Nr. 409
Planet der Intrigen In den Schatzkammern von Achtol von Marianne Sydow
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dime...
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Nr. 409
Planet der Intrigen In den Schatzkammern von Achtol von Marianne Sydow
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Während Atlan und seine Gefährten im sogenannten Marantroner-Revier eine Fül le von gefährlichen Abenteuern bestehen und letztlich in die Gewalt der Scuddamo ren geraten, der Kämpfer von Chirmor Flog, die den Arkoniden und die Odinstochter dem Meisterträumer zum intensiven Verhör überantworten, hält sich noch ein weite rer Pthorer im Vorfeld der Schwarzen Galaxis auf. Dieser Pthorer wurde durch Raum und Zeit an einen fremden Ort geschleudert und verlor dabei sein Gedächtnis. Der Mann, dem dies zustieß, versteht sich als Noma zar. Gegenwärtig befindet er sich auf dem Planeten Achtol. Diese Welt ist der PLA NET DER INTRIGEN …
Planet der Intrigen
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Die Hautpersonen des Romans:
Nomazar - Der Mann ohne Gedächtnis auf dem Planeten der Intrigen.
Kjon-Tharo - Nomazars neuer Herr.
Sprak - Kjon-Tharos Diener.
Solta-Kurl - Eine angebliche Diebin.
Leert - Ein hilfreiches Wesen.
1. »Was ist das?« fragte Rauchmacher KjonTharo verblüfft, als er den Fremden in der Halle entdeckte. »Was hat dieses Wesen zwischen den Kunstwerken zu suchen?« »Es ist ein Gefangener, Herr«, erklärte der Diener Sprak demütig. »Was du nicht sagst«, murmelte KjonTharo sarkastisch. »Was soll ich mit ihm an fangen?« »Ich weiß es nicht, Herr. Er kam mit dem letzten Transport. Wahrscheinlich wußten sich die Wesen in dem betreffenden Organ schiff auch keinen Rat, und da haben sie die sen Gefangenen einfach bei uns abgesetzt.« »Heimtückische Bande«, kommentierte Kjon-Tharo. Der Diener zog hastig seine Ohrbüschel ein, um ja nichts zu hören, falls sein Herr weitere ketzerische Bemerkungen von sich geben sollte Kjon-Tharo trat näher an den Gefangenen heran und betrachtete ihn miß trauisch. Er sah ein Wesen, das auf zwei Beinen stand und zwei Arme sowie einen aufrechten Körper besaß. Damit ergab sich eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Domer. Aber statt des aparten kugelförmigen Leibes, den Kjon-Tharo wie alle Domer sein eigen nannte, besaß dieser Fremde einen häßli chen, dünnen Körper. Lediglich am Ende dieses dürren Gebildes befand sich etwas, das wenigstens entfernt an eine Kugel erin nerte. Der Gefangene bewegte dieses vom Kör per scharf abgesetzte Teil und sah KjonTharo mit erschreckend düsteren Augen an. Der Domer zog sich vorsichtig einen Schritt weit zurück, denn der Blick des Fremden war ihm unheimlich.
»Woher kommst du?« fragte er in der Einheitssprache des Rghul-Revier, dem Go nex. Der Fremde gab Laute von sich, aber Kjon-Tharo verstand kein einziges Wort. »Vielleicht kann er gar nicht sprechen«, bemerkte Sprak vorlaut. »Ich finde, er sieht aus wie ein Tier.« Der Domer machte eine verächtliche Ge ste. Sprak war nur ein dummer Greiner, sonst wäre er auf eine solche Idee sicher nicht gekommen. Schließlich trugen Tiere keine Kleidung. Wenigstens hatte KjonTharo noch von keinem solchen Fall gehört. Er schlug sich demonstrativ vor die Brust und sagte laut und deutlich: »Ich bin Rauchmacher Kjon-Tharo!« Der Gefangene hob einen der dürren Ar me und deutete mit einem abscheulich spit zen Finger auf sich selbst. »Nomazar!« sagte er dabei. »Er ist intelligent«, stellte Kjon-Tharo zu frieden fest. »Nun, Nomazar, ich kann dich nicht in dieser Halle lassen. Wärest du aus Stein, so ließe sich eine gute Lösung finden, denn Figuren wie dich kann man auf Cagen dar immer gebrauchen. Da du aber am Le ben bist, muß ich dich bitten, mir zu fol gen.« Nomazar hatte aufmerksam zugehört. Kjon-Tharo gab sich nicht etwa der Illusion hin, daß der Fremde seine Ansprache ver stand. Aber als er eine einladende Geste vollführte, hob Nomazar den Arm und deu tete mit seinen spitzen Fingern auf den Aus gang – er hatte also doch etwas begriffen. Danach zeigte er auf seine Füße, die in ei nem Fesselblock steckten. »Schon gut«, murmelte Kjon-Tharo. »Das werden wir gleich haben. Sprak, mach das Ding auf.«
4 Der Greiner wieselte auf seinen kurzen Beinen heran und schlängelte sich um den Fesselblock. Kjon-Tharo war ganz und gar gegen seinen Willen beeindruckt – der Ge fangene schien beim Anblick des Greiners, der erfahrungsgemäß auf Fremde stets ab schreckend wirkte, nicht die geringste Furcht zu empfinden. Sprak zog seinen haarigen Körper zusam men, und im Fesselblock knackte es ge räuschvoll. Nomazar zuckte leicht zusam men, und sein fremdartiges Gesicht verzerrte sich für einen Augenblick. Dann zog Sprak sich zurück, und der Gefangene zog vorsich tig seine Füße aus dem Block. Er betrachtete sie mißtrauisch und probierte sie aus, als wolle er sich vergewissern, daß Spraks Be freiungsmethode ohne böse Folgen geblie ben war. Schließlich richtete der Fremde sich auf, und Kjon-Tharo setzte sich in Richtung Aus gang in Bewegung. Nach einigen Schritten drehte er sich um. Der Fremde folgte ihm. Aber Kjon-Tharo bemerkte, daß Nomazars Fortbewegungsweise unregelmäßig wirkte. Er behielt den Fremden im Auge. Tatsäch lich, Nomazar zog das linke Bein nach. Verächtlich dachte Kjon-Tharo, daß eine so zerbrechliche Körperkonstruktion dem Leben wohl nur schlecht gewachsen war. Aber dann besann er sich darauf, daß er wohl oder übel für das Wohl dieses Fremden sorgen mußte. Den Wesen in den Organ schiffen durfte man nicht trauen. Vielleicht war Nomazar ein wichtiger Informant oder etwas Ähnliches. Man erwartete von den Domern, daß sie alles, was ein Organschiff auf dem Planeten Achtol auslud, mit äußer ster Sorgfalt verwahrten. »Du hast ihn verletzt«, wandte sich KjonTharo an den Greiner. Sprak faltete erschrocken seine Ohrbü schel zusammen. »Das kann nicht sein!« stammelte er. »Untersuche ihn!« befahl der Domer. Der Diener näherte sich dem Gefangenen diesmal sehr vorsichtig. Nomazar musterte den haarigen Vielbeiner gelassen.
Marianne Sydow »Bleibe ganz ruhig stehen!« krächzte Kjon-Tharo und fuchtelte, dabei aufgeregt mit beiden Händen in der Luft herum. »Er tut dir nichts.« Nomazar schien zu begreifen, was von ihm erwartet wurde. Er ließ es zu, daß Sprak sich um seine Beine kringelte. Aber plötz lich stieß der Gefangene so seltsame Laute aus, daß Sprak sich entsetzt von ihm löste und in Richtung Tür davonschoß. »Komm zurück!« schrie Kjon-Tharo wut erfüllt. Sprak hielt an. Er bog sich zu einem Ring zusammen und schielte von unten herauf den Fremden an. Nomazar stand wieder still. Nur in seinem Gesicht zuckte es merkwür dig. »Ich traue ihm nicht«, flüsterte Sprak. »Wir hätten ihn in dem Fesselblock lassen sollen.« »Unsinn!« widersprach Kjon-Tharo grob. »Was hast du festgestellt?« »Seine Beine sind in Ordnung«, behaupte te Sprak schüchtern. »So!« Kjon-Tharo blickte zwischen dem Gefangenen und dem Greiner hin und her. Schließlich dachte er, daß es am besten war, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen. Nomazar hinkte zwar, aber es gab kein An zeichen dafür, daß er eine ernsthafte Verlet zung davongetragen hatte. Man konnte das später noch genau untersuchen. Im Augenblick hatte Kjon-Tharo nur den Wunsch, Nomazar von der Halle wegzube kommen und in ein sicheres Gelaß zu sper ren. Denn in der Halle hatte er unter den ge rade eingetroffenen Gütern etwas entdeckt, was ihn brennend interessierte. Rauchma cher Kjon-Tharo war ein vorsichtiges Wesen – er hatte nicht die Absicht, sich vor mögli cherweise gefährlichen Zeugen mit den be treffenden Gütern zu befassen. So ging er ei ligen Schrittes voran, und Nomazar folgte ihm gehorsam. Sprak wieselte hinterdrein. Solange er nichts über Bestimmung, Auf trag oder Fähigkeiten des Gefangenen wuß te, so beschloß Kjon-Tharo, würde er Noma zar einfach nur sicher verwahren. Vielleicht
Planet der Intrigen ergaben sich sogar gewisse Vorteile aus der Anwesenheit des Fremden. Kjon-Tharo hat te da ein paar Pläne … Der Gedanke gab ihm Auftrieb. Er wat schelte in den Gang hinein, der die Halle mit seinen Wohnräumen verband. Ab und zu drehte er sich nach Nomazar um. Der Gefan gene schien nicht sehr beeindruckt von den Gemälden, Statuen und sonstigen Kunstwer ken, mit denen der Gang ausgestattet war. »Ein Wilder«, murmelte Kjon-Tharo ver ächtlich vor sich hin. Oder war das Desinteresse des Gefange nen nur gespielt, Teil eines üblen Planes, den irgendein anderer Domer ausgearbeitet hatte? »Du wirst Nachforschungen anstellen«, sagte Rauchmacher Kjon-Tharo zu seinem vielbeinigen Diener. »Ich muß genau wis sen, wann und auf welchem Wege Nomazar nach Achtol kam. Finde heraus, von welcher Welt er stammt.« »Das wird nicht einfach sein, Herr«, gab Sprak schüchtern zu bedenken. »Das weiß ich auch«, murmelte KjonTharo ärgerlich. »Aus dem Rghul-Sektor stammte er jedenfalls nicht, die Völker, die hier leben, kenne ich genau.« »Dann ist er von außerhalb?« flüsterte Sprak entgeistert. »Vielleicht. Das sollst du ja gerade her ausfinden.« Nomazar hatte aufmerksam zugehört, aber Kjon-Tharo fühlte sich sicher. Falls dieser Gefangene ihm von irgendeinem Nei der untergeschoben worden war, um auf die se hinterhältige Weise an des Rauchmachers Schatzkammer heranzukommen, so durfte Nomazar sich erstens keine Blöße geben, und zweitens konnte es nur von Vorteil sein, wenn er schon jetzt begriff, daß Kjon-Tharo nicht so leicht hereinzulegen war. Stimmte jedoch die Geschichte, die Sprak am Anfang erzählt hatte, so verstand Nomazar ohnehin kein Wort. Kjon-Tharo war nicht darauf eingerichtet, Gefangene in seinem Haus zu beherbergen. Aber es gab einen Raum, der sich bestens
5 verschließen ließ und dennoch so behaglich eingerichtet war, daß man Nomazar ohne je des Risiko darin unterbringen konnte. Für einen Gefangenen war es ein komfortables Quartier – falls Nomazar später darüber be richtete, würde Kjon-Tharo nur im günstig sten Licht dastehen. Wie gesagt, er war ein vorsichtiger Mann, der sich nach allen Sei ten absicherte. Nomazar spazierte ohne Umstände in sein Gefängnis hinein. Er ließ sich sofort auf ei nem Polster nieder und sah Kjon-Tharo er wartungsvoll an. »Hier wirst du fürs erste bleiben«, sagte der Domer freundlich. »Sprak kann dir et was zum Essen bringen.« Mit einigen Gesten deutete er an, was er meinte, und der Fremde bewegte seinen merkwürdigen Kopf so heftig, daß KjonTharo Angst bekam – ein Domer trug seinen Kopf fest auf den Schultern, und der Hals des Gefangenen schien ihm ein wahres Si cherheitsrisiko. Er fragte sich, ob der Frem de sein Gehirn tatsächlich in diesem wacke ligen Gebilde mit sich herumtrug. Kjon-Tharo gab seinem unfreiwilligen Gast mit weiteren Gesten zu verstehen, daß er sich ausruhen und es sich bequem machen sollte. Sprak flitzte davon und holte Fleisch, Früchte und einen Krug mit Wasser, und dann schloß Kjon-Tharo die Tür zu dem Ge fängnis und wandte sich aufatmend wieder der Halle zu.
* Während Kjon-Tharo sich die frisch ein getroffenen Güter ansah, stürzte Nomazar sich mit Heißhunger auf das, was der Diener des Rauchmachers ihm gebracht hatte. Er überzeugte sich schnell davon, daß die Spei sen für ihn genießbar waren – falls sich nicht üble Spätfolgen einstellten, war dies eine in Anbetracht der Verhältnisse großartige Mahlzeit. Nomazar kaute und dachte dabei über sein Schicksal nach. Er wußte nicht, wer er war und woher er kam. Er nannte sich Nomazar, aber er hatte
6 das Gefühl, daß dies nicht sein richtiger Na me war. Einmal hatte er aus Langeweile die Buchstaben umgeordnet. Die Zusammen stellung »Razamon« hatte ihm irgendwie ge fallen. Manchmal spielte er mit dem Gedan ken, sich diesen Namen zuzulegen. Aber ir gend etwas warnte ihn davor, und so blieb es bei Nomazar. Irgendwie – er wußte nicht, auf welche Weise – war er auf den Planeten Ximmer rähne geraten. Wo er sich vorher befunden haben mochte, war ihm nicht klar. Er hatte seine Herkunft vergessen, aus Sicherheits gründen, aber es schien ihm, als wäre er da bei etwas zu gründlich zu Werke gegangen. Denn er wußte nicht einmal mehr, wie er dieses Vergessen bewerkstelligt hatte, ge schweige denn, warum diese Erinnerungen gefährlich sein sollten. Auch hatte er keine Ahnung, was er auf Ximmerrähne oder die ser neuen Welt tun sollte. Die ganze Angelegenheit, so schien es ihm, war schlecht organisiert gewesen. War die Gefahr, die ihm von irgendwoher drohte, so ungeheuer groß, daß selbst der winzigste Funke von Erinnerung eine Katastrophe aus zulösen vermochte? Oder hatte er in Zeit druck gestanden und war darum nicht mehr dazu gekommen, wenigstens ein paar uner läßliche Grundinformationen für die Zeit nach dem Vergessen zu konservieren? Er fand keine Antworten auf diese Fra gen. Noch wußte er nicht, auf was für eine Welt er gelangt war. Auf Ximmerrähne hat ten ihn die raupenähnlichen Insassen eines Organschiffs weggeschleppt, und dann war das Schiff gestartet und davongeflogen. No mazar, der außer seiner jetzt unbrauchbaren Heimatsprache das Idiom der Ximmerrähner erlernt hatte, verstand das, was die seltsamen Raumfahrer sagten, leider nicht. So hatte er keine Ahnung, wohin die Reise ging. Gele genheiten, sich Informationen zu beschaffen, hatte man ihm nicht gewährt. Irgendwann im Lauf der Reise hatte man ihn in diesen teuflischen Fesselblock ge steckt und angefangen, ihn wie ein lebendes
Marianne Sydow Standbild zu behandeln. Darum war ihm auch gar nichts anderes übriggeblieben, als sich von den »Raupen« verladen und in eine gigantische Halle verfrachten zu lassen, wo schließlich dieses fast kugelrunde Wesen auftauchte, das sich Kjon-Tharo nannte. Was erwartete ihn hier? Er lehnte sich gesättigt zurück, dann fiel ihm etwas ein. Die Tür war verschlossen, das wußte er, aber der Raum hatte ein winzi ges Fenster dicht unter der Decke. Es war viel zu klein, als daß Nomazar hätte hoffen können, es möge ihm gelingen, sich dort hinauszuzwängen. Aber er konnte wenig stens einen Blick auf die Umgebung werfen. Von dem Transportfahrzeug aus hatte er so gut wie nichts gesehen. Er türmte ein paar Polster aufeinander und kletterte daran hoch. Nach einem Klimmzug gelang es ihm, sich in der Fensteröffnung festzuhalten. Erstaunt musterte er die Szene. Es kam ihm so vor, als hätte er niemals ei ne größere Ansammlung von Gebäuden er blickt. Es waren meist kastenförmige Bau ten, die sich in unübersehbarer Zahl anein anderreihten. Sie standen so dicht, daß No mazar weder Straßen noch Plätze entdecken konnte. Es gab keinen grünen Flecken und nichts, was dem Auge Erholung hätte bieten können. Da die Häuser tief unter ihm lagen, hätte der Gefangene Kjon-Tharos eigentlich wenigstens in eine Straße Einblick erhalten müssen. Aber Brücken und allerlei andere Dinge versperrten ihm die Sicht. Nomazar ließ sich enttäuscht wieder zu Boden gleiten. Er durchsuchte den ganzen Raum. In ei ner Ecke fand er ein seltsames Gerät, das fürchterliche Geräusche produzierte. Er hat te das Gefühl, etwas zu sehen, was er eigent lich hätte kennen müssen. Er brachte das Gerät mit einem ärgerlichen Faustschlag zum Schweigen und sah sich ratlos um. Es gab nur Bilder, Statuen und allerlei seltsame Gegenstände, die zum Teil sogar sehr unappetitlich wirkten, in diesem Raum. Nichts, was man brauchen konnte, um sich
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damit einen Weg in die Freiheit zu bahnen oder sich wenigstens die Zeit zu vertreiben. Nomazar trat an die Tür und schlug mit den Fäusten dagegen. Dann lauschte er. Nichts rührte sich in dem fremden Gebäude. Nach einer Weile zog er sich abermals zu dem Fenster hinauf. Er wollte wenigstens sehen, wie weit der Tag draußen inzwischen gedie hen war, denn die künstliche Beleuchtung in diesem Zimmer ließ darauf keinen Schluß zu. Als er endlich nach draußen sehen konn te, stockte ihm der Atem. Er blickte auf eine giftdampfende vulka nische Landschaft hinab. Unwillkürlich ließ er los und landete un sanft auf allen vieren. Nur allmählich wurde ihm klar, was diese Veränderung zu bedeu ten hatte. Was immer die Öffnung auch darstellen mochte – ein Fenster war sie jedenfalls nicht.
* Kjon-Tharo war so fasziniert von dem, was der letzte Transport in seine Halle ge bracht hatte, daß er die Zeit vergaß. Er wan derte von einem Kunstwerk zum anderen und geriet schier außer sich vor Entzücken. Es waren erlesene Stücke, von vielen Pla neten des Rghul-Sektors zusammengetragen. Dem Domer wurde ganz seltsam zumute, wenn er daran dachte, daß das alles nach Cagendar gebracht werden sollte, um dort in den Schatzkammern des Neffen Duuhl Larx zu verschwinden. Er hatte Duuhl Larx noch nie gesehen und wußte genau genommen gar nichts von ihm. Aber er war fest davon über zeugt, daß es sich bei diesem geheimnisvol len Neffen des Dunklen Oheims auf keinen Fall um einen Kunstkenner handeln konnte. Jemand, der Kunst in Massen sammelte, konnte ja nichts davon verstehen. Tagtäglich kamen Unmengen von Kunstwerken nach Achtol, und die wertvollsten Stücke wurden nach Cagendar weitergeleitet – das waren immer noch mehrere Schiffsladungen im Abstand von wenigen Tagen.
Es war Verschwendung! Duuhl Larx – der Name alleine reichte, um Kjon-Tharo wütend zu machen. Er konnte nichts anderes tun, als seinen Auftrag zu erfüllen. Wenn er sich widersetz te, war sein Leben keinen Krümel grünen Trom mehr wert. Er mußte die schönsten der schönen Stücke aussortieren und nach Cagendar schicken. Wie alle Domer hatte er einen untrüglichen Instinkt dafür, was wertvoll war, und was nicht. Auf Cagendar verließ man sich auf den besonderen Sinn der Do mer. Und Kjon-Tharo war die letzte Instanz der Domer von Achtol. Er traf die Entschei dung in allen Zweifelsfällen. Er sah alles, was wertvoll war. Das war schlimm für ihn. Denn behalten durfte er nur das, was er vor her als minderwertig aussortiert hatte. Er wanderte durch die Halle und sah sich jedes einzelne Stück an, und dabei dachte er bereits darüber nach, wie er das eine oder andere in seine private Schatzkammer ver frachten könnte, ohne daß jemand davon er fuhr. Er fühlte Unbehagen in sich aufsteigen, wenn er an die geheimen Kammern dachte. Im großen Raum war alles in Ordnung. Da konnte jeder hinein und sich alles ansehen – es waren schöne Stücke dort untergebracht, durchaus kein wertloser Tand, aber nichts davon war wertvoll genug, um in die Paläste von Cagendar zu passen. Der Inhalt der ge heimen Kammern dagegen … Natürlich hatten die anderen Domer auch so etwas. Kjon-Tharo war überzeugt davon, daß seine Artgenossen den Neffen des Dunklen Oheims ebenfalls betrogen. Aber sie hätten es natürlich niemals zugegeben. Kjon-Tharo würde es auch nicht zugeben. Aber es machte keinen Spaß, Schätze zu hü ten, die niemand sehen durfte. Um die einen darum auch niemand beneidete. Kjon-Tharo nahm eine Bewegung am Eingang der Halle wahr, und er schrak zu sammen. »Ein guter Transport«, sagte Sro-Gago nüchtern.
8 »Vielleicht«, brummte Kjon-Tharo ärger lich. »Aber das geht dich nichts an. Kümme re dich um deine eigenen Angelegenheiten.« »Das will ich ja«, behauptete Sro-Gago harmlos. »Ich brauche deinen Rat, Rauch macher Kjon-Tharo. Siehst du diese Kugel? Ich weiß nicht recht, ob sie nach Cagendar gehört oder nicht.« Kjon-Tharo musterte den anderen miß trauisch. Tatsächlich, Steinfühler Sro-Gago hielt eine Kugel in der rechten Hand, ein Kunstwerk, wie Kjon-Tharo auf den ersten Blick sah. Und was für ein Kunstwerk. Ob SroGago wirklich nicht wußte, was er da zwischen seinen ungeschickten Fingern drehte? »Gib her!« befahl Kjon-Tharo. Sro-Gago reichte ihm die Kugel. Sie paß te gerade in Kjon-Tharos Hand. Sie bestand aus einem hellgrünen, milchigen Mineral, und wenn man sie drehte, veränderten sich die haarfeinen Nebelfiguren in ihrem Innern, wanderten in einer langen Reihe umeinander und formierten sich wie zum Tanz. Es war ein sehr schöner Anblick, auch wenn die Fi guren so abstrakt waren, daß Kjon-Tharo sie nicht zu identifizieren vermochte. »Hübsch, nicht wahr?« fragte Steinfühler Sro-Gago. Kjon-Tharo schrak zusammen. Mühsam riß er sich von dem Anblick der tanzenden Figuren los. »Ja«, bestätigte er lahm. »Sehr hübsch. Aber leider ohne jeden Wert.« Er tat die Kugel auf eine Ablage, auf der schon andere kleine Stücke bereit lagen, mit denen er verschiedene Rechnungen zu be gleichen gedachte – es war Ausschußware, gerade gut genug, um damit Händler und Raumfahrer zu bezahlen. Die Kugel gehörte natürlich nicht in diese Abteilung. Sro-Gago verbeugte sich demütig. »Ich dachte, sie wäre ein wirklich gutes Stück«, sagte er verlegen. »Nichts für ungut, Rauchmacher Kjon-Tharo. Ich wollte dir nicht zur Last fallen.« »Schon gut«, wehrte Kjon-Tharo großzü gig ab. »Geh jetzt, ich habe noch zu arbei-
Marianne Sydow ten.« »Ein wirklich schöner Transport«, mur melte Sro-Gago noch einmal, als er die Hal le verließ. Kjon-Tharo sah ihm nach. Als er sich un beobachtet fühlte, nahm er hastig die Kugel an sich und deponierte sie weiter hinten in einer dunklen Ecke. Dort würde man sie so schnell nicht entdecken. Er wagte es nicht, das schöne Stück schon jetzt seiner Samm lung einzuverleiben. Plötzlich fiel ihm der Gefangene wieder ein. Er erschrak. Er mußte sich um dieses Wesen kümmern. Vor allem mußte er sehen, ob Nomazar wirklich kein Gonex verstand. Und wenn er es nicht verstand – dann mußte er es schleunigst beigebracht bekommen.
