Nr. 339
Stern der Vernichtung Landung auf dem Planeten der Brangeln von Marianne Sydow
Die Erde ist wieder einmal dav...
13 downloads
724 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 339
Stern der Vernichtung Landung auf dem Planeten der Brangeln von Marianne Sydow
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans und Razamons Eingreifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Zusammen mit dem Kontinent und seinen seltsamen Bewohnern befinden sie sich auf einer ungesteuerten Reise ins Ungewisse. An eine Kursbestimmung von Pthor ist noch nicht zu denken, und so werden Al gonkin-Yatta und seine exotische Gefährtin, die beiden Reisenden durch Zeit und Raum, die seit langem nach Atlan suchen und die den Arkoniden, als er noch auf der Erde weilte, nur knapp verfehlten, es schwer haben, sich weiter an seine Fersen zu heften. Der Arkonide ist jedoch kein Mann, der in Tatenlosigkeit verharrt. Während Odins Söhne nach dem Tod der Herren der FESTUNG ihre Herrschaftsansprüche auf Pthor geltend machen, beginnt Atlan, nach dem verborgenen Steuermechanismus des »Dimensionsfahrstuhls« zu suchen. Doch die »Kollision im Nichts« verhindert wirksame Maßnahmen. Pthor wird zur Rückkehr ins normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen und wird zum STERN DER VERNICHTUNG …
Stern der Vernichtung
3
Die Hautpersonen des Romans:
Juscu - Diener des Tyrannen Sperco.
Burtimor, Tarsyr und Otlusg - Jäger der Brangeln.
Sigurd, Balduur und Heimdall - Odins Söhne sind hilflos.
Atlan, Razamon, Thalia und Kolphyr - Der Arkonide und seine Gefährten machen sich zu neuen
Abenteuern auf.
1. »He, Alter, wach auf!« Der bedächtige Hirte Juscu schrak hoch. »Es ist ein Wunder, daß du überhaupt spercotisiert wurdest!« kreischte die Stimme weiter. »Man sollte meinen, daß du sogar einen Besuch von Sperco persönlich ver schlafen würdest!« »Niemand redet so von Sperco, dem großen Tyrannen«, murmelte Juscu mißmu tig. »Wo steckst du?« Direkt vor Juscus Nase wurde ein winzi ges Wesen mit wirbelnden Flügeln sichtbar. »Es hat schon wieder einen von deinen Schützlingen erwischt«, verkündete der Vrill. »Willst du nicht endlich etwas gegen diesen Amokläufer unternehmen?« Juscu sah den Vrill nachdenklich an. Das Wesen hatte ihn zu dieser Welt begleitet, oh ne das er es gemerkt hatte. Er fragte sich, warum der Vrill nicht ebenfalls spercotisiert worden war. Es geschah mit jedem, der Kontakt zum Tyrannen Sperco bekam. Aber ein Vrill hatte seltsame Fähigkeiten. Der bedächtige Hirte stellte sich hoch und watschelte schwerfällig den Hügel hinauf. Er verzichtete darauf, dem Vrill zu erklären, daß er nicht geschlafen, sondern lediglich gründlich nachgedacht hatte. »Ich möchte wissen, woran es liegt«, sag te Juscu, als er die Bank des Wächters er reichte. »Warum muß ausgerechnet mir so etwas passieren?« »Sei froh, daß du mich hast!« schrie der Vrill. »Ohne mich wärest du auf dieser Welt verloren. Du hättest schon so viele Fehler gemacht, daß Sperco dich den Energetischen von Prath ausgeliefert hätte.« »Wer sind die Energetischen von Prath?«
fragte Juscu automatisch. Er erhielt keine Antwort. »Man sagte mir, daß es nur sehr selten vorkommt, daß ein Krieger in eine Amok phase gerät«, murmelte er. »Warum muß ei ner aus meiner Herde dabei sein?« Der Vrill schien bereits wieder draußen herumzuschwirren, denn er gab immer noch keinen Kommentar ab. Juscu aktivierte die Bank und drückte seine kleinen Hände auf die Kontakte. In seinem Gehirn entstand ein Bild. Er sah die zweihundertfünfzigtausend Krieger, die dicht gedrängt auf der Fläche Jell-Cahrmere standen. Auf den ersten Blick war alles in Ordnung. Keiner der Krieger be wegte sich. Aber dann entdeckte er den einen, der auf dem Boden lag und seine Waffen scheinbar grundlos ausgefahren hat te. Es war das siebzehnte Opfer des Amok läufers. Besorgt und wütend zugleich änderte Jus cu die Justierung der Geräte. Er verfolgte die Bilder zurück, ohne eine Spur des Täters zu finden. Juscu wußte, daß sein Gegner sich in der Herde aufhielt. Der Amokläufer war selbst ein Krieger. Nur hatte er es vorübergehend vergessen. Eine Amokphase zwang ihn da zu, sich selbst zu aktivieren und andere Krieger auszuschalten. Juscu hatte keine Ah nung, weicher von seinen zweihundertfünf zigtausend Schützlingen dieser abartigen Neigung verfallen war. Er überprüfte alle Geräte. Nirgends wurde eine Störung angezeigt. Seufzend verließ Juscu die Kuppel. Unter ihm dehnte sich die riesige Fläche Jell-Cahrmere aus. Die Gestalten der einzel nen Krieger verschmolzen auf diese Entfer nung miteinander. Die Herde glich einem
4 glänzenden, silbergrauen See. Der bedächti ge Hirte wartete lange Zeit, aber nichts be wegte sich dort unten. »So schaffst du es nie!« schrillte der Vrill. »Warum gehst du nicht hinunter? Du mußt das Ding zur Strecke bringen!« Der Vrill hatte recht. Früher oder später mußte Juscu es wagen. Als Spercotisierter hatte er nicht nur die Pflicht, dem Tyrannen zu dienen, sondern er durfte auch keine Furcht empfinden. Das Dumme war nur, daß – vielleicht durch den Vrill – etwas von den alten Gefühlen in Juscu erhalten geblieben war. Der bedächtige Hirte hatte Angst. Auf seinem Hügel durfte er sich sicher fühlen. Aber wenn er sich nach unten auf die Fläche wagte, würde der Amokläufer nicht zögern, ihn anzugreifen. Juscu wußte sehr genau, daß er gegen einen solchen Gegner keine Chance hatte. Manchmal dachte er darüber nach, warum er überhaupt hier war. Er wußte nicht, wie viel Zeit seit seiner Spercotisierung verstri chen war, und er hatte keine Ahnung mehr davon, wie sein Leben vorher ausgesehen hatte. Nur der Vrill war noch da und bewies, daß Juscu mit dieser Welt nicht in Einklang stand. Er kannte seine Aufgabe. Er mußte über die Krieger wachen und sie aktivieren, wenn Sperco sie brauchte. Der Tyrann herrschte über ein mächtiges Sternenreich, und Juscu zweifelte keine Sekunde lang, daß Sperco eines Tages die ganze Galaxis Wolcion un ter seine Kontrolle bringen würde. Im Grunde genommen war Juscu sehr ein sam. Die Brangeln, wie sich die Eingebore nen dieser Welt nannten, hielten sich von ihm fern. Sie hatten auf seinen Befehl hin die sinnlosen Wanderungen von einer Flä che zur anderen eingestellt. Juscu hatte nur ein Wesen, mit dem er ab und zu reden konnte: Das war der Vrill. »Ich werde ihm eine Falle stellen«, sagte Juscu. »Er wird nicht hineingehen«, unkte der Vrill. »Halte den Schnabel!« befahl der bedäch-
Marianne Sydow tige Hirte und wandte sich einer anderen Kuppel zu. »Warum unternimmst du nicht einen Ausflug zu den Hügeln? Dann bist du mir wenigstens nicht im Wege!« »Ohne meine Hilfe kommst du doch nie zurecht!« »Im Gegenteil«, versicherte Juscu. »Du lenkst mich nur ab.« Das entsprach der Wahrheit, aber beide wußten, daß sie einander brauchten. Der Vrill schwirrte neben dem bedächtigen Hir ten her. Juscu empfand den leichten Luftzug als angenehm. Auf diesem Planeten namens Loors war es unangenehm warm – jedenfalls für Juscu. Die Tür zur Kuppel war für Wesen ge baut, die wesentlich größer waren als der be dächtige Hirte. Juscu ärgerte sich jedesmal darüber, daß er nur mit Mühe an die Kontak te herankam. Juscu war etwas über einen Meter groß. Er hatte sehr kurze Arme und Beine. Im Gegensatz zu den Händen waren die Füße sehr groß und nach außen gestellt. Als er noch bei seinem Volk lebte, war Jus cu stolz auf seine dunkelblaue Haut, seinen fast perfekt runden Kopf und die großen, dunklen Augen gewesen. Juscu gehörte ei nem Volk hochintelligenter Wasserbewoh ner an. Sein Körper war dazu geschaffen, blitzschnell durch die Fluten zu schießen, nicht aber, um auf dem Land zu gehen und sich nach Türkontakten auszurenken. Die Spercotisierung verhinderte es, daß Juscu sich dieser Tatsache bewußt wurde. »Wie willst du ihn stellen?« fragte der Vrill, als sie drinnen vor den Kontrollen standen. »Ich werde ein System von Fallen aktivie ren«, erklärte Juscu. Der Vrill schwieg. Juscu drückte mit einen zierlichen Hän den klobige Schalter herunter und drehte an Knöpfen, die er kaum mit den Fingern um spannen konnte. Diese Geräte waren für jemanden be stimmt, der größer und stärker als Juscu war. Aber in seiner Wohnkuppel war alles perfekt auf die Bedürfnisse des bedächtigen Hirten
Stern der Vernichtung abgestimmt. Auf einem Schirm konnte er verfolgen, wie sich die Sperren aufbauten. Sie waren unsichtbar, aber es mochte dem Amokläufer gelingen, sie zu orten. Dennoch war Juscu davon überzeugt, daß es diesmal klappen mußte. Sobald der Amokläufer versuchte, einer Falle auszuweichen, stand er schon in der nächsten drin. Obwohl der durchgedrehte Krieger ihm viel Arbeit und Ärger bereitete, haßte Juscu ihn nicht. Er war der Hirte, und wenn einer seiner Schützlinge sich danebenbenahm, dann mußte er ihn auf den richtigen Weg zu rückführen. Er würde es auch mit dem Amokläufer versuchen. »Wir können nur warten, Vrill«, sagte er. »Das denkst du!« piepste das kleine We sen respektlos. »Ich fliege jetzt los. Viel leicht sehe ich mehr als diese dummen Ap parate.« »Fliege nur«, murmelte der bedächtige Hirte gutmütig. »Und paß auf dich auf!«
* Juscu wartete vier Stunden lang. Die rote Sonne berührte den Horizont, und die Krie ger in der Fläche Jell-Cahrmere glichen ei ner Versammlung von Wesen mit blutroten Roben, die in stiller Anbetung den Sonnen untergang beobachteten. Auf den Schirmen stand noch immer das Netz. Nichts hatte sich verändert. Juscu stemmte sich schwerfällig hoch und watschelte nach draußen. Die Automatik würde ihn benachrichtigen, sobald das Wild in der Falle saß. Juscu war hungrig, und sei ne Haut fühlte sich unangenehm trocken an. Er streckte sich behaglich unter der Du sche im Eingang der Wohnkuppel. Drinnen war die Luftfeuchtigkeit künstlich heraufge setzt worden. Als das Essen auf dem Tisch stand, fand der Vrill sich wieder ein. »Hast du ihn gefunden?« fragte Juscu und füllte eine Schale für seinen kleinen Gefähr ten.
5 »Nein«, piepste der Vrill mißmutig. »Das Ding muß verhext sein.« »Es hat nur eine kleine Störung«, berich tigte Juscu. »Unsinn«, widersprach der Vrill. »Er ist total verrückt.« »So darfst du nicht reden, Vrill! Ein Krie ger des Tyrannen Sperco ist in jedem Fall vollkommen.« »Man merkt es«, versetzte der Vrill bis sig. Im nächsten Augenblick schwirrte er entsetzt davon und verschwand. Eine Sirene heulte los. Juscu vergaß seinen Hunger und eilte zur Kontrollkuppel. Schweratmend trat er vor den Schirm – und sah den hellen, pulsierenden Punkt im Netz. »Na also«, brummte der bedächtige Hirte zufrieden. »Jetzt habe ich dich!« Da es inzwischen dunkel geworden war, mußte er neue Schaltungen vornehmen, um seine Beute betrachten zu können. Gebannt sah er auf den Schirm. Nur allmählich schäl ten sich die Umrisse des Kriegers aus dem Dunkel. Dann erkannte er, was er in Wirklichkeit gefangen hatte, und er stieß ein entsetztes Grunzen aus. »Nummer achtzehn!« verkündete der Vrill spöttisch. Juscu fuhr herum. Zum erstenmal war er wirklich wütend auf dieses respektlose We sen. Der Vrill schien das zu spüren, denn er verschwand. Der bedächtige Hirte hörte ein schrilles Kichern, das sich schnell entfernte. In der Falle lag ein Krieger mit ausgefah renen, zum Teil verrenkten Waffenarmen. »Das reicht«, sagte Juscu zu sich selbst. Er schaltete den nutzlosen Schirm aus und ging nach draußen. Er war fest entschlossen, auf der Stelle von seinem Hügel zu steigen, um den mordenden Krieger zur Strecke zu bringen. Als er dann jedoch von seinem Hü gel auf die finstere Fläche hinabblickte, sank sein Mut. Im Dunkeln war er den Angriffen des Amokläufers hilflos ausgesetzt. Warum gelang es den Geräten nicht, den defekten Krieger aufzuspüren? Juscu ver
6 stand das nicht. Der Amokläufer mußte sich bewegen, um seine Opfer zu erreichen, und jede Bewegung wurde von der Automatik gespeichert. Nur den Amokläufer schienen die Geräte nicht wahrzunehmen. »Was ist?« fragte der Vrill dicht neben Juscus Kopf. »Worauf wartest du?« Der bedächtige Hirte gab keine Antwort. Schwerfällig watschelte er zu einem klei nen, würfelförmigen Gebäude. Drinnen la gen Waffen in engen Regalen. Juscu suchte einen kleinen Strahler samt Gurt heraus und schnallte ihn sich um. Dann griff er nach ei nem grauen Kästchen. Der Strahler war nur für den äußersten Notfall bestimmt. Der kleine Kasten dagegen war etwas Ähnliches wie ein Funkgerät. Mit seiner Hilfe konnte Juscu den Amokläufer lähmen und so für ei ne Untersuchung vorbereiten. Der bedächtige Hirte hoffte sehr, daß er den Strahler nicht brauchen würde. Als er nach draußen kam, stieß der Vrill einen spitzen Schrei aus. »Nicht schießen! Ich bin viel zu mager und außerdem zäh!« Juscu sah den Kleinen vorwurfsvoll an. »Schon gut«, piepste der Vrill. »Ich weiß, daß du auf die Jagd nach diesem Blechka sten gehen willst. Meinst du nicht, daß deine Krieger für ein solches Unternehmen viel besser ausgerüstet sind?« »Wie meinst du das?« »Aktiviere sie«, schrie der Vrill und dreh te sich wie ein Kreisel in der Luft. »Hetze sie auf den Amokläufer! Wenn der Kerl noch einmal zuschlägt, haben sie ihn sofort beim Wickel!« Der Gedanke war verlockend. Der Amok läufer hatte nur deshalb solchen Erfolg, weil die anderen Krieger sich nicht zur Wehr set zen konnten. »Ich darf es nicht«, murmelte Juscu zö gernd. »Die Spercoiden …« »Die werden anderes zu tun haben, als pausenlos die Fläche Jell-Cahrmere zu beob achten. Niemand wird etwas merken.« »Aber es ist verboten.« »Verboten!« rief der Vrill verächtlich.
Marianne Sydow »Es sollte verboten sein, Leute wie dich auf einen so lausigen Planeten zu schicken und sie dazu zu verurteilen, für den Rest ihres Lebens auf eine Horde von Blechkriegern aufzupassen. Wem nützt es, wenn du dich von diesem Burschen umbringen läßt.« »Er wird mich nicht zu fassen bekom men.« »Ich glaube eher an das Gegenteil.« »Du wirst unverschämt«, sagte Juscu streng. »Außerdem vergißt du, daß es hier nicht um mich geht. Wenn Sperco die Krie ger braucht …« »Er soll gefälligst selbst auf diese Dinger aufpassen!« »Sei still! Er wird sie brauchen, um Wol cion zu erobern, und ich muß dafür sorgen, daß sie jederzeit einsatzbereit sind.« »Ja, ich weiß. Wenn ich mir vorstelle, daß dieser Kerl eine ganze Galaxis spercotisiert, wird mir schlecht. Wie sieht Sperco eigent lich aus?« Juscu merkte, daß der Vrill ihn nur ablen ken wollte. Es war immer dasselbe mit die sem Wesen. Solange der bedächtige Hirte nichts unternahm, stichelte der Vrill. Wollte Juscu jedoch Ernst machen, bekam es der Irrwisch mit der Angst zu tun. »Willst du mich begleiten?« fragte Juscu und rückte den Gurt mit dem Strahler zu recht. »Das nicht«, zirpte der Vrill resignierend. »Aber ich werde in deiner Nähe bleiben.« Juscu stieg vorsichtig von dem Hügel her ab und näherte sich seiner Herde. Die Krieger standen regungslos im Sand. Ob sie ihn überhaupt wahrnahmen? Wußten sie, daß der bedächtige Hirte über sie wach te? Machten sie ihn dafür verantwortlich, daß sie die meiste Zeit hindurch in dieser Starre verharren mußten? Juscu verdrängte die nutzlosen Gedanken. Die Krieger waren – genau wie er selbst – Diener des Tyrannen Sperco und somit ih rem Herrn zu absolutem Gehorsam ver pflichtet. Sperco hatte sicher dafür gesorgt, daß die Krieger ihre Hirten respektierten. Diese Überlegung gab Juscu neuen Mut.
Stern der Vernichtung Er watschelte energisch durch den Sand und wandte sich den ersten beiden Kriegern zu, um sie zu überprüfen.
2. Niemand konnte behaupten, daß Pthor je mals ein freundliches Land gewesen war. Aber seit dem Zusammenstoß am Schnitt punkt der Dimensionen hatte es sich in eine Hölle verwandelt. In eine sehr nasse Hölle sogar! Die Bewohner der verschiedenen Städte und Landschaften hatten keine Ahnung, was da über sie hereingebrochen war. Es hatte ei ne fürchterliche Erschütterung gegeben, und plötzlich kam das Wasser. Es kam als Flut welle, die binnen weniger Sekunden ganz Pthor überschwemmte. Fast hätte man mei nen können, das Land wäre in einen Ozean gestürzt. Und nachdem das Wasser da war, begann es abzufließen – wobei es mögli cherweise noch mehr Schaden anrichtete als bei seinem unvermuteten Auftauchen. Am schlimmsten traf es die Technos von Zbahn und Zbohr, die Stämme im Blutd schungel und die Bewohner der Uferstreifen des Flusses Xamyhr. In diesen Gegenden senkte sich das Land nämlich zum Rand von Pthor hin ab, und das Wasser folgte diesen bequemen Wegen. Im Delta des Xamyhr wurden dreißig Piraten samt Schiff von den Fluten erfaßt und über den Rand davongespült. In Zbahn und Zbohr gingen insgesamt an die einhundert Technos über Bord. Hinzu kam ein Unge tüm aus der Ebene Kalmlech, das in den letzten Tagen ratlos umhergeirrt war. Die Opfer im Blutdschungel zählte niemand. Die Senke der verlorenen Seelen stand restlos unter Wasser. Die meisten der dort arbeiten den Technos hielten sich zum Glück in ihren gläsernen Palästen auf und kamen so mit dem Leben davon. Andere wurden davonge schwemmt, bis sie irgendwo hängenblieben – einen zogen die Sothkorer aus dem Däm mersee. Bevor der arme Kerl sich über seine wunderbare Rettung freuen konnte, hatten
7 die Zwerge ihn bereits in den Kochtopf ge steckt. In der Wüste Fylln, wo Wasser sonst kost barer als der schönste Quork war, verwan delten sich zundertrockene Dünentäler in reißende Ströme. Zwischen den Pyramiden der FESTUNG gurgelten Wildbäche – die kleineren Bauwerke standen fast völlig unter Wasser. Die einzigen Pthorer, die von der Kata strophe nicht betroffen waren, lebten in der Großen Barriere von Oth: Sie saßen unter ihrem magischen Knoten wohlgeschützt auf dem Trockenen. Für die drei Männer, die sich in der FE STUNG darum bemühten, die Herrschaft über Pthor zu erringen, war die Überflutung eine äußerst unangenehme Überraschung. Erstens baute sich der Wölbmantel nicht auf, und ohne ihn war Pthor allen Umweltein flüssen schutzlos preisgegeben – also zum Beispiel auch dem Vakuum, falls Pthor ent gegen allen sonstigen Gelegenheiten im frei en Raum den Dimensionskorridor verließ. Zweitens raste dieses merkwürdige Land un gesteuert durch die Gegend, so daß man mit allem rechnen mußte. Wenn Pthor unge bremst auf einen Planeten hinunterkrachte, brauchten Odins Söhne sich über ihre weite re Politik keine Gedanken mehr zu machen, denn eine solche Katastrophe würde nie mand überleben. Nie zuvor hatte es bei einer solchen Reise derartige Schwierigkeiten gegeben. Man mußte damit rechnen, daß die Pthorer einen Sündenbock für das ganze Unglück suchten. Was lag näher, als die Ereignisse denen an zulasten, die nunmehr in der FESTUNG sa ßen, nachdem sie die alten Herrscher ausge schaltet hatten? Die drei Söhne Odins hofften auf den Nimbus der FESTUNG, denn die Pthorer waren daran gewöhnt, sich nach den Befeh len derer zu richten, die in diesem Gelände lebten. Abgesehen davon ließen sie ihren Leuten wenig Zeit, sich die Köpfe über diese Fragen zu zerbrechen. Überall waren Tech nos, Dellos und Robotdiener aus Wolterha
8 ven unterwegs, auf der Suche nach einer Steueranlage, mit deren Hilfe sich die dro hende Katastrophe doch noch abwenden ließ. Das Wasser war im Bereich der FE STUNG schneller abgelaufen, als man nach der Geländeform hätte annehmen sollen. Der Grund dafür waren die vielen Zugänge zu den Anlagen in der Tiefe. Und genau da lag das Problem. »Wenn wir hinabtauchen könnten«, mein te Balduur, »hätten wir sicher noch eine Chance.« »Wir sind keine Fische«, brummte sein Bruder Heimdall mürrisch. »Aber es gibt ein Volk, das für das Leben im Wasser geeignet ist«, sagte Sigurd. »Wir brauchen ein paar Guurpeln!« »Die Kerle sind nicht einmal dazu fähig, eine Schraube von einer Mutter zu unter scheiden«, kritisierte Heimdall. »Wie soll da einer von ihnen den Steuermechanismus fin den?« »Das ist unwichtig«, verkündete Sigurd selbstbewußt. »Die Technos haben wasser dichte Stoffe, aus denen sich Lebensblasen herstellen lassen. Sie wären darin allerdings zu unbeweglich, um etwas ausrichten zu können. Aber wenn ein Guurpel eine solche Blase zieht, sieht alles ganz anders aus. Ich werde sofort veranlassen, daß ein Zugor nach Panyxan fliegt und ein paar von den Fi schern herbringt.« »Zeitverschwendung«, murmelte Heim dall, als Sigurd den Raum verlassen hatte. »Immerhin ist es eine Möglichkeit, zu den tieferen Anlagen vorzudringen«, meinte Bal duur. »Wir haben hier oben alles durchsucht. Wenn es eine Steuerzentrale gibt, dann nur im überfluteten Teil der FESTUNG.« »Das mag sein. Aber glaubst du im Ernst, daß uns noch so viel Zeit bleibt. Sieh dir das mal genauer an.« Balduur starrte beklommen auf den Bild schirm. Das Wache Auge hatte einen Teil seiner Funktionen wieder aufgenommen. Es spielte das herein, was es aus dem Raum jenseits der Grenzen des Dimensionskorri-
Marianne Sydow dors empfing. Das Ziel der verhängnisvollen Reise war bereits deutlich zu erkennen – ein hellroter Stern zeichnete sich verschwom men am Ende des Korridors ab. Seit dem Zusammenprall mit den gewalti gen Wassermengen wurde Pthor unaufhalt sam in das normale Raum-Zeit-Gefüge zu rückgedrängt. Balduur fröstelte es bei dem Gedanken, daß Pthor ausgerechnet dort den schützenden Korridor verlassen könnte, wo diese rote Sonne sich befand. »Inzwischen kann man es draußen mit dem bloßen Auge sehen«, murmelte Heim dall. »Es kann nicht mehr lange dauern. Si gurds Plan kam viel zu spät. Wenn uns jetzt noch jemand helfen kann, dann sind es die Magier von Oth.« »Man müßte sie benachrichtigen«, schlug Balduur vor. Heimdall lachte grimmig. »Du scheinst immer noch in deiner Traumwelt zu leben. Hast du vergessen, was geschehen ist? Du hast daneben gestanden, als Sigurd die Geräte ausprobierte. Die Ma gier melden sich nicht. Ein paar Dellos ha ben versucht, mit einem Zugor in die Barrie re einzudringen. Es ist ihnen nicht gelun gen.« »Sie müssen doch sehen, was mit Pthor geschieht«, protestierte Balduur. »Wenn es zu einer Katastrophe kommt, werden sie ge nauso darunter zu leiden haben wie alle an deren Bewohner Pthors.« »Wer weiß!« murmelte Heimdall nach denklich. »Es sind merkwürdige Leute. Sie könnten etwas herausgefunden haben …« Er unterbrach sich, als ein Techno den Raum betrat. »Wir sind auf einen wasserfreien Gang gestoßen«, berichtete er. »Der Schacht führt nach unten.« Heimdall sprang auf. Balduur wollte ihm folgen, aber der Bruder winkte ab. »Einer muß hier bleiben und die Schirme beobachten«, sagte er. Balduur nahm schweigend seinen alten Platz ein. Er wußte, daß es völlig bedeutungslos
Stern der Vernichtung war, ob er hier saß oder nicht. Er konnte von dieser Stelle aus nichts für die Sicherheit Pthors tun. Wenn das Ende kam, dann gab es nichts, womit einer von ihnen sich vor dem Tod hätte schützen können. Dennoch blieb er. Nach einigen Minuten kehrte Sigurd zu rück. »Ein Zugor ist unterwegs«, verkündete er. »In wenigen Stunden können wir die ersten Guurpeln einsetzen. Die Technos stellen be reits eine genügende Anzahl von Lebensbla sen her.« Balduur schwieg. Er war zu der festen Überzeugung gelangt, daß ihr Schicksal ein zig und allein vom Zufall abhängig war – oder vom Eingreifen höherer Mächte. Er fragte sich, warum Odin nicht eingriff und seinen Söhnen wenigstens einen Hinweis gab. Sigurd merkte erst jetzt, daß einer seiner Brüder fehlte. »Wohin ist Heimdall gegangen?« fragte er. Balduur erklärte es ihm. Leider wußte er nicht, wo dieser wasserlose Gang gefunden worden war. Sigurd ließ sich dadurch nicht aufhalten. Er rannte nach draußen. Balduur sah ihm gelassen nach und blickte dann wie der auf den Schirm. Die hellrote Sonne war größer geworden. Am unteren Rand des Bildschirms war ein dunkler Fleck aufge taucht.
