu überzeugen, daß Allah den Menschen nicht von sich aus ändert. Dieser sei vielmehr gehalten, in seiner Verantwortung vor Gott nutzbringende Änderungen zu betreiben - auf das Gute im irdischen Dasein gerichtet und davon geleitet, daß die Natur um des Menschen willen geschaffen worden sei. Der zügige Ausbau des Dammam-Feldes und der Aufbau der Ölstadt Dhahran waren der erste Ausdruck eines mentalen Wandels bei Ibn Saud selbst, der mit dieser historischen Entscheidung für die Ölsuche auch seine eigene und recht junge Besitzmacht an der Golfküste bestätigt sah: Immerhin in einem Gebiet, das religiös gesehen eine schiitische Mehrheit besaß, die nach Persien ausgerichtet war. Allerdings vermochte es der Scheich der Scheichs gegen den Widerstand der Ulemas nicht, mit dieser technischen Neuerung auch die wahhabitisch geprägte Gesellschaft für westliches Denken zu öffnen: Die Bohrplätze, Förderstellen, Raffinerien und Verladerampen waren vom -395-
sonstigen Umland völlig abgeschottet. Zugeständnisse im Bereiche des Berg- oder Regalrechtes zwecks besserer Nutzung der vorhandenen Bodenschätze waren deshalb nur technischer Art. Vor allem nach der Gründung einer Arabian American Oil Company (Aramco) im Jahre 1944 kamen diese Neuerungen zum Tragen, ohne den Haus-Staat der Saudis in seiner Anlage als dynastische Diktatur substantiell zu verändern. Das eigenartige Konzern-Gebilde der Aramco wurde einmal als »neurotisches Kind von vier Eltern« eingeschätzt und entsprach in seiner Konstruktion einem Kartell. Es bestand aus Vertretern der Esso, Mobil Oil, Socal (Chevron) und Texaco, die zum eigenen Nutzen und materiellen Wohl der Saudis besser zusammenarbeiteten, als anfänglich zu erwarten war. Schließlich bekämpften sich diese vier Gründungsmitglieder auf dem amerikanischen Markt als die härtesten Wettbewerber, die sich auch weltweit gegenseitig nichts schenkten. Hier aber bewährte sich bereits die Absprache von 1928, nicht mehr um jeden Preis den Marktkampf zu suchen, sondern sich zum gemeinsamen Vorteil abzusprechen. Nach einer Reform der Aramco im Jahre 1948 fand sogar Philby zu einem Lob dieses arabischamerikanischen Modells, das er gleichzeitig auf eine globale Ebene hob und mit einer ethischen Dimension des Wirtschaftens versah: »Arabien, das ehemals im Die nste der Götter und… der antiken Welt mit Gewürzen und wohlriechenden Essenzen handelte, ist endlich aus langem Schlaf erwacht und will hinfort im Dienste der Menschheit wie des Mammons seine verborgenen Reichtümer ausbeuten.« Erfüllte sich für den britischen Idealisten Philby ein lange gehegter Traum, so bedeutete die Tätigkeit der Aramco zunächst nur ein materieller Vorteil für Ibn Saud selbst, der den Staatshaushalt wie eine Privatschatulle verwaltete. Dabei begnügte er sich mit der zuvor in Venezuela ausgehandelten -396-
Fifty-Fifty-Regel. Das aber bedeutete nicht nur stetige Einkünfte aus dem Ölgeschäft, sondern auch eine strukturelle Vernetzung mit dem Weltmarkt: Saudi- Arabien wurde also nicht nur von der Aramco abhängig, sondern noch mehr von Marktkräften, die es letztlich nicht kontrollieren konnte und die auf seine Funktion als Rohstoff-Produzent zurückwirkten. Über diese Bindung hinaus ergab sich auch noch eine hochpolitische Dimension, die zur Zeit der Aramco-Gründung mitten im Krieg nicht abzusehen war. Denn zu diesem Zeitpunkt wußte niemand, daß Saudi-Arabien neben den USA selbst und der damaligen Sowjetunion die größten Ölreserven der Welt besaß. Als man sich dieser Tatsache bewußt wurde, stieg die geopolitische Bedeutung des Golf-Staates für die USA vor allem während der Frühphase des Kalten Krieges und führte dann zur Politik der »besonderen Beziehung« (special relationship) zwischen beiden Ländern - bis hin zu Vorzugspreisen für die strategische Reserve der USA als Super- und Schutzmacht Saudi-Arabie ns. Das Erstaunliche an dieser gegenseitigen Abhängigkeit ist zweifellos die strukturelle Stabilität des 1944 geschlossenen Öl paktes, der in Petro-Dollar verrechnet wurde, Denn es waren immer wieder schwere Krisen zu überwinden, die mit dem Öl wenig zu tun hatten. Man denke hier nur an Israel, dessen Garantiemacht auch die USA sind. Es gilt also für jede USRegierung in Washington, den Spagat zwischen zwei Todfeinden auszuhalten, die seit 1948 ihren Kriegszustand nicht beendet haben, während gleichzeitig noch die Sowjetunion bis 1990 über Ägypten, Syrien, den Irak, Libyen oder auch den Yemen Druck auf die übrigen arabischen Länder ausübte. Dieses Kunststück konnte trotz Belastungen auch nur deshalb gelingen, weil Handel und Wandel sowie die damit verbundene Technik dem Kommutationsprinzip unterliegen, das religionsneutral und vertragsbezogen zu verfahren hat. Darüber hinaus trugen nicht wenige Saudis persönlich dazu bei, schon -397-
aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung an den EliteUniversitäten der USA die besonderen Beziehungen zu pflegen, ohne sie von dem Dauerthema Israel und Palästina über Gebühr stören oder gar zerstören zu lassen. Einer unter ihnen war Zaki Yamani, der es zum Ölminister Saudi-Arabiens gebracht und ein wesentliches Stück Ölgeschichte mitgestaltet hat. Die Karriere dieses Mannes allein ist ein untrügliches Zeichen für den Umbruch in einem Land, das im Kern wahhabitisch blieb, aber doch aus Gründen der Technik manch eine Veränderung zulassen mußte - wie das Fernsehen und seither unter einer permanenten Spannung zu seiner Ethik steht.
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Zaki Yamani Es könnte gut sein, daß sich Ibn Saud im Jahre 1947 an seine historisch gewordene Autofahrt mit John Philby erinnert hat. In deren Verlauf soll der muslimische Engländer dem Beduinenfürsten eine harte Lektion erteilt haben: Seine Untertanen glichen Menschen, »die neben einem vergrabenen Schatz schlafen, jedoch zu faul oder zu furchtsam sind, danach zu suchen«. Wollte Ibn Saud hier Abhilfe schaffen, dann durfte er nicht nur amerikanische Geologen und Techniker ins Land lassen, sondern mußte auch eigenen jungen und talentierten Leuten im Ausland eine Chance bieten, damit sie Anschluß an das fanden, was einst die Araber zwischen Mekka und Córdoba lange vor der Moderne ausgezeichnet hat, nämlich in Mathematik, Astronomie, Medizin und anderen Naturwissenschaften über das beste Wissen der Welt zu verfügen. In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft erlaubte es denn auch Ibn Saud, dem 1930 in Mekka geborenen Richtersohn Zaki Yamani nach Kairo zu gehen, um dort ab 1947 an der berühmten Al-Azhar-Universität islamisches Recht zu studieren - im Reiche König Faruks. Bis 1951 machte sich der wißbegierige und traditionell erzogene Araber nicht nur mit den Grundlagen der Philosophie, des Rechts und der Politik vertraut. Er lernte auch im weltoffenen Kairo bestimmte Formen westlicher Lebensart und Denkweisen kennen, die schon bei Averroes in Córdoba angelegt waren, namentlich im Sinne der Doppelten Wahrheit die Trennung von Religion und Philosophie, von Ethik und Technik, auc h von Macht und Moral sowie letztlich von Kirche und Staat. Wer nun aber in der Einheit oder gegenseitigen Bindung aller Lebensbereiche erzogen war, für den mußten diese angeblichen -399-
Errungenschaften der europäischen Aufklärung eine große Herausforderung bedeuten. War Yamani hier aufmerksam genug, dann konnte ihm die Tätigkeit der Moslem- Bruderschaft nicht entgehen, deren Ziel darin besteht, genau diese Spaltungen fundamentaler Daseins- und Denkgebiete aufzuheben und einen islamischen Monismus zu erzwingen. Dieser Geheimbund entsprach genau den Forderungen des wüstenstrengen Wahhabitismus in Saudi-Arabien selbst, dessen Verfechter in der Technisierung eine fortschreitende Verwestlichung sahen und damit ein Aufweichen des Islam als eine von Gott geschenkte gerechte Lebensform. Gleichzeitig huldigte die einflußreiche Bruderschaft vornehmlich unter den Gebildeten dem arabischen Nationalismus als Kampf gegen den europäischen Kolonialismus, d.h. einer politischen, rechtlichen und ökonomischen Entmündigung der Araber als altes Kulturvolk. In diesen fundamentalistischen Kreisen hatte sich Zündstoff angesammelt, der von vielen Politikern der Kolonialmächte nicht wahr- oder ernstgenommen wurde. Als Yamani schon auf dem Weg in die USA war, wo er in New York und Boston seine Rechtsstudien ergänzen wollte, glückte General Gamal Abd elNasser 1952 ein Putsch gegen König Faruk. Mit dem Sturz der Monarchie erklärte er Ägypten zur Republik und träumte von einer panarabischen Größe: Dafür sollte aber weniger der Schwarze Stein in Mekka sorgen als das Schwarze Gold unterm Wüstensand. Der eher zurückhaltende und mitunter scheue Zaki Yamani hörte neben diesen Einschätzungen gewiß auch die Signale einer neuen Generation von Militärs und Technokraten, die kulturbewußt und antikolonial genug waren, um in der Verstaatlichung auswärtiger Konzerne das materielle Heil ihrer technisch rückständigen Länder zu sehen. Das Hauptziel dieser Stoßrichtung sollte darin bestehen, sich der politischen Bevormundung vor allem durch Frankreich und Großbritannien -400-
ebenso zu entziehen wie der wirtschaftlichen Entmündigung durch die Öl Multis. Diese Befreiung nach außen aber konnte nur dann gelingen, wenn sie durch fundamentale Maßnahmen nach innen gestützt wurde. Anwar as-Sadat, der mit Nasser geputscht hatte, später sogar zum Präsidenten Ägyptens aufstieg, als naher Freund König Faisals von Saudi-Arabien galt und mit Israel den Frieden von Camp David schloß, sah zur Zeit der Revolution von 1952 deren Werk auf fünf verschiedenen Ebenen voranschreiten: Sie richtete sich nach seinen Worten gegen die Selbstherrlichkeit der Faruk-Monarchie, den Ausschluß des Mittelstandes vom politischen Prozeß und der Macht im Staat, den blinden Gehorsam in Armee und öffentlicher Verwaltung, die Ausbeutung der Lohnarbeiter und ge gen alle »Barone der Hochfinanz, deren einziges Ziel darin bestand, ganz schnell zu Vermögen zu kommen«. In diesem Programm der Nasserschen Machtübernahme, die als eine große Revolution und als Aufbruch in die Moderne gefeiert wurde, erkennt man im Prinzip alle putschistischen Bewegungen wieder, die der arabische Raum seither erlebt hat. Ob 1958 im Irak die Haschemiten-Dynastie stürzte oder 1969 Gaddafis Putsch in Libyen den Idris-Clan beseitigte, ja selbst in den Forderungen der Mullahs unter Khomeini 1979, als die Pahlevi-Dynastie des Schahs ihre Weiße Revolution beenden mußte. Saudi-Arabien konnte sich manch einer Krise zum Trotz all dieser Veränderungen bis heute erwehren, weil sich die ständig wachsende Saud-Dynastie nach innen wie nach außen zum Zweck einer stetigen Stabilität anpassen konnte und bestimmten Versuchungen nicht erlag. Als Zaki Yamani 1956 an die Harvard Law School in Boston wechselte, hatte die Suez-Krise gezeigt, worin der Arabische Sozialismus im wesentlichen bestehen sollte: Seine Verfechter forcierten die Verstaatlichung auswärtiger Unternehmen, um sie fortan selbst zu betreiben, -401-
ohne es technisch aus eigener Kraft wirklich zu können.
Zaki Yamani auf dem Höhepunkt seiner Macht
Diese Lehre hatte Yamani nicht nur aus der Übernahme der Suez-Kanal- Gesellschaft gezogen. Er hatte auch anhand der Öl geschichte in den USA gelernt, daß es einen oft erheblichen Unterschied zwischen dem rechtlichen Volleigentum an Öl (Oil -402-
property) und dessen effektiver Nutzung gab, ja zwischen dynastischem Eige nnutz wie noch zu Ibn Sauds Zeit, der 1953 gestorben war, und dem öffentlichen Wohl des Staates. Doch ehe sich Yamani in diesem komplexen Bereich um Saudi-Arabien verdient machen konnte und für die Übernahme der Aramco eine dauerhafte Lösung fand, begann er nach dem Abschluß seiner Studien, in Er-Riad als erster selbständiger Rechtsanwalt in der Geschichte des Wüstenreiches zu arbeiten: Er nahm Interessen von US-Firmen wie Coca-Cola wahr, bis er eines Tages von Kronprinz Faisal entdeckt wurde - einer charis matischen Gestalt. Bereits im Jahre 1946 imponierte dieser Sohn Ibn Sauds bei einem Besuch in den USA durch seine königliche Haltung. Dean Acheson vom US-Außenministerium zeichnete von Faisals Auftreten in Washington ein prägnantes Bild: »Der Emir, im weißen Burnus und mit goldenem Aggal, die seine dunkle Hautfarbe noch hervorhoben, mit schwarzem Spitzbart… unter der dünnen, gebogenen Nase machte mit seinen durchdringenden dunklen Augen einen unheimlichen Eindruck, gemildert nur hin und wieder durch sein angedeutetes Lächeln… Ich hatte den Eindruck, der Emir könnte ein unversöhnlicher Feind sein und man müsse ihn sehr ernst nehmen« (Sampson). Unversöhnlich war der asketisch und monogam lebende Faisal nur im Hinblick auf den Zionismus im Staate Israel sowie gegenüber dem gottlosen Sozialismus der Sowjetunion und ihrer arabischen Anhänger. In beiden Ideologien sah er eine große Bedrohung des Arabertums und dessen muslimischer Identität, die sich außerdem noch mit dem Modernismus auseinandersetzen mußte - in Gestalt eines Materialismus, der das Leben auf die Beherrschung einer seelenlosen westlichen Technik zu reduzieren schien. Faisal, der gut Englisch verstand, ohne es fließend sprechen zu können, war sich früh bewußt, daß in der steigenden Ölproduktion seines Landes und mit ihrer globalen Vermarktung -403-
bestimmte Gefahren verbunden waren, auf die er und sein älterer Bruder Saud als König kaum einen Einfluß besaßen. Denn ihr Familieneigentum am Öl als ein Geschenk Gottes ließ sich nicht auf einen nominellen Wert eingrenzen. Es unterlag vielmehr bei seiner Vermarktung besonderen materiellen Bedingungen, die mit dem Koran allein nicht bewältigt werden konnten. Schließlich war es für die Aramco erforderlich geworden, bei der Ölsuche über die Provinz Dhahran hinaus tätig zu werden. Und das schloß den Straßen- und Eisenbahnbau ebenso ein wie Investitionen in eine moderne Kommunikationsstruktur (Telefonnetz) sowie ins Gesundheitswesen: Die Aramco war in Verbindung mit dem Aufbau der Ölindustrie und der Infrastruktur binnen eines Jahrzehnts zu einer Art Staat im Staat geworden, der sogar auf den öffentlichen Haushalt einwirkte. Diese Entwicklung aber wollte Faisal nach dem Tode Ibn Sauds nicht länger hinnehmen, sondern aktiv mitgestalten. Deshalb veranlaßte er in der Funktio n als Regierungschef 1957 die Schaffung einer eigenen Behörde für Öl und Bodenschätze. Deren erster Generaldirektor wurde Abdullah Tariki, der sich bald danach den Ruf eines »Roten Scheichs« erwerben sollte, denn er war ein glühender Verfechter des arabischen Nationalismus und Gegner des US-Imperialismus, den er in den Öl-Multis der Aramco verkörpert sah und gern verteufelte. Tariki hatte in den USA die Strukturen und Mentalitäten von Big Oil auf allen Ebenen kennengelernt. Er kannte auch das Anliegen der dortigen Anti-Trust-Bewegung, die 1911 zur Zerschlagung der Esso geführt hatte, von der drei FolgeKonzerne jetzt an der Aramco aktiv beteiligt waren. Gleichzeitig kämpfte er für eine saudische Eigenbestimmung. Dies um so mehr, als er den Konzernen vorwarf, sie hätten trotz ihrer technischen Leistungen nichts anderes getan, als die Freundschaft Ibn Sauds brutal zu mißbrauchen und das Land aus purem Eigeninteresse regelrecht auszubeuten. -404-
Die Erregung des Nationalisten Tariki über manch ein Ungeschick profitsüchtiger Öl-Amerikaner mag verständlich sein. Aber ganz so einfach verlief diese Ölgeschichte nicht, die alle Nachteile und Schattenseiten den Multis zuschreibt und hausgemachte Defizite der Saudis aus Loyalität verschweigt: So nutzte Ibn Saud die ständig steigenden Öleinnahmen, wie sie seit 1947 flössen, in erster Linie für seine Privatbedürfnisse, statt sie dem Staatshaushalt zukommen zu lassen. Auf der anderen Seite war es kein großes Geheimnis, daß die vier US-Multis vital daran interessiert waren, ihr Risiko bei der Produktion und Vermarktung zu minimieren, und dafür auch in den USA zu Steuertricks griffen. Außerdem war das gesamte Ölgeschäft mit Saudi-Arabien stets von der Sicherheitsstrategie Washingtons gesteuert worden, zumal nach der Annäherung Nassers an die Sowjetunion als der zweiten Supermacht und mit dem Rückzug der Briten aus dem Raum östlich von Suez. Im Jahr der Errichtung eines Öl-Ministeriums durch Faisal hatte Yamani die Irakerin Laila Faidhi geheiratet und begann, sich mit der Familie in der Hauptstadt Er- Riad auf Dauer einzurichten. Diese Entscheidung war noch dadurch gefördert worden, daß Faisal den jungen und weltkundigen Juristen für die Rechtsberatung des Hauses Saud in allen Außengeschäften gewinnen konnte. Die dafür so wichtige Begegnung zwischen beiden fand in der Bergstadt Taif statt, die heute angeflogen werden kann. Sie liegt nicht allzu weit von Mekka und dem Roten Meer entfernt in einer Gebirgsgegend, wurde wegen ihres guten Klimas gerühmt und galt während der brütend heißen Sommermonate neben Er-Riad als zeitweiliger Regierungssitz. Das historisch gewordene Treffen zwischen Faisal und Yamani soll sich in einer Atmosphäre des gegenseitigen Betrachtens und weitgehenden Schweigens vollzogen haben. -405-
Als dann der junge Anwalt nach einer längeren Geduldsprobe gefragt wurde, ob er irgendwelche Konditionen für sein Berateramt stellen wolle, soll er ohne Zögern geantwortet haben: »Wer Gelegenheit hat, für Sie arbeiten zu dürfen, der wird keinerlei Bedingungen vorbringen«. Diese Einstellung ist sicher nichts spezifisch Islamisches, erinnert sie doch an das »Travailler pour le roi de Prusse« und ist Ausdruck des dynastischen Personalismus, wie er in Europa vor 1918 üblich war. Jeder Gerichtsprüfung, Senats- oder Parlamentskontrolle vollständig entzogen, drückt dieses Dienstverhältnis nichts anderes aus als eine Einseitigkeit nach Maßgabe des blinden Gehorsams und damit eines Eigentumsfetischs, den auch das amerikanische Wirtschaftssystem kennt, wenn nach der Maxime »Hire and fire« verfahren wird. Was also gern den Besonderheiten der Orientalischen Despotie (Wittfogel) oder gar der Magie von Wüstenreichen zugeschrieben wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als eine universelle Erscheinung im Machtverhalten, sobald es keine Gegenwehr oder Widerstand befürchten muß. Abdullah Tariki, der von 1957 bis 1962 die Ölpolitik Saudi-Arabiens mit Sachverstand und politischer Leidenschaft mitgeprägt hat, durfte am eigenen Leib erfahren, wozu das dynastische Prinzip einer Haus-Diktatur fähig ist. Er wurde von heute auf morgen gefeuert, nachdem ihn Faisal verdächtigt hatte, mit dem innersaudischen Verschwörerbund der »Freien Prinzen« in Kontakt zu stehen: Angeführt von dem Prinzen Talal, der sich an die Spitze der Fortschrittler und Modernisierer gestellt haben soll. Diese Gruppierung strebte nicht nur nach dem Vorbild Nassers die volle Verstaatlichung der Aramco an. Sie wollte auch die von Ibn Saud begründete absolute Autokratie in eine konstitutionelle Monarchie verwandeln, wie es 1961 in Kuwait gelungen war, allerdings dort nur unter dem politischen Druck -406-
und der Bestandsgarantie durch Großbritannien als Schutzmacht. Talal und Tariki, dem es in diesem Fall nichts genützt hatte, 1960 die Opec als Gegengewicht zu den Öl- Multis mitorganisiert zu haben, wurden ohne Gerichtsprozeß, aber mit guten Abfindungen nach Kairo ins Exil geschickt und waren fortan jedem Einfluß auf die saudische Politik vollkommen entzogen. Kein Wunder, daß Faisal aus dieser Krise, die im Westen kaum beachtet worden ist, gestärkt hervorging. Er konnte es nach dem Erfolg sogar durchsetzen, daß König Saud 1964 förmlich abdankte und ebenfalls nach Kairo abgeschoben wurde. In diesem Machtkampf stand Yamani dem charismatischen Faisal mit äußerster Loyalität zur Seite, so daß man sagen könnte, aus der bisherigen Herr-Knecht-Beziehung im dynastischen Sinne gestaltete sich zwischen beiden eine gewisse Freundschaft, ja ein Verhältnis, das sogar als VaterSohn-Beziehung aufzufassen wäre. Als Zaki Yamani am 2. März 1962 Nachfolger von Tariki wurde, ohne zu wissen, wie lange er diesen Posten bekleiden sollte, war neben seinem Sachverstand vor allem die persönliche Nähe zum neuen König wichtig, um eine weitsichtige und depositär angelegte Ölpolitik aufzubauen. Mochte Yamani dazu im Rahmen seines Ministeriums einen erheblichen Spielraum besitzen, so berührte seine Kompetenz nicht das absolute Entscheidungsmonopol Faisals: Er blieb in allem König und nur den Bindungen des Hauses Saud sowie des Koran unterworfen. Auch an der Existenz der Aramco und Opec änderte sich so wenig wie an den wachsenden Abhängigkeiten Saudi- Arabiens vom Weltmarkt. Und dazu gehörte vor allem der schleichende Wertverfall des Petro-Dollars, wie er seit 1964 zur Finanzierung des Vietnam-Konflikts einsetzte und ein Jahrzehnt auch wegen der Hochrüstung anhalten sollte - bis zur großen Ölpreiskrise und dem Ende des Vietnam- Debakels im Jahre 1974.
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Trotz der strukturellen Stetigkeiten erbrachte der abrupte Wechsel von Tariki zu Yamani einen Stimmungsumschwung innerhalb des Ministeriums sowie im bisher so belasteten Verhältnis zur Aramco. Fühlten sich vor allem die US-Manager meist als ungebildete Profitjäger und geldgierige Ausbeuter verachtet, so setzte der erst 32jährige Yamani auf eine sachlich bezogene Partnerschaft. Damit zielte er aber nicht nur auf das Prinzip der Gegenseitigkeit im Ölgeschäft, sondern auch auf die Anerkennung der Gleichwertigkeit mit den Amerikanern aufgrund von Verträgen. Der eher sanft und mitunter charmant agierende Yamani ließ mit dieser Doppelstrategie erkennen, daß er Saudi- Arabiens künftige Ölpolitik nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation richten wollte. Diese Haltung war schon deshalb geboten, weil die jährlichen Einnahmen der Dynastie und ihres Haus-Staates fast ausschließlich vom Ölverkauf abhingen. Darüber hinaus bildete sich mit dem Einwirken der Opec und ihrem Förderquoten-System eine neue Marktgestaltung an: weg von der bisherigen und recht starren Preisbindung im Zeichen eines Festpreises pro Faß, hin zu einer flexibleren Preisbildung nach Maßgabe der Marktsituation. Dieser Prozeß bedeutete neben den ökonomischen und technischen Faktoren auch die Berücksichtigung bestimmter politischer Elemente, die von Fall zu Fall im Sinne des nationalen Interesses abzuwägen waren. So brach der Nachbar Kuwait 1964 die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland ab, weil diese Israel als souveränen Staat anerkannt hatte: Das Öl erhielt als ökonomisches Druckmittel eine politische Dimension, wurde gar als Waffe eingesetzt, ohne jedoch in dieser Funktio n einen größeren Vorteil zu erzielen. Eine solch extreme Haltung lag Faisal und Yamani fern. Sie wußten längst, daß das absolute Eigentum am heimischen Öl noch nichts über die realen Einkünfte sagte, die ohne Aramco -408-
weit schwerer zu organisieren gewesen wären. Allerdings machte Yamani den Managern auf seine Weise deutlich, daß der Saudi-Staat künftig ein größeres Mitspracherecht beanspruchte und sogar auf eine Teilhabe (partial ownership) zielte. Überdies war es Yamani angelegen, den Sieben Schwestern klarzumachen, daß ihre Politik des höchsten Profits im Ölgeschäft um buchstäblich jeden Preis einer anderen Einstellung weichen müßte hin zu einem gerechten Preis, schon im Hinblick auf die Technikfolgen. Zur langfristigen Absicherung seiner Politik der stufenweise verwirklichten Partizipation verstärkte Yamani auch den Ausbau einer Petroleum- Universität im alten Ölzentrum Dhahran. An ihr sollten die benötigten einheimischen Fachleute ausgebildet werden, um dann in der saudieigenen Öl- und BergbauGesellschaft Petromin für das ausschließliche Wohl des Landes arbeiten zu können. Standen all diese Aktivitäten im Zeichen einer globalen Verantwortung bei der Ölversorgung vornehmlich Westeuropas und Ostasiens mit Japan an der Spitze, so drückten sie doch gleichzeitig das saudische Streben nach Autarkie aus. Und diese Doppelbelastung kostete den jungen Yamani mehr Kraft, als er wohl zu Beginn seiner Karriere dachte. Er löste die Ehe mit Laila Faidhi und wollte sogar seinen Dienst als Ölminister quittieren. Aber Faisal konnte auf seinen wichtigsten Mitarbeiter nicht verzichten und lehnte Yamanis Wunsch nach Rücktritt in typisch dynastischer Weise ab: »Ich möchte Ihnen das so wenig gestatten, wie ich meinem Sohn erlauben würde, mein Haus zu verlassen.« Der neue Herr aller Saudi-Prinzen und des gesamten Reiches pochte auf einseitig ausgerichtete Besitzansprüche, zu denen ein unbedingtes Gehorsamsgebot ebenso gehörte wie die Pflicht zur absoluten Loyalität. Und das Überraschende geschah: Zaki Yamani gehorchte seinem Landesvater wie ein getreuer Sohn! Er blieb auf seinem Posten als Ölminister und wandte das -409-
System der besonderen Ergebenheit selber an, als ihm König Faisal seinen ältesten Sohn Saud zur fachlichen Ausbildung anvertraute. Der junge Prinz hatte an der Elite-Universität Princeton ein Wirtschaftsstudium absolviert und sollte nun auf Wunsch des Vaters das gesamte Ölgeschäft in der praktischen Realität kennenlernen. Auch in seinen außen- und sicherheitspolitischen Dimensionen, die der Wüstenstaat nie außer acht lassen durfte: Saud, der spätere Außenminister, pochte also nicht auf seinen dynastischen Vorrang gegenüber Yamani, sondern unterwarf sich der Sachkompetenz des Ministers - zum eigenen Vorteil und Wohl des Landes. Statt sich in eine stille Studierstube zurückzuziehen, um nur noch als Jura-Professor zu lehren, wie er es ernsthaft geplant hatte, sah sich jetzt Yamani veranlaßt, wieder einmal seine Lebensweise zu ändern. Er ließ sich im Hotel Al-Yamam (ErRiad) eine kleine Suite zum Wohnen, Arbeiten und Repräsentieren einrichten. Von hier aus bestand er nicht nur das Aramco-Abenteuer und die zahlreichen Opec-Krisen, sondern auch die Israel-Kriege 1967 und 1973, als die militanten Kräfte im arabischen Lager das Öl wie eine Waffe einsetzen wollten gegen seinen Sachverstand und eine Politik des Ausgleichs. Man kann sich vorstellen, daß Zaki Yamanis oft zögerliche Haltung nicht immer in den Machtzirkeln der Golfregion auf Zustimmung stieß. Der seit 1964 von Saddam Hussein und der Baath-Partei beherrschte Irak legte sich oft ebenso quer wie der seit 1953 regierende Schah von Persien, der sich als erste Ordnungsmacht am Golf empfand und höhere Erträge aus dem Ölgeschäft ziehen wollte, um sein Aufrüstungsprogramm bei Amerikanern und Briten bezahlen zu können Vor allem beim absoluten Reizthema Israel mußte Yamani doppelt vorsichtig agieren. Denn er kannte den heißen Wunsch König Faisals, die auch den Muslimen Heilige Stadt Jerusalem von den Zionisten befreit zu sehen: Und nun nach dem für die Araber so -410-
schmählichen Sechstagekrieg von 1967 befand sich ganz Jerusalem in der Hand der Todfeinde. Nicht weniger behutsam hatte er darauf zu achten, die USA als Garantiemacht Israels, aber auch als Schutzmacht SaudiArabiens nicht unnötig herauszufordern. Denn ihm war längst klar geworden, daß die Aramco trotz ihrer primär ökonomischen Profitinteressen gleichsam eine Art Brückenkopf des USAußenministeriums war und dort die Öl- Lobby einen besonderen Druck ausüben konnte. Allein sein Beteiligungsmodell an der Aramco, nach dem zuerst 25%, dann 51% und schließlich 100 % an den Saudi-Staat gehen sollten, hatte das amerikanische Management nervös gemacht und das politische Washington aufgeschreckt. Vor allem US-Präsident Richard M. Nixon, der als Republikaner dem Ölblock viel zu verdanken hatte, sah sich mehrfach veranlaßt, zugunsten der Aramco in Er-Riad bei Faisal gegen Yamanis Politik massiv zu intervenieren - jedoch ohne Erfolg. Faisal ließ sich auch von den Tiraden des Schahs gegenüber seinem Ölminister nicht beeindrucken. Er wußte, warum Yamani auf den halbjährlichen Opec-Konferenzen die Disziplinlosigkeit des Nachbarn tadelte. Reza Pahlevi I. unterlief nämlich in seiner Geldnot immer wieder die Opec-Absprachen und reagierte auf die Kritik Yamanis mit regelrechten Haßausbrüchen. Er beschimpfte den konzilianten, aber korrekten Rechtsanwalt sogar als ein »Werkzeug des Imperialismus« und meinte damit ein willenloses Instrument der Amerikaner, während er seine eigene Armee von den USA aufrüsten ließ. Anders ausgedrückt: Yamani wurde in der Ölszene am Golf und innerhalb der Opec vom Schah zum Prügelknaben gemacht, damit dieser aus dynastischen Rücksichten nicht das Saudi-Haus anzugreifen brauchte. Wie hart Öl-, Sicherheits- und Währungsinteressen aufeinanderprallen konnten, machte bald die stürmische Ölkonferenz von Teheran im Januar 1971 deutlich. Zwar wurde -411-
in deren Gefolge das alte Währungssystem von Bretton Woods aus dem Jahre 1944 abgeschafft, das die USA und Großbritannien einseitig bevorzugt hatte. Aber allen Beteiligten blieb jenseits ihrer Rhetorik zur Bedeutung von Revolutionen und Enteignungen der Ölkonzerne als Waffe gegen den Imperialismus bewußt, daß im gegenwärtigen Alltag ein Kampfmittel gegen die seit Jahren schleichende Inflation des Petro-Dollars gefunden werden mußte. Die demokratischen, sozialistischen und die dynastischen Ölproduzenten waren sich darin einig, daß die USA seit 1964 ihren Vietnam-Konflikt mit einer gezielten Entwertung des Dollars finanzierten und damit auch die OpecLänder in erhebliche Schwierigkeiten brachten. Denn die Kaufkraft ihrer Öl- Einnahmen sank ebenso im Wert, wie sie Probleme bekamen, die eigenen Haushalte zu stabilisieren und ihre Entwicklungspläne zu sichern: Nach hitzigen Debatten einigte man sich unter der Wortführung des dynastischen Persien und des sozialistischen Libyen auf eine Politik der Preiserhöhung für Rohöl als Inflationsausgleich. Yamanis Versuche, seiner Politik einer Partnerschaft zwischen Produzenten, Lieferanten und Konsumenten eine globale Qualität zu geben, scheiterten an den Scharfmachern in Gestalt des Schah, der seine Weiße Revolution retten wollte, und Libyens Gaddafi, der seine eigene Diktatur in Form der Grünen Revolution zu stabilisieren suchte - bessere Erträge aus dem Ölverkauf vorausgesetzt. Es besteht kein Zweifel, daß das Rohöl wieder einmal politisch genutzt werden sollte, und zwar nach innen zur materiellen Entwicklung der Opec-Länder sowie nach außen gegen die Dominanz der Ölkonzerne als Bindeglied zwischen Produzenten und Konsumenten. Selbst der so besonnen agierende Yamani, der auf eine gerechte Verteilung des Öls bedacht war und vor allem langfristig dachte, ließ sich vom gesellschaftlichen Druck auf die Ölszene seit 1971 kurzzeitig blenden. Denn als am 16. Oktober 1973 das große Öl-412-
Embargo verkündet wurde, um Ägyptens Krieg gegen Israel (Yom Kippur) zu unterstützen, frohlockte auch Saudi- Arabiens Ölminister. Er glaubte nämlich, daß es über die Kriegshandlungen hinaus bei dieser einseitig verhängten Liefersperre gegenüber Hauptabnehmern vornehmlich in Westeuropa zu eine r grundlegend neuen Konstellation gekommen sei: »Zum ersten Mal treten sich Produzenten und Konsumenten der größten Industrieländer gegenüber, ohne einen Mittler zwischen sich zu haben… Die Opec besaß Macht. Die wirkliche Macht.« Das aber war ein Trugschluß. Er ging wohl auf Yamanis Prägung durch das dynastische Prinzip zurück, das schon Rockefeller 1870 bemüht hatte, um jede Form von störenden Zwischenhändlern, Mittlern oder Bindegliedern auszuschalten, mit denen er den Profit im Downstream- Geschäft hätte teilen müssen. Gewiß, das von der Opec mitgetragene Preisdiktat von 1973 steigerte zwar den Faßpreis von etwa 2 Dollar um das Vielfache auf 12 Dollar und in der Folgezeit noch höher. Aber mit diesem Gewinn waren nur die Inflationsverluste leidlich ausgeglichen worden, ohne jedoch das strukturelle Problem der Distribution und Vermarktung gelöst zu haben: Die ÖlProduzenten fühlten sich temporär und politisch stark, blieben aber strukturell schwach. Das zeigte sich in dieser Krisenzeit mit Benzinrationierunge n, hitzigen Leitartikeln auf die Profitgier der »Scheichs« und Sonntagsfahrverboten vor allem dort, wo die Ölkonzerne die höchsten Gewinne ihrer Geschichte einfuhren! Vor allem die Sieben Schwestern wurden zwar mittels Verstaatlichungen oder Teilhabemodellen wie in Saudi-Arabien aus dem Produktionsbereich (Upstream) gedrängt, nahmen dafür aber im Transport, bei der Veredelung und Vermarktung (Downstream) an Bedeutung zu: Denn nur sie verfügten über die erforderlichen Tanker, Raffinerien und Tankstellennetze in den Industrieländern. -413-
Petro-Islam Zaki Yamani wurde während dieser Ölpreiskrise besonders in den westlichen Medien als eine Art »Muster-Araber« gefeiert. Er galt sogar als Gegenspieler des US-Außenministers Henry Kissinger, der nach eigenen Angaben vo m Öl nichts verstand, aber darauf drang, 1974 die Internationale Energie-Agentur (IEA) mit Sitz in Paris einzurichten, um die Bezieher von OpecÖl durch diesen Marktkontrolleur in Zukunft beraten zu lassen. Allein diese Institution signalisierte, daß sich vor allem Westeuropa in seiner Öl- Abhängigkeit umorientierte und sich auf die seit 1969 erfolgreiche Ölsuche in der Nordsee konzentrierte: Sie rechnete sich als Investition nur bei global hohen Faßpreisen! An diesen Effekt hatten die Opec-Konferenzen seit 1971 nicht gedacht. Es war ihnen aber auch weitgehend entgangen, daß sich mit dem Öl- und Dollar-Segen vor allem in den muslimischen Mitgliedsländern allmählich eine Haltung aufbaute, die als Petro-Islam (Fouad Ajami) daran erinnerte, das Öl als ein Gesche nk Gottes nicht sinnlos zu verbrennen und die Umwelt durch Rauchgifte, Abgase und Schadstoffe aller Art zu belasten. Man mag diese Kopplung als fundamentalistisch einschätzen. Aber sie drückt das Denken von Big Green seit 1969 in den USA ebenso aus wie das Reformbestreben der Grünen Parteien gegen eine Übertechnisierung des Alltagslebens und prägt seit geraumer Zeit auch die sogenannte »Heilsfront« in Algerien, eine muslimische Bewegung, die von einem in Europa ausgebildeten Öl- Ingenieur bis zu dessen Ermordung geführt worden ist. Auch der Moralisierungsdruck der revolutionären Mullahs nach dem Sturz des Schah-Regimes im Jahre 1979 gehört zu dieser Grundströmung des Welt-Islam, der Verwestlichung im -414-
Zuge der Technisierung nicht allein das Feld zu überlassen. Allerdings zeigte sich gerade hier, daß die Rückkehr zu einem einfachen Leben ohne westliche Technik kaum nennenswerte Ergebnisse gezeitigt hat: Irans Hauptstadt Teheran zählt aufgrund der Ölbrenner und des Autoverkehrs neben Mexico City zu den Städten mit der höchsten Luftverschmutzung und den meisten Atemwegserkrankungen in der Welt. Schon Papst Pius X. hat im Jahre 1910 vor den künftigen Gefahren des Modernismus als purem Materialismus gewarnt und wie orthodoxe Muslime letztlich ein gottesfürchtiges, naturbedingtes und glaubenstreues Dasein angemahnt - eine Sinnstiftung jenseits allen Mammons und als »Sehnsucht nach dem Anderen« (Horkheimer). Zaki Yamani verstand die Neubesinnung seiner Religion auf die Grundlagen des Koran. Er glaubte aber, daß das Wirtschaften nach Keynesianischen Maßstäben und mit den Segnungen der Technik durchaus den Ansprüchen einer muslimischen Identität genügen kann. Genau dieser Konvergenz aber stand Khaled Ibn Musaid mehr als kritisch gegenüber, der älteste Sohn des 15. Sohnes von Ibn Saud, dem Staatsgründer. Als nämlich König Faisal im Jahre 1966 die Einführung des total zensierten Fernsehens in Saudi-Arabien billigte, faßte Musaid diese Neuerung als schweren Bruch der wahhabitischen Ethik und der saudischen Ehre auf- war doch die Genehmigung dieses Mediums gegen den harten Widerstand der Rechtsgelehrten oder Ulemas erzwungen worden. Der Neffe des Königs fühlte sich aufs äußerste herausgefordert und besetzte mit einigen ergebenen Gesinnungsfreunden die einzige Sendestation in der Hauptstadt Er-Riad. Ihr Protest führte allerdings nicht zu einer Zurücknahme der königlichen Entscheidung, sondern zu einem Feuergefecht mit der Ordnungspolizei, in dessen Verlauf Khaled Ibn Musaid den Tod fand. Die Erlaubnis zu diesem Vorgehen soll Faisal persönlich -415-
gegeben haben, ohne wohl damit zu rechnen, daß er sich der innersaudischen Blutrache aussetzte. Tatsächlich sah sich Faisal Ibn Musaid, der jüngere Bruder des Erschossenen, durch diese Bluttat veranlaßt, eine entsprechende Vergeltung zu üben, wie sie Koran, Sunna und Scharija unter bestimmten Bedingungen erlauben. Obgleich von offizieller Seite die lauteren Gründe des Saudi-Prinzen angezweifelt worden sind und ein gewisses Herostratentum unverkennbar scheint, bleibt doch das Faktum einer ethischen Grundhaltung: Islam nach wahhabitischem Dogma aus vorindustrieller Zeit und westliche Technik hatten sich prinzipiell auszuschließen, d.h. den Petro-Islam in jeder Form zu bekämpfen. Was diesen Faisal Ibn Musaid letztlich bewogen haben mag, bleibt wohl für immer verborgen. Aber am 25. März 1975 sah er seine historische Stunde gekommen, den Namensvetter, Blutsverwandten und Chef der Dynastie Saud vom Thron zu stoßen. Der Attentäter gehörte zum Gefolge des neuen Ölministers von Kuwait, der in Er-Riad dem König Faisal seine Aufwartung machte. Die dafür anberaumte Audienz im Regierungspalast hatte gerade begonnen (10.35 Uhr MEZ), da drängte sich der rachsüchtige Saudi-Prinz neben den kuwaitischen Minister und feuerte aus einer Pistole drei Schüsse auf Faisal ab: Der König stürzte zu Boden und riß dabei Zaki Yamani mit. Im Fallen beider waren weitere Schüsse zu hören. Sie sollen Yamani gegolten haben, trafen jedoch den saudischen Ölminister nicht. Während Faisals Leibwächter den Attentäter festhielt, holte Yamani einige Ärzte zu Hilfe - sie konnten aber das Leben des Beduinenfürsten nicht mehr retten. Sein vorzeitiger Tod war für Saudi- Arabien ein schmerzhafter Verlust. Ihm hatte das Land eine vorsichtige Modernisierung zu verdanken, ohne die Ethik des Wahhabitismus in der Substanz aufzugeben: ein gewagtes Experiment, in dessen Dienst Zaki Yamani stand und das Faisals Nachfolger nicht abbrechen -416-
wollte. Der Erbräson im Hause Saud gemäß wurde nach Faisals Ableben dessen nächster Bruder Khaled sofort Clan-Chef und der Scheich aller Scheichs, während der jüngere Bruder Fahd zum Kronprinzen aufstieg und die Regierung des Wüstenreiches übernehmen durfte. Zur großen Überraschung einiger Beobachter blieb bei diesem Personenwechsel die erwartete Entlassung Yamanis aus. Obgleich es ein offenes Geheimnis war, daß Fahds Verhältnis zum bisherigen Ölminister zu wünschen übrigließ, fand die Zusammenarbeit eine gedeihliche Fortsetzung. Bis zu König Khaleds natürlichem Tod im Jahre 1982 konnte sich also Yamani weitgehend gesichert fühlen, zumal seine Sachkompetenz unbestritten war. Die Gunst des neuen Königs festigte sich auch noch, als der Ölminister für sich selbst und das Saudi-Reich auf ungewöhnliche Weise ein hohes Maß an Ehre eingelegt hatte, ja geradezu von einer Aura des Magischen umgeben schien: Das mutige Bestehen der Geiselnahme aller Opec-Minister in Wien am 21. Dezember 1975. Sie erfolgte durch den selbsternannten Revolutionär Ilic Ramirez Sanchez aus dem Ölstaat Venezuela. Er war als TopTerrorist unter dem Decknamen »Carlos« auch deshalb auf der ganzen Welt gefürchtet, weil hinter ihm angeblich Oberst Gaddafi von Libyen stand sowie militante Palästinenser und einige westdeutsche RAF-Mitglieder, die sich in einem antifaschistischen Kampf wähnten. Zusammen mit ihnen war es Sanchez unter blutigen und dramatischen Umständen gelungen, die in Wien tagenden Ölminister der Opec-Länder in seine Gewalt zu bringen. Yamani glaubte zuerst, daß diese Aktion der Carlos-Truppe ein »Protest gegen die Erhöhung des Ölpreises« sei. Aber im Verlauf des viertägigen Irrfluges zwischen Algier und Bagdad stellte sich heraus, daß das arabische Öl wieder einmal als Waffe eingesetzt werden sollte. Diesmal jedoch nicht zur Vernichtung Israels, sondern um die revolutionäre Entwicklung der Dritten Welt -417-
voranzutreiben, d.h. die Kidnapper sahen in der Verstaatlichung der Ölindustrie das Allheilmittel gegen den Kapitalismus in Privathand. Der hektische Aktionismus der Geiselnehmer steigerte sich über diese ideologische Position aller Linken hinaus in kurzfristige Erpressungen einiger arabischer Regierungen und endete mit konkreten Todesdrohungen. Yamani als das prominente Mitglied der angefertigten Todesliste bekam denn auch von Carlos persönlich zu hören: »Wir respektieren Sie als Person. Sie werden aber getötet, weil unsere Aktion gegen Ihr Land gerichtet ist.« Diese Sippenhaft wurde zum Glück nicht vollstreckt. Aber es sollte bis zum Jahre 2001 dauern, ehe vor dem Landgericht Frankfurt am Main einer der deutschen Mithelfer der CarlosTruppe wegen »Mordes« zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Yamani mußte nicht so lange warten, ehe ihm für seine Haltung die rechte Belohnung zugeteilt wurde. König Khaled, ein »warmherziger und im Volk beliebter Mann« (Yamani), schenkte seinem standhaften und klug agierenden Ölminister bei der Rückkehr nach Er-Riad einen nagelneuen Rolls Royce. Unter diesen gefestigten persönlichen Beziehungen vermochte es Zaki Yamani in der Folgezeit, den von ihm mitgestalteten Fünfjahresplan (1975-80) in Höhe von 142 Milliarden Dollar schrittweise zu realisieren. Das heißt, Jahr für Jahr wurden etwas weniger als 30 Milliarden Dollar oder etwa 60 Milliarden Mark in den Ausbau der Infrastruktur, des Gesundheitswesens, der Sicherheitskräfte sowie der eigenen Industrie investiert. Die Voraussetzung für das Gelingen dieser gewaltigen Aufgabe aber war, daß der hohe Olpreis in einer gewissen Stetigkeit gehalten werden konnte und nicht über Gebühr steigen durfte. Yamani wußte aus leidvoller Erfahrung und genauer Beobachtung der Verhältnisse in den Industrieländern, daß man an der -418-
Preisspirale für diesen Rohstoff nicht unendlich drehen konnte, um nicht die Weltkonjunktur abzuwürgen. Mehr als einmal rief er den Preistreibern in den Reihen der Opec die Geschichte in Erinnerung: »Das erste Gesetz allen Wirtschaftens besteht darin: Steigen die Preise, dann sinkt der Konsum. Das ist ein göttliches Gesetz (divine law). Ihr könnt es nicht ändern… Preise für Arab Light klettern von 11,70 auf 18 Dollar, dann auf 24 und gar 28 Dollar. Und was wird das Ergebnis sein? Ein Absinken des Konsums…« Yamani kannte die Durststrecken oder Implosionen nach einer kurzfristigen Preisexplosion und plädierte für einen Olpreis nach Maß, der Produzenten und Konsumenten zufriedenstellte. Denn es war im Krisenjahr 1979, als die Islamische Revolution das Schah-Regime stürzte und die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, kein Geheimnis mehr, daß der seit 1973 anhaltend hohe Olpreis die westlichen Industrieländer zum Umdenken veranlaßt hatte und sogar Spar-Autos auf den Markt kamen. Außerdem erlaubte die Hochpreispolitik die verstärkte Investition beim Erschließen von Öl- und Gasvorkommen im kostenträchtigen Offshore-Bereich, namentlich in der Nordsee für Westeuropa sowie im unwirtlichen Alaska für Nordamerika. Sprach der saudische Minister in seinem Preisbeispiel zu Recht von der Spitzenqualität des »Arab Light«, wie sie vom API gemessen wird, dann meinte er einen Trendsetter in der globalen Preisbildung, der etwa dem Texas-Öl »Western Intermediate« entspricht. Und diesen zwei wichtigsten Ölsorten am Markt gesellte sich jetzt noch die Top-Qualität »Brent Blend« aus dem britischen Sektor des Nordsee-Gebietes hinzu ein neuer Faktor in der Preisgestaltung aus europäischen Ölstaaten. Mit Nachdruck warnte denn auch Yamani vor hausgemachten Überhitzungen durch die Opec. Er erntete dafür aber auf der Caracas-Konferenz des Kartells wie auch in der heimischen ÖlUniversität von Dhahran geradezu Hohngelächter, als er von -419-
einem kommenden Kollaps des Ölpreises sprach. Das Unverständnis der Ökonomen und Ölleute für seine Haltung resultierte aus ihrem alten, eindimensionalen Denken, nämlich das Öl als rein technischen Rohstoff zu betrachten. Yamani jedoch dachte immer auch die emotionale Energie bei der Preisbildung mit, stellte die politische Dimension in Rechnung und kannte den zusätzlichen strategischen Wert - gerade jetzt nach dem Überfall des Irak auf den Nachbarn Iran im Jahre 1980. Trotz dieser belastenden Faktoren war Yamani in dieser Zeit das Kunststück gelungen, die vo lle Übernahme der Aramco durch den Saudi-Staat zu günstigen Bedingungen abzuschließen und gleichsam ein Zeitalter in der Ölgeschichte friedlich und erfolgreich zu beenden: Die Sieben Schwestern, die seit gut fünfzig Jahren auch politisch die gesamte Ölszene am Golf beherrscht hatten, zogen sich weitgehend aus der Produktion zurück und begnügten sich fortan mit der Dominanz in der Vermarktung. Man könnte das Ergebnis der Aramco-Übernahme als eine Verstaatlichung auffassen, wäre da nicht der besondere Umstand, daß der Staat in Saudi- Arabien nichts anderes war als ein absolutes Erbgut des Hauses Saud: Tatsächlich fand also eine Privatisierung zugunsten der herrschenden Dynastie statt! Für Yamani selbst trug die Lösung des Aramco-Problems nicht weit. Denn er hatte sich der beduinischen Realität ziemlich entfremdet und wohl auch verdrängt, daß sich in dieser dynastisch geprägten Gesellschaft nicht alles ums Öl dreht, obgleich ohne dessen Einkünfte der materielle Lebensstandard nicht gehalten werden konnte. Zur vorindustriellen Denkweise der Beduinen aber gehörte die nicht überwundene Spannung zwischen Geheimbünden und technokratischen Aufsteigern aus den Städten Mekka und Medina: Sie wurden von den strenggläubigen Wahhabiten als leichtlebige Hijazi verachtet und auch dafür bekämpft, daß sie zwischen Islam und westlicher -420-
Verwertung des Öls keinen allzu großen Widerspruch sehen wollten. Besonders dem Geheimbund »Fatah Nejd«, der dem SaudiHaus sehr verbunden war, reichte es nach gut zwanzig Jahren, den verwestlichten Zaki Yamani länger an der Spitze des wichtigsten Ministeriums zu wissen. Diese Gegner des PetroIslam drängten deshalb auch beim neuen König Fahd seit 1982 auf die Entfernung des Emporkömmlings noch aus Faisals Zeiten, zumal er den lange vorhergesagten Preisverfall nicht aufhalten konnte. Als sich Yamani, dessen Vorfahren aus dem Yemen stammten, auch noch dagegen wehrte, sein Ministerium der Kontrolle des Finanzministers zu unterstellen, hatte er das von Fahd geduldete Intrigenspiel am Saudi-Hof verloren. Am 29. Oktober 1986, dem Jahrestag des Schwarzen Freitag von 1929, saß er in Er-Riad mit Freunden zusammen und spielte Karten, ohne wohl zu ahnen, daß im Saudi-System das patrimoniale Prinzip von »Hire and Fire« auch für ihn gelten konnte: Aus einer Nachrichtensendung des Fernsehens erfuhr Zaki Yamani, daß man ihn ohne Angabe von Gründen entlassen hatte. Mit der Ära Yamani von 1962 bis 1986 war nicht nur der märchenhafte Reichtum der Saudis durch steigende Öleinnahmen verbunden. Es wurde in dieser Expansions zeit auch wenig dafür getan, im eigenen Land auf Sparsamkeit und Umweltschutz zu achten. Bei einem Spottpreis für Benzin von 22 Pfennig und für Diesel von 5 Pfennig (Stand 1990) war es wohl nicht einfach, den Spaß am eigenen Überfluß durch eine Mineralölsteuer zu trüben. Dafür duldete man in den saudischen Städten Luftverschmutzungen, deren »wabernde Abgasschwaden bis ins letzte Krankenzimmer dringen« (Müske). Statt frühzeitig zur Konservierung der eigenen Ölreserven die Solarenergie dieses Sonnenlandes zu nutzen oder auch die Geowärme aus stillgelegten Fördersonden, wurden Unmengen -421-
heimischen Öls sinnlos verbrannt. Erst die schweren Ölpreiskrisen mit dem von Yamani vorhergesagten Kollaps in den 1980er und 1990er Jahren haben zu einem Umdenken geführt und ga r Veränderungen geschaffen, die lange Zeit undenkbar schienen. Im Bestreben, den liberalen Forderungen der neuen World Trade Order wenigstens annähernd zu entsprechen, ist seit der Jahrtausendwende sogar Eigentumserwerb für auswärtige Unternehmen möglich, allerdings nicht im Sinne von Oil property. Für diese und andere Öffnungen soll der 1999 geschaffene Hohe Wirtschaftsrat den weiteren Boden bereiten, um die ökonomischen Belange des »größten Ölproduzenten der Welt« (Financial Times) der neuen Situation anzupassen. Zu ihr gehört nicht nur die Tatsache, daß Saudi-Arabien auf dem internationalen Kapitalmarkt verstärkt Kredite aufnimmt, sondern auch das leidige Problem, die Spannung zwischen Überproduktion und Verknappung jedes halbe Jahr tarieren zu müssen. Im Rahmen einer Opec, die nur noch etwa ein Drittel des Ölangebotes liefert und von Yamani als privatem Energieberater schon mehrfach totgesagt worden ist, aber immer noch existiert - ihre Politik ist auf einen stabilen Leitpreis zwischen 22 und 28 Dollar pro Faß gerichtet. Trotz aller Anstrengungen, auch in den künftigen Zeiten der New Economy mit der bisherigen Monostruktur zurechtzukommen, bestehen erhebliche Zweifel daran, daß Saudi-Arabien sein ökonomisches und politisches Gewicht bewahren kann. Denn es sperrt sich einer grundlegenden inneren Liberalisierung und blockiert damit gesellschaftliche Energien, die es zur Bewältigung seiner Zukunftsaufgaben dringend braucht. Dazu gehören im technischen Bereich vor allem die seit 1968 im »Leeren Viertel« niedergebrachten Tiefbohrungen, die erheblich erweitert werden sollen. Sie stießen auf ein hochwertiges Öl. Es muß aber mit aufwendigen Maßnahmen aus diesem extrem heißen Wüstengebiet an der Grenze zum Yemen -422-
hin zu den Küsten geschafft werden, was ohne auswärtige Hilfe kaum möglich ist. Wird man diese technische Herausforderung lösen können, so scheint es ungleich schwieriger zu sein, den bisher gepflegten Petro-Islam beizubehalten. Denn die Fundamentalisten in den eigenen Reihen sind nicht untätig, und religiöse Radikale wie Ibn bin Laden aus den Kadern der saudischen AfghanistanKämpfer bleiben auch für die Zentralmacht des Islam unberechenbar: ein Bauunternehmer, dessen eigener Clan in der Yamani-Ära steinreich geworden ist. Es könnte angesichts dieser Spannunge n zwischen Technik und Ethik gut sein, daß der Gedanke des Beduinenfürsten Faisal in T. E. Lawrence' berühmtem Buch Die Sieben Säulen der Weisheit dann einer bitteren Wahrheit gleichkommt, sobald das dynastische Prinzip der Saudis zermürbt und das arabische Öl überall auf der Welt zu Schadstoffen verbrannt ist. Im Gespräch mit einem Europäer über die Zukunft der Araber zwischen Dhahran und Dschidda verweist Faisal auf »ein schwaches Volk, das sich an sein bißchen Eigentum klammert«, und sieht so lange die »Gemütsart eines Krüppels« am Werk, bis dieses Volk »endlich seine Füße gefunden hat…«
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»KEIN BLUT FÜR ÖL« Ein bizarrer Traum - Macht-Algebra - Befreiung Kuwaits Nostradamus hätte sich in seinen Prophezeiungen zum künftigen Wüten des »Untieres von Bagdad« eine solch rußige, klebrige und giftige Hölle auf Erden kaum schlimmer ausmalen können. Der hellichte Tag verwandelte sich über Kuwait City in pechschwarze Nacht, und diese änderte sich im brennenden Hinterland des großen Ölfeldes von Burgan zum feuerroten Tag - als wäre es die Apokalypse selbst. Die weltweit entfachte Erregung am Ende des sonderbaren Krieges um Kuwait im Februar 1991 war verständlich. Denn Spezialeinheiten des irakischen Diktators Saddam Hussein hatten bei ihrem durch UNO-Truppen erzwunge nen Rückzug aus Kuwait verbrannte Erde hinterlassen und dabei etwa 600 Förderanlagen für Öl und Gas in Brand gesteckt. Bei diesem makabren Schauspiel wurde der technisierten Menschheit das in einem lokalen Inferno vor Augen geführt, was sie selbst täglich in Milliarden Verbrennungsapparaten vom Feuerzeug bis zur Rakete ohne großes Wehklagen vollzieht: eine individuell betriebene und global wirkende Aufladung der gesamten Biosphäre mit allerlei Schadstoffen aus verbranntem Rohöl, wie es seit 1938 auch in Kuwait erschlossen wird. Seine Geschichte war der Weltöffentlichkeit aber erst so richtig bewußt geworden, als die Armee Saddam Husseins Anfang August 1990 das Scheichtum in einem Überraschungsschlag militärisch besetzte und zur 19. Provinz der Republik Irak erklärte, die sich ideologisch als Zentrum der »Wiedergeburt« (Baath) arabischer Größe auffaßte. -424-
Sofort waren sich vornehmlich die westlichen Medien und Politiker darin einig, daß es nach dem Golfkrieg zwischen dem Irak und dem benachbarten Iran (1980-88) auch in diesem Konflikt wieder einmal nur ums leidige Öl gehen könne. Kein Wunder, daß im Verlauf der sich steigernden Krise die Proteste besonders bei Friedensdemonstrationen der politischen Linken zwischen Berlin und Berkeley in dem Slogan gipfelten: »Kein Blut für Öl.« Mit diesem äußerst emotional wirkenden Schlagwort, das darauf gerichtet wurde, die US-Politik am Golf zu verteufeln, geht die historische Erinnerung bis zu Georges Clemenceau zurück. Er hatte als Ministerpräsident Frankreichs 1917 die Lage richtig eingeschätzt, als er auf den sofortigen Kriegseintritt der USA drang und den Notstand der Westmächte im Krieg gegen das Deutsche Reich Kaiser Wilhelms II. beim rechten Namen nannte: »Wir brauchen Öl so nötig wie Blut.« Die Änderung in der Mentalität innerhalb zweier Generationen vermittelt auf bezeichnende Weise, daß dem Öl noch mehr anhaften muß als nur berechenbare ökonomische Größen zur Profitmaximierung. Die Tatsache allein, daß der Irak und Kuwait das Öl nicht als Mangelware betrachteten, sond ern im Überfluß besaßen und mittels der Opec vermarkteten, sollte zu denken geben: Nicht anders der Umstand, daß sich der Irak nach dem Sturz des Haschemiten-Regimes im Jahre 1958 verstärkt als ein Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches betrachtete, das 1918 aufgelöst wurde und eine Reihe historisch bedingter Konflikte hinterließ - mit Eigentums-Ansprüchen aus vorindustrieller Zeit.
