Atomphysik f ü r jedermann 5. Die Isotope der chemischen Elemente
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Atomphysik f ü r jedermann 5. Die Isotope der chemischen Elemente
Nun sollte man meinen, daß beispielsweise Blei immer Blei sei, daß jedes Bleiatom dem anderen gleiche, jedes Chloratom genau die gleichen Eigenschaften wie alle anderen Chloratome habe. Das trifft jedoch nur teilweise zu. Chemisch verhalten sich alle Atome eines Elements völlig gleichartig. Sie verfügen ja stets über dieselbe „Kernladungszahl", d. h. über die gleiche Anzahl von Protonen in ihren Atomkernen. Aber es gibt Atome ein und desselben Elements, die verschiedenartige physikalische Eigenschaften zeigen, die sich vor allem durch ihre „Massenzahl", und somit durch ihr Gewicht, voneinander unterscheiden. Mit anderen Worten: Solche Atome haben zwar die gleiche Zahl Protonen, aber eine verschiedene Zahl von Neutronen. Derartige Atome bezeichnet man als „Isotope" eines Elements. Es hat sich herausgestellt, daß nahezu alle in der Natur vorkommenden chemischen Grundstoffe aus zwei oder mehr Isotopen gemischt sind. So kennen wir beispielsweise ein Chloratom mit dem Gewicht 35 und ein anderes mit dem Gewicht 37. Neben dem „normalen" Uran 238 gibt es U 235 und U 234, neben dem gewöhnlichen Wasserstoff vom Atomgewicht 1 den „schweren" Wasserstoff mit dem Atomgewicht 2, auch „Deuterium" genannt. Stets treten die verschiedenen Isotope eines Elements in der Natur in einem ganz bestimmten Mischungsverhältnis auf, wobei eins der Isotope die anderen mengenmäßig überwiegt. So sind Chlor 35 und 37 im Verhältnis 3:1 gemischt, Wasserstoff und Deuterium im Mengenverhältnis 5000:1, Uran 238 und 235 im Verhältnis 138:1, usf. Dem Physiker ist es möglich, die verschiedenen Isotope eines Elements im „Massenspektrographen" zu trennen. Die Atomkerne passieren dabei elektrische und magnetische Felder und werden — je nach ihrem unterschiedlichen Gewicht — verschieden stark abgelenkt. Von den Isotopen des Elements Uranium spielt das U 235. in der Atomphysik eine besondere Rolle, auf die wir später noch zurückkommen werden. (Fortsetzung folgt.)
UTOPIA-Klembanü — Jim Parkers Abenteuer im Weltraum
Copyright by Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden). Mitglied des Verbandes, deutscher Zeitschriitenverleger e. V. Gesamtherstellung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
Kleinplanet Eros Schon wiederholt ist in den UTOPIA-Heften von den kleinen Planeten, den Planetoiden, die Rede gewesen. Diese Kleinwandelsterne kreisen in großer Zahl im Raum zwischen Mars und Jupiter um die Sonne. Rund 1600 Planetoiden sind bis heute bekannt. Nun gibt es jedoch auch Kleinplaneten, die aus der Reihe tanzen und in sehr langgestreckten Ellipsen laufen. Einige von ihnen können der Erde verhältnismäßig nahe kommen, wie beispielsweise der Planetoid Nr. 433, der den Namen des griechischen Liebesgottes, Eros, erhalten hat. Bis auf 22,5 Millionen Kilometer — eine geringe Entfernung im Kosmos — kann sich Eros uns nähern. Dadurch ist es möglich, die Entfernung Erde—Eros, und mit ihrer Hilfe wieder den Abstand Erde—Sonne, sehr genau zu bestimmen. So dient dieser kleine Planet den Astronomen zur Berechnung der wichtigsten Maßeinheit im Sonnensystem. Eros wurde im Jahre 1898 von Witt in Berlin auf photographischem Wege entdeckt. Der Planetoid zeigt starke Lichtschwankungen, was auf eine sehr unregelmäßige Gestalt schließen läßt. Wahrscheinlich hat Eros eine längliche Gestalt und dreht sich einmal in rund 5'/4 Stunden. Seine größte Achse dürfte ungefähr 30 Kilometer lang sein. Auf diesem interessanten Kleinplaneten hat Kommodore Parker die seltsamen Abenteuer zu bestehen, von denen dieser UTOPIA-Band berichtet.
I
Von A l f T j ö r n s e n „Raumgleiter ,B 17' für große Fahrt klarmachen." Der Betriebsingenieur traute seinen Ohren nicht, aber immerhin war es der kleine Kommandant der irdischen Außenstation „Luna nova", der vor ihm am Schreibtisch saß und den eingegangenen Funkspruch vorlas. „Verzeihung, Sir — aber dürfte das nicht eine fehlerhafte Übermittlung sein?" Der Kommandant lächelte flüchtig, daß es in seinem nervösen Gesicht zuckt«. „Kaum anzunehmen, mein Freund!" Der Betriebsingenieur kaute mechanisch. „Und — von wem stammt dieser Unfug?" Das spöttische Lächeln vertiefte sich. „Von Kommodore Parker." „Bei allen Planeten!" entfuhr es dem Betriebsingenieur, und unwillkürlich machte er einen Schritt auf seinen Kommandanten zu, so fuhr ihm das in die Knochen. „Aber wenn es zehnmal von Jim Parker stammt — es ist doch eine glatte Verrücktheit!" Kommandant Isasalle hob etwas pikiert die Schultern. „Sie können an Parker nicht die üblichen Maßstäbe legen." „Ebensogut könnte er in einem zusammengebastelten Faltboot den Ozeaa überqueren." „Trauen Sie ihm das nicht zu?" Der Betriebsingenieur nickte widerwillig. „Schon — aber das kann verdammt leicht schiefgehen. Fernfahrt in einem Raumgleiter! Na, von mir aus . . ." Lasalle faltete das Papier zusammen und legte es in eine Mappe. Auch ihm paßte das nicht, aber er hatte sich abgewöhnt, die Befehle eines Jim Parker zu kritisieren. Mit einem kameradschaftlichen Kopfnicken entließ er seinen Mitarbeiter und sah nachdenklich der breiten Gestalt nach. Mit leisem Surren schloß sich die Schottür. Die Blicke des Franzosen wanderten die Rundwand entlang bis zum Bildschirm seines privaten Fernsehers, von dem aus er ständig die Erde im Auge hatte, die als eine gigantisch gewölbte Landkarte 1700 km unter ihnen im freien Raum der Unendlichkeit schwamm. Immer wieder überkam ihn sonst bei diesem Anblick ein Gefühl des Stolzes — schließlich waren er und seine Männer nichts anderes als
Vorposten ihres Heimatplaneten. Doch heute waren es nur sorgenvolle und düstere Gedanken, die ihn dabei erfüllten. Was hatte die ganze grandiose Technik der Mannschaft für einen Sinn, wenn immer wieder wildgewordene brutale Männer auftauchten, die sie für ihre despotischen Machtgelüste mißbrauchen wollten. Die verhängnisvolle Kette solcher Erscheinungen riß seit einigen Jahren nicht mehr ab. Lasalle seufzte, genehmigte sich rasch einen anständigen Gin und erhob sich in plötzlichem Entschluß. Gleich darauf betrat er die Funkstation. „Ich möchte ein Direktgespräch mit Orion-City!" Die beiden Nachrichtenassistenten stellten mit wenigen Griffen die Apparate ein. Draußen kreiste die Radarantenne. Dann meldete sich die ferne Atomstadt in Nordamerika. Lasalle stand neben dem Relieftisch und verlangte nach Kommodore Parker. Es dauerte gut fünf Minuten, bis man Jim aufgetrieben hatte, aber dann war seine markante frische Stimme da. „Parker! Wer spricht?" „Lasalle! Guten Tag, mein Lieber — wie geht es?" „Zeitgemäß!" kam die vielsagende Antwort. „Haben Sie meinen Spruch aufgefangen?" „Der Spruch ist eingegangen. Aber sagen Sie, Parker — was wollen Sie mit einer Luftschaukel von Raumgleiter?" „Chressyr überrumpeln!" „Meine Ahnungen!" seufzte der Franzose. „Wissen Sie denn, wo dieser verdammte Zauberer sich aufhält?" „Er kann sich nur auf einem größeren Planetoiden befinden, der in Erdnähe kommt." „Sie werden sich den Hals brechen!" „Ich nicht, aber Chressyr muß endlich in Eisen gelegt werden, sonst bricht auf unserer schönen Erde das große Wehgeschrei aus", sagte der Kommodore sehr bestimmt. „Ich möchte es nicht erleben, daß plötzlich Millionen von Rieseninsekten über Städte und Dörfer herfallen." Lasalle wurde bleich. „Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!" „Das habe ich noch nie getan." „Wie weit ist die Weltpolizei mit ihren Untersuchungen?" „Die Weltpolizei schwimmt", berichtete der Kommodore seinem alten Freund bitter. „Wir wissen wohl, daß es diesem Chressyr gelungen ist, Riesenfalter zu züchten, die die reinsten Raubtiere sind, und wir haben auch das Landhaus bei Minneapolis gründlich durchsucht, das jenem alten Narr gehörte, der einmal Chressyrs rechte Hand gewesen sein soll. Aber irgendwelche Anhaltspunkte über ihn selbst haben wir nicht gefunden. Die Bude ist wie mit einem Staubsauger reingemacht — nicht das kleinste Stückchen Papier ist aufzutreiben." 1) „Das ist bitter", nickte Lasalle teilnahmsvoll. „Dann wißt ihr praktisch nichts über Chressyr." »Wir kennen die Bestie leider nicht." «Aber der Mann muß doch eine Vergangenheit haben!" „Selbstverständlich wird er die haben! Wir wissen im Augenblick aber nur das, was ein amerikanischer Journalist von dem alten Mann aus Minneapolis gehört hat, und danach befindet sich Chressyr mit seiner scheußlichen Insektenbrut außerhalb der Erde. Das Raumschiff, das wir vor einiger Zeit unschädlich machen konnten, deutete ja auch darauf hin. Das sind die einzigen Spuren, die wir haben, und ihnen werde ich jetzt nachgehen . , „Im Raumgleiter?" »Im Raumgleiter, Lasalle! Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, und einer von uns muß sich nun einmal wie ein Indianer an sein Hauptquartier heranschleichen.
1 siehe UTOPIA, 35. Band: „Das geheimnisvolle Raumschiff".
Chressyr hat was Großes vor, und er ist ein ganzer Kerl — er wird Zuschlagen, daß kein Mensch verschont bleibt!" • Über dem Atlantik kreiste eine unauffällige Privatmaschine. Die beiden Männer, die vorn in bequemen Riesensesseln lehnten, hätten bestätigen können, was Jim Parker im gleichen Augenblick sagte. Sie waren allerdings weit davon entfernt, sich darüber aufzuregen. „In drei Wochen ist es so weit, Ben." Der Führer der Maschine hatte das Gesicht eines sanftmütigen Sektenapostels und die Seele eines eiskalten Zynikers. Er schaltete die Automatiksteuerung ein und steckte gähnend die Hände in die Taschen. „Von mir aus heute! Dieses blöde Spazierenfliegen zwischen Europa und den Staaten ist abscheulich." „Willst du es besser haben?" grinste der andere, der wesentlich härter in seinem Äußeren war, als sein Komplice. „Ich möchte endlich einmal wissen, was das alles soll", murrte der mit dem sanftmütigen Gesicht. „Weiß ich selbst nicht", wich der andere aus, obwohl er genau wußte, daß ihre einzige Aufgabe darin bestand, auf ein besonderes Zeichen hin in Amsterdam zu landen und dort die schöne Ava Chressyr aufzunehmen, die sich gegenwärtig in Berlin befand. Chressyr liebte seine Nichte. Ava war schön, und der geheimnisvolle Herr der Geisterfalter hatte Großes mit ihr vor. Doch selbst seine engsten Vertrauten wurden nicht aus dem kühlen jungen Mädchen klug. „Hoffentlich ist sie vernünftig", sagte der Begleiter unwillkürlich. Der Pilot, der die harmlose Sonntagsnachmittagsmaschine so faul herumkurven ließ, schielte ihn flüchtig an. „Wer?" fragte er neugierig. „Ach, meine Braut, weißt du", erwiderte der andere geistesgegenwärtig und ruckte hoch, als sich das Bordradio meldete. Da sie mit Entzerrer arbeiten mußten, dauerte es eine Minute, bis sie Empfang hatten. Aber was er dann hörte, ließ ihn schlecht werden. „Hier Berlin! Jaaps drei hat Ava aus dem Auge verloren. Bereithalten zum Anflug!" Der Mann ließ sich vornüberfallen. „Ist sie wahnsinnig geworden?" Wieder schielte der mit dem sanftmütigen Gesicht neugierig auf seinen Gefährten, dessen hartes Profil im Zwielicht der ersten Abenddämmerung verschwamm, aber diesmal kam er nicht dazu, ihn mit Fragen zu ärgern, denn aus dem Empfänger schrie es plötzlich in höchster Erregung: „Fliegt sofort Frankfurt/Main an. Ava im Haus der deutschen Weltpolizei verschwunden. Werden ihr zur Hilfe kommen müssen." Der Pilot riß von sich aus schon die Maschine aus der Automatiksteuerung. Der andere sah aus, als habe er einen Tiefschlag einstecken müssen. „Los — flieg Frankfurt an!" •
„Meine Dame — kann Ich etwas für Sie tun?" Das junge Mädchen war ziemlich außer Atem. Es hatte die fünfzig Meter vom Taxi zum Portal so rasch wie möglich zurückgelegt, aber der Beamte in der Anmeldung der deutschen Weltpolizei-Zentrale in Berlin-Charlottenburg sah sie trotzdem hingerissen an. Ava Chressyr war schön. Sicher hielt sie den Ansprüchen jeder internationalen Schönheitskonkurrenz stand und doch stand sie vom Persönlichen her himmelhoch über aller genormten Schönheit.
Was den Beamten sofort in den Bann zog, war das Außergewöhnliche, das ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt umgab, waren die Augen, die ihn in diesen Sekunden nicht losließen. „Ich möchte den leitenden Kommissar sprechen." Sie sagte es leise und mit einer für ihre Erscheinung etwas zu herben, brüchigen Stimme. Der Beamte entsann sich mühsam seiner Vorschriften. „Dürfte ich Ihren Namen erfahren?" „Ava Chressyr." „Chressyr?" wiederholte der Beamte den Familiennamen grübelnd, eis könne er etwas nicht fassen. „Chressyr?" „Ich bin die Nichte jenes Herrn Chressyr, den die Weltpolizei sucht!" Der Füllhalter fiel auf die Schreibunterlage. „Ich werde es dem Kommissar melden, meine Dame", sagte der Beamte unsicher, und er konnte nicht verhindern, daß seine Hände etwas zitterten, als er seinen Vorgesetzten herbeirief. Kommissar Backhaus, ein breitschultriger Fünfziger mit zuverlässigem gutem Gesicht, der als deutscher Verbindungsmann der „Sonderkommission Chressyr" angehörte, zeigte wesentlich mehr Ruhe, als er sich vor dem jungen Mädchen verneigte. „Sie bereiten mir die größte Überraschung der letzten Wochen, Miß Chressyr", lächelte er verbindlich und zeigte auf einen jungen Leutnant, der an einem kleinen Nebentisch mit dem Bandgerät bereitstand. „Leutnant Schuster, der unserer Unterredung beiwohnen wird." Ava trat zögernd auf einen Sessel zu. „Muß das sein?" fragte sie leise. Der Kommissar blinzelte väterlich, un
„Mein Onkel lebte viele Jahre unter falschem Namen und war in Südamerika ein angesehener Industrieller. Dieser stürzte mit seinem Wagen in einen reißenden Strom und wurde nicht wiedergefunden." Kommissar Backhaus räusperte sich. „Hm — mit anderen Worten: der Unfall war nur fingiert, und der Herr Chressyr lebt nun unter seinem richtigen Namen weiter." Ava Chressyr antwortete nicht. „Sie machen es mir nicht leicht, Miß Chressyr, Ihnen zu helfen", sagte Backhaus mißmutig. „Welchen Namen trug Herr Chressyr denn als südamerikanischer Industrieller?" „Den Namen kann ich nicht nennen." Wieder wußte Backhaus nicht, ob nur Furcht aus ihren Worten sprach, „Na schön, einige Anhaltspunkte haben wir ja jetzt." Das junge Mädchen scharf ansehend; „Und — wo hält sich Ihr Onkel gegenwärtig auf?" „Das — weiß ich nicht." „Sie fühlen sich doch von ihm bedroht." «Bedroht?" sagte sie leise und warf einen flüchtigen Blick zu dem Leutnant hin, der nun wieder auf sein Gerät achtete. „Mein Onkel forderte mich durch seine Leute auf, an seinem Werk teilzunehmen." „Am Werk der Unterjochung der Menschheit durch Rieseninsekten?" vergewisserte sich der Kommissar mit kalter Sachlichkeit. „Gewiß." „Sind Sie für eine solche .Aufgabe' geeignet?" Ava Chressyr wich jetzt seinem Blick nicht mehr aus, aber es geschah etwas, was Backhaus den Atem nahm. Sie warf mit einer Bewegung des Widerwillens die halbgerauchte Zigarette in den Wasserascher und strich sich mit ihrer schmalen, festen Hand über die Stirn. Backhaus zerdrückte beinahe seinen Druckblei vor innerer Spannung. Wie war das möglich? Als die Hand von der Stirn abglitt, saß wohl noch Ava Chressyr vor ihm, aber es war eine Ava Chressyr, die aussah, als erwache sie aus einem Traum, erkenne die Wirklichkeit und sei mit ihr höchst unzufrieden. Alles, was die Furcht eines jungen Mädchens verraten hatte, war aus ihrem Antlitz und ihrer Haltung verschwunden, und kühl sahen ihn ihre großen, klugen Augen an. „Ich muß Sie bitten, Herr Kommissar, keine weitere Frage dieser Art zu stellen." „Tja, meine liebe Miß Chressyr", lächelte Backhaus und versuchte so, ein unerklärliches Grauen zu überwinden. „Was wollen Sie denn eigentlich hier?" „Ich wünsche, daß Sie Ihren Protokollführer hinausschicken." Der Leutnant nickte, stand auf und verließ den Raum. Als die Tür ins Schloß fiel, zuckte der Kommissar zusammen — er wußte selber nicht, warum. „Wir sind allein, gnädiges Fräulein!" „Jim — ich lege mein Veto ein!" Fritz Wernicke War es in diesen Minuten ganz und gar gleichgültig, daß sich in allen Kontinenten die Menschen unter der neuen furchtbaren Gefahr aus dem Weltall duckten — er sah nur, daß Jim Parker in eine Faltkarte di« Fahrtroute zum Planetoiden Eros eintrug, und das machte ihn wild. „Du bist verrückt, Jim — hörst du?" „Mhm", knurrte der Kommodore, und sein Zeigefinger glitt noch einmal prüfend über eine Tabelle. Die Schreibtischlampe schnitt einen scharfen Lichtkreis aus dem Halbdunkel ihrer gemütlichen Bibliothek. Draußen dämmerte der frühe Morgen über der Atomstadt. Über die Dächer strich ein Flugschiff, das die weißen Gebäudeblocks der Innenstadt überquerte, um im Flughafen zu landen. Seine Positionsfeuer gingen im Widerschein eines grünen Lichtscheins unter, der von den Versuchsfeldern kam und den Nordhimmel überstrahlte. Orion-City begann im Tagesrhythmus zu pulsieren. Über die Viadukte glitten die ersten Stadtbahnen an den Hochhäusern vorbei.
