Nr. 409
Planet der Intrigen In den Schatzkammern von Achtol von Marianne Sydow
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dime...
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Nr. 409
Planet der Intrigen In den Schatzkammern von Achtol von Marianne Sydow
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Während Atlan und seine Gefährten im sogenannten Marantroner-Revier eine Fülle von gefährlichen Abenteuern bestehen und letztlich in die Gewalt der Scuddamoren geraten, der Kämpfer von Chirmor Flog, die den Arkoniden und die Odinstochter dem Meisterträumer zum intensiven Verhör überantworten, hält sich noch ein weiterer Pthorer im Vorfeld der Schwarzen Galaxis auf. Dieser Pthorer wurde durch Raum und Zeit an einen fremden Ort geschleudert und verlor dabei sein Gedächtnis. Der Mann, dem dies zustieß, versteht sich als Nomazar. Gegenwärtig befindet er sich auf dem Planeten Achtol. Diese Welt ist der PLANET DER INTRIGEN …
Planet der Intrigen
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Die Hautpersonen des Romans: Nomazar - Der Mann ohne Gedächtnis auf dem Planeten der Intrigen. Kjon-Tharo - Nomazars neuer Herr. Sprak - Kjon-Tharos Diener. Solta-Kurl - Eine angebliche Diebin. Leert - Ein hilfreiches Wesen.
1. »Was ist das?« fragte Rauchmacher KjonTharo verblüfft, als er den Fremden in der Halle entdeckte. »Was hat dieses Wesen zwischen den Kunstwerken zu suchen?« »Es ist ein Gefangener, Herr«, erklärte der Diener Sprak demütig. »Was du nicht sagst«, murmelte KjonTharo sarkastisch. »Was soll ich mit ihm anfangen?« »Ich weiß es nicht, Herr. Er kam mit dem letzten Transport. Wahrscheinlich wußten sich die Wesen in dem betreffenden Organschiff auch keinen Rat, und da haben sie diesen Gefangenen einfach bei uns abgesetzt.« »Heimtückische Bande«, kommentierte Kjon-Tharo. Der Diener zog hastig seine Ohrbüschel ein, um ja nichts zu hören, falls sein Herr weitere ketzerische Bemerkungen von sich geben sollte Kjon-Tharo trat näher an den Gefangenen heran und betrachtete ihn mißtrauisch. Er sah ein Wesen, das auf zwei Beinen stand und zwei Arme sowie einen aufrechten Körper besaß. Damit ergab sich eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Domer. Aber statt des aparten kugelförmigen Leibes, den Kjon-Tharo wie alle Domer sein eigen nannte, besaß dieser Fremde einen häßlichen, dünnen Körper. Lediglich am Ende dieses dürren Gebildes befand sich etwas, das wenigstens entfernt an eine Kugel erinnerte. Der Gefangene bewegte dieses vom Körper scharf abgesetzte Teil und sah KjonTharo mit erschreckend düsteren Augen an. Der Domer zog sich vorsichtig einen Schritt weit zurück, denn der Blick des Fremden war ihm unheimlich.
»Woher kommst du?« fragte er in der Einheitssprache des Rghul-Revier, dem Gonex. Der Fremde gab Laute von sich, aber Kjon-Tharo verstand kein einziges Wort. »Vielleicht kann er gar nicht sprechen«, bemerkte Sprak vorlaut. »Ich finde, er sieht aus wie ein Tier.« Der Domer machte eine verächtliche Geste. Sprak war nur ein dummer Greiner, sonst wäre er auf eine solche Idee sicher nicht gekommen. Schließlich trugen Tiere keine Kleidung. Wenigstens hatte KjonTharo noch von keinem solchen Fall gehört. Er schlug sich demonstrativ vor die Brust und sagte laut und deutlich: »Ich bin Rauchmacher Kjon-Tharo!« Der Gefangene hob einen der dürren Arme und deutete mit einem abscheulich spitzen Finger auf sich selbst. »Nomazar!« sagte er dabei. »Er ist intelligent«, stellte Kjon-Tharo zufrieden fest. »Nun, Nomazar, ich kann dich nicht in dieser Halle lassen. Wärest du aus Stein, so ließe sich eine gute Lösung finden, denn Figuren wie dich kann man auf Cagendar immer gebrauchen. Da du aber am Leben bist, muß ich dich bitten, mir zu folgen.« Nomazar hatte aufmerksam zugehört. Kjon-Tharo gab sich nicht etwa der Illusion hin, daß der Fremde seine Ansprache verstand. Aber als er eine einladende Geste vollführte, hob Nomazar den Arm und deutete mit seinen spitzen Fingern auf den Ausgang – er hatte also doch etwas begriffen. Danach zeigte er auf seine Füße, die in einem Fesselblock steckten. »Schon gut«, murmelte Kjon-Tharo. »Das werden wir gleich haben. Sprak, mach das Ding auf.«
4 Der Greiner wieselte auf seinen kurzen Beinen heran und schlängelte sich um den Fesselblock. Kjon-Tharo war ganz und gar gegen seinen Willen beeindruckt – der Gefangene schien beim Anblick des Greiners, der erfahrungsgemäß auf Fremde stets abschreckend wirkte, nicht die geringste Furcht zu empfinden. Sprak zog seinen haarigen Körper zusammen, und im Fesselblock knackte es geräuschvoll. Nomazar zuckte leicht zusammen, und sein fremdartiges Gesicht verzerrte sich für einen Augenblick. Dann zog Sprak sich zurück, und der Gefangene zog vorsichtig seine Füße aus dem Block. Er betrachtete sie mißtrauisch und probierte sie aus, als wolle er sich vergewissern, daß Spraks Befreiungsmethode ohne böse Folgen geblieben war. Schließlich richtete der Fremde sich auf, und Kjon-Tharo setzte sich in Richtung Ausgang in Bewegung. Nach einigen Schritten drehte er sich um. Der Fremde folgte ihm. Aber Kjon-Tharo bemerkte, daß Nomazars Fortbewegungsweise unregelmäßig wirkte. Er behielt den Fremden im Auge. Tatsächlich, Nomazar zog das linke Bein nach. Verächtlich dachte Kjon-Tharo, daß eine so zerbrechliche Körperkonstruktion dem Leben wohl nur schlecht gewachsen war. Aber dann besann er sich darauf, daß er wohl oder übel für das Wohl dieses Fremden sorgen mußte. Den Wesen in den Organschiffen durfte man nicht trauen. Vielleicht war Nomazar ein wichtiger Informant oder etwas Ähnliches. Man erwartete von den Domern, daß sie alles, was ein Organschiff auf dem Planeten Achtol auslud, mit äußerster Sorgfalt verwahrten. »Du hast ihn verletzt«, wandte sich KjonTharo an den Greiner. Sprak faltete erschrocken seine Ohrbüschel zusammen. »Das kann nicht sein!« stammelte er. »Untersuche ihn!« befahl der Domer. Der Diener näherte sich dem Gefangenen diesmal sehr vorsichtig. Nomazar musterte den haarigen Vielbeiner gelassen.
Marianne Sydow »Bleibe ganz ruhig stehen!« krächzte Kjon-Tharo und fuchtelte, dabei aufgeregt mit beiden Händen in der Luft herum. »Er tut dir nichts.« Nomazar schien zu begreifen, was von ihm erwartet wurde. Er ließ es zu, daß Sprak sich um seine Beine kringelte. Aber plötzlich stieß der Gefangene so seltsame Laute aus, daß Sprak sich entsetzt von ihm löste und in Richtung Tür davonschoß. »Komm zurück!« schrie Kjon-Tharo wuterfüllt. Sprak hielt an. Er bog sich zu einem Ring zusammen und schielte von unten herauf den Fremden an. Nomazar stand wieder still. Nur in seinem Gesicht zuckte es merkwürdig. »Ich traue ihm nicht«, flüsterte Sprak. »Wir hätten ihn in dem Fesselblock lassen sollen.« »Unsinn!« widersprach Kjon-Tharo grob. »Was hast du festgestellt?« »Seine Beine sind in Ordnung«, behauptete Sprak schüchtern. »So!« Kjon-Tharo blickte zwischen dem Gefangenen und dem Greiner hin und her. Schließlich dachte er, daß es am besten war, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen. Nomazar hinkte zwar, aber es gab kein Anzeichen dafür, daß er eine ernsthafte Verletzung davongetragen hatte. Man konnte das später noch genau untersuchen. Im Augenblick hatte Kjon-Tharo nur den Wunsch, Nomazar von der Halle wegzubekommen und in ein sicheres Gelaß zu sperren. Denn in der Halle hatte er unter den gerade eingetroffenen Gütern etwas entdeckt, was ihn brennend interessierte. Rauchmacher Kjon-Tharo war ein vorsichtiges Wesen – er hatte nicht die Absicht, sich vor möglicherweise gefährlichen Zeugen mit den betreffenden Gütern zu befassen. So ging er eiligen Schrittes voran, und Nomazar folgte ihm gehorsam. Sprak wieselte hinterdrein. Solange er nichts über Bestimmung, Auftrag oder Fähigkeiten des Gefangenen wußte, so beschloß Kjon-Tharo, würde er Nomazar einfach nur sicher verwahren. Vielleicht
Planet der Intrigen ergaben sich sogar gewisse Vorteile aus der Anwesenheit des Fremden. Kjon-Tharo hatte da ein paar Pläne … Der Gedanke gab ihm Auftrieb. Er watschelte in den Gang hinein, der die Halle mit seinen Wohnräumen verband. Ab und zu drehte er sich nach Nomazar um. Der Gefangene schien nicht sehr beeindruckt von den Gemälden, Statuen und sonstigen Kunstwerken, mit denen der Gang ausgestattet war. »Ein Wilder«, murmelte Kjon-Tharo verächtlich vor sich hin. Oder war das Desinteresse des Gefangenen nur gespielt, Teil eines üblen Planes, den irgendein anderer Domer ausgearbeitet hatte? »Du wirst Nachforschungen anstellen«, sagte Rauchmacher Kjon-Tharo zu seinem vielbeinigen Diener. »Ich muß genau wissen, wann und auf welchem Wege Nomazar nach Achtol kam. Finde heraus, von welcher Welt er stammt.« »Das wird nicht einfach sein, Herr«, gab Sprak schüchtern zu bedenken. »Das weiß ich auch«, murmelte KjonTharo ärgerlich. »Aus dem Rghul-Sektor stammte er jedenfalls nicht, die Völker, die hier leben, kenne ich genau.« »Dann ist er von außerhalb?« flüsterte Sprak entgeistert. »Vielleicht. Das sollst du ja gerade herausfinden.« Nomazar hatte aufmerksam zugehört, aber Kjon-Tharo fühlte sich sicher. Falls dieser Gefangene ihm von irgendeinem Neider untergeschoben worden war, um auf diese hinterhältige Weise an des Rauchmachers Schatzkammer heranzukommen, so durfte Nomazar sich erstens keine Blöße geben, und zweitens konnte es nur von Vorteil sein, wenn er schon jetzt begriff, daß Kjon-Tharo nicht so leicht hereinzulegen war. Stimmte jedoch die Geschichte, die Sprak am Anfang erzählt hatte, so verstand Nomazar ohnehin kein Wort. Kjon-Tharo war nicht darauf eingerichtet, Gefangene in seinem Haus zu beherbergen. Aber es gab einen Raum, der sich bestens
5 verschließen ließ und dennoch so behaglich eingerichtet war, daß man Nomazar ohne jedes Risiko darin unterbringen konnte. Für einen Gefangenen war es ein komfortables Quartier – falls Nomazar später darüber berichtete, würde Kjon-Tharo nur im günstigsten Licht dastehen. Wie gesagt, er war ein vorsichtiger Mann, der sich nach allen Seiten absicherte. Nomazar spazierte ohne Umstände in sein Gefängnis hinein. Er ließ sich sofort auf einem Polster nieder und sah Kjon-Tharo erwartungsvoll an. »Hier wirst du fürs erste bleiben«, sagte der Domer freundlich. »Sprak kann dir etwas zum Essen bringen.« Mit einigen Gesten deutete er an, was er meinte, und der Fremde bewegte seinen merkwürdigen Kopf so heftig, daß KjonTharo Angst bekam – ein Domer trug seinen Kopf fest auf den Schultern, und der Hals des Gefangenen schien ihm ein wahres Sicherheitsrisiko. Er fragte sich, ob der Fremde sein Gehirn tatsächlich in diesem wackeligen Gebilde mit sich herumtrug. Kjon-Tharo gab seinem unfreiwilligen Gast mit weiteren Gesten zu verstehen, daß er sich ausruhen und es sich bequem machen sollte. Sprak flitzte davon und holte Fleisch, Früchte und einen Krug mit Wasser, und dann schloß Kjon-Tharo die Tür zu dem Gefängnis und wandte sich aufatmend wieder der Halle zu.
* Während Kjon-Tharo sich die frisch eingetroffenen Güter ansah, stürzte Nomazar sich mit Heißhunger auf das, was der Diener des Rauchmachers ihm gebracht hatte. Er überzeugte sich schnell davon, daß die Speisen für ihn genießbar waren – falls sich nicht üble Spätfolgen einstellten, war dies eine in Anbetracht der Verhältnisse großartige Mahlzeit. Nomazar kaute und dachte dabei über sein Schicksal nach. Er wußte nicht, wer er war und woher er kam. Er nannte sich Nomazar, aber er hatte
6 das Gefühl, daß dies nicht sein richtiger Name war. Einmal hatte er aus Langeweile die Buchstaben umgeordnet. Die Zusammenstellung »Razamon« hatte ihm irgendwie gefallen. Manchmal spielte er mit dem Gedanken, sich diesen Namen zuzulegen. Aber irgend etwas warnte ihn davor, und so blieb es bei Nomazar. Irgendwie – er wußte nicht, auf welche Weise – war er auf den Planeten Ximmerrähne geraten. Wo er sich vorher befunden haben mochte, war ihm nicht klar. Er hatte seine Herkunft vergessen, aus Sicherheitsgründen, aber es schien ihm, als wäre er dabei etwas zu gründlich zu Werke gegangen. Denn er wußte nicht einmal mehr, wie er dieses Vergessen bewerkstelligt hatte, geschweige denn, warum diese Erinnerungen gefährlich sein sollten. Auch hatte er keine Ahnung, was er auf Ximmerrähne oder dieser neuen Welt tun sollte. Die ganze Angelegenheit, so schien es ihm, war schlecht organisiert gewesen. War die Gefahr, die ihm von irgendwoher drohte, so ungeheuer groß, daß selbst der winzigste Funke von Erinnerung eine Katastrophe auszulösen vermochte? Oder hatte er in Zeitdruck gestanden und war darum nicht mehr dazu gekommen, wenigstens ein paar unerläßliche Grundinformationen für die Zeit nach dem Vergessen zu konservieren? Er fand keine Antworten auf diese Fragen. Noch wußte er nicht, auf was für eine Welt er gelangt war. Auf Ximmerrähne hatten ihn die raupenähnlichen Insassen eines Organschiffs weggeschleppt, und dann war das Schiff gestartet und davongeflogen. Nomazar, der außer seiner jetzt unbrauchbaren Heimatsprache das Idiom der Ximmerrähner erlernt hatte, verstand das, was die seltsamen Raumfahrer sagten, leider nicht. So hatte er keine Ahnung, wohin die Reise ging. Gelegenheiten, sich Informationen zu beschaffen, hatte man ihm nicht gewährt. Irgendwann im Lauf der Reise hatte man ihn in diesen teuflischen Fesselblock gesteckt und angefangen, ihn wie ein lebendes
Marianne Sydow Standbild zu behandeln. Darum war ihm auch gar nichts anderes übriggeblieben, als sich von den »Raupen« verladen und in eine gigantische Halle verfrachten zu lassen, wo schließlich dieses fast kugelrunde Wesen auftauchte, das sich Kjon-Tharo nannte. Was erwartete ihn hier? Er lehnte sich gesättigt zurück, dann fiel ihm etwas ein. Die Tür war verschlossen, das wußte er, aber der Raum hatte ein winziges Fenster dicht unter der Decke. Es war viel zu klein, als daß Nomazar hätte hoffen können, es möge ihm gelingen, sich dort hinauszuzwängen. Aber er konnte wenigstens einen Blick auf die Umgebung werfen. Von dem Transportfahrzeug aus hatte er so gut wie nichts gesehen. Er türmte ein paar Polster aufeinander und kletterte daran hoch. Nach einem Klimmzug gelang es ihm, sich in der Fensteröffnung festzuhalten. Erstaunt musterte er die Szene. Es kam ihm so vor, als hätte er niemals eine größere Ansammlung von Gebäuden erblickt. Es waren meist kastenförmige Bauten, die sich in unübersehbarer Zahl aneinanderreihten. Sie standen so dicht, daß Nomazar weder Straßen noch Plätze entdecken konnte. Es gab keinen grünen Flecken und nichts, was dem Auge Erholung hätte bieten können. Da die Häuser tief unter ihm lagen, hätte der Gefangene Kjon-Tharos eigentlich wenigstens in eine Straße Einblick erhalten müssen. Aber Brücken und allerlei andere Dinge versperrten ihm die Sicht. Nomazar ließ sich enttäuscht wieder zu Boden gleiten. Er durchsuchte den ganzen Raum. In einer Ecke fand er ein seltsames Gerät, das fürchterliche Geräusche produzierte. Er hatte das Gefühl, etwas zu sehen, was er eigentlich hätte kennen müssen. Er brachte das Gerät mit einem ärgerlichen Faustschlag zum Schweigen und sah sich ratlos um. Es gab nur Bilder, Statuen und allerlei seltsame Gegenstände, die zum Teil sogar sehr unappetitlich wirkten, in diesem Raum. Nichts, was man brauchen konnte, um sich
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damit einen Weg in die Freiheit zu bahnen oder sich wenigstens die Zeit zu vertreiben. Nomazar trat an die Tür und schlug mit den Fäusten dagegen. Dann lauschte er. Nichts rührte sich in dem fremden Gebäude. Nach einer Weile zog er sich abermals zu dem Fenster hinauf. Er wollte wenigstens sehen, wie weit der Tag draußen inzwischen gediehen war, denn die künstliche Beleuchtung in diesem Zimmer ließ darauf keinen Schluß zu. Als er endlich nach draußen sehen konnte, stockte ihm der Atem. Er blickte auf eine giftdampfende vulkanische Landschaft hinab. Unwillkürlich ließ er los und landete unsanft auf allen vieren. Nur allmählich wurde ihm klar, was diese Veränderung zu bedeuten hatte. Was immer die Öffnung auch darstellen mochte – ein Fenster war sie jedenfalls nicht.
* Kjon-Tharo war so fasziniert von dem, was der letzte Transport in seine Halle gebracht hatte, daß er die Zeit vergaß. Er wanderte von einem Kunstwerk zum anderen und geriet schier außer sich vor Entzücken. Es waren erlesene Stücke, von vielen Planeten des Rghul-Sektors zusammengetragen. Dem Domer wurde ganz seltsam zumute, wenn er daran dachte, daß das alles nach Cagendar gebracht werden sollte, um dort in den Schatzkammern des Neffen Duuhl Larx zu verschwinden. Er hatte Duuhl Larx noch nie gesehen und wußte genau genommen gar nichts von ihm. Aber er war fest davon überzeugt, daß es sich bei diesem geheimnisvollen Neffen des Dunklen Oheims auf keinen Fall um einen Kunstkenner handeln konnte. Jemand, der Kunst in Massen sammelte, konnte ja nichts davon verstehen. Tagtäglich kamen Unmengen von Kunstwerken nach Achtol, und die wertvollsten Stücke wurden nach Cagendar weitergeleitet – das waren immer noch mehrere Schiffsladungen im Abstand von wenigen Tagen.
Es war Verschwendung! Duuhl Larx – der Name alleine reichte, um Kjon-Tharo wütend zu machen. Er konnte nichts anderes tun, als seinen Auftrag zu erfüllen. Wenn er sich widersetzte, war sein Leben keinen Krümel grünen Trom mehr wert. Er mußte die schönsten der schönen Stücke aussortieren und nach Cagendar schicken. Wie alle Domer hatte er einen untrüglichen Instinkt dafür, was wertvoll war, und was nicht. Auf Cagendar verließ man sich auf den besonderen Sinn der Domer. Und Kjon-Tharo war die letzte Instanz der Domer von Achtol. Er traf die Entscheidung in allen Zweifelsfällen. Er sah alles, was wertvoll war. Das war schlimm für ihn. Denn behalten durfte er nur das, was er vorher als minderwertig aussortiert hatte. Er wanderte durch die Halle und sah sich jedes einzelne Stück an, und dabei dachte er bereits darüber nach, wie er das eine oder andere in seine private Schatzkammer verfrachten könnte, ohne daß jemand davon erfuhr. Er fühlte Unbehagen in sich aufsteigen, wenn er an die geheimen Kammern dachte. Im großen Raum war alles in Ordnung. Da konnte jeder hinein und sich alles ansehen – es waren schöne Stücke dort untergebracht, durchaus kein wertloser Tand, aber nichts davon war wertvoll genug, um in die Paläste von Cagendar zu passen. Der Inhalt der geheimen Kammern dagegen … Natürlich hatten die anderen Domer auch so etwas. Kjon-Tharo war überzeugt davon, daß seine Artgenossen den Neffen des Dunklen Oheims ebenfalls betrogen. Aber sie hätten es natürlich niemals zugegeben. Kjon-Tharo würde es auch nicht zugeben. Aber es machte keinen Spaß, Schätze zu hüten, die niemand sehen durfte. Um die einen darum auch niemand beneidete. Kjon-Tharo nahm eine Bewegung am Eingang der Halle wahr, und er schrak zusammen. »Ein guter Transport«, sagte Sro-Gago nüchtern.
8 »Vielleicht«, brummte Kjon-Tharo ärgerlich. »Aber das geht dich nichts an. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.« »Das will ich ja«, behauptete Sro-Gago harmlos. »Ich brauche deinen Rat, Rauchmacher Kjon-Tharo. Siehst du diese Kugel? Ich weiß nicht recht, ob sie nach Cagendar gehört oder nicht.« Kjon-Tharo musterte den anderen mißtrauisch. Tatsächlich, Steinfühler Sro-Gago hielt eine Kugel in der rechten Hand, ein Kunstwerk, wie Kjon-Tharo auf den ersten Blick sah. Und was für ein Kunstwerk. Ob SroGago wirklich nicht wußte, was er da zwischen seinen ungeschickten Fingern drehte? »Gib her!« befahl Kjon-Tharo. Sro-Gago reichte ihm die Kugel. Sie paßte gerade in Kjon-Tharos Hand. Sie bestand aus einem hellgrünen, milchigen Mineral, und wenn man sie drehte, veränderten sich die haarfeinen Nebelfiguren in ihrem Innern, wanderten in einer langen Reihe umeinander und formierten sich wie zum Tanz. Es war ein sehr schöner Anblick, auch wenn die Figuren so abstrakt waren, daß Kjon-Tharo sie nicht zu identifizieren vermochte. »Hübsch, nicht wahr?« fragte Steinfühler Sro-Gago. Kjon-Tharo schrak zusammen. Mühsam riß er sich von dem Anblick der tanzenden Figuren los. »Ja«, bestätigte er lahm. »Sehr hübsch. Aber leider ohne jeden Wert.« Er tat die Kugel auf eine Ablage, auf der schon andere kleine Stücke bereit lagen, mit denen er verschiedene Rechnungen zu begleichen gedachte – es war Ausschußware, gerade gut genug, um damit Händler und Raumfahrer zu bezahlen. Die Kugel gehörte natürlich nicht in diese Abteilung. Sro-Gago verbeugte sich demütig. »Ich dachte, sie wäre ein wirklich gutes Stück«, sagte er verlegen. »Nichts für ungut, Rauchmacher Kjon-Tharo. Ich wollte dir nicht zur Last fallen.« »Schon gut«, wehrte Kjon-Tharo großzügig ab. »Geh jetzt, ich habe noch zu arbei-
Marianne Sydow ten.« »Ein wirklich schöner Transport«, murmelte Sro-Gago noch einmal, als er die Halle verließ. Kjon-Tharo sah ihm nach. Als er sich unbeobachtet fühlte, nahm er hastig die Kugel an sich und deponierte sie weiter hinten in einer dunklen Ecke. Dort würde man sie so schnell nicht entdecken. Er wagte es nicht, das schöne Stück schon jetzt seiner Sammlung einzuverleiben. Plötzlich fiel ihm der Gefangene wieder ein. Er erschrak. Er mußte sich um dieses Wesen kümmern. Vor allem mußte er sehen, ob Nomazar wirklich kein Gonex verstand. Und wenn er es nicht verstand – dann mußte er es schleunigst beigebracht bekommen.
2. Nomazar richtete sich von seinem Lager aus zusammengeschobenen Polstern auf, als er Geräusche an der Tür hörte. Er wartete geduldig. Als er den kleinen Braunhäutigen erblickte, nickte er ihm zu. Kjon-Tharo bedeutete ihm, den Raum zu verlassen. Nomazar folgte ihm gehorsam. Es amüsierte ihn, daß er dem Kleinen überlegen war und dieser davon nichts ahnte. KjonTharo fühlte sich ganz sicher. Er dachte offenbar nicht daran, daß sein Gefangener auf die Idee kommen könne, ihm blitzschnell die Faust über seinen kugelrunden, fest auf den Schultern sitzenden Schädel zu schlagen, um sich dann schleunigst aus dem Staub zu machen. Kjon-Tharo führte Nomazar durch einen hohen, weiten, reich geschmückten Flur zu einem anderen Zimmer, dessen Einrichtung zweifellos eine besondere Bedeutung hatte. Hier roch es förmlich nach Technik. Die blitzenden Gegenstände an den Wänden und auf den niedrigen Tischen waren zwar schön anzusehen, aber mit Kunstwerken konnte man sie kaum verwechseln. Nomazar sah sich um und nickte nachdenklich. »Setz dich!« befahl Kjon-Tharo und deutete auf einen niedrigen Sessel. Nomazar
Planet der Intrigen dachte nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Die Sache war ihm nicht geheuer. »Es geschieht dir nichts«, versicherte Kjon-Tharo. »Ich will nur mit dir reden. Verstehst du mich nicht? Reden!« Und er deutete auf seinen breiten Mund und klappte ihn auf und zu, dann auf Nomazar. »Reden kann man auch so«, stellte Nomazar auf ximmerrähnisch fest. »Setz dich endlich!« krächzte der Domer ungeduldig. Nomazar lächelte – was für Kjon-Tharo eine recht furchterregende Grimasse war. Dem Domer wurde es nun doch ein wenig unbehaglich. Sprak war nicht im Hause, und von seiner Familie hatte er keine Hilfe zu erwarten. Plötzlich aber ging Nomazar doch zu dem Sessel hin. Er nahm darin Platz. Kjon-Tharo atmete auf und eilte herbei, um die Geräte einzuschalten. Nomazar sah ihm zu. Dabei achtete er aber auch auf den Sessel. Als er eine Bewegung unter seinen Handgelenken spürte, riß er die Arme hoch. Es gab ein helles Knallen, und die beiden Bänder, die sich aus den Lehnen geschoben hatten, hingen zerrissen herab. Kjon-Tharo hielt erschrocken inne. Nomazar richtete sich auf. Dem Domer war es, als stünde er einem Riesen gegenüber. Er zitterte vor Furcht und konnte sich nicht von der Stelle rühren. »So nicht, mein Freund«, sagte Nomazar drohend – was der Domer natürlich wieder nicht verstand. »Reden«, wisperte er bebend. »Ich will doch nur mit dir reden.« Nomazar hatte dieses Wort schon einmal gehört. Er deutete auf den Sessel und dann auf seinen Mund. »Reden will ich schon«, versicherte er. »Ich lege sogar großen Wert darauf, deine Sprache zu lernen. Aber kann das nicht auch zwanglos geschehen?« Er sah Unverständnis im Blick des Kleinen und hielt demonstrativ seine Handgelenke aneinander. Dann riß er die Arme zur Seite. »So nicht«, wiederholt er. Kjon-Tharo
9 duckte sich unwillkürlich. Dann aber begriff er. Der Fremde wollte sich nicht festbinden lassen. Offenbar begriff er nicht, daß die Schlaufen an den Lehnen ganz anderen Zwecken dienten und niemanden einengen sollten. Kjon-Tharo watschelte schwerfällig an seinem Gefangenen vorbei. Er setzte sich und legte seine dicken Arme auf die Lehne. Demonstrativ legte er den Kopf zurück und schloß für einen Augenblick die Augen. Dabei murmelte er monoton vor sich hin. Er hoffte, daß Nomazar den Sinn dieses Schauspiels begriff. Es schien auch wirklich so, denn der Gefangene blieb ruhig und gelassen. Kjon-Tharo schöpfte Mut und demonstrierte den weiteren Verlauf der Prozedur, indem er abermals tat, als schliefe er. Er deutete an, daß man dabei leicht das Gleichgewicht verlieren könne, was sich nur durch die Fesseln verhindern ließ. Schließlich gab Nomazar nach. Kjon-Tharo schaltete das Gerät ein, und als er davon überzeugt war, daß der Gefangene nunmehr in tiefer Trance lag, band er ihm die Handgelenke fest und widmete sich den Anzeigen. Er sah sofort, daß Nomazar tatsächlich kein Gonex beherrschte. Das Gerät war nämlich so eingerichtet, daß es keine Energie sinnlos darauf verschwendete, schon bekanntes Wissen neu zu vermitteln. Also war Nomazar doch ein wirklicher Fremder, kein Beauftragter irgendeines neidischen Konkurrenten. Oder hatte dieser Kerl herausgefunden, wie man Kjon-Tharos Geräte beschwindeln konnte? Der Domer wartete geduldig, bis die Übertragung fast abgeschlossen war. Er band Nomazar vorsichtshalber schon los, ehe der Gefangene erwachte. Dann setzte er sich und starrte Nomazar an. Als der Gefangene die Augen öffnete, atmete Kjon-Tharo erleichtert auf. Manchmal funktionierte das Gerät, das er einem Raumfahrer abgekauft hatte, nämlich nicht einwandfrei. Ein Greiner, den er Sprak als Verstärkung hatte beigesellen wollen, war bei einer solchen Gele-
10 genheit in eine Ohnmacht gefallen, aus der er nicht mehr erwacht war. »Jetzt kannst du mich verstehen, nicht wahr?« fragte Kjon-Tharo. »Ja«, murmelte Nomazar. »Es hat funktioniert.« »Von welchem Planeten bist du gekommen?« »Von Ximmerrähne.« »Die Leute dort sehen nicht aus wie du. Wo warst du also vorher?« »Das weiß ich nicht.« Kjon-Tharo sah den Fremden mißtrauisch an. »Du weißt es nicht?« wiederholte er ungläubig. »Ich habe es vergessen.« »Wie kann man vergessen, woher man stammt? Hattest du einen Unfall, der dir das Gedächtnis genommen hat?« »Es war kein Unfall«, versicherte Nomazar. »Ich habe meine Herkunft aus Sicherheitsgründen vergessen.« »Das …« »Weitere Fragen zu diesem Thema haben keinen Zweck«, unterbrach Nomazar den Domer. »Ich weiß selbst nichts darüber.« Kjon-Tharo fügte sich ungern. Sein Mißtrauen war immer noch wach. Aber er bezwang sich und tröstete sich mit dem Gedanken, daß er diesem rätselhaften Burschen später, wenn Nomazar sich erst eingewöhnt hatte, besser zu Leibe rücken könne. »Warum hat man dich hier auf Achtol gelassen?« fragte er. »Auch das weiß ich nicht. Ich nehme an, daß die Raumfahrer mich so schnell wie möglich loswerden wollten, und auf diesem Planeten bot sich ihnen dazu eine günstige Gelegenheit.« »Lassen wir es vorerst dabei«, seufzte Kjon-Tharo. »Was wirst du mit mir anfangen?« erkundigte sich Nomazar. »Eine berechtigte Frage. Ich wollte, du könntest mir mehr über dich berichten. Möglicherweise gehörst du jemandem, der schon nach dir sucht. Dann hätte ich die
Marianne Sydow Pflicht, dich gut aufzubewahren.« Nomazar dachte mit wenig Begeisterung an seine Rolle als »Figur« auf dem Planeten Ximmerrähne. »Ich bin mein eigener Herr«, behauptete er so ruhig wie möglich. »Das hoffe ich sogar«, stimmte KjonTharo zu. »Du scheinst mir ein vernünftiger Bursche zu sein. Ich könnte dich hier im Hause gut verwenden. Was meinst du dazu?« »Ich sitze nicht gerne untätig herum«, erwiderte Nomazar vorsichtig. Es kam ihm ganz so vor, als hätte Kjon-Tharo die Absicht, ihn seinerseits zu seinem Eigentum zu machen. Aber Nomazar legte keinen Wert darauf, jemandem zu gehören und ihm zu dienen. Leider saß der Domer am längeren Hebel. Nomazar würde sich arrangieren, bis die Voraussetzungen, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, günstig waren. »Wir sollten es versuchen«, entschied Kjon-Tharo. »Du wirst allerdings vorerst das Haus nicht verlassen. Ich hoffe, du begreifst, daß ich dich in deinem eigenen Interesse darum bitten muß. Ich werde inzwischen Erkundigungen einziehen. Vielleicht erfahre ich mehr über die Gründe, warum man dich hier abgesetzt hat. Sobald dann alles klar ist, kannst du deiner Wege gehen.« Nomazar war überzeugt, daß es sich nicht so einfach erweisen würde, dem Domer zu entkommen. Aber er erklärte sich einverstanden. »Dann komm!« befahl Kjon-Tharo erleichtert. »Ich werde dir zeigen, was du tun kannst und wo du wohnen wirst.«
* Nomazar hatte mit der Sprache auch Informationen über den Planeten Achtol vermittelt bekommen. Er wußte längst nicht alles, aber es reichte, um sich ein Bild zu machen. Der Planet befand sich im RghulSektor, und dieses Raumgebiet bildete den Herrschaftsbereich von Duuhl Larx, einem Nef-
Planet der Intrigen fen des Dunklen Oheims. Dieser Neffe, von dem offenbar niemand wußte, wie er aussah, sammelte Kunstgegenstände. Achtol gehörte zu den Stationen, an denen das gesammelte Gut sortiert und bewertet wurde. Was die Domer als wertvoll einstuften, wurde nach Cagendar gebracht. Gerüchte besagten, daß dort ein planetenumspannender Palast im Entstehen sei. Auch sprach man heimlich darüber, daß Duuhl Larx seines Verstandes verlustig gegangen sei. Diese Gerüchte interessierten Nomazar wenig. Entscheidend war für ihn die Feststellung, daß Schiffe von allen dreihundertundvier Planeten des Rghul-Sektors Achtol anflogen! Es sollte also Wege genug geben, wenn man Achtol verlassen wollte. Kjon-Tharos neuer Schützling wußte nicht genau, warum er überhaupt daran dachte, seine Irrfahrt fortzusetzen. Aber er spürte, daß etwas ihn weitertrieb. Kjon-Tharo führte Nomazar im ganzen Haus herum. Allmählich bekam der Fremde einen Eindruck davon, was die Domer im Auftrag des geheimnisvollen Duuhl Larx leisteten. Da war die große Halle, in die man Nomazar gebracht hatte. Alle zwei bis drei Tage wurde dort ein ganzer Haufen von seltsamen Gegenständen abgeladen. Kjon-Tharo mußte all das Zeug sortieren und begutachten. Von dem, was er als wertlos aussonderte, durfte der Domer sich ein paar Stücke für die eigene Kunstsammlung heraussuchen. Alles andere wanderte in zentrale Sammelstellen. Man tauschte mit diesen Gütern Waren von den Raumfahrern ein und bezahlte auch die Dienste von Söldnern auf diese Weise. Nomazar fand das ausgesprochen lustig. »Sind die Leute denn damit zufrieden?« fragte er ungläubig. »Sie können diese Dinge überall gegen neue Waren umtauschen«, versicherte der Domer ernsthaft. »Es hat deswegen noch niemals Schwierigkeiten gegeben.« Nomazar nahm es hin. In einer zweiten Halle stapelten sich
11 Kunstwerke, die selbst für Nomazar deutlich sichtbar zu den besseren Schöpfungen gehörten. »Ich bin der oberste Gutachter«, erklärte Kjon-Tharo stolz. »Dies haben die anderen Domer hergebracht. Es sind ausgewählte Stücke, alle für Cagendar bestimmt. Aber manchmal unterläuft vor allem den Jüngeren unter uns ein Fehler. Duuhl Larx wäre sicher sehr ungehalten, wenn er auf Cagendar plötzlich über ein minderwertiges Stück stolpern müßte. Darum kontrolliere ich jede Ladung noch einmal. Was auf der rechten Seite der Halle liegt, soll übermorgen nach Cagendar gebracht werden. Die Gegenstände dort links müssen noch begutachtet werden.« »Hm«, machte Nomazar. »Und was habe ich dabei zu tun?« »Du wirst von jetzt an des Nachts in dieser Halle Wache halten.« »Fürchtest du dich vor Dieben?« »Man kann niemals vorsichtig genug sein. Jedes einzelne Stück in dieser Halle ist registriert. Es gäbe eine Katastrophe, wenn etwas davon abhanden käme.« Nomazar akzeptierte auch dies. Er sah sich noch Kjon-Tharos äußere Wohnräume an, in denen man vor Kunstwerken kaum noch treten konnte, warf einen Blick in die Küche und die anschließenden Wirtschaftsräume und stand schließlich vor der Tür zu dem Zimmer, in das der Domer ihn zuvor verfrachtet hatte. »Du wirst hier wohnen, bis ich eine andere Lösung gefunden habe«, entschied KjonTharo. Nomazar war davon nicht begeistert, aber er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken. »Was ist das für ein seltsames Fenster?« fragte er. »Ich wollte einen Blick auf die Stadt werfen, aber es gelang mir nicht.« »Es ist nutzlos«, gab Kjon-Tharo zu. »Ich habe es so hoch anbringen lassen, damit ich nicht aus Versehen hindurchsehen kann. Beachte es am besten gar nicht.« Nomazar hatte den Eindruck, daß der Domer sich vor dem »Fenster« fürchtete.
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»Wenn du es nicht magst – warum wirfst du es nicht weg?« »Es ist ein Kunstwerk«, entgegnete KjonTharo. Nomazar zuckte die Schultern und betrat das Zimmer. Kjon-Tharo schloß die Tür hinter ihm ab.
* Sprak kehrte zurück und brachte gute Nachrichten. Es schien niemanden zu geben, der ein Wesen wie Nomazar vermißte. Genau genommen gab es auch niemanden, der von der Existenz des Gefangenen wußte. »Er stammt wirklich von keiner der Welten in unserem Sektor«, erklärte Sprak. »Das Schiff, das ihn herbrachte, ist bereits wieder gestartet. Ein Hafenwächter hat gehört, wie einer der Raumfahrer sagte, es wäre ein Glück, daß man den Gefangenen endlich los sei.« »Das ist gut«, antwortete Kjon-Tharo spontan. Der Greiner ringelte sich glücklich zusammen und verstreute einige seiner Haare auf dem Fußboden. »Sammle sie sofort ein!« befahl KjonTharo erschrocken, denn die Haare enthielten ein starkes Gift. Solange sie am Körper des Greiners festsaßen, konnte das Gift nicht austreten. Sprak und seine Artgenossen pflegten sich auf höchst seltsame Weise zu verteidigen: Sie stießen ihre Haare gleich büschelweise ab und warfen sie dem Angreifer buchstäblich in den Rachen. Die Methode mochte umständlich erscheinen, aber sie war ungeheuer wirksam. Wer einmal gesehen hatte, wie das Gift wirkte, der hütete sich für alle Zeiten, einen Greiner auch nur zu bedrohen. Leider stießen die Greiner auch dann Haare ab, wenn sie glücklich waren. Ein Greiner, dessen Leben halbwegs ausgewogen war, lief deshalb mehr oder weniger nackt herum. Spraks dichter Pelz zeigte jedem Eingeweihten, daß er sich in seiner Dienerrolle nicht besonders wohl fühlte. Auch mußte es jedem auffallen, daß Kjon-Tharo ungewöhn-
lich grob mit dem Greiner umspringen konnte, ohne sich deshalb eine Vergiftung einzuhandeln. Die anderen Domer zerbrachen sich ab und zu die Köpfe darüber, wie KjonTharo es schaffte, Sprak an sich zu binden. Die Wahrheit kannte niemand, Kjon-Tharo und Sprak selbst ausgenommen. Sprak sammelte die Haare ein und warf sie in einen Abfallbehälter, den er sorgfältig verschloß. »Ich habe mit vielen Domern gesprochen«, sagte er dann. »Ich glaube nicht, daß einer von ihnen etwas mit dem Gefangenen zu tun hat. Sie kennen ihn gar nicht.« Kjon-Tharo betrachtete den Greiner mißtrauisch. Es gefiel ihm nicht, daß sein Diener Kontakte zu anderen Domern pflegte. Kjon-Tharo fürchtete, daß eines Tages jemand seinem Diener unerfreuliche Gedanken in den Kopf setzte. Der Greiner war ein leicht beschränktes Wesen. Von sich aus wäre er niemals auf den Gedanken gekommen, sein Problem auf gewaltsamem Weg zu lösen. Aber wenn jemand ihm begreiflich machte, daß er gar kein Risiko einging, ließ Sprak vielleicht doch einmal rein zufällig ein paar seiner giftigen Haare in KjonTharos Bett fallen. »Es ist gut«, sagte der Domer abweisend. »Du kannst jetzt gehen.« Voller Unbehagen sah er zu, wie Sprak davonwieselte. Er beschloß, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Er hatte sich an die unterwürfige Haltung des Greiners gewöhnt. Seinen Diener weihte er in Geheimnisse ein, die er vor jedem anderen ängstlich hütete. Und jetzt hatte er plötzlich Angst vor Sprak. Vielleicht konnte er Nomazar zu seinem neuen Diener machen. Dann ergab sich eine großartige Gelegenheit, Sprak für immer loszuwerden. Der Gedanke munterte ihn auf. Aber noch wußte er nicht, ob Nomazar zuverlässig war. Er beschloß, sich schleunigst Gewißheit zu verschaffen. Die Gelegenheit war günstig. Das, was er ohnehin seit langem plante, ließ sich mit einer Prüfung des möglichen neuen Dieners verbin-
Planet der Intrigen den. Kjon-Tharo ging in die Halle hinab, in der die für Cagendar ausgewählten Kunstwerke standen. Wie immer, wenn er alleine war, betrat er die Halle mit geschlossen Augen. Als er dann die Augen öffnete, blieb er minutenlang wie erstarrt stehen. Die Schönheit der vielen auserlesenen Kunstwerke lähmte ihn förmlich. Der Gedanke an seinen Plan brachte ihn schließlich in die Wirklichkeit zurück. Langsam wanderte er durch die Halle. Er mußte eine Auswahl treffen, und das war schwer. Am liebsten hätte er alles, was hier zusammengetragen war, für sich behalten. Aber das war unmöglich. Er mußte froh sein, wenn es gelang, wenigstens einige Stücke in Sicherheit zu bringen. Er wußte nicht, ob es vor ihm schon jemand versucht hatte. Es gab Gerüchte, aber die klangen alle nicht sehr wahrscheinlich. Kjon-Tharo hegte außerdem den Verdacht, daß kein Domer vor ihm so viel Mut aufgebracht hatte, sich auf diese Weise gegen einen Neffen des Dunklen Oheims zu stellen. Nachdem er dreimal die ganze Reihe der Kunstwerke betrachtet und befühlt hatte, begriff er, daß er so nicht weiterkam. Er mußte sich einen Trick einfallen lassen, der ihm die Wahl erleichterte. Dabei fiel ihm ein, daß er selbstverständlich nichts von dem nehmen durfte, was Eisschauerin Solta-Kurl in diese Halle gebracht hatte. Solta-Kurl hatte gerade in letzter Zeit viel Material geliefert. Ihr fiel es ja auch nicht schwer, sich von den diversen Kunststücken zu trennen, entartet, wie sie nun einmal war. Immerhin – Kjon-Tharo stellte fest, daß die Auswahl nunmehr schon viel geringer war. Es standen nur noch etwa zweihundert Stücke zur Debatte. Kjon-Tharo stöhnte unterdrückt. Die von Solta-Kurl ausgewählten Kunstwerke zählten natürlich zu den schönsten, die er jemals gesehen hatte. Es war schlimm genug, sie vergessen zu müssen, aber dann auch noch
13 mindestens hundertfünfzig andere Dinge zu verlieren – es war die schlimmste Folter, die Kjon-Tharo sich vorzustellen vermochte. Voller Qual stand er in der Halle, bis ihm klar wurde, daß die Zeit ihm durch die Finger rann. Morgen sollte die nächste Lieferung nach Cagendar verladen werden. Dann war es zu spät. Er riß sich zusammen und suchte aufs Geratewohl einige Dinge heraus. Er sortierte sie unauffällig um, bis alles, was er zur Seite schaffen wollte, in der Nähe der Tür stand. Die Arbeit war schwer, aber der Domer gönnte sich keine Pause, ehe er es nicht geschafft hatte. Stolz betrachtete er abschließend die Dinge, die seine Sammlung schon in wenigen Stunden bereichern sollten. Wenn er es allerdings genau bedachte, dann war dieses oder jenes Stück vielleicht doch nicht so einzigartig. Er streckte die Hand aus, um eine Statue zu den anderen Stücken zu tragen und dafür eine Kristallkugel zu seinem Schatz zu holen. Aber er begriff gerade noch rechtzeitig, wohin es führte, wenn er dieser Versuchung erst einmal unterlag. Also drehte er sich abrupt um und verließ die Halle, obwohl ihm das Herz dabei blutete. Ein wenig erschrocken stellte er fest, daß es schon dunkel wurde. Eilig begab er sich zu Nomazar. Der Gefangene hatte es sich auf den Polstern bequem gemacht. Er richtete sich aber wachsam auf, als Kjon-Tharo die Tür öffnete. »Komm«, sagte der Domer freundlich. »Es ist Zeit!« Nomazar folgte dem Domer gehorsam. Kjon-Tharo führte ihn zuerst zur Küche, wo er den Gefangenen reichlich mit Proviant für die lange Nachtwache ausstattete. Auch Getränke sollten vorhanden sein. Nomazar lud sich den Packen auf und trug ihn in die Halle hinunter. »Gib acht, daß du nicht einschläfst«, warnte Kjon-Tharo ernst. Und dann holte er die kleine Flasche hervor und füllte zwei Becher mit dem leicht berauschenden Saft der Bilh-Früchte. Nomazar merkte nicht, daß Kjon-Tharo ein winziges Kügelchen in
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den Becher fallen ließ, den er dem Gefangenen reichte. Er trank ohne Argwohn und nickte Kjon-Tharo dann anerkennend zu. »Das schmeckt nicht übel«, murmelte er. Kjon-Tharo verstaute die Flasche in seinem Umhang. »Ich lasse dich jetzt allein«, erklärte er. »Gib gut auf diese Schätze acht.« Als er die Tür hinter sich schloß, hatte er das Gefühl, einen entscheidenden Schritt getan zu haben. Nomazar würde binnen einer halben Stunde tief und fest schlafen. Dann mußte es geschehen.
3. Nomazar wunderte sich, als er mit schwerem Kopf erwachte. Er richtete sich langsam auf und sah sich um, und im ersten Moment wußte er nicht, wo er sich befand. Er blinzelte in das helle Licht und sah die Kunstwerke um sich herum, und im nächsten Augenblick sprang er erschrocken auf die Beine. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er auf dem nackten Boden geschlafen hatte. Er wunderte sich darüber. Sollte er wirklich so plötzlich vom Schlaf übermannt worden sein, daß er nicht einmal Zeit fand, die von KjonTharo gelieferten Decken auszubreiten? Aber das war nicht so wichtig, wenigstens vorerst nicht, denn was ihn so erschreckt hatte, hing nicht direkt mit ihm zusammen. Etwas in der Halle hatte sich verändert. Genauer gesagt: Ein ganzer Haufen Gerümpel, in Kjon-Tharos Augen eine Kunstsammlung von unschätzbarem Wert, war verschwunden. Nomazar fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er versuchte, sich genau zu erinnern, was auf dem jetzt leeren Platz gestanden hatte. Es gelang ihm nicht, sich jedes einzelne Stück ins Gedächtnis zu rufen. Die Kunstwerke interessierten ihn nicht, sagten ihm auch so gut wie gar nichts. Darum fiel es ihm schwer, sich ihre vielfältigen Formen einzuprägen. Aber er glaubte, daß ungefähr
fünfzig Einzelstücke fehlten. Er untersuchte den Platz, fand aber keine Spuren. Es gab kaum ein Staubkörnchen in dieser Halle, alles war blitzblank geputzt. Ratlos ging Nomazar durch die ganze Halle und versuchte herauszufinden, ob noch mehr abhanden gekommen war. Anschließend dachte er darüber nach, was er nun tun sollte. Kjon-Tharo würde toben, wenn er davon erfuhr. Und er würde Nomazar verantwortlich machen. Kjon-Tharo … Es war verrückt, aber der Verdacht drängte sich förmlich auf. Der Domer hatte ihm ein seltsames Getränk angeboten, und das war, bis auf das Essen, das er im Lauf des Tages erhalten hatte, das einzige gewesen, was Nomazar für seinen unnatürlich festen Schlaf verantwortlich machen konnte. Aber warum sollte Kjon-Tharo seinen eigenen Wächter vergiften? Und warum hätte der Domer Dinge stehlen sollen, die sich ohnehin in seinem Hause befanden? Nomazar erinnerte sich an das, was KjonTharo ihm über Duuhl Larx berichtet hatte und korrigierte sich: Die Kunstwerke gehörten dem Domer nicht. Das gab der Sache ein ausgesprochen böses Aussehen. Nomazar dachte voller Unbehagen darüber nach, ob Kjon-Tharo ihn am Ende nur zum Wächter berufen hatte, um ihm hinterher leichter die Schuld an diesem offensichtlichen Diebstahl in die Schuhe schieben zu können. Wenn es so war, dann saß der Mann mit dem mangelhaften Gedächtnis in einer fast perfekten Falle. Auch wenn es noch so viele Gegenbeweise gab – wie hätte Nomazar die Kunstwerke überhaupt transportieren sollen, und wo konnte er, der Fremde auf dem Planeten Achtol, das ganze Zeug so schnell versteckt haben? –, man würde ihm nicht glauben. Kjon-Tharo konnte alles so einrichten, daß Nomazars Schuld für jeden Domer klar erwiesen war. »Nun gut«, murmelte Nomazar nachdenklich. »Wenn dieser Verdacht stimmt, ist es aus mit mir. Aber noch hat Kjon-Tharo nicht
Planet der Intrigen die Karten aufgedeckt. Ich werde mir anhören, was er zu sagen hat.« Er stieß die Tür auf und marschierte durch das stille Haus zu der Pforte, hinter der Kjon-Tharo den Schlaf des Gerechten schlief. Er hämmerte mit der Faust gegen das Holz, und von drinnen kam ein erschreckter Laut. »Was soll das?« schrie Kjon-Tharo mit seiner krächzenden Stimme. »Es ist etwas geschehen«, antwortete Nomazar laut. »Komm und sieh es dir an!« Die Tür öffnete sich, und Kjon-Tharo erschien. Nomazar hatte Mühe, beim Anblick des Domers ernst zu bleiben. Der kleine, dicke Mann trug ein wallendes Nachtgewand aus regenbogenfarbigen Spitzen. Auf dem Kugelkopf saß eine Zipfelmütze. Kjon-Tharo rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ah«, murmelte er. »Du bist es, Nomazar. Warum weckst du mich mitten in der Nacht?« »Komm!« antwortete Nomazar nur. Kjon-Tharo watschelte brummend hinter ihm her. Er wurde erst munter, als er die Tür zur Halle sah, die offen stand. »Was hast du dir dabei gedacht?« fauchte er seinen neuen Wächter an. »Wie kannst du diese Tür unverschlossen lassen?« »Es dürfte keine Rolle mehr spielen«, versicherte Nomazar grimmig und zog den Dicken am Arm mit sich in die Halle. Kjon-Tharo stand minutenlang wie erstarrt da, dann stieß er einen lauten Schrei aus und sackte zu Boden. Nomazar betrachtete ihn zweifelnd. Der Schmerz des Dicken erschien ihm übertrieben. Schließlich bückte er sich und versuchte, Kjon-Tharo aufzuwecken. Er hatte schnell Erfolg – falls der Domer wirklich bewußtlos gewesen war und nicht nur ein böses Spiel trieb. »Alles weg«, stöhnte Kjon-Tharo und richtete sich mühsam auf. »Das ist übertrieben«, meinte Nomazar. »Es sind nur ungefähr fünfzig Gegenstände verschwunden.«
15 »Gegenstände«, keuchte Kjon-Tharo schmerzlich. »Nur fünfzig!« Und er verdrehte die Augen, daß man nur noch die zartgrünen Augäpfel sah. Nomazar stellte erschrocken fest, daß sein neuer Herr sich diesmal tatsächlich am Rande einer Ohnmacht zu befinden schien. »Nicht wieder umkippen!« stieß er hervor. »Du hast Wichtigeres zu tun. Du mußt genau feststellen, was weg ist, und dann haben wir nach Spuren zu suchen. Der Dieb hatte schwer zu tragen. Weit kann er mit dem Krem … ich meine, mit den Kunstwerken noch nicht gekommen sein, es sei denn, er hat ein Fahrzeug benutzt. Kjon-Tharo, wir müssen die Leute fragen, die an der Halle vorbeigekommen sind. Sicher hat irgend jemand etwas gesehen.« Kjon-Tharo brachte seine Augen wieder in eine normale Stellung und richtete sich überrascht auf. »Ja«, sagte er nüchtern. »Da hast du recht. Also, gehen wir an die Arbeit. Du wirst mir helfen.« Nomazar war überrascht. Er hatte mit Vorwürfen gerechnet, mit Wutausbrüchen, sogar mit Schlägen, und nun kam gar nichts. Kjon-Tharo hielt es nicht einmal für nötig, danach zu fragen, ob denn Nomazar selbst nicht etwas gehört und gesehen hatte! Der Mann ohne Gedächtnis schob die Fragen, die sich ihm aufdrängten, zur Seite, denn jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, über die Zusammenhänge nachzudenken. Kjon-Tharo wurde endlich aktiv. Nomazar wollte nichts von dem verpassen, was jetzt geschah. Es stellte sich heraus, daß alle in der Halle aufgestellten Kunstwerke sorgfältig registriert waren. Es gab Abbildungen und Beschreibungen, regelrechte Gutachten, Materialbestimmungen, Gewichtstabellen und dergleichen mehr. Es ließ sich also sehr genau feststellen, was entwendet worden war, und wie die einzelnen Stücke aussahen. Kjon-Tharo sortierte die betreffenden Abbildungen aus. Für Nomazar war es erstaunlich, wie sicher der Domer dabei vorging. Er schien genau zu wissen, wo er zuerst nach-
16 zusehen hatte, und er mußte nach keiner einzigen Beschreibung länger als ein paar Sekunden suchen. Vielleicht hatte Kjon-Tharo tatsächlich ein so gutes Gedächtnis. Vielleicht gab es aber auch bestimmte Gründe dafür, daß der Kleine sich so exakt an die gestohlenen Schätze erinnerte. Nomazar beobachtete den Domer jedenfalls sehr aufmerksam. Er stellte fest, daß Kjon-Tharo es nicht einmal für nötig hielt, die diversen Abbildungen mit dem zu vergleichen, was in der Halle herumstand, und er fragte sich, ob der Kleine ihn für dumm verkaufen wollte. Aber er hielt wohlweislich den Mund. »Das wäre es«, sagte Kjon-Tharo nach kurzer Zeit. »Nun zum nächsten Punkt. Wir brauchen Spuren.« Nomazar lächelte verächtlich – eine Grimasse, die der Domer nicht exakt zu deuten wußte. »Es gibt keine Spuren«, behauptete er. »Das werden wir ja sehen«, entgegnete Kjon-Tharo abweisend. »Laß uns suchen.« Er schlich im Zeitlupentempo durch die Halle. Nomazar, der ihm zusah, fühlte sich an eine Schildkröte erinnert, die auf Hasenjagd gehen wollte. Gleich darauf fragte er sich, was wohl eine Schildkröte und was ein Hase sein mochte. Dann vergaß er dieses Problem, denn Kjon-Tharo richtete sich mit einem triumphierenden Schrei auf. Nomazar eilte zu ihm hinüber. »Was siehst du da?« fragte Kjon-Tharo und deutete auf den Boden. Nomazar sah genau hin. »Nichts«, sagte er schließlich lakonisch. Kjon-Tharo schnaufte verächtlich, bückte sich und berührte den Boden mit seinen dicken, kurzen Fingern. »Da!« krächzte er herausfordernd und streckte Nomazar die Hand hin. Auf der einen Fingerkuppe klebte ein kleiner, mattgrüner Krümel. Da der Boden an dieser Stelle ebenfalls grünlich schimmerte, war es kein Wunder, daß Nomazar den Krümel übersehen hatte. Abgesehen da-
Marianne Sydow von hätte er dem Zeug auch dann keine Bedeutung beigemessen, wenn er direkt mit der Nase darauf gestoßen wäre. Kjon-Tharo dagegen behandelte den Krümel so vorsichtig, als hätte er statt dessen einen Diamanten erwischt. »Grüner Trom«, murmelte er dabei. »Schlechte Qualität. Dazu noch falsch parfümiert. Kein Mann, der etwas auf sich hält, würde so ein Zeug nehmen, und die Kinder schätzen andere Geschmacksrichtungen. Eine Frau hat diesen Krümel verloren, daran gibt es keinen Zweifel. Und der Krümel liegt auf halbem Wege zwischen dem Eingang und der Stelle, an der die gestohlenen Kunstwerke standen. Das ist ein deutlicher Hinweis, nicht wahr?« Nomazar enthielt sich der Stimme. »Gehen wir systematisch vor«, fuhr KjonTharo fort. »Der Krümel ist nur der Beweis dafür, daß jemand hier war. Aber wie kam unser Jemand herein?« Er watschelte zum Tor, und Nomazar folgte ihm. Kjon-Tharo untersuchte das Tor von oben bis unten, dann öffnete er es vorsichtig. Er musterte das Schloß. Nomazar dagegen starrte fasziniert nach draußen, denn er sah zum erstenmal die Umgebung, in der KjonTharos Haus stand. Es wurde gerade hell. Am mattblauen Himmel trieben rauchfarbene Wolken. Darunter zeichneten sich Berge ab, wildgezackte Gipfel, die sich Reihe um Reihe dem Horizont entgegentürmten. Vor den Bergen breitete sich eine weite Ebene ab, und in dieser Ebene lag der Raumhafen. Er war beleuchtet, und Nomazar erkannte deutlich die plumpen Umrisse mehrerer Organschiffe. Aber auch andere Raumer gab es dort drüben, darunter absonderliche Konstruktionen. Eine breite Straße verband den Raumhafen direkt mit Kjon-Tharos Haus. Diese Straße war erhöht gebaut worden. Steile Böschungen führten etwa zehn Meter in die Tiefe. An anderen Stellen wurde die Straße von mächtigen Pfeilern getragen, und andere Straßen führten unter ihr hinweg.
Planet der Intrigen Rechts von der Straße gab es ein Gewirr von kleinen Hütten und alten Häusern, engen Gassen und winzigen Plätzen, auf denen es von Licht und Leben nur so wimmelte. Auf der linken Seite dagegen erhoben sich große, von parkähnlichen Anlagen umgebene Gebäude. Sie standen weit auseinander, und wenn auch jedes eine andere Form hatte und diese manchmal abstrakt und merkwürdig war, so ließ sich doch leicht erkennen, daß sie alle zusammengehörten. Nomazar, der ja Kjon-Tharos Haus wenigstens von innen kannte, vermutete, daß dieser Teil die Stadt der Domer bildete. Weiter kam er mit seinen Betrachtungen nicht, denn Kjon-Tharo hatte etwas entdeckt. »Da ist es!« sagte er zufrieden. »Siehst du diesen kleinen Kratzer? Das Tor wurde mit einem Einheitsschlüssel geöffnet. Es muß ein Modell mit veränderlichen Widerhaken gewesen sein. Solche Kratzer sind einfach typisch dafür.« Nomazar antwortete nicht. Er wartete geduldig ab. »Also«, rekapitulierte Kjon-Tharo, »der Dieb besaß einen solchen Schlüssel, und das heißt, daß es ein Domer war. Kein Fremder hat Gelegenheit, einen Schlüssel auch nur zu berühren. Zum zweiten haben wir einen Krümel von grünem, parfümiertem Trom gefunden – der Dieb war eine Frau. Sie kam hier herein, ging durch die Halle – ja, aber da hättest du sie eigentlich sehen müssen, nicht wahr?« »Ja«, erwiderte Nomazar knapp. »Du hast sie nicht gesehen?« »Nein.« »Warum nicht?« »Ich habe geschlafen.« Kjon-Tharo wirkte für einen Augenblick verblüfft. Vielleicht hatte er nicht damit gerechnet, daß Nomazar dies so offen zugeben würde. »Ah!« machte er gedehnt. »Das will reiflich bedacht werden. Du wolltest natürlich nicht schlafen. Du bist ein wachsamer Bursche. Und du hattest die Absicht, deinen
17 Dienst gut zu versehen. Also muß etwas dich in den Schlaf gebracht haben – etwas, das du nicht kennst oder für harmlos halten mußtest, denn sonst hätte dieses diebische Weib dich nicht überlisten können.« Nomazar hätte fast laut aufgelacht. Eines stand fest – mit so haarscharfen Kombinationen würde Kjon-Tharo den wirklichen Dieb niemals aufspüren. Andererseits konnte Nomazar nur froh sein, daß der Domer ihn selbst von jedem Verdacht freisprach. »Suchen wir also nach diesem Schlafmittel«, entschied Kjon-Tharo und setzte sich auch gleich in Bewegung. Nomazar war nach wie vor fest davon überzeugt, daß Kjon-Tharos Spezialgetränk ihn in das Reich der Träume befördert hatte. Kjon-Tharo schien die Sache ganz anders zu sehen. Er begann schon wieder, auf diese komisch anzusehende Weise umherzuschleichen, den ausladenden Körper leicht nach vorne geknickt, die Füße millimeterweise voranschiebend und die Augen fest auf den Boden geheftet. In dieser Gangart näherte er sich im Verlauf einer guten Viertelstunde zielsicher einem Regal, vor dem Nomazars Ausrüstung für die mißglückte Nachtwache liegengeblieben war. Er erreichte das Regal und untersuchte es so gründlich, als erwarte er, daß eines der einfachen Metallteile sich im nächsten Augenblick als Bombe entpuppen könne. Nomazar sah diesem Treiben interessiert, aber überaus skeptisch zu. Er rechnete nicht im Traum damit, daß KjonTharo etwas finden könne. Er sollte sich auch diesmal irren. »Da haben wir es ja«, murmelte KjonTharo plötzlich. Er schob eine winzige Schatulle zur Seite und nahm sie unendlich vorsichtig hoch. »Ein nettes kleines Spielzeug.« »Was ist damit?« fragte Nomazar ohne echtes Interesse. »Wir werden es öffnen«, erklärte KjonTharo. »Aber nicht hier, denn ich habe keine Lust, schon wieder zu schlafen. Komm mit.« In einem ziemlich unheimlich wirkenden
18 Raum, der nur entfernt an ein Laboratorium erinnerte, steckte der Domer die Schatulle in einen gläsernen Behälter. Dann klopfte er zweimal kräftig gegen die durchsichtige Wand, und Nomazar sah verwundert eine ganze Schar von käferähnlichen, kleinen Wesen, die in einer Vertiefung am Rand des Behälters geschlafen hatten. Sie kamen hervor und krabbelten emsig zu der Schatulle. Mit ihren dünnen Beinen vermochten sie es kaum, den Deckel anzuheben. Als sie es endlich geschafft hatten, war der Erfolg für die hilfreichen kleinen Wesen sehr zweifelhaft – sie fielen nämlich ausnahmslos auf den Rücken und blieben total betäubt liegen. »Da haben wir es«, triumphierte KjonTharo. »Wie ich es mir gedacht hatte. Gift. Damit hat man dich betäubt, Nomazar. Komm, laß uns noch einmal in der Halle nachsehen.« Nomazar folgte seinem Herrn und dachte, daß Kjon-Tharos Theorien gefährlich viele Schwachstellen aufwiesen. Das Gift in der Schatulle wurde ja erst wirksam, wenn der Deckel geöffnet wurde. Wer aber hätte das tun sollen, solange Nomazar noch wach war? Der Domer umschlich aufgeregt zum zweitenmal das Regal und winkte Nomazar zu sich. »Hier«, sagte er. »Die Überreste eines Golbs. Er hat die Schatulle geöffnet.« Nomazar sah ein Stückchen Chitin auf der Handfläche des Dicken. »Was ist ein Golb?« fragte er skeptisch. »Ein Wesen wie die, die in dem Behälter waren, nur größer und kräftiger. Man kann es leicht dressieren, und es hat ein gutes Gedächtnis. Außerdem vermag es zu fliegen, so daß es fast unbemerkt überall eindringen kann.« »Warum ist nur so ein kleines Stück von ihm übrig?« »Oh, das ist einfach zu beantworten. Siehst du, ein Golb löst sich nach seinem Tode sehr schnell auf. Und die Giftdosis, die er beim Öffnen der Schatulle mitbekam, war für den Eindringling tödlich. Der Dieb –
Marianne Sydow besser gesagt: Die Diebin – nahm den toten Golb mit, oder doch das, was sie in der Eile von ihm noch finden konnte. Dieses Teil hat sie übersehen.« Nomazar schwieg. Die Indizien, die KjonTharo ihm zeigte, schienen in der Tat darauf hinzudeuten, daß jemand von außen in diese Halle eingedrungen war und die Kunstgegenstände gestohlen hatte. Andererseits wurde Nomazar den Verdacht nicht los, daß sein neuer Herr höchstpersönlich die dicken Finger im Spiel hatte. Und er fragte sich, warum man ihn zum Augenzeugen der »Ermittlungen« machte. Zu dieser Frage sollte er schneller als erwartet eine Antwort bekommen. »Wir müssen dieses diebische Weib natürlich aufspüren«, sagte Kjon-Tharo. »Das ist die richtige Aufgabe für dich.« »Wie komme ich zu der Ehre?« fragte Nomazar verblüfft. »Du hast dich geschickt angestellt.« behauptete Kjon-Tharo. Nomazar starrte ihn entgeistert an. Er konnte sich nicht entsinnen, daß er auch nur ein Wort gesagt hatte, das dem Dicken hatte weiterhelfen können. »Außerdem«, fuhr Kjon-Tharo fort, »bist du ein Fremder, wie man ihn auf Achtol noch nie sah. Man wird dich in jedem Haus willkommen heißen, und jeder wird dir gerne seine Schatzkammern zeigen. Das ist dein Vorteil. Käme ich, um den Dieb zu fangen, so wüßten alle, was gespielt wird. Sie könnten mich nach Strich und Faden betrügen, weil sie gewarnt wären.« Das leuchtete Nomazar schon eher ein. Er nickte also vorsichtig und meinte: »Ich werde mich bemühen, dich nicht zu enttäuschen, Kjon-Tharo.« Dabei hoffte er im stillen, daß er, wenn er draußen frei herumlaufen durfte, auch bald einen Weg finden würde, Kjon-Tharo und vielleicht sogar diesem ganzen Planeten den Rücken zu kehren. Denn wenn er auch nicht mehr wußte, wo das Ziel seiner Irrfahrt lag, so war er sich doch sicher, daß sein Aufenthalt auf Achtol nur ein kurzes Gastspiel sein
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konnte. »Noch eines, Nomazar«, sagte KjonTharo, und plötzlich klang seine krächzende Stimme drohend. »Finde den Dieb schnell. Die gestohlenen Gegenstände gehören dem Neffen Duuhl Larx. Sie sollten noch heute verladen werden. Ich kann den Transport um einige Tage verzögern, indem ich behaupte, daß eine besondere Untersuchung notwendig geworden sei. Aber man wird mir nur eine sehr kurze Frist gewähren. Sind die gestohlenen Güter dann nicht verfügbar …« Er vollführte eine Geste, und wenn Nomazar sich auch noch nicht besonders gut mit der Körpersprache der Domer auskannte – diese Geste erkannte er sofort. Er hatte ja schon auf Ximmerrähne gehört, wie streng die Organschiffe im Auftrag des seltsamen Neffen jeden Widerstand bestraften. Auch Pflichtverletzungen wurden als Aufsässigkeit gewertet. Die Folgen waren für das betreffende Volk und den Planeten, auf dem es lebte, verheerend. Nomazar nahm die Warnung ernst. Er würde sich redliche Mühe geben, den Dieb und vor allem das Diebesgut zu finden. Er fragte sich nur, ob er mit der Suche nicht besser im Haus seines Herrn beginnen sollte …
4. Nomazar trat vor die Tür und sah sich um. Es war heller Tag, und in der Stadt rechts der Straße herrschte reges Treiben. In den Parks auf der linken Seite dagegen blieb es still. Der Diener des Rauchmachers seufzte vernehmlich. Er hätte sich lieber in das Gewirr von Gassen und Plätzen gestürzt, in denen es vor Informanten aller Güteklassen nur so wimmeln mußte. Das stille Viertel der Domer war ihm nicht gerade unheimlich, aber er empfand gelindes Unbehagen bei dem Gedanken, sich dort mit Horden von exzentrischen Kunstsammlern herumschlagen zu müssen. Aber die Spuren, die Kjon-Tharo aufgedeckt hatte, wiesen eindeutig darauf hin, daß der Dieb zum Volk der Domer gehörte.
Kjon-Tharo hatte sogar schon einen versteckten Hinweis auf die Person gegeben, die seiner Meinung nach am ehesten für den Diebstahl in Frage kam: Die Eisschauerin Solta-Kurl. Sie galt in domerischen Kreisen als nicht ganz normal, weil sie der Leidenschaft des Kunstsammelns nicht völlig verfallen war. Für Nomazar war dies eher ein Beweis für die Unschuld Solta-Kurls, denn was sollte die nüchtern eingestellte Domerin mit dem Krempel aus der Halle wohl anfangen wollen? Kjon-Tharo hatte diesen Einwand nicht gelten lassen. »Sie kann diese Dinge verkaufen«, hatte er geantwortet. »Und das wäre noch das geringste Übel, denn so bestünde eine Chance, die Gegenstände über gewisse Zwischenhändler aufzuspüren und zurückzugeben. Das wäre zwar ein Verlustgeschäft, aber es könnte die Rettung für unser Volk bedeuten.« »Du glaubst nicht, daß Solta-Kurl so handeln wird?« hatte Nomazar geantwortet. »Nein. Und ich werde dir auch sagen, warum. Sie ist nicht nur aus der Art geschlagen, sondern sie leidet auch an einer bestimmten Form des Wahnsinns. Sie hat die fixe Idee, daß wir Domer von dem Neffen Duuhl Larx ausgebeutet werden, und daß sie uns befreien muß.« »Vielleicht hat sie recht?« hatte Nomazar vorsichtig bemerkt. Die Antwort hatte aus einem so düsteren Blick bestanden, daß er auf weitere Fragen verzichtete. Und jetzt stand er vor dem Haus und betrachtete sein »Einsatzgebiet«. Kjon-Tharo hatte ihm eine Art Stadtplan gegeben. In verschnörkelten Linien waren darauf die verschiedenen Gebäude eingezeichnet, darüber, ornamental zum Teil total verfremdet, die Namen der Eigentümer. Es war schwer, sich anhand dieser Zeichnung zu orientieren. Nomazar ging durch Kjon-Tharos Garten, und erst jetzt merkte er, daß diese Bezeichnung eigentlich falsch war. Hier gab es fast
20 keine Pflanzen, überhaupt kaum etwas, das auf natürliche Weise entstanden war. Was wie Büsche und Bäume aussah, entpuppte sich als eine Ansammlung von kunstvollen Nachbildungen. Statt des Rasens gab es Kiesflächen, aus denen dünne, gläserne Nadeln hervorstießen. Nomazar streifte so eine Nadel versehentlich mit dem Fuß. Sie gab ein helles Klingen von sich, das sich wie ein Echo über den ganzen »Garten« fortpflanzte. Staunend schritt er weiter und gelangte in einen wahren Wald von Figuren, von denen die meisten so abstrakt waren, daß er gar nichts mit ihnen anzufangen wußte. Er atmete auf, als er die Straße erreichte. Hier war er vor Kjon-Tharos Sammelergebnissen sicher – er war entweder ein eingefleischter Kunstbanause, oder die Figuren standen seinem natürlichen Schönheitsempfinden tatsächlich so sehr entgegen, daß er sich inmitten der Figuren wie in einem Schreckenskabinett vorkam. Auf der Verbindungsstraße zwischen dem Raumhafen und der Stadt herrschte reger Betrieb. Riesige Fahrzeuge glitten summend über die breite Fahrbahn, und was sie brachten, ließ sich unschwer erraten, denn sie steuerten nach einem komplizierten System ein Domer-Haus nach dem anderen an. Weiter unten, sozusagen im Erdgeschoß, krochen brummend und fauchend andere, primitiver wirkende Fahrzeuge herum, und sie beförderten offensichtlich Gebrauchsgüter. Auf den schmalen Straßen zwischen den Grundstücken der Domer bewegte sich überhaupt nichts. Nomazar hatte beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und als erstes SoltaKurl aufzusuchen. Er war sich immer noch nicht im klaren darüber, wie er mit dieser Domerin umgehen sollte. Er wollte die endgültige Entscheidung erst dann treffen, wenn er die Eisschauerin persönlich kennengelernt hatte. Falls sie sich so verhielt, wie er es erwartete, würde er sie warnen. Er hatte den Eindruck, daß man ihr einen üblen Streich spielen wollte. Solta-Kurl – die Bezeichnung
Marianne Sydow »Eisschauerin« gehörte zum Eigennamen – wohnte nicht weit von Kjon-Tharo entfernt. Ihr Haus war groß und bestand aus vielen Teilen, die auf den ersten Blick gar nicht zusammenpaßten und auf den zweiten den Eindruck erweckten, als hätte ein blinder Riese sie zusammengesetzt. Aber so sahen alle domerischen Häuser aus. Nur etwas fiel Nomazar sofort auf: Der Garten um das Haus enthielt fast nichts von dem, was Kjon-Tharo hartnäckig als Kunst bezeichnete. Statt dessen wuchsen richtige Pflanzen darin. Es waren fremdartige, bunte Gewächse, aber sie waren wenigstens nicht künstlich. Dazwischen standen einige Brunnen, in denen klares Wasser sprudelte. Und dann gab es ein halbes Dutzend Statuen, die wohltuend realistisch gestaltet waren. Nomazar sah sich an der Grundstücksgrenze nach einer Möglichkeit um, sich anzumelden. Da öffnete sich eine Tür, die wie eine halbierte Sonne geformt war, und eine Domerin trat heraus. Obwohl Nomazar noch recht wenig Domer und noch weniger Frauen aus diesem Volk zu Gesicht bekommen hatte, erkannte er auf Anhieb, daß Solta-Kurl – falls sie selbst sich die Ehre gab, den Besucher zu begrüßen – nach domerischen Maßstäben eine Schönheit sein mußte. Sie war kugelrund, und ihre Haut hatte einen satten, dunkelbraunen Farbton. Ihr haarloser, direkt auf den Schultern sitzender Kopf wies nicht die leiseste Unebenheit auf. Augen, Mund und die winzige Nase paßten sich so in das Rund ein, daß sie überhaupt nicht auffielen. Und die Domer liebten runde Formen. Es war tatsächlich Solta-Kurl. Sie stellte sich vor, nachdem sie auf ihren kurzen, dicken Beinen durch den Garten herbeigeeilt war. »Ich freue mich, dich hier zu sehen!« sagte sie dann. »Die ganze Stadt spricht von dem Fremden, der in Kjon-Tharos Haus wohnt. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dich so bald zu sehen.« Nomazar sah sich unbehaglich nach allen Seiten um. Er war unbeobachtet. Kein Do-
Planet der Intrigen mer und kein anderes intelligentes Wesen befand sich in der Nähe. Aber er erinnerte sich nur zu deutlich an Kjon-Tharos winzige Helfer. »Darf ich hereinkommen?« fragte er. Eisschauerin SoltaKurl geriet schier aus dem Häuschen vor Entzücken. »Komm nur, komm!« rief sie begeistert. Drinnen sah Nomazar sich aufmerksam um. Tatsächlich, auch im Haus gab es fast keine sogenannten Kunstwerke. Die Halle, in der er stand, sah herrlich normal aus. Solta-Kurl bemerkte seine Blicke. »Verzeih«, sagte sie und wischte mit der Hand durch die Luft. »Es ist hier nicht so prächtig wie bei Kjon-Tharo …« »Ich finde es sehr schön so«, erwiderte Nomazar hastig. Die Eisschauerin schien erfreut zu sein. Sie führte ihren seltsamen Gast in einen kleinen Raum und kredenzte ihm eigenhändig ein Getränk, das wie Wein schmeckte, und bot ihm eine Schale mit kleinen, bunten Früchten an. Nomazar griff ungeniert zu. Die Eisschauerin beobachtete ihn. »Warum bist du hier?« fragte sie nach geraumer Zeit. Nomazar lächelte. Er hatte diese Frage schon eher erwartet, war sich aber nicht klar gewesen, ob Solta-Kurl es wagen würde, sich so offen nach seinen Plänen zu erkundigen. Er hatte erfahren, daß die Domer ein höchst zwiespältiges Verhältnis zu ihren Dienern hatten. Für Kjon-Tharo war Nomazar nichts anderes als ein Sklave, mit dem er tun und lassen konnte, was ihm gerade in den Sinn kam. Für alle anderen Domer war Nomazar dagegen ein freies Wesen. Er war niemandem als seinem Herrn Rechenschaft schuldig. Das machte das Sklavendasein auf Achtol ein wenig erträglicher. Einem freien Mann aber stellte man eigentlich keine so direkten Fragen. »Was ist grüner Trom?« fragte Nomazar, ohne die Frage der Eisschauerin zu beantworten. »Ein Rauschmittel«, erwiderte Solta-Kurl verblüfft. »Eines von der leichtesten Sorte.
21 Trom wird in den Hochtälern zwischen den ersten Schneefeldern gezogen. Es ist ein dürres Kraut. Man trocknet und mahlt es, dann wird es auf besondere Weise zubereitet. Das Ergebnis ist grüner Trom. Der kann dann noch gebrannt werden, dann ist er braun, oder er wird mit bestimmten Flüssigkeiten vergoren, dann ist es schwarzer Trom.« »Aha. Und wie wirkt das Zeug?« »Die grüne Form ist völlig harmlos. Man kaut grünen Trom. Er wirkt leicht anregend, das ist alles. Die braune Sorte ist schon etwas stärker, wer zu viel davon nimmt, verliert seinen Sinn für die Wirklichkeit. Der schwarze Trom schließlich ist ein wirkliches Gift. Wer ihn über einige Jahre hinweg nimmt, geht jämmerlich zugrunde.« »Kauen viele Leute grünen Trom?« »Fast jeder.« »Du auch?« »Aber ja.« »Hm«, machte Nomazar. Eine andere Antwort wäre ihm lieber gewesen. »Hast du auch eine Schatzkammer?« »Möchtest du sie sehen?« fragte SoltaKurl überrascht. »Wenn sich das machen ließe!« »Ich zeige sie dir gerne. Aber ich fürchte, du wirst enttäuscht sein.« »Warten wir es ab«, murmelte Nomazar nachdenklich. Die Eisschauerin führte ihn über eine steile Treppe in das Kellergeschoß und öffnete eine schwere Tür. »Das ist es«, sagte sie nüchtern – und genauso nüchtern war auch die »Schatzkammer« beschaffen. Natürlich hat jedes Volk eigene Wertvorstellungen, und ein »Schatz« kann daher sehr verschieden aussehen. Aber das, was Solta-Kurl in diesem Raum aufbewahrte, war wohl wirklich nur für sie selbst von Interesse. Der Raum war ordentlich und aufgeräumt. An den Wänden entlang standen Regale, und in denen lagerten allerlei Gebrauchsgüter – und Lebensmittel! Nomazar glaubte seinen Augen nicht trauen zu kön-
22 nen. Da gab es Früchte in frischem und getrocknetem Zustand, Gläser und Töpfe mit konserviertem Gemüse und eingesalzenem Fleisch, und zwischen einigen Regalen hingen sogar erlegte Tiere und geräucherte Meerestiere. »Es ist einer der wenigen Räume im Haus, in dem es ohne besondere Einrichtungen gleichmäßig kühl bleibt«, erklärte SoltaKurl entschuldigend. »Ja«, sagte Nomazar leicht erschüttert. »Das kann ich mir denken. Sammelst du denn gar keine Kunstgegenstände?« »Oh doch. Aber das, was mir schön genug erscheint, um es aufzuheben, befindet sich in den Räumen, die ich auch bewohne. Sonst habe ich ja nichts davon. Und sonst – weißt du, ich muß wie alle anderen Domer die für Cagendar bestimmten Güter prüfen und auswählen. Irgendwann sieht man sich das Zeug über.« »Auf die andere Domer scheint das leider nicht zuzutreffen.« »Du sagst leider?« Nomazar ging mit einem Schulterzucken über die Frage hinweg. »Ich muß dir etwas Wichtiges sagen«, begann er, fest entschlossen, sie mit der bösen Wahrheit vertraut zu machen. Aber SoltaKurl ließ ihn nicht ausreden. »Gehen wir erst wieder nach oben«, schlug sie vor. »Hier ist es nicht gerade gemütlich.« Nomazar dachte sich zunächst nichts dabei und folgte ihr die Treppe hinauf. Als er dann aber das haarige Etwas auf dem Teppich hocken sah, wünschte er sich, SoltaKurl hätte ihre Pflichten als Gastgeberin weniger genau genommen – oder er wäre weniger höflich geblieben. »Ich muß mit dir reden«, piepste der Diener Sprak ziemlich ungeduldig. »Ich komme gleich nach«, murmelte Nomazar und machte eine Handbewegung, die dem lebenden Pelzband klarmachen sollte, daß es im Augenblick unerwünscht war. Aber entweder kannte sich Sprak mit der Gestik seines neuen Kollegen noch nicht gut genug aus, oder er war so abgebrüht, daß er
Marianne Sydow den stummen Hinweis einfach überging. »Es muß jetzt gleich sein!« meldete er sich beharrlich erneut zu Wort. »Sei so gut und warte draußen auf mich!« fauchte Nomazar wütend, da spürte er eine kleine, breite, sehr weiche Hand auf seinem Oberarm. Er drehte sich verwundert um. Solta-Kurl sah ihn an, mitleidig und warnend zugleich. »Du solltest lieber gehen«, sagte sie leise. »Er hat dir zwar nichts zu befehlen, aber da er so selbstbewußt auftritt, dürfte er auf einen ausdrücklichen Befehl Rauchmacher Kjon-Tharos hin handeln. Es wäre schlecht für dich, wenn du ihm nicht gehorchst.« »Na gut«, murmelte Nomazar ärgerlich. »Wie lange wird es dauern, Sprak?« »Wir müssen zu Kjon-Tharos Haus.« »Ich werde wiederkommen«, versprach Nomazar der Domerin. Sie wirkte ein wenig nachdenklich. »Ich würde mich darüber freuen«, versicherte sie. Hoffentlich, dachte Nomazar, den eine plötzliche Ahnung kommenden Unheils beschlich.
* »Was gibt es denn so Dringendes?« fragte er ungeduldig, als er neben Sprak auf die Straße hinaustrat. »Nichts«, antwortete Sprak lakonisch. Nomazar wollte stehenbleiben, aber das haarige Band drängte sich gegen seine Beine – und es besaß erstaunliche Kräfte. »Was soll das?« protestierte Nomazar aufgebracht. »Mein Freund«, fistelte der Greiner, »du bist neu und fremd auf diesem Planeten. Du kennst die wichtigsten Regeln des Dienerlebens noch nicht. Komm mit, ich werde dir alles erklären, was du wissen mußt.« Nomazar hatte nicht die geringste Lust, Sprak zu begleiten, aber der Greiner gab keine Ruhe. Schließlich sagte sich der Mann ohne Gedächtnis, daß es tatsächlich von Nutzen sein könne, wenn er einige der hier
Planet der Intrigen geltenden Spielregeln kennenlernte. Sprak dirigierte ihn aus der Domerstadt heraus, dann unter der Verbindungsstraße hindurch. Kaum traten sie aus dem Schatten zwischen den mächtigen Brückenpfeilern hervor, da standen sie förmlich in einer anderen Welt. Bei den Domern, auf der anderen Seite der Pfeiler, war es fast unnatürlich still gewesen. Hier dagegen war es so laut, daß Nomazar sich impulsiv die Ohren zuhielt. Bei den Domern roch es nach gar nichts. Die Luft zwischen ihren Häusern war steril und sauber wie in einem Museum. Auf dieser Seite dagegen herrschte ein unglaublicher Gestank. Und schließlich gab es drüben kaum eine Bewegung. Jetzt stand Nomazar urplötzlich in einem solchen Gedränge, daß er Sprak sicher binnen Sekunden aus den Augen verloren hätte, wäre der auch nur um Zentimeter von seinen Beinen gewichen. »Komm!« quietschte er zu Nomazar hinauf und drängte ihn weiter. Durch enge Straßen, in denen sich die unmöglichsten Gefährte bewegten und die Teilnehmer einer ganzen Völkerwanderung unterwegs zu sein schienen, führte der Greiner seinen Schützling zu einer düsteren Kneipe. Nomazar zuckte vor dem Dunst zurück, der ihm aus der niedrigen Tür entgegenschlug, aber Sprak war unerbittlich. Er schob und zerrte Nomazar mitten in diese Schwaden hinein und zwang ihn, sich auf eine harte Bank zu setzen. »Was soll ich hier?« protestierte Nomazar. »Ich kann mir nicht einmal etwas bestellen – ich wüßte nicht, wie ich es bezahlen soll.« »Das macht nichts«, versicherte der Greiner und kletterte behende neben Nomazar auf die Bank. Er fand darauf zu wenig Platz, weil auf der anderen Seite bereits ein halbes Dutzend kichernder, vogelähnlicher Wesen eng beieinander kauerten. Darum legte Sprak kurzerhand seinen Oberkörper auf die Tischplatte.
23 »Hier braucht man nichts zu bestellen – jedenfalls gilt das für uns. Verlieren wir nicht noch mehr Zeit.« Nomazar wunderte sich ein wenig über das haarige Wesen. Kjon-Tharo hatte eine Bemerkung fallen lassen, aus der Nomazar den Schluß zog, bei dem Greiner handle es sich um ein wenig intelligentes Wesen, das eigentlich nur infolge einer gründlichen Dressur in der Lage war, seine vielfältigen Aufgaben zu erfüllen. Aber Sprak sprach durchaus nicht so, wie man es von einer Halbintelligenz erwarten dürfte. Sprak stieß ein schrilles Kichern aus. »Du wirst meinen Platz einnehmen«, verkündete er und wollte sich dabei fast ausschütten vor Vergnügen. »Darum muß ich dich gut unterrichten. Wenn du Fehler begehst, wird Kjon-Tharo es sich anders überlegen.« »Wie meinst du das?« fragte Nomazar beunruhigt. »Er könnte mich zurückhalten«, erklärte Sprak nüchtern. »Und das wäre mir gar nicht recht.« »Wie bist du zu Kjon-Tharo gekommen?« fragte Nomazar, einem plötzlichen Impuls folgend. »Ich habe jemanden getötet«, erwiderte Sprak gleichgültig. »Der einzige, der die Hintergründe kennt, ist Kjon-Tharo. Das ist das Mittel, mit dem er mich bisher festhalten konnte.« »Wie ist es geschehen?« »Du mußt wissen, daß meine Haare ein starkes Gift enthalten«, begann Sprak. Nomazar rückte instinktiv ein wenig von dem Diener ab, und Sprak stieß wieder sein hohes Kichern aus. »So gefährlich ist das nicht«, erklärte er gutmütig. »Ich muß erst die Haare abstoßen, ehe das Gift austreten kann. Nun, ich kam, wie viele meiner Artgenossen, in einem Handelsschiff hierher. Wir machen gerne weite Reisen, verstehst du? Nun, auf Achtol sah ich zum erstenmal ein Organschiff. Ich wollte es von innen kennenlernen. Ich ging also hinein und sah es mir an. Aber plötzlich
24 tauchte ein Fremder auf, ein riesiger Bursche. Er sah ein bißchen aus wie du. Er wollte mich festhalten, und dabei brüllte er ganz fürchterlich. Ich kriegte einen Schreck und stieß ein Büschel Haare ab. Ich konnte es einfach nicht verhindern. Es ist ein Instinkt, verstehst du? Es war nur ein ganz kleines Büschel, aber für den Riesen reichte es völlig aus. Er klappte auf der Stelle zusammen und war tot, ehe ich noch recht begriff, was geschehen war. Ich wollte weglaufen. Dann fiel mir ein, daß man den Toten untersuchen würde. Man würde die Art des Giftes leicht bestimmen können, falls man nicht schon vorher die Haare fand. So kam ich auf eine Idee. Ich schleppte den Toten in einen Lagerraum und steckte ihn in eine Kiste. Dann kletterte ich hinterher. Die Kiste wurde zu Kjon-Tharo gebracht.« »Und der hat dich aufgenommen?« fragte Nomazar erstaunt. »Nicht direkt. Er forschte erstmal nach. Da stellte sich heraus, daß das Organschiff nicht aus dem Rghul-Sektor stammte. Es kam von draußen, weißt du? Und die Besatzung hatte keine Ahnung, was es mit uns Greinern auf sich hat. Der Tote schließlich war ein Kurier des Neffen Duuhl Larx. Den Rest kannst du dir sicher denken.« »Leider nicht. Ich kenne mich hier noch nicht gut genug aus.« »Bei Kurieren dieser Art«, erklärte Sprak geduldig, »fragt man nicht lange, woher sie kommen und wohin sie gehen. Man nimmt sie mit, aber wenn sie das Schiff verlassen, so tut man gut daran, die ganze Angelegenheit zu vergessen. Es sei denn, die Besatzung hat ganz offiziell den Befehl erhalten, einen Kurier an einem bestimmten Ort abzuliefern. Das war bei diesem Schiff nicht der Fall. Kurz und gut – niemand fragte danach, wo der arme Kerl geblieben war. Das Schiff flog weiter, und Kjon-Tharo saß da, mit einer Leiche in seiner Halle. Er hatte die Wahl. Hätte er mich verraten, so wäre ihm nichts passiert, aber mich hätte man natürlich getötet. Er verriet mich nicht. Dafür mußte ich ihm dienen. Du brauchst dir nur
Marianne Sydow mein Fell anzusehen, um zu wissen, was das für mich bedeutet. Wenn es so weitergeht, werde ich mir eigenhändig die Hälfte meiner Haare ausreißen müssen, sonst ersticke ich darunter.« Nomazar sah den Diener verständnislos an, so daß sich Sprak genötigt sah, ihm die Sache genauer zu erklären. Als er damit fertig war, wußte Nomazar zumindest eines: Es war nur gerecht, wenn Sprak den Planeten Achtol endlich verlassen durfte. Er hatte für seine Tat, die ja wirklich nur ein Unfall war, bitter genug gebüßt. »Nun aber zu dem, was ich dir eigentlich sagen wollte«, fuhr Sprak fort. »Du bist drauf und dran, einen ganz besonders schlimmen Fehler zu begehen.« »Welchen Fehler?« fragte Nomazar ungeduldig, weil Sprak eine Kunstpause einlegte. »Du mischst dich in die inneren Angelegenheiten der Domer ein.« »Ich erfülle nur einen Auftrag, den KjonTharo mir gegeben hat.« »Ich weiß. Aber es liegt an dir, wie du einen Auftrag erfüllst. Du kannst es auf die diskrete Weise tun. Du kannst auch hingehen und mehr oder weniger mit Gewalt zuschlagen. Dann lebst du nicht lange genug, um auf ein Ende deines Dienstverhältnisses hoffen zu können.« »Was rätst du mir?« »Du mußt den Auftrag erledigen, das stimmt. Aber handle vorher vernünftige Bedingungen aus.« »Welchen Preis hältst du für angemessen?« »Verlange die Freiheit.« Nomazar sah den Haarigen verblüfft an. »Dann wird Kjon-Tharo dich niemals gehen lassen«, sagte er bedächtig. »Dazu ist es schon zu spät«, erwiderte Sprak gelassen. »Ich bin bereits so gut wie frei. Abgesehen davon irrst du dich. KjonTharo wird dich tüchtig zappeln lassen, ehe er auf deine Bedingungen eingeht. Aber wenn er es dann tut, werden ihn keine bösen Zweifel plagen. Er wird nämlich nicht im Traum daran denken, den Handel einzuhal-
Planet der Intrigen ten.« »Aha.« »Er ist gerissen«, sagte Sprak fast bewundernd. »Wenn du den Dieb gefunden hast, wird er dir Stück für Stück beweisen, daß es im Grunde nur sein Verdienst ist, wenn du ans Ziel gelangen konntest. Und damit bist du auch nicht würdig, die Belohnung in Empfang zu nehmen.« Nomazar dachte daran, wie Kjon-Tharo in der Halle nach »Beweisen« gesucht hatte, und er nickte unwillkürlich. Ja, das paßte haargenau in das Bild, das er sich von KjonTharo gemacht hatte. »Dann hat der ganze Handel keinen Sinn«, stellte er deprimiert fest. »Vielleicht doch. Du mußt dafür sorgen, daß andere Domer noch vor Kjon-Tharo erfahren, daß du Erfolg hattest. Und du mußt ihn zwingen, den Handel öffentlich zuzugeben.« »Das wird mir niemals gelingen«, meinte Nomazar bedrückt. Er fühlte sich sehr hilflos, denn er wußte genau, daß seine Kenntnisse über Achtol und das Volk der Domer noch viel zu gering waren, um ein solches Spiel erfolgreich beenden zu können. »Gut«, sagte Sprak ungerührt. »Dann gibt es nur eines: Du läßt die ganze Sache fallen.« »Kjon-Tharo wird …« »Er ist durchaus fähig, den Dieb zu finden«, fiel Sprak dem anderen ins Wort. »Falls er ihn nicht längst kennt. Und wenn es ihm wirklich nicht gelingen sollte – der Dieb muß sich früher oder später zu erkennen geben. Zumindest muß er die Kunstwerke in die Halle schaffen: Tut er es nicht, dann wird ganz Achtol dafür büßen. Die Domer sind eine rücksichtslose Bande, wenn es um ihre Sammlungen geht, aber das hat mit Rücksichtslosigkeit nichts mehr zu tun. Es wäre glatter Selbstmord.« »Aber was wird dann aus mir?« fragte Nomazar besorgt. »Nichts. Du bleibst, was du bereits bist – ein Diener. Noch dazu einer, um den Kjon-
25 Tharo von allen anderen Domern beneidet wird. Du bist in höchstem Maß ungewöhnlich – das reicht. Du brauchst nicht auch noch klug zu sein. Dein Wert würde dadurch eher sinken, denn die Domer lieben es nicht, wenn jemand klüger ist als sie selbst.« Nomazar überlegte kurz, dann nickte er. »Ich werde es mir überlegen«, versprach er. »Du bist jetzt wirklich frei?« »Erinnere mich nicht daran«, quietschte Sprak hastig. »Ich könnte sonst vor Freude gleich ein paar Haare verlieren.« »Lieber nicht«, murmelte Nomazar. Sprak geleitete ihn bis an die Brücke. »Ich wünsche dir Glück«, sagte Nomazar. »Schade, daß du nicht früher gekommen bist«, erwiderte Sprak und glitt geschmeidig davon. Nomazar holte tief Luft, dann kehrte er in die stille, keimfreie Stadt der Domer zurück.
5. »Mir scheint«, sagte Nomazar bedächtig, als er Kjon-Tharo vor sich hatte, »daß die Aufgabe, die du mir gestellt hast, nicht nur schwierig und gefährlich ist. Sie kann auch über Wohl und Wehe deines Volkes entscheiden. Ist das richtig?« »Richtig«, bestätigte Kjon-Tharo knapp, und seine kleinen Augen funkelten wachsam. »Derjenige, der eine solche Gefahr bannt, sollte belohnt werden.« »Auch das ist richtig.« Nomazar betrachtete Kjon-Tharo abschätzend. Er hätte zu gerne gewußt, was hinter dieser runden Stirn vor sich ging. »Ich verlange als Preis meine Freiheit«, sagte er langsam. »Die sollst du haben«, antwortete KjonTharo gelassen. Nomazar war so verblüfft, daß er gar nichts erwidern konnte. Kjon-Tharo kam auf seinen kurzen Beinen näher und klopfte wohlmeinend mit den flachen Händen gegen Nomazars Brustkorb.
26 »Nicht nur die Freiheit, mein Freund«, versicherte er bewegt. »Nein, auch ein Haus und ein Grundstück, wie es sich für einen Retter der Domer gehört. Du wirst reich belohnt werden.« Er trat zurück und sagte nüchtern und emotionslos: »Aber vorher wirst du die Güte haben, den verdammten Dieb zu fangen.« Nomazar kniff die Augen zusammen. »Das werde ich tun«, versicherte er. »Warst du schon bei Eisschauerin SoltaKurl?« »Ich habe mit ihr gesprochen.« »Sie streitet natürlich alles ab.« Nomazar mußte lachen. »Ich habe ihr noch nichts von denn Diebstahl gesagt.« »Warum nicht?« »Hätte ich sie warnen sollen? Wer immer der Dieb auch ist, ob Solta-Kurl oder irgendein anderer Domer: Sobald er weiß, daß man ihm auf den Fersen ist, wird er doch das Diebesgut zusammenpacken und auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen!« Kjon-Tharo dachte einen Augenblick nach. »Das ist richtig«, gab er zögernd zu. »Du bist klug, Nomazar. Aber ich würde dir raten, genauer bei Solta-Kurl nachzusehen. Ich bin fast sicher, daß sie es getan hat.« »Ich werde mich darum kümmern«, versprach Nomazar, und Kjon-Tharo entließ ihn gnädig. Da Nomazar aller sonstigen Dienerpflichten ledig war, ging er in das ihm zugewiesene Zimmer, legte sich auf die weichen Polster und dachte angestrengt nach. Sprak hatte es zweifellos gut gemeint mit seiner Warnung. Nomazar hätte sich wohl auch danach gerichtet, wäre diese Unrast nicht in ihm gewesen. Er wußte längst, daß das Ganze eine interne Angelegenheit der Domer war, eine bitterböse Intrige, und er hätte nicht übel Lust gehabt, diese giftigen kleinen Leute mit ihren Problemen alleine zu lassen. Aber da war dieses Gefühl, das ihm sagte,
Marianne Sydow daß er weiterreisen mußte. Um aber von Kjon-Tharo und dem Planeten Achtol loszukommen, würde er einiges riskieren müssen. Und dann war da noch die kleine, aber maßgebende Tatsache, daß die nach Nomazars Meinung völlig unschuldige Solta-Kurl in die Angelegenheit verwickelt war. Kjon-Tharo hatte sich deutlich genug ausgedrückt. Und der Dicke hatte genug Diener, um Nomazar überwachen zu können. Ob er wollte oder nicht, er mußte zu Solta-Kurl gehen. Da er überzeugt davon war, daß sich bei der Eisschauerin nichts finden ließ, was auf den Diebstahl hinwies, hatte er keine Bedenken, dem Rauchmacher diesen Gefallen zu tun. Er hielt es für Zeitverschwendung, das war alles. Und natürlich wurde es peinlich, wenn Solta-Kurl etwas bemerkte. Nomazar richtete sich langsam auf und nickte vor sich hin. So könnte es gehen. Er machte sich auf den Weg und suchte nach KjonTharo. »Hat Eisschauerin Solta-Kurl viele Diener?« fragte er. Kjon-Tharo lachte meckernd. »Sie hat keinen einzigen«, krächzte er schließlich. »Ich sagte dir doch, daß sie nicht ganz normal ist. Als sie das Haus von ihrem Vater übernahm, fragte sie jeden einzelnen Diener, was ihm lieber wäre: zu bleiben, oder frei zu sein. Natürlich gingen die Strolche alle.« »Dann ist sie also ganz alleine in diesem riesigen Haus?« »Nicht ganz«, murmelte Kjon-Tharo etwas kleinlaut und räusperte sich verlegen. »Einige von ihren ehemaligen Dienern kamen später zurück. Sie wohnen zeitweilig in dem Haus. Aber sie sind faul und unaufmerksam.« Nomazar sollte sich an diese Worte noch sehr genau erinnern, und als es soweit war, da schalt er sich einen Narren, daß er nicht schon in diesem Augenblick den Braten gerochen hatte. Vorerst war er nur froh, weil sein Plan so wunderbar aufzugehen schien. »Mehr wollte ich nicht wissen«, sagte er leichthin und wandte sich zum Gehen.
Planet der Intrigen
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»Was hast du vor?« rief Kjon-Tharo ihm nach. »Ich sollte ihr doch noch einen Besuch abstatten«, erinnerte Nomazar den Dicken ärgerlich. Kjon-Tharo sah ihm schweigend nach. Nomazar konnte sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren. Sein »Herr« wurde ihm von Stunde zu Stunde unsympathischer.
* Niemand hielt ihn auf, als er lange nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verließ. Er kauerte sich im Garten hinter eine Statue und lauschte. Er vernahm keine Stimmen, und er hörte auch keine Schritte. Aber er traute dem Frieden nicht. Er glaubte zu wissen, daß Augen aus dieser Dunkelheit auf ihn gerichtet waren. Mit einem nervösen Lachen richtete er sich auf. Und wenn schon! dachte er ärgerlich. Ich habe nichts zu verbergen. Ich erfülle nur meinen Auftrag. Auf dem Weg zu Solta-Kurls Haus begegnete er niemandem. Die Stadt der Domer war wie ausgestorben. Vorsichtig schritt er durch den Garten und umrundete das Haus einmal. Dann kehrte er zu dem einzigen offenen Fenster zurück, das er hatte entdecken können. Als er sich an einem Sims nach oben zog, fielen ihm die winzigen Käfer wieder ein, und er zögerte für die Dauer eines Herzschlags. Dann schob er alle Bedenken zur Seite und schwang sich ins Haus. Es war hier drin noch stiller als draußen. Nomazar schlich lautlos über die Teppiche und fand mit schlafwandlerischer Sicherheit die Treppe, die zur Schatzkammer führte. Er tastete sich in totaler Finsternis in die Tiefe. Zum Glück ließ sich die Tür problemlos öffnen. Er drückte nur einmal mit der Hand dagegen, und schon schwang sie auf. Er hatte sich die Stelle gemerkt, an der sich die schmucklosen Leuchtplatten einschalten ließen. Er verschloß die Tür sorgfältig von in-
nen und machte sich dann an die Arbeit. Auch das war seiner Meinung nach sinnlos, denn er würde ja doch nichts finden. Er hätte genausogut seine Zeit hier absitzen können, damit Kjon-Tharo keinen Verdacht schöpfte. Aber er tat es nicht. Er durchsuchte die Regale. Nichts. Er hatte es ja gewußt. Natürlich waren die gestohlenen Kunstwerke nicht bei Solta-Kurl. Abgesehen davon war diese »Schatzkammer« wirklich nicht der geeignete Ort, um Diebesgut dieser Art zu verstecken. Der Raum war viel zu übersichtlich. Und jeder konnte ihn betreten, wenn er ins Haus gelangte. Nomazar wollte sich gerade zurückziehen, da sah er die andere Tür. Sie war vollkommen unauffällig. Daß er sie überhaupt entdeckt hatte, war reiner Zufall. Da waren zwei Regale, die in einem etwas anderen Abstand zueinander aufgestellt waren. Und dazwischen war eine rauhe Stelle auf einem der Steinquader, die die Wand bildeten. Nomazar trat zögernd näher. Am liebsten hätte er die Existenz dieser Tür vergessen. Etwas warnte ihn, eine innere Stimme schien ihm zuzuflüstern, daß es besser war, wenn er die Tür nicht berührte. Aber er streckte trotzdem die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über die rauhe Stelle. Die Tür wich vor ihm zurück. Er stand da wie erstarrt und blickte in den kleinen, düsteren Raum, der dahinter lag. Ein kalter Luftzug streifte ihn, und er fröstelte. Als er sich mit der Hand über die Stirn strich, merkte er erst, daß er in Schweiß gebadet war. »Stell dich nicht so an«, befahl er sich selbst. »Das ist doch nur eine Abstellkammer.« Aber das Unbehagen blieb. Er suchte nach einem Lichtschalter und fand ihn schließlich rechts neben der Tür. Eine winzige Leuchtplatte erhellte sich zuckend. Es war tatsächlich eine Abstellkammer. Es gab Berge von Gerümpel. Rechts standen einige Statuen ziemlich verloren und verstaubt in der Gegend herum. Aber der Boden war sauber gefegt. Nomazar
28 starrte die Statuen an. Er glaubte, KjonTharos Stimme zu hören. »Als Solta-Kurl das Haus von ihrem Vater übernahm …« Er hätte wetten mögen, daß das dort Erbstücke waren, vielleicht sogar der liebste Besitz eines alten Domers, der nicht wahrhaben wollte, daß seine Tochter mit derlei Gegenständen nichts im Sinn hatte. Immerhin – SoltaKurl war pietätvoll genug gewesen, das Zeug nicht einfach wegzuwerfen. Sie hatte es nur aus ihrer unmittelbaren Umgebung verbannt. Suchend sah er sich um. Wenn Solta-Kurl in diesem Raum etwas versteckt hatte, dann würde es schwer sein, es zu finden. Nomazar hätte das ganze Gerümpel Stück für Stück auseinandernehmen müssen, um sicher zu sein, daß er nichts übersehen hatte. Aber etwas zog ihn zu den Statuen hinüber. Er ging hin und betrachtete die Dinger ratlos. Dann entdeckte er die Bilder, die auf dem Boden lagen, übereinandergestapelt in einer Ecke, und erstaunlicherweise nicht von Staub bedeckt. Er atmete tief durch. Er mußte Gewißheit haben. Er zog das oberste Bild zur Seite, und noch während er das tat, wußte er, daß er das Versteck gefunden hatte. Unter dem Bild war ein Hohlraum. Die anderen Gemälde waren nur Tarnung. Man hatte sich durch sie hindurchgeschnitten. Und in der Höhlung schimmerte etwas. Nomazar beugte sich vor und hob das schimmernde Etwas hoch. Es war ziemlich klein, höchstens so lang wie sein Unterarm, und es bestand aus einem matt leuchtenden, rötlichen Material. Es hatte die Form eines kauernden Tieres, und Nomazar erinnerte sich sehr deutlich an das betreffende Bild, das er bei Kjon-Tharo gesehen hatte, denn dies war der einzige Gegenstand gewesen, dem er auf Anhieb das Prädikat »Kunst« zugestanden hatte. In seinen Händen schien sich das Tier zu bewegen, als wäre es lebendig. Es öffnete die Augen und sah ihn an. Nomazar hätte das Gebilde beinahe fallen
Marianne Sydow lassen. Dieser Blick aus dunkelroten Augen wollte ihn fesseln, ihn seines Willens berauben. Sekundenlang stand er schwankend, während etwas ihm zuflüsterte, die kleine Figur einfach von sich zu schleudern, daß sie zersprang und für alle Zeiten zerstört war. Mühsam riß er sich zusammen. Ich habe schon gefährlichere Dinge in der Hand gehalten! Es war eine plötzliche Erkenntnis, die ihn völlig unerwartet überkam. Er schloß unwillkürlich die Augen. Der Bann, den die Figur um ihn gelegt hatte, zerbrach. Er lauschte der Erinnerung nach, aber es war wie immer – der Erkenntnis folgte absolut nichts. Er stellte die Figur vorsichtig auf den Boden und beugte sich über das Versteck. Es waren nur vier der gestohlenen fünfzig Gegenstände, die dort zwischen den Bildern verborgen lagen. Naturgemäß handelte es sich um die kleinsten Kunstwerke – das schimmernde Tier, eine glitzernde Kette aus metallenen Gliedern, die jedes anders geformt waren und sich veränderten, sobald man sie berührte, eine winzige Statue, die sich drehte und dabei fremdartige Klangfolgen von sich gab, und einen kristallenen Kelch, der auf den ersten Blick keine besonderen Fähigkeiten hatte. Nomazar räumte diese Dinge vorsichtig aus dem Versteck. Nach kurzem Überlegen legte er seinen Umhang ab und wickelte zwei der Gegenstände darin ein. Die Kette fand in seiner Tasche Platz, und den Kelch nahm er in die Hand. So schlich er aus der Kammer, schloß vorsichtig die Tür und löschte auch in der eigentlichen Schatzkammer das Licht. Ungesehen gelangte er nach oben, und er fand mühelos das Fenster und kletterte nach draußen. Erst als er auf der leeren Straße stand, kam ihm zu Bewußtsein, was er getan hatte. Er hatte einen winzigen Teil des Diebesguts sichergestellt. Und damit lieferte er Solta-Kurl ans Messer. Auch wenn er die Sachen in ihrem Keller gefunden hatte, so wollte er doch nicht daran
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glauben, daß die Eisschauerin das Verbrechen begangen hatte. Er fragte sich, ob er nicht einem blinden Vorurteil unterlag, aber die Gefühle waren zu stark – für ihn war und blieb Solta-Kurl unschuldig, während KjonTharo mehr denn je in den Brennpunkt seines Interesses rückte. Jetzt bereute er, daß er diese Gegenstände überhaupt angefaßt, ja, das Haus der Eisschauerin betreten hatte. Er blieb stehen, und das Gewicht der Kunstwerke schien ihn zu erdrücken. Schon war er bereit, noch einmal in das Haus zurückzukehren und die Dinger in das Versteck zu praktizieren, da tauchte eine runde Gestalt vor ihm auf. »Warst du erfolgreich?« fragte KjonTharo mit seiner krächzenden Stimme. Nomazar hätte fast das Bündel fallen lassen. Er starrte den Domer sprachlos an. Alles hatte er erwartet, aber damit, daß Kjon-Tharo höchst persönlich das Unternehmen verfolgen würde, hatte er nicht gerechnet. »Ja«, sagte Nomazar bedächtig. »Ich war erfolgreich.« »Das ist sehr gut«, lobte Kjon-Tharo und faßte seinen Diener beim Arm, um ihn sicher nach Hause zu begleiten. Plötzliche Wut drohte Nomazar zu ersticken. Er hätte diesen runden Zwerg zu Brei schlagen mögen, aber er biß die Zähne zusammen und ließ sich zu Kjon-Tharos Haus führen.
* »Herrlich!« seufzte Kjon-Tharo andächtig, als er das schimmernde Tier in den Händen hielt. Nomazar erinnerte sich daran, wie es ihm ergangen war, aber der Domer schien nichts von dem zu spüren, was das kleine Kunstwerk um sich herum verbreitete. »Ist es nicht wundervoll?« fuhr KjonTharo fort. »Und diese Kette hier. Sie stammt von Ximmerrähne.« Nomazar zuckte leicht zusammen, aber der Domer hörte ihn nicht.
»Ich danke dir, daß du sie zurückgebracht hast«, sagte Kjon-Tharo tief bewegt. »Sie gehören dem Neffen Duuhl Larx«, stellte Nomazar ausdruckslos fest. »Leider«, seufzte Kjon-Tharo. »Nun, ich kann die Eisschauerin SoltaKurl sehr gut verstehen. Wer könnte behaupten, er sei beim Anblick solcher Kostbarkeiten gegen jede Versuchung gefeit?« Er holte tief Luft und breitete demonstrativ ein schwarzes Tuch über die kleinen Kunstwerke. »Trotzdem ist es ein Verbrechen«, sagte er dabei streng. »Es wird nicht ungesühnt bleiben.« »Man wird Solta-Kurl bestrafen?« »Was dachtest du denn?« »Du sagtest, du könntest sie verstehen.« »In gewissem Maß, ja. Aber sie hat uns alle in Gefahr gebracht. Das hat mit Verständnis nichts mehr zu tun.« »Die Gefahr besteht immer noch.« Kjon-Tharo starrte seinen Diener an. Schließlich breitete er in einer hilflosen Geste die Arme aus. »Ich weiß«, murmelte er. »Sechsundvierzig Stücke fehlen. Aber mach dir deswegen keine Sorgen, das wird sich bald ändern. Solta-Kurl kennt das Urteil, das auf ihr Verbrechen steht. Verbannung in die polaren Länder. Niemand kehrte jemals von dort lebend zurück, jedenfalls niemand, der dort eine Strafe zu verbüßen hatte. Sie wird es sich überlegen. Ich bin sicher, daß sie den Rest der Beute schnell herausgibt.« »Wenn sie die Sachen zurückgibt – wird dann das Urteil milder ausfallen?« »Natürlich nicht. An dem Verbrechen selbst ändert sich schließlich nichts.« Nomazar schluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter. »Was ist mit meiner Belohnung?« fragte er. »Du bekommst sie«, versicherte KjonTharo freundlich. »Aber nicht jetzt, mitten in der Nacht. Schon morgen wirst du dein eigenes Haus bewohnen und aller Sorgen ledig sein.«
30 »Das klingt beruhigend«, murmelte Nomazar. Und tatsächlich – als er morgens erwachte, kam Kjon-Tharo selbst zu ihm und verkündete ihm, es sei nunmehr an der Zeit, daß er sein neues Heim begutachtete. Nomazar trabte hinter dem Dicken her in den Randbezirk der Domer-Stadt. Dort gab es ein kleines, freundliches Haus, das in den Augen der Domer sicher eine eher ärmliche Behausung darstellte – in dem großen Garten gab es nicht einmal die kleinste Statue. Auch drinnen fehlte alles, was die rundlichen Kunstfanatiker als lebensnotwendig erachteten. Aber Nomazar war es zufrieden. »Willst du gleich hierbleiben?« fragte Kjon-Tharo lauernd. »Ja«, erwidert Nomazar lakonisch. »Gut. Aber du wirst Diener brauchen, die dir das Essen bereiten und das Haus in Ordnung halten.« Nomazar wollte schon aufbegehren, da wurde ihm klar, daß es ein Fehler gewesen wäre, auf Diener zu verzichten. Niemand tat das, ausgenommen die ärmsten Bewohner von Achtol. »Ich werde mir welche besorgen«, stimmte er zu. »Das braucht Zeit. Ich werde dir einige Leute herüberschicken. Du kannst sie bei dir behalten, bis du Ersatz gefunden hast. Sie können auch gleich den Rest der Belohnung mitbringen.« Nomazar nickte nur. Er wurde den Verdacht nicht los, daß Kjon-Tharo ihm nur deshalb Diener aus seinem eigenen Haushalt aufdrängen wollte, um ihn auf diesem Umweg ständig im Auge behalten zu können. Die Diener kamen wenige Minuten später, vier an der Zahl, alle mit schweren Körben beladen. In den Körben befanden sich neben den notwendigsten Vorräten auch viele kleine Gegenstände, die angeblich ihr Gewicht in Gold wert waren. »Hast du besondere Wünsche für das heutige Essen?« fragte einer der Diener, ein entfernt humanoides Wesen mit struppigem, rotem Haar, riesigen gelben Augen und spin-
Marianne Sydow deldürrem Körper. »Nein«, murmelte Nomazar nachdenklich. »Werdet ihr alleine mit allem fertig?« »Das ist unsere Aufgabe«, antwortete der Diener sanft. »Wie heißt du?« »Shitolh, Herr.« »Gut, Shitolh. Ich verlasse mich auf dich und deine Freunde.« Shitolhs gelbe Augen strahlten begeistert. »Eine Frage noch«, sagte Nomazar, ehe die Diener sich in ihre Arbeit stürzen konnten. »Ich möchte in die Stadt gehen. Was von den – äh – Dingern da ist genug wert, daß man dafür ein paar Getränke bezahlen kann?« Shitolh sah ihn verwundert und ungläubig an. »Davon kannst du nichts in die Stadt bringen«, sagte er. »Aha. Was soll ich dann tun?« »Diese Sachen hier sind zu wertvoll, um sie unter den Barbaren spazierenzutragen«, erklärte Shitolh geduldig. »In der Stadt bezahlt man mit Münzen, es sei denn, du willst größere Einkäufe erledigen.« »Und wenn ich das vorhätte?« »Es gehört alles dir. Aber – verzeih, Herr, ich fürchte, du bist noch unsicher im Umgang mit diesen Zahlungsmitteln. Ehe du eines von diesen Stücken hergibst, solltest du dich vergewissern, daß du keinem Betrüger auf den Leim gehst. Nimm diese Münzen. Sie sind praktischer. Wir benutzen sie immer, wenn wir auf dem Markt einkaufen. Die Domer sehen es nicht gerne, aber sie finden sich damit ab. Und du bist kein Domer, Herr.« »Nein, zum Glück nicht. Es ist gut, Shitolh, gib mir die Münzen. Was sind sie wert?« Der Diener erklärte es ihm, und Nomazar versicherte Shitolh, daß er seine Schulden später begleichen werde. Shitolh starrte ihn verblüfft an. »Ich gehöre dir«, versicherte er mit allem Nachdruck. »Und was sich in meinen Taschen befindet, gehört dir auch.«
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Nomazar schwieg. Er wurde das dumme Gefühl nicht los, daß Shitolhs Höflichkeit nur gespielt war und einen Teil jenes Spieles bildete, das Kjon-Tharo inszeniert hatte. Er beschloß, sich so bald als möglich eigene Diener zu beschaffen. Als er das Haus verließ, hörte er seltsame, dumpfe Geräusche von der Hauptstraße her. Es klang, als würde dort eine riesige Trommel mit mangelhaft gespanntem Fell geschlagen. Es hörte sich irgendwie bedrohlich an. Impulsiv eilte er zur Kreuzung. Und da sah er sie. Sie kamen die Straße herab, und inmitten der prächtig herausgeputzten Domer ging Solta-Kurl. Sie war in ein düsteres Gewand gehüllt, und ein grüner Schleier verhüllte ihr Gesicht. Die anderen Domer würdigten sie keines Blickes. Vier von ihnen schlugen mit silbernen Stäben gegen violette Kristalle. Nomazar stand wie vom Donner gerührt. Er hatte nicht gedacht, daß es so schnell gehen würde. Ihm wurde klar, daß es höchste Zeit war, etwas zu unternehmen. Er konnte Solta-Kurl nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Bitter dachte er, daß sie wohl die einzige normal reagierende Person war, die er bisher auf dem Planeten Achtol angetroffen hatte. Ungerufen schlich sich ein Bild in seine Gedanken – SoltaKurls »Schatzkammer« mit den vielen Vorräten darin. Noch gestern hatte er sich ein Lächeln nicht verkneifen können. Heute erfüllte ihn nur noch dumpfer Zorn. Er sah SoltaKurl vorübergehen, und als der Zug der Domer um die nächste Kurve bog, grub er trotzig die Hände in die Taschen seines schmucklosen Gewandes und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Sein Ziel war die Stadt auf der anderen Seite der Straße.
6. Er hatte sich schon immer gut orientieren können. Er wußte das. Diese Kenntnis saß tief in ihm, und auf Ximmerrähne hatte er
oft genug eine Bestätigung dafür erhalten. Er folgte den Hinweisen, die sein Unterbewußtsein ihm gab, und nach kurzer Zeit stand er vor einer niedrigen Tür, aus der ihm ein unglaublicher Gestank entgegenschlug. Die Kneipe war so gut wie jeder andere Ort in dieser Stadt. Aber er kannte sie immerhin schon, und darum schien es ihm ratsam, hier mit seiner Suche zu beginnen. Was er aber suchte, war ihm selbst nicht ganz klar. Er brauchte Hilfe, Freunde, vertrauenswürdige Leute, die ihm den Rücken freihielten – was er tun würde, wenn er sie gefunden hatte, wußte er noch nicht. Er bestellte sich aufs Geratewohl ein Getränk mit dem verheißungsvollen Namen »Sonnenwein«. Nach dem ersten Schluck wußte er zumindest eines – auf ein Gelage würde er sich an diesem Ort nicht einlassen. Der Sonnenwein nämlich brannte ihm fast die Kehle aus und trieb ihm das Wasser in die Augen. Er schob den Becher unauffällig mehr zur Tischmitte und sah sich um. Die vogelähnlichen Wesen waren wieder da. Sie schnatterten aufgeregt durcheinander, und ihre Sprache war Nomazar fremd. Aber zweifellos verstanden und sprachen sie auch das Gonex. Er verzichtete trotzdem darauf, sie anzusprechen, denn sie schienen ihm viel zu flatterhaft, um ihm in irgendeiner Weise nützlich sein zu können. Aber auf der anderen Seite des Tisches saß ein pelziges Wesen, das düster und schweigsam vor sich hinzubrüten schien. Genau konnte man das auf den ersten Blick nicht sagen, denn der Fremde besaß an Stelle des Kopfes nur so etwas wie einen Scheitelkamm mit vier ausdruckslosen, murmelähnlichen schwarzen Augen darauf. Vor dem Fremden stand ein leeres Glas. Nomazar, der von dem »Sonnenwein« unwiderruflich die Nase voll hatte, schob seinen Becher einladend zu dem Fremden hin. Dieser griff blitzschnell zu und kippte das hochprozentige Gebräu in einen schmalen Mund, der sich am unteren Rand des Scheitelkamms auftat. Dann richtete er zwei seiner beweglichen Augen auf Nomazar und
32 gluckste zufrieden. »Was bist du denn für einer?« fragte er mit rauher Stimme. »Ein Wesen wie dich habe ich noch niemals hier gesehen.« »Ich bin fremd in der Stadt«, antwortete Nomazar bereitwillig. »Und was suchst du ausgerechnet in dieser üblen Kneipe?« »Ich brauche ein bißchen Ablenkung.« »Dann bist du an der falschen Adresse, Fremder. Wie heißt du?« »Nomazar.« »Ich bin Leert aus dem Volke der Etlevs. Ich könnte dir zeigen, wo du hier wirkliche Zerstreuung finden wirst.« Nomazar sah sich im Geist bereits in irgendeinem obskuren Etablissement landen, in dem man ihm die von Shitolh geliehenen Münzen aus der Tasche zog, um ihm anschließend säuberlich die Kehle zu durchtrennen, und er bedauerte seinen Entschluß, an diesen Ort gekommen zu sein. Aber der Etlev war bereits aufgestanden. Er nahm Nomazar bei den Schultern und zog ihn von der Bank hoch. Das Wesen hatte beachtliche Kräfte – Nomazar zog es vor, der stummen Aufforderung Folge zu leisten, wenigstens fürs erste. Zu seinem Erstaunen führte Leert ihn zu der Straße, die die beiden Städte voneinander trennte. Dort erhob sich auf der Seite der Domer ein dreistöckiges Gebäude, das schon auf den ersten Blick so nüchtern und sachlich wirkte, daß Nomazar es für ein amtliches Bauwerk hielt. Leert ließ Nomazar los und ging auf allen vieren weiter. Diese Art zu laufen gefiel ihm offenbar besser als der aufrechte Gang. Er bewegte sich überaus geschmeidig. »Was ist dort drüben los?« fragte Nomazar laut. Er hatte Mühe, mit dem Etlev Schritt zu halten. »Das ist das Gericht der Domer!« rief Leert ihm zu. »Heute wird ein Urteil gefällt.« »Das weiß ich«, wollte Nomazar antworten, aber er ließ es dann doch bleiben. Leert hielt vor dem Eingang an und war-
Marianne Sydow tete, bis Nomazar ihn eingeholt hatte. »So ein Urteil kann interessant sein«, verkündete er geheimnisvoll. »Warum?« »Du wirst es noch merken. Du bist fremd auf Achtol. Niemand bleibt freiwillig lange auf diesem Planeten. Auch du willst sicher irgendwann weiterziehen. Aber dazu braucht man – na, du weißt schon, was ich meine. Komm jetzt.« Nomazar fühlte sich ausgesprochen unwohl in den hallenden, leeren Gängen. Das Gerichtsgebäude schien verlassen zu sein. Aber Leert störte sich nicht daran. Er führte Nomazar zu einer großen, prächtigen Tür und öffnete sie. Sie kamen in eine Halle, in der die Domer dicht gedrängt auf den breiten Stufen saßen, die sich zum Mittelpunkt der Halle hin senkten. Dort, in der Mitte, stand SoltaKurl, immer noch verschleiert und verhüllt. Ihr gegenüber saß Kjon-Tharo auf einem Berg von weichen Kissen. »Zeige Reue!« rief er Solta-Kurl mit seiner krächzenden Stimme zu. »Gib die gestohlenen Kunstwerke heraus und rette damit dein Volk.« Solta-Kurls Antwort kam so leise, daß Nomazar, der neben Leert ganz oben auf der Treppe stand, sie nicht verstand. »Sie sagt es nicht«, wandte Kjon-Tharo sich mit einer bedauernden Geste an das Publikum. »Sie ist verstockt und unbelehrbar. Fällt euer Urteil.« Viele hundert dicke, braune Arme reckten sich in die Luft. Die Versammlung der Domer raunte ein Wort. »Verbannung!« Es klang unheimlich, denn die knirschenden, krächzenden Stimmen drangen in jeden Winkel der Halle. Nomazar konnte seine Blicke nicht von der Angeklagten wenden. Er sah, wie SoltaKurl sich zusammenkrümmte, und Mitleid für die Domerin erfaßte ihn. »Solta-Kurl wird verbannt«, verkündete Kjon-Tharo abschließend. Domer, die mit silbernen Stäben auf die
Planet der Intrigen gebrochen wirkenden Kristalle einschlugen, umringten SoltaKurl und führten sie weg. Leert drängte Nomazar durch die Tür und führte ihn zur Seite. Die Domer verließen die Halle unter drohendem Gemurmel. »So einfach ist das«, wisperte Leert. »Leider werden solche Verbannungen selten genug ausgesprochen.« »Leider?« fragte Nomazar verständnislos. Aber Leert war offenbar der Ansicht, nun genug verraten zu haben. »Du willst Achtol doch verlassen, oder irre ich mich da?« fragte er herausfordernd. Nomazar nickte, dachte dann daran, daß der Etlev diese Geste sicher nicht verstand, und sagte laut »Ja, ich will weg.« Er wollte zumindest herausfinden, was diese pelzige Kreatur im Schilde führte. »Na also. Ich habe deinen Wein getrunken, und darum werde ich dir helfen. Sei bei Einbruch der Dunkelheit am roten Tor.« »Wo ist das rote Tor?« fragte Nomazar hastig, denn Leert ließ sich bereits wieder auf alle viere fallen und traf Anstalten, davonzulaufen. »Unter der dritten Brücke, von der Stadt her gezählt«, erklärte der Etlev und eilte von dannen. Auch Nomazar verließ das Gebäude. Aber er kehrte zielstrebig in die Stadt der Domer zurück. Während der seltsamen Gerichtsverhandlung war ein Entschluß in ihm gereift. Er wußte, daß er den Kopf in eine Schlinge stecken würde, aus der er womöglich nicht mehr entkam, aber irgend etwas mußte er tun. Warum sollte er es nicht auf direkten Weg versuchen? Als er vor Kjon-Tharos Haus stand, fiel ihm plötzlich ein, daß der Rauchmacher noch gar nicht zurückgekehrt sein konnte. Er wollte nicht vor der Tür warten. Darum schlenderte er ein Stück die Straße entlang und setzte sich dann auf eine niedrige Mauer, die einen künstlichen Garten umschloß. Augenblicke später kam ein Domer herbeigerannt. Nomazar stand erschrocken auf, denn er rechnete damit, daß der Dicke sich gegen die »Belästigung« zu wehren gedach-
33 te. Aber der Fremde vollführte eine komplizierte Begrüßungspantomime und nötigte Nomazar dann mit vielen schönen Worten in sein Haus. Zuerst dachte Nomazar, der Domer hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Erst nach geraumer Zeit kam er dahinter, daß Quellenführer Hasro-Gad es lediglich darauf abgesehen hatte, den exotischen Gast in seinem Haus zu haben. Binnen kürzester Frist trafen nämlich wie zufällig andere Domer ein, die Nomazar unauffällig betrachteten und den Quellenführer mit neidischen Blicken bedachte. Als Nomazar endlich begriff, daß er hier nur Zeit verlor, stand er ärgerlich auf. »Haben wir dich beleidigt?« fragte Quellenführer Hasro-Gad erschrocken. »Warum willst du schon gehen? Bleibe doch noch ein wenig.« »Ich habe Wichtigeres zu tun«, antwortete Nomazar schroff. Als er das entsetzte Gesicht des Domers sah, tat es ihm schon wieder leid. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft«, sagte er beschwichtigend. »Ich werde wiederkommen, wenn ich wieder Zeit habe.« Halbwegs beruhigt geleitete der Quellenführer ihn zur Tür. Diesmal war Nomazar fest entschlossen, notfalls vor Kjon-Tharos Tür zu warten, bis der Rauchmacher nach Hause kam. Aber das war gar nicht nötig. Ein Diener öffnete ihm und brachte ihn zu Kjon-Tharo. »Wie gefällt dir dein neues Haus?« fragte der Rauchmacher freundlich. »Kommst du mit den Dienern zurecht?« »Ich war im Gericht!« Kjon-Tharo zuckte leicht zusammen. »Und?« fragte er wachsam. »Es war ein Fehlurteil.« Der Rauchmacher lachte schnarrend. Aber er hörte bald wieder damit auf, denn der Blick aus Nomazars dunklen Augen verhieß nichts Gutes. »Das Gericht der Domer hat sich noch nie geirrt«, sagte er schließlich.
34 »Das liegt wahrscheinlich daran, daß es auch noch nie so irregeführt wurde.« »Wie meinst du das?« »Du bist der Dieb, Kjon-Tharo.« Eine Weile blieb es sehr still. Dann richtete Kjon-Tharo sich seufzend auf. »Du hast es also herausgefunden«, murmelte er. »Ich hätte es wissen müssen. Du bist ein schlauer Bursche, Nomazar. Hast du schon einmal daran gedacht, daß zu viel Klugheit sehr ungesund für einen Mann wie dich sein könnte?« »Willst du mir drohen?« »Das habe ich nicht nötig. Siehst du, ich ließ dich frei, weil ich eine solche Entwicklung einkalkuliert habe. Als Diener eines Domers hättest du das Recht, im Gericht zu sprechen. Als freier Fremder wirst du niemanden finden, der dich anhört.« »Ich werde mir Gehör verschaffen!« versprach Nomazar grimmig. »Das glaube ich nicht. Du könntest auch gar nichts ändern. Kein Schuldspruch wurde jemals rückgängig gemacht. Du hilfst SoltaKurl nicht mehr. Du bist um einige Stunden zu spät gekommen.« Nomazar war so wütend, daß er den Dicken am liebsten verprügelt hätte. Mühsam beherrschte er sich. »Aber du gibst es zu?« fragte er lauernd. »Du hast die Sachen selbst gestohlen und den Verdacht auf SoltaKurl gelenkt?« »Warum sollte ich etwas leugnen, was du ohnehin schon weißt? Es war sehr einfach, Nomazar. Und du warst mein Helfer. Du hast deine Sache sehr gut gemacht.« Nomazar wandte sich ab und ging schweigend hinaus. »Ich rate dir, den Mund zu halten!« rief Kjon-Tharo ihm noch nach. »Es könnte sonst soweit kommen, daß du Solta-Kurl in den Polargebieten Gesellschaft leisten darfst. Es ist nicht sehr schön in den kalten Ländern.« Dann fiel die Tür zu, und Nomazar hörte nichts mehr von dem, was der Domer ihm noch mitzuteilen hatte.
Marianne Sydow
* Diesmal ließ er sich nicht durch die scheinbare Ruhe im Gerichtsgebäude täuschen. Er ging geradewegs in den Saal, in dem Solta-Kurl verurteilt worden war. Etwa hundert Domer waren dort versammelt. Nomazar hörte gar nicht erst darauf, was diesmal verhandelt wurde, sondern ging die Treppe hinab. Als er die Mitte der Halle erreichte, verstummten die anwesenden Domer überrascht. »Ein Fehlurteil wurde heute in diesem Raum gefällt«, sagte Nomazar laut. »Ich bin gekommen, um einem Unschuldigen zu helfen.« »Kein Fremder spricht in diesem Gericht!« fuhr einer der Richter ihn an. »Du siehst, daß ich es trotzdem tue«, gab Nomazar scharf zurück. »Es geht um SoltaKurl. Sie hat überhaupt nichts gestohlen. Kjon-Tharo selbst hat den Diebstahl ausgeführt und den Verdacht auf die Eisschauerin gelenkt. Er hat es mir gegenüber erst vor wenigen Minuten ausdrücklich zugegeben.« Er hatte das Gefühl, gegen eine Mauer zu sprechen. Die Domer hörten nicht zu. Sie tuschelten miteinander. Und plötzlich tauchten einige auf, die die seltsamen Kristalle in den Händen hielten. Dumpfe Töne erklangen. Nomazar drehte sich wütend um. »Hört ihr denn nicht?« schrie er die Domer an. »Solta-Kurl ist unschuldig. Sie kann euch gar nicht verraten, wo der Rest des Diebesguts steckt. Sucht in Kjon-Tharos Keller, wenn ihr Achtol vor der Rache des Neffen bewahren wollt!« Die Männer mit den Kristallen rückten näher. Und jetzt spürte Nomazar, welchen Sinn diese nervtötende Trommelei erfüllte. Eine seltsame Schwäche erfüllte ihn. Er konnte sich noch bewegen, aber er wußte, daß es ihm unmöglich war, zu kämpfen oder zu fliehen, solange die Kristalle dröhnten. »Wie kann man nur so dumm und verbohrt sein!« stöhnte er auf. »Du hast dich an unseren Gesetzen ver-
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gangen!« knirschte einer der Richter. »Du bist in eine Verhandlung des Gerichts eingedrungen und hast deine Stimme erhoben. Du bezichtigst den Rauchmacher eines Verbrechens – du, der du nicht nur ein Fremder bist, sondern Kjon-Tharos Großzügigkeit bereits gespürt hast. Du hast die dir geschenkte Freiheit mißbraucht. Domer, fällt euer Urteil!« Die Hände schossen in die Höhe, und der Ruf »Verbannung!« erfüllte den Saal. Nomazar kam nicht mehr zu Wort. Man führte ihn hinaus und sperrte ihn in ein düsteres Gelaß.
* Mutlos setzte er sich auf den kalten, feuchten Boden. Jetzt erkannte er nur zu deutlich, welche Fehler er begangen hatte, und er ärgerte sich über seine Unvorsichtigkeit. Er hätte doch auf Sprak hören sollen. Es brachte nichts ein, sich mit den Problemen der Domer zu befassen. Verbannung – das war das Ende. Nomazar gab sich keinen Illusionen hin. Sicher war er kräftiger und widerstandsfähiger als ein Domer, aber das würde nur die Zeit seiner Leiden verlängern. Eine Fluchtmöglichkeit bestand in den sogenannten »kalten Ländern« bestimmt nicht mehr. Die Domer würden ihren Hochmut teuer bezahlen. Wenn die Kunstwerke weiterhin in Kjon-Tharos Schatzkammern verborgen blieben, mußte das schlimme Folgen haben. Aber das war für den Gefangenen kein Trost. Im Gegenteil. Wenn das Strafgericht über Achtol hereinbrach, dann saß er sehr wahrscheinlich endgültig fest. Er wollte nicht ausgerechnet auf diesem Planeten sein Leben beschließen. Zwar erinnerte er sich nicht mehr daran, unter welchen Bedingungen er gelebt hatte, ehe er auf Ximmerrähne zum Bewußtsein erwachte, aber das war ihm egal. Er wollte weiterziehen. Zumindest wollte er seine Freiheit zurückerlangen. Es mußte einen Weg aus diesem Gefäng-
nis geben. Seine bewußten Erfahrungen mit Gefängnissen beschränkten sich auf die Kenntnisse, die er auf Ximmerrähne gesammelt hatte. Aber das dortige Gefängnis war nicht besser als ein Lattenzaun, verglichen mit dem Loch, in dem er jetzt festsaß. Die Wände um ihn herum bestanden aus soliden Steinquadern, und die Tür war eine dicke Stahlplatte, vielfach durch Riegel und komplizierte Schlösser gesichert. Statt der Fenster gab es schmale Öffnungen unter der Decke – nicht einmal Nomazars Hand hätte da hindurch gepaßt, und der glatte Stein bot keinen Halt. Eine winzige Leuchtplatte spendete trübes Licht. Die sanitären Einrichtungen bestanden aus einer stinkenden Öffnung in einer Ecke des Raumes – Nomazar sah sogar dort nach, aber er stellte sehr schnell fest, daß dies kein Weg in die Freiheit war. Auch eine Einrichtung oder Möbelstücke, deren Einzelteile er als Waffen oder Werkzeuge hätte mißbrauchen können, gab es nicht. Nachdem Nomazar die Zelle gründlich durchsucht hatte, überfiel ihn die Müdigkeit. Er hatte in der letzten Zeit wenig Ruhe gefunden. Resignierend streckte er sich auf dem schmutzigen Boden aus. Er schlief unruhig und erwachte schließlich schweißgebadet aus einem Alptraum: Im Traum hatte der Rachefeldzug des Neffen Duuhl Larx bereits begonnen. Schwerbewaffnete Organschiffe griffen Achtol an und legten die Stadt Perrash in Schutt und Asche, während Nomazar in seinem von Beben geschüttelten Gefängnis saß und darauf wartete, daß die Quader auf ihn herabstürzten. Stöhnend richtete er sich auf – und erstarrte. Der Boden wackelte tatsächlich. Entsetzt sprang er auf die Füße. War vielleicht mehr Zeit verstrichen, als er gedacht hatte? Wurde der Alptraum jetzt Wirklichkeit? Er zog sich bis an die Wand zurück und lauschte angestrengt. Er glaubte, ein fernes Rumpeln zu hören. Aber als er die Hände
36 gegen die Wand legte, spürte er nichts, keine Vibrationen, schon gar nicht dieses bedrohliche Wackeln. Ehe er sich noch darüber klar werden konnte, was das alles bedeutete, schob sich einer der Quader, die den Boden der Zelle bildeten, nach unten weg. Nomazar stieß sich von der Wand ab, ging hinüber und spähte in die finstere Öffnung. Zuerst sah er gar nichts, dann aber tauchte, ein schmaler Lichtstreifen auf, gleich darauf winkte eine behaarte Hand ihm auffordernd zu. »Komm herunter!« wisperte jemand. »Beeile dich!« Nomazar ließ sich das nicht zweimal sagen. Wer immer es auch sein mochte, der ihm auf so ungewöhnliche Weise zur Flucht verhalf – er wollte ihn nicht unnötig warten lassen. Er ließ sich mit den Füßen voran in die Tiefe gleiten und fand Halt auf dem nach unten gesunkenen Quader. Von dort aus konnte er sich fast mühelos in einen mäßig erhellten Raum winden, und dort schließlich sah er seine Befreier. »Leert!« sagte er überrascht. »Pst!« machte der Etlev und deutete nach oben. Ein halbes Dutzend dieser pelzigen Wesen rackerte sich mit dem Quader ab. Sie schoben und zerrten daran herum, und Nomazar griff mit zu. Als sie den Stein erst wieder in die richtige Position gebracht hatten, ging es leichter. Die Etlevs bedienten sich einer seltsamen Konstruktion aus Rollen und einem Trittbrett, auf dem einer von ihnen auf und niedersprang. Mit kurzen Rucken wanderte der Stein in die Höhe. Zum Schluß wurde er fest verkeilt, und Leert klopfte sich zufrieden den Staub von den pelzigen Händen. »Die Domer sind einfach zu dumm«, sagte er verächtlich. »Vor einiger Zeit haben sie einen von uns erwischt und in ihr Gefängnis gesperrt. Wir haben ihn natürlich herausgeholt und bei dieser Gelegenheit vorgesorgt. Dieser ganze Trakt ist unterminiert, und die Domer haben es noch nicht einmal gemerkt.«
Marianne Sydow »Dann könntet ihr auch Solta-Kurl herausholen?« fragte Nomazar hastig. »Nein, denn sie ist eine Domerin. Das hier ist der Teil des Gefängnisses, in dem man nur Fremdlinge einsperrt. Die Domer haben da strenge Gesetze.« Nomazar war enttäuscht, aber er bemühte sich, es den Etlevs nicht zu zeigen. »Ich bin euch sehr dankbar«, murmelte er. »Aber …« »Vergiß es!« empfahl Leert großmütig. »Ich habe von deinem Wein getrunken. Es war meine Pflicht, dir zu helfen.« Wenn das so ist, dachte Nomazar, dann wäre ich an eurer Stelle sehr vorsichtig mit dem Trinken. Sonst könnt ihr euch vor hilfsbedürftigen Freunden bald nicht mehr retten. Leert gab seinen Freunden einen Wink, und sie packten alles zusammen, was sie für die Befreiungsaktion gebraucht hatten. Dann ging es durch einen langen, dunklen Gang, immer unter dem Gefängnis entlang, wie Leert versicherte. »Wie habt ihr mich gefunden?« fragte Nomazar, denn er war sicher, daß kein Etlev bei seinem verhängnisvollen Auftritt im Gericht anwesend gewesen war. »Du hattest schon von dem Wein getrunken«, erklärte Leert trocken. »Dabei habe ich deinen Geruch aufgenommen. Ich könnte dich überall aufstöbern.« Allmählich begriff Nomazar die Sache mit dem Getränk. Er hatte von dem phänomenalen Geruchssinn der Etlevs nichts geahnt, aber jeder andere, der davon wußte, hütete sich vermutlich, einem dieser Spezialisten ein angetrunkenes Glas anzubieten. Vor allem dann, wenn er Geschäften nachging, die außerhalb der Legalität lagen. Nomazar hegte den Verdacht, daß dies für fast alle Lebewesen galt, die es in der Stadt auf der anderen Seite der Straße gab. »Es muß große Mühe gekostet haben, diesen Gang zu graben«, bemerkte er. Leert lachte glucksend. »Das ist noch lange nicht alles«, versicherte er.
Planet der Intrigen »Was treibt ihr Etlevs eigentlich auf Achtol?« »Wir sind Kämpfer für den Neffen Duuhl Larx«, sagte Leert gleichmütig und jagte Nomazar damit einen nicht geringen Schrecken ein. »Die einzigen freien Kämpfer, die es gibt.« »Wieso frei?« fragte Nomazar mißtrauisch. »Wir bleiben unbeeinflußt. Das hat seine Vorteile. Wir stehen mit all unseren Kräften zu Duuhl Larx, aber wir geben, wenn wir gerade nicht gebraucht werden, unsere eigenen Wege. So, wie jetzt auf Achtol.« »Kennst du Duuhl Larx? Hast du ihn schon einmal gesehen?« »Nein. Ich kämpfe für ihn, und das reicht.« Der Gang mündete in eine niedrige, runde Halle. Nach allen Seiten führten andere Stollen weg. Nomazar sah sich verwundert um. Dann entdeckte er die schlecht verpackte Statue, die neben einem Eingang stand. »Jetzt fange ich an, das Ganze zu verstehen«, murmelte er ziemlich erschüttert. »Ihr geht auf Raubzüge aus, wie?« »Stört dich das?« Nomazar lächelte grimmig. »Überhaupt nicht«, versicherte er. »Die Domer«, sagte Leert abfällig, »sind offenbar nicht ganz normal. Seit vielen Generationen sammeln sie Kunstgegenstände. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Ihre Schatzkammern sind total überfüllt. Sie müssen ständig neue Gewölbe anlegen, um ihren Reichtum unterbringen zu können. Viele dieser Kammern werden versiegelt und geraten in Vergessenheit, wenn der Besitzer stirbt und die nächste Generation ihre eigenen Sammlungen anlegt. Wir holen uns eigentlich nur das, was sowieso für die Domer nicht mehr interessant ist. Manchmal allerdings gibt es Gelegenheiten, an neuere Sachen heranzukommen.« »Ihr plündert die Häuser der Verbannten.« »Sie werden komplett versiegelt«, stimmte Leert zu. »Niemand betritt sie, bis der Übeltäter in den Polargebieten gestorben ist
37 und damit seine Schuld getilgt hat. Manchmal geht das sehr schnell, aber meistens bleiben uns etliche Tage Zeit.« »Und wenn man dann das Haus betritt und es ausgeräumt vorfindet?« »Ich sagte dir doch, daß die Domer dumm sind! Sie verdächtigen sich gegenseitig. Hast du es noch nicht gemerkt? Keiner traut dem anderen über den Weg. Sie platzen vor Neid, wenn sie sich nur vorzustellen versuchen, was ihr guter Nachbar in seiner Schatzkammer aufbewahren mag. Natürlich hätten sie uns längst auf die Schliche kommen können. Sie müßten sich nur in einem solchen Gebäude auf die Lauer legen. Aber dazu sind sie zu feige.« »Sie haben Diener, denen nichts anderes übrigbleibt, als sich auf Befehl ihres Herren in jede denkbare Gefahr zu begeben.« »Den Dienern trauen sie erst recht nicht über den Weg. Nein, Nomazar, dieses Geschäft ist einträglich und risikolos. Die Gänge reichen bis zum Raumhafen Kuwe-Tuuhl. Wann immer auch eine Gruppe von Etlevs nach Achtol kommt – kurz nach der Landung werden schon die ersten Schätze in unsere Schiffe geschleppt.« »Und was geschieht dann mit dem Zeug?« »Der Neffe Duuhl Larx verlangt Tribut von allen Völkern, die ihm untertan sind«, erklärte Leert nüchtern. »Und er will nur eines – Kunstgegenstände. Wir Etlevs sind in dieser Richtung leider völlig unbegabt.« »Ihr bezahlt euren Tribut mit dem, was ihr hier stehlt?« »Ja.« »Aber das hieße ja, daß das Zeug nach kurzer Zeit wieder auf Achtol ist!« »Du sagst es. Es wird zu den Domern gebracht, und die schleppen alles, was sie nicht nach Cangendar leiten, wieder in ihre überfüllten Schatzkammern. Von dort kommt es wieder zu uns, und dann geht alles von vorne los. Und jeder ist damit zufrieden. Wir zahlen unseren Tribut, und Duuhl Larx braucht uns nicht zu bestrafen. Damit erhält er sich eine Truppe von loyalen Kämpfern,
38 auf die er sich in jeder Situation verlassen kann. Und die Domer können ihrer Sammelwut frönen.« »Wenn die Domer jemals dahinterkommen …« »Sie sind zu dumm dazu«, stellte Leert kategorisch fest. »Was wirst du nun tun?« fragte Leert neugierig. »Ich weiß es nicht«, murmelte Nomazar nachdenklich. Ein Gedanke beschäftigte ihn, der vielleicht ganz vielversprechend war. Aber er wagte es nicht, zu schnell sein Ziel anzuvisieren. »Wenn du dich draußen blicken läßt, fangen die Domer dich wieder ein«, gab Leert zu bedenken. »Sie mögen es gar nicht, wenn ihnen jemand entwischt.« »Das ist mir klar.« »Und an deine Reichtümer kommst du auch nicht mehr heran.« »Du hast dich gut über mich informiert, wie?« »Ja«, antwortete Leert gelassen. »Jedenfalls nimmt dich auch in Kuwe-Tuuhl niemand mit, wenn du nicht bezahlen kannst. Ich könnte dir da aushelfen, aber du wärest ein Gejagter. Die Domer werden den Vorfall melden.« »Dazu wärest du eigentlich auch verpflichtet, oder?« »Wir sind Freunde. Das hat mit Duuhl Larx nichts zu tun.« »Es gibt nur einen Weg«, sagte Nomazar gedehnt. »Ich muß das Gericht zwingen, das Urteil gegen mich aufzuheben.« Leert schwieg einen Augenblick, dann nahm er Nomazar an der Hand. »Wir sollten uns darüber an einem Ort unterhalten, an dem es ein wenig gemütlicher ist«, sagte er. Er führte Nomazar durch einen der Gänge und öffnete schließlich eine Tür. Dahinter lag eine ganze Flucht von behaglich ausgestatteten Räumen. Die Etlevs mochten offenbar weiche, warme Decken und Polster. Die Räume glichen riesigen Nestern. »Das Gericht wird dir nicht zuhören, solange du keine Beweise vorlegen kannst –
Marianne Sydow sichtbare Beweise«, sagte Leert, als er es sich in einem Berg von Kissen gemütlich gemacht hatte. »Solche Beweise lassen sich besorgen.« »Warum bist du dann überhaupt erst mit leeren Händen dorthin gegangen?« »Ich sah keinen Weg, an die Beweise heranzukommen«, erklärte Nomazar gedehnt. »Sie liegen nämlich in Kjon-Tharos Schatzkammer.« Einen Augenblick blieb es still. »Ich habe deine Geschichte gehört«, murmelte Leert, der unter den Kissen kaum noch zu sehen war. »Bist du sicher, daß du keinem Irrtum aufgesessen bist?« »Ich werde dir erzählen, was sich zugetragen hat. Und dann wirst du mir sicher recht geben. Kjon-Tharo ist der Dieb!«
7. »Ich wußte ja schon immer, daß die Domer dumm sind«, murmelte Leert, als Nomazar mit seinem Bericht fertig war. »Aber für so dumm habe nicht einmal ich sie gehalten.« »Er hat es doch ganz geschickt gemacht.« »Geschickt nennst du das? Naja, man kann es verschieden sehen. Immerhin hast du ihn leicht durchschaut. Du hast recht. Kjon-Tharo hat das Ding gedreht. Jetzt sitzt er auf den Schätzen, Solta-Kurl wandert in die Polarregion, und du, der du ihn als einziger hättest entlarven können, solltest auch kaltgestellt werden. Das ist doch eine glatte Unverschämtheit!« Nomazar hatte den Etlev noch nie so aufgebracht gesehen. »Der Kerl muß den Verstand verloren haben«, schimpfte Leert. »Setzt das Schicksal dieser Welt aufs Spiel, nur um dieses Gerümpel nicht herausgeben zu müssen. Hast du schon einmal einen Planeten gesehen, auf dem eine Strafaktion stattgefunden hat?« »Nein.« »Dann sei froh. Nun, wie die Sache jetzt steht, müssen wir wohl oder übel dafür sorgen, daß Kjon-Tharo einen Denkzettel er-
Planet der Intrigen hält.« Nomazar ahnte, daß auch die Etlevs auf Befehl des Neffen an Strafaktionen teilnahmen, daß sie zu denen gehörten, die Planeten verwüsteten und Völker auf das Fürchterlichste bestraften. Er fand es verwunderlich, daß Leert sich auf der anderen Seite ganz offen gegen Duuhl Larx stellte. »Warum tust du das?« fragte er. »Warum willst du die Domer retten?« »Woher sollte sonst wohl mein Volk die Sachen nehmen, mit denen wir den Tribut bezahlen?« fragte Leert verblüfft. »Wenn die Domer sterben, ist es auch mit den Etlevs zu Ende. Außerdem – wie viele von den Kunstwerken, die Duuhl Larx begehrt, würden wohl bei einem solchen Kampf zerstört werden? Ich handle voll und ganz im Sinn des Neffen.« Man konnte förmlich sehen, wie er sich an diesem Gedanken aufrichtete. Nomazar lächelte wissend. Leert bekämpfte mit derlei Argumenten hauptsächlich seine eigenen Zweifel. Aber solange Nomazar und seine Interessen nicht darunter zu leiden hatten, konnte es ihm recht sein. »Wie kommen wir in Kjon-Tharos Schatzkammer?« fragte er. »Gibt es etwa schon einen Gang dorthin?« »Einen Weg gibt es – aber er könnte etwas unbequem ausfallen.« »Ich bin an Unbequemlichkeiten gewöhnt«, sagte Nomazar resignierend. Leert trommelte ein Dutzend von seinen Artgenossen zusammen und erklärte ihnen, was es zu tun gab. Sie waren hellauf begeistert. Offenbar waren die Etlevs ein abenteuerlustiges Völkchen. Im Handumdrehen hatten sie herbeigeschleppt, was sie zu brauchen meinten. Nomazar beobachtete stirnrunzelnd, daß sie schmale Gürtel um ihre pelzigen Körper wanden, an denen Schwerter und Dolche hingen, dazu kurze Keulen und Schlagkugeln. Leert hielt Nomazar ebenfalls einen Gürtel hin. »Ziehen wir in eine Schlacht?« fragte der Mann ohne Gedächtnis spöttisch. »Nimm die Waffen«, empfahl Leert. »Ob
39 wir sie brauchen werden, weiß niemand, aber es könnte leicht sein.« Nomazar nahm den Gürtel und wog das Schwert prüfend in den Händen. Es fühlte sich gut an, weder zu schwer, noch zu leicht. »Kannst du damit umgehen?« fragte Leert. »Ich denke schon«, murmelte Nomazar nachdenklich. »Doch, ja, ich kann es.« Leert gab sich damit zufrieden. Er war der erste, der Nomazar keine Fragen nach seiner Herkunft gestellt hatte. Er gab das Zeichen zum Aufbruch. Nomazar kam sich etwas merkwürdig vor. Die Etlevs ließen sich zum Laufen wie gewohnt auf alle viere herab, und der aufrecht gehende Mann in ihrer Mitte mochte für einen Außenstehenden wie ein Hirte zwischen seinen Tieren aussehen. Nach einiger Zeit jedoch wünschte er sich, seine Hände und sein ganzer Körper wären ebenfalls auf diese Art der Fortbewegung abgestellt. Je weiter sie kamen, desto niedriger wurden nämlich die Gänge, bis sie schließlich nur noch so hoch waren, daß ein normal laufender Etlev hindurchpaßte. Für Nomazar hieß das, daß er auf Händen und Knien vorwärtskriechen mußte, und das war in der Tat sehr unangenehm, vor allem wegen der Waffen, die ihn jetzt stark behinderten. Zum Glück nahmen die Etlevs Rücksicht auf den Fremden in ihrer Mitte. Sie bewegten sich langsamer, und niemand ließ eine spöttische Bemerkung fallen. Freundschaft, auch wenn sie auf äußerst merkwürdige Weise geschlossen wurde, war den Etlevs offenbar heilig. Nomazar war trotzdem ziemlich außer Atem, als die ganze Gruppe endlich das Ende eines solchen Ganges erreichte. Leert rief ein paar Namen, und die betreffenden Etlevs schoben sich an ihren Artgenossen vorbei. Nomazar, der die kurze Pause nutzte, um sich zu erholen, hörte das charakteristische Rumpeln und Quietschen einer etlevischen Steinwinde. Wenig später ging es weiter, und Nomazar atmete erleichtert auf, als er feststellte, daß er in einem großen Raum ge-
40 landet war, in dem er sich aufrichten konnte. Draußen in den Gängen gab es überall Leuchtplatten, die von den Etlevs im Vorübergehen ein und ausgeschaltet wurden. Hier jedoch war es stockfinster, bis die pelzigen Wesen mit kleinen, stabförmigen Lampen etwas Licht schufen. Nomazar stellte fest, daß eine solche Lampe auch an seinem Gürtel hing, und er schaltete sie ein. Der Raum war völlig leer. Nur Staub lag auf dem Boden. »Es ist die älteste und tiefste Schatzkammer«, erklärte Leert leise. »Wir haben sie schon vor langer Zeit ausgeräumt. Von hier an wird es leichter für dich. Nur die kurzen Verbindungsgänge sind so niedrig, daß du kriechen mußt.« »Es macht mir nichts aus«, murmelte Nomazar. »Wie alt mag dieses Gewölbe sein?« »Das weiß niemand so genau.« Der Raum war aus massivem Fels herausgeschlagen. Wuchtige Säulen stützten die gewölbte Decke. Die Etlevs gingen gelassen durch den Staub, aber Nomazar wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, an einem Ort zu sein, der uralte Geheimnisse in sich barg. Hastig schloß er sich Leert an, der zielsicher auf die rechte Wand zuging. Er tippte gegen einen Quader, und einige Etlevs setzten die Winde an. Der Quader wich zurück, zögernd und schwerfällig, und ein kurzer Gang tat sich auf. Durch ihn gelangte die Gruppe in die nächste Kammer. Auch sie war leer und voller Staub, und Nomazar dachte schon, sie könnten immer weiter so vorstoßen, ohne auf etwas zu treffen als die Spuren von Alter und Zerfall. Aber schon vor der nächsten Kammer hielt Leert inne und flüsterte: »Gebt acht. Da drin gibt es Fallen. Kommt dem Toten nicht zu nahe.« Dem Toten? Nomazar fragte sich, wie eine Leiche an diesen Ort gelangt sein sollte. Waren die Raubzüge der Etlevs am Ende doch nicht so harmlos, wie er geglaubt hatte? Als der Quader zurückwich, war er zuerst
Marianne Sydow enttäuscht. Vor ihnen lag nur eine weitere dunkle Halle. Die ersten blassen Lichtstrahlen geisterten durch den Raum. Sie glitten über Gegenstände aus Metall. Edelsteine funkelten bunt auf und versanken dann wieder in der Finsternis. Und plötzlich sah Nomazar das Skelett. Ungläubig blickte er zu dem riesigen, steinernen Sarg hinüber. Der Gang endete einige Meter über dem Boden der Halle. Nomazar schätzte die Höhe des Sarges auf drei Meter. Das Gerippe dagegen maß höchstens eineinhalb Meter, und es nahm sich winzig und verloren in diesem grandiosen Rahmen aus. »Ist er das?« fragte Nomazar leise. »Ja«, flüsterte Leert, und Nomazar fragte sich verwundert, ob der Etlev sich etwa vor einem Skelett fürchtete. Er konnte es sich nicht vorstellen – nicht bei Leert. Also mußte wohl mehr dahinterstecken. »Hinunter«, befahl Leert leise. »Aber vorsichtig.« Einer der Etlevs warf ein Seil über die Mauerkante, und sie kletterten in die Halle hinab. Sie blieben in kurzer Entfernung stehen, bis Leert sie weiterwinkte. Im Gänsemarsch bewegte sich die Gruppe – die Etlevs hatten sich diesmal auf die Hinterbeine erhoben – quer durch die Halle. Um den Sarg schlugen sie einen respektvollen Bogen. Und doch ging etwas schief: Einem der Etlevs fiel die Lampe herunter, und sie rollte klirrend und klappernd direkt vor den Sarg. Die Etlevs blieben erschrocken stehen. Totenstille breitete sich aus. Nomazar griff instinktiv an sein Schwert. Dabei sagte ihm sein nüchterner Verstand, daß eine Lampe und ein Skelett in keiner Weise bedrohlich sein konnten. Zuerst sah es ganz so aus, als hätte er recht behalten. Die Lampe blieb liegen, und es tat sich weder eine Falltür auf, noch zuckten Energiestrahlen aus den Wänden. »Weiter«, befahl Leert nervös. Die Halle war größer als die beiden, die sie vorher durchquert hatten. Viel größer so-
Planet der Intrigen gar. Nomazar kam es vor, als erstrecke sie sich kilometerweit nach allen Seiten. Sie hatten die andere Wand fast erreicht, da hörten sie ein dumpfes Knurren. Die Etlevs blieben wie angenagelt stehen. »Verdammt«, murmelte Nomazar, der sich über seine eigenen Reaktionen ärgerte, denn er hatte sich noch nie für besonders furchtsam gehalten und glaubte auch nicht, daß er es in seinem ihm ansonsten unbekannten Leben gewesen war. Demonstrativ hob er das Schwert und drehte sich um. Er war der einzige aus der Gruppe, der in diese Richtung sah. Die Etlevs starrten wie hypnotisiert auf die rettende Wand. Und darum sahen sie nicht, was sich hinter ihnen erhob. »Das gibt es nicht«, stöhnte Nomazar auf. »Das ist ein Trick, eine Projektion.« Vielleicht war es das, aber es bewegte sich und kam durch die Halle, wobei es den Kopf einziehen mußte, um nicht an die Decke zu stoßen, die gut und gerne zehn Meter über Nomazars Kopf lag. Und es streckte seine Arme, und seine krallenförmigen Finger bewegten sich gierig, als könne es gar nicht mehr abwarten, bis es die Beute zu erfassen vermochte. Es war ein Riese, ein Ungeheuer, ein Monstrum mit blutroten Augen, gewaltigen, gelblich weißen Hauern, zwischen denen allerdings beachtliche Lücken klafften, büscheligem, weißem Haar und einem Gesicht, das aussah wie das eines Toten, der schon etliche Wochen im Grab gelegen hatte. Die Etlevs hatten sich endlich auch umgedreht. »Der Wächter«, flüsterte Leert entsetzt. Nomazar registrierte am Rande, daß die Etlevs das Ungetüm bereits kannten und wohl auch ihre Erfahrungen mit ihm gemacht hatten. Das gab ihm neues Vertrauen. So schlimm konnte der Riese also doch nicht sein, denn sonst hätte kein Augenzeuge je berichten können, was in dieser Halle vorging – und die Etlevs hätten den Weg gar nicht gekannt. Nomazar griff fester nach seinem
41 Schwert, da hörte er, wie Leert entsetzt flüsterte: »Nicht angreifen. Bei allem, was dir heilig ist – reize ihn nicht. Vielleicht läßt er uns gehen.« Nomazar betrachtete das Monstrum zweifelnd. Es sah nicht so aus, als wäre es gewillt, die Beute so leicht entwischen zu lassen. Aber dann bemerkte er selbst, daß das Wesen – wie immer es nun auch entstanden war und beschaffen sein mochte – sich der Gruppe nur zögernd näherte. »Geh und ruhe in Frieden«, wisperte Leert in abergläubischer Scheu. Nomazar betrachtete das Wesen mit zusammengekniffenen Augen. Er hörte das Knirschen, mit dem sich die säulenförmigen Beine in den Boden senkten, und er sah auch die Spuren, die sie hinterließen. Es gab viele Spuren – nicht nur die, die das Ungeheuer jetzt erzeugte. Es war also echt. Oder nicht? Das Wesen kam bis auf wenige Schritte an sie heran. Dann blieb es stehen. Nomazar sah an ihm hinauf wie an einem Turm. Er sah die tückischen Augen, die gewaltigen Zähne. Die Etlevs begannen zu singen. Zuerst dachte er, seine bisher so mutigen Begleiter hätten den Verstand verloren. Dann begann die Melodie auf ihn zu wirken. Die Pelzwesen benutzten diesmal nicht das Gonex, sondern ihre eigene Sprache, und darum verstand Nomazar kein Wort von dem, was sie sangen, aber das Lied war weich und einschmeichelnd, fast ein bißchen traurig. Und dann geschah etwas, was Nomazar wie ein Wunder erschien: Der Koloß, der sie alle mühelos hätte zertrampeln können, zog sich zurück. Langsam und zögernd zwar, aber immerhin. Dann wandte er sich um und verkroch sich hinter dem steinernen Sarg, sank in sich zusammen, bis er gar nicht mehr zu sehen war. Das letzte, was von seiner Anwesenheit kündete, war ein klägliches Jammern. »Schnell jetzt«, flüsterte Leert. »Solange er weint, ist er ungefährlich.«
42 »Weint?« fragte Nomazar verblüfft. Aber diesmal war Leert zu keiner Antwort bereit. Wenigstens vorerst nicht. Sie fanden den richtigen Quader, zogen ihn zurück und schlüpften in den engen Gang, der dahinter lag. Nomazar war zum erstenmal froh und glücklich, dieses enge Schlupfloch erreicht zu haben. »Was, bei allen guten Geistern, war mit diesem Ungetüm?« fragte er erschöpft. »Es ist ganz einfach«, murmelte Leert. »Einer der Tharos starb, und man bahrte ihn in seiner Schatzkammer auf. Aber dieser Tharo hatte einen treuen Diener, und den schickte man ebenfalls in das Grab. Zufällig muß sich unter den gesammelten Kunststücken eines befinden, das zu dem armen Diener paßt. Die beiden sind in Resonanz. Solange das Kunstwerk erhalten bleibt, taucht auch der Diener auf, falls eventuelle Grabräuber die Schatzkammer betreten. Übrigens, – das, was du gesehen hast, ist zwar nur ein Geist, aber töten kann es trotzdem. Dabei ist es selbst praktisch unverletzlich.« »Reizend«, murmelte Nomazar. »Gibt es noch mehr Überraschungen dieser Art auf dem Weg nach oben?« »Aber sicher. Es scheint, als hätte man sich früher noch weit besser auf die Herstellung magischer Kunstwerke verstanden. Heutzutage sind solche Stücke selten. Wahrscheinlich kommt das daher, daß diese Dinge beim Neffen des Dunklen Oheims nicht immer Anklang finden, ihm wohl sogar in einzelnen Fällen gefährlich wurden. Ich habe gehört, daß daraufhin einige Künstler kurzerhand umgebracht wurden.« »Darum also bemüht ihr euch nicht, diese Sachen auch wegzuschleppen.« »Du hast's erfaßt. Wir nehmen nur Stücke, die keinen Funken von magischer Wirkung in sich tragen.« Nomazar hatte das dumpfe Gefühl, daß er früher ein höchst zwiespältiges Verhältnis zu dieser vielzitierten Magie gehabt hatte, aber er erinnerte sich nicht genau daran. Sie krochen weiter und gelangten in immer neue Schatzkammern. Nomazar sah
Marianne Sydow Dinge, von denen er nicht einmal geahnt hatte, daß es sie gab. Zum erstenmal entwickelte er eine Spur von Verständnis für die Domer, die angesichts solcher Kostbarkeiten eine geradezu ungesunde Sammelwut entwickelt hatten. Da gab es eine Kammer, die wie ein Park aussah, mit Wegen, die sich zwischen Pflanzen hindurchschlängelten, und fremdartigen Tieren, die auf den Zweigen von Büschen und Bäumen saßen, aber alles war künstlich hergestellt. Die Holzteile der Bäume und Büsche waren bis in die feinsten Verästelungen aus hartem, braunem, in sich gemasertem Stein nachgebildet. Nomazar konnte sich keine Technik vorstellen, die eine so genaue Bearbeitung derart großer Objekte erlaubte. Die Blätter und Blüten bestanden aus anderen, farbigen Mineralen und aus Juwelen, und die Farbabstufungen waren so geschickt gewählt, daß sich ein völlig natürliches Bild ergab. Auch die Tiere, das Gras, die Blumen am Weg bestanden aus Stein. Es gab Brunnen, die anstelle von Wasser glitzernden Kristallstaub in schwungvollen Fontänen in metallene Auffangbecken schleuderten. Die Wege schließlich waren mit winzigen Kristallen bedeckt, und wenn man sie betrat, so ging ein geisterhaftes Singen und Klingen durch die Halle. Alles war unbeschädigt. Nomazar wunderte sich darüber, daß die Etlevs nicht längst wenigstens einige kleinere Stücke wie Blumen und Tiere davongeschleppt hatten. Leert bemerkte die verwunderten Blicke seines Begleiters. »Paß auf«, sagte er leise, und er bückte sich und hob eine Handvoll der singenden Kristalle auf. Es war, als erwache die ganze Halle zum Leben. Die Bäume begannen zu schwanken, die Blumen zuckten auf ihren zerbrechlichen Stengeln hin und her, und ein lautes Klagen und Wimmern ertönte. Es war ein Geräusch, das durch Mark und Bein ging. Leert streute die Kristalle auf den Boden, und sofort trat wieder Ruhe ein. »Wenn man einen größeren Gegenstand
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von seinem Platz entfernen wollte«, erklärte er dabei, »so ginge alles in dieser Halle zu Bruch.« Und dann gab es andere Hallen, vollgestopft mit Statuen, die verdreht und unwirklich aussahen, Kammern voller geschnitzter Juwelen, Nischen mit magischen Gewändern, Masken, fremdartige Waffen, Eßgeschirre aus allen erdenklichen Materialien, Mobiles aus Knochen und Metall, Edelsteinen und eisenhartem Holz – eine Fülle von Dingen, die nur eines gemeinsam zu haben schienen: Sie hatten alle nicht den geringsten praktischen Wert. Die Blicke der Etlevs wurden interessierter, je weiter die Gruppe vordrang. Der eine oder andere machte auch schon mal einen kurzen Abstecher in eine Ecke der Hallen, um dort ein besonders verlockendes Beutestück zu begutachten. Aber noch nahm niemand auch nur den kleinsten Gegenstand an sich. Nomazar vermutete, daß die Etlevs auf dem Rückweg mitnehmen würden, was immer sie dann noch zu schleppen vermochten. »Wir sind da«, sagte Leert dann plötzlich. »Hinter dieser Wand liegt Kjon-Tharos Schatzkammer. Es gibt noch keinen Verbindungsweg.« »Wie kommen wir dann hindurch?« fragte Nomazar skeptisch. »So, wie wir es immer machen«, erklärte Leert lakonisch. Er gab seinen Leuten einen Wink. Die Winde wurde an die Wand gerückt.
8. Nomazar hielt sich etwas abseits. Er beobachtete die Etlevs, die an der Wand arbeiteten, und ein nagendes Unbehagen beschlich ihn. Er wußte nicht, woran es lag. Aber er hatte das sichere Gefühl, daß dieses Stück Weg Gefahren für sie bereithielt, von denen auch Leert noch nichts ahnte. Er betrachtete die Wand und fand, daß er selten etwas Scheußlicheres gesehen hatte. Ein »Künstler« hatte sich daran ausgetobt, dessen Phantasie derart abartig sein mußte,
daß er dem Wahnsinn gefährlich nahe war. Ein Gewirr von scheußlich verstümmelten und zerfetzten Leibern bedeckte die ganze Fläche, und dazwischen waren Gesichter zu erkennen, verzerrt, von unfaßbarem Grauen gezeichnet. Nomazar erkannte ein paar Domer und einen Etlev, aber die meisten der dargestellten Wesen waren ihm fremd. Er wandte den Blick ab, denn dieses grauenhafte Relief bot dem Betrachter wirklich nicht die Spur von künstlichem Genuß. Welchen Zweck erfüllte diese Mauer? Abergläubische Gemüter wären vielleicht vor dem bloßen Anblick davongelaufen. Aber die Domer mußten inzwischen längst erkannt haben, daß diejenigen, die ihre Schatzkammern plünderten, nicht so empfindlich waren. Hatte Kjon-Tharo selbst dieses Relief an dieser Wand anbringen lassen? Dann drohte in der Tat Gefahr, denn dem Dicken war nicht zu trauen. Die Etlevs hatten mitten in dem Gewirr von Körpern und Gliedmaßen eine Stelle gefunden, an der sie ihre Winde ansetzen konnten. Nomazar sah, wie zwei der gedrungenen Pelzwesen auf das Trittbrett sprangen. Es gab einen Ruck – und plötzlich bewegte sich etwas, aber nicht da, wo die Winde in die Mauer griff, sondern ganz oben, unter der Decke. »Zurück!« rief Nomazar entsetzt. Er warf sich nach hinten und rollte sich ab. Die Etlevs reagierten schnell. Sie sprangen aus dem Stand von der Mauer weg. Nur einer von denen, die mit der Winde beschäftigt gewesen waren, blieb mit dem Fuß so unglücklich an einem Seil hängen, daß er stürzte und sich nicht schnell genug wieder aufraffen konnte. Und dann kam das Relief herunter. Es löste sich blitzschnell in seiner ganzen Länge von der Wand und zerfiel dabei in seine Einzelteile. Entsetzt sah Nomazar, daß diese Teile sich noch im Fallen in einer Weise wanden und drehten, die den Gesetzen der Schwerkraft Hohn sprach. »Wehrt euch!« schrie Leert seinen Leuten zu.
44 Eine Horde von Schreckensgestalten stürzte sich schweigend auf die Gruppe. Der Etlev, der an dem Seil hängengeblieben war, verschwand unter einem Haufen von Monstren. Nomazar hörte gräßliche Schreie, und er schwang das Schwert, das Leert ihm gegeben hatte. Oh ja, er konnte damit umgehen. Im selben Augenblick, in dem er den Wunsch verspürte, zu kämpfen, wußte er auch, was er zu tun hatte. Er benutzte nicht nur das Schwert, sondern auch die Keule. Den Gestalten, die Köpfe auf ihren Schultern trugen, schlug er die Keule über die Schädel, und mit der Rechten schwang er das Schwert. Er spürte eine gewaltige Kraft in sich. Plötzlich glaubte er zu wissen, daß es einmal eine Zeit für ihn gegeben hatte, in der er kämpfen mußte, ob er wollte oder nicht und auch dann, wenn er gar keine Gegner vor sich hatte. Er erinnerte sich sogar daran, daß er diese Anfälle gefürchtet hatte. Eine krallenbewehrte Hand fuhr ihm über die linke Schulter und ließ sechs tiefe, eng beieinander liegende Wunden zurück. Der Schmerz und der Schrecken löschten die Erinnerung an vergangene Zeiten aus. Nomazar vergaß alle Fragen nach seiner Herkunft und stürzte sich trotz seiner Verletzung mit doppelter Kraft in das Getümmel. Ab und zu sah er einen der Etlevs zwischen den immer noch schweigend kämpfenden Ungeheuern. Die Schatzräuber wehrten sich ihrer Haut, und sie hatten auch Erfolg. Kjon-Tharos seltsame Wächter behinderten sich gegenseitig. In blinder Wut stürzten sie sich auf die Fremdlinge und rannten dabei oft genug einander um. Nomazar stellte fest, daß dem vorhin gestürzten Etlev nicht mehr zu helfen war und wandte sich wieder in die andere Richtung. Er schlug sich bis zu Leert durch und hinterließ eine breite Gasse in dem Getümmel der Wächter. Leert sah ihn kommen und winkte ihm kurz mit seiner Keule zu. Nomazar kämpfte Seite an Seite mit ihm, und andere Etlevs
Marianne Sydow stießen zu ihnen. Von da an kamen sie schnell vorwärts. Als die Angreifer merkten, daß sie keine Chance mehr hatten, hätten sie eigentlich aufgeben müssen. Aber vielleicht konnten sie gar nicht so weit denken. Wie Maschinen drangen sie auf die Etlevs und Nomazar ein, bis auch der letzte unter einem Hieb mit der Keule zusammenbrach. »Das soll Kjon-Tharo uns büßen!« sagte Leert leise und drohend. »Er wollte nur sein Eigentum verteidigen«, bemerkte Nomazar beschwichtigend. »Das ist sein gutes Recht, ob es uns gefällt oder nicht.« »Diese Falle war tödlich für einen von uns«, stellte Leert abweisend fest. »Wir hatten Glück, daß du bei uns bist. Ohne deine Hilfe wäre es noch viel schlimmer für uns ausgegangen. Wir dagegen haben noch nie einem Domer etwas zuleide getan. Wir nehmen nur Dinge, die sie sowieso nicht mehr brauchen.« Nomazar schwieg. Gefühlsmäßig neigte er dazu, den Etlevs recht zu geben, aber objektiv war er immer noch der Meinung, daß Kjon-Tharos Vorsichtsmaßnahmen angebracht waren. Er nahm sich vor, alles zu tun, was in seiner Macht stand, damit die Rache der Etlevs nicht zu drastisch ausfiel. Eines mußte man den Etlevs lassen – sie waren ungeheuer ausdauernd. Ohne große Worte bauten sie ihre Winde wieder auf. Einige der Pelzwesen brachten das, was von ihrem Artgenossen noch übrig war, in Sicherheit und trugen es in den nächsten Gang hinein. Die anderen gingen mit unvermindertem Eifer daran, eine Verbindung zu Kjon-Tharos Schatzkammer zu schaffen. Nomazar half mit. Er hatte immer noch ein ziemlich schlechtes Gefühl, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß Kjon-Tharo es für nötig gehalten hatte, seine Schatzkammer von dieser Seite aus doppelt abzusichern. Sie kamen jetzt recht schnell voran. Die Etlevs hatten schließlich auch genug Übung. Sie holten einen Quader nach dem anderen heraus und ließen die Steine vorerst einfach
Planet der Intrigen in der Halle liegen. Später, so erklärte Leert zwischendurch, würde man sie bis auf zwei Blöcke, mit denen man den Gang verschließen konnte, nach draußen schaffen. »Wir sind durch!« verkündete einer der Etlevs endlich. Er schwenkte seine Lampe, und der Lichtkegel strich über den letzten, schweren Stein, der den Gang verschloß. »Dreht die Winde um!« Ein paar Minuten später schob sich der Stein nach außen. Nomazar hielt die Luft an. Wenn Kjon-Tharo ausgerechnet jetzt seine Schätze inspizierte … Er tat es nicht. In der Schatzkammer war es stockfinster. Die Etlevs und ihr Begleiter lauschten angestrengt, aber sie vernahmen keinen Laut. »Bringen wir es hinter uns«, murmelte Nomazar und schwang sich vorsichtig an den Etlevs vorbei nach draußen. »Warst du schon mal hier unten?« erkundigte sich Leert mit gedämpfter Stimme. »Leider nicht. Sonst wüßte ich wenigstens schon so ungefähr, wo ich zu suchen habe.« Leert nahm Zuflucht zu seinem Lieblingsspruch. »Die Domer sind dumm«, behauptete er. »Und was die Wahl der Verstecke für ihre Schätze betrifft – da haben sie überhaupt keine Phantasie. Komm mit, ich zeige dir etwas!« Die Etlevs verzichteten darauf, das Licht einzuschalten. Mit Hilfe der winzigen Lampen suchte sich Leert einen Weg durch die Halle. Nomazar stellte fest, daß Kjon-Tharo seinen Vorfahren in nichts nachstand. Hier unten sah es aus wie in einer überfüllten Rumpelkammer – nur daß das »Gerümpel« funkelte und strahlte und selbst bei dieser kümmerlichen Beleuchtung überaus kostbar wirkte. Leert wußte, woran man die verborgenen Türen zu den Nebenkammern am leichtesten ausmachen konnte. Sie durchsuchten vier kleine Räume, und was sie fanden, versetzte den Etlev in helles Entzücken. »Sieh an«, sagte er schließlich. »Der gute Kjon-Tharo hat fleißig in die eigene Tasche
45 gewirtschaftet. Diese Sachen sind eigentlich für Cagendar bestimmt, da gibt es wohl kaum einen Zweifel. Er hat Duuhl Larx bestohlen.« »Ich dachte, das geht gar nicht!« »Hast du eine Ahnung! Jeder Domer bekommt seinen Anteil an den grob sortierten Waren, die die Organschiffe bringen. Und dieses ganze Zeug ist kaum registriert. Wenn ein Domer davon etwas verschwinden läßt, wird es sicher nicht bemerkt.« »Das paßt eigentlich gar nicht in das Bild, das ich mir gemacht habe«, sagte Nomazar nachdenklich. »Ich dachte, das alles würde viel sorgfältiger kontrolliert.« »Du denkst, Duuhl Larx würde diesen Gaunern mehr Vertrauen schenken, als sie verdienen?« fragte Leert spöttisch. »Da irrst du dich. Tatsächlich sind solche Diebstähle selten. Du weißt, wie neidisch die Domer untereinander sind. Sie lassen keine Gelegenheit aus, in fremden Sortierhallen herumzuschnüffeln. Und jeder hat Einblick in die Unterlagen über alle Stücke, die nach Cagendar weitergehen. Taucht jetzt ein wertvolles Stück, das einer gesehen hat, nicht in dieser Liste auf – nein, sie wenden sich nicht an Duuhl Larx. Aber sie machen sich gegenseitig die Hölle heiß. Hier ist die nächste Kammer.« Diesmal hatten sie Glück. Nomazar warf nur einen Blick auf die Gegenstände, die hier sorgfältig auf kleinen Sockeln aufgestellt waren. »Das ist es«, sagte er leise. »Das ist der Kram, den Solta-Kurl angeblich gestohlen hat.« »Sieh genau nach«, empfahl Leert. »Überzeuge dich davon, daß nichts fehlt – sonst fangen wir noch einmal an zu suchen.« Nomazar ging beinahe andächtig durch den Raum. Wenn er es schaffte, dieses Zeug nach draußen zu bringen und dem Gericht der Domer vorzulegen, war Solta-Kurl gerettet. Plötzlich stutzte er. »Diese Kugel gehört nicht dazu«, sagte er zu Leert. »Bist du sicher?«
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»Ja. Kjon-Tharo hat mir Abbildungen von allen gestohlenen Stücken gezeigt. Die Kugel war ganz bestimmt nicht dabei.« Leert nahm die Kugel vorsichtig in die Hand. Nomazar kniff verwundert die Augen zusammen. In der Kugel bewegten sich dünne, farbige Schleier. Allmählich wurden Figuren daraus, die sich in einem langsamen Tanz drehten. »Wir nehmen sie mit«, entschied Nomazar spontan. »Vielleicht ist sie wertvoll, und wir können sie noch gebrauchen.« »Letzteres ganz sicher«, murmelte Leert zustimmend. Er ging hinaus und rief seine Freunde herbei. Sie kamen auch sofort und schleppten alles, was sich in der Kammer befand, hinaus und durch den eben erst geschaffenen Gang in die nächste Halle. Die Kammer leerte sich schnell. Die Etlevs machten sich daran, auch etwas von dem einzupacken, was Kjon-Tharo ganz legal aufgehäuft hatte. Nomazar wurde allmählich nervös. Sie waren für seinen Geschmack schon viel zu lange in dieser Schatzkammer. Erleichtert atmete er auf, als Leert endlich das Zeichen zum Rückzug gab. Es schien Nomazar geradezu unmöglich, daß es so glatt gehen sollte. Aber sie kamen aus der Halle heraus, ohne daß Kjon-Tharo wutschnaubend hereingestürmt kam oder sich etwas von einem allgemeinen Alarm hören ließ. Die Gestalten, die das Relief gebildet hatten, rührten sich nicht mehr, und selbst das monströse Etwas in der Halle mit dem Steinsarg ließ sich beim Rückzug nicht blicken. Den Rest des Weges legte Nomazar zum größten Teil kriechend zurück. Es war ihm peinlich, daß er den Etlevs dabei in keiner Weise helfen konnte, die Beute in Sicherheit zu bringen. Aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß diese Wesen durch ihn zu einigem Reichtum gekommen waren.
* »Du mußt dich ein wenig ausruhen!« sagte Leert besorgt, als Nomazar düster das
Diebesgut musterte. »Auf ein paar Stunden kommt es jetzt nicht mehr an.« »Weißt du zufällig, ob man Solta-Kurl schon weggebracht hat?« »Ich werde nachfragen«, versprach Leert und ging davon. Ein anderer Etlev trat zu Nomazar heran. »Wir haben Wagen, mit denen du die Sachen transportieren kannst«, sagte er. »Willst du wirklich damit zum Gericht gehen?« »Ja.« »Die Domer sind unberechenbar. Wenn du Pech hast, schicken sie dich trotzdem in die kalten Länder – wegen Einmischung in ihre Angelegenheiten.« »Ich gehe trotzdem.« Der Etlev schwieg lange Zeit. »Dann hast du wohl auch Solta-Kurls Wein getrunken?« »Ja«, nickte Nomazar erleichtert, denn endlich hatte er eine Erklärung für sein Verhalten gefunden, die für einen Etlev akzeptabel war. »Ja, genau so ist es.« »Leert wird bald zurück sein«, erklärte der Etlev verständnisvoll. »Ich sorge dafür, daß dieses Zeug inzwischen aufgeladen wird.« Nomazar sah, mit welcher Sorgfalt die Etlevs die Kunstwerke auf der Plattform eines niedrigen Wagens verstauten. Das Fahrzeug paßte gerade so durch die Gänge, die sich unter der Stadt Perrash hinzogen. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es für die Etlev auch nicht einfach sein mochte, sich von dieser kostbaren Beute zu trennen. Er fragte Leert danach, sobald dieser zurückkehrte. »Wir können diese Sachen nicht gebrauchen«, erwiderte Leert gelassen. »Sie sind registriert – wir würden uns nur selbst in Gefahr bringen. Solta-Kurl ist noch im Gefängnis. Sie soll heute abend weggebracht werden.« »Ich hätte nicht gedacht, daß Kjon-Tharo sich so viel Zeit läßt.« »Das lag auch nicht in seiner Absicht. Aber die Domer haben wohl begriffen, in welcher Gefahr sie schweben. Sie haben al-
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les versucht, um Solta-Kurl zum Reden zu bringen. Es scheint, als hätten einige von den Kerlen inzwischen zu denken angefangen. Bei den Domern gärt es. Ich glaube, du wirst genau im richtigen Augenblick vor Gericht erscheinen. Komm, wir sollten keine Zeit verlieren.« »Fährst du etwa mit?« fragte Nomazar verblüfft. »Nur bis zu der großen Straße. Unterwegs kann ich dir zeigen, wie du mit diesem Fahrzeug umgehen mußt. Was wirst du den Domern sagen, wenn sie dich fragen, wie du an die Sachen herangekommen bist?« Es war klar, daß die Etlevs nicht erwähnt werden durften. Die Sicherheit ihres Volkes hing davon ab, daß sie auch in Zukunft die vergessenen Schatzkammern der Domer plündern konnten. »Ich bin ein Fremder von außerhalb«, sagte Nomazar gelassen. »Sie wissen so gut wie nichts von mir. Ich werde ihnen weismachen, daß ich ein besonders geschickter Dieb bin, dem es gelungen ist, Kjon-Tharo unbemerkt auszuplündern.« »Wenn sie das glauben …« »Sie werden!« behauptete Nomazar grimmig. »Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Ihr aller Leben hängt davon ab, daß diese Sachen nach Cagendar geschickt werden können. Abgesehen davon – sie haben alle kein reines Gewissen. Sie werden fürchten, daß ich mich auch in ihren Schatzkammern gründlich umsehen könnte. Darum werden sie alles versuchen, um mich friedlich zu stimmen.« »Sie werden eher zusehen, daß sie dich so bald als möglich loswerden.« »Auch das ist möglich. Aber sie werden es nicht mehr wagen, mich zu verbannen oder sogar umzubringen. Alles andere ist mir sogar ganz recht. Ich hatte niemals vor, auf Achtol zu bleiben.« »Wo liegt dein Ziel?« fragte Leert. Nomazar zuckte die Schultern. »Wenn ich das wüßte, wäre ich froh!« murmelte er nachdenklich.
*
Er erreichte das Gerichtsgebäude am frühen Abend. Leert hatte sich von ihm verabschiedet, und es war äußerst ungewiß, ob Nomazar ihn oder einen seiner Freunde irgendwann wiedersehen würde – die Etlevs starteten noch an diesem Abend zu einem neuen Unternehmen im Auftrag des Neffen Duuhl Larx. Nomazar sah keinen Grund mehr, besondere Rücksicht auf die Gefühle der Domer zu nehmen. Er konnte den Wagen nicht hier draußen stehen lassen. Das war ihm viel zu riskant. Also nahm er den Wagen mit. Die Tür und die Gänge hatten gerade die richtige Breite. Nomazar lenkte das brummende Gefährt geradewegs zum Gerichtssaal. Die breite Flügeltür war geschlossen. Das Fahrzeug, ein voll geländegängiges Modell, drückte die Tür ein und schaukelte dann gemächlich über die breiten Stufen dem Mittelpunkt des Saales entgegen. Domer flohen entsetzt vor diesem mechanischen Ungetüm, und die Richter starrten stumm vor Entsetzen zu Nomazar hinauf. Nomazar hielt den Wagen an und stand langsam auf. Leert hatte ihm dringend geraten, das Fahrzeug nicht zu früh zu verlassen. Der Etlev meinte, daß das Metall Nomazar vielleicht vor der lähmenden Wirkung der kristallenen Trommeln schützen würde. Nomazar hielt sich an diese Ratschläge. »Als ich vor fast zwei Tagen hierherkam, wollte niemand mich anhören«, rief er den Domern von der Plattform des Wagens aus zu. »Diesmal habe ich andere Beweise mitgebracht, solche, die ihr sehen und sogar anfassen könnt. Vielleicht seht ihr nun endlich ein, daß Solta-Kurl unschuldig und KjonTharo ein Dieb ist.« Gleichzeitig riß er mit einem Ruck die Plane herunter, die die geraubten Kunstwerke bisher vor den Blicken der Domer verborgen gehalten hatte. Es wurde totenstill in der Halle des Gerichts. Die Domer starrten auf das, was sich auf der Ladefläche befand. Nomazar suchte nach Kjon-Tharo, aber er konnte ihn nirgends erblicken.
48 Nach langer Zeit erhob sich einer der Richter schwerfällig von seinem Sitzpolster. »Woher hast du das?« fragte er mit ungewöhnlich schriller Stimme. »Wo hast du diese Sachen gefunden? Sage es, schnell!« »Das alles lag in Kjon-Tharos Schatzkammer«, erwiderte Nomazar ruhig. »Das kann nicht sein«, rief ein anderer Domer aufgeregt. »Der Fremde lügt!« Nomazar bereitete sich innerlich auf ein ebenso hartes wie unergiebiges Redegefecht vor, da kam Hilfe von unerwarteter Seite, nämlich von einem Domer selbst. »Ich bin Steinfühler Sro-Gago«, meldete er sich zu Wort. »Ihr alle kennt mich. Ihr wißt auch, daß man meinen Vater in die kalten Länder verbannte, weil er angeblich ein Kunstwerk veruntreut hatte. Es war ein Stück, das nicht für Cagendar bestimmt war. Mein Vater starb, und das Stück tauchte nie wieder auf. Ich hatte damals Kjon-Tharo in Verdacht, daß er meinem Vater eine Falle gestellt hatte, denn ich wußte, daß er dieses Stück unbedingt haben wollte. Aber ich hatte keine Beweise. Die Sache ließ mir keine Ruhe. Vor einigen Tagen brachte ich einen Gegenstand zu Kjon-Tharo, von dem ich genau wußte, daß er nach Cagendar gehörte. Ich behauptete, mir über den Wert des Kunstwerks nicht völlig klar zu sein und bat Kjon-Tharo um eine Prüfung.« »Und?« fragte der Richter ungeduldig, als Sro-Gago eine Pause machte. Sro-Gago kam auf Nomazar zu. Er deutete auf die Ladefläche. »Gibst du mir das dort?« fragte er leise. Nomazar begriff, daß auch einige Domer trotz aller Intrigen nicht nur an sich selbst dachten. Es imponierte ihm, daß dieser junge Domer wenigstens den Versuch unternommen hatte, seinen Vater zu rehabilitieren – auch wenn das diesem jetzt nichts mehr nützte. Er sah, daß Sro-Gago auf die Kugel zeigte und reichte sie ihm. »Das ist das Stück, das ich Kjon-Tharo zeigte!« sagte der Domer laut und hielt die Kugel mit den tanzenden Schemen hoch. »Er behauptete, es sei ohne jeden Wert, und
Marianne Sydow nahm es an sich. Ich ließ ihn gewähren, denn ich wollte mich vergewissern, daß diese Kugel tatsächlich nicht mehr im offenen Handel auftauchte. Jeder von euch kann in meinem Haus nachprüfen, daß ich die Wahrheit sage. Kjon-Tharo hat dieses Stück widerrechtlich an sich gebracht – und ich zweifle nicht daran, daß Nomazar die Wahrheit spricht. Er kann die Kugel nur in der Schatzkammer des Rauchmachers gefunden haben. Und dort fand er auch das, was angeblich Solta-Kurl gestohlen hat.« Sekundenlang blieb es still. Dann brach ein Tumult los. Nomazar beugte sich blitzschnell zu Sro-Gago hinab und hielt ihn am Arm fest. »Wo ist Solta-Kurl?« fragte er leise. »Man wird sie gleich holen«, gab SroGago zurück. »Glaubst du, daß es uns gelungen ist, die da zu überzeugen?« Sro-Gago sah zu ihm auf, und sein fremdartiges, rundes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Kjon-Tharo hat es zu weit getrieben!« behauptete er. »Diesmal kann er sich nicht mehr herausreden. Er wird es sein, den man in die Verbannung schickt, nicht Solta-Kurl. Du hast es geschafft, Fremder. Die Domer schulden dir Dank. Aber nimm dich in acht. Deine Belohnung könnte ganz anders ausfallen, als du es dir erhoffst.« »Ich habe es nicht um einer Belohnung willen getan«, brummte Nomazar, der jetzt, da die Spannung in ihm nachließ, die Anstrengungen der letzten Tage zu spüren begann. »Mir ging es um die Gerechtigkeit.« Sro-Gago hörte ihn nicht. Niemand hörte ihn. Denn gerade in diesem Augenblick wurde Solta-Kurl im Triumphzug in den Gerichtssaal gebracht. Wenig später zerrte man Kjon-Tharo herein. Man hatte ihn in seinem Haus erwischt und auch gleich seine Schatzkammer durchstöbert. Dabei fand man nicht nur die leergeräumte Kammer, sondern auch gleich noch ein gutes Dutzend Kunstwerke, die anderen, prominenten Domern auf die eine oder ande-
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re Weise abhanden gekommen waren. Der Schuldspruch war schnell gefällt, und die Entscheidung war einstimmig. Kjon-Tharo ging in die Verbannung.
* Solta-Kurl nahm Nomazar bei sich auf und wachte gemeinsam mit denen, die ihr freiwillig und treu dienten, darüber, daß der Fremde sich gehörig ausruhte. Nachdem er geschlafen hatte, fütterten sie ihn mit allem, was »Schatzkammer« und Markt hergaben, bis Nomazar sich dagegen wehrte. »Und wenn du mich noch so vollstopfst«, sagte er lächelnd zu der Domerin, »ich werde doch nicht so rund wie du. Was geht draußen vor sich?« Solta-Kurl wollte ihm ausweichen, aber schließlich redete sie doch. Nomazar erinnerte sich an Leerts Warnung und an Sro-Gago. Er stellte fest, daß deren Voraussagen sich restlos erfüllten. Die Domer wollten ihn loswerden. Gleichzeitig schuldeten sie ihm Dank. Der Ausweg, auf den sie verfielen, war ebenso logisch, wie verblüffend. »Sie haben dich zum Kunstwerk erklärt«, berichtete Solta-Kurl bedrückt. »Aber – das geht doch gar nicht«, stieß Nomazar verblüfft hervor. »Ich lebe. Ich bin beim besten Willen nicht mit einer Statue zu verwechseln.« »Das ist unwichtig«, erklärte Solta-Kurl nüchtern. »Vieles von dem, was wir nach Cagendar schicken, wirkt lebendig.« »Aha«, machte Nomazar sarkastisch. »So will man das also hinstellen. Man wird behaupten, daß man gar nicht bemerkt habe, daß ich wirklich lebe.« »Nein«, sagte Solta-Kurl erstaunlich sanft. »Du irrst dich. Die Domer brauchen gar nicht zu lügen. Sieh mal, du bist nicht aus dem Rghul-Sektor, und auch von den Raumfahrern scheint niemand je zuvor ein Wesen wie dich gesehen zu haben. Und dazu bist du auch noch klug. Du bist so ungewöhnlich, daß du nach der Meinung meiner
Artgenossen gar nicht auf natürlichem Wege entstanden sein kannst.« Nomazar sah an sich hinab. Ein Kunstwerk – er selbst! »Na gut«, murmelte er resignierend. »Es hat wohl keinen Sinn, deswegen noch einmal vor Gericht zu erscheinen. Diesmal wird man mich erst recht nicht anhören. Wann werde ich verpackt und abgeschickt?« »Ich bringe dich nach Kuwe-Tuuhl«, sagte die Domerin, ohne auf Nomazars ironisch gemeinte Bemerkung einzugehen. »Am besten fahren wir jetzt gleich los.« »Ist es so eilig?« »Ja. Die RYGERKALL startet in wenigen Stunden.« »Ist die RYGERKALL ein Organschiff?« Solta-Kurl machte die Geste der Zustimmung. Ich hätte auf Sprak hören sollen, dachte Nomazar, als er neben Solta-Kurl in einem schnellen, reich verzierten Wagen saß. Aber vielleicht ist es ganz gut so. Ich muß weiter, und je eher ich von Achtol wegkomme, desto besser. Am Ende verfallen sonst noch ein paar Domer auf ganz andere Ideen, um mich aus Perrash zu entfernen. »Wie weit ist es bis Cagendar?« fragte er. »Das weiß ich nicht«, antwortete SoltaKurl. »Aber es scheint, daß der Weg dorthin nicht ungefährlich ist. Wenigstens für dich. Alles, was nach Cagendar gebracht wird, muß durch die Planetenschleuse, um dort in irgendeiner Weise geprüft zu werden.« »Du hast Zweifel daran, daß ich die Prüfung bestehe«, stellte Nomazar fest. »Du glaubst auch nicht an die Version, daß ich ein Kunstwerk sein soll.« »Du selbst sagst, daß du nicht weißt, wer du wirklich bist und woher du kommst«, sagte Solta-Kurl leise. »Ist es nicht denkbar, daß du gekommen bist, um uns allen zu helfen?« Er kam nicht mehr dazu, sie danach zu fragen, wie sie das gemeint hatte. Sie erreichten fast im selben Augenblick die RYGERKALL. Die Besatzung bestand aus raupenähnlichen Wesen derselben Art wie die,
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die ihn auf Ximmerrähne eingefangen hatten. Nomazar fand, daß dies ein sehr merkwürdiger Zufall war. Der Abschied von Solta-Kurl war kurz und schmerzlos. Er ging an Bord, und wenig später startete die RYGERKALL.
* Zur selben Zeit unterhielten sich zwei Wesen auf dem Planeten Guhrno über die RYGERKALL. »Wann wird das Schiff eintreffen?« fragte Keiterzohl-Branz und beobachtete dabei unverwandt ein Gerät, das ihm anzeigte, wie viele Organschiffe sich zur Zeit im Bereich der Planetenschleuse befanden. »Es ist angekündigt«, erwiderte Tährezzo nüchtern. »Ob es stimmt, daß sich ein völlig Fremder an Bord befindet?« »Es stimmt ganz sicher. Der Fremde stammt nicht aus dem Rghul-Sektor. Hoffentlich ist es der Spion aus dem Marantroner-Revier.«
»Du sehnst dich danach, daß er bei uns eintrifft?« fragte Tährezzo verwundert. »Ja. Dann wird es endlich wieder etwas ruhiger. Dieses ständige Warten macht mich nervös.« »Aber wenn er kommt …« »Er wird kein Unheil anrichten«, sagte Keiterzohl-Branz streng. »Warum macht Chirmor Flog das?« flüsterte Tährezzo scheu. »Warum schickt er einen Spion in das Gebiet von Duuhl Larx? Warum will jeder der beiden Neffen das Gebiet des anderen in seine Gewalt bringen?« »Sprich nicht darüber!« sagte KeiterzohlBranz entsetzt. »Sie hassen sich seit langer Zeit, mehr weiß ich auch nicht. Noch wird nicht gekämpft. Wir arbeiten hier in der Planetenschleuse, und alles andere geht uns nichts an.« Von da an schwiegen sie wieder. Sie warteten auf die RYGERKALL.
ENDE
Weiter geht es in Band 410 Die Planetenschleuse von Marianne Sydow