I. Welk (Hrsg.) M. Bauer (Hrsg.) OP-Management: praktisch und effizient
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OP-Manageme...
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I. Welk (Hrsg.) M. Bauer (Hrsg.) OP-Management: praktisch und effizient
I. Welk (Hrsg.) M. Bauer (Hrsg.)
OP-Management: praktisch und effizient Mit 57 Abbildungen
123
Ina Welk Pflegerische Zentrumsleitung Med. Leistungszentrum Anästhesiologie und Radiologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel Schwanenweg 20, 24105 Kiel
PD Dr. Dr. Martin Bauer Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel Schwanenweg 21, 24105 Kiel
ISBN-10 ISBN-13
3-540-32925-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg 978-3-540-32925-1 Springer Medizin Verlag Heidelberg
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Barbara Lengricht, Berlin Projektmanagement: Dr. Ulrike Niesel, Heidelberg Copyediting: Petra Rand, Münster Titelbild und Design: deblik, Berlin SPIN 11550525 Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg Druck- und Bindearbeiten: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier
22/2022 – 5 4 3 2 1 0
V
Geleitworte OP-Management aus Sicht des Kaufmanns Die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Eine Ursache ist die wesentlich verschlechterte Einnahmesituation der Krankenkassen, die dazu geführt hat, dass sich der Kostendruck gegenüber den Leistungserbringern merklich verstärkte. In der Konsequenz bedeutet dies, dass immer mehr Leistungen mit weniger Geld erbracht werden sollen. Dies bekommen vor allem auch die Krankenhäuser zu spüren. Seit Jahren steigen die mit den Krankenkassen verhandelten Budgets deutlich geringer als die Tarifabschlüsse. Im Zeitraum von 1999 bis 2004 entstand eine Differenz in Höhe von 9,4% zwischen der jährlichen Veränderungsrate, die Maßstab für die jährlichen Budgetsteigerungen ist, und der Steigerungsrate des Bundesangestelltentarifs, einschließlich tariflich bestimmter Altersversorgung. Die Einführung des »Diagnosis-related-group- (DRG-)Systems«, die zwar Transparenz erzeugt, aber noch nicht alle Leistungen adäquat abbildet und große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern aufweist, stellt die Krankenhäuser vor weitere erhebliche Herausforderungen. Von den Krankenhäusern wird erwartet, dass sie ihre Leistungen mit einer hohen Qualität erbringen und dies bei steigendem Kostendruck. Um diese Erwartungen erfüllen zu können, müssen die Krankenhäuser ihre Betriebsprozesse überprüfen. Es bestehen durchaus noch Chancen, die Qualität der Versorgung durch eine Optimierung der Betriebsabläufe, die mit geringeren Kosten einhergeht, zu erhalten, wenn nicht sogar zu verbessern. Die Einführung eines konsequenten OP-Managements kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Jeder, der im Krankenhaus arbeitet, kennt Beispiele eines ineffizienten Ablaufs im OP. Konsequente Planungen und verbindliche Absprachen können den Prozess deutlich verbessern. Wartezeiten lassen sich verkürzen; die Betriebskosten und die Anzahl der notwendigen, sehr investitionsintensiven OP-Säle lassen sich durch fachübergreifende Nutzung der OP-Säle verringern. Nüchterne Zahlen aus der Prozesskostenrechnung und der daraus abgeleiteten Kennzahlen schaffen Transparenz für die im OP Tätigen sowie eine sachliche Diskussionsgrundlage für die Optimierung der Abläufe in einem stetigen Prozess. Die in diesem Buch aufgegriffenen Themenkomplexe weisen Möglichkeiten für eine bessere Steuerung der Betriebsabläufe in den OP-Einrichtungen auf. Es zeigt sich, was kaum einer mehr für möglich hält: Trotz Kostensenkung kann die Qualität steigen. Kiel, 2006 Dipl. Kfm. Günther Zwilling Kaufmännischer Vorstand Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel
VI
Geleitworte
OP-Management aus Sicht des Operateurs Die Forderung medizinische, logistische und ökonomische Erfordernisse gleichermaßen zu befriedigen, führt zur Begründung zentraler Managementstrukturen für die Ablaufsteuerung chirurgisch-operativer Therapien. Bei der Neueinführung zentraler Strukturen werden von Kritikern meist Eingriffe in die ärztliche Fachkompetenz der medizinischen Fächer und fehlende Flexibilität zentraler Steuerungsinstrumente angeführt. Oft wird die Priorisierung fachspezifischer Ablaufsteuerungen in chirurgischen Fächern als leichter handhabbar und weniger riskant wahrgenommen. Die für eine zentrale Ablaufsteuerung notwendige Kommunikation zwischen OPManager und den diversen Akteuren im Zentral-OP erfordert eine hoch entwickelte Technik und eine Kultur der Kommunikation mit extrem kurzen Reaktionszeiten. Der Gewinn eines optimal entwickelten und auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmten OPManagements besteht in der Stabilisierung routinierter Aufgaben, in der Qualitätssicherung der Struktur und des Ablaufs sowie in einer Ressourcenschonung. Unter optimalen Bedingungen kann der OP-Manager die Versorgung von Notfalleingriffen, die Arbeit interdisziplinär arbeitender Teams und die allfällige Einsatzplanung von Pflegepersonal im OP-Bereich vorbereiten und unterstützen. In Zeiten reduzierter Einnahmen für eine Reihe von Krankenhäusern und Kliniken gilt die Einführung eines OP-Managements als Maßnahme zur Kostenreduzierung per se. Wenn die Kosteneffizienz durch das effektiv arbeitende OP-Management gesteigert werden soll, erfordern die Einrichtung und die Abstimmung des OP-Managements einen hohen Grad an Fach- und Sachkenntnis, langjährige praktische Erfahrung in operativen Abläufen sowie Strukturfragen moderner Kliniken und Krankenhäuser. Dazu ist bisweilen zusätzlicher Mitteleinsatz notwendig. Zum Gelingen sind ein umfassender Diskurs und ein offener Austausch innerhalb der Krankenhäuser und Klinika mit dem Ziel einer gemeinsamen Anstrengung aller im Krankenhaus an den Abläufen beteiligter Verantwortlicher unersetzlich. OP-Management ist ein Instrument der modernen Hochleistungsmedizin und nicht etwa nur ein Strukturierungsverfahren für Medizinökonomen. Daher soll das vorliegende Buch gleichermaßen Vorständen, leitenden Pflegekräften, Ärzten und kaufmännischen Leitern zur Lektüre empfohlen werden. Aachen, 2006 Prof. Dr. Martin Westhofen Direktor der Klink für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Plastische Kopf- und Halschirurgie Universitätsklinikum Aachen, RWTH Sprecher der operativen Fächer
VII Geleitworte
OP-Management aus Sicht des Anästhesisten In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Veränderungen im Gesundheitswesen gegeben. Zu den größten Strukturveränderungen hat die Umstellung auf ein Pauschalvergütungssystem beigetragen. Die Einführung der »diagnosis related groups« (DRGs) veranlasst alle Krankenhausträger dazu, ihre Ablauforganisation und ihre Kostenstruktur sowie die damit verbundene Qualität einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen. Durch die zunehmende Transparenz (Stichwort Internet) werden Behandlungspfade der Krankenhäuser für Patienten sowie Kostenträger vergleichbar und haben damit Einfluss auf die Patientenströme der Zukunft. Betrachtet man die Kostentreiber einer Klinik, so sind zuerst die Funktionsbereiche, der OP und die Intensivstationen zu nennen. Dies sind Bereiche der interdisziplinären Zusammenarbeit sowohl im ärztlichen wie im pflegerischen Bereich. Hier kann ein Krankenhaus entweder Geld verdienen oder viel Geld verlieren. Zusätzlich ist die Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit von den ineinander greifenden Ablaufprozessen maßgeblich beeinflusst. Daher liegt es nahe, für diese Bereiche Managementstrukturen aufzubauen, die eine kontinuierliche Optimierung dieser kostenintensiven Bereiche bewirken. Das zentrale Thema des vorliegenden Buches ist das OP-Management, nachdem zunächst allgemein in die gegenwärtigen Strukturen von Krankenhäusern und Gesundheitswesen eingeführt wird. Schon sehr früh haben sich Anästhesisten um das OPManagement bemüht, da sie immer diejenigen waren, die ihr Hauptarbeitsgebiet von Anfang bis Ende im OP hatten. Anästhesieabteilungen sind zentral und fachübergreifend organisiert, und auch in der Vergangenheit haben Anästhesisten operative Eingriffe für verschiedene Disziplinen durchgeführt. Insoweit sind Anästhesisten für OP-Managementstrukturen offen und oft auch Motor bei der Umsetzung. Das hier vorliegende Buch stellt die notwendigen OP-Managementstrukturen in hervorragender Weise dar und macht Vorschläge, wie man zu weiteren Optimierungen in diesem Bereich kommen kann. Dabei ist es den Herausgebern gelungen, ausgewiesene Themenexperten, die über langjährige Erfahrungen verfügen, als Referenten für die jeweiligen Kapitel zu finden. Wir haben also nicht nur ein Buch, das OP-Management am grünen Tisch bespricht, sondern auf einen großen Fundus langjähriger Praxis zurückgreift. Als besonders hervorzuheben ist daher auch die Sektion, die sich mit der Umsetzung von der Theorie in die Praxis beschäftigt. Sollten die deutschen Kliniken alle Anregungen in diesem Bereich aufnehmen, würde die Qualität der Patientenversorgung gesteigert, und die Kosten könnten trotzdem reduziert werden. Man kann dieses Buch daher nur allen am OP-Management beteiligten Berufsgruppen, einschließlich der Krankenhausleitungen, empfehlen. Kiel, 2006 Prof. Dr. Jens Scholz Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel
VIII
Geleitworte
OP-Management aus Sicht der Pflege Die Berufsgruppe der Pflege kennt und erlebt die Zusammenhänge der Organisationsstrukturen in den jeweiligen Fachkliniken im täglichen Arbeitsablauf, wie z. B. Wegezeiten zwischen Stationen und OP, durch bauliche Infrastruktur bedingten Mehraufwand (Wartezeiten auf Aufzüge, unzureichende Schleusenkapazität im OP), nichtharmonisierende Arbeitszeiten und fehlende auf den OP-Ablauf fokussierte »workflows«. Der Pflegebereich ist immer auch mit Koordinationsaufgaben konfrontiert, sei es durch unvorbereitete Kompensation von personellen Engpässen oder flexible Gestaltung von Veränderungen im OP-Programm sowie in der gesamten, den OP betreffenden Materiallogistik. Primär geht es im OP-Management um die Optimierung der Gesamtabläufe. Der Schwerpunkt liegt in den zu koordinierenden Abläufen, nicht in der Diskussion der ärztlichen Indikationsstellungen. Für die Arbeit des OP-Managements maßgeblich und unabhängig von der Profession ist die Definition des Aufgabenbereiches mit deutlicher Kompetenzzuordnung. Ein OP-Koordinator/OP-Manager mit pflegerischem Qualifikationsprofil benötigt außer Fachlichkeit vor allem soziale Kompetenz und Konfliktstabilität, um gegen oft rigide Hierarchiestrukturen zu überzeugen. Durch die Etablierung eines OP-Managements und die Implementierung einer verbindlichen Handlungsgrundlage (OP-Statut) kann das OP-Management als Instrument für die Realisierung einer effektiven Ablauforganisation und eines optimierten Ressourceneinsatzes von Personal, Räumen, Material und Medizintechnik eingesetzt werden. Nach kritischer Betrachtung im eigenen Berufsfeld ist der Pflegebereich ebenfalls aufgefordert, Strukturdefizite zu erkennen, Lösungsstrategien zu erarbeiten sowie kooperativ und zielorientiert umzusetzen. OP-Management ist ein internes Steuerungsinstrument und sollte nicht als Fremdbestimmung verstanden werden. Gemeinsame Strategien resultieren in einer Effektivitätssteigerung, sind Motivationsanreiz und schaffen Synergieeffekte. Transparenz, Kooperation und Kommunikation müssen aktiv interdisziplinär gelebt werden, um den Versorgungsauftrag im Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Medizin und Pflege mit der Professionalität zu erfüllen, die alle Berufsgruppen für sich definieren. Reorganisationsprojekte im Krankenhaus implizieren immer einen Appell an Flexibilität und Kompromissbereitschaft. Umstrukturierungen beinhalten immer auch Konfliktpotenzial durch emotionalisierte Spannungen, tradierte Strukturen und die Priorisierung von Partikularinteressen. Das Denken in Prozessen muss erlernt und dann als integraler Bestandteil der Zusammenarbeit im OP gelebt werden. Transparenz und aktive Teilnahme aller Mitarbeiter im OP sind für eine effektive und effiziente OP-Abteilung wichtig und gleichzeitig ein Indikator für Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit. Kiel, 2006 Ina Welk Pflegerische Zentrumsleitung Medizinisches Leistungszentrum Anästhesiologie und Radiologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel
IX
Vorwort der Herausgeber Das vorliegende Buch »OP-Management: Praktisch und effizient« richtet sich an alle Mitarbeiter im OP, die sich mit OP-Management befassen: Operateure, Anästhesisten und Funktionsdienste. Es ist ein Praxisbuch, das alle wesentlichen Aspekte des OP-Managements enthält. Es vermittelt sowohl Grundlagen als auch spezifisches Fachwissen für alle Bereiche und Berufsfelder innerhalb eines effizienten OP-Managements. Das Werk soll unter anderem auch Teilnehmern von Fortbildungen in diesem Bereich als Informationsquelle dienen. Der zunehmende ökonomische Druck und die Restriktionen im Gesundheitswesen bedingen ein Umdenken der Kliniken und die kritische Betrachtung bisheriger Organisationsstrukturen. Besonders der OP-Bereich stellt sich als betriebswirtschaftlich kostenintensiv dar, da hier die höchsten Kosten für operativ zu versorgende Fälle entstehen. Auf die Personalkosten für den Funktionsdienst OP und Anästhesie, Anästhesieärzte und Operateure entfallen ca. 70% der Kosten. Hier besteht Handlungsbedarf für den Einsatz von Steuerungsinstrumenten zur prozessorientierten Ablauforganisation, für eine enge Kooperation mit den sog. Schnittstellen – zukünftig besser als Nahtstellen verstanden – und für einen effektiven sowie effizienten Ressourceneinsatz. Im Rahmen der Prozessoptimierung durch Reorganisation ist es notwendig, sowohl Teilprozesse als auch den Gesamtprozess zu betrachten und alle Beteiligten aktiv in die Umsetzung einzubeziehen. Unser Dank gilt allen Koautoren, die das Konzept und die Realisierung dieses Buches mit ihren kompetenten Fachbeiträgen erst ermöglicht haben. Theoretisches Wissen, praktische Erfahrung und Engagement der Kollegen lassen uns Herausgeber hoffen, allen Beteiligten mit dem vorliegenden Buch eine Hilfestellung zur effektiven und effizienten Gestaltung des OP-Managements an die Hand gegeben zu haben. Kiel, 2006 Ina Welk PD Dr. Dr. Martin Bauer
XI
Inhaltsverzeichnis Sektion 1:
1
Krankenhaus- und Gesundheitswesen
Der Krankenhausmarkt in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
C. Schmidt, M. Bauer 1.1 Branchenwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.2 Strategien für Akutkrankenhäuser . . . . . . . . . . . 9 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13
2
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
4
Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups« . . . . . . . . . . . . 15 A. Schleppers Pauschalierende Entgeltsysteme auf Basis der Diagnosis related groups? . . . . . . . .16 Definitionen und benötigte Daten . . . . . . . . .17 Gruppierung der »German refined – diagnosis related groups« . . . . . . . . . . . . . . . . . .20 Weiterentwicklung für das Jahr 2006 . . . . . . .22 Deutsche Kodierrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . .25 Interessante Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30
Sektion 2:
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
6
OP-Management – Effektiv durch »skills«
Controlling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 G. Schüpfer, M. Bauer Management im OP-Bereich . . . . . . . . . . . . . . .58 Kostenrechnungssysteme als Controlling-Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61 Ausgewählte Controlling-Instrumente. . . . . .63 Statistische Prozesskontrolle und CusumAnalyse nach Schüpfer et al. 2005 . . . . . . . . . .68 »Reporting« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .76
Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie . . 77
M. Schuster 6.1 Grundlagen und Definitionen . . . . . . . . . . . . . .78 6.2 Kosten der anästhesiologischen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78 6.3 Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .80 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .88
Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Schütt, M. Bauer Situation im Gesundheitssystem . . . . . . . . . . .32 Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . .32 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 Modelle und Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 Prozessorientiertes Qualitätsmanagement für den OP. . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 Messung der Ergebnisqualität. . . . . . . . . . . . . .40 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42
7
Steuerung durch Kennzahlen . . . . . . . . . 91
B. Kuss, R. Hanß, M. Bauer 7.1 Entwicklung von Dokumentationssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .92 7.2 Steuerung durch Prozessorganisation . . . . . .92 7.3 Kostenfaktor OP-Bereich – Schlüsselstellung der Anästhesie . . . . . . . . . . .93 7.4 Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
A. Möllemann, M. Hübler 4.1 Ziel und Nutzen im Krankenhaus . . . . . . . . . . .44 4.2 Klinisches Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . .45 4.3 »Critical incident reporting systems« . . . . . . .46 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53
8
Personalmanagement . . . . . . . . . . . . . . . 109
T. Iber 8.1 Wandel im Personalmanagement . . . . . . . . 110 8.2 Allgemeine Gestaltungsebenen des Personalmanagements . . . . . . . . . . . . . . 111
XII
Inhaltsverzeichnis
8.3
Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements . . 112 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Sektion 4: OP-Management praktisch: Aus der Theorie in die Praxis
9
Konfliktmanagement . . . . . . . . . . . . . . . 121
13
9.1 9.2 9.3 9.4
G. Schüpfer, M. Bauer Teamtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikt und Konflikt-management . . . . . . OP-Team und Entscheidungsqualität . . . . Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.1 13.2 13.3 13.4
122 126 129 135 136
Sektion 3: OP-Management – Effizient durch Kompetenz 10
I. Welk 10.1 Effektivität und Effizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 OP-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Strukturen im OP-Management . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Schafmayer, G. Zehle Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Langfristige Investitionsentscheidung . . . Zieldefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantifizierung und Vergleich der möglichen Methodenansätze . . . . . . . 13.5 Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Implementierung des OP-Managements . . . . . . . . . . . . . . . 139 140 140 142 148
14.1 14.2 14.3 14.4
15 11
Umsetzungsprobleme im OP-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . 149
11.6
I. Welk Hemmende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwachstellenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reorganisationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notfallmanagement und Integration von Nachmeldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EDV-Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
Prozessorientierte Maßnahmen . . . . . 157
11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
150 150 152 154 155 156
Der Weg zur Investitionsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 164 164 165 166 173
Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis . . . . . . . . . 175 D. Schlürmann, T. Baumann Ziele der Informationstechnologie im Zentral-OP-Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungen an der Klinik am Eichert. . . . . . . Erkenntnisse der Praxisanwendung . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 178 181 185
»Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade . . . . 187
M. Raetzell, M. Bauer 15.1 Grundsätzliche Überlegungen. . . . . . . . . . . 15.2 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Erarbeitung einer Standard operating procedure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Die Standard operating procedure im Routinebetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Die Kür: Klinische Behandlungspfade . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188 190 191 196 197 198
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Welk 12.1 OP-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 12.2 Reihenfolge der Operationen . . . . . . . . . . . 158 12.3 Prozessanalyse und Prozessoptimierung . 159
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 203
XIII
Die Herausgeber
Ina Welk
PD Dr. P.H. Dr. med. Martin Bauer
Seit 1980 als Krankenschwester in der Anästhesie und Intensivpflege, Weiterbildung zur Fachkrankenschwester und zur Leitung einer Funktionseinheit. Berufsbegleitende modulare Zusatzqualifikation im Studiengang Sozial- und Gesundheitsmanagement. Tätigkeit als OP-Koordinatorin im LBK-Hamburg und im Universitätsklinikum der RWTH Aachen. Abschluss der Weiterbildung OP-Management beim BDA/ DGAI. Landesbeauftragte der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste für Hamburg und Schleswig-Holstein, Dozententätigkeit zum Thema OP-Organisation und Reorganisationsprojekte im Krankenhaus. Seit 2005 pflegerische Zentrumsleitung Anästhesie und Radiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel.
Studium der Humanmedizin in Heidelberg, Betriebswirtschaft (FH) in Ulm und Public Health in Hannover. Es folgten Promotionen in Medizin und Public Health sowie Facharzt und Habilitation für das Fachgebiet Anästhesiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Kiel. Forschungsschwerpunkt ist die perioperative Versorgungsforschung, insbesondere das Kostenmanagement. Mitherausgeber der Zeitschrift »Der Anaesthesist«, Programmverantwortlicher des Kieler Master-Studiengangs »Hospital Management« sowie Mitglied im Lenkungsausschuss des »Forums Qualitätsmanagement und Ökonomie« von DGAI und BDA.
XV
Mitarbeiterverzeichnis Bauer, M., PD Dr. P.H. Dr. med.
Raetzell, M., Dr. med.
Schütt, B.
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Campus Kiel Schwanenweg 21, 24105 Kiel
Zentrale Einrichtung Informationstechnologie (ZEIT), Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Feldstraße 10–12, 24105 Kiel
Stabsstelle Organisationsentwicklung, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Brunswikerstraße 10, 24105 Kiel
Schafmayer, C., Dr. med.
Welk, I.
Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie, Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Campus Kiel Arnold-Heller-Straße 7, 24105 Kiel
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Campus Kiel Schwanenweg 21, 24105 Kiel
Baumann, T., Leiter Organisation/EDV Klinik am Eichert Eichertstraße 3, 73035 Göppingen
Hanß, R., Dr. med. Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Campus Kiel Schwanenweg 21, 24105 Kiel
Zehle, G., Dr. med., MBA, Schleppers, A., Dr. med. DGAI-Geschäftsführung, Roritzerstraße 27, 90419 Nürnberg
Schlürmann, D., Dr. med. Hübler, M., PD Dr. med. Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Universitätsklinikum Dresden, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
OP-Management, Klinik am Eichert, Eichertstraße 3, 73035 Göppingen
Schmidt, C., PD Dr. med. Iber, T., Dr. med. Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Rostock, Schillingallee 35, 18057 Rostock
Stabsstelle Organisationsentwicklung, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Brunswikerstraße 10, 24105 Kiel
Schüpfer, G., Dr. med. Kuss, B., Dr. med. OP-Management, Klinikum Bremen-Mitte, St. Jürgen-Straße 1, 28177 Bremen
Möllemann, A., Dr. med. Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Universitätsklinikum Dresden, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Stabsstelle Ärztliche Direktion, Kantonsspital Luzern, 6001 Luzern, Schweiz
Schuster, M., Dr. med. Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum HamburgEppendorf, Martinistraße 52/O 50, 20246 Hamburg
Allgemeinmedizin, Feldstraße 18, 24105 Kiel
1
Der Krankenhausmarkt in Deutschland C. Schmidt, M. Bauer
1.1
Branchenwandel – 4
1.1.1 1.1.2
Ursachen – 4 Wirkungen – 7
1.2
Strategien für Akutkrankenhäuser – 9
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4
Rechtsformwechsel – 10 Monistische Krankenhausfinanzierung – 10 Private Investoren im Gesundheitswesen – 11 Alternativen – 11
Literatur – 13
1
4
Kapitel 1 · Der Krankenhausmarkt in Deutschland
1.1
Branchenwandel
Die Gesundheitswirtschaft bildet mit ihren Teilmärkten Akutmedizin, Rehabilitation, ambulanter Sektor, Pflege und den dazugehörenden Servicebereichen eine bedeutende Branche der deutschen Volkswirtschaft. Im Jahr 2002 wurden dort mehr als 4,7 Mio. Arbeitnehmer direkt oder indirekt beschäftigt. Nur in der Automobilindustrie arbeiten mit 5,3 Mio. Arbeitnehmern mehr Menschen. Jährlich wird in der Gesundheitsbranche ein Gesamtumsatz von fast EUR 220 Mrd. erzielt und ein Ausgabenanteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 10,7% erreicht (Arnold et al. 2003). Mit Gesundheitsausgaben in Höhe von EUR 2660/Einwohner und Jahr liegt Deutschland weltweit nach den USA und der Schweiz an dritter Stelle (OECD 2003). ! Innerhalb der Gesundheitswirtschaft stellt der Krankenhausmarkt mit einem Marktvolumen von EUR 80 Mrd. und über 12.000 Einrichtungen den bedeutendsten Sektor dar, der über 5% des BIP erwirtschaftet.
Davon erreichen allein die Akutkrankenhäuser einen Umsatz von fast EUR 50 Mrd. (Arnold et al. 2003; OECD 2003). Deutschland weist mit ca. 2250 Akutkrankenhäusern und 280.700 Ärzten im europäischen Vergleich die mit Abstand höchste Krankenhaus- und Arztdichte auf (Arnold et al. 2003; Gress et al. 2002; OECD 2003).
Auch die Verweildauern in Deutschland sind die bei weitem längsten im internationalen Vergleich (⊡ Tab. 1.1). Dieser Markt befindet sich im Umbruch. Umfassende Veränderungen der Struktur und Anzahl der Krankenhäuser sind dabei zu erwarten.
1.1.1 Ursachen Die wichtigsten Ursachen für den Branchenwandel sind die zunehmende Technisierung bei den Medizinprodukten, die demographische Entwicklung der Bevölkerung mit verändertem Verhalten der Nachfrager, der fortschreitende Bettenabbau und die Einführung der diagnosebezogenen Vergütung (McKee u. Healy 2002).
Innovationen bei Medizinprodukten und Pharmazeutika Im europäischen Raum ist Deutschland der größte Markt für apparative Diagnostik und Pharmazeutika; der geschätzte Umsatz wird mit etwa US$ 12 Mrd. angegeben. Deutschland stellt damit nach den USA (US$ 66 Mrd.) und Japan (US$ 21 Mrd.) den drittgrößten nationalen Markt der Welt dar (Göldner et al. 2001). Die Wachstumsraten für diesen Markt liegen in Deutschland mit etwa 5% knapp hinter den USA. Im Bereich medizinische Produkte werden 79% des Umsatzes
⊡ Tab. 1.1. Vergleich der Akutbetten, Verweildauern, Krankenhausfälle und Ärzte in Deutschland im Vergleich zu den USA, Australien und Schweden. (Arnold et al. 2003; McKee u. Healy 2002; OECD 2003) USA
Australien
Schweden
Deutschland
2001
2000
2000
2001
Akutbetten/1000 Einwohner
2,9
3,8
3,2
6,3
Verweildauer im Krankenhaus [Tage]
5,8
6,1
5
9,3
Krankenhausfälle/100.000 Einwohner
11.238
15.771
16.255
19.730
Ärzte/1000 Einwohner
2,7
2,5
3
3,3
5 1.1 · Branchenwandel
erzielt, gefolgt von In-vitro-Diagnostika mit 13% und diagnostischen bildgebenden Verfahren mit 8% (Göldner et al. 2001). In allen Bereichen sind in den letzten Jahren neue Produkte eingeführt worden, durch die Untersuchungs- bzw. Therapieverfahren verbessert, jedoch auch höhere Kosten verursacht werden. Deutschland belegt bei den Ausgaben für Pharmazeutika international den 5. Platz nach den USA, Frankreich, Italien und Kanada. Bei aufgestellten Computertomographie(CT-) und Magnetresonanztomographie- (MRT-) Geräten/1 Mio. Einwohner liegt Deutschland 25% bzw. 50% über dem Mittelwert der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD 2003; ⊡ Abb. 1.1). Diese Faktoren sind, trotz regulativer Eingriffe der Regierung, maßgeblich für steigende Kosten im Gesundheitssystem verantwortlich (Ullrich 2002). Dabei spielen die Preise pro Untersuchungs- oder Therapieeinheit nur eine untergeordnete Rolle. Wesentlich problematischer sind die erhöhte Nachfrage, das fehlende Kostenbewusstsein bei Ärzten und Patienten sowie die fehlende Kostentransparenz für Medikamente und apparative Untersuchungen (Schmidt et al. 2003a). Krankenhäuser stecken hier in einer Zwickmühle.
1
! Während auf der einen Seite die Budgets beschränkt sind, besteht auf der anderen Seite im Rahmen des Wettbewerbs die zwingende Notwendigkeit, mit dem technischen Fortschritt und der zunehmenden Nachfrage mitzuhalten, um den Patienten einen optimalen Untersuchungs- und Therapiekomfort anbieten zu können (Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003a).
Insbesondere für neue Therapieverfahren erscheinen Regulationen bzw. Vorgaben vonseiten der Krankenkassen oder des Staates sinnvoll. Dies zeigt sich aktuell an der Diskussion um die Protonentherapie. Hier werden derzeit von einigen privaten Anbietern Anlagen im Wert mehrerer Mio. EUR aufgestellt, ohne dass eine wissenschaftliche Begleitung oder Begrenzung der Menge von Zentren, die diese Therapie anbieten, erfolgt.
Demographische Entwicklung der Bevölkerung Die Anzahl älterer Menschen in Deutschland steigt stetig; nach Angaben des statistischen Bundesamtes wird die Zahl der über 60-Jährigen von
Großgeräte/Mio. Einw.
30 25 20 15 10 5 0 MRT
CT
USA
Kanada
UK
Frankreich
Deutschland
OEC D (Median)
⊡ Abb. 1.1. Anzahl der MRT- und CT-Geräte bezogen auf 1 Mio. Einwohner des Landes im Vergleich zum OECD-Mittelwert für 1996. MRT Magnetresonanztomographie, CT Computertomographie
6
derzeit etwa 22% auf bis zu 35% im Jahr 2030 ansteigen. Dabei lag die mittlere Krankenhausverweildauer dieser Altersgruppe 1998 mit 13,1 Tagen um fast 60% über der der 18- bis 45-Jährigen (Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003b). Bezogen auf die Alterstruktur der Patienten im Krankenhaus, stellen Patienten mit 60 Jahren und älter einen Anteil von über 40% dar (⊡ Abb. 1.2). Es kommt hinzu, dass die aktuelle Entwicklung der Lebenserwartung von derzeit etwa 77 Jahren weiter ansteigen wird (Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003b). Dies wird in Zukunft auch die Indikationstellungen beeinflussen. ! Waren bisher Altersgrenzen für bestimmte Operationen vorgesehen, so müssen diese vor dem Hintergrund der höheren Lebenserwartung neu geprüft werden.
Diese Entwicklung steht der geforderten Senkung der Verweildauern entgegen, da Studien zeigen, dass die Liegezeit von hoch betagten Patienten signifikant höher ist als von vergleichbaren Kollektiven. Als Folge ist mit einem zukünftig ansteigenden Bedarf von medizinischer Versorgung zu rechnen, dem jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nur begrenzte Ressourcen gegenüberstehen. Daher muss es zwangsläufig zu einer verstärkten Auslagerung von medizinischen Leistungen in den ambulanten Sektor
60 Anteil Patienten[%]
1
Kapitel 1 · Der Krankenhausmarkt in Deutschland
55 47
50 40
39
30 20 10 0
1994
2004
2050
Jahr ⊡ Abb. 1.2. Anteil der über 65-jährigen Patienten im Krankenhaus
kommen (Bauer u. Bach 1999; Bundesministerium für Gesundheit 2000; MacAdam 2000). Ansatzpunkte hierfür finden sich in zahlreichen bisher stationär erbrachten Leistungen, wie z. B. Varizen- und Hernienoperationen, die ohne Einschränkungen der Behandlungsqualität ambulant vorgenommen werden könnten.
Fortschreitender Bettenabbau Seit 1990 ist eine Verringerung der Anzahl von Krankenhausbetten um fast 17% (-112.914) zu verzeichnen; im selben Zeitraum hat sich die Anzahl der Krankenhäuser jedoch nur um 7% (-172) verringert (Arnold et al. 2003). Parallel zu dieser Entwicklung erhöhte sich die Anzahl der stationären Behandlungsfälle um über 2,6 Mio. Behandlungen (19%) auf 16,5 Mio. Fälle/Jahr; hierbei hat sich die durchschnittliche stationäre Verweildauer in den letzten 10 Jahren um fast ein Drittel von 14,6 auf 9,6 Tage verkürzt (⊡ Tab. 1.2). Dieser Trend ist in fast allen OECDLändern nachzuweisen und im Wesentlichen auf die Einführung von fallbezogenen Vergütungssystemen zurückzuführen. Deutschland weist im europaweiten Vergleich die längsten Liegezeiten auf (OECD 2003). Kürzere Liegezeiten scheinen im stationären Bereich pro Tag jedoch service- und kostenintensiver zu sein und setzen zudem adäquate Ressourcen in der ambulanten Post-akut-Behandlung voraus (McKee u. Healy 2002; OECD 2003). ! Um mit weniger Betten mehr Patienten in kürzerer Zeit zu behandeln, sind die meisten Krankenhäuser mit der Notwendigkeit von Investitionen in umfassende infrastrukturelle, personelle und organisatorische Maßnahmen konfrontiert.
Der Blick nach Skandinavien zeigt, dass bei kürzeren Liegezeiten mehr Personal im Krankenhaus notwendig ist. Daher ist es fraglich, ob die Kosten im stationären Sektor mit einer Liegezeitverkürzung nachhaltig gesenkt werden können.
1
7 1.1 · Branchenwandel
⊡ Tab. 1.2. Entwicklung der Liegezeiten, Krankenhausfälle, Krankenhausbetten, Anzahl von Krankenhäusern in Deutschland und Marktvolumen in den Jahren 1991 und 2001. (McKee u. Healy 2002; OECD 2003) 1991
2001
Veränderung Total
[%]
Anzahl der Krankenhäuser
2411
2239
-172
-7%
Krankenhausbetten insgesamt
665.565
552.651
-112.914
-16,9%
Krankenhausfälle/Jahr
13.924.907
16.486.672
2.561.768
+19,1%
Liegetage im Krankenhaus
14,6
9,8
-4,8
-32,9%
Marktvolumen
EUR 43 Mrd.
EUR 61 Mrd.
EUR 18 Mrd.
+41,9%
Einführung der diagnosebezogenen Vergütung Die wichtigsten Änderungen werden durch die Einführung der »diagnosis related groups« (DRGs) erwartet. Diese zwingen Krankenhäuser gleich in mehreren Bereichen zum Handeln. Zum einen müssen notwendige Strukturen zur Kostenkontrolle eingeführt werden, um eine Transparenz im Ressourceneinsatz zu ermöglichen (Dick u. Zielke 2002). Hierzu zählt sowohl das Preisbewusstsein für Medikamente und Medizinprodukte bei Ärzten sowie Pflegekräften als auch ein prozessnahes »controlling«, das im »feedback« mit den Leistungserbringern steht (El-Din et al. 2002). Zum anderen sind zur Abrechnung der DRGs effiziente elektrische Datenverarbeitungs- (EDV-)Strukturen erforderlich (Mansky u. Repschläger 2002). Weiterhin werden Krankenhäuser analysieren, mit welchen Fällen zukünftig profitabel gewirtschaftet werden kann. Krankenhäuser werden ihre Angebotsstruktur am Markt entsprechend ausrichten müssen, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten (Lüngen u. Lauterbach 2002). Dieses beinhaltet eine Straffung des Leistungsangebots, insbesondere in kleineren Krankenhäusern und eine Spezialisierung auf bestimmte Leistungen, um die im Rahmen der DRGs verbindlichen Mindestmengen für bestimmte Fallgruppen erbringen zu können.
! Für eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit sind ein aktives Management des Patienten-Portfolios, eine strategische Positionierung des Leistungsangebots sowie die Optimierung der Behandlungsprozesse einer Klinik notwendig (Lüngen u. Lauterbach 2002).
Für diese Aufgaben, jedoch auch im Umgang mit der neuen Kodierlogik, werden qualifizierte Mitarbeiter benötigt. Der Wettbewerb um Patienten wird also durch das Konkurrieren um qualifizierte Mitarbeiter noch verschärft (Schmidt et al. 2003b). Die Effekte der DRGEinführung auf den Markt sind in (⊡ Abb. 1.3) zusammengefasst.
1.1.2 Wirkungen Die zu erwartenden Wirkungen des Branchenwandels betreffen die Ablösung fragmentierter Versorgungsformen durch integrierte Angebote, die Zunahme der Transparenz des Leistungsgeschehens, die Verschärfung des Wettbewerbs der Krankenhäuser untereinander und des Finanzierungsbedarfs sowie die Erhöhung des Anteils von Akutkrankenhäusern in privater Trägerschaft.
8
Kapitel 1 · Der Krankenhausmarkt in Deutschland
Prozessorientierung
1
Spezialisierung der Krankenhäuser und beschleunigte Konsolidierung
Kostenersparnis durch Änderung der Vergütungsmodalitäten und Marktkonsolidierung
Transparenz und Rationalisierung
Patientenmanagement, integrierte Versorgung und ambulante Behandlung
⊡ Abb. 1.3. Einfluss des DRG-Vergütungssystems auf den Krankenhausmarkt. (Kongstvedt 1997; Sandfort 2001)
Ablösung fragmentierter Versorgungsformen durch integrierte Angebote
Zunahme der Transparenz des Leistungsgeschehens
Wichtige Segmente des Krankenhausmarktes, beispielsweise Akutkrankenhäuser, Rehabilitationskliniken und Pflegeeinrichtungen, weisen derzeit erhebliche strukturelle Unterschiede auf. Langfristig werden diese Märkte jedoch zusammenwachsen, da die Krankenkassen zunehmend an Verträgen mit Komplettanbietern, die alle Bereiche integrieren, interessiert sind (Kastenholz et al. 2002; Schmidt et al. 2003b; Strehl 2003; Schrappe 2003). Hier bestehen insbesondere für private Klinikketten Vorteile, da diese im Rahmen von Kooperationsmodellen und Akquisitionen die 3 Sektoren vernetzen können. Die bereits bestehenden internen Organisationsstrukturen und die vorhandenen finanziellen Mittel begünstigen private Träger in diesem Bereich zusätzlich (Schmidt et al. 2003b). Für öffentliche Krankenhäuser sind integrierte Versorgungsangebote nur im Verbund mit anderen Krankenhäusern bzw. Rehabilitationseinrichtungen möglich (Fischer 2003).
Sowohl durch die Abrechnung nach DRGs als auch durch die Verpflichtung zum internen Qualitätsmanagement werden in größerem Maße Standards auf die Krankenversorgungsprozesse übertragen (»clinical pathways«; Dick u. Zielke 2002; Rychlik1999; Schrappe 2003). Pauschale Vergütungsformen bedeuten durch die exaktere Dokumentation (z. B. bei Komplikationen) eine Zunahme der Transparenz des Leistungsgeschehens (Möller 2001; Pietsch-Breitfeld 1999). Dieses wird durch die Etablierung von »disease management programs« (DMPs) hinsichtlich standardisierter Behandlungsabläufe noch erhöht (Kongstvedt 1997; Strehl 2003). Darüber hinaus ist zu erwarten, dass »case manager« und »disease manager« der Krankenkassen in Zukunft die Einhaltung der vorgegebenen Standards vor Ort überprüfen und Nichteinhaltungen ggf. sanktionieren werden (König 2001). Solche Beispiele sind aus den USA bekannt (Kongstvedt 1997; Maydell1988). Folglich ist die Zunahme der Transparenz des
9 1.2 · Strategien für Akutkrankenhäuser
1.200 1.000 Anzahl KH
Leistungsgeschehens und der Konzentration auf die Prozesse eine Konsequenz der veränderten Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen bzw. Krankenhausmarkt (Ullrich 2002).
Erhöhung des Anteils von Akutkrankenhäusern in privater Trägerschaft Ferner ist eine weitere Zunahme von Privatisierungen öffentlich getragener Krankenhäuser zu erwarten (Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003b; Strehl 2003). Während sich die Anzahl
800 600 400 200 0
Verschärfung des Wettbewerbs und des Finanzierungsbedarfs Infolge des sich verstärkenden Wettbewerbs wird sich bei Krankenhäusern ein enormer Bedarf an finanziellen Mitteln für EDV-Systeme, Infrastruktur und qualifizierte Mitarbeiter ergeben, der auf etwa EUR 50 Mrd. in den nächsten 20 Jahren geschätzt wird (Meder 2002; Schmidt et al. 2003b; Silvers 2001; Strehl 2003). Daneben wird die wachsende Nachfrage nach medizinischer Versorgung in den nächsten Jahren zu einer Veränderung der Behandlungsmodalitäten führen (Maydell 1988). Durch die pauschale Vergütung von Krankenhausleistungen sollen die Behandlungskosten möglichst niedrig gehalten werden (Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, SVR/KaiG, 2003). Ob dies vor dem Hintergrund eines fortschreitenden Ärztemangels und vielerorts desolater Infrastrukturen zukünftig ohne Einschränkungen der Versorgungsqualität und der Zufriedenheit der Patienten einhergehen kann, ist jedoch fraglich (Schmidt et al. 2003c). Lösungsansätze ergeben sich hier durch Verträge im Rahmen der integrierten Versorgung, die ambulante Behandlungen im Krankenhaus durch Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten ermöglichen (Baur et al. 2001, Bundesministerium für Gesundheit 2000; SVR/KaiG 2001). Auf diese Weise könnte zumindest ein Teil der personellen Engpässe aufgefangen werden.
1
1990
Öffentliche KH
1996
2000/01 2005 2015 Jahr Freigemeinnützige KH Private KH
⊡ Abb. 1.4. Änderung der Trägerschaften von Krankenhäusern (KH) in Deutschland in den letzten Jahren und prognostizierte Entwicklung bis 2015. (Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003b)
der Krankenhäuser in privater Trägerschaft zwischen 1991 und 2001 von 4 auf 7% nur knapp verdoppelte, ist zukünftig mit einer wesentlich größeren Privatisierungswelle zu rechnen (Schmidt et al. 2003b; Strehl 2003). Haupttreiber dieser Entwicklung wird der immer stärker wachsende Kosten- und Investitionsdruck sein, der infolge der aktuellen Haushaltslage auf den öffentlichen Trägern lastet. So wird erwartet, dass sich der Anteil an privaten Akutkliniken in den nächsten 10 Jahren auf bis zu 40% erhöht (⊡ Abb. 1.4; Meder 2002; Mörsch 2002; Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003b; Strehl 2003). Neuerdings sind hiervon auch Universitätskliniken, wie beispielsweise in Gießen und Marburg, betroffen.
1.2
Strategien für Akutkrankenhäuser
Angesichts der angedeuteten Ursachen und Wirkungen des Branchenwandels erscheinen aus Sicht der Akutkrankenhäuser mehrere Strategien denkbar. Sie können sich einem Rechtsformwandel unterziehen, eine monistische Krankenhausfinanzierung anstreben oder den Anschluss an einen privaten Investor im Gesundheitswesen suchen. Alternativ sind »public private partnerships« (PPPs) zu nennen.
10
Kapitel 1 · Der Krankenhausmarkt in Deutschland
1.2.1 Rechtsformwechsel
1 Eine Möglichkeit kommunaler Krankenhäuser zur Reaktion auf die veränderte Situation besteht in einem Rechtsformwechsel in eine Kapitalgesellschaft. Die sich hieraus ergebenden Vorteile sind erheblich: Zunächst wird die Voraussetzung geschaffen, Unternehmensanteile oder das ganze Unternehmen an einen privaten Dritten zu veräußern. Weiterhin ist eine KrankenhausGmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) oder AG (Aktiengesellschaft) als eigenständige Rechtspersönlichkeit rechtlich und organisatorisch von der Kommune abgekoppelt (Müller u. Borchert 2002). Die Haftung und der Verlustausgleich erfolgen durch das Gesellschaftsvermögen. Der Kapitalbedarf kann durch die Aufnahme von Krediten bedient werden, ohne den öffentlichen Haushalt zu belasten. Sowohl eine Aufnahme von Gesellschaftern als auch die Ausgründung von Teilbereichen, wie z. B. Küche oder Wäscherei, sind nun möglich. Die Flexibilität, insbesondere im operativen Bereich, wird durch die geringere Anzahl an Organen und das alleinige Handeln des Geschäftsführers deutlich erhöht. ! Der Rechtsformwechsel als solcher garantiert noch keine wirtschaftliche Betriebsführung; er schafft lediglich Strukturen für effizienteres und effektiveres Handeln.
Einflussmöglichkeiten der Kommune verbleiben auf dem Weg der Besetzung des Aufsichtrats und der Gesellschafterversammlung (Müller u. Borchert 2002; Rocke 2002). Generelle Probleme können sich durch den mit dem Rechtsformwandel verbundenen Wegfall des Bundesangestelltentarifs (BAT), der Altervorsorge und des Kündigungsschutzes ergeben. Zahlreiche Beispiele haben jedoch gezeigt, dass diese Hindernisse durch Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, Beteiligung der Arbeitnehmerschaft am Aufsichtsrat und Personalüberleitungsverträge zu überwinden sind (Fischer 2003). Der Rechtsformwandel zur
gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung [(g)GmbH] oder gemeinnützigen Aktiengesellschaft [(g)AG] bietet darüber hinaus die Möglichkeit, ein Krankenhaus auf die kommenden Änderungen vorzubereiten, ohne z. B. auf karitative Grundwerte verzichten zu müssen (Müller u. Borchert 2002).
1.2.2 Monistische Krankenhaus-
finanzierung Eine Verbesserung der Wettbewerbssituation für öffentliche Krankenhäuser kann durch eine Umstellung der Krankenhausfinanzierung von der bisherigen dualen Vorgehensweise (Betriebskosten werden von Krankenkassen und Investitionen von Ländern getragen) hin zu einer monistischen Vorgehensweise (Finanzierung von Betriebs- und Investitionsausgaben aus einer Hand) erreicht werden. Die Entscheidungen der Länder über Investitionen haben nicht nur zu Überkapazitäten geführt, sondern auch dazu, dass die Folgekosten von Krankenkassen übernommen wurden, die bei den überwiegend politisch-bestimmten Investitionsentscheidungen nicht beteiligt waren. Dagegen sind zahlreiche, aus Krankenkassensicht finanziell sinnvolle Investitionen unterblieben, weil Länder und Kommunen ihre Kalkulationen auf politischer Basis tätigen (Henke u. Hansmeyer 1997). ! Durch die zweigeteilte Finanzierung stehen Krankenhausbetreiber vor der Situation Investitions- und Betriebskosten nicht allein unter wirtschaftlichen Aspekten abwiegen zu können (Henke u. Hansmeyer 1997).
Dieses Thema wird bereits seit Jahren diskutiert, ohne dass man sich einer spürbaren Lösung genähert hätte (Mörsch 2002). Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist eine stärkere Einbindung der Krankenkassen in die Planungs- und Investitionsprozesse wünschenswert, um eine bedarfsgerechtere Krankenhausversorgung zu gewährleisten. Erfolgreiche Anwendungen sind
11 1.2 · Strategien für Akutkrankenhäuser
in Holland und in Deutschland im Bereich der Rehabilitationskliniken zu finden (Henke u. Hansmeyer 1997).
1.2.3 Private Investoren
im Gesundheitswesen Von fehlenden Investitionen im Gegenwert von EUR 25–50 Mrd. im deutschen Gesundheitswesen sind derzeit insbesondere allein stehende Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft betroffen. Ihnen fehlt die Schlagkraft, um durch Zentralisierung wichtiger Kernbereiche (z. B. Management, Controlling, Qualitätssicherung, Öffentlichkeitsarbeit, Einkauf) Einsparungen erzielen zu können. Eine wettbewerbsfähige Infrastruktur vorzuhalten, fällt allein stehenden Krankenhäusern daher zunehmend schwer. Vor diesem Hintergrund gewinnen Finanzinvestoren, strategische Investoren und private Krankenhausbetreiber bzw. Klinikketten zunehmend an Bedeutung (Fischer 2003; Sandfort 2001; Schmidt et al. 2003b). ! Finanzinvestoren zeichnen sich durch rein gewinnorientierte »engagements« aus.
Im Gegensatz zu industriellen, strategischen Investoren, wie z. B. der Fresenius AG mit ihrer Tochter Fresenius Pro Serve, die die Helios Kliniken gekauft haben (Preusker 2002), sind Finanzinvestoren nicht an der Technologie bzw. dem Kundenzugang interessiert, sondern nur an einer möglichst hohen Rendite (Fischer 2003; Schmidt et al. 2003b). Darin unterscheiden sie sich auch von Krankenhausbetreibern, die durch stetige Expansion eine strategische Position am Krankenhausmarkt erreichen wollen, um auf diese Weise Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Ein weiteres Merkmal von Finanzinvestoren ist, dass ihr finanzielles Engagement zeitlich limitiert ist (Fischer 2003). Private Krankenhausbetreiber im In- und Ausland haben die Möglichkeit zur Beschaffung von Finanzmitteln über den Kapitalmarkt.
1
Sie unterliegen auch nicht dem öffentlichen Dienst-, Bau- sowie Einkaufsrecht und können durch diese Vorteile eine wettbewerbsfähige Infrastruktur vorhalten (Fischer 2003; Schmidt et al. 2003b). Öffentlich getragene Krankenhäuser haben diese Möglichkeiten häufig nicht. Daher führen private Klinkketten heute schon etwa die Hälfte aller Instandhaltungen im Klinikbereich durch, obwohl sie nur etwa 10% der Klinikbetten in Deutschland betreiben (Meder 2002; Mörsch 2002). Die Unternehmensstrategie aller deutschen und ausländischen Klinikketten ist expansiv ausgerichtet. Überwiegend werden Häuser in öffentlicher Trägerschaft aufgekauft, da diese das größte Optimierungspotenzial aufweisen (Fischer 2003; Schmidt et al. 2003b). Für die Auswahl eines Kaufobjektes spielen dabei Faktoren, wie starke gewerkschaftliche Organisation des Krankenhauses, Ausmaß der Einbindung in die Lokalpolitik, Optimierungspotenzial und regionale Lage, eine Rolle (Fischer 2003).
1.2.4 Alternativen Insbesondere im Bereich der freigemeinnützigen Krankenhäuser sind Alternativen zu Privatisierung und Verkauf anzutreffen. ! Im Rahmen von Verbundbildungen und Fusionen können ebenfalls Synergieeffekte durch Zentralisierung von Einkauf, Management sowie Versorgung ausgeschöpft werden, und durch die im Verbund entstehende Größe kann eine regionale Marktführerposition ausgebaut werden.
Einige dieser Unternehmen erreichen dabei Effizienzniveaus privater Trägerschaften (Fischer 2003). Darüber hinaus sind Verbundbildungen und Fusionen politisch häufig einfacher durchzusetzen, da die kommunale Einflussnahme als Anteileigner gewährleistet werden kann. Als nachteilig haben sich jedoch die teilweise komplexen Managementstrukturen und die Zusam-
12
1
Kapitel 1 · Der Krankenhausmarkt in Deutschland
⊡ Tab. 1.3. Chancen von Public private partnerships für den Krankenhaussektor Nachhaltige Chance
Vereinfachung von Strukturen und Abläufen: Abbau von Managementkomplexitäten Kostenentlastung In- und Outsourcing bestimmter Leistungen
Strategische Chancen
Kostenneutrale und risikofreie Teilhabe am technischen Fortschritt Markterschließung Verbreiterung der Know-how-Basis Wertschöpfung
Wirkungsvolle Mittel
Trennung von handlungseinschränkenden Bedingungen: Tarif, Altersversorgung, minderqualifizierte Mitarbeiter, ideenloses Management
menführung unterschiedlicher Krankenversorgungskulturen erwiesen (Fischer 2003). Als weitere Alternative sind schließlich auch Verbesserungen der finanziellen Situation bzw. Organisation im Rahmen von Minderheitsveräußerungen und Managementverträgen mit privaten Betreibern zu erwähnen (Fischer 2003). Diese können als PPPs umgesetzt werden. Ein PPP ist eine öffentlich-private Partnerschaft/Kooperation, um gemeinsam öffentliche Aufgaben wahrzunehmen. Die Rechtsform kann z. B. eine GmbH sein, an der sowohl die öffentliche Verwaltung als auch private Träger als Gesellschafter beteiligt sind. Ziel ist es, durch diese Partnerschaft Synergieeffekte zu nutzen. Erfolgreiche Beispiele sind bereits bei der Abfallentsorgung, dem Betrieb von Schulen und im öffentlichen Personennahverkehr zu finden. Die Chancen von PPPs sind in ⊡ Tab. 1.3 zusammengefasst. ! Die Kooperation in Form einer PPP eignet sich im Krankenhaus in einzelnen Bereichen, wie Apotheke, Labor, Sterilisation sowie Teile der Verwaltung, und in ausgewählten Kliniken.
Beispiele für Kliniken sind in den universitären Zentren für Herzchirurgie in Greifswald, Dresden und Leipzig zu finden. Ausgliederungen von Laboren und Radiologieleistungen in Köln und Frankfurt.
Fazit
I
I
Die dargestellten Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen stellen insbesondere die Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft vor große Herausforderungen. Der zunehmende Wettbewerb, kombiniert mit stetig wachsendem Kosten- und Investitionsdruck, wird gerade diese Einrichtungen betreffen, da hier der Unterschied zwischen dem Investitionsbedarf und den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen am größten ist. Insofern werden öffentliche Krankenhäuser sowohl vom zunehmenden Bettenabbau als auch von Übernahmen durch private bzw. strategische Investoren überproportional stark betroffen sein, wenn keine alternativen Lösungsstrategien im Rahmen von Verbundbildungen und Fusionen ergriffen werden. Aufgrund der zu erwartenden Privatisierungen darf davon ausgegangen werden, dass der Anteil von Krankenhausbetten in privater Trägerschaft von heute etwa 7% auf rund 40–45% im Jahr 2015 wächst. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur logisch, wenn die von privaten Krankenhausbetreibern in der Vergangenheit gezahlten Kaufpreise für Krankenhäuser derzeit spürbar ▼
13 Literatur
nachgeben. Die Träger öffentlicher Krankenhäuser sind daher gut beraten, die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und die von ihnen betriebenen Einrichtungen auf die neuen Anforderungen einzustellen. In zunehmendem Maße werden jedoch auch strategische Neuausrichtungen in Großkliniken beobachtet. Insbesondere an den Universitätskliniken Hannover (MHH) und Schleswig-Holstein (UK S-H) wurde die Strategie des Unternehmens und seiner Segmente durch die Implementierung einer »balanced scorecard« neu ausgerichtet. Interessanterweise ist dabei zu beobachten, dass ein besonderer Fokus auf die Neustrukturierung der Prozesse im Unternehmen gelegt wird. Hier sind laut Aussagen der Beteiligten am ehesten Veränderungen zu realisieren, da es an Mitteln für die Verbesserung der Strukturen mangelt und die Ergebnisse nur mit Einschränkungen hinreichend genau gemessen werden. Daher zeigen die nachfolgenden Kapitel Ansätze zur Optimierung von Prozessen im Krankenhaus.
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14
1
Kapitel 1 · Der Krankenhausmarkt in Deutschland
druck zu neuen Wegen in der Krankenhausfinanzierung zwingt. Führen Wirtschaften 2: 182–185 Möller J (2001) Methoden zur Bewertung der Qualität im Gesundheitswesen. Ein Überblick. Gesund Okon Qual Manag 6: 26–33 Mörsch M (2002) Die ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs im Gesundheitswesen: Anspruch, Realität und wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. Gesundh Okon Qual Manag 7: 155–160 Müller L, Borchert W (2002) Die formale Privatisierung kommunaler Krankenhäuser allein ist kein Garant für den wirtschaftlichen Erfolg. Führen Wirtschaften 4: 362–365 Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) (ed) (2003) OECD Health Data 2003: a comparative analysis of 30 countries. OECD Publication Service, Paris Pietsch-Breitfeld B (Hrsg) (1999) Qualitätsmanagement in Gesundheitsorganisationen: Konzepte, Evaluation und Konzept der Evaluation. Asgard, St. Augustin, S 93–103 Preusker UK (2002) Auf die Vision kommt es an. Ziele und Strategien der Fresenius AG. Klinik Markt 5: 38–41 Rocke B (2002) Zur Theorie und Praxis der Kooperationen und Fusionen im Krankenhausbereich. Krankenhaus 7: 531–535 Rychlik R (Hrsg) (1999) Gesundheitsökonomie und Krankenhausmanagement. Grundlagen und Praxis. Kohlhammer, Stuttgart, S 22–23 Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR/KaiG) (2001) Gutachten 2000/2001, Bd III: Über-, Unter- und Fehlversorgung, Berlin, 2001. http: //www.svr-gesundheit.de. Gesehen 12 Sept 2003 Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR/KaiG) (2003) Gutachten 2003, Bd II, Kap 6.5. Qualität und Versorgungsstrukturen, Berlin. http: //www.svr-gesundheit.de. Gesehen 12 Sept 2003 Sandfort R (2001) Akut Krankenhausmarkt in Deutschland. DRGs beschleunigen Marktumbruch. Studie von Sal Oppenheim Research GmbH. http: //www.oppenheim.de/ channel/presse/pressemitteilungen/011001. htm. Gesehen 12 Sept 2003 Schmidt C, Mohr A, Möller J, Levin-Scherz J, Heller M (2003a) Radiologie unter Managed-Care-Bedingungen. Einsparpotenziale aus Sicht einer Krankenversicherung in den USA. Rofo Fortschr Geb Rontgenstr Neuen Bildgeb Verfahr 175: 1198–1206 Schmidt C, Möller J, Gabbert T, Engeler F (2003b) Investoren im Krankenhausmarkt. Dtsch Med Wochenschr 128: 1551–1556 Schmidt C, Möller J, Reibe F, Güntert B, Kremer B (2003c) Patientenzufriedenheit in der stationären Versorgung.
Stellenwert, Methoden und Besonderheiten. Dtsch Med Wochenschr 128: 619–624 Schrappe M (2003) The hospital perspective: disease management and integrated health care. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 97: 195–200 Silvers JB (2001)The role of the capital markets in restructuring health care. J Health Polit Policy Law 26: 1019–1030 Strehl R (2003) Privatisierungswelle im deutschen Krankenhauswesen? In: Arnold M, Klauber J, Schellschmidt H (Hrsg) Krankenhausreport 2002. Schattauer, Stuttgart Ullrich V (2002) Medizinisch-technischer Fortschritt, demographische Alterung und Wachstum der Gesundheitsausgaben: Was sind die treibenden Faktoren? Gesundh Okon Qual Manag 5: 163–172
2
Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups« A. Schleppers
2.1
Pauschalierende Entgeltsysteme auf Basis der Diagnosis related groups? – 16
2.1.1 2.1.2
Besonderheiten der DRG-Einführung in Deutschland Qualitätsmanagement – 17
2.2
Definitionen und benötigte Daten – 17
2.3
Gruppierung der »German refined – diagnosis related groups« – 20
2.4
Weiterentwicklung für das Jahr 2006 – 22
2.4.1 2.4.2 2.4.3
Datengrundlage – 22 Wesentliche Ergebnisse und Änderungen von 2005 auf 2006 modifiziert nach Abschlussbericht G-DRG 2006 – 22 Auswirkungen auf die ICD-10- und OPS-Klassifikationen – 24
2.5
Deutsche Kodierrichtlinien – 25
2.5.1 2.5.2
Allgemeine Budgetberechnung – 25 Budgetberechnung für Anästhesieeinrichtungen
2.6
Interessante Adressen – 30 Literatur – 30
– 16
– 25
16
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
2.1
Pauschalierende Entgeltsysteme auf Basis der Diagnosis related groups?
2 Die Wurzeln der »Diagnosis-related-group(DRG-)Systeme« liegen in den USA. Hier werden Gruppierungssysteme für einzelne Krankheitsfälle (Behandlungsfallgruppen) bereits seit mehr als 15 Jahren zu Vergütungszwecken eingesetzt. Anhand vordefinierter Hierarchiestufen können dabei unterschiedlichste (alle) Behandlungsfälle in klassifizierte Behandlungsfallgruppen eingeordnet werden. Diesen wird wiederum ein bestimmter Erlös zugeordnet. Die klassifizierende Zuordnung wird mithilfe standardisierter Grouper-Verfahren EDV-gestützt durchgeführt. In vielen Ländern Europas wurden frühe Versionen des amerikanischen DRG-Systems übernommen und mit eigenen Daten sowie Kalkulationen über Jahre hinweg weiterentwickelt. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Systeme v. a. in der Anzahl der Gruppen, in die einzelne Behandlungsfälle eingeordnet werden, sowie in der Wertung von Begleiterkrankungen und Komplikationen.
2.1.1 Besonderheiten der DRG-
Einführung in Deutschland In Deutschland soll ein für fast alle stationären Behandlungsfälle geeignetes und sachgerecht kalkuliertes Vergütungssystem entwickelt werden. Die erste Version hat dabei in vielen Fallgruppen gezeigt, wie heterogen die zugrunde liegende Datenbasis strukturiert ist, und welche Verwerfungen mit der Realabbildung hierdurch ausgelöst worden sind. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt sich, dass dort DRG-basierte Vergütungssysteme teilweise über Jahre hinweg weiterentwickelt und zunächst nur in exemplarischen Teilbereichen eingeführt worden sind. Auch in Deutschland hat man dies nun erkannt und politisch akzeptiert, dass der Anpassungsprozess an die Realität nur über mehrere Jahre hinweg erfolgen kann. Dies erfordert
jedoch von den Beteiligten im Krankenhaus, bei Krankenkassen und in der Politik die Akzeptanz eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, der die Prognose von kommenden Änderungen und damit die strategische Planung erheblich kompliziert. Die Weiterentwicklungen des deutschen DRG-Systems (»German refined – diagnosis related groups«, G-DRGs) für das Jahr 2006 zeigen, wie ganze Fallgruppen völlig neu kalkuliert, neue DRGs geschaffen und andere DRGs ganz entfallen sind. Eine Besonderheit im Vergleich mit anderen DRG-Nationen liegt im Umfang des geplanten Systems für Deutschland. Während in den meisten Ländern mit DRGbasierten Vergütungssystemen nur ein Teil der stationären Fälle oder nur bestimmte Krankenhausgruppen in das System miteinbezogen wurden, sollen in Deutschland alle stationären Fälle (mit Ausnahme psychiatrischer Fälle) in allen Krankenhäusern in das neue Vergütungssystem integriert werden. So werden in den USA bis zu 40% der Krankenhauserlöse über andere Quellen als das DRG-System finanziert. Ausgleichsmechanismen, wie sie zu Zeiten der Krankenhausbudgets auf der Basis von Sonderentgelten, Abteilungspflegesätzen etc. bestanden haben, wird es in Deutschland kaum mehr geben. Nachdem sich nun im Jahr 2005 die Kodierverantwortlichen vor Ort in die Systeme eingearbeitet haben, wird der Dokumentationsprozess durch die Veränderungen im neuen Operationenschlüssel- (OPS-) Katalog und im Katalog der »International Classification of Diseases and Related Health Problems« (ICD) für das Jahr 2006 und die damit verbundenen Anpassungen der Kodierrichtlinien erschwert. Der OPS-301, dessen gesetzlicher Zweck die Verschlüsselung von Maßnahmen ist, wurde in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet. Dabei wurde auch Kritik an einer zu umfänglichen Erweiterung geübt. Um jedoch den bestehenden Erweiterungsforderungen aus dem Kreis der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften Rechnung zu tragen, ist auch in der derzeitigen Version eine umfängliche Erweiterung und Anpassung des amt-
17 2.2 · Definitionen und benötigte Daten
lichen Schlüssels, insbesondere auch im Bereich Schmerztherapie und Intensivmedizin, durchgeführt worden. Diese Erweiterung soll einerseits helfen, die internen Kalkulationen zu verbessern, und andererseits eine zukünftige weitere Differenzierung des DRG-Fallpauschalen-Katalogs für bestimmte Fachgebiete zu ermöglichen.
2.1.2 Qualitätsmanagement Anscheinend unabhängig vom § 17b hat der Gesetzgeber die Neuformulierung der §§ 135, 136, 137 Sozialgesetzbuch (SGB) V durchgeführt. Hier werden einschneidende Forderungen an die Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagementkonzeptes gestellt. Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt die enge Verknüpfung eines DRG-basierten Vergütungssystems mit bindenden Standards für das Qualitätsmanagement. Als Konsequenz der Verknüpfung von Qualitätskriterien mit ökonomischen Daten wird der Ruf nach einer Steuerung des Patienten in diesem System immer lauter. Inzwischen ist durch die erstmals im Jahr 2005 erstellten Qualitätsberichte der Krankenhäuser eine neue »Realität« in der Transparenz der Außendarstellung eingetreten. Einige Krankenkassen nutzen bereits jetzt intensiv dieses »tool«, um daraus eine Steuerungsfunktion für Patienten zu implementieren. Unterstützt wird damit die Forderung nicht nur der Krankenkassen und Versicherungen, den Einstieg in ein Einkaufsmodell von Krankenhausleistungen zu beginnen, auch politisch wird derzeit mit dieser möglichen Variante der Kostensteuerung geliebäugelt. Weiterte interessante Informationen zu diesem Thema sind auf der Homepage der AOK unter http://www.aok-klinik-konsil.de zu finden.
2.2
Definitionen und benötigte Daten
Diagnosis related groups sind durch Diagnosen und Prozeduren beschriebene kostenhomogene Fallgruppen, die je nach Systematik eine mehr
2
oder minder ausgeprägte medizinische Homogenität aufweisen. In Zukunft wird ein Behandlungsfall in der Regel einer Fallgruppe mit einem Entgelt zugeordnet. Durch die im Einzelfall nichtbeeinflussbare Systematik des Klassifizierungsalgorithmus werden bestimmte Behandlungsabläufe u. U. nicht mehr adäquat vergütet. Die Datengrundlage für die DRG-Eingruppierung stellt die Verschlüsselung der Diagnosen nach der »International Classification of Diseases and Related Health Problems-10 German Modification« (ICD-10-GM) und der Prozeduren nach dem OPS in der jeweils aktuellen und gültigen Version dar. Einige wenige weitere Daten werden dann in ihrer Gesamtheit entgeltbestimmend: ▬ Alter, ▬ Geschlecht, ▬ Aufnahmegewicht, ▬ Aufnahmegrund, ▬ Beatmungsstunden, ▬ Hauptdiagnosen, ▬ Nebendiagnosen 1-n, ▬ Prozeduren 1-n, ▬ »intensive scoring« [»therapeutic intervention scoring system« (TISS), »simplified acute physiology score« (SAPS)] und ▬ Entlassungsgrund. Im Gegensatz zur Abrechnung über Pflegesätze, Fallpauschalen und Sonderentgelte spielen die Dauer des Aufenthalts und die Abteilung, in der der Patient liegt, praktisch keine Rolle. ! In allen DRG-Systemen gibt es bestimmte Kennzahlen, die für die Interpretation der erfassten und berechneten Daten erforderlich sind und sozusagen das Handwerkszeug für den Umgang mit DRGs darstellen.
Dieses Vokabular ist besonders für Ärzte wichtig, damit in den Diskussionen mit »Controlling-Instanzen« und Verwaltung eine einheitliche Sprache gesprochen wird und es bei der Zielplanung und Leistungszielfestsetzung nicht zu Verwirrungen kommt. Es soll daher in der folgenden Übersicht näher erläutert werden.
18
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
DRG relevante Begriffe Abrechenbare DRG: DRGs, die den unter-
2
schiedlichen Ressourcenverbrauch innerhalb einer Basis-DRG wiedergeben. Es werden unterschiedliche medizinische Schweregrade zu ökonomischen Schweregraden aggregiert. Dies bedeutet, dass nicht der Aufwand des Einzelfalls abgebildet wird, sondern dass in einer abrechenbaren DRG ein ökonomisch relativ nah beieinander liegender Fallmix enthalten ist. Ein Rückschluss auf die medizinische Fallschwere des Einzelfalls ist nicht (bzw. nur eingeschränkt) möglich. Aufgenommener Patient: Patient, für den eine formale Krankenhausaufnahme erfolgt ist, entweder als Mehrtagesfall (mehr als ein Belegungstag) oder als Fall mit der Verweildauer ein Belegungstag. Aufnahmedatum: Datum, an dem die Behandlungsepisode des aufgenommenen Patienten beginnt. Aufnahmegewicht: Gewicht zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme für Kinder im Alter unter einem Jahr. Basis DRG: DRG, die durch eine umschriebene Diagnose(gruppe) und evtl. umschriebene Prozeduren definiert ist. Die Basis-DRG beschreibt eine Basisfallgruppe, die unter Berücksichtigung unterschiedlicher ökonomischer Fallschweregrade (medizinische Schweregrade, Malignität, Alter, Gewicht) in verschiedene abrechenbare DRGs gesplittet werden kann. Basisfallpreis (»base rate«): Der Basisfallpreis stellt eine definierte Bezugsgröße (in EUR) dar, die in verschiedenen DRG-Systemen auf unterschiedliche Weise ermittelt werden kann. In Deutschland wird der Basisfallpreis über eine Musterkalkulation des Mittelwerts der durchschnittlichen Kosten aller Fälle zunächst als landeseinheitlicher Basisfallpreis bestimmt werden, der dann in einem zweiten Schritt zu einem bundeseinheitlichen Basisfallpreis aggregiert wird.