* Draußen wimmelte es von Lebewesen, die nach der Schaltung für den Wölbmantel suchten. Sigurd hielt einen vorbeihastenden Dello fest. »Dort drüben, Herr!« antwortete das We sen aus Aghmonth, als Sigurd nach dem Verbleib seines Bruders fragte. Dabei deute te er auf eine der kleineren Pyramiden. Der Weg dorthin war beschwerlich. An vielen Stellen hielten sich immer noch knie tiefe Pfützen. Sigurd ging ihnen aus dem Wege, denn er hatte die Erfahrung gemacht,
9 daß die Lederteile seiner Rüstung sich rasch vollsogen und dann zu äußerst hinderlichen Gewichten wurden, die jede Bewegung zur Qual machten. Nicht nur die Pfützen bilde ten Hindernisse, sondern auch das, was von den zahlreichen Fallen der früheren Herren übriggeblieben war. Er dachte für einen flüchtigen Augenblick daran, was wohl geschehen mochte, wenn durch irgendeinen Zufall die ganze Anlage wieder zum Leben erwachte. Der Gedanke lenkte ihn ab, und er stolperte prompt über einen Stein und fiel der Länge nach in den Schlamm. Fluchend rappelte er sich wieder auf und sah sich hastig nach allen Seiten um. Es schien, als hätte niemand den Vorfall be merkt. Sigurd atmete erleichtert auf. Er wischte den Schlamm von seiner Rüstung und setzte seinen Weg fort. Von außen war der Pyramide nichts Un gewöhnliches anzusehen. Sigurd suchte nach einem freien Eingang und gelangte in eine große, düstere Halle. Er entdeckte einen schwachen Lichtschein und ging darauf zu. Wenig später stand er vor dem wasserfreien Schacht. Der Gang führte fast senkrecht nach un ten. In einer Wand waren metallene Spros sen eingelassen. Ohne noch länger zu zö gern, kletterte Sigurd nach unten. Sigurd brauchte fast eine halbe Stunde, bis er endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Er vollführte fast automatisch ein paar Bewegungen, die die Muskeln an Schultern und Oberarmen lockerten. Dabei sah er sich um. Er hatte die Wahl zwischen zwei Gängen, die waagerecht von seinem Standort wegführten. Beide waren durch Kugeln erleuchtet, in keinem war eine Be wegung auszumachen. Er hatte keine Lust, Stunden damit zu ver schwenden, seinen Bruder im falschen Gang zu suchen. Nachdenklich musterte er den Boden. Aber der war hart und glatt, und es gab keine Spuren auf ihm. Er rief einige Ma le nach Heimdall und lauschte lange Zeit, ohne eine Antwort zu erhalten. Als er sich
10 schon fast damit abgefunden hatte, daß er sich auf sein Glück verlassen mußte, hörte er ein seltsames Zischen. Es kam aus dem rechten Gang, und Sigurd rannte sofort los. Das Labyrinth der Gänge unter der FE STUNG bot immer wieder neue Überra schungen. Die nahezu schattenlose Beleuch tung hatte den Bogen verborgen, den der Gang beschrieb. Sigurd stand plötzlich vor einer Szene, die seinen Atem stocken ließ. Wenige Meter vor ihm standen vier Tech nos um eine Nische herum, aus der bläuli ches Licht drang. Heimdall war eben im Be griff, in das blaue Leuchten hineinzugehen. »Warte!« schrie Sigurd und stürmte vor wärts. Er kam zu spät. Heimdall konnte die Be wegung nicht mehr stoppen, mit der er den rechten Fuß auf den Boden der Nische setz te. Sigurd hatte ein Gefühl, als sollte das Blut in seinen Adern gerinnen. Selbst die Tech nos wichen entsetzt zurück. Heimdall stand regungslos auf einem Bein. Blitze umzuckten ihn. Seine Rüstung leuchtete aus sich selbst in einem geisterhaf ten grünen Licht. Das Schwert verwandelte sich in ein pulsierendes Etwas. Unwillkür lich mußte Sigurd daran denken, daß er und seine Brüder Heimdall dieses Schwert nach der Überflutung der FESTUNG beinahe ge waltsam aufgedrängt hatten. Vielleicht hatte Heimdall doch recht, wenn er behauptete, je de Waffe, die er neben seiner Streitaxt trug, brächte ihm Unglück. Sigurd sah die Technos wie versteinert dastehen. Keiner von ihnen rührte auch nur einen Finger, um Heimdall zu helfen. Mit ei nem wütenden Schrei stürmte Sigurd vor, musterte Heimdall kurz und stellte zu seiner Überraschung fest, daß die Streitaxt noch ganz normal aussah. Er griff danach und zog mit aller Kraft. Heimdall schien am Boden festgeklebt, denn Sigurd schaffte es nicht, den Bruder aus dem Bann des grünen Lich tes zu befreien. »Steht nicht herum, ihr Narren!« schrie er die Technos an. »Faßt mit an!«
Marianne Sydow Sie schraken zusammen, drehten sich wie auf ein Kommando um und rannten davon. Sigurd schickte ihnen eine Serie von Schimpfwörtern nach. Plötzlich bemerkte er, daß das Leuchten etwas nachließ. Blitzschnell griff er aber mals nach der Streitaxt. Er zog so heftig dar an, daß Heimdall das Gleichgewicht verlor und unter lautem Getöse auf den Boden fiel. Benommen richtete er sich auf und starrte die Nische an, die nun wieder hell erleuchtet war. »Diese verdammten Technos«, schimpfte Sigurd. »Wie konntest du dich von ihnen in die Falle locken lassen?« »Das war keine Falle«, sagte Heimdall rauh. »Da drinnen gibt es Schaltelemente. Ich wollte sie ausprobieren.« »Daran zweifle ich nicht. Die Technos konnten sich ausrechnen, wie du reagieren würdest. Ich möchte wetten, daß das Ganze eine der alten Fallen ist, die die Herren hier eingerichtet haben. Alles hätte wunderbar geklappt, wenn ich nicht dazwischen ge kommen wäre.« »Die Technos sind nicht weggelaufen«, protestierte Heimdall. »Zuerst nicht«, nickte Sigurd spöttisch. »Das kam erst, als ich mich einmischte.« »Ich bin überzeugt davon, daß die Tech nos es ehrlich meinten. In dieser Situation ist es unsinnig, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.« »Meinetwegen behalte deine Illusionen«, knurrte Sigurd grimmig. »Ich für mein Teil werde keinem Techno mehr über den Weg trauen.« »Wo ist Balduur?« »Im Kontrollraum«, sagte Sigurd, und fast gleichzeitig schlug er sich die Hand vor die Stirn. Die beiden Brüder sahen sich an, dann rannten sie los. Als sie keuchend in den Kontrollraum stürmten, sah Balduur ihnen mit einem me lancholischen Lächeln entgegen. Er deutete auf den Bildschirm. Der dunkle Fleck war größer geworden. Deutlich konnte man erkennen, daß es sich
Stern der Vernichtung um den oberen Rand eines riesigen, kugel förmigen Körpers handelte. Heimdall ließ sich erschöpft in einen Ses sel fallen. »Vielleicht erreicht dieser Atlan etwas«, murmelte Sigurd nach einiger Zeit. »Nach allem, was wir wissen«, antwortete Heimdall düster, »hielt er sich zum Zeit punkt der Katastrophe in den tieferen Berei chen der Anlage auf. Er ist mit großer Si cherheit ertrunken – genau wie unsere Schwester, der Berserker und dieser andere Fremde.« »Wir müssen es schaffen!« stieß Sigurd trotzig hervor. »Wir haben die Herren der FESTUNG besiegt und Ragnarök überlebt – warum sollen sich die anderen Prophezeiun gen nicht erfüllen? Wir brauchen nur noch zu lernen, wie man dieses verdammte Land steuert. Das kann doch nicht so schwierig sein!« Die anderen schwiegen. Sie wußten, daß Sigurd sich nicht ganz an die Wahrheit hielt. Odins Söhne verdankten es nicht zuletzt den Fremden, wenn Ragnarök so gut für sie aus gegangen war. Und was die Steuerung be traf, so stellte sie ein nahezu unlösbares Pro blem dar. Balduur erhob sich nach einer Weile und ging mit schleppenden Schritten nach drau ßen. Die anderen folgten ihm. Die hellrote Sonne schimmerte wie ein bösartiges Riesenauge durch die düsteren Schlieren. Der andere, dunkle Himmelskör per war größer geworden. »Das sieht so aus, als sollten wir doch nicht in der Sonne landen«, meinte Sigurd erleichtert. »Bestimmt ist das dort ein Pla net!« »Schon möglich«, murmelte Balduur. »Leider nutzt uns das wenig. Erstens bewegt Pthor sich immer noch viel zu schnell. Zwei tens – hast du je zuvor eine Zielwelt so gese hen?« Sigurd schwieg. Er beobachtete, wie der Rand des dunklen Körpers sich allmählich am Himmel immer höher schob. Er versuch te, sich die Folgen eines Zusammenstoßes
11 vorzustellen, aber er verdrängte diesen Ge danken wieder. Er versuchte sich einzure den, daß ein Wunder geschehen mußte, daß Odins Söhne nicht auf so schmachvolle Art und Weise sterben durften. Abgesehen da von wußte er, daß eine weiche Landung al lein noch keine Garantie für das Überleben war. Es gab Welten, deren Luft man nicht atmen konnte, und solche, die gar keine Lufthülle besaßen. Und der Wölbmantel stand immer noch nicht. Bedrückt drehte er sich um und ging in die Pyramide zurück. Hinter sich hörte er Heimdalls schwere Schritte. Nur Balduur blieb draußen. Er starrte sich den nähernden Himmelskörper an, und um seine Mundwin kel zuckte es. Rüttelnd und schlingernd raste Pthor auf seiner unbestimmbaren Bahn weiter. Blitze zuckten über den Himmel, und ab und zu ging ein Knirschen durch den Boden, bei dem Balduur das Gefühl hatte, ganz Pthor müsse in tausend Stücke zerspringen. Lange Zeit stand Balduur unbeweglich an dieser Stelle. Erst als Sigurd und Heimdall nach ihm riefen, schrak er aus seinen düste ren Gedanken hoch. »Habt ihr etwas erreicht?« fragte er. »Nein«, erwiderte Sigurd knapp. »Die Schaltzentralen liegen entweder zu tief, oder sie sind so gut getarnt, daß selbst die Robot diener sie nicht finden können. Immerhin wissen wir jetzt genau, was uns bevorsteht. Pthor wird auf diesem dunklen Planeten lan den – falls man einen Absturz als Landung bezeichnen will. Was das Wache Auge über mittelt, läßt keinen anderen Schluß zu. Nur ein Wunder kann uns noch retten.« Die drei Pthorer sahen sich an. Ein Wun der … Jeder von ihnen hoffte insgeheim, Odin möge eingreifen, ihr Vater, der längst tot war, mit dem sie aber immer noch Verbin dung aufnehmen konnten. »Versuchen wir es?« fragte Sigurd. Sie gingen in die Pyramide und suchten sich einen Raum, in dem sie ungestört blei ben würden. Sie faßten sich an den Händen
12
Marianne Sydow
und konzentrierten sich. Aber Odin hörte die Bitten seiner Söhne diesmal nicht. Er schwieg.
3. Nichts war mehr so, wie Atlan und seine Freunde es kannten. Das Labyrinth unter der Oberfläche von Pthor hatte sich durch den Einbruch der Wassermassen völlig verändert. Wo es Gän ge und Hallen gegeben hatte, türmten sich ineinander verkeilte Maschinenblöcke zu unüberwindlichen Hindernissen auf. Und wo früher massiver Fels den Weg nach draußen versperrt hatte, gab es Spalten und Risse, durch die teilweise immer noch das Wasser gurgelnd hervorschoß. Immerhin hatte diese Entwicklung auch ihre guten Seiten. Von den Bewohnern die ser Unterwelt hatten sie nichts mehr zu be fürchten. Die, die nicht ertrunken waren, hatten sicher anderes zu tun, als den Ein dringlingen nachzustellen. Vor allem aber gab es Wege, die nach oben führten. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis sie einen nach oben führenden Gang fanden, der nicht überflutet war. Der Aufstieg war müh sam und gefährlich. Immer wieder gelangten sie an Stellen, an denen jeder Schritt ein Ri siko bedeutete. Seitengänge taten sich auf, aus denen in unregelmäßigen Abständen das Wasser hervorschoß. Oft genug zeigte es sich, daß ein vielversprechender Spalt sich weiter oben so sehr verengte, daß bestenfalls eine Maus hindurchgepaßt hätte. Dann muß ten sie umkehren und die mühsame Suche von neuem aufnehmen. »Warum legst du diese alberne Rüstung nicht ab?« fragte Razamon, als sie wieder einmal Rast machten. Thalia warf ihm einen wütenden Blick zu. »Er hat recht«, mischte Atlan sich ein. »Das Ding behindert dich doch nur.« Seitdem Thalia ihre Körpermaske verlo ren hatte, schlotterte die große Rüstung lose um ihren Körper herum.
»Das versteht ihr nicht«, wehrte Thalia ab. »Ich behalte diese Rüstung.« Kolphyr streckte vorsichtig eine Hand aus und strich über eine Lederpartie der Rü stung. »Schön weich«, kommentierte er und traf Anstalten, Thalia zu sich herüber zu ziehen. »Laß das sein, du Ungeheuer!« schimpfte Odins Tochter. »Wenn wir oben sind, kannst du schmusen, mit wem du willst, aber laß mich in Ruhe! Du wirst mir noch sämtliche Knochen im Leibe brechen.« »Kolphyr nix brechen Knochen«, schnurr te das Antimateriewesen schmeichelnd. »Kolphyr sein nur sehr traurig. Niemand mag armen Kolphyr!« »Hör auf mit dem Unsinn!« befahl Atlan. »Mit deiner Kleinkindersprache legst du nie manden mehr herein!« »Schade«, kommentierte Kolphyr. Er konnte inzwischen fast perfekt Pthora sprechen, aber manchmal fiel er in das grau envolle Kauderwelsch früherer Tage zurück. Atlan und Razamon waren davon überzeugt, daß Kolphyr dies aus purer Berechnung tat. Wer ihn so reden hörte, konnte ihn trotz sei ner Körpergröße wirklich für ein hilfloses, liebebedürftiges Wesen halten. Aber wehe dem, der der Versuchung erlag, Kolphyr trö sten zu wollen! »Wir müssen weiter«, bemerkte Raza mon. »Hörst du noch etwas von La'Mghor, Atlan?« »Manchmal kommt ein Impuls durch. Er gibt sich redliche Mühe, Pthor abzubrem sen.« »Hoffentlich schafft er es«, murmelte Thalia bedrückt. »Wenn nicht«, erwiderte Atlan trocken, »werden wir nicht viel von den Folgen mer ken.« »Was für ein Trost!« sagte Razamon sar kastisch. Dann blieb ihnen keine Zeit mehr für Un terhaltungen, denn die Schwierigkeiten des Aufstiegs nahmen sie voll in Anspruch. Ab und zu empfing Atlan eine Nachricht von dem seltsamen Pflanzenwesen, das in der
Stern der Vernichtung »Seele« von Pthor saß und versuchte, dieses monströse Gebilde unter seine Kontrolle zu bringen. Hungrig, durstig und total erschöpft er reichten sie schließlich das Ende des Schachtes, und sie sahen, warum sie auf die sem Weg überhaupt hatten vorwärtskommen können. Die Schachtmündung lag auf der Kuppe eines Hügels. Ein paar hohe Felsen verbargen das Loch im Boden vor jedem Wanderer, der nicht gerade eine intensive Untersuchung anstellte. Der Hügel ragte jetzt wie eine Insel aus dem überschwemm ten Land heraus. Das Dröhnen, das Pthor seit dem Zusam menprall begleitet hatte, war nicht mehr so stark wie vorher, und auch der Boden unter ihren Füßen wirkte einigermaßen stabil. Im diffusen Licht sah die Landschaft trostlos, aber auch halbwegs friedlich aus. Nur die mächtige dunkle Halbkugel, die sich über dem Horizont wölbte, zeigte ihnen deutlich, wie akut die Gefahr inzwischen geworden war. La'Mghor! dachte Atlan verzweifelt. Es kann nicht mehr lange dauern! Unternimm irgend etwas, bitte! Wir nähern uns einem Planeten, wisperte die Gedankenstimme in seinem Gehirn. Es scheint, als könnten wir es schaffen. Es wird knapp. Es geht nicht nur um unsere Geschwin digkeit, La'Mghor. Das Wichtigste ist jetzt der Wölbmantel. Erstens wird er uns auch dann schützen, wenn wir im freien Raum aus dem Dimensionskorridor fallen. Zweitens – kannst du dir vorstellen, was mit der Ober fläche von Pthor geschieht, wenn wir durch die Lufthülle dieses Planeten rasen? Es wird uns alle davonblasen! Ich werde mich bemühen, versprach La'Mghor. Das weiß ich, antwortete Atlan lautlos. »Seht mal«, sagte Razamon neben ihm leise und deutete nach Süden. Undeutlich war etwas im Dunst zu erken nen, das weit über die wasserbedeckte Ebe ne emporragte.
13 »Das muß der Taamberg sein«, murmelte Thalia und drehte sich langsam im Kreis. »Wir hatten Glück. Hier senkt sich das Land nach fast allen Richtungen. Darum waren wenigstens noch ein paar Gänge trocken.« »Schön und gut«, meinte Kolphyr. »Aber was nun? Sollen wir zur FESTUNG schwimmen? Ihr werdet es auf diesem Hü gel nicht lange aushalten. Ich sehe nichts, was euch als Nahrung dienen könnte.« »Ich sehe nach, wie tief das Wasser ist«, bot Atlan an. Er schritt den Hügel hinab und watete in den scheinbar unendlich großen See hinein. »Es ist nicht tief!« rief er den anderen zu. »Reicht nur bis an die Hüften. Aber unter wegs gibt es Täler und diese runden Seen.« »Wir könnten uns vielleicht bis zum Wa chen Auge durchschlagen«, meinte Thalia zögernd. »Dort bekommen wir sicher einen Zugor. Wenn wir laufen oder schwimmen, brauchen wir mindestens drei Tage, bis wir die äußeren Bezirke der FESTUNG errei chen.« »Ich fühle einen schwachen Sog«, erklärte Atlan und kehrte aufs Trockene zurück. »Das Wasser fließt ab. Ich fürchte, wir müs sen abwarten, bis wir wenigstens einigerma ßen genau die Geländestruktur erkennen können.« »Wohin mag das Wasser verschwinden?« fragte Razamon nachdenklich. »Es gibt zwar Hohlräume unter uns, aber …« »Es fließt über den Rand«, wurde er von Thalia unterbrochen. Atlan sah sie verständnislos an. »Und da nach?« fragte er. »Das weiß ich nicht«, gab Thalia zu. »Bei früheren Reisen ist ab und zu Ähnliches pas siert. Natürlich gab es keine Überflutungen, aber ich erinnere mich daran, daß in der Nä he von Zbahn ein Angehöriger der Horden der Nacht sein Unwesen trieb, während Pthor zwischen den Dimensionen trieb. Wie ihr wißt, habe ich die Aufgabe, diese Unge heuer von der Straße der Mächtigen fernzu halten – beziehungsweise hatte ich sie. Das Tier floh vor mir. Es mußte den Verstand
14 verloren haben, denn es raste genau auf den Rand zu. Es stürzte ab und verschwand. Später hörte ich, daß so etwas gar nicht sel ten geschah.« »Dann dürfte es diesmal eine ganze Reihe von Pthorern erwischt haben«, murmelte At lan. Zum erstenmal machte er sich Gedanken darüber, wie es wohl auf der Unterseite von Pthor aussehen mochte. Ob sich dort alles ansammelte, was von oben herunterfiel? Oder war der Wölbmantel – wenn er be stand, wie es normalerweise der Fall war – dort durchlässig? Lag vielleicht sogar dort unten die Lösung dieses riesigen Rätsels? Er erinnerte sich an die Anlagen unterhalb der FESTUNG, von denen niemand sagen konn te, wie tief sie wirklich hinabreichten, und an die Aggregate, die er in der »Seele« gese hen hatte. Sie waren absolut anders als alles, was die Herren der FESTUNG jemals er schaffen hatten. Wie dick war überhaupt dieser Klumpen Materie, der wie ein Fahr stuhl zwischen den Dimensionen verkehrte? Er schüttelte die Gedanken ab. Ihm war längst klar geworden, daß Pthor ein Rätsel war, das man im Ganzen lösen mußte. Ein zelerkenntnisse brachten ihn hier nicht wei ter. »Allmählich werde ich hungrig«, sagte Razamon mißmutig. »Du bist nicht der einzige, dem es so geht«, murmelte Atlan. »Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis wir weitere Bodener hebungen erkennen. Es ist sinnlos, wenn wir uns vorher auf den Weg machen.« Der ehemalige Berserker setzte sich är gerlich auf einen flachen Stein und starrte nach unten, wo das Wasser kaum merklich zurückwich. Einige Stunden später sahen sie einen dunklen Punkt in der Ferne auftauchen, der sich ihnen langsam näherte. Der Punkt ent puppte sich als hirschähnliches Tier, das verzweifelt gegen die Strömung ankämpfte. Ehe einer der anderen reagieren konnte, warf sich Razamon bereits ins Wasser. Er schwamm dem Tier entgegen. Es ging so
Marianne Sydow schnell, daß das arme Wesen wahrscheinlich gar nicht merkte, was mit ihm geschah. Trie fend schleppte Razamon seine Beute den Hügel hinauf. An ein Feuer war gar nicht zu denken. Selbst das struppige Gras am Fuß der Felsen war klatschnaß. Razamon schnitt dünne Streifen aus dem Fleisch, und sie aßen es roh. Es war zäh und schmeckte nicht gerade köstlich, aber es würde ihnen die Kraft ver leihen, noch eine Weile auf dem Hügel aus zuharren.
