BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga Band 12 PLANET DER KRIEGE von Susan Schwartz
Die irdischen Astronauten John C...
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BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga Band 12 PLANET DER KRIEGE von Susan Schwartz
Die irdischen Astronauten John Cloud, Scobee, Resnick und Jarvis verschlägt es in eine düstere Zukunft, in der die Menschen Erinjij genannt werden und sich zur verhassten Geißel der Galaxis entwickelt haben. Die Gestrandeten schließen sich mit dem Außerirdischen Darnok zusammen. Als sie von Erinjij-Raumschiffen gejagt werden, müssen sie in den Aqua-Kubus flüchten, einem geheimnisumwitterten Objekt von einer Lichtstunde Kantenlänge, das vollständig mit Wasser gefüllt zu sein scheint. Auf der Flucht vor den Vaaren, den Beherrschern des Kubus, finden die Menschen und Darnok ein Artefakt, das auf die ominösen Sieben Hirten zurückzugehen scheint: ein rochenförmiges, gewaltiges Raumschiff. Ihnen gelingt die Inbesitznahme, und sie taufen es RUBIKON II. Mit diesem Schiff gelingt ihnen die Flucht aus dem Kubus. Etwa zur gleichen Zeit beginnt der Aqua -Kubus, der bis dahin langsam durchs All driftete, Fahrt aufzunehmen. Die Vaare n drohten damit unschuldige Zivilisationen fü r den Frevel der Eindringlinge zu vernichten. Endlich wieder im freien All lü ftet Darnok das Geheimnis seiner Herkunft – und die beiden GenTecs Jarvis und Resnick verschwinden
spurlos von Bord der neuen RUBIKON. Doch blenden wir um zu einem anderen Schauplatz. Zu einer Weit voller Gewalt – zum Planet der Kriege...
Prolog Vor Äonen Hakkad schreckte hoch. Seine kurzen Antennenfühler vibrierten. Von Norden her, aus dem Wald, näherte sich etwas. Instinktiv suchte Hakkad sofort nach Deckung, kroch zu einer Bodenkuhle und duckte sich hinein. Er machte sich so flach wie möglich, legte die Fühler an und fiel in Starre. Die Maserungen seines Chitinpanzers waren der Umgebung perfekt angepasst. Normalerweise benutzten die Pandinen diese Tarnung, um sich auf die Lauer zu legen und ahnungslos vorbeikommende Opfer zu überraschen. Aber manchmal war es auch notwendig, sich selbst vor dem Feind zu verbergen. Hakkads Ortungssinn empfing leise Erschütterungen. Etwas Großes kam langsam näher, mit behutsam tastenden Schritten, die kein normales Beutetier rechtzeitig bemerken würde. Aber die Pandinen hatten schnell gelernt, sich anzupassen, nachdem sie von den Jägern zu Gejagten geworden waren. Doch sie waren sehr wehrhafte, keine leicht zu fassenden Opfer. Ein leises Kratzen und Scharren, als dünne Tastspitzen welkes Laub berührten. Hakkad wünschte, er hätte noch Zeit gehabt, sich in den Boden zu wühlen. Aber der aufgewirbelte Sand hätte den Feind umso schneller auf seine Spur gebracht. Er konnte nur hoffen, dass die Sicht des Dolomeden im trüben Licht der Dämmerung bereits nicht mehr sehr gut war. Eigentlich war dies nicht die Zeit, zu der diese Wesen auf die Jagd gingen. Die Sicht der Pandinen hingegen war gerade jetzt am besten, sie waren dämmerungs- und nachtaktive Jäger. Hakkad wünschte sich allerdings gerade jetzt, nicht so gut sehen zu können – denn plötzlich schob sich eine riesige dunkle Silhouette in sein Gesichtsfeld, die sich drohend vor dem dämmrigen Himmel abzeichnete. Acht mit Stacheln bewehrte,
lange, dünne Beine, die einen in zwei Segmenten unterteilten, dicht behaarten schwarzen Körper trugen. Der Kopf war in zwei Reihen mit jeweils drei Augen besetzt, die eine Sicht nach allen Seiten – auch nach oben und unten – ermöglichten. Das nach vorn gerichtete, kurze, nicht zum Laufen geeignete Armpaar besaß an den Enden jeweils drei sehr bewegliche, geschickte fingerähnliche Glieder. Am gefährlichsten aber waren die mächtigen Kiefer mit den beiden zusammengefalteten Fangfühlern, die nicht nur wittern, sondern auch blitzschnell hervorschnellen konnten. Was sie einmal gepackt hatten, ließen sie nicht mehr los, und die Kieferzangen knackten mühelos jeden Panzer. Der Dolomede war fast dreimal so groß wie Hakkad, ein voll ausgewachsenes männliches Exemplar. Der junge Pandine war ihm in jeder Hinsicht unterlegen. Umso schwerer war es, weiterhin in Starre zu verharren. Sein angeborener Fluchtinstinkt drängte Hakkad dazu, etwas zu unternehmen, der drohenden Gefahr zu entkommen. Nur mühsam konnte der Pandine sich zurückhalten. Er hatte nur dann eine Chance, wenn er weiterhin so tat, als wäre er nicht da. Der Dolomede war sehr viel schneller als er – und konnte unglaublich weit springen, um sein Opfer zu überwältigen. Hakkad erbebte innerlich, als der Dolomede seinen Fuß direkt vor ihm absetzte, wenige Grashalme von seinen Augen entfernt. Nur ein wenig weiter, und er wäre auf den Pandinen getreten. Bisher hatte der Junge Glück gehabt. Der Feind hatte ihn nicht bemerkt – noch nicht! Der Dolomede verharrte und bewegte witternd die Kieferfühler, ein Vorderbein halb erhoben. Sehen konnte er wohl nicht mehr viel, es war fast dunkel. Für Hakkad war das von Vorteil, denn seine Augen stellten sich bereits auf InfrarotSicht um, jetzt begann seine Jagd zeit. Vielleicht konnte er sich bald im Schutz der Dunkelheit davonschleichen. Der Dolomede konnte unter diesen Bedingungen keinesfalls mehr seine volle
Geschwindigkeit einsetzen. Ein leises Zirpen. Hakkad richtete unwillkürlich einen Fühler leicht auf. Die beiden Völker hatten eine ganz ähnliche Sprache; ihre Mundwerkzeuge konnten zusammen mit den Kieferfühlern oder den Antennen Melodien und Lautmalereien im hochfrequenten Bereich erzeugen. Im Lauf der Zeit nach der großen Veränderung hatte sich daraus ein kompliziertes Gefüge entwickelt, das eine Kommunikation ermöglichte und das gesamte Sozialgefüge veränderte. »Wo bist du...«, sang der Dolomede. »Komm! Komm! Ich weiß, dass du da bist...« Hakkad rührte sich nicht. Er kannte diesen Trick der gefräßigen Räuber, darauf fiel er ganz sicher nicht herein. Weniger intelligente Beutetiere konnten diesem summenden Lockruf oft nicht widerstehen. Das Zirpen wurde lauter, schriller, begleitet von stakkatoartigem Trommeln der Vorderbeine des Dolomeden. Hakkads sensible Sinne wurden überflutet, überreizt, bis er es nicht mehr ertragen konnte. Er sprang auf und rannte los. * Hakkad spürte es mehr, als dass er sehen konnte, wie der Dolomede hinter ihm herjagte. Der junge Pandine rannte um sein Leben. Zum Glück kannte er sich in dieser Gegend gut aus und wusste, dass eine rettende Höhle nahe war; für den Dolomeden wäre sie viel zu eng. Nur noch wenige Meter... Hakkad konnte schon einen dunklen Fleck neben einem Busch erkennen. Er würde es schaffen! In diesem Augenblick sprang der Dolomede. Hakkad spürte einen Lufthauch über sich, und erkannte gleich darauf einen riesigen, rot leuchtenden Schemen, der plötzlich zwischen ihm und dem dunklen Höhleneingang war.
Hatten die Älteren sich getäuscht, besaßen die Dolomeden ebenso Nachtsicht wie die Pandinen? Hakkad hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Er wusste, dass es für ihn keinen anderen Ausweg gab. Mit einem schrillen Sirren und rasselnden Gliedersegmenten stellte Hakkad seinen stachelbewehrten Schwanz auf, an dessen Spitze ein Dorn saß, gefüllt mit tödlichem Gift. Gleichzeitig richtete er seine kräftigen Scherenarme drohend auf und stürmte auf den Feind zu. Der Dolomede wich tatsächlich einen Schritt zurück, offensichtlich überraschte ihn der todesmutige Angriff des kleinen Pandinen. Doch dann schnellten seine Fangarme vor und packten knapp unterhalb der Scheren zu, die mit einem scharfen Klicken ins Leere schnappten. Allerdings brachte die Wucht des Aufpralls den viel größeren Jäger aus dem Gleichgewicht. Hakkad warf sic h ihm mit aller Gewalt entgegen und stemmte sich gegen die Umklammerung. Seine Armscheren ruckten hin und her. Gleichzeitig versuchte er mit dem über den Kopf gerichteten Giftdorn, den ungeschützten Hinterleib des Dolomeden zu treffen. Der junge Pandine kämpfte tapfer um sein Leben. Obwohl er unterlegen war, gab er nicht einfach auf, sondern setzte im Gegenteil dem tödlichen Feind gefährlich zu. Einige Zeit blieb es tatsächlich unentschieden, die beiden Gegner schoben sich hin und her, versuchten Boden zu gewinnen, eine bessere Position zu erhalten. Dann sirrte Hakkad schrill vor Schmerz auf. Denn als er mit den aufgerichteten Antennenfühlern um Hilfe pfeifen wollte, war der Dolomede schneller und biss einen der Tentakel mit seinen scharfen Mundwerkzeugen ab. Hakkads Schwanz schlug unkontrolliert um sich und traf dabei tatsächlich den Dolomeden, aber bevor er zustechen konnte, hebelte der Angreifer den jungen Pandinen aus und warf ihn auf den Rücken.
Hakkad zappelte hilflos und versuchte sich zu drehen, seine Armscheren waren immer noch gefangen, und in dieser Position nutzte ihm seine gefährlichste Waffe nichts. Doch da kam ihm ein Bein des Dolomeden zu nahe. Hakkad stülpte seine Mundzangen aus, ließ sie so weit es ging hervorschnellen – und schnappte zu. Nun schrillte der Dolomede auf und verlor erneut das Gleichgewicht, der Griff um die Armscheren des Pandinen lockerte sich. Hakkad riss sich los, drehte sich mit ein paar schnellen Windungen auf die Beine und kroch unter den umhertaumelnden Dolomeden, sein Schwanz schnellte nach oben und versenkte den Dorn tief in die weiche Bauchunterseite. Aus der Giftdrüse schoss das Sekret, das eine augenblickliche Lähmung herbeiführte. Der Dolomede knickte ein und rollte zur Seite. Hakkad hielt sich nicht weiter auf, er wusste nicht, ob dieser Giftstoß stark genug gewesen war, um den Dolomeden auch wirklich zu töten. Vielleicht verschaffte er ihm nur Zeit, und die wollte er nicht ungenutzt lassen. Der junge Pandine rannte ein zweites Mal auf die rettende Höhle zu, und er hätte es auch geschafft, wenn... Das Letzte, was Hakkad in seinem Leben sah, war ein riesiger Dolomede, noch größer als der erste Angreifer, mit einem in der Dunkelheit phosphoreszierend leuchtenden Körper. Ein Weibchen, das wohl die ganze Zeit auf der Lauer gelegen hatte und nun den Augenblick zum Eingreifen gekommen sah. Es versperrte dem jungen Pandinen den Weg, und nicht nur das, seine langen Greifarme schossen blitzschnell nach vorn. Sie packten Hakkad, hoben ihn hoch, als wäre er so leicht wie ein welkes Blatt, und schleuderten ihn dann mit aller Kraft mit dem Rücken zuerst auf den Boden. Hakkads Körper war gut gepanzert, er konnte Stürze aus großer Höhe gut überwinden. Er verspürte keinen Schmerz, als er mit zappelnden Beinen dalag, nur Hilflosigkeit und Zorn. Es
war ungerecht. In dieser Nacht hatte es eine besondere Jagd werden sollen, und die Beute ein Brautgeschenk für Kaddi. Denn heute war es für ihn an der Zeit, in den Erwachsenenstatus erhoben zu werden. Schon in kurzer Zeit hätte er sich dreimal gehäutet und wäre ums Doppelte gewachsen, sein Gewicht hätte er verdreifacht. Kein Dolomede hätte es dann mehr so leicht gehabt. Warum nur musste es heute Nacht sein? Hakkad schlug mit den Scherenarmen um sich, ließ die Zangen auf- und zuschnappen, um vielleicht einen Zufallstreffer zu erreichen. Aber das Weibchen war ein perfekter Jäger, vielleicht sogar das Oberhaupt ihres Clans. Ehe Hakkad sich versah, besprühte sie ihn aus der Drüse am Hinterleib mit undurchsichtigen klebrigen Fäden und wickelte ihn ein, fesselte ihn, bis er absolut bewegungsunfähig war, er konnte nicht einmal mehr sehen. Nur sein Stachelschwanz lag noch frei, aber er konnte in dieser hilflosen Lage nur noch schwach zucken. Dann spürte Hakkad, wie er hochgehoben und fortgetragen wurde, irgendwohin... * Schließlich wurde Hakkad wieder abgelegt, und er spürte, hörte auch, dass er von weiteren Dolomeden umringt wurde. Sie unterhielten sich über ihn, und er bekam einige Gesprächsfetzen mit. »Genau das richtige Alter...« »Sehr kräftig... hat Kexo überwältigt...« »Wo ist Kexo?« »Noch draußen. Tot, wahrscheinlich.« »Dafür wird der Winzling büßen...« »Wird uns eine prächtige Brut garantieren...« Und dann geschah etwas überaus Demütigendes mit Hakkad,
das ihm schlimmer vorkam als der Tod. Die Dolomeden pressten ihn auf den Boden, und dann veranstalteten sie etwas Unbeschreibliches mit seinem Giftdorn: Sie leerten seine Giftdrüse, pumpten alles ab, ganz so, als würde er gemolken. »Reichhaltige Ernte«, summte ein Dolomede zufrieden, wahrscheinlich das Weibchen, das Hakkad überwältigt hatte. »Er wird uns lange nützlich sein.« Nützlich sein? Was konnten sie mit Hakkads Gift anfangen? Hakkad war es nicht mehr möglich, sich zu verständigen, denn sie befreiten ihn nicht von den Fäden. Kurz darauf schob sich ein zangenartiger Mund zwischen das erste und zweite Segment seines Gliederkörpers und biss zu. Hakkad spürte einen kurzen, stechenden Schmerz – und dann nichts mehr. Durch den in die Wunde tropfenden Speichel war er augenblicklich gelähmt. Der junge Pandine wusste aus Erzählungen, was nun kam. Er wurde an ein riesiges Netz gehängt, zu vielen anderen Leidensgenossen. Er diente als lange haltbarer Nahrungsvorrat. Und die ganze Zeit über würde sein Verstand wissen, was mit ihm geschah. Grausamer konnte das Schicksal nicht zuschlagen. Für die Dolomeden war Hakkad nichts anderes als ein Nutztier, das für ihre Zwecke ausgebeutet wurde. Die Dolomeden warteten, bis seine Giftblase wieder gefüllt war, um ihn dann regelmäßig zu melken. Unterdessen wuchs in seinem Inneren eine neue Brut heran, die das Oberhaupt in ihm abgelegt hatte. Wenn die Nachkommen geschlüpft waren, würden sie sich ihren Weg durch seinen Leib nach außen bahnen und damit gleichzeitig die erste reichhaltige Nahrung in ihrem Leben zu sich nehmen... * Nicht immer ging es so aus. Auch die Pandinen lernten, die
Dolomeden für ihre Zwecke zu benutzen, vor allem ihr Sekret, das für Baustoffe und vieles andere verwendet werden konnte. Anfangs waren die beiden weitläufig miteinander verwandten Völker nur Fressfeinde gewesen. Doch im Lauf der Evolution verfeinerten sie ihre Methoden, entsprechend ihrer rasch wachsenden Intelligenz und der Veränderung ihrer Körper, die ebenfalls um ein Vielfaches an Größe gewannen. Eines Tages begannen sie, zuerst unabhängig und dann in Konkurrenz voneinander, nach ihrem Ursprung zu forschen, und entdeckten erstaunliche bauliche und technische Hinterlassenschaften, die sie nach und nach zu verstehen und zu rekonstruieren lernten. Vor Urzeiten war die einstmals idyllische Welt der Dolomeden und Pandinen von einer intelligenten Rasse bewohnt gewesen, die sich auf einem fortschrittlichen technischen Standard befunden hatte. Was genau geschehen war, ließ sich jetzt nicht mehr feststellen; jedenfalls war es zu einer globalen Katastrophe gekommen, möglicherweise nuklearen Ausmaßes, die das meiste Leben ausgelöscht hatte und die wenigen Überlebenden mutieren ließ, allen voran die Pandinen und Dolomeden, und diesen beiden Völkern Intelligenz bescherte. Das Erbe der Vergangenheit brachte die Pandinen und Dolomeden in der Entwicklung einen weiteren gewaltigen Schritt nach vorn. Ihre Häuser wurden immer größer, die Städte wuchsen an, sie bauten Fortbewegungsmittel, die sie schnell von einem Ziel zum nächsten brachten. Sie entwickelten einen Sinn für Kultur und errichteten Zivilisationen, arbeiteten Gesetzestexte aus, um Ordnung in ihren Staaten zu halten. Es kam sogar eine gewisse Form von Individualismus zustande, soweit es ihnen möglich war. Nur eines lernten die beiden Völker nie: miteinander Frieden zu schließen. In einem ewigen Krieg kämpften sie um die
wenigen Ressourcen ihres Planeten, der sich immer mehr in eine Wüste verwandelte, und steckten ihre Kraft und Energie vor allem in die Herstellung immer raffinierterer Waffen, um die verhassten Konkurrenten ein für alle Mal aus dem Weg zu schaffen. Manche von ihnen jedoch hielten Ausschau nach den Sternen. Es gab einige Relikte, die darauf schließen ließen, dass die Urbewohner an einem weltraumtauglichen Schiff gearbeitet hatten. Diejenigen Wissenschaftler jedoch, die darauf drängten, nach neuen Ressourcen im Weltraum zu suchen, wurden als Spinner verschrien, und so kam diese technische Entwicklung immer wieder ins Stocken. Es galt, das Überleben auf dem Planeten zu sichern; die ferne Sonne war nicht mehr in der Lage, ausreichend Wärme und Licht zu spenden, um die Wüste wieder in ein blühendes Land zu verwandeln. Ein Volk könnte es womöglich schaffen, die verbliebenen Ressourcen zu erhalten und für einen gewissen Lebensstandard zu sorgen. Das konkurrierende Volk sollte auf jede erdenkliche Weise dazu beitragen – als Sklaven, als Energie- und Nahrungsspender und Brutstätten. Die Warnungen der Forscher verhallten ungehört, ebenso die Aufrufe, sich doch besser zusammenzutun und gemeinsam an der technischen Entwicklung zu arbeiten, um eines Tages einen neuen, lebenswerten Planeten zu finden. Der Krieg wurde fortgesetzt, denn nur das zählte, was heute geschah. Das Überleben jetzt war wichtig. Planungen für eine Zukunft, die womöglich nie stattfand, waren fehl am Platz, dafür fehlte es an Mitteln und dem Willen, eigene Opfer zu bringen. Solange der Feind sich nicht dazu bereit erklärte, lieferte man sich nur selbst aus, indem man statt Waffen sinnlose Maschinen baute, die vielleicht eines Tages fliegen konnten. Der Feind würde beides nutzen – das besiegte Volk und die Technik. Aber so weit durfte es nicht kommen. Erst, wenn der Feind besiegt war und der ständige
Konkurrenzkampf beendet, konnte man über hochfliegende Pläne nachdenken. Wer hungrig war, wer ständig um sein Leben fürchten musste, hatte keine Zeit, auch kein Verlangen, nachzudenken. 1. Die Pandinen Harrix-984 duckte sich und ging in Deckung. Auf der anderen Seite hatte etwas aufgeblitzt. Möglicherweise nur eine Reflexion eines Blinkkrauts, das sich in der leichten Windbrise bewegte, aber Harrix-984 wollte kein Risiko eingehen. Die Strahlwaffe im Anschlag schlich der Pandine zwischen den Säulen hindurch, die lange Schatten warfen. Die Sonne stand niedrig, es herrschte trübes Licht – die Stunde der Geister. In diesem Zwielicht war es schwierig, Realität von Illusion zu unterscheiden. Schon so mancher war einem huschenden Irrlicht hinterhergejagt, mitten in eine Falle hinein oder in einen Abgrund. Die Dolomeden waren geradezu darauf spezialisiert. Mit ihren langen, dünnen, stachelbewehrten Beinen konnten sie hervorragende Schattenspiele produzieren. Aber das hilft ihnen nichts, dachte Harrix-984 grimmig. Wir werden sie auslöschen, ein für alle Mal. Harrix-984 hatte trotz seiner Jugend schon eine Anzahl Kämpfe hinter sich, die andere nicht einmal an Lebensjahren aufbrachten. Er war als Soldat geboren und ausgebildet und hatte sich hervorragend bewährt. Selbst der Feind kannte seinen Namen. Ob Schlacht oder Palisadenkampf – Harrix-984 überstand alles. Deshalb hatte man ihm inzwischen den Schutz der Sammler übertragen, ein Job, bei dem jeder auf sich allein gestellt war. Die Städte konnten sich nicht zu hundert Prozent
selbst versorgen, und Kundschafter mussten hin und wieder den Schutz der Mauern verlassen, um neue Vorräte aus dem wilden Land zu holen. Der Soldat spürte eine Bewegung hinter sich und fuhr herum, richtete sich auf seinen drei Beinpaaren auf, öffnete die Scherenarme und hob das zweite Armpaar mit der Waffe hoch. »Nur die Ruhe, Freund«, wisperte etwas hinter einer Säule, und eine Schere winkte. »Wir sind's nur.« »Seid ihr verrückt geworden, euch so anzuschleichen?«, klickte Harrix-984 wütend. »Hat man euch denn gar nichts beigebracht?« Der Pandine kam hinter der Säule hervor, und Harrix-984 erkannte den grün schimmernden Panzer einer Frau. Sie war nur halb so groß wie er und sehr viel schlanker, geschmeidiger – geeignet, um an unwegsamen Stellen nach Beute und essbaren Pflanzen zu suchen. Provokativ spreizte sie die Antennenfühler, bevo r sie sirrte: »Sogar eine Menge, großer Krieger. Wenn es uns gelingt, uns unbemerkt an dich anzuschleichen, sind wir doch für den Job geeignet, oder?« »Ich habe euch bemerkt.« »Unsinn. Ich habe mich bemerkbar gemacht. Auch wenn es dich stört, Harrix-984, meine Truppe ist gut. Wir sind Profis.« »Ah, und wozu braucht ihr mich dann?«, schnarrte er ärgerlich. Die Frau strich mit einer Schere über seinen Anzug. »Ganz einfach, weil wir weder über eine solche Bewaffnung, noch über eine solche Rüstung, geschweige denn über einen Schutzschirm verfügen und uns somit schwerlich verteidigen können.« Der Schutzschirm durfte nur im Notfall aktiviert werden, denn Energie war noch teurer als Nahrung, noch schwerer zu erzeugen. Rüstung und Waffen, wie Harrix-984 sie trug, waren ebenfalls teuer herzustellen; das Material der Rüstung bestand
zum Großteil aus Dolomedenfäden, die in einem komplizierten Verfahren zu einem widerstandsfähigen, aber flexiblen Gewebe verarbeitet wurden. Ein Soldat hatte im Kampf mehr auf seine Ausrüstung als auf sein Leben zu achten. »Nun, und wen soll ich verteidigen?«, fragte Harrix-984. »Richtig, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.« Ein Lichtschimmer huschte über die glänzenden tiefschwarzen Augen der Frau. »Ich bin Uide-1, und das ist meine Gruppe.« Sie wies mit dem unteren Armpaar hinter sich, und hinter Säulen und Trümmern wuselten flink acht zierliche Pandinen heran. »Uide-1!«, entfuhr es Harrix-984. Sie war eine Legende, ebenso wie er, nur sehr viel älter. Eine Stammmutter, die bereits Hunderte Nachkommen erfolgreich aufgezogen hatte. Uide-1 war die beste Jägerin dieser Zeit, nicht minder erfolgreich als Harrix-984. Aber er durfte sich keine Illusionen machen, auch wenn sie noch so verführerisch auf ihn wirkte: Eine Vermischung war nicht zulässig, höchstens unter kontrollierten Bedingungen. Die Pandinen waren nur deshalb immer noch so erfolgreich, weil sie sich streng an ihr Zuchtprogramm hielten – jeder einzelne wurde als Spezialist geboren. Die Pandinen in Uides Gefolge durften nicht unterschätzt werden, sie wirkten schwächlich, aber jeder von ihnen konnte es mit einem einzelnen Dolomeden aufnehmen, und das Gift in ihren Stacheln war selbst fü r die eigenen Artgenossen tödlich. Sie waren im wilden Land ständig auf der Suche nach Nahrung und hielten zur Stadt meistens nur Funkkontakt. Sie zogen sich eigentlich nur dann hinter die schützenden Mauern zurück, um den Nachwuchs zu gebären und aufzuziehen, bis er selbstständig war. »Dann wollen wir an die Arbeit gehen«, rief Harrix-984 sich zur Ordnung und wandte sich der Grube zu, die etwa fü nfzig Meter tief in der Mitte der Ruine abfiel. »Dort unten befindet sich ein Nest Skolopendrae, bei meinem letzten Patrouillengang
habe ich es entdeckt. Wenn es uns gelingt, es auszuheben, haben wir einen Vorrat für Monate. Ein Transporter wartet am Nordausgang der Ruinen.« »Bist du sicher, dass das Nest noch intakt ist?«, fragte Uide1. »Es sieht unberührt aus. Aber möglicherweise warten auf der anderen Seite bereits unsere Freunde, um uns die Beute zu stehlen.« »Ja, die Arbeit werden sie uns kaum abnehmen. Wirst du vorher das Gelände sondieren?« »Negativ. Wenn es mehr als einer ist, gefährden wir vorab die Mission. Wir dürfen auch keine Zeit verlieren. Lassen wir die Gefahr auf uns zukommen, denn eher zerstöre ich das Nest, als es ihnen zu überlassen.« Uides Antennenfühler sangen eine Melodie der Anerkennung. »Es stimmt, was man über dich sagt, Harrix-984. Und da wir beide hier sind, werden wir Erfolg haben.« * Die Pandinen verteilten sich; inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen, und sie konnten im Schutz der Schatten in die Grube hinunterkriechen. Dabei gingen sie absolut lautlos vor, denn die Skolopendrae waren nicht zu unterschätzen. Sie besaßen gefährliche Kieferzangen und konnten in hundertfacher Überzahl einen einzelnen Pandinen töten. Harrix-984 blieb in Deckung am Rand der Grube und sicherte aufmerksam nach allen Seiten. Um ihn herum erhoben sich Jahrzehntausende alte Ruinen, vielleicht sogar noch älter. In dieser Region fiel so gut wie nie Regen, und es gab nur wenig Wind. Der Zahn der Zeit nagte kaum an den Überresten einer unbekannten Zivilisation, auf deren Trümmern die Pandinen ihre Städte errichtet hatten.