Belegungstag: Ein Belegungstag ist definiert als Aufnahme an einem Kalendertag und Entlassung am gleichen oder am darauf folgenden Kalendertag. Case-mix-Index (CMI): Der CMI ist der arithmetische Mittelwert aller erbrachten Relativgewichte und stellt damit die durchschnittliche ökonomische Fallschwere dar. Errechnet wird der CMI, indem das Gewicht durch die Fallzahl dividiert wird. Der CMI ermöglicht prinzipiell keine Rückschlüsse auf die medizinische Fallschwere. CC-Ausschlussliste: Der CC-Status eines Diagnosekodes kann sich abhängig von der Hauptdiagnose und weiteren Nebendiagnosen eines Datensatzes sowie weiteren Faktoren ändern. Die CC-Ausschlussliste führt für jeden CC-Kode diejenigen weiteren Diagnosen auf, die einen Kode von der Einstufung als CC ausschließen. Erlösberechnung: Für einen konkreten Behandlungsfall errechnet sich das Entgelt, indem der Basisfallpreis des Krankenhauses mit dem zugehörigen Relativgewicht der DRG multipliziert wird, in den der Behandlungsfall nach der Gruppierung eingeordnet worden ist. Für die Interpretation der Fallerlöse ist wichtig, dass es in einem DRG-System kaum möglich ist, die aufwandgerechte Abbildung eines einzelnen Behandlungsfalls nachzuvollziehen. Vielmehr stellen die Relativgewichte eine Mischkalkulation dar, sodass für den Einzelfall einer DRG-Gruppe nur der durchschnittliche Aufwand vergütet wird. Es wird demnach auch in einer einzelnen DRG-Gruppe Patienten geben, deren Behandlungskosten über bzw. unter den erzielten Erlösen liegen. Fehler-DRG: Ein Datensatz mit klinisch-untypischen oder -ungültigen Informationen wird in Fehler-DRGs eingeordnet. Einzelne FehlerDRGs sind dabei mit einer Bewertungsrelation versehen. Für das Jahr 2006 existieren die in ⊡ Tab. 2.1 zusammengefassten Fehler-DRGs. ▼
19 2.2 · Definitionen und benötigte Daten
2
⊡ Tab. 2.1. Fehler-DRGs im Jahr 2006 Kode
Beschreibung
Relativgewicht (RG)
901A
O
Ausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose mit komplizierenden Prozeduren oder Strahlentherapie
4,549
901B
O
Ausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose ohne komplizierende Prozeduren, ohne Strahlentherapie, mit komplexer OR-Prozedur
3,364
901C
O
Ausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose ohne komplizierende Prozeduren, ohne Strahlentherapie, ohne komplexe OR-Prozedur, mit anderem Eingriff an Kopf und Wirbelsäule
2,916
901D
O
Ausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose ohne komplizierende Prozeduren, ohne Strahlentherapie, ohne komplexe OR-Prozedur, ohne anderen Eingriff an Kopf und Wirbelsäule
2,033
902Z
O
Nichtausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose
1,439
960Z
M
Nichtgruppierbar
–
961Z
M
Unzulässige Hauptdiagnose
–
962Z
M
Unzulässige geburtshilfliche Diagnosekombination
0,527
963Z
M
Neonatale Diagnose unvereinbar mit Alter oder Gewicht
0,795
OR operativ; OR-Prozedur operative Prozedur.
Gewicht (»case mix«): Die Summe aller Relativgewichte von allen in einem definierten Zeitraum erbrachten DRGs wird als Gewicht bezeichnet. Komorbidität: Ein gleichzeitig bestehender pathologischer oder Krankheitsprozess ohne kausale Bezüge. Wird üblicherweise in der Epidemiologie benutzt, um das gleichzeitige Bestehen von 2 oder mehr Krankheitsprozessen zu beschreiben. Komplikation: Ein Krankheitsprozess oder ein Ereignis, das während einer Erkrankung auftritt, jedoch nicht essenzieller Teil dieser Erkrankung ist, obwohl es aus der Erkrankung resultieren oder unabhängige Ursachen haben kann. Komplikation und/oder Komorbidität (CC): CC-Kodes sind Nebendiagnosen, die in der Regel zu einem signifikant höheren Ressourcenverbrauch führen.
werden. Ihr Wert kann zwischen 0 und 4 für operative und neonatologische Behandlungsfälle und zwischen 0 und 3 für medizinische Behandlungsfälle variieren und wurde aus einer Kombination von medizinischen Bewertungen und statistischen Analysen ermittelt.
Patientenbezogener Gesamtschweregrad (PCCL): Maßzahl für den kumulativen Effekt der Komplikationen und Komorbiditäten eines Patienten, die für jede Behandlungsepisode berechnet wird. Die Ermittlung ist komplex und soll vermeiden, dass ähnliche Umstände mehrfach gewertet werden.
Relativgewichte (Kostengewichte, »cost weight«): In der Systematik des DRG-Systems
Komplikations- und Komorbiditätslevel (CCL): CCLs sind Schweregradstufen
ist jeder DRG ein definiertes Kostengewicht zugeordnet. Durch die RGs wird festgelegt, wie teuer bzw. wie billig ein konkreter Fall bezogen auf einen Standardwert mit dem Relativgewicht (RG) von 1,0 ist. Aus der Betrachtung der RGs kann abgeleitet werden,
(⊡ Tab. 2.2), die für Nebendiagnosen vergeben
▼
20
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
2.3
2
dass ein Patient, der in die DRG A07A eingeordnet wird, im Durchschnitt etwa 33fach höhere Kosten verursacht als ein Standardfall mit einem RG von 1,0. Ein Patient, der in die DRG C07Z eingeordnet wird, verursacht dagegen im Mittel nur 70% der Kosten eines Standardfalls. Die RGs liegen für das Jahr 2006 in der in der G-DRG-Version 2006 vor und sollen auch weiterhin in jährlichen Nachkalkulationen angepasst werden. Mit diesem Mechanismus sollen Fehlkalkulationen abgefangen werden und Innovationen sowie medizinische Weiterentwicklungen in das DRG-System eingebracht werden. Verweildauer (VD): Die VD eines Patienten wird durch Subtraktion des Aufnahmedatums vom Entlassungsdatum ermittelt. Alle Urlaubstage, einschließlich des Tages, an dem der Patient in Urlaub geht, gehen nicht in die Berechnung ein. Bei Aufnahme und Entlassung am gleichen Kalendertag wird eine VD von einem Tag zugewiesen.
⊡ Tab. 2.2. Bedeutung der Komplikations- und Komorbiditätslevel CCL
Bedeutung
0
Der Kode ist keine Komplikation oder Komorbidität Der Kode ist Teil der Definition der BasisDRG, der dieser Behandlungsepisode zugewiesen wurde Der Kode kennzeichnet eine Komplikation oder Komorbidität, die jedoch eng mit der Hauptdiagnose verbunden ist; genau derselbe Kode ist bereits an einer anderen Stelle des Datensatzes enthalten
1
Leichte Komplikation oder Komorbidität
2
Mäßig schwere Komplikation oder Komorbidität
3
Schwere Komplikation oder Komorbidität
4
Äußerst schwere Komplikation oder Komorbidität
Gruppierung der »German refined – diagnosis related groups«
Das Prinzip für die in Deutschland gültigen G – DRGs ist in ⊡ Abb. 2.1 dargestellt und gliedert sich in die im Folgenden aufgeführten Schritte: Schritt 1. Anhand der dokumentierten Daten nach ICD-10 und OPS-301 werden die einzelnen Patientenfälle in das DRG-System eingeordnet. Diese Gruppierung erfolgt in der Regel durch eine »grouper software«. Das Eingruppierungsverfahren kann jedoch auch per Hand durchgeführt werden. Auf der Basis der gruppierungsrelevanten Daten wird überprüft, ob der Fall einem Ausnahmetatbestand zuzuordnen ist. Hierzu gehören u. a. Transplantationen, Beatmungen und Polytraumapatienten. Schritt 2. Im zweiten Gruppierungsschritt wird überprüft, ob der Fall einer Fehlergruppe zuzuordnen ist. Alle Fehlergruppen werden durch eine 9 an der ersten Stelle gekennzeichnet. Schritt 3. Durch die Hauptdiagnose erfolgt nun die Zuordnung des Falls zur Hauptdiagnosegruppe (»major diagnostic category«, MDC). Die Hauptdiagnosegruppen orientieren sich weit gehend an den einzelnen Organsystemen (⊡ Tab. 2.3). Schritt 4. Nach der Eingruppierung in die MDCs wird überprüft, ob eine Operation oder eine sonstige Prozedur dokumentiert worden ist, auf deren Grundlage dann die Einordnung in eine der Basis-DRGs erfolgt. Schritt 5. Nach Eingruppierung in die BasisDRG wird über alle dokumentierten Nebendiagnosen mithilfe einer komplexen mathematischen Formel der Fallschweregrad [»patient clinical complexity level« (PCCL), dt. »patientenbezogene klinische Komplexitätsstufe« (PKKS)] ermittelt, der zwischen 0 und 4 liegen kann. Dabei werden die Nebendiagnosen mit zunehmender Anzahl degressiv gewichtet. Dies bedeutet, dass
2
21 2.3 · Gruppierung der »German refined – diagnosis related groups«
die Dokumentation von mehr als 6 Nebendiagnosen mit dem Schweregrad 1 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtschweregrads von 3 auf 4 führt, sondern dass selbst mit der Dokumentation von mehr als 10 Nebendiagnosen mit dem Schweregrad von 1 maximal ein PCCL von 3 zu erzielen ist (⊡ Abb. 2.2). Ausnahmefälle Transplantationen Tracheotomien
Nichtgruppierbare Fälle
BEHANDLUNGSFALL
⊡ Tab. 2.3. Major diagnostic categories MDC
Bezeichnung
Kode
1
Nervensystem
B
2
Augen
C
3
Hals, Nase, Ohren
D
4
Atmungsorgane
E
5
Kreislaufsystem
F
6
Verdauungsorgane
G
7
Leber, Galle, Pankreas
H
8
Skelett, Muskeln, Bindegewebe
I
9
Haut, Unterhautzellgewebe, Mamma
J
10
Drüsen-, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
K
11
Nieren und Harnwege
L
12
Männliche Geschlechtsorgane
M
13
Weibliche Geschlechtsorgane
N
14
Schwangerschaft, Entbindung, Wochenbett
O
15
Affektionen von Neugeborenen und Feten
P
16
Blut, blutbildende Organe
Q
17
Krankheiten des myeloproliferativen Systems und schlecht differenzierte Neubildungen
R
18A
»Human immunodeficiency virus«
S
18B
Infektiöse und parasitäre Erkrankungen
T
19
Psyche
U
20
Alkohol- und Drogenmissbrauch
V
21A
Polytrauma
W
21B
Verletzungen, Vergiftungen, toxische Wirkungen durch Arzneimittel
X
22
Verbrennungen
Y
23
Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen, und andere Kontakte mit der medizinischen Versorgung
Z
PRE
Ausnahmefälle
A
err
Nichtklassifizierbar
9
MDC Operative andere medizinische -subMDC
Nebendiagnosen 0 - 4 CCL-Kategorien nach Ressourcen Intensität
Basis-DRG PCCL 0 PCCL 1 PCCL 2 PCCL 3 PCCL 4
Gesamt schweregrad PCCL
Abrechenbare DRG A-H
⊡ Abb. 2.1. Gruppierung der »German refined – diagnosis related groups«. CCL »complication and comorbidity level«, MDC »major diagnostic categories«, PCCL »patient clinical complexity level«. (Mod. nach InEK 2005a)
Nr. CCL 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Gewichteter CCL
PCCL
1 0,6703 0,4493 0,3012 0,2019 0,1353 0,0907 0,0608 0,0408 0,0273
1 1,6703 2,1196 2,4208 2,6227 2,7581 2,8488 2,9096 2,9504 2,9777
2,9977 = PCCL
⊡ Abb. 2.2. Degressive Gewichtung der Nebendiagnosen. CCL »complication and comorbidity level«, PCCL »patient clinical complexity level«. (Mod. nach InEK 2005a)
22
2
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
Mithilfe dieser 5 Schweregradstufen lassen sich nun bei den Basis-DRGs die medizinischen Fallgruppen bilden. In diese Berechnungssystematik gehen alle dokumentierten Nebendiagnosen mit einem eigenen gewichteten Schweregrad (CCL) zwischen 0 und 4 ein. Der Wert 4 stellt dabei die vom Fallschweregrad am höchsten bewertete Nebendiagnose dar. In vielen DRG-Systemen, darunter auch in Deutschland und Australien, hat man aus dem gesamten ICD-Spektrum eine Vorauswahl relevanter Nebendiagnosen definiert, die als behandlungsrelevant und damit auch erlösrelevant betrachtet werden. Von der Systematik her können die Basis-DRGs unter Berücksichtigung des Fallschweregrads und sonstiger Faktoren (z. B. Alter) in bis zu 8 Subkategorien (A–H) aufgeteilt werden. In der Praxis werden jedoch derzeit nur Teile der Basis-DRGs durch ein »splitting« weiter differenziert.
2.4
Weiterentwicklung für das Jahr 2006
Bei der Weiterentwicklung des DRG-Fallpauschalensystems für das Jahr 2006 konnte, wie auch bereits für 2005 eine Einigung zwischen den Selbstverwaltungsorganen auf Bundesebene erreicht werden. Die neue Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2006 beinhaltet, neben den Abrechnungsbestimmungen für die DRG-Fallpauschalen und den anderen Entgeltarten, den für 2006 gültigen Fallpauschalenkatalog, den Katalog für bundesweit bewertete Zusatzentgelte nach § 17 KHG (Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze), den Katalog für krankenhausindividuell zu verhandelnde Zusatzentgelte nach § 6 Abs. 1 KHEntgG (Krankenhausentgeltgesetz) und eine Aufstellung – ebenfalls nach § 6 Abs. 1 KHEntgG – über krankenhausindividuell zu verhandelnde DRGs, die nicht mit dem Fallpauschalenkatalog vergütete Leistungen beinhalten. Kalkulation und Erarbeitung erfolgten in gewohnter Weise durch das Institut für das
Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), das zeitnah auch die für die DRG-Gruppierung relevanten Algorithmen in den Definitionshandbüchern sowie die Anpassungen der Deutschen Kodierrichtlinien präsentierte. Auch in den Klassifikationssystemen für Diagnosen (ICD10-GM) und Prozeduren (OPS) wurden für 2006 vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) erneut umfangreiche Anpassungen vorgenommen.
2.4.1 Datengrundlage Es haben sich 214 Krankenhäuser an der Kalkulation des für 2006 gültigen Fallpauschalenkatalogs beteiligt. Im Vergleich zum Jahr 2005 sind es 66 Krankenhäuser mehr, die ihre Daten geliefert haben; dies ist sicherlich teilweise durch eine Teilrefinanzierung der Kosten für die Teilnahme an der Kostenkalkulation bedingt. Interessanterweise waren nur 133 der 214 teilnehmenden Kliniken bereits an der Kalkulation für den Katalog im Jahr 2005 beteiligt, sodass nun 81 Krankenhäuser zu einem neuen »Datenmix« beitragen. An der Kalkulation haben sich 9 Universitätskliniken beteiligt. Mit rund 3,5 Mio. Daten stieg die Anzahl der gelieferten Fallkostendaten um rund 600.000. Nach den internen Plausibilitätsprüfungen im InEK konnten rund 2,6 Mio. Daten für die Kalkulation verwendet werden. Der relativ hohe Anteil der unplausiblen Daten erklärt sich weniger durch eine schlechte Datenqualität als mehr durch verfeinerte Plausibilitätsprüfungen des InEK.
2.4.2 Wesentliche Ergebnisse
und Änderungen von 2005 auf 2006 modifiziert nach Abschlussbericht G-DRG 2006 Kennzahlen Das G-DRG-System Version 2006 umfasst insgesamt 954 DRGs (76 mehr als in der Version
2
23 2.4 · Weiterentwicklung für das Jahr 2006
2005). Davon befinden sich 912 im Fallpauschalenkatalog und 40 im Katalog der nicht mit dem Fallpauschalenkatalog vergüteten Leistungen (Anlage 3). Der Fallpauschalenkatalog 2006 weist 17 explizite Ein-Belegungstag-DRGs aus (im Vorjahr 19). Im Gegenzug zum Abbau der expliziten Ein-Belegungstag-DRGs wurden 25 implizite Ein-Belegungstag-DRGs mehr in den Fallpauschalenkatalog 2006 implementiert, sodass nun 241 implizite Ein-Belegungstag-DRGs vorliegen. Im Vergleich zum Vorjahr wurde der Umfang der Zusatzentgelte leicht ausgeweitet. In Anlage 2 (Katalog ergänzender Zusatzentgelte) befinden sich nun 40 bewertete Zusatzentgelte (im Vorjahr 35). In Anlage 4 (Zusatzentgelte gemäß § 6 Abs. 1 KHEntgG) befinden sich 42 krankenhausindividuell zu vereinbarende Zusatzentgelte (im Vorjahr 36).
Bewertungsrelationen 2006 Durch die zunehmende Differenz zwischen der minimalen und der maximalen Bewertungsrelation wird die Abbildung des einzelnen Falls genauer. Insbesondere schwer kranke und intensiv-behandelte Patientengruppen können kostenmäßig im Jahr 2006 leicht verbessert abgebildet werden (⊡ Tab. 2.4)
Nichtbewertete Diagnosis related groups Im G-DRG-System 2006 erhöhte sich die Anzahl der als »nichtpauschalierbar« dargestellten DRGs gegenüber dem G-DRG-System 2005 um 7 auf insgesamt 40. Diese wurden erneut abschließend definiert, sodass lediglich die Vergütung dieser DRGs krankenhausindividuell nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG zu verhandeln ist. Eine tief gehende Analyse aller DRGs erfolgte analog dem Vorgehen des Vorjahres; hierzu wurden die folgenden Parameter untersucht: ▬ Homogenität aller Fälle, ▬ Homogenität der »inlier«, ▬ Mindestfallzahl, ▬ Streuung der VD, ▬ Vergütung der Langlieger im Verhältnis zu deren tagesbezogenen Kosten und ▬ Möglichkeit einer zuverlässigen, trennscharfen und präzisen Zuordnung anhand der bestehenden ICD-10- und OPS-Klassifikationen verbunden mit bestimmten Kodierrichtlinien.
Zusatzentgelte Die ⊡ Tab. 2.5 zeigt die Entwicklung und die Verteilung der Zusatzengelte der Jahre 2004–2006. Von diesen Zusatzengelten wurden 40 mit bundes-
⊡ Tab. 2.4. Bewertungsrelationen für das Jahr 2006. (Mod. nach Schlottmann, Vortrag im Rahmen der BÄKSitzung am 05.10.2005, Berlin, »G-DRG-System 2006 – Ein erster Überblick – Sicht der deutschen Krankenhausgesellschaft«) 2003
2004
2005
2006
Minimale Bewertungsrelation
0,122
0,113
0,118
0,117
Maximale Bewertungsrelation
29,709
48,272
57,633
65,700
Spannweite
29,587
48,159
57,515
65,583
Absolutwert
–
18,572
9,356
8,068
Relativwert [%]
–
63
19
14
Änderung zum Vorjahr
24
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
⊡ Tab. 2.5. Entwicklung und Verteilung der Zusatzengelte der Jahre 2004–2006. (Mod. nach Schlottmann, Vortrag im Rahmen der BÄK-Sitzung am 05.10.2005, Berlin, »G-DRG-System 2006 – Ein erster Überblick – Sicht der deutschen Krankenhausgesellschaft«)
2
Zusatzentgelte insgesamt
2004
2005
2006
Teure Medikamente
1
31
39
Teure Sachmittel
12
25
25
Besondere diagnostische Verfahren
0
0
1
Besondere therapeutische Verfahren
13
15
18
Gesamt
26
71 (+173%)
83 (+17%)
⊡ Tab. 2.6. Übersicht über die Entwicklung der Mindestmengenregelungen in den Jahren 2005–2006. (Mod. nach Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Mindestmengenvereinbarung nach § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB V vom 20.12.2005) Leistung
Lebertransplantation
2005
2006
Pro Krankenhaus
Pro Arzt
10
–
20
Nierentransplantation
20
–
25
Knietotalendoprothese
–
–
50
Komplizierte Eingriffe am Ösophagus
5
5
10
Komplizierte Eingriffe am Pankreas
5
5
10
Stammzelltransplantation
12±2
weit einheitlichen Preisen kalkuliert; für die restlichen 43 müssen nach § 6 Abs. 1 KHEntgG krankenhausindividuelle Preise verhandelt werden.
25
OPS vorgenommen. Die aktuellen Kataloge finden sich unter http://www.dimdi.de.
Mindestmengenregelung 2.4.3 Auswirkungen auf die ICD-10-
und OPS-Klassifikationen Vorschläge zur Weiterentwicklung der Klassifikationen ICD-10-GM Version 2006 und OPS Version 2006 konnten in diesem Jahr ausschließlich beim DIMDI eingereicht werden. Für die im Rahmen des Verfahrens eingegangenen Vorschläge zur Neuformulierung von Kodes sah sich das InEK in der Pflicht und hat diese Hinweise an die zuständigen Stellen beim DIMDI weitergeleitet. Auch für das Jahr 2006 wurden vom DIMDI umfassende Anpassungen bei ICD-10-GM und
Die ⊡ Tab. 2.6 gibt eine Übersicht über die Entwicklung der Mindestmengenregelungen in den Jahren 2005–2006. Auffallend ist dabei die deutliche Anhebung der Leistungszahlen für das Jahr 2006 sowie die Neueinführung der Mindestmenge beim Einriff »Knietotalendoprothese«. Im Jahr 2004 haben rund 950 Krankenhäuser den Eingriff Knietotalendoprothese erbracht, 52% dieser Krankenhäuser jedoch weniger als 50-mal und 25% der Krankenhäuser weniger als 25-mal [Gerdelmann, Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VDAK) Vortrag im Rahmen des Nationalen DRG-Forums, Berlin,
25 2.5 · Deutsche Kodierrichtlinien
19.05.2005, »Folgt das Geld der Leistung?«]. Dies bedeutet, dass bis auf wenige Ausnahmen im Rahmen der Übergangsregelungen im Jahr 2006 über 500 Krankenhäuser die Leistung Knietotalendoprothese nicht mehr erbringen dürfen. Dies trifft zwar im Wesentlichen die jeweilige operative Disziplin; aber auch Leistungsbereiche der Anästhesiologie, wie Schmerztherapie und postoperative Überwachung, sind von diesem Veränderungsprozess betroffen.
2.5
Deutsche Kodierrichtlinien
Für das Jahr 2006 wurden keine grundlegenden Änderungen an den Prinzipien zur Kodierung von Diagnosen und Prozeduren vorgenommen. Als Fortsetzung der bereits 2005 begonnenen Arbeiten wurden jedoch zahlreiche überflüssige Regelungen gestrichen und einige Kodierrichtlinien redaktionell überarbeitet.
2.5.1 Allgemeine Budgetberechnung Um ein Krankenhaus-/Abteilungsbudget in DRG-Zeiten zu berechnen, wird man sich der folgenden relativ einfachen Formel bedienen: Basisfallpreis×Fallzahl×CMI.
Der CMI (⊡ Abb. 2.3) definiert die durchschnittliche ökonomische Fallschwere einer organisatorischen Einheit und berechnet sich aus der Summe aller Kostengewichte einer organisatorischen Einheit dividiert durch die Fallzahl. Dies bedeutet, dass der CMI einen der wichtigsten Multiplikatoren für das Krankenhaus-/ Abteilungsbudget darstellen wird. ! Mit dem CMI lassen sich einzelne definierte Strukturen im Krankenhaus vergleichen sowie Rückschlüsse auf Quantität und Qualität der Dokumentation ziehen.
2
Kostengewicht x Anzahl der Fälle in DRG 1 Kostengewicht x Anzahl der Fälle in DRG 2 Kostengewicht x Anzahl der Fälle in DRG n
Summe der Kostengewichte x DRGs dividiert durch die Gesamtfallzahl = Case-mix-Index ⊡ Abb. 2.3. Case-mix-Index
Krankenhäuser mit höherem CMI (überdurchschnittlich »schweres« Patientenkollektiv) erhalten bei gleicher Fallzahl und gleichem Punktwert (EUR-Wert, Basisfallpreis) ein relativ höheres Budget als Krankenhäuser mit niedrigerem CMI (unterdurchschnittlich »leichte« Behandlungsfälle). Da jedoch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten (bis zu einem bestimmten »break even«), die durchschnittlichen Fallkosten mit der Fallzahl pro Fallgruppe sinken, werden sich Vorteile bei Krankenhäusern ergeben, die: ▬ viele Fälle in vielen Fallgruppen (DRGs) behandeln und ▬ viele Fälle in wenigen Fallgruppen (DRGs) behandeln.
2.5.2 Budgetberechnung
für Anästhesieeinrichtungen Einführung ! Der Umfang der externen Budgets limitiert die Höhe der internen Budgets.
Dieses ökonomische Dogma ist eine der Kernthesen der strategischen Budgetplanungen im Zeitalter der DRGs in Deutschland. Es bedeutet,
26
2
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
dass die bis vor wenigen Jahren geübte Praxis der Quersubvention finanziell-unrentabler Bereiche über einen Mix an Pflegesätzen und Pauschalvergütungen einer vermehrten Prozesskostenbetrachtung einzelner DRG-Gruppen weichen wird. Dies wiederum bedingt eine reale Anpassung der eingesetzten Ressourcen an die zu erwartenden DRG-Erlöse. Zwar wird es bezogen auf ein einzelnes Krankenhaus auch in Zukunft »rentable« Bereiche bzw. DRGs geben, jedoch werden die Margen aufgrund der jährlichen Neukalkulationen im Vergleich zu heute deutlich geringer ausfallen. Aus dieser Tatsache ergibt sich einerseits ein zunehmender Druck zur Verbesserung der Steuerungsmöglichkeiten der einzelnen Leistungserbringer im Krankenhaus, andererseits werden die Begehrlichkeiten um Erlösanteile aus DRG-Pauschalen deutlich zunehmen – ein interner Verteilungskampf im Krankenhaus scheint vorprogrammiert. Wie groß die Unsicherheiten bei den zukünftigen Verteilungsmechanismen sind, zeigen die vielfach emotionalen Äußerungen, mit denen versucht wird, in der Frühphase der DRG-Einführung Budgetanteile für den eigenen Verantwortungsbereich zu reklamieren. Gravierende Probleme, insbesondere für die klinischen Querschnittfächer im operativen Bereich, ergeben sich dabei aus dem politischen Statement: »Der entlassende Arzt entscheidet über den Erlös des Krankenhauses«. Dies mag in einigen Fällen dazu verleiten, dass chirurgische Disziplinen versuchen, den Gesamterlös eines operativen Patientenfalls für sich zu reklamieren und dann im Rahmen einer Sekundärkostenverrechnung alle an der Patientenbehandlung mitbeteiligten Disziplinen (z. B. Labor, Radiologie etc.) zu entlohnen. Dies kann jedoch für etablierte Querschnittfächer in der perioperativen Medizin und in der Anästhesie nicht den Weg für die Zukunft darstellen. Auch der Krankenhausträger wird sich bei genauer Betrachtung dieses Szenarios die Frage stellen, ob er die Steuerungsmechanismen für die Querschnittfächer tatsächlich aus dem eigenen Verantwortungsbereich ausgliedern will. Eine
zunehmende Prozessorientierung im Rahmen einer »Workflow-Betrachtung« von der Aufnahme bis zur Entlassung wird dabei in Zukunft im Vordergrund stehen. Andere Länder setzen hierfür neue Berufsgruppen, Case manager, ein. Diese sind für einen reibungsfreien Ablauf der Patientenbehandlung verantwortlich und stehen den individuellen Partikularinteressen der einzelnen Leistungserbringer ausgleichend und objektiv gegenüber. Dies bedeutet auch, dass die Erlöse zentral angesiedelt werden und dann im Rahmen der jeweiligen Leistungen an die beteiligten Disziplinen verteilt werden. Basis dieser Erlösverteilung ist in jedem Fall eine detaillierte und stringente Leistungsdokumentation. Weder die in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckenden Erfahrungen im Umgang mit den Spielarten eines DRG-Systems noch die internationalen Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten oder auch Australien zeigen dabei jedoch den Weg eines idealen internen Erlösverteilungsmechanismus auf. Im Folgenden wird eine Auswahl der sich derzeit etablierenden Ansätze für die interne Verteilung von DRG-Erlösen vorgestellt. Diese Ansätze lassen sich in 3 Modelle unterteilen, die musterhaft für eine Anästhesieabteilung vorgestellt werden, jedoch nach gleichem Muster für alle im DRG-Browser abgebildeten Kostenstellen und -arten berechnet werden können: ▬ Modell 1: Budgetverteilung auf Basis der Kalkulationsergebnisse, ▬ Modell 2: Budgetverteilung auf der Basis des bisherigen Budgets (Budgetfortschreibung) und ▬ Modell 3: Budgetverteilung auf der Basis tatsächlicher Leistungszahlen.
Budgetverteilung auf Basis der Kalkulationsergebnisse Detailvariante Dieses Modell soll als Erstes vorgestellt werden, da es das derzeit problematischste Verteilungsmodell darstellt, jedoch einige sehr interessante
27 2.5 · Deutsche Kodierrichtlinien
und zukunftweisende Möglichkeiten eröffnet. Die Datenbasis dieses Modells ergibt sich aus den publizierten Kalkulationsergebnissen für die jeweils gültige Version des G-DRG-Systems. Im Projektbericht über die Kalkulationsergebnisse der aktuellen deutschen Bewertungsrelationen für das G-DRG-System finden sich für jede DRG-Gruppe die kalkulierten Rahmendaten (VD, ICD-Haupt- und ICD-Nebendiagnosen, Prozeduren) und die Verteilung der Kosten nach aggregierten Kostenstellen und -arten. Die aktuellen Daten finden sich im jeweiligen aktuellen DRG-Browser unter http://www.g-drg.de. Die Berechnung des Budgets für den »ärztlichen Dienst (ÄD) Anästhesiologie« kann anhand dieser Daten, wie folgt, vorgenommen werden. ▬ Festlegung (Verhandlung) des eigenen Basisfallpreises (hier angenommen: EUR 2500). ▬ Berechnung des Erlöses durch Multiplikation des Kostengewichtes der DRG (z. B. I18A: 0,762) mit dem hausinternen Basisfallpreis: 0,854×2500 EUR=1905 EUR, ▬ Vergleich des Erlöses mit den prospektierten Kosten aus den offiziellen Kalkulationsdaten 1905 EUR/2160,40 EUR=88%. ▬ Aus den Kalkulationsdaten lassen sich die Kosten für den ÄD Anästhesiologie ablesen, die bei der DRG I18A EUR 134,50 betragen. Da bei einem hausindividuellen Basisfallpreis von EUR 2500, bezogen auf die kalkulierten Kosten, nur 88% des Erlösniveaus erzielt werden können, sind hier aber nur EUR 118,36 zu berücksichtigen. Multipliziert man diesen Betrag mit der Anzahl der behandelten Patienten dieser DRG-Gruppe, so erhält man die Kosten ÄD Anästhesiologie für diese DRG-Gruppe. Führt man diese Berechnung für alle DRG-Gruppen durch und addiert die Beträge, erhält man die Gesamtkosten ÄD Anästhesiologie aus den durchschnittlichen Kosten der an der DRG-Kalkulation beteiligten Krankenhäuser, bezogen auf das eigene Leistungsspektrum und den eigenen Basisfallpreis:
2
Personalkosten ÄD Anästhesiologie × Anzahl Patienten DRG 1 + Personalkosten ÄD Anästhesiologie × Anzahl Patienten DRG 2+ Personalkosten ÄD Anästhesiologie × Anzahl Patienten DRG n = Summe Personalkosten ÄD Anästhesiologie.
Dieser Berechnungsweg kann für alle unterschiedlichen Kostenarten, wie Personalkosten »Pflegedienst«, Personalkosten »Funktionsdienst«, Sachkosten »Arzneimittel« etc., durchgeführt werden. Aus der Summation kann dann das individuelle DRG-Budget für den Bereich der Anästhesiologie zusammengesetzt werden. Ein Vergleich mit der DRG-Budgetberechnung nach diesem Modell mit dem derzeit bestehenden eigenen Budget der Abteilung zeigt die potenziellen Verluste oder Gewinne dieses Berechnungsweges. ! Dieses Verteilungsmodell kann und soll nur eine grobe Orientierung liefern.
Vor einer Scharfschaltung dieses internen Verteilungsmechanismus kann aufgrund der derzeitigen Datenlage nur gewarnt werden.
Prozentvariante Diese Variante basiert ebenfalls auf den in der Detailvariante beschriebenen Kalkulationsergebnissen. Gleichermaßen gelten hier die kritischen Anmerkungen zur Qualität dieser Daten. Auf der Basis der Kalkulationsergebnisse werden nach diesem Modell jedoch nicht die Realkosten für die Anästhesiologie, sondern der prozentuale Anteil der Anästhesiologie am Gesamt-DRG-Erlös ermittelt. Im Rahmen der internen Budgetverteilung wird der entsprechend berechnete prozentuale Anteil der Gesamterlöse der Anästhesieabteilung zur Verfügung gestellt. Zur Berechnung wird zunächst der prozentuale Anteil der kalkulierten Anästhesiekosten für
28
2
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
jede DRG ermittelt. Dies sind in der DRG I18A z. B. EUR 317,90. Bei kalkulierten Gesamtkosten dieser DRG in Höhe von EUR 2160,40 entspricht dies einem Anteil von rund 14,7% für die Anästhesiekosten. Nun kann diese Berechnung für jede belegte DRG-Gruppe eines Krankenhauses durchgeführt und der durchschnittliche Anteil der Anästhesiekosten ermittelt werden:
Prozentualer Anteil »Kosten Anästhesiologie« (DRG1+DRG2+DRGn)/Anzahl DRG-Gruppen = durchschnittlicher prozentualer Anteil »Kosten Anästhesiologie«.
Auf diese Weise kann der Kostenanteil für die Anästhesiologie berechnet werden. Beträgt der Gesamterlös aus DRGs für das Krankenhaus z. B. EUR 80 Mio., und beträgt der durchschnittliche Anteil an den DRG-Kosten über alle DRGs rund 11,2%, so würden in diesem Beispiel rund EUR 8,96 Mio. für die Anästhesiologie budgetiert werden. Diese Variante stellt einen leicht zu berechnenden Verteilungsalgorithmus dar. Sie würdigt jedoch keinerlei Gewichtung innerhalb der belegten DRG-Gruppen (z. B. DRG 1: 100 Patienten; DRG 2: 2 Patienten), noch ermöglicht sie eine Berücksichtigung interner Strukturen, wie beispielsweise Aus- und Weiterbildung.
10% unterhalb des konventionell vereinbarten Budgets, werden diese Verluste per Umlageverfahren auf alle Abteilungen pauschal mit Budgetabschlägen von ebenfalls 10% umgelegt. Dabei können durchaus unterschiedliche Disziplinen auf der Basis einer prospektiven Leistungsprogrammplanung oder Schwerpunktbildung mittels Bonus-/ Malusregelungen unterschiedlich gewichtet werden.
Budgetverteilung auf der Basis tatsächlicher Leistungszahlen Durch die Verknüpfung von Erlösen mit objektivierbaren Leistungseinheiten bietet dieses Modell das Potenzial, nicht nur eine realistische Erlösverteilung zu verwirklichen. Es ermöglicht auch die Kalkulation verschiedener Szenarien einer differenzierten Leistungsprogrammplanung der operativen Fächer aus dem Blickwinkel der Anästhesiologie. Durch verschiedene Differenzierungsstufen ist dieses Modell bei unterschiedlichen Ausprägungsstufen der internen Datenlage anwendbar. ! Aus dem Blickwinkel der Krankenhausverwaltungen liegt der eigentliche Charme dieses Modells darin, dass die Basisdaten über einfaches »benchmarking« direkt mit anderen Krankenhäusern vergleichbar sind.
Bezugsgröße: Anästhesiefall Budgetverteilung auf der Basis des bisherigen Budgets (Budgetfortschreibung) Dieses Modell stellt die »Light-Variante« der abteilungsbezogenen Budgetverteilung auf Basis der DRG-Ergebnisse eines Gesamthauses dar. Für das Gesamtkrankenhaus werden alle Fälle nach den Maßgaben der Kalkulationsrichtlinien berechnet und das Gesamtergebnis für das DRGBudget des Hauses ermittelt. Dieses wird in Beziehung zum konventionell vereinbarten Budget gesetzt und Abweichungen in Prozent ermittelt. Liegt nun das DRG-Budget im Beispielfall um
Unter der Annahme, dass das derzeitige Anästhesiologiebudget für die derzeitige Leistungserbringung adäquat vereinbart worden ist, kann für Leistungsveränderungen folgende Berechnung durchgeführt werden:
Anästhesiebudget 2005/Anästhesiezahlen 2005 = durchschnittliche Kosten je Anästhesiefall.
Beispiel: EUR 1 Mio./5000 Anästhesiefälle =
EUR 200/Anästhesiefall.
29 2.5 · Deutsche Kodierrichtlinien
Leistungsveränderungen der einzelnen chirurgischen Disziplinen werden jetzt mit Zu- oder Abschlägen je Leistung in der kalkulierten Höhe berücksichtigt. Zur besseren Planungssicherheit werden hier monatliche Hochrechnungen der Leistungszahlen zugrunde gelegt und die jeweiligen Budgetanpassungen unterjährig (viertel- oder halbjährlich) durchgeführt. Diese pauschale Vereinbarung berücksichtigt jedoch weder die zeitliche Dimension der Leistung noch ihren im Einzelfall sehr differenzierten Ressourceneinsatz. Insbesondere bei Krankenhäusern gleicher Versorgungsstufe und vergleichbarem Leistungsspektrum hinsichtlich CMI und VD ist jedoch eine Vergleichbarkeit dieses Durchschnittswerts je Anästhesieleistung durchaus gegeben.
Bezugsgröße: Anästhesieminute Auch diese Variante geht zunächst von der Annahme aus, dass das derzeitige Anästhesiebudget für die derzeitige Leistungserbringung adäquat vereinbart worden ist. Es wird hier aber zum einen auch die für das Bezugsjahr 1998 durchgeführte Kalkulation der Anästhesieminuten, die auf der Basis der Daten aus dem Jahr 2002 nochmals evaluiert worden ist, berücksichtigt. Und zum anderen wird dem im Handbuch zur Kalkulation von Fallkosten charakterisierten rechnerischen Ansatz Rechnung getragen, der eine Relation zwischen den Leistungen und dem leistungsbezogenen Mitteleinsatz, der »Minute pro Leistung«, vorsieht. ! Bei dieser Variante werden alle Leistungen über die Angabe einer Personalbindungszeit durch Leistungseinheiten in Minuten definiert (z. B. 20 min/Therapie). Zu beachten ist, dass die Betrachtung dieser Kennzahl nur Leistungen begründet, die während der Regelarbeitszeit erbracht werden.
In der Anästhesiologie gibt es in der Praxis sehr heterogene Bezugsgrößen für die Leistungsinhalte; hierdurch ist die Vergleichbarkeit deutlich eingeschränkt. Wichtig ist daher immer die ge-
2
naue Definition der Bezugsbasis im Benchmarking. So hat man sich in der Kostenstudie des Arbeitskreises »Anästhesie und Ökonomie« auf die Bezugsgröße »reine Anästhesiezeit« (RAnZ: Beginn der Narkoseinduktion bis zum Ende der Anästhesieausleitung) bezogen. Auf der Basis dieser Bezugsgröße können nun mithilfe der Personalkostenbudgets und der Sachmittelbudgets für die Anästhesiologie die jeweiligen Kosten der Anästhesieminute berechnet werden. Diese lagen für die Gesamtkosten (Personalkosten und Sachkosten, inklusive Unterhaltskosten) auf Basis der Daten aus dem Jahr 1998 bei rund EUR 3,00–3,80, im Jahr 2002 bei rund EUR 3,60–4,90. Unter Zuhilfenahme von DRGKenngrößen (CMI, Fallzahl, VD etc.) wird ein konkreter Vergleich mit Krankenhäusern gleicher Versorgungsstufe ermöglicht (Schleppers et al. 2005). Im Gegensatz zur Bezugsgröße Anästhesiefall können demnach Leistungsveränderungen der einzelnen chirurgischen Disziplinen, bezogen auf die zusätzlich anfallenden RAnZ-Minuten, im Rahmen einer internen Verrechnung vergütet werden. In weiteren Detaillierungsstufen können, je nach individuellen Gegebenheiten, auch andere Bezugsgrößen ausgearbeitet werden. So können alle Leistungen einer Anästhesieeinheit, wie z. B.: ▬ Anästhesiepräsenzzeit, ▬ Prämedikationsvisite, ▬ Umkleiden und Händedesinfektion, ▬ Vorbereiten und Lagern des Patienten, ▬ postoperative Patientenversorgung im Aufwachraum, ▬ postoperative Anästhesievisite, ▬ akuter anästhesiologischer Schmerzdienst, ▬ Eigenblutspende, ▬ Konsiliardienste (Zentralvenenkatheteranlage etc.) und ▬ Leistungsdokumentation als einzelne Zeiten erfasst werden und in der Summation als Bezugsgröße in die Berechnung eingehen. Als Nebeneffekt lässt sich aus einer
30
2
Kapitel 2 · Das Entgeltsystem der »diagnosis related groups«
derartig umfassenden Dokumentation der Leistungseinheiten auch sehr schnell der tatsächliche Personalbedarf, bezogen auf die Regelarbeitszeit, berechnen. Die ausführliche Erfassung der einzelnen Zeiten ermöglicht eine sehr transparente Darstellung des tatsächlichen Leistungsspektrums einer Anästhesieeinheit und bildet die Basis für eine fundierte Diskussion über »richtige« Erlösanteile an einer DRG. Eine umfassende Erhebung der relevanten Zeiten im operativen Prozessablauf dient weiterhin der objektiven Beurteilung von Verbesserungspotenzialen (z. B. Wechselzeiten, OP-Auslastung etc.), insbesondere auch in den fachübergreifenden Gesprächen. Fazit
I
I
Alle 3 dargestellten Modelle beschreiben derzeit nur Wege, sich einer internen Budgetverteilung für Querschnittfächer, wie Anästhesiologie, anzunähern. Kein Modell stellt den »goldenen Weg« für eine optimale und gerechte Verteilung der Budgetmittel dar. Insbesondere in den Modellen 1 und 2 besteht eine erhebliche Abhängigkeit von der Qualität der deutschen Kalkulationsdaten. Überträgt man die Anforderungen der Industrie hinsichtlich Prozessorientierung auf das deutsche Gesundheitswesen, wird die in Modell 3 beschriebene Leistungsdokumentation einerseits die Basis für prospektive und strategische Planung von Leistungseinheiten darstellen. Andererseits wird diese Budgetverteilung auf der Basis tatsächlicher Leistungszahlen zur Grundlage für die interne Bepreisung und Vergütung der internen Leistungen einer Anästhesieabteilung. Weiterhin ermöglicht die Leistungsdokumentation eine transparente Darstellung aller Prozessaufgaben von der präoperativen bis zur postoperativen Phase im Aufwachraum und der postoperativen Schmerztherapie. Detaillierungsgrad und Umfang werden sich dabei an den Rahmenbedingungen vor Ort orientieren müssen.
2.6
Interessante Adressen
Nachstehend findt sich eine Liste interessanter Adressen zu den Themengebieten DRG, Gesundheitspolitik und Berufspolitik Anästhesiologie: ▬ http://www.mydrg.de, ▬ http://www.dkgev.de, ▬ http://www.g-drg.de, ▬ http://www.bda.de, ▬ http://www.dgai.de, ▬ http://www.dimdi.de, ▬ http://www.bmgesundheit.de, ▬ http://www.klinik-konsil.de, ▬ http://www.aok-krankenhaus.de und ▬ http://www.klinik-lotse.de.
Literatur Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) (2005a) Definitionshandbuch, Bd 5. G-DRG-Version 2004–2006. InEK, Siegburg Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) (2005b) Abschlussbericht Weiterentwicklung des GDRG-Systems für das Jahr 2006. Klassifikation, Katalog und Bewertungsrelation, 20.12.2005. InEK, Siegburg Schleppers A, Bauer M, Berry M, Bender HJ, Geldner G, Martin J (2005) Analyse der Ist-Kosten Anästhesie in deutschen Krankenhäusern. Anaesthesiol Intensivmed 1: 23–28
3
Qualitätsmanagement B. Schütt, M. Bauer
3.1
Situation im Gesundheitssystem – 32
3.2
Gesetzliche Rahmenbedingungen – 32
3.3
Grundlagen – 33
3.4
Modelle und Systeme – 34
3.4.1 3.4.2 3.4.3
Kooperation für Transparenz und Qualität – 35 International-Organization-for-Standardization-9000-Reihe European Foundation for Quality Management – 38
3.5
Prozessorientiertes Qualitätsmanagement für den OP – 39
3.6
Messung der Ergebnisqualität – 40 Literatur – 42
– 36
3
32
Kapitel 3 · Qualitätsmanagement
3.1
Situation im Gesundheitssystem
Nachdem in der Industrie seit über 40 Jahren eine systematische Qualitätssicherung implementiert und kontinuierlich umgesetzt wird, gewinnt dieses Thema in den letzten Jahren auch in der deutschen Krankenhauslandschaft zunehmend an Bedeutung. Nicht nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die vorgesehene Einführung eines umfassenden und pauschalierenden Entgeltsystems führten dazu, dass das Qualitätsmanagement eine wichtige Rolle im Krankenhaus einnimmt. Es wird von verschiedenen Seiten mehrfach befürchtet, dass es für die Patienten zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität kommen könnte. Dies wird durch die Erfahrungen aus anderen Ländern, die bereits seit mehreren Jahren mit einem ähnlichen Entgeltsystem arbeiten, begründet. Auch wenn diese befürchteten Effekte nicht auftreten werden, sollte die Einführung eines vollpauschalierenden Entgeltsystems, aus Patienten- und Kostenträgersicht, mit dem betriebswirtschaftlichen Fokus durch kontinuierlich umfassende und konsequent durchgeführte Qualitätssicherungsmaßnahmen unterstützt bzw. ergänzt werden. Die externe vergleichende Qualitätssicherung, die vom Bundeskuratorium Qualitätssicherung federführend bei der Geschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) angesiedelt wurde, sollte im Rahmen der Einführung der DRGs als ein Beobachtungs- und Frühwarnsystem dienen, das frühzeitigen Entlassungen, Wiederaufnahmen und im Vergleich zwischen den Krankenhäusern schlechteren qualitativen Ergebnissen in der Patientenversorgung entgegenwirkt (Mohr 2001, S. 69 ff.). Krankenhäuser und gerade die Bereiche mit vielen Schnittstellen, wie z. B. der OP, müssen ihre Ablauforganisation effektiver und effizienter gestalten, wenn sie dem Ziel der verkürzten Verweildauer, der Kostentransparenz und der erhöhten Qualität in der Versorgungsstruktur gerecht werden wollen. Sicherung und stetige Verbesserung der Versorgungsqualität hängen
in Zukunft von der adäquaten Gestaltung der Arbeitsprozesse innerhalb der eigenen Berufsgruppe und über ihre Berufs- und Abteilungsgrenzen hinaus ab. Denken und Handeln in Prozessen sind hier eine grundlegende Voraussetzung für das effektive und effiziente Arbeiten in Kliniken.
3.2
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Seit der am 01.10.2000 in Kraft getretenen Gesundheitsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind nach § 135a Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V die Leistungserbringer zu Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistung verpflichtet. Diese Leistungen müssen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Der § 135a Abs. 2 SGB V besagt, dass Vertragsärzte, medizinische Leistungszentren, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer von Vorsorgeleistungen oder Rehabilitationsmaßnahmen und Einrichtungen, mit denen ein Versorgungsvertrag nach § 111a besteht, nach Maßgabe der §§ 136a, 136b, 137 und 137d verpflichtet sind, sich erstens an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen, die insbesondere zum Ziel haben, die Ergebnisqualität zu verbessern, und zweitens einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln. Es gibt eine Vereinbarung gemäß § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB V über die grundsätzliche Anforderung an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser zwischen den Spitzenverbänden der Krankenversicherungen und der deutschen Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung der Bundesärztekammer sowie des Deutschen Pflegerates. Zu dieser Vereinbarung gehört eine Präambel, in der verankert ist, dass bei den einzelnen Krankenhäusern von unterschiedlichen Ausgangslagen ausgegangen werden muss. Des
33 3.3 · Grundlagen
Weiteren wird beschrieben, dass die Grundlage für ein anwendbares Qualitätsmanagementmodell das Prinzip des umfassenden Qualitätsmanagements sein sollte. Dieses Prinzip beinhaltet die folgenden Elemente: Patientenorientierung, Verantwortung und Führung, Wirtschaftlichkeit, Prozessorientierung, Mitarbeiterorientierung und -beteiligung, Zielorientierung und Flexibilität, Fehlervermeidung und Umgang mit Fehlern sowie kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Diese Elemente sollten mit der Verpflichtung mit einer ethischen, moralisch und humanitären Werteorientierung verknüpft werden. Die Vertragspartner und Beteiligten legten Ziele und grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement fest. Nachdem die wesentlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen beschrieben wurden, werden im folgenden Kapitel die Grundlagen des Qualitätsmanagements erläutert (vgl. Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der Krankenversicherungen und der deutschen Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung der Bundesärztekammer sowie des Deutschen Pflegerates vom 17.08.2004; http://www.g-ba.de).
3.3
Grundlagen
Um ein konkretes Qualitätsmanagementsystem oder -modell in den Kliniken bzw. in den einzelnen Arbeitsbereichen umsetzen zu können, werden im Vorfeld einige Grundlagen des Qualitätsmanagement erläutert. ! Die Deming-Reaktionskette setzt den Mitarbeiter als wichtigste Ressource für die kontinuierliche Qualitätsverbesserung in den Mittelpunkt, da er »… die Basis für eine Verbesserung der Produktivität des Unternehmens…« (Zollondz 2002, S. 76) einnimmt.
Um eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung im Klinikum vorzunehmen, orientiert sich das Qualitätsmanagement am PDCA-Zyklus (⊡ Abb. 15.1), der von Deming vermittelt
3
und im Ansatz von Shewhart eingeführt wurde (Zollondz 2002, S. 78). Der PDCA-Zyklus ist ein Anwendungs- und Erklärungsmodell für die kontinuierliche Verbesserung der Qualität. Er ist in folgende 4 Phasen aufgeteilt: ▬ P: »plan« (planen), ▬ D: »do« (ausführen), ▬ C: »check« (überprüfen) und ▬ A: »act« (verbessern). P. Hier wird die Analyse des Ist-Zustands, bezogen auf die Ermittlung der Verbesserungspotenziale, vorgenommen. Dies geschieht mithilfe von statistischen Datenerhebungen, deren Analyse und Auswertung. Danach wird ein Verbesserungsplan erarbeitet, und sog. Prüfpunkte (Qualitätsziele) werden festgelegt. D. In dieser Phase werden alle Mitarbeiter über den Plan informiert und ggf. weitergebildet. Danach werden die erarbeiteten Verbesserungen von allen beteiligten Mitarbeitern umgesetzt. C. Nach der Umsetzungsphase werden neue Daten ermittelt, die die neue Situation erfassen bzw. überprüfen. Mithilfe der festgelegten Prüfpunkte bzw. Qualitätsziele wird ermittelt, ob die geplante Qualitätsverbesserung erreicht wurde. A. Ist ein Gleichgewicht zwischen dem geplanten Soll-Zustand und dem ermittelten Ist-Zustand erreicht, werden die Ergebnisse als Arbeitsprozesse standardisiert und implementiert. Wenn jedoch Abweichungen der Verbesserungen, bezogen auf den geplanten Soll-Zustand, zu erkennen sind, muss darüber entschieden werden, wie häufig die Phasen P und D wiederholt werden sollen, bis eine Übereinstimmung erreicht ist (Zollondz 2002; S. 78). Damit der PDCA-Zyklus in seiner Umsetzung den geplanten Erfolg erbringt, muss er als Prozess begriffen werden. Das heißt, jede Tätigkeit wird als Prozess aufgefasst und optimiert. Damit der einzelne Mitarbeiter an der Basis die Qualität seiner Arbeitsprozesse verbessert, ist es wich-
34
3
Kapitel 3 · Qualitätsmanagement
tig, dass die Unternehmensführung als Vorbild fungiert. Ohne dass die Unternehmungsführung den Mitarbeitern ihre Qualitätspolitik in Form von formulierten Unternehmenszielen transparent macht und sie in eigener Linie vorlebt, ist eine Verbesserung der Unternehmensqualität nicht zu erreichen (Zollondz 2002, S. 79). ! Qualitätsmanagement ist als Führungsaufgabe zu begreifen.
Qualitätsausprägungen bzw. Qualitätsdimensionen sind in ihrer Gesamtheit in unterschiedlichen Bereichen und Ebenen der Klinik zu finden. Nach Donabedian (vgl. Zollondz 2002, S. 147) werden 3 Dimensionen, die sich im Gesamtkontext von Qualitätsmanagement gegenseitig beeinflussen und zusammenhängen, unterschieden. Donabedian bezog das Phasenmodell der Qualität auf medizinische Leistungen. Im Folgenden werden die 3 Phasen aufgeführt und kurz am Beispiel eines OP-Bereiches erläutert: ▬ Strukturqualität, ▬ Prozessqualität und ▬ Ergebnisqualität. Strukturqualität. Die Strukturqualität umfasst die strukturellen Rahmenbedingungen des Unternehmens selbst, die Anzahl sowie die Qualifikation der Mitarbeiter, die technische Ausstattung, die körperlichen und organisatorischen Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit des Zugangs und des Nutzens vonseiten des Kunden bzw. Patienten und der Schnittstellen. Prozessqualität. Die Prozessqualität beschreibt alle Tätigkeiten der einzelnen Berufsgruppen untereinander und miteinander, die während der tatsächlichen Produkterstellung (präoperative Phase, Anmeldung zur Operation, Einschleusen des Patienten in den OP, Durchführung der Operation, Ausschleusen des Patienten) vollzogen werden. Ergebnisqualität. Die Ergebnisqualität bildet die wichtigste Grundlage für die Evaluation der erbrachten Leistungen in einem Arbeits-
bereich. Sie umschreibt die Veränderung bzw. den Unterschied zwischen dem Einschleusungszustand und dem Ausschleusungszustand des Patienten. Es »… handelt sich um den zukünftigen Gesundheitszustand, sofern dieser auf die erbrachte Dienstleistung zurückzuführen ist« (Zollondz 2002, S. 147). Sie kann sowohl anhand objektiver Veränderungen (z. B. Verbesserung des Krankheitszustands) als auch anhand subjektiver Kriterien (z. B. Patientenzufriedenheit) gemessen werden. In dem Denkmodell von Donabedian wird deutlich, dass sich die Qualitätsdimensionen untereinander beeinflussen. Die vorhandenen Strukturen und Ressourcen nehmen Einfluss auf die Prozesse, die wiederum die gemessene Ergebnisqualität mitbestimmen. ! Qualitätsmanagement hat die Aufgabe, die einzelnen Einflussfaktoren in ihrem Zusammenspiel in Richtung optimaler Qualität zu gestalten.
Dazu müssen sich in der Realität möglichst alle Mitarbeiter an der Einrichtung so verhalten, dass im Rahmen der vorhandenen Ressourcen ein möglichst großer Kundennutzen entsteht.
3.4
Modelle und Systeme
Das Verständnis von einem modernen Qualitätsmanagement ist nicht selten von Vorurteilen geprägt. Außerdem ist es für den Einsteiger schwierig, sich für eines der vielfältigen Qualitätsmanagementmodelle und -systeme zu entscheiden. Demzufolge ist es für den jeweiligen Arbeitsbereich wichtig, die Qualität als zentrales Organisationsziel zu erkennen. Es gilt, einige Grundvoraussetzungen zu berücksichtigen, ohne die kein Qualitätsmanagement in der Umsetzung Erfolg hat. Zum einen müssen Kern-, Führungsund Supportprozesse ermittelt werden, um diese in der Qualität zu bestimmen. Die Kunden bzw. Patienten und die Schnittstellen des jeweiligen Arbeitsbereiches nehmen an dieser Stelle eine
35 3.4 · Modelle und Systeme
wichtige Rolle hinsichtlich der Qualitätsanforderungen ein. Ihre Erwartungen entscheiden über die Anforderungen der Arbeitsprozesse. Die kontinuierliche Qualitätsverbesserung der Prozesse ist als integraler Bestandteil des ausgesuchten Qualitätsmanagementsystems zu sehen. Ziel ist es, Effektivität und Effizienz aller Prozesse zu erhöhen sowie Verschwendung zu vermeiden (Zollondz 2002, S. 190). Die Entscheidung eines Bereiches für eines der vielfältigen Qualitätsmodelle [Kooperation für Transparenz und Qualität (KTQ), DIN EN ISO 9001:2000, European Foundation for Quality Management (EFQM), Baldrige, Deming, QMK, Joint Kommission] war häufig von der Kompetenz des beauftragten Unternehmensberaters abhängig. Die Inhalte eines Qualitätsmanagements sind, unabhängig vom angewandten Modell, jedoch weit gehend gleich und alle in ihrer Konstruktion in Prozesse gegliedert. Im Folgenden wird auf die Modelle und Systeme KTQ, DIN EN ISO 9001:2000 und EFQM näher eingegangen.
3.4.1 Kooperation für Transparenz
und Qualität Von dem Ziel ausgehend, dass mit allen Beteiligten ein Verfahren zur Qualitätssicherung und Qualitätsbeurteilung entwickelt wird, das den speziellen Anforderungen des Krankenhausbetriebes und in erster Linie den Bedürfnissen der Patienten gerecht wird, haben der Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK)/ Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V (AEV) und die Bundesärztekammer 1998 die »Kooperation für Transparenz und Qualität« (KTQ) ins Leben gerufen. Die KTQ baut auf bereits erfolgte Vorarbeiten, wie etwa den Leitfaden »Qualitätsmanagement im Krankenhaus« der Bundesärztekammer oder dem Zertifikat A des VdAK/AEV, auf (Beck et al. 2001). Um das Aufgabenspektrum des Qualitätsmanagements, bezogen auf die Umsetzung eines Qualitätsverfahrens, zu ver-
3
deutlichen, werden im Folgenden Zielsetzung und Kernelemente des KTQ-Verfahrens aufgezeigt. Ziel des KTQ-Verfahrens ist es, ein freiwilliges Zertifizierungsverfahren für das deutsche Gesundheitswesen zu entwickeln. ! Kernelement aller Qualitätsbemühungen ist die stetige Verbesserung der Patientenversorgung hinsichtlich der Prozesse und auch der Ergebnisse (Patientenorientierung).
Bezogen auf eine angestrebte Zertifizierung bedeutet dies, dass der Prozess- und Ergebnisqualität angesichts einer Patienten- und Ergebnisorientierung eine höhere Bewertung zuteil wird als der Strukturqualität. Aus Sicht des Qualitätsmanagements wird hierbei der einzelne Mitarbeiter als die wichtigste Ressource des Unternehmenserfolgs gesehen (Mitarbeiterorientierung). Kooperation für Transparenz und Qualität hat zum Ziel, Anregungen und Anreize für eine kontinuierliche krankenhausinterne Qualitätsarbeit zu schaffen und möchte diesen Anstrengungen mithilfe eines Zertifikats Ausdruck verleihen (vgl. KTQ-Katalog Version 5.0; Beck et al. 2001). Das Verfahren basiert auf 3 Säulen: ▬ Selbstbewertung, ▬ Fremdbewertung und ▬ Zertifikat. Die Selbstbewertung nach KTQ stellt eine umfassende und systematische Dokumentation sowie eine Bewertung der Leistungsqualität eines Krankenhauses dar. Das Ergebnis einer Selbstbewertung beschreibt die Identifikation der Verbesserungspotenziale und erfasst somit Stärken und Schwächen der Qualität auf der Grundlage der KTQ-Kriterien des jeweiligen Krankenhauses bzw. Arbeitsbereiches. Grundsätzlich ist eine Selbstbewertung nicht an eine nachfolgende Zertifizierung gebunden (vgl. http://www.ktq. de). Der KTQ-Katalog gliedert sich in 6 Kategorien, 21 Subkategorien, 72 Kriterien und über 700 Fragen.
36
3
Kapitel 3 · Qualitätsmanagement
Die 6 Kategorien sind, wie folgt, unterteilt: ▬ Patientenorientierung in der Krankenversorgung, ▬ Sicherstellung der Mitarbeiterorientierung, ▬ Sicherheit im Krankenhaus, ▬ Informationswesen, ▬ Krankenhausführung und ▬ Qualitätsmanagement.
übergabe an das Krankenhaus. Das Zertifikat ist 3 Jahre lang gültig. Kooperation für Transparenz und Qualität schreibt im Gegensatz zu anderen Zertifizierungssystemen vor, dass nicht einzelne Prozesse oder Arbeitsbereiche, sondern das gesamte Krankenhaus zertifiziert werden muss (vgl. http://www.ktq.de).
Diese Kategorien sind als einzelne Sachgebiete zu verstehen, die es in der zu bewertenden Qualität voneinander abzugrenzen gilt. Die Subkategorien gliedern die Kategorien in qualitätsrelevante Themen. In der nachfolgenden Kriterienebene werden die Forderungen zusammengefasst, die, als Fragen formuliert, von den Arbeitsbereichen bezüglich der Selbstbewertung beantwortet werden sollen. Bei der Fremdbewertung beurteilt ein Team, das aus Akteuren des Gesundheitswesens aus allen Berufsgruppen zusammengesetzt ist, unabhängig voneinander, den Selbstbewertungsbericht. Anschließend hinterfragt das Team die Übereinstimmung mit der Praxis an ausgewählten Inhalten des Berichtes. Hierfür werden »kollegiale Dialoge« zu ausgewählten Themen (z. B. Organisation des Aufnahmemanagements) geführt, einzelne Abteilungen werden begangen und qualitätsrelevante Dokumente studiert. Hat das Klinikum mindestens 55% der adjustierten KTQ-Gesamtpunktzahl erreicht, den KTQ-Qualitätsbericht im Dialog mit den KTQ-Visitoren erstellt und sich an allen externen verbindlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen nach dem SGB V beteiligt, entscheiden die Visitoren über die Zertifikatvergabe. Dem Krankenhaus wird nach der Fremdbewertung ein Visitorenbericht überreicht, der ausführlich die Ergebnisse der Fremdbewertung zu jedem Kriterium beschreibt. Dieser dient der Klinik als individuelle Information zur Weiterentwicklung des internen Qualitätsmanagements. Nach Veröffentlichung des KTQ-Qualitätsberichts sowohl im Krankenhaus selbst als auch auf der Homepage der KTQ erfolgt die Zertifikats-
3.4.2 International-Organization-
for-Standardization-9000-Reihe Die »International Organization for Standardization« (ISO) wurde im Jahr 1947 gegründet. Über 130 nationale Standardisierungsorganisationen föderierten mit dem Ziel, durch die Entwicklung von internationalen Standards, den weltweiten Austausch von Gütern und Dienstleistungen einfacher zu gestalten. Im Jahr 1994 wurde die DIN-EN-ISO-9000 ff.-Reihe freigegeben. Diese dient als Grundlage für ein zertifizierbares Qualitätsmanagementsystem. Aufgrund der stark technisch orientierten Ausrichtung wurde diese Norm nur selten für Organisationen des Gesundheitswesens eingesetzt (Brauer 2002). Erst die Revision der Normenreihe, die im Jahr 2000 freigegeben wurde, eignet sich durch die sehr gute Anwendbarkeit im Dienstleistungssektor deutlich besser auch für das Gesundheitswesen. Die ISO-9000-Reihe ist, wie folgt, strukturiert. Die ISO 9000:2000 befasst sich mit Grundlagen und Begriffen eines Qualitätsmanagementsystems, während die ISO 9004:2000 einen Leitfaden zur Leistungsverbesserung der Organisation bereitstellt. Wenn jedoch ein Krankenhaus oder ein abgegrenzter Arbeitsbereich (Abteilung) eine Zertifizierung durch eine zugelassene Gesellschaft bestehen möchte, so werden die in der ISO 9001:2000 (⊡ Abb. 3.1) beschriebenen Forderungen relevant. Diese Forderungen werden erfüllt, wenn die Inhalte folgender 5 Hauptkapitel der Norm umgesetzt werden: ▬ Qualitätsmanagementsystem, ▬ Verantwortung der Leitung, ▬ Management der Ressourcen,
3
37 3.4 · Modelle und Systeme
▬ Produktrealisierung sowie ▬ Messung, Analyse und Verbesserung (Knon u. Goerig 2004). ! Der Qualitätsbegriff der ISO bezieht sich auf alle Dimensionen eines Produkts oder einer Dienstleistung, die die Kunden nachfragen.
Dazu muss überprüft werden, welche Maßnahmen der Arbeitsbereich ergreift, um die Dienstleistung an die Kundenanforderung anzupassen. Möchte sich das Unternehmen oder die einzelne Organisationseinheit, wie z. B. der OP nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifizieren lassen, muss zunächst ein funktionierendes und normenkonformes System zur Qualitätssicherung implementiert werden. Dessen Funktionsweise soll in einem Qualitätsmanagementhandbuch (QMH) dokumentiert werden. Zur Vorbereitung einer Zertifizierung wird die Durchführung eines internen Audits empfohlen. Dies dient zum einen der Simulation
des Zertifizierungsaudits, zum anderen werden Verbesserungspotenziale generiert, die einer Zertifizierung ggf. im Wege stehen könnten (Brauer 2002, S. 35–36). Das interne Audit wird in der Regel von Mitarbeitern des Unternehmens selbst, allerdings aus anderen Arbeitsbereichen kommend, durchgeführt. Die Zertifizierungsphase wird grundsätzlich von einem externen Auditor betreut. In einem ersten Schritt wird die Dokumentation des QMH beurteilt. In einem zweiten Schritt begehen einschlägig geschulte externe Auditoren den Arbeitsbereich und überprüfen standardisiert, anhand der Kapitel des Qualitätssicherungssystems, inwieweit die tatsächlichen Abläufe (z. B. Vorbereiten des Sterilguts, Patienteneinschleusung) mit der zugrunde liegenden Dokumentation übereinstimmen. Potenzielle beobachtete Abweichungen werden aufgedeckt und sollen nachfolgend korrigiert werden. Wird die Konformität zwischen der Realität des Arbeitsbe-
Ständige Verbesserung des Qualitätmanagementsystems
Kunden Kunden
Verantwortung der Leitung
Management von Ressourcen
Messung, Analyse Verbesserung
Eingabe Anforderungen
Wertschöpfung
Produkt Produktrealisierung
Information
⊡ Abb. 3.1. Prozessmodell des Qualitätsmanagements nach ISO 9001: 2000
Zufriedenheit
Ergebnis
38
3
Kapitel 3 · Qualitätsmanagement
reiches und der vorgegebenen Norm vom externen Auditor festgestellt, erhält die Organisation ein 3 Jahre gültiges Zertifikat nach DIN EN ISO 9001:2000. Bis zur Rezertifizierung der Organisation nach 3 Jahren wird vom externen Auditor ein jährliches Überwachungsaudit durchgeführt. Dadurch soll die kontinuierliche Verbesserung des Qualitätsmanagementsystems unterstützt werden (Brauer 2002, S. 37–40).
3.4.3 European Foundation
for Quality Management Die European Foundation for Quality Management (EFQM) wurde 1988 von 14 führenden europäischen Unternehmen gegründet. Im Jahr 1999 wurde das EFQM-Modell für »excellence« entwickelt. Mit Excellence sind »weltbeste Vorgehensweisen« gemeint, die anderen Unternehmen als Vorbild dienen können. Dies bedeutet, dass die Organisation sich in Richtung eines exzellenten Reifegrades bewegen soll. Das EFQMModell (⊡ Abb. 3.2) basiert auf dem Prinzip des
»total quality managements« (TQM) im Sinne eines umfassenden Qualitätsmanagements. ! Ziele des EFQM-Modells sind es, herausragende Qualitätsergebnisse zu erreichen und die Qualität immer im Mittelpunkt des Handelns stehen zu lassen.