Wernicke war eben erst aus seinem Büro nach Hause gekommen und kaute noch an dieser bösen Überraschung. „Man sollte dich festbinden!" „Mhm." Der kleine Steuermann raste wie ein wilder Teufel im Zimmer auf und ab. Der Kommodore ließ sich nicht erschüttern. In dreißig Stunden wollte er mit seinem Raumsegler von der Außenstation aus starten, und Wernicke wußte, daß ihn nur der Weltuntergang daran hindern würde. Aber es war heller Wahnsinn, es war eine Herausforderung aller bösen Geister. Ebensogut konnte Parker sich als Zielscheibe vor eine Kompanie Scharfschützen stellen. „Zum Eros sind es über zwanzig Millionen Kilometer." „Mhm." „Und ich kann mich wohl pensionieren lassen, wie?" „Mhm." Wernicke schnappte nach Luft, und wenn ihm nicht so flau in der Magengegend gewesen wäre, hätte er eine seiner Schnoddrigkeiten angebracht — er machte sich wirklich Sorgen um seinen Freund. „Dann laß mich wenigstens mitkommen — auf einem zweiten Gleiter!" rief er verzweifelt aus. „Abgelehnt!" Mit zwei, drei Schritten war der kleine, drahtige Wernicke am Schreibtisch und haute auf den Knopf der Lampe, daß der Kommodore in der hereinbrechenden Dunkelheit auffuhr. „Ich glaube, du bist verrückt, mein Alter!" „Das ist noch die einzige Möglichkeit, um dich aus deiner selbstmörderischen Schweigsamkeit herauszureißen", schimpfte Wernicke los und hielt die Hand schützend über den Knopf. „Es wird nicht wieder hell, bevor du nicht wenigstens kompromißbereit bist." „Also gut", sagte Jim Parker ruhig. „Knips schon an und schenk uns einen •in." „Wenigstens etwas!" Er ließ es rasch wieder Licht werden und eilte mit ebenso großer Geschwindigkeit zur fahrbaren Hausbar. Leider sollte er um den Genuß kommen, denn vor dem Kommodore schrillte der Fernsprecher auf. Jim nahm ab. „Parker!" „Mortimer", knurrte der sonore Baß des S.AT.-Sicherheitshäuptlings durch den Draht. „Haben Sie Ihren sträflichen Leichtsinn endlich aufgegeben?" „Ich starte wie vorgesehen", sagte der Kommodore hart. „Wenn auch Sie mir noch Vorwürfe machen wollen . . ." „Seien Sie friedlich, Jim — ich habe wichtige Nachrichten." Jim wurde sehr aufmerksam. „Gute oder schlechte?" „Wie man es nimmt. In Berlin ist bei der dortigen WP eine junge rassige Dame aufgetaucht, die angibt, die Nichte Chressyrs zu sein." „Ein Kommissar Backhaus hat die Dame vernommen und leider den Spaß teuer bezahlen müssen." „Wieso?" „Diese angebliche Miß Chressyr verlangte von ihm eine Unterhaltung unter vier Augen. Der Kommissar schickte seinen assistierenden Leutnant hinaus, und als es dem nach einer guten Viertelstunde zu lange dauert und er nach seinem Chef sieht, findet er ihn tot auf." „Ermordet?" „Wahrscheinlich." „Und die junge Dame?" „Verschwunden." Jim sah nachdenklich seinen Steuermann an, der an der Hausbar stand und neugierig hörte, was er sagte. Der junge Kommodore war kein Kriminalist von Haus aus, aber da
auch in der Atomzeit die Taugenichtse aller Sorten nicht aussterben wollten, mußte er sich wohl oder übel auch auf diesem Gebiet betätigen. Und da er eine Sache ganz oder gar nicht anfaßte, hatte er es auch hierin zu großer Routine gebracht. „Peinlich, Mortimer." „Man ist in Berlin wie wild hinter ihr her, aber Sie wissen ja, wie so etwa# meist ausläuft. Der Berliner WP kann man kaum einen Vorwurf machen, zumal wir es ja mit einem Gegner zu tun haben, der auch uns Rätsel über Rätsel aufgibt." „Spuren?" „Keine — das ist ja das Unheimliche." „Dumm!" Der Kommodore sah auf seine Armbanduhr, deren feines Ticken das schon erwachte Jagdgefühl in seinem Herzen anstachelte. Tempo — Tempo!! Eine weitere Spur war gefunden, und daß sie über ein schönes junges Mädchen führte, machte die Sache noch interessanter. „Liegt denn wenigstens die Aussage über Miß Chressyr vor?" „Die hatte der Leutnant schon festgehalten, bevor . . . Augenblick mal, Parker, soeben wird mir das Bild der Dame übermittelt", sagte der Oberst, um dann auszurufen: „Donnerwetter, das laß ich mir gefallen!" „Wirklich so schön?" „Kein Superlativ ist waghalsig genug." Kommissar Backhaus lehnte in seinem Sessel. Leutnant Schusters Blick wanderte über die breite Gestalt seines Vorgesetzten, und dann erst zu Ava Chressyrs Platz. Was dann folgte, spielte sich in wenigen Minuten ab Der Leutnant stürzte auf seinen Kommissar los und packte seine Schulter. Backhaus rutschte ganz in sich zusammen, und er hörte auch nicht mehr, daß der Leutnant laut etwas schrie. . Backhaus war tot. Von allen Seiten stürmten Leute herein. Ein grauhaariger Bürovorsteher zeigte wesentlich mehr Fassung, als eine blutjunge Sekretärin, die wachsbleich gegen einen Schrank fiel und hinausgeführt werden mußte. Als der Chef der „Weltpolizei Deutschland" erschien, spielte bereits der Apparat. Der Pförtner machte die ersten Aussagen. Danach hatte Ava Chressyr allein und ohne sonderliche Eile das Dienstgebäude verlassen. Dann kam ein WP-Mann dran, der zufällig in jenen Minuten sein Motorrad vor dem Portal gebremst hatte Er hatte Ava nachgeschaut und sich verständlicherweise Zeit dabei gelassen. „Wohin ging die Dame?" : „Die Straße entlang bis zur Kastanien-Allee." "„Haben Sie bemerkt, daß jemand ihr folgte oder sich sonst in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielt?" „Nein, Herr Kriminalrat." „Wurde sie beobachtet?" „Nun, verschiedene Männer haben ihr nachgeschaut." „Haben Sie das Gesicht der Dame gesehen?" Der WP-Mann sah grübelnd auf die graue Krawatte des Kriminalrates. „Doch, das habe ich. Sie kam gerade durch den Vorgarten, als ich mein Rad bremste. Die junge Dame fiel mir sofort auf." „War sie besonders erregt?" „Erregt?" sagte der Mann leise und stockend. „Das nicht — aber — sie war kalt im Gesicht — so kalt und maskenhaft, daß ich unwillkürlich erschrak." „Die Dame ging also bis zur Kastanien-Allee. Was tat sie dann?"
„Sie bestieg ein rotes Kabriolett, das dort stand. Ich nehme an, daß sie vorher den Wagen dort geparkt hatte." Der Kriminalrat wechselte einen Blick mit dem Pförtner, der erregt die Hand hob „Saß jemand im Wagen?" „Nein", schüttelte der WP-Mann den Kopf/ „Die Dame setzte sich sofort ans Steuer und fuhr los." „Durch den Kastanien-Park?" „Ja — soweit ich den Wagen verfolgen konnte." „Setzen Sie sofort einen Funkwagen an!" Einer der Bereitschaftsoffiziere verschwand. Dafür drängte sich der Pförtner vor. ' „Herr Kriminalrat, da stimmt was nicht — die Dame fuhr vorhin in einem Taxi vor." „Ich habe mich nicht geirrt", stieß der WP-Mann hervor. Der Kriminalrat winkte begütigend ab. „Ihre Aussagen sind sehr wertvoll. Wir werden sehen." „Toll, Jim!!" Fritz Wernicke hatte nun doch die Hausbar herangerollt und wies mit einladender Geste auf die gemütliche Sesselecke. Der Kommodore, der eben erst den Hörer aufgelegt hatte, nickte und die Freunde setzten sich an den niedrigen Tisch aus kostbarem Venushojlz. „Gin, Mondrakete?" „Lieber Whisky." Der Steuermann langte sich traumsicher die richtige Flasche und schüttelte sie etwas. Der Kommodore horchte wieder auf das hastende Ticken seiner Armbanduhr, und das Jagdfieber in ihm wurde immer quälender. „Also — auch eine Frau gehört zum Team dieses wahnsinnigen Insektenbändigers", begann der Steuermann wieder und ließ das Feuerwasser in die Gläser laufen. „Laß es nicht warm werden, Jim." Jim goß das Zeug hinunter — das tat gut! „Vielleicht gehört sie nicht zum Team", gab er vorsichtig zu bedenken. Der Steuermann verschluckte sich. „Äh — ahem — wenn sie doch den deutschen WP-Kommissar ermordet hat?" Der Kommodore zündete sich eine „Maza-Blend" an. „Meinst du?" „Aber, Jim — der Fall liegt doch klar!" Vom Schreibtisch her erklang ein kurzes metallenes Klicken. Aus der Rohrpostleitung wurde ein kleiner Umschlag auf den Tisch geschleudert. Jim Parker sah hinüber, stand aber noch nicht auf. „Der Fall scheint mir nur für einen oberflächlichen Betrachter klar zu liegen. Hast du schon einmal nach einem Motiv gefragt? Welches Interesse hatte sie am Tode eines x-beliebigen WP-Beamten?" „Vielleicht kannte sie ihn?" „Ach, Unsinn, Wernicke — so kommen wir nicht weiter." Jim ging zum Schreibtisch hinüber und nahm den Umschlag in die Hand. „Wir können ohne einen genauen Bericht von hier aus den Fall schwer beurteilen. Im Augenblick sehe ich nur zwei Erklärungen: Entweder hat diese Miß Chressyr bei der Berliner WP wirklich Schutz suchen wollen, oder . . ." „Oder?" Der Kommodore riß den Umschlag auf, und als er eine Aufnahme Ava Chressyrs hervorzog, die vor wenigen Stunden heimlich in der Anmeldung der Berliner WP gemacht worden war, wandte er sich ab. „Oder, Mondrakete . . . ?" „Laß nur, Fritz." Eben war ihm ein toller Gedanke gekommen. Aber nun schüttelte er den Kopf, und er konnte seinen Blick von dieser Augenblicksaufnahme eines jungen Mädchens nicht losreißen.
Um den Mann, der Welten durchflogen hatte, der Hölle und Tod und Teufel mehr als einmal herausgefordert hatte, versank seine eigene Welt unter dem Bann eines ungemein reizvollen und fesselnden Frauenantlitzes. Jim vergaß sich so, daß er zusammenschrak, als ihm Wernicke vorwurfsvoll auf die Schulter klopfte. „Hüte dich vor dem Rätsel der Frauenseele, großer Kommodore!" Jim wurde rot und ärgerte sich darüber. Dann aber mußte er hell auflachen und streckte Fritz das Bild hin. Nun wurde Wernicke weich. „Bei der reinen Venus! Alle Feuer des Weltalls verblassen vor dem Glanz ihrer Augen!" „Dann nimm d u gefälligst dein Herz in beide Hände." „Nee, Jim", schüttelte Wernicke überlegen den Kopf, „mich zwingt so etwas nicht in die Knie. Ich hätte schon Millionärswitwen heiraten können, aber sie sind alle nicht weiter als bis auf drei Meter an mich herangekommen! Außerdem mag ich diese Ava nicht." „Fange nicht an zu spinnen." „Ehrenwort, großer Häuptling. Irgend etwas an dieser jungen Dame gefällt mir nicht." Er sagte es ganz ernsthaft, und plötzlich stutzte er, und seine pfiffigen Augen wurden groß. „Mensch, Jim!" Jim Parker paßte dieses ganze Getue nicht. Gereizt nahm er das Bild wieder an sich. „Was hast du denn nun schon wieder?" „Waren in früheren Zeiten nicht einmal Giftmorde modern?" „Das schon, aber es ist lange her . . ." „Diese noble Kampfesart war doch ein Vorrecht des schönen Geschlechts?" „Weiter!" „Giftmorde sind eine heimtückische Sache — Morde durch Insekten auch — haben beide nicht Ähnlichkeit miteinander? Wenn nun dieser Chressyr eine Frau wäre?" Jim Parker fror plötzlich. „Wernicke, du bist verrückt!" Der Steuermann sah, daß er seinen Freund getroffen hatte und wandte sich achselzuckend ab. Er hörte, wie Jim an das Fenster trat und die hellen Jalousien hochrollen ließ. Die Sonne war aufgegangen über Orion-City. Lange sah der Kommodore in den strahlenden, warmen Sommermorgen. Dann kam er wieder in das Zimmer zurück. „Du meinst also, Ava Chressyr sei niemand anderes als Chressyr selbst?* „Das waren so meine Gedanken", murmelte Wernicke verlegen. „Du hast dich bestimmt geirrt! Mache dich jetzt fertig, Fritz!" Fritz Wernicke stellte nicht gern halbleere Flaschen in die Bar zurück, er trank sie lieber selbst aus, aber es war ihm nie etwas anzumerken. „Muß ich mit zum Alten?" „Ich muß doch meinen Stellvertreter einführen!" Wernicke schüttelte sich und gab der Hausbar einen Schubs. •
„Meine Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?" Generaldirektor Ted C. Cunningham eröffnete zwanzig Minuten später eine überraschend einberufene Geheimsitzung des S.A.T.-Rates. Sie fand im kleinen Sitzungssaal der Hauptverwaltung statt, und die Doppelposten des Sicherheitsdienstes, die das ganze Gebäude abschirmten, deuteten darauf hin, daß es wieder einmal um letzte Entscheidungen ging.
Während die Herren ihre Schreibblöcke zurechtlegten, betraten Jim Parker und Fritz Wernicke den Saal. Sie hatten sich etwas verspätet. Bevor der Kommodore sich entschuldigen konnte, winkte Cunningham die beiden heran. „Nehmen Sie hier in meiner Nähe Platz, Gentlemen!" „Jedem der Platz, der ihm gebührt", nickte Wernicke mit Würde, während Jim sChon besorgt auf seine Armbanduhr sah. „Wie lange wird es dauern?" ,,'ne knappe Stunde", kaute der Atomboß undeutlich und wandte sich wieder den Herren zu. „Ich darf zunächst Oberst Mortimer bitten, uns ganz kurz über den Stand der Affäre Chressyr zu berichten." Der Sicherheitshäuptling zerdrückte seine selbstgedrehte Zigarette und teilte in dürren Worten mit, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte. Er machte das gelangweilteste Gesicht von der Welt dabei, während sein Bericht wie eine Bombe einschlug. Gleich darauf schwirrte es durcheinander. „Was hat diese Verbrecher in mit ihrem feigen Mord bezweckt?" „Eine Herausforderung der Weltpolizei ist das — eine unerhörte Verhöhnung — eine Schweinerei!!" Der Oberst winkte lässig ab. „Beruhigen Sie sich, Mister Stormy! Die Ermittlungen in Berlin gehen Inzwischen weiter. Gegen Miß Chressyr wurde Haftbefehl erlassen." „Steht fest, daß nur sie als Täterin in Frage kommt?" „Kommissar Backhaus wurde durch einen Schuß getötet, der aus einem kleinkalibrigen Damenrevolver abgegeben wurde. Ich möchte mich jeder persönlichen Stellungnahme enthalten, aber ich fürchte, es dürfte Miß Chressyr außerordentlich schwerfallen, ihre Unschuld nachzuweisen." Jim Parker sprang auf. „Meine Herren, so bedauerlich diese Tat ist, sollte sie uns doch nicht von dem Kern der Affäre ablenken: Chressyr und seine finsteren Pläne. Ich nehme ja auch an . .". seine Stimme stockte, als wehre er sich dagegen, weiterzusprechen, dann aber straffte er sich, „daß der Mord eng mit den Absichten Chressyrs zusammenhängt . . ." „Der Mord sollte ablenken", rief'der cholerische Mister Stormy dazwischen. Jim Parker atmete tief — der Mann hatte seine Gedanken erraten. „Das wollte ich sagen! Überlassen wir also der Kriminalabteilung der WP den Mord an Kommissar Backhaus und fassen Chressyr — darauf allein kommt es an!" „Haben Sie bestimmte Pläne?" „Nach meinen Überlegungen kann sich der Standort Chressyrs nur auf dem Planetoiden Eros befinden, da dieser der Erde bis auf 22,5 Millionen Kilometer nahe kommt. Ich werde versuchen, mich mit einem Raumgleiter unbemerkt anzupirschen. Mein alter Kamerad Wernicke wird mich so lange in Orion- City vertreten." Entsetzte Augen richteten sich auf Jim. War der Mann lebensmüde? Aber dann wurde ihnen klar, daß dort nicht irgend jemand stand, sondern einer, der alle Teufel des Weltalls tanzen lassen konnte. Ein Beifall wollte losbrechen, aber Wernicke sprang auf. „Gentlemen — ich protestiere! Meinem großen Freund ist ein Versehen unterlaufen, er . . ." „Werde nicht melodramatisch, Whiskytöter!" Auch der Generaldirektor winkte ab. „Diesmal müssen Sie schon auf das große Abenteuer verzichten, Wernicke. Ich brauche Sie hier dringend, wenn unser Projekt ,M' anläuft." •
Aber vorerst hatte er andere Sorgen.