Für Harrix-984 waren die stummen Zeitzeugen sehr fremd, er konnte sich nicht vorstellen, wie diese Gebilde einst ausgesehen haben mochten, oder ihre Einwohner. Es war auch kaum zu glauben, dass einst alles hier mit Gras bedeckt gewesen sein sollte und bewaldet; belebt mit völlig fremdartigen Tieren, die über die Steppen streiften. Sie lebten heute in einer düsteren, einsamen Welt, die beherrscht war von einem Krieg, der nie endete, solange eines der beiden verfeindeten Völker noch am Leben war. Aber sie töteten sich nicht nur, sondern machten auch Gefangene, benutzten sie als Wirte für Nachkommen oder Produzenten für Werkstoffe und vieles mehr. Sie vergaben sich gegenseitig nichts, und wenn man Harrix984 gefragt hätte, warum er einen solchen Hass auf die Dolomeden empfand, hätte er schlicht geantwortet: »Weil sie da sind.« Es war auch nicht die Aufgabe des Soldaten, darüber zu philosophieren, das hatten die 983 Harrix vor ihm nicht getan, und seine Nachkommen würden es auch nicht tun. Er konzentrierte sich allein auf seine Aufgabe, dafür war er gezüchtet, deshalb besaß er die enorme Größe und die große Kraft und Geschicklichkeit. Der ganze Staat war in Gefahr, wenn er nachlässig würde oder gar seinen Platz verließe. Und das Einzige, was zählte, war das Volk. Ein Knistern in seinem Empfänger. »Wie ist der Empfang?«, krächzte Uides Stimme. »Gut. Seid ihr am Eingang?« »Ja, wir haben Glück, sie haben sich bereits schlafen gelegt. Ein Überraschungsangriff ist uns sicher. Du solltest jetzt nicht herunterkommen, denn wir haben die Netze ausgelegt. Achte auf alles und sei bereit, gleich wird der Tumult losgehen.« Harrix-984 hielt seine Waffe bereit. Sie konnte nur wenige tödliche Energieschüsse abgeben, dann musste sie auf mit Gift gefüllte Hohlgeschosse umgestellt werden. Was allerdings nicht
weniger wirksam war. Bisher rührte sich nichts. Vielleicht hatte er sich wirklich getäuscht, und das Glück war auf ihrer Seite. Sie konnten die ganze Beute abtransportieren. Das würde einen Jubel geben... * Gleich darauf brach unten die Hölle los. Mit seinen zur Nachtsicht fähigen Augen konnte er Dutzende, nein, Hunderte Skolopendrae erkennen, die in einem Schwall aus dem Höhleneingang quollen und mit wütendem Pfeifen auf die Pandinen losgingen. Aber Uide und ihr Gefolge waren gewappnet und empfingen die wimmelnde Masse mit engmaschigen Netzfallen, in die sie ahnungslos hineinströmte. Auch die Nachfolgenden, und wiederum deren Nachfolger drängten hinterher; ihre Intelligenz reichte nicht aus, um die Falle zu erkennen, sie folgten nur ihren Instinkten, das Nest zu verteidigen. Die Pandinen banden die Netze zusammen, bald waren keine mehr übrig, sie waren alle prall gefüllt. Allerdings gab es auch nichts mehr zu fangen, nur noch wenige Nachzügler krabbelten aus der Höhle und verstreuten sich rasch zwischen dem herumliegenden Gestein. Die Königin des Geleges und die nicht geschlüpfte Brut wurden nicht angetastet, denn sie garantierten in wenigen Monaten neue Beute. Uides Gruppe hängte die Netze an die Scheren und begann den mühsamen Aufstieg. Die Kraft dieser Pandinen war schier unglaublich, so dass sie schnell oben anlangten – noch dazu mit lebender, zappelnder Fracht. Harrix-984 kam nicht umhin, seine zierlichen Artgenossen zu bewundern, was sie bewältigen konnten. In diesem Augenblick kamen die Dolomeden von der anderen Seite herab. Wie erwartet, hatten sie den Pandinen die Arbeit überlassen, um jetzt die Beute einzuheimsen.
Zwei von ihnen eröffneten das Feuer auf Harrix-984, während drei andere die Grube hinunterstürmten. Auch sie hatten sich im Lauf der Evolution verändert, waren größer und schlanker geworden, jedoch hatten sich nur die Greifarme weiter verfeinert, und sie konnten sich nicht so hoch aufrichten wie die Pandinen. Harrix-984 beachtete die Angreifer auf sich nicht. Er aktivierte den Schutzschirm, der erfahrungsgemäß lange genug halten würde, bis ihnen die Energie ausging, und danach vertraute er auf sein Glück und die Haltbarkeit seiner Rüstung. Immerhin konnte auch sein Körperpanzer einiges abhalten, sollte doch ein Geschoss durchschlagen. Der Soldat nahm den ersten Dolomeden, der auf Uides Gruppe zuhielt, ins Visier und gab einen gezielten Schuss ab. Zufrieden sah er, wie sein Feind mitten im Lauf stoppte, als wäre er gegen eine Wand gelaufen, und dann sich überschlagend in die Grube hinabrollte. Gutes Futter fü r die entkommenen Skolopendrae und für welche Beutetiere sonst noch... Der zweite Dolomede wandte sich Harrix-984 zu, während der dritte mit einem gewaltigen Satz Kurs auf einen Pandinenjäger nahm. »Den übernehmen wir!«, rief Uide-1. Für Harrix-984 blieben immer noch genug übrig. Kurz bevor er mit dem zweiten Dolomeden zusammenprallte, gab er mehrere mechanische Schüsse auf die anderen beiden ab, die ihm nun dicht auf die Scheren rückten. Einige Querschläger lösten dabei eine Lawine aus, und die beiden verloren den Boden unter den langen Beinen. Sie waren fü r den Moment beschäftigt. Blieb noch einer, der sich Harrix-984 entgegenstellte. Sie stießen zusammen, verklammerten sich ineinander und rollten ein Stück weit die Grube hinab. Harrix-984 versuchte seine Scheren einzusetzen, sein Giftstachel peitscht e wild. Aber auch
der Dolomede wusste sich zu wehren und setzte dem Soldaten mit seinen stakkatoartig hervorschießenden Fühlerzangen heftig zu, während er versuchte, ihn gleichzeitig einzuspinnen. Harrix-984 gelang es schließlich, seine Waffe in Anschlag zu bringen, und drückte ab. Auf diese kurze Entfernung hielt der Schutzpanzer des Dolomeden nicht, und er sackte mit einem seufzenden Pfeifen zusammen. Der Pandinen-Soldat sprang auf und orientierte sich. Uide-1 und sechs Artgenossen hatten den Rand der Grube fast erreicht, die anderen hatten die Netze fallen gelassen und sich auf die beiden letzten Dolomeden gestürzt. »Zurück!«, rief Harrix-984. »Seht zu, dass ihr Land gewinnt!« Er stürmte auf die beiden Dolomeden zu und eröffnete das Feuer. Als er sah, dass sie die Flucht ergriffen, ließ er von der Verfolgung ab und folgte seiner Gruppe. * Kurz vor dem Transporter sackte einer der Jäger plötzlich zusammen. Offensichtlich war er bei dem Kampf schwer verletzt worden und hatte es noch bis hierher geschafft. Harrix984 übernahm seine Netze. Sie ließen den Artgenossen liegen, denn ihm war ohnehin nicht mehr zu helfen. Immerhin diente er somit noch ehrenvoll der Nahrungskette, indem er sie schloss: Durch sein Opfer wurden Beutetiere ernährt, die den Pandinen das Überleben sicherten. Der Transporter nahm die Netze auf, und Harrix und die anderen klammerten sich außen an den Streben fest, während es in rasanter Stolperfahrt durch das nachtdunkle Land zurück zur Stadt ging. »Bist du erschöpft?«, fragte Uide-1, die neben Harrix-984 hing. »Ein Soldat ist nie müde«, gab er zurück. »Ach, ich vergaß, du bist ja ein großer Krieger.« Sie stieß ein
sirrendes Lachen aus. »Das war gute Arbeit, Harrix-984. Ich hoffe, wir werden wieder zusammenarbeiten.« Kurz vor der Mauer hielt der Transporter an, und Uide und ihre Gruppe sprangen ab. Sie klickten einmal mit den Scheren und verschwanden dann in der Dunkelheit – so schnell, dass nicht einmal ein Artgenosse ihnen mit Infrarot-Sicht folgen konnte. Harrix-984 konnte zufrieden sein. Er hatte sich als Schutz bewährt und dem Volk reichhaltige Beute gebracht. Dennoch konnte er nicht umhin, später dem Rat eine Frage zu stellen: »Wir hatten diesmal nur Glück, denn die Dolomeden waren eigentlich in der Überzahl. Wieso sind die Schutztruppen nicht größer?« »Weil es nicht genug gibt«, antwortete der Ratsälteste. »Es gibt nie genug, nicht wahr?« »So ist es, junger Soldat. Sie sterben im Krieg. Aber du wirst bald dafür sorgen, dass es zumindest nicht weniger werden. Deine starken Gene sollen weitergetragen werden.« Das war eine erfreuliche Nachricht. Es bedeutete, dass Harrix-984 bald einen neuen Namen erhielt, und eine neue Nummer. Schade, dass es nicht Uide sein würde. Eine Frau wie sie hatte er noch nie getroffen. Und ihm ging immer noch etwas im Kopf herum, das sie kurz vor der Stadtmauer, bevor sie abgesprungen war, zu ihm gesagt hatte. »Wenn wir nur wollten, könnte alles ganz anders sein. Wenn wir aufhören würden, immer nur an den Krieg zu denken, wenn wir einmal den Mut hätten, woandershin aufzubrechen, könnten wir vielleicht Frieden finden.« »Wie stellst du dir das vor?«, hatte Harrix gefragt. »Wir können nicht zu den Sternen reisen. Wir wissen nicht einmal, ob es anderswo noch Leben gibt. Die Urbewohner haben es auch nicht geschafft, das herauszufinden, und sie hatten bessere Bedingungen als wir.« »Hast du denn nie vom Gelobten Land gehört?«
»Das ist ein Kindermärchen. Eine dumme Legende, für kleine Weichkrebse, die Angst vor der Dunkelheit haben.« »Ich glaube daran.« Harrix-984 war schockiert gewesen. »Das ist nicht dein Ernst!« »Ich weiß, dass einige von uns dorthin aufgebrochen und nie wiedergekehrt sind.« »Natürlich nicht, denn sie waren verrückt und allein in der Wildnis nicht überlebensfähig.« »Es ist aber so«, beharrte Uide. »Irgendwann einmal, mitten im Krieg, mussten einige unserer Vorfahren durch Zufall darauf gestoßen sein. Es ist sicher schon sehr lange her, aber die Legende hält sich.« »Das macht sie dennoch nicht zur Wahrheit, Uide.« »Und wenn es so ist? Wäre es nicht einen Versuch wert, das herauszufinden?« Harrix-984 war nun sehr verunsichert. »Du bist es, die durch das Land streift. Sag du es mir.« »Ich war noch nicht weit genug fort«, antwortete Uide. »Aber ich würde es wagen, mit einem mächtigen Krieger wie dir an meiner Seite. Wir könnten es schaffen. Ich kann überall Nahrung finden. Und wir können Nachkommen haben, außerhalb eines Zuchtprogramms. Sie würden uns bei der Suche helfen.« »Das... das ist doch verrückt!« »Nicht verrückter als dieser ständige Krieg. Denk darüber nach, Harrix.« * Und Harrix-984 dachte darüber nach. Obwohl er als Soldat nicht dafür geschaffen war, hatte Uide-1 irgend etwas in ihm geweckt, eine schlummernde Gehirnwindung, die sich plötzlich daran erinnerte, dass im Grunde jeder Pandine über mehr als
eine spezialisierte Intelligenz verfügte. Was wusste er denn schon von der Welt? Uide war so viel älter als er, sie hatte so viel mehr gesehen. Er kannte doch nur Kampf und Tod. Und wenn sie Recht hatte? Wenn es das Gelobte Land gab, in dem es Nahrung gab im Überfluss, keine Sorgen mehr? War es nicht seine Pflicht, diese Botschaft als Beute heimzutragen und seinem Volk zu schenken? Gewiss, bisher war keiner zurückgekehrt. Aber möglicherweise hatte keiner von ihnen über die Fähigkeiten verfügt, wie Harrix und Uide sie besaßen. Es stimmte, sie waren ein perfektes Paar. Das hatte sein Instinkt sofort erkannt, als er sie das erste Mal erblickt hatte. Aber die Staatsordnung würde keine Verbindung zwischen ihnen gestatten. Andererseits waren die Pandinen nicht dafür geschaffen, einfach das Volk zu verlassen. Sie waren keine Individualisten. Ganz im Gegensatz zu den Dolomeden, die... Augenblick! Plötzlich schoss ein erschreckender Gedanke durch den verwirrten Verstand des Pandinen. Und wenn die Dolomeden nun ebenfalls nach dem Gelobten Land suchen? Was ist, wenn sie es vor uns finden? Dann haben wir den Krieg verloren, und mein Volk wird untergehen. Und das, darüber war sich Harrix ohne langes Nachdenken im Klaren, das musste er verhindern. Das war seine Pflicht als Soldat. Vielleicht war er gerade deshalb so ungewöhnlich groß und stark, ein Höhepunkt der Entwicklung seines Volkes, weil er es schaffen konnte, das Gelobte Land zu finden. Als Auserwählter sozusagen. Und Uide war die perfekte Stammmutter, auch wenn sie sehr viel älter war. Aber Pandinen waren inzwischen langlebig – wenn sie den Krieg lange genug überlebten, hieß das. Und so fällte Harrix-984 seine Entscheidung, ohne mit jemandem darüber zu sprechen, obwohl er mehr als einmal hin und her schwankte. Doch er konnte sich denken, wie seine
Artgenossen darauf reagieren würden, wenn er mit solchen verrückten Gedanken daherkam. Doch Harrix-984 empfand es als seine Pflicht, alles für sein Volk zu tun. Und wenn es das Gelobte Land gab, musste er den Dolomeden zuvorkommen. Dies war endlich eine Chance, das bisherige Gleichgewicht zu Gunsten der Pandinen zu verändern und den unseligen Krieg zu beenden. Dann gab es nur noch eine führende Rasse auf dem Planeten und Nahrung im Überfluss. Soldat Harrix-984 wartete eine Nacht ab, in der er keinen Dienst zu verrichten hatte, denn einfach seinen Posten verlassen würde er niemals. Er ließ die Stadtmauern hinter sich, ohne aufgehalten zu werden, denn kein Pandine ging je ohne Grund irgendwohin. Ein wenig seltsam war ihm schon zumute, als er dann draußen im freien Land stand, in voller Rüstung und Bewaffnung – diesen Diebstahl musste er leider begehen –, aber ohne Auftrag. So etwas hatte es noch nie gegeben. Vor allem hatte er noch nie eine solche Entscheidung von tragender Bedeutung selbst getroffen. War es richtig, was er tat? Oder Verrat? »Du kommst spät.« Harrix-984 fuhr herum, unwillkürlich fiel er auf alle vier Beinpaare und streckte abwehrend die Armscheren nach vorn, sein Giftschwanz bog sich über seinen Kopf. Ein grünlich schimmernder Körper schälte sich aus der Dunkelheit hinter einem Stein. »Uide!«, stieß Harrix-984 hervor. Sie hatte es wieder geschafft, ihn zu überrumpeln, obwohl er als der beste Spürer galt. Er entschuldigte es damit, dass er zu tief in Gedanken versunken gewesen war – was allerdings außerhalb der schützenden Stadtmauern ein sträflicher Fehler war. »Du... wusstest es?« »Natürlich. Sonst hätte ich dich gar nicht erst angesprochen. Vergiss nicht, ich bin eine Stammmutter, ich habe schon sehr
viele Nachkommen heranwachsen gesehen. Ich kenne meine Spezies sehr gut, und ich habe dich beobachtet. Ich erkannte, dass du etwas Besonderes bist.« »So besonders auch nicht, wenn du dich jedes Mal an mich heranschleichen kannst, ohne dass ich es merke«, bemerkte der Soldat. »Ich bin schon sehr lange Jägerin, mein junger Krieger. Da sollte ich perfekt sein in meinem Job. Und ich kann dir beibringen, wie du selbst bei deiner Größe genauso lautlos sein kannst wie ich.« »Hast du etwa die ganze Zeit auf mich gewartet?« »Nicht durchgehend, nein. Nur in besonders dunklen Nächten war ich hier.« Uide stellte sich vor ihn, für seine Infrarot-Sicht schimmerte ihr Körper in einem strahlend grünen Licht. »Hast du dich nun entschieden? Denke gut nach, bevor du antwortest. Noch kannst du zurück. Wenn wir aber erst losgehen, kannst du nie mehr umkehren – außer um die Botschaft vom Gelobten Land zu bringen.« »Ich habe mich entschieden, sonst wäre ich nicht hier«, antwortete Harrix. »Lass uns gehen und die Suche beginnen.« Und damit verschwanden sie in der fernen Wildnis.
2. Die Dolomeden »Wir bleiben in Deckung«, warnte der Anführer. »Sie werden bald kommen.« Zacco fiel es nicht leicht zu warten. Er brannte darauf, sein Können in seinem ersten Kampf zu beweisen. Eigentlich war er nicht dafür vorgesehen gewesen, denn es gab erfahrenere und trotzdem jüngere Kämpfer als ihn. Aber nach der letzten verheerenden Schlacht benötigten sie jeden erwachsenen
Dolomeden, um die Jungbrut zu schützen, die bald schlüpfen würde. Die Siedlung war von der Stadt abgeschnitten worden und seither auf sich allein gestellt. Diese verdammten Scherenrassler, können sie denn nie genug bekommen? Hier draußen waren sie in Sicherheit, hatten sie gedacht. Die Pandinen entfernten sich nicht gern zu weit von ihren Siedlungen, die waren zu faul und zu feige. Sie kannten nur den Kampf, und wenn sie Gefangene machten, quälten sie sie unsäglich und benutzten sie zu unbeschreiblichen Dingen. Es ist nicht recht, was sie tun, dachte Zacco. Seit Urzeiten schon behaupten sie, das auserwählte Volk zu sein, und versuchen, uns auszurotten. Sie nehmen uns unsere Nahrung, unsere Lebensgrundlage, den Platz. Sie sind verdammte Schmarotzer, die uns alles stehlen und behaupten, wir wären nicht besser als das nutzloseste Beutetier und höchstens als Sklaven zu gebrauchen. Sie sind primitiv und bösartig, ihr Verstand reicht nur zum Töten, zu nichts sonst. Sie kennen nicht die Schönheit eines singenden Netzes am Morgen, wenn sich der Tau darin verfängt, wenn der erste Sonnenstrahl darauffällt. Sie kennen nicht die Ästhetik eines Tanzes, wenn wir das Leben feiern, wenn wir werben. Keiner von ihnen ist in der Lage, auch nur einen einzigen eigenen Gedanken zu produzieren. Sie denken nur in der Summe aller Artgenossen, und das bedeutet nicht mehr als Fressen und Reproduzieren. »Ich bin froh, dabei zu sein«, sagte Massi neben ihm. »Es wird Zeit, dass wir diesen Bastarden endlich einmal zeigen, wer die Herren sind. Sie sollen eine Lektion erfahren, die sie niemals vergessen werden!« »Wohl gesprochen«, stimmte Zacco zu. »Sie sind es nicht wert, unter unseren Beinen zu kriechen. Als Wirte sollen sie unserer Brut dienen, ihr Gift sollen sie uns spenden. Doch sie dürfen nicht lä nger frei herumlaufen und unser Land besetzen. Wir dürfen es nicht mehr länger zulassen, dass sie sich als
unsere Konkurrenz bezeichnen. Sie haben nicht das Recht dazu, uns das Land und die Nahrung streitig zu machen. Wir werden uns blutig rächen für das, was sie uns letztes Mal antaten.« Es war eine für beide Seiten verheerende Schlacht gewesen, und über viele Tage und Nächte hinweg hatte man das Raspeln und Knispeln der Beutetiere gehört, die sich begeistert über ihre toten Jäger hermachten. Die beiden Völker hatten sich gehütet einzugreifen. Zum einen mussten sie ihre Wunden lecken, zum anderen würde dadurch für die nächste Generation der Tisch reichhaltig gedeckt sein. Und eben darum ging es – um den Anspruch dieses Gebietes. Die Pandinen hatten dieVerbindung zur Stadt gekappt und sich so postiert, dass weder Fußvolk, noch Transporter durchkamen. Sie hatten lauernd Stellung bezogen und warteten darauf, dass die Dolomeden einen Fehler machten. »Jedenfalls müssen wir etwas unternehmen«, fuhr Zacco fort. »Ansonsten hungern wir uns gegenseitig aus, und keiner von uns bleibt übrig. So lange will ich aber nicht warten.« »Denkst du, ich? Ich kann förmlich hören, wie sich die niederen Tiere dort draußen explosionsartig vermehren, nachdem sie sich an uns sattgefressen haben. Sie werden noch lange von unseren Opfern zehren, bis sie reif genug sind für uns.« »Still!«, fuhr der Anführer dazwischen. »Seht, da kommt die Hierarchin!« Eine riesige Dolomede näherte sich der Gruppe. Das Volk war matriarchalisch organisiert, die fast doppelt so großen Frauen hielten die Ordnung aufrecht, machten aber keine Vorschriften über die Entwicklung jedes Einzelnen. Selbst der geringste Dolomede konnte um die oberste Hierarchin werben, wenn er den Mut dazu aufbrachte und sein Leben riskieren wollte. Manchmal wurde ein so tapferer Mann erhört, wenn er gut tanzen konnte und einfallsreich war. Die Dolomeden kannten untereinander keine Konkurrenz;
wollten zwei denselben Posten, entschied ein Test, wer fähiger war. Der Unterlegene akzeptierte zumeist klaglos, dass er verloren hatte, und suchte nach einer neuen Aufgabe, für die er besser geeignet war. In Ausnahmefällen entschied eine Hierarchin. Ideen zur Entfaltung hatten die Dolomeden viele, Möglichkeiten nur wenige. Der tägliche Kampf ums Überleben hatte stets absoluten Vorrang. Die meisten Dolomeden wurden zum Soldaten ausgebildet, für die Wissenschaft blieb da nicht viel Raum. Auch Zacco fand sich nun hier draußen, anstatt in seinem Labor. Doch wenn er diesen Kampf überstand und das Gebiet gesichert war, konnte er getrost zu seinen Forschungen zurückkehren. Er war fest entschlossen, gut zu kämpfen, das steckte jedem von ihnen im Blut. »Seid ihr bereit?«, fragte die große Dolomede. »Ja, Hierarchin.« »Meine Späher berichten, dass die erste Angriffswelle bald rollen wird. Die Pandinen gehen diesmal aufs Ganze, sie wollen das Gebiet um jeden Preis – jetzt. Ich habe Kuriere zur Stadt geschickt, um Hilfe anzufordern, aber bis sie eintrifft, kann es zu spät sein. Jeder Einzelne von euch muss auf dem Posten sein. Wir dürfen nicht versagen, sonst sind wir verloren – unser gesamtes Nest, und das wäre ein schwerer Rückschlag fü r das ganze Volk.« »Wir werden gut kämpfen, Hierarchin, wir sind alle bereit.« Das bin ich, und ob, dachte Zacco grimmig. * Doch als der Kampf begann, war alles ganz anders, als der Wissenschaftler es sich vorgestellt hatte. Natürlich hatte er schon Pandinen gesehen, aber noch nie so viele auf einmal, und vor allem noch nie leibhaftige Soldaten. Er hätte nicht gedacht,
dass sie so groß waren! In den Medienübertragungen waren die Schlachtszenen immer wie von ferne gezeigt worden, man hatte nie einen wahren Größenvergleich gehabt. Aber diese Soldaten konnten sich so hoch aufrichten, dass sie tatsächlich fast so groß waren wie die Dolomeden! Die Gefangenen, die Zacco bisher untersucht hatte, waren zumeist Jäger gewesen, sehr viel kleiner und zierlicher als ihre Artgenossen. Von den wenigen Soldaten, die er studieren konnte, war meistens nicht mehr viel übrig gewesen, sie waren verstümmelt, die Rüstungen zerfetzt. Bei Zaccos Volk gab es mit Ausnahme der Geschlechter keine so großen körperlichen Unterschiede. Sie verfügten alle gleichermaßen über eine enorme Sprungkraft, die Spinndrüsen und das für feine Arbeiten geeignete Armpaar. Aber diese Soldaten hier verfügten über riesige, schwerterähnliche Scheren und eine ve rgrößerte Giftdrüse, die mehr Flüssigkeit fassen konnte. Sie konnten sie sogar entleeren, ohne zuerst den Stachel in das Opfer zu versenken, und zielten dabei stets auf die empfindlichen Augen der Dolomeden. Obwohl entfernte Verwandte, waren diese Wesen völlig fremd für Zacco, und allmählich verstand er, weswegen es nie zu einer Einigung kommen würde. Sie benötigten beide dieselben Lebensbedingungen, besetzten dieselbe ökologische Nische, und waren gleichermaßen mit Intelligenz behaftet. Sie standen in unmittelbarer Konkurrenz zueinander, und das würde sich nie ändern, solange die Lebensbedingungen schlecht blieben. In den nächsten Stunden hatte der Wissenschaftler keine Zeit mehr nachzudenken. Nach kurzem Beobachten der eigenen Soldaten hatte er die Kampftechnik verstanden und sich eingeprägt. Nun gab es kein Halten mehr Gemeinsam mit dem Rest seiner Gruppe verließ er die Stellung und warf sich in die Schlacht. Zum ersten Mal in seinem Leben setzte er eine Waffe zum tödlichen Gebrauch ein, und er tat es ohne Bedenken.