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Ein bizarrer Traum Als am 16. Februar 1899 der Vizekönig von Indien - Curzon of Kedlestone - ein Schutzabkommen zwischen dem Scheich von Kuwait und Großbritannien ratifizierte, wurde eine eigenartige Bestimmung rechtskräftig. Der damals herrschende Emir Mubarak bin Shaik Sabah »bindet sich, seine Erben und Nachfolger, keinen Teil seines Territoriums an irgendeine Macht oder Regierung abzutreten, zu verkaufen, zu vermieten oder zu verpachten oder zur Besitzergreifung in irgendeiner anderen Art freizugeben, ohne vorher die Regierung Ihrer Majestät in dieser Angelegenheit kontaktiert zu haben…« (AbuHakima). Bekanntlich sind nach westlichem Rechtsverständnis besondere Kontakte noch keine Kontrakte. Der spektakuläre Gerichtsfall »Pennzoil gegen Texaco« von 1985 hat gerade darauf mit allem Nachdruck hingewiesen, daß Kontakte im Geschäftsleben in ihrem Eigenwert nicht als ein Deal oder geschlossener Vertrag betrachtet werden dürfen. Auf die Bedingungen des Schutzabkommens von 1899 übertragen räumte sich also die britische Seite einen ziemlich großen Spielraum ein, den patrimonial gesicherten Erb-Emir von Kuwait unter gehöriger Kontrolle zu halten und seine Kontakte genauso intensiv zu beobachten wie seine möglichen Verträge. Gleichzeitig ließ die getroffene Formulierung den Vorbehalt zu, daß die britische Schutzmacht von sich aus Änderungen am Territorium des Scheichtums vornehmen konnte, falls es ihr politisch opportun erschien. Hinter diesen erheblichen Einschränkungen stand die Überlegung, die »Kleine Festung«, wie Kuwait übersetzt heißt, als strategisch wichtigen Brückenkopf zu betrachten, um den Weg nach Indien zu sichern. Konnte das Scheichtum an der Südküste des Golfs noch 1913 -426-
davon ausgehen, daß die gezogenen Grenzen weiterhin garantiert blieben, so sah es sich im Abkommen von al-Uquair (1922) gezwungen, etwa zwei Drittel seines Gebietes an den Nachbarn Ibn Saud abzutreten: Ein herber Verlust an Substanz und Prestige. Er hatte etwas mit der Tatsache zu tun, daß der Saudi-Chef den Briten während des Ersten Weltkrieges gegen die Türken ein wichtiger Verbündeter war und nun auf eine territoriale Entschädigung drang. Als Argument für diese Verschiebung in den Besitzlagen, zu denen auch noch zwei sogenannte »Neutrale Zonen« zugunsten nomadisierender Beduinen-Stämme eingerichtet wurden, gab man von britischer Seite vor, daß sonst Ibn Saud die militärische Eroberung des gesamten Scheicht ums Kuwait gewagt hätte - lange vor den dortigen Ölfunden. Eine Art Wirtschaftskrieg der Saudis mit Waren-Embargo für die Kuwaitis bekräftigte nach der Grenzziehung von 1922, wie entschlossen, unberechenbar und aggressiv Ibn Saud sein konnte, sobald er dynastische Interessen wahrzunehmen hatte. Mochte auch die Gründung des souveränen Saudi-Staates im Jahre 1932 für eine gewisse Beruhigung gegenüber Kuwait sorgen, so deuteten sich bald neue Herausforderungen an: Das Gerangel der britischen BP mit dem amerikanischen Ölkonzern Gulf um Bohrrechte und Förderkonzessionen in Kuwait. Als Regierungskonzern und Versorger der britischen Weltflotte konnte BP nach Maßgabe des Schutzabkommens von 1899 eine absolute Priorität auf Kuwaits Territorium beanspruchen. Doch die Konzernleitung nahm die einzigartige Option nicht wahr und eröffnete aufgrund ihres Desinteresses dem unermüdlichen Ölpionier Frank Holmes die große Chance, ab 1925 in Kuwait nach Öl zu suchen - gedeckt von seiner guten Bekanntschaft mit dem Sabah-Scheich. Trotz intensiver Bemühungen gelang es aber Holmes nicht, nennenswerte Vorkommen zu finden. Frustriert verkaufte er deshalb im Jahre 1927 seine Konzessionen der amerikanischen -427-
Gulf aus Texas, hinter der wiederum die Mellon-Bank aus Pittsburgh stand. Mit dieser historisch gewordenen Entscheidung beschleunigte sich auch die US-Politik der »Offenen Tür«. Darunter verstand man in Washington eine ökonomische Öffnung der Golf- Region für US-Unternehmen, deren Tätigkeit im Öl sektor von Fall zu Fall auch politisch genutzt werden konnte: Gezielte Interventionen der hohen Politik von London und Washington aus führten nicht umsonst zur Kern-Gesellschaft der 1933 gegründeten Kuwait Oil Company (KOC). Das vordringliche Ziel dieses Unternehmens bestand zunächst nur darin, dem Sabah-Scheich das Konzessionsrecht im eigenen Herrschaftsgebiet zu sichern. Dessen Versuche, in Geheimverhandlungen mit einem britischen Privatunternehmen, das von Basra (Irak) aus operierte, die eigene Position im Ölgeschäft zu verbessern, schlugen fehl. Am Ende dieser ernsthaften Krise konnte man sich darauf einigen, mit Hilfe der KOC ein britischamerikanisches Condominium aufzubauen. Schwer unter Druck gesetzt gewährte der Sabah-Scheich eine sehr langfristig angelegte Konzessionszeit: Vom 23. Dezember 1934 bis zum Jahre 2009 sollten die 6178 Quadratmeilen Kuwaits nach Ölvorkommen abgesucht werden. Ein wirklich kühner Plan. Dessen Stoßrichtung war jedoch weniger ökonomisch als politisch ausgerichtet. Denn das Abkommen schloß ganz im Geist des Schutzvertrages von 1899 andere Ölinteressen vollständig aus. Wollten auch die Habenichtse wie das Königreich Italien, das Deutsche Reich oder das Kaiserreich Japan in der Golfregion tätig werden, um ihre Ölbasis zu erweitern, so sahen sie sich von Briten und Amerikanern abgedrängt. Von zwei Globalmächten, die es bei der Gründung der UNO im Jahre 1945 verstanden, diese Verlierer des Zweiten Weltkrieges als Feindstaaten der ganzen Welt zu brandmarken: Eine Zuordnung, die zwar seit 1955 storniert, aber bis heute nicht gänzlich aufgehoben worden ist! -428-
Der Vorrang dieser geopolitischen und militärstrategischen Dimension verstärkt sich noch, wenn man bedenkt, daß zur Gründungszeit der KOC nur auf der benachbarten Golfinsel Bahrain Öl gefunden worden ist. Bei einer geologischen Erkundung wurde zwar bereits 1913 südlich der Hauptstadt Kuwait City ein Ausbiß festgestellt, dessen Bitumen die Beduinen als Heilmittel für ihre verletzten Kamele nutzten. Doch dieser und andere Hinweise an der Oberfläche des wüstenhaften Landes wie der Vergleich mit dem persischen Ölfeld Ahwaz oder dem irakischen Ölgebiet um Kirkuk konnten in der Bohrpraxis nicht bestätigen, daß Kuwait nennenswerte Vorkommen dieses Rohstoffes besaß.
Feuerwand über der verbrannten Erde Kuwaits nach dem Abzug der irakischen Truppen im Februar 1991 -429-
Verständlich, daß die zahlreichen Bohrteams ziemlich frustriert waren und wenig von der angewandten Ölgeologie hielten. Allerdings teuften sie nur Flachbohrungen ab, wagten sich also nicht an Tiefbohrungen über 800 oder gar 2000 Meter. Dieser kostenzehrende und nervtötende Zustand hielt an, bis die Verwirklichung eines bizarren Traums die Lage veränderte und Kuwait allmählich ins Blickfeld auch amerikanischer Interessen rückte. Dieses nächtliche Erlebnis, das an August Kekulés Tagtraum zur Struktur des Benzolrings erinnert, hat Harold Dickson der Nachwelt überliefert. Er arbeitete seit 1936 als Vertreter der KOC und kannte den wachsenden Mißmut unter den Bohrteams, die nach jedem mühsamen Versuch vor einem trockenen Loch standen. Er träumte nach eigenen Angaben Ende September 1937 ein merkwürdiges Szenario: »Eines Nachts erhob sich ein Sturm von einer Gewalt, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Als der Morgen dämmerte, blickten wir nach draußen und sahen, daß sich der Sturm gelegt hatte. Neben einem Feigenbaum aber war ein großes Loch entstanden, etwa 100 mal 100 Fuß groß. In der Mitte seines Auswurfs stand ein Tisch. Darauf lag eine Steinplatte und auf dieser gewahrten wir eine Gestalt in einem alten, gelben Gewand. Ihr Gesicht glich dem einer jungen und schönen Frau mit harter, mumifizierter Haut. Mir war klar, daß der Sturm ein altes Grab freigelegt hatte. Es war ein grausiger Fund und so beeilte ich mich, einige Leute zu finden, um das Grab wieder zuzuschaufeln. Als ich mich umdrehte, zeigte meine Frau erregt auf das Gesicht. Es veränderte sich langsam und wurde lebendig. Wir erstarrten vor Schreck. Die Pergamenthaut wurde weich, Farbe belebte die Wangen und der Körper begann zu atmen. Dann öffneten sich die Augen, die Frau richtete sich auf und sagte in einem alten Arabisch: ›Mich friert nach vielen tausend Jahren Schlaf - gebt mir warme Kleidung und etwas zu essen‹. Dann -430-
reichte sie uns eine Kupfermünze.« Ob die junge Frau wirklich das Öl und die Münze den künftigen Re ichtum Kuwaits symbolisieren, mag in seinem subjektiven Wert bleiben. Aber wichtig ist hier, daß der Engländer Dickson von einer beduinischen Traumdeuterin den Hinweis bekommen haben will, im Hügelgebiet von Burgan bohren zu lassen, südlich von Kuwait City und an einem Feigenbaum. Doch selbst hier wollte es nicht gelingen, eine ergiebige Lagerstätte zu erschließen, bis ein Bohrtrupp der KOC endlich am 24. Februar 1938 auf das Burgan-Feld stieß - ein Giga-Vorkommen, das Ölgeschichte machte. Die Ausdauer und Erfahrung des Frank Holmes, den die Kuwaitis später zu Recht mit dem Titel »Abuel-Naft« (Vater des Öls) ehrten, sowie die Sensibilität und Sturheit Dicksons haben demnach dazu geführt, mit Hilfe westlicher Technik das Schwarze Gold unterm Wüstensand zu entdecken. Wieder einmal waren es jedoch nicht die Araber selbst, die sich aus eigener Kraft helfen konnten, sondern von außen mußten die entscheidenden Anstöße und Unterstützung kommen. Allerdings durften sich die Sabah-Dynastie und die KOC an dem überrasche nden Bohrerfolg nicht sonderlich lange erfreuen. Denn für die geförderten Mengen fehlten Lagerkapazitäten, Transportanlagen, ein Verarbeitungssystem und ein Verladehafen. In Ermangelung all dieser strukturellen Voraussetzungen für eine funktionierende Ölindustrie griff die KOC in ihrer Not zum denkbar schlechtesten Mittel: Der geförderte Rohstoff wurde einfach angezündet und sinnlos abgefackelt. Waren der symbolträchtige Wüstensturm im Traum Dicksons und die künstlich gelegten Ölbrände eine Art Menetekel für die Zukunft im Kriegsjahr 1991? Tatsache ist, daß trotz des hohen Ölbedarfs im Zweiten Weltkrieg das Kuwait-Vorkommen nicht für die Kriegsführung der Alliierten genutzt wurde! Erst ab 1946 war man auch technisch in der Lage, die Produktion des Burgan-431-
Feldes und bald auch anderer Lagerstätten in der südlichen Neutralen Zone aufzubereiten und ihr Rohöl am Weltmarkt anzubieten - dank auch der Getty Oil, die ab 1949 in diesem Gebiet immer wieder fündig geworden ist. Über diese technische Seite hinaus bemühte sich der herrschende Sabah-Clan, eine weitgehende Abstimmung mit Saudi-Arabien zu treffen, um auf diese Weise auch in die geopolitische Schutzsphäre vor allem der USA zu kommen, ohne jedoch deren Verbündeter zu sein oder nach dem Abzug der Briten im Jahre 1968 zu werden. Die Vorteile dieser Anlehnung ohne unmittelbare Bündnispflicht bestätigten sich während der inneren Opec-Kämpfe mit Persien, dem Irak und später auch mit Libyen. Nicht wesentlich anders verhielt es sich bei der Gründung der Oapec als Sonderorganisation der arabischen Opec-Mitglieder im Jahre 1968 und nach dem Sechstagekrieg mit Israel: Besonders der Sabah-Clan leistete sich mit der Oapec eine gewisse Politisierung der arabischen Ölproduzenten, ohne jedoch dadurch die Opec selbst in ihrem Bestand gefährden zu können. In ihren Handlungsrahmen gehörte auch die arabische Solidarität mit dem kriegführenden Irak unter dem Diktator Saddam Hussein. Er konnte sich während seiner Auseinandersetzung mit dem Iran zwischen 1980 und 1988 auf Saudi-Arabien und Kuwait verlassen, die ihm großzügig halfen, sein Öl zu vermarkten. Diese tätige Nachbarschaftshilfe schloß allerdings nicht aus, daß gewisse Kontakte zum schiitischen und revolutionären Iran hergestellt wurden und schon wegen der Pilger nach Mekka gepflegt werden mußten. Unter dem Druck der Amerikaner beteiligte man sich sogar an einem der merkwürdigsten Waffengeschäfte überhaupt: Es ging als Irangate in die politische Geschichte ein und macht ein unrühmliches Kapitel in den Beziehungen Amerikas zur Golfregion aus, das ihrem Ruf sehr geschadet hat. Die wahren Hintergründe, in die auch der Öl- und -432-
Waffenhändler Adnan Kashoggi verwickelt gewesen sein soll, werden wohl nie ganz aufgeklärt werden können. Aber einiges davon ist bis heute doch an die Öffentlichkeit gedrungen, die vor allem erlebte, wie sich US-Präsident Ronald Reagan zu rechtfertigen wußte. Er beschuldigte dabei besonders den Präsidentenberater Admiral Poindexter (Weißes Haus), den Obersten North (Nationaler Sicherheitsrat) und den CIA-Chef Casey, gegen ihre Amtspflichten verstoßen zu haben, indem sie den Präsidenten angeblich nur unzureichend über das ÖlWaffen-Geschäft informiert hätten. Im Kern ging es bei dieser auch Kuwait berührenden Affäre um folgenden Sachverhalt: Aus einem Waffengeschäft zwischen der Islamischen Republik Iran und amerikanischen Zwischenhändlern wurden insgeheim mehrere Millionen Dollar abgezweigt. Dieses Geld sollte den Contra-Rebellen in Nicaragua helfen, auf dem internationalen Waffenmarkt dringend benötigtes Kriegsmaterial zu kaufen - zur Fortsetzung des Kampfes gegen die Revolution der Sandinisten. Zu Einzelheiten dieses heimlichen Deals um mehrere Ecken ist bisher so viel bekannt geworden, daß Bill Casey im Jahre 1984 den neuen saudischen König Fahd getroffen hat, auf dessen Prunkjacht »Abdul Aziz« vor Marbella in Südspanien. Casey soll dabei den Saudi-Chef für den Plan gewonnen haben, als Mittelsmann der US-Politik einen geheimen Weg nach Teheran zu ebnen, ohne mit dem Revolutionsführer Khomeini unmittelbar konfrontiert zu werden. Tatsächlich gelang es Fahd unter geschickter Umgehung des Ölministers Zaki Yamani, mit dem iranischen Ölminister Agazadeh eine für dieses Waffengeschäft tragfähige Verbindung herzustellen: Allerdings hat sie dem Traum der Contras in Nicaragua nur wenig genützt, die Sandinisten von der Macht zu verdrängen. Wie stark Kuwait und damit der Sabah-Clan in diesen schwarzen Kanälen der Geopolitik mitgemischt hat, ist noch nicht geklärt. Aber das Scheichtum fühlte sich neben den Saudis -433-
als wichtiger Faktor im Klärungsprozeß der anhängigen Streitfragen. Seine Bemühungen von 1988 um einen Waffenstillstand zwischen Irak und Iran lassen ein erhöhtes Engagement erkennen, schon aus vitalem Eigeninteresse. Denn nach acht Jahren Abnutzungskrieg mit unendlichem menschlichen Leid und ökonomischer Belastung standen die beiden verfeindeten Nachbarn genau dort, wo sie schon 1975 im Abkommen von Algier auf friedliche Weise einen Kompromiß geschlossen hatten: Bei der gegenseitigen Anerkennung der Grenzen am Schattal-Arab, dem Zusammenfluß von Euphrat und Tigris vor dem Eingang in den Golf. Damit aber waren auch Ansprüche Kuwaits tangiert, die sich auf Inseln im Mündungsgebiet bezogen und zu einem Streitfall, ja Kriegsgrund werden konnten. Soweit war es zwar 1988 noch nicht. Aber am Ende des Iran-Krieges, der auch mit verdeckter Unterstützung Kuwaits geführt worden war, zeigte sich, daß sich das Emirat in eine gewisse Isolierung befördert hatte. Es war 1961 von Großbritannien als souveräner Staat in die Unabhängigkeit entlassen worden, nahm seine Rolle in der Opec als Vollmitglied wahr, fühlte sich auch als 111. Staat in der UNO gesichert und glaubte, daß die Teilnahme an der Arabischen Liga wie am Golf-Kooperationsrat (GCC) oder in der Opec ausreichte, um gegen jeden Übergriff eines Nachbarn gefeit zu sein. Aber wie stark der Druck auf dem kleinen Land lastete, ergab sich bereits aus dem sogenannten Tankerkrieg seit 1987, als sich Kuwait durch den Iran an der freien Schiffahrt im Golf behindert sah und nur mit Mühe die USA veranlassen konnte, kuwaitische Tanker unter den Schutz der amerikanischen Flagge zu stellen. Gleichzeitig erschütterte eine Terrorwelle das sonst so friedliche Emirat, deren Urheber im Dunkel geblieben sind. Aber ihre Bomben lösten eine Reaktion aus, die den Sabah-Clan handeln ließ und ihn veranlaßten, die seit 1961 praktizierte Demokratie außer Kraft zu setzen und über das ganze Land -434-
einen Ausnahmezustand zu verhängen. Man brachte von 1986 an das Kunststück fertig, eine Art Notstandsdiktatur zu errichten, ohne daß deswegen die Ölindustrie oder die eigenen Aktivitäten als globale Finanzmacht sonderlich verändert werden mußten: Ähnlich wie in Er-Riad der Saudi-Clan oder in Bagdad der Hussein-Clan schaltete der Sabah-Clan in Kuwait City, wie er es für richtig fand, ohne sich wie bisher von einem Parlament oder einer auswärtigen Macht wie einst GroßBritannien kontrolliert zu fühlen. Im Zeichen des dynastischen Prinzips mit seiner absoluten Verfügungskompetenz über alle Ressourcen des Erb-Emirats entwickelte sich ein Machtverhalten, das sich bald verhängnisvoll auswirken sollte, besonders als es auf die gleiche Mentalität traf, aber einen fundamentalen Faktor der eigenen Sicherung nicht genügend ins Spiel bringen konnte Streitkräfte, die das Land vor einem Angriff wirklich schützten oder zumindest für einen möglichen Aggressor zu einem Risiko machten.
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Macht-Algebra Araber auf der Suche nach ihrer historischen Identität außerhalb des sunnitischen Islam zehren heute noch von dem einst weltweit guten Ruf, Erfinder der Algebra, Meister in der Medizin und Wegbereiter der Astronomie gewesen zu sein. Diese geistigen Kräfte von einst sind aber trotz des Ölreichtums seit zwei Generationen nicht zurückgekehrt. Vielmehr herrscht in den dynastisch geprägten Golfstaaten das lähmende Ba'dain vor, eine Art Müßiggang, der sich mit Petro-Dollars alles im Ausland kaufen kann und nichts im eigenen Land entwickeln muß. Dieses Phänomen einer geistigen Implosion aufgrund materiellen Überflusses, der nicht erarbeitet worden ist, kennt die Geschichte vor allem aus dem Niedergang Spaniens. Es vertrieb 1492 nicht nur die arabischen Mauren und die luden als Eliten, sondern vernachlässigte auch die eigene innere Entwicklung: Mit dem »kalten Gold« aus Lateinamerika konnten Spanier auf dem europäischen Markt alles erstehen, ohne sich selbst anstrengen zu müssen, bis sie mental, ökonomisch und auch politisch zermürbt waren - im Krieg gegen die USA und mit dem Verlust Kubas im lahre 1898 zum Armenhaus Europas geworden. Unbesehen dieser historischen Analogie verstehen sich die meist im Westen ausgebildeten Eliten der arabischen Golfstaaten auf eine besondere Macht-Algebra. Sie läßt sie mitunter nach den Sternen greifen, blendet dabei auch wohlmeinende Europäer oder Amerikaner in ihrer »Arabitis« und kennt nur diese Logik: »Der rechte Weg quer über einen Platz geht an drei Stellen entlang« (Lawrence). Dieses Modell der Krisenbewältigung und Konfliktlösung, stets drei Optionen in der Hinterhand zu halten, findet sich -436-
immer wieder in der Außen- wie Innenpolitik arabischer Staaten. Es verfährt im Prinzip nach dem aus dem europäischen Absolutismus bekannten Muster dynastisch oder tribalistisch begründeter Winkelzüge, wie es Familien- und Erbpolitik kennzeichnet: »Der Feind meines Feindes ist ein Freund.« Ein derartiges Verhalten im Macht- und Prestigepoker hat wenig mit Öl, aber viel mit Mentalität und psychologischer Kriegführung zu tun. Gerade darin aber waren die Politiker des Sabah-Clans nicht sonderlich geübt. Sie hätten sonst frühzeitig erkennen müssen, daß sich mit dem Abzug der Briten 1968 für Kuwait eine Art Sicherheitsvakuum entwickelte, das zu einem Risiko höchsten Grades werden mußte, wenn auch nur ein Nachbar genügend Lust verspürte, sich das reiche Erb-Emirat einzuverleiben. Die Politik der Anlehnung an Saudi-Arabien, das dem Scheichtum einst zwei Drittel seines Territoriums genommen hatte, sowie an die USA, denen man allerdings einen militärischen Stützpunkt verweigerte, schien lange Zeit Garantie genug zu sein, um die lang ersehnte Unabhä ngigkeit als Staat zu bewahren. Als aber der Iran-Krieg bedrohliche Formen annahm, glaubte man in Kuwait City, es würde wohl genügen, von den USA ein paar Flugabwehrraketen vom Typ Stinger sowie F-16Flugzeuge zu kaufen, um sich zu wappnen: Ronald Reagan aber lehnte ab! Statt den zahlungskräftigen Kuwaitis diese begehrte Militärtechnik zu liefern, soll ihnen nur veraltetes Gerät angeboten worden sein. Ihr Stellenwert als Ölland und Kapitalmacht schien in Washington nicht sonderlich hoch geschätzt zu sein. Erst als Kuwait in seiner Blockfreiheit bei den Sowjets vorstellig wurde, um vom Kreml moderne Abwehrwaffen geliefert zu bekommen, schreckte Washington auf, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Macht-Algebra eine ungünstige Konstellation anzeigte - war doch die Sowjetunion mit dem Irak durch einen Freundschaftspakt verbunden. -437-
Es bestand also die Gefahr, Kuwait unter dem Regierungschef Saadal-Sabah könnte ins Lager des Irak abdriften und damit die Stabilität wie das Gleichgewicht in der Golfregion gefährden. Mit der Entscheidung, elf kuwaitische Tanker unter den Schutz von »Stars and Stripes« zu stellen, kam man zwar den Kuwaitis entgegen. Aber diese Schaukel-Politik signalisierte auch den Strategen in Bagdad, daß es sich bei Kuwait um das schwächste Glied in der Sicherheitskette der USA am Golf handeln mußte. Zu dieser Kombination aus Blockfreiheit, Sicherheitsvakuum, Selbstisolierung und Schaukelpolitik zwischen den damaligen Blöcken kamen noch einige Faktoren hinzu, die Kuwait gefährlich werden konnten. Der Preis-Kollaps für Rohöl seit 1986 machte es dem Irak schwer, seinen Abnutzungskrieg gegen den Iran zu finanzieren. Saddam Hussein schob einen Teil der Verantwortung für den globalen Preisverfall dem Nachbarn Kuwait zu, der das gemeinsame und grenzüberschreitende Ölfeld Rumaila angeblich über Gebühr ausbeutete. Ja, wegen seiner Preispolitik innerhalb der Opec galt Kuwait plötzlich in Bagdad sogar als »Aggressor«, der dem kämpfenden Irak in den Rücken fällt. Zu allem Unglück betrieb Kuwait auch noch zur gleichen Zeit die Sicherung der äußerst umstrittenen Insel Bubiyan im Mündungsgebiet des Schattal-Arab, ohne mit dem Irak die historisch bedingten Rechts- und Eigentumsfragen erörtert oder gar verbindlich beantwortet zu haben. Nimmt man noch zu all diesen Einze lfaktoren, die für sich allein schon einen Kriegsgrund bilden konnten, das Faktum hinzu, daß der Irak mit Saudi-Arabien 1989 einen Nichtangriffspakt geschlossen hatte, ohne Kuwait ausdrücklich als schutzwürdigen Nachbarn und befreundeten Dritten einzubezie hen, dann wird eine weitere Schwachstelle sichtbar das politisch gefährliche Ausgrenzen des Emirats aus einer bilateralen Sicherheitsstruktur seiner wichtigsten Anrainer. Ungeschick, Ignoranz und Fehleinschätzungen luden eine brisante Lage auf. Zu ihrer friedlichen Lösung hätte es -438-
vornehmlich der Einsicht bedurft, daß die von Kuwait so hoch bewertete Souveränität als Staat dann eine Schein- Existenz bedeutete, wenn sie nicht durch Bündnisse mit militärisch Stärkeren gesichert werden konnte: Aus eigener Kraft war das Emirat dazu nicht in der Lage, und Geld allein genügte nicht, sie auf Dauer zu bewahren. Diese bittere Lektion in Sachen nationaler Sicherheitspolitik mußten die Vertreter Kuwaits 1990 während eines Geheimtreffens lernen. Sie waren unter der Vermittlung des Saudi-Königs Fahd in Dschidda am Roten Meer mit Unterhändlern des Irak zusammengekommen. Was von diesem hochdramatischen Treffen bisher bekannt geworden ist, gleicht den Macht-, Erb- und Interessenkämpfen, wie sie auch in den dynastischen Diktaturen Europas vor 1918 üblich waren und nichts spezifisch Arabisches sind. Dabei verlangte der Irak, der vom Clan des Saddam Hussein mittels dreier Geheimdienste bis ins letzte Beduinenzelt beherrscht wurde, für seine Kriegsverluste nicht weniger als 10 Milliarden Dollar. Diesen Betrag sollte Kuwait allein nach Bagdad überweisen. Statt aber die Summe zu akzeptieren, um eine drohende Katastrophe zu vermeiden, deren Kosten wohl das Zehnfache der irakischen Forderung ausmachte, erklärte sich dessen Verhandlungsführer und Dynastie-Vertreter Saadal-Sabah nur bereit, 9 Milliarden zu entrichten. Das vorzeitige Scheitern dieser innerarabischen Konferenz über Kriegsschulden konnte in letzter Minute nur dadurch verhindert werden, daß Saudi-König Fahd die fehlende Milliarde zuschoß - als besonderes Geschenk zur Festigung der guten Nachbarschaft zu beiden Staaten an der Nordgrenze. Als sich nach diesem Angebot aus saudischer Machtfülle eine gewisse Beruhigung eingestellt hatte, soll sich der Sabah-Prinz und Regierungschef Kuwaits noch einmal heftig exponiert haben. Als Gegenleistung für den Beitrag Kuwaits zu den -439-
Kriegslasten des Irak verlangte er die Erfüllung eines seit 1922 gehegten Wunsches: »Wir müssen jetzt endgültig den Verlauf unserer Grenzen festlegen.« Eine derartige Forderung am Ende eines schweren Verhandlungspokers konnte auf irakischer Seite nur als Affront aufgefaßt werden. Denn Ezrat Ibrahim, der Delegationsleiter des Irak, hatte für ein solches Junktim kein Verhandlungsmandat von Saddam Hussein erhalten: Er mußte also die zugemutete Kopplung ablehnen. Es wurden harte Worte gewechselt, die Saadal-Sabah noch mit dem provozierenden Hinweis angeheizt haben soll, daß Kuwait ausgerechnet eine Versicherung der britischen Regierung besäße, nicht vom Irak angegriffen zu werden. Als ob die Stimmung nicht schon an einem diplomatischen Kochpunkt angekommen sei, verstieg sich der Prinz noch zu der trotzigen Gegenrede: »Kuwait hat sehr mächtige Freunde…« Man schrieb zu diesem Zeitpunkt den 1. August 1990. Saddam Hussein und die weitere Führung des Baath-Regimes in Bagdad konnten sich während der anstehenden Zerreißprobe aufgrund von Widersprüchen in der US-Golfpolitik einreden, bei einem Angriff auf Kuwait keinen unmittelbaren Gegenschlag der USA, Saudi-Arabiens oder gar der UNO fürchten zu müssen. Ein wesentlicher Grund für diese am Ende fatale Annahme lag wohl in der gezielten Manipulation eines besonderen Gesprächs, das die US-Botschafterin April Glaspie kurz zuvor mit Saddam Hussein geführt hatte. Diese sprachlich hochqualifizierte und historisch gebildete Arabistin, die seit 25 Jahren diplomatisch tätig war, kannte sich in der arabischen Machtmentalität mit ihren Drohritualen, Kraftgebärden und Schachzügen bestens aus und will nach eigenen Angaben den Diktator vor der Fehleinschätzung gewarnt haben, die USA -440-
würden eine militärische Besetzung Kuwaits oder gar dessen Annexion als Provinz kampflos hinnehmen. Diese alles entscheidende Passage soll jedoch vom irakischen Außenminister Tarik Aziz, einem Christen (!), in der international verbreiteten Übersetzung des Gesprächs bewußt ausgelassen worden sein. Aber statt dagegen sofort zu protestieren und eine Korrektur zu verlangen, bestätigte das USAußenministerium unter dem texanischen Ölmann James Baker die verkürzte irakische Version des Gesprächstextes »im Prinzip«. Das aber war ein folgenreicher, ja historisch gewordener Fehler. Denn Saddam Hussein konnte diese Stellungnahme des US-Außenministeriums als eine gewisse Duldung seiner Invasionspläne auffassen oder zumindest damit rechnen, während der Militäroperationen auf keinen US-Widerstand zu stoßen. Als dann am 2. August 1990 alle Nachrichtenagenturen und besonders der private US-Sender CNN meldeten, daß im Morgengrauen die Besetzung Kuwaits durch Truppen des Irak begonne n hat, durfte im Machtzentrum Washingtons niemand sonderlich überrascht sein. Man war längst über die militärischen Vorbereitungen des Irak längs der kuwaitischen Grenze informiert und diskutierte nun einige Kriegsszenarien, darunter auch den alten Geheimplan 90-1002 für den Fall aller Fälle. Auf dessen Basis spielten die hohen Militärs um Colin Powell, der zehn Jahre später US-Außenminister werden sollte, und Norman Schwarzkopf, dessen Vater schon beim Sturz Mossadeghs in Persien (1953) als Polizeigeneral beteiligt war, alle Möglichkeiten und Risiken eines militärischen Eingreifens am Golf durch, weniger jedoch zur unmittelbaren Befreiung Kuwaits von irakischen Truppen als zur Sicherung SaudiArabiens. -441-
Pläne zur Besetzung saudischer Ölfelder hatte bereits USAußenminister Henry Kissinger während der Ölpreiskrise von 1973 erwogen. Er wollte damit das gegen die USA und Westeuropa gerichtete Öl- Embargo brechen, hinter dem bekanntlich das jetzt angegriffene Kuwait als politisch treibende Kraft gestanden hatte. Hier ging es aber nicht nur um die Rücknahme der offenkundigen Aggression eines UNO-Mitglieds gegen ein anderes. Vielmehr wirkte gemäß der Macht-Algebra der stets eingeschlossenen dritten Kraft auch noch die Sicherheit Israels in alle Überlegungen hinein, das nur von Seiten Ägyptens keinen Angriff zu fürchten brauchte. In dieser komplizierten Situation mußte außerdem berücksichtigt werden, daß Saddam Hussein Giftgas zum Einsatz bringen könnte oder neben Raketenangriffen auf Israel sogar als Verzweiflungstat die von ihm propagierte »arabische Atombombe«. War es dem Diktator von Bagdad möglich, diesen Plan eines Atomschlags mit Scud-Raketen aus Nordkorea zu realisieren, dann hatte das Atom-Monopol der fünf ständigen Mächte im Sicherheitsrat der UNO keinen Bestand mehr. Für den USPräsidenten George Bush und seine Berater schien es eine Horror-Vorstellung zu sein, von einem Schurkenstaat wie dem Irak atomar erpreßt werden zu können, während er wie einst Ibn Saud nach alter Beduinenart mit schnellen Schlägen schwächere Nachbarn überfiel, um sie am Ende gegen alles Völkerrecht zu annektieren: Was Wunder, daß George Bush den bisher so geförderten Saddam Hussein wegen seines angeblichen Vernichtungspotentials jetzt sogar mit Adolf Hitler verglich und von einem neuen Holocaust im Wüstensand sprach.
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Befreiung Kuwaits Stand für die Medien und die meisten Publizisten fest, daß es im drohenden Krieg um Kuwait nur ums Öl gehen konnte, so waren bald nach dem Einmarsch der Irakis von der BushAdministration ganz andere Töne zu hören. Den beiden erfahrenen Ölmännern Bush und Baker ging es als Politikern primär nicht um den Zufluß dieses Rohstoffs aus Kuwait und Irak, der meist nach Asien und vor allem nach Japan exportiert wurde. Sie fürchteten vielmehr um die künftige Sicherheit Saudi-Arabiens und Israels. Außerdem sahen sie ökonomische Rückwirkungen auf die eigene Wirtschaft und das Steueraufkommen der USA voraus. Aufgrund der intensiven Hochrüstung gegen das »Reich des Bösen«, wie Reagan einmal die Sowjetunion einschätzte, sahen sich die USA im Herbst 1990 zeitweise nicht mehr in der Lage, die eigenen Bundesbeamten regelmäßig und korrekt zu bezahlen: Man befand sich also nach der Krise von 1986 und anhaltend schwacher Weltkonjunktur in einer sehr schwierigen inneren Lage: James Baker befürchtete gar eine neue Depression ähnlich jener vor dem Zweiten Weltkrieg. Für seine geradezu demütigende Betteltour um die ganze Welt, die das notwendige Geld für die UNO-Befreiungsaktion in Kuwait aufbringen sollte, erfuhr der US-Außenminister selbst aus den eigenen Reihen manch eine heftige Kritik. So bewertete Brent Scowcroft, der Sicherheitsberater des Präsidenten Bush, die Position Bakers als »simplen Kommerzialismus« und stufte dessen Haltung in der Golfpolitik als Fehler ein. Auch der Glaube des Präsidenten, man könne mit nichtmilitärischen Pressionen wie Embargos für Handels- und Industriegüter auf Bagdad einwirken, sollte sich als Fehlkalkulation herausstellen, weil man sich auch über das Wesen der Diktatur in einer -443-
»Republik des Schreckens« nicht im klaren war. Befangen in einem äußerst sterilen Stabilitätsdenken, das viel mit Friedhofsruhe zu tun hat und nur das äußere Gleichgewicht (balance of power) beachtet, nicht jedoch die inneren Verhältnisse eines Staates berücksichtigt, hatte Washington den Schurkenstaat Irak als Stabilitätsfaktor in der Golfregion tatkräftig gefördert, auch als Garant gegenüber dem Iran. Noch Wochen vor der Invasion in Kuwait durfte Saddam Hussein in den USA enorme Getreidekäufe tätigen und das Pentagon blieb sehr bemüht, dem »Dieb von Bagdad« militärische Hilfe zu leisten - bis hin zu Satellitenaufnahmen über Bewegungen der iranischen Streitkräfte. Hatte man sich bis zu den Verstaatlichungen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen stets der Ölkonzerne als Ersatzpolitik bedienen können, so fiel diese Einflußnahme seit der Öl preiskrise von 1973 weitgehend weg, ohne daß ein Zukunftskonzept oder gar eine Friedensordnung für die Golfregion erarbeitet und umgesetzt wurde: Schienen die Verhältnisse nach außen zwischen den Einzelstaaten stabil zu sein, wurde auch Israel nicht gefährdet und blieb der Ölfluß ungehindert, dann reichte es der US-Golfpolitik, mit Hilfe der Botschaften präsent zu sein - ohne Militärbasen. Die ethischen Ansprüche des Episkopalisten George Bush, der durchgehend von der »gerechten Sache« (just cause) sprach und die UNO-Charta grob verletzt sah, wirkten angesichts dieser Hintergründe auch ziemlich aufgesetzt. Natürlich verstieß die »Aggression des Irak« nicht nur gegen die Verfassung der Weltgemeinschaft, sondern auch gegen das Völkerrecht und durfte nicht hingenommen werden: Aber ähnliche Aktionen hatten sich die USA selbst in Panama oder die Sowjetunion in Afghanistan geleistet, ohne sich groß um die UNO zu kümmern oder das Völkerrechtsgebot von der Verhältnismäßigkeit der Mittel bei Rechts- und Militäraktionen hinreichend zu beachten. Wie lasch und inkonsequent man in diesen rechtlichen -444-
Bindungen aller Politik war, wenn es um nationale Interessen ging, zeigte sich schon dort, wo es von Ronald Reagan und seinem Vizepräsidenten George Bush keine zwingenden Einwände gab, als der Sabah-Clan 1986 die Demokratie und den Rechtsstaat stornierte, sich also zur dynastischen Diktatur wandelte: Auch das war letztlich ein Bruch der UNO-Charta. Statt die eigenen Versäumnisse und Fehler in der Golfpolitik aufzuarbeiten, griff man in der Bush-Administration gern die Berichte über Greueltaten der irakischen Armee auf, ohne genügend zu prüfen, ob sie wirklich stattgefunden haben. Dieses unrühmliche Kapitel wurde von amerikanischer Seite als Die Schlacht der Lügen (MacArthur) kritisiert, in deren Verlauf es gezielte Desinformationen gab. Das Öl kam darin nur nebenbei zur Sprache, was verständlich war: Denn die fünf Großmächte im Sicherheitsrat der UNO sahen sich vom Öl aus Kuwait so wenig abhängig wie von jenem des Irak. Die USA brauchten es trotz der steigenden Importquoten seit 1974 nicht. Sie wurden aus der Eigenproduktion versorgt und konnten bei Mexiko, Venezuela oder Saudi- Arabien ihren Bedarf decken. Großbritannien, die ehemalige Schutzmacht Kuwaits, war zum Zeitpunkt der irakischen Invasion längst Selbstversorger und Exporteur von hochwertigem Nordsee-Öl geworden, ohne Opec-Mitglied zu sein. Die zerfallende Sowjetunion unter Michail Gorbacev erlebte zwar zur gleichen Zeit einen dramatischen Niedergang ihrer Ölproduktion, aber sie blieb Selbstversorger und Exporteur außerhalb der Opec. Rotchina, das von Washington und Moskau aus umworben wurde, um die Befreiung Kuwaits durch den Sicherheitsrat der UNO absegnen zu lassen, war selbst in die Spitzengruppe der ölproduzierenden Länder aufgestiegen und nicht auf das Öl aus der Golfregion angewiesen. Lediglich Frankreich deckte etwa 35 % seines Bedarfs aus dem arabischen Raum. Es hätte aber als traditioneller Araber-Freund und Waffenlieferant selbst an den Irak (Mirage-Bomber) weniger Probleme bekommen, als -445-
gemeinhin angenommen wurde: Präsident Franòois Mitterrand legte denn auch großen Wert auf die Feststellung, daß sich Frankreich nicht wegen des Öls an der Befreiungs-Koalition beteiligt, sondern zur Wiederherstellung des gebrochenen Völkerrechts, der UNO-Charta sowie zur Festigung der Gerechtigkeit. Was allerdings diese großen Worte und die Bush-Forderung nach einer neuen gerechten Weltordnung in der politischmilitärischen Wirklichkeit wert waren, zeigte sich nicht nur zur Zeit der »Operation Wüstenschild« (Sicherung SaudiArabiens), sondern auch während und nach dem Verlauf der »Operation Wüstensturm« zur Vertreibung der irakischen Invasionstruppen. Nach vierzig Tage n Luftangriffen vom 17. Januar 1991 an und einem nur dreitägigen Bodenkampf zogen sich die Truppen Saddam Husseins unter entsetzlichen Verlusten an Menschen und Material in Richtung Bagdad zurück. Doch statt die UNOAktion unter dem Oberbefehl der USA bis zum Sturz des Diktators weiterzuführen, ließ US-Präsident Bush den Vormarsch überraschend stoppen. Mehr noch: Er verweigerte den Kurden im Norden und den Schiiten im Süden des Iraks während ihrer Aufstände gegen Saddam Hussein die notwendige militärische Unterstützung - dem Rat des eigenen Oberbefehlshabers Norman Schwarzkopf zuwider. Statt ein Ende mit Schrecken zu erzwingen, erlag George Bush dem »Hannibal-Syndrom« und befestigte, was er im Rahmen der UNO bekämpfen ließ - einen Schrecken ohne Ende. Wie die meisten angloamerikanischen Politiker kam er nicht aus der Befangenheit heraus, politische Stabilität in einer Weltregion auch nach innen zu fordern und als »dreiteiligen Vertrag« (M. Hale) durchzusetzen. Die beiden Flugverbotszonen im Norden und Süden des Iraks, die seit über zehn Jahren von der amerikanischen wie britischen Luftwaffe überwacht werden und dabei Militärbasen in Saudi-Arabien und -446-
Kuwait nutzen, haben die Diktatur Saddam Husseins so wenig geschwächt wie die Sanktionen zwecks Abrüstung seines ABCProgramms. Selbst das spätere Zugeständnis Oil for food, das dem Irak einen bestimmten Ölverkauf erlaubt, um aus dem Erlös Nahrungsmittel und Medikamente für die notleidende Bevölkerung kaufen zu können, wendet Bagdad immer noch gegen die USA und Großbritannien, um die Welt-Öffentlichkeit zu mobilisieren. Es steht heute außer Zweifel, daß die von den USA weitgehend gelenkte UNO-Aktion gegen den Irak zwar der militärischen Befreiung Kuwaits diente, aber dort nicht die Rückkehr zur Demokratie bewirkte, wie sie zwischen 1961 und 1986 bestanden hat. Trotz gewisser Einlenkungen beherrscht der Sabah-Clan das Emirat uneingeschränkt, das 1991 auch noch von Palästinensern »befreit« wurde. Obgleich viele unter ihnen als Ärzte oder Techniker in Kuwait seit Jahrze hnten ansässig und tätig waren, hat man sie in eine Art Sippenhaft für die irakfreundliche Politik des PLO-Chefs Arafat genommen und des Landes verwiesen mit Rechtsstaat oder Garantie der Menschenrechte, wie sie die UNO-Charta und zahlreiche Konventionen seit 1948 fordern, war das nicht konform. Kuwait hatte seit 1899 unter britischem Schutz ohne Öl überlebt und aufgrund von Handel, Perlenfischerei und traditionellem Schiffsbau recht geruhsam sein Dasein zugebracht. Mit dem Öl aber ist es zu einer globalen Kapitalmacht geworden und mußte aus politischen Gründen enorme Verluste hinnehmen, weil seine dynastische Führung glaubte, gut angelegte Petro-Dollar in den USA und Westeuropa oder in Japan allein würden seine weitere Existenz sichern. Gewiß, es verschafft wohl den Managern der KOC und den Ministern aus dem Sabah-Clan nicht wenig Genugtuung, wenn Vertreter von deutschen Weltfirmen wie Hoechst oder Mercedes nach Kuwait City reisen müssen, um dort einem der wichtigsten -447-
Aktionäre die weitere Geschäftspolitik zu erläutern und Zustimmung für langfristige Unternehmensentscheidungen einzuholen. Aber der Schock sitzt immer noch tief, von einem arabischen Nachbarn überfallen worden zu sein und nur mit der massiven Hilfe des Westens wieder die staatliche Souveränität erlangt zu haben - bei gleichzeitiger Halbierung des eigenen Währungswertes. Gleichwohl wird das materielle Leben für die etwa 100000 Angehörigen des Sabah-Clans und der anderen »beduinischen Adelsfamilien«, denen die »absolute Macht und das absolute Geld« (Stöger) gehören, weiterhin durch die Öleinnahmen gesichert sein. Für die mehr als 600000 Neu-Kuwaitis, die mit den Alteingesessenen rechtlich nicht auf einer Stufe stehen, fällt auch noch eine Menge an Wohlstand ab, und selbst die mehr als l Million zählende Schar der Gastarbeiter aus Ägypten oder Pakistan verdient hier immer noch mehr als in den Heimatländern. Und doch hat sich in der Mentalität des noch 1979 reichsten Landes der Welt etwas geändert. Zumindest der FührungsSchicht wurde bewußt, wie schnell der angenehme Reichtum, der auch hier als ein Geschenk Gottes empfunden wird, gefährdet werden kann. Außerdem zeigte sich, daß der Weltmarkt das ziemlich schwefelhaltige kuwaitische Öl sehr wohl entbehren konnte und ehemalige Großabnehmer zu anderen Lieferanten schwenkten, die politisch nicht so bedroht wurden wie dieses Emirat, in dem Trinkwasser aus Meerentsalzung teurer war als Benzin. Man bedenke hier, daß Groß-Britannien, neben den USA die Haupttriebkraft für die Befreiung, aus seinem ehemaligen Schutzgebiet nur 0,4% seines Ölbedarfs bezog. Gewiß keine Menge, die allein diese UNO-Aktion gerechtfertigt hätte. Selbst die Bundesrepublik Deutschland, die wie Japan nicht an der Befreiung direkt beteiligt wurde, aber 16,2 Milliarden DM an die Kriegskasse nach Washington überwies, bezog nur 1,4% des -448-
eigenen Ölbedarfs aus dem Emirat - auch kein Beteiligungsgrund. Kuwaits Führung mußte hier einfach zur Kenntnis nehmen, daß Öl allein nicht alles ist und sich die Gewichte entscheidend verlagert hatten. Bisher wichtige Abnehmerländer wie Dänemark (54%) oder die Niederlande (13,8%) schienen nicht mehr gewillt zu sein, für eine falsche Sicherheitspolitik am Golf noch einmal Gut und Blut einzusetzen: Zumal vor ihrer eigenen Küste die Ölzukunft lag - im Festlandssockel der Nordsee.
