Sommertage in Italien
Donna Vitek
Seit Suzanne bei ihrem Vater in Italien lebt, ist ihr Seelenfrieden dahin. Der Grund...
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Sommertage in Italien
Donna Vitek
Seit Suzanne bei ihrem Vater in Italien lebt, ist ihr Seelenfrieden dahin. Der Grund ist Jason Caine, ein Mann, dessen Umarmung all ihre Sinne weckt – und der doch unerreichbar ist. Denn nicht nur die rassige Angelina, sondern auch ihre schöne Stiefmutter scheinen sich Jasons Gunst zu erfreuen…
© by Donna Vitek Unter dem Originaltitel: „Sweet Surrender“ erschienen bei Silhouette Books, a Simon & Schuster Division of Gulf & Western Corporation, New York. Übersetzung: Charlotte Corber © Deutsche Erstausgabe in der Reihe NATALIE Band 116 (14 2), 1984 by CORA VERLAG GmbH & Co. Berlin Alle Rechte vorbehalten. NATALIERomane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Satz: Axel Springer Verlag AG, Kettwig Druck: Ebner Ulm Printed in Western Germany
1. KAPITEL Ungeduldig beobachtete Suzanne Collins, wie ihre Freundin Lynn den jungen, gutaussehenden Assistenzärzten, die auf dem Flur hin und her eilten, Augen machte. Schließlich stand sie auf und begann selber, ein Nachthemd zusammenzufalten, doch Lynn nahm es ihr gleich wieder aus der Hand. „Du setzt dich sofort hin“, befahl ihr die Freundin und legte das Nachthemd ohne große Sorgfalt zusammen. „Du brauchst mir wirklich nicht zu helfen. Ich werde schon allein damit fertig, deine Sachen zusammenzupacken. Vergiß nicht, daß du dich noch schonen mußt. Du warst immerhin ziemlich krank.“ „Aber jetzt geht es mir wieder gut“, protestierte Suzanne, während sie sich auf einen Stuhl niederließ. „Außerdem scheint es dich viel mehr zu interessieren, mit den Ärzten zu flirten, als meinen Koffer zu packen. Vielleicht sollte ich dir doch lieber helfen. Schließlich kann ich es kaum noch erwarten, hier wieder wegzukommen.“ „Ach was“, erwiderte Lynn gutmütig und packte ein Paar Hausschuhe in den Koffer. „Du kannst einfach nicht untätig sein. Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich hätte es wunderschön gefunden, eine Woche hier im Bett herumzuliegen und mit den Ärzten zu flirten. Aber dich zieht es schon wieder in unsere Wohnung, und wenn du dort bist, werden dir gleich tausend Sachen einfallen, die du unbedingt erledigen mußt. Du übertreibst es wirklich, und deshalb bist du überhaupt auch nur hier im Krankenhaus gelandet. Statt dich auf die Examensvorbereitungen zu konzentrieren, mußtest du noch Bergwanderungen unternehmen, und dabei hast du dir die Lungenentzündung geholt.“ „Jetzt hör bloß auf, wie eine Glucke mit mir umzugehen“, wehrte Suzanne ab. „Ich liebe nun einmal die Berge. Wie sollte ich auch ahnen, daß ich plötzlich in einen Wolkenbruch geraten würde? Das Wetter war so schön und warm. Schließlich haben wir bald Juni. Und wenn ich nicht schon erkältet gewesen wäre… außerdem war es nur eine leichte Lungenentzündung.“ „Eine leichte! Eine doppelseitige Lungenentzündung kannst du nicht als leicht bezeichnen. Und falls du es schon vergessen haben solltest: dir ging es ziemlich elend, als ich dich hierherbrachte. Was glaubst du wohl, weshalb die Ärzte dich eine Woche im Krankenhaus behalten haben?“ „Bitte hör jetzt mit deinen Vorträgen auf! Kannst du nicht einfach schnell meine Sachen packen, damit wir endlich gehen können?“ Suzanne schaute sehnsüchtig zum Fenster hinaus. „Mir kommt es so vor, als sei ich eine Ewigkeit nicht mehr draußen gewesen. Ich kann es kaum noch abwarten, wieder einen Spaziergang zu machen.“ „Du wirst froh sein, wenn du die beiden Treppen zu unserer Wohnung schaffst“, entgegnete Lynn. „So eine Lungenentzündung macht ganz schön schlapp. Hat der Arzt dir nicht gesagt, daß du dich schonen mußt?“ „Er hat jedenfalls nicht gesagt, daß ich invalide sei, und ich möchte auch nicht so behandelt werden.“ Mit entschlossener Miene strich Suzanne sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie trug das kastanienbraune Haar im Nacken lose zu einem Knoten zusammengebunden. „Beeil dich bitte, ich möchte endlich nach Hause und mir die Haare waschen.“ „Das kommt gar nicht in Frage, womöglich bekommst du dann noch einen Rückfall“, rief Lynn entsetzt. „Aber nicht, wenn ich es mit dem Fön trockne. Ich muß es mir einfach waschen. Schau es dir doch an.“ Suzanne sah ihre Freundin ein wenig vorwurfsvoll an. „Du bist seit deinem
Geburtstag ein richtiger kleiner Diktator geworden. Vergiß nicht, daß ich nächsten Monat auch schon einundzwanzig werde. Du kannst ruhig aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln. Wenn dir so etwas Spaß macht, mußt du dir ein anderes Opfer suchen.“ Neckend fügte sie hinzu: „Mir scheint, daß in dir starke Muttergefühle schlummern, die jetzt so richtig zum Vorschein kommen. Vielleicht wäre es für dich besser, zu heiraten und ein Kind zu bekommen.“ „Sehr spaßig“, sagte Lynn und mußte lachen. „Aber falls ich zu der Auffassung kommen sollte, daß ich einen Psychiater brauche, suche ich mir lieber jemanden, der etwas davon versteht. Im übrigen will ich dich gar nicht bemuttern. Ich möchte nur, daß du bald wieder auf den Beinen bist, und wir uns die Hausarbeit teilen können.“ Suzanne verzog das Gesicht und sah schweigend zu, wie Lynn den Koffer packte, ihn verschloß und neben das Bett stellte. „So, jetzt ist alles fertig. Sobald der Arzt hier war…“ Lynn unterbrach sich, als es draußen auf dem Flur plötzlich laut wurde. Offensichtlich versuchten mehrere Leute, gleichzeitig zu sprechen. Die Stimmen wurden heftiger und schriller. Lynn ging neugierig zur Tür und schaute auf den Flur hinaus, doch mit einem Satz sprang sie wieder zurück und lief auf ihre Freundin zu. Aufgeregt rief sie: „Mein Gott, du wirst nie erraten, wer da kommt. Es ist die Kaiserin!“ Suzanne fuhr zusammen und wurde blaß. „Delia?“ fragte sie beklommen. „Aber das kann doch nicht sein, sie ist bei meinem Vater in Italien. Es muß jemand sein, der ihr ähnlich sieht. Schau doch noch einmal hinaus!“ „Das ist nicht nötig“, flüsterte Lynn dramatisch. „Es ist die Kaiserin, ganz bestimmt. Niemand schreitet so wie sie einen Korridor entlang.“ „Oh, auch das noch. Ich glaube, ich bekomme einen Rückfall“, stöhnte Suzanne. „Was will sie nur hier? Sie hat sich doch noch nie etwas aus mir gemacht.“ „Das wirst du gleich erfahren. Wie ist es, müssen wir ihr zu Füßen fallen, oder genügt eine tiefe Verbeugung?“ „Eine Verbeugung wird wohl ausreichen.“ Gerade hatte Suzanne diese Worte ausgesprochen, als ihre Stiefmutter ins Zimmer trat. Delia Collins trug ein Kostüm aus weißer Seide und war für einen Krankenhausbesuch – zumal in einer kleinen Universitätsstadt wie Vermont – viel zu auffällig gekleidet. Doch das störte sie wohl nicht. Nach einem kurzen Blick auf die spartanische Einrichtung des Krankenzimmers strich sie sich über das schwarze Haar und verzog voller Abscheu die Nase. „In Krankenhäusern riecht es immer scheußlich, und diese aufgeblasenen Krankenschwestern wollten mich nicht einmal hereinlassen, nur weil jetzt keine Besuchszeit ist“, erklärte sie empört. Dann blickte sie kühl auf die beiden Mädchen, die jetzt am Fenster standen. Sie nickte Lynn flüchtig zu und schaute ihre Stieftochter prüfend an. „Du siehst wirklich schlecht aus, meine Kleine. Als ich hörte, daß du im Krankenhaus bist, wollte ich es gar nicht glauben. Du warst doch sonst immer so ein robustes Ding. Wie bist du nur auf die Idee gekommen, dir ausgerechnet zu dieser Jahreszeit, im Frühling, eine Lungenentzündung zu holen?“ Mit leichtem Spott erwiderte Suzanne: „Oh, ich fand das einfach spaßig.“ Ohne Lynn zu beachten, die heimlich kicherte, begegnete sie gelassen dem mißbilligenden Blick ihrer Stiefmutter. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs, Delia? Ich dachte, du seist bei Dad in Italien.“ Delia ließ sich auf dem Stuhl neben dem Bett nieder, schlug die gebräunten Beine übereinander und betrachtete die Spitze ihres eleganten Schuhes. „Natürlich, ich lebe ja bei Jack in Italien, und es gefällt mir dort sehr gut. Ich habe auch ein paar reizende Leute kennengelernt, irgendeiner gibt immer eine
Party“, plapperte sie drauflos, doch dann runzelte sie die Stirn. Offenbar fiel ihr ein, daß sie von ihrem eigentlichen Thema abgekommen war. „Also, ich bin nur hier, weil niemand geantwortet hat, als wir versucht haben, dich in deiner Wohnung zu erreichen. Schließlich habe ich mich in der Universität erkundigt und dort erfahren, daß du im Krankenhaus bist. Jack war natürlich furchtbar aufgeregt. Er bestand darauf, daß ich nach dir schaue und mich vergewissere, daß mit dir soweit alles in Ordnung ist.“ „Nun, du siehst ja, es geht mir wieder besser. Aber wenn Dad sich solche Sorgen gemacht hat, warum ist er dann nicht selbst gekommen? Und warum hast du überhaupt versucht, mich anzurufen?“ Delia begutachtete ihre hübsch lackierten Fingernägel. Dann sah sie auf und erklärte leichthin: „Jack hielt es für besser, daß du von seinem Herzanfall erfährst, den er letzten Donnerstag hatte. Es war zum Glück wirklich nicht so schlimm.“ „Nicht schlimm!“ rief Suzanne empört. „Alles, was mit dem Herzen zusammenhängt, ist ernst, Delia. Wie geht es ihm jetzt? Was sagt der Arzt?“ „Was die Ärzte immer sagen“, erwiderte Delia mit einer lässigen Gebärde. „Sie reden doch selten so, daß man sie versteht, und dieser Arzt war außerdem noch Italiener. Sein Englisch war schrecklich, ich konnte kaum ein Wort verstehen. Wenn Jason nicht alles für mich erledigt hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht einmal erfahren, daß Jack vorgestern wieder nach Hause kommen konnte.“ „Gott sei Dank, er ist also wieder zu Hause.“ Suzanne holte tief Luft. Sie war etwas erleichtert. „Und wie fühlt er sich?“ „Er macht sich natürlich deinetwegen Sorgen“, sagte Delia bissig, so als habe Suzanne sich die Lungenentzündung absichtlich zugezogen, um ihren Vater zu ärgern. „Aber da ich nun weiß, daß es dir wieder gutgeht, werde ich morgen nach Rom zurückfliegen und ihm über deinen Gesundheitszustand berichten, damit er sich beruhigt. Hoffentlich kommt er schnell zu Kräften, damit wir bald wieder ein normales Leben führen können.“ . „Du brauchst ihm nicht zu erzählen, wie es mir geht. Davon soll er sich lieber selbst überzeugen, ich werde mit dir nach Italien fliegen.“ Delia verzog schmollend den geschminkten Mund. „Ich glaube nicht, daß Jack es gern sieht, wenn du dein Krankenbett verläßt, um ihn zu besuchen, wirklich nicht. Meine Güte“, fügte sie hinzu, bemüht, ihre Worte freundlich klingen zu lassen „du kannst doch jetzt nicht reisen. Schließlich hast du gerade eine Lungenentzündung überstanden. Dein Vater würde es sich nie verzeihen, wenn du wieder krank würdest.“ „Ich möchte ihn aber besuchen, verstehst du das, Delia?“ Suzanne hob energisch das Kinn. Sie war zierlich und schlank, doch innerlich war sie stark und unabhängig. Ihre klaren grünen Augen leuchteten und zeigten ihre Entschlossenheit. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Suzanne weitgehend mit dem Leben allein fertig werden müssen. Das hatte sie stark gemacht. Als ihr Vater später – sie war damals fünfzehn – ziemlich überraschend Delia heiratete, ließ Suzanne sich nicht von ihrer Stiefmutter einschüchtern, und sie hatte auch nicht vor, das jetzt zu ändern. „Wann fliegst du morgen?“ fragte sie und schaute Delia unbeirrt an, bis diese schließlich den Blick senkte und ihre Handtasche öffnete. Sie zog eine mit Edelsteinen besetzte Puderdose und einen karmesinroten Lippenstift heraus und begann, ihre Lippen sorgfältig nachzuziehen. „Die Maschine geht um zehn Uhr früh“, erklärte sie endlich. „Eine schreckliche Zeit, viel zu früh. Übrigens bin ich immer noch der Auffassung, du solltest lieber
hierbleiben. So krank ist dein Vater nicht. Er wird auch ohne dich auskommen.“ „Aber ich nicht ohne ihn“, gab Suzanne zurück. Sie wandte sich an Lynn. „Sag, was würdest du an meiner Stelle tun? Würdest du hierbleiben?“ Ihr war klar, wie Lynn antworten würde, und die erwartete Antwort kam auch sofort. „Ich würde genauso handeln wie du. Ich würde meinen Vater besuchen und mich durch nichts davon abhalten lassen. Aber wir sollten erst abwarten, was der Arzt dazu sagt.“ Sie brauchten nicht lange zu warten, denn es dauerte kaum eine Minute, bis Dr. Bradwell in Suzannes Zimmer trat, ein ernster und doch freundlicher Mann mittleren Alters. Nachdem er Delia und Lynn höflich gebeten hatte, auf dem Flur zu warten, horchte er Suzanne ab. „Es klingt wieder gut“, verkündete er dann. Während Suzanne ihre Bluse zuknöpfte, ging der Arzt zur Tür und ließ Delia und Lynn wieder herein. Dann stellte er sich vor Suzanne und musterte sie eindringlich. „Also, da Sie ja nun schon einmal angezogen sind und es offenbar sehr eilig haben, uns zu entkommen, will ich Sie nicht zurückhalten. Aber…“ Sein Gesichtsausdruck wurde ernster „… keine anstrengenden Unternehmungen in den nächsten drei Wochen, und das meine ich wirklich. Nach ein, zwei Wochen können Sie Ihre normalen Aktivitäten wiederaufnehmen, aber keine ungewohnten körperlichen Anstrengungen. Ist das klar? Und in der nächsten Woche nichts, was Sie ermüden könnte.“ „Dann ist es doch wohl besser, wenn sie morgen nicht nach Europa fliegt, nicht wahr, Doktor?“ Delia sprach mit einschmeichelnder Stimme und schaute den Arzt lächelnd an. Es war gerade so, als habe sie sich plötzlich in einen völlig anderen Menschen verwandelt, in eine Frau, die es verstand, Männer mit ihrem Charme zu betören. Doch ihr Lächeln war etwas zu süß, während sie an Suzannes Haar zog und sagte: „Sie war doch gerade noch so krank, die Kleine, nicht wahr? Ich glaube nicht, daß sie jetzt eine so weite Reise unternehmen sollte. Finden Sie das nicht auch, Doktor?“ „Mein Vater ist krank“, erklärte Suzanne schnell. „Er lebt in Italien, und ich möchte ihn natürlich sehen. Ich muß einfach zu ihm, Dr. Bradwell.“ „Ich verstehe.“ Der Arzt strich sich nachdenklich übers Kinn. „Gut, ich sehe ein, daß Sie fliegen müssen, aber versuchen Sie, im Flugzeug zu schlafen. Und versuchen Sie nicht…“ Ungeduldig unterbrach Delia ihn. „Sie wollen ihr doch wohl nicht erlauben… Sie haben gerade gesagt, sie solle eine Woche lang nichts tun, was sie anstrengt. Wie können Sie sie dann nach Europa fliegen lassen?“ Dr. Bradwell ließ seine Brille auf die Nasenspitze rutschen und musterte Delia über den Brillenrand hinweg. Dann fragte er knapp: „Sind Sie Suzannes Mutter?“ Delia war über diese Frage entsetzt. Ihr Gesicht wurde vor Ärger rot, doch schließlich bekam sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle und kicherte dümmlich. Mit beleidigter Miene und erhobenem Zeigefinger drohte sie dem Arzt: „Das ist aber nicht sehr nett, mich so aufzuziehen. Sie sehen doch, daß ich unmöglich ihre Mutter sein kann. Sie ist fast einundzwanzig, und ich bin erst zweiunddreißig. Ich sehe doch wirklich noch nicht so alt aus, daß ich ihre Mutter sein könnte. Oder?“ Dr. Bradwell vermied es, auf diese Frage einzugehen, aber sein Schweigen war Antwort genug und versetzte Delia nicht gerade in glänzende Laune. Sie warf Suzanne einen strafenden Blick zu, dann folgte sie dem Arzt, der hinausgehen wollte, um die Entlassungspapiere zu unterschreiben. „Halt“, rief Lynn, bevor noch jemand das Zimmer verlassen hatte. „Sie haben doch sicherlich einen Wagen gemietet. Könnten Sie nicht Suzanne und mich vor
unserer Wohnung absetzen? Es wäre nicht gut, wenn sie draußen sitzen und auf einen Bus warten müßte.“ Delia zögerte. Die Vorstellung, die beiden Mädchen im Auto mitnehmen zu müssen, schien sie nicht zu begeistern. Schließlich sagte sie: „Ich wollte mir eigentlich erst mal ein Zimmer für heute nacht suchen.“ „Fein, dann können Sie uns ja unterwegs absetzen.“ Mit einem Augenzwinkern wandte sich Lynn an Dr. Bradwell. „Sie werden es doch sicherlich nicht zulassen, daß Suzanne draußen auf einer Bank sitzt und auf den Bus wartet.“ „Keineswegs“, bestätigte der Arzt nachdrücklich und sah Delia abwartend an. Nachdem sie gerade die liebevolle Stiefmutter gespielt hatte, konnte sie nun nicht umhin einzuwilligen. Niemals hätte sie einem Mann ihr wahres Gesicht gezeigt. Doch der giftige Blick, mit dem sie die beiden Mädchen bedachte, ließ keinen Zweifel daran, wie unbequem ihr die Sache war. Am Abend fühlte Suzanne sich immer noch recht gut. Sie saß auf dem Sofa und war wohl etwas müde, aber nicht erschöpft. Es war kaum vorstellbar, daß es ihr vier Tage zuvor noch so schlecht gegangen war. Waren Dr. Bradwells Warnungen nicht doch etwas übertrieben gewesen? Lynn, die in der Küche abgewaschen hatte, kam herein und blieb an der Tür stehen. Dann imitierte sie Delia und schritt mit aufreizendem Hüftschwung auf Suzanne zu. Mit hoheitsvoller Miene sagte sie: „Auf dem Sofa schlafen? O nein. Ihr Mädchen seid an diese Wohnung gewöhnt, aber für mich ist ein Hotel bequemer. Es gibt hier doch wohl ein gutes Hotel?“ Suzanne mußte lachen. „Du solltest wirklich Schauspielerin werden, Lynn. Du sprichst genau wie Delia, und wenn du diese Schnute ziehst, siehst du ihr sogar etwas ähnlich. Man könnte meinen, du magst sie nicht sehr.“ „Was gibt es denn da zu mögen?“ erwiderte Lynn freimütig, ließ sich in einen Sessel fallen und legte die Beine über die Armlehne. „Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest, deine Stiefmutter ist durch und durch falsch. Ich möchte wissen, wieviel Geld sie im Monat ausgibt, um ihr Haar schwarz zu färben.“ Suzanne lachte. „Ich verrate es dir nur ungern, aber schwarz ist tatsächlich ihre natürliche Haarfarbe. Sie hat nur einige wenige graue Strähnen bekommen, die frischt sie vielleicht auf.“ „Zu schade, daß sie nicht ihr ganzes Wesen etwas auffrischt.“ Lynn schlenkerte mit dem Fuß. „Sie ist wirklich schrecklich. Hast du bemerkt, wie sie die besorgte Stiefmutter spielte? Sie hat wohl versucht, Dr. Bradwell zu beeindrucken, aber ich glaube nicht, daß es ihr gelungen ist.“ „Ich auch nicht. Er ist viel zu klug, als daß er sich von solcher Unaufrichtigkeit täuschen ließe.“ Lynn lachte plötzlich fröhlich. „Er hat sich bestimmt nicht ihre Gunst erworben, als er sie fragte, ob sie deine Mutter sei. Für einen Augenblick dachte ich, sie würde explodieren. Ich glaube kaum, daß er ihr die zweiunddreißig Jahre abgenommen hat. Wie alt ist sie eigentlich wirklich?“ „Das weiß ich nicht. Sie würde es mir wohl auch kaum verraten. Dad weiß es wahrscheinlich, aber ich habe ihn nie danach gefragt.“ „Sie hat heute ja deutlich gezeigt, daß sie gegen deinen Besuch bei ihm ist. Hat sie nicht schon immer versucht, euch auseinanderzubringen?“ „Als sie meinen Vater heiratete, war sie nicht gerade glücklich darüber, daß sie meine Stiefmutter wurde. Aber fairerweise muß ich sagen, daß sie nicht schuld ist an der zunehmenden Entfremdung zwischen meinem Vater und mir. Nachdem meine Mutter gestorben war, hatte er sich innerlich von mir zurückgezogen. Ich dachte, wir würden einander mehr als vorher brauchen, aber er versuchte, sich in seine Arbeit zu flüchten. Und nachdem Jason vor sechs Jahren sein Partner
wurde, war Dad so oft auf Reisen, daß ich ihn kaum noch sah. Schließlich
heiratete er Delia, und…“ Suzanne lächelte nachdenklich. „Jetzt fühle ich mich bei
deiner Familie schon mehr zu Hause als bei Dad und ihr.“
„Du weißt ja, daß meine Mutter sich immer sehr freut, wenn du uns besuchst“,
meinte Lynn aufrichtig. „Aber sag mal, dieser Jason, von dem Delia heute
dauernd sprach, das ist also der Partner deines Vaters? Sie konnte gar nicht
wieder aufhören, von ihm zu reden. Ist er so toll?“
Suzanne zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn nur wenige Male gesehen,
zuletzt vor etwa drei Jahren. Er schien ganz nett zu sein.“
„Ich möchte nur wissen, was seine Frau davon hält, wenn er so viel Zeit
aufwendet, um der lieben Delia über deines Vaters Krankheit hinwegzuhelfen.
Wenn ich verheiratet wäre, würde ich es bestimmt nicht gern sehen, daß mein
Mann mit einer solchen Frau zusammenkommt.“
Suzanne lachte. „Jason Caine ist nicht verheiratet. Jedenfalls war er es vor drei
Jahren noch nicht.“
„Oh, tatsächlich?“ Lynn richtete sich auf. „Wie alt ist er?“
„Anfang Dreißig, glaube ich. Warum?“
„Und wie sieht er aus?“
„Vor drei Jahren war ich sehr von ihm beeindruckt, aber damals war ich ja erst
achtzehn. Er ist groß, dunkel, vielleicht nicht schön im klassischen Sinn, aber
doch sehr attraktiv. Aber warum willst du das wissen?“
„Delia schien sehr an ihm interessiert zu sein. Was meinst du…“
„Nein!“ Suzanne schüttelte entschieden den Kopf. „Delia mag ihre Fehler haben,
sogar reichlich, aber sie hat bestimmt keine Beziehung zu einem anderen Mann.“
„Vielleicht hast du recht“, stimmte Lynn ihr schnell zu, aber es klang nicht sehr
überzeugt. „Jedenfalls hat dein Vater genug Geld, um die Kaiserin einigermaßen
zufriedenzustellen. Solange sie ihre Einkaufsorgien unternehmen kann, wird sie
ihm vielleicht nicht zu viel Kummer machen.“
„Du solltest endlich aufhören, sie in meiner Gegenwart Kaiserin zu nennen“,
ermahnte Suzanne ihre Freundin, wobei sie allerdings lächeln mußte. „Es ist
schon fast so weit, daß ich tatsächlich denke, sie sei Kaiserin. Wenn ich nicht
aufpasse, werde ich sie eines Tages noch so anreden.“
„Dann vergiß nicht, einen tiefen Hofknicks zu machen, wenn es dir passiert.
Kaiserinnen können ziemlich mißmutig werden, wenn man sie nicht gebührend
behandelt“, lachte Lynn. Sie wurde wieder ernst. „Weißt du, es wird hier ohne
dich sehr ruhig sein. Wie lange wirst du wohl in Italien bleiben?“
„Das hängt von Dad ab. Wenn er mich in seiner Nähe haben will, werde ich
bleiben, solange er mich braucht. Da Dr. Bradwell mir geraten hat, das
Sommersemester zu streichen und mich zu erholen, ist es mit der Rückkehr ja
nicht so eilig, auch wenn ich gern wieder hier wäre, um die Batikvorhänge für
unsere Wohnung zu entwerfen.“
„Statt dessen wirst du das romantische Italien genießen, während ich mich hier
mit Literaturvorlesungen abplagen muß“, sagte Lynn neidisch. „Ich werde diesen
Sommer nur zwei Wochen Ferien machen und sie mit meinen Eltern an den
NiagaraFällen verbringen. Das klingt doch auch ganz verlockend, wie?“
Suzannes Augen leuchteten auf. „Ich habe gerade eine tolle Idee. Warum
überredest du deine Eltern nicht, daß sie dich nach Italien kommen lassen,
solange ich dort bin? Was hältst du davon?“
Lynn verzog das Gesicht. „Das wäre bestimmt ein teurer Spaß.“
„Ach was. Du könntest ihnen doch sagen, daß eine Italienreise für deine Bildung
gut ist. Und außerdem würdest du bei uns wohnen, so daß du kein Geld für ein
Hotel oder für Essen ausgeben mußt. Es wäre eine ziemlich billige Europareise.“
„Das stimmt“, erwiderte Lynn, „ich werde sie auf jeden Fall fragen. Wir könnten eine schöne Zeit zusammen verleben, meinst du nicht?“ „Vielleicht wäre es für mich der einzige Lichtblick in diesem Sommer. Dad und ich haben uns nicht mehr viel zu sagen. Und mit Delia kann ich sowieso nicht viel reden. Offen gestanden, mir bangt etwas vor der Reise. Ich möchte bei Dad sein, weil er krank ist, aber…“ Suzanne schwieg einen Augenblick. „Ich würde viel lieber mit dir und deinen Eltern verreisen, das wäre bestimmt schöner, als in Italien bei Delia zu sein.“ „Nun laß dir nur nicht alles durch die Kaiserin verderben. Vergiß sie einfach.“ „Ich will es versuchen.“ Nachdenklich schaute Suzanne vor sich hin. „Mir ist es immer noch unverständlich, weshalb Dad sie geheiratet hat. Sie ähnelt meiner Mutter überhaupt nicht, und meine Mutter hat er sehr geliebt. Warum hat er nicht eine Frau geheiratet, die ihr gleicht, die ruhig, selbstlos und liebevoll ist? Warum mußte es ausgerechnet eine Frau wie Delia sein? Sie ist in fast jeder Beziehung das genaue Gegenteil meiner Mutter.“ „Vielleicht ist das gerade der Grund dafür, daß er sie geheiratet hat, weil sie eben so ganz anders ist.“ „Vielleicht hast du recht. Für Dad ist es traurig zu wissen, daß er nie wieder so glücklich sein wird, wie er es mit Mutter war. Aber… vielleicht kann er sich glücklich schätzen, wenigstens einmal im Leben einen so wunderbaren Partner gehabt zu haben. Viele Menschen haben dieses Glück niemals.“ Mit einem leichten Lächeln blickte Suzanne eine ganze Weile vor sich hin. Dann riß sie sich aus ihren Träumereien und warf einen Blick auf die Uhr. „Ich weiß, es ist noch früh, aber ich werde jetzt ins Bett gehen. Morgen muß ich früh aufstehen, um mit dem Packen fertig zu werden, und es wird ein schrecklich langer Tag werden – den ich noch dazu mit Delia verbringen muß.“ „Der Himmel stehe dir bei“, erwiderte Lynn etwas spöttisch. „Ich werde auch nicht mehr lange aufbleiben. Ich bin müde. Aber wie gesagt, laß dir den Besuch bei deinem Vater nicht durch deine Stiefmutter verderben. Vergiß nicht, Italien soll ein wunderschönes und romantisches Land sein. Vielleicht triffst du dort den Mann deines Lebens.“ „Daran will ich lieber nicht denken“, meinte Suzanne. „Wenn es nach Delia geht, werde ich wahrscheinlich überhaupt keinen Mann zu Gesicht bekommen. Sie hat noch nie Wert darauf gelegt, mich in ihren Bekanntenkreis einzuführen.“ „Ja, sie ist eben die typische Stiefmutter, wie aus dem Märchenbuch. Aber laß dich trotzdem nicht von ihr unterkriegen.“ „Das wird sicher nicht der Fall sein“, versprach Suzanne. „Also, mach dir um mich keine Sorgen, ich werde schon zurechtkommen.“ „Kann ich mich darauf verlassen? Vergiß nicht, daß du nicht jeden Sommer nach Europa kommst. Wer weiß, vielleicht lernst du doch einen ganz tollen Mann kennen und verliebst dich in ihn. Wäre das nicht aufregend?“ „Ich habe bisher gar nicht gewußt, wie hoffnungslos romantisch du bist“, lachte Suzanne. „Aber jetzt genug davon, ich möchte schlafen gehen.“
2. KAPITEL Der Flug nach Rom war lang und ermüdend. Suzanne vertrieb sich den größten Teil der Zeit damit, daß sie las, während Delia schlief. Sie verschlief das Mittagessen. Leider erwachte sie rechtzeitig zum Abendessen und war sehr schlecht gelaunt. Sie beschwerte sich über die Kälte, fand den Flug zu unruhig, und das Essen, das in der ersten Klasse serviert wurde, völlig ungenießbar. „Alles auf meinem Tablett war kalt“, beschwerte sich Delia bei der Stewardeß, die das Tablett wieder abholte. „Wenn ich bedenke, wie teuer mein Flugticket war, dann kann ich bestimmt ein ordentliches Essen verlangen.“ „Es tut mir leid, daß es Ihnen nicht geschmeckt hat“, erwiderte die junge Frau ungerührt. Fragend schaute sie Suzanne an. „War Ihr Essen auch kalt, Miss Collins?“ „Keineswegs, es hat alles sehr gut geschmeckt“, erwiderte Suzanne, ohne sich um den vernichtenden Blick zu kümmern, den die Stiefmutter ihr zuwarf. „Mein Essen war jedenfalls kalt“, wiederholte Delia und verzog voller Abscheu das Gesicht. „Sie können sich darauf verlassen, daß ich das all meinen Freunden erzählen werde, damit sie Ihre Fluggesellschaft in Zukunft meiden.“ Die Stewardeß setzte eine betrübte Miene auf. „Es tut mir wirklich leid, daß Ihnen unser Service nicht gefällt. Hätten Sie nur früher etwas gesagt, ich hätte Ihnen gern ein anderes Tablett gebracht.“ „Es ist jetzt etwas spät, mir das zu sagen, finden Sie nicht auch? Als Ausgleich für diese Unannehmlichkeit schulden Sie mir aber wohl ein Getränk. Sie können mir einen ChampagnerCocktail bringen.“ „Ja, gnädige Frau, sofort“, versprach die Stewardeß, die von Delias unhöflichem Benehmen offensichtlich nicht beeindruckt war. Zu ihrem Unglück lächelte sie Suzanne zu. „Wie ist es mit Ihnen, Miss Collins? Haben Sie einen ähnlichen Wunsch wie Ihre Mutter?“ Delia war empört. In gehässigem Ton fuhr sie die junge Frau an: „Vielleicht sollten Sie Ihre Augen einmal überprüfen lassen, meine Liebe. Wenn Sie genauer hinsehen, werden Sie feststellen, daß ich unmöglich die Mutter eines einundzwanzigjährigen Mädchens sein kann.“ Delia hatte mit erhobener Stimme gesprochen, so daß die Umsitzenden aufmerksam wurden. Die Stewardeß merkte, welchen Fehler sie begangen hatte, und versuchte, die Wogen zu glätten. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Mrs. Collins. Ich wollte Sie nicht kränken. Nur weil Sie denselben Namen tragen, dachte ich… und schließlich sieht Miss Collins auch nicht so aus, als sei sie schon einundzwanzig.“ Sie schaute Suzanne etwas hilflos an. „Ich meine… mein Gott, hoffentlich nehmen Sie mir nun nicht übel, was ich da gesagt habe.“ Suzanne lächelte die Stewardeß beruhigend an. „Keineswegs. Und vielen Dank, mir brauchen Sie nichts zu bringen.“ „Bekomme ich nun meinen Cocktail oder nicht?“ sagte Delia gereizt. „Ich kann ihn jetzt wirklich gebrauchen.“ Die Stewardeß murmelte eine weitere Entschuldigung und verschwand schnell. Delia gab eine unfreundliche Bemerkung von sich. Rasch öffnete Suzanne ihr Buch und hoffte, sie könne ein Gespräch mit ihrer Stiefmutter vermeiden, indem sie sie einfach übersah. Doch zu ihrem Leidwesen gelang ihr das nicht. Delia hatte ganz andere Absichten. Sie drehte sich in ihrem Sitz herum und begann, Suzanne Vorwürfe zu machen. „Du mußt wirklich einmal etwas für dein Aussehen tun, Suzanne“, erklärte sie mit mißbilligendem Blick. „Warum willst du immer wie eine Vierzehnjährige herumlaufen? Mein Gott, du bist doch fast einundzwanzig. Meinst du nicht, du
solltest allmählich etwas erwachsener aussehen?“ Mit einem ergebenen Seufzer sah Suzanne von ihrem Buch auf. „Ich sehe bestimmt älter aus als vierzehn, Delia“, erwiderte sie ruhig. „Es tut mir leid, wenn mein Äußeres dich stören sollte, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich das ändern könnte.“ „Du solltest zum Beispiel etwas mit deinem Haar machen.“ „Mit meinem Haar?“ Suzanne berührte ihr üppiges weiches Haar, das mit zwei Spangen aus dem Gesicht zurückgehalten wurde. „Was ist denn daran falsch?“ „Alles. Laß es richtig schneiden, damit dein Gesicht nicht aussieht wie das eines kleinen Mädchens. Mein Gott, du siehst wirklich wahnsinnig jung aus. Mit einer modischen Frisur würdest du etwas mehr deinem Alter entsprechen. Ich habe in Mailand einen wirklich tollen Friseur entdeckt, zu dem solltest du gehen, vielleicht schon morgen. Er wird bestimmt etwas tun können, um dein Aussehen zu verbessern.“ „Danke, nicht nötig“, wehrte Suzanne ab. „Mir gefällt mein Haar so, wie es ist. Ich will es nicht schneiden lassen.“ „Du kannst doch nicht erwarten, daß man dir deine einundzwanzig Jahre abnimmt, wenn du die Haare lang auf die Schultern hängen läßt wie Alice im Wunderland.“ Delia blieb hartnäckig. „Wenn du die Haare so aus dem Gesicht zurückkämmst, wirken deine Augen viel zu kindlich. Es würde auch nicht verkehrt sein, die Sommersprossen auf deiner Nase und auf den Wangen zu verdecken. Du könntest sie durch eine Schälkur sofort loswerden.“ „Eine Schälkur?“ fragte Suzanne ungläubig. „Du willst mich wohl verspotten. Ich liebe meine Sommersprossen zwar nicht besonders, aber ich hasse sie keinesfalls so, daß ich das Risiko einer Schälkur auf mich nehmen würde. Ich habe gelesen, daß manche Frauen durch eine solche Prozedur für ihr Leben verunstaltet worden sind.“ Delia machte eine abwehrende Handbewegung. „Das sind doch Schauergeschichten. Solche Schälkuren hinterlassen nur äußerst selten Schäden.“ „Gut, dann nimm eine für dich, aber mich laß damit in Ruhe.“ Suzannes Geduld nahm allmählich ab. „Und was mein übriges Aussehen angeht, so wirst du dich daran gewöhnen müssen. Ich bin, wie ich bin, und damit bin ich einigermaßen zufrieden. Ich werde bestimmt nichts ändern, nur um dir zu gefallen.“ Delia zog die Stirn kraus, ihr Blick wurde kälter. „Weißt du, was ich glaube? Es gefällt dir, wenn die Leute annehmen, du seist meine Tochter“, sagte sie wütend. „Und deshalb versuchst du, so jung wie möglich auszusehen, nur um mich zu ärgern.“ „Meinst du nicht, daß das ziemlich dumm von mir wäre, denn ich sehe dich doch kaum“, erwiderte Suzanne so kühl wie möglich. „Mein Leben kreist keinesfalls um dich, wie du zu glauben scheinst. Wenn ich mein Haar lang trage, so allein deshalb, weil es mir so angenehm ist, und meine Sommersprossen habe ich schon solange ich denken kann.“ „Ich wollte dir auch nur sagen, daß…“ „Diese ganze Unterhaltung ist doch einfach lächerlich“, unterbrach Suzanne ihre Stiefmutter verärgert. Sie wandte sich zur Seite und öffnete ihr Buch. „Bitte entschuldige mich jetzt, ich möchte weiterlesen. Ich bin gerade mitten in einem spannenden Kapitel.“ „Ich werde deinem Vater sagen, wie unhöflich du mir gegenüber bist“, verkündete Delia drohend. „Er wird sich bestimmt nicht darüber freuen, darauf kannst du dich verlassen.“ Mit einer Kopfbewegung, die keine einzige ihrer Locken in Unordnung brachte, stand sie auf und ging in die Lounge der ersten
Klasse. Delia erschien erst wieder, als das Flugzeug in Rom landen sollte. Schweigend saßen Suzanne und ihre Stiefmutter nebeneinander. Das angespannte Schweigen war einerseits eine Erleichterung für Suzanne, machte ihr aber andererseits auch Sorgen. Sie hatte gehofft, daß die Beziehungen zu ihrer Stiefmutter nicht so schnell getrübt sein würden. Aber nun war es einmal so. Sie konnte es nicht ändern und sich nur bemühen, Delias Gesellschaft nach Möglichkeit zu meiden. Vierzig Minuten später, als sie das Flugzeug verlassen und die Zollabfertigung hinter sich hatten, zeigte Delia deutlich, daß auch sie nicht die Absicht hatte, sich länger mit Suzanne abzugeben. Sie drückte ihrer Stieftochter ihren roten Kosmetikkoffer in die Hand und ging geradewegs auf den Ausgang zu, wo ein hochgewachsener, breitschultriger Mann in einem dunklen Anzug wartete. Suzanne erkannte Jason Caine und folgte ihrer Stiefmutter langsam. Beladen mit ihrer eigenen Reisetasche, ihrer Handtasche und mit Delias lächerlich schwerem Kosmetikkoffer fühlte sie sich plötzlich ziemlich matt. Ihre Erschöpfung mischte sich mit Verwirrung, als sie bemerkte, wie Jason Caine sie musterte und sein Blick über ihren schlanken Körper glitt. Sie wurde rot, als sie etwas wie Mißbilligung in seinem Gesicht zu entdecken glaubte. Aber wahrscheinlich hatte ihre Müdigkeit sie überempfindlich gemacht. Schüchtern lächelte sie ihm zu, doch das Lächeln schwand, als es nicht erwidert wurde. Ziemlich entmutigt durch diese kühle Begrüßung blieb Suzanne einige Schritte von Delia und Jason entfernt stehen und sagte: „Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Mr. Caine.“ „Und ich freue mich, daß Sie sich entschlossen haben, Ihren Vater zu besuchen, Miss Collins“, antwortete Jason. Seine Stimme klang wenig freundlich und entsprach dem Ausdruck seines Gesichts. „Wie geht es meinem Vater“, fragte Suzanne und nahm den schweren Kosmetikkoffer in die andere Hand. „Haben Sie ihn heute gesehen, Mr. Caine?“ „Gesehen nicht, aber ich habe heute abend mit ihm telefoniert. Er sagte, es gehe ihm sehr gut.“ Ein leichtes Lächeln spielte um Jasons Mund. „Er beklagte sich bitterlich darüber, daß der Arzt ihm noch nicht aufzustehen erlaubt.“ „Ist das nicht typisch Jack?“ gurrte Delia und nahm besitzergreifend Jasons Arm. Mit einem Seitenblick auf ihre Stieftochter fügte sie hinzu: „Jack ist wahrscheinlich schon ganz aufgeregt, weil Suzanne ihn besucht. Ich hatte nicht geglaubt, daß sie mit mir kommen würde, und war ganz überrascht, als sie sich dazu entschloß. Es ist so lieb von dir, Jason, daß du gekommen bist, um mich… um uns abzuholen. Für mich war es eine furchtbare Vorstellung, mitten in der Nacht in Rom anzukommen, aber da du hier bist…“ „Ich hatte ohnehin geschäftlich in Rom zu tun“, erwiderte Jason. „Ich habe euch zwei Zimmer in meinem Hotel reservieren lassen. Ist das recht?“ „Alles, was du sagst, Jason, ist recht“, sagte Delia mit verführerisch leiser Stimme. Sie sah ihn anbetend an, ihre Hand mit den rotlackierten Fingernägeln strich über seinen Arm. Während Suzanne ihre Stiefmutter beobachtete, fiel ihr Lynns Vermutung ein, daß Delia und Jason vielleicht ein Verhältnis miteinander hätten. Eines war jedenfalls richtig: Delia hatte ein mehr als freundschaftliches Interesse an dem Geschäftspartner ihres Mannes. War es wirklich nur Zufall, daß Jason gerade an diesem Abend in Rom war, als Delia mit dem Flugzeug ankam? Vielleicht war diese Nacht für ein Liebesabenteuer bestimmt gewesen. Das würde Jasons ablehnende Haltung ihr – Suzanne – gegenüber erklären. Er schien ja nicht damit gerechnet zu haben, daß sie mitkommen würde. Vielleicht störte ihn ihre Anwesenheit. Aber nein, dachte
Suzanne verzweifelt, es kann einfach nicht sein, daß er ein Verhältnis mit Delia hat. Sie wußte zwar nur sehr wenig über Jason Caine, aber ihr Vater hatte häufig geäußert, daß Jason der ehrlichste und vertrauenswürdigste Geschäftspartner sei, den er jemals gehabt habe. Suzanne versuchte, ihren Verdacht zu verdrängen, doch als sie sah, daß Delia immer noch Jasons Arm festhielt, verstärkte sich ihr Verdacht. Es war eine schreckliche Vorstellung, daß ihr Vater vielleicht betrogen wurde. Schweiß trat auf Suzannes Stirn, sie schwankte etwas. Jason löste sich sofort aus Delias Griff und war mit einem langen Schritt neben Suzanne. Er faßte sie am Ellbogen. Suzanne mußte sich mit Mühe zurückhalten, ihn nicht abzuschütteln. Sie blickte zu ihm auf, ohne zu wissen, wie müde und verletzlich sie aussah. „Geht es Ihnen nicht gut, Miss Collins?“ fragte er nun mit etwas freundlicherer Stimme. „Möchten Sie sich hinsetzen und sich etwas ausruhen?“ Suzanne schüttelte den Kopf und schluckte mit Mühe. Sie war Jason noch nie so nahe gewesen. Wie groß er war. Er überragte sie um mindestens eine Kopflänge, war kräftig und muskulös. Seine hochgewachsene, schlanke Gestalt strahlte eine verborgene Stärke aus, die sie plötzlich außerordentlich beunruhigte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, während ihr Blick von seinen dunklen, intelligenten Augen gefangen war. Jason musterte sie eingehend. Sie konnte diesem verwirrenden Blick nicht länger standhalten und senkte den Kopf. „Nein, vielen Dank, ich brauche mich nicht hinzusetzen“, sagte sie schließlich, „es ist alles in Ordnung.“ Jasons Finger schlossen sich etwas fester um ihren Arm. „Ich weiß, daß Sie krank waren…“ „Das ist vorbei, es geht mir wirklich wieder gut“, wehrte Suzanne ab. „Aber du siehst gar nicht gut aus, Darling“, mischte sich Delia ein. Sie täuschte große Besorgnis vor und tätschelte Suzannes Wange. „Du bist richtig blaß geworden, das stimmt doch, Jason, nicht wahr? Ihre charmanten Sommersprossen sind jetzt deutlich zu sehen. Warum setzt du dich nicht einen Augenblick hin? Ich mache mir Sorgen um dich.“ „Dann trag doch bitte deine Sachen wieder selbst“, sagte Suzanne abweisend und rächte sich für die Heuchelei ihrer Stiefmutter, indem sie ihr den Kosmetikkoffer reichte. „Der Koffer ist ziemlich schwer.“ Für einen Augenblick nahmen Delias Augen einen harten Ausdruck an, doch er verschwand sofort, als sie zu Jason aufsah und ihn mit einer hilflosen kleinen Gebärde bat: „Würdest du ihn für mich tragen, Darling?“ Als Jason Suzanne den Koffer abnahm, berührten seine Finger ihre Hand, aber er schien das nicht zu bemerken. Er hob eine Augenbraue und sagte mit einem Lächeln zu Delia: „Sie hat recht, er ist schwer. Was trägst du da mit dir herum? Goldbarren?“ Delia kicherte und schenkte ihm ein verführerisches Lächeln, während sie die Hand ausstreckte und völlig unnötigerweise seine weinrote Krawatte richtete. „Du weißt doch, wie wir Frauen sind. Wir müssen überall unsere kleinen Töpfe und Fläschchen mit uns herumschleppen. Ohne die Cremes und Lotions, die uns schön machen, wären wir völlig verloren.“ „Haben Sie auch einen ganzen Kosmetikladen in Ihrem Handgepäck, Miss Collins?“ wandte sich Jason an Suzanne, während er ihr die Riesentasche abnahm. Die Tasche war leichter als Delias roter Lederkoffer. Ein amüsiertes Lächeln milderte Jasons harte Gesichtszüge. „Offenbar haben Sie nicht all Ihre Töpfe und Gläser in diese Tasche gepackt. Wenn Sie keine Cremes und Wässerchen benutzen, wie kommen Sie dann zu einem so wunderschönen Teint?“ „Oh, sie ist viel an der frischen Luft“, erklärte Delia mit unaufrichtigem Lächeln.