Sehr schnell verlor Zacco den Überblick. Er verlor sich im Gewimmel zwischen den Kämpfen Dolomede gegen Pandine, wich im letzten Moment herabsausenden Scheren oder Geschossen aus, sah Schutzschirme aufblitzen, flackern und zusammenbrechen, sah tödliche Energiestrahlen, die verheerende Lücken in angreifende Wellen schlugen, setzte sich selbst zur Wehr, so gut es ging. Sein angeborener Kampfinstinkt übernahm die Führung, setzte seinen Verstand außer Kraft und machte ihn zu einer Kampfmaschine, die einem Soldaten in nichts nachstand. Die Vielseitigkeit war es, die den Dolomeden zum Vorteil gereichte, und ihr unauslöschlicher Selbsterhaltungstrieb. Es ging nur noch um Leben und Tod, um das Erlangen der kostbaren Ressourcen. Der tödliche Konkurrent musste um jeden Preis ausgelöscht werden, ein fü r alle Mal, es gab nicht genug Platz für beide auf dieser Welt. * Zacco war so kampfeseifrig, dass er nicht merkte, wie er sich immer weiter von den eigenen Truppen entfernte. Massi und zwei weitere Kampfgefährtinnen folgten ihm, weil er sich so überaus erfolgreich schlug. Doch schließlich erkannten sie, dass sie von ihren Artgenossen abgeschnitten waren, und die Übermacht um sie herum war gewaltig. Die Pandinen waren noch so im Blutrausch, dass sie es zunächst nicht bemerkten. Sie hätten in wenigen Augenblicken einige wertvolle Gefangene machen können. Massi kam an Zaccos Seite. »Hast du dir einen Überblick verschafft, wo wir stehen? Was machen wir jetzt, Freund?« »Wir schaffen das.« Zacco gab sich zuversichtlich. »Halte sie nur weiter beschäftigt, damit sie nicht so schnell merken, dass wir von den anderen abgeschnitten sind.«
Die beiden großen Frauen stießen nun ebenfalls zu ihnen, Jada und Tamci. »Du hast uns mit dir gerissen, Zacco, aber nun sitzen wir in der Falle!«, knirschte Jada mit scharfen Mundwerkzeugen. »Es ist ein Fehler, einem Mann so eine Verantwortung zu übertragen, noch dazu ohne Kampferfahrung!« »Aber ich kenne die Schwachstellen der Pandinen«, erwiderte Zacco gelassen. »Benutzt eure Schwerter, ich zeige euch, wo die Schwachstelle in ihrer Rüstung liegt. Ich habe diese Wesen lange genug studiert.« Er ging zum Angriff über und demonstrierte seinen Kampfgenossen, wie ein Pandine überwältigt werden konnte: ein gezielter Treffer zwischen dem dritten und vierten Segment. Dort war die Rüstung nicht ganz geschlossen, um die Atmung nicht zu behindern. Der Pandine war gerade abgelenkt, er wollte vorwärts stürmen und bemerkte nicht die tödliche Gefahr von hinten. Zacco rempelte den Feind an, der das Gleichgewicht verlor und sich verblüfft umdrehte, wobei er für einen Moment die Brust schutzlos ließ. Zielsicher stieß Zacco zu, versenkte sein Schwert tief in der Lücke zwischen dem dritten und dem vierten Segment, und zog es mit einer grausamen Drehung rasch wieder heraus. Der Pandine stieß einen schrillen Laut aus und ging zu Boden. Das war das Signal für Zaccos Gefährten, und sie griffen ebenfalls mit gezückten Schwertern an. Für einen Moment stifteten sie große Verwirrung und waren sehr erfolgreich, bis die Pandinen begriffen, worin ihre Schwachstelle lag. Mit heftigem Fühlertrillern verständigten sie sich, schützten die verwundbare Stelle mit dem unteren Armpaar und gingen mit gestreckten Scheren zur Offensive über. Zacco war sich im Klaren darüber, dass sie selbst mit ständig wechselnder Strategie nicht mehr lange durchhalten konnten.
Nicht weit von ihnen entfernt lag ein Hügel mit großen Ruinen. Wenn sie es schafften, sich bis dorthin durchzuschlagen, hatten sie eine Chance zu überleben. Dort gab es genügend Verstecke, wo sie in Sicherheit den Ausgang der Schlacht abwarten konnten. Zaccos Funkempfänger knisterte. Während der Schlacht galt normalerweise absolutes Funkverbot. Es blieb auch bei diesem einen kurzen Signal. Zacco vermutete, dass er seine Aufmerksamkeit auf die Kampfgefährten richten sollte. Er wandte den Blick zu ihnen und sah Tamcis Tänzelschritte. Offensichtlich hatten auch die Frauen diese Möglichkeit zur Flucht entdeckt. Tamci teilte durch ihre Körperbewegungen und den Tanzrhythmus mit, dass sie sich so schnell wie möglich dorthin zurückziehen sollten. Die primitiven Pandinen verstanden diese Körpersprache natürlich nicht, dachte Zacco bei sich, sie vermuteten darin wahrscheinlich eine überdrehte Reaktion auf das Gemetzel: eine durchgedrehte Dolomede kurz vor dem Zusammenbruch. Mit dieser Taktik hatten die Dolomeden schon so manche Schlacht gewonnen – bis auf die letzte. Aber das war auch mehr ein Überfall gewesen, sie waren von Anfang an in die Defensive gedrängt worden. Diesmal sollte es nicht so weit kommen. Zacco fü hlte sich vor allem fü r seine Mitstreiter verantwortlich, weil er sie mit sich gezogen hatte, ohne die Konsequenzen zu bemerken. Umso erbitterter fü hrte er jetzt seine Waffen und wütete unter den Feinden. Er richtete seinen Körper so hoch auf, wie er nur konnte, die empfindliche Unterseite war mit einem mehrfach ineinander gefalteten Pandinenpanzer geschützt und nahezu unzerstörbar. Die vier Dolomeden blieben dicht beieinander und schlugen eine gewaltige Bresche in die Reihe der Pand inen. Das bemerkten allmählich die Anführer in den vorderen Reihen – und wandten sich ihnen zu.
Zacco sah, wie das Heer der »Scherenrassler« langsam umschwenkte – zu ihnen. Doch schon griffen die Artgenossen von der anderen Seite wieder an, und die für einen Moment fast ruhenden Kämpfe entflammten neu. Tamci überholte Zacco und signalisierte mit dem Greifarm, ihr zu folgen. Sie bahnten sich ihren Weg durch den entstehenden Tumult. Für einen Moment waren die Pandinen orientierungslos und wussten nicht, in welche Richtung sie sich nun wenden sollten. Dabei behinderten sie sich gegenseitig, auch diejenigen, die den versprengten Trupp angreifen wollten. Zacco spannte seinen Körper an und sprang mit einem gewaltigen Satz über die Feinde hinweg. Noch in der Schwebephase entdeckte er in der wimmelnden Masse unter sich einen günstigen Landeplatz – einen etwas kleineren Pandinen, der offensichtlich zum ersten Mal als Soldat eingesetzt wurde. Der junge Kämpfer entdeckte die drohende Gefahr zu spät, er schaffte es nicht mehr, den Stachelschwanz aufzurichten. Zacco ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Pandinen fallen, dessen Scherenarme zerschmetterten an Zaccos Rüstung, die Waffen zersplitterten, und der Rest des Soldaten wurde vom Leib des viel größeren Dolomeden zermalmt. Zacco war kaum gelandet, als er bereits zum nächsten Sprung ansetzte. Mit den beiden äußeren seiner sechs Augen sah er, dass die Gefährten es ihm gleichtaten, während die übrigen Augen bereits auf den nächsten Landepunkt fixiert waren. Zu oft wollte Zacco sein Glück allerdings nicht herausfordern, bei dieser Überbeanspruchung war es nicht ausgeschlossen, dass sein Schutzpanzer schließlich Sprünge und Risse bekam, durch die eine Waffe dringen konnte. Nach der dritten Landung rannte Zacco los, fort von den Pandinen und auf die rettenden Ruinen zu. Sie waren nicht mehr weit
entfernt. Die Pandinen erkannten die Absicht des versprengten Trupps und versuchten, ihm den Weg abzuschneiden. Doch die Dolomeden sprangen einfach über sie hinweg und rannten weiter. Als die verfolgenden Pandinen erkannten, dass sie nicht mehr aufzuhalten waren, ließen sie sie fliehen und kehrten ins Schlachtgetümmel zurück. * Sie krochen einen halb verfallenen Turm hinauf, dessen Außenwände zu glatt und steil für die mangelnden Kletterkünste der Pandinen waren. Die Dolomeden konnten sich mit ihren dünnen, mit Widerhaken versehenen Beinen in den kleinsten Ritzen verankern und sich mühelos hochstemmen. In wenigen Sekunden erreichten sie die Spitze des Turms. Er hatte kein Dach mehr, und die Dolomeden woben gemeinsam über dem dunklen Schacht ein Netz, in dem sie sich alle verankerten und von hoher Aussichtswarte den Kampf beobachteten. »Wie lange werden wir hier oben bleiben müssen?«, fragte sich Massi laut. Diese Frage stellten sich vermutlich alle, zumindest Zacco. »Schwer zu sagen«, antwortete die kampferprobte Jada. »Möglicherweise suchen sie überhaupt nicht nach uns, weil sie zu sehr mit dem Überleben beschäftigt sind. Es hängt vom Ausgang der Schlacht ab.« »Und ihren Rachegelüsten«, fügte Tamci hinzu. »Wir haben ihnen schwer zugesetzt.« Jada streichelte mit einem Greifarm Zaccos Bein, strich über die Stacheln und erzeugte damit ein leise schnarrendes Geräusch, das ein Lob bedeutete. »Für einen Anfänger hast du dich erstaunlich gut geschlagen, alter Mann«, stellte sie fest. »Ich dachte, ihr Wissenschaftler seid inzwischen zu weit von
der Realität entfernt.« »Ich hatte tä glich mit dem Feind zu tun, und mein Erbe ist noch nicht verschüttet«, versetzte Zacco. »Ich denke, das ist auch das Problem«, surrte Massi nachdenklich. »Wir sind immer noch viel zu sehr instinktbehaftet. Unser Überlebenstrieb steht über allem anderen und setzt unseren Verstand außer Funktion.« Die anderen wandten sich ihm zu und trommelten mit einem Bein leicht auf das Netz, um ihrer Verwunderung Ausdruck zu verleihen. »Und was ist so schlecht daran?«, wollte Jada wissen. »Dass vielleicht alles anders wäre, wenn wir nicht so... kriegerisch wären«, antwortete Massi. »In der Tat«, stimmte Tamci zu. »Dann wären wir ausgerottet, und die letzten Überlebenden unseres Volkes Spielzeug der Pandinen.« »Er ist verrückt geworden«, konstatierte Jada. »Vielleicht hat er was zwischen die Augen bekommen«, vermutete Zacco, »und jetzt sind seine Sinne verwirrt.« Massi wich zurück, als Zacco einen Arm nach ihm ausstreckte. »Halt still!«, forderte der Ältere scharf und tastete den Gefährten ab. »Ja... ich habe es.« Zacco ließ ein langgezogenes, bekümmertes Seufzen hören. »Dein Bauchpanzer ist beschädigt. Und ein abgebrochener Dorn steckt drin.« »Das kann nicht sein«, stieß Massi entsetzt hervor. »Ich spüre überhaupt nichts!« »Natürlich nicht. Das Gift hat bereits dein Nervensystem angegriffen, das erklärt auch deine Verwirrung.« Zacco zog seinen Arm zurück. »Was willst du nun tun?« Jada strich mitleidig mit dem Kieferfühler über seinen Kopf. »Ich könnte es verkürzen.« »Was... was verkürzen?«, stammelte Massi.
»Dein Leiden. Du kannst würdig abtreten, und ich würde dein Sperma in mir aufnehmen, du würdest in unseren Kindern weiterleben.« »Aber ich werde nicht sterben!«, behauptete Massi hartnäckig. »Ich bin auch nicht verwirrt. Ich denke schon länger darüber nach, wie es wäre, wenn wir nicht immer nur an Krieg und Kampf denken würden, sondern uns einmal auf andere Dinge konzentrierten!« Zacco hielt Massi für einen Narren, aber er hatte zugleich Mitleid mit ihm, denn er konnte schließlich nichts dafür. Er war ein Giftopfer. »Worauf sollten wir uns denn konzentrieren? « »Vielleicht könnten wir anderswo leben. Weit von den Pandinen entfernt. Vielleicht gibt es anderswo mehr Nahrung, mehr Ressourcen.Wir haben unseren Planeten nie ganz erforscht!« »Wir hätten es, wenn die Kundschafter zurückgekehrt wären«, meinte Tamci. »Und wir können kein Material damit verplempern, irgendwelche technischen Geräte zu konstruieren, die umgehend von den Pandinen abgeschossen oder vereinnahmt werden.« »Das ist eben das Problem, wir zerstören uns gegenseitig ständig die Netze.« Massi geriet immer mehr in Fahrt. »Jeder von uns ist nur darauf erpicht, dem anderen keinen Ausweg mehr zu lassen. Natürlich bleibt uns nichts anderes übrig, als immer wieder aufeinander loszugehen! Aber es muss doch noch etwas anderes geben...« »Massi, so ist nun mal der Lauf der Dinge, das Gesetz der Natur: zu überleben, ausreichend Nahrung zu finden, und Nachkommen aufzuziehen«, summte Tamci sanft. »Das beginnt doch schon bei den winzigen Ohrwürmern. Jeder von uns muss diese Gesetze befolgen.« »Aber wofür sind wir dann intelligent geworden?«, erwiderte Massi. »Ist es nicht Verschwendung, unsere Intelligenz nur für Waffensysteme einzusetzen, die doch jedes Mal nur ein Patt
hervorrufen? Wie weit haben wir uns denn von den Tieren entfernt, die nur ihren Instinkten folgen? Wir nutzen unsere Intelligenz doch gar nicht richtig aus!« »Es genügt jetzt«, knarrte Jada entschieden. »Massi, das Gift zerstört bereits deinen Verstand. Du solltest dich rasch in Paarungsbereitschaft versetzen, solange du es noch kannst. Als Hierarchin gestatte ich es dir, mich zu umwerben, und ich werde deine Werbung erhören. Aber du solltest am Ende nicht versuchen zu fliehen. Du wirst in Ekstase und in Würde sterben.« * Massi wagte keinen Widerspruch mehr. Zudem stieß Jada bereits Lockstoffe aus, die seine Sinne benebelten. Zacco zumindest merkte, wie es ihn packte, und er musste alle seine Kräfte zusammennehmen, um nicht mit dem Werbungstanz zu beginnen. Mit elegantem Schwung hangelte sich Jada in die Netzmitte, wo sie Massi mit den Duftstoffen zu sich lockte. Tamci hielt derweil Wache und beobachtete den Kampf, der in unverminderter Stärke stattfand. Das war nichts Neues. Weder Pandinen noch Dolomeden waren jemals bereit gewesen aufzugeben. Jede Schlacht endete mit dem Tod, bis die wenigen Überlebenden zu kraftlos waren, um weiterzumachen. Zacco versuchte, es Tamci gleichzutun, aber sein Blick irrte immer wieder ab. Seine Begierde auf Jada wuchs, als sie verführerisch ihr erstes Beinpaar schwenkte. Ihr Hinterleib schwoll an und verfärbte sich rot. Jetzt konnte Massi sich nicht mehr gegen seine Natur wehren. Er stelzte in den zweiten Ring des Radnetzes und begann zu zirpen, zuerst leise, dann mutiger werdend und allmählich lauter. Es war eine uralte verführerische Melodie, die ihre Wirkung auf Frauen nie verfehlte. Massi begann seinen
Tanz dazu, und er stellte sich recht geschickt dabei an. Zacco hatte schon sehr viel schlechtere Darbietungen gesehen – vor allem, wenn man bedachte, dass der Werbende bereits vergiftet war. Noch erstaunter war Zacco, als Massi anfing, die Melodie abzuwandeln und verschiedene Variationen ertönen ließ. Sein Tanz wurde immer schneller, sein Hinterleib zitterte erregt. Und er schien genau das Richtige zu tun, denn Jadas Hinterleib hob sich langsam an, und sie zirpte erwartungsvoll. Es war gefährlich, sich einer Hierarchin hinzugeben. Junge Dolomeden-Frauen waren sanft und rücksichtsvoll, mit ihnen konnte ein Werbender sich ungestraft einlassen. Aber die riesigen Hierarchinnen waren im wahrsten Sinne des Wortes männermordend. Den wenigsten Hochzeitern gelang rechtzeitig die Flucht, meistens wurden sie mitten in der Ekstase getötet – allerdings ein schöner Tod, der schönste von allen, wie Zacco fand. Er hatte nur bisher nicht den rechten Mut dazu gehabt, obwohl er sich schon gerne einmal auf das gewagte Spiel eingelassen hätte. Aber da gab es noch so viel, das er tun wollte... Für Massi jedenfalls war es der letzte Tanz, aber dafür durfte er ihn auch mit jeder Faser genießen, und die Leidenschaft der Hierarchin entschädigte ihn gewiss um ein Vielfaches für sein Opfer. Und es war auch höchste Zeit. Als er sich langsam Jada näherte, fing er an zu schwanken und zu taumeln, und seine Melodie driftete in ein wirres Durcheinander an Misstönen ab. Fast verfehlten seine Beine die Speichen, und er stolperte mehrmals. Das Gift entfaltete jetzt seine tödliche Wirkung, und Zacco wünschte seinem Kampfgefährten, dass er seine Werbung trotzdem noch vollenden konnte. Trotz der Misstöne blieb Jada in Stimmung und empfing ihren Hochzeiter mit ausgebreiteten Armen. Sie hob ihn hoch und schmiegte ihn an sich, und eine Weile zirpten sie im
Gleichklang, bis Massi schließlich zur Vollendung der Hochzeit auf ihren mächtigen Rücken kletterte und seinen Hinterleib an ihren presste. Ihre Bewegungen wurden immer heftiger, das Netz geriet ins Schwanken und drohte an mehreren Stellen zu reißen. Zacco riss sich mit Gewalt von der orgiastischen Szene los und kehrte auf seinen Beobachtungsposten zurück. Er hatte genug gesehen, und die Folgen wollte er sich nicht antun. Eine Weile noch zirpte und summte es in der Mitte des Netzes, bis abrupt die Melodie erstarb und es still wurde, auch die Schwingungen des Netzes hörten auf. Dann hörte Zacco ein kurzes Reißen, einen schweren Fall und einen dumpfen Aufprall weit unten am Grund des Schachts. »Er hat seine Pflicht erfüllt«, erklang Jadas Stimme hinter ihm. »Und er ist glücklich gestorben. Nun soll sein Körper dem Kreislauf des Lebens zugeführt werden, und seine Gene werden in seinen Nachkommen weiterleben.« Ja, so ist es, dachte Zacco verwundert. Plö tzlich war ihm zumute, als würde ein Schleier von seinen Augen gezogen, und er sah so klar wie noch nie in seinem Leben. Massi hatte doch gar nicht Unrecht. Reproduktion und Fressen. Nichts anderes. * In der Dämmerung aktivierten die auf dem Turm wartenden Dolomeden ihre Nachtsichtlinsen. Sie konnten damit zwar immer noch nicht so gut sehen wie die Pandinen, weil die Optik der sechs Augen unterschiedlich war und dadurch kein einheitliches Bild liefern konnte, aber immerhin waren sie jetzt in der Nacht nicht mehr so hilflos wie vor der technischen Weiterentwicklung. Die Kämpfe hatten merklich nachgelassen, und das Ende war absehbar. An verschiedenen Stellen hatten sich Leichenhaufen gebildet, die ein schnelles Umdirigieren der
Truppen erschwerten. Zudem ermüdeten die Soldaten zusehends, die Bewegungen wurden kraftloser, viele Hiebe und Dornstöße gingen jetzt daneben. Nach dieser Schlacht würde das Gebiet noch kostbarer sein, da es Tausende von Tieren aus weiter Umgebung anlocken und zum Festschmaus einladen würde. Auf diese ironische Weise sorgten beide Völker fü r ihr weiteres Überleben. Es war ein blutiger Kreislauf, eine teuflisch in sich gedrehte Spirale ohne Anfang und Ende, aus der es kein Entrinnen gab. Zacco, dem Massis letzte Worte einfach nicht mehr aus dem Sinn gingen, begriff plötzlich, was in dem Kampfgefährten vorgegangen war Ob es eines Tages anders sein wird?, fragte er sich. Werden wir zur Vernunft kommen? Erschrocken schüttelte er gleich darauf die Gedanken ab. Was war denn nur los mit ihm? Hatte sich das Gift nun auch in seinem Körper ausgebreitet wie eine ansteckende Krankheit? Unauffällig untersuchte sich Zacco, aber er fand keine Wunde. Dann lag es vielleicht daran, dass er zum ersten Mal gekämpft hatte, sein Verstand war von Reizen überflutet und brauchte einige Zeit, bis er alles verarbeiten konnte. Jada kauerte zusammengesunken in der Mitte des Netzes. Sie musste nach der Anstrengung einige Zeit ruhen, bis das befruchtete Gelege sicher in einer Bauchtasche untergebracht war. Erst an einem geschützten Ort, bewacht von vielen Artgenossen, würde Jada einen Kokon spinnen, in dem sie ihre Eier ablegte. Es war schon vorgekommen, dass die Brut sich direkt in der Bauchtasche entwickeln musste, wenn die Mutter durch den Krieg heimatlos geworden war. Aber bevor es so weit kam, würde Jada alles unternehmen, in die Siedlung zurückzukehren. Tamci beobachtete den Ausgang der Schlacht unter ihnen. »Wärst du lieber wieder dort unten?«, fragte Zacco. »Nein. Ich kämpfe zwar gern, aber ich bin nicht lebensmüde.