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BRENNPUNKT: NORDSEE Freiheit der Meere - Ein Teufelskerl? - Brent Spar Das makabre Urteil »Nordsee ist Mordsee« bezog sich in vorindustrieller Zeit auf die begründete Furcht aller Seeleute vor den heftigen Stürmen in einem Seegebiet, das geologisch sehr jung ist. Erst am Ende der letzten Eiszeit entstanden, gilt die Nordsee oder einst das Teutsche Meer ähnlich der noch jüngeren Ostsee als ein Flachmeer mit Wassertiefen zwischen 30 und 300 Metern: Ein Idealfall für Offshore-Anlagen aller Art zur Öl und Gaserschließung. Es dürfte sicher sein, daß die Hoffnung auf Vorkommen dieser begehrten Rohstoffe eine Rolle gespielt hat, als 1958 das Londoner Abkommen zur Aufteilung des Festlandsockels zwischen den Anrainer-Staaten geschlossen wurde. Von diesen hatten auch einige die Römischen Verträge zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im gleichen Jahr unterzeichnet - nicht jedoch Großbritannien. Dieses wegweisende Ereignis fand zu einem Zeitpunkt statt, als politisch eine neue Berlin-Krise durchzustehen war und Frankreich unter General de Gaulle die V. Republik erhielt. Die Sperrung des Suez-Kanals hatte außerdem bewußt gemacht, wie abhängig Westeuropa von der Ölzufuhr aus der Golfregion blieb: Es schien auch angesichts des Kalten Krieges mit dem Ost-Block nötig zu sein, diese Dependenz zu verringern oder ganz abzustellen. Unbesehen der Öl- und Gas-Hoffnungen, die 1959 durch einen gigantischen Fund in den Niederlanden regelrecht angeheizt wurden, war längst nicht mehr zu übersehen, daß das Seegebiet der Nordsee bereits verschiedenen industriellen -450-
Nutzungen unterlag. Das galt vor allem für die Tankerrouten zum Spotmarkt Rotterdam oder direkt zu den Groß-Raffmerien in Hamburg, wo Esso und Shell ihr Öl vornehmlich aus Venezuela, Mexiko sowie aus der Golfregion bezogen, um es zu Heizöl, Treibstoffen, Plastikwaren, Kunstdünger, Pestiziden, Kosmetika oder Heilmittel zu verarbeiten. Die maritime Industrialisierung traf aber auch auf die sonstige Schiffahrt zu. Sie kippte häufig genug seit der Inbetriebnahme von Dieselmotoren und in den Zeiten vor strengeren Umweltauflagen überflüssiges Altöl einfach ins offene Meer. Kapitäne und Mannschaften waren auch daran beteiligt, Industriemüll verschiedener Herkunft außerhalb der 3-MeilenZonen zu verbrennen oder Dünnsäure zu verklappen: ein Verhalten, das schon deshalb kontraproduktiv war, weil es den zweiten Industriebereich dieses Flachmeeres erheblich störte die Fischwirtschaft. Aus eher bescheidenen Anfängen wurde gerade dieser so naturbezogene Erwerbsbereich vor allem nach 1945 in einem Maße aufgerüstet, daß man heute von einer High-Tech-Industrie sprechen muß. Sie hat sich sogar Methoden abgeschaut und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten, die in der Ölprospektion schon lange praktiziert worden waren: Vor allem der Einsatz des Echolots half, die großen Herings- und Dorschschwärme zu orten. Aber auch die Verwendung von Schleppnetzen am Meeresgrund und schwimmende Verarbeitungsfabriken signalisierten eine qualitative Veränderung der einst christliche n Seefahrt. Sie blieb sich einer gewissen Treuhandschaft gegenüber den Reichtümern auch dieses Meeres bewußt und lehnte den industriell betriebenen Raubbau ab, damit sich die Fischbestände in Ruhe regenerieren konnten. Dieser Hinweis ist hier deshalb so wichtig, weil seit einiger Zeit von Umweltschützern und Fischerei-Experten mit wachsender Sorge darauf hingewiesen wird, daß die Nordsee in -451-
nicht allzu ferner Zukunft leergefischt sein wird. Hering, Dorsch, Kabeljau, Lachs und Schollen gelten mittlerweile als bedrohte Fischarten und müssen durch genau ausgehandelte Fangquoten oder gar Fangverbote während der Laichzeit in ihren Restbeständen geschützt werden - wie die von Norwegern und Japanern gejagten Wale. Allein durch diesen Raubbau vornehmlich im Umkreis der Doggerbank als das bevorzugte Laichzentrum vieler Fischarten war die Nordsee in den Blickpunkt einer zunehmend umweltsensiblen Öffentlichkeit geraten. Deren Aufmerksamkeit verstärkte sich noch und bildete gar einen besonderen Brennpunkt in den Medien, als während der 1990er Jahre plötzlich Robben starben, Algen blühten und Fische Mißbildungen aufwiesen. Was daneben aber die Umweltschützer vor allem von Greenpeace am meisten empörte, war der gelegentlich selbstherrliche, oft grob fahrlässige oder auch sorglose Umgang einiger Ölleute mit dem Meer. Obgleich in der Ölindustrie weltweit der Grundsatz »Sicherheit zuerst« (safety first) noch wichtiger ist als die Profitmaxime »Zeit ist Geld« (time is money), kam es in der Bohr- und Förderpraxis auch der Nordsee seit dem ersten Öl fund von 1969 (Ekofisk) immer wieder vor, daß Spülung, Rohöl und Chemikalien ins Meerwasser gerieten: Materialermüdungen, Störungen der bordinternen Kreisläufe oder menschliches Versagen waren dafür meistens die Ursache. Dennoch hat die Ärztin, Umweltschützerin und Ministerpräsidentin Norwegens, Gro H. Brundtland, die Anstrengungen der Ölleute ausdrücklich gelobt, als sie im Beisein von König Harald V. 1994 zum Welt-Erdölkongreß in Stavanger eine beherzte Eröffnungsrede hielt und darin die gestiegene Verantwortung dieser größten Industrie auf der Erde anmahnte - in einem Zentrum des Nordsee-Öls. Das war ein anderer und konstruktiver Ton. Denn die verheerenden Ausbrüche auf den Bohrinseln »Bravo« (1977) -452-
und »Piper Alpha« (1988), an deren Eindämmen der amerikanische Spezialist Red Adair den höchsten Anteil besaß, hatten der industrie ebenso eine schlechte Presse eingebracht wie bald nach Stavanger der Kampf um die Tankplattform »Brent Spar« im Sommer 1995.
Die Krise um die Tankplattform »Brent Spar« im Sommer 1995 -453-
In dessen spektakulärem Verlauf wurden vor allem von Greenpeace harte Vorwürfe und in den Medien bittere Klagen erhoben, die unmittelbar an das Selbstverständnis der Ölindustrie rührten. Gleichzeitig machte dieser heftig diskutierte Konflikt überdeutlich, daß sich der industrielle Prozeß als lauterer Wettbewerb auch hier nicht in einem rechtsfreien Raum vollzieht, sondern Prinzipien zu beachten hat, die weit in vorindustrielle Zeit zurückreichen.
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Freiheit der Meere In Europa wäre es so gut wie undenkbar, daß Präsidentschaftskandidaten ihren Wahlkampf darauf ausrichten, ob unter ihrer Regierung das gesamte Küstengebiet des Landes zur Öl- und Gassuche freigegeben wird oder nicht. Aber während des US-Wahlkampfes von 1987, als sich der Republikaner George Bush, der Demokrat Michael Dukakis sowie der unabhängige Kandidat Jesse Jackson um die Nachfolge Ronald Reagans bewarben, spielte diese Frage nach der rechtlichen und praktischen Freigabe des Offshore-Bohrens an der letzten Front der Ölindustrie eine gewichtige, ja entscheidende Rolle. Wer dieses komplexe Thema in seiner politischen Tragweite verstehen will, der erinnere sich an das halb mahnende und halb resignierende Wort von Franklin D. Roosevelt zum Einfluß der meist republikanisch gesinnten Öllobby auf die amerikanische Wahlpolitik: »Es ist zwar bedauerlich, doch niemand kann hierzulande eine Wahl gewinnen ohne Unterstützung des Ölblocks, und solange es den Ölblock gibt, kann niemand regieren.« George Bush, der selbst aus der Ölind ustrie von Texas in die hohe Politik wechselte und dessen ältester Sohn George W. Bush am 20. Januar 2001 die 43. US-Präsidentschaft antrat, kannte die Sorgen seiner einstigen Kollegen. Ihn beschäftigten während und nach der Ölpreiskrise von 1986 vor allem die Auswirkungen einer amerikanischen Ölflaute (Oil depletion) auf die Investitionen sowie den davon abhängigen Arbeitsmarkt, von dem wiederum Steueraufkommen, Binnennachfrage, öffentliche Aufträge (Rüstung, Forschung), Schuldendienste und das Wachstum beeinflußt wurden: Kreisläufe und Interdependenzen, -455-
die ohne das Öl nicht beherrscht werden konnten. Wie kein anderer Kandidat erfahren im Offshore-Bohren, das er als Pionier im Golf von Mexiko vorangetrieben hatte, favorisierte Bush schon als Vizepräsident unter Reagan das Zukunftsprogramm, auch im äußersten Schelfbereich (OCS) die Öl- und Gasprospektion von staatlicher Seite kräftig zu fördern. Gleichzeitig erhob er das in den USA reichlich vorhandene und zu Heizzwecken besser zu nutzende Erdgas in den Rang einer »höchsten strategischen Reserve«. Bush wollte auch die letzten Restriktionen im Naturschutzgebiet Alaskas um die PrudhoeBay aufheben, um das dortige Ölgebiet zu erweitern. Gleichzeitig unterstützte er die Bemühungen, Äthanol und Methanol als alternative Autotreibstoffe (automotive fuels) anzubieten: Alle Maßnahmen zur Verbesserung der Lage aber sollten durch Steuervergünstigungen stimuliert werden. Dieser mit viel Sachkunde vorgetragenen Energiezukunft konnten die Mitwerber ums Präsidentenamt nur wenig entgegensetzen, zumal sich Bush der Bedeutung des Umweltschutzes bewußt war, aber auch die wirtschaftlichen und mentalen Belange der Amerikaner zu berücksichtigen hatte. Er stellte vorsichtige Reformen und Alternativen in Aussicht, beeindruckte durch Kompetenz, Amtserfahrung und lockte in guter republikanischer Manier mit dem populären Satz: »Read my lips - No new taxes«. Die Wähler honorierten seine Position, die sich der Freiheit des Unternehmertums ebenso verschrieben hatte wie sie die Freiheit der Meere genutzt sehen wollte. Dazu hatten die global wirkenden Seerechts-Konventionen von Montreux (1936) und von Montego Bay (1982) Grundlegendes wie die Freie Passage festgeschrieben. Allerdings gab es immer noch einige Problemfelder, die für reichlich Zünd stoff sorgen konnten. Es ging dabei vor allem um die Frage, ob beim Schürfen nach Bodenschätzen die seit dem 17. Jahrhundert abzeptierte 3Meilenzone der absolute Maßstab sein soll oder die 12-Meilen-456-
Linie, ja die 50-Meilen-Grenze, letztlich gar das 200-MeilenGebiet: Hatte es doch die Republik Island als Fischfangzone samt nationalen Wirtschaftsraum beansprucht, im KabeljauKrieg gegen den NATO-Partner England verteidigt und damit einen Präzedenzfall geschaffen. Was die Freiheit der Meere betrifft, die schon in der Antike von dem römischen Staatsmann Seneca nach Maßgabe des Treuhandgebots der Stoa gefordert wurde, so fand sie 1609 einen vehementen und kompetenten Fürsprecher in dem niederländischen Juristen Hugo Grotius. Mit seiner epochalen Schrift De mare libero bekannte er sich zu dem uralten und auf die Antike zurückgehenden Grundsatz, daß nämlich »jedes Volk ein anderes aufsuchen und mit ihm Geschäfte machen kann«. Das Meer gilt demnach als ein Gemeingut der Menschheit und die Christliche Seefahrt hat darauf zu achten, daß der Freihandel (libertas commerciorum) weder durch Piraten noch durch staatliche Abgrenzungen verhindert wird. Genau das aber haben die großen Seemächte Portugal und Spanien seit 1493 getan, als ihnen durch die päpstliche Bulle »Inter cetera« die Neue Welt nicht nur als Missionsgebiet, sondern auch als ein universelles Lehen übertragen wurde. Aber statt die entdeckten Gebiete zu treuen Händen der Kirche zu verwalten und jeden Christen als Händler dorthin reisen zu lassen, schotteten sie ihre Länder in Lateinamerika wie einen Privatbesitz ab: Das Nutz- und Nießrecht (dominium utile) als Ausdruck des Freihandels wurde in ein unbeschränktes Eigentum oder Patrimonium (dominium absolutum) verwandelt und schloß alle anderen Nutznießer aus.
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»Brent Spar« wird von einem Löschboot besprüht, um die GreenpeaceAktivisten zu vertreiben.
»Red« Adair während eines Einsatzes an Land
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Diese von der Universalkirche formal nicht erlaubte Aussperrung hat wahrscheinlich zur reformatorischen Abspaltung der anglikanischen Engländer seit 1535 und der calvinistischen Niederländer mehr beigetragen als die Streitfragen der Theologen. Denn diese beiden SeefahrtsNationen waren schon aus Überlebensinteresse bestrebt, alle sieben Meere offen zu halten, um überall Handel treiben und Kolonien anlegen zu können. In diesem Sinne hatte sich auch Grotius engagiert, der später als »Vater des Völkerrechts« geehrt wurde und 1635 Schwedens Botschaft in Paris übernahm. Zu einer Zeit, als der englische Jurist John Seiden mit der Gegenschrift De mare clauso herauskam und darin die eigentumsmäßige Abschottung der Meere begründete. Er stellte sich also gegen Grotius und erklärte vor allem die küstennahen Seegebiete (narrow seas) im Kanal wie über die gesamte Nordsee hin als souveränes Eigentum der Krone Englands. Mit dem Erfolg, daß in diesem besitzergreifenden Geist Oliver Cromwell 1651 die Navigationsakte erließ und darin alle nichtbritischen Schiffe vom Warentransport auf die Britischen Inseln in der Regel ausschloß - bis 1849. Ein historischer Beschluß, der zwei Kriege mit den Niederlanden auslöste und im Frieden von Westminster 1674 zu einem ähnlichen Ergebnis führte wie der Friede von Brömsebro zwischen Dänemark und Schweden im Jahre 1645. In diesem Projekt, das noch heute Rechtsgültigkeit besitzt, wurde für die Ostsee und die Freie Durchfahrt im Sund das Prinzip des Freihandels für alle Zukunft festgeschrieben. Schwedens Reichskanzler Axel Oxenstierna hat es zusammen mit seinem Freund Hugo Grotius durchgesetzt und auch erreicht, daß es in den Teutschen Frieden von 1648 (Münster und Osnabrück) als Verfassungsgebot aufgenommen wurde - es hielt bis 1806. Diesen strukturellen und mentalen Vorlauf sollte man bedenken, um zu verstehen, was bei der Londoner Konferenz -459-
von 1958 zur Aufteilung des Nordseegebietes geleistet worden ist. Dabei mußten gut 300 Jahre Geschichte aufgearbeitet und absolute Gegenpositionen erörtert werden, ehe man zu einem wirklich salomonischen Ergebnis kam. Das Treuhand-Prinzip (Grotius) einer Freiheit der Meere wurde dadurch gewahrt, daß man sie auf das Wasser der Nordsee bezog, das von den Schiffen aller Völker in freier Passage genutzt werden durfte. Das Patrimonial-Prinzip (Seiden) hingegen fand nur für den Festlandsockel Anwendung. Zu seiner gerechten Aufteilung verfuhr man nach dem Mittellinien- und Äquidistanzprinzip, so daß Großbritannien und Norwegen die größten Sektoren erhielten, die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem »Entenschnabel« bei der Insel Helgoland aber den kleinsten Anteil bekam. Das äußerlich sehr faire Aushandeln dieser rational vollzogenen Teilung des Meeresgrundes erlaubte es jedem Land, seinem Berg- oder Regalrecht gemäß den eigenen Sektor für die Öl- und Gassuche zu nutzen und sogar ausländische, besonders amerikanische Offshore-Unterne hmen daran zu beteiligen - als Einzelkonzern wie Phillips Petroleum (Ekofisk) oder in Gestalt von kostenteilenden Konsortien (Brent Spar). Die Gerechtigkeit dieses Schiedsmodells erwies sich auch hilfreich im Gebietskonflikt zwischen Chile und Argentinien, als es um Ölinteressen und drei Inseln im Beagle-Kanal Feuerlands ging. Die Beilegung des Streites um die Grenzziehung am Schattal-Arab zwischen Persien und Irak 1975 zeigt ebenso an, daß im Rahmen des Völkerrechts ein hohes Maß an Rationalität möglich is t, wenn das Kommutationsgebot ernstgenommen wird. Selbst Mexiko, dem Cuba Fidel Castros und den USA unter Präsident Bill Clinton ist es gelungen, ihre Golfanteile und Bohrgebiete für den Schelf wie in der Tiefsee nach den Prinzipien von 1609 und 1635 vertraglich abzustecken. Auch bei der Aufteilung des Kaspischen Meeres unter die neuen Anrainerstaaten nach dem Ende der Sowjetunion 1990 ist man -460-
ähnlich verfahren, und der schwelende Streit um den ölhöffigen Untergrund der Paracelinseln wie des Südchinesischen Meeres könnte mit Hilfe der Londoner Lösung einvernehmlich beendet werden - trotz ideologischer Unterschiede, historischer Ansprüche und nationaler Interessen.
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Ein Teufelskerl? Was immer auch Politiker, Juristen und Fachleute für die Ölindustrie an Vorschriften ausgehandelt und im deutschen Bereich ins Erdöl- und Lagerstätten-Gesetz von 1934 sowie in die Tiefbohrordnung geschrieben haben, gilt meist nur für den Normalfall: Es wirkt vor allem bei einem GAU ziemlich veraltet und oft kontraproduktiv. Diese Erfahrung hat besonders ein Ölmann gemacht, der schon zu Lebzeiten als »amerikanischer Held« eine Legende geworden ist, nicht zuletzt auch aufgrund seiner erfolgreichen Einsätze an besonderen Brennpunkten in der Nordsee: Auf den explodierten Plattformen »Bravo« und »Piper Alpha«, die jede für sich eine Katastrophe bedeuteten. Ausnahmezustände, die mit normalen Mitteln und gut gemeinten Vorschriften von Bergbeamten so wenig zu bewältigen waren wie durch Beschwörungen von Tod und Teufel. Dafür bedurfte es vielmehr einer gelungenen Kombination aus Sachkunde, kühler Berechnung und persönlichem Geschick, auf jeden Einzelfall unter seinen spezifischen Bedingungen einzugehen: Dieses Optimum aber beherrschte keiner besser und erfolgreicher als Paul Neal Adair, wegen seiner feuerroten Haare als Kind und aufgrund seines knallroten Overalls überall auf der ganzen Welt kumpelhaft »Red« genannt. Am 18. Juni 1915 in Houston/Texas geboren hat er wie kein zweiter in seiner Branche ein besonderes Kapitel Ölgeschichte mitgestaltet und dabei seinen amerikanischen Traum erfüllt. Kindheit und ärmliche Jugend fielen in den Ölrausch, wie er seit 1901 in Texas anhielt und sich über Oklahoma bis nach Californien fortsetzte. Bereits in der Schmiede seines Vaters lernte der junge Adair, mit einem Blasebalg an der Feueresse umzugehen. Dieses von Hand betätigte nützliche Gerät konnte -462-
wie eine Luftpumpe eingesetzt werden, um aus dem glühenden Koks ein regelrechtes Höllenfeuer zu entfachen, das selbst hochwertigen Stahl zum Schmelzen brachte. Es war mit diesem Instrument aber auch möglich, eine emporschießende Flamme auf der Stelle auszublasen, sofern es gelang, die Lohe mit einem kurzen, aber konzentrierten Luftstoß auf der Stelle zu unterbrechen. Aus dieser frühen Erfahrung entwickelte sich bei Red Adair eine besondere Kunst des Feuerlöschens auf Öl- und Gasfeldern. Freilich hantierte er dort nicht mit einem Blasebalg, sondern setzte gezielt einen starken Wasserstrahl, eine geballte Dynamitladung oder auch Nitroglyzerin als Sprengmittel ein, um den Feuerstrom aus Bohr- oder Förderlöchern zu unterbinden. In einen roten Schutzanzug gehüllt und mit einem stabilen Alu-Helm auf dem Kopf brauchte er sich nicht Clouzots Abenteurerfilm »Lohn der Angst« von 1953 vorzustellen, um die Spannung von Nitro- oder Suppenfahrern nachempfinden zu können, die ihr Leben für ein brennendes Ölfeld irgendwo in Venezuela riskierten: Red Adair selbst wurde zum Kinohelden, den kein Geringerer als John Wayne spielte. Allerdings bediente sich Hollywood in diesem Streifen aller denkbaren Klischees, die mit der Wirklichkeit eines FeuerSalamanders angesichts wahrer Höllenfeuer wenig zu tun hatten. Red Adair war kein »Spieler« oder Teufelskerl, wie er in den Medien gerne dargestellt wurde, sondern ein überaus erfahrener Systemanalytiker, der sich mit äußerster Geduld, dem nötigen Zeitaufwand sowie Neugier auf jeden Brandherd und dessen Bedingungen neu einstellte, ob zu Wasser oder an Land. Seine Tugenden waren allerdings unter den Managern in der Ölindustrie nicht sonderlich ausgeprägt. Auch die Nachfolger von Frank Phillips machten da keine Ausnahme, als sie Red Adair 1977 am Telefon drängten, die Explosion auf der Nordsee-Plattform »Bravo« auf schnellstem Wege unter Kontrolle zu bringen: In Person vor Ort, nachdem seine -463-
Mitarbeiter mit der entstandenen Lage offensichtlich nicht zurechtkamen, der Oklahoma-Konzern jeden Tag mehr in die Kritik der Medien geriet und enorme Mengen Öl verlorengingen. Allein dieser Auftrag zeigte, wie abhängig auch Red Adair war. Er hatte sich 1959, im Jubiläumsjahr der Ölindustrie und nach Jahren harter Arbeit für die Löschfirma Myron Kinley, endlich selbständig gemacht. Diese Entscheidung bedeutet aber mehr, als nur in die eigene Tasche zu wirtschaften. Er mußte seine Einsätze fortan selber organis ieren, ob auf heimischem Boden, im Golf von Mexiko, in der Wüste Algeriens oder auch auf Plattformen in der Nordsee. Dazu brauchte er eine fortlaufend zu verbessernde Ausrüstung, die finanziert werden mußte, und vor allem gute Mitarbeiter, die neben einem hohen Gehalt für den risikoreichen Job auch noch am Jahresende Bonuszahlungen erwarteten: Herr über das eigene Unternehmen zu sein, hieß also in erster Linie, die bestehenden Abhängigkeiten zu beherrschen und dennoch das letzte Wort bei einem Einsatz vor Ort zu behalten. Wie dramatisch dieses Dasein als Independenter neben der technischen Herausforderung durch einen Bohrlochbrand mitunter ausfallen konnte, erlebte Adair besonders auf der Bravo-Plattform im Ekofisk-Feld. Er hatte seinen besten Mann Boots nach Europa geschickt, um dort einen Ölausbruch (blow out) mitten im Wasser der Nordsee einzudämmen und am Ende abzustellen, was diesem aber nicht gelingen wollte. Als ihm dann Red Adair auf der Plattform begegnete, soll er ausgerastet sein, weil er sich in seiner Arbeit vor Ort unangemeldet kontrolliert fühlte. Der 62jährige Adair, nur 1,68 groß, bullig und doch drahtig, mit Flecken auf der Haut und Krebs an den Händen, reagierte auf diesen Angriff wie jeder andere amerikanische Independent: »Boots, Phillips hat mich gebeten herzukommen, und überhaupt, ich führe diese Firma immer noch, die Firma gehört mir, und ich bin der Boß!« -464-
Trotz dieses Kampfes, der bald dazu führte, daß Boots mit einem anderen Adair-Mitarbeiter das Unternehmen verließ, um die Löschfirma Boots & Coots zu gründen, gelang es Adair, die Ursache des Ölausbruchs nach einer Inspektion des Unfallherdes herauszufinden: Der Preventer als Absperrblock unterhalb des Drehtisches war nicht richtig installiert worden, außerdem hielten die Dichtungen den ungeheuren Druck vom Bohrloch her nicht aus, weil sie defekt waren: Es kam also hier darauf an, den Preventer optimal zu justieren, die Dichtungen auszuwechseln und diese Reparaturen einer Druckkontrolle zu unterziehen, ehe weitergearbeitet werden durfte. Im Laufe einer anstrengenden Nacht hatte Red Adair das Problem technisch gelöst, sah sich jedoch der Mißstimmung seines Mitarbeiters ausgesetzt. Dabei hatte er insgeheim gehofft, Boots & Coots (Ansgar Hansen) würden eines nicht allzu fernen Tages seine eigene Firma übernehmen, falls er aus Gesundheitsgründen zurücktreten müßte. Nach Jahrzehnten härtester Herausforderungen auf Ölfeldern der ganzen Welt hätte ihm das niemand verdenken können: sich endlich aufs Altenteil zurückzuziehen und sich nur noch wie sein Freund George Bush mit dem eigenen Rennboot aufs Meer zu wagen. Aber immer noch hielten ihn die Nachlässigkeiten von Bohrteams und die Urgewalt der Natur in einer Hochspannung, die sich selbst im Schlaf nicht legen wollte. So überraschte ihn einmal während eines Heimfluges ein Albtraum besonderer Art. Die inneren Bilder versetzten Adair ins Jahr 1968, als von Phillips Petroleum auf einer Bohrplattform der Notstand gemeldet wurde und er den Auftrag erhielt, diesen zu beheben. Das war vor Great Yarmouth in der Nordsee, als er sich ganz allein einem Ausbruch konfrontiert sah, bei dem drei Ölleute getötet worden waren. Schon der Anflug mit einem Hubschrauber bereitete Probleme, weil sich auf See der Wind drehte und das Landedeck nur mit Mühe zu erreichen war. Die -465-
Plattform selbst wirkte wie eine zerfetzte, stählerne Stadt auf einem anderen Planeten, durchwabert von Giftgaswolken, und auf dem Rücken trug Adair Flaschen mit Sauerstoff für zwei Stunden. Trotz der äußeren Widrigkeiten sollte ihm das schier Unglaubliche gelingen, nämlich das Bohrloch abzudichten und mit Spülung totzupumpen. »Aber in seinem Traum war alles anders… Wo eigentlich der Bohrlochkopf sein sollte, gähnte jetzt nur ein großes Loch. Und er rutschte unaufhörlich auf das Loch zu, versuchte zu schreien, doch mit der Atemschutzmaske vor dem Gesicht war dies unmöglich. Und wer hätte ihn gehört, wenn er geschrieen hätte? Wer hätte ihm helfen können? Er versuchte irgendetwas zu fassen, um sich festzuhalten, aber sein Griff löste sich wieder, und er rutschte auf das Loch zu, aus dem sich eine Gassäule erhob und in dem er sicherlich sterben würde. Dann spürte er etwas fallen, er sprang auf und erwachte aus seinem Traum… Seltsam. Ich habe geträumt, wieder vor Great Yarmouth zu sein. Ich glaubte, auf der Bohrplattform zu stehen, da draußen in der Nordsee. Mann, o Mann. Das war was! In meinem Traum konnte ich sogar die Kälte spüren. Es war damals November, aber da draußen ist es ja immer kalt. Selbst jetzt im Juli…« Was Red Adair in einer Mischung aus Wirklichkeit und Traum von der Pionierzeit des Nordsee-Öls berichtet, entbehrt nicht des Makabren, das sich auf der »Bravo« 1977 in einer Variante wiederholen sollte und auch an Land dramatische Entsprechungen besaß. Er brauchte nur an das wildeste Gasfeuer der Ölgeschichte zu denken, das er fünfzehn Jahre früher bei Gassi Touil (GT-2) in Algerien gelöscht hatte - das »Feuerzeug des Teufels« mitten im Befreiungskrieg gegen die französische Armee. Es ist oft über das Geheimnis bei Red Adair gerätselt worden. Dabei war für seinen Erfolg nur das Faktum entscheidend, daß er jede brennende Bohr- oder Förderstelle als Integralfall -466-
betrachtete. Er beging also nicht den Fehler, das Feuer technisch zu isolieren und nur als Sprengobjekt einzuschätzen, wie es andere Salamander taten. Seine Kunst bestand demnach darin, erst die wirkliche Ursache des Ausbruchs herauszufinden. Dann wollte er die lokalen Verhältnisse genau kennen, vor allem Wind und Wetter, den Boden und die Bohrung selbst, um schließlich zu bestimmen, wo die Sprengladung anzusetzen hatte und wie stark sie sein mußte, damit der Feuer-, Öl- oder Gasstrom unterbunden wurde - mit einer einzigen Gegenexplosion. Eine solch intensive Vorbereitung hört sich wie selbstverständlich an. Aber Red Adairs langjähriger Boss Myron Kinley hatte mit dieser Art von integriertem Timing erhebliche Probleme. Das zeigte sich bei seinem Einsatz auf dem persischen Ahwas-Ölfeld im Jahre 1956. Dort war die Bohrstelle Nummer 6 in Brand geraten und der alt gewordene Kinley hatte es bereits dreimal vergebens versucht, das rasende Gasfeuer abzustellen. Adair, der es wagte, ganz nahe an den geborstenen Bohrturm heranzugehen, fand die Ursache heraus und formte eine Sprengladung in Hufeisenform. Er plazierte sie mit Hilfe eines Caterpillar und unter dem Schutz eines Hitzeschildes. Aber zünden durfte sie nur sein Boss, dem er diesen Erfolg mit den Worten gönnte: »Ich wußte bereits damals genau, daß die Sache nichts mehr für ihn war, ich wollte ihn jedoch nicht dadurch in Verlegenheit bringen, daß ich das Feuer selbst erstickte. Er war immer so gut zu mir gewesen. Ein feiner alter Mann. Und überhaupt, so etwa tut man jemandem nicht an, den man liebt.« Es ist diese menschlich noble Art, die Red Adair über sein Können hinaus den Respekt gesichert und die Ehre eingebracht hat, seit Lyndon B. Johnson von jedem US-Präsidenten als ein wirklicher »american hero« im Weißen Haus empfangen zu werden. Zu seiner besonderen Lebensleistung im Dienst der -467-
Schadensabwehr, die der ehemalige Bahnarbeiter 1940 bei der Firma Otis Pressure Control in Texas begonnen hatte, gehört auch der Einsatz auf der »Piper Alpha« im Jahre 1988: Bereits 73 Jahre alt und vom Lärm aller Höllenfeuer fast taub geworden. An manch ein Inferno gewöhnt, sollte die Begegnung mit dieser geborstenen Plattform alles übertreffen, was er jemals seit Beginn seiner Lösch-Karriere erlebt hatte. Sie gehörte der Occidental Petroleum des Dr. Armand Hammer, der in einem ersten Telefonat mit Adair zu den Nachrichten aus der Nordsee bekannte: »Es ist ein furchtbarer Alptraum für mich, Red. Wissen Sie von all den Toten?… Mehr als hundert bestimmt, vielleicht sogar mehr als hundertfünfzig.« Es waren genau 166 tote Kumpel von 229, die an Bord dieser riesigen Bohrplattform arbeiteten und am 6. Juli 1988 von einem Desaster vor der Küste Schottlands heimgesucht wurden. Auf einer sogenannten Simultan-Anlage, von deren Arbeitsbühne mehrere Bohrlöcher abgeteuft werden konnten und die über eine imposante Struktur verfügte: Sie maß in der Gesamthöhe 341 Meter, wog genau 30840 Tonnen und hatte seit 1975 allen Stürmen und Strömungen der Nordsee getrotzt. Es ist oft gerätselt worden, wie es zu der Ausbruch- und Brandkatastrophe auf diesem Stahlkoloß kommen konnte. Zur Klärung ist es nicht unwichtig, daß diese besonders stabile Plattform für die Verhältnisse im Golf von Mexiko gebaut worden war, wo es ganz andere Bedingungen gibt. Man hatte sie aber nicht für die speziellen Belange in der Nordsee umgerüstet, außerdem bedurfte es einer Ausnahmegenehmigung der Regierung in London, um diesen Giganten aus dem Golf über den Atlantik zu schleppen und vor Schottland zu verankern. Bedenkt man, daß moderne Großtanker nach zwölf Jahren Betriebstätigkeit ausgemustert werden müssen, dann näherte sich das Alter der »Piper Alpha« einem Zustand des Verschleisses sowohl im Unterbau wie bei den Aufbauten, die aus vier Hauptmodulen bestanden. Zum Zeitpunkt der -468-
Katastrophe wurden aus 36 Eruptiv-Sonden täglich etwa 300000 Barrel Rohöl (gut 47 Millionen Liter) gefördert - und eine Menge Erdgas dazu. In diesem gigantischen Schachtelsystem gab es eine Reihe von Gefahrenquellen, zumal nach dem langen Einsatz in einer meist stürmischen See. Aber als Ursache der Explosion war mit absoluter Sicherheit auszuschließen, daß »ein Funke vom Einschalten eines elektrischen Geräts, vom Herunterfallen eines Metallwerkzeugs oder die Flamme eines Schweißgerätes das Gas erreicht«. Der Journalist Philip Singerman, der Red Adairs Erinnerungen 1989 bearbeitet hat, saß bei dieser Beschreibung einem Irrtum auf. Abgesehen davo n, daß alle Metallwerkzeuge auf Bohranlagen vom Vorschlaghammer über Schraubenschlüssel bis hin zu den Kettenzangen, mit denen eine Bohrstange angedreht wird, keinerlei Funken schlagen, weil sie aus SonderStählen bestehen, so erstreckt sich Feuer nie zum Gas. Dieses dehnt sich vielmehr aus und erreicht einen zündenden Funken oder die Flamme: Doch selbst wenn diese Gefahrenquelle völlig ausgeschlossen war, konnten plötzliche Selbstentzündungen des gewaltigen Öl- Gas-Stromes vorkommen. Eine unberechenbare Bedrohung. Red Adair hat sie in seiner Vorsicht immer erwogen und daran gedacht, wo es bei unmittelbaren Gefahren für Leib und Leben einen sicheren Fluchtweg gab. An Land eröffneten sich dafür mehrere Möglichkeiten, aber auf einer Bohrinsel blieb oft nur der Sprung ins Wasser, der ebenso tödlich sein konnte wie das rasende Feuer aus einem Bohrloch. Red Adair, der sich als sechsjähriger Junge über seine feuerroten Haare ärgerte und zum ersten Mal etwas von Ölbränden nahe Houston hörte, ja ihren Glutschein am Himmel sah, begegnete auf der »Piper Alpha« dem Vorhof der Hölle. Vom Bergungsschiff »Tharos« aus, das nach sei nen Vorstellungen gebaut worden war und über hochmoderne -469-
Rettungsanlagen verfügte, starrte er auf eine bizarre Welt: Unterwasser-Roboter bargen Leichen von Bohrarbeitern und anderen Beschäftigten, über mehrfach geborstene Stahlgerüste klatschte Rohöl in die Nordsee und geplatzte Leitungen versperrten den Blick ins Innere des Brandherdes. Was dann bei der Systemanalyse zur »Piper Alpha« offenkundig wurde, war eine strukturelle und mentale Schwäche, die viel zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen hat: So war das gesamte System der Simultananlage zentralistisch ausgerichtet worden. Der Kommandant Colin Seaton besaß absolute Befehlsgewalt und verfügte über eine Entscheidungskompetenz, die »blinden Gehorsam« erzwingen konnte: Die auf der Bohrinsel tätigen Männer wurden letztlich auf ein gut funktionierendes Maschinenteil des Gesamtsystems reduziert. Eine derartige Arbeitsstruktur kann durchaus effizient sein und die Bohrerfolge schienen sie zu bestätigen. Aber das hohe Risiko besteht darin, daß bei einem Ausfall des Kommandanten die notwendigen Anweisungen ausbleiben und ein Zustand der Lähmung entsteht, weil in der Regel kein Umschalten auf eine dezentrale Befehls- und Handlungsstruktur möglich ist. Dieser größte anzunehmende Unfall in der Organisation war auf der »Piper Alpha« mit allen schrecklichen Folgen für Mensch, Natur und Maschinen eingetreten. Der Kommandant Seaton muß zu Beginn des Ausbruchs sofort mit der gesamten Schaltzentrale ausgefallen sein, ohne seine Befehlskompetenz weitergeben zu können. Ein mentales Defizit der Mannschaft gesellte sich diesem Mangel noch hinzu. Sie war an Land im Einzeltraining wie in der kollektiven Vorbereitung darauf getrimmt worden, sich absolut gehorsam zu verhalten. Das bedeutete für jeden einzelnen des Teams, im Ernstfall nicht auf eigene Faust zu handeln, sondern die Befehle zum weiteren Verhalten von oben abzuwarten. Nachdem aber beim unerwarteten Ausbruch -470-
wahrscheinlich sofort die gesamte Kommunikationsstruktur zusammengebrochen war und Anweisungen zur Rettung nicht erfolgten, konnten nur jene Männer überleben, die in blanker Todesangst aus dem Flammeninferno ins Wasser der Nordsee gesprungen waren sich also aufgrund ihres Selbsterhaltungstriebs und Instinktes gegen wirklichkeitsferne Überlebensregeln verhielten. Es dürfte feststehen, daß eine dezentrale Befehlsstruktur und ein kollegialer Führungsstil die Katastrophe in Grenzen gehalten oder sogar verhindert hätte. Red Adair, selbst patrimonial geprägt und ein Bewunderer von Armand Hammer, ohne dessen Öl-Machenschaften zu kennen, verstand etwas davon, jeden Unfall trotz seiner Entscheidungskompetenz arbeitsteilig, dezentral und doch koordiniert zu bewältigen. Deshalb delegierte er auch »unter den Augen der Welt«, wie er das riesige Medienaufgebot zu seiner Tätigkeit auf der »Piper Alpha« nannte, bestimmte Vorarbeiten zum Eindämmen und Abstellen des Höllenbrandes an tüchtige und mutige Mitarbeiter. In dieser Zeit der äußersten Herausforderung waren die Medien mit ihren verzerrenden Sensationsberichten nicht immer hilfreich. Red Adair hat manches daran geärgert, aber es hat ihn nie wirklich angefochten, seine Arbeit zum Nutzen dieser Bohrstelle und der Nordsee erfolgreich abzuschließen: Gemäß seinem Arbeitsmotto: »Ein roter Overall läuft niemals weg!«
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Brent Spar Die Formeln »Brent Quality« oder auch »Brent Blend« besitzen in der Ölwelt wie an den Waren-Börsen einen durchgehend guten, ja geradezu magischen Klang. Denn es handelt sich bei diesem Rohöl um eine Spitzenqualität nach dem API-Standard, die vorwiegend aus dem Brent-Feld im britischen Sektor der Nordsee gefördert wird. Zusammen mit dem amerikanischen »West Texas« und dem nahöstlichen »Arabian Light« gilt das Brent-Öl als internationaler Maßstab und globaler Trendsetter: Auch auf dem nahen Spotmarkt von Rotterdam, wo kurzfristig bestimmte Mengen Öl gekauft werden können. Dieser ökonomisch günstige Eindruck und gute Ruf wurde allerdings in einer breiten westeuropäischen Öffentlichkeit dadurch getrübt, daß die NGO-Gruppierung Greenpeace (GP) im Sommer 1995 eine Kampagne zur Rettung der umweltgeschädigten Nordsee startete und von einigen Aktivisten eine Tankplattform entern ließ - die einsam vor sich hindümpelnde und seit Jahren nicht mehr genutzte »Brent Spar« des niederländischbritischen Großkonzerns Royal Dutch/Shell. Zur gleichen Zeit dieser spektakulären Aktion entfachte die weltweit tätige Organisation der Regenbogenkrieger (Rainbow warrior), wie sich GP-Leute gerne nennen, in Funk, Presse und Fernsehen einen regelrechten Wort-Krieg gegen die Ölkonzerne. Ziel ihrer Aktionen war es, die Brent Spar an Land zu schleppen, um sie dort nach allen Regeln der vorhandenen Entsorgungstechnik abzubauen - dem Umweltgesetz für die Nordsee gemäß. Die Forderung der Meeresschützer entsprach also dem geltenden Recht. Der Ölkonzern Royal- Dutch/Shell jedoch, der zusammen mit Esso ein Konsortium gebildet hatte, um die jetzt besetzte Tankplattform bauen und betreiben zu können, wollte -472-
eine andere und wesentlich billigere Lösung verwirklicht sehen: Die Brent Spar sollte an den Rand des Festlandsockels geschleppt werden, damit sie dort in den Tiefen des Atlantiks versenkt werden konnte - mit den Restbeständen an Öl und Chemikalien. Greenpeace wurde als NGO-Organisation zum Schutz der Meere vor Verschmutzung und zur Erhaltung von deren Artenvielfalt 1971 gegründet, vor allem zur Bewahrung der Wal- und Delphinbestände. Zwei Jahre nach der Umweltbewegung Big Green in den USA, die sich vornehmlich dem Kampf gegen sorglose Öl- Unternehmen widmete und ein Jahr vor den Warnungen des Club of Rome an die Industrieländer, die Natur ohne Rücksicht auf kommende Generationen auszubeuten. Als die GP-Leute Wind von der Shell- Aktion bekommen hatten, wurden besonders der Niederländer Gijs Thieme und der Deutsche Roland Hipp in den Medien aktiv, um eine Versenkung der Brent Spar zu verhindern. Diese Tankplattform war bereits 1975 in Erfjord an der norwegischen Westküste gebaut und ein Jahr später in Dienst gestellt worden, um gefördertes Öl zu bunkern und bei Bedarf an Tanker weiterzugeben: Am Rand des britischen Brent-Feldes und nicht weit entfernt von den bald berühmten Ölfeldern im norwegischen Gebiet wie Frigg, Heimdal, Odin, Troll oder Statfjord. Mit einem Tiefgang von 109 Metern und einem Fassungsvermögen von 300000 Barrel Rohöl gehörte die Brent Spar zur ersten Entwicklungsphase des industriellen Netzwerkes über die einzelnen Sektorengrenzen hinweg. Als gewaltige Sammelstelle sollte sie nur die Zeit überbrücken, bis am Meeresgrund genügend Pipelines gelegt waren, die das erbohrte Öl oder Gas aufnehmen und weiterleiten konnten - wie von -473-
Ekofisk aus nach Teesside an der englischen Ostküste. Im Zuge des stetigen Ausbaus eines Pipeline-Netzes von den Produk tionsfeldern zu den Raffinerien der Anrainer wurde die Brent Spar im Jahre 1991 vom Teileigner Shell mit Zustimmung der Esso aufgegeben und dümpelte fortan ungenutzt sowie unbemannt vor sich hin. Ein Beton-Stahl-Saurier aus der Pionierzeit des Nordsee-Öls, der etwa 150 Tonnen Rückstände an Bord hatte: Darunter gab es neben Altölen noch Substanzen wie das radioaktive Polonium 210, das auch in verbrennendem Tabak freigesetzt wird. Obgleich die Rechtslage seit 1959 und 1969 vorsah, daß toxischer Müll aus der Ölförderung und Lagerung ausdrücklich an Land zu entsorgen war und nicht auf hoher See verklappt werden durfte, erteilte die britische Regierung unter dem Premierminister John Major eine Ausnahmegenehmigung. Wie schon im Falle »Piper Alpha« verhielten sich die Konservativen Englands bei dieser rechtswidrigen Entscheidung im Geiste John Seldens vollkommen patrimonial, obwohl sie aufgrund internationaler Verträge und dem Völker- wie Seerecht gemäß gehalten waren, depositär vorzugehen: Als Treuhänder des Gemeinwohls wie des Meeres, der das gebotene Drittrecht zu achten hat. Tatsächlich stimmte das Kabinett Major einer Rechtsbeugung ohne vorhandene Not zu, die das Unterhaus schon aus Selbstachtung hätte verhindern müssen. Aber auch in GroßBritannien besitzt der in den USA so gefürchtete Ölblock seit der Gründung des einst regierungseigenen Ölkonzerns British Petroleum (BP) und der niederländischbritischen Royal-Dutch/ Shell mit ihren Lobbyisten in allen Parteien des Parlaments einen wesentlich größeren Einfluß auf die Regierung, als es sich der normale Wähler vorstellen kann oder will: Ob sogar Korruption im Spiele war, müßte eine Analyse überprüfen, sobald das Archivmaterial freigegeben wird. Nach Lage des Falles konnten sich die Manager von Shell -474-
also nicht im Recht fühlen, als sie ihre Plattform aus dem britischen Sektor abziehen wollten. Die maßgeblichen Shell- Leute verlegten sich dann unter dem Druck der Öffentlichkeit auf eine angeblich »ökologische Lösung«. Denn die berstenden Betonringe der Brent Spar würden in der Tiefe künstliche Schutzriffe für allerlei Kleinlebewesen und Fische bilden, während sich die Ölrückstände in den riesigen Wassermassen des Atlantik verflüchtigten: Ein schwaches Argument, wußten doch die Umweltschützer, daß ein Liter Öl eine Million Liter Wasser belasten kann. Je mehr Öl demnach in der Brent Spar schwappte, desto wirksamer konnte diese Menge für die laufende Kampagne als Gegenargument angeführt werden. In die Enge getrieben verteidigte sich dann Shell mit dem Pochen auf ihr Hausrecht als Eigentümer der Brent Spar und rief folgerichtig die englische Regierung als Schutzmacht an, weil die Tankplattform im britischen Sektor verankert war und damit der Rechtshoheit Englands unterstand. Damit aber wurde eine geradezu klassische Konfliktslage heraufbeschworen: Mit Shell und der Regierung Major standen Patrimonialisten jenen Kräften gegenüber, die sich in Gestalt von Greenpeace als selbsternannte Depositäre oder Treuhänder des Meeres ausgaben. Es verwundert also in diesem Stadium des Konfliktes nicht, daß Chris Fay von der UK-Shell dem Leiter der deutschen Shell- AG Peter Duncan mit aller Schärfe erklärt haben soll: »Ich habe dir schon tausendmal gesagt, daß die Brent Spar eine rein britische Angelegenheit ist.« Wurden schon innerhalb des multinationalen Ölkonzerns die Zuständigkeiten nach Eigentumssektoren abgegrenzt und jede Intervention zurückgewiesen, so verhielten sich auf der staatlichen Ebene die Akteure nicht wesentlich anders, obwohl sie durch demokratische Wahlen legitimiert waren - im Gegensatz zu Shell und Greenpeace als Privatorganisationen. -475-
John Major als Regierungschef wehrte sich vehement gegen jede Einmischung von außen. Selbst von seinem »Freund«, dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der aus populistischen Gründen Greenpeace stützte und als Parteivorsitzender nichts unternahm, um den Boykott-Aufruf von CDU-Mitgliedern gegenüber Shell- Tankstellen zu verhindern. Mit der Diskussion über das Hausrecht und Eigentum an der Brent Spar kam auch die Frage nach dem Verursacherprinzip auf, d.h. nach der Verantwortung und Schadensersatz. Ein Problem, das bei jedem Pipelinebruch, Tankerunglück, Autobrand oder Flugzeugabsturz virulent wird, sobald Dritte geschädigt werden und damit ein öffentliches Rechtsinteresse der Schadensabwehr wie der Folgelasten entsteht. Ob den Verantwortlichen bei Greenpeace in jeder Phase ihrer medienwirksamen Aktion bewußt war, auf welch brisanten Rechtsfeldern sie sich bewegten, läßt sich hier nicht beurteilen. Tatsache ist nur, daß sie von ihrer Hamburger Zent rale aus einem eskalierenden Schritt zustimmten, der sich als fatal erweisen sollte: Es wurde nämlich von ihrer Seite behauptet, daß sich nach eigenen Messungen in den Tanks der Brent Spar nicht 150 Tonnen Restöl befänden, sondern 5500 Tonnen. Das war ein schwerer Vorwurf an Shell und auch an die Regierung Major, die den Ölkonzern stützte und die anstehenden Rechtsfragen am liebsten mit einem Machtwort beendet hätte: Am Ende erwiesen sich jedoch diese Angaben als Falschmeldung und Greenpeace sah sich gezwungen, sich bei Shell dafür zu entschuldigen. Trotz dieses Verlustes an Glaubwürdigkeit wirkte sich die Kampagne mittels der Medien und besonders des Fernsehens auf das Tankverhalten vieler deutscher, niederländischer oder auch dänischer Autofahrer aus. Statt ihren Treibstoff bei Shell zu kaufen, fuhren sie zur benachbarten Esso-Tankstelle, obwohl der amerikanische Konzern mit 50 % an der Brent Spar beteiligt war! Entweder wußte man wirklich nichts über die wahren -476-
Eigentumsverhältnisse an der Tankplattform oder aber man verdrängte wider besseres Wissen diese Sachlage, weil sich das mediale Feindbild auf die »Gelbe Gefahr« konzentriert hatte. Mit diesem Schlagwort wurde einst Shell in den USA von Rockefellers Esso beim Kunden verunglimpft. Jetzt genügte es, das Kaufverhalten vieler Autofahrer in Westeuropa wegen der Brent Spar mit dem markigen Spruch zu beeinflussen, der in Den Haag am Eingang von Straßentunneln für Stimmung sorgte: Shell to hell! Die Entdeckung von Öl und Erdgas im gesamten Gebiet der Nordsee sowie die systematische Erschließung dieser Rohstoffe in einer schon gigantischen Anstrengung aller Industrieländer Westeuropas unter Mitwirkung amerikanischer Bohrunternehmen erwies sich für die Anrainer als eine große Entlastung. Denn die steigenden Produktionsmengen machten sie mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland zu Selbstversorgern und Exporteuren vornehmlich in den skandinavischen und mitteleuropäischen Raum. Die einst gefürchtete Dependenz von Öllieferungen aus der Golfregion des Nahen Ostens, die nach dem Suez-Konflikt von 1956 und mit der Ölpreiskrise von 1973 so schmerzhaft empfunden wurde, konnte erheblich abgebaut werden. Auf eine auch nur regionale Preissenkung wirkte sich jedoch dieser Ölsegen nicht aus. Denn vor allem die begünstigten ErbKönigreiche Belgien, Dänemark, England, Niederlande und Norwegen als die »neuen Scheichs« wurden weder Mitglied in der Opec noch änderten sie als parlamentarische Demokratien die Besteuerung für Mineralöl - die wichtigste Einnahmequelle ihrer öffentlichen Haushalte. Experimente mit einer Öko-Steuer zur Finanzierung der Rentenkasse ließen im Deutschland der Jahrtausendwende zum ersten Mal den Literpreis für Benzin über die 2-Mark-Grenze springen und lösten unter Autofahrern einige Unruhe aus. Alle -477-
Erfahrung zeigt aber, daß sich trotz des Schimpfens auf die »Multis« und die »Scheichs« am Golf an dieser hausgemachten Preisgestaltung kaum etwas ändern wird, solange Öl und Erdgas mit ihren industriell gefertigten Produkten außer im Flugbereich (!) der Hochbesteuerung unterliegen und damit dem jährlichen Gemeinwohl (Staatshaushalt) zu dienen haben. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß sich hier eine Entwicklung verstärken wird, die schon begonnen hat und bei der das Erdgas aus der Nordsee oder Sibirien zunehmend das kostbare Öl ablöst, vor allem im Heizbereich und bei der Stromgewinnung. Im Zuge einer treuhänderischen Energiepolitik bleibt aber noch eine Menge Arbeit übrig, das Erdgas mit der gezielten Nutzung der Geowärme zu ergänzen oder eines Tages ganz zu ersetzen, wie es zur Zeit auf Island geschieht. Dazu wäre es nötig, die bereits bestehenden Bohrlöcher in der Nordsee nach ihrer Öl- oder Gaserschöpfung auf einer Teufe von 2000 Metern zu halten, um die dort herrschenden 100 Grad Celsius durch Wasser- oder Lufteinpressung zu nutzen - als eine neue und saubere Fernwärme. Damit könnte man vor allem das Prometheus-Syndrom in Skandinavien durchbrechen, wo der Automobilismus ungebrochen kultiviert wird und die einst staatlich so geförderte Atomkraft vor allem in Schweden aufgegeben werden soll. Die künftige Energieversorgung verteilt sich danach auf die herkömmlich genutzte Wasserkraft sowie auf das Verbrennen von Öl und Erdgas in »gereinigten Formen«. Die Hauptlast für diesen historischen Schwenk zurück trägt weitgehend der norwegische Ölkonzern Statoil. Er hat als staatliches Unternehmen nicht nur den Großteil des Tankstellennetzes in Norwegen übernommen, sondern sich auch in Schweden, Finnland und Dänemark einen steigenden Marktanteil gegen Esso und andere Wettbewerber gesichert. Durch den geschickten Ausbau der Tankstellen an -478-
Verkehrsknoten des weitläufigen Wirtschaftsraumes sind mittlerweile richtige Kulturzentren entstanden. Die ausgeprägte Automanie im Norden Europas wird von Statoil genutzt, um mittels des getankten Benzins oder Diesels noch andere Bedürfnise dieser sehr mobilen Gesellschaften zu bedienen: Die Tankstelle gestaltet sich zunehmend zum Multi- Zentrum mit Kinderhort, Supermarkt und Kino. Wie stark die industrialisierte Nordsee noch eingewirkt hat, vermittelt der schottische Nationalismus gegen die Londoner Dominanz ebenso wie die fundamentalen Veränderungen auf den großen Werften Finnlands. Einst sahen sich die Schiffsbauer dieses kleinen Landes gezwungen, nach dem verlorenen Winterkrieg (1941) gegen die Sowjetunion Stalins für diesen Nachbarn allerlei Spezialschiffe zu bauen: Auch schwimmende Fischfabriken, die unter der Flagge mit Hammer und Sichel sogar in den internationalen Gewässern der vormals fischreichen Nordsee auf regelrechten Raubfang gingen. Doch schon vor dem Zusammenbruch des SowjetSozialismus hatte man damit begonnen, sich auf den Bau von Bohrinseln und Förderplattformen zu konzentrieren, um dann diese Wunderwerke finnischer Ingenieurskunst durch die Ostsee auf die Bohrplätze der Nordsee zu schleppen: Eine zukunftsweisende Entwicklung mit ökologisch ausgerichteten Systemen, die auch durch die neue Brücke über den Sund nicht aufgehalten werden kann. Die Nordsee, deren Stürme und Springfluten auf allen Plattformen weiterhin gefürchtet sind, ist zu einem ergiebigen Arbeitsmarkt und Rohstofflieferant für ganz West- und Nordeuropa, ja selbst für die USA geworden. Nach der unverantwortlichen Phase des industriell betriebenen Leerfischens hat sie ein natürliches Anrecht darauf, sich als nahrungsspendendes Meer regenerieren zu dürfen: Mit Hilfe der Erträge aus ihrem Öl und Erdgas sollte auch das in Zukunft möglich sein - zu unser aller Nutzen. -479-
DER KONGRESS ADELT Öl oder Atom? - Ethik und Energie - Die neue Ölordnung Kaum eine andere Industrie der Welt versteht es so gut wie die höheren Kreise der Ölwirtschaft, sich selbst gehörig in Szene zu setzen und sich gebührend feiern zu lassen. Das geschieht seit dem ersten Welt-Erdöl-Kongreß oder World Petroleum Congress (WPC), der 1933 in London stattgefunden hat. Dieses Treffen von Geologen, Öl- Technikern, Geophysikern, PetroChemikern, Ingenieuren, Managern, Juristen, Politikern und Journalisten aus aller Herren Länder geht auf einen bedeutenden Vorläufer zurück. Denn bereits im Jahre 1900 fanden sich in Paris Ölleute aller Art zusammen, um dann 1905 in Lüttich und 1907 in Bukarest vor allem ein gemeinsames Anliegen eingehend zu besprechen, das 1933 immer noch aktuell war und es bis heute geblieben ist - die weltweit gültige Normierung für ganz bestimmte Industrie-Standards (ISA). Hatte man sich 1907 zumindest darauf einigen können, daß l eine Permanente Internationale Petroleumkommission die anstehende Arbeit zu einer normgerechten Angleichung aufnahm, so setzte ihr der Ausbruch des Weltkrieges 1914 einen abrupten Schlußpunkt. Das erkennbare Bemühen, den technischen Fortschritt zu nutzen, um die ganze Welt mit dem wichtigsten Roh- und Treibstoff optimal zu versorgen, war einem nationalistischen Egoismus gewichen: Dem Aufbau einer Autarkie oder Selbstversorgung im Energiebereich, schon um in Krisen und Kriegen nicht von Nachbarn oder Zulieferern abhängig zu werden. Man denke hier nur an das abschottende Wirken der Deutschen Industrie-Norm (DIN), um zu verstehen, daß -480-
derartige Alleingänge dem Weltmarkt nicht dienlich waren und schon gar nicht einer Industrie, der es in erster Linie um funktionsgerechte Rationalität, Effizienz und Rentabilität ging. Zur Überwindung dieses lähmenden Zustandes, der sich schon darin zeigte, daß die Maße der Bohr- und Fördergeräte entweder in Metern oder Zoll gerechnet wurden und nicht kompatibel waren, haben vor allem die Sieben Schwestern beigetragen. Die führenden Leute dieser Global-Konzerne hatten bekanntlich 1928 beschlossen, den bisher so brutalen Kampf um Marktanteile aufzugeben und fortan fair miteinander umzugehen. Der mörderische Preiskrieg hatte sich in einen lauteren Wettbewerb mit Kartell- Absprachen zu wandeln, damit Produzenten, Vermarkter und Kunden die Stetigkeit eines stabilen und zuträglichen Benzin- oder Heizölpreises genießen konnten - zur Planung für eine absehbare Zukunft. Man war also in den höchsten Ölkreisen mit Nachdruck bemüht, aus der langen Phase des rohen Kapitalismus herauszutreten und das Öl als eine Art Kulturgut der technischen Moderne zu empfinden. Was immer auch 1933 und besonders 1937 in Paris während der Welt-Ausstellung von der neuen Einrichtung des globalen Ölkongresses mit einem permanenten Komitee in London über die technische Standardisierung hinaus erwartet wurde, erfüllte sich aber nur am Ra nde. Man wähnte sich zwar mit Hilfe des Öls auf dem Weg zu »den edelsten menschlichen Hoffnungen« auf Frieden und Freiheit, wie es zur Eröffnung des WPC in Paris recht pathetisch hieß. Doch gleichzeitig tobte in Spanien bereits der Bürgerkrieg als Vorlauf zum nächsten Weltkrieg und machte in seiner Technisierung besonders aus der Luft (Guernica) deutlich, was vor allem Politiker und Militärs noch zu leisten hatten, sollten Ethik und Technik nicht gegeneinander ausgespielt werden, zumal sie im antiken wie christlichen Menschenbild aufeinander bezogen wurden: Das heißt, die individuelle Fertigkeit (techne) hatte bei allen Tätigkeiten den kollektiven planenden Verstand der -481-
Gemeinschaft (Gnome) zu berücksichtigen und die Gnadengabe (Tyche) des Himmels zu erhoffen - »das Glück des Tüchtigen«. Auf diese Problematik hatte bereits der amerikanische Historiker Charles Austin Beard in seiner Geschichte der Industriellen Revolution hingewiesen. Das war 1901 und nun in einem engagierten Essay »That noble dream« von 1935 betonte er noch einmal, jede Unternehmung des Menschen in Geschichte und Gegenwart nicht von der »Ethik und Ästhetik« abzukoppeln, um sie einem brutalen Machtverhalten zu überlassen. Beard ist es aus langer Erfahrung und Kenntnis des amerikanischen Weges seit der Verfassung von 1787 hoch angelegen, der Geschichtsschreibung klarzumachen, daß sie sich nicht nur wie die deutsche Ranke-Tradition des Historismus auf Personen und Ereignisse allein konzentrieren sollte, sondern auch Strukturen und Mentalitäten zu berücksichtigen hat, letztlich Macht und Moral nicht trennen dürfe. Der Geistes-Aristokrat Beard, dessen Hauptwerk von 1913 über die ökonomischen Bedingungen der US-Verfassung erst 1974 ins Deutsche übersetzt wurde und in den vorherrschenden Machtschulen Europas kaum eine Rezeption fand, besaß zur gleichen Zeit einen ähnlich gesinnten Mitstreiter in der praktischen Politik. Es war Argentiniens Außenminister Carlos Saavedra-Lamas, ein glänzender Jurist und Sozialreformer aus einem alten spanischen Adelsgeschlecht. Ihm war es 1935 gelungen, den langwierigen Chaco-Krieg zwischen dem diktatorischen Bolivien (Aggressor) und dem demokratischen Paraguay zu beenden. Im Vertragsgeist des Hugo Grotius, daß »der Zweck des Krieges der Friede ist« (1626), fand er zu einer weiteren Völkerrechtsposition, die der Macht- und Siegermentalität vieler seiner Zeitgenossen energisch widersprach und dennoch friedensstiftend wirkte: »Victory gives no rights!« Die historische Bedeutung dieser Formel des Friedensnobelpreisträgers aus Buenos Aires zeigte sich -482-
spätestens 1941. In diesem Jahr sollte der dritte Welt-ErdölKongreß in Berlin das Bemühen der Ölleute stärken, den Weltfrieden zu befördern und ihre Produkte in den positiven, ja noblen Dienst an der Menschheit zu stellen. Statt dessen wurde das Öl wieder einmal gegen alles Recht für militärische Siege und Barbarei grob mißbraucht: Vom Flammenwerfer über das Flugbenzin für todbringende Bomber bis zum Giftgas in den Vernichtungslagern, aber auch zur Herstellung von Uranbrennstäben und damit der Atombombe.