„Eines habe ich nie verstanden: wieso hat man nicht eine dunklere Haut, wenn man so viel draußen ist? Aber das liegt wohl daran, daß ihr Rothaarigen eine so empfindliche Haut habt, nicht wahr, meine Liebe? Du wirst nie so richtig braun. Das ist schade.“ Suzanne war dicht davor, eine bissige Antwort zu geben, doch dann kam es ihr zu dumm vor, über etwas so Unwichtiges wie Sonnenbräune zu streiten. Außerdem fühlte sie sich allmählich erschöpft. Es war schon nach Mitternacht. Mit einem flehenden Blick sah sie Jason an. „Wir fahren sofort zum Hotel, sobald ich euer Gepäck habe“, versprach Jason verständnisvoll. „Gebt mir die Gepäckscheine und wartet hier auf mich.“ Suzanne gab sie ihm und setzte sich auf einen der großen Sessel, die in der Ankunftshalle in einer langen Reihe standen. Delia ließ sich neben ihr nieder, ignorierte Suzanne aber völlig. Nach zehn Minuten kam Jason mit einem Gepäckträger, der eine Karre mit Delias und Suzannes Koffern schob. Sie verließen den Flughafen und traten in die kühle Nachtluft hinaus. Delia und Suzanne mußten einen Augenblick warten, bis Jason mit seinem cremefarbenen Fiat Ritmo vor ihnen hielt. Der Gepäckträger stellte schnell fest, daß nicht alle Koffer im Gepäckraum untergebracht werden konnten. Delia setzte sich vorn auf den Beifahrersitz und überließ es ihrer Stieftochter, den Rücksitz mit ihren roten Lederkoffern zu teilen. „Es tut mir leid, daß Sie da hinten so bedrängt sitzen“, sagte Jason, während er hinter dem Lenkrad Platz nahm. Mit einem Lächeln schaute er sich zu Suzanne um. „Wenn ich geahnt hätte, daß Delia genug Gepäck für eine Weltreise mitgenommen hat, hätte ich einen Lastwagen bestellt. Ich bin froh, daß Sie ihrem Beispiel nicht gefolgt sind.“ Dieses Kompliment an Suzanne, so unpersönlich es auch war, gefiel Delia gar nicht. Offenbar hatte sie das Gefühl, daß Jason ihrer Stieftochter zuviel Aufmerksamkeit schenkte. Sie rückte näher an ihn heran und legte einen Arm auf die Rücklehne seines Sitzes. Dabei verzog sie schmollend den Mund. Dann begann sie, sich so leise mit Jason zu unterhalten, daß Suzanne sich ausgeschlossen fühlte. Suzanne schaute aus dem Fenster. Trotz der späten Stunde war der Verkehr noch lebhaft. Es war ein chaotisches Durcheinander. Jeder schien so zu fahren, wie es ihm gefiel. Suzanne war sich sicher, daß sie hier niemals zurechtkommen würde, aber Jason saß ganz entspannt da und lenkte den Wagen geschickt erst über die Hauptstraße, dann durch die engeren Gassen der Altstadt. Es störte ihn weder, daß ein Taxi sie beinahe rammte, noch daß Delia die ganze Zeit über unaufhörlich plapperte. Suzanne war erleichtert, als sie schließlich in eine ruhigere Straße einbogen, den Tiber überquerten und die Via Veneto erreichten, an der ihr Hotel lag. Die Straße war von schwach beleuchteten Nachtclubs und Diskotheken gesäumt, in die Suzanne hin und wieder einen Blick werfen konnte, wenn Gäste sie betraten oder verließen. Jason hielt vor einem großen grauen Gebäude. Ein Portier in scharlachroter Uniform half ihnen aus dem Wagen und begleitete sie in die Halle, wo ein Page sich mit Delias Gepäck abmühte. Es war ein altes, vornehmes Hotel, doch Suzanne war zu müde, um davon viel wahrzunehmen. Sie konnte ein Gähnen nicht unterdrücken, was Jason bemerkte, der sie im Gästebuch eintrug und sich zu ihr umdrehte. Suzanne wurde rot. Jason sah jetzt im offenen Mantel, dem offenen Jackett und dem losen Schlips etwas weniger unnahbar aus. Er lächelte, und Suzanne erwiderte sein Lächeln zögernd. Als er gerade auf sie zutreten wollte, fing Delia ihn ab und hängte sich bei ihm
ein. Suzanne folgte den beiden. Ein schläfriger Page führte sie zu einem altmodischen Aufzug mit Gittern. Mit einem Ruck hielt der Aufzug im dritten Stock. Der Page blieb zuerst vor Delias Tür stehen. Während er ihr Gepäck ins Zimmer trug, stellte sich Delia auf Zehenspitzen, gab Jason einen Kuß auf die Wange und lächelte ihn verführerisch an. Das Lächeln schwand, als sie sich Suzanne zuwandte, wenn auch ihr Ton sehr liebenswürdig war. „Gute Nacht, Kindchen. Schlaf schnell ein, damit du morgen nicht zu müde bist. Und bitte störe mich heute nacht nicht. Ich schlafe in Hotels immer so schlecht, und wenn ich erst einmal aufgewacht bin, kann ich nicht wieder einschlafen.“ Das ist eine etwas seltsame Bitte, fand Suzanne. Sie runzelte die Stirn. „Ich hatte nicht die Absicht, dich zu stören. Warum sollte ich das wohl?“ Ohne darauf zu antworten, lächelte Delia noch einmal Jason zu und ging dann langsam in ihr Zimmer. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, begleitete Jason Suzanne zu ihrem Zimmer, das drei Türen weiter lag. Der Page trug ihre Sachen hinein. Impulsiv streckte Suzanne die Hand aus. Als Jason sie ergriff, zitterte sie leicht. „Vielen Dank dafür, daß Sie uns abgeholt haben“, sagte Suzanne. „Sie waren sehr freundlich und eine große Hilfe.“ Sie wollte die Hand zurückziehen, aber Jason ließ sie nicht los. Als Suzanne ihn überrascht ansah, blickte Jason sie eindringlich an. „Warum mögen Sie Delia nicht?“ fragte er unvermittelt. „Nehmen Sie es ihr übel, daß sie Jack geheiratet hat?“ „Ihr etwas übelnehmen? Nein, das tue ich nicht“, erwiderte Suzanne steif. „Ich… es ist nur so, daß wir wenig gemeinsam haben.“ „Sie hat Ihren Vater geheiratet.“ Jason schob seinen Mantel zur Seite und steckte eine Hand in die linke Hosentasche. „Sie und Delia haben also Jack gemeinsam.“ „Aber ich sehe die beiden kaum.“ „Wessen Schuld ist das?“ „Ich wußte bislang nicht, daß man dafür irgend jemandem die Schuld geben müßte“, sagte Suzanne abwehrend und strich sich über das dichte rötliche Haar. „Irgendwie hat es sich so ergeben, daß wir uns nur selten sehen. Aber ich glaube nicht, daß ich Delia ablehne. Es ist nur so, daß sie meiner Mutter gar nicht gleicht, und ich komme nicht gut mit ihr zurecht.“ „Darum sollten Sie sich aber bemühen, solange Sie hier sind.“ Das klang mehr nach einer Weisung als nach einer Bitte. „Jacks Herzanfall war zwar nicht schlimm, aber er sollte keine Aufregungen haben. Wenn Sie sich gegen Delia stellen, wird ihn das kränken. Also, versuchen Sie ihm zuliebe freundlich zu sein.“ Plötzlicher Groll ließ Suzannes Müdigkeit verfliegen. Sie sah Jason entrüstet an. „Ich weiß selbst, wie ich mich zu benehmen habe, Mr. Caine. Es ist also nicht nötig, daß sie mir Weisungen erteilen. Ich würde Dad niemals aufregen. Wenn ich mir keine Sorgen um seine Gesundheit gemacht hätte, warum hätte ich ihn dann wohl sofort besuchen wollen?“ „Besuchen wollen?“ wiederholte Jason spöttisch. Als Suzanne etwas sagen wollte, hob er abwehrend die Hand. Er musterte sie eingehend, von den schlanken Füßen in den bequemen Schuhen bis zu dem üppigen Haar, das ihr Gesicht umgab. „Wir werden diese Unterhaltung später fortsetzen. Jetzt brauchen Sie erst einmal Schlaf. Wenn Sie sehr müde sind, kann ich den Flug nach Mailand von neun Uhr vormittags auf den Nachmittag umbuchen. Würde Ihnen das lieber sein?“ Unvermittelt war Jason von seinen Verhaltensmaßregeln zur Fürsorglichkeit übergegangen. Das verwirrte Suzanne. Sie schüttelte den Kopf. „Nein,
meinetwegen brauchen Sie nichts zu ändern.“ Neun Uhr ist nicht zu früh für mich, ich brauche nicht viel Schlaf, übertrieb sie. In Wirklichkeit fühlte sie sich jetzt so, als würde selbst ein ganzer Winterschlaf nicht ausreichen. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie das Jason gegenüber nicht zugeben. Sie wollte ihm kein Zeichen von Schwäche geben. „Es geht mir schon wieder gut, wirklich.“ „Wenn Sie es sagen…“, erwiderte Jason. Er neigte den Kopf und war im Begriff, zu der Tür neben Delias Zimmer zu gehen, wo der Page auf ihn wartete. Da berührte Suzanne seinen Arm, zog die Hand aber sofort zurück, als sie merkte, wie Jason sich versteifte. Nervös sagte sie: „Ich… also, vielen Dank für Ihr Angebot, den Flug zu verschieben. Aber Sie wollen doch sicher schnell wieder in Como sein. Es muß eine Menge Arbeit für Sie bedeuten, die neue Seidenfabrik zu reorganisieren, die Sie und Dad gekauft haben.“ „Es gibt Dinge, die wichtiger sind als das Geschäft“, erklärte Jason ernst. „In den letzten zwei Jahren, während ich in Como lebte, habe ich gelernt, daß allzu starre Pläne gelegentlich durchbrochen werden sollten. Die meisten Menschen, die hier leben, sind nicht so sehr auf festgelegte Zeiten fixiert, und aufgrund dessen leben sie weniger angespannt. Es spricht viel dafür, hin und wieder die Zeit zu beachten, sich aber nicht von ihr beherrschen zu lassen. Deshalb hätte es mir nichts ausgemacht, den Flug morgen zu verschieben. Also, soll ich es tun?“ Wieder schüttelte Suzanne den Kopf. „Nein. Dad wird auf uns warten, ich möchte ihn nicht enttäuschen.“ „Dann sollten Sie jetzt schlafen. Gute Nacht, Miss Collins.“ „Gute Nacht, Mr. Caine.“ Suzanne kleidete sich aus, duschte schnell, zog ein baumwollenes Nachthemd an und schlüpfte ins Bett. Es war ein angenehmes Gefühl, sich auf dem kühlen Laken auszustrecken. Als Suzanne ihren Kopf auf das weiche Kissen legte, fiel ihr Delias Bitte ein, sie nicht zu stören. Warum hatte sie das gesagt? Es ergab keinen rechten Sinn. Es sei denn, daß Delia vorhatte, ihr Bett mit Jason zu teilen. Dann wollte sie natürlich sicher sein, daß ihre Stieftochter sie nicht zufällig miteinander überraschte. Diese Vorstellung regte Suzanne so auf, daß sie zunächst nicht einschlafen konnte. Hatten Delia und Jason dieses Treffen geplant, und war das der Grund dafür, daß Delia versucht hatte, sie von ihrem Flug nach Rom abzuhalten? Und was hatte Jason gemeint, als er sagten es gäbe wichtigere Dinge als das Geschäft? Welche Dinge? Delia und die Gelegenheit, diese Nacht mit ihr in Rom zu verbringen, weit weg von den Leuten in Como, die sie kannten? Aber vielleicht verdächtigte sie Delia auch zu Unrecht. Jason Caine konnte sehr freundlich und fürsorglich sein, das hatte sie an diesem Abend selbst erlebt. Er würde sicherlich nicht daran denken, mit der Frau seines Partners ein Verhältnis zu beginnen. Oder doch? Suzanne konnte diesen Mann, den sie kaum kannte, nicht richtig einschätzen. Die Gedanken schwirrten in ihrem Kopf umher, und Suzanne fürchtete schon, daß ihr eine schlaflose Nacht bevorstand. Doch der lange Flug nach ihrer Krankheit hatte sie erschöpft, und so schlief sie schließlich ein. Immer wieder träumte sie aber von Delia und Jason – wie Delia Jason anhimmelte und Jason sie selbst so forschend musterte…
3. KAPITEL Der Flug nach Mailand am nächsten Morgen war nur kurz. Verglichen mit der Reise vom Vortag schien er nur aus einem längeren Start und einem Landemanöver zu bestehen. So war Suzanne auch gar nicht müde, als sie bald darauf in Jasons silbergrauem Jaguar in Richtung Como fuhren. Der Kofferraum des Wagens war groß genug für alles Gepäck, so daß Suzanne es auf den Rücksitzen bequem hatte. Während Delia unaufhörlich auf Jason einredete, schaute Suzanne hinaus auf die Hügel der Lombardei, durch die sie jetzt fuhren. Sie wollte nichts von dem hören, was Delia Jason Caine sagte. Die Träume der vergangenen Nacht hatten ihren Verdacht nicht beschwichtigt. Als sie am Morgen erwacht war, hatte sie sich gefragt, was ein intelligenter Mann wie Jason nur an einer so oberflächlichen Frau wie Delia finden konnte. Aber hatte sie sich nicht schon oft genug überlegt, was ihrem Vater an Delia eigentlich gefiel? Auch er war intelligent, und er hatte Delia sogar geheiratet. Vielleicht verfügten dumme Frauen, wie ihre Stiefmutter, über einen gewissen Charme, der auf Männer wirkte, aber anderen Frauen ein Rätsel blieb. Vielleicht war das so, aber Suzanne bezweifelte es. Was konnte an einer Frau charmant und betörend sein, die dauernd redete und die nie ihr wirkliches Gesicht zeigte? Delias Leben war Heuchelei, und in erster Linie schien sie darauf ausgerichtet zu sein, Männer zu umgarnen. Suzanne konnte nicht verstehen, wieso ihr Vater und Jason nicht einsahen, daß Delia durch und durch falsch war. Aber sie konnte nichts tun, um ihnen die Augen zu öffnen. Suzanne beschloß, sich durch dieses unlösbare Problem nicht entmutigen zu lassen. Sie übersah auch absichtlich, daß ihre Stiefmutter dicht an Jason herangerückt war, und wandte ihre Aufmerksamkeit lieber der wunderschönen Landschaft zu, durch die sie gerade fuhren. Nach etwa einer halben Stunde erreichten sie Como. Obwohl sich hier inzwischen auch Industrie angesiedelt hatte, bewahrte der Ort seine ursprüngliche Schönheit, wie er sich malerisch um die Spitze des langen, schmalen Sees erstreckte. Während Jason eine belebte Straße entlang fuhr, bewunderte Suzanne die hellen Häuser mit ihren korallenroten Ziegeldächern. Doch der Anblick des Sees, dem sie sich nun näherten, übertraf alles an atemberaubender Schönheit. Suzanne hatte ihren Vater schon zweimal besucht, seitdem er hierher gezogen war, und immer wieder war sie vom Corner See bezaubert. Am Fuße grüner Hügel, an deren Hängen Weingärten, Wiesen, kleine Gehöfte und Landhäuser lagen, funkelte das saphirblaue Wasser des Sees. Ein üppiges Grün, das angesichts der nahen Alpengipfel eigentlich überraschend war, erfreute das Auge. Nach wenigen Minuten hatten sie den Ort verlassen und fuhren auf einer gewundenen schmalen Straße in die Hügel hinauf. Von hier aus hatte man einen freien Blick auf den See. Kleine Boote mit dreieckigen weißen Segeln glitten über das Wasser, das im Sonnenlicht schimmerte. Trotz Delia gefiel es Suzanne hier sehr. Zwar waren die Berge in Vermont von unübertrefflicher Schönheit, doch der Corner See war auf seine Art besonders reizvoll, irgendwie exotisch. Diese Landschaft war etwas für Suzannes romantische Seele, sie erfreute und weckte ihre Sinne. Die Luft roch frischer, der Himmel schien von einem noch tieferen klaren Blau. Vielleicht ist das aber auch nur eine Folge meiner lebhaften Phantasie, überlegte sie. Suzanne seufzte leise. Bei dem kaum hörbaren Laut sah Jason sich nach ihr um. „Hat irgend etwas
Spezielles diesen Seufzer verursacht, oder ist er nur der allgemeine Ausdruck Ihrer Gefühle?“ fragte er und wandte die Aufmerksamkeit wieder der Fahrbahn zu. „Oder werden Sie müde?“ „Nein, mir geht es gut“, versicherte Suzanne schnell und übersah den gereizten Blick, den Delia ihr zuwarf. „Ich dachte gerade daran, wie schön es hier ist. Die Landschaft ist bezaubernd… aber das brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu sagen, schließlich leben Sie ja hier. Wohnen Sie immer noch in der Stadt, Mr. Caine, oder haben Sie inzwischen auch ein Landhaus wie mein Vater?“ „Er hat eine phantastische Villa gekauft“, erklärte Delia, „vor einigen Monaten.“ Offenbar wollte sie nicht zulassen, daß sie aus der Unterhaltung ausgeschlossen wurde. Mit einem falschen Lächeln fuhr sie fort: „Du solltest sie sehen, Liebes. Sie ist größer als unser Haus, und auch eleganter, jedenfalls wird sie es sein, wenn sie neu eingerichtet ist. Jason will mir freie Hand bei der Einrichtung lassen.“ Jason sah Delia verwundert an, so als höre er zum erstenmal von einer solchen Idee. Doch wenn das zutraf, war er zu höflich, um es zu sagen. Er zuckte nur mit den Schultern. „Mir gefällt die Villa so, wie sie ist.“ Und ohne zu beachten, daß Delias Gesichtsausdruck sich verhärtete, fügte er hinzu: „Warum sollte ich also die Einrichtung ändern?“ „Aber, Darling, hast du nicht die altmodischen Sofas und Sessel und die schweren Mahagonimöbel mit Elfenbeineinlagen allmählich satt? Diese marmornen Korridore wirken so nackt und kalt. Die gewebten Teppiche, die da überall herumliegen, nützen nicht viel, und sie sehen auch nicht gerade elegant aus.“ Mit einem betörenden Lächeln strich sie ihm über den Arm. „Alles ist irgendwie altmodisch und düster. Du solltest die Atmosphäre wirklich aufhellen.“ „Aber wie? Mit Chrom und Glas und weißen Sofaelementen?“ fragte Jason etwas unwillig. „Nein, vielen Dank. Wenn ich eine solche Umgebung gewünscht hätte, hätte ich auch in der Stadtwohnung bleiben können. Eine Villa sollte wie eine Villa aussehen, und die geräumigen Zimmer ertragen schwere Möbel gut.“ „Aber, Jason, ich denke…“ „Da wir in diesem Punkt nicht übereinstimmen, könnten wir vielleicht eine dritte Person dazu hören“, fuhr Jason unbeirrt fort. „Suzanne kann sich das Haus ja mal ansehen und uns sagen, was sie darüber denkt. Ich könnte mir vorstellen, daß sie einen guten Sinn dafür hat, was paßt und was nicht; jedenfalls hat Jack mir gesagt, daß sie Kunst studiert.“ Er warf einen Blick nach hinten und lächelte ein wenig. „Bei der Gelegenheit: Haben Sie sich inzwischen entschlossen, Innenarchitektin zu werden, Suzanne?“ Irgend etwas an der sanften Betonung, mit der Jason ihren Namen aussprach, ließ Suzannes Herz für einige Sekunden schneller schlagen, und sie mußte sich einen Ruck geben, bevor sie antworten konnte. „Nun, ich… also, ich habe mich noch nicht entschieden, welchen Beruf ich wählen werde.“ „Wirklich, meine Liebe? Glaubst du nicht, daß du bald eine Entscheidung treffen solltest? Du wirst allmählich ein älteres Semester“, bemerkte Delia etwas albern und kicherte. „Du willst doch wohl nicht zu den Studenten gehören, die aus dem Universitätsbesuch einen Beruf machen, wie?“ Suzanne spürte die Boshaftigkeit, die hinter diesen Worten verborgen lag, und reagierte nicht, was aber Delia überhaupt nicht störte, denn sie begann sofort wieder, sich mit Jason zu unterhalten. Jetzt erzählte sie Klatschgeschichten über gemeinsame Bekannte. Obwohl sie kaum eine Pause machte, schien Jason nicht richtig zuzuhören. Suzanne nahm das mit Befriedigung wahr. Jason verließ die Hauptstraße und bog in eine Allee ein; auf beiden Seiten standen hohe Pappeln, die sich sanft im Wind wiegten. Suzanne erkannte die
Gegend wieder. Und dann hinter einer Kurve wurde das Haus ihres Vaters sichtbar. Es war ein hell gestrichenes, ziemlich schmuckloses Gebäude, wenn man von den gußeisernen Geländern an den Baikonen im Obergeschoß absah. Die Villa war von Rasenflächen umgeben, auf denen einzelne Pinien standen. Als Jason vor dem Eingang hielt, kam Lucia, die Haushälterin, heraus. Sie strich sich mit den von der Arbeit geröteten Händen über den Rock und bedachte Jason mit einem warmen Lächeln. Dann schaute sie etwas vorsichtig zu Delia hinüber. Als Suzanne aus dem Wagen gestiegen war, bemerkte sie, daß die Haushälterin auffallend erleichtert zu sein schien. Suzanne erfuhr schnell, weshalb. „O Signorina, Sie schauen gut aus“, sagte Lucia. „Signor Collins wird glücklich sein, Sie zu sehen. Er fürchtete schon…“ „Such Carlo, und trag sofort mein Gepäck hinein“, unterbrach Delia sie herrisch. „Ich möchte nicht, daß meine Sachen kraus werden. Sorg also dafür, daß sie noch ausgepackt werden, bevor du das Essen servierst.“ Die Haushälterin verschwand mit einem ergebenen Nicken. Delia legte die Hand auf Jasons Schulter. „Du bleibst doch zum Essen bei uns, nicht wahr?“ sagte sie mit schüchterner Stimme und glitt in die Rolle der schwachen, hilflosen Frau zurück. Dabei schaute sie mit einem betörenden Lächeln zu Jason auf. „Bitte bleib doch.“ Zu Suzannes Überraschung schüttelte er den Kopf. „Danke, aber ich muß wirklich gehen.“ „Oh, du mußt unbedingt bleiben“, drängte Delia ihn. „Sonst habe ich ja niemanden, mit dem ich mich unterhalten kann. Du kannst dir vorstellen, daß Jack all seine Aufmerksamkeit Suzanne widmen wird, nachdem er sie so lange Zeit nicht gesehen hat.“ Suzanne bezweifelte das sehr und wollte schon ins Haus gehen, als sie Jasons forschendem Blick begegnete. Offenbar wußte er, was sie dachte. Aber woher sollte er eigentlich wissen, daß ihr Vater für sie nach dem Tod ihrer Mutter fast ein Fremder geworden war? Sie hatte es immer bedauert, daß er sich so in sich verschlossen hatte, gerade in einer Zeit, in der sie ihn besonders brauchte. Doch hatte sie sich immer bemüht, das leise Gefühl des Vorwurfs ihm gegenüber zu unterdrücken. Jason schien mehr darüber zu wissen, als er sagte. Er war offenbar fähig, ihre geheimsten Gedanken zu lesen. Suzanne war von Jasons Blick wie gefangen, sie stand unbewegt da, für eine Ewigkeit, wie es ihr schien. Ihre Verwirrung nahm noch zu, als er plötzlich seine Meinung änderte und die Einladung zum Essen annahm. „Gut, ich bleibe“, beruhigte er Delia. „Ich möchte aber gern mit Jack sprechen, wenn er nicht mehr zu schwach ist.“ „Oh, er wird dich ganz bestimmt sehen wollen. Du kennst ihn ja. Er wird alle Einzelheiten deiner Geschäftsreise nach Rom erfragen.“ Delia war wieder obenauf, nachdem sie erreicht hatte, was sie wollte. Sie hängte sich bei Jason ein und ging mit ihm ins Haus. Als erinnere sie sich erst jetzt wieder an Suzanne, drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Jack wartet auf dich. Also trödle nicht so herum, meine Liebe.“ Suzanne sah den beiden nach. Ihre Stiefmutter klammerte sich geradezu an Jason. Man mußte ihm zugute halten, daß er sie dazu eigentlich nicht ermunterte. Aber vielleicht war er nur diskret? Suzanne empfand etwas Scham, als ihr bewußt wurde, daß sie ihn immer wieder verdächtigte. Sie war doch sonst nicht so. Von Delias Moral hielt sie allerdings nicht viel, aber sie wollte doch gern glauben, daß Jason nicht der Mann war, der so leichtfertig ein Verhältnis mit der Frau eines Freundes anfing. Warum sie aber diesen starken Wunsch hatte, an ihn zu glauben, wußte sie nicht.
Kaum hatte Suzanne ein paar Schritte ins Haus getan, als sie überrascht stehenblieb und sich erstaunt umsah. Es war so, als sei sie in ein völlig fremdes Haus getreten. Seit ihrem letzten Besuch war es Delia tatsächlich gelungen, jeden Beweis dafür zu beseitigen, daß dies einmal eine italienische Villa gewesen war. Die reizvollen Fußbodenfliesen waren mit dicker weißer Auslegeware zugedeckt, ebenso die Marmortreppe, die ins Obergeschoß führte. Die dunklen Bronzelampen an den Wänden waren durch Kristallampen mit tränenförmigen Verzierungen ersetzt. Delia hielt offenbar wirklich nichts davon, daß eine Villa wie eine Villa aussehen sollte. Als Suzanne nach ihrer Stiefmutter und Jason den Salon betrat, wuchs ihre Enttäuschung. Die schönen, mit Fresken verzierten Wände waren jetzt mit teuren Wandbehängen aus weißem Leinen verkleidet. Weiße Sofaelemente, von denen Jason gesprochen hatte, bildeten eine Sitzecke. Überall standen Tische aus Chrom und Glas. Zum Glück wurde die sterile Atmosphäre des Raumes durch Wandgemälde in lebhaften Farben, durch ein paar Stiche und erlesene chinesische Vasen aufgelockert. Insgesamt war die Einrichtung in sich ausgewogen und geschmackvoll, aber sie paßte viel eher in ein Penthouse in Rom als in eine Villa über dem Corner See. Suzanne war enttäuscht, doch sie enthielt sich jeden Kommentars. Delia fand ihr Schweigen unerträglich. „Nun, was hältst du von der Einrichtung? Gefällt sie dir?“ Suzanne wußte, daß der Ausdruck ihrer wahren Gefühle nicht willkommen sein würde. Deshalb antwortete sie zurückhaltend: „Es ist nett hier, sehr modern.“ Dabei sah sie unbeabsichtigt zu Jason. Sie glaubte, einen Schimmer von Verständnis in seinen Augen zu entdecken. Konnte er etwa wieder erraten, was sie dachte? Sie wurde rot und beschloß einen schnellen Rückzug. „Du hast dir wirklich große Mühe gegeben, alles aufeinander abzustimmen.“ Delia hob die Augenbrauen, als habe sie ein Kompliment nicht erwartet, doch sie faßte sich schnell und warf Jason ein selbstgefälliges Lächeln zu. „Nun, wenn Suzanne mit meinen Ideen einverstanden ist, dann kannst du mir doch ruhig die Einrichtung deiner Villa anvertrauen, oder?“ Jason sah immer noch Suzanne an und merkte wohl, daß ein schmerzlicher Ausdruck über ihr Gesicht ging, denn er lächelte nachsichtig. Dann half er ihr aus der Verlegenheit, in die sie sich selbst gebracht hatte, indem er meinte: „Ich finde, Suzanne sollte zunächst einmal die Gelegenheit haben, mein Haus anzusehen, bevor sie sich dazu äußert. Im übrigen ist sie im Moment auch wohl nicht an Wohnungseinrichtungen interessiert. Bestimmt drängt es sie, Jack zu sehen.“ „O ja“, bestätigte Suzanne dankbar. „Wie ist es, Delia, kann ich jetzt zu Dad gehen? Oder ruht er gerade?“ „Bestimmt nicht, Lucia wird ihm sicher schon gesagt haben, daß du hier bist.“ Mit einer ungeduldigen Handbewegung forderte sie Suzanne auf, ihr zu folgen. „Komm, ich kann auch gleich mit dir nach oben gehen und ihn begrüßen. Ich bleibe nicht lange, Jason, also lauf nicht fort.“ Jason erwiderte nichts, doch als Suzanne an ihm vorbeiging, ergriff er ihren Arm und hielt sie fest. „Schauen Sie nicht so nervös drein“, ermahnte er sie. „Jack ist Ihr Vater, Sie sollten sich nicht vor ihm fürchten.“ „Aber ich…“ begann sie, doch der eindringliche Blick Jasons hielt sie davon ab, die Unwahrheit zu sagen. Sie biß sich auf die Unterlippe und seufzte. „Gut, vielleicht bin ich wirklich etwas nervös. Aber meine Gefühle können Sie nicht verstehen.“
„Ich würde es gern versuchen“, sagte Jason mit leiser Stimme. „Vielleicht könnten wir einmal darüber sprechen.“ „Wieso interessieren Sie sich für meine Gefühle?“ fragte Suzanne verwirrt. „Das verstehe ich nicht.“ „Jack ist mein Freund, und ich…“ „Kommst du nun endlich, Suzanne?“ rief Delia ungeduldig von der Treppe her. „Dein Vater wartet auf dich. Wenn du etwas mit Jason besprechen willst, kannst du das später tun.“ „Wir werden noch darüber reden“, versprach Jason. Während er die Hand von Suzannes Arm nahm, strich er mit den Fingerspitzen leicht über ihre bloße Haut. Ein Schauer überlief sie bei dieser unbeabsichtigten Berührung. Jason schien das nicht entgangen zu sein. Doch nahm sein Gesicht einen nahezu unbeteiligten Ausdruck an, während er die Hände in die Hosentaschen steckte und mit dem Kopf zu Delia wies. „Gehen Sie lieber. Jack wird tatsächlich warten.“ Völlig verwirrt von diesem eigenartigen Gespräch folgte Suzanne ihrer Stiefmutter. Als sie noch einmal zurückblickte, war Jason verschwunden. Oben wartete Delia auf sie. „Du verschwendest nur deine Zeit, wenn du versuchst, mit Jason vertraulich zu sein“, erklärte ihr Delia. „Ich weiß, daß du ihn attraktiv findest – jede Frau tut das – aber du machst dich nur zur Närrin, wenn du dich an ihn heranmachen willst. Jason ist ein erfahrener Mann und würde sich nie für eine Jugendliche wie dich interessieren. Ich dachte, ich sollte dir das in deinem eigenen Interesse sagen.“ „Vielen Dank für deine Fürsorge“, entgegnete Suzanne mit leichtem Spott. „Aber zufällig habe ich nicht vor, Mr. Caine zu verfolgen, deshalb brauche ich deine Ratschläge nicht. Und gewöhne es dir ab, mich als Jugendliche zu betrachten. Nächsten Monat werde ich einundzwanzig.“ „Aber du siehst aus wie vierzehn“, gab Delia boshaft zurück. „Du wirkst noch sehr naiv, und ich will dich nur warnen, Jason ist an erfahrenen Frauen interessiert.“ Suzanne ballte die Hände zu Fäusten, aber sie ließ sich nicht zu einem Wortgefecht mit ihrer Stiefmutter hinreißen. Sie wollte jetzt endlich ihren Vater sehen. „Gut, ich habe deine Warnung verstanden. Ehrlich gesagt, ist mir das alles völlig gleichgültig. Wenn du nun zufrieden bist, kann ich dann Vater sehen?“ „Aber natürlich“, sagte Delia beruhigt. „Ich wollte nur, daß wir uns richtig verstehen. Und nun komm.“ Suzanne zählte leise bis zehn, dann folgte sie ihrer Stiefmutter zu dem Zimmer ihres Vaters. Delia öffnete die Tür ohne anzuklopfen, und trat ein. Suzanne folgte ihr ein wenig zögernd. Sie sah zum Bett hinüber, aber es war leer. Statt dessen saß ihr Vater in einem Lehnstuhl an der Balkontür. Sein Haar war etwas grauer geworden, und die Linien in seinem Gesicht hatten sich leicht vertieft, aber sonst hatte er sich in den vergangenen acht Monaten kaum verändert. Immer noch wirkte er kraftvoll und dynamisch. Statt Schlafanzug und Morgenrock trug er bequeme blaue Hosen und ein weißes Polohemd. Mit einem Lächeln sah er seine Tochter an und streckte ihr die Hand entgegen, doch noch bevor Suzanne zu ihm treten konnte, war Delia schon bei ihm. „Was machst du hier, Jack?“ schalt sie ihn. „Du darfst doch noch nicht aufstehen. Bevor ich in die Staaten flog, hat der Arzt gesagt, du müßtest noch eine Woche im Bett bleiben.“ „Ich weiß besser als jeder Arzt, was für mich gut ist“, erklärte Jack Collins entschieden und faßte seine Frau an der Hand. Er zog sie zu sich herunter, bis er ihr einen Kuß auf die Lippen drücken konnte, aber das brachte sie nur für einen
Moment zum Schweigen. „Wirklich, Jack“, fuhr sie mit ihren Vorhaltungen fort, „du bist unmöglich. Ich war nur ein paar Tage fort, und schon mißachtest du die Weisungen deines Arztes. Ich glaube nicht, daß ich es ertragen könnte, wenn du noch einen Anfall bekämst, also bitte…“ „Hör auf, dich wie eine Glucke zu benehmen“, unterbrach Jack sie energisch. Dann lachte er sie nachsichtig an, als sie empört mit dem Fuß aufstampfte. „Du solltest mich eigentlich gut genug kennen, um nicht überrascht zu sein, daß ich nicht mehr im Bett bin. Das Liegen hat mich ganz verrückt gemacht. Deshalb habe ich beschlossen, daß es für mich besser ist, aufzustehen und hier im Sessel zu sitzen. Und nun behandle mich nicht länger wie einen hilflosen Invaliden.“ „Aber Jack, ich…“ „Du wirst meinen Entschluß nicht ändern“, schnitt ihr Mann ihr das Wort ab. „Und nun sei einmal eine Minute ruhig, damit ich Suzanne begrüßen kann.“ Überrascht gehorchte Delia, wenn auch mit einem mißbilligenden Blick und schmollend verzogenem Mund. Suzanne ging schnell zu ihrem Vater. Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuß auf die Wange. „Hallo Dad“, sagte sie schüchtern und voll innerer Bewegung. Dann lächelte sie ihn an. „Wie geht es dir?“ „Scheußlich. Es macht mich ganz krank, immer in diesem Zimmer zu hocken.“ Er wirkte plötzlich weniger entspannt als während seines Gesprächs mit Delia. Sein Gesichtsausdruck schien härter zu werden, als er Suzanne sorgfältig musterte. Doch bevor er ihre Hand losließ, tätschelte er sie. „Aber mach dir um mich keine Gedanken. Wie fühlst du dich? Er war ein böser Schreck, als ich hörte, du seist im Krankenhaus. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ „Es geht schon wieder gut. Ich hatte während der Examensvorbereitungen nicht genügend Ruhe gehabt, um meine Erkältung richtig auszukurieren.“ Jack runzelte die Stirn. „Eine Lungenentzündung ist ernster, als du es darstellst.“ „Ich gehe wieder nach unten“, meldete sich Delia, die es offenbar störte, daß ihr nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. „Ihr beide könnt euch bis zum Essen unterhalten. Ich werde mich inzwischen um Jason kümmern.“ „Ist Jason noch hier?“ fragte Jack. „Ich möchte mit ihm über die Reise nach Rom sprechen.“ „Nach dem Essen, Darling, wenn du dann nicht zu müde bist“, sagte Delia mit übertriebener Freundlichkeit von der Tür her und warf ihrem Mann ein Kußhändchen zu. „Laß dir erst einmal alle Neuigkeiten von Suzanne erzählen. Ich werde inzwischen dafür sorgen, daß Jason sich nicht langweilt.“ Darauf würde ich wetten, dachte Suzanne unbehaglich. Wieder stieg der Verdacht in ihr auf, Delia und Jason hätten etwas miteinander. Doch nach dem zu urteilen, wie ihr Vater gerade mit Delia fertiggeworden war, konnte er sehr gut ohne ihre Hilfe zurechtkommen, und es war unnötig, sich aufzuregen. Außerdem hoffte Suzanne immer noch, daß ihr Verdacht falsch war. Vielleicht war sie zu mißtrauisch geworden, weil sie und ihre Stiefmutter so wenig voneinander hielten. Nachdem Delia das Zimmer verlassen hatte, trat ein unbehagliches Schweigen ein. Suzanne wußte nicht recht, wie sie die Unterhaltung fortsetzen sollte. Sie sah sich um. Zu ihrer Enttäuschung war auch in diesem Zimmer alles modern eingerichtet. „Setz dich, Kleine, und laß uns ein wenig plaudern“, sagte Jack schließlich, nachdem er sich geräuspert hatte. „Wie läuft es in der Universität?“ „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Suzanne machte es sich auf einem Sessel bequem. „Lynn und ich besuchen unsere Vorlesungen und studieren fleißig. Es
ändert sich eigentlich nicht viel von Semester zu Semester.“ Plötzlich wurde ihr Blick lebhafter. „O doch, als du mir geschrieben hast, daß du die Seidenfabrik kaufen willst, habe ich mich richtig gefreut. Ich habe einen Kursus für Musterzeichnen belegt und mich mit Stoffdruck beschäftigt.“ „Ich wußte gar nicht, daß du dich für meine Geschäfte interessieren könntest“, erwiderte ihr Vater mit einem freundlichen Lächeln. „Ich dachte immer, Mädchen in deinem Alter fänden die Welt der Wirtschaft trocken und langweilig.“ Suzanne lachte leise. „Nun, ich muß zugeben, daß ich die meisten deiner Firmen, die du gekauft hast, nicht besonders aufregend finde. Ich meine, als du damals Anteile an dieser Maschinenfabrik kauftest, habe ich nicht einen Kursus in Maschinenbau belegt. Aber mit Seide ist es anders.“ „Romantischer?“ lächelte Jack Collins. „Nun, ich kann schon verstehen, daß dich Seide mehr reizt als Maschinenteile. Aber wenn du dich wirklich für Stoffe interessierst, dann solltest du dir die Fabrik in Como zeigen lassen.“ „Oh, das würde ich sehr gern, wenn ich damit niemandem zur Last falle.“ Suzanne begann, sich in der Gegenwart ihres Vaters wohler zu fühlen. „Ist die Seidenfabrik ein weiterer großer Erfolg für die Firma Collins und Caine geworden?“ „Die Gewinne steigen. Es war ein Familienbetrieb, den Renato Gallio vor siebzig Jahren gegründet hat. Aber die letzte Generation der Familie war daran nicht mehr so sehr interessiert. So haben sie den größten Teil ihrer Anteile an uns verkauft. Jason hat alle Angestellten behalten 'und einige neue eingestellt. Er hat alles umorganisiert, und jetzt läuft der Betrieb besser.“ Suzanne senkte den Blick und strich mit der Hand über ihren blauen Rock, dann zupfte sie an dem Halsausschnitt ihrer ärmellosen weißen Bluse. „Sag mal, was Jason angeht – ich glaube, du hast mir nie erzählt, wie er dein Partner wurde oder warum du überhaupt einen Partner aufgenommen hast, besonders einen so jungen.“ „Ach, ich hatte es ganz einfach satt, die ganze Verantwortung allein zu tragen“, erklärte Jack. „Ein Freund in San Francisco hat mich mit Jason bekanntgemacht. Jason war ein fähiger Kaufmann und hatte gut verdient. Das Geld und einige sehr nützliche Ideen brachte er in unsere Partnerschaft ein. Er ist wirklich ein außerordentlich guter Geschäftsmann und scheint einen sechsten Sinn dafür zu haben, worauf man sich einlassen kann und worauf nicht. Sobald er eine Firma nach der Übernahme durch uns reorganisiert hat, steigen die Gewinne immer beträchtlich.“ „Das klingt ja geradezu nach einem perfekten Kaufmann“, meinte Suzanne zweifelnd. „Weshalb sind seine Methoden denn so erfolgreich?“ „Er gebraucht einfach gesunden Menschenverstand.“ Trotz Suzannes mißbilligendem Blick steckte sich Jack eine Zigarette an. „Es ist wirklich ganz einfach. Nimm zum Beispiel die Seidenfabrik. Jason hat Vito Gallio als Manager eingesetzt, und so hat das Ganze weiterhin den Charakter eines Familienunternehmens. Er hat die Arbeitnehmer an dem Unternehmen interessiert und hört auf ihre Vorschläge. Sie sind in Gruppen eingeteilt, und jede Gruppe ist für die Herstellung eines bestimmten Produkts verantwortlich. Das fördert ihre Mitarbeit. Wenn die Leute sehen, was bei ihrer Tätigkeit herauskommt, geben sie sich mehr Mühe und sind stolz darauf. Wie ich schon sagte, Jasons Methoden beruhen nur auf dem gesunden Menschenverstand, aber leider praktizieren den nur wenige Unternehmer.“ Suzanne war von Jason mehr beeindruckt, als ihr eigentlich lieb war. Sie wollte sich doch gar nicht für ihn interessieren. Fast wünschte sie sich nun, ihren Vater nicht nach ihm gefragt zu haben. Sie senkte nachdenklich den Kopf, so daß ihr
langes rotbraunes Haar ihr Gesicht verdeckte. Jack Collins betrachtete seine Tochter schweigend. Dann räusperte er sich, aber seine Stimme klang trotzdem etwas heiser, als er sagte: „Von Jahr zu Jahr gleichst du deiner Mutter mehr.“ Suzanne blickte überrascht auf. Es war das erste Mal seit Jahren, daß ihr Vater ihre Mutter erwähnte. „Denkst du das wirklich?“ fragte sie leise. Und als er nickte, trat ein Lächeln auf ihre Lippen. „Das macht mich glücklich. Ich habe sie immer für die schönste Frau auf der Welt gehalten. Aber so denken wahrscheinlich die meisten Kinder von ihren Müttern.“ „Katherine war sehr schön, und du bist es auch“, versicherte ihr Vater. Er schaute aus dem Fenster, und in seine Augen trat ein Ausdruck von Trauer. Suzanne spürte, daß das Gefühl der Nähe, das einen Augenblick zwischen ihr und ihrem Vater geherrscht hatte, schnell wieder verflog. Bedrückt seufzte sie leise. Sie wußte nicht so recht, was sie ihm noch sagen sollte, und war erleichtert, als Delia plötzlich hereinkam. Sie warf nur einen kurzen Blick auf ihre Stieftochter und lächelte dann ihrem Mann zu. Es war unglaublich, aber das Lächeln wirkte tatsächlich echt. „Ich habe Lucia gesagt, daß sie dein und Suzannes Essen hier ins Zimmer bringen soll, dann brauchst du nicht allein zu essen, Darling.“ „Ich habe weder die Absicht, allein noch hier oben zu essen“, erwiderte Jack und erhob sich langsam. „Von jetzt ab esse ich wieder unten.“ „Aber Jack, der Arzt wird entsetzt sein!“ rief Delia. „Du darfst doch eigentlich noch nicht einmal aufstehen. Er wird es bestimmt nicht gutheißen, daß du schon herumgehst, und dann auch noch die Treppe hinunter. Das ist doch Wahnsinn! Was bezweckst du damit nur? Einen weiteren Herzanfall?“ „Hör mit dem Gerede auf“, bremste Jack seine Frau zärtlich und legte ihr einen Arm um die Schulter. „So, ich werde mich auf dich stützen, wenn dich das beruhigt.“ „Das tut es nicht! Ich werde mich nur beruhigen, wenn du wieder ins Bett gehst.“ „Ich weigere mich entschieden. Ich werde mich schon nicht überanstrengen. Und im übrigen halte ich es für besser, ein kleines Risiko einzugehen, als die ganze Zeit im Bett zu liegen. Stimmst du mir nicht zu, Suzanne?“ Er schaute seine Tochter auffordernd an. Suzanne machte eine unbestimmte Handbewegung. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie verstand ihren Vater zwar gut, aber sie wollte ihn auch nicht zu etwas ermuntern, was ihm schaden konnte. Deshalb sagte sie gar nichts. Sie merkte schnell, daß es darauf auch gar nicht ankam. Er hatte seine Entscheidung längst getroffen, und damit war die Sache erledigt. Einige Minuten später waren sie im Speisezimmer. Suzanne saß Jason gegenüber, aber er lächelte ihr nur einmal zu und unterhielt sich dann mit Jack, der einen Bericht über die Reise nach Rom hören wollte. Lucia, die Haushälterin, war zugleich Köchin, und es gab eine typisch italienische Mahlzeit, die aus mehreren Gängen bestand, alle sehr reichhaltig. Suzanne hatte Mühe, von allem etwas zu essen, und mußte schließlich auf Käse, Obst und Nachtisch verzichten. Nachdem sie im Salon Kaffee getrunken hatten, beugte sich Jack Collins in seinem Stuhl nach vorn. „Wenn du es nicht sehr eilig hast, Jason, möchte ich unseren Aufwand für den Monat Mai mit dir durchgehen.“ „Also wirklich, Jack, das geht nun zu weit“, protestierte Delia. „Du solltest dich jetzt wieder hinlegen.“ Jack warf ihr einen strengen Blick zu, der sie sofort zum Schweigen brachte, und schüttelte den Kopf. „Du versuchst, mich zu verhätscheln, aber das lasse ich nicht zu. Es geht mir gut, also entschuldigt uns jetzt.“ Er stand auf und forderte Jason auf, mit ihm ins Arbeitszimmer zu gehen.