2. Nomazar richtete sich von seinem Lager aus zusammengeschobenen Polstern auf, als er Geräusche an der Tür hörte. Er wartete geduldig. Als er den kleinen Braunhäutigen erblickte, nickte er ihm zu. Kjon-Tharo bedeutete ihm, den Raum zu verlassen. Nomazar folgte ihm gehorsam. Es amüsierte ihn, daß er dem Kleinen überlegen war und dieser davon nichts ahnte. KjonTharo fühlte sich ganz sicher. Er dachte of fenbar nicht daran, daß sein Gefangener auf die Idee kommen könne, ihm blitzschnell die Faust über seinen kugelrunden, fest auf den Schultern sitzenden Schädel zu schla gen, um sich dann schleunigst aus dem Staub zu machen. Kjon-Tharo führte Nomazar durch einen hohen, weiten, reich geschmückten Flur zu einem anderen Zimmer, dessen Einrichtung zweifellos eine besondere Bedeutung hatte. Hier roch es förmlich nach Technik. Die blitzenden Gegenstände an den Wänden und auf den niedrigen Tischen waren zwar schön anzusehen, aber mit Kunstwerken konnte man sie kaum verwechseln. Nomazar sah sich um und nickte nachdenklich. »Setz dich!« befahl Kjon-Tharo und deu tete auf einen niedrigen Sessel. Nomazar
Planet der Intrigen dachte nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Die Sache war ihm nicht geheuer. »Es geschieht dir nichts«, versicherte Kjon-Tharo. »Ich will nur mit dir reden. Verstehst du mich nicht? Reden!« Und er deutete auf seinen breiten Mund und klappte ihn auf und zu, dann auf Noma zar. »Reden kann man auch so«, stellte Noma zar auf ximmerrähnisch fest. »Setz dich endlich!« krächzte der Domer ungeduldig. Nomazar lächelte – was für Kjon-Tharo eine recht furchterregende Gri masse war. Dem Domer wurde es nun doch ein wenig unbehaglich. Sprak war nicht im Hause, und von seiner Familie hatte er keine Hilfe zu erwarten. Plötzlich aber ging No mazar doch zu dem Sessel hin. Er nahm dar in Platz. Kjon-Tharo atmete auf und eilte herbei, um die Geräte einzuschalten. Noma zar sah ihm zu. Dabei achtete er aber auch auf den Sessel. Als er eine Bewegung unter seinen Hand gelenken spürte, riß er die Arme hoch. Es gab ein helles Knallen, und die beiden Bän der, die sich aus den Lehnen geschoben hat ten, hingen zerrissen herab. Kjon-Tharo hielt erschrocken inne. Nomazar richtete sich auf. Dem Domer war es, als stünde er einem Rie sen gegenüber. Er zitterte vor Furcht und konnte sich nicht von der Stelle rühren. »So nicht, mein Freund«, sagte Nomazar drohend – was der Domer natürlich wieder nicht verstand. »Reden«, wisperte er bebend. »Ich will doch nur mit dir reden.« Nomazar hatte dieses Wort schon einmal gehört. Er deutete auf den Sessel und dann auf seinen Mund. »Reden will ich schon«, versicherte er. »Ich lege sogar großen Wert darauf, deine Sprache zu lernen. Aber kann das nicht auch zwanglos geschehen?« Er sah Unverständnis im Blick des Klei nen und hielt demonstrativ seine Handgelen ke aneinander. Dann riß er die Arme zur Seite. »So nicht«, wiederholt er. Kjon-Tharo
9 duckte sich unwillkürlich. Dann aber begriff er. Der Fremde wollte sich nicht festbinden lassen. Offenbar begriff er nicht, daß die Schlaufen an den Lehnen ganz anderen Zwecken dienten und niemanden einengen sollten. Kjon-Tharo watschelte schwerfällig an seinem Gefangenen vorbei. Er setzte sich und legte seine dicken Arme auf die Lehne. Demonstrativ legte er den Kopf zurück und schloß für einen Augenblick die Augen. Da bei murmelte er monoton vor sich hin. Er hoffte, daß Nomazar den Sinn dieses Schau spiels begriff. Es schien auch wirklich so, denn der Gefangene blieb ruhig und gelas sen. Kjon-Tharo schöpfte Mut und demon strierte den weiteren Verlauf der Prozedur, indem er abermals tat, als schliefe er. Er deutete an, daß man dabei leicht das Gleich gewicht verlieren könne, was sich nur durch die Fesseln verhindern ließ. Schließlich gab Nomazar nach. Kjon-Tharo schaltete das Gerät ein, und als er davon überzeugt war, daß der Gefan gene nunmehr in tiefer Trance lag, band er ihm die Handgelenke fest und widmete sich den Anzeigen. Er sah sofort, daß Nomazar tatsächlich kein Gonex beherrschte. Das Gerät war nämlich so eingerichtet, daß es keine Ener gie sinnlos darauf verschwendete, schon be kanntes Wissen neu zu vermitteln. Also war Nomazar doch ein wirklicher Fremder, kein Beauftragter irgendeines nei dischen Konkurrenten. Oder hatte dieser Kerl herausgefunden, wie man Kjon-Tharos Geräte beschwindeln konnte? Der Domer wartete geduldig, bis die Übertragung fast abgeschlossen war. Er band Nomazar vorsichtshalber schon los, ehe der Gefangene erwachte. Dann setzte er sich und starrte Nomazar an. Als der Gefan gene die Augen öffnete, atmete Kjon-Tharo erleichtert auf. Manchmal funktionierte das Gerät, das er einem Raumfahrer abgekauft hatte, nämlich nicht einwandfrei. Ein Grei ner, den er Sprak als Verstärkung hatte bei gesellen wollen, war bei einer solchen Gele
10 genheit in eine Ohnmacht gefallen, aus der er nicht mehr erwacht war. »Jetzt kannst du mich verstehen, nicht wahr?« fragte Kjon-Tharo. »Ja«, murmelte Nomazar. »Es hat funk tioniert.« »Von welchem Planeten bist du gekom men?« »Von Ximmerrähne.« »Die Leute dort sehen nicht aus wie du. Wo warst du also vorher?« »Das weiß ich nicht.« Kjon-Tharo sah den Fremden mißtrauisch an. »Du weißt es nicht?« wiederholte er un gläubig. »Ich habe es vergessen.« »Wie kann man vergessen, woher man stammt? Hattest du einen Unfall, der dir das Gedächtnis genommen hat?« »Es war kein Unfall«, versicherte Noma zar. »Ich habe meine Herkunft aus Sicher heitsgründen vergessen.« »Das …« »Weitere Fragen zu diesem Thema haben keinen Zweck«, unterbrach Nomazar den Domer. »Ich weiß selbst nichts darüber.« Kjon-Tharo fügte sich ungern. Sein Miß trauen war immer noch wach. Aber er be zwang sich und tröstete sich mit dem Ge danken, daß er diesem rätselhaften Burschen später, wenn Nomazar sich erst eingewöhnt hatte, besser zu Leibe rücken könne. »Warum hat man dich hier auf Achtol gelas sen?« fragte er. »Auch das weiß ich nicht. Ich nehme an, daß die Raumfahrer mich so schnell wie möglich loswerden wollten, und auf diesem Planeten bot sich ihnen dazu eine günstige Gelegenheit.« »Lassen wir es vorerst dabei«, seufzte Kjon-Tharo. »Was wirst du mit mir anfangen?« erkun digte sich Nomazar. »Eine berechtigte Frage. Ich wollte, du könntest mir mehr über dich berichten. Möglicherweise gehörst du jemandem, der schon nach dir sucht. Dann hätte ich die
Marianne Sydow Pflicht, dich gut aufzubewahren.« Nomazar dachte mit wenig Begeisterung an seine Rolle als »Figur« auf dem Planeten Ximmerrähne. »Ich bin mein eigener Herr«, behauptete er so ruhig wie möglich. »Das hoffe ich sogar«, stimmte KjonTharo zu. »Du scheinst mir ein vernünftiger Bursche zu sein. Ich könnte dich hier im Hause gut verwenden. Was meinst du da zu?« »Ich sitze nicht gerne untätig herum«, er widerte Nomazar vorsichtig. Es kam ihm ganz so vor, als hätte Kjon-Tharo die Ab sicht, ihn seinerseits zu seinem Eigentum zu machen. Aber Nomazar legte keinen Wert darauf, jemandem zu gehören und ihm zu dienen. Leider saß der Domer am längeren Hebel. Nomazar würde sich arrangieren, bis die Voraussetzungen, das Leben in die eige nen Hände zu nehmen, günstig waren. »Wir sollten es versuchen«, entschied Kjon-Tharo. »Du wirst allerdings vorerst das Haus nicht verlassen. Ich hoffe, du begreifst, daß ich dich in deinem eigenen Interesse darum bitten muß. Ich werde inzwischen Er kundigungen einziehen. Vielleicht erfahre ich mehr über die Gründe, warum man dich hier abgesetzt hat. Sobald dann alles klar ist, kannst du deiner Wege gehen.« Nomazar war überzeugt, daß es sich nicht so einfach erweisen würde, dem Domer zu entkommen. Aber er erklärte sich einver standen. »Dann komm!« befahl Kjon-Tharo er leichtert. »Ich werde dir zeigen, was du tun kannst und wo du wohnen wirst.«
* Nomazar hatte mit der Sprache auch In formationen über den Planeten Achtol ver mittelt bekommen. Er wußte längst nicht al les, aber es reichte, um sich ein Bild zu ma chen. Der Planet befand sich im RghulSektor, und dieses Raumgebiet bildete den Herr schaftsbereich von Duuhl Larx, einem Nef
Planet der Intrigen fen des Dunklen Oheims. Dieser Neffe, von dem offenbar niemand wußte, wie er aussah, sammelte Kunstgegenstände. Achtol gehörte zu den Stationen, an denen das gesammelte Gut sortiert und bewertet wurde. Was die Domer als wertvoll einstuften, wurde nach Cagendar gebracht. Gerüchte besagten, daß dort ein planetenumspannender Palast im Entstehen sei. Auch sprach man heimlich darüber, daß Duuhl Larx seines Verstandes verlustig gegangen sei. Diese Gerüchte interessierten Nomazar wenig. Entscheidend war für ihn die Fest stellung, daß Schiffe von allen dreihundert undvier Planeten des Rghul-Sektors Achtol anflogen! Es sollte also Wege genug geben, wenn man Achtol verlassen wollte. Kjon-Tharos neuer Schützling wußte nicht genau, warum er überhaupt daran dachte, seine Irrfahrt fortzusetzen. Aber er spürte, daß etwas ihn weitertrieb. Kjon-Tharo führte Nomazar im ganzen Haus herum. Allmählich bekam der Fremde einen Eindruck davon, was die Domer im Auftrag des geheimnisvollen Duuhl Larx leisteten. Da war die große Halle, in die man No mazar gebracht hatte. Alle zwei bis drei Ta ge wurde dort ein ganzer Haufen von seltsa men Gegenständen abgeladen. Kjon-Tharo mußte all das Zeug sortieren und begutach ten. Von dem, was er als wertlos aussonder te, durfte der Domer sich ein paar Stücke für die eigene Kunstsammlung heraussuchen. Alles andere wanderte in zentrale Sammel stellen. Man tauschte mit diesen Gütern Wa ren von den Raumfahrern ein und bezahlte auch die Dienste von Söldnern auf diese Weise. Nomazar fand das ausgesprochen lu stig. »Sind die Leute denn damit zufrieden?« fragte er ungläubig. »Sie können diese Dinge überall gegen neue Waren umtauschen«, versicherte der Domer ernsthaft. »Es hat deswegen noch niemals Schwierigkeiten gegeben.« Nomazar nahm es hin. In einer zweiten Halle stapelten sich
11 Kunstwerke, die selbst für Nomazar deutlich sichtbar zu den besseren Schöpfungen ge hörten. »Ich bin der oberste Gutachter«, erklärte Kjon-Tharo stolz. »Dies haben die anderen Domer hergebracht. Es sind ausgewählte Stücke, alle für Cagendar bestimmt. Aber manchmal unterläuft vor allem den Jüngeren unter uns ein Fehler. Duuhl Larx wäre sicher sehr ungehalten, wenn er auf Cagendar plötzlich über ein minderwertiges Stück stolpern müßte. Darum kontrolliere ich jede Ladung noch einmal. Was auf der rechten Seite der Halle liegt, soll übermorgen nach Cagendar gebracht werden. Die Gegenstän de dort links müssen noch begutachtet wer den.« »Hm«, machte Nomazar. »Und was habe ich dabei zu tun?« »Du wirst von jetzt an des Nachts in die ser Halle Wache halten.« »Fürchtest du dich vor Dieben?« »Man kann niemals vorsichtig genug sein. Jedes einzelne Stück in dieser Halle ist regi striert. Es gäbe eine Katastrophe, wenn et was davon abhanden käme.« Nomazar akzeptierte auch dies. Er sah sich noch Kjon-Tharos äußere Wohnräume an, in denen man vor Kunstwerken kaum noch treten konnte, warf einen Blick in die Küche und die anschließenden Wirtschafts räume und stand schließlich vor der Tür zu dem Zimmer, in das der Domer ihn zuvor verfrachtet hatte. »Du wirst hier wohnen, bis ich eine ande re Lösung gefunden habe«, entschied KjonTharo. Nomazar war davon nicht begeistert, aber er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken. »Was ist das für ein seltsames Fenster?« fragte er. »Ich wollte einen Blick auf die Stadt werfen, aber es gelang mir nicht.« »Es ist nutzlos«, gab Kjon-Tharo zu. »Ich habe es so hoch anbringen lassen, damit ich nicht aus Versehen hindurchsehen kann. Be achte es am besten gar nicht.« Nomazar hatte den Eindruck, daß der Do mer sich vor dem »Fenster« fürchtete.
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»Wenn du es nicht magst – warum wirfst du es nicht weg?« »Es ist ein Kunstwerk«, entgegnete KjonTharo. Nomazar zuckte die Schultern und betrat das Zimmer. Kjon-Tharo schloß die Tür hinter ihm ab.
* Sprak kehrte zurück und brachte gute Nachrichten. Es schien niemanden zu geben, der ein Wesen wie Nomazar vermißte. Ge nau genommen gab es auch niemanden, der von der Existenz des Gefangenen wußte. »Er stammt wirklich von keiner der Wel ten in unserem Sektor«, erklärte Sprak. »Das Schiff, das ihn herbrachte, ist bereits wieder gestartet. Ein Hafenwächter hat gehört, wie einer der Raumfahrer sagte, es wäre ein Glück, daß man den Gefangenen endlich los sei.« »Das ist gut«, antwortete Kjon-Tharo spontan. Der Greiner ringelte sich glücklich zusammen und verstreute einige seiner Haa re auf dem Fußboden. »Sammle sie sofort ein!« befahl KjonTharo erschrocken, denn die Haare enthiel ten ein starkes Gift. Solange sie am Körper des Greiners festsaßen, konnte das Gift nicht austreten. Sprak und seine Artgenossen pflegten sich auf höchst seltsame Weise zu verteidigen: Sie stießen ihre Haare gleich büschelweise ab und warfen sie dem Angrei fer buchstäblich in den Rachen. Die Metho de mochte umständlich erscheinen, aber sie war ungeheuer wirksam. Wer einmal gese hen hatte, wie das Gift wirkte, der hütete sich für alle Zeiten, einen Greiner auch nur zu bedrohen. Leider stießen die Greiner auch dann Haare ab, wenn sie glücklich wa ren. Ein Greiner, dessen Leben halbwegs ausgewogen war, lief deshalb mehr oder we niger nackt herum. Spraks dichter Pelz zeigte jedem Einge weihten, daß er sich in seiner Dienerrolle nicht besonders wohl fühlte. Auch mußte es jedem auffallen, daß Kjon-Tharo ungewöhn-
lich grob mit dem Greiner umspringen konn te, ohne sich deshalb eine Vergiftung einzu handeln. Die anderen Domer zerbrachen sich ab und zu die Köpfe darüber, wie KjonTharo es schaffte, Sprak an sich zu binden. Die Wahrheit kannte niemand, Kjon-Tharo und Sprak selbst ausgenommen. Sprak sammelte die Haare ein und warf sie in einen Abfallbehälter, den er sorgfältig verschloß. »Ich habe mit vielen Domern gespro chen«, sagte er dann. »Ich glaube nicht, daß einer von ihnen etwas mit dem Gefangenen zu tun hat. Sie kennen ihn gar nicht.« Kjon-Tharo betrachtete den Greiner miß trauisch. Es gefiel ihm nicht, daß sein Die ner Kontakte zu anderen Domern pflegte. Kjon-Tharo fürchtete, daß eines Tages je mand seinem Diener unerfreuliche Gedan ken in den Kopf setzte. Der Greiner war ein leicht beschränktes Wesen. Von sich aus wäre er niemals auf den Gedanken gekom men, sein Problem auf gewaltsamem Weg zu lösen. Aber wenn jemand ihm begreiflich machte, daß er gar kein Risiko einging, ließ Sprak vielleicht doch einmal rein zufällig ein paar seiner giftigen Haare in KjonTharos Bett fallen. »Es ist gut«, sagte der Domer abweisend. »Du kannst jetzt gehen.« Voller Unbehagen sah er zu, wie Sprak davonwieselte. Er beschloß, in Zukunft vor sichtiger zu sein. Er hatte sich an die unter würfige Haltung des Greiners gewöhnt. Sei nen Diener weihte er in Geheimnisse ein, die er vor jedem anderen ängstlich hütete. Und jetzt hatte er plötzlich Angst vor Sprak. Vielleicht konnte er Nomazar zu seinem neuen Diener machen. Dann ergab sich eine großartige Gelegenheit, Sprak für immer loszuwerden. Der Gedanke munterte ihn auf. Aber noch wußte er nicht, ob Nomazar zuverlässig war. Er beschloß, sich schleu nigst Gewißheit zu verschaffen. Die Gele genheit war günstig. Das, was er ohnehin seit langem plante, ließ sich mit einer Prü fung des möglichen neuen Dieners verbin
Planet der Intrigen den. Kjon-Tharo ging in die Halle hinab, in der die für Cagendar ausgewählten Kunstwerke standen. Wie immer, wenn er alleine war, betrat er die Halle mit geschlossen Augen. Als er dann die Augen öffnete, blieb er minuten lang wie erstarrt stehen. Die Schönheit der vielen auserlesenen Kunstwerke lähmte ihn förmlich. Der Gedanke an seinen Plan brachte ihn schließlich in die Wirklichkeit zurück. Langsam wanderte er durch die Halle. Er mußte eine Auswahl treffen, und das war schwer. Am liebsten hätte er alles, was hier zusammengetragen war, für sich behalten. Aber das war unmöglich. Er mußte froh sein, wenn es gelang, wenigstens einige Stücke in Sicherheit zu bringen. Er wußte nicht, ob es vor ihm schon je mand versucht hatte. Es gab Gerüchte, aber die klangen alle nicht sehr wahrscheinlich. Kjon-Tharo hegte außerdem den Verdacht, daß kein Domer vor ihm so viel Mut aufge bracht hatte, sich auf diese Weise gegen einen Neffen des Dunklen Oheims zu stel len. Nachdem er dreimal die ganze Reihe der Kunstwerke betrachtet und befühlt hatte, be griff er, daß er so nicht weiterkam. Er mußte sich einen Trick einfallen lassen, der ihm die Wahl erleichterte. Dabei fiel ihm ein, daß er selbstverständ lich nichts von dem nehmen durfte, was Eis schauerin Solta-Kurl in diese Halle gebracht hatte. Solta-Kurl hatte gerade in letzter Zeit viel Material geliefert. Ihr fiel es ja auch nicht schwer, sich von den diversen Kunst stücken zu trennen, entartet, wie sie nun ein mal war. Immerhin – Kjon-Tharo stellte fest, daß die Auswahl nunmehr schon viel gerin ger war. Es standen nur noch etwa zweihun dert Stücke zur Debatte. Kjon-Tharo stöhnte unterdrückt. Die von Solta-Kurl ausgewählten Kunstwerke zähl ten natürlich zu den schönsten, die er jemals gesehen hatte. Es war schlimm genug, sie vergessen zu müssen, aber dann auch noch
13 mindestens hundertfünfzig andere Dinge zu verlieren – es war die schlimmste Folter, die Kjon-Tharo sich vorzustellen vermochte. Voller Qual stand er in der Halle, bis ihm klar wurde, daß die Zeit ihm durch die Fin ger rann. Morgen sollte die nächste Liefe rung nach Cagendar verladen werden. Dann war es zu spät. Er riß sich zusammen und suchte aufs Geratewohl einige Dinge heraus. Er sortierte sie unauffällig um, bis alles, was er zur Seite schaffen wollte, in der Nähe der Tür stand. Die Arbeit war schwer, aber der Domer gönnte sich keine Pause, ehe er es nicht geschafft hatte. Stolz betrachtete er abschließend die Din ge, die seine Sammlung schon in wenigen Stunden bereichern sollten. Wenn er es al lerdings genau bedachte, dann war dieses oder jenes Stück vielleicht doch nicht so ein zigartig. Er streckte die Hand aus, um eine Statue zu den anderen Stücken zu tragen und dafür eine Kristallkugel zu seinem Schatz zu holen. Aber er begriff gerade noch rechtzei tig, wohin es führte, wenn er dieser Versu chung erst einmal unterlag. Also drehte er sich abrupt um und verließ die Halle, ob wohl ihm das Herz dabei blutete. Ein wenig erschrocken stellte er fest, daß es schon dunkel wurde. Eilig begab er sich zu Nomazar. Der Gefangene hatte es sich auf den Polstern bequem gemacht. Er richte te sich aber wachsam auf, als Kjon-Tharo die Tür öffnete. »Komm«, sagte der Domer freundlich. »Es ist Zeit!« Nomazar folgte dem Domer gehorsam. Kjon-Tharo führte ihn zuerst zur Küche, wo er den Gefangenen reichlich mit Proviant für die lange Nachtwache ausstattete. Auch Ge tränke sollten vorhanden sein. Nomazar lud sich den Packen auf und trug ihn in die Hal le hinunter. »Gib acht, daß du nicht einschläfst«, warnte Kjon-Tharo ernst. Und dann holte er die kleine Flasche hervor und füllte zwei Becher mit dem leicht berauschenden Saft der Bilh-Früchte. Nomazar merkte nicht, daß Kjon-Tharo ein winziges Kügelchen in
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den Becher fallen ließ, den er dem Gefange nen reichte. Er trank ohne Argwohn und nickte Kjon-Tharo dann anerkennend zu. »Das schmeckt nicht übel«, murmelte er. Kjon-Tharo verstaute die Flasche in sei nem Umhang. »Ich lasse dich jetzt allein«, erklärte er. »Gib gut auf diese Schätze acht.« Als er die Tür hinter sich schloß, hatte er das Gefühl, einen entscheidenden Schritt ge tan zu haben. Nomazar würde binnen einer halben Stunde tief und fest schlafen. Dann mußte es geschehen.