4. Die drei jungen Männer auf dem Hügel gehörten zum Volk der Brangeln und waren Jäger. Das brachte – zu dieser Zeit – einige Probleme mit sich. Die Brangeln waren etwa eineinhalb Me ter große Wesen mit wurstförmigen Kör pern, die oben dünner wurden. Einen Kopf im üblichen Sinn besaßen sie nicht. Oben auf der Körperspitze saßen schwarze Wül ste, mit denen die Brangeln sehen und hören konnten. Ein Geruchssinn hatte sich bei ih nen nicht ausgebildet. Ihre Sprache bestand aus schmatzenden Geräuschen, die sie mit den Händen erzeugten. Diese Hände waren als dreifingrige Saugrüssel ausgebildet. Mit ihren kurzen Armen und Beinen und ihren grauen Wurstkörpern waren die Brangeln si cher keine besonders attraktiven Wesen, aber die Natur hatte sie für ihre Art zu leben recht gut ausgestattet. Leider sahen die Brangeln sich seit eini ger Zeit außerstande, dieses Leben zu genie ßen. Sie waren Nomaden, die in großen und kleinen Karawanen von einer Fläche ihres Kontinents zur anderen zogen. Ihren Planeten nannten sie Loors. Es gab nur einen Kontinent – Loorsat – der vom Meer Loorsateel umgeben war. Auf Loorsat gab es zahlreiche kleine und sieben große Flächen. Jell-Cahrmere gehörte zu den größ ten Ebenen überhaupt. Und gerade sie war von diesen seltsamen Dingern besetzt, die
Stern der Vernichtung eines Tages von fliegenden Zelten unter Donnergetöse nach Loors gekommen waren. Für die Karawane Jarsys kam dieses Er eignis einer Katastrophe gleich. Um die starren Wesen hätte man sich ver mutlich gar nicht gekümmert, und fliegende Zelte mochten merkwürdig sein, aber da sie Loors schnell wieder verließen, waren die Brangeln bereit, sie schleunigst wieder zu vergessen. Leider waren auch Wesen auf Loors ge landet, die überhaupt nicht starr waren, son dern äußerst beweglich überall herumzogen und den Brangeln unmißverständlich zu ver stehen gaben, daß die Karawanen in Zukunft ihre Wanderungen unterlassen sollten. Sie scherten sich überhaupt nicht darum, daß ein solches Wanderverbot zum Untergang der Brangeln führen mußte. Einige mutige Jäger und Karawanenführer, die versuchten, den Fremden die Lage zu erklären, wurden von entsetzlichen Waffen niedergestreckt, ehe sie ihr Anliegen vorbringen konnten. Die Karawane Jarsys hatte es besonders schwer getroffen. Sie stand direkt am Rand der Fläche Jell-Cahrmere und konnte weder vor noch zurück. Die Spyten wurden unru hig, und die Stimmung im Lager war auf den Nullpunkt gesunken. Besonders schwer jedoch hatten es die Jäger. Die Flächen sahen auf den ersten Blick öde und leblos aus. Aber wer sich mit den Verhältnissen auskannte, fand hier viele eß bare Pflanzen und eine erstaunliche Vielfalt von jagdbarem Wild. Die Hügel dagegen wurden von ungenießbarem Gestrüpp über wuchert, und giftige Kleintiere hausten unter den Steinen. Sogar die seltenen Quellen la gen zum überwiegenden Teil in den Ebenen. Die Jäger hatten die Aufgabe, die Kara wane mit Nahrung und Wasser zu versor gen. Aber seitdem die starren Dinger JellCahrmere mit Beschlag belegt hatten, ließ sich diese Aufgabe kaum noch lösen. Das war der Grund, warum Burtimor, Tarsyr und Otlusg am Rand der Fläche hin ter einigen Felsen auf der Lauer lagen. Sie hatten es satt, Tag für Tag loszuziehen
15 und abends von den Weibern verspottet zu werden, weil sie wieder einmal ohne Beute heimkehrten. Sie waren fest entschlossen, das Rätsel der Fremden zu lösen und dafür zu sorgen, daß die Wanderung endlich fort gesetzt werden konnte. »Sie bewegen sich überhaupt nicht«, be merkte Burtimor mit Hilfe seiner Saugrüs selfinger. »Vielleicht können wir sie wegtra gen?« »Es sind zu viele«, wandte Otlusg ein. Die starren Dinger waren etwas kleiner als die Brangeln, dabei aber genauso dick. Sie besaßen eine glänzende Haut, die das Licht der Sonne reflektierte. »Wir könnten sie mit Seilen bündeln und von den Spyten wegschleifen lassen«, schlug Tarsyr vor. »Es würde eine Weile dauern, bis wir sie weghaben, aber die Tiere hätten wenigstens etwas zu tun.« »Unsinn«, widersprach Otlusg. »Die Spy ten wollen nicht arbeiten, sondern wandern, das weißt du ganz genau.« »Wir müssen eins von den Dingern fan gen«, erklärte Burtimor. »Wenn wir es ge nau untersuchen, wissen wir sicher, womit wir sie an einen anderen Ort locken kön nen.« Die beiden anderen Brangeln gaben ein abfälliges Schmatzen von sich, denn Burti mors Vorschlag ließ sich leider nicht in die Tat umsetzen. Schon vor längerer Zeit hat ten einige mutige Brangeln versucht, an die starren Wesen heranzukommen. Sobald sie sich den glänzenden Dingern genähert hat ten, waren diese aus ihrer Starre erwacht. Feuerzungen aus unverständlichen Waffen hatten die Brangeln im Handumdrehen in die ewigen Flächen des Paradieses befördert. Die Brangeln liebten ihr Paradies. Aber diese Liebe ging nicht so weit, daß sie frei willig dorthin gingen. Als die Sonne sank, waren sie sich immer noch nicht einig darüber, was sie tun sollten. Nur eines wußten sie alle drei: Sie würden nicht ohne irgendein Ergebnis zum Lager zurückkehren. Und so blieben sie auf ihrem Hügel, obwohl die Nacht dort oben sehr un
16 gemütlich werden konnte. Sie hatten Glück. Auf dem verbotenen Hügel, den wegen der dort stehenden Zauberdinger kein Bran gel zu betreten gewagt hätte, rührte sich et was. Die drei Jäger schlichen im Schutz ho her Steine und dorniger Büsche auf den be nachbarten Hügel und verkrochen sich dort in einer Mulde, die mit feinem, warmem Flugsand gefüllt war. Nur die Organwülste ragten aus dem Sand hervor. Von weitem mußte man sie für Steine halten. Innerlich zitterten die drei vor Angst, denn noch niemand war dem verbotenen Hügel so nahegekommen, ohne auf der Stel le bestraft zu werden. Es schien jedoch, als hätte der Bewohner dieser Anlage zur Zeit andere Sorgen. Gebannt beobachteten sie, wie ein blau häutiges Wesen, das ihnen gar nicht so un ähnlich sah, den Hügel herabkam. Inzwischen war es dunkel geworden. Der Blaue hatte eine eigenartige Fackel in ein Band gesteckt, das sich um seinen Körper zog. Das Ding rauchte kein bißchen, brannte dafür aber so hell, daß man es bis zum ande ren Ende der Fläche sehen mußte, wenn man damit auf einen genügend hohen Hügel stieg. Außer der Fackel trug der Blaue noch einen kleinen Kasten bei sich, sowie ein kur zes Rohr, in dem die drei Brangeln entsetzt eine der Feuerwaffen erkannten. Der Fremde schien noch nicht bemerkt zu haben, daß er beobachtet wurde. Er beachte te weder den Hügel noch die Brangeln, son dern widmete sich seinen starren Schützlin gen. Die drei Jäger sahen verständnislos zu, wie der Blaue mit seinem Kasten herumhan tierte und die Starren nacheinander einer Untersuchung unterzog. Sie konzentrierten sich so auf die rätselhaften Vorgänge auf der Fläche, daß sie den einzelnen Starren beina he übersehen hätten. Auf seinen dünnen Beinen, die es offen bar ganz nach Belieben bilden konnte, stak ste das Wesen außerhalb des Lichtkreises von seinen Artgenossen weg in Richtung der Hügel. Die Brangeln bemerkten es nur, weil
Marianne Sydow es für einen Augenblick vom Licht getroffen wurde. Seine Haut glänzte auf, und das We sen verharrte augenblicklich. Kaum war der Lichtschein weitergewandert, da setzte es sich schon wieder in Bewegung. »Das ist unsere Chance«, schmatzte Burti mor hastig, nachdem er die Hände aus dem Sand gewühlt hatte. »Kommt!« Lautlos schlichen sie aus der Mulde und krochen an der Flanke des Hügels entlang, immer darauf bedacht, von dem Starren – der diese Bezeichnung eigentlich nicht ver diente – auf keinen Fall gesehen zu werden. Das seltsame Wesen umging den Hügel zur Hälfte und bog dann in ein Tal ein, das fast genau in die Richtung des Lagers führte, in dem die Karawane Jarsys seit dem Wan derverbot dahinvegetierte. »Ich werde ihn fangen«, erklärte Otlusg, sobald sie ein Stück von Jell-Cahrmere ent fernt waren. Er holte die Wurfleine von sei nem Gürtel los und wollte sie durch die Luft schwingen. »Halt!« befahl Burtimor hastig. »Was ist?« wollte Otlusg ungeduldig wis sen. »Es könnte eine Falle sein«, erklärte Bur timor. »Wenn der Starre in der Schlinge hängt, wird er den Blauen zu Hilfe rufen, und der bringt uns alle miteinander um. Wir müssen es anders machen.« Otlusg war nicht sehr begeistert. Wider strebend legte er die Wurfleine zusammen. Er hatte sich bereits als den Bezwinger des Starren, vielleicht sogar als Befreier der Ka rawane gesehen. »Wir haben gesehen«, fuhr Burtimor fort, »daß der Starre sofort stillhält, wenn das Licht ihn trifft. Das Tal, durch das er jetzt geht, beschreibt viele Kurven. Wenn es ge nug Hügel zwischen ihm und der Fläche Jell-Cahrmere gibt, wird er den Blauen auch nicht mehr herbeirufen können. Wir werden dort eine Falle für ihn aufstellen. Ihr kennt die Grube, in der wir vor zwei Tagen den Zlit gefangen haben. Warum soll nicht auch der Starre da hineinfallen?« »Und dann?« fragte Otlusg skeptisch.
Stern der Vernichtung »Ganz einfach. Wir zünden ein paar Fackeln an. Vorhin haben ich einen Feuer baum gesehen, ganz in der Nähe. Wir müs sen an ihm vorbei, wenn wir den Starren überholen wollen. Wenn das Licht ihn trifft, wird er erstarren. Dann holen wir ihn heraus und bringen ihn ins Lager. Er wird uns alles verraten, was wir wissen wollen.« »Und wenn er unsere Sprache nicht kennt?« »Du hast immer Einwände«, schmatzte Burtimor ärgerlich. »So kommen wir nicht weiter. Tarsyr, was hältst du von meinem Plan?« »Wir können es versuchen«, stimmte Tar syr zögernd zu. »Du bist überstimmt«, wandte Burtimor sich triumphierend an Otlusg. »Los jetzt, sonst ist er vor uns an der Grube!« Sie schlichen entlang der Hügel dem Star ren nach und umgingen ihn an einer passen den Stelle mühelos. Burtimor fieberte aufge regt dem Augenblick des Erfolgs entgegen. Endlich sah er eine Möglichkeit, mit diesen starren Wesen eine Einigung zu erzielen. Er war sich klar darüber, daß die anderen Frem den, die in den fliegenden Zelten hausten, die eigentlichen Feinde der Brangeln waren. Aber, so sagte er sich, die Starren waren nicht viel besser daran als die Brangeln selbst. Auch sie durften nicht wandern. Wenn er dem Starren das Angebot mach te, sich frei in Loorsat zu bewegen, würde er vielleicht auf die Seite der Brangeln über wechseln und auch seine Artgenossen vom Nutzen eines Bündnisses überzeugen. Burti mor konnte sich kein besseres Angebot vor stellen. Woher hätte er auch wissen sollen, daß Robotern jeder Sinn für die Schönheit einer Wanderung abging? Und daß die Maschine, die sich heimlich von der Herde weggestoh len hatte, sich in einen Mörder verwandelt hatte?
* Sie schafften es leicht, die Felsgrube vor
17 dem Starren zu erreichen. Die blutigen Spu ren eines erbitterten Kampfes waren noch deutlich zu sehen. Da die Brangeln aber nichts riechen konnten, beschränkten sie sich darauf, die verräterischen Flecken mit Sand zu bestreuen. Die Grube war etwa zwei Meter tief und lag in einem niedrigen Teppich von San dranken. Es war einfach, die Pflanzentriebe so zu arrangieren, daß das Loch im Boden unsichtbar wurde. Zusätzlich stellten sie ei nige Dornenblöcke auf, die auf den Hügeln reichlich wuchsen. Wer immer jetzt auch durch dieses Tal ging, er würde in jedem Fall lieber den Weg durch die Sandranken benutzen, als sich die Haut an den langen Stacheln zu zerreißen. Sie hatten diese Vorbereitungen abge schlossen, als der Starre sich noch durch das Gestrüpp jenseits einer Biegung kämpfte. Jetzt hörten sie seine Schritte, und sie zogen sich hastig zurück. Jeder hatte sich mehrere Fackeln zurecht geschnitten. Sie bestanden aus den mit Fet ten gesättigten Speichersprossen einer ganz bestimmten Baumart und brannten hervorra gend. »Still jetzt«, ordnete Burtimor an. »Geht in Deckung. Ich gebe das Zeichen, sobald der Starre in der Grube ist.« Die anderen verbargen sich gehorsam und warteten. Burtimor sah den Starren, sobald er die sen Teil des Tales betrat. Die seltsame Haut des Fremden glänzte schwach im Licht der Sterne. Das Wesen marschierte unbeirrbar vorwärts. Für einen Augenblick befiel den Brangel die Angst, das Wesen könne mit seinen veränderlichen Beinen die Grube ein fach durchschreiten. Es ließ sich von den an deren Hindernissen auf seinem Weg in kei ner Weise irritieren. Einmal sprang ein Steingürtler den Fremden an. Der Starre wischte das gefährliche Tier beinahe achtlos zur Seite. Burtimor schauderte vor dieser Zurschaustellung unglaublicher Kräfte. Er bekam allmählich Angst vor diesem Wesen. Aber jetzt konnte er nichts mehr
18 rückgängig machen. Außerdem marschierte der Starre immer noch in die Richtung, in der das Lager sich befand. Er mußte also auf jeden Fall aufgehalten werden. Voller Spannung verfolgte der Brangel jeden Schritt des Starren. Endlich erreichte das Wesen die Fallgrube. Burtimor legte die Saugrüssel zusammen, um das Zeichen zu geben. Der Starre stürzte durch die losen Ranken, und Burtimor erzeugte ein lautes Schmatzen. Hinter ihm zischten die Fackeln. Otlusg und Tarsyr rannten den Hügel hinunter. Bur timor setzte seine eigene Fackel in Brand und folgte ihnen. Genau in diesem Augenblick kam der Starre aus der Grube. Im ersten Augenblick war Burtimor ge lähmt vor Schrecken. Der Starre schoß förmlich in die Höhe, veränderte im Sprung die Richtung und landete direkt vor Otlusg. Der Jäger reagierte wie ein Automat. Er schleuderte seine Fackel nach dem Starren und hechtete fast gleichzeitig zur Seite. Un glücklicherweise landete er genau in der Fallgrube, die der Beute zugedacht gewesen war. Der Starre drehte sich um und tat einen Sprung in Tarsyrs Richtung. Der hatte Ot lusgs Manöver gesehen und kam zu dem Schluß, daß es sich um ein erfolgverspre chendes Rezept handelte. Er warf ebenfalls seine Fackel und folgte seinem Freund in die Fallgrube. Damit blieb Burtimor als einziger Gegner für den Starren übrig. Diese Rolle gefiel ihm gar nicht. Er such te hastig nach einer Möglichkeit, sich vor diesem Ungeheuer zu verstecken, aber er ahnte, daß es nicht ausreichte, wenn er sich hinter ein paar Büschen verkroch. Der Starre setzte sich in Bewegung und glitt auf seinen veränderlichen Beinen heran. Der Schein der Fackel spiegelte sich auf der glänzenden Haut und erzeugte unheimlich wirkende Reflexe. Der Brangel wunderte sich flüchtig dar über, warum der Starre seine weitreichenden Waffen nicht einsetzte. Fühlte der Fremde sich so sicher?
Marianne Sydow Den Brangel packte kalte Wut. Die Ebene Jell-Cahrmere war voll von diesen Starren, und weiter hinten trampelten die Spyten un ruhig herum. Wer gab den Fremden das Recht, die Karawanen aufzuhalten? Burti mor sah in diesem Verbot keinen Sinn. Es hätte doch gereicht, wenn man einen Bogen um diese unheimlichen Wesen machte – kein Brangel hätte sich freiwillig in die Nä he der Starren gewagt, wenn man sie ihrer Wege hätte ziehen lassen. Er trat vorsichtig einen Schritt zur Seite. Der Starre korrigierte sofort seine Richtung. Noch ein Schritt – das glänzende Ding folg te gehorsam. Burtimor hatte plötzlich eine Idee. Zwar hatte es sich herausgestellt, daß dem Starren mit einer Fallgrube allein nicht beizukom men war, aber vielleicht gelang es ihm we nigstens, diesen Kerl ein wenig abzulenken. Er schmatzte einige Anweisungen und be merkte zufrieden, daß Otlusg und Tarsyr aus der Grube kletterten. Der Starre schien die anderen Brangeln nicht zu bemerken. Sie zogen sich im gleichen Maße zurück, wie Burtimor den Fremden weiterlockte. Unver ständlicherweise verzichtete der Starre im mer noch auf den Einsatz seiner überlegenen Waffen – er tat das, um nicht vom bedächti gen Hirten Juscu geortet zu werden, aber das konnte Burtimor natürlich nicht wissen. »Hinter dem nächsten Hügel gibt es noch eine Zlit-Grube«, signalisierte Tarsyr. »Locke ihn hinter dir her. Wir werden da sein, wenn du uns brauchst.« Burtimor brauchte seine Freunde jetzt, und zwar dringend. Er zitterte vor Angst, obwohl er sich scheinbar ruhig bewegte. Der bloße Anblick des fremden Wesens, das stur hinter ihm her stakste, brachte ihn fast um den Verstand. Am liebsten hätte er ebenfalls seine Fackel weggeworfen und wäre davon gerannt, so schnell es seine kurzen Beine er laubten. Leider wußte er nur zu genau, daß er sich auf diese Weise nicht retten konnte. Allmählich hatte er den Eindruck, daß der Starre mit ihm spielte, wie ein junger Zlit es tat, wenn er eine Beute gefangen hatte. Ein
Stern der Vernichtung mal hatte Burtimor ein solches Schauspiel beobachten können. Das Opfer, ein kleiner Sandläufer, hatte immer wieder Hoffnung geschöpft – und immer, wenn ihm die Flucht fast gelungen war, schossen die scharfen Krallen des Zlits nach vorn und zerrten die Beute zurück. Burtimor schwitzte Blut und Wasser, als er allmählich Kurs auf die Fortsetzung des Tales nahm. Er versuchte, sich daran zu er innern, wo dort ein Zlit gehaust hatte. Aber die Bilder, die sein Gedächtnis lieferte, wur den vom Anblick dieses glänzenden Mon strums überlagert. Hatten sie den Zlit überhaupt zur Strecke gebracht? Er ging rückwärts und hielt die Fackel hoch, um die Tiere abzuschrecken, die unter den Steinen und im kargen Gebüsch lauer ten. Der Starre folgte ihm in stets gleichblei bendem Abstand. Eine Viertelstunde lang ging alles gut. Dann stolperte Burtimor über eine trockene Wurzel. Die Fackel fiel ihm aus der Hand und landete im Gesträuch. Binnen weniger Sekunden flammte das zundertrockene Holz auf. Ein unheildrohendes Zischen erklang, dann ein Klatschen wie von einer Peitsche. Burtimor besaß noch Geistesgegenwart genug, um sich zur Seite zu werfen. Die Fackel war genau im Quartier eines Zlits gelandet. Diese gefährlichen, echsenähnlichen Tiere waren normalerweise nachts sehr träge, aber wenn es über ihren Köpfen zu brennen be gann, wurden sie sehr schnell munter – was man wohl verstehen kann. Dieser Zlit jeden falls machte einen ausgesprochen wütenden Eindruck. Er sprang aus dem flammenden Gebüsch und stand für einen Augenblick re gungslos da. Burtimor wußte, daß ein Zlit nur bewegliche Ziele angriff. Also verhielt er sich still. Anders der Starre. Er marschierte unbeirrt vorwärts, genau auf die Echse zu. Diese war über soviel Unverschämtheit zuerst so ver blüfft, daß sie das glänzende Ding nur stumm betrachtete. Als aber der Starre mit
19 einem seiner dünnen Beine auf dem rechten Vorderfuß des Zlits landete, schien sein Schicksal besiegelt zu sein. Burtimor sah noch, daß der mächtige Ra chen der Echse sich öffnete, dann schloß er die Augen und kullerte vorsichtig davon. Wenn ein Zlit mit seiner Mahlzeit beschäf tigt war, kümmerte er sich um nichts ande res. Der Brangel landete ziemlich unsanft in einem Dornenblock, holte sich etliche Schrammen und befreite sich hastig aus die ser Falle, ehe die kleinen giftigen Käfer, die in den Blöcken zu hausen pflegten, sich mit ihm beschäftigen konnten. Er richtete sich auf und sah sich nach dem Zlit um. Die Sträucher brannten immer noch, und das Tier war deutlich zu erkennen. Ein sil berglänzendes, eiförmiges Gebilde hüpfte vor den Nüstern der Echse auf und ab. Der Zlit fauchte und zischte, und ab und zu schnappte er nach dem Starren. Burtimor re gistrierte verwundert, daß die Bestie sich an dem Fremden die Zähne ausbiß – buchstäb lich, denn von dem prachtvollen Gebiß wa ren nur noch traurige Fragmente übrig. Der Anblick faszinierte ihn so, daß er nicht mehr an Flucht dachte. Der Starre änderte seine Taktik, nachdem der Zlit zum Beißen kaum noch fähig war. Er fuhr einige dünne, lange Arme aus, die mit scharfen Spitzen versehen waren. Damit piekste er die Echse in die Flanken. Der Zlit hatte nicht die leiseste Chance gegen diesen raffinierten Gegner. Die Echse war daran gewöhnt, sich völlig auf ihre Zähne zu ver lassen. Sie schlug ungeschickt mit den Fü ßen nach dem Starren, und dieser fiel auch wirklich mehrmals hin, aber es schien ihm wenig auszumachen. Inzwischen fraß sich die Glut von hinten näher an den Zlit heran. Burtimor begann vor Aufregung beifällig zu schmatzen, als er sah, daß der Starre das Feuer in seine Taktik einbezog. Er trieb den Zlit zurück – bis der lange Echsenschwanz mit dem Feuer in Berührung kam. Burtimors Erfahrungen mit Zlits waren
20 mannigfaltig und ausnahmslos schlecht. Trotzdem empfand er beinahe so etwas wie Mitleid mit dem geplagten Tier. Von hinten röstete das Feuer den Schwanz der Echse, während von vorne die nadelspitzen Arme des Starren auf sie ein drangen. Der Zlit sah schließlich keine ande re Möglichkeit mehr, als senkrecht in die Luft zu springen, in der Absicht, das re spektlose Ei auf Stelzen unter sich zu begra ben. Das gelang ihm auch – aber leider ließ sich der Starre dadurch nicht beeindrucken. Burtimor wich entsetzt zurück, als er merk te, daß der Fremde mit der glänzenden Haut samt dem Zlit weitermarschierte, diesmal vom Feuer weg. Er schien das ungeheure Gewicht gar nicht zu spüren. Die Echse selbst war zu benommen und merkte gar nicht, was mit ihr geschah. Nach etlichen Metern entledigte sich der Starre seiner Last, indem er den Zlit einfach abschüttelte. Die Raubechse blieb mit ge schlossenen Augen im Gestrüpp liegen. Sie würde einige Zeit brauchen, um sich von diesem Erlebnis zu erholen. Burtimor dage gen sah sich der nächsten Schwierigkeit ge genüber, denn der Starre kam mit gelassenen Schritten auf ihn zu, als sei der Kampf mit dem Zlit nur eine unbedeutende Episode am Rande gewesen. Der Brangel tastete nach den anderen Fackeln und stellte entsetzt fest, daß er sie verloren hatte. Er drehte sich um und rannte in die Richtung davon, in der er seine Freun de vermutete. Er konnte nur hoffen, daß sie tatsächlich eine zweite Fallgrube gefunden und vorbereitet hatten. Und daß der Starre diesmal in der Falle blieb. Die Ranken der Sandpflanzen legten sich um Burtimors Beine und brachten ihn zu Fall. Dornenblöcke tauchten so plötzlich aus der Dunkelheit vor ihm auf, daß er ihnen ge rade noch ausweichen konnte. Er rannte so schnell, daß seine Lungen ihn schmerzten. Aber sobald er sich umsah, entdeckte er den glänzenden Körper des Starren, der stur hinter ihm herlief, ohne die Hindernisse
Marianne Sydow auch nur zu beachten.