Dabei sind die im Folgenden beschriebenen wesentlichen Grundprinzipien des Exzellenzgedankens zu berücksichtigen. In erster Linie bestimmt der Kunde die Qualität des Unternehmens oder des Arbeitsbereiches. Des Weiteren muss die Verantwortung der Unternehmensführung klar herausgestellt und beschrieben werden. Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess muss nachgewiesen werden. Das Management soll sich an Fakten des Unternehmens orientieren. Die Mitarbeiter des Unternehmens sollten sich an der Entwicklung des Managementmodells beteiligen und hinsichtlich der neuen Anforderungen weiterentwickelt werden. Weitere Prinzipien sind: Qualität der Planung und Fehlerprävention, schnelle Reaktion, langfristige Perspektive, Partnerschaftsbildung 50 % Ergebniskriterien (Ergebnisqualität)
50 % Befähigungskriterien (Struktur- und Prozessqualität)
Befähiger
K1 100
Ergebnisse
K5 140
K3 90 Mitarbeiter 9 %
Führung
K2 80 Politik/Strategie 8%
K7 90 Mitarbeiterbezogene Ergebnisse 9% Prozesse
K6 200 Kundenbebezogene Ergebnisse 20%
K4 90 Partnerschaften/ Ressourcen 9 %
14 %
10 %
K8 60 Gesellschaftsbezogene Ergebnisse 6%
Ergebnisse
Befähiger
Innovation und Lernen ⊡ Abb. 3.2. EFQM-Modell
K9 150
Ergebnisse bei Schlüsselleistungen
15 %
3
39 3.5 · Prozessorientiertes Qualitätsmanagement für den OP
und soziale Verantwortung. Das EFQM-Modell beinhaltet 9 Kriterien, die 2 Bereichen zugeordnet sind: die Befähigerseite, in der die Potenziale und Vorgehensweisen für gute Leistungen geplant und umgesetzt werden, und die Ergebnisseite, auf der die Resultate der Vorgehensweisen gemessen werden. Die Kriterien werden, wie in ⊡ Abb. 3.2 zu sehen ist, mit Prozentsätzen gewichtet. Daraus ergibt sich eine gewisse Punktzahl. Maximal können 1000 Punkte erreicht werden. Jedes Kriterium wird durch mehrere Subkriterien unterstützt. Diese geben an, was konkret bezüglich eines jeden Kriteriums unter Total quality zu verstehen ist. Die Strategie der EFQM besteht darin, einen Selbstbewertungsprozess anzustoßen. Dieser Selbstbewertungsprozess soll zu effektivem und effizientem Arbeiten hinführen. Die Selbstbewertung wird durch eine umfassende Qualitätsanalyse unterstützt. Das heißt, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität rücken in den Mittelpunkt. Dies ist unabhängig von der Größe der Organisation. Die Grundlage für die Selbstbewertung ist die sog. RADAR-Logik. Die Elemente von RADAR sind: ▬ R: »results« (Ergebnisse), ▬ A: »approach« (Vorgehen), ▬ D: »deployment« (Umsetzung), ▬ A: »assessment« (Bewertung) und ▬ R: »review« (Überprüfung). Beim EFQM erfolgt keine Zertifizierung wie bei den beiden anderen angeführten Modellen. Eine Fremdbewertung wird erst dann vorgenommen, wenn die Organisation sich um den von der EFQM verliehenen europäischen Qualitätspreis, den »European Quality Award« (EQA), bewirbt. Bei der Begutachtung des Unternehmens ermittelt eine externe Prüfungskommission checklistenartig Stärken und Verbesserungspotenziale hinsichtlich der 9 Kriterien für eine exzellente Qualität im Gesundheitswesen. Die Umsetzung der Qualitätsverbesserungen wird stufenweise in Modulen bearbeitet. Dies führt nachweisbar zu Gesundheitsdienstleistungen, die in ihrem Nutzen, in ihrer Wirksamkeit und in ihrer Wirt-
schaftlichkeit steigen. Die Preise werden auf nationaler und auf internationaler Ebene vergeben. Die Verleihung eines Preises richtet sich nach der erreichten Punktzahl. Der höchste Preis, der gewonnen werden kann, ist der EQA.
3.5
Prozessorientiertes Qualitätsmanagement für den OP
Nachdem die Grundlagen des Qualitätsmanagements und die unterschiedlichen Modelle und Systeme erläutert wurden, soll im Folgenden beispielhaft dargestellt werden, wie prozessorientierte Qualitätssicherungsmaßnahmen in eine OP-Ablauforganisation implementiert werden können. In ⊡ Abb. 3.3 wird ein vereinfachtes Schema zur Illustration des Prozessgedankens aufgezeigt. An den rot gekennzeichneten Feldern sind die wesentlichen OP-Schnittstellen zu erkennen. Diese sollten in ihrem Anforderungsprofil konkret beschrieben werden, damit die Operation durchgeführt werden kann. Hier geht es z. B. um standardisierte diagnostische Maßnahmen bezüglich einer konkret geplanten Operation oder um den konkreten Zeitpunkt der Anmeldung zur Operation mithilfe eines standardisierten Verfahrens. In den ⊡ Abb. 3.4 und 3.5 werden OP-Prozesse aufgezeigt. Um eine optimale Ergebnisqualität zu erreichen, ist es relevant, die Prozesse eines Arbeitsbereiches aufzuzeigen und
Aufnahme
Präoperative Phase
Anmeldung zur Operation
Einschleusen
Operation
Aufwachraum
Station
Postoperative Phase
Entlassung
⊡ Abb. 3.3. Schematische Darstellung des Patientenaufenthalts im operativen Feld
40
Kapitel 3 · Qualitätsmanagement
Patienten abrufen
OP-Saal, Sterilgut vorbereiten
Anästhesieteam einschleusen
3
OP-Saal, Sterilgut nachbereiten
Patienten einschleusen
Narkose einleiten
OP-Team einschleusen
Narkose ausleiten
Narkose führen
Patienten lagern
Patienten operieren
Patienten einlagern
Patienten ausschleusen
⊡ Abb. 3.4. Schematische Darstellung der Teilprozesse im OP
Prozess
Zeit v
OP-Saal v
Diagnostik v
Station Administrative Aufnahme
v
v
v v
Durchlaufzeit Leistungszeit Wege-, Transportzeit Wartezeit
⊡ Abb. 3.5. Schematische Darstellung der Prozesszeiten im OP
diese in seiner Durchführung genau zu beschreiben. Hierbei sollten Qualitätsnachweise und Messgrößen berücksichtigt werden. Auf diese Weise ist es möglich, die Prozesse kontinuierlich zu evaluieren und bei Bedarf zu optimieren.
3.6
Messung der Ergebnisqualität
Die Messung der Ergebnisqualität gestaltet sich methodisch schwierig, da in den meisten medizinischen Bereichen reliable und valide Indikatoren bzw. Messverfahren fehlen. Die Rahmenbedingungen des Datenschutzes beeinflussen das
Problem in erhöhter Weise. In der Chirurgie lässt sich hingegen ein großer Anteil der Resultate direkt messen. Auf der inhaltlichen Ebene bleibt es jedoch schwierig, evidenzbasierte Faktoren der Ergebnisqualität zu definieren, die parallel die Betreibersicht widerspiegeln. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass es momentan nur ansatzweise gelingt, die Qualität der Gesundheitsversorgung quantitativ zu messen. Qualitativ kann jedoch eine Aussage darüber getroffen werden, zu welchem Zeitpunkt welches Niveau bezüglich der aufgestellten Standards vorliegt. Das Ziel ist es jedoch, die Methoden im Sinne einer erhöhten Objektivierbarkeit und Verifizierbarkeit weiter-
3
41 3.6 · Messung der Ergebnisqualität
zuentwickeln. Besonders bietet sich dieses in den chirurgischen Bereichen an. Durch Operationszeiten, Liegezeiten sowie Rezidiv- und Komplikationsraten sind einige Indikatoren existent. Vonseiten der chirurgischen Bereiche scheinen diese Indikatoren gemeinsam mit den Überlebenszeiten gerade nach onkologischen Eingriffen besonders wichtig zu sein. Wie eingangs erwähnt, wird nach Donabedian (vgl. Zollondz 2002) in Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterschieden. Mit der Strukturqualität stellt man die Rahmenbedingungen für die Erbringung der Prozessleistung zur Verfügung. Die Prozessqualität bezieht sich auf die tatsächliche Leistungserbringung. Untersucht wird dabei, ob die eingesetzten Verfahren, Standards, Methoden und Techniken adäquat umgesetzt werden. Die Ergebnisqualität, auch »Output-Qualität« genannt, beschreibt den Zustand des Patienten nach seinem durchlebten Behandlungsprozess. Da die Messung der Ergebnisqualität im Gesundheitswesen besonders schwierig ist, hilft man sich mit der genauen Beschreibung der Strukturund Prozessqualität, um dann zu unterstellen, dass bei guter Struktur- und Prozessqualität auch ein gutes Ergebnis erzielt wird. Somit können Defizite in der Strukturqualität z. B. in einer personellen Minderbesetzung oder in einem Qualifikationsdefizit bei den Mitarbeitern liegen. Prozessmängel hingegen können darin begründet sein, dass Verfahren nicht sachgerecht angewendet werden. So kann z. B. ein Risiko darin liegen, dass Operationssiebe nicht sachgerecht für eine konkrete Operation vorliegen. Eine hohe Anzahl von Wiederaufnahmen, Komplikationsraten und Infektionsraten kann eine Maßeinheit für mangelnde Ergebnisqualität sein (Trill 2000). Betrachtet man an dieser Stelle noch einmal die ⊡ Abb. 3.5, so wird deutlich, dass auch andere Elemente in der Prozessebene gemessen werden können, wie Wege- und Transportzeiten der Patienten in den OP und durch diagnostische Maßnahmen entstehende Wartezeiten. Wenn diese Elemente in der Ablauforganisationen innerhalb der Schnittstellen nicht effektiv umgesetzt werden, kann dies
ein Grund für die Verlängerung der Verweildauer der Patienten sein. Abschließend soll noch erwähnt werden, dass ein generierter Fragebogen ein hilfreiches Mittel für die Ermittlung von Patienten-, Mitarbeiter- und Einweiserzufriedenheit sein kann. Dieser kann sich auf einen konkreten Prozess oder aber auf alle 3 Ebenen (Struktur, Prozess und Ergebnis) beziehen. Fazit
I
I
Die 3 im Abschn. 3.4 erläuterten Modelle (KTQ, ISO 9000 und EFQM) sind geeignet, ein Qualitätsmanagement in der Chirurgie bzw. in operativen Bereichen umzusetzen. Allerdings sind bislang wenige Erfahrungen an praktischen Beispielen für die konkrete Umsetzung eines umfassenden Qualitätsmanagements aus deutschen chirurgischen Kliniken veröffentlicht worden. Zahlreiche Beispiele finden sich hingegen in den USA, in denen sich eine nachhaltige Optimierung der Versorgungsqualität feststellen lässt. Wichtig bei allen Unternehmungen, die ein adäquates Qualitätsmanagement im OP umsetzen wollen, ist, dass die Ist-Situation in den 3 Dimensionen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität beschrieben wird. Hierbei ergeben sich meist erste Verbesserungspotenziale, die den zukünftigen Soll-Zustand generieren. Weiterhin ist die erfolgreiche Umsetzung von Qualitätsmanagement davon abhängig, wie die Schnittstellen zu dem eigenen Arbeitsbereich OP (z. B. Stationen, Anästhesie und intensivmedizinische Bereiche) organisiert sind. Die Arbeitsprozesse der Schnittstellen, die die OP-Ablauforganisation im Wesentlichen mitbeeinflussen, sollten eng aufeinander abgestimmt sein. Erfüllt man abschließend die Anforderungen aller Kunden (Patient, Schnittstellen) und setzt diese Prozesse orientiert in den evidenzbasierten medizinischen Leitlinien und Standards um, kann die erfolgreiche Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems gewährleistet werden.
42
Kapitel 3 · Qualitätsmanagement
Literatur
3
Beck T, Dannenmaier G, Eich JM, Uelsberg R (2001) Entwicklung eines spezifischen Zertifizierungsverfahrens durch KTQ. Gesundh Okonom Qual Manage 6: 39–41 Brauer JP (2002) DIN EN ISO 9000:2000 ff. umsetzen. Gestaltungshilfen zum Aufbau Ihres Qualitätsmanagementsystems, 3. vollst. überarb. Aufl. Hanser, München Clemmer TP, Spuhler VJ, Oniki TA, Horn SD (1999) Results of a collaborative quality improvement program on outcomes and costs in a tertiary critical care unit. Crit Care Med 27: 1786–1774 European Foundation for Quality Management (2000) The EFQM Health Care Working Group. Pabo, Tilburg, http://www.efqm.org. Gesehen 02 Apr 2006 Fischer J, Bach A (2000) Akkreditierung und Zertifizierung von Einrichtungen im Gesundheitswesen aus Sicht des Qualitätsmanagements im Krankenhaus. In: Möller J, Bach, A, Sonntag HG (Hrsg) Akkreditierung und Zertifizierung im Gesundheitswesen. Heidelberger Verlagsanstalt, Heidelberg, S 125–132 Isemer, FE, Schmidt KJ, Heuser U, Kirchgesser G (1996) Introduction of quality circles and a quality management system (QMS) in a centralized clinic. Langenbecks Arch Chir Suppl Kongressbd 113: 638–640 Kooperation für Transparenz und Qualität GmbH (2005) Siegburg, Deutschland. http://www.ktq.de. Gesehen 02 Apr 2006 Knon D, Goerig RM (2004) Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Hanser, München Küchler T, Schreiber HW (1989) Lebensqualität in der Allgemeinchirurgie – Konzepte und praktische Möglichkeiten der Messung. Hamb Arztebl 43:246–250 Mohr VD (2001) Neue Aufgaben, neue Partner, neue Chancen – Bundesweite externe Qualitätssicherung im Krankenhaus. Krankenhausumschau 70 (Sonderheft Qualitätsmanagement): 69–72 Rychlik R (Hrsg) (1999) Gesundheitsökonomie und Krankenhausmanagement. Grundlagen und Praxis. Kohlhammer, Stuttgart, S 22–23 Shortell SM, Jones RH, Rademaker AW et al. (2000) Assessing the impact of total quality management and organizational culture on multiple outcomes of care for coronary artery bypass graft surgery patients. Med Care 38: 207–217 Schmidt C, Reibe F, Güntert B, Küchler T, Henne-Bruns D (1999) Lebensqualität als Parameter der Ergebnisqualität. Gesundh Okon Qual Manag 4: 85–91 Trill R (2000) Krankenhaus Management. Aktionsfelder und Erfolgspotentiale. Luchterhand, München Zollondz HD (2002) Grundlagen Qualitätsmanagement. Oldenbourg, München
4
Risikomanagement A. Möllemann, M. Hübler
4.1
Ziel und Nutzen im Krankenhaus – 44
4.2
Klinisches Risikomanagement – 45
4.3
»Critical incident reporting systems« – 46
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Theoretische Grundlagen – 46 Anforderungen an die Zusammensetzung einer Arbeitsgruppe Anforderungen an das verwendete Meldesystem – 50 Einführung in den klinischen Alltag – 50 Zusammenfassung – 50
Literatur – 53
– 49
4
44
Kapitel 4 · Risikomanagement
4.1
Ziel und Nutzen im Krankenhaus
Ziel eines Risikomanagements in der Medizin ist die Vermeidung von Behandlungsfehlern. Dabei ist die von Bereichen des industriellen Qualitätsmanagements geforderte Nullfehlerstrategie angesichts der großen Bandbreite menschlicher Fehler und des großen Anteils an »human factor« an den in allen bekannten Fehlermeldesystemen gemeldeten Ereignissen ein für die Medizin unrealistischer Ansatz. Besser und menschlicher ist es deshalb, vom Ziel der Fehlerreduktion zu sprechen. Der Begriff »Risiko« ist nicht geschützt oder exakt definiert. Jede Interessengruppe verwendet ihn in der ihr nahe liegenden Bedeutung, die z. T. erheblich voneinander abweichen. So werden Juristen und Haftpflichtversicherer andere Risiken im Auge haben als die Finanzverwaltung eines Krankenhauses oder das »controlling«. Ebenfalls muss sich die Pressestelle mit anderen Risken auseinander setzen als die Küche. Pflegende und Ärzte sehen bei der Behandlung ihrer Patienten wieder andere Risiken im Vordergrund. ! Ein Risiko ist die kalkulierte Prognose eines möglichen Schadens bzw. Verlustes im negativen Fall (Gefahr) oder eines möglichen Nutzens bzw. Gewinns im positiven Fall (Chance).
Was als Schaden oder Nutzen aufgefasst wird, hängt von Wertvorstellungen ab. Deshalb kann Risiko auch als Bedrohung eines Wertes durch einen Sachverhalt oder eine Handlung definiert werden. Da die Wertvorstellungen stark divergieren, sind auch die Risikosituationen sehr unterschiedlich. Ein Risiko ist (mathematisch) die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines negativen Ereignisses oder (unter betriebswirtschaftlichen Aspekten) die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines negativen Ereignisses multipliziert mit dem finanziellen Ausmaß. Unter Risiko versteht man i. Allg. die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines unerwünschten Ereignisses mit seinen negativen Folgen.
Risikomanagement befasst sich mit dem planvollen Umgang mit Risiken und ist bestrebt, ▬ die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts vorherzusagen, ▬ die Auswirkungen zu beschreiben, ▬ im Idealfall zu quantifizieren, ▬ die Risiken zu analysieren, ▬ um Gegenstrategien zu entwickeln und ▬ umzusetzen.
Diese Gegenstrategien können sein: ▬ Risiko vermeiden ▬ Risiko reduzieren: – Eintrittswahrscheinlichkeit reduzieren, – Schadenshöhe reduzieren. ▬ Risiko verlagern (z. B. auf Versicherer) und ▬ Risiko tragen. Dabei beinhaltet ein progressives Risikomanagement immer auch die Erfassung und die Nutzung von Chancen, die die aufgezeigten Unsicherheiten in den Prozessen beinhalten. Durch die Anwendung eines Risikomanagements wird Vertrauen in die verantwortungsvolle Arbeitsweise der Einrichtung geschaffen. Interne und externe Kunden sind von der Sicherheit der Prozesse zu überzeugen. Die Wahrscheinlichkeit zufällig auftretender Störungen und Fehler sinkt. Der materielle Nutzen eines solchen Managementintstruments wird schwer direkt zu ermitteln sein. Über das zu schaffende Vertrauen wird eine Stabilisierung bzw. sogar ein Zugewinn an Kunden (Patienten, Einweiser) zu erzielen sein. ! Ein Risikomanagement dient der Steuerung der Risiken und der Eröffnung neuer Chancen.
Ziel sollte stets sein, dass das Unternehmen Krankenhaus die Risiken steuert und nicht von den Risiken gesteuert wird. Alle Risiken mit quantifizierbarem Schaden im Eintrittsfall sind dem kaufmännischen Risikomanagement zuzuordnen. Alle Risiken innerhalb des Kernprozesses Patientenbehandlung gehören zum me-
45 4.2 · Klinisches Risikomanagement
dizinischen Risikomanagement. Die Größe der Schnittmenge beider Risikoarten ist u. a. vom Klageverhalten der Patienten, aber auch zunehmend von den Regressforderungen der Krankenkassen abhängig. Risikomanagement wird als Konzept zur Schadensvermeidung und -bewältigung für Krankenhäuser angesichts der drohenden oder bereits erfolgten Kündigung von Haftpflichtversicherungsverträgen durch die Versicherer angesehen (Ghanaat u. Goslich 2003; Ulsenheimer 2003; Wiedensohler 2003). Als Ursachen machen die Versicherer die höhere Belegungsdichte (mehr Fälle pro Bett) sowie die steigende Anzahl von aufgedeckten Behandlungsfehlern geltend.
4.2
Klinisches Risikomanagement
Im Vordergrund steht die Sicherheit der Patienten und der Behandelnden. Die Fehlerraten in der Medizin sind um bis zum Faktor 105 höher als in der Industrie. Durch Fortschritte im Monitoring und in der Ausbildung ist in den letzten 20 Jahren z. B. die anästhesiebedingte Mortalität von 25–50 auf 3,4/1 Mio. Anästhesien gesunken (Ross u. Tinker 1994). Deswegen gelangt gleichzeitig die anästhesiebedingte Morbidität in den Vordergrund (Classen u. Kilbridge 2002; Singleton et al. 1993), so u. a. der hypoxische Hirnschaden, die Magensaftaspiration mit nachfolgender Pneumonie und akutem Lungenversagen sowie der Zahnschaden (Marsch et al. 1997). Damit ist Leid für Patienten und Angehörige verbunden, das oftmals in keinem Verhältnis zur Grunderkrankung und zum durchgeführten Eingriff steht. Ungeachtet aller medizinischer Fortschritte wird ein Anstieg von aufgedeckten Behandlungsfehlern verzeichnet. Ob die Zahl der Behandlungsfehler tatsächlich zunimmt, ist ungewiss. Sicher sind aber eine höhere Anforderungs- und Anspruchshaltung der Patienten mit anwachsender Klagebereitschaft (Zahlen z. B. aus den Schiedsstellen der Ärztekammern)
4
und die zunehmende Arbeitsbelastung durch Arbeitsverdichtung aufgrund kürzerer Verweildauern bei steigenden Fallzahlen. So sind in den letzten Jahren folgende Aussagen zum Umgang mit Fehlern, zu typischen fehlerverursachenden Konstellationen und zur Bestätigung von Behandlungsfehlern zu machen (Hansis et al. 2001): ▬ Je kleiner ein Krankenhaus ist, desto eher werden vermutete Behandlungsfehler auch bestätigt. So wurden in kleinen Häusern (weniger als 200 Betten) 44% der Fehlervorwürfe anerkannt, in mittelgroßen Häusern 200–500 Betten 30%, in großen Häusern (>500 Betten) 29%, an Unikliniken nur 24%. ▬ Krankenhausärzte werden etwa doppelt so häufig mit Fehlervorwürfen konfrontiert wie niedergelassene. Wahrscheinlich ist das Misstrauen gegenüber der anonymen Institution Krankenhaus größer als gegenüber dem persönlich bekannten niedergelassenen Arzt. ▬ Dokumentationsmängel werden in etwa 20% der anerkannten Behandlungsfehler als mitverursachend für den schlechten Verlauf oder den Fehlervorwurf anerkannt. ▬ Aufklärungsmängel konnten in 7% der Fälle nachgewiesen werden. ▬ Absprache- und Koordinationsdefizite spielen in 23% der Fälle eine wichtige Rolle. Insbesondere Universitätsklinika müssen sich mit zusätzlichen Ursachen für Fehlerwahrscheinlichkeiten und damit für Klagehäufigkeiten auseinander setzen (Möllemann 2005). Dies ist u. a. bedingt durch: ▬ den hohen Anteil an Auszubildenden, ▬ den hohen Anteil an multimorbiden Patienten, ▬ der hohen Erwartungshaltung, die von den Patienten an diese Häuser herangetragen werden, und ▬ den hohen Anteil an neuen Therapieverfahren innerhalb klinischer Studien oder im Sinne von Heilversuchen.
4
46
Kapitel 4 · Risikomanagement
4.3
»Critical incident reporting systems«
Die systematische Erfassung kritischer, sog. sicherheitsrelevanter Ereignisse ist ein in der Industrie etabliertes Verfahren, um Systemfehler bzw. systematische Fehler zu identifizieren und nach einer entsprechenden Analyse Vermeidungs- bzw. Lösungsstrategien abzuleiten. Im medizinischen Bereich und hier insbesondere in der Anästhesie wird in den letzten Jahren zunehmend auf die Erfahrungen der Industrie zurückgegriffen, und ähnliche Erfassungssysteme werden eingeführt (Gaba 2000). ! Übertragen auf das klinische Risikomanagement, bezeichnet man eine Situation immer dann als kritisch, wenn sie zu einer Gefährdung der Sicherheit von Patienten hätte führen können.
Hiervon sind Beinaheunfälle und Unfälle theoretisch abzugrenzen. Bei diesen ist eine Gefährdung der Sicherheit von Patienten offensichtlich. Sie unterscheiden sich nur durch das Outcome voneinander: Unfälle führen zu einer gesundheitlichen Schädigung von Patienten, während Beinaheunfälle keine Gesundheitsbeeinträchtigungen nach sich ziehen. Allerdings ist die Grenzziehung oft schwierig, da eine Patientenschädigung nicht immer zweifelsfrei festzustellen bzw. auszuschließen ist. So können z. B. nach einer intraoperativen Phase der Hypotonie postoperativ durchaus mnestische oder Konzentrationsstörungen auftreten. Dabei ist die individuelle Toleranz solcher Phasen hinsichtlich Dauer und Ausprägung extrem unterschiedlich und nicht sicher prognostizierbar. Aus diesem Grund sollte jede Abweichung vom beabsichtigten Vorgehen bzw. vom im Vorfeld festgelegten Behandlungskorridor als sicherheitsrelevantes Ereignis wahrgenommen werden. Dies erfordert eine stark antizipierende Arbeitsweise. Noch vor 10 Jahren war Patientensicherheit so gut wie kein Thema. Vor 5 Jahren, vor dem Aufsehen erregenden Artikel »To err is human«
des Institute of Medicine (IOM, USA), haben sich nur einige Pioniere in wenigen Kliniken diesem Problem gewidmet. Heute ist die Mehrzahl der Einrichtungen des amerikanischen Gesundheitswesens in Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit eingebunden (Leape u. Berwick 2005) Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Aktivitäten in verschiedenen Fachrichtungen (Beispiel: Fehlermeldesystem der Allgemeinmedizin, http://www.jeder-fehler-zaehlt.de; Verbundprojekt Fehlermeldesystem der Bremer Kinderkliniken, Fehlermeldesysteme in der Anästhesie klinikintern/bundesweit; Patientensicherheitsoptimierungssystem in Anaesthesie, Intensivtherapie, Notfallmedizin und Schmerztherapie, http://www.PaSOS-ains.de).
4.3.1 Theoretische Grundlagen Jeder klinisch tätige Arzt wurde und wird im Rahmen seiner Arbeit mit zahlreichen kritischen Situationen konfrontiert (Adams 2005). Die persönliche Erfahrung mit Beinaheunfällen und Unfällen ist hingegen gering. Unfällen und Beinaheunfällen geht in der Regel eine deutlich größere Anzahl von Regelverletzungen, Störungen und kritischen Ereignissen voraus. Wenn ein an sich schon sehr seltener Zwischenfall eingetreten ist, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser sich wiederholt, extrem gering. Dem nächsten Schadensfall werden andere Ursachen zugrunde liegen. Deshalb ist es notwendig, sich der größeren Zahl von Abweichungen vom Normalbetrieb zuzuwenden (Rall et al. 2002). Die quantitative Relation dieser unterschiedlich kritischen Abweichungen vom Normalbetrieb beschreibt das Eisbergmodel (⊡ Abb. 4.1). Über die Steilheit des Eisbergs, d. h. über die Relation von Regelverletzung und Störung zu kritischem Ereignis, zu Beinaheunfall und zu Unfall kann aufgrund einer völlig unzureichenden Datenlage nur spekuliert werden. In theoretischen Modellanalysen aus der Luftfahrt wird von Stufe zu Stufe von Faktor 10 ausgegan-
47 4.3 · »Critical incident reporting systems«
Unfälle Beinaheunfälle
4
Führen zu einer gesundheitlichen Schädigung des Patienten
Ereignisse Fehler, Störungen
Sind von Unfällen nur durch das Outcome zu unterscheiden Reduzieren die Sicherheit für den Patienten (potenzielle Gefährdung) Reduzieren nicht die Sicherheit des Patienten
Normalbetrieb ⊡ Abb. 4.1. Eisbergmodell
gen, d. h. einem Unfall gehen 10 Beinaheunfälle, 100 kritische Ereignisse sowie 1000 Regelverletzungen und Störungen voraus (Müller 2004). Es ist davon auszugehen, dass sich die Ursachen, die zu einem kritischen Ereignis oder zu einem Unfall/Beinaheunfall führen, nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Ein »critical incident reporting system« (CIRS) macht sich dieses Wissen zunutze. ! Ziel eines CIRS ist es, die häufigeren kritischen Ereignisse systematisch zu erfassen und zu analysieren, um durch abgeleitete Maßnahmen die Inzidenz von seltenen Unfällen und Beinaheunfällen zu reduzieren.
Gemäß dem Eisbergmodell (⊡ Abb. 4.1) sollen in einem CIRS alle Normabweichungen vom Fehler aufwärts über das Ereignis bis hin zum Beinaheunfall zur Meldung gelangen. Im Weiteren werden diese Begriffe unter der Bezeichnung »sicherheitsrelevantes Ereignis« zusammengefasst. Ein CIRS ermöglicht es allen Mitarbeitern, jedes Ereignis anonym mitzuteilen, das ohne Korrektur zu einer Gefährdung des Patienten hätte führen können. Ähnliche Systeme werden auch als »trouble report« bezeichnet (Hofinger u. Walaczek 2003). Die Erfassung dieser sicherheitsrelevanten Ereignisse führt über 2 Wege zu dem Ziel, die Gefährdung von Patienten zu reduzieren: Einerseits werden Ursachen und kausale Faktoren für die Entstehung dieser Ereignisse analysiert. Andererseits beinhalten sicherheitsrelevante Ereignisse, die für den Patienten folgenlos entdeckt
und behoben werden, ein großes Potenzial an Korrekturfaktoren. Welcher Mechanismus hat verhindert, dass ein Patient zu Schaden kam? In der Aufdeckung und in der Verstärkung dieser erfolgreichen Strategien zur Bewältigung kritischer Ereignisse schlummert ein wesentliches Potenzial zur Risikoreduktion. Letztlich ist die Analyse von sicherheitsrelevanten Ereignissen hinsichtlich erfolgreicher Bewältigungsstrategien aussagefähiger als eine Unfallanalyse, weil es im letzteren Fall keine erfolgreichen Strategien gegeben hat. In der breit angelegten Meldestruktur des CIRS liegt eine weitere Stärke, insbesondere im Vergleich zur oftmals angewandten Unfallanalyse: Jeder Mitarbeiter ist als Experte an seinem Arbeitsplatz gefragt und kann Hinweise auf nichtregelhafte Abläufe sowie sicherheitsrelevante Ereignisse geben. Weltweit sind verschiedene Meldesysteme im Gesundheitswesen etabliert worden (Kohn 2000). Diese sind ▬ entweder Pflicht oder freiwillig, ▬ anonym, vertraulich oder offen, ▬ werden durch interne oder externe Arbeitsgruppen betreut und ▬ unterscheiden sich bezüglich ihres internen und externen »feedback«. Allen Meldesystemen gemein ist, dass die Meldebereitschaft abnimmt, wenn persönliche Sanktionen zu erwarten sind. Anonyme Meldesysteme bieten den Meldenden die höchste persönliche Sicherheit. Sie werden daher trotz mancher Nachteile häufig favorisiert (Hübler et al. 2005).
48
Kapitel 4 · Risikomanagement
Praxistipp
4
Ein CIRS sollte folgende Charakteristika aufweisen: ▬ Es sollte von der Klinikleitung gewünscht sein und aktiv unterstützt werden. ▬ Anonymität, Straffreiheit und Freiwilligkeit der Teilnehmenden sollten gewährt sein. ▬ Es sollte unabhängig von der Klinikleitung sein. ▬ Experten, die die Kompetenz und Entscheidungsgewalt zur Optimierung der Prozessabläufe haben (z. B. Erstellung von Algorithmen, Festlegung von Standards, Dienstanweisungen, Delegierung von Ausbildung usw.) sollten es analysieren. ▬ Die Auswertung mit Feedback an die Mitarbeiter sollte zeitnah erfolgen. ▬ Es sollte eine Orientierung auf das System und nicht auf das Individuum stattfinden.
Damit wird die Meldebereitschaft hoch gehalten und eine effektive Umsetzung von Maßnahmen gewährleistet (Möllemann et al. 2005). Das langfristige Ziel eines klinischen Risikomanagements unter Einbeziehung eines CIRS besteht in der Entwicklung einer individuellen und institutionalisierten Fehlerkultur. Nur dann werden aus sicherheitsrelevanten und kritischen Ereignissen flächendeckend Vermeidungs- oder Lösungsstrategien abgeleitet. Dabei dürfen die kritischen Ereignisse nicht als individuelles Versagen erlebt und verstanden werden, sondern sie stellen einen unschätzbaren Informationspool zur Identifikation von systembedingten Faktoren dar. Ziel eines CIRS ist es, diesen Wissensund Erfahrungspool abzuschöpfen, der gesamten Belegschaft zu Verfügung zu stellen und so die Patientensicherheit sowie die Qualität der medizinischen Versorgung zu erhöhen. Der runde Tisch des IOM zur Qualität im Gesundheitswesen fasste die folgenden 3 Kategorien von Fehlern im klinischen Behandlungsprozess zusammen (Chassin u. Galvin 1998):
▬ Überbehandlung (Erhalt überflüssiger Behandlung), ▬ Unterbehandlung (Vorenthaltung notwendiger Behandlung) und ▬ Fehlbehandlung (fehlerhafte Behandlung). Dabei sind Fehler in der Behandlung, die zur Schädigung des Patienten führen, am offensichtlichsten, am wenigsten zu akzeptieren und von starken emotionalen Reaktionen gefolgt (Leape u. Berwick 2005). Unter dem Gesichtspunkt eines präventiven Risikomanagements sind aber auch die Über- und Unterbehandlung mit schwer wiegenden Risiken behaftet. In der Überbehandlung drohen überflüssige, den Prozeduren innewohnende Risiken, die der Patient ohne Nutzen für sich zusätzlich zur Prozedur selbst und der damit ggf. verbundenen Körperverletzung eingehen muss. Aus der Unterbehandlung drohen Risiken aus der Erkrankung des Patienten, die entgegen dem von ihm eingebrachten Vertrauen in eine adäquate Behandlung von ihm eingegangen werden müssen. Auch in diesen beiden Fällen kann das Vertrauen des Patienten in die leistungserbringende Einrichtung oder den Behandelnden nachhaltig geschädigt werden. Mitarbeiter und Organisationsstrukturen nehmen häufig nur die Ereignisse, die durch fehlerhaftes Handeln auftreten, wahr. Im Sinne einer hohen Prozess- und Ergebnisqualität ist aber auch die unterlassene Behandlung als Kategorie von Fehlerhaftigkeit in die Betrachtungen einzubeziehen. Viele unerwünschte Ereignisse in Krankenhäusern beruhen eher auf fehlerhaften Systemen und Organisationsstrukturen als auf dem Versagen einzelner Mitarbeiter. Als Prämisse gilt: ! Komplexe Organisationsstrukturen haben sowohl die Kapazität, höhere Ziele als ein Individuum zu erreichen, können aber auch schwer wiegendere Fehlerquellen beinhalten (West 2000).
Krankenhäuser und darin wiederum die OPBereiche sind beispielhaft für komplexe Orga-
49 4.3 · »Critical incident reporting systems«
nisationsstrukturen: Sie beherbergen ein Netz hierarchischer Strukturen, die in informeller Abgeschiedenheit unter Arbeitsteilung und Spezialisierung folgenreiche Entscheidungen treffen. Insbesondere in der Anästhesiologie, aber auch in den operativen Fächern, ist die Tätigkeit in dynamischer, ereignisorientierter Umgebung, in häufig unübersichtlicher Informationslage, durch Irreversibilität und Abnahme von Freiheitsgraden des Handelns unter Bedrohung vitaler Interessen des Patienten gekennzeichnet (St. Pierre et al. 2004). Deshalb sollten Fehler in komplexen Organisationsstrukturen niemals nur der Ignoranz, Inkompetenz oder Amoralität des einzelnen Mitarbeiters zugeschrieben, sondern müssen systematisch analysiert werden (Classen u. Kilbridge 2002; Grout 2003; Mildenberger u.
Ulsenheimer 2003; Pateisky 2003; Staender et al. 1997; Valentin 2004, West 2000). Einzelnen Fallberichten oder anekdotischer Wissensvermittlung haftet immer der Unterton des »Das kann bei uns nicht passieren« an. Thesen zur Risikogenerierung in der Medizin sind in ⊡ Tab. 4.1 zusammengefasst.
4.3.2 Anforderungen
an die Zusammensetzung einer Arbeitsgruppe Die systematische Erfassung und strukturierte Bewertung sicherheitsrelevanter und kritischer Ereignisse sollte durch eine Arbeitsgruppe vor Ort erfolgen.
⊡ Tab. 4.1. Risiko eines Zwischenfalls. (Nach West 2000) Risiko Erhöhung
Je mehr Mitarbeiter an der Patientenversorgung beteiligt sind Je komplexer (technologisch ausgefeilt, Spezialkenntnisse erfordernd) die Aufgaben zur Versorgung des Patienten sind Je stärker die Statusunterschiede zwischen Berufsgruppen und zwischen den Geschlechtern ausgeprägt sind Je größer der Umgebungsdruck auf eine Organisationsstruktur ist, um Ziele zu erreichen, die nicht direkt der Qualität der Patientenversorgung dienen Je stärker die Organisationsstruktur selbst für Ziele eintritt, die nicht direkt der Qualität der Patientenversorgung dienen Je größer die Diskrepanz zwischen den Zielen der Organisationsstruktur und ihren finanziellen Möglichkeiten zur Erreichung dieser Ziele ist
Reduktion
4
Je nachdrücklicher die Einhaltung formaler Kommunikationswege beachtet wird Je einfacher ein bestimmter Mitarbeiter als verantwortlich für die Koordinierung der Patientenversorgung benannt werden kann Je mehr Schlüsselfunktionen, wie z. B. Medikamentenbereitstellung, Reanimation und Infektionsschutz systematisiert und formalisiert sind Je mehr Aufmerksamkeit die Organisationsstruktur der Rolle des einzelnen Mitarbeiters in Bezug auf die Förderung von Patientensicherheit und qualitativ hochwertiger Patientenversorgung zukommen lässt Je stärker die Verantwortung für die Senkung der Anzahl und der Schwere von Zwischenfällen sowohl als organisatorische als auch als individuelle gesehen wird
50
Kapitel 4 · Risikomanagement
Praxistipp
4
Empfohlen wird eine Zusammensetzung der Arbeitsgruppe aus engagierten Mitgliedern aller im OP-Bereich direkt oder indirekt an der Patientenversorgung beteiligten Berufsgruppen. Dazu gehören: ▬ Ärzte aller Hierarchiestufen und Fachrichtungen, ▬ Pflegekräfte aus den Funktionsdiensten der Anästhesie und des OP, ▬ Mitarbeiter des Bereiches Technik, ▬ ggf. Mitarbeiter des Bereiches Lagerung und ▬ ggf. Mitarbeiter des Bereiches Sterilisation. ▬ Zur Unterstützung bei den organisatorischen und analytischen Prozessen sowie bei fachübergreifenden Problemen ist die enge Zusammenarbeit mit einem externen Moderator, z. B. aus dem Bereich Qualitätsmanagement, von Vorteil.
4.3.3 Anforderungen an das
verwendete Meldesystem Neben dem in der Schweiz entwickelten CIRS medical gibt es inzwischen einige lokale Weiterentwicklungen (u. a. in der Anästhesiologie), denen die Möglichkeit der Analyse vor Ort sowie der daraus abzuleitenden und umzusetzenden Veränderungen gemeinsam ist. Eine Ausweitung dieser Systeme auf den operativen Bereich ist möglich und sinnvoll. Das dabei eingesetzte Erhebungsinstrument soll neben einer minimalen Datenerhebung zur Klassifizierung der Ereignisse die Möglichkeit zur ausführlichen Freitextschilderung beinhalten. Dieses Freitextfeld hat sich bewährt, weil darin häufig die zugrunde liegenden Ursachen am klarsten erkennbar sind. Außerdem werden darin bereits Strategien zur Verhinderung eines solchen Ereignisses benannt. Das Erhebungsinstrument kann – je nach technischer Ausstattung – eine intranetbasierte Eingabemaske am Computer sein oder aber in Papierform zur Hinterlegung in einem speziell
für diesen Zweck vorgesehenen Briefkasten zur Verfügung stehen. ! Entscheidend ist, dass alle Berufsgruppen gleichermaßen Zugang zum anonymen Meldeverfahren haben und keinerlei technische Hürden die Bereitschaft zur Teilnahme einschränken.
4.3.4 Einführung in den klinischen
Alltag Das Projekt muss allen Mitarbeitern (Ärzte, Pflegepersonal, technisches Personal) in einer Mitarbeitervollversammlung vorgestellt werden. Primäres Ziel ist neben der Information die Schaffung einer breiten Akzeptanz des Meldesystems. Die alleinige Zusicherung der Straffreiheit reicht nicht aus, Mitarbeiter zur Meldung sicherheitsrelevanter Ereignisse zu bewegen. Dazu bedarf es einer allmählichen Änderung der Fehlerkultur (Ghanaat u. Goslich 2003; Grube et al. 2002; Hofinger u. Walaczek 2003; Müller 2004; Pateisky 2003; Rall et al. 2002; Staender et al. 1997; Steinbrucker u. Jacobs 2004; Valentin 2004; Wiedensohler 2003). Erst die Zusicherung der absoluten Anonymität und in deren Folge die Gewissheit der Straffreiheit ist Voraussetzung für die Schaffung einer angstfreien Atmosphäre, in der Meldungen erfolgen können.
4.3.5 Zusammenfassung Erste Voraussetzung für die Implementierung eines anonymen Fehlermeldesystems ist die unbedingte und vorbehaltlose Unterstützung durch die Klinikleitung. Bereits eine Gleichgültigkeit der Leitung dem Projekt gegenüber wird von den Mitarbeitern genau registriert werden und zu Akzeptanzproblemen mit der daraus resultierenden mangelhaften Beteiligung führen. Als eine weitere Voraussetzung muss die Gruppe, die die Fehlermeldungen entgegennimmt, sie
51 4.3 · »Critical incident reporting systems«
analysiert und auswertet, völlig unabhängig von der Klinikleitung und von Disziplinarvorgesetzten arbeiten. Diese Unabhängigkeit muss für alle Mitarbeiter transparent gemacht werden. Die Unabhängigkeit hinsichtlich der Auswertung und der Ergebnisse, aber auch hinsichtlich der Anonymität der Meldenden muss den Status eines Beichtgeheimnisses besitzen. ! Im Gegensatz zu Unfällen, die der Klinikleitung stets gemeldet werden müssen, darf bei der Erfassung sicherheitsrelevanter Ereignisse keinerlei Zweifel an der Wahrung der Anonymität des Meldenden, auch zum Schutze der Arbeitsgruppe, aufkommen.
Über diese Konsequenzen müssen sich alle Mitglieder einer solchen Gruppe vor der Implementierung des Systems im Klaren sein. Daraus wird wiederum die Bedeutung der ersten Voraussetzung, nämlich der Unterstützung durch die Klinikleitung, deutlich. Wenn die Mitglieder der Gruppe aus dieser Richtung fehlende Unterstützung befürchten müssen, dann werden sich keine Mitarbeiter finden, die sich diesen Problemen widmen. Aus juristischer Sicht stellen Beinahezwischenfälle ohne Schadenseintritt kein Problem dar, sondern sind Lehr- und Lernmaterial und sollten als solche auch genutzt werden (Mildenberger u. Ulsenheimer 2003; Ulsenheimer 2003). Die Unabhängigkeit von der Klinikleitung erstreckt sich auch auf die Ergebnisse und die daraus abzuleitenden Struktur- und Prozessänderungen. Voraussetzung zur Einführung eines Risikomanagementsystems als Teil eines Qualitätsmanagements ist die Herstellung der Steuerungsfähigkeit. Sie ist in der Regel durch arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis gegeben (Lechleuthner 2001). Dazu sollte der Einfluss der Gruppe auf die Klinikleitung eine Beraterfunktion deutlich überschreiten. Mit Änderungsbedarf in Strukturen und/oder Prozessabläufen muss in enger Absprache mit der Klinikleitung eine Weisungsbefugnis vorliegen. Die zunächst aus den Ergebnissen der Fehleranalyse abgeleiteten Vorschläge müssen den Charakter von Dienstanweisungen erhalten.
4
Der Einführungsprozess ist zeitaufwändig. Die Mitarbeit am CIRS beruht auf Freiwilligkeit. Allerdings ist nach dem Entscheid über die Einführung dieses Instruments für das Risikomanagement rasches Handeln notwendig, um bereits überzeugten Mitarbeitern die Möglichkeit der aktiven Beteiligung zu geben. Die daraus resultierenden Veränderungen werden skeptische und zögernde Mitarbeiter eher überzeugen als unzählige weitere Informations- und Einführungsveranstaltungen. Nach der Informationsveranstaltung für die Mitarbeiter über Ziel und Vorgehensweise beim CIRS setzt ein Prozess der Diskussion und Argumentation ein. Dabei kommt dem Ausloten der Angst vor Strafe und Blamage eine besondere Rolle zu. Die Sorge vor Rückfall in die Jahrzehnte alte Tradition der öffentlichen Bloßstellung nach dem Eingeständnis von Fehlern ist ernst zu nehmen. Ihr kann jedoch nur durch offensiven Umgang mit eigenen Fehlern sowie durch eine sachbezogene Auswertung der gemeldeten Ereignisse begegnet werden. Die schnelle Auswertung der Protokolle, die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse und die kontinuierliche Rückmeldung der Maßnahmen an die Mitarbeiter sind für den Erfolg des CIRS unabdingbar (Hofinger u. Walaczek 2003). Durch die nüchterne Fehleranalyse und durch die sich anschließenden Konsequenzen in der Prozessorganisation gelingt es, die Fehler zu »entpersonalisieren« und ein vertrauensvolles Klima zu schaffen, in dem Fehler nicht mehr dem Einzelnen zur Last gelegt, sondern als ein punktuelles Versagen des Gesamtsystems verstanden werden. In zunehmendem Maße berichten Mitarbeiter ihre Fehlermeldungen direkt unter Erläuterung der Umstände und mit bereits vorgenommener Analyse der Ursachen an Mitglieder der Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe kann dieses Vertrauen der Mitarbeiter als den Beginn einer Veränderung in der Fehlerkultur werten. Gleichzeitig wachsen Berufsanfänger und Ärzte in Weiterbildung in einem Klima der sich ändernden Fehlerkultur auf. Als weiterer positiver Effekt wird eine Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit eintreten, da
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4
Kapitel 4 · Risikomanagement
die Kollegen im klinischen Alltag erleben, dass eine aktive Beteiligung an der Prozessoptimierung möglich, notwendig und sinnvoll ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Anzahl und die Schwere von Fehlern zu reduzieren. Unbestritten in ihrer Wirksamkeit sind die Beseitigung bzw. die Verbesserung technischer, räumlicher oder organisatorischer Unzulänglichkeiten. Praxistipp In der Initiierungsphase des Risikomanagements ist es sinnvoll, sich bewusst zunächst auf Maßnahmen zu konzentrieren, die auf Beseitigung einer dieser Unzulänglichkeiten zielen und so die Prozesssicherheit erhöhen.
Dieses Vorgehen reduziert Ängste bezüglich einer unzureichenden Anonymität und vermittelt zugleich sichtbare, aus den Meldungen abgeleitete Konsequenzen – beides Faktoren, die die Meldebereitschaft erhöhen. Neben der Meldung von technischen, räumlichen und organisatorischen Unzulänglichkeiten ist eine subjektiv nur sehr selten beeinträchtigte Leistungsfähigkeit auffallend. Dies ist mit Sicherheit auch darauf zurückzuführen, dass das Eingestehen von Müdigkeit oder gar Erschöpfung nur sehr schwer mit dem Berufsbild der in der Medizin Tätigen zu vereinbaren ist (Williamson et al. 1993), auch wenn zahlreiche Arbeiten bereits das Gegenteil zeigen konnten (Arnedt et al. 2005; Flin et al. 2003). Neben der Initiierung technischer, räumlicher und organisatorischer Verbesserungen sollte ein Ziel der Ereignisanalysen sein, Wissens- und Regelfehler zu identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese können beispielsweise in einer Formulierung von Standards bestehen, in speziellen theoretischen Fortund Weiterbildungsmaßnahmen oder in der Durchführung von praktischen Übungen, idealerweise an Phantomen oder Simulatoren. Die Arbeit im OP erfolgt im Team. Entsprechend wichtig sind nichttechnische Fähigkeiten, wie Kommunikationsfähigkeit, Führung, Teamfähigkeit, Ressourcenmanagement und Entschei-
dungskraft (Fletcher et al. 2002). Innerhalb eines funktionierenden Teams sollte eine Prozesskontrolle – unabhängig von der hierarchischen Position – zum selbstverständlichen Alltag gehören. Hierzu gehört die Bereitschaft zur Kritikausübung und zur Kritikannahme. Zur Förderung der nichttechnischen Eigenschaften bieten sich insbesondere »Crew-ressource-management(CRM-)Seminare« an. Darin werden das Festlegen auf ein gemeinsames Ziel, das Verbalisieren dieses Ziels und der darauf hinwirkenden Handlungen sowie eine effiziente Kommunikation im Team trainiert (Müller et al. 2006). Die kritische Phase eines CIRS folgt nach der eigentlichen Implementierung des Systems. In zahlreichen Krankenhäusern oder Abteilungen wurden bereits Meldesysteme implementiert, aber nach einer gewissen Zeit wieder verlassen. Die Hauptgründe hierfür lassen sich auf folgende Punkte zusammenfassen: Länge/Komplexität des Fragebogens, mangelnde Benutzerorientiertheit bei der Entwicklung des Systems, mangelndes Vertrauen oder fehlende Anonymität, fehlendes Feedback und Kosten (Nyssen et al. 2004). Um diesen Problemen aus dem Weg zu gehen, empfiehlt es sich, ein einfaches, benutzerfreundliches Erfassungssystem zu wählen, das ein hohes Maß an Anonymität garantiert. Fazit
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Risikomanagement im OP-Bereich dient der Erhöhung der Patientensicherheit. Einen wesentlichen Beitrag dazu muss eine Änderung der Fehlerkultur in der Medizin leisten. Ein CIRS hat sich als ein Instrument dafür bewährt. Es beinhaltet die Fehleranalyse, die Entwicklung und insbesondere die Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen einerseits sowie die Analyse und die Verstärkung einer besonders gelungenen Bewältigung kritischer Situationen andererseits. Damit werden die Chancen, die in der Optimierung der Abläufe stecken, genutzt, um die Patientensicherheit zu erhöhen.
53 Literatur
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4
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5
Controlling G. Schüpfer, M. Bauer
5.1
Management im OP-Bereich – 58
5.2
Kostenrechnungssysteme als Controlling-Basis – 61
5.3
Ausgewählte Controlling-Instrumente – 63
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.3.8
Prozesskostenrechnung – 63 Target costing – 64 Aktivitätsanalyse – 65 Komplexitätsanalyse – 65 Portfolio-Analyse – 66 Wertkettenanalyse – 66 Erfahrungskurve – 66 ABC-Analyse – 67
5.4
Statistische Prozesskontrolle und Cusum-Analyse nach Schüpfer et al. 2005 – 68
5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5
Natürliche Variabilität und statistische Kontrolle Control charts – 70 Control-charts-Typen – 71 Gebrauch von Control charts – 72 Die »Cusum-Methode« – 72
5.5
»Reporting« – 75 Literatur – 76
– 69
5
58
Kapitel 5 · Controlling
5.1
Management im OP-Bereich
Management bedeutet Entwicklung, Veränderung und »controlling« von komplexen produktiven und sozialen Systemen. OP-Manager müssen daher über spezifische Controlling-Kompetenzen verfügen (Bauer et al.1999). Rund 25–50% der Fallkosten eines operierten Patienten fallen im OP an. Daher stehen operationelle Aspekte bei der Führung eines OP-Betriebes häufig im Vordergrund (Alon u. Schüpfer 1999). Dazu gehören eine konsequente Prozessorientierung, die Beherrschung der Logistik und eine durchgreifende Kostenkontrolle. Dies wird durch eine Minimierung von Durchlaufzeiten und die Maximierung der Auslastung von Kapazitäten (verminderte Rüst-, Weg- und Wartezeiten) erreicht. Demzufolge werden die entsprechenden Prozesse einem Controlling unterworfen. Daneben gilt es Qualität, Kosten und Kundenzufriedenheit zu monitorisieren. Management bedeutet aber nicht nur die Erzielung von Kostendeckung, sondern die Sicherung des Fortbestands eines Betriebes am Markt. Controlling-Instrumente brauchen daher neben der aufgeführten operativen immer auch eine strategische Komponente (Schüpfer et al. 2005). Sowohl das operative als auch das strategische Controlling sind ein ständig fortlaufender Prozess: Aufgrund der Strategie werden Ziele definiert und daraus Planwerte (Soll-Werte) abgeleitet. Die tatsächlichen Leistungen werden gemessen (Ist-Werte) und mit den Planwerten verglichen. Bei Abweichungen werden nach einer Ursachenanalyse entweder Korrekturmaßnahmen eingeleitet oder, wenn ein Planwert nicht mehr erreicht werden kann, neue Erwartungswerte definiert. (⊡ Abb. 5.1 erläutert den Controllingkreislauf.) Dabei können die Messgrößen zur Steuerung aus der strategischen oder der operativen Ebene stammen. Die folgende Übersicht zeigt einige typische Kennzahlen zur operativen »performance« einer OP-Einheit:
Der Controlling-Regelkreis ist ein ständig fortlaufender Prozess Strategie
Planwerte Ziele Erwartungswerte
Leistung (Ist)
Korrekturmaßnahmen
Messung (Vergleich) bei Abweichung
Ursachenanalyse (»reviews«)
Controlling ist der gesamte Prozess der Zielfestlegung, Planung und Steuerung im strategischen und betriebswirtschaftlichen (operativen) Bereich ⊡ Abb. 5.1. Controlling-Kreislauf
Wichtige Controlling-Kennzahlen im OP-Bereich
▬ Auslastung des OP-Pflegepersonals ▬ Ungenützte Kapazität ▬ Qualitativ erforderliche Zusammensetzung des Personals ▬ Gesamtumfang der personellen Ressourcen, einschließlich Abdeckung der zusätzlich nötigen Dienste ▬ Folgekosten bei zu niederiger Auslastung
Verschiedene graphische Darstellungen, aus denen derartige Daten aggregiert werden können, zeigt ⊡ Abb. 5.2a,b. Einige hilfreiche Controlling-Werkzeuge, wie Prozesskosten- und Komplexitätsanalysen, »target costing«, prozessorientierte Analysewerkzeuge (statistische Prozesskontrolle und CusumAnalyse), Portfolio-Analyse, Wertschöpfungsketten- und ABC-Analyse werden vorgestellt. Eine Übersicht über wichtige Controlling-Instrumente zeigt ⊡ Tab. 5.1. In ⊡ Abb. 5.3 wird ein allgemeines Kennzahlenkonzept vorgeschlagen. Grundlagen vieler Controlling-Instrumente bilden das finanzielle und betriebliche Rechnungswesen; die in ⊡ Tab. 5.2 einander gegenübergestellt werden.
59 5.1 · Management im OP-Bereich
5
a
⊡ Abb. 5.2. Graphische Darstellungen der Saalauslastung mit unterschiedlicher Kennzeichnung der Vorbereitungszeiten, der eigentlich Schnitt-Nahtzeiten und der Nachbehandlungszeiten. a Einfache Excel-basierte Darstellung
b
⊡ Abb. 5.2b. Datenbank-basierte Darstellung
60
Kapitel 5 · Controlling
⊡ Tab. 5.1. Auswahl wichtiger Controlling-Instrumente Absatzplanung
Soll-Ist-Vergleich
»Break-even-Analyse«
Investitionsplanung
Abweichungsanalyse
»Cash flow«
Budgetrechnung
Kennzahlensysteme
Sparten-, Bereichsergebnisrechnung
Planbilanz- und -Erfolgsrechnung
Portfolio-Matrix
Kurzfristige Erfolgsrechnung
Geldflussrechnung
Aktivitätsanalyse
Profit Center
Benchmarking
Komplexitätsanalyse
5 ⊡ Tab. 5.2. Unterschiede zwischen finanziellem und betrieblichem Rechnungswesen Finanzielles Rechnungswesen
Betriebliches Rechnungswesen
Buchführungspflicht
Freiwillig
Wertmäßige Vorgänge
Wert- und leistungsmäßige Vorgänge
Dokumentarisch
Keine Belege, dafür Betriebsdatenerfassung notwendig
Revisionspflichtig
Keine Revision
Geringe Gestaltungsfreiheit
Gestaltungsfreiheit
Bewertungsvorschriften
Keine Bewertungsvorschriften
(Historische Werte)
(Zukunftsorientierte Werte/Wiederbeschaffungswerte)
Vergangenheitsortientiert
Zukunftsorientiert (Planungsrechnung im Mittelpunkt) Zielorientiert
Gesamtverantwortung
Betriebliche/Teilbereichsverantwortung
Medizincontrolling / Kennzahlenkonzept Struktur
Prozess
Ressourcen - Infrastruktur - Personal / Personalgruppen - Finanzen
Leistungen (Output) - Fälle stationär - Fälle teilstationär - Fallgruppen (DRGs) - Pflegetage - Case-mix
Kosten Typ .... Typ ....
Ressourcen
Ressourcenstruktur
Produktivität
Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Ressourcen
Leistungen
./.
Leistungsstruktur (inkl. Effizienz des Mitteleinsatzes)
Effizienz der Durchführung
Kosten
./.
./.
Kostenstruktur
Qualität
./:
./.
Werte im Zähler =>
Werte im Nenner
⊡ Abb. 5.3. Medizin-Controlling und Kennzahlenkonzept
Qualität
61 5.2 · Kostenrechnungssysteme als Controlling-Basis
Der OP-Manager muss daher zumindest mit der Methodik der Kostenrechnung als wichtigem Teil des betrieblichen Rechnungswesens vertraut sein. Allerdings sind auch für den OP-Bereich die folgenden Feststellungen richtig: ▬ Vielerorts ist das betriebliche Rechnungswesen ungenügend. Es ist jedoch eine wichtige Basis für ein zeitgemäßes Controlling. Es sollen nicht Unmengen von sog. Entscheidungs- und Führungsinformationen generiert, sondern wichtige Entscheidungen, die für das Überleben einer Unternehmung am Markt wesentlich sind, begründbar werden. ▬ Basis für ein wirkungsvolles Controlling sind weniger die finanzbuchhalterischen Bereiche (finanzielles Rechnungswesen; ⊡ Tab. 5.2), sondern v. a. die Kostenrechnung oder die Betriebsbuchhaltung. Sie liefert die notwendigen Daten, um Transparenz über die anfallenden Kosten zu schaffen.
5.2
Kostenrechnungssysteme als Controlling-Basis
Es existiert eine Vielzahl verschiedener Kostenrechnungssysteme (⊡ Tab. 5.3).
Zunächst werden die angefallenen Kosten einer Periode auf einzelne Dienstleistungen verteilt, um festzustellen, ob und in welchem Umfang einzelne Dienstleistungen oder Produkte Gewinne erzielen. Dies ist eine Vollkostenrechnung. Danach haben sich die Kostenrechnungssysteme auf 2 verschiedenen Achsen entwickelt: ▬ Plankostenrechnung: eine zeitliche Achse, indem einige Kostenrechnungen nicht bereits angefallene, sondern zukünftige budgetiert und geplante Sollkosten umlagern. ▬ Teilkostenrechnung oder Deckungsbeitragsrechnung: eine umfangmäßige Achse, indem lediglich ein Teil der Kosten, z. B. die variablen Kosten, umgelagert werden. Durch die Kombination der beiden Entwicklungen ist die sog. Grenzplankostenrechnung entstanden. Diese bezieht sowohl die Plankosten wie auch die Teilkosten mit ein. ! Das Grundmodell jeder Kostenrechnung ist die Fallkostenrechnung, die auch heute noch ihre Berechtigung beibehält.
Einzelkosten werden in der traditionellen Kostenrechnung verschlüsselt und via Kostenstellen
⊡ Tab. 5.3. Entwicklung der Kostenrechnungssysteme seit ihren Anfängen Sachumfang der verrechneten Kosten
Zeitbezug der verrechneten Kosten Ist-Kosten (Vergangenheit
Plankosten (Zukunft)
Vollkosten
Ist-Kostenrechnung auf Vollkostenbasis
»Estimated cost systems« (Vorkalkulationskostensystem)
Normalkostenrechnung (normalisierte Kostenstellensätze)
Standardkostenrechnung
Neue Entwicklung
Neue Entwicklung
Prozesskostenrechnung
Target costing Grenzplankostenrechnung
Teilkosten
Deckungsbeitragsrechung Einfache Deckungsbeitragsrechung Gestufte Fixkostenrechnung Relative Einzelkosten
5
62
Kapitel 5 · Controlling
auf die Kostenträger umgeleitet (⊡ Abb. 5.4 und 5.5). Als Zuschlagsbasis dienen in erster Linie Einzelkosten, also primär Löhne und Materialkosten für die betreffenden Dienstleistungen (oder Produkte). Dies ist wohl zweckmäßig,
solange die Einzelkosten den weitaus größten Kostenblock darstellen. Ungenauigkeiten aus dem Umlageverfahren wirken sich damit kaum aus. Allerdings sind die Einzelkosten als Ganzes häufig eher rückläufig. Schätzungsfehler in der
Kostenbegriffspaare
5
Proportionale Kosten Leistungsabhängigkeit
Fixe Kosten
Gemeinkosten < 1 Jahr
> 1 Jahr
Zeitliche Beeinflussbarkeit
Einzelkosten
Erfassbarkeit
⊡ Abb. 5.4. Kostenwürfel: Aufteilung der Kosten nach Leistungsabhängigkeit (fixe oder variable Kosten), zeitlicher Beeinflussbarkeit und Erfassbarkeit. (Aus Schüpfer et al. 2005)
Welche Kosten fallen wo wofür an? Kostenartenrechnung
Gesamtkosten
*Einzelkosten
Kostenstellenrechnung
Hilfskostenstelle
Hauptkostenstelle
Kostenträgerrechnung
Gemeinkosten Total S Total S
⊡ Abb. 5.5. Übersicht betriebliches Rechnungswesen. *Einzelkosten können direkt erfasst und auf einen Kostenträger umgelegt werden
63 5.3 · Ausgewählte Controlling-Instrumente
Zuschlagsbasis wirken sich damit stärker aus. Die Aussagekraft der Kostenrechnung sinkt. Entsprechend sind Fehlentscheide auf Basis einer derartigen Kostenrechnung vorprogrammiert (⊡ Abb. 5.6; Rieder u. Siegwart 2001; Rüegg-Stürm 1996). Auch innerhalb des wachsenden Blocks an Gemeinkosten reduzieren sich die rein produktionsbedingten Kosten zugunsten der marktorientierten und administrativen Bereiche. Der Anteil der Material- und Fertigungsgemeinkosten sinkt zugunsten von Forschung und Entwicklung, Rechnungswesen, Verwaltung, Vertrieb, Informationstechnologie (IT), »marketing« und Logistik. Die Bedeutung der unmittelbar auf die Produktion bezogenen Kosten nimmt daher ab, während immer mehr Kosten für Kommunikation, IT und andere Dienstleistungen anfallen. Diese Aussage gilt auch für den OPBereich. ⊡ Abb. 5.6 zeigt den Zusammenhang zwischen Fixkostenblock und den proportionalen Kosten im Vergleich zur Erlöskurve. Zunehmend gewinnen in Unternehmen also Bereiche an Bedeutung, die nicht unmittelbar mit der Dienstleistungsstellung in Zusammenhang ste-
Erlös Geld
break-even Proportionale (variable) Kosten
Gewinn
5
hen (Forschung und Entwicklung, Rechnungswesen und Verwaltung, IT, Marketing, Kundenservice, Öffentlichkeitsarbeit, »human ressource management«, »risk management« etc.). Damit nehmen die variablen gegenüber den fixen Kosten laufend ab. In der traditionellen Teilkostenrechnung werden aber gerade diese Fixkosten vernachlässigt, sodass eben auch die Aussagekraft der Teilkostenrechnung abnimmt. Angesichts dieser Entwicklungen in der Dienstleistungserstellung sind in den letzten Jahren neue Kostenrechnungssysteme entstanden, so beispielsweise die Prozesskostenrechnung und das Target costing (⊡ Tab. 5.3).
5.3
Ausgewählte ControllingInstrumente
Die Kostenrechnung stellt eine wichtige bei weitem aber nicht einzige Datenquelle für vielfältige Controller-Aufgaben dar. Neben verschiedenen betriebsinternen Quellen sind dabei aber auch externe Daten, wie Marktanalysen etc., zu berücksichtigen. Wichtig ist, dass man im Controlling über einen Werkzeugkasten mit unterschiedlichen »tools« verfügt. Nachfolgend werden daher einige wichtige Instrumente dargestellt. Für standardisierte Analysewerkzeuge wird ausdrücklich auf weiterführende Literatur verwiesen (Bauer et al. 1999; Schüpfer et al. 2005; Rieder u. Siegwart 2001; Rüegg-Stürm 1996).
5.3.1 Prozesskostenrechnung Fixe Kosten
Geld = Erlöse oder Kosten
Notwendige Auslastung
Menge
Geplante Auslastung
⊡ Abb. 5.6. Erfolgsrechnung: Fixe Kosten fallen beschäftigungsunabhängig an; variable Kosten verhalten sich proportional zur Leistungserstellung. Erlös- und Kostenkurven verlaufen nicht parallel, sondern schneiden sich (hoffentlich) am »Break-even-Punkt«. (Aus Schüpfer et al. 2005)
Am ehesten ist die Prozesskostenrechnung der traditionellen Fallkostenrechnung zuzuordnen. Sie unterscheidet sich allerdings auch in den folgenden, wesentlichen Punkten: Die traditionelle Kostenrechnung stützt sich auf Abteilungen, Bereiche oder Stellen, deren indirekte Kosten neben den direkten Kosten, wie Material und Löhne, auf die einzelnen Dienstleistungen überwälzt werden.
64
Kapitel 5 · Controlling
! Die Prozesskostenrechnung stützt sich auf Betriebsabläufe, Arbeitsabläufe oder Prozesse, die an einem Arbeitsplatz in der Arbeitsplatzgruppe, Abteilung oder abteilungsübergreifend laufen.
5
Die traditionelle Kostenrechnung untersucht wo, d. h., in welchen Kostenstellen Gemeinkosten entstehen, und mit welchen Verteilschlüsseln sie auf einzelne Kostenträger (Dienstleistung, Produkte) weiter zu verrechnen sind. Die Prozesskostenrechnung dagegen untersucht, weshalb diese Kosten entstehen, und ob die Prozesse für die Betriebsabläufe überhaupt nötig sind. Damit gliedert die Prozesskostenrechnung Betriebstätigkeiten in Abläufe und die Hauptfrage lautet: »Wie können wir die Kosten dieses Prozesses steuern und im Griff behalten?« Die Kosten der einzelnen Aktivitäten werden in sog. Kostenpools gesammelt. Unter einem Kostenpool kann man sich eine Art Minikostenstelle vorstellen, ähnlich den früher sog. Platzkosten. Für jede Aktivität muss ein Kostentreiber gefunden werden, d. h. eine Messgröße, wie die Anzahl
produzierter Einheiten oder die Anzahl erledigter Dokumente. Die Kosten sind mit dieser Messgröße in Beziehung zu setzen und dem Produkt zuzuschlagen. Die Kosten für eine Dienstleistung (oder ein Produkt) sind somit gleich der Kosten aller Aktivitäten, die zu dessen Entwicklung, Produktion und auch Auslieferung nötig sind. Ein Vergleich zwischen Zuschlags- und Prozesskostenkalkulation ist in ⊡ Tab. 5.4 aufgeführt.
5.3.2 Target costing Eine Neuorientierung des Kostenmanagements und nicht des eigentlichen Kostenrechnungssystems ist das Target costing. Der Ansatz entstand in den 1970er-Jahren (Einordnung ⊡ Tab. 5.3). ! Als Werkzeug für ein strategisches Kostenmanagement zielt das Target costing darauf ab, die gesamten Kosten eines Produkts oder einer Dienstleistung über dessen gesamten Lebenszyklus zu berechnen und zu senken.
⊡ Tab. 5.4. Vergleich der Kosten einer Spezialprothese gemäß Zuschlagskalkulation und Prozesskostenkalkulation Kostenberechnung mit Zuschlagskalkulation [EUR]
Kostenberechnung mit Prozesskostenkalkulation [EUR]
Einzelmaterial
2000
Einzelmaterial
2000
Materialgemeinkosten 16%
320
Beschaffungsaktivitäten
940
Fertigungslohn
5000
Fertigungslohn
5000
Fertigungsgemeinkosten 19%
950
Fertigungsaktivitäten
7430
Herstellerkosten
8270
Herstellerkosten
15370
Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten 36%
2970
Verwaltungs- und marktorientierte Aktivitäten
4150
Totale Selbstkosten
11240
Totale Selbstkosten
19520
Die herkömmliche Zuschlagskalkulation für eine Spezialprothese deckt Selbstkosten von 11204 EUR auf
In der Prozesskostenrechnung werden die speziellen Aktivitäten für die einzeln angefertigte Konstruktion berücksichtigt. Dies führt zu Abweichungen bei der Kostenkalkulation und – im Vergleich zur Zuschlagskalkulation – zu wesentlich höheren Selbstkosten von 19520 EUR
65 5.3 · Ausgewählte Controlling-Instrumente
Target costing geht von der Tatsache aus, dass in der Frühphase einer Produktentwicklung bis zur eigentlichen Herstellung (Konstruktion) nur rund 10% der Kosten anfallen, bereits aber für über 80% der Produktkosten Vorentscheidungen gefällt werden und diese somit fixiert sind. Beim eigentlichen Produktionsbeginn ist es deshalb zu spät, diese Kosten noch zu verändern. Die traditionelle Sicht- und Kostenlehre ermittelt den Verkaufspreis als Addition von Kosten und Gewinn (sog. Vorkalkulation, Offertwesen). Der Gewinn ermittelt sich somit als Differenz zwischen Verkaufspreis und Kosten (Nachkalkulation).
Verkaufspreis = Kosten + Gewinn Gewinn = Verkaufspreis - Kosten.
Target costing geht von einem anderen eher marktorientierten Blickwinkel aus. Die Unternehmung evaluiert den Markt und stellt fest, welchen Verkaufspreis sie für die geplante Dienstleistung verlangen kann. Von diesem Preis zieht sie den budgetierten, zu erzielenden Gewinn als Marge ab. Es resultieren die Kosten, mit denen das Produkt maximal produziert werden darf:
Kosten = Verkaufspreis – Gewinn
Diese Betrachtungsweise hat einige Vorteile. Das Unternehmen orientiert sich von Anfang an an den Bedürfnissen der Kunden und des Marktes. In der Frühphase werden die Produktionsverfahren ebenfalls den zu erzielenden Verkaufspreisen angepasst. ! Diagnosis related groups als Finanzierungssystem zwingen jeden Leistungsanbieter, sich mit Target costing auseinander zu setzen.