Und die unheimliche Spannung, die über der ganzen Erde lag, diese fast kindische Furcht der Menschen vor den scheußlichen Teufelsfaltern bewies ihm, daß es höchste Zeit war, Chressyr unschädlich zu machen. Denn schon wuchs aus der Furcht die Hysterie, die vor allem in südlichen Ländern, aufflackerte, wenn eine Schreckensnachricht die Runde machte. Und wenn es noch so grotesk war, was an manchen Stellen geschah — dahinter lauerte die Panik. Falter mit klugen, starren Augen! Da schwirrte in der Abenddämmerung eines Dorfes bei Arezzo in Mittelitalien ein schöner großer Falter durch die Buchenkronen. Er war so harmlos wie tausend andere seiner Artgenossen. Aber den Bauern, der seinen Schatten im Mondlicht geistern sah, packte das Grauen. Er brüllte auf und warf sein Geschirr weg. Stürzte in sein Haus, kam mit einem Eimer brennender Lumpen wieder heraus und raste Amok, bis das halbe Dorf brannte. Als er später unter kräftigen Karabinierifäusten wieder zu sich kam, irrlichte der Wahnsinn in seinem verschwitzten Gesicht. „Sind sie verbrannt?" grinste er glücklich. „Sind sie in den Flammen umgekommen, die Sendboten des Teufels?" „Wer ist verbrannt?" schnappte der fassungslose Gemeindevorsteher. „Dein Gehirn ist verbrannt, Enrico!" „Und' die Geisterfalter?" ächzte der Bauer. Man konnte ihm keine Antwort geben. Aber man sah sich scheu um in dieser Brandnacht. Aus anderen Teilen der Erde wurde ähnliches gemeldet. Die Angst vor Chressyr krallte sich immer fester in die Herzen. Da startete Jim Parker. •
31 Stunden war Jim Parker unterwegs. 31 Stunden in diesem Sarg, in dem man kaum den Kopf zu heben vermochte. Und als sich die Zahl 32 in die Leuchttafel vor seinen weitaufgerissenen Augen schob, spürte er, wie trostlos einsam er war und begann zu grübeln: ich kann es jetzt kaum noch aushalten, und ich habe erst ein Fünftel der Distanz zurückgelegt. „Gib doch auf", lockte das Nichts der fernen Sterne. Aber unerbittlich regulierte Jim den Heckantrieb. „Vielleicht bin ich gar nicht so schrecklich allein", grübelte sein fiebriges Gehirn. „Vielleicht ist Gott mir hier näher als auf der Erde?" Und für Stunden war er wieder stärker als das unheimliche Singen des dröhnenden Nichts. Mit flammenden Düsen schoß der Gleiter, wie er wollte. In der 60. Stunde geschah es, daß Jim sich wieder unter dem Grauen der trostlosen Verlassenheit duckte. Immer kleiner wurde die Erde. Noch gut 12 Millionen Kilometer. Das also war die Grenze für einen Einzelgänger im Weltall. Wohl raste der Raumgleiter immer weiter auf seiner Bahn. Doch die Macht, die den ewigen Urgrund des Seins um die Weltkörper legte, wollte wohl doch nicht, daß da ein Mann von irgendeinem kleinen Planeten kam und sich anmaßte, diese Ewigkeiten ganz allein zu bewältigen. Wollte sie es wirklich? Sie schien lächelnd zuzupacken und zu sagen: „Halt!" Jim brach der kalte Schweiß aus, das erregte Herz pumpte das Blut durch die Adern, daß er vor Schmerzen aufschreien wollte. Es wurde nur ein Röcheln. „Das halte ich nicht mehr aus — das halte ich nicht mehr aus!!"
Als er seine Rechte vom Schaltbrett nehmen wollte, um sich treiben zu lassen im Flug des Sonnensystems, fiel sein Blick auf den kleinen grünen Empfänger. Mit einer verzweifelten Wut stellte er ihn ein. Natürlich rauscht» M nur, und einige Sprachfetzen verschwammen darin. Wahrscheinlich war das Chinesisch oder sonst was, jedenfalls konnte er nichts verstehen. Diese kleinen Empfänger waren eben nicht auf Fernempfang geeicht, und seinen Bordgender wollte er möglichst wenig benutzen, um sich nicht selbst an Chressyr zu verraten. Aber diese lächerlichen Sprachfetzen gaben ihm doch wieder etwas Kraft Die Heckdüsen erloschen nicht, In der 66. Stunde tauchte vor ihm ein kurzes Blitzen auf, das aber noch weit im Raum zurücklag und wieder verschwand. Der Eros? Dag Rauschen im Empfänger blieb, doch dann waren wieder Sprachfetzen da — diesmal in Englisch. „ . . . für das europäische Festland besteht jedoch noch keine Gefahr. Die Insektenschwärme verharren über Island." Jim wäre am liebsten in den kleinen grünen Kasten hineingekrochen, aber nur das Rauschen war wieder da. Jetzt war er hellwach. Kurzentschlossen rief er Orion-City an. „Hier Raumschiff .Urania' / tro. 289 i Neues auf der Erde?" Nach Minuten eine schwache Stimme. „Hier Orion-City. Auskunft für Raumschiffe auf Fahrt. An Raumschiff .Urania' / tro. 289 < Als Neuestes müssen wir das massenhafte Auftreten unbekannter Rieseninsekten über Südisland melden. Die isländische Hauptstadt Reykjavik wird zur Stunde geräumt." „Danke!" Jim schaltete rasch wieder ab. Die Angst war von ihm gewichen. Nun war e* soweit! Chressyr griff 6h. Hüte dich, Cressyri • Reykjavik. friedliche Stadt am Faxa-Fjord. Die alten Giebelhäuser der Straßen, zwischen die sich nur hier und da ein moderner Zweckbau geschoben hatte, der Bich dann vor der grandiosen Kulisse des auslaufenden Langjökull fremd genug ausnahm, zeigten die stille Würde eines uralten Volkes. Doch in diesen Abendstunden war es vorbei mit dem Frieden der kleinen Hauptstadt, und ihre Bewohner schrien ebenso entsetzt wie vor Tagen der Bauer Enrico. Nur, daß sie auch im Unglück etwas mehr Haltung bewahrten. Über ihren Köpfen jagten sie dahin, die Riesenschwingen des Teufels. 20 Kilometer nördlich der Stadt, nach Borgarnes zu, war Vor drei Stunden eine unbemannte Großrakete niedergegangen, War explodiert und hatte sie ausgespien. Das war kein Traum. Das war keine verrückte Utopie. In Orion-City konnte sich Atomboß Cunningham höchstpersönlich davon überzeugen. Er stand vor dem Bildschirm des großen Fernsehers und hatte Reykjavik eingeschaltet. Und was er sah, trieb ihm das Blut ins Gesicht. „Verdammte Bestien!" Da war ein großer Platz in der Nähe der isländischen Landesuniversität, »uf dem sich viele Menschen stauten, die aus anderen Stadtgebieten geflüchtet waren. Verzweifelte Menschen — blasse Männer, hilflose Frauen in bunten Kopftüchern. Sie Schrien auf. Deutlich Waren zwei, drei Falter zu sehen, die über die Dächer heranschwirrten. »Shilling!" keuchte Cunningham. „Shilling— sehen Sie das?" Der Privatsekretär flog am ganzen Leibe. „Das ist entsetzlich, Sir!"
„Sie sollen die Stadt räumen", brüllte der Generaldirektor auf, warf seinen massigen Körper herum, war schon am Haussprecher und schrie dem Verbindungsmann der Weltpolizei seine Meinung ins Ohr, um zu erfahren, daß WP, isländische Polizei und US-Truppen alles taten, daß aber die Zahl der Geisterfalter über Island mindestens eine halbe Million ausmachen müsse. Cunningham wankte aschgrau zum nächsten Sessel und fiel hinein. „Shilling, haben Sie das gehört?" Der Privatsekretär nickte. „Stellen Sie den Kasten ab", sagte der Atomboß leise und geschlagen, „da ist uns einer über, da ist eine Bestie in Menschengestalt klüger als wir alle zusammen, da hat ein Teufelshirn jahrelang einen Plan ausgebrütet und führt ihn jetzt durch. Es werden noch mehr Großraks landen, und wir wissen nicht, woher sie kommen." „Kommodore Parker . . ." „Parker wird alles tun!" Cunningham sprang schon wieder auf. „Selbstverständlich wird er alles tun. Ich erwarte stündlich die Nachricht, daß er auf diesem verdammten Planetoiden gelandet ist, und auf Eros hockt dieses Scheusal — verlassen Sie sich darauf. Was ist denn das?" „Sie wechseln das Bild." Die Burschen vom isländischen Televisionsender hatten Nerven. Wahrscheinlich boxten irgendwelche Sonderhonorare sie auf. Der Platz war von Faltern übersät. Es war gut, daß die entsetzten Fernsehkunden nicht sahen, wie sich die schreienden, verzweifelten Menschen unter den surrenden Zustoßen der Mordbestien wanden. Dafür sah man jetzt die Ausfallstraße zum Flughafen Keflavik, sah den Strom Flüchtender, sah, wie Hunderte von Kraftwagen sich mühsam vorankämpften. Und da geschah es, daß Shüling aus seiner Starrheit aufruckte. „Sir — da — die Dame im roten Chevrolet!" Cunningham war schon neben ihm. „Wo?" „Da — neben dem alten Lastwagen — da, Sir! — sehen Sie denn nicht, wie sie lächelt?" „Lächelt?" schnaufte der Atomboß. „Sie sind wohl verrückt?" „Nun ist das Gesicht noch deutlicher zu sehen!" „Damned!" Endlich hatte Cunningham den richtigen Wagen und seine Fahrerin aus dem Strom herausgefunden, der in der klaren Abenddämmerung des hohen Nordens verschwamm. „Das — das ist ja Ava Chressyr!" „Allerdings, Sir", stammelte Schüling, „das ist sie!" Es war furchtbar. Cunningham und Shilling standen wie in einem phantastischen Angsttraum. „Shilling", stöhnte der Generaldirektor, „das ist furchtbar!" „Miß Chressyr!!" *
„So, alter Junge — nun langsam ran!" Der blitzende Punkt, der aus der Tiefe des schwarzen Raums auf geisterte, war wirklich der Planetoid Eros. Linker Hand war er herangekommen, und Jim mußte aufpassen, ihn so anzusteuern, daß er möglichst kurz im Sichtfeld Chressyrs blieb. Da dieses seltsame Gebüde keine Kugelgestalt hatte, sondern eher einem schroffzerhauenen, länglichen Steinsplitter von ca. 30 4cm Länge glich, war das nicht sonderlich schwer. Der Planetoid schien durch einen Höhenzug querdurch geteilt zu sein — beherrschend waren jedoch die Ebenen; deren graue Eintönigkeit durch leichte Bodenwellen aufgelockert wurde. Ein kurzes Steuermanöver!
Schon hatte er die Ebene unter sich. Tot lag sie da. Kein Lebewesen. Nur eine gnadenlose Helligkeit, von keinem Luftmantel gemildert. Aber es half alles nichts — hier mußte er runter. Hinter einer Bodenwelle setzte der Gleiter auf. Jim spürte es in allen geschundenen Gliedern, wie seine Kiste aufprallte. Minutenlang lag er wie betäubt und mit rasenden Kopfschmerzen. Vor seinen Augen kreiste die Ebene wie ein flacher bunter Kreisel unter einer hellen Lampe. Scheußlich. Wie ausgespuckt und weggeworfen kam er sich vor. Dann aber riß er sich zusammen, löste mit einem Hebelgriff die Kunstglashaube und sprang mit einem Satz aus seinem braven Renner — sprang allerdings zehn Meter weiter als er wollte und schlug ziemlich unsanft auf. „Hoppla — hier purzeln alle Weltrekorde!" Wieder blieb er mit angehaltenem Atem liegen. Hatten die Burschen ihn noch nicht bemerkt? Aber um ihn rührte sich nichts. Öde lag diese vergessene Welt zwischen Erde und Mars vor ihm. Wer diesem lächerlichen Planetoiden Nr. 433 wohl seinen reizenden Namen gegeben hatte? Den Mann hätte er jetzt gern an die Hand genommen und durch dieses Paradies geführt. Das also war Eros! Die Erde war jetzt rund 23 Millionen Kilometer von ihm entfernt. Aber wenn man den Erdmond außer acht ließ, der einem Menschen wie Chressyr kaum noch eine „Aktionsmöglichkeit" bot, war dieser todtraurige Stern immer noch der Weltkörper, der Jims Heimatplaneten am nahesten stand. Hier mußte Chressyr zu finden sein. Der Kommodore überlegte kurz, was er tun konnte, um sich nicht so rasch zu verraten. • Sein Blick fiel auf einen Felsriß, der ungefähr fünf Meter breit war und sich in Schlangenlinien auf den Höhenzug zu davonschlängelte. Irgendwie erinnerte dieser Riß an ähnliche Erscheinungen auf dem Erdmond, nur mit dem Unterschied, daß dort unter solchen Rissen abgrundtiefe Finsternis gähnte, während hier die Tiefe bequem abgeschätzt werden konnte — sie mochte etwa drei Meter betragen. Tief genug, um den Raumgleiter aufnehmen zu können. Ohne sich groß anzustrengen, hob Jim seinen Rennet hoch, Stemmte ihn Über den Kopf und wagte den Sprung. Er hatte einige Mühe, sich aufrecht iU halten, konnte dann aber doch das flache länge Ding unter einem Felsvorsprung verbergen. Jim atmete auf. Aber was nun? Die Stille um ihn war natürlich, wenn sie auch unheimliche Gefahren bergen konnte. Weit und breit rührte sich nichts. Kein primitives Gebäude, keine Antenne, kein Zelt, kein Zeichen — nichts deutete auf Chressyr hin. Hältst du dich versteckt, großer Zauberer? Ich werde dich schon finden!! Jim beugte sich noch einmal nieder, um den Kabinenverschluß zu überprüfen und bekam einen
leichten Schreck. In der gläsernen Rundung spiegelte sich eine menschliche Gestalt, und das konnte er selber nicht sein, denn er stand unmittelbar vor dem Gleiter und nur sein Oberkörper war in der Höhe des Kunstglases. Jim schloß ruckartig eine Klappe und schnellte herum. Oben, am Riß, stand ein Mensch. Er trug einen ähnlich grauen Raumanzug wie der Kommodore, aber er trug auch eine Strahlwaffe in der Rechten, und die hielt er vielsagend auf ihn gerichtet. Willkommen auf Eros, sollte das wohl heißen. Jim rührte sich nicht. Er grinste aber und fühlte sich ungemein erleichtert, obwohl die Situation verteufelt ernst sein mochte. Aber er hatte nicht umsonst diese mörderische Strecke zurückgelegt. Die nächsten Sekunden würden alles entscheiden. Und da geschah es schon. Der Mann ließ die Waffe sinken, warf sich herum und stürmte davon. Helige Mondsichel, das durfte nicht sein! Mit einem Riesensatz war Jim die drei Meter hoch, schnellte drei-, viermal mit Panthersprüngen vorwärts und warf sich einfach auf den anderen, der sich viel zu spät noch einmal herumwarf und seine dicke Waffe hochriß. Jim wand sie ihm aus der Griffklaue und schleuderte sie weg. Dann zwang er den Unbekannten durch einen brutalen Judogriff, der im engen Raumanzug doppelt schmerzen mußte, neben ihm herzugehen. Kein Wort wurde gewechselt. Sie konnten ja auch nicht miteinander sprechen. Jim führte ihn zu seinem Riß und sprang mit ihm hinein. „So, old boy", sagte er für sich, „nun wollen wir beide mal die Rollen Vertauschen." Auf Island war die Hölle los. Was immer in den letzten Jahrzehnten geschehen sein mochte, es war nicht zu vergleichen mit dieser Massenflucht einer ganzen Stadtbevölkerung vor den Bestien einer anderen Welt. Da war der junge Olaf Olafsson. Seine Frau war zusammengebrochen, als sie gegen Abend aus der Tür ihres Siedlungshauses am Stadtrand trat und sich ein scheußlich bunter Riesenfalter mit großen kalten Augen auf sie gestürzt hatte. Da sie eines der ersten Opfer War, hatte man sie immerhin noch in das staatliche Spital bringen können, aber die Ärzte gaben wenig Hoffnung. Olaf Olafsson hatte noch einen vierjährigen blonden Jungen, und wenigstens den sollten sie nicht haben. Schwarz lastete die Dunkelheit. Olaf Olafsson raste auf der schmalen Bergstraße dahin. Die Scheinwerfer stießen ihre Lichtbalken immer weiter in die feuchte Schwere des schwermütigen Regenabends. Aber rechts und links von ihnen kreisten Leuchtpunkts am Himmel. Olaf Olafsson stieß furchtbare Verwünschungen aus, und er mußte die Tränen zurückhalten. Neben ihm lehnte ein blonder Wuschelkopf müde gegen das Wagenpolster. Olaf Olafsson grübelte darüber nach, warum es gerade seine Frau treffen mußte, aber er fand keine Antwort, weil es keine gab. Der unsichtbare Feind schlug wahllos zu. Auf einmal ging es nicht weiter. Vor ihm auf dem schwarzen Schotter der drittklassigen Straße tauchte eine Gruppe Polizisten auf. Ihre Regenmäntel glänzten, und zwei von ihnen waren bemüht, mit Atombrennern die unheimlichen Schwingen fernzuhalten. Die anderen umstanden einen roten Sportwagen. Es war ein roter Chevrolet. Zwei Offiziere untersuchten ihn eifrig. Olaf Olafsson wagte es, das Wagenfenster etwas herunterzudrehen.