Nachdem die Männer das Eßzimmer verlassen hatten, erhob sich Delia und rümpfte die Nase. „Auch wenn Jack sich nicht hinlegen will, ich tue es jetzt. Dieses frühe Aufstehen hat mich ganz erschöpft.“ Gleichgültig sah sie ihre Stieftochter an: „Du kannst dich sicherlich allein unterhalten, nicht wahr? Vielleicht willst du auch Mittagsschlaf halten.“ Suzanne schüttelte den Kopf. „Ich werde einen Spaziergang machen.“ „Wie du willst.“ Delia ging zur Tür, blieb aber noch einmal stehen. „Würdest du bitte Lucia sagen, daß sie mich wecken soll, bevor Jason geht?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Delia hinaus. Suzanne suchte Lucia in der Küche auf und richtete ihr Delias Wunsch aus. Dann verließ sie das Haus durch die Hintertür. Pietro hatte hier einen Garten angelegt. Es roch stark nach Basilikum, Rosmarin und vielen anderen Gewürzkräutern. Längs des Weges standen kräftige Tomatenpflanzen, die voller gelber Blüten waren. Es war ein herrlicher sonniger Tag. Suzanne zog ihre Sandalen aus und genoß es, barfuß über den weichen Rasen zu gehen. Sie kam in den Schatten von hohen Wacholderbüschen, wo es angenehm kühl war. Dort stand eine Bank, die von der Villa aus nicht zu sehen war. Suzanne hatte diesen Platz im Jahr zuvor entdeckt. Es war hier ruhig und abgelegen, gerade richtig, um ungestört nachzudenken. Einige Zweige waren auf die Bank gefallen. Suzanne schob sie fort und setzte sich. Sie lehnte sich zurück und sah in den blauen Himmel, der durch die Zweige schimmerte. Hin und wieder zogen weiße Wolken langsam vorbei. Suzanne sah ihnen einige Minuten zu, dann seufzte sie. Sie dachte an den kurzen Augenblick der Nähe, den sie und ihr Vater vorhin erlebt hatten. Warum verschloß er sich nur immer wieder vor ihr? Die Erinnerung daran, wie es vor dem Tod ihrer Mutter gewesen war, wurde wach, und Tränen füllten ihre Augen. Sie erlaubte es sich nur selten, sich zurückzuerinnern, aber jetzt konnte sie sich nicht dagegen wehren. Doch was nützte es, sie mußte die Realität des Lebens hinnehmen. Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte sie die Tränen fort, richtete sich auf und öffnete die Augen. Verblüfft sah sie, daß Jason sich neben sie setzte. Er zog ein Taschentuch hervor, faltete es auseinander und tupfte die letzte Träne fort, die noch über ihre Wange glitt. Ohne darauf zu achten, daß eine sanfte Röte ihr Gesicht überzog, legte er seinen Mantel ab, lockerte die Krawatte und sah nun viel zugänglicher aus. Aus seinen dunklen, rätselhaften Augen sah er Suzanne so eindringlich an, daß es ihr den Atem nahm. „Brauchen Sie jemanden, mit dem Sie reden können?“ fragte er mit freundlicher Stimme, „Würden Sie mir verraten, woher diese Tränen kommen?“ Suzanne hätte sich ihm gern anvertraut, aber sie war sich nicht sicher, ob das richtig wäre. Sie kannte ihn zuwenig, und sie wußte nicht, wie sie ihm erklären sollte, was zwischen ihr und ihrem Vater gewesen war. So schüttelte sie einfach den Kopf. „Vielleicht bin ich noch etwas müde von der Reise.“ „Vielleicht, aber ich glaube das nicht. Irgend etwas ist nicht in Ordnung. Haben Sie vielleicht an einen netten jungen Mann gedacht, der in Vermont auf Sie wartet?“ „Nein, so einen Mann gibt es nicht. Vielleicht habe ich beim Essen zuviel Wein getrunken, das könnte mich in weinerliche Stimmung versetzt haben.“ Sie versuchte zu lächeln. „Das kann es auch nicht sein. Können Sie mir nicht verraten, was Sie so erregt hat? Ich bin ein guter Zuhörer.“ Suzanne sah zu Jason auf, und seine Nähe wurde ihr plötzlich bewußt. Das Weiß seines Oberhemds betonte die tiefe Sonnenbräune seiner Haut. Suzanne verspürte das unsinnige Bedürfnis, die Hände unter sein Hemd zu schieben und
sanft über seine Brust zu streicheln. Erschreckt von ihren erotischen Phantasien errötete sie und senkte den Blick. „Ich bin gar nicht aufgeregt“, schwindelte sie ohne große Überzeugungskraft. „Ich bin nur müde, wirklich.“ „Ich glaube Ihnen nicht“, sagte Jason leise und nahm ihr Gesicht zärtlich in seine Hände. Er hob ihr Kinn, so daß sie ihn wieder ansehen mußte. Ein rätselhafter Glanz lag in seinen Augen. „Aber wenn Sie lieber so tun wollen, als seien Sie stark und selbständig, dann will ich das hinnehmen – jedenfalls für heute.“ Seine Stimme klang eigenartig schwankend. Suzanne saß wie gebannt da und rührte sich nicht, während er mit den Daumen über ihre Wangen strich und dann die Linien ihrer vollen Lippen nachzeichnete. Ihr stockte der Atem, als sie das Versprechen wahrnahm, das in seinen Augen aufflammte. Jason rückte näher, seine Hüfte berührte sie. Suzannes Herz begann heftig zu schlagen. Ein Gefühl der Erwartung wurde in ihr wach, als Jason sie küßte. Ungewohnte Erregung durchflutete sie, als seine Lippen, warm und fest, ihren Mund zärtlich berührten. „Suzanne“, murmelte er, und sein Kuß wurde fordernder. Suzanne stöhnte leise auf. Ihre Sinne waren benommen, und sie gab dem Druck seiner Hände nach. Doch da wurden sie jäh unterbrochen. „Entschuldigt, daß ich diese kleine nette Szene störe“, ließ Delia sie auseinanderfahren. Mit roten Flecken im Gesicht sah sie auf die beiden hinunter. Wütend starrte sie ihre Stieftochter an. Dann wandte sie sich an Jason. „Lucia sagte mir, du hättest eine Verabredung und könntest nicht auf mich warten. Dann sah sie dich hierher gehen. Mir scheint, du verschwendest deine Zeit.“ Als habe er diese scharfe Bemerkung völlig überhört, sah Jason auf seine Armbanduhr, und dann zu Suzanne. „Ach ja, ich muß jetzt wirklich gehen.“ Suzanne war von den intensiven Gefühlen, die sein Kuß in ihr geweckt hatte, verwirrt, und es machte sie verlegen, daß Delia diesen Kuß beobachtet hatte. So konnte sie nur nicken. Jason sah sie noch einmal eindringlich an, dann stand er auf und warf sich seinen Mantel über die Schulter. „Es tut mir leid, Delia, aber ich kann jetzt nicht mit dir sprechen. Ich habe tatsächlich noch eine Verabredung und bin schon ziemlich spät dran.“ Mit gelassener Ruhe ging er an Delia vorbei. „Aber wenn es etwas Wichtiges ist, kannst du mich heute abend anrufen.“ Mit diesen Worten entfernte er sich. Delia sah ihm nach. Dann drehte sie sich um und fuhr Suzanne wütend an: „Du kannst wohl schlecht hören, wie? Habe ich dir nicht gesagt, daß du die Finger von Jason lassen sollst? Du machst dich nur zur Närrin. Er mag dich geküßt haben, aber komm ja nicht auf die Idee, er könnte sich ernstlich für dich interessieren.“ „Ich kann dir versichern, daß ich solche Ideen nicht habe“, erwiderte Suzanne so kühl wie möglich. „Du bist es, die aus diesem harmlosen Kuß viel macht, nicht ich. Ich habe schließlich schon öfter geküßt, und dieser Kuß war wirklich keine große Sache.“ „Von Jason geküßt zu werden soll keine große Sache sein?“ Delias Stimme klang völlig ungläubig. „Das kannst du mir nicht erzählen, ich weiß es besser.“ Jeder Muskel in Suzannes Körper verspannte sich schmerzlich, und ihr Gesicht wurde blaß. Sie hätte Delia jetzt mit der Frage herausfordern können, woher sie wisse, wie Jason küßte. Aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Mühsam schluckte sie. Sie wußte, daß sie die Frage nicht stellen würde, denn sie fürchtete sich vor der Antwort. Ein Gefühl der Übelkeit überkam sie, während sie zusah, wie ihre Stiefmutter sich umdrehte und zum Haus zurückging.
4. KAPITEL Am folgenden Sonntag hatte Delia Gäste zum Abendessen eingeladen. Jack war damit einverstanden gewesen. Da es sich um einen kleinen Kreis handeln sollte, würde es ihn nicht zu sehr anstrengen. Delia hatte offenbar einen bestimmten Grund, die Zahl der Gäste klein zu halten. Suzanne sollte bald merken, worum es ging, als sie am Sonntagabend nach unten kam. Sie trug ein hellgrünes Jerseykleid mit einem dezenten Ausschnitt, in dem sie sehr weiblich aussah. Ihr war nicht bewußt, daß das enge Kleid verführerisch die Rundungen ihres Körpers betonte. Aus dem Salon hörte sie Stimmen. Als sie den Raum betrat, kam Delia auf sie zu. „Da bist du ja, Liebes“, rief sie, als begrüße sie eine lang erwartete Freundin. Sie ergriff die Hand des jungen Mannes, der neben ihr stand, und zog ihn mit sich. „Suzanne, dies ist Vito Gallio. Vito, Suzanne ist Jacks Tochter. Sie ist für ein paar Wochen hier bei uns zu Besuch, aber sie kommt sich recht einsam vor. Vielleicht hast du Lust, ihr etwas von der Gegend zu zeigen.“ Es war ein unverhüllter Versuch, die beiden miteinander zu verkuppeln. Suzanne war beschämt, auch wenn Vito sofort voller Begeisterung versicherte, er würde Delias Anregung sehr gern nachkommen. Und als sie merkte, daß Jason herübersah, wurde sie rot. Neben Jason stand eine reizende junge Frau, vielleicht Ende Zwanzig, mit dichtem schwarzem Haar und braunen Augen. Während Suzanne sich noch fragte, wer das wohl sein mochte, gab Delia ihr schon die Antwort. „Suzanne – Angelina Sorveno“, stellte sie die beiden jungen Frauen einander vor. „Angelina leitet die Entwurfsabteilung im Seidenwerk. Weißt du, sie ist eines dieser modernen berufstätigen jungen Mädchen und sehr tüchtig.“ Diese Bemerkung sollte Susanne offenbar daran erinnern, daß Angelina zu dem Frauentyp gehörte, den Jason bevorzugte. Doch Suzanne zeigte keine Betroffenheit. Sie begrüßte die Italienerin mit einem freundlichen Lächeln, das sogleich erwidert wurde. Während der ganzen Zeit war sich Suzanne bewußt, daß Jason sie beobachtete. Sein Blick brannte förmlich auf ihrer Haut. Sie spürte, daß ihre Hände heiß wurden, sie atmete schneller. Um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen, ging sie zu dem Sofa hinüber, wo ihr Vater saß, und setzte sich neben ihn. Doch Delia erlaubte ihr nicht lange, dort zu bleiben. Mit einem anmutigen Schwingen ihres schwarzen Chiffonrocks wandte sie sich an Vito und sagte mit schmeichelnder Stimme zu ihm: „Vito, sei so lieb und versorg die Gäste mit Getränken. Für Jack ist das noch zu anstrengend.“ Als der junge Mann zustimmend nickte, berührte sie mit einer zärtlich wirkenden Bewegung seine Wange. Dann ging sie zu Suzanne. „Komm, Liebes, hilf Vito. Angelina, Jason, setzt euch hierher und sagt Vito, was ihr trinken möchtet.“ Obgleich Suzanne Delias Absichten durchschaute, folgte sie Vito zur Bar. Was mochte Vito wohl davon halten, daß sie ihm gewissermaßen aufgedrängt wurde? Doch ihn schien das nicht zu stören. Im Gegenteil, er sah Suzanne bewundernd an und sagte in steifem Englisch: „Fast hätte ich die Einladung Ihrer Stiefmutter für heute abend nicht angenommen. Aber nun, nachdem ich Sie getroffen habe, Signorina, bin ich doch sehr froh, daß ich gekommen bin.“ „Danke“, erwiderte Suzanne, „das haben Sie sehr freundlich gesagt.“ „Freundlich?“ rief Vito mit gedämpfter Stimme und schüttelte heftig den Kopf. „Ich bin Italiener, und italienische Männer machen Frauen keine Komplimente, nur um freundlich zu sein. Wir bewundern schöne Frauen. Und Sie sind schön!“
Suzanne mußte über diese unverhüllte Schmeichelei lachen, und da Vito ebenfalls lachte, löste sich etwas von der Spannung, die Jasons Anwesenheit in ihr verursacht hatte. Sie füllte Eiswürfel in Gläser, die Vito dann vollschenkte. Er war etwa fünfundzwanzig, schlank, nicht groß, aber sah sehr gut aus. Während er die Getränke mixte, lehnte Suzanne sich gegen die Bar und beantwortete ihm seine Fragen über ihr Leben in Vermont. Es war angenehm, sich mit ihm zu unterhalten. Mit seinen lebhaften braunen Augen und der Haarlocke, die ihm dauernd ins Gesicht fiel, sah er jünger aus, als er war. Besonders angenehm war, daß er sie in keinerlei Weise aus der Fassung brachte, wie Jason es tat. Doch leider dauerte dieser angenehme Zustand nicht lange. Als Suzanne Jason ein Glas mit Whisky und Wasser brachte, berührten seine Finger ihre Hand. Das war für sie wie ein elektrischer Schlag. Ihr Herz begann so heftig zu köpfen, daß sie fürchtete, Jason und Angelina könnten es hören. Schnell ging sie zur Bar zurück. „Nun, was wollen Sie trinken?“ fragte Vito. Dann hob er die Hand. „Warten Sie, lassen Sie mich raten.“ Er strich sich nachdenklich über das Kinn. „Es ist schwierig. Eine entzückende junge Frau wie Sie sollte etwas Exotisches trinken. Wie wäre es mit einem Polynesischen Paradies?“ „Himmel, nein, davon habe ich noch nie etwas gehört“, lachte Suzanne. „Ich muß Sie enttäuschen, ich bin überhaupt nicht exotisch. Ich nehme nur ein Glas Weißwein.“ „Weißwein? Wirklich nichts Stärkeres?“ „Aber Darling, sie ist doch noch ein Kind“, warf Delia ein, die in der Nähe auf dem Sofa saß. „Für harte Getränke ist sie viel zu jung. Du solltest keinen schlechten Einfluß auf sie ausüben.“ Die Worte waren zwar in scherzhaftem Ton gesprochen, aber Suzanne wußte genau, daß sie damit in ihre Schranken verwiesen werden sollte. Sie lächelte nur, während die anderen über Delias Scherz lachten. Dann nahm sie ein Glas Wein von Vito entgegen und setzte sich mit ihm aufs Sofa. Jason und Angelina saßen zusammen, und Delia hatte inzwischen neben Jack auf der Armlehne Platz genommen und den Arm um seine Schultern gelegt. So hatten sich drei Paare gebildet, wie es Delia offenbar von Anfang an geplant hatte. Aber es war eine eigenartige Aufteilung. Wenn Delia tatsächlich etwas mit Jason hatte, dann konnte sie eigentlich nicht sehr erfreut darüber sein, daß er mit einer so schönen Frau wie Angelina zusammen saß – es sei denn, daß Angelina nur zur Tarnung diente. Wenn das so war, so hatte es ihr allerdings niemand gesagt. Sie saß ganz dicht neben Jason, sah ihn bewundernd an und empfand offensichtlich romantische Gefühle für ihn. Um ihres Vaters willen hoffte Suzanne, daß Jason ebenfalls an Angelina und nicht an Delia interessiert war, aber was sie selbst anging, so war sie von dieser Vorstellung keineswegs begeistert. Sie empfand sogar Eifersucht, auch wenn sie wußte, daß dieses Gefühl unvernünftig war. Nur, weil er sie einmal geküßt hatte, besaß sie noch lange nicht das Recht, eifersüchtig zu sein. Suzanne sagte sich immer wieder, daß es sie nichts anging, was Jason Caine tat. So gelang es ihr einigermaßen, das Abendessen zu genießen, das um zehn Uhr aufgetragen wurde. Vito saß neben ihr und schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit. Deshalb machte es ihr kaum etwas aus, daß Delia sie wie üblich so oft wie möglich von der allgemeinen Unterhaltung ausschloß. Vitos unbeschwerte Art machte es ihr auch leichter, darüber hinwegzusehen, wie Angelina dauernd Jasons Hand oder Arm berührte. Als sie schließlich im Salon Kaffee tranken, merkte Suzanne, daß ihr Vater müde
wurde. Sie wollte ihm besorgt vorschlagen, ins Bett zu gehen, aber Delias ununterbrochenes Geplapper ließ sie nicht zu Wort kommen. Es war dann Jason, der das Zeichen zum Aufbruch gab. Er beugte sich auf seinem Sitz vor und sah Delia so lange an, bis sie merkte, daß er etwas sagen wollte. Gnädig schwieg sie einen Augenblick, und Jason sagte: „Es war ein wunderbarer Abend. Vielen Dank für die Einladung, Delia, aber Angelina und ich müssen jetzt gehen.“ „Oh, aber doch nicht jetzt schon!“ rief Delia. „Der Abend fängt doch erst an.“ Mit einem kleinen Lächeln wandte sie sich an Vito. „Es ist noch so früh, daß ich dir eigentlich vorschlagen wollte, mit Suzanne nach Como in den Nachtclub zu fahren, von dem du neulich gesprochen hast. Wäre das nicht eine gute Idee? Suzanne muß wirklich einmal unter Leute kommen, und du könntest sie mit deinen Freunden bekannt machen. Sie braucht Freunde ihres Alters.“ „Ich wäre entzückt, wenn ich Sie ausführen dürfte“, sagte Vito eifrig. Obwohl er Suzanne dabei anschaute, schien er den ungeduldigen Ausdruck in ihren Augen nicht zu sehen. „Würde es Ihnen Spaß machen, mit nach Como zu kommen? Wir könnten tanzen, oder…“ „Es ist schon nach Mitternacht“, unterbrach Suzanne ihn so freundlich wie möglich. „Sie müssen doch sicherlich morgen wieder arbeiten. Deshalb sollten wir die Sache lieber verschieben.“ „Oh, Vito ist daran gewöhnt, daß es spät wird“, mischte sich Angelina ein. Mit einem herausfordernden Lächeln sah sie Jason anbetend an. „Ich finde auch, es wäre eine gute Idee, in den Nachtclub zu gehen. Meinst du nicht auch, Lieber?“ Delia murmelte etwas Unverständliches. Der mißvergnügte Ausdruck ihres Gesichts, der sie älter erscheinen ließ, zeigte nur zu deutlich, daß ihr Vorschlag nicht für Jason und Angelina gegolten hatte. Aber bevor sie etwas sagen konnte, zerstörte Jason ihre möglichen Pläne. „Wenn du es möchtest, Engel, bin ich einverstanden.“ Und zu Delia gewandt sagte er: „Wir wollen jetzt wirklich gehen, Jack sieht müde aus.“ Mit einer Grimasse gab Jack zögernd zu: „Stimmt, es war doch etwas viel.“ Angestrengt lächelnd tätschelte Delia die Hand ihres Mannes. Zugleich sah sie unmutig zu, wie Jason aufstand, Angelina an der Hand faßte und sie aus dem Sofa zog. „Du hast doch wohl nichts dagegen, wenn wir mit euch gehen, Vito?“ fragte Jason und ließ keinen Zweifel daran, daß er mit einer Zustimmung rechnete. „Jetzt müssen wir noch hören, ob Suzanne auch mitkommt.“ Alle sahen sie erwartungsvoll an. Suzanne wurde rot. Die Idee, mit Vito auszugehen, war für sie nicht dadurch verlockender geworden, daß Jason und Angelina sie begleiteten. Sie hatte keine Lust, mit anzuhören, wie Jason sie „Engel“ nannte. Doch da nun offenbar alle gemeinsam weggehen wollten, wäre es nicht nett gewesen, ihnen den Spaß zu verderben. So nickte sie schließlich. „Dann schlage ich vor, daß wir mit zwei Wagen fahren“, sagte Vito hastig. „In meinem Ferrari ist nicht Platz für uns alle.“ „Nehmen wir doch meinen Wagen“, überstimmte Jason ihn gelassen, „der ist groß genug.“ Vito nickte zögernd. Um Delias entrüsteten Blick zu entkommen, stand Suzanne schnell auf: „Dann laßt uns gehen, bevor es zu spät wird.“ „Sie werden ein Tuch oder so etwas brauchen“, meinte Jason, während er sie musterte. „Es ist draußen kühl.“ „So kühl nun auch wieder nicht, Caro“, widersprach Angelina ihm mit schelmischem Lächeln und hängte sich bei ihm ein. „Meine Schultern sind schließlich auch bloß, und als du mich vorhin abholtest, hast du mir nicht gesagt,
daß ich ein Tuch mitnehmen sollte.“ „Du erholst dich ja auch nicht von einer Lungenentzündung“, erwiderte Jason. „Bei Suzanne ist das anders, sie darf sich nicht erneut erkälten.“ Nachdem Suzanne sich einen Schal geholt und über den Arm gehängt hatte, verabschiedeten sich die Gäste von Delia und Jack. Suzanne wollte mit Vito gehen, doch Jason trat auf sie zu, nahm ihr den Schal ab und sagte: „Er nützt Ihnen nichts, wenn Sie ihn über dem Arm tragen.“ Mit diesen Worten legte er ihr die leichte Stola über die Schultern. Er stand so dicht neben Suzanne, daß sie den Duft seines Rasierwassers wahrnahm. Fasziniert beobachtete sie seine gebräunten Hände, wie er die Zipfel des Schals über ihrer Brust zu einem losen Knoten zusammenlegte. Dabei berührte er sie – vielleicht unbeabsichtigt. Diese Berührung ließ Suzanne zusammenzucken. Es kostete sie wirklich Mühe, sich zu beherrschen. Aber sie wollte Jason auf keinen Fall verraten, wie sehr er sie körperlich anzog. Er sollte auch nicht wissen, daß sie immer noch daran dachte, wie er sie geküßt hatte. Er selbst hatte das bestimmt schon vergessen. Sie wollte nicht naiv wirken. So sah sie schließlich zu ihm auf und murmelte einen Dank. Jason erwiderte nichts. Er nahm Angelinas Arm und führte sie nach draußen. Suzanne und Vito folgten ihnen. Bevor sie das Haus verließen, rief Delia ihnen nach: „Laß es mit Suzanne nicht zu spät werden, Vito. Vergiß nicht, daß sie im Vergleich zu den Frauen, die du sonst ausführst, fast noch ein Kind ist.“ „Ich finde nicht, daß Sie einen kindlichen Eindruck machen“, sagte Vito und ergriff Suzannes Hand. Zwanzig Minuten später parkte Jason seinen Wagen an der Uferpromenade von Como. Die beiden Paare gingen über die Straße in den Nachtclub, von dem Vito behauptete, er sei der am meisten besuchte in der Stadt. Es war noch recht voll, doch sie fanden alle vier einen Platz in einer der Nischen. Die Einrichtung war eleganter, als Suzanne erwartet hatte. Tiffanylampen mit farbigem Glas verbreiteten ein gedämpftes Licht. Neben der Tanzfläche spielte eine kleine Kapelle romantische Musik. „Was möchten Sie trinken?“ fragte Vito Suzanne. „Es gibt hier ein spezielles Getränk, das junge Damen bevorzugen. Soll ich das für Sie bestellen?“ Suzanne schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich möchte im Augenblick gar nichts trinken, vielen Dank.“ „Aber Sie können doch nicht in einen Nachclub gehen und gar nichts trinken“, drängte Vito und drückte ihre Hand. „Bestimmt möchten Sie wenigstens ein Glas Weißwein haben.“ „Ja, gut, das nehme ich“, gab Suzanne nach und versuchte zu übersehen, daß Angelina angelegentlich in Jasons Ohr flüsterte. Die Getränke kamen. Vito war sehr aufmerksam gegenüber Suzanne und zeigte in der Unterhaltung viel Humor, aber trotzdem fühlte sie sich elend. Immer wieder ging ihr Blick zu Jason, und es schmerzte sie, wenn sie sah, wie Angelina ihn anhimmelte. So war Suzanne richtig erleichtert, als Vito sie zum Tanzen aufforderte. Auf der Tanzfläche hielt er sie fester, als es ihr eigentlich lieb war, aber sie ließ ihn gewähren. Wenigstens blieb er im Takt mit der Musik und sagte kaum etwas. So konnte sich Suzanne allmählich entspannen und sich der Musik hingeben. Als sie schließlich zu ihrem Tisch zurückgingen, fühlte sie sich schon wohler und zufriedener. Aber dieses Gefühl dauerte nicht lange, denn Jason und Angelina kamen ebenfalls vom Tanzen zurück. Und bevor Suzanne sich setzen konnte, ergriff Jason ihre Hand.
„Sie haben mir einen Tanz versprochen, erinnern Sie sich?“ sagte er gelassen, obwohl das reine Erfindung war. Als sie mit großen Augen überrascht zu ihm aufsah und versuchte, sich von ihm freizumachen, wurde sein Griff fester. „Kommen Sie.“ Suzanne hatte keine Kraft, sich gegen diese Aufforderung zu wehren. Sie ließ sich von Jason auf die Tanzfläche führen. Falls sie gedacht hatte, daß er das nur aus Höflichkeit tat, wurde sie schnell eines anderen belehrt. Er zog sie langsam an sich und schlang beide Arme um ihre Taille, so daß sie keine andere Wahl hatte, als ihm die Arme auf die Schultern zu legen. Er war viel größer als Vito. Suzanne reichte ihm gerade bis zur Schulter, was für sie zugleich beruhigend und verwirrend war. Wenigstens waren ihre Gesichter nicht auf gleicher Höhe, so daß sie ihn nicht direkt anschauen mußte. Aber andererseits war seine Größe recht einschüchternd. Als sie seinen Körper spürte, begann ihr Herz schneller zu klopfen. Er hatte sie zwar schon geküßt, aber sie hatte noch nie das Gefühl erlebt, in seinen Armen zu sein. Das wirkte auf sie anregender als Wein. Jason war ein ausgezeichneter Tänzer und führte sie so gut, daß sie das Gefühl hatte, durch die Luft zu schweben. Jetzt zählte nur eines: daß die Wärme, die Jasons Körper ausstrahlte, sie umgab und ihr Kopf so geborgen an seiner Schulter ruhte. Sie schloß die Augen und wünschte sich, er würde sie jetzt küssen. Was würde sie dabei wohl empfinden? Auch Jason sagte kaum etwas. Als sie es wagte, die Hand unter seine Jacke zu schieben und die Finger über dem weichen Stoff seines Rollkragenpullovers zu spreizen, zog er sie dichter an sich und drückte einen leichten Kuß auf ihr Haar. „Sie duften gut“, sagte er nur, aber das genügte, um Suzanne noch heftiger zu erregen. Sie schmiegte sich ganz eng an ihn und beschloß, nie wieder ein anderes Parfüm zu benutzen. Aber war das nicht ein dummer Gedanke? Jason machte sich doch gar nichts aus ihr, warum sollte sie ihm gefallen wollen? Seine Bemerkung war nur die Reaktion auf ihre Nähe gewesen und hatte keine tiefere Bedeutung, genausowenig wie sein Kuß. Daß der Kuß ihr so viel bedeutet hatte, mußte nicht auch für ihn gelten. Bei diesem Gedanken seufzte Suzanne. Jason verstand das falsch. „Sie sind müde.“ Er bog ihren Kopf etwas zurück und sah in ihr blasses Gesicht. „Etwas frische Luft wird Ihnen guttun.“ Ohne auf eine Antwort zu warten und ohne seinen Arm von ihrer Taille zu nehmen, führte er sie auf den gepflasterten Platz, der an den See grenzte. Gußeiserne Pfähle mit gläsernen Lampenschirmen waren unregelmäßig verteilt, aber das Licht der Lampen wurde in dieser Nacht vom Vollmond übertroffen, der am Himmel stand und den See hell schimmern ließ. Ein schmales Blumenbeet begrenzte den Platz und erfüllte die Luft mit dem Duft von Jasmin und Rosen. Um die Laternenpfähle rankten Balainvillea, deren Blüten sich in der sanften Brise bewegten. Im Schatten standen ein Mann und eine Frau und umarmten sich. Suzanne sah zu ihnen und dann zu Jason. Sie wurde verlegen, als sie merkte, daß er ihrem Blick gefolgt war. Er lächelte und fragte: „Können Sie es ihnen verübeln? Es ist eine Nacht für Liebende, finden Sie nicht auch?“ „Einen schöneren Mond habe ich nie gesehen“, wich Suzanne aus, ohne es eigentlich zu wollen. Jason lachte leise. Suzanne mußte gegen das Begehren ankämpfen, ihn zu berühren. Sie ging etwas schneller, so daß er seinen Arm sinken lassen mußte, und trat an den kleinen steinernen Brunnen in der Mitte des Platzes. Verlegen strich sie mit den Fingern durch das sprudelnde Wasser. Als Jason dicht hinter sie trat, klopfte
ihr Herz wie wahnsinnig, und als sie seinen warmen Atem über ihrem Haar
spürte, begann sie zu zittern.
„Ist Ihnen kalt?“ fragte er leise. Er legte die Hände auf ihre Schultern und ließ sie
dann über die nackte Haut ihrer Arme gleiten. „Warum tragen Sie Ihre Stola
nicht?“
Seine Fingerspitzen auf ihrer Haut versetzten Suzanne in unerträgliche
Spannung. Mit Mühe erwiderte sie: „Aber… beim Tanzen brauchte ich sie nicht.“
„Sie haben recht. Dann müssen Sie jetzt meine Jacke nehmen.“
„O nein, das ist nicht nötig.“
„Aber Sie frieren.“
„Nein, mir ist nicht kalt.“
„Doch“, flüsterte er, „warum sollten Sie sonst zittern?“
Als Suzanne nur eine undeutliche Antwort stammelte, zog er sie an sich.
Diese Umarmung hatte eine so sinnliche Wirkung, daß Suzanne Mühe hatte zu
atmen. Jason sagte nichts. Er hielt sie nur einfach fest und wärmte sie. Doch
schließlich konnte Suzanne sein Schweigen nicht länger ertragen, und nur, um
irgend etwas zu sagen, erklärte sie, ohne nachzudenken: „Angelina ist eine sehr
schöne Frau.“
Jason schwieg einige Sekunden, dann sagte er: „Das stimmt.“
„Sie nennen sie Engel.“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. „Ich meine…“
„Alle nennen sie Engel“, erwiderte Jason ruhig, „jedenfalls alle ihre Freunde.“
„Und Sie sind ihr Freund?“
„Ich kenne sie schon lange.“
Wich Jason aus? Aber wenn er mehr als nur ein Freund für Angelina war, was tat
er dann hier draußen? Vielleicht war sie Suzanne – für ihn nur die Tochter
seines Geschäftspartners, um die er sich kümmern mußte. Schließlich hatte Delia
sie ja immer wieder daran erinnert, daß sie in seinen Augen nur ein Kind war. Bei
diesem Gedanken seufzte Suzanne.