5
5.3.3 Aktivitätsanalyse Die Aktivitätsanalyse ist die Basis für die Prozesskostenrechnung. Mit diesem Instrument werden die Gemeinkosten von Prozessen untersucht. Warum entstehen sie, und weshalb kostet diese Tätigkeit so viel? Die Aktivitätsanalyse bestimmt, wie die Tätigkeit zu bewerten ist, und wie sie kostengünstiger erbracht werden kann. Grundsätzlich wird zwischen Fundamental- und Ermessensaktivitäten unterschieden. Fundamentale Aktivitäten sind grundlegend erforderliche Leistungen, deren Umfang kaum reduziert werden kann. Ermessensaktivitäten dagegen sind Tätigkeiten, über deren Umfang das Management frei entscheiden kann. Erfahrungsgemäß spart eine Aktivitätsanalyse in einem analysierten Prozess 15–20% der Kosten ein, oder sie führt dazu, dass diese Ressourcen anderswo in der Unternehmung eine bedeutend höhere Wertschöpfung erbringen. Praxistipp Die Aktivitätsanalyse verbessert im Wesentlichen das Kostenbewusstsein, aber auch das Verständnis über die Kostenentstehung.
5.3.4 Komplexitätsanalyse Ein weiteres Controlling-Instrument ist die Komplexitätsanalyse. Dabei wird versucht, in einem Unternehmen die Komplexität zu erkennen und sie v. a. zu reduzieren. Die Komplexität wird meistens durch unterschiedliche Dosierungen, Produktvarianten und Dienstleistungsvielfalt erhöht. Aber auch interne Abläufe und komplizierte Regelungen können die Komplexität beeinflussen. Untersuchungen zeigen, dass sich die Zahl der Produktvarianten von Unternehmern in den letzten Jahren vervielfacht hat; dies v. a. in stagnierenden Märkten bezeichnenderweise stärker als in wachsenden Märkten. Ziel der Komplexitätsanalyse ist es, hier Transparenz zu schaffen.
66
Kapitel 5 · Controlling
5.3.5 Portfolio-Analyse
5
Die Portfolio-Analyse kann zur graphischen Beurteilung von Geschäftsfeldern nach strategischen Gesichtspunkten angewendet werden. Das Portfolio wird als Achsendiagramm erstellt. Auf der y-Achse wird typischerweise die Marktattraktivität aufgetragen. Kriterien dafür können sein: Marktvolumen, Marktwachstum, Wettbewerbsstruktur, Eintrittsbarrieren. Auf der x-Achse werden die relativen Wettbewerbsvorteile im Vergleich zur Konkurrenz nach Kriterien aufgetragen, wie beispielsweise Marktanteil, Qualitätsposition aus Kundensicht, Image-Position, Kostenposition, Innovationsfähigkeit, Standort. Diese Kriterien werden gewichtet und die einzelnen Geschäftsfelder anschließend graphisch repräsentiert. Der Graph weist 4 Quadranten auf. Je nach Quadrant gibt es typische Handlungsempfehlungen. Das erarbeitete Portfolio ist eine differenzierte Darstellung von neuen und bestehenden Geschäften bzw. Leistungsarten unter strategischen Gesichtspunkten. Ein Portfolio ist auch gleichzeitig eine Kommunikationsmatrix für die Entwicklung einer Organisation. ⊡ Abb. 5.7 zeigt exemplarisch ein solches Portfolio für den Krankenhausbereich.
5.3.6 Wertkettenanalyse Ausgehend von einer Wertschöpfungskette (z. B. Beschaffung, Entwicklung, Vorbereitung, Einleitung, Operation, Ausleitung, Marketing, Verwaltung) wird der Einfluss von Kostentreibern auf die einzelnen Wertkettenaktivitäten bestimmt. Typische Kostentreiber in der OP-Organisation sind Variantenvielfalt der Eingriffe, wenig standardisierter Mitteleinsatz, hohe Inzidenz von Notfalleingriffen, Ausbildungsfunktion, dezentrale Organisationsstruktur etc. Das Instrument der Wertkettenanalyse ist darauf ausgelegt, Priorisierungen beim Kostenmanagement zu ermöglichen und Einsparpotenziale herauszuarbeiten.
Praxistipp In der Wertkettenanalyse sollen alle Betroffenen zu Beteiligten gemacht und die Analyse gemeinsam erarbeitet werden.
5.3.7 Erfahrungskurve Hierbei werden die Kosten in Relation zur über die Jahre erbrachten kumulierten Menge dargestellt. Typischerweise führt die Verdoppelung der kumulierten erbrachten Leistung zu einem Kostensenkungspotenzial von 20–30%. Zwei Effekte sind dafür verantwortlich: ▬ individuelle und institutionelle Lerneffekte sowie ▬ Skaleneffekte (»economy of scale«). Die Analyse ist mit den betrieblichen Kostenpositionen zu hinterlegen. Das Konzept der Lernkurve wurde vor ca. 70 Jahren in der amerikanischen Aeronautikindustrie eingeführt, als T.P. Wright im Februar 1936 die Ergebnisse seiner empirischen Untersuchungen in der Zeitschrift Journal of the Aeronautical Science veröffentlichte. Wright beschrieb eine auf elementarer Mathematik basierte Theorie zur Einschätzung der Produktionskosten einer wiederholbaren Flugzeugmontage. Seitdem ist die Lernkurve von anderen Wissenschaftlern übernommen worden. Wright postulierte, dass die direkt notwendige Arbeitszeit in Mann-Stunden mit einem konstanten Prozentsatz sinkt, wenn die Produktionsmenge verdoppelt wird. Die Hypothese drückt sich in der mathematischen Formel
y=k*xn-r
aus; hierbei sind »y« die Kosten, »k« die erstmaligen Kosten, »xn« die kumulierte Produktionsmenge »n« und »r« der Degressionsfaktor, also
5
67 5.3 · Ausgewählte Controlling-Instrumente
der Lerneffekt. Bei unendlich hoher Stückmenge würden die Kosten aber gegen Null streben. Wären die minimalen Kosten bekannt, könnte die Gleichung um
y=k*xn-r+z
mit »z« für die minimalen Kosten erweitert werden.
5.3.8 ABC-Analyse Die Pareto-Klassifikation oder ABC-Klassifikation teilt eine Gesamtmenge in 3 Gruppen, nämlich A, B und C ein. Als idealtypisch gilt die sog. 80/20-Regel, d. h. mit lediglich 20% der Kunden werden bereits 80% des Umsatzes erzielt (A-Kunden: hohe Bedeutung), mit 30% der Kunden 15% des Umsatzes (B-Kunden: durchschnittliche Bedeutung) und mit 50% der Kunden 5% des Umsatzes (C-Kunden: geringe
5.0
4.5 9 Orthopädie 4.0
Marktattraktivität
Ophthalmologie
2 Chirurgie
1
3.5
Neurochirurgie 10
5 Innere Medizin
3.0
7
6
Urologie
Plastische Wiederherstellungschirurgie
2.5
3 Kieferchirurgie
2.0
1.5
8
4a
Hals-NasenOhrenHeilkunde
Geburtshilfe
4b Gynäkologie
1.0 1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.5
5
Relative Wettbewerbsstärke ⊡ Abb. 5.7. Beispiel einer Portfolio-Darstellung der Geschäftsfelder eines Konkurrenten (Diakoniehaus St. Anna) aus der Sicht eines städtischen Mitbewerbers. Die Kreisgröße ist proportional zum Umsatz des Diakoniehauses.
x-Achse: relative Wettbewerbsstärke = 1. Relativer Marktanteil (St. Anna vs. städtisches Haus), 2. Imagebewertung; y Achse: Marktattraktivität, 1. gemessen am Ertrag pro Patient
68
Kapitel 5 · Controlling
Bedeutung). Die ⊡ Abb. 5.8 veranschaulicht das Leistungsspektrum an Eingriffen einer allgemein-chirurgischen Klinik (⊡ Abb. 5.8b) im Vergleich zu einer allgemeinen Pareto-Verteilung bzw. ABC-Analyse (⊡ Abb. 5.8a). Ein geringer Standardisierungsgrad erhöht die Komplexität der Dienstleistungserstellung und ist ein häufiger Kostentreiber.
5
Umsatz 100% 95% 80%
C B A
20%
50%
100%
Produkte / Kunden
20% der Produkte erzielen 80% des Umsatzes.
a
5.4
Statistische Prozesskontrolle und Cusum-Analyse nach Schüpfer et al. 2005
Bereits 1924 wurden in den Bell-Laboratorien durch W. Shewart Werkzeuge zur statistischen Prozesskontrolle entwickelt, um Qualitätsveränderungen in Prozessen zu überwachen. Sie lassen sich problemlos auf das prozessorientierte Controlling im perioperativen Umfeld übertragen (Lagasse et al. 1995; Shewart 1931, 1986). Statistische Prozesskontrolle (SPC; ⊡ Abb. 5.9) ist auch für den statistischen Laien einfach anwendbar. Prozesse werden in chronologischer Reihenfolge repräsentiert und statistisch sowie graphisch analysiert. Mithilfe dieser »quality control charts« (QCC) können die Performance eines Prozesses verbessert sowie die Überwachung von Interventionen einfach und sicher erfolgen. Andere qualitätssichernde Methoden werden durch SPC komplettiert, indem durch die zusätzliche longitudinale Dimension des Ansatzes weitere Informationen gewonnen werden.
Umsatz 1 0,9 Klassische Pareto-Verteilung (gestrichelte Referenzlinie)
0,8 0,7
20% aller Eingriffe verursachen 80% des Umsatzes. 50% aller Eingriffe verursachen 95% des Umsatzes.
0,6 0,5
A
0,4
B
C
ABC-Analyse einer allgemeinchirurgischen Klinik
0,3 0,2
30% aller Eingriffe verursachen 80% des Umsatzes. 65% aller Eingriffe verursachen 95% des Umsatzes.
0,1 0 0 b
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8 0,9 1 Chirurgische Eingriffe
⊡ Abb. 5.8a,b. a Pareto-Prinzip, ABC-Analyse. b ABC-Analyse zur Bestimmung des Standardisierungsgrades einer allgemeinchirurgischen Klinik
69 5.4 · Statistische Prozesskontrolle und Cusum-Analyse nach Schüpfer et al. 2005
5
Np Chart: Anzahl unterkühlte Patienten im Zentral-OP pro Woche Mean: 16,8000 (16,8000) Sigma: 3,90003 (3,90003)
UCL (Obere Kontroll-Linie)
28,5001
+ 3 Sigma
W (Warn-Linie)
W:22,650
1,5 Sigma CL (Center-Linie)
16,8000 W (Warn-Linie)
- 3 Sigma
W:10,950
LCL (Untere Kontroll-Linie)
2
4
6
5,09992
8
10
12
14
Woche ⊡ Abb. 5.9. Statistische Prozesskontrolle im OP. Die Kerntemperatur beim Verlassen des Zentral-OP wird bei allen Patienten gemessen. Durchscnittlich sind pro Woche 16,8 Patienten beim Verlassen des OP hypotherm (mean). Die Standardabweichung (Sigma) beträgt 3,9. CL bezeichnet die Zentrumslinie der beobachteten Anzahl unterkühlter Patienten über 15 Wochen. Typischerweise wird
bei ±1,5 Sigma die Warnlinie gesetzt und bei ±3 Sigma die obere bzw. die untere Kontrolllinie gezogen. Die roten Punkte zeigen das Über- bzw. Unterschreiten der Kontrolllinien an. Im Beispiel ist zu analysieren, ob es spezifische Gründe für die hohe bzw. niedrige Rate an hypothermen Patienten in den Wochen 9, 10 und 11 gibt?
Es folgt eine Übersicht zur Anwendung von QCC zur SPC. Besonderes Gewicht wird auf die Analyse, das »monitoring« und die Verbesserung von Prozessen im OP bzw. der Anästhesie gelegt. Auf einige Fußangeln bei der Verwendung von QCC wird am Ende eingegangen.
liche Variabilität ist systeminhärent. In der Medizin sind derartige natürliche Schwankungen beispielsweise durch die Patientenpopulation (z. B. Variationen des Gesundheitszustands, des Körpergewichts etc.), Verhaltensweisen und die Demographie bedingt. Da derartige Einflussfaktoren entweder im Prozess selbst oder in dessen Umgebung permanent wirken, sind die daraus resultierenden natürlichen Prozessschwankungen statistisch gesehen vorhersagbar. Prozesse mit »kontrollierter« oder natürlicher Variation zeigen über die Zeit ein stabiles und konstantes Variationsmuster, das auf den Zufall zurückzuführen ist. Weist ein Prozess kontrollierte Variationen auf, können aufgrund der
5.4.1 Natürliche Variabilität
und statistische Kontrolle Prozesse weisen fast immer eine Variabilität auf, die grundsätzlich, wie folgt, kategorisierbar ist: natürliche und nichtnatürliche Schwankungen des Prozesses bzw. dessen Qualität. Die natür-
70
5
Kapitel 5 · Controlling
Prozessbeobachtung in der Vergangenheit auch Variationen dieses Prozesses in der Zukunft begrenzt und mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden. Die Zukunftsplanung solcher Prozesse wird wesentlich einfacher. Die Ursachen für die zufälligen Variationen liegen im »design« des Systems, in dem der Prozess abläuft (z.B. »Staff-Rotationen«). Ergebnisse oder Prozessvariationen, die unter der Annahme einer natürlichen Prozessvariation nur eine geringe Wahrscheinlichkeit haben, repräsentieren daher meist eine Abweichung vom regulären Prozessgeschehen. Entsprechend sind derartige Ereignisse ein Hinweis auf eine fundamentale Änderung im Prozess. ! Ein Auftreten einer unnatürlichen Variabilität muss Anlass sein, Prozesse auf atypische Einflussfaktoren zu untersuchen und entsprechend zu intervenieren.
Beispiele für derartig spezifische Ursachen einer unnatürlichen Prozessvariabilität können im klinischen Alltag etwa durch Einführung neuer Verfahren, fehlerhafte Ausrüstungen, menschliches Versagen, Einzelfälle oder Einflüsse aus der Umwelt bedingt sein. Der Begriff der statistischen Kontrolle bezieht sich auf einen stabilen und somit vorhersagbaren Prozess, der einer natürlichen Prozessvariabilität unterworfen ist. Ein im Längsschnitt stabiler Prozess weist lediglich konstante statistische Fluktuationen auf, deren zufälliges Verhalten sich nicht verändert. Ein derartiger Prozess ist im Zustand der statistischen Kontrolle. Im Gegensatz dazu ist ein Prozess nicht mehr im Zustand der statistischen Kontrolle, wenn er von seinen normalen Fluktuationen abweicht und entsprechend eine unnatürliche Variabilität aufweist. Ohne graphische Repräsentation der Daten mithilfe einer Control chart ist es intuitiv unmöglich zu entscheiden, welcher Variationstyp vorliegt. Interventionen sollten in jedem Fall vom Variationstyp abhängig gemacht werden. In Konsequenz dieser Definitionen gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Interventions-
strategien, um die Qualität des jeweiligen Prozesstyps zu verbessern: Bei gut definierten und stabilen Prozessen mit kontrollierter Variation können die Variationen nur noch dadurch reduziert werden, dass der zugrunde liegende Prozess per se (ökonomisch gesehen meist sehr aufwändig) verändert wird. Bei Prozessen mit unkontrollierten Variationen müssen die Gründe für dieses Verhalten gesucht und beseitigt werden, um ihn zu stabilisieren und damit substanziell zu verbessern. Ein Umbau des Produktionssystems ist hingegen zu diesem Zeitpunkt ökonomisch nicht sinnvoll.
5.4.2 Control charts Prozessdaten werden in bestimmten Zeitintervallen gesammelt und in Subgruppen (beispielsweise pro Woche, pro Tag) kategorisiert. Interessierende Variablen in jeder Subgruppe werden berechnet und in chronologischer Reihenfolge abgebildet. Danach erfolgt die Analyse bezüglich statistisch regulärer bzw. irregulärer Schwankung. Um eine Control chart sinnvoll zur Anwendung zu bringen, sind im Minimum 25 Subgruppen nötig. Neben den Subgruppenwerten wird der Graph um 3 Linien ergänzt: das obere (»upper control limit«, UCL) und untere KontrollLimit (»lower control limit«, LCL) sowie die Zentrumslinie (»center line«, CL; ⊡ Abb. 5.9). Die Zentrums- und Kontrolllinien helfen die Prozessvariablität zu überwachen. Die Zentrumslinie wird in der Regel aus dem arithmetischen Mittel der untersuchten Variablen ermittelt. Entsprechend fällt etwa die Hälfte der Werte über bzw. unter diese Linie. Die oberen und unteren Kontroll-Limite werden meist dem dreifachen Wert der theoretischen Standardverteilung der dargestellten Variablen gleichgesetzt. Ein Prozess ist in statistischer Kontrolle, wenn die Subgruppenwerte innerhalb der Kontrollgrenzen UCL und LCL liegen. Im Weiteren
71 5.4 · Statistische Prozesskontrolle und Cusum-Analyse nach Schüpfer et al. 2005
ist die zeitliche Abfolge der Variationen der Variablen zu untersuchen. Es dürfen keine besonderen Verhaltensmuster, wie Trends, Zyklen oder andere Auffälligkeiten vorliegen. Die Abfolge der Variablenrealisationen ist zusätzlich zu untersuchen. Grundsätzlich führen unterschiedliche Subgruppengrößen zu variierenden Kontroll-Limiten. Allerdings ist die Interpretation der Daten im Grunde an die gleiche Vorgehensweise gebunden. Praxistipp Control charts sind sehr geeignete Werkzeuge zur Verbesserung von Prozessen. Veränderungen lassen sich statistisch erfassen und absichern.
Es gilt, einerseits spezifische Variationsursachen zu identifizieren und zu eliminieren, und andererseits die natürlichen allgemeinen Prozessschwankungen so zu beeinflussen, dass die Kontrollgrenzen sich der Mittellinie nähern. Damit operiert der Prozess näher am Zielwert. Von großem Vorteil ist dabei die Tatsache, dass die Limiten unabhängig von der Grundverteilung, die die Daten mathematisch sonst am besten beschreibt, sicher errechnet werden können. Die Daten müssen also z. B. nicht normal verteilt sein. Control charts sind also einerseits einfache und effektive Mittel, um klar zwischen Routinevariationen und Ausreißern aufgrund spezifischer Ursachen unterscheiden zu können. Andererseits sind sie auch induktive Instrumente, um mit einer Datensequenz aus einem kontrollierten Prozess in der Vergangenheit zukunftsbezogene Aussagen machen zu können. Sie sind stets realitätsbezogene Führungshilfen und keine Wahrscheinlichkeitsmodelle.
5.4.3 Control-charts-Typen Es gibt unterschiedliche Control charts. Ihre Anwendung richtet sich nach der Datenstruktur. Entsprechend variiert das zugrunde liegende
5
mathematisch-statistische Konzept. Die adäquaten Formelsammlungen sind in Standardwerken referenziert. Die SPC stammt als Instrument aus der industriellen Fertigung und wurde zuerst nur bei der Produktherstellung verwendet. Sie ist aber auch bei Dienstleistungen jeder Art anwendbar. Neben Variablen aus einer Intervallskala können auch Daten aus einer Nominaloder Ordinalskala (sog. Attributdaten) verwendet werden. Der Datentyp bestimmt die zu wählende Control chart. Für kontinuierliche Daten, die der Normalverteilung unterliegen, werden »X bar« und »S control charts« zusammen verwendet. Diese beiden Charts monitorisieren den Prozessmittelwert und die Standardabweichung. Erholungszeiten und Verzögerungen sind Beispiele für Daten, die mit diesen Charts analysiert werden können. Für diskrete Daten dienen meist 2 verschiedene Paare von Control charts. Für binominal verteilte Daten werden »np charts« und »p charts« und für Poisson verteilte Daten »c charts« und »u charts« verwendet. Grundsätzlich sollten nicht beide Analysetypen nebeneinander gebraucht werden. Bei ungleichen Gruppengrößen sind »p charts« und »u charts« vorzuziehen. Liegt ein dichtomes Ereignis vor, werden »np charts« und »p charts« zur Monitorisierung vorgezogen. Dabei kann der absolute oder relative Anteil von Interesse sein. Grundsätzlich ist das Ereignis gleich wahrscheinlich (z. B. Kaiserschnittentbindung, ein Fehler bei der Rechnungsstellung, Fehlverschreibungen von Medikamenten pro Woche, Auftreten von binären Prozessmerkmalen pro Zeitperiode etc.). Die auf der Poisson-Verteilung basierenden »c charts« und »u charts« werden für Zähldaten ohne theoretisches Maximum verwendet (z. B. Anzahl Notfalleingriffe pro Schicht, Anzahl fehlender Akten präoperativ pro Monat im Gesamtklinikum etc.). Meist sind Voraussetzungen für die oben erwähnten Charts gegeben. So sind »g charts« und »h charts« anzuwenden, wenn die zugrunde liegende statistische Verteilung geometrisch ist. Dieser Analysetyp ist zum Moni-
72
Kapitel 5 · Controlling
toring seltener dichotomer Erreignisse geeignet (z. B. Anzahl chirurgischer Eingriffe zwischen 2 Wundinfekten).
5.4.4 Gebrauch von Control charts
5
Vor einer zu großzügigen Anwendung von Control charts muss trotz des einfachen Konzeptes gewarnt werden. So sollten die ProzesskontrollLimite auf den empfohlenen Formeln beruhen, 3 Standardabweichungen betragen, und nicht auf der Standardabweichung der Gesamtdaten basieren. Autokorrelationen und multivariate Prozesse müssen berücksichtigt werden. Zur Konstruktion der Charts sollten mehr als 25 Subgruppen herangezogen werden. Bei der Auswahl des Charttypes ist die nötige Sorgfalt eine Conditio sine qua non.
5.4.5 Die »Cusum-Methode« Die kumulative Summenmethode (nachfolgend »Cusum-Technik« genannt) ist eine statistische Methode, die ebenfalls aus der industriellen Qualitätssicherung auf die Medizin übertragen werden kann (Schüpfer et al. 2005). Sie ist besonders zur Performance oder zur Ausbildungsmonitorisierung geeignet. Die Cusum-Technik wurde während des Zweiten Weltkrieges entwickelt, um die Qualität bei der Produktion von Munition zu überwachen. Diese Technik der Sequenzialanalyse wurde erstmals von Wald beschrieben. Detailliert wurde das Verfahren 1954 dargestellt. ! Die Cusum-Technik überwindet die inhärenten Probleme von wiederholten statistischen Tests, bei denen die Stichprobengröße unklar ist und prinzipiell unendlich groß sein kann.
Das zugrunde liegende mathematische Modell erlaubt dem Anwender zu entscheiden, ob ein Produktionsprozess unter Kontrolle (d. h. in
den definierten Qualitätslimiten) oder außer Kontrolle ist. Statistisch wird dies als Veränderung der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion einer Zufallsvariablen nach einem Ereignis definiert. Dies repräsentiert eine deletäre Perfomance-Veränderung eines Systems oder Individuums. Damit müssen bei der Anwendung die Qualitätsgrenzen und dazu entsprechende Regeln des Sistierens des Prozesses definiert werden. Bei der Überwachung von Auszubildenden ist demnach eine als adäquat anzusehende Performance zu definieren und daraus eine Regel abzuleiten, wann ein Zusatztraining erforderlich wird. Die entsprechenden Parameter sind allerdings im Vornherein zu definieren. Für ein gegebenes Produktionsverfahren sind die akzeptablen und inakzeptablen Fehlerraten zu definieren. Zusätzlich müssen aus statistischer Sicht die Wahrscheinlichkeiten für falsch-positive und falsch-negative Fehler (sog. Fehler der 1. und 2. Art) festgelegt werden. Zur Auswertung der Cusum-Technik eignet sich die graphische Darstellung am besten. Dabei hat sich das Vorgehen von Kestin bewährt. Die kalkulierten Cusum-Werte werden auf der yAchse abgebildet; die x-Achse zählt die Anzahl der Versuche. Der Cusum-Wert ist dabei eine fortlaufende Aufsummierung von Zunahmen (für Fehler/Versager) und Abnahmen (für Erfolge). Dabei werden Zu- und Abnahme über einen Wert »s«, wie folgt, definiert: Bei Erfolg wird »s« vom Cusum-Wert subtrahiert, bei Misserfolg wird 1-s addiert. Dabei hängt »s« in seinem Wert von den definierten akzeptablen bzw. nichtakzeptablen Fehlerraten ab. Eine akzeptable Performance führt zu einer horizontalen oder fallenden Linie des Cusum-Wertes. Klassischerweise wird eine Parallelenschar zur x-Achse gelegt. Diese repräsentiert die Grenzen für eine akzeptable bzw. inakzeptable Performance. Um den Graphen lesbar zu halten, können die Typ-1- und Typ-2-Fehlerraten gleich gehalten werden. Die Anleitung zur Berechnung der Cusum-Variablen liefert die folgende Übersicht.
73 5.4 · Statistische Prozesskontrolle und Cusum-Analyse nach Schüpfer et al. 2005
Vorgehen zur Kalkulation des Cusum-Wertes 1. Schritt: Festlegen der Kalkulationsgrundlagen p0=akzeptable Fehlerrate p1=unakzeptable Fehlerrate α=statistischer Fehler 1. Art β=statistischer Fehler 2. Art Fehler 1. Art: die Wahrscheinlichkeit, fälschlicherweise eine inakzeptable Performance anzunehmen. Fehler 2. Art: die Wahrscheinlichkeit, fälschlicherweise eine akzeptable Performance anzunehmen. 2. Schritt: Berechnen der Intermediärwerte P und Q aufgrund der in Schritt 1 festgelegten Werte; daraus bestimmen des »s-Wertes« für die graphische Darstellung. Intermediärwerte: a=ln(1-β)/α b=ln(1-α)/β P=ln(p1/p0) Q=ln(1-p0)/1-p1) s=Q/(P+Q) (s ist die Abnahme des Cusum-Wertes für jeden Erfolg; 1-s ist die Zunahme des Cusum-Wertes für jeden Misserfolg)
ln: natürlicher Logarithmus (log e) s: Abwärtsanteil für jeden Erfolg im CusumPlot, während 1-s die Zunahme des y-Wertes im Cusum-Graphen für jeden Misserfolg ergibt. »s« wird fortlaufend für die entsprechende Position der x-Achse bestimmt und dargestellt (s. Schritte 4 und 5). 3. Schritt: Aufbau eines Cusum-Graphen mithilfe der Cusum-Graph-Formeln. Die Grenzlinien für die akzeptable und inakzeptable Fehlerrate werden häufig aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gezeichnet. Cusum-Graph-Formeln h0=b/(P+Q) (Definiert den Abstand zwischen den Grenzlinien für die unakzeptable Fehlerrate eines Cusum-Graphen) h1=a/(P+Q) (Definiert den Abstand zwischen den Grenzlinien für akzeptable Fehlerrate eines CusumGraphen) 4. Schritt: Erstellen des Graphen Programmieren der Schritte 1 und 2 in ein Tabellenkalkulationsprogramm. ▼
5
74
Kapitel 5 · Controlling
5. Schritt: Erstellen der Graphik im Tabellenkalkulationsprogramm x-Achse: Anzahl der Versuche, y-Achse: Cusum-Wert
Kumulierte Fehler und Cusum-Werte sind gegen die Anzahl der Versuche aufgetragen. Auf die Darstellung der Grenzlinien gemäß Schritt 3 wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet.
Cusum-Plot 70
Versuch-Nr/kum. Fehler/Cusum-Wert
60
5
50 40
Versuch kumulierte Fehler Cusum
30 20 10 0 -10 1
5
9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 Anzahl Versuche
Anzahl Versuche: Kum. Fehler:
59 16
Praxistipp Der Cusum-Graph ist ein ideales Werkzeug, um eine professionelle Entwicklung langfristig zu monitorisieren.
Die Cusum-Analyse ist zur Performance-Überwachung in der Gesundheitsindustrie bestens geeignet, sofern Erfolg und Versager binär definiert werden können. Verliert beispielsweise ein Kliniker nach einem Fehler-Cluster intuitiv das Selbstvertrauen, so hilft die Cusum-Technik in dieser Situation eine rationale Diskussionsbasis zu finden. Im Gegensatz zur Analyse von kumulativen Fehlerwerten können im Cusum-Plot Performance-Analysen leichter durchgeführt werden. Als Problem der Cusum-Analyse könnten die harten Endpunkte gesehen werden, die es braucht, um die Methode anzuwenden. So ist beispielsweise die Mortalitätsrate während der Hospitalisation ein derartiger Endpunkt. Ein
derartiger Endpunkt ist zwar für künftige Patienten wichtig, jedoch ein schlechter Indikator für die aktuelle Performance eines Chirurgen. Da das Versterben eines Patienten zwar einen harten Endpunkt darstellt, jedoch ganz klar unerwünscht ist, entwickeln Spitäler gute Strategien, solche Patienten zu identifizieren, und eine Verschlechterung, die meist sehr kostenintensiv ist, beispielsweise durch eine extensive Intensivtherapie zu verhindern. Daher sollten auch »Near-misses-Indikatoren« mitanalysiert werden, deren Definition allerdings nicht immer einfach ist. So könnte beispielsweise eine verlängerte Intensivpflege ebenfalls miterfasst werden. (Beispielsweise länger als 7 Tage wird ebenfalls als Versager/Fehler gewertet etc.) Es wurde gezeigt, dass in der Cusum-Analyse eine Performance-Verschlechterung, gezeigt an Near-missIndikatoren, einer Mortalitätsverschlechterung vorangeht. Verlaufen die Cusum-Kurven von Mortalität und Near-miss-Indikatoren immer
5
75 5.5 · »Reporting«
enger zusammen, so ist dies ein ernstes Warnzeichen. Die Cusum-Analyse wurde auch schon zur Qualitätssicherung in der NeugeborenenHerz-Chirurgie eingesetzt.
5.5
»Reporting«
Werden im Controlling die gesamten verfügbaren Informationen einer Unternehmung mit einem Controlling-Instrumentarium systematisch genutzt und ausgewertet, so führt dies zu einem aussagekräftigen benutzerfreundlichen Berichtswesen. Praxistipp Wichtig ist ein maßgeschneidertes und sich laufenden Bedürfnissen angepasstes Informationssystem.
Dieses hat sich nicht nur auf die Kostenrechnung und die Finanzdaten zu begrenzen. Es bezieht alle wesentlichen Quellen in der Unternehmung und in der Geschäftsumwelt ins Berichtswesen ein. Informationen sollten einfach, verständlich und übersichtlich, aber auch vollständig zusammengefasst sein. Eine optimale Abstimmung zwischen vorhandenen, nachgefragten und benötigen Informationen ist ebenso wichtig, wie die Verdichtung der Daten nach Höhe der Führungshierarchie. Jede Stufe und jeder Entscheidungsträger sollen diejenigen Informationen erhalten, die sie für ihre tägliche Tätigkeit auch wirklich benötigen. Zu berücksichtigen ist die Zukunft (Planung ebenso wie die vergangenen Zahlen). Abweichungsanalysen sind durchzuführen. Kennzahlen sind ein geeignetes Mittel zur Informationsverdichtung. Aktualität derartiger Daten wird groß geschrieben. Dennoch scheitert das Reporting vielfach an zu genauen, und gerade deshalb verspäteten Zahlen. Ein Bericht mit unwesentlichen Fehlern ist dem Management nützlicher als ein fehlerfreier, aber stark verspäteter Bericht. Es gibt allerdings keine fehlerfreien Systeme. Selbst das ausgeklügeltste Kostenrechnungsverfahren
basiert z. T. auf Annahmen. Diese wichtigen Leitlinien für ein wirksames Controlling sind vor Augen zu halten. ! Mit wenigen, richtig eingesetzten Maßnahmen ist auch im Controlling viel zu erreichen.
Dagegen verursachen Statistiken, deren Inhalte nicht verstanden und die deshalb nur abgelegt werden, bloß Kosten und Leerlauf. Hauptzweck jedes Rechnungswesens und jedes Managementinformationssystems ist es, dem Management und anderen Entscheidungsträgern zeitgerecht Daten zur Verfügung zu stellen, damit diese, wo nötig, korrigierend eingreifen können. Nur so kann ein Unternehmen der Konkurrenz einen Schritt voraus sein, sich auf dem Markt behaupten und langfristig seinen Erfolg sicherstellen. Dies gilt auch für das Controlling im OP-Bereich. Fazit
I
I
Der Begriff Controlling wird leider häufig mit Kontrolle gleichgesetzt. Controlling bedeutet jedoch »lenken, steuern, leiten« und hat mit Kontrolle nur wenig gemeinsam. Controlling versteht sich nach Bauer et al. (1999) als ein Navigationsinstrument der Unternehmensführung zur Erreichung der von der Krankenhausleitung vorgegebenen Ziele (vgl. Alon u. Schüpfer 1999; Schüpfer et al. 2005). Controlling umfasst so den gesamten Prozess der Zielfestlegung, Planung und Steuerung im strategischen und operativen Bereich. Im strategischen Controlling muss sichergestellt werden, dass eine quantifizierte Strategie, in der Regel also der Business-Plan auch erreicht wird. Dafür werden Kennzahlen, Maßnahmen und Projekte verbindlich definiert und der Zielerreichungsgrad überprüft. Im operativen Controlling stehen als Ziele und Messgrößen der betriebswirtschaft▼
76
5
Kapitel 5 · Controlling
liche Erfolg, die Sicherstellung einer ausreichenden Unternehmensliquidität und -stabilität über eine adäquate Eigenkapitalquote sowie die Investitionssteuerung im Fokus. Unternehmerisches Handeln hat die langfristige Marktpräsenz des Unternehmens zum Ziel. Krankenhäuser als wettbewerbsorientierte Unternehmen am Markt brauchen hierfür Manager, die das Unternehmen im Spannungsfeld von Strategie, Struktur und Kultur des Unternehmens steuern. Zur Steuerung können die vorgestellten Controlling-Instrumente und insbesondere auch integrierten Managementsysteme mit mehrdimensionaler Zielführung unter Berücksichtigung von strategischen und operationellen Aspekten angewendet werden. Sowohl die »balanced scorecard« nach Kaplan u. Norton (1996) als auch das Navigationssystem nach Gälweiler (1990) ermöglichen eine an die Spezifitäten des OP-Managements adaptierte und hinsichtlich der Zieldefinitionen ausgewogene Ausrichtung zwischen finanziellen, kundenorientierten und qualitativen Erfordernissen (Schüpfer et al. 2005). Eine alleinige Ausrichtung auf finanzwirtschaftliche Kennzahlen ist ein nichtgeeigneter Weg, ein Unternehmen oder einen Bereich langfristig erfolgreich zu steuern und dessen Überleben zu sichern.
Literatur Alon E, Schüpfer G (1999) Operationssaalmanagement. Anaesthesist 48: 689–697 Bauer M, Weber W, Bach A (1999) Controlling im Krankenhaus. Eine Einführung in das Kosten- und Leistungsmanagement. Anaesthesist 48(12): 910–916 Gälweiler A (1990) Strategische Unternehmensführung, 2. Aufl. Campus, Frankfurt a.M. Kaplan RS, Norton DP (1996) The balanced scorecard: translating strategy into action. Harvard Business School Press, Boston MA
Lagasse S, Steinberg ES, Katz RI, Saubermann AJ (1995) Defining quality of perioperative care by statistical process control of adverse outcomes. Anesthesiology 82(5): 1181–1186 Rieder L, Siegwart H (Hrsg) (2001) Neues Brevier des Rechnungswesens, 4. überarb. Aufl. Haupt, Bern Rüegg-Stürm J (Hrsg) (1996) Controlling für Manager. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, 7. Aufl. Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 2002 Schüpfer G, Bauer M, Scherzinger B, Schleppers A (2005) Controllinginstrumente für OP-Manager. Anaesthesist 54(8): 800-807 Shewart WA (1931) The economic control of quality of manufactured product. Van Nostand, New York Shewart WA (1986) Statistical method from the viewpoint of quality control. Dover, New York
6
Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie M. Schuster
6.1
Grundlagen und Definitionen – 78
6.2
Kosten der anästhesiologischen Versorgung – 78
6.3
Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie – 80
6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5
Regionalanästhesie versus Allgemeinanästhesie – 81 Inhalative versus intravenöse Anästhesie – 82 Nutzen überlappender Einleitungen – 84 Kosten der ärztlichen Ausbildung – 86 Ärztliche versus pflegerische Durchführung von Narkosen
Literatur – 88
– 87
6
78
Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
6.1
Grundlagen und Definitionen
Die OP-Bereiche gehören zu den kostenintensivsten Bereichen eines Krankenhauses. Dies ist einerseits durch den erheblichen Personaleinsatz im OP bedingt, zum anderen durch die hohen Material- und Sachkosten, die im Zuge operativer Eingriffe benötigt werden. Des Weiteren sind OP-Bereiche durch die baulichen Voraussetzungen und die Vorhaltung entsprechender technischer Geräte auch in Bezug auf die Kapitalkosten von erheblicher Bedeutung. Bedingt durch die Vielzahl an beteiligten Fachrichtungen (operative Disziplinen, Anästhesiologie, Intensivmedizin, Blutbank) und Mitarbeitergruppen (Ärzte, Funktionsdienst, technisches Personal, Reinigungskräfte) und die Vielzahl an Schnittstellen (z. B. zur Intensivmedizin, zu den Normalstationen) sind Kostenanalysen im OP-Bereich sehr komplex, und die Übertragung von Erkenntnissen aus einem Krankenhaus auf ein anderes Krankenhaus ist oft nur eingeschränkt möglich. Umso wichtiger ist es, sich über die grundlegenden Zusammenhänge der Entstehung von Kosten im OP Klarheit zu verschaffen. Kostentreiber müssen begrifflich von Kostenkomponenten unterschieden werden. Kostenkomponenten sind Gegenstände oder Tätigkeiten, die innerhalb oder für den OP genutzt oder erbracht werden, und denen mehr oder weniger exakt bestimmbare Kosten zugeordnet werden können. Dies können die konkreten Sachaufwendungen für eine bestimmte Operation sein, wie Implantate, Nahtmaterial, Anästhetika, oder die Kosten einer Tätigkeit, wie der Betreuung im Aufwachraum nach einer Operation. Als Kostentreiber hingegen werden Attribute bezeichnet, die nicht selbst mit einem bestimmten Kostenbetrag belegt werden können, die aber als Prädiktoren für Kosten anzusehen sind. So kann der präoperative Zustand oder die Komorbiditäten eines Patienten, aber auch das kindliche Alter, in der Versorgung eines Patienten einen Kostentreiber darstellen. Kostentreiberanalysen
helfen, die Entstehungsbedingungen von Kosten zu untersuchen und über das reine Aufsummieren von Kostenkomponenten hinaus Zusammenhänge aufzuzeigen. Im Folgenden werden sowohl wichtige Kostenkomponenten als auch Kostentreiber am Beispiel der Anästhesiologie analysiert und diskutiert werden.
6.2
Kosten der anästhesiologischen Versorgung
Eine Analyse der Kosten der anästhesiologischen Versorgung in einem operativen Bereich zeigt in der Regel, dass die Hauptkomponente aus Personalkosten besteht und ein geringerer Teil aus einer sehr großen Vielzahl von verschiedenen Sachpositionen. Die Personalkosten können nach Kostenarten (Ärzte, Funktionsdienst) unterschieden werden. Aufschlussreicher ist es, wenn die konkreten Leistungen betrachtet werden, für die Personalkosten anfallen. Dies sind die präoperative Visite, die intraoperative Betreuung durch den Anästhesisten und den Funktionsdienst sowie die Betreuung im Aufwachraum. Die Sachkosten lassen sich in verfahrensspezifische und nichtverfahrensspezifische Kosten aufteilen. Zusätzlich müssen gewisse Ansätze für »Overhead-Kosten« angenommen werden. Die Aufschlüsselung der einzelnen Kostenkomponenten für die anästhesiologische Versorgung in unterschiedlichen OP-Bereichen, dargestellt als Kosten pro Anästhesieminute, ist in ⊡ Abb. 6.1 dargestellt. Es zeigen sich erhebliche Unterschiede bei der relativen Bedeutung der einzelnen Kostenkomponenten. So ist die relative Bedeutung der Kosten für die Prämedikation in der Augenklinik am höchsten. Dies liegt an der kurzen Dauer vieler Eingriffe, die einer unverändert langen Dauer der Prämedikationsvisite entgegensteht. Relativ zu den anderen Kostenkomponenten nehmen dadurch die Kosten der Prämedikationsvisite zu. Wie durch den hohen technischen Aufwand in der Anästhesiologie zu erwarten,
6
79 6.2 · Kosten der anästhesiologischen Versorgung
sind die Sachkosten in der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (THG) erheblich, dafür fallen aber fast keine Aufwachraumkosten an, da die Patienten postoperativ in den meisten Fällen auf die Intensivstation verlegt werden.
! Werden die Kosten in den OP-Bereichen insgesamt betrachtet, zeigt sich der dominante Zusammenhang zwischen Dauer der Anästhesie und Kosten je Anästhesieminute (⊡ Abb. 6.2).
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Overhead Sachkosten Personalkosten Funktionsdienst Aufwachraum Personalkosten Funktionsdienst OP
⊡ Abb. 6.1. Kostenkomponenten in unterschiedlichen Anästhesiebereichen, dargestellt als Prozentanteil der Gesamtkosten pro Anästhesieminute. All.chir: Allgemeinchirurgie, Gyn/Geb: Gynäkologie/Geburtshilfe, HNO: Hals-,
4,00
Gesamtkosten/Anästhesieminute [EUR]
le Al
a ol og ie
Personalkosten Arzt Prämedikation
Ur
au m
Tr
TH G
th o Or
H NC
O
KG M
HN
Au
ge n Al lg .c hi r Gy n /G eb
Personalkosten Arzt OP
Nasen- und Ohrenheilkunde, MKG: Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, NCH: Neurochirurgie, Ortho: Orthopädie, THG: Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Trauma: Traumatologie. (Mod. nach Schuster et al. 2004a)
Ophthamologie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
3,80 3,60
R2 = 0,69 y = 3,659.6/x2 + 3,16
Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
3,40 Geburtshilfe/ Traumatologie Gynäkologie
3,20
Allgemeinchirurgie Urologie Orthopädie
Herz-, Gefäß- und Thoraxchirurgie
Neurochirurgie
3,00 2,80 2,60
0
25
50
75
100 125 150 175 Anästhesiezeit [min]
⊡ Abb. 6.2. Korrelation zwischen Gesamtkosten pro Anästhesieminute und Anästhesiezeit nach Anästhesiebereich. Gesamtkosten beinhalten Personalkosten für Anästhesist und Anästhesiefunktionsdienst, Aufwachraumkosten, Sach- und Medikamentenkosten sowie Overhead-Kosten.
200
225
250
275
300
Dargestellt sind die Kosten pro Anästhesieminute mit den 95%-Konfidenzintervallen für jeden Bereich. Anästhesiezeit entspricht der durchschnittlichen Anästhesiezeit je Bereich. (Aus Schuster et al. 2004a)
80
6
Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
Die Kosten steigen an, je kürzer die Operationen in den Bereichen sind. Betriebswirtschaftlich könnte man dies als einen Effekt der Fixkostendegression betrachten. Vor- und Nachbereitung, Prämedikation, aber auch Zeiten des Wartens auf den nächsten Patienten nehmen zu, wenn kürzere Operationen durchgeführt werden. Im Vergleich zum Effekt der Anästhesie- (bzw. der Operations)Dauer auf die Kosten je Anästhesieminute sind andere Unterschiede zwischen den Disziplinen nicht von relevanter Bedeutung. Das heißt, andere Kostentreiber, wie z. B. der Anteil geriatrischer oder pädiatrischer Patienten, der Anteil an Notfällen, der Anteil an invasivem Monitoring, oder der Anteil an Patienten der American-Societyof-Anesthesiologists- (ASA-)Klasse 3 oder 4 hat im Vergleich zur Anästhesiezeit kaum Einfluss auf die Kosten je Anästhesieminute (Schuster et al. 2004a). Diese Zusammenhänge sind von erheblicher Bedeutung, wenn Anästhesieleistungen über eine interne Leistungsverrechnung zwischen den Kliniken verrechnet werden, oder wenn ein einheitlicher Anästhesiekostensatz für die Kostenträgerrechnung verwendet wird (Schuster et al. 2005a). Einheitliche Kostensätze, die nicht die durchschnittliche Dauer der Anästhesie abbilden, können hierbei zu erheblichen Verzerrungen führen. Im Extremfall, bei einer Disziplin mit sehr kurzen Eingriffen, wie z. B. der Kinderchirurgie, mit erheblichem Aufwand vor und nach der Operation, kann der kostendeckende Verrechnungssatz je Anästhesieminute um ein Vielfaches höher liegen als der durchschnittliche Kostensatz. Wird in diesem Fall die Kostenträgerrechnung auf Basis des durchschnittlichen Verrechnungssatzes durchgeführt, wird das Ergebnis eine zu günstige Situation darstellen und dadurch zu falschen Schlüssen und Entscheidungen führen.
6.3
Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie
Eine differenzierte Aufstellung der Kostenkomponenten hilft, die Kostenrelationen deutlich zu
machen. Für das eigentliche Management der Kosten müssen allerdings konkrete Prozesse untersucht werden. Erschwerend erweist sich hierbei, dass Sach- und Personalkosten oft komplex miteinander verwoben sind und die Abgrenzung von Kosten über verschiedene Bereiche nur unzureichend gelingt. Am Beispiel der Anlage von Periduralkathetern (PDK) für die postoperative Schmerztherapie lässt sich dies verdeutlichen. Dieses Verfahren sichert nicht nur eine optimale Schmerztherapie, die sich, z. B. bei großen bauchund thoraxchirurgischen Eingriffen, anderen Verfahren als eindeutig überlegen erwiesen hat. Es konnte in den vergangenen Jahren auch gezeigt werden, dass sich durch die Durchführung einer PDK-basierten postoperativen Schmerztherapie Ressourcen in erheblichem Ausmaß einsparen lassen, wenn die PDK-Anlage in ein multimodales postoperatives Behandlungskonzept eingebettet ist (Basse et al. 2004; Kehlet u. Holte 2001). Dies betrifft insbesondere die Notwendigkeit der postoperativen Intensivtherapie, aber auch die Verweildauer auf der Normalstation. Die Kosten der PDK-Anlage fallen in den Bereich der Anästhesie. Dies betrifft nicht nur die Materialkosten, sondern insbesondere die verlängerte Einleitungszeit. Auch die Kosten der postoperativen Betreuung werden oft von der Klinik für Anästhesiologie getragen (Schuster et al. 2004b; Stamer et al. 2005). Der ökonomische Nutzen fällt aber in den anderen klinischen Bereichen an – in der Intensivmedizin und der Normalstation. Ähnliches lässt sich für eine erweiterte Nutzung des Aufwachraums zeigen, die im erheblichen Maß helfen kann, sehr viel teurere Intensivkapazitäten zu reduzieren, selbst aber Kosten verursacht. Solche bereichsübergreifenden Kostenverschiebungen zum Zweck der Kostenoptimierung machen in jedem Fall komplexe Budgetkompensationen notwendig. Die Möglichkeiten und Limitationen einer kosteneffizienten Versorgung in der Anästhesiologie werden in den letzten Jahren auf vielen Ebenen diskutiert. Einige der am intensivsten diskutierten Kontroversen sollen im Folgenden genauer dargestellt werden.
81 6.3 · Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie
6.3.1 Regionalanästhesie versus
Allgemeinanästhesie In vielen Kliniken gibt es immer wieder Konflikte zwischen Operateuren und Anästhesisten um den Einsatz regionalanästhesiologischer Verfahren. Als Gegenargument werden langsamere und höhere Variabilität der Prozesszeiten angeführt. Zudem kann ein unvollständiger Block intraoperativ zu Verzögerungen führen, da der Patient zusätzlich eine Allgemeinanästhesie erhalten muss. Oft befürworten Operateure eine Allgemeinanästhesie, da hierbei unkontrollierte Bewegungen der Patienten viel unwahrscheinlicher sind als bei ansedierten Patienten mit einem regionalen Verfahren. So kann eine unwillkürliche Bewegung bei einem intraokularen Eingriff katastrophale Folgen haben, auch wenn der Eingriff per se problemlos in Lokalanästhesie durchgeführt werden könnte. Allerdings werden bisweilen auch nichtmedizinische Gründe angeführt. So kann die chirurgische Ausbildung erheblich erleichtert werden, wenn in der Kommunikation zwischen Operateur und Assistent keine Rücksicht auf einen wachen Patienten genommen werden muss. Generell erfordern wache Patienten im OP erheblich mehr Rücksicht und Aufmerksamkeit als Patienten in Allgemeinanästhesie. Von vielen Anästhesisten werden hingegen die Vorteile der Regionalanästhesie, inklusive der neuroaxialen Blockaden, betont. An dieser Stelle soll nicht die komplexe wissenschaftliche Diskussion hierzu wiedergegeben werden. Es spricht aber zusammenfassend viel dafür, dass regionale Verfahren positiven Einfluss in Bezug auf Patientenmorbidität und -mortalität haben (Rodgers et al. 2000). Am offensichtlichsten sind die geringere Inzidenz von postoperativer Übelkeit und Erbrechen sowie die Reduktion von postoperativen Schmerzen und Anagetikabedarf (Standl et al. 1996). In einer Vielzahl von Arbeiten wurde in den letzten Jahren untersucht, ob den Vorteilen der regionalanästhesiologischen Verfahren Nachteile in Bezug auf die »Prozess-Performance« und die
6
entstehenden Kosten entgegenstehen. Die Untersuchungen deckten hierbei eine Vielzahl verschiedener Operationen ab, wie Hernienchirurgie (Kendell et al. 2000, Song et al. 2000), Handchirurgie (Armstrong u. Cherry 2004; Chan et al. 2001; Hadzic et al. 2004), Hysterektomie (Tessler et al. 1995), Sectio caesarea (Riley et al. 1995) und Arthroskopien (Forssbald et al. 2004; Korhonen et al. 2004; Mulroy et al. 2000; Williams et al. 2004). Für das Prozess- und Kostenmanagement im OP können die Ergebnisse der Studien, wie in der folgenden Übersicht, zusammenfasst werden.
Vorteile regionalanästhesiologischer Verfahren
▬ Wo immer vom chirurgischen Eingriffsort möglich und vom Patienten toleriert, sollten Operationen in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Gegebenenfalls sollte ein Anästhesist hinzugezogen werden, um bei Patienten mit entsprechenden Vorerkrankungen die Vitalparameter zu überwachen, Komplikationen, z. B. kardiozirkulatorischer oder pulmonaler Art zu therapieren oder die Lokalanästhesie im Sinne einer Analgosedierung zu supplementieren. Auf keinen Fall sollte die bloße Anwesenheit oder Verfügbarkeit eines Anästhesisten zu einer unnötigen Ausweitung der Indikation zur Allgemeinanästhesie führen. Lokalanästhesien, wenn sie richtig eingesetzt werden, haben die besten Prozesszeiten, die geringsten Kosten, die geringsten Komplikationsraten und führen zur höchsten Patientenzufriedenheit. ▬ Spinalanästhesien führen in der Regel zu kürzeren Prozesszeiten, zu geringeren Kosten und deutlich weniger Komplikationen als Allgemeinanästhesien. Durch die entsprechende Wahl des Lokalanästhetikums und der Injektionstechnik kann die Spinalanästhesie auch für ambulante ▼
82
6
Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
Eingriffe eine effiziente Methode sein und ist dann nicht mit verlängerten Zeiten im Aufwachraum oder einer späteren Krankenhausentlassung assoziiert. ▬ Die Anwendung von Plexusblockaden für Eingriffe an der oberen Extremität führt zu einer höheren Patientenzufriedenheit und geringeren postoperativen Komplikationen (Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen in der unmittelbaren postoperativen Phase) als Allgemeinanästhesien. Die Raten an ungeplanten Umstellungen auf Allgemeinanästhesien sind z. T. sehr unterschiedlich; sie liegen bei ca. 0–15% und sind von der Erfahrung des Anwenders, der Art der Operation und der Compliance des Operateurs abhängig. Die Supplementierung des regionalen Blocks durch Lokalanästhesie im Operationsgebiet kann helfen, die Rate an ungeplanten Umstellungen auf Allgemeinanästhesien zu reduzieren. Die anästhesiologischen Prozesszeiten von Plexusblockaden sind in der Regel länger als die Prozesszeiten von Allgemeinanästhesien (Schuster et al. 2005b). Verzögerungen im operativen Prozessablauf können vermieden werden, wenn die Plexusblockaden in einem Einleitungsraum zeitgerecht durchgeführt werden können (Armstrong u. Cherry 2004). ▬ Regionalanästhesiologische Verfahren sind auch für ambulante Patienten gut geeignet. In einem hohen Prozentsatz kann eine Aufnahme in den Aufwachraum umgangen werden, wenn eine geeignete Nachsorgeeinheit, wie z. B. eine Tagesklinik, vorhanden ist. Die Anwendung regionalanästhesiologischer Verfahren führt zu weniger ungeplanten postoperativen stationären Aufnahmen als Allgemeinanästhesien und in der Regel zu einer früheren Erfüllung der Kriterien für eine Entlassung nach Hause (Williams et al. 2004).
In einer eigenen Studie wurde den Einfluss der Operationsdauer auf die Kosten der Anästhesie, differenziert nach Anästhesieverfahren, untersucht (Schuster et al. 2005b). Für diesen Kostenvergleich wurden die Kosten der Anästhesien aus den Bereichen Unfallchirurgie und Orthopädie aus dem Zeitraum eines Jahres retrospektiv kalkuliert. Wie in ⊡ Abb. 6.3 zu sehen ist, hängen die Kosten der Anästhesie, kalkuliert pro OP-Minute, stark von der Dauer der Operation ab. Je kürzer die Operation, desto teurer die Kosten pro OP-Minute. Aber auch der Kostenvergleich erweist sich als stark abhängig von der Operationsdauer. Der relative Kostenvorteil der Spinalanästhesie lag in der Studie für kurze Operationen bei 13%, bei längeren Operationen von 200 min aber nur noch bei 5%. Plexusanästhesien haben bei einer Operationszeit von 50 min einen Kostennachteil von 20% bei isolierter Betrachtung nur der Anästhesiekosten. Bei Operationen von 100 min ist dieser Nachteil auf 8% verringert und bei 200 min praktisch nicht mehr existent.
6.3.2 Inhalative versus intravenöse
Anästhesie Die Auswirkungen spezifischer in der Allgemeinanästhesie gebräuchlicher Anästhetika auf die perioperativen Kosten sind umstritten. Besonders komplex ist hierbei die Frage, inwieweit sich veränderte Prozesszeiten durch die Wahl bestimmter Anästhetika auf die Kosten im perioperativen Prozess auswirken. Schon die Kalkulation der angefallenen Material- und Medikamentenkosten bei dem Vergleich von 2 Verfahren ist oft nach wenigen Jahren überholt, weil sich die Medikamentenkosten geändert haben. Die aktuellen Studien zum Vergleich von inhalativen und intravenösen Allgemeinanästhesien lassen sich, wie in der folgenden Übersicht, zusammenfassen (Gupta et al. 2004; Schuster u. Standl 2006).
83 6.3 · Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie
▬
▬
▬
Ln der Anästhesiekosten [EUR]/ Operationsminute
▬
von den Einkaufskonditionen in der jeweiligen Klinik ab und lässt sich nur unter Vorbehalt auf eine andere Klinik übertragen. Die Unterschiede in den Aufwachzeiten zwischen inhalativen und Propofol-basierten intravenösen Anästhesien sind in der Regel gering und dürften klinisch sowie ökonomisch kaum von Bedeutung sein. Inhalative Anästhesien mit Isofluran sind preisgünstiger als intravenöse Anästhesien mit Propofol; hierbei ist der Kostennachteil von Propofol durch die nachgebenden Preise rückläufig. Die Unterschiede in der Dauer der Aufwachphase zwischen den verschiedenen volatilen Anästhetika sind in der Regel gering, sodass sich die z. T. erheblich höheren Kosten für neuere Substanzen über diesen Ansatz nicht rechtfertigen lassen. Die Nutzung von »Low-flow-Anästhesien« und Kreisteilen ist ein wesentlicher Hebel, die Kosten der inhalativen Anästhetika zu reduzieren. Propofol-basierte intravenöse Anästhesien sind mit einer geringeren Inzidenz an postoperativem Erbrechen assoziiert. Ob dies neben dem qualitativen Effekt für den Patienten auch in relevantem Maß Kosten einspart, hängt von der Dauer der Anästhesie, der Art des Eingriffs, den eingesetzten Antiemetika und den spezifischen Verhältnissen des Aufwachraummanagements ab. Beim Fehlen von postoperativer Übelkeit und Erbrechen sind die Umgehung des Aufwachraums und die Verlegung direkt auf die Station eine mögliche Prozessoptimierung. Dies ist aber nicht zwangsläufig mit geringerem Interventionsbedarf vonseiten des Pflegepersonals assoziiert, sondern kann zu einer Verlagerung der Intervention aus dem Aufwachraum auf die Normalstation führen (Song et al. 2004).
3,00 2,00
1,00
0,00
0
50
100 150 200 250 Operationsdauer [min]
300
0
50
100 150 200 250 Operationsdauer [min]
300
50
100 150 200 250 Operationsdauer [min]
300
a Ln der Anästhesiekosten [EUR]/ Operationsminute
▬ Jeder Kostenvergleich hängt wesentlich
Eine eindeutige Handlungsempfehlung für oder wider inhalative oder intravenöse Anästhesien lässt sich aus ökonomischer Sicht nicht aussprechen. Es scheint aber im Sinne einer rationellen Verwendung der zur Verfügung stehenden Ressourcen sinnvoll, dass der Einsatz bestimmter
b Ln der Anästhesiekosten [EUR]/ Operationsminute
Vergleich von inhalativen und intravenösen Allgemeinanästhesien
6
c
3,00
2,00
1,00
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Abb. 6.3a–c. Kostenvergleich regionalanästhesiologischer Verfahren mit Allgemeinanästhesien. Regionalanästhesiologische Fälle haben schwarze Punkte und graue Regressionslinien, allgemeinanästhesiologische Fälle haben graue Punkte und schwarze Regressionslinien. a Allgemeinanästhesie vs. Spinalanästhesie, b Allgemeinanästhesie vs. Plexus-brachialis-Blockade, c Allgemeinanästhesie vs. Epiduralanästhesie. (Aus Schuster et al. 2005b)
84
Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
Verfahren und Anästhetika innerhalb einer Klinik in Abhängigkeit von Eingriff und Patientengut im Sinne einer Standardisierung einheitlich festgelegt wird. Hierbei sollte die Verwendung von kostentreibenden Substanzen, die das Budget der Klinik in erheblichem Ausmaß belasten können, auf bestimmte Indikationen beschränkt werden.
6.3.3 Nutzen überlappender
Einleitungen
6 In traditionellen OP-Trakten existieren keine eigenen Anästhesieeinleitungsräume. Die Folge ist, dass eine Anästhesie für den nachfolgenden Patienten erst begonnen werden kann, wenn der vorherige Fall vollständig abgeschlossen ist, d. h. der Patient im Saal extubiert wurde und stabil genug ist, aus dem Saal in den Aufwachraum verlegt zu werden. Erst nach der Zwischenreinigung kann der nächste Patient in den Saal gebracht werden und die Anästhesievorbereitung beginnen. Mit der Verfügbarkeit von Einleitungsräumen und ggf. auch Ausleitungsräumen ist es möglich, diese Prozesse zu parallelisieren. Überlappendes Einleiten bedeutet, dass die Anästhesie des nächsten Patienten so zeitig begonnen wird, dass der Patient von der Anästhesie freigegeben werden kann, sobald die vorhergehende Operation beendet ist. Bei einem guten Abstimmen der Prozesse kann die Wartezeit, die durch die Anästhesieeinleitung bedingt ist, durch das überlappende Einleiten in Bezug auf den Operationsablauf reduziert oder ganz eingespart werden. In vielen europäischen Ländern sind entsprechende Räumlichkeiten für überlappende Ein- und Ausleitungen vorhanden. In den USA und in Skandinavien hingegen ist dies noch immer eine Seltenheit (Torkki et al. 2005; Sandberg et al. 2005). Die Vorteile des überlappenden Einleitens scheinen auf der Hand zu liegen. Oft ist es baulich schwierig, entsprechende Räumlichkeiten nachträglich einzurichten. Viel
wesentlicher sind aber 2 andere Aspekte: Welche organisatorischen Voraussetzungen müssen gegeben sein, um den Nutzen überlappender Einleitungen realisieren zu können? Und wie hoch ist der tatsächliche ökonomische Nutzen der überlappenden Einleitungen? Neben den Räumlichkeiten sind auch entsprechende technische Ausstattungen für die Ein- und Ausleitung, einschließlich des Monitorings und der Narkosegeräte, notwendig. Von gleicher Bedeutung sind entsprechende personelle Voraussetzungen. Ohne zusätzliches Personal sind überlappende Einleitungen nicht zu realisieren. Die Vorhaltung eines zusätzlichen Teams ist aber mit zusätzlichen Kosten verbunden und muss daher sorgfältig gegen den Nutzen abgewägt werden. Hierbei ist die mögliche Reduktion der unproduktiven Zeit von entscheidender Relevanz. Bei sehr kurzen Wechselzeiten werden die Reinigung des Saales und die Verfügbarkeit des OP-Funktionsdiensts zur limitierenden Ressource. Dies betrifft v. a. OP-Bereiche mit vielen kurzen und wenig aufwändigen Operationen. Oft vergeht für Zwischenreinigung, Abbau und erneuten Aufbau der chirurgischen Siebe und einer nur kurzen Pause des OP-Funktionsdienstes ausreichend Zeit, dass der Patient auch ohne überlappendes Einleiten von der Anästhesie freigegeben werden kann, bevor die Saalvorbereitungen abgeschlossen wurden. Dies gilt besonders, da die Anästhesieeinleitungen und -ausleitungen für solch kleine Operationen oft sehr kurz sind und, anders als bei umfangreicher anästhesiologischer Instrumentierung, eine relativ geringe Schwankungsbreite aufweisen. Eine überlappende Einleitung führt in diesen Bereichen in der Regel nur dazu, dass der Anästhesist mit einem Patienten in Narkose auf die Freigabe des OP-Saals wartet. Anders hingegen liegt die Situation bei aufwändigen Einleitungen, z. B. mit arteriellen und zentralvenösen Kathetern und ggf. mit Anlage eines PDK. Nicht nur dauert die Einleitung deutlich länger, es ergibt sich auch eine erheblich größere Schwankungs-
85 6.3 · Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie
breite. Hier kann durch eine überlappende Einleitung Zeit eingespart werden. ! Von entscheidender Bedeutung ist, was mit der eingesparten Zeit geschieht, denn Zeiteinsparungen im Ablauf sind nur dann ökonomisch von Relevanz, wenn tatsächlich Kosten eingespart werden.
Dies ist sehr stark von den lokalen Verhältnissen abhängig (Dexter 2005). Lokale Faktoren werden in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Lokale Einflüsse
▬ In Kliniken, in denen Tagesprogramme regelhaft über die Regelarbeitszeit laufen und diese Überhänge durch Überstunden abgearbeitet werden, ist ein ökonomischer Nutzen leicht zu realisieren. Verkürzung der Wechselzeiten sollten sich ökonomisch unmittelbar in einer Reduktion der Überstunden auswirken. ▬ Wird hingegen in einer Klinik die Regelarbeitszeit nicht wesentlich überschritten, und ist die Rate an ungeplanten Fallabsagen wegen Zeitüberziehung des restlichen Programms relativ gering, ist ein ökonomischer Nutzen schwieriger zu realisieren. Zeiteinsparungen im Ablauf erhöhen zwar wahrscheinlich die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Kosten werden aber nicht eingespart, da die Mitarbeiter am Ende des Tages nicht mehr ausgelastet sind. ▬ Sollte das überhängende Tagesprogramm in der Regel von Bereitschaftsdiensten übernommen werden, ist der ökonomische Nutzen auch nicht direkt evident, da die Bezahlung der Bereitschaftsdienste zunächst unabhängig von der Auslastung ist. ▼
6
▬ Anzustreben wäre natürlich, am Ende des OP-Programms durch die eingesparte Zeit einen weiteren Fall durchzuführen. Dies bedingt aber zum einen, dass solche zusätzlichen Fälle vorhanden sind, zum anderen sind die zeitlichen Limitationen eines solchen Ansatzes zu bedenken. Denn in der Regel ist der Anteil an anästhesiekontrollierter Zeit an der gesamten Operationszeit so gering, dass die realistisch erzielbaren Zeiteinsparungen nicht ausreichen, um einen zusätzlichen Fall durchzuführen (Dexter et al. 1995). Dies gilt insbesondere in OP-Bereichen mit aufwändigen Operationen und langen Operationszeiten, die sich nach den obigen Ausführungen für überlappende Einleitungen besonders eignen sollten.
In 3 jüngst erschienen Arbeiten wurde das Konzept der überlappenden Einleitungen empirisch untersucht. In der Arbeit von Hanss et al. (2005) konnte die Anzahl von in der Regelarbeitszeit durchgeführten Fällen durch die Bereitstellung eines weiteren Teams in einem allgemeinchirurgischen OP mit 3 Sälen (v. a. große Bauchchirurgie und Thorakotomien, relativ wenige kleinere Eingriffe) signifikant erhöht werden. Unter der Voraussetzung eines bestimmten Fallschweremixes ergab sich, trotz der zusätzlichen Kosten, ein Nettogewinn für das Krankenhaus. In der parallel veröffentlichten Arbeit von Torkki et al. fand sich durch die Einführung der überlappenden Einleitung in einem unfallchirurgischen OP eine Reduktion der nichtchirurgisch kontrollierten Zeit pro Fall von 90 auf 49 min (Torkki et al. 2005). Auch hier ergab sich die Möglichkeit innerhalb eines Regelarbeitstages einen zusätzlichen Fall durchzuführen; eine formale KostenNutzen-Kalkulation wurde aber nicht vorgenommen. Sandberg et al. (2005) schließlich fanden eine Reduktion der nichtchirurgisch kontrollierten Zeit von 67 auf 38 min. Einige, aber nicht
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6
Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
alle der teilnehmenden Operateure konnten ihre Fallzahl innerhalb der Regelarbeitszeit erhöhen. Es ist die methodische Einschränkung anzumerken, dass bei der gegebenen Fragestellung eine Blindung der Operateure und der Anästhesisten sowie eine Randomisierung der Patienten nicht durchgeführt werden konnte. Der ökonomische Nutzen der überlappenden Einleitungen stellt sich nicht zwangsläufig und nicht von selbst ein. In jedem Fall ist eine genaue Kosten-Nutzen-Rechnung auf Basis der lokalen Verhältnisse sowie mit den entsprechenden Daten notwendig, und die Prozesse müssen insgesamt aufeinander abgestimmt sein. Oft ergibt sich die Möglichkeit zu überlappenden Einleitungen aus der Notwendigkeit, einen Facharzt aus Gründen der Aufsichtspflicht bzw. als Auslösung für die gesetzlich festgeschriebenen Pausen vorhalten zu müssen.
6.3.4 Kosten der ärztlichen Ausbildung Ausbildung von Weiterbildungsassistenten und Studenten wird oft als wichtiger Kostentreiber genannt. Die Ursache für erhöhte Kosten können Prozessverzögerungen sein, die durch die Ausbildung verursacht werden, aber auch ein ineffizienter Verbrauch von Ressourcen und das vermehrte Auftreten kostentreibender Komplikationen. Dass Ausbildung nicht zwangsläufig die Kosten erhöht, hat eine neuere Studie aus dem Bereich der koronaren Bypasschirurgie gezeigt (Goodwin et al. 2001). Patienten mit Bypassoperationen, die von Weiterbildungsassistenten durchgeführt wurden, wiesen keine höhere Mortalität auf als Patienten, die von Fachärzten operiert wurden. Auch unterschied sich die Liegedauer auf der Intensivstation und auf der peripheren Station nicht signifikant. Die eigentliche Operation dauerte bei »consultants« knapp 10 min kürzer als bei jungen Assistenzärzten, aber ca. 8 min länger als bei erfahrenen Assistenzärzten. Dies führte insgesamt nicht zu signifikant unterschiedlichen intraoperativen Kosten.
! Bezüglich einer Kosten-Nutzen-Rechnung anästhesiologischer Weiterbildung ist die Datenlage in Deutschland bisher sehr unbefriedigend, sodass nur Vermutungen angestellt werden können, ob die Ausbildung von Assitenzärzten Kosten verursacht, oder ob die niedrigeren Gehälter bzw. die höhere Flexibilität von Weiterbildungsassistenten nicht sogar helfen, Kosten einzusparen.