3. Nomazar wunderte sich, als er mit schwe rem Kopf erwachte. Er richtete sich langsam auf und sah sich um, und im ersten Moment wußte er nicht, wo er sich befand. Er blin zelte in das helle Licht und sah die Kunst werke um sich herum, und im nächsten Au genblick sprang er erschrocken auf die Beine. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er auf dem nackten Boden geschlafen hatte. Er wunder te sich darüber. Sollte er wirklich so plötz lich vom Schlaf übermannt worden sein, daß er nicht einmal Zeit fand, die von KjonTharo gelieferten Decken auszubreiten? Aber das war nicht so wichtig, wenigstens vorerst nicht, denn was ihn so erschreckt hatte, hing nicht direkt mit ihm zusammen. Etwas in der Halle hatte sich verändert. Genauer gesagt: Ein ganzer Haufen Gerüm pel, in Kjon-Tharos Augen eine Kunst sammlung von unschätzbarem Wert, war verschwunden. Nomazar fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er versuchte, sich genau zu erinnern, was auf dem jetzt leeren Platz gestanden hatte. Es gelang ihm nicht, sich jedes einzelne Stück ins Gedächtnis zu rufen. Die Kunst werke interessierten ihn nicht, sagten ihm auch so gut wie gar nichts. Darum fiel es ihm schwer, sich ihre vielfältigen Formen einzuprägen. Aber er glaubte, daß ungefähr
fünfzig Einzelstücke fehlten. Er untersuchte den Platz, fand aber keine Spuren. Es gab kaum ein Staubkörnchen in dieser Halle, alles war blitzblank geputzt. Ratlos ging Nomazar durch die ganze Halle und versuchte herauszufinden, ob noch mehr abhanden gekommen war. Anschließend dachte er darüber nach, was er nun tun soll te. Kjon-Tharo würde toben, wenn er davon erfuhr. Und er würde Nomazar verantwort lich machen. Kjon-Tharo … Es war verrückt, aber der Verdacht dräng te sich förmlich auf. Der Domer hatte ihm ein seltsames Getränk angeboten, und das war, bis auf das Essen, das er im Lauf des Tages erhalten hatte, das einzige gewesen, was Nomazar für seinen unnatürlich festen Schlaf verantwortlich machen konnte. Aber warum sollte Kjon-Tharo seinen eigenen Wächter vergiften? Und warum hätte der Domer Dinge stehlen sollen, die sich ohne hin in seinem Hause befanden? Nomazar erinnerte sich an das, was KjonTharo ihm über Duuhl Larx berichtet hatte und korrigierte sich: Die Kunstwerke gehör ten dem Domer nicht. Das gab der Sache ein ausgesprochen bö ses Aussehen. Nomazar dachte voller Unbe hagen darüber nach, ob Kjon-Tharo ihn am Ende nur zum Wächter berufen hatte, um ihm hinterher leichter die Schuld an diesem offensichtlichen Diebstahl in die Schuhe schieben zu können. Wenn es so war, dann saß der Mann mit dem mangelhaften Ge dächtnis in einer fast perfekten Falle. Auch wenn es noch so viele Gegenbeweise gab – wie hätte Nomazar die Kunstwerke über haupt transportieren sollen, und wo konnte er, der Fremde auf dem Planeten Achtol, das ganze Zeug so schnell versteckt haben? –, man würde ihm nicht glauben. Kjon-Tharo konnte alles so einrichten, daß Nomazars Schuld für jeden Domer klar erwiesen war. »Nun gut«, murmelte Nomazar nachdenk lich. »Wenn dieser Verdacht stimmt, ist es aus mit mir. Aber noch hat Kjon-Tharo nicht
Planet der Intrigen die Karten aufgedeckt. Ich werde mir anhö ren, was er zu sagen hat.« Er stieß die Tür auf und marschierte durch das stille Haus zu der Pforte, hinter der Kjon-Tharo den Schlaf des Gerechten sch lief. Er hämmerte mit der Faust gegen das Holz, und von drinnen kam ein erschreckter Laut. »Was soll das?« schrie Kjon-Tharo mit seiner krächzenden Stimme. »Es ist etwas geschehen«, antwortete No mazar laut. »Komm und sieh es dir an!« Die Tür öffnete sich, und Kjon-Tharo er schien. Nomazar hatte Mühe, beim Anblick des Domers ernst zu bleiben. Der kleine, dicke Mann trug ein wallendes Nachtge wand aus regenbogenfarbigen Spitzen. Auf dem Kugelkopf saß eine Zipfelmütze. Kjon-Tharo rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ah«, murmelte er. »Du bist es, Nomazar. Warum weckst du mich mitten in der Nacht?« »Komm!« antwortete Nomazar nur. Kjon-Tharo watschelte brummend hinter ihm her. Er wurde erst munter, als er die Tür zur Halle sah, die offen stand. »Was hast du dir dabei gedacht?« fauchte er seinen neuen Wächter an. »Wie kannst du diese Tür unverschlossen lassen?« »Es dürfte keine Rolle mehr spielen«, ver sicherte Nomazar grimmig und zog den Dicken am Arm mit sich in die Halle. Kjon-Tharo stand minutenlang wie er starrt da, dann stieß er einen lauten Schrei aus und sackte zu Boden. Nomazar betrach tete ihn zweifelnd. Der Schmerz des Dicken erschien ihm übertrieben. Schließlich bückte er sich und versuchte, Kjon-Tharo aufzuwecken. Er hatte schnell Erfolg – falls der Domer wirklich bewußtlos gewesen war und nicht nur ein böses Spiel trieb. »Alles weg«, stöhnte Kjon-Tharo und richtete sich mühsam auf. »Das ist übertrieben«, meinte Nomazar. »Es sind nur ungefähr fünfzig Gegenstände verschwunden.«
15 »Gegenstände«, keuchte Kjon-Tharo schmerzlich. »Nur fünfzig!« Und er verdreh te die Augen, daß man nur noch die zartgrü nen Augäpfel sah. Nomazar stellte er schrocken fest, daß sein neuer Herr sich diesmal tatsächlich am Rande einer Ohn macht zu befinden schien. »Nicht wieder umkippen!« stieß er her vor. »Du hast Wichtigeres zu tun. Du mußt genau feststellen, was weg ist, und dann ha ben wir nach Spuren zu suchen. Der Dieb hatte schwer zu tragen. Weit kann er mit dem Krem … ich meine, mit den Kunstwer ken noch nicht gekommen sein, es sei denn, er hat ein Fahrzeug benutzt. Kjon-Tharo, wir müssen die Leute fragen, die an der Halle vorbeigekommen sind. Sicher hat irgend je mand etwas gesehen.« Kjon-Tharo brachte seine Augen wieder in eine normale Stellung und richtete sich überrascht auf. »Ja«, sagte er nüchtern. »Da hast du recht. Also, gehen wir an die Arbeit. Du wirst mir helfen.« Nomazar war überrascht. Er hatte mit Vorwürfen gerechnet, mit Wutausbrü chen, sogar mit Schlägen, und nun kam gar nichts. Kjon-Tharo hielt es nicht einmal für nötig, danach zu fragen, ob denn Nomazar selbst nicht etwas gehört und gesehen hatte! Der Mann ohne Gedächtnis schob die Fra gen, die sich ihm aufdrängten, zur Seite, denn jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, über die Zusammenhänge nachzudenken. Kjon-Tharo wurde endlich aktiv. Noma zar wollte nichts von dem verpassen, was jetzt geschah. Es stellte sich heraus, daß alle in der Halle aufgestellten Kunstwerke sorgfältig regi striert waren. Es gab Abbildungen und Be schreibungen, regelrechte Gutachten, Mate rialbestimmungen, Gewichtstabellen und dergleichen mehr. Es ließ sich also sehr ge nau feststellen, was entwendet worden war, und wie die einzelnen Stücke aussahen. Kjon-Tharo sortierte die betreffenden Abbil dungen aus. Für Nomazar war es erstaun lich, wie sicher der Domer dabei vorging. Er schien genau zu wissen, wo er zuerst nach
16 zusehen hatte, und er mußte nach keiner ein zigen Beschreibung länger als ein paar Se kunden suchen. Vielleicht hatte Kjon-Tharo tatsächlich ein so gutes Gedächtnis. Vielleicht gab es aber auch bestimmte Gründe dafür, daß der Kleine sich so exakt an die gestohlenen Schätze erinnerte. Nomazar beobachtete den Domer jeden falls sehr aufmerksam. Er stellte fest, daß Kjon-Tharo es nicht einmal für nötig hielt, die diversen Abbildungen mit dem zu ver gleichen, was in der Halle herumstand, und er fragte sich, ob der Kleine ihn für dumm verkaufen wollte. Aber er hielt wohlweislich den Mund. »Das wäre es«, sagte Kjon-Tharo nach kurzer Zeit. »Nun zum nächsten Punkt. Wir brauchen Spuren.« Nomazar lächelte verächtlich – eine Gri masse, die der Domer nicht exakt zu deuten wußte. »Es gibt keine Spuren«, behauptete er. »Das werden wir ja sehen«, entgegnete Kjon-Tharo abweisend. »Laß uns suchen.« Er schlich im Zeitlupentempo durch die Halle. Nomazar, der ihm zusah, fühlte sich an eine Schildkröte erinnert, die auf Hasen jagd gehen wollte. Gleich darauf fragte er sich, was wohl eine Schildkröte und was ein Hase sein mochte. Dann vergaß er dieses Problem, denn Kjon-Tharo richtete sich mit einem triumphierenden Schrei auf. Nomazar eilte zu ihm hinüber. »Was siehst du da?« fragte Kjon-Tharo und deutete auf den Boden. Nomazar sah ge nau hin. »Nichts«, sagte er schließlich lakonisch. Kjon-Tharo schnaufte verächtlich, bückte sich und berührte den Boden mit seinen dicken, kurzen Fingern. »Da!« krächzte er herausfordernd und streckte Nomazar die Hand hin. Auf der einen Fingerkuppe klebte ein kleiner, mattgrüner Krümel. Da der Boden an dieser Stelle ebenfalls grünlich schim merte, war es kein Wunder, daß Nomazar den Krümel übersehen hatte. Abgesehen da-
Marianne Sydow von hätte er dem Zeug auch dann keine Be deutung beigemessen, wenn er direkt mit der Nase darauf gestoßen wäre. Kjon-Tharo dagegen behandelte den Krü mel so vorsichtig, als hätte er statt dessen einen Diamanten erwischt. »Grüner Trom«, murmelte er dabei. »Schlechte Qualität. Dazu noch falsch parfü miert. Kein Mann, der etwas auf sich hält, würde so ein Zeug nehmen, und die Kinder schätzen andere Geschmacksrichtungen. Ei ne Frau hat diesen Krümel verloren, daran gibt es keinen Zweifel. Und der Krümel liegt auf halbem Wege zwischen dem Eingang und der Stelle, an der die gestohlenen Kunst werke standen. Das ist ein deutlicher Hin weis, nicht wahr?« Nomazar enthielt sich der Stimme. »Gehen wir systematisch vor«, fuhr KjonTharo fort. »Der Krümel ist nur der Beweis dafür, daß jemand hier war. Aber wie kam unser Jemand herein?« Er watschelte zum Tor, und Nomazar folgte ihm. Kjon-Tharo untersuchte das Tor von oben bis unten, dann öffnete er es vorsichtig. Er musterte das Schloß. Nomazar dagegen starrte fasziniert nach draußen, denn er sah zum erstenmal die Umgebung, in der KjonTharos Haus stand. Es wurde gerade hell. Am mattblauen Himmel trieben rauchfarbene Wolken. Dar unter zeichneten sich Berge ab, wildgezack te Gipfel, die sich Reihe um Reihe dem Ho rizont entgegentürmten. Vor den Bergen breitete sich eine weite Ebene ab, und in die ser Ebene lag der Raumhafen. Er war be leuchtet, und Nomazar erkannte deutlich die plumpen Umrisse mehrerer Organschiffe. Aber auch andere Raumer gab es dort drü ben, darunter absonderliche Konstruktionen. Eine breite Straße verband den Raumhafen direkt mit Kjon-Tharos Haus. Diese Straße war erhöht gebaut worden. Steile Böschun gen führten etwa zehn Meter in die Tiefe. An anderen Stellen wurde die Straße von mächtigen Pfeilern getragen, und andere Straßen führten unter ihr hinweg.
Planet der Intrigen Rechts von der Straße gab es ein Gewirr von kleinen Hütten und alten Häusern, en gen Gassen und winzigen Plätzen, auf denen es von Licht und Leben nur so wimmelte. Auf der linken Seite dagegen erhoben sich große, von parkähnlichen Anlagen umgebe ne Gebäude. Sie standen weit auseinander, und wenn auch jedes eine andere Form hatte und diese manchmal abstrakt und merkwür dig war, so ließ sich doch leicht erkennen, daß sie alle zusammengehörten. Nomazar, der ja Kjon-Tharos Haus wenigstens von in nen kannte, vermutete, daß dieser Teil die Stadt der Domer bildete. Weiter kam er mit seinen Betrachtungen nicht, denn Kjon-Tharo hatte etwas ent deckt. »Da ist es!« sagte er zufrieden. »Siehst du diesen kleinen Kratzer? Das Tor wurde mit einem Einheitsschlüssel geöffnet. Es muß ein Modell mit veränderlichen Widerhaken gewesen sein. Solche Kratzer sind einfach typisch dafür.« Nomazar antwortete nicht. Er wartete ge duldig ab. »Also«, rekapitulierte Kjon-Tharo, »der Dieb besaß einen solchen Schlüssel, und das heißt, daß es ein Domer war. Kein Fremder hat Gelegenheit, einen Schlüssel auch nur zu berühren. Zum zweiten haben wir einen Krümel von grünem, parfümiertem Trom gefunden – der Dieb war eine Frau. Sie kam hier herein, ging durch die Halle – ja, aber da hättest du sie eigentlich sehen müssen, nicht wahr?« »Ja«, erwiderte Nomazar knapp. »Du hast sie nicht gesehen?« »Nein.« »Warum nicht?« »Ich habe geschlafen.« Kjon-Tharo wirkte für einen Augenblick verblüfft. Vielleicht hatte er nicht damit ge rechnet, daß Nomazar dies so offen zugeben würde. »Ah!« machte er gedehnt. »Das will reif lich bedacht werden. Du wolltest natürlich nicht schlafen. Du bist ein wachsamer Bur sche. Und du hattest die Absicht, deinen
17 Dienst gut zu versehen. Also muß etwas dich in den Schlaf gebracht haben – etwas, das du nicht kennst oder für harmlos halten mußtest, denn sonst hätte dieses diebische Weib dich nicht überlisten können.« Nomazar hätte fast laut aufgelacht. Eines stand fest – mit so haarscharfen Kombinatio nen würde Kjon-Tharo den wirklichen Dieb niemals aufspüren. Andererseits konnte No mazar nur froh sein, daß der Domer ihn selbst von jedem Verdacht freisprach. »Suchen wir also nach diesem Schlafmit tel«, entschied Kjon-Tharo und setzte sich auch gleich in Bewegung. Nomazar war nach wie vor fest davon überzeugt, daß Kjon-Tharos Spezialgetränk ihn in das Reich der Träume befördert hatte. Kjon-Tharo schien die Sache ganz anders zu sehen. Er begann schon wieder, auf diese ko misch anzusehende Weise umherzuschlei chen, den ausladenden Körper leicht nach vorne geknickt, die Füße millimeterweise voranschiebend und die Augen fest auf den Boden geheftet. In dieser Gangart näherte er sich im Verlauf einer guten Viertelstunde zielsicher einem Regal, vor dem Nomazars Ausrüstung für die mißglückte Nachtwache liegengeblieben war. Er erreichte das Regal und untersuchte es so gründlich, als erwarte er, daß eines der einfachen Metallteile sich im nächsten Augenblick als Bombe entpup pen könne. Nomazar sah diesem Treiben in teressiert, aber überaus skeptisch zu. Er rechnete nicht im Traum damit, daß KjonTharo etwas finden könne. Er sollte sich auch diesmal irren. »Da haben wir es ja«, murmelte KjonTharo plötzlich. Er schob eine winzige Schatulle zur Seite und nahm sie unendlich vorsichtig hoch. »Ein nettes kleines Spielzeug.« »Was ist damit?« fragte Nomazar ohne echtes Interesse. »Wir werden es öffnen«, erklärte KjonTharo. »Aber nicht hier, denn ich habe keine Lust, schon wieder zu schlafen. Komm mit.« In einem ziemlich unheimlich wirkenden
18 Raum, der nur entfernt an ein Laboratorium erinnerte, steckte der Domer die Schatulle in einen gläsernen Behälter. Dann klopfte er zweimal kräftig gegen die durchsichtige Wand, und Nomazar sah verwundert eine ganze Schar von käferähnlichen, kleinen Wesen, die in einer Vertiefung am Rand des Behälters geschlafen hatten. Sie kamen her vor und krabbelten emsig zu der Schatulle. Mit ihren dünnen Beinen vermochten sie es kaum, den Deckel anzuheben. Als sie es endlich geschafft hatten, war der Erfolg für die hilfreichen kleinen Wesen sehr zweifel haft – sie fielen nämlich ausnahmslos auf den Rücken und blieben total betäubt liegen. »Da haben wir es«, triumphierte KjonTharo. »Wie ich es mir gedacht hatte. Gift. Damit hat man dich betäubt, Nomazar. Komm, laß uns noch einmal in der Halle nachsehen.« Nomazar folgte seinem Herrn und dachte, daß Kjon-Tharos Theorien gefährlich viele Schwachstellen aufwiesen. Das Gift in der Schatulle wurde ja erst wirksam, wenn der Deckel geöffnet wurde. Wer aber hätte das tun sollen, solange Nomazar noch wach war? Der Domer umschlich aufgeregt zum zweitenmal das Regal und winkte Nomazar zu sich. »Hier«, sagte er. »Die Überreste eines Golbs. Er hat die Schatulle geöffnet.« Nomazar sah ein Stückchen Chitin auf der Handfläche des Dicken. »Was ist ein Golb?« fragte er skeptisch. »Ein Wesen wie die, die in dem Behälter waren, nur größer und kräftiger. Man kann es leicht dressieren, und es hat ein gutes Ge dächtnis. Außerdem vermag es zu fliegen, so daß es fast unbemerkt überall eindringen kann.« »Warum ist nur so ein kleines Stück von ihm übrig?« »Oh, das ist einfach zu beantworten. Siehst du, ein Golb löst sich nach seinem Tode sehr schnell auf. Und die Giftdosis, die er beim Öffnen der Schatulle mitbekam, war für den Eindringling tödlich. Der Dieb –
Marianne Sydow besser gesagt: Die Diebin – nahm den toten Golb mit, oder doch das, was sie in der Eile von ihm noch finden konnte. Dieses Teil hat sie übersehen.« Nomazar schwieg. Die Indizien, die KjonTharo ihm zeigte, schienen in der Tat darauf hinzudeuten, daß jemand von außen in diese Halle eingedrungen war und die Kunstge genstände gestohlen hatte. Andererseits wur de Nomazar den Verdacht nicht los, daß sein neuer Herr höchstpersönlich die dicken Fin ger im Spiel hatte. Und er fragte sich, wa rum man ihn zum Augenzeugen der »Ermittlungen« machte. Zu dieser Frage sollte er schneller als er wartet eine Antwort bekommen. »Wir müssen dieses diebische Weib na türlich aufspüren«, sagte Kjon-Tharo. »Das ist die richtige Aufgabe für dich.« »Wie komme ich zu der Ehre?« fragte Nomazar verblüfft. »Du hast dich geschickt angestellt.« be hauptete Kjon-Tharo. Nomazar starrte ihn entgeistert an. Er konnte sich nicht entsinnen, daß er auch nur ein Wort gesagt hatte, das dem Dicken hatte weiterhelfen können. »Außerdem«, fuhr Kjon-Tharo fort, »bist du ein Fremder, wie man ihn auf Achtol noch nie sah. Man wird dich in jedem Haus willkommen heißen, und jeder wird dir ger ne seine Schatzkammern zeigen. Das ist dein Vorteil. Käme ich, um den Dieb zu fan gen, so wüßten alle, was gespielt wird. Sie könnten mich nach Strich und Faden betrü gen, weil sie gewarnt wären.« Das leuchtete Nomazar schon eher ein. Er nickte also vorsichtig und meinte: »Ich werde mich bemühen, dich nicht zu enttäuschen, Kjon-Tharo.« Dabei hoffte er im stillen, daß er, wenn er draußen frei herumlaufen durfte, auch bald einen Weg finden würde, Kjon-Tharo und vielleicht sogar diesem ganzen Planeten den Rücken zu kehren. Denn wenn er auch nicht mehr wußte, wo das Ziel seiner Irrfahrt lag, so war er sich doch sicher, daß sein Aufent halt auf Achtol nur ein kurzes Gastspiel sein
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konnte. »Noch eines, Nomazar«, sagte KjonTharo, und plötzlich klang seine krächzende Stimme drohend. »Finde den Dieb schnell. Die gestohlenen Gegenstände gehören dem Neffen Duuhl Larx. Sie sollten noch heute verladen werden. Ich kann den Transport um einige Tage verzögern, indem ich behaupte, daß eine besondere Untersuchung notwendig geworden sei. Aber man wird mir nur eine sehr kurze Frist gewähren. Sind die gestoh lenen Güter dann nicht verfügbar …« Er vollführte eine Geste, und wenn No mazar sich auch noch nicht besonders gut mit der Körpersprache der Domer auskannte – diese Geste erkannte er sofort. Er hatte ja schon auf Ximmerrähne gehört, wie streng die Organschiffe im Auftrag des seltsamen Neffen jeden Widerstand bestraften. Auch Pflichtverletzungen wurden als Aufsässig keit gewertet. Die Folgen waren für das be treffende Volk und den Planeten, auf dem es lebte, verheerend. Nomazar nahm die War nung ernst. Er würde sich redliche Mühe ge ben, den Dieb und vor allem das Diebesgut zu finden. Er fragte sich nur, ob er mit der Suche nicht besser im Haus seines Herrn be ginnen sollte …
4. Nomazar trat vor die Tür und sah sich um. Es war heller Tag, und in der Stadt rechts der Straße herrschte reges Treiben. In den Parks auf der linken Seite dagegen blieb es still. Der Diener des Rauchmachers seufzte vernehmlich. Er hätte sich lieber in das Ge wirr von Gassen und Plätzen gestürzt, in de nen es vor Informanten aller Güteklassen nur so wimmeln mußte. Das stille Viertel der Domer war ihm nicht gerade unheim lich, aber er empfand gelindes Unbehagen bei dem Gedanken, sich dort mit Horden von exzentrischen Kunstsammlern herum schlagen zu müssen. Aber die Spuren, die Kjon-Tharo aufge deckt hatte, wiesen eindeutig darauf hin, daß der Dieb zum Volk der Domer gehörte.
Kjon-Tharo hatte sogar schon einen ver steckten Hinweis auf die Person gegeben, die seiner Meinung nach am ehesten für den Diebstahl in Frage kam: Die Eisschauerin Solta-Kurl. Sie galt in domerischen Kreisen als nicht ganz normal, weil sie der Leiden schaft des Kunstsammelns nicht völlig ver fallen war. Für Nomazar war dies eher ein Beweis für die Unschuld Solta-Kurls, denn was sollte die nüchtern eingestellte Domerin mit dem Krempel aus der Halle wohl anfan gen wollen? Kjon-Tharo hatte diesen Einwand nicht gelten lassen. »Sie kann diese Dinge verkaufen«, hatte er geantwortet. »Und das wäre noch das ge ringste Übel, denn so bestünde eine Chance, die Gegenstände über gewisse Zwischen händler aufzuspüren und zurückzugeben. Das wäre zwar ein Verlustgeschäft, aber es könnte die Rettung für unser Volk bedeu ten.« »Du glaubst nicht, daß Solta-Kurl so han deln wird?« hatte Nomazar geantwortet. »Nein. Und ich werde dir auch sagen, wa rum. Sie ist nicht nur aus der Art geschla gen, sondern sie leidet auch an einer be stimmten Form des Wahnsinns. Sie hat die fixe Idee, daß wir Domer von dem Neffen Duuhl Larx ausgebeutet werden, und daß sie uns befreien muß.« »Vielleicht hat sie recht?« hatte Nomazar vorsichtig bemerkt. Die Antwort hatte aus einem so düsteren Blick bestanden, daß er auf weitere Fragen verzichtete. Und jetzt stand er vor dem Haus und be trachtete sein »Einsatzgebiet«. Kjon-Tharo hatte ihm eine Art Stadtplan gegeben. In verschnörkelten Linien waren darauf die verschiedenen Gebäude einge zeichnet, darüber, ornamental zum Teil total verfremdet, die Namen der Eigentümer. Es war schwer, sich anhand dieser Zeichnung zu orientieren. Nomazar ging durch Kjon-Tharos Garten, und erst jetzt merkte er, daß diese Bezeich nung eigentlich falsch war. Hier gab es fast
20 keine Pflanzen, überhaupt kaum etwas, das auf natürliche Weise entstanden war. Was wie Büsche und Bäume aussah, entpuppte sich als eine Ansammlung von kunstvollen Nachbildungen. Statt des Rasens gab es Kiesflächen, aus denen dünne, gläserne Na deln hervorstießen. Nomazar streifte so eine Nadel versehentlich mit dem Fuß. Sie gab ein helles Klingen von sich, das sich wie ein Echo über den ganzen »Garten« fortpflanzte. Staunend schritt er weiter und gelangte in einen wahren Wald von Figuren, von denen die meisten so abstrakt waren, daß er gar nichts mit ihnen anzufangen wußte. Er atmete auf, als er die Straße erreichte. Hier war er vor Kjon-Tharos Sammelergeb nissen sicher – er war entweder ein einge fleischter Kunstbanause, oder die Figuren standen seinem natürlichen Schönheitsemp finden tatsächlich so sehr entgegen, daß er sich inmitten der Figuren wie in einem Schreckenskabinett vorkam. Auf der Verbindungsstraße zwischen dem Raumhafen und der Stadt herrschte reger Betrieb. Riesige Fahrzeuge glitten summend über die breite Fahrbahn, und was sie brach ten, ließ sich unschwer erraten, denn sie steuerten nach einem komplizierten System ein Domer-Haus nach dem anderen an. Wei ter unten, sozusagen im Erdgeschoß, kro chen brummend und fauchend andere, pri mitiver wirkende Fahrzeuge herum, und sie beförderten offensichtlich Gebrauchsgüter. Auf den schmalen Straßen zwischen den Grundstücken der Domer bewegte sich über haupt nichts. Nomazar hatte beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und als erstes SoltaKurl aufzusuchen. Er war sich immer noch nicht im klaren darüber, wie er mit dieser Domerin umgehen sollte. Er wollte die end gültige Entscheidung erst dann treffen, wenn er die Eisschauerin persönlich kennengelernt hatte. Falls sie sich so verhielt, wie er es er wartete, würde er sie warnen. Er hatte den Eindruck, daß man ihr einen üblen Streich spielen wollte. Solta-Kurl – die Bezeichnung
Marianne Sydow »Eisschauerin« gehörte zum Eigennamen – wohnte nicht weit von Kjon-Tharo entfernt. Ihr Haus war groß und bestand aus vielen Teilen, die auf den ersten Blick gar nicht zu sammenpaßten und auf den zweiten den Ein druck erweckten, als hätte ein blinder Riese sie zusammengesetzt. Aber so sahen alle do merischen Häuser aus. Nur etwas fiel Noma zar sofort auf: Der Garten um das Haus ent hielt fast nichts von dem, was Kjon-Tharo hartnäckig als Kunst bezeichnete. Statt des sen wuchsen richtige Pflanzen darin. Es wa ren fremdartige, bunte Gewächse, aber sie waren wenigstens nicht künstlich. Dazwi schen standen einige Brunnen, in denen kla res Wasser sprudelte. Und dann gab es ein halbes Dutzend Statuen, die wohltuend reali stisch gestaltet waren. Nomazar sah sich an der Grundstücks grenze nach einer Möglichkeit um, sich an zumelden. Da öffnete sich eine Tür, die wie eine halbierte Sonne geformt war, und eine Domerin trat heraus. Obwohl Nomazar noch recht wenig Do mer und noch weniger Frauen aus diesem Volk zu Gesicht bekommen hatte, erkannte er auf Anhieb, daß Solta-Kurl – falls sie selbst sich die Ehre gab, den Besucher zu begrüßen – nach domerischen Maßstäben ei ne Schönheit sein mußte. Sie war kugelrund, und ihre Haut hatte einen satten, dunkel braunen Farbton. Ihr haarloser, direkt auf den Schultern sitzender Kopf wies nicht die leiseste Unebenheit auf. Augen, Mund und die winzige Nase paßten sich so in das Rund ein, daß sie überhaupt nicht auffielen. Und die Domer liebten runde Formen. Es war tatsächlich Solta-Kurl. Sie stellte sich vor, nachdem sie auf ihren kurzen, dicken Beinen durch den Garten herbeigeeilt war. »Ich freue mich, dich hier zu sehen!« sag te sie dann. »Die ganze Stadt spricht von dem Fremden, der in Kjon-Tharos Haus wohnt. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dich so bald zu sehen.« Nomazar sah sich unbehaglich nach allen Seiten um. Er war unbeobachtet. Kein Do
Planet der Intrigen mer und kein anderes intelligentes Wesen befand sich in der Nähe. Aber er erinnerte sich nur zu deutlich an Kjon-Tharos winzige Helfer. »Darf ich hereinkommen?« fragte er. Eis schauerin SoltaKurl geriet schier aus dem Häuschen vor Entzücken. »Komm nur, komm!« rief sie begeistert. Drinnen sah Nomazar sich aufmerksam um. Tatsächlich, auch im Haus gab es fast keine sogenannten Kunstwerke. Die Halle, in der er stand, sah herrlich normal aus. Sol ta-Kurl bemerkte seine Blicke. »Verzeih«, sagte sie und wischte mit der Hand durch die Luft. »Es ist hier nicht so prächtig wie bei Kjon-Tharo …« »Ich finde es sehr schön so«, erwiderte Nomazar hastig. Die Eisschauerin schien er freut zu sein. Sie führte ihren seltsamen Gast in einen kleinen Raum und kredenzte ihm eigenhändig ein Getränk, das wie Wein schmeckte, und bot ihm eine Schale mit kleinen, bunten Früchten an. Nomazar griff ungeniert zu. Die Eisschauerin beobachtete ihn. »Warum bist du hier?« fragte sie nach ge raumer Zeit. Nomazar lächelte. Er hatte diese Frage schon eher erwartet, war sich aber nicht klar gewesen, ob Solta-Kurl es wagen würde, sich so offen nach seinen Plänen zu erkundi gen. Er hatte erfahren, daß die Domer ein höchst zwiespältiges Verhältnis zu ihren Dienern hatten. Für Kjon-Tharo war Noma zar nichts anderes als ein Sklave, mit dem er tun und lassen konnte, was ihm gerade in den Sinn kam. Für alle anderen Domer war Nomazar dagegen ein freies Wesen. Er war niemandem als seinem Herrn Rechenschaft schuldig. Das machte das Sklavendasein auf Achtol ein wenig erträglicher. Einem freien Mann aber stellte man eigentlich keine so direkten Fragen. »Was ist grüner Trom?« fragte Nomazar, ohne die Frage der Eisschauerin zu beant worten. »Ein Rauschmittel«, erwiderte Solta-Kurl verblüfft. »Eines von der leichtesten Sorte.