Außerdem wäre es Verschwendung, denn der Kampf ist ohnehin gleich zu Ende. Da, sieh!« Tatsächlich hatten beide Völker wohl genug, denn plötzlich wurden die Kampfhandlungen beendet, und die Soldaten trennten sich und zogen sich voneinander zurück. Wie beim letzten Mal hatte es sehr viele Tote auf beiden Seiten gegeben, und die Einzigen, die auch diesmal etwas davon hatten, waren die Beutetiere. Anstatt heute Nacht selbst gejagt zu werden, konnten sie sich an einem reich gedeckten Tisch niederlassen. Heute Nacht würde es ausnahmsweise einmal friedlich sein, zumindest in dieser Region. Zacco zweifelte nicht daran, dass andernorts ebenfalls eine Schlacht stattfand, vielleicht am Rand einer Stadt, und bis zum bitteren Ende fortgesetzt wurde. So überzeugt er zu Beginn gewesen war, so verunsichert fühlte er sich nun. Vielleicht lag es daran, dass er von einer hohen Warte aus beobachtete, mit einigem Abstand, und objektiv darüber nachdachte, welcher Sinn tatsächlich in diesem Krieg lag. »Tamci...«, sagte er zögernd. »Hast du je daran gedacht... aufzuhören?« »Womit?«, fragte sie. »Zu kämpfen. Einfach fortzugehen und nach einem friedlichen Ort zu suchen.« »Fängst du auch noch an! Was ist nur mit euch Männern los?« »Ich meine es ernst, Tamci. Bist du erfüllt von dem, was du tust? Welche Vorstellungen hast du über die Zukunft?« »Ganz einfach, Freund. Ich werde Hierarchin. Noch ein Jahr Wachstum, und ich bin so weit.« »Und dann? Wirst du Hunderte und Tausende Nachkommen zeugen, die nur dem einen Zweck dienen, nämlich als Soldaten zu sterben?« »Ich verstehe dich nicht, Zacco. Dies ist nun mal der Lauf der Welt. Meine Nachkommen können tun, was sie wollen.
Vielleicht werden sie Forscher, so wie du. Oder Techniker. Es gibt doch viele Möglichkeiten.« »Aber sie alle beschäftigen sich nur mit dem Kriegshandwerk.« Zacco deutete zum schmutzig- schwarzen Himmel empor, an dem ferne Sterne blinkten. »Hast du nie darüber nachgedacht, wie es dort oben ist?« »Nein, nie.« »Wirklich nicht, Tamci? Hast du dir nie überlegt, wohin unser Verstand uns führen könnte?« »Wir sind, wer wir sind, Zacco. Unter besseren Voraussetzungen wäre vielleicht alles anders geworden, aber mit solchen philosophischen Betrachtungen dürfen wir uns nicht aufhalten.« Tamci schabte sich mit dem Kieferfühler ihr Mundwerkzeug. »Andererseits solltest du darüber nachdenken, warum wir jetzt hier sind. Das intelligente Volk vor uns hat es auch nicht geschafft, den Weltraum zu erobern. Es sprechen sogar ziemlich viele Anzeichen dafür, dass es sich selbst durch eine atomare Katastrophe in die Luft gejagt hat. Über Tausende von Jahren hinweg war der Planet unbewohnbar, gerade mal ein paar Insekten und unsere Urahnen fristeten ihr kümmerliches Dasein, bis sich die Mutationen evolutionär auswirkten. Aber die Ureinwohner hatten ganze Arbeit geleistet, sodass der Planet auch nach der langen Zeit nicht mehr genug hergab, um eine friedliche Zivilisation, ein harmonisches Miteinander unserer beiden Völker zu ermöglichen. Erklär mir mal, welche Wahl wir haben! Geben wir auch nur einen Schritt nach, besetzen die Pandinen den freigegebene n Raum sofort und berauben uns unserer Lebensgrundlage.« »Wir hätten daran arbeiten können, Maschinen zu bauen, die uns Regen bringen. Der Sand in der Wüste draußen ist sehr mineralhaltig, eine gute Grundlage für Pflanzen.« »Wir sind keine Pflanzenfresser.« »Hör mir doch zu«, ereiferte sich Zacco. »Mithilfe der Pflanzen hätten wir genug Nahrung für Beutetiere, die wir
kontrolliert züchten könnten. Wir hätten mehr Zeit für andere Dinge, und jeder Krieg wäre überflüssig.« Tamci stieß ein sirrendes Geräusch aus. »Du bist ein Fantast, Zacco. Vielleicht hätte das funktioniert, wenn es nur uns gäbe. Aber da sind die Pandinen, unsere Konkurrenten, die uns alles neiden. Sie wollen jede Entwicklung nur für sich selbst nutzen, ohne zu teilen. Sie würden unsere Technologie dankend annehmen und uns unterwerfen. So ist nun einmal die Lage, und so war sie schon immer. Denkst du, du bist der Erste, der darüber nachdenkt? Soweit ich mich an den Geschichtsunterricht erinnere, gab es sogar schon Friedensverhandlungen. Aber sie scheiterten jedes Mal, weil die Pandinen nicht zu Kompromissen bereit waren.« Vermutlich, dachte Zacco, denken die Pandinen genauso über uns. Und es stimmt ja auch. Wir können einander nicht vertrauen. Ich habe es selbst erlebt, wie grausam die Pandinen sind, wie kampflustig. »Ich denke nur, dass wir nicht aufgeben dürfen. Eines Tages gibt es nicht mehr genug für alle, und wir werden langsam verhungern. Die wenigen Überlebenden werden nicht mehr in der Lage sein, etwas zu ändern.« »Da sind noch Tausende Generationen hin, Zacco. Das braucht uns nicht zu kümmern.« * Zacco bekümmerte es aber jetzt. Er saß in der nächtlichen Kälte hier oben auf dem Turm gefangen und sehnte sich nach der warmen Behaglichkeit seiner Wohnung. Die Siedlung war ein einziger riesiger Kokon, von außen nahezu undurchdringlich, und innen in unzählige individuelle Wohnnetze, Gebäude und Anlagen unterteilt. Die Dolomeden hatten ihre Webkunst verfeinert und es gleichzeitig geschafft, andere natürliche Baustoffe und sogar
Metalle zu verfeinern. Jede Stadt, jede Siedlung war ein einziges Kunstwerk, das sich dem staunenden Besucher erst hinter der Kokonhülle offenbarte. So fü hlten sich die Dolomeden geborgen, und es machte ihnen auch nichts aus, dicht gedrängt zusammenzuleben oder beispielsweise auf öffentlichen Wegen übereinander zu kriechen, wenn zu viele gleichzeitig unterwegs waren. Trotzdem hatte jeder einen Wohnbereich für sich allein, wohin er sich zurückziehen konnte. Die Pandinen hingegen setzten auf schmucklose Hässlichkeit, sie errichteten rein funktionale Gebäude, jedes für einen bestimmten Zweck, und zum Wohnen nutzten sie meistens halb in den Boden gegrabene »Löcher« mit minimaler Technik, wo sie in dicht gedrängten Haufen übereinander. gestapelt ruhten – streng nach Zuchtprogramm geordnet. Pandinen hatten keinen Sinn für Kultur, mit Ausnahme vielleicht ihrer riesig hohen Türme, die sie anscheinend bis zum Himmel bauen wollten. Darin lebten die Volksräte und die Staatsmütter. Diese Türme konnte man wirklich als kunstvoll bezeichnen, mit Schnitzereien versehen und allen möglichen Gegenständen ausgestattet. Zacco hatte einmal eine Aufzeichnung darüber gesehen, als die Pandinen mit ihrer Sendefrequenz die der Dolomeden überlagerten. Dies war mal ein Kampf ohne Gemetzel gewesen, und die Dolomeden hatten ganz schön damit zu tun gehabt, die Pandinen wieder aus ihrem Programm zu werfen. Zu Beginn des technischen Zeitalters hatten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen versucht und einander die Erfindungen gestohlen. Aber die Ressourcen waren dafür einfach zu kostbar, sodass beide Völker sich irgendwann einschränken mussten und den Wettstreit beendeten. Wenn Zacco daran dachte, mit welchen primitiven Transportern die Pandinen die Sandwüste durchquerten, konnte er nur verächtlich schnarren. Andererseits waren sich die Dolomeden
natürlich nicht zu schade dafür, die Transporter zu stehlen, wenn die Gelegenheit günstig war. Im Gegensatz dazu zapften die Pandinen Energieleitungen an und sorgten für städteweite Stromausfälle. Es muss doch möglich sein, dachte Zacco, während er über das jetzt friedliche Land schaute. Das Schlachtfeld war nicht mehr sichtbar, wie erwartet hatten sich Tausende Leichenfresser eingefunden, die angesichts des Überangebots nicht einmal um die besten Bissen zu streiten brauchten. Die Masse ihrer dunklen Leiber bedeckte den ganzen Boden, und von hier aus wirkte das Feld jetzt wie eine natürliche, homogene, etwas hügelige Landschaft. Es stimmt, was Massi sagte: Wofür haben wir den Verstand bekommen? Momentan verhalten wir uns nicht anders als diese niederen Tiere dort unten. Wenn es nur einen Weg gäbe, einander zu vertrauen, aufeinander zuzugehen und gemeinsam zu versuchen, etwas Dauerhaftes aufzubauen. Es könnte uns gelingen, mit dem Wenigen auszukommen, das der Planet bietet. Mit einem vernünftigen Programm, das in den ersten zwei Jahren vielleicht harte Einschränkungen erfordert, aber danach reiche Früchte trägt. »Bist du eigentlich neugierig?«, richtete Zacco unvermittelt eine Frage an Tamci. »Wiederum sprichst du in Rätseln«, erwiderte sie ungehalten. »Ich wollte eigentlich schlafen. Wir haben einen anstrengenden Kampf hinter uns.« »Ich lasse dich gleich in Ruhe. Aber hast du nie daran gedacht, einmal auf Wanderschaft zu gehen? Nachzusehen, ob es überall gleich ist auf diesem Planeten? Oder ob wir in unserer Sicht nur zu beschränkt sind?« Tamci schwieg eine Weile. Schließlich antwortete sie: »Vor langer, sehr langer Zeit begaben sich vier Dolomeden auf Wanderschaft. Sie wollten herausfinden, ob die Bedingungen auf unserer Welt überall gleich schlecht waren. Nur einer von
ihnen kehrte wieder, aber sein Verstand war umnachtet, und er erzählte schreckliche Dinge. Eine Expedition wurde losgeschickt, die nie mehr wiederkehrte. Dann machten sich einzelne Dolomeden auf den Weg. Eines Ta ges kehrte ein einzelner Dolomede zurück. Er war uralt und am Ende seiner Kräfte. Er berichtete vom Gelobten Land, wo es keinen Mangel gibt, Nahrung in Hülle und Fülle. Im Gelobten Land sei der technische Fortschritt sehr viel weiter als hier, berichtete der Alte. Doch wo es sich befand, konnte er nicht mehr sagen, denn noch mitten im Satz starb er.« Tamci hielt inne und sah ihn einen Moment schweigend an, bevor sie fortfuhr. »Ja, und dies ist nun unsere Geschichte, Zacco. In jeder Generation macht sich mindestens ein Dolomede auf den Weg, um das Gelobte Land zu finden, eines Tages zurückzukehren und sein Volk dorthin zu fü hren. Aber das wird nie geschehen.« »Weshalb nicht?«, fragte Zacco provokativ. »Ganz einfach, alter Narr«, schnarrte Tamci. »Diejenigen, die zurückkehrten, erkannten die Heimat als das Gelobte Land an. Sie wollten sie noch einmal sehen, bevor sie starben, sie hatten Angst vor der Einsamkeit dort draußen in der Wüste. Die Wüste ist gigantisch, wahrscheinlich umspannt sie den ganzen Planeten, und es gibt nur kleine Lebensinseln dazwischen, so wie die, auf der wir leben. Überall wird es gleich sein. Wenn ein Dolomede jemals so weit gekommen ist, dann hat er das erkannt. Und das raubte ihm den Verstand, deshalb kehrte er um. Um seinem Volk aber nicht die Hoffnung zu nehmen, fantasierte er vom Gelobten Land, und so starb er in Frieden. Das ist es, woran ich glaube, Zacco. Es lohnt sich nicht, neugierig zu sein.« »Und wenn du dich irrst?«, fragte Zacco vorsichtig. »Es gibt keine Beweise, weder für die eine, noch für die andere Theorie.« »Deshalb machen sich Zweifler und unbelehrbare Träumer
auf den Weg. Aber keiner kommt zurück, um die Wahrheit zu verkünden. Wir werden die Wahrheit nie herausfinden. Ich bin keine Träumerin, sondern harte Realistin. Eines Tages bin ich Hierarchin, und ich werde helfen, mein Volk zu beschützen, und ich werde ihm starke Nachkommen schenken. Das ist alles, was ich tun kann, und das ist der ganze Sinn. Wir leben, weil wir leben. An den Bedingungen können wir nichts ändern, solange die Scherenrassler noch existieren, unser Fluch, unsere Geißel.« Harte Worte. Zacco fühlte sich aber nicht belehrt. Im Gegenteil, jetzt war sein Abenteuergeist erst recht entflammt. Die nächsten Stunden dachte er darüber nach, wie es wäre, wenn er selbst sich auf die Suche machte. Sicherlich war er nicht mehr der Jüngste, aber auf der anderen Seite voll ausgewachsen, zäh und ausdauernd, widerstandsfähig und für Entbehrungen gewappnet. Vielleicht war es ja Unsinn, ein dummer Traum. Aber das konnte er nur wissen, wenn er es selbst herausfand. Zacco erkannte, dass er sich sein Leben lang in sein Schicksal ergeben hatte, mit einem Fatalismus, der ihn gleichgültig gegenüber den Wundern des Lebens machte. War es wirklich möglich, dass der gesamte Planet so öde, verlassen und verloren war? Konnte Krieg der einzige Lebenszweck sein, der unbarmherzige Wille, den Feind auszurotten? »Noch etwas«, sagte Tamci irgendwann, als sie einmal kurz aus dem Schlummer erwachte. Das Gespräch hatte sie anscheinend noch nicht losgelassen. »Wenn es dein sagenhaftes Land tatsächlich gibt – wieso senden sie dann keine Boten aus? Warum kommt niemand und führt uns dorthin? Wenn dort alles so wunderbar ist und die Technik weiter fortgeschritten ist als bei uns, dann müssten sie doch jede Menge Möglichkeiten haben, um uns aus dem Elend zu holen – uns zu retten. Was sind das für Heilsbringer, die kein Heil bringen?« »Vielleicht sind sie noch nicht so weit«, meinte Zacco
vorsichtig. »Oder sie wollen uns nicht bei sich haben«, gab Tamci zurück. »Denk darüber nach, alter Mann. Und schlafe ein wenig, morgen geht der Kampf weiter. Wir müssen irgendwie zur Siedlung zurück.« Nun hatte Zacco eine Menge zu verarbeiten. Tamci hatte vollkommen Recht: Wenn das Gelobte Land so fortschrittlich war, wieso nahm es dann keinen Kontakt auf? Da gab es viele Möglichkeiten. Die harmloseste davon war, dass die Entwicklung, wie Zacco vermutete, noch nicht so weit war, um Kontakt aufzunehmen. Die zweite Möglichkeit hatte Tamci bereits genannt: Die Bewohner wo llten die von »außen« nicht haben. Sie hatten sich zu einem eigenen Staat entwickelt, der sich für besser oder höher gestellt erachtete und die Tore vor den »niederen Wesen« verschloss. Eine dritte Möglichkeit war, dass nur Pandinen im Gelobten Land lebten. Das konnte auch erklären, weshalb keine Dolomeden zurückkehrten. Andererseits: Wieso führten die Pandinen dann immer noch Krieg? War ihnen aufgetra gen worden, zuerst das »Problem Dolomeden« zu beseitigen, bevor sie ins Gelobte Land ziehen durften? Oder... es gab dort überhaupt nicht genug Platz für alle. Eine vierte Möglichkeit empfand Zacco als sehr kühn: Eine dritte Rasse lebte im Gelobten Land, ein Volk, das weder mit Pandinen noch mit Dolomeden verwandt war. Es hatte das Gelobte Land von Anfang an besiedelt, vielleicht sogar den Untergang der ersten Zivilisation überlebt, war mit den Ureinwohnern identisch, oder ein anderes intelligentes Volk. Und hatte sich völlig abgeriegelt von der übrigen Welt und still verhalten, um mit nichts konfrontiert zu werden. Vielleicht aus Angst vor einer neuen Katastrophe, vielleicht aber auch schlicht aus Desinteresse. Die letzte Möglichkeit: Es war tatsächlich alles nur Lüge.
Eine Legende. Ein Gerücht, das einfach nicht sterben wollte. Weil sich auch andere Dolomeden – so wie Zacco jetzt – an eine trügerische Hoffnung klammerten. An den Wunsch, dass eines Tages eine bessere Welt auf sie wartete. Ob die Pandinen auch vom Gelobten Land gehört haben?, überlegte Zacco. Es war sehr wahrscheinlich, dass es bei ihnen eine ganz ähnliche Entwicklung gab. Möglicherweise suchten auch sie schon lange danach. Die Unbelehrbaren unter ihnen, die glaubten, der Krieg sei nicht alles. Es war seltsam, aber er fü hlte sich völlig verwandelt. Als wäre der Zacco, der er bis jetzt gewesen war, gestern gestorben, zusammen mit seinem Kampfgefährten Massi. Innerhalb weniger Stunden hatte er sich völlig verändert, war nun wie neu geboren. Vielleicht, weil er zum ersten Mal ausreichend Gelegenheit zum Nachdenken hatte und weil Massi ihn mit seinen Äußerungen dazu angeregt hatte. Aber du kannst nachdenken, so viel du willst, Freund, führte Zacco einen lautlosen Monolog, am Ende wirst du dich der Entscheidung stellen müssen, was du nun tun willst. Die Gedanken ein für alle Mal verdrängen, so lange, bis du sie vergessen hast? Oder wirst du etwas unternehmen? Fest steht, dass du nicht mehr so weitermachen kannst wie bisher, dass du nicht so tun kannst, als wäre nie etwas gewesen. Bei Tamci ist das etwas anderes, sie zweifelt nicht, sie ist absolut überzeugt von der Notwendigkeit des Krieges. Sie glaubt nicht an Träume und aberwitzige Gedanken. Du jedoch bist nun sehr im Grübeln und hoffst zutiefst, dass es das Gelobte Land gibt, und dass es ein neuer Lebensraum für die Dolomeden sein wird. Vielleicht wartet es nur auf dich, entdeckt zu werden, vielleicht sind alle anderen Expeditionen zuvor lediglich gescheitert, und der arme sterbende Narr, der zurückkehrte, hatte nur einen kurzen Blick darauf geworfen und war sofort umgedreht, um rechtzeitig die Botschaft zu
verkünden. Vielleicht lebt dort gar niemand, alles ist friedlich und unberührt und wartet auf Inbesitznahme. Du musst herausfinden, ob es so ist. Wenn es so ist, musst du vor den Pandinen dort sein – und es schaffen zurückzukehren. Was auch immer den anderen Kundschaftern vor dir zugestoßen sein mag, dir darf es nicht geschehen. Die Chancen dafür stehen bei fünfzig Prozent, und manchmal braucht es viele Anläufe, bis etwas gelingt. Das sollte dir aus der Forschung hinreichend bekannt sein. Auch Zufälle sind entscheidend. Hatte es einen Sinn? Andererseits, weshalb sollte ausgerechnet er so waghalsig sein? Es gab Jüngere, Stärkere, ja Intelligentere als ihn, weshalb kamen sie nicht auf die Idee? Und was war mit der Obersten Hierarchin? War es möglich, dass sie noch nicht darüber im kleinen Kreis diskutiert hatte? Nein so kann ich nicht nachdenken. Jede Überlegung wirft nur neue Fragen auf, und diese wiederum weitere Fragen. Aber ich kann sie nicht alle beantworten. Die alles entscheidende Frage ist: Will ich es tun? Zacco brauchte den Rest der Nacht, um sich darüber klar zu werden... * Gegen Morgengrauen war er dann doch noch eingenickt und schreckte hoch, als Tamci unsanft ihren Greifarm auf seinen flachen kleinen Schädel klatschen ließ. »Auf mit dir!«, zischelte sie. »Wir müssen los!« Zacco sah sich verstört um. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und über dem Land lag ein düsterer, grau verschleierter Dämmerschein. Das verschwommene Zwielicht war nicht gut für die Augen eines Dolomeden, aber für die Nachtsichtlinsen war es wiederum zu hell.