Anders als in den USA wird in Deutschland die Weiterbildung nicht von staatlicher Seite unterstützt. In den USA hingegen erhalten die Kliniken z. T. erhebliche Geldsummen für die Weiterbildung von Ärzten (Barker 2001). Eappen et al. (2004) haben kürzlich den Effekt der Neueinführung von Assistenzärzten in den OP auf die anästhesiologischen Prozesszeiten untersucht. Die Autoren machten sich zunutze, dass im US-amerikanischen System Assistenzärzte ihre Weiterbildung nur einmal im Jahr, d. h. alle zum selben Zeitpunkt beginnen. Sie verglichen die Prozesszeiten zu 3 Zeitpunkten eines Jahres: 1. in denen Fachärzte allein arbeiten; 2. unmittelbar nach Arbeitsbeginn der neuen Assistenzärzte und 3. am Ende des Jahres, wenn die neuen Assistenten schon eigenständig Anästhesien durchführen. Die Autoren konnten keine klinisch bedeutsamen Unterschiede in den Prozesszeiten zu den drei untersuchten Zeitpunkten finden. Mit einem ähnlichen retrospektiven Ansatz untersuchten Posner u. Freund (2004) die Inzidenz von Komplikationen, »critical incidents«, Prozessverzögerungen und ungeplanter Therapieeskalation in Abhängigkeit vom Ausbildungsstand des Anästhesisten. Interessanterweise zeigten die Assistenten im zweiten Jahr eine höhere Inzidenz an Prozessverzögerungen und ungeplanter Therapieeskalation im Vergleich zu den Assistenten des ersten und dritten Jahres. Die
87 6.3 · Kosteneffiziente Versorgung in der Anästhesie
Autoren führten dies auf die zunehmende Eigenständigkeit bei (noch) beschränkter Erfahrung der Assistenten im zweiten Jahr zurück.
6.3.5 Ärztliche versus pflegerische
Durchführung von Narkosen Der Einsatz von Pflegepersonal für die selbstständige Durchführung von Narkosen ist ein Thema, dass seit vielen Jahren immer wieder kontrovers diskutiert wird. Ziel einer Substitution von Ärzten durch Pflegepersonal ist der Versuch Kosten einzusparen. Angesichts der Verknappung des Angebots an ärztlicher Arbeitskraft als Folge der geänderten Arbeitszeitregelungen, der Abwendung von Ärzten aus dem kurativen Bereich und der Auswanderung in lukrativere Arbeitsmärkte scheint es eine attraktive Option zu sein, erfahrenes Anästhesiepflegepersonal selbststständig Narkosen durchführen lassen. Hierbei wird auf die Erfahrungen in den USA verwiesen, in denen »clinical registered nurse anesthetists« (CRNA) einen erheblichen Anteil aller Narkosen unter formaler Aufsicht der Operateure durchführen. Dieses Konzept muss allerdings kritisch hinterfragt werden. ! Nach der geltenden Rechtsprechung und einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs von 1983 ist die Durchführung von Narkosen prinzipiell Ärzten vorbehalten. Eine kurzzeitige Delegation ist nur dann möglich, wenn der Arzt in Ruf- oder Sichtweite bleibt, um jederzeit die Narkosedurchführung selbst übernehmen zu können. Die Durchführung von 2 parallelen Narkosen durch einen Arzt ist nicht zulässig und mit einem erheblichen juristischen Risiko verbunden [Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA)/Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) 2005].
In den USA entspricht die Qualifikation eines CRNA einem akademischen Grad; sie wird
6
durch ein Studium erworben und entspricht daher schon formal nicht der derzeitigen Ausbildung von Krankenpflegepersonal in Deutschland. In einer retrospektiven US-amerikanischen Studie erwiesen sich die 30-Tage-Mortalitätsund die postoperative Komplikationsrate nach allgemeinchirurgischen und orthopädischen Operationen als signifikant höher, wenn die Narkosen von CRNAs anstatt von Anästhesisten durchgeführt worden waren (Silber et al. 2000). Basierend auf diesen Daten wurden in einer Modellrechnung die zusätzliche Kosten von pro gewonnenem Lebensjahr für arztbasierte Narkosen errechnet (Abenstein et al. 2004). Je nach Modellierung der Komplikationsraten und des Versichertenstatus ergaben sich zusätzliche Kosten von USD -4.000 bis 38.000/gewonnenem Lebensjahr. Das heißt im günstigsten Fall sind die von Ärzten durchgeführten Narkosen trotz der höheren Vergütungen durch die geringeren Komplikationsraten kostengünstiger. Im ökonomisch ungünstigsten Fall ergeben sich für von Ärzten durchgeführte Narkosen zwar Zusatzkosten, allerdings in weit geringerem Maß als für medizinische Interventionen sonst üblich. Für den Bereich der Geburtshilfe konnte zudem anhand von Medicaid-Daten gezeigt werden, dass die Produktivität von Ärzten, im Sinne von erbrachten Leistungen pro Zeiteinheit, erheblich höher ist als die von CRNAs. Trotz höherer Vergütungssätze ärztlich durchgeführter Maßnahmen waren die Kosten für die Krankenkassen bei von CRNAs durchgeführten geburtshilflichen Anästhesien de facto höher (Abouleish et al. 2004). Bei einer Übertragung dieser Kalkulationen auf deutsche Verhältnisse ist zu bedenken, dass die Unterschiede in den Personalkosten zwischen Ärzten und Pflegepersonal viel geringer sind als in den USA, sodass das Kosten-Nutzen-Verhältnis sich in Deutschland deutlich schlechter darstellen würde. Der BDA und die DGAI (2005) haben sich jüngst erneut in einer eindeutigen Stellungnahme gegen die selbstständige Durchführung von Narkosen durch Anästhesiepflegepersonal
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Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
ausgesprochen und auf die medikolegalen Risiken hingewiesen. Angesichts der oben dargestellten ökonomischen Bewertung müssen erhebliche Zweifel geäußert werden, ob die Durchführung von Narkosen durch Pflegepersonal mit einer adäquaten Kosten-Nutzen-Relation einhergeht. Vieles spricht hingegen dafür, dass Qualitätseinbußen zu befürchten sind und im Gegenzug, wenn überhaupt, nur sehr geringe Kosteneinsparungen erzielt werden können. Fazit
6
I
I
Kostenerwägungen spielen in der Anästhesiologie heute eine viel größere Rolle als in früheren Jahren. Es gibt eine Reihe von Ansätzen, perioperative Prozessabläufe zu verbessern und Sachkosten durch den selektiven Einsatz bestimmter Verfahren und Anästhetika zu reduzieren. Mithilfe von »Benchmark-Daten« können die Kosten pro Anästhesieminute über verschiedene Kliniken verglichen werden, um Ansatzhebel für eine Kostenoptimierung zu generieren (Bach et al. 2000; Schleppers et al. 2005; Schuster et al. 2005c). Notwendige Grundvoraussetzung ist allerdings eine genaue Kenntnis der Entstehungsmechanik der Kosten in der Anästhesiologie. Von überragender Relevanz ist hierbei die durchschnittliche Dauer der Anästhesie, die mehr als alle anderen Attribute die Kosten der Anästhesie beeinflusst. Es besteht eine zunehmende Evidenz aus publizierten Studien, dass regionalanästhesiologische Verfahren ein günstiges Kosten-Nutzen-Profil aufweisen, insbesondere wenn entsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, die Vorteile der Verfahren in verbesserte Prozesabläufe umzusetzen. Dies gilt, durch die geringere Rate an ungeplanten postoperativen stationären Aufnahmen, auch für ambulante Operationen. Ein modernes OP-Management sollte ohne Wenn und Aber die Realisierung ▼
klinischer Behandlungspfade unter Einbeziehung regionalanästhesiologischer Verfahren fördern. Bezüglich der übrigen Anästhetika, die einen erheblichen Kostenblock ausmachen können, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Verallgemeinernde Empfehlungen für einzelne Substanzen lassen sich angesichts der aktuellen Datenlage nicht geben. Aus ökonomischer Sicht ist festzuhalten, dass der unkritische Einsatz neuerer Substanzen zu erheblichen Mehrkosten führen kann, ohne dass relevante Einsparungen im Prozessablauf die Folge sein müssen. Für einen optimalen Prozessablauf kann die Verfügbarkeit von überlappenden Einleitungen von großer Relevanz sein. Hierbei sind aber nicht nur bauliche, sondern auch organisatorische Voraussetzungen zu beachten. Ohne ausreichende personelle Besetzung kann die Anästhesiologie sonst zur limitierenden Ressource des Operationsablaufs werden. Bislang nicht eindeutig zu beantworten ist hingegen, inwieweit die Ausbildung von Assistenzärzten zu relevanten Mehrkosten in der Anästhesiologie führt. Ein Ersatz von Assistenzärzten durch Pflegepersonal scheidet aber nicht nur aus rechtlichen Gründen aus, sondern erscheint auch aus qualitativen und ökonomischen Gesichtspunkten als nicht sinnvoll.
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90
6
Kapitel 6 · Kostenkomponenten und Kostentreiber in der Anästhesiologie
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7
Steuerung durch Kennzahlen B. Kuss, R. Hanß, M. Bauer
7.1
Entwicklung von Dokumentationssystemen – 92
7.2
Steuerung durch Prozessorganisation – 92
7.3
Kostenfaktor OP-Bereich – Schlüsselstellung der Anästhesie – 93
7.3.1 7.3.2 7.3.3
Dokumentation als erster Schritt zur Optimierung Definition relevanter Zeitpunkte – 94 Zeitintervalle – 97
7.4
Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs – 98
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4
Allgemeine Anforderungen an Kennzahlen – 99 Kennzahlen zur Darstellung von Prozessen – 100 Erstellung der Kennzahlen – 104 Auswahl von Kennzahlen – 104
Literatur – 107
– 93
7
92
Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
7.1
Entwicklung von Dokumentationssystemen
Lange Jahre lag das Hauptproblem bei der Führung von OP-Einheiten darin, die qualitativ hochwertige Leistungserbringung unter einer sich rasant differenzierenden technischen Ausstattung zu gewährleisten. Immer neue Spezialgebiete spalteten sich ab und entwickelten jeweils eigene Spezialitäten methodischer sowie technischer Art. Unter dem Kostendeckungsprinzip der Finanzierung wurden die Kosten, die für ein einmal eingerichtetes Gebiet entstanden, meistens über kurz oder lang gedeckt. Diese Zeiten sind vorbei. Nun heißt die Anforderung, bei begrenzten Mitteln möglichst hochwertige innovative Leistung kostendeckend zu erbringen. Die Dokumentation von erbrachten Leistungen oder Leistungszeiten erfolgte zunächst, um der aus rechtlicher Sicht geforderten Dokumentationspflicht nachzukommen. Mit der Verbreitung unterschiedlichster Dokumentationssysteme, beginnend über auswertbare Anästhesieprotokolle, begann der breitflächige Gebrauch von Zahlensystemen, die nach den individuellen Bedürfnissen definiert worden waren. Auch diese reichen heute zu Zeiten des »benchmarking« nicht mehr aus und sorgen durch ihre oft nur im Detail differierenden Inhalte eher für Verwirrung als für Transparenz. Aus diesem Grund werden im vorliegenden Kapitel die von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) vorgeschlagenen eindeutigen Definitionen für perioperative Dokumentationszeitpunkte erläutert, um eine Basis für alle weiteren Berechnungen, horizontale aber auch vertikale Vergleiche und Organisation von Prozessen zu schaffen. Des Weiteren wird näher auf die Steuerungsrelevanz von Kennzahlen für den laufenden OPBetrieb eingegangen.
7.2
Steuerung durch Prozessorganisation
In deutschen Krankenhäusern ist die finanzielle Situation nicht erst seit Einführung der »diagnosis related groups« (DRGs) angespannt. Die Umstellung von tagesgleichen Pflegesätzen auf ein leistungsorientiertes und pauschalisiertes Entgeltsystem hat diesen Kostendruck jedoch noch erheblich weiter verschärft. Vor diesem Hintergrund ist es überlebenswichtig für jedes Krankenhaus, frühzeitig mögliche Einsparpotenziale zu identifizieren und Wege zu einer Reduktion der Selbstkosten zu erkennen (Bauer et al. 1999). Im Zuge der Umstrukturierung des Gesundheitswesens werden zudem viele Leistungen aus dem stationären in den ambulanten Bereich verlagert. Hiervon ist eine große Zahl operativer Eingriffe betroffen. Es ist mit einer Verlagerung von bis zu 30% zu rechnen. Für die Krankenhäuser ist damit ein großer Anreiz gegeben, diesen Erlösausfall durch Teilnahme am klinikambulanten Operieren zu kompensieren. Hierfür müssen die krankenhausinternen Strukturen so beschaffen sein oder umstrukturiert werden, dass eine effiziente und gegenüber dem vertragsärztlichen Bereich wettbewerbsfähige Leistungserbringung gewährleistet ist. Unabhängig vom Organisationsapparat mit den je nach Versorgungsstufe umfangreichen Vorhaltestrukturen des Krankenhauses müssen also in abgesonderten Bereichen Ablaufstrukturen entstehen, die schnörkellos auf alles verzichten, das unnötigen Ballast darstellt, ohne für die Qualität der Leistungserbringung in diesem isolierten Bereich mit seinen speziellen Anforderungen nötig zu sein. Auch der Patient als »Kunde« hat durch diese Veränderungen die Wahl zwischen verschiedenen Krankenhäusern/Anbietern. ! Da der Patient von Preisunterschieden einzelner Anbieter nicht profitiert, werden effiziente Strukturen, die kurze prästationäre Aufenthalte, verlässliche OP-Termine
93 7.3 · Kostenfaktor OP-Bereich – Schlüsselstellung der Anästhesie
und geringe Wartezeiten ermöglichen, bei der Wahl der medizinischen Einrichtung an Bedeutung gewinnen.
Der gleiche Qualitätsstandard der Leistungserbringung, unabhängig vom Anbieter, wird vom Patienten als selbstverständlich vorausgesetzt.
7.3
Kostenfaktor OP-Bereich – Schlüsselstellung der Anästhesie
Im Bereich der klinikambulanten Operationen wird jedoch lediglich überdeutlich, was für alle Abläufe im Krankenhaus gilt. Die beschriebenen Herausforderungen können einerseits nur durch Reorganisation von Prozessdurchläufen, einschließlich der vielen betroffenen Schnittstellen, gemeistert werden. Andererseits sind Kernprozesse zu reorganisieren, die aufgrund ihrer Kostendichte eine hohe wirtschaftliche Relevanz besitzen. Einen wichtigen Fokus stellt dabei der Operationsbereich dar, der neben der Intensivmedizin zu den kostenintensivsten Bereichen der stationären Patientenversorgung zählt (Bauer u. Martin 1999; de Riso et al. 1995). Ziel des Handelns ist auch hier eine hohe Produktivität. Diese ist als ein optimales Verhältnis von Selbstkosten zu produzierter Leistungsmenge pro Zeiteinheit definiert (Bauer et al. 1999). Dieser Gedankengang erscheint den Mitarbeitern in einem risikobehafteten Bereich, in dem Sorgfalt und Qualität mit Abstand die höchsten Werte darstellen, häufig noch befremdlich. Oft wird er sogar als unethisch empfunden. Formuliert man das Ziel der Produktivität jedoch genauer, so geht es um Folgendes: Praxistipp Bei angemessener Sorgfalt und Qualität sollen diejenigen Bestandteile der Prozesskette, die keinen Beitrag zur Leistungserbringung liefern (z. B. Wartezeiten) möglichst vermieden und, wo möglich, Arbeitsgänge parallelisiert werden.
7
Im Endeffekt muss also doch der verantwortliche Anästhesist oder OP-Manager folgende Frage beantworten können: ▬ Wie viel Operationen werden in welcher Zeit und zu welchem Preis durchgeführt? ▬ Sind einerseits Prozessabläufe verzögerungsfrei und ohne Störungen angelegt? ▬ Wird andererseits das kostenintensive Fachpersonal suffizient eingesetzt? Dem Anästhesisten kommt bei der Organisation der Abläufe in einem OP-Bereich eine besondere Aufgabe zu. Er greift an vielen Schnittstellen in den Ablauf einer Patientenversorgung ein und kann sie wesentlich mitgestalten. Durch termingerechten Patientenabruf, zügige Ein- und zeitnahe Ausleitung sowie Organisation der postoperativen Betreuung der Patienten in der nachsorgenden Einheit (Aufwachraum, »intermediate care«, Intensivstation) wird der gesamte perioperative Versorgungsprozess entscheidend gestaltet (Alon u. Schüpfer 1999; Bach et al. 1998; Crozier u. Kettler 1999; Watkins 1997). Dabei wird das Handeln des Anästhesisten von dem Ziel geleitet, dem Operateur optimale Bedingungen für den Eingriff und dem Patienten die besten Voraussetzungen für eine rasche schmerzfreie Genesung zu bereiten. Neben der Erfüllung von medizinischen Qualitätskriterien (Stabilität der Vitalparameter etc.) ist die Vermeidung von Wartezeiten für das operative Team anzustreben.
7.3.1 Dokumentation als erster Schritt
zur Optimierung Den oben genannten Zielen würde sicher jeder Anästhesist und Operateur weltweit zustimmen. Auch die Zuweisung von Versäumnissen meist zu der jeweils anderen Berufsgruppe geht noch leicht vonstatten. Schwieriger gestaltet sich schon die genaue Definition von suboptimalen Abläufen. Spätestens die Bemühung, bestehende Strukturen zu ändern, erzeugt dann aber meist
94
7
Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
regelhaft hartnäckige Widerstände. Dem Verantwortlichen stellen sich viele Fragen: ▬ Wie kann man Probleme im Ablauf eingrenzen und auf einen bestimmten Teilbereich fixieren? ▬ Wie können diese Schwachstellen, die eventuell die primäre anästhesiologische Leistung gar nicht betreffen, auch »Laien« klar und deutlich dargestellt werden? ▬ Wie soll eine einzelne Änderung im komplexen Ablauf der perioperatven Patientenbetreuung definiert werden? ▬ Wie kann man sicher feststellen, ob die Veränderung auch tatsächlich zu einer Verbesserung geführt hat? ▬ Wie kann man positive Effekte auch anderen überzeugend darstellen? Praxistipp Die Optimierung perioperativer Versorgungsprozesse erfordert in einem ersten Schritt die Dokumentation schnittstellenrelevanter Zeitpunkte zur Eingrenzung der maßgeblichen Engpässe.
Dies kann entweder im Rahmen einer zeitlich befristeten Stichprobenerhebung erfolgen oder besser kontinuierlich über geeignete Erfassungsmedien, wie beispielsweise ein Krankenhausinformationssystem (KIS) oder papiergestützte maschinenlesbare Dokumentationsbögen. ! Ziel der Dokumentation ist die Aufsplitterung des komplexen Arbeitsgangs »Patientenversorgung« in einzelne Arbeitschritte mit klar definiertem Beginn und Ende.
Diese einzelnen Intervalle sollen einem bestimmten Team zuzuordnen sein. Entscheidend für die Datenqualität der erfassten Zeitpunkte ist die Verwendung von Definitionen, die einen gemeinsamen, fachübergreifenden Konsens darstellen (Donham et al. 1996; Schleppers et al. 2003). Mithilfe dieser Zeiten kann der Ist-Zustand dargestellt werden, eine Analyse möglicher Probleme erfolgen und ein Soll, d. h., ein Ziel
Prozessanalyse
ò
IST-Zustand
ò
Stärken-Schwächen-Analyse
ò
Definition SOLL-Zustand
ò
SOP entwickeln
ò
SOP evaluieren
ò
SOP als Modul eines CPs implementieren
⊡ Abb. 7.1. Von der Prozessanalyse bis zur Erstellung von »standard operating procedures« (SOPs). CPs: »clinical pathways«. (Nach Bauer et al. 2004)
definiert werden. Nur so ist die Umwandlung einer Schuldzuweisung » Die brauchen aber immer ewig für…« in eine wertfreie Beschreibung des Sachverhaltes möglich: » Der Prozess XY dauert im Moment durchschnittlich nn Minuten. Erwünscht ist eine Dauer von mm Minuten. Wie können wir das erreichen?« Die einzelnen Schritte von der Prozessanalyse bis hin zur Entwicklung von »clinical pathways« werden in ⊡ Abb. 7.1 verdeutlicht (Bauer et al. 2004).
7.3.2 Definition relevanter Zeitpunkte Im Folgenden werden Zeitpunkte und Zeitintervalle vorgestellt, die auf den gemeinsamen Empfehlungen des Berufsverbandes der Deutschen Anästhesisten (BDA) und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) basieren (Schleppers et al. 2003). In internationalen Studien wird häufig auf das »time glossary« der »American Association of Clinical Directors« (AACD) zurückgegriffen (Donham et al. 1996). Da das angloamerikanische Gesundheitssystem und hier gerade die operative Versorgung er-
95 7.3 · Kostenfaktor OP-Bereich – Schlüsselstellung der Anästhesie
hebliche Unterschiede zum deutschen System aufweisen, sind die Definitionen nur bedingt übertragbar. Im Bereich der Organisationsforschung ist es aber durchaus sinnvoll, auf angloamerikanische Definitionen zurückzugreifen, um die Studienergebnisse auch international vergleichbar zu machen. Praxistipp Entscheidend für die Datenqualität ist die Verwendung von einheitlich definierten Zeitpunkten. Dies ist für den internen Vergleich genauso wichtig wie für die Gegenüberstellung verschiedener Kliniken.
In der folgenden Übersicht werden Zeiten, die bei einer operativen Patientenversorgung auftre-
Chronologische Reihenfolge der Prozessschritte der operativen Patientenversorgung 1. Beginn der Anästhesiepflegevorbereitung. Beginn aller notwendigen Arbeiten zur Vorbereitung einer geplanten Anästhesie. Bei der ersten Anästhesie des Tages gehören auch technische Vorbereitungen, wie das Testen der Narkosegeräte, dazu. 2. Beginn der OP-Pflegevorbereitung. Entsprechend Punkt 1 alle Leistungen der OP-Pflege zur Vorbereitung der OP. Bei der ersten OP des Tages in einem grundgereinigten OP fällt auch die Aufrüstung des Saales in diese Zeitspanne.
3. Ende der Anästhesiepflegevorbereitung. Ende aller notwendigen Vorbereitungen für eine geplante Anästhesie. 4. Ende der OP-Pflegevorbereitung. Entsprechend Punkt 3. Ende aller OP-Pflegevorbereitungen. 5. Bestellen des Patienten. Zeitpunkt, zu dem der Patient in den OP bestellt wird.
6. Eintreffen des Patienten an der Schleuse. Der Patient trifft, begleitet von Krankenhauspersonal, an der Schleuse ein.
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ten, in möglichst chronologischer Reihenfolge aufgeführt. Die nicht primär anästhesiologischen Leistungen sind kursiv gesetzt. Der Leser wird allerdings feststellen, dass sich die Reihenfolge auch durchaus ändern kann. Dies mag an differierenden Organisationsstrukturen liegen und ist nicht zwingend von Nachteil. Auch kann es möglich sein, dass sich Zeiten überlappen, z. B. wenn die Leistungen von verschiedenen Teams parallel erbracht werden. Auch dies kann nicht pauschal als positiv oder negativ gewertet werden, sondern bedarf einer genauen Analyse. Zeitpunkte, die zwar für die Narkosesteuerung von Bedeutung sind, nicht aber für die Prozessorganisation, werden nicht aufgeführt (z. B. der Verschluss des Peritoneums oder der Muskelfaszie).
7. Beginn des Schleusens. Der Patient wird auf dem OP-Tisch gelagert. Dies kann mithilfe einer »Schleuse« erfolgen oder aber auch durch einfaches »Herüberklettern« vom Bett auf den OP-Tisch. 8. Ende des Schleusens. Der Patient liegt nach abgeschlossenen Maßnahmen auf dem OP-Tisch, der mit allen Lagerungshilfsmitteln für die vorgesehene OP versehen ist. Er kann nun an das Anästhesieteam übergeben werden. 9. Eintreffen in der Anästhesieeinleitung. Der Patient trifft im Anästhesieeinleitungsraum ein. Falls die Anästhesie im OP-Saal selbst begonnen wird, gilt das Eintreffen im OP-Saal. Nun wird der Patient an das Anästhesieteam übergeben.
10. Beginn der Anästhesiepflegepräsenz. Beginn der Betreuung des Patienten durch die Anästhesiepflegekraft. Die Pflegekraft wendet sich ausschließlich diesem Patienten zu.
11. Beginn der Anästhesiearztpräsenz. Beginn der Betreuung des Patienten durch einen Anästhesisten. Der Arzt wendet sich ausschließlich diesem Patienten zu. ▼
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Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
12. Beginn der Anästhesie. Zeitpunkt des
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Spritzens des ersten Narkosemedikaments oder Zeitpunkt der Hautdesinfektion bei Regionalanästhesie. 13. Freigabe des Patienten. Der Anästhesist gibt den Patienten zu allen notwendigen chirurgischen Maßnahmen frei. Diese chirurgischen Maßnahmen können parallel zu abschließenden anästhesiologischen Leistungen erfolgen (z. B. die Anlage eines Blasendauerkatheters, während der zentrale Venenkatheter festgenäht wird) oder aber erst nach dem definitiven Abschluss der anästhesiologischen Einleitungsmaßnahmen möglich sein (z. B. die Seitenlagerung des Patienten für einen thoraxchirurgischen Eingriff ). Die exakte und möglichst frühzeitige Freigabe des Patienten für chirurgische Maßnahmen erfordert daher eine genaue Kenntnis des Anästhesisten über die notwendigen chirurgischen Vorbereitungen. 14. Ende der Anästhesieeinleitung. Beendigung aller Maßnahmen der Anästhesieeinleitung. Dies kann dann mit der Freigabe des Patienten zusammenfallen, wenn die chirurgischen Maßnahmen erst nach Beendigung der anästhesiologischen Maßnahmen beginnen können.
15. Beginn der chirurgischen Maßnahmen. Wie oben dargestellt, sind hier alle Maßnahmen zur Vorbereitung der Operation zusammengefasst, die vor dem Schnitt am anästhesierten Patienten durchzuführen sind. 16. Ende der chirurgischen Maßnahmen. Abschluss aller Vorbereitungen vor dem Schnitt. In der Regel enden die chirurgischen Maßnahmen mit dem sterilen Abwaschen und Abdecken des OP-Feldes. 17. Patient im OP-Saal. Der Patient wird in den OP-Saal gebracht. In der Regel werden die vorbereitenden chirurgischen Maßnahmen erst hier beendet. Je nach Gepflogenheiten, örtlichen Gegebenheiten und Fachgebiet wird z. B. im Vor-
bereitungsraum gelagert, der Kopf eingespannt o. Ä. oder nach dem Saaleintritt vor Ort. 18. Schnitt. Beginn der Operation mit dem Hautschnitt: Ein markanter Zeitpunkt der Operation, auch für das Anästhesieteam. Maßnahmen, die eine Anästhesie, wie zum Hautschnitt, erfordern, werden ebenfalls als »Schnitt« definiert (z. B. eine Knochenmarkpunktion oder die Anlage einer suprapubischen Blasenfistel). 19. Präsenz des ersten Operateurs. Anwesenheit des ersten Operateurs im OP-Saal. Es ist möglich, dass der erste Operateur anschließend die sterile Händedesinfektion durchführt; er muss sich aber ab diesem Zeitpunkt ausschließlich dieser Operation zuwenden. Der Zeitpunkt ist mit dem »Beginn der Anästhesiearztpräsenz« vergleichbar.
20. Ende der Präsenz des ersten Operateurs. Der erste Operateur tritt vom OP-Tisch ab. Er steht dem Team ab diesem Zeitpunkt weder operativ noch beratend zur Verfügung. 21. Naht. Ende der letzten Hautnaht.
22. Beginn der chirurgischen Nachsorge. Hierunter versteht man den Beginn von Wundverband oder Gips. Ebenso den Beginn der Aufhebung der Speziallagerung und das Verbringen des Patienten in die neutrale Rückenlage.
23. Ende der chirurgischen Nachsorge. Abschluss aller Maßnahmen, die direkt der Operation zuzuordnen sind und den Patienten betreffen. Dies wären z. B. der Abschluss eines Verbandes oder das Aushärten eines Gipses. Ab diesem Zeitpunkt wird der Patient ausschließlich anästhesiologisch betreut und kann aus der Narkose erwachen (sofern er keine Regionalanästhesie erhalten hatte). 24. Ende der Anästhesie. Die Anästhesie ist beendet; der Patient kann zur Verlegung in die nachsorgende Einheit vom kontinuierlichen Monitoring diskonnektiert werden. Das heißt, dass die Anästhesie nicht mit der Extubation endet, sondern erst wenn die stabilen Vital▼
97 7.3 · Kostenfaktor OP-Bereich – Schlüsselstellung der Anästhesie
funktionen eine Verlegung aus dem OP-Saal erlauben. Die Zeit wird also durch die Freigabe des Patienten zum Transport aus dem OP durch den betreuenden Anästhesisten definiert. Bei Patienten, die eine kontinuierliche Überwachung benötigen, ist die stationäre durch eine transportable Einheit ersetzt worden. Bei intensivtherapiepflichtigen Patienten fällt das Ende der Anästhesie mit dem Ende der Anästhesiearztpräsenz und dem Ende der Übergabe an den Intensivmediziner zusammen, egal ob das an der Schleuse oder auf der Intensivstation geschieht. 25. Patient aus OP-Saal. Der Patient wird aus dem OP-Saal gebracht.
26. Beginn der Saalreinigung. 27. Ende der Saalreinigung. 28. Beginn des Ausschleusens. Der Patient wird aus dem OP-Bereich ausgeschleust. Dies geschieht entweder mithilfe einer »OP-Schleuse« oder direkt von OP-Tisch in das Stationsbett. 29. Ende des Ausschleusens. Ende des Ausschleusungsvorgangs.
Personal an der Schleuse abgeholt, entfällt diese Zeit. 31. Ende der Anästhesiearztpräsenz. Mit dem Ende der Übergabe des Patienten an die Mitarbeiter der nachsorgenden Einheit endet die Zuständigkeit des Anästhesiearztes. Ab diesem Zeitpunkt kann er sich einem neuen Patienten zuwenden.
32. Ende der Anästhesiepflegepräsenz. Entsprechend der Anästhesiearztpräsenz endet auch die Präsenz der Anästhesiepflege entweder an der Schleuse oder nach Übergabe in der nachsorgenden Einheit. Arzt und Pflegekraft müssen den Patienten nicht zwingend zum gleichen Zeitpunkt verlassen. Ab dem Ende der Anästhesiepflegepräsenz kann sich die Pflegekraft einem neuen Patienten zuwenden.
33. Rückmeldung des Anästhesiearztes im OP-Saal. Der Anästhesiearzt ist im OP-Saal oder im Vorbereitungsraum für die Betreuung des nächsten Patienten verfügbar.
30. Eintreffen der nachsorgenden Einheit.
34. Rückmeldung der Anästhesiepflegepräsenz im OP-Saal. Die Anästhesiepflege-
Der Patient wird in Begleitung des Anästhesiearztes in die nachsorgende Einheit verbracht. Werden die Patienten vom weiter betreuenden
kraft ist im OP-Saal oder im Vorbereitungsraum für die Betreuung des nächsten Patienten verfügbar.
7.3.3 Zeitintervalle Im vorherigen Abschnitt wurden Zeiten definiert. Diese beschreiben den exakten Beginn oder das Ende einer bestimmten Leistung. So können nun Intervalle gebildet werden, die für die Auswertung eine besondere Bedeutung haben. Die Intervalle können entweder »aktiv« sein, also Tätigkeiten beschreiben, oder »passiv« sein, wenn sie die Phase zwischen 2 Leistungen beschreiben. Da im Folgenden detailliert auf die Intervalle und ihre Bedeutung eingegangen wird, sollen hier erst einmal nur kurz beispielhaft 2 Intervalle aufgeführt werden.
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Schnitt-Naht-Zeit. Die Schnitt-Naht-Zeit hat bereits als »reine-OP-Zeit« (ROZ) Eingang in die anästhesiologische Literatur gefunden. Sie beschreibt ein aktives Intervall. Die Dauer einer Operation wird dargestellt, ohne auf Begleitumstände einzugehen. Naht-Schnitt-Zeit. Sie definiert die Zeit zwischen 2 Operationen. Diese Zeit mit »Leerlauf« des chirurgischen Personals gleichzusetzen, würde unterschlagen, dass die Zwischenzeit zwischen 2 Operationen durchaus sinnvoll und produktiv genutzt werden kann. Trotzdem bleiben in dieser Zeit wichtige Ressourcen eines Krankenhauses,
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Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
der OP-Saal mit seinem hochqualifizierten Personal und seinen teuren technischen Geräten, ungenutzt. Während die Schnitt-Naht-Zeit per Definition maßgeblich operativ bestimmt wird, gilt die Naht-Schnitt-Zeit landläufig als maßgeblich anästhesiologisch beeinflusste Zeit. Spätestens hier wird Folgendes deutlich: ! Kenngrößen müssen immer im Zusammenhang mit dem dargestellten Vorgang, insbesondere dem operativen Fach, gesehen werden.
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Beispielhaft sollen hier die Unfallchirurgie und die Neurochirurgie angeführt werden. In diesen Fächern trägt eine aufwändige Lagerung maßgeblich zum Operationserfolg bei. Diese Lagerungsmaßnahmen erfordern großenteils die Anwesenheit des verantwortlichen Operateurs und nehmen erhebliche Zeitspannen ein. Die Dauer kann manchmal sogar die eigentliche SchnittNaht-Zeit übertreffen, ohne dass Zeitverschwendung diagnostiziert werden könnte. Natürlich ist die Operation zwischen Schnitt und Naht der erlösbringende Kernprozess. Jedoch sind nicht alle darum herum arrangierten Vorgänge im OP als vergeudete Zeit zu betrachten.
7.4
Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs
Im OP-Bereich treffen verschiedene Berufsgruppen mit unterschiedlichen Interessenlagen und Aufgabenstellungen aufeinander. Alle zusammen sollen eine stark spezialisierte Leistung qualitativ hochwertig und wirtschaftlich erbringen. Grundsätzlich ist den beteiligten Mitarbeitern bewusst, dass eine solch anspruchsvolle und stark arbeitsteilige Prozesskette, wie die sichere Erbringung einer Operation, ein Geschehen ist, das seine Begrenzung am »schwächsten« Kettenglied findet. Der Ausdruck »schwach« bezieht sich dabei auf die Art des Arbeitsablaufs und kann für die Mitarbeiter bedeuten: »nicht in ausreichender Menge
vorhanden« oder »nicht mit der nötigen Qualifikation vorhanden«. Für Arbeitsschritte kann es heißen: »nicht ausreichend genau definiert«, »nicht standardisiert«, »Zuständigkeiten nicht geklärt«, »Schnittstellen nicht aufgearbeitet« oder »nicht koordiniert«. Engagiertes verantwortungsbewusstes Arbeiten ist dabei allen Beteiligten zu unterstellen, und gerade deswegen entsteht leicht der subjektive Eindruck, gehetzt zu sein und im Zweifelsfall mehr unter Druck zu stehen als alle anderen Mitarbeitergruppen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Strukturen sich ändern und gewohnte Arbeitsvorgänge durch neue evtl. noch nicht festgeschriebene Prozesse abgelöst werden. ! Das Gesamtgeschehen eines operativen Eingriffs kann nur dann erfolgreich bewältigt und hin zu einer wirtschaftlicheren und dennoch weiter qualitativ guten oder besseren Leistungserbringung beeinflusst werden, wenn die Aufgaben des Einzelnen klar definiert sind und gleichzeitig das Gesamtziel deutlich ist (Hensel et al. 2005; Raetzell et al. 2004; Riedl 2003).
Dazu gehört auch die Rückmeldung, ob und wenn ja, wie gut die gesetzten Ziele erreicht worden sind. Besonders wenn das gesetzte Ziel verfehlt wurde, steht die Diskussion über Ursachen und Identifizierung von möglichen Verbesserungsansätzen in der Prozesskette an (Bauer et al. 1999; Hensel et al. 2005). Dies ist die genaue Definition eines »arbeitsplatznahen ‘controlling’«. Meist ist die Aufgabe des Controllings in der »Verwaltung« angesiedelt und beschäftigt sich hauptsächlich mit strategischem Controlling und mit generellem operativen Controlling in Form von Abrechnungsfragen, Finanzcontrolling und allen übergeordneten Aufgaben, die dann allenfalls auf Abteilungs-/Klinikniveau heruntergebrochen werden. Zur Prozessorganisation ist jedoch ein »arbeitsplatznahes« Controlling nötig. Dieses hat zwar die Aufgabe, die gewonnenen Daten, besonders bei der Veränderung von Prozessabläufen, quantifiziert zu präsentieren. Aber die Daten müsssen auch auf einem Abstraktionsniveau
99 7.4 · Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs
dargestellt werden, auf dem die Rückkopplung zu den veränderten Abläufen noch möglich ist. Natürlich ist dann auch die Weiterleitung einzelner Kennzahlen hin zu einer höheren Abstraktionsebene nötig. Haben die Zahlen aber diesen »arbeitsplatznahen« Bereich verlassen, so führen sie oft ein Eigenleben, das nur noch schwer mit den Arbeitsabläufen verbunden werden kann. ! Es sind 2 Ebenen des Controllings erforderlich: die »arbeitsplatznahe« Ebene zur Prozessentwicklung vor Ort und die abstraktere Ebene hin zum Controlling der Gesamtklinik.
Beides, sowohl die Zieldefinition als auch die Rückmeldung, lassen sich um so leichter bewerkstelligen, je quantifizierbarer ein Sachverhalt ist. Zur Analyse von Prozessen und zur Herstellung von Transparenz über den Erfolg der eigenen Anstrengungen und den Gesamterfolg der Einheit sind deshalb Kennzahlen geeignet, die am besten im zeitlichen Verlauf verfolgt werden. Sie ermöglichen kurz und knapp, im Idealfall auf einen Blick gut verständlich, Analysen anzustoßen oder Annahmen zu untermauern (Dexter 2003; Kraus et al. 2000). Mit den Kennzahlen des klassischen Controllings haben diese Kennzahlen zunächst nichts zu tun.
7.4.1 Allgemeine Anforderungen
an Kennzahlen Auf der Suche nach Zahlen, die helfen, Prozesse transparent zu machen, sollten die folgenden Anforderungen abgefragt werden: 1. Was will ich wissen? 2. Wird der interessierende Sachverhalt tatsächlich abgebildet? 3. Werden die benötigten Grundlagen bereits erfasst? 4. Wenn nein, wie viel Aufwand erfordert deren Dokumentation? 5. Wie wird die Kennzahl generiert? 6. Wen interessiert die Information?
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7. Wem und wann wird sie berichtet? 8. Wird sie zeitlich begrenzt erhoben? 9. Bekommt sie ihre volle Aussagekraft erst im längeren zeitlichen Verlauf? 10. Kann der Adressat der Zahl deren Aussage nachvollziehen? ! Die wichtigste Frage bei der Entscheidung, welche Kennzahlen erhoben werden sollen, ist die nach dem Sachverhalt, der abgebildet werden soll: Was will ich genau und zur Beantwortung welcher Frage wissen?
Schuster et al. (2005) machen dies am Beispiel der Auswirkung unterschiedlich gewählter Bezugsgrößen für eine angestrebte interne Leistungsverrechnung deutlich. Je nachdem, ob Abläufe betrachtet werden sollen oder Auslastungszahlen interessieren, der Ressourcenverbrauch oder die erzielten Erlöse verfolgt werden sollen, das operative Geschehen einer Abteilung isoliert betrachtet werden soll, oder ob die operativen Leistungen eines Zentral-OP insgesamt als Einheit angesehen werden sollen, sind unterschiedliche Kennzahlen nötig. Ein weiteres Kriterium ist, ob nur das Geschehen im OP-Bereich, die perioperative Phase oder der gesamte Behandlungsfall im Fokus stehen oder sogar nur die Qualität und die Stabilität einzelner Prozesse oder Prozessanteile beleuchtet werden soll. Auch hier sind, je nach Fragestellung, verschiedene Kennzahlen erforderlich. Die nächste Frage bezieht sich darauf, ob die Grundlagen zur Erstellung der Kennzahl schon irgendwo erfasst werden. Oder muss eine neue Datenerhebung etabliert werden? Wer dokumentiert die zugrunde liegenden Daten wann und wo, und wie viel Aufwand bedeutet dies? Hat dies Auswirkungen auf den Arbeitsablauf? Wie wird die Kennzahl aus den dokumentierten Parametern generiert: automatisch per hinterlegter Formel im KIS oder manuell, wenn Kriterien der situativen Beurteilung miteingehen müssen? Ist dazu zusätzlicher Arbeitsaufwand in Form von Programmierungsarbeit einmalig oder wiederholt nötig? Steht dieser Aufwand in der speziellen Infrastruktur eines ganz konkreten Hauses im
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Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
guten Verhältnis zum Erkenntnisgewinn? Wen interessiert die Zahl? Wem und wann wird sie demzufolge im Rahmen welches Berichtes zur Kenntnis gebracht? Ist es eine Zahl, die projektbezogen und damit zeitlich begrenzt erhoben wird, um z. B. die Neugestaltung eines bestimmten Prozesses zu begleiten? Oder ist es eine Kennzahl, die erst über mehrere Zeiteinheiten, in der Tendenz beobachtet, ihre volle Aussagekraft entfaltet? Ist Letzteres der Fall, so muss dann darauf geachtet werden, dass die zugrunde liegenden Parameter möglichst unverändert über den Ablauf mehrer Zeiteinheiten erhoben werden können. Und als letzter aber vielleicht wichtigster Punkt: Kann der Adressat, den die Mitteilung erreichen soll, die Aussage der Zahl verstehen oder bekommt er zumindest ausreichende Information über deren Zustandekommen, um für sich Schlussfolgerungen daraus ziehen zu können?
7.4.2 Kennzahlen zur Darstellung
von Prozessen Auf die Definition der relevanten Zeitpunkte und der Zeitspannen der Leistungserbringung im OP sowie auf Kennzahlen zur Abbildung von zeitlichen Abläufen wurde in den Abschn. 7.3.2 und 7.3.3 ausführlich eingegangen. Darüber hinaus gibt es jedoch noch weitere Bereiche, deren Darstellung anhand von Kennzahlen signifikanter und knapper gestaltet werden kann. Dazu gehören: ▬ Prozessabläufe, ▬ Auslastungszahlen, ▬ Ressourcenverbrauch, ▬ Produktivität, ▬ Betrachtung des gesamten Behandlungsfalls und ▬ Leistungsqualität. Im Rahmen von Prozessanalysen werden die folgenden Aspekte betrachtet: ▬ Verzögerungen im Tagesablauf (also auch nichtgenutzte Zeiten!), ▬ adäquate Betriebszeiten,
▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
Veränderungen des OP-Spektrums, Auslastung der OP-Kapazitäten, Ressourcenverbrauch, Erlöse, Prozessqualität und Innovationen.
Verzögerungen im Tagesablauf Dauerbrenner unter den Kennzahlen, die zum Zweck der Prozessoptimierung verwendet werden, werden diejenigen bleiben, die das disziplinierte Verhalten der beteiligten Mitarbeitergruppen abbilden und etwaige Auswirkungen von Veränderungen der Organisation auf den Tagesablauf zeigen können. Hierzu gehören: ▬ das Erreichen des vereinbarten morgendlichen Beginns der chirurgischen Maßnahmen, ▬ die »Wechselzeiten« zwischen 2 OPs, je nach Definition als Naht-Schnitt-Zeit, ▬ die chirurgisch nichtgenutzte Zeit zwischen Ende der chirurgischen Maßnahmen und anästhesiologischer Freigabe, ▬ die anästhesiologisch nichtgenutzte Zeit zwischen Narkoseende und Narkosebeginn, ▬ die ungenutzte Saalzeit zwischen Saalaustritt und Saaleintritt oder ▬ das, je nach aktuellem Problem, eigens definierte dafür maßgebliche Zeitintervall. Praxistipp Der gelungene morgendliche Operationsbeginn ist nicht nur ein Indikator für die Disziplin der Mitarbeiter, sondern auch für die passgenaue Harmonisierung des Arbeitszeitbeginns der verschiedenen Berufsgruppen.
Die sog. Wechselzeiten sind geeignete Parameter zur Verlaufsbeurteilung. Beim externen Vergleich zwischen verschiedenen Abteilungen und Kliniken muss jedoch genau nach der Art und Länge der durchgeführten Eingriffe und nach personellen aber auch baulichen Strukturen gefragt werden. »Normwerte«, die oft genannt werden, können hier bestenfalls Orientierungshilfe und Anregung sein.
101 7.4 · Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs
Adäquate Betriebszeiten Unter der Notwendigkeit, Arbeitszeiten und OPBetriebszeiten zu verändern, sind die folgenden Faktoren relevant, um Ausweichreaktionen bei unpassenden oder durch stattgehabte Entwicklungen unpassend gewordenen Betriebszeiten aufzudecken (Alon u. Schüpfer 1999): ▬ Zahl der Eingriffe, die in der Regelarbeitszeit/ Betriebszeit des OP abgearbeitet werden, ▬ entsprechend die Zahl der Operationen außerhalb der Betriebszeit, ▬ Anteil der dringlichen und Notfalleingriffe in- und außerhalb der Betriebszeit, ▬ Zahl der durch Elektiveingriffe verursachten Überhänge über die reguläre Betriebszeit bzw. ▬ anfallende Überstunden. Natürlich bleibt die Festlegung der Dringlichkeit eines operativen Eingriffs eine individuelle Entscheidung für jeden einzelnen Patienten, die der Operateur trifft. Andererseits gilt: ! Die grobe Zuordnung einzelner Krankheitsbilder zu Dringlichkeitsstufen sollte unbedingt im Konsens und allgemeingültig, z. B. in einer Geschäftsordnung, schriftlich festgelegt sein.
In diesem Spannungsfeld bleibt jedoch eine breite Grauzone. Es ist eine physiologische Reaktion, dass in dieser Grauzone Verschiebungen zu beobachten sind, die je nach Kapazität im Elektivprogramm stattfinden. Diese Verschiebungen lohnt es sich zu beobachten, um systematische Veränderungen zu diagnostizieren und zu quantifizieren.
Veränderung des OP-Spektrums Durch die z. T. überbetriebliche regionale Zentrenbildung kommt es möglicherweise zu erheblichen Verschiebungen der OP-Spektren und zum Wegbrechen bzw. zum Ausbau ganzer OP-Gebiete. In diesem Zusammenhang ist die Verlaufsbeobachtung folgender Kennzahlen interessant: ▬ Zahl der Operationen, eingeteilt nach Größe/ Dauer des Eingriffs sowie ▬ Anteil ambulanter Eingriffe.
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Auf diesen Sachverhalt wurde im Abschn. 7.2 schon kurz im Zusammenhang mit der Verschlankung von perioperativen Prozessen bei ambulanten Operationen eingegangen. Praxistipp Bei interdisziplinär genutzten zentralen Operationsabteilungen ist die Zahl der erbrachten Operationen pro Fachrichtung im Verlauf und im Verhältnis zueinander wichtig.
Auslastung der OP-Kapazitäten Zur Beurteilung der Auslastung von OP-Kapazitäten eignen sich folgende Kennzahlen: ▬ Zahl oder prozentualer Anteil abgesetzter/ verschobener Eingriffe, ▬ Verhältnis der genutzten zu den nichtgenutzten OP-Kapazitäten (Dexter et al. 2005), ▬ Anteil der Schnitt-Naht-Zeit an der Betriebszeit, ▬ Anteil der Saalbelegungszeit an der Betriebszeit, ▬ Anteil der Wechselzeiten, z. B. der ungenutzten Saalzeit an der Betriebszeit, und ▬ Verhältnis von Wechselzeiten zu Leistungszeiten. Hierbei ist besonders darauf zu achten, dass die jeweilige Bezugsgröße eindeutig festgelegt ist und immer mitdargestellt wird, um Missverständnissen zuvorzukommen. Beispielsweise kann natürlich nie eine Quote von 100% erreicht werden, wenn die Betriebszeit als Bezugsgröße für die erreichte Schnitt-Naht-Zeit oder Saalbelegungszeit gewählt wird. Insofern ist es für manche Fragestellungen eindeutiger, wenn eine Zahl als Bezugsgröße gewählt wird, bei der tatsächlich eine 100%-Marge erreicht werden kann. Um so wichtiger ist die beigefügte eindeutige Festlegung. Wird eine Bezugsgröße verwendet, die die 100%-Marge unmöglich macht, muss klar sein, wieso dies nicht geht, und welcher Wert aus welchen Gründen der maximal erreichbare bzw. der Normalwert ist.
102
Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
Praxistipp Der Effizienzfaktor nach Dexter (Dexter 2003) eignet sich besonders, um eine optimale Balance zwischen Überhängen und vorzeitigem Beenden des OP-Programms zu finden.
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Selbst bei sorgfältigster Programmgestaltung dauert die vorgesehene Operation nicht immer genau so lange, wie geplant, und die OP-Programme sind nicht immer auf die Minute genau am Ende der Betriebszeit beendet. Der Effizienzfaktor setzt nun die teureren Überstunden mit den günstigeren »vergeudeten« Stunden der Regelarbeitszeit ins Verhältnis und mittelt diese Verhältnisse über den gewählten Zeitraum auf einen Durchschnittsarbeitstag. Damit werden langfristige Tendenzen zur Über- oder Unternutzung gut erkennbar und objektiviert dargestellt. Der Faktor wird umso günstiger, je ausgeglichener das Programm mit möglichst geringen Ausschlägen um das Ende der regulären Beriebszeit herum endet.
Ressourcenverbrauch Mit welchem Aufwand werden die Leistungen erbracht? Wird eine zeitliche Straffung mit zu viel Ressourcenverbrauch bezahlt, oder lohnt ein Mehraufwand, z. B. an Personal, weil dadurch, mehr als den aufgewendeten Kosten entsprechend, OP-Zeit gewonnen werden kann? Ein Beispiel lieferten Hanss et al. (2005) für die Berechnung, unter welchen Umständen sich die Aufstockung der Anästhesiemitarbeiter lohnt, um damit Wechselzeiten zu verkürzen und Leistungszeiten zu gewinnen. Zum Monitoring des Ressourcenverbrauchs dient die Aufzeichnung folgender Budgets: ▬ Sachmittelbudgets und ▬ Personalbudgets. Von ganz grundlegender Bedeutung, sowohl für die Vergleichbarkeit mit anderen Häusern, für die Transparenz der eigenen Berechnungen als auch für die Verhaltensanreize, die daraus
resultieren, sind die Systematik und die Trennschärfe der etablierten Kostenstellen (Bauer et al. 2004). Praxistipp Die Kostenstellen sollten die organisatorische Gliederung der Verantwortlichkeiten widerspiegeln.
Ein wesentlicher Unterschied in der Vergleichbarkeit entsteht für eine Kostenstelle »Zentral-OP« z. B. je nachdem, ob der Zuschlag der medizinisch-technischen Geräte in ihrer Anschaffung, Unterhaltung und Wiederbeschaffung zur Kostenstelle der einzelnen Klinik erfolgt oder der Kostenstelle des Zentral-OP zugerechnet wird. Diese Entscheidungen schlagen sich letztendlich in den folgenden Preisen nieder: ▬ Preise für eine Saalbelegungsminute oder ▬ Preise für eine Anästhesieminute. Auch Interdependenzen zwischen diesen beiden sind zu beachten, wie z. B. die von Bauer et al. (2004) diskutierten Kriterien zur Bewertung neuer Anästhetika zeigen. Die Verwendung eines teureren aber besser steuerbaren Narkosemittels, kann z. B. die Anästhesieminute sowohl durch die Anhebung des Sachmittelbudgets als auch durch die Verkürzung der Anästhesiedauer verteuern. Trotzdem kann sie sinnvoll sein, wenn dadurch Zeit für weitere erlösbringende Eingriffe frei wird. Je nachdem, wie weit der direkte Verantwortungsbereich des OP reicht oder die aktuelle Fragestellung gefasst ist, fällt auch die Verweildauer im Aufwachraum und auf der Intensivüberwachungs-Intensivtherapie-Station mit in das Berichtswesen. Ebenso beachtenswert, weil kostenintensiv, sind folgenden Faktoren: ▬ Verbrauch von Transfusionseinheiten, ▬ Verursachung von Sterilisationseinheiten und ▬ Anzahl der Lagerumschläge pro Zeiteinheit (Bauer et al. 1999).
103 7.4 · Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs
Erlöse Neben der Kostenstellen- und der Kostenartenrechnung ist unter betriebswirtschaftlichen Gesichtpunkten auch eine Kostenträgerrechnung interessant; diese bezieht sich auf den einzelnen Behandlungsfall als Verursacher der Kosten. ! In einer Kostenträgerrechnung kann der positive Deckungsbeitrag einer bestimmten Eingriffsart festgestellt und als ein Kriterium dafür herangezogen werden, sich für oder gegen die Intensivierung dieser Art von Eingriffen in diesem OP-Umfeld zu entscheiden.
Zur Betrachtung der OP-Kosten stellt sich sofort die Frage nach der Organisationseinheit, die betrachtet werden soll. Ist der OP-Betrieb einer Klinik angegliedert, oder ist er als eigenständige Kostenstelle geführt? Wird er rechnerisch als Dienstleistungszentrum, »cost center« oder gar »profit center« geleitet (Bauer et al. 1999)? Für die meisten Kliniken trifft wohl die Organisation als Dienstleistungszentrum zu. Praxistipp Für einen Zentral-OP wird die Mischung, die aus der Versorgung von verschiedenen operativen Disziplinen hervorgeht, am ehesten durch den Produktivitätsindex, d. h. die Erträge pro OP-Saal-Minute (Bauer et al. 2004), abgebildet.
Damit lassen sich Verschiebungen des OP-Spektrums oder der OP-Technik in ihrer Auswirkung auf die erwirtschafteten Erträge im Verhältnis zur verbrauchten OP-Zeit beurteilen. Dieser Produktivitätsindex kann natürlich auch wieder auf bestimmte operative Fächer oder im Extremfall sogar auf Operateure bezogen werden. Einfließen wird dieser Parameter in die sowohl aktuellen als auch strategischen Überlegungen zur Verteilung knapper Ressourcen. Auch bei dieser Kennzahl ist wiederum besonders darauf zu achten, dass die zugrunde gelegten Bezugsgrößen klar definiert sind und zusammen mit
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der Kennzahl kommuniziert werden (Raetzell et al. 2004; Schuster et al. 2005). Hier z. B.: Welche OP-Minute ist gemeint, die Schnitt-Naht-Minute oder die Saalbelegungsminute oder noch eine andere? Und welche Erträge werden berücksichtigt, die Gesamterträge der abgerechneten Fallpauschale oder bestimmte Anteile davon? Oder interessieren nur die Nettoerträge der Fallpauschalen bezogen auf die OP-Minute?
Prozessqualität Ausschlaggebend für die Art der abgefragten Kriterien ist auch hier wieder der beeinflussbare Verantwortungsbereich. Wo beginnt die OP-Planung? Was kann oder soll beeinflusst werden? Kennzahlen, die die Qualität der etablierten Prozesse beleuchten, sind: ▬ die Zahl der verschobenen Elektiveingriffe, ▬ die Gründe für die Verschiebung und ▬ die Zahl der Änderungen der an erster Stelle des Tagesprogramms stehenden Eingriffe. Praxistipp Wenn idealerweise die OP-Planung mit der Indikationsstellung in der ambulanten Sprechstunde beginnt, ist die Wartezeit zwischen Indikationsstellung und Operation ein aussagefähiger Parameter für bestimmte Tracer-Diagnosen.
Eine andere Art der Prozessqualität beleuchtet ▬ die Ausfallquote der verschiedenen Mitarbeitergruppen, ▬ die Fluktuationsrate der Mitarbeiter sowie ▬ der Aus- und Weiterbildungsstand der Mitarbeiter. Ein weiterer Qualitätsgesichtspunkt besteht in der Festlegung der Organisationsstruktur anhand von schriftlich ausgearbeiteten und verbindlichen ▬ Geschäftsordnungen für die OP-Planung und den OP-Betrieb (Smits et al. 2005), ▬ Handlungsanweisungen für bestimmte Abläufe und Sondersituationen,
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Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
▬ Erstellung von Clinical pathways und »standard operating procedures« (SOPs; Bauer et al. 2004) sowie ▬ Standardisierungen, wo immer es möglich ist, z. B. für die Bestückung von Narkosewagen, OP-Fallwagen, Abdecksets, Sterilcontainern etc. (Alon u. Schüpfer 1999; Dries u. Mutz 2005).
Innovationen
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Investitionen in die Zukunft müssen trotz Kostendruck Berücksichtigung finden. Innovationen können z. B. durch die folgenden Fragen erfasst werden: ▬ Wie viele neue OP-Methoden sind pro Jahr eingeführt worden? ▬ Welcher Prozentsatz des Investitionsbudgets wird auf neue OP-Methoden verwendet? Praxistipp Entscheidungsprozesse über Investitionen in neue Techniken sollten keine einsamen Entscheidungen sein, sondern von einer Arbeitsgruppe gefällt werden und neben rein finanziellen v. a. strategischen Aspekten Rechnung tragen (Schüpfer u. Babst 2005).
7.4.3 Erstellung der Kennzahlen Ist die Entscheidung zur Erhebung einer bestimmten Kennzahl gefallen, stellen sich die folgenden Fragen: ▬ Werden die zugrunde liegenden Parameter bereits dokumentiert? ▬ Wenn ja, wie und von wem? ▬ Wenn nein, wie kann die Erfassung möglichst wenig aufwändig in den Arbeitsablauf eingebaut werden? ▬ Wird die Kennzahl, gestützt durch das Auswertemodul eines KIS, automatisch erstellt? ▬ Muss die Abfrage einmalig oder immer wieder programmiert werden? ▬ Enthält die Kennzahl qualitative Elemente, die nur händisch zu erfassen sind?
! Die Dokumentation von Zeiten und Zeitintervallen ist Grundlage der Prozessorganisation und kein Selbstzweck. Deswegen muss auf die Wichtigkeit hingewiesen werden, die dem Angebot von Auswertemodulen bei der Auswahl eines Dokumentations- und OP-Planungsmoduls zukommt.
Deswegen ist bei Dokumentationssystemen nachzufragen, ob ▬ Auswertemodule im Angebot enthalten sind und welche? ▬ Eine Beschreibung der zugrunde gelegten Formeln und Quelldateien verfügbar ist, damit die Grenzen und eventuelle Unschärfen der erhobenen Daten nachvollziehbar bleiben? ▬ Formeln vom Nutzer selbst geändert oder neu entworfen werden können und mit welchem Aufwand? ▬ Die Auswertemodule bei »updates« des Systems weiterhin automatisch mitgepflegt werden? ▬ Welche Reaktionszeit bis zum Einbau neuer Auswertemodule, die vom Nutzer gewünscht werden, zugesagt werden kann? Erfahrungsgemäß ändern sich die Anforderungen an Kennzahlen mit den geänderten Arbeitsabläufen im OP. Organisationsengpässe werden behoben, neue Problembereiche entstehen, und schon werden im Rahmen neuer Analysen vorher unbedeutende Fragestellungen relevant. Dafür sind unbedingt flexible Auswertemodule zu fordern (Raetzell et al. 2004).
7.4.4 Auswahl von Kennzahlen Die gleichzeitige Erhebung der ganzen Fülle der genannten Kennzahlen wäre zwar möglich, ist aber sicher nicht nötig und zweckmäßig. Schließlich sollen die Kennzahlen wahrgenommen und beachtet werden, evtl. sogar Konsequenzen nach sich ziehen, auf keinen Fall jedoch ermüden.
105 7.4 · Kennzahlen zur Steuerung eines OP-Betriebs
Primär ist die Zusammenstellung des Zahlen-Potpouris von der Organisationsform und den Problemstellen des OP-Bereichs abhängig. Grundlage für jede Art von Berechnung stellen auf jeden Fall die aufgeführten Zeitintervalle der Leistungserbringung dar. Zusammen mit dem Sachmittel- und Personalbudget können so Minutenpreise berechnet werden, die den operativen Kliniken über die interne Leistungsverrechnung, z. B. im Rahmen der Organisation eines Dienstleistungszentrums, in Rechnung gestellt werden können. Ihre Entwicklung gibt einen ersten Anhalt über die Wirtschaftlichkeit der Organisation. Allerdings ist eine Kostensenkung der einzelnen Minute nicht nur durch eine Senkung der Budgetkosten, sondern auch durch eine Verlängerung des zugrunde gelegten Zeitintervalls möglich. Dies würde aber eher einer Entwicklung zur Unwirtschaftlichkeit entsprechen und müsste auf jeden Fall hinterfragt werden (Hensel et al. 2005). Die erhobenen Leistungszeiten stellen des Weiteren die Grundlage für die Personalbedarfsberechnungen dar. Je nach Dauer und Aufwändigkeit der Operationen dienen sie der Berechnung der Saalkapazitätsauslastung und damit der Festlegung von Plankapazitäten, die den einzelnen Abteilungen zur Verfügung gestellt werden. Anders ausgedrückt, sind die grundlegenden Fragen: a) Was leisten wir? b) Wie viel kosten wir? c) Stimmt die Organisation? Gefordert sind also: a) Leistungstransparenz, b) Kostentransparenz und c) Prozesstransparenz (Bauer et al. 2004). Die Beschreibung der Leistung erfolgt mit folgenden Kennzahlen: ▬ OP-Zahl gesamt und pro Abteilung, ▬ grob gegliederte OP-Zahl kleiner, mittlerer, großer Eingriffe und ▬ Leistungsminuten nach den aufgeführten Zeitintervallen.
7
Die Kosten zeigen sich in ▬ Sachmittel- und Personalbudget, ▬ den übrigen Kosten bei interner Leistungsverrechnung sowie zusammengefasst ausgedrückt in ▬ Minutenpreisen für die Saalnutzung und die Anästhesiezeit. Alle übrigen Parameter beziehen sich auf die Organisation des Betriebs und damit die Optimierung der Abläufe, um die Leistungserbringung und Kostenstruktur zu beeinflussen. Im Folgenden sollen 2 Beispiele für eine projektbezogene Zusammenstellung von Kennzahlen aufgeführt werden. Als Erstes soll überprüft werden, ob in einem von einer Fachrichtung exklusiv genutzten OP-Bereich die gekürzten Saalkapazitäten adäquat bemessen sind (Alon u. Schüpfer 1999; Riedl 2003). Hierzu sollte man folgende Faktoren betrachten: ▬ die Zahl der innerhalb und außerhalb der Regelbetriebszeit erbrachten Eingriffe, ▬ die absoluten Saalbelegungsminuten und deren prozentualen Anteil an der zur Verfügung stehenden Saalkapazität, ▬ den Effizienzfaktor nach Dexter, ▬ die Anzahl der aus Zeitgründen abgesetzten Eingriffe sowie ▬ die Wartezeit zwischen der Indikationsstellung und dem OP-Termin für einige TracerDiagnosen. So entsteht ein Gesamtbild der Leistungsentwicklung mit der evtl. noch immer ungenutzten OP-Kapazität oder der aufgrund der zu knapp bemessenen OP-Kapazität entstehenden »Bugwelle« an wartenden Patienten, Überhängen und außerhalb der Regelbetriebszeit durchgeführten Operationen. Als zweites Beispiel sollen der Vergleich von 2 verschiedenen Behandlungsregimes für das gleiche OP-Spektrum und die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der investierten OP-Kapazitäten angeführt werden (Alon u. Schüpfer 1999; Riedl 2003). Hierzu sollte man abfragen:
106
Kapitel 7 · Steuerung durch Kennzahlen
▬ Neben den OP-Zahlen, wie oben, ▬ den Verbrauch an teuren Gütern, wie z. B. Endoprothesen, Einmalartikel oder auch Transfusionseinheiten, ▬ die Entwicklung der Liegetage auf Intensiveinheiten und ▬ die Krankenhausverweildauer. Diese Parameter sollten den Kosten durch Saalbelegungs- und Anästhesieminuten gegenübergestellt werden. Das bedeutet, es würde die Produktivität der Saalminute, bezogen auf einen Deckungsbeitrag des Falls, erfragt (Bauer et al. 2004).
7
Fazit
I
I
Kliniken stehen vor einer großen ökonomischen und organisatorischen Herausforderung. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen den Zwang, Prozesse zu optimieren. Die Anästhesiologie ist nahezu bei jedem Patienten, der operativ behandelt wird, beteiligt, sie ist somit der wesentliche Stützprozess in der Behandlung. Um Prozesse zu optimieren, ist zunächst eine Prozessanalyse erforderlich. Basis einer solchen ist die Definition von Zeiten, die exakt den Beginn und das Ende einer Leistung beschreiben. Aus der Verknüpfung mehrerer Zeiten lassen sich aktive und passive Zeitintervalle herleiten. Aufbauend auf einer solchen Analyse sollten der Ist-Zustand festgestellt sowie entsprechende Stärken und Schwächen herausgearbeitet werden. Damit wird eine Prozess-, Leistungs- und Kostentransparenz vonseiten der Anästhesie ermöglicht. Hierauf basiert eine verursachergerechte innerbetriebliche Leistungsverrechnung. Neben den ökonomischen Vorteilen stellen die Durchführung einer Prozessanalyse und die darauf aufbauende Entwicklung von SOPs einen wesentlichen Bestandteil des klinischen Qualitätsmanagements dar. ▼
Es wird aber deutlich, dass die eine, einzig selig machende Kennzahl, mit der allein der OP-Betrieb gesteuert oder beurteilt werden kann, nicht existiert. Als Voraussetzung zur Erhebung einiger Grundgrößen ist unbedingt die routinemäßige Dokumentation nach eindeutig definierten Kriterien zu fordern (Bartz 2005). Die Verlautbarungen der Berufsverbände befassen sich intensiv mit der Problematik der exakten Definition von Dokumentationsdaten und der Auswirkung auf die Leistungs- und Kostenverrechnung (Fischer et al. 2002; Reißmann et al. 2003; Schuster et al. 2005). Die gezielte Kosten- und Leistungsanalyse wird sicher erst durch die innerbetriebliche Leistungsverrechnung und eine Kostenträgerrechnung detailliert möglich. Für Prozessund Leistungsanalysen ist notwendig, dass die elektronischen OP-Planungs- und Dokumentationssysteme die leichte Programmierung von Kennzahlen durch den Nutzer viel mehr als bisher unterstützen. Nur so ist ein effizientes dezentrales Controlling vor Ort möglich (Bauer et al. 1999), das Kennzahlen mit qualitativen Aussagen zur Prozess- und Projektsteuerung vereinen kann. Dies ist die Voraussetzung für eine zeitnahe Rückmeldung zur Erfolgskontrolle und Manöverkritik (Bartz 2005). Abschließend sollen 5 Kennzahlen angegeben werden, die am ehesten alle Gebiete erfassen, die wichtig sind, um einen OPBetrieb abzubilden. Dies sind: ▬ Produktivität der OP-Minute, ▬ Minutenpreis für Saalnutzung und Anästhesie, ▬ Effizienzfaktor nach Dexter (Dexter 2003), ▬ OP-Zahlen innerhalb und außerhalb der Regelbetriebszeit sowie ▬ Wartezeit auf einen Termin für bestimmte Operationen.
107 Literatur
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7
Markt- und Planwirtschaft. Riskanter Spagat oder gar Quadratur des Kreises. Chirurg 71: 281–291 Raetzell M, Reissmann H, Steinfath M, Schuster M, Schmidt C, Scholz J, Bauer M (2004) Implementierung einer internen Leistungsverrechnung über Anästhesieminuten. Anaesthesist 53: 1219–1230 Reißmann H, Bauer M, Geldner G, Kuntz L, Schulte am Esch J, Bach A (2003) Leistungs- und Kostendaten in der Anästhesie – Empfehlungen des gemeinsamen Arbeitskreises »Anästhesie und Ökonomie« der DGAI und des BDA zur regelmäßigen klinikinternen Erhebung von ökonomischen Eckdaten. Anaesthesiol Intensivmed 44: 124–130 Riedl S (2003) Modernes Operationsmanagement im Workflow Operation. Aufgabenspektrum und Herausforderungen der Zukunft. Anaesthesist 52: 957–963 Riso B de, Cantees K, Watkins WD (1995) The operating rooms: cost center management in a managed care environment. Int Anesthesiol Clin 33: 133–150 Schleppers A, Bauer M, Pollwein B, Noll B, Ackern K van ( 2003) Der »richtige« Anteil der DRG-Erlöse für die Anästhesieabteilung. Anaesthesiol Intensivmed 44: 803–807 Schüpfer G, Babst R (2005) Innovationsmanagement – Leitlinien für die erfolgreiche Innovation im OP–Bereich. OP J 21: 79–81 Schuster M, Standl T, Reißmann H, Abel K, Kuntz L, Schulte am Esch J (2005) Chancen und Risiken einer internen Leistungsverrechnung von Narkoseeinleitungen für die Klinik für Anästhesiologie. Anaesthesiol Intensivmed 46: 189–196 Smits T, Schüpfer G, Babst R (2005) OP-Organisation und OP-Koordination. OP J 21: 10–14 Watkins WD (1997) Principles of operating room organization. Acta Anaesthesiol Scand Suppl 111: 113–115
8
Personalmanagement T. Iber
8.1
Wandel im Personalmanagement – 110
8.1.1 8.1.2 8.1.3
Ökonomie – 110 Technische Entwicklung und medizinischer Wissenszuwachs Gesellschaftliche Entwicklung – 111
8.2
Allgemeine Gestaltungsebenen des Personalmanagements – 111
8.2.1 8.2.2 8.2.3
Normatives Personalmanagement – 111 Strategisches Personalmanagement – 112 Operatives Personalmanagement – 112
8.3
Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements – 112
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5
Personalstrategie – 112 Personal-Portfolio – 113 Personalbedarfsplanung – 114 Personalentwicklung – 115 Personal-Controlling – 117
Literatur – 119
– 110
8
110
Kapitel 8 · Personalmanagement
8.1
Wandel im Personalmanagement
Das Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland war jahrzehntelang durch eine Phase der ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität charakterisiert. Es gab nur geringen Veränderungsdruck, und wenn, wurden Veränderungen in überschaubaren Zeiträumen vorgenommen. Dies spiegelte sich auch in der Art und Weise der Personalwahrnehmung und -führung wider. Im Mittelpunkt standen die einzelnen Fachabteilungen mit ihren leitenden Ärzten oder Pflegekräften, die Organisation der Ausbildung und eine hierarchisch aufgebaute Laufbahnplanung des einzelnen Mitarbeiters. Zielsetzung und wesentliche Aufgaben des Personalmanagements lagen in der Dienstplangestaltung und dem reibungslosen Einsatz des Personals; insgesamt fand eine Beschränkung auf Verwaltungs- und Betreuungsfunktionen statt. Die folgenden Faktoren führten mit Beginn der 1990er-Jahre zu starkem Veränderungsdruck und zu einem veränderten Anforderungsprofil an ein modernes Personalmanagement: ▬ Ökonomie, ▬ technische Entwicklung und medizinischer Wissenszuwachs sowie ▬ gesellschaftliche Entwicklung.
auf das Personalmanagement besteht der Hauptzielkonflikt in 2 wesentlichen Aspekten: ▬ Mit einem aus der Historie gewachsenen, auf Stabilität und geringe Veränderungen ausgerichteten Personalstamm die massiven, von extern abverlangten Änderungen umzusetzen. ▬ Vor dem Hintergrund, dass 66% der Kosten eines Klinikums (laut Krankenhausreport 2003 des Deutschen Krankenhausinstituts; vgl. Offermanns 2003) Personalkosten sind, kommt dem Bereich Personal bei der wirtschaftlichen Betriebsführung eine überragende Bedeutung zu. Insbesondere der letzte Punkt trifft für den Bereich des OP-Managements im Besonderen zu, da der OP der kostenintensivste Arbeitsplatz im Behandlungsablauf eines operativen Patienten darstellt und somit in doppelter Hinsicht in den Blickpunkt gerät. Dieser ökonomische Druck verlangt im Rahmen der Krankenhausbetriebsführung eine Neuausrichtung hin zu Kostentransparenz und einer Orientierung am Behandlungsprozess des einzelnen Patienten. Dies bedingt einen massiven Veränderungsdruck auf Organisationsstrukturen und Arbeitsfelder im gesamten Krankenhaus sowie eine neue Denkstruktur, weg vom einzelnen Mitarbeiter hin zum gesamten Team, zur gesamten Institution.