21 Trom wird in den Hochtälern zwischen den ersten Schneefeldern gezogen. Es ist ein dürres Kraut. Man trocknet und mahlt es, dann wird es auf besondere Weise zuberei tet. Das Ergebnis ist grüner Trom. Der kann dann noch gebrannt werden, dann ist er braun, oder er wird mit bestimmten Flüssig keiten vergoren, dann ist es schwarzer Trom.« »Aha. Und wie wirkt das Zeug?« »Die grüne Form ist völlig harmlos. Man kaut grünen Trom. Er wirkt leicht anregend, das ist alles. Die braune Sorte ist schon et was stärker, wer zu viel davon nimmt, ver liert seinen Sinn für die Wirklichkeit. Der schwarze Trom schließlich ist ein wirkliches Gift. Wer ihn über einige Jahre hinweg nimmt, geht jämmerlich zugrunde.« »Kauen viele Leute grünen Trom?« »Fast jeder.« »Du auch?« »Aber ja.« »Hm«, machte Nomazar. Eine andere Antwort wäre ihm lieber gewesen. »Hast du auch eine Schatzkammer?« »Möchtest du sie sehen?« fragte SoltaKurl überrascht. »Wenn sich das machen ließe!« »Ich zeige sie dir gerne. Aber ich fürchte, du wirst enttäuscht sein.« »Warten wir es ab«, murmelte Nomazar nachdenklich. Die Eisschauerin führte ihn über eine stei le Treppe in das Kellergeschoß und öffnete eine schwere Tür. »Das ist es«, sagte sie nüchtern – und ge nauso nüchtern war auch die »Schatzkammer« beschaffen. Natürlich hat jedes Volk eigene Wertvor stellungen, und ein »Schatz« kann daher sehr verschieden aussehen. Aber das, was Solta-Kurl in diesem Raum aufbewahrte, war wohl wirklich nur für sie selbst von In teresse. Der Raum war ordentlich und aufge räumt. An den Wänden entlang standen Re gale, und in denen lagerten allerlei Ge brauchsgüter – und Lebensmittel! Nomazar glaubte seinen Augen nicht trauen zu kön
22 nen. Da gab es Früchte in frischem und ge trocknetem Zustand, Gläser und Töpfe mit konserviertem Gemüse und eingesalzenem Fleisch, und zwischen einigen Regalen hin gen sogar erlegte Tiere und geräucherte Meerestiere. »Es ist einer der wenigen Räume im Haus, in dem es ohne besondere Einrichtun gen gleichmäßig kühl bleibt«, erklärte SoltaKurl entschuldigend. »Ja«, sagte Nomazar leicht erschüttert. »Das kann ich mir denken. Sammelst du denn gar keine Kunstgegenstände?« »Oh doch. Aber das, was mir schön genug erscheint, um es aufzuheben, befindet sich in den Räumen, die ich auch bewohne. Sonst habe ich ja nichts davon. Und sonst – weißt du, ich muß wie alle anderen Domer die für Cagendar bestimmten Güter prüfen und aus wählen. Irgendwann sieht man sich das Zeug über.« »Auf die andere Domer scheint das leider nicht zuzutreffen.« »Du sagst leider?« Nomazar ging mit ei nem Schulterzucken über die Frage hinweg. »Ich muß dir etwas Wichtiges sagen«, be gann er, fest entschlossen, sie mit der bösen Wahrheit vertraut zu machen. Aber SoltaKurl ließ ihn nicht ausreden. »Gehen wir erst wieder nach oben«, schlug sie vor. »Hier ist es nicht gerade ge mütlich.« Nomazar dachte sich zunächst nichts da bei und folgte ihr die Treppe hinauf. Als er dann aber das haarige Etwas auf dem Tep pich hocken sah, wünschte er sich, SoltaKurl hätte ihre Pflichten als Gastgeberin we niger genau genommen – oder er wäre weni ger höflich geblieben. »Ich muß mit dir reden«, piepste der Die ner Sprak ziemlich ungeduldig. »Ich komme gleich nach«, murmelte No mazar und machte eine Handbewegung, die dem lebenden Pelzband klarmachen sollte, daß es im Augenblick unerwünscht war. Aber entweder kannte sich Sprak mit der Gestik seines neuen Kollegen noch nicht gut genug aus, oder er war so abgebrüht, daß er
Marianne Sydow den stummen Hinweis einfach überging. »Es muß jetzt gleich sein!« meldete er sich beharrlich erneut zu Wort. »Sei so gut und warte draußen auf mich!« fauchte Nomazar wütend, da spürte er eine kleine, breite, sehr weiche Hand auf seinem Oberarm. Er drehte sich verwundert um. Solta-Kurl sah ihn an, mitleidig und war nend zugleich. »Du solltest lieber gehen«, sagte sie leise. »Er hat dir zwar nichts zu befehlen, aber da er so selbstbewußt auftritt, dürfte er auf einen ausdrücklichen Befehl Rauchmacher Kjon-Tharos hin handeln. Es wäre schlecht für dich, wenn du ihm nicht gehorchst.« »Na gut«, murmelte Nomazar ärgerlich. »Wie lange wird es dauern, Sprak?« »Wir müssen zu Kjon-Tharos Haus.« »Ich werde wiederkommen«, versprach Nomazar der Domerin. Sie wirkte ein wenig nachdenklich. »Ich würde mich darüber freuen«, versi cherte sie. Hoffentlich, dachte Nomazar, den eine plötzliche Ahnung kommenden Unheils be schlich.
* »Was gibt es denn so Dringendes?« fragte er ungeduldig, als er neben Sprak auf die Straße hinaustrat. »Nichts«, antwortete Sprak lakonisch. Nomazar wollte stehenbleiben, aber das haarige Band drängte sich gegen seine Beine – und es besaß erstaunliche Kräfte. »Was soll das?« protestierte Nomazar aufgebracht. »Mein Freund«, fistelte der Greiner, »du bist neu und fremd auf diesem Planeten. Du kennst die wichtigsten Regeln des Dienerle bens noch nicht. Komm mit, ich werde dir alles erklären, was du wissen mußt.« Nomazar hatte nicht die geringste Lust, Sprak zu begleiten, aber der Greiner gab kei ne Ruhe. Schließlich sagte sich der Mann ohne Gedächtnis, daß es tatsächlich von Nutzen sein könne, wenn er einige der hier
Planet der Intrigen geltenden Spielregeln kennenlernte. Sprak dirigierte ihn aus der Domerstadt heraus, dann unter der Verbindungsstraße hindurch. Kaum traten sie aus dem Schatten zwischen den mächtigen Brückenpfeilern hervor, da standen sie förmlich in einer an deren Welt. Bei den Domern, auf der anderen Seite der Pfeiler, war es fast unnatürlich still ge wesen. Hier dagegen war es so laut, daß No mazar sich impulsiv die Ohren zuhielt. Bei den Domern roch es nach gar nichts. Die Luft zwischen ihren Häusern war steril und sauber wie in einem Museum. Auf dieser Seite dagegen herrschte ein unglaublicher Gestank. Und schließlich gab es drüben kaum eine Bewegung. Jetzt stand Nomazar urplötzlich in einem solchen Gedränge, daß er Sprak sicher bin nen Sekunden aus den Augen verloren hätte, wäre der auch nur um Zentimeter von seinen Beinen gewichen. »Komm!« quietschte er zu Nomazar hin auf und drängte ihn weiter. Durch enge Straßen, in denen sich die un möglichsten Gefährte bewegten und die Teilnehmer einer ganzen Völkerwanderung unterwegs zu sein schienen, führte der Grei ner seinen Schützling zu einer düsteren Kneipe. Nomazar zuckte vor dem Dunst zu rück, der ihm aus der niedrigen Tür entge genschlug, aber Sprak war unerbittlich. Er schob und zerrte Nomazar mitten in diese Schwaden hinein und zwang ihn, sich auf ei ne harte Bank zu setzen. »Was soll ich hier?« protestierte Noma zar. »Ich kann mir nicht einmal etwas bestel len – ich wüßte nicht, wie ich es bezahlen soll.« »Das macht nichts«, versicherte der Grei ner und kletterte behende neben Nomazar auf die Bank. Er fand darauf zu wenig Platz, weil auf der anderen Seite bereits ein halbes Dutzend kichernder, vogelähnlicher Wesen eng bei einander kauerten. Darum legte Sprak kurz erhand seinen Oberkörper auf die Tischplat te.
23 »Hier braucht man nichts zu bestellen – jedenfalls gilt das für uns. Verlieren wir nicht noch mehr Zeit.« Nomazar wunderte sich ein wenig über das haarige Wesen. Kjon-Tharo hatte eine Bemerkung fallen lassen, aus der Nomazar den Schluß zog, bei dem Greiner handle es sich um ein wenig intelligentes Wesen, das eigentlich nur infolge einer gründlichen Dressur in der Lage war, seine vielfältigen Aufgaben zu erfüllen. Aber Sprak sprach durchaus nicht so, wie man es von einer Halbintelligenz erwarten dürfte. Sprak stieß ein schrilles Kichern aus. »Du wirst meinen Platz einnehmen«, ver kündete er und wollte sich dabei fast aus schütten vor Vergnügen. »Darum muß ich dich gut unterrichten. Wenn du Fehler be gehst, wird Kjon-Tharo es sich anders über legen.« »Wie meinst du das?« fragte Nomazar be unruhigt. »Er könnte mich zurückhalten«, erklärte Sprak nüchtern. »Und das wäre mir gar nicht recht.« »Wie bist du zu Kjon-Tharo gekommen?« fragte Nomazar, einem plötzlichen Impuls folgend. »Ich habe jemanden getötet«, erwiderte Sprak gleichgültig. »Der einzige, der die Hintergründe kennt, ist Kjon-Tharo. Das ist das Mittel, mit dem er mich bisher festhalten konnte.« »Wie ist es geschehen?« »Du mußt wissen, daß meine Haare ein starkes Gift enthalten«, begann Sprak. Nomazar rückte instinktiv ein wenig von dem Diener ab, und Sprak stieß wieder sein hohes Kichern aus. »So gefährlich ist das nicht«, erklärte er gutmütig. »Ich muß erst die Haare abstoßen, ehe das Gift austreten kann. Nun, ich kam, wie viele meiner Artgenossen, in einem Handelsschiff hierher. Wir machen gerne weite Reisen, verstehst du? Nun, auf Achtol sah ich zum erstenmal ein Organschiff. Ich wollte es von innen kennenlernen. Ich ging also hinein und sah es mir an. Aber plötzlich
24 tauchte ein Fremder auf, ein riesiger Bur sche. Er sah ein bißchen aus wie du. Er wollte mich festhalten, und dabei brüllte er ganz fürchterlich. Ich kriegte einen Schreck und stieß ein Büschel Haare ab. Ich konnte es einfach nicht verhindern. Es ist ein In stinkt, verstehst du? Es war nur ein ganz kleines Büschel, aber für den Riesen reichte es völlig aus. Er klappte auf der Stelle zu sammen und war tot, ehe ich noch recht be griff, was geschehen war. Ich wollte weglau fen. Dann fiel mir ein, daß man den Toten untersuchen würde. Man würde die Art des Giftes leicht bestimmen können, falls man nicht schon vorher die Haare fand. So kam ich auf eine Idee. Ich schleppte den Toten in einen Lagerraum und steckte ihn in eine Ki ste. Dann kletterte ich hinterher. Die Kiste wurde zu Kjon-Tharo gebracht.« »Und der hat dich aufgenommen?« fragte Nomazar erstaunt. »Nicht direkt. Er forschte erstmal nach. Da stellte sich heraus, daß das Organschiff nicht aus dem Rghul-Sektor stammte. Es kam von draußen, weißt du? Und die Besat zung hatte keine Ahnung, was es mit uns Greinern auf sich hat. Der Tote schließlich war ein Kurier des Neffen Duuhl Larx. Den Rest kannst du dir sicher denken.« »Leider nicht. Ich kenne mich hier noch nicht gut genug aus.« »Bei Kurieren dieser Art«, erklärte Sprak geduldig, »fragt man nicht lange, woher sie kommen und wohin sie gehen. Man nimmt sie mit, aber wenn sie das Schiff verlassen, so tut man gut daran, die ganze Angelegen heit zu vergessen. Es sei denn, die Besat zung hat ganz offiziell den Befehl erhalten, einen Kurier an einem bestimmten Ort abzu liefern. Das war bei diesem Schiff nicht der Fall. Kurz und gut – niemand fragte danach, wo der arme Kerl geblieben war. Das Schiff flog weiter, und Kjon-Tharo saß da, mit ei ner Leiche in seiner Halle. Er hatte die Wahl. Hätte er mich verraten, so wäre ihm nichts passiert, aber mich hätte man natür lich getötet. Er verriet mich nicht. Dafür mußte ich ihm dienen. Du brauchst dir nur
Marianne Sydow mein Fell anzusehen, um zu wissen, was das für mich bedeutet. Wenn es so weitergeht, werde ich mir eigenhändig die Hälfte meiner Haare ausreißen müssen, sonst ersticke ich darunter.« Nomazar sah den Diener verständnislos an, so daß sich Sprak genötigt sah, ihm die Sache genauer zu erklären. Als er damit fer tig war, wußte Nomazar zumindest eines: Es war nur gerecht, wenn Sprak den Planeten Achtol endlich verlassen durfte. Er hatte für seine Tat, die ja wirklich nur ein Unfall war, bitter genug gebüßt. »Nun aber zu dem, was ich dir eigentlich sagen wollte«, fuhr Sprak fort. »Du bist drauf und dran, einen ganz besonders schlimmen Fehler zu begehen.« »Welchen Fehler?« fragte Nomazar unge duldig, weil Sprak eine Kunstpause einlegte. »Du mischst dich in die inneren Angele genheiten der Domer ein.« »Ich erfülle nur einen Auftrag, den KjonTharo mir gegeben hat.« »Ich weiß. Aber es liegt an dir, wie du einen Auftrag erfüllst. Du kannst es auf die diskrete Weise tun. Du kannst auch hinge hen und mehr oder weniger mit Gewalt zu schlagen. Dann lebst du nicht lange genug, um auf ein Ende deines Dienstverhältnisses hoffen zu können.« »Was rätst du mir?« »Du mußt den Auftrag erledigen, das stimmt. Aber handle vorher vernünftige Be dingungen aus.« »Welchen Preis hältst du für angemes sen?« »Verlange die Freiheit.« Nomazar sah den Haarigen verblüfft an. »Dann wird Kjon-Tharo dich niemals ge hen lassen«, sagte er bedächtig. »Dazu ist es schon zu spät«, erwiderte Sprak gelassen. »Ich bin bereits so gut wie frei. Abgesehen davon irrst du dich. KjonTharo wird dich tüchtig zappeln lassen, ehe er auf deine Bedingungen eingeht. Aber wenn er es dann tut, werden ihn keine bösen Zweifel plagen. Er wird nämlich nicht im Traum daran denken, den Handel einzuhal
Planet der Intrigen ten.« »Aha.« »Er ist gerissen«, sagte Sprak fast bewun dernd. »Wenn du den Dieb gefunden hast, wird er dir Stück für Stück beweisen, daß es im Grunde nur sein Verdienst ist, wenn du ans Ziel gelangen konntest. Und damit bist du auch nicht würdig, die Belohnung in Empfang zu nehmen.« Nomazar dachte daran, wie Kjon-Tharo in der Halle nach »Beweisen« gesucht hatte, und er nickte unwillkürlich. Ja, das paßte haargenau in das Bild, das er sich von KjonTharo gemacht hatte. »Dann hat der ganze Handel keinen Sinn«, stellte er deprimiert fest. »Vielleicht doch. Du mußt dafür sorgen, daß andere Domer noch vor Kjon-Tharo er fahren, daß du Erfolg hattest. Und du mußt ihn zwingen, den Handel öffentlich zuzuge ben.« »Das wird mir niemals gelingen«, meinte Nomazar bedrückt. Er fühlte sich sehr hilflos, denn er wußte genau, daß seine Kenntnisse über Achtol und das Volk der Domer noch viel zu gering waren, um ein solches Spiel erfolgreich be enden zu können. »Gut«, sagte Sprak ungerührt. »Dann gibt es nur eines: Du läßt die ganze Sache fal len.« »Kjon-Tharo wird …« »Er ist durchaus fähig, den Dieb zu fin den«, fiel Sprak dem anderen ins Wort. »Falls er ihn nicht längst kennt. Und wenn es ihm wirklich nicht gelingen sollte – der Dieb muß sich früher oder später zu erken nen geben. Zumindest muß er die Kunstwer ke in die Halle schaffen: Tut er es nicht, dann wird ganz Achtol dafür büßen. Die Do mer sind eine rücksichtslose Bande, wenn es um ihre Sammlungen geht, aber das hat mit Rücksichtslosigkeit nichts mehr zu tun. Es wäre glatter Selbstmord.« »Aber was wird dann aus mir?« fragte Nomazar besorgt. »Nichts. Du bleibst, was du bereits bist – ein Diener. Noch dazu einer, um den Kjon-
25 Tharo von allen anderen Domern beneidet wird. Du bist in höchstem Maß ungewöhn lich – das reicht. Du brauchst nicht auch noch klug zu sein. Dein Wert würde dadurch eher sinken, denn die Domer lieben es nicht, wenn jemand klüger ist als sie selbst.« Nomazar überlegte kurz, dann nickte er. »Ich werde es mir überlegen«, versprach er. »Du bist jetzt wirklich frei?« »Erinnere mich nicht daran«, quietschte Sprak hastig. »Ich könnte sonst vor Freude gleich ein paar Haare verlieren.« »Lieber nicht«, murmelte Nomazar. Sprak geleitete ihn bis an die Brücke. »Ich wün sche dir Glück«, sagte Nomazar. »Schade, daß du nicht früher gekommen bist«, erwiderte Sprak und glitt geschmeidig davon. Nomazar holte tief Luft, dann kehrte er in die stille, keimfreie Stadt der Domer zurück.
5. »Mir scheint«, sagte Nomazar bedächtig, als er Kjon-Tharo vor sich hatte, »daß die Aufgabe, die du mir gestellt hast, nicht nur schwierig und gefährlich ist. Sie kann auch über Wohl und Wehe deines Volkes ent scheiden. Ist das richtig?« »Richtig«, bestätigte Kjon-Tharo knapp, und seine kleinen Augen funkelten wach sam. »Derjenige, der eine solche Gefahr bannt, sollte belohnt werden.« »Auch das ist richtig.« Nomazar betrachtete Kjon-Tharo abschät zend. Er hätte zu gerne gewußt, was hinter dieser runden Stirn vor sich ging. »Ich verlange als Preis meine Freiheit«, sagte er langsam. »Die sollst du haben«, antwortete KjonTharo gelassen. Nomazar war so verblüfft, daß er gar nichts erwidern konnte. Kjon-Tharo kam auf seinen kurzen Beinen näher und klopfte wohlmeinend mit den flachen Händen gegen Nomazars Brustkorb.
26 »Nicht nur die Freiheit, mein Freund«, versicherte er bewegt. »Nein, auch ein Haus und ein Grundstück, wie es sich für einen Retter der Domer gehört. Du wirst reich be lohnt werden.« Er trat zurück und sagte nüchtern und emotionslos: »Aber vorher wirst du die Güte haben, den verdammten Dieb zu fangen.« Nomazar kniff die Augen zusammen. »Das werde ich tun«, versicherte er. »Warst du schon bei Eisschauerin SoltaKurl?« »Ich habe mit ihr gesprochen.« »Sie streitet natürlich alles ab.« Nomazar mußte lachen. »Ich habe ihr noch nichts von denn Dieb stahl gesagt.« »Warum nicht?« »Hätte ich sie warnen sollen? Wer immer der Dieb auch ist, ob Solta-Kurl oder irgend ein anderer Domer: Sobald er weiß, daß man ihm auf den Fersen ist, wird er doch das Diebesgut zusammenpacken und auf Nim merwiedersehen verschwinden lassen!« Kjon-Tharo dachte einen Augenblick nach. »Das ist richtig«, gab er zögernd zu. »Du bist klug, Nomazar. Aber ich würde dir ra ten, genauer bei Solta-Kurl nachzusehen. Ich bin fast sicher, daß sie es getan hat.« »Ich werde mich darum kümmern«, ver sprach Nomazar, und Kjon-Tharo entließ ihn gnädig. Da Nomazar aller sonstigen Dienerpflich ten ledig war, ging er in das ihm zugewiesene Zimmer, legte sich auf die weichen Pol ster und dachte angestrengt nach. Sprak hatte es zweifellos gut gemeint mit seiner Warnung. Nomazar hätte sich wohl auch danach gerichtet, wäre diese Unrast nicht in ihm gewesen. Er wußte längst, daß das Ganze eine interne Angelegenheit der Domer war, eine bitterböse Intrige, und er hätte nicht übel Lust gehabt, diese giftigen kleinen Leute mit ihren Problemen alleine zu lassen. Aber da war dieses Gefühl, das ihm sagte,
Marianne Sydow daß er weiterreisen mußte. Um aber von Kjon-Tharo und dem Planeten Achtol loszu kommen, würde er einiges riskieren müssen. Und dann war da noch die kleine, aber maß gebende Tatsache, daß die nach Nomazars Meinung völlig unschuldige Solta-Kurl in die Angelegenheit verwickelt war. Kjon-Tharo hatte sich deutlich genug aus gedrückt. Und der Dicke hatte genug Diener, um Nomazar überwachen zu können. Ob er wollte oder nicht, er mußte zu Solta-Kurl ge hen. Da er überzeugt davon war, daß sich bei der Eisschauerin nichts finden ließ, was auf den Diebstahl hinwies, hatte er keine Be denken, dem Rauchmacher diesen Gefallen zu tun. Er hielt es für Zeitverschwendung, das war alles. Und natürlich wurde es pein lich, wenn Solta-Kurl etwas bemerkte. No mazar richtete sich langsam auf und nickte vor sich hin. So könnte es gehen. Er machte sich auf den Weg und suchte nach KjonTharo. »Hat Eisschauerin Solta-Kurl viele Die ner?« fragte er. Kjon-Tharo lachte meckernd. »Sie hat keinen einzigen«, krächzte er schließlich. »Ich sagte dir doch, daß sie nicht ganz normal ist. Als sie das Haus von ihrem Vater übernahm, fragte sie jeden ein zelnen Diener, was ihm lieber wäre: zu blei ben, oder frei zu sein. Natürlich gingen die Strolche alle.« »Dann ist sie also ganz alleine in diesem riesigen Haus?« »Nicht ganz«, murmelte Kjon-Tharo et was kleinlaut und räusperte sich verlegen. »Einige von ihren ehemaligen Dienern ka men später zurück. Sie wohnen zeitweilig in dem Haus. Aber sie sind faul und unauf merksam.« Nomazar sollte sich an diese Worte noch sehr genau erinnern, und als es soweit war, da schalt er sich einen Narren, daß er nicht schon in diesem Augenblick den Braten ge rochen hatte. Vorerst war er nur froh, weil sein Plan so wunderbar aufzugehen schien. »Mehr wollte ich nicht wissen«, sagte er leichthin und wandte sich zum Gehen.