* Ein altes Sprichwort der Brangeln lautete: Ein Zlit kommt selten allein. Die Jäger hatten längst herausgefunden, daß die Lebensgemeinschaften der Zlits kei neswegs mit dem Geschlecht der Raubech sen zusammenhingen. Es schien, als wären die Zlits tatsächlich fähig, regelrechte Freundschaften zu schließen – wären die Brangeln etwas intelligenter gewesen, so hätten sie daraus geschlossen, daß die Zlits alles andere als dumm und instinktgeleitet waren. Zwei dieser Ungeheuer hatten die Jäger in diesem Tal gefangen. Um einen Zlit aufzu spüren, brauchte man nur nach den Fallgru ben zu suchen, mit deren Hilfe sich die Ech sen einen Großteil ihrer Beute fingen. Da es im Tal nur zwei Fallgruben gab, nahmen die Jäger an, daß auch nur zwei Zlits dort wohn ten. Sie hatten übersehen, daß die Freund schaft unter den Echsen bisweilen so weit ging, daß sie die Beute untereinander auf teilten. Zlit Nummer drei verfolgte den Kampf mit dem Starren von einem sicheren Ver steck aus. Ihm war sofort klar, daß er seinem Freund nicht helfen konnte. Als der Starre sein Opfer ins Gebüsch warf, kroch die Ech se vorsichtig heran und untersuchte den Freund. Der war übel zugerichtet, würde die Schmach jedoch überleben. In dem noch verbliebenen Zlit erwachte der Wunsch nach Rache. Die Echse kannte die Brangeln. Es gab ständig Ärger mit ihnen. Sobald sie mit ih ren Karawanen auftauchten, benahmen sie sich, als gehörte das Land nur ihnen. An fangs hatten die Zlits versucht, mit den Brangeln zu sprechen, aber die seltsame Schmatzsprache vereitelte jeden Versuch der Verständigung. Seitdem führte man einen gemäßigten Krieg gegeneinander. Im Grun de waren die Zlits friedliche Wesen. Nie mals griffen sie die Brangeln ohne triftigen
Stern der Vernichtung Grund an. Wenn die Jäger allerdings die Fallgruben ausräumten oder die Zlits selbst verfolgten, wehrten sie sich nach besten Kräften. Die Zahl der Opfer blieb dabei aus gewogen – die Brangeln schafften es nie, die Existenz der Zlits ernsthaft zu gefährden, aber auch die Echsen töteten nur wenige Brangeln. Heute war ein neuer Faktor ins Spiel ge kommen. Der Zlit wußte natürlich, daß in der Flä che Jell-Cahrmere sehr viele von diesen glänzenden starren Wesen herumstanden. Er hatte gesehen, was dieser bewegliche Frem de mit seinem Freund angestellt hatte und gelangte zu der Überzeugung, daß es sinnlos war, sich mit diesem aktiven Exemplar an zulegen. Besser war da schon die Idee, sich an den Artgenossen des Glänzenden zu rä chen. Der Zlit wartete, bis kein Brangel mehr in Sicht war, dann setzte er sich in Trab. Unter wegs rief er andere Zlits, die in den Seitentä lern wohnten, dazu auf, an dem Rachefeld zug teilzunehmen. Manche reagierten nicht, weil sie keine freundschaftlichen Beziehun gen zu dieser Gruppe pflegten. Andere be drohten den Zlit und forderten ihn auf, schleunigst das fremde Revier zu verlassen. Am Ende stand der Zlit allein am Rand der Fläche und starrte mit glühenden Augen die vielen Glänzenden an, die in ordentlichen Reihen und Gruppen über die Ebene verteilt waren. Plötzlich entdeckte es, daß sich zwischen den Glänzenden etwas bewegte. Er sah genauer hin und stellte fest, daß es sich um ein Wesen mit blauer Haut und run dem Kopf handelte. Es stellte irgend etwas mit den Glänzenden an. Zlits waren eierlegende Wesen. Sie be wachten ihre Gelege und sorgten für ihre Jungen, bis diese groß genug waren, um selbst nach Beute zu jagen. Im Gehirn der Raubechse entstand die verrückte Idee, die Glänzenden wären nichts anderes als das Gelege des Blauhäutigen. Ihm kam nicht zu Bewußtsein, daß der kör
21 perlich kleine Hirte unmöglich zweihundert fünfzigtausend Eier gelegt haben konnte, von denen jedes einen Meter lang und vier zig Zentimeter dick war. Ein Zlit hatte keine Beziehungen zu Zahlen und Maßen. Seine Kenntnisse auf diesem Gebiet beschränkten sich auf die gefühlsmäßige Einordnung einer potentiellen Beute – sie durfte nur so groß sein, daß sie durch den dehnbaren Schlund paßte. Der Zlit beschloß, auf eine Art und Weise Rache für seinen verletzten Freund zu neh men, die unter den Raubechsen als beson ders schmachvoll für den Verlierer galt. Ein Zlit, der nicht einmal imstande war, sein Gelege zu verteidigen, durfte sich nir gends mehr blicken lassen. Einen Augen blick lang hatte der Zlit Gewissensbisse, denn selbst bei größter Wachsamkeit war es schier unmöglich, ein so ungeheuer großes Gelege gegen jeden Übergriff zu schützen. Aber dann sagte er sich, daß der Blauhäu tige selbst schuld war. Warum produzierte er auch so viele Eier? Der Zlit marschierte gelassen auf die Glänzenden zu, packte den ersten und trug ihn über die seit langer Zeit festgelegte Re viergrenze zwischen Jell-Cahrmere und dem Hügelland. Niemand hätte später zu sagen gewußt, warum die Krieger aus Juscus Herde sich diesen Transport gefallen ließen. Tatsache ist, daß der Zlit innerhalb der nächsten Stun den an die zweihundert »Eier« aus dem fremden »Gelege« entfernte und auf einen Haufen schichtete. Dann erst tauchte der Be sitzer des Geleges auf. Der Zlit bekam einen fremden, scharfen Geruch in die Nase. Außerdem spürte er die Entschlossenheit des fremden Wesens, die Glänzenden zu verteidigen. Er entsann sich dunkel der Tatsache, daß vor einiger Zeit, als die Glänzenden gekommen waren, etli che Brangeln unter höchst mysteriösen Um ständen ums Leben gekommen waren. Aber dann dachte er an seinen Freund, der zahnlos und blutend in einem Busch lag, und er rich tete sich trotzig auf, bereit, dem Angriff zu
22
Marianne Sydow
begegnen.
5. Juscu fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut, als er die ersten Krieger untersuchte. Theoretisch konnte jeder von ihnen der Amokläufer sein, und wenn er dieser Bestie mit dem Prüfgerät auf die metallene Haut rückte, war es zweifellos um ihn geschehen. Die Schar der Krieger stand regungslos da, und auf den glänzenden Körpern spiegel ten sich nur die Sterne und das Licht aus Juscus Scheinwerfer. Der bedächtige Hirte stellte eine Reihe verzwickter Überlegungen an, um dem Übeltäter so schnell wie mög lich auf die Spur zu kommen. Seiner Meinung nach steckte der Amok läufer entweder ganz vorne in der Herde – oder er verbarg sich weit hinten. Auf keinen Fall würde er im Mittelfeld zu finden sein. Oder doch? Die Krieger waren klug. Sicher hatte Jus cus spezieller Freund haargenau dieselben Überlegungen angestellt. Verbarg er sich ge rade deshalb in der Mitte der Herde? Oder dort, wo Juscu zuerst nach ihm suchen wür de, nämlich in den vorderen Reihen? Dem bedächtigen Hirten wurde schwinde lig angesichts der sich im Kreis drehenden Lösungen. Er rief nach dem Vrill; der antwortete nicht. Seufzend setzte Juscu seine Untersuchung fort. Es war ihm klar, daß er Wochen brau chen würde, um alle Krieger zu überprüfen. Außerdem mußte er damit rechnen, daß der Amokläufer sich tarnte. Er hatte dafür ge sorgt, daß die Krieger, die er bereits unter sucht hatte, besonders streng überwacht wurden. Fand er in ihren Reihen das nächste Opfer, so konnte das nichts anderes bedeu ten, als daß er den Amokläufer übersehen hatte. Juscu war von der Wirksamkeit dieser Methode nicht ganz überzeugt, denn wenn es so einfach war, den Übeltäter zu fassen, hätte er längst Erfolg haben müssen.
Vielleicht sollte er dem Amokläufer eine Falle stellen? Der Krieger litt unter der Zwangsvorstel lung, Dinge zerstören zu müssen. Juscu überlegte, ob er nicht einige Krieger aus der Herde absondern und dem Amokläufer als Köder darbieten sollte. Aber dann schreckte er doch zurück, denn er war sich nicht si cher, ob er den übergeschnappten Krieger tatsächlich zu fassen bekam, ehe dieser seine Artgenossen vernichtet hatte. Sperco würde ihn für jeden verlorenge gangenen Krieger zur Rechenschaft ziehen. Während ihm tausend Gedanken und Ide en durch den Kopf gingen, arbeitete Juscu sich systematisch durch die Herde hindurch. Er untersuchte zuerst die Krieger, die den Hügeln am nächsten standen. Er hielt es nämlich für möglich, daß der Amokläufer sich von Zeit zu Zeit in dieses unübersichtli che Gelände absetzte, um von dort aus seine schändlichen Taten zu planen. Verschwom men wurde ihm bewußt, in welch irrsinniger Situation er sich befand. Er hatte nicht die geringste Beziehung zu den Kriegern und zum Tyrannen Sperco. Bevor man ihn holte, spercotisierte und anschließend zur Fläche Jell-Cahrmere brachte, hatte er nicht einmal gewußt, daß dieser Tyrann existierte. Man hatte ihm eine hervorragende Ausrüstung gegeben und ihn gelehrt, sich der vielen Ge räte und Instrumente zu bedienen. Trotzdem blieben ihm diese Dinge fremd. Er tat das, was man ihm aufgetragen hatte, ohne den Sinn zu erfassen, der sich dahinter verbarg. Er wußte nur, daß es mehrere Herden gab und daß jede Herde einen Hirten brauchte. Er näherte sich dem Teil der Fläche, die er bisher nur von den Bildschirmen der Be obachtungsautomatik her kannte. Ein paar mal hatte er verschieden große Tiere gese hen, die sich aber nicht auf die Fläche hin auswagten. Ganz zu Beginn seines Aufent halts hatten die Brangeln versucht, von die sem Punkt aus die Herde anzugreifen. Sie waren natürlich gescheitert, dafür hatte Jus cu gesorgt. Infolge der Spercotisierung wa ren ihm die Brangeln völlig gleichgültig. Er
Stern der Vernichtung haßte sie nicht, aber wenn sie die Krieger zerstören wollten, tötete er sie. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, etwa einen Kontakt zu ihnen zu knüpfen und ihnen die Lage zu er klären, damit sie begriffen, warum es mit den ewigen Wanderungen kreuz und quer durch Loorsat vorbei war. Juscu achtete nicht auf die Hügel und das, was dort lauern mochte. In dieser Beziehung fühlte er sich völlig sicher. Seine ganze Auf merksamkeit galt den Kriegern. Und plötzlich sah er eine schwache Bewe gung in einer Gruppe, die ganz nahe im nächsten Hügel stand. Er wußte, daß er mit seinem Leben spiel te, wenn er auch nur eine Sekunde zu lange zögerte. Darum nahm er den kleinen Kasten zur Hand und drehte einen Knopf. Dann drang er vorsichtig in die Gruppe der Krie ger ein. Er prüfte sie nacheinander – sie wa ren in bestem Zustand. In ihrer augenblickli chen Verfassung waren sie auch nicht fähig, irgendeine Tarnung zu entwickeln. Da der Amokläufer sich nicht in der Gruppe befand, schloß Juscu, daß er sich im letzten Augen blick davongestohlen hatte. Zum erstenmal sah er einen guten An haltspunkt. Wenn er die Krieger nacheinan der in diesen Zustand versetzte, blieb nur noch der Amokläufer übrig, der sich bewe gen konnte. Auf diese Art konnte er ihn schnappen. Juscu vergaß vor lauter Erleichterung, daß die gelähmten Krieger allen Angriffen schutzlos ausgesetzt waren. Solange die Starre der Gehorsamkeit sie beherrschte, würden sie sich gegen nichts und niemanden zur Wehr setzen. Er eilte weiter, zur nächsten Gruppe, und gab auch dort das Signal. Irrte er sich, oder entfernte sich kurz vor her tatsächlich eine glänzende Gestalt in Richtung auf das Zentrum der Herde? Der Jagdeifer hatte ihn ergriffen. Auf sei nen kurzen Beinen watschelte er eilig weiter und gab immer wieder das Signal. Und im mer häufiger glaubte er, vor sich einen Krie ger auszumachen, der vor ihm floh. Juscu
23 handelte wie in einem Rausch. Er erhöhte den Wirkungsgrad der kleinen Maschine. Gegen Mitternacht hatte er fast die ganze Herde gelähmt. Da tauchte unerwartet der Vrill wieder auf. »Was hast du wieder angestellt, alter Narr?« schrie der Kleine wütend. Juscu hatte das Gefühl, aus einem ange nehmen Traum gerissen zu werden. Er dreh te sich verwundert um und starrte das flie gende Etwas an, das hinter ihm in der Luft hing. »Ich jage den Amokläufer«, sagte der be dächtige Hirte schwerfällig. »Ich habe end lich eine Methode gefunden, ihn einwandfrei zu identifizieren.« »Hat sich was mit einwandfrei«, kreischte der Vrill. »Weißt du, was drüben bei den Hügeln los ist? Irgendein hirnloses Unge heuer klaut deine Krieger und stapelt sie zu Haufen auf. Die Dinger wehren sich nicht mal. Das ist deine Schuld!« Juscu erschrak. »Bist du sicher, daß es ein Tier ist?« frag te er. »Tier? Keine Ahnung. Es wirkt gar nicht dumm. Ich frage mich nur, was es mit diesen Blecheiern anfangen will. Fressen kann es sie jedenfalls nicht.« »Du sollst nicht so respektlos von den Kriegern reden«, tadelte Juscu automatisch. »Wo ist das Tier?« »Ich zeige dir den Weg. Aber ich warne dich. Du wirst Stunden brauchen, um den Ort zu erreichen, es sei denn, du läßt dir et was einfallen, damit du schneller vorwärts kommst.« Der bedächtige Hirte zögerte. Er hatte im mer Skrupel, sich der technischen Einrich tungen zu bedienen, wenn es nicht mit einer Wächterfunktion direkt zusammenhing. Aber zweifellos war es ein schwerer Verstoß gegen die ungeschriebenen Gesetze Spercos, wenn jemand die Krieger von ihrem Platz entfernte. Er rief einen kleinen Schweber herbei, kletterte ächzend auf die Plattform und sah
24 den Vrill erwartungsvoll an. »Immer hinter mir her!« rief der Kleine und erzeugte leuchtende Luftwirbel. »Mach das Licht aus, sonst sieht das Biest dich schon von weitem.« Juscu gehorchte und starrte gespannt nach vorne. Viel sah er nicht, nur die glänzenden Leiber der Krieger und die dunklen Umrisse der Hügel, die rasch anwuchsen. »Langsam!« befahl der Vrill, diesmal lei se und direkt neben Juscus Ohr. Irgendwo brannte es. Der bedächtige Hir te spürte den schwachen Geruch nach schwelendem Holz und schnupperte aufge regt. Der Duft erweckte irgendwelche ver schütteten Erinnerungen. »Licht an!« wisperte der Vrill. Juscu er schrak. Er drückte auf einen Knopf und stöhnte entsetzt auf. Am Fuß des Hügels lag ein Haufen von mindestens zweihundert Kriegern. Die eiför migen Körper waren übereinander gewor fen. Keiner hatte auch nur einen Handlungs arm ausgefahren. Juscu brauchte keine wei teren Beweise: Dies war die Gruppe, die er zuerst absolut handlungsunfähig gemacht hatte. Dann erst sah er das Tier. Es war ziemlich groß und sah gefährlich aus. Es hockte ne ben den Kriegern. Zu seinen Füßen lag einer der mechanischen Diener Spercos. Offenbar hatte das Tier ihn fallen lassen, als er Juscus Annäherung bemerkte. Es traf keine Anstal ten, vor dem bedächtigen Hirten zu fliehen. Juscu erkannte auch, warum. Das Tier be fand sich in seinem Revier, nahe der Grenze zwar, aber nach den Regeln, die hier galten, in Sicherheit. »Du mußt es töten«, wisperte der Vrill. »Oder die Krieger sind für dich verloren.« Juscu ließ den Schweber sinken und rutschte schwerfällig auf den Boden hinun ter. Langsam ging er auf das Tier zu. »Warum hast du mir das angetan?« fragte er klagend. »Es herrscht keine Feindschaft zwischen uns. Die Krieger kamen nie in die Hügel, und auch ich habe mich von euch ferngehalten.«
Marianne Sydow »Narr!« kreischte der Vrill hinter ihm. »Schieß ihn ab, oder er bringt dich um!« »Du kannst mit ihnen nichts anfangen«, fuhr Juscu unbeeindruckt fort und deutete auf die Krieger. »Sie sind nur für die Sper coiden nützlich, denn niemand außer ihnen kann sie steuern. Gib sie zurück, dann werde ich den Vorfall vergessen.« Das Tier verstand ihn nicht. Woher hätte es Juscus Sprache kennen sollen? Es fauchte ärgerlich und hob einen Vorderfuß, als der bedächtige Hirte die Grenze zwischen den Hügeln und dem Flächenrevier erreichte. »Ich müßte dich töten«, bemerkte Juscu bitter. Er schien die abwehrende Haltung des Tieres nicht zu bemerken. »Aber ich bin überzeugt davon, daß du es nicht böse ge meint hast. Ich werde die Krieger jetzt akti vieren und ihnen den Befehl geben, auf ihre Plätze zurückzukehren. Wenn du dich ruhig verhältst, wird dir nichts geschehen.« Der Zlit beobachtete den blauäugigen Fremden mißtrauisch. Er wurde aus den Re aktionen dieses Wesens nicht schlau. Der Blaue schien sich über den Diebstahl der »Eier« gar nicht aufzuregen. Als der Zlit be merkte, daß sein Gegner endlich auf ihn auf merksam wurde, bereitete er sich auf einen Kampf vor. Und nun geschah gar nichts. Der Fremde redete in seiner unverständlichen Sprache auf den Zlit ein und hatte nicht ein mal eine Waffe, wie das Tier sie von den Brangeln kannte, in der Hand. Der Zlit kam zu dem Schluß, es mit einem ungewöhnlich feigen Gegner zu tun zu ha ben. Wenn er sich weiter mit diesem Wesen beschäftigte, verlor er seine Ehre. Mit sol chen Gegnern machte man entweder kurzen Prozeß, oder man beachtete sie nicht. Aus dieser Überlegung heraus trat der Zlit einen Rückzug an, der selbst ein Kind seiner Art zu einem Wutanfall gebracht hätte: Er drehte sich um und marschierte davon, als könne ihm gar nichts geschehen. »Siehst du?« sagte Juscu zu seinem Vrill. »Wenn man vernünftig mit einem Wesen re det, hat man immer Erfolg.« Der Vrill hatte sich genug in den Hügeln
Stern der Vernichtung herumgetrieben, um zu wissen, daß der be dächtige Hirte das Verhalten der Raubechse falsch auslegte, aber er hielt ausnahmsweise den Mund. Juscu tat ihm leid. Der Blaue drückte auf einen Knopf und sah zu, wie die Krieger aus ihrer Starre er wachten. Zuerst gab es ein gewaltiges Durcheinander, denn die Krieger, die ganz unten in dem Haufen lagen, traten wild um sich, um ihre Freiheit zu gewinnen. Dadurch gerieten andere Krieger ins Rutschen und landeten unsanft auf dem felsigen Boden, wobei sie sich allerlei Beulen und zerdrückte Kontaktstellen holten. Juscu, der seinen Feh ler bemerkte, drehte verzweifelt an dem Ge rät herum, ohne etwas an dem Chaos ändern zu können. Spercos Pläne hatten nicht berücksichtigt, daß jemand die Krieger zu stapeln versuch te. Es gab keine Möglichkeit, sie nacheinan der zu aktivieren, so daß die obersten zuerst herabkletterten und den anderen den Weg freigaben. Durch Juscus unvorsichtige Schaltungen wurden die Krieger immer rebellischer. Plötzlich fiel der erste Schuß. In seiner Panik hatte der bedächtige Hirte den Zlit schon fast vergessen. Er wurde un sanft an ihn erinnert, als die Raubechse sich wütend einigen Kriegern entgegenwarf, die sich in der Richtung geirrt hatten und auf die Hügel zumarschierten, anstatt in die Fläche Jell-Cahrmere zurückzukehren. Entsetzt sah Juscu, daß die Echse die Krieger mühelos zu Boden schmetterte. Die meisten erhoben sich zwar sofort wieder, aber die immer wuchtigeren Schläge der rie sigen Pranken führten dazu, daß Lauf- und Greiforgane der Krieger schwere Schäden davontrugen. Ohne an die Folgen zu denken, befahl Juscu den Kriegern, den Gegner mit den ein gebauten Waffen abzuwehren. Er übersah dabei, daß etliche seiner Schützlinge offen bar desorientiert waren – vielleicht durch Juscus ungeschickte Schaltungen, vielleicht auch durch den unerklärlichen Ortswechsel, den die Krieger zu verkraften hatten.
25 Jedenfalls war binnen weniges Sekunden die Hölle los. Die wenigsten Krieger beschäftigten sich mit der Echse. Der Zlit zog sich hastig zu rück, nachdem ein Strahlschuß ein Loch in seinen herrlichen Rückenkamm gebohrt hat te. Die Krieger beachteten ihn nicht mehr, sobald er aus dem Erfassungsbereich ihrer optischen Systeme geraten war. Sie kämpf ten gegeneinander, und der Zlit beobachtete von einem sicheren Ort aus voller Verwun derung, wie diese glänzenden Eier sich ge genseitig verstümmelten. Juscu drehte unter dessen wie ein Rasender an einem Knopf nach dem anderen. Er erreichte damit ledig lich, daß die Krieger auf ihn aufmerksam wurden. Man hätte meinen können, sie alle wären von der Amokphase befallen worden. Entsetzt wendete der bedächtige Hirte den Schweber und raste davon. Der Vrill hatte sich längst aus dem Staub gemacht. Hinter ihm tobten die Krieger. Als Juscu sich um sah, bemerkte er, daß seine Schützlinge auch ihre regungslosen Artgenossen nicht ver schonten. Juscu wäre vor Schrecken fast von dem Schweber gefallen, als er die Spur der Zerstörung bemerkte, die von den Hügeln quer durch die Herde bis nahe an den Schweber heranreichte. »Desaktivieren!« schrie der Vrill ihm ins Ohr. Juscu griff nach dem Kästchen. Er fragte sich, warum er nicht selbst auf diese Idee gekommen war. Ein Knopfdruck genügte, und die Horde der Krieger erstarrte. Erschöpft hielt Juscu den Schweber an. Im Sternenlicht sah er seine Herde. Er stöhn te. Es waren nicht nur die Spuren der Zerstö rung, die ihn erschreckten, sondern auch die allgemeine Unordnung. Er würde Tage brau chen, um seine Herde wieder in Ordnung zu bringen. Er sollte schnell erfahren, daß ihm dazu keine Zeit blieb. Wieder war es der Vrill, der zuerst merk te, was geschah. »Da kommt etwas!« schrie der Kleine
26 aufgeregt. »Wo?« »Genau in Fahrtrichtung. Ein heller Punkt am Himmel!« Juscu wünschte, er würde auf der Stelle ohnmächtig werden, obwohl er wußte, daß er auch damit nicht viel erreichen würde. Ausgerechnet jetzt mußten die Spercoiden kommen. Sie konnten die Unordnung gar nicht übersehen. Und was sollte er ihnen sa gen, wenn sie ausgerechnet die Krieger an forderten, die vernichtet worden waren? Wa rum hatte er nicht das Signal vernommen, das die Ankunft des Schiffes verkündete? Er mußte sofort zu seinem Hügel. Wenn es noch etwas zu retten gab, dann brauchte er die dort lagernden Geräte. Während er mit dem Schweber mit viel zu hoher Geschwindigkeit über seine Herde hinwegraste, wurde der Lichtpunkt schnell größer. Eine seltsame Ruhe breitete sich aus, ein unerklärlicher Druck, der sich über alles legte. Juscu hatte das Gefühl, als stiege die Temperatur schnell an. In seinen Ohren rauschte das Blut so laut, daß jedes andere Geräusch davon verschluckt wurde. Kraftlos hielt er sich an den Kontrollen fest. Als der Schweber landete, war Juscu kaum fähig, ihn zu verlassen. Mühsam schleppte er sich zur nächsten Kuppel. Ein unerträgliches Ge wicht schien auf ihm zu lasten. Unsicher blickte er zum Himmel hinauf. Der Lichtpunkt war weiter angeschwol len. Dem bedächtigen Hirten kam das Ding am Himmel jetzt ausgesprochen seltsam vor. Beim bloßen Anblick dieses Lichtes ver krampfte sich sein Körper vor Angst. Dieser Fleck am Himmel war böse und drohend. Juscu wandte sich schaudernd ab. In der Kuppel blieb er vor einem Pult ste hen. Wenn das da oben ein Schiff der Spercoi den war, dann hatte er nichts zu befürchten. Andererseits – so ein Schiff mochte biswei len von seinem Kurs abweichen. Der Lande platz war weit genug entfernt, um die Krie ger und den bedächtigen Hirten nicht zu ge fährden. Und die Krieger hielten sehr viel
Marianne Sydow mehr aus als Juscu. Wenn also das Schiff den Kurs verfehlte und in der Nähe von JellCahrmere herunterkam, würde man ihm sei ne Vorsichtsmaßnahme sicher nicht ver übeln. Juscu legte entschlossen einen Hebel um. Er trat vor die Tür und beobachtete, wie die schimmernden Schleier aus dem Boden schossen und sich über dem Gipfel des Hü gels schlossen. »Vrill?« fragte er. »Du denkst ziemlich spät an mich«, schimpfte der Kleine. »Ich bin gerade noch durchgeschlüpft.« »Ich wußte, daß du es schaffen würdest«, sagte Juscu bedrückt. »Kannst du mir sagen, was das Licht zu bedeuten hat?« Der Vrill schwieg. Juscu dachte an die vernichteten Krieger und watschelte mühsam zum Kontrollraum. Erschrocken stellte er fest, daß die Zahl der Opfer beträchtlich höher war, als er zunächst angenommen hatte. Er versuchte, einige Krieger zu aktivieren, damit sie die schlimmsten Spuren beseitigten. Es gelang ihm nicht. Die Herde reagierte auf die Be fehle ihres Hirten nicht mehr. Juscu war – entgegen aller Vernunft – davon überzeugt, daß dieses seltsame Licht für alle seine Schwierigkeiten verantwortlich war. Er setzte sich schnaufend hin und wartete darauf, daß die Geräte ihm mitteilten, mit welcher Art von Schiff er es zu tun hatte.