Jason drehte sie zu sich herum. Dabei lockerte sich seine Umarmung; Suzanne
fing an zu frösteln.
„Was ist mit Ihnen?“ fragte Jason, aber sie antwortete nicht und schaute ihn auch
nicht an. „Suzanne?“
Jasons Stimme klang anders als sonst. Suzanne hob den Blick. Ihre Augen
wurden groß, als Jason ihre Hand nahm und einen Kuß auf die Handfläche
drückte. Sie hatte plötzlich den Wunsch, seine Wange zu berühren und zu
streicheln. Jason schlang beide Arme um Suzanne und preßte sie an sich. Er
bedeckte ihr Gesicht mit einer Flut von Küssen, bis er schließlich ihren Mund
fand. Zum erstenmal in ihrem Leben empfand Suzanne wirkliche Leidenschaft,
und sie war davon überwältigt.
„Küß mich“, flüsterte Jason. Suzanne gehorchte. Er nahm ihre Unterlippe sanft
zwischen die Zähne, dann vertiefte er seinen Kuß. Mit den Händen strich er über
ihren Rücken und streichelte zärtlich ihre Brust. Suzanne begann zu beben.
Gefühle, von deren Möglichkeit sie nicht einmal geträumt hatte, erfüllten sie.
Stöhnend preßte sie sich noch dichter an Jason.
Doch da lockerte er plötzlich seine Umarmung, nahm den Mund von ihren Lippen
und zog ihre Arme sanft von seiner Schulter. Mit einem Kopfschütteln schob er
Suzanne etwas von sich, wobei seine Hände ihre Schultern mit festem Griff
hielten.
„Ich muß verrückt sein“, sagte er mit leisem Selbstvorwurf. Der Ausdruck seines
Gesichts war undeutbar. „Du bist noch so jung…“
„Ich bin fast einundzwanzig“, protestierte Suzanne und hob selbstbewußt das
Kinn. „Ich finde nicht, daß das noch so schrecklich jung ist.“
„Doch, wenn dieses Alter mit Unschuld verbunden ist“, erwiderte Jason in zärtlichem Ton. Er seufzte. „Hör zu, ich möchte versuchen, mich bei dir zu entschuldigen.“ Eine Entschuldigung für ein Erlebnis, das sie als unsagbar schön empfunden hatte, war das letzte, was Suzanne sich wünschte. Völlig gedemütigt biß sie sich auf die Unterlippe, ein unglücklicher Ausdruck trat in ihre Augen. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie wußte nur, daß Jason es bedauerte, sie geküßt zu haben. Das war so bedrückend, daß Suzanne die Schultern unter seinen Händen sinken ließ. Mit einem unverständlichen Murmeln zog Jason sie wieder an sich und strich ihr das zerzauste Haar aus dem Gesicht. „Schau mich nicht so an“, flüsterte er. „Ich habe doch gesagt, daß es mir leid tut.“ „Darum hatte ich dich nicht gebeten“, erwiderte sie gekränkt und hielt sich völlig steif in seinen Armen. „Es wäre mir lieber gewesen, du hättest dich nicht entschuldigt.“ „Nun gut, dann nehme ich meine Entschuldigung zurück.“ „Fein.“ Suzannes 'Kummer wurde durch aufsteigenden Ärger verdrängt. „Offenbar hältst du mich für ein Kind und glaubst, ich sei überrascht, daß du mir eine Entschuldigung und nicht einen Lolli angeboten hast, um mich zu besänftigen.“ „Nun werde nicht schnippisch.“ Jason nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Seine dunklen Augen funkelten. „Ich habe es nämlich sehr ernst gemeint. Ich will dich nur warnen, komm nicht auf die Idee, deine erwachende Sexualität an mir auszuprobieren. Du darfst nicht übersehen, daß ich kein Schuljunge bin, der sich mit einigen Küssen zufrieden gibt. Ich könnte vollenden wollen, was du anfängst. Hast du das verstanden?“ Sie verstand ihn vollkommen. In seiner tiefen Stimme hatte ein unmißverständliches Versprechen gelegen, das sie mit einem aus Furcht und Erregung gemischten Gefühl erfüllte. Als Jason spürte, daß sie zitterte, nahm er die Hände von ihren Schultern und steckte sie tief in die Taschen seiner Hosen. „Du verstehst, was ich meine, nicht wahr? Du zitterst jedesmal, wenn ich dich berühre. Dir ist klar, daß du mit dem Feuer spielst. Also laß uns lieber zurück in den Club gehen, bevor ich dich noch einmal erschrecke.“ Suzanne hatte keine andere Wahl, sie mußte ihm folgen, als er sie am Arm ergriff und zurück in den Nachtclub geleitete. Während sie über die Tanzfläche gingen und sich der Nische näherten, in der Vito und Angelina saßen, straffte Suzanne ihre Schultern. Sie wollte nicht zeigen, daß draußen etwas Ungewöhnliches geschehen war. Doch Angelina hatte einen scharfen Blick. Ihre Augen verengten sich, als sie Suzannes erhitzte Wangen, ihren von Küssen geröteten Mund und ihr leicht zerzaustes Haar sah. Sie verzog spöttisch die Lippen. Es war unverkennbar, daß sie ahnte, was sich draußen abgespielt hatte. Suzanne zwang sich zu einem unschuldigen Lächeln. Dann wandte sie sich Vito zu, der sich erhob. „Endlich sind Sie wieder da“, sagte er vorwurfsvoll und warf Jason einen ungeduldigen Blick zu. Er nahm ihre Hand. „Kommen Sie, wir tanzen noch einmal.“ „Das ist keine gute Idee, Vito“, wandte Jason ein. „Es ist schon spät, wir sollten aufbrechen.“ „O Caro, nein“, protestierte Angelina. Sie nahm Jasons Hand und sah ihn mit großen Augen an, als habe er sie mit seinem Vorschlag zutiefst verletzt. „Ich möchte noch einmal mit dir tanzen, bitte.“
Jason schüttelte den Kopf und meinte bestimmend: „Heute nacht nicht mehr, mein Engel. Es ist fast zwei Uhr, und Suzanne braucht Ruhe. Sie war schließlich krank und ist müde. Offen gestanden, ich bin auch müde.“ Angelina hatte schon den Mund geöffnet, um zu widersprechen, aber Jasons ernster Ton schien ihre Absicht geändert zu haben. Sie preßte die Lippen zusammen und stand auf. „Nun gut, dann gehen wir eben. Ich hatte ganz vergessen, daß Kinder mehr Schlaf brauchen als Erwachsene.“ Suzanne tat so, als habe sie diese bewußte Kränkung überhört. Sie lächelte Vito an und dankte ihm, als er ihr die Stola um die Schultern legte. Während sie kurz darauf auf dem Weg nach Hause waren, herrschte im Auto eine gespannte Atmosphäre. Angelina schwieg schmollend, nachdem Jason verkündet hatte, daß er zuerst sie nach Hause fahren wolle. Sie warf Suzanne einen giftigen Blick zu. Suzanne war erleichtert, als sie schließlich hielten und Jason Angelina zur Tür ihres Mietshauses mitten in Como begleitete. Vito benutzte die Gelegenheit, legte einen Arm um Suzannes Schultern und zog sie dichter an sich. „Ich hoffe, daß wir uns sehr bald wiedersehen“, sagte er leise. „Auch wenn wir heute abend nicht allein waren, hat es mir doch sehr gefallen.“ Sie dachte anders über diesen Abend, doch das war nicht Vitos Schuld, und so schwindelte sie: „Mir hat es auch gefallen, es hat richtig Spaß gemacht.“ „Dann werden Sie es nicht ablehnen, wenn ich…“ Vito unterbrach sich, als Jason zurückkam und sich schweigend hinter das Lenkrad setzte. Die späte Stunde und die anstrengende Szene mit Jason am See hatten Suzanne mitgenommen, sie wurde plötzlich sehr müde. Als Jason schließlich vor dem Haus ihres Vaters hielt, war ihr Kopf an Vitos Schulter gesunken, und sie war halb eingeschlafen. Vito rief ihren Namen, um sie zu wecken. Mit einem Ruck richtete sie sich auf, öffnete die Augen und begegnete Jasons prüfendem Blick. Nervös strich sie sich über das Haar. „Es tut mir leid, Vito, ich wollte Sie nicht als Kopfkissen benutzen.“ „Es war mir ein Vergnügen“, erklärte er. „Kommen Sie, ich bringe Sie zur Haustür.“ „Aber mach nicht so lange“, verlangte Jason schroff. „Vergiß nicht, daß Suzanne jetzt Ruhe braucht.“ Suzannes Wangen überzogen sich mit einer heftigen Röte. Entrüstet schaute sie Jason an. Doch das schien ihn nicht im mindesten zu stören. Er neigte nur den Kopf und sagte kühl: „Gute Nacht, Suzanne. Ich hoffe, du schläfst gut.“ Dann hättest du mich nicht küssen und dann zurückstoßen sollen, als ich deine Küsse erwiderte, dachte Suzanne. Wie konnte er nur glauben, sie würde nach allem, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, ruhig schlafen? Doch statt diese Gedanken zu äußern, erwiderte sie nur: „Ich bin sicher, daß ich wie ein Säugling schlafen werde… falls ich meinen Schnuller finde. Ich fürchte, ich habe ihn verlegt.“ „Hoffentlich findest du ihn wieder.“ Nur ein leises Zucken seiner Mundwinkel verriet Jasons Belustigung. „Er benimmt sich so beschützend wie ein großer Bruder“, meinte Vito einen Augenblick später, als er mit Suzanne allein vor der Haustür stand. Er nahm ihre Hände in seine und wartete, bis die roten Schlußlichter des Jaguars verschwunden waren. „Endlich allein“, flüsterte er und zog Suzanne in seine Arme. Sein Kuß berührte Suzanne nicht, sie konnte ihn nicht erwidern. Sie konnte nur immer wieder an die wilden Gefühle denken, die Jasons zärtliche Lippen in ihr erweckt hatten. Vitos Kuß war gar nichts im Vergleich dazu. Wäre es doch anders, dachte Suzanne. Mein Leben wäre bestimmt einfacher, wenn ich mich
von Vito angezogen fühlte und nicht von diesem komplizierten und verwirrenden Jason Caine.
5. KAPITEL Am Mittwochnachmittag bat Jack Collins seine Tochter in sein Arbeitszimmer. Entgegen dem Rat des Arztes hatte er damit begonnen, täglich einige Stunden zu arbeiten. Er meinte, auf diese Weise komme er schneller wieder zu Kräften, und Suzanne mußte ihm zustimmen. Als sie sein Zimmer betrat, fiel ihr sofort auf, daß seine Gesichtsfarbe wieder gesünder aussah und er nichts von seiner Vitalität verloren hatte, wie er da hinter dem Schreibtisch saß und in seinen Papieren arbeitete. Er sah zu ihr auf und wies auf den Sessel, der am Schreibtisch stand. Dann lehnte er sich zurück und sagte: „Italien scheint dir zu bekommen. Du siehst nicht mehr so blaß aus wie bei deiner Ankunft.“ „Dasselbe wollte ich gerade von dir sagen“, erwiderte Suzanne. „Nur daß es bei dir die Arbeit zu sein scheint, die dir bekommt – natürlich nur, solange du es nicht übertreibst.“ „Darum mach dir keine Sorgen. Aber nun genug von diesem langweiligen Thema. Ich hatte dich nicht hierhergebeten, um über meine Gesundheit zu sprechen. Ich wollte mit dir über dich reden.“ Mit ernstem Gesicht beugte er sich vor. „Delia hat mir gesagt, sie habe den Eindruck, daß du uns bald wieder verlassen willst. Warum? Gefällt es dir hier nicht?“ „Ich weiß nicht, wie Delia darauf kommt“, erwiderte Suzanne. Welches Spiel hatte ihre Stiefmutter nun wohl wieder vor? „Ich habe bisher überhaupt nicht daran gedacht, nach Vermont zurückzukehren. Ich würde gern noch ein paar Wochen bleiben… es sei denn, dir wäre es nicht recht.“ „Was für ein Unsinn!“ rief ihr Vater stirnrunzelnd. „Warum sollte ich wohl wünschen, daß du uns verläßt?“ Suzanne machte eine hilflose Bewegung. „Ich weiß nicht. Ich dachte nur… du und Delia seid es schließlich gewöhnt, allein zu leben und nicht dauernd noch jemanden um euch zu haben.“ „Aber ich habe dich gern hier. Du bist meine Tochter, und du bist hier willkommen.“ „Dann bleibe ich noch“, versprach Suzanne und erhob sich. „Nachdem das nun klar ist, will ich dich nicht länger bei der Arbeit stören.“ „Warte. Da ist noch etwas, was ich mit dir besprechen möchte.“ Er klopfte mit dem Bleistift auf den Schreibtisch und sah sie nachdenklich an. „Delia sagt, daß du, obwohl du hier niemanden kennst, Vito zweimal abgewiesen hast, als er abends mit dir ausgehen wollte. Sie war überrascht, daß du nicht die Chance ergriffen hast, mit einem so netten jungen Mann zusammenzusein, der ganz offensichtlich von dir sehr eingenommen ist. Gibt es einen Grund dafür, daß du ihn ablehnst? Magst du ihn nicht?“ „Doch, er ist sehr nett“, erwiderte Suzanne aufrichtig. „Aber er scheint an einer romantischen Beziehung interessiert zu sein, und ich bin es nicht.“ „Und du möchtest ihn nicht ermutigen, indem du mit ihm ausgehst?“ Als Suzanne das bejahte, nickte Jack. „Gut, das kann ich verstehen. Aber Delia mag Vito. Sie würde es gern sehen, wenn du seine Einladung annimmst. Sie möchte nicht, daß du dich hier einsam fühlst.“ „Ich ziehe es vor, mir meine Freunde selbst zu suchen“, entgegnete Suzanne kühl. Sie war nicht im geringsten davon überzeugt, daß ihre Stiefmutter sich echte Sorgen um sie machte. „Und im übrigen fühle ich mich durchaus nicht einsam. Ich habe immer gut allein zurechtkommen können. Die Landschaft hier ist ja so schön, da gehe ich gern spazieren. Oder ich lese.“ „Und was ist mit dem Skizzenbuch, das du bei dir hast? Ich habe gesehen, daß
du darin gezeichnet hast. Willst du ein Bild malen?“ „Nein, an so etwas Großes denke ich nicht. Ich habe vor, Batikvorhänge für unsere Wohnung in Vermont zu fertigen, und ich habe versucht, einen Entwurf zu machen. Das ist mir schließlich auch gelungen, aber er scheint mir etwas zu kompliziert zu sein.“ „Kann ich ihn einmal sehen?“ fragte Jack. Sein Interesse überraschte Suzanne. „Schließlich verstehe ich von solchen Entwürfen etwas. Wir sind ja nun auch in der Seidenbranche.“ Suzanne schlug die Seite mit ihrem Entwurf auf und reichte das Skizzenbuch ihrem Vater. Während er hineinschaute, lehnte sie sich über den Schreibtisch. „Siehst du, was ich meine?“ Sie zog mit der Fingerspitze ein blaues Band nach, das sie auf einem goldgelben Untergrund gemalt hatte. „Ich glaube, ich habe die Muster zu kompliziert miteinander verwoben. Es gefällt mir so, aber für Batik scheint es doch zu schwierig zu sein. Es würde eine Ewigkeit dauern, das Wachs richtig aufzutragen, damit nur diese Bänder blau werden.“ Jack nickte. „Es ist nicht einfach, aber mir gefällt das Muster sehr gut. Es würde sich ausgezeichnet für Seidenschärpen eignen.“ Er lächelte, so wie er sie früher angelächelt hatte, als ihre Mutter noch lebte. „Wir suchen immer nach neuen Ideen. Was hältst du davon, wenn ich dies unserer Entwurfsabteilung gebe? Es wäre doch eine hübsche Vorstellung, daß einige der schicksten Frauen Europas deine Schöpfung tragen.“ Suzanne war begeistert. „Das würde mir sehr gefallen.“ „Gut, dann gebe ich das Jason, sobald ich ihn wiedersehe.“ „Ach, vielleicht sollten wir die Sache doch vergessen.“ Suzannes Begeisterung war plötzlich verflogen. „Mr. Caine hat bestimmt keine Lust, sich mit meinem Entwurf zu beschäftigen.“ „Unsinn. Ich sagte dir doch, daß wir dauernd neue Entwürfe suchen. Die sind gar nicht leicht zu bekommen. Jason wird sich über diesen hier freuen, vielleicht zahlt er sogar dafür. Ich finde das Muster sehr originell.“ „Aber er vielleicht nicht.“ Suzanne scheute sich davor, Jason irgend etwas beurteilen zu lassen, was von ihr stammte. „Du solltest es ihm lieber nicht geben.“ Mit einem Schulterzucken schob Jack die Zeichnung zur Seite. Sein Blick umwölkte sich. „Du siehst nicht nur so aus wie deine Mutter, du benimmst dich auch genauso. Sie konnte manchmal unglaublich dickköpfig sein.“ „Ich will gar nicht dickköpfig sein. Ich möchte nur nicht, daß Mr. Caine glaubt, ich wolle ihm etwas aufdrängen. Verstehst du das nicht?“ „Schon gut, vergessen wir es“, beendete Suzannes Vater die Auseinandersetzung. Er wirkte jetzt wieder einigermaßen reserviert und begann, etwas in seiner Schreibtischschublade zu suchen. Suzanne biß sich bekümmert auf die Unterlippe. Ihr Vater würde nie wieder so liebevoll zu ihr sein wie früher, damit mußte sie sich nun wohl abfinden. Im Augenblick hatte er ihr offenbar nichts mehr zu sagen. Sie stand auf und ging zur Tür, da rief er sie plötzlich zurück. „Tust du mir bitte einen Gefallen, wenn du nichts anderes vorhast? Delia wollte auf ihrem Weg in die Stadt bei Jason vorbeifahren und ihm diese Unterlagen geben. Nun hat sie sie doch vergessen. Könntest du zu Jason fahren?“ „Ich weiß gar nicht, wo er wohnt“, erinnerte Suzanne ihren Vater schnell. „Könntest du ihn nicht einfach anrufen, damit er die Sachen hier abholt?“ „Er ist jetzt nicht zu Hause. Aber ich möchte, daß er die Unterlagen vorfindet, sobald er zurück ist. Er muß sie durchsehen.“ Da keine Gefahr bestand, daß sie Jason traf, suchte Suzanne nach keinen
weiteren Ausflüchten. Außerdem wollte sie ja ohnehin Jasons Villa sehen. So nickte sie. „Gut, ich fahre, wenn du mir den Weg beschreibst.“ „Ganz einfach: du folgst der Straße und biegst nach der ersten Kurve in den Fahrweg rechts ein.“ „Ich wußte gar nicht, daß Jason so dicht bei dir wohnt.“ „Die Fahrt wird nicht lange dauern. Hier sind die Unterlagen. Bitte Jasons Haushälterin, sie ihm auf den Schreibtisch zu legen.“ Suzanne nahm den großen Umschlag, den ihr Vater ihr gab. „Wenn der Weg so kurz ist, kann ich ja zu Fuß gehen.“ „Nun, so kurz ist er gar nicht. Es ist fast ein Kilometer und geht ziemlich steil aufwärts. Außerdem ist die Straße gefährlich, einige fahren dort wie die Wilden. Nimm lieber den BMW. Pietro hat die Schlüssel.“ Suzanne fand Pietro kurz darauf im Garten. Als sie ihn um die Wagenschlüssel bat, verzog er bedauernd das Gesicht. „Scusa, Signorina, aber der Automechaniker von Como hat den Wagen für eine Reparatur.“ „Oh, dann muß ich wohl doch zu Fuß zu Mr. Caine gehen.“ „Vielleicht kann die Signorina mit einem Motorrad fahren?“ fragte Pietro. „Mein Enkel wird nichts dagegen haben, wenn Sie es sich kurz ausleihen.“ Das war ein guter Gedanke. Es war zwar schon einige Zeit her, daß sie Motorrad gefahren war, aber sie würde bestimmt damit fertig werden. So folgte sie Pietro in die Garage, wo eine noch recht neue, glänzend rote Morini stand. Suzanne setzte sich darauf und startete die Maschine. Schon fuhr sie, noch etwas stotternd, den Fahrweg entlang. Als sie die Straße erreichte, kam sie schon ganz gut zurecht. Auf dem von Pinien gesäumten asphaltierten Weg, der zu Jasons Villa führte, beschleunigte sie mutig. Schließlich fuhr sie unter einem Torbogen hindurch, der von Bougainvillea überwuchert war, und erreichte die Villa. Gerade drosselte sie ihr Tempo, als Jason plötzlich aus dem Haus trat. Sein Anblick überraschte und erschreckte Suzanne so sehr, daß sie den Lenker verriß. Die Maschine rutschte über die weißen Kieselsteine neben der Auffahrt. Suzanne verlor die Kontrolle und stürzte – direkt Jason vor die Füße. Der Schmerz, den sie dabei im rechten Bein spürte, war nicht so schlimm, verglichen mit dem erniedrigenden Gefühl, sich vor Jason blamiert zu haben. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte sie sich auf. Ihr Gesicht überzog sich mit flammender Röte, als Jason sich neben ihr auf die Knie fallen ließ. „Hast du dich verletzt?“ fragte er besorgt und faßte sie am Arm. „Nur meinen Stolz“, erwiderte sie gequält. „Aber würdest du einmal nach dem Motorrad sehen? Es gehört Pietros Enkel. Der wird mich wahrscheinlich umbringen, wenn ich die Maschine verkratzt habe.“ „Zum Teufel mit dem Motorrad!“ Jason betrachtete Suzanne eingehend. Als er sah, daß ihr rechtes Bein an der Seite aufgeschrammt war, runzelte er die Stirn. Vorsichtig berührte er die Wunde mit der Fingerspitze. Suzanne hielt den Atem an, und Jason fragte: „Tut es sehr weh?“ „Es geht.“ Suzanne wollte ihn nicht wissen lassen, daß seine Berührung für sie mehr verwirrend als schmerzhaft war. „Es blutet ja nicht einmal. Gut, daß ich nur mit dem Bein auf die Kiesel geraten bin.“ „Du hättest dir das Bein brechen können… oder den Hals“, sagte Jason vorwurfsvoll. „Weshalb fährst du überhaupt mit dem verdammten Ding durch die Gegend?“ „Dad bat mich, dir ein paar Unterlagen zu bringen, die du noch durchsehen möchtest“, erklärte sie schnell, „und der BMW ist in der Werkstatt. Pietro hat mir das Motorrad angeboten, und da dachte ich, es sei vielleicht ganz lustig, damit zu
fahren.“ Suzanne lächelte verlegen. „Dad sagte, du seist gar nicht hier.“ „Soll das heißen, es wäre dir lieber gewesen, ich hätte deinen Sturz nicht beobachtet?“ „Nun, vielleicht wäre ich gar nicht vom Weg abgekommen, wenn du nicht so unerwartet aufgetaucht wärst und mich nicht erschreckt hättest“, entgegnete Suzanne. „Bevor ich dich sah, kam ich mit dem Motorrad gut zurecht.“ Jasons Mund zuckte. „Dann machst du mich also für den Unfall verantwortlich?“ „Ich hatte nicht mit dir gerechnet“, wiederholte Suzanne. Sie stand auf, wischte sich den Schmutz von der Kleidung und betrachtete mit einem Stirnrunzeln die Flecken auf ihren khakifarbenen Shorts. „Aber ich mache dir keine Vorwürfe. Schließlich kannst du ja nichts dafür, daß ich so lange nicht Motorrad gefahren bin.“ Sie zog an ihrem grünen TShirt, sah zu Jason auf und mußte innerlich stöhnen. Es war wirklich nicht fair, daß sie jetzt so gerupft aussah, während er in seinen blauen Hosen und dem weißen Rugbyhemd geradezu unwiderstehlich wirkte. Seine männliche Ausstrahlung nahm ihr das innere Gleichgewicht. Suzanne machte einen Schritt zurück. Sie sah Jason an und dachte daran, daß sie in seinen Augen noch ein Kind war. Merkwürdig, denn gerade in seiner Nähe fühlte sie sich mehr denn je als Frau. Doch wenn er in ihr lieber das Kind sah, konnte sie daran nichts ändern. Ein niederschmetternder Gedanke. Sie fuhr sich mit der Hand über das zerzauste Haar. „Ich möchte deine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich werde dir schnell die Unterlagen geben und verschwinden.“ Mit diesen Worten ging sie zum Motorrad. Jason folgte ihr und nahm den Briefumschlag entgegen, den sie aus der Gepäckträgertasche holte. Dann faßte er sie an der Hand: „Vielen Dank, daß du mir das gebracht hast. Aber denk nicht, daß ich dich so wieder laufen lasse. Erst versorgen wir dein Bein.“ „Ach nein, ich fahre jetzt.“ Suzanne versuchte, ihm die Hand zu entziehen, doch er ließ nicht locker. „Du brauchst dir wegen meines Beines wirklich keine Sorgen zu machen. Es muß nur abgewaschen werden.“ „Wir werden ein antiseptisches Mittel auf die Wunde tun“, erklärte Jason ungerührt und zog sie mit sich ins Haus. Erst jetzt nahm Suzanne das wunderschöne Haus wirklich wahr. Es hatte drei Stockwerke, war weiß gestrichen und war von üppigem Grün umgeben. Hohe Pinien umgaben das Haus. Von hier oben hatte man einen herrlichen Blick auf den See. Ringsum an den Hängen lagen Terrassengärten, überall blühten Blumen, und die Luft war vom würzigen Duft des Rosmarin erfüllt. Obwohl Suzanne das Haus gern von innen gesehen hätte, verlangsamte sie ihren Schritt. „Ich möchte lieber nach Hause“, sagte sie und sah Jason aus großen grünen Augen an. „Wirklich.“ Er schüttelte den Kopf. Sein strenger Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, daß er für solchen Unsinn kein Verständnis hatte. „Ich muß mich um dein Bein kümmern, also benimm dich nicht wie ein Baby. Es wird auch kaum weh tun.“ „Dir macht das wohl Spaß, wie?“ Widerwillig folgte sie Jason ins Haus. Kaum hatten sie es betreten, als Suzanne einen entzückten Ruf ausstieß. Die Eingangshalle war mit braun und beigefarbenen Fliesen ausgelegt. Die Decke war gewölbt, an den Wänden sah man etwas verblaßte, aber immer noch sehr schöne Fresken, die Schäferszenen darstellten. „O Jason, das ist wirklich schön“, sagte Suzanne leise, als er ihr die Tür zum Salon öffnete. In der Mitte des Zimmers lag ein wunderschöner Berberteppich. Überall standen alte Mahagonimöbel, das Sofa und die Stühle hatten leuchtend rote Polster. Und auf dem runden Eßtisch stand in einer massiven Kristallvase flammend roter
Mohn. Die riesigen Balkontüren am Ende des Raumes waren weit geöffnet. Die Wände waren mit wunderhübschen Fresken verziert, und in einer Ecke des großen Zimmers befand sich eine antike Vitrine, die eine Sammlung von kleinen Tieren aus Jade und Elfenbein enthielt. Suzanne war begeistert. Sprachlos ließ sie sich auf dem Sofa nieder, zu dem Jason sie geführt hatte. „Ich hole nur schnell Wasser und das Antiseptikum“, sagte Jason und ging hinaus. Suzanne sah ihm nach. Hastig fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar, um es vor seiner Rückkehr etwas in Ordnung zu bringen. Er hätte sie lieber nach Hause fahren lassen sollen, denn sicherlich störte sie ihn nur. Vorsichtig berührte sie ihr Bein und zuckte zusammen. Daß eine so oberflächliche Verletzung so sehr schmerzen konnte! Schon war Jason zurück. Suzanne richtete sich schnell auf, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Jason ließ sich vor ihr auf die Knie fallen. Mit einem sauberen Leinentuch reinigte er vorsichtig die zerschrammte Haut, und ohne sie vorher zu warnen, schüttete er etwas von einer klaren Flüssigkeit über die Stelle. Es brannte teuflisch, aber Suzanne gab keinen Laut von sich. Sie biß die Zähne zusammen, und als Jason zu ihr aufsah, zwang sie sich zu einem Lächeln. Aber er sah ihr an, daß es weh tat. „Es tut mir leid“, sagte er und trocknete sich die Hände in dem Handtuch ab, das er mitgebracht hatte, „doch das mußte sein.“ „Natürlich. Hoffentlich heilt es nun schneller. Aber für die nächsten Tage werde ich so aussehen, als hätte ich mit einer wilden Katze gekämpft.“ Jason erhob sich und betrachtete ihre schlanken Beine. Er schüttelte den Kopf. „Das finde ich nicht. Selbst diese Kratzer können so hübsche Beine nicht verunzieren.“ Verlegen stand Suzanne ebenfalls auf. „Gut, dann werde ich jetzt fahren. Du hast bestimmt viel zu tun, und ich will dich nicht länger stören.“ Als sie an ihm vorbeigehen wollte, trat er ihr in den Weg. „Warum willst du schon gehen? Bleib doch und schau dir das Haus an. Dann kannst du auch gleich sagen, ob Delia recht hat und es neu eingerichtet werden muß.“ Jason lächelte sie an. „Einverstanden? Du würdest doch gern alles sehen?“ „O ja, sehr gern“, bestätigte sie begeistert. „Aber nur, wenn du jetzt wirklich Zeit hast, mich herumzuführen.“ „Wenn ich keine Zeit hätte, hätte ich es dir nicht angeboten.“ Er ergriff ihre Hand. „Komm, wir fangen in der Bibliothek an.“ Die große Bibliothek beeindruckte Suzanne sehr. Trotz der Geräumigkeit war es hier gemütlich, das abgenutzte braune Ledersofa und die Lehnstühle luden zum Verweilen ein. „Das ist gerade der richtige Platz für einen regnerischen Tag“, meinte Suzanne. „Es muß hier sehr behaglich sein, wenn es draußen feucht und kühl wird.“ „Ja, und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie du zusammengerollt wie ein Kätzchen in einem der Sessel sitzt und die Nase in ein Buch steckst“, erwiderte Jason. „Oder wie du dort sitzt und träumst. Deshalb magst du Regentage doch, nicht wahr? Weil du dann deiner Phantasie freien Lauf lassen kannst?“ „Woher weißt du das? Die meisten Leute halten mich für verrückt, weil ich auch einen Regentag durchaus genießen kann. Denkst du das nicht?“ „Nein, ganz und gar nicht.“ Jasons Augen blitzten belustigt. „Ich würde das nicht verrückt nennen – vielleicht etwas exzentrisch, aber das kann eine sehr charmante Eigenschaft sein.“ Sie hatten die Bibliothek inzwischen wieder verlassen. Jason öffnete schwungvoll die Tür zu einem anderen Zimmer. „Wenn du die Bibliothek schön fandest, dann
wird dir dieser Raum sicher auch gefallen.“ „O ja“, stimmte Suzanne zu. In der Tat, ein schöneres Zimmer hatte sie noch nicht gesehen. Die dunklen Möbel waren dunkelblau und beige bezogen. In der Mitte des Zimmers lag ein wunderhübsch gemusterter blauer Orientteppich. Bei der Einrichtung hatte man auf überflüssige Dekorationen verzichtet, so daß der Raum eine einfache Eleganz ausstrahlte. Nur ein paar ausgesuchte Porzellanfiguren schmückten das Zimmer. An einer der mit Fresken verzierten Wände stand ein niedriger Mahagonischrank mit Karaffen und Gläsern. Auf dem kleinen runden Tisch neben dem Ohrensessel lag ein aufgeschlagenes Buch. Es sah so aus, als sei der Leser gerade eben erst weggegangen. „Hier verbringe ich den größten Teil meiner Freizeit“, sagte Jason. „Das habe ich mir schon gedacht. Dieser Raum sieht richtig nach dir aus. Er ist… männlich.“ Suzanne sah Jason an. Er erwiderte ihren Blick, bis sie nervös wurde und zur Tür ging. Nach einem Blick in die helle, modern eingerichtete Küche gingen sie zurück in die Halle und blieben am Fuß der Marmortreppe stehen. „Kann ich das obere Stockwerk auch sehen?“ fragte Suzanne etwas zögernd. „Natürlich nur, wenn du noch Zeit hast.“ Jason lächelte nachsichtig, nahm ihre Hand und ging mit ihr nach oben. Nun bewunderte Suzanne die großen, eleganten Schlafzimmer, die alle ein eigenes Bad hatten. Aber was sie am meisten interessierte, war Jasons Zimmer. Hierher führte er sie zuletzt, und als er die geschnitzten Doppeltüren öffnete, war Suzanne nicht enttäuscht. Das war unverkennbar das Zimmer eines Mannes. Es war in Brauntönen gehalten: Rostrot, Goldgelb und Braun. Die Möbel waren dunkel und schwer, aber wegen ihrer einfachen Linien nicht bedrückend. Eine gewölbte Tür führte in das angrenzende Bad. Das breite Bett war von einem braunen Plüschteppich umgeben, der Bettüberwurf war rostrot und goldgelb gemustert. Suzannes Aufmerksamkeit wurde vor allem von den Fresken hinter dem Bett angezogen. Sie trat näher. Die Farben waren schon verblichen, aber man konnte noch deutlich erkennen, daß das Ganze den See mit der Hügellandschaft darstellen sollte. „Das ist ja der Blick auf das andere Ufer“, rief Suzanne. „Wie hat der Künstler nur die vielen Einzelheiten unterbringen können, bevor der Putz trocknete?“ „In der Tat, das hat viel Geschick und künstlerisches Talent erfordert“, erklärte Jason. „Leider wird diese Kunst heute kaum noch beherrscht. Die Fresken hier sind wohl bald dreihundert Jahre alt.“ „Und immer noch so schön.“ Suzanne war begeistert. Ohne nachzudenken, legte sie die Hand auf Jasons Arm und sagte in dringlichem Ton: „Laß Delia hier nichts verändern, Jason, bitte. Genauso sollte ein Landhaus hier aussehen.“ „Ich hatte niemals vor, etwas zu ändern.“ Jason nahm Suzannes Hand. „Hast du etwa wirklich geglaubt, ich wollte mein Haus zu einer Ausstellungsstätte für moderne Möbel umwandeln?“ Die Berührung seiner Finger auf ihrer Haut ließ Suzanne schneller atmen. Sie befeuchtete ihre plötzlich trocken gewordenen Lippen mit der Zungenspitze. Als Jason noch einen Schritt näher trat, wurde ihr die Nähe des breiten Bettes neben ihnen überdeutlich bewußt. Schnell wandte sie sich ab, zog die Hand zurück und ging durch die offenen Balkontüren hinaus auf den Balkon. Er war von einem eisernen Geländer umgeben, an dem karmesinrote und elfenbeinfarbene Rosen rankten. Die Blüten waren noch geschlossen, aber ihr Duft erfüllte schon die Luft. Suzanne atmete tief ein und schaute nach unten in den Garten.
Jason stand jetzt dicht hinter ihr. Das beunruhigte Suzanne sehr. Nervös sagte sie: „Der Garten ist herrlich. Könnte ich… hättest du Zeit, ihn mir zu zeigen?“ „Aber gern! Ein Spaziergang dort unten ist eine sehr gute Idee.“ Der Garten war von blühenden Hecken umgeben. Man betrat ihn durch einen hohen Torbogen. Suzanne atmete tief durch und versuchte, einige der zahllosen Blumen zu identifizieren. Purpurne Fuchsien säumten den Weg, der zu einer von blühenden Kamelienbüschen umgebenen Laube führte. Eine weiße Holzbank umgab einen alten Wacholderstamm mit tief zerfurchter Rinde. Während Suzanne sich setzte, pflückte Jason eine Kamelienblüte und reichte sie ihr. Mit einem etwas verlegenen Lächeln nahm Suzanne sie entgegen. Jason ließ sich neben ihr auf der Bank nieder, streckte die Beine aus und lehnte den Rücken gegen den Baumstamm. „Wie kommst du denn jetzt mit deinem Vater zurecht“, fragte er plötzlich. „Ich weiß, daß ihr euch nicht gerade sehr nahe steht. Aber ich hatte gehofft, dein Besuch würde das ein wenig ändern.“ „Du bist sehr scharfsichtig. Es stimmt, Dad und ich sind einander etwas entfremdet.“ Suzanne drehte die Blüte zwischen ihren Fingern. „Und ich zweifle allmählich daran, daß sich das jemals wieder ändern wird.“ „Willst du deshalb wieder nach Vermont zurück? Delia sagt…“ „Ich weiß, was Delia gesagt hat“, unterbrach Suzanne ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung. „Sie hat auch Dad erzählt, daß ich an eine Abreise denke. Ich weiß nur nicht, wie sie darauf kommt. Ich habe mit keinem Wort erwähnt, daß ich wieder nach Vermont will. Vielleicht ist das Wunschdenken bei ihr. Ich habe nämlich den Eindruck, daß sie es nicht gern sieht, daß ich hier bin. Manche Stiefmütter haben ihre Stieftöchter eben nicht so gern um sich.“ „Aber es gibt auch andere“, wandte Jason ein. „Bist du sicher, daß du Delia nicht ungerecht beurteilst?“ „Warum verteidigst du sie eigentlich immer?“ entgegnete Suzanne mißtrauisch. „Hältst du sie wirklich für so warmherzig, daß sie mir echte Zuneigung entgegenbringen könnte? Du tust immer so, als sei es mein Fehler, wenn wir uns nicht besser verstehen. Warum? Ist sie in deinen Augen so liebenswert?“ „Meine Stiefmutter ist es“, antwortete Jason überraschend. „Sie hat meinen Vater geheiratet, als ich acht war, und sie hat mich immer so behandelt, als sei ich ihr eigener Sohn.“ „Dann hast du aber Glück gehabt. So geht es leider nicht allen.“ „Vielleicht hast du Delia bisher keine richtige Chance gegeben.“ Daß er Delia verteidigte, bekümmerte Suzanne. Diese Unterhaltung gefiel ihr nicht mehr. „Ich möchte nicht mehr über sie sprechen, verstehst du?“ „Gut. Dann sag mir, warum du deinem Vater nicht näherstehst.“ „Ich komme ja nicht an ihn heran“, rief Suzanne unglücklich. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Nach dem Tod meiner Mutter hat er sich ganz zurückgezogen. Ich hätte so gern die Erinnerungen an sie mit ihm ausgetauscht, aber bis zu meinem jetzigen Besuch hat er sie nie erwähnt. Neulich sagte er, daß ich ihr sehr ähnlich sehe.“ Sie senkte den Kopf und schluchzte leise. „Ich wollte, es wäre anders, aber ich bedeute ihm offenbar nicht viel.“ „Das stimmt nicht“, widersprach Jason sanft und hob ihr Kinn mit dem Zeigefinger. „Jack sagt oft, wie stolz er auf dich ist. Vielleicht kann er es einfach nicht ertragen, daß du deiner Mutter so ähnlich siehst. Das mag schmerzliche Erinnerungen in ihm wecken.“ Eine dicke Träne rollte über Suzannes Wange. „Daran habe ich bisher gar nicht gedacht“, murmelte sie. „Es stimmt, er hat sie sehr geliebt. Vielleicht ist es tatsächlich schwer für ihn, daß ich ihn an meine Mutter erinnere.“
„Ich glaube, daran wird es liegen“, versuchte Jason sie zu trösten. Eine zweite Träne folgte der ersten. Jason legte den Arm um Suzanne, und sie lehnte dankbar den Kopf an seine Brust. Sie fühlte sich plötzlich geborgen wie lange nicht mehr. Jasons Worte hatten sie beruhigt. Sie genoß es, einfach so von ihm gehalten zu werden. Sie lauschten dem Gesang einer Lerche, und dann spürte Suzanne, wie Jasons Körper sich spannte. Bevor sie noch ahnte, was kommen würde, hatte er ihren Kopf zurückgebogen und suchte nach ihrem Mund. Dieses Mal hielt er sich nicht lange mit einer zärtlichen Einleitung auf. Seine Zungenspitze berührte ihre Mundwinkel, Suzanne stöhnte leise und schlang die Arme um seinen Nacken. Sein Kuß wurde nachdrücklicher, verlangender, er strich mit den Händen über ihren Körper und bedeckte schließlich ihre Brüste. Ihre Haut schien unter dieser Berührung zu brennen, und sie legte die Hände auf seine, um sie noch dichter an sich zu pressen. „Suzanne!“ Jason atmete schneller. „Mach mein Verlangen nach dir nicht noch größer.“ „Jason“, flüsterte sie und fuhr mit den Lippen über seinen Hals. „Bitte küß mich noch einmal.“ Wieder küßte er sie, doch dann löste er mit spürbarer Anstrengung den Mund von ihren Lippen. In seinen Augen brannte heißes Begehren. „Du bist zu jung.“ „Nein“, widersprach sie außer Atem. „Ich bin kein Kind mehr.“ „So? Aber du siehst tatsächlich noch sehr kindlich aus!“ sagte er und hielt ihre Finger fest, die seine Wange liebkosten. „Ich kann nichts dafür, wie ich aussehe. Ich bin nicht mehr vierzehn oder fünfzehn.“ Sie lächelte ihn wie benommen an. „Und wenn du mich verführen willst, so werde ich es genießen.“ „Auch dann, wenn ich es wirklich ernst meine?“ erwiderte er schroff. „Meine Haushälterin hat heute frei, wir haben also das Haus ganz für uns. Kommst du mit mir in mein Schlafzimmer? Jetzt gleich?“ „Nein!“ rief sie entsetzt. Sie wurde blaß und richtete sich auf. „Du… das kann ich nicht.“ „Das habe ich mir gedacht“, bestätigte er kühl und stand auf. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schüttelte den Kopf. „Geh nach Hause, Suzanne, ich spiele nicht gern mit Kindern.“ Sie verlor die Beherrschung. Wieder hatte sie sich selbst in eine Situation begeben, in der er sie zurückweisen konnte. Suzanne war über sich selbst genauso wütend wie über ihn und sprang auf. „Ich spiele keineswegs, Jason. Deshalb gehe ich jetzt auch. Und hör auf, mich als Kind zu bezeichnen. Ich mag das nicht.“ Während sie davonrauschte, hörte sie, wie Jason leise hinter ihr herlachte. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Hätte sie doch nur nie von ihm gehört, geschweige denn ihn je getroffen. Er war ein unmöglicher Mann, und sie würde glücklich sein, wenn sie ihn nie wiedersehen müßte.