Planet der Intrigen
27
»Was hast du vor?« rief Kjon-Tharo ihm nach. »Ich sollte ihr doch noch einen Besuch abstatten«, erinnerte Nomazar den Dicken ärgerlich. Kjon-Tharo sah ihm schweigend nach. Nomazar konnte sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren. Sein »Herr« wurde ihm von Stunde zu Stunde unsympathischer.
* Niemand hielt ihn auf, als er lange nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verließ. Er kauerte sich im Garten hinter eine Statue und lauschte. Er vernahm keine Stimmen, und er hörte auch keine Schritte. Aber er traute dem Frieden nicht. Er glaubte zu wis sen, daß Augen aus dieser Dunkelheit auf ihn gerichtet waren. Mit einem nervösen Lachen richtete er sich auf. Und wenn schon! dachte er ärgerlich. Ich habe nichts zu verbergen. Ich erfülle nur meinen Auftrag. Auf dem Weg zu Solta-Kurls Haus begeg nete er niemandem. Die Stadt der Domer war wie ausgestorben. Vorsichtig schritt er durch den Garten und umrundete das Haus einmal. Dann kehrte er zu dem einzigen of fenen Fenster zurück, das er hatte entdecken können. Als er sich an einem Sims nach oben zog, fielen ihm die winzigen Käfer wieder ein, und er zögerte für die Dauer eines Herz schlags. Dann schob er alle Bedenken zur Seite und schwang sich ins Haus. Es war hier drin noch stiller als draußen. Nomazar schlich lautlos über die Teppiche und fand mit schlafwandlerischer Sicherheit die Treppe, die zur Schatzkammer führte. Er tastete sich in totaler Finsternis in die Tiefe. Zum Glück ließ sich die Tür problemlos öff nen. Er drückte nur einmal mit der Hand da gegen, und schon schwang sie auf. Er hatte sich die Stelle gemerkt, an der sich die schmucklosen Leuchtplatten einschalten lie ßen. Er verschloß die Tür sorgfältig von in
nen und machte sich dann an die Arbeit. Auch das war seiner Meinung nach sinn los, denn er würde ja doch nichts finden. Er hätte genausogut seine Zeit hier absitzen können, damit Kjon-Tharo keinen Verdacht schöpfte. Aber er tat es nicht. Er durchsuch te die Regale. Nichts. Er hatte es ja gewußt. Natürlich waren die gestohlenen Kunstwerke nicht bei Solta-Kurl. Abgesehen davon war diese »Schatzkammer« wirklich nicht der geeigne te Ort, um Diebesgut dieser Art zu ver stecken. Der Raum war viel zu übersichtlich. Und jeder konnte ihn betreten, wenn er ins Haus gelangte. Nomazar wollte sich gerade zurückziehen, da sah er die andere Tür. Sie war vollkommen unauffällig. Daß er sie überhaupt entdeckt hatte, war reiner Zufall. Da waren zwei Regale, die in einem etwas anderen Abstand zueinander aufgestellt wa ren. Und dazwischen war eine rauhe Stelle auf einem der Steinquader, die die Wand bil deten. Nomazar trat zögernd näher. Am lieb sten hätte er die Existenz dieser Tür verges sen. Etwas warnte ihn, eine innere Stimme schien ihm zuzuflüstern, daß es besser war, wenn er die Tür nicht berührte. Aber er streckte trotzdem die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über die rauhe Stelle. Die Tür wich vor ihm zurück. Er stand da wie erstarrt und blickte in den kleinen, dü steren Raum, der dahinter lag. Ein kalter Luftzug streifte ihn, und er fröstelte. Als er sich mit der Hand über die Stirn strich, merkte er erst, daß er in Schweiß gebadet war. »Stell dich nicht so an«, befahl er sich selbst. »Das ist doch nur eine Abstellkam mer.« Aber das Unbehagen blieb. Er suchte nach einem Lichtschalter und fand ihn schließlich rechts neben der Tür. Eine winzige Leuchtplatte erhellte sich zuckend. Es war tatsächlich eine Abstell kammer. Es gab Berge von Gerümpel. Rechts standen einige Statuen ziemlich ver loren und verstaubt in der Gegend herum. Aber der Boden war sauber gefegt. Nomazar
28 starrte die Statuen an. Er glaubte, KjonTharos Stimme zu hören. »Als Solta-Kurl das Haus von ihrem Va ter übernahm …« Er hätte wetten mögen, daß das dort Erb stücke waren, vielleicht sogar der liebste Be sitz eines alten Domers, der nicht wahrhaben wollte, daß seine Tochter mit derlei Gegen ständen nichts im Sinn hatte. Immerhin – SoltaKurl war pietätvoll genug gewesen, das Zeug nicht einfach wegzuwerfen. Sie hatte es nur aus ihrer unmittelbaren Umgebung verbannt. Suchend sah er sich um. Wenn Solta-Kurl in diesem Raum etwas versteckt hatte, dann würde es schwer sein, es zu finden. Noma zar hätte das ganze Gerümpel Stück für Stück auseinandernehmen müssen, um si cher zu sein, daß er nichts übersehen hatte. Aber etwas zog ihn zu den Statuen hinüber. Er ging hin und betrachtete die Dinger rat los. Dann entdeckte er die Bilder, die auf dem Boden lagen, übereinandergestapelt in einer Ecke, und erstaunlicherweise nicht von Staub bedeckt. Er atmete tief durch. Er mußte Gewißheit haben. Er zog das oberste Bild zur Seite, und noch während er das tat, wußte er, daß er das Versteck gefunden hatte. Unter dem Bild war ein Hohlraum. Die anderen Gemälde waren nur Tarnung. Man hatte sich durch sie hindurchgeschnitten. Und in der Höhlung schimmerte etwas. Nomazar beugte sich vor und hob das schimmernde Etwas hoch. Es war ziemlich klein, höchstens so lang wie sein Unterarm, und es bestand aus einem matt leuchtenden, rötlichen Material. Es hatte die Form eines kauernden Tieres, und Nomazar erinnerte sich sehr deutlich an das betreffende Bild, das er bei Kjon-Tharo gesehen hatte, denn dies war der einzige Gegenstand gewesen, dem er auf Anhieb das Prädikat »Kunst« zu gestanden hatte. In seinen Händen schien sich das Tier zu bewegen, als wäre es leben dig. Es öffnete die Augen und sah ihn an. Nomazar hätte das Gebilde beinahe fallen
Marianne Sydow lassen. Dieser Blick aus dunkelroten Augen wollte ihn fesseln, ihn seines Willens berau ben. Sekundenlang stand er schwankend, während etwas ihm zuflüsterte, die kleine Figur einfach von sich zu schleudern, daß sie zersprang und für alle Zeiten zerstört war. Mühsam riß er sich zusammen. Ich habe schon gefährlichere Dinge in der Hand gehalten! Es war eine plötzliche Erkenntnis, die ihn völlig unerwartet überkam. Er schloß un willkürlich die Augen. Der Bann, den die Fi gur um ihn gelegt hatte, zerbrach. Er lausch te der Erinnerung nach, aber es war wie im mer – der Erkenntnis folgte absolut nichts. Er stellte die Figur vorsichtig auf den Boden und beugte sich über das Versteck. Es waren nur vier der gestohlenen fünfzig Gegenstände, die dort zwischen den Bildern verborgen lagen. Naturgemäß handelte es sich um die kleinsten Kunstwerke – das schimmernde Tier, eine glitzernde Kette aus metallenen Gliedern, die jedes anders ge formt waren und sich veränderten, sobald man sie berührte, eine winzige Statue, die sich drehte und dabei fremdartige Klangfol gen von sich gab, und einen kristallenen Kelch, der auf den ersten Blick keine beson deren Fähigkeiten hatte. Nomazar räumte diese Dinge vorsichtig aus dem Versteck. Nach kurzem Überlegen legte er seinen Um hang ab und wickelte zwei der Gegenstände darin ein. Die Kette fand in seiner Tasche Platz, und den Kelch nahm er in die Hand. So schlich er aus der Kammer, schloß vor sichtig die Tür und löschte auch in der eigentlichen Schatzkammer das Licht. Unge sehen gelangte er nach oben, und er fand mühelos das Fenster und kletterte nach drau ßen. Erst als er auf der leeren Straße stand, kam ihm zu Bewußtsein, was er getan hatte. Er hatte einen winzigen Teil des Diebes guts sichergestellt. Und damit lieferte er Sol ta-Kurl ans Messer. Auch wenn er die Sachen in ihrem Keller gefunden hatte, so wollte er doch nicht daran
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glauben, daß die Eisschauerin das Verbre chen begangen hatte. Er fragte sich, ob er nicht einem blinden Vorurteil unterlag, aber die Gefühle waren zu stark – für ihn war und blieb Solta-Kurl unschuldig, während KjonTharo mehr denn je in den Brennpunkt sei nes Interesses rückte. Jetzt bereute er, daß er diese Gegenstände überhaupt angefaßt, ja, das Haus der Eisschauerin betreten hatte. Er blieb stehen, und das Gewicht der Kunst werke schien ihn zu erdrücken. Schon war er bereit, noch einmal in das Haus zurückzu kehren und die Dinger in das Versteck zu praktizieren, da tauchte eine runde Gestalt vor ihm auf. »Warst du erfolgreich?« fragte KjonTharo mit seiner krächzenden Stimme. Nomazar hätte fast das Bündel fallen las sen. Er starrte den Domer sprachlos an. Alles hatte er erwartet, aber damit, daß Kjon-Tharo höchst persönlich das Unterneh men verfolgen würde, hatte er nicht gerech net. »Ja«, sagte Nomazar bedächtig. »Ich war erfolgreich.« »Das ist sehr gut«, lobte Kjon-Tharo und faßte seinen Diener beim Arm, um ihn si cher nach Hause zu begleiten. Plötzliche Wut drohte Nomazar zu er sticken. Er hätte diesen runden Zwerg zu Brei schlagen mögen, aber er biß die Zähne zusammen und ließ sich zu Kjon-Tharos Haus führen.
* »Herrlich!« seufzte Kjon-Tharo andäch tig, als er das schimmernde Tier in den Hän den hielt. Nomazar erinnerte sich daran, wie es ihm ergangen war, aber der Domer schien nichts von dem zu spüren, was das kleine Kunst werk um sich herum verbreitete. »Ist es nicht wundervoll?« fuhr KjonTharo fort. »Und diese Kette hier. Sie stammt von Ximmerrähne.« Nomazar zuckte leicht zusammen, aber der Domer hörte ihn nicht.
»Ich danke dir, daß du sie zurückgebracht hast«, sagte Kjon-Tharo tief bewegt. »Sie gehören dem Neffen Duuhl Larx«, stellte Nomazar ausdruckslos fest. »Leider«, seufzte Kjon-Tharo. »Nun, ich kann die Eisschauerin SoltaKurl sehr gut verstehen. Wer könnte behaupten, er sei beim Anblick solcher Kostbarkeiten gegen jede Versuchung gefeit?« Er holte tief Luft und breitete demonstra tiv ein schwarzes Tuch über die kleinen Kunstwerke. »Trotzdem ist es ein Verbrechen«, sagte er dabei streng. »Es wird nicht ungesühnt bleiben.« »Man wird Solta-Kurl bestrafen?« »Was dachtest du denn?« »Du sagtest, du könntest sie verstehen.« »In gewissem Maß, ja. Aber sie hat uns alle in Gefahr gebracht. Das hat mit Ver ständnis nichts mehr zu tun.« »Die Gefahr besteht immer noch.« Kjon-Tharo starrte seinen Diener an. Schließlich breitete er in einer hilflosen Ge ste die Arme aus. »Ich weiß«, murmelte er. »Sechsundvierzig Stücke fehlen. Aber mach dir deswegen keine Sorgen, das wird sich bald ändern. Solta-Kurl kennt das Urteil, das auf ihr Verbrechen steht. Verbannung in die polaren Länder. Niemand kehrte jemals von dort lebend zurück, jedenfalls niemand, der dort eine Strafe zu verbüßen hatte. Sie wird es sich überlegen. Ich bin sicher, daß sie den Rest der Beute schnell herausgibt.« »Wenn sie die Sachen zurückgibt – wird dann das Urteil milder ausfallen?« »Natürlich nicht. An dem Verbrechen selbst ändert sich schließlich nichts.« Nomazar schluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter. »Was ist mit meiner Belohnung?« fragte er. »Du bekommst sie«, versicherte KjonTharo freundlich. »Aber nicht jetzt, mitten in der Nacht. Schon morgen wirst du dein eigenes Haus bewohnen und aller Sorgen le dig sein.«
30 »Das klingt beruhigend«, murmelte No mazar. Und tatsächlich – als er morgens erwach te, kam Kjon-Tharo selbst zu ihm und ver kündete ihm, es sei nunmehr an der Zeit, daß er sein neues Heim begutachtete. Nomazar trabte hinter dem Dicken her in den Randbe zirk der Domer-Stadt. Dort gab es ein klei nes, freundliches Haus, das in den Augen der Domer sicher eine eher ärmliche Behau sung darstellte – in dem großen Garten gab es nicht einmal die kleinste Statue. Auch drinnen fehlte alles, was die rundlichen Kunstfanatiker als lebensnotwendig erachte ten. Aber Nomazar war es zufrieden. »Willst du gleich hierbleiben?« fragte Kjon-Tharo lauernd. »Ja«, erwidert Nomazar lakonisch. »Gut. Aber du wirst Diener brauchen, die dir das Essen bereiten und das Haus in Ordnung halten.« Nomazar wollte schon aufbegehren, da wurde ihm klar, daß es ein Fehler gewesen wäre, auf Diener zu verzichten. Niemand tat das, ausgenommen die ärmsten Bewohner von Achtol. »Ich werde mir welche besorgen«, stimm te er zu. »Das braucht Zeit. Ich werde dir einige Leute herüberschicken. Du kannst sie bei dir behalten, bis du Ersatz gefunden hast. Sie können auch gleich den Rest der Belohnung mitbringen.« Nomazar nickte nur. Er wurde den Ver dacht nicht los, daß Kjon-Tharo ihm nur deshalb Diener aus seinem eigenen Haushalt aufdrängen wollte, um ihn auf diesem Um weg ständig im Auge behalten zu können. Die Diener kamen wenige Minuten später, vier an der Zahl, alle mit schweren Körben beladen. In den Körben befanden sich neben den notwendigsten Vorräten auch viele klei ne Gegenstände, die angeblich ihr Gewicht in Gold wert waren. »Hast du besondere Wünsche für das heu tige Essen?« fragte einer der Diener, ein ent fernt humanoides Wesen mit struppigem, ro tem Haar, riesigen gelben Augen und spin-
Marianne Sydow deldürrem Körper. »Nein«, murmelte Nomazar nachdenk lich. »Werdet ihr alleine mit allem fertig?« »Das ist unsere Aufgabe«, antwortete der Diener sanft. »Wie heißt du?« »Shitolh, Herr.« »Gut, Shitolh. Ich verlasse mich auf dich und deine Freunde.« Shitolhs gelbe Augen strahlten begeistert. »Eine Frage noch«, sagte Nomazar, ehe die Diener sich in ihre Arbeit stürzen konn ten. »Ich möchte in die Stadt gehen. Was von den – äh – Dingern da ist genug wert, daß man dafür ein paar Getränke bezahlen kann?« Shitolh sah ihn verwundert und ungläubig an. »Davon kannst du nichts in die Stadt brin gen«, sagte er. »Aha. Was soll ich dann tun?« »Diese Sachen hier sind zu wertvoll, um sie unter den Barbaren spazierenzutragen«, erklärte Shitolh geduldig. »In der Stadt be zahlt man mit Münzen, es sei denn, du willst größere Einkäufe erledigen.« »Und wenn ich das vorhätte?« »Es gehört alles dir. Aber – verzeih, Herr, ich fürchte, du bist noch unsicher im Um gang mit diesen Zahlungsmitteln. Ehe du ei nes von diesen Stücken hergibst, solltest du dich vergewissern, daß du keinem Betrüger auf den Leim gehst. Nimm diese Münzen. Sie sind praktischer. Wir benutzen sie im mer, wenn wir auf dem Markt einkaufen. Die Domer sehen es nicht gerne, aber sie finden sich damit ab. Und du bist kein Do mer, Herr.« »Nein, zum Glück nicht. Es ist gut, Shi tolh, gib mir die Münzen. Was sind sie wert?« Der Diener erklärte es ihm, und Nomazar versicherte Shitolh, daß er seine Schulden später begleichen werde. Shitolh starrte ihn verblüfft an. »Ich gehöre dir«, versicherte er mit allem Nachdruck. »Und was sich in meinen Ta schen befindet, gehört dir auch.«
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Nomazar schwieg. Er wurde das dumme Gefühl nicht los, daß Shitolhs Höflichkeit nur gespielt war und einen Teil jenes Spieles bildete, das Kjon-Tharo inszeniert hatte. Er beschloß, sich so bald als möglich eigene Diener zu beschaffen. Als er das Haus verließ, hörte er seltsame, dumpfe Geräusche von der Hauptstraße her. Es klang, als würde dort eine riesige Trom mel mit mangelhaft gespanntem Fell ge schlagen. Es hörte sich irgendwie bedrohlich an. Impulsiv eilte er zur Kreuzung. Und da sah er sie. Sie kamen die Straße herab, und inmitten der prächtig herausgeputzten Domer ging Solta-Kurl. Sie war in ein düsteres Gewand gehüllt, und ein grüner Schleier verhüllte ihr Gesicht. Die anderen Domer würdigten sie keines Blickes. Vier von ihnen schlugen mit silbernen Stäben gegen violette Kristalle. Nomazar stand wie vom Donner gerührt. Er hatte nicht gedacht, daß es so schnell gehen würde. Ihm wurde klar, daß es höchste Zeit war, etwas zu unternehmen. Er konnte Solta-Kurl nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Bitter dachte er, daß sie wohl die einzige normal reagierende Person war, die er bisher auf dem Planeten Achtol angetroffen hatte. Ungerufen schlich sich ein Bild in seine Ge danken – SoltaKurls »Schatzkammer« mit den vielen Vorräten darin. Noch gestern hat te er sich ein Lächeln nicht verkneifen kön nen. Heute erfüllte ihn nur noch dumpfer Zorn. Er sah SoltaKurl vorübergehen, und als der Zug der Domer um die nächste Kurve bog, grub er trotzig die Hände in die Ta schen seines schmucklosen Gewandes und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Sein Ziel war die Stadt auf der anderen Seite der Straße.