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Öl oder Atom? Die Nachwirkungen des Scheiterns von 1941 waren noch zehn Jahre später massiv zu spüren, als sich die westliche Ölwelt 1951 zum vierten WPC in Den Haag traf. Der Kongreßort war geschickt gewählt worden, hatte doch hie r die RoyalDutch/Shell ihren Hauptsitz. Außerdem stand die RegierungsHauptstadt des Königreichs der Niederlande schon wegen der Haager Landkriegsordnung von 1898 ganz im Zeichen des Völkerrechts und damit des Friedensstifters Hugo Grotius, dessen Gerecht igkeitsgebot im Zusammenleben der Menschen auch für die Kongreßleute eine Verpflichtung war. Doch diese Kopplung von Friedensordnung und Öl wurde in den folgenden Jahrzehnten von einem quantitativen Wachstumsdenken überlagert, das die alle vier Jahre abgehaltenen Weltkongresse eher zu einer Olympiade des Öls machte. Was demnach ab 1955 in Rom, New York, Frankfurt am Main, Mexiko City und Moskau bis 1971 der Weltöffentlichkeit von den Ölleuten präsentiert wurde, entsprach den Wünschen des Barons de Coubertin von 1896: Die Ölforschung bewies wieder einmal, daß man mit neuen Methoden »weiter« gekommen sei, mit besserem Kerosin »höher« fliegen könne und mit klopffestem, aber verbleitem Benzin »schneller« fahren dürfe. Erst mit der Ölpreiskrise von 1973 änderte sich die bisherige Themenlage in einem wesentlichen Punkt. Die meist eine Woche dauernden Sessionen, Diskussionsrunden und Exkursionen zu Ölfeldern und Raffinerien in den jeweiligen Gastgeberländern verlagerten sich von den üblichen Erfolgsmeldungen in der Produktionssteigerung und Veredelung auf ein Nachdenken über die Umweltfolgen der ÖlVerbrennungsmanie seit 1859. Nicht umsonst kam es auch beim -484-
WPC in Tokio 1975 zu der Forderung von amerikanischer Regierungsseite nach einer Ethik der Energie: Sie war bereits von der US-Umweltbewegung Big Green seit der Ölkatastrophe im Golf von Californien (1969) aufgestellt, aber von vielen Ölkonzernen einfach ignoriert oder sogar bekämpft worden. Dabei hatte der erfolgreiche Abwurf der beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki im Jahre 1945 längst die Diskussion darüber entfacht, ob die Industrie sich auf einen reinen Technizismus zurückziehen dürfe, ohne sich um das Verursacherprinzip zu kümmern und eine Verantwortung für ihre Folgelasten zu übernehmen. Wie diese Problematik auch auf die Öl- Kongresse einwirkte, zeigte sich während des fünften WPC in New York, der 1959 ganz im Zeichen von »100 Jahre Titusville« stand. Hier hielt man sich allerdings nicht lange bei der Geschichte des Öls auf, sondern spielte angesichts einer schon historisch zu nennenden Öl schwemme mit dramatischem Preisverfall einige Optionen auf die Zukunft durch - besonders die friedliche Nutzung der Atomtechnik auch als Energie-Alternative zum Öl. Erstaunlich an dieser Debatte war vor allem, wie sorglos und ohne jeden moralischen Skrupel gegenüber den Bedienungsteams die Experten aus der seit 1956 entstalinisierten Sowjetunion über den Einsatz von radioaktivem Material in der heimischen Ölindustrie berichteten. Zu einem Zeitpunkt, als der Sputnik-Schock noch wirkte und die Sowjet-Führung unter Nikita Chruschtschov weitreichende Atom-Raketen in Stellung bringen ließ, die vom Boden der DDR aus alle bisherigen Kongreßorte wie London, Paris, Den Haag und Rom erreichen konnten. Doch es kam fast einer Sensation gleich, was der aus Ungarn stammende »Vater der Wasserstoffbombe« Edward Teller als Physik-Professor während des Ölkongresses vortrug und anschließend mit Experten der Esso, Ohio Oil, Sinclair oder Gulf diskutierte. -485-
In einem Beitrag der Sektion X entwickelte Teller als Star der »neuen Aristokraten«, wie die Atomphysiker in der Wissenschaft eingeschätzt wurden, einige Ergebnisse aus dem sogenannten Rainier-Projekt, die er anhand von dabei gedrehten Filmen erläuterte. Es ging darin um die Reaktionen und Resultate einer Atom-Explosion kleinerer Sprengkraft in Formationen von Vulkan-Asche, wie sie im US-Staat Nevada versteinert vorkommt. Die Bildung einer größeren Caverne beim Kollabieren der Gesteinsmasse am Ende des Bohrlochs leuchtete den Öl experten ebenso ein wie die folgende Kraterbildung an der Erdoberfläche. Nachzuvollziehen war auch die enorme Hitzeentwicklung der Atomexplosion in Teufen, die über herkömmliche Flachbohrungen (bis 800 Meter) selten hinausgingen. Was den Ölleuten bei allem Interesse z. B. für die Verflüssigung von Ölschiefer aber doch einige Sorgen bereitete, war die Tatsache, daß selbst Teller noch keine »saubere Bombe« (clean bomb) zum operativen Einsatz bringen konnte - also ohne nachwirkende Radioaktivität mit schädlicher Strahlung. Teller versicherte zwar, daß bei allen Experimenten keine nennenswerten Mengen an radioaktivem Abfall (Fallout) zur Erdoberfläche gedrungen seien. Doch die Sorge war in der Diskussion herauszuhören, daß angesichts auch der Atomversuche in der Atmosphäre, wie sie noch 1959 weltweit üblich waren (!), eine Belastung für die Biosphäre und den Menschen eintreten könnte, zumal freigesetzte Radioaktivität oder toxischer Abfall übers Grundwasser in den natürlichen Kreislauf sickern dürfte. Dieser Gefährdungen war sich Teller bewußt, und er verwies immer wieder auf die Notwendigkeit weiterer Forschung. Dennoch konnte er es nicht lassen, den Ölleuten eine Vision auszumalen, nämlich mit Hilfe gut kontrollierter Atomexplosionen vor allem die gewaltigen Ölschiefer- und Ölsandvorkommen in den USA und Kanada »zum Fließen« zu bringen. Gleichzeitig verwies er auf die Möglichkeit, die vom -486-
Gebirge gehaltene große Atomhitze zu nutzen. Das aber hieß für ihn, über »eine Reihe von Röhren Wasser einzupumpen und es als Dampf wieder nach oben zu bringen, wo eine Turbine installiert wird, die groß genug ist, damit sich das ganze Unternehmen lohnt…« - vornehmlich zur Stromproduktion. Die naheliegende Frage, wie lange denn eine Turbine den Beschüß aus radioaktivem Dampf aushakten würde, wurde Teller hier nicht gestellt. Es war wohl eher der ökonomische Aspekt, der die Konzern-Vertreter veranlaßt hatte, die kostspieligen Investitionen in eine Öl- Atom-Technik erst gar nicht praxisreif oder marktgerecht werden zu lassen. Denn sie wußten längst, daß es wesentlich billiger war, die in 2000 Meter Teufe herrschende Geo-Wärme als absolut saubere Energie zu nutzen: Was auch mit dem Hotdryrock-Verfahren erfolgreich gelingen sollte. Auffallend ist aber schon, wie vernarrt dieser WPC von New York geradezu war, »atomare Radioaktivität in der Ölindustrie« (Clark Goodman) auf verschiedenen Tätigkeitsfeldern nutzen zu wollen: Ob zur Kontrolle der Zementation in einem abgeteuften und verrohrten Bohrloch oder auch bei der Ortung von Reinigungs-Molchen in einer Pipeline - ohne jedoch das Gefährdungspotential für Mensch und Natur allzusehr zu bedenken. Gelang es also, in praktischen Bereichen Ölindustrie und Atomtechnik anzunähern, so stand besonders seit 1959 die Frage an, ob in Zukunft nicht billiger Atomstrom zumindest das Heizöl weitgehend ersetzen könnte. Denn trotz der herrschenden Öl schwemme blieb den US-Experten bewußt, daß die USA seit 1946 die Importe aus Mexiko, Venezuela und Saudi-Arabien ständig erhöht und damit ihre Autarkie oder Selbstversorgung in diesem Energiebereich eingebüßt hatten. Darauf ging Robert E. Wilson, ein ehemaliger Esso-Chef -487-
(Indiana) und Berater der US-Atomenergie-Kommission ein. Er rechnete während des WPC die eingetretene Versorgungslage auf das ominöse Jahr 1984 hoch. Nach einem Roman von George Orwell aus dem Jahre 1948 sollte es zu diesem Zeitpunkt auf der Welt nur noch totalitäre Kontinentalregime geben: Eine Horror-Vision, die jedem freiheitsliebenden Amerikaner zuwider war und verhindert werden mußte - auch mit Hilfe des Öls und der Atomkraft. Selbst bei dem nüchtern referierenden Esso-Mann Wilson ist zu spüren, wie ihn die Energie-Zukunft der globalen Supermacht USA umtreibt. Er kommt dabei auf einen Faktor zu sprechen, der meist in der Debatte bis heute verdrängt wird: Es besteht kein Zweifel, daß Atomstrom eine Menge Heizöl ersetzen kann, aber gleichzeitig benötigt die Atomindustrie große Mengen Heizöl, um überhaupt Uranbrennstäbe herstellen zu können. Wilson stellte dazu fest, daß allein »20 Millionen Tonnen Öl pro Jahr« aufgewendet werden müssen, um »hauptsächlich U 235 von natürlichem Uran zu scheiden« - das Vierfache der damaligen Jahresproduktion an Öl in der westdeutschen Bundesrepublik. Allein aufgrund dieser technischen Konstellation betrachtete der Esso-Experte die mit Steuergeldern staatlich subventionierte Atomindustrie »nicht als Wettbewerber, sondern als eine Hilfe für fossile Brennstoffe (fuels), die Bürde zu tragen.« Deutlich ist das herauszuhören, was viel später erst in Westeuropa als Energie-Mix bezeichnet wurde, nämlich die Verteilung des Energiebedarfs auf verschiedene Träger. Es ging Wilson in kluger Einschätzung der Situation nicht darum, die Ölindustrie als Energieversorger einfach durch die Atomindustrie zu ersetzen, sondern sie integrativ miteinander abzustimmen - als eine dem ganzen Land zuträgliche und optimierte Ergänzung. Was nun die technische Nutzanwendung betrifft, so kann Wilson außerdem nicht sehen, daß es bald einen -488-
kostengünstigen Atom- Antrieb für Handelsschiffe geben könnte, der den Öla ggregaten wesentliche Marktanteile abnimmt. Im Hinblick auf die amerikanische »Savannah« und die westdeutsche »Otto Hahn« sollte der Esso-Mann recht behalten. Aber im militärischen Bereich, der sich ja nicht dem Wettbewerb im Markt zu stellen hatte und hochsubventioniert wurde, erlebte der Bau von Atom-Unterseebooten seit der »Nautilus« einen bis heute anhaltenden Boom - bei allen fünf Atommächten und ständigen Mitgliedern des UNOSicherheitsrates. Die Vision von »atomgetriebenen Autos, Lastwagen und Traktoren« wischte Wilson mit schwer zu widerlegenden Argumenten vom Tisch. Denn erstens stünden dafür horrende Entwicklungskosten an und zweitens wäre ein »außerordentlicher Schutzschild« (heavy shielding) nötig, um die Benutzer solcher Fahrzeuge »vor gefährlicher Strahlung zu schützen«. Bei allem Willen, moderne Technik auszureizen, kannte doch dieser erfahrene Ölmann die Kosten-Nutzen-Rechnung für neue Produkte. Er wußte auch, daß in den USA oft ein hoher Schadensersatz bezahlt werden mußte, sollte ein Kunde durch fehlerhafte Apparate einen Nachteil erleiden oder selbst zu Schaden kommen. Aus diesen Gründen kann er sich auch nicht recht mit dem Gedanken der Atom- Lobby anfreunden, daß sich das Beheizen von Häusern durch atomare Anlagen lohnen könnte: Atomgetriebene Flugzeuge und Lokomotiven erscheinen ihm ebenfalls eher als Gedankenspielerei ohne realistischen Grund. Wilson hat im wesentlichen über das Jahr 1984 hinaus Recht behalten, weil er den steten Zustrom billigen und effektiv genutzten Öls für wichtiger einschätzte als eine Technik, die erst noch erprobt werden mußte. In einer auf Neuerungen versessenen, aber doch im Kern äußerst wertkonservativen Gesellschaft wie jener der USA zahlte sich die Öl- Haltung aus, -489-
zumal sich seit den Atomexplosionen über Japan einige Urängste gegen das Atom aufbauten, die kaum zu überwinden waren. Tellers und Wilsons Auftritte gehörten sicher zu den Höhepunkten dieses bedeutenden Kongresses zu 100 Jahren Ölindustrie, markierten sie doch die Festigung der weiteren Ölnutzung zugunsten des Massenkonsums. Aber auch andere Bereiche waren wichtig genug: Vor allem die seit 1900 und 1933 geforderte Standardisierung für alle Geräte, Maschinen und Güter der Ölindustrie. Ein Blick nur in die »Technical Standards Services«, die das API in einer internationalen Ausgabe allein für das Jahr 1999 dem Fachpublikum bereitstellt, macht deutlich, wie groß das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung ist. Diese verdienstvolle Arbeit der Angleichung ging auch 1959 auf die Bemühungen des »Technischen Komitees 28« der Internationalen Standardisierungs-Organisation (ISO) zurück, die seit 1945 im Rahmen der UNO die Durchsetzung einer weltweiten Normierung betreibt. So wie sich die USA und Groß-Britannien 1944 für ein System von Leit-Währungen abgesprochen hatten und dabei den Petro-Dollar für die gesamte Ölindustrie als Verrechnungsbasis schufen, so waren auch diese Länder bestrebt, eine gegenseitige Standardisierung in der Technik anerkannt zu bekommen: 1959 waren es bereits 40 Länder. Diese weltweite Anerkennung amerikanischer Sachkompetenz außerhalb des Ostblocks kann als Krönung des WPC von New York angesehen werden. Sie veranlaßte sogar den Berichterstatter SJM Auld zu der Einschätzung, daß hiermit ein »Noblesse oblige für die USA« entstanden sei, nämlich die Verpflichtung, die gesamte Ölindustrie national wie global weiterhin auf höchstem qualitativem Niveau zu halten, ohne die Technik zum Selbstzweck werden zu lassen. All das verdeutlichte im Krisenjahr 1959, daß die USA trotz sinkender Eigenproduktion, aber bei steigendem Bedarf das -490-
führende Ölland in der Welt waren und das bleiben sollten, was sich die Ölleute dieses Kongresses bis zur Jahrtausendwende auch politisch erhofften: Ein Treuhänder der Welt-Zukunft.
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Ethik und Technik Kaum waren die erhebenden Reden zur glorreichen ÖlZukunft in New York verklungen, meldete sich der harte Alltag zurück. Hatte noch Anton Zischka (»Ölkrieg«) 1939 verkündet, daß die USA in zwanzig Jahren keinen einzigen Tropfen Öl mehr haben werden, so ließ eine Ölschwemme ohnegle ichen die Preise in den Keller rutschen und gefährdete nicht nur notwendige Investitionen der Global-Konzerne, sondern auch der ölproduzierenden Länder wie Venezuela oder SaudiArabien: Sie schlössen sich in ihrer Not 1960 mit anderen Produzenten zum Staats-Kartell Opec zusammen, um für einen gerechten Preis auf dem Weltmarkt zu kämpfen, d.h. selbst ethisch fair in der Hoffnung zu handeln, lauter behandelt zu werden. Kündigte sich hier nach dem Firmen-Kartell von 1928 (Sieben Schwestern) eine neue Form von Globalisierung an, so schottete sich der Sowjet-Kommunismus mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 vom Weltmarkt und Freihandel ab. Er zog sich mit seinem Herrschaftsbereich auf die eigene Stagnation zurück, die nur noch zum Öl- Raubbau, zur atomaren Hochrüstung und risikoreichen Raumfahrt fähig zu sein schien. In den USA hingegen verkündete der junge Präsident John F. Kennedy mit neuem Fortschrittsoptimismus das Ende des Sputnik-Schocks und versprach für das Jahr 1969 die Landung amerikanischer Astronauten auf dem Mond - was bekanntlich auch gelang. Zur gleichen Zeit fuhr der Kanzlerkandidat der SPD Willy Brandt im Wahlkampf mit einem weißen Mercedes durch die alte Bundesrepublik und verkündete als wichtigstes Zukunftsziel einen »Blauen Himmel über der Ruhr«. Hier wirkten sich angesichts einer zunehmenden Verschmutzung des Ruhrgebietes -492-
als industrielles Herzstück der Republik Traditionen der Naturfreunde-Bewegung aus, die sofort von der regierenden CDU unter Konrad Adenauer mit dem Wahlslogan gekontert wurden: »Die Schlote müssen rauchen.« Umweltschutz als ein ethisches Grundanliegen auch im Hinblick auf die von der Verfassung geforderte Volksgesundheit und Schadensabwehr wurde gegen die Vollbeschäftigung und eine Wachstums ideologie ausgespielt, die nur noch in Quantitäten selbst beim Energiebedarf rechnen konnte, ohne an die Folgelasten zu denken. In dieser Stimmung einer inneren Konfrontation von EthikVerfechtern und Technik-Verehrern fand der sechste WeltErdöl-Kongreß 1963 in Frankfurt am Main statt. Die Entscheidung der Ölleute für die Main-Metropole war in erster Linie dem Oberbürgermeister Werner Bockelmann zu verdanken. Er hatte zuvor schon als Stadtoberhaupt von Ludwigshafen am Rhein gedient und mit seinen Beziehungen zur Petrochemie - BASF und HOECHST - das Interesse auf die Messe-Stadt mit internationalem Flughafen gelenkt. Zum ersten Mal in der Kongreß-Geschichte des Öls wurde auf dem Frankfurter Messegelände eine besondere Leistungsschau der Bohr-, Förder- und Pipelinetechnik abgehalten. Ein imposanter A-Mast, der nur aus zwei besonderen Stahlröhren bestand, signalisierte allen Autofahrern am Eingang der Messe, daß auch in der deutschen Ölindustrie mit Hilfe der Stahlwerke an der Ruhr kräftig modernisiert wurde. Das Überraschende an dieser Selbstdarstellung aber war, daß sich die deutschen Beiträge nur auf die Petrochemie konzentrierten. Jeder Hinweis auf die Leistungen der Geologie seit 1763 sowie der großen Bohrtradition von 1809 bis 1901 wurde vermieden. Diese Ignoranz der eigenen Geschichte gegenüber wurde dadurch überspielt, daß der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard im Qualm einer brennenden Zigarre populären Optimismus verbreitete und mit seinem -493-
Schlagwort »Wohlstand für alle« sogar die Ölleute aus aller Welt beeindruckte: Sie übernahmen dieses Motto fortan als Auftrag für die Ölindustrie, die im Dienst der Weifare of mankind tätig sein wollte.
A-Mast als Symbol des 7. Welt-Erdöl-Kongresses in Frankfurt am Main 1963 -494-
Unter diesen Bedingungen wird auch verständlich, daß sich die Amerikanisierung des westdeutschen Konsumverhaltens vor allem dadurch verstärkte, daß das Auto und mit ihm der steigende Ölbedarf zum Inbegriff von Freiheit, Selbstbestimmung und Fortschritt wurde. Werbeslogans wie »Und läuft und läuft und läuft« (VW) drückten ein Lebensge fühl aus, wie es auch der amerikanische Auto-Mensch als »King of the Road« empfand, nämlich im Geist der Beschleunigung modern und mobil ein autonomes Dasein zu genießen - ähnlich dem jugendlichen Filmstar James Dean in seinem PorscheSpider. Gegen diesen Hedonismus, der sich um die hausgemachte Luftbelastung mit Blei, Kohlenmonoxid und anderen Schadstoffen keine Gedanken machte, regten sich Gegenkräfte. Die Reduzierung auf einen Konsum- Idioten und »eindimensionalen Menschen«, wie Herbert Marcuse das Leben in der westlichen Warenwelt kritisierte, wollten sich vor allem die Verfechter der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King seit 1963 so wenig gefallen lassen wie die linksgerichtete Studentenbewegung nach dem AuschwitzProzeß von 1964 vornehmlich in deutschen Universitätsstädten. Allerdings richteten sich ihre Proteste nicht gegen die steigende Motorisierung, sondern nur gegen eine zunehmende Umweltbelastung durch ungefilterte Abgase oder fahrlässige Handhabungen von Öl und Chemikalien: Man fürchtete neben der Plünderung des Planeten durch kapitalistische Profitgier auch noch seine Vergiftung und verlangte nach einer VerzichtEthik. In dieser Stimmung, die fundamentale Sinnfragen nach einer menschengerechten Gestaltung der Moderne stellte und glaubte, sie im revolutionären Marxismus gefunden zu haben, wie ihn Fidel Castro und Che Guevara seit 1959 auf Cuba vertraten, ging der siebte WPC 1967 in Mexiko City über die Bühne. Aber statt die in Frankfurt begonnene Diskussion über den -495-
Stand und die Stellung der Industrie in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft zu intensivieren, ja die Beziehung von Ethik und Technik zu problematisieren, zog sich der Kongreß vornehm auf eine »rein wissenschaftliche« Position zurück: Ein Kreis ausgesuchter Akademiker beschränkte sich auf die herkömmlichen Erfolgsmeidungen und üblichen Kongreßthemen und ließ nur einen größeren Beitrag zum Schadstoffanteil von verbranntem Diesel zu. Der WPC von Mexiko war nicht in der Lage, von dieser Analyse ausgehend, die Umweltproble matik vernetzt zu diskutieren. Obgleich einige Stimmen mit Nachdruck auf die wachsenden Belastungen hinwiesen, dominierten die Vertreter des reinen Technizismus, des quantitativen Wachstumsdenkens und einer ungebremsten Motorisierung, die Mexico City bald von der saubersten zur schmutzigsten Stadt der Welt machen sollte - mit Hilfe auch veralteter Verbrennungstechnik deutscher Auslaufmodelle. Es sollte nach Mexiko genau zwanzig Jahre dauern, ehe der WPC von Houston in Texas 1987 endlich reagierte und zum ersten Mal eine Kommission einsetzte, die sich mit Umweltbelastungen aus der Öl- und Gasnutzung befaßte. Eine weitgehend verlorene Zeit in einer erodierenden Welt, auf deren Umweltfragen gerade jene politischen Kräfte keine Antwort wußten, die doch sonst für alles in Geschichte und Gegenwart eine ideologisch stichhaltige Erklärung bereithielten - die Marxisten-Leninisten im Moskauer Kreml. In dessen Schatten wurden einst Schlitten mit Ölfässern der Gebrüder Nobel gezogen. Jetzt aber im Jahre 1971 waberten die Schwaden von verbleitem Benzin und Diesel über das Machtzentrum der Sowjetunion hinweg und die Teilnehmer des achten WPC bekamen in der Hauptstadt des Weltkommunismus nur die Sonnenseiten des Systems zu sehen. -496-
Diesem Machtapparat der KPdSU, der seit 1917 gegenüber Land und Leuten nicht die geringste Treuhandschaft auf Vertragsbasis walten ließ, hatte der Soziologe Andrej Amalrik schon 1968 zur Zeit der Okkupation in Prag vorhergesagt, daß sie das Jahr »1984« nicht überstehen wird. Tatsächlich hatte zu diesem Zeitpunkt die innere Erosion des »rohen Kommunismus« (Marx) als Partei-Diktatur bereits einen Verfallsgrad erreicht, den Michail Gorbacev nur noch feststellen, aber nicht mehr aufhalten konnte - jahrzehntelange Mißwirtschaft und Korruption hatten die Implosion des Imperiums betrieben. Unbesehen einer maroden Kommando-Wirtschaft versuchte aber der sowjetische Ölminister Vladimir D. Shashin, die Geschichte des Öls in Rußland zwischen 1859 und 1917 als einen nur zerstörerischen Prozeß kapitalistischer Ausbeutung hinzustellen. Es fiel kein Wort der Anerkennung für die Gebrüder Nobel und ihre sozialen Leistungen den Ölarbeitern von Baku gegenüber. Dafür gab es reichlich Kritik an den ausländischen Ölkapitalisten, die auf der zaristischen Grundlage von Bohr- und Förderkonzessionen die Gelegenheit genutzt hätten, um Rußland und seinen Menschen »nichts als schweren Schaden zuzufügen.« Aus den veröffentlichten Kongreßakten geht nicht hervor, daß ihm jemand unter den Ölleuten aus aller Welt widersprochen hätte. Man nahm das Eigenlob der Kommunisten hin, aufgrund der Verstaatlichung der gesamten Ölindustrie und ihrer »strikten Regulierung« (Lenin) wahre Spottpreise für Benzin, Diesel und Kerosin bieten zu können und das bei 693 Millionen Tonnen geförderten und verwerteten Rohöls allein im Kongreßjahr 1971, falls die stolze Zahl stimmt. Die doch recht bescheidene Motorisierung der Sowjetunion, die sich von der italienischen Fiat das einzige moderne Autowerk »Togliatti« bauen ließ, verriet aber, daß die Öl- und Gasindustrie der Kremlmacht eine ganz andere Funktion besaß, -497-
als den Massenkonsum zu bedienen. Sie unterlag seit 1918 einer patrimonialen Ausbeutung und hatte in erster Linie die Versorgung der Sowjet-Armee zu sichern, das absolute Repressionsinstrument des auch noch atomar hochgerüsteten Imperiums. Die Frage nach dem verantwortungsbewußten Verhältnis von Ethik und Technik, Macht und Moral oder Öl und Umwelt fand in Moskau weder einen Anklang noch eine auch nur rudimentäre Antwort oder Lösung. Dafür erlebte der neunte WPC von Tokio im Jahre 1975 ein energisches Nachfassen, stellte sich doch gerade in Japan angesichts der Strahlungskranken von 1945 das brennende Problem, wohin atomare Technikfolgen führen können. Mit der Vergabe des Kongreßortes in das industriell stärkste Land Asiens wurde Japan nicht als Produzent, sondern als Großabnehmer für Rohöl besonders aus der Golfregion geehrt und gleichsam geadelt. Dabei spielte es keine Rolle mehr, daß dieses Kaiserreich laut UNO-Charta noch immer zu den »Feindstaaten« aus dem Zweiten Weltkrieg gezählt werden konnte. Dafür wurde honoriert, daß das Land unbelastet von einer steuerverschlingenden Hochrüstung ähnlich der Bundesrepublik Deutschland im Zeichen eines niedrigen Ölpreises sein Wirtschaftswunder erlebte: Mit einem ExportBoom an billigen Honda-, Kawasaki- oder Suzuki-Motorrädern sowie an Toyota- und Mitsubishi-Autos, ohne jedoch den Binnenmarkt für ausländische Wettbewerber nennenswert zu öffnen. Japan war unter allen WPC-Mitgliedern insofern ein Exot, als das Land ähnlich England ökonomisch und handelsmäßig ab 1638 vollkommen abgeschottet wurde. Erst der US-Admiral Matthew Perry hat das Inselreich 1853 unter militärischem Druck der US-Flotte gezwungen, die Selbstisolierung zu beenden und sich mit drei Häfen dem Freihandel zu öffnen. In -498-
dessen Vertragsgeist wurde auch 1868 das sogenannte DaimyoSystem abgeschafft. Darunter verstand man die dynastischen Diktaturen der Shogune mit ihren Stehenden Armeen, die durch das Meiji-Kaisertum ersetzt wurden - mit Zentralverwaltung und Einheitsheer. Was aber für den rasanten Aufstieg Japans zur führenden Handels- und Industrienation Asiens mindestens genauso wichtig war, verdankte die Elite des Inselreiches einem radikalen Wandel in der Mentalität. Dabei spielte das Buch von Samuel Smile Self-Help eine entscheidende Rolle. Denn es zeigte den auf Veränderung gepolten Japanern, daß sie mit ihrer SamuraiEthik der Selbstverleugnung, des unbedingten Gehorsams und der ergebenen Loyalität allein dem Westen nicht beikommen konnten: Gelang es ihnen aber, dessen überlegene Technik zu beherrschen und zu verbessern, dann konnten sie in Zukunft auf dem Weltmarkt mithalten. Sakichi Toyoda nahm diesen Rat der Hilfe zur Selbsthilfe ernst und baute zusammen mit seinem Schwiegersohn Risaburo Kodama einen Industriekonzern auf. Diesem gelang es, die seit 1924 und 1925 in Japan tätigen US-Autobauer Ford und General Motors mit einer Eigenproduktion herauszufordern, dann aber auch den Eroberungskrieg Japans gegen China und 1941 den Überfall auf die USA technisch mitzutragen. Nach dem atomaren Doppelschlag von 1945 verordneten wiederum die USA dem militärisch unterlegenen Japan ein demokratisches Wertesystem, schafften den Tenno- und Heroenkult des Shintoismus ab und gestalteten das entmilitarisierte Reich zu einer »Friedensmacht« um, die sich bis 1975 so stark entwickelt hatte, daß sie zu den ersten Industriestaaten des Westens aufschließen konnte. Was das Öl betrifft, so gibt es verläßliche Angaben darüber, daß im Bezirk Niigata bereits 1874 ein Vorkommen erschlossen worden ist. Die wesentlich höhere Menge an importiertem Öl aber macht deutlich, wie groß die Abhängigkeit Japans schon -499-
damals von seinen Außenpartnern war. Sie erhöhte sich noch mit dem Bau seiner modernen Flotte nach westlichen Mustern und dem Aufschwung in der Auto-Industrie seit den 1930er Jahren: Nur zwei Generationen nach diesen Anfängen hatte das leidgeprüfte Japan hinter den USA und der Sowjetunion den dritten Rang im Ölbedarf erreicht! Eigene Anstrengungen, im Offshore-Bereich und an Land verschiedene Tertiär-Becken zu erschließen, ergaben zwar kleine Öl- und Gasfelder, deren Produktion willkommen war. Doch diese Forcierung des nationalen Upstream konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Japans Ölwirtschaft überwiegend im Downstream tätig ist. Auf diese Besonderheit hat der Vorsitzende des japanischen WPC-Komitees, der General K. Miyamori, in seiner Eröffnungsrede hingewiesen. Er war darin selbstkritisch genug, die negativen Folgen des nur quantitativ betriebenen Wachstums einzugestehen und auf Abhilfe zu drängen. Das Umweltproblem sei mittlerweile durch die ungehemmte Industrialisierung und extreme Motorisierung so stark geworden, daß sich »über ganz Japan hin eine Umweltbewegung erhoben habe, um die Biound Atmosphäre zu schützen.« Als erste Großmaßnahme hätte die Regierung in Tokio veranlaßt, die Kontrollen gegenüber verbleitem Benzin erheblich auszuweiten, das sich seit dem Februar 1975 bleifreiem Benzin im Wettbewerb zu stellen hatte. Diese löblichen Einsätze für den Umweltschutz und die Volksgesundheit bekämpften nur Symptome, setzten aber nicht bei der wirklichen Ursache des Übels an. Und diese bestand in der Allmacht des japanischen Unternehmers, der zwar patriarchalisch für seine Mitarbeiter sorgte, ihnen aber keinerlei Mitbestimmung zugestand. Über dieser Firmenstruktur waltete auch noch eine fast allgegenwärtige Supermacht, wie sie nur in zentralistischen Systemen möglich ist das Ministerium für Industrie, Banken und Handel, kurz MITI genannt. -500-
Japans Mentalität der Subventionierung durch Steuergelder hat immer wieder zu Verzerrungen, Krisen und Zusammenbrüchen selbst großer Banken geführt, weil die Marktkräfte aufgrund der staatlichen Interventionen nur mittelbar wirken durften und das innerjapanische Absatzgebiet von äußeren Wettbewerbern weitgehend freigehalten wurde. Trotz zaghafter Versuche, die Atomkraft friedlich zur Stromerzeugung zu nutzen, blieb den Experten bewußt, daß auch in Japan das »Öl für die nächsten 25 Jahre der führende Energiefaktor bleiben wird.« Eine Prognose, die sich im Jahre 2000 voll und ganz bestätigen sollte, obwohl das Land einige Anstrengungen unternimmt, vor allem die Technik des »Schnellen Brüters« zu nutzen, die sich allerdings schon längst als Verlustmodell erwiesen hat, wie Kaikar zeigt. Die berechtigte Sorge über die Umweltbelastung durch verbrannte Ölprodukte ließ japanische Politiker ebenso an die AtomAlternative als »saubere Lösung« denken, wie den sowjetischen Ölminister Shashin in Tokio. Ihm war seit dem WPC in Moskau doch klar geworden, daß alle Öl leute der Welt verstärkt darauf achten sollten, mehr als bisher den Umweltschutz zu berücksichtigen, um das Leben künftiger Generationen nicht zu gefährden. Shashin, der sich noch 1971 als ein Betonkopf des quantitativen Wachstums um jeden Preis präsent iert hatte, schien wohl mittlerweile eingeleuchtet zu haben, wie fatal sich die patrimoniale Potenz in einem Wirtschaftssystem auswirkt, das vom depositären Denken nicht viel wissen will. Das absolutistische Spanien ist einst ebenso daran zerbrochen wie das nazistische Deutschland oder das kommunistische Rußland. Die schwere Struktur- und Mentalitätskrise Japans im Jahre 2001 geht auch auf das Konto einer patrimonialen Abschottung der Regierung vom Wahl-Volk und der Wirtschaft von außen. Alex Kerr, der wohl beste westliche Kenner des modernen Japan, hat dazu neulich eine erhellende Analyse vorgelegt und -501-
gezeigt, wie sehr Japans Techniker, Manager und Banker nur die »westliche Technik« übernommen haben, nicht aber auch das treuhänderische Menschenbild, sich naturverträglich, umweltbewußt und menschengerecht zu verhalten: Dem zureichenden Grund (ratio sufficiens) ebenso verpflichtet wie der Verhältnismäßigkeit der Mittel (proportio harmonica) aus der Nikomachischen Ethik des Aristoteles oder der Goldenen Regel in der Bergpredigt als Forderung nach Gegenseitigkeit (obligatio mutua). Ganz im Sinne dieser ethischen und überzeitlichen Gebote aus vorindustrieller Zeit trug denn auch der US-Handelsminister Charles B. Morton seine Bedenken vor, die Technik einem Selbstlauf zu überlassen und damit der künstlichen Destruktion des Menschen Vorschub zu leisten. Er war im Auftrag des Präsidenten Gerald Ford nach Tokio gekommen und plädierte mit großer Leidenschaft für einen künftigen Energie-Mix. Im Beisein des japanischen Kronprinzen wie des Ministerpräsidenten Miki brachte er die Haltung der USRegierung auf eine prägnante Formel: Es sei ihr »dringender Wunsch, eine internationale Energie-Ethik zu entwickeln.«
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Die neue Ölordnung Der energische Appell von Tokio, die Umweltbelastungen einzudämmen und Öl als globales Schüttgut nicht in steigendem Maße zu verbrennen, ging auf die nachhaltige Erkenntnis zurück, die US-Präsident Nixon 1974 mit seinem »Projekt Unabhängigkeit« machen mußte. Er wollte im Gefolge der Ölpreiskrise die USA in einen autarken Zustand versetzen, der die nationale Öl- und Gas-Versorgung sowie den sonstigen Energiebedarfaus eigener Kraft sichern sollte. Das war aber nur ein medienwirksamer Wunschtraum, der an den historischen und realen Gegebenheiten scheiterte. Denn die USA hatten ihre interne Ölpolitik bereits nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auf eine langfristige Konservierung der eigenen Bestände ausgerichtet und einen steigenden Import aus Mexiko, Venezuela und Saudi-Arabien zugelassen: Ölproduzenten, die den USA für ihre strategische Reserve einen Vorzugspreis gewährten und dabei halfen, eine Zukunft zu sichern, die das Öl nicht mehr nur als Treibstoff auffaßte, sondern in ihm auch ein kostbares Kulturgut sah. Dieser epochale Denkanstoß, der in Tokio zu der Forderung führte, mit einer Energie-Ethik eine neue Ölordnung (Miya mori) für die Welt zu erarbeiten, wurde auf dem zehnten WPG in Bukarest sehr ernst genommen. Wie wichtig diese Neubesinnung bereits geworden war, konnten die Ölleute 1979 in der Hauptstadt Rumäniens erfahren. Jenseits des Machtkitsches, den der kommunistische Präsident Ceausescu zelebrieren ließ, erinnerte die Geschichte der »ewigen Feuer« von Lopatari ebenso an den vorherrschenden Verbrennungswahn wie der rußende Verkehr in Bukarest selbst: Man war zu Gast in einem alten Ölland, das seit der Römerzeit die Nutzung des in zahlreichen Ausbissen hochgesickerten Stoffs kannte - als Heil-, Schmier- und Leuchtmittel -, aber -503-
außer der üblichen Wachstumsideologie keine Lösungen zu bieten hatte. Die erste gezielte Bohrung nach Öl erfolgte im Kongreßland nachweislich bereits 1857, also zwei Jahre vor Titusville und Baku. Sie erbrachte 275 Tonnen im Jahr und gab Anlaß zum Bau einer Raffinerie bei Ploesti, bald ein Zentrum der rumänischen Ölindus trie. Bereits 1906 kam die erste RotaryAnlage zum Einsatz, die eine Endteufe von 1170 Metern erreicht haben soll. Bis 1920 wurden 170000 Bohrmeter niedergebracht, deren Strecke bis 1937 auf 395000 Meter gesteigert werden konnte - bei einer Jahresproduktion von 8 Millionen Tonnen. Ab 1913 betrieb man noch die Gas-Erschließung, die zum Auf- und Ausbau einer eigenen Petrochemie und darin vor allem zur Produktion des giftigen Konservierungsmittels Formaldehyd genutzt wurde: Kriegseinwirkungen und Raubbau ließen jedoch die Ölgewinnung bis 1944 auf 3,8 Millionen Tonnen sinken. Erst nach der Nationalisierung der gesamten Ölindustrie durch die Kommunisten im Jahre 1948 begann eine Restrukturierung. Dazu gehörte es auch, die Bohr- und Fördertechnik aus eigener Kraft zu modernisieren. Darin drückt sich eine Art mitteleuropäisches Erbe aus, das auf den prägenden Einfluß von Raki zurückgehen dürfte und eine wichtige Zulieferindustrie begründete: Eine strukturelle Basis, die andere Produktionsländer wie Algerien, Brunei, Gabun, Indonesien, Nigeria, Saudi- Arabien oder auch Venezuela bis heute nur in Ansätzen kennen. Diese und andere Fakten aus Geologie und Technik nahm der WPG in Bukarest interessiert zur Kenntnis. Doch die Stimmung wurde vor allem dadurch geprägt, daß der anhaltend hohe Faßpreis Veränderungen erzwang, die auf eine neue Ordnung der bisherigen Ölwelt zuliefen, von der man in Tokio nur die Anfänge geahnt hatte. Mochte die Opec mit ihren halbjährlichen Treffen und Preisfestlegungen in Wien immer noch einen -504-
Großteil des Weltmarktes beeinflussen, so ergab sich jetzt eine Situation, die diesem Staaten-Kartell entgegenwirkte. Länder wie Großbritannien, Norwegen, selbst Dänemark und die Niederlande waren durch die Erschließung des Nordsee-Öls zunehmend in der Lage, sich selbst zu versorgen und gleichzeitig den globalen Markt zu bedienen - ohne Mitglied in der Opec zu sein. Eine Verschärfung des Wettbewerbes war ebenso zu befürchten wie das künftige Einbrechen des Ölpreises im Falle eines Überangebotes. Außerdem verstärkte sich auf diesem Kongreß die Unruhe darüber, daß die jährlich steigende Förderung bis zur Jahrtausendwende tatsächlich an die Grenzen des Wachstums stieß, wie der »Club of Rome« schon 1972 gewarnt hatte. Aus diesem Grunde verabschiedete auch der Perma nente Kongreß-Rat (The Permanent Council of the World Petroleum Congresses) in Bukarest eine Resolution. Sie richtete vor allem einen dringenden Appell an die Öl- Konsumenten, nämlich »ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um die Konservierung schwindender Vorkommen klug zu sichern.« Der Deutsche Wilhelm von Ilsemann, dem dreimal in seiner Laufbahn die Ehre zuteil werden sollte, als Präsident eines Öl kongresses fungieren zu dürfen, beschrieb denn auch im Hinblick auf die Lage von 1933 den qualitativen Wandel in der Ölindustrie mit den prägnanten Worten: »Vom rasanten Wachstum zur Stagnation, von der Stagnation zur Ungewißheit.« Das tat er im Jahre 1983, als der WPG zu Ehren des ersten Öl kongresses wieder nach London zurückgekehrt war. Bei dessen feierlicher Eröffnung konnten erstmals Vertreter aus Brasilien, Australien und Rotchina in dieser Welt-Bruderschaft des Öls als neue Mitglieder begrüßt werden. Doch auch ihre Vertreter wußten nicht recht, wie eine Grundstimmung zu überwinden sei, die von Inflation, Rezession und Investitionsstau gekennzeichnet wurde und noch den Grenzkrieg zwischen den beiden Öl staaten -505-
Irak und Iran zu gewärtigen hatte. Königin Elizabeth II. hatte zwar die Schirmherrschaft dieses Jubiläumskongresses übernommen, schickte aber zu dessen Eröffnung Kronprinz Charles. Er bekannte vor der illustren FestVersammlung freimütig, »überhaupt nichts von Öl zu verstehen« und nur ein paar Plattformen in der Nordsee besucht zu haben. Doch als Öl- Konsument sei ihm durchaus bewußt, daß die Frage der künftigen Konservierung aller Ölbestände und das Problem des Umweltschutzes nach konkreten Antworten verlange. Er wartete in seinem Redebeitrag sogar mit Zahlen auf und verwies auf den Umstand, daß »der Weltkonsum von 52 Millionen Faß am Tag und im Jahre 1979 auf jetzt 42,5 Millionen Barrel täglich gefallen sei«: Also doch ein Hoffnungszeichen, zumal sich der bisherige Lebensstandard dadurch in den Industrieländern nicht verringert und die Lebensqualität der Luft verbessert habe. Diese Einschätzung galt auch für das Vereinigte Königreich (UK) selbst, zu dessen historischer Entwicklung als Ölland der Energieminister Alick Buchanan-Smith mit ein par interessanten Zahlen aufwartete. Im Jahre 1933, als nach einem Vorlauf in Großbritannien an Land die Ölproduktion bega nn, förderte das einzige und winzige Vorkommen 3000 Tonnen im Jahr. Fünfzig Jahre später produzierte man auf See mehr als 100 Millionen Tonnen jährlich: Darunter die vorzügliche Qualität Brent Blend. Und noch eine Zahl erregte Staunen. Die Regierung führte 1934 eine erste Mineralölsteuer ein. Sie betrug 4 Shilling pro Tonne und brachte dem Fiskus gerade einmal 600 Pfund Sterling ein. Dieser Anteil wurde trotz des Weltkrieges über dreißig Jahre lang konstant gehalten und sicherte nach mehreren drastischen Erhöhungen jetzt im Kongreßjahr 1983 dem britischen Haushalt eine Jahressumme von 8 Milliarden Pfund. Angesichts derartiger Verschiebungen wird klar, daß die Ölindustrie in ihrer strukturellen Stetigkeit nicht nur als Grund versorger der Wirtschaft galt, sondern auch als beste -506-
Steuerquelle das Fundament des Staatsbudgets bildete, das immer mehr wie in Norwegen oder in der Bundesrepublik Deutschland einer neuen Ölordnung glich - mit Steueranteilen am Literpreis für Benzin von über 80 %. Verständlich, daß bei solchen Einnahmen der öffentliche Druck auf Parlament und Regierung wuchs, endlich etwas Entscheidendes für den dringend nötigen Umweltschutz vor allem in den Städten zu tun und den Autowahn als Individualverkehr zu bremsen - durch den Ausbau von Nahverkehrsmitteln mit Elektro-Antrieb. Kronprinz Charles ermahnte in diesem Sinne die Ölleute aus aller Welt, die ihn als Ehrenmitglied im BPI »adelten«, Katastrophen wie im Golf von Mexiko künftig mit besserer Technik nicht mehr zuzulassen. Er vergaß dabei, was sich 1968 und 1977 vor der Küste seines eigenen Reiches abgespielt hatte, als Bohrplattformen in Brand geraten waren und wie eine Fackel im Meer leuchteten - ein Menetekel. Diese und andere Krisenzeichen beschäftigten den zwölften WPC, der 1987 in Houston seine Arbeit aufnahm, einer Hauptstadt des Öls. Gemäß seiner vordergründig nur »wissenschaftlich und technisch« ausgerichteten Anlage nahm der Kongreß offiziell keine Stellung zum Golfkrieg und anderen hochbrisanten politischen Fragen. Aber der gerade mühsam überstandene Preis-Kollaps, die fristlose Entlassung des saudiarabischen Ölministers Yamani, die anhaltende Stagnation auf der Investitionsseite sowie die Probleme des Umweltschutzes waren politisch genug, um viele Kongreßteilnehmer auch persönlich herauszufordern, zumal der US-Energieminister John S. Herrington für einigen Wirbel gesorgt hatte. Im Auftrag von Präsident Ronald Reagan, dessen Energiepolitik vor allem der Einfluß des Ölmannes und Vizepräsidenten George Bush geprägt hatte, empfahl er vor dem WPC ein Reform-Programm, das in dieser Radikalität noch nie -507-
vor einem Weltforum des Öls entwickelt worden war. Denn es konzentrierte sich auf eine weitgehende Abkehr vom Keynesianismus. Letztlich von den staatlichen Regulierungen des New Deal aus den 1930er Jahren, und bekannte sich zu einem Markt-Kapitalismus, wie ihn neben anderen Milton Fridman in Chicago lehrte. Im Streben nach einer neuen Ölordnung war eine durchgehende Deregulierung angesagt, um vor allem in den USA den Öl- und Gas-Markt zu aktivieren. Dazu gehörten aber nicht nur die Abschaffung von gesetzlichen Restriktionen hinsichtlich des streng kontrollierten Binnenmarktes für Öl und Gas, sondern auch erhebliche Lockerungen im bisherigen Umweltschutz. Die Reagan-Administration war entschlossen, große Teile des Kontinentalschelfs für die Öl- und GasExploration freizugeben: Das größte Naturschutzgebiet Alaskas im weiten Umkreis der Prudhoe-Bay sollte den Ölsuchern ebenso offenstehen wie bundeseigene Areale. In Verbindung mit einer grundlegenden Steuerreform wollte der Republikaner Reagan wieder die Privatinitiative fördern und den alten Pioniergeist beleben, um aus der offenkundigen Stagnation herauszukommen und Amerika boomen zu sehen. Dabei galt neben der Hochrüstung gegen die Sowjetunion als das »Reich des Bösen« der künftigen Energieversorgung die höchste Priorität: Jedoch nicht mehr auf Öl und Erdgas oder die Atomkraft allein konzentriert, sondern von einem Energie-Mix bestimmt, zu dem auch verstärkt die Geowärme gehören sollte. Herringtons Mission in Houston war eindeutig. Nie wieder sollte sich das wiederholen dürfen, was man während der Öl preiskrise und den Embargos von 1973 als eine Art Erpressung erlebt hatte. Der US-Energieminister sah im Öl »das Lebensblut unserer Volkswirtschaften«, das hinreichend und langfristig gesichert werden mußte. Vor allem war man in Washington darüber verärgert, daß nach der Hochpreisphase der Preiskollaps von 1986 »hier in den Vereinigten Staaten zu einer -508-
Verwüstung« innerhalb der Ölindustrie geführt hat. Urplötzlich war kein Investitionskapital mehr zu erhalten, der Verkauf von Bohranlagen ging so dramatisch zurück wie die Bereitschaft von Banken und Unternehmen, überhaupt noch in die Ölsuche zu investieren oder gar die Förderung mit den neuen tertiären Methoden (Bakterien) in alten Lagerstätten anzukurbeln. In dieser schwierigen Situation wollte die ReaganAdministration das Kunststück fertigbringen, im gesteigerten Konsumieren von Öl und Gas deren langfristiges Konservieren zu betreiben. Allerdings nicht mehr wie noch unter Präsident Nixon in einem nationalen Alleingang und auf Autarkie bedacht, sondern auf eine globale Nutzung aller verfügbaren Ressourcen bezogen. Mit dieser Position zog Herrington für die USA eine der wichtigsten Lehren aus der Öl- und Wirtschaftsgeschichte seit 1859. In seiner Houston-Rede vor dem WPC ruft er besonders seinen eigenen Ölleuten zu, aus ihrer oft eingebildeten Independenz als Unternehmer einen Kult ohne Realitätsbezug gemacht zu haben, der auch die Nation in der hohen Politik über Gebühr geprägt hätte: »Noch im Jahre 1976 haben die USA nach einer Unabhängigkeit im Energiebereich gestrebt. Heute erkennen wir an, daß wir in hohem Maße interdependent sind. Deshalb suchen wir auf eine wirklich sensible Weise internationale Energie-Strategien.« In diesem Zentralsatz liegt die »neue Philosophie« einer künftigen Öl- und Gasordnung. Nicht die bisherige Überregulierung der gesamten Ölwirtschaft führt aus der Stagnation heraus, sondern die Steigerung des Wettbewerbes und die Stärkung der Marktkräfte: Sei es auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene einer immer dichter vernetzten Welt. Sollte diese Zukunftsordnung aber erfolgreich sein, dann durfte man nicht bei rein wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten stehenbleiben, sondern mußte auch die Politik einbeziehen: Schon wegen deren Möglichkeit, -509-
mittels Umwelt-Gesetzen, Währungsbeschlüssen, ZinssatzFestlegungen und Besteuerungen in den Wirtschaftsprozeß eingreifen zu können. Es galt aber auch zu lernen, daß die »Gerechte Neue Weltordnung«, wie sie George Bush im Präsidentenamt ab 1987 und nach der Kuwait-Krise 1991 forderte, mehr zu sein hatte als nur die Technokratie der Weltbank, des IWF oder die mechanische Überführung des seit 1947 geltenden GATT in die Welt-Handels-Ordnung (World Trade Order): Dafür war auch ein »WeltEthos« erforderlich, wie es der ehemalige Konzilstheologe Hans Küng dringend empfohlen hat - mit dem Bemühen um gerechte Preise, einen lauteren Wettbewerb und eine unbelastete Umwelt. Unter dem Eindruck der Herrington-Rede, die das Bewußtsein stärkte, daß gerade die Ölwirtschaft auf dem globalen Markt dem Streben nach der Einen Welt besonders verpflichtet sein sollte, entschied man sich für eine weitere Änderung. Statt den üblichen Ost-West-Antagonismus zu bedienen, der unter den Ölleuten ohnedies nicht sonderlich ausgeprägt war, beschloß man, den neuen Nord-Süd-Dialog zu nutzen und den nächsten WPC im Jahre 1991 nach Argentinien zu vergeben - in Buenos Aires wollte man sich wiedersehen. Im Geiste einer Ethik des zuteilend wie ausgleichend Gerechten war das ein mutiger Beschluß. Denn noch im Jahre 1982 hatte das damals diktatorische Argentinien wegen der Falkland-Inseln oder Malvinas Krieg gegen Groß-Britannien geführt, angeblich auch wegen Ölinteressen im OffshoreBereich der sturmumtosten Inseln im Süd-Atlantik. Außerdem war das über der Antarktis entdeckte Ozonloch eine Realität, die dem WPC die steigende Verantwortung der Ölindustrie für die Zukunft des Blauen Planeten nachdrücklich in Erinnerung rie f. Als sich nun die weltweit tätige Öl- Bruderschaft zum -510-
dreizehnten Mal versammelte, erlebte sie in Buenos Aires unter Präsident Carlos Menem ein ähnlich radikales Sanierungsprogramm wie in den USA oder in Groß-Britannien im Zeichen des Thatcherismus. Mene m hatte damit begonnen, die marode Wirtschaft zu reaktivieren und die Hyperinflation von zeitweise 1000 % abzustellen. Zu seinen Maßnahmen gehörte es auch, die staatliche Ölgesellschaft Yadmientos Petrolíferos Fiscales (YPF) zu deregulieren. Dieses Unternehmen war bereits 1922 von der Regierung gegründet worden und hatte fast 50 Jahre lang ununterbrochen das Monopol für die Öl- und Gasgewinnung inne, während das andere Staats-Unternehmen Gas Del Estado (GDE) für die gesamte Vermarktung zuständig war. Mit diesen Firmen, die als erste ihrer Art zum Modell für die Verstaatlichungen in Lateinamerika werden sollten, reagierte man am Rio de la Plata schon früh auf die ersten Ölfunde. Sie wurden im Vergleich zu Mexiko oder Venezuela erst recht spät im Jahre 1907 ge macht und lagen an der südlichen Atlantikküste bei Commodore Rivadavia, tief am Rande des baumlosen Patagonien: Dieses windgeplagte Ölgebiet ist zwar in seinen Anfangsfeldern längst erschöpft, hat aber aufgrund von Gasfunden im Hinterland bis heute eine wichtige regionale Ausweitung erlebt. Argentiniens Regierungen waren ab 1922 bestrebt, ob demokratisch gewählt oder diktatorisch ausgerichtet, permanent in die Tätigkeit der beiden Staatsunternehmen zu intervenieren, sei es bei der Preisfestsetzung oder im Bereich der Produktionsquoten, wie sie Raffinerien vorgeschrieben wurden. Trotz dieser Regulierungswut aus Besitzdünkel fand man sich 1941 bereit, der lange geforderten Professionalisierung nachzugeben und erlaubte die Einrichtung eines Argentinischen Petroleum-Instituts (API) nach dem amerikanischen Vorbild von 1919. Die allmähliche Einbindung des Landes in die -511-