Das verwüstete Schlachtfeld zwischen den Hügeln bot dennoch ein entsetzlich deutliches Bild, unübersehbar in dieser Größe, und Zacco wandte rasch den Blick davon ab. Hinter ihm regte sich Jada. Sie streckte nacheinander ihre Beinpaare und schickte sich dann an, zu den Gefährten zu kommen. In diesem Moment blitzte etwas unter ihnen auf. Dann explodierte das Netz mit einem fauchenden Geräusch; Tamci und Zacco konnten sich gerade noch mit einem Sprung auf die Mauerreste retten. Jada schaffte es nicht mehr, mit einem wütenden Kieferklicken stürzte ihr mächtiger Leib in die Tiefe. »Wir sitzen in der Falle!«, rief Tamci, halb über die Mauer gebeugt. Rund um den Turm hatten sich Pandinen postiert. Sie konnten die senkrechten Mauern zwar nicht hochklettern, das schafften nur Dolomeden aber für die gab es keinen Ausweg mehr. »Jada!«, rief Zacco. Sie gab keine Antwort, aber aus den Geräuschen unten schloss Zacco, dass sie mitten unter den Pandinen gelandet war und wütend ihr Leben verteidigte. Schrilles Sirren, das Klirren von Schwertern und einige dumpfe Schüsse klangen aus der Dunkelheit herauf. »Komm«, sagte er zu Tamci. »Helfen wir Jada.« Sie kletterten, nein rannten die Mauerinnenseite hinab und überwanden die letzten Meter mit einem Sprung direkt auf die angreifenden Pandinen. Zacco spürte einen Ruck in seinem Schutzpanzer. Bisher hielt er noch, aber wie lange? Ein Hohlgeschoss pfiff an ihm vorbei und beschäftigte alle Kämpfenden als Querschläger, bis es endlich in einer Mauerspalte stecken blieb. »Keine Schüsse mehr!«, schrillte ein Pandinen-Soldat. »Seid ihr wahnsinnig geworden?« Der mit Trümmerteilen verschüttete Raum war nun voll
besetzt, und immer noch drängten Soldaten nach. Zacco konnte sich kaum noch rühren, aber den Pandinen ging es ebenso. Die Hierarchin war bereits auf einige Rücken geklettert und kämpfte mit so rasender Wildheit, dass es ihr tatsächlich gelang, die Angreifer zurückzutreiben, obwohl diese in der Überzahl waren. Zacco wusste, was ihr Antrieb war: Ihre Brut, die sie sicher zur Siedlung bringen wollte. Mit einer wütenden DolomedenMutter konnte es so leicht niemand aufnehmen, schon gar nicht, wenn sie voll ausgewachsen war. Zacco nutzte den gewonnenen Abstand, um zum Angriff überzugehen, und Tamci tat es ihm gleich. Zu dritt kämpften sie sich ihren Weg frei und stürmten aus dem Turm. Draußen wartete ein halbes Heer auf sie, und sie setzten ihre ganze Sprungkraft ein, um auf eine nahe gelegene zusammengebrochene Mauer zu springen. Eine Menge Schüsse pfiffen um sie herum, aber zum Glück traf keiner. Glück gehörte eben dazu! Sie hatten keine Zeit, auf der Mauer auszuruhen, denn die Pandinen zeigten nun, dass sie in gewissem Rahmen durchaus klettern konnten. Die drei Gefährten rannten an der Mauer entlang, und Zacco feuerte in alle Richtungen, was seine Waffe hergab. Einmal würde er noch nachladen können, dann hatte er keine Munition mehr. Immer wieder konnten sie kurzzeitig Deckung zwischen größeren Bruchstücken finden. Aber wie lange konnten sie noch fliehen? Und wohin? Der Rückzug zur Siedlung war ein für alle Mal abgeschnitten. »Sie wollen uns lebend«, keuchte Tamci hinter Zacco. »Merkt ihr das nicht? Sie hätten uns inzwischen längst den Weg abschneiden und uns töten können. Aber sie veranstalten eine Treibjagd. Sie wollen Rache für die vergangene Schlacht.« Sie erreichten ein halbwegs intaktes Gebäude und verschafften sich eine kurze Pause, indem sie hineinstürmten
und dann senkrecht die Wände hochkletterten, um in einem Zwischengeschoss auf einem wackeligen Deckenteil, das noch einigermaßen hielt, Deckung zu nehmen. Es gab von keiner Seite Einsicht, und die Reaktionen der Pandinen zeigten, dass sie vorläufig die Spur verloren hatten. Aber das würde sicher nicht lange dauern, sie brauchten nur auf Infrarot-Sicht umzustellen, und in der kühlen Düsternis des Gebäudes wäre es kein Problem mehr, sie aufzuspüren. »Was tun wir jetzt?«, fragte Zacco. »Wie können wir am meisten von ihnen mitnehmen? « Er dachte nicht einmal daran aufzugeben. Jeder wusste, was die Pandinen mit Gefangenen veranstalteten. Umgekehrt war es natürlich nicht anders, aber das war nur gerecht. Es war auch klar, dass sie hier nicht mehr lebend rauskommen konnten. Also brauchten sie eine Strategie, wie sie ihren eigenen Tod vielfach rächen konnten. »Ich habe einen Durchgang entdeckt«, sagte plötzlich Jada, die sich umgesehen hatte. »Ich passe gerade noch hindurch. Mal sehen, wohin es von dort aus geht.« Ohne Zustimmung abzuwarten, machte die Hierarchin sich auf den Weg und quetschte sich durch den schmalen Durchlass. Dahinter breitete sich ein riesiges, innen halb verfallenes Gebäude aus, dessen Außenmauern aber noch weitgehend intakt waren. Es gab einige Gänge zwischen den Mauern, vielleicht Geheimgänge, Schanzgänge, was auch immer. Zacco würde die Bauweise der Ureinwohner nie verstehen lernen. Leider hatte er auch keine Vorstellung, wie das erste Volk ausgesehen haben mochte. Was einst an Einrichtung und technischer Ausrüstung vorhanden gewesen war, lag tief unter den Trümmern begraben. Aber hier oben konnten sie sich gut bewegen. Zweifelsohne würden die Pandinen unten ebenfalls einen Durchgang finden und über die Trümmer hinaufklettern, aber bis dahin hatten die Dolomeden hoffentlich genug Vorsprung.
Zacco und Tamci folgten der Hierarchin, die sich in diesem Labyrinth problemlos zurechtfand. Woran sie sich orientierte, konnte Zacco sich nicht erklären. Aber das war eines der Geheimnisse der mächtigen Frauen: Sie konnten ungeheuerliche Netze weben, größer als ein Haus, mit einer Vielzahl von Durchgängen. Vermutlich fanden sie sich automatisch in jedem Labyrinth zurecht weil es nach Zaccos Überlegung nicht viele Unterschiede im systematischen Aufbau gab. Tamci war das nicht so klar. »Wie machst du das, Jada?«, wollte sie bei einem kurzen Halt wissen, als die Hierarchin sich neu orientierte. »Kindchen, Netzwebern bleibt keine Windung, kein Knoten verborgen. Wir sind Konstrukteure. Die Erbauer dieser Gebäude haben funktional gedacht, es ist ein raffiniertes, aber einfaches System. Wofür auch immer es gedacht sein mochte. Ich kann es problemlos erkennen, und du wirst das eines Tages auch schaffen, wenn du erst Hierarchin bist und lernst, richtige Netze zu weben.« Hinter sich hörten sie die Pandinen, die sich unaufhaltsam durch Schutt und Trümmer arbeiteten. Noch waren die Dolomeden schneller, aber sie konnten nur hoffen, dass inzwischen nicht die gesamten Ruinen umzingelt waren. In diesem Moment ging die Sonne auf, durch Fenster, Ritzen und Löcher fallende Lichtstrahlen durchfluteten das ganze Gebäude und schufen ein unwirkliches Szenario aus wechselndem Lichtund Schattenspiel. Zacco stellte sich in einen Sonnenstrahl und spürte dankbar, wie die Kälte der Nacht aus seinen Gliedmaßen verschwand und sein Körper sich erwärmte. Nun konnte er geschmeidiger laufen, nicht mehr so steif und unbeholfen. »Los, los«, drängte Jada. Sie stürmte weiter, während auch die Geräusche hinter ihnen lauter wurden. Sie führte ihre Kampfgefährten in rasendem Tempo durch Gänge und über
Stege, übersprang Abgründe, kletterte Mauern hoch und wieder herunter und wechselte ununterbrochen die Richtung. Selbst der ausgezeichnete Geruchssinn der Pandinen konnte da nur schlecht mithalten, auch ein gleichaltriger Artgenosse der Dolomeden hätte es im Fall einer solchen Prüfung nicht leicht gehabt. »Ich glaube, der Vorsprung wird größer«, wisperte Tamci Zacco zu. »Allerdings komme ich kaum noch zum Atmen.« Zacco hatte schon gar keine Luftreserve zum Sprechen mehr übrig. Seine Bewunderung für Jada wuchs ins Unermessliche, und sein Neid auf den verblichenen Massi, dessen Nachkommen sie in der Bauchtasche trug, ebenso. Mit einer solchen Hierarchin brauchte man sich keine Gedanken über die Zukunft des Volkes zu machen, denn sie wusste, wie man überlebte. Wo die Abstände von einem Vorsprung zum nächsten zu groß waren, presste Jada einfach einen Faden aus ihrer Drüse am Hinterleib, klebte ihn fest und sprang dann ins Nichts, ließ sich treiben und zog den Faden hinter sich her, so weit es ging. Dann begann sie zu pendeln und nutzte den Schwung aus, um jedes Mal ein Stückchen weiter zu kommen, bis sie den gegenüberliegenden Vorsprung erreichte und dort das andere Ende befestigte. Nun konnten Tamci und Zacco über den dünnen, aber stabilen Faden hinübertanzen. So kämpfte sich die kleine Gruppe der Versprengten durch die Ruinen, bis Jada schließlich oben auf einem Turm verhielt und sich umsah. Vor ihnen, nur ein paar Sprünge entfernt, lag die Wüste. Im Westen war ein dünner Strich am Horizont zu erkennen, die Siedlung der Dolomeden. Dazwischen lag Niemandsland, bevölkert von Feinden, die nur darauf warteten, dass sie versuchten, die Heimat zu erreichen. Unter ihnen durchstreiften die Pandinen die Ruinen auf der Suche nach ihnen, drehten jeden Stein um, tasteten in jeder Ritze nach einer verborgenen Kammer, einem geheimen
Versteck. »Wir könnten es schaffen«, überlegte Jada laut. »Nur wie?«, fragte Zacco, der froh um die Atempause war. »Sollen wir uns verstecken, bis sie die Lust verloren haben, uns zu suchen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie lä nger als einen Tag mit der Suche verschwenden werden, und so lange halten wir es ohne Nahrung leicht durch.« »Das meine ich nicht«, erwiderte Jada, »ich spreche vom Heimweg.« »Aber es ist doch zu weit...«, wandte Tamci zögerlich ein. Jada wies mit einem Greifarm auf die Wüste. »Es wäre ein Umweg, aber in jedem Fall sicherer. Die Pandinen würden uns nicht folgen.« »Aus gutem Grund«, meinte Tamci. »Die Wüste ist mörderisch. Die Pandinen wagen sich nur mit Transportern hinein. Es gibt Treibsand, und Scherbensand, der unsere Beine abrasieren kann. Es gibt Ätzsand und Flugsand, der unsere Tracheen verstopft. Ist es das wert?« »Ich muss an meine Brut denken, sie ist jedes Opfer wert, Tamci. Ich würde normalerweise auf euch verzichten, aber aus Sorge um die Eier brauche ich euch dabei.« »Kannst du denn den Weg finden, Jada?«, fragte Zacco misstrauisch. »Aber natürlich. Ich bin älter als ich aussehe, älter sogar als du, alter Mann. Ich kenne die Karten von diesem Gebiet. Wir müssen zwei Tage durch die Sandwüste marschieren, dann erreichen wir unser Jagdgebiet. Hoffen wir, dass es das noch ist, und auf Artgenossen treffen, die uns sicher zur Siedlung zurückbringen.« Tamci knirschte mit den Zangenfühlern. »Zwei Tage?« »Ja, weil wir nur sehr langsam vorankommen. Wie du gesagt hast, ist die Wüste hier gefährlich. Von der Entfernung her, bei gutem Tempo, ist es nicht weiter als ein dreiviertel Tag. Und jetzt lasst uns keine Zeit verlieren, die Pandinen dürfen nicht
merken, was wir vorhaben.« Jada kletterte über die halb zerbrochene Brüstung und kroch an der Außenmauer hinunter. An dieser Stelle waren keine Pandinen-Soldaten postiert. Sie nahmen gewiss nicht an, dass die Dolomeden so verrückt wären, den Weg durch die Sandwüste in Kauf zu nehmen. Zacco konnte es ja selbst kaum glauben. Dies war überhaupt nicht die Mentalität seines Volkes, aber andererseits hatten sie auch eine besondere Situation – Jadas befruchtete Eier. * Kurz vor der ersten Düne entdeckte sie ein Soldat, der auf einem erhöhten Posten Ausschau hielt. Er schrillte sofort Alarm, und Zaccos feines Gehör vernahm das Rascheln und Ticken hunderter Gliederfüße, die sich in raschem Tempo über Geröll und Schutt bewegten. Jada rannte los, um die erste Düne herum und zwischen zwei anderen hindurch. Trotz des Tempos nahmen Zaccos Augen voller Staunen das prachtvolle Bild auf, das sich ihm bot: Ein Meer voller Sand, mit Dünenwellen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Erstaunlicherweise spürte er sofort die Hitze, die hier herrschte. Die Luft stand, es wehte keine noch so leichte Brise. Hier zeigte sich die Sonnenkraft, wie sie früher einmal überall gewesen sein mochte, bevor ein ewiger Grauschleier den Himmel trübte, der nur wenige Strahlen ungehindert passieren ließ und den Großteil zurück ins All reflektierte. Einzig bei Nacht kam das winzige Licht vereinzelter Sterne fast ungehindert durch. In der Wüste reflektierte der Sand das auftreffende Sonnenlicht und heizte die Luft rasch auf. Zacco wollte sich lieber nicht vorstellen, wie kalt es in der Nacht werden mochte. Allerdings konnte man sich da möglicherweise im gröberen
Sand vergraben und hatte so einigermaßen Schutz, wohingegen man am Tag bei lebendigem Leib geröstet wurde. Nach zwei weiteren Biegungen hatte Zacco völlig die Orientierung verloren, jede Düne sah gleich aus, und er hätte nicht mehr sagen können, von woher sie gekommen waren. Der Sonnenstand gab nur eine ungefähre Richtung an, doch in der Wüste gab es kein »ungefähr«, sondern nur ein »genau«. Jede minimale Abweichung konnte die Verirrung nur noch schlimmer machen. Mittags, zum höchsten Sonnenstand, gab es gar keine Orientierung mehr. Von Horizont zu Horizont erstreckten sich die Dünen. Woher kannte Jada nur den Weg? Besaß sie einen besonderen Instinkt, der Männern fehlte? Kurz darauf wusste Zacco genau, woher sie gekommen waren – denn die Pandinen waren ihnen auf den Fersen. »Lauf weiter, Jada, wir geben dir Rückendeckung!«, rief Tamci. »Warte nicht auf uns!« »Ihr könnt den Weg einfach finden«, gab Jada zurück. »Vertraut einfach euren Sinnen! So verweichlicht und degeneriert sind wir noch nicht, dass unsere Instinkte schwach wären. Sie sind nur unge übt und schlummern, aber ihr könnt sie wecken!« Dann spurtete sie los und verschwand um eine Düne. Wenige Sekunden später sah Zacco sie einen gewaltigen Sandberg erklimmen, und die Pandinen ebenfalls. Sie eröffneten das Feuer, aber Jada war schon zu weit entfernt. Auf der Spitze verharrte sie kurz und schickte einen ultrahochfrequenten Ton, der weit genug trug, und formulierte tänzelnd einen Abschied und Wiedersehensfreude zugleich. Dann rannte sie auf acht Beinen auf der anderen Seite der Düne hinunter und war bald aus dem Blickfeld verschwunden. »Sie wird es schaffen«, sagte Tamci zuversichtlich. »Den Weg können sie ihr nicht abschneiden, weil sie nicht wissen, wo sie herauskommt. Die anderen werden wir jetzt aufhalten. Wie viele Schüsse hast du noch?«
»Ein viertel Magazin und noch ein Ersatz-Magazin.« »So ähnlich ist es bei mir auch. Lasst uns ihnen einen heißen Empfang bereiten!« * Sie hatten nicht lange gewartet, als die ersten Soldaten bereits herankamen. Aus ihrer Deckung heraus eröffneten Zacco und Tamci gleichzeitig das Feuer und sahen befriedigt, wie die Vordersten zusammenbrachen. Die nachfolgenden Soldaten gingen hinter den Leichen der Gefallenen in Deckung, eine andere Wahl hatten sie nicht, ansonsten hätten sie sich zurückziehen müssen. Sie erwiderten das Feuer, und die beiden Dolomeden machten eine Pause. Auch den Pandinen musste irgendwann die Munition ausgehen. Als die Waffen der Pandinen schwiegen, gaben Zacco und Tamci wieder Feuer, bis ihre Magazine leer waren. Während sie die Magazine wechselten, beobachteten sie die Feinde, die sich im Moment nicht rührten. »Warum greifen sie nicht an?«, flüsterte Zacco. »Sie sind doch in der Überzahl, einige würden durchkommen.« »Darüber werden sie gerade debattieren«, antwortete Tamci. »Es kommt auf den Aufwand an, den sie haben, und was sie dafür bekommen. Jada ist entkommen, und wir beide sind im Grunde nur magere Beute und nicht von besonderer Bedeutung. Rüstungen sind kostbar. Wer weiß, wie viele Schäden sie bereits haben, und vor allem, wie viele Verluste sie noch hinnehmen wollen, bis sie uns haben. Sie wissen nicht, wie viel Munition wir übrig haben. Es kann sein, dass sie uns hier belagern wollen – oder in die Wüste hinausjagen. « »Und was werden wir tun?« »Die Magazine leer schießen, dabei möglichst viele treffen, und dann angreifen. Sollten sie doch dumm genug sein, Jada verfolgen zu wollen, müssen wir ihr einen ausreichenden
Vorsprung verschaffen.« Zacco starrte zum Himmel hinauf. »Es wird bald Mittag, und mir ist bereits jetzt heiß«, gestand er. »Werden wir das aushalten? Solchen Extremen war ich noch nie ausgesetzt.« »Wir werden es herausfinden«, versetzte Tamci gleichmütig. Zacco sagte nichts, aber er dachte bei sich, dass der Körperbau der Pandinen besser geeignet war für extreme Temperaturen. Die Dolomeden trugen nur Teilrüstungen ohne Klimaaggregate, bei den Vollpanzern der Pandinen war er da nicht so sicher. Zudem besaßen sie noch einen eigenen starken Schutzpanzer, der vor Hitze und Kälte gleichermaßen schützte. Die Pandinen begannen wieder zu feuern, und Zacco zog sich tiefer in die Deckung der Düne zurück. Momentan sah er keinen Grund, Munition zu verschwenden, sie hatten ein Patt erreicht. Irgendwann würden die Scherenrassler schon die Geduld verlieren und angreifen, und dann würde er so viele wie möglich mitnehmen. Natürlich konnten sie auch versuchen, sich über die Dünen anzuschleichen. Aber da mussten sie schon sehr flink sein, denn sie boten ein hervorragendes Ziel, bevor sie angreifen konnten. Die Schüsse hörten auf. Zacco hörte ein Scharren und Wetzen, anscheinend wollten sie die Deckung verbessern. Er kam hinter der Düne hervor und feuerte; ein weiterer Soldat sackte zusammen. Die anderen duckten sich wieder, einige erwiderten den Beschuss. Danach herrschte erneut lauernde Stille. »Wo mag Jada jetzt wohl sein?«, sinnierte Zacco laut. »Wie ich sie kenne, bereits auf halbem Wege zum Netz. Ich glaube, es gibt nichts, was sie aufhalten kann.« Tamci fuhr sich mit den Hinterbeinen über ihren dicht bepelzten Hinterleib, bürstete sorgfältig die Haare in die Senkrechte, um die Hitze besser abhalten zu können. Zacco wies mit einem Greifarm Richtung Osten, entgegengesetzt zur Siedlung. »Wo geht es da hin?«
»In die Wüste hinein, kannst du das nicht sehen?« »Natürlich. Aber was ist dahinter? Irgendwo muss die Wüste doch aufhören.« »Wer weiß? Vielleicht dein Gelobtes Land«, spottete Tamci. »Wahrscheinlicher aber dein Tod. Du weißt, was ich zuvor über die Wüste sagte. Wenn überhaupt, kann man sie nur gut ausgerüstet und mit einer großen Truppe durchqueren. Alle bisherigen Versuche sind gescheitert.« »Dann muss dieser eben gelingen«, murmelte Zacco. Tamci fuhr auf. »Du willst doch nicht etwa...« Aber genau das. In diesem Moment fiel Zaccos Entscheidung. »Hör zu, Tamci, du solltest jetzt schnell Jada folgen, solange die sich ruhig verhalten. Ich kann dir Deckung geben, bis du hinter der nächsten Düne bist.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage, Zacco! Wir gehen zusammen.« »Ich habe keine Lust zu diskutieren, Tamci. Ich komme nicht mit zurück. Die Gelegenheit jetzt ist günstig, ich bin schon in der Wüste, über den Weg durch das Niemandsland brauche ich mir keine Gedanken mehr zu machen. Wenn ich erst wieder im Netz bin, werde ich es nicht mehr wagen.« »Das wirst du auch so nicht. Ich verbiete es dir.« »Das kannst du nicht, du bist noch keine Hierarchin. Und du wirst hoffentlich nicht mit mir kämpfen wollen und dem Feind Vorschub leisten.« Tamci schwieg einen Moment. »Du bist größenwahnsinnig!«, stieß sie schließlich hervor. »Dann gehe ich eben mit dir.« »Auf gar keinen Fall!«, lehnte Zacco ab. »Du glaubst nicht an diesen Traum, welches Ziel hättest du denn? Aber ich glaube daran, und deswegen kann ich es vielleicht sogar schaffen. Ich werde zurückkehren, ich verspreche es dir.« »Du... bist wirklich fest entschlossen?« »Unerschütterlich. Ich kann der Verlockung nicht mehr
widerstehen. Ich weiß nicht, ob es Massis Schuld ist, aber ich kann den Drang, den ich in mir spüre, nicht unterdrücken. Ich will suchen, wie andere vor mir, und meine Nützlichkeit dem Volk beweisen, indem ich zurückkehre. Irgendjemand muss es doch versuchen, Tamci, um wenigstens die Hoffnung am Leben zu erhalten.« »Du glaubst so fest daran?« »Ja.« Schweigen. Selbst von den Pandinen war nichts mehr zu hören. Vielleicht hatten die inzwischen sogar ihren Posten verlassen, weil sie die Sinnlosigkeit ihres Tuns eingesehen hatten. Dies hier war nur noch eine persönliche Fehde, es ging nicht mehr um Beute oder Land. Ein Truppenaufgebot gegen zwei Dolomeden – das hatte nun wirklich keinen Sinn. »Also gut«, sagte Tamci schließlich und ging in Position, die Waffe im Anschlag. »Dann geh, Zacco, ich gebe dir Deckung.« »Aber Tamci...« »Geh, bevor ich es mir anders überlege! Mach dir keine Gedanken um mich, ich komme schon durch. Aber es genügt, wenn einer von uns den Verrückten spielt. Ich werde dich schützen, solange es geht, aber dann bist du auf dich allein gestellt – ganz allein. Sei dir darüber im Klaren! Es gibt dann kein Zurück mehr« »Danke, Tamci.« Zacco schulterte seine Waffe. Sein Magazin war noch zu drei Vierteln voll, seine Rüstung einigermaßen intakt, der Vorratsspeicher in seinem Leib gut gefüllt, es war ja erst ein Tag vergangen. Zacco hielt seinen Leib so niedrig wie möglich, als er sich weiter hinter die Dünen zurückzog. Er hatte eine kurze gefährliche Stelle, die er überqueren musste, um nach Osten zu gelangen, doch dann konnte er losrennen. Niemand wäre so verrückt, ihm mitten in die Wüste hinein zu folgen. Tamci wartete auf sein Signal. Zacco sirrte kurz, und sie kam aus der Deckung und feuerte. Gleichzeitig spurtete Zacco los,
war mit einem Satz über die offene Deckung hinaus und wuselte dann zwischen den Dünen Richtung Osten davon. Schon nach kurzer Zeit klange n die Schüsse nur noch gedämpft, und er wusste, dass er diesen Krieg jetzt hinter sich ließ.