6. Er hatte sich schon immer gut orientieren können. Er wußte das. Diese Kenntnis saß tief in ihm, und auf Ximmerrähne hatte er
oft genug eine Bestätigung dafür erhalten. Er folgte den Hinweisen, die sein Unterbe wußtsein ihm gab, und nach kurzer Zeit stand er vor einer niedrigen Tür, aus der ihm ein unglaublicher Gestank entgegenschlug. Die Kneipe war so gut wie jeder andere Ort in dieser Stadt. Aber er kannte sie im merhin schon, und darum schien es ihm rat sam, hier mit seiner Suche zu beginnen. Was er aber suchte, war ihm selbst nicht ganz klar. Er brauchte Hilfe, Freunde, ver trauenswürdige Leute, die ihm den Rücken freihielten – was er tun würde, wenn er sie gefunden hatte, wußte er noch nicht. Er bestellte sich aufs Geratewohl ein Ge tränk mit dem verheißungsvollen Namen »Sonnenwein«. Nach dem ersten Schluck wußte er zumindest eines – auf ein Gelage würde er sich an diesem Ort nicht einlassen. Der Sonnenwein nämlich brannte ihm fast die Kehle aus und trieb ihm das Wasser in die Augen. Er schob den Becher unauffällig mehr zur Tischmitte und sah sich um. Die vogelähnlichen Wesen waren wieder da. Sie schnatterten aufgeregt durcheinan der, und ihre Sprache war Nomazar fremd. Aber zweifellos verstanden und sprachen sie auch das Gonex. Er verzichtete trotzdem darauf, sie anzusprechen, denn sie schienen ihm viel zu flatterhaft, um ihm in irgendei ner Weise nützlich sein zu können. Aber auf der anderen Seite des Tisches saß ein pelziges Wesen, das düster und schweigsam vor sich hinzubrüten schien. Genau konnte man das auf den ersten Blick nicht sagen, denn der Fremde besaß an Stel le des Kopfes nur so etwas wie einen Schei telkamm mit vier ausdruckslosen, murmel ähnlichen schwarzen Augen darauf. Vor dem Fremden stand ein leeres Glas. Nomazar, der von dem »Sonnenwein« un widerruflich die Nase voll hatte, schob sei nen Becher einladend zu dem Fremden hin. Dieser griff blitzschnell zu und kippte das hochprozentige Gebräu in einen schmalen Mund, der sich am unteren Rand des Schei telkamms auftat. Dann richtete er zwei sei ner beweglichen Augen auf Nomazar und
32 gluckste zufrieden. »Was bist du denn für einer?« fragte er mit rauher Stimme. »Ein Wesen wie dich habe ich noch niemals hier gesehen.« »Ich bin fremd in der Stadt«, antwortete Nomazar bereitwillig. »Und was suchst du ausgerechnet in die ser üblen Kneipe?« »Ich brauche ein bißchen Ablenkung.« »Dann bist du an der falschen Adresse, Fremder. Wie heißt du?« »Nomazar.« »Ich bin Leert aus dem Volke der Etlevs. Ich könnte dir zeigen, wo du hier wirkliche Zerstreuung finden wirst.« Nomazar sah sich im Geist bereits in ir gendeinem obskuren Etablissement landen, in dem man ihm die von Shitolh geliehenen Münzen aus der Tasche zog, um ihm an schließend säuberlich die Kehle zu durch trennen, und er bedauerte seinen Entschluß, an diesen Ort gekommen zu sein. Aber der Etlev war bereits aufgestanden. Er nahm Nomazar bei den Schultern und zog ihn von der Bank hoch. Das Wesen hat te beachtliche Kräfte – Nomazar zog es vor, der stummen Aufforderung Folge zu leisten, wenigstens fürs erste. Zu seinem Erstaunen führte Leert ihn zu der Straße, die die beiden Städte voneinan der trennte. Dort erhob sich auf der Seite der Domer ein dreistöckiges Gebäude, das schon auf den ersten Blick so nüchtern und sach lich wirkte, daß Nomazar es für ein amtli ches Bauwerk hielt. Leert ließ Nomazar los und ging auf allen vieren weiter. Diese Art zu laufen gefiel ihm offenbar besser als der aufrechte Gang. Er bewegte sich überaus geschmeidig. »Was ist dort drüben los?« fragte Noma zar laut. Er hatte Mühe, mit dem Etlev Schritt zu halten. »Das ist das Gericht der Domer!« rief Leert ihm zu. »Heute wird ein Urteil ge fällt.« »Das weiß ich«, wollte Nomazar antwor ten, aber er ließ es dann doch bleiben. Leert hielt vor dem Eingang an und war-
Marianne Sydow tete, bis Nomazar ihn eingeholt hatte. »So ein Urteil kann interessant sein«, ver kündete er geheimnisvoll. »Warum?« »Du wirst es noch merken. Du bist fremd auf Achtol. Niemand bleibt freiwillig lange auf diesem Planeten. Auch du willst sicher irgendwann weiterziehen. Aber dazu braucht man – na, du weißt schon, was ich meine. Komm jetzt.« Nomazar fühlte sich ausgesprochen un wohl in den hallenden, leeren Gängen. Das Gerichtsgebäude schien verlassen zu sein. Aber Leert störte sich nicht daran. Er führte Nomazar zu einer großen, prächtigen Tür und öffnete sie. Sie kamen in eine Halle, in der die Domer dicht gedrängt auf den breiten Stufen saßen, die sich zum Mittelpunkt der Halle hin senk ten. Dort, in der Mitte, stand SoltaKurl, im mer noch verschleiert und verhüllt. Ihr ge genüber saß Kjon-Tharo auf einem Berg von weichen Kissen. »Zeige Reue!« rief er Solta-Kurl mit sei ner krächzenden Stimme zu. »Gib die ge stohlenen Kunstwerke heraus und rette da mit dein Volk.« Solta-Kurls Antwort kam so leise, daß Nomazar, der neben Leert ganz oben auf der Treppe stand, sie nicht verstand. »Sie sagt es nicht«, wandte Kjon-Tharo sich mit einer bedauernden Geste an das Pu blikum. »Sie ist verstockt und unbelehrbar. Fällt euer Urteil.« Viele hundert dicke, braune Arme reckten sich in die Luft. Die Versammlung der Do mer raunte ein Wort. »Verbannung!« Es klang unheimlich, denn die knirschen den, krächzenden Stimmen drangen in jeden Winkel der Halle. Nomazar konnte seine Blicke nicht von der Angeklagten wenden. Er sah, wie SoltaKurl sich zusam menkrümmte, und Mitleid für die Domerin erfaßte ihn. »Solta-Kurl wird verbannt«, verkündete Kjon-Tharo abschließend. Domer, die mit silbernen Stäben auf die
Planet der Intrigen gebrochen wirkenden Kristalle einschlugen, umringten SoltaKurl und führten sie weg. Leert drängte Nomazar durch die Tür und führte ihn zur Seite. Die Domer verließen die Halle unter drohendem Gemurmel. »So einfach ist das«, wisperte Leert. »Leider werden solche Verbannungen selten genug ausgesprochen.« »Leider?« fragte Nomazar verständnislos. Aber Leert war offenbar der Ansicht, nun genug verraten zu haben. »Du willst Achtol doch verlassen, oder ir re ich mich da?« fragte er herausfordernd. Nomazar nickte, dachte dann daran, daß der Etlev diese Geste sicher nicht verstand, und sagte laut »Ja, ich will weg.« Er wollte zumindest herausfinden, was diese pelzige Kreatur im Schilde führte. »Na also. Ich habe deinen Wein getrun ken, und darum werde ich dir helfen. Sei bei Einbruch der Dunkelheit am roten Tor.« »Wo ist das rote Tor?« fragte Nomazar hastig, denn Leert ließ sich bereits wieder auf alle viere fallen und traf Anstalten, da vonzulaufen. »Unter der dritten Brücke, von der Stadt her gezählt«, erklärte der Etlev und eilte von dannen. Auch Nomazar verließ das Gebäude. Aber er kehrte zielstrebig in die Stadt der Domer zurück. Während der seltsamen Gerichtsver handlung war ein Entschluß in ihm gereift. Er wußte, daß er den Kopf in eine Schlinge stecken würde, aus der er womöglich nicht mehr entkam, aber irgend etwas mußte er tun. Warum sollte er es nicht auf direkten Weg versuchen? Als er vor Kjon-Tharos Haus stand, fiel ihm plötzlich ein, daß der Rauchmacher noch gar nicht zurückgekehrt sein konnte. Er wollte nicht vor der Tür warten. Darum schlenderte er ein Stück die Straße entlang und setzte sich dann auf eine niedrige Mau er, die einen künstlichen Garten umschloß. Augenblicke später kam ein Domer herbei gerannt. Nomazar stand erschrocken auf, denn er rechnete damit, daß der Dicke sich gegen die »Belästigung« zu wehren gedach
33 te. Aber der Fremde vollführte eine kompli zierte Begrüßungspantomime und nötigte Nomazar dann mit vielen schönen Worten in sein Haus. Zuerst dachte Nomazar, der Domer hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Erst nach geraumer Zeit kam er dahinter, daß Quellen führer Hasro-Gad es lediglich darauf abge sehen hatte, den exotischen Gast in seinem Haus zu haben. Binnen kürzester Frist trafen nämlich wie zufällig andere Domer ein, die Nomazar unauffällig betrachteten und den Quellenführer mit neidischen Blicken be dachte. Als Nomazar endlich begriff, daß er hier nur Zeit verlor, stand er ärgerlich auf. »Haben wir dich beleidigt?« fragte Quel lenführer Hasro-Gad erschrocken. »Warum willst du schon gehen? Bleibe doch noch ein wenig.« »Ich habe Wichtigeres zu tun«, antwortete Nomazar schroff. Als er das entsetzte Ge sicht des Domers sah, tat es ihm schon wie der leid. »Ich danke dir für deine Gastfreund schaft«, sagte er beschwichtigend. »Ich wer de wiederkommen, wenn ich wieder Zeit ha be.« Halbwegs beruhigt geleitete der Quellen führer ihn zur Tür. Diesmal war Nomazar fest entschlossen, notfalls vor Kjon-Tharos Tür zu warten, bis der Rauchmacher nach Hause kam. Aber das war gar nicht nötig. Ein Diener öffnete ihm und brachte ihn zu Kjon-Tharo. »Wie gefällt dir dein neues Haus?« fragte der Rauchmacher freundlich. »Kommst du mit den Dienern zurecht?« »Ich war im Gericht!« Kjon-Tharo zuckte leicht zusammen. »Und?« fragte er wachsam. »Es war ein Fehlurteil.« Der Rauchmacher lachte schnarrend. Aber er hörte bald wieder damit auf, denn der Blick aus Nomazars dunklen Augen ver hieß nichts Gutes. »Das Gericht der Domer hat sich noch nie geirrt«, sagte er schließlich.
34 »Das liegt wahrscheinlich daran, daß es auch noch nie so irregeführt wurde.« »Wie meinst du das?« »Du bist der Dieb, Kjon-Tharo.« Eine Weile blieb es sehr still. Dann richte te Kjon-Tharo sich seufzend auf. »Du hast es also herausgefunden«, mur melte er. »Ich hätte es wissen müssen. Du bist ein schlauer Bursche, Nomazar. Hast du schon einmal daran gedacht, daß zu viel Klugheit sehr ungesund für einen Mann wie dich sein könnte?« »Willst du mir drohen?« »Das habe ich nicht nötig. Siehst du, ich ließ dich frei, weil ich eine solche Entwick lung einkalkuliert habe. Als Diener eines Domers hättest du das Recht, im Gericht zu sprechen. Als freier Fremder wirst du nie manden finden, der dich anhört.« »Ich werde mir Gehör verschaffen!« ver sprach Nomazar grimmig. »Das glaube ich nicht. Du könntest auch gar nichts ändern. Kein Schuldspruch wurde jemals rückgängig gemacht. Du hilfst SoltaKurl nicht mehr. Du bist um einige Stunden zu spät gekommen.« Nomazar war so wütend, daß er den Dicken am liebsten verprügelt hätte. Müh sam beherrschte er sich. »Aber du gibst es zu?« fragte er lauernd. »Du hast die Sachen selbst gestohlen und den Verdacht auf SoltaKurl gelenkt?« »Warum sollte ich etwas leugnen, was du ohnehin schon weißt? Es war sehr einfach, Nomazar. Und du warst mein Helfer. Du hast deine Sache sehr gut gemacht.« Nomazar wandte sich ab und ging schwei gend hinaus. »Ich rate dir, den Mund zu halten!« rief Kjon-Tharo ihm noch nach. »Es könnte sonst soweit kommen, daß du Solta-Kurl in den Polargebieten Gesellschaft leisten darfst. Es ist nicht sehr schön in den kalten Ländern.« Dann fiel die Tür zu, und Nomazar hörte nichts mehr von dem, was der Domer ihm noch mitzuteilen hatte.
Marianne Sydow
* Diesmal ließ er sich nicht durch die scheinbare Ruhe im Gerichtsgebäude täu schen. Er ging geradewegs in den Saal, in dem Solta-Kurl verurteilt worden war. Etwa hundert Domer waren dort versammelt. No mazar hörte gar nicht erst darauf, was dies mal verhandelt wurde, sondern ging die Treppe hinab. Als er die Mitte der Halle er reichte, verstummten die anwesenden Do mer überrascht. »Ein Fehlurteil wurde heute in diesem Raum gefällt«, sagte Nomazar laut. »Ich bin gekommen, um einem Unschuldigen zu hel fen.« »Kein Fremder spricht in diesem Ge richt!« fuhr einer der Richter ihn an. »Du siehst, daß ich es trotzdem tue«, gab Nomazar scharf zurück. »Es geht um SoltaKurl. Sie hat überhaupt nichts gestohlen. Kjon-Tharo selbst hat den Diebstahl ausge führt und den Verdacht auf die Eisschauerin gelenkt. Er hat es mir gegenüber erst vor wenigen Minuten ausdrücklich zugegeben.« Er hatte das Gefühl, gegen eine Mauer zu sprechen. Die Domer hörten nicht zu. Sie tu schelten miteinander. Und plötzlich tauchten einige auf, die die seltsamen Kristalle in den Händen hielten. Dumpfe Töne erklangen. Nomazar drehte sich wütend um. »Hört ihr denn nicht?« schrie er die Do mer an. »Solta-Kurl ist unschuldig. Sie kann euch gar nicht verraten, wo der Rest des Diebesguts steckt. Sucht in Kjon-Tharos Keller, wenn ihr Achtol vor der Rache des Neffen bewahren wollt!« Die Männer mit den Kristallen rückten näher. Und jetzt spürte Nomazar, welchen Sinn diese nervtötende Trommelei erfüllte. Eine seltsame Schwäche erfüllte ihn. Er konnte sich noch bewegen, aber er wußte, daß es ihm unmöglich war, zu kämpfen oder zu fliehen, solange die Kristalle dröhnten. »Wie kann man nur so dumm und ver bohrt sein!« stöhnte er auf. »Du hast dich an unseren Gesetzen ver
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gangen!« knirschte einer der Richter. »Du bist in eine Verhandlung des Gerichts einge drungen und hast deine Stimme erhoben. Du bezichtigst den Rauchmacher eines Verbre chens – du, der du nicht nur ein Fremder bist, sondern Kjon-Tharos Großzügigkeit bereits gespürt hast. Du hast die dir ge schenkte Freiheit mißbraucht. Domer, fällt euer Urteil!« Die Hände schossen in die Höhe, und der Ruf »Verbannung!« erfüllte den Saal. Nomazar kam nicht mehr zu Wort. Man führte ihn hinaus und sperrte ihn in ein dü steres Gelaß.
* Mutlos setzte er sich auf den kalten, feuchten Boden. Jetzt erkannte er nur zu deutlich, welche Fehler er begangen hatte, und er ärgerte sich über seine Unvorsichtig keit. Er hätte doch auf Sprak hören sollen. Es brachte nichts ein, sich mit den Proble men der Domer zu befassen. Verbannung – das war das Ende. Noma zar gab sich keinen Illusionen hin. Sicher war er kräftiger und widerstandsfähiger als ein Domer, aber das würde nur die Zeit sei ner Leiden verlängern. Eine Fluchtmöglich keit bestand in den sogenannten »kalten Ländern« bestimmt nicht mehr. Die Domer würden ihren Hochmut teuer bezahlen. Wenn die Kunstwerke weiterhin in Kjon-Tharos Schatzkammern verborgen blieben, mußte das schlimme Folgen haben. Aber das war für den Gefangenen kein Trost. Im Gegenteil. Wenn das Strafgericht über Achtol hereinbrach, dann saß er sehr wahrscheinlich endgültig fest. Er wollte nicht ausgerechnet auf diesem Planeten sein Leben beschließen. Zwar erin nerte er sich nicht mehr daran, unter wel chen Bedingungen er gelebt hatte, ehe er auf Ximmerrähne zum Bewußtsein erwachte, aber das war ihm egal. Er wollte weiterzie hen. Zumindest wollte er seine Freiheit zu rückerlangen. Es mußte einen Weg aus diesem Gefäng
nis geben. Seine bewußten Erfahrungen mit Gefäng nissen beschränkten sich auf die Kenntnisse, die er auf Ximmerrähne gesammelt hatte. Aber das dortige Gefängnis war nicht besser als ein Lattenzaun, verglichen mit dem Loch, in dem er jetzt festsaß. Die Wände um ihn herum bestanden aus soliden Steinqua dern, und die Tür war eine dicke Stahlplatte, vielfach durch Riegel und komplizierte Sch lösser gesichert. Statt der Fenster gab es schmale Öffnungen unter der Decke – nicht einmal Nomazars Hand hätte da hindurch gepaßt, und der glatte Stein bot keinen Halt. Eine winzige Leuchtplatte spendete trübes Licht. Die sanitären Einrichtungen bestan den aus einer stinkenden Öffnung in einer Ecke des Raumes – Nomazar sah sogar dort nach, aber er stellte sehr schnell fest, daß dies kein Weg in die Freiheit war. Auch eine Einrichtung oder Möbelstücke, deren Einzelteile er als Waffen oder Werk zeuge hätte mißbrauchen können, gab es nicht. Nachdem Nomazar die Zelle gründlich durchsucht hatte, überfiel ihn die Müdigkeit. Er hatte in der letzten Zeit wenig Ruhe ge funden. Resignierend streckte er sich auf dem schmutzigen Boden aus. Er schlief un ruhig und erwachte schließlich schweißge badet aus einem Alptraum: Im Traum hatte der Rachefeldzug des Neffen Duuhl Larx bereits begonnen. Schwerbewaffnete Organ schiffe griffen Achtol an und legten die Stadt Perrash in Schutt und Asche, während Nomazar in seinem von Beben geschüttelten Gefängnis saß und darauf wartete, daß die Quader auf ihn herabstürzten. Stöhnend richtete er sich auf – und er starrte. Der Boden wackelte tatsächlich. Entsetzt sprang er auf die Füße. War viel leicht mehr Zeit verstrichen, als er gedacht hatte? Wurde der Alptraum jetzt Wirklich keit? Er zog sich bis an die Wand zurück und lauschte angestrengt. Er glaubte, ein fernes Rumpeln zu hören. Aber als er die Hände
36 gegen die Wand legte, spürte er nichts, keine Vibrationen, schon gar nicht dieses bedrohli che Wackeln. Ehe er sich noch darüber klar werden konnte, was das alles bedeutete, schob sich einer der Quader, die den Boden der Zelle bildeten, nach unten weg. Nomazar stieß sich von der Wand ab, ging hinüber und spähte in die finstere Öffnung. Zuerst sah er gar nichts, dann aber tauchte, ein schmaler Lichtstreifen auf, gleich darauf winkte eine behaarte Hand ihm auffordernd zu. »Komm herunter!« wisperte jemand. »Beeile dich!« Nomazar ließ sich das nicht zweimal sa gen. Wer immer es auch sein mochte, der ihm auf so ungewöhnliche Weise zur Flucht verhalf – er wollte ihn nicht unnötig warten lassen. Er ließ sich mit den Füßen voran in die Tiefe gleiten und fand Halt auf dem nach unten gesunkenen Quader. Von dort aus konnte er sich fast mühelos in einen mäßig erhellten Raum winden, und dort schließlich sah er seine Befreier. »Leert!« sagte er überrascht. »Pst!« mach te der Etlev und deutete nach oben. Ein halbes Dutzend dieser pelzigen We sen rackerte sich mit dem Quader ab. Sie schoben und zerrten daran herum, und No mazar griff mit zu. Als sie den Stein erst wieder in die richtige Position gebracht hat ten, ging es leichter. Die Etlevs bedienten sich einer seltsamen Konstruktion aus Rol len und einem Trittbrett, auf dem einer von ihnen auf und niedersprang. Mit kurzen Rucken wanderte der Stein in die Höhe. Zum Schluß wurde er fest verkeilt, und Leert klopfte sich zufrieden den Staub von den pelzigen Händen. »Die Domer sind einfach zu dumm«, sag te er verächtlich. »Vor einiger Zeit haben sie einen von uns erwischt und in ihr Gefängnis gesperrt. Wir haben ihn natürlich herausge holt und bei dieser Gelegenheit vorgesorgt. Dieser ganze Trakt ist unterminiert, und die Domer haben es noch nicht einmal ge merkt.«
Marianne Sydow »Dann könntet ihr auch Solta-Kurl her ausholen?« fragte Nomazar hastig. »Nein, denn sie ist eine Domerin. Das hier ist der Teil des Gefängnisses, in dem man nur Fremdlinge einsperrt. Die Domer haben da strenge Gesetze.« Nomazar war enttäuscht, aber er bemühte sich, es den Etlevs nicht zu zeigen. »Ich bin euch sehr dankbar«, murmelte er. »Aber …« »Vergiß es!« empfahl Leert großmütig. »Ich habe von deinem Wein getrunken. Es war meine Pflicht, dir zu helfen.« Wenn das so ist, dachte Nomazar, dann wäre ich an eurer Stelle sehr vorsichtig mit dem Trinken. Sonst könnt ihr euch vor hilfs bedürftigen Freunden bald nicht mehr ret ten. Leert gab seinen Freunden einen Wink, und sie packten alles zusammen, was sie für die Befreiungsaktion gebraucht hatten. Dann ging es durch einen langen, dunklen Gang, immer unter dem Gefängnis entlang, wie Leert versicherte. »Wie habt ihr mich gefunden?« fragte Nomazar, denn er war sicher, daß kein Etlev bei seinem verhängnisvollen Auftritt im Ge richt anwesend gewesen war. »Du hattest schon von dem Wein getrun ken«, erklärte Leert trocken. »Dabei habe ich deinen Geruch aufgenommen. Ich könn te dich überall aufstöbern.« Allmählich begriff Nomazar die Sache mit dem Getränk. Er hatte von dem phäno menalen Geruchssinn der Etlevs nichts ge ahnt, aber jeder andere, der davon wußte, hütete sich vermutlich, einem dieser Spezia listen ein angetrunkenes Glas anzubieten. Vor allem dann, wenn er Geschäften nach ging, die außerhalb der Legalität lagen. No mazar hegte den Verdacht, daß dies für fast alle Lebewesen galt, die es in der Stadt auf der anderen Seite der Straße gab. »Es muß große Mühe gekostet haben, die sen Gang zu graben«, bemerkte er. Leert lachte glucksend. »Das ist noch lange nicht alles«, versi cherte er.