lateinamerikanischen und internationalen PetroleumOrganisationen wie des World Energy Council (WEC) ging einher mit einer Reihe von Teilreformen seit den 1960er Jahren. Dadurch wurde einheimischen und auch auswärtigen Privatunternehmen zunehmend die Möglichkeit gegeben, in Argentiniens riesigen Beckenzonen vom Gran Chaco im Norden bis nach Feuerland im Süden eine intensive Öl- und Gassuche zu betreiben. Trotz ihrer Erfolge sollte es aber bis zum HoustonExploratory-Plan von 1987 dauern, ehe eine wirklich essentielle Umstrukturierung der nationalen Ölwirtschaft durchgeführt werden konnte. Sie gelangte bis 1991 mit ihren verstärkten Deregulierungen zu dem für Argentinien geradezu historischen Ergebnis, daß die einst allmächtige YPF nur noch über 40 % des geförderten Rohöls verfügen durfte, während den privaten Ölgesellschaften 60 % der vorhandenen Mengen zustanden. Der dreizehnte WPC fand also in einem Land des strukturellen und mentalen Umbruchs statt. Allerdings waren die Belastungen aus der Zeit des halbfaschistischen Peronismus so wenig bewältigt wie die Massenmorde der Videla-Diktatur oder die Schäden aus dem Falkland-Krieg. Die benzol- und bleigeschwängerte Luft in den meist verstopften Straßen und Avenidas sprach dem verheißungsvollen Namen des Kongreßortes blanken Hohn. Denn Buenos Aires bedeutete nicht nur »Gute Lüfte«, wie die deutschstämmige Autorin Jovita Epp in ihrem großen Hauptstadt-Epos (»Santa Maria der Guten Lüfte«) einst meinte, sondern auch »Günstige Winde« zum Segeln. Diese Umweltbelastung und auch die Bedrohungen durch das Ozonloch, das die Hautkrebsrate und Erblindungen von Wildwie Nutztieren steigen ließ, kamen in den Kongreß-Beiträgen zwar nicht zur Sprache. Aber die entscheidenden Leute machten deutlich, daß man seit Houston und der Klimakonferenz von Toronto 1988 einiges dazugelernt hatte. -512-
Der wissenschaftliche Berichterstatter des Ölkongresses P. E. M. Jacquard betonte denn auch die Wichtigkeit des Zusammenwachsens in einer vernetzten Welt und plädierte mit Blick auf Toronto für eine »bessere Balance zwischen Nord und Süd«. Jacquard machte bei allem Streben nach »Neuen Horizonten«, wie das der Geologie entlehnte Motto des 13. WPC lautete, der Ölbruderschaft erneut deutlich, daß es längst nicht mehr auf die Independenz oder Autarkie eines einzigen Öllandes ankam. Denn das ökonomische wie ökologische Gewicht der Zukunft lag auf der Kultivierung der Interdependenz und verlangte nach einer erhöhten Verantwortung der eigenen Profession: »Öl und Erdgas werden weiterhin die Hauptkraft hinter der ökonomischen und sozialen Entwicklung unserer Weltwirtschaft bleiben.« Der mentale Wandel im WPC war auch dort auszumachen, wo Jacquard auf die Schadstoffbelastung durch verbranntes Öl und Gas einging. Als Hauptverursacher nannte er das Transportwesen zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Er unterstützte deshalb auch alle Anstrengungen, den seit 1867 genutzten Verbrennungsmotor als »Gasmaschine« schrittweise aufzugeben und Alternativen wie das Elektro-Auto zu entwickeln: Schließlich hält der 3-Wege-Katalysator nicht die schlimmsten aller Schadstoffe ab, am wenigsten das hochgiftige Kohlenmonoxid. Jacquards mutiger und ermunternder Bericht, der ganz im Geist von Houston und Toronto verfaßt war, fand trotz aller technokratischen Daten und wissenschaftlichen Belege Zeit und Gelegenheit, die Ölleute an ein Menschenbild zu erinnern, das er bei Juan B. Alberdi gefunden hatte, dem »Vater der Verfassung« des demokratischen Argentinien: »Arbeit ist der Anfang allen Wohlstandes, doch nur unter der Bedingung, daß man frei ist. Frei zu sein aber heißt, im Erwerb wie Erfolg gesichert, unantastbar und geachtet zu werden. Einzig und allein ein freies Wirken kann wirklichen Wohlstand schaffen, weil nur freies Wirken intelligent ist. Wohlstand ergibt -513-
sich weder aus dem Boden noch ist er vom Klima abhängig. Sein Umfeld liegt im Menschen selbst und so gesehen ist der Mensch die Grube, die Quelle und der Ursprung des eigenen Glücks.« Dieser sozialdemokratische Gedanke aus dem Gothaer Programm von 1891, daß »die Arbeit die Quelle aller Kultur« sei, mag zum Abschluß des WPC versöhnend und stimulierend zugleich gewirkt haben. Aber der Goldglanz dieser Worte konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch nach Buenos Aires das Ozonloch über dem Südpol wuchs und sich über dem Nordpol verstärkte: In dessen Nähe aber lag das norwegische Ölzentrum Stavanger - der Kongreßort von 1994. In der Abkehr vom bisher gepflegten Vier-Jahres-Rhythmus hatten sich die Ölleute für eine verkürzte Zwischenperiode entschieden. Auch ein Zeichen dafür, den drängenden und vom Öl mitverursachten Problemen der Einen Welt schneller als bisher zu begegnen und nach Lösungen zu suchen. Sie kamen über den Flughafen der Hauptstadt Oslo in ein skandinavisches und von der Sozialdemokratie geprägtes Land, das einst als das »Armenhaus Europas« galt. Von 1318 bis 1813 dem Königreich Dänemark verbunden, gaben sich die Stände dieses Landes 1814 die freiheitliche Eidsvoll- Verfassung und gingen mit dem Königreich Schweden eine Personalunion ein: Sie dauerte bis 1905. In diesem weltgeschichtlichen Jahr erreichte Norwegen endlich die nationale Unabhängigkeit und machte sich bis zum Ölboom von 1969, der auf dem Nordseefeld »Ekofisk« seinen Anfang nahm, in der Welt auf dreifache Weise einen Namen: In Anlehnung an das Vikingererbe galt Norwegen auf allen Sieben Meeren als eine geachtete Handelsnation; in Gestalt eines mutigen WalfängerVolkes und Fischöl-Produzenten war es nicht weniger bekannt und wird dafür heute von Greenpeace und anderen Umweltschützern so heftig kritisiert wie Japan; schließlich wird -514-
das Land als ein globaler Treuhänder des Nobel-Testaments angesehen, dessen internationaler Friedenspreis seit 1901 in Oslo vergeben wird. Im Zelebrieren dieser letzten Funktion blickt wirklich die ganze Welt jedes Jahr auf Norwegens Hauptstadt, um zu erfahren, wer sich lokal, regional, national oder global um den Frieden in der Welt verdient gemacht hat und aus königlicher Hand die begehrte Auszeichnung erhält - eine Art Ritterschlag, 1896 vom »Dynamitkönig« aus Schweden gestiftet. In Alfred Nobels Namen, der auch auf eine »neue Ordnung« der Welt gehofft hatte und daran glaubte, sie könne nur von Geistes-Aristokraten geschaffen und erhalten werden, ist noch nie ein richtiger Ölmann ausgezeichnet worden. Sieht man einmal von den ehemaligen Esso-Leuten wie Norman Borlaug (Grüne Revolution, 1970) oder Henry Kissinger (VietnamKonflikt, 1974) ab, so blieb bis heute die fast naheliegende Idee unbeachtet, daß mit Öl zwei Weltkriege beendet wurden und der WPC sich seit Jahrzehnten um die Völkerverständigung verdient gemacht hat: Ihn einmal mit dem Nobelpreis zu ehren, kam auch König Harald V. nicht in den Sinn. Dafür hielt seine Regierungschefin Brundtland in Stavanger zur aktuellen Ölsituation vor dem WPC eine äußerst pointierte Rede. Als Sozialdemokratin war ihr der Gedanke des Argentiniers Alberdi so vertraut wie die Traditionen ihrer eigenen politischen Partei, das Ethos der Arbeit als einen Grundwert menschlichen Zusammenlebens aufzufassen, den schon Hesiod empfohlen hat: »Arbeit adelt.« Im Zeichen dieser historischen Vergewisserung wurde in der skandinavischen Sozialdemokratie immer auch der Dritte Weg einer sozialen Treuhandschaft gege nüber dem arbeitenden Menschen propagiert und politisch im Wohlfahrtsstaat angestrebt. Kein Wunder, daß die vom Keynesianismus geprägte Ministerpräsidentin wenig vom »kalten Kapitalismus« der USA im Zeichen des Reaganismus und der »Chicago Boys« Milton -515-
Fridmans hielt, den gesamten oönomischen Prozeß nur noch den Marktkräften zu überlassen und in der vollständigen Deregulierung das einzige Heilmittel zu sehen. Und der »rohe Kommunismus«, wie er 1994 nur noch in Form des »chinesischen Weges« oder der nordkoreanischen Erb-Diktatur des Sung-Clans praktiziert wurde, sagte ihr schon gar nicht zu, weil er sich in der rauhen Praxis gegen das wandte, wofür sie ein Leben lang gekämpft hat - für den Menschen und die Natur. Mehrfach betonte die engagierte Ärztin die absolute Notwendigkeit einer internationalen Interdependenz als Grundlage der erhofften neuen Öl- und Weltordnung, die sie auf den Dritten Weg der sozialen Verantwortung von Arbeit und Kapital bringen wollte. Mit allem Nachdruck verweist sie aus Erfahrung mit der eigenen Ölwirtschaft seit fast dreißig Jahren darauf, daß »unser Öl- Wohlstand nur auf dem Weg gehandhabt werden kann, der die Bedürfnisse künftiger Generationen in Betracht zieht.« Obgleich politisch als Umweltschützerin tätig, läßt Gro Brundtland die steigende Bedrohung durch das Ozonloch über Nordnorwegen und die weitere Polarregion ebenso unerwähnt wie die hausgemachte Umweltverschmutzung durch eine ungebremste Motorisierung. Aber sie ermahnt die Öl- und GasIndustrie ihres Landes, die zum Zeitpunkt des WPC aus einem Mischsystem von staatlicher und privater Beteiligung an Unternehmen wie Statoil, Norsk Hydro oder Saga bestand, neben dem ökonomischen Profil nie zu vergessen, daß »ihr menschliches Leben und Gesundheit zu treuen Händen anvertraut ist.« Darin sieht die spätere Vorsitzende der global agierenden Nord-Süd-Kommission die entscheidende »Schwäche (weakness) der gegenwärtigen Weltordnung«, daß sie trotz UNO-Charta und einer das bisherige GATT ablösenden Welthandels-Ordnung (WTO) noch immer bestimmte »Willkürakte« ungestraft hinnimmt. Dazu rechnet sie auch -516-
Umweltvergehen, die als »Kavaliersdelikte« abgetan werden, ohne daß die Verursacher von Schäden entsprechenden Schadensersatz leisten. Ihre Kritik richtete sich auch zwischen den Zeilen deutlich gegen jene in Ost und West, Nord und Süd verbreitete Haltung, die immer nur eines will: Die rechtlich gesicherte Kapitalisierung der Gewinne aus dem Ölgeschäft und die »Sozialisierung« der dadurch entstandenen Folgelasten - den jeweiligen Steuerzahlern oft zu einer unzumutbaren Bürde. Diese Botschaft werden nicht alle in der WPC-Runde mit Entzücken gehört haben, zumal sich Brundtland gegen die Magie des Marktes wehrte und die Sozialbindung allen Wirtschaftens einforderte: »Es gibt keine unsichtbare Hand, die unsere globale Gemeinschaft zu Stabilität, Frieden und Entwicklung führt.« Diese weltoffene, gebildete und handfeste Norwegerin lehrte den elitären Männerbund des WPC, daß jeder einzelne von ihnen eine erhöhte Verantwortung für die Ölindustrie besaß, schon aus eigenem Überlebensinteresse. Im Vertrauen auf das »unerschöpfliche Potential des menschlichen Geistes« bezog sich Gro H. Brundtland geschickt auf den Grundgedanken Jacquards in Buenos Aires: »Es sind nicht die natürlichen Ressourcen selbst - wie Öl und Erdgas -, die uns den Wohlstand geben, sondern es ist der Weg, auf welche Weise wir die Ressourcen nutzen.« Wang Tao, der Vorsitzende des Organisationskomitees für den 15. WPC, der im Oktober 1997 in Peking stattfinden sollte, kann es angesichts der Brundtland-Rede nicht sonderlich angenehm gewesen sein, die gesamte Ölwelt in die Hauptstadt Rotchinas einzuladen. Aber er beteuerte, sich an die vorgegebenen Richtlinien zu halten und lobte dann China als »ein offenes Land mit einer langen Geschichte und Kultur«. Er betonte auch, daß seit der Gründung der Volksrepublik im Jahre 1949 das alte Reich der Mitte mit seiner Tradition der Salzbohrungen zu einem der wichtigsten Ölproduzenten der -517-
Welt aufgestiegen sei und lockte mit einem »großen Markt«. Die Techniker, Juristen und Ökonomen unter den WPCLeuten werden bei dieser Präsentation Rotchinas in Stavanger aufgehorcht haben. Denn die Ölleute wußten zumindest, daß China nur eine Ölregion besaß, nämlich mit dem Feld Daquing (»Großes Glück«) als Zentrum und etwa 5000 Quadratkilometer groß. Dort begann erst ab 1959 noch mit sowjetischer Hilfe die Erschließung unter der Leitung von Wang Qimin. Er hat nach dem von Mao Tse Tung erzwungenen Abzug der sowjetischen Experten bis heute unter schwersten technischen, politischen und klimatischen Bedingungen ein Stück Ölgeschichte gestaltet, das einer besonderen Chronik wert wäre: Weit im Nordosten von Peking und nahe der Stadt Harbin. Aber abgesehen von den mehr als 30000 Bohrungen in dieser Region mit steigender Produktion auch aufgrund von sekundären Fördermaßnahmen seit 1964 (Wasserflutungen) wußten die WPC-Juristen zu gut, daß ein Absatzgebiet erst dann zu einem echten Markt wird, wenn es eine vertragliche Rechtsordnung gibt. Und Demokraten unter den Ölleuten wird angesichts der Charme-Offensive des Genossen Wang Tao noch nicht entfallen sein, was sich am 4. Juli 1989 in Peking ereignet hatte. Damals forderten auf dem Platz des Himmlischen Friedens Studenten nichts anderes als die Standards der Menschenrechte, der parlamentarischen Demokratie und einer sozialen Marktwirtschaft. Doch dem stalinistischen Energie-Minister Li Peng ging das zu weit: Er ließ schießen. Wer wollte wohl in Zukunft in diesem chinesischen Weg der Gewalt eine Lösung der anstehenden Probleme sehen? Gewiß, bei der Vorstellung von mehr als einer Milliarde Chinesen konnte es Vertretern der Auto-Industrie ganz warm ums Herz werden. Aber Menschen ohne hinreichende Löhne und somit ohne Kaufkraft sind keine Kunden. Und den Verkehrsexperten und Umweltspezialisten des WPC dürfte es angesichts einer -518-
künftigen und ungehinderten Verbrennungsorgie auf Chinas miserablen Straßen mehr als mulmig geworden sein. Denn es bestand die Gefahr, daß Rotchina genau jene Fehler wiederholte, die schon der amerikanische Weg des Individualverkehrs vorgemacht hat. Schließlich setzte zu Beginn der 90er Jahre nicht nur die herkömmliche Motorisierung ein, sondern Rotchinas Öl- Import hat sich allein »vom November 1999 bis zum November 2000 um 41 % erhöht« (K. Leggett) und steigt ständig wegen der großen Nachfrage. Von den gut 75 Millionen Faß des täglichen Welt-Konsums (2001) entfallen bereits 6% auf das Reich der Mitte und die Folgelasten sind besonders in den MillionenStädten zu spüren. Ob die Entscheidung Pekings im Jahre 2000, die in Deutschland entwickelte Magnetschwebebahn »Transrapid« als umweltfreundliches Nahverkehrsmittel für Shanghai zu bauen, auch auf den Einfluß des WPC zurückgeht, ist eine offene Frage: Aber selbst in den Pekinger Betonköpfen scheint sich die Erkenntnis einzunisten, daß die Zukunft Chinas mit dem Umweltschutz beginnen müßte - seit 1987 ein Hauptthema jedes WPC. Was immer auch der Ölkongreß in seiner Geschichte seit 1933 zur Verbesserung der Ölwelt und zum technischen Fortschritt der Menschheit angeregt haben ma g, so ist nicht zu übersehen, daß er als Experten-Forum nichts beschließen und durchsetzen kann, was irgendein Land oder Ölunternehmen rechtlich bindet. Trotz dieser Begrenzung bleibt aber diese Einrichtung eine der wichtigsten Plattformen zur weiteren Normierung technischer Standards sowie der Schärfung des Weltgewissens, im Öl nicht nur einen Heiz- und Treibstoff zu sehen, sondern auch ein Heilmittel, wie es die Life Science als Teil der New Economy bereits auf vielfältige Weise für eine krank gewordene Welt nutzt. Das heute so engagierte Nachdenken des WPC auch auf -519-
seinem Kongress im schottischen Aberdeen ist die Grundbedingung für eine neue Ölordnung, die ohne ein depositäres Bewußtsein nicht denkbar ist. Man ist sich dabei im klaren, daß es noch der Überwindung vieler Preis- und Produktionskrisen bedarf, ehe die angestrebte Balance zwischen Angebot und Nachfrage, Upstream und Downstream oder zwischen Nord und Süd auf gerechten und zukunftssicheren Fundamenten ruhen kann. Die Problematik dieser erwünschten Angleichung hat der Jurist Carl Schmitt (Nomos der Erde) nach dem Weltkrieg 1947 einmal dem Pourlemerite-Träger und Autor Ernst Jünger (Der Arbeiter) aus eigener Erfahrung erläutert: »Die künstlichen Paradiese der modernen Technik sind auf ununterbrochenes Funktionieren angelegt, sie verwandeln sich sofort in echte Höllen, wenn das Funktionieren unterbrochen wird, durch Stromsperren, Gassperren, Rohrbrüche…«
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HÖLLENSTURZ INS AUS? Die Konstanz aller Energie sorgt dafür, daß im All als Ganzem trotz seiner permanenten Ausdehnung nichts verlorengeht, so wenig wie auf unserem Planeten Erde. Doch diese Gewißheit spendet dann kaum einen Trost, wenn sich alle verwertbaren Vorkommen von Öl, Erdgas, Kohle, Torf, Holz oder Biomasse in Kohlenmonoxid und andere Gifte verwandelt haben: Was bei einer Erdbevölkerung von demnächst 10 Milliarden Menschen noch in historischer Zeit möglich wäre. Die Toblacher Thesen zur Klimalage und Umweltsituation der Erde warnen denn auch aufgrund der ungebremsten Verbrennungsorgie von organischem und metallischem Material (Uran) schon seit Jahren vor einem nicht allzu fernen ÖkoKollaps. Basieren diese ernsthaften Sorgen, die auch andere Institutionen wie World Watch immer wieder vorbringen, auf leidlich zuverlässigen Messungen, Analysen und Modellen, so werden sie unter dem Schlagwort »Fluch des Öls« zunehmend von einer mitunter schrillen Kritik begleitet. Sie leitet sich vom akademischen Kulturpessimismus her und geht von einem Doppelstatus der Erde aus, wie ihn schon James Hutton 1795 bemüht hat. Danach sei »die Erde als ein Mechanismus« aufzufassen, »der durch physikalische Prozesse in Gang gehalten wird und als Gegenstand, der zu einem bestimmten Zweck gebildet wurde«. Diese Betrachtungsweise ist noch von der aristotelischen Ansicht geprägt, daß die Erde und ihre Natur um des Menschen willen geschaffen worden sind, also einem finalen Zweck zu dienen haben. Ähnlich verfahren auch Religionen, wenn sie von -521-
der Schöpfung Gottes sprechen und den ersten Menschen anlasten, daß sie durch den Sündenfall dem Bösen und damit selbstzerstörerischen Kräften anheimgefallen seien. Eine Vorstellung, mit der vor allem der Pastorensohn Oswald Spengler den Versuch unternommen hat, weltgeschichtliche Perspektiven anhand eines organischen Kreislaufmusters zu entwerfen: Es soll einem 1000-Jahre-Rhythmus folgen und nach dieser Verfallszeit der kulturellen Werte unweigerlich zum »Untergang des Abendlandes« führen. Was Spengler von 1918 bis 1922 gedacht und mit großem Erfolg publiziert hat, beschäftigte auch die US-Eliten, allerdings aus einem ganz anderen Grund. Denn nicht nur bei John D. Rockefeller grassierte die Angst, das mittlerweile als strategischer Stoff eingestufte Öl könnte rasend schnell zu Ende gehen und damit die eigene Zivilisation zerstören, noch ehe sie richtig zur Entfaltung gekommen war. Dieses Empfinden, in absehbarer Zeit einen gravierenden Verlust an politischem, ökonomischem, technischem, militärischem und auch kulturellem Prestige erleiden zu müssen, wenn das Öl nicht mehr fließen sollte, aktivierte mehr Konservierungs- und Erschließungs-Kräfte als die von Max Weber stets bemühte »Protestantische Ethik« - die angeblich alleinige Triebkraft des US-Kapitalismus. Das dramatisierte Fightin' Oil des US-Innenministers Harald Ickes von 1941 oder die vor einem Ölverlust warnende Kampfschrift Petroleum and American Foreign Policy (H. Feis) von 1944 belegen neben unzähligen anderen Beiträgen eine Art nationale Neurose: Ohne das Öl mit seinen Produkten gäbe es weder die Freiheit des Auto- und Flugzeugkultes noch die Geltung Amerikas als Globalmacht und größter Flottenhalter der Welt. Mit Recht haben Diana und Roger Olien in ihren Studien Oil and Ideology aus dem Jahre 2000 auf diese mentalen Befangenheiten in Amerikas Eliten hingewiesen. Sie wirken -522-
immer noch und erklären auch die Weigerung der USRegierungen, die Empfehlungen der Klimakonferenzen, vor allem seit dem Gipfel in Den Haag anzunehmen und nach dem Clean Air Act von 1990 entscheidende Schritte weiterzugehen: Man unternimmt zwar enorme Anstrengunge n gegen das Tabakrauchen als ein amerikanisches Übel, das der Gesundheit schadet, aber beim Auto und dem steuerbefreiten Fliegen hält man sich weiterhin bedeckt - den über Californien entdeckten und sehr kompakten Kerosinwolken (2001) zum Trotz. Der Glaube, daß das Öl in Gottes eigenem Land, wie Amerikaner gerne ihre Überflußgesellschaft nennen, zur Festigung der Freiheit als Mobilität genutzt werden muß, sitzt tief. Diese Haltung hat sich auch dort festgesetzt, wo man es lange Zeit wie in West- und Nordeuropa als Fortschritt aufgefaßt hat, den amerikanischen Weg eingeschlagen zu haben - mit dem Auto als Daseinszweck, der nun in den Städten der Industrieländer zum Verkehrsinfarkt (F. Vester) zu führen droht. Gleichwohl werden Horror-Szenarien von einem bevorstehenden Höllensturz ins Aus, wie ihn Herbert Gruhl im kulturpessimistischen Sinne Spenglers beschworen hat, nur bedingt ernstgenommen. Sein Buch mit dem reißerischen Titel Himmelfahrt ins Nichts aus dem Jahre 1992 klagt denn auch über den trägen und hybriden Menschen als »das naturzerstörende Wirtschaftstier« (Max Weber), das angeblich nichts dazulernen will: »Keiner braucht Einschränkungen hinzunehmen, im Gegenteil, nach der Ölkrise wurden größere Autos gekauft, man flog zu noch entfernteren Urlaubsorten und kämpft tapfer weiter gegen das Übergewicht.« In dieser Aufregung steckt nur eine halbe Wahrheit. Abgesehen davon, daß es 1973 keine Ölkrise gab, sondern nur eine Ölpreiserhöhung als Inflationsausgleich, so hat sich doch unter dem Zwang des Sparens vo r allem in europäischen Industrieländern einiges zum Besseren verändert: Auch wenn es -523-
selbst einem Optimisten nie genug sein kann, den Umweltbelastungen zu Recht stören. Man bedenke hier bloß, daß sich der Übergang vom Holzfeuer zum Kohleofen, dann zum Gasherd und nun zur Elektroplatte mit Strom aus Geowärme, Solarzellen oder Windrädern nur innerhalb einer einzigen Generation vollzogen hat. Diese individuell gerichtete und auch kollektiv angenommene Veränderung hin zum Naturgemäßen und Menschengerechten sollte also von enttäuschten Kulturkritikern, die kein optimistisches Verhältnis zur Technik haben, nicht kleingeredet werden. Denn in dieser Anstrengung drückt sich auch Kants Auftrag aus, sich durch Sachkenntnis aus schädigenden Lagen zu befreien und dabei auftretende Abhängigkeiten zu beherrschen - überlegt und überlegen zugleich. Nur unter dieser Bedingung eines lebenslangen Lernens bleibt der Mensch Herr seiner Technik und wird nicht ihr Sklave. Allein diese Bereitschaft erscheint als eine historisch begründete und in die Zukunft weisende Leistung, die ermuntert werden sollte: Gerade unter den Deutschen, deren Eliten und Konsumenten in der Weltgeschichte des Öls, Gases und des Atoms eine besondere Rolle gespielt haben. Es waren vornehmlich deutsche Spezialisten, die ab 1763 an der Bergakademie Freiberg in Sachsen die Tradition Georg Agricolas fortgesetzt und seine Bergbaukunde in die Geologie als praktisch anzuwendende Wissenschaft verwandelt haben. Deutschen Pionieren ist es ab 1785 gelungen, mit Punktbohrungen nach Öl, Salz, Kohle und Erz in Europa ein neues Zeitalter des Bergbaus einzuleiten. Ein revolutionierendes Vorgehen, das heute auch in der Medizin angewandt wird, wenn Chirurgen nicht mehr den halben Körper öffnen, sondern nach örtlichen Betäubungen mit besonderen Sonden punktgenaue Eingriffe vornehmen. Selbst beim historisch gewordenen Wechsel vom Schlag- zum Drehbohren oder Rotary-Verfahren -524-
seit 1901 kamen aus Mitteleuropa entscheidende Impulse, um diese technische Errungenschaft zu optimieren. Sie ist bis heute nicht ersetzt, sondern nur durch das Horizontalbohren ergänzt worden: Neuere Experimente mit Steinschmelzen durch Laser dürften es schwer haben, die robuste Rotary-Technik wirklich vollständig abzulösen. Nach wichtigen Vorabeiten anderer Che miker aus Schweden, England, Frankreich oder Italien war es seit August Kekulé mit der Entdeckung des Benzolrings möglich, ab 1861 das entstehen zu lassen, was später Petro-Chemie genannt worden ist und ab 1863 mit Hilfe deutscher Unternehmen wie BAYER, HOECHST (Aventis) oder BASF zu einer globalen GroßIndustrie ausgebaut wurde: Erst durch den Steinkohlenteer aus heimischer Produktion versorgt, dann aber aufgrund von Öl und Erdgas zu einer HighChem entwickelt, die mit der Jahrtausendwende einen fundamentalen Wandel durchläuft: Den inneren Umbau zur Life Science, die im Öl weniger einen Heizstoff sieht, als ihn zunehmend für Heilmittel nutzt. In deutschen Werkstätten erfanden Tüftler und Ingenieure seit 1867 brauchbare Gas-, Benzin- oder Dieselmotoren und konstruierten 1885 das erste Automobil. Eine technische Innovation, die als Auto-Industrie seither den gesamten Planeten prägt und nach ihrem Verbrennungs-Zeitalter jetzt in eine neue Phase tritt, in der intelligente und umweltgerechte Antriebsformen entwickelt werden: Neben Dryfit-Batterien ohne Salzsäure und Elektromotoren auch Brennstoffzellen, die künftig selbst die Nobelmarke »Mercedes-Benz« bewegen sollen - abgasfrei. Man denke in der Geschichte der Energie-Verwertung auch an die deutschen Beiträge zur Formulierung des Gesetzes zur Energiekonstanz (1842) sowie zur Kernspaltung im Jahre 1938. Bei ihr zeigt sich nicht nur die Ambivalenz der technischen Moderne, die zum Nutzen (Strom) wie zum Nachteil -525-
(Atombombe) ausfallen kann, sondern auch die Verschiebung ihrer Errungenschaften in Richtung Amerika: Die USA haben daraus sogar ein Instrument der globalen Sicherheitspolitik gemacht. Wird aber Technik in der letzten Konsequenz nicht nur ein Mittel der Wirtschaft, sondern auch der Politik, dann sollte man sie nicht mehr von diesen Bindungen isolieren, zumal ihre oft hohen Anfangsinvestitionen von Seiten des Staates mit Steuergeldern erst ermöglicht werden. Die Entwicklung des Bergbaus und der Bohrtechnik durch Subventionen des preußischen Staates im 19. Jahrhundert oder aufgrund von Steuerbegünstigungen in den USA belegen hinreichend die politischrechtliche Dimension einer Ölgeschichte, die hier integrativ erschlossen und in ihren Interdependenzen dargestellt wurde. In ihrem Dienst stehen vor allem die Medien. Besonders aber die Zeitungen als eine Errungenschaft der Druckkunst zur Wissensvermittlung und Meinungsbildung, falls sie als seriös gelten wollen. Dabei ist es einigen unter ihnen angelegen, auch auf Wechselwirkungen von Sachgebieten hinzuweisen, die von Wissenschaftlern gerne getrennt werden. So wurde in der französischen Tageszeitung Le Monde vom 1. März 2001 gleich auf der ersten Seite die Autorität des Generals de Gaulle für die Ansicht bemüht, daß »die Politik und die Wirtschaft so miteinander verbunden sind wie jede andere Tätigkeit mit dem Leben«. Mit diesem Zitat verweist der Ökonom und Historiker Nicolas Baverez auf die Rolle und Struktur der Europäischen Zentralbank (EBZ) hinsichtlich der gestörten Gleichgewichte in der Weltwirtschaft. Er bezieht sich in seiner Analyse auch auf die schwere Krise in Rußland von 1997 sowie auf die jetzigen Maßnahmen der neuen BushRegierung in den USA, die seit Januar 2001 einer sich anbahnenden Rezession mit Steuererleichterungen und -526-
Zinssenkungen entgegenwirken möchte. In seiner bankorientierten Kritik geht Baverez jedoch nicht auf den Einfluß des Öls als Grundlage der Weltwirtschaft ein: Hinweise dazu aber finden sich an anderen Stellen dieser linksliberalen Zeitung. So registriert sie in einem eigenen Bericht über die »historischen Profite der Unternehmen im Jahre 2000« besonders die Gewinne der französischbelgischen Total-FinaElf, des viertgrößten Ölkonzerns der Welt. Mit fast 50 Milliarden Francs oder 7,6 Milliarden Euro kann er nach der gelungenen Fusion ein stolzes Ergebnis vorzeigen. Es wurde jedoch weniger durch eigene Leistung als durch zwei wesentliche Außenfaktoren erzielt: »Die Quasi-Verdoppelung des Faßpreises für Rohöl im vergangenen Jahr und der Aufschwung des Dollars…« Allein dieser Hinweis aus dem Alltagsgeschäft verdeutlicht die längst wirksame Vernetzung von Einzelunternehmen und Nationalökonomien mit einer globalen Struktur. Und jeder ihrer Teilnehmer hat sich alle halbe Jahr von Wien aus auf die OpecRichtmarken für die Ölproduktion einzustellen. Laut Le Monde erfährt der Leser an diesem Märztag, daß mit 25,77 Dollar für die Nordsee-Qualiät »Brent« und mit 28 Dollar für das amerikanische »Light sweet« der niedrigste Faßpreis seit Januar notiert wird: Ali Rodriguez, der Generalsekretär der Opec, ha t denn auch schon eine Produktionsdrosselung des Staatenkartells für das nächste halbe Jahr angekündigt und damit wieder eine Preiserhöhung in Aussicht gestellt. Solche Ölinformationen bieten auch andere Zeitungen als Service für den interessierten Leser. Aber was Le Monde hier zum Abschluß besonders wertvoll macht, ist das Portrait eines ungewöhnlichen Mannes, der am 27. Februar 2001 im Alter von 94 Jahren in Caracas gestorben ist. Er hat Literatur, Wirtschaft, Recht, Politik und Ethik nie gegeneinander ausgespielt, sondern alle fünf Bereiche integriert und sich als Senator, Minister, -527-
Zeitungsherausgeber (El Nacional), Journalist und Romancier betätigt, um auch das Bewußtsein zu stärken, die Einnahmen aus dem Ölreichtum seines Landes als Volkseigentum vernü nftig und gerecht anzulegen - Arturo Uslar Pietri. Wie schon zu sehen war, ist er in seinem langen Leben politisch oft gescheitert, auch als Präsidentschafts-Kandidat im Jahre 1963. Aber er wurde zu Recht »das moralische Gewissen Venezuelas« genannt, weil von ihm gegen eine ausbeuterische Vergangenheit mit all ihren ökonomischen Fehlern und sozialen Gebrechen die Position eines unbeugsamen Treuhänders bezogen wurde: Pietri, der deutscher und korsischer Abstammung war, wollte das Schwarze Gold nicht in den Händen von Abenteurern wie Lopez de Aguirre mißbraucht sehen - einem seiner Romanhelden auf dem »Weg ins Eldorado«, der nichts anderes war als ein langer Marsch durch die Illusionen. Hätte es in der Weltgeschichte des Öls mehr von diesen Männern wie Pietri gegeben, wäre manch ein lokales, nationales und auch globales Übel abgewendet worden. Nun aber bleibt nur die Erinnerung als eine große Ermunterung, in seinem Geist so zu wirken, wie es sich seit ein paar Jahren der japanische AutoKonzern Toyota vorgenommen hat. Mit dem System des Hybrid-Cars und Elektro-Alternativen ist er auf dem größten Automarkt der Welt präsent und entspricht mit seinem weitgehend abgasfreien Programm den strengen Umweltgesetzen Californiens: Ein Land, das mehr als leidgeprüft die Sünden des Ölgötzen, Maschinenkultes und des Fetischs Fortschritt zu ertragen hat - von einer dramatischen Wasserknappheit und Stromsperren zusätzlich geplagt! Auf der Suche nach einem einfachen, aber hochwirksamen Verfahren, versalztes oder veröltes Wasser zu reinigen und wieder trinkfähig zu machen, wurde dort die Ultrafiltration entwickelt. Dabei gelingt mit Hilfe von Spezialmembranen und -528-
einem platzsparenden Röhrensystem nicht nur eine effektive Entsalzung. Der mittlerweile technisch ausgereifte und weltweit eingesetzte Reinigungsprozeß läßt sich auch zur »Entsorgung von Ölemulsionen und ölhaltigen Abwässern« erfolgreich nutzen, wie Ulrich von Mylius nachgewiesen hat, der von der Schweiz aus unermüdlich für diese Technik weltweit unterwegs ist. Von dieser und anderen Errungenschaften vornehmlich im Bereich der Solar-Energie ist bei Gruhl und anderen Kritikern selten die Rede. Denn wesentliche Verbesserungen im Verhalten umweltschädigender Menschen, Industrien oder gar politischer Systeme passen nicht zum Kulturpessimismus, dessen meist akademische Vertreter gerne eine gewisse »Lust am Untergang« pflegen, um sich selbst nicht mehr ändern zu müssen: Schließlich sind am Übelstand der Welt stets die anderen schuld. Was aber gegen den Pessimismus bisher schon erreicht worden ist, kann neben Big Green als Gegenkraft zu Big Oil auch dem in den USA wachsenden Kommunitarismus als Verdienst zugeschrieben werden. Seine depositäre und libertäre Haltung erwartet vom Individuum für den Schutz der unveräußerlichen Menschenrechte eine gemeinschaftsbezogene, überzeitlich gerichtete und damit ethische Verpflichtung zur Schadensabwehr in allen Lebens- und Arbeitsbereichen: Aus dieser Abkehr vom Ich- und Independenten-Kult ist auch die zunehmend militant gewordene Anti- Raucher-Kampagne entstanden - mit Schadensersatzurteilen einzelner Gerichte, die bereits die 100-Milliarden-Dollar-Grenze überschritten haben und das Verursacherprinzip zum Maßstab nehmen. Dieses Verhalten mag der europäischen und asiatischen Konsum-Mentalität übertrieben vorkommen. Doch dahinter steht das Verantwortungsgebot des Einzelnen sich selbst und seiner Gesellschaft gegenüber. Wie schwer diese Gegenseitigkeit auch in Bezug auf geschädigte Dritte im Einzelfall zu erfüllen ist, zeigt sich schon, wenn der Konsument -529-
auf kleine Verbrennungsquellen in seinem persönlichen Umfeld verzichten soll, um sie durch ein umweltfreundliches Verhalten zu ersetzen: Das fängt mit dem Feuerzeug und den Zigaretten an, setzt sich beim Gasherd fort, geht bis zur Ölheizung und zum Auto mit Benzin- oder Dieselmotor sowie zum Flugzeug, selbst wenn es dazu bessere und sogar billigere Alternativen gibt. Wer sich von diesem Prometheus-Syndrom befreien kann, der lebt wesentlich bewußter, ohne gleich in die Sackgasse des Atomstroms und der damit verbundenen Produktionsrisiken geraten zu müssen, wie sie der Super-GAU von Tschernobyl 1986 Mensch und Tier in Osteuropa zugemutet hat. Denn gegen diesen offenkundigen Irrweg der Energieerzeugung bieten sich längst andere Techniken an. Neben der verstärkten Nutzung der Solarkraft, die das gesamte Olympische Dorf von Sidney im Jahre 2000 versorgt hat, konzentriert sich zunehmend das technische und ökologische Interesse auf die Geowärme. Bereits seit 1904 im Geokraftwerk von Lardarello/ Italien erfolgreich erprobt und jetzt in einem umfassenden nationalen Energieprogramm auf Island dazu bestimmt, die Insel vom Öl und Erdgas unabhängig zu machen, rangiert die Erdwärme unter Politikern immer noch so tief, daß sie bei den Gesprächen zu einem Energie-Konsens nur in Nebensätzen erwähnt wird. Kein Wunder, wenn selbst interessierte Energiepolitiker nicht einmal mit ihren Grundvoraussetzungen vertraut sind. So behauptete der engagierte Kernkraftbefürworter und ehemalige Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium Otto Schedl noch 1985 in einem Lexikon für den Unterricht an höheren Schulen, daß bei der Geowärme »die sog. thermische Temperaturstufe je 33 in Tiefe im Durchschnitt 11 °C beträgt.« Unter solchen Bedingungen wäre nicht einmal eine Flachbohrung vo n 300 Metern Teufe möglich, denn dann würde die übliche Ton-Süßwasserspülung auf der Stelle verdampfen. Der naheliegenden Annahme, hier könnte der Druckteufel zugeschlagen und statt »l °C« gleich das 11fache angeboten -530-
haben, widerspricht Schedls weitere Angabe: »Erdwärmehöffig sind lediglich die Eifel, die Gegend bei Landau in der Pfalz, die Schwäbische Alb bei Urach sowie Gebiete im Hegau und im Westerwald.« Offensichtlich ging Schedl in seiner Auffassung vom Energieverbrauch nur von ehemaligen Vulkangebieten aus, ohne zu wissen, daß die geothermische Tiefenstufe bei 3 °C auf 100 Meter auch für die norddeutsche Tiefebene und mit geringen Schwankungen in jeder anderen Gegend Europas gilt, während sie in Afrika etwa um die Hälfte niedriger liegt. Bereits erprobte Verfahren legen nahe, die Teufen in leergepumpten Ölfeldern auf 2000 Meter zu bringen, um dann die Erdhitze mittels Wasser oder eingepreßter Luft an der Oberfläche auf Turbinen und Generatoren zu lenken. Bei einer Verwirklichung des Geowärme-Programms könnte im deutschen Bereich allein das umgerüstete Feld Meckelfeld-Süd die Hansestadt Hamburg mit Primärenergie oder Generatorstrom versorgen, nicht anders das Feld Plön-Ost den Großraum Lübeckkiel. Ähnlich würde das ausgepumpte Ölfeld Lehrte mit anderen erschöpften Vorkommen im Raum Peine-Gifhorn von Berkhöpen bis Knesebeck in der Lage sein, der Großregion Hanno ver-Braunschweig-Salzgitter-Wolfsburg einen wichtigen Anteil an Energie- und Heizbedarf bereitzustellen. Allein daraus könnte sich ein geothermisches Netz entwickeln, das von den Feldern um Georgsdorf im Emsland bis zum Ruhrgebiet reicht und im Rheintalgraben die ehemaligen Felder bei Landau, Heilbronn, Stockstadt oder Pechelbronn im Elsaß reaktiviert: Als Großversorger für die Ballungsräume Rhein-Main oder längs des Neckars, während die zahlreichen kleinen Öl- und Gasfelder im Molasse-Gebiet der Voralpen die Millionenstadt München mit ihrer Erd-Fernwärme erreichen könnten. Das mag eine Vision sein. Aber im Zeichen der Beschleunigung, wie sie von der New Economy vorgelegt wird, erscheint ihre praktische Umsetzung realistisch. Man bedenke -531-
nur, wie sich BP und Royal Dutch/Shell als zwei Globalkonzerne der klassischen Old Economy sich innerhalb eines einzigen Jahrzehnts auf den Energiemix umgestellt haben: Sie bestücken mittlerweile mit eigenen Solarzellen ihre Tankstellendächer, um Öl und Gas zu sparen. Doch trotz dieser zukunftsgerichteten Innovation bleibt das herkömmliche Öl- Geschäft bestehen. Allerdings hat sich auch hier besonders bei Shell ein Wandel vollzogen. Noch bis zur Mitte der 1990er Jahre betrachtete man sich als »unpolitischen« Weltkonzern, der sich nicht in das politische oder gesellschaftliche Umfeld seiner Tätigkeitsgebiete einmischte. Die bedrückenden Ereignisse in der Diktatur Nigeria mit dem Tod des Schriftstellers Ken Saro Wiwa und den Umweltproblemen im Niger-Delta haben aber dazu geführt, künftig nicht nur eine technische Kompetenz vorzuführen. Vielmehr wird die Unternehmens-Philosophie jetzt auch darauf gerichtet, eine moralische Akzeptanz bei den eigenen Kunden in Europa und Amerika zu bekommen: Menschenrechte, Demokratie, soziale MarktWirtschaft und die Ölindustrie sollen sich demnach nicht mehr ausschließen oder gar bekämpfen. Wie wichtig diese neue Dimension des Ölgeschäftes is t, zeigen die Verhältnisse in Angola. Eine seit 1975 selbständig gewordene Kolonie der Portugiesen, die seit der ersten Erschließung im Jahre 1968 zu den öl- und erzreichsten Regionen der Erde zählt, aber einen Bürgerkrieg nach dem anderen erlebt - als »Hö lle auf Erden« (J. L. Anderson). Im Küstenbereich mit seinen Offshore-Feldern bis zur Exklave Cabinda von Spöttern die »Republik Chevron« genannt, halten sich die dort tätigen Ölunternehmen zwar aus den innerangolanischen Querelen heraus. Aber ohne die Öleinnahmen könnten Politiker wie Jose Eduardo Dos Santos, der derzeitige Präsident des zerrütteten Landes, Führer der marxistischen MPLA und ehemalige Öl- Ingenieur, der in Baku -532-
ausgebildet wurde, nicht ihr tribalistisches Selbstbedienungssystem auf Kosten des Volkes finanzieren: Es lebt ähnlich wie im alten Ölland Venezuela bis zu 80 % in bitterem Elend und muß neben einem »kleinen Geldadel«, der das Land völlig heruntergewirtschaftet hat, die Terrorherrschaft einzelner Clans ertragen. Öl ist hier nur Schüttgut und nicht ein Treuhandstoff, mit dem die Zukunft eines Volkes aus verschiedenen Stämmen gesichert werden könnte. Statt seine Einnahmen zur inneren Entwicklung einzusetzen, wird es von einer winzigen Elite zur eigenen Bereicherung und für den Bürgerkrieg mißbraucht. Chevron als ehemalige Esso-Tochter wäre also gut beraten, ihren Einfluß ähnlich geltend zu machen wie Shell in Nigeria und sollte zum Ausdruck bringen, daß ihr das Los von Land und Leuten in Südwest-Afrika nicht gleichgültig ist - schon der eigenen Zukunft wegen. Trotz dieser Belastungen in Rohstoffländern, die keine heimische Industriestruktur, Rechtsstaatstradition und Demokratie-Geschichte besitzen, hat in der Ölindustrie auch dort ein Umdenken eingesetzt, wo in den USA, Japan und bei den Milliardenvölkern Indiens sowie Chinas zunehmend darauf geachtet wird, was mit guten Gründen seit 1992 die »Europäische Herausforderung« (D. G. Mayes) heißt. Ein Innovationsvermögen der Alten Welt, das aus vielen Fehlern der Vergangenheit lernt und zu bewahren sucht, was sich in Geschichte und Gegenwart bewährt hat. Dazu trägt die akademische Diskussion über die »Tiefenzeit« (John McPhee) als Grundproblem der modernen Geologie ebenso bei wie Bohrungen, die Japaner in der Tradition des californischen Projektes »Mo-Hole« für die nächsten Jahrzehnte vorbereiten im Rahmen des neuen Tiefsee-Bergbaus als High-TechUnternehmen. Auf diese Zukunftsmusik wirken aber noch immer Mißtöne -533-
ein. Sie kommen vornehmlich aus den Reihen der neuen USRegierung von George W. Bus h, der als ehemaliger und wenig erfolgreicher Ölmann angesichts einer drohenden Rezession noch immer die Mentalität der Old Economy vertritt, daß nämlich die Schlote rauchen müssen, selbst wenn es auf Kosten der nationalen wie globalen Umwelt gehen sollte. Dabei ist vor allem »in Europa eine Revolution im Gang«, die von den AutoHerstellern in der Technik endlich das eingelöst sehen möchte, was der erste Massen-Produzent Henry Ford schon vor hundert Jahren ersehnt hat: Das Genießen des Autos »in Gottes freier Natur und sauberer Luft«. An der Erfüllung dieser Vision arbeitet auch der ehemalige Ford- und VW-Manager Daniel Goeudevert. Unter dem Stichwort »Mit Träumen beginnt die Realität« hat er aus langer Erfahrung das organisatorische Allrad-Modell für eine effektive und zukunftsgerichtete Auto-Industrie entwickelt. Geprägt vom Treuhanddenken für die Zukunft übernimmt er hier das Integrations-Prinzip aus der Ölwirtschaft, wie es die Nobels als erste mit Erfolg erprobt haben. Dabei will er die Wechselwirkungen von Forschung und Entwicklung (rechtes Hinterrad), Produktion und Planung (linkes Hinterrad), Personal und Finanzen (rechtes Vorderrad), Vertrieb und Verkauf (linkes Vorderrad) optimiert sehen - als System von Interdependenzen. Mögen noch eine ganze Reihe amerikanischer Öl-Manager, Autobauer und Politiker von der Einsicht in den Nutzen dieses Modells ein paar Meilen entfernt sein, so sind doch schon wegweisende Wirkungen zu erkennen: Daimler-Chrysler will auf dem US-Automarkt ab 2003 das in Europa erfolgreiche 5,5Liter-Auto »Smart« anbieten und damit ein Zeichen gegen die 25-Liter-Kutschen setzen, die sich steigender Beliebtheit erfreuen. Ob dieser Trend bis zur alten Maya-Prophezeiung anhält, daß im Jahre 2012 die Große Sintflut kommen wird, bleibt eine offene Frage. Aber der japanische Auto-Konzern Toyota läßt über die technische Hochleistung seiner innovativen -534-
Produkte hinaus bereits mit dem depositären Denken für das Firmen-Image werben. Er zeigt dabei auch dem eigenen Land, was es seit dem »Wirtschaftswunder« der 1960er Jahre sträflich vernachlässigt hat, nämlich im quantitativen Wachstum die Qualität der Umwelt zu berücksichtigen und auf die Maxime zu setzen: »Erst der Mensch, dann die Maschine.«
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NACHWORT Sollen Bücher ein Inbegriff von Ideen und ein Ausdruck der Praxis sein, dann unterliegen sie vom ersten Gedanken bis zur letzten Korrektur einer eigenen Geschichte. Sie teilt sich in der Regel dem Buch selbst nur dort mit, wo Lebensprägungen, Berufserfahrungen und Lesefrüchte des Autors die Analyse und Beschreibung von Sachverhalten in einer besonderen Spannung halten. Im Falle der Tränen des Teufels reicht diese Grundierung bis in die Zeit kurz nach dem letzten Weltkrieg. Eine legendäre Esso-Tankstelle im abgelegenen Wasgau wurde hier ebenso wichtig wie Technikbücher über die Ölsuche in Venezuela und Argentinien. Der Lebensbericht Gespräch mit der Erde des Geologen Hans Cloos von 1959 gab dann den letzten Anstoß, ab 1960 bei der Preussag in Berkhöpen/Peine und auf dem Ölfeld Lehrte bei Hannover den Beruf eines Tiefbohrers zu erlernen, um später Geologe zu werden. Tätigkeiten u.a. an der »Lehrte 26«, der »Höver 27« oder an der »Staffelsee 1«, die 1965/66 mit über 6000 Meter die tiefste Bohrung Europas war, haben zwar wertvolle Kenntnisse für den Bohrbetrieb und die Ölgewinnung vermittelt. Doch eine langwierige Erkrankung zwang dazu, von den Ölquellen zu den Geschichtsquellen zu wechseln. Gleichwohl meldete sich die Öl-Idee als Buchprojekt immer wieder zu Wort. Verschiedene Anläufe seit 1967 wurden jedoch nicht beendet. Der Hauptgrund lag wohl darin, daß erst das Modell einer Integral-Historie entwickelt und erprobt werden mußte, ehe das komplexe und hochvernetzte Öl-Thema bewältigt werden konnte, d.h. die Kombination aus nichtwiederholbaren Faktoren (Personen und -536-
Ereignisse) sowie wiederholbaren Elementen (Strukturen und Mentalitäten). In Erinnerung an die vielen Opfer im Dienst der Ölindustrie widme ich diesen Versuch einer Weltgeschichte zunächst meinem »Onkel« Bernhard Köhler. Er hat als Bitumenarbeiter unzählige Straßenkilometer asphaltiert und im Glauben an den Fortschritt für diese Tätigkeit in einer täglichen Benzolwolke mit der Gesundheit und dem Leben bezahlt. Dem Freund Stephan M. Hess sei neben aller Unterstützung und Ermunterung auch deshalb mit der Hauptwidmung gedankt, daß er aufgrund seiner zeitweiligen Vorliebe für das amerikanische Ideal »Car and cigar« stets daran gemahnt hat, was für das Bewußtsein einer Treuhandschaft gegenüber der jungen Generation an Aufklärung und Vorbild geleistet werden muß. Deshalb sei dieses Buch auch den Patenkindern Hannah Gärtner (New York), Alexander Hess (New York) und Toiko Kleppe (Stockholm) ans Herz gelegt: In der Hoffung auch, daß sie sich selbst depositär verhalten werden und ihre Generation für den Verbrennungswahn aus Geschichte und Gegenwart nicht über Gebühr leiden muß. In all den Jahren der Erschließung dieser Öl-Geschichte war Dr. Ralf Pomès von der Shell-Bibliothek in Den Haag/Niederlande ein unermüdlicher Zuarbeiter und kundiger Gesprächspartner. Ihm sei hier ebenso gedankt wie Thomas Weck vom Verlag Klett-Cotta für sein Engagement in Sache und Sprache, die mir in der Schlußphase mehr geholfen hat, als sich hier in Worten sagen läßt. Doris und Hans-Günter Schmidt (Frankfurt/M.) haben mich ebenso wie Theodor Remy (t Frankfurt/M.), Marianne Roth (Kaiserslautern), Ute Kirchhelle (Los Angeles), Lieselotte Knück (Frankfurt/M.), Lydia Wagner (Noussa/Australien), Vida Vafaizadeh (Teheran) und Klaus Gorsler (Frankfurt/M.) auf eine persönliche und sachliche Weise unterstützt, die in bestimmten -537-
Phasen des Projektes für den Fortgang der Arbeit so wirksam war wie die unschätzbaren PC-Hilfen von Horst Bodenheimer (Frankfurt/M.) oder die Unterstützung durch die Buchhandlung Eisenblätter und Naumann. Im Augenblick des Abschlusses belebt sich die Erinnerung an den verehrten Lehrmeister Otto Goedecke (t). Aber auch an den Ölpionier Karl Scheibe (t), der schon 1969 in einem anregenden Gespräch zu dieser Weltgeschichte aus deutscher Sicht geraten hat. Manfred Rösener, der den Tiefbohrlehrlingen der Preussag das Fach-Englisch beizubringen versuchte, ist in dieses Gedenken mit Bewunderung für sein Sprachvermögen eingeschlossen: Nicht anders mein Zimmer-Nachbar KlausPeter Graue (t), dem ein Unfall in blutjungen Jahren die Cha nce nahm, sein ausgezeichnetes Talent zu entwickeln. Ein besonderer Dank geht an Heinrich Ruhe (Peine): Er war als Heimleiter in Berkhöpen stets ein fordernder und fördernder Freund, der mir über Ölheim und »Klein-Pennsylvanien« wichtigen Lesestoff verschafft hat. Dem Deutschen Erdöl-Museum in Wietze, der PreussagEnergie in Lingen/Emsland, dem Stadtarchiv Frankfurt am Main sowie der Königl. Bibliothek in Stockholm sei hier herzlich für die Beschaffung von Bild-Material gedankt. Es tut gut, ihnen allen sowie auch dem geistigen Begleiter und Anreger Charles Austin Beard, der vor genau einhundert Jahren seine Geschichte der »Industriellen Revolution« veröffentlicht hat, den alten Segensgruß der deutschen Berg- und Ölarbeiter zu entbieten, ehe sie in den Schacht stiegen oder ihre Schicht am Turm begannen - Glück auf! Frankfurt am Main, den 30. Mai 2001 Günter Barudio
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ANMERKUNGEN Es wäre vermessen, angesichts der Überfülle an Informationen von diesem Versuch eine Vollständigkeit zu erwarten. Ein solches Postulat würde die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Geschichtsschreibers überfordern, zumal wenn er ganz auf sich allein gestellt ist. Er ist also gehalten, auf die gute Vorarbeit seiner Kollegen ebenso zu vertrauen wie auf die Angaben in den zahlreichen Fachzeitschriften oder Zeitungen. Die Anmerkungen folgen hier stichwortartig dem inneren Ablauf der Einzelkapitel. Dabei bleibt das Risiko bewußt, Korrekturen hinnehmen zu müssen, sollte sich in Zukunft aus einer veränderten Quellensituation (Öffnung der FirmenArchive) eine andere Personensicht, Ereignisfolge, Sachverhalt oder Strukturlage ergeben.