3. Die Suche Es war natürlich Narretei, einfach aufs Geratewohl in die Wüste hinauszulaufen, in eine ungefähre Richtung, die sich lediglich darin von allen anderen unterschied, dass sie genau entgegengesetzt zur Heimat lag. Aber Zacco wollte fort, er sehnte sich plötzlich nach Einsamkeit. Selbst, wenn er nur diesen einen Tag in der Wüste überleben sollte, so war es doch ein geschenkter Tag des Friedens, wo er mit sich selbst ins Reine kommen konnte. Als er sich weit genug entfernt von Freund und Feind glaubte, hielt Zacco an. Momentan konnte er sich nicht am Stand der Sonne orientieren, da sie sich gerade im Zenit befand. Zudem war es glühend heiß, und es gab keinen Schatten mehr. Der Dolomede tastete mit dem ersten Beinpaar im Sand herum, er war locker und körnig. Vermutlich ungefährlich. Mit den Hinterbeinen zuerst fing er an, sich in den Sand zu wühlen, wobei er sorgsam darauf achtete, die Tracheengänge möglichs t frei zu halten. Sogleich fühlte er Erleichterung. Er lauschte in die Wüste hinaus. So eine Stille wie hier hatte er in seinem ganzen Leben nicht erlebt. Es gab sonst immer wenigstens irgendein kleines Geräusch, ein Scharren, Kratzen oder Knistern, ein sacht flüsternder Wind. Aber hier – nichts. Es herrschte absolute Windstille. Man hörte nicht einmal die Reibung eines Sandkorns am anderen, es schien sich einfach nichts zu rühren. Absolut tot, dachte Zacco. Dies ist die Stille der Leblosigkeit,
als ob alles erstarrt wäre... Grandios! Er machte sich natürlich keine Illusionen darüber, dass dieses erhebende Gefühl nicht allzu lange anhalten würde. Spätestens, wenn ihn der Hunger quälte oder sein Körper auszutrocknen drohte, würde er sich vermutlich sehnsüchtig zurückwünschen in die Siedlung, in die Geborgenheit des behaglichen Netzes. Aber diesen einen Moment zu erleben war es in jedem Fall wert gewesen, frei zu sein von allen Sorgen und Nöten, von allen Gedanken, die ausschließlich um den Krieg kreisten, den sie täglich fochten, ob nun gegen die Pandinen oder gegen den Planeten, der nichts mehr hergeben wollte. Diese mächtigen Dünenberge um ihn herum waren so still, unberührt von der Zeit, über all die Probleme der armseligen Kriechtiere erhaben. Sie waren schon da gewesen, als das erste Volk unterging, und würden noch da sein, wenn der letzte Dolomede aus dem Kokon schlüpfte. Nichts konnte ihnen etwas anhaben, bis eines Tages die Sonne erlosch, und dann würden sie erstarren in der Kälte, konserviert für alle Ewigkeit. Das war wahre Größe. Und wenn es so etwas auf diesem armseligen Planeten gab, dann gab es auch noch anderes. Zacco wusste nicht, was. Vielleicht das Gelobte Land, vielleicht aber auch tausend Schrecken. Aber das wollte er herausfinden. Den Horizont erweitern, und wenn er dazu einmal um die ganze Kugel marschieren musste. Aber dann würde er es wissen. Als die Schatten allmählich wieder länger wurden, setzte Zacco den Marsch fort. * Am späteren Nachmittag spürte Zacco bereits die Strapazen. Die Kämpfe gestern hatten sehr viel Energie verbraucht, und in der Nacht war er zu beschäftigt mit Nachdenken gewesen, um auszuruhen. Hinzu kam die zehrende Sonne, so etwas hatte er
noch nie erlebt. Damit sein Leib nicht ganz austrocknete, bedeckte er ihn notdürftig mit Sand und bürstete die Haare senkrecht. Irgendwann kam er darauf, sich selbst ein Dach zu weben, mit einem dicht gesponnenen Netz, wie ein halber Kokon. Anschließend wanderte es sich schon sehr viel leichter. Weiter ging es, immer Richtung Osten. Die Nacht war jämmerlich kalt. Zacco ließ das Netz aufgespannt, und in der Früh war es tatsächlich feucht, spendete seinem Körper gleichzeitig Kühle und Feuchtigkeit. Allerdings machte sich jetzt allmählich der Hunger bemerkbar. Dolomeden konnten eine ziemlich lange Hungerperiode überstehen, aber nicht während Gewaltmärschen gleich im Anschluss an eine Schlacht. Manchmal erklomm der Forscher eine Düne, um sich einen Rundblick zu verschaffen, doch der Ausblick änderte sich nicht. Nach wie vor blieb ihm nur die Sonne als Orientierungspunkt. Schneller als gedacht begann die Stille und Einsamkeit an seinen Nerven zu zerren. Es gab keine Abwechslung, Stunde um Stunde war es heiß, und nichts als Dünen umgab ihn. Hinzu kamen die Umwege, die Zacco in Kauf nehmen musste, wenn eine Düne den dünnen Pfad versperrte und der Dolomede außen herumwandern musste. Er wollte nicht zu oft den direkten Weg nehmen, um Kräfte zu sparen. Am dritten Tag hatte Zacco das Gefühl, dass sein Körper leichter wurde, irgendwie hing er auch immer mehr durch. Wahrscheinlich fing sein Hinterteil an zu schrumpeln, ausgedörrt durch die zehrende Trockenheit und die Strapazen. Der Hunger quälte ihn, aber er verdrängte ihn. Die flimmernde Hitze gaukelte ihm Trugbilder vor, das verschwommene Abbild einer Dolomeden-Siedlung, oder ein Nest frisch geschlüpfter Madenwürmer, saftig und proteinreich. Hin und wieder hörte er über Funk ein Knacksen. Aber das konnten nur atmosphärische Störungen sein, denn er war mit
Sicherheit längst außer Reichweite selbst des höchsten Sendeturms. Ein Zurück gab es jedenfalls nicht mehr. Zacco hätte den Weg niemals im Leben gefunden, und so allmählich wunderte er sich nicht mehr, dass keiner zurückgekehrt war. Er konnte nur hoffen, dass er nicht dauernd im Kreis lief und sich in Wahrheit nicht mehr als eine halbe Tagesreise von der Siedlung entfernt in der Wüste verirrte. Seine Beine hinterließen keine Spuren, leider fand er auch keine anderen. Keine verschütteten Ruinen, kein Lebenszeichen irgendeines Tieres, auch in der Nacht nicht. Dennoch musste die Wüste irgendwann ein Ende nehmen! Schließlich waren die Dolomeden an dieser Stelle nicht aus dem Boden gewachsen, sie hatten nach und nach den Planeten besiedelt, ebenso wie die Pandinen. Primitive Vorfahren, deren Intelligenz gerade erst erwachte, hatten das Wagnis auf sich genommen und neue Pfründe entdeckt. Natürlich hatte die Konkurrenz nicht lange gebraucht, um nachzufolgen. Aber wieso unternahm jetzt keiner mehr etwas? Weil wir zu sehr gefangen sind in unserem Alltag, gab Zacco sich selbst die Antwort. Die meisten Dolomeden hatten sich in ihr Schicksal gefügt und waren zufrieden mit dem, was sie hatten. Der tägliche Krieg war für sie ganz normal, sie kannten nichts anderes. Zacco war bis vor kurzem genauso gewesen wie sie. Und doch kämpfte er sich jetzt allein durch einen feindlichen Lebensraum, jagte einem Traum nach, der sich wahrscheinlich nie erfüllen würde. Und wozu? Es ist genauso sinnvoll oder sinnlos wie unser ganzes Dasein, überlegte er. Da kann man gleich die Frage nach dem Sinn allen Lebens stellen, welchem Zweck es dient, zu welchem Ergebnis es führen soll. Und das ist natürlich Unsinn, da hat Tamci ganz Recht gehabt. Das kann man auch auf die Spitze
treiben, es ist das andere Extrem zur Gleichgültigkeit. Und manchmal musste eben jemand aus der Ordnung ausbrechen und etwas Neues versuchen, um die Stagnation aufzuhalten. Wenn eine Entwicklung nicht mehr weiterging, endete sie in einer Sackgasse, und es kam zur Degeneration. Das konnte dazu fü hren, dass die Dolomeden ihre Intelligenz wieder verloren. Nein, wir müssen weiterkommen. Ich muss das Gelobte Land finden. Ich muss einfach! * Immerhin geriet Zacco nicht in Treibsand, oder fand sonst eine Bestätigung für Tamcis Schauergeschichten, worüber er nicht unglücklich war. Ein wenig Abwechslung wäre zwar nett gewesen, aber nicht in gefährlicher Form. Lieber wäre Zacco etwas Essbares gewesen, das zufällig seinen Weg kreuzte. Der Bauchpanzer saß nicht mehr richtig fest und begann an der empfindlichen Unterseite zu scheuern. Irgendwann nervte es Zacco so sehr, dass er kurzerhand den Schutz abschnallte und im Sand liegen ließ. Er war unnützer Ballast, und tatsächlich fühlte Zacco sich wie von einer Last befreit und konnte mit raumgreifenderen Schritten weiterwandern. Seine Vorfahren hatten den Marsch durch die Wüste auch ohne Panzer überlebt. Manchmal war Zacco versucht, seine Waffe wegzuwerfen. Hier draußen nützte sie ihm gar nichts, und die Munition reichte ohnehin nicht mehr weit. Aber wer weiß? Vielleicht entdeckte er doch einmal ein verirrtes Tier in der Ferne und konnte es erschießen, bevor es sich aus dem Staub machte. Das wäre endlich mal eine Abwechslung... Zwei Tage später erkannte Zacco, dass er sich tatsächlich nicht im Kreis, sondern vorwärts bewegte. Oder zumindest immer größere Kreise zog, denn allmählich fand sich eine Veränderung ein. Die Dünen wurden flacher, der Sand feiner,
die Pfade breiter. Und als Zacco eine Düne zur Orientierung erkletterte, verspürte er zum ersten Mal einen Hauch von Wind in seinen Zangenfühlern. Anscheinend ließ er den Glutofen nun hinter sich und kam in eine gemäßigtere Zone. Und am Horizont sah der Forscher zum ersten Mal einen dunklen Streifen – keine Dünen mehr! Ich habe es geschafft!, dachte er fassungslos. Ich habe die Wüste durchquert! Wobei das natürlich etwas voreilig war. Der dunkle Streifen könnte immer noch viele Tage entfernt sein, und Zacco könnte vorher verhungern. Aber immerhin hatte er gesehen, dass die Wüste ein Ende nahm, dass sie nicht endlos war. Und noch etwas Erstaunliches ging mit ihm vor: Während er zurückblickte, setzte sich in seinem Gehirn plötzlich alles zu einem Gesamtbild zusammen, alle gespeicherten Eindrücke. Plötzlich lag die Wüste nicht mehr als gleichförmiges, ununterscheidbares Gebiet vor ihm. Sondern er wusste jetzt, von wo er aufgebrochen war, auf welchem Weg er hierher gelangt war. Es gab winzige Nuancen, hauchfeine Unterschiede in den Sandwellen, die auf den ersten Blick nicht auffielen. Aber nun, nach der langen Strapaze, erkannte Zacco, dass in Wirklichkeit keine Düne der anderen glich, keine warf denselben Schatten, es gab feine Unterschiede in der Struktur, der Farbe, der Höhe und Breite. Man musste nur einmal richtig darauf achten, dann war es kein Geheimnis mehr. Jada hatte Recht gehabt, die Instinkte schlummerten auch in ihm, sie mussten nur geweckt werden. Aus dem Sonnenstand, dem Schattenspiel und der Anordnung der Dünen setzte Zacco in seinem Gehirn eine Übersichtskarte zusammen, die ihm von jetzt an jederzeit zur Heimkehr verhalf. Wenn er wollte, konnte er sogar umkehren. Aber wozu? Was sollte er seinen Artgenossen über den Grund seines Aufbruchs sagen? Dass die Wüste durchquert werden konnte? Dass dahinter unbekanntes Land lag? Das wäre
ja nur ein halber Sieg. Wenn schon, dann musste Zacco erfahren, was dahinter lag. Diese Strapaze hatte ihn zwar an den Rand der Erschöpfung gebracht, ihm aber zugleich auch unersetzliche Erfahrungen beschert. Von nun an konnte er sich allein durchschlagen. Vorausgesetzt, dass er jemals etwas zu essen fand. Sonst war es mit seiner Reise bald vorbei, denn lange konnte er nicht mehr durchhalten. Wenn es danach ging, musste Zacco ohnehin weiterwandern, denn der Rückweg war zu lang, und er würde unterwegs verhungern. Nun fühlte er sich auch nicht mehr so einsam oder von Heimweh gequält, die Neugier trieb ihn weiter. Er hätte seine Eindrücke zwar gern mit einem Artgenossen geteilt, aber das ging nun einmal nicht. Doch das konnte er alles nachholen, wenn er zurück war. Langsam stieg Zacco die Düne hinunter. Der Sand war so hauchfein, dass selbst seine dünnen Steckenbeine ihn hochwirbelten, bis über seinen Körper, wo er Zacco in Wolken umgab und nur sehr langsam wieder zu Boden rieselte. Es dauerte nicht lange, bis Zacco Atemschwierigkeiten bekam. Erschrocken blieb er stehen, der hauchfeine Staub war mühelos durch sein Netz gedrungen und bedeckte nun seinen Körper mit einer feinen Schicht. Als er versuchte, sie mit den Hinterbeinen abzukratzen, hatte er keinen Erfolg. Der Sand verstopfte und verklebte seine Tracheen, genau wie Tamci warnend gesagt hatte. Keine Panik. Ruhig bleiben. Zacco verharrte still und wartete, bis der Sand wieder zu Boden gesunken war. Dabei atmete er so flach wie möglich und unterdrückte die aufkeimende Erstickungsangst. Im Zeitlupentempo versuchte er dann, den Sand auf seinem Leib abzukratzen. Obwohl so hauchfein, scheuerten die Körner auf seiner Haut, und er musste die stachelbewehrten Beine immer
kräftiger darüber ziehen. Sein schützendes Netz ging dabei in Fetzen, und die Sonne brannte zusätzlich auf seinen nun ungeschützten, geschundenen Körper. Endlich hatte er es geschafft. Zacco konnte wieder ruhig durchatmen. Aber wie sollte es nun weitergehen? Er hatte gerade erst die Hälfte der Düne bewältigt. Zudem spürte er, wie der Sand unter seinem Gewicht allmählich nachgab, je länger er auf der Stelle verweilte. Allzu lange konnte er sich nicht mehr hier aufhalten, wollte er nicht in der Tiefe versinken. Und wenn er einen Sprung versuchte, würde er sicherlich so stark einsinken, dass er nicht weit kam. Mit Schrecken dachte er daran, in einer Wolke des feinen Staubs zu landen. Er würde elend ersticken. Geschieht mir recht, dachte Zacco wütend. Was bin ich auch so sorglos geworden! Nun bereute er es, seinen Bauchpanzer weggeworfen zu haben, der hätte wenigstens einigermaßen auf der Unterseite Schutz bieten können. Zacco überlegte, einen Kokon um sich zu spinnen. Aber zum einen würde diese Aktion nahezu alle Kraftreserven aufbrauchen, und zum anderen war nicht gewährleistet, dass der feine Staub nicht doch noch durch das Netz drang, auch wenn er es so dicht wie möglich wob. Ihm blieb nur eines übrig: ganz langsam zu gehen; in brütender Hitze. Vorsichtig zog Zacco ein Bein aus dem Sand und setzte es ein Stück weiter vorn wieder ab, ganz langsam. Eine kleine Wolke wirbelte auf, aber nur wenige Zentimeter hoch, und legte sich schnell wieder. So konnte es funktionieren. Und nun zeigte sich auch, was für ein perfekter Fortbewegungsapparat die vier Beinpaare waren, ohne die Balance zu verlieren oder sich zu verheddern. Während er ein Bein aufsetzte, zog Zacco bereits ein anderes aus dem Sand, im Tempo variierend, um für den Abstieg nicht zu lange zu
brauchen. Stunden vergingen, und Zacco verfluchte die ganze Welt, am meisten sich selbst, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Aber um keinen Preis war er bereit, gerade jetzt aufzugeben, so kurz vor dem Ziel. Er wusste, wenn er stürzte, war es aus, er würde im Staub versinken und ersticken. Deshalb ließ er auch in seiner Konzentration nicht nach. Die Erschöpfung breitete sich immer weiter in ihm aus, nun zeigte sich, wie ausgezehrt er bereits war. Aber der Überlebenswille eines Dolomeden war enorm. Und Zacco dachte an Tamci und Jada. Zu ihnen wollte er eines Tages zurückkehren und ihnen sagen, dass ihr Vertrauen in ihn gerechtfertigt war, dass sie als Erste von der frohen Botschaft über das neue Land erfahren sollten. Am Nachmittag hatte er es endlich geschafft, Zacco spürte wieder festen Boden unter sich. Was er jetzt noch an Staubsand aufwirbelte, war harmlos. Er warf einen Blick zurück auf die tödliche Düne, die so harmlos im Sonnenschein lag. Sie war nicht einmal besonders hoch oder steil, und doch hatte sie ihn beinahe das Leben gekostet. Der Forscher wanderte noch ein Stück weiter, bis er in den Schatten einer höheren Düne kam. Auch wenn die Neugier ihn weiterdrängen wollte, er konnte nicht mehr. Jetzt musste er sich zuerst erholen. Mit letzter Kraft spann er einen Kokon um sich, um die geringe Feuchtigkeit der Nacht aufzufangen, gleichzeitig um sich zu wärmen. Das fehlte noch, dass er jetzt erfror. Bald fiel Zacco in einen tiefen Schlaf, regulierte jedoch vorher seinen Stoffwechsel noch so, dass er nicht in Starre verfiel und womöglich ein Jahr hier lag. Früher, zu Zeiten der primitiven Vorfahren, war das nützlich gewesen, denn so konnten sie Hungerperioden überdauern und erwachten erst wieder, wenn es Nahrung gab. Aber jetzt konnte das gefährlich werden, denn hier gab es keine Wetteränderung, keine Aussicht
auf bessere Bedingungen. * Zacco erwachte erst am Morgen wieder, gerade als die Sonne aufging. Mühsam bewegte er die steifen, kalten Glieder und drehte das Netz um, um die Feuchtigkeit an seine Haut zu lassen. Die Verdunstungskälte brachte ihn zum Zittern, aber er speicherte dadurch gerade so viel Feuchtigkeit, dass er nicht vertrocknete. Einmal hatte Zacco versucht, seine Gewohnheiten umzustellen, am Tag zu ruhen und in der Nacht zu wandern. Aber sein Metabolismus ließ das nicht zu. Mit dem Nachtsichtgerät konnte er zwar einigermaßen sehen, aber seine Bewegungen waren so verlangsamt, dass er kaum vorwärts kam. Es hatte keinen Sinn, er musste in der Tageshitze wandern. Immerhin kam er jetzt schneller voran, denn die Wege waren breit und nahezu frei von Sand. Nach kurzer Zeit hatte Zacco seine Müdigkeit abgeschüttelt und fand zu seinem gewohnten Rhythmus, der nicht zu viel Energie verbrauchte, ihn aber trotzdem schnell vorwärts brachte. Und er brannte darauf zu sehen, was ihn am Ende der Wüste erwartete.
4. Ein Zweckbündnis Schließlich zogen sich die Dünen zurück, und weites Land breitete sich vor Zacco aus. Düsteres Land, mit einem schwarzgrauen, staubigen Boden, steinigen Abschnitten, mit Geröll bedeckten Hügeln, aber auch mit vereinzelt stehenden, trockenen, stachelbewehrten Büschen bewachsen. In der Ferne erhob sich ein Gebirge, das sich von Horizont zu Horizont zog.
Dort konnte es Leben geben, Wasser vielleicht und Vegetation. Wenn überhaupt, dann dort. Aus unterirdischen Speichern konnten noch Rinnsale ans Tageslicht treten und mageres Kraut nähren, das wiederum für Pflanzenfresser das Überleben garantierte. Vielleicht war es möglich, dort eine neue Heimat aufzubauen, in einem abgelegenen Tal, wo kein Pandine nach ihnen suchen würde. Obwohl... Diese Räuber und Diebe würden sicher nichts unversucht lassen, um ihnen das gerade Gewonnene wieder abzujagen. Aber darauf mussten die Dolomeden es eben ankommen lassen, dafür lohnte es sich in jedem Fall zu kämpfen. Sicher gab es da auch ganz andere Möglichkeiten an Abwehrvorrichtungen und Zugangssperren. Wenn Zacco das Gelobte Land nicht fand, dann musste eben eines geschaffen werden, und dazu würde er den richtigen Platz finden. Er ging weiter bis zur Dämmerung. Beinahe hatte er vergessen, dass es auch noch etwas anderes gab, als nur zu wandern, als sein Jagdinstinkt ihn alarmierte. Ganz in der Nähe hatte sich etwas bewegt! Auch seine Fühlerzangen fingen nun die Witterung auf. Zacco streckte sofort die Beine und hob den Körper so weit wie möglich vom Boden ab. Langsam bewegte er sich seitwärts, mit etwas ruckartigen Schritten, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Alle drei Augenpaare fingen die Bewegung unter dem Stein auf, am Rand einer kleinen Felsengruppe. Zacco umrundete den Stein, kletterte am Felsen hoch und ging in Lauerstellung. Sein geduldiges Warten wur de schließlich belohnt. Eine große Steinwanze kroch unter dem Stein hervor – zum Glück ein nahrhafter Happen. Jetzt durfte Zacco nur keinen Fehler machen, so geschwächt, wie er inzwischen war. Er wartete, bis die Steinwanze sich von den Felsen entfernte.