„Kann ich hier nicht weiter?" Ein Polizist trat heran. „Einen Augenblick bitte, mein Herr — die Straße Wird gleich wieder freigegeben." „Was ist denn geschehen?" Der Polizist antwortete nicht, aber Olaf Olafsson konnte verstehen, was die beiden Offiziere sagten. „Der Wagen wurde einfach stehengelassen." „Natürlich — ein Unfall ist ausgeschlossen!" „Aber — verflucht noch mal — von der schönen jungen Dame müßten doch Spuren vorhanden sein!" „Heute abend ist alles möglich!" •
„Damned!" Atomboß Cunningham würde in den nächsten Wochen keine Havanna mehr schmecken. Er hatte seine Beobachtung von dem Auftauchen Ava Chressyrs vor der isländischen Hauptstadt unverzüglich nach dem Norden durchgegeben, und was er jetzt hören mußte, machte ihn wild. „Verschwunden?" blaffte er seinen Sicherheitshäuptling an. „Wie kann man einfach verschwinden! Es müssen doch Spuren vorhanden sein!" „Warum?" dehnte Mortimer gelassen und lehnte sich zurück. „Die junge Fahrerin dieses Chevrolets, von der Sie annehmen, daß es Ava Chressyr gewesen ist ..." „Ich nehme nichts an", fauchte Cunningham dazwischen. „Es war sie und damit basta!" „Okey! Diese junge Dame also ist einfach ausgestiegen und zu Fuß weitergegangen." „Und die Falter? Die lassen doch sonst keinen zu Fuß weitergehen!" Er wies auf den Bildschirm des noch immer auf Reykjavik eingestellten Fernsehers. Menschen duckten sich verzweifelt und mit wild herumschlagenden Armen gegen die großen Tiere, die niemand ungeschoren ließen. „Eine Fußgängerin dürfte nicht weit kommen." „Gebe ich zu, Cunningham!" Auf dem Schreibtisch summte der Haussprecher auf. Zweimal, dreimal. Cunningham wuchtete seine Fülle hoch, und der Oberst hörte ihn gleich darauf ausrufen: „Wer meldet sich? Der Kommodore?" „Yes, Sir", antwortete die Funkstation. „Kommodore Parker meldet sich. Über seinen Bordsender. Wir haben die Nachricht entschlüsselt." „Los, Mann!!" „An Cunningham. Orion-City. Gelandet. Bin auf richtiger Spur. Einen Mann vorläufig festgesetzt. Achtet auf Einsatzzeichen. Parker." Cunningham fieberte, und das Blut dröhnte ihm in den Schädel. „Das — das ist großartig. Kriegen Sie die Antwort rüber?" „Wir werden es versuchen." „Okey, Sir!" „Los, notieren Sie: .Cunningham an Parker. Verstanden. Ava Chressyr auf Island gesehen. Warten auf Einsatzbefehl, Cunningham! / OC /Z ER.' Jagen Sie das durch — mit allen Mitteln." „Okey, Sir!" Funksprüche aus dem All sollten einen S.A.T.-Generaldirektor nicht mehr erschüttern können, aber dieser hatte es in sich. Selbst der schlaksige Oberst verlor viel von seiner kühlen Gelassenheit. „Verdammter Leichtsinn von Jim!" Der Generaldirektor ließ die Faust auf die Tischplatte fallen. „Keine Unkenrufe, Mortimer!"
Jim hätte dem Oberst recht gegeben. Es blieb ihm aber wirklich nichts anderes übrig, als die Erde anzurufen — jetzt hatte er hoch Zeit und Gelegenheit, und er konnte nicht wissen, was ihm bevorstand. Vielleicht hatte der Bursche da vor ihm schon Alarm geschlagen. Er trug sicher eine kleine Sprechfunkanlage bei sich. Jim gab sich keinen Illusionen hin, aber er handelte nach wie vor kalt und umsichtig. Er warf einen letzten Blick auf seinen Gefangenen, der sich im Raumgleiter nicht sehr wohl fühlte und machte sich auf den Weg. Die Hitze war so unerträglich wie vorhin. Jim konnte nichts anderes tun, als die Richtung einschlagen, in der vorhin der unbekannte Raubritter davongestürmt war. Als er ungefähr einen Kilometer zurückgelegt hatte, blieb er stehen. Er war auf der richtigen Spur! Von den Ausläufern des Höhenzuges kamen schwerfällig und vorsichtig zwei Gestalten in Raumanzügen herunter. „Warschau, Jim — laß dich nicht übertölpeln!" Sicher hatten sie ihn bereits gesehen, und es hätte wenig Sinn gehabt, sich jetzt noch zu verbergen. Jim blieb frech und unerschrocken stehen und zeigte sich einfach in voller Lebensgröße. Daß er in seiner rechten Griffklaue eine Atompistole schußbereit hielt, konnten die dort drüben allerdings nicht sehen. Sie kamen übrigens nicht direkt auf ihn zu, sondern gingen mehr linksah. Ohne sich um Jim zu kümmern, verschwanden sie hinter einem Felsen, der sich wie ein übergroßer Bunker aus der Steinebene erhob und an die Ausläufer des Höhenzuges anschloß. Nicht schlecht!
Der Kommodore pfiff leise durch die Zähne. Wirklich nicht schlecht. Der finstere Kumpan, den er schön im Gleiter versteckt hielt, hatte also noch nicht an den Beherrscher dieses Sterns gemeldet. Das ließ Jim noch frecher werden. Er federte über zwei, drei Bodenwellen und ging einfach auf den Felsblock zu. Er kam aber nicht heran — wieder waren zwei Gestalten -in klobigen Raumanzügen neben ihm. Diesmal in unmittelbarer Nähe. Und die hatten ihn gesehen — die eine der beiden Gestalten hob den Arm. Jim hielt abermals an. „Na, mein Lieber", sagte er wieder zu sich selbst, „kleiner Ringkampf gefällig?" Aber die beiden waren ganz friedlich. Der erhobene Arm winkte ihn heran. Jim trat näher und zog die Stirn so kraus, daß es schmerzte. Bei allen möglichen Planeten, bei Wernickes geheiligter Schnapsflasche — war die Gestalt mit dem erhobenen Arm etwa eine Frau? Jedenfalls war sie schlanker und wirkte irgendwie geschmeidiger als der Bär von Kerl daneben. Und dieser entfernte sich jetzt. Jim war mit der schlanken Gestalt allein. Sie ließ den Arm sinken und ging dann, ohne sich, weiter um ihn zu kümmern, auf den Felsblock zu. Gehorsam folgte ihr der Kommodore. Wahrscheinlich hatte sie noch gar nicht bemerkt, daß er nicht zu Chressyrs Haufen gehörte. Aber eine Frau war sie doch — ihr etwas" ängstliches Zutreten in dieser ungewohnten Umgebung, die Art, mit der sie um sich blickte — das konnte nur eine Frau sein . . . Sie gingen um den Felsblock herum und befanden sich plötzlich auf einer regelrecht ausgebauten Straße, die von hier an in den Höhenzug hineinführte. Jims Gehirn registrierte eiskalt. Auch den Wachtposten, der — wie die anderen im Raumanzug — vor der Felswand stand, bei ihrer Annäherung eine Handbewegung machte, worauf vor ihnen ein großes, eingelassenes Tor ausfuhr und einen hohen, kalten Gang freigab. Zwei Gestalten kamen ihnen entgegen, ließen sie fast höflich passieren und gingen dann weiter. Kommodore — du hast Glück für drei! Der Gang lief in eine Art Halle aus, die oval war und von der sechs Nebengänge weiter in den Felsen hineinführten. Von der Decke herunter baumelte ein Symbol, das die erschreckende Sachlichkeit der durchdachten Anlagen auf eine überraschend groteske Art milderte: eine Dämonenmaske.
Jim war ein Völkerkundler, aber er prägte sich das Ding möglichst genau •in. In dieser Maske lag zweifellos das Geheimnis um Chressyr verborgen. War er ein Mystiker? War er — phantastischer Gedanke! — der Nachfahre eines uralten untergegangenen Volkes der Erde? Aber jetzt mußte er aufpassen! Die schlanke Gestalt durchschritt diesen hallenartigen Mittelraum und stellte sich vor ein doppelmannshohes Stück Rundwand, das zwischen zwei Gängen lag. Auch hier befand sich eine Schiebetür, die wegrollte. Die Gestalt Winkte. Jim trat hinter ihr in einen großen quadratischen Raum. Summend «chloß sich die Tür. Sie waren nicht allein. An einem ganz gewöhnlichen stabilen Tisch, auf dem allerlei Geräte aufgebaut waren, deren Sinn dem Kommodore nicht klar war, saßen zwei Männer — die ersten Menschen, die Jim auf diesem lächerlichen Stern ohne Kopfhaube sah. Demnach mußte dieser Raum hermetisch abgeschlossen und mit Sauerstoff versorgt sein. Die beiden sahen auf, und die schlanke Gestalt fuhr sofort auf sie los. „Reykjavik ist wie ausgestorben, Miß." Miß! Also doch eine Frau! Der Kommodore straffte sich und wagte kaum zu atmen, als sie ihre Griffklauen ablegte und mit ihren schönen Frauenhänden U die Kopfhaube abhob. Dann sauste ein heißer, fiebriger Wind um seinen Schädel. Vor ihm stand Ava Chressyr! Diese schöne, einmalige Ava, von der ihm Cunningham aus der weltenfernen Atomstadt berichtet hatte, er hätte sie auf Island gesehen, dann sei sie allerdings als spurlos verschwunden gemeldet worden. Aber das konnte doch nur Stunden her sein! Jim Parker war allerhand gewohnt, aber jetzt mußte er sich doch gewaltig am Riemen reißen, um nicht auf der Stelle schlappzumachen. „Das freut Sie wohl, Herrlins?" Die beiden am Tisch — mit denen in feiner Gesellschaft bestimmt kein Staat zu machen war, wenn sie auch eine gewisse durchtriebene Schläue verrieten — grinsten eifrig. „Warum nicht, Miß? Vielleicht kann man noch mal Sklavenhalter von Island werden!" „Soviel Phantasie hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut", sagte sie mit verächtlichem Spott. „Geht nun raus — wir werden hier schon allein fertig!" Sofort standen sie auf. Wieder summte die Tür. Ava Chressyr trat an den Tisch und beugte sich über ein Etwas, In dem Jim einen rechteckigen Kasten erblickte, der nach oben mit einem Bildschirm abschloß. Ava Chressyr stand davor. Jim beobachtete angespannt jede Regung ihrer schönen, klaren Züge. Mit einer ruckartigen Bewegung wandte sie sich um und winkte Jim heran. Was er sah, ließ ihn bis ans Herz frieren — der Bildschirm zeigte einen Tunnel, der sich irgendwo in diesem Felsen befinden mußte und in dem unzählige dieser großen Falter mit starren, klugen Augen krochen, flogen oder stillsaßen. Wieder mußte Jim sich zusammennehmen. „Schön, was?" sagte eine harte, klingende Stimme neben ihm. Jim fuhren tausend glühende Messer durch die Brust. Bestie! Bestie Ava — schöne Ava — schöne Bestie! „Warum antworten Sie nicht, Bloos? Sie sind doch sonst nicht so schweigsam." Antworten? Jim hätte aufheulen können. War es möglich, daß eine Frau das Hirn des teuflischsten aller Großanschläge gegen die Menschheit sein konnte? „Ich versuche, sie zu zählen", sagte er gedankenlos. „Das wäre ein nutzloses Unterfangen." „Sollen die noch gegen Island eingesetzt werden?" Ava Chressyr richtete sich auf. „Gegen Island? Wissen Sie denn nicht, warum ich Sie hergerufen habe? Aber vielleicht ist es besser, wir sprechen morgen darüber. Gehen Sie!"
Der Kommodore konnte sich vom Anblick dieser seltsamen Frau kaum losreißen. Wenn sie nicht so hundsgemein und teuflisch und verbrecherisch wäre, müßte man sie lieben, dachte er, während er sich abwandte und zur Tür ging. An der Tür war seine Weisheit zu Ende — seine Griffklauen fanden keinen Knopf, keinen Hebel, keinen Mechanismus — nichts! „Nun gehen Sie schon!" Erst einmal können, schöne Teufelin! So dumm war Jim sich schon lange nicht mehr vorgekommen, doch dann kam er darauf, daß diese Türen wahrscheinlich durch Lichtwellen bewegt wurden, die von den Raumanzügen der Chressyr-Leute ausgingen. Aus! Schon war Ava Chressyr neben ihm. „"Warum gehen Sie nicht?" Der Kommodore kümmerte sich nicht mehr um die Tür. Seine Rechte war wieder an der Atompistole, und als er bemerkte, daß sie ihn mißtrauisch musterte, entsicherte er sie. Es gab ein kurzes, helles Klicken. Ava fuhr zurück. „Nehmen Sie die Kopfhaube ab, Bloos!" Zwei, drei Griffe „Wer sind Sie?" Ihr starres Gesicht zeigte kein Erschrecken, nur ihre Augen sprachen, und der Kommodore wurde in diesen Sekunden, da sein eigenes Leben auf der Waage stand, noch weniger klug aus ihr. „Ich würde mich hübsch ruhig verhalten, Miß Chressyr — in meiner- rechten Griffklaue steckt eine entsicherte Atompistole." Sie rührte sich nicht. „Wer sind Sie?" „Es gibt Viele Möglichkeiten", lächelte Jim höflich. „Ich würde sie all« gründlich durchdenken, Miß Chressyr." Ihre Blicke ruhten ineinander. „Mit Eindringlingen macht man hier kurzen Prozeß!" „Ich fürchte, mit Ihnen auch einmal", entfuhr es dem Kommodore, und es tat ihm sofort leid, daß er es gesagt hatte. Sie wurde bleich, aber sie hatte lieh wunderbar in der Gewalt. Sie machte eine kleine Armbewegung. Bevor er sie überhaupt gewahr wurde, brach die stumme Verbissenheit eines schweigenden Ringens los. Ein ganzer Haufen war plötzlich um ihn — fünf, acht, dreizehn. Jim fluchte laut auf. »Zurück, ihr Hundesöhne!" Aber sie wichen nicht zurück. Jim hatte eine Mordswut im Leibe. Die Atom- pistole schaltete zwei aus. Drei andere flogen weit durch den Raum. Aber dann war einer hinter ihm, knallte mit einem ganz gewöhnlichen Revolver. Aus dem flüchtigen Stechen in der rechten Schulter quoll ein dumpfer, warmer Schmerz, der ihn in einer dunklen Wolke zusammensacken ließ. „Schafft ihn in den Querraum", befahl Ava Chressyr, als zwei den Angeschossenen wieder hochzerrten. Einer blinzelte frech. „Sollen wir ihm den Rest geben?" „Dr. Saby soll sich um ihn kümmern." Der andere sah etwas dumm auf seine schöne Herrin, nickte dann aber doch und setzte Jim eine Kopfhaube auf. „Los, komm — die hübschen Vögel werden einmal ihre Freude an dir haben." Hübsche Vögel, hämmerte das Blut in der irischen Wunde, während die schweren Stiefel über den Felsboden schleiften, hübsche Vögel —> werden sie mich den Biestern vorwerfen? Die Beine wollten nicht mit. Die Augen aber fraßen verschwommen und gierig ihren Weg — einen Gang mit vermummten Gestalten, die neugierig nähertraten, dann wieder einer, der in der grellen Helle unsichtbarer Lichtquellen quälend dalag— dann eine Türl
„So, Fremder — viel Vergnügenl" •
„Mein Gott, Ava — wer ist das?" Eine helle Stimme war da, aber Ava Chressyr rührte sieh nicht. Sie sah regungslos zu, wie sie Jim Parker aus dem Raum schleiften, wie sie die eigenen Verwundeten aufhoben, ihnen Kopfhauben überstülpten und hinaustrugen. Dann erst wandte sie sich um. »Ich habe ihn nie gesehen, Dor!" Dor war kleiner und zierlicher als Ava Chressyr. Immer war sie traurig, und niemand wußte, ob Dr. Saby ihr Mann oder nur ihr Freund war. Sicher hatte nur ein böses Geschick die kleine, nette Französin in diese Weltraumhölle geschickt. „Du willst ihn doch nicht den Faltern vorwerfen?" fragte Dor mit zitternder Stimme, und plötzlich weinte sie los. „Er sah doch so nett aus." Eine schroffe Handbewegung. „Du hast ja gehört, daß Saby sich um ihn kümmern soll. Aber wenn er diesen Stern lebend verlassen sollte, wird er uns allen Leben oder Freiheit nehmen." Die kleine Dor folgte Ava zu einer Bank. „Vielleicht ist er von der Weltpolizei?" Ava antwortete nicht. Ruhig griff sie nach einem Mikrophon und befahl die genaue Durchsuchung des Vorfeldes. Dor erging es wie dem Kommodore: sie wurde nicht klug aus dem schönen jungen Mädchen, das kaum älter war als Sie, das aber so kalt ihre Anordnungen gab, seit sie auf diesem Stern war. Dor hatte oft mit Herzklopfen darauf gewartet, den geheimnisvollen Herrn der Bande kennenzulernen. Sie konnte es noch nicht recht fassen, daß eine Frau das gigantische Verbrechen leitete. Dor hatte Ava zunächst verachtet, aber nun hatte sie sie sogar gern — sie wußte selber nicht, warum. „Du hast recht, Dor." „Also — doch von der Weltpolizei?" „Streng genommen, vom amerikanischen S.A.T.", lächelte Ava Chressyr, sah aber Dor dabei nicht an. Ihre Hände strichen über den Mikrophonstab. „Pedro und der Neuseeländer haben in einem Felsriß ein kleines S.A.T.-Raumschiff gefunden und diese Schlafmütze Bloos, die gefesselt in dem Kasten lag." „Dann ist es Jim Parker!" rief Dor aus. Ava runzelte die Stirn. „Der berühmte Weltraumflieger?" „Er ist es", nickte Dor eifrig. „Ich habe schon oft sein Bild gesehen." Ava Chressyr schaltete das Mikrophon ab. Sie stand auf und ging mit ihren übervorsichtigen Schritten, die so gar nicht zu ihr paßten, hin und her. Summend öffnete sich die Tür. Ein Mann trat ein, der seinen Raumanzug nicht erst ablegte, sondern ihr nur eine Funkmeldung reichte. Ava las sie durch und zerriß den Papierstreifen. Wieder summte die Tür, und wieder ging Ava vom klobigen Tisch zur Felswand und wieder zurück. Irgendwo sang es In der Lufterzeugung. Die kleine Dor hatte angstvoll die Hände gefaltet. Ihr Blick ließ Ava nicht los. Plötzlich sprang sie auf, rannte auf Ava zu und warf sich fast gegen sie. „Ava, was hast du? Du weinst ja." Über das schöne Gesicht rannen Tränen. „Davon weiß ich nichts", sagte Ava Chressyr leise und machte sich los. „Laß mich jetzt bitte allein." „Nein, Ava — jetzt nicht." „Wie du willst." Ava Chressyr ging wieder zum Tisch und schaltete das Mikrophon ein. „Achtung, Pedro! Wir greifen jetzt Europa an! Ja, hast du mich verstanden? Wie vorgesehen. Du übernimmst die Ladung. Hast du die Erdposition?"