6. Die Lage wurde immer kritischer, und man brauchte das Wache Auge nicht, um sich davon zu überzeugen. Die hellrote Son ne war jetzt schon sehr nahe, und der dunkle Planet füllte die Hälfte des »Himmels« über Pthor aus. Die Söhne Odins waren praktisch hilflos, aber sie durften das nicht zeigen, und das machte sie nervös. Immer wieder kamen Technos, Dellos oder Robotdiener, um sich neue Anweisungen zu holen oder Bericht zu erstatten. Die Pthorer mußten dann so tun,
Stern der Vernichtung als wüßten sie genau, was draußen vorging, und als hätten sie alle Vorgänge unter Kon trolle. »Das halte ich nicht mehr lange aus«, knurrte Heimdall, als wieder eine Gruppe von Dellos den Raum verlassen hatte. »Sehen die Kerle denn nicht selbst, was hier los ist?« »Man hat sie nicht zum Denken konstru iert«, sagte Sigurd spöttisch, »sondern zum Gehorchen. Solange sie etwas zu tun haben, werden sie nicht auf dumme Gedanken kom men.« Ein jäher Donnerschlag erschütterte das Land, und sogar Sigurd, der sich betont selbstbewußt gab, schrak zusammen. Im großen und ganzen war es ruhiger in und um Pthor geworden – ein schlechtes Zeichen, denn es war offensichtlich, daß das Land im Begriff war, den Dimensionskorridor zu ver lassen. »Die Guurpeln sind da«, meldete ein Techno. Sigurd sprang auf und lief nach draußen. Die beiden anderen Pthorer sahen sich nur an. Balduur schüttelte hoffnungslos den Kopf. Es war viel zu spät, noch etwas zu unter nehmen. In den nächsten Minuten mußte die Entscheidung fallen. Balduur klammerte sich an die Hoffnung, die Herren der FE STUNG hätten sich nicht in allen Punkten auf den »Steuermann« verlassen und irgend einen Mechanismus konstruiert, der im Not fall die Steuerung Pthors übernahm und auch den Wölbmantel aufbaute. Von den Guurpeln erwartete er keine Hilfe. Auch Sigurd machte sich nichts vor. Als er die bleichen, schuppenhäutigen Wesen sah, die scheu und unsicher vor dem Zugor standen, kam ihm sein eigener Plan naiv vor. Aber er mußte etwas tun, sonst würde er den Verstand verlieren. »Ihr seid gute Schwimmer«, wandte er sich an die fünf Wesen. »Und ihr könnt her vorragend tauchen. Wir brauchen euch. Ein Teil dieser Anlagen ist immer noch über schwemmt. Unter uns gibt es etwas, womit
27 wir Pthor steuern können. Mit eurer Hilfe werden wir diese Schaltanlage finden.« Die Guurpeln glotzten ihn verständnislos an. Sigurd seufzte. Wie hatte er nur hoffen können, bei diesen Wesen auf Verständnis zu stoßen? Er beschloß, in Zukunft einfache Befehle zu erteilen und sich nicht auf Erklä rungen einzulassen. »Sind die Lebensblasen bereit?« fragte er einen Techno. »Sie liegen an den von dir bestimmten Eingängen, Herr.« »Gut«, sagte Sigurd. »Kommt mit!« Die Guurpeln trotteten hinter ihm her. Es war nervtötend, sie zu beobachten. Im Was ser mochten sie flink sein, aber auf dem Land bewegten sie sich mühsam und unbe holfen. Sigurd fragte sich zum erstenmal, wie es diesen Wesen ergehen mochte, wenn Pthor auf einem Planeten landete, der den Guurpeln nicht die Nähe eines Meeres be scherte. Am Einstieg zu den untersten Stockwer ken einer kleinen Pyramide lagen zwei schlaffe Säcke aus einem stumpfgrauen Ma terial. Der Techno hob den einen auf und kletterte hinein. Sofort schloß sich der schmale Eingang, und Luft strömte in die Lebensblase. »Du bringst diesen Mann nach unten«, befahl Sigurd einem Guurpel. »Er wird dir durch Zeichen zu verstehen geben, in wel che Richtung du schwimmen sollst und wann er wieder nach oben muß.« Der Guurpel glitt ohne jeden Kommentar in die Zugschlaufe der Lebensblase. Zwei Technos halfen ihm, die schwere Last ins Wasser zu bringen. Sobald der Guurpel in seinem Element war, tauchte er auf einen Wink seines Passagiers nach unten. »Zum nächsten Einstieg«, murmelte Si gurd. Alles ging gut, bis der letzte Guurpel an der Reihe war. »Was gibst du mir, wenn ich wieder her aufkomme?« fragte der Mann aus Panyxan, als er dabei war, sich die Zugschlaufe über zustreifen.
28
Marianne Sydow
Sigurd war für einen Augenblick wie er starrt. Am liebsten hätte er den Guurpel an geschrien und ihm gesagt, daß er froh und glücklich sein könne, wenn er durch diese Aktion sein eigenes jämmerliches Leben ret ten half. Dann wurde er sich der neugierigen Blicke der Technos bewußt. Er durfte sich keine Blöße geben. »Du wirst reicht belohnt werden«, ver sprach er. »Und jetzt beeile dich, sonst sind deine Freunde eher am Ziel als du, und dann fällt die Belohnung natürlich kleiner aus.« »Das ist ungerecht!« zeterte der Guurpel. »Hättest du das eher gesagt, so wäre ich frü her getaucht. Du bist schuld daran, wenn ich als letzter nach oben komme.« »Halt den Mund!« befahl Sigurd wütend und gab den Technos ein Zeichen. Der Gu urpel zeterte so lange, bis er mit dem Kopf unter Wasser war. »Wie lange können die Leute unten blei ben?« fragte Sigurd. »Bis zu zwei Stunden«, antwortete ein Techno nervös. Sigurd sah zu der roten Sonne hinauf. In zwei Stunden war alles längst vorbei – so oder so.
* Inzwischen geriet Heimdall an einen Punkt, an dem seine Nerven streikten. Bal duur saß herum und sagte kein einziges Wort. Er antwortete auch auf an ihn gestellte Fragen nicht. Der Anblick des Bruders, der wie ein gebrochener Mann in einer Ecke hockte, machte Heimdall allmählich nervös. Nach einigen Versuchen, doch noch eine Unterhaltung anzufangen, stapfte er wütend nach draußen. Auch er sah deutlich, daß ih nen nur noch wenig Zeit blieb. Und dann hatte er eine Idee. Er wußte, daß vor langer Zeit Moondrag eine große Rolle gespielt hatte. In dieser Stadt hatten sich Steueranlagen befunden. Später, als die Herren der FESTUNG auf die Idee kamen, eine solche Zweitanlage könne für sie gefährlich werden, hatten sie die Ver-
bindungen unterbrochen und die Bewohner der Stadt ihrem Schicksal überlassen. In Moondrag war mit Sicherheit nichts mehr in Ordnung. Aber wenn man eine ge dachte Gerade von Moondrag quer durch Pthor bis zum Zentrum der FESTUNG zog, dann lag das Wache Auge ziemlich genau auf dieser Linie. Und Heimdall konnte sich nicht vorstellen, daß die Herren der FE STUNG so dumm gewesen waren, gewisse Unglücksfälle nicht in ihre Überlegungen mit einzubeziehen. Wenn es eine zweite Steuerzentrale gab, so mußte sie nach Heimdalls Überzeugung im Umkreis des Wachen Auges zu finden sein. Er ärgerte sich darüber, daß er nicht frü her darauf gekommen war. Bei der Gelegen heit fiel ihm ein, daß auch Atlan dieser Ge gend besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Er winkte einen Dello herbei. »Kannst du einen Zugor bedienen?« fragte er das künst liche Wesen. »Oh, ja, Herr!« antwortete der Dello eif rig. Er gehörte zu den nicht modifizierten Modellen und sah daher ganz normal aus, das heißt, er glich einem Techno, hatte aber nicht die unfertig wirkenden Gesichtszüge dieser Leute, und sein Haar war blond statt schwarz. »Wie lange brauchen wir für eine Fahrt zum Wachen Auge?« »Eine Stunde, Herr.« »Geht es nicht schneller?« »Nein«, versicherte der Dello. Heimdall preßte die Lippen aufeinander und starrte zu der roten Sonne hinauf. Der Dello blickte ebenfalls nach oben. »Ich weiß, daß du es eilig hast, Herr«, murmelte er. »Aber es geht wirklich nicht schneller.« »Hast du es weniger eilig?« fuhr Heimdall das künstliche Geschöpf an. Der Dello lä chelte schwach. »Nein«, sagte er. »Ich habe keine Angst. Wer nicht richtig lebt, kann auch nicht rich
Stern der Vernichtung tig sterben.« »Du wirst anders darüber denken, wenn es soweit ist«, versicherte Heimdall grim mig. »Warte hier auf mich.« Er hielt einen Techno auf, der an ihm vor beihasten wollte. »Du fliegst so schnell du kannst zum Wa chen Auge«, befahl er. »Von dort aus setzt du dich mit mir in Verbindung.« Der Techno setzte zu einem Protest an, aber ein Blick in Heimdalls Augen zeigte ihm, daß er bei einer Auseinandersetzung den kürzeren ziehen würde. Er rannte zu ei nem Zugor. Heimdall sah zufrieden zu, wie das Fahrzeug aufstieg und in nordwestlicher Richtung davonflog. »Komm!« befahl er dem Dello und stürm te in den Raum zurück, in dem sein Bruder immer noch regungslos in einer Ecke saß. »Ich brauche eine Verbindung zum Wa chen Auge«, erklärte er. Der Dello wies verständnislos auf die Schirme. »Diese Verbindung besteht bereits, Herr!« »Das meine ich nicht, du Dummkopf! Ich will mit den Technos reden, die dort arbei ten. Irgend jemand muß doch noch dort sein.« Der Dello drückte schweigend auf einige Tasten. An den Bildern veränderte sich nichts. »Es antwortet niemand«, erklärte der Del lo nach einer Weile. Heimdall ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte er auf diese verdammten Maschinen und Schirme eingeschlagen. Wenn es den Dingern an den Kragen ging, würden sie schon reagieren! »Kannst du feststellen, wo der Zugor sich jetzt befindet?« fragte er statt dessen. »Nein. Er ist noch unterwegs, denn er hat das Wache Auge noch nicht erreicht. Aber mehr verraten die Instrumente nicht.« Heimdall hätte sich selbst ohrfeigen mö gen, weil er erst so spät an das Wache Auge gedacht hatte. Aber er sah ein, daß er jetzt nur noch abwarten konnte. Er entließ den Dello. Das Wesen aus Agh
29 month ging gelassen davon. Heimdall fragte sich, ob der Dello wirklich keine Angst ver spürte. Er warf seinem Bruder einen ärgerli chen Blick zu und widmete sich dann den Schirmen. Wenn der Zugor beim Wachen Auge eintraf, würde sich bestimmt jemand melden. Wenigstens hoffte Heimdall das. Er wußte, daß der Techno zu spät kom men mußte, aber er wollte nicht daran glau ben.
* In der »Seele« von Pthor, einem Schal traum tief unter der Oberfläche, bemühte sich das Wesen La'Mghor, die Funktionen der Maschinen zu verstehen und zu steuern. Vor kurzem hatte er noch einmal Kontakt zu Atlan bekommen. Er wußte, daß der Arkoni de bereits die Oberfläche dieses seltsamen Landes erreicht hatte. Das war beruhigend. Ohne es bewußt zu wollen, hatte La'Mghor immer wieder nach den Gedankenimpulsen des Fremden ge sucht. Es war, als gäbe es eine geheimnis volle Verbindung zwischen La'Mghor und dem Arkoniden. Wenn Atlan unverletzt die Oberfläche von Pthor erreichte, sagte La'Mghor sich immer wieder, dann würde auch er seine Aufgabe lösen. Natürlich war das eine etwas abergläubi sche Meinung, aber La'Mghor vermochte es nicht, diese Gedanken abzuschütteln. Jetzt war Atlan in Sicherheit, und La'Mghor konnte sich endlich völlig auf das konzentrieren, was man die »Seele« von Pthor nannte. Das bedeutete nicht, daß La'Mghor vorher untätig geblieben war. Er hatte unzählige Verbindungen zu den Steueranlagen herge stellt und unter anderem den Sturz Pthors in das Normaluniversum verzögert. Er hatte den Flug stabilisiert und den Kurs soweit ge ändert, daß sie am Ende auf einem Planeten herauskommen würden – oder doch wenig stens in seiner Nähe. Aber jetzt war er völlig ungestört, und das machte sich angenehm bemerkbar. Jede
30
Marianne Sydow
noch so winzige Ablenkung störte die Har monie zwischen ihm und der »Seele«. Nur über dieses unbegreifliche Etwas konnte La'Mghor einen Einfluß auf Pthor ausüben. Es gab hier unten keine Schalter und Hebel, die man bedienen konnte. Nicht einmal Bildschirme waren da, die einen Eindruck von dem vermittelten, was draußen geschah. Als La'Mghor tiefer in den Kontakt mit der »Seele« geriet, hatte er beinahe das Gefühl, mit dem Land Pthor persönlich in Verbin dung zu stehen, vorübergehend sogar ein Teil davon zu werden. Er erinnerte sich an das, was Atlan ihm zuletzt mitgeteilt hatte. Der Wölbmantel! Erst jetzt erkannte La'Mghor die volle Be deutung dieses Schutzschirmes. Ohne ihn würde Pthor selbst dann untergehen, wenn es vor der Landung bis auf den niedrigsten Wert abgebremst wurde. Seine Gedanken wurden von der »Seele« aufgenommen. La'Mghor erlebte diesen Vorgang wie in Trance. Wärme durchflutete ihn. Er war sehr glücklich. In diesen Augen blicken war er fest davon überzeugt, daß Pthor mißbraucht wurde, wenn man es als Waffe einsetzte. Als das Glücksgefühl nachließ, stellte La'Mghor fest, daß der Wölbmantel sich um das Land geschlossen hatte.
* Zum gleichen Zeitpunkt starrte Sigurd ge bannt zum Himmel hinauf, wo die düsteren Schleier immer durchsichtiger wurden. Der Planet war jetzt so groß, daß man von der roten Sonne fast nichts mehr sah. Was im mer auch geschehen mochte, Pthor würde auf der Nachtseite des Himmelskörpers lan den. Oder zerschellen. Oder vorher im Vakuum von allem Leben entblößt werden, um wenig später, beim Eintritt in die als dunstigen Streifen erkenn bare Atmosphäre, zu zerbersten und zu ver glühen wie ein riesiger Meteorit.
Sigurd hatte so lange auf dieser Welt ge lebt, daß er sie für selbstverständlich hielt. Die Völker in den Städten und im Blutd schungel oder dem Fluß Xamyhr mochten wechseln, aber an der Landschaft änderte sich nichts. In diesem Augenblick, als das Ende ganz nahe war, kam ihm zum erstenmal zum Be wußtsein, daß Pthor etwas Besonderes dar stellte. Im Gegensatz zu den anderen Kindern Odins hatte Sigurd sich bemüht, mehr über die Welten herauszufinden, die von den Her ren der FESTUNG heimgesucht wurden. Er wußte, daß diese Welten sich nicht durch Zeit und Raum bewegten, sondern an ihre Sonnen gefesselt blieben. Er wußte auch, daß es auf diesen Welten meistens nur ein intelligentes Volk gab. Die Vielfalt des Le bens auf Pthor war einzigartig. Und das alles sollte aus sein? In einem plötzlichen Wutanfall streckte Sigurd die Garpa nach oben, diesem grausa men, flackernden Himmel entgegen. Der Fluch, den er ausstoßen wollte, blieb ihm im Halse stecken. Plötzlich war alles anders. Das immer noch deutlich vernehmbare Donnern schwächte sich zu einem sanften Rauschen und Flüstern ab, das ständig leiser wurde. Der dunkle Planet war immer noch zu erkennen, aber zwischen ihm und Pthor gab es eine Schicht, die mattgrau schimmer te. Sigurd senkte die Garpa und blickte die Waffe verdutzt an. Sollte er damit … Ein Techno tauchte im Einstieg zu einer Pyramide auf und winkte aufgeregt. »Wir haben es gefunden!« brüllte er. »Die Guurpeln haben uns hingeführt! Wir haben den Wölbmantel eingeschaltet!« Sigurd starrte den Mann an, dann mußte er lachen. Es gab keinen Grund für seine Heiterkeit, trotzdem lachte er immer noch, als er bei Heimdall und Balduur eintraf. »Wir haben es geschafft«, verkündete er. »Der Wölbmantel steht.« Heimdall fuhr hoch.
Stern der Vernichtung »Dann ist er doch noch zur rechten Zeit angekommen«, murmelte er verblüfft. »Wer ist wohin gekommen?« fragte Si gurd ungeduldig. »Der Techno. Ich hatte ihn zum Wachen Auge geschickt. Ich bin durch einen Zufall darauf gekommen, daß es dort eine zweite Steuerzentrale gibt.« Sigurd blickte nachdenklich auf die Schir me, dann auf seine Waffe. »Ich fürchte«, murmelte er, »wir irren uns alle. Die Guurpeln und die Technos sind überzeugt davon, daß sie uns gerettet haben. Ich dachte für einen Augenblick, meine Gar pa hätte geholfen. Du, Heimdall, traust es ei nem einzelnen Techno zu, nicht nur in Re kordzeit das Wache Auge zu erreichen, son dern auch noch auf Anhieb die richtigen Schalter ausfindig zu machen. Was ist deine Theorie, Balduur?« »Unser Vater hat es getan.« »Das dachte ich mir.« Sigurd setzte sich hin, legte die Waffe zur Seite und lehnte sich demonstrativ zurück. »Wenn ihr mich fragt«, sagte er und gähn te ungeniert, »dann ist soeben entweder ein Wunder geschehen, oder eine uralte Auto matik hat ihre Arbeit wieder aufgenommen. Wir haben nichts erreicht, und wir werden auch nichts erreichen, bevor dieses verrückte Land irgendwo zum Stillstand kommt, damit wir alles in Ruhe untersuchen können.« »Und die Landung auf dem Planeten?« »Wird vielleicht hart sein, aber im Prinzip richtig verlaufen«, behauptete Sigurd. »Ich für mein Teil halte mich da heraus.« Heimdall und Balduur beobachteten dü ster, wie Sigurd die Rückenlehne seines Ses sels zurückklappte und binnen weniger Se kunden einschlief. »Der hat Nerven«, brummte Heimdall schließlich. »Was ist? Willst du dich nicht endlich auch dazu aufraffen, etwas zu tun?« »Wahrscheinlich hat Sigurd recht«, erwi derte Balduur nachdenklich. »Wir haben uns abgemüht und nichts erreicht. Ein Wunder, oder eine Automatik, oder Odin – es macht kaum einen Unterschied. Was immer es war,
31 es wird auch weiterhin für uns sorgen. Nach der Landung können wir uns immer noch in die Arbeit stürzen. Übermüdete Augen se hen viele Dinge doppelt und andere gar nicht. Ein bißchen Ruhe kann keinem von uns schaden.« »So etwas will sich zum neuen Herrn der FESTUNG aufschwingen«, knurrte Heim dall und stapfte wütend nach draußen. »Wenn die Technos das sehen, werden sie uns alle mit Schimpf und Schande davonja gen.« Er hatte auch in diesem Punkt nicht recht. Ein paar Technos, die sich neue Anweisun gen holen wollten, fanden zwei der Söhne Odins schlafend vor. Sie zogen sich vorsich tig zurück und berieten. Der Schluß, zu dem sie gelangten, war für sie sehr beruhigend: Wenn diese Männer der Zukunft so gelassen entgegenblickten, konnten wohl kaum große Gefahren drohen. Heimdall wunderte sich, wie ruhig es im Bereich der FESTUNG von da an zuging. Und er war sehr zufrieden darüber, daß je der, dem er begegnete, ihn demütig grüßte.
7. Burtimor war der Verzweiflung nahe. So schnell er auch lief, der Starre hielt mit ihm Schritt. Der Brangel benutzte jeden einzel nen Trick, den ein Jäger kannte, um das Biest von seiner Spur abzulenken, aber er hatte keinen Erfolg. Er fand eine Lücke zwischen dichtstehen den Dornblöcken, schlüpfte hindurch und lief auf der anderen Seite in ein fast recht winklig abzweigendes Tal hinein. Er spürte deutlich, daß der Boden blanker Felsen war, als er von der ursprünglichen Fluchtrichtung abwich. Burtimor trug keine Schuhe, und er hatte schon als Kind gelernt, sich bei aller Eile lautlos fortzubewegen. Als er sich nach einiger Zeit umdrehte, stakste der Starre immer noch hinter ihm her. Der Jäger änderte abermals die Richtung, da er sonst die beiden Freunde verpaßt hätte,
32 die weiter vorne mit den Fackeln warteten. Der Starre bog haargenau an dem Punkt ab, an dem Burtimor die Richtung gewech selt hatte. Das brachte den Jäger auf eine Idee. Das Biest hielt sich praktisch in seinen Fußstapfen. Für diesen Fall kannte der Jäger einen guten Trick. Die Brangeln wendeten ihn an, wenn sie die wohlschmeckenden, un geheuer kurzsichtigen Garads in den Flä chen jagten. Sie gingen einfach im Kreis und entfernten sich dann durch einen weiten Sprung soweit von der eigenen Spur, daß der Garad die Fortsetzung nicht fand und – wenn ihm niemand vorher einen Speer in die Rippen stieß – stundenlang im Kreis herum wanderte. Allerdings war sich Burtimor der Tatsa che bewußt, daß das Wahrnehmungsvermö gen eines Starren dem eines Garads weit überlegen war. Er rannte keuchend einen Hügel hinauf, um auf die richtige Fährte zu gelangen. Da bei stieß er auf einen Rankenstamm, der sich für seine Pläne hervorragend eignete. Er spähte nach hinten. Der Starre war noch nicht über den Kamm des Hügels ge kommen. Burtimor erlaubte sich den Luxus, kostbare Atemluft zu vergeuden und auf der Flanke des Hügels einigemale auf und ab zu laufen, bis er wieder in seiner früheren Spur anlangte. Dann packte er die längste Ranke, die er sehen konnte, und schwang sich an ihr weit hinaus bis über einen sandigen Flecken, der eine weiche Landung versprach. Er kam sicher auf und warf sich sofort nach vorne, in das nächste Gebüsch. Der mittlere Saugrüssel an der rechten Hand schmerzte teuflisch. Trotz aller Vorsicht war Burtimor an einen Dorn geraten. Aber im merhin konnte er darauf hoffen, den Starren eine Weile aufgehalten zu haben. Es wurde eine herbe Enttäuschung. Das glänzende Ding stakste über den Hü gel und nahm sofort Kurs auf Burtimors Versteck. Die irreführenden Spuren igno rierte es. Der Brangel raffte sich mühsam auf und
Marianne Sydow lief weiter. Verschwommen kam ihm der Gedanke, daß er längst nicht mehr so schnell wie am Beginn dieser Jagd war. Ermüdete auch der Starre? Burtimor konnte sich das kaum vorstellen. In dem Ding steckten Kräf te, die ein Brangel einfach nicht verstehen konnte. Das aber bedeutete nichts anderes, als daß der Starre absichtlich einen bestimmten Ab stand zu dem Brangel einhielt. Burtimor suchte nicht erst lange nach Erklärungen für dieses Verhalten, sondern probierte seine Theorie umgehend aus. Er ging langsamer als zuvor in Richtung auf die vorbereitete Falle. Er wagte es zuerst nicht, sich umzusehen. Als er aber nichts hörte, was auf eine Annäherung des Starren schließen ließ, probierte er es doch. Der Starre folgte ihm im gleichen Ab stand wie vorher. Burtimor wurden vor Erleichterung die Knie weich. Er zwang sich, weiterzugehen, und dabei ärgerte er sich darüber, daß er nicht früher auf diese Idee gekommen war. In einem vergleichsweise gemütlichen Tem po marschierte er dem Treffpunkt entgegen.