Planet der Intrigen »Was treibt ihr Etlevs eigentlich auf Achtol?« »Wir sind Kämpfer für den Neffen Duuhl Larx«, sagte Leert gleichmütig und jagte Nomazar damit einen nicht geringen Schrecken ein. »Die einzigen freien Kämp fer, die es gibt.« »Wieso frei?« fragte Nomazar mißtrau isch. »Wir bleiben unbeeinflußt. Das hat seine Vorteile. Wir stehen mit all unseren Kräften zu Duuhl Larx, aber wir geben, wenn wir gerade nicht gebraucht werden, unsere eige nen Wege. So, wie jetzt auf Achtol.« »Kennst du Duuhl Larx? Hast du ihn schon einmal gesehen?« »Nein. Ich kämpfe für ihn, und das reicht.« Der Gang mündete in eine niedrige, runde Halle. Nach allen Seiten führten andere Stol len weg. Nomazar sah sich verwundert um. Dann entdeckte er die schlecht verpackte Statue, die neben einem Eingang stand. »Jetzt fange ich an, das Ganze zu verste hen«, murmelte er ziemlich erschüttert. »Ihr geht auf Raubzüge aus, wie?« »Stört dich das?« Nomazar lächelte grimmig. »Überhaupt nicht«, versicherte er. »Die Domer«, sagte Leert abfällig, »sind offenbar nicht ganz normal. Seit vielen Ge nerationen sammeln sie Kunstgegenstände. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Ihre Schatzkammern sind total überfüllt. Sie müssen ständig neue Gewölbe anlegen, um ihren Reichtum unterbringen zu können. Viele dieser Kammern werden versiegelt und geraten in Vergessenheit, wenn der Be sitzer stirbt und die nächste Generation ihre eigenen Sammlungen anlegt. Wir holen uns eigentlich nur das, was sowieso für die Do mer nicht mehr interessant ist. Manchmal al lerdings gibt es Gelegenheiten, an neuere Sachen heranzukommen.« »Ihr plündert die Häuser der Verbannten.« »Sie werden komplett versiegelt«, stimm te Leert zu. »Niemand betritt sie, bis der Übeltäter in den Polargebieten gestorben ist
37 und damit seine Schuld getilgt hat. Manch mal geht das sehr schnell, aber meistens bleiben uns etliche Tage Zeit.« »Und wenn man dann das Haus betritt und es ausgeräumt vorfindet?« »Ich sagte dir doch, daß die Domer dumm sind! Sie verdächtigen sich gegenseitig. Hast du es noch nicht gemerkt? Keiner traut dem anderen über den Weg. Sie platzen vor Neid, wenn sie sich nur vorzustellen versuchen, was ihr guter Nachbar in seiner Schatzkam mer aufbewahren mag. Natürlich hätten sie uns längst auf die Schliche kommen können. Sie müßten sich nur in einem solchen Ge bäude auf die Lauer legen. Aber dazu sind sie zu feige.« »Sie haben Diener, denen nichts anderes übrigbleibt, als sich auf Befehl ihres Herren in jede denkbare Gefahr zu begeben.« »Den Dienern trauen sie erst recht nicht über den Weg. Nein, Nomazar, dieses Ge schäft ist einträglich und risikolos. Die Gän ge reichen bis zum Raumhafen Kuwe-Tuuhl. Wann immer auch eine Gruppe von Etlevs nach Achtol kommt – kurz nach der Lan dung werden schon die ersten Schätze in un sere Schiffe geschleppt.« »Und was geschieht dann mit dem Zeug?« »Der Neffe Duuhl Larx verlangt Tribut von allen Völkern, die ihm untertan sind«, erklärte Leert nüchtern. »Und er will nur ei nes – Kunstgegenstände. Wir Etlevs sind in dieser Richtung leider völlig unbegabt.« »Ihr bezahlt euren Tribut mit dem, was ihr hier stehlt?« »Ja.« »Aber das hieße ja, daß das Zeug nach kurzer Zeit wieder auf Achtol ist!« »Du sagst es. Es wird zu den Domern ge bracht, und die schleppen alles, was sie nicht nach Cangendar leiten, wieder in ihre über füllten Schatzkammern. Von dort kommt es wieder zu uns, und dann geht alles von vor ne los. Und jeder ist damit zufrieden. Wir zahlen unseren Tribut, und Duuhl Larx braucht uns nicht zu bestrafen. Damit erhält er sich eine Truppe von loyalen Kämpfern,
38 auf die er sich in jeder Situation verlassen kann. Und die Domer können ihrer Sammel wut frönen.« »Wenn die Domer jemals dahinterkom men …« »Sie sind zu dumm dazu«, stellte Leert kategorisch fest. »Was wirst du nun tun?« fragte Leert neu gierig. »Ich weiß es nicht«, murmelte Nomazar nachdenklich. Ein Gedanke beschäftigte ihn, der vielleicht ganz vielversprechend war. Aber er wagte es nicht, zu schnell sein Ziel anzuvisieren. »Wenn du dich draußen blicken läßt, fan gen die Domer dich wieder ein«, gab Leert zu bedenken. »Sie mögen es gar nicht, wenn ihnen jemand entwischt.« »Das ist mir klar.« »Und an deine Reichtümer kommst du auch nicht mehr heran.« »Du hast dich gut über mich informiert, wie?« »Ja«, antwortete Leert gelassen. »Jedenfalls nimmt dich auch in Kuwe-Tuuhl niemand mit, wenn du nicht bezahlen kannst. Ich könnte dir da aushelfen, aber du wärest ein Gejagter. Die Domer werden den Vorfall melden.« »Dazu wärest du eigentlich auch ver pflichtet, oder?« »Wir sind Freunde. Das hat mit Duuhl Larx nichts zu tun.« »Es gibt nur einen Weg«, sagte Nomazar gedehnt. »Ich muß das Gericht zwingen, das Urteil gegen mich aufzuheben.« Leert schwieg einen Augenblick, dann nahm er Nomazar an der Hand. »Wir sollten uns darüber an einem Ort unterhalten, an dem es ein wenig gemütlicher ist«, sagte er. Er führte Nomazar durch einen der Gänge und öffnete schließlich eine Tür. Dahinter lag eine ganze Flucht von behaglich ausge statteten Räumen. Die Etlevs mochten offen bar weiche, warme Decken und Polster. Die Räume glichen riesigen Nestern. »Das Gericht wird dir nicht zuhören, so lange du keine Beweise vorlegen kannst –
Marianne Sydow sichtbare Beweise«, sagte Leert, als er es sich in einem Berg von Kissen gemütlich gemacht hatte. »Solche Beweise lassen sich besorgen.« »Warum bist du dann überhaupt erst mit leeren Händen dorthin gegangen?« »Ich sah keinen Weg, an die Beweise her anzukommen«, erklärte Nomazar gedehnt. »Sie liegen nämlich in Kjon-Tharos Schatz kammer.« Einen Augenblick blieb es still. »Ich habe deine Geschichte gehört«, mur melte Leert, der unter den Kissen kaum noch zu sehen war. »Bist du sicher, daß du kei nem Irrtum aufgesessen bist?« »Ich werde dir erzählen, was sich zugetra gen hat. Und dann wirst du mir sicher recht geben. Kjon-Tharo ist der Dieb!«
7. »Ich wußte ja schon immer, daß die Do mer dumm sind«, murmelte Leert, als No mazar mit seinem Bericht fertig war. »Aber für so dumm habe nicht einmal ich sie ge halten.« »Er hat es doch ganz geschickt gemacht.« »Geschickt nennst du das? Naja, man kann es verschieden sehen. Immerhin hast du ihn leicht durchschaut. Du hast recht. Kjon-Tharo hat das Ding gedreht. Jetzt sitzt er auf den Schätzen, Solta-Kurl wandert in die Polarregion, und du, der du ihn als einzi ger hättest entlarven können, solltest auch kaltgestellt werden. Das ist doch eine glatte Unverschämtheit!« Nomazar hatte den Etlev noch nie so auf gebracht gesehen. »Der Kerl muß den Verstand verloren ha ben«, schimpfte Leert. »Setzt das Schicksal dieser Welt aufs Spiel, nur um dieses Ge rümpel nicht herausgeben zu müssen. Hast du schon einmal einen Planeten gesehen, auf dem eine Strafaktion stattgefunden hat?« »Nein.« »Dann sei froh. Nun, wie die Sache jetzt steht, müssen wir wohl oder übel dafür sor gen, daß Kjon-Tharo einen Denkzettel er
Planet der Intrigen hält.« Nomazar ahnte, daß auch die Etlevs auf Befehl des Neffen an Strafaktionen teilnah men, daß sie zu denen gehörten, die Plane ten verwüsteten und Völker auf das Fürch terlichste bestraften. Er fand es verwunder lich, daß Leert sich auf der anderen Seite ganz offen gegen Duuhl Larx stellte. »Warum tust du das?« fragte er. »Warum willst du die Domer retten?« »Woher sollte sonst wohl mein Volk die Sachen nehmen, mit denen wir den Tribut bezahlen?« fragte Leert verblüfft. »Wenn die Domer sterben, ist es auch mit den Et levs zu Ende. Außerdem – wie viele von den Kunstwerken, die Duuhl Larx begehrt, wür den wohl bei einem solchen Kampf zerstört werden? Ich handle voll und ganz im Sinn des Neffen.« Man konnte förmlich sehen, wie er sich an diesem Gedanken aufrichtete. Nomazar lächelte wissend. Leert be kämpfte mit derlei Argumenten hauptsäch lich seine eigenen Zweifel. Aber solange Nomazar und seine Interessen nicht darunter zu leiden hatten, konnte es ihm recht sein. »Wie kommen wir in Kjon-Tharos Schatzkammer?« fragte er. »Gibt es etwa schon einen Gang dorthin?« »Einen Weg gibt es – aber er könnte et was unbequem ausfallen.« »Ich bin an Unbequemlichkeiten ge wöhnt«, sagte Nomazar resignierend. Leert trommelte ein Dutzend von seinen Artgenossen zusammen und erklärte ihnen, was es zu tun gab. Sie waren hellauf begei stert. Offenbar waren die Etlevs ein abenteu erlustiges Völkchen. Im Handumdrehen hat ten sie herbeigeschleppt, was sie zu brau chen meinten. Nomazar beobachtete stirn runzelnd, daß sie schmale Gürtel um ihre pelzigen Körper wanden, an denen Schwer ter und Dolche hingen, dazu kurze Keulen und Schlagkugeln. Leert hielt Nomazar ebenfalls einen Gürtel hin. »Ziehen wir in eine Schlacht?« fragte der Mann ohne Gedächtnis spöttisch. »Nimm die Waffen«, empfahl Leert. »Ob
39 wir sie brauchen werden, weiß niemand, aber es könnte leicht sein.« Nomazar nahm den Gürtel und wog das Schwert prüfend in den Händen. Es fühlte sich gut an, weder zu schwer, noch zu leicht. »Kannst du damit umgehen?« fragte Leert. »Ich denke schon«, murmelte Nomazar nachdenklich. »Doch, ja, ich kann es.« Leert gab sich damit zufrieden. Er war der erste, der Nomazar keine Fragen nach seiner Herkunft gestellt hatte. Er gab das Zeichen zum Aufbruch. Nomazar kam sich etwas merkwürdig vor. Die Etlevs ließen sich zum Laufen wie gewohnt auf alle viere herab, und der aufrecht gehende Mann in ihrer Mit te mochte für einen Außenstehenden wie ein Hirte zwischen seinen Tieren aussehen. Nach einiger Zeit jedoch wünschte er sich, seine Hände und sein ganzer Körper wären ebenfalls auf diese Art der Fortbewegung abgestellt. Je weiter sie kamen, desto niedri ger wurden nämlich die Gänge, bis sie schließlich nur noch so hoch waren, daß ein normal laufender Etlev hindurchpaßte. Für Nomazar hieß das, daß er auf Händen und Knien vorwärtskriechen mußte, und das war in der Tat sehr unangenehm, vor allem we gen der Waffen, die ihn jetzt stark behinder ten. Zum Glück nahmen die Etlevs Rücksicht auf den Fremden in ihrer Mitte. Sie beweg ten sich langsamer, und niemand ließ eine spöttische Bemerkung fallen. Freundschaft, auch wenn sie auf äußerst merkwürdige Weise geschlossen wurde, war den Etlevs offenbar heilig. Nomazar war trotzdem ziemlich außer Atem, als die ganze Gruppe endlich das En de eines solchen Ganges erreichte. Leert rief ein paar Namen, und die betreffenden Etlevs schoben sich an ihren Artgenossen vorbei. Nomazar, der die kurze Pause nutzte, um sich zu erholen, hörte das charakteristische Rumpeln und Quietschen einer etlevischen Steinwinde. Wenig später ging es weiter, und Nomazar atmete erleichtert auf, als er feststellte, daß er in einem großen Raum ge
40 landet war, in dem er sich aufrichten konnte. Draußen in den Gängen gab es überall Leuchtplatten, die von den Etlevs im Vor übergehen ein und ausgeschaltet wurden. Hier jedoch war es stockfinster, bis die pel zigen Wesen mit kleinen, stabförmigen Lampen etwas Licht schufen. Nomazar stell te fest, daß eine solche Lampe auch an sei nem Gürtel hing, und er schaltete sie ein. Der Raum war völlig leer. Nur Staub lag auf dem Boden. »Es ist die älteste und tiefste Schatzkam mer«, erklärte Leert leise. »Wir haben sie schon vor langer Zeit ausgeräumt. Von hier an wird es leichter für dich. Nur die kurzen Verbindungsgänge sind so niedrig, daß du kriechen mußt.« »Es macht mir nichts aus«, murmelte No mazar. »Wie alt mag dieses Gewölbe sein?« »Das weiß niemand so genau.« Der Raum war aus massivem Fels heraus geschlagen. Wuchtige Säulen stützten die gewölbte Decke. Die Etlevs gingen gelassen durch den Staub, aber Nomazar wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, an einem Ort zu sein, der uralte Geheimnisse in sich barg. Hastig schloß er sich Leert an, der zielsicher auf die rechte Wand zuging. Er tippte gegen einen Quader, und einige Etlevs setzten die Winde an. Der Quader wich zurück, zögernd und schwerfällig, und ein kurzer Gang tat sich auf. Durch ihn gelangte die Gruppe in die nächste Kammer. Auch sie war leer und vol ler Staub, und Nomazar dachte schon, sie könnten immer weiter so vorstoßen, ohne auf etwas zu treffen als die Spuren von Alter und Zerfall. Aber schon vor der nächsten Kammer hielt Leert inne und flüsterte: »Gebt acht. Da drin gibt es Fallen. Kommt dem Toten nicht zu nahe.« Dem Toten? Nomazar fragte sich, wie ei ne Leiche an diesen Ort gelangt sein sollte. Waren die Raubzüge der Etlevs am Ende doch nicht so harmlos, wie er geglaubt hat te? Als der Quader zurückwich, war er zuerst
Marianne Sydow enttäuscht. Vor ihnen lag nur eine weitere dunkle Halle. Die ersten blassen Lichtstrah len geisterten durch den Raum. Sie glitten über Gegenstände aus Metall. Edelsteine funkelten bunt auf und versanken dann wie der in der Finsternis. Und plötzlich sah No mazar das Skelett. Ungläubig blickte er zu dem riesigen, steinernen Sarg hinüber. Der Gang endete einige Meter über dem Boden der Halle. No mazar schätzte die Höhe des Sarges auf drei Meter. Das Gerippe dagegen maß höchstens eineinhalb Meter, und es nahm sich winzig und verloren in diesem grandiosen Rahmen aus. »Ist er das?« fragte Nomazar leise. »Ja«, flüsterte Leert, und Nomazar fragte sich verwundert, ob der Etlev sich etwa vor einem Skelett fürchtete. Er konnte es sich nicht vorstellen – nicht bei Leert. Also muß te wohl mehr dahinterstecken. »Hinunter«, befahl Leert leise. »Aber vor sichtig.« Einer der Etlevs warf ein Seil über die Mauerkante, und sie kletterten in die Halle hinab. Sie blieben in kurzer Entfernung ste hen, bis Leert sie weiterwinkte. Im Gänse marsch bewegte sich die Gruppe – die Et levs hatten sich diesmal auf die Hinterbeine erhoben – quer durch die Halle. Um den Sarg schlugen sie einen respektvollen Bo gen. Und doch ging etwas schief: Einem der Etlevs fiel die Lampe herunter, und sie rollte klirrend und klappernd direkt vor den Sarg. Die Etlevs blieben erschrocken stehen. To tenstille breitete sich aus. Nomazar griff in stinktiv an sein Schwert. Dabei sagte ihm sein nüchterner Verstand, daß eine Lampe und ein Skelett in keiner Weise bedrohlich sein konnten. Zuerst sah es ganz so aus, als hätte er recht behalten. Die Lampe blieb liegen, und es tat sich weder eine Falltür auf, noch zuckten Ener giestrahlen aus den Wänden. »Weiter«, befahl Leert nervös. Die Halle war größer als die beiden, die sie vorher durchquert hatten. Viel größer so
Planet der Intrigen gar. Nomazar kam es vor, als erstrecke sie sich kilometerweit nach allen Seiten. Sie hatten die andere Wand fast erreicht, da hörten sie ein dumpfes Knurren. Die Et levs blieben wie angenagelt stehen. »Verdammt«, murmelte Nomazar, der sich über seine eigenen Reaktionen ärgerte, denn er hatte sich noch nie für besonders furchtsam gehalten und glaubte auch nicht, daß er es in seinem ihm ansonsten unbe kannten Leben gewesen war. Demonstrativ hob er das Schwert und drehte sich um. Er war der einzige aus der Gruppe, der in diese Richtung sah. Die Etlevs starrten wie hypnotisiert auf die rettende Wand. Und dar um sahen sie nicht, was sich hinter ihnen er hob. »Das gibt es nicht«, stöhnte Nomazar auf. »Das ist ein Trick, eine Projektion.« Vielleicht war es das, aber es bewegte sich und kam durch die Halle, wobei es den Kopf einziehen mußte, um nicht an die Decke zu stoßen, die gut und gerne zehn Meter über Nomazars Kopf lag. Und es streckte seine Arme, und seine krallenförmi gen Finger bewegten sich gierig, als könne es gar nicht mehr abwarten, bis es die Beute zu erfassen vermochte. Es war ein Riese, ein Ungeheuer, ein Monstrum mit blutroten Au gen, gewaltigen, gelblich weißen Hauern, zwischen denen allerdings beachtliche Lücken klafften, büscheligem, weißem Haar und einem Gesicht, das aussah wie das eines Toten, der schon etliche Wochen im Grab gelegen hatte. Die Etlevs hatten sich endlich auch umge dreht. »Der Wächter«, flüsterte Leert entsetzt. Nomazar registrierte am Rande, daß die Etlevs das Ungetüm bereits kannten und wohl auch ihre Erfahrungen mit ihm ge macht hatten. Das gab ihm neues Vertrauen. So schlimm konnte der Riese also doch nicht sein, denn sonst hätte kein Augenzeu ge je berichten können, was in dieser Halle vorging – und die Etlevs hätten den Weg gar nicht gekannt. Nomazar griff fester nach seinem
41 Schwert, da hörte er, wie Leert entsetzt flü sterte: »Nicht angreifen. Bei allem, was dir hei lig ist – reize ihn nicht. Vielleicht läßt er uns gehen.« Nomazar betrachtete das Monstrum zwei felnd. Es sah nicht so aus, als wäre es ge willt, die Beute so leicht entwischen zu las sen. Aber dann bemerkte er selbst, daß das Wesen – wie immer es nun auch entstanden war und beschaffen sein mochte – sich der Gruppe nur zögernd näherte. »Geh und ruhe in Frieden«, wisperte Leert in abergläubischer Scheu. Nomazar betrachtete das Wesen mit zusammengeknif fenen Augen. Er hörte das Knirschen, mit dem sich die säulenförmigen Beine in den Boden senkten, und er sah auch die Spuren, die sie hinterließen. Es gab viele Spuren – nicht nur die, die das Ungeheuer jetzt er zeugte. Es war also echt. Oder nicht? Das Wesen kam bis auf wenige Schritte an sie heran. Dann blieb es stehen. Nomazar sah an ihm hinauf wie an einem Turm. Er sah die tückischen Augen, die gewaltigen Zähne. Die Etlevs begannen zu singen. Zuerst dachte er, seine bisher so mutigen Begleiter hätten den Verstand verloren. Dann begann die Melodie auf ihn zu wirken. Die Pelzwe sen benutzten diesmal nicht das Gonex, son dern ihre eigene Sprache, und darum ver stand Nomazar kein Wort von dem, was sie sangen, aber das Lied war weich und ein schmeichelnd, fast ein bißchen traurig. Und dann geschah etwas, was Nomazar wie ein Wunder erschien: Der Koloß, der sie alle mühelos hätte zertrampeln können, zog sich zurück. Langsam und zögernd zwar, aber immerhin. Dann wandte er sich um und ver kroch sich hinter dem steinernen Sarg, sank in sich zusammen, bis er gar nicht mehr zu sehen war. Das letzte, was von seiner Anwe senheit kündete, war ein klägliches Jam mern. »Schnell jetzt«, flüsterte Leert. »Solange er weint, ist er ungefährlich.«
42 »Weint?« fragte Nomazar verblüfft. Aber diesmal war Leert zu keiner Antwort bereit. Wenigstens vorerst nicht. Sie fanden den richtigen Quader, zogen ihn zurück und schlüpften in den engen Gang, der dahinter lag. Nomazar war zum erstenmal froh und glücklich, dieses enge Schlupfloch erreicht zu haben. »Was, bei allen guten Geistern, war mit diesem Ungetüm?« fragte er erschöpft. »Es ist ganz einfach«, murmelte Leert. »Einer der Tharos starb, und man bahrte ihn in seiner Schatzkammer auf. Aber dieser Tharo hatte einen treuen Diener, und den schickte man ebenfalls in das Grab. Zufällig muß sich unter den gesammelten Kunst stücken eines befinden, das zu dem armen Diener paßt. Die beiden sind in Resonanz. Solange das Kunstwerk erhalten bleibt, taucht auch der Diener auf, falls eventuelle Grabräuber die Schatzkammer betreten. Üb rigens, – das, was du gesehen hast, ist zwar nur ein Geist, aber töten kann es trotzdem. Dabei ist es selbst praktisch unverletzlich.« »Reizend«, murmelte Nomazar. »Gibt es noch mehr Überraschungen dieser Art auf dem Weg nach oben?« »Aber sicher. Es scheint, als hätte man sich früher noch weit besser auf die Herstel lung magischer Kunstwerke verstanden. Heutzutage sind solche Stücke selten. Wahr scheinlich kommt das daher, daß diese Din ge beim Neffen des Dunklen Oheims nicht immer Anklang finden, ihm wohl sogar in einzelnen Fällen gefährlich wurden. Ich ha be gehört, daß daraufhin einige Künstler kurzerhand umgebracht wurden.« »Darum also bemüht ihr euch nicht, diese Sachen auch wegzuschleppen.« »Du hast's erfaßt. Wir nehmen nur Stücke, die keinen Funken von magischer Wirkung in sich tragen.« Nomazar hatte das dumpfe Gefühl, daß er früher ein höchst zwiespältiges Verhältnis zu dieser vielzitierten Magie gehabt hatte, aber er erinnerte sich nicht genau daran. Sie krochen weiter und gelangten in im mer neue Schatzkammern. Nomazar sah
Marianne Sydow Dinge, von denen er nicht einmal geahnt hatte, daß es sie gab. Zum erstenmal ent wickelte er eine Spur von Verständnis für die Domer, die angesichts solcher Kostbar keiten eine geradezu ungesunde Sammelwut entwickelt hatten. Da gab es eine Kammer, die wie ein Park aussah, mit Wegen, die sich zwischen Pflan zen hindurchschlängelten, und fremdartigen Tieren, die auf den Zweigen von Büschen und Bäumen saßen, aber alles war künstlich hergestellt. Die Holzteile der Bäume und Büsche waren bis in die feinsten Verästelun gen aus hartem, braunem, in sich gemaser tem Stein nachgebildet. Nomazar konnte sich keine Technik vorstellen, die eine so genaue Bearbeitung derart großer Objekte erlaubte. Die Blätter und Blüten bestanden aus anderen, farbigen Mineralen und aus Ju welen, und die Farbabstufungen waren so geschickt gewählt, daß sich ein völlig natür liches Bild ergab. Auch die Tiere, das Gras, die Blumen am Weg bestanden aus Stein. Es gab Brunnen, die anstelle von Wasser glit zernden Kristallstaub in schwungvollen Fon tänen in metallene Auffangbecken schleu derten. Die Wege schließlich waren mit win zigen Kristallen bedeckt, und wenn man sie betrat, so ging ein geisterhaftes Singen und Klingen durch die Halle. Alles war unbeschädigt. Nomazar wun derte sich darüber, daß die Etlevs nicht längst wenigstens einige kleinere Stücke wie Blumen und Tiere davongeschleppt hatten. Leert bemerkte die verwunderten Blicke sei nes Begleiters. »Paß auf«, sagte er leise, und er bückte sich und hob eine Handvoll der singenden Kristalle auf. Es war, als erwache die ganze Halle zum Leben. Die Bäume begannen zu schwanken, die Blumen zuckten auf ihren zerbrechlichen Stengeln hin und her, und ein lautes Klagen und Wimmern ertönte. Es war ein Geräusch, das durch Mark und Bein ging. Leert streute die Kristalle auf den Boden, und sofort trat wieder Ruhe ein. »Wenn man einen größeren Gegenstand
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von seinem Platz entfernen wollte«, erklärte er dabei, »so ginge alles in dieser Halle zu Bruch.« Und dann gab es andere Hallen, vollge stopft mit Statuen, die verdreht und unwirk lich aussahen, Kammern voller geschnitzter Juwelen, Nischen mit magischen Gewän dern, Masken, fremdartige Waffen, Eßge schirre aus allen erdenklichen Materialien, Mobiles aus Knochen und Metall, Edelstei nen und eisenhartem Holz – eine Fülle von Dingen, die nur eines gemeinsam zu haben schienen: Sie hatten alle nicht den gering sten praktischen Wert. Die Blicke der Etlevs wurden interessier ter, je weiter die Gruppe vordrang. Der eine oder andere machte auch schon mal einen kurzen Abstecher in eine Ecke der Hallen, um dort ein besonders verlockendes Beute stück zu begutachten. Aber noch nahm nie mand auch nur den kleinsten Gegenstand an sich. Nomazar vermutete, daß die Etlevs auf dem Rückweg mitnehmen würden, was im mer sie dann noch zu schleppen vermochten. »Wir sind da«, sagte Leert dann plötzlich. »Hinter dieser Wand liegt Kjon-Tharos Schatzkammer. Es gibt noch keinen Verbin dungsweg.« »Wie kommen wir dann hindurch?« frag te Nomazar skeptisch. »So, wie wir es immer machen«, erklärte Leert lakonisch. Er gab seinen Leuten einen Wink. Die Winde wurde an die Wand ge rückt.
8. Nomazar hielt sich etwas abseits. Er be obachtete die Etlevs, die an der Wand arbei teten, und ein nagendes Unbehagen be schlich ihn. Er wußte nicht, woran es lag. Aber er hatte das sichere Gefühl, daß dieses Stück Weg Gefahren für sie bereithielt, von denen auch Leert noch nichts ahnte. Er betrachtete die Wand und fand, daß er selten etwas Scheußlicheres gesehen hatte. Ein »Künstler« hatte sich daran ausgetobt, dessen Phantasie derart abartig sein mußte,
daß er dem Wahnsinn gefährlich nahe war. Ein Gewirr von scheußlich verstümmelten und zerfetzten Leibern bedeckte die ganze Fläche, und dazwischen waren Gesichter zu erkennen, verzerrt, von unfaßbarem Grauen gezeichnet. Nomazar erkannte ein paar Do mer und einen Etlev, aber die meisten der dargestellten Wesen waren ihm fremd. Er wandte den Blick ab, denn dieses grauenhaf te Relief bot dem Betrachter wirklich nicht die Spur von künstlichem Genuß. Welchen Zweck erfüllte diese Mauer? Abergläubische Gemüter wären vielleicht vor dem bloßen Anblick davongelaufen. Aber die Domer mußten inzwischen längst erkannt haben, daß diejenigen, die ihre Schatzkammern plünderten, nicht so emp findlich waren. Hatte Kjon-Tharo selbst die ses Relief an dieser Wand anbringen lassen? Dann drohte in der Tat Gefahr, denn dem Dicken war nicht zu trauen. Die Etlevs hatten mitten in dem Gewirr von Körpern und Gliedmaßen eine Stelle ge funden, an der sie ihre Winde ansetzen konnten. Nomazar sah, wie zwei der gedrun genen Pelzwesen auf das Trittbrett sprangen. Es gab einen Ruck – und plötzlich bewegte sich etwas, aber nicht da, wo die Winde in die Mauer griff, sondern ganz oben, unter der Decke. »Zurück!« rief Nomazar entsetzt. Er warf sich nach hinten und rollte sich ab. Die Et levs reagierten schnell. Sie sprangen aus dem Stand von der Mauer weg. Nur einer von denen, die mit der Winde beschäftigt gewesen waren, blieb mit dem Fuß so un glücklich an einem Seil hängen, daß er stürzte und sich nicht schnell genug wieder aufraffen konnte. Und dann kam das Relief herunter. Es löste sich blitzschnell in seiner ganzen Länge von der Wand und zerfiel dabei in seine Einzelteile. Entsetzt sah Nomazar, daß diese Teile sich noch im Fallen in einer Wei se wanden und drehten, die den Gesetzen der Schwerkraft Hohn sprach. »Wehrt euch!« schrie Leert seinen Leuten zu.
