tibor déry spiele der unterwelt alvilági játekok
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TIBOR DÉRY (1894-1977). Der aus sechs Erzählungen bestehend...
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tibor déry spiele der unterwelt alvilági játekok
reclam 1
TIBOR DÉRY (1894-1977). Der aus sechs Erzählungen bestehende Zyklus, eine Chronik aus der letzten Phase dieser Herrschaft der Unterwelt, wurde erst nach der Befreiung geschrieben. Nicht die Grausamkeiten der nahen Vergangenheit, der Terror der Faschisten und die Kriegsereignisse bilden das eigentliche Thema des Werkes, sie stecken nur den historischen Rahmen ab. Déry schreibt nicht die Chronik der Zeit, sondern die Chronik menschlichen Standhaltens oder Versagens in dieser Zeit. Aus der Anonymität des Luftschutzkellers tauchen die Gestalten, eine nach der anderen, auf, sie werden auf der Waagschale des Schriftstellers gewogen und treten dann wieder ins Dunkel zurück. Es gibt an ihnen nichts Außerordentliches, sie sind Budapester Menschen wie die Bewohner Tausender anderer Mietshäuser auch. „Schwach und hinfällig zwischen den Extremen der Größe und der Gemeinheit“, „bedauernswürdig und doch liebenswert“ — so sieht sie Tibor Déry — sind sie durchaus nicht zu Helden bestimmt, doch lassen die Verhältnisse einzelne von ihnen zu Helden werden: Meist sind es kleine Leute, die, wenn auch spontan und mit schwachen Kräften, ihre Angst besiegen und dem Terror Widerstand leisten.
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Tibor Déry SPIELE DER UNTERWELT
2977 Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
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AUS DEM UNGARISCHEN ÜBERSETZUNG UND NACHWORT VON ANTONIA PEZOLD-LÁZÁR
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I. Weihnachtsabend
Weihnachten 1944 lag Budapest in dichten Nebel gehüllt. Gegen Abend waren nur noch wenige Autos unterwegs, seit Mittag verkehrte keine Straßenbahn mehr. In der Stadt wimmelte es auf einmal von Krähen. Ganze Schwärme waren aus den Budaer Bergen auf die Pester Seite herübergeflogen und hatten sich auf den Bäumen der öffentlichen Plätze niedergelassen. Wegen der immer häufigeren Luftangriffe hatte sich überall in den Straßen Abfall angesammelt. Der dichteste Nebel bildete sich entlang der Donau. Hier, in der Nähe des Flusses auf der Pester Seite, dem Polizeipräsidium gegenüber, wohnte im dritten Stock eines Mietshauses die Witwe Ruskó, eine zweiundfünfzigjährige Badefrau, die im Lukácsbad angestellt war. Ihre Wohnung, deren Fenster auf eine schmale Nebengasse gingen, bestand aus Zimmer und Küche. Seit einigen Tagen hatte Frau Ruskó Krankenurlaub. Sie war wegen der Gicht in ihren Füßen in dieser Zeit nur ein einziges Mal von zu Hause weggegangen: auf den Markt, um die Einkäufe für das Fest zu besorgen. Heiligabend sollte ihre Tochter mit ihrem Verlobten zum Mittagessen kommen. Die Witwe war eine stattliche Frau. Ihre grauen Haare trug sie in einem Knoten, ihr Bauch stand ein wenig hervor, ihre Füße steckten in Männerschuhen Größe vierundvierzig. Die Haut an Händen und Armen war immer wund und rot, wie ausgelaugt, doch die Augen glänzten schalkhaft, mit jugendlicher Fröhlichkeit. Drei ihrer Kinder hatte sie schon begraben, es lebten noch vier: zwei verheiratete Töchter auf dem Lande, ein Sohn an der Front und Évi, die Kleinste, die Lehrerin an einem Mädchenpensionat war und auch dort wohnte. Vor einem Jahr war Frau Ruskó daher in ihrem Reich, das sie bereits über zwei Jahrzehnte besaß, allein geblieben. Die kleine Wohnung hatte aber vor kurzem einer gesprenkelten Henne, die Pinduri hieß, Gastfreundschaft gewährt. Pinduri war eine geräuschvolle Mitbewohnerin; auch im Winter legte sie alle zwei Tage ein Ei.
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Zu Ehren der Gäste hatte die Alte im Zimmer gedeckt. Evi und ihr Verlobter, der ebenfalls Lehrer war, kamen gegen ein Uhr. Das Mädchen lief lachend und neugierig sofort in die Küche, den noch etwas verlegenen, unbeholfenen jungen Mann zog sie an der Hand hinter sich her. „Du wirst sehen, János, wir bekommen ein wunderbares Essen“, sagte sie, und ihr heiteres rundes Gesicht, auf dem selbst das lange Fasten der ersten Wintermonate keine Spuren hinterlassen konnte, strahlte dabei so lieb und mild vor Freude, daß es in der dunklen Küche auf einmal hell zu werden schien. „Das wird vielleicht ein feines Essen! Kannst du dir das überhaupt vorstellen? Was es geben wird, das würde Mutti natürlich nicht um die Welt verraten ..., sieh nur, wie sie den Weg zum Herd verstellt! Laß mich hin, Mutti“, bettelte sie, „laß mich bloß mit einem Auge in den Topf gucken!“ ,,Mach, daß du wegkommst!“ sagte die Alte, ihr Bauch zitterte dabei vor Lachen. Évi zog die Nase kraus. „Schrei mich nicht so an!“ schmollte sie. „Erzähl uns lieber, wie lange du hungern mußtest, um dieses Festessen zusammenzubringen?“ .Keinen Augenblick!“ „Eine Woche?“ fragte das Mädchen streng. „Zwei Wochen? Drei?“ Sie lachte wieder, sprudelnd und gurrend wie eine Lachtaube, so daß selbst ihr Verlobter, dessen jüngerer Bruder im Morgen von der Staatspolizei verhaftet worden war, lächeln mußte und es auch ihm für einen Moment leichter ums Herz wurde. „Einen Monat lang ließ sie die ganze Familie hungern, János“, erzählte sie und schlug ihre winzigen Fäuste ein paarmal ärgerlich zusammen, „vor Weihnachten mußten die acht Mann einen ganzen langen Monat nur von Einbrennsuppe und Maisbrei leben. Wir waren dann auch so zusammengeschrumpft, daß uns jeder Luftzug hätte durchs Schlüsselloch ziehen können. Die Alte aber sammelte und sammelte das viele Geld in eine große Truhe, damit sie am Heiligen Abend eine Pute und vierundzwanzig Mohn- und Nußrollen auf den Tisch stellen konnte ... Was, stimmt es etwa nicht?“ rief sie und schlug die Hände zusammen. „Schau mal, wie sich ihr Bauch vor Lachen schüttelt! Wir aber waren inzwischen schon so schwach geworden, daß keiner von uns einen einzigen Bissen hinunterschlucken konnte; wir starrten bloß auf den reich beladenen Tisch und heulten. Auch das ist nicht wahr? Lüge ich vielleicht? ... Sag mal, was hast du uns denn für heute 6
erhungert? Läßt du mich wirklich nicht an den Herd, damit ich’s mir angucken kann? Und wenn ich bis zum Mittagessen sterbe? Du wirst es noch bitter bereuen, Mama, daß du deine Lieblingstochter so auf die Folter gespannt hast!“ Die Alte faltete die Hände vor dem Bauch und schaute sie an. „Scheißerchen!“ sagte sie, und ihr Bauch erbebte wieder vor Lachen. Évi fuhr sich mit der Hand vor den Mund. In diesem Augenblick löste sich ein Stückchen Putz von der Decke, so groß wie ein Blatt, prallte auf den Herd und zerstäubte wie Schnee. In der Wand, vom Fußboden bis zur Decke, klaffte ein fingerbreiter Spalt. Der Küchenhocker an der Wand hüpfte wie ein Zicklein senkrecht in die Höhe und warf das daraufliegende Sieb von sich. Der laute Knall der Explosion erfüllte die Küche, als hätte sich eine dicke Staubwolke auf sie gelegt. Für einen Augenblick konnte keiner etwas sehen. „Was war das?“ flüsterte Évi blaß und klammerte sich mit beiden Händen an das Küchenbüfett. Die Alte betastete sich die Ohren. „Ich dachte schon, ich wäre taub geworden“, brummte sie. Der Hocker sprang abermals in die Luft, von der Decke fiel jetzt der Putz wie dichter Regen. Ein Kochtopf kroch langsam die Herdplatte entlang, schwang sich über die Kante und landete klirrend auf dem Steinfußboden. Das Mädchen verlor das Gleichgewicht und prallte gegen die Wand. „Ein Glück, daß nur Wasser drin war“, sagte die Alte und hob den Topf wieder auf. „Du, János, hat’s denn eigentlich Fliegeralarm gegeben?“ „Nein“, antwortete er und wischte sich mit seinem Taschentuch das Blut von der Stirn, die ein scharfkantiges Stück Putz aufgeritzt hatte. „Ist dir was passiert?“ fragte Évi. Was war denn das?“ Der Lehrer antwortete nicht. Er prüfte mit einem raschen Blick, ob dem Mädchen nichts geschehen wäre, lief dann ins Zimmer, riß das Fenster auf und schaute zum Himmel. Évi rannte ihm nach. „Geh sofort vom Fenster weg!“ rief sie. „Was willst du denn sehen?“ Der Mann drehte sich um. Sein Gesicht hatte einen ungewöhnlichen Ausdruck; Überraschung und tiefes, ernstes Glücksgefühl spiegelten sich darin, junge Mütter sehen mit einem solchen Blick ihr neugeborenes Kind an. 7
„Es war kein Flugzeug“, sagte er leise. „Sondern?“ fragte das Mädchen, das blaß geworden war. Er mußte vor Ergriffenheit schlucken. „Es ist Weihnachten“, sagte er dann. Evi sah ihm mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht. „Ja“, sagte Janos, „zu Weihnachten die erste russische Granate! Vielleicht erleben wir doch noch die Befreiung. Komm!“ Er trat zu ihr und umarmte sie. Eine dritte Granate krepierte in der Hausmauer etwas weiter weg, nur die Lampe an der Decke quittierte den Einschlag mit einem lässigen Nicken. „Los, in die Unterwelt!“ rief die Alte aus der Küche herein. Sie hatte ihre Siebensachen bereits zusammengepackt und stand in Mantel und Kopftuch in der Tür. Unter dem Arm schleppte sie einen großen Topf Fett. „Ich nehm’ gleich die ganze Speisekammer mit“, erklärte sie, „damit die Schaben ja nicht auf die Idee kommen, alles aufzuschleckern!“ Pinduri, die Henne, saß auf ihrer Schulter und drehte unruhig den Kopf hin und her. Als sie nach mühseligem Klettern auf der schmalen, beschädigten Wendeltreppe im Vorkeller ankamen, war der Luftschutzraum bereits voll. Elektrischen Strom gab es nicht; eine einzige Petroleumlampe verstreute ihr blasses, mürrisches Licht in die zwei T-förmig angeordneten Räume. Überall standen Stühle, Sofas und leere eiserne Bettstellen dicht nebeneinander. Die Männer hielten im Vorraum, um die mit Wasser gefüllte Badewanne herumstehend, Rat; weiter hinten, vor dem Herd im ersten Keller, steckten sich die Frauen schwatzend gegenseitig mit ihrer Aufregung an. Die Witwe Ruskó ließ sich mit ihrer Familie im hinteren Keller nieder. „Wenn dieser verdammte Blitz nicht eingeschlagen hätte“, brummte sie verärgert, „wäre sie inzwischen schon gebraten!“ Évi zwinkerte ihrem Verlobten zu. „Was wäre schon gebraten, Mutti?“ fragte sie beiläufig, als hätte sie gar nicht richtig hingehört. Die Alte murmelte etwas vor sich hin. „Ich versteh’s nicht“, antwortete Évi. „Was sagtest du?“ Die Alte zuckte nur die Achseln. „Daß es bereits gebraten wäre.“ 8
„Was denn?“ „Dein Verstand!“ sagte die Witwe. „Am Abend erfährst du es schon.“ Beide brachen in Lachen aus. Die Alte preßte beide Arme auf den Bauch, damit er nicht allzu sehr wackelte. Évi warf den Kopf zurück und lachte aus voller Kehle so herzlich, daß ihr rundlicher weißer Hals vor fröhlicher Anstrengung voller wurde. Im Keller verstummten die Leute und wandten sich ihr lächelnd zu. „Die kann man nicht überlisten“, stellte Évi fest. „Schlau ist die Gute wie ein Bischof. Wenn ich bloß wüßte, warum sie bei dieser Begabung Prolet geworden ist!“ „Scheißerchen!“ sagte die Alte bereits das zweite Mal im Laufe des Tages. „Du solltest dich eher darum kümmern, warum dein Zukünftiger die Ohren hängen läßt!“ Évi warf dem Mann, der in Gedanken versunken mit reglosem Gesicht vor sich hin starrte, einen schnellen Blick zu. „Das ist seine Grundhaltung“, sagte sie. „Hat er vielleicht Hunger?“ meinte die Alte. „Wenn er Hunger hat, schreit er. Wenn er glücklich ist, sieht er so sauertöpfisch aus.“ „Glücklich?“ fragte die Alte und schmunzelte dabei gutmütig und verschmitzt. „Wie ein Engelchen im Holzschuppen“, sagte Évi. „Wenn ich so eine Großschnauze als Frau in Aussicht hätte, wär’ ich schon längst einer Begräbniskasse beigetreten“, brummelte die Alte. „Er hat es schon getan“, erklärte Évi. „Er ist aber nicht deshalb so griesgrämig.“ „Sondern weshalb, du alte Lehrerin?“ „Deshalb, weil er nicht weiß, was es heute zum Abendbrot geben wird“, sagte das Mädchen und lachte erneut laut auf. „Du wirst sehen, Mutti, du quälst uns beide noch zu Tode.“ Der junge Mann gab ihnen nur durch ein flüchtiges Lächeln zu verstehen, daß er ihrem Geplänkel folgte, den Kopf hob er nicht. Nach der ersten Aufregung verebbten im Keller langsam die Gespräche. Die Frauen kramten in ihren mit Lebensmitteln vollgestopften Einkaufstaschen, jemand trank laut glucksend Tee aus einer Thermosflasche und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ein junges Mädchen stellte sich unter die Petroleumlampe und begann in der Bibel zu 9
lesen. „Die Belagerung hat also begonnen!“ seufzte jemand. Pinduri, die Henne, putzte sich eine Zeitlang auf dem Schoß der Alten die Federn, dann flog sie mit einem schnellen Sprung flügelschlagend dem jungen Mann auf die Schultern und stieß mit dem Schnabel leicht gegen seinen Kopf. „Sie möchte wissen, warum du so schweigsam bist“, dolmetschte das Mädchen. „Sicher, weil er nichts zu sagen hat“, meinte die Witwe und boxte dem Mann lachend in den Rücken. Von Zeit zu Zeit stieg ein Bote aus dem dunklen Keller in die noch tiefere Dunkelheit des Hofes hinauf, um die Lage zu erkunden und den Zustand des Hauses zu prüfen. Obwohl der Kanonendonner gegen Abend nachgelassen und das Haus selbst keine neuen Treffer mehr abbekommen hatte, machte niemand den Vorschlag, in die gefährdeten Wohnungen zurückzukehren. Die Frauen begannen langsam die Übernachtung im Keller vorzubereiten; man holte Kissen und Decken hervor, für die Kinder, die bereits ins Bett mußten, wurden Sessel zusammengeschoben. In der Lampe war das Petroleum ausgegangen, es mußte eine Kerze angezündet werden. Évi stand auf. „Komm!“ sagte sie zu ihrem Verlobten. „Wo geht ihr denn hin?“ fragte die Alte. Das Mädchen beugte sich an ihr Ohr. „Abendbrot essen“, erklärte sie. „Bleib nur unten, ich bringe dir deinen Teil herunter.“ „Geh, mein Kind!“ Die Witwe schaute sie an und ließ ihre knochige alte Hand, an deren Ringfinger der schmale silberne Ehering schimmerte, einen Augenblick auf der Schulter ihrer Tochter ruhen. Das Mädchen nickte wortlos und lief zur Tür hinaus. In der Wohnung war es dunkel, auch hier mußte eine Kerze angezündet werden. Évi schloß die Läden, stellte die Kerze hinter den Schrank, lehnte sich dann an die Wand und zog den Mann am Rockaufschlag zu sich. „Ist was Schlimmes passiert?“ fragte sie. „Nein“, antwortete er. „Bestimmt nicht?“ „Bestimmt“, nickte er. „Ist dein Bruder wieder zu Hause?“ „Ja.“ 10
„Ist auch mit ihm alles in Ordnung?“ „Ja.“ „Sicher?“ „Sicher“, sagte er. Évi seufzte erleichtert auf. „Diesmal hatte ich große Angst um ihn. Wenn sie ihn erwischt und die Waffen bei ihm gefunden hätten ... Gott sei Dank, daß es geklappt hat.“ „Ja“, sagte er. Évi schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn lange auf den Mund. Ihr blasses Gesicht rötete sich leicht, wie der Morgenhimmel, wenn er die Sonne nahen fühlt. „Hör zu“, flüsterte sie „die Papiere sind bei Mutter. Bei ihr sind sie besser aufgehoben als bei mir. Hab’ ich’s richtig gemacht?“ „Es ist schon richtig so“, sagte er. „Das ist unser Weihnachten“, sagte sie leise. „Das feiern wir.“ Sie schürte im Herd das Feuer, in der Bratröhre über der Glut wartete die verborgen gehaltene Ente bereits errötend auf ihre Entdeckung. Im Nu erfüllte sie die ganze Küche triumphierend mit ihrem kräftigen Duft. Im Küchenbüfett stand eine Flasche Rotwein, daneben lagen aufgeschnitten und in vier Reihen auf einem Teller Mohn- und Nußrollen und im Brotkorb, mit einem Wischtuch zugedeckt, ein frisches rundes Bauernbrot. „Mutti hat sich aber Mühe gegeben!“ staunte Évi. „Wo hat sie bloß das schöne Tier hergekriegt!“ Sie stellte die kleine rundliche Ente, die in dem brutzelnden, fröhlich prasselnden nußbraunen Fett lustig tänzelte, gleich in der Bratpfanne auf den Tisch. Hier und dort kräuselte sich, kleine Inseln bildend, leichter Schaum auf dem Fett und glänzte silbern im königlichen Licht der Kerze. In der Mitte thronte, wie ein Berg aus Zartheit und Knusprigkeit, die Ente; ihre rotbraune Haut leuchtete verführerisch. Rechts davon funkelte eine Schüssel roter Bete, links der herbe, traumschwere Saft des Rotweins — wie eine doppelte Entgegnung auf den Glanz des Fettes. Die beiden dicken weichen Weißbrotscheiben neben den zwei Tellern waren die Erlösung selber. „Siehst du, man muß immer so ein kleines, dickes Entlein mit einem breiten Hintern auswählen, die schmecken am besten. Und wenn ich dann einmal deine Frau bin, erlaube mir ja nicht, daß ich der Ente die Haut abziehe; sie muß nämlich im eigenen 11
Fett gebraten werden, sonst ist sie keinen Pfifferling wert. Das Fett am Sterz freilich muß man herausschneiden, das ißt der Mensch nicht, aber sonst! ... Und jetzt paß mal auf!“ Sie krempelte sich die Ärmel bis zum Ellenbogen hoch und beugte ihr von roten Lichtreflexen umspieltes glückliches Gesicht über die Pfanne. „Siehst du, wie sich die Haut an der Keule hochgezogen hat und wie schön bräunlich auch der Knochen gebraten ist? Den nehm’ ich jetzt zwischen meine zwei Finger, führe schön säuberlich das Messer um die Keule herum, hebe ein bißchen den Knochen an ... ein wenig sträubt er sich noch ... hast du gehört, wie das Gelenk knackte! ... Und jetzt trennt er sich von alleine, als wäre er nie angewachsen gewesen. Nun hebe ich das Entlein am Bürzel hoch, stelle es auf die Nase und schneide links und rechts tief hinein. Es ist günstig, wenn man dabei ein klein wenig ärgerlich ist, dann wird man mit diesen vielen bösen Gelenken schneller fertig. Du siehst aber, heute kann ich gar nicht ärgerlich sein, deshalb dauert’s so lange wie ein Regennachmittag. Na, und jetzt mußt du dich umdrehen, jetzt greife ich mit der Hand hinein und reiße das Brustfleisch heraus, dann lecke ich mir sämtliche Finger ab und lese die Fleischbröckelchen auf, die ganz herrlich schmekken. Guck ja nicht her! Ob ich schon fertig bin? Noch lange nicht. Ich muß noch die Flügel abschneiden und die angebratenen Reste in der Pfanne zusammenkratzen, das ist nämlich das Allerfeinste. Und du fällst inzwischen vor Hunger vom Stuhl! Hier ist eine Keule, Herr Lehrer, amüsieren Sie sich damit!“ Nach dem Abendbrot verstummten sie beide. Sie saßen und sahen einander an. Einmal löschte das Mädchen die Kerze und öffnete das Fenster, damit frische Luft ins Zimmer kam. Unten auf der Straße lag ein umgestürzter Lastwagen in einer Panzerfalle, mit zwei toten Soldaten im Führerhaus, Évi erschauerte und schloß das Fenster wieder. Jetzt hörte man erneut ferne, dumpf dröhnende Kanonenschüsse von Buda her. „Wir gehen nicht hinunter“, sagte Évi. „Komm!“ Sie legten sich ins Bett, das erste Mal, seit sie sich kannten und liebten. Wenn mitunter eine Granate in der Nähe einschlug, flackerte die Kerze, ihre Flamme neigte sich zur Seite und ließ das Zimmer schwanken. Gegen Mitternacht öffnete sich die Küchentür. Mit hochgehobener Kerze in der Hand erschien die 12
riesige Gestalt der Witwe auf der Schwelle. Stumm besah sie sich eine Zeitlang die zwei Liebenden, die eng umschlungen tief schliefen, nickte dann, drehte sich um und zog die Tür leise hinter sich zu. „Die armen Kerle“, murmelte sie vor sich hin. Sie kauerte sich vor den Herd und machte sich über die Reste. „Wein haben mir die Scheißerchen natürlich nicht übriggelassen“, brummelte sie, lachte ein wenig und ließ dabei ihren Bauch tüchtig tanzen. Pinduri, die Henne, saß auf ihrer Schulter und starrte schläfrig auf die sich auf und ab bewegenden kerzenbeleuchteten, zerarbeiteten alten Hände der Witwe.
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II. Dezembermorgen Die lange Votivkerze, die bisher schweigend in der dichten Dunkelheit gestanden hatte, flammte auf: Sie streckte rasch ihre kleine, gedrungene Flamme aus, die das Wandbrett und eine sich darüber an die Wand stützende Frauenhand mit freundlichem gelbem Licht überhauchte, und stimmte erst dann, einen Augenblick später — als wäre auch sie vom eigenen Leuchten munter geworden — ihre eilige, knisternde Morgenpredigt an. Unter der niedrigen Kellerdecke erwachten sofort die Schlafenden und erwiderten den Gruß des Lichtes mit selbstvergessenem kurzem Gähnen, fröhlichem Räuspern, leichtem Stöhnen. Die dreißig Männer und Frauen richteten sich fast gleichzeitig in ihren Betten auf. Nur am Notausgang sägte eine einsame, hartnäckige Männerkehle weiter. Aber auch sie verstummte, als ein Mineneinschlag die Wände ererzittern und unter einem Kinderbett das kleine weißglänzende Töpfchen erklirren ließ. „Heute geht’s aber früh los!“ brummte Onkel Lajos, während er seine dicken weißen Beine flink unter der Kamelhaardecke hervorzog. „Die bearbeiten jetzt gründlich unsere Gegend!“ sagte eine jüngere Stimme verschlafen. Die Frauen schwiegen. Auch am anderen Ende des Kellers leuchtete eine Kerze auf, sie nieste und breitete dann schnell ihren weichen Lichtteppich über die tief herunterhängende Decke aus. Aus dem Nachbarraum, der nur durch eine Lattentür abgetrennt war, hörte man das Feuer im Herde prasseln. Eine neue Mine schlug ein; diesmal erbebte selbst der Zementfußboden, und das Christusbild an der Wand verrutschte ein wenig. Der vierjährige Junge der Hausmeisterin setzte sich in seinem Bettchen auf, zeigte mit dem Finger auf das schief hängende, wie vom Schlag getroffene Bild und lachte dabei entzückt. „War das jetzt ein Einschlag?“ fragte eine hagere, starkknochige alte Jungfer, die in steifer Haltung reglos auf ihrem Bettrand saß. Nur hin und wieder wischte sie sich mit einem
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rotseidenen Tuch langsam über ihr breites, bebrilltes Gesicht. Der Luftdruck ließ jetzt schon fast pausenlos die Wände erzittern. Das Zittern lief unsichtbar unter der Oberfläche der Steine entlang und wirkte auf die Nerven der sich ankleidenden Menschen wie eine endlose quälende Frage, die — unterhalb des Bewußtseins sich hin und her schlängelnd — vergeblich nach einer Lösung sucht. Die Kerzen, die in der dumpfen Kellerluft schlecht brannten, beleuchteten den großen Raum nur schwach. In der Mitte blieb er fast völlig dunkel, und auch der modrige Geruch der tränennassen Betten und Kissen war dort am dichtesten. „Jetzt kann man nicht lüften!“ sagte jemand und schaute nach dem mit Panzerblech verschlossenen Fenster unter der Decke, zu dem eine kleine schmale Eisenleiter führte. „Ich wollte vorhin wissen, ob das ein Einschlag war“, erkundigte sich die alte Jungfer mit der Brille noch einmal. „Das nicht ... das war ein Abschuß!“ erklärte ihr der pensionierte Oberst, der neben ihr saß. Er war auf beiden Ohren so schwerhörig, daß er die Männerstimmen überhaupt nicht und von den Frauenstimmen nur die ganz hohen, kreischenden vernahm, und trotzdem erfreute er sich auf Grund seiner militärischen Vergangenheit der ungeteilten Autorität in artilleristischen Fragen. „Und das jetzt? ... Was war das?“ schrie ihm sein Nachbar, ein junger Arzt, ins Ohr, der, da er kein Bett besaß, auf einem mit weißem Wachstuch bezogenen Operationstisch schlief. „Auch das war ein Abschuß“, versicherte der optimistische Oberst. Am Ende des Kellers, in der Nähe der tropfenden Kerze, die auf einem an der Wand befestigten Brett stand, kämmte sich ein junges Mädchen. Ihre Arme erhoben sich langsam, riesige Schatten liefen bis zur Decke, hielten dort einen Augenblick inne und sanken dann etwas langsamer — als würden sie aus der Höhe nur ungern zurückkehren — in die schmutzig-graue Dunkelheit unter dem Wandbrett zurück. Das Mädchen hielt eine dünne Drahthaarnadel zwischen den Lippen. Bei einer neuen Explosion, die stärker als die bisherigen war, entglitt sie ihrem Mund und fiel leise klirrend auf den Boden. „Was wird heute bei Ihnen gekocht, Juliska?“ fragte sie die Hausmeisterin, nachdem sie sich gebückt, die Haarnadel ertastet, 15
mit den Fingern abgeputzt und dann wieder in den Mund gesteckt hatte. „Weiße Bohnen?“ Die Hausmeisterin gab nur durch Kopfschütteln zu verstehen, daß sie keine weißen Bohnen kochte. „Wenn man heut vormittag in die Wohnung hinauf kann“, sagte sie, „heize ich im Herd und mache schnell Krautfleckerl.“ Das Mädchen atmete tief ein, schloß die Augen und fuhr sich mit der Hand vor den Mund. „Oh“, rief sie, „wenn ich noch einmal im Leben einen richtigen Apfelstrudel essen könnte, mit viel Rosinen drin und dick mit weißem Puderzucker bestreut!... Das schlug aber hier im Haus ein, nicht wahr?“ flüsterte sie, ihre Lippen wurden weiß, sie hielt sich mit beiden Händen am Wandbrett fest. Jemand aus dem Nachbarkeller stieß die Lattentür auf, blieb einen Augenblick im Durchgang stehen, schaute sich um und zog sich dann beruhigt wieder zurück. „Auch das hat nicht hier bei uns eingeschlagen, schlimmstenfalls nebenan“, sagte Onkel Lajos. „Juliska, meine Liebe, wenn Sie oben sowieso Feuer machen, gebe ich Ihnen ein paar Kartoffeln und Essig mit, kochen Sie mir davon ein bißchen saure Kartoffeln.“ Als das Wort Essig erklang, schloß eine schwangere junge Frau, die bisher am Gespräch nicht teilgenommen und mit einem verträumt glücklichen, sanften Lächeln auf ihren gewölbten Leib hinuntergeschaut hatte, plötzlich die Augen: Aus dem hell zischenden Klang des Wortes „Essig“ flog, wie ein Fliegenschwarm aus einem geplatzten Kadaver, ein durchdringender säuerlicher Geruch hoch, überzog die Wände und Möbel mit einem grauen Belag, bildete winzige Bläschen, die rasend schnell im Keller umherflogen, sich röteten, anschwollen und den ganzen Fußboden mit Blut betropften. „Das war aber jetzt ein Einschlag!“ teilte der Oberst schmetternd seinem Publikum mit. Er hatte nichts davon gemerkt, daß hinter seinem Rücken jemand ohnmächtig geworden war und daß die Frauen mit Kölnischwasser und nassen Schwämmen die bewußtlose junge Frau wiederzubeleben versuchten. „Es könnte aber auch eine Bombe gewesen sein“, fügte er noch nachdenklich hinzu, „eine kleinere Fünfundzwanzig- bis Fünfzigkilobombe, wie sie die Russen verwenden.“ Als eine halbe Stunde später das Minenfeuer aufhörte, wurde der Keller schnell leer; nur die Kinder blieben unter der Aufsicht einiger Frauen unten und ein älteres Ehepaar, das 16
aus irgendeinem der Nachbarhäuser hierher eingewiesen worden war. Das Lüftungsfenster wurde aufgemacht; ein junges Mädchen begann zu kehren. Der aufgewirbelte Staub vermischte sich mit dem kalten Morgennebel, der durch das Fenster hereinströmte; in den verlassenen Raum stahlen sich Vorstellungen von Häuslichkeit und morgendlicher Sauberkeit. Es war gegen sieben Uhr. Die alte Jungfer zwängte sich eilig durch den zweiten Keller, in dem sich die ärmeren Bewohner des Hauses eingerichtet hatten, ging dann den langen, sich windenden Gang entlang, am Ende des Ganges die schmale Wendeltreppe hoch und schaute sich, als sie endlich auf dem Hof angekommen war, unruhig um. Soweit sie es im Nebel erkennen konnte, war das Haus unbeschädigt geblieben, auch die Tür ihrer Wohnung. Es wurde ihr jedesmal eng ums Herz, wenn sie früh die Tür aufmachte; sie konnte nie wissen, ob sie an der Stelle der friedlichen Wohnung nicht das Füllhorn des Verderbens empfangen würde. Aber auch diesmal hatte sie Glück: Ihre Wohnung — ihr einziges Vermögen auf dieser Erde — war bis auf ein eingedrücktes Fenster verschont worden. Sie begann sauberzumachen, sich waschen und frühstücken wollte sie erst später. Frühmorgens, bevor es ganz hell wurde, hörte das Kanonenfeuer immer für anderthalb bis zwei Stunden auf, als würden die Belagerer aus Menschlichkeit und weltmännischer Höflichkeit den Bürgern der Stadt eine kurze Pause gewähren, damit diese nach den Schreckensnächten der Unterwelt Zeit bekämen, sich zu erholen und frisch zu machen. Das Zimmer, aus dessen Fenstern man auf das brennende Eckhaus gegenüber sehen konnte, nahm in dem langsam dämmernden Dezembermorgen erst nach und nach Gestalt an. Nachdem die alte Jungfer die Teppiche geklopft, die Decke abgekehrt und auch das letzte Staubkörnchen entfernt hatte, wusch sie sich von Kopf bis Fuß, trank ihren Haushaltstee, holte ihre gesprenkelte Henne unter der Nähmaschine hervor, nahm sie auf den Arm und eilte mit ihr auf die Straße. In wenigen Minuten erreichte sie das Gebäude der Börse, aus deren zerstörten Lagerräumen der Luftdruck unzählige tote Fledermäuse und Ratten auf die Straße geschleudert hatte. Sie stellte die Henne auf den Bürgersteig, band ihr einen langen Bindfaden ans Bein, richtete sich auf und wandte sich mit selbstvergessenem Lächeln auf ihrem breiten bebrillten Ge17
sicht ihren allmorgendlichen Hirtenpflichten zu. Die Straßen waren wie ausgestorben; in der ganzen langen Nadorstraße, in deren entfernter Öffnung sich der nebelumspülte Koloß des Parlaments drängte, in den zur Donau führenden Querstraßen und auf den von Kugeln aufgerissenen Promenaden des Freiheitsplatzes war kein Mensch zu sehen, nur der Nebel wälzte sich über dem naß glänzenden Asphalt. Es war kalt. Aus einem entfernten Kellerfenster qualmte Rauch; wie ein Pilzgeflecht unterirdischer Verderbnis drangen die Rauchwolken auf die Straße und bedeckten mit ihren schnellen grauen Schwaden den menschenleeren Fußweg. „Ob die Brot backen?“ fragte sich die alte Jungfer halblaut. Die Henne stand, die Beine gespreizt, auf einem Fleck und pickte mit ihrem spitzen Schnabel am abgerissenen Kopf einer Ratte herum. Ihr Federkleid glänzte, ihr Hals spannte sich straff, sie war das einzige gesunde Wesen inmitten der Ruinen. Auf dem Fußweg gegenüber lag die Leiche eines Soldaten, daneben ein umgestürzter Baum, dessen Wurzeln sich gegen den Himmel streckten. Es nieselte. Auf den Straßen herrschte beklemmende Stille. Die alte Jungfer fuhr jedesmal zusammen, wenn der Schnabel der Henne etwas kräftiger auf das Pflaster pochte, sie wandte sich um und prüfte argwöhnisch den leeren Freiheitsplatz. Von dem einstöckigen Haus in ihrem Rücken war die Fassade eingefallen, mit der zerfetzten grünen Tapete an der hinteren Wand spielte nachdenklich der Wind. Die alte Jungfer schaute ein Weilchen gedankenverloren zu, hob dann die Henne auf den Arm, küßte sie und machte sich auf den Heimweg. Ein Aufklärungsflugzeug dröhnte über ihren Kopf hinweg; einige Minuten später begann der Luftangriff. Als sie in den Toreingang einbog, knatterte bereits ein Maschinengewehr, und auch das Dröhnen der Flak auf dem Dach des gegenüberstehenden Hauses setzte ein. Vor der Kellertreppe kam es zu einer Drängelei; die Bewohner flohen Hals über Kopf aus ihren Wohnungen in den Keller hinunter. „Juliska“, sagte die alte Jungfer zu der Hausmeisterin, „sagen Sie Onkel Lajos, daß sein Sohn, der Soldat, tot ist. Er liegt vor der Nummer achtundzwanzig in der Nadorstraße auf dem Fußweg.“ Sie mußte noch hinauf in die Wohnung, um die Henne, die vor Angst keuchte und bei jedem Schuß der Flak aufgeregt den 18
zerzausten Kopf hin und her drehte, an ihren alten Platz unter der Nähmaschine zu verstecken. Sie kramte danach noch ein wenig in der Wohnung herum und tappte bald darauf in den Luftschutzkeller hinunter, wo die Kerze eben ausgegangen war. Eine neue wurde angezündet.
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III. Das Pferd
Langsam wurde es dunkel. Aus den tiefhängenden Wolken fiel leiser Regen. Zwischen den Pflastersteinen auf dem schlammigen Fußweg glitzerten vereinzelte Pfützen. Der alte Mann beeilte sich, um noch in der Dämmerung nach Hause zu kommen. Auf der anderen Straßenseite brannte ein Mietshaus, dicke samtschwarze Rauchschwaden drangen aus den Fenstern der oberen Stockwerke; sie rissen züngelnde Flammen mit, die die unzerstörten Scheiben des gegenüberstehenden Hauses gelb aufglänzen ließen. Die Straße war leer, nur in der Mitte der schmalen Fahrbahn lag in zerstreuten Glassplittern, das Gesicht im Ellenbogen verborgen, ein toter Soldat. Plötzlich blieb der alte Mann vor dem Schaufenster eines Milchladens stehen. Aus dem Rahmen der engen Ladentür sah ein brauner, blondmähniger Pferdekopf auf die Straße. „Wie bist denn du hierhergekommen?“ fragte der Alte vor Überraschung halblaut, beugte sich vor und schaute sich in dem winzigen Raum um. Das Hinterteil des Pferdes streifte die Rückwand, an der eine auf weinrotes Papier gedruckte Bekanntmachung hing, mit den Flanken preßte es sich rechts gegen den weißen Ladentisch, links gegen einen umgefallenen Eisschrank. Der alte Mann trat einen Schritt zurück, blickte hinauf und las das schiefhängende Firmenschild, das der Luftdruck verbogen hatte. „Milch, Butter, Eier“, entzifferte er in der Dunkelheit. Er musterte noch einmal das Pferd, wandte sich dann kopfschüttelnd um und machte sich wieder auf seinen Weg. Das Pferd stieß mit dem Kopf die Tür auf und trottete ihm nach. Sie hatten es nicht weit. Vorne ging mit gesenktem Kopf der alte Mann und hörte nachdenklich dem regelmäßigen Klappern der Hufe auf dem nassen Asphalt hinter seinem Rücken zu. Einmal, als er in eine Nebenstraße einbog, setzte das Klappern aus, das Pferd war stehengeblieben, als hätte es erst nachdenken müssen; kaum war aber eine Minute vergangen,
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holte es ihn in erregtem, schnellem Trab, aus dessen Rhythmus der Herzschlag der Angst herauszuhören war, wieder ein. Nach einer Weile bog der alte Mann versuchsweise noch einmal in eine Nebenstraße ein, das Pferd hinter ihm blieb wieder stehen und trabte ihm dann im angsterfüllten hastigen Tempo nach. „Blind!“ murmelte der alte Mann mürrisch. „Auf beiden Augen blind!“ Die Straßen waren menschenleer und still, nur in großer Entfernung knatterten Maschinengewehre. Hinter der Basilika lief, tief nach vorne gebeugt, eine Frau mit klatschenden Schritten durch den Schneematsch, sie überquerte den Platz und verschwand in einem Torbogen. Ein Stück weiter war die breite Fahrbahn mit Fensterscherben übersät, der dunkle Winterhimmel fand sich in ihnen, zwinkerte sich zu und fror in das Glas ein. Es wurde zusehends dunkler. Sie waren eben am Ziel angekommen, als die Minenwerfer der Russen von Buda her zu bellen begannen. Über ihren Köpfen ratterte bereits das erste Jagdflugzeug, es flog tief und kämmte die Dächer der Umgebung ab. Das Pferd stieg mit solch geübten Bewegungen hinter seinem neuen Herrn die schmale, sich windende Kellertreppe hinunter, als wäre es zehn Jahre lang in einem fünfstöckigen Mietshaus Vizehausmeister gewesen. Es stolperte erst auf der letzten Stufe, brach in die Knie und rutschte auf dem Bauch in den pechfinsteren Vorraum des Luftschutzkellers. Kaum unten angelangt, sprang es jedoch mit donnernden Hufen auf, senkte den Kopf und trabte in den langen Gang hinein, der zu den Kohlenkellern führte. In der undurchdringlichen Nacht des Ödipus leuchteten nur die gelben Funken unter seinen Hufen wie die Schriftzeichen eines Schmerzensschreies. Es wieherte lang und klagend, aus seinem Hals und Rücken strömte Blut; die niedrige Kellerdecke hatte ihm an drei Stellen die Haut abgeschürft. Am Ende des Ganges blieb das Pferd stehen und ließ den Kopf hängen. Im Luftschutzkeller wollten die Leute gerade schlafen gehen. Der ungewöhnliche Lärm trieb jedoch den größten Teil der Männer und auch einige Frauen in den Vorraum, von wo aus sie dann mit neugierig vorgestrecktem Hals im Gänsemarsch zum Kohlenkeller pilgerten. Der Luftschutzwart, der an der Spitze des Zuges schritt, blieb stehen und hob seine kleine schwarze Petroleumlampe über den Kopf. Lebhaft stürzten die 21
Schatten herunter und duckten sich, in den Wurzeln verflochten, wie ein verästelter Busch von Bosheit regungslos auf den Fußboden. Unter der dunklen gewölbten Kellerdecke, in dem sich schließenden Rahmen der Wände erschien das beleuchtete breite Hinterteil des Pferdes. Eine Frau schrie leise auf, die Männer lachten. Der rundliche Hausmeister mit dem grauen Schnurrbart hielt sich den Bauch vor Vergnügen. Jemand bekreuzigte sich. Der Luftschutzwart, Rechnungsrat Pignitzky, hob seine Lampe noch höher und starrte, nach vorn gebeugt, als traute er seinen Augen nicht, mit erstaunten Blicken den dicken blonden Pferdeschwanz an. „Wie das arme Ding zittert!“ seufzte eine ältere Frau. Das Pferd, als hätte es die Frau verstanden, wandte den Kopf zurück, seine großen braunen Augen glänzten im Lampenlicht auf. „Sie haben uns fein was eingebrockt, Onkel János“, knurrte der Luftschutzwart. „Wozu haben Sie’s denn hergebracht?“ Der alte Mann wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. „Hätt’ ich’s draußen gelassen, würde es eine Granate erschlagen“, erwiderte er leise. Keiner sagte etwas. Die Leute sahen schweigend vor sich hin. Mit ihren verfinsterten Blicken und gierig mahlenden Kiefern schienen sie im Widerstreit von Hunger und Mitleid das dicke, schweißbedeckte Hinterteil des Tieres zu prüfen. Das Pferd, mit zurückgewandtem Kopf, warf ihnen milde, lockende Blicke zu. „Wie gut diese kleine Lampe jetzt brennt“, sagte eine magere Frau unverhofft in die Stille. „Auf einmal ist es hier so hell geworden!“ „Das stimmt schon, daß es draußen umkommen würde“, murmelte der Hausmeister nachdenklich in seinen Schnurrbart. Tante Mari, die Schusterswitwe, trat einen Schritt vor und strich ein bißchen ängstlich und unbeholfen mit ihrer zerfurchten Hand über die Flanke des Pferdes. Die von ihrem Mann geerbte Brille, die sie ausschließlich aus Pietät vor den vollkommen gesunden alten Augen trug, blitzte dabei im Lampenlicht streng auf. „Passen Sie auf, es könnte ausschlagen!“ „Es ist schon alt, kann keiner Fliege was antun“, meinte Herr Andrási, der Kellner war und stark hinkte. Die Alte rückte auf die Ermunterung hin dem Tier noch näher. 22
„Wo haben Sie’s denn aufgegabelt, Onkel János?“ fragte der Hausmeister. Der alte Mann wischte sich mit der Hand noch einmal über die regennasse, verschwitzte Stirn und prüfte mit seinen stechenden, kalten Augen die vom Licht der Lampe beleuchteten Gesichter, die sich alle ihm zugewandt hatten. „Ich hab’s nicht aufgegabelt“, sagte er, „es kam von alleine mit. Es stand in einem Milchladen neben dem Ladentisch und schaute von dort aus auf die Straße hinaus. Die Häuser gegenüber brannten schon, das Pflaster war von Minen aufgerissen, und in der Mitte der Fahrbahn qualmte ein zerschossener Panzer. Kaum hatte es mich bemerkt, kam es aus dem Laden heraus und trabte mir nach. Auf der Straße lagen überall Leichen, der einzige lebendige Mensch war ich, es hat sich also mir angeschlossen.“ „Haben Sie zu ihm gesprochen?“ fragte Tante Mari. Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Ich? Kein Wort“, sagte er. „Wie war es bloß in den Laden gekommen?“ fragte eine Frau. „Das weiß ich nicht“, sagte der Alte mürrisch. „Und wie es hier die Treppe heruntersteigen konnte, wo es auf beiden Augen blind ist, das weiß ich auch nicht.“ „Blind?“ seufzte Tante Mari. Einen Augenblick herrschte Stille. Dann hörte man das fröhliche Kreischen der Kinder bis auf den Gang hinaus und danach, gleich einer bedrohlichen Mahnung aus Zion, das dumpfe Dröhnen einer Bombenexplosion. Die breite Kruppe des Pferdes erzitterte kaum merklich. „Es hat Angst!“ rief Juli Mager, die verwaiste Nichte der Hausmeisterin, die bei der Hausmeisterfamilie vom Gnadenbrot lebte; sie preßte die Hand aufs Herz. „Du lieber Himmel, was für eine Angst es hat!“ Eine vollbusige riesenhafte Frau neben ihr mußte sich die Augen wischen, der blonde Schimmer des Pferdeschwanzes ließ in ihr durch die verwickelten und komplizierten Gefühlsregungen des alternden Herzens die eigene, längst versunkene, flachshaarige Kindheit aufleben. Wie ein elektrisierender Kamm strich die Rührung blitzschnell und prickelnd über die Frauenherzen, Augen wurden naß, Haarsträhnen lösten sich,
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Nasen wurden rot. Der nußbraune, milde Blick des ihnen zugewandten Pferdekopfes verwandelte sie — einer neuen, freundlicheren Gorgo gleich — in Wasser. „Auch deshalb habe ich es nicht zurückgejagt“, sagte der alte Mann langsam, „denn selbst wenn es von den Granaten verschont geblieben wäre, hätte es bis früh irgendein Lump bestimmt geschlachtet.“ „Ein Stückchen Rostbraten wäre auch gar nicht schlecht“, rief im Hintergrund eine heisere Männerstimme. Rechnungsrat Pignitzky wandte sich schnell um. „Na gut, meinetwegen kann’s hierbleiben“, sagte er mit seiner etwas schnarrenden Stimme. „Man muß es nur umdrehen, damit es mit dem Kopf nach außen steht. Führen Sie es in den Vorkeller hinaus, der ist groß genug, dort kann es sich wenden; lassen Sie es dann rückwärts hier wieder ’rein und binden Sie es an der Türklinke vom Kohlenkeller an. Juli, du mistest zweimal am Tag, früh und abends, aus.“ „Jawohl“, sagte Juli Mager. „Womit werden wir es aber füttern?“ erkundigte sich eine Frau. „Draußen würde es auch verhungern“, seufzte Tante Mari. „Ich könnte ihm vielleicht ein bißchen Gras vom Freiheitsplatz servieren“, bot sich der hinkende Kellner an, der sogar in den Minuten der Barmherzigkeit bemüht war, der Menschheit nach den Regeln seines Berufes zu dienen. „Es wird sich schon etwas finden“, sagten die Leute einander. Nachdem die wichtigsten Fragen der Bewirtung in diesem Sinne geklärt waren, trat der Zug den Rückweg zum Luftschutzkeller an. Juli Mager rannte voraus; sie mußte noch das Abendbrot für die Hausmeisterfamilie wärmen und die Betten machen. Vor lauter Eifer stolperte sie über einen hervorstehenden Stein und fiel leise jammernd auf den Bauch. Tante Mari, die Schusterswitwe mit der Brille, trottete am Ende des Zuges neben einer anderen Witwe her, die in die Herrschaftshäuser der nahen Nadorstraße waschen ging. Die zwei Alten verstanden sich gut. Beide klein von Wuchs, mager und zäh, sahen, wenn sie nebeneinander stehenblieben, um sich zu unterhalten, wie zwei dünne, kleine Kerzen mit schwankenden Flämmchen aus, die im großen dunklen Saal der Welt flackern. 24
Das bißchen Licht, das sie hatten, verwendeten sie nicht, um die unbegreifliche Nacht zu durchdringen, sondern bescheiden und klug erhellten sie damit einander gegenseitig. „Sie haben’s wohl auch gemerkt, meine Liebe?“ fragte die Waschfrau. Tante Mari blieb stehen und wandte ihr das strenge Gefunkel der vom Verstorbenen ererbten Brille zu. „Was sollte ich bemerkt haben, Frau Daniska?“ erkundigte sie sich sanftmütig. „Das Licht“, antwortete die Waschfrau flüsternd. Tante Mari nickte stumm; sie hatte keine Ahnung, um was für ein Licht es sich handelte. „Sie können sich besinnen, nicht wahr, meine Liebe“, fuhr die Witwe Daniska fort, „bevor wir den Rückweg antraten, hatte der gnädige Herr Rechnungsrat mit der Lampe in der Hand dem Pferdchen auf einmal den Rücken zugekehrt. So tief hielt er die Lampe, daß er mit seinem schönen hohen Wuchs das ganze Licht verdeckte. Das Pferdchen verschwand aber doch nicht im Dunkeln“, erzählte die Waschfrau weiter und dämpfte noch mehr die Stimme, „das Licht schwebte nämlich um seinen Kopf. Ich habe meinen eigenen Augen nicht getraut und mehrmals hingeguckt, es strahlte eine Helligkeit um das Tier, als ob ein neuer Stern über seinem Kopf aufgegangen wäre.“ Tante Mari schwieg. „Als ich es streichelte“, sagte sie nach einer Zeit, „war sein Fell so samtweich wie ein eben aufgeblühtes Stiefmütterchen.“ Der Luftschutzkeller bestand aus zwei Räumen, die anstatt einer Tür durch einen schmalen, drei Schritte langen Durchgang voneinander getrennt waren. Aus dem ersten Keller öffnete sich rechter Hand ein kleiner abgesonderter Verschlag, den der Rechnungsrat Pignitzky, Luftschutzwart und vornehmster Hausbewohner, für sich in Anspruch nahm. Das Volk — Witwen, die von kleinen Hilfsarbeiten bei anderen Familien lebten, Wasch- und Putzfrauen, ein alter Friseurgehilfe, ein noch älterer Dienstmann, eine Tabakhändlerin, ein hinkender Kellner, ein pensionierter Briefträger, Tagelöhner und arbeitslose Alte — schlief in Betten, die aus den Wohnungen heruntergeholt worden waren, und auf improvi-
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sierten Schlafgelegenheiten in den zwei großen, niedrigen, aus riesigen Bruchsteinen gefügten Räumen. Der Feuerherd, dessen Rohr durch das zugemauerte Fenster eines leeren Lagerraumes auf die Straße führte, stand im zweiten Keller. Im ersten Keller spielte man Karten. Auf dem Wandbrett über dem Tisch flackerte die schwankende mondblasse Flamme des in eine Blechbüchse eingezogenen Dochtes. Die Männer saßen auf Küchenhockern um den Tisch herum, einer lehnte sich mit dem Rücken an ein Bett, sie niesten häufig. Bisweilen lief der breite Schatten eines Armes siegreich die Decke hinauf und sank dann wieder ins Dunkel zurück. „Unsere Gegend wird heut tüchtig bearbeitet!“ sagte ein Mann. Sein riesiges, wie die Sonnenscheibe rotglühendes Gesicht beugte sich über die Karten. Er pfiff dann lang und strich mit seiner breiten Hand die Bank ein. „Von mir aus können sie sie ruhig bearbeiten!“ brummelte sein Nachbar, ein junger Mann im Soldatenrock. „Bis hierher kommen sie nicht. Wer hält die Bank?“ Der nächste meldete sich mit einem kräftigen und fröhlichen Nieser. Dann niesten noch zwei, und als würde er einen starken Knoten an das Ende eines Fadens setzen, schloß der rotbackige Dicke mit seiner heiteren Donnerstimme energisch den Lauf ab. „Ausspielen!“ rief der Soldat. Die Wände zitterten fast ununterbrochen unter den Einschlägen der russischen Artillerie. Aus der einen Ecke stieg lautes Frauenlachen empor. Der Ton erklang so urplötzlich in dem kalten, nach Schimmel riechenden Keller, dessen dunkle Wände vor Feuchtigkeit fett glänzten, als wäre ein Lüster an der Decke aufgeleuchtet. Juli Mager machte am anderen Kellerende Betten; ihr über das Bett gebeugtes eckiges Hinterteil schien sich für einen Augenblick im Glanz des Lachens zu runden. Im Nachbarkeller bereiteten die Frauen das Abendbrot. Auf dem Herd kochte in einem riesigen Kessel Bohnensuppe, aus den Regalen und unter den Betten holte man die Einkaufstaschen, Koffer und die in Tücher gewickelten Brote hervor. Tante Mari, die Schusterswitwe mit der geerbten Brille, stellte ein Töpfchen Honig neben sich auf den Bettrand und winkte mit aufgeregten Handbewegungen Frau Daniska zu sich heran, die drei Betten weiter auf einer Bettkante 26
hockte. Der Keller wirtschaftete gemeinsam, und wenn jemand mitunter zu einem besseren Bissen gekommen war, hielt er es für seine Pflicht, mit seiner näheren Nachbarschaft zu teilen. Es gab nur zwei Familien, die selber kochten, die des Hausmeisters, die viel zuviel hatte, um den anderen etwas abgeben zu können, und Pignitzkys, die in ihrer Kellernische einen eigenen Herd besaßen. „Juli, wenn du die Betten gemacht hast, könntest du mir schnell einen Eimer Wasser holen“, sagte die schwangere Frau. „Gern“, antwortete Juli. Eine gedrungene Frau mit roten Wangen und immer lächelndem Gesicht wandte sich ihnen von der Bank her zu. „Ich könnte es Ihnen auch bringen“, bot sie sich an. „Die arme Juli ist seit früh auf den Beinen. Wozu brauchen Sie’s denn?“ Die junge Frau wurde verlegen. „Ich möchte mir die Haare waschen“, antwortete sie leise. „Ich kann mir’s aber auch selber holen, Tante Rózsi!“ Vom Vorkeller her hörte man dumpfes, lang anhaltendes Dröhnen, die Bombe mußte in der unmittelbaren Nähe eingeschlagen sein. Ein Glas fiel vom Tisch und rollte klirrend an die Wand; aus dem Herd schlugen Flammen. Ein blasses, schwarzhaariges Mädchen murmelte das Vaterunser. „Sie werden sich bestimmt erkälten, meine Gute, wenn Sie sich jetzt die Haare waschen“, sagte die rotwangige Frau. „Ptschi ... ich habe schon einen tüchtigen Schnupfen.“ Aus jeder Ecke hörte man dunklere und hellere Nieser, der Staub, der durch die Erschütterung aufgewirbelt wurde, reizte die Schleimhäute. Aus dem ersten Keller donnerte der Chor der Männer, einer Salve gleich. „Legt doch endlich mal die Karten aus der Hand, das Abendbrot ist fertig“, rief eine Frau. Der alte pensionierte Briefträger kniete sich auf die Erde und kramte aus seiner grünen Militärkiste eine kleine Flasche Pflaumenschnaps hervor: Mit in den Nacken geworfenem Kopf und hervorspringendem Adamsapfel tat er daraus einen behutsamen Zug und reichte dann die Flasche dem neben ihm hockenden Kellner. „Auf den Schreck!“ sagte er. „Aber nur sachte, Herr Nachbar, es gluckst nämlich nur noch drin.“ „Prost!“ seufzte der Kellner. 27
„Juli, komm mal her!“ schallte es aus dem ersten Keller. „Jawohl“, rief Juli. „Kommt doch endlich Abendbrot essen, wie oft soll ich’s noch sagen“, donnerte die Frau, die am Herd stehend das Essen rührte. Sie wischte sich mit ihrer Hand über die verschwitzte Stirn. ,,Ab acht habe ich Wache!“ Drüben legten die Kartenspieler ihr Werkzeug auf den Tisch und wandten sich Juli zu, die angerannt kam. „Ich hörte, man hat irgendein Pferd hier in den Keller gebracht?“ fragte der Dicke mit dem feuerroten Gesicht und nieste gewaltig. „Was ist denn das für ein Pferd?“ „Ein schönes, großes Pferd“, antwortete Juli und faltete die Hände über dem Bauch. „Wer hat’s denn hergebracht?“ fragte der Soldat. Juli Mager schüttelte heftig ihren Strubbelkopf. „Ich weiß es nicht“, sagte sie dann. „Ich glaube, es ist von allein gekommen.“ „Von allein ... von allein!“ Der Dicke runzelte ärgerlich die Stirn. „Das hier ist kein Wirtshaus, wo es nur so von allein einkehren könnte. Kannst du nicht vernünftiger reden?“ „Nein“, antwortete Juli erschrocken. „Ist es schön fett?“ fragte jemand. Das Mädchen bejahte mit einem Kopfnicken. Der Soldat schnalzte mit der Zunge. „Los, bring’s schnell ’rein!“ herrschte er das Mädchen an. Juli drehte sich sofort um und rannte zur Tür, besann sich jedoch auf halbem Wege, wandte sich langsam zurück und blieb, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, stehen. „Man kann’s aber nicht ’reinbringen“, sagte sie erregt, „es ist nämlich blind.“ „Dann mußt du’s führen, du Schaf!“ rief der Soldat. Juli schüttelte den Kopf. „Kann man nicht“, sagte sie. „Sein Rücken blutet.“ Alle lachten. „Niemand hat gesagt, daß du dich auf seinen Rücken setzen sollst, du Dumme!“ brummelte der Dicke. Er stand auf, streckte sich und gab Juli Mager eine Kopfnuß. „Vergiß ja nicht, bis morgen früh meine Stiefel zu putzen, hast du’s gehört?“ „Gern“, sagte Juli, drehte sich um und rannte in den zweiten Keller zurück. 28
Die Männer folgten ihr langsam. Als sie an der Kellernische vorbeigingen, stieg ihnen aus der Richtung von Pignitzkys Herd her der fette Geruch von Eierkuchen in die Nase; der dicke Schneidermeister, der an der Spitze schritt, drehte sich um und zwinkerte seinen Kumpanen zu. „Was gibt’s denn heute Gutes zum Abendbrot, Herr Rechnungsrat“, rief er in den Verschlag hinein. „Ach, nur Reste von Mittag, Herr Kovács“, erklang eilfertig die Stimme der Frau Rat. „Mein letztes bißchen Mehl habe ich heute verbacken!“ „Ei, ei!“ schüttelte Herr Kovács den Kopf. „Ihr letztes bißchen Mehl!“ Die Männer lachten einander an, zogen dann alle der Reihe nach zum Herd, woher sie mit einem Teller Bohnensuppe in der Hand zurückkehrten, und ließen sich dann auf den Rand ihrer Betten nieder. Niesen durfte man dabei nicht, sonst schwappte die Suppe aus dem Teller auf die eigene oder auf des Nachbarn Hose; deshalb beugten sich lauter schnüffelnde, ärgerlich zuckende und sich gereizt rümpfende Nasen über die Teller. Noch vor dem Abendbrot brachte der Hausmeister, der für einen Augenblick auf die Straße hinausgeschaut hatte, die Nachricht, daß vermutlich schwere englische Bomber über die Stadt hinweggeflogen waren; die dritte und vierte Etage des Hauses gegenüber sei vollkommen eingestürzt, die Straße mannshoch mit Schutt bedeckt. Die Nacht versprach bewegt zu werden; die Belagerer bereiteten sich zum Sturm vor. Die Männer, die im Vorkeller rauchten, sogen verdrossen den Rauch ein, die etwas Ängstlicheren kehrten bald wieder in den sicheren Luftschutzkeller zurück. Wie aufgefädelte böse schwarze Perlen rollten die dumpfen Detonationen in endloser Reihe die Wendeltreppe herunter; die Flak auf dem Dach des Nachbarhauses bellte ununterbrochen, und wenn sich manchmal zwischen zwei Feuerstößen für einen Augenblick Stille einstellte, trat sofort das unheimliche, brutale Dröhnen der über den Dächern kreisenden Jagdflugzeuge und das wilde Knattern der Maschinengewehre an ihre Stelle. Nach einer Explosion in der Nähe wurde dem alten Dienstmann, der an der Treppe seine Pfeife rauchte, übel, er erbrach sein Abendbrot und ging dann in den Luftschutzkeller, um sich hinzulegen.
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Drin in den Kellerräumen verebbte langsam der Lärm, beim zuckenden Öllicht begannen sich die Menschen mit der heranbrechenden Nacht anzufreunden. Die schwangere junge Frau zog ihre Fußbank an den Herd, stellte den Eimer darauf, beugte sich darüber und seifte sich mit flinken Händen die Haare ein. Eine andere Frau stand neben ihr und goß ihr aus einem Topf immer frisches warmes Wasser auf die von Seifenschaum glänzenden langen Haare; eine zweite wärmte für sie inzwischen zwei Handtücher in der Röhre, damit sie sich nicht erkältete. Vor dem Nachbarbett hockte Juli Mager und schnürte der Tabakhändlerin die Schuhe auf. Tante Mari zog sich in die Ecke unter das Licht der Ölfunzel zurück, dank ihrer jugendlich gesunden Augen würde sie noch vor dem Schlafengehen den völlig zerrissenen Unterrock der Witwe Daniska flicken können. Das schwarzhaarige blasse Mädchen schlummerte mit der Bibel in der Hand ein, ihre Nachbarin, eine Putzfrau, schnarchte schon leise. Im ersten Keller schob man dagegen noch Möbel umher. Der alte Dienstmann, dessen Bett bisher unter dem Lüftungsfenster gestanden hatte, wechselte den Platz mit dem Jungen im Soldatenrock; er wagte nicht weiter dort zu schlafen, seit die Explosion seinen empfindlichen Magen so mißhandelt hatte. Er machte auch keinen schlechten Tausch, denn er kam neben den Kellner, der zwar nachts im Schlaf wie eine vom Wolf gejagte Steinbockherde meckerte, dafür aber jeden Morgen seiner glücklichen Nachbarschaft links und rechts immer noch Speck anzubieten in der Lage war. Die Gespräche wurden immer leiser, die älteren Leute glitten nach und nach in die Nacht hinüber. Seit einiger Zeit schienen sich auch die Detonationen entfernt zu haben, ab und zu hüllte sich der Keller für Minuten in vollkommene Stille. In einer etwas längeren Pause drang jedoch ein unerwarteter Ton vom Vorkeller herein: Draußen wieherte laut und schrill das Pferd. Tante Mari warf den Kopf hoch und hielt die Hand hinters Ohr. „Du meine Güte, es hat sicher Hunger!“ rief die schwangere junge Frau und richtete sich blitzschnell im Bett auf, in dem sie mit Rücksicht auf ihren Zustand allein schlafen durfte. Juli Mager, die eben dabei war, die Schuhe der Hausmeisterfamilie zu putzen, schlug erschrocken die Hand vor den Mund. 30
Dabei blieb ihr ein Stippchen Schuhcreme an der Nasenspitze kleben und begann dort vorwitzig zu glänzen. Frau Daniska bekreuzigte sich, Herr Kovács nieste. „Es wird wohl vor der Tür stehen und um Einlaß bitten!“ brummte der Hausmeister. Der ganze Keller hielt den Atem an und horchte. Nach einigen Sekunden lautloser Stille ertönte draußen wieder ein einsames sanftes Wiehern. „Es will Abendbrot haben!“ rief Juli Mager und ließ vor lauter Überraschung den Schuh des Hausmeisters fallen. Die Schwangere sprang barfuß aus dem Bett, und auch die Witwe Daniska krabbelte unter ihrem rot und weiß karierten Federbett hervor. In einer Minute war der ganze Keller auf den Beinen. Rechnungsrat Pignitzky, der Luftschutzwart, fuhr mit fettig glänzendem Mund und ägerlich gerunzelter Stirn aus seiner Nische wie die Regen verkündende Figur aus dem Wetterhäuschen. „Was ist das für ein Durcheinander?“ fragte er gereizt. „Ist etwa das Haus eingestürzt?“ „Das Pferd will herein, Herr Rechnungsrat“, erklärte Tante Mari. „Es möchte sich wohl hier in ein Bett legen?“ knurrte der Luftschutzwart. „Ich wußte sofort, daß ich mit ihm noch meine liebe Not haben werde. Wohin wollen Sie jetzt alle?“ „Man muß dem armen Ding was zum Fressen geben“, meinte eine alte Waschfrau. „Wer weiß, wann es das letzte Mal gefressen hat.“ Pignitzky winkte unwillig ab; der breite Schatten seines Armes lief drohend, wie der brudermordende Knüppel Kains, an der dunklen Kellerwand hinauf. Im nächsten Augenblick erbebte der rote Ziegelboden von einer ohrenbetäubenden Detonation. „Es muß geschlachtet werden“, sagte der Rechnungsrat, als in seine vorübergehend taub gewordenen Ohren das Leben wieder zurückgekehrt war und auch der Krampf, der sein Herz zusammengezogen hatte, nachließ. „Wir haben ja nichts, was es fressen könnte.“ „Gott behüte!“ rief Tante Mari kampflustig. „Das kommt gar nicht in Frage“, sagte auch die schwangere junge Frau und bedeckte entsetzt die Augen mit den Händen. Eine alte Putzfrau brach unverhofft in lautes Schluchzen aus. Inzwischen 31
hatten sich auch die Männer aufgerafft. Der hinkende Kellner bekam ein blutrotes Gesicht, fuchtelte mit seinem Stock und drohte dem Luftschutzwart. „Darauf können Sie lange warten!“ kreischte er mit dünner, vor Wut überschnappender Stimme. „Daß Sie in ein unschuldiges Tier, das hier Hilfe gesucht hat, das Messer stoßen! Da haben auch andere mitzureden.“ Der alte Dienstmann, der immer noch unter der Erinnerung an das erbrochene Abendbrot litt, nickte zustimmend. „Es wäre auch schade um so ein wertvolles Tier!“ sagte der pensionierte Briefträger, während er hinter der Witwe Daniska zur hölzernen Doppeltür des Kellers marschierte. Sie fanden das Pferd wirklich im Vorkeller, aber nicht allein; Onkel János stand neben ihm und wusch ihm mit lauwarmem Wasser beim Licht einer Sturmlaterne die Wunden aus. Das Tier stand stolz, reglos, den Kopf aufgeworfen, seine sanften nußbraunen Augen sahen der durch die Tür herausströmenden Menge entgegen, die unwillkürlich innehielt und dann einen Schritt zurückwich. „Das ist aber unmöglich blind“, sagte Tante Mari für sich, während sie mit vorsichtigem, widerstrebendem Schnuppern den kräftigen Geruch der nassen, dampfenden Tierhaut einsog. „Wir möchten ihm etwas zum Fressen geben“, teilte Frau Daniska laut ihre Absicht mit. Der alte Mann antwortete nicht, er untersuchte den Rücken des Pferdes. Erst jetzt sah man, daß er bereits das ganze Tier sauber geschrubbt hatte. „Müßte man ihm nicht was zum Fressen geben, Onkel János?“ fragte Frau Daniska schüchtern. „Na, das fällt Ihnen recht zeitig ein“, knurrte der Alte. „Was haben Sie ihm denn mitgebracht?“ Im schwachen Licht der Petroleumlampe glänzte das Fell des Tieres so schön und jugendlich, daß Tante Mari unwillkürlich die Augen schließen mußte. „Ich habe eine Scheibe Brot mitgebracht“, erklärte sie. „Ich auch“, schloß sich ihr der pensionierte Briefträger an. „Ich ein Stück Würfelzucker.“ Es wurde still, die Leute sahen sich an. „Damit kommen wir aber weit!“ brummte Onkel János. Ein Pferd frißt weder Bohnensuppe noch Speck oder Honig!
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Der lungenkranke Friseurgehilfe mit dem grauen Schnurrbart war sogar bereit, von seinen zwei Strohsäcken den einen zu opfern; er war ein Stadtmensch und wußte nicht, daß ein Pferd Stroh nur als Lager, aber nicht als Futter braucht. „Hat niemand ein bißchen Mais?“ fragte der Junge im Soldatenrock. „Ich habe einen halben Sack“, sagte eine Waschfrau. „Mein Sohn hat ihn mir aus Törökbálint mitgebracht, die Gans dazu konnte ich aber nicht mehr kaufen. Er ist oben in meiner Wohnung.“ Abends gegen zehn Uhr verstummte die russische Artillerie. Stille Sternennacht breitete sich über die Stadt. Da sich die alte Waschfrau doch nicht hinauftraute, machte sich Onkel János selber auf den Weg. Er stieg die Hintertreppe hoch, die größere Sicherheit vor dem Minenfeuer bot. Als er den offenen Gang erreicht hatte, nahm er plötzlich Anlauf und legte den Weg bis zur Wohnung der alten Frau im Laufschritt zurück. Den Sack mit dem Mais konnte er jedoch nicht finden; er suchte ihn auch unter dem Bett vergeblich, nur in der einen Ecke der Speisekammer konnte er einige abgeschabte Kolben zusammenlesen. Das Fenster des Zimmers ging auf eine schmale Querstraße zum Donauufer. Wenn man sich hinauslehnte, fiel der Blick auf den mondbeglänzten Strom und den dunklen, von Kuppeln gekrönten Burgberg am anderen Ufer. Der kalte, pfeifende Wind kräuselte die Wasserfläche der Donau zu winzigen silbernen Wellen, die heftigeren Böen ließen die von der Zimmerwand herunterhängende goldgeblümte Tapete hin und her schwingen. Die Matthiaskirche strebte wie ein dunkler Pfeil, den der Berg aus sich herausgetrieben hatte, in den mondhellen Himmel; die Häuser unter ihr, in denen seit der Belagerung das menschliche Leben erloschen war, starrten mit blinden Augen auf den verlassenen Fluß. Im Mondlicht schwoll die Stadt an und lief auseinander wie ein unbändiges Schreckgespenst, von dessen Stammeln sich nur ein einziger verständlicher Ton abhob: das vereinzelte Knallen eines fernen Gewehrschusses. Vom Parlament her trug die Donau den roten Widerschein eines brennenden Hauses zur Kettenbrücke hin. Der alte Mann fuhr zusammen und trat vom Fenster zurück. Er blieb noch ein Weilchen stehen, kratzte sich den Kopf und sah regungslos vor sich hin. Eine Müdigkeit übermannte ihn, als hätte er lange über ein Rätsel nachgedacht, für das es keine 33
Lösung gab. Er schaute sich im dunklen Zimmer nochmals um, trat dann zur Wand und riß mit einer gereizten Bewegung das im Luftzug flatternde Stück Tapete herunter. Im Hinausgehen stieß er in der Tür auf die alte Waschfrau. „Ich kriegte schon einen Schreck, daß Ihnen was Schlimmes passiert sei“, keuchte sie. „Ich konnte mir sonst gar nicht vorstellen, warum Sie so lange wegbleiben. Deshalb bin ich gekommen, obwohl ich solche Angst hatte, daß ich im zweiten Stock sogar gestürzt bin.“ Vom Donauufer her knallten erneut Schüsse, und kurz darauf knatterte abgerissen eine Maschinenpistole. „Was ist denn das?“ fragte die Waschfrau entsetzt. „Sind die Russen schon so nahe?“ Der Alte zuckte die Achseln. „Ach wo!“ sagte er verdrossen. „Auf dem Donaukai werden Juden erschossen.“ „Mein lieber Gott, in was für einer Welt wir leben“, seufzte die alte Waschfrau. Am anderen Tag erschienen die Bombenflugzeuge schon am frühen Morgen über der Pester Seite. Sie flogen tief, dicht über den Dächern, nahmen die Flak auf dem Nachbarhaus unter Maschinengewehrfeuer und warfen ab und zu Bomben, grobe Flüche des unfreundlichen Wintermorgens, auf die ausgestorbenen Häuserreihen. Um zehn konnte man immer noch kein Wasser vom Hof holen. In dem ungelüfteten Keller lagen die Leute schlecht gelaunt, träge und hungrig in den Betten herum. Manchmal gingen kleinere Gruppen in den Vorkeller hinaus, um zu rauchen, und kehrten nach einer Viertelstunde durchfroren, mit vor Kälte steifen Fingern an den Herd zurück. Herr Kovács sägte auf dem Gang Holz; zusammen mit zwei anderen hatte er in einer der verhältnismäßig stillen Nächte auf dem Schlitten des Hausmeisters einen umgestürzten Baum vom Freiheitsplatz in den Keller geschleppt. Da man mit Holz und Leuchtmaterial sparsam umgehen mußte, versammelten sich die meisten Bewohner im zweiten Keller um den Herd und um das einzige brennende Öllicht. Der Junge im Soldatenrock machte in der einen Ecke eine Schusterwerkstatt auf und flickte dort unentgeltlich, seiner Begabung und seinen Möglichkeiten entsprechend, der Reihe nach die Schuhe der Leute. Der pensionierte Briefträger, mit der Nickelbrille auf der Nase, nähte
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fleißig an seinem zerrissenen Hemd. Tante Mari gedachte unter häufigem Seufzen ihres verstorbenen Mannes. Von Zeit zu Zeit ging eine der alten Frauen zu den Kohlenkellern hinaus, um nachzugucken, ob das Pferd noch da sei. Das Tier stand im stockdunklen Gang mit gesenktem Kopf und hob ihn auch nicht, wenn es am Hals gestreichelt wurde. Seine glatte, nasse Haut zuckte manchmal, als wollte es Fliegen verjagen. Ein einziges Mal im Laufe des Vormittags wieherte es laut und klagend, andere Lebenszeichen gab es nicht von sich. Es war bereits Mittag geworden, als Onkel János und der hinkende Kellner sich zum Freiheitsplatz auf den Weg machen wollten. Sie nahmen einen alten Kohlensack und anstatt einer Sichel ein langes Brotschneidemesser mit. Da die Flugzeuge den tief herunterhängenden Himmel geräumt hatten und die Russen die Stadt vorläufig nur von Buda her beschossen, konnte man auf der einen Straßenseite verhältnismäßig sicher gehen. Bleierner Regen fiel. Inmitten von eingestürzten Hausmauern, Glasscherben und Schutt gähnten überall schwarze Bombentrichter. An einer Stelle hatte das Wasser, das aus einem geplatzten Rohr hervorschoß, die Straße knöchelhoch überflutet; auf den schwarzbrodelnden Fluten schwamm mit gespreizten Armen eine große Puppe. Menschen waren kaum zu sehen; ab und zu eilte, den Kopf vorgebeugt, ein Soldat an ihnen vorbei, oder ein herrenloser Hund sprang zähnefletschend in eine Ruine. Unmittelbar vor dem Freiheitsplatz holte Juli Mager die zwei Männer ein. Sie mußte eben eine Panzerfalle umgehen, in der ein umgestürzter deutscher Lastwagen lag, neben ihm im Straßendreck zwei tote Soldaten. „Wozu bist du uns denn nachgekommen?“ fragte der Kellner. Sie zuckte die Achseln. „Na, erzähl mal, wozu bist du gekommen?“ knurrte Onkel János. „Ich bin nur so gekommen“, sagte sie, „damit Sie’s schneller schaffen.“ „Dich können wir hier schlecht brauchen, scher dich schnell nach Hause!“ befahl der Kellner. Juli antwortete nicht, sie trottete, den Kopf gesenkt, wortlos weiter neben ihnen her. Ihre zierliche, in ein großes schwarzes Umschlagtuch ein35
gemummte Gestalt mit den riesigen brüchigen Männerschuhen an den Füßen — eine Figur aus dem Kindermärchen — schwebte durch den frostigen Sturm. Die schneeschweren Wolken hingen so tief, daß sie die ganze Straße verdunkelten; im dichten Nebel, der sich von der Donau heran wälzte, konnte man kaum zehn Schritte weit sehen. „Der Herr Rechnungsrat will es schlachten“, erzählte das Mädchen nach einer Weile. Im nächsten Augenblick stolperte sie und wäre, wenn Onkel János sie nicht am Arm erwischt hätte, hingefallen. „Das habe ich mit ihm schon geklärt“, sagte der Kellner überlegen. Juli schüttelte heftig den Kopf. „Sie haben es eben nicht geklärt“, erwiderte sie erregt. „Er hat es jetzt gesagt, als Sie schon weg waren. Da wir für das Tier kein Futter hätten, würde es sowieso umkommen.“ Der Kellner blieb stehen. „Das geht ihn nichts an. Muß es ihm ausgerechnet jetzt einfallen, sich um die Kost der anderen zu kümmern?“ Inzwischen waren sie auf dem Freiheitsplatz angekommen und machten sich an die Arbeit. Es war ein mühsames Mähen, mit dem kurzstieligen Brotschneidemesser und dem Küchenmesser, das Juli mitgebracht hatte. Zum Glück war im Herbst das Gras nicht mehr geschnitten worden und deshalb lang genug — nur hatten die durchmarschierenden Soldaten und Batterien die nassen, rostfarbenen Grashalme so in die Erde getreten, daß man kaum ein gesundes stehendes Büschel finden konnte. Das Mädchen kniete auf die Erde, die zwei Männer folgten ihrem Beispiel. Von dem nassen Gras und den gefrorenen Erdschollen wurden ihre Finger steif. Nur ab und zu dröhnten von Buda her die Kanonen, eine Granate jedoch schlug genau hinter ihrem Rücken in das Gebäude der Nationalbank ein und hinterließ ein zackiges, rauchendes Loch in der Wand. Juli richtete sich auf und starrte am Haus empor. „Ich habe ihn verdroschen“, sagte sie plötzlich. „Was hast du gemacht?“ „Geschlagen hab’ ich ihn“, sagte Juli, und Tränen schossen ihr in die Augen. „Wen denn?“ „Den Herrn Rechnungsrat“, flüsterte das Mädchen. Der Kellner sah sie an, als befürchtete er, sie hätte den Verstand verloren. 36
„Tante Mari schrie vor Wut“, erzählte Juli weiter und wischte sich mit der Faust die glänzenden Tränen, die über ihr Gesicht rollten, von ihren hervorstehenden Backenknochen. „Und auch die anderen Frauen jammerten, Tante Daniska hat den Herrn Rechnungsrat sogar am Mantel gezerrt und dabei so gekreischt, daß ich nervös geworden bin und den Herrn Rechnungsrat geschlagen habe. Es tat ihm aber nicht weh, er hat sich noch nicht einmal umgedreht.“ Onkel János hörte auf zu sicheln und musterte mit seinen kleinen Augen das Mädchengesicht. Der hinkende Kellner lachte, daß er fast umfiel. „Warum lachen Sie denn?“ fragte Juli ein wenig eingeschnappt. „Ich weiß schon, daß Mensch und Tier nicht auf die Welt kommen, um glücklich zu sein, sondern um ihre Pflicht zu erfüllen. Aber das Pferd ist doch nicht dazu da, daß es geschlachtet wird.“ „Und der Mensch?“ fragte Onkel János. Der Nebel war inzwischen so dicht geworden, daß sie von dem grauen Wattevorhang vollkommen eingehüllt und verdeckt wurden, wenn sie sich einige Schritte voneinander entfernten. Es war ohnehin schon ziemlich spät, die herabsinkende Abenddämmerung gesellte sich der irdischen Dunkelheit zu; es schien ratsam, nach Hause zu gehen. Onkel János warf den beinahe vollen Sack über die Schulter, Juli hängte sich bei dem hinkenden Kellner ein, um ihm über die gefrorenen, glatt gewordenen Erdwälle hinwegzuhelfen. An der Ecke der Nadorstraße blieben sie plötzlich stehen. Hinter dem Nebelvorhang erklangen Schritte, weiches quatschiges Klatschen, als näherte sich im schmatzenden Schlamm ein langer, unsichtbarer Zug. Zuerst tauchte ein Polizist aus dem Nebel auf, hinter ihm in Viererreihen verschwommene schwankende Gestalten, mit großen Bündeln auf dem gebückten Rücken oder vollgestopften Säcken unter dem Arm. Eine alte Frau schleppte vornübergebeugt eine riesige schwarze Reisetasche in ihrer knochendürren Hand. Ein Mann, der stark taumelte, schob einen Kinderwagen vor sich her, zwei andere trugen, als hätten sie sich aus dem Nebel Andenken herausgeschnitten, riesige graue Federbetten auf den Schultern. Soweit man in der Dämmerung sehen konnte, bestand der Zug größtenteils aus alten Leuten und aus kleinen
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Kindern, die, winzige Bündelchen auf dem Rücken, mit vor Entsetzen erstarrten Gesichtern zwischen den Erwachsenen dahintrotteten. Auf beiden Seiten des Zuges marschierten Männer, die Uniform und Armbinde der Pfeilkreuzler trugen und Gewehre in der Hand hielten. Juli Mager kniff vor Schreck den Kellner in den Arm. „Was geschieht hier, Herr Andrási?“ flüsterte sie ihm ins Ohr. „Was kneifst du mich?“ knurrte dieser gereizt. „Siehst du denn nicht, daß es Juden sind?“ „Juden!“ wiederholte das Mädchen erschrocken. „Wo führt man sie jetzt hin?“ Da sie keine Antwort bekam, ließ sie rasch den Kellner los und klammerte sich mit beiden Händen am Arm von Onkel János fest. „Wo führt man sie jetzt hin?“ fragte sie noch einmal. Sie stellte sich dabei auf die Zehenspitzen, um das Ohr des Mannes erreichen zu können. „Weiß ich das?“ antwortete dieser zornig. „Und zerre nicht so an meinem Arm, hörst du?“ Der wallende Nebel drang stellenweise so dicht zwischen die unabsehbar vorbeiziehenden Reihen, daß sein flatternder, weißer Vorhang einzelne Teile aus dem Zug abtrennte und in übernatürlicher Größe hervorhob. Eine alte Frau schleppte ihren Buckel, der größer als ihr Rücken war, an ihnen vorbei. Der Wind trieb ihre langen aschgrauen Haare in die Höhe, gleich einem Helm der Schwäche. Aus einem anderen sich bewegenden Nebelballen ragte ein langer, dünner Arm heraus mit einem Stock in der Hand, dessen Spitze im treibenden Dunst verschwand. Einzelne Köpfe sahen hier und da aus dem Nebel hervor, etwas weiter tauchte ein vorgestrecktes Bein wieder in das Brodeln, von dem es mit dem ganzen ihm nachstürzenden unsichtbaren Körper sofort verschlungen wurde. Wenn der Vorhang aus qualmendem Dampf zerriß, konnte man für einige Sekunden das in Flammen stehende Haus auf der anderen Straßenseite sehen, dessen lodernde Feuersäulen den Zug, der sich am Haus vorbeischlängelte, rot beleuchteten. Die brennenden Firstbalken krachten laut; dort, wo das Ende des Zuges war, knallten Pistolenschüsse. Eine große, magere Frau glitt an ihnen vorbei, sie schleifte ein stolperndes Kind hinter sich her. 38
„Retten Sie meinen Sohn!“ flüsterte sie heiser und wandte ihr blutleeres Gesicht Onkel János zu. Der Mann drehte sich sofort weg. „Paß auf“, schrie er Juli an, die schon einen Schritt vorgetreten war, und riß sie zurück, „wenn sie’s merken, kommst du auch in die Reihe!“ Für eine kurze Zeit zerteilte sich der Nebel um die große, magere Frau; ihr nach hinten gewandtes Gesicht trat, von den Flammen angestrahlt, so eindringlich hervor wie eine Frage aus dem Beichtstuhl. Juli schaute zum Himmel empor. Über der Frau schwebte im Funkenregen des brennenden Hauses der Todesengel; sie nahm ihn ganz deutlich wahr, das riesige Schwert in seiner Hand, dessen Schatten auf das Gesicht der Frau fiel. Juli ließ Onkel János’ Arm los und rannte, den Rock mit beiden Händen zusammengerafft, zu dem Pfeilkreuzler hin, der neben dem Zug marschierte. „Wohin werden die geführt, gnädiger Herr?“ fragte sie mit mutiger, klarer Stimme. Von dem brennenden Haus löste sich unter lautem Prasseln ein Balken und versank mit einem gewaltigen Knall im Nebelmeer. „Scher dich zum Teufel, sonst geht es dir schlecht!“ schnauzte der Pfeilkreuzler. Juli faltete flehend die Hände. „Lassen Sie sie frei, gnädiger Herr, bitte, bitte!“ bettelte sie und hob ihr kleines tränenüberströmtes Gesicht ihm zu. Der ging mit gesenktem Kopf wortlos weiter. Sie hatten das brennende Haus schon längst hinter sich gelassen. Onkel János und der hinkende Kellner waren seit langem im Nebel verschwunden; Juli kümmerte sich nicht darum, sie trabte unermüdlich hinter dem Pfeilkreuzler her. Und wenn sie mitunter neben ihn kommen konnte, hob sie die gefalteten Hände mit flehender Gebärde zu ihm hoch, bis sie jemand am Kragen packte und ein schwerer Stiefel ihr einen Fußtritt versetzte, daß sie mit dem Gesicht in den Straßenschlamm fiel. Als sie zu Hause ankam, waren die Frauen bereits beim Abendbrotkochen. Der Tisch der Kartenspieler schimmerte in feenhaftem Licht, da der Kellner ihnen das gemeinsame Öllicht entzogen und Herr Kovács aus seinem eigenen Vorrat eine riesige geflochtene rosafarbene Kerze für die abendliche Zeremonie gestiftet hatte. Juli blieb unwillkürlich am Tisch stehen, sie beroch den langen Kerzenstiel und die darüber
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flatternden goldenen Blumenblättchen — sie hatten den Duft eines andächtigen Weihnachtsabends. Eine Zeitlang schnupperte sie selbstvergessen, dann wischte sie sich mit der Hand die Nase, rannte in den zweiten Keller hinüber, zog sich in eine Ecke zurück und kauerte sich auf eine Fußbank. Die Frauen waren fröhlich, überall unter der niedrigen Kellerdecke erklang Lachen. Wegen des Nebels war der Kanonendonner seit Mittag fast vollkommen verstummt, auch die Flugzeuge blieben weg. Wer Lust hatte, konnte jetzt auf dem Hof an der frischen Luft einen kleinen Spaziergang machen oder hinaufgehen und die Wohnung ein bißchen aufräumen, sich säubern und die schmutzige Wäsche waschen. Eine Frau buk sogar aus ihrem restlichen Mehl einen kleinen runden, weißen Brotlaib. Jeder kehrte beruhigten Herzens in den Keller zurück; es könnte sein, dachten sie sich, daß man das Ende der Belagerung doch noch erlebt. Die Hausmeisterin, die im Laufe des Nachmittags sogar Besuch bekommen hatte, brachte eine Neuigkeit: „Man erzählt, die Russen wären in Buda zurückgedrängt worden.“ „Ob’s auch stimmt?“ schüttelte der alte Dienstmann den Kopf. „Und hier in Pest sind sie dafür in Rákosszentmihály einmarschiert“, berichtete eine andere Frau, die nachmittags im Luftschutzkeller des Hauses gegenüber zu Besuch gewesen war. „Ich habe vorhin mit dem Sohn der Szabós gesprochen, der dort Soldat beim Nachrichtentrupp ist.“ „Wenn es doch schon zu Ende wäre!“ seufzte Tante Mari. Wie es zu Ende sein würde, das bekümmerte die Frauen nicht besonders. Die zweifache Weisheit des Alters und der Armut gab sich mit Einzelheiten nicht ab. Sie waren mit der federleichten, wunderbaren Hoffnung zufrieden, daß sie vielleicht doch am Leben bleiben und weiter zu den vornehmen Familien der Gegend saubermachen und waschen gehen könnten. Die Witwe Daniska war die Anspruchsvollste unter ihnen: Sie wollte vor ihrem Tod ihre Tochter noch einmal sehen, nur war diese Tochter in Siebenbürgen verheiratet, und wer konnte wissen, ob sie noch lebte. „Sie haben’s leicht, meine Liebe“, sagte sie manchmal zu Tante Mari. „Sie haben niemanden auf dieser Welt, der um Sie weinen würde, wenn Sie abkratzen.“ 40
„Auch Sie nicht, Frau Daniska?“ fragte dann Tante Mari immer, und ein mildes Lächeln glitt über ihr altes, runzliges Gesicht. Der dichte Nebel drang vom Hof bis in den Vorkeller, und wenn man die Tür aufmachte, schlüpfte ein weißer Nebelfetzen sogar in den Luftschutzraum hinein und webte dort die Zeichen der gefährlichen Nacht in die Luft. Hier drin aber war die alltägliche Umwelt so vertraut und sicher geworden, daß selbst das Heulpetersöhnchen der Hausmeisterin sich beruhigt hatte. Die anderen Kinder quietschten vor Vergnügen und stellten in ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit fast den ganzen Keller auf den Kopf. „Haben Sie Juli gesehen?“ fragte die Hausmeisterin. „Wo treibt sich das Mädchen bloß wieder herum?“ „Mittags rannte sie zum Haustor hinaus“, sagte jemand, „seitdem hab’ ich sie aber nicht gesehen.“ „Sie könnte Onkel János nachgeschlichen sein, als der auf den Freiheitsplatz ging“, meinte eine Frau. „Er ist aber schon längst wieder da.“ „Hoffentlich ist ihr nichts passiert?“ „Unkraut verdirbt nicht“, sagte die Hausmeisterin und benieste es kräftig. Juli machte sich ganz klein, kauerte reglos in ihrer dunklen Ecke und schwieg beharrlich wie ein Fisch. Das hochgetürmte Bett des pensionierten Briefträgers, hinter dem sie sich versteckt hatte, verbarg sie vollkommen. Gegen Abend fand man sie trotzdem. Tante Mari entdeckte sie, wobei die von ihrem Mann geerbte Brille streng blitzte. „Hier steckst du also?“ sagte sie mit unwillkürlich gedämpfter Stimme, um das Mädchen nicht zu verraten. „Bist du eingeschlafen, armes Würmchen? Na komm, hilf mir ein bißchen Wasser holen!“ Juli schwieg einen Augenblick. „Nein“, erwiderte sie dann laut. „Ein wenig Wasser solltest du mir holen helfen“, wiederholte die Alte etwas lauter. Juli warf trotzig den Kopf zurück. „Ich helfe nicht“, sagte sie noch einmal. Ein Weilchen betrachtete Tante Mari das Mädchen noch nachdenklich und wandte ihr dann achselzuckend den Rücken zu. Im Keller wurde es langsam ruhig. Als auch der hinkende Kellner mit Niesen aufhörte und das Öllicht ausgelöscht 41
wurde, stahl sich Juli auf Zehenspitzen aus dem Luftschutzraum. Sie zog die hölzerne Doppeltür vorsichtig hinter sich zu und begab sich, immer noch auf Zehenspitzen, zu den Kohlenkellern. Der Gang war stockdunkel, nur der warme Dunst des Pferdes wies ihr den Weg. „Still“, sagte sie zu ihm, als das Tier, das sie nahen hörte, unruhig schnaubte. Sie legte beide Hände auf seine samtweiche, warme Nase. „Mach bitte keinen Krach!“ flehte sie und tätschelte beruhigend den Pferdehals. Sie kauerte sich vor seine Beine auf das wenige Stroh nieder, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und zog ihr schwarzes wolliges Umschlagtuch über der Brust fester zusammen. Es dämmerte schon; durch die Lüftungsfenster, die auf den Hof gingen, sickerte bleigraues Licht herunter, als Rechnungsrat Pignitzky, eine kleine Petroleumlampe in der Hand, auf dem Weg zum Abort in den Gang einbog. Juli stand geräuschlos auf, lief ihm entgegen und stach ihm mit dem großen Küchenmesser, das sie vom Freiheitsplatz zurückgebracht hatte und jetzt unter ihrem Umschlagtuch hervorzog, ins Herz. Draußen war es bereits viel heller. Den ganzen Tag drückte sie sich auf der Straße herum, vor den wenigen Luftangriffen flüchtete sie in den allernächsten Toreingang, für die Nacht nahm sie eine alte Köchin aus ihrem Heimatdorf auf, die mit ihrer verstorbenen Mutter befreundet gewesen war, bevor diese geheiratet hatte. Sie saß auf einer hochschwebenden rosigen Wolke — träumte sie auf der schmalen Holzpritsche unter der Decke der Köchin —, neben ihr stand das Pferd, hielt stolz den Kopf hoch und wedelte fröhlich mit dem Schwanz, um die rosafarbenen Fliegen des Himmels wegzujagen. Die Wolke schwebte über Budapest hinweg, überflog die silberne Schlange der Donau und hielt für ein Weilchen über dem Gellertberg. Überall, wo sie vorbeihuschte, streifte nicht ein Schatten, sondern ein stark strahlendes rosarotes Licht die Straßen und steilen Dächer. Juli lehnte sich mit dem Rücken an einen weichen Wolkenbausch und faltete die Hände über dem Bauch. So hoch flogen sie, daß sie das halbe Land übersehen konnten. „Ich danke Ihnen, daß Sie mein Leben gerettet haben“, sagte das Pferd. Sein Hals schimmerte rosafarben im hellen Licht der Wolke. Juli baumelte mit den Beinen über dem Gellertberg. 42
„Ich hab’ mein Bestes getan“, sagte sie bescheiden. „Sonst hätte man auch Sie in die Reihe gestellt, nicht wahr?“ „Klar“, antwortete das Pferd. Die Wolke setzte sich wieder in Bewegung, sie flog aber diesmal nach Kõbánya. Als Juli wieder auf der Holzpritsche der Köchin landete, tagte es schon. Sie hüllte sich schnell in ihr Tuch und rannte ins Treppenhaus hinauf. Im Torgang wurde sie von einem Soldaten angesprochen. „Wohin so eilig, mein Fräulein?“ fragte er. „Zu meiner Mutter“, sagte Juli schnell, sprang zum Tor hinaus und schoß wie ein Pfeil in die menschenleere morgendliche Straße. An der ersten Ecke blieb sie einen Augenblick stehen, wandte ihr vom Weinen gerötetes Stupsnäschen zurück und schlich dann in eine Nebenstraße. Sie wurde nicht mehr gesehen.
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IV. Das Paket
Als am Morgen die hölzerne Doppeltür des Luftschutzkellers geöffnet wurde, versetzte der vom Hof hereinbrechende Luftzug — wie ein Aufschrei den ganzen Keller mit einem Schlag in Erregung: Auf den Wandgestellen klirrten die Flaschen, die von den Betten herabhängenden Decken bewegten sich, vom Fußboden flog Staub auf, und in einer Wolke von Kanonendonner eroberte Krieger Jupiter für eine Minute den dunklen Schoß der Unterwelt. Ein Frauenschrei erklang, als hätte die überraschte Io gerufen. „Tür zumachen!“ knurrte eine Männerstimme. Im Bett, das gegenüber der Tür stand, erhob sich ein struppiger Mädchenkopf vom Kissen und besah sich verwundert blinzelnd die Staubwolke zu ihren Füßen. Links und rechts rührten sich die Leute ebenfalls; sie stützten sich auf die Ellenbogen oder setzten sich rasch in ihren Betten auf. „Was ist denn passiert?“ fragte jemand. Tante Mari, die Schusterswitwe, zündete eine Kerze an, hob sie hoch und leuchtete mit einer zärtlichen Bewegung in das Gesicht der neben ihr liegenden alten Frau. „Leben Sie, Frau Daniska?“ fragte sie. „Warum sollte ich nicht leben?“ murmelte diese verschlafen. „Wozu haben Sie mich geweckt?“ „Habe ich Sie geweckt?“ fragte Tante Mari verblüfft. „Haben Sie denn nicht gehört, daß das Haus über uns eingestürzt ist?“ „Na, dann ist es eben eingestürzt“, brummelte Frau Daniska. „Soll ich’s vielleicht wieder zusammenkleben?“ Das Granatwerferfeuer mußte jetzt aufgehört haben, vom Hof her hörte man nichts mehr. An der niedrigen Kellerdecke war kein Riß zu sehen, auch die dunklen, immer schwitzenden Wände waren anscheinend unbeschädigt geblieben. Der Bote des Ereignisses, die hohe Staubwolke, brach jäh zusammen und legte sich lang auf den Boden, wie jemand, der, am Ziel angelangt, sich selbst aufgibt. Die Leute verließen ihre Betten und zogen sich mit schnellen, stummen Bewegungen an. Onkel János, der kommissarische Luftschutzwart, war noch
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dabei, seine Stiefel anzuziehen und seine siebenbürgische Lammfellmütze auf den Kopf zu setzen, als sein Nachbar, Herr Andrási, der hinkende Kellner, der auch nachts angezogen mit dem Hut auf dem Kopf schlief, bereits von seinem Erkundungsgang zurückkehrte. Die Hofwand des Hauses hätte in der Höhe des ersten Stockes einen Einschlag abbekommen, berichtete er, es wäre aber kein größeres Unglück geschehen, die Granate hätte bloß ein kleines Loch in die Mauer geschlagen und ein Stück vom offenen Außengang losgerissen. „Es ist aber nicht besonders schlimm“, berichtete er weiter, „das Stückchen Gang hängt an der Hausmauer, wie die nicht ganz abgezogene Schale an der Wurst.“ „Wie komme ich dann in meine Wohnung?“ fragte eine alte Näherin. Der Kellner zuckte die Achseln. „Wozu wollen Sie denn in die Wohnung?“ erkundigte er sich. „Wollen Sie etwa schon wieder saubermachen? Dazu haben Sie im Frieden noch Zeit genug.“ Die Frauen zündeten im Herd das Feuer an, holten Wasser, machten die Betten und kehrten die Kellerräume aus. Die Männer rauchten im Vorraum oder begaben sich auf den Hof, wo sie das herunterhängende Stückchen Gang mit ihren prüfenden Blicken abstützten. Der junge Mann in der Soldatenjacke lief schnell zum Bäcker, um zu sehen, ob der seinen Laden aufgemacht hatte. Als er nach einer Viertelstunde mit leeren Händen zurückkam, stieß er im Treppenhaus auf Tante Mari. Die Alte blitzte ihn mit der von ihrem Mann geerbten Brille streng an. „Was treibst du dich auf der Straße herum, mein Junge!“ rief sie vorwurfsvoll. „Dich werden schon noch die Pfeilkreuzler erwischen!“ „Und Sie, wozu sind Sie in den dritten Stock hochgeklettert?“ erwiderte er. „Sie wollten wohl Vögel fangen, was?“ Sie kamen bei der schmalen, dunklen Wendeltreppe an, die in den Keller führte. Der Junge hob rasch die erschrockene Alte hoch und rannte mit ihr laut lachend die Treppe hinunter. „So ging’s wesentlich schneller, nicht wahr, Mütterchen?“ sagte er und stellte den zierlichen alten Körper behutsam wieder auf die Erde. „Der Malzkaffee ist fertig, ich riech’s schon.“ Tante Mari schüttelte den Kopf.
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„Ach, mein Guter, ich kann jetzt unmöglich was hinunterschlucken, ich habe einen Toten gesehen.“ „Wo?“ „Genau unter meinem Fenster“, stöhnte die Alte. Der junge Mann sah sie an. „Wo?“ wiederholte er die Frage. „Sind Sie sicher, daß er unter dem Fenster liegt? Auf unserem Fußweg?“ „Von meinem Fenster aus guckt man dem Armen genau ins Gesicht“, erklärte Tante Mari. Der Soldat ließ einen langen Pfiff hören. „So ein Mist“, knurrte er, „daß er gerade auf unserem Fußweg liegt.“ Nach dem Frühstück verzogen sich die Männer in den Vorkeller, um dort die unerfreulichen Überraschungen des Tages zu bereden. Über den Dächern exerzierten unerbittlich die russischen Bomber; die nackten Hausmauern knirschten, wenn ihre Maschinengewehre die Kugelzähne gierig in sie schlugen. Auf dem Dach des nahen Bankgebäudes heulte fast pausenlos die Flak. Wenn das Feuer für einige Minuten aufhörte, schlich der sanfte Gruß des Winters, das eintönige, träge Plätschern des tauenden Schnees, in den Keller hinunter. „Er liegt tatsächlich auf unserem Fußweg“, berichtete der Soldat, „genau unter dem Fenster von Tante Mari.“ „Ein Zivilist?“ „Ja, ein Zivilist.“ Onkel János, der kommissarische Luftschutzwart, kaute an der Spitze seines gezwirbelten grauen Schnurrbartes und schwieg dazu mürrisch. „Wenn er wirklich eine Zivilperson ist und auf unserem Fußweg liegt, müssen wir ihn begraben“, seufzte bekümmert der Hausmeister, ein kleiner, gedrungener Mann mit roten Backen und weißem Haar. „Sogar von den Frauen werden einige helfen müssen, denn allein schaffen wir es nicht.“ Gerade einen Tag vorher hatte der Bürgermeister eine Verordnung erlassen, die die Bewohner eines jeden Hauses verpflichtete, die Leichen von Zivilpersonen, die vor ihrem Haus auf dem Fußweg lägen, binnen vierundzwanzig Stunden auf dem nächsten öffentlichen Platz zu begraben. Der nächste wäre der Freiheitsplatz gewesen, nur standen dort deutsche schwere Panzer, die niemanden heranließen. „Der Josephplatz ist bereits voll“, teilte der pensionierte Briefträger mit, „wir werden ihn auf dem Elisabethplatz begraben müssen.“ Wie sollte aber der Tote auf den Elisabethplatz gebracht 46
werden, der immerhin gute zwanzig Minuten entfernt war und unter dem Feuer russischer Minenwerfer lag? Und wie sollten sie ihn dort begraben, da sie nur zwei Spaten und keine einzige Hacke besaßen und die Erde steinhart gefroren war? Worin sollte er eingehüllt werden? Die Leute in diesem Keller waren ja so arm, daß noch glücklich genannt werden konnte, wer für sich selber Bett- und Bahrtuch aufzubringen vermochte. Auf alle diese voller Kummer gestellten Fragen fand jedoch der listige Menschenverstand bis Abend eine Antwort. Nach dem Einbruch der Dunkelheit, zur Zeit des täglichen Kartenspiels, während die Frauen am Herd, den abendlichen Glanz der Glut auf ihrem Gesicht, ihr Herz von den tagsüber angehäuften Sorgen befreiten, stahlen sich die Männer einer nach dem anderen aus dem Luftschutzkeller und begaben sich dann unter der Führung von Onkel János vor das Haus. Sie schlichen, um nicht bemerkt zu werden, dicht an der Wand im Gänsemarsch unter das Fenster von Tante Mari. Der Tote lag lang ausgestreckt unmittelbar am Rande des Fußwegs, sein zweireihiger schwarzer Wintermantel schmiegte sich an den Körper, als hätte er ihn sorgfältig glattgestrichen, bevor er sich hingelegt hatte. Nur der Hut war ihm vom Kopf geflogen, und die langen grauen Haare hingen wirr in den Schneematsch. Der Mond schien ihm gerade ins Gesicht, die Augen waren offen. Die Alten und der junge Mann im Soldatenrock standen um ihn herum. Der Kellner nahm den Hut ab, setzte ihn jedoch, während er kräftig nieste, schleunigst wieder auf. „Machen wir’s schnell!“ sagte jemand. Auf der mondbeschienenen schmalen Straße war zwar kein Mensch zu sehen; die wunderbar klare Nacht hätte aber jederzeit einen gelangweilten Kellerbewohner aus der Nachbarschaft oder eine russische Fliegerstaffel herbeilocken können. „Herr Kovács, Sie fassen ihn bitte an den Füßen an“, kommandierte Onkel János den stämmigen Schneidermeister, dessen flammendrotes Gesicht wie eine Laterne über dem Schnee leuchtete. „Herr Andrási, Sie helfen ihm bitte, und wir anderen heben ihn an den Schultern hoch. Sind Sie soweit?“ Der Weg bis zum anderen Ende des Nachbarhauses war nicht lang, die Alten kamen jedoch tüchtig ins Schwitzen. Der Tote war schwerer, als sie gedacht hatten. Der pensionierte Briefträger wischte sich mit einem rotkarierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Sie ließen den leblosen Körper so 47
rasch hinunter, daß der Kopf mit einem lauten Schlag auf das Pflaster prallte. „Pst“, sagte der alte Dienstmann und schaute sich unruhig um. Der Kellner humpelte einen Schritt zurück und musterte den Toten. „Ob er gut liegt?“ fragte er. „Müßte er nicht etwas näher an die Wand?“ „Auch bei uns lag er ganz am Rande des Fußwegs“, meinte jemand. „Wäre es nicht besser auf der Fahrbahn?“ „Er soll nur ruhig so liegen, wie er bei uns gelegen hat“, sagte der Soldat. „Das ist seine natürliche Lage.“ Der hinkende Kellner kniete auf der Straße nieder und versuchte den hochgerutschten Mantel des Toten auf beiden Seiten zurechtzuziehen. „Heben Sie ihn ein bißchen am Rücken an“, brummte er, „alleine schaffe ich’s nicht. Sie haben schon recht, er soll genauso wie bei uns liegen.“ Die Nacht war sehr mild, von den Dächern rann das Schneewasser. Ein schwerer Tropfen klatschte dem Toten ins Gesicht. „Wollen wir ihn nicht doch ein Stückchen weiter rükken?“ fragte der pensionierte Briefträger und bekreuzigte sich unwillkürlich. „Wozu?“ Der Alte antwortete nicht. Der junge Soldat lachte plötzlich laut auf. „Wird das eine Überraschung?“ sagte er, und seine weißen Zähne blitzten im Mondschein, als lachten auch sie. „Wenn die dort morgen beim Aufwachen mitkriegen, daß sie den hier beerdigen müssen. Mensch, werden die einen schönen Schreck bekommen!“ „Und sie können damit auch nicht mehr lange warten“, brummte Onkel János. „Warum?“ Der Kellner, der immer noch neben dem Toten kniete, richtete sich mühsam auf. „Ich riech’s schon“, sagte er. „Das Wetter ist seit gestern sehr mild.“ „Mensch, wird das eine Überraschung!“ Den Soldaten belustigte die Vorstellung immer noch, er schob vor Vergnügen die Mütze in den Nacken. „Die Herrschaften werden was stöhnen, bis sie ihn auf den Elisabethplatz transportiert haben ... Wie heißt nur der Rat mit dem Schweinegesicht, der im ersten Stock wohnt?“ 48
Jetzt mußte auch der alte Dienstmann lachen. „Und der Herr Direktor Lõrincz“, flüsterte er und deutete mit dem mondbeglänzten Zeigefinger auf die glitzernden Fenster des Hauses, „und der Herr Gerichtsnotar Finiász ... und der Herr Doktor Bór, der Anwalt vom dritten Stock, der jede Woche durch mich ein Paket wegschaffen ließ.“ „Jetzt hast du ihm halt eins geschickt“, sagte der pensionierte Briefträger. Ein kalter Wind erhob sich von der Donau her. In einem der Stockwerke ging knarrend ein beschädigtes Fenster auf, der silbrige Widerschein seiner Glassplitter glitt über die Fahrbahn. In der Ferne fiel ein einzelner Schuß. Der Schneidermeister drehte sich um. „Vorsicht, es kommt jemand“, flüsterte er. In ihrem Rücken hörten sie leises Plätschern, als hätten die kleinen Pfützen, die sich bisher in der Dunkelheit duckten, plötzlich fröhliche Gespräche angefangen. Aus dem riesigen Schatten der Hauswand, der quer über die Straße fiel, lösten sich zwei winzige dunklere Schatten, die, als sie die mondbeschienene Strecke des Fußwegs erreichten, zwei neue Schatten aus sich entfalteten. „Tante Mari und die Witwe Daniska“, knurrte der Luftschutzwart. „Welcher Teufel hat uns die auf den Hals geschickt?“ Die zwei Mütterchen wackelten Arm in Arm ihnen entgegen. „Sie haben wohl meinen Toten weggeschafft?“ rief Tante Mari schon von weitem. „Na klar, haben sie ihn weggeschafft, habe ich’s Ihnen nicht gesagt, Frau Daniska?“ „Vor das Nachbarhaus haben sie ihn geschmuggelt“, stammelte die alte Waschfrau und bekreuzigte sich dabei. Tante Mari ließ kämpferisch ihre Brille blitzen. „Es war sehr richtig, Frau Daniska“, erwiderte sie. „Uns reicht’s, wenn wir unseresgleichen begraben müssen!“ „Allerdings, bei so viel alten Weibern!“ murmelte verärgert der hinkende Kellner. Tante Mari beugte sich über den Toten. „Der Jüngste war der auch nicht mehr“, meinte sie. „Warum hat ihm niemand die Augen zugedrückt?“ „Man konnte es nicht mehr“, erklärte der Kellner. „Ich hab’s versucht, es ging aber nicht.“
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Der Tote starrte mit offenen Augen in den Himmel, als wollte er sich den Mond ansehen. Tante Mari beugte sich noch tiefer, strich über seinen flauschigen schwarzen Wintermantel und richtete sich dann seufzend auf. „Jetzt werde ich bestimmt auch kein Abendbrot essen können“, jammerte sie. „Es wird mir immer so schlecht im Magen, wenn ich einen Toten sehe.“ „Na dann los, schnell nach Hause, Tantchen!“ „Den Mantel, den lassen Sie ihm wohl an?“ fragte die Alte, während sie sich bei Frau Daniska einhängte, mit der anderen Hand den Rock zusammenraffte und sich auf den Heimweg machte. Die Männer schauten sich an. Von der Donau her erklang aus großer Entfernung ein dumpfer Gewehrschuß. Onkel János senkte den Kopf mit der Lammfellmütze und wandte sich langsam ab. „Oje!“ seufzte der Soldat und hob die Hand, als wollte er sich an die Stirn schlagen, sein Arm blieb aber auf halbem Wege stehen. Der Schatten des Hauses verbarg die zwei Alten schon, nur ihre Schritte platschten noch fröhlich in der nächtlichen Stille. Der pensionierte Briefträger wischte sich mit dem rotkarierten Taschentuch abermals die verschwitzte Stirn ab. „Verbrennen sollte man diese alte diebische Hexe!“ flüsterte er und schüttelte dabei den Kopf. Die zwei Witwen waren schon im Bett, als die sechs Verschwörer einzeln in den Luftschutzkeller zurückschlichen. Der junge Soldat kam als letzter, auch er mit leeren Händen. Tante Mari, die die Tür in der ganzen Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, zog mißbilligend die Brauen hoch und drehte dann den Männern unwillig den Rücken zu, die sich jetzt, mit den Tellern und Bestecken klirrend, um den Herd versammelten. „Na bitte!“ brummte sie verärgert; ihre gutmütigen Augen guckten hinter der Brille hervor auf das runzlige Gesicht der Witwe Daniska. „Und dabei geht Onkel Ruzicska nur noch in Lumpen!“ Die alte Waschfrau faltete tief befriedigt die Hände unter der Decke. „Sie haben der Versuchung doch widerstanden“, sagte sie. „Obwohl auch Herr Andrási einen anständigen Wintermantel anstatt seines alten, zerschlissenen, dünnen gut brauchen könnte! Ja, sehen Sie, meine Gute, ich gehe seit vierundvierzig Jahren in die feinsten Herrschaftshäuser waschen und plätten, 50
wo sie mir die schmutzige Wäsche oft sogar ungezählt anvertrauen, aber noch nie ist auch nur ein dreckiges Taschentuch an meinen Fingern klebengeblieben. ,,Gott vergelt’s Ihnen“, antwortete die Schusterswitwe. In einer Ecke erscholl dünnes Gequäke: das anarchische Plärren eines zehn Tage alten Säuglings. Die Alten hockten wie die Spatzen um den Herd auf den Bettkanten, sie schlürften mit Wohlbehagen die verteilte Fleckersuppe. In einer anderen Ecke schrubbte, tief über den Waschtrog gebeugt, eine große weißhaarige Frau beim Öllicht den rosigen Hintern ihres Enkels mit Seife ab. Tante Mari richtete sich ruckartig in ihrem Bett auf. „Und blieb vielleicht an meinen was kleben?“ fragte sie empört. „Es ist ganz was anderes, wenn ein einzelner Mensch den anderen bestiehlt. Stehlen aber viele armen Leute zusammen, das ist, als hätte der liebe Gott selber gestohlen.“ „Aber meine Liebe!“ widersprach Frau Daniska und hob abwehrend die Hand. „Und wen hätten sie da bestohlen?“ fuhr Tante Mari rot im Gesicht fort. „Da unten auf dem Pflaster liegt der Ärmste, Gott schenke ihm die ewige Ruhe, hat keine Verwandten, die ihn beweinen würden, und kommt morgen in die Erde. Wenn man ihm den Mantel wegnimmt, so ist es, als hätte man einem verendeten herrenlosen Lamm das Fell abgezogen.“ Die Brille auf Tante Maris Nase blitzte immer strenger. „Sehen Sie nur, Frau Daniska“, fuhr sie flüsternd fort, damit es die Nachbarn nicht hörten, „ich habe noch nicht mal Abendbrot essen können, so schwer wird mir das Herz, wenn ich einen Toten sehe. Aber glauben Sie vielleicht, daß die Herrschaften vom Nachbarhaus ihm den feinen Mantel nicht abnehmen, bevor sie ihn in die Erde tun? Entweder kriegen sie’s oder wir. Das heißt, jetzt schon sie.“ Die alte Waschfrau mußte plötzlich lachen. „Sie müssen sich aber wenigstens tüchtig abrackern“, kicherte sie. Ihr dünnes altes Stimmchen klang dabei, als hätte in der Dunkelheit eine kleine gesprungene Glasglocke geklingelt. „Das haben diese trottligen Alten doch geschickt eingerührt.“ Auch Tante Mari lächelte. „Sie haben ihnen die Armut hinübergeschmuggelt“, sagte sie, nahm schnell die Brille ab und steckte sie unter das Kissen: 51
„Nun ja, diesmal werden sie arbeiten müssen! Der arme gnädige Herr! ... Na, schlafen Sie schön, Frau Daniska!“ Sie schlief schnell ein, war jedoch bereits vor Tagesanbruch wieder munter. Vorsichtig, damit sie das Bett nicht erschütterte, stützte sie sich mit der Hand gegen die Bettkante und setzte sich leise auf. Sie überblickte den vom Öllicht beleuchteten dämmrigen Keller. Noch schliefen die Leute, von allen Seiten drängte sich ihr kräftiges Schnarchen unter der niedrigen Kellerdecke wie eine Herde aufgestörter wolliger Schafe in der Hürde. Jemand wimmerte jämmerlich im Schlaf. Vom anderen Keller her hörte man deutlich den pfeifenden Atem des pensionierten Briefträgers. ,Den werden wohl wir begraben’, dachte sich Tante Mari, während sie mit ihren Füßen vorsichtig den kalten Steinfußboden befühlte. Sie holte die Brille unter dem Kissen hervor und zog sich schnell an. Sie wollte an die frische Luft, bevor die allmorgendliche Bombardierung begann. Da das Tor noch zu war, machte sie auf dem Hof einige Runden und stieg dann langsam in ihre Wohnung im dritten Stock hinauf. Noch hatte das Zwielicht der Dämmerung keine Einzelheiten aus der zu einem Ganzen verschmolzenen Welt herausgelöst. Als sich aber Tante Mari etwas später auf der Straße umsehen wollte und zum Fenster hinausbeugte, konnten ihre Augen den Toten schon deutlich vom bereiften Pflaster unterscheiden; er nahm seinen alten Platz unter ihrem Fenster wieder ein. Vor Schreck fuhr Tante Mari mit der Hand vor den Mund. ,Sie haben ihn zurückgeschmuggelt!’ dachte sie klopfenden Herzens. ,Du lieber Himmel, zurückgeschmuggelt haben sie ihn!’ Sie raffte mit beiden Händen ihren Rock zusammen und rannte atemlos die Treppe hinunter. Im Luftschutzkeller erwachten langsam die Leute. Überall räusperte man sich; Onkel János war gerade dabei, den Kopf mit der Lammfellmütze tief gesenkt, die Stiefel anzuziehen. Als die Holztür knarrend aufflog, wandten alle den Blick zu der vor Zorn geröteten keuchenden Alten. Tante Mari drückte die Hand aufs Herz. „Sie haben ihn zurückgeschmuggelt!“ rief sie außer Atem. „Zurückgeschmuggelt haben sie ihn.“ „Wen denn?“ fragte der hinkende Kellner erschrocken. „Den alten gnädigen Herrn!“ 52
„Was?“ stammelte der alte Dienstmann. „Ich versteh’s nicht.“ „Sie haben’s sicherlich gemerkt, die Hunde“, sagte Tante Mari wütend. „Sie haben’s gemerkt und ihn noch in der Nacht zurückgeschmuggelt.“ Alles versammelte sich um die aufgeregte Alte. Die Kinder hüpften laut quietschend die Bänke ’rauf und ’runter. „Zurückgeschmuggelt ... zurückgeschmuggelt!“ schrie der sechsjährige Junge der Hausmeisterfamilie und ratschte dazu mit seiner Knarre. Durch die offengebliebene Holztür drang plötzlich ein schriller Knall in den Keller. „Herein!“ murmelte Tante Focher, eine alte Putzfrau, die auf beiden Ohren stark schwerhörig war. „Geht doch endlich mal von der Tür weg, der kann ja nicht ’rein!“ Wer es aber sein sollte, der nicht hereinkommen konnte, verriet sie keinem. Da die Kanonen immer häufiger dröhnten, war gar nicht daran zu denken, auf die Straße zu gehen und dort eine Lokalbesichtigung vorzunehmen. Je lauter die Frauen jammerten, desto trotziger schwiegen die hereingefallenen Alten. Nur der hinkende Kellner schnaufte vor Empörung und drohte mit seinem Stock gegen die dunkle, schwitzende Decke. Der alte Dienstmann schlich unbemerkt aus dem Luftschutzkeller und kletterte die Treppe hoch in Tante Maris Wohnung. Der Tote lag in seinem doppelreihigen Wintermantel genau unter dem Fenster, am äußersten Rand des Fußwegs auf derselben Stelle, von der er am Abend vorher weggeschleppt worden war. ,Der Herr Anwalt hat das Paket zurückgeschickt’, dachte der alte Dienstmann, und Verzweiflung überkam ihn, daß er am liebsten geheult hätte. Er beugte sich weit zum Fenster hinaus und musterte das Nachbarhaus. „Aber warte nur, das dicke Ende kommt erst noch!“ rief er und schüttelte seine alte Faust gegen das Haus, von dessen Dach jetzt mit flatternden Flügeln ein Taubenschwarm aufflog. Gleich danach zersplitterte in einer Wolke von schwarzem Rauch und Staub eine Granate an der eisernen Jalousie des Kolonialwarengeschäftes an der Straßenecke.
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V. Tante Anna
Früh gegen sieben Uhr öffneten sich geräuschlos die Flügel der Kellertür, und im milchigen Licht der Öffnung erschien mit wehenden grauen Haaren eine riesenhafte alte Frau. In der einen Hand schwenkte sie ein winziges Bündel, die andere preßte sie gegen den Bauch. Auf der Schwelle blieb sie stehen. „Wacht auf!“ rief sie mit ihrer tiefen Stimme, die so dröhnte, als rollten in ihren Wellen Kieselsteine mit. „Wacht auf, der Feind sitzt uns im Nacken!“ Auf dem Wandbrett stand ein Öllämpchen. Seine Flamme flackerte im Luftzug und warf einen Lichtfleck auf die Wand; klein und gelb wie das Blütenblättchen einer Teerose, vermochte aber den großen niedrigen Keller, an dessen innerem Ende sich ein noch dunklerer Raum anschloß, nicht zu erhellen. Die Leute, die in den dicht nebeneinanderstehenden Betten, Sesseln und Sofas friedlich geschnarcht hatten, rührten sich langsam, einige richteten sich auf, jemand gähnte lang und wollüstig wie eine Katze. „Wacht auf!“ rief die Alte in der Tür und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Schlafenden. „Der Herrgott soll euch selbst im Grabe nicht in Ruhe lassen! Wie lange noch wollt ihr diesen elenden Tag verbummeln?“ „Was ist denn passiert?“ kreischte eine Frauenstimme. Ein junges Mädchen richtete sich im Bett auf und fuhr sich mit beiden Händen in die Haare. Einige niesten. Herr Andrási, der hinkende Kellner, packte seinen Stock und drohte, blutrot im Gesicht, damit gegen die Decke. Auch im hinteren Raum begann man sich zu regen. Tante Mari, die Schusterswitwe, holte unter dem Kissen die von ihrem Mann geerbte Brille hervor, setzte sie auf die Nase, beugte sich dann über die neben ihr schlafende Frau Daniska und begann sie zärtlich zu rütteln. „Was wollen Sie schon wieder von mir?“ knurrte diese. „Haben Sie wieder von dem Pferd geträumt?“ „Der Feind sitzt uns im Nacken“, flüsterte Tante Mari und beugte sich über das runzlige Gesicht der anderen Witwe.
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„Im Nacken?“ fragte Frau Daniska im Halbschlaf. Sie tastete sich vorsichtig den Hals ab, schüttelte dann den Kopf und wälzte sich auf die andere Seite. Im ersten Keller zündete man eine Kerze an. Die winzigen gelben Wellen des Lichts begannen, wie die rasch folgenden Perioden einer fröhlichen Erörterung, die sich langsam abzeichnende Umwelt zu deuten. Halbangezogene Gestalten wankten in Hemden, Hosen, Umschlagetüchern durch das Dämmerlicht. „Wer ist denn die?“ fragte Herr Pólesz, ein alter Fuhrmann, der erst vor kurzem aus seiner zerstörten Wohnung in der Franzstadt in den Keller gezogen war, und zeigte auf die weißhaarige, riesige Alte in der Tür. „Die hab’ ich noch nie gesehen!“ „Das ist Tante Anna“, antwortete sein Bruder, der pensionierte Briefträger. „Sie wohnt im zweiten Stock.“ „Ich habe sie noch nie im Keller gesehen“, sagte der alte Fuhrmann. „Weil sie in ihrer Wohnung geblieben ist“, erklärte der Briefträger. „Sie sagt, sie wäre keine Ratte, die im Keller lebt.“ „Warum ist sie denn jetzt heruntergekommen?“ „Was ist denn passiert, Tante Anna?“ rief die erschrockene Frauenstimme von vorhin. „Jesus Maria, die Russen sind da!“ schrie eine andere. Im Nu war der ganze Keller auf den Beinen. Die Frauen umringten jammernd die Alte, die, eine Hand auf den Bauch gepreßt, in der anderen den Beutel schwingend, mit unbeweglichem Gesicht von der Tür aus der sich drängenden Menge entgegenschaute. Das schwarze Häkeltuch war ihr vom Kopf gerutscht, der Luftzug wirbelte ihre stahlgrauen Haarsträhnen wie eine Staubwolke auf, darunter bewahrten jedoch die wie versteinerten Züge ihres riesigen knochigen Gesichts die unberührte Würde der Schöpfung. Die über der Nasenwurzel eng zusammenstehenden grauen Augen hatten einen leicht rötlichen Schimmer, als spiegelte sich in ihnen der rote Apfel vom Baum der Erkenntnis. „Na, seid ihr aufgeflogen, meine Vögelchen?“ rief sie und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. „Hol’ der Teufel dieses faule Volk, das sogar am Tag des Jüngsten 55
Gerichts so laut im Bett schnarcht, daß es die Posaunen des Engels nicht hört. Los Proleten, Wasser holen!“ „Brennt das Haus, Tante Anna?“ rief die schwangere junge Frau und hob schützend die Hand vor den Leib. „I wo, mein Kind“, erwiderte die Alte mit unbeweglichem Gesicht. „Ich möchte Kaffee trinken!“ Im nächsten Augenblick schmiß sie das Beutelchen auf die Erde, beugte sich vor, stemmte beide Hände aufs Knie, wie es freche kleine Mädchen machen, wenn sie einander hänseln, und brach mit tiefer männlicher Stimme in ein schallendes Gelächter aus. Ihr großer knochiger Körper schüttelte sich vor Lachen, die trockenen Tonschichten ihres Gesichts zerstäubten fast im Sturm der Fröhlichkeit, ihre Augen funkelten. „Nein, mein Schätzchen, das Haus brennt nicht“, rief sie dröhnend, „ich möchte bloß Kaffee trinken ... Kaffee! Und zwar schleunigst, bevor es Frühling wird!“ fügte sie hinzu und schlug sich dabei in ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit kräftig auf die Schenkel. „Ich hörte eben, Frau Daniska, Ihre Kartoffeln würden im Keller keimen?“ „Ich habe doch keine einzige Kartoffel, Tante Anna“, erwiderte Frau Daniska erschrocken. „Ich dachte, Sie hätten welche“, brummelte die Alte spöttisch. „Macht ja nichts, vielleicht wenden Sie im nächsten Jahr welche haben, falls Sie es erleben, Frau Daniska!“ „Um Gottes willen, Tante Anna, haben Sie nicht eben gesagt, daß die Russen da wären?“ rief vorwurfsvoll der pensionierte Briefträger. „Mit keinem Wort habe ich das gesagt“, schüttelte die Alte den Kopf. „Warum sind Sie dann heruntergekommen?“ „Weil man mir die Wohnung über dem Kopf zerschossen hat, mein Lieber“, antwortete Tante Anna. „Meine Decke ist eingestürzt, es fehlte nicht viel, sie hätte mich zu Brei gequetscht. Jetzt aber schnell, meine Vögelchen, trödelt nicht so lange, heizt rasch den Herd, als müßtet ihr auf dem Berg Sinai Feuer machen.“ „Die Decke ist eingestürzt?“ wiederholte Tante Mari, die Schusterswitwe, mit zittriger Stimme. „Mein lieber Gott, da wären Sie ja jetzt um ein Haar mausetot, Tante Anna!“ „Pfeif drauf“, erwiderte die Alte mit ihrer Donnerstimme, raffte ihr lächerlich kleines Bündelchen von der Erde auf und 56
ging mit langen, knirschenden Schritten auf den Herd im anderen Keller zu. „In der Fabrik ist neben mir ein Elektroofen explodiert, auch der hat mich nicht zerdrückt. In wessen Bett werd’ ich schlafen?“ Die zwei Kellerräume waren durch einen schmalen, drei Schritte langen Gang miteinander verbunden; unmittelbar vor ihm schloß sich an den ersten Keller eine kleine Nische an, die wie eine Insel von den Wellen des gewöhnlichen Volkes umspült wurde und in der die vornehmsten Bewohner des Hauses, die Witwe und die Kinder des Rechnungsrates Pignitzky, ihrer empfindsamen Trauer nachgingen. In der Nische stand sogar ein Herd, auf dem nur die Pignitzkys kochten, das gemeinsame Essen für die anderen Bewohner wurde von den Frauen auf dem Ofen in der Ecke des zweiten Kellers zubereitet. Außer den Pignitzkys aß noch die Hausmeisterfamilie ihre eigene Kost, die von der Frau meist in den kürzeren oder längeren Pausen zwischen den Bombardierungen in der Küche ihrer Parterrewohnung zusammengebraut wurde. Tante Anna blieb vor dem Privatverschlag stehen und schob den Vorhang, der die Tür vertrat, beiseite. „Guten Morgen“, sagte sie laut und ließ ihre scharfen grauen Augen im kleinen dunklen Raum umherschweifen. „Hier also ist Platz für mich! Ich kann mit dem einen Kind auf dem Sofa hausen, das andere kommt zur Mutter ins Bett.“ „Was will diese Frau?“ rief die Frau Rat und stützte sich, das Gesicht vor Schreck verzerrt, im Bett auf. Tante Anna warf den Kopf zurück und beugte sich ein bißchen vor. „Was diese Frau will?“ wiederholte sie leise die Frage. „Nur das, was einer jeden Frau vor der Geburt und vor dem Tod zusteht: ein Bett.“ „Wollen Sie hier gebären?“ fragte die Frau Rat entsetzt. Tante Anna sah ihr in die Augen und nickte zweimal langsam und bedeutungsvoll. Sie ließ den Vorhang los, drehte, bevor die Frau im Bett noch einmal etwas sagen konnte, der Familie in der Nische den Rücken und trat schnell in den Durchgang. „Spielen auch die Ratten den Herrn?“ rief sie, während sie mit ihren dröhnenden langen Schritten zwischen den zwei Bettreihen dem Herd zuging, vor dem eine alte Wäscherin mit der Axt des Kellers Kleinholz hackte. „Lassen auch bei den Ratten 57
die Großen die Kleinen tanzen, bevor die ganze Bande im Höllenfeuer gebraten wird? Gibt es auch unter den Ratten Großkopfige und Bettler?“ „Nicht so laut, Tante Anna!“ packte sie eine zierliche alte Frau, die ihr nachgelaufen war, am Arm. „Lassen Sie sie in Ruhe, ihr Mann ist erst vor ein paar Tagen gestorben.“ Tante Anna blieb stehen und wandte sich langsam wie ein Schiff der zierlichen Putzfrau zu, die unwillkürlich einen Schritt zurückwich. „Was ... ihr Mann ist gestorben?“ erwiderte sie mit ihrer tiefen Stimme. „Gibt es denn in dieser Bude nur eine einzige Frau, deren Mann nicht gestorben ist oder noch sterben wird, bevor sie selbst unter die Erde kriecht? Vier Kinder habe ich großgezogen, allein ohne Mann ... eins von ihnen hockt dort.“ Sie zeigte auf den etwa zwanzigjährigen Jungen im Soldatenrock, der auf einem Bettrand saß und an einem Stück trocken Brot kaute. „Schon gut, Alte, hör mal auf zu nörgeln“, sagte dieser leise. „Man muß die arme Frau nicht gleich auffressen.“ „Was piepst du?“ fragte die Alte und wandte ihren riesigen grauen Schädel dem Sohne zu. „Hat man schon so was gesehen?“ knurrte sie empört. „Hat man schon eine Ratte gesehen, die sich auf die Hinterbeine stellt und der anderen die Vorderpfoten zum Handkuß reicht? Und eine zweite, die zu ihr hinwackelt und ihr sie ableckt? Du solltest dich auch lieber um deine Mutter kümmern, du Schuft, anstatt den ganzen Tag am Rockzipfel deines Liebchens zu hängen.“ Der stille Keller, in dem sonst friedliche alte Männer und Frauen den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten ließen, geriet durch Tante Annas Einzug völlig aus dem Gleichgewicht. Die sanfte innere Ordnung der Ergebung, die bisher höchstens die äußeren groben Ereignisse der Belagerung für Augenblicke erbeben ließen, wurde jetzt aus ihren Angeln gehoben, zerfiel in widerstrebende Bestandteile und entblößte ihre verborgene Glut. Und als hätte auch die Außenwelt nur auf dieses Zeichen gewartet, packte sie den sich erschrocken duckenden Keller wie die Katze die Maus und begann ihn schnell hin und her zu stoßen. Eine Stunde nach Tante Annas Einzug nistete sich im Haus, in einer kleinen Schneiderwerkstatt, die sich nur zum Hof hin 58
öffnete und deshalb Deckung bot, ein Maschinengewehrtrupp der sich zurückziehenden Deutschen ein. Sie fuhren mit einem Lastwagen in den Toreingang und verstellten damit den Weg auf die Straße so, daß man sich nur mit Mühe zwischen der Wand und den Rädern hindurchzwängen konnte. Das Lastauto war mit Munitionskisten beladen; schlüge in seiner Nähe eine Mine oder Bombe ein, würde es mit Sicherheit in die Luft fliegen und die Kellerbewohner unter den Trümmern des Hauses begraben. Noch im Laufe des Vormittags sprach es sich herum, daß die Deutschen die Schneiderwerkstatt nicht nur vorübergehend besetzt hätten, sondern ein MG auf dem Erker des ersten Stockes aufgestellt hatten und, wenn es zum Kampf kommen sollte, das Haus bis zur letzten Patrone verteidigen würden. Diese Vermutung wurde noch bestätigt durch die Panzerfallen, die von rumänischen Zwangsarbeitern schon seit einer Woche an der Straßenecke ausgehoben wurden und die den Rückzug zur Donau sicherten. Aber was würde dann mit den Bewohnern ... würden sie evakuiert werden? Die zwei Witwen, Tante Mari und Frau Daniska, hockten auf der Kante ihres Bettes und lasen auf einem ausgebreiteten weißen Wischtuch Bohnen aus für das Mittagessen. Frau Daniskas Hand zitterte so stark, daß die Bohnen wie Flöhe alle Augenblicke ihren Fingern entsprangen. „Wohin tun sie uns dann?“ jammerte sie. „Die Nachbarkeller sind ja alle so überfüllt, daß dort kein einziger Mensch mehr unterkommen kann. Und mein Bett, in dem ich seit vierzig Jahren schlafe, wohin soll ich mein Bett schaffen, damit es nicht in die Luft gesprengt wird?“ Tante Mari nickte finster, die Brille rutschte ihr dabei die Nasenspitze herunter. „Vielleicht werden die uns doch nicht evakuieren“, meinte sie. „So viel Leute können sie doch nicht einfach auf die Straße setzen!“ „Ich habe gehört“, erzählte Frau Daniska weiter, „daß in einem Haus, in der Franzstadt, wo die Leute mit den deutschen Soldaten zusammen im Keller bleiben durften, die Russen durch die Lüftungsfenster Handgranaten in den Keller warfen. Stellen Sie sich vor, meine Liebe, wenn mir so eine Handgranate ins Bett fällt!“
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„Es ist nicht gesagt, daß sie in Ihr Bett fällt, Frau Daniska“, tröstete sie Tante Mari. „Wer hat Ihnen das erzählt ... Herr Pólesz?“ „Ja.“ „Der könnte auch was Besseres zu tun haben, als einem einen solchen Schreck einzujagen“, knurrte die Schusterswitwe. „Wo bleibt denn der Dienstmann, dieser alte Trottel?“ Da in dem ganzen Keller einzig der alte Dienstmann etwas Deutsch konnte, hatte man ihn als Deputation zu den Besatzungstruppen geschickt, um zu erkunden, was jene mit dem Haus, mit der Heimat und mit ihrem Leben vorhätten. Herr Andrási, der hinkende Kellner, und der Luftschutzwart hatten ihn nur des größeren Nachdrucks und Ansehens wegen begleitet. Obwohl sie sich bereits vor einer guten Stunde auf den Weg gemacht hatten, waren sie immer noch nicht zurückgekehrt. „Kommen Sie nur ein bißchen näher, meine Gute“, winkte Frau Daniska der anderen Witwe zu. „Ich möchte Ihnen etwas sagen.“ Die zwei Alten hatten in den acht Jahren, seit sie das Schicksal in der kleinen, engen Wohnung im dritten Stock zusammengeführt hatte, ihre Licht- und Schattenseiten dermaßen kennengelernt, daß sie fast bei jedem Wort die Entgegnung der anderen, wie einen Schatten, den ein bekannter Gegenstand vor einer bekannten Lichtquelle wirft, vorausberechnen konnten. Tante Mari wußte auch diesmal sofort, was ihre Mitbewohnerin zur Sprache bringen würde. „Tante Anna?“ fragte sie mit einem Kopfnicken. „Die alte Hexe hat uns die Deutschen auf den Hals gebracht“, flüsterte Frau Daniska. Tante Mari stutzte. „Wieso?“ „Das weiß ich nicht“, antwortete die Waschfrau. „Sie werden aber sehen, die wird noch über den ganzen Keller Unheil bringen. In dem Moment, als sie hereintrat, wurde es mir schwarz vor den Augen, und das ist ganz sicher ein schlechtes Zeichen; darin habe ich mich noch nie getäuscht.“ „Aber Frau Daniska, Sie haben doch geschlafen!“ rief Tante Mari entrüstet. „Ich konnte Sie doch kaum munter kriegen.“ Die alte Waschfrau nahm von dem Einwand keine Notiz. „Die rempelt alle an“, flüsterte sie, und ihr mildes Gesicht errötete vor Zorn. „Sie bringt alle gegen alle auf, kennt keiner60
lei Ordnung und hat weder für Gott noch für die Menschen etwas übrig.“ „Wissen Sie, mit wem ihr Sohn etwas hat?“ fragte Tante Mari. „Ich weiß es.“ Tante Mari wartete ein Weilchen still auf die Fortsetzung der Antwort. Da die aber ausblieb, zupfte sie ihr Kopftuch zurecht. „Wie kommt es, daß es heute noch keinen Fliegerangriff gab?“ fragte sie dann taktvoll. „Auch das ist ein schlechtes Zeichen“, erwiderte Frau Daniska. „Sie sammeln jetzt ihre ganze Wut und stürzen danach auf uns wie ein gereizter Bienenschwarm.“ Beide verstummten plötzlich; die Deputation kehrte zurück und hielt im Keller ihren Einzug. Und in demselben Augenblick drang durch die Vorkellertür die musikalische Untermalung dazu herein: es knallte ein paarmal ohrenzerreißend rasch hintereinander, so daß die in ihrer Bedeutung auf einmal sehr gestiegene Deputation gleichsam in eine akustische Aureole gehüllt wurde. „Nix zu machen“, berichtete der alte Dienstmann und kratzte dabei seine Nase. „Kein Wort konnte man ihnen entlocken. Sie sagen, wir sollen uns beruhigen, sie werden uns noch avisieren, wann wir den Bunker räumen müssen. Siegeben uns mindestens zwei Stunden.“ „Du lieber Gott, zwei Stunden! 1’ rief die schwangere Frau und schlug die Hände zusammen. „Wie sollen wir denn in zwei Stunden alles zusammenpacken, Kinder, Sachen, Lebensmittel! Und wohin kommen wir?“ „Mein Bett!“ seufzte Frau Daniska. „Sie sind so fertig“, erzählte der alte Dienstmann weiter, „daß sie gleich auf den Fußboden sackten, noch nicht mal ihre Menage haben sie gegessen. Ihr Leutnant ist aus Berlin.“ Ein langer Schatten fiel auf die Wand, die kleine Gruppe wurde plötzlich in Dunkelheit gehüllt, jemand hatte sich vors Notlicht gestellt. „Was tust du bloß so wichtig, du alter Gauner!“ schimpfte Tante Anna, die seit früh, seit ihrem Einzug in den Keller, reglos auf einer Pritsche geschlafen hatte und jetzt vom Kanonendonner auf einmal lebendig wurde. „Wen interessiert das, woher dein Leutnant kommt?“ 61
Der alte Dienstmann verstummte eingeschüchtert. „In zwei Stunden müssen wir hier ausziehen, Tante Anna, und ich weiß nicht, wohin“, erklärte ihr der hinkende Kellner. „Na und!“ dröhnte die Alte. „Ich zog in zehn Minuten aus der Wohnung aus. So lange hat’s gedauert, bis ich unter dem Schutt hervorgekrochen bin.“ „Meine gute Anna, Sie könnten vielleicht hinaufgehen und mit dem Kommandanten reden“, schlug Frau Daniska listig vor. „Es gäbe hier lauter kranke, alte Leute, sie sollten lieber ins Nachbarhaus gehen.“ „Einen Scheißdreck, meine Liebe!“ rief die Alte wütend. Dann aber brach sie in Lachen aus. Sie lachte gutmütig und schallend wie ein Kind, ihre grauen Locken flatterten fröhlich um den großen Schädel. „Sie sind vielleicht spaßig, Frau Daniska“, schmetterte sie und ließ dabei ihre großen gelben Zähne sehen. „Ich soll hochgehen, um bei ihnen zu betteln? Wissen Sie, mein Täubchen, wann ich das letzte Mal einen lebendigen Menschen um etwas gebeten habe: vor vierzig Jahren meine Mutter um ein sauberes Hemd für meine Brautnacht. Seitdem niemanden um nichts, obwohl ich vier Kinder zur Welt gebracht und zwei davon schon begraben habe.“ Für einen Augenblick verstummte sie und strich mit ihrer hageren knochigen Faust über die Stirn. „Daß die von hier weggehen sollten, weil es hier viele alte und kranke Menschen gibt?“ sagte sie nach einer Weile. „Soll ich sie vielleicht zu den jungen Leuten schicken, Frau Daniska, mein Täubchen, damit auch aus denen bald Krüppel werden? Wir sollten jetzt nur ruhig verrecken, meine Vögelchen, wenn wir schon unbedingt einen Krieg führen mußten.“ „Ich habe keinen Krieg geführt“, rief Frau Daniska empört. „Was haben Sie denn sonst gemacht?“ fragte Tante Anna gleichmütig und ließ ihre grauen Augen mit dem stechenden Blick auf den runzligen Gesichtern der Frauen umherschweifen. „Gibt es hier nur eine einzige Frau in dieser frommen Herde, die ihrem Sohn oder Mann verboten hat, in den Krieg zu gehen? Wenn wir Frauen den Laden zugemacht hätten, hätten die Männer keinen Krieg machen können, selbst wenn sie noch so verrückt danach gewesen wären. Jetzt maulen wir freilich vergebens, weil man uns den Papa und die Söhne aus den Betten geschossen hat. Späte Reue, meine Vögelchen!
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Aber mein Sohn geht nicht in den Krieg, solange ich da bin.“ Nachmittag gegen vier verließen die Deutschen das Haus und nahmen auch den Munitionswagen mit. Kaum legte sich aber die Erregung, die die unerwartete Freude in den Herzen aufgerührt hatte — Herr Pólesz, der Fuhrmann aus der Franzstadt, war in die Kellermitte gesprungen und hatte dort von Schnalzern und lauten Juchzern begleitet zu tanzen angefangen, während in der Ecke eine alte Wäscherin über den Eimer gebeugt sich erleichtert erbrach —, kaum klang dies fröhliche Durcheinander ab, da peitschte eine neue unheilverkündende Nachricht die bereits beruhigten Gemüter wieder auf. Abends um sechs meldete der Hausmeister, der eben vom Toreingang zurückkehrte, daß eine acht bis zehn Mann starke Gruppe von Pfeilkreuzlern, mit Gewehren, Maschinenpistolen und Handgranaten reichlich bewaffnet, in das Nachbarhaus eingezogen sei. Wie die Fliegen im Herbst vor ihrem Ende lauter surren und boshafter stechen, als wollten sie gegen den Tod den Kampf aufnehmen, schweiften und fuchtelten auch die Pfeilkreuzler in den letzten Wochen der Belagerung immer gereizter in der gepeinigten Stadt umher und rotteten immer tollwütiger ihre Gegner aus. Tagsüber jagten sie nach Deserteuren, nachts brachten sie Juden um. Das Pflaster des Donaukais war jeden Morgen, besonders in der Nähe der Brücken, schwarz vom Blut der ermordeten Menschen. Kaum war es dunkel geworden und hatte das Geschützfeuer der Belagerer aufgehört, wurde die Stille der menschenleeren Straßen durch Gewehrschüsse und das Geknatter von Maschinengewehren aufgestört. „Sie kämmen jetzt das Nachbarhaus durch“, meldete der Hausmeister und zwirbelte dabei nervös seinen dichten grauen Schnurrbart. „Wahrscheinlich werden sie auch zu uns kommen, hier waren sie ja noch nie.“ Juden wohnten nicht im Haus, es gab aber einen Deserteur. Der Sohn Tante Annas trieb sich schon seit Tagen mit einem gefälschten Urlaubsschein im Keller herum. Bereits bei dem Einzug der Deutschen in das Haus hatte er seinen Soldatenrock abgelegt; der alte Briefträger hatte ihn angezogen, um ihm seine eigene Jacke geben zu können. Mit dem aber, was als Tarnung gegen die Deutschen genügt hätte, würden sich die Pfeilkreuzler schwerlich zufriedengeben. „Gib ein Stück Brot, Alte“, sagte der Junge, „ich verziehe mich für ein Weilchen!“ 63
„Wo versteckst du dich denn, mein Kind?“ fragte die Witwe Daniska mit zittriger Stimme. „Was brauchen Sie das zu wissen!“ fauchte Tante Anna, während sie aus ihrem Beutelchen ihr restliches Brot hervorkramte. „Das braucht man nicht jedem auf die Nase zu binden. Ich weiß es auch nicht und frage doch nicht danach.“ Der Junge beugte sich an das Ohr der Frau Daniska, flüsterte ihr etwas zu, brach plötzlich in ein helles Gelächter aus, machte dann kehrt und rannte aus dem Luftschutzkeller. Frau Daniska starrte ihm entsetzt nach. „Daß er sogar jetzt zum Lachen Lust hat!“ Herr Andrási, der hinkende Kellner, übernahm im Torgang den Beobachterposten. Als er nach einer Stunde durchfroren zurückkehrte, konnte er nichts Neues über die Pfeilkreuzler berichten, die sich immer noch im Nachbarhaus aufhielten. „Wozu auch draußen Wache halten“, meinte Tante Mari. „Wenn sie kommen, erfahren wir es sowieso.“ „Hierher können sie ruhig kommen“, sagte eine ältere Putzfrau, deren chronischer Rheumatismus im Keller schon fast ausgeheilt war, da sie den ganzen Tag im warmen Bett ruhen konnte. „Hierher können sie ruhig kommen, hier gibt es keine Juden.“ Zum Abendbrot gab es Fleckersuppe und Linsen vom Mittag. Die Leute saßen um den Herd herum, auf den Bänken an der Wand und auf den Betträndern. Das Essen wollte aber genausowenig alle werden wie am Mittag während der deutschen Besetzung; niemand griff noch einmal zu. Auch nach dem Bett sehnte sich keiner: Wozu sich hinlegen, wenn man von der Razzia sowieso geweckt würde! Nur Tante Anna ging nach dem Abendbrot zur Ruhe, die Schwangere, die bisher aus Rücksicht auf ihren Zustand allein im Bett schlafen durfte, machte ihr ein bißchen Platz. Die Alte war zwar sehr groß, sie schlief aber so still, reglos und tief wie ein Kind; es war zu hoffen, daß sie ihre Gastgeberin nicht stören würde. Ihr zerfurchtes braunes Gesicht ruhte, wie ein Brotlaib im Tuch, friedlich im schwachen Schein des Notlichts. Gegen Mitternacht, als die Pfeilkreuzler in den Keller drangen, waren die meisten aber doch eingeschlummert. Ihre erschrokkenen Gesichter, von denen die Kruste des Schlafes nur
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langsam abbröckelte, starrten wie lauter Larven in die schweifenden Lichtkegel der Taschenlampen. Durch die offene Tür heulte der Wind herein. Ein Mann an der Wand begann leise zu wimmern. „Kerzen anzünden!“ rief der eine Pfeilkreuzler. Er hatte eine heisere dünne Fistelstimme. Sie waren zu dritt: ein etwas älterer Mann mit Schnurrbart und Gamsbart am Tirolerhut und zwei hiefrige, blasse, schwarzhaarige Jungen. Alle drei trugen die Armbinde mit dem Arpadstreifen und hatten eine Reihe rotstielige Handgranaten in den Gurt gesteckt. Es sah aus, als wollten zwei Kinder, von ihrem Erzieher begleitet, eben auf den Spielplatz gehen. „He, gibt es hier Juden?“ kreischte mit durchdringender Stimme der eine. „Los, ’rauskriechen aus dem Bett, Papiere bereithalten!“ Auch im zweiten Keller flammte eine Kerze auf. Tante Mari beugte sich über Frau Daniska und zupfte sie an ihrem rosafarbenen Flanellnachthemd. „Kommen Sie zu sich“, sagte sie leise, um die Alte nicht zu erschrecken, „wir haben Besuch bekommen.“ „Was wollen Sie von mir schon wieder ... was zerren Sie an mir ’rum?“ brummelte die Waschfrau. „Sehen Sie denn nicht, daß ich weiße Bohnen auslese?“ Bevor sie sich aber auf die andere Seite drehen konnte, riß ihr Tante Mari die Decke herunter. „Hören Sie jetzt auf mit dem Kochen!“ sagte sie wütend. „Wo sind Ihre Papiere?“ Frau Daniska richtete sich im Bett auf. „Sagen Sie, meine Liebe“, fragte sie, und ihre Stimme zitterte vor Zorn, „macht Ihnen das besonderen Spaß, daß Sie mich nicht schlafen lassen. Der ganze Keller ist Zeuge, daß Sie mich jede Nacht unter irgendeinem Vorwand aus dem Schlaf aufscheuchen.“ Der eine Pfeilkreuzler stellte sich mit der MPi in der Hand an die Tür, der ältere Mann mit dem Tirolerhut nahm an dem kleinen Tisch am Eingang Platz, der dritte zog durch die Keller und leuchtete mit seiner Taschenlampe in die Gesichter der halbangezogenen Leute. Es trat eine solche Stille ein, daß die Tochter der Hausmeisterfamilie davon munter wurde und zu weinen anfing. 65
Der Luftschutzwart und der Hausmeister mußten sich an den Tisch stellen. „Gesamtzahl?“ fragte der Pfeilkreuzler. „Siebenundvierzig.“ „Juden?“ „Keine“, sagte der Hausmeister. Der mit dem Tirolerhut strich sich mit einer müden Bewegung über die Stirn. „Wenn wir Deserteure oder ausländische Staatsangehörige finden, seid ihr auch dran“, sagte er leise. „Jetzt könnt ihr noch nachdenken.“ „Es gibt hier keine“, wiederholte der Hausmeister. „In diesem Haus wohnen nur arme Leute.“ Der Pfeilkreuzler, der mit seiner Taschenlampe den Keller abgegangen war, kam zum Tisch zurück. „Dreiundvierzig“, meldete er. „Vier fehlen?“ „Waren Sie auch im Privatverschlag?“ fragte Onkel János, der Luftschutzwart. Der hiefrige Pfeilkreuzler ging wieder und kehrte nach einer Minute zurück. „Eine Frau und zwei Kinder“, meldete er mit seiner dünnen Fistelstimme. „Drei plus dreiundvierzig.“ „Einer fehlt noch.“ „Ein Soldat“, sagte der Hausmeister, „der eingerückt ist.“ Der Tirolerhut schloß die Augen, als hätte ihn plötzlich die Müdigkeit übermannt. „Wozu führen Sie ihn dann auf der Liste?“ fragte er nach einer Zeit noch leiser. „Wenn er sich nicht mehr hier aufhält, muß er von der Liste gestrichen werden.“ „Er wohnte hier bei seiner Mutter“, entgegnete der Hausmeister. Der Tirolerhut schrieb etwas auf das Stück Papier, das vor ihm lag. „Gibt es hier noch andere Räume?“ „Nein.“ „Du lügst“, sagte der Tirolerhut leise. „Ich sah noch sieben oder acht Türen vom Gang ausgehen. Kohlenkeller?“ „Ja“, sagte der Hausmeister, rot im Gesicht. „Das sind auch Räume“, belehrte ihn der Pfeilkreuzler. „Jetzt schickst du mir alle einzeln her mit ihren Papieren, zuerst die Weiber, dann die Männer.“ 66
Der Hiefrige mit der Fistelstimme ging erneut nach hinten. Die Frauen traten einzeln vor den Tisch. Dem blassen schwarzhaarigen Mädchen, das in dem Bett gegenüber der Tür schlief, wurde es schlecht vor Aufregung, sie mußte sich setzen. Als Tante Anna ihren Namen angab, sann der Tirolerhut mit gesenktem Kopf einen Augenblick nach und drehte seinen Bleistift zwischen den Fingern. Einen dicken goldenen Bleistift hatte er. „Dein Sohn ist dieser Soldat?“ fragte er. Die Alte war plötzlich zusammengeschrumpft, ihre Donnerstimme wurde weich und bekam weiblichen Klang, über ihr Gesicht breitete sich Freundlichkeit aus. „Jawohl, gnädiger Herr“, antwortete sie, „ich habe einen Sohn, der Soldat ist.“ „Wo ist er jetzt?“ „Wenn ich das wüßte!“ seufzte die Alte. „Vorige Woche habe ich von ihm eine Feldpostkarte gekriegt, daraus wird nicht klar, woher er geschrieben hat. Ach, wenn ich wenigstens wüßte, ob er noch am Leben ist!“ Der Tirolerhut nickte zustimmend, als wäre er mit der Antwort äußerst zufrieden. „Stell dich dort an die Wand, Alte“, sagte er. „Dahin, an die Wand neben der Tür.“ Tante Annas Gesicht zuckte kaum merklich. „Jawohl, gnädiger Herr“, sagte sie. Das blasse, schwarzhaarige Mädchen riß vor Schreck die Hand vor den Mund und stöhnte leise auf. Der Tirolerhut drehte ihr den Kopf zu, prüfte sie und beugte sich dann wieder über seine Liste. Noch zwei Frauen fertigte er ab, dann wandte er sich wieder an das Mädchen. „Stell dich auch an die Wand!“ sagte er leise. „Dahin, neben die Alte. Los, hüpfe, meine Kleine!“ Nach einer halben Stunde, als er auch mit den Männern fertig war, winkte er den jungen Pfeilkreuzler, der am anderen Ende des Kellers stand, zu sich. Was sie sprachen, konnte man nicht verstehen. Der junge Pfeilkreuzler ging zur Tür hinaus. Der Tirolerhut lehnte sich auf dem Stuhl zurück, streckte die Beine vor, zog seine Pistole aus der Pistolentasche und legte sie auf den Tisch. Er saß reglos, den Kopf zurückgeworfen, die Augen geschlossen, bis der Pfeilkreuzler, den er weggeschickt hatte, von einem anderen begleitet, zurückkehrte. Sie stießen Tante Annas Sohn vor sich her. Seine Hände waren auf dem Rücken 67
zusammengebunden, eine dicke Kohlenstaubschicht bedeckte sein Gesicht und seinen Anzug. Die Schwangere schlug die Hände vors Gesicht und stieß einen lauten Schrei aus. „Maul halten, keiner soll sich rühren“, kreischte der Hiefrige mit der Fistelstimme. Aus dem Gesicht des Hausmeisters verschwand das letzte Tröpfchen Blut, er wich unwillkürlich einen Schritt zurück. „Dein Urlaubsschein?“ fragte der Tirolerhut. „In meiner Tasche“, antwortete der Junge leise. „Her damit!“ Der kleine Pfeilkreuzler griff ihm in die Brusttasche und holte ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Der Tirolerhut überflog, was darauf stand, und zerriß es dann ganz langsam. „Gefälscht“, sagte er müde. Der Soldat antwortete nicht. Der Pfeilkreuzler, der neben ihm stand, stieß ihn mit dem Kolben seiner MPi in die Seite. „Kannst du nicht antworten?“ „Was soll ich denn sagen?“ knurrte der Soldat. „Er ist nicht gefälscht.“ „Weshalb hast du dich dann in die Kohlen verkrochen?“ fragte der Tirolerhut. „Damit man mich nicht wegschleppt“, sagte der Soldat. „Und damit man mir den Urlaubsschein nicht zerreißt.“ Das blasse, schwarzhaarige Mädchen an der Wand schluchzte laut auf. Im inneren Keller ging die Kerze aus. „He, ihr habt wohl die Kerze ausgelöscht, ihr Schweine?“ brüllte der Pfeilkreuzler an der Tür. „Zündet sie schleunigst wieder an, oder ich schieße!“ „Sie ist abgebrannt“, sagte eine alte, zittrige Frauenstimme in der Dunkelheit. „Warten Sie bitte ein wenig, ich zünde gleich eine neue an.“ „Abgebrannt“, wiederholte der Tirolerhut nachdenklich. „Der kleine Alte dort soll herkommen!“ Er hob langsam den Arm und zeigte auf den pensionierten Briefträger, der ganz hinten zwischen Herrn Andrási und dem alten Dienstmann auf einer Bettkante hockte. Der Briefträger stand sofort auf und trottete zum Tisch. „Von wem hast du den Soldatenrock?“ fragte der Tirolerhut. 68
,,Von dem da!“ murmelte der Alte. „Habt ihr getauscht?“ „Ja.“ „Warum?“ fragte der Tirolerhut und schaute hinter den halbgeschlossenen Lidern hervor dem Briefträger in die Augen. „Darum“, schrie der Alte, „weil wir den Krieg satt haben.“ Einen Augenblick herrschte Stille. „Laß ihn“, sagte der Tirolerhut zu dem Hiefrigen mit der Fistelstimme, der eben die Hand erhoben hatte, um dem Alten ins Gesicht zu schlagen. „Was sagst du?“ „Ich sage mit Verlaub“, rief der Briefträger und bekam einen roten Kopf, „daß dieser Rotzbengel mich ja nicht anrührt, Sonst reiß’ ich ihm die Gedärme aus dem Leib, so wahr ich Károly Csukás heiße.“ Die zwei Pfeilkreuzler vor dem Tisch brachen in schallendes Gelächter aus. Der Tirolerhut verzog keine Miene. „Wir werden dich nicht anrühren“, sagte er, und seine Stimme klang immer müder. „Anrühren werden wir dich nicht; wir werden dich aber erschießen. Los, stell dich an die Wand!“ Noch bevor der Alte sich rühren konnte, trat Tante Anna, die bisher, regungslos an die Wand gelehnt, aus schmalen Katzenaugen ihren gefesselten Sohn beobachtet hatte, mit zwei langen Schritten an den Tisch. Sie beugte ihren mächtigen Oberkörper vor und fragte, dicht über dem Gesicht des Tirolerhuts, mit ihrer tiefen Stimme: „Auch meinen Sohn wollt ihr erschießen?“ „Nur immer sachte!“ brummte der Tirolerhut, während die zwei jüngeren Pfeilkreuzler die Alte an den Armen zurückzerrten. „Was ist denn los? Bist du plötzlich gewachsen? Vorhin kamst du mir viel kleiner vor!“ „Mein Hühnerauge ist größer als du, du Schuft!“ entgegnete die Alte. Das schwarzhaarige blasse Mädchen, das an die Wand gelehnt stand, rutschte langsam nach unten und setzte sich auf den Boden. „Was regst du dich denn so auf, Alte?“ sagte der Tirolerhut. „Dich werden wir nicht erschießen, du bist ja nur die Mutter.“ Als die zwei Pfeilkreuzler den Soldaten und den alten Briefträger in die Mitte nahmen und sie abführen wollten, sprang ihnen Tante Anna nach. Dem einen Pfeilkreuzler trat 69
sie gegen das Schienbein, den anderen packte sie an der Schulter, drehte ihn zu sich um und fuhr ihm mit ihren langen knochigen Fingern ins Gesicht. „Lauf!“ schrie sie heiser. Hinter ihr knallte ein Revolver. Der Soldat verschwand in der Tür. Der Pfeilkreuzler, den sie getreten hatte, lag auf dem Bauch auf der Erde, der andere befühlte wimmernd sein blutüberströmtes Gesicht. Tante Anna neigte sich langsam nach links und fiel auf den Boden. Aus dem Vorraum und etwas später vom Hof her hörte man neue Schüsse. Im hinteren Keller röchelte ein Herzkranker. Gegen Morgen, bevor sie starb, kam die Alte für eine Stunde zur Besinnung. „Angstärsche seid ihr, meine Vögelchen“, sagte sie. „Dabei paßt Feigheit gerade zu den Alten schlecht. Die jungen Leute haben noch die Hoffnung auf ein späteres Glück, was haben aber wir Alten schon zu verlieren. Gott und die Menschen haben uns auf dem langen Weg, den wir zurückgelegt haben, nach und nach verlassen. Unsere Hoffnungen sind ins Wasser gefallen, warum sollte man sich dann nicht wenigstens in der letzten Stunde, bevor man die Seele auspustet, ein Herz fassen und anständig handeln? Ehrlos haben wir gelebt, seit wir auf diese Welt gekommen sind, wer etwas hat, hat es gestohlen, wer nichts hat, leckt dem anderen den Staub von den Füßen, damit er zu etwas kommt. Nichts bekamen wir in diesem verfluchten Jammertal geschenkt als ein Kind in den Bauch oder einen Strick um den Hals. Und jetzt, wo die günstige Gelegenheit gekommen war — denn ihr steht ja sowieso am Rande eueres Grabes —, habt ihr sie auch verpaßt, meine Vögelchen. Wer in seinem ganzen Leben nach dem Nutzen schielt und sich selbst in der allerletzten Minute nicht zusammenreißen kann, damit sein schielendes Auge wieder geradeblickt, der hat es verdient, in die Hölle zu kommen, die er für sich erfunden hat. Ihr werdet genauso nutzlos verrecken, wie ihr gelebt habt. Ein halbes Menschenalter habe ich in diesem Haus verbracht. Wenn ich in dieser Zeit nur einen einzigen gesehen hätte, der seinen Mann gestanden hat, würd’ ich sagen, schon gut, ich vergebe euch, daß ihr geboren worden seid. Aber selbst die Besten von euch wollten nur dadurch selig werden, daß sie niemanden betrogen und nicht gestohlen haben. War einer gut, hat er dem anderen das Kopfkissen 70
zurechtgezogen; war er mutig, hielt er auch die andere Backe hin; war er treu, biß er der eigenen Mutter nicht in die Waden, wenn sie ihm den Rücken zugedreht hatte. Das war aber alles, zu mehr reichte eure Tugend nicht. Mäuschenstill haben sich hier alle in dem feinen, lauwarmen Mist geduckt, damit sie ja keinen Schnupfen kriegten. Aber auch Pflichten haben die armen Leute. Ich muß es euch laut ins Gesicht sagen, damit ihr’s endlich hört. Weil nur der Arme es weiß, was Elend ist, muß er seinesgleichen davor bewahren. Weil er der einzige ist, der einen Gott nötig hätte, soll er ihn verleugnen. Weil sein Leben keinen roten Heller wert ist, soll er es opfern. Eine andere Musik als Kettenklirren können sich die Armen nicht leisten, da sollen sie sie schütteln, daß selbst den eigenen Kindern im Mutterleib das Trommelfell zerreißt. Denkt ihr, meine Vögelchen, daß ihr, wenn ihr einander verbergt, miteinander das Essen teilt und euch verzeiht, wie ihr stinkt, damit der Schöpfung auch nur eine einzige Zwiebel von dem bezahlt habt, was ihr ihr schuldig seid?“
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VI. Angst
Die Lethe fließt nicht vor den Haustoren der Nadorstraße. Als die Witwe Daniska über die doppelte Wendung der Kellertreppe in die Unterwelt hinabstieg, schleppte sie an ihren Schuhen den Staub des in der Oberwelt zurückgelegten Weges mit. Der irdische Staub belebte das Schattenreich und machte es zur Hölle. Ununterbrochen zuckten die schwefligen Blitze der Erinnerung. Frau Daniska guckte sich blinzelnd in der Hölle um. „Schlafen Sie, Tante Mari?“ fragte sie nach einem Weilchen. „Wieso sollte ich denn schlafen?“ antwortete jene. „Warum sollte ich bei hellichtem Tage schlafen, wo ich auch nachts kein Auge schließen kann!“ Die beiden Witwen waren vor einer Woche aus dem Luftschutzraum ihres eingestürzten Hauses in den Nachbarkeller hinübergezogen. Außer Erinnerungen hatten sie nur das Bettzeug und zwei rote Kochtöpfe aus den rauchenden Trümmern gerettet, die acht Jahre ihrer gemeinsamen Vergangenheit verschütteten. Zum Glück waren sie in einen halbwegs vertrauten Kreis geraten; Frau Daniska hatte früher bei den feineren Familien der Gegend gewaschen und geplättet. Tante Mari hatte saubergemacht, so waren sie auch in dem neuen Luftschutzkeller nicht ohne vornehme Bekanntschaft. Allabendlich fiel für die beiden Alten ein bißchen warmes Essen vom Tische des Gerichtsnotars Finiász ab. Und auch Frau Rechtsanwalt Bor lud sie manchmal zu weißem Kümmelbrot und einer Tasse Tee mit Rum ein, von den anderen noblen Kellerbewohnern gar nicht zu sprechen ... „Wenn Sie nicht schlafen, Tante Mari“, fuhr die Witwe Daniska fort, „dann sagen Sie mir, wer der Mann sein könnte, der in der Tür steht. Er wendet keinen Blick von mir!“ Die zierliche Alte sah sich den hageren bärtigen jungen Mann in der Tür an, ihr runzliges, mildes Gesicht blieb aber dabei leblos wie ein blinder Spiegel. „Ich kenne ihn nicht“, brummte sie. „Wenn ich aber genauer hinschaue“, fügte sie hinzu, während sie ihre Brille auf ihre
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Nasenspitze rutschen ließ und den jungen Mann in der Tür jetzt mit ihren entblößten blauen Augen prüfte, „wenn ich genauer hinschaue, scheint es mir, als hätte ich ihn schon mal gesehen.“ „Ich nicht“, erklärte Frau Daniska, „obwohl er, wenn ich es in dieser schwarzen Finsternis richtig sehe, mir zuwinkt.“ „Oder mir“, meinte die Schusterswitwe. „Sehen wir ihn uns an?“ „Von mir aus.“ „Warum kommt er bloß nicht her, wenn er mich sprechen will?“ überlegte Tante Mari, die plötzlich mißtrauisch wurde, und ihr klares, altes Gesicht verdüsterte sich. Sie warf aus den Augenwinkeln einen schnellen Blick auf die Frau mit dem langen Hals, die in ihrem Lammfellpelz auf dem Nachbarbett saß, die Hände in den Schoß gelegt, und mit abgestorbenem Blick bewegungslos vor sich hin starrte. Jedesmal, wenn vom Vorraum her das Zischen und dumpfe Dröhnen einer Explosion hereindrang, kräuselten sich wie Wellen auf dem Wasserspiegel nervöse Fältchen auf ihrem mageren, großäugigen Vogelgesicht. Seit früh um acht, seit der Bombenangriff begonnen hatte, ließ die Vision des Todes, die sich ihr in gräßlichsten Bildern zeigte, ihren erstarrten Blick nicht für eine Minute los. „In einer Viertelstunde wird in Nummer zwölf das Wasser abgestellt, gnädige Frau“, sagte ein älterer Mann neben ihr, „wenn die nicht bald aufhören, gibt es heute kein Mittagessen.“ Die Witwe Daniska stand plötzlich auf und steuerte auf die Vorkellertür zu. „Kommen Sie mit, Tante Mari“, flüsterte sie. Sie mußten sich zwischen zwei Bettreihen hindurchschlängeln, um zu der Tür zu kommen. In dem riesigen Keller, der in seiner ganzen Länge mit starken Pfählen abgestützt war, brannte nur ein einziges Notlicht; das verschwommene Halbdunkel wurde von den krummen Schatten der Pfähle in schwankende Zellen aufgeteilt, in denen reglos nebeneinanderhockende Gestalten an Minuskel auf einem vergilbten Pergament erinnerten. Jedesmal, wenn die Tür zum Nachbarkeller aufging, schwankten die Mäntel, die am Fußende aufgehängt waren, im Luftzug und jagten eine Schar fliehender Schatten durch den riesigen Raum. „Kommen Sie mit in den Vorkeller hinaus, Frau Daniska!“ sagte der bärtige junge Mann in der Tür, als die 73
beiden Mütterchen bei ihm ankamen. Ohne auf die Antwort zu warten, drehte er sich um und ging ihnen voran. Der Vorkeller war leer, aber etwas heller als der Luftschutzraum; von der Treppe her, die zum Hof führte, sickerte ein wenig Sonnenlicht herein. „Jammern Sie mir hier nicht“, sagte der junge Mann heiser, „und reden Sie mich ja nicht mit meinem Namen an! Gibt es Pfeilkreuzler im Keller?“ „Nein“, antwortete Tante Mari mit zittriger Stimme. Die Witwe Daniska bekreuzigte sich. „Führen Sie mich irgendwohin, wo wir allein sind. Machen Sie’s aber schnell, ich möchte mich hinsetzen.“ „Hinsetzen willst du dich?“ wiederholte Frau Daniska verblüfft. „Los“, knurrte der junge Mann. Tante Mari raffte sich auf. Aus dem Vorkeller führte ein schmaler, niedriger Gang an den mit Eisentüren verschlossenen Privatkellern vorbei zu dem Lattenverschlag, in dem der Kessel für die Zentralheizung stand. Der junge Mann knipste seine Taschenlampe an. Hier auf dem Gang war der Kanonendonner stärker zu hören, und man konnte auch deutlich das nervöse Knattern der Maschinengewehre vorbeifliegender Jagdflugzeuge vernehmen. „Die Kohlen sind mir schon mal schlecht bekommen“, brummte der junge Mann und tastete mit dem Licht seiner Taschenlampe den Kesselraum ab. Wo der Lichtkegel der Lampe sie streifte, glänzten die gewellten Kohlenberge schwarz auf. „Aus einem Kohlenkeller haben mich die Pfeilkreuzler schon herausgeangelt. Hier gibt’s wohl keine von dieser Sorte?“ Er warf sich auf die Kohlen. „Ist hier viel Betrieb?“ fragte er und streckte die Beine aus. „Wenn das ein ruhiger Fleck wäre, würde ich bis Abend bleiben.“ Die Witwe Daniska schluchzte laut. Sofort knipste der junge Mann seine Taschenlampe aus. „Halten Sie die Klappe, oder ich gehe gleich“, knurrte er. „Seit drei Tagen habe ich nicht geschlafen ... Wann ist unser Haus eingestürzt?“ „Genau heute vor acht Tagen“, antwortete Tante Mari. „Früh wurde es von einer großen Bombe getroffen, und Mittag kam die zweite.“ „Grad einen Tag nach dem Tod deiner Mutter“, seufzte die Witwe Daniska und wischte sich die Augen. 74
„Mutter ist gestorben?“ fragte der Mann. „Ja, mein Junge“, antwortete Tante Mari. Unter den Schuhen des jungen Mannes kamen die Kohlen ins Rutschen, einige Klumpen prallten polternd an die Stahlwand des Kessels. „Verflucht“, schimpfte er, „machen Sie keinen Krach!“ Er beugte sich nach vorn, seine Gesichtsmuskeln spannten sich krampfhaft, das Kinn sprang hervor: Es regte sich aber nichts, was ihn hätte beunruhigen können.. Seine Augen hatten sich schon an die Dunkelheit gewöhnt, links und rechts erkannten sie die schwankenden Schatten der zwei alten Mütterchen, die sich weich vom tiefen Schwarz der Kohlen abhoben. „Wie ist sie gestorben?“ fragte er barsch. „Die Pfeilkreuzler haben sie erschossen“, sagte Tante Mari, „in dem Augenblick, als du zur Tür hinausgestürzt bist.“ „Die Schüsse habe ich gehört“, murmelte der junge Mann. „Ich glaubte aber, sie würden hinter mir her schießen.“ Tante Mari schüttelte den Kopf. „Zwei Schüsse waren’s, nicht wahr?“ „Zwei.“ Wieder löste sich ein Stück Kohle unter seinen Sohlen, diesmal bemerkte er es aber nicht. „Dann habe ich’s richtig gehört“, sagte er nach einer Weile. „Ich habe zwei Schüsse gehört, fast zur gleichen Zeit. Ich dachte, die schießen hinter mir her ... Gibt es hier keine Pfeilkreuzler?“ „Nein, mein Junge“, versicherte Tante Mari. „Bestimmt nicht?“ „Die würden dich sowieso nicht erkennen, mein Junge“, raunte ihm die Witwe Daniska mit kaum vernehmbarer Stimme zu, „da nämlich selbst wir dich nicht erkannt haben. Tante Mari und ich haben vorhin lange überlegt, ob der bärtige Mann in der Tür uns zuwinkt.“ „Schwatzen Sie nicht so viel, Frau Daniska“, sagte der junge Mann. „Ich habe nicht danach gefragt, ob sie mich erkennen würden, sondern ob es hier welche gibt. Können Sie nicht eine deutliche Antwort geben?“ „Es gibt hier keine, mein Junge“, antwortete die Alte geduldig. Der junge Mann stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Tante Mari starrte wortlos vor sich hin in die dichte, von 75
Kohlenstaub schwere Dunkelheit. Ihr zitterten die Knie. „Möchtest du nicht was essen, mein Junge?“ fragte sie dann und preßte die Hände an die Brust. „Es wäre schön!“ erwiderte der junge Mann zerstreut. „In den letzten drei Tagen habe ich bloß ein paar rohe Rüben gegessen. Was gibt’s denn?“ Vom Hof her erklangen rasch hintereinander zwei ohrenzerreißende Detonationen, der Keller füllte sich mit dichtem Kohlenstaub. „Das war hier in der Nähe“, sagte der junge Mann hustend. „Unsere Gegend ist jetzt tüchtig dran. Gestern abend hätte ich auch fast was auf den Kopf gekriegt.“ „Wo?“ fragte die Witwe. „Drüben an der Ecke, in den Ruinen.“ Er hustete wieder. „Ich verkrieche mich nachts immer dahin, kann aber vor Kälte meist nicht einschlafen. Seit drei Tagen habe ich überhaupt nicht geschlafen. Wenn ich heute nacht hierbleiben könnte...“ Die Alten schwiegen. „Mutter ist also gestorben!“ sagte er nach einer Zeit. „Man könnte sagen, sie ist an meiner Stelle gestorben, nicht wahr? Ich bin der Deserteur, und sie hat man erschossen. Wie alt war sie eigentlich?“ „Vierundsechzig“, sagte Tante Mari. „Wann bist du geboren?“ Der junge Mann antwortete nicht, offenbar war er in Gedanken versunken. Die Witwe Daniska trat von einem Bein aufs andere, die Kohlen knirschten unter ihren Füßen. Irgendwo, am anderen Ende des Gangs, öffnete sich quietschend eine Eisentür. „Wann bist du geboren?“ wiederholte Tante Mari etwas lauter die Frage. Ein Weilchen warteten sie noch auf die Antwort, dann drehten sie sich um und tasteten sich auf den Zehenspitzen, mit vorgestreckten Armen langsam zum Gang. Hinter ihrem Rücken schnarchte es laut und gleichmäßig. Frau Daniska fuhr zusammen. „Er ist eingeschlafen!“ sagte sie laut vor sich hin und schüttelte verwundert den Kopf. „Er ist eingeschlafen, Tante Mari!“ Auf dem etwas helleren Gang blieben sie beide stehen. „Der Hilfshausmeister ist ein Pfeilkreuzler“, sagte Tante 76
Mari. „Der darf es auf keinen Fall erfahren, er würde ihn sofort anzeigen.“ „Der Herr Gerichtsnotar Finiász ist ebenfalls Pfeilkreuzler“, fügte die Witwe Daniska hinzu. Ungefähr in der Mitte des Ganges hielten sie erneut an. Tante Mari lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Auch Herr Doktor Bór ist Pfeilkreuzler“, erklärte sie. „Und wie heißt die Frau mit dem langen Hals, die neben Ihnen sitzt?“ fragte Frau Daniska. „Frau Miloss“, brummte Tante Mari. „Auch die gehört dazu.“ „Und der Hausmeister hält es auch mit ihnen“, meinte die Witwe Daniska, und wieder kamen ihr die Tränen. Im Vorkeller verschnauften die beiden Witwen das dritte Mal. Tante Mari wartete geduldig, bis das Schluchzen ihrer erregten Freundin verebbt war, dann tupfte sie zärtlich mit ihrem Taschentuch die Tränen ab, die an der Nase der alten Wäscherin herunterkullerten. „Der Hilfshausmeister stiehlt Kohlen aus dem Heizkeller“, sagte sie, „erst gestern habe ich ihn wieder zwei Eimer voll holen sehen.“ „Dann entdeckt er den Jungen ganz bestimmt“, schluchzte Frau Daniska. Erneut ließ ein Mineneinschlag die Wände erzittern. Drinnen im Keller löste sich ein Stück Putz von der Decke, fiel auf den Kopf der kleinen Tochter von Bors und ritzte ihr die Stirn auf. Die Gesellschaft, die um das Bett der Anwaltsfamilie versammelt war, verstummte. Eine Zeitlang hörte man aus dieser Ecke nur das erschrockene Kind wimmern. „Sie sind schon in der Andrassystraße“, sagte dann der Anwalt. „Die Pester Seite ist verloren!“ „Károly, ich flehe dich an, gehen wir nach Buda hinüber, ehe es zu spät ist!“ redete ihm seine Frau leise zu. Sie war groß, hatte ein rundes Gesicht, blendendweiße Zähne und dichte, zusammengewachsene Augenbrauen. „In der Villa meiner Mutter hätten wir alle reichlich Platz.“ „Ich gehe nicht“, sagte der Anwalt. Gerichtsnotar Finiász, der mangels eines Bettes in einem grünen Ledersessel zwischen dem Bett der Anwaltsfamilie und dem Sofa seiner Frau schlief, lachte leise auf.
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„Ich an Ihrer Stelle würde allerdings gehen“, brummte er, „wenn die Russen einmarschieren, wird es hier nicht heiter zugehen.“ „Wenn sie einmarschieren!“ „Bestenfalls noch zwei Tage“, sagte der Anwalt, und sein kalkweißes Gesicht verzog sich. „Wollen Sie’s darauf ankommen lassen, Herr Kollege?“ Der Anwalt zuckte die Achseln. „Károly, ich bitte dich...“ „Entweder gelingt es, oder es gelingt nicht“, sagte ihr Mann und schaute sich blinzelnd um. „Erreichen würden sie uns sowieso. Nicht nur in Buda, sondern auch in Deutschland, Herr Gerichtsnotar! Was für Wunder erhoffen Sie denn noch?“ Vom Nachbarkeller aus stieß jemand die Lattentür auf, blieb einen Augenblick im Durchgang stehen, schaute sich um und zog sich dann beruhigt wieder zurück. „Das hat nicht hier eingeschlagen!“ verkündete drei Betten weiter ein pensionierter Oberst, der, obwohl er auf beiden Ohren schwerhörig war, die ballistischen Ereignisse mit jeden Widerspruch ausschließenden Kommentaren versah. Von der Decke rieselte der Kalk auf die Betten. ,,O Gott!“ kreischte eine Frauenstimme in einer anderen Ecke des Kellers. „Ich halte das nicht länger aus!“ Keiner rührte sich. Eine alte Frau begann leise zu weinen, die Tränen rannen ihr unter der Brille hervor. „Von mir aus kann die ruhig verrecken“, sagte die zierliche, schwarzhaarige Frau des Gerichtsnotars, deren Gesicht dem einer Maus ähnelte. „Einen ganzen Zentner Kartoffeln hat sie in ihrem Keller, aber kein einziges Stück würde sie davon abgeben.“ Die Rotkreuzschwester des Hauses raffte sich mürrisch von ihrem Bett auf und brachte die Ohnmächtige mit ein bißchen Essig zur Besinnung. In einer knappen Viertelstunde würde auch Frau Miloss den Essigschwamm nötig haben. Frau Miloss saß, in ihrem Pelzmantel verkrochen, neben dem Anwalt zwischen zwei Betten auf einer niedrigen Fußbank und hörte mit vorgebeugtem Kopf dem Gespräch zu, das über ihren Haarschopf hin und her ging. Wenn sie die Augen vom Fußboden losriß, in dessen grauem Beton sie nach den Traumbildern einer imaginären Welt forschte, glitt ihr metallisch glänzender Blick auf das eckige, vollblütige Gesicht des Gerichtsnotars Finiász, hielt dort einen Seufzer lang inne und 78
wandte sich dann rasch wieder den Visionen der Unterwelt zu. Ihr Körper vibrierte dabei wie eine angespielte Saite, der Hals rötete sich, die schönen Perlenzähne blinkten selbstvergessen zwischen ihren wulstigen, blutrot bemalten Lippen hervor. Der Gerichtsnotar schaute weg. „Entweder gelingt es, oder es gelingt nicht! Erreichen würden sie uns sowieso. Nicht nur in Buda, sondern auch in Deutschland, Herr Gerichtsnotar! Was für Wunder erhoffen Sie denn noch?“ hörte sie die Stimme des Anwalts. Frau Miloss warf den Kopf hoch, ihr Blick streifte das Gesicht des Gerichtsnotars, ihre Knie öffneten sich ein wenig. Auch ihre Lippen bewegten sich, aber man konnte nicht hören, was sie sagte, eine neue Detonation und das Kreischen der der Ohnmacht nahen Frau löschten jeden anderen Laut aus. „Einen ganzen Zentner Kartoffeln hat sie in ihrem Keller, aber keine einzige würde sie davon abgeben“, hatte vorher Frau Finiász gesagt, die mit ihrem grauen Mausgesicht und ihrem schmächtigen Körper so gar nicht für ihren robusten Mann geschaffen schien, so wie der bloße Heuduft einen hungrigen Ochsen nicht zu sättigen vermag. Oder vielleicht doch? Frau Miloss schüttelte unwillkürlich den Kopf. Die feuchte Kellerluft wurde vom Essiggeruch noch unerträglicher. ,,O Gott! Ich halte das nicht länger aus“, schrie die Frau in der Ecke, „hier muß man verrückt werden!“ Frau Miloss warf den Kopf wieder in den Nacken. „Was meinen Sie, Herr Doktor“, fragte sie den Rechtsanwalt, „muß ich meine Wohnung zurückgeben, wenn die Russen kommen?“ „War es eine Judenwohnung?“ Sie nickte wortlos. „Wahrscheinlich ja“, sagte der Anwalt. „Es wird natürlich auch davon abhängen, ob der alte Besitzer zurückkehrt.“ „Ich kenne ihn ja gar nicht.“ Der Gerichtsnotar lachte. „Sie werden schon seine Bekanntschaft machen, wenn er zurückkommt.“ „Und wenn er nicht wiederkommt?“ Die Frau drehte sich dem Anwalt zu und richtete die Frage an ihn, als hätte sie das hinterhältige Lachen des Gerichtsnotars überhört.
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„Warum sollte er denn nicht zurückkommen?“ sagte der Anwalt verärgert. „In dem Moment, wo die Unseren weg sind, brechen sie aus dem Getto hervor wie die Bestien. Es sei denn...“ „Es sei denn, man jagt das ganze Getto vorher in die Luft, nicht wahr?“ fragte die Frau heiser. „Und selbst wenn es in die Luft gejagt wird!“ sagte der Gerichtsnotar nach einiger Zeit. „Einer aus der Sippschaft kommt schon davon, und der wird an Ihnen, gnädige Frau, sogar für die sieben Wunden Christi Rache nehmen.“ Frau Miloss erhob ihr plötzlich erglühtes Vogelgesicht, ihr matter Blick glänzte wieder auf. „An mir?“ rief sie barsch. „Was habe ich ihnen denn getan? Habe ich sie vielleicht ins Getto gesperrt? Ich bin in eine leere Wohnung gezogen, die mir von den Behörden zugewiesen wurde. Ist es meine Schuld, daß ...“ „Nicht so laut!“ mahnte der Anwalt. Frau Miloss ließ sich jedoch nicht stören. Sie wand sich langsam von der Fußbank hoch, strich mit beiden Händen über ihre schlanke Taille und drehte sich mit gespreizten Beinen, leicht nach vorn gebeugt, dem Gerichtsnotar zu. „Was wollen Sie von mir?“ fragte sie leise, beinahe demütig. „Warum quälen Sie mich?“ „Wieso?“ murmelte der Mann errötend und warf einen hastigen Blick auf seine Frau. Frau Miloss schloß die Augen. „Wird man mich aus der Wohnung treiben?“ „Warum regen Sie sich so auf, Ilonka!“ sagte der Anwalt immer gereizter. „Vorläufig ist es noch nicht einmal sicher, ob von dieser Wohnung auch nur ein Stein übrigbleibt ... oder ob Sie mit dem Leben davonkommen und diese Wohnung noch einmal betreten werden. Wenn das so weitergeht, werden wir alle bei lebendigem Leibe in dieser Hölle verbrennen.“ Diesmal schlug eine Mine aller Wahrscheinlichkeit nach im Haus selber ein: Der Fußboden schwankte unter ihren Füßen, Staub drang aus den Wänden, vom Tisch rollte ein Glas und zerschellte klirrend am Boden. Die Frau des Anwalts hielt sich mit beiden Händen am Bett fest. „Man wird mich also aus der Wohnung jagen“, fragte Frau Miloss noch einmal. „Und wer wird mir zurückzahlen, was mich der Kammerjäger und das Vorrichten gekostet haben. Sie vielleicht, die Sie mir die Wohnung zugewiesen haben?“ 80
„Ich?“ fragte der Gerichtsnotar entgeistert. Sie schlug plötzlich beide Hände vors Gesicht und warf sich in ihrer ganzen Länge aufs Bett. Der Weinkrampf zerstörte blitzschnell die strenge Disziplin des mageren Körpers, die Glieder schlugen wild um sich, wie sich ein Baum im Sturm selber peitscht, der Bauch wölbte sich schamlos vor, der Hals zuckte so stark, als wollte er sich vom Körper losreißen, der eine nicht zugeschnürte Schuh flog ihr vom Fuß. Die Schatten der Ohnmacht färbten ihr Gesicht dunkel. Eine gute halbe Stunde dauerte es, bis sich der Krampf gelöst hatte, ihr wildes Gekreisch, das den ganzen Keller aufschreckte, verebbte und sie aus der Bewußtlosigkeit in einen tiefen Schlaf hinübergeglitten war. Inzwischen hatte auch der Beschüß aufgehört. Der Keller wurde mit einem Male leer, unten blieben nur — unter der Aufsicht von einigen Frauen — die Kinder, außerdem eine schwarzgekleidete Dame, die mit einem leichten deutschen Akzent sprach, und ihr Sohn. Beide waren aus einem der Nachbarhäuser hierher überwiesen worden. Man öffnete die Lüftungsklappe, die Frauen machten sich ans Kehren. Im großen Herd prasselte laut das nasse, frische Holz. Der Hilfshausmeister holte aus dem Nachbarhaus, wo wegen des Luftangriffs vom Vormittag für eine Stunde die Wasserleitung wieder aufgedreht wurde, zwei Eimer Wasser. „Ist das alles?“ fragte die Frau des Anwalts den Luftschutzwart des Hauses, als sie sah, daß der Hilfshausmeister die Eimer neben den Herd stellte und Vorkehrungen zum Holzhacken traf. Der Mann zuckte die Achseln. „Das reicht ja nicht einmal zum Kochen“, meinte sie. „Und auch für den Abort brauchen wir zwei Eimer.“ „Ich komme sowieso nicht mehr dran“, knurrte der Hilfshausmeister. „Die halbe Straße steht drüben Schlange, und schon um zwölf Uhr wird das Wasser wieder gesperrt.“ „Widersprechen Sie mir nicht“, sagte die Frau streng. Als der Hilfshausmeister mit zwei weiteren Eimern zurückkam, war Frau Bór nicht mehr im Keller. Fluchend knallte der Mann die zwei Eimer neben den Herd, daß dabei die Hälfte des Wassers ausschwappte. Sein Gesicht war schweißüberströmt.
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„Auch diese Sorte müßte man ins Getto sperren.“ Er stand mit gekrümmtem Rücken, seine schmalen Augen über den hervorspringenden Backenknochen glühten vor Haß. „Schinden die einen nicht genauso wie die Juden. Gott verdamm’ sie!“ Frau Daniska, die auf den Knien emsig das verschüttete Wasser aufwischte, wandte ihm ihr gerötetes, gutmütiges Gesicht zu. „Man darf nicht fluchen, Onkel Péter!“ sagte sie leise. „Weder weiser noch dicker wird man davon.“ „Recht hat er aber“, meinte eine der kehrenden Frauen. „Auch der gnädigen Frau Doktor würden die Hände nicht abbrechen, wenn sie zwischen dem ersten und dem zweiten Frühstück einen Besen anfaßte.“ „Die Arme käme dabei sicher ganz herunter“, sagte eine andere. Der Hilfshausmeister, der bis dahin in gebückter Haltung reglos am Herd gestanden und den Fußboden angestarrt hatte, machte jetzt plötzlich kehrt und ging, sich in der Schulter wiegend, dem Durchgang zu. Bei der Lattentür drehte er sich um. „Ich gehe jetzt mein zweites Frühstück einnehmen“, sagte er spöttisch und zwirbelte seinen fahlen Schnurrbart. „Aber ich will euch mal was sagen, ihr Weiber, es kann keine anständige Welt sein, in der der Mensch stehlen muß.“ Die launig umherschweifende, flinke, erfindungsreiche Phantasie der Frauen spann den begonnenen Gesprächsfaden weiter. Sie nahmen sich die vielfältigen Möglichkeiten in den Beziehungen zwischen Herr und Diener vor, berochen mit schnuppernden, spitzen Nasen die vollgestopften Speisekammern der Herrschaften, malten sich die nie gesehenen und trotzdem bis aufs letzte Gramm bekannten Vorräte aus, erwogen die Unterschiede im Anblick und im Geschmack zwischen einer Nudelsuppe und geräuchertem Rippenfleisch und machten sich dann, nachdem sie aus diesem Abenteuer mit einem tiefen Seufzer auf die Erde zurückgekehrt waren, mit geübten Fingern und duldsamen Herzen an die Zubereitung der Nudelsuppe. Unterdessen hatten sich Tante Mari und die Witwe Daniska in eine Fcke zurückgezogen, wo sie zwar leise, aber sehr erregt aufeinander einsprachen. „Haben Sie gehört, was er eben gesagt hat?“ fragte die Witwe Daniska. „Daß der Mensch in dieser Welt stehlen 82
muß! Vielleicht geht er jetzt gleich in den Heizungskeller, um sich Kohlen zu holen.“ „Auch gestern habe ich ihn um diese Zeit ’rauskommen sehn.“ „Pst, leiser!“ flüsterte Frau Daniska. Tante Mari drehte sich um, warf einen schnellen Blick auf die schwarzgekleidete alte Dame mit dem deutschen Akzent, die hinter ihrem Rücken in einem Sessel an der Wand vor sich hin dämmerte. Ihr Sohn saß neben ihr. „Vor denen brauchen wir keine Angst zu haben“, sagte sie, „das sind doch Juden.“ „Juden?“ fragte die Witwe Daniska verblüfft. „Was Sie nicht sagen ... Juden?“ „Sie haben irgendeinen amerikanischen Paß“, berichtete Tante Mari weiter, „deshalb hat man sie bis heute noch nicht verschleppt. Jetzt könnten Sie aber, Frau Daniska, vielleicht schnell mal in den Heizungskeller gucken!“ „Und was soll ich sagen“, fragte die alte Wäscherin, während sie mit sorgenschweren Schritten zum Ausgang ging, „wenn ich ihn dort treffe?“ Frau Veress, die schwarzgekleidete alte Dame mit dem deutschen Akzent, erwachte jeden Morgen genau um fünf Uhr in ihrem Sessel. Da es ihr sehr peinlich wäre, die Umgebung in ihrem Schlaf zu stören, und sie sich mit ihren achtzigjährigen, schon etwas unsicheren Augen und Beinen allein nicht auf den Weg traute, vor dessen winzigen, heimtückischen Abenteuern sie größere Angst hatte als vor einem Bombenangriff, mußte sie abwarten, bis so gegen sieben der ganze Keller munter geworden war und ihr Sohn sie, in der einen Hand einen tropfenden Kerzenstummel, in der anderen ihre drei Handtaschen, ihr Schultertuch und ihren Regenschirm, in den kleinen Holzschuppen am äußersten Ende des Ganges führen konnte, wo sie zwischen den säuerlich riechenden Eichenholzscheiten, mit einer Hand an die Wand gestützt, unter leisem ärgerlichem Brummen die morgendliche Spannung ihres Organismus lösen konnte. „Hast du eine Ahnung, was das für eine Qual ist, so lange warten zu müssen!“ erklärte sie ihrem Sohn jeden Morgen auf dem Rückweg in unverändertem Wortlaut und Tonfall, während sie mit ihrem Stock die unebenen Steinfliesen des Ganges vorsichtig abtastete und begierig, aber mit großer Umsicht ihrem Ziel zustrebte. Der in 83
ein weißes Tuch gehüllte Kopf war starr nach vorn gerichtet, der Oberkörper folgte dem vorgestreckten linken Arm — sie wirkte wie die Verkörperung großer, nur durch die traurigen Erfahrungen eines langen Lebens gemäßigter Leidenschaftlichkeit. Die Zeit von fünf bis sieben verging hauptsächlich mit dem Erwägen dieser Erfahrungen. Die müden Augen unverwandt auf das glimmende öllicht am anderen Ende des Kellers gerichtet, das wie ein fernes Wachtfeuer mahnte, aber die Finsternis nicht zu erhellen vermochte, prüfte die alte Dame sorgfältig die wechselvollen Stationen ihres Lebens. Die wie zu Kristallen erstarrten Erinnerungen lebten wieder auf, ihre riesigen, schwankenden Schattengestalten schleppten sich durch den dämmrigen Keller, der sich widerstandslos jener Scheinwelt öffnete und den rasch aufeinander folgenden Gesichtern gleichsam als Drehbühne diente. „Wüßte ich bloß, wie spät es ist!“ murmelte von Zeit zu Zeit die alte Dame, wenn eine Erscheinung zerrann, und klopfte, sooft sie von ihrem Organismus mit einem unsanften Fingerzeig auf das Fortschreiten der Zeit aufmerksam gemacht wurde, mit ihrem Stock vorsichtig auf den Steinboden. „Wollt ihr denn ewig schlafen, ihr Affen?“ Frau Veress hatte auch tagsüber reichlich Zeit, bei ihren Erinnerungen zu verweilen. Die Bewohner des Kellers (sie kannte sie ja auch erst seit acht Tagen) zogen sich wegen der sansalvadorischen Staatsangehörigkeit, die ihr die letzte noch lebende Verwandte von der Schweiz aus verschafft hatte, sichtlich zurück, und ihr Sohn saß die kurze Zeit, die er im Keller verbrachte, schweigend mit gesenktem Kopf neben ihr. So konnte sie sich außer der Beschwörung ihrer Vergangenheit noch einer anderen, höheren Unterhaltung widmen; sie murmelte halblaut mit groß aufgerissenen, enthusiastischen Augen Gedichte vor sich hin. Wie die Erde in ihren tieferen Schichten die Geschichte ihrer Urzeit festhält und aufbewahrt, die Erscheinungen ihrer Oberfläche dagegen in Stunden vom Wind weggetragen werden können, so behielt das Gedächtnis der Alten die pliozänen Ereignisse ihres Lebens, versteinert überstanden sie unverletzt eine jede Krise. Was sie einst siebzehnjährig auswendig gelernt hatte, Goethe- und ByronGedichte, ganze Szenen aus Shakespeares Tragödien, Oden
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von Klopstock oder Distichen von Lessing, das trug sie unverstümmelt im alten Glanz ihrer Vollkommenheit, gleich einer Mineraliensammlung, ihrem Tod entgegen, wie Staub entrannen ihr aber die neuzeitlichen Ereignisse, und sie vergaß sogar oft, daß sie in einem fremden Haus, unter fremden Leuten lebte und daß es an einem Haare hing, ob sie mit dem Leben davonkommen würde. „Heraus in euere Schatten, rege Wipfel!“ rezitierte sie in aller Frühe in ihrem Sessel, wenn ihre Blase sie gar zu sehr plagte, und musterte kopfschüttelnd, Tadel und Empörung im Blick, ihre Schlafgenossen, die von der schwachen, flackernden Flamme des Öllichts beleuchtet in fröhlichem Einverständnis nichts ahnend unter ihren dicken Federbetten schnarchten. „Hast du gehört, Tamás, sie haben davon gesprochen, daß wir Juden sind“, flüsterte sie ihrem Sohn zu, als Frau Daniska und Tante Mari auf dem Weg zum Gang an ihrem Sessel vorbeigetrippelt waren. „Woher wissen sie das bloß?“ „Mach dir deshalb keine Sorgen, Mutter!“ sagte er. „Natürlich mache ich mir Sorgen“, brummte die Alte. „Wie verrückt die Leute heutzutage sind, können sie uns noch anzeigen!“ Vom Hilfshausmeister begleitet, traten zwei fremde Männer in den Keller. Einige Sekunden blieben sie an der Lattentür stehen, durchforschten mit ihren Blicken den Raum und gingen dann geradewegs auf den Sessel der alten Dame zu. Der eine zog den Hut. „Frau Veress?“ Der junge Mann stand auf. „Ja, meine Mutter.“ „Ihre Mutter“, wiederholte der Fremde. „Demnach sind Sie Tamás Veress?“ „Ja, ich bin’s.“ „Staatspolizei“, sagte der Mann. „Nehmen Sie Ihre Papiere und kommen Sie mit!“ Die alte Dame, die inzwischen ihre tägliche Morgengymnastik begonnen hatte — sie absolvierte jeden Tag vierhundert Arm-, Gelenk-, Bein-, Knie- und Fußgelenkübungen in genau festgesetzter Reihenfolge und Verteilung —, streckte die Arme in Richtung auf den Geheimpolizisten waagerecht aus. „Die Herren werden verzeihen, daß ich sie etwas warten lassen muß, im Augenblick kann ich aber leider nicht weg“, sagte sie 85
und zeigte mit einer graziösen Handbewegung auf das Nachbarbett: „Nehmen Sie bitte bis dahin Platz! In einer halben Stunde bin ich fertig und stehe Ihnen zur Verfügung.“ „Wie bitte?“ fragte der Geheimpolizist. Die alte Dame streckte die Arme abermals vor. „Ich lasse Sie höchst ungern warten“, sagte sie leicht keuchend, „meine Gymnastik darf aber auf keinen Fall unterbrochen werden. Sie nimmt zwar nicht viel Zeit in Anspruch, nur ausruhen muß ich mich hinterher immer eine halbe Stunde, weil ich nach den Übungen meist ein klein wenig erhitzt bin. Und jetzt spreche ich nicht mehr!“ Die Frauen, die noch im Keller geblieben waren, versammelten sich um die kleine Gruppe. Tamás Veress, der den anderen Geheimpolizisten beiseite gezogen hatte, erreichte nach kurzem Verhandeln, daß seine achtzigjährige Mutter, deren Flucht ja kaum zu befürchten war, im Keller bleiben konnte, während er mit den Geheimpolizisten auf das Polizeipräsidium ging. Er wies in der Abteilung für Staatsschutz ihre von der Republik San Salvador ausgestellten Pässe vor, die Aufenthaltserlaubnis der Kontrollbehörde für Ausländer, weiterhin einen Brief des Schweizer Konsulats, laut dessen sie das Recht hatten, in einem arischen Hause zu wohnen, und wurde bereits nach einer Stunde wieder freigelassen. Er ging nicht gleich nach Hause. Nach einem kleinen Umweg, auf dem er sich vergewissern konnte, daß man ihn nicht verfolgte, trat er in ein Haus in der Graf-Istvan-Tisza-Straße ein. Vor einer Ateliertür blieb er stehen. Er mußte fünfmal klingeln. „Du hast dich verspätet“, sagte der Mann, der ihm die Tür aufmachte. Veress antwortete nicht sofort. Er setzte sich auf einen Küchenhocker und knöpfte sich den Mantel auf. „Hier hast du die Papiere. Zwei Geburtsurkunden, eine aus Nagyvárad und eine aus Kolozsvár, zwei Heiratsurkunden, ebenfalls dort ausgestellt, ein katholischer Taufschein aus Nagybánya. Den reformierten konnte ich noch nicht beschaffen. Drei schwedische Schutzbriefe. Zwei und zwei sind vier, fünf, acht. Stimmt’s?“ Er knöpfte sich den Mantel zu. „Ich wäre fast hochgegangen“, sagte er heiser. „Man hat mich aufs Polizeipräsidium gebracht mit den Papieren in der Tasche. 86
Zum Glück haben sie mich nicht durchsucht.“ „Wo hat man dich festgenommen?“ fragte der Mann. „Im Luftschutzkeller.“ „Anzeige?“ „Ja.“ „Dann müßtet ihr von dort wegziehen“, riet ihm der Mann. „Heute gegen abend können schon die Pfeilkreuzler da sein.“ „Weißt du etwas, wo wir unterkommen könnten?“ Der andere schüttelte den Kopf. „Auch keine Aussicht?“ „Auch das nicht.“ „Gib mir eine Zigarette!“ sagte Veress. „Könnten wir nicht für die eine Nacht zu dir kommen?“ „Unmöglich“, brummte der Mann. „Hier kann niemand schlafen.“ Tamás Veress stand auf und ging dem Ausgang zu. An der Tür wandte er sich noch mal um. „Ich möchte nicht, daß meine Mutter zur Donau geschleppt wird“, sagte er. „Nimm sie nur für die eine Nacht auf! Ich weiß, daß auch andere schon bei dir geschlafen haben.“ Der Mann schüttelte erneut den Kopf. „Es geht nicht“, sagte er, „es tut mir sehr leid. Komm morgen oder übermorgen gegen Abend wieder vorbei, vielleicht finde ich irgend etwas für dich.“ Seine Frau, grauhaarig, dick und mit einer rosa Gesichtshaut, die während des ganzen Gesprächs auf dem Küchentisch in einer blauen Schüssel Brotteig geknetet hatte, drehte sich rasch um. „Wozu soll er kommen?“ sagte sie nervös. „Wir können ihm sowieso nichts verschaffen. Wenn er zwei Tage früher gekommen wäre...“ „Du hast Pech“, brummte der Mann, gähnte dabei und machte die Tür auf. In der Ferne dröhnte es dumpf, als kegelten Riesen irgendwo auf einer weiten Kegelbahn. Es goß in Strömen. Als Veress zu Hause ankam, waren schon die meisten Bewohner des Hauses aus ihren Wohnungen in den Keller zurückgekehrt, den jetzt das Summen lebhafter Gespräche erfüllte. Seine Mutter saß mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel. Ihr knochiges Gesicht, das gemeißelte Kinn und die große, gerade Nase 87
waren zu Stein erstarrt wie eine Grabinschrift. Obwohl sie auf beiden Ohren ein bißchen schwerhörig war, erkannte sie schon aus großer Entfernung die Schritte ihres Sohnes; ihre Gesichtszüge wurden plötzlich weich, die Augen öffneten sich, wurden groß und bekamen wieder Glanz. „Na also!“ brummte sie. „Alles in Ordnung, Mutter“, sagte er. „Sie wollten bloß unsere .Papiere sehen. Ich mußte sehr lange warten, es waren viele vor mir!“ Die Alte nickte. „Ich dachte es mir schon“, sagte sie. „Es hat lange gedauert. Hilf mir aus dem Sessel.“ „Wozu?“ „Na wozu wohl?“ fragte die Alte verärgert. „Ich muß hinaus. Seit früh um sieben war ich nicht. Was denkst du, wie lange hält der Mensch das aus! ,Quo usque tandem abutere Catilina patientia nostra’, sagte bei solchen Gelegenheiten dein Vater.“ Auf dem Rückweg blieb sie im Vorraum neben der Wendeltreppe zum Hof stehen. „Habe ich sie nicht geschickt abgewimmelt?“ fragte sie. „Habe ich ihnen nicht fein meine Meinung gesagt? Daß ich mit ihnen aufs Polizeipräsidium gehe, bloß um mich auszuweisen! Als ob sie die Papiere nicht auch hier hätten anschauen können. Sie haben richtig Angst vor mir gekriegt, nicht wahr?“ „Ja, Mutter.“ Die Alte mußte lachen. „Sein Gesicht hättest du sehen müssen!“ sagte sie, während sie aus der inneren Brusttasche ihres Wintermantels stöhnend ein dünnes Batisttaschentuch hervorholte und sich den Mund wischte. „Der hat mich angeglotzt, daß ich fürchten mußte, ihn könnte gleich der Schlag treffen. Am liebsten hätt’ ich ihn noch gefragt: Verehrter Herr, Sie wissen wohl gar nicht, was Gymnastik heißt.“ Vom Hof her drang das Geheul von Flugzeugmotoren herein. „Luftangriff?“ fragte die alte Dame. „Gut, daß du wieder zu Hause bist. Wenn du bis zwei nicht gekommen wärest, wäre ich dir nachgelaufen.“ Jetzt mußte Tamás lachen. „Aufs Polizeipräsidium?“ 88
„Ich hatte schon mit Tante Mari ausgemacht, daß sie mich begleitet. ,Bis zwei warten wir’ — sagte ich ihr, als sie sich zu mir setzte, um mich zu trösten —, .wenn er bis dahin nicht kommt, gehen wir und holen ihn zurück’ ... Könnten wir hinauf, ich möchte ein wenig auf dem Hof spazierengehen.“ „Jetzt geht es nicht, Mutter.“ Ihr altes Gesicht wurde plötzlich feuerrot vor Wut. „Wie lange soll ich denn noch warten?“ rief sie und klopfte mit ihrem Stock energisch auf den Zementfußboden. „Gestern hast du mir erzählt, die Russen wären schon beim Ostbahnhof. Als wir neunzehnhundertzweiundzwanzig, vor zweiundzwanzig Jahren, aus Savanyúkút heimgekehrt waren und weder Straßenbahn noch Taxis fuhren, machte ich, obwohl ich auch damals schon eine alte Frau war, den Weg vom Ostbahnhof bis zu meiner Wohnung in der Arpadstraße zu Fuß in einer dreiviertel Stunde. Und die marschieren schon einen ganzen Tag.“ Über ihnen ertönten Schritte auf der Wendeltreppe, die Alte verstummte. „Wer kommt denn dort?“ fragte sie dann laut und schaute hinauf. „Frau Doktor Bor?“ „In voller Lebensgröße, gnädige Frau“, grüßte diese, inzwischen am Ende der Treppe angelangt. Ihr Mann, der ihr folgte, lüftete wortlos den Hut und ging weiter. „Na sehen Sie, Ihr Sohn ist schon wieder da“, sagte sie lächelnd; ihr großes, rotes Gesicht mit den blendendweißen Zähnen glühte auch in der dumpfen Kellerluft, als hätte es ein heiterer Gott aus dem Material des Sommers geformt. „Hab’ ich Ihnen nicht gesagt, gnädige Frau, machen Sie sich um ihn keine Sorgen, er wird sicherlich nur warten müssen...“ Sie hakte sich bei der Alten ein. „Kommen Sie doch bitte herein, wir werden wahrscheinlich einen Luftangriff bekommen ... Man hat sie also freigelassen, Herr Veress?“ „Wie Sie sehen, gnädige Frau.“ „Und man hat Ihnen natürlich auch die Papiere zurückgegeben?“ Der junge Mann antwortete nicht. Er wartete, bis seine Mutter in der Tür zum Luftschutzkeller verschwunden war und das laute Klopfen ihres Stockes verriet, daß sie schon auf dem schmalen, gewundenen Pfad zwischen den Betten ihrem Sessel zuging. 89
„Einen Augenblick, bitte!“ sagte er zu Frau Bor, die seiner Mutter eben folgen wollte. „Haben Sie uns bei der Polizei angezeigt?“ Die Frau drehte sich langsam um. „Wie kommen Sie denn darauf?“ sagte sie ruhig, ihr Gesicht wurde aber um eine Spur blasser. „Der Geheimpolizist hat’s gesagt.“ „Der Geheimpolizist hat gelogen“, antwortete die Frau. „Ich habe Sie nicht angezeigt. Ich war auf der Polizei und habe gefragt, ob ich ausländische Staatsangehörige im Haus aufnehmen darf, habe aber keinerlei Anzeige gegen Sie erstattet. Ich bin Luftschutzwart, Herr Veress, und habe meine Vorschriften.“ „Haben Sie sich auch in der Pfeilkreuzlerpartei danach erkundigt?“ fragte er. „Was geht mich die Pfeilkreuzlerpartei an?“ rief sie. Im Licht der Sturmlaterne blitzten ihre tierisch weißen Zähne auf, ihr großer, schwarzer Haarknoten sprühte blaue Funken. „Sie wissen doch, daß ich nicht bei den Pfeilkreuzlern bin.“ Der junge Mann nickte. „Ich weiß es nicht“, sagte er trocken. „Wenn es aber so ist, gnädige Frau, dann war es äußerst unvorsichtig von Ihnen, uns bei der Polizei anzuzeigen. Wenn uns jetzt nämlich jemand von denen die Pfeilkreuzler auf den Hals schickt, wird man heute nacht von hier nicht nur mich und meine Mutter mitnehmen.“ Der Nachmittag verging verhältnismäßig ruhig; sogar der erwartete Bombenangriff blieb aus. Es hieß, die Deutschen hätten in der Gegend von Székesfehérvár Durchbruchsversuche unternommen und die Russen deshalb ihre Luftstreitkräfte offenbar auf diesen Frontabschnitt zusammengezogen. Die feste Tagesordnung des Kellers geriet durcheinander, kaum zehn bis fünfzehn Leute trieben sich noch in den zwei großen Räumen herum, und auch von denen schliefen die meisten oder ruhten wortlos, mit entspannten Nerven auf ihren Betten. Die Frauen hatten sich in die Wohnungen zerstreut, der größte Teil der Männer rauchte auf dem Hof oder blickte, im Tor stehend, hinaus auf die zerschossene Straße und nach dem schnell dunkelnden Winterhimmel, über dessen tief hängende Wolken von Zeit zu Zeit das Mündungsfeuer einer Flak glitt. Von der Donau her fegten bisweilen heftige Wind90
stoße durch die Straße. Frau Miloss rauchte in einem Winkel des Vorkellers nahe der Treppe. Als Gerichtsnotar Finiász vom Hof kam und in den schmalen Gang einbog, der in den Luftschutzkeller führte, warf sie ihre Zigarette weg. „Ich möchte dich sprechen“, sagte sie leise hinter seinem Rücken. Sie bemerkte trotz der Dunkelheit, daß der Gerichtsnotar zusammenfuhr und, anstatt stehenzubleiben, noch einen schnellen Schritt zum Luftschutzraum machte; erst dann drehte er sich um. „Warum lauerst du mir auf?“ fragte er nervös. Sie beantwortete die Frage nicht. „Wir gehen nach hinten“, sagte sie. „Ich muß dich sprechen.“ „Wozu so viel sprechen!“ brummte er. „Sprechen ... immer nur sprechen...“ Beiderseits des Gangs öffneten sich kleinere Keller, die sich die vornehmeren Bewohner des Hauses mit Sofa, Sesseln und Gardinen als ihre Salons eingerichtet hatten. Einige von ihnen hatten sogar einen Ofen aufgestellt und verbrachten auch die Nächte hier. Der Privatkeller der Frau Miloss lag ganz am Ende des Ganges, unmittelbar vor dem Kesselraum. Vor der Tür blieb der Gerichtsnotar stehen. „Ich gehe nicht hinein“, sagte er, als er hörte, daß sie unter ihren Schlüsseln suchte. Sie antwortete nicht, nur die Tür öffnete sich knarrend. „Hörst du’s nicht? Ich gehe nicht hinein!“ „Hast du Angst vor mir?“ fragte sie. Die Decke war hier so niedrig, daß Finiász unwillkürlich den Kopf einzog, um im Stockdunkeln nicht anzustoßen. „Wozu soll ich hineingehen?“ knurrte er. „Wenn du nur sprechen willst, das kannst du auch hier.“ In der Kammer knisterte ein Streichholz. „Ich will dein Gesicht sehen“, sagte sie. Das blasse Kerzenlicht hüllte ihren schlanken, biegsamen Hals in einen durchsichtigen gelben Schleier und ließ ihre aus dem mageren Vogelgesicht hervorquellenden vollen roten Lippen aufglänzen. An der Bretterwand hinter ihrem Kopf schwebte ein Christusbild in einem goldgelben Lichtfleck. „Komm nur ’rein, Lajos, du brauchst vor mir keine Angst zu haben“, sagte sie. Sie trat mit einer schlangenartigen Bewegung vor Finiász und legte beide Arme um seinen Hals. Der Mann fuhr zurück. 91
„Lassen wir das jetzt!“ wehrte er gereizt ab. Sie ließ sofort die Arme fallen. „Was habe ich dir getan, Lajos?“ flüsterte sie. Tränen traten ihr in die Augen, ihr Gesicht wurde grau wie eine ausgestorbene Straße. „Herrgott noch mal, hast du jetzt keine anderen Sorgen?“ fluchte Finiász und schlug mit der Faust wütend gegen die dünne Bretterwand. Auf den dumpfen Schlag antwortete vom Hof her wie ein tausendfaches Echo eine donnerähnliche Explosion. Das Röcheln der Oberwelt ließ das Kerzenlicht flackern, die Schatten jagten in wilden Bocksprüngen durch die schmale, mit roten Teppichen und Vorhängen austapezierte Kammer. Und kaum hatte sich der Luftdruck gelegt, heulte eine neue Detonation durch den Gang. Die Wände erzitterten. „Sind das Einschläge?“ fragte sie. „Was denn sonst?“ fragte er spöttisch. Das Blut stieg ihm in den Kopf vor unterdrückter Wut. „Dürfte ich dich vielleicht darum bitten, daß du dich mir nicht unbedingt in Anwesenheit meiner Frau anbietest?“ knurrte er und schob dabei das riesige, viereckige Kinn vor. „Meinst du, die Menschen sind blind? Verdammt noch mal, hast du denn gar kein Schamgefühl mehr?“ „Nein“, sagte sie schlicht. „Also ich hab’ das satt!“ brach der Gerichtsnotar los, mit einer Wut, daß ihm die Knie zu zittern begannen. „Satt hab’ ich’s...“ „Mich?“ „Auch dich.“ „Warum gehst du dann jetzt nicht?“ Der Mann schlug die Augen nieder, sein Mund zuckte kaum merklich. Einige Sekunden starrte er wortlos vor sich hin, strich dann mit einer unsicheren Bewegung über den Nacken und drehte sich langsam um. Bevor er aber die Wendung hätte beenden können, trat Frau Miloss neben ihn und packte ihn am Arm. „Lajos“, sagte sie flehend, „was habe ich dir getan?“ „Nichts.“ „Beruhige dich, bitte!“ Sie legte ihre kühle Hand auf seinen Hals.
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Jetzt folgte ein Einschlag auf den anderen. Die kleine Kammer tanzte zitternd auf den Schallwellen. Auch das Christusbild am Rande des roten Wandteppichs schwankte im Luftdruck, der die Möbel — das rote Plüschsofa, den Tisch mit den geschweiften Beinen und die zwei Samtsessel — so hin und her warf, als hätte er ihnen plötzlich ihr ganzes Gewicht entzogen. „Nichts hast du mir getan“, wiederholte der Gerichtsnotar zähneknirschend. „Gefehlt hat nur noch, daß du deinen Rock im Beisein meiner Frau hochgehoben hättest. Versteh doch endlich, ich habe dich satt!“ „Offenbar hast du andere Sorgen“, sagte sie und betonte dabei jede Silbe. „Wie bitte?“ „Du hast wohl Angst um deine Haut?“ Sie beugte sich vor, ihre Augen verengten sich plötzlich wie die einer Katze vor dem Sprung; sie preßte sich beide Fäuste in den Schoß. „Drohst du? Paß auf, du könntest dir dabei die Finger verbrennen!“ „Du kannst noch nach Buda abhauen“, zischte sie. „Geh, geh, verschwinde von hier, ehe es zu spät ist. Denn hier kommen bald Zeiten, da kann sich jeder, der auch nur einen Feind hat, schon jetzt auf dem Friedhof anmelden.“ „Wirst du mich anzeigen?“ Sie nickte wortlos. Der Boden hob sich wieder unter ihren Füßen, durch den Türspalt drang Staub herein. Unwillkürlich setzten sie sich beide auf das rote Plüschsofa. „Warum auch nicht?“ sagte sie nach einer Weile mit gleichgültiger Stimme. „Wenn du mich ruiniert hast, ruiniere ich dich auch. Die Wohnung wird man mir sowieso wegnehmen.“ „Womit habe ich dich ruiniert?“ „Du liebst mich nicht mehr!“ „Mein Gott, ausgerechnet jetzt soll ich dich lieben“, brüllte Finiász, um die rasch aufeinanderfolgenden Detonationen zu übertönen. Die Kerze ging aus. „Die Kerze ist ausgegangen“, sagte er betroffen, unwillkürlich etwas leiser. „Was willst du von mir?“ Das Sofa knarrte. „Lajos“, erklang ihre Stimme nach einer Weile im Dunkeln, „warum müssen wir einander quälen?“ „Zünde die Kerze an!“ sagte der Gerichtsnotar. 93
Statt zu antworten, rutschte sie dem Mann näher und griff mit einer schamlosen Bewegung nach ihm. Er riß sich sofort zurück. Für einen Augenblick herrschte Stille. „Siehst du!“ keuchte sie. „Ich wußte es doch, daß du mich nicht mehr liebst. Verschwinde aber jetzt... und ich will dich in meinem Leben nicht wiedersehen!“ Sie wartete, bis das baumelnde Licht seiner Taschenlampe hinter der Biegung des Ganges verschwunden war, drehte dann den Schlüssel um, sperrte die Kammer zu und legte sich aufs Sofa. Gerichtsnotar Finiász kehrte auf geradem Wege in den Luftschutzkeller zurück, der sich inzwischen wieder mit Menschen gefüllt hatte. Bors waren noch nicht auf ihrem Platz, seine Frau lag aber schon im Bett und kümmerte sich um das Abendbrot ihres Sohnes. Er bekam Fettbrot und einen schönen roten Apfel. Auf dem übernächsten Bett, den Rücken an die Wand gelehnt, saß ein blonder, magerer Halbwüchsiger, der Bruder der Hilfshausmeistersfrau, und starrte mit Glotzaugen das zimperlich muffelnde Kind an, seine Kiefer folgten dabei unwillkürlich dem Rhythmus des trägen Kauens. Der Gerichtsnotar setzte sich in den Sessel. „Wo warst du?“ fragte Frau Finiász. „Was fehlt dir denn?“ fügte sie noch erschrocken hinzu, als sie bemerkte, daß auf dem vollblütigen, viereckigen Gesicht ihres Mannes überall, auf der Stirn und an der Nase, dicke Schweißperlen standen. Er deutete mit dem Blick auf das Kind und schüttelte wortlos den Kopf. „Du kannst ruhig reden“, sagte sie leise, „er paßt nicht auf.“ Die Lattentür, die die beiden Keller voneinander trennte, ging knarrend auf. Frau Bór kam mit langsamen Schritten auf sie zu, sie hielt ein großes Tablett in der Hand und heftete die Augen besorgt auf die klirrenden Teller und Tassen. „Ich habe sie gesprochen“, sagte der Gerichtsnotar schnell. „Na und?“ „Ich habe Schluß gemacht.“ „Unmißverständlich?“ fragte sie leise und rückte näher. Er nickte. „Es war falsch“, flüsterte er. „Wir haben die Sache übereilt. Sie droht mir!“ „Womit?“ „Daß sie mich anzeigt. Ich glaube kaum, daß ich mit heiler Haut davonkomme. Du hättest doch lieber noch Geduld haben sollen.“ 94
Die zierliche schwarzhaarige Frau mit dem Mausgesicht nahm den Teller, auf dem noch ein Stückchen Fettbrot lag, von ihrem Schoß und schmetterte ihn mit ganzer Kraft zu Boden. Die Scherben spritzten auf dem Beton auseinander, neben ihr das Kind im Bett zuckte zusammen, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. „Was ist denn los, bombardierst du uns auch?“ fragte Frau Bór, die mit ihrem vollgepackten Tablett eben in diesem Augenblick beim Bett angelangt war. „Nur immer mit der Ruhe, Kinder, das Abendbrot ist da! Lajos, nehmen Sie die Teekanne vom Tablett, bitte!“ „Wo haben Sie den Tee gekocht?“ fragte dieser. „Oben beim Hilfshausmeister. Dort geht es etwas lustiger zu, Kinder“, erzählte die Anwaltsfrau, während sie das Tablett auf ihr Bett stellte und ringsherum die Teller verteilte. Ihr von dem großen schwarzen Haarknoten gekröntes Gesicht neigte sich über die goldgelbe Seide der Steppdecke wie einst das der Ceres über die reifen Weizenfelder Griechenlands. „Ein halbes Dutzend bewaffneter Pfeilkreuzler sitzen bei ihm in der Küche, auf dem Tisch reiht sich Weinflasche an Weinflasche, vor ihnen auf der Erde ein großer Wäschekorb voller Seidenhemden, neuer Schuhe, Tischdecken aus Damast und was weiß ich noch. Auch zwei goldene Uhren sah ich auf dem Tisch liegen.“ „Die werden auch nicht mehr lange so fröhlich sein“, brummte der Gerichtsnotar. „Kann sein“, antwortete Frau Bór kurz. „Haben Sie übrigens gesehen, daß der Jude von der Polizei wieder freigelassen worden ist?“ „Das war ganz richtig!“ rief Frau Finiász so laut, daß sich ihr einige aus der Nachbarschaft mit fragender Miene zuwandten. Frau Bór setzte sich auf eine Fußbank zwischen den zwei Betten und goß Tee ein. „Wie habe ich Károly gebeten“, sagte sie leise, „daß wir nach Buda, in die Villa meiner Mutter hinüberziehen. Hier hängen in einer Woche die Menschen in Reih und Glied an den Bäumen, wie harte Wurst auf dem Boden.“ „Wir auch?“ fragte Frau Finiász und warf einen schnellen Blick auf ihren Mann. „Auch wir!“ „Wo werden wir hängen, Mutti?“ fragte das Kind. Es hatte inzwischen den schönen roten Apfel aufgegessen und warf jetzt 95
den Griebs dem Bruder der Hilfshausmeisterin an den Kopf. Der blonde Junge wischte sich mit der Hand übers Gesicht und wandte sich ab. Frau Daniska und Tante Mari kauerten auf zwei Küchenhockern in einer Ecke und woben erregt flüsternd und rot im Gesicht am schwarzen Tuch ihrer gemeinsamen Sorgen. „Haben Sie schon gehört“, fragte Frau Daniska, „daß beim Hilfshausmeister Pfeilkreuzler zu Gast sind?“ „Ich komme doch eben von dort“, flüsterte die Schusterswitwe, „ich habe sie sogar schon gesprochen.“ „Und was sagen sie?“ „Die sind ganz tollwütig“, erklärte Tante Mari tief besorgt. „Sie haben einen Waschkorb voller Gold, Diamanten und Schnürstiefel mitgebracht, und das alles verteilen sie jetzt untereinander. Und der Hilfshausmeister, der steht neben ihnen, sieht sie drohend an und sagt, daß er nichts davon haben will, weil man sowieso alles wieder zurückgeben muß.“ „Muß man das wirklich?“ fragte die Witwe Daniska unruhig. „Natürlich muß man’s“, nickte Tante Mari, die von ihrem Mann geerbte Brille blitzte dabei streng im weichen Kerzenlicht. „Sie haben’s doch gehört, daß auch die gnädige Frau mit dem langen Hals, die Frau Miloss, die Wohnung wird zurückgeben müssen.“ Die alte Waschfrau schwieg. „Jetzt verteilen sie untereinander die Sachen, und in der Nacht gehen sie wieder auf Razzia“, fuhr die Schusterswitwe fort. „Um Menschenblut zu lecken, bevor man sie aufhängt, haben sie gesagt. Die sind ganz bestimmt tollwütig, Frau Daniska, das sag’ ich Ihnen.“ „Wird man sie wirklich aufhängen?“ erkundigte sich die Waschfrau. Tante Mari nickte. „Sehen Sie nur, was fehlt denn dem Herrn Finiász?“ fragte sie, während sie ihre Brille zurechtrückte und den Gerichtsnotar, der drei Betten weiter saß, mit einem prüfenden Blick musterte. „Gucken Sie nur, wie ihm seine Zähne klappern, sein Gesicht ist totenblaß.“ „Und auch der Schweiß läuft ihm von der Stirn“, stellte Frau Daniska fest.
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„Der wird wohl krank sein“, meinte Tante Mari. Sie warf noch einen forschenden Blick auf den Gerichtsnotar, der mit gesenktem Kopf, die Teetasse immer noch in der Hand, ohne sich zu rühren, auf den Fußboden starrte, und sprang dann flink auf. „Ich gehe nach hinten und schicke den Jungen fort“, flüsterte sie. „Es könnte nämlich sein, daß sie mit ihrer Razzia hier bei uns beginnen.“ „Jesus Maria!“ flüsterte ihr Frau Daniska zurück. „Was denn?“ „Ich gehe mit“, sagte die Waschfrau und machte sich auf die Beine. Sie betraten hintereinander den schmalen Gang zwischen den Betten, der durch die Lattentür und den ersten Keller in den Vorraum führte. In dem äußeren Keller spielten, die dunkelroten Gesichter über den Tisch gebeugt, einige Männer Karten. Sie saßen dem Ausgang gegenüber, zwischen zwei Pfählen in einer mit einer Sonderkerze beleuchteten Nische, die sich mit ihrer ganzen Kraft in sich zu verschließen suchte und sogar ihr Licht eifersüchtig zurückzuhalten schien. „Jesus Maria“, flüsterte die Witwe Daniska abermals, als sie in den kalten Vorraum hinaustraten. „Was haben Sie denn schon wieder?“ Die Nacht war klar und still. Aus der Dunkelheit des nächtlichen Himmels, die vom Hof her durch die Wendeltreppe in den Keller hinuntersickerte und in der unterirdischen Finsternis wie Blut im Körper kreiste, löste sich hin und wieder ein Sternenschimmer der Freiheit und belebte die Unterwelt. Die zwei Alten blieben stehen und horchten einige Minuten wortlos. Von oben hörte man heiseres Grölen, einen Pistolenschuß und das Singen Betrunkener. Die Witwe Daniska holte ein winziges Päckchen aus ihrem Busen hervor und wickelte mit zitternden Händen das Seidenpapier auseinander. Ein dünnes Silberkreuz ohne Kette kam zum Vorschein. „Muß ich auch das zurückgeben, Tante Mari?“ fragte die Alte, und plötzlich standen ihr Tränen in den Augen. „Gestern abend habe ich es im Treppenhaus gefunden, ich weiß aber, wem es gehört.“ „Wenn Sie’s wissen, geben Sie’s zurück“, sagte Tante Mari. „Hol’ der Teufel diese ganze Jammerwelt!“
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Die beiden Witwen machten sich auf den Weg zum Heizungskeller. Da sie keine Taschenlampen hatten, kamen sie im Dunkeln nur vorwärts, indem sie sich mit den Händen an der Wand und den Füßen am Boden langsam vortasteten. Ein Streichholz zündeten sie erst an, als sie nach der zweiten Biegung des Gangs an der Lattentür des Kesselraumes ankamen. Der Deserteur lag mit gespreizten Beinen in der Ecke hinter einem Kohlenhaufen auf dem Bauch. Sie versuchten eine ganze Weile vergeblich, ihn zu wecken, aber nichts vermochte ihn aus dem Schlaf zu reißen. Tante Mari hockte sich neben ihn, zerrte ihn an der Schulter, schnipste an sein Ohr, wollte ihn durch verzweifeltes Flüstern aufschrecken; er aber schlief so tief, daß er nicht einmal die Hand zur Abwehr erhob. Und auch als sich dann die zwei Witwen daranmachten, ihn mit gemeinsamer Kraft auf den Rücken zu wälzen, öffnete er nur für eine Sekunde die Augen. „Steh auf, mein Junge!“ flüsterte ihm die Witwe Daniska ins Ohr. „Du mußt fort, Pfeilkreuzler sind im Haus!“ „Wo denn?“ fragte er auffahrend und schloß, von der Streichholzflamme geblendet, sofort wieder die Augen. „Hier im Haus“, flüsterte Frau Daniska. „Im Haus?“ staunte der junge Mann; er setzte sich auf, schüttelte langsam den Kopf und legte sich gleich wieder hin. Kein Argument, keine Zurede konnte ihn dazu bewegen, das Gespräch fortzusetzen, geschweige denn sich zu erheben und das unwirtliche Quartier zu verlassen. Wenn Tante Mari für einen Augenblick aufhörte, an seiner Schulter zu zerren, begann er gleich zu schnarchen. Den Alten blieb nichts anderes übrig, als die vergeblichen Versuche aufzugeben und bestürzt und schweigend das Feld zu räumen. Den Schlafenden machte aber eben diese Stille munter. Kaum waren die zwei Mütterchen bei der Lattentür angelangt, hörten sie hinter sich ein paar Kohlenstücke polternd wegrollen, als hätte jemand wütend gegen den Haufen getreten. „Ich gehe nicht“, sagte die heisere Stimme aus der Dunkelheit, „und wenn ich hier verrecken sollte.“ „Um Himmels willen, mein Junge, nimm dich doch zusammen!“ sagte Tante Mari erschrocken. Sie bekamen aber keine Antwort mehr. Der Witwe Daniska zitterten die Knie so, daß sie sich bei Tante Mari einhaken mußte, und als sie dann 98
endlich wieder im Vorkeller waren, setzte sie sich sofort auf die unterste Stufe der Wendeltreppe. Sie kümmerte sich nicht einmal darum, daß ihr vom Hof her die eiskalte nasse Winterluft in den Rücken zog. Aus der Wohnung des Hilfshausmeisters drangen von Zeit zu Zeit Gesangsfetzen zu ihnen herunter. Drin im Luftschutzkeller waren die Leute bereits zur Ruhe gegangen. Die meisten lagen aber angezogen auf den Betten, manche sogar in Schuhen. Auf den Ellenbogen gestützt, starrten sie vor sich hin in das Halbdunkel oder versuchten, sich mit dem übers Gesicht gezogenen Hut vor der grellen Klarheit der Erkenntnis ihrer Lage zu schützen. Niemand hatte Lust zu reden. Manchmal herrschte für Minuten eine solche Stille, daß sogar das hölzerne Zähneklappern des Gerichtsnotars Finiász zu hören war. Sonst vernahm man von allen Seiten nur leises Stöhnen; laut zu weinen hatte einzig ein vierzehnjähriges Mädchen den Mut, dessen Vater vor kurzem bei einem Bombenangriff umgekommen war. Gegen acht Uhr tauchte der Hilfshausmeister im Keller auf. Er blieb nur einige Minuten, tat so, als würde er in seinen Sachen etwas suchen, und nahm einen kleinen Kochtopf unter den Arm. „Es wird gleich Razzia geben“, teilte er beiläufig mit, „jeder soll die Papiere bereithalten.“ Er wiederholte diese Mahnung auch im zweiten Keller mit einem Seitenblick auf die Veress, die still auf ihren gewohnten Plätzen saßen. „Komm nur her, mein Sohn“, sagte die alte Dame zu ihm. Sie warf lebhaft den Kopf hoch, das Gespräch versprach amüsant zu werden. „Komm nur her! Weshalb hast du uns denn zugezwinkert?“ „Ich habe nicht gezwinkert“, antwortete der Hilfshausmeister mürrisch und blieb eine Minute vor ihrem Sessel stehen. „Ich wollte nur sehen, ob die alte Gnädige schon schlafen.“ „Du hast aber auch etwas gesagt“, widersprach die Alte. „Was hast du denn gesagt?“ Der Hilfshausmeister schwieg. „Sei mir nicht böse, mein Sohn“, entschuldigte sich die alte Dame freundlich lächelnd, „ich bin schon ein bißchen schwerhörig und bilde mir, wie die Schwerhörigen meist, manchmal etwas ein. Ich dachte, du hättest was gesagt. Dann leb wohl, mein Sohn, ruh dich aus heute nacht, du hast es nötig!“ Sie nickte lächelnd, der Hilfshausmeister lüftete den Hut und ging. Die Frauen zogen ihre Handtaschen näher an sich, die 99
Männer befühlten die Brieftaschen. Frau Daniska verließ endgültig ihre Kraft, sie legte sich auf das Bett und schloß die Augen. Draußen war die Nacht ruhig, die Belagerer hüllten sich in Schweigen, kein einziger Schuß fiel. Ein jeder konnte sich in seiner eigenen Stille einspinnen, aus der der Seidenfaden der Phantasie geradewegs in die Hölle führte. Die Dunkelheit wurde unerträglich. Frau Bór stand auf und zündete noch eine Kerze an. Vom Hof her drangen sogar durch die geschlossene Tür das betrunkene Gejohle und ab und zu das dumpfe Knallen einer Pistole herein. Tante Mari nahm ihre kleine Fußbank und zog damit in den Vorraum. Niemand fragte, was sie vorhätte. Sie stellte die Fußbank an die Wand neben die Wendeltreppe, setzte sich, faltete die Hände auf dem Schoß und hielt Nachtwache. Nach einiger Zeit gesellte sich der junge Veress zu ihr. Er zündete sich eine Zigarette an, blieb aber weiter draußen, als er sie zu Ende geraucht hatte. Oben hatte sich wahrscheinlich dichter Nebel auf die Stadt niedergelassen, die Wendeltreppe war wie in Dampf gehüllt, und selbst der Gesang, der aus der Wohnung des Hilfshausmeisters hervorquoll, klang jetzt etwas dumpfer herunter. Tante Mari musterte interessiert den jungen Mann, der mit langen Schritten auf und ab ging. „Warum machen Sie sich nicht davon, junger Herr?“ fragte sie, als Tamás einmal in Gedanken versunken neben ihr stehenblieb. „Ich verlasse meine Mutter nicht“, antwortete er. Die Alte nickte verständnisvoll. „Und warum gehen Sie nicht mit der alten Gnädigen zusammen von hier weg?“ „Das Haustor ist zugeschlossen“, antwortete Veress, „außerdem würde meine Mutter in dieser Dunkelheit sowieso kaum zehn Schritte weiterkommen.“ Sie verstummten: Oben auf dem Hof flog eine Tür auf, grobes Stimmengewirr wurde hörbar, das plötzlich von neuem Türenknallen zerschnitten wurde. Vom Hofe her näherten sich wankende Schritte. „Er ist allein“, sagte die Alte. „Er will wohl ein bißchen frische Luft schnappen.“ Veress horchte wortlos.
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„Warum verstecken Sie sich nicht in irgendeiner Wohnung?“ fragte Tante Mari. „Wenn ich eine hätte, würde ich Ihnen gleich den Schlüssel geben. Aber vielleicht findet sich hier auch jemand...“ „Es findet sich keiner“, sagte Veress. „Haben Sie’s schon versucht?“ „Ja.“ „Versuchen Sie’s doch noch einmal“, schlug sie vor. „Wenn sie Sie erwischen und bei schlechter Laune sind, werden Sie beide zur Donau geschleppt und dort erschossen. In dem Haus, wo ich gewohnt habe, haben sie einen Deserteur festgenommen und seine Mutter umgebracht. Bei wem haben Sie’s denn versucht?“ Veress antwortete nicht gleich. „Beim Gerichtsnotar Finiász“, sagte er nach einiger Zeit. „Der da oben kommt jetzt zur Kellertreppe, hören Sie’s?“ „Vor dem brauchen Sie keine Angst zu haben, der ist ja allein“, erklärte die Alte. Man hörte jetzt deutlicher die Schritte im Schneematsch klatschen. Sie hielten manchmal inne, dann setzten sie wieder ein. Nach einer Minute verstummten sie unmittelbar vor der Kellertreppe. Man vernahm heftiges Würgen und danach gurgelnde Geräusche. Tante Mari lachte leise auf. „Er kotzt!“ flüsterte sie. „Das Schwein! Daß er sich nicht schämt.“ „Und dieses Schwein wird mich vielleicht erschießen“, sagte Veress. Die Schusterswitwe schüttelte den Kopf. „Das ist noch keine Sünde, daß er besoffen ist“, bemerkte sie leise. „Ein bißchen Vergnügen braucht ein jeder, auch wenn andere dafür den Preis bezahlen. Warum haben aber die Herren die armen Leute in den Krieg geführt? Dort haben sie das Töten gelernt.“ Veress antwortete nicht. Die Kellertür öffnete sich quietschend. Ein großer, magerer Junge, der Bruder der Hilfshausmeisterin, steckte den Kopf durch den Spalt und rief den jungen Veress herein. „Die gnädige Frau läßt Sie rufen“, sagte er mit gesenktem Blick. „Gehen Sie nur ruhig, ich kann inzwischen hierbleiben.“ Frau Veress saß gerade in ihrem Sessel, ihre Hände ruhten auf dem Knauf des Stockes, die drei Lacktaschen standen neben 101
ihren Füßen auf der Erde, ihr Regenschirm baumelte auf der Armlehne. Der Kopf, in ein schwarzes Spitzentuch gehüllt, lehnte an einem winzigen hellgrünen Seidenkissen. „Gut, daß du kommst“, sagte sie, als sie die Schritte ihres Sohnes vernahm, und klopfte mit ihrem Stock zweimal auf den Fußboden. „Willst du nach hinten, Mutter?“ fragte er. Die alte Dame winkte ungeduldig ab. „Du denkst wohl, etwas anderes kann ich mit dir gar nicht vorhaben“, knurrte sie. „Setz dich zu mir! Ich höre, es sind Pfeilkreuzler im Haus.“ „Ja, aber nur zu Gast, Mutter“, antwortete er. „Schon gut“, sagte die alte Dame. „Hier bereitet sich ein jeder auf die Razzia vor. Nimm das Geld, die goldene Uhr und den Ring von Vater aus meiner großen Lacktasche und versuche, auf die Straße zu kommen. Ich hörte, das Haustor sei zugeschlossen. Gib dem Hausmeister die goldene Uhr, damit er dich hinausläßt. Wenn er es verweigert, probierst du’s über die Gastwirtschaft oder durchs Fenster einer Wohnung im Erdgeschoß.“ „Ich denke gar nicht daran, Mutter“, sagte er. Das Gesicht der alten Dame wurde plötzlich blaß und dann ohne Übergang hochrot unter dem doppelten Ansturm von Liebe und Wut. „Widersprich mir nicht!“ rief sie und klopfte mit ihrem Stock aufgebracht auf den Steinfußboden. „Was hilft mir das, wenn man auch dich erschießt! Und wenn sie mich in Ruhe lassen, treffen wir uns morgen früh wieder hier. Los, geh sofort!“ Der junge Mann mußte lächeln. „Schrei nicht so laut, Mutter, als wären wir ganz allein“, sagte er und drückte mit der Hand beschwichtigend den drohend erhobenen Zeigefinger der alten Dame nieder. „Alle schlafen schon.“ „Niemand schläft hier“, knurrte die Alte. „Die eine Hälfte hat vor den Pfeilkreuzlern, die andere vor den Russen Angst. Seit zwei Tagen höre ich schon, daß sie beim Ostbahnhof sind. Der Teufel soll das faule Volk holen, in der Zeit wäre selbst ich schon hier angekommen. Na, geh schon endlich! Leb wohl“, murmelte sie, „es könnte nämlich passieren, daß wir uns nicht mehr wiedersehen.“
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In diesem Augenblick waren aus dem Nachbarkeller ungewöhnlicher Lärm und erschrockene Rufe zu vernehmen. Die Lattentür zwischen den zwei Kellern flog auf, der Bruder der Hilfshausmeisterin sprang, den dünnen Hals vorgestreckt, die Arme hochgerissen, in den zitternden Lichtkreis der Kerze. „Sie kommen!“ schrie er. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, flüsterte Frau Bór ihrem Mann zu, und ihr großes gesundes Gesicht unter der dichten schwarzen Haarkrone wurde dabei aschfahl. „Wir müssen uns entscheiden, aber sofort!“ sagte sie zu ihm. Dieser steckte sich in seiner Aufregung eine Zigarette an, obwohl das Rauchen im Luftschutzkeller strengstens verboten war. Im allgemeinen Durcheinander nahm jedoch niemand daran Anstoß. Der Keller summte vor Nervosität, da sich die allgemeine Spannung nicht entladen konnte. Sie wütete nur nach innen. Ein jeder täuschte Gleichmut vor, aber in den langsamen, schleppenden Bewegungen lauerte die Hast eines fliehenden Hirsches. Wer sich schon hingelegt hatte, stand auf und zog die Schuhe an, wer noch aufgeblieben war, warf sich jetzt aufs Bett, als könnte man durch die Veränderung der Körperlage zugleich etwas an der bedrohlichen Situation ändern. Im gleichen Rhythmus bewegen sich Körper und Seele, wechseln die Empfindungen den Schritt, richten sich Arme, Beine, Wimpern und sogar die Poren der Haut danach und verraten die innere Aufregung. Niemand ließ sich durch den durchsichtigen Gleichmut des anderen täuschen, die schwer errungene äußerliche Ruhe peitschte die Nerven nur noch mehr auf. In der einen Ecke pustete jemand die Kerze aus, damit es dunkler, in der anderen zündete jemand eine an, damit es heller würde. Im Haus wohnten viele Leute, die entweder selbst Mitglieder der Pfeilkreuzlerpartei waren oder mit ihr sympathisierten; diesmal waren aber auch sie fast so unruhig und nervös wie die Gleichgültigen oder die wenigen, die sich zwar nicht widersetzten, deren Geschmack aber sich gegen sie sträubte. Für das Auge waren die verschiedenen Schichten kaum voneinander zu unterscheiden. Der Anwalt Dr. Bór und seine Frau, beide seit langer Zeit Mitglieder der Pfeilkreuzlerpartei, waren genauso blaß wie Tamás Veress, der Staatsangehörige der Republik San Salvador. Sie balancierten alle auf des Messers Schneide. Frau Bór war Hauswart, sie mußte 103
deshalb wissen, daß die exotische Staatsangehörigkeit Juden deckte, und sie hätte dies auch längst der Partei melden müssen. Wenn sie selbst jetzt, während der Razzia, die Pfeilkreuzler nicht darauf aufmerksam machte, konnte ihr mit vollem Recht von ihnen vorgeworfen werden, sie hätte Juden versteckt. Zudem war die nahende Gästeschar stockbesoffen, ihr unartikuliertes Gebrüll kündigte sie bereits aus dem Vorkeller an. Und in diesem Zustand kannten sie mancherlei Formen, jemanden zur Verantwortung zu ziehen. Verrät sie aber jetzt die Veress den Pfeilkreuzlern, was natürlich kein Geheimnis bleiben kann, und werden diese auf Grund ihrer Anzeige verschleppt und erschossen, würde man, spätestens in einer Woche, wenn die Russen einmarschiert sind, sie sofort anzeigen, und der Weg zum Galgen oder zum Laternenpfahl wäre nicht viel weiter als der der Veress von der Nadorstraße bis zum Donauufer. „Wie habe ich dich angefleht, zu meiner Mutter nach Buda zu gehen“, warf sie ihrem Mann vor, der mit kalkweißem Gesicht den Fußboden anstarrte und an seinem Schnurrbart kaute. „Nicht in einer Woche ... in drei Tagen sind sie da!“ flüsterte der Gerichtsnotar Finiász, der den Bors gegenüber in seinem grünen Ledersessel saß und ein weißseidenes Taschentuch an seinen Mund preßte, um das unerträgliche Klappern seiner Zähne zu unterdrücken. Die Frau des Anwalts warf ihm einen haßerfüllten Blick zu. „Was ist denn eigentlich in Sie gefahren?“ fragte sie verächtlich. „Wie kann ein Mann so feige sein!“ „Halten Sie den Mund!“ knirschte der Gerichtsnotar. „Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigenen Sachen!“ Draußen begann es zu regnen. Da man vergessen hatte, die Lüftungsklappe zu schließen, war das eintönige, sanfte Trommeln der Regentropfen deutlich zu hören. Es trug, wie ein altes Lied eine längst vergessene Zeit heraufbeschwört, wohltuende Erinnerungen an längst vergangene Winternächte in den verschlossenen Keller. Der plötzlich aufgekommene Wind wirbelte einen Hauch frischer Winterluft herein. Frau Miloss, die vor einer Viertelstunde in den Luftschutzraum zurückgekommen war, stand von ihrem Bett auf, trat an die Wand und rückte das Heiligenbild zurecht, das bei den Einschlägen in der Frühe verrutscht war. Dann setzte sie sich wortlos wieder hin 104
und heftete den matten, starren Blick auf das Gesicht des ihr gegenübersitzenden Gerichtsnotars. Der Lärm im Vorraum war inzwischen verebbt, die Pfeilkreuzler hielten sich im Gang auf, vermutlich kämmten sie dort die Privatkeller durch. Frau Daniska und Tante Mari hockten zitternd und stumm auf der Kante ihres gemeinsamen Bettes. Die Schusterswitwe nahm ihre Brille von der Nase und steckte sie unter das Kissen, so sehr wurde sie von der Aufregung übermannt. Die Witwe Daniska schwitzte vor Angst, und von dem angetrockneten Schweiß begann ihr ganzer Körper unerträglich zu jucken. Es stand fest: Wenn die Pfeilkreuzler bis zum Ende des Ganges kämen, würden sie den im Heizungskeller versteckten Deserteur unbedingt entdecken. Die Zeit schleppte sich langsam dahin, sie dehnte sich vor ihnen aus wie das ringsum uferlose Meer vor dem Schiffbrüchigen. Wenn manchmal eine herausragende Minute einer Welle gleich sie emporhob, war auch aus dieser Höhe nur die tosende Unendlichkeit der bis zum Horizont sich hinstreckenden Zeit zu sehen. Die Angst in ihren Herzen wuchs in geometrischer Reihe. Der Mensch nimmt von der Zeit erst Kenntnis, wenn er zuviel oder zuwenig hat, das heißt, wenn sie maßlos anschwillt oder plötzlich dahinschwindet. Dann tritt ein anderes Element an ihre Stelle: die Angst, in deren Strom das Herz jegliches Orientierungsvermögen verliert und in der es genauso hilflos hin und her getrieben wird wie ein Körper, der aus der Luft jäh in ein anderes, fremdes Element, in den Schlamm eines Moores oder in die Strömung eines Flusses, stürzt. Der Witwe Daniska kam es vor, als hätte sie nicht seit zehn Minuten, sondern seit ebensoviel Tagen auf den Einzug der Pfeilkreuzler gewartet, und da eine jede weitere Minute mindestens um einen Tag ihre Lebenskraft und Lebenslust verminderte, lebte sie eigentlich nicht in der Zeit, sondern in der Angst, und daß es Zeit eigentlich nur gibt, wenn es sie nicht gibt. Es waren vielleicht noch nicht einmal ganze zehn Minuten vergangen, seit, die Pfeilkreuzler den Vorraum verlassen hatten, als schnell nahende harte Schritte vom ersten Kellerraum her die beklommene Stille zerschnitten, bald darauf flog die Lattentür auf, und der Deserteur trat in das Kerzenlicht. An seinem Anzug glitzerte der Kohlenstaub, Gesicht und Hände waren geschwärzt. Blitzschnell entdeckte er die beiden Wit105
wen, die vor Schreck wie erstarrt auf ihren Plätzen hocken blieben, und ging, ohne zu zögern, auf sie zu. Der Lärm der Pfeilkreuzler war auch in sein Versteck gedrungen und hatte ihn rechtzeitig geweckt, so daß es ihm noch gelingen konnte, sich durch den anderen Teil des Rundganges davonzumachen. Er hatte gehofft, daß in den Luftschutzräumen die Razzia bereits vorbei wäre und er sich hier verstecken könnte, bis die Pfeilkreuzler das Haus räumen würden. Als er dann von Tante Mari erfuhr, daß die Luftschutzräume erst später drankämen, drehte er sich sofort um und lief aus dem Keller. Die zwei Alten hatten sich noch nicht von ihrem Schrecken erholt, und die mit sich beschäftigte Frau Bor hatte noch keine Zeit gehabt, danach zu fragen, wie dieser Fremde mitten in der Nacht ins Haus gekommen sei, als sich die harten Schritte abermals näherten und er wieder in der Tür auftauchte. In seinem schwarzverschmierten Gesicht glänzten die Zähne wie weiße Kristalle, seine Augen schimmerten glasig vor Entsetzen. Das Haustor war verschlossen, er kam nicht auf die Straße. Und den Schlüssel hatte der Hausmeister, der mit dem Hilfshausmeister zusammen die Pfeilkreuzler herumführte. Der Deserteur kehrte also den zwei Alten abermals den Rücken und floh aus dem Keller. Die Aufregung läßt die Gestalt eines Fliehenden in den Augen der anderen über das gewöhnliche Maß hinauswachsen, und die Sinne nehmen ihn als Riesen wahr. Beine, Arme, Gesichtszüge und Bewegungen erscheinen unwirklich groß und hinterlassen im weichen Boden des Gedächtnisses Gigantenspuren. Die Gestalt des fliehenden Deserteurs fesselte, obwohl zum Beobachten wenig Zeit blieb, die Menschen mit einer solchen Intensität, als wäre ein Titan vor ihren Augen aus dem Keller gestürzt; der mit Kohlenstaub bedeckte Anzug, die weißen Zähne, die verschwitzten blonden Haare und die langen pendelnden Arme weckten in einer Sekunde so vielfältige und deutliche Erinnerungen bei den Kellerbewohnern, als hätten sie diese Einzelheiten stundenlang beobachten können. Ein jeder erkannte in dem Fliehenden sich selbst und erblaßte vor diesem Spiegelbild. Gerichtsnotar Finiász sprang auf und ging unwillkürlich auf die Tür zu. Irgend jemand stöhnte laut, eine alte Frau in der Ecke schlug die Hände zusammen und begann selbstvergessen zu jammern. Auch andere hielten es sitzend nicht mehr aus. 106
Frau Miloss beugte sich nach vorn, legte die Hand auf den Arm des Gerichtsnotars und hielt ihn zurück. „Bleiben Sie nur hier!“ sagte sie laut. Von der Tür her schlug erneut eine Lärmwelle herein. Es war eine tiefe Stimme, umspült von dem Schaum einer dünneren, dahinter verschwommenes, gleichmäßiges Brausen. Im Nachbarkeller fiel ein Stuhl um. „Wo sind denn die Veress?“ fragte Frau Miloss. Im niedrigen Raum wurde es still, man hörte das leise Knistern der Kerze. „Wo sind denn die Juden hin?“ fragte Frau Miloss noch einmal. Alle drehten sich um: Der Sessel der alten Dame und der weiße Küchenhocker daneben waren leer. „Was für Juden?“ fragte Frau Bór. „Tun Sie nicht so, als ob Sie es nicht wüßten!“ rief Frau Miloss, und ihr aus dem Schafpelzmantel herausragender schlanker Hals rötete sich. „Vorhin habe ich sie noch hier gesehen“, sagte der Anwalt. „Sie wissen genausogut wie ich, daß sie Juden sind“, schrie Frau Miloss und wandte sich dabei Frau Bór zu. Diese antwortete nicht. Der Lärm, der aus dem Vorraum hereinsickerte, wurde immer differenzierter, ab und zu waren jetzt sogar abgerissene Rufe und Wortfetzen zu vernehmen. Frau Miloss stand auf und trat vor den Gerichtsnotar. „Sie haben sie wohl versteckt?“ fragte sie laut. „Was?“ rief eine verwunderte Stimme aus einer Ecke. „Was Sie nicht sagen, er hat sie versteckt?“ Der Gerichtsnotar stand wie zu Stein erstarrt an einem Bett und preßte sein weißseidenes Taschentuch an den Mund. „Wo haben Sie sie versteckt?“ „Nehmen Sie doch Vernunft an, Ilonka!“ knurrte Dr. Bór gereizt. „Was fällt Ihnen denn ein?“ „Was mir einfällt?“ wiederholte sie leise. „Ein Alibi will er sich verschaffen, damit er in einer Woche nicht aufgehängt wird.“ Der Gerichtsnotar war immer noch zu keiner Antwort fähig. Frau Bor stand auf und trat neben Frau Miloss. „Daraus soll nichts werden“, fuhr sie leise, aber mit einer solchen Leidenschaftlichkeit fort, daß ein jedes Wort von ihr auch in dem entferntesten Winkel des Kellers zu hören war. 107
„Wohin haben Sie sie versteckt?“ Frau Bór packte sie am Arm. „Bist du nicht bei Verstand?“ „Warum sagen Sie denn immer noch nichts?“ fragte Dr. Bór den Gerichtsnotar. „In einer Minute sind sie hier.“ „Jawohl, in einer Minute sind sie hier“, wiederholte Frau Miloss, und ihre matt glänzenden großen Augen leuchteten triumphierend auf. „Wo haben Sie sie versteckt?“ In dem Keller wurde es dunkler: Eine Kerze war niedergebrannt, ihr Docht fiel um und verlosch. Frau Miloss beugte sich vor, beide Hände in der Taille, und starrte den Gerichtsnotar an. „Entweder schaffst du sie wieder her“, sagte sie mit belegter Stimme, „oder ich melde den Pfeilkreuzlern, daß du Juden versteckst!“ „Haben dich alle guten Geister verlassen?“ schrie Frau Bór. „Willst du, daß sie auch mich umbringen?“ Der Gerichtsnotar griff in seine Tasche, zog einen Revolver hervor und schoß der vor ihm stehenden Frau zweimal ins Herz. Sie brach lautlos zusammen und fiel langgestreckt auf den Boden. Nach einigen Minuten — man hatte Frau Miloss inzwischen auf ein Bett gehoben, und die Rotkreuzschwester hatte den Tod festgestellt — erschien, die eine Hand auf ihren Stock, die andere auf den Arm ihres Sohnes gestützt, Frau Veress in der Lattentür. Viele standen um das Bett herum, die alte Dame konnte die Tote nicht sehen. „Wo waren Sie denn?“ fragte Frau Bór, aschgrau im Gesicht. Frau Veress nahm stöhnend in ihrem Sessel Platz, hängte ihren Stock über die Armlehne und zog ihre schottisch gemusterte Reisedecke auf die Knie. „Hinten“, sagte sie und deutete mit ihrem Kopf in die Richtung des Holzschuppens. „Naturalia non sünt turpia, nicht wahr?“ fuhr sie lächelnd fort. „Ich wollte aber auf keinen Fall meinen Sohn ausgerechnet während der Razzia belästigen.“ „Auf dem Abort waren Sie?“ fragte Frau Bór und preßte dabei beide Hände gegen den Magen. Frau Veress, die diese Frage überhört hatte, wischte sich mit einem winzigen schwarzen Spitzentuch die Stirn und den Mund. „Die Pfeilkreuzler sind übrigens fort“, teilte sie dann mit, „als wir auf dem Rückweg im Vorkeller ankamen, drängten sich 108
gerade alle zur Treppe. Ich vermisse sie nicht ungern“, fügte sie taktvoll hinzu, „da sie ein bißchen zu tief ins Glas geguckt haben.“ Die Pfeilkreuzler, die von einem ihrer Kameraden erfahren hatten, daß die Deutschen Pest räumten und in einer Stunde die Donaubrücken sprengen würden, verließen Hals über Kopf das Haus. Dr. Bór hastete die Wendeltreppe hinauf, auf dem Hof war aber kein Mensch mehr zu sehen. Auch das Fenster des Hilfshausmeisters war dunkel, das Haustor stand weit offen. Einige Schritte vom Tor entfernt, an der Ecke einer Nebenstraße, die zur Donau führte, stand ohne Mantel und Hut ein Mann auf der Fahrbahn und starrte reglos zu den Budaer Bergen hinüber. „Sind Sie es, Herr Hausmeister?“ fragte der Anwalt, als er zu ihm trat. Der Mann wandte ihm nur den Kopf zu. Das Weiße seiner Augen leuchtete in der dunklen Winternacht gespenstisch. Bei der großen Stille war deutlich zu hören, wie ihm die Zähne klapperten. „Verdammt, ist das ein kalter Wind!“ sagte er. „Wo ist denn der Hilfshausmeister?“ fragte der Anwalt. „Der ist mitgegangen.“ Eine Weile schwiegen die beiden. „Er tat gut daran“, sagte der Anwalt, „er hat ja keine Kinder.“ „Er tat gut daran“, wiederholte der Hausmeister langsam. „Wäre er nicht von alleine gegangen, hätte ich ihn hinausgeschmissen, diesen Hund von einem Pfeilkreuzler...“ Der Anwalt begriff nicht sofort. Er hob unwillkürlich die Hand, zum Glück ging jedoch die Bewegung in der Dunkelheit unter. Auch auf seinen Atemzug mußte er achtgeben, der immer wieder vor Aufregung stockte. Von der Donau her kamen eiskalte Windstöße, Dr. Bór begann zu zittern. „Daß wir den endlich losgeworden sind“, sagte der Mann neben ihm mit gemessener bäuerlicher Ruhe. Nur die Zähne klapperten ihm immer noch vor Kälte. Von Buda her klang wie ein Abschiedsgruß ein Gewehrschuß über der Donau herüber. „Wer hier etwas auf dem Kerbholz hat, tut gut daran, wenn er nach Buda verschwindet, meinen Sie nicht auch, Herr Doktor?“
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Unten im Luftschutzkeller hockten alle angezogen auf dem Bettrand in den schwankenden Schattenkäfigen der Pfahlreihen. Die Tür zum Vorkeller stand weit offen, diesmal brannte sogar dort eine Kerze. Am Fußende eines Bettes betete auf den Knien mit gesenktem Kopf eine alte Frau. Die schwarzen Schuhe, die unter ihrem Rock hervorsahen, klopften im Takt auf dem Fußboden. Die Lattentür zwischen den zwei Kellern stand ebenfalls offen. Dr. Bor setzte sich neben seine Frau aufs Bett. „Ist es wahr?“ fragte sie. „Ja.“ „Warst du draußen auf der Straße?“ „An der Ecke.“ Der Anwalt blickte auf das Bett neben ihnen, auf dem mit einem Laken zugedeckt die Leiche der Frau Miloss lag. Ihre Schuhe und ihre Nase zeichneten sich spitz ab. „Der Herr Hausmeister hat schon umgesattelt“, sagte er spöttisch, und seine Zähne schlugen aufeinander. „Der kapiert schneller als ich, beinahe hätte er mich aufs Glatteis geführt.“ Sie wandte ihm fragend ihr großes, blasses Gesicht mit den zusammengewachsenen Augenbrauen zu. Die weißen Zähne schienen das ganze Licht auf sich zu ziehen. „Er hat schon laut auf die Pfeilkreuzler geschimpft!“ sagte der Anwalt und verzog sein Gesicht. Sie schlug die Hand vor den Mund. „Aber er war doch selber in der Partei!“ „Vielleicht nur sein Sohn“, erwiderte ihr Mann heiser. „Und der hat sich schon längst aus dem Staub gemacht.“ „Sieh dir das an!“ flüsterte sie ihm zu und wies mit den Augen in die Ecke gegenüber. Ein einziger Mensch schlief in den zwei Kellern: die alte Frau Veress. Ihr in das Spitzentuch gehüllter ergrauter Kopf lag auf dem grünseidenen Reisekissen. Sie atmete ruhig in dem schräg auf sie fallenden Kerzenlicht, ihre gemeißelt feine gerade Nase warf einen winzigen dreieckigen Schatten auf die linke Wange. Die eine Hand ruhte auf der Schulter ihres Sohnes, der, zu ihren Füßen sitzend, eine Scheibe Brot aß. „Der hat jetzt Appetit gekriegt“, sagte der Anwalt. Nach Mitternacht wurden die Brücken gesprengt. Gerichtsnotar Finiász, der bisher, den Kopf auf die Brust gesenkt, mit 110
herunterhängenden Armen neben seiner Frau gesessen hatte, wurde plötzlich lebhaft. „Was ist das?“ fragte er und hob den Kopf. „Die Brücken werden gesprengt“, schrie der Anwalt aus vollem Halse. Sein sonst so blasses großes Gesicht wurde tiefrot vor Wut und Schadenfreude. Die Vorkellertür flog knallend zu. „Wir sind verloren“, sagte der Gerichtsnotar, stand auf und setzte sich gleich wieder. „Früh sind die Russen bestimmt da“, rief Frau Bór und schlug mit ihren Fäusten kräftig auf das Bett. „Wir werden freie Menschen, Herr Gerichtsnotar!“ Ununterbrochen erschütterten Explosionen den Keller; sie zerdrückten das flimmernde Kerzenlicht und sogen jeden verborgenen Ton auf. Die Vorkellertür wurde aufgerissen. „Freie Menschen“, wiederholte der Gerichtsnotar in einer Pause zwischen zwei Explosionen in die Stille hinein. Er ließ seine Augen nachdenklich und neugierig auf dem Gesicht der Frau Bór ruhen. „Ich verstehe Sie schon“, sagte er dann trocken. „Ich verstehe Sie, gnädige Frau.“ „Was hat die Frau dort über die Russen gesagt?“ fragte dei Deserteur Tante Mari. Er war nach dem Auszug der Pfeilkreuzler in den Keller gekommen und hatte sich aufs Bett dei Witwe Daniska gelegt. „Was hat sie über die Russen gesagt?“ Die zwei Witwen saßen auf dem Bettrand, jede prüfte verstohlen das besorgte Gesicht der anderen. „Daß sie heut früh bestimmt hier sind, mein Junge“, erklärte Tante Mari. „Klar“, sagte er. „Wie spät ist es jetzt?“ „Es könnte schon nach Mitternacht sein“, meinte die Witwe Daniska. „Vielleicht dämmert es auch schon“, überlegte Tante Mari. Der Deserteur schüttelte lachend den Kopf. Zwei große Kohlenstaubflecke auf den Backen, die Nasenspitze schwarz befleckt, wirkte er mit seinen rotblonden Haaren wie ein schwarzgeschminkter Clown im Hofstaat der Unterwelt. „Sie wispern hier neben mir wie Laub im Wind“, sagte er, „man kann wahrhaftig kein einziges klares Wort aus ihnen herauskriegen! Vielleicht Mitternacht ... vielleicht dämmert es auch schon! Wie spät ist es, das wollt’ ich gern von Ihnen wissen.“ 111
„Wir wissen es selbst nicht, mein Junge“, sagte Tante Mari. „Wir wissen’s nicht ... wir wissen’s nicht“, brummte er. „Na, es ist auch egal, ich gehe zurück in die Kohlen. Sonst sperren mich jetzt noch die Russen ein. Stimmt’s, Mütterchen?“ „Hast du davor Angst?“ fragte Tante Mari. Die Hände zum Gebet gefaltet, starrte Frau Daniska mit tränenvollen Augen vor sich hin. Die Explosionen hörten auf, die Stille zerschnitt wie eine Mauer über der Donau die Stadt endgültig in zwei Teile. „Sehen Sie“, sagte der Deserteur, „das nimmt nie ein Ende. Jetzt werden sie von drüben auf uns schießen. Mal von hier, mal von dort. Wo der Mensch auch hinrennt, wird auf ihn geschossen.“ Die Witwen schwiegen. Tante Mari rang die Hände. „Das ist der Lauf der Welt“, erklärte sie nach einer Weile streng. „Und die Armen sind immer dort, wohin geschossen wird. Es ist aber ihre Schuld, warum sorgen sie nicht dafür, daß es anders wird!“ „Wir werden schon noch dafür sorgen“, brummte der Deserteur. „Es ist also sicher, daß meine Mutter gestorben ist?“ Die Alten nickten. „Zwei Schüsse hat sie abbekommen?“ „Zwei.“ „Dann habe ich’s richtig gehört“, sagte er. „Zwei Schüsse habe ich gehört, fast gleichzeitig. Ich dachte, sie würden hinter mir her schießen. Man hat beide Male sie getroffen?“ „Ja“, sagte Tante Mari. „Nun ja“, murmelte er. „Hat sie noch lange gelebt?“ „Noch eine Stunde.“ Der Deserteur stand auf und streckte sich. „Geben Sie mir ein Stück Brot, ich gehe zurück in die Kohlen“, sagte er. Er strich über die strubbeligen, blonden Haare und zog die Hosen zurecht. „Wenn nämlich die Menschen einmal anfangen zu schießen“, fügte er verdrossen hinzu, „hören sie nicht so schnell wieder auf!“ Es dämmerte schon, als der erste russische Soldat im Keller auftauchte. Die Pelzmütze saß ihm schief auf dem Kopf, die MPi hielt er wie einen Säugling im Arm. Obwohl man ihm zu Ehren mehrere Kerzen angebrannt hatte, waren seine von Ruß und Schmutz bedeckten Gesichtszüge nicht zu erkennen. 112
Langsam ließ er die Augen im Keller umherschweifen. „Germanski?“ fragte er tief aus der Kehle. Lachende, blaue Augen hatte er. Geräuschlos ging er durch den Keller und schaute einem jeden ins Gesicht. Vor einem sechsjährigen Jungen, der eine Jungvolkmütze aufhatte, blieb er stehen und sagte etwas auf russisch, aber niemand verstand ihn. Er musterte das Kind kopfschüttelnd, nahm ihm vorsichtig mit zwei Fingern die Mütze vom Kopf und warf sie in die Ecke. Dann lachte er das Kind an, schaute sich noch einmal um und lief mit geräuschlosen Schritten zur Tür hinaus. „Himmelherrgottsakrament“, rief Tante Mari, die vielleicht das erste Mal in ihrem Leben fluchte. Unter der von ihrem Mann geerbten Brille rollten ihr dicke Freudentränen übers Gesicht. „Der Krieg ist aus, Herrgott noch mal. Es gibt keinen Krieg mehr, verrecken müßte der, der ihn erfunden hat.“ „Zum Donnerwetter, kommen Sie doch endlich frühstücken“, sagte die Witwe Daniska mit verdächtig glänzenden Augen, „einen Bärenhunger hab’ ich, ich pfeif auf diese traurige Welt!“ Sie hakte sich bei Tante Mari ein und schleppte sie zum Regal, wo die Kellerbewohner ihre Vorräte aufbewahrten. „Wo ist denn die Fußbank, die Pest soll sie treffen“, brummelte sie. „Halten Sie mich mal, Tante Mari, damit ich mit meinen dummen alten Beinen hier nicht umkippe!“ „Ich halte Sie schon“, rief Tante Mari, „hol’ der Teufel meine schlechten alten Hände.“ Die Witwe Daniska sprang leichtfüßig wie ein Grashüpfer auf die Fußbank. „Ich sehe meinen Korb nicht“, schimpfte sie und wischte sich verstohlen die Augen, „in der Erde versinken sollte, wer sich diese Dunkelheit ausgedacht hat.“ „Der Schlag sollte ihn treffen“, stimmte ihr Tante Mari eifrig zu. „Aber was suchen Sie doch eigentlich?“ Frau Daniska hüpfte mit dem Korb in der Hand von der Fußbank. „Ich habe hier noch ein bißchen Brot und Honig, sollen’s etwa die Hunde fressen?“
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Nachwort
Unter den Insassen des Luftschutzkellers aus der Erzählung Angst gibt es einen Mann namens Tamás Veress. Einer der vielen, die in den letzten, schrecklichsten Monaten des zweiten Weltkrieges die Probe der Menschlichkeit bestanden haben, fällt er nicht besonders auf; erst eine zehn Jahre später veröffentlichte autobiographische Schrift Tibor Dérys enthüllt, daß diese so sparsam, nur mit einigen großen Linien skizzierte Gestalt autobiographische Züge trägt. Tibor Déry war im Winter 1944/45, als er wie Tamás Veress Verfolgung, Krieg und dann die Befreiung erlebte, fünfzig Jahre alt und hatte bereits die Fragen der politischen und künstlerischen Zugehörigkeit für sich entschieden. Er stammt aus einer bürgerlichen Familie, die Erfahrungen aber, die er als Angestellter in der Fabrik seines Onkels gemacht hatte, der im Namen des bürgerlichen „guten Geschmacks“ erhobene Vorwurf der Unsittlichkeit gegen seine erste Erzählung und der erste Weltkrieg, dessen wahren Charakter er allmählich erkannte, ließen ihn schon sehr früh mit seiner Klasse brechen. Da er in die KPU eingetreten und während der Revolution 1919 Mitglied des Schriftstellerdirektoriums gewesen war, mußte er nach der Niederwerfung der Räterepublik Ungarn verlassen. Es folgten Jahre der Emigration und zugleich des künstlerischen Suchens. Sie führten Tibor Déry durch ganz Europa; ihre wichtigsten Stationen bis 1932 waren Wien, das Dorf Feldafing in Bayern, Paris, Perugia und schließlich Berlin. Zwischen 1926 und der Mitte der dreißiger Jahre scheiterten mehrere Versuche, wieder in der Heimat, im Ungarn Horthys zu leben. Die zwei Jahre seines Berliner Aufenthaltes, 1931 und 1932, werden für die künstlerische Entwicklung des Schriftstellers ausschlaggebend, er nennt später alles, was bis dahin entstanden war, expressionistische und surrealistische Gedichte, phantastische Romane, „eine Kette von Irrtümern“; in einer Autobiographie aus dem Jahre 1955 sagt er über die entscheidende Wende: ,,... das politische Leben in Deutschland, das zu dieser Zeit immer erhitzter
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wurde und, auf die Straße verlagert, selbst den Alltag der Menschen völlig ausfüllte, hatte mit seinen spektakulösen Formen meine schriftstellerische Phantasie gefesselt und mich durch seine täglichen Kämpfe eng mit der Wirklichkeit verbunden. Die damals nach der sowjetischen zweitgrößte kommunistische Partei Europas führte einen aussichtslosen, aber zähen Kampf gegen den sich rasch entwickelnden Nazismus. Als im Herbst 1932 die Hitlerleute auf den Schultern von Millionen Wählern in den Reichstag und damit in die Weltgeschichte einzogen und ich am nächsten Tag Berlin verließ, wußte ich bereits, was ich zu tun hatte. Fast vierzigjährig, nach fünfzehn Jahren des Umhertastens zur Wirklichkeit zurückgekehrt, bin ich endlich Schriftsteller geworden, vom Rebellen zum Revolutionär.“ Als erstes Werk dieser neuen, auf den Realismus orientierten Poetik entstanden drei längere zusammenhängende Erzählungen unter dem Titel V on Angesicht zu Angesicht, die dem Kampf der Berliner Kommunisten ein Denkmal setzen. Dann begann, immer noch im Ausland — Dubrownik, Wien, wo Tibor Déry auch am Februaraufstand teilgenommen hat, und Palma di Mallorca —, die Arbeit am U nvollendeten Satz, dem ersten großen Roman der ungarischen Literatur, der das imperialistische Ungarn der dreißiger Jahre gestaltet, den Verfall des Bürgertums ebenso wie die Lage der Arbeiterklasse und ihren von der illegalen Kommunistischen Partei geführten Widerstand gegen das Horthy-Regime. Als Der unvollendete Satz 1938 abgeschlossen wurde, lebte der Autor wieder in seiner Heimat, wo er fast das ganze Jahrzehnt vor der Befreiung verbrachte. Es waren schwere Jahre, er schrieb für die Schublade, da seine Werke damals in Ungarn selbstverständlich nicht erscheinen konnten. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Übersetzungen aus dem Deutschen, Französischen, Englischen und Italienischen. Nach der deutschen Besetzung Ungarns im März 1944 geriet auch sein Leben in ständige Gefahr, nur Zufälle bewahrten ihn davor, wie sein Bruder verschleppt und ermordet zu werden. Vom Grauen der letzten Kriegsmonate wie gelähmt, konnte er nicht mehr schreiben, es gab für ihn inmitten des allgemeinen Zusammenbruchs nur noch eine Gewißheit: er werde seine Mutter trotz Verfolgung und Todesdrohung nicht verlassen. In der Erzählung Angst, die diese Lebensphase festhält, gibt die dem deutschen Leser besonders nahegehende Gestalt 115
der alten Frau Veress ihr liebevoll gezeichnetes Porträt. Ihr, die ungarisch mit deutschem Akzent spricht, die Klopstock, Lessing und Goethe fehlerfrei zitieren kann und früh am Morgen die Bewohner des Kellers mit dem Anfang der Iphigenie zum Aufstehen ermuntert, verdankt Tibor Déry einen Teil seiner Bildung; er betrachtet das Deutsche als seine zweite Muttersprache und bekennt, daß er die Weltliteratur und die Geschichte der Kultur vor allem durch deutsche Vermittlung kennengelernt hat. Tamás Veress und seine Mutter erleben die Befreiung. Für den Schriftsteller, der seine eigene Geschichte auf sie übertragen hat, bedeutet sie den Neubeginn seiner künstlerischen Existenz. Es folgt eine Schaffensphase, die, reich an Werken, reich an Erfolgen, nicht frei von Konflikten zwar, aber stets vom Streben nach den Idealen des Sozialismus erfüllt, Tibor Déry zu einem international anerkannten Repräsentanten der ungarischen Literatur werden ließ. Der ganze Beziehungsreichtum des von vornherein Interesse erregenden Titels Spiele der U nterwelt eröffnet sich erst, wenn man ihn nach der Lektüre des Buches vom Inhalt her aufzulösen beginnt. Das Kellerleben der Menschen im belagerten Budapest ruft die mythologische Bedeutung von Unterwelt: Schattenreich oder Hades wach; Spiele sind in diesem Zusammenhang die kleinen, oft mit feinem Humor geschilderten Abenteuer dieses ungewöhnlichen Alltags. Besonders die letzten Erzählungen beschwören dagegen die andere Bedeutung von Unterwelt herauf. Der Schriftsteller schreibt über eine Zeit, in der das Verbrechen regiert. Das Wort ,,Spiele“ erhält einen hintergründigen Sinn, ist bittere Ironie, man versteht, daß damit „Spiele“ der Verbrecher, die Ermordung unschuldiger Menschen, Züge zur Hinrichtung getriebener Juden, die Brutalitäten der Pfeilkreuzler gemeint sind. Der aus sechs Erzählungen bestehende Zyklus, eine Chronik aus der letzten Phase dieser Herrschaft der Unterwelt, wurde erst nach der Befreiung geschrieben. Nicht die Grausamkeiten der nahen Vergangenheit, der Terror der Faschisten und die Kriegsereignisse bilden das eigentliche Thema des Werkes, sie stecken nur den historischen Rahmen ab. Wie hat sich der Mensch unter diesen Umständen verhalten? — das ist Tibor Dérys Anliegen, das, was ihn bewegt, was er leidenschaftlich erforscht. Er schreibt nicht die Chronik der Zeit, sondern die Chronik menschlichen Standhaltens oder Versagens in dieser 116
Zeit. Aus der Anonymität des Luftschutzkellers tauchen die Gestalten, eine nach der anderen, auf, sie werden auf der Waagschale des Schriftstellers gewogen und treten dann wieder ins Dunkel zurück. Es gibt an ihnen nichts Außerordentliches, sie sind Budapester Menschen wie die Bewohner Tausender anderer Mietshäuser auch. „Schwach und hinfällig zwischen den Extremen der Größe und der Gemeinheit“, „bedauernswürdig und doch liebenswert“ — so sieht sie Tibor Déry —, sind sie durchaus nicht zu Helden bestimmt, doch lassen die Verhältnisse einzelne von ihnen zu Helden werden. Es sind meist kleine Leute, die Solidarität zeigen und die, ihre Angst besiegend, dem Terror Widerstand leisten — wenn auch spontan und mit schwachen Kräften. In ihnen konnte selbst das Elend die Menschlichkeit nicht endgültig zerstören, während diejenigen, die außer für ihr Leben noch für Besitz und Karriere fürchten müssen, in der Regel als Menschen versagen. Der Gegensatz zwischen Proletariern und Bourgeois ist ein Grunderlebnis Tibor Dérys, von ihm handeln seine zwei bedeutendsten Romane, Der unvollendete Satz und das Hauptwerk der mit der Befreiung einsetzenden Schaffensphase, Die Antwort (in deutscher Übersetzung erschienen beide Romane im Verlag Volk und Welt). Die Spiele der Unterw elt zeugen davon, daß die Ausnahmesituation des Krieges diese Kluft zwischen arm und reich keinesfalls ausgleicht, sondern noch mehr vertieft. „Lassen auch bei den Ratten die Großen die Kleinen tanzen, bevor die ganze Bande im Höllenfeuer gebraten wird? Gibt es auch unter den Ratten Großkopfige und Bettler?“ — macht Tante Anna ihrer Empörung über die Zustände im Keller Luft. Diese kraftvolle Arbeiterfrau ist die einzige Figur im Zyklus, die es begreift und verkündet, daß Mitleid und das Lindern der Not im Kleinen nicht genügen; es ist die Pflicht der Armen, das Elend abzuschaffen. Ihre einprägsame Gestalt gibt zugleich ein Beispiel für Tibor Dérys scharfe Beobachtungsgabe und sein Einfühlungsvermögen. Den gleichen Eindruck rufen die mit viel Humor und Liebe geschilderten alten Mütterchen Frau Daniska und Tante Mari hervor, die ihre große Angst so tapfer überwinden und derenrührender Eifer und deren Beschwingtheit am Ende fast wie ein Symbol des auflebenden Landes wirken. Gewiß sprechen die Spiele der Unterwelt viele Leser schon deshalb an, weil sie in ihnen eigene Erlebnisse aus der Endzeit 117
des zweiten Weltkrieges wachrufen. Doch hat Tibor Dérys Buch noch einen weit beständigeren Wert: Legt man es aus der Hand, bleibt die Erkenntnis haften, daß der Mensch auch unter furchtbaren Verhältnissen ein Mensch bleiben kann, daß die Menschlichkeit in ihm am Ende Angst, Lebensgefahr, Tod und Krieg zu besiegen vermag. Leipzig, Dezember 1965
Antónia Pezold-Lázár
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Inhalt I. Weihnachtsabend ................ 5 II. Dezembermorgen .............. 14 III. Das Pferd ........................... 20 IV. Das Paket ......................... 44 V. Tante Anna......................... 54 VI. Angst .................................. 72 Nachwort .................................. 114
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Originaltitel: Alvilági játékok © Tibor Déry 1955. Originalverlag Magvetõ Könyvkiadó, Budapest © Verlag Philipp Redam jun. Leipzig 1977 (deutsche Übertragung) Lizenzausgabe für die DDR und die sozialistischen Länder Reclams Universal-Bibliothek Band 337 2. Auflage Reihenentwurf: Irmgard Horlbeck-Kappler Umschlaggestaltung: Günter Horlbeck Gesetzt aus Garamond-Antiqua Printed in the German Democratic Republic 1977 Lizenz Nr. 363. 340/60/77 LSV 7261 — Vbg. 6,8 Gesamtherstellung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden Bestellnummer: 6602883 DDR 1,50 M maoi
n 2003
2003/IV-1.0
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