6. KAPITEL Suzannes Geburtstag war zunächst ein herrlicher Tag. Die Morgensonne mit ihrem goldenen Glanz erfüllte Suzannes Zimmer, und die wärmenden Sonnenstrahlen brachten den weißen Jasmin zum Duften, der auf ihrem Balkon blühte. Eine sanfte Brise wehte und versprach die Hitze des Tages zu mildern. Suzanne zog ein leichtes Kleid an und beschloß, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen. Leise vor sich hinsummend steckte sie ihr Haar zusammen, zog Ledersandalen an und lief die Treppe hinunter. Im Eßzimmer war niemand, aber alles stand zum Frühstück bereit. Suzanne hatte mehr Appetit als sonst und begnügte sich nicht mit einem frischen Croissant und einer Tasse Kaffee, sondern aß sogar ein Ei. Zehn Minuten später hatte sie ihr Frühstück beendet. In diesem Augenblick kam ihr Vater herein. Als sie zu ihm aufsah, lächelte er sie geheimnisvoll an. Sie lächelte zurück, doch dann weiteten sich ihre Augen vor Überraschung. Ihr Vater blieb neben ihr stehen und reichte ihr zwei Päckchen. „Du hast daran gedacht?“ fragte Suzanne ungläubig. „Das hätte ich nicht erwartet.“ Ihr Vater lachte etwas verlegen. „Nur weil ich mit meinen Glückwünschen sonst immer zwei Wochen verspätet gekommen bin, darfst du nicht annehmen, daß ich deinen Geburtstag auch in diesem Jahr vergessen könnte.“ Suzanne lächelte ihren Vater liebevoll an. „Natürlich nicht, aber ich weiß ja, daß du ein sehr schlechtes Gedächtnis für Daten hast.“ „Als ich mich im letzten Jahr erst drei Wochen zu spät an deinen Geburtstag erinnerte, habe ich mich so geschämt, daß ich das heutige Datum in allen meinen Kalendern angestrichen habe. So konnte ich den Tag einfach nicht vergessen.“ Jack Collins schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und fragte: „Wie fühlt man sich denn, wenn man einundzwanzig ist?“ „Genauso wie mit zwanzig“, gab Suzanne zu. Sie berührte die weißen Bänder, mit denen das goldfarbene Geschenkpapier umschnürt war. „Ich fühle mich kein bißchen weiser, nur weil ich heute ein Jahr älter geworden bin.“ Ihr Vater lächelte. „Nun, willst du deine Geschenke nicht auspacken?“ Suzanne nickte, löste die Bänder und entfernte das Geschenkpapier vorsichtig, obwohl sie wußte, daß es nie wieder gebraucht werden würde. In der ersten Schachtel fand sie eine entzückende Goldkette. „O Dad, du bist wunderbar!“ rief sie und legte sie sich um den Hals. Dann stand sie schnell auf und schaute in den Wandspiegel. Das Gold schimmerte warm auf ihrer leicht gebräunten Haut. Auf Jacks Drängen setzte sie sich wieder und öffnete das zweite Päckchen. Es enthielt ein zur Kette passendes Armband. Nachdem sie es angelegt hatte, streckte sie den Arm aus und bewunderte ihr Geschenk. „Es ist wunderschön, Dad, vielen Dank.“ „Ist das Armband nicht zu weit?“ fragte er. „Du wirst es doch wohl nicht verlieren können?“ „Nein, es paßt ganz genau, ebenso wie die Halskette. Du hättest mir nichts Schöneres schenken können, ich danke dir ganz herzlich.“ Sie stand auf, ging um den Tisch herum und gab ihrem Vater einen Kuß. Er drückte ihre Hand. „Offen gestanden kann ich es gar nicht mir zuschreiben, diese hübschen Sachen ausgesucht zu haben. Weil der Arzt es mir nicht gestattet hat, in die Stadt zu fahren, mußte ich jemanden bitten, den Einkauf für mich zu erledigen.“ „Oh, hat Delia den Schmuck ausgesucht?“ fragte Suzanne überrascht. Sie konnte
sich kaum vorstellen, daß ihre Stiefmutter Schmuckstücke von solch unauffälliger Eleganz gewählt hatte. „Nein. Sie hatte es mir zwar versprochen, aber sie war in letzter Zeit so beschäftigt, daß sie einfach nicht dazu gekommen ist. Als die Zeit schließlich knapp wurde, habe ich Jason gebeten, eine Halskette und ein dazu passendes Armband zu kaufen. Er sollte etwas mitbringen, was dir gefallen würde. Er meinte, dies würde gut zu dir passen, und ich bin froh, daß er recht hat.“ „Es war nett von ihm, seine Zeit dafür aufzuwenden. Ich darf nicht vergessen, ihm zu danken.“ Suzanne verbarg mit Mühe ihr Glücksgefühl. Jason hatte also den Schmuck gekauft, und er hatte dabei bewiesen, daß er ihr einen guten Geschmack zutraute. Doch war es richtig, das so zu sehen? Der Kauf zeigte vielleicht auch nur, daß er selbst einen guten Geschmack hatte, und nicht, daß er sich Mühe gegeben hatte, etwas besonders Passendes für sie auszusuchen. „So, ich glaube, ich habe nun lange genug mit dem Frühstück herumgetrödelt“, unterbrach Jack die Gedanken seiner Tochter. Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und schaute sie an. „Wie sehen deine Pläne für heute vormittag aus?“ „Ich wollte einen Spaziergang machen.“ „Gut, aber zum Mittagessen wirst du doch wieder hier sein? Delia schläft jetzt noch, aber sie hat gestern ein Geschenk für dich gekauft. Sie bat mich, dir zu sagen, du möchtest auf jeden Fall mittags hier sein, damit sie es dir geben kann.“ „In Ordnung, ich werde rechtzeitig zurückkommen.“ Nachdenklich schaute sie ihrem Vater nach. Manchmal steckte das Leben doch voller Überraschungen. Sie hätte nie erwartet, daß Delia an ihren Geburtstag denken würde, geschweige denn, daß sie sogar ein Geschenk kaufte. Suzanne machte einen langen Spaziergang durch den Wald oberhalb der Villa. Gegen zwölf Uhr kehrte sie um und ging quer über die Wiesen zum Grundstück ihres Vater zurück. Hier und dort blieb sie stehen und bewunderte die wildwachsenden Blumen. Die Sonne schien, und es war ein herrlicher Tag. Aber allmählich wurde es doch recht warm. Suzanne beeilte sich schließlich, weil sie vor dem Essen noch duschen wollte. Sie wollte direkt in ihr Zimmer gehen und lief leichtfüßig die Treppe hinauf. Doch gerade als sie an Delias Zimmer vorbeikam, öffnete Lucia die Tür und trug das Tablett mit den Überresten von Delias Frühstück heraus. Delia erblickte Suzanne im Spiegel und winkte ihr, hereinzukommen. Zögernd folgte Suzanne der Einladung. Als sie sah, wie ein herber Ausdruck auf das Gesicht ihrer Stiefmutter trat, stellte sie sich innerlich auf die herabsetzenden Äußerungen, die jetzt bestimmt folgen würden, ein. Delia enttäuschte sie nicht. Mißbilligend schüttelte sie den Kopf und seufzte ungeduldig. „Du willst doch wohl nicht in diesem Aufzug zum Mittagessen kommen?“ fragte sie überheblich. „Du siehst aus wie eine Bäuerin. Wenigstens heute solltest du etwas anziehen, was dich besser kleidet. Schließlich ist heute dein Geburtstag.“ Suzanne verschränkte die Hände hinter dem Rücken und erwiderte kühl: „Ich war gerade auf dem Weg in mein Zimmer, um zu duschen und mich umzuziehen, wenn du mich also entschuldigst…“ „Du hast bestimmt einen Spaziergang gemacht“, sagte Delia und wandte sich wieder dem Spiegel zu. Nachdem sie eine Haarlocke an ihrer Schläfe gerichtet hatte, besprühte sie sie mit Haarfestiger. „Ich sehe immer gleich, ob du draußen warst. Wenn du zurückkommst, sind deine Wangen so gerötet, wie die der Mädchen, die in den Weingärten Trauben pflücken.“ „Auf diese Weise spare ich eine Menge Geld, das andere Frauen für Rouge
ausgeben müssen“, entgegnete Suzanne mit einem abschätzigen Blick auf Delias zurechtgemachtes Gesicht. „So, nun muß ich mich beeilen, sonst komme ich zu spät.“ „Ich habe ein Geschenk für dich, aber ich werde es dir erst nach dem Essen geben. Übrigens, wir haben einen Gast zum Essen, also sei pünktlich.“ „Ich werde es versuchen“, versprach Suzanne und zog sich schnell zurück. Dann kam ihr ein Gedanke, bei dem sie lachen mußte. Vielleicht hatte Delia einen Gutschein für eine chemische Schälkur für sie – gegen ihre Sommersprossen. Fünfundzwanzig Minuten später war Suzanne bereit, zum Essen nach unten zu gehen. Sie trug ihr Haar offen. Es umschmeichelte ihre bloßen Schultern über dem cremefarbenen Sommerkleid, das sie angezogen hatte. Ob sie ihrer Stiefmutter so gefiel? Vielleicht nicht, aber das war Suzanne gleichgültig. Sie hatte nicht vor, sich von Delia bestimmen zu lassen. Doch Delia hatte andere Vorstellungen, wie Suzanne merkte, sobald sie den Salon betrat. Der Gast entpuppte sich als Vito Gallio. Er erhob sich von dem weißen Sofa, als Suzanne hereinkam, und ging mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. „Herzlichen Glückwunsch, Suzanne“, sagte er und drückte ihr einen leichten Kuß auf die Lippen. In einer etwas zu besitzergreifenden Art legte er den Arm um ihre Taille und führte sie zum Sofa. „Ich habe mich sehr gefreut, daß Sie den Wunsch hatten, mich aus diesem besonderen Anlaß hier zu sehen. Vielen Dank dafür, daß Sie mich durch Delia eingeladen haben.“ Suzanne warf Delia einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie schaute jedoch weg und war damit beschäftigt, die Falten ihres Seidenrocks zu ordnen. Suzanne hatte das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein, aber sie konnte Vitos Irrtum nicht aufklären, ohne seine Gefühle zu verletzen. So lächelte sie ihn an und sagte: „Ich freue mich, daß Sie gekommen sind.“ „Wie hätte ich wohl eine so einmalige Gelegenheit versäumen können?“ erwiderte Vito mit einem jungenhaften, charmanten Lächeln. Er setzte sich neben sie. „Schließlich werden Sie nur ein einziges Mal einundzwanzig, meine Liebe.“ Diese vertrauliche Anrede ärgerte Suzanne so sehr, daß sie ihrer Stiefmutter am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte. Offenbar hatte sie Vito mit einer glatten Lüge hergelockt, und weil er nun glaubte, Suzanne selbst habe den Wunsch gehabt, ihn bei sich zu haben, hielt er sich für berechtigt, sie „meine Liebe“ zu nennen. Er glaubte offenbar, sie sei mehr als nur freundschaftlich an ihm interessiert. Um ihm diese Illusion zu nehmen, war Suzanne in den vergangenen drei Wochen absichtlich nur einmal mit ihm zum Essen gegangen, obwohl er sie viel häufiger eingeladen hatte. Und nun waren alle ihre Anstrengungen, ein lediglich freundschaftliches Verhältnis zu ihm zu unterhalten, durch Delia zerstört worden. Es reizte Suzanne sehr, sich mit ihrer Stiefmutter anzulegen, aber sie zeigte ihren Ärger nicht, sondern lächelte Vito, der ja keine Schuld an dieser Situation hatte, an. Während des Essens tat Suzanne so, als sei nichts gewesen. Doch später, wenn Vito gegangen wäre, würde sie einige offene Worte mit ihrer Stiefmutter reden. Es war fast halb drei Uhr, als Vito bedauernd erklärte, er müsse wieder an die Arbeit. Er verabschiedete sich von Jack und Delia. Suzanne begleitete ihn zur Tür. Dort blieb er stehen und küßte sie. Ihr war das unangenehm, zumal er es offenbar nicht nur auf einen flüchtigen Kuß abgesehen hatte. Vorsichtig schob sie ihn von sich, doch er lächelte nur nachsichtig. „Sie sind wirklich sehr schüchtern, nicht wahr? Wie sehr, das ist mir erst klargeworden, als Delia mich an Ihrer Stelle für heute mittag einlud. Sie sagte, Sie hätten zu große Hemmungen, mich selbst zu fragen.“ Er schüttelte den Kopf
und lachte leise. „Warum sind Sie so zurückhaltend? Sie können sicher sein, daß ich nicht beiße. Ich wünschte, Sie hätten mich gestern abend selbst angerufen, statt mir durch Delia ausrichten zu lassen, daß Sie meine Einladung für heute abend zum Essen angenommen haben.“ Suzanne war so überrascht, daß sie nichts erwidern konnte. Mit großen Augen sah sie Vito an und bestärkte ihn so in seiner Überzeugung, daß sie tatsächlich außerordentlich bescheiden sei. Verzweifelt suchte sie nach einem Weg, ihm klarzumachen, daß ihre Stiefmutter versuchte, sie zusammenzubringen. Sie wollte ihn nicht verletzen. Aber ihr fiel keine diplomatische Antwort ein. Vito verstand ihr Schweigen falsch. Er berührte zärtlich ihre Wange. „Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für Sie“, sagte er leise. „Aber das gebe ich Ihnen erst heute abend, wenn wir allein sind. Ich hole Sie um acht Uhr ab. Ist Ihnen das recht, cara mia?“ Suzanne wußte immer noch nichts zu sagen, aber Vito schien auch nicht auf eine Antwort zu warten. Er drückte ihre Hand und eilte dann nach draußen zu seinem Ferrari. Er hatte das Verdeck abgenommen und sprang mit einem kühnen Satz über die niedrige Tür auf den Fahrersitz. Mit einer eleganten Bewegung drehte er den Zündschlüssel. Der Motor dröhnte kraftvoll auf, und schon brauste der Wagen los, so daß die weißen Kiesel unter den Rädern davonstoben. „Verdammt“, fluchte Suzanne leise. Sie ging zurück ins Haus, um ihre Stiefmutter zu suchen. Sie wußte noch nicht genau, was sie ihr sagen wollte, aber ihr war klar, daß es so nicht weitergehen konnte. Unglücklicherweise war Jack Collins bei seiner Frau, als Suzanne den Salon betrat. Delia besaß die Kühnheit, ihre Stieftochter ganz unschuldig anzulächeln. „Oh, ist Vito schon gegangen?“ fragte sie mit übertriebener Freundlichkeit. „Dann hast du jetzt wohl Zeit, mein Geschenk entgegenzunehmen. Ich kann es kaum noch erwarten, bis du es siehst. Es wird dir bestimmt gefallen.“ Sie sah ihren Mann an und lachte einfältig. „Du hast doch wohl nichts dagegen, wenn ich jetzt mit Suzanne nach oben gehe und ihr mein Geschenk gebe, Darling?“ „Ich wollte ohnehin gerade in mein Arbeitszimmer gehen“, sagte Jack abwesend, als habe er wichtigere Dinge als Geburtstagsgeschenke im Sinn. Nachdem er den Salon verlassen hatte, trat Delia zu Suzanne, die an der Tür wartete. Sie sprachen kein Wort, während sie die Treppe hinauf und den Flur entlanggingen, bis sie Delias Zimmer erreicht hatten. Doch kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, da holte Suzanne tief Luft und sagte ihrer Stiefmutter, was sie von ihren Kuppeleiversuchen hielt. „Oh, du regst dich aber auch über jede Kleinigkeit auf“, wehrte Delia ungerührt ab. „Du bist ein richtiger kleiner Einsiedler, Suzanne, und da mußte ich doch einfach etwas tun, um dich mit anderen Leuten zusammenzubringen.“ „Ich bin mit meinem Leben völlig zufrieden und brauche deine Hilfe nicht. Wie kannst du Vito nur so belügen? Wie kamst du eigentlich auf die Idee, ihm zu sagen, daß ich ihn heute zum Mittagessen sehen will? Und was noch schlimmer ist: Wie konntest du nur behaupten, ich wolle heute abend mit ihm ausgehen?“ „Mein Gott, ich wollte doch nur, daß du einen netten Geburtstag verlebst“, log Delia, ohne sich zu schämen. „Ich dachte, es würde dir Spaß machen, mit jemandem zusammenzusein, der mehr in deinem Alter ist. Und was soll übrigens diese ganze Aufregung? Vito ist ein wohlhabender junger Mann, und er ist außerdem nett. Du wirst kaum jemanden finden, der besser zu dir paßt, glaub mir das.“ „Der zu mir paßt?“ fragte Suzanne scharf. „Was soll denn das heißen? Was hast du mit Vito und mir vor?“ Delia streckte die Hand aus, betrachtete ihre Fingernägel und zuckte lässig mit
den Schultern. „Nun, du kommst allmählich ins heiratsfähige Alter, meine Liebe, oder hast es vielleicht schon erreicht.“ „Das ist mir ganz gleich. Ich habe es überhaupt nicht eilig zu heiraten. Und wenn ich es will, dann werde ich mir meinen zukünftigen Mann selbst suchen. Ich werde es nicht anderen überlassen, ihn für mich auszuwählen.“ „Vielleicht brauchst du doch jemanden, der dir dabei hilft, denn mir scheint, daß deine Interessen in die falsche Richtung gehen. Bei einem so netten jungen Mann wie Vito wirst du es gut haben. Warum willst du dich zur Närrin machen, indem du einem Mann nachläufst, für den du viel zu naiv und kindlich bist?“ Diese recht unverblümte Anspielung auf Jason bedrückte und demütigte Suzanne. Obwohl sie wußte, daß sie ihm nicht nachlief – ja, sie hatte ihn in letzter Zeit geradezu gemieden, weil er sie nervös machte, mußte sie zugeben, daß sie sehr an ihm interessiert war. Doch was ging das Delia an, und wieso tat sie so, als habe sie Ansprüche auf ihn? Wenn sie nicht selbst engere Beziehungen zu ihm hatte, konnte es ihr doch gleichgültig sein, daß Suzanne von ihm beeindruckt war. Suzanne sah ihrer Stiefmutter zu, wie sie durch das Zimmer ging und die Tür ihres riesigen Wandschranks öffnete. Suzanne seufzte. Sie hatte es doch beinahe schon geschafft, nicht mehr darüber nachzudenken, ob ihre Stiefmutter und Jason ein Verhältnis miteinander hatten. Doch das besitzergreifende Verhalten Delias hatte alle Fragen wieder aufgerührt. Dabei störte es Suzanne schon sehr, daß Jason offenbar noch ein Verhältnis zu Angelina hatte. Wenn er nun außerdem noch ein Verhältnis mit der Frau ihres Vaters hatte, wäre das eine schreckliche Vorstellung. Um sich von ihren bedrückenden Gedanken zu befreien, versuchte Suzanne, Interesse an der großen weißen Schachtel zu zeigen, die Delia jetzt aus dem Schrank holte. „Komm, nun steh doch nicht so herum“, kommandierte Delia und legte die Schachtel auf das Bett, „sondern öffne dies.“ Ohne große Begeisterung trat Suzanne näher, aber bevor sie das Bett erreicht hatte, nahm ihre Stiefmutter selbst den Deckel der Schachtel ab. Schwungvoll zog sie ein Kleid heraus und hielt es Suzanne entgegen. Suzanne betrachtete es betroffen. Das Kleid war offensichtlich teuer gewesen, es bestand aus feinster schwarzer Seide, war aber sehr knapp und viel zu aufreizend geschnitten, als daß Suzanne es hätte tragen mögen. Der Rock war ganz eng. Wenn sie das Kleid anzog, würde es ihre Hüften überdeutlich betonen. Vor allem aber störte sie der tiefe VAusschnitt. Suzanne war zwar schlank gebaut, hatte aber den vollen Busen ihrer Mutter geerbt. Dies war wirklich kein Kleid für sie, das mußte Delia auch wissen. Nachdem sie es eine ganze Weile betrachtet hatte, sagte Suzanne schließlich: „Es ist sehr… also, es ist wirklich ein schönes Kleid, aber meinst du nicht auch, daß es zu offenherzig ist? Ich finde, es überläßt nichts mehr der Phantasie.“ „Oh, nun sei doch nicht so prüde, Darling“, sagte Delia mit einer sorglosen Handbewegung. „Denk lieber daran, daß du in diesem Kleid ein gutes Stück erwachsener und erfahrener aussehen wirst.“ Suzanne teilte diese Ansicht nicht. Sie gab sich aber Mühe, ihre Ablehnung nicht zu deutlich zu zeigen. „Ich kann mir noch nicht vorstellen, daß ich es trage. Für ein Mädchen mit Sommersprossen ist ein solches Kleid nichts.“ „Aber Liebes…“ „Nein, ehrlich, ich würde mir in dem Kleid sehr dumm vorkommen. Ich weiß, daß ich sehr jung aussehe. In dem Kleid würde ich wirken wie ein kleines Mädchen, das sich mit einem Kleid ihrer Mutter kostümiert hat.“ An dem Gesichtsausdruck
ihrer Stiefmutter merkte Suzanne, daß diese genauso dachte. Vielleicht hatte sie das Kleid in der Hoffnung gekauft, Suzanne würde es anziehen und darin wie eine Jugendliche wirken, die erwachsen aussehen wollte. „Auf dem Flug nach Rom hast du gesagt, ich sähe zu jung aus und solle mich mehr meinem Alter entsprechend kleiden. Aber meinst du nicht, daß dieses Kleid genau den gegenteiligen Effekt haben würde?“ „Mir scheint, es gefällt dir einfach nicht“, wich Delia einer Antwort aus. Sie stopfte das Kleid achtlos wieder in die Schachtel. „Ich dachte, ich könnte dir eine Freude machen, indem ich dir etwas wirklich Nettes kaufe. Aber offenbar habe ich mich geirrt. Du kannst es morgen nach Como zurückbringen und dir etwas dafür kaufen, was dir besser gefällt.“ Sie lächelte spöttisch. „In dem Laden haben sie möglicherweise auch blaukarierte Kleider mit weißen Schürzen, vielleicht entspricht das mehr deinem Geschmack.“ Suzanne wollte sich nicht kränken lassen und lachte. „Es gibt sicher noch ein Mittelding zwischen einem schwarzen Cocktailkleid aus Seide und einem Kleid mit Schürze. Ich werde schon etwas finden, was mir wirklich gefällt.“ „Das mußt du dann aber ohne meine Hilfe tun“, erwiderte Delia in gehässigem Ton. „Du scheinst ja zu meinen, daß ich einen sehr schlechten Geschmack habe.“ „Das stimmt nicht.“ Suzanne bemühte sich, ruhig und geduldig zu bleiben. „Du bist immer sehr schick gekleidet. Dieses schwarze Seidenkleid würde dir vorzüglich stehen, und ich finde es auch sehr nett, daß du etwas für mich gekauft hast, was dir gefällt. Aber es ist einfach nicht mein Stil, das mußt du doch verstehen.“ Die Schmeichelei, die in diesen Worten lag, besänftigte Delia etwas. „Ich hatte nur gedacht, du solltest nicht so kindlich aussehen, wenn du heute abend mit Vito ausgehst.“ Suzanne richtete sich auf. Sie hatte zwar keine Lust, mit ihrer Stiefmutter über ein Kleid zu streiten, aber nun hatte sie einen Punkt berührt, den sie klarstellen mußte. Ihr Gesichtsausdruck wurde sehr ernst. „Ich werde heute abend noch einmal mit Vito ausgehen, Delia, aber nur, weil ich seine Gefühle nicht verletzen möchte. Ich möchte ihm nicht sagen, daß du ihn belogen hast. Doch versuch nicht, mich noch einmal in dieser Art zu manipulieren.“ „Ich wollte nur dafür sorgen, daß du einen netten Geburtstag verlebst“, schwindelte Delia. „Jason und Angelina kommen heute abend zu uns. Da dachte ich, du hättest bestimmt keine Lust, hierzubleiben und dich mit uns Älteren zu langweilen. Es müßte doch für dich viel schöner sein, mit Vito auszugehen. Er ist gerade im richtigen Alter für dich.“ Suzanne seufzte. „Jason und Angelina sind ja nun wirklich noch nicht alt.“ „Für dich schon“, gab Delia bissig zurück. „Sie würden dich langweilen, und bestimmt würden sie auch dich langweilig finden.“ Der Gedanke, Suzanne könne Jason Caine jemals langweilig finden, war geradezu lachhaft. Doch Suzanne lachte nicht. Sie ging zur Tür, blieb aber noch einmal stehen. „Damit das nun klar ist: ich möchte nicht, daß du noch einmal für mich Verabredungen triffst. Wenn ich Vito sehen möchte, werde ich selbst ihm das sagen. Misch du dich da nicht ein. Ich schätze es gar nicht, mit anderen Männern verkuppelt zu werden.“ Suzanne erhielt nur einen entrüsteten Blick als Antwort. Sie verließ den Raum und ging in ihr eigenes Zimmer. Es war alles sehr unerfreulich. Nur wegen ihres Vaters hatte sie es unterlassen, Delia gehörig die Meinung zu sagen. Sie wollte ihn nicht aufregen. Aber ihr Ärger brauchte jetzt irgendein Ventil. Suzanne zog ihr Kleid aus und schlüpfte schnell in ihre Jeans, an denen sie die Beine abgeschnitten hatte. Dazu zog sie ein bequemes Strickhemd an. Sie
stopfte etwas Geld in die Hosentasche und verließ das Haus, um in das nächste Dorf zu gehen. Zwanzig Minuten später streifte Suzanne durch die engen, gewundenen Straßen zwischen den alten, niedrigen Häusern hindurch, von denen viele einen Laden im Erdgeschoß hatten. Der angenehme Duft von frisch gebackenem Brot kam aus der offenen Tür eines Bäckerladens. Vor einem Souvenirladen stand ein Tisch mit Plastikfiguren verschiedener Heiliger. Suzanne ging eine ganze Weile herum und achtete nicht auf die bewundernden Blicke, die ihr junge und alte Männer zuwarfen. Den Mädchen nachzusehen war in Italien eine weitverbreitete Beschäftigung der Männer; aber da sie nicht zu Respektlosigkeiten führte, hatte Suzanne sich damit abgefunden. Nachdem sie in einem kleinen Cafe ein Zitroneneis gegessen hatte, ging Suzanne zu dem winzigen Hafen am See. Einige Fischerboote lagen am Anleger, außerdem Segelboote, die vermietet wurden. Suzanne betrachtete sie sehnsüchtig. Da ihr Vater noch nicht wieder voll bei Kräften war, hatte sie in diesem Jahr noch keine Segeltour mit ihm unternommen. Sie merkte jetzt, wie sehr sie es vermißte. Ihr Vater hatte ihr gezeigt, wie man mit einer Segeljolle umging. Warum sollte sie nicht versuchen, einmal allein zu segeln? Sie ging zu dem Mann, der auf dem Anleger saß und ein verknotetes Seil auseinanderwirrte. Als sie seine Schulter berührte, sah er auf und lächelte sie fragend an. Sie zeigte auf das kleinste Boot, das einen kurzen Mast hatte und für sie gerade richtig zu sein schien. Dann zog sie die zusammengefalteten LireNoten aus der Tasche. Der Mann verstand, was sie wollte. Sie zahlte ihm den Betrag, den er verlangte. Er half ihr galant in das Boot, wo sie sich gleich am Ruder niederließ. Der Mann löste das Tau, mit dem das Boot festgemacht war, und schon konnte Suzanne auf den Ausgang des Hafens zurudern. Es war jetzt vier Uhr. Wenn sie eine Stunde segelte, hatte sie noch genügend Zeit, bevor es dunkel wurde. Ein leichter Nordwind zerzauste ihr Haar. Suzanne legte die Ruderriemen in das Boot und zog das Segel auf. Der Wind füllte es sofort prall. Das Boot glitt südwärts über das Wasser. Es machte Spaß, den Kurs des Bootes allein durch die Bewegungen der Ruderpinne zu ändern. Suzannes Shorts und das Oberteil waren vom aufspritzenden Wasser bald naß geworden, aber das störte sie nicht. Es war ganz einfach, mit dem Wind zu segeln. Doch nach zwanzig Minuten beschloß Suzanne umzukehren, denn die Rückfahrt gegen den Wind würde länger dauern. Mit dem Wenden kam sie gut zurecht, und so kreuzte sie nun zum Ausgangspunkt ihrer Fahrt zurück. Es waren nur wenige Segelboote unterwegs. Doch als sie eine größere Bucht durchquerte, kam ein Motorboot von Süden herangeschossen. Auf dem Boot waren zwei junge Mädchen im Bikini. Sie zogen einen jungen Mann hinter sich her, der auf einem Wasserski stand und sich offensichtlich darum bemühte, den beiden Mädchen zu imponieren. Er glitt in gewagten Schwüngen hin und her. Um ihn besser beobachten zu können, kniete Suzanne sich auf die Rückbank. In diesem Moment traf eine Windbö das Boot. Die Spiere an der unteren Kante des Segels schwang herum, traf Suzanne an der Schulter und stieß sie ins Wasser. Suzanne tauchte gleich darauf prustend wieder auf. Zum Glück hatte sie eine Schwimmweste angelegt, die den Schlag abgemildert hatte. Außerdem half sie ihr, sich im Wasser zu halten, denn obwohl sie gut schwimmen konnte, hatte das unerwartete Untertauchen ihr doch den Atem genommen. Schnell schwamm sie auf das Boot zu.
Erst jetzt merkte sie, in welch mißliche Lage sie gekommen war. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb das kleine Boot so schnell von ihr fort, daß sie es nicht einholen konnte. Bald gab sie den Versuch auf. Sie schaute sich um. Sofort wurde ihr klar, warum der Wind plötzlich zugenommen hatte. Der Himmel hatte sich mit dichten, dunklen Wolken bezogen. Ein Gewittersturm zog auf, und sie schwamm hier mitten in einem See, weit weg vom Ufer. Suzanne erinnerte sich, daß sie vor der Bucht an einer winzigen Felseninsel vorbeigekommen war. Am besten würde es sein, dorthin zurückzuschwimmen. Da würde sie erst einmal sicher sein. Sie erreichte den Felsen auch bald, und es gelang ihr, hinaufzuklettern. Sie hockte sich hin, legte die Arme um die angezogenen Beine und überlegte, wie sie aus dieser Lage wieder herauskommen konnte. Die Küste war ein ganzes Stück entfernt. Mit der Schwimmweste konnte sie es vielleicht trotzdem wagen, hinüberzuschwimmen. Aber in der Bucht mündeten zwei Gebirgsflüsse in den See, die vielleicht gefährliche Unterströmungen verursachten. Das herauszufinden wollte sie lieber nicht riskieren. Bedrückt betrachtete Suzanne ihre durchnäßten Ledersandalen. Vielleicht würde ein anderes Boot vorbeikommen und sie aufnehmen. Doch die Zeit verging, ohne daß ein Boot in Sicht kam. Der Himmel verdunkelte sich immer mehr zu einem purpurnen Schwarz. Jeder Segler, der seine fünf Sinne beisammen hatte, mußte sich jetzt beeilen, den nächsten Hafen zu erreichen. Erst jetzt begriff Suzanne, daß sie dem drohenden Gewitter auf diesem Felsen ausgesetzt sein würde. In der Ferne leuchtete ein erster Blitz auf, und es donnerte grollend. Es dauerte nicht lange, bis sich die Wolken öffneten und es anfing zu schütten. Das Gewitter tobte direkt über ihr. Ein kalter Wind peitschte ihr den Regen ins Gesicht. Blitze zuckten wild über dem See, betäubend laute Donnerschläge folgten ihnen unmittelbar. Suzanne hielt sich die Ohren zu und verbarg das Gesicht unter den Armen, während sie sich ganz dicht zusammenkauerte. Vor Gewittern hatte sie schon immer Angst gehabt. Deshalb war sie bei Unwettern stets sicher im Haus gewesen – bis jetzt. Es war schrecklich. Sie saß hier auf dem höchsten Punkt weit und breit im Wasser und war damit in großer Gefahr. Jeden Augenblick konnte der Blitz sie treffen. Unerbittlich und machtvoll tobten die Kräfte der Natur um sie herum. Suzanne zitterte vor Angst und Kälte. Aber sie konnte nichts tun, als sich eng an den Felsen zu pressen und zu warten. Eine Ewigkeit verging, bevor Blitz und Donner sich entfernten, aber immer noch goß es in Strömen. Inzwischen wurde es wieder heller. Der Mann im Hafen mußte gemerkt haben, daß sie noch nicht zurückgekehrt war. Suzanne hoffte inständig, daß er bereits nach ihr suchen ließ. Aber es konnten noch Stunden vergehen, bis man sie fand, und inzwischen würde es dunkel sein. Vielleicht mußte sie bis zum nächsten Morgen auf diesem Felsen sitzen. Vorsichtig streckte sie die verkrampften Beine aus. Der Felsen war kalt und hart. Suzanne war hungrig, völlig durchnäßt und fror. Wenn sie wegen ihrer Ungeschicklichkeit nicht so wütend auf sich selbst gewesen wäre, hätte sie weinen mögen. Und nun kam auch noch hinzu, daß sie an ihren Vater denken mußte. Er macht sich sicher Sorgen, womöglich regte er sich auf; und wenn er gar erfuhr, daß sie von einer Segeltour nicht zurückgekehrt war – würde sein Herz das ertragen? Sie war völlig hilflos. Erschöpft lehnte sie den Kopf gegen den Felsen und versuchte nachzudenken. Doch die Zeit verging, ohne daß ihr eine Lösung einfiel. Allmählich fiel sie vor Erschöpfung in einen wohltuenden Halbschlaf. Das Geräusch eines Bootsmotors weckte Suzanne. Sie riß die Augen auf und
setzte sich hin. Der Lichtstrahl eines Scheinwerfers glitt über die schwarze Oberfläche des Wassers. Verzweifelt hoffte Suzanne, daß sie gesehen würde. Sie stand mühsam auf, winkte mit den Armen und rief laut. Als der Scheinwerfer auf den Felsen gerichtet wurde und sie beleuchtete, wäre sie vor Erleichterung fast ohnmächtig geworden. Eine männliche Stimme rief ihr zu, daß sie gesehen worden sei. Wenige Minuten später hörte sie, daß ein kleines Boot herangerudert wurde. Zwei Männer saßen darin, von denen einer ausstieg und auf den Felsen kletterte. Suzanne fiel ein Stein vom Herzen. Dann sah sie, daß es Jason war und sein Gesicht einen grimmigen Ausdruck hatte. „Bist du verletzt?“ fragte er mit rauher Stimme. Als sie den Kopf schüttelte, nahm er sie auf den Arm. Sie sträubte sich, doch er fuhr sie nur an. Gefügig wie ein junges Kätzchen ließ Suzanne es endlich zu, daß Jason sie in das Ruderboot trug. Der andere Mann ruderte sie zu der Motorjacht zurück. Kurz darauf stand sie an Deck. Verlegen lächelte sie dem Besitzer des Bootes und seinem Sohn, der gerudert hatte, zu. Jason stellte sie ihr als Marcello und Nino Marcini vor und betonte, daß sie ohne deren Hilfe vielleicht noch bis zum nächsten Morgen auf dem Felsen hätte sitzen müssen. Suzanne dankte den beiden Männern und ließ sich von Jason nach unten in die schwach beleuchtete Kabine führen. Er musterte sie grimmig vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. „Bist du ganz sicher, daß du nicht verletzt bist?“ Suzanne senkte den Blick und nickte bejahend. Sie versuchte, die Schnüre ihrer Schwimmweste zu lösen, doch ihre Hände zitterten so heftig, daß sie es nicht schaffte. Schließlich kam Jason auf sie zu, schob ihre Hände weg und nahm ihr die Schwimmweste ab. Inzwischen hatte das Boot wieder Fahrt aufgenommen. Suzanne fragte schüchtern: „Hat Dad sich sehr aufgeregt? Oh, hoffentlich nicht.“ „Er weiß noch gar nicht, daß du vermißt wurdest. Ich habe Delia gebeten, ihm nichts zu sagen.“ Suzanne wagte es nicht, Jason anzusehen, und merkte deshalb nicht, daß sein Gesichtsausdruck nun schon weniger finster war. „Wie hast du mich nur so schnell gefunden, Jason?“ „Das war einfach Glück. Lucia sah dich ins Dorf gehen. Als das Gewitter kam, schickte sie Pietro mit dem Wagen los, um dich zu holen. Aber er konnte dich nicht finden. Schließlich geriet er an Fredo, den Bootsvermieter, und fragte ihn, ob er ein Mädchen gesehen habe, auf das deine Beschreibung paßte. Fredo erinnerte sich natürlich sofort und sagte, du seist in Richtung Como gesegelt. Er machte sich schon Sorgen, weil du nicht zurückgekommen warst. Pietro rief Delia an und sie mich. Sie war ziemlich hysterisch. Ich versuchte, sie zu beruhigen, und sagte, du seiest wahrscheinlich längst in Como. Doch inzwischen hatte man das leere Boot gefunden. Marcello lag gerade mit seiner Jacht im Hafen und war sofort bereit, mit mir hinauszufahren und dich zu suchen. Wir wußten ja nicht einmal, ob du schwimmen kannst, und hatten nur die Hoffnung, daß du eine Schwimmweste angelegt hattest.“ „Ich kann schwimmen“, sagte Suzanne kaum hörbar, „und ich segle nie ohne Schwimmweste.“ Jason nickte und stemmte die Hände in die Hüften. „Nun verrat mir doch mal, wie du es geschafft hast, über Bord zu gehen.“ Nachdem Suzanne alles erzählt hatte, schüttelte er den Kopf. „Offenbar bist du beim Segeln nicht besser als beim Motorradfahren.“ Suzanne war verletzt. Diese Bemerkung war nun wirklich nicht nötig gewesen. „Du brauchst gar nicht auf mir herumzuhacken“, protestierte sie schwach. Sie
wußte nicht, wie verletzlich sie jetzt aussah in ihren durchnäßten Sachen, die an ihr klebten, und mit ihrem zerzausten Haar. „Es war ein scheußlicher Tag, und ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie ich mich jetzt fühle.“ Sie sah auf ihre Armbanduhr und stöhnte auf, als sie merkte, daß Wasser unter das Glas gekommen war. Jason verstand ihre Reaktion falsch. „Ja, es ist schon neun Uhr. Du mußt den großen Abend mit Vito wohl oder übel absagen. Aber mach dir nichts daraus, er wird dich bestimmt morgen abend ausführen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist mir ganz gleich, wie spät es ist. Es ist wegen meiner Uhr, sie ist voller Wasser.“ Jason stieß einen Fluch aus, packte sie an den Schultern und schüttelte sie. „Was ist nur mit dir los? Weißt du nicht, welches Glück du gehabt hast, daß du noch am Leben bist? Wie kannst du dich dann über diese dumme Uhr aufregen?“ „Es ist die Uhr meiner Mutter“, erklärte Suzanne mit trauriger Stimme. „Und jetzt habe ich sie ruiniert.“ Als# Jason Suzannes kummervolles Gesicht ansah, lockerte er seinen Griff, und als sie zu zittern begann, ließ er sie ganz los. „Komm her“, befahl er sanft und zog sie in die Arme. „Du bist ja eiskalt. Nach einer Lungenentzündung war dies das letzte, was dir passieren durfte.“ Jasons plötzliche Besorgtheit tat Suzanne gut. Sie ließ sich von ihm auf die Bank ziehen und auf den Schoß nehmen. Er umschloß ihren zitternden Körper mit seinen Armen, und sie kuschelte sich ganz eng an ihn. Sie brauchte jetzt seine Wärme und das Gefühl der Sicherheit, das er ihr vermittelte, wenn er so freundlich zu ihr war. Jason begann, ihre nackten Beine mit seiner Hand zu reiben. Suzanne spürte, wie ihr wärmer wurde. Fast ohne es zu wollen, legte sie ihre gespreizten Finger auf seine Brust und streichelte seine Muskeln, während sie den Kopf an seine Schulter lehnte. „Du bist wirklich ein entzückendes Häufchen Unglück“, sagte Jason leise. Sein Atem ging warm über ihr Haar. Suzanne beugte sich zurück, um Jason anzusehen. Doch kaum hatte sie das Gesicht zu ihm erhoben, als er den Mund auf ihre Lippen senkte und sie zärtlich küßte. Suzanne berührte seinen Nacken mit den Fingerspitzen. Jasons Kuß wurde heftiger und zeugte jetzt von kaum verhüllter Leidenschaft. Er legte die Hand auf ihre Brust und strich mit dem Daumen über die Spitze. Wie ein Feuerstrahl durchzuckte es sie und ließ sie alle Kälte vergessen, unter der sie eben noch gezittert hatte. Doch als sie leise stöhnte, nahm Jason die Hand wieder fort und löste seinen Mund von ihrem. Sie hob ihren Blick und bemerkte, wie er ihr tief und unergründlich in die Augen schaute. Suzanne fühlte plötzlich, daß sie während der vergangenen Wochen die Dummheit begangen hatte, sich in Jason zu verlieben.