Dann sprang er, seine Fühlerzangen schnellten vor und packten zu, noch ehe die Wanze wusste, wie ihr geschah. Zacco versenkte seine Kieferwerkzeuge in ihrem ungeschützten Nacken, betäubte sie zuerst mit seinem Giftspeichel, und spritzte dann Säure in die Wunde. Schon nach kurzer Zeit hatte sich das Innere der Steinwanze aufgelöst, und Zacco saugte sie gierig aus. Zurück blieb nur eine leere Hülle, die der Dolomede achtlos fallen ließ. Gestärkt erhöhte er das Tempo, um bis Einbruch der Nacht noch ein gutes Stück zurückzulegen. Es gab hier Nahrung, sein Überleben war in dieser Hinsicht endlich gesichert. * Als Zacco das Gebirge erreichte, hatte er schon fast wieder zu alter Form zurückgefunden. Die Jagd war zwar nicht einfach, aber wenigstens ungefährlich. Bisher war er nur auf harmlose Beutetiere getroffen, denen er schnell den Garaus machen konnte. Einen Tag hatte sich Zacco ganz in Ruhe gegönnt und ein Netz über einem Pfad zwischen zwei Felsen gesponnen. Während er ruhte, gingen ihm kleine Insekten ins Netz, die er nacheinander genussvoll verspeiste. Nun konnte ihn nichts mehr aufhalten, er fühlte sich unternehmungslustiger denn je. Was würde er im Gebirge finden? Zunächst einmal war es riesig, größer als alle Türme und Gebäude, die Dolomeden und auch Pandinen je gebaut hatten. Zacco hatte sich nicht vorgestellt, dass es so hohe Berge geben konnte. Von seiner Position aus sahen sie steil, kahl und leblos aus, schroffe Steingiganten, aber das besagte nichts über das, was auf der anderen Seite lag, wenn er erst den Weg hinein gefunden hatte. Zacco konnte keine Pfade erkennen, aber das sah er sogar als
Vorteil. Er hatte keine Schwierigkeiten, steile Felswände emporzuklettern, wohingegen die Pandinen es damit nicht so leicht haben dürften. Auch ein nächtliches Lager war kein Problem, er klebte einfach ein Netz an die Felswand und machte es sich darin gemütlich. Er war so aufgeregt wie schon lange nicht mehr, auf einmal fühlte Zacco sich wieder ganz jung, und er wusste, dass das Abenteuer jetzt erst so richtig begann! Ohne sich weiter aufzuhalten, streckte Zacco das erste Beinpaar aus, hakte sich in das poröse Gestein und hangelte sich hoch. Nach kurzer Zeit hatte er schon großen Abstand zum Boden gewonnen und genoss die atemberaubende Aussicht. Hinter ihm lagen die funkelnden Dünen der Sandwüste. Vor und neben ihm breitete sich ein bizarres Gebirgsmassiv aus, das den Wunsch in ihm weckte, dieses Bild festzuhalten und in Kunst zu verwandeln. Schließlich fand er eine Lücke, durch die er sich zwängen konnte, umrundete den ersten Berg und war nun neugierig, was ihn auf der anderen Seite erwartete. Ein Gebirge, das sich so scheinbar endlos dehnte wie die Wüste zuvor, mit schroffen Felsspitzen und sanft abgerundeten Kuppen, mit majestätischen Einzelbergen und Gruppenansammlungen, die eng aneinander klebten. Auf die Entfernung war nicht zu erkennen, ob die Täler fruchtbar waren, zumindest hier in unmittelbarer Nähe sah es nicht danach aus. Aber Zacco verlor deswegen nicht gleich den Mut. Das Gebiet war groß. Möglicherweise reichte sein Leben gar nicht aus, um es zu erforschen. Aber er wollte es tun, solange es ging, und rechtzeitig zurückkehren. Es konnte eine Expedition ausgeschickt werden, ein Stützpunkt errichtet, in dem Nachkommen herangezogen wurden, die die Erforschung fortsetzen konnten. Insofern es hier ausreichend Nahrung gab natürlich. Doch für heute sollte es genug sein, die Sonne ging gerade
unter. Zacco fand einen geeigneten Schlafplatz unter einem Überhang, verankerte seine Beine und schlief zufrieden ein. * Am nächsten Morgen begann der Dolomede den Abstieg, um ein Tal zu durchqueren und auf der anderen Seite weiterzuklettern. Im Tal wollte er vor allem nach Nahrung suchen. Am späten Vormittag waren es nur noch wenige Höhenmeter bis zum Boden, und Zacco wollte sich gerade von einem Vorsprung aus an einem Faden hinunterlassen, als er zurückprallte. Instinktiv duckte er sich zusammen und schob vorsichtig den Kopf über den Rand, gerade so weit, dass er hinunterblicken konnte. Er traute seinen Augen nicht, aber sechs fach konnte er sich nicht irren. Dort drunten kauerte ein Pandine! Es war ein kleineres, zierliches Exemplar, vermutlich ein Jäger. Aber wie in aller Welt kam er hierher? Wie hatte er einen Durchgang gefunden? Was suchte er hier? Gab es noch mehr von ihm? Zacco konnte es einfach nicht glauben, Wut und Frustration krochen in ihm hoch. So weit war er gekommen, und nun stolperte er ausgerechnet über den Feind? Diese Welt war in der Tat zu klein für sie beide! Sein Greifarm holte die Waffe von seinem Rücken, und er war froh, dass er sie nicht weggeworfen hatte. Er lud durch, zielte und schoss. Der Schuss ging weit daneben, in seinem Zorn hatte er vermutlich zu sehr gezittert. Der Pandine reagierte augenblicklich und ging unter dem Vorsprung in Deckung. Aber das würde ihm nichts nutzen. Zacco konnte sich auch kopfunter in den Felsen verankern und schie ßen. Langsam schob er seinen Körper nach vorn, als er eine
Stimme hinter sich hörte – die erste Stimme seit sehr langer Zeit: »Das würde ich nicht tun.« Zacco fuhr herum und fand sich Auge in Auge mit einem hoch aufgerichteten, auf nur drei Beinpaaren stehenden, riesigen Pandinen-Soldaten, dessen zweites Armpaar eine Waffe auf ihn richtete. Das erste Armpaar war lang ausgestreckt, und die schwertähnlichen Scheren blinkten in der Sonne. »Lass es!«, schnarrte der Soldat, als Zacco seine Waffe heben wollte. »Wenn du einen ebenso weiten Weg zurückgelegt hast wie ich, wird deine Waffe nicht mehr viel hergeben, wenn überhaupt«, meinte Zacco gelassen. »Willst du es darauf ankommen lassen?«, höhnte der Soldat. »Meine Waffe zielt auf dich. Ich habe dich erschossen, bevor du auch nur einen Haken um den Abzug krümmen kannst. Du trägst ja nicht einmal mehr einen Schutzpanzer.« Er hob einen Scherenarm. »Außerdem habe ich noch die hier. Gib auf.« Zacco sah ein, dass er keine Chance hatte. Er hätte schreien können vor Wut und Enttäuschung. So weit war er gekommen, nur um dem Feind in die Klauen zu laufen! »Na los«, sagte er hasserfüllt, »dann bring es schon hinter dich. Zerfetze mich, verzehre mich, so ein gutes Essen wirst du hier nirgends finden, noch weniger diese Befriedigung, einen Feind vernichtet zu haben!« »Lebend bist du viel wertvoller.« Der kleinere Pandine war inzwischen heraufgeklettert und stellte sich neben seinen Gefährten. »Wir können deine Kletterkünste und deine Spinndrüsen ausgezeichnet brauchen.« »Ich werde euch nicht helfen!«, schrillte Zacco. »Dann kommen wir auf dein Angebot zurück, dich zu verzehren«, versetzte der kleine Pandine. »Uns ist es gleich. Du hast die Wahl.« Das war nicht leicht. Normalerweise hätte Zacco den Tod
gewählt. Aber nicht hier, nicht nach dieser langen Wanderung, wenn er dem Ziel so nahe war. Er wollte mehr sehen. Wenn er sich ergab, bekam er vielleicht eines Tages die Chance, den beiden zu entkommen – vielleicht sogar sie zu töten und sie büßen zu lassen für seine Demütigung. »In Ordnung.« Er übergab seine Waffe. »Aber ich bin euer Gefangener, nicht euer Sklave, Spielzeug oder was auch immer, verstanden?«, fügte er bitter hinzu. »Ansonsten werdet ihr es nicht so leicht haben, mich zu töten, das verspreche ich euch.« »Oh, sieh mal an, es hat Stolz!«, spottete der Soldat. »Klapper nicht mit den Scheren, Harrix«, wies ihn der kleinere Pandine zurecht. »Wir haben geschwo ren, damit aufzuhören, weißt du noch? Wir sind jetzt Suchende. Ebenso wie dieser Dolomede, der uns ein paar Auskünfte geben wird.« »Euch? Niemals!«, weigerte sich Zacco empört. »Ich sagte es dir ja, Uide. Sie versuchen alles, um uns zu schaden, sie wollen alles für sich beanspruchen«, sagte Harrix. »Das ist ja wohl eher umgekehrt«, erwiderte Zacco. »Ihr könnt es doch gar nicht erwarten, uns zu berauben!« »Immer dasselbe, diese Uneinsichtigkeit, dieses Verdrehen der Tatsachen«, seufzte Harrix. »Wie viele von euch treiben sich noch hier herum?« »Mehr, als du zählen kannst, Primitivling!« Zacco zuckte zusammen, als Harrix mit seinem Schwanz zuschlug und ein Bein traf. Harrix entleerte zwar nicht seine Giftblase, aber der Schlag schmerzte höllisch an Zaccos Bein. »Sei vorsichtig, Weichkloß«, sirrte er. »Dass wir dich am Leben lassen, bedeutet nicht, dass wir keine Möglichkeiten kennen, dich gefügig zu machen. Du kannst frei wählen, ob du deine Tapferkeit testen willst oder gleich kooperierst. Es würde dir nicht gefallen, was wir mit dir machen, und du würdest dir den Tod wünschen, ihn aber nicht bekommen.Verlass dich drauf!« Zacco verwünschte sein ganzes Dasein und seinen törichten
Wunsch nach Abenteuern. Er sah ein, dass man dem Schicksal nicht entgehen konnte. Pandinen und Dolomeden waren in Feindschaft untrennbar miteinander verbunden – überall auf der Welt. Die Reise war sinnlos gewesen, wenn es nicht mehr als diese Erkenntnis gab, und die brauchte er seinem Volk nicht zu bringen. »Ich denke, er ist allein«, sagte Uide. »Ja, und ihr seid nur zu zweit.« Zacco musterte Uide. »Du bist eine Frau.« »Gut geraten, Flohhirn.« »Ich habe einen Namen!« »Und der wäre?« »Zacco.« »Also gut, Zacco.« Uide näherte sich ihm, und ihre unter der Stirnplatte hervorleuchtenden Augen hatten einen gefährlich anmutenden Schimmer. »Wir sind wohl alle Suchende, wie es scheint. Auf der Suche nach dem Gelobten Land unserer Legenden. Bisher waren wir erfolglos, aber vielleicht schaffen wir es ja zu dritt. Lass uns bis dahin Frieden schließen, ein Zweckbündnis, denn nur so erreicht jeder von uns, was er sich ersehnt. Es bringt uns nichts, uns jetzt gegenseitig zu behindern. Kämpfen können wir später, wenn wir das Land gefunden haben.« Zacco gab nach. »Einverstanden.« »Was soll das heißen?«, rief Harrix empört. »Lässt du ihn etwa frei?« »Unsinn. Aber wir werden uns nicht gegenseitig das Leben schwerer machen als nötig. Wir können Zaccos Dienste sehr gut gebrauchen, und mir wäre es lieber, er hilft uns freiwillig, als dass wir ihm Beinglied um Beinglied kürzen, bis er nicht mehr laufen kann.« Uide hob eine Schere. »Los, geh voran!« »Und wohin?« »Durch das Tal, auf die andere Seite. Hier finden wir nichts,
das haben wir schon untersucht. Außerdem brauchen wir Nahrung.« Zacco war erstaunt, aber er sagte nichts. Jedoch war das auch genau sein Gedankengang gewesen. Waren sie vielleicht deswegen so erbitterte Feinde, weil sie sich zu ähnlich waren? Die gemeinsame Jagd gestaltete sich als keineswegs so schwierig, wie Zacco es sich vorstellte. Harrix und Uide waren ein eingespieltes Team, und sie kannten sich sehr gut in der Jagdweise der Dolomeden aus. Sie stellten sich ohne Probleme darauf ein. Nach kurzer Zeit hatten sie genug gefangen, um alle satt zu werden. Sie sprachen nur das Nötigste, und Zacco spürte sehr wohl die Abneigung der beiden gegen ihn, vor allem von Harrix. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Es war vielleicht nicht jeder Pandine ein blutrünstiger Mörder, diese beiden hier schienen sogar recht vernünftig zu sein. Aber sie hatten Zaccos Volk einfach zu viel angetan, der Krieg dauerte zu lange, als dass er jetzt seine Vorurteile und seinen Hass einfach aus dem Netz werfen konnte. Am nächsten Tag suchten sie am anderen Ende des Tals nach Spuren des Gelobten Landes. Sie stimmten alle überein, dass es sich in einem abgeschiedenen Tal befinden musste, doch das Gebirge war sehr groß und unübersichtlich. Die Lebensbedingungen waren hier zwar nicht schlechter, aber auch nicht besser als in ihrer Heimat, was beide Parteien ziemlich frustrierte. Sie begannen zu ahnen, dass sie sich weitaus mehr vorgenommen hatten, als sie bewältigen konnten. Zacco fand immer mehr an dem Gedanken Gefallen, nach Hause zurückzukehren, eine Expedition zu organisieren und hier einen Stützpunkt aufzubauen. Wobei er nicht sicher sein konnte, dass die Pandinen nicht dasselbe dachten. Und sie waren bereits in der Lage, Nachkommen zu zeugen und konnten sofort mit der Errichtung des Stützpunktes beginnen.
Auf Zaccos Kosten selbstverständlich, und am Ende würden sie ihn verspeisen. Ich hätte doch Tamci mitnehmen sollen, die beiden hier haben weiter gedacht als ich, sinnierte der Dolomede. Dennoch wollte er es zumindest versuchen. Dann siedelten sie eben in einem anderen Tal. Zacco hatte sich diese Gegend eingeprägt, er würde sie jederzeit wiederfinden, und konnte von hier aus einen anderen Stützpunkt finden, fern von den Pandinen. Aber dazu musste er frei sein. Er hatte im Laufe des Tages bereits mehrmals mit dem Gedanken gespielt zu fliehen, aber die beiden passten zu gut auf ihn auf. Selbst in der Nacht noch, wenn Zacco fast bewegungsunfähig war, hielten sie abwechselnd Wache. Zacco lernte, dass die Pandinen tag- und nachtaktiv waren und nur kurze Ruhepausen benötigten, keinen stundenlangen Schlaf. Dafür waren die Dolomeden ihnen im Klettern und mit den Spinndrüsen überlegen, so glich sich alles aus. Als sie das vierte oder fünfte Tal erreichten, hatte Zacco genug von der Partnerschaft. Er war nicht ungeduldig, aber so kamen sie nicht weiter. Jedes Tal war wie das andere, entmutigend arm, und ein Ende war nicht abzusehen. Auch das Gebirge schien endlos, egal in welche Richtung und von welchem Gipfel aus sie schauen mochten. Für diese Erkundung brauchte man einfach Verstärkung, anders war es nicht zu schaffen. Für ihn war dieses Zweckbündnis beendet. »Ich gehe nicht mehr weiter«, erklärte Zacco unvermittelt und blieb stehen. Uide, die vorausging, drehte sich zu ihm um. »Du tust was?« Zacco wich Harrix aus, der ihn mit einem Stoß seiner Schere weiterschicken wollte. »Ich sagte, ich gehe nicht weiter. Und noch mehr: Ich werde
umkehren. Ich gehe nach Hause.« »Aber du... du kannst doch jetzt nicht einfach umkehren!« »Und ob ich das kann. Seht es doch ein: Wir werden nichts finden. Wir werden dieses verdammte Gelobte Land niemals finden. Es wird schon seinen Grund haben, weswegen es nur in den Legenden existiert. Weil wir nicht in der Lage sind, es zu entdecken, mit unseren kümmerlichen Mitteln und der lächerlichen Ausrüstung. Wisst ihr, ich werde nicht jünger, und ich bin der einzige Dolomede hier. Ihr habt wenigstens euch, aber ich vermisse mein Volk. Ich bin doch kein Einsiedler. Deshalb gehe ich jetzt nach Hause und vergesse das alles.« »Und das sollen wir dir glauben?« »Mir ist völlig gleichgültig, was ihr glaubt, Uide. Ihr seid mir völlig gleichgültig. Soll ich euch etwas sagen? Ich hasse euch nicht mal mehr. Ich bin einfach nur noch müde. Ich möchte dieses Abenteuer beenden, heil überstehen und meinen Nachkommen in der Heimat davon berichten, bis ans Ende meiner Tage werde ich Legenden spinnen, neue Legenden, damit mein Volk seinen Lebensmut nicht verliert. Das werde ich tun, und ihr werdet mich nicht daran hindern.« Zacco wandte sich um und ging an Harrix vorbei, schlug den Weg nach Osten in Richtung Heimat ein. »Wir werden dich daran hindern«, sagte Harrix drohend. »Bleib stehen, Zacco, oder ich werde schießen.« »Na und?« Zacco drehte seinen mächtigen Körper herum, um seinem Feind in die Augen zu sehen. »Hast du es nicht kapiert, Harrix? Ich habe den Lebensmut verloren. Ich sehe keinen Sinn mehr, in nichts, was wir tun. Aber umso mehr ist es meine Pflicht, mein Volk davon zu überzeugen, dass es noch einen Sinn gibt, damit es weiterbesteht.« »Schöne Worte«, pfiff Harrix verächtlich, »in die du deine Lügen gekleidet hast. Denkst du, wir wissen nicht, was du vorhast? Du willst zurückkommen – mit einem Heer, vielleicht sogar deinem ganzen Volk – und alles hier in Besitz nehmen!
Aber das werden wir verhindern!« Zacco schnarrte nur müde. »So, denkst du? Und wenn ich dir sage, dass ich verhindern werde, wie ihr euch über dieses Land hier hermacht, und alles für euch vereinnahmt?« »Hört auf!«, sprach Uide dazwischen. »Es stimmt, was Zacco sagt, und auch das, was du sagst, Harrix. Ob wir das Gelobte Land nun finden oder nicht, es wird sich nichts an der Situation ändern: Keiner gönnt dem anderen etwas. Wir werden nicht bereit sein zu teilen, sondern den Krieg einfach verlegen, hierher, und genauso weitermachen wie bisher.« Schweigen folgte. »Weißt du, was du da sagst, Uide?«, stieß Harrix schließlich verzweifelt hervor. »Es bedeutet, dass keiner von uns mehr zurück darf, wenn wir den Krieg nicht weitertragen wollen. Wir können niemandem erzählen, was wir erlebt haben, was wir wissen. Wir müssen hier bleiben – und das für immer.« »So sieht es aus«, stimmte Uide zu. »Und das ist wohl der Grund, weswegen keiner mehr zurückkam.« »Aber ich werde zurückkehren, verlasst euch drauf. Ich beschließe mein Leben nicht hier in der Einsamkeit. Lebt wohl.« »Zacco, zum letzten Mal, ich werde dich töten!« »Nichts von alledem werdet ihr tun«, sprach plötzlich eine fremde Stimme dazwischen, »und ihr irrt euch allesamt.« Und aus dem Nichts erschienen völlig fremde Wesen und bedrohten sie mit ihren Waffen.
5. Das Gelobte Land Harrix, Uide und Zacco waren wie erstarrt. In ihrem hitzigen Streit hatten sie nicht bemerkt, dass andere hinzugekommen waren. Allerdings verfügten sie auch über Mimikry-Fähigkeiten
und konnten erst im letzten Moment entdeckt werden – oder wenn sie sich enttarnten, wie jetzt. Was die drei Abenteurer allerdings am meisten schockierte, war die Tatsache, dass es tatsächlich ein drittes intelligentes Volk auf dem Planeten gab. Diese Fremdwesen waren etwas kleiner als Harrix und Zacco, und von äußerst bizarrer Form. Sie sahen aus wie eine Mischung aus... ja... Pandine und Dolomede! Sie besaßen den großen, runden, an der Unterseite leicht abgeflachten Körper eines Dolomeden mit drei langen Beinpaaren. Doch sie verfügten auch über ein Armpaar, das mit mächtigen sichelartigen Dornen bewehrt war, und einem zweiten, mit mehreren beweglichen Haken besetzten Armpaar an den Seiten der Kiefer, das für feinste Arbeiten geeignet war. Hinzu kamen zusammengefaltete Fühlerzangen und mächtige Kieferwerkzeuge. Sie besaßen vier Augen, das mittlere Augenpaar leicht nach oben versetzt, das äußere nach unten. Durch ein Segment getrennt lief der Hinterleib in einem langen, gebogenen Schwanz mit einem Stachel am Ende aus. Unterhalb davon lag eine Spinndrüse, doppelt so groß wie bei Dolomeden. Die Unterseite des Körpers war mit einem harten Chitinpanzer bedeckt. Zacco fü hlte sich, als hätte er Pandinen-Gift geschluckt. Er kannte Harrix und Uide inzwischen gut genug, um ihnen ansehen zu können, dass es ihnen ebenso erging. »Es besteht kein Grund zur Feindseligkeit«, fuhr der Sprecher fort. »Wieso richtet ihr dann die Waffen auf uns?«, fragte Harrix herausfordernd. »Um Missverständnisse zu vermeiden.« Eines der Wesen kam nach vorne und bedeutete den anderen mit einem Wink seines Sichelarms, die Waffen sinken zu lassen. »Wieso sprecht ihr unsere Sprache?«, fragte Zacco erstaunt. »Ihr seid gewissermaßen unsere Vorfahren«, antwortete der
Fremdling. »Und dann haben wir euch natürlich beobachtet und gelernt.« »Beobachtet?«, rief Uide. »Natürlich. Unsere Kameras sind überall. Über Satelliten beobachten wir euch immerzu. Wir wissen schon seit eurer Ankunft, dass ihr hier seid. Aber nun lasst uns gehen. Folgt mir bitte!« »Aber...«, setzte Harrix an. »Alle Fragen werden beantwortet. Habt nur ein wenig Geduld.« * Die Reisenden wurden auf erstaunliche Wege geführt, die sie allein niemals entdeckt hätten. Nach einem verwirrenden Felsenlabyrinth öffnete der Anführer der Fremden einen verborgenen Zugang, und sie kamen in einen stollenartigen Gang, der nach kurzer Zeit bergab führte – und zwar schnurgerade in ein tiefes schwarzes Loch hinab. Eine einzelne Schiene lag in der Mitte. Das Gefährt dazu wartete in einer Nische, und es gab Platz genug für alle. Zacco und die beiden Pandinen wurden vorne eingeladen, neben den Anführer, der Rest stapelte sich hinten. Als alle ihren Platz gefunden hatten, startete das erstaunliche Gefährt, und glitt leise summend auf der Schiene nach unten. »Unsere Monoschienenbahn«, erläuterte der Fremdling, »wird euch nun direkt dorthin bringen, wonach ihr schon so lange sucht.« »Dann ist es also wahr...«, flüsterte Zacco. »Aber gewiss doch«, sagte der Fremde. »Übrigens, ihr könnt mich Locq nennen, und ich würde gern eure Namen erfahren.« »Wie lange wird die Fahrt dauern?«, wollte Uide wissen, nachdem sie sich alle vorgestellt hatten. »Nun, wir sind eine Weile unterwegs, Uide. Das Gelobte
Land liegt dort, wo es keiner vermutet hätte – im Inneren des Planeten. Er ist so alt, dass er keinen glutflüssigen Kern mehr besitzt, aber immer noch genug Restwärme, die wir uns zunutze machen können. Wir verfügen über ein Wärmekraftwerk, das uns genügend Energie liefert für beste Lebensbedingungen. Aber natürlich haben wir uns längst auch die Atomenergie zunutze gemacht, was ihr bald sehen werdet.« »Atomenergie?« Zacco war fassungslos. »Ja, im Gegensatz zu euch haben wir uns sehr ausführlich mit den Hinterlassenschaften des ersten Volkes beschäftigt und einen enormen technischen Fortschritt gemacht. Ich erzähle euch nicht zu viel, ihr würdet es doch nicht verstehen. Aber sehen sollt ihr es.« Zacco war froh, dass er nicht den ganzen Weg in den Planeten hineinlaufen musste. Die Fahrt zog sich schier endlos hin, und die Neugier quälte ihn, was sie am Ende erwarten mochte. * Es wurde hell. Und wärmer. Die Monobahn beschrieb einen sanften Bogen und hielt dann an, das Summen erstarb. Zacco fühlte sich etwas wacklig auf den Beinen, als er Harrix und Uide zum Ausgang folgte. Und dann verschlug es ihm die Sprache. »Na«, sagte Locq vergnügt. »Habe ich euch zu viel versprochen?« Ganz und gar nicht. Vor den staunenden Augen der Neuankömmlinge breitete sich eine Welt in der Welt aus. Die Konstrukteure hatten einen riesigen Hohlraum geschaffen mit künstlicher Schwerkraft und einer künstlichen Sonne in der Mitte, die auf ein kreisrundes, liebliches Land schien. Wie sich herausstellte, war Locq der Präsident des hier
herrschenden Rates. Er fü hrte seine Gäste zu seinem Büro mit Panoramaaussicht. Das Gebiet war so weitläufig, dass es einem nicht auffiel, wenn man plötzlich »kopfunter« hing. Die Augen gewöhnten sich schnell an die Illusion, und die Beine wurden von der künstlichen Schwerkraft gehalten. Wobei ein Dolomede ohnehin kein Problem mit kopfüber oder -unter hatte. Pandinen und Dolomeden verkehrten in friedlicher Eintracht miteinander, aber in der Überzahl waren Lebewesen vom Aussehen Locqs. »Wir brauchen uns hier keine Sorgen um mangelnde Ressourcen zu machen«, erläuterte der Präsident der staunenden Gruppe. »Die inneren Schichten bieten noch eine Menge Mineralien und Erze, die abgebaut werden können, natürlich so schonend wie möglich. Im Lauf der Jahrtausende ist es uns auch gelungen, ein Ökosystem aufzubauen, das uns Nahrung im Überfluss beschert.« »Deshalb lebt ihr hier friedlich«, bemerkte Uide. »Allerdings. Wir sind alle reich, jeder bekommt das, was er braucht. Es gibt keinen Mangel. Aber es war auch ein hartes Stück Arbeit, das die ersten Pioniere begannen und nachfolgende Generationen und Reisende weiterführten. Erst jetzt kann ich sagen, dass wir zufrieden sein können. Das System ist stabil und erhält sich von selbst. Wir brauchen nichts mehr dazu zu tun. Aber das ist natürlich zugleich das Problem: Es gibt hier nicht genug Lebensraum für alle, wie ihr euch denken könnt. Aus diesem Grund konnten wir bisher von uns aus keinen Kontakt aufnehmen. Aber natürlich haben wir alle Suchenden, insofern wir ihnen noch helfen konnten, bei uns aufgenommen.« »Was uns zu der nächsten Frage führt: Wer seid ihr, du und deine Artgenossen?«, wollte Zacco wissen. »Wir sind Hybriden«, antwortete Locq frei heraus. »Das Ergebnis einer genetischen Kreuzung aus Pandinen und Dolomeden, und wir nennen uns Palomeden. Erst seit vier
Generationen sind wir voll lebens- und fortpflanzungsfähig. Wir legen Eier mit fast vollständig ausgewachsenen Embryonen. Aber nicht nur das, wir sind auch Zwitter. Wir vereinen die Vorzüge beider Völker und beider Geschlechter gleichermaßen in uns, ohne auch die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Wir besitzen kein so hohes Aggressionspotenzial mehr, unser Ziel ist nicht mehr der Krieg, sondern die Wissenschaft. Wir arbeiten bereits an den Plä nen für eine Raumstation in unserem Orbit, die als Plattform für den Bau eines Raumschiffs dienen soll.« Nachdem Locq schwieg, herrschte lähmende Stille im Raum. Zacco war nicht sicher, ob er das alles begreifen und verarbeiten konnte, was ihm hier vermittelt wurde. Er kam sich auf einmal sehr dumm und primitiv vor, in der Intelligenz dem Hybriden weit unterlegen. Und zu dem Schluss kam auch Uide, denn sie sagte: »Das bedeutet, ihr seid das kommende Volk, und wir sind überflüssig.« Und Harrix fügte hinzu: »Was wird aus uns? Interessiert euch nur eure Zukunft?« »Aber darum geht es ja«, versicherte Locq. »Dass wir an den Plänen einer Raumstation arbeiten heißt nicht, dass alle Kräfte gebunden sind. Im Gegenteil. Wir sind jetzt so weit, an euch heranzutreten. Wir können euer Land oben fruchtbar machen. Wir verfügen über guten Humus, Mineralerde, Setzlinge – und Wasser. Wir arbeiten daran, mit Windmaschinen und Wasser Regen zu produzieren. Wir suchen einen Weg, das Sonnenlicht zu verstärken, indem wir die reflektierenden Eigenschaften des Grauschleiers in unserer Sphäre nutzen. Es ist alles möglich! Und wir werden es zur Verfügung stellen, wenn ihr Frieden geschlossen habt, wenn ein konstruktives Zusammenleben möglich ist.« »Wie stellst du dir das vor?«, fragte Zacco misstrauisch. »Wie wollt ihr eure Errungenschaften unseren Völkern
gleichermaßen zur Verfügung stellen und werden wir dann noch unsere Unabhängigkeit bewahren, oder einen neuen, gemeinsamen Herrn bekommen?« »Ich weiß, dass es ein langer Lernprozess ist. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber deswegen seid ihr ja hier. Ihr sollt euch alles in Ruhe ansehen, mit den Einwohnern sprechen. Ihr sollt alle Informationen bekommen, nach denen ihr verlangt, auch Ausbildung, wenn ihr es wünscht. Keine Tür wird euch verschlossen bleiben. Nur so kann es funktionieren. Und nur so kann unsere Welt gerettet werden. Eure Völker sollen dort oben nicht mehr länger leiden. Eben das ist ja auch der Grund meiner Existenz: Um zu zeigen, dass ein Frieden möglich ist. Dass seit Jahrtausenden im Grunde genommen Bruder gegen Bruder kämpft, sonst wäre eine Verschmelzung unserer beiden Rassen gar nicht möglich gewesen. Doch bei all dem Fortschritt sollt ihr trotzdem eure Tradition bewahren, wie ihr es gewohnt seid. Wir haben kein Interesse an Macht, wir wollen in den Weltraum hinaus. Wir sind Forscher und Wissenschaftler. Nun, damit will ich euch erst einmal in Ruhe lassen. Ihr habt gefunden, was ihr gesucht habt. Nun lernt auch, damit umzugehen.« »Es wird keinen Frieden geben«, stieß Uide hervor. »Niemals. Es ist zu spät.« Locq machte ein schnalzendes Geräusch. »Du täuschst dich, Uide. Denkt an euch drei. Ihr habt bereits Frieden geschlossen, als ihr gemeinsam unterwegs wart. So schnell ging das. Wenn beide Völker ein neues Ziel bekommen, wird es zum Frieden kommen.« Da bin ich gespannt, dachte Zacco.