„3 NS, Miß Chressyr", antwortete eine dunkle, ruhige Stimme. „Wer soll fliegen?" „Ich!" *
„Gut — aber bringe die Staubbehälter vorsichtig unter — und noch eins. «r wird bald kommen." „Es wird alles nach seinem Willen geschehen." „Ich komme dann raus." Die schöne, schlanke Hand schaltete wieder ab. Draußen lief jetzt ein unheimlicher Apparat von Menschen und Raumschiffen an. Die kleine Dor wußte, was Europa in den nächsten Tagen bevorstand, sie wußte es, und es war ihr, als müsse jeden Augenblick ihr Herz aussetzen. „Bist du — wirklich — eine Frau, Ava?" Die starre Kälte Avas zerbrach in einem Aufbegehren — sie fuhr herum. „Du gehst jetzt!" schrie sie die entsetzte Dor an. „Du gehst — sofort!" Dann war sie ganz allein. •
Das Mikrophon glänzte metallen in der Sonne. Ava stand lange und starrte durch ein längliches Kunstglasfenster auf einen Gang, durch den jetzt auf flachen Schlitten große Behälter transportiert wurden, In scheinbar endloser Kette — fünf, zehn, fünfzehn . . . „Wir greifen jetzt Europa an!" Pedros ruhige Stimme. Dors entsetzte Frage. „Bist du wirklich eine Frau?" Sie wandte sich ab, setzte sich eine Kopfhaube über und überprüfte sorgfältig die Sauerstoffanlage. Sie wollte picht mehr grübeln, sie hatte sich entschieden, und die Dämonenmaske in der Halle beherrschte sie alle und forderte ihre Opfer. Als sie sich die Griffklauen anlegte, spielte schon wieder ein überlegenes Lächeln um ihren Mund. „Bist du wirklich eine Frau?" Sie sollten sich alle wundern. Ava Chressyr verließ den Raum. Auf dem Gang warteten zwei große Kerle in Raumanzügen, die sich ihr anschlossen. Die Dämonenmaske geisterte mit höhnischem Grinsen. „Wir greifen jetzt Europa an!" Jim Parker sah sie kommen. Er lehnte gebunden gegen die kahle Wand, und es war gut, daß dieser seltsame Dr. Saby sich um ihn bemüht hatte — in der Schulter brannte es noch höllisch, und Jim sehnte sich nach Orion-City und einem anständigen Bett. Aber die Erde war fern. Und die schlanke Gestalt, die dort den Gang entlangkam, war die schöne Beherrscherin eines unheimlichen Sterns. War so etwas überhaupt möglich? Konnte eine Frau in solche seelische Abgründe geraten und noch dazu über die eiskalte Logik verfügen, die notwendig war, um einen solchen Teufelsplan zu realisieren? Jim zermarterte sich das Gehirn. Ava trat mit ihren Begleitern ins Freie. Jims Gefängnis lag in einem Vorsprung und hatte zwei kleine Gucklöcher. Es sah aus, wie in einem mittelalterlichen Verlies. Aber Jim mußte hier seine Kopfhaube tragen, da der Raum weder hermetisch abgeschlossen war, noch mit Luft versorgt wurde. Die Atompistole hatten sie ihm abgenommen, und es war überhaupt ziemlich aussichtslos, schon jetzt so etwas wie einen
Ausbruchsversuch zu unternehmen. Er raffte sich aber auf und trat an das Guckloch, das auf das weite Vorfeld führte und von dem aus er die Kunst« Straße entlang bis weit in den Höhenzug hineinblicken konnte. Mit einem überraschten Ausruf fuhr er zurück. Die Brüder trafen ja Startvorbereitungen! Die großen Behälter wurden die Straße entlanggeschoben Ava und ihre Begleiter gingen vorbei. Und fern — auf einem weiten Feld im Höhengelände — ragten zwei Raumschiffe auf. Verflucht und zugenäht, das durfte doch nicht sein! Die waren imstande und rotteten die halbe Menschheit aus! Das durfte einfach nicht sein! Jim Parker biß die Zähne zusammen. Irgendeinen Ausweg mußte es doch geben. Verzweifelt versuchte er immer wieder, die Handfesseln zu lösen. Plötzlich trat einer im Raumanzug ein und stellte sich neben ihn. Er tat ihm nichts, aber Jim konnte auch nichts mehr tun. Sofort stellte er seine Bemühungen ein und starrte angestrengt nach draußen. Wieder zwei Schlitten. Aber diesmal ohne große Behälter. Dafür hatten sie rote Torpedos geladen, und als Jim sie unmittelbar vor sich hatte, erkannte er, daß sie aus Gummi waren. Die Chressyr-Leute, die diese Schlitten schoben, taten so, als könnten sie jeden Augenblick auseinanderfliegen. Jim pfiff leise vor sich hin. Was war denn das? In Gummitorpedos transportierte man doch keine Lebewesen. Wollten die Brüder etwa auch mit Sprengstoff arbeiten? Das konnte ja heiter werden! Wenn er nur nicht so schwach gewesen wäre! •
„Alles klar?" Ava Chressyr stand jetzt über Sprechfunk mit ihren Männern in Verbindung. Sie war mit ihren Begleitern die Straße entlanggegangen bis zum Raketenfeld. „Die Tiere sind bereits drin, Miß Chressyr!" Von einem der beiden Raumschiffe kam Pedro auf sie zu. Man konnte von ihm nichts sehen, da er so vermummt herumlief wie sie alle. Seine Stimme hatte einen angenehmen, dunklen Klang. „Und nun das andere, Pedro!" „Da kommen sie schon." Die Schlitten mit den Gummitorpedos wurden mit äußerster Vorsicht herangeschoben. Ungefähr vierzig Männer standen zwischen den Raumschiffen herum, und sechs Männer schoben die beiden letzten Schlitten — aber sie alle traten scheu zurück, als Pedro die Dinger in seine Griffklaue nahm und sie über die Einstiegleiter in eines der Raumschiffe trug, das mit einem roten Ring gekennzeichnet war. „Hallo, Miß Chressyr!" Das war Gibson, einer von denen, die bei Ava standen. „Solche roten Dinger sind aber nicht mit nach Island geflogen." „Was verstehen Sie schon davon, Gibson." „Werden die hübschen Vögel dadurch noch gefährlicher?" „Sie werden es erleben, Gibson!" Pedro tauchte im Kopf des Raumschiffes wieder auf und sorgte dafür, daß die Luken dicht schlossen. Immer wieder überprüfte er sie. Dann kletterte er herab. Zwei Männer folgten ihm. Ava Chressyr stand hochaufgerichtet. Pedro warf durch ein Bullauge noch einen letzten Blick auf sie. Bei allen Heiligen, sie war schön, und es lohnte sich schon, für sie das Tollkühnste zu wagen. Wir greifen Europa an! Pedro führte beide Schiffe.
Sie liefen nebeneinander her — die todbringende Großrakete mit ihrer Scheußlichen, erbarmungslosen Fracht, und das Führerschiff. Wir greifen Europa an! Schon nach Stunden hatten sie die Erde im Sichtfeld. Immer deutlicher wuchs die Gestalt des Weltkörpers ihnen entgegen. Als der grüne Strich auf der Kontrolltafel die Zahl 85 erreicht hatte, konnten sie bereits deutlich den Kontinent Europa ausmachen, der sich langsam aus der Dunkelheit der sonnenabgewandten Seite herausdrehte. „Ob die dort unten was ahnen, Pedro?" „Denen sitzt Island noch in den Knochen. Wie ist es drüben?" Pedros Techniker konnte auf einem Bildschirm genau verfolgen, was in dem anderen Schiff vorging. „Beim Teufel, wie wirkt das Zeug!" „Ist auch an höchster Stelle ausprobiert worden", grinste Pedro. „Können wir abladen?" „Von mir aus!" Pedro jagte die Schiffe rücksichtslos an die Erde heran. Die Raumüberwachung der verschiedenen irdischen Organisationen hatte schon längst Alarm gegeben. Von der Außenstation nahte eine bewaffnete Patrouille. Pedro lag nichts an kriegerischen Auseinandersetzungen — er wartete den günstigen Zeitpunkt ab und dann . . . „Geht es?" „Laß ab, Pedro!" Ein kleiner Druck auf einen roten Knopf. Die Schwesterrakete löste sich Und jagte davon. Europa und der Atlantik lagen unter ihnen. •
Europa schrie auf. Alarm von Rom bis Oslo, von Warschau bis London. Insektenrakete aus dem Weltraum im Anflug!! Und das Raumschiff mit dem roten Ring war gut gesteuert. Mit ungeheurer Wucht durchbrach es die Sperrkette der Raumabwehr. Drei junge Raumflieger stürzten in den Tod, als sie das blitzende Ungeheuer rammen wollten. In Orion-City fluchte Atomboß Cunningham wie noch nie in seiner Laufbahn. Was nützte es! Europa lag wie eine Zielscheibe da. In Berlin war es 6 Uhr morgens, als die Sirenen heulten. Im Dienstgebäude der Weltpolizei hatte die ganze Nacht über das Licht gebrannt. Gerade fuhren zwei schwere Wagen zum Flughafen Tempelhof. Man unterbrach die Arbeit nicht. Auf den Straßen aber standen sie zuerst wie angewurzelt, die Zeitungsfahrer, die Bäckerjungen, die späten Nachtschwärmer, und was noch nicht auf den Straßen stand, riß die Fenster auf und sah entgeistert zum fahlen Morgenhimmel. Wenige Minuten später führte eine Millionenbevölkerung durch, was ihr in den letzten Wochen immer wieder befohlen worden war: sie suchte die Bunker auf. In Rom war es so, in Oslo, in Warschau, in London . . , Europa duckte sich unter einer schauerlichen Gefahr. Über dem Atlantik schoß ein blitzendes Ding dahin — auf das europäische Festland zu. Die Sirenen heulten nicht umsonst. Davon wußte Jim Parker nichts. Er konnte sich aber denken, daß wieder etwas geschah. •
„Mensch — sag doch wenigstens mal was!" Jim Parker verlor die Nerven. Einmal hatte er versucht, seinen stummen Bewacher, dieses unheimliche Gespenst im Raumanzug mit einem Schlag beider Fäuste zu überwältigen. Leider war es schiefgegangen, und der Bursche hielt ihm jetzt einen Atombrenner vor die Kopfhaube. Stundenlang.
Der andere hatte seine Worte natürlich nicht gehört, aber vielleicht hatte er an Jims Augenpartie bemerkt, daß dieser etwas sagte. Er tat jedenfalls etwas, was Jim nicht erwartete: er hatte plötzlich eine flache grüne Scheibe In der Griffklaue und befestigte sie an Jims Kopfhaube, Jim hörte ein dumpfes Rauschen und dann ein fernes Stimmengewirr. „Bei allen Planeten — was ist das?" „Ruhig, Kommodore — es ist besser, Sie sagen noch nichts!" War das ein Bewacher? Jim hörte eine Männerstimme, die ruhig sehr wellte und doch vor Erregung vibrierte. Er wandte keinen Blick mehr von dem anderen, aber er schwieg. Die Raumschiffe Chressyrs mußten jetzt die Erde erreicht haben. Wieder verging eine knappe Stunde. Jim wandte sich um und hockte sich auf einen Schlitten, der hier abgestellt worden war. Seine Schulter schmerzte noch, aber er fühlte sich bedeutend frischer. Oder war es nur die Unruhe, die seinem Gehirn eine nahe Entscheidung vorgaukelte? Zum Glück war er nicht mehr taub. Noch konnte er nicht ausmachen, was in dem fernen Stimmengewirr alles so zusammenschlug. Ruhige Stimmen waren es jedoch nicht, es schien sogar, als regten sich die Chressyr-Leute über irgend etwas auf. Jim streckte seinem Bewacher die gebundenen Hände hin. Mal sehen, wie der darauf reagierte. Ohne zu zögern stellte er seinen Atomstrahler und richtete einen feinen grünen Strahl auf die Fessel. Jim war frei. „Verhalten Sie sich bitte noch ruhig, Kommodore!" Nett von dir, mein Junge, und bitten kannst du auch! Ein Mann kam herein. Hastig. Voller Entschlossenheit. In Jims Hörapparat rauschte ein erregter Atem auf, und dann dröhnte es an seine Ohren. „Wir müssen sofort handeln, Marco — er hat alles entdeckt!" Sein Bewacher wirbelte herum. „Robert! Mein Gott! Und — Ava?" „Noch hat er sie nicht! Sie wartet auf uns!" Jims Bewacher stand sekundenlang mit halberhobenen Armen. Dann stieß er ihn an. „Kommodore Sie müssen uns helfen!" Die beiden waren furchtbar aufgeregt, sonst hätte Jit» sie jetzt allerhand fragen müssen. Wahrscheinlich waren sie enge Vertraute Avas, oder hatten sonst was vor, und irgend etwas war schiefgegangen bei der ganzen Teufelei. Jim ließ sich ohne weiteres von ihnen in die Mitte nehmen. Der Neue, der Robert hieß, steckte ihm einen Atombrenner zu. „Ihr bringt mir, verflucht noch mal, das Staunen bei", knurrte Jim. Sie antworteten nicht. Was mochten das für Kerle sein? Als sie die mittlere Halle durchquerten, sah Jim sofort, daß diese scheußliche Dämonenmaske fehlte. Dafür wurden sie von vier Männern überholt, die in einen Seiten-, gang rannten und in einen Haufen hineinboxten, der zur Halle vordringen wollte. Jim fuhr sich mit der Zungenspitze über die ausgetrockneten Lippen. „Sagt mal, ist bei euch der Bürgerkrieg ausgebrochen?" „Wir gehören nicht zu Chressyr", sagte Robert rasch und so, als müsse er es beteuern. Sie bogen links ab in einen Gang, den Jim noch nicht kannte und der sich stark neigte, um nach etwa dreihundert Metern wieder in die Waagerechte überzugehen. Drei, vier Männer standen hier herum. Sie gingen an ihnen vorbei. Robert ließ eine niedrige Tür wegrollen, die einen länglichen Raum freigab, der erstaunlich wohnlich und gemütlich eingerichtet war, wenn auch ein hoher Stein in der Mitte den Tisch ersetzen mußte. „Sie können die Kopfhaube abnehmen." Jim handelte ganz mechanisch. Seine Blicke saugten sich an dem Ding fest, das auf diesem Stein lag und nichts anderes war, als der abmontierte Bordsender seines
Raumgleiters. Ohne sich um sonstwas zu kümmern, war er neben ihm, überprüfte sekundenrasch, was ihm unter die Finger kam und sah in zwei erregte junge Gesichter. »Ist der Sender betriebsfertig?" „Sie können die Erde alarmieren, Kommodore!" Blicke ruhten ineinander. Robert und Marco nahmen ihre ganze Kraft zusammen und hielten stand. Dieser Parker mußte eine unheimliche Willensstärke haben! Er ließ erst von ihnen ab, als Ava Chressyr, die er noch nicht bemerkt hatte, aus der Tiefe des Raums auf ihn zutrat Auch sie war ohne Kopfhaube. Das Starre ihres schönen Gesichts war gewichen, irgendwie wirkte sie freier und aufgelockerter, und sie lächelte — sie lächelte, wie eine kluge Frau eben lächelt. „Fragen Sie auch an, ob inzwischen die Insektenrakete gefunden wurde." Jim starrte sie an. „Ich hätte mich mit diesem Fall nicht abgeben sollen", sagte er heiser. „Man sollte eine Frau wie Sie verachten, aber ich muß Ihre Kaltblütigkeit bald bewundern." Jims Herz klopfte dumpf, als er versuchte, die Erde anzupeilen. Es gelang nicht gleich. Robert reichte ihm eine Flasche, und die enthielt irgend etwas Scharfes, das ihm gut tat. Er trank wie Wernicke. Dann versuchte er es wieder. Nach einer halben Stunde — um ihn blieb alles unnatürlich still — hatte er die Großfunkstation Orion-City, und der alte Funkchef fiel fast aus allen Wolken. „Parker! Der Himmel erhalte Sie", funkte er zurück. „Sollen wir kommen?" „Wernicke mit der 2. Raumflotte!" Und dann die scheußliche Frage nach der Insektenrakete. „Das ist 'n Ding, Parker! Die Rakete wurde im schottischen Hochland gefunden. Alle Biester tot! Unterwegs durch Atomstaub vernichtet! Wir stehen vor einem Rätsel!" Rätsel? Jim sah Ava an, und sie lächelte wieder. Er beendete das verrückteste Funkgespräch seiner Abenteuer. Von einem Verbrecherstern aus rief er die 2. Raumflotte herbei! Marco hatte aufmerksam aufgepaßt. Er setzte seine Kopfhaube wieder auf und verließ den Raum. Jim sah ihm mit zusammengekniffenen Augen nach. „Miß Chressyr — ich glaube, Sie sind mir eine Erklärung schuldig!" Die Gelassenheit fiel plötzlich von ihr ab. Ihre Hände zitterten. Sie mußte Bich am Stein stützen. „Wenn Ich noch soviel Zeit habe.“ Besorgt trat er neben sie und legte einfach seinen Arm um ihre Schulter. Sie faßte nach seinen Unterarmen, und sie hatte Angst, ganz einfach Angst. „Jetzt kommt er wieder", flüsterte sie. Jim konnte sich denken, wen sie damit meinte, aber er verstand nicht recht, daß sie sich minutenschnell in solches panisches Entsetzen hineinängstigen konnte. Robert stand etwa« bedrückt dabei, und es schien so, als ducke auch er sich. Seine Hände glitten an ihrer Schulter entlang. „Sie meinen Chressyr", sagte er eindringlich. „Aber hier ist doch niemand." „Sie kennen ihn nicht!"
Niemand kannte ihn. Auch Marco nicht. In seiner spanischen Heimat war es ihm einmal schlecht ergangen, und nach einer Dummheit noch schlechter. Als er dann mit dem Entlassungsschein einer Strafanstalt auf der Straße lag, hatte ihn einer aufgesammelt, der sich für kräftige Burschen interessierte. Das war erst sieben Monate her. Und nun rannte er hier den Gang entlang. Er wußte, was er wollte. „Hallo, Marco!" riefen sie ihm über den Sprechfunk zu, wenn er einen •einer Gefährten traf, die so ähnlich wie er in dieses scheußliche Abenteuer gerutscht waren. „Hallo, Klark — wie sieht es aus?"
„Sie halten die Burg!" „Ich muß raus — zum Raketenfeld!" „Du bist verrückt!" Aber Marco war nicht verrückt, nur dachte er etwas weiter als die anderen, die sich mit ihm gegen diesen Dämon auflehnten. Marco blieb bei ihm stehen. „Wo mag der Bursche sich aufhalten?" „Irgendwo auf diesem verdammten Teufelsstern!" Marco sah zur Hallendecke auf, von der sonst die Dämonenmaske herabhing. „Wenn man nur wüßte, wie er aussieht." „Mensch, sag bloß nicht so was", würgte der andere scheu, und plötzlich fiel den beiden ein, wie tollkühn und aussichtslos es eigentlich war, was sie und fünfzehn andere sich vorgenommen hatten: offen gegen einen Chressyr zu meutern! Gewiß — noch waren fünf wichtige Gänge unter ihrer Kontrolle, und sie waren mit Atomwaffen ausgerüstet, aber Chressyr hatte noch über zwanzig abgebrühte Gangster von der wildesten Sorte hinter sich, und er beherrschte diese furchtbaren Rieseninsekten. „Jim Parker hat die 2. S.A.T.-Flotte alarmiert." „Es ist gut, daß wir diesen berühmten Raumflieger auf unserer Seite haben", nickte sein Kamerad. „Hoffentlich kommen die noch rechtzeitig genug." Marco rannte weiter. Seine eigenen Leute wollten ihn aufhalten, als er aus dem Felsen wollte, aber er holte dreimal tief Luft und raste geduckt los. Er wollte zum Raketenfeld, er mußte Chressyrs letzte Raumschiffe auseinandersprengen. Mit weichen Knien und hämmernden Pulsen jagte er die Kunststraße entlang. Weit vorn reckten sich die primitiven Bauten des Raketenfeldes. Marco verließ die Straße, um sich seitwärts anzuschleichen. Er kannte ungefähr die bewachten Punkte des Heiligtums. Aber er hätte sich auf der Straße nicht sehen lassen dürfen. Er kam nicht an das Raketenfeld heran. Hinter einer Bodenwelle schnellten zwei in Raumanzügen hoch. Marco brüllte auf vor Enttäuschung und schrecklicher Furcht. Aber er konnte nicht mehr ausweichen. Er brach unter ihnen in die Knie. „Was wollt ihr von mir?" „Das wird dir der Chef sagen." Der Chef — das war Chressyr. Und gerade mit dem wollte Marco nichts Xu tun haben. Der Gelinke allein machte ihn halb irrsinnig vor Grauen. Er bäumte sich noch einmal auf, aber die beiden Chressyr-Gangster hieben ihn zusammen. Er spürte nicht, wie sie ihn aufhoben, er sah nicht, wohin sie ihn brachten — als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem Raum, den er nicht kannte. Schöner als die anderen war dieser Raum, eingerichtet wie ein Luxuszimmer, zum Wohnen eingerichtet, nicht zum Vegetieren. Marco lag auf einem Lager aus Luftkissen. Nicht unbequem. Aber mit gebundenen Armen. Der Raum war nicht einmal groß, aber Marco, dem der Schädel dröhnte Und klopfte, fand, daß er eine schreckliche Welt für sich sei, und er hatte Angst vor den eleganten Möbeln, vor der Leuchtröhre, die von der Decke herab ein klares, kühles Licht spendete. Er sah das alles und war doch nicht fähig, sich gegen seine Lage aufzubäumen, weil er wußte, wie sinnlos das sein würde. Marco gab sich keinen Hoffnungen hin — er hatte die Meuterei angezettelt •— er war Chressyrs Gefangener — er war verloren! „Du hast recht — du bist verloren!" Marco richtete sich auf. Woher kam diese hohe, höhnische Stimme? Und plötzlich sah er, daß er doch nicht allein war, aber es war kein Mensch in diesem Raum, es war . . . . . . es war . . . Marco brüllte, Marco riß verzweifelt an seinen Fesseln, Marco rief nach Vater und Mutter, nach Gott und allen Heiligen, die seine Vorfahren beschirmt hatten, aber es half ihm nichts. Da war ein Wesen vor ihm, das auf ihn zukam, das sprach wie ein Mensch und doch kein Mensch war. Marcos Augen quollen fast aus dem Kopf heraus. „Chressyr", brüllte er. „Chressyr?"
„Ich bin Chressyr", sagte das Wesen mit überlegener Freundlichkeit. „Ihr habt mir einen schönen Streich gespielt, Ihr und Ava. Heine Falter wolltet ihr vernichten, bevor die Rakete Europa erreichte. Es schadet nichts. Ich habe noch viele Falter und, wenn es sein muß, noch viele Raumschiffe . . ." Marco sah jetzt klarer. Vor ihm stand doch ein Mensch, aber er hatte Insektenaugen, und man konnte nichts erkennen, als einen widerlichen, großen Insektenkopf, der auf einer verschwommenen Menschengestalt saß. Marco war nicht dumm — noch ließ abgrundtiefes Grauen ihn tierhaft brüllen, noch warf er sich hin und her, aber in seinem Gehirn arbeiteten die Reste klaren Denkvermögens. So etwas gab es doch gar nicht. Was war das? Metamorphose? Der da vor ihm war ein Mensch, aber einer, der sich langsam in ein Halbtier verwandelte. Grauen und Ekel schüttelten ihn. „Du denkst, du träumst", höhnte das Wesen. „Ich glaube, ich bin in der Hölle", wimmerte der fromme Marco. Chressyr lachte laut. „Du mußt moderner denken. Versuche, mich biologisch und psychologisch zu deuten." „Wie kann man den Satan deuten!" Die Insektenaugen blieben unberührt.» Nachdenklich erfaßten sie den jungen Burschen. „Sterben wirst du doch. Aber vorher sollst du sehen, was ein Satan kann." Ganz nahe waren jetzt diese furchtbaren Augen. Marco bäumte sich zurück, soweit er konnte. Daß er sterben mußte, war klar, das wollte er auch gern, wenn nur dieses Scheusal ihn nicht berührte. „Ich will es dir zeigen!" Marco schrie abermals auf. aber so, wie man vor Überraschung aufschreit. Vor ihm weitete sich der Raum, und es war ihm, als befinde er sich wieder bei Ava, Robert und dem Kommodore. Der Kommodore hatte seinen Arm um Ava gelegt, die sehr bleich war und zitterte. „Sie hat Angst", höhnte Chressyrs Stimme, aber sie war nicht so kalt, sie war schmerzlich und enttäuscht. „Sie sollte mein Reich weiter aufbauen, sie hat sich von meinen Gedanken getrennt — auch sie wird mit den Faltern in Berührung kommen." „Nein — nein — nein!" Ava und Robert und der Kommodore verschwammen wieder vor Marcos Augen, und es wurde wieder so wie vorher. Der elegante Raum war da, und die Insektenaugen, die langsam zurückwichen. Gab es für Chressyr keine Distanzen? Welche Macht besaß er? „Mir bleibt nichts verborgen auf meinem Stern!" •
Marco sackte in sich zusammen. Das Grauen hatte ihn fertiggemacht. Chressyr lächelte mitleidlos. Zwei seiner Leute trafen ein, lösten den Bewußtlosen und hoben ihn auf. „Tragt ihn in die Kammer neben der Zucht." „Jawohl, Herr." Die Insektenaugen wandten sich einem der beiden zu, der aber keine Furcht vor ihnen hatte. Es war ein breiter, untersetzter Kerl, und Ava kannte ihn auch. Es war Gibson. Er hatte Chressyr alles verraten. „Sammelt die Leute beim Raketenfeld, Gibson."
Sie trugen ihn hinaus Chressyr war allein. Chressyr warf sich auf eine Ruhebank, und er war sehr einsam und sehr traurig und verfluchte alles, was er wollte, aber dann hämmerte der Irrsinn wieder in ihm, der ihn in die scheußliche Metamorphose hineinsteigerte. Wieder tat sich der Raum auf, und er konnte durch den Felsen sehen bis dorthin, wo der Kommodore, Ava und Robert waren. Ava spürte genau, daß sie beobachtet wurde. „Ich war noch vor einigen Stunden bei ihm", sagte sie unsicher und scheu. „Kurz, nachdem er gelandet war." „Chressyr?" fragte der Kommodore sachlich und sah sich ruhig um. Audi mt spurte, wie etwas Unheimliches um sie war, aber er fürchtete es nicht. Hoffentlich hielten Marcos Jungen sich noch einige Stunden. „Woher kam er?" „Von der Erde." „Also hält er sich doch nicht immer auf diesem wunderschönen Stern auf?" „Genau weiß ich es nicht, weil ich ihn jahrelang nicht gesehen hatte. Als man mich hierherbrachte, wurde ich nur von seinen Mitarbeitern empfangen. Ich weiß selber nicht, wie alles war. Es war alles so traumhaft, wie vor •inigen Wochen in Berlin ..." „Wie war es in Berlin?" fragte er vorsichtig. „Man macht Sie für den plötzlichen Tod eines WP-Kommissars verantwortlich." „Ich weiß es nicht." „Was wollten Sie bei der Weltpolizei?" „Ich hatte Angst. Ich ahnte, daß es mein Onkel war, der die Menschheit unter die Gewalt von Insekten bringen wollte. Er war schon immer ein unheimlicher Mensch, der alles Gute und Schöne verachtete und geheime biologische Experimente machte." Sie stockte, fuhr dann aber doch fort: „Durch seine Leute forderte er mich auf, zu ihm auf einen unbekannten Stern zu kommen. Ich habe auf seinen Wunsch Biologie studiert. Darum flog ich durch halb Europa und ging in Berlin zur Weltpolizei. Ich saß dem Kommissar gegenüber, als ich plötzlich meinen Willen verlor. Das war gan2 eigenartig, das war so, als zwinge mich jemand, der ganz in meiner Nähe war, zu handeln, ganz anders, als ich es eigentlich wollte. Ich mußte den Kommissar auffordern, seinen Leutnant hinauszuschicken, und dann hörte ich Schüsse und verließ das Gebäude. Wie ich hierhergekommen bin, weiß ich; hicht. Ich sah nur die Dämonenmaske und mußte mich vor ihr verbeugen,, und ich mußte miterleben, wie sie Island angriffen. Aber es war gut, daß Pedro mich dann ansprach ..." „Wer ist Pedrdo?" Jim Parker fieberte, und er nahm sich vor, sehr gut und rücksichtsvoll zu dem jungen Mädchen zu sein, das wohl aus ihren eigenen Erlebnissen selber noch nicht klug wurde. In seinem Raum aber lachte Chressyr böse auf — er spürte Jims Willenskraft, und er haßte plötzlich den blonden Sternenfahrer wie sonst nichts „Pedro? Einer von denen, die durch Leichtsinn zu Chressyr kamen, aber keine eigentlichen Verbrecher sind'. Ich erfuhr, daß es eine ganze Anzahl von ihnen gibt . . ." „Siebzehn", sagte Robert rasch dazwischen. „Wir wollen seine Schweinereien nicht mitmachen!" Chressyr lachte wieder auf. „Pedro und Marco waren die beiden, die den Widerstand gegen meinen Onkel schürten. Sie hatten sich vorgenommen, die Riesenfalter bereits in der Transportrakete durch Atomstaub zu vernichten." „Brave Burschen!" „Sie gewannen mich für den Plan, den wir durchführen mußten, bevor mein Onkel auf den Stern zurückkehrte. Da seine Mitarbeiter mir Vertrauen schenkten, konnte ich manches für sie tun." „Sie haben sehr umsichtig gehandelt", sagte Jim warm. Ava schüttelte den Kopf. „Ich weiß selber nicht, wie ich damit fertig wurde, aber man handelt wohl ganz automatisch in solchen Situationen. Wir brauchten ja auch nur die Gummitorpedos in
die Transportrakete laden. Als mein Onkel hier eintraf, waren die Schiffe bereits unterwegs." »Wie sah Chressyr aus?" „Ich hätte nie geglaubt, daß man sich vor einem nahen Verwandten so fürchten könnte", schluckte Ava, und es war gut, daß Jim sie hielt, sonst wäre sie vielleicht zusammengebrochen. „Es sah aus, als wolle er kein Mensch mehr sein, als — als — ich weiß es nicht — seine Augen waren so tierhaft . . ." Du solltest mich jetzt sehen, höhnte Chressyr bei sich, jetzt, wo meine Verwandlung schon weiter fortgeschritten ist. Jim Parker redete auf das weinende Mädchen ein, sah sich um und führte es aus dem Raum. Robert folgte ihnen. Chressyr verlor sie aus den Augen. Er grübelte sekundenlang darüber nach, wie das kommen könnte. Sonst konnte er auf seinem Stern alles sehen, was er wollte. Und nun widersetzte sich einer seiner Macht und ging davon. Jim Parker! Er sollte es büßen! Chressyr gab ein Zeichen. Gibson trat ein, der kleine grinsende Gangster. „Sollen wir zuschlagen, Herr?" •
„Ist alles am Raketenfeld?" Gibson stellte mit kaltschnäuziger Verwunderung fest, daß es immer schwerer fiel, Chressyr so anzureden wie einen Menschen. Der da vor ihm war wirklich ein Zauberer. Sein scheußlicher Insektenkopf schien sich immer mehr von dem Menschenkörper zu trennen und' frei im Raum zu schweben. Man hätte sich abwenden können. Aber Gibson war keiner von der weichen Sorte. „Ich habe sechs Mann am Raketenfeld, Herr", berichtete er sachlich. „Die anderen halte ich noch verteilt." „Das Schiff?" „Ist ladefertig." Gibson war ganz bei der Sache. „Was sollen wir laden, Herr?" „Wieviel Zuchtgruppen haben wir? Rufe Dr. Saby." Die Insektenaugen richteten sich überlegen auf den hageren Mann, der eintrat. Auch Saby zeigte keine Spur einer Furcht. Hinter der Kopfhaube glühten fanatische, tiefliegende Augen. Chressyr fragte ihn. „Im Tunnel sind zur Stunde zwölf Gruppen ausgewachsener Falter." „Lassen Sie alle laden, Gibson." Das sagte er so leichthin. Die Leuchtröhren spendeten weiter ihr mildes Licht. Die Atmosphäre war irgendwie zu süßlich für diese Seelenlosen. Sie paßte nicht zu ihrer Kälte. Es roch weich nach verbrannten Kräutern. „Alle zwölf Gruppen?" fragte Dr. Saby vorsichtig. „Wenn die sich auf der Erde gut verteilen, wird es schätzungsweise ein Viertel der Menschheit zu spüren bekommen." „Sie sind ein guter Rechner. Rufen Sie Marxwell herein." Ein weiterer Mitarbeiter trat ein. „Wir richten die Rakete auf das Gebiet um Orion-City. Ich werde ihnen schon zeigen, wer der Herr der Erde ist." Marxwell nickte, aber Chressyr, dieses scheußliche Menschtier, wollte noch etwas sagen. „Was ist denn die Menschheit", philosophierte er höhnisch. „Sie kam aus dem Nichts grauer Vorzeiten, sie bestand keine der Prüfungen, die ihre Entwicklung ihr auferlegte — sie ist nichts als eine Gattung erbärmlicher Kreaturen, die nicht einmal die intelligentesten sind." Seine furchtbaren Augen gingen über die drei. „Wir sind intelligenter! Insekten sind intelligenter!" Dr. Saby stand regungslos. Marxwell trat einen Schritt zurück.
„Beladen Sie jetzt die Transportraketen." „Wer soll das Mutterschiff führen?" „Das überlasse ich Ihnen. Ich habe aber eine Idee." Irgendwo erklang ein Summzeichen. Einer von seinen Leuten kam hereingestürzt, ließ hinter sich die Tür zugleiten und blieb an der Wand stehen. Chressyr sah es, wandte sich aber wieder an Marxwell. „Bringen Sie den Verräter Marco in der Transportrakete unter — er wird sich freuen, in so anregender Gesellschaft die Erde wiederzusehen." Marxwell und Dr. Saby gingen. Gibson, der Diensteifrige, Unterwürfige,\ blieb stehen. Chressyr winkte den anderen heran, der ihm hastig eine Meldung machte. Chressyr lächelte und winkte ab. „Das schadet nichts. Hat Parker über seinen Bordsender noch Funkverbindung mit der Erde?" „Yes, Herr!" „Unterbinden Sie diese sofort!" „Sofort, Herr!" „Wir kriegen keine Antwort mehr." „Nicht nachlassen, Jungen — nicht nachlassen!" Die Jungen in der Großfunkstation Orion-City schwitzten auch ohne die Anfeuerungsrufe ihres allerhöchsten Chefs, aber Cunningham war nicht mehr zu halten. Er hatte sich im Büro des Funkhäuptlings eingenistet, kaute verzweifelt an einer Havanna und krempelte sich ostentativ die Ärmel hoch. „Ich will doch tausend Teufel fressen, wenn Parker dort oben nicht mit der Bande fertig wird. Wo steht Wernicke?" Der Verbindungsmann zur 2. Raumflotte war schon trocken in der Kehle. Ohne von seiner Karte aufzusehen, meldete er: t „Position 23/GDK-CC 17/2269 . . ." „Verstehe ich nicht", grollte der Atomboß mit zusammengeschobenen Augenbrauen. „Was bedeutet das? Da stand er doch schon bei der letzten Positionsmeldung. Haben die Brüder zuviel Whisky an Bord, oder . . ." „Die letzte Positionsmeldung mußte ich Ihnen erst vor drei Minuten bekanntgeben, Sir — es ist noch dieselbe!" Cunningham blinzelte verständnislos. Um ihn grinste alles. Kopfschüttelnd wuchtete er hoch und begann auf und ab zu gehen. Uber der Atomstadt lag die Nacht, und von allen Türmen durchkreisten die Lichtarme der Scheinwerfer die Dunkelheit. Europa war auf unwahrscheinliche Art verschont geblieben. Aber jeden Augenblick konnte von der Raumüberwachung ein neues Gespensterschiff gemeldet werden. Auch für Orion-City bestand höchste Alarmbereitschaft. Gegen Mitternacht fuhr Oberst Mortimer vor der Funkstation vor, schubste höchstpersönlich die hungrigen Reporter zurück und war gleich darauf beim Generaldirektor. Cunningham stapfte immer noch wie ein gereiztes Raubtier durch die Gegend. „Was Neues aus dem All?" Cunningham schüttelte den Kopf. „Was Jim anbelangt, nicht! Wahrscheinlich ist drüben auf Eros irgendeine Schweinerei passiert, und er sitzt wieder in der Falle. Von Wernicke habe ich die üblichen Positionsmeldungen. Der kommt wie vorgesehen ran." „Wernicke soll schon rankommen", nickte Mortimer trocken, hielt dem Boß sein Feuerzeug unter die hoffnungslos zerkaute Havanna und drehte sich dann mit unwahrscheinlich geübten Fingern eine Zigarette.
„Habe mit Berlin gesprochen, Die europäische Kriminalabteilung der WP hat ganze Arbeit geleistet. Der Mörder Backhaus' konnte vor einer Stunde festgenommen werden und ist geständig." „Hell and Devil!" Eine kräftige Faust fuhr zum Mund und zerbrach die mißhandelte Havanna endgültig. „Dann ist diese Ava Chressyr . . . ?" „Sie ist unschuldig!" Mortimer trat hinter den Verbindungsmann zur 2. Raumflotte und sah nachdenklich auf seine Karten. Dann wandte er sich um, „Der Mörder ist ein Leutnant, der der Berliner WP aus Holland zugeteilt wurde. Schuster heißt der Mann. Über die Beweggründe zu seiner Tat liegen mir allerdings noch keine Angaben vor. Hallo, 'ne neue Meldung von Wernicke?" Der Verbindungsmann hatte den Hörer abgehoben und wiederholte gerade, was ihm durchgesagt wurde: „Landen in drei Stunden auf Eros. Wernicke. An Bord alles durstig, aber Wöhl." Cunningham warf seine Havanna in den Ascher.
Jim suchte Chressyr. Die Lage im Felsen war noch unverändert. Chressyr unternahm noch nicht» gegen die Marco-Leute. Sie hielten noch ihre Räume und Gänge. Zwei von ihnen mußte man tot zurücktragen. Aber sonst verhielt sich die andere Seite ruhig. Diese Ruhe war verdächtig. Als Jim zu einer Gruppe stieß, die neben der Mittelhalle eine Abzweigung des Hauptganges bewachte, starrten sie ihm Neugierig entgegen. „ich bin Jim Parker. Wo finde ich hier Fred Hoffmann?" Einer trat vor. „ich bin Fred Hoffmann, Sir. Schickt Robert Sie?" „Robert ist hinten bei Miß Chressyr geblieben", nickte der Kommodore. „Robert sagte mir, daß Sie den Weg zum Zuchttunnel kennen." Die kleine Gruppe umstand Jim. Nur zwei sicherten die Unterredung mit angelegten Strahlenwaffen. Durch einen schmalen Spalt in der Decke fiel eine dünn« Lichtwand über sie. „Ich kenne den Tunnel", sagte Hoffmann, und er sagte es etwas bedrückt. „Dr. Saby hat mich einmal mitgenommen, als wir Wärmekästen einbauen mußten. Ich weiß auch, wie man dorthin gelangt, aber . , ." Er stockte. Jim sah ihn aufmerksam an. „Sie würden mich nicht gern führen?" „Ich bin kein Feigling, Sir, aber wenn es nicht unbedingt sein muß, wage ich mich nicht hinein." „Ich kann Sie verstehen", sagte Jim ruhig. „Aber dann müßte ich Miß Chressyr mitnehmen, und ich würde der jungen Dame den Anblick der Falterzucht gern ersparen. Die anderen, die den Weg kennen, gehören nicht zu uns." Hoffmann ruckte an seiner Kopfhaube. „Ich komme mit, Kommodore!" Sie durchquerten die Halle, kamen durch den anliegenden großen Arbeitsraum, in dem zwei Marco-Leute mit angespannter Aufmerksamkeit standen. Jim ging sofort an den Tisch und beugte sich über den Bildschirm. Aber Chressyr tat ihm nicht den Gefallen. Der Schirm war tot. Ein zweite Tür glitt seitwärts ab. Dreißig Meter Gang, zwei Posten und dann . . . „Vorsicht, Kommodore!" Sie standen vor einem Abgrund. Zwanzig Meter fiel der Felsen ab. Schroff und glatt. „Hier unten geht es weiter", flüsterte Hoffmann und machte eine weitausholende Handbewegung. „Dort befindet sich ein riesiger Hohlraum, der schräg in den Grund führt. Von hier bis zum Zuchttunnel sind es etwa drei Kilometer."
„Und dies ist der einzige Zugang zum Tunnel?" fragte Jim zweifelnd und ebenso leise. Die zwei Posten traten heran. Hoffmann schüttelte den Kopf. „Der eigentliche Zugang ist draußen an der Kunststraße, aber der wird so scharf bewacht, daß Sie da allein nicht rankommen." Jim machte eine Handbewegung. Es war dunkel hier, und man konnte nur sehen, daß sich dort unten der Felsboden wie eine unterirdische Ebene ins Nichts verlor. Für Nervenschwache ein unheimlicher, drohender Anblick. Jim überlegte. Man könnte die Marco-Leute zu einem Versuch sammeln, die Chressyr-Bande in einem regelrechten Angriff zu überrumpeln. Aber der Eros war immerhin ein anständiger Brocken, und er hatte nur noch fünfzehn Mann und Ava und die kleine Dor hinter sich. Chressyr dagegen verfügte nicht nur über einen Haufen abgebrühter Menschenfresser — mit dem noch fertig zu werden wäre —; er konnte seine geflügelten Bestien einsetzen, mit denen nicht so leicht umzugehen war. Es half alles nichts — er mußte die eigentliche Falterzucht vernichten. Wie weit mochte Wernicke sein? Jim sah auf seine Armbanduhr. Es würde noch zwei bis drei Stunden dauern. So lange konnte er nicht warten. „Hoffmann — wie sind Ihre Kameraden?" „Die sind in Ordnung, Sir — die machen alles, wenn es nur gegen Chressyr geht." Die beiden hatten die Worte gehört. Sie nickten rasch. „Wir müssen Chressyr bluffen. Ihr beide holt euch drei Mann zu und wartet, bis Hoffmann und ich fünf Minuten dort unten sind. Dann macht ihr euch so eindringlich bemerkbar, daß die Chressyr-Leute aufmerksam werden. Mit Handscheinwerfern und euren Strahlenpistolen. Chressyr wird darauf hereinfallen." „Aber, dann sitzen Sie und Hoffmann dort unten in der Falle." „Chressyr wird alles nach vorn werfen, weil er einen Angriff von dieser Seite fürchtet. Wir werden uns so lange verbergen und nachher leichter an den Tunnel herankommen. Ob es uns gelingt, weiß ich nicht, aber wir müssen es riskieren. Seht zu, daß ihr die Bande hier aufhaltet. Alles klar?" „Okey, Kommodore!" Sie verglichen die Uhren. Lautlos. Fast unsichtbar. Unter ihnen die drohende Finsternis. Dann hingen zwei Gestalten über dem Abgrund, stemmten sich langsam ab. Ihre Füße tasteten nach einem Halt. Die beiden dort oben hielten sie angeseilt. Zentimeter um Zentimeter ging es nur. „Mensch, jetzt ein stilles Gebet", knurrte einer der Posten. Jim grinste wütend. Noch nicht, Kameraden. Verfluchte Finsternis. Felsen ohne Ende. Lauernde Stille, die einen zu erdrücken drohte. Voller Gefahren. Vielleicht hatte Chressyr sie schon gesehen. Endlich Boden. „Geschafft", keuchte Hoffmann. Sein Atem wollte aussetzen. Jim war schon neben ihm, löste das Seil, das lautlos nach oben glitt. Um sie nichts. Hoffmann lehnte gegen die Felswand. Jim riß ihn hoch. „Los, kommen Sie!" „Verdammte Dunkelheit — ich weiß nicht, wo . . „Macht nichts. Los!" Hoffmann folgte dem Kommodore, der seinen Arm hielt. Sie rannten einfach in die Dunkelheit hinein. Oben sahen sie auf die Uhren, und fünf Minuten waren schnell herum. Der Boden war glatt und bot keine Deckungsmöglichkeiten. V „Ich glaube — mehr links", stieß Hoffmann hervor. Jim hielt mehr links. Eine Minute. War Chressyr blind und taub? Zwei Minuten. Chressyr schien Wirklich blind und taub zu sein. Aber Jim wollte an soviel Glück einfach nicht glauben, und er tat gut daran. Sie rannten und rannten. Wie über einen riesigen, glatten Teller
rannten sie. Die Finsternis war fürchterlich. Nur zwei leuchtende Insektenaugen geisterten einmal vor ihnen und verschwanden wieder. Hoffmann wollte sich instinktiv niederwerfen, aber Jim war auch gnadenlos. Gleich darauf stießen sie auf die Postenkette, die kilometerweit auseinandergezogen den Tunnel von dieser Seite sicherte. Der Chressyr-Mann, der sie zuerst bemerkte, kam nicht mehr dazu, aufzuschreien. Jims Atombrenner hieb ihn unbarmherzig zusammen. Weiter! Vier Minuten. Von rechts kam ihnen einer entgegengerast. Nun hatten sie sie entdeckt. Ran, Hoffmann, ran! Auch der zweite brach zusammen. Jim warf sich mit ihm runter, riß ihm die grüne Hörscheibe von der Kopfhaube, kam wieder hoch und hieb auf Hoffmann ein. Mitmachen, Hoffmann, mitmachen! Hoff mann begriff. Sie boxten sich. Von allen Seiten kamen welche gelaufen. Da nahm Jim seinen eigenen Kameraden in einen scheußlichen Judogriff und wies auf den Zusammengeschossenen, der regungslos hinter ihnen lag. „Da liegt Jim Parker", rief er. Sie ließen sich bluffen. „Und der andere?" „Sein Kumpan! Los — komm, du Hundesohn!" Weit hinter ihnen flammte es auf. Einer heulte los: „Sie greifen an!" „Ich will ihn lebend haben!" Das Menschtier Chressyr raste vor Wut. Er hatte die beiden in der dritten Minute bemerkt. Aber auch Chressyr ließ sich bluffen. Es war ein Witz, aber dieser Witz rettete ein Viertel der Menschheit. „Wer hat ihn denn niedergemacht?" „Driller. Er hat sie abgefangen." „Sie sollen ihn hertragen. Und Driller soll auch kommen." „Driller hat noch einen Gefangenen gemacht." „Meinetwegen." Das Menschtier wand sich im Widerstreit seiner eigenen Gefühle. Seit Ava es verlassen hatte, wankte die künstliche Welt seiner kranken Phantasie. Aber seine körperliche Verwandlung war soweit fortgeschritten, daß das Insektenhafte in seinem Äußeren immer mehr hervor. „Wenn Parker tot ist, wird Driller auch sterben." Gibson trat ein. Hastig, atemlos. „An der Felswand greifen sie an, Herr." Die Insektenaugen lauerten. Witterten Gefahren. Tasteten die Chancen ab. „Schicken Sie zehn Mann dorthin. Jeder der Verräter soll vernichtet werden. Lassen Sie Marxwell kommen." Marxwell kam. Noch bleicher als sonst. Als Gibson den Raum mit seinem süßlichen Kräuteratem wieder verlassen hatte, winkte er seinen Raketenspezialisten heran. „Die 2, amerikanische Raumflotte ist unterwegs. Parker hat sie uns auf den Hals geschickt." Marxwell nickte. „Ich weiß, Herr. Sie werden in einer Stunde hier sein. Aber der neue Transport kommt noch rechtzeitig hoch. Wir beginnen eben mit der Ladung." „Beeilt euch — ich komme gleich rüber." Marxwell zögerte einen Augenblick. „Und was soll mit Marco geschehen, Herr?" „Was ich sagte." Über die Kunststraße schoben sie einen der flachen Transportschlitten. Der Mann, der gebunden auf dem Kasten lag, rührte sich nicht. Er konnte sich auch nicht rühren, denn eine tiefe Bewußtlosigkeit ließ ihn ,vergessen, daß er dem Grauen ins
Antlitz sah. Als sie aber auf dem Raketenfeld hielten, rüttelte ein harter Stoß ihn hoch. „Ihr Heiligen — was soll das?" Vor ihm ragten zwei Raumschiffe auf, steil in die Schwärze des Himmels aus dem die ungehemmte Glut des Zentralgestirns herniederbrauste. Zwei Raumschiffe. Er wußte, was das bedeutete, und eine winzige Hoffnung glomm in ihm auf. „Soll ich — zur Erde gebracht werden?" „Sollst du, großer Freiheitskämpfer", grinste einer der herumstehenden Chressyr-Gangster niederträchtig, holte dann aber doch eine Taschenflasche hervor. „Na komm, Kamerad — sauf dir Mut an." Marco taumelte hoch und schluckte das messerscharfe Feuerwasser. Es war gut, daß es messerscharf war — es milderte wenigstens etwas die Wucht der unbarmherzigen Offenbarung: „-Das da drüben ist deine Luxusjacht." Marcos Blick folgte der ausgestreckten Hand und erfaßte die durch einen roten Bugring gekennzeichnete Transportrakete. Marco sagte kein Wort, aber er warf sich herum und wollte fliehen. Mit drei, vier Mann packten sie ihn. Er wehrte sich verbissen, bis sie ihn oben auf der Plattform hatten. Eine Viertelstunde später kam Marxwell auf den Platz. „Habt ihr ihn sicher untergebracht?" „Die Falter werden sich über den seltenen Gast freuen." Marxwell schauderte zusammen, aber er wagte nicht, gegen den Teufel in Menschengestalt und seine rauhe Bande anzugehen. „Dann beeilt euch. Wir beginnen mit der Ladung!" Vom Felsen kamen sie heran. Schlitten auf Schlitten. Keine Gnade für die Menschheit! „Ist das wirklich Jim Parker?" Der Kommodore, der den armen Hoffmann noch immer in seinem Judogriff schwitzen ließ, ging mitten in einem Haufen edelster Gangsterauslese über den unterirdischen Felsboden. Weit hinten führten die tapferen Jungen ihr Scheinmanöver gegen die Chressyr-Leute, die gerade dabei waren, die Fels- Wand zu erobern. Hoffentlich halten sie das durch, dachte Jim besorgt — an sich selbst und Hoffmann dachte er nicht, obwohl schon eine unverschämte Frechheit dazu gehörte, Chressyr so anzuführen. „Natürlich — erkennt ihr ihn denn nicht?" grinste Jim und wies auf die Kopfhaube des schwerverletzten Driller, den zwei Chressyr-Leute ziemlich unsanft neben ihnen hertrugen. „Seht ihm doch mal durch die Sehscheibe." Sie warfen zum Glück nur einen flüchtigen Blick auf den Leblosen. „Wenn du das sagst, Driller, wird er es schon sein. Wo sollen wir mit ihm hin?" „Zum Chef", sagte einer, der neben Jim ging und half, den schwitzenden Hoffmann zu halten. „Wir sollen zum Zuchttunnel kommen." Jim schloß unwillkürlich die Augen und holte dreimal tief Luft. Alle Planeten seien gelobt! Der gute Driller machte sich direkt verdient um eine anständige Sache. Um Jim schwirrte es halblaut auf. „Parker wird Augen machen, wenn er vor Chressyr steht. Steh du mal vor einem Insektenkopf." „Sei bloß still!" „Bah, ich habe ihn selber gesehen. Ich glaube, der ist irrsinnig, und . . „Still!" zischte der neben Jim scharf, der so etwas wie ein Unterführer sein mußte. Sie beeilten sich nicht. Jim hätte ihnen gern Beine gemacht, aber er durfte sich nicht
verraten. Als sie eine Stunde gegangen waren, schnitt links yor ihnen ein Lichtbalken scharf und plastisch in die Finsternis. Bald konnte man sehen, daß sich in ihm, der langsam breiter wurde, Gestalten bewegten, die Transportschlitten schoben. Sie kamen von rechts aus dem Felsen. Der Lichtbalken war nichts anderes als ein überaus grell beleuchteter Schacht, der schräg an die Oberfläche führte. Die Schlitten wurden an einem Laufband den Schacht entlang nach oben befördert. Als sie sich dem Schacht auf etwa hundert Meter genähert hatten, geschah etwas, was Jim nicht voraussehen konnte. Der Unterführer hob den Arm, worauf der Haufen stand. Der Mann führte über Sprechfunk ein Gespräch. Dann wandte er sich plötzlich um und packte Jims Arm. „Komm, Driller — der Chef will dich sprechen. Ihr beide folgt uns mit Parker. Die anderen warten hier mit diesem Strolch." Sie wichen scheu zurück. Mitleidige Blicke trafen Jim. Jim spürte genau, daß nun er ein Gefangener war. Das Benehmen des Unterführers änderte sich blitzartig. Er ließ ihn nicht los, ging mit ihm durch den Schacht, der glatt war wie Eis, vorbei an dem gähnenden Zuchttunnel, der tief in den Felsen hineinführte und erst weiter zurück in die eigentlichen Anlagen der Falterzucht übergehen mußte. „Was will denn der Chef von mir?" spielte Jim den Kleinlauten. „Das wird er dir wohl selber sagen", knurrte der andere. „Wenn der da hinter uns tot ist, kannst du allerhand erleben." Jim antwortete nicht. Der Unterführer blieb plötzlich stehen, gab den beiden mit dem Schwerverletzten ein Zeichen. Drei, vier Schlitten kamen noch aus dem Tunnel. Alle mit großen Behältern beladen, deren Bedeutung Jim nur zu klar war. Chressyr brütete wieder eine Schweinerei aus. Der Kommodore mußte an sich halten, um nicht unüberlegt zu handeln. Aber die nächsten Minuten würden sowieso alles entscheiden. Der Unterführer ging mit ihm zum Tunnel zurück. Irgendwo im Tunneleingang glitt eine Tür weg. „Tragt den Verletzten zu der Bank dort drüben", sagte eine hohe, dünne Stimme. Sie schleppten den vermeintlichen Kommodore durch den Raum, während Jim kein Auge von der abscheulichen Erscheinung ließ, die nur einige Meter vor ihm war. Chressyr! Jim preßte die Fingernägel in die Handballen, daß es schmerzte. In seinem Gehirn wollte ein Chaos von Entsetzen losbrechen. Das also war Chressyr! War es möglich, daß ein Mensch sich der Hölle unterwarf, um sich zu verwandeln, daß aus ihm ein schauerliches Zwitterwesen wurde, nicht ganz Insekt, aber auch nicht mehr Mensch? Das war Chressyr! „Nun, Driller — hängen Sie sehr am Leben?" höhnte die dünne Stimme. Chressyrs Insektenaugen folgten Dr. Saby, der mit gleichgültigem Gesicht, zu der weichen, eleganten Bank ging und sich über die Gestalt beugte. Unwillkürlich straffte sich der Kommodore. Gleich — gleich . . . „Das ist nicht Jim Parker", sagte Dr. Saby ruhig. Er nahm die Kopfhaube ab. Mit blutender Stirn lag Driller vor ihnen. Sie standen erstarrt. Nur die Insektenaugen blieben unberührt und tasteten wieder über den Kommodore: „Ausgezeichnet — und Sie . . . ?" „Ich b i n Jim Parkerl" Jim riß bedenkenlos seinen Atombrenner hoch. Sie kamen über ihn. Sie warfen sich vor ihn. Aber er sah nur das fleischgewordene Grauen, sah nur diese Augen, die höhnten, die verachteten, die — die traurig waren — unsagbar traurig. „Laßt ihn noch. Sie können mich nicht erschießen!" . Aber Jim sah noch etwas anderes. Und darauf zielte er. Feuerte. Schrie.