7. KAPITEL „Sie haben wirklich ein sehr schickes Büro, Vito“, sagte Suzanne bewundernd. Sie musterte den dicken beigefarbenen Teppich, die teuren Möbel und holzgetäfelten Wände. „Es macht bestimmt Spaß, in einer solchen Umgebung zu arbeiten. Leitender Angestellter zu sein ist offenbar eine gute Sache.“ „Es hat gewisse Vorteile. Viele junge Frauen sind von meiner Position hier beeindruckt“, bestätigte Vito. „Aber Sie sind anders. Sie sind, glaube ich, überhaupt nicht davon beeindruckt, daß ich eine ganze Seidenfabrik leite, nicht wahr?“ „Doch, ich finde, es ist sehr bemerkenswert, daß jemand in jungen Jahren schon so viel erreicht hat“, versicherte Suzanne lächelnd. „Und ich weiß, daß Sie sehr viel zu tun haben. Deshalb weiß ich es auch sehr wohl zu schätzen, daß Sie mich herumführen wollen. Ich kann es gar nicht mehr erwarten zu sehen, wie aus der rohen Seide so schöne Stoffe werden.“ „Wir werden mit der Besichtigung gleich anfangen. Aber zuerst möchte ich über uns reden“, erklärte Vito sehr ernst. Er ging auf Suzanne zu, nahm ihre Hände und preßte sie gegen die Brust. „Ich sehe ein, daß Sie an Ihrem Geburtstag nicht mit mir ausgehen konnten. Aber inzwischen ist über eine Woche vergangen. Warum haben Sie seither alle meine Einladungen zurückgewiesen? Ich beginne zu glauben, daß Sie mich nicht mögen.“ „Doch, ich mag Sie, Vito. Aber ich möchte, daß es bei einer rein freundschaftlichen Beziehung bleibt.“ „Aha, dann muß ich also versuchen, Ihre Meinung zu ändern.“ Er beugte sich vor, und als Suzanne seinem Versuch, sie zu küssen, auswich, lächelte er nachsichtig. Mit der Fingerspitze berührte er das goldene herzförmige Medaillon, das sie um den Hals trug. „Ein Geburtstagsgeschenk?“ Sie nickte, wollte ihm aber nicht verraten, daß es ein Geschenk von Jason war. Er hatte gesagt, sie solle es an der Kette tragen, die sie von ihrem Vater bekommen hatte. „Und da Sie nur freundschaftliche Beziehungen zu pflegen scheinen, vermute ich, daß Sie auch kein Bild in dem Medaillon haben, oder?“ Er schaute sie neckend an und streckte die Hand aus. „Soll ich vielleicht einmal nachsehen?“ „Es ist kein Bild darin“, schwindelte sie und bedeckte die Kette mit der Hand, damit er das Medaillon nicht öffnen und die winzige Fotografie von Jason entdecken konnte. Sie hatte das Bild in der Corner Zeitung gefunden. Jason war mit einer Gruppe anderer Männer aufgenommen worden, deshalb war das Bild klein genug, um in das Medaillon zu passen. Als sie es ausschnitt, war ihr bewußt, daß jemand das Medaillon öffnen könnte, dann wäre ihr Geheimnis entdeckt. Aber ihre Gefühle waren stärker als ihre Vorsicht gewesen. Nun mußte sie sich bemühen, Vitos Aufmerksamkeit abzulenken. Sie umfaßte behutsam seine Finger, zog sie vom Medaillon fort und sagte schnell: „Ich möchte Ihnen übrigens für das Parfüm danken, das Sie mir zum Geburtstag geschenkt haben.“ „Aber Sie haben mir doch schon gedankt, Suzanne. Ich habe Ihren Brief erhalten.“ „Ja, aber ich wollte es Ihnen noch einmal persönlich sagen.“ Sie schaute zur Tür. „Sollten wir jetzt nicht mit der Besichtigung beginnen? Ich möchte Sie nicht zu lange von Ihrer Arbeit abhalten.“ „Um mit Ihnen zusammen zu sein, würde ich meine Arbeit gern für immer im Stich lassen“, erwiderte er in dramatischem Ton und lachte dazu. „Kommen Sie, wir gehen.“
Während der nächsten beiden Stunden bekam Suzanne einen Einblick in die Seidenproduktion. Sie sah, wie die Rohseide gereinigt und auf Spulen gewickelt wurde. Vito zeigte ihr den großen luftigen Raum mit den Webstühlen, dann besichtigten sie die Färberei und die Stoffdruckerei, wo die Seide mit vielen Farben und Mustern erst richtig zum Leben erwachte. „Wir stellen jedes Jahr mehrere Millionen Meter Seide her“, erläuterte Vito stolz, „und alles ist von der besten Qualität.“ „Das ist wirklich eine faszinierende Sache“, meinte Suzanne aufrichtig. „Aber Sie haben mir die Entwurfsabteilung noch nicht gezeigt, ich meine die Abteilung, wo die Entwürfe auf Papier gezeichnet werden. Oder sind Ihre Muster so streng geheim, daß Besucher dort keinen Zutritt haben?“ Vito lachte. „Sie wissen ja, Angelina leitet diese Abteilung. Sie tut zwar gern geheimnisvoll, aber ich glaube, wir können Ihnen glauben, daß Sie keine Industriespionin sind. Schließlich hat ja die Gesellschaft Ihres Vaters die Mehrheit an diesem Unternehmen.“ Mit einem breiten Grinsen legte er einen Arm um Suzannes Schulter. „Also kommen Sie, wir wollen sehen, ob Angelina es zuläßt, daß wir in ihren Herrschaftsbereich eindringen.“ Die Entwurfsabteilung lag im Bürogebäude. Der Korridor im dritten Stock war mit Kork ausgelegt, so saß ihre Schritte kaum zu hören waren. Durch gläserne Schwingtüren betraten sie einen großen Raum, den das Sonnenlicht durchflutete. Er lag nach Süden, und die gesamte Außenwand bestand aus großen Glasscheiben. „Hier sieht es genauso aus wie in einem modernen Büro in den Staaten“, meinte Suzanne. „Alles ist aus Glas.“ „Das hat Jason so gewollt“, erklärte Vito. „Er sagt, Designer sind Künstler, und Künstler brauchen Licht zum Arbeiten.“ Er faßte Suzanne am Ellbogen und führte sie den Gang zwischen zwei Reihen von schräggestellten Zeichentischen hindurch. Schließlich blieb er neben einem jungen Mann stehen, der auf einem hohen Stuhl saß und nachdenklich auf einem Zeichenstift kaute. Kaum hatte er Vito erblickt, begann er, mit ihm auf italienisch zu reden, wobei er mit den Händen heftig gestikulierte. Vito klopfte ihm auf die Schulter und antwortete ruhig, woraufhin der junge Mann mit dem Kopf nickte und sich mit einem Seufzer wieder seinem Zeichentisch zuwandte. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ fragte Suzanne, während sie weitergingen. „Er wirkte ziemlich aufgeregt.“ Vito breitete ergeben die Hände aus. „Santino ist unser bester Designer. Er identifiziert sich sehr mit seiner Arbeit. Wenn es gelegentlich nicht so läuft, wie er möchte, regt er sich auf. Wir beruhigen ihn dann, weil wir wissen, daß alle seine Entwürfe ausgezeichnet und sehr originell sind.“ Alle Zeichner waren Italiener. Während Suzanne und Vito zwischen den Reihen der Zeichentische hindurchgingen, blieben sie hier und dort stehen und unterhielten sich mit den jungen Männern. Hinter den beiden letzten Reihen befand sich ein durch Glaswände abgetrennter Raum, der gegen Sicht von außen durch Jalousien geschützt war. Vito klopfte an die Tür und bedeutete Suzanne, vor ihm einzutreten. Sie tat das nur zögernd. Angelina Sorveno saß hier hinter einem Schreibtisch. Als sie aufsah und Suzanne erkannte, wurde ihr Gesichtsausdruck abweisend. Sie musterte Suzanne kühl und schaute dann Vito ungeduldig an. Mit einem Seufzer faltete sie die Hände auf dem Schreibtisch und sagte Vito irgend etwas auf italienisch, was Suzanne natürlich nicht verstand. Vito antwortete ihr auf englisch. „Du hast doch bestimmt ein paar Minuten Zeit
für uns, Engel. Jack bat mich, Suzanne durch unser Werk zu führen. Sie ist besonders an der Entwurfsabteilung interessiert und würde bestimmt gern mit dir sprechen.“ Bevor Angelina noch etwas erwidern konnte, läutete das Telefon auf ihrem Schreibtisch. Angelina nahm den Hörer ab, lauschte einen Augenblick und legte wieder auf. „Das war der Monteur. Er kommt, um mit dir zu sprechen“, unterrichtete sie Vito. „Es gibt irgendein Problem mit einem der Webstühle. Er sagt, es sei dringend.“ Vito sah Suzanne bedauernd an. „Scusa, cara mia, aber ich muß Sie für einen Moment verlassen. Bleiben Sie doch inzwischen hier bei Angelina. Sie wird Ihnen gern alle Fragen beantworten, die Sie über ihre Abteilung haben. Ich bin gleich wieder hier.“ Damit stürzte er hinaus. Suzanne lächelte Angelina entschuldigend an. „Ich weiß, daß Sie im Moment zu viel zu tun haben, um meine Fragen zu beantworten. Deshalb will ich Sie nicht damit behelligen. Wenn es Ihnen recht ist, setze ich mich hier nur hin und warte auf Vito.“ „Ja, setzen Sie sich“, erwiderte Angelina kurz. Sie zog eine Schublade ihres Schreibtisches auf. „Ich habe hier übrigens etwas, das ich Ihnen zurückgeben möchte. An sich wollte ich es Ihrem Vater durch einen Boten schicken, aber da Sie nun einmal hier sind…“ Mit einer unverschämt wirkenden Handbewegung warf sie ein zusammengefaltetes Blatt Zeichenpapier über den Tisch. „Wir können das nicht verwerten.“ Etwas verwirrt bückte sich Suzanne und hob das Papier vom Fußboden auf, wohin es gefallen war. Als sie es auseinandergefaltet hatte, stellte sie fest, daß es ihr Entwurf war, den sie ihrem Vater gezeigt hatte. Offenbar hatte er ihn entgegen ihrem Wunsch Jason gegeben, der ihn dann an Angelina weitergeleitet hatte. Suzanne faltete das Papier wieder zusammen und wußte nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. „Hat Jason Ihnen das gegeben?“ „Jason? Nein, natürlich nicht. Ihr Vater hat es mir geschickt“, erklärte Angelina mit hochmütigem Gesicht. „Er dachte, der Entwurf sei für eine Schärpe verwendbar, aber ich kann ihn nicht gebrauchen.“ „Dad sagte, er werde Jason die Zeichnung zeigen, deshalb glaubte ich…“ „Jason versucht nicht, sich in meine Arbeit einzumischen“, unterbrach Angelina sie und verzog die Lippen. „Er und ich verstehen uns gut – geschäftlich und auch persönlich. Er würde niemals von mir verlangen, daß ich einen Entwurf verwende, nur weil ein Verwandter von ihm ihn gezeichnet hat.“ Suzanne sah Angelina verblüfft an. „Wollen Sie damit sagen, daß mein Vater verlangt hat, sie sollten den Entwurf verwenden, weil er von mir stammt?“ „Nein, nein, er hat nicht verlangt, daß ich ihn verwende“, gab Angelina etwas unbehaglich zu. „Er hat es nur angeregt.“ Sie zog den Kragen ihrer grauen Bluse glatt und nahm wieder ihren abweisenden Gesichtsausdruck an. „Vielleicht weiß Ihr Vater nicht, daß ich nie die Arbeiten von Amateuren annehme. Ich habe nur die besten Zeichner in meiner Abteilung, und ich verwende nur deren beste Ergebnisse. Jason hat mir da völlig freie Hand gelassen.“ Angelina lächelte plötzlich und fügte hinzu: „Ich will damit nur sagen, daß ich hier in dieser Abteilung allein entscheide. In meinen persönlichen Beziehungen zu Jason ist das natürlich anders. Er ist so unglaublich attraktiv und männlich, daß er von jeder Frau bekommen kann, worum er sie bittet. Ich würde nicht im Traum daran denken, Jason irgend etwas zu verweigern.“ Angelinas vielsagendes Lächeln schmerzte Suzanne. Sie hatte zwar vermutet, daß Jason eine intime Beziehung zu Angelina hatte, aber sie wollte keine
Einzelheiten darüber hören. Sie versuchte, auf die herausfordernde Bemerkung keine Reaktion zu zeigen, und zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln. „Es tut mir wirklich leid, wenn Sie den Eindruck gehabt haben sollten, daß mein Vater Ihnen diesen Entwurf aufdrängen wollte. Bestimmt wollte er nur, daß Sie sich ihn einmal ansehen, aber da er Ihnen ja nun nicht gefällt…“ „Es ist kein sehr gutes Muster“, erklärte Angelina unverblümt. „Ich will zwar nicht sagen, daß es schlecht ist, aber für eine Schärpe ist es einfach nicht geeignet.“ „Nun gut“, erwiderte Suzanne mit tonloser Stimme. „Sie verstehen natürlich mehr davon als ich.“ „Man sagt, ich hätte einen unfehlbaren Geschmack“, prahlte Angelina und betrachtete ihre rotlackierten Fingernägel. „Und ich finde, Ihr Entwurf ergibt keine sehr schöne Schärpe. Ich mag ihn einfach nicht.“ „Was magst du nicht?“ fragte Vito, der gerade wieder in das Büro kam und Angelinas letzte Worte gehört hatte. Nachdem er Suzanne zugelächelt hatte, schaute er Angelina fragend an. „Worüber habt ihr lieblichen Damen euch soeben unterhalten?“ Angelina machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, es war nichts von Bedeutung – nur ein Entwurf, den Signorina Collins gemacht hat. Ihr Vater hat ihn mir zur Prüfung geschickt, aber meiner Meinung nach reicht er nicht aus. Mir gefällt das Muster überhaupt nicht.“ Vito runzelte die Stirn und streckte die Hand aus. „Zeig mal her.“ Angelina zuckte mit den Schultern und wies mit dem Kopf zu Suzanne. „Ich habe ihn ihr zurückgegeben.“ Vito drehte sich zu Suzanne um und hielt die Hand immer noch ausgestreckt. „Zeigen Sie mir Ihre Zeichnung, cara.“ Suzanne gab sie ihm nur zögernd. Er faltete sie auseinander und betrachtete sie eingehend. „Aber das ist doch sehr schön, Angelina. Ich verstehe nicht, was du daran auszusetzen hast. Ich glaube bestimmt, es würde ein sehr hübsches Muster für eine Schärpe ergeben.“ „Das finde ich nicht“, entgegnete Angelina ärgerlich. „Die Farbkombination von Königsblau und Goldgelb ist nicht attraktiv.“ „Das mag deine Meinung sein, aber ich finde, daß die Farben sehr gut zueinander passen. Im übrigen kommt es entscheidend auf das Muster an. Man könnte doch alle möglichen Farben verwenden: Schwarz auf Weiß, Weiß auf Schwarz, Scharlachrot auf Grau – die Möglichkeiten sind unendlich.“ „Das Muster gefällt mir auch nicht“, wehrte sich Angelina. Sie war vor Zorn ganz rot geworden, ihre Augen funkelten wütend. „Diese vielen Wirbel lassen das Ganze wie eine Kinaerschmiererei wirken.“ „Du hast unrecht, es ist ein herrliches Muster.“ „Das sieht nach Amateurarbeit aus.“ „Es verrät Talent“, widersprach Vito, der jetzt selbst ärgerlich wurde. „Ich finde, daß du diesmal völlig unrecht hast, Engel. Und ich möchte, daß das Muster verwendet wird.“ „Ich bin es, die in dieser Abteilung zu entscheiden hat!“ rief Angelina wütend und sprang auf. „Ich ganz allein habe hier zu sagen, und ich werde nicht zulassen, daß du mir vorschreibst, welche Entwürfe ich verwende.“ „Du scheinst zu vergessen, daß ich dein Vorgesetzter bin“, sagte Vito in scharfem Ton. „Ich bin hier der Manager, du bist nur eine Abteilungsleiterin. Und wenn ich dir etwas sage…“ „Vito, bitte, das alles ist doch völlig unnötig“, warf Suzanne hastig ein, der es sehr unangenehm war, Anlaß für diesen Streit zu sein. „Ich möchte nicht, daß mein Entwurf zu solchen Schwierigkeiten führt. Ich hatte ihn eigentlich doch nur
für ganz private Zwecke gefertigt. Ihn hierher zu schicken, war ausschließlich die Idee meines Vaters. Wirklich, wenn Angelina ihn nicht verwenden kann, dann soll es dabei bleiben. Für mich ist das völlig unwichtig.“ „Aber nicht für mich.“ Vito sah Angelina wütend an. „Phantasievolle Muster finden sich nicht so leicht, und ich sehe nicht ein, warum dieses hier abgelehnt werden soll, nur weil es dir nicht gefällt. Du beurteilst es nicht objektiv.“ Angelina lachte höhnisch. „Ich beurteile es nicht objektiv? Das ist doch lächerlich. Du bist derjenige, der nicht objektiv ist.“ Sie warf Suzanne einen gehässigen Blick zu. „Es geht dir doch gar nicht um diesen amateuerhaften Entwurf, sondern um das Mädchen. Ich denke nicht daran, mich und meine Abteilung ausnutzen zu lassen, nur weil du ihr einen Gefallen tun willst.“ Vito widersprach heftig, und die beiden setzten die Unterhaltung in lautem Ton auf italienisch fort. Suzanne berührte Vitos Arm, aber er hörte jetzt nicht mehr auf sie. Seine und Angelinas Stimme wurden immer lauter und heftiger. Zum Glück öffnete Jason in diesem Moment die Tür und kam ins Büro. Zuerst bemerkte ihn nur Suzanne, die instinktiv näher an ihn herantrat. Er verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete die beiden Streithähne einige Sekunden. Dann sagte er: „Mir scheint, ihr habt eine kleine Meinungsverschiedenheit?“ Obwohl er seine Stimme nicht im mindesten erhoben hatte, endete der Streit augenblicklich. Vito und Angelina fuhren zu Jason herum, wobei Vito etwas verlegen zu sein schien, weil er sich offensichtlich ertappt fühlte, während Angelina ihr gesamtes Verhalten änderte. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, bekam einen vorwurfsvollen Blick und erlaubte ihren Lippen, leicht zu zittern. „Es ist nichts, Jason“, sagte sie in der Rolle der tapferen kleinen Frau. Ihre Stimme klang plötzlich wieder sanft. „Vito hat mich nur daran erinnert, daß er mein Vorgesetzter ist. Ich hatte gedacht, ich hätte in dieser Abteilung alle Vollmachten, aber…“ Als Vito Angelina unterbrechen wollte, brachte Jason beide zum Schweigen, indem er die Hand hob. „Würde mir mal jemand verraten, worum es eigentlich geht?“ Vito gab sich Mühe, die Situation zu erklären, und reichte Jason den umstrittenen Entwurf. Suzanne wurde rot. Sie hatte nicht gewünscht, daß Jason ihn sah. Angelinas Kritik hatte sie zwar nicht sonderlich berührt, aber wenn Jason nun auch nichts von ihrer Zeichnung hielt, würde sie damit wohl nicht so leicht fertig werden. Während er sie betrachtete, hielt Suzanne den Atem an. Ohne sich um Vito oder Angelina zu kümmern, drehte sich Jason schließlich zu Suzanne um. Verlegen versuchte sie, in seinem Gesicht irgendeine Andeutung zu finden, was er dachte. Aber sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Sehr anziehend“, sagte er schließlich. „Mit gefällt das.“ „Wirklich?“ fragte Suzanne, und ein völlig unvernünftiges Glücksgefühl durchströmte sie. „Bist du sicher?“ „Ich bin sicher“, bestätigte er gelassen. Nachsichtig und etwas belustigt sah er Suzanne ins Gesicht. Für einen kurzen Augenblick war es so, als seien sie und Jason allein im Büro, bis Vito sie störte. „Siehst du, Engel“, triumphierte er. „Jason gefällt der Entwurf auch. Jetzt mußt du uns zustimmen.“ „Ich habe niemandem zuzustimmen“, protestierte Angelina heftig. Ärger übermannte sie von neuem; denn auch bei Jason hatte sie nun keine Unterstützung gefunden. „Dies ist meine Abteilung, und hier entscheide ich.“ „Genug“, sagte Jason, bevor Vito noch etwas erwidern konnte. „Vielleicht sollte ich meine Meinung deutlicher sagen. Mir gefällt das Muster, aber ich habe nicht
vor, mich in euren Streit einzumischen. Jack und ich hatten niemals vor, uns mit einfachen Routineangelegenheiten zu beschäftigen. Du bist der Manager, Vito, aber Angelina leitet diese Abteilung. Du kannst sie natürlich anweisen, Suzannes Entwurf zu verwenden, aber ich schlage vor, ihr löst das Problem auf freundschaftliche Weise.“ „Ich lehne es ab, diesen laienhaften Entwurf zu verwenden, Jason“, giftete Angelina. Sie war offensichtlich enttäuscht, daß er sie nicht uneingeschränkt unterstützt hatte. „Ich finde ihn schlecht, und ich werde ihn nicht verwenden. Das ist mein letztes Wort.“ „Du benimmst dich wie eine Xanthippe“, erwiderte Vito. „Der Entwurf ist nicht schlecht, das weißt du ganz genau.“ Der Streit begann von vorn und wieder auf italienisch. Jason schüttelte den nur den Kopf. Ohne Vorwarnung ergriff er Suzannes Hand und zog sie mit sich aus dem Büro. „Das kann noch einige Zeit so weitergehen, und ich glaube nicht, daß es dich reizt, es mit anzuhören. Oder?“ Suzanne verneinte und folgte ihm zu den Fahrstühlen. „Wir fahren nach oben in mein Büro“, sagte er, als eine Fahrstuhltür sich öffnete und sie eintraten. „Ich habe deine Armbanduhr. Der Uhrmacher hat sie repariert und mir heute zurückgegeben.“ Suzanne lächelte ihn an. „Darüber freue ich mich sehr. Ich habe die Uhr richtig vermißt. Vielen Dank dafür, daß du dich darum gekümmert hast.“ Jason lächelte zurück und verließ dann mit Suzanne den Fahrstuhl, als sie den vierten Stock erreicht hatten. Sie durchquerten den Empfangsraum. Vor einigen Jahren, bevor die Seidenfabrik nebenan errichtet worden war, war das Bürogebäude ein kleines exklusives Hotel gewesen. Der vierte Stock war im früheren Stil wiederhergestellt worden. Der Marmorfußboden der Korridore schimmerte hell, an den Wänden waren überall noch verblaßte Fresken zu sehen. Sowohl das Büro seiner Sekretärin als auch sein eigenes hatte Jason nicht mit Teppichen auslegen lassen, hier standen auch keine modernen Möbel. Jasons Arbeitszimmer war ein großer rechteckiger Raum, dessen Decke von zwei Reihen schlanker Marmorsäulen getragen wurde. Zwei kleine Sofas und einige Sessel bildeten eine Sitzecke. Im gegenüberliegenden Teil des Raumes stand Jasons großer Schreibtisch aus Teakholz, dahinter waren riesige Balkontüren. Jason ließ Suzannes Arm los und ging hinter seinen Schreibtisch. Suzanne blieb bei den Säulen stehen und beobachtete ihn verstohlen. Er trug keine Jacke und hatte die Weste seines grauen Nadelstreifenanzugs aufgeknöpft. Sein Schlips war am Kragen gelockert, die Ärmel seines weißen Oberhemdes hatte er halb aufgerollt, so daß seine Unterarme entblößt waren. Suzanne mußte ihr unglaublich starkes Verlangen unterdrücken, Jason zu berühren. Sie sah zu, wie er mit seinen gebräunten Händen eine Schublade öffnete und eine schwarze Samtschachtel herausholte. Als er mit der Schachtel auf sie zukam, versuchte Suzanne, nicht auf das wilde Klopfen ihres Herzens zu achten. Sie wollte ruhig und gelassen wirken. Doch alles war vergeblich, als Jason vor ihr stand und sie mit ruhigem unwiderstehlichem Lächeln musterte. Ihre Hoffnung, kühl zu wirken, schwand. Sie spürte den Duft seines Rasierwassers und verlangte danach, Jason zu umarmen. Zögernd sah sie zu ihm auf und begegnete seinem Blick. Ihre grünen Augen bekamen einen weichen Glanz, und irgend etwas in ihnen schien zu verraten, was sie empfand, denn Jason streckte die Hand aus, als wolle er sie berühren. „Suzanne“, sagte er mit heiserer Stimme. Dann schüttelte er seufzend den Kopf, und statt ihr Gesicht zu berühren, ergriff er das Medaillon an ihrem Hals.
Für einen Augenblick hatte sie schreckliche Angst, daß er es öffnen und sein Bild finden könne. Doch er hielt es nur in den Händen, wobei er sie am Hals berührte. Diese Berührung war mehr, als Suzanne ertragen konnte. Sie vergaß alles, was sie über Jason und seine Beziehungen zu Frauen gehört oder erfahren hatte. Es blieb nur ein unüberwindliches Verlangen, dem sie nachgab. Sie hob die Hand, umfaßte zitternd Jasons Gesicht und zog die Linien seiner Wangen bis zu seinem Mund mit den Fingerspitzen nach. Jason blickte Suzanne leidenschaftlich an. Er flüsterte leise ihren Namen, steckte die Schachtel in die Tasche und zog Suzanne an sich. Eine Hand legte er um ihre Taille, mit der anderen griff er in ihr dichtes Haar und bog ihren Kopf zurück, während er ihren Mund suchte. Warm und weich preßte sie sich an ihn, tastete über die angespannten Muskeln seines Rückens und öffnete sehnsüchtig die Lippen. Sie spürte, wie erregt er war, und ihr Atem ging schneller. Mit einem gequälten Stöhnen löste Jason sich von ihr. „Dummes Kind, was erwartest du eigentlich?“ Sanft zog er ihre Hände von seinen Schultern und schob sie etwas von sich. Mit glänzenden Augen durchforschte er ihr heißes Gesicht. „Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich kein Junge bin, mit dem du spielen kannst. Geh nicht zu weit, Suzanne, ich begehre dich viel zu sehr.“ „Warum nicht?“ fragte sie heftig atmend. „Du weißt nicht, was du da sagst.“ Er ließ Suzanne plötzlich los, griff in die Tasche und holte die schwarze Schachtel heraus. „Nimm deine Uhr und geh damit zurück zu Vito.“ „Ich will nicht zu Vito zurück“, sagte Suzanne leise. Sie öffnete die Schachtel, nahm die goldene Armbanduhr heraus und gab sie Jason. „Bitte leg sie mir um.“ Sein Gesicht wurde streng, während er die Uhr um Suzannes Handgelenk befestigte. Doch sie bot die freie Hand und berührte sein Haar. „Du bist verrückt, weißt du das?“ flüsterte er, zog ihre Hand an seine Lippen und küßte sie auf die Handfläche. „Suzanne, ich…“ Er wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Als Vito Sekunden später eintrat, runzelte er die Stirn. Jason hielt immer noch Suzannes Hand. „Ich habe nach euch gesucht“, sagte Vito leicht verärgert. „Suzanne kam zu mir, um ihre Armbanduhr abzuholen. Ich habe sie reparieren lassen“, erklärte Jason kühl. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, setzt sich auf die Kante seines Schreibtisches und streckte die Beine von sich. „Wie ist es, habt ihr euren Streit beigelegt?“ „Ja“, erwiderte Vito kurz. „Suzannes Entwurf wird verwendet, ich habe darauf bestanden.“ Als Suzanne protestieren wollte, gab er ihr keine Gelegenheit dazu. „Sie haben versprochen, mit mir zu essen, erinnern Sie sich? Können wir jetzt gehen?“ Suzannes Blick war immer noch etwas verlegen. Sie sah Jason an, aber er zeigte keinerlei Reaktion. Schließlich wandte sie sich zu Vito und nickte. Sie mußte ihr Versprechen jetzt einhalten. „Ich bin bereit.“ „Gut, dann gehen wir.“ Vito verlor keine Zeit, er öffnete ihr sofort die Tür. Bevor sie noch einen Blick auf Jason werfen konnte, schob Vito sie durch das Vorzimmer. Während sie draußen auf den Fahrstuhl warteten, drehte Vito Suzanne zu sich. „Ich habe schon immer gemerkt, daß Jason sich sehr fürsorglich Ihnen gegenüber verhält“, sagte er grimmig. „Allmählich frage ich mich, ob es dafür einen besonderen Grund gibt.“ Suzanne sah ihm direkt in die Augen. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ „Doch, Sie verstehen sehr gut, was ich meine.“ Vito schüttelte den Kopf. „Vielleicht brauchen Sie diese Warnung nicht, aber ich will sie Ihnen trotzdem geben. Er ist nichts für Sie, Suzanne. Er hat genug Frauen wie Angelina. Sie
könnten durch ihn sehr tief verletzt werden. Denken Sie daran.“ Wie sollte ich das wohl jemals vergessen, dachte Suzanne düster. Als sie einen Augenblick später mit Vito den Fahrstuhl betrat, wurde ihr klar: Liebe starb nicht einfach, weil der gesunde Menschenverstand und ein instinktiver Selbstschutz es verlangten. Ihre Gefühle für Jason waren schon zu stark geworden, als daß sie sie leicht und schmerzlos hätte ersticken können.
8. KAPITEL Suzanne war ungewöhnlich ruhelos. Seit einiger Zeit kreisten all ihre Gedanken um Jason. Sie konnte sich nicht darauf konzentrieren, zu lesen oder sonst etwas zu machen. Selbst ihre langen Spaziergänge konnten sie von ihren Gedanken nicht ablenken. Der gesunde Menschenverstand riet ihr, Jason nicht mehr zu sehen, weil sonst die Gefahr bestand, daß es zu einer intimen Beziehung kam, die für ihn nichts als eine flüchtige Affäre sein würde. Doch manchmal sehnte sie sich so sehr nach ihm, daß es kaum noch erträglich war. Ein Abenteuer mit ihm zu haben, dachte sie, wird besser sein als gar nichts zu erleben. Die Vorstellung, nach Vermont zurückzukehren, und nur die Erinnerung an einige flüchtige Küsse mitzunehmen, war niederdrückend. Andererseits würde sie sich auch nicht mit einer Affäre für einen Sommer begnügen wollen. Sie wünschte sich, Jason würde ihre Liebe erwidern. Alles andere würde für sie nur Leid bedeuten. Von ihren widerstreitenden Wünschen und Gefühlen gequält, suchte Suzanne verzweifelt nach Ablenkung. Am Donnerstag, drei Tage nach dem Streit zwischen Vito und Angelina, fuhr sie nach Como und kaufte bunten Stoff, aus dem sie Vorhänge für ihre Wohnung in Vermont nähen wollte. Die Idee, Batikvorhänge selbst anzufertigen, hatte sie inzwischen aufgegeben. Mit Lucias Nähmaschine hatte sie die Arbeit bis zum Abend geschafft. Und nun war sie wieder mit ihren Gedanken allein. Versonnen schaute sie auf die Vorhänge. War es nicht vielleicht doch besser, sie fuhr wieder nach Vermont zurück und nahm die Gardinen gleich mit, statt sie mit der Post an Lynn zu schicken? Sollte sie nicht lieber Italien verlassen, bevor es zu spät war und sie Jason noch mehr verfiel? Aber sie wußte nicht, ob sie dazu die Kraft besaß. Einige Minuten ging sie in ihrem Zimmer auf und ab und überlegte, bis sie endlich zu einem Entschluß kam. Zunächst wollte sie noch einmal mit ihrem Vater sprechen. Sie ging nach unten und fand ihn zum Glück allein. Er stand im Salon und mixte Getränke für das Abendessen. Einen Augenblick lang beobachtete Suzanne ihn von der Tür aus. Er sah viel gesünder aus als bei ihrer Ankunft, und der Arzt hatte ihm auch schon erlaubt, täglich einige Stunden in der Firma zu sein. An diesem Abend sah er in seiner marineblauen Jacke und dem weißen Rollkragenpullover richtig gut aus. Doch dann fiel Suzanne etwas auf, was sie traurig stimmte. Früher, als ihre Mutter noch lebte, hatte das Gesicht ihres Vaters immer ein zufriedenes Glück ausgestrahlt. Davon war jetzt nichts mehr zu spüren. Er war zwar immer noch ein Mann von grenzenloser Energie, aber seine frühere Lebensfreude hatte er verloren. Suzanne wußte, daß sie sie ihm nicht zurückgeben konnte. Er war ja auch mit Delia soweit ganz zufrieden und brauchte seine Tochter nicht unbedingt. Trotzdem würde es nicht leicht sein, ihm ihre Entscheidung, daß sie in die Staaten zurück wollte, mitzuteilen. Nicht ganz ohne Furcht näherte sie sich ihm. „Dad, ich möchte gern mit dir sprechen“, begann sie und wünschte, nicht so nervös zu sein. „Ist dir das jetzt recht?“ Jack wandte sich ihr zu und nickte. „Natürlich, nur zu, worüber willst du mit mir sprechen?“ Seine Worte ermutigten Suzanne etwas. Sie lehnte das Glas Wein ab, das er ihr anbot. Er nahm sein Glas, und beide setzten sich zusammen auf das Sofa. Nachdem Jack einen Schluck getrunken hatte, sah er seine Tochter erwartungsvoll an.