6. Der neue Feind
Zacco sollte mit seiner Skepsis Recht behalten, denn der Friedensprozess gestaltete sich keineswegs einfach. Der Dolomede war fasziniert vom Gelobten Land, aber es war nur durch eine lange Entwicklung entstanden, aufgebaut von Abenteurern und Forschern wie ihm, denen der Krieg nichts mehr bedeutete. Aber wie sollte das den weit verstreut lebenden Millionen Individuen klar gemacht werden? Pandinen wie Dolomeden lebten in autarken Stadtstaaten, und davon gab es viele. Wie sollten sie alle gleichermaßen überzeugt werden? Und wie würden die Hybriden ihre Geschenke verteilen? Nur an diejenigen, die zum Frieden bereit waren? War das nicht umso mehr Grund für die anderen, weiter Krieg zu führen, weil sie sich benachteiligt fühlten? Zacco hätte es für ehrlicher gehalten, wenn die Hybriden einfach mit der Renaturierung des Pla neten angefangen hätten, ohne dafür eine Bedingung zu stellen. Allein dafür würden sie ja schon Jahrzehnte benötigen, und in der Zwischenzeit war es nahezu unmöglich, im weiterhin schwelenden Konflikt Frieden zu halten. Vor allem wusste niemand, ob es überhaupt funktionierte. Gewiss, die Hybriden hatten im Planetenkern etwas Einmaliges geschaffen, aber brachten sie das auch auf der Oberfläche zustande? Da herrschten andere Bedingungen als in dem abgeschlossenen inneren Raum. Vor allem, wenn sie die Regenmaschine ausprobierten, würde es sicher zu erheblichen klimatischen Veränderungen kommen. Ob die Urvölker damit einverstanden waren, war fraglich. Sie hatten ein schweres Leben, aber es hatte eine gewisse Beständigkeit. Wenn die Hybriden jetzt anfingen, mit der Natur herumzuexperimentieren, konnte das in einer Katastrophe enden. Beim ersten Volk zumindest hatte es wohl so geendet, denn es existierte nicht mehr. Zacco steckte nun in einer argen Zwickmühle. Sollte er die Augen verschließen, dieses Problem anderen überlassen und
sich im Gelobten Land ansiedeln? Oder sollte er sein Versprechen einlösen und nicht mit leeren Händen, sondern mit einer Botschaft von enormer Tragweite in seine Heimat zurückkehren? Uide und Harrix hatten ihre Entscheidung schnell getroffen. Sie hatten begriffen, dass die Artgenossen ihnen keinen Glauben schenken würden. Vermutlich würden sie zu Verrätern gestempelt und möglicherweise sogar zum Tod verurteilt werden. Sie kannten die Mentalität ihres Volkes gut genug, um zu wissen, dass nur die Hybriden selbst etwas bewirken konnten – mit deutlichen Beweisen. Eine Jägerin und ein Soldat, die weggelaufen waren, gehörten nicht mehr zum Volk, sie hatten sich aus der Gemeinschaft entfernt. Was auch immer Harrix sich vorgestellt hatte, er verhehlte seine Enttäuschung nicht. Er begriff, dass das Gelobte Land besser Legende geblieben wäre. Keinesfalls konnte er als Held zurückkehren und sein Volk ins Paradies führen. Es war alles ganz anders, als er es sich je erträumt hätte. Und das machte es nicht leichter, ganz im Gegenteil. Auch Uide war frustriert. Sie hatte als Erste erkannt, dass sie nichts bewirken konnten. »Unser Volk muss von allein zum Gelobten Land finden, jeder für sich«, sagte sie zu ihrem Partner. »Jeder Einzelne muss die Erfahrung machen und dann seine Entscheidung treffen. Wir können nur von wundersamen Dingen berichten, aber sie nicht nahe bringen, und von uns wird keiner das Friedensangebot akzeptieren. Keiner wird uns glauben, selbst wenn wir Beweise bringen.« »Es muss ein langsamer Prozess sein, unsere Völker müssen nach und nach dem Bewusstsein näher gebracht werden, dass es Zeit ist, Frieden zu schließen«, bemerkte Zacco. »Das geschieht nicht von heute auf morgen. Bei uns dreien ging es schneller, weil wir in einer extremen Situa tion waren und schon von vornherein eine andere Einstellung hatten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir es fertig brächten, uns dort oben genauso
gelassen zu begegnen wie hier unten.« »Keinesfalls«, stimmten Uide und Harrix zu. »Wir müssen uns hier anpassen und haben nicht den geringsten Grund, uns zu bekämpfen. Aber oben ist das etwas anderes. Wir sind keine Freunde.« »Nein, das sind wir nicht. Und wir werden es auch nie sein. Wenn überhaupt, dann schaffen das nur nachfolgende Generationen, die es nicht mehr anders kennen.« »Was wirst du also tun, Zacco?«, fragte Uide. »Ich bleibe zunächst hier. Ich kann noch nicht zurückkehren in mein altes Leben und hilflos mit ansehen, wie meine Freunde in der Schlacht ihr Leben verlieren, ohne etwas unternehmen zu können. Wenn ich versuche, sie zu überzeugen, werden sie mich für verrückt halten. Sie werden glauben, dass die Wüste meinen Verstand behalten hat, und mich nicht ernst nehmen. Das tue ich mir nicht an – zumindest jetzt noch nicht. Ich bleibe zunächst hier, ein paar Artgenossen gibt es noch, da bin ich nicht allein und kann in der Diskussion mit ihnen nach einem Weg suchen, den Frieden zu bringen.« »Dann sind wir uns alle einig«, stellte Harrix fest. »Wir haben die Entscheidung schon gestern gefällt. Locq soll erst mal zusehen, wie er das Problem bewältigen will, er glaubt ja, uns nicht zu brauchen. Meiner Ansicht nach haben die Hybriden das von Anfang an falsch angepackt. Jetzt kommen sie aus ihrer Isolation nicht mehr heraus.« »Wenn sie das überhaupt wirklich wollen«, sagte Zacco. »Hast du sie beobachtet? In Wirklichkeit sind sie doch gar nicht an uns interessiert. Sie wollen nur ihre Technik ausprobieren. Ansonsten halten sie sich für sehr überlegen.« * Zacco, Uide und Harrix wurden niemals Freunde. Aber sie blieben in Kontakt miteinander und hatten einen höflichen,
distanzierten Umgang, immerhin hatten sie eine Menge gemeinsam erlebt. Der Hass war zu tief in ihnen verwurzelt, sie waren seit Generationen darauf hin gezüchtet und getrimmt, einen Feind zu haben. Das hatte auch Locq nicht bedacht. Er schloss von ein paar Individuen auf zwei Völker, doch das war nicht möglich. Die Voraussetzungen im Lebensraum der Pandinen und Dolomeden waren ganz andere. Sie begrüßten die Hybriden aus dem Gelobten Land, als es seine Existenz preisgab, keineswegs voller Begeisterung, sondern im Gegenteil sehr misstrauisch. Wie bereits Zacco, Uide und Harrix angenommen hatten, wurde in den Hybriden einfach eine weitere Konkurrenz gesehen, die sich nun von ihrem Gelobten Land aus über den ganzen Planeten ausbreiten und den beiden Urvölkern den Platz streitig machen wollte. Alle Kommunikationsversuche fruchteten nichts, auch nicht Infiltrationen durch Abkömmlinge aus dem Gelobten Land. Schließlich lieferte Locq Beweise. Fluggleiter brachten Nahrungsmittel, Energieaggregate, und Saatgut. Sie legten Wasserreservoirs an und zeigten, wie man diese für die Nutztierhaltung verwenden konnte. Aber daraufhin gerieten die beiden Völker noch mehr in Streit, und das nicht nur mit- sondern inzwischen auch untereinander. Die Pandinen behaupteten, die Dolomeden würden mehr Hilfsgüter erhalten und bekämen dadurch einen Vorteil. Kleinere dolomedische Städte beklagten sich, bei den Lieferungen nicht genügend berücksichtigt zu werden, und schickten Truppen los, um aus den größeren Städten so viel wie möglich abzuziehen. Die Dolomeden behaupteten, dass die Hybriden viel zu sehr pandinisch seien und keineswegs neutral, ihre Gene wären überhaupt nicht gleichmäßig verteilt.
Locq schickte weiterhin Hilfsgüter und verteilte sie, seiner Ansicht nach gerecht. Er glaubte, wenn alle mehr als genug hätten, würden sie schon Ruhe geben. Doch weit gefehlt, denn sie hatten nie genug. Sie verlangten immer noch mehr und bedrohten sich gegenseitig. Zum normalen Krieg brach nun auch der Bürgerkrieg aus. Locq versuchte, vermittelnd einzugreifen, schickte eigene Truppen los, die die Kampfhandlungen beenden sollten. Gleichzeitig begannen die Hybriden mit der Renaturierung des Landes und starteten die ersten Regen- Experimente. Und das brachte die Katastrophe erst so richtig ins Rollen. Nicht nur, dass – wie von Zacco befürchtet – klimatische Veränderungen mit Gewittern und verheerenden Stürmen einhergingen, sondern die Urvölker fürchteten nun auch um ihr Land. Sie sahen ein, dass die genetisch manipulierten Nachkommen ihnen weit überlegen waren, und befürchteten die Übernahme ihrer Zivilisationen, die Unterwerfung unter ein drittes Volk. Der Weltkrieg begann. Jeder kämpfte zunächst gegen jeden, doch als die Oberhäupter der großen Städte einsahen, dass man sich im Grunde genommen nur um ein einziges Ziel kümmern musste, verbündeten sie sich mit ihren Erzfeinden gegen den neuen Feind – die Hybriden. Im Gelobten Land beobachtete Zacco über den Medienkanal die Vorgänge auf der Oberwelt. Und eines Tages konnte er es nicht mehr ertragen. Er rief Uide und Harrix an und bat sie, zu ihm zu kommen. »Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie unsere Völker sich umbringen, und ich spreche von allen drei Gruppen«, eröffnete er den beiden Pandinen kurzerhand. »Ich werde hinaufgehen und Frieden stiften. Egal, was geschehen mag, aber ich muss es zumindest versuchen. Seid ihr dabei?« Die beiden waren zuerst überrascht, dann nachdenklich. Und schließlich stimmten sie zu. »Wir kommen mit.«
* Es ging nicht so schnell, wie die drei ehemaligen Abenteurer hofften. Weder Pandinen noch Dolomeden fanden Gefallen am ersten öffentlichen Auftritt von Zacco, Uide und Harrix, sie hielten sie für Verräter, beeinflusst von den Hybriden. Aber dadurch ließen sie sich nicht entmutigen, sie hatten damit gerechnet, vor allem von ihren ehemaligen Freunden und Verwandten als Verräter eingestuft zu werden. Sie setzten ihre öffentlichen Auftritte unter dem Schutz der Hybriden-Technik fort und bauten eine Hilfsorga nisation auf, die gleichermaßen an allen Fronten für den Abtransport von Verletzten und Kranken sorgte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Völker wurden die Gefallenen nicht mehr einfach liegen gelassen, sondern in die Wüste hinaustransportiert und dort begraben. Vor allem Zacco setzte sich für den raschen Austausch gegenseitiger Gefangener ein. Er wurde es nicht müde, den Frieden zu predigen und in anschaulichen Bildern zu zeigen, wie der Planet eines Tages aussehen könnte, wenn alle zusammenarbeiteten. Eine dieser Gefangenen war Tamci, die inzwischen Hierarchin geworden war. Nachdem sie ihre Freiheit wiedererhalten hatte, versuchte Zacco, sie für seine Sache zu gewinnen. Doch nur die Technik der Hybriden rettete ihn vor ihrem Angriff. Sie konnte ihm seinen scheinbaren Verrat nicht verzeihen. Uide führte vor, wie effektiv Landwirtschaft mit Nutztierhaltung sein konnte, und Harrix legte demonstrativ alle Waffen ab. Er erklärte, ein Soldat sei zu mehr als nur zum Dienst an der Waffe zu gebrauchen und es gäbe noch andere Kämpfe, die ausgetragen werden müssten. Vor allem den Einsatz der Hilfsorganisation sah er als Kampf an – gegen den Tod, gegen Ignoranz, für das Leben.
Ganz allmählich fand ein Umwandlungsund Entwicklungsprozess statt. Die Worte des Friedens fanden immer mehr Gehör, vor allem bei den Generationen, die jetzt heranwuchsen. Die Sinnlosigkeit des Krieges drang allmählich in das Bewusstsein der Urvölker. Denn tatsächlich funktionierte das Renaturierungsprogramm. Das Land fing an zu erblühen, und die Anzahl der Beutetiere wuchs. Und zwar überall. Pandinen und Dolomeden, die sich nun zufällig auf dem Land begegneten, gingen einander zumeist aus dem Weg, denn keiner hatte mehr etwas, was der andere wollte. Sie hatten alle dasselbe. Die Hybriden hatten es geschafft, die Position des Gelobten Landes erfolgreich geheim zu halten, und sie hatten starke Abwehrschilde gegen die Urvölker errichtet, aber noch nie offensiv am Krieg teilgenommen. Das fiel Pandinen und Dolomeden irgendwann doch auf. Sie rannten gegen Mauern und Schutzwälle, aber niemals begannen die Hybriden eine Schlacht, nie wurden in den Medien Bilder gezeigt, in denen sie ein Blutvergießen verübten. Sie machten einfach weiter mit der Arbeit. Aufgrund ihres Zwitterwesens und ihres besonderen genetischen Pools waren und blieben sie ausgeglichene, friedliche Geschöpfe, die ihre ganze Energie in die Wissenschaft investierten. Es war fast, als betrachteten sie die Urvölker als ihre »Kinder«, die manchmal über die Stränge schlugen, aber dennoch nachs ichtig und liebevoll behandelt wurden. Eines Tages würden sie schon vernünftig. Uide, Harrix und Zacco machten ihren Artgenossen vor, was möglich war. Sie waren zwar nicht unbedingt Freunde, aber auch keine Feinde mehr. Sie lebten vor, dass es auch anders gehen konnte.
7. Das Ende Und dann endete der Krieg, der letzte große Weltkrieg. Pandinen und Dolomeden hatten keine Lust mehr. Es gab keinen Grund mehr, und vor allem kaum noch Gegner. Die Nachkommen der letzten Krieger und Soldaten waren in eine fruchtbare Welt geboren worden, in der sie keinen Mangel leiden mussten. Sie hatten sehr viel zu verlieren, deshalb mieden sie Konfrontationen. Die beiden Urvölker stellten fest, dass durchaus Platz für alle da war. Die Hybriden stellten ihnen ihre ganze Technik zur Verfügung, und mit den Fluggleitern entdeckten sie die Welt. Es war mehr Platz, als sie benötigten, denn sie hatten sich im Krieg gegenseitig beinahe völlig vernichtet. Also schlossen sie Frieden, einigten sich darauf, wer welche Gebiete erhielt, und zogen Grenzen. Die Hybriden erkannten sie als ihre Mentoren an, als die führenden Wissenschaftler und globalen Regierungsräte. Uide, Harrix und Zacco bekamen einen besonderen Status als Friedenssprecher und wurden nun verehrt, wo sie früher verflucht worden waren. Die beiden Pandinen hatten lä ngst ihre ersten Nachkommen. Doch Zacco, der weiterhin für Tamci tänzelte, wurde noch immer abgewiesen. Sollte er je der Vater ihres Geleges werden, so würde er es nicht überleben, versprach die Hierarchin. Aus dem ganzen Planeten wurde nun das Gelobte Land. Doch für die drei Abenteurer war es noch nicht das Ende. Sie hatten – so fanden sie – immer noch nicht genug Entdeckungen gemacht. Daher war es für sie an der Zeit, mit dem Bau der Raumstation zu beginnen und herauszufinden, was sich noch dort draußen fand, im All. Sie starteten die Initiative, und vor allem in Zacco lebte der Forscher und Wissenschaftler wieder auf.
Doch bevor sie auf Entdeckungsreise gehen konnten, wurden sie entdeckt... * Zacco trat genau in dem Moment in die Zentralstation in der Raumstation, um Harrix abzulösen, als ein junger Pandine, ein Sensortechniker, heftig anfing zu fluchen. Zacco trat hinter ihn. »Was ist?« »Die Scanner scheinen gestört zu sein. Sie zeigen ein gigantisches Objekt an, das sich rasch nähert. Es ist ein Würfel mit einer Lichtstunde Kantenlänge.« »Das ist lächerlich. Das wäre beinahe so groß wie unser ganzes Sonnensystem.« »Ganz recht«, bestätigte der Scannertechniker. »Aber ich habe das Analyseprogramm durchlaufen lassen, und es kann keinen Fehler finden. Und«, er hielt inne, wie um deutlich zu machen, dass das Folgende noch unglaublicher war, »es scheint ein künstliches Objekt zu sein, denn es verlangsamt.« Zacco drängte den jungen Pandinen zur Seite und überprüfte dessen Angaben. Er fand keinen Fehler. Wenig später wurde das seltsame Gebilde auf einem großformatigen Holoschirm gezeigt, daneben die Daten, die erfasst werden konnten. Ein Würfel von einer Lichtstunde Kantenlänge, mit Wänden aus purer Energie. »Er... er ist mit Wasser gefüllt«, stammelte ein Wissenschaftler, der fieberhaft die Kontrollen bearbeitete. »Zumindest sagen das die Scanner. Und... und darin schwimmen planetengroße Objekte.« Zacco betrachtete düster grübelnd die Analysen. Schließlich rief er Locq, Uide und Harrix über Funk. »Gebt sofort Großalarm!«, befahl er. »Seht euch an, was wir soeben entdeckt haben. Ich sende es gleich rüber.« Bevor sie reagieren konnten, unterbrach er die Verbindung.
Er konnte jetzt nicht reden, musste seine Gedanken ordnen, sich mit den fürchterlichen Konsequenzen befassen, die sich daraus ergaben. »Was wird mit uns geschehen, wenn dieses Ding auf uns trifft?«, flüsterte der junge Hybride. Kurze Zeit später schien er eine Antwort zu erhalten. Der äußerste Planet des Systems befand sich auf dem Kurs des riesigen Wasserwürfels – und wurde einfach zur Seite gerammt! Er wurde aus seiner Umlaufbahn geschleudert und würde entweder in die Sonne stürzen oder das Planetensystem verlassen. Damit stand die Antwort fest. Ein Gebilde, das so groß war und sich auf direktem Kollisionskurs befand, vernichtete alles. * Sie versuchten, Kontakt aufzunehmen, aber es kam keine Antwort. Hybriden, Pandinen und Dolomeden waren genau so hilflos wie alle anderen Völker, die dem Wasserkubus je begegnet waren oder noch begegnen würden. Zacco, der gedacht hatte, schon alles erlebt zu haben, wurde eines Besseren belehrt. Kein einziges intelligentes Individuum auf der Welt machte sich Illusionen darüber, wie die Zukunft aussah. »Welche Ironie«, sagte Zacco zu Uide und Harrix, nachdem er bei ihnen in der Planetenzentrale eingetroffen war. »Da haben wir es endlich zum Frieden geschafft und wollten uns unseres Lebens erfreuen – und nun war es das!« Dolomeden und Pandinen taten das, was in ihrer Natur lag: Sie suchten Deckung. Sie versteckten sich in den Städten, in den Bergen, in ihren Kokons, im Gelobten Land. Grenzen spielten jetzt keine Rolle mehr, niemand, der Schutz suchte, wurde abgewiesen.
Das Gelobte Land nahm Flüchtlinge auf, bis es nicht mehr ging. Im Grunde genommen waren sich alle darüber im Klaren, dass ihre Aktionen völlig sinnlos waren. Einige hatten sich sogar in der Wüste vergraben. Es war eben ihre Natur, dagegen konnten sie nicht an. Vielleicht schaffte es doch einer von ihnen zu überleben.Vielleicht würde der riesige Wasserwürfel wider Erwarten vorbeiziehen. Vielleicht würde er rechtzeitig stoppen... »Er wird uns vernichten«, murmelte Zacco, während er Dienst an den Kontrollen versah. Obwohl er sie gar nicht mehr brauchte, denn inzwischen nahm das Objekt schon den ganzen Himmel ein. Die ersten Naturkatastrophen brachen aus – Erdbeben, Stürme, vieles wurde bereits jetzt schon vernichtet. Aber irgendetwas musste Zacco noch tun, er wollte sich nicht so nutzlos fühlen, deshalb harrte er aus. Alle anderen hatten die Zentrale schon verlassen und Schutz im tiefsten Planetenkern gesucht. Lediglich Uide und Harrix waren noch bei ihm, denn sie waren der Ansicht, dass sie dieses letzte Abenteuer gemeinsam beenden sollten. Uide stimmte zu. »Er wird uns rammen und aus der Umlaufbahn schleudern. Aber das werden wir wohl kaum noch erleben.« * Doch sie sollten mit ihren Vermutungen Unrecht haben. Ihr Planet wurde nicht gerammt. Doch die Alternative war möglicherweise noch schlimmer. Das unfassbar große Gebilde hatte den friedlichen, alten kleinen Planeten erreicht – und verschlang ihn! Seine Wasser überfluteten und durchdrangen alles. Sie sickerten durch dickstes Gestein, füllten die Hohlkugel im
Kern, vernichteten alles Leben. Es ging schnell, in weniger als zwei Herzschlägen war der gesamte Planet Teil des Wasserkubus, und allen Luftatmern war die Lebensgrundlage entzogen. Selbst die Dünen, die Zacco einstmals für ein Zeichen der Ewigkeit gehalten hatte, wurden weggespült und aufgelöst, für immer, und mit ihnen alle Erinnerungen...
Epilog »Was ist das?«, fragte Cy erschüttert. »Die Legenden erzählen darüber. Aber es ist noch keinem Bewohner der Galaxis – erst recht keinem Angehörigen der Allianz – gelungen hineinzugelangen. Und selbst wenn dies irgendwann einmal gelang, kehrte derjenige, der es wagte nicht von dort zurück, um zu berichten.« »Es müssen Ungeheuer sein, die es bewohnen.« »Ja«, sagte Algorian, der in den Sternverzeichnissen nachgesehen und einen Eintrag über die Bewohner der verschwundenen Welt gefunden hatte. »Ungeheuer. Aber wir sollten jetzt... nun, ihr kennt die Gefahr. Die andere Gefahr...« Cy wusste, dass der Aorii nicht nur ihn allein angesprochen hatte, sondern auch die Seelen, die zusätzlich in ihm wohnten, seit er zum Auserwählten geworden war. »Weiter! Wir müssen weiter!«, meldete sich auch prompt eine Stimme in ihm. »Wir müssen die Allianz warnen!« Kurz darauf nahm die CLARON wieder Fahr t auf, beschleunigte mit Höchstwerten. Es war der Moment, in dem der Feind warnungslos zuschlug! ENDE
BAD EARTH Die Ortung der RUBIKON erfasst den Schauplatz einer zurückliegenden Schlacht. Und erstmals sehen sich Cloud und Scobee mit einer Rasse konfrontiert, die fast ebenso gefürchtet ist wie die Erinjij – und mindestens ebenso, geheimnisumwittert.
Das Komplott der Jay'nac lautet der Titel des nächsten Bad Earth Bandes, in dem Manfred Weinland nicht nur die weitere Erforschung des Rochenschiffes schildert, sondern auch Einblicke in das Schicksal von Cy gibt, dem Auserwählten der Allianz CLARON. In 14 Tagen bei eurem Zeitschriften- oder Bahnhofsbuchhändler!