* Es war ein Glück, daß Burtimor die Ge danken seines Verfolgers nicht lesen konnte. Der Krieger war etwas verwirrt von den unglaublichen Möglichkeiten, die sich ihm plötzlich boten. Anfangs hatte er nur die Fläche JellCahrmere gekannt. Den Namen hatte man ihm und seinen Artgenossen eingeprägt, da mit sie sich nach einem Einsatz selbständig zurückmelden konnten. Der Krieger wußte, daß es siebenundzwanzig Herden gab, die überall in der Galaxis Wolcion verteilt wa ren. Das gab dem Tyrannen Sperco die Möglichkeit, seine Krieger an Brennpunkten des Geschehens schnell und wirkungsvoll zum Einsatz zu bringen. Er brauchte sie nicht erst auf zeitraubenden Transportwegen herbeizuschaffen. Der Krieger wußte auch, daß er sich in ei
Stern der Vernichtung ner Phase der Verwirrung befand und daß er gegen Spercos Willen handelte, als er damit anfing, Mitglieder der eigenen Herde auszu schalten. Dieses Wissen hinderte ihn nicht, seinem heimlichen Treiben mit Genuß nach zugehen. Immerhin gab es in dem metallenen Kör per so etwas wie ein Gewissen, und dieses verursachte jedesmal einen ziemlichen Wir bel, wenn der Krieger einen Artgenossen er ledigt hatte und sich der wohlverdienten Freude hingeben wollte. Dieses Gewissen war lästig, und alle Versuche, es zum Schweigen zu bringen, scheiterten. Hinzu kam der bedächtige Hirte, der zwar schon seit einiger Zeit Verdacht geschöpft hatte, aber keine Ahnung hatte, welcher sei ner Krieger sich derart schlimme Scherze er laubte. Als Juscu sich endlich zu einem Ent schluß durchgerungen hatte und mit seinen Meßgeräten in die Herde selbst eindrang, wurde die Lage für den tapferen Krieger sehr unangenehm. Er kam auf die nahelie gende Idee, Juscu umzubringen und sich an schließend voll und ganz dem Rausch der Vernichtung hinzugeben. Sein durchaus funktionierender Verstand machte dem Krie ger klar, daß es so leider nicht ging. Juscu stand in Verbindung mit den Schaltzentren der Station. Man würde den Ausfall des be dächtigen Hirten bald bemerken, und dann war es aus mit dem Vergnügen. Unschlüssig zog der Krieger sich zurück, als Juscu mit seinen Apparaten näherrückte. Er wich bis ins Hügelland zurück – und ent deckte eine wahre Wunderwelt. Hier konnte er sich entfalten. Er erlebte Kämpfe, bei denen seine Gegner nicht still und starr in der Gegend herumstanden, son dern sich bewegten und dadurch für prickelnde Spannung sorgten. Zuerst war der Krieger fast der Versuchung erlegen, einfach zuzuschlagen und alles weitere dem Zufall zu überlassen. Dann stellte er fest, daß sowohl die Bran geln als auch die Zlits – beide Begriffe wa ren ihm natürlich fremd – komplexe Lebens
33 gemeinschaften bildeten. Die Spur zu den Raubechsen war vorerst abgebrochen, die zu den Brangeln dagegen ganz frisch. Der Krieger merkte, daß diese Wesen ihm eine Falle zu stellen versuchten. Er jagte ih nen ein bißchen Angst ein, damit sie vor sichtiger wurden – so etwas förderte das Ni veau einer Jagd. Und dann spielte er sich als Verfolger auf, um sich, wenn es irgend ging, einfangen zu lassen. Er brannte darauf, die ses Volk näher kennenzulernen – und es zu vernichten. Das Beste an der ganzen Sache war, daß sein Gewissen überhaupt nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn er Brangeln oder Zlits nachstellte. Diese Wesen waren unbe deutend, jedenfalls für Sperco. Der Krieger amüsierte sich über die Ab lenkungsmanöver des Wesens, das er ver folgte. Aber er ging darauf ein. Obwohl er nur sehr geringe Erfahrungen im Umgang mit organischen Wesen hatte, erkannte er, daß der Brangel das zuerst eingeschlagene Tempo nicht lange durchhalten würde. Dem Krieger lag absolut nichts daran, sein Opfer zu Tode zu hetzen. Er wollte seinen Kampf, und er würde alles tun, um die Angelegen heit spannend zu gestalten. Er brauchte während dieser Verfolgung nicht einmal untätig zu bleiben. Es gab Tiere und Pflanzen am Wege, die er zerstörte. Felsbrocken zersplitterten unter wohlgeziel ten Schlägen seiner Handlungsarme. Andere schmolz er zu unförmigen Klumpen zusam men. Daß er mit solchen Aktivitäten den Bran gel vor ihm zu immer größeren Anstrengun gen antrieb, war ein erfreulicher Nebenef fekt. Der Krieger tobte sich aus, aber er ließ sich Zeit dabei. Bald würde der Augenblick kommen, in dem die Brangeln ihn in die nächste primitive Falle lockten. Er hatte sich die Fremden gut angesehen. Einen durfte er töten, die beiden anderen mußte er unge schoren lassen und sich starr stellen, damit sie glaubten, ihn besiegt zu haben. Der Krie ger zweifelte nicht daran, daß die beiden
34
Marianne Sydow
Überlebenden ihn in ihr Lager schleppen würden – wo es Hunderte von potentiellen Opfern geben mußte!
* Burtimor ging jetzt langsamer, aber seine Lungen schmerzten trotzdem, und seine Beine fühlten sich immer schwerer an. Er wun derte sich darüber. Er war ein Jäger, und er war jung. Die Kinder der Brangeln wurden selten verzärtelt, und Burtimor hatte immer auf Trab bleiben müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es mit rechten Dingen zuging, wenn er jetzt so schnell seine Kräfte verlor. Alte, abergläubische Behauptungen gin gen ihm durch den Kopf, während er stur einen Fuß vor den anderen setzte. Die Hügel, so sagte man, waren erfüllt von bösen Seelen, den unsterblichen Überre sten von Brangeln, die es nicht geschafft hatten, nach ihrem Tode in die ewigen Flä chen vorzudringen. Folgerichtig blieben sie auch in der normalen Welt in der Verban nung und durften die Ebenen nur dann auf suchen, wenn sie vorher einem unvorsichti gen Brangel im Hügelland genug Lebens kraft entzogen. Diesen bösen Seelen schrieb man es auch zu, daß die Hügel zwar ein viel fältiges, aber gefährliches Leben bargen, während in den kargen Ebenen genug Nah rung für alle Brangeln gedieh. Burtimor schrak aus seinen Gedanken auf, als hinter ihm etwas vernehmlich krachte. Entsetzt sah er, daß der Starre im Vorbeige hen einen Felsen zertrümmerte. Von nun an achtete er besser auf seinen unheimlichen Verfolger. Der Kerl schreckte vor nichts zurück. Giftige Kleintiere zermalmte er unter sei nen Füßen. Dornenblöcke durchbrach er, oh ne auch nur einen Kratzer davonzutragen. Ab und zu löste er den Feuerstrahl aus und zerschmolz damit riesige Steine. Nichts schien ihn aufhalten zu können. Burtimor dachte an seine Freunde und die Falle, und ihm wurde übel. Wie sollten sie
dieses Monstrum jemals aufhalten können? Es war ihm ohnehin ein Rätsel, warum das Ding einen stets gleichbleibenden Abstand zu ihm hielt, anstatt seine Überlegenheit auszuspielen. Er entsann sich seiner ursprünglichen Plä ne. Wenn es möglich war, eine freundschaft liche Verbindung zu wenigstens einem Star ren herzustellen, ließ sich vielleicht das Pro blem der Karawanen lösen. Und wenn Burti mor derjenige war, der eine solche Lösung herbeiführte … Der Gedanke an den Ruhm, den er sich erwerben konnte, berauschte ihn fast. Im merhin faßte er den Mut, einen Versuch zu starten. »Warum wollen wir nicht Freunde sein?« signalisierte er mit Hilfe seiner Saugrüssel finger. Dabei stellte er fest, daß seine Verlet zung ihn doch erheblich behinderte. »Wir werden dafür sorgen, daß alle von deiner Art frei umherwandern können!« Der Starre antwortete nicht. Vielleicht hatte er Burtimor gar nicht verstanden. Burtimor ging weiter, ließ den Starren je doch nicht mehr aus den Augen. Und je län ger er ihm zusah, desto nachdenklicher wur de er. Das Ding demonstrierte eine solche Kraft, daß sein Verhalten Burtimor gegenüber im mer rätselhafter erschien. Der Brangel schwankte zwischen der Möglichkeit, doch noch zu einem freundschaftlichen Kontakt zu kommen, und dem tiefen Mißtrauen dem Ding aus einer fremden Welt gegenüber, daß es seine finsteren Pläne nur mit einer sorg fältigen Tarnung versehen hatte. An einigen Zeichen erkannte er, daß es bis zur Fallgrube nicht mehr weit war. Er blieb stehen und sah dem Starren entgegen. Das Wesen hielt sofort an. »Warum antwortest du nicht auf mein An gebot?« fragte Burtimor. Der Fremde gab keine Antwort. Statt des sen nahm er einen Stein auf und ließ ihn langsam zwischen seinen Händen zer bröckeln. Der Brangel erschauerte. Er kannte diese
Stern der Vernichtung Sorte Steine. Sie waren so hart, daß man da mit sogar Spytenhörner mühelos bearbeiten konnte. Die Furcht, diesem unheimlichen Wesen in die Hände zu fallen, drohte ihn zu über mannen, aber er riß sich noch einmal zusam men. So schnell wollte er seine Träume nicht aufgeben. »Wenn du uns hilfst«, sagte er, »werden wir den Blauhäutigen verjagen können. Dann seid ihr alle frei und könnt wandern, wohin ihr wollt.« Der Starre antwortete nicht. Er stand nur da und wartete, bis Burtimor sich entmutigt abwandte und weiterging. Dann folgte er ihm im gleichen Abstand wie bisher. Burtimor ging immer langsamer. Eine seltsame Schwäche breitete sich in seinem Körper aus. Hatte er eine giftige Pflanze be rührt, oder war er krank? Er zerbrach sich den Kopf darüber, aber dadurch achtete er zu wenig auf den Weg und stolperte beim erstbesten Hindernis. Er fiel der Länge nach in dorniges Gestrüpp. Im ersten Schrecken achtete er weder auf die Schmerzen, noch auf den Starren. Hastig untersuchte er die Blätter um sich herum. Nach einer Weile atmete er erleichtert auf. Er hatte ein harmloses Gewächs erwischt. Dann sah er sich nach dem Starren um. Der war stehengeblieben, und dem Brangel fiel plötzlich auf, daß er den glänzenden Körper besser sehen konnte, als es in der Dunkelheit eigentlich möglich sein sollte. Unwillkürlich blickte er nach oben, denn er hatte durch die vielen Aufregungen jedes Zeitgefühl verloren. Der Himmel war dunkel, und nichts deu tete darauf hin, daß der Sonnenaufgang be vorstand. Aber einer der Sterne war viel zu groß und zu hell, und es sah aus, als wollte er sich ausdehnen. Burtimor dachte an die Schauermärchen, die man auf den langen Wanderungen den Kindern erzählte. Eine dieser Geschichten berichtete von der allerersten Karawanen spitze, deren Namen niemand auszusprechen wagte, weil es gefährlich war. Dieser Bran
35 gel hatte dem Vernehmen nach vor sehr lan ger Zeit die Flächen und die Hügel geschaf fen und die ersten Spyten gezähmt. Seitdem wanderten die Karawanen über den Konti nent, und die erste Karawanenspitze führte sie alle zu ihren Zielen und wachte über sie, damit die Zlits und all die anderen Feinde den Brangeln nichts anhaben konnte. Aber wie es solchen Geschichten geht, brach eines Tages ein Streit zwischen eini gen Karawanen aus, und die Brangeln kämpften miteinander. Als es sich heraus stellte, daß keine der Parteien den Kampf für sich entscheiden konnte, wählte jede Gruppe einen Anführer, und das waren nun ihre Ka rawanenspitzen, die anstelle der Krieger auf einandertrafen und den Streit durch weise Entschlüsse schlichteten. Die erste Karawa nenspitze aller Zeiten war darüber so wü tend, daß sie sich auf ihren feurigsten Spyten schwang und quer durch das Land raste, bis alle Brangeln vor Furcht zitterten. Als die erste Karawanenspitze aber an die Küste ge langte, ritt sie einfach über die Felsen hin aus, und ihr Spyte verwandelte sich in ein hell strahlendes Boot, das zum Himmel hin aufschwebte. Dort blieb die erste Karawa nenspitze als heller Stern stehen, und für alle Zeiten richteten sich die Brangeln bei ihren Wanderungen nach ihr. Angeblich sollte die Möglichkeit beste hen, daß dieses ebenso schreckliche wie ehr furchtgebietende Wesen nach Loorsat zu rückkehrte, wenn die Brangeln gegen die Gesetze ihres Lebens verstießen. Genau das hatten sie getan, als sie auf Befehl der Frem den ihre Wanderungen unterbrachen. Burtimor glaubte nicht wirklich an die Wiederkehr der ersten Karawanenspitze, aber es ließ sich nicht leugnen, daß der im mer größer werdende Stern sich da befand, wo sonst die Karawanenspitze stand, und das erschien dem Jäger als doch sehr be denklich. Noch etwas fiel ihm auf. Es war zu still – und zu warm. Nicht der leiseste Windhauch wehte, kein Blatt raschelte, und kein Tier ließ sich hören. Es war fast so warm wie am
36 Tage, wenn die Luft über den Hügeln zu flimmern begann. Burtimor hatte das unan genehme Gefühl, nicht unter freiem Himmel zu stehen, sondern sich in einer der tiefen Höhlen am Meer zu befinden, wo dicke La gen von Stein sich über ihm auftürmten. Alle diese Eindrücke zusammen waren so furchteinflößend, daß der Brangel den Star ren völlig vergaß. Er rappelte sich mühsam auf und taumelte vorwärts, in der verzwei felten Hoffnung, bei seinen Freunden Schutz zu finden, obwohl es Tarsyr und Otlusg mit Sicherheit nicht besser erging. Hätte Burti mor sich umgesehen, so hätte er feststellen können, daß auch der Krieger Schwierigkei ten hatte. Oft gelang es ihm kaum, seine Be wegungen zu koordinieren, und einzelne Handlungsarme fuhren völlig unmotiviert aus, wodurch der Starre oft arg behindert wurde. Als Burtimor die Fallgrube erreichte, war teten die anderen beiden Jäger bereits auf ihn. »Die erste Karawanenspitze!« teilte Burti mor ihnen erschöpft mit. »Sie kommt zu rück.« Er erfuhr nicht, ob Otlusg und Tarsyr der gleichen Meinung waren, denn die beiden hatten den Starren entdeckt, und für einen kurzen Moment riß dieser Anblick sie aus dem Bann eines unerklärlichen Ereignisses. Sie packten Burtimor an den Oberarmen und zogen ihn mit sich, an der Fallgrube vorbei und hinter ein dichtes Gebüsch, das allerdings gegen den Starren wenig Schutz bieten würde. Aber das kam den Brangeln kaum noch zu Bewußtsein. Die Panik griff nach ihnen. Burtimor riß sich überraschend los und rannte ziellos davon, bis er gegen einen Felsblock prallte. Otlusg kroch wie blind über den Boden und blieb schließlich in einer sandigen Mulde liegen. Tarsyr war zu gar keiner Bewegung mehr fähig. Er schaffte es noch, sich herumzuwälzen, so daß er den, schrecklichen Anblick des jetzt immer greller strahlenden Sternes nicht zu ertragen brauchte. Hinter ihnen stolperte der Krieger des Ty-
Marianne Sydow rannen Sperco in die vorbereitete Falle. Er landete auf dem oberen Teil seines eiförmi gen Körpers und fuhr reflexartig alle Glied maßen ein. Als er sich anschickte, die Fall grube zu verlassen, stellte er fest, daß er be wegungsunfähig war. Wenig später raste eine Druckwelle über das Land. Die Brangeln verloren das Be wußtsein. Dem Krieger konnte das naturge mäß nicht passieren, aber der stürzende Stern übte auf ihn eine ähnliche Wirkung aus wie die Strahlung aus Juscus geheimnis vollem Kasten. Seine Wahrnehmungssektoren schalteten sich aus. Das leuchtende Gebilde raste heran, und die Dunkelheit wich einer unheimlichen, schwefelgelben Dämmerung.
8. Das Wasser lief immer schneller ab, und rund um den Hügel tauchten weitere Boden erhebungen auf. Trotzdem blieben sie noch an ihrem sicheren Zufluchtsort, denn der Boden war aufgeweicht und schlammig. Als sich der Wölbmantel aufbaute, wuß ten sie, daß wenigstens ein Teil der Gefahr beseitigt war. Trotzdem starrten sie besorgt zum Himmel hinauf. »Seltsam«, sagte Thalia nach einer Weile. »Ich kann mich nicht erinnern, daß ich die Zielwelt jemals so gesehen habe. Sonst kam es mir immer so vor, als ob ein fremder Pla net sich langsam um Pthor bildete.« Die anderen schwiegen. Sie konnten sich lebhaft vorstellen, woher der Eindruck kam. Im Gegensatz zu diesem irrsinnigen Flug landete Pthor erst dann, wenn es die Zielwelt bereits erreicht hatte. Erst dann verließ es allmählich den Dimensionskorridor, um schon bei diesem Vorgang schwere Beben und Überflutungen zu verursachen. »Ob wir schon draußen sind?« fragte Raz amon bedrückt. »Nein«, widersprach Kolphyr. Er mußte es wissen, denn mit den Dimensionen kann te er sich aus. »Aber es wird nur noch weni
Stern der Vernichtung ge Minuten dauern.« »Hoffentlich schafft es La'Mghor«, seufz te Thalia. Atlan nahm sich einen Streifen Fleisch und kaute darauf herum. Er war nervös. Zwar hatte er das geschafft, weswegen er nach Pthor gekommen war, denn die Erde war jetzt nicht mehr in Gefahr, aber an seine eigene Zukunft wagte er kaum zu denken. Sollte er für den Rest seines Lebens mit die sem Dimensionsfahrstuhl durch Zeit und Raum irren? Oder würde es ihm gelingen, eines Tages zur Erde zurückzufinden? »Jetzt!« sagte Kolphyr. Atlan schrak zusammen und blickte nach oben. Jenseits des Wölbmantels wurde es schlagartig finster, dann schien es, als würde Pthor in eine Kurve gezwungen. Für einen Augenblick sahen sie die hellrote Sonne, dann wurde es wieder finster. »Der Anflug«, sagte Razamon heiser. »Hoffentlich funktionieren die Bremsen.« Es sollte ein Scherz sein, aber niemand konnte darüber lachen. Atlan spürte ein schwaches Ziehen im Hinterkopf, ein sicheres Zeichen dafür, daß La'Mghor Verbindung mit ihm aufnehmen wollte. Er konzentrierte sich. Die Impulse, die er auffing, waren vage und verwaschen. Aber die Botschaft war deutlich zu verste hen. »La'Mghor hat Pthor unter Kontrolle«, be richtete er. »Er wird das Land steuern und landen können. Aber es dürfte zu einigen Er schütterungen kommen.« »Wenn's weiter nichts ist«, murmelte Raz amon. »Wir sollten uns Gedanken darüber ma chen, was wir nach der Landung unterneh men«, meinte Atlan. Thalia sah ihn erstaunt an. »Das ist doch klar. Wir schlagen uns bis zum Wachen Auge durch, nehmen uns einen Zugor und fliegen zur FESTUNG.« »Deine Brüder dürften nicht gerade begei stert sein, wenn wir dort auftauchen«, gab Razamon zu bedenken. »Sie sind sicher da
37 von überzeugt, daß wir längst ertrunken oder auf andere Weise ums Leben gekommen sind.« Thalia senkte bedrückt den Kopf. »Es tut mir leid, daß ihr meinetwegen Un annehmlichkeiten habt.« »Fang nicht schon wieder damit an«, sag te Atlan ärgerlich. »Kolphyr hat dich sehr lieb«, schnurrte das Antimateriewesen prompt. »Kolphyr sein selber arm. Aber werden dich trösten. Komm zum Kolphyr, Kleines.« Thalia rückte hastig zur Seite. »Schluß damit«, befahl Atlan. »Deine Brüder, Thalia, würden sich uns gegenüber auf keinen Fall anders verhalten, wenn es dich nicht gäbe. Sie wollen über Pthor herr schen – das haben sie sich schon so lange eingeredet, daß kein Mensch etwas daran ändern könnte.« »Wenn Odin es nicht abgelehnt hätte, Verbindung aufzunehmen, während ich da bei war, hätte ich euch schützen können.« »Unsinn. Abgesehen davon schützen wir uns lieber selbst. Und was Odin betrifft – ich habe das Gefühl, daß ihr alle da einer Täu schung aufgesessen seid.« »Wie meinst du das?« fragte Thalia ver ständnislos. »Ich glaube nicht daran, daß es Odin noch gibt – auch nicht in Form eines Geistes, den man bei Bedarf beschwören kann.« »Meine Brüder haben mit ihm gespro chen. Willst du behaupten, sie hätten gelo gen?« »Aber nein«, sagte Atlan beruhigend. »Wenigstens waren sie sich keiner Lüge be wußt. Thalia, man kann sich vieles einreden, und wenn man dabei bleibt, kann es passie ren, daß man Dinge und Wesen wirklich zu sehen und zu hören glaubt. Auf der Erde gab es vor allem in früheren Zeiten viele Bewei se für solche Vorgänge. Deine Brüder haben erwartet, daß Odin sich meldete, und darum kam dieses Trugbild zustande.« »Warum hat es dann nicht geklappt, als ich dabei war?« »Vielleicht bist du im Unterbewußtsein
38 von Odins Existenz weniger überzeugt.« Thalia schüttelte heftig den Kopf. »Aber du glaubst immer noch, daß es für Odin eine Zumutung ist, eine Tochter zu ha ben. Wahrscheinlich hast du dich gegen sei ne Beschwörung gewehrt, ohne es zu mer ken, oder du hast gedacht, daß Odin mit sei ner Tochter sowieso nicht spricht. Darum hat es nicht funktioniert. Halluzinationen dieser Art können nur dann entstehen, wenn alle Beteiligten fest daran glauben.« »Auch meine Brüder schaffen es nicht im mer«, versetzte Thalia trotzig. »Odin exi stiert, das weiß ich. Wenn sie ihn in unwich tigen Dingen um Rat fragen wollen, zeigt er sich nicht.« »Weil sie selbst wissen, daß es um un wichtige Fragen geht«, behauptete Atlan. »Die kleinste Störung reicht aus …« »Das ist sicher interessant«, unterbrach Razamon das Streitgespräch. »Aber wenn ihr so weitermacht, verpaßt ihr die Lan dung.« Atlan warf ihm einen wütenden Blick zu. Genau das hatte er nämlich beabsichtigt. Er wollte Thalia ablenken. Jenseits des Wölbmantels tauchten Sterne auf. Dann wehten leuchtende Schleier vor bei. Der Arkonide stellte sich vor, wie Pthor jetzt durch die obersten Schichten der Atmo sphäre eines fremden Planeten raste. Falls es intelligente Wesen auf dieser Welt gab, wür den sie spätestens jetzt merken, daß eine Ka tastrophe auf sie zukam. Die Landung eines so riesigen Gebildes mußte auf jeden Fall schlimme Folgen haben, auch wenn La'Mghor überhaupt nicht die Absicht hatte, Schaden anzurichten. Atlan preßte die Lippen aufeinander. Im mer wieder hatte er daran gedacht, Pthor entgegen den Absichten der Herren der FE STUNG zu positiven Zwecken einzusetzen. Jetzt wurde ihm bewußt, daß jede Landung auf einem Planeten, ganz gleich, aus wel chen Motiven sie durchgeführt wurde, pro blematisch war. Es sei denn, es gelang La'Mghor mit der Zeit, den Dimensionsfahr-
Marianne Sydow stuhl so gut zu beherrschen, daß er Pthor ge nauso leicht wie ein Raumschiff landete. Draußen mußte die Hölle los sein. Die Luft, die am Wölbmantel vorbeistrich, glüh te grell auf. Das Kreischen, Heulen und Donnern war sicher bis auf die Oberfläche des Planeten zu hören. Auf Pthor selbst ging alles mit gespenstischer Lautlosigkeit von statten. Der Wölbmantel schützte die Be wohner vor allen Umwelteinflüssen. Mit Schaudern dachte Atlan daran, was sich jetzt auf Pthor abgespielt hätte, wenn dieser einzigartige Schutzschirm sich nicht geschlossen hätte. Er meinte zu spüren, wie Pthor eine weit geschwungene Kurve flog. Hatte La'Mghor die Bremswirkung der Atmosphäre einkal kuliert? Was geschah, wenn Pthor zu früh zum Stillstand gebracht wurde? Das Glühen wurde stärker und überzog den ganzen Himmel. Atlan und seine Freun de hielten die Luft an. Selbst Kolphyr starrte regungslos zum Horizont, als könnte er dort ein Zeichen dafür sehen, was die Zukunft brachte. Atlan hoffte, daß La'Mghor das seltsame Fahrzeug in einem Meer landete. Flutwellen waren zwar gefährlich, aber wenn er sich vorstellte, daß Pthor beispielsweise auf eine dichtbesiedelte Landschaft stürzte … Das nicht, erreichte ihn ein Gedanke. Aber bis zum Meer hätten wir es nicht mehr geschafft. Keine Sorge, es wird nicht so schlimm, wie du jetzt denkst! Und dann war es soweit. Ein heftiger Ruck erschütterte das Land. Er war in allen Gegenden gleichzeitig zu spüren, denn Pthor hatte senkrecht aufge setzt. Zum Glück gab es fast keine Nachbe ben. Beim Aufprall wurden ein paar Gebäu de beschädigt, ein Teil der vernachlässigten Türme und Hallen im Gebiet des Wachen Auges brach zusammen, abgestorbene Bäu me vielen um, in den gebirgigen Gegenden gab es Erdrutsche und Steinlawinen. Die Glaspaläste in der Senke der verlorenen See len klangen wie riesige Glocken. Im Gebiet der FESTUNG taten sich zahlreiche neue
Stern der Vernichtung Gänge und Schächte auf, stellenweise ver sanken Gärten und Wege, weil tiefer liegen de Hohlräume der Erschütterung nicht standgehalten hatten. Aber im großen und ganzen hielten sich die Schäden in erträgli chen Grenzen. Die meisten Pthorer kamen mit dem Schrecken davon. Atlan, Razamon und Thalia verloren den Halt unter den Füßen und klatschten auf den felsigen Boden zurück. Atlan trug das Gol dene Vlies und war damit ausreichend ge schützt. Bei Thalia war es die viel zu große Rüstung, die den Aufprall erträglich machte. Razamon verdankte es seiner katzenhaften Geschicklichkeit, daß er sich keine ernsthaf ten Verletzungen einhandelte. Und Kolphyr hatte es am besten getroffen, denn er konnte sich rechtzeitig an einem Felsen festhalten. »Soll ich euch trösten?« fragte er hoff nungsvoll. Atlan stand halb benommen auf. »Du kriegst es fertig, uns zu zerquetschen, nachdem wir alles andere überstanden ha ben«, murmelte er. Durch das Donnern und Krachen, das Pthors Landung begleitete, vernahm er ein Geräusch, das ihm bekannt vorkam. »Ein Zugor!« rief Razamon verwundert. Das Summen war ihnen jetzt schon sehr nahe. Sehen konnten sie die Flugscheibe nicht, denn es war dunkel. Die fremden Ster ne spendeten nur wenig Licht. »Er kommt genau auf uns zu«, stellte Thalia fest. »Wir sollten in Deckung gehen.« »Vielleicht kommt uns jemand zu Hilfe«, meinte Kolphyr. »Wer denn?« fragte Atlan. »Es weiß ja niemand, wo wir uns aufhalten.« Das Summen änderte ständig Höhe und Lautstärke. »Sie sind von der Schneise abgekom men«, sagte Thalia unruhig. »Hoffentlich …« Sie unterbrach sich, als das Summen plötzlich abriß. Unterhalb des Hügels fiel ein schwerer Gegenstand ins Wasser. Sie hörten einen schwachen Schrei, dann war al les still.