44 Eine Horde von Schreckensgestalten stürzte sich schweigend auf die Gruppe. Der Etlev, der an dem Seil hängengeblieben war, verschwand unter einem Haufen von Mon stren. Nomazar hörte gräßliche Schreie, und er schwang das Schwert, das Leert ihm ge geben hatte. Oh ja, er konnte damit umgehen. Im sel ben Augenblick, in dem er den Wunsch ver spürte, zu kämpfen, wußte er auch, was er zu tun hatte. Er benutzte nicht nur das Schwert, sondern auch die Keule. Den Ge stalten, die Köpfe auf ihren Schultern tru gen, schlug er die Keule über die Schädel, und mit der Rechten schwang er das Schwert. Er spürte eine gewaltige Kraft in sich. Plötzlich glaubte er zu wissen, daß es ein mal eine Zeit für ihn gegeben hatte, in der er kämpfen mußte, ob er wollte oder nicht und auch dann, wenn er gar keine Gegner vor sich hatte. Er erinnerte sich sogar daran, daß er diese Anfälle gefürchtet hatte. Eine krallenbewehrte Hand fuhr ihm über die linke Schulter und ließ sechs tiefe, eng beieinander liegende Wunden zurück. Der Schmerz und der Schrecken löschten die Er innerung an vergangene Zeiten aus. Noma zar vergaß alle Fragen nach seiner Herkunft und stürzte sich trotz seiner Verletzung mit doppelter Kraft in das Getümmel. Ab und zu sah er einen der Etlevs zwi schen den immer noch schweigend kämp fenden Ungeheuern. Die Schatzräuber wehr ten sich ihrer Haut, und sie hatten auch Er folg. Kjon-Tharos seltsame Wächter behin derten sich gegenseitig. In blinder Wut stürzten sie sich auf die Fremdlinge und rannten dabei oft genug einander um. Noma zar stellte fest, daß dem vorhin gestürzten Etlev nicht mehr zu helfen war und wandte sich wieder in die andere Richtung. Er schlug sich bis zu Leert durch und hinterließ eine breite Gasse in dem Getümmel der Wächter. Leert sah ihn kommen und winkte ihm kurz mit seiner Keule zu. Nomazar kämpfte Seite an Seite mit ihm, und andere Etlevs
Marianne Sydow stießen zu ihnen. Von da an kamen sie schnell vorwärts. Als die Angreifer merkten, daß sie keine Chance mehr hatten, hätten sie eigentlich aufgeben müssen. Aber vielleicht konnten sie gar nicht so weit denken. Wie Maschinen drangen sie auf die Etlevs und Nomazar ein, bis auch der letzte unter einem Hieb mit der Keule zusammenbrach. »Das soll Kjon-Tharo uns büßen!« sagte Leert leise und drohend. »Er wollte nur sein Eigentum verteidi gen«, bemerkte Nomazar beschwichtigend. »Das ist sein gutes Recht, ob es uns gefällt oder nicht.« »Diese Falle war tödlich für einen von uns«, stellte Leert abweisend fest. »Wir hat ten Glück, daß du bei uns bist. Ohne deine Hilfe wäre es noch viel schlimmer für uns ausgegangen. Wir dagegen haben noch nie einem Domer etwas zuleide getan. Wir neh men nur Dinge, die sie sowieso nicht mehr brauchen.« Nomazar schwieg. Gefühlsmäßig neigte er dazu, den Etlevs recht zu geben, aber ob jektiv war er immer noch der Meinung, daß Kjon-Tharos Vorsichtsmaßnahmen ange bracht waren. Er nahm sich vor, alles zu tun, was in sei ner Macht stand, damit die Rache der Etlevs nicht zu drastisch ausfiel. Eines mußte man den Etlevs lassen – sie waren ungeheuer ausdauernd. Ohne große Worte bauten sie ihre Winde wieder auf. Ei nige der Pelzwesen brachten das, was von ihrem Artgenossen noch übrig war, in Si cherheit und trugen es in den nächsten Gang hinein. Die anderen gingen mit unvermin dertem Eifer daran, eine Verbindung zu Kjon-Tharos Schatzkammer zu schaffen. Nomazar half mit. Er hatte immer noch ein ziemlich schlechtes Gefühl, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß Kjon-Tharo es für nötig gehalten hatte, seine Schatzkammer von dieser Seite aus doppelt abzusichern. Sie kamen jetzt recht schnell voran. Die Etlevs hatten schließlich auch genug Übung. Sie holten einen Quader nach dem anderen heraus und ließen die Steine vorerst einfach
Planet der Intrigen in der Halle liegen. Später, so erklärte Leert zwischendurch, würde man sie bis auf zwei Blöcke, mit denen man den Gang verschlie ßen konnte, nach draußen schaffen. »Wir sind durch!« verkündete einer der Etlevs endlich. Er schwenkte seine Lampe, und der Licht kegel strich über den letzten, schweren Stein, der den Gang verschloß. »Dreht die Winde um!« Ein paar Minuten später schob sich der Stein nach außen. Nomazar hielt die Luft an. Wenn Kjon-Tharo ausgerechnet jetzt seine Schätze inspizierte … Er tat es nicht. In der Schatzkammer war es stockfinster. Die Et levs und ihr Begleiter lauschten angestrengt, aber sie vernahmen keinen Laut. »Bringen wir es hinter uns«, murmelte Nomazar und schwang sich vorsichtig an den Etlevs vorbei nach draußen. »Warst du schon mal hier unten?« erkun digte sich Leert mit gedämpfter Stimme. »Leider nicht. Sonst wüßte ich wenigstens schon so ungefähr, wo ich zu suchen habe.« Leert nahm Zuflucht zu seinem Lieblings spruch. »Die Domer sind dumm«, behauptete er. »Und was die Wahl der Verstecke für ihre Schätze betrifft – da haben sie überhaupt keine Phantasie. Komm mit, ich zeige dir et was!« Die Etlevs verzichteten darauf, das Licht einzuschalten. Mit Hilfe der winzigen Lam pen suchte sich Leert einen Weg durch die Halle. Nomazar stellte fest, daß Kjon-Tharo seinen Vorfahren in nichts nachstand. Hier unten sah es aus wie in einer überfüllten Rumpelkammer – nur daß das »Gerümpel« funkelte und strahlte und selbst bei dieser kümmerlichen Beleuchtung überaus kostbar wirkte. Leert wußte, woran man die verborgenen Türen zu den Nebenkammern am leichtesten ausmachen konnte. Sie durchsuchten vier kleine Räume, und was sie fanden, versetzte den Etlev in helles Entzücken. »Sieh an«, sagte er schließlich. »Der gute Kjon-Tharo hat fleißig in die eigene Tasche
45 gewirtschaftet. Diese Sachen sind eigentlich für Cagendar bestimmt, da gibt es wohl kaum einen Zweifel. Er hat Duuhl Larx be stohlen.« »Ich dachte, das geht gar nicht!« »Hast du eine Ahnung! Jeder Domer be kommt seinen Anteil an den grob sortierten Waren, die die Organschiffe bringen. Und dieses ganze Zeug ist kaum registriert. Wenn ein Domer davon etwas verschwinden läßt, wird es sicher nicht bemerkt.« »Das paßt eigentlich gar nicht in das Bild, das ich mir gemacht habe«, sagte Nomazar nachdenklich. »Ich dachte, das alles würde viel sorgfältiger kontrolliert.« »Du denkst, Duuhl Larx würde diesen Gaunern mehr Vertrauen schenken, als sie verdienen?« fragte Leert spöttisch. »Da irrst du dich. Tatsächlich sind solche Diebstähle selten. Du weißt, wie neidisch die Domer untereinander sind. Sie lassen keine Gele genheit aus, in fremden Sortierhallen herum zuschnüffeln. Und jeder hat Einblick in die Unterlagen über alle Stücke, die nach Cagendar weitergehen. Taucht jetzt ein wert volles Stück, das einer gesehen hat, nicht in dieser Liste auf – nein, sie wenden sich nicht an Duuhl Larx. Aber sie machen sich gegen seitig die Hölle heiß. Hier ist die nächste Kammer.« Diesmal hatten sie Glück. Nomazar warf nur einen Blick auf die Gegenstände, die hier sorgfältig auf kleinen Sockeln aufge stellt waren. »Das ist es«, sagte er leise. »Das ist der Kram, den Solta-Kurl angeblich gestohlen hat.« »Sieh genau nach«, empfahl Leert. »Überzeuge dich davon, daß nichts fehlt – sonst fangen wir noch einmal an zu suchen.« Nomazar ging beinahe andächtig durch den Raum. Wenn er es schaffte, dieses Zeug nach draußen zu bringen und dem Gericht der Domer vorzulegen, war Solta-Kurl ge rettet. Plötzlich stutzte er. »Diese Kugel gehört nicht dazu«, sagte er zu Leert. »Bist du sicher?«
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»Ja. Kjon-Tharo hat mir Abbildungen von allen gestohlenen Stücken gezeigt. Die Ku gel war ganz bestimmt nicht dabei.« Leert nahm die Kugel vorsichtig in die Hand. Nomazar kniff verwundert die Augen zusammen. In der Kugel bewegten sich dün ne, farbige Schleier. Allmählich wurden Fi guren daraus, die sich in einem langsamen Tanz drehten. »Wir nehmen sie mit«, ent schied Nomazar spontan. »Vielleicht ist sie wertvoll, und wir kön nen sie noch gebrauchen.« »Letzteres ganz sicher«, murmelte Leert zustimmend. Er ging hinaus und rief seine Freunde her bei. Sie kamen auch sofort und schleppten alles, was sich in der Kammer befand, hin aus und durch den eben erst geschaffenen Gang in die nächste Halle. Die Kammer leerte sich schnell. Die Etlevs machten sich daran, auch etwas von dem einzupacken, was Kjon-Tharo ganz legal aufgehäuft hatte. Nomazar wurde allmählich nervös. Sie wa ren für seinen Geschmack schon viel zu lan ge in dieser Schatzkammer. Erleichtert at mete er auf, als Leert endlich das Zeichen zum Rückzug gab. Es schien Nomazar gera dezu unmöglich, daß es so glatt gehen sollte. Aber sie kamen aus der Halle heraus, ohne daß Kjon-Tharo wutschnaubend hereinge stürmt kam oder sich etwas von einem allge meinen Alarm hören ließ. Die Gestalten, die das Relief gebildet hatten, rührten sich nicht mehr, und selbst das monströse Etwas in der Halle mit dem Steinsarg ließ sich beim Rückzug nicht blicken. Den Rest des Weges legte Nomazar zum größten Teil kriechend zurück. Es war ihm peinlich, daß er den Etlevs dabei in keiner Weise helfen konnte, die Beute in Sicherheit zu bringen. Aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß diese Wesen durch ihn zu ei nigem Reichtum gekommen waren.
* »Du mußt dich ein wenig ausruhen!« sag te Leert besorgt, als Nomazar düster das
Diebesgut musterte. »Auf ein paar Stunden kommt es jetzt nicht mehr an.« »Weißt du zufällig, ob man Solta-Kurl schon weggebracht hat?« »Ich werde nachfragen«, versprach Leert und ging davon. Ein anderer Etlev trat zu Nomazar heran. »Wir haben Wagen, mit denen du die Sa chen transportieren kannst«, sagte er. »Willst du wirklich damit zum Gericht ge hen?« »Ja.« »Die Domer sind unberechenbar. Wenn du Pech hast, schicken sie dich trotzdem in die kalten Länder – wegen Einmischung in ihre Angelegenheiten.« »Ich gehe trotzdem.« Der Etlev schwieg lange Zeit. »Dann hast du wohl auch Solta-Kurls Wein getrunken?« »Ja«, nickte Nomazar erleichtert, denn endlich hatte er eine Erklärung für sein Ver halten gefunden, die für einen Etlev akzepta bel war. »Ja, genau so ist es.« »Leert wird bald zurück sein«, erklärte der Etlev verständnisvoll. »Ich sorge dafür, daß dieses Zeug inzwischen aufgeladen wird.« Nomazar sah, mit welcher Sorgfalt die Et levs die Kunstwerke auf der Plattform eines niedrigen Wagens verstauten. Das Fahrzeug paßte gerade so durch die Gänge, die sich unter der Stadt Perrash hinzogen. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es für die Etlev auch nicht einfach sein mochte, sich von dieser kostbaren Beute zu trennen. Er fragte Leert danach, sobald dieser zurückkehrte. »Wir können diese Sachen nicht gebrau chen«, erwiderte Leert gelassen. »Sie sind registriert – wir würden uns nur selbst in Ge fahr bringen. Solta-Kurl ist noch im Gefäng nis. Sie soll heute abend weggebracht wer den.« »Ich hätte nicht gedacht, daß Kjon-Tharo sich so viel Zeit läßt.« »Das lag auch nicht in seiner Absicht. Aber die Domer haben wohl begriffen, in welcher Gefahr sie schweben. Sie haben al
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les versucht, um Solta-Kurl zum Reden zu bringen. Es scheint, als hätten einige von den Kerlen inzwischen zu denken angefan gen. Bei den Domern gärt es. Ich glaube, du wirst genau im richtigen Augenblick vor Ge richt erscheinen. Komm, wir sollten keine Zeit verlieren.« »Fährst du etwa mit?« fragte Nomazar verblüfft. »Nur bis zu der großen Straße. Unterwegs kann ich dir zeigen, wie du mit diesem Fahr zeug umgehen mußt. Was wirst du den Do mern sagen, wenn sie dich fragen, wie du an die Sachen herangekommen bist?« Es war klar, daß die Etlevs nicht erwähnt werden durften. Die Sicherheit ihres Volkes hing davon ab, daß sie auch in Zukunft die vergessenen Schatzkammern der Domer plündern konnten. »Ich bin ein Fremder von außerhalb«, sagte Nomazar gelassen. »Sie wissen so gut wie nichts von mir. Ich werde ihnen weis machen, daß ich ein besonders geschickter Dieb bin, dem es gelungen ist, Kjon-Tharo unbemerkt auszuplündern.« »Wenn sie das glauben …« »Sie werden!« behauptete Nomazar grim mig. »Es bleibt ihnen gar nichts anderes üb rig. Ihr aller Leben hängt davon ab, daß die se Sachen nach Cagendar geschickt werden können. Abgesehen davon – sie haben alle kein reines Gewissen. Sie werden fürchten, daß ich mich auch in ihren Schatzkammern gründlich umsehen könnte. Darum werden sie alles versuchen, um mich friedlich zu stimmen.« »Sie werden eher zusehen, daß sie dich so bald als möglich loswerden.« »Auch das ist möglich. Aber sie werden es nicht mehr wagen, mich zu verbannen oder sogar umzubringen. Alles andere ist mir sogar ganz recht. Ich hatte niemals vor, auf Achtol zu bleiben.« »Wo liegt dein Ziel?« fragte Leert. Noma zar zuckte die Schultern. »Wenn ich das wüßte, wäre ich froh!« murmelte er nach denklich.
*
Er erreichte das Gerichtsgebäude am frü hen Abend. Leert hatte sich von ihm verab schiedet, und es war äußerst ungewiß, ob Nomazar ihn oder einen seiner Freunde ir gendwann wiedersehen würde – die Etlevs starteten noch an diesem Abend zu einem neuen Unternehmen im Auftrag des Neffen Duuhl Larx. Nomazar sah keinen Grund mehr, beson dere Rücksicht auf die Gefühle der Domer zu nehmen. Er konnte den Wagen nicht hier draußen stehen lassen. Das war ihm viel zu riskant. Also nahm er den Wagen mit. Die Tür und die Gänge hatten gerade die richtige Breite. Nomazar lenkte das brum mende Gefährt geradewegs zum Gerichts saal. Die breite Flügeltür war geschlossen. Das Fahrzeug, ein voll geländegängiges Mo dell, drückte die Tür ein und schaukelte dann gemächlich über die breiten Stufen dem Mittelpunkt des Saales entgegen. Domer flohen entsetzt vor diesem mecha nischen Ungetüm, und die Richter starrten stumm vor Entsetzen zu Nomazar hinauf. Nomazar hielt den Wagen an und stand langsam auf. Leert hatte ihm dringend gera ten, das Fahrzeug nicht zu früh zu verlassen. Der Etlev meinte, daß das Metall Nomazar vielleicht vor der lähmenden Wirkung der kristallenen Trommeln schützen würde. No mazar hielt sich an diese Ratschläge. »Als ich vor fast zwei Tagen hierherkam, wollte niemand mich anhören«, rief er den Domern von der Plattform des Wagens aus zu. »Diesmal habe ich andere Beweise mit gebracht, solche, die ihr sehen und sogar an fassen könnt. Vielleicht seht ihr nun endlich ein, daß Solta-Kurl unschuldig und KjonTharo ein Dieb ist.« Gleichzeitig riß er mit einem Ruck die Plane herunter, die die geraubten Kunstwer ke bisher vor den Blicken der Domer ver borgen gehalten hatte. Es wurde totenstill in der Halle des Ge richts. Die Domer starrten auf das, was sich auf der Ladefläche befand. Nomazar suchte nach Kjon-Tharo, aber er konnte ihn nir gends erblicken.
48 Nach langer Zeit erhob sich einer der Richter schwerfällig von seinem Sitzpolster. »Woher hast du das?« fragte er mit unge wöhnlich schriller Stimme. »Wo hast du die se Sachen gefunden? Sage es, schnell!« »Das alles lag in Kjon-Tharos Schatzkam mer«, erwiderte Nomazar ruhig. »Das kann nicht sein«, rief ein anderer Domer aufgeregt. »Der Fremde lügt!« Nomazar bereitete sich innerlich auf ein ebenso hartes wie unergiebiges Redegefecht vor, da kam Hilfe von unerwarteter Seite, nämlich von einem Domer selbst. »Ich bin Steinfühler Sro-Gago«, meldete er sich zu Wort. »Ihr alle kennt mich. Ihr wißt auch, daß man meinen Vater in die kal ten Länder verbannte, weil er angeblich ein Kunstwerk veruntreut hatte. Es war ein Stück, das nicht für Cagendar bestimmt war. Mein Vater starb, und das Stück tauchte nie wieder auf. Ich hatte damals Kjon-Tharo in Verdacht, daß er meinem Vater eine Falle gestellt hatte, denn ich wußte, daß er dieses Stück unbedingt haben wollte. Aber ich hat te keine Beweise. Die Sache ließ mir keine Ruhe. Vor einigen Tagen brachte ich einen Gegenstand zu Kjon-Tharo, von dem ich ge nau wußte, daß er nach Cagendar gehörte. Ich behauptete, mir über den Wert des Kunstwerks nicht völlig klar zu sein und bat Kjon-Tharo um eine Prüfung.« »Und?« fragte der Richter ungeduldig, als Sro-Gago eine Pause machte. Sro-Gago kam auf Nomazar zu. Er deutete auf die Ladeflä che. »Gibst du mir das dort?« fragte er leise. Nomazar begriff, daß auch einige Domer trotz aller Intrigen nicht nur an sich selbst dachten. Es imponierte ihm, daß dieser jun ge Domer wenigstens den Versuch unter nommen hatte, seinen Vater zu rehabilitieren – auch wenn das diesem jetzt nichts mehr nützte. Er sah, daß Sro-Gago auf die Kugel zeigte und reichte sie ihm. »Das ist das Stück, das ich Kjon-Tharo zeigte!« sagte der Domer laut und hielt die Kugel mit den tanzenden Schemen hoch. »Er behauptete, es sei ohne jeden Wert, und
Marianne Sydow nahm es an sich. Ich ließ ihn gewähren, denn ich wollte mich vergewissern, daß diese Ku gel tatsächlich nicht mehr im offenen Han del auftauchte. Jeder von euch kann in mei nem Haus nachprüfen, daß ich die Wahrheit sage. Kjon-Tharo hat dieses Stück wider rechtlich an sich gebracht – und ich zweifle nicht daran, daß Nomazar die Wahrheit spricht. Er kann die Kugel nur in der Schatz kammer des Rauchmachers gefunden haben. Und dort fand er auch das, was angeblich Solta-Kurl gestohlen hat.« Sekundenlang blieb es still. Dann brach ein Tumult los. Nomazar beugte sich blitz schnell zu Sro-Gago hinab und hielt ihn am Arm fest. »Wo ist Solta-Kurl?« fragte er leise. »Man wird sie gleich holen«, gab SroGago zurück. »Glaubst du, daß es uns gelungen ist, die da zu überzeugen?« Sro-Gago sah zu ihm auf, und sein fremd artiges, rundes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Kjon-Tharo hat es zu weit getrieben!« behauptete er. »Diesmal kann er sich nicht mehr herausreden. Er wird es sein, den man in die Verbannung schickt, nicht Solta-Kurl. Du hast es geschafft, Fremder. Die Domer schulden dir Dank. Aber nimm dich in acht. Deine Belohnung könnte ganz anders ausfal len, als du es dir erhoffst.« »Ich habe es nicht um einer Belohnung willen getan«, brummte Nomazar, der jetzt, da die Spannung in ihm nachließ, die An strengungen der letzten Tage zu spüren be gann. »Mir ging es um die Gerechtigkeit.« Sro-Gago hörte ihn nicht. Niemand hörte ihn. Denn gerade in diesem Augenblick wurde Solta-Kurl im Triumphzug in den Ge richtssaal gebracht. Wenig später zerrte man Kjon-Tharo herein. Man hatte ihn in seinem Haus erwischt und auch gleich seine Schatzkammer durch stöbert. Dabei fand man nicht nur die leerge räumte Kammer, sondern auch gleich noch ein gutes Dutzend Kunstwerke, die anderen, prominenten Domern auf die eine oder ande
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re Weise abhanden gekommen waren. Der Schuldspruch war schnell gefällt, und die Entscheidung war einstimmig. Kjon-Tharo ging in die Verbannung.
* Solta-Kurl nahm Nomazar bei sich auf und wachte gemeinsam mit denen, die ihr freiwillig und treu dienten, darüber, daß der Fremde sich gehörig ausruhte. Nachdem er geschlafen hatte, fütterten sie ihn mit allem, was »Schatzkammer« und Markt hergaben, bis Nomazar sich dagegen wehrte. »Und wenn du mich noch so vollstopfst«, sagte er lächelnd zu der Domerin, »ich wer de doch nicht so rund wie du. Was geht draußen vor sich?« Solta-Kurl wollte ihm ausweichen, aber schließlich redete sie doch. Nomazar erinnerte sich an Leerts War nung und an Sro-Gago. Er stellte fest, daß deren Voraussagen sich restlos erfüllten. Die Domer wollten ihn loswerden. Gleichzeitig schuldeten sie ihm Dank. Der Ausweg, auf den sie verfielen, war ebenso logisch, wie verblüffend. »Sie haben dich zum Kunstwerk erklärt«, berichtete Solta-Kurl bedrückt. »Aber – das geht doch gar nicht«, stieß Nomazar verblüfft hervor. »Ich lebe. Ich bin beim besten Willen nicht mit einer Statue zu verwechseln.« »Das ist unwichtig«, erklärte Solta-Kurl nüchtern. »Vieles von dem, was wir nach Cagendar schicken, wirkt lebendig.« »Aha«, machte Nomazar sarkastisch. »So will man das also hinstellen. Man wird be haupten, daß man gar nicht bemerkt habe, daß ich wirklich lebe.« »Nein«, sagte Solta-Kurl erstaunlich sanft. »Du irrst dich. Die Domer brauchen gar nicht zu lügen. Sieh mal, du bist nicht aus dem Rghul-Sektor, und auch von den Raumfahrern scheint niemand je zuvor ein Wesen wie dich gesehen zu haben. Und da zu bist du auch noch klug. Du bist so unge wöhnlich, daß du nach der Meinung meiner
Artgenossen gar nicht auf natürlichem Wege entstanden sein kannst.« Nomazar sah an sich hinab. Ein Kunstwerk – er selbst! »Na gut«, murmelte er resignierend. »Es hat wohl keinen Sinn, deswegen noch ein mal vor Gericht zu erscheinen. Diesmal wird man mich erst recht nicht anhören. Wann werde ich verpackt und abgeschickt?« »Ich bringe dich nach Kuwe-Tuuhl«, sag te die Domerin, ohne auf Nomazars ironisch gemeinte Bemerkung einzugehen. »Am be sten fahren wir jetzt gleich los.« »Ist es so eilig?« »Ja. Die RYGERKALL startet in wenigen Stunden.« »Ist die RYGERKALL ein Organschiff?« Solta-Kurl machte die Geste der Zustim mung. Ich hätte auf Sprak hören sollen, dachte Nomazar, als er neben Solta-Kurl in einem schnellen, reich verzierten Wagen saß. Aber vielleicht ist es ganz gut so. Ich muß weiter, und je eher ich von Achtol wegkomme, desto besser. Am Ende verfallen sonst noch ein paar Domer auf ganz andere Ideen, um mich aus Perrash zu entfernen. »Wie weit ist es bis Cagendar?« fragte er. »Das weiß ich nicht«, antwortete SoltaKurl. »Aber es scheint, daß der Weg dorthin nicht ungefährlich ist. Wenigstens für dich. Alles, was nach Cagendar gebracht wird, muß durch die Planetenschleuse, um dort in irgendeiner Weise geprüft zu werden.« »Du hast Zweifel daran, daß ich die Prü fung bestehe«, stellte Nomazar fest. »Du glaubst auch nicht an die Version, daß ich ein Kunstwerk sein soll.« »Du selbst sagst, daß du nicht weißt, wer du wirklich bist und woher du kommst«, sagte Solta-Kurl leise. »Ist es nicht denkbar, daß du gekommen bist, um uns allen zu hel fen?« Er kam nicht mehr dazu, sie danach zu fragen, wie sie das gemeint hatte. Sie er reichten fast im selben Augenblick die RY GERKALL. Die Besatzung bestand aus rau penähnlichen Wesen derselben Art wie die,
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die ihn auf Ximmerrähne eingefangen hat ten. Nomazar fand, daß dies ein sehr merk würdiger Zufall war. Der Abschied von Solta-Kurl war kurz und schmerzlos. Er ging an Bord, und wenig später startete die RYGERKALL.
* Zur selben Zeit unterhielten sich zwei Wesen auf dem Planeten Guhrno über die RYGERKALL. »Wann wird das Schiff eintreffen?« fragte Keiterzohl-Branz und beobachtete dabei un verwandt ein Gerät, das ihm anzeigte, wie viele Organschiffe sich zur Zeit im Bereich der Planetenschleuse befanden. »Es ist angekündigt«, erwiderte Tährezzo nüchtern. »Ob es stimmt, daß sich ein völlig Fremder an Bord befindet?« »Es stimmt ganz sicher. Der Fremde stammt nicht aus dem Rghul-Sektor. Hof fentlich ist es der Spion aus dem Marantro ner-Revier.«
»Du sehnst dich danach, daß er bei uns eintrifft?« fragte Tährezzo verwundert. »Ja. Dann wird es endlich wieder etwas ruhiger. Dieses ständige Warten macht mich nervös.« »Aber wenn er kommt …« »Er wird kein Unheil anrichten«, sagte Keiterzohl-Branz streng. »Warum macht Chirmor Flog das?« flü sterte Tährezzo scheu. »Warum schickt er einen Spion in das Gebiet von Duuhl Larx? Warum will jeder der beiden Neffen das Ge biet des anderen in seine Gewalt bringen?« »Sprich nicht darüber!« sagte KeiterzohlBranz entsetzt. »Sie hassen sich seit langer Zeit, mehr weiß ich auch nicht. Noch wird nicht gekämpft. Wir arbeiten hier in der Pla netenschleuse, und alles andere geht uns nichts an.« Von da an schwiegen sie wieder. Sie war teten auf die RYGERKALL.
ENDE
Weiter geht es in Band 410 Die Planetenschleuse von Marianne Sydow