8.1.1 Ökonomie Bedingt durch den medizinischen Fortschritt, die Erhöhung des durchschnittlichen Lebensalters und die Ausweitung der Leistungen gab es Anfang der 1990er-Jahre erste Finanzierungsengpässe im Gesundheitswesen. In der Folge kam es zu regulierenden Eingriffen der Politik, um den Kostenanstieg zu bremsen. Der seit 1993 durch das Gesundheitsstrukturgesetz induzierte und in der Folge seit 2000 durch Einführung des neuen Vergütungssystems auf Basis der »diagnosis related groups« (DRGs) verschärfte Kostendruck führte in vielen Kliniken zu erheblichen Zielkonflikten für das Krankenhausmanagement. Im Hinblick
8.1.2 Technische Entwicklung und
medizinischer Wissenszuwachs Aufgrund der immensen Beschleunigung des verfügbaren medizinischen Wissens (aktuelle Verdopplungszeit liegt bei 5 Jahren) und der enormen technischen Innovationskraft, die auch im Bereich der Medizinprodukte zu immer kürzeren Produktzyklen und schnelleren Entwicklung neuer Produkte führt, ist das traditionelle Ausbildungssystem mit einer einmal zu Berufsbeginn abgeschlossenen Ausbildung nicht mehr zeitgemäß. Um auch in Zukunft Leistungen höchster
111 8.2 · Allgemeine Gestaltungsebenen des Personalmanagements
Qualität zu erbringen und den sich schnell wandelnden Wissensgrundlagen anzupassen, bedarf es neuer Konzepte des berufsbegleitenden Lernens. Hierzu ist auch der Einsatz neuer Medien und Kommunikationsformen (strukturierte Mitarbeitergespräche, Intranet) notwendig.
8.1.3 Gesellschaftliche Entwicklung Das Gesundheitswesen und seine Mitarbeiter unterliegen, in gleicher Weise wie alle anderen Mitglieder der Gesellschaft, einem steten Wandel. Hierbei fällt auf, dass insgesamt eine Orientierung hin zu sehr hohen Ansprüchen und zur geringen Akzeptanz von Unannehmlichkeiten stattfindet. Genügte es vor 25 Jahren noch, einen Patienten erfolgreich zu operieren und Linderung zu verschaffen, so wird dies heutzutage stillschweigend vorausgesetzt und die Beurteilung der Qualität der medizinischen Versorgung vielfach an sekundären Parametern, wie Freundlichkeit, kurze Wartezeiten und Komfort, festgemacht. Dies sind heute Kriterien, die in einem kompetitiven Krankenhausmarkt erfolgsentscheidend sein können. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, ist es Aufgabe des Personalmanagements, die Mitarbeiter hin zu höheren Ansprüchen, nicht nur an andere, sondern auch an sich selbst, zu führen. Um den fundamentalen Änderungen und neuen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es neuer Konzepte und Ansätze im Personalmanagement. Diese sollten vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Veränderungen folgende Anforderungen erfüllen: ▬ Verbesserung der beruflichen Qualifikation der Mitarbeiter, ▬ Motivation und Aufgeschlossenheit gegenüber Veränderungen, ▬ Interdisziplinarität der Mitarbeiter und ▬ Identifikation mit dem Unternehmen. Ergänzend ist anzumerken, dass das Personalmanagement im Rahmen des OP-Managements
8
als unterstützende Aktivität betrachtet werden muss, d. h., die Maßnahmen des Personalmanagements müssen sich an den übergeordneten medizinischen und betriebswirtschaftlichen Zielen des OP-Managements orientieren. Um die Zusammenhänge zu verdeutlichen, werden in den nachfolgenden Abschnitten zunächst allgemeine Grundlagen betrachtet, bevor ausgewählte Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements erläutert werden. Darüber hinaus wird dem Leser ein praxisorientierter Vorschlag zur direkten Umsetzung der vorgestellten Instrumente an die Hand gegeben.
8.2
Allgemeine Gestaltungsebenen des Personalmanagements
Innerhalb des folgenden Kapitels sollen die wesentlichen allgemeinen Grundlagen des Personalmanagements auf die Bedingungen im Gesundheitswesen übertragen werden. Dies soll ein grundsätzliches Verständnis für Personalmanagement schaffen und dem OP-Manager die Einordnung und die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten zur Gestaltung zu erleichtern.
8.2.1 Normatives
Personalmanagement Unter normativem Personalmanagement wird die Festlegung der grundsätzlichen Prinzipien und Ziele verstanden, nach denen ein Krankenhausbetrieb seine Personalstrategien und -funktionen ausrichtet. ! Das normative Personalmanagement geht letztlich auf Werteentscheidungen zurück, die sowohl gesamtgesellschaftlich als auch durch das jeweilige Unternehmen und seine Kultur geprägt sind.
So wird es in unterschiedlichen Krankenhausunternehmen, in Abhängigkeit von der Trägerschaft (öffentliche vs. kirchliche vs. private
112
Kapitel 8 · Personalmanagement
Trägerschaft) und den führenden Personen durchaus unterschiedliche Prinzipien zum Personalmanagement geben. Die Beeinflussung des normativen Personalmanagements durch den einzelnen Mitarbeiter, also auch den OP-Manager, ist nur in geringem Umfang möglich; deshalb liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels auf strategischem und operativem Personalmanagement. Es ist jedoch sicherlich hilfreich, sich über die Grundsätze des normativen Personalmanagements in seinem Unternehmen klar zu werden. Eine schöne Übersicht zu diesem Thema findet sich bei Klimecki u. Gmür (2005).
8.2.2 Strategisches
8
Personalmanagement Strategisches Personalmanagement umfasst alle personalbezogenen Maßnahmen, die die nachfolgenden Kriterien erfüllen: ▬ Langfristigkeit: Die Maßnahme orientiert sich an einem langfristigen Ziel und stellt nicht nur eine kurzfristige Problemlösung dar. ▬ Ganzheitlichkeit: Es handelt sich nicht um einen isolierten Eingriff, sondern alle wesentlichen Voraussetzungen für die Erreichung eines gesetzten Ziels werden berücksichtigt. ▬ Selektivität: Es handelt sich bei der Maßnahme um eine Wahl unter verschiedenen Alternativen. Zu den Bereichen des strategischen Personalmanagements zählen: ▬ Personalstrategie, ▬ Personal-Portfolio, ▬ Personalbedarfsplanung, ▬ Personalentwicklung und ▬ Personal-Controlling.
8.2.3 Operatives Personalmanagement Operatives Personalmanagement beinhaltet alle personalbezogenen Maßnahmen, die auf die
Lösung eines unmittelbaren Einzelproblems zu Lasten der Ganzheitlichkeit orientiert sind. Hierzu zählen im Besonderen: ▬ direkte Veränderungsmaßnahmen, ▬ Mitarbeiterkommunikation und ▬ Bildungsmaßnahmen.
8.3
Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements
8.3.1 Personalstrategie Grundsätzlich fördert die Einführung der DRGs den Wettbewerb unter den Krankenhäusern. Betrachtet man nun die unterschiedlichen Wettbewerbsstrategien, die Unternehmen und somit auch Krankenhäusern zur Verfügung stehen, so lassen sich nach Schuler u. Jackson (1987) folgende 3 Ausrichtungen definieren: ▬ Innovationsführer: Diese Strategie zielt darauf ab, ständig die neuesten Verfahren und Innovation zu entwickeln und anzubieten. ▬ Qualitätsführer: Diese Strategie stellt die Erbringung maximaler Qualität im Rahmen etablierter Verfahren und Behandlungen in den Vordergrund. ▬ Kostenführer: Diese Strategie zielt darauf ab, Leistungen bei gleicher Qualität zu günstigeren Preisen anzubieten. Diese Klassifikation stellt Idealformen vor, die für kein Krankenhaus in dieser idealtypischen Form zutreffen. ! Grundsätzlich ist es so, dass sich Krankenhäuser in ihrem Versorgungsauftrag an der Qualitätsstrategie orientieren sollten.
Je nach Marktpositionierung sind jedoch Entwicklungen in Richtung Innovationsführerschaft bzw. Kostenführerschaft notwendig und auch bereits bei vielen Häusern erkennbar. Wie unmittelbar sich unterschiedliche Wettbewerbsstrategien auf personalpolitische Schwerpunkte
8
113 8.3 · Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements
⊡ Tab. 8.1. Auswirkungen der Wettbewerbstrategie auf die Personalstrategie Innovationsführer
Qualitätsführer
Kostenführer
Personaleinsatz
Teamorganisation Geringe Formalisierung Großer Handlungsspielraum
Anforderung nach Stellenbeschreibung Mitbestimmung am Arbeitsplatz
Geringer Handlungsspielraum Enge Karrierewege
Personalentwicklung
Große Bedeutung Breite Qualifikation
Große Bedeutung Weniger breite Qualifikation
Geringe Bedeutung Auf Spezialisierung und Effizienz ausgerichtet
Entgeltgestaltung
Niedrige Fixgehälter Leistungsgerechtigkeit Gruppenleistung
Geringe Variation der Gehälter Hohe Sicherheit
An kurzfristigen individuellen Ergebnissen orientiert Marktgerechtigkeit
Personalbindung
Langfristig orientiert
Mittelfristig orientiert
Geringe Bedeutung
auswirken, zeigt ⊡ Tab. 8.1 sehr anschaulich. Vor diesem Hintergrund sollte sich auch jeder OPManager mit Personalverantwortung die übergeordnete Personalstrategie des Unternehmens verdeutlichen, um dann das eigene Personalmanagement entsprechend zu gestalten.
Hoch
Wachstum
Niedergang
Einstieg
Leistung
8.3.2 Personal-Portfolio Die Aufgabe des OP-Managers mit Personalverantwortung besteht u. a. auch darin, eine Übersicht über die Personalstruktur seiner Mitarbeiter in OP-Funktionsdienst und/oder Anästhesie zu gewinnen. Denn nur auf der Basis einer solchen Personalstruktur sind eine Personalbedarfsplanung und die Personalentwicklung vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Personalstrategie überhaupt möglich. Hilfreich bei der Erstellung der Personalstruktur der eigenen Abteilung ist die Portfolio-Matrix nach Odiorne (1984; ⊡ Abb. 8.1). Nach Odiorne (1984) lassen sich Mitarbeiter in einer Portfolio-Matrix aus Potenzial und Leistung einordnen; hierbei werden 4 Kategorien gebildet. Diese Kategorien orientieren sich am Lebenszyklusmodell (⊡ Abb. 8.1):
Reife
Niedrig Niedrig
Potenzial
Hoch
⊡ Abb. 8.1. Personal-Portfolio-Matrix. (Nach Ordione 1984)
▬ Einstieg: Mitarbeiter mit hohem zugesprochenen Potenzial, das sich aber noch nicht in entsprechender Leistung niederschlägt. Hier finden sich neue Mitarbeiter, Auszubildende und Mitarbeiter in persönlichen Krisensituationen wieder. Aufgabe des Personalmanagements ist es, diese Mitarbeiter zu beraten und zu unterstützen, um das vorhandene Leistungspotenzial zu aktivieren. ▬ Wachstum: Hier sind die zukünftigen Leistungsträger zuzuordnen. Dies sind Mitarbei-
114
8
Kapitel 8 · Personalmanagement
ter, die auch in schwierigen und sehr belastenden Situationen die Übersicht bewahren. Die Aufgabe des Personalmanagements besteht darin, diesen Mitarbeitern die nötigen Freiräume zu verschaffen. ▬ Reife: Hier sind die aktuellen Leistungsträger des Unternehmens einzuordnen, deren zukünftiges Potenzial jedoch eher gering ist. Hier liegt die Aufgabe des Personalmanagements in der Aufrechterhaltung der Motivation dieser Mitarbeiter. ▬ Niedergang: Hier sind Mitarbeiter zuzuordnen, deren Potenzial gering ist und deren Leistung zurückgegangen ist. Neben Fehlbesetzungen finden sich häufig Mitarbeiter in der letzten Phase des Lebenszyklus, die keinen Anlass zur Leistungsmotivation mehr besitzen. Die Hauptaufgabe besteht darin, das enorme Wissen, das diese Mitarbeiter im Laufe vieler Arbeitsjahre erworben haben, durch entsprechende Maßnahmen der Organisation zugänglich zu machen und einen Verlust zu vermeiden. In Abhängigkeit von der grundsätzlichen Personalstrategie eines Unternehmens ist es Ziel, anhand des beschriebenen Portfolios eine Übergewichtung von Mitarbeitern in einer der 4 Gruppen zu vermeiden. Praxistipp Innerhalb des Mitarbeiterstamms sollte ein strategisches Gleichgewicht aus Potenzial und Leistung angestrebt werden.
Hierbei sollten Mitarbeiter in der letzen Phase des Lebenszyklus so weit wie möglich reaktiviert werden, und die Gewichtung der übrigen Gruppen sollte an die strategischen Unternehmensziele angepasst werden.
Praktisches Beispiel Ist das Geschäftsfeld einer Klinik die Leistungserbringung in einem kompetitiven Umfeld mit hoch spezialisiertem fachlichen Spektrum, so
ist das Feld Wachstum überzugewichten. Ist das Geschäftsfeld einer Klinik jedoch eher die allgemeine Regelversorgung in einem wenig kompetitiven Markt (Regelversorgung in einem räumlich abgegrenzten Gebiet ohne weitere Konkurrenz), so kann den Feldern Einstieg und Reife bei der Personalplanung mehr Raum gegeben werden.
8.3.3 Personalbedarfsplanung Grundsätzlich gilt es, folgende Überlegungen bei der Personalbedarfsplanung anzustellen: ▬ Quantitative Personalplanung: Wie viele Mitarbeiter werden benötigt? ▬ Qualitative Personalplanung: Welche Ausbildung und Fähigkeiten müssen diese Mitarbeiter besitzen? ▬ Zeitliche Personalplanung: Wann werden neue Mitarbeiter benötigt? Bevor diese Fragen beantwortet werden können, müssen einige grundsätzliche Rahmenbedingungen geklärt sein, ohne die eine valide Personalbedarfsplanung nicht möglich ist. Hierzu zählen die folgenden Fragen: ▬ Wie sieht der erwartete Leistungsplan der OP-Einheit aus? Wie viele Operationen, in welchen Fachgebieten, mit welchen DRGs sind zu erbringen? ▬ Im Rahmen welcher Betriebsorganisation sollen diese Leistungen erbracht werden? Anzahl der Arbeitsplätze, Struktur der Arbeitsplätze (Zentral-OP vs. dezentrale Arbeitsplätze), und in welcher Dienstorganisation (wie viele OP-Säle im Frühdienst, gibt es Spätdienste, lange Säle etc.)? Nach Klärung der Rahmenbedingungen kann ein grundsätzlicher Personalbedarfsplan erstellt werden, der ausweist, wie viele Mitarbeiter, mit welcher Qualifikation zum Betrieb eines vorgegebenen OP und zur geforderten Leistungserbringung notwendig sind. Dies ist möglichst
115 8.3 · Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements
in schriftlicher Form zu fixieren. Jeder Personalverantwortliche wird in aller Regel auf einen bereits vorhandenen Personalstamm zurückgreifen können. Praxistipp Anhand eines Soll-Ist-Vergleiches des geforderten und des vorhandenen Personalstamms werden Stärken und Schwächen des bereits vorhandenen Mitarbeiterteams herausgearbeitet, und daraus wird ein Personalbedarfsplan abgeleitet.
Wesentliche Aussagen aus einem derartigen Soll-Ist-Vergleich sollten sein: ▬ Besteht akuter Handlungsbedarf? ▬ Wenn Schwächen zu Personalveränderungen führen, welche Ziele sollen dann mit der Personalneurekrutierung erreicht werden? ▬ Bestehen Schwächen sowie, daraus abgeleitet, Handlungsbedarf und sofortige Veränderungen im Personalstamm sind nicht möglich oder erwünscht, mit welchen Mitteln der Personalentwicklung lassen sich die Mitarbeiter dann aktivieren, um die Schwächen zu beseitigen? ▬ Bestehen Stärken, so bleibt zu überlegen, mit welchen Anreizen die Motivation und die Aufrechterhaltung der Stärken gefördert werden können.
8.3.4 Personalentwicklung Wenn nach der oben aufgeführten Personalbedarfsplanung Klarheit über das weitere Entwicklungskonzept der Mitarbeiter besteht, dann stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten zur Personalentwicklung. Es ist eines der meist geäußerten Missverständnisse von Führungspersonen in Krankenhausunternehmen, dass Personalentwicklung aufgrund der mangelnden finanziellen Ressourcen zur Anreizgestaltung nicht möglich sei. Zwar stimmt es, dass die finanziellen Ressourcen in aller Regel nur we-
8
nig Spielraum für materielle Zusatzleistungen lassen, jedoch gibt es eine ganze Reihe von nichtmateriellen Maßnahmen zur Personalaktivierung und -entwicklung. ! Nach der Motivationstheorie von Maslow (1977) liegt ein Vorteil der nichtmateriellen Maßnahmen, die die individuellen Handlungsspielräume am Arbeitsplatz erweitern, in einer wesentlich längerfristigen Anreizwirkung.
Im Folgenden sollen einige wesentliche und aus Sicht des Autors ohne allzu großen Aufwand rasch in die betriebliche Praxis einführbare Maßnahmen besprochen werden. Hierzu zählen: ▬ Mitarbeitergespräch, ▬ Zielvereinbarungen, ▬ strukturierte Fort- und Weiterbildung, ▬ Flexibilität des Personaleinsatz und ▬ Projektarbeit.
Mitarbeitergespräch Häufige Ursache von unzufriedenen und damit solchen Mitarbeitern, deren Leistungspotenzial nicht zur Entfaltung kommt, sind unausgesprochene Annahmen und Missverständnisse darüber, was von ihnen erwartet wird. Deshalb ist es ein zentrales Ziel, durch regelmäßige Gespräche einen Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter herzustellen und das Ergebnis dieses Gespräches in einem schriftlichen Protokoll festzuhalten.
Zeitliche Überlegungen Minimal sollten zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses oder zu Beginn einer Rotation ein Einführungsgespräch und mit Abschluss einer Rotation oder Ausbildung ein Abschlussgespräch stattfinden. Da bei einem konsequenten Einsatz von Mitarbeitergesprächen als Mittel zur Personalentwicklung ein erheblicher Zeitaufwand entsteht, sollten Zwischengespräche bei längerfristig beschäftigten Mitarbeitern in jährlichen Abständen geführt werden.
116
Kapitel 8 · Personalmanagement
Inhaltliche Überlegungen Wesentliche Inhalte eines Mitarbeitergespräches sollten die Fertigkeiten und Interessenschwerpunkte sowie die Erwartungen des Mitarbeiters an den Arbeitsplatz betreffen. Im Umkehrschluss sollte der Mitarbeiter aber auch erfahren, welche Erwartungen an ihn gestellt werden, und welche Möglichkeiten der Entwicklung vorhanden sind. Praxistipp Im Rahmen von Zwischen- und Abschlussgesprächen werden Bewertungen der bisherigen Entwicklung und Zielerreichung vorgenommen und weitere Entwicklungsschritte geplant.
8
Zielvereinbarungen Ganz wesentlicher Bestandteil von Mitarbeitergesprächen sind Zielvereinbarungen. Unter Berücksichtigung des vorhandenen Potenzials eines Mitarbeiters und des geplanten Zeitraums sollten realistische (d. h. erreichbare!) Zielvereinbarungen getroffen werden. Diese können, je nach Mitarbeiter, sehr anspruchsvoll, aber auch eher bescheiden sein. Wichtig ist es jedoch, dass es sie gibt. Praxistipp Nur mit einem konkreten Ziel vor Augen lässt sich das Potenzial des Mitarbeiters aktivieren.
Praktisches Beispiel Im Team von 8 OP-Funktionsdienstkräften sind 7 sehr flexibel in unterschiedlichen Fachbereichen einsetzbar. Die 8. Person arbeitet sehr gut, war jedoch aus historisch-tradierten Gründen über Jahre hinweg ausschließlich in einem bestimmten Fachbereich eingesetzt und hat eine enorme Hemmschwelle in anderen als dem gewohnten Fachbereich zu arbeiten. Dies bereitet insbesondere bei Krankheit oder der Besetzung von Spätdiensten immer wieder Probleme hinsichtlich der Flexibilität und Einsetzbarkeit. Hier wäre eine realistische Zielvorgabe, nach fundier-
ter Einweisung und unter Anleitung eine Rotation in andere Fachbereiche zu beginnen und nach einer definierten Zeit (die nur individuell in Abhängigkeit von der jeweiligen Person festgelegt werden kann) die Flexibilität der übrigen Mitarbeiter zu erreichen.
Strukturierte Fort- und Weiterbildungen Um dem in der Einleitung bereits erwähnten schnellen Wissenszuwachs in der Medizin gerecht zu werden, ist es unabdingbar, dass Mitarbeiter eine strukturierte Weiterbildung erhalten (Schleppers et al. 2003). Hierin sollte eine genaue Festlegung hinsichtlich durchzuführender Tätigkeiten erfolgen, und die Personalsteuerung sollte diese Aspekte im täglichen Betrieb berücksichtigen. Vorbildlich in dieser Hinsicht ist die vom Berufsverband der deutschen Anästhesisten (BDA) fixierte strukturierte Weiterbildung, die mit Modifikationen sicherlich auch auf die andere Berufsgruppen anwendbar ist. Darüber hinaus sollte durch regelmäßige interne Fortbildungen aktuelles Wissen weitergegeben werden und durch externe Fortbildungen Wissen erworben werden. Hierzu ist allerdings auch festzuhalten, dass die in vielen Abteilungen geübte Praxis des Entsendens zu externen Symposien ohne Rückmeldung an die eigene Abteilung nicht genügt. ! Es muss dafür gesorgt werden, dass das Wissen, das einzelne Abteilungsmitglieder erwerben, durch gezielte Rückmeldung auch den übrigen Mitarbeitern zugänglich gemacht wird.
Ein klassisches Mittel hierzu ist der persönliche Bericht.
Flexibilität des Personaleinsatz Die Attraktivität des ausgeübten Berufes und somit die Motivation ihn auszuüben, kann durch 2 Veränderungen im Personaleinsatz maßgeblich erhöht werden: die Möglichkeit zur Job-
117 8.3 · Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements
Rotation und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Die Job-Rotation soll den Einsatz in unterschiedlichen Fachbereichen in bestimmten Zeitabständen ermöglichen, sodass die inhaltliche Abwechslung der ausgeführten Tätigkeit erheblich zunimmt. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten beinhaltet je nach Dienstmodell die Einführung von gleitender Arbeitszeit und Arbeitszeitkonten. Praxistipp Die Möglichkeit zur Job-Rotation und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten erhöhen die Selbstbestimmung und Flexibilität (Vereinbarkeit von Beruf und Familie) der Mitarbeiter wesentlich.
8
! Der wesentliche Vorteil der Projektarbeit liegt in der hohen Motivation der Mitarbeiter in der Umsetzung der eigenen Idee und wesentlich geringeren emotionalen Widerständen gegenüber Veränderungsprozessen.
Der Einsatz der einzelnen Mittel zur Personalentwicklung sollte immer wieder kritisch hinterfragt werden. Es ist zu bedenken, dass nicht das Mittel eingesetzt werden sollte, das einem selbst am meisten zusagt, sondern nach gründlicher Überlegung dasjenige, von dem man überzeugt ist, dass es zur Persönlichkeit des jeweiligen Mitarbeiters passt. Nur dieses Vorgehen ist ergebnisorientiert. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, dass in der gleichen Situation unterschiedliche Mittel zum Erfolg führen können.
Projektarbeit Ein in weiten Bereichen der Krankenhausunternehmen noch unbekanntes Mittel zur Personalentwicklung ist die Projektarbeit. Sie ist ein sehr wertvolles Hilfsmittel, insbesondere im Rahmen des Veränderungsmanagements. Stehen Veränderungen bei der Arbeitsplatzorganisation oder der Ablauforganisation an, so wird noch vielfach eine Lösung auf Führungsebene erarbeitet, die dann per Dienstanweisung in Kraft gesetzt wird. Diese drängt den Mitarbeiter in eine passive Rolle, die die Bereitschaft zur Umsetzung in aller Regel eher schwächt. In vielen Fällen ist diese Vorgehensweise jedoch gar nicht notwendig. Durch Information der Mitarbeiter ist zunächst um Verständnis über Probleme und anstehende Veränderungen zu werben. Im Anschluss erfolgt die Bildung einer Projektgruppe, in der Maßnahmen zur Lösung des Problems gesucht und diskutiert werden. Diese Projektarbeit wird von den Mitarbeitern geleistet, muss jedoch von der Führungsperson begleitet und moderiert werden. Am Ende der Diskussion wird dann ein Lösungsvorschlag erarbeitet und gemeinsam mit der Führungsperson besprochen. Im gegenseitigen Einvernehmen wird diese Lösung dann praktisch umgesetzt (Schleppers u. Bender 2003).
8.3.5 Personal-Controlling Wesentliche Teile des betriebswirtschaftlich beschriebenen Personal-Controllings liegen in den Krankenhausbetrieben im Bereich der Verwaltungen, sodass sich in der Praxis für einen OP-Manager mit Personalverantwortung das Personalkosten-Controlling als wesentliche verbleibende Aufgabe stellt (⊡ Abb. 8.2). Hierzu zählen Kenntnisse über den aus der Personalbedarfsplanung abgeleiteten Personalkostensatz (Budget) und dessen fortlaufende (mindestens monatliche) Überwachung.
Personalkosten Budget
Personalkosten Kennzahlen
Personalkosten Flexibilisierung
⊡ Abb. 8.2. Elemente des Personalkosten-Controllings des OP-Managers
118
Kapitel 8 · Personalmanagement
Zusätzlich gehören hierzu die Berechnung von Personalkostenkennzahlen (OP-Minutenkosten etc.) und darüber hinaus die Analyse von Möglichkeiten zur beschäftigungsabhängigen Personalkostenflexibilisierung (z. B. den Einsatz von hoch qualifiziertem OP-Funktionspersonal nur noch am Patienten und die Vergabe von Lagerhaltung sowie Reinigungsdienst an weniger qualifizierte Mitarbeiter). Fazit
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I
I
Aufgrund der Veränderungen im Gesundheitswesen in den vergangenen 10 Jahren und der damit einhergehenden Leistungsverdichtung resultieren noch immer große Unsicherheiten in weiten Bereichen der deutschen Krankenhausunternehmen. Dies betrifft auch und insbesondere die OP-Einheiten und das unmittelbare Tätigkeitsfeld des OP-Managers. Aufgrund des unverändert hohen Veränderungsdrucks ist es dringend notwendig, Elemente des modernen ▼
Personalmanagements in die betriebliche Praxis einzuführen, um von der reinen Betreuungs- und Verwaltungsfunktion hin zu einem aktiven Personalmanagement zu gelangen. Ziele sind die Aktivierung der Leistungspotenziale aller Mitarbeiter und die Vermittlung, dass Veränderung, sofern man ihr aktiv begegnet, nicht notwendigerweise angstvoll und skeptisch wahrgenommen werden muss. Es muss kritisch festgehalten werden, dass Personalmanagement keine absolute Wissenschaft ist, und auch in Unternehmen mit jahrzehntelanger Erfahrung subjektive Faktoren strategische Entscheidungen beeinflussen. Die Vorstellung ausgewählter Instrumente des strategischen und operativen Personalmanagements in Abschn. 8.3 soll dem OP-Manager einen praxisorientierten Leitfaden zum Einstieg in das aktive Personalmanagement geben. Dies wird in ⊡ Abb. 8.3 noch einmal schematisch anhand eines Ablaufdiagramms verdeutlicht.
Allgemeine Personalstrategie Personalstruktur durch Einordnung der Mitarbeiter in die Personal-Portfolio-Matrix Personalbedarfsplanung und SOLL-IST-Vergleich Personalaktivierung Mitarbeitergespräche
Strukturierte Fort- und Weiterbildung
Flexibilisierung des Personaleinsatzes Personal-Controlling
⊡ Abb. 8.3. Praxis-orientierter Leitfaden zu aktivem Personalmanagement
Zielvereinbarungen
Projektarbeit
119 Literatur
Literatur Klimecki RG, Gmür M (2005) Personalmanagement, 3. Aufl. Lucius & Lucius, Stuttgart Maslow AH (1977) Motivation and personality, 1. edn. Walter, Olten Odiorne GS (1984) Strategic management of human resources. Jossey-Bass, San Francisco Offermanns M (2003) Krankenhaus Barometer. Umfrage 2003. Deutsches Krankenhausinstitut e.V. Hansaallee 201, 40549 Düsseldorf Schleppers A, Bender HJ (2003) Zukunftsorientiertes Personalmanagement in DRG-Zeiten. Anaesthesiol Intensivmed 44: 131–138 Schleppers A, Krieter H, Ackern K van (2003) Einführung eines strukturierten Weiterentwicklungs- und Förderkonzeptes als Instrument der Personalentwicklung für ärztliche Mitarbeiter. Anaesthesiol Intensivmedizin 44: 380–386 Schuler RS, Jackson SE (1987) Linking competitive strategies with human resources management practices. Acad Manage Execut 1:207–219
8
9
Konfliktmanagement G. Schüpfer, M. Bauer
9.1
Teamtheorie – 122
9.1.1 9.1.2 9.1.3
Definition und Merkmale eines erfolgreichen Teams Teamverhalten – 123 Teamentwicklung – 125
9.2
Konflikt und Konflikt-management – 126
9.2.1 9.2.2
Merkmale eines Konflikts – 127 Konfliktlösungsmöglichkeiten – 128
9.3
OP-Team und Entscheidungsqualität – 129
9.3.1 9.3.2
Chancen für die Entscheidungsqualität – 129 Risiken für die Entscheidungs-qualität eines OP-Teams
9.4
Schlussfolgerungen – 135 Literatur – 136
– 122
– 129
9
122
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
9.1
Teamtheorie
Im OP-Saal arbeiten komplex zusammengesetzte Teams miteinander. Es lohnt sich daher, einige Aspekte der Teamtheorie zu erörtern, v. a. auch im Hinblick darauf, dass moderne Medizin mehr und mehr nicht als Einzelleistung, sondern von Teams erbracht wird. Teamversagen hat fatale Folgen für den betroffenen Patienten. Einschränkend ist zu bemerken, dass gerade für den OP eine spezifisch griffige Teamdefinition im eigentlichen Sinn fehlt, obwohl vom OPTeam, vom Lagerungsteam, vom Anästhesieteam etc. die Rede ist. Wesentliche Eigenheiten von Teams werden im OP im täglichen Umgang vernachlässigt. Ein gesamtes OP-Team besteht aus stark spezialisierten, funktional heterogenen Mitgliedern, die sich spezifischen Aufgaben widmen. Die Teammitglieder sind in ihren individuellen Tätigkeiten aber im höchsten Maß voneinander abhängig. ! Mitarbeiteroriente Maßnahmen stellen sowohl aus Sicht der Leistungserbringer als auch aus der Sicht eines Krankenhausträgers notwendige Investitionen dar.
Allerdings ist teambasiertes Arbeiten im Krankenhaus nur rudimentär ausgebildet. Es fehlt an Kenntnissen und am Verständnis für die Komplexität und die Anfälligkeit einer Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen. Die Sensibilisierung für die Problematik einer Teambildung im OP ist für die Wettbewerbsfähigkeit eines Krankenhauses essenziell. Daher werden nachfolgend einige Grundzüge der Teamtheorie, des Teamverhaltens und des Konfliktmanagements diskutiert.
9.1.1 Definition und Merkmale
eines erfolgreichen Teams Ein Team ist eine aktive Gruppe von Menschen, die sich auf gemeinsame Ziele verpflichtet haben, harmonisch zusammenarbeiten, Freude an
der Arbeit haben und hervorragende Leistungen bringen. Nach dieser Definition besteht also ein Team aus Mitgliedern, die eine enge Beziehung miteinander eingehen, um ihre Ziele zu erreichen. Dies bedingt naturgemäß eine Begrenzung der Mitgliederzahl, und in der Praxis wird man auch selten ein Team finden, das mehr als 9 Mitglieder umfasst. Erfolgreiche Teams vollbringen also außerordentliche Leistungen auch unter schwierigen Bedingungen. Die Mitglieder fühlen sich für die Arbeit des Teams verantwortlich. In der folgenden Übersicht werden einige wichtige Kennzeichen eines Teams beschrieben. Dabei handelt es sich um die klassische Auffassung des Teambegriffs.
Wichtige Kennzeichen eines Teams Leistung. Der Prüfstein eines jeden Teams ist seine Leistungsfähigkeit. Ein Team ist imstande, Leistungen zu erzielen, die die Mitglieder für sich allein niemals fertig bringen würden. Ihre persönlichen »Stärken« vereinen sich im Team und kreieren ein Produkt oder eine Dienstleistung, das/die mehr als die Summe der Einzelbegabungen darstellt. Ziele. Jedes Team braucht ein Hauptziel, das seine Mitglieder kennen, mit dem sie einverstanden sind. Dieses Ziel eines Teams ist sein »Auftrag«. Daneben gibt es persönliche Ziele, die zu erreichen das Team und jedes Mitglied ein besonderes Interesse haben. Richtung und Stärke eines hochentwickelten Teams sind von der Bereitschaft der Teammitglieder, ihre persönlichen Ziele in den Dienst des Hauptziels zu stellen, abhängig. Dynamik. Zur Beschreibung dieses einzigartigen Energiepotenzials einer Gruppe wurde das Wort »Synergie« geprägt. Man kann es in der mathematisch zwar fragwürdigen, psychologisch aber richtigen Gleichung ausdrücken. Ein Team ist seiner Qualität und seiner Leistungsfähigkeit nach mehr als die Summe ▼
123 9.1 · Teamtheorie
seiner Mitglieder: 2+2=5. Ein erfolgreiches Team nutzt sein volles Synergiepotenzial. Struktur. Kontrolle, Führungsansprüche, Arbeitsstil, Organisation und Rollenverständnis sind in einem hochentwickelten Team geregelt. Ein funktionierendes Team arbeitet flexibel, methodisch und zielbewusst. Individuelle Fähigkeiten und Teilaufgaben werden ohne viele Worte sinnvoll koordiniert. Das Team hat es geschafft, flexibel, einfühlsam, methodisch und zielbewusst zu arbeiten. Klima. Jedes Team entwickelt seinen ihm eigenen besonderen Geist. Er bewirkt Offenheit zwischen den Mitgliedern sowie gegenseitige Freude und Ermunterung. Die Mitglieder identifizieren sich mit dem Team; Erfolg und Misserfolg übertragen sich auf die Stimmung. Ein Team verteidigt Teaminteressen mit ganzer Kraft. In einem Team herrscht ein Klima, in dem die Mitglieder Vertrauen zueinander fassen, auch persönliche Schwierigkeiten offen besprechen und bereit sind, Risiken einzugehen.
9.1.2 Teamverhalten Die intensiven Untersuchungen von Flugzeugunglücken und deren Begründung in menschlichem Versagen, sprich Versagen der Piloten, brachte eine kanadische Psychologin (Gisèle Richardson) zu folgendem Ergebnis: Pilotenfehler ist nicht die Ursache eines Unfalls. Die Ursache ist darin zu suchen, was die Beurteilung eines kritischen Momentes durch den Piloten störend beeinflusst hat. In anderen Worten: Pilotenfehler ist die Folge, nicht die Ursache! Die Hintergründe sind im Zusammenspiel des am Outcome beteiligten Teams zu suchen. Auch im medizinischen Bereich sind Teams durch eine spezifische Arbeitskultur definiert, die von den Wechselwirkungen des Einzelnen mit den Partnern und umgekehrt geprägt ist.
9
Verhalten des einzelnen Teammitglieds Was kann ich für das Team tun – was kann das Team für mich tun? Zum Verständnis dieser Wechselwirkungen müssen das eigene Verhalten und die Wechselwirkungen dieses Verhaltens in einem Team analysiert werden. ! Verhalten erzeugt Verhalten.
Das Verhalten des Teammitglieds und die dadurch erzeugte Reaktion der Gruppe sind von folgenden Faktoren geprägt: ▬ Kommunikation, ▬ Antreiber, ▬ menschliche Bedürfnisse, ▬ Grundeinstellung und ▬ Lebensphase. Kommunikation. Es kann verbal und nonverbal Einfluss auf das Gruppenverhalten genommen werden. Im Umgang mit dem Team heißt das, Nachrichten werden kodiert und müssen vom Empfänger dekodiert werden. Schulz von Thun (1981, 1989, 1998) unterteilt eine Nachricht in 4 Ebenen: die Sachebene, die Ebenen der Selbstoffenbarung, der Beziehung und des Appells. Abhängig vom Gegenüber kann eine der Ebenen überwiegen. Antreiber. Schon in der frühen Kindheit findet eine Ausprägung der sog. Antreiber (z. B. »sei perfekt«, »sei angepasst« etc.) statt, die speziell in Drucksituationen die Handlungsweise einer Person bestimmen. Einflussnahme ermöglicht das Erkennen dieser Antreiber; hierdurch wird der Ausweg zu »Erlaubern« ermöglicht (z. B. »Muss ich jetzt unbedingt perfekt sein«?) Menschliche Bedürfnisse. Die Frage nach den Beweggründen für bestimmte Verhaltensweisen ist natürlich auch in den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen begründet. Im Zentrum des Pyramidenmodells nach Maslow (⊡ Abb. 9.1) stehen die basalen physiologischen Bedürfnisse, die sich über die Bedürfnisse nach Sicherheit,
124
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
Wechselwirkungen in einem Team 5 4 3 2 1 1: Physiologische Bedürfnisse 4: Anerkennung 2: Sicherheit 5: Selbstverwirklichung 3: Liebe, Zuneigung ⊡ Abb. 9.1. Maslows Pyramide der menschlichen Bedürfnisse. (Maslow 1950; aus http://en.wikipedia.org/wiki/ Image:Maslowsneeds.png)
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Liebe, Zuneigung sowie v. a. Anerkennung und Selbstverwirklichung – und damit verbundenen Motivatoren und Demotivatoren – bis zu transzendentalen Bedürfnissen erstrecken. Grundeinstellung. Auch unsere Grundeinstellungen (z. B. »Ich bin okay – du bist okay« oder »Ich bin nicht okay – du bist okay« etc.) werden schon im Säuglingsalter initiiert und lassen uns unter Druck ebenfalls in diese zurückfallen. Sie haben somit definierte teamrelevante Auswirkungen. Nach Harris (1975) gibt es 4 Grundeinstellungen, die sich je nach Ausprägung als »You do it«, »Let’s do nothing«, »Let’s do it together«, bis zum »I do it« äußern können. Lebensphase. Einflüsse auf die Verhaltensweisen liegen schlussendlich auch in der Lebensphase begründet, in dem sich die an der Gruppe Beteiligten befinden. So gibt es hierbei sicher signifikante Unterschiede, ob sich ein Teammitglied in der rezeptiven Phase jüngerer Lebensjahre oder z. B. der sozialen Phase höheren Lebensalters befindet. All diese Einflüsse bewirken in der Gruppe eine bessere bzw. schlechtere Kommunikation, die sich in hierarchischen Strukturen, zwischenmenschlichen Spannungen oder sogar Missverständnissen niederschlagen können.
Zur Analyse der Wechselwirkungen in einem Team stehen die folgenden Hilfsmittel zur Verfügung: ▬ Selbsttest, ▬ Vergleich zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie ▬ Feedback. Selbsttest. Der Selbsttest in der sog. Transaktionsanalyse ermöglicht unser Verhalten und unsere Kommunikation besser zu verstehen. Grundlage dazu ist eine Strukturanalyse, die die eigenen Persönlichkeitszustände aufdeckt. Nach Berne (2001) lassen sich 3 sog. wertneutrale IchZustände definieren: Eltern-Ich (EL), Erwachsenen-Ich (ER) und Kind-Ich (K). Veränderungen des momentanen Ich-Zustands äußern sich in Worten, Gesten und auch im Benehmen. Kontakte mit anderen Menschen werden als Transaktion bezeichnet. Je nach kompatiblen Ich-Zuständen der Gesprächspartner kommt es dann zu einer klaren Kommunikation oder zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen. Vergleich zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung. Der Vergleich der Wahrnehmung durch sich selbst und durch andere Personen, also des Selbstbildes mit dem Fremdbild, kann durch das sog. Johari-Fenster (⊡ Abb. 9.2) analysiert werden. Hierin gibt es Bereiche, die nur dem Betrachter selber bekannt sind, aber auch solche, die dem Betrachter und Außenstehenden bekannt sind, bis zu Bereichen, die für beide unbekannt sind – den »blinden Fleck«. Das Ziel dieser Analyse liegt darin, sowohl diesen blinden Fleck zu reduzieren, als auch durch die Reduktion des nur dem Betrachter bekannten Bereiches z. B. hemmende Fassaden abzubauen. Feedback. Ein Feedback über die eigene Person durch die Mitglieder einer Gruppe und umgekehrt kann positives Verhalten verstärken oder/ und negatives Verhalten korrigieren. Bei dieser Analyseform sind das Aufstellen und das Be-
125 9.1 · Teamtheorie
Anderen bekannt
Selbst bekannt
Selbst unbekannt
Arena
Blinder Fleck
9
⊡ Tab. 9.1. Felder zur Teamentwicklung Felder
Möglichkeiten
Meetings
Regelmäßige Sitzungen (Standortbestimmung) Informelle Treffen
Anderen unbekannt
Workshop, Klausur
Fassade
Unbekannt
Gemeinsame Erlebnisse
»Team events« (Ausflüge) Abenteuer (»outdoor«) »Meetings« mit Familien, Partnern Stammtisch
⊡ Abb. 9.2. Johari-Fenster. (Luft u. Ingham 1955; aus http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/2/2c/Johari_ Window.PNG)
Ausbildung
Gemeinsame Planung Einzelmaßnahme Gesamtteam
achten genau definierter Regeln von zentraler Bedeutung. So muss z. B. klar sein, dass bei einem Feedback im Rahmen einer persönlichen Meinungsäußerung keine objektiven Parameter zugrunde liegen, oder dass für ein Feedback im Rahmen einer Beurteilung im Vorhinein festgeschriebene Regeln definiert werden müssen.
9.1.3 Teamentwicklung
Gemeinsame Problemlösungen
Konfliktbearbeitung
Identität
Erfolge feiern
Mitarbeitergespräche
Internes Marketing »Corporate design« Räume gestalten Analysen und Feedback
Selbsteinschätzung durch Team Fragebogen zur Teamentwicklung Teamdiagnose (periodisch)
Das Entwickeln eines Teams kann wohl nur bedingt vom OP-Management geprägt werden. Das Arbeiten an einer konstruktiven Kultur im OP ist aber dennoch eine wichtige Aufgabe. Einige Handlungsfelder hierzu werden in ⊡ Tab. 9.1 abgesteckt. Aufgrund der funktionalen Spezialisierung der Mitglieder des OP-Teams entsteht der Vorteil einer Teamentscheidung nicht primär durch die Addition der Einzelleistungen, sondern in der Koordination. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Kommunikation. Die Stolpersteine dafür wurden oben stehend dargelegt. Die Chancen einer Teambildung im OP können nur genutzt werden, wenn die einzelnen Teammitglieder in einer Entscheidungssituation ihre Meinungen vorurteilsfrei und ohne Rücksicht auf Funktion und Status der Person einbringen
Typenanalyse Prozessbeobachtung an Sitzungen Mitarbeiterbefragungen Interne Teamstruktur
Aufgaben regelmäßig und gemeinsam überprüfen Gemeinsame Jahresplanung Rollen wechseln
können. Zudem muss diese Information von den anderen Teammitgliedern unabhängig vom Absender angenommen werden. Die Beurteilung erfolgt nur anhand des Inhalts der Information. Ein derartiges Teamspiel wird daher in der Fliegerei angestrebt und für die Medizin postuliert.
126
9
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
Es ist ein wesentliches Sicherheitsinstrument. Soziale Strukturen in Gruppen haben nicht nur negative Auswirkungen, sie geben auch Verhaltenssicherheit, sind aber explizit festzulegen. Allerdings besitzen nicht alle Teammitglieder als Träger und Präger von Teamentscheidungen die nötigen fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen. Teamentwicklung ist immer ein Veränderungs- und Wachstumsprozess: Zur Bewältigung einer gemeinsamen Aufgabe zusammengefügte Individuen erfahren eine Veränderung in ihrem Selbstverständnis und in ihrem überindividuellen Leistungsverhalten. Im Verlauf der Teamentwicklung entsteht ein leistungsstarkes Team. Der Teamentwicklungsprozess muss gezielt gesteuert werden. Wichtig ist dabei, dass der Vorgesetzte sich von der Sachaufgabe wegbewegt und eine überfachliche Moderatorenrolle einnimmt. Für den Vorgesetzten steht also die Teamentwicklung und nicht der Arbeitsinhalt im Vordergrund. ! Idealtypisch werden folgende Phasen der Teamentwicklung beschrieben: »forming« → »storming« → »norming« → »performing«.
Dieser Verlauf wird natürlich nicht von allen Teams durchlaufen. Allerdings fallen auch leistungsfähige Teams immer wieder in die der Performing-Phase vorangehenden Entwicklungs- und Wachstumsphasen zurück. Um aber wirklich eine über die Individuen hinausgehende Leistung zu erreichen, sind Teams zur Reifephase (Performing) zu führen. In der Phase der Gruppenbildung (Forming) ist daher dafür zu sorgen, dass jeder seinen Platz findet. Dabei brauchen Teams Führung und Verantwortlichkeit. Kontakt und Kommunikation sollen auf die Aufgabe einschwören. Durch Struktur und Lenkung ist die Phase der initialen Unsicherheit zu überwinden. Dabei hat der »team leader« sowohl die Sachwie auch die Lenkungsaufgabe gleichwertig zu behandeln. In der Storming-Phase ist die Krise zu erwarten und auch zuzulassen. Blockaden können durch Metakommunikation überwunden werden. Bei schwer wiegenden Beziehungs-
störungen kann ein Konfliktregelungsgespräch (mit eigenen Mitteln) oder eine externe Klärung (Berater) initiiert werden. In der Norming-Phase sind die Spielregeln zu definieren. Die Teamführung muss um realistische Ziele, klare Aufträge, Aufgaben und Arbeitsstrukturen besorgt sein und dies auch überprüfen. Die Knackpunkte der bisherigen Zusammenarbeit dürfen auf den Tisch gebracht werden. Der Teamleader leitet und moderiert die Problemlösungen, die verabredet werden. Als »coach« bietet er Lösungsmöglichkeiten an und handelt mit den Teammitgliedern eine Lösung aus, mit der nach Möglichkeit alle leben können. Ist dies nicht möglich und sind die Ansichten unvereinbar, so trifft er eine Entscheidung. Problembereiche, wie Schnittstellen, Überlastungen und Vertretungen, müssen verbindlich geregelt werden. In dieser Phase sind auch Kommunikationsregeln hilfreich, die sich bis anhin im Team als förderlich zur Teamentwicklung bewährt haben. Wichtig ist das direkte und nicht das indirekte Ansprechen von Teammitgliedern. ! Es gilt, nicht über andere, sondern miteinander zu reden.
Erarbeitete Spielregeln/Normen sind als »Leitplanken« und nicht als sakrosankte Gesetze zu sehen. Normen, die nicht eingehalten werden, sind zu hinterfragen! In der Phase der Leistung und Wirksamkeit (Performing) bestehen vorrangige Führungsaufgaben für den Teamleader in der Aufgabenerledigung und der Teammoderation. Durch regelmäßige Teamstandortbestimmungen können Rückschritte in die StormingPhase verhindert werden.
9.2
Konflikt und Konfliktmanagement
Bei einem Konflikt sind die verschiedenen Pläne der beteiligten und involvierten Personen unvereinbar. Konflikte sind also Spannungssituationen, in denen 2 oder mehrere Parteien versuchen, scheinbar oder tatsächlich unvereinbare
127 9.2 · Konflikt und Konfliktmanagement
⊡ Tab. 9.2. Konfliktformen Beziehung
Form
Kausalbeziehung
Strukturelle Konflikte aufgrund unterschiedlicher Abteilungsziele und -interessen Bewertungskonflikte aufgrund unterschiedlicher Werthaltungen und Informationsverarbeitung Verteilungskonflikte auf knappe oder knapp gehaltene Ressourcen
Zeitliche Beziehung
Latent Offen
Handlungspläne durchzusetzen. Dabei sind sie sich ihrer Gegnerschaft bewusst. Konfliktformen sind in ⊡ Tab. 9.2 aufgeführt.
9.2.1 Merkmale eines Konflikts Konflikte haben einen Einfluss auf die Kommunikation, die Wahrnehmung, die Einstellung und den Aufgabenbezug der beteiligten Personen. An die Stellen der offenen Diskussion und Argumentation treten Drohung und Druck. Geheimniskrämerei und Unaufrichtigkeit nehmen zu, Informationen werden zurückgehalten oder nur irreführend weiter gegeben. Das eigene Verhalten wird häufig unkritisch gesehen und persönliche Gesten als Feindseligkeiten interpretiert. Gegenseitiges Vertrauen wird durch Misstrauen ersetzt, entsprechend nehmen verdeckte und offene Feindseligkeiten zu. Da eine Zusammenarbeit nicht mehr als notwendig erachtet wird, versucht sich jeder allein durchzuschlagen. Aufgaben werden nicht mehr als gemeinsame Anforderungen gesehen. Es entstehen negative Gefühle und feindseliges Verhalten unter den Beteiligten. Konfliktursachen. Knappe Ressourcen, organisatorische Bedingungen, individuelle Einstellungen und Wertmaßstäbe führen zu strukturellen
9
Konflikten, Verteilungskonflikten oder Bewertungskonflikten. Konflikte per se können positive oder negative Folgen haben. Positiv können Konflikte sich auswirken, weil gegensätzliche Auffassungen die Kreativität fördern und Interesse für Problemlösungen wecken. Konfliktlösungen haben häufig einen Abbau von Spannungen zur Folge. Im Weiteren schärft die Konfliktbearbeitung die Selbstwahrnehmung und führt zu einem Überdenken der Situation sowie der möglichen Entwicklungstendenzen. Konflikte können aber auch negative Folgen haben: Störungen im Organisationsablauf, Ressourcenvergeudung etc. Wichtige negative Folgen von Konflikten sind auf der individuellen Verhaltensebene zu finden: ▬ Rückzugstendenzen, Abkapselung, Übersehen der eigenen Schwächen und Fehler, ▬ fehlendes Einfühlungsvermögen, ▬ Selektion, Filterung und Verzerrung der Kommunikation, ▬ gedankliche Kurzsichtigkeit, ▬ Polarisation, ▬ Abstempeln des Gegners und ▬ »burn out«. Konfliktfolgen. Naturgemäß stehen die negativen Folgen eines Konflikts im Vordergrund, denn die positiven Auswirkungen kommen nur bei einer Konfliktlösung nachhaltig zum Tragen. Ein Konflikt schafft Sündenböcke und führt über ein erstarrtes Denken zu Vorurteilen. Die Kommunikation wird verfälscht und eingeschränkt. Letztlich werden die Einzelnen mit Stress und Spannung belastet. Ein Konflikt stellt auch infrage und fördert daher Entwicklung und Fortschritt. Aufgestaute Agressionen können sich entladen und Sachverhalte geklärt werden. Dadurch kann auch das Selbstbewusstsein einer Gruppe oder eines Indivuduums gestärkt und der Gruppenzusammenhalt gefördert werden. Konflikteskalation. Zu Beginn steht ein Sachkonflikt; am Ende geht es nur darum, wer gewinnt. Der Sachkonflikt wird zum Beziehungskonflikt. Die Konflikteskalation verläuft recht ty-
9
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
pisch. Zunächst verhärten sich die Standpunkte. Es wird polarisiert und vereinfacht. Standpunkte, die zu Beginn gar nicht klar waren, werden vehement vertreten. In der Folge werten sich die Konfliktparteien sachlich sowie persönlich ab, und dann weitet sich der Konflikt sachlich und persönlich aus. Es werden »Nebenkriegsschauplätze« eröffnet und Verbündete gesucht. In der nächsten Phase wird die Kommunikation qualitativ und quantitativ eingeschränkt. Zu guter Letzt geht es nur noch ums Gewinnen. Da nur noch Recht behalten zählt (koste es, was es wolle), steigt auch die Bereitschaft, der anderen Konfliktpartei bewusst zu schaden.
Wahrung der eigenen Bedürfnisse/Interessen
128
9.2.2 Konfliktlösungsmöglichkeiten
zu einer konstruktiven Konfliktlösung gegeben; unterschiedliche Auffassungstendenzen sind zu definieren und die Konfliktursachen organisatorisch zu beseitigen (struktureller Konflikt) bzw. die knappen Güter optimal zu verteilen (Verteilungskonflikt). ▬ Aktives Zuhören: Der Standpunkt der Gegenpartei muss möglichst treffend umschrieben werden, dann wird nochmals die eigene Ansicht – möglichst ohne Werturteil – dargelegt. Aktives Zuhören vermindert Abwehrhaltung und ermöglicht Verhandlungslösungen, v. a. wenn beide Parteien darin geschult sind.
Zu welchem Ergebnis letztlich eine Konfliktsituation für das Unternehmen und die beteiligten Individuen führt, ist vom Umgang mit dem Konflikt abhängig. Nur theoretisch sind Konflikte durch Bedürfnisveränderungen oder andere Ressourcenzuteilungen regulierbar. In der Praxis sind jedoch die persönliche Einstellung und die Situation per se für die Lösung entscheidend. Es lassen sich folgende typische Konfliktstile (⊡ Abb. 9.3) unterscheiden: ▬ vermeiden, ▬ nachgeben, ▬ durchsetzen, ▬ Kompromiss schließen und ▬ gemeinsames Problemlösen. Strukturelle Konflikte sind durch organisatorische Veränderungen, Verteilungskonflikte durch Verhandlungen und Bewertungskonflikte meist durch den Beizug von dritten Parteien einer effizienten und Zufriedenheit erzeugenden Konfliktlösung zuzuführen. Eine Konfliktlösung erfordert einige Voraussetzungen: ▬ Die Art des Konflikts muss definiert werden. Liegt ein Werte- oder ein Verteilungs- bzw. Strukturkonflikt vor? Bei Struktur- bzw. Verteilungskonflikten sind die Voraussetzungen
Hoch Durchsetzen
Gemeinsames Problemlösen
Kompromiss
Vermeiden Niedrig
Nachgeben
Hoch Wahrung fremder Bedürfnisse/Interessen
⊡ Abb. 9.3. Konfliktlösungsmodalitäten
Bewährt hat sich auch folgendes schrittweises Problemlösungsverfahren: ▬ Das Problem klären. ▬ Eine Anzahl möglicher Lösungen erarbeiten und bewerten. ▬ Zusammen über die beste Lösung beschließen. ▬ Die Durchführung der Lösung planen: Maßnahmen- und Vorgehensplan (Wer macht was mit wem bis wann?). ▬ Evaluation der Lösung nach einer festgesetzten Zeitspanne. Für das Management von Konflikten zwischen 2 Parteien können die im Folgenden aufgeführ-
129 9.3 · OP-Team und Entscheidungsqualität
ten Verhaltensregeln für Konfliktmanager hilfreich sein. Praxistipp
▬ Sorgfältige Diagnose (Wichtig ist es, die
▬ ▬ ▬ ▬ ▬
▬ ▬ ▬
9.3
Dynamik des Geschehens, die Hintergründe und die Zusammenhänge des Konflikts zu verstehen.) Planmäßig und konzeptgestützt vorgehen. Transparente und konsequente Rollendefinition des Konfliktmanagers. Akzeptanz schaffen durch Ernstnehmen der Konfliktparteien. Kommunikation und Verständigung zwischen den Parteien fördern. Emotionen zulassen (Aber: »Fortiter in re, suaviter in modo«, Hart in der Sache, anständig im Umgang einfordern). Als Konfliktmanager neutral, unabhängig und unbefangen bleiben. Transparenz und Glaubwürdigkeit bewahren. Geduld haben und bescheiden bleiben.
OP-Team und Entscheidungsqualität
Das OP-Team weist eine interne Sozialstruktur auf, die sich dadurch auszeichnet, dass Funktionen unterschiedliches Ansehen genießen. Das Verhalten der OP-Mitglieder wird durch explizite Richtlinien und implizite Normen geprägt, deren Einhaltung durch Macht oder Gehorsamsbereitschaft erreicht wird (⊡ Abb. 9.4). Der folgende Text lehnt sich eng an die Publikationen von Gfrörer u. Schüpfer (2004) sowie Gfrörer et al. (2005) an (vgl. dort).
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▬ In einem Team steht ein umfassendes Wissen zur Verfügung; hierdurch können hochkomplexe Entscheidungen gefällt werden. ▬ Die Qualität der Entscheidungen verbessert sich durch eine breitere Beurteilungsbasis. ▬ Die Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten verringert die Gefahr der Nichtberücksichtigung bedeutender Detailaspekte. ▬ Verschiedene Ansichten und Meinungen erhöhen und verbessern die Kreativität im Problemlösungsprozess. ▬ Durch die gemeinsame Entscheidungsfindung der Teammitglieder entstehen Partizipationseffekte, wie vereinfachte Koordination, erhöhte Akzeptanz und gesteigerte Motivation. ▬ Die Interaktion im Entscheidungsprozess führt zu einer Ergänzung der gegenseitigen Kenntnisse. Dies erhöht einerseits die Flexibilität, da Teammitglieder bei Bedarf in begrenztem Umfang Teiltätigkeiten anderer Mitglieder übernehmen können. Andererseits resultiert eine Erhöhung der gegenseitigen Akzeptanz hinsichtlich funktionsspezifischer Bedürfnisse und Präferenzen. ! Aufgrund der funktionalen Spezialisierung der Mitglieder des OP-Teams entsteht der Vorteil einer Teamentscheidung nicht primär durch die Addition der Einzelleistungen, sondern in deren Koordination.
Der Erfolg von Teamentscheidungen lässt sich anhand von Qualitäts-, Kosten- und Zeitkriterien betrachten, jedoch auch anhand der Fähigkeit (abhängig vom Lernerfolg) und Motivation (abhängig von der Zufriedenheit) der Teammitglieder zu einer weiteren Zusammenarbeit im Team.
9.3.2 Risiken für die Entscheidungs9.3.1 Chancen für die
qualität eines OP-Teams
Entscheidungsqualität Bei Teamentscheidungen bestehen, verglichen zur Einzelarbeit, folgende Vorteile:
Eine Reihe von Faktoren kann die Effizienz von Teamentscheidungen gefährden. Hier gilt es vonseiten des Managements, Maßnahmen zu
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Kapitel 9 · Konfliktmanagement
Gefahren für die Entscheidqualität Anlaufzeit Ungeeignete Mitglieder im Team Zieldiversität Entscheidungsverfahren Sozialer Kontext
Teameffizienz
OP - Team Teammitglieder Funktional spezialisiert Kooperative Interaktion Interne Sozialstruktur Werte/Normen
Kreativität Komplexe Aufgabe Entscheidungsqualität Flexibilität Partizipationseffekte Vollständige Lösungen
Teamentscheidung
Maßnahmen
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Zeitraumbegleitung Teamzusammensetzung Anreizsysteme Verfahrensregeln Management der Kontextfaktoren ⊡ Abb. 9.4. Management der Teamentscheidung
ergreifen, die diese Faktoren neutralisieren. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass solche Führungsaufgaben als Bestandteil der ärztlichen Arbeit nur wenig akzeptiert sind. Eine Lösungsmöglichkeit wäre, von den Ärzten eine stärkere Bereitschaft zu Führungsaktivitäten zu fordern. Die Alternative ist, das Management eines OP-Teams durch indirekte, strukturelle Maßnahmen abzusichern. Diese Strukturmaßnahmen ( Abschn. »Tipps«) sollen im Folgenden im Anschluss an die jeweiligen Risikofaktoren erläutert werden.
Vorgehen zu diskutieren und zu koordinieren. Erst nach Durchlaufen dieser Phasen gilt ein Team als entscheidungsfähig. Doch auch bei eingespielten Teams können Diskussionen oft viel Zeit kosten. Zuweilen entsteht die Tendenz, eine Abgrenzung nach außen als hauptsächliche Entscheidungsgrundlage zu verwenden. Praxistipp
▬ Während der Anlaufphase sind Bestrebungen von außerhalb des Teams, die Entscheidungsfindung zu beschleunigen bzw. auf die Anlaufzeit zu verzichten, zu unterbinden. In der Realität zeigt sich jedoch, dass das Arbeitsumfeld im OP in der Regel nicht das Durchlaufen der verschiedenen Phasen der Gruppenentwicklung erlaubt. Um dennoch in das Stadium der Entscheidungsfähigkeit zu gelangen, bieten sich begleitende Maßnahmen an.
Vorlauf und Begleitung der Teamarbeit Teamarbeit benötigt einen beachtlichen Aufwand an Vorbereitung. Initial sind sich die Teammitglieder unbekannt. Sie klären zu Beginn die unterschiedlichen Auffassungen, stellen sich aufeinander ein und testen das Kooperationsverhalten aus. Zudem haben sie das methodische
▼
131 9.3 · OP-Team und Entscheidungsqualität
▬ Die Intensität der Zusammenarbeit im OP kann negative Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Teammitglieder haben. Summieren sich solch negative Erlebnisse, wird der Aufbau von Sympathie erschwert. Eine Möglichkeit, eine derartige negative Gruppendynamik zu unterbinden, besteht einerseits in der sozialpsychologischen Betreuung zur Gewährleistung der Psychohygiene im OP. Beispielsweise könnten nach Operationen mit intraoperativen Komplikationen (z. B. Exitus in tabula) bereits unterschwellige Konflikte durch ein moderiertes »debriefing« des OP-Teams aufgearbeitet werden. Beispielhaft sind hier die Bemühungen bei der Berufsfeuerwehr nach traumatisierenden Einsätzen zu nennen. ▬ Interaktionen zwischen den Teamangehörigen beruhen zumeist auf der Annahme, dass sich sämtliche Teammitglieder kooperativ verhalten. Dieses Vertrauen kann durch eine Steigerung der Interaktionsfrequenz erhöht werden: Hierdurch entstehen fundierte Erfahrungswerte bezüglich der Verhaltensweisen der anderen Teammitglieder. Die Bildung von Kooperationen wird so mit Zunahme der Interaktionsnotwendigkeit begünstigt. ▬ Durch eine von Fachkräften begleitete Teamentwicklung (Bildung von Teamidentität), Teamsupervision (Verbesserung der Teamdynamik) und Teamberatung (problemspezifische Verbesserung der Zusammenarbeit) kann die Leistungsfähigkeit der Teams erhöht werden.
Auswahl der Teammitglieder Die Teammitglieder als Träger und Präger von Teamentscheidungen besitzen nicht die benötigten fachlichen, methodischen oder sozialen
9
Kompetenzen. Um die angestrebten Effizienzvorteile zu realisieren, ist bei der Auswahl der Teamzusammensetzung darauf zu achten, dass das Team über im Folgenden beschriebene Fähigkeiten verfügt. Praxistipp
▬ Fachliche Sachkenntnis (Fachkompetenz): Das Teamziel erfordert bestimmte komplementäre fachliche Fähigkeiten, die in der Summe und in der individuellen Verteilung sichergestellt sein müssen. ▬ Fähigkeiten zur Problemlösung und Entscheidungsfindung (methodische Kompetenz): Benötigt werden Fähigkeiten, die anstehenden Probleme zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten und Chancen zu entwickeln sowie Entscheidungen zu treffen. ▬ Soziale Fähigkeiten (soziale Kompetenz): Als eine der wichtigsten Eigenschaften von Teammitgliedern wird die Teamfähigkeit, also die Kompetenz zur Zusammenarbeit in einem Team, angesehen. Diese Motivation zur Teamarbeit setzt eine Loyalität der Teammitglieder zum Team, den Glauben an die Vorrangigkeit der Teamziele gegenüber den eigenen Zielen und den Willen voraus, sich so zu verhalten, dass es dem Team nützt.
Zieldiversität Unterschiedliche Ziele von verschiedenen Teammitgliedern oder den Mitgliedern und der übergeordneten Organisation gehen mit einer Verfolgung von Partikularinteressen einher. Diese laufen dem eigentlichen Teamziel zuwider. Es droht eine bewusste Entscheidungsbildung gegen das Teamziel oder eine Aufsplittung in Cliquen. Beispielsweise können sich bei einer Operation die Teammitglieder durch ihre Ziele unterscheiden, ihre Motive von altruistisch-intrinsisch bis monetär-extrinsisch sämtliche Ausprägungen aufweisen. Eine große Motivheterogenität erschwert
132
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
eine gemeinsame Entscheidung über die Ziele, auch wenn es sich dabei nur um Subziele handelt. Cliquenbildung zerstört die vormals existente breite Wissensbasis und stellt die Abgrenzung gegen andere Cliquen als Entscheidungsgrundlage in den Vordergrund. Die Operation stellt das primäre Teamziel dar und ist Folge der Leistung des gesamten OP-Teams. Zum Erreichen eines optimalen Resultats sind die maximalen Beiträge sämtlicher Teammitglieder vonnöten; dies setzt deren Bereitschaft zur Kooperation voraus. Praxistipp
▬ Eine solche Bereitschaft lässt sich bis z. T.
9
durch die Sanktionierung nichtkooperativen Verhaltens erreichen. Die Auswirkungen extrinsischer Motivierung durch negative Anreize sind jedoch schwierig abzuschätzen und können nachhaltige negative Folgen (z. B. Verdrängungseffekte) einschließen. Nachhaltige Kooperationsbereitschaft lässt sich durch entsprechende Kommunikation und Anreizgestaltung erreichen. ▬ Durch Appellieren können internalisierte Werte der Teamangehörigen angesprochen werden. Wird kommuniziert, dass die Team-Performance von der Leistung sämtlicher Teammitglieder abhängig ist, können Verantwortungsbewusstsein und Kooperationsbereitschaft aktiviert werden. Der Wirkungsgrad dieser Maßnahme ist einerseits davon abhängig, wie stark sich die Mitglieder dem Team zugehörig fühlen, und andererseits davon, wie glaubhaft die Operation als Teamziel vermittelt werden kann, zu dem jedes Mitglied einen substanziellen Beitrag leistet. ▬ Die Auswirkungen der das Teamziel gefährdenden Partikularziele können in Grenzen durch eine entsprechende Gestaltung von teambasierten Anreiz▼
systemen gesteuert werden. Durch eine bewusste Anreizgestaltung lässt sich das Verhalten der Teammitglieder auf das Teamziel ausrichten. So können Anreize vom Erreichen dieses Teamziels abhängig gestaltet werden: Variable Lohnbestandteile können auf vordefinierten Kriterien, wie der Einhaltung der geplanten Operationsdauer in Abhängigkeit der Operationsqualität, Verbesserung der OP-Nutzungszeiten, Minimierung der OP-Inanspruchnahme oder des Materialverbrauchs während der Operation, beruhen. Der Wirkungsgrad dieser Maßnahme ist einerseits von der Definition der relevanten Kriterien und deren Messbarkeit, andererseits von der Wahrnehmung der einzelnen Teammitglieder, tatsächlich einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung dieser Kriterien leisten zu können, abhängig. Neben der Teamleistung lassen sich auch Ziele für die einzelnen Mitarbeiter im OP oder den ganzen OP-Bereich formulieren. Als maßgeblich für die Anreizwirkung wird die Vergleichbarkeit der Leistungen (und damit die als gerecht wahrgenommene Beurteilung) betrachtet.