39 »Ich sehe nach«, sagte Atlan schließlich. Er brauchte nicht weit zu gehen. Ganz in der Nähe gab es eine Senke. Ausgerechnet dort war der Zugor abgestürzt. Das Wasser hatte dem Aufprall einen Teil seiner Wucht genommen, aber den Technos, die in der Flugscheibe gesessen hatten, hatte das nichts mehr genutzt. Atlan fand einen Toten auf dem Kontroll würfel und mehrere zerrissene Gurte am Rand der Schale. Andere Spuren verrieten, daß sich das Fahrzeug mehrmals überschla gen hatte. Die Passagiere waren dabei aus dem Zugor geschleudert worden. Er untersuchte das Fahrzeug, so gut es in der Dunkelheit möglich war, und kam zu der Überzeugung, daß der Zugor grundsätzlich noch flugfähig war – vorausgesetzt, man brachte ihn in eine der Schneisen, die für Technos erlaubt waren. Außerdem entdeckte er einen festgezurrten Ballen, der alle Er schütterungen unbeschädigt überstanden hatte. Er löste die Riemen und fand, einge wickelt in Kunststoff, Brotfladen, frisches und getrocknetes Obst sowie einen kleinen Vorrat an Trinkwasser. Er konnte sich nicht recht über die Nahrungsmittel freuen – als er sie an sich nahm, kam er sich wie ein Lei chenfledderer vor. Wie edel, bemerkte sein Extrasinn. Die toten Technos wären sicher zu Tränen ge rührt. »Es ist nicht sicher, daß sie alle ums Le ben gekommen sind«, widersprach der Ar konide ärgerlich. »Die anderen wurden her ausgeschleudert. Wenn sie Glück hatten, sind sie im Wasser gelandet.« Und ertrunken. Sie verlieren das Bewußt sein, wenn sie vom Weg abkommen. Außer dem war der Zugor noch mindestens einhun dert Meter hoch, als sie hinausgeschleudert wurden. »Woher willst du das so genau wissen?« Weil es meine Aufgabe ist, mir gewisse Dinge zu merken und diese Erkenntnisse miteinander zu kombinieren. Atlan gab es auf. Er packte die Lebens mittel zusammen und kehrte zu den anderen
40
Marianne Sydow
zurück. Noch reichte das Wasser fast bis an den oberen Rand des Zugors. Bis zum näch sten Morgen war es wahrscheinlich ganz ab gelaufen. Er erzählte den anderen, was er gefunden hatte, und verteilte das Brot und die Früchte. Kolphyr ging dabei wie üblich leer aus – er brauchte keine Nahrung im üblichen Sinn. »Wenn ihr es für besser haltet, meinen Brüdern aus dem Weg zu gehen, können wir den Zugor benutzen«, sagte Thalia, als sie hörte, daß die Flugscheibe kaum beschädigt war. »Wie sollen wir ihn in die Luft kriegen?« fragte Razamon verblüfft. Odins Tochter lächelte flüchtig. »Einige Dinge weiß ich, von denen nor male Pthorer keine Ahnung haben. Es gibt eine geheime Schaltung, mit deren Hilfe man die Zugors auch außerhalb der Schnei sen fliegen kann. Wie sollten sonst die Del los aus der FESTUNG an jeden Ort gelan gen, an dem sie gebraucht werden?« »Ich dachte, es handelte sich dabei um speziell hergestellte Flugscheiben«, gab Razamon zu. »Falsch gedacht«, kommentierte Thalia trocken. Atlan verschob das Problem auf später. Bevor es hell wurde, konnten sie wenig un ternehmen. Zuerst gedachte er, seinen Hun ger zu stillen. Das rohe Fleisch hatte ihm nicht geschmeckt. Die frischen Brotfladen waren ihm bedeutend lieber. Er wollte gerade in einen von ihnen hin einbeißen, da wehte der Wind ihm eine or dentliche Portion von Kolphyrs Zimtgeruch in die Nase. »Wenn ich jemals nach Terra zurückkeh re«, murmelte der Arkonide, »dann wird es etwas geben, was ich zeit meines Lebens nicht mehr riechen kann.« »Was ist das?« fragte Kolphyr neugierig. Razamon grinste wissend. »Zimt«, erwiderte Atlan trocken.
9.
Der bedächtige Hirte beobachtete das leuchtende Ding am Himmel, und je länger er hinsah, desto merkwürdiger kam ihn die ganze Angelegenheit vor. Er zog die Daten bank des Wächters zu Rate, aber die konnte ihm keine Auskunft darüber geben, was sich am Himmel über Loorsat abspielte. Zum erstenmal fiel dem bedächtigen Hir ten auf, daß es auf seinem Hügel keine Mög lichkeit gab, die Schiffe der Spercoiden zu orten, ehe sie kurz vor der Landung standen. Gleichzeitig begriff er, daß der leuchtende Fleck kein Raumschiff sein konnte, das Sperco geschickt hatte. Er hatte keine Meldung aufgefangen, und die Begleitumstände waren absolut unge wöhnlich. »Aber wenn es nicht die Spercoiden sind, wer ist es dann?« überlegte er laut. »Raumfahrer!« verkündete der Vrill. »Was für Raumfahrer? Woher sollten die kommen? Niemand außer Sperco kennt das Geheimnis, mit dessen Hilfe man sich von einer Welt zur anderen versetzen kann.« »Du spinnst«, teilte das respektlose We sen dem bedächtigen Hirten mit. »Es gibt unzählige intelligente Völker, und fast jedes baut eines Tages Raumschiffe, falls es nicht in seiner Entwicklung gestört wird.« »Woher weißt du das?« Der Vrill kicherte. »Von dir. Du hast es nur inzwischen ver gessen.« Juscu dachte über den Sinn dieser Bemer kung nach, aber er konnte keine Lösung fin den. Die Spercotisierung hielt ihn immer noch gefangen. Sie verhinderte, daß er sich erinnerte und dadurch nicht mehr aus schließlich für den Tyrannen von Wolcion arbeitete. »Du irrst dich«, sagte Juscu schließlich. »Sperco ist einzigartig, und niemand reicht an seine Leistungen heran. Die Schiffe der Spercoiden brauchen die Leuchtfeuer, um si cher landen zu können. Wenn das da oben ein fremdes Raumschiff wäre, mußten seine Erbauer fähig sein, auch ohne Leuchtfeuer die Oberfläche von Loors zu erreichen. Da
Stern der Vernichtung mit wären sie Sperco überlegen, und weil es so etwas nicht gibt, gibt es auch keine frem den Raumschiffe.« »Von mir aus kannst du dir deinen Sperco sauer einlegen lassen«, piepste der Vrill be leidigt. »Aber wenn du noch wert darauf legst, seine Gnade zu genießen, solltest du allmählich etwas für deine hochgeschätzten Krieger tun.« »Warum?« »Weil das fliegende Ding da oben JellCahrmere auf seiner Bahn überqueren wird. Das dürfte einigen Wirbel geben. Es ist sehr groß.« »Die Krieger sind gegen alles geschützt«, wehrte Juscu ab. »Das denkst du! Aber es wird einen ge waltigen Sturm geben und eine Hitzewelle wird das Land überziehen. Das Überstehen die Blechkameraden nie.« »Ich habe dir schon oft gesagt, daß du nicht so respektlos über sie reden sollst!« »Meinetwegen. Das ändert nichts daran, daß du endlich etwas unternehmen mußt. Sonst ist deine Herde später nur noch ein Haufen Schrott. Sperco würde sich nicht sehr darüber freuen.« »Was soll ich tun?« fragte der bedächtige Hirte ratlos. »Aktiviere die Krieger«, schrie der Vrill ungeduldig. »Sie müssen die Fläche verlas sen und abseits von der Flugbahn warten, bis es vorbei ist.« »Ich darf sie nicht ohne Befehl aktivie ren.« »Narr!« kreischte der Vrill, und dann sag te er nichts mehr. Juscu starrte ratlos zu den Kriegern hinun ter. Das Leuchten am Himmel war stärker geworden. Er hatte nicht mehr viel Zeit, um einen Entschluß zu fassen. Endlich rang er sich dazu durch, dem Vrill zu glauben. Man konnte dem kleinen Wesen allerhand nachsagen, aber es hatte den bedächtigen Hirten noch nie belogen. Juscu watschelte hastig an verschiedenen Geräten vorbei, bis er das richtige Pult er reicht hatte. Er atmete tief durch, dann
41 drückte er auf einen Knopf. Von oben senkte sich ein Ring herab. Jus cu zog ihn über seinen Kopf und erteilte den Kriegern seine Befehle. »Alle Krieger haben sich sofort zu akti vieren und die Fläche Jell-Cahrmere zu ver lassen. Fluchtrichtung: Norden. Ausführung muß sofort erfolgen.« Juscu schob den Ring in die Höhe, wat schelte zu einem Fenster und blickte hinaus. Er hatte erwartet, das Heer der Krieger in ra sender Bewegung zu sehen. Seine Schützlin ge konnten sehr hohe Geschwindigkeiten entwickeln, wenn es darauf ankam, und sein Befehl war eindeutig genug gewesen. Aber die Krieger standen immer noch re gungslos da. Verzweifelt eilte Juscu zum Pult zurück. Und da sah er die Zeichen, die er vorher in der Aufregung gar nicht beachtet hatte. Der bedächtige Hirte stöhnte auf. Vorhin, bei der Suche nach dem Amok läufer, hatte er seine Krieger zu absoluter Ruhe verurteilt. Der Befehl konnte daher nicht befolgt werden. Erst mußte eine andere Schaltung erfolgen. Juscu sah nach oben. Das leuchtende Etwas war zum Stillstand gekommen. Es mußte der Oberfläche dieses Planeten schon sehr nahe sein, denn Juscu konnte die Ränder kaum noch sehen. Sie zeichneten sich als glühende Linien ab. Das Etwas selbst war nachtschwarz und stanzte einen sternenlosen Flecken in den Himmel. Mit zitternden Fingern drehte Juscu an seinen Schaltern. Irgend etwas sagte ihm, daß es auf jeden Fall zu spät war. Aber er wollte es nicht wahrhaben. Wieder senkte sich der Ring, und der Kontakt zu den Maschinen baute sich auf. Juscu war kaum fähig, seine Befehle zu for mulieren. Die Stimme versagte ihm, und er brachte ein unartikuliertes Krächzen heraus. Dann endlich schaffte er es – und gleichzei tig drang von draußen ein unheimliches, gei sterhaftes Licht herein. Juscu stieß den Ring ungeduldig von sich und eilte wieder ans Fenster. Er schloß vor
42 Schrecken die Augen. Das Ding am Himmel senkte sich herab. Und dabei schob es eine Hitzewelle vor sich her, ganz genau so, wie der Vrill es gesagt hatte. Das Licht kam nicht von dem am Himmel hängenden Körper, sondern es ging von den Kriegern aus. Juscu zwang sich, trotz allem genau hin zusehen. Vielleicht gab man ihm eine Chan ce und erlaubte ihm Sperco oder einem sei ner Diener Bericht zu erstatten. Dann war es wichtig, daß er nichts wegließ. Ein paar tausend Krieger hatten sich noch in Bewegung setzen können, ehe die Hitze kam. Es nutzte ihnen nichts. Der Rand der Fläche war für sie unerreichbar. Außerdem war es auch dort nicht sicher. Auf den Hü geln flammten Sträucher und Kräuter auf. Es war ein Brand, wie Juscu ihn noch nie gese hen hatte. Die Flammen zuckten hoch – und erloschen sofort wieder. Alles, was von die ser Hitzewelle berührt wurde, zerfiel sofort zu Asche. Die Krieger begannen zu glühen. Zuerst hoffte Juscu noch, daß es sich um eine opti sche Täuschung handelte, aber dann konnte er der Wahrheit nicht länger ausweichen. Er sah es nicht nur durch das Fenster, son dern auch auf den vielen Bildschirmen. Sei ne Schützlinge leuchteten in einem tiefen Rot, das schnell heller wurde, zu orange überwechselte, dann zu gelb. Hunderte von Kriegern explodierten und zerbarsten zu feu rigen Funken, die tiefe Breschen in die Her de rissen. Und dann, als die nichtexplodier ten Krieger in grellem Weiß leuchteten, be gannen sie sich zu verändern. Ihre ovalen Körper verloren ihre starre Form, wurden zu breiten Fladen und kriechenden Tropfen. Sie schmolzen zusammen wie Fett auf einer hei ßen Platte. Juscu war wie versteinert. Seine Herde verwandelte sich in einen Haufen von ge schmolzenem Metall, das sich zum Teil in kleinen Vertiefungen sammelte. An einigen Stellen blieben die Krieger teilweise erhal ten, aber dicke Stränge von glühendem Ma terial verbanden sie miteinander.
Marianne Sydow »Verflucht sollst du sein!« flüsterte er hilflos und sah zu dem Ding hinauf, dem er diese Katastrophe zu verdanken hatte. Der dunkle Körper verschob sich. Juscu, der allmählich zu der Auffassung gelangte, daß es sich um einen riesigen Meteor han deln müsse, blinzelte verwundert. Draußen raste ein glühend heißer Orkan über die zerstörte Herde hinweg. Und der vermeintliche Meteor bewegte sich, glitt nach Norden weiter und wurde dabei immer noch größer. So verhielt sich kein Meteor, das wußte sogar der bedächtige Hirte. War es doch ein Raumschiff? Juscu achtete nicht mehr auf die Krieger, denen er ohnehin nicht mehr helfen konnte. Er konzentrierte sich auf das Ding am Him mel. Es mußte wirklich gigantisch sein. Und es bewegte sich, als würde es gesteuert. Konnte es so riesige Raumschiffe geben? Juscu ge riet in einen heftigen Konflikt. Auf keinen Fall hatte Sperco das Ding da oben geschickt. Also waren es Feinde des Tyrannen, die die Herde vernichtet hatten und jetzt zur Landung auf Loorsat ansetzten. Dieser Gedanke war logisch und ließ sich anhand der Tatsachen leicht beweisen. Das Unglück bei alledem war nur, daß ein Sper cotisierter niemanden als mächtiger und großartiger einstufen konnte als den Tyran nen Sperco selbst. Mit anderen Worten: Jus cu sah etwas, was sein Gehirn beim besten Willen nicht wahrhaben wollte. Sekundenlang stand der bedächtige Hirte schwankend da. Dann gab etwas in ihm nach, und er verlor das Bewußtsein. »Das kommt davon«, sagte der Vrill zu sich selbst. »Aber vielleicht hilft es ihm.« Im infernalischen Kreischen der überhitz ten und komprimierten Luft ging die Stimme des Winzlings völlig unter. Der Vrill flatter te besorgt um Juscu herum. Inzwischen raste der gigantische Flugkörper über JellCahrmere hinweg. Irgendwo jenseits der Hügel schlug er auf. Ein Donnerschlag durchfuhr den ganzen Kontinent. Der Hügel
Stern der Vernichtung schüttelte sich trotz des Schutzschirms. Die Erschütterung brachte Juscu wieder auf die Beine. »Was ist passiert?« fragte er verständnis los. »Es ist gelandet«, erklärte der Vrill lako nisch. Auf einem der Schirme sah Juscu, daß sich hinter den Hügeln ein gewaltiges Gebil de auftürmte wie ein Gebirge, das eben erst entstanden war. Er wußte, daß er etwas unternehmen muß te, aber sein Verstand war wie ausgesaugt. Er brachte keinen vernünftigen Gedanken zustande. Er war vernünftig genug, sich der heilenden Wirkung des tiefen Schlafes zu überlassen.
* Der Vrill weckte ihn diesmal nicht. Das seltsame Wesen spürte, daß es seinem Herrn schlecht ging und daß ihm etwas Ruhe bitter not tat. Als Juscu die Augen aufschlug, war es be reits später Vormittag. Zuerst erinnerte er sich gar nicht mehr an das, was in der Nacht geschehen war. Nur allmählich drangen ein paar Bilder in sein Bewußtsein vor. Sie wa ren so schrecklich, daß er vor ihnen zurück scheute. Eine Weile gelang es ihm auf diese Art, der Wahrheit aus dem Wege zu gehen. Er zwang sich, etwas zu essen, und ging jedem Fenster tunlichst aus dem Wege. Der Vrill meldete sich nicht, und Juscu war ihm dankbar dafür. Aber schließlich ließ sich der Augenblick nicht länger hinauszögern, denn ein Signal über der Tür zeigte dem Hirten, daß es Zeit für die tägliche Inspektion war. Mit gesenktem Kopf trat er nach draußen. Das erste, was er bemerkte, war die Hitze. Es war noch wärmer als sonst, und Juscus blaue Haut reagierte mit einem unangeneh men Kribbeln auf die Wärme. Juscu erinner te sich daran, daß er den Schutzschirm akti viert hatte. Er sah zum Himmel hinauf. Ein leichtes Flimmern verriet ihm, daß der
43 Schirm noch funktionierte. Wie aber war es dann möglich, daß die Temperatur gestiegen war? Seufzend machte er sich auf den Weg zur Beobachtungskuppel. Er redete sich ein, daß er die Vorgänge der letzten Nacht geträumt hatte. Die Sache mit dem Amokläufer hatte ihm schwer zu schaffen gemacht – kein Wunder, wenn seine Phantasie so überhitzt reagierte. Sicher war den Kriegern gar nichts geschehen. Wer wollte ihnen etwas anha ben? Sie waren Spercos Diener – und sie waren unbesiegbar. Das hatte Juscu bei sei ner Jagd zu spüren bekommen. Er trat durch die Tür und sah zufällig ge nau in die Richtung des größten Bild schirms. Der bedächtige Hirte stöhnte auf. Er muß te sich hinsetzen, weil seine Beine nachga ben. Also doch kein Traum. Da draußen standen sie, zerflossen, zer schmolzen, aneinandergebacken. Sie glänz ten zwar wieder silbern, aber jeder Dumm kopf konnte deutlich sehen, daß keines der metallenen Eier sich jemals wieder würde bewegen können. »Nun weißt du es«, sagte der Vrill, und Juscu registrierte erstaunt, daß in der Stim me des Kleinen Mitgefühl und Wärme mit schwangen. »Du kannst der Wahrheit nicht ausweichen. Es ist passiert.« »Was soll ich tun, Vrill?« »Nachsehen. Du mußt herausbekommen, was über uns hinweggeflogen ist.« »Ich darf den Hügel nicht verlassen.« »Unsinn. Hier gibt es für dich nichts mehr zu tun.« »Doch!« behauptete Juscu hoffnungsvoll. »Ich kann Verbindung zu den Spercoiden aufnehmen. Sie werden Schiffe herschicken und das fremde Ding verjagen. Und dann werde ich eine neue Herde bekommen.« »Du bist verrückt. Natürlich kannst du die Spercoiden rufen, und ich zweifle auch nicht daran, daß sie kommen werden. Aber ich fürchte, gegen das Ding, das heute nacht ge landet ist, können auch die Spercoiden
44 nichts ausrichten. Es ist ein paar Nummern zu groß für sie. Und was mit dir geschieht – mach dir nichts vor, Juscu! Wenn sie dich nicht auf der Stelle töten, dann nur, um dich einem Verhör unterziehen zu können, ehe du stirbst. Sie werden dir keinen einzigen Krie ger mehr anvertrauen, geschweige denn eine ganze Herde.« Der bedächtige Hirte wußte, daß sein klei ner Freund recht hatte. »Was schlägst du vor?« fragte er mutlos. »Das habe ich bereits gesagt. Sieh nach, was da auf Loorsat gelandet ist. Versuche, so viel wie möglich über das fremde Raum schiff herauszufinden.« »Es ist kein Raumschiff«, protestierte Jus cu schwach. »Mir kam es vor wie ein kleiner Mond.« »Gut, dann ist es ein kleiner Mond«, gab der Vrill bereitwillig nach. »Und zwar einer, der gesteuert wurde. Trotzdem solltest du sehen, daß du so nahe wie möglich an ihn herankommst, vielleicht sogar in ihn ein dringen kannst. Je mehr du in Erfahrung bringst, desto größer wird für dich die Chan ce, am Ende zu überleben.« »Wofür soll ich leben?« fragte Juscu bit ter. »Die Herde ist zerstört, und du selbst hast gesagt …« »Ich weiß«, unterbrach ihn der Vrill. »Aber es gibt noch andere Möglichkeiten. Du kannst dich nicht daran erinnern, weil du wenig später spercotisiert wurdest. Aber ich hörte einige Untertanen des Tyrannen, die sich über das Schicksal von Dienern unter hielten, die zu alt geworden waren, um ihre Aufgaben zu erfüllen.« Der Vrill machte eine Pause. »Was geschieht mit solchen Leuten?« fragte Juscu fast gegen seinen Willen. »Das ist verschieden. Haben sie versagt, so werden sie getötet. Aber einige schaffen es, sich um Spercos Reich verdient zu ma chen. Man bringt sie in ihre Heimat, wo sie ihr Leben in Ruhe beenden können.« »Heimat? Was ist das?« Der Vrill seufzte. »Der Planet, von dem man dich holte, du
Marianne Sydow Dummkopf!« »Ich glaube nicht, daß ich mich dort wohl fühlen könnte. Ich weiß ja nichts mehr über ihn.« »Die Spercotisierung mag ihre Vorteile haben, aber ein Nachteil wird bei dir beson ders deutlich sichtbar: Der Verstand leidet darunter. Ich frage mich, was es dem Tyran nen nützt, seine Untertanen der Verblödung preiszugeben.« Juscu war zu schwach, um den Vrill zu rechtzuweisen. Das Wesen wartete einen Augenblick auf den sonst üblichen Kom mentar des bedächtigen Hirten, dann gab er es auf. »Natürlich verändert man dich dann wie der«, erklärte er. »Die Erinnerung an Sperco und alles, was damit zusammenhängt, wird weggewischt, und statt dessen weißt du end lich wieder, wer du bist und woher du kommst.« »Das weiß ich jetzt auch. Außerdem – ich könnte es nicht ertragen.« »Was?« »Nichts mehr von Sperco zu wissen.« »Das gibt's doch nicht«, stöhnte der Vrill. »Wenn du nichts mehr von ihm weißt, gibt es gar nichts mehr zu ertragen, du Narr, weil du dich nämlich an nichts erinnern wirst!« Juscu dachte darüber nach. Die Gedan kensprünge des Vrills verwirrten ihn. Eines allerdings erschien ihm plausibel. Er konnte Sperco keinen größeren Dienst erweisen, als sich genau über die plötzlich aufgetauchte Gefahr zu informieren. Denn daß das Ding, das auf Loorsat gelandet war, eine Gefahr für den Tyrannen bildete, war klar. Vielleicht gab es in oder auf diesem Mond Lebewesen, die er gefangennehmen konnte. Dann hatte er nicht nur Zeugen da für, daß die Vernichtung der Herde wirklich nicht infolge seiner Unfähigkeit geschehen war, sondern er brachte den Spercoiden auch gleich ein paar von den Feinden mit. Die Idee elektrisierte ihn förmlich. End lich hatte er ein Ziel. »Wohin willst du jetzt schon wieder«, schrie der Vrill, als der bedächtige Hirte ei
Stern der Vernichtung lig davonwatschelte. »Ich werde deinem Rat folgen«, verkün digte Juscu, ohne anzuhalten. »Willst du so hinaus?« fragte der Vrill empört. »Ich frage mich wirklich, ob du noch zu retten bist. Der Boden da draußen ist immer noch glühend heiß. Außerdem wirst du dir die Füße wund laufen, wenn du nicht wenigstens einen Schweber nimmst. Und in welche Richtung willst du gehen?« »Ich weiß, wo der Mond gelandet ist«, versetzte Juscu trotzig. »Hm. Und du denkst, es reicht, einfach darauflos zu marschieren. Deine Feinde wer den dich mit offenen Armen empfangen.« »Mußt du immer alles besser wissen!« schrie Juscu wütend. »Ich muß nicht«, gab der Vrill kalt zu rück. »Aber wenn du aufhörst, dich wie ein bedächtiger Hirte zu benehmen und statt dessen wie eine vom Blitz geblendete Sumpfkatze in dein Verderben rennen willst, ist es meine Pflicht, dich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.« Juscu blieb stehen. Nachdenklich sah er auf den Boden. Was, um alles in der Welt, war eine Sumpfkatze?