„Dad, ich denke daran, wieder nach Hause zu fahren“, sagte sie ohne lange Vorrede. „Ich bin nun schon über sechs Wochen hier, und da es dir ja wieder besser geht, denke ich, daß ich abreisen sollte.“ Sie setzte ein etwas schelmisches Lächeln auf. „Ich möchte eure Gastfreundschaft nicht überbeanspruchen, weißt du.“ „Was für ein Unsinn“, erwiderte er gereizt. Er war offensichtlich nicht in der Stimmung, sich spöttische Bemerkungen anzuhören. „Du weißt, daß du uns jederzeit willkommen bist und daß du bei uns bleiben kannst, so lange du willst. Im übrigen dachte ich, dein Zuhause ist hier bei mir. Aber da scheine ich mich geirrt zu haben. Du nennst deine winzige Wohnung dein Zuhause.“ „Das habe ich doch nur gesagt, weil ich dort nun schon über zwei Jahre wohne. Lynn und ich sprechen von unserer Wohnung immer als von unserem Zuhause.“ „Dein Zuhause ist da, wo deine Familie lebt“, erinnerte ihr Vater sie. „Lynn hat ihr Heim bei ihrer Familie, und du hast es hier bei mir. Ich sehe keinen Grund dafür, daß du uns schon verlassen solltest. Der August hat gerade erst angefangen. Die Universität beginnt erst in drei oder vier Wochen. Warum bist du also so versessen darauf, wieder abzureisen?“ Diese Frage konnte Suzanne nicht beantworten, denn sie war keineswegs darauf versessen abzureisen. Sie wollte weder ihn noch Jason verlassen. Sie hielt es nur für besser, es zu tun. Jack merkte, daß Suzannes Entschluß noch nicht feststand. Er nahm ihre Hand und tätschelte sie zärtlich. „Du bleibst für den Rest des Sommers“, erklärte er und lächelte sie hoffnungsvoll an. „Tust du das? Delia und ich werden uns nun wieder mehr am gesellschaftlichen Leben beteiligen, nachdem mein Arzt die Zügel lockerer gelassen hat. Du wirst dich dann sicher nicht mehr so langweilen.“ „Oh, ich langweile mich überhaupt nicht, ganz bestimmt nicht“, stellte Suzanne richtig. Wie hätte sie sich wohl auch langweilen können, wo sie wußte, daß Jason so nah war und jeden Moment ins Haus kommen konnte. „Ich habe mich hier noch nie gelangweilt. Du darfst also nicht denken, daß ihr etwas tun müßt, um mich zu unterhalten. Das ist wirklich nicht notwendig.“ Jack verzog das Gesicht. „Also, Suzanne, um die Wahrheit zu sagen, Delia hat unseren Terminkalender schon wieder ganz schön angefüllt. Leider haben nur wenige unserer Bekannten Kinder in deinem Alter.“ Er ließ Suzannes Hand los und trank einen Schluck Wein. „Es ist wirklich schade, daß du dich für Vito nicht mehr interessierst. Wenn ihr euch besser verstehen würdet, könntest du ihn vielleicht heiraten, und du bleibst für immer hier.“ Suzanne sah ihren Vater von der Seite an und legte den Kopf etwas nach hinten. „Das klingt so, als würdest du es gerne sehen, wenn ich hier bliebe.“ „Überrascht dich das? Was du da sagst, klingt so, als dächtest du, ich machte mir nichts aus dir.“ Es entsprach Suzannes Temperament und ihrer aufrichtigen Natur, ihrem Vater die Wahrheit zu sagen. „Wir stehen uns nicht mehr so nah wie früher, Dad. Es hat sich einiges geändert, seit Mutter…“ „Wenn Kinder erwachsen werden, ist es ganz natürlich, daß sie sich von ihren Eltern lösen“, unterbrach er sie. „So ist das nun einmal.“ Wieder versuchte er, sich vor ihr zu verschließen, aber diesmal wollte Suzanne es nicht zulassen. „Vielleicht liegt es auch daran, daß du meine Nähe nicht mehr so gut erträgst. Kommt das daher, daß ich Mutter so ähnlich bin? Macht mein Anblick es dir schwerer, ihren Verlust zu ertragen?“ Jack wurde etwas blasser, seine Augen verdunkelten sich vor Schmerz, aber er schüttelte den Kopf. „Deine Ähnlichkeit mit Katherine hat mit uns nichts zu tun. Wir können uns
einfach nicht mehr so nah sein wie damals, als du noch zwölf warst. Du bist eben erwachsen geworden.“ Aber bedeutet das, daß wir Fremde füreinander werden, wollte Suzanne fragen. Doch dann entschloß sie sich anders. Er mochte verneinen, daß die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter ihn störte, aber sie hatte die Wahrheit in seinem Gesicht gelesen. Suzanne ließ die Schultern hängen. Ihr Problem war offensichtlich unlösbar. Ein Gefühl des Mitleids mit ihrem Vater erfüllte sie, aber auch das Gefühl, von ihm zurückgestoßen zu werden. Was sollte sie ihm nun noch sagen? Auch er schien nicht geneigt, das Gespräch fortzusetzen. Suzanne stand schließlich auf. „Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen und vor dem Essen noch ein paar Zeilen lesen.“ „Aber du bleibst doch bei uns, Suzanne, nicht wahr?“, fragte ihr Vater und erhob sich ebenfalls. „Sag, bleibst du?“ Sein drängender Ton erweckte in Suzanne neues Verständnis. Er wollte also, daß sie bei ihm blieb, aber die Nähe durfte nicht zu groß sein. Er liebte sie immer noch, aber er konnte es nicht mehr übers Herz bringen, ihr das zu zeigen. Doch nun, da sie wußte, daß diese Liebe noch bestand, konnte sie es besser ertragen, daß er sie vor ihr verbarg. Wenn es ihn wirklich freute, daß sie noch einige Wochen blieb, dann wollte sie das auch tun. So nickte sie. „Ich bleibe.“ Für einen Augenblick war auf Jacks Gesicht Erleichterung zu erkennen. „Gut, das ist sehr gut. So, nachdem das nun geklärt ist, möchte ich dir einen Vorschlag machen. Du hast vor einiger Zeit einmal davon gesprochen, ob wir nicht Lynn zu uns einladen sollten. Ich denke, das können wir tun. Ich werde auch ihren Flug bezahlen.“ Lynn und ihre sorglose Art, das Leben zu betrachten, waren genau das, was Suzanne jetzt brauchte. Freudig umarmte sie ihren Vater: „Vielen Dank, Dad. Das ist ja großartig.“ Er küßte sie auf die Wange, lachte und überraschte sie mit der Bemerkung: „Du bist ein liebes Kind.“ Sie lächelte. „Ich dachte, ich sei nun erwachsen, wie kannst du dann sagen, ich sei ein Kind.“ „Weil du manchmal, wenn du dich freust, noch genauso aussiehst wie mit zwölf“, erklärte Jack. Dann ging er zur Bar, um sein Glas nachzufüllen. Bevor Suzanne eine Antwort darauf einfiel, kam Lucia an die Tür. „Hier ist ein Telefonanruf für Sie, Signorina“, verkündete sie. „Es ist Signor Gallio.“ „Aha, dann hat Vito also doch noch nicht aufgegeben, wie?“ rief Jack, als Suzanne sich bei ihm entschuldigte und hinausgehen wollte. „Warum hast du kein Mitleid mit dem armen jungen Mann? Geh doch mit ihm aus.“ „Du scheinst anzunehmen, daß er mich einladen will“, rief Suzanne über die Schulter zurück und verließ den Salon. Das Telefongespräch war in den kleinen Salon gelegt worden. Einen Augenblick blieb Suzanne stehen und atmete tief durch, dann nahm sie den Hörer auf. Sie hatte eigentlich nicht damit gerechnet, daß Vito besonders freundlich sein würde. Es überraschte sie, daß er überhaupt anrief. Nachdem er während ihres Besuchs in der Seidenfabrik ihre Gefühle für Jason völlig richtig erraten hatte, war er bei dem gemeinsamen Mittagessen danach nicht sehr gesprächig gewesen. Was wollte er jetzt wohl? Zögernd begrüßte sie ihn, doch als er freundlich antwortete, atmete sie erleichtert auf. Nachdem sie ein paar höfliche Bemerkungen ausgetauscht hatten, wurde Vitos
Stimme ernster. „Ich muß Sie um Verzeihung bitten“, sagte er. „Ich habe über die Warnung nachgedacht, die ich Ihnen neulich gab. Vielleicht habe ich die Situation doch nicht ganz richtig erfaßt. Ich sagte Ihnen, daß Jason Sie sehr tief verletzen könnte. Dabei übersah ich ganz, daß Sie mir ja nie gesagt haben, daß Sie mehr als nur Freundschaft für ihn empfinden. Könnte es sein, daß ich mir alles andere nur eingebildet habe?“ Ihre angeborene Ehrlichkeit hinderte Suzanne wieder einmal daran, eine Lüge auszusprechen. „Es ist keine Einbildung“, bestätigte sie. „Ich… ich mag Jason sehr, aber ich habe nicht den Eindruck, daß er meine Gefühle erwidert.“ Für einige Sekunden herrschte Stille, dann sagte Vito in sehr nettem Ton: „Ich könnte mir vorstellen, daß Sie vielleicht einen Freund brauchen. Darf ich mich um diese Position bewerben?“ Suzanne lachte leise und erleichtert. „Ich habe Sie immer als meinen Freund betrachtet, und Sie haben recht, ich brauche einen Freund. Geht das nicht jedem so, der unter einer nicht erwiderten Liebe leidet?“ „Ist es wirklich so schlimm? Und sind Sie sicher, daß Ihre Liebe nicht erwidert wird?“ „Völlig sicher. Männer verlieben sich selten in junge, naive Mädchen, wenn sie von erfahrenen Frauen wie Angelina verfolgt werden. Das haben Sie mir selbst gesagt.“ „Ich hatte ein eigennütziges Motiv“, gab Vito zu. „Ich wollte nicht, daß Sie sich für Jason interessieren.“ „Ganz gleich, welches Ihre Motive waren, was Sie sagten, ist wahr. Jason könnte an einem Unschuldsengel wie mir nie interessiert sein.“ Suzanne versuchte, das alles unbeschwert klingen zu lassen, aber so ganz gelang es ihr nicht. „Mit Frauen wie Angelina kann ich nicht konkurrieren.“ „Aber ich sagte Ihnen doch schon, daß Jason sich Ihnen gegenüber immer sehr fürsorglich benimmt – zu fürsorglich für einen Mann, von dem Sie sagen, daß er sich nichts aus Ihnen macht.“ „Es mag ja sein, daß er sich für mich verantwortlich fühlt, weil er Dads Partner ist und Dad krank war. Jason macht dauernd Bemerkungen darüber, daß ich noch so jung sei. Vielleicht glaubt er, jemand müsse auf mich aufpassen.“ Bedrückt ließ sich Suzanne auf dem Stuhl neben dem Telefon nieder. „Aber können wir nicht über etwas anderes sprechen? Diese Diskussion ist so fruchtlos.“ „Gut, wie Sie wünschen. Ich habe übrigens eine gute Nachricht für Sie. Ihr Entwurf wird gerade für den Druck bearbeitet und in ein paar Wochen einige unserer schönsten Seidenschärpen zieren. Freut Sie das?“ „Das ist ja phantastisch, aber es tut mir immer noch leid, daß ich der Anlaß zu einem Streit zwischen Ihnen und Angelina wurde. Vielleicht hätten Sie nicht darauf bestehen sollen, daß mein Muster verwendet wird. Sie ist sicherlich sehr böse mit Ihnen.“ „Ach was, Angelina muß gelegentlich daran erinnert werden, daß sie nicht der Manager der ganzen Firma ist. Sie hat immer noch genügend Entscheidungsfreiheit. Das ist nicht in allen Firmen so.“ „Mit anderen Worten, Sie sind der angenehmste Vorgesetzte, den sie jemals finden könnte, wie? Aber ehrlich, Dad hat mir gesagt, daß die Angestellten bei Ihnen gut behandelt werden.“ „Ja, Jason besteht darauf, daß wir sie zufriedenstellen und glücklich machen. Er sagt, auf diese Weise hat man immer die besten Arbeiter“, erklärte Vito. Dann schwieg er einige Sekunden. „Es tut mir leid, Suzanne, aber ich hatte nicht vor, schon wieder von Jason zu sprechen.“ Sie mußte lachen. „Mein Gott, so liebeskrank bin ich auch nicht, daß ich nicht
einmal seinen Namen hören könnte. Doch nun genug davon. Ich will Ihnen etwas anderes sagen. Ich habe vor, meine Freundin Lynn einzuladen, und wenn sie kommen kann, sollten Sie sie kennenlernen. Sie ist sehr hübsch.“ Vitos Interesse war sofort geweckt. Für den Rest ihres Gesprächs beantwortete Suzanne Fragen über Lynn. Sie tat das gern. Sie mochte Vito und war erleichtert, daß seine verliebten Gefühle ihr gegenüber offenbar doch nicht so ernst gewesen waren. Als sie sich schließlich voneinander verabschiedeten, fühlte Suzanne sich nicht mehr so einsam wie vorher. Vor dem Abendessen war noch Zeit, um Lynn einen Brief zu schreiben. Suzanne wollte in ihr Zimmer gehen, doch als sie den kleinen Salon verließ, sah sie Jason, der gerade aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters kam. Sein so unerwarteter Anblick genügte schon, daß ihr die Knie zitterten. Während er auf sie zukam, erinnerte sich Suzanne lebhaft an ihre letzte Begegnung. Ob er das auch tat? Hoffentlich nicht. Sie hatte sich ziemlich leichtfertig benommen. Bei dem Gedanken daran mußte sie sich große Mühe geben, Jason anzulächeln. Doch er erwiderte ihr Lächeln nicht. Er blieb vor ihr stehen und sah sie eindringlich an. „Du siehst irgendwie erregt aus“, sagte er. „Und Jack auch. Was ist denn los?“ Suzanne seufzte und machte eine resignierte Handbewegung. „Wir haben nun doch einmal über Mutter gesprochen, und auch wenn Dad es nicht offen zugibt, so scheinst du mit deiner Vermutung recht zu haben. Ich erinnere ihn an sie, und deshalb fällt es ihm wohl schwer, mich in seiner Nähe zu haben.“ „Aha. Und kannst du seine Gefühle verstehen?“ „Mir bleibt ja wohl keine andere Wahl. Aber da ich jetzt weiß, wie es mit ihm steht, kann ich mich mit seiner Haltung leichter abfinden.“ „Aber viel leichter ist es auch nicht für dich.“ „Nein.“ Jason streckte die Hand aus, als wolle er sie berühren, doch dann steckte er beide Hände in die Hosentaschen. „Jack sagte, daß du mit Vito telefoniert hast. Ihr habt euch wahrscheinlich für heute abend verabredet.“ „Nein, er wollte sich nur ein bißchen mit mir unterhalten. Und was machst du? Bleibst du zum Abendessen?“ „Heute nicht. Ich habe Maria, meiner Haushälterin, gesagt, daß ich zum Abendessen zu Hause bin.“ Jason sah auf seine Uhr. „Es wird Zeit, daß ich gehe. Es ist schon fast acht, und ich wollte vor dem Essen noch schwimmen.“ Suzanne blickte zu ihm auf, und ohne daß sie es wußte, verrieten sie ihre Augen. „Es ist eine herrliche Nacht zum Schwimmen. Es ist warm, und der Mond scheint.“ Sie lächelte. „Ich muß Dad überreden, daß er auch ein Schwimmbecken bauen läßt.“ Jason sah sie einige Sekunden lang an, dann entschied er: „Hol einen Badeanzug und ein Kleid. Du kannst nach dem Schwimmen bei mir essen.“ Suzanne war zu stolz, um darauf einzugehen. Sie richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Ich war nicht darauf aus, von dir eingeladen zu werden, Jason. Ich sagte nur…“ „Ich weiß, was du gesagt hast. Und nun hol deinen Badeanzug. Selbst wenn du es darauf angelegt hättest, hätte ich dich nicht eingeladen, wenn ich es nicht gewollt hätte. Also, benimm dich nicht so widerspenstig, und beeil dich.“ Suzanne zögerte nur einen Augenblick. „Ich bin gleich wieder da“, rief sie und lief die Treppe hinauf. Zehn Minuten später waren sie in Jasons Villa. Jason stellte den Jaguar in die Garage, dann gingen sie durch den Garten zu dem großen, ovalen
Schwimmbecken. Suzanne war von dem Anblick entzückt. Das Schwimmbecken
war auf einer Seite von einem Säulengang umgeben, der im Mondlicht
schimmerte. Ein sanfter warmer Wind wehte und kräuselte die Oberfläche des
klaren Wassers. Alles sah unwiderstehlich einladend aus. Es gab nur ein Problem.
Wo sollte sie ihren Badeanzug anziehen? Die Vorstellung, das hinter den
angrenzenden Büschen zu tun, war doch etwas merkwürdig.
Aber sie hätte sich sagen können, daß es hier nicht so primitiv eingerichtet war.
Hinter dem Säulengang war ein kleines weißes Gebäude mit zwei bogenförmigen
Eingängen. Jason führte Suzanne zu dem Eingang auf der rechten Seite, öffnete
die Tür und schaltete das Licht an. „Wir sehen uns dann im Wasser“, sagte er,
während sie ins Badehaus ging.
Suzanne schloß die Tür hinter sich und bewunderte die luxuriöse Einrichtung.
Dies war nicht eins dieser typischen, etwas baufälligen Badehäuser. Der
Fußboden war mit Marmor ausgelegt, die Wände waren gekachelt. Über die eine
Wand erstreckte sich in ganzer Länge ein Spiegel, an den anderen Wänden
hingen Reproduktionen berühmter Gemälde.
Suzanne ging an zwei gußeisernen Tischen mit dazu passenden Stühlen vorbei,
auf denen rote Samtkissen lagen. An einer Wand stand ein altes geschwungenes
Sofa, daneben war ein doppeltüriger Schrank mit vielen Holzbügeln. Suzanne
legte ihre Sachen ab und zog ihren einteiligen grünen Badeanzug an. Dann
steckte sie die Haare zusammen und befestigte sie mit einem elastischen Band.
Sie zog ihren kurzen weißen Bademantel über und ging nach draußen.
Jason wartete schon auf sie. Er trug eine weiße Badehose. Sein kräftiger,
geschmeidiger Körper war sonnengebräunt und schimmerte dunkel im Mondlicht.
Suzanne mußte schlucken. So hatte sie Jason noch nie gesehen. Es war ein
sinnlicher, einschüchternder Eindruck, den er auf sie machte. Vielleicht hätte sie
doch nicht hierherkommen sollen. Sie wickelte ihren Bademantel enger um sich
und ging auf ihn zu.
„Ich bin beeindruckt“, sagte sie, „das ist ja ein tolles Badehaus. Ich wollte, meine
Wohnung sähe so elegant aus.“
Jason lachte. „Das Badehaus hat der Voreigentümer bauen lassen. Er hatte einen
üppigeren Geschmack als ich.“
„Es ist etwas übertrieben, finde ich. Ich mag gar nicht daran denken, nach dem
Schwimmen hineinzugehen und alles naß zu machen.“
Suzanne trat an den Rand des Beckens und schaute auf das Wasser hinunter. „Es
sieht angenehm kühl aus, nach der heutigen Hitze geradezu ideal. An warmen
Abenden wie diesem ist ein solches Schwimmbecken herrlich.“
„Du bist jederzeit herzlich eingeladen, hier zu schwimmen“, bot Jason ihr an.
„Tagsüber hast du das Becken ganz für dich allein. Da hättest du doch etwas zu
tun, wenn du dich langweilst.“
„Ich langweile mich selten.“
„So? Jack denkt anders darüber. Er glaubt, du wolltest deshalb nach Vermont
zurück.“
„So ist es aber nicht. Langeweile hat nichts mit meinem Vorschlag zu tun, wieder
abzureisen.“
„Du wolltest ursprünglich gar nicht kommen, nicht wahr?“ fragte Jason. „Obwohl
Jack krank war und dich sehen wollte, mußte Delia dich erst bitten, zu kommen.“
Suzanne fuhr herum und schaute ihn scharf an. „Hat sie dir das gesagt? Und du,
hast du es ihr geglaubt?“
„Warum sollte ich nicht?“
„Weil es eine Lüge ist. Sie hat alles versucht, um mich von der Reise
abzubringen. Aber ich habe mich darauf nicht eingelassen.“ Suzanne ärgerte sich
jetzt und wurde in ihren Äußerungen unvorsichtig. „Was ist nur mit euch beiden? Warum tut sie immer so, als gehörtest du zu ihr? Und warum glaubst du ihr jedes Wort und verteidigst sie dauernd? Vielleicht sollte mein Vater besser auf euch achtgeben.“ Mit einem halb unterdrückten Fluch packte Jason sie an den Schultern und zog sie an sich. „Das hättest du lieber nicht so sagen sollen“, sagte er mit leiser, drohender Stimme. „Ich werde…“ „Was wirst du?“ forderte sie ihn heraus. „Mich ins Wasser stoßen und mich ertränken, bevor ich meinem Vater sage, welchen Verdacht ich habe?“ „Nur ein Wort von diesem Unsinn zu Jack, und du würdest dir wünschen, ich hätte dich nur ertränkt“, drohte Jason grimmig. „Du kannst doch nicht wirklich glauben, Delia und ich hätten ein Verhältnis. Du hältst es doch wohl nicht im Ernst für möglich, daß ich Jack so etwas antue?“ Suzanne spürte, daß sie Jason jetzt nicht weiter reizen durfte. Unter seinem zornigen Blick wurde es ihr unbehaglich. Sie drehte den Kopf zur Seite und gestand zitternd: „Nein, das glaube ich nicht wirklich. Ich hatte mich nur über Delia und dich gewundert, als ich hier ankam. Ich meine, sie hängt immer so besitzergreifend an dir, daß ich dachte… aber nachdem ich dich dann besser kennenlernte, habe ich…“ „Da hast du begonnen, mir etwas zu vertrauen? Da muß ich dir ja sehr dankbar sein“, spottete er. „Und was genau an mir war es nun, das deine Meinung geändert hat?“ „Das weiß ich nicht so recht.“ Der Ton, in dem er mit ihr sprach, gefiel ihr nicht. „Du scheinst mir eben einfach doch zu ehrenhaft zu sein, um etwas so Verachtenswertes zu tun.“ Jason schien beruhigt. Er lockerte seinen Griff und lächelte sie spöttisch an. „Du kleiner Dummkopf, wie konntest du nur jemals annehmen, Delia und ich seien fähig, Jack zu betrügen?“ „Oh, ihr traue ich das immer noch zu. Wenn du nur wolltest, wäre sie in deinem Bett, ehe du dich versiehst.“ „Weshalb bist du dir da so sicher? Du weißt gar nicht, wie Delia in Wirklichkeit ist. Sie ist netter, als du glaubst.“ Suzanne trat einen Schritt zurück und ballte die Hände zu Fäusten. „Jetzt verteidigst du sie ja schon wieder! Du kannst mich wirklich wütend machen.“ „Nur sachte, ich glaube, du brauchst eine Abkühlung.“ Kaum hatte er das gesagt, als Suzanne sich auch schon im Wasser wiederfand. Prustend kam sie an die Oberfläche. Der nasse Bademantel rutschte ihr von den Schultern. Während sie ihn ganz auszog, sprang Jason elegant ins Wasser und tauchte durch das Becken. Als er vor Suzanne wieder hochkam, schleuderte sie ihm den mit Wasser vollgesogenen Bademantel ins Gesicht und lachte, als sie seinen überraschten Blick sah. „Das ist dafür, daß du mich ins Wasser geworfen hast.“ Jason legte den Bademantel auf den Rand des Schwimmbeckens und winkte ihr mit dem Zeigefinger: „Komm mal hierher.“ „Ich bin doch nicht verrückt“, entgegnete sie und schwamm, so schnell sie konnte, weg. Aber das war nicht schnell genug. Jason erwischte sie am Fußgelenk und zog sie rückwärts durchs Wasser. Als er sie untertauchte, umklammerte sie seine Arme, um ihn mit sich zu ziehen, aber das mißlang. Kaum hatte sie die Wasseroberfläche wieder erreicht, da spritzte sie ihm Wasser ins Gesicht. So rangelten sie noch eine ganze Zeit miteinander, bis Suzanne vor Lachen nicht mehr konnte.
Sie hielt sich mit den Händen am Beckenrand fest und sah zu, wie Jason einige Male hin und her schwamm. Schließlich kam er mit langen Zügen auf sie zu. Ihr Lächeln schwand, als er die Arme ausstreckte und sie an den Beckenrand drückte. Sie mußte heftig schlucken, während er ungeniert auf ihre Brüste blickte, die sich deutlich unter ihrem Badeanzug abzeichneten. Ihr war so, als habe er sie nicht nur angesehen, sondern auch berührt. „Ich bin müde“, sagte sie mit unsicherer Stimme. „Ich glaube, ich ruhe mich jetzt etwas aus.“ Jason ließ sie ein kurzes Stück schwimmen, dann holte er sie ein und zog sie von hinten an sich. Sie standen nun beide bis zu den Schultern im Wasser. Suzanne hatte das Gefühl, daß Jason etwas sagen wollte, und sie war voller Erwartung. „Suzanne“, meinte er schließlich, „wenn ich gewußt hätte, daß du so gut schwimmen kannst, hätte ich dich in jener Nacht auf dem See gelassen.“ Er machte nur einen Scherz, und sie wußte das. Sie streckte die Zunge heraus und bespritzte ihn mit Wasser. Die Vergeltung kam sofort, aber anders, als Suzanne erwartet hatte. Als er die Hand um ihre Taille legte, um sie unterzutauchen, schlang sie die Arme um seinen Nacken. Ihr weicher Körper berührte den seinen, und damit war das Spiel vorbei. Plötzlich aufflammende Leidenschaft verdrängte den amüsierten Ausdruck in seinen Augen. Er legte ihr die Hände auf die Hüften und preßte sie an sich. „Ich begehre dich“, flüsterte er und begann, sie zu küssen. Suzanne gab sich ganz seinem verlangenden Kuß hin und schmiegte sich eng an ihn. Sie strich ihm über das nasse Haar, während sie seine Küsse erwiderte. Ihr Herz klopfte wild, während sie die Beine um ihn schlang. Sie stöhnte leise. Jason nahm ihre Unterlippe zärtlich zwischen die Zähne und spielte mit ihrem Mund. Er zog die Träger des Badeanzugs von ihren Schultern, glitt mit der Hand unter den Stoff und liebkoste ihre Brüste. Suzanne wünschte sich, daß er nie aufhörte, sie zu berühren. Fieberhaft drängte sie sich an ihn, streichelte seinen Nacken, und als er für einen Augenblick von ihren Lippen abließ, flüsterte sie seinen Namen. Jason wich etwas zurück. Sehnsüchtig sah sie zu ihm auf und strich mit zitternden Fingern über sein Gesicht. Mit einem undeutlichen Ausruf schob Jason sie von sich weg, und als sie versuchte, über seine Brust zu streicheln, hielt er ihre Hand fest. „Los, zieh dich an“, forderte er sie mit rauher Stimme auf. „Schnell, um Himmels willen!“ Unzart zog er die Träger wieder über ihre Schultern und wandte sich ab. Suzanne war von seiner plötzlichen Sinneswandlung so überrascht, daß sie automatisch gehorchte, aus dem Wasser stieg und zum Badehaus ging. Sie merkte kaum, wie ihr die Beine zitterten. Ohne Licht zu machen, ging sie durch den vom Mondlicht schwach erleuchteten Raum, streifte den Badeanzug ab und ergriff ein flauschiges weißes Badelaken. Zitternd wickelte sie es um sich wie einen Sarong, aber bevor sie das Ende feststecken konnte, öffnete sich die Tür. Jason kam herein. Seine hohe Gestalt hob sich vor dem Mondlicht ab. Suzanne ging einen Schritt auf ihn zu. Jason stieß die Tür mit dem Fuß zu und schloß sie damit in den Raum ein. Suzanne sah ihm ein wenig angstvoll entgegen. Ein Schauer überlief sie. Suzanne wurde rot, wandte aber den Blick nicht ab. „Ich bin nur unerfahren, Jason, nicht unwissend.“ Mit einem Stöhnen nahm er sie in die Arme, hob sie hoch und trug sie zum Sofa. Dort setzte er sie vorsichtig ab, bettete sie behutsam auf den weißen Polstern
und legte sich neben sie. Seine Lippen suchten ihre geschlossenen Augenlider,
die Vertiefungen hinter ihren Ohren. Mit den Zähnen biß er sanft in ihr
Ohrläppchen, während er das Band löste, das ihr Haar hielt.
Er durchwühlte ihre Locken mit den Händen, bedeckte ihr Gesicht mit seinen
Küssen und preßte schließlich die Lippen auf ihren Mund.
Suzanne strich mit den Händen über seine Brust, dann über seinen Körper.
Jason stieß einen gequälten Laut aus. Er drückte sie auf die Kissen zurück und
legte ein Bein über ihre Schenkel.
Mit angehaltenem Atem spürte Suzanne, wie er die Hand unter das Badetuch
schob, in das sie immer noch eingehüllt war. Er streifte das Tuch zurück, bis ihre
Brüste entblößt waren, die er nun küßte. Das Badetuch glitt auseinander, und
Jason legte die Hand auf ihren Bauch. Suzanne verlor alle Hemmungen. Sie
wollte Jason noch näher sein und legte den Arm um seine Taille.
„O Jason“, stöhnte sie leise, „ich liebe dich.“
Er hob den Kopf und sah sie forschend an. „Suzanne, du…“
Die Tür des Badehauses wurde plötzlich aufgestoßen, Licht ging an. Instinktiv zog
Suzanne das Badelaken über sich und öffnete die Augen. Geblendet blinzelte sie
durch den Raum.
„So, das ist also das dringende Geschäft, das du heute abend erledigen mußtest,
Jason?“ rief Angelina mit schriller Stimme und zornrotem Gesicht. „Maria sagte,
du seist am Schwimmbecken, und ich glaubte, du seist allein. Ha!“
Mit bewundernswürdiger Gelassenheit setzte sich Jason auf den Rand des Sofas
und sah Angelina, ohne ein Wort zu sagen, an. Schließlich hatte seine
schweigende Mißbilligung Erfolg. Angelina fluchte wütend, drehte sich um und
rannte aus dem Badehaus.
Suzanne zitterte. Jason sah sie grimmig an. „Morgen wirst du ihr danken, daß sie
dich vor mir gerettet hat.“
Suzanne hatte nicht die geringste Ahnung, wie jung und verletzlich sie aussah.
Sie schüttelte langsam den Kopf. „Jason, ich…“
„Zieh dich an“, unterbrach er sie. „Ich werde dich nach Hause fahren. Es ist
schon zu spät, um Maria noch zuzumuten, daß sie uns etwas zu essen macht. Ist
dir das recht?“
„Ich bin nicht hungrig, aber…“
„Ich warte draußen auf dich“, sagte Jason. Er stand auf und ging hinaus.
Suzanne setzte sich auf. Als ihre Füße den kalten Marmorfußboden berührten,
erschauerte sie. Sie trocknete sich ab, holte ihre Sachen aus dem Schrank und
zog sich an. Sie hätte nie gedacht, daß sie einen Mann so sehr lieben und
begehren könnte wie Jason – einen Mann, der ihre Liebe nicht erwiderte. Vor
wenigen Minuten noch hatte es ihr unendliche Befriedigung gegeben, ihm ihre
Liebe zu gestehen. Doch dann war Angelina gekommen – und alles war zerstört.
Suzanne bezweifelte sehr, daß sie Angelina jemals für ihr störendes
Dazwischenkommen dankbar sein würde.
9. KAPITEL Delia strich sich mit der Hand übers Haar und verzog mißbilligend das Gesicht. „Also wirklich, Jack, ich finde, daß du Jason ausnutzt“, erklärte sie scheinheilig und mit einem ärgerlichen Seitenblick auf ihre Stieftochter. „Suzanne wird doch einen einzigen Abend in Mailand allein auf sich aufpassen können.“ „Aber warum sollte sie dort allein sein?“ erwiderte Jack Collins. Er war dieser Diskussion, die nun schon einige Zeit dauerte, überdrüssig. „Suzanne soll Lynn morgen um sechs Uhr am Flughafen treffen, und Jason nimmt die Maschine nach Rom um sechs Uhr fünfzehn, so daß sie beide über Nacht in Mailand sein müssen. Warum sollten sie da nicht zusammen nach Mailand fahren? Ich bin sicher, daß Jason nichts dagegen hat. Suzanne wird in demselben Hotel übernachten wie er, und als ich ihn danach fragte, war er sofort bereit, sie zum Abendessen einzuladen. Es ist doch klar, daß ich Suzanne nicht einen Abend in einer ihr völlig unbekannten Stadt allein verbringen lassen möchte.“ „Bist du gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß er vielleicht andere Pläne für den Abend haben könnte?“ Delia ließ nicht locker. „Vielleicht will er Freunde in Mailand besuchen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er begeistert davon ist, Suzannes Babysitter zu spielen.“ „Wenn er andere Pläne hätte, hätte er es mir bestimmt gesagt.“ Jacks Geduld war allmählich erschöpft. „Schließlich habe ich ihn nicht zwingen müssen, sich um Suzanne zu kümmern.“ Suzanne stand während dieses Gesprächs reisefertig an der Treppe und hörte unruhig zu. Es war etwas bedrückend für sie, daß über sie gesprochen wurde, als sei sie gar nicht anwesend. Wenn Delia nur endlich den Mund halten würde. Von dem Moment an, als sie von Suzannes und Jasons gemeinsamer Fahrt nach Mailand gehört hatte, hatte sie ziemlich heftig ihr Mißfallen über diese Pläne bekundet. Inzwischen hatte Suzanne schon fast das Gefühl, sie sei Jason aufgedrängt worden. Sie wußte ja nicht einmal, was Jason ihr gegenüber empfand, und brauchte nicht auch noch Delias Kommentare, um sich unsicher zu fühlen. Sie fand den Gedanken, daß Jason sie sicher niemals lieben würde, schon traurig genug, und sie wollte keinesfalls seine Abneigung dadurch verstärken, daß sie seine Pläne für diesen Abend störte. Suzanne wollte Delias Einwendungen nicht mehr hören. Es gab nur eine Möglichkeit, ihre Stiefmutter zum Schweigen zu bringen: sie mußte Jason selbst fragen. Als dieser eine Minute später wieder ins Haus kam und erklärte, er habe ihren Koffer bereits in seinen Wagen gebracht, straffte sie die Schultern und schaute ihm offen ins Gesicht. „Delia meint die ganze Zeit, daß es vielleicht deine anderen Pläne stört, wenn du heute abend mit mir zum Essen gehst. Wenn das wahr ist, sag es mir bitte. Ich fahre dann in Dads Wagen nach Mailand. Ich möchte keine Unbequemlichkeiten verursachen.“ „Das ist doch lächerlich“, erwiderte Jason unverblümt und sah Suzanne streng an. „Schließlich müssen wir beide heute nachmittag nach Mailand. Da wäre es doch wohl mehr als töricht, zwei Wagen zu nehmen.“ Jack wandte sich an Jason. „Nach Delias Bedenken frage ich mich, ob ich dir nicht vielleicht mit meiner Bitte lästig gefallen bin. Suzanne ist schließlich schon einundzwanzig, und es mag ja sein, daß ich mir unnötig um sie Sorgen mache. Also, wenn du etwas anderes zu tun hast…“ Jason unterbrach ihn. „Du kannst mich doch, Jack. Wenn ich andere Pläne für heute abend gehabt hätte, hätte ich es dir bestimmt gesagt. Ganz im Gegenteil, ich freue mich darauf, mit Suzanne zu essen.“
Das ist sehr höflich formuliert, dachte Suzanne bedauernd, geradeso wie das Kompliment, das stolze Eltern eines häßlichen Babys hören möchten. Aber das Schmollgesicht, das Delia jetzt aufsetzte, entschädigte sie etwas. Offenbar war es Delia unangenehm, daß Jason von ihren kleinlichen Einwendungen erfuhr. „Können wir jetzt fahren, Suzanne?“ drängte Jason. „Wenn wir noch länger warten, kommen wir in dichten Feierabend verkehr.“ Suzanne holte tief Luft, verabschiedete sich mit einem Lächeln von ihrem Vater und ging zur Haustür. Jason folgte ihr und legte die Hand auf ihren Rücken, als sie vor ihm durch die Tür ging. Suzanne hatte Mühe, das Zittern zu unterdrücken, das diese Berührung in ihr verursachte. Seit über einer Woche – seit jenem Abend im Badehaus – war sie nicht mehr richtig mit Jason allein gewesen. Sie war jetzt etwas schüchtern. Hatte sie ihn dadurch verärgert, daß sie ihm sagte, sie liebe ihn? Vielleicht glaubte er, sie habe das nicht ernst gemeint, es sei ihr nur in der Erregung des Augenblicks so herausgerutscht. Es tat ihr zwar überhaupt nicht leid, was an jenem Abend geschehen war, aber sie bedauerte doch, daß sie Jason ihre Liebe gestanden hatte. Als Susanne in den hellen Schein der Nachmittagssonne hinaustrat, senkte sie den Kopf, als blende sie das Licht. Doch in Wirklichkeit wollte sie nur das erwartungsvolle Gefühl verbergen, mit dem sie den kommenden Stunden entgegensah. Jason wirkte ungewöhnlich kurz angebunden, und plötzlich wurde Suzanne von der Furcht überfallen, daß sie ihm doch lästig sei. Sie konnte schließlich nicht umhin, ihre Befürchtungen zu äußern. Als Jason ihr die Wagentür öffnete, berührte sie zaghaft seinen Arm und fragte leise: „Wirklich, du mußt mir die Wahrheit sagen. Möchtest du heute abend lieber allein sein? Wenn ja, so könnte ich das verstehen.“ „Schweig und steig ein!“ fuhr er sie an und zwang sie praktisch, im Wagen Platz zu nehmen. Nachdem er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ging er auf die Fahrerseite hinüber und setzte sich hinter das Lenkrad. Er steckte den Zündschlüssel ins Schloß, drehte ihn aber nicht sofort herum, sondern sah zu Suzanne hinüber. Sie kaute ein wenig bedrückt auf ihrer Unterlippe. „Du benimmst dich so, als würde es dir nicht passen, heute abend mit mir zu essen.“ „Ich möchte dir nur nicht zur Last fallen.“ „Das tust du nicht. Und nun vergiß endlich alles, was Delia gesagt hat. Versuch, dich zu entspannen“, sagte Jason mit Groll in der Stimme. Er ließ den Motor an, legte die Hand auf den Schaltknüppel und fragte in ungewohnt besorgtem Ton: „In Ordnung?“ Suzanne nickte nur. Dann schaute sie aus dem Fenster, ohne eigentlich etwas zu sehen, bis sie Como durchquert und die Autobahn erreicht hatten. Sie versuchte, sich zu entspannen, streifte die Schuhe ab und zog die Beine unter sich auf den Sitz. Mit geschlossenen Augen legte sie die Wange gegen die lederbezogene Rückenlehne. Sie hatte gehofft, sie könne etwas schlafen, doch ihre Nerven waren noch zu angespannt. Sie öffnete die Augen wieder und blickte zu Jason. Sein Profil war markant und sehr männlich, und seine volle Unterlippe verriet eine gewisse Sinnlichkeit. Die Erinnerung an seinen Kuß überfiel Suzanne. Jason sah angespannt aus, gerade so, als sei er mit sich selbst unzufrieden. Er sah so aus, als wollte er etwas sagen, doch schwieg er die ganze Zeit. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Wenn ihn etwas an ihr gestört hatte, hatte er es bisher immer gleich gesagt. Aber jetzt war er in brütendes Schweigen versunken, das sie mit Unbehagen erfüllte. Jason hatte klugerweise ihre Zimmer in einem Luxushotel auf dem Weg zum Flughafen und nicht in der lärmenden Innenstadt von Mailand reservieren lassen.
Während der Parkwächter den Jaguar in die Tiefgarage fuhr, wurden Suzanne und Jason von einem Pagen in die Empfangshalle geleitet. Das Hotel war moderner als das, in welches Jason sie und Delia in Rom geführt hatte. An sich hatte Suzanne damit gerechnet, daß Jason sie auffordern würde, gleich in ihr Zimmer zu gehen. Doch nachdem sie sich eingetragen hatten, bat er den Portier, das Gepäck auf ihre Zimmer bringen zu lassen, und überraschte Suzanne damit, daß er ihre Hand ergriff und zu ihr sagte: „Es ist erst sechs, wir haben also noch Zeit für einen Drink. Komm mit.“ Willig folgte sie ihm. Sie hoffte, ein Drink würde seine Stimmung etwas heben. Und tatsächlich schien er schon weniger angespannt, als sie in die Bar gingen. Sie setzten sich an einen Tisch in einer Ecke. Jason zog sein graues Jackett aus und hängte es über die Lehne eines Stuhles, bevor er neben Suzanne Platz nahm. Der Tisch war klein, ihre Knie berührten sich, und Suzanne machte keine Anstalten, diese Berührung zu verhindern. Obwohl sie davon ausgehen mußte, daß er für sie nur wenig empfand, war sie immer noch gern in seiner Nähe, besonders jetzt, wo er nicht mehr so finster aussah. Das Barmädchen, das ihre Bestellung aufnahm, war eine typische Italienerin. Sie warf ihr schwarzes Haar zurück, so daß es anmutig ihre Wangen umspielte, und flirtete ungehemmt mit Jason. Ihm schien das nichts auszumachen, und Suzanne merkte überrascht, daß es auch sie nicht störte. Er war eben ein attraktiver Mann. Es würde wahrscheinlich immer so sein, daß junge Frauen mit ihm flirteten, aber das konnte sie ertragen. Was ihr hingegen das Herz schwermachte, waren seine ernsthafteren Beziehungen, wie die zu Angelina. Doch sie wollte jetzt nicht über Angelina nachdenken. Nachdem das Barmädchen gegangen war, lehnte sich Jason auf seinem Stuhl zurück. „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich für dich eine Pina colada bestellt habe.“ „Aber nein. Ich habe so was schon mal getrunken, es schmeckte mir sehr gut.“ „Man hat mir gesagt, daß dies Getränk hier besonders gut sein soll.“ Suzanne nickte und legte die Hände auf den Tisch. „Vielleicht bekomme ich Geschmack daran und nehme nicht immer nur Weißwein, wenn man mir etwas zu trinken anbietet. Dann wirke ich vielleicht etwas erfahrener.“ „Was jemand trinkt, hat wenig damit zu tun, ob er erfahren ist oder nicht“, erwiderte Jason lächelnd. „Übrigens, die sogenannten erfahrenen Leute finden oft die ganze Welt langweilig, und da du, wie du sagst, dich niemals langweilst, wirst du vielleicht nie zu ihnen gehören.“ „Ich kann mir aber auch von dir nicht vorstellen, daß du dich oft langweilst, und doch wirkst du so weltmännisch.“ „Ich bin eben sehr viel älter als du.“ „Du bist nur zwölf Jahre älter. Ich finde, das ist nicht sehr viel.“ „Meinst du nicht?“ fragte er, wobei sich seine Augen verengten. „Da bin ich nicht so sicher. Du bist noch so unschuldig.“ „Unschuldig? Jetzt nicht mehr so sehr… wie… bevor ich…“ Suzanne unterbrach sich, weil sie nicht genau ausdrücken konnte, was sie eigentlich meinte. „Bevor was?“ wollte Jason wissen. Suzanne bewegte unsicher die Hände. „Bevor ich…“ Jason lachte leise und berührte mit der Fingerspitze ihre Wangen, die sich röteten. „Du bestätigst nur, was ich sagte: Du bist eine richtige Unschuld. Wenn man dich so hört, könnte man meinen, ich sei der erste Mann, der dich geküßt hat.“ „Das stimmt nicht“, verteidigte sie sich, aber ihre roten Wangen straften sie Lügen. „Ich bin schließlich nicht in einem Kloster aufgewachsen. Ich bin schon
geküßt worden.“ „Und?“ „Und ich habe mir nichts daraus gemacht“, erwiderte sie offen. Sie wollte Jason zu einer anderen Reaktion als zu diesem amüsierten Lächeln provozieren. „Bei dir ist das aber völlig anders.“ Für einen kurzen Augenblick leuchteten seine dunklen Augen auf doch der Glanz verschwand als er Grinsend erwiderte: „Ich werde das als Kompliment auffassen.“ Suzanne zuckte zusammen. „Ich wünschte, du würdest nicht über mich lachen. Es gefällt mir gar nicht, dauernd wie ein einigermaßen amüsantes Kind behandelt zu werden.“ Jason legte die Hand auf ihre. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich dich heute abend so behandle. Andernfalls…“ Das Barmädchen kam mit den Getränken und unterbrach ihn. Suzanne erwartete, daß er seinen Satz beenden würde, wenn das Mädchen gegangen war, doch er tat es nicht. Statt dessen trank er einen Schluck Whisky und sah sie eindringlich an. „Probier mal, was sie dir gebracht hat, Suzanne“, forderte er sie ruhig auf, „und sag mir, ob es dir schmeckt.“ Er hatte offensichtlich nicht vor, den Satz noch einmal aufzugreifen, den er gerade begonnen hatte. Suzanne unterdrückte einen enttäuschten Seufzer und erhob das hohe, mit Reif überzogene Glas. Sie probierte einen Schluck und nickte. „Das ist sehr erfrischend. Die Mischung von Kokosmilch und Ananas gefällt mir.“ Danach sprachen sie nur noch über unverfängliche Dinge, und Suzanne entspannte sich allmählich. Jason war ein interessanter Mann, der über vieles Bescheid wußte, ihr aber auch gut zuhören konnte und ihre Meinung respektierte. Er hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor und scheute sich nicht, über sich selbst zu lachen. Er wirkte von Natur aus männlich, betonte diese Männlichkeit aber nicht. Nach ungefähr einer Stunde hatten sie ihre Gläser leergetrunken. Jason griff nach seiner Jacke. „Ich schlage vor, daß wir früh essen. Hier im Hotel ist ein sehr nettes Dachgartenrestaurant – es sei denn, daß du woanders hingehen möchtest.“ „O nein, das klingt sehr gut. Ich hab' ja auch gar keine Ahnung, wohin man hier sonst noch gehen könnte. Ich kenne Mailand so gut wie gar nicht.“ „Bist du nie lange genug hiergewesen, um dir die Stadt anzusehen?“ fragte Jason, während sie zu den Aufzügen gingen. Sie schüttelte den Kopf. „Das müssen wir bald nachholen. Es gibt wunderschöne Kirchen in Mailand, die dir bestimmt gefallen werden. Wenn du magst, können wir demnächst einmal von Como aus hierherfahren, und ich zeige dir alles.“ „Das fände ich großartig“, erwiderte Suzanne und gab sich Mühe, ihre Antwort nicht zu begeistert klingen zu lassen. „Natürlich nur, wenn du wirklich Zeit für mich hast.“ „Warum machst du dir nur dauernd soviel Sorgen um meine Zeit – vor allem wenn es um dich geht?“ zog er sie auf. „Ich muß ja allmählich annehmen, daß du denkst, ich vernachlässige meine Pflichten in der Firma.“ „Davon kann gar nicht die Rede sein. Dad hat mir erzählt, was du alles machst – und falls du es noch nicht weißt, er ist mit eurer Partnerschaft sehr zufrieden.“ „Die habe ich auch noch nie bedauert“, sagte Jason aufrichtig. „Jack ist ein phantastischer Mann, ich habe großen Respekt vor ihm.“ Es kam Suzanne so vor, als habe er auf die beiden letzten Worte eine kaum merkliche Betonung gelegt, doch als sie ihm ins Gesicht schaute, konnte sie
nichts Ungewöhnliches darin bemerken. Kurz darauf verließen sie den Fahrstuhl im sechsten Stock. Jason holte die Zimmerschlüssel aus der Tasche und blieb vor Suzannes Tür stehen. „Ich habe einen Tisch für halb neun reservieren lassen. Kannst du bis dahin fertig sein?“ Sie schaute auf die Armbanduhr ihrer Mutter und warf Jason einen schelmischen Blick zu. „Mein Gott, sehe ich so furchtbar aus, daß du annimmst, ich brauchte eine ganze Stunde, um mich einigermaßen herzurichten?“ „Ich weiß nicht, was du alles anstellst. Manche Frauen brauchen einen halben Tag, bevor sie fertig sind, andere nicht.“ „Nun, ich nicht. Wenn es sein muß, kann ich innerhalb von zehn Minuten duschen und schon wieder vor der Tür stehen – voll angezogen natürlich.“ Jason sah sie belustigt an. „Dann bist du ja ein Muster an Tüchtigkeit. Wirst du um Viertel nach acht fertig sein können?“ „Kein Problem“, versprach sie und sah zu, wie er ihre Tür öffnete. Als er ihr den Zimmerschlüssel gab, streiften seine Fingerspitzen ihre Handfläche, aber sie zeigte keine Reaktion und lächelte ihm nur zu. Jason ging in sein Zimmer, das drei Türen weiter lag. Als Jason vierzig Minuten später klopfte, öffnete Suzanne ihm mit der Tasche in der Hand die Tür und schaltete das Licht in ihrem Zimmer aus. Jason schaute etwas überrascht, weil sie wirklich schon fertig war, doch gleich darauf änderte sich sein Gesichtsausdruck. Anerkennend musterte Jason sie in ihrem dunkelblauen Kleid mit dem enganliegenden Oberteil und den schmalen Trägern, dessen Rock ihre wohlgeformten Beine leicht umspielte. Die Farbe des Kleides paßte gut zu ihrer hellen Haut und dem Kupferglanz ihres Haares, das sie im Nacken zu einem losen Knoten geschlungen hatte. Jason sagte nichts, aber das war auch gar nicht nötig. So, wie er sie anblickte, wußte sie, daß sie schön war – und das erleichterte sie, denn er sah in seinem leichten, dunkelblauen Anzug wieder einmal beunruhigend attraktiv aus. Kurz darauf wurden sie im Dachrestaurant zu ihrem Tisch geführt. Suzanne merkte, daß viele weibliche Blicke Jason folgten und sie selbst mit einem gewissen Neid angeschaut wurde. Ihr Tisch stand ganz am Rand der Dachterrasse neben einem Kübel mit weißem duftendem Jasmin. Der Tisch war für zwei Personen gedeckt. Einige Lampen verbreiteten ein gedämpftes Licht. Auf jedem Tisch brannten zwei weiße Kerzen. Die Nacht war mondlos, aber zahllose Sterne funkelten am Himmel. Es war herrlich hier oben, und Suzanne fühlte sich großartig. Sie wußte selbst nicht weshalb, aber es war so. Das Menü, das sie aßen, war köstlich, jeder Gang etwas Besonderes, am besten schmeckten Suzanne die vorzüglichen Garnelen. Als sie mit dem Essen fertig waren und die Musik zum Tanzen einlud, erwartete Suzanne, daß Jason nun das Zeichen zum Aufbruch geben würde. Er schaute sie über die flackernde Kerzenflamme hinweg an. Zuerst war sein Gesicht hart und ernst, doch je länger er sie anschaute, desto entspannter wirkte es. Ein leichtes, fast resigniertes Lächeln umspielte seine Lippen. Dann stand er auf und reichte Suzanne die Hand. Ohne zu zögern, folgte sie Jason auf die Tanzfläche. Es war ihr fast so, als schwebte sie. Er umfaßte ihre Taille, und sie legte die Arme auf seine Schultern – beiden kam es so vor, als hätten sie den ganzen Tag nur darauf gewartet, einander nahe zu sein. Sie hatten schon einmal miteinander getanzt, und das war – jedenfalls für Suzanne – eine sinnliche Erfahrung gewesen. Aber es war nichts im Vergleich zu diesem Abend. Jetzt, wo sie Jason so viel besser kannte und ihre Gefühle viel stärker waren, empfand sie seine Nähe gleichzeitig als Folter und Entzücken.