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Tränen des Teufels (S. 9-21) Zu den Diskussionen über die Vor- und Frühgesch. des Öls s. die WPC-Akten von 1937 (Paris); Forbes, Bitumen and Petroleum in Antiquity, 1936; vgl. K. Krejci- Graf, Erdöl. Naturgeschichte eines Rohstoffes, 2. umgearb. Auflage, 1955, S. 36ff: älteste Sage in Mitteleuropa über Bitumen, »Dürschenblut« und »Ichthyol«-Salbe. Zum Sonnenkult im pharaon. Ägypten J. Assmann, Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, 2001, S. 188ff; vgl. L. H. Lesko, The Ancient Egyptian Book of Two Ways, 1972, S. 102 ff. Zum Öl als Leuchtstoffs. E. Rasche, Die sechste Weltmacht. Männer u. Mächte um Erdöl, 1953, S. 16ff; vgl. P. L'Espagnol de la Tramerye, La lütte mondiale pour le pétrole, 1923; s.a. I. Tarbeil, The Oil Age, in: McClure's Magazine, Nov. 1924; zu Rockefellers Lage hins. Edisons »Lampe« u. der ErdgasLeuchten in den 1880er Jahren s. R. Chernow, Titan. The Life of John D. Rockefeller Sr., 1998, S. 260 ff; vgl. R. W. Hidy/M. E. Hidy, History of Standard Oil Company (New Jersey): Pioneering in Big Business, 1882-1911, 1955, S. 194ff; s.a. N. Baldwin, Edison: Inventing the Century, 1995; vgl. Th. P. Hughes, Die Erfindung Amerikas, dt. 1974 (1972). Zur am. Lebensauffassung s. S. E. Ahlstrom, A Religious History of the American People, 1972; vgl. N. W. Aldrich Jr., Old Money: The Mythology of America's Upper Class, 1972; vgl. J. Silber, Ist Amerika zu retten?, dt. 1992 (1989). S. 23ff: Die Götter der uralten Sprüche; vgl. G. Vidal, Das ist nicht Amerika. Essays, dt. 2000 (1971-1998); s.a. B. Lindemann (Hrsg.), Amerika in uns. Dt.-Am. Erfahrungen u. Visionen, 1995, S. 197ff zum »Way of Life« (Th. Kielinger); P. Bruckner, Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne, 2001; Th. W. Adorno/M. Horkheimer, Die Dialektik der Aufklärung, 1947: Ein Bekenntnis zur »amerikanischen Erfahrung« seit 1776; s.a. -540-
Barudio, Politik als Kultur. Ein Lexikon von Abendland bis Zukunft, 1994: »Aufklärung«. N. Postman, Die Zweite Aufklärung. Vom 18. ins 21. Jhdt, dt. 1999. Zur Energie-Frage s. H. Hartmann, Triumph der Idee, 1959; vgl. M. Eliade, Kosmos u. Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, dt. 1984 (1954). P. Lutz, Einstein verstehen lernen. Licht, Masse, Energie, Relativitätstheorie, 2000; J. Wolfram/S. Wittig (Hrsg.), Energien u. Umwelt. Wo liegen optimale Lösungen? (44. Symposion der dt. Akademie der Wissenschaften). R. Grießhammer et al., Ozonloch u. Treibhauseffekt, 1989. Die Grünen im Bundestag (Hrsg.), Verzic ht auf PVC & Chlorchemie, 1989; s.a. W. Kamaus, Risiko Dioxin, in: Wechselwirkung, Nr.43:l l, 1989, S. 10-15; vgl. E. Koch/F. Vahrenholt, Seveso ist überall. Die tödlichen Risiken der Chemie, 1978; G. Keppner, Zündstoff Erdöl, 1979; vgl. F. Krause et al., Energie-Wende. Wachstum u. Wohlstand ohne Erdöl u. Uran. Ein Alternativ-Bericht des ÖkoInstituts/Freiburg, 1980; s.a. Ch. Handy, Die Fortschrittsfalle. Der Zukunft neuen Sinn geben, 1995; P. Becker et al. (Hrsg.), Energiewirtschaft im Aufbruch. Analysen. Szenarien. Strategien, 2001. V. Flusser, Die Gesch. des Teufels, 1996. S. J. Gould, Illusion Fortschritt. Die vielfältigen Wege der Evolution, dt. 1998.
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Öl in der Falle (S. 22-51) Zum Ölrausch s. C. C. Rister, Oil! Titan of the Southwest, 1949; J. A. Clark/ M. T. Halbouty, Spindletop, 1952; vgl. H. F. Williamson et al., The American Petroleum History, vol II: The Age of Energy, 1899-1959, 1963, passim. Der Wissenschaftsstreit bei A. D. White, A History of the Warfare of Science with Theology in Christendom, 2 vols, 1986; vgl. R. K. Merton, Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit, dt. 1980 (1965); s.a. A. Desmond/J. Moore, Darwin, dt. 1992 (1991), S. 275ff: Geistige Revolte, s.a. S. 406: Entstehung der Kohle (Al diabolo). Die Position von H. Stephens in: Der Spiegel, Nr.51, 1999, S. 195. H. Cloos, Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen, 1959, S. 103 ff: »Soldat im Ölkrieg« u. im Dienst der American Petroleum Company vor allem auf Java. Zur Proble matik von Geschichte u. Geologie im Hinblick auf die Geltung der Zeit s. S. J. Gould, Die Entdeckung der Tiefenzeit. Zeitpfeil oder Zeitzyklus in der Gesch. unserer Erde, dt. 1990 (1987), S. 120ff; vgl. W. Falk, Vom Strukturalismus zum Potentialismus. Ein Versuch zur Geschichts- u. Literaturhistorie, 1976, S. 14 ff: »Heilung jenseits der Geschichte«; s.a. P. H. Giddens, The beginnings of the Petroleum Industry: Sources and Bibliographie, 1941. Feuer und Wasser: A. Geikie, The Founders of Geology, 1905; vgl. S. J. Gould, Tiefenzeit, S. 170 ff: Lyell's eigene »höchst erfolgreiche Legendenbildung«. Schon Stensen hatte eine Vorstellung von Konstanz: »Der Wandel der Naturgegenstände ist in der Tat konstant, nur löst sich in der Natur kein Ding in Nichts auf«, s. hierzu Gould, Tiefenzeit, S. 87ff; s.a. N. Steno, De solido intra solidum naturaliter contento dissertationis prodromus, 1669; Übersetzung u. Einleitung zum Werk bei J. G. Winter, The Prodromus of Nicolaus Steno's -542-
Dissertation, 1916, S. 175ff. Zu Hutton, der manchmal auch als »Lehnstuhl-Geologe« (Davis) gescholten wurde neben Gould, Tiefenzeit, S. l10ff auch G. L. Davis, The Earth in Decay: A History of British Geomorphology, 1578-1878, 1969. L. Kuhlenbeck, Giordano Bruno (dt. Ausgabe der phil. Werke), 6 Bde, 1904-06; s.a. E. Grassi, Giordano Bruno, 1947. E. V. Samsonow, Giordano Bruno (Auswahl seiner Werke), 1995. G. Busolt, Die Grundzüge der Erkenntnistheorie u. Metaphysik Spinozas, 1875; vgl. H. Graf Reventlow, Bibelautorität und Geist der Moderne, 1980. A. Koyré, Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, 1969. Zur Bedeutung der Fossilien s. Gould, Tiefenzeit, S. 130ff; s.a. R. Daber/ J. Helms, Das große Fossilienbuch, 1978. Zum Verhältnis von Eisenbahnbau, Dampfschiffahrt u. einer »Bereicherung der Naturwiss.«; s.a. M. Barthel, Johann Christian Mahr (1787 bis 1869), in: H. Prescher (Hrsg.), Leben u. Wirken deutscher Geologen im 18. u. 19. Jhdt., 1985, S. 162ff; s.a. M. J. S. Ruwick, The Meaning of Fossils, 1972. K. Krejci-Graf, Grundfragen der Ölgeologie, 1930, S. 5 ff: »Nicht das Porenvolumen, sondern die Durchlässigkeit ist maßgebend. Man mißt sie in Milli-Darcy«. GEO, Nr.9, 1991, S. 59ff (F. Hapgood). Zum Neptun-Pluto-Streit s. F Wendland, Peter Simon Pallas (1741 bis 1811), in: Dt. Geologen, S. 28 ff; vgl. O. Wagenbreth; Die Entwicklung des geol. Weltbildes in den letzten 200 Jahren, in: Forschungen u. Fortschritte, 41, 1967, S. 365 ff; vgl. A. Watznauer, Die Entwicklung der Naturwissenschaften zwischen 1750 und 1850: Geologie u. Mineralogie, in: Das Jahrhundert Goethes, 1967, S. 11-124. Zu J. Hutton s.a. C. L. Fenton/M. A. Fenton, Giants of Geology, 1952. Zum Menschenbild s. Barudio, Politik als Kultur. Ein Lexikon von Abendland bis Zukunft, 1994, S. 215ff. Über die Fortschritts-Problematik s. G. Fasching/H. Pietschmann, Fortschritt von Technik u. Naturwissenschaft: Wohltat oder Plage?; vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen -543-
Vernunft. Fortschrittsperspektiven der mod. Industriegesellschaft, 1993. Auch die Tätigkeit der ÖlHistorikerin Ida Tarbeil belegt auf ihre Weise die Dominanz des Männlichen (»Masculi potestas«); s.a. Ch. McA. Destler, Roger Sherman and the Independent Oil Men, 1967. Zum Auto als »Männersache« s. J. P. Bardou et al., The Automotive Revolution: The Impact of an Industry, 1982. Lagerstätten: M. Guntau, Zur geolog. Erkenntnis in der Periode der industr. Revolution, 1982; vgl. H. Ley, Aufklärung u. Naturwissenschaft, in: Zeitschr. geol. Wiss., 8, 1980, S. 25ff. H. Gruber, Der Positivismus vom Tode A. Comtes bis auf unsere Tage, 1891; vgl. W. Bröcker, Dialektik, Positivismus, Mythologie, 1958. F. Meinecke, Die Entstehung des Historismus, 3. Aufl. 1960; vgl. E. Reisner, Der begegnungslose Mensch. Kritik an der hist. Vernunft, 1964. R. Porter, Charles Lyell and the Principles of the History of Geology, in: British Journal for the History of Science, 9, 1976, S. 91-103; zur Katastrophen-Theorie s. G. Cuvier, Die Umwälzungen der Erdrinde in naturwiss.u. geschichtl. Beziehung, 2 Bde, dt. 1830; vgl. A. D'Orbigny, Cours élementaire de paléontologie et de géologie stratigraphique, 1849-1852; s.a. C. C. Beringer, Die Gesch. der Geologie u. des geologischen Weltbildes, 1954. W. Fischer, Gesteins- u. Lagerstättenbildung im Wandel der wiss. Anschauung, 1961; s.a. Preuß. Geol. Landesanstalt Berlin: Handbuch der vergleichenden Stratigraphie Deutschland, 1935. J. V. Howell, How Old is Petroleum Geology, in: Bulletin of the American Association of Petroleum Geologists, 5, 1930, S. 607ff: Mit Abstand die beste wiss. Geologie-Zeitschrift, die immer wieder die Nähe zur Öl- Praxis sucht, s. S. K. Clark/ J. I. Daniels, Logging Rotary Wells from Drill Cuttings, Bulletin, 12, 1928, S. 59 ff. A. Bentz, Geolog. Voraussetzungen für das Auftreten von Erdöllagerstätten in Dtl, in: Zeitschr. dt. geol. Gesell., 84, 1932, S. 369-389. Ein älteres Standardwerk zu den einzelnen Lagerstätten O. Stutzer, Erdöl. Allgemeine -544-
Erdölgeologie und Überblick über die Geologie der Erdölfelder Europas, 1931. Neueres Standardwerk H. Beckmann (Hrsg.), Geology of Petroleum, 7 Bde, 1976-84. Zum Phänomen der »Migration« s. Krejci-Graf, Erdöl. Naturgesch. eines Rohstoffes, 2. umgearb. Auflage, 1955, S. 36 ff; vgl. St. Zuber, Quelques arguments contre la migration du pétrole, in: Revue pétroléfère, 1926; vgl. Stutzer, Erdöl, S. 336ff. Noch Cloos schien nur Antiklinalen als Ölfalle zu kennen, die er ähnlich Stutzer »Antikline« nennt, Gespräch mit der Erde, S. 110ff: »Erdöl war in Java bekannt, lange ehe der erste Geologe die Insel betrat, Jahrtausende bevor es überhaupt Geologie gab. Man hat es als Schmieröl verwendet, man hatte die brennenden Ölgase heiliggesprochen und an ihren Orten verehrt…« L. D. Stamp, The Oil Fields of Burma, in: Journal Inst. Petr. Tech., vol. 15:74, 1929, S. 300ff; s.a. D. C. Roberts, Long Beach Oil Field, Los Angeles County. Structure od Typical American Oilfields, vol. II, 1929, S. 62 ff. Über das Loretto-Abenteuer s. Cloos, Gespräch, S. 258-271. Zu Pechelbronn s. W. Richter, Die geolog. u. produktionstechnische Erschließung u. Entwicklung des Pechelbronner Erdölreviers seit 1920, in: Oel u. Kohle, Nr. 39 (15. Okt.), S. 367ff, mit frz. Literatur: Das Feld förderte 1933 max. 78828 t und 1939 nur noch 69559 t, davon 30187 t im Schachtbetrieb; s.a. die Angaben bei Brandy, History of Oil Well Drilling, 1971, S. 58 ff: Nach Auskunft von Rene Navarre soll es zwischen 1785 und 1849 genau 12 Ölbohrungen in Pechelbronn gegeben haben, von der »Pluton« 1785 (35 m) über die »Glückauf« von 1838 (40 m) zur »Joseph« von 1849 (57 m). W. Bußmann et al. (Hrsg.), Geothermie. Wärme aus der Erde. Technologie, Konzepte, Projekte, 1998. Zum Faszinosum »Diskordanz« s. Gould, Tiefenzeit, S. 95: Huttons Feldbeispiel im schottischen Jedburgh. Zu den Salzdomen od. Salzstöcken s. API, Die Erdöl- und Erdgas-Produktion, o.J., S. 11 ff; als einzelnes Feldbeispiel s. F. Breyer, Der Salzstock von Etzel, seine geol. Gesch. u. sein Erdölvorkommen, in: Erdöl u. Kohle, -545-
2, 1949, S. 41 ff. Anton Lucas, der Rotary-Pionier, ist wegen seiner Vision, daß Salzstöcke für migrierendes Öl eine Falle bilden könnten, von US-Geologen noch um 1890 verlacht worden, fand aber 1901 beim Spindeltop-Salzstock seine Annahme glänzend bestätigt s. hierzu J. G. McLean/R. Haigh, The Growth of Integrated Oil Companies, 1954, S. 892 ff. Schallmauern: Cloos, Gespräch, S. 12ff. Zum »elektrischen Aufsuchen von Petroleum« (A. Belluigi) s. Beiträge in den WPC-Akten 1937 (Paris). H. Hassmann, Erdöl in Deutschland. Geschichte. Gebiete. Probleme, 1950, S. 13 ff. Zur Lage nach dem II. Weltkrieg in Dtl. s. H. Reich, Zukunftsaufgaben der Geophysik in Nordwestdeutschland, in: Erdöl u. Kohle, I, 1948, S. 16ff. Zur frühen Verwendung der Fotographie s. R. Bering, Erdöl u. Luftbild, in: Oel u. Kohle, Nr. 46, Dez. 1940, S. 519ff; s.a. W. Schermerhorn, A comparison of the use and value of aerial photographs and aerial surways in various countries of the world, in: Photogrammatical Engineering, 5:4, 1939. C. M. Froidevaux, Radar, an Optimum Remote Sensing Tool for Detailed Plate Tectonic Analysis and its Application to Hydrocarbon Exploration (an Example in Irian Jaya, Indonesia), in: Radar Geology, 1980; s.a. der Seismik-Bericht in: GEO, Nr. 9, 1991, S. 63ff. A. Hammer, Mein Leben, dt. 1992 (1990), S. 346 ff. J. McPhee, Basin and Range, 1980. V. S. Cameron (ed.), Exploration and Economics of the Petroleum Industry, 1974, S. 241: Umwelt und Treuhandschaft.
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»Nur immer tiefer!« (S. 52-79) Zu Bacon: K. K. Hinrichs (Hrsg.), Der utopische Staat, dt. 1982 (1960); vgl. Barudio, Politik als Kultur, Utopie, S. 368 ff. Zum Komplex der Überteufen s. Nieders. Landesamt f. Bodenforschung, Kontinentales Tiefbohrprogramm (KTB) der Bundesrepublik Deutschland - Bohrplatz im Schwarzwald oder Oberpfalz, in: Geowissenschaften in unserer Zeit, 4. Jg., 1986, Nr. 1; vgl. das am. Projekt Deep Sea Drilling Project (DSDP) von 1968 mit der »Glomar Challenger« sowie als FolgeUnternehmen das »Ocean Drilling Program« (ODP) seit 1985; s.a. P. F. Burollet/D. Ljubic (eds.), Petroleum prospects in the deep Ocean regions (beyond the Continental Shelf), in: 9. WPC, 2, 1975, S. 267-353. Windischeschenbach in der Oberpfalz bekam den Zuschlag für diese Aufschlußbohrung, s.a. Verein der Freunde u. Förderer des Bergbau- u. Industriemuseums Ostbayern, Das Kont. Tiefbohrprogramm um den Standort Oberpfalz, 2. Aufl. 1986. G. Agricola, De re metallica, 5. Aufl. 1987, passim; vgl. J. Wozniakowski, Die Wildnis, dt. 1987. Leonardos »Bohrturm« in: J. E. Brantly, History of Oil Well Drilling, 1972, S. 52 ff: Standardwerk, erwähnt zwar Agricola, läßt aber die dt. Pioniere außer acht. Borger, Die Entwicklung der Tiefbohrtechnik bis um die Mitte des 19. Jhdts, in: Kali, 1936, XXX:11, S. 100 ff. Zu Goethes Glückwunsch s. W. Arnold/E. Look, Karl Christian Friedrich Glenck (1779 bis 1845). Sein Wirken bei der Suche u. dem Aufschluß von Salzlagerstätten in Thüringen u. Sachsen u. sein Verhältnis zu Johann Wolfgang v. Goethe, in: Dt. Geologen, 1985, S. 149; vgl. J. Dürler, Die Bedeutung des Bergbaus bei Goethe u. der dt. Romantik, 1936. Deutsche Pioniere: Zu den am. Pionieren wie William Morris, der 1841 ein Patent zum Bohren von Artes. Brunnen erhielt s. Brantly, passim; vgl. B. de Palissy, Discours admirable -547-
sur la nature des eaux et fontaines, 1580; J. Waldauf v. Waldenstein, die neuesten Beobachtungen u. Erfahrungen über die Anlage der artesischen Brunnen, 1831; s.a. M. J. Degousée, Guide du sondeur, 1847; s.a. D. Hoffmann, Goethe u. das Bohrwesen nach dem Briefwechsel zwischen Carl Ch. F. Glenck u. Goethe, in: Kali 38, 1944, S. 21 ff; ders., 150 Jahre Tiefbohrungen in Deutschland, 1959: die weiteren Angaben hier sowie bei Th. Tecklenburg, Handbuch der Tiefbohrkunde, 2. verbess. Aufl. 1900, S. 84 ff: Wandel vom Holz- zum StahlTurm in Oelheim um 1894. K. G. Kind, Anleitung zum Abteufen der Bohrlöcher, 1842. J. Degoufie, Die Anwendung des Erdbohrers, 1851. A. Liesenhoff, Freiherr Karl v. Oeynhausen, ein Lebensbild, 1895. Zum Übergang von der Handarbeit zur Dampfmaschine s.a. den epochalen Einsatz des Bernhard von Cotta, der ein integrales Denken von Mensch u. Maschine, Natur u. Industrie verfocht: O. Wagenbreth, Bernhard von Cotta (1808-1879), in: Dt. Geologen, 1985, S. 247-273. Zur Spülung s. Tecklenburg, passim, aber auch später G. R. Gray/H. C. H. Darley, Composition and Properties of Oil Well Drilling Fluids, 4. Aufl. 1980 (1948); s.a. L. L. Payne/ R. H. Nolley, Die Verwendung von Düsen-Rollenmeißeln u. ihre Vorteile, dt. 1952: 1921 erste Versuche mit Düsen, durch die der Spülstrom gepreßt wurde, dann 1947 der Durchbruch; s.a. der frühe Versuch mit Luftspülung im Öl feld Wietze zwischen 1953 bis 1955, in: DEM-8/2 (Erfahrungsbericht). N. Runeby, Technikerna, vetenskapen och kulturen, 1976, passim (Ashford). Aus der zahlr. Lit. zu Wietze, wo 1652 die erste Teerkuhle erwähnt, 1858 die erste Bohrung versucht (Hunnaeus), ab 1872 das erste Öl gefördert und nach den guten ÖlschachtErfahrungen der DEA in Pechelbronn (1916) ab 1918 auch Öl in der Schachtbauweise abgeschöpft wurde, in: DEM-79/2; s. G. Gürich, Das Erdöl in Nordwestdeutschland, 1917; s.a. Kraiß, Geolog. Untersuchungen über das Oelgebiet von Wietze in der Lüneburger Heide, 1916; s.a. die verdienstvollen Mitteilungen -548-
des Deutschen Erdöl-Museums (DEM) Wietze in Gestalt der hauseigenen »Ölpost«. Bohrwege ins Öl: Zur Stimmungslage um 1870 s. Nietzsche, Werke in zwei Bänden, 1967: Jenseits von Gut und Böse, II, S. 132ff. Die »soziale Frage ist eine Weltfrage« s. K-P. Schulz, Proletarier, Klassenkämpfer, Staatsbürger. 100 Jahre dt. Arbeiterbewegung, 1963, S. 48 ff. R. Poidevin/J. Bariéty, Frankreich u. Deutschland. Die Gesch. ihrer Beziehungen 18151975, 1982, S. 110ff: die Lage im Kirchenstaat; vgl. L. Gall, Bismarck. Der Weiße Revolutionär, 1980, S. 382ff. (SpanienKrise) u. 469ff. (Kulturkampf mit Rom). D. Hoffmann, 150 Jahre Tiefbohrungen, passim. Zum Diamant-Bohren s. Brantly, History, S. 909 ff: 1870 die erste Leschot-Bohrung in den USA. C. Marx, Raky. Europas bedeutendster Öl pionier starb vor 50 Jahren, in: Erdöl, Erdgas, Kohle, 1993, S. 380 ff. Raky war bei seinen Ölleuten ungewöhnl. beliebt. Ein Blick in das Arbeitsausweisbuch seiner Intern. Bohrges. in Erkelenz vom 15. Aug. 1904 dok. seine Disziplin. Es gab Lohnabzüge bei folg. Fehlverhalten: Trunkenheit, Rauchen im Bohrbetrieb, tätliche Übergriffe, »ungesittetes« Benehmen, Belügen der Vorgesetzten, in: DEM9/1.Zur Salzgeschichte: E. Fulda, Die geol. Grundlagen der dt. Salinenindustrie, 1938. Rotary: Zum Traum und Großereignis »Spindeltop« s. D. Yergin, The Prize. The Epic Request for Oil, Money & Power, 1991, S. 82 ff: Patillo Higgin's Dream; vgl. T. A. Rickard, Anthony F. Lucas and the Beauont Gusher, in: Mining and Scientific Press, 22. Dec. 1917, S. 887 ff. L. Steiner, Die Rotary Bohrmaschinen u. ihre Antriebe, 1936; s.a. API, History of Petroleum Engineering, 1961; Brantly, History, passim. W. Müller, Fortschritte auf dem Gebiet der Rotary-Bohrgeräte, in: Erdöl u. Kohle, 2, 1949, S. 8 ff. Zur Spülungstechnik s. G. R. Gray/ H. C. H. Darley, Composition and Properties, S. 286ff (Filterkuchen), S. 585ff (Umweltaspekte); vgl. W. C. Chin, Borehole Flow Modeling in Horizontal, Deviated, and Vertical -549-
Wells, 1992. Zum Bohrklein-Transport s. ders., Exact Cuttings Transport Correlations Developed for High Angel Wells, in: Offshore Magazine, May 1990, S. 67 ff; vgl. K. E. Gray, The Cutting Carrying Capacity of Air, in: Petroleum Transactions, AIME, vol. 213, 1958, S. 180 ff. Übers Zementieren eines Ringraums s. D. K. Smith, Cementing, 1976; vgl. G. O. Suman, Cementing, in: Drilling Magazine, March-April 1989, S. 22 ff. Zum Gesamtkomplex der Bohrloch-Stabilität s. C. C. Lin, The Theory of Hydrodynamic Stability, 1967.
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Am Kochpunkt (S. 80-126) Zum Transport u. Import von Öl als Politikum s. N. H. Jacoby, Multinational Oil: A Study in Industrial Dynamics, 1974; vgl. R. Engler, The Politics of Oil: Private Power and Democratic Directions, 1967, S. 230 ff; Yergin, The Prize, S. 536: Texas-Unternehmer gegen Billig- Importe aus Venezuela u. Saudi-Arabien. Über frühe Bohrlochverfüllungen, ohne ihr Wärme-Potential zu nutzen, z. B. auf dem Ölfeld Wietze s. DEM, 16/2. Zu Einzelheiten der Ölpreisbildung s. J. E. Hartshorn, Erdöl zwischen Mächten u. Märkten. Die intern. Ölindustrie, dt. 1962 (1962), S. 51 ff: Transport, S. 65 ff: Vertrieb, S. 112-128: Preispolitik; vgl. S. A. Schneider, The Oil Price Revolution, 1983; s.a. D. Badger/R. Belgrave, Oil Supply and Price: What Went Right in 1980, 1982. Zur rechtlichen Dimension der Öl-Industrie s. American Bar Association, Section of Mineral Law, Legal History of Conservation of Oil and Gas: A Symposium, 1939; J. L. Weaver, Unitization of Oil and Gas Fields in Texas: A Study of Legislative, Administrative, and Judicial Politics, 1986; vgl. dazu die wichtigsten Rechtsvorschriften für die dt. Ölgewinnung seit dem Bergbaugesetz von 1865 bei H. Hassmann, Erdöl in Dtl, 1950, S. 88 ff. Welt der Sonden: Über die Ölszene in Californien s. J. S. Bain, The Economics of the Pacific Coast Petroleum Industry, 3 parts, 1944-47: Nach Vorläufern aufgrund von Ausbiß-Öl begann der Ölboom in C. erst ab 1893, s. G. T. White, Scientists in Conflict: The beginning of the Oil Industry in California, 1968; vgl. die beschämende Behandlung des Yale-Professors Benjamin Silliman Jr. bei Yergin, The Prize, S. 81 ff. Zur Technik immer noch informativ die auch auf dt. erschienene Fibel des API, Die Erdöl- und Erdgas-Produktion, o.J. (um 1950), S. 17ff: Diese Publ. bemühte sich um eine gewisse -551-
Breitenwirkung über das reine Fachwissen hinaus und stand im Dienst auch des Marshall-Planes; s. hierzu M. Hogan, The Marshall-Plan: America, Britain, and the reconstruction of Europe, 1987; s.a. Erdöl-Informationsdienst, Deutschland wird Ölland, 22. Feb. 1950; vgl. Hassmann, Erdöl, S. 72 ff zum Stand der westdt. Ölgewinnung am 1. Januar 1950. Zur Gesch. des verdienstvollen API s. L. M. Fanning, The Story of the American Petroleum Institute, 1960 (50-Jahrfeier). Zur Realität des schädlichen »Kampfbohrens« als Variante eines gnadenlosen Wettbewerbs s. M. G. Chazeau/A. E. Kahn, Integration and Competition in the Petroleum Indus try, 1959; vgl. D. F. Dixon, The Growth of Competition Among the Standard Oil Companies in the United States, 1911-1961, in: Business History, 9 (Jan. 1967), S. 1-29; s. a. G. T. White, Formative Years in the far West: A History of Standard Oil Company of California and Predecessors Through 1919, 1961. Zur Eigentumsbindung von Industrie u. Handel s. Beard, Constitutio n, passim; vgl. Mc-Pherson, Die pol. Theorie des Besitzindividualismus, dt. 1967 (1961). E. Lieuwen, Petroleum in Venezuela: A History, 1955. F. Brinkmann et al, Fracbehandlungen in tiefen, gering permeablen Gaslagerstätten derzeitiger Stand u. weitere Aussichten, in: Erdöl- ErdgasZeitschrift, 96, 1980, S. 37ff; s.a. H. Boigk, Erdöl u. Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland, 1981. Zu den bes. Fördermaßnahmen s. API, Fibel, S. 33 ff. Über das Zukunftsthema »Bakterien« s. W. Schwartz/A. Müller, Erdölbakteriologie, In. Erdöl u. Kohle, l, 1948, S. 232ff. Zur techn. Situation im 1. Weltkrieg s. I. F. C. Füller, Tanks in the Great War, 1914-1918, 1920; s.a. W. Churchill, The World Crisis, II, 1923, S. 71 ff; vgl. Yergin, The Prize, S. 167ff: mit ausführl. Hinweisen. Zum Ölpreis während des Krieges s. J. E. Pogue/I. Lubin, Prices of Petroleum and Its Products During the War, 1919. Venezuela: Zum Umfeld der »just participation« s. L. -552-
Vallenilla, Oil: The Making of a New Economic Order: Venezuela Oil and Opec, 1975, S. 46 ff; s.a. E. Lieuwen, The Politics of Energy in Venezuela, in: J. D. Wirth (ed.), Latin American Oil Companies and the Politics of Energy, 1985, S. 199 ff. Zum vorindustriellen V. s. P. K. Schäfer (Hrsg.), Carl Geldner, Reiseaufzeichnungen aus Vene zuela 1866-1868, dt. u. span.1997; s.a. D. Kamen-Kaye, Speaking of Venezuela, 1947, S. 173 ff.: zur Stadt u. Ölzentrum Maracaibo, wo 1914 das Mene-Grande-Ölfeld von der Carribean Petroleum Company entdeckt wurde; vgl. R. Arnold et al., The First Big Oil Hunt: Venezuela, 1911-1916, 1960; R. M. Baralt et al., Resumen de la Historia de Venezuela, 1939. Zum ersten Öl. s. Kamen-Kaye, Speaking, S. 215 ff: Venezuelas Oil. Über den hist. Hintergrund s. Barudio, Der Teutsche Krieg, 1618-1648, 2. Aufl. 1985, S. 262ff; ders., FWG 25, S. 310ff. Zur Unabhängigkeit Vs s. M. Figueroa, Datos sobre el Acta de la independencia Venezolana, 1946. Zur Anatomie des Putschismus sowie der »Demokratur« in Lateinamerika gibt Perón bezeichnende Einblicke s. J. E. Freeland (ed.), Juan Perón, Doctrina Revolucionaria. Filosófica. Politica. Social, 1973: Die Ideologie des »Justitialismus« als Gerechtigkeitsbewegung; vgl. R. Betancourt, Venezuela: Política y petróleo, 1956. Aus der üppigen Lit. zu Bolívar s. V. Lecuna/E. Barret de Nazaris, Obres completas, 3 tom., 2. Aufl. 1950; G. Kahle, S. B. und die Deutschen, 1980; vgl. J. Ewell, The Indictment of a Dictator: The Extradition and Trial of Marcos Pérez Jiménez, 1981; s.a. Th. Rourke, Gomez: Tyrant of the Andes, 1936. Über die Situation Vs bis zur Reformbewegung ab 1936 s. B. S. McBeth, Juan Vincente Gómez and the Oil Companies in Venezuela, 1908-1935, 1983, S. 15 ff; vgl. E. Lieuwen, The Politics of Energy in V., S. 192 ff: V. produzierte nicht für den eigenen Bedarf, sondern vor allem für den US-Markt und West-Europa; s.a. F. Tugwell, The Politics of Oil in Venezuela, 1975, S. 67ff; vgl. J. Joesten, Öl regiert die Welt. Wer steht dahinter?, 1959, S. 214ff: zum -553-
Diktator Jiménez, der von 1948 bis 1958 an der Macht war, sowie zu dessen Konzessionspolitik. Mit steigender Produktion wurde die Abhängigkeit bewußt s. hierzu Pérez Alfonzo, Hundiéndos en el Excremento del Diablo, 1976; ders., El Pentágono Petrolero, 1967: s. auch seine Einsätze bei der OpecGründung (Super-Kartelle). F. Friedensburg, Die Erdölindustrie Venezuelas, in: Oel u. Kohle, 33, Sept. 1940, S. 260ff: 1913 wurden erst 18000 t produziert, aber bereits 1928 mehr als 15 Mill. t, 1936 sogar über 22 Mill. t sowie 1939 genau 30580000 t, vgl. World Oil, Annual Reports, 1934-1941, danach war ein Rückgang bis zu 25 % zu verzeichnen. Zur Lage im II. Weltkrieg s. M. Gannon, Operation Paukenschlag. Der dt. UBootkrieg gegen die USA, dt. 1992 (1990), S. 3858 ff (s.a. »Öl im Krieg«); vgl. Lieuwen, The Politics of Energy in V, S. 199 ff (Wirth); vgl. S. Hope, Tanker Fleet: The Story of Shell Tankers and the Men Who Manned Them, 1948, S. 57ff. Zum Staatsstreich und seinem Öl- Hintergrund s. R. Betancourt, Política y petróleo, S. 142 ff. Über P. Alfonzos Reformpolitik ab 1943, die er als Jura-Profe ssor an der Universität Caracas mitgestaltet hat, s. Lieuwen, The politics, S. 199. Über die Nationalisierungstendenz s. G. Coronel, The Nationalization of the Venezuelan Oil Industry: From Technocratic Success to Political Failure, 1983. D. D. Eisenhower, The White House Years, 2 vols., 1963-65. Zum Umbruch in Persien s. S. Zabih, The Mossadegh Era: Roots of the Iranian Revolution, 1982; vgl. L. P. Elwell-Sutton, Persian Oil: A Study in Power Politics, 1955. Über die Öl-Diskussion in den USA zur gleichen Zeit s. E. V. Rostow, A National Policy for the Oil Industry, 1948. Zum demokr. Wechsel 1958 u. zur Ölpolitik s. Lieuwen, Venezuela: AHistory, S. 98 ff; vgl. Sampson, Sieben Schwestern, S. 174ff u. 188ff; s.a. P. R. Odell, The Oil Industry in Latin America, in: E. T. Penrose (ed.), The Large International Firnis in Developing Countries: The International Petroleum Industry, 1968 (Reprint 1976), S. 296ff. Zur -554-
Nationalisierung 1976 und über die Zeit danach s. Lieuwen, The Politics, S. 209-213. »Eigentum verpflichtet«: P. Alfonzos Modell beruhte auf Erfahrungen, die er im US-Exil bei der Texas Railroad Commission mit ihrem Rationierungssystem zur Preisregulierung machen durfte, s. Lieuwen, The Politics, S. 207 ff; P. Alfonzo, Hundiéndos, passim; vgl. Vallenilla, Making of a New Economic Order, S. 127. F. W. Maitland, The Constitutional History of England, 1908 (Reprint 1931), S. 538; s.a. H. Wellenreuther, Repräsentation und Grundbesitz in England 1730-1770, 1979; s.a. Barudio, Politik als Kultur, 1994: »Eigent um«, S. 72-78. Zum GG-Artikel und der »Sozialbindung« des Eigentums s. den jur. Kommentar bei Seifert/Hömig (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1982, S. 134ff. Über die eigentüml. Gesch. der Gulf Oil als dem »verwundbarsten« Multi s. N. W. Pearson/B. Matthews, The Great Oil Spill: The Inside Report - Gulf Oil's Bibery and Political Chicanery, 1976; zum Ende dieses Konzerns s. R. Chernow, The House of Morgan, 1991, S. 668. Über die Getty-Dynastie s. S. de Chair, Getty on Getty: A Man in a Billion, 1989; vgl. R. Hewins, The Riebest American: ). Paul Getty, 1960; vgl. R. Miller, The House of Getty, 1985, S. 331 ff. Zur Gesch. der Texaco s. M. James, The Texaco Story: The First Fifty Years, 1902-1952, 1953. Zum Abenteuer u. Alptraum »Mukluk« s. Vergin, The Prize, S. 733 ff; vgl. zur frühen Alaska-Szene Ch. S. Jones, From the Rio Grande to the Arctic: The Story of the Richfield Oil Corporation, 1972; s.a. zum Streitfall Th. Petzinger, Oil & Honor: The Texaco-Pennzoil Wars, 1987; vgl. S. Coll, The Taking of Getty Oil, 1988; s.a. R. Lenzer, Getty: The Richest Man in the World, 1985, S. 331 ff. Alle Personen- und Sachangaben zu diesem Fall bei J. Shannon, Texaco and the $ 10 Billion Jury, 1988: mit Dokumenten aus dem Prozeß-Verlauf. J. E. Hartshorn, Erdöl zwischen Mächten u. Märkten, 1962, passim. -555-
Die Pest an Bord (S. 127-151) Berichte über beide Katastrophen in: Le Monde, Dez. 1999. Über die »Amoco Cadiz«, die in Liberia registriert war u. für Shell 234000 t Rohöl aus dem Golf nach Rotterdam scha ffen sollte s. G. Konzelmann, Ölpest. Die Supertanker auf den Weltmeeren, 1979, S. 9ff: Vieles journ. verkürzt u. ungenau. H. Razavi/F. Fesharaki, Fundamentals of Petroleum Trading, 1991; s.a. R. O. Andersen, Fundamentals of the Petroleum Industry, 1984. Zur Spannung von Natur u. Technik in den USA s. auch die Reaktionen auf den Öl- Unfall 1989 vor der Küste Alaskas: National Response Team, The Exxon Valdez Oil Spill: A Report to the President from Samuel K. Skinner and William K. Reilly, May 1989; vgl. Cambridge Energy Research Associates, Energy and the Environment. The New Landscape of Public Opinion, 1990. Öl im Fluß: Zum »Arba« und der frühen Pipeline-Szene von Baku s. Nobel-Moleinikoff, passim. Über die tech. u. pol. Geschichte von Pipelines s. A. M. Johnson, The Development of American Petroleum Pipelines: A Study in Private Enterprise and Public Policy, 1862-1906,1956; ders., Petroleum Pipelines and Public Policy, 1906-1959, 1967; s.a. J. Vincent-Genod, Fundamentals of Pipeline Engineering, 1984; Pipeline Industries Guild, Pipelines: Design, Construction, and Operation, 1984. Zum Pithole-Abenteuer s. H. P. Giddens, The Birth of the Oil Industry, 1938. Rockefellers Haltung bei J. Th. Bentley, The Effects of Standard Oil's Vertical Integration into Transportation on the Structure and Performance of the American Petroleum Industry, 1872-1884,1976; R. Chernow, Titan, S. 134ff, s.a. unten »Anaconda«. Über die großen Ölleitungen u. ihre pol. Hintergründe von Arabien bis Alaska s. Yergin, The Prize, S. 426 u. S. 665; vgl. P. Zieber, Die sowjetische Erdölwirtschaft, 1962; vgl. B. Jentleson, Pipeline Politics: The Complex Political -556-
Economy ofEast-West- Energy Trade, 1986. Über das Paraffin als frühes Öl- Problem s. Ch. Marvin, The Moloch of Paraffin, 1886. Zur hist. Entwicklung u. Technik s. J. N. H. Tiratsoo (ed.), Pipeline Pigging Technology, 2. Aufl. 1989 (1988), passim; vgl. Singerman, Red Adair, S. 119: Hier wird »Pig« ins Deutsche als »Schwein« übersetzt, aber die dt. Fachsprache kennt nur den »Molch«; s.a. zum hochmodernen »Intelligent Pigging« die Analyse bei Tiratsoo, S. 241 ff u. die Zukunftsaussichten S. 291 ff. Das Tanker-Syndrom: Zur umfangreichen Tanker-Gesch. s. C. R. H. Bonn, The Oil Tanker, 1922; G. Konzelmann, Ölpest, passim. Über die industr. Tätigkeit der Nobels s.u. »Feuer über Baku«, hier I. Lagerwall, Ludvig Nobel. En Industriens Storman, in: Ord och Bild, 30:7 (Juli 1911), S. 535-64. Konzelmann, Ölpest, S. 106 ff, S. 111: Zum Unfall der »Andromeda« im Jahre 1888; G. H. Little, The Marine Transport of Petroleum, 1891; J. D. Henry, Thirtyfive Years of Oil Transport, 1907. Nach Angaben in: Oel u. Kohle, Nr. 14, 1940, S. 106 ff soll das »erste Tank-Motorschiff der Welt« erst 1912 gebaut worden sein, und zwar für die Deutsch-Amerik. Petroleum- Gesellschaft (DAPG). Das damals größte Tankschiff der Welt, die »Jupiter«, wurde 1914 mit 10073 BRT in Dienst genommen. Zum Tanker-Problem während des II. Weltkrieges s. S. Hope, Tanker Fleet: The War Story of the Shell Tankers and the Men Who Manned Them, 1948; s.a. Standard Oil Company, Ships of the Esso Fleet in World War II, 1946. B. O. Lisle, Tanker Technique 1700-1936, 1936. J. Joesten, Onassis Herr auf allen Meeren, 1956. Zur Suez-Krise: D. Polster, The Need for Oil Shapes the American Diplomatie Response to the Invasion of Suez, 1985; vgl. A. Moncrieff (ed.), Suez: Ten Years After, 1966. E. Aamot, Oil and Gas Transportation: Can Maritime Industry Cope with Future Challenges?, in: A. Poirier/G. Zaccour (eds.), Maritime and Pipeline Transportation of Oil and Gas. Problems and Outlook (Montreal-Konferenz -557-
1990), 1991, S. 60ff: Immer noch die beste Information auch mit Fallbeispielen aus Westafrika, das trotz Ölreichtum (Nigeria) an Benzinmangel leidet; s.a. Gespräch mit Nigerias Präsident O. Obasanjo, in: Die Zeit, Nr. 22, 23. Mai 2001, S. 11: »Die Engpässe sind entstanden, weil unsere vier Raffinerien nicht gewartet u. mutwillig heruntergeschlampt wurden«; s. ebd, S. 10: Zur Pipeline-Lage im Kaspischen Öl- Raum. Höllentage: Zur Katastrophe im Golf v. Mexiko s. Silberman, Red Adair, S. 337ff. Die sachl. Angaben zu den Ölunfalltagen in: GEO. Nr. 9,1991: Öl- Report. Der Fluch des Schwarzen Goldes, S. 74 ff. Über die Zukunftsaussichten s. P. Stevens, The economics of hydrocarbure pipelines in the 21st Century, in: Pipes and Pipelines international, Sept.-Oct, 1984; s.a. Ocean Shipping Consultants. Tanker demand to have significant longterm growth over period to 2000, in: Seaports and the Shipping World, May 1988.