„Ich will dich Scheusal vernichten!" Feuerte — feuerte . . . Die Insektenaugen höhnten nicht mehr. Sie flehten um Gnade. Aber Jim kannte keine Gnade. Rasend vor Ekel und Abscheu hielt er den Auslöser zurück. Er kam hier nicht mehr raus. Er wollte mit Chressyr zugrunde gehen. Aber Chressyr durfte nicht mehr leben, durfte nicht, durfte nicht. Da sprang Dr. Saby auf ihn zu. Im Zuchttunnel sprang eine helle, fast unsichtbare Flamme auf. Sie hatte solche Kraft, daß alle, die im Tunnel arbeiteten, die in dicken ;Metallanzügen die Faltergruppen in die Transportkästen leiteten, nichts anderes mehr tun konnten, als rennen, rennen, rennen . . . Im Auffahrtsschacht stauten sie sich. Aus der Höhlenebene heraus kamen andere gerannt. Auch Hoffmann war unter ihnen. Kein Mensch achtete mehr auf ihn. Verzweifelt sah er sich um Im Tunnel wuchs die Flamme, füllte den mächtigen Raum aus, fraß die Bestien eines Teufelshirns, fraß sie, daß die bunten Kreaturen nicht erst lange zu leiden brauchten. Die Flamme war barmherzig, aber sie wurde nicht satt. Aus dem Tunnel kam einer gerannt, einer, den niemand je gesehen hatte, einer ohne Kopfhaube, mit edlen, aber kranken Gesichtszügen. Dann war die Flamme im Schacht. Sie stoben auseinander. Hoffmann blieb als einziger stehen. Irgendwo in diesem Untergang mußte der Kommodore stecken. Er mußte ihn herausholen. Er preßte sich eng gegen die Felswand und versuchte, sich seitwärts gegen den Tunneleingang vorzuarbeiten. Vor seinen Augen stoben die Feuerschleier, türmten sich noch einmal hochauf und brachen zusammen. Die Flamme fand keinen Sauerstoff mehr., Aber der Tunnel knackte vor Hitze. Es war unmöglich, von dieser Seite aus hereinzukommen. Hoffmann duckte den schmerzenden Kopf und grübelte. Plötzlich warf er sich herum und hangelte sich am Laufband nach oben. Vor dem Felsen standen mehrere Chressyr-Leute. Instinktiv wollte er Deckung suchen, aber sie sahen sich nicht nach ihm um. Sie waren wie gelähmt. Nicht nur das unerwartete Unglück im Zuchttunnel hatte sie mitgenommen — was über ihnen geschah, war für sie mindestens ebenso schwerwiegend. Die 2. S.AT.-Raumflotte landete. Aus den Transportschiffen schössen Landeraketen heran. Schon war die erste neben der Kunststraße niedergegangen. Drei Männer sprangen heraus und kamen direkt auf den Felsen zugerannt. Die Chressyr-Leute türmten nach allen Seiten, nur zwei blieben mit erhobenen Armen stehen. Hoffmann brüllte auf vor Glück und lief ihnen entgegen. „Mister Wernicke", schrie er, obwohl ihn keiner hören konnte. „Mister Wer nicke!" Fritz Wernicke war tatsächlich als erster draußen. „Da haben wir uns ja die richtige Wüste ausgesucht", knurrte er böse und sah voller Mißtrauen eine Gestalt im Raumanzug auf sich zukommen. Er gab verächtlich einem Felsbrocken einen Stoß und riß die Atompistole hoch. Hoffmann ließ sich nicht aufhalten und schwenkte eifrig die Arme. „Das ist so etwas wie ein Begrüßungsredner", mutmaßte Captain Franzen der knapp hinter Wernicke kam. Wernicke blieb stehen und fing den anderen mit beiden Händen ab. Er konnte sehen, daß Hoffmann ununterbrochen sprach, hörte aber nichts. „Friede sei mit dir, mein Sohn", sagte er gedankenlos. „Was machen wir jetzt bloß?" Auf welcher Frequenz verkehrten die Brüder miteinander? Wernicke stellte an seinen Apparaten. Endlich eine Stimme, die sich vor Eifer und Aufregung fast überschlug.
„ . . . ich heiße Fred Hoffmann. Ich habe den Kommodore zum Zuchttunnf 1 geführt." Wernicke wurde sehr aufmerksam. „Sie sind Deutscher? Was haben Sie?" „Ich bin Deutscher", erklärte Hoffmann hastig. Vom Raketenfeld herüber kam Marxwell gelaufen. Ebenfalls mit erhobenen Armen. Die Schlitten mit den Transportkästen standen in loser Kette zwischen Felsen und Raketenfeld. Der letzte große Schlag war Chressyr nicht gelungen. „Wir 'haben nicht alle Chressyrs Schweinereien mitgemacht, Mister Wer- nicke", sprudelte es weiter aus Hoffmann hervor. „Ich wußte, wo Chressyr seine Falter aufzog. Wir wurden unterwegs abgefangen. Der Kommodore konnte aber durch einen Trick noch hineinkommen. Was drinnen geschehen ist, weiß ich nicht. Der Tunnel ist aber eben ausgebrannt." Wernicke blieb fast das Herz stehen. „Ausgebrannt? Aber dann müssen wir ja . . „Ich kenne auch den Hauptzugang zum Tunnel." Hoffmann wies auf einen künstlichen Vorbau am Felsen. Wernicke rannte schon los. Captain Franzen und Chressyrs Raketenspezialist folgten. Hinter ihnen landete nun das Gros der Raumflotte. Ein Trupp besetzte das Raketenfeld. Hoffmann rannte um den Vorbau und suchte verzweifelt nach einem Eingang. Marxwell drängte sich an ihm vorbei. Gleich darauf rollte ein großes Tor in die Felswand und gab einen erstaunlich gut ausgebauten Gang frei. Brandgeruch schlug ihnen entgegen. Von dem Unglück schien auch die Beleuchtungsanlage betroffen zu sein. Es war dunkel. Aber schon grellten die Handscheinwerfer auf. „Franzen — Sie bleiben hier am Eingang stehen." „Wenn es sein muß, Wernicke!" Nach einigen Metern bereits bog der Gang in spitzem Winkel nach rechts ab, gleichzeitig fiel er scharf ab. Aus der Unterwelt taumelte ihnen jemand entgegen, rutschte zusammen, bevor er heran war. Wernicke schlitterte auf ihn zu und packte ihn Marxwell war auch sofort da. „Dr. Saby", stieß er hervor. „Ich fürchte ..." Wernicke räusperte sich. „Ja, der ist tot. Gehörte er zu Chressyr?" Marxwell nickte zerstreut, richtete sich aber auf und sah sich scheu um. Sie waren hier in Chressyrs Nähe, in die sonst kein Unberufener kam, ohne hart bestraft zu werden. Aber Chressyr schwieg. Wie in einer großen Lähmung schien alles erstarrt. Marxwell zeigte auf eine rote Tür. „Dort drüben . . ." Wernicke stand wenige Augenblicke später in Chressyrs Privatraum. Die weiche Eleganz betäubte ihn, als er eintrat — der süßliche Duft weicher Kräuter widerte ihn an. Aus zwei flachen Schalen stieg diese unnatürliche Süßlichkeit auf und dampfte fein über drei leblose Männer, die am Boden lagen. Aber über sie stieg vorsichtig einer, den Fritz nur zu gut kannte. „Mondrakete", jubelte er auf und war dann doch entsetzt, als er in ein erloschenes, unsagbar müdes Gesicht sah. Jim Parker brach in die Knie. Sie hielten ihn. „Chressyr", sagte er heiser, „sucht ihn, sucht ihn — ich weiß nicht, ob ich ihn unschädlich gemacht habe, ich . . ." „Jim — was war hier?"
„ Die Hölle!!" Chressyr!
Tagelang bäumte sich Jim Parker in der Dunkelheit seiner Sinne, in der das Unterbewußtsein immer wieder schauerliche Bilder aufflammen ließ. Als sein Wille diese Nacht durchbrach und es wieder hell um ihn wurde, saß Ava neben seinem Ruhelager. Dann war auch Wernicke da und lächelte beruhigend. „Wir werden ihn schon finden, Jim!" Sie hatten ihn also noch nicht. Aber Jim war fertig. Marco wurde aus seinem furchtbaren Gefängnis in der Transportrakete befreit. Die Falter wurden auf den Schlitten wieder in den Tunnel gebracht und dieser mit Atomstaub vollgeblasen. Marco und Pedro und seine Kameraden veranstalteten eine handfeste Feierlichkeit, während Gibson, Marxwell und Kumpane mit einem S.A.T.-Schiff zur Erde gebracht wurden, wo die Weltpolizei sie liebevoll in Empfang nahm. Mit einem der nächsten Schiffe folgten Jim und Ava. Drei Ärzte bemühten sich wochenlang um den Kommodore, bis er das Grauen der Sekunden mit diesem Menschtier los war. Als er dann neben Cunningham und Ava saß, war er wieder der alte. „Eine solche Pflegerin möchte ich auch mal haben", knurrte der Atomboß neidvoll und schenkte seinen Gästen ein. Mortimer kam auch noch hinzu und streckte seine langen Beine vorsichtig unter das Klubtischchen. Jim hob etwas verlegen sein Glas. Ava wurde rot, erwiderte aber den wohlwollenden Blick Cunninghams und sagte etwas zu still und ernst: „Mister Parker hat uns allen das Leben gerettet. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte mein — hätte . . ." Sie konnte den Namen nicht aussprechen. „Sie werden darüber hinwegkommen, Miß Chressyr", munterte sie der Sicherheitshäuptling auf. „Sprechen Sie es ruhig aus, daß Chressyr Ihr Onkel ist. Vielleicht ist — oder war er ein Kranker." „Das war er sicherlich", nickte der Kommodore und reichte seine „Maza- Blend" herum. „Solche Ehrgeizlinge spielen immer mit dem Wahnsinn, und Chressyr ist ihm erlegen. Ich werde in den nächsten Tagen noch einmal zurückfliegen und mich davon überzeugen, ob der Mann noch lebt. Eine Gefahr für die Erde dürfte er aber nicht mehr sein. Und nun zu Miß Chressyr, Herrschaften. Was war in Berlin los?" Mortimer roch mißtrauisch an der schweren Zigarette. „Dieser Schuster war von Chressyrs Leuten gekauft. Er hatte wohl Spielschulden gemacht, und die Brüder hatten ihn unter Druck gesetzt. Er sollte dafür sorgen, daß Miß Chressyr mit einem Vernehmungsbeamten allein blieb und diesen dann mit einem Damenrevolver erschießen. Chressyrs Leute waren in der Nähe. Sie ließen Miß Chressyr zu einem bereitgestellten Wagen gehen." „Und — auf Island?" Der Oberst wandte sich an Ava. „Waren Sie auf Island?" „In meinem ganzen Leben noch nicht", lächelte sie. Mortimer ließ den Gin in seinem Glas kreiseln. „Wir haben es dabei mit einem Ablenkungsmanöver Chressyrs xu tun gehabt." Nach dieser Unterhaltung brachte der Kommodore Ava zum Flughafen. Sie wollte zunächst eine Freundin in Italien besuchen und dann in Amsterdam eine Stellung antreten. Sie sprachen über alles mögliche, wurden aber zusehends schweigsamer, als sie sich dem Flughafen näherten, und Jim sagt« auf einmal: „Ich habe Ihnen großes Unrecht getan, Ava." „Davon kann keine Rede sein", schüttelte sie den Kopf und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Ich stand doch tatsächlich zwischen zwei Welten und ebensogut hätte der Wille meines Onkels mich gefügig machen können."
„Sie hätten sich ihm nie unterworfen, Ava." Jim sah in den blauen Spätsommerhimmel, der die fernen Berge in lockender Erhabenheit erglühen ließ und dann auf seine schöne Pflegerin. „Sagen Sie, Ava — müssen Sie unbedingt schon heute fliegen?" Ava Chressyr blieb noch zwei Tage in der Atomstadt. Jim auch. Dann aber flog er. mit einem kleinen Raumschiff nochmals zum Eros. Ava hatte ihm eine alte Fotografie ihres Onkels mitgegeben. Wernicke begrüßte ihn auf dem Raketenfeld. Er machte ein Gesicht, als müsse er sich bei allen Göttern beschweren. „Entsetzliche Dinge Verden mir aus der City gemeldet! Man hat dich in Begleitung einer scharmanten jungen Dame in Serene Village und in verschiedenen Nachtlokalen beobachtet. Du wandelst auf gefährlichen Pfaden, Verehrtester!" „Laß mir doch auch mal mein Vergnügen", lachte der Kommodore und sah sich neugierig um. „Ihr habt ja schon ganz schön aufgeräumt." Wernicke wurde sachlich. „Morgen sprengen wir den Felsklotz. mit seinen finsteren Brutstätten auseinander." „Wartet lieber, bis wir eine Spur von Chressyr gefunden haben." Die Freunde durchstreiften drei Tage lang systematisch den Weltkörper. Dann fanden sie einen unbekannten Toten. In den Bergen. An einem Abhang liegen, mit dem Gesicht nach unten. Vorsichtig drehten sie ihn um. Jim kniete neben ihm und prüfte lange die Gesichtszüge. Dann erhob er sich. „Wie ist das möglich — das ist Chressyr." Wernicke blinzelte. „Ich denke, der hatte Insektengestalt." „Es gibt also tatsächlich Dinge zwischen Himmel und Erde, an die wir noch nicht herankommen", sagte Jim ernst. „Wir müssen hier sehr vorsichtig sein, um den Wissenschaftlern wenigstens einige Deutungsmöglichkeiten zu lassen." Er sah sich suchend um, bückte sich plötzlich und hob einen bunten Scherben auf. Es war ein Stück der Dämonenmaske, die in der Halle gehangen hatte. „Ich bin bestimmt nicht abergläubisch, Fritz, und ich weiß auch nicht, wie ich dazu kam." „ Wernicke sah ihn aufmerksam an. „Ja?" „Als Ich Chressyr gegenüberstand, war er ein Scheusal, ein Menschtier, ein widerwärtiges Zwitterwesen. Ich bemerkte neben ihm diese Dämonenmaske und zielte instinktiv auf sie. Sie zerbrach. Ich kann mir nur denken, daß mit ihr auch der Dämon in diesem seltsamen Menschen zerbrach. Wir werden das Rätsel Chressyr wohl nie lösen." Chressyr gab keine Antwort.
— Ende —