Jason sagte nichts. Er liebkoste sie auch nicht, abgesehen davon, daß er hin und wieder über ihr Haar strich. Aber seine bloße Nähe steigerte ihr Verlangen, mit ihm zusammenzusein. Als sie eine Stunde später an ihren Tisch zurückkehrten und Jason ihr die Handtasche reichte, war sie glücklich, daß sie mit ihm gehen konnte. Jason sagte immer noch nichts, während sie zum sechsten Stock hinunterfuhren. Als sie ihm vor ihrer Tür den Schlüssel gab und bemerkte, daß ihre Hand zitterte, beruhigte er sie mit leiser Stimme. „Hab keine Angst vor mir.“ Er schaute sie an, dann öffnete er ihre Tür. Suzanne betrat ihr Zimmer mit eigenartig weichen Knien. Jason folgte ihr und schaltete das Licht an. Suzanne wandte sich zu ihm um und bat: „Könnten wir nicht… ich meine, das Licht… sollten wir es nicht auslassen?“ Jason schüttelte leicht den Kopf, ging langsam auf sie zu und sah sie zärtlich an. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, doch Jason lächelte und zog sie in die Arme. Er nahm ihr die Handtasche ab und warf sie aufs Bett. Dann löste er die Nadeln aus ihrem Haar, das nun wie ein Wasserfall über seine Hände und ihre Schultern floß. „Ich mag es lieber so“, flüsterte er. Seine Hand glitt über ihren Rücken, er zog den Reißverschluß ihres Kleides nach unten. Suzanne atmete hastig und schaute verwirrt auf. Jason streifte die Träger ihres Kleides von ihren Schultern, und mit einem leisen Rascheln glitt das Kleid an Suzannes Körper hinunter auf den Fußboden. Sie stand jetzt in Jasons Umarmung nur mit einem schwarzen Slip bekleidet und einem Hauch von schwarzer Spitze als Büstenhalter. Suzanne begann zu beben. Jason hielt damit inne, sie weiter auszuziehen. Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, hob ihr Gesicht an und suchte ihren Mund. Einen Augenblick spielte er mit ihren weichen Lippen, bis ein brennendes Verlangen ihren ganzen Körper erfüllte. „O Jason“, stöhnte sie, „bitte küß mich richtig.“ „Dieses Mal wirst du mich küssen“, verlangte er und ließ die Finger durch ihr Haar gleiten. Suzanne begann zögernd, ihn zu küssen, doch dann wurde ihre Erregung übergroß. Sie umfaßte sein Gesicht mit beiden Händen, stellte sich auf die Zehenspitzen und preßte die Lippen auf seinen Mund. Mit einer ungestümen Bewegung riß Jason sie an sich und erwiderte ihren Kuß. Seine Zunge drang in ihren Mund, ihre Küsse wurden immer fordernder und bildeten das gefährliche Vorspiel für die weitere Erfüllung ihrer Leidenschaft. Jason preßte Suzanne fest an sich, so daß sie seine Erregung spürte. Der Wunsch nach völliger Hingabe erwachte in ihr. Ohne sie loszulassen, nahm Jason seinen Schlips ab, warf die Jacke von sich und drückte ihre Hände an seine Brust. „Knöpf das Hemd auf“, forderte er mit erregter Stimme. Suzanne tat es mit zitternden Fingern und streichelte seine nackte, gebräunte Haut. Jason zog sie langsam mit sich zum Bett und legte sich dort mit ihr nieder. Er lag neben ihr und schaute ihr in die Augen. Als wolle er ihr eine mögliche Furcht nehmen, küßte er sie zärtlich. Sie flüsterte seinen Namen. Jason drehte sie auf die Seite und ließ die Hand langsam und aufreizend über ihren Rücken gleiten. Ohne daß Suzanne es recht bemerkte, war ihr Büstenhalter fort. Jason umfaßte ihre warmen Brüste und streichelte sie. Heißes Begehren durchfuhr Suzanne, sie spürte eine unerträgliche Leere in sich, die erfüllt werden wollte. Ihre Hände glitten an seinem Körper hinab. „Suzanne?“ flüsterte Jason mit schwankender Stimme, als erbitte er alles von ihr. Sie hielt den Atem an. Ein heftiges Zittern durchfuhr sie, aber sie sah Jason
zärtlich und liebevoll an und berührte sanft seine Mundwinkel mit den Fingerspitzen. Plötzlich änderte sich Jasons Verhalten. „Ich muß den Verstand verloren haben“, stöhnte er. „Du bist noch gar nicht fähig, dies zu erleben. Dein Herz klopft so stark.“ Er legte die Hand zwischen ihre Brüste. „Ich fühle, wie es schlägt.“ Suzanne schüttelte den Kopf und sah ihn verlangend an. „Suzanne, das ist Wahnsinn.“ Jason setzte sich auf die Kante des Bettes und strich sich das Haar aus der Stirn. „Jack hat mich nur gebeten, mit dir zu essen, nicht aber, die Nacht in deinem Bett zu verbringen. Ich bin ein schöner Freund. Obwohl ich wußte, daß dies geschehen würde, habe ich es so weit kommen lassen.“ Sie berührte seinen Arm und war enttäuscht, als er ihre Hand festhielt und von seinem Körper nahm. „Aber Jason, ich…“ Er stand auf und sah auf sie hinunter, während sie instinktiv ihre Brüste mit dem Arm bedeckte. Jason bückte sich und zog die Bettdecke über sie. Dann richtete er sich wieder auf und knöpfte sein Hemd zu. „Wie schüchtern du doch bist, Suzanne.“ Seine Stimme klang immer noch nicht fest. „Du bist noch nicht reif genug für die Liebe, glaub mir.“ Betroffen flüsterte sie: „Jason, bitte, sei nicht böse mit mir, ich…“ „Aber ich bin dir doch nicht böse! Hör zu, wir müssen miteinander sprechen.“ „Ja“, stimmte sie bedrückt zu, „du hast recht. Also reden wir.“ „Nicht jetzt.“ Jason ergriff seine Jacke, die am Fußende des Bettes lag. Noch einmal glitt sein Blick über Suzanne. „Nein, jetzt nicht, auf keinen Fall. Es ist schon spät, und morgen müssen wir früh aufstehen. Gute Nacht, Suzanne.“ Suzanne war nicht fähig, ihm zu antworten. Sie sah ihm nach, wie er entschlossen zur Tür ging und sie verließ. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, schloß Suzanne die Augen und preßte die Hand an ihre glühenden Wangen. Jason hatte recht, es war Wahnsinn. Sie liebte ihn, aber er liebte sie nicht. Und doch schien er besser als sie einzusehen, wie sehr es sie verletzen würde, wenn sie nur eine kurze Affäre miteinander hätten. Am nächsten Morgen am Flughafen kam Lynn durch das Ausgangstor gestürzt und umarmte Suzanne begeistert. „Ich freue mich so sehr, dich zu sehen. Ich hatte schon gedacht, ich würde nie hier ankommen. Stell dir nur vor, in Rom mußte ich über eine Stunde bei der Zollkontrolle warten. Gott sei Dank, daß ich das hier nicht noch einmal durchmachen muß. In Rom haben sie alles ganz genau durchgesehen. Ich weiß auch nicht, weshalb, aber vielleicht sehe ich verdächtig aus.“ Als Suzanne lachte, schaute Lynn sich suchend um, dann blickte sie Suzanne mit gespielter Überraschung an. „Was ist das – ist die Kaiserin nicht selbst gekommen, um mich zu empfangen? Ich bin schockiert. Ich dachte, Delia sei ganz verrückt nach mir.“ Suzanne mußte wieder lachen, warf aber einen vorsichtigen Blick zu Jason, doch auch er lächelte, trotz des Spotts, mit dem Lynn Delia bedacht hatte. Suzanne berührte Lynns Schulter und stellte ihr Jason vor. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Lynn“, sagte er herzlich. „Ich hoffe, daß es Ihnen in Como gefallen wird. Leider kann ich Sie während der ersten Tage Ihres Besuchs nicht sehen, ich muß heute nach Rom fliegen.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich muß mich beeilen, meine Maschine fliegt gleich ab.“ „Zum Glück ist der Ausgang für Jason nebenan“, erklärte Suzanne ihrer Freundin. Alle drei eilten den Gang entlang und erreichten den Ausgang für den Abflug noch rechtzeitig. Zwischen Jason und Suzanne entstand plötzlich eine Spannung, die sogar Lynn wahrnahm. Ein unbehagliches Schweigen trat ein, bis Jason
Suzannes Hand ergriff. „Entschuldigen Sie uns einen Augenblick, Lynn“, sagte Jason ruhig und zog Suzanne einen Moment beiseite. Er schob eine Strähne ihres Haares über die Schulter zurück und sah sie mit einem rätselhaften Ausdruck an. „Wenn ich am Freitag aus Rom zurückkomme, möchte ich mit dir reden“, erklärte er zärtlich. „Einverstanden?“ „Ja, natürlich, aber am Freitag heiratet Vitos Schwester, und wir sind am Abend bei den Gallios in Bellagio eingeladen. Du wirst bestimmt auch eine Einladung bekommen haben.“ Er nickte etwas ungeduldig. „Richtig, Angelina sagte so etwas, deshalb werde ich wohl auch kommen.“ Hieß das, daß er mit Angelina kommen würde? Ein düsteres Gefühl überkam Suzanne. Sie senkte den Blick, um den unglücklichen Ausdruck ihrer Augen zu verbergen, und sagte nur leise: „Dann können wir vielleicht dort miteinander reden, ja? Kannst du… würdest du mir sagen, worüber du eigentlich mit mir sprechen willst?“ „Das ist doch wohl ziemlich klar, meinst du nicht?“ erwiderte er etwas grimmig. „Diese Situation wird allmählich unerträglich, und wir müssen etwas unternehmen, um das zu ändern.“ Er wollte also ganz einfach Schluß mit ihr machen. Suzanne war sich sicher, daß er nur dies meinen konnte. Er sollte aber nicht sehen, wie verzweifelt sie darüber war. Mit einem gezwungenen Lächeln nickte sie. „Gut, wir werden darüber sprechen.“ „Also, dann in drei Tagen“, sagte Jason. In diesem Moment wurde sein Flug angekündigt. Er öffnete den Mund, als wolle er noch etwas sagen, dann änderte er seine Meinung. Mit verschlossener Miene strich er Suzanne über die Wange und berührte leicht ihre Nasenspitze. Dann ging er. Suzanne sah ihm nach, wie er geschmeidig, groß und dunkel in der Menge verschwand. Ein leises Schluchzen erschütterte sie. Könnte sie doch nur nach Vermont zurückfliegen, bevor er aus Rom zurückkam. Aber das konnte sie nicht tun. Sie wußte, daß sie das einfach nicht fertigbrachte. Ihr blieb nichts, als sich für den Augenblick zu wappnen, in dem er ihr schließlich sagte, daß zwischen ihnen niemals etwas Ernstes sein konnte. Lynn fiel ihr wieder ein. Schnell ging sie zu ihrer Freundin zurück, zwang sich zu einem Lächeln und begann hastig zu erzählen: „Wir nehmen den Zug nach Como. Ich bin hier noch nie mit der Bahn gefahren, aber ich dachte, es würde Spaß machen. Und am Freitag sind wir auf einer tollen Hochzeitsfeier in Bellagio, in der Villa von Vitos Familie. Ich habe dir ja schon von Vito geschrieben. Er kann es kaum noch erwarten, dich kennenzulernen. Du wirst ihn bestimmt mögen. Oh, wir werden uns ganz bestimmt gut amüsieren, solange du hier bist.“ Lynn sah sie abschätzend an. „Das klingt ja alles ganz toll, aber später mehr darüber. Jetzt erzähl mir erst einmal etwas über Jason Caine. Was ist zwischen euch beiden?“ Suzanne seufzte schwer. „Ich erzähle dir das später, ja? Jetzt kann ich einfach nicht.“ Lynn verzog den Mund und sah sie an. „Ist es so schlimm?“ „Noch schlimmer“, gab Suzanne zu.
10. KAPITEL Der Glanz in den Augen ihrer Freundin war nicht zu übersehen. Suzanne lächelte.
„Vito scheint dir wohl zu gefallen, was?“
Lynn seufzte verträumt. „Er ist einfach toll. So dunkel und gutaussehend und… so
wunderbar. Ich glaube, ich bin ganz verschossen in ihn. Er scheint mich auch zu
mögen, was meinst du?“
„Das brauchst du mich doch nicht zu fragen“, erwiderte Suzanne mit einem
Lächeln. „Mein Gott, schließlich hat er dich jeden Abend ausgeführt, seit du hier
bist, und er ruft täglich an. Ganz bestimmt leidet seine Arbeit schon darunter.
Was verlangst du noch mehr?“
Lynn verzog das Gesicht. „Ach, weißt du, ich bin ganz einfach unsicher.
Schließlich kenne ich ihn ja erst seit ein paar Tagen.“
Sie hörten Schritte auf dem Plattenweg im Garten, in dem sie gerade saßen.
Nervös zog Lynn am Saum ihres Kleides. „Still, da kommt er.“
Vito lächelte die beiden Mädchen an, während er auf die Bank zuschritt, auf der
sie saßen. Doch als er Lynn ansah, trat ein besonderer Ausdruck in seine Augen.
„So, Braut und Bräutigam sind in die Flitterwochen abgereist. Jetzt kann jeder
nach Hause gehen und sich vor der großen Party heute abend noch etwas
ausruhen.“
Lynn schüttelte überwältigt den Kopf. „Ich habe ja schon an einigen Hochzeiten
teilgenommen, aber diese übertrifft bestimmt alles. Hunderte von Leuten waren
bei der Trauung zugegen, offenbar alles geladene Gäste. Und dann gibt es heute
abend noch eine Party.“
„Meine Schwester ist die einzige Tochter in unserer Familie, und sie ist ziemlich
verwöhnt“, verriet Vito mit gedämpfter Stimme. „Mein Vater wollte für sie die
größte Hochzeit veranstalten, die Bellagio jemals gesehen hat.“
„Also, das ist ihm bestimmt gelungen“, meinte Suzanne. „Mir gefiel besonders
das Kleid, das Sophia trug. Es war das schönste Seidenkleid, das ich je gesehen
habe.“
„Der Stoff wurde damals bei uns für meine Großmutter hergestellt“, erklärte Vito
stolz. „Sophia hat ihr Hochzeitskleid getragen.“
„Solche Familientraditionen finde ich bezaubernd.“ Lynn warf einen Blick auf die
große Villa der Gallios. „Es muß schön sein, auf einem alten Familiensitz zu
leben, besonders auf einem wie diesem hier. Die Villa ist überwältigend, Vito.“
Er hob gleichmütig die Schultern und tat so, als seien der Reichtum und der
luxuriöse Lebensstil seiner Familie nicht der Rede wert. „Es ist unser Heim“,
sagte er mit mehr Zuneigung als Stolz. „Ich lebe gern hier.“
„Das kann ich gut verstehen. Es ist sehr reizvoll“, stimmte Lynn ihm zu. „Heute
abend werden die Gärten bestimmt zauberhaft aussehen, wenn alles für die Party
beleuchtet ist.“
„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß wir nicht lange hierbleiben werden“,
sagte Vito. „Aber heute ist die einzige Gelegenheit, wo wir mit meinem Freund in
Como essen können. Er und seine Frau gehen morgen auf eine lange Reise. Sie
wollten Sie vorher unbedingt kennenlernen. Ich glaube, Lynn, Sie werden sie
sehr nett finden.“
„Ganz bestimmt“, sagte Lynn leise und lächelte glücklich, als er ihre Hand nahm.
„Ich finde es viel schöner, Ihre Freunde kennenzulernen, als den ganzen Abend
hier auf der Party zu bleiben.“
„Und was wird mit Ihnen, Suzanne?“ fragte Vito. „Wollen Sie wirklich, daß wir Sie
auf dem Weg nach Como zu Hause absetzen? Sie werden dort ganz allein sein.
Warum bleiben Sie nicht mit Jack und Delia hier und genießen den Abend?“
„Nein, ich möchte lieber nach Hause“, antwortete Suzanne hastig. Sie hatte Jason zwar schon während der Trauung gesehen, aber er hatte bisher noch nicht mit ihr geredet, wie er es angekündigt hatte. Sie wußte, daß sie nach dem Gespräch mit ihm nicht mehr in der Stimmung sein würde, an einer Party teilzunehmen. Deshalb hatte sie sofort die Gelegenheit ergriffen, sich von Vito und Lynn zu Hause absetzen zu lassen. Während die beiden sich jetzt leise miteinander unterhielten, schaute sie auf das blaue Wasser des Sees hinunter. In Bellagio vereinigten sich die drei Teile des Corner Sees. Ringsum stiegen grüne Hügel zu beträchtlicher Höhe an. Es war ein lieblicher Ort, und sie bedauerte es, daß sie bei ihrem ersten Besuch hier so bedrückt war. Aber alle ihre Anstrengungen, heiterer zu sein, waren fehlgeschlagen. Sie mußte immer daran denken, daß Jason ihr an diesem Tag sagen würde, daß er ihre Gefühle nicht erwiderte. Suzanne rückte an das Ende der Bank, um Platz für Vito zu machen, der sich neben Lynn setzte. Vielleicht wollten die beiden lieber allein sein. So sagte Suzanne, daß sie einen Spaziergang in den Rosengarten machen wolle. Doch noch bevor sie sich erheben konnte, kam Angelina Sorveno auf sie zu. Suzanne stöhnte innerlich. Angelina war wirklich die letzte Person, die sie jetzt sehen wollte. Angelina hatte während der Trauung neben Jason gesessen und sich an seinem Arm festgeklammert, als wolle sie ihn während der ganzen Feierlichkeiten an ihrer Seite halten. Jetzt war sie allerdings allein – doch nicht durch ihr Verschulden, wie Suzanne bald merkte. „Hat jemand Jason gesehen?“ fragte sie von oben herab, während sie langsam näherkam. Sie warf Suzanne einen unfreundlichen Blick zu und wandte sich an Vito. „Hast du ihn irgendwo gesehen? Wir wurden im Gedränge voneinander getrennt, und ich muß ihm unbedingt etwas sehr Amüsantes erzählen.“ Sie kicherte, und nach einem weiteren kalten Blick auf Suzanne fuhr sie fort: „Ich wußte gar nicht, daß deine Mutter so altmodisch ist, Vito. Sie hat Jason und mich eingeladen, nach der Party über Nacht zu bleiben, aber…“, wieder kicherte sie, „… sie hat uns tatsächlich getrennte Zimmer gegeben. Ich möchte sie ja nicht aufregen, deshalb sagte ich nichts, aber eins der beiden Zimmer bleibt ganz sicher unbenutzt.“ Diese Bemerkung war gezielt darauf ausgerichtet, Suzanne zu verletzen, und sie traf auch. Um Angelinas triumphierendem Blick zu entgehen, drehte Suzanne den Kopf zur Seite und starrte auf die Hecke, die den Rosengarten begrenzte. Sie überließ es Vito, sich mit seiner scharfzüngigen Untergebenen auseinanderzusetzen. Zum Glück brauchte er sich um eine Antwort auf ihre taktlosen Worte nicht zu bemühen, denn in diesem Augenblick kam Jason auf sie zu. Suzanne wünschte sich, die Erde würde sie verschlingen, während Angelina auf Jason zueilte, ihn gurrend begrüßte und ihre Ansprüche auf ihn dadurch bekräftigte, daß sie sich bei ihm einhängte. „Ich habe dich überall gesucht, Liebling“, umschmeichelte sie ihn. „Ich weiß auch nicht, wer uns eigentlich getrennt hat, aber jetzt sind wir ja wieder beieinander und können unseren Spaziergang machen. Si?“ „Später, vielleicht“, erwiderte Jason und achtete nicht darauf, daß sie schmollend den Mund verzog. Sein Blick streifte Vito und Lynn und heftete sich dann auf Suzanne. „Warum gehen wir nicht alle hinein und trinken noch etwas auf das Wohl der Braut und des Bräutigams?“ schlug er vor. Vito und Lynn stimmten sofort zu, während Suzanne zögerte. Sie hatte keine Lust, neben den beiden Paaren das fünfte Rad am Wagen zu sein. Außerdem,
wenn sie Jasons Nähe mied, konnte sie das von ihm gewünschte Gespräch noch hinausschieben. Sie stand auf und machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Garten. „Ich habe Dad vorhin dort drüben gesehen und möchte ihm etwas sagen“, schwindelte sie und gab sich Mühe, einen ganz unbefangenen Eindruck zu erwecken. „Ihr könnt ja schon hineingehen, ich komme gleich nach.“ „O ja, komm, Liebster.“ Angelina stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Hier draußen in der Sonne ist es sowieso viel zu heiß, ich bin sehr durstig. Ein Glas Champagner wäre jetzt gerade richtig.“ Ein Anflug von Ungeduld erschien auf Jasons Gesicht. Aber er nickte nur. „Gut, Suzanne, wir gehen schon. Aber wir rechnen damit, daß du bald nachkommst.“ „Natürlich, bis gleich“, schwindelte Suzanne noch einmal, dann ging sie schnell davon, als habe sie es eilig, ihren Vater zu finden. Doch kaum war sie außer Sicht, da verlangsamte sie ihre Schritte. Während der nächsten zwanzig Minuten spazierte Suzanne allein durch den Garten, bis sie schließlich auf einen Felsvorsprung kam, von dem aus sie den See überblicken konnte. Es war ein ziemlich abgelegener Teil des Gartens, und so würde sie hier ungestört bis sechs Uhr warten können, bis Vito nach Como zurückfuhr. Es war zwar nicht sehr angenehm, eine ganze Stunde hier draußen allein zu sein, aber immer noch besser, als sich das anzuhören, was Jason ihr zu sagen hatte. Sie sah auf den in der Nachmittagssonne liegenden See hinunter. Die Schönheit der Landschaft stand in eigenartigem Gegensatz zu den Gefühlen, die ihr Herz bedrückten. Wäre sie doch nur wieder in Vermont, wo sie nicht alles an Jason erinnerte. Aber sie wußte, daß sie jetzt noch nicht fahren konnte. Lynn war zwar erst drei Tage in Italien, aber sie und Vito verstanden sich offensichtlich so gut, daß sie ihrer Freundin den Urlaub nicht verderben wollte. Eine Woche würde sie wohl mindestens noch aushalten müssen. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob ihr hübsches Kleid Flecken bekommen würde, ließ sich Suzanne im Gras nieder. Ein großes Ausflugsschiff legte gerade in Bellagio ab und wurde, während es sich entfernte, kleiner und kleiner. Eine dünne graue Rauchfahne stieg aus dem Schornstein. Suzanne sah dem Schiff nach. Sie pflückte einen Grashalm und drehte ihn gedankenverloren zwischen den Fingern. Sie war so sehr in Gedanken versunken, daß sie gar nicht merkte, daß Jason gekommen war. Erst als er in ziemlich scharfem Ton ihren Namen rief, schrak sie zusammen. Sie fuhr herum und blickte Jason furchtsam an, der groß und drohend über ihr stand. „Du hast gesagt, daß du zu uns kommen würdest.“ Sein schroffer Ton verriet seinen Ärger. „Du weißt, daß ich heute noch mit dir sprechen wollte, und trotzdem versteckst du dich vor mir.“ Suzanne ließ den Grashalm mit einer resignierten Handbewegung fallen. „Was hätten wir noch viel miteinander zu reden? Ich weiß schon, was du mir sagen willst.“ „So, wirklich?“ Jason lachte verärgert und sank neben Suzanne auf die Knie. „Wie um alles in der Welt kannst du wissen, was ich dir sagen will, wenn ich es selbst noch nicht weiß?“ Suzanne zuckte mit den Schultern. „Warum willst du überhaupt etwas sagen? Warum gehst du nicht einfach zurück zu Angelina? Falls du dich jetzt nicht um sie kümmerst, ändert sie vielleicht noch ihre Absicht, mit dir heute nacht dasselbe Zimmer… und dasselbe Bett zu teilen.“ Jason packte sie hart an den Armen und sah sie wütend an. „Du hast eine
überhitzte Phantasie. Erst behauptest du, ich hätte ein Verhältnis mit Delia. Jetzt siehst du mich mit Angelina im Bett. Woher zum Teufel hast du nur diese kindlichen Vermutungen? Ich werde weder heute nacht noch sonst ein Zimmer mit Angelina teilen. Das habe ich noch nie getan, und ich habe nicht die geringste Absicht, es jemals zu tun.“ „So? Und warum hat sie dann Vito, Lynn und mir erzählt, daß du diese Absicht hast?“ fragte Suzanne, nun ebenfalls wütend. „Du brauchst mir nichts vorzumachen, Jason. Ihr seid beide erwachsen, und es geht mich nichts an, was ihr miteinander treibt.“ „Hältst du nun endlich den Mund und hörst mir zu?“ Jasons Griff wurde fast schmerzhaft. „Mir ist es ganz gleich, was Angelina gesagt hat. Sie hat gelogen. Für mich ist sie nur eine Angestellte und sonst nichts. Wie kannst du auf die Idee kommen, ich wolle mit ihr schlafen, während ich nichts anderes will, als…“ Er unterbrach sich unvermittelt und schüttelte mit einem verzweifelten Stöhnen den Kopf. „Sie hat dir diese Lüge bestimmt nur aufgetischt, weil sie dich für naiv genug hält, das zu glauben. Und damit hat sie ja wohl recht gehabt, oder? Und Delia hat auch recht gehabt, wenn sie mich immer wieder ziemlich eindeutig daran erinnert hat, wie jung du noch bist.“ „Ich habe es satt, immer wieder von Delia zu hören!“ rief Suzanne und versuchte, sich aus Jasons Griff zu befreien. Doch er ließ sie nicht los. „Ist dir nicht klar, daß sie für alle ihre Handlungen ein selbstsüchtiges Motiv hat? Sie würde alles sagen, nur um dich für sich allein zu haben.“ „Daran zweifle ich nicht“, gab Jason überraschend zu. „Aber sie will mich nicht aus dem Grund für sich haben, den du dir ausmalst. Du verstehst deine Stiefmutter nicht. Auf ihre Art liebt sie Jack, und ich glaube nicht, daß sie ihm jemals untreu sein würde. Aber sie ist schwach und unsicher und braucht die ungeteilte Aufmerksamkeit jedes Mannes in ihrer Nähe. Außerdem war sie völlig hilflos, als Jack krank wurde. Deshalb habe ich mich um alles gekümmert, und sie möchte mich gern für sich haben für den Fall, daß sie meine Hilfe noch einmal braucht. Aber selbst, wenn sie selbstsüchtige Motive hat, so bedeutet das noch nicht, daß das, was sie sagt, unwahr ist. Du bist tatsächlich noch zu jung, Suzanne, und genau darüber müssen wir jetzt reden.“ „Verschwende deine Worte nicht“, sagte Suzanne leise und senkte den Kopf. „Ich weiß, was du mir jetzt sagen willst.“ „Ich versuche doch nur, vernünftig zu sein. Mein Gott, glaubst du etwa, erst Delia müsse mir erklären, wie jung du bist? Das habe ich sofort gesehen, als du ankamst – verletzlich, einsam, und unsicher, ob Jack dich noch möchte. Da war es doch ganz logisch, daß du dich mir zugewandt hast, vor allem, wo ich mir so große Mühe gebe, vor dir zu verbergen, wie sehr du mich anziehst. Es war vielleicht unvermeidlich, daß du deinen Gefühlen mir gegenüber zu großes Gewicht gegeben hast. Italien ist ein romantisches Land, besonders für ein junges Mädchen.“ „Mein Alter spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle. Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß einundzwanzig so furchtbar jung ist.“ „Aber das ist es, Suzanne. Die meisten jungen Mädchen mit einundzwanzig sind noch sehr unreif.“ „Ich bin nicht wie die meisten Mädchen meines Alters.“ Immer noch hielt Suzanne den Blick gesenkt. „Als Delia heiratete, wurde ich auf ein Internat geschickt. Dort war ich, wie die anderen, auf mich allein gestellt. Wir alle mußten schnell erwachsen werden. Und das bin ich auch geworden, Jason. Ich bin nicht leichtfertig und suche nicht nach Abenteuern, wo immer ich sie finden kann. Ich möchte das Gefühl haben, irgendwo hinzugehören. Und jetzt möchte ich am
liebsten nach Vermont zurück.“ „Ich glaube auch, daß das am besten wäre“, stimmte Jason ohne Umschweife zu. „Aber Jack möchte, daß du noch ein paar Wochen hierbleibst. Deshalb schlage ich vor, daß wir uns in dieser Zeit möglichst wenig sehen.“ Sein Griff lockerte sich etwas. „Suzanne, ich glaube, du solltest das nächste Jahr nutzen und deine Gefühle sorgfältig prüfen. Wenn du im nächsten Sommer wiederkommst, wirst du reifer geworden sein. Und wenn du dann immer noch glaubst, ich sei der richtige Mann für dich, dann können wir weitersehen.“ Suzanne sah vorwurfsvoll zu ihm auf und schüttelte den Kopf. „Dieses Spiel solltest du mit mir nicht spielen. Tu nicht so, als wolltest du mir eine Chance geben, daß sich meine Gefühle ändern. Sie werden sich nicht ändern, auch wenn du dir das wünschst. Es tut mir leid, daß ich dir neulich abend im Badehaus gesagt habe, was ich für dich empfinde. Das wird dir nicht recht gewesen sein. Aber jetzt ist es zu spät, um daran etwas zu ändern. Ich wünsche mir nur, daß du nicht weiter versuchst, mich einfach so hinzuhalten. Gib doch zu, daß ich dich nur körperlich angezogen habe und daß es dir nie ernst mit mir gewesen sein kann. Bitte, sei einfach ehrlich mir gegenüber. Ich werde es ertragen, wenn du mich… zurückstößt.“ „Zurückstoßen“, sagte Jason leise und umfaßte zärtlich ihr Gesicht. „Du Dummkopf! Glaubst du etwa, ich wünsche mir wirklich, daß du nach Vermont zurückkehrst? Aber ich muß dir diese Chance geben, deine Gefühle zu überprüfen. Ich bin alt und erfahren genug, um zu wissen, was ich will, aber du nicht.“ „Du versuchst nur, nett zu mir zu sein“, sagte Suzanne düster. „Du traust dich nicht, mir offen zu sagen, daß ich dich nicht wirklich interessiere. Aber es wäre mir lieber, wenn du aufrichtig wärst.“ „Möchtest du das tatsächlich?“ Er ergriff ihre Hände und preßte sie gegen seine Brust. „Dann spüre meinen Herzschlag. Das ist aufrichtig, Suzanne. Glaubst du wirklich, nur der Wunsch, nett zu dir zu sein, könnte ihn so heftig werden lassen? Weißt du gar nicht, was du mit mir machst? Du bezauberst mich, du bist unabhängig, aber manchmal wirkst du zerbrechlich wie eine Blüte. Du bist intelligent und amüsant und die begehrenswerteste Frau, der ich jemals begegnet bin. So, war das aufrichtig genug?“ Eine Hoffnung keimte in Suzanne auf, eine Hoffnung, die sie unterdrücken mußte, weil sie doch unbegründet war… Aus weit geöffneten Augen durchforschte sie Jasons Gesicht. „Was sagst du da, Jason?“ fragte sie schließlich atemlos. „Was genau meinst du?“ „Genau das, was ich gesagt habe“, seufzte er. Für einen Moment richtete er den Blick ergeben zum Himmel, dann sah er Suzanne so eindringlich in die Augen, daß sie zu zittern begann. Und als er das spürte, verlor er die Selbstbeherrschung. Mit einer heftigen Bewegung riß er sie in die Arme und preßte die Lippen auf die samtweiche Haut ihres Halse's. „Bist du denn völlig blind? Weißt du es immer noch nicht? Ich liebe dich, Suzanne, und wenn ich nur sicher sein könnte, daß deine Gefühle mir gegenüber andauern…“ „Aber ich werde dich immer lieben, Jason. Bitte, glaub mir das.“ Sie erhob sich auf die Knie, schlang die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn. Als sein Mund sich auf ihre Lippen senkte, und Jason begann, sie wie von Sinnen zu küssen, gab sie sich ganz seinen Liebkosungen hin. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte sie. Jason liebte sie, und irgendwie würde sie ihn davon überzeugen, daß ihre Liebe zu ihm ebenso wirklich und dauerhaft war wie seine. Sie beugte sich etwas zurück, um in seine Augen zu sehen. „Ich will nur dich, Jason. Es könnte niemals einen anderen Mann geben, das weiß ich.“
„Wie kannst du das wissen, Suzanne? Du hast doch noch nie tiefere Gefühle gegenüber einem Mann empfunden. Vielleicht täuschst du dich? Italien ist ein sehr verführerisches Land und du warst ganz allein, als du hier ankamst. Vielleicht war es einfach so, daß ich eben derjenige war, der für dich erreichbar war. Kann es nicht sein, daß du dem, was du mir gegenüber empfindest, zu großes Gewicht beimißt?“ „O Jason. Vito war doch auch da, und ich habe mich nicht in ihn verliebt.“ Sie strich zärtlich über seine Wangen. „Außerdem hat er mich bestimmt mehr ermutigt, als du. Plätte ich mich dann nicht eher in ihn verlieben sollen? Aber ich liebe dich, und wenn du mich nach Vermont zurückfahren läßt, ohne daß ich dich sehen kann, dann werde ich das nicht überleben.“ Sie zögerte einen Augenblick, und eine sanfte Röte überzog ihre Wangen. „Ich liebe dich so sehr, daß ich… so, du weißt schon, ich wollte, daß du… oh, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.“ Ein nachsichtiges Lächeln umspielte Jasons Mundwinkel. „Ich weiß, was du meinst. Aber wenn ich der erste Mann bin, der die Leidenschaft einer Frau in dir weckt, dann verwechselst du vielleicht körperliche Anziehung mit Liebe.“ „Nein, Jason. Ich fühle mich doch auch seelisch zu dir hingezogen. Ich brauche dich einfach.“ Sie reckte sich empor und küßte ihn. „Bitte, schick mich nicht fort. Ich brauche keine Zeit, ich brauche nur dich. Laß mich hierbleiben, wo ich dich jeden Tag sehen kann, bitte.“ „Suzanne, ich liebe dich“, flüsterte er überwältigt und drückte sie an sich. Dann küßte er sie voller Verlangen, während seine Hände ihre Brüste streichelten. Suzanne erwiderte seine Küsse leidenschaftlich. Plötzlich schob Jason Suzanne ein Stück von sich und rief mit rauher Stimme ihren Namen. „Wie könnte ich dich wohl fortschicken, wenn du mir in dieser Weise entgegenkommst? Aber was ist mit deinem Studium, wenn du hierbleibst?“ „Vielleicht werde ich mich um eine Stelle als Designerin bewerben – auch wenn ich bezweifle, daß Angelina jemals einen Entwurf akzeptieren wird, der von mir kommt.“ „Vito wird sie bestimmt überreden, deine Arbeiten objektiver zu beurteilen. Aber würde eine solche Tätigkeit ein Ausgleich dafür sein, daß du nicht mehr zur Universität gehst?“ „Wenn ich dich nur jeden Tag sehen kann, Jason, das entschädigt mich für alles. Ich liebe dich, ob du es glaubst oder nicht.“ Leidenschaftliche Liebe glänzte in seinen Augen. „Du überzeugst mich allmählich. Du bist eine verführerische Frau – schon dann, wenn du es gar nicht darauf anlegst. Aber jetzt, wo du mich verführen willst, bist du einfach unwiderstehlich.“ „Dann habe ich also mein Ziel erreicht“, flüsterte sie und lächelte. „Du siehst, ich bin Frau genug, um zu bekommen, was ich haben will.“ Er zog sie in die Arme und drückte einen Kuß auf ihr glänzendes Haar. „Gut, ich komme nicht länger gegen dich an. Ich brauche dich viel zu sehr, als daß ich dich gehen lassen könnte. Und ich liebe dich zu sehr, als daß es mir genug wäre, dich jeden Tag nur zu sehen. Deshalb bleibt dir einfach keine andere Wahl, als mich zu heiraten. Einverstanden?“ „Wann?“ fragte sie eifrig und sah ihn voller Anbetung an. „Wie bald?“ „Es wäre schön, wenn es schon in einer Stunde sein könnte“, erwiderte Jason lächelnd. „Leider müssen wir noch etwas warten. Aber ich hoffe, daß es nicht lange sein wird, denn ich kann es nicht aushalten, noch viele Nächte von dir getrennt zu sein.“ Suzanne streichelte sanft sein Gesicht. Leidenschaftliches Verlangen flammte in seinen Augen auf, doch er schüttelte
den Kopf. „Das ist eine fast unwiderstehliche Einladung. Aber Jack würde das bestimmt nicht billigen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er unserer Heirat zustimmen wird.“ „Ich glaube doch“, meinte Suzanne mit leiser Sorge. „Und was ist, wenn er es nicht tut?“ „Ich fürchte, das würde nichts ändern“, gab Jason zu und lächelte sie beruhigend an. „Wir heiraten sobald wie möglich. Jack muß einfach einsehen, daß du kein kleines Mädchen mehr bist. Du bist eine reife Frau, und da du mich nun davon überzeugt hast, will ich mit der Heirat auch nicht länger warten. Seitdem ich mich in dich verliebt habe, bin ich sehr besitzergreifend geworden, Suzanne, und ich will mein Leben sehr bald mit dir teilen.“ „Teilen, was für ein wundervolles Wort“, lächelte sie voller Liebe. Und als er seinen Mund auf ihre Lippen senkte und sie sich lange und zärtlich küßten, wußte sie genau, wohin sie gehörte – zu ihm. ENDE