* »Na also«, lobte der Vrill gegen Abend. »Es geht, wenn du dir ein bißchen Mühe gibst.« Juscu stöhnte leise. Er war schon wieder müde. Die ganze Zeit hindurch hatte er Vor bereitungen getroffen, und der Vrill entdeck te mit seinen scharfen Sinnen auch den win zigsten Fehler. Hinzu kam die Hitze. »Bevor du dich auf den Weg machst, mußt du baden«, bemerkte der Vrill, und Juscu wunderte sich darüber, daß der Kleine sogar daran dachte. »Außerdem wirst du ei ne gute Mahlzeit einnehmen. Wer weiß, wie lange du unterwegs sein wirst.« Diesmal gehorchte der bedächtige Hirte gerne, und als er eine Weile unter dem her abströmenden Wasser gestanden hatte, fühl te er sich bereits bedeutend wohler.
45 »Wirst du mich begleiten?« fragte er, während er ohne jeden Genuß das Essen herunterschlang. »Ich werde in deiner Nähe bleiben.« »Dann muß ich dafür sorgen, daß sich der Schutzschirm wieder aufbaut, sobald wir den Hügel verlassen haben.« »Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen?« »Warum? Es ist zu gefährlich, die Geräte unbewacht zu lassen. Jemand könnte sie stehlen.« Der Vrill kicherte verächtlich. »Wer sollte das tun? Die Brangeln etwa? Die haben höllische Angst vor diesem Hü gel. Nein, laß das mit dem Schutzschirm lie ber bleiben. Die Spercoiden könnten landen, während du unterwegs bist.« »Ich habe sie doch gar nicht gerufen.« »Dachtest du, die Spercoiden verlassen sich nur auf dich, alter Narr? Sie haben si cher eine Menge von Apparaten, die ihnen zeigen, ob sich auf Loors etwas Ungewöhn liches abspielt oder nicht. Aber wenn sie landen und den Hügel verschlossen vorfin den, werden sie als erstes glauben, daß du dich unter dem Schirm vor ihnen versteckst. Das sieht nicht gut aus.« Juscu dachte darüber nach und stimmte dem Vrill zögernd zu. Er fühlte sich trotz dem nicht gerade wohl in seiner Haut, als er von dem nun schutzlos jedem Übergriff preisgegebenen Hügel wegschwebte. Er hatte sich mit allem eingedeckt, was er für einen mehrtägigen Ausflug brauchte. Auch eine Waffe hatte er mitgenommen, ob wohl er diese Dinger haßte – denn von Natur aus war Juscu ein sehr friedliebendes We sen, und daran hatte auch die Spercotisie rung nicht viel ändern können. Er brauchte mehrere Minuten, um mit dem Schweber die Fläche Jell-Cahrmere zu überqueren. Soweit es ging, vermied er es, nach unten zu sehen. Der Anblick der zer störten Herde deprimierte ihn jetzt, da er das Ausmaß der Schäden unmittelbar vor Augen hatte, noch stärker. Er atmete auf, als die Hügel vor ihm auf
46 tauchten. Gerade wollte er in ein Tal einbiegen, um so ein wenig Schutz vor vorzeitiger Ent deckung zu finden, da tauchte der Vrill auf. »Ich habe einen von deinen Kriegern ge sehen!« kreischte der Kleine aufgeregt. »Ich habe Tausende betrachten müssen«, wehrte Juscu erschöpft ab. »Ich kann diesen Anblick nicht mehr ertragen.« »Er ist nicht zerschmolzen.« Der bedächtige Hirte bediente die Brems felder des Schwebers so heftig, daß der Ruck ihn fast über die niedrige Bordwand geschleudert hätte. »Wo hast du ihn gefunden?« fragte er auf geregt. »In den Hügeln am westlichen Rand der Fläche«, berichtete der Vrill. »Er ist in eine Fallgrube gestürzt. Drei Brangeln liegen in seiner Nähe. Sie scheinen bewußtlos zu sein.« »Ob sie ihn eingefangen haben?« wunder te Juscu sich. »Woher soll ich das wissen«, kreischte der Vrill ungeduldig. »Ich sage dir nur, was ich gesehen habe.« »Schon gut«, murmelte der bedächtige Hirte beschwichtigend. »Wie geht es ihm?« »Wem?« »Dem Krieger natürlich.« Jetzt klang Juscus Stimme gereizt. »Wo bleibt deine Bedächtigkeit, he?« spottete der Vrill. »Der Krieger liegt in der Fallgrube, mehr habe ich nicht gesehen. Ha be ich etwa Röntgenaugen, die durch seine Haut hindurchsehen können?« »Bewegt er sich?« »Nein. Sonst wäre er wohl längst aus der Grube heraus.« »Aber was hatte er in den Hügeln zu su chen?« fragte Juscu sich verzweifelt. »Wie ist er dorthin gekommen?« »Manchmal könnte man wirklich glauben, Sperco hätte deinen Verstand zum Frühstück verspeist«, stöhnte der Vrill. »Ist es nicht völlig gleichgültig, warum der Krieger sich dort befindet, anstatt wie die anderen die Fläche zu verschandeln? Vielleicht gehört er
Marianne Sydow zu denen, die deine Befehle gerade noch rechtzeitig mitbekamen.« »Und die Brangeln?« »Jetzt reicht's mir! Willst du den Krieger finden, oder hast du die Absicht, hier Wur zeln zu schlagen? Entscheide dich!« Juscu seufzte. Dem Kleinen war es zuzu trauen, daß er seinen Gefährten im Stich ließ, wenn er sich zu sehr über den bedächti gen Hirten ärgerte. Und so ein Vrill war im mer ungeduldig. Er begriff nicht, daß die Antworten auf die Fragen, mit denen Juscu sich herumschlug, außerordentlich wichtig waren. Ein Krieger, der die Katastrophe heil überstanden hatte, war eventuell die Rettung für den bedächtigen Hirten. Wenn die Spercoiden kamen, konnte Jus cu den Krieger als einen absolut unbestechli chen Zeugen präsentieren. Aber wenn er sich nicht nach allen Seiten absicherte, konnte aus einem solchen Unternehmen sehr leicht ein Fiasko werden. Dann nämlich, wenn der Krieger Juscus Aussagen nicht be stätigte. Juscu schloß die Möglichkeit nicht aus, daß der Krieger äußerlich unversehrt war, innen aber Schäden davongetragen hat te. Und wenn ausgerechnet der Informati onssektor davon betroffen war … Ihm fiel ein, daß er ein wichtiges Gerät vergessen hatte. Nicht einmal der Vrill hatte daran gedacht, den Prüfkasten mitzunehmen. Das kam daher, daß sie während der Vorbe reitungen ständig die zerschmolzene Herde vor Augen gehabt hatten. Keiner der beiden hatte daran zu denken gewagt, daß doch noch ein Krieger dieser Hölle entronnen war. »Ich fliege zum Hügel zurück«, entschied Juscu. »Ich brauche das Prüfgerät.« »Das dauert viel zu lange«, protestierte der Vrill. »Bis du dann die Fallgrube er reichst, ist der Krieger längst auf und davon. Oder die Brangeln sind aufgewacht und tra gen deinen Blechfreund davon.« »Was hätten die Brangeln davon?« fragte Juscu verwundert. »Das weiß ich auch nicht«, gestand der Vrill. »Trotzdem solltest du auf zeitraubende
Stern der Vernichtung Umwege verzichten.« Juscu zögerte immer noch. »Man kann es mit der Bedächtigkeit auch übertreiben«, schrie der Vrill wütend. »Entweder kommst du jetzt mit, oder du kannst alleine nach dem Krieger suchen!« Juscu gab widerstrebend nach. Der Abend senkte sich über die Fläche Jell-Cahrmere hinab, während Juscu dem Vrill folgte. Unter ihm glühten die zerstörten Krieger im Licht der untergehenden Sonne. Der bedächtige Hirte glaubte, den Verstand verlieren zu müssen, so sehr erinnerte ihn die Szene an den Augenblick der Katastro phe. Der Vrill ließ ihm zum Glück wenig Zeit, seinen unerfreulichen Erinnerungen nachzu hängen. Die leuchtenden Wirbel, die der Kleine erzeugte, führten Juscu über die Fläche und einige Hügel hinab. Dann hielt der bedächti ge Hirte den Schweber hastig an, sondierte die Lage und sank hinter einen dornigen Busch, der dicht genug war, um ihn und den Schweber vor neugierigen Blicken zu ver bergen. Vorsichtig arbeitete sich Juscu bis an eine Stelle vor, von der aus er das Tal über blicken konnte. Dort unten lag der Krieger in der Fallgru be, von der der Vrill berichtet hatte. Aber das war es nicht, was Juscu zur Vorsicht trieb. Die Brangeln waren wieder bei Bewußt sein. Juscu fragte sich, wie es möglich war, daß die drei Fremden die Katastrophe überlebt hatten. Dann betrachtete er die Hügel rings um. Nur an wenigen Stellen zeugten schwar ze Flecken davon, daß die Hitzewelle auch diesen Landstrich berührt hatte. Die Hügel lagen an der Grenze der Landebahn dieses unheimlichen Mondes. Juscu dachte verbittert daran, daß seine Herde ungeschoren davongekommen wäre, wenn das verflixte Ding nicht ausgerechnet über die Fläche Jell-Cahrmere gebraust wä re. Gleichzeitig wuchs in ihm die Überzeu
47 gung, daß die Zerstörung der Krieger nicht zufällig erfolgt wäre, sondern zu einem Plan gehörte, der gegen den Tyrannen Sperco ge richtet war. Unwillkürlich ballte Juscu seine zierlichen Hände zu Fäusten. Er würde dafür sorgen, daß diese Verbrecher keine Chance bekamen, sich in Wolcion einzunisten. Ihre Existenz an sich war bereits eine Beleidi gung für den Tyrannen. Aber zuerst mußte er mit den Brangeln fertig werden. Er hatte die Waffe. Mit ihrer Hilfe hätte er die Fremden töten können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, daß sie ihre primitiven Speere und Pfeile auf ihn richteten. Allerdings war die Entfernung so groß, daß er Gefahr lief, auch den Krieger zu tref fen. Juscu entschied sich dafür, erst einmal ab zuwarten. Die Brangeln hatten sich um die Fallgrube versammelt und interessierten sich offenbar für das, was sie da eingefangen hat ten. Vielleicht begnügten sie sich mit einer kurzen Untersuchung. Juscu wußte nicht viel über die Brangeln. Er vermutete, daß die Fremden den Krieger in Ruhe ließen, sobald sie merkten, daß sie ihn nicht verspeisen konnten. Falls sie sich mit dieser Feststellung nicht begnügten, mußte er sie verfolgen, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab, den Krie ger zu befreien. »Und was wird aus dem steuerbaren Mond?« wisperte der Vrill dicht neben Jus cus Ohr. »Den nehme ich mir später vor«, gab der bedächtige Hirte zurück. »Der Krieger ist wichtiger. Wenn ich Glück habe, weiß er über alles Bescheid. Dann brauche ich den Mond gar nicht mehr zu untersuchen.« Der Vrill schwieg. Er machte sich seine eigenen Gedanken darüber, wie hilfreich ein Kampfroboter dem bedächtigen Hirten sein mochte. Aber er wollte Juscu nicht noch mehr verunsichern. Seine Einwände konnte er vorbringen, wenn diese Jagd zu Ende war. Er hoffte immer noch, daß Juscu vernünftig wurde und über die Spercotisierung hinweg
48
Marianne Sydow
kam. Der Vrill dachte dabei nicht so sehr an das Schicksal des bedächtigen Hirten, son dern an sich selbst. Juscu mußte unbedingt in seine Heimat zurückkehren – mit dem Vrill. Jede andere Lösung kam für den Klei nen einem Untergang gleich. Die Brangeln hatten vermutlich keine Ah nung, wie knapp sie dem Tode entronnen waren. Sie ließen sich viel Zeit, um sich über ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Als sie zwischen Büschen und Dornblöcken ver schwanden, hoffte Juscu bereits, in wenigen Minuten den Krieger holen zu können. Aber sie kehrten bald zurück und schlepp ten dünne Ranken, lange Grashalme und dicke Äste an den Rand der Fallgrube. Juscu seufzte resignierend. Die Brangeln begannen, aus Ranken und Gräsern Stricke zu drehen. Es war offen sichtlich, daß sie den Krieger aus der Grube holen und davonschleppen wollten.
10. Es stellte sich heraus, daß es doch nicht so einfach war, Pthor mit dem abgestürzten Zugor zu verlassen. Als sie am Morgen sehen konnten, wie weit das Wasser abgelaufen war, stellten sie als erstes fest, daß ihre nächtlichen Schät zungen sehr optimistisch ausgefallen waren. Der Zugor war noch nicht einmal zur Hälfte aufgetaucht. Trotzdem gingen sie hinab, um das Fahrzeug zu untersuchen. Es steckte im Schlamm fest. Selbst mit vereinten Kräften schafften sie es nicht, die Flugschale auch nur um einen Millimeter von der Stelle zu bewegen. »Macht nichts«, meinte Thalia leichthin. »Hauptsache, wir kommen an den Instru mentenblock heran.« Sie kletterte in den Zugor und untersuchte den Sockel des Podests, von dem aus man den Zugor lenken konnte. Atlan beobachtete sie. »Gibt es Schwierigkeiten?« fragte er, als sie verdutzt innehielt und mit der flachen Hand über eine glatte Fläche strich.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie zögernd. »Laß mir noch etwas Zeit.« »Gerade die dürfte uns in Kürze fehlen«, bemerkte Razamon, der die Umgebung im Auge behalten hatte. »Da hinten kommt et was. Es sieht aus, als wäre es nicht gerade klein und niedlich.« Thalia richtete sich auf und sah wie alle anderen in die angegebene Richtung. »Auch das noch!« ächzte sie. »Was hat das Biest hier zu suchen?« Niemand antwortete, und das war auch gar nicht nötig. Beim Kampf um die FESTUNG waren die Angehörigen der Horden der Nacht in al le Richtungen versprengt worden. Viele hat ten den Tod gefunden, aber es irrten immer noch eine ganze Reihe von diesen Ungeheu ern herum. Sie tauchten besonders gerne in der Nähe von Städten und Siedlungen auf, und deren Bewohner hatten sich so daran gewöhnt, diese Wesen zu fürchten, daß sie spornstreichs davonrannten. Den Bestien war das nur recht, denn in Wirklichkeit wa ren sie längst nicht mehr so gefährlich. Sie hatten sich ausgetobt. Das war ein Grund dafür, daß ihre Aggressivität sank. Der zweite bestand darin, daß kaum noch ei ne von ihnen den Dämmersee aufsuchte, um dort ihren Durst zu löschen. Die Organisation war zusammengebro chen. Es gab andere Tränken. Und seit kurz em war überall mehr Wasser vorhanden, als man brauchte. Die Bestien begannen, sich an ein halb wegs normales Leben zu gewöhnen. Sie tö teten nicht mehr wahllos alles, was ihnen über den Weg lief, sondern suchten nur dann nach Beute, wenn der Hunger sie dazu trieb. Unglücklicherweise war das Biest, das zielstrebig näherkam, im Lauf der Kämpfe in eine Gegend geraten, in dem ihm huma noide Bewohner Pthors haufenweise im We ge herumstanden. Als es vom Kämpfen hungrig wurde, verschlang es ein paar Tech nos – jetzt war es auf den Geschmack ge kommen. Es verschmähte herkömmliches Wild und spezialisierte sich auf die Men
Stern der Vernichtung schenjagd. Es hatte eine unerfreuliche Begegnung mit den überlebenden Berserkern hinter sich, die überhaupt keine Lust gehabt hatten, sich auffressen zu lassen. Außerdem waren sie durch die Lage ihrer Siedlungen an die Nähe der Ungeheuer gewöhnt. Die Bestie war sehr erschrocken gewesen, als die Berserker ihr entgegenstürmten. Das war ungewöhnlich genug. Das bißchen Verstand, das es in sei nem mächtigen Schädel mit sich herum schleppte, sagte dem Tier, daß es besser sei, davonzulaufen. Aber die Beute lockte, und dieser Zwist zwischen Instinkt und Überle gung lähmte die Bestie beinahe zu lange. Erst als Steine, Speere, Lanzen und Ähnli ches durch die Luft zischten, kam Bewe gung in den mächtigen Körper. Der Kampf wurde sehr hart. Die Bestie konnte viel einstecken, und ihr harter Panzer bewahrte sie vor tödlichen Verletzungen. Aber auch die Berserker sammelten fleißig Punkte. Sie zwangen die Bestie zur Flucht. Schlimmer noch: Diese lästigen kleinen We sen schienen ihrerseits das Tier als lohnende Beute zu betrachten, denn sie verfolgten es mit viel Geschrei rund um das Gebirgsmas siv. Dabei erhielten sie Unterstützung von anderen Berserkerfamilien, während die Be stie ganz alleine kämpfen mußte. Die Rettung kam in Gestalt der Flutwelle. Das Biest aus den Horden der Nacht hatte keine Ahnung, was aus seinen Gegnern ge worden war – es interessierte sich allerdings auch nicht dafür. Es wurde vom Wasser weggerissen und verlor für kurze Zeit die Orientierung, dann bekam es Grund unter die Füße, krallte sich im Schlamm fest und reckte den langen Hals. Den Taamberg konnte es verschwommen sehen. Hinter ihm zeigten aus dem Wasser ragende Mauern an, daß es dem westlichen Rand der FESTUNG nahe war. Das Biest hatte kein Verlangen, in der Nä he der FESTUNG zu bleiben – die Erinne rung an das, was sich dort abgespielt hatte, war noch zu frisch. Und der Taamberg kam als Ziel schon gar nicht in Frage. Das Tier
49 hätte in die Ebene Kalmlech ausweichen können, aber es erinnerte sich daran, daß es dort keine Menschen gab, und auf diese Beute wollte es nicht mehr verzichten. Dar um entschloß es sich, nach Norden zu ge hen. Irgendwo würde es schon auf Spuren der Zweibeiner stoßen. Anfangs kam es nur langsam voran, denn es war noch erschöpft, und das Wasser strömte ihm entgegen. Dann wurde das Wasser seichter, aber dafür gab es plötzlich fast kein Licht mehr, und das Biest hätte sich beinahe doch zum Taamberg verirrt. Und schließlich gab es einen gewaltigen Ruck, und das Ungeheuer blieb – betäubt vom Lärm, dem Schock und der Erschütte rung – lange Zeit mit geschlossenen Augen stehen. Es war fest davon überzeugt, daß sein Ende gekommen war. Als es sich endlich dazu aufraffte, wenig stens die Augen zu öffnen, stellte es fest, daß die Welt noch existierte. Und daß es ge waltigen Hunger hatte. Und dann trieb ihm der Wind die unverkennbare Witterung der Zweibeinigen zu. Zwar mischte sich ein fremdartiger Geruch hinein, aber die Bestie achtete darauf kaum. Sie marschierte los. Im Morgengrauen sah es seine Beute zum er stenmal. Während Thalia immer noch nach der Ge heimschaltung suchte, beobachteten die an deren das Ungeheuer. Es wälzte sich durch Wasser und Schlamm unbeirrbar auf den Zugor zu. »Wenn wir wenigstens eine Waggu hät ten«, murmelte Razamon wütend. »Ein Schwert wäre auch nicht zu verach ten«, antwortete Atlan. »Wie lange wird es noch dauern, Thalia?« »Keine Ahnung. Es muß ein neues Mo dell sein. Aber die Schaltung kann nur im Sockel sitzen. Es kommt darauf an, wann ich den Kontaktpunkt finde.« »Sehr beruhigend«, knurrte Razamon. Das Ungeheuer war auf Hörweite heran gekommen. Sie vernahmen ein wildes Brül len. »Es hat Hunger«, kommentierte Kolphyr.
50 »Soll ich es verjagen?« »Womit?« fragte Atlan sarkastisch. »Der Wind weht in seine Richtung«, er klärte Kolphyr bereitwillig. »Sicher hat es uns mit Hilfe seiner Nase gefunden. Ich hat te den Eindruck, daß mein Körpergeruch für dich – hm – bisweilen etwas unangenehm ist.« »Unsinn!« protestierte Atlan hastig. »Ich nehme es dir nicht übel«, versicherte Kolphyr freundlich. »Aber ich nehme an, daß dieser Geruch auf Pthor ziemlich fremd ist, denn Thalia hat ihn kaum bemerkt.« Atlan fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er hatte sich daneben benommen, als er diese Bemerkung machte. Kolphyr konnte nichts dafür, daß er nach Zimt roch. »Was ist?« fragte das Antimateriewesen ungerührt. »Glaubst du nicht, daß ich dem Kleinen da vorne den Appetit verderben könnte?« Atlan zuckte mit den Schultern. »Laß es sein«, riet er. »Es könnte leicht das Gegenteil von dem eintreffen, was du dir erwartest.« »Der Bursche ist ganz schön mitgenom men«, stellte Razamon plötzlich fest. »Er hat einen harten Kampf hinter sich. Jetzt reißt er sich zusammen, weil er der Beute so nahe ist, aber ich möchte wetten, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten kann.« »Das arme Kleine«, murmelte Kolphyr. »Ich werde mich darum kümmern.« Ehe noch irgend jemand ein Wort sagen konnte, rannte Kolphyr los. Das Wasser spritzte auf. Die Bestie ging noch ein paar Schritte, dann hatte sie bemerkt, was da auf sie zukam, und sie blieb wie angenagelt ste hen. Die Männer konnten nicht ahnen, welche Assoziationen sich in dem Tier vollzogen. Es dachte an die Berserker und ihre Zu dringlichkeit. Waren dies etwa schon wieder solche dreisten Gegner? Das Wesen, das sich ihm näherte, war groß – jedenfalls im Verhältnis zu anderen Zweibeinigen. Es trug nichts, das eine Waffe hätte sein können. Aber es wirkte sehr kräf tig und geschickt. Kolphyr hielt sich so, daß die Bestie seine
Marianne Sydow Witterung voll in die Nase bekommen muß te. Er hoffte, damit den Geruch seiner Freunde zu überdecken und so das Biest ab zulenken und zu verwirren. Er war sicher, daß das pthorische Ungeheuer ihm nicht viel anhaben konnte. Er sah, wie die Haltung des Tieres sich veränderte. Es war unschlüssig geworden. Aber noch wandte es sich nicht zur Flucht. Kolphyr kam bis auf drei Meter heran, oh ne daß sich etwas veränderte. Das Antimate riewesen hörte hinter sich einen triumphie renden Ruf. Thalia hatte offenbar die Schal tung gefunden. Das Ungeheuer, das Kolphyr wie gebannt angestarrt hatte, wurde abge lenkt, sein Kopf ruckte herum. Da setzte Kolphyr alles auf eine Karte. Er sprang und landete im Nacken des Tieres. Ehe die Bestie sich von der Überraschung zu erholen vermochte, bog Kolphyr ihr den Hals nach hinten und hielt ihr mit bloßen Händen die Kiefer zu. Das Ungeheuer mochte erkennen, wie ge schwächt es tatsächlich war. Vielleicht spür te es auch den fremden Geruch. Oder es er kannte das Summen des startenden Zugors und war betäubt von der Erkenntnis, es nicht mit wehrlosen Opfern, sondern gefährlichen Gegnern zu tun zu haben. Die Zugors waren ihm nämlich in unangenehmer Erinnerung. Wie es auch war – es hielt still. Thalia lenkte den Zugor dicht an die Be stie heran, und Kolphyr paßte den richtigen Moment ab. Mit einem gewaltigen Satz löste es sich von der Bestie. Als er in der Flug schale landete, hatte Thalia ihre liebe Mühe, die Schwankungen auszugleichen. Eine Se kunde später schoß der Zugor schräg in den Himmel hinauf. Die Bestie erwachte wie aus einem Traum und sandte ihnen einen enttäuschenden Schrei nach. Niemand achtete darauf. Der Zugor flog weiter, einer fremden Welt entgegen. ENDE
Stern der Vernichtung
51 ENDE