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Ein Ring zieht Kreise (S. 152-177) J. J. Berzelius, Versuch über die Theorie der ehem. Proportionen, 1820; W. A. Lampadius, Grundriss des Systems der Chemie… vorzüglich nach Lavoisier u. Berzelius, 1822; W. Lewicki (Hrsg.), Berzelius u. Liebig. Ihre Briefe von 1831-1845, 1991 (1898); S. Lindroth, Les chemins du savoir en Suède, 1988 (Berzelius); J. v. Liebig, Die org. Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur u. Physiologie, 1840; ders., Handwörterbuch der reinen u. angewandten Chemie, 1848; F. Woehler (Hrsg.), Justus Liebig's Annalen der Chemie und Pharmacie, 1873 ff; H. v. Dechend; Justus v. Liebig in eigenen Zeugnissen u. solchen seiner Zeitgenossen, 2. erg. Auflage 1963; E. Heuser (Hrsg.), J. v. Liebig u. August Wilhelm Hofmann in ihren Briefen 18451869,1988; s.a. W. Prandtl, Deutsche Chemiker in der ersten Hälfte des 19. Jh., 1956 (Döbereiner, Liebig, Woehler u.a.); E. F. Schwenk, Sternstunden der frühen Chemie. Von Johann Rudolph Glauber bis Justus von Liebig, 1998. R. Wizinger-Aust (Hrsg.), August Kekulé u. seine Benzolformel, 1966; s.a. K. Hafner, August Kekulé, dem Baumeister der Chemie zum 150. Geburtstag, 1980. Zur weiteren Entwicklung s. Köhler/Gräfe, Die Chemie u. Technologie der natürl. und künstl. Asphalte, 2. Aufl. 1913; vgl. Kißling, Chem. Technologie des Erdöls u. der ihm nahestehenden Naturerzeugnisse, 1915; ders., Das Erdöl, seine Verarbeitung u. Verwendung, 1922; s.a. Höfer-Heimholt, Das Erdöl u. seine Verwandten, 1922. Teufelsfarben: Zur Vielseitigkeit der Farben s. E. Heller, Wie Farben wirken. Farbpsychologie. Farbsymbolik. Kreative Farbgestaltung, 1989. H. Caro, Über die Entwicklung der Theerfarbenindustrie, in: Berichte der dt. ehem. Gesellschaft, 25, S. 955-1105, 1892; s.a. J. Körting, Gesch. der dt. Gasindustrie, 1963; A. Senefelder, Lehrbuch der Steindruckerey, 1818. Aus der älteren Literatur: L. Fisher, Oil -559-
imperialism, 1926; F. Pachtner, Weltmacht Erdöl, 1929; F. Maurette, Les grands marchés de matières premières, 1930. Zur »Teufelsfarbe« s. Heller, Farben, S. 32 ff; vgl. H-H. Vogt, Farben u. ihre Geschichte, 1973. K. A. Schenzinger, Anilin, 1937; vgl. A. Andersen/G. Speisberg (Hrsg.), Das blaue Wunder - zur Geschichte der synth. Farben, 1990. Zur BASF: K. Holdermann, Aus der Anfangszeit der BASF, in: DIE BASF, 1959; s.a. Im Reich der Chemie. 100 Jahre BASF, 1965. L. Meinzer, 125 Jahre BASF, Stationen ihrer Geschichte, Katalog zur Jubiläumsausstellung, 1990; s.a. J. Bersch, Die Fabrikation der Anilinfarbstoffe, 1878; vgl. E. Bäumler, Ein Jahrhundert Chemie, 1963. Nachweise zu den weiteren Angaben bei H. Schröter, Friedrich Engelhorn. Ein Unternehmer-Porträt des 19. Jahrhunderts, 2. Aufl. 1990; s.a. K. Heinig (Hrsg.), Biographien bedeutender Chemiker, 1970; vgl. G. Bugge (Hrsg.), Das große Buch der Chemie, 2 Bde, 1979 (1929); V. Valentin, Gesch. der Dt. Revolution 1848-1849, 2 Bde. 1970 (1930/31); H. Fenske, Der liberale Südwesten - Freiheitsliebe u. demokratische Traditionen in Baden u. Württemberg, 1981; s.a. L. Gall, Bürgertum in Deutschland, 1989. E. Bäumler, Die Rotfabriker, Familiengesch. e. Weltunternehmens, 1988; s.a. Gesch. der Farbwerke Hoechst u. der ehem. Industrie in Dtl. Ein Lesebuch aus der Arbeiterbildung, 1984. W. Ludwig, Unterwegs (Erinnerungen), 1998. E. Blumer, Geschichte des Erdöls, 1920; Engler/Höfer, Das Erdöl, 6 Bde., 1909-23; s.a. G. E. Graf, Erdöl, Erdölkapitalismus u. Erdölpolitik, o.J. um 1950, zum »großen Oelkrieg zwischen England und Amerika« im Jahre 1930 merkt er an: »Wenn der Teufel doch dieses verfluchte Kapital holen wollte!« »Benzin im Blut«: U. Troitzsch/W. Weber, Die Technik, von den Anfängen bis zur Gege nwart, 1987; s.a. W. Treue, Die Entwicklung der ehem. Industrie von 1770 bis 1870, in: Chemie-Ing.- Technik 39, 1967, S. 1002-1008. F. Tausz, Das Erdöl, seine Physik, Chemie, Technologie u. sein -560-
Wirtschaftsbetrieb, 1930. S. Matschoß, Männer der Technik, 1925. E. Diesel, Diesel. Der Mensch, das Werk, das Schicksal, 2. Aufl. 1949. Zum Verbrennungsmotor: Brockhaus, ABC der Naturwiss.u. der Technik, 1959, S. 587 ff; vgl. O. Kraemer, Bau u. Berechnung der Verbrennungskraftmaschinen, 3. Aufl. 1948; s.a. Edler/Roediger, Die dt. Rennfahrzeuge, 1959 (1990), S. 65: Zündkerzen. Zum Siegeszug des Autos: J. J. Flink, America Adopts the Automobile, 1895-1910, 1970; B. A. Brownell, A Symbol of modernity: attitudes toward the automobile in southern cities in the 1920s, in: American Quarterly, 1972, S. 24 ff; vgl. S. W. Sears, The Automobile in America, 1977; s. a. P. Roberts, Any color so long äs it's black: the first fifty years of automobile advertising, 1976. Zu den Anfängen der Rennwagenszene: Edler/Roediger, Rennfahrzeuge, S. 6ff; s.a. G. Rancati, Enzo Ferrari. 11 Commendatore, dt. 1989. Stoffe und Steine: F. v. Hardenberg, Sämtliche Schriften, 1962. Beyschlag, Die Lagerstätten der nutzbaren Mineralien u. Gesteine, 3 Bde, 1937-40; E. Börnstein, Einführung in die Chemie u. Technologie der Brennstoffe, 1926; s.a. E. Galle, Hydrierung der Kohle, Teere und Mineralöle, 1932. Barudio, Steine und Stoffe. Eine Chronik der Refratechnik, 1987. F. Fischer, Handbuch der chemischen Technologie, 1893; s.a. F. Fischer, Die Synthese der Treibstoffe u. Schmieröle aus Kohlenoxyd u. Wasserstoff bei gewöhnlichem Druck, in: Brennstoff-Chemie, Bd. 16, 1935; B. Pier, Hydrierbenzine, in: Angewandte Chemie, Bd. 51, 1938. Zu W. Teagle und den IGFarben s. Sampson, Sieben Schwestern, S. 88 ff; vgl. B. H. Wall/G. S. Gibb, Teagle of Jersey Standard, 1974; s.a. W. Greiling, Chemiker kämpfen für Deutschland, 1940; ders. Chemie erobert die Welt, 1941; vgl. M. Held (Hrsg.), Leitbilder der Chemiepolitik, 1991. Zur Gesamtproblematik s. K. O. Henseling. Ein Planet wird vergiftet. Der Siegeszug der Chemie: Geschichte einer Fehlentwicklung, 1992, S. 191 ff: Die Zusammenarbeit zwischen IG-Farben und Esso. -561-
Super-Kartelle (S. 178-216) Ch. Baudelaire, Les Fleurs du Mal, 1861 (»L'Alchimie de la douleur«). H. Hurt, Te xas Rieh: The Hunt Dynasty from the Early Oil Days Through the Silver Crash, 1981; vgl. R. Chernow, The House of Morgan, S. 643: Die Gebrüder Hunt galten als »typische Morgan-Klienten«. D. A. Chandler Jr., Strategy and Structure; Chapters in the History of the Industrial Empire, 1969; vgl. R. T. Ely, Monopolies and Trusts, 1912; vgl. S. P. Hays, The Response to Industrialism: 1885-1914, 1957. A. Sampson, Die Sieben Schwestern, passim; O. v. Brackel/H. Leis, Der Dreißigjährige Petroleumkrieg, 1903. »Anaconda«: Aus der zahlreichen Literatur s. jetzt die umfassende u. aus dem Firmenarchiv gearbeitete Biographie von R. Chernow, Titan. The Life of John D. Rockefeller, Sr., 1998; vgl. a. die kundige biogr. Studie von J. Abels, Die Rockefeller Milliarden, dt. 1966 (1965), passim. Über die chaot. Ölszene seit 1859 s. H. Dolson, The Great Oildorado: The Gaudy and Turbulent Years of the First Oil Rush: Pennsylvania, 1859-1880, 1959; s.a. C. W. Darrah, Pithole: The Vanished City, 1972; vgl. P. H. Giddens, The Beginnings of the Petroleum Industry: Sources and Bibliography, 1941; ders., The Birth of the Oil Industry, 1938; ders., Early Days of Oil: A Pictorial History of the Beginning of the Industry in Pennsylvania, 1948. Abels, Rockefeller, passim; vgl. I. M. Tarbeil, John D. Rockefeller: A Character Study, in: Mc-Clure's Magazine, Juli and August 1905; diess., The History of the Standard Oil Company, 2 vols., 1904. Zum Hintergrund der SIC s. Chernow, Titan, S. 134ff: Tom Scott; s.a. Abels, Rockefeller, passim. Über das Cleveland-Massaker s. Chernow, Titan, S. 142 ff. Zum Titusville-Vertrag s. Chernow, Titan, S. 159 ff; vgl. Tarbeil, Standard Oil, S. 104 ff; vgl. a. J. T. Flynn, God's Gold: The Story of Rockefeller and His Times, 1932, S. 174f sowie A. -562-
Nevins, Study in Power: John D. Rockefeller, Industrialist and Philanthropist, 2 vols, 1953. Zur Ideologie des PatrimonialEigentums im Rahmen der US-Verfassung s. Ch. A. Beard, Eine ökon. Interpretation der am. Verfassung, dt. 1974 (1913!), passim. Über Charles Pratt s. Chernow, Titan, 164: »Astral Oil«. Zu John D. Archbold s. Chernow, Titan, S. 165ff, S. 206ff, S. 287ff, S. 320: Rockefellers »Nachfolger«. Über Henry M. Flagler s. Chernow, Titan, S. 106 ff, 209 ff, S. 344 ff: Flaglers »Traum« von einem zivilisierten Sonnen-Paradies Florida, s.a. D. L. Chandler, Henry Flagler: The Astonishing Life and Times of the Visionary Robber Baron Who Founded Florida, 1986. Zur epochalen Erfindung der Glühlampe als Ersatz der Öllampe s. N. Baldwin, Edison: Inventing the Century, 1995; vgl. Th. P. Hughes, Die Erfindung Amerikas, dt. 1974 (1972), passim; s.a. Chernow, Titan, S. 260 ff. Zum Vorwurf an Th. Roosevelt als »Trustbuster« s. Chernow, Titan, S. 432; vgl. a. N. Miller, Theodore Roosevelt. A Life, 1992 (Reprint); s.a. H. F. Pringle, Theodore Roosevelt: A Biography, 1931. Zum Komplex der AntiTrust-Bewegung s. B. Bringhurst, Antitrust and the Oil Monopoly: The Standard Oil Gases, 1890-1911, 1979. Zu dem spektakulären Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA (Supreme Court) s. Chernow, Titan, S. 554ff; s.a. G. Kolko, The Triumph of Conservatism: A Reinterpretation of American History, 1900-1916, 1963 (Reprint 1967). Zu den Einzelheiten der »Auflösung« s. Abels, Rockefeller, passim; s.a. Ch. McA. Destler, Roger Sherman and the Independent Oil Men, 1967. Sieben Schwestern: Zur heutigen Sicht auf ein Kartell s. den »Wettbewerbshüter« u. EU-Kommissar Mario Monti: »Gefährlich wird es nur dann, wenn Fusionen und Übernahmen in einer starken oder dominierenden MarktStellung gipfeln«, in: WamS, Nr.21, 27. Mai 2001, S. 56 (Interview). Zu »Cameralismus« u. »Absolutismus« s. Barudio, FWG, 25, 1981, S. 226, 280ff. Die vorindustr. u. mentalen Bindungen des »Hauses Rockefeller« bei Chernow, Titan, passim. Zur -563-
Entstehungs- u. Wirkungsgesch. der sieben Groß-Konzerne s. vor allem A. Sampson, Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne u. die Verwandlung der Welt, dt. 1976 (1975), S. 317: Der Ausdruck »Sieben Schwestern« soll schon 1913 gebräuchlich gewesen sein, aber erst Enrico Mattei, der Boß des nationalen Energiekonzerns ENI (Italien) hat ihn unter der Bez. »Le sette sorelle« populär gemacht; s. hierzu P. H. Frankel, Mattei: Oil and Power Politics, 1966. Über das Leben u. Werk Marcus Samuels s. R. Henriques, Marcus Samuel: First Viscount Bearsted and Founder of the ›Shell‹ Transport and Trading Company, 1853-1927; zur Firmenpol, dieses Ölpioniers s. Sampson, Sieben Schwestern, S. 56 ff; zu Deterdings Werdegang seine Autobiographie, An International Oilman, 1934; vgl. G. Robert, The Most Powerful Man in the World: The Life of Sir Henri Deterding,1938; s.a. F. C. Gerretson, History of the Royal Dutch, 4 vols., 1953-1957; s.a. R. J. Forbes/D. R. O'Beirne, The Technical Development of the Royal Dutch/ Shell, 1890-1940, 1957. ]. O. King, Joseph Stephen Cullinan: A Stud y of Leadership in the Texas Petroleum Industry, 1897-1937, 1970; vgl. M. James, The Texaco Story: The First Fifty Years, 1902-1952, 1953: zum Jahrhundert-Prozeß gegen Pennzoil s.o. »Am Kochpunkt«. Zur Geschichte der Gul Oil s. C. Thompson, Since Spindletop: A Human Story of Gulf's First Half-Century, 1951; s.a. zum Banken-Hintergrund D. E. Koskoff, The Mellons: The Chronicle of America's Richest Family, 1978. Zur British Petroleum (BP) s. H. Longhurst, Adventure in Oil: The Story of British Petroleum, 1959; vgl. G. Jones, The British Government and the Oil Companies, 1912-1924: The Search For an Oil Policy, in: Historical Journal, 20, 1977, S. 647-72; vgl. R. W. Ferrier, The History of the British Petroleum Company, vol. I, The Developing Years, 19Öl1932, 1982. Zur frühen Öl szene in der Golfregion s. S. H. Longrigg, Oil in the Middle East: Its Discovery and Developments, 1968; vgl. a. B. Shwadran, The -564-
Middle East, Oil and the Great Powers, 1973. Zum Preiskrieg s. Sampson, Sieben Schwestern, S. 72ff, S. 87ff. Shell in den USA s. K. Beaton, Enterprise in Oil: A History of Shell in the United States, 1957. Zur Ölpolitik nach 1918 s. E. M. Earle, The Turkish Petroleum Company. A Study in Oleaginous Diplomacy, in: Political Science Quarterly, 39, June 1924, S. 265-79; M. Kent (ed.), The Great Powers and the End of the Ottoman Empire, 1984; vgl. Ch. Rand, Making Democracy Safe for Oil: Oil Men and the Islamic Middle East, 1975; B. C. Busch, Britain, India, and the Arabs, 1914-1921, 1971; T. A. B. Corley, A History of the Burmah Oil Company, vol. I, 18861924, vol. II, 1924-1966, 1983-88; s.a. D. Fromkin, A Peace to End All Peace: Creating the Modern Middle East, 1914-1922, 1989. Zum Rotstift-Abkommen und der As-Is-Regelung s. Sampson, Sieben Schwestern, S. 77 f u. S. 82 f; vgl. Yergin, The Prize, S. 263 ff. Zu Gulbenkian s. N. Gulbenkian, Portrait in Oil, 1965. Zum hist. Hintergrund des Kampfes der »Habenichtse« bis 1938 und nach dem II. Weltkrieg bis 1950 s.a. die ausgezeichnete Studie von H. Mejcher, Die Politik und das Öl im Nahen Osten, 2 Bde, 1990: Mit dem Öl- Ausgleich von 1944 zwischen Großbritannien u. den USA, Bd. II, S. 153 ff. Zur Preispolitik s. Hartshorn, Erdöl, 1962, passim. Der Opec-Traum: Sampson, Sieben Schwestern, S. 158 (Zitat): Darstellung der Opec-Gründung. Zum rechtl. Hintergrund der US-Ölpolitik s. D. D. Eisenhower, Mandate for Change, 1963, S. 207ff; s.a. Sh. Erel, Öl. Panik im Schatten der Bohrtürme, dt. 1975 (1975), S. 26ff; Washington Government Printing, Report on the Relationship of Oil Imports to the National Security, 1970, S. 351 ff. Das Verhalten Venezuelas wurde von jeder US-Regierung genau beobachtet, s. Ch. T. Landau, The Rise and Fall of Petro-Liberalism: United States Relation with Socialist Venezuela, 1945-1948, 1985; vgl. auch S. G. Rabe, The Road to Opec: United States Relations with Venezuela, 1919-1976, 1982. Zum Sonderfall »Kuwait« s. unten -565-
»Kein Blut für Öl«. Rathbone's Problem u. damit der Exxon lag auch im Fifty-Fifty-System mit seinem Festpreis: Es funktioniert nur, solange im Ölgeschäft Profite erwirtschaftet werden, also etwas zu verteilen ist (Justitia distributiva); s. Sampson, Sieben Schwestern, S. 159ff. R. Miller, Die Gettys, dt. 1989 (1985), S. 9 »Der Fluch des Midas«, S. 247 ff: Öl auf dem Wafra-Feld in 1158 Metern Teufe (Neutrale Zone). Opec, Official Resolutions and Press Releases, 1960-1990, 1990, S. l ff. Zur emotionalen Aufladung der Ölszene am Golf s. Sh. Erel, Öl, S. 44 ff; R. Mabro, Opec, Oil Nationalism, and the U. S. Elephant, in: Petroleum Intelligence Weekly, April 30, 1979; vgl. auch das Einwirken der Sowjets bei J. Pennar, The USSR and the Arabs. The Ideol. Dimension, 1917-1972, 1973. Über den Hintergrund der amerik. »Ölangst« s. R. M. Olien/D. D. Olien, Oil & Ideology. The Cultural Creation of the American Petroleum Industry, 2000, S. 240 ff. Zu den verschiedenen Turbulenzen s. F. Rouhani, A History of O.P.E.C., 1971; vgl. D. A. Rustow, Oil and Turmoil: America Faces OPEC and the Middle East, 1982; s.a. Ph. Terzian, OPEC: The Inside Story, 1985. Wie komplex der Ölhandel strukturiert ist, zeigen die »Ölmarkttrends« ebenso wie die Gestaltung (auch Manipulation) der Spot-Märkte bes. in Rotterdam für Westeuropa s. hierzu Razavi/Fesharaki, Fundamentals of Petroleum Trading, 1991, S. 43 ff, S. 177ff. G. Soros, The Crisis of Global Capitalism (Open Society endangerd), 1998, S. 108: Es ist eine Desinformation, für das Jahr 1973 zu behaupten, »the oilproducing countries banded together in the… Opec«, denn eine Reihe ölproduzierender Länder war nicht Mitglied in diesem exklusiven Club; vgl. die Gewinnrate der vier wichtigsten Ölkonzerne Exxon (59%), Texaco (49%), Mobil Oil (47 %), Shell (28 %) während der Preiskrise von 1972/73, Angaben nach Sh. Erel, Öl, S. 75, die wiederum auf US-Senats-Zahlen beruhen. Nasser: Sampson, Sieben Schwestern, S. 161; vgl. Z. Mikdashi, The Community of Oil Exporting Countries, 1971, S. 33. Zum Dauerproblem des -566-
»Gleichgewichts« im Weltmarkt H. Ra zavi, Optimal Rate of Oil Production for Opec Member Countries, in: Resources and Energy, 1982, S. 291-305; s.a. J. Baesel/D. Grant, Equilibrium in a Future's Market, in: Southern Economic Journal, vol 49 (1982), S. 320-329. G. Chandler, Some Current Thoughts on the Oil Industry, in: Petroleum Review, 27. Jan. 1973: Er glaubte damals an ein »Fördermonopol« der Opec, obgleich es in Wirklichkeit nach außen ein Kartell war; s.a. Sh. Erel, Öl, S. 60. Zur Funktion des Spot-Marktes innerhalb des Global-Marktes s. P. Farnon, The Rotterdam Oil Market, in: Vision, 35, April 1981, S. 12ff; vgl. J. Zimmermann, The Rotterdam Market: Confusion and Crisis in the Petroleum Industry, 1980; s.a. F. Fesharaki/D. D. Isaak, Opec, the Gulf, and the World Petroleum Market, 1983. Obgleich sich Zaki Yamani beim »Totsagen« der Opec oft geirrt hat, bleibt sein Vermächtnis eine fundamentale Zukunftsaufgabe, Oil Markets: Past, Present, and Future, 1986; vgl. J. E. Treat, Energy Futures, 1984.
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Der Amerikanische Traum (S. 217-256) Zur hist. Einstimmung mit vielen Fragezeichen A. de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, dt. 1976 (1838); vgl. K-H. Deschner, Der Koloß, 1992; R. Steel, Pax Americana. Weltreich des Kalten Krieges, dt. 1968 (1967); vgl. P. Kennedy, Aufstieg u. Fall der Großen Mächte. Ökonomischer Wandel u. militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, dt. 1989 (1987), S. 278 ff: Lage ab 1816 im Vergleich zu Rußland, S. 374ff: Monroe-Doktrin. Ch. A. Beard, Economic Origins of Jeffersonian Democracy, 1965; H. Adams, History of the United States during the Administration of Thomas Jefferson, 1986. K. Mann, Distinguished Visitors. Der Amerikanische Traum, 1992, S. 90 ff. Tocqueville, Amerika, S. 517 ff. Zum Wesen u. Wirken des Gerechtigkeits-Prinzips s. Barudio, Politik als Kultur, 1994, S. 133 ff. Zu Öl u. Gesellschaft S. W. Tait Jr., The Wildcatters: An Informal History of Oil-Hunting in America, 1946: Jagdmotiv als Unternehmensgarant; vgl. E. W. Zimmermann, Conservation in the Production of Petroleum. A Study in Industrial Control, 1957; s.a. Ch. A. Beard, Eine Ökonom. Interpretation, passim; vgl. H.v. Broch, Die unfertige Gesellschaft, dt. 1961; s.a. J.-J. Servant-Schreiber, Die Amerikanische Herausforderung, dt. 1967. Zu »Elite« und »Größe« s. J. Silber, Ist Amerika zu retten?, dt. 1992, S. 76 ff. G. Stein nimmt das als gesellschaftl. Prägung auf, was schon James F. Cooper hundert Jahre früher festgestellt hat: »Ein richtiger am. Gentleman steht höher als ein einfacher Baron. Herzögen u. Prinzen ist er ebenbürtig«, zit. n. Th. Steinfeld, Wo der Freund wartet…, in: FAZ, Nr. 102,2001, S. 62; vgl. D. Wecter, The Saga of American Society: A Record of Social Aspiration, 1607-1937, 1970 (Reprint); s. demn. Barudio, Die Roten Barone. Essays zum Aristokratismus. Öl-Könige: P. Collier/D. Horowitz, The Rockefellers: An -568-
American Dynasty, 1976; vgl. J. T. Flynn, God's Gold: The Story of Rockefeller and His Times, 1932; A. F. Schenkel, The Rieh Man and the Kingdom: John D. Rockefeller and the Protestant Establishment, 1995: Das Wesen e. Dynastie oder des Königtums aus vorindustrieller Zeit wird in diesen Arbeiten nur benannt, aber nicht reflektiert, vgl. Barudio, Politik als Kultur, passim; s.a. P. Collier/D. Horowitz, The Fords: An American Epic, 1987; vgl. R. Inglehart, Culture Shift in Advanced Industrial Society, 1990. Alle Inform. bei Sinclair Oil. A Great Name in Oil: Sinclair through 50 Years, 1966; s.a. R. Sh. Knowles, The Greatest Gamblers: The Epic of America's Oil Exploration, 2. Aufl. 1978. B. Noggle, Teapot Dome: Oil and Politics in the 1920, 1962; vgl. J. L. Bates, The Origins of Teapot Dome: Progressives, Parties and Petroleum, 1909-1921, 1963; ders., The Teapot Dome Scandal and the Elections of 1924, in: AHR, 55 (Jan. 1955), S. 303ff. Zur linksorientierten u. Sowjetunionfreundl. Literaturszene L. Harris, Upton Sinclair. American Rebel, 1975; s. demnächst Barudio, Die Roten Barone. Zum Hintergrund Phillips Petroleum Company, Phillips: The First 66 Years, 1983; die weiteren Angaben zur Person u. zum Unternehmen selbst bei M. Wallis, Oil Man. The Story of Frank Phillips and the Birth of Phillips Petroleum, 1988 (gediegen aus dem Firmenarchiv gearbeitet, aber ohne Anm. u. Literatur). Zur Ökonom. Depression s. J. Moody, The Masters of Capital: A Chronicle of Wall Street, 1919, S. 58 ff; s.a. M. Josephson, The Robber Barons: The Great American Capitalists, 1861-1901,1934; ders., The Money Lords: The Great Finance Capitalists, 1925 bis 1950, 1972; vgl. Chernow, Titan, S. 331 ff; vgl. R. Sobel, Panic on Wall Street: A Classic History of America's Financial Disasters - with a New Exploration of the Crash of 1987, 1969 (Reprint) 1988. Zur Gesch. der MorganBank vom Eisenbahn-Investor zur »Öl-Bank« s. R. Chernow, The House of Morgan. An American Banking Dynasty and the Rise of Modern Finance, 1990, S. 222 ff (Henry Ford), S. 496ff -569-
(Continental Oil, später umbenannt in Conoco). J. F. Wall, Andrew Carnegie, 1970: Er wurde auch für John D. Rockefeller zum Vorbild, s. Chernow, Titan, S. 313 ff; vgl. G. Jonas, The Circuit Riders: Rockefeller Money and the Rise of Modern Science, 1989, S. 17ff; s.a. A. Nevins, Study in Power: John D. Rockefeller, Industrialist and Philanthropist, vol. II., 1953, S. 92ff. Zur Öl-Szene in Oklahoma s. Wallis, Oil Man, passim; vgl. A. Bentz, Geolog. Studienreise in nordam. Ölfeldern, in: Petroleum, 30, 1934, S. 4ff (mit Lit.); vgl. H. H. Charles, The Oklahoma City Oil Field, in: Intern. Geol. Gong. XVI, Sess. United States, 1933, Guidebook 6, S. 26ff. J. Silber, Ist Amerika zu retten?, S. 268 ff. Zur Geschichte der berühmten ÜberlandStraße s. M. Wallis, Route 66. The Mother Road, 1990: Reich bebildert, aber im Geist des Autokultes unkritisch; vgl. B. Polster, Super oder Normal. Tankstellen - Gesch. eines modernen Mythos, 1996, S. 54ff; s.a. J. B. Rae, The Road and Car in American Life, 1971. Zu den Pioniertaten von Phillips s.a. S. S. Kvendseth, Giant Discovery: A History of Ekofisk Through the First 20 Years, 1988. Wallis, Oil Man, S. 462ff: Das durchweg pos. Urteil über »Onkel Franks« Lebensleistung: »Ölleute kommen und gehen, aber die Industrie wird F. Ph. vermissen - als Öl mann, Bürger und Freund«: vgl. dazu auch die »intellektuelle« Entsprechung bei Robert O. Anderson, für den Technik, Humanisierung des Arbeitsplatzes, Umweltschutz u. Diskussionen über die Ethik des Aristoteles zusammengehörten: s. Yergin, The Prize, S. 570 ff; vgl. K. Harris, The Wildcatter: A Portrait of Robert O. Anderson, 1987. Ein Alptraum: Zu seinen pers. Angaben s. A. Hammer, Mein Leben, dt. 1988, passim; die zahlreichen Ungereimtheiten u. Desinformationen bei S. Weinberg, Armand Hammer: The Untold Story, 1989; nicht weniger kritisch E. J. Epstein, The Secret History of Armand Hammer, 1996. Zur früheren Steuerersparnis: Die sog. »Depletion Tax Allowance« erlaubte jedem Ölunternehmen, über 27,5 % vom Bruttoertrag -570-
unversteuert zu verfügen; nach Abzug u. Abschreibung aller Betriebsausgaben wurde auf den Rest Einkommenssteuer entrichtet. Zu den Zaren-Eiern s. A. Hammer, The Quest of the Romanoff Treasure, 1932; vgl. A. Duncan, Hammer of the Midas Touch, in: Sunday Telegraph Magazine, 24. Juni 1983; s.a. R. C. Williams, Russian Art and American Money, 19001940, 1980. Zum Libyen-Abenteuer s. Epstein, Secret History, S. 215ff: The Geopolitics of Grude; s.a. S. Brown, Hammer in Libya, in: Fortune, Juli 1969; vgl. C. Blumay/H. Edwards, The Dark Side of Power: The real Armand Hammer, 1992. Angaben über das Augila- und Idris-Feld bei Hammer, Mein Leben, S. 347 ff; vgl. R. Sherrill, The Oil Follies of 1970-1980: How the Petroleum Industry Stole the Show (and Much More Besides), 1983. Zum Bechtel-Konzern s. L. McCartney, Friends in High Places: The Bechtel Story. The Most Secret Corporation and How It Engineerd the World, 1988. Über die »Revolution« von 1969 u. ihre Folgen s. Hammer, Mein Leben, S. 354 ff; vgl. G. Tremlett, Gaddafi: The Desert Mystic, 1993. Das Verhältnis zur Sowjetunion seit Lenin und auch zu Israel s. Epstein, Secret History, S. 320ff; vgl. B. M. Weissman, Herbert Hoover and Famine Relief to Soviel Russia, 1921-1923, 1974. Hammers fatale Neigung zu »Meisterwerken« und ihrer »Selbstprüfung«, Mein Leben, S. 446ff; vgl. R. Hewins, The Riebest American: J. Paul Getty, 1960; ders., Mr. Five Percent: The Story of Calouste Gulbenkian, 1958; vgl. N. Gulbenkian, Portrait in Oil, 1965. Epstein, Secret History, S. 319: Erstaunlich, wie Marion Brando die Ölleute George Bush u. Armand Hammer ebenso beeindruckt hat wie angeblich Saddam Hussein mit seiner Darstellung in dem Mafia-Film »Der Pate«. »Jenseits von Eden«: P. Alexander, James Dean, dt. 1995 (1994), S. 225 ff: »Die Szenen, in denen Jett Rink auf Öl stößt«; vgl. U. Gregor/E. Patalas, Gesch. des Films, 2, 1940-1960, 1984 (1973), S. 444; s.a. zur Lage in Hollywood G. Sadoul, Histoire du Cinéma Mondial. Des origines à nos jours, 1981, S. 362 ff. E. -571-
W. Owen, Treck of the Oil Finders: A History of Exploration for Oil, 1975 (Am. Ass. of Petroleum Geologists). Alle pers.u. sachl. Angaben zit. n. G. Bush, Looking forward, 1988 (Victor Gold). Zur Gummi-Szene in den USA s. F. Howard, Buna Rubber: The Birth of an Industry, 1947; vgl. unten »Öl im Krieg«, zum »Gummi- Hunger« der USA u. die Verbindungen zu den IG-Farben bis 1941 s. Yergin, The Prize, S. 380 ff, 820 ff. Über Hugh Liedtke s. Th. Petzinger, Oil & Honor: The Texaco-Pennzoil Wars, 1987, passim; vgl. S. Coll, The Taking of Getty Oil, 1988; s. oben »Am Kochpunkt«. R. B. Considine, The Remarkable Life of Dr. Armand Hammer, 1975. Zum Präsidenten Kennedy s. Th. Sorensen, Kennedy, 1965; vgl. A. M. Schlesinger Jr., A Thousand Days: John F. Kennedy in the White House, 1965; s.a. M. R. Beschloss, The Crisis Years: Kennedy and Krushchev, 1960-1963, 1991; zu Lyndon B. Johnson s. R. Caro, The Years of Lyndon Johnson: The Path to Power, 1982. S. E. Ambrose, Eisenhower, 2 vols., 1983-84. R. Reagan, Erinnerungen. Ein amerik. Leben, dt. 1990 (1990), S. 210ff: George Bush als sein innerparteilicher Gegner (Republikaner), S. 3229ff als sein »Vize«. J. Löwe, Bill Gates sein Erfolgsgeheimnis, dt. 2001. Der Fall »Marc Rieh«, in: Wall Street Journal, Jan. 2001. Der Bezug auf Baku wurde vor allem 1901 mit der Entdeckung des Giga-Feldes von Spindletop gerne hergestellt, s. Yergin, The Prize, S. 84: »… the biggest oil well this side of Baku« (John Galey, ein großer Öl-Pionier zu Anton Lucas); s.a. J. A. Clark/M. T. Halbouty, Spindletop, 1952.
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Feuer über Baku (S. 257-288) D. Landes, Der entfesselte Prometheus. Technologischer Wandel u. industrielle Entwicklung in Westeuropa von 1750 bis zur Gegenwart, dt. 1973 (1969); s.a. ders., Wohlstand u. Armut der Nationen, dt. 1999 (1998), S. 415: Das gute Vergleichsmodell der arab. Opec-Mitglieder mit Spanien im Banne des amerik. »Gold-Stromes«; L. unterläßt es aber, die innere, patrimoniale Struktur dieser Länder zu analysieren u. sie als dynastische Diktaturen zu kennzeichnen. Zur Spannung von Stadt u. Land im zar. Rußland bei M. Gorki, Vom russischen Bauern, in: A. W. Tschajanow, Reise ins Land der bäuerlichen Utopie, 1984. Ein russ. Stimmungsbild über die Baku-Hölle mit ihrer Öl-Wirtschaft, Luftverschmutzung, bäuerl. Proletariat u. Feuer-Anbetern aus Indien bei B. Pilnjak, Die Stadt der Winde. Erzählungen 1926-1935, dt. 1991, S. 96-117. Zu Zoroaster s. W. Hinz, Zarathustra, 19-63. H. u. M. Münkler, Marco Polo. Leben u. Legende, 1992. Über die frühe Ölszene seit der russ. Eroberung von 1806 s. J. P. McKay, Entrepreneurship and the Emergence of the Russian Petroleum Industry, 1813-1883, in: Research in Economic History, 8, 1982, S. 47-91: Ch. Marvin, The Petroleum Industry of Southern Russia, in: Engineering, 1884. Zur familiären u. industriellen Gesch. der beiden NobelBrüder s. das Standardwerk von M. Nobel-Oleinikoff, Ludvig Nobel och hans verk. En släkts och en storindustrins historia, 1952: Darauf beziehen sich in der Regel alle weiteren Angaben, passim. Zur Auto-Metapher s. O. Figes, Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der Russischen Revolution 1891 bis 1924, dt. 1998 (2. Aufl.) (1996), S. 300: »Du bist der Autokrat« (Zarin). Figes hat das »Patrimonium« (russ. votcina) im Zarismus gut herausgearbeitet, Tragödie, S. 26, S. 30: »Rußland, das waren die Romanows«; s.a. Barudio, Die Macht des Hegemonialismus - das Moskauer Zartum, in: Pipers Handbuch -573-
der Politischen Ideen, 3,1985, S. 189-200. Aus der Überfülle der hist. Literatur s. besonders M. Heller/A. Nekrich, Geschichte der Sowjetunion. Erster Band: 1914-1939 (M. Heller), dt. 1981 (1981), S. 73: Trotzkis Erzwingung des »blinden Gehorsams« in der Roten Armee war nur eine äußerliche Verlagerung vom »Zaren« auf das »werktätige Volk« und damit auf die bolsch. Machtelite; vgl. L. Trotzki, Mein Leben, dt. 1929. In e. Brief des Nobel-Mitarbeiters Theodor Aberg wird von Stalin berichtet, er sei »oben in dem 18 Meter hohen Bohrturm Lager-Schmierer gewesen«, s. G. Hedin, De Svenska Oljebaronerna. Alfred Nobels okända bröder, 1994, S. 69 ff; vgl. R. Tucker, Stalin äs Revolutionary 1879-1929, 1973; vgl. I. Deutscher, Stalin, a Political Biography, 1949; vgl auch S. Graham, Changing Russia, 1915; s.a. J. D. Henry, Baku, an Eventful History, 1905. Nafta und Nobel: R. W. Tolf, The Russian Rockefellers. The Saga of the Nobel Family and the Russian Oil Industry, 1976, passim. Über die ältere Familien-Geschichte der Nobels s. H. Schück/R. Sohlman, Nobel, Dynamite and Peace, 1929; s.a. H. Schück et al., Nobel, the Man and His Prizes, 1951; vgl. Barudio, Alfred Nobel, in: Die großen Stifter, 1995 (J. Fest). Zu Spinoza s. K. Fischer, Spinozas Leben, Werk u. Lehre, 1946; vgl. H. Höffding, Spinozas Ethik, 1924. Tolf, Nobel, S. 46: »It was all Robert's doing«. Zur Tanker- u. Transportgesch. s. G. H. Little, The Marine Transport of Petroleum, 1891; vgl. B. O. Lisle, Tanker Technique 1700-1936, 1936; s.a. J. D. Henry, Thirtyfive Years of Oil Transport, 1907. I. Bäckmann, Karl W. Hagelin. Fran filare till storindustriell i naftabolaget Bröderna Nobels tjänst (Hagelins memoarer), 1935. Zur patriarch. sozialen Seite der russ. Nobels s. Nobel-Oleinikoff, Släkt, passim. Zu den Rußland-Aktivitäten der Esso s. Chernow, Titan, S. 246 ff, S. 430 ff. Über die Reformarbeit des Grafen Witte s. Th. H. Von Laue, Sergei Witte and the Industrialization of Russia, 1963; vgl. S. I. Witte, The Memoirs ofCount Witte, engl. 1921 (Abraham Yarmolinsky). Zur Ochrana, die 1881 gegründet -574-
wurde u. einen »geheimen Krieg« bis in die Ölfelder von Baku führte, s. Figes, Tragödie, S. 140ff; vgl. M. N. Gernet, Istorija zarskoi tjurmy w 5 tomach (Gesch. der zarist. Gefängnisse in 5 Bänden) 1960-63. Zur »Mineralölfrage« und einem möglichen »Petroleummonopol« im Zweiten Kaiserreich bezüglich des Heeres u. der Marine 1911 s. V. R. Berghahn/W. Deist, Rüstung im Zeichen der wilhelminischen Weltpolitik. Grundlegende Dokumente 1890-1914, 1988, S. 363 ff. Zum aufkommenden Autokult als »Zerstreuung für Aristokraten« s. die geistreichen Roman-Essays von I. Ehrenburg, Das Leben der Autos, dt. 1930 (1983). K. Hamsun, I Aeventyrlandet, oplevet og dr0mt i Kaukasien, 1903, passim. Zum Nobelpreis s. E. Bergengren, Alfred Nobel, the Man and His Work, 1962. Über den Hintergrund der neuen Ölszene s.a. J. Mavor, An Economic History of Russia, 2 vols,1914; vgl. Ch. Marvin, Region of Eternal Fire, 1884. E. Heckscher, Emanuel Nobel, in: Kungl. Svenska Vetenskaps akademiens Ärsbok, 1933, S. 295-304; vgl. das Lebensbild seines Vaters bei I. Lagerwall, Ludvig Nobel. En Industriens Storman, in: Ord och Bild, 30:7, Juli 1911, S. 535ff. O. Brackel/J. Leis, Der Dreißigjährige Petroleumkrieg, 1903. Zur Schreckensgeschichte der 1905-Ereignisse gerade im Ölgebiet von Baku s. S. M. Schwarz, The Russian Revolution of 1905: The Workers Movement and the Formation of Bolshevism and Menshevism, 1967; vgl. L. Beria, On the History of the Bolshevik Organization in Transcaucasia, 1949. Umbrüche: Zum Familien-Hintergrund Nobel-Oleinikoff, Släkt, passim. D. I. Mendeleev/J. M. Crawford (eds.) The Industries of Russia, 5 vols, 1893 (vom zar. Finanz-Ministerium angeregt). A. Lauterbach, Kapitalismus u. Sozialismus in neuer Sicht, 1963. N. Farson, The Lost World of the Caucasus, 1958; vgl. F. Kazemzadeh, The Struggle for Transcaucasia 1917-1921, 1951. Zur industr. Entwicklung der Sowjetunion haben die USA ab 1921 erheblich beigetragen, s. Th. P. Hughes, Die Erfindung -575-
Amerikas, passim; s.a. A. C. Sutton, Western Technology and Soviel Economic Development 1917-1930, 1968. 5. WPCAkten, 1959. E. Diesel, Diesel, der Mensch, das Werk, das Schicksal, 1937; s.a. E. Diesel/G. Strössner, Kampf um eine Maschine, die ersten Dieselmotoren in Amerika, 1950. J. Mitzakis, The Russian Oil Fields and Petroleum Industry, 1911; zur militärischen Entwicklung der zar. Marine s. R. Greger, The Russian Fleet 1914-1917, 1972. F. Morton, The Rothschilds, 1962. M. S. Miller, The Economic Development of Russia 1905-1914, 1926; vgl. H. Seton-Watson, The Decline of Imperial Russia 1855-1914, 1956. A. Blök, Der Sturz des Zarenreiches, 1971; vgl. A. I. Spiridowitsch, Istorija bolschewisma w Rossii ot wosniknowenija do sachwata vlasti, 1883-1903-1917. Dokumenty i portrety (Gesch. des Bolschewismus in Rußland von seiner Entstehung bis zur Machtergreifung), 1922. P. Zieber, Die sowjetische Erdölwirtschaft, 1962; s.a. H. Hassmann, Oil in the Sovjet Union: History, Geography, Problems, 1953; vgl. auch W. Mautner, Der Kampf um und gegen das Russische Erdöl, 1929. Ein schweres Erbe: Gegen die NEP Lenins wollte Stalin »das Land von fremden Unternehmern befreien«, wie A. Hammer, Mein Leben, S. 196 ff berichtet: Er mußte 1930 die Sowjetunion verlassen u. hinterließ eine Bleistiftfabrik. Zum weiteren Hintergrund der verschärften »Sozialisierung« s. Heller/Nekrich, Sowjetunion, S. 191: Der Untergang der NEP; vgl. C. B. Hoover, The Economic Life of Soviel Russia, 1931. Einen guten Einblick ins sowj. Alllagsleben gibl H. Smilh, Die Russen, dt. 1976 (1976): von der »privilegierten Klasse« bis zum »Aufschwung« in Sibirien, besonders das Tjumen-Öl- und Gasfeld S. 419ff; vgl. auch G. Tabatschnik, Stalins Erben. Der Abstieg der Sowjelmachl, dt. 1992 (1991), S. 42: »Die Leibeigenschaft der Bolschewiki«, S. 339: »Die Wirtschaft in der Sackgasse«; vgl. A. Nove, An Economic Hislory of the USSR, 1972. Zur neuen ökon. Lage die Angaben nach World -576-
Oil 1999. J. Roth, Der Oligarch. Vadim Rabinovich bricht das Schweigen, 2001, S. 102 ff: Die patrimoniale Verfügbarkeit über La nd u. Leute. Zur Entdeckung der Mächtigkeil von Ölund Gaslrägern s. World Oil, 1998. Aus der Überfülle an Literatur zur Reform-Politik Michail Gorbacevs ab 1984 s. Tabalschnik, Stalins Erben, S. 364: »Die neue Losung ›Perestroika‹«; vgl. den Sammelband von W. Biermann/V. Havel, Glasnost. Stimmen zwischen Zweifel u. Hoffnung, 1987. Zum Wandel selbst in Umweltfragen s. G. Gak/P. Girer, Marxisl Ethical Theory in the USSR, 1978; vgl. N. Sernow, Russkoje religiosnoje wosroschdenije XX weka (Russ. relig. Wiedererwachen im 20. Jh.), 1974.
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Öl im Krieg (S. 289-324) B. Tuchman, August 1914. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dt.1981 (1964); vgl. F. Fischer, Der Griff nach der Weltmacht, 1961; ders., Krieg der Illusionen. Die dt. Politik von 1911 bis 1914, 1969; zum Wesen des Krieges s. Barudio, Politik als Kultur, 1994; vgl. A. Wernecke, Der Wille zur Weltgeltung. Außenpol, u. Öffentlichkeit im Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges, 1970; zum Bereich von Industrie, Rüstung u. Politik s. von dt. Seite bes. V. R. Berghahn/W. Deist, Rüstung im Zeichen der wilhelm. Weltpolitik. Grundlegende Dokumente 1890 bis 1914, 1988; zur engl. Seite s. I. N. Lambi, The Navy and German Power Politics, 1862-1914, 1984; vgl. P. Padfield, The Great Naval Race. Anglo-German NavalRivalry, 19001914, 1974. »Auf einer Woge Öl«: J. C. G. Röhl, An der Schwelle zum Weltkrieg. Eine Dokumentation über den »Kriegsrat« vom 8. Dezember 1912, in: MM, 21, 1977, S. 77-134. Tuchman, August 1914, S. 113 ff u. S. 148 ff. Zu den angebl. Bombenabwürfen s. a. W. Muehlon, Ein Fremder im eigenen Land. Erinnerungen u. Tagebuchaufzeichnungen eines KruppDirektors 1908-1914, 1989, S. 115. Über den »wilhelm. Deutschen« ebd., S. 104ff, passim. Erstaunlich, daß die neueste Publikation den Direktor Muehlon nur in einer Auflistung erwähnt, aber nicht seine Kritik erörtert L. Gall, Krupp. Der Aufstieg eines Industrieimperiums, 2000, S. 376; vgl. J. Kocka, Unternehmer in der dt. Industrialisierung, 1975. Zur Biographie des Admirals s. F. Uhle-Wettler, Alfred vo n Tirpitz in seiner Zeit, 1998; s. Berghahn/Deist, Rüstung, S. 122 ff. R. Mackay, Fisher of Kilverstone, 1973; R. S. Churchill, Winston S. Churchill, 2 Bde, 1969; W. Churchill, Die Weltkrise 1911-1918, 2. Bde., dt. 1947 (1923); vgl. B. Liddell Hart, History of the First World War, 1972; s.a. Sampson, Sieben Schwestern, S. -578-
56ff; vgl. M. Jacks, The Purchase of the British Government's shares in the British Petroleum Company, 1912-1914, in: Fast and Present, 39, 1967, S. 141 ff; vgl. E. Paproth, Die Vorgänge auf dem internat. Petroleummarkt in ihrer Bedeutung für das Dt. Reich, 1914; s. a. E. H. Davenport/S. R. Cooke, The Oil Trusts and Anglo-American Relations, 1923. Zum russ. Konflikt von 1905 s. A. Fischer, Sozialdemokratie u. bewaffneter Aufstand im Jahre 1905, 1967, passim. D. v. Mikusch, Waßmuß. Der deutsche Lawrence, 1937 (nach Tagebüchern u. Aufzeichnungen von Wilhelm Waßmuß). Sampson, Sieben Schwestern, S. 70 ff; s.a. V. R. Berghahn (Hrsg.), Militarismus, 1975; Z. Indra, Die Rolle des Krupp-Konzerns bei den wirtschaftlichen Vorbereitungen des Ersten Weltkrieges, in: JbfWG, 17, 1976, S. 133-162. R. Biernatzki, Als Pionier in Frankreich (August 1914 bis Februar 1915. Aus Feldpostbriefen), 1915, passim; vgl. Militärgeschtl. Forschungsamt (Hrsg.), Die Militärluftfahrt bis zum Beginn des Weltkrieges 1914, 3 Bde., 2. Aufl. 1965-66; s.a. H. Morrow, Building Germain Air Power, 1909-1914, 1976; vgl. H. H. Herwig, ›Luxury‹ Fleet. The Imperial German Navy 1888-1918, 1980. Muehlon, Fremder, S. 225 ff. Auf die Situation von 1916 nimmt noch das 6. Weißbuch des Auswärtigen Amtes Bezug, s. Dokumentenabdruck, In: Oel u. Kohle, 1940, S. 228 ff, darin auch Auszüge zu Norton-Griffiths' Bericht vom 21. Jan. 1917 und frz. Pläne, die Donau für den Transport von »Erdöl und Getreide« nach Mitteleuropa zu sperren. Zur inneren u. äußeren Lage Rußlands 1917 s. N. N. Suchanow, 1917. Tagebuch der Russ. Revolution, dt. 1967: Bakunin kommt vor, aber nicht Baku; s.a. B. Wolfe, Lenin, Trotzki, Stalin. Drei, die eine Revolution machten. Eine biogr. Gesch., 1965; H. SetonWatson, Der Verfall des Zarenreiches, 1954; M. Hellmann (Hrsg.), Die russ. Revolution 1917. Von der Abdankung des Zaren bis zum Staatsstreich der Bolschewiki, 1964 (dtvdokumente 227/28). Curzon: zit. n. Sampson, Sieben -579-
Schwestern, S. 70. Der geölte Blitz: A. J. P. Taylor, The Origins of the Second World War, 1961 (mit Rückgriff auf 1914). Zur Gleichschaltung der Dt. Erdölindustrie ab 1934 s. die Bände der Zeitschrift Petroleum, 1934 ff: Die Funktionäre gingen auf strammen NSKurs; sogar die Bohrmeisterkurse unterlagen ab 1935 einer »weltanschaulichen Schulung«! Die Zeitschrift »Petroleum« wurde 1940 mit anderen Fachorganen fusioniert zu Oel und Kohle: Darin genaue Angaben zur Ölindustrie der USA wie der Sowjetunion; zu den Reserven s. L. D. Wosk, How many crude reserves has USSR?, in: Oil Weekly, 1938,21. Feb., S136,2. Mai, S. 26 ff; F. Friedensburg, Die Mineralölwirtschaft der Sowjetunion, in: Oel u. Kohle, 1940, Nr.22, S. 168 ff. Zur pol. Lage s. R. Lamb, Der Verfehlte Frieden. Englands Außenpolitik 1935-1945, dt. 1989 (1987). M. Bloch, Die seltsame Niederlage, dt. 1992 (1990), passim; zu seiner Persönlichkeit s. U. Raulff, Ein Historiker im 20. Jahrhundert: Marc Bloch, 1995. Barudio, Der Teutsche Krieg. 1618-1648, 2. Aufl. 1985; E. Klee, »Gott mit uns«. Der dt. Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, 1989. G. Kahle, Das Kaukasusprojekt der Alliierten vom Jahre 1940, in: Rhein.-Westf. Akademie d. Wissenschaften. Vorträge G 186, 1973, S. 7-23 (mit Diskussion), passim. H.-M. Ottmer, »Weserübung«. Der dt. Angriff auf Dänemark u. Norwegen im April 1940, 1994. R. Wohlstetter, Pearl Harbor. Warning and Decision, 1962. M. Gannon, Operation Paukenschlag. Der dt. UBootkrieg gegen die USA, dt. 1992 (1991), passim; vgl. L-G. Buchheim, U-Boot-Krieg, 1976; s.a. J. Costello/T. Hughes, Atlantikschlacht. Der Krieg zur See 1939-1945, 1983. A. Stahlberg, Die verdammte Pflicht. Erinnerungen 1932 bis 1945, 1987, S. 248ff. Vergasungen: J. Borkin, Die unheilige Allianz der IGFarben. Eine Interessengeme inschaft im Dritten Reich, 1979; vgl. A. Schneckenburger, Die Gesch. des IG-Farben-Konzerns, 1988. P. Levi, Der Ringschlüssel, dt. 1992 (1978), passim; vgl. -580-
zur gleichen Zeit die Karriere eines anderen ital. Chemikers, »Farbenmenschen« und Mussolini- Bewunderers in: I. Pohl, Nimm Abschied und beginne, 1999, S. 11 (Erinnerungen). K. Holzmann, Die Höhlen der Hölle, 1961. A. Speer, Der Sklavenstaat, 1984. Zu F. Grobba bei der Verfolgung der NSKriegsziele in der Golfregion s. H. Mejcher, Die Pol. und das 01 im Nahen Osten, Bd. II, S. 50ff. B. Schmalhausen, Berthold Beitz im Dritten Reich. Mensch in unmenschlicher Zeit, 1991, passim. Zur pol. Ölszene nach 1918 (Wiederherstellung eines souveränen Staates) s. Petroleum, 30, 1934; s.a. K. Friedl, Das Erdölgebiet von Mraznica in Polen, 1934. Zur äußeren Kennzeichnung s.a. G. Schoenberner, Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945, 1960. S. Friedländer, Kurt Gerstein - oder die Zwiespältigkeit des Guten, 1968; vgl. Ch. R. Browning, Ganz normale Männe r. Das ReservePolizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen, 1993; vgl. D-J. Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker, dt. 1996 (1996); vgl. L. Poliakov/J. Wulf, Das Dritte Reich und seine Diener, 1983. E. Kogon, Der SS-Staat. Das System der dt. Konzentrationslager, 1974 (1945); ders. et al. (Hrsg.), Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas, 1983; vgl. I. Kershaw, Hitler, 2 Bde, 1998/2000; J. Fest, Hitler. Eine Karriere, 1974, S. 953 ff. Muehlon, Fremder, S. 123.
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Der Goldene Gürtel (S. 325-357) Einen deutlichen Kontrast zu »Imágen de Mexico« bietet H. Prignitz, TGP. Ein Grafiker-Kollektiv in Mexico von 19371977, 1981, S. 67: Francisco Dosamantes »Ya van cayendo poquito… a poco«, zw. zwei Bohrtürmen stürzen auswärtige ÖlKapitalisten; S. 195/ 196: Bohrtürme mit der Flagge Mexikos, davor die Beiträge des Volkes zur »Enteignung der Erdölindustrie«. Zur Spannung von Ejido-Bauern u. Enteigneten s. G. Regler, Vulkanisches Land, S. 166 ff, 1987 (1947); vgl. a. die Begegnungen mit diesem vielgestaltigen Land bei A. Artaud, Mexiko. Die Tarahumaras. Revolutionäre Botschaften. Briefe, dt. 1992, (1964). Die Angaben zum Öl in Kultur u. Alltag: WPC-Akten, Mexico City, 1968. A. v. Humboldt, Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, 1992, S. 403 ff. »Mexikos Blut«: A.v. Humboldt, Neue Welt, S. 401. Als Beispiele für die diktatorischen Traditionen des Patrimonialismus im span. geprägten Amerika s. A. R. Bastos, ICH der Allmächtige, dt. 2000 (1974); vgl. M. Vargas Llosa, Das Fest des Ziegenbocks, dt. 2001 (2000). Die hist. u. techn. Angaben zu Mexikos Ölent wicklung bei Esperanza Durán, in: John D. Wirth (ed.), Latin American Oil Companies and the Politics of Energy, 1985, passim. Zu Doheny u. seine Verbindung mit Harry Sinclair s. Yergin, The Prize, S. 213 ff. Über die besonderen Leistungen von Weetman Pearson s. J. A. Spender, Weetman Pearson: First Viscount Cowdray, 18561927, 1930; vgl. D. Young, Member for Mexico: A Biography of Weetman Pearson, First Viscount Cowdray, 1966. Neben den Angaben von E. Durán zu Mexiko vor und seit der Rev. von 1910 s.a. J. C. Brown, Domestic Politics and Foreign Investment: British Development of Mexican Petroleum, 18891911, in: Business History Review, 61, S. 387-416, 1987; A. Brenner, The Wind That Swept Mexico: The Historyof the -582-
Mexican Revolution, 1910-1942, 1943 (Reprint 1971). Zu der prekären Lage der ölkonzerne und ihre Abwanderung s. ders., Why Foreign Oil Companies Shifted Their Production from Mexico to Venezuela during the 1920s, in: AHR, 90, S. 362385, 1985; s.a. ders., Jersey Standard and the Politics of Latin American Oil Production, 1911-1930, in: J. D. Wirth, Latin American Oil Companies, 1985. Zu den Identitätsproblemen des modernen Mexiko in der Begegnung mit seiner indian. u. span. Vergangenheit s. O. Paz, Quetzalcoatl und Tonantzin, in: Essays, I, dt.1979, S. 17-40 (1967). Die Weiße Rose: H. Herrera, Frida Kahlo. Malerin der Schmerzen, dt. 1984 (1983), S. 73ff; vgl. R. Tibol, Frida Kahlo: Über ihr Leben und ihr Werk nebst Aufzeichnungen und Briefen, 1980. Zu Diego Rivera s. B. D. Wolfe, Diego Rivera: His Life and Times, 1939; s.a. D. Rivera, My Art, My life: An Autobiography, 1960 (Gladys March); vgl. R. Pascal, Die Autobiographie. Gehalt u. Gestalt, dt. 1965 (1960); s.a. McK. Helm, Modern Mexican Painters, 1968; vgl. J. Charlot, The Mexican Mural Renaissance: 1920-1925, 1967. K. S. Guthke, »Das Geheimnis um B. Traven entdeckt« - und rätselvoller denn je, 1984; ders., B. Traven. Biographie eines Rätsels, 1987: materialreich u. die bisher beste Annäherung an den Autor mit den vielen Gesichtern, s. S. 259 ff die Bewerbung Travens bei der mex. Ölfirma »Gasolina Aguila« (1925) sowie die unbeholfene Art der Berliner Redakteure bei der gewerkschaftseigenen »Büchergilde« zum Thema »Öl«; s.a. B. Traven, Ich kenne das Leben in Mexiko: Briefe an John Schikowski 1925-1932, 1992 (K. S. Guthke). B. Traven, Die Weiße Rose, 1931, passim. Zur »Grünen Revolution« s. Barudio, Friedens-Nobelpreis, 1993: Norman Borlaug. Über Dr. Hammers »Nebenfrau« s. E. J. Epstein, Dossier, S. 19/20, S. 194ff; vgl. A. Hammer, Mein Leben, S. 299: Hier die zweite Heirat mit Frances, während Betty Jane Murphy zur gleichen Zeit schwanger nach Mexico-City abgeschoben blieb. Zu -583-
Trotzkis Exil in Mexiko ab 1936, das D. Rivera vorbereiten half s. J.v. Heijenoort, With Trotsky in Exile: From Prinkipo to Coyoacán, 1978; über F. Kahlos »Verhältnis« zu Trotzki als »Rache« an Rivera s. Herrera, F. Kahlo, S. 169ff. Rotes Tuch Pemex: Zum globalen Phänomen der Korruption s. Barudio, Politik als Kultur, 1994, S. 176ff; vgl. H-E. Richter, Die hohe Kunst der Korruption. Erkenntnisse eines PolitikBeraters, 1991, S. 122: »Korruptionstraining«. Zur Mentalität des offiz. Mexiko während der Umbruchzeit seiner Agrargesellschaft s. L. Medina, Civilismo y modernización del autoritarismo, 1979, S. 82 ff. E. Durán, passim; s.a. G. W. Grayson, The Politics of Mexican Oil, 1980; vgl. W. W. Johnson, Heroic Mexico: The Violent Emergence of a Modern Nation, 1968; vgl. C. R. Koppes, The Good Neighbor Policy and the Nationalization of Mexican Oil: A Reinterpretation, in: Journal of American History, 69, S. 62-81, 1982; s.a. A. W. MacMahon/W. R. Dittman, The Mexican Oil Industry Since Expropriation, in: Political Science Quarterly, 57, S. 28-59, S. 161-188, 1942; s.a. L. Meyer, Mexico and the United States in the Oil Controversy, 1917-1942, engl. 1977; vgl. F. Gordon, Expropriation of Foreign-Owned Property, 1967, S. 89ff. Zum 7. WPC-Kongreß s.u. »Der Kongreß adelt«. Neben der Innovation von N. Borlaug auf den Versuchsfeldern von Atizapán in der Nähe Mexiko-Citys s.a. die Entwicklung der Antibaby-Pille aus der mex. Yamswurzel bei C. Djerassi, Die Mutter der Pille. Eine Autobiographie, dt. 1992 (1992), S. 81 ff: Die »insektizide Wirkung von DDT«, das jetzt (2001) unter Einschränkungen (Malaria-Bekämpfung) als hochgiftig global verboten wird; S. 86: Zur Bedeutung des »aromatischen Benzolrings«. Guatemotzin (1495-1525) war der letzte AztekenHerrscher, Hernán Cortés ließ ihn nach Folterung hängen, s. A. v. Humboldt, Neue Welt, S. 391.
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Ein Geschenk Gottes (S. 358-389) H. Merklin, Der Islam als Weltreligion und als politische Macht im Lichte des Wortes Gottes, 1948; vgl. H. Bobzin, Mohammed, in: Beck'sche Reihe Wissen), 2000. D. Holden/R. Johns, The House of Saud, 1981. Vgl. E. Fogelklou, William Penn, dt. 1948; FWG 25, 1981, S. 365 ff. S. Mackey, Saudis. Inside the desert kingdorn, 1987 (l990), beginnt mit dem »OilBoom« ab 1974, gute Einblicke, aber unsicher in Sachangaben: die Aramco wurde nicht 1948 (Reform) gegründet, S. 9ff. Aramco, Fifteen Years: A Story of Achievement, 1933-1948, 1948; zur Sicherheitslage: D. A. David/ J. S. Nye, (eds.), Energy and Security, 1981; s. vor allem H. Mejcher, Die Politik und der Nahe Osten, 2 Bde., 1990, die beste dt. Analyse mit Verbindungen zur US-Ölpolitik, Bd.2, S. 107ff (Aramco); zum Komplex New Deal: W. E. Leuchtenberger, Franklin D. Roosevelt and the New Deal, 1963; J. M. Keynes, A Treatise on Money, 1930, dt. 1936; F. A. von Hayek, Freedom and the Economic System, 1939, s.a. H. J. Hennecke, Friedrich August von Hayek, 2000 (mit ausführl. Literatur). Zum Petro-Dollar: M. S. E. Falaki, The Bretton Woods' International Finance Program, 1945; J. E. Hartshorn, Erdöl zwischen Mächten und Märkten. Die intern. Ölindustrie, dt. 1962; Ch. Tugendhat/A. Hamilton, Oil: The Biggest Business, 1968. Arabiens Auf bruch: A. Zischka, Die Auferstehung Arabiens: Ibn Sauds Weg und Ziel, 1942; vgl. G. L. Kirk, Ibn Saud Builds an Empire, in: Current History, 41, Dec. 1943, S. 15ff; vgl. S. M. Iqbal, Emergency of Saudi-Arabia (A Political Study of King Abd al-Aziz Ibn Saud 19Öl1953), 1977; s.a. Ch. M. Helms, The Cohesion of Saudi Arabia: Evolution of Political Identity, 1981; H. St. J. Philby, Arabia of the Wahhabis, 1928; ders., Sa'udi Arabia, 1955; vgl. T. Niblock (ed.), State, Society, and Economy in Saudi Arabia, 1982; s.a. die Islam-Bände 14 u. -585-
15 der FWG; vgl. E. Kellerhals, Der Islam. Geschichte, Lehre, Wesen, 3. Aufl. 1981; H. Halm, Der Islam. Gesch. u. Gegenwart, in: Beck'sche Reihe Wissen, 2000; vgl. dazu F. Wördemann, Die Beute gehört Allah. Die Gesch. der Araber in Spanien, 2. Aufl. 1986. J. Müske. Ein Jahr in Saudi-Arabien. Erfahrungen in einem isl. Land, 1994; s.a. C. Rathjens, Die Pilgerfahrt nach Mekka. Von der Weihrauchstraße zur Ölwirtschaft, 1948; vgl. M. Amin, Pilgrimage to Mecca, 1978; s.a. zur Entwicklung der Pilgerzahlen seit 1945 D. Moliver, The Economy of Saudi Arabia, 1980, S. 12ff; D. Van der Meulen, The wells of Ibn Saud, 1957; vgl. A. Hottinger, Die Araber vor ihrer Zukunft. Geschichte u. Problematik der Verwestlichung, 1989. Zu Frank Holmes s. A. Sampson, Die Sieben Schwestern, passim, s.a. A. Chisholm, The First Kuwait Oil Concession Agreements, 1975, S. 208 ff, vgl. S. Mackey, aaO., S. 423 f. W. Stegner, Discovery: The Search for Arabian Oil, 1974. F. Friedensburg, Das jüngste Ölland - Arabien, in: Oel u. Kohle, 1940, S. 204 ff. M. S. Cheney, Big Oil Man from Arabia, 1958, S. 149: Exxon, Socal und Texaco besaßen je 30% und Mobil Oil nur 10%, s.a. I. H. Anderson, Aramco, the United States and Saudi Arabia. A Stud y of the Dynamics of Foreign Oil Policy 1933-1950,1981; vgl. John S. Badeau, The American Approach to the Arab World, 1968; A. Tariqi, »Saudi Arabia Demands«, in: International Oilman, Nov. 1958. Zaki Yamani: Z. Önder, Saudi-Arabien. Zwischen isl. Ideologie u. westlicher Ökonomie, 1980, S. 16ff; s.a. H. J. Philipp, Saudi Arabia. Bibl. on Society, Politics, Economics (Lit. seit dem 18. Jhd. in westl. Sprachen), 1984. J. Robinson, Yamani. The Inside Story, 1988 (1989), alle persönlichen Hinweise bei ihm. Moslem-Bruderschaft: R. P. Mitchell, The Society of the Muslim Brothers, 1969. G. A. Nasser, Die Philosophie der Revolution, dt.1954, s.a. A. El Sadat, Geheimtagebuch der ägyptischen Revolution, dt. 1957; P. J. Vatikiotis, Nasser and his generation, 1977; M. H. Kerr, The -586-
Arab Cold War. Gamal Abd al-Nasser and his rivals, 19581970, 1977. U. Dann, Iraq under Quassem: A Political History, 1958-1963, 1969; vgl. Mackey, Saudis, S. 281; M. R. Pahlevi, Im Dienst meines Landes, dt. 1964; vgl. R. K. Ramazani, Iran's White Revolution: A Study in Political Development, 1974; M. O. Ansell, The Lybian Revolution. A Sourcebook of legal and historical documents, 1972; vgl. P. Rossi, La verte Libye de Quadhafi, 1979; W. A. Beling (ed.), King Faisal and the modernization of Saudi Arabia, 1980, s.a. D. Acheson, Present at the Creation, 1969, S. 241. Zu Tariki s. Robinson, Yamani, S. 86ff. K. W. Jones, The Miracle of Aramco, in: NER, Dec. 1951, S. 344ff, s.a. R. Lebkicher, Aramco and World Oil, 1952. Zum Verhältnis Faisal-Yamani, Robinson, aaO., S. 91 ff; zum Ölpreis: H. M. Fleming, Oil prices and competition, 1953; vgl. J. F. Stone, What Price Arab Oil?, in: The Nation, 4. Okt. 1947, S. 358ff. Robinson, Yamani, passim. Zur inneren Lage des Irak: K. S. Abu Jaber, The Arab Ba'th Socialist Party: History, Ideology and Organization, 1966; s.a. M. Aflaq, Fi Sabil al Ba'th (Auf dem Weg zur Wiedergeburt), 1959; vgl. J. Berque, Arab Rebirth; Pain and Ecstasy, 1983. Sicherheit und Öl im Kalten Krieg s. Mejcher, Politik, Bd.2, S. 293 ff; vgl. Near East Becomes Strategie Oil Center, in: World Petroleum, 7, August 1936, S399f, s.a. M. K. Peck, Saudi Arabia and United Foreign Policyto 1958, 1970; vgl. T. Y. Ismael, Iraq and Iran: Rootsof Conflict, 1982. Robinson, Yamani, S. 133 f. Zur USEnergiefrage und Nahost: R. M. Nixon, Memoiren, dt.1981, S. 1005ff; vgl. H. Kissinger, Memoiren 1973-1974, dt.1982, S. 998ff: »Jahre der tatenlosen Selbstgefälligkeit«; vgl. Sh. Erel, Öl. Panik im Schatten der Bohrtürme, dt. 1975, S. 42ff: eine der besten pol. Analysen, aber im techn. Bereich unsicher, s. S. 125 zur Bohrtechnik u. Teufenlage. Petro-Islam: Kissinger, Memoiren, passim; s.a. E. A. Nakhleh, The United States and Saudi Arabia. A Policy Analysis, 1975; vgl. Sh. Klebanoff, Middle East oil and US -587-
foreign policy, with special reference to the US energy crisis, 1974; vgl. J. D. Anthony (ed.), The Middle East: Oil, Politics, and Development, 1975. Zusammenschluß der »Verbraucherländer« s. Kissinger, Memoiren, S. 1075ff.; s.a. R. P. Stebbins/E. P. Adam(ed.), American Foreign Relations 1974: A Documentary Record, 1977, S. 34 ff; W. E. Griffith, The Revival of Islamic Fundamentalism: The Case of Iran, in: IS, 4:1, 1979; vgl. W. Ritter, Der Iran unter der Diktatur des SchahRegimes, 1979. Zum Attentat s. Robinson, Yamani, S. 213ff; s.a. E. Monroe, Faisal: The End of an Era, in: MEI, 47, May 1975. W. B. Quandt, Saudi Arabia in the 1980s, 1981. Zu den komplizierten Hintergründen des Top-Terroristen »Carlos« s. D. A. Yallop. Die Verschwörung der Lügner, dt. 1993; im weiteren Robinson, Yamani, S. 240 ff. Zur Investitionslage s. a. Moliver, The Economy of Saudi Arabia, 1980: Guter Überblick zu den beiden 5-Jahresplänen von 1970-75 und 1975-80; s.a. Kingdom of Saudi Arabia, Ministery of Planning, Third development Plan, 1980-1985, 1980, dass. Fourth Development Plan 19851990, 1985, s.a. R. El Mallakh, Saudi Arabia: Rush to Development, 1982. Zur Aramco-Übernahme: Robinson, Yamani, S. 104 ff, S. 324 ff. Äußerst kritische Einstellung zur Politik u. Zukunft des Hauses Saud bei S. K. Aburisch, Ölscheichs u. Tyrannen. Der märchenhafte Aufstieg u. Verfall des saudiarabischen Königshauses, dt. 1994; vgl. L. Blandford, The Oil Sheikhs, 1976. T. E. Lawrence, Die Sieben Säulen der Weisheit, dt. 1965, S. 78 ff. »Kein Blut für Öl« (S. 390-413) N. A. Centurio, Die großen Weissagungen des Nostradamus, dt. 1977. Aus der zahlr. Literatur J. Miller/L. Mylroie, Saddam Hussein and the Crisis in the Gulf, 1990; zum Hintergrund s.a. -588-
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Trust, 1994, S. 89ff; s.a. Th. Draper, A Very Thin Line: The Irancontra Affairs, 1991, Kap. 15 ff; im Vorlauf des Tankerkrieges die Einschätzung Reagan's hinsichtlich der »Irrationalität nahöstl. Politik«, Erinnerungen, S. 485 ff; s.a G. Bush, Looking forward, S. 238 ff zur Golfkrise 1986. M. Conant, The Oil Factor in U.S. Foreign Policy, 1982; vgl. Ch. G. MacDonald, Iran, Saudi Arabia, and the Law of the Sea: Political Interaction and Legal Development in the Persian Gulf, 1980. Macht-Algebra: A. P. Juschkewitsch, Gesch. der Mathematik im Mittelalter, dt. 1964 (1961), S. 175-325; vgl. F. Vera, Historia de la matemática en Espana. I. Tiempos primitives hasta el siglo XIII, 1929; A. Domínguez Ortíz, Crisis y decadencia en la Espana de los Austrias, 1969; s.a. P. Dressendörfer, Islam unter der Inquisition, 1971; vgl. W. L. Bernecker/H. Pietschmann, Gesch. Spaniens, 3. Aufl. 2000; M. Steinschneider, Die arab. Literatur der Juden, 1902; s.a. Nahal Tajadod, Die Träger des Lichts. Magier, Ketzer und Christen im alten Persien, dt. 1995. T. E. Lawrence, Weisheit, S. 38ff. Zur US-Politik, veraltete Waffen in die Golfregion zu verkaufen: N. Schwarzkopf, Man muß kein Held sein. Die Autobiographie, dt.1992, 3. Aufl., S. 381 ff; zum »Tankerkrieg« ibidem, S. 368 ff; zur inneren Lage Kuwaits in den 1980er Jahren s. Miller/Mylroie, Saddam Hussein, S. 203 ff; zum Verhältnis Saudi-Arabiens und des Irak s. P. Salinger/E. Laurent, Guerre du Golfe. Le Dossier Secret, 1991, S. 80ff; das Problem Bubiyan wurde auch in Washington erörtert s. B. Woodward, The Commanders, 1991, S. 252ff; zum Treffen in Dschidda Salinger/Laurent, aaO., S. 97ff; die Rolle von A. Glaspie, ibidem, S. 90ff; vgl. Schwarzkopf, aaO., S. 379ff; s.a. Woodward, The Commanders, S. 211 ff, S. 356ff; Schwarzkopf, aaO., S. 45ff: Einsatz seines Vaters in Persien; zur MachtAlgebra aus Kissingers Sicht im Nahen Osten und im Hinblick aufs Öl s. Kissinger, Memoiren, S. 738ff; s. Woodward, The -590-
Commanders, S. 201 ff, S. 276ff; zur inneren Situation des Iraks. S. al-Khalil, Republic of fear: The Politics of Modern Iraq, 1989; vgl. T. Niblock (ed.), Iraq: The Contemporary State, 1982; s.a. M. Sader, Le développement industriel de ITraq, 1983; s.a. M. Khadduri, Socialist Iraq: A Study in Iraqi Politics Since 1968, 1978; J. Devlin, The Ba'th Party: A History from Its Origins to 1966, 1976. Befreiung Kuwaits: Zu den »Fehlkalkulationen« und Eskalationen auf arab. wie am. Seite s. Miller/Mylroie, Saddam Hussein, S. 214ff; s.a. Woodward, The Commanders, S. 211 (Fall Glaspie); ibidem, S. 321 ff: Die Rolle der Alliierten u. der Sowjetunion; vgl. Schwarzkopf, Held, S. 382ff (bizarre Einsatzpläne). Zur milit. Beschaffung: T. Clancy/Ch. Horner, Every man a tiger, 2001. Die rechtliche Seite spielte außer bei vagen Berufungen auf die »Gerechte Sache« im DecisionMaking Washingtons kaum eine Rolle, statt dessen Emotionen zu den »Geiseln« in Bagdad und »Greueltaten« in Kuwait; s.a. Amnesty International: Iraq: Evidence of Torture, 1981. Zur globalen Gültigkeit des Kriegsrechts s. das IV. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 zur Führung von Landkriegen, in: Beck- Texte, Völkerrechtliche Verträge, 1973, S. 313 ff. Hinsichtlich des Einsatzes von Giftgas s. M. Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer u. bakteriologischer Waffen, in: Beiträge z. ausländischen öffentl. Recht u. Völkerrecht, 59, 1973, S. 1-19; zur »Furcht« wegen der irak. Atomwaffen s. Woodward, The Commanders, S. 337ff: Bush betrachtete das Atom-Potential des Irak als »a real danger«, obgleich keine Atomwaffe einsatzfähig war; vgl. S. Weissman/H. Krosney, The Islamic Bomb, 1981; s.a. J. R. MacArthur, Die Schlacht der Lügen. Wie die USA den Golfkrieg verkauften, dt. 1993 (1992), S. 257ff; vgl. S. Hersh, The Samson Option, 1991: Israel u. die »atomare Bedrohung« durch den Irak; vgl. Dt.-Israel. Arbeitskreis f. Frieden im Nahen Osten (Hrsg.), Israel und -591-
Palästina. Der Golfkrieg, Israel und die dt. Friedensbewegung. Dokumentation einer Kontroverse, 1991. Zur Verhinderung eines Debakels in den Medien wie während des VietnamKonflikts (1964-74) s. vor allem J. R. MacArthur, Die Schlacht der Lügen, S. 122 ff (»Stilisierung Schwarzkopfs« zum »Helden«); vgl. P. Virilio, Krieg und Fernsehen, dt. 1997: Die Rolle des am. TV-Senders CNN in Bagdad. Zur europ. Sicht vgl. G. Krell/B. W. Kubbig (Hrsg.), Krieg und Frieden am Golf. Ursachen und Perspektiven, 1991: Beiträge gehen auch auf die Umweltfolgen der Ölbrände ein; vgl. MacArthur, Lügen, S. 258 ff: Ein Teil der Ölpest wurde auch durch Kriegseinwirkungen der Alliierten verursacht. S-H. Günther, Uran-Geschosse. Schwergeschädigte Soldaten, mißgebildete Neugeborene, sterbende Kinder. Eine Dokumentation der Folgen des Golfkrieges 1993-1995, 2000. Kriegserlebnisse: A. McNab, Signal Bravo Two Zero. Als Kommandant e. Stoßtrupps im Golfkrieg, dt. 1995; vgl. dazu Ch. Ryan, The One that got away, 1996; vgl. a. den Tatsachenroman D. Sigaud, Annahmen über die Wüste, dt. 1997 (1996); H. Thiehlen, Der Krieg der Köpfe. Vom Golfkrieg zur Neuen Weltordnung, 1992; vgl. N. Chomsky/J. Beinin/ M. Emery, Die neue Weltordnung und der Golfkrieg, dt. 1999; S. Graubard, Mr. Bushs War, 1992; vgl. U.S. News & World Report, Triumph without Victory: The unreported History of the Persian Gulf War, 1992; vgl. J. E. Smith, George Bush's War, 1992; s.a. der Rückblick G. Bush/B. Scowcroft, A World Transformed, 1998, S. 388 ff: Golf-Krise, Desert-Storm u. die Lage danach.
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Brennpunkt: Nordsee (S. 414-440) G. Quedens, Nordsee, Mordsee, 1992, zur Umweltsit.; B. H. Martens, Land, das dem Meer gehört, 1991, zur WattProblematik; L. Kaufeld et al. (Hrsg.), Wetter der Nord- und Ostsee, 1997; K. Buchwald, Nordsee. Ein Lebensraum ohne Zukunft?, 1991; C.v. Bernem, Öl im Meer. Katastrophen und langfristige Belastungen 1997; H. Gebhartd/A. Ness, Fische. Die heim. Süßwasserfische sowie Arten der Nord- und Ostsee, 2000; J. L. Lozan (Hrsg.), Warnsignale aus der Nordsee (Wiss. Fakten), 1990; LNSH, Rettet die Nordsee. Eine Dokumentation, 1988; J. Wieland (Hrsg.), Nordsee in Not, 1988. Freiheit der Meere: Die Einzelpositionen in: Petroleum Economist, June 1988, S. 199ff; zum Wahlkampfs. G. Bush (Victor Gold), Looking Forward, 1987, S. 204ff; Roosevelts Einschätzung zit. n. Sampson, Sieben Schwestern, S. 95. Geologie: A. W. Woodland (ed.), Petroleum and the Continental Shelf of North West Europe, I, Geology (The Institute of Pet, Great Britain), 1975, ebd.: W. D. Byrd, Geology of the Ekofisk Field, Offshore Norway, S. 439ff, ebd.: F. Avedik, The Seismic structure, S. 29 ff (Nordsee). Zur Eigentumsprobl. s. F. Friedensburg, Streit um das Eigentum am Erdöl im Meeresboden in den Vereinigten Staaten, in: Oel u. Kohle, Nr.35, 1940, S. 277ff: US-Staat Louisiana wollte 43,5 Km-Zone vor der Küste, 1938 an Washington gescheitert. Zum hist. Vorlauf: Grotius u. Seiden s. Barudio, FWG 25, S. 331 ff; s.a. H. Klee, Hugo Grotius u. Johannes Seiden. Von den geistigen Ursprüngen des Kampfes um die Meeresfreiheit, 1936; W. Friedmann, Seiden Redivious - Towards a Partition of the Seas, in: AJIL 65, 1971, S. 757ff; vgl. H. A. Holdsworth, A History of English Law, V, 1925; J. N. Figgis, The Divine Right of Kings, 1965; s.a. J. A. Vargas, The Legal Nature of the Patrimonial Sea: A First Step towards the Definition of the Exclusive -593-
Economic Zone, In: JbflR, 22, 1979, S. 142ff; s.a. zur Freiheit der Meere W. Münch, Die Regime internationaler Meerengen vor dem Hintergrund der Dritten UN-Seerechtskonferenz, 1982 (mit großem Dokumentenanhang), S. 15ff; A. L. Kolodkin/S. V. Molodcov, Seefriedensrecht. Das völkerr. Regime der Territorialgewässer, der Anschlußzone u. des Hohen Meeres, dt. 1973; L. Bouchez, The Freedom of the High Seas, 1973; vgl. R. Zacklin (ed.), The Changing Law of the Sea - Western Hemisphere Perspectives, 1974. Ein Teufelkskerl?: L. Gündling, Ölunfälle bei der Ausbeutung des Festlandsockels. Zur Verschmutzung des Meeres und ihre völkerr. Kontrolle, in: ZaöRV, 37, 1977, S. 530ff. Zur Problematik des »am. Helden« s.a. den TatsachenRoman von L. Beinhart, American hero, dt. 1994 (1993) zu G. Bush, dem Freund von Red Adair. Zur Biographie: Ph. Singerman, Red Adair. Der Feuerlöscher. Die autorisierte Biographie, dt. 1991 (1989), S. 91 ff; zur Lage auf der »Bravo« (Ekofisk) ebd., S. 325 ff: alle weiteren Angaben zit. nach Singerman; vgl. A. Hammer, Mein Leben, dt. 1988 (1987), S. 398 ff: zu den Unfällen auf seinen Plattformen ließ er sich ungern aus, über Red Adair S. 404. Red Adairs Vorliebe für Nobel-Autos u. Rennboote entspricht dem am. Autokult, s. P. Marsh/ P. Collett, Der Aut Mensch. Zur Psychologie eines Kulturphänomens, dt. 1991 (1986); vgl. S. Black, Man and Motor Cars, 1966; J. J. Flink, The Car Culture, 1975; vgl. Lord Montagu of Beaulieu, Royalty on the Road, 1980. Brent Spar: K. W. Glennie (ed.), Petroleum Geology of the North Sea: Basic Concepts and Recent Advances, 4. Aufl. 1998; J. M. Bowen, The Brent Oil-Field, in: Woodland, aaO., S. 353 ff. Zu Greenpeace s. K. Janke/J. Kick, Das Greenpeace-Buch der Nordsee, 1991; Das Greenpeace-Buch. Reflexionen u. Aktionen, 1996, vor allem M. Günther, Greenpeace u. das Recht, S. 64 ff, vertritt neorechtspos.u. utilitar. Positionen des gezielten Rechtsbruchs, Gesetzesverstoßes, ja gar der -594-
Selbstjustiz nach dem Motto »Der Zweck heiligt die Mittel«; vgl. H. Ballreich, Verträge zugunsten u. zu Lasten Dritter, in: Strupp/ Schlochauer, Wörterb. des Völkerrechts, III, S. 544ff; s.a. zu Treuhandschaft, Widerstandsrecht u. Umweltschutz im Rahmen des vertragl. Naturrechts Barudio, Politik als Kultur, 1994. Zum Brent Spar-Konflikt s. W. Mantow (i.A. der Deutschen Shell AG), Die Ereignisse um BRENT SPAR in Deutschland. Darstellung u. Dokumentation. Die Hintergründe u. Einflußfaktoren, Kommentare u. Medienresona nzen, 1995. Zur Auto-Lage in Skandinavien s. W. Haddon, The safety of the automobile. An international perspective, in: Nordic Seminar on the Safety of the Automobile (Sweden), 1983; Ch. Berggren, Von Ford zu Volvo. Automobilherstellung in Schweden, 1991; s.a. P. Ostby, Flukten fra Detroit: bilens integrasjon i det norske samfunnet, 1995; O. Mjaatvedt, Trill rundt: transport i hverdagslivet, 1999 (Diss.); vgl. J. M. Haas, Multinationale Unternehmen u. intern. Handel. Das Auslandskapital in Norwegen u. Schweden, 1987.
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Der Kongreß adelt (S. 441 -477) Die gedruckten WPC-Akten für jeden Erdölkongreß seit 1933 sind in der Shell-Bibliothek Den Haag öffentlich zugänglich. Für jedes Gastgeberland gibt es eine hist. Chronik der Ölsuche und jeweils einen Kongreßbericht zum Stand der globalen Öllage. Hier werden zusätzliche Informationen mitgeteilt, die sich nicht immer auf den jeweiligen WPC beziehen. O. Unterberger, World Petroleum Congress, London 19.-25. Juli 1933, in: Petroleum, 1934. Zur Problematik der Angleichung von DIN und API-Standards s. F. Müller, Krit. Betrachtung der in Deutschi, eingeführten Bohrrohre u. deren Einbaumethoden beim Rotary-Bohren, in: Oel u. Kohle, Nr.43, 1940, S. 492 ff. Im Vorfeld des Pariser WPC von 1937 gab es in Frankreich eine rege Publizistik zum Öl- Thema s. J. Filhol/Ch. Bihoreau, Le pétrole, 1929; J. Audemar, Les maitres de la mer, de la houille et du pétrole, 1930; C. Aymard, La conquéte du pétrole, 1930; E. Bey, L'épopée du Pétrole, 1934; M. Mercier, Voyage aux champs du pétrole de Mossoul, 1934. E. Faure, La Politique Franòaise du Pétrole, 1938. Zu Japan s. M. A. Barnhart, Japan Prepares for Total War: The Search for Economic Security, 1919-1941,1987; vgl. Ch. Johnson, MITI and the Japanese Miracle: The Growth of Industrial Policy, 1925-1975, 1982. M. Pearton, Oil and the Romanian State, 1971. C. E. Solberg, Oil and Nationalism in Argentina: A History, 1979. Hradstveit (Hrsg.), Menneskerettigheter og norsk oljepolitikk, 1998 (Norsk utenrikspolitisk institutt); A. Johnsen, Gjennombrudd og vekst 1978-1987: Statoilár, 1990; s.a. O. Mestad, Statoil og statleg styring og kontroll, 1985; A. Johnsen, Utfor dringen: statoilär, 1989; E. Selvig, Statoil eller oljestat, 1983 (Diskussionsschrift); B. V. Lerojen; Troll: gas for gene rations, 1996 (Norske Shell u. Statoil); vgl. P. Elmlund/K. Glans, Den välsignade tillväxten tankelinjer kring ett ärhundrade av kapitalism, teknik, kultur och -596-
vetenskap, 1998: Eine Art Festschrift für Bö Ax:son Johnson, der von 1952-1977 die Nynäs Petroleum leitete, aber kein Beitrag zur Öl- Problematik, s. S. 249 ff die Kritik am »Wachstumsdenken«. H. Kiesel (Hrsg.), Ernst Jünger - Carl Schmitt. Briefwechsel 1930-1983, 1999, S. 196.
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Höllensturz ins Aus (S. 478-491) W. Frühauf/Th. Giesinger, Europa ohne Grenzen. Alarm für die Umwelt, in: Spiegel Spezial, 1992; s.a. zur fortwährenden Pyromanie C. Amery/H. Scheer, Klimawechsel - von der fossilen zur solaren Kultur, 2001 (ein Dialog); vgl. C. Wege, Buchstabe und Maschine (Industrie-Kult in Kunst u. Literatur); s.a. verschiedene Publikationen des Toblach-Instituts (Italien). O. Spengler, Untergang des Abendlandes - Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, dtv 1972; ders., Der Mensch u. die Technik - Beitrag zu einer Philosophie des Lebens, 1931. D. D. Olien/R. M. Olien, Running Out of Oil: Discourse an Public Policy, 1909-1929, in: Business and Economic History, 1993; s.a. H. F. Williamson et al., The American Petroleum Industry: The Age of Energy, 1899-1959, 1963; vgl. R. H. K. Victor, Energy Policy in America since 1945. A Study of Business-Government Relations, 1984. Zur steigenden Belastung durch Ausweitung des VerbrennungsVerkehrs s. F. Vester, Ausfahrt Zukunft. Strategie für den Verkehr von Morgen. Eine Systemuntersuchung, 4. Aufl. 1990: Gut ein Jahrzehnt später soll sich nach offiz. Planungen das Verkehr saufkommen bis 2010 noch einmal verdoppeln: Bei EMobilen war die Bundesrepublik D. 1990 das Schlußlicht mit nur 130 Autos, Vester, aaO., S. 415ff. H. Gruhl, Himmelfahrt ins Nichts, 2. Aufl. 1992, S. 295ff. D. Hoffmann, 150 Jahre Tiefbohrungen in Dd., 1959. Ausgez. Analyse zum Horizontalbohren French Oil and Gas Industry Association. Technical Committee, Directional Drilling and Deviation Control Technology, 1990. J. M. Laux, In First Gear: The French Automobile Industry to 1914, 1976; L. J. White, The Automobile Industry Since 1945, 1971; M. A. Cusumano; The Japanese Automobile Industry, 1985, s.a. Y. Ikari, Toyota tai Nissan. Shinsha Kaihatsu no Saizensen (Toyota gegen Nissan. -598-
An vorderster Front der neuen Auto-Entwicklung), 1985; s.a. J. P. Womack et al., Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Konsequenzen aus der weltweiten Studie des MITI, dt. 1990 (1990); K. B. Clark/T. Fujimoto, Automobilentwicklung mit System. Strategie, Organisation und Management in Europa, Japan und USA, 1992 (Die weltweite Studie aus der Harvard Business School); R. Sobel, Car Wars, 1984; vgl. A. Altshuler et al., The Future of the Automobile, 1984. Le Monde (Paris), 1. März 2001: Hinsichtl. A. Uslar Pietri vgl. neben dem 98jähr. Rockefeller, dem 92jähr. A. Hammer auch das hohe Alter des Ölpioniers Paul G. Benedum aus West-Virginia, der 195990 Jahre alt wurde, s.a. S. T. Mallison, The Great Wildcatter, 1953. Zum Wandel in der nachindustriellen Gesellschaft s. Barudio, Politik als Kultur; vgl. J. Ph. v. Bethmann, Das Kartenhaus unseres Wohlstandes. Warum der Kapitalismus noch nicht triumphieren kann, 1991. O. Schedl, Energien, alternative, in: Pol.-Pädagogisches Handwörterbuch, 1985, S. 130-136. Als Beispiel zu den zahlr. Fehleinschätzungen der Old Economy s. M. E. Ahrari, Opec. The Falling Giant, 1986; s.a. V. S. Cameron (ed.), Exploration and Economics of the Petroleum Industry, 1974. Zu Angola s. J. L. Andersen, Eine Gesch. von Blut und Öl, in: Die Zeit, Nr.ll, 2001, S. 17-20; vgl. J. Silliers/C. Dietrich (eds.), Angola's War Economy. The Role of Oil and Diamonds, 2000; F. A. Guimaraes, The Origins of the Angolan Civil War. Foreign Intervention and Domestic Political Conflict, 1998. D. G. Mayes (ed.), The European Challenge: Industry's response to the 1992 Programme, 1991; zur Frühgeschichte von Toyota, in: K. Rafferty, Inside Japan's Power Houses, 1995, S. 120ff, s.a. E. Toyoda, Toyota: Fifty years in Motion, 1987; vgl. J. V. Mitchell, The new economy of oil: in business, geopolitics and Society, 2001. Zum Zukunfts-Optimismus D. Goeudevert, Mit Träumen beginnt die Realität. Aus dem Leben eines Europäers, 2. Aufl. 1999, S. 183 ff.
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LITERATUR Die in den Anmerkungen zitierte Literatur wird hier nicht noch einmal aufgelistet. Die Hinweise gelten vielmehr Publikationen auch älteren Datums, die mit ihren Informationen behandelte Einzelthemen ergänzen sollen. Abel, Ch., Latin-America, economic imperialism and the state, 1985 Abir, M., Saudi Arabia in The Oil Era: Regime and Elites, 1988 Abrahamian, E., Iran Between Two Revolutions, 1982 Alexanian, C. L., Traité pratique de prospection géophysique, 1933 Alexjewitsch, S., Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft, 1998 Almana, M., Arabia Unified: A Portrait of Ibn Saud, 1980 Anders, G., Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen zum atomaren Zeitalter, 1993 Andersen, A. et al., The Future of Oil Prices: The Perus of Prophecy, 1984 Asahi, L, The secret of Japan's trade expansion, 1934 Assiri, A-R., Kuwait's Foreign Policy: City-State in World Politics, 1990 Bakhash, Sh., The Reign of the Ayatollahs: Iran and the Islamic Revolution, 1984 Bald, D., Hiroshima, 6. August 1945, 1999 Beaton, K., Dr. Gesner's Kerosene: The Start of American Oil -600-
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Zeitschriften - Magazine - Zeitungen American Historical Review (AHR) American Scientific The Economist El Pais Erdöl und Kohle Dagens Nyheter Das Capital Der Rheinische Merkur Financial Times Financial Times (Dt.) Focus Foreign Affairs Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau GEO Handelsblatt Journal des pétroles La Revue pétrolifère Le Monde Le Monde Diplomatique Les Echos Manager-Magazin Nature Newsweek Oil and Gas Journal -605-
Petroleum Economist Petroleum Weekly Der Spiegel The Oil Weekly Time Wall Street Journal World Oil World Petroleum Science Süddeutsche Zeitung Svenska Dagbladet Die Welt Die Welt am Sonntag (Wams) Die Zeit
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ZEITTAFEL 1735 1763 1775 1780 1783 1784
1785 1789 1798 1799 1806 1809 1814 1820
Linnés »System der Natur« Erste Berg-Akademie der Welt in Freiberg/Sachsen Watts Dampfmaschine - die Industrielle Revolution James Hutton und »The Theory of the Earth« Ballonflug der Gebrüder Montgolfier über Paris Die Geognosie wird von der Geologie abgelöst Kants Schrift »Was ist Aufklärung?“ »Bergordnung« für Spanien und Lateinamerika Erste Punktbohrung nach Öl in Pechelbronn/Elsaß Revolution in Frankreich Philippe Lebon erfindet GasVerbrennungsmotor Leitfossilien als Wegweiser der Schichtenfolge Gebrüder Ruffner erbohren in West-Virginia Salz Glencks Schlagbohrung bei Wimpfen nach Salz Wiener Kongreß festigt das »dynastische Prinzip« Berzelius begründet die org. Chemie -607-
1828 1834 1838 1842 1848 1849 1856 1857 1859 1859 1863 1865
1867 1870 1871 1872 1873 1879 1884 1885
Faraday entdeckt das Benzol Salzbohrung bei Minden: 695 Meter Teufenrekord Berzelius u. Liebig finden den Namen »Benzin« Energieerhaltungs-Gesetz von R. J. Mayer Revolutionen in Europa: Restauration Chicago Board of Trade (CBT) Ölbohrung »Joseph« in Pechelbronn Der erste künstliche Farbstoff »Tyrian Purple« Ölbohrungen in Rumänien Die am. Pioniertat von Titusville/Pennsylvanien Im russ. Baku beginnt die Ölindustrie Gründung der Farbwerke Bayer und Hoechst Gründung der Badischen Anilin- und Sodafabrik BASF Preuß. Berggesetz umfaßt auch das Erdöl Erfindung des Otto-Motors und Dynamits Rockefeller gründet die Standard Oil (Esso) Tiefste Bohrung der Welt bei Berlin: 1271 Meter New York Mercantile Exchange (Nymex) Gebrüder Nobel beginnen ihr Baku-Abenteuer Der erste Öltanker der Welt im Dienst Edisons erste Glühlampe als Ersatz der Ölleuchte Esso sucht Kooperation mit Branobel in Baku Neues »Bergrecht« für Mexiko Das erste Automobil mit Benzin-Motor -608-
1890 1893
1894 1896 1897 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905
1906 1907
1908 1910 1911
Sherman Antitrust Act - gegen die Esso Royal Dutch wird gegründet USA stellen Dollar auf Gold-Deckung um Erfindung des Dieselmotors Henry Ford baut seinen ersten Motor Ölrausch in Californien beginnt »Klein-Pennsylvanien« in Nord-Deutschland Das erste Autorennen der Geschichte Tod Alfred Nobels Marcus Samuel geht mit Shell ins Ölgeschäft Großbritannien grenzt Kuwait aus Rußland wird zum weltgrößten Ölproduzenten Erster Kongreß von Ölleuten in Paris Beginn des Rotary-Bohrens: Spindeltop/Texas Der Konzern Gulf Oil entsteht Texaco organisiert sich Henry Ford baut seine Auto-Fabrik Gebrüder Wright beginnen mit dem Motorflug Frank Phillips kombiniert Bank- und Ölszene Revolution in Rußland, Persien, Türkei, Norwegen Rußland verliert seine Ölposition an die USA Ölrausch in Texas und Oklahoma hält an Fusion von Shell und Royal/Dutch Indianer-Territorium wird US-Staat Oklahoma Großer Ölfund in Süd-Persien Revolution in Mexiko In Mexiko investieren die Öl- Multis ESSO geteilt in Exxon, Mobil Oil, Socal u. andere
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1912
1913 1914 1915 1916
1917
1918
1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1927
Britische Flotte von Kohle auf Öl umgestellt Gründung von British Petroleum (BP) Kohle-Bahn von Berlin bis Bagdad fertiggestellt Balkan-Krieg Bergius- Verfahren für Kohle-Benzin Erster Weltkrieg: Öl wird strategischer Stoff Ausbau von Luftwaffen und U- Booten Ölfelder Rumäniens werden zerstört Skagerrak-Schlacht zwischen Kohle- und Ölflotte Mexiko erklärt sein Öl zum »Nationalgut« USA entscheiden als Ölmacht den I. Weltkrieg Erfindung des »Preventers« Crack-Verfahren zur Optimierung von Schweröl Unbeschränkter U-Boot-Krieg Revolutionen lösen das dynastische Zeitalter ab Pol. Neuordnung Europas und der Golf- Region American Petroleum Institute ÖlKonservierungsdebatte in den USA Gründung des Völkerbundes ohne USA und UdSSR Ölrausch in Venezuela und Mexiko Rapallo: Deutschsowjetische Zusammenarbeit Erste öffentliche Tankstelle in Hamburg Teapot-Dome-Skandal: Ölkonzerne und US-Politik Gründung der IG-Farben Marcus Samuel stirbt -610-
1928 1929 1932 1933
1934 1935 1937 1938 1939 1940 1941
1942 1943 1944 1945
1946 1947 1948 1949
Sieben Schwestern einigen sich auf ein Kartell »Schwarzer Freitag« und Weltwirtschaftskrise Saudi-Arabien wird als Haus-Staat gegründet »Machterschleichung« der Nazis Der erste WeltErdöl-Kongreß (WPC) in London Aramco wird organisiert NS-Energiewirtschafts-Gesetz Ölfunde in Saudi-Arabien Zweiter WPC in Paris - Weltausstellung Ölfund in Kuwait (Burgan) bleibt ungenutzt II. Weltkrieg beginnt als »Blitzkrieg« Kaukasus-Projekt und »Operation Paukenschlag« »Unternehmen Barbarossa« gegen die Sowjetunion Überfall Japans auf die USA - Pearl Harbor Ölabkommen zwischen Venezuela und den USA Konferenz von Casablanca und Teheran: Teilung Europas Bretton Woods: Leitwährungen und Petro-Dollar Ende des II. Weltkrieges Atom-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki Gründung der Vereinten Nationen Ölproduktion in Kuwait läuft an GATT-Abkommen zum Freihandel Gründung der Staaten Israel, Pakistan und Indien NATO. Annahme des Bonner »Grundgesetzes« -611-
1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958
1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968
Korea-Krieg und Kalter Krieg mit dem Ostblock 4. WPC in Den Haag/Niederlande MossadeghBewegung gegen Öl- Multis in Persien Öl-Erschließung in Alaska Nasser-Putsch in Ägypten: Arabischer Sozialismus Schah-Putsch in Persien mit US-Hilfe Deregulierungen in den USA: Schutz vor Importen 5. WPC in Rom/Italien Petroleum-Act in Libyen unter König Idris I. Suez-Krise: Verstaatlichungen Sputnik-Schock durch die Sowjetunion Revolution im Irak und in Venezuela Frankreich erhält durch de Gaulle die V. Republik Londoner Abkommen zur Nordsee-Aufteilung 6. WPC in New York zur 100-Jahr-Feier von Titusville Gründung der Opec Abschottung des Ostblocks: Berliner Mauer Kuwait wird souverän und UNO-Mitglied Die Nordsee-Exploration verstärkt sich Zaki Yamani als arab. Ölminister berufen 7. WPC in Frankfurt am Main Kuwait boykottiert BRD wegen Israel Mexiko öffnet sich wieder den USA Öl-Produktion Libyens im zügigen Ausbau 8. WPC in Mexico City Sechstagekrieg zwischen Israel und Arabern Gründung der OAPEC: »Öl als Waffe«
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1969
1980 1981
Gaddafi-Putsch in Libyen Gründung der USBewegung »Big Green« Das erste große Ölfeld der Nordsee: Ekofisk Erster Flug zum Mond Öl-Verstaatlichungen in der Golfregion 9. WPC in Moskau Öl- Konferenz von Teheran Gründung von »Greenpeace« zum Meeresschutz Der Club of Rome: »Grenzen des Wachstums« Erste Umwelt-Konferenz in Stockholm Ölpreiskrise: Vervielfachung des Faßpreises Yom-Kippur-Krieg: Ägypten erobert den Sinai Nixons »Project Independence« im EnergieSektor Internationale Energie-Agentur (IEA) in Paris 10. WPC in Tokyo/Japan Verstaatlichung der Ölindustrie in Venezuela Ölplattformen in Brand - Hochpreisphase hält an Revolution im Iran: Sturz des Shah-Regimes 11. WPC in Bukarest/Rumänien Schwerer Atom-Unfall in Three Miles Island Frieden von Camp David Krieg der OPEC-Mitglieder Irak und Iran International Petroleum Exchange (IPE) London
1983
12. WPC in London
1985
Entdeckung des »Ozonlochs« über der Antarktis
1970 1971
1972
1973
1974
1975 1976 1978 1979
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1986
Ölpreiskrise und Rezession auch in den USA Zaki Yamani wird als Ölminister fristlos entlassen SuperGAU im Atomkraftwerk von Tschernobyl
1987
13. WPC in Houston/Texas Börsenkrach und Ölflaute Ölmann George Bush als US-Präsident gewählt
1988
Globale Umwelt-Konferenz in Toronto Ende des IrakIran-Krieges
1989
Revolution. Sturz des Kommunismus in Europa »Exxon Valdez«: Schwere Ölpest vor Alaska
1990
Kuwait-Krise und UNO-Aktionen gegen Irak »Clean Air Act« in den USA
1991
14. WPC in Buenos Aires/ Argentinien
1992
Globale Umwelt-Konferenz in Rio de Janeiro Bill Clinton wird US-Präsident
1994
15. WPC in Stavanger/Norwegen
1995
Weltweites Verbot von FCKW-Produkten
1996
Erste Ausstiegsversuche aus der Atomkraft
1997
16. WPC in Peking/China Konferenz in Kyoto/Japan -614-
Globale
Umwelt-
1998
Bohr- und Förderkrise in Rußland Exxon und Mobil Oil fusionieren British Petroleum übernimmt Amoco
1999
Hoechst bildet mit Rhône-Poulenc »Aventis« Tiefster Ölpreis seit 1973: Ölschwemme
2000
Opec drosselt Förderung: Benzinpreise steigen Globale Umwelt-Konferenz in Den Haag Ölmann George W. Bush wird US-Präsident
2001
17. WPC in Aberdeen/Schottland Stockholmer Konvention gegen 12 Chemie-Gifte Berlin beschließt Atom-Ausstieg Kompromiß auf dem Bonner KlimaGipfel
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