Entscheidungsverfahren Die interne Sozialstruktur eines OP-Teams weist große Statusunterschiede zwischen ärztlichen Funktionen und den pflegerischen bzw. technischen Funktionen auf. Dies führt zu einem permanenten Kampf um Status, Anerkennung und Führungsanspruch. Die Angehörigen der tiefer gestellten Funktionen versuchen, das Statusdefizit auszugleichen. Die Mitglieder mit höherem Status versuchen den Unterschied zu bewahren. Statusunterschiede können in Entscheidungssituationen zur Ungleichbehandlung der verschiedenen Teammitglieder führen. Dies hat zur Folge, dass wichtige Informationen
133 9.3 · OP-Team und Entscheidungsqualität
je nach Absender unterschiedlich wahrgenommen werden, oder dass einzelne Mitglieder ihre Informationen nicht äußern wollen oder dürfen. Praxistipp
▬ Die Chancen einer Teambildung im OP können nur dann genutzt werden, wenn die einzelnen Teammitglieder ihre Meinungen in Entscheidungssituationen vorurteilsfrei sowie ohne Rücksicht auf Funktion und Status ihrer Person einbringen können, und wenn diese Information von den anderen Teammitgliedern unabhängig vom Absender angenommen wird. Die Beurteilung erfolgt ausschließlich anhand des Inhalts der Information. Dadurch wird einerseits die Berücksichtigung der breiten Wissensbasis gewährleistet. Andererseits werden die beabsichtigten Partizipationseffekte durch einen Einbezug sämtlicher Teammitglieder in die Teamentscheidung realisiert. Zur Förderung des gegenseitigen Lernens sind zudem die individuellen Entscheidungsgrundlagen offen zu legen. ▬ Soziale Strukturen in Gruppen haben nicht nur negative Auswirkungen. Sie geben den Angehörigen auch Verhaltenssicherheit. Strukturen, wie die Macht- oder Autoritätsstruktur, lassen sich explizit festlegen und kommunizieren. So können vor der Operation Verantwortlichkeiten bekannt gegeben werden und dadurch die notwendigen organisatorisch legitimierten Sanktionsinstrumente zugeteilt werden. So erhalten die Teammitglieder Sicherheit darüber, wer nun im OP »das Sagen« hat.
Die faktische Machtverteilung wird jedoch erst im Zusammenspiel mit impliziten Strukturen definitiv. Diese entwickeln und festigen sich erst im Verlauf mehrerer Interaktionen. Häufige Zusam-
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menarbeit unterstützt die Bildung einer größtmöglichen Verhaltenssicherheit. Widersprechen die impliziten Teamstrukturen den formellen bzw. erschweren Erstere gar eine Durchsetzung der formellen Autorität im Team, muss versucht werden, eine funktionierende Sozialstruktur mithilfe einer Teamsupervision zu etablieren. Beispielsweise könnte die formelle Autorität den impliziten Strukturen angepasst werden.
Kontextfaktoren Teamentscheidungen finden immer in einem sozialen Kontext statt, wodurch die Gefahr von Gruppenverzerrung und damit von suboptimalen Entscheidungen besteht. Fehlerhafte Entscheidungen entstehen zum einen als Resultat eines sozialen Einflusses auf den Prozess der Entscheidungsfindung selbst. Oder sie sind das Resultat sozialer Interaktionen und des Bedürfnisses von Individuen, Annahmen, Schätzungen oder Vorhersagen über andere Teammitglieder zu treffen. Die im Folgenden beschriebenen sozialen Verzerrungseffekte können die Entscheidung im Team beeinflussen. Der falscher Konsenseffekt bezeichnet die Tendenz, den Grad der Übereinstimmung zwischen sich und anderen zu überschätzen. Dies wirkt sich in Entscheidungssituationen aus, die nicht nur Informationen über den Sachverhalt selbst, sondern auch über die Einsichten und Einschätzungen der anderen Teammitglieder benötigen. Unter Zeitdruck können die notwendigen Informationen nicht ausgetauscht werden. So sind die Teammitglieder gezwungen, Annahmen über das Verhalten der anderen zu treffen. Die Gefahr besteht, dass die einzelnen Teammitglieder ihre Entscheidungen basierend auf unkorrekten Annahmen über die anderen treffen. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass ein Teammitglied in einer spezifischen Situation von Handlungen eines anderen Mitglieds ausgeht, die Wahrnehmung der Situation selbst jedoch zwischen den Teammitgliedern variiert.
134
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
Praxistipp
Praxistipp
▬ Dem Team in neuartigen Entscheidungs-
▬ Eine offene Diskussion über sämtliche
situationen genügend Zeit lassen, die jeweiligen Standpunkte zu erfragen. ▬ Die Teammitglieder durch Gesprächsregeln zwingen, ihre jeweiligen Standpunkte zu offenbaren.
Entscheidungsalternativen durch Diskussion dieser Alternativen fördern. ▬ Durch die Wahl einer neutralen Diskussionsleitung verhindern, dass diese zu früh eine Alternative unterstützt (Moderation). ▬ Die Ideen durch externe Experten und internen Advocatus Diabolus prüfen lassen. ▬ Eine größere Verantwortung der einzelnen Teammitglieder schaffen, die eigene Rolle im Entscheidungsprozess auszuüben.
»Groupthink«
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Groupthink bezeichnet die Neigung von Teams, wenig begründete Entscheidungen zu treffen. Zur Vermeidung von Dysharmonie im Team werden in Entscheidungssituationen Handlungsalternativen negiert. Kritik an Entscheidungen wird zurückbehalten. Durch den hohen Status des Teams in der Gesellschaft, den die Teammitglieder wahrzunehmen glauben, sind die Ansichten der anderen Teammitglieder sehr glaubwürdig. Groupthink führt somit zu Selbstüberschätzung des Teams, Engstirnigkeit und Uniformitätsdruck. Gefährdet sind hoch kohäsive Teams, ▬ deren Entscheidungen Zeitdruck, weit reichender Bedeutung und hoher Komplexität (»a sense of crisis«) unterworfen sind, ▬ die von externer Kritik isoliert sind, ▬ die mit multiplen Verfahrensvorschriften und Normen konfrontiert sind, ▬ die einen hohen Status sowie starke direkte und parteiische Führung aufweisen, ▬ deren Mitglieder ein unsicheres Selbstwertgefühl besitzen, ▬ die sich durch die Anstrengung der Erhaltung positiver Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern auszeichnen. Groupthink kann zu fehlerhaften Entscheidungen aufgrund folgender Faktoren führen: ▬ unvollständige Alternativenbetrachtung, ▬ Berücksichtigung zu weniger Standpunkte (u. a. Vermeidung der Betrachtung der Folgen einer Fehlentscheidung), ▬ verzerrte Annahme von Risiko, Kosten und Nutzen der Folgen sowie ▬ zu geringe Informationssuche.
Gruppenpolarisierung Gruppenpolarisierung bezeichnet die Tendenz des Teams in Richtung der von einer Mehrheit der Teammitglieder eingenommenen Position zu entscheiden (»shift to extremity«). Übertriebenes Risiko oder zu große Vorsicht sind die 2 Ausprägungen der Polarisierung: ▬ »Risky shift« (Risikoschub) bezeichnet den Fall, in dem ein Team durch Gruppenpolarisation risikofreudiger ist, als dies die einzelnen Mitglieder zu Beginn durchschnittlich waren. Verantwortungsdiffusion, also die Aufteilung der Verantwortung für einen Misserfolg auf die Teammitglieder, kann für diesen Effekt ursächlich sein. Voraussetzung hierfür ist, dass Risikobereitschaft als kultureller Wert innerhalb des Teams existiert oder von einer Mehrheit der Teammitglieder als wichtiger Wert angesehen wird. ▬ »Cautious shift« bezeichnet den umgekehrten Fall, in dem das Team verglichen mit der anfänglichen individuellen Risikoeinstellung risikoaverser wird. Praxistipp
▬ Schaffen individueller Verantwortlichkeiten.
▬ Bewusstsein bezüglich der Polarisierungsgefahr bilden.
9
135 9.4 · Schlussfolgerungen
Eskalation von »Gruppen-Commitment« Hiermit ist die Neigung von Individuen oder Teams gemeint, eine Entscheidung weiterzuverfolgen, auch wenn abzusehen ist, dass diese zum Misserfolg führt. Bis zu einem bestimmten Punkt ist dieses Verhalten rational und erhält erst darüber hinaus eine irrationale Komponente. Das Bekenntnis zum Team kann einzelnen Mitgliedern kritische Entscheidungen als rational erscheinen lassen. In Teams, in denen die Mitglieder stark voneinander abhängen, besteht die Tendenz, durch Commitment das Gesicht vor anderen Teammitgliedern zu wahren. Eine Eskalation ist v. a. dann möglich, wenn dasjenige Team, das die Entscheidung fällt, mit demjenigen identisch ist, das für die vorgelagerte Entscheidung verantwortlich zeichnet. Praxistipp
▬ Ablaufprozesse gestalten, die verhindern, dass eine Entscheidungskette vom selben Team getragen wird. ▬ Die Ideen durch externe Experten und internen Advocatus Diabolus prüfen. ▬ Die individuelle Anreizwirkung für den Fall des Scheiterns erhöhen.
Machtbasierte Einflussnahme Machtbasierte Einflussnahme bezeichnet die in Entscheidungssituationen von einzelnen oder mehreren Mitgliedern bewusst vorgenommene Beeinflussung anderer Teammitglieder. Bei intensiver Indoktrination kann durch Druckausübung über die Zeit eine Veränderung der Werte der Zielperson erreicht werden. !
▬ Formelle Strukturen im Team aufbauen und gewährleisten.
▬ Einführung einer regelmäßigen Berichterstattung an unabhängige teamexterne Instanzen, die mit Weisungsbefugnis gegenüber sämtlichen Teammitgliedern ausgestattet sind.
Schlussfolgerungen
9.4
Die Kenntnisse und damit das Verständnis für die Komplexität und Anfälligkeit einer Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen im OP ist ein wichtiger Teil des »risk management«. Die unmoderierte Teambildung im OP beinhaltet nicht unerhebliche Risiken: Missachtung der Vorbereitungszeit zur Teambildung, falscher Kompetenzenmix der Teammitglieder, große Diversität zwischen Team- und Individualzielen, nichtadäquate Entscheidungsprozesse und Einflüsse durch das soziale Umfeld (falscher Konsens, Groupthink, Gruppenpolarisierung, Eskalation von Gruppen-Commitment, machtbasierte Einflussnahme). Durch Sensibilisierung für die Problematik einer Teambildung im OP kann sowohl die Mitarbeiterzufriedenheit als auch die Effizienz der Leistungserbringung günstig beeinflusst werden. Vor allem private Krankenhausträger scheinen dies bereits erkannt zu haben. Fazit
I
I
Wirksame Führung sorgt für klare Ziele und greift regelnd ein, wenn diese nicht erreicht werden. Fehlende Führung lässt ein Vakuum entstehen, das »mobbing« fördert und Konflikte ungelöst lässt. Wirksame Führung nach Malik (2001) fördert Menschen, legt Ziele fest und beurteilt nach erfolgter Messung die Zielerreichung, entscheidet und organisiert. Typische Sachaufgaben, wie Beschaffung, Logistik, Marketing oder Produktion, sind nicht mit der Führungsfunktion zu verwechseln. Sachaufgaben sind unternehmensspezifisch, die oben erwähnten Managementfunktionen nicht. Management ist in diesem Zusammenhang die Transformation von Sachwissen in Ergebnisse (Nutzen). Dabei ist die Trennung von Sach- und Managementaufgaben nicht immer scharf; der Anteil an Sachaufgaben nimmt aber mit der zuneh▼
136
Kapitel 9 · Konfliktmanagement
menden Managementebene ab und wird durch Führungsaufgaben, wie z. B. Teamentwicklung oder Konfliktmanagement, ersetzt. Für die Bewältigung von Sachaufgaben sind die Besonderheiten einer Unternehmung maßgebend, wie Branche, Prozesse, Funktion etc. Für die Bewältigung von Führungsaufgaben stehen andere Besonderheiten, wie Bildungsniveau des Personals, Erfahrung und Lebenssituation der Mitarbeiter, im Vordergrund. Management bedeutet somit ordnen, gestalten, entwickeln und lenken. Teamführung und Konfliktmanagement sind wichtige Managementfunktionen. Dadurch werden Ressourcen in einer Organisation zu Nutzen transformiert.
9 Literatur Berne E (2001) Die Transaktionsanalyse in der Psychotherapie: eine systematische Individual- und Sozial-Psychiatrie. Übers. aus dem Amerikan. von Ulrike Müller. Junfermann, Padeborn. ISBN 3-87387-423-7 Gfrörer R, Schüpfer GK (2004) Das Operationssaal-Team. Z Fuehrung Organisation 6: 333–339 Gfrörer R, Schüpfer G, Schmidt CE, Bauer M (2005) Teambildung im Operationssaal. Auswirkungen auf die Entscheidungsqualität. Anaesthesist 54: 1229–1234 Harris TA (1975) Ich bin o.k., Du bist o.k. Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können – Eine Einführung in die Transaktionsanalyse. rororo Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, ISBN: 3-499-16916-9 Luft J, Ingham H (1955) »The Johari window, a graphic model of interpersonal awareness«, Proceedings of the western training laboratory in group development. UCLA, Los Angeles Malik F (2001) Führen, Leisten, Leben: wirksames Management für eine neue Zeit. Heyne, München, ISBN 3-453-19684-8 Maslow AH (1950) Social theory of motivation. In: Shore M (ed) Twentieth century mental hygiene. Social Science Publishers, New York. Kurzbeschreibung in: http:// en.wikipedia.org/wiki/Maslow Schulz von Thun F (1981) Miteinander reden 1. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommu-
nikation. rororo Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3-499-17489-8 Schulz von Thun F (1989) Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differentielle Psychologie der Kommunikation. rororo Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3-499-18496-6 Schulz von Thun F (1998) Miteinander reden 3. Das »innere Team« und situationsgerechte Kommunikation. rororo Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3-499-60545-7
10
Implementierung des OP-Managements I. Welk
10.1
Effektivität und Effizienz – 140
10.2
OP-Statut – 140
10.3
Strukturen im OP-Management – 142
10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4
OP-Manager – 143 OP-Koordinator – 144 Zentrale OP- und Anästhesiepflegedienstleitung OP-Kommission – 147
Literatur – 148
– 146
140
Kapitel 10 · Implementierung des OP-Managements
10.1 Effektivität und Effizienz OP-Management (⊡ Abb. 10.1) stellt eine hochkomplexe und facettenreiche Herausforderung dar, in der aufeinander folgende, ineinander greifende und v. a. parallele Prozesse der unterschiedlichsten Berufsgruppen und Fachdisziplinen synchronisiert und harmonisiert werden müssen. Das OP-Management ist gefordert, den OP-Bereich in den gesamten Leistungsprozess des Krankenhauses zu integrieren (Busse 1999, S. 26). Handlungsleitend sollten hierbei die folgenden Grundsätze sein: ▬ Effektiv: Die richtigen Dinge tun. ▬ Effizient: Die Dinge richtig tun. ! Nicht das freie Bett, sondern der freie Operationstermin sollte zukünftig die wichtigste Grundlage zur Belegungsplanung auf den bettenführenden Stationen sein.
10
Effektives und effizientes OP-Management lässt sich an folgenden Größen messen: ▬ OP-Auslastung: – gleichmäßig, – möglichst Entzerrung von Arbeitsspitzen, – bedarfsadaptierte Kapazitätsvergabe, – Pünktlichkeit beim Operationsbeginn, – Reduktion der Wechselzeiten, – Minimierung von organisatorischen Warteund Leerlaufzeiten sowie – Flexibilisierung der Saalnutzung. ▬ Kostensenkung: – Implementierung von »standard operating procedures« (SOPs), – Reduktion der Produktvielfalt und – »Just-in-time-Versorgungslogistik« (Vermeidung von Kapitalbindung durch inadäquate Lagerhaltung). ▬ Optimierung des Personaleinsatzes: – z. B. fachübergreifender Einsatz im Pflegebereich OP (Rotation in »fachverwandten« operativen Disziplinen, z. B. Traumatologie und Orthopädie),
Kosten
Prozesse
Patient
Personal
Qualität
⊡ Abb. 10.1. OP-Management im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Medizin
– z. B. multidisziplinäre Teams in der Pflege (Team-, Ablauf- und patientenfokussiertes Denken, Dienstleistungsorientierung), – z. B. Personalbindung in Abstimmung mit Art und Aufwand der Operation, – Konzentration von OP-ablaufbezogenen Tätigkeiten (z. B. ein Springer für mehrere Säle) und – Verwendung von OP-Kits. ▬ Strategieentwicklung: – innovative Konzeptentwicklung (»cost center«, »profit center«, Einkaufsmodell).
10.2 OP-Statut Das OP-Statut (auch Verfahrenshandbuch, Geschäftsordnung, Betriebsordnung) ist als verbindliche Handlungsgrundlage für die strukturierte Zusammenarbeit in einer OP-Abteilung zu verstehen. Grundlage und Umsetzungsvoraussetzung ist die berufsgruppenübergreifende und interdisziplinäre Erarbeitung von »Spielregeln«. Diese gelten in der täglichen Zusammenarbeit, für die Definition und Festschreibung von Abläufen und Verantwortlichkeiten sowie für detaillierte Prozessinhalte. Grundlage für Akzeptanz und Identifikation bei den Mitarbeitern sind:
141 10.2 · OP-Statut
▬ die interdisziplinäre und interprofessionelle Erarbeitung, ▬ durch Unterschrift verbindlich akzeptierte deutlich beschriebene Ziele, Definitionen, Abläufe und Verantwortlichkeiten, ▬ Festlegung für den Umgang mit wiederholten Regelabweichungen und ▬ Ergebnistransparenz sowie emotionsfreie Ergebniskommunikation (Darstellung positiver und negativer Abweichungen). Für die Transparenz sind Instrumente der Regelkommunikation zu etablieren, um ein kontinuierliches Prozess-Controlling darzustellen und zeitnahe Anpassungen bei Abweichungen anzugehen (z. B. durch die OP-Kommission). ! Voraussetzungen für die Implementierung eines OP-Statuts sind Gemeinsamkeit, Verbindlichkeit, Machbarkeit und Überprüfbarkeit.
In der folgenden Übersicht sind die wesentlichen Prozessabläufe zusammengefasst, die in einem OP-Statut Beachtung finden sollten.
Zusammensetzung eines OP-Statuts
▬ ▬ ▬ ▬ ▬
Präambel/Leitbild mit Zielformulierung Zweck Geltungsbereich Ziele Rahmenbedingungen – Betriebszeit – Arbeitszeiten – Allgemeine Verhaltensregeln im OP (z. B. Hygiene, OP-Schutzkleidung, Gäste, Rauchen, Nahrungsaufnahme etc.) ▬ Struktur – Säle/Räume/Flächenmanagement – Personal (Unterstellung, Leitung, Verantwortlichkeiten, Einsatzbereiche) – Apparative Ausstattung – Budget – Leistungsvorgaben ▼
10
▬ Prozesse – Auslastung der Säle – Kontingentierung/Kapazitätszuordnung der operativen Kliniken/Zeitbudgets – OP-Planung (kurz-, mittel- und langfristig) – Definition Erst-Schnitt-Zeit – Absprachen für die Reihenfolge von Patienten aufgrund medizinischer Indikationsstellung (z. B. Kinder, Diabetiker, Latexallergiker an erster Stelle) – Tagesplanung (mit »Planungs-Deadline«) – Procedere der Folgetagplanung – Planung von abgesetzten Patienten (erste Stelle am Folgetag!) und Patienten mit Begleitinfektionen – Umgang mit Änderungen und Nachmeldungen im Programm – Notfallintegration (Definition der zeitlichen Versorgungsschiene) – Nahtstellenmanagement – Definition von organisatorisch relevanten Eckpunkten (z. B. Erst-Schnitt-Zeitpunkt, Stabilität der ersten Programmpunkte) – Postoperatives Bettenmanagement ▬ Qualitätsmanagement – Erstellung von Standards/SOPs (Medizin/Pflege) ▬ Berichtswesen – Auswertung medizinsicher und betriebswirtschaftlich relevanter Daten (Bericht über Kennzahlenentwicklung, Kapazitäten, Naht-Schnitt-Zeiten, Leerlaufzeiten etc.) – Mitarbeiter- und Patientenbefragungen (Zufriedenheitsanalysen) ▬ Aktualisierung und mitgeltende Unterlagen – Absprache für Überarbeitungen und Anpassung – Ggf. im Anhang spezielle Anweisungen (z. B. Verfahrensanordnungen, Hygiene etc.)
142
Kapitel 10 · Implementierung des OP-Managements
10.3 Strukturen im OP-Management Das OP-Management wird durch die in der Institution Krankenhaus vorherrschenden Hierarchien geprägt. Oftmals fehlen vor der Etablierung klare Vereinbarungen, transparente Organisationsstrukturen sowie ein definierter Handlungs- und Kompetenzrahmen. ! Das OP-Management benötigt für seine Arbeitsfähigkeit außer einem OP-Statut auch den unbedingten Rückhalt durch den Klinikvorstand/die Geschäftsführung.
10
Die gesamte OP-Organisation (⊡ Abb. 10.2) hat durch ihre Komplexität einen extrem hohen Stellenwert innerhalb der Prozessbetrachtung. Die Analyse von bestehenden Prozessen deckt oft ein großes Optimierungspotenzial auf, da viele Abläufe auf tradierten Fundamenten basieren und knappe Personalressourcen auf traditionelle Kommunikationsstrukturen und Hierarchien treffen. Die Schwierigkeiten der täglichen OPKoordination ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Teilprozessen und den sog. Schnittstellen (zukünftig besser als Nahtstellen bezeichnet). Das OP-Management beeinflusst die OP-Abläufe interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend. Es berührt damit auch bestehende hierarchische Strukturen und oftmals emotionalisierte Spannungsfelder. Hieraus ergibt sich die Notwendig-
keit einer klaren Kompetenzbeschreibung. Diese Notwendigkeit wird um so deutlicher, da es primär nicht um die Diskussion medizinischer Indikationen geht (somit ist die Aufgabenstellung des OP-Managements nicht zwingend einer bestimmten Profession zuzuordnen), sondern um die Transparenz organisatorischer Weisungsbefugnisse gegenüber allen im OP-tätigen Berufsgruppen (OP-Management als »process owner«). Die qualifikationsbezogene Personaleinsatzplanung verbleibt bei den Klinikdirektoren und den Pflegedienstleitungen. Das OP-Management ist der Krankenhausleitung unterstellt. Es muss deutlich werden, dass das OP-Management bewusst als zentraler Ansprechpartner eingesetzt wird. Wird das OP-Management nicht in die Kommunikationskette einbezogen, oder sind die Befugnisse im Konfliktfall unklar, werden die Bedeutung und die Effizienz eines zentralen OPManagements ad absurdum geführt. ! Nur die konsequente und langfristige Etablierung eines OP-Managements mit klar definiertem Handlungs- und Kompetenzrahmen kann die Effizienz eines OP-Bereiches steigern.
Ein OP-Management baut auf verschiedene, im Folgenden aufgeführte Organisationsstrukturen auf. Diese sind in der Regel von der Anzahl der OP-Säle abhängig. Die Aufgaben eines OP-Ko-
OP-Management
OPPlanung
Betriebszeiten
Arbeitszeiten
Steuerung - Kontrolle - Transparenz
⊡ Abb. 10.2. Säulen des OP-Managements
Prozesse
Kosten
143 10.3 · Strukturen im OP-Management
ordinators und eines OP-Managers finden sich oftmals als Personalunion. Die Unterstellung ist beim Vorstand/Direktorium anzusiedeln. In den meisten Kliniken findet sich ein ärztlicher OPManager/Koordinator in Kooperation mit einer leitenden OP- und/oder Anästhesiepflegekraft.
10.3.1 OP-Manager Der OP-Manager übernimmt die Programmplanung, die organisatorische Gesamtverantwortung, einschließlich des Schnittstellenmanagements (zunehmend auch die Personaleinsatzplanung), die Budgetverantwortung im Fokus auf Kosten, Leistung und Erlöse, das Controlling der Leistungen, das Qualitätsmanagement, die Einhaltung von rechtlichen Vorgaben [Arbeitszeitgesetz (ArZG), Medizinproduktegesetz (MPG), Hygiene etc.], das infrastrukturelle Management (z. B. Koordination von Reparatur- und Wartungsterminen), das Konfliktmanagement, die organisatorische Weisungsbefugnis gegenüber allen im OP tätigen Mitarbeitern (Process owner). Er hat die Informationshoheit und ist direkt dem Direktorium/Vorstand unterstellt. In der folgenden Übersicht findet sich die detaillierte Stellen- und Aufgabenbeschreibung eines OP-Managers.
Aufgaben des OP-Managers
10
Der OP-Manager ist Teil des OP-Managements, mitbestehend aus OP-Koordinator und der zentralen OP-/Anästhesiepflegedienstleitung in Abstimmung mit dem Krankenhausvorstand. Die Verantwortung liegt in der Planung und der Ablaufsteuerung der gesamten OP-Einheiten mit organisatorischer Weisungsbefugnis (nicht medizinisch-fachlich, pflegerisch-fachlich) gegenüber allen am OP-Ablauf beteiligten Berufsgruppen. Der OP-Manager beinhaltet dabei die Informationshoheit als Process owner.
Strategische Aufgaben
▬ Konzeption der strategischen Planung für die Organisationseinheiten in Abstimmung mit dem Vorstand ▬ Prozessanalyse
Infrastrukturelles Management
▬ Schnittstellenmanagement ▬ Entwicklung und Sicherstellung der Personalentwicklung in Abstimmung mit den Unternehmenszielen unter Einbezug der ärztlichen und pflegerischen Klinikleitungen ▬ Koordination von Wartungs-, Bau- und Reparaturterminen Entwicklung und Implementierung eines OP-Statuts, gemeinsam mit den Fachkliniken
Finanzmanagement
▬ Verantwortlich für das strategische und operative Budget-Controlling und Ableitung von Optimierungsmaßnahmen zur Einhaltung der verabredeten Budgets in Zusammenarbeit mit Vorstand und Krankenhaus-Controlling
Abteilung OP-Einheiten des …
Vertretung OP-Koordinator
Nachgeordnete Organisationseinheiten
Qualitäts- und Leistungsmanagement
Zentrale und dezentrale OP-Einheiten, ambulante OP-Einheiten, Aufwachraum, zentrale OP- und Anästhesiepflegedienstleitung, OPund Anästhesiepflegedienst, zentrale Sterilgutversorgungsabteilung (ZSVA).
▬ Monitoring der quantitativen und quali-
▼
▼
tativen Plan- und Leistungsziele
▬ Entwicklung von Kennzahlen mit Sicherstellung eines Kontrollsystems zur Darstellung der Leistungsentwicklung
144
Kapitel 10 · Implementierung des OP-Managements
▬ Implementierung und Kontrolle der vorhandenen Qualitätsmanagementstandards in Kooperation mit den leitenden Ärzten der operativen Kliniken ▬ Gegebenenfalls Entwicklung eines Belohnungs- und Anreizsystems in Abstimmung mit den Unternehmenszielen
▬ Organisatorische Weisungbefugnis gegenüber allen im OP tätigen Mitarbeitern
▬ Überwachung der Personaleinsatzplanung Kommunikations-, Informationsund Konfliktmanagement
▬ Entscheidungsfindung und Umsetzung
Kapazitätsmanagement
▬ OP-Planung kurz-, mittel- und langfristig ▬ Notfallintegration ▬ Sicherstellung der Material- und Geräte▬ ▬ ▬
▬
10
▬ ▬
disposition Engpass- und Ausfallmanagement Vergabe von OP-Kontingenten/Zeitbudgets Kontrolle und Steuerung der Planungsdaten in Abstimmung mit den planenden Kliniken Definition, Festlegung und Kontrolle der Einhaltung des Erst-Schnitt-Zeitpunkts Abstimmung bei geplanten Überziehungen der Schnitt-Naht-Zeiten Steuerung und Zuweisung von Intensivbetten (Prioritätenregelung) in Absprache mit Operateuren und Anästhesie
Patientenmanagement
▬ Überwachung und Steuerung der Patientenströme ▬ Kommunikation mit den bettenführenden Stationen ▬ Überarbeitung und Steuerung der patientenbezogenen Abläufe
Personalmanagement
▬ ▬ ▬ ▬ ▬
im Konfliktfall im OP durch den OP-Manager. Gegen die Entscheidung kann bei der Krankenhausleitung sofort Beschwerde eingereicht werden. Auf Aufforderung wird die Entscheidungsbegründung am Folgetag schriftlich formuliert, und alle Parteien werden angehört Datenauswertung, Statistik Berichts- und Informationspflicht gegenüber Krankenhausleitung, leitenden Klinikärzten, Mitarbeitern Ansprechpartner im Konfliktfall Etablierung und regelmäßige Durchführung von OP-Besprechungen als Instrument der Regelkommunikation Bei bestehender OP-Kommission regelmäßige Besprechung und Darstellung der Entwicklung der Leistungszahlen mit Beschlussfassung bei Abweichungen
Sonstiges
▬ Mitwirkung bei Planungs- und Entwicklungsbesprechungen für Baumaßnahmen
▬ Projektarbeit ▬ Teilnahme an Arbeitsgruppen mit OP-relevanten Themen
10.3.2 OP-Koordinator
▬ Informationshoheit über personelle Ressourcen, berufsgruppenübergreifend (z. B. Kongressplanung, Ausfälle, Doppelbesetzung, Ausbildung etc.) ▬ Anwendung von zeitgemäßen Führungsinstrumenten (z. B. Feedbackgespräche, Personalgespräche) ▼
In der Regel wird die Stelle des OP-Koordinators jeweils aus dem ärztlichen und/oder pflegerischen Bereich besetzt. Zu den Aufgaben gehören die Ablaufkoordination des Tagesgeschäfts, Personalplanung, Information an den OP-Manager bei Änderungen und Notfällen. In der folgenden Übersicht findet sich die detaillierte Stellen- und Aufgabenbeschreibung eines OP-Koordinators.
145 10.3 · Strukturen im OP-Management
Aufgaben des OP-Koordinators Operatives Management Verantwortung für die Planung und Ablaufsteuerung der gesamten OP-Einheiten mit organisatorischer Weisungsbefugnis gegenüber allen am OP-Ablauf beteiligten Berufsgruppen mit Informationshoheit. ▬ Planung der aktuellen Änderungen im OPPlan, Integration der Notfälle, Einplanung medizinisch dringlicher Eingriffe in das laufende OP-Tagesprogramm in Abstimmung mit den operativen Kliniken und der Anästhesie ▬ Koordination kurzfristiger Programmänderungen (z. B. Absetzen von Patienten, Saalumstellung, Änderung der Prioritäten) ▬ Berücksichtigung der Kapazitäten, der Saalauslastung und der personellen Ressourcen ▬ Abstimmung und Koordination von Operationen, die geplant über die Regelarbeitszeit hinausgehen ▬ Ansprechpartner im operativen Tagesgeschäft für Konfliktsituationen im Zusammenhang mit organisatorischen Mängeln
Kommunikations- und Informationsmanagement
▬ Vorbereitung, Koordination und Leitung von OP-Planungsbesprechungen in Absprache mit dem OP-Manager ▬ Teilnahme an Besprechungen mit OP-relevanten Inhalten ▬ Informationsweitergabe an alle Berufsgruppen über den OP betreffende Maßnahmen (z. B. Bau- und Wartungsarbeiten) ▬ Abstimmung der Material- und Logistikströme mit Fokussierung auf den OP-Ablauf
▬ Einbezug von vorhersehbaren, kapazitätsrelevanten Terminen (z. B. Besprechungen, Kongresse, Abwesenheit von verantwortlichen operativen und anästhesiologischen Leistungserbringern)
Qualitätsmanagement
▬ Mitwirkung bei Entwicklung, Optimierung und Kontrolle von Prozessstandards sowie deren Auswirkungen auf den Gesamtprozess ▬ Leitung/Teilnahme an Projekten und Maßnahmen zur Optimierung von Prozessen, organisatorischen Umstrukturierungen, baulichen Veränderungen, Implementierung von Informationstechnologie- (IT-) Support
Leistungs- und Finanzmanagement
▬ Mitarbeit bei Erstellung und Darstellung von OP-Leistungszahlen, sowie Steuerung der einzelnen budgetrelevanten Leistungsdaten in Abstimmung mit dem OP-Manager, leitenden Krankenhausärzten und Klinikleitung ▬ Beratung des OP-Managers bei der Konzeption, Anwendung und Weiterentwicklung von Belohnungs- und Anreizsystemen ▬ Umsetzung von Maßnahmen bei andauernder Nichtachtung von verbindlichen Regeln gemäß OP-Statut
Infrastrukturelles Management
▬ Koordination technischer Wartungstermine, Reparaturen etc.
▬ Überwachung logistischer Abläufe in der Ver- und Entsorgung ▬ Tageskoordination der Material- und Gerätedisposition ▬ Planung und Teilnahme an OP-Begehungen (z. B. Hygiene, Arbeitssicherheit)
Kapazitätsmanagement
▬ Kurz-, mittel- und langfristige OP-Planung in Zusammenarbeit mit dem OP-Manager
10
Sonstiges
▬ Vertretung des OP-Managers
146
Kapitel 10 · Implementierung des OP-Managements
10.3.3 Zentrale OP- und Anästhesie-
pflegedienstleitung
Kapazitätsmanagement
▬ Kurz-, mittel- und langfristige PersonalDie zentrale Funktionsdienstleitung ist Teil des OP-Managements.
einsatzplanung
▬ Einbezug von planungsrelevanten Daten (z. B. Kongresse, Urlaube, Fortbildungen)
Aufgaben der zentralen OP- und Anästhesiepflegedienstleitung Nachgeordnete Organisationseinheiten Anästhesiepflegedienst, OP-Funktionsdienst, ZSVA, Versorgungsassistenz…
Ziele Mitwirkung bei der Umsetzung von Unternehmenszielen, wirtschaftlicher Personaleinsatz, Materialeinsatz unter ökonomischer Betrachtung
Operative Aufgaben
10
▬ Fachliche und disziplinarische Leitung der
▬ ▬
▬
▬
in den benannten Bereichen eingesetzten Mitarbeitern Qualifikationsbezogene Personaleinsatzplanung Sicherstellung eines optimalen OP-Tagesablaufs in Zusammenarbeit mit OP-Manager und OP-Koordinator Sicherstellung der Einhaltung von arbeits- und gesundheitsrechtlich relevanten Bestimmungen und Vorschriften (z. B. ArZG, Mutterschutzgesetz, Hygieneverordnungen) Teilnahme an Begehungen
Kommunikations- und Informationsmanagement
▬ Durchführung von Dienstbesprechungen ▬ Teilnahme an OP-Besprechungen ▼
Qualitätsmanagement
▬ Definition der Weiterentwicklung von Qualitätsstandards und Implementierung in die klinischen Prozesse ▬ Mitwirkung bei Entwicklung, Optimierung und Kontrolle von Prozessstandards sowie deren Auswirkungen auf den Gesamtprozess ▬ Leitung und/oder Teilnahme an Projekten zu organisatorischen Umstrukturierungen, baulichen Veränderungen, Implementierung von EDV-Support ▬ Konzeption von innovativen Personaleinsatzkonzepten, Ausfallkonzepten
Leistungs- und Finanzmanagement
▬ Mitarbeit bei der Darstellung von OPLeistungszahlen in Zusammenarbeit mit dem OP-Manager ▬ Bereitstellungsverantwortung für angeforderte Ressourcen (Material, Personal)
Infrastrukturelles Management
▬ Koordination technischer Wartungstermine, Reparaturen etc.
▬ Überwachung und Steuerung von Material- und Logistikabläufen in Verund Entsorgung
Sonstiges
▬ Sicherstellung der pflegerischen Dokumentation
▬ Organisation von Schulungsmaßnahmen
147 10.3 · Strukturen im OP-Management
10.3.4 OP-Kommission Die OP-Kommission ist interdisziplinär besetzt. Es finden regelmäßige Treffen unter der Moderation des OP-Managers statt, in denen die Bearbeitung OP-relevanter Themen, die Erarbeitung von Standards, SOPs, Verfahrensanweisungen etc. vorgenommen werden (⊡ Abb. 10.3)
Klinikumsvorstand
Klinikdirektoren
Planungsverantwortliche Oberärzte Fachabteilungen OP/AN
Ärztlicher Dienst OP/AN
Direkte Unterstellung Vorstand, Berichtswesen OP-Manager/OPKoordinator Organisatorische Weisungsbefugnis interdisziplinär, berufsgruppenübergreifend. Informationshoheit über alle den OP betreffenden Abläufe und Prozesse. Kapazitätsmanagement, Kontrolle u. Steuerung strategischer Zielvorgaben, OP-Planung, Steuerung u. Kontrolle Leistungsplanung, Datenauswertung, Nahtstellenkoordination, Kommunikationsmanagement
Fachliche u. disziplinarische Leitung Funktionsdienst, Sicherstellen der Einhaltung arbeitsrechtlich relevanter Vorgaben, Entwicklung u. Umsetzung Personalstrategie, Optimierung u. Einhaltung pflegerischer Qualitätsstandards, Mitwirkung bei Arbeitsgruppen zur Optimierung der Ablaufstrukturen, Umsetzung innovativer Personalkonzepte (z.B. fachübergreifender Personaleinsatz), Sicherstellung eines optimalen OP-Tagesablaufs Zentrale Pflegedienstleitung OP/AN
Fachleitungen Pflegedienst OP/AN
⊡ Abb. 10.3. Organigramm einer zentralen OP-Abteilung. OP Fachbereich OP, AN Fachbereich Anästhesie.
Pflegedienst OP/AN
10
148
Kapitel 10 · Implementierung des OP-Managements
Fazit
10
I
I
Nach Geldner et al. (2002) stellt der OPBereich ist nicht nur den teurersten Arbeitsplatz im Krankenhaus dar, sondern er bildet das wesentliche geschwindigkeitsbestimmende Moment in der Versorgung operativer Patienten. Hier liegt ein hohes Potenzial für mögliche Optimierungen der Krankenversorgung, für Einsparungen sowie für die Steigerung der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit. Die Implementierung eines effizienten und effektiven OP-Managements bewirkt eine Optimierung der OP-Auslastung, eine Reduktion der Kosten sowie eine Optimierung des Personaleinsatzes und fördert die Entwicklung strategischer Maßnahmen. Effizientes und effektives OP-Management erfüllt die folgenden Anforderungen: ▬ strategische und operative Aufgaben, ▬ Kapazitätsmanagement (Kontingentvergabe für operative Kliniken), ▬ infrastrukturelles Management (z. B. Koordination von Wartungsterminen, Baumaßnahmen), ▬ Personalmanagement (zunehmend auch Verantwortlichkeit für Personaleinsatzplanung), ▬ Ressourcensteuerung (Medizintechnik, Räume, Personal), ▬ Kommunikations- und Informationsmanagement (Etablierung von Instrumenten der Regelkommunikation, wie z. B. Planungsbesprechungen, OP-Kommission), ▬ Finanzmanagement (Budgetverantwortung), ▬ Konfliktmanagement, ▬ Projektmanagement und ▬ OP-spezifisches Controlling (z. B. Anzahl der Operationen, Anzahl der abgesetzten Elektivpatienten, Abweichungen der geplanten Zeiten (Vergleich Ist-SollZustand), Überstunden, Auslastung, Wechselzeiten, Kosten, besondere Vorkommnisse und Komplikationen etc.)
Literatur Busse T (2001) OP-Management. Decker & Hüthig, Heidelberg Geldner G, Eberhart LHJ, Trunk S, Dahmen KG, Reissmann T, Weiler T, Bach A (2002) Effizientes OP-Management: Vorschläge zur Optimierung von Prozessabläufen als Grundlage für die Erstellung eines OP-Statuts. Anaesthesist 51:760–767
11
Umsetzungsprobleme im OP-Management I. Welk
11.1
Hemmende Faktoren – 150
11.2
Schwachstellenanalyse – 150
11.2.1 11.2.2 11.2.3
Räumliche Schwachstellen – 150 Personelle Schwachstellen – 150 Organisatorische Schwachstellen – 151
11.3
Reorganisationsmaßnahmen – 152
11.4
Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung – 154
11.5
Notfallmanagement und Integration von Nachmeldungen – 155
11.6
EDV-Unterstützung – 156
150
Kapitel 11 · Umsetzungsprobleme im OP-Management
11.1 Hemmende Faktoren
11
Der strukturelle und kontinuierliche Veränderungsprozess und der zunehmende Kostendruck führen im Spannungsfeld zwischen Medizin, Pflege und Ökonomie zu den unterschiedlichsten Reaktionen. Der größte Widerstand gegen ein OP-Management liegt in der Angst vor Fremdbestimmung und vor dem Verlust von Abteilungsautonomien. Der unternehmerische Denkansatz und das systemische Prozessdenken sind nicht stark genug ausgeprägt, um den komplexen und oftmals existenziellen Herausforderungen zu begegnen. Diskussionen über eine Synchronisation der Arbeitszeiten und Ausweitung von Betriebszeiten werden überflüssig, wenn die Notwendigkeit einer Prozessund Ablaufreorganisation in OP-Bereichen unter einem gesamtunternehmerischen Fokus betrachtet wird. Erschwernisse in der Umsetzung bestehen in: ▬ gewachsenen Strukturen, ▬ einem statischen Organisationsmodell, ▬ unterschiedlichen Arbeitszeiten, ▬ nicht auf den OP fokussierten und abteilungsinternen »workflows«, ▬ der baulichen Infrastruktur, ▬ einer inhomogenen Ressourcenanforderung, ▬ Kommunikationsdefiziten, ▬ rigiden hierarchischen Strukturen und ▬ Partikularinteressen.
11.2 Schwachstellenanalyse Das im Alltag erlebte und gelebte Planungsverhalten ohne OP-Management harmonisiert oftmals nicht mit den tatsächlich vorhandenen Ressourcen. Der Tagesablauf wird von Änderungen und Umstellungen bestimmt. Hierzu gehören anfallende Notfälle und Nachmeldungen, die großzügig unter der Angabe Notfall angemeldet werden. In der Schwachstellenanalyse findet sich eine Unterteilung in:
▬ strukturelle, ▬ personelle und ▬ organisatorische Bereiche.
11.2.1 Räumliche Schwachstellen Räumliche Einschränkungen können sich extrem restriktiv auf die Geamtorganisation im OP auswirken, da sie oftmals als »organisatorisches Nadelöhr« wirken und nur schwer durch Ablaufoptimierung kompensiert werden können. Als Beispiel sollen hier die klassischen Engpässe durch begrenzte Aufzugs- und Schleusenkapazität genannt werden. Zunehmend wird der Gesamtablauf durch fehlende »holding area«, unzureichende Aufwachraumkapazität und fehlende Räumlichkeiten für überlappende OP- und anästhesiebezogene Vorbereitungen beeinflusst. Praxistipp Sonderfahrtschaltung für Patiententransporte und gestaffelte Einschleusungszeiten können helfen, räumliche Engpässe zu kompensieren.
11.2.2 Personelle Schwachstellen Durch andauernde Missstände im Ablauf kommt es konsekutiv zu höheren Ausfallzeiten und zur Fluktuation. Die Leistungsbereitschaft wird durch Mitarbeiterunzufriedenheit und zurückgehende Motivation beeinflusst. Dieser Effekt wird durch mangelnde Transparenz und Kommunikation noch verstärkt. Praxistipp Reorganisationsprojekte mit aktiver Teilnahme der Mitarbeiter führen zu Identifikation und Motivation im zukunftsorientierten Arbeitsplatz OP.
151 11.2 · Schwachstellenanalyse
11.2.3 Organisatorische
Schwachstellen Zu diesem Punkt gehören die Komplexität der OP-Planung, das Zeitmanagement und die Bereitstellung der angeforderten Ressourcen (z. B. Instrumente, Medizintechnik etc.). Störende Einflüsse auf den Gesamtablauf sind häufig multifaktoriell und finden sich im Zusammenspiel der Schnittstellen (⊡ Abb. 11.1) durch fehlende Synchronisation von Teilprozessen wieder. In Mitarbeiterbefragungen (Welk 2003, Mitarbeiterbefragung an 350 Teilnehmern aus OP und Anästhesie; unveröffentl. Daten,) finden sich zum Thema Optimierungsbedarf folgende Antworten in absteigender Häufigkeit (Mehrfachnennungen möglich): ▬ Warten auf Patienten, Warten auf Personal, ▬ Verzögerungen des morgendlichen Starts, ▬ Umstellungen im Programm, späte Planung, unrealistische Zeitplanung, unvollständige Angaben im OP-Plan, ▬ knappe Personalressourcen, unzureichende Kommunikation,
Notaufnahme
Blutdepot
▬ lange Wechselzeiten, keine Verbindlichkeiten, keine Planungsstabilität, ▬ Umgang mit dem Notfallbegriff und ▬ paralleler Personaleinsatz (»Saal hopping«). Bei der Prozessbetrachtung sind alle beteiligten Schnittstellen, zukünftig besser als Nahtstellen verstanden, zu berücksichtigen, da sie nicht unerheblichen Einfluss auf Reorganisationsmaßnahmen haben. Als Hauptziel gilt es hier Kooperation und Kommunikation zu verbessern. Typische Schwachstellen im Nahtstellenmanagement sind: ▬ keine Synchronisation zwischen ärztlicher, pflegerischer und kaufmännischer Betrachtung, ▬ defizitäre Kommunikation mit unvollständiger/fehlender und v. a. nicht zeitnaher Informationsweiterleitung, ▬ mangelnde Abstimmung im Versorgungsprozess (unklare Formulierungen, doppelte Leistungsanforderung) und ▬ fehlende Berücksichtigung bei Ablauf- und Strukturveränderungen.
Röntgen
Anästh.-Amb.
Anästhesieärzte
Diagnostik
OPManagement
ZSVA
Reinigungsdienst
Labor
AWR / ITS
Operateure
Bettenstationen
OP / AN-Pflege
11
Bettenzentrale
⊡ Abb. 11.1. Vernetzungen
152
Kapitel 11 · Umsetzungsprobleme im OP-Management
Betrachtet man den Gesamtablauf, bietet das Nahtstellenmanagement eine facettenreiche Herausforderung, aber auch ein sinnvolles Aufgabenfeld für das OP-Management. Die Harmonisierung der Kooperation hat unmittelbaren Einfluss auf die Abläufe im OP-Bereich. Folgende Teilprozesse (Beispiele) haben bei fehlender oder lückenhafter Organisation erhebliche Auswirkungen auf die Kostensituation und beeinflussen die Effektivität des OP-Managements negativ:
Postoperative Organisation ▬ Nichtausreichende Aufwachraum, Intensivund »Intermediate care- (IMC-)Kapazitäten« führen zu mangelhafter Patientenversorgung. ▬ Durch fehlende Befunde und Warten auf die Übernahme durch nachsorgende Einheiten werden Entlassungen verzögert.
Patientenadministration ▬ Keine Informationen über Absagen bzw. Nichteinhalten von Terminen führen konsekutiv zu Leerläufen und Wartezeiten.
Das OP-Management ist ein zentrales und internes Steuerungsinstrument für eine strukturierte und prozessorientierte Ablaufoptimierung ( Abschn. 12.3) und darf nicht als Fremdbestimmung verstanden werden. Gemeinsam erarbeitete Strategien resultieren in einer Effektivitäts- und Effizienzsteigerung ( Abschn. 10.1) und sind als Motivationsinstrument mit Synergieeffekten zu betrachten.
Diagnostik ▬ Unvollständige Diagnostik führt zu Informationslücken und ggf. zu einer Verschiebung von OP-Terminen. ▬ Lange Wartezeiten für Patienten resultieren aus unkoordinierter Terminvergabe.
11
Präoperative Organisation ▬ Die präoperative Verweildauer wird durch zusätzliche Untersuchungen oder fehlende Befunde verlängert. OP ▬ Eine nichtbedarfsadaptierte Auslastung entsteht durch Unter- bzw. Überplanung. ▬ Absetzen und Verschieben von OP-Terminen sind Folgen einer unkoordinierten Planung und Einbestellung von postoperativ intensivpflichtigen Patienten. ▬ Ein nichtdefiniertes Procedere für die Versorgung von Notfällen erschwert die OP-Organisation. ▬ Ein fehlendes OP-Statut verhindert definierte Maßnahmen. ▬ Fehlende Fokussierung der abteilungsinternen Workflows auf den OP verhindert kompetente Zusammenarbeit.
11.3 Reorganisationsmaßnahmen
! Transparenz, Kommunikation und Kooperation müssen aktiv gelebt werden, um den Versorgungsauftrag für Patienten mit der Professionalität zu erfüllen, die alle Berufsgruppen für sich definieren.
Umstrukturierungen bedeuten immer auch einen Appell an Flexibilität und Öffnung für strategische Neuorientierung. Gleichzeitig stellen sie jedoch ein großes Konfliktpotenzial durch emotionalisierte Spannungsfelder dar. Alle Maßnahmen in »Change-Management-Prozessen« müssen die aktive Teilnahme der Mitarbeiter fordern und unterstützen. Sie sollen eine Chance zur aktiven, innovativen Mitgestaltung und damit zur Identifikation und Motivation am zukunftsorientierten Arbeitsplatz OP zu bieten. Für ein strukturiertes Vorgehen sollten die folgenden Fragen beantwortet werden: ▬ Unternehmenspolitik: Wer wollen wir sein? ▬ Strategie: Wo wollen wir hin? ▬ Operative Planung: Wie erreichen wir das? ▬ Zeitrahmen: Welche Teilziele (Meilensteine) sollen wann erreicht werden?
153 11.3 · Reorganisationsmaßnahmen
▬ Zielformulierung: Was soll das Resultat sein? ▬ Maßnahmen: Welcher Weg führt zum Ziel? Hierbei müssen die Anforderungen der Kostenträger nach Reduktion der Verweildauer und Erhöhung der Leistungszahlen in die Reorganisationsmaßnahmen miteinfließen. Gleichzeitig zwingt die immer knapper werdende Personalsituation zur Etablierung von neuen Strukturen. Das OP-Management ist gefordert, Kostentransparenz in das gesamte OP-Geschehen zu bringen, da sich der OP als betriebswirtschaftlich teurer Bereich in der Wertschöpfungskette Operation darstellt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen folgende Fragen im Vordergrund: ▬ Welche Kosten entstehen für welche Leistung? ▬ Welche Einsparpotenziale sind wo möglich? ▬ Welche Leistungen »lohnen« sich zukünftig? Die Ziele von Reorganisationsmaßnahmen im Krankenhaus und v. a. im OP lassen sich, wie folgt, zusammenfassen: ▬ Kostenreduktion, ▬ Erhöhung der Effektivität, ▬ Steigerung der Qualität, ▬ Erhöhung der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit sowie ▬ Prozessorientierung. Die effiziente Nutzung der bestehenden OPSaalkapazitäten sowie der optimierte Einsatz der vorhandenen Personal- und medizintechnischen Ressourcen sollen erreicht werden. Diese Herausforderung definiert die Maßnahmen des OP-Managements; dies lässt sich an den im Folgenden beschriebenen Beispielen verdeutlichen. Bestehen z. B. räumliche Einschränkungen (dezentrale Lage des Aufwachraums, der Intensivstation oder einzelner Kliniken), so ist meist ein erheblicher organisatorischer Aufwand und/ oder erhöhter Personalaufwand erforderlich. Da bauliche Maßnahmen kostenintensiv sind, ist die Fokussierung auf OP-bezogene Abläufe bereits bei Neubauplanungen einzufordern. Der festen
11
Zuordnung und monofunktionalen Nutzung von Sälen sollte eine interdisziplinäre Saalbelegung vorgezogen werden, da eine flexible Saalnutzung zu einer Entzerrung von Arbeitsverdichtungen und zu einer bedarfsadaptierten Auslastung führt. Auch der Aspekt der multifunktionalen Nutzung von OP-Sälen ist bei Neu- und Umbauplanungen von Bedeutung, um den tatsächlichen Saalbedarf und teure Reinraumvorhaltung zu reduzieren. Leer stehende Räume verkommen oft zu teuren Abstell- und Lagerräumen und werden zu potenziellen hygienischen Risiken. Die flexible Nutzung, verbunden mit Rotation und fachübergreifendem Personaleinsatz in der Pflege, führt oftmals zu einer Entzerrung von personellen Engpässen. Die fachlichen Spezifikationen und die speziellen Anforderungen der jeweiligen Fachklinik müssen im Rahmen dieser Konzepte jedoch besondere Beachtung finden, denn sie bestimmen, wie viele Fachdisziplinen gleichzeitig von einer einzelnen OP-Fachpflegekraft instrumentiert werden können. Das Raum- und Flächenmanagement ist sinnvollerweise beim OPManagement anzusiedeln. Im Tagesgeschehen verdeutlicht sich berufsgruppenübergreifend die zentrale Bedeutung der Personalknappheit, weil Optimierungsansätze eines Teilprozesses durch die fehlende Präsenz von Personal eines anderen Teilprozesses zunichte gemacht werden und hierdurch »gewonnene Zeit« wieder in Leerlauf und Warten konvertiert. (Beispiel: Verkürzung der Wechselzeiten durch überlappende Einleitungen und Nutzung von zentralen Einleitungsräumen werden neutralisiert, wenn auf das Reinigungspersonal gewartet werden muss.) Bei der Bereitstellung von medizintechnischen Geräten sowie notwendigem Material und Instrumenten bedarf es einer engen Abstimmung mit allen beteiligten Berufsgruppen, um bereits in der Vorplanung Engpässe oder mögliche Nutzungskollisionen zu erkennen. Im Tagesablauf wird der Patientenstrom durch das OP-Management derart gesteuert, dass Wartezeiten auf Patienten minimiert werden. Je nach Infrastruktur findet sich immer häufiger die Etablierung einer sog. periopera-
154
11
Kapitel 11 · Umsetzungsprobleme im OP-Management
tiven Behandlungseinheit (POBE) oder einer »holding area« als Wartebereich in unmittelbarer OP-Anbindung. In diesen Einheiten können sich Patienten unter adäquater Überwachung in ihrem Bett bis zur OP aufhalten. Somit werden Wartezeiten auf Aufzüge, Engpässe durch zu geringe Schleusenkapazität und Verschiebungen im Zeitmanagement laufender Operationen aufgefangen. Auch der Patientenkomfort wird positiv beeinflusst. Fehlen bauliche Möglichkeiten, kann auch über eine Nutzung des Aufwachraums nachgedacht werden, hier sind jedoch die Befindlichkeiten zwischen wartenden und frisch postanästhesiologischen Patienten in der Aufwachphase zu berücksichtigen. Im Bereich der OP-Instrumenten- und OP-Tisch-Vorbereitung sind Rüsträume für die OP-Pflege sinnvoll, in denen die Vorbereitung für die Folgeoperation während der laufenden OP vorgenommen werden kann. Um die bestehende Ausgangssituation zu erfassen, macht es Sinn, die Ist-Situation über einen definierten Zeitraum durch Beobachtung vor Ort und Befragung der Mitarbeiter in Form von Interviews zu erfassen. Die persönliche Mitarbeiterbefragung dient hierbei nicht ausschließlich der Informationssammlung, sondern führt durch den aktiven Einbezug zu stärkerer Identifikation und bietet einen Motivationsanreiz. Ziel ist das Gespräch mit Klinikdirektoren und Chefärzten sowie leitenden Mitarbeitern im OP, um das Reorganisationsprojekt vorzustellen. Durch breit gefächerte Information und Transparenz kann die Akzeptanz erhöht werden. Nach Information der Schlüsselpersonen erfolgt eine Informationsveranstaltung für alle im OP-Bereich tätigen Mitarbeiter. Hier werden Zweck des Projektes, Ziele, Vorgehen im Projekt und Zeitplan für die Umsetzung detailliert betrachtet. ! OP-Management und Reorganisationsprojekte sind nach ihrer Etablierung nicht abgeschlossen, sondern sind dynamische Prozesse, die kontinuierlich angepasst werden müssen.
11.4 Faktoren für eine erfolgreiche
Umsetzung Voraussetzung für eine erfolgreiche Umstrukturierung sind: ▬ Transparenz der Notwendigkeit von Änderungsmaßnahmen (Darstellung der »Winwin-Situation«), ▬ Möglichkeit der aktiven Teilnahme, ▬ Bereitschaft aller Beteiligten zur Umsetzung, ▬ Rückmeldung über positive und negative Ergebnisse sowie ▬ externe Moderation und Projektbegleitung. Die Reorganisationsansätze in Institutionen der Krankenversorgung treffen auf ein heterogenes Umfeld, in dem es für alle Mitarbeiter schwierig (und ungewohnt) ist, in Prozessen, wie man sie klassisch aus der Industrie kennt, zu denken und Prozesse als solche zu erkennen. ! Der erste Schritt einer erfolgreichen Umstrukturierung besteht darin, dass Bewusstsein und das Erkennen der Notwendigkeit für Änderungen zu schulen.
In der folgenden Übersicht wird eine schrittweise Umsetzungsstrategie, die oft auch durch Moderation externer Beratungsunternehmen initiiert wird, und die sich in der Praxis bewährt hat, aufgezeigt.
Schritte in der Umsetzung ▬ Definition der Rahmenbedingungen: Zeitbedarf vs. Zeitressourcen, Konfliktpotenzial, Kooperationsbereitschaft, Bereitschaft zur Veränderung, Zusammensetzung der Arbeitsgruppe, Umgang mit Verweigerungen etc.
▬ Auswahl einzelner Prozesse und Priorisierung des Handlungsbedarfes: ▼
155 11.5 · Notfallmanagement und Integration von Nachmeldungen
Auswahl, Prüfung geeigneter Prozesse und Konsens über die Priorität ▬ Beschreibung und Ist-Analyse: Idealerweise mit Moderation, um eine objektive Betrachtung zu unterstützen und emotionalisierte Spannungsfelder zu entschärfen
▬ Prozessbetrachtung, Festlegung der Optimierungsmaßnahme und Erstellung eines konkreten Maßnahmenplans: Ist der gewählte Prozess/ Teilprozess relevant für die Gesamtbetrachtung? Welchen Einfluss hat er, und wie wird er beeinflusst? Können Synergieeffekte genutzt werden? Gibt es IT-Support für die Darstellung?
▬ Implementierung, Nachbetrachtung und ggf. Anpassung: ggf. Pilotierung, Monitoring und Feedback von Ziel bzw. Erreichungsgraden/Abweichungen
11.5 Notfallmanagement
und Integration von Nachmeldungen Das OP-Programm wird in der Praxis durch Notfälle unterbrochen; dies führt oft zum Absetzen von geplanten Operationen. Um eine Planungsstabilität für Operateure, Anästhesie, Personal und v. a. für den Patienten zu gewährleisten, ist eine Definition der Fallkategorien und eine Festlegung der zeitlichen Versorgung sinnvoll. Festgelegte Zeitfenster unterstützen das OP-Management als primär organisatorischen Ansprechpartner und vermeiden unnötige Diskussionen über medizinische Indikationen. Ziel ist die schnellstmögliche Versorgung, möglichst ohne Absetzen von elektiven Operationen, die in einer Verlängerung der Krankenhausverweildauer, möglichen Kollisionen mit der Folgetagplanung, Patientenunzufriedenheit (z. B. fehlende Termintreue, Angst, Nahrungskarenz,
11
fehlende Sozialplanung) und Unzufriedenheit des Personals resultieren würden. Beispiele für die Definition von Zeitfenstern für die operative Versorgung von Notfällen und Nachmeldungen sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Fallkategorien und zeitliche Versorgung ▬ Notfall (vitale Indikation): Operative Intervention ohne zeitliche Verzögerung in einem freien oder dem nächsten frei werdenden Saal (ggf. Abbruch einer begonnenen Einleitung oder Verbringen des intubierten Patienten in den Aufwachraum); größter organisatorischer Aufwand unter Zeitdruck. Klassische Definition für Begriffsverwendung Notfall (z. B. Ruptur innerer Organe, Notsectio). ▬ Dringliche Versorgung: Wenn die operative Intervention innerhalb eines bestimmten Zeitfensters durchzuführen ist, d. h. der Patient wird als Nächster in das laufende Programm der zuständigen Fachklinik integriert oder im Bereitschaftsdienst in das laufende Programm aufgenommen (z. B. offene Frakturen, Amotio retinae). ▬ Aufgeschobene Dringlichkeit: Indiziert, wenn Patienten aufgrund schmerzhafter Krankheitsbilder einer zügigen Therapie zugeführt werden müssen, ohne das definierte Zeitvorgaben existieren (z. B. Abszesse). Diese Operationen werden in das Programm der jeweiligen Fachklinik eingeplant oder nach Beendigung der Regelarbeitszeit in das Notfallprogramm oder die Folgetagplanung integriert. ▬ Elektiv: Eingriffe, die in Umfang, Dauer und Termin mindestens 24 h im Voraus geplant werden
156
Kapitel 11 · Umsetzungsprobleme im OP-Management
11.6 EDV-Unterstützung Für die OP-Planung ist der Einsatz einer unterstützenden EDV-Software hilfreich. Sie ermöglicht einen zeitnahen Informationszugriff und unterstützt das OP-Management, aber auch Operateure und OP-Personal in Koordination und Kommunikation. Einige Informationstechnologie- (IT-)Lösungen ( Kap. 14) bilden eine Echtzeitstatusdarstellung im Plan-/Ist-Ablauf des jeweiligen OP-Saales ab (⊡ Abb. 11.2) und ermöglichen dem OP-Management, gerade bei größeren OP-Einheiten eine frühzeitige Detektion von Zeitabweichungen (OP-Ablaufsteuerung) und bedarfsadaptierte Umstellung.
11
⊡ Abb. 11.2. Ablaufsteuerung im OP
Fazit
I
I
OP-Management in der Praxis stößt auf verschiedene Hemmnisse. Die Analyse von Schwachstellen im strukturellen, personellen und organisatorischen Bereich deckt Mängel auf, die es zu beseitigen gilt. Reorganisationsmaßnahmen und deren erfolgreiche Durchführung hängen wesentlich davon ab, wie Mitarbeiter in Umstrukturierungen eingebunden werden. Kooperation und Kommunikation müssen gefördert, gültige Definitionen müssen getroffen werden. Dann offenbart sich im OP-Bereich ein Optimierungspotenzial, das sich nach seiner Umsetzung positiv auf den gesamten Leistungsprozess eines Krankenhauses auswirkt.
12
Prozessorientierte Maßnahmen I. Welk
12.1
OP-Plan – 158
12.2
Reihenfolge der Operationen – 158
12.3
Prozessanalyse und Prozessoptimierung – 159
12.3.1 12.3.2
Beispiel des definierten Erst-Schnitt-Zeitpunkts – 159 Optimierung von Betriebsabläufen im OP – 160
158
Kapitel 12 · Prozessorientierte Maßnahmen
12.1 OP-Plan Die OP-Planung bietet fast jeden Tag Diskussionsbedarf und findet sich oftmals in zahlreichen Druckversionen des mehrfach neu überarbeiteten OP-Plans für den nächsten Tag wieder. Man unterscheidet den OP-Plan der jeweiligen Fachklinik für den einzelnen Patienten und den endgültigen Gesamtplan für den jeweiligen OP-Tag. ! Aufgabe des OP-Managements ist es, die »Vorpläne« unter Beachtung der Planungs- und Zeitvorgaben sowie der vorhandenen materiellen, technischen und personellen Ressourcen in einem verbindlichen Endplan zusammenzufassen und freizugeben.
12
Da die Planung Grundlage für die Organisation und Koordination der Abläufe, der benötigten Ressourcen sowie der Personaleinsatzplanung darstellt, müssen Basisinformationen auf dem OP-Plan als Standard verabredet werden. Als wichtigste Information für das OP-Management ist die Benennung eines Planungsverantwortlichen pro operativer Klinik (mit Entscheidungskompetenz!), Erreichbarkeit und Vertretungsregelung. In der folgenden Übersicht findet sich eine Auflistung der in einem OP-Plan für einen einzelnen Patienten zusammengestellten Informationen.
Inhalte eines OP-Plans für einen Patienten
▬ Patientendaten (Aufnahme- oder Fall-
▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▼
nummer, Nachname, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht, Station) Saal Klinik/Fachbereich Operationsdatum Abfolge der Operation (an welcher Stelle im Saal) Präoperative Diagnose (wenn möglich mit Angabe der zu operierenden Seite, z. B. Meniskusläsion am rechten Knie)
▬ Geplante Operation ▬ Operateur/Assistenz/zusätzlich beteiligte Fachabteilungen
▬ Anästhesist ▬ Instrumentier- u. Anästhesiepflege (wenn möglich)
▬ Zeitangabe für die Operation (Beachte: Für
▬
▬ ▬ ▬
▬
die Planung ist die voraussichtliche Anästhesiezeit ebenfalls planungsrelevant!) Anästhesieverfahren, anästhesiebezogene Besonderheiten (z. B. Blutkonservenbereitstellung, Cell-Saver, fiberoptische Intubation etc.) Postoperative Intensivpflicht Operationsbezogene Besonderheiten (z. B. Lagerung, Durchleuchtung etc.) Besonderheiten (z. B. Spezialprothese, Angaben über Begleitinfektionen, zusätzlich benötigte medizinisch-technische Geräte, intraoperativer Schnellschnitt etc.) Hinweise auf patientenbezogene Besonderheiten (z. B. kulturell-relgiöse Aspekte)
12.2 Reihenfolge der Operationen Gerade die ungeplante Abfolge von zu operierenden Patienten in einem Saal stellt das OPManagement und die beteiligten Mitarbeiter vor erhebliche Koordinationsprobleme. So können gehäufte Operationen gleicher Art z. B. in der Zentralsterilisation dazu führen, dass die Anzahl an Sieben nicht ausreicht oder z. B. der Parallelbedarf an Röntgendurchleuchtungsgeräten nicht gedeckt werden kann. Dies resultiert in Warteund Leerlaufzeiten im OP. Daher müssen in der Planung bereits folgende Aspekte berücksichtigt werden: ▬ patientenbezogene Voraussetzungen, ▬ operationsbedingte Voraussetzungen, ▬ personalbezogene Voraussetzungen und ▬ geräte-/instrumentenbedingte Voraussetzungen.
159 12.3 · Prozessanalyse und Prozessoptimierung
Patientenbezogene Voraussetzungen. Hierzu zählen v. a. medizinische Indikationen und Absprachen, sowie das Einbestellungsprocedere im Haus. Zum Beispiel sollte ein Diabetiker möglichst an erster Stelle im OP-Plan vorgesehen werden, da es bei Wartezeiten zu Dehydratation und Blutzuckerverschiebungen kommen kann. Ebenso Kinder sollten bis 12 Jahren und Allergiker zuerst operiert werden. Bei Allergikern sind besonders die Latexallergiker betroffen, da die Allergenbelastung der Luft mit Fortschreiten der Saalnutzung zunimmt. Praxistipp Um Ablaufverzögerungen zu Beginn des OPTages zu vermeiden, sollten am gleichen Tag einbestellte Patienten nicht als Erste eingeplant werden.
Operationsbedingte Voraussetzungen. Diese beziehen sich auf alle Ursachen, die eine exakt planbare und verlässliche Steuerung durch das OP-Management erschweren. So sollten Operationen, die schwierig und/oder unkalkulierbar sind, an die erste Stelle des Programms gesetzt werden, um dem OP-Management zu ermöglichen, noch ausstehende kürzer andauernde Operationen auf andere Säle zu verteilen und damit das Absetzen von geplanten Operationen zu vermeiden. Praxistipp Eine Verteilung von unterschiedlich dauernden Operationen ermöglicht eine ausgewogene Logistik innerhalb des Tagesablaufs (z. B. Entzerrung der Schleusensituation, Anpassung an Aufwachraumkapazitäten etc.).
Personalbezogene Voraussetzungen. Personalbezogene Faktoren beziehen sich auf mögliche Spezialeingriffe/Operationsarten mit Personalbindung. Zu beachten sind auch die Ausbildungsbedarfe und die Notwendigkeit von zusätzlichem Personal bzw. die Just-in-time-Koordination, wenn Operateure aus anderen Fachdisziplinen hinzugezogen werden.
12
Praxistipp Parallele Operationen mit einem Operateur sollten vermieden werden.
Geräte-/instrumentenbedingte Voraussetzungen. Das Risiko einer instrumentenbezogenen Komplikationen durch fehlende Instrumente oder fehlendes Spezialzubehör sollte möglichst in der Vorplanung erkannt und verhindert werden. Der Circulus vitiosus persistierender Organisationsmängel zeigt sich in: ▬ Abnahme der Anzahl von Operationen, ▬ Abnahme der Mitarbeiterzufriedenheit (Fluktuation, Zunahme der Ausfallzeiten, Abnahme der Motivation), ▬ Abnahme der Patientenzufriedenheit und ▬ Erlösverlust.
12.3 Prozessanalyse und
Prozessoptimierung Für das betriebswirtschaftliche Krankenhausmanagement ist die Transparenz von Prozessen Handlungsgrundlage, um zielgerichtete Steuerungsmaßnahmen einzusetzen. Die Forderung nach stärkerer Prozessorientierung und Optimierung betrifft die gesamte Wertschöpfungskette in der Patientenversorgung von der Aufnahme bis zur Entlassung mit allen Teilprozessen (z. B. Administration, Diagnostik, Operation etc.). Um Prozesse zu verändern, sind die exakte und systematische Betrachtung der einzelnen Schritte und Nahtstellen sowie das Umdenken bei allen Beteiligten (»Denken in Prozessen statt in Zuständigkeiten«) Voraussetzung.
12.3.1 Beispiel des definierten
Erst-Schnitt-Zeitpunkts Ein Ansatz, um OP-bezogene Prozesse, zu optimieren, besteht z. B. darin, den Beginn des
160
12
Kapitel 12 · Prozessorientierte Maßnahmen
ersten Programmpunkts im OP-Saal festzulegen. Alle Teilprozesse können sich somit in ihrem jeweiligen Zeitbedarf am Startpunkt ausrichten. Folgende Faktoren haben Einfluss auf den Start der ersten Operation (Erst-Schnitt-Zeitpunkt) im Saal und sind in der Gesamtbetrachtung nicht zu vernachlässigen. Eine Veränderung bewirkt oftmals einen Dominoeffekt bei den nachfolgenden Prozessen: ▬ Dienstbeginn auf den bettenführenden Stationen, ▬ Dienstbeginn der Ärzte, des Pflege- und sonstigen Personals, ▬ abteilungsinterne »workflows« (z. B. Visiten, Frühbesprechungen), ▬ Vollständigkeit der Patientenunterlagen, ▬ Kapazität der Aufzüge, ▬ dezentrale/zentrale Lage der Stationen und OP-Bereiche, ▬ Schleusenkapazität, ▬ Änderungen im OP-Programm, ▬ fehlende Verbindlichkeit des ersten Programmpunkts, ▬ fehlende Intensivbettenkapazität, ▬ Dauer der Anästhesievorbereitung und -einleitung, ▬ Dauer der Instrumentenvorbereitung, OPPflege, ▬ Verfügbarkeit von Personalressourcen der jeweiligen Berufsgruppen, ▬ Anwesenheit der Operateure und Assistenten, ▬ Lagerungsaufwand zur Operation, ▬ Dauer der Maßnahmen zur Operationsvorbereitung (z. B. Durchleuchtung), ▬ abwaschen, abdecken, ▬ Verfügbarkeit von medizintechnischen Geräten und »Spezial-Equipment« (z. B. Spezialprothesen, »Leasing-Instrumentarium«) und ▬ Einbestellungszeitpunkt der Patienten am Operationstag, Dauer der Administration.
12.3.2 Optimierung von
Betriebsabläufen im OP Zusammenfassend werden in der folgenden Aufzählung die Faktoren genannt, die einen optimalen Betriebsablauf im OP gewährleisten: ▬ definierter Kompetenzrahmen des OP-Managements (Prosess owner mit Informationshoheit und organisatorischer Weisungsbefugnis gegenüber allen im OP tätigen Mitarbeitern), ▬ OP-Statut als verbindliche Handlungsgrundlage, ▬ Implementierung einer OP-Kommission, ▬ flexible Saalnutzung (interdisziplinär), ▬ OP-Planung (kurz,- mittel- und langfristig), ▬ Notfallintegration, ▬ ein verantwortlicher Planungsbeauftragte in jeder Fachklinik, ▬ Regelung für den Umgang mit Nachmeldungen und Programmumstellungen, ▬ Etablierung von Instrumenten der Regelkommunikation sowie ▬ Berichtswesen, Evaluierung von Kennzahlen und Leistungszahlen. Fazit
I
I
Strukturierte, prozessorientierte Maßnahmen, wie die Erarbeitung durchführbarer sowie verbindlicher OP-Pläne, und die Beachtung wichtiger Kriterien zur Organisation und Koordination, wie sie am Beispiel des definierten Erst-Schnitt-Zeitpunkts aufgezeigt wurden, optimieren die Prozesse im OP. Allen Beteiligten muss bewusst sein, dass es sich dabei um einen langwierigen Veränderungsprozess handelt, der nur mithilfe eines gut funktionierenden OP-Managements ermöglicht wird. Erreicht werden hierbei Transparenz in der Ablauforganisation, Definition von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, Standardisierung und Flexibilisierung und, nicht zuletzt, die zielgerichtete Patientenversorgung.
13
Der Weg zur Investitionsentscheidung C. Schafmayer, G. Zehle
13.1
Investitionen – 164
13.2
Langfristige Investitionsentscheidung – 164
13.3
Zieldefinition – 165
13.4
Quantifizierung und Vergleich der möglichen Methodenansätze – 166
13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4 13.4.5 13.4.6 13.4.7 13.4.8 13.4.9 13.4.10 13.4.11
Rahmendaten – 166 Kosten – 166 Variable Kosten – 166 Komplikationskosten – 168 Einbußen durch reduzierte Operationsanzahl – 169 Kalkulation des Beitrags – 170 Berechnung von Cash flows, Amortisationszeit und Profit – 170 Cash-flow-Diagramm – 171 Anlaufkosten und Zuschüsse – 173 Fehler und Risiken – 173 Möglichkeiten einer kostengünstigeren Investition – 173
13.5
Die Entscheidung – 173
164
Kapitel 13 · Der Weg zur Investitionsentscheidung
13.1 Investitionen Investitionen sind Entscheidungen zwischen Alternativen. Allerdings sind Annahmen über zukünftige Entwicklungen in vielen Entscheidungssituationen unsicher. Zwar können wir Entscheidungen »aus dem Bauch heraus« treffen, aber dann sollte man nicht von Entscheidungen reden. Also brauchen wir Techniken, die beim Entscheiden helfen, sodass wir von richtigen, d. h. nachvollziehbaren Entscheidungen sprechen können. Ob eine Entscheidung »richtig« ist, wissen wir in der Regel erst nach ihrer Ausführung. Ob sie begründet oder nachvollziehbar ist, können wir vorher überprüfen. ! Investitionen dienen der Bildung von Sachkapital durch Anschaffung von Anlagen und Vorräten, um Sachgüter oder Dienstleistungen produzieren zu können.
13
Formen von Investitionen können z. B. Ersatzinvestition zum Erhalt bestehender Produktionskapazitäten sein. Erweiterungsinvestitionen führen zu einer Erweiterung der Produktionskapazitäten. Durch Rationalisierungsinvestitionen kann man kostengünstiger sowie besser und durch Umweltschutzinvestitionen ökologisch verträglicher produzieren. Alle Investitionsformen können auch bei einer einzigen Investition zusammentreffen. Sie lassen sich nicht immer »randscharf« voneinander unterscheiden. Investitionen sind die Voraussetzung für die Sicherung der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Ohne ausreichende Investitionen kommt es leicht zu einer raschen Veralterung des Kapitalstocks und durch sinkende Produktivität zu nachlassender Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. In dem folgenden Buchbeitrag wird anhand eines kurzen Beispiels eine Möglichkeit dargestellt, langfristige Investitionsentscheidungen im Krankenhaus zu treffen. Hierzu müssen folgende Fragen beatwortet werden: ▬ Von welchen Faktoren hängen die Investitionsentscheidungen ab?
▬ Worin liegt der Mehrwert? ▬ Wie werden »cash flows«, »payback period« und Profit berechnet?
13.2 Langfristige
Investitionsentscheidung Eine große Universitätsklinik steht vor der Frage, ob ein Ultraschalldissektor (UD; ⊡ Abb. 13.1) angeschafft werden soll. Die neue Oberärztin, nennen wir sie Frau Dr. Meier, nutzte so ein Gerät an ihrer früheren Klinik und behauptet, dass Leberresektionen (LRs) damit wesentlich schonender, d. h. komplikationsärmer und zügiger, durchgeführt werden können. Auf den ersten Blick sind hier für das Management keine großen geldwerten Vorteile sichtbar. Die OP ist eine Dienstleistung und wird unabhängig vom Ergebnis mit der gleichen Fallpauschale vergütet. Der hohen Anfangsinvestition steht lediglich eine verminderte Komplikationsrate gegenüber. Im Folgenden wird der Profit einer verminderten Komplikationsrate dargestellt und, darauf aufbauend, eine in der Maßnahmenwirtschaftlichkeit begründete Investitionsentscheidung getroffen. Die folgenden Fragen werden geklärt: ▬ Ist die Anschaffung eines UD für unsere Klinik wirtschaftlich? ▬ Wenn ja, welcher Gerätetyp ist wirtschaftlicher?
⊡ Abb. 13.1. Ultraschall-Dissektor Sonoca 300. (Fa. Söhring)
165 13.3 · Zieldefinition
13.3 Zieldefinition Die Klinik führt etwa 50 große LRs im Jahr durch. Die Hauptprobleme hierbei sind diffuse Blutungen aus dem schwammigen Gewebe. Nähte reißen aus, und die Elektrokoagulation führt häufig zur Verletzung weiterer Gefäße. Neuerliche Blutungen, Galleleckagen oder spätere Abszesse sind die Folge. Mit einem UD ist es möglich, eine feine und sichere Resektion durchzuführen. Mögliche Anwendungen sind: ▬ LRs, ▬ Operationen an der Milz, ▬ Operationen an der Niere und ▬ Fettreduktionsoperationen. In der Beispielklinik werden nur die ersten beiden Indikationen durchgeführt. Milzteilresektionen sind dabei so selten, dass sie für die Kosten-Nutzen-Analyse keine Rolle spielen. Um Vor- und Nachteile erfassen zu können, wird der Prozess der LR genauer betrachtet. Selbstverständlich kann die LR ohne UD durchgeführt werden. Dazu wird die Leberkapsel mithilfe der Diathermie eröffnet. Stark blutende Gefäße können mit einer Ligatur oder einem Clip versorgt werden. Weil diffuse Blutungen die Übersicht einschränken, muss zuvor das Lig. hepatoduodenale abgeklemmt werden. Der reversible Verschluss der V. porta und A. hepatica reduziert die intraoperativen Blutungen erheblich. Allerdings wird der Zeitrahmen für die Resektion eingeschränkt. Einige Ärzte sagen, dass man das Lig. nur 10 min lang abklemmen darf. Andere lassen es für 30 min oder sogar eine Stunde geschlossen. Fakt ist, dass die Zellschädigung und damit das Risiko für einen irreversiblen Leberausfall und für andere postoperative Komplikationen mit der Dauer des Sauerstoffmangels steigen. Der wesentliche Vorteil des UD ist die Möglichkeit, diffuse Blutungen zu stoppen, sodass ein Ausklemmen des Lig. kaum noch notwendig ist. Allerdings ist die Resektion mit dem UD zeitaufwändiger, da das UD-Messer Gewebe sehr langsam schneidet.
13
Das verbleibende Gewebe bleibt dabei relativ unbeeinträchtigt. Im Folgenden wird der Prozess der LR mit und ohne UD verglichen. Dabei werden 2 unterschiedlich ausgestattete UD-Typen untersucht. Folgende technische Methoden sind möglich: a) UD mit separatem Koagulationsgerät, b) UD mit integriertem Koagulationsgerät und c) Standardmethode (SM) unter Nutzung technischer Hilfsmittel, wie bipolare Schere, Argonbeamer, Kaltplasma. Die unter c) genannten Hilfsmittel sind in der Beispielklinik bereits vorhanden und werden deswegen nicht näher evaluiert. Der Einsatz des UD ist zeitaufwändig und verlängert die Dauer der LR. Sofern man mit dem UD-Handstück auch koagulieren kann, wird im Vergleich zu a) Zeit gespart. Der UD mit integriertem Koagulator verkürzt die OP-Zeit, ist aber wesentlich teurer in der Anschaffung. Die Vorteile von a) und b) gegenüber c) werden zunächst als Zieldefinition der Anschaffung in Worte gefasst und später in geldwertem Vorteil ausgedrückt. Die gleiche Komplikation muss abhängig vom Eintrittszeitpunkt bewertet werden. Diagnostik und Therapie sind wesentlich aufwändiger, wenn die Komplikation postoperativ auftritt. Intraoperativ erhöhen sich lediglich Material- und Zeitbedarf zur Blutstillung. Es folgt eine kurze Auflistung der Vor- und Nachteile eines UD für den Einsatz bei LRs. Vorteile: ▬ reduzierte intraoperative Blutungen, ▬ weniger Bluttransfusionen, ▬ Verbrauchsreduktion von blutstillenden Hilfsmitteln (z. B. Fibrinkleber), ▬ reduzierte postoperative Komplikationen, ▬ weniger postoperative Blutungskomplikationen, ▬ weniger postoperative Gallelecks, ▬ weniger Leberabzesse und ▬ reduzierte Mortalität.
166
Kapitel 13 · Der Weg zur Investitionsentscheidung
Nachteile:
▬ längere Resektionszeit, ▬ höhere Anschaffungskosten und ▬ die individuelle Lernkurve der Ärzte kann die Komplikationsrate bei Einführung der neuen Methode erhöhen.
13.4
Quantifizierung und Vergleich der möglichen Methodenansätze
13.4.1 Rahmendaten Zur Festlegung der Rahmendaten wurden Experten befragt: der Medizinproduktehersteller, Operateure, die OP-Leitung und »controller«. Die in ⊡ Tab. 13.1 aufgeführten Rahmendaten beeinflussen die Investition.
⊡ Tab. 13.1. Rahmendaten Kriterien
Werte
1
Lebensdauer des UD [Jahre]
10
2
Zeit bis zur Wiederbeschaffung [Jahre]
5
3
Zahl der LRs/Jahr
40
4
Inflationsrate [%]
2
Zahl der Komplikationen (SM) [%] 5
Galleleck
10
6
Blutung
2
7
Mittlere Operationsdauer der großen LR (SM, Methode c) [h]
3
8
Mittlere Resektionszeit an der Leber (SM, Methode c) [min]
40
LR Leberresektion, UD Ultraschalldissektor, SM Standardmethode.
13.4.2 Kosten
13
Die Kosten werden in fixe und variable Kosten eingeteilt. Fixe Kosten fallen unabhängig von der Produktionsmenge an. Ein anderes Beispiel im Krankenhaus ist der Bereitschaftdienst. Personal muss vorgehalten werden, unabhängig von der Leistungsmenge. In unserem Beispiel sind es die Investitionskosten. Sie sind zeitabhängig, denn das technische Gerät muss vorgehalten und in Stand gesetzt werden. Teilt man die fixen Kosten durch die Ausbringungsmenge, so erhält man die fixen Stückkosten. Sie sinken mit steigender Ausbringungsmenge. Variable Kosten sind dagegen von der Produktionsmenge abhängig. In dem Bereitschaftsdienstbeispiel wären das beispielsweise Verbandsmaterial oder Medikamente. In diesem Beispiel sind es Einwegmaterial, Medizinprodukte und OP-Kapazitäten.
Fixe Kosten Eine Auflistung der fixen Kosten ist aus ⊡ Tab. 13.2 ersichtlich.
⊡ Tab. 13.2. Fixe Kosten Methoden
Betrag [EUR]
9
Methode a; Gerätekosten ohne Investitionskosten
34.000
10
Methode b; Gerätekosten ohne Investitionskosten
68.000
11
Methode c; SM
0
13.4.3 Variable Kosten Variable Kosten sind produktions- oder beschäftigungsabhängig. Es werden direkte (⊡ Tab. 13.3) und indirekte variable Kosten (⊡ Tab. 13.4) unterschieden. Direkte Kosten beinhalten notwendige Hilfsmittel im OP. Indirekte Kosten resultieren z. B. aus der verlängerten Operationsdauer. Da hier eine bestimmte Maßnahme in einem bestehenden System betrachtet wird, müssen nicht alle Kosten der LR aufgenommen werden. Es reicht aus, die Kosten als Differenz von den Kosten der
13
167 13.4 · Quantifizierung und Vergleich der möglichen Methodenansätze
⊡ Tab. 13.3. Direkte Kosten Methoden
Betrag [EUR]
12
Methode a, Einwegmaterial (Handstück ohne Koagulationsmöglichkeit)
200
13
Methode b, Einwegmaterial (Handstück mit Koagulationsmöglichkeit)
250
14
Methode c, vermehrter Bedarf an
Bluttransfusionena
400
a
Angenommener Mehraufwand: 2 Erythrozytenkonzentrate je 100 EUR und 100 EUR für Fibrinkleber (1 ml ≅ 50 EUR) oder Tachokomp (10×10cm ≅150 EUR).
⊡ Tab. 13.4. Indirekte Kosten (zusätzliche Resektionszeit) Methoden
Anstieg der Resektionszeit [min]
Mehrkostenberechnung
Betrag [EUR]
15
Methode a, doppelte Resektionszeit
40
40 min×60 EUR
2400
16
Methode b, erhöhte Resektionszeit
30
30 min×60 EUR
1800
17
Methode c, SM
0
0 min×60 EUR
0
SM Standardmethode.
⊡ Tab. 13.5. Variable Kosten (VK) pro Leberresektion Kosten [EUR]
Zusätzliche VK [EUR]
Kalkulation
18
Methode a, direkte und indirekte Kosten
Methode a-c
2600 12+15
2200
=18-20
19
Methode b, direkte und indirekte Kosten
Methode b-c
2050 13+16
1650
=19-20
20
Methode c, direkte und indirekte Kosten
Methode c
400 14+17
0
=20-20
SM wiederzugegeben. In der SM kommen intraooperativ vermehrt diffuse Blutungen vor. Der mittlere Bedarf von 2 Bluttransfusionen und 2 ml Fibrinkleber oder einem Streifen Tachokomp entspricht ca. 400 EUR. In den Methoden a und b wird das Einweghandstück benötigt. Hinzu kommen die indirekten Kosten durch die gestiegene Resektionszeit (⊡ Tab. 13.4) in den Methoden a und b. Die Kosten einer Operationsminute betragen 60 EUR. Dieser Wert enthält:
▬ Gehalt aller Ärzte (Chirurgie und Anästhesie) und Schwestern, ▬ Gebäudeunterhaltung und Instandsetzung der technischen Ausstattung sowie ▬ Standardeinwegmaterial. Im Folgenden werden direkte und indirekte Kosten aufsummiert (⊡ Tab. 13.5). Die Kosten der Methode c werden abgezogen, sodass sich die Mehrkosten der Methode a und b ergeben.
168
Kapitel 13 · Der Weg zur Investitionsentscheidung
13.4.4 Komplikationskosten
fig bekommen diese schwer kranken Patienten eine Pneumonie. Diese wird mit 30.000 EUR, einschließlich i.v.-Antibiose und Aufenthalt auf der Intensivstation, bewertet. In einigen Fällen kommt es zum Nierenversagen mit notwendiger Dialyse. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine so schwere Komplikationskaskade eintritt, wird mit 5% bei der neuen Methode und 10% bei der konventionellen Methode bewertet. An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig die Komplikationsstatistik auch für die Wirtschaftlichkeitsberechnung eines Krankenhauses ist. Dies lässt erahnen, wie sinnvoll die Kombination von medizinischer und kaufmännischer Ausbildung sein kann. Der Aufwand für eine postoperative Blutungskomplikation ist in ⊡ Tab. 13.7 zusammengefasst. Die risikoadjustierte Summe reduziert die Kosten um die Eintrittswahrscheinlichkeit. Die reduzierten Komplikationskosten werden als geldwerter Vorteil der Methoden a und b ausgedrückt. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine solche Blutungskomplikation sinkt durch die neue Methode von 2 auf 0,5%. Auch hier werden die verringerten Komplikationskosten als Kontribution (Einnahme)/OP angegeben.
Zur Festlegung des Zugewinns jeder einzelnen Methode müssen die Einkünfte spezifiziert werden. Das reduzierte Komplikationsrisiko muss in geldwertem Vorteil ausgedrückt werden. Nach der Kostenaufstellung für die Komplikation wird die Summe mit der Risikowahrscheinlichkeit multipliziert, um den risikoadjustierten Mehrwert zu erhalten. Da die neue Methode weniger Komplikationen verspricht, werden die Kosten niedriger sein. Die reduzierten Kosten sind als Einkünfte zu werten, die durch die Investition ermöglicht wurden. Die wichtigsten Komplikationen sind Galleleckage und Blutungen. Eine postoperative Galleleckage (⊡ Tab. 13.6) führt zu einem um 3–6 Wochen verlängerten Krankenhausaufenthalt. Jeder Tag im Krankenhaus wird mit einem Pauschalaufwand von 400 EUR berechnet. Es wird davon ausgegangen, dass die »Diagnosis-related-group- (DRG-) Zuordnung« sich hierbei nicht ändert, d. h. mehr Ausgaben bei gleichen Einnahmen. Außerdem wird angenommen, dass 4 Computertomographie(CT-)Scans notwendig sind, einer davon interventionell, um die Galledrainage zu legen. Häu-
13
⊡ Tab. 13.6. Galleleckage Methoden
Betrag [EUR]
Kalkulation
21
3- bis 6-wöchige Hospitalisation
5 Wochen×7 Tage× 400 EUR
14.000
=5×7×400
22
4-mal CT-Scan (einschließlich 1-mal interventionell)
4×300 EUR
1200
=4×300
23
Pneumonie (Antibiotika und Beatmung)
Pauschal
30.000
10×350 EUR
3500
=10×350
48.700
=∑(21:24)
24
Nierenversagen mit
25
Summe
Dialysea
Methode a, risikoadjustierte
Summeb
5%
2435
=0,05×25
27
Methode b, risikoadjustierte
Summeb
5%
2435
=0,05×25
28
Methode c, risikoadjustierte Summe
10%
4870
=0,10×25
26
aGeschätzter
Dialysebedarf: 10-mal während des Krankenhausaufenthalts. Danach werden die Kosten nicht mehr aus dem Krankenhausbudget genommen. bHalbes Risiko gegenüber der SM.
13
169 13.4 · Quantifizierung und Vergleich der möglichen Methodenansätze
13.4.5 Einbußen durch reduzierte
Operationsanzahl Angenommen der OP sei täglich vollständig ausgelastet, und die Zahl der Patienten, die einer großen LR bedürfen, bliebe stabil, so würde durch die gestiegene Resektionszeit der neuen Methode eine bestimmte Zahl an Patienten verloren gehen (⊡ Tab. 13.8). Die mittlere Opera-
tionszeit der LR bei der SM beträgt 3 h. Das entspricht 7200 Operationsminuten im Jahr (3 h×60 min×40 Resektionen). Mit den verlorenen Resektionen tritt ein Gewinnverlust ein. Dieser war nicht quantifizierbar. Nicht einmal eine vage Annahme konnte getroffen werden. Eigentlich müssten die Profite der neuen Methode mit den Einbußen der verlorenen Gewinne durch reduzierte Resekti-
⊡ Tab. 13.7. Blutung Maßnahmen
Betrag [EUR]
Kalkulation
29
Reoperation
Pauschal
10.000
30
Erythrozytenkonzentrate
5×100 EUR
500
=5×100
31
Summe
10.500
=∑(29:30)
32
Methode a, risikoadjustierte Summe
a
0,5%
53
=0,005×31
33
Methode b, risikoadjustierte Summea
0,5%
53
=0,005×31
34
Methode c, risikoadjustierte Summe
2%
210
=0,02×31
Komplikationsrisiko
Komplikationskosten
Ertrag
35
Methode a, Galleleck und Blutung
Methode c-a
2488
2592
=37-(26+32)
36
Methode b, Galleleck und Blutung
Methode c-b
2488
2592
=37-(27+33)
37
Methode c, Galleleck und Blutung
Methode c
5080
0
=28+34
a
Vierfach reduzierte Komplikationsrate gegenüber der SM.
⊡ Tab. 13.8. Einbußen durch reduzierte Operationsanzahl Kriterien
Methoden
Kalkulation
a
b
c
38
Zeit der Operation nach Methode c [min]
7200
7200
7200
=7(3 h)×60min×3 (40 Resektionen)
39
Zusatzzeit der LR im Vergleich zu Methode c
40
30
0
15,16
40
Dauer der LR
220
210
180
=40c+39
41
Resektionen/Jahr
32
34
40
38, 40 (abgerundet)
42
Verlorene Resektionen im Vergleich zu Methode c
8
6
0
=41c-41
LR Leberresektion.
170
Kapitel 13 · Der Weg zur Investitionsentscheidung
onszahl verrechnet werden. Da dies aufgrund der Datenlage nicht möglich ist, werden wir so kalkulieren, als ob keine Verluste durch die reduzierte Operationszahl einträten. Stattdessen werden wir den Schwellenprofit angeben, den Methode c nicht überschreiten darf, damit sich die neue Methode lohnt.
13.4.6 Kalkulation des Beitrags In der Wirtschaftlichkeitsanalyse interessiert uns, wie viel die einzelne Dienstleistung einbringt. Subtrahiert man alle variablen Kosten vom Umsatz, so ergibt sich die Kontribution. Die Kontribution muss dann der Investition gegenübergestellt werden. Um die Kontribution zu erhalten, muss – in unserem Beispiel – der Mehraufwand für Material und Arbeit von der Einnahme aus den reduzierten Komplikationskosten subtrahiert werden. In den Zeilen 44–46 der ⊡ Tab. 13.9 wird die Berechnung/Operation dargestellt und in den Zeilen 47–49 der ⊡ Tab. 13.9 das Jahresergebnis berechnet. Praxistipp Der Zeitraum eines Jahres eignet sich gut zur Darstellung langfristiger Investitionen.
13
13.4.7 Berechnung von Cash flows,
Amortisationszeit und Profit Die dargestellte Kontribution wird mit jeder Operation eingenommen. Allerdings ist die Einnahme eines Betrags heute mehr Wert als der gleiche Betrag in einem Jahr. Heute könnte ich diesen Betrag auf der Bank anlegen und Zinsen dafür erhalten. Die Inflation führt zu einem verminderten Wert der zukünftigen Ausgaben. Praxistipp Für die Investitionsentscheidung ist es sinnvoll, alle Einnahmen und Ausgaben aus einer Perspektive zu betrachten.
In diesem Beispiel betrachten wir alle zukünftigen Geldflüsse aus der heutigen Perspektive. Wir müssen also alle zukünftigen Einnahmen mit der Inflationsrate abzinsen. Um herauszufinden, welchen Gegenwert wir heute auf der Bank anlegen müssten, um Einkünfte mit dem gleichen Wert unter erwarteten Einkünften zu erhalten, müssen zukünftige Einnahmen mit einer Verzinsungsrate diskontiert werden. Die Summe der diskontierten Geldwerte ergibt den Barwert. Zur vereinfachten Berechnung (⊡ Tab. 13.10)
⊡ Tab. 13.9. Kalkulation des Beitrags Kriterien
Methoden
Kalkulation
a
b
43
LRs [Anzahl/Jahr]
32
34
41
44
Umsatz durch reduzierte Komplikationsrate [EUR/OP]
2592
2592
35, 36
45
Variable Kosten (Material und Arbeit) [EUR/OP]
2200
1650
18, 19
46
Kontribution/Stück [EUR/OP]
392
942
=39-40
47
Umsatz durch reduzierte Komplikationsrate [EUR/Jahr]
82.944
88.128
=39×38
48
Variable Kosten (Material und Arbeit) [EUR/Jahr]
70.400
56.100
=40×38
49
Kontribution pro Stück [EUR/Jahr]
12.544
32.028
=41×38
50
Fixe Kosten [EUR]
34.000
68.000
9, 10
LR Leberresektion.
13
171 13.4 · Quantifizierung und Vergleich der möglichen Methodenansätze
gehen wir von einer Diskontierungsrate (dr) von 10% aus. Der Diskontierungsfaktor wird mit der Formel
1 (1+dr)Jahr
berechnet. Mit den nun erhaltenen jährlichen Barwerten ist es einfach darzustellen, bis wann sich die Investition amortisiert hat (⊡ Tab. 13.11). ! Wichtige Parameter einer Investitionsentscheidung sind der Amortisationsindex (Anteil der Amortisationszeit an der wirtschaftlichen Lebensdauer einer Maßnahme) und die Rendite.
Die Kapitalrendite gibt Auskunft darüber, ob die Höhe der Investition im adäquaten Verhält-
nis zum Profit steht. Eine lange Kapitalbindung kann zu Einnahmen führen, die in keinem Verhältnis zu sonst üblicher Verzinsung steht. Der interne Zinsfluss gibt diejenige Rate an, die sich ergibt, wenn man alle Ausgaben und Einnahmen zusammennimmt. Die Betrachtung von regelmäßigen Zeitintervallen ist dafür unabdingbar.
13.4.8 Cash-flow-Diagramm Der Geldfluss, der durch die Investition ausgelöst wird, ist in ⊡ Abb. 13.2 aufgezeigt. Die Anschaffung bei Methode b startet mit einer deutlich höheren Anfangsinvestition. Allein durch die Verkürzung der Operationszeit um 10 min ist die Steigung deutlich höher. Dadurch wird der »break even point« (Zeitpunkt, an dem die Auslagen der Investition gedeckt sind) früher erreicht, und der Profit nach 5 Jahren liegt deutlich höher.
⊡ Tab. 13.10. Cash flows Cash flow
Diskontierungsfaktor
Betrag [EUR]
Berechnung
Methode a
Methode b
51
Im ersten Jahr
0,909
11.404
29.116
=49×df(55)
52
Im zweiten Jahr
0,826
10.367
26.469
=49×df(56)
53
Im dritten Jahr
0,751
9424
24.063
=49×df(57)
54
Im vierten Jahr
0,683
8568
21.876
=49×df(58)
55
Im fünften Jahr
0,621
7789
19.887
=49×df(59)
56
Heutiger Wert (Barwert) der erwarteten Cash flows
47.552
121.411
=Σ(51:55)
Kumulative diskontierte Barwertsumme 57
Jahr 1
11.404
29.116
=51
58
Jahr 2
21.771
55.586
=57+52
59
Jahr 3
31.195
79.649
=58+53
60
Jahr 4
39.763
101.524
=59+54
61
Jahr 5
47.552
121.411
=60+55
172
Kapitel 13 · Der Weg zur Investitionsentscheidung
[EUR] 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000
a) unadj a) adj
20.000
b) unadj
0 -20.000
b) adj 1
2
3
4
5
6
-40.000 -60.000 -80.000 Jahre
⊡ Abb. 13.2. Cash-flow-Diagramm der Methoden a und b (Die durchgezogene Linie ist mit dem Diskontierungsfaktor von 10% abgeglichen.)
⊡ Tab. 13.11. Amortisationszeit und Profit Kriterien
13
Methoden
Berechnung
a
b
62
Amortisationszeit [Jahre]
2,7
2,1
=50/49
63
Profit nach 5 Jahren [EUR]
28.720
92.140
=5 Jahre×49-50
64
Amortisationszeit/wirtschaftliche Lebensdauer (5 Jahre) [index]
0,5
0,4
=62/5 Jahre
65
Durchschnittlicher Jahresprofit (djp; 5 Jahre) [EUR]
5.744
18.428
=63/5 Jahre
66
Rechnerische Rendite (rr; 5 Jahre) [%]
16,89412
27,1
=65/50×100
67
Kapitalwert (kw) [EUR]
13.552
53.411
=56-50
68
Amortisationszeit nach Diskontierung [Jahre]
3,2
2,5
Interpolation (57:61)
69
Interner Zinsfluss (irr) [%]
13,3
25,0
=irr (51:55;66)
70
Kapitalrendite aap/afc index
0,84
1,35
=65/(50/5)
71
Gewinnzuschlag, den Methode c nicht überschreiten sollte [EUR]
718
3071
=65/42
IRR (dcf15;arr)
173 13.5 · Die Entscheidung
13.4.9 Anlaufkosten und Zuschüsse Nach Anschaffung des technischen Geräts wird die neue Methode von den einzelnen Ärzten zunächst gelernt werden müssen. Erst nach dieser Zeit können die erwarteten Einkünfte eingefahren werden. Um sich mit dem UD vertraut zu machen, wird ein erfahrener Chirurg mit einem guten OP-Team nicht länger als einen Monat benötigen. Um diesen Monat müssen die Erträge verzögert werden. Hohe Anlaufkosten entstehen durch die mangelnde Routine und durch die Lernkurve des Personals. ! Die Effizienzsteigerung durch zunehmende Routine nennt man Größendegression bzw. Größendefekt.
13.4.10 Fehler und Risiken Es bestehen dennoch viele Unsicherheiten. Zunächst konnten wir nicht herausfinden, was die Abteilung an einer LR verdient. Die Einkünfte aus der DRG sind bekannt, nicht jedoch der Aufwand einer Operation und noch weniger der Folgeaufwand auf der Station und in der Poliklinik. Durch die hypothetische Reduktion des Operationsvolumens bleiben Einkünfte aus. Linie 71 der ⊡ Tab. 13.11 zeigt die Gewinnspanne. Der Grenzgewinn einer einzelnen LR in Methode c sollte nicht überschritten werden. Allerdings sollte dieser Punkt auch nicht überstrapaziert werden, da der Operationsmix innerhalb der Abteilung angeglichen werden könnte. Beispielsweise könnten elektive Operationen, an denen die Klinik nicht so viel verdient, abgegeben werden. Eine umfangreiche Portfolio-Analyse wäre notwendig. Die Überlegungen dazu würden den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Weitere Unsicherheiten resultieren aus der vagen Datenlage. Unsere Annahmen von Zeiten und Erträgen basieren auf Schätzungen von Funktionsträgern im Krankenhaus. Die Genauigkeit der Annahmen wird
13
einen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis haben. Instandhaltungskosten wurden im Beispiel nicht berücksichtigt. Wir gehen davon aus, dass im Anschaffungspreis ein Wartungsvertrag für 5 Jahre enthalten ist.
13.4.11 Möglichkeiten einer
kostengünstigeren Investition Die Urologie könnte das Gerät bei Nierenresektionen einsetzen. Durch Vermietung oder Teilung der Anschaffungskosten könnte eine Kostenreduktion erreicht werden. Allerdings wäre dann die Koordination großer Nieren- und Lebereingriffe innerhalb der Klinik notwendig. Das Produkt-Portfolio könnte um die bisher von unserer Klinik nichtangebotene Fettreduktionsplastik erweitert werden. Man würde freie Personal und OP-Kapazitäten benötigen und könnte die Anschaffung anteilig verrechnen. Praxistipp Bei einem solchen Projekt wäre ein Businessplan notwendig, der neben dem Wirtschaftlichkeitsnachweis und einer umfassenden Projektbeschreibung einen Marketingplan und eine Risikoanalyse enthält.
13.5 Die Entscheidung Die Anschaffung des UD ist schon allein durch die gesenkte Mortalität gerechtfertigt. Ethische Aspekte spielen in der Medizin auch für Investitionsentscheidungen eine große Rolle. In diesem Fall sind wir in der glücklichen Situation, dass auch ein wirtschaftlicher Vorteil nachgewiesen werden kann. Die zweite Frage war, ob wir die im Handstück integrierte Koagulation benötigen. Wir sind selbst erstaunt, wie deutlich sich die leicht reduzierte Resektionszeit auf den Profit auswirkt. Schon eine um 3 min reduzierte Resektionszeit würde ausreichen, um einen leichten
174
Kapitel 13 · Der Weg zur Investitionsentscheidung
Profit für die Methode b gegenüber Methode a darzustellen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der bisher unbekannte, durch Methode c eingefahrene Profit zwischen den Grenzwerten von Methode a und b liegt. Dann wäre Methode c wirtschaftlicher als Methode a. Fazit
I
I
Keine Frage, wir brauchen Methode b, den Ultraschalldissektor mit integrierter Koagulationsmöglichkeit.
13
14
Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis D. Schlürmann, T. Baumann
14.1
Ziele der Informationstechno-logie im Zentral-OP-Bereich – 176
14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4 14.1.5
Informationsweiterleitung an das Gesamtklinikum – 176 Planung von der Ambulanz bis zur postoperativen Wachstation – 176 Philosophie des »beruhigten« Zentral-OP – 176 Zeitmanagement unter ökonomischen Zwängen – 177 Weitere Ziele – 178
14.2
Lösungen an der Klinik am Eichert – 178
14.2.1 14.2.2 14.2.3
Grundlegende Arbeitsabläufe – 178 Projektverlauf – 180 Technologie, Architektur – 181
14.3
Erkenntnisse der Praxisanwendung – 181
14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
Organisatorische Herausforderungen – 182 Offene funktionale Wünsche – 184 Betrachtung der Wirtschaftlichkeit – 184 Technologische Erkenntnisse – 185
14.4
Ausblick – 185
176
Kapitel 14 · Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis
Die Klinik am Eichert (KaE, Göppingen, akademisches Lehrkrankenhaus der Universität, Ulm) verfügt seit Mitte 2005 über eine Informationstechnologie- (IT-)gestützte Zentral-OP-Ablaufsteuerung, die eng mit dem Krankenhausinformationssystem (KIS) verbunden ist. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über: ▬ Ziele, die mit der Einführung eines IT-Systems erreicht werden sollten, ▬ realisierte Lösungen, ▬ Erkenntnisse, die in der Vorbeitungs- und Einführungsphase sowie im Produktivbetrieb gewonnen wurden.
14.1
Ziele der Informationstechnologie im Zentral-OP-Bereich
14.1.1 Informationsweiterleitung
an das Gesamtklinikum
14
OP-Abteilungen widersetzen sich schon allein aufgrund der durch hygienische Forderungen bedingten baulichen Maßnahmen einer intensiven Kommunikation und eines breiten Informationsaustausches mit einem Gesamtklinikum. Andererseits können ungestörte Abläufe in großen OP-Abteilungen nur durch frühzeitige und kontinuierliche Informationsflüsse in wechselseitiger Richtung, vom OP zur Station/Ambulanz und vice versa, gewährleistet werden. Unter diesem Blickwinkel wurde ein IT-System gewählt, das die operativen Abläufe in den Pflegegruppen, in den Ambulanzen, in Sekretariaten und Arztzimmern graphisch abbilden kann. Durch unterschiedliche Farbkodierungen wird der Patientenstatus (Patient vom OP abgerufen, Anästhesie begonnen, Operationsbeginn usw.) für die Mitarbeiter des Klinikums kenntlich gemacht. So können notwendige Vorbereitungen des Patienten ohne zusätzliche Kommunikation termingerecht erledigt werden. Verfügbare Personalressourcen können durch die leitenden Oberärzte besser erkannt oder auch bei Notfällen neu verteilt werden. OP-Teams sind bezüg-
lich ihres nächsten Einsatzes nicht auf häufiges Rückfragen an der OP-Leitstelle angewiesen.
14.1.2 Planung von der Ambulanz bis
zur postoperativen Wachstation Effektives und hochökonomisches OP-Management hat ein nahezu 100%ig stabiles OP-Tagesprogramm zur Voraussetzung. Dieses Ziel ist in Akutkrankenhäusern auch nicht annähernd zu erreichen. ! Ein unterstützendes IT-System muss zum Ziel haben, den Prozentsatz des sicher planbaren OP-Programmanteils zu erhöhen und im Tagesgeschehen zu stabilisieren.
Die Vorausplanung für Tage und Wochen beginnt in den Ambulanzen und muss sich nach den vorhandenen personellen, räumlichen und technischen Ressourcen richten. Die Planungsinhalte müssen allen Entscheidungsträgern rechtzeitig zur Verfügung stehen, um Programmausfälle oder Verschiebungen von Operationen aus Mangel an Ressourcen und damit eventuelle Einnahmeeinbußen zu vermeiden. Das IT-Planungsmodul muss also Wochenpläne beinhalten, die den Operateuren die verfügbaren Ressourcen darstellen und bei Überplanungen Warnhinweise erteilen. Vorgeplante Patienten müssen für die Anästhesie im Zuge der Zunahme der ambulanten Versorgung bearbeitbar sein (Dokumentation der ambulanten Prämedikation, notwendige Voruntersuchungen etc.). Die kurz- und mittelfristige Kapazitätsplanung von »intermediate care« (IMC) und »intensive care unit« (ICU) sollte an die Wochenplanung gekoppelt sein.
14.1.3 Philosophie des »beruhigten«
Zentral-OP Große OP-Einheiten mit einem riesigen täglichen Kommunikationsbedarf leiden unter wenig erträglichen Geräuschpegeln und unter Infor-
177 14.1 · Ziele der Informationstechnonlogie im Zentral-OP-Bereich
mationsverlusten durch eben diese Störungen. Das OP-Team in Göppingen hat aus diesem Grund schon vor vielen Jahren in Zusammenarbeit mit der dortigen Fachhochschule ein Kommunikationssystem vom einzelnen OP zur zentralen OP-Leitstelle entwickelt. So können sich täglich wiederholende Anforderungen, Bestellungen, Notrufe etc. im OP-Saal über einen »Touchscreen-Bildschirm« (⊡ Abb. 14.1) durch nonverbale Kommunikation an die OP-Leitstelle geschickt werden. Hier können diese Leistungen abgearbeitet und durch Änderung des Farbkodes dem OP-Saal mitgeteilt werden. Gleichzeitig findet eine lückenlose Zeitdokumentation des Anforderungsspektrums statt. Informationsverluste sind dadurch nahezu ausgeschlossen. Dieses System hat einen wertvollen Beitrag zum »beruhigten Zentral-OP« geleistet, da der Einsatz von Zuruf, Gegensprechanlage und Tele-
⊡ Abb. 14.1. Touchscreen im OP-Saal
14
fon auf weit mehr als die Hälfte reduziert werden konnte. Derartige Beruhigungskomponenten für große operative Einheiten sollten für jedes IT-System im OP gefordert werden.
14.1.4 Zeitmanagement unter
ökonomischen Zwängen Gesundheitspolitische ökonomische Zwänge machen es notwendig, alle Arbeitsabläufe im OP-Geschehen zu hinterfragen, die Zeitabläufe zu dokumentieren und über IT-Auswertungsmodule kontinuierliche Verbesserungen anzustreben. So ist bei der Einrichtung eines OPManagementsystems darauf Wert zu legen, dass zunächst möglichst viele Schritte im OP-Ablauf dokumentiert werden. Nach einer erfolgten Auswertung können immer noch einzelne Zeitnah-
178
Kapitel 14 · Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis
men zurückgenommen werden. Zeitmanagement bedeutet auch, dass allen Fachgruppen im OP nach den Vorgaben des OP-Statuts ein enges »Zeitkorsett« übergestülpt wird. Praxistipp Zeitkontrollen sollten die einzelnen Berufsgruppen möglichst selbst erfassen, um Zweifel an der Glaubwürdigkeit von vornherein auszuschließen.
So lassen sich im »Arbeitskreis OP« Diskussionen über notwendige Zeitspannen von Arbeitsabläufen (Patiententransport, Lagerung, Wechselzeit usw.) emotionsfreier führen.
14.1.5 Weitere Ziele Als weitere Ziele sind z. B. Ablaufoptimierung im Bereich der Dokumentation (Zählpflicht) sowie Erfassung von Medikamenten- und Materialkodes mithilfe des Scanners.
14.2
Lösungen an der Klinik am Eichert
14.2.1 Grundlegende Arbeitsabläufe
14
Die Planung der Operationen für den Folgetag beginnt mit der »Beauftragung« durch die operativen Fächer. Patienten werden entweder direkt aus dem Wochenplan in den »Vorplan« übernommen oder durch Ambulanz- und Stationsärzte in die Auftragsliste eingestellt. Aus dieser Auftragsliste erstellt der planende Oberarzt der jeweiligen Fachdisziplin anhand der durch das OP-Statut festgelegten Plankontingente den »Vorplan«. Die Vorpläne aller operativen Fachdisziplinen müssen bis 13.00 Uhr des Vortags an der OP-Leitstelle im OP-Managementsystem erfasst sein. Die Durchführbarkeit des geplanten Programms wird vom OP-Leitungsteam (⊡ Abb. 14.2) geprüft. Bei erkennbaren Pro-
blemen erfolgt Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin. Um 13.00 Uhr wird der begutachtete Vorplan in den »Endplan« umgewandelt; dieser ist in einem Zeitrahmen von 13.00–17.00 Uhr durch die operativen Abteilungen noch veränderbar. Um 17.00 Uhr wird der Endplan (⊡ Abb. 14.3) vom OP-Manager freigegeben und die Ablaufsteuerung für den Folgetag initialisiert. Damit ist die Unveränderbarkeit des OP-Programms für alle Mitarbeiter verbunden. Lediglich der OPManager, mit der OP-Leitstelle, kann auf Anforderung und Rücksprache Programmumstellungen vornehmen. Ab 7.00 Uhr des OP-Tags arbeitet die OP-Leitstelle. Von dieser Zentrale werden sämtliche Informationen, Patientenbestellungen, Operateursrufe, Notfälle oder Sachanforderungen bearbeitet, weitergeleitet und in den zur Verfügung stehenden IT-Systemen dokumentiert. Nur so können frei werdende oder benötigte Ressourcen schnellstmöglich neu vergeben werden. Handlungskompetenz und Handlungsspielraum hierfür ergeben sich für das OP-Management aus dem OP-Statut ( Abschn. 10.2). Die einzelnen Zeitpunkte eines Patientendurchlaufs durch den OP werden, beginnend bei der OP-Zentrale, von den weiter in Aktion tretenden Arbeitsgruppen jeweils per Mausklick dokumentiert und aktualisieren dadurch fortwährend die Ablaufsteuerung. Im einzelnen OP-Saal findet die IT-Unterstützung an 2 Bildschirmen statt. Vorteile einer im Vordergrund laufenden OP-Ablaufsteuerung im Saal sind das rasche Erkennen von Änderungen und das Ingangsetzen von Vorbereitungsmaßnahmen. Die heutzutage ausgiebige Dokumentation seitens des Funktionspersonals und der Ärzte kann so ungestört an dem zweiten Bildschirm erfolgen. ! Die Nutzung einer OP-Ablaufsteuerung erfordert eine korrekte Eingabedisziplin, da nur so die aufeinander folgende Darstellung des Patientendurchlaufs gewährleistet ist.
179 14.2 · Lösungen an der Klinik am Eichert
⊡ Abb. 14.2. OP-Leitzentrale der KaE; rechts die IT-gestützte Ablaufsteuerung
⊡ Abb. 14.3. Web-basierter OP-Plan
14
180
Kapitel 14 · Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis
Diese Arbeitsabläufe betreffen etwa 13.000 Eingriffe/Jahr in 11 Sälen des Zentral-OP, dem Kreißsaal sowie 2 ambulanten und 3 urologischen Eingriffsräumen. Durchgeführt und im IT-Verfahren abgebildet sind ca. 600 Eingriffstypen. Insgesamt wird das OP-Verfahren von mehr als 500 Anwendern aus den Berufsgruppen Arzt, Funktionsdienst, Anästhesiepflege und Pflegedienst im Bettenhaus genutzt.
14.2.2 Projektverlauf
14
Aufgrund der im Vorfeld der Einführung absehbaren Komplexität wurde ein klassisches ITAuswahlverfahren gewählt. Die wesentlichen Schritte waren folgende: ▬ Erarbeitung des OP-Statuts, das die wesentlichen Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten rund um den Zentral-OP regelt. ▬ Bildung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe aus allen betroffenen Berufsgruppen, u. a. Ärzte, OP-Funktionsdienst, Materialwirtschaft, Kosten- und Leistungsrechnung sowie »controlling«, Betriebsrat. ▬ Erstellen einer ausführlichen schriftlichen Anforderungsspezifikation, die neben Aspekten aus OP-Sicht auch technologische (z. B. Vorgaben zur Hard- und Software, Ausfallkonzept) und kaufmännische Punkte (z. B. Zahlungsplan, Anforderungen an Wartungsvertrag) beinhaltet. ▬ Festlegung des Vergabeverfahrens anhand der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL), in diesem Fall eine freihändige Vergabe mit Teilnahmewettbewerb. ▬ Demonstrationen der interessanten Anbieter nach Sichtung der Angebote. ▬ Wiederholte Diskussionen mit den Anbietern über die Angebote, insbesondere zu Funktionalitäten und natürlich zu kaufmännischen Fragestellungen. ▬ Auswahl eines Kandidaten und Abschluss von Verträgen, im Wesentlichen EVB-ITKauf für Kauf der Hardware, BVB-Über-
lassung-Typ II für Standardsoftware, einschließlich Anpassung und Inbetriebnahme, sowie EVB-IT-Pflege S für die Wartung. ▬ Vereinbarung einer Ausstiegsklausel, die einen »proof of concept« mit Teststellung vorsieht. Wenn kein Einvernehmen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu finden ist, kann ein Ausstieg aus dem Vertrag erfolgen. Die Durchführung des Projekts weist folgende Phasen auf: ▬ Diskussion der technischen Machbarkeit mit dem ausgewählten Anbieter und Erstellen der technischen Feinspezifikation (Proof of concept). ▬ Erarbeiten der fachlichen Feinspezifikation mit der interdisziplinären Arbeitsgruppe; hierzu wurden »use cases« erstellt, die die wesentlichen Arbeitsabläufe unter Verwendung des IT-Verfahrens skizzieren: 1.12) Der OP-Auftrag und Aufträge für die nun anstehende OP-Planung und OP-Vorbereitung müssen auf der Anlage einer neuen Voraufnahme, prästationären Aufnahme oder ambulanten Aufnahme begründet werden. Dies richtet sich danach, wie viele Tage nach Indikationsstellung die Operation stattfinden soll (<5 Tage, >5 Tage), und ob sie stationär oder ambulant durchgeführt werden soll. 1.13) Der Operationstermin wird durch den Operateur graphisch über die CC-OP-Planung (z. B. Wochenplan) ermittelt. Der Operationsauftrag wird entweder durch den indizierenden Arzt selbst erteilt (Vorteil der Kenntnis von Auftragsdetailinformationen, Beauftragung direkt im OP-Plan) oder per Zettel an das Sekretariat weitergegeben. 1.14) Die Sekretariate erfassen die Operationsaufträge mit Termin über CCOCM oder direkt in der OP-Planung (Vorplan). Die Position im Saal kann noch nachträglich durch einen Operateur geändert werden. ▬ Implementierung und Test der Hardware mit Betriebssystem und Datenbank sowie Installation der Siemens OP-Management-
181 14.3 · Erkenntnisse der Praxisanwendung
▬
▬ ▬ ▬
▬
▬
▬
▬ ▬
Anwendung (noch ohne KaE-spezifische Anpassungen). Schulungen zu den Parametrierungsmöglichkeiten (»customizing«) und Einweisung in die Teststellung. Test der Rohanwendung mit ausgesuchten Anwendern. Erarbeiten der Parameter mit der interdisziplinären Arbeitsgruppe. Implementierung der Anwendung, im Wesentlichen Parametrierung, zum größten Teil durch die KaE (z. B. Definition von Eingriffsarten, Einrichten der User, Rollen, Rechte), teilweise auch durch Siemens. Implementierung von Schnittstellen, z. B. zu den Anästhesiesubsystemen, Test der Schnittstellen durch IT und ausgesuchte Anwender. Umfangreiche Schulung der verschiedenen Berufsgruppen, insgesamt über einen Zeitraum von etwa einem Monat. Durchführen von Tests unter möglichst realitätsnahen Bedingungen mit ausgesuchter Kleingruppe. Ausrollen der Phase 1: OP-Ablaufsteuerung und OP-Dokumentation für alle Säle. Ausrollen der Phase 2: Auswertungen und weitere Schnittstellen.
Insgesamt wurden 29 Kalendermonate vom internen Startschuss für die Auswahl und die Einführung eines IT-Verfahrens bis zur Aufnahme des Echtbetriebs benötigt.
14.2.3 Technologie, Architektur Nach den gemachten Erfahrungen stellt die Integration in das KIS eine der technologisch anspruchsvollsten Aufgaben dar. Da Siemens auch das KIS stellt, können Standardschnittstellen zwischen KIS- und OP-Management-Anwendung genutzt werden; dies hat sich als Erfolgsfaktor herausgestellt. Führendes System bezüglich Patienten und deren Daten ist das KIS. Die
14
Beauftragung von Eingriffen durch Operateure erfolgt aus dem bekannten KIS heraus. Mit der »Technologiebrille« betrachtet, sind des Weiteren folgende Chrakteristika der Eichert-Lösung hervorzuheben: Die Verteilung des aktuellen OP-Plans im Haus erfolgt über eine Web-basierte Anwendung im Intranet, den sog. WebOP-Plan. Dieser steht an praktisch allen Arbeitsplätzen zur Verfügung. Da das Siemens-Konzept mehrere Server vorsieht, wurden virtuelle Server auf der Basis der VMWare-Technologie ausgewählt, um dem Thema der Serverkonsolidierung Rechnung zu tragen. Die virtuellen Server vereinfachen auch das Ausfallkonzept, für das ein zweiter physikalischer Server implementiert ist, auf dem die Sicherung der virtuellen Server des Produktivsystems erfolgt, und der im Notfall die virtuellen Server zeitnah zur Verfügung stellt.
14.3 Erkenntnisse der
Praxisanwendung Der Echtbetrieb konnte am 01.07.2005, wie geplant, mit allen Abteilungen des Hauses ohne relevante Störungen aufgenommen werden. Die OP-Pläne aller operativen Abteilungen wurden elektronisch erstellt und bearbeitet. Für die Belegabteilungen übernahm zunächst die OP-Zentrale die Erstellung der OP-Pläne. Vonseiten des OP-Managements ließ sich mit den Bausteinen der Ablaufsteuerung vom Start weg problemlos arbeiten. Einzelne Störungen werden weiter unten kurz beschrieben. Jedoch wurde der notwendige Bedarf an »gedruckten« OP-Plänen durch die Umstellung unterschätzt. Hier bietet das System auch keine befriedigenden Lösungen. Der Funktionsdienst OP hat die größten Aufwendungen bezüglich der Dokumentation zu leisten; so war es auch absehbar, dass in diesem Bereich die meisten Rückfragen und Probleme auftraten. Die Nutzung des Informationssystems durch die Pflegegruppen steckt trotz intensiver Aufklärungsarbeit noch in den Anfängen.
182
Kapitel 14 · Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis
14.3.1 Organisatorische
Herausforderungen In diesem Abschnitt werden wichtige Erkenntisse vorgestellt, die sich im Hinblick auf die Organisation des Vorhabens (im Gegensatz beispielsweise zur Technologie) ergeben haben.
14
Akzeptanz der Mitarbeiter. Wie bei den meisten Anwendungen steht und fällt der Erfolg mit der Akzeptanz und der daraus resultierenden Nutzung durch die Anwender. Im beschriebenen Projekt wurde diesem Aspekt durch eine umfangreiche, interdisziplinäre Arbeitsgruppe Rechnung getragen, um möglichst alle Beteiligten frühzeitig ins Boot zu holen. Der hierfür notwendige hohe Aufwand an Arbeitszeit hat sich rückblickend als gut investierte Zeit herausgestellt. Weiterhin wurde festgestellt, dass die Komplexität der eingeführten OP-ManagementAnwendung eine deutliche Umgewöhnung der Mitarbeiter an das neue Werkzeug erfordert. Eine zeitaufwändige, aber wirksame Maßnahme diesbezüglich sind fokussierte Workshops mit Teilnehmern aus der Anwender- und IT-Gruppe nach Aufnahme des Echtbetriebs. In solchen Runden können Probleme von den Anwendern konzentriert demonstriert werden, um gemeinsam mit IT-Team Möglichkeiten zu prüfen und Anpassungen vorzunehmen. Fehler können auf diese Weise nicht behoben werden, aber die Möglichkeiten der Anwendung können weitestgehend ausgeschöpft werden. Erfahrungsgemäß reichen Schulungen vor Inbetriebnahme hierzu nicht aus.
Management-Anwendung aus. Hierzu gehört beispielsweise eine differenzierte Aufgliederung von Eingriffstypen oder von Anwendern und deren Rechten. Zu wenige solcher Stammdaten wirken, als sei die Anwendung nicht nutzbar. Anwender abstrahieren erfahrungsgemäß nicht, dass dies nicht an der Anwendung, sondern an fehlenden Stammdaten liegt. Die Parametrierung setzt eine kontinuierliche Mitarbeit der Anwender im Vorfeld voraus; dies traf in diesem Projekt nicht in allen Bereichen auf große Begeisterung und Bereitschaft. Praxistipp Mitarbeit sollte frühzeitig eingefordert und großer Wert auf deren Erledigung gelegt werden.
Prozesse versus Anwendung. Eine OP-Management-Anwendung bringt mit sich, zahlreiche Prozesse rund um den OP zu beleuchten, zu diskutieren und zu hinterfragen. Das heißt, die IT-Diskussion, die ohnehin schon sehr komplex ist, wird mit Prozessdiskussionen verquickt, die an und für sich nichts mit der IT zu tun haben, somit die Komplexität des Vorhabens steigern und den gesteckten Rahmen zu sprengen drohen. Ein Beispiel aus der KaE sind die Themen Zeiterfassung und Voraufnahmen von Patienten. Praxistipp Durch das Vorliegen eines OP-Statuts vor Beginn des IT-Projekts werden wichtige Grundlagen gelegt, sodass für das OP-Management eine Fokussierung auf die IT-Unterstützung möglich wird.
Praxistipp Es solten lieber mehrere Abstimmungen und Arbeitstreffen durchgeführt und besser mehr Mitarbeiter (auf geeignete Art und Weise) involviert werden als zu wenige.
Erfolgsfaktor der Parametrierung. Als erfolgskritisch weisen die Erfahrungen eine gute und möglichst umfangreiche Parametrierung der OP-
Schulungen der Vielzahl an Anwendern. In der KaE betrifft die OP-Management-Anwendung mehrere hundert Personen. Eine derart große Anzahl an Mitarbeitern kann nur über das Multiplikatorprinzip geschult werden. Und auch dieses Verfahren stellt noch erhebliche organisatorische Anforderungen an das Projektteam und benötigt viel Arbeitszeit. Für die Hauptschulun-
183 14.3 · Erkenntnisse der Praxisanwendung
gen wurde im beschriebenen Vorhaben ein ganzer Kalendermonat und ein Vielfaches an Mannmonaten (1 Mann×1 Monat Arbeit) benötigt. IT-Hospitation vor Ort. Als Empfehlung kann weitergegeben werden, dass IT-Mitarbeiter bei der Einführung und auch später während des Echtbetriebs die Anwender wiederholt vor Ort begleiten. Probleme können so aus erster Hand erfahren und verstanden werden; gleichzeitig kann vielfach schnelle aber wirksame Hilfestellung gegeben werden, die zu guter Akzeptanz beiträgt. Zusammenarbeit mit Hersteller. In der KaE stellt die Anästhesie den OP-Manager, der auch fachlicher Projektleiter für das IT-Vorhaben und somit Kümmerer ist. In diesem Fall hat sich daher sehr bewährt, dass der Projektleiter seitens des Auftragnehmers ebenfalls Mediziner ist. Offensichtlich trägt diese Tatsache entscheidend zu einer guten Kommunikation und damit zum Erfolg des Projekts bei. Empfehlenswert ist auch ein Auftragnehmerprojektleiter, der als Pflegekraft tätig ist und die Belange des OP-Funktionsdienstes detailgenau wiedergeben kann. Anwendungsfehler und Wünsche. Dass die Einführung der vorgestellten OP-ManagementAnwendung professionelle Projektstrukturen und -methoden erfordert, belegt z. B. die Tatsache, dass in den ersten Monaten des Echtbetriebs ca. 100 Supportfälle bzw. Wünsche an die Anwendung identifiziert wurden. Während die Fehler ein systematisches Verfahren für deren Handhabung erfordern, wurden die Wünsche in einem Workshop mit dem Siemens-Produktmanagement erörtert, um auf die Funktionalität zukünftiger »releases« Einfluss zu nehmen. Beides nimmt eine Menge an Arbeitszeit von Anwendern und IT-Mitarbeitern in Anspruch. Reduktion der Projektkomplexität. Die sehr hohe Komplexität des gesamten Vorhabens lässt sich in einem Krankenhaus der Zentralversor-
14
gung nur durch Unterteilung in Arbeitsphasen bewerkstelligen. Im beschriebenen Vorhaben wurde die Anwendung einerseits zwar flächendeckend für alle Fachabteilungen gleichzeitig eingeführt. Andererseits wurden aber nicht alle Funktionalitäten sofort eingesetzt. Beispielsweise wurden die Schnittstelle zur Warenwirtschaft und das Thema Auswertungen für eine zweite Phase im Anschluss an die Aufnahme des Echtbetriebs vorgesehen. Erfolgsfaktor Schnittstellen. Funktionalitäten der OP-Management-Anwendung sind natürlich wichtig und notwendig, aber nicht hinreichend für eine erfolgreiche Anwendung. Dazu sind 2 Aspekte zu nennen: Zum einen wurden keine großen funktionalen Unterschiede zwischen den Wettbewerbssystemen in Bezug auf die spezifischen Anforderungen der KaE im Auswahlverfahren identifiziert. Zum anderen sind Schnittstellen ein Erfolgsfaktor, da ansonsten nötige und fehlerträchtige Mehrfacherfassungen notwendig sind. Zu nennen sind insbesondere Schnittstellen zum KIS, zu Anästhesiesubsystemen und zur Materialwirtschaft. Das beschriebene Projekt zeigt, dass individuell zu entwickelnde Schnittstellen (hier die zu den Anästhesiesubsystemen und zur Materialwirtschaft) sehr aufwändig sind, während die Siemens-Standardschnittstellen zwischen KIS und OP-Management-Anwendung tatsächlich funktionieren. Praxistipp Großen Wert auf die Schnittstellen zu legen, hat sich im beschriebenen Projekt als sehr hilfreich und effizient erwiesen.
Unter Berücksichtigung der vorherigen Erkenntnisse hätte das Spezifikations- und Auswahlverfahren im Hinblick auf die Breite des betrachteten Wettbewerberfelds durchaus abgekürzt werden können. Freihändige Vergabe. Für Auftraggeber, die an die VOL gebunden sind, kann nur empfohlen
184
Kapitel 14 · Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis
werden, die freihändige Vergabe ernsthaft in Betracht zu ziehen. Ein IT-Projekt der beschriebenen Komplexität erfordert einen intensiven Dialog zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, der im freihändigen Verfahren möglich ist.
14.3.2 Offene funktionale Wünsche
14
Einige Arbeitsabläufe werden laut Rückmeldung der Anwender noch nicht praxisgerecht unterstützt. Dazu zählen beispielsweise die Zählkontrolle und die Materialerfassung. Hier ist wünschenswert, dass die Produktplanung und -entwicklung mehr Input aus der Praxis erhält und berücksichtigt. Wünschenswert sind auch erweiterte Parametrierungsmöglichkeiten, z. B. für den Web-OP-Plan. Hier entsprechen die eingesetzten Möglichkeiten der Siemens-Anwendung nicht dem Stand der Technik der Anpassbarkeit, wie er etwa von Office-Produkten bekannt ist. Auch die Ergonomie der Benutzungsoberfläche erscheint vielfach nicht zeitgemäß. Als Vision wäre z. B. die Erfassung von OP-Daten über große Touchscreens zu nennen, wie dies bei modernen Anästhesiesubsystemen bereits der Fall ist. Insgesamt kann aber von einer recht vollständigen funktionalen Ausstattung der OPManagement-Anwendung gesprochen werden. Dies gilt nicht nur für das ausgewählte SiemensSystem, sondern auch für andere Anwendungen, die im Auswahlverfahren betrachtet wurden.
ca. 50% für die Implementierung von Schnittstellen und ▬ Hardware, Systemsoftware (Betriebssysteme, Datenbank, Terminalserver) ca. 25%. In den genannten Kosten nicht enthalten, ist die Arbeitszeit der Mitarbeiter in der Klinik; hierfür sind ebenfalls mehrere Mannmonate für Mitarbeiter aller beteiligten Berufsgruppen zu veranschlagen. Insbesondere sind OP-Koordination, OP-Funktionsdienst, Operateure und IT-Mitarbeiter gefordert. In mehr oder weniger direktem Zusammenhang mit den Aktivitäten im Zentral-OP der KaE stehen Kosten in Höhe von ca. EUR 13 Mio. an Personal und Material pro Jahr. Setzt man die genannten investiven Kosten von ca. EUR 200.000 in Relation zu diesen 13 Mio. ergibt sich ein Anhaltswert für Wirtschaftlichkeitsüberlegungen. Demnach können die Investitionskosten prinzipiell amortisiert werden, wenn Effizienzsteigerungen im Bereich von ca. 1,5% erreicht werden können. Dies könnte durch mehr Eingriffe als bisher oder durch Einsparungen in dieser Größenordnung erfolgen. Die bisherigen Erfahrungen des OP-Managements weisen darauf hin, dass Fortschritte in der Größenordnung von 1,5% im Bereich des Möglichen liegen, zumal diese über die gesamte Laufzeit von etwa 5 Jahren erwirtschaftet werden können. Die extern anfallenden Wartungskosten für alle Verfahrenskomponenten belaufen sich auf ca.
14.3.3 Betrachtung der
Wirtschaftlichkeit Die Kosten für die vorgestellte IT-Unterstützung (⊡ Abb. 14.4) belaufen sich auf etwa EUR 200.000. Diese teilen sich in diesem Fall etwa, wie folgt, auf: ▬ Softwarelizenzen für OP-Management-Anwendung ca. 25%, ▬ externe Dienstleistungen für die Implementierung der IT-Anwendung ca. 50%, davon
Hardware, Systemsoftware OPMLizenzen
Schnittstellen Dienstleistungen Projektarbeit
⊡ Abb. 14.4. Größenordnungsmäßige Verteilung der Investitionskosten. OPM OP-Management
185 14.4 · Ausblick
EUR 12.000/Jahr, die in Relation zu den EUR 13 Mio. nicht weiter ins Gewicht fallen. Sehr wohl tun dies die internen Wartungsaufwände in Form von Mitarbeiterressourcen, insbesondere der ITAbteilung, aber auch der anderen beteiligten Berufsgruppen. Da die KaE in dieser Hinsicht keine interne Kosten-/Leistungsrechnung betreibt, liegen hierzu keine Zahlen vor.
14.3.4 Technologische Erkenntnisse Ein IT-gestütztes OP-Management-Verfahren besitzt eine hohe technische Komplexität, die ein professionelles Management der Anwendung erfordert. Dazu gehören insbesondere: ▬ »help desk« für die Anwender, ▬ Problemmanagement in Zusammenarbeit mit dem Softwareanbieter und ▬ Prozesse, einschließlich Zeitfenster für Aktualisierungen, wie z. B. »bugfixes« (zum Beheben von Fehlern) oder Einspielen neuer Versionen. Aus technischer Sicht haben sich die Schnittstellen im beschriebenen Vorhaben als größte Herausforderung erwiesen. Sowohl die Schnittstellen zu den Anästhesiesubsystemen Datapec ANDOK und Philips CompuRecord als auch zum Warenwirtschaftssystem Aescudata AMOR sind Individuallösungen und keine fertig vorhandenen Softwarepakete, die nur konfiguriert werden müssen. Diese Notwendigkeit der Individualentwicklung erfordert hohe Investitionen in Spezifikation und Testen der Schnittstellen. Hinzu kommt erschwerend, dass beispielsweise der HL7-Standard (Schnittstellenstandard) in den verwendeten Versionen nicht weit genug geht. Dadurch müssen Schnittstellenprotokolle weit gehend zwischen den beteiligten Firmen (hier z. B. Siemens mit Philips) komplett neu entwickelt werden. Dies ist natürlich aufwändig. Da das OP-Management-IT-Verfahren der KaE, ebenso wie das KIS, von Siemens stammt, konnten im Gegensatz zu den Anästhesie- und
14
Materialwirtschaftsschnittstellen tatsächlich Standardschnittstellen, wie etwa für Patientenstammdaten sowie Leistungsbeauftragung und -dokumentation, genutzt werden. Hätten auch solche Schnittstellen individuell erstellt werden müssen, wäre die ohnehin schon hohe Komplexität deutlich gesteigert worden. Praxistipp IT-Unterstützung für das OP-Management und KIS sollten, sofern dies möglich ist, vom gleichen Anbieter bezogen werden.
14.4 Ausblick Hohe Investitionskosten und der erhebliche zusätzliche Arbeitsaufwand der Klinikmitarbeiter in der Implementierungsphase lassen natürlich auch Fragen nach dem Vorteil eines IT-Systems für das OP-Management aufkommen. Die grundsätzliche, natürlich eher theoretische Frage an die Mitarbeiter bezüglich der Beibehaltung des IT-Systems oder des Rückgangs zu den alten Planungssystemen wurde vehement und vollzählig zugunsten des neuen Systems entschieden. Das heißt, die schon mehrfach als wichtig erwähnte Akzeptanz der Mitarbeiter konnte erreicht werden. Den momentan größten Nutzen durch das System genießt die OP-Leitzentrale. Fehlerhafte Patientenanmeldungen, Zeitverluste durch verzögerte Bestellungen, Wartezeiten auf Mitarbeiter und vieles mehr konnten weiter reduziert werden. Die Planungssicherheit im OP-Ablauf hat zugenommen. Insbesondere im Hinblick auf die Erweiterung der OP-Kapazitäten der KaE (z. B. Ambulanzen) lässt die IT-Unterstützung eine übersichtlichere und zuverlässigere Steuerung erwarten. Unter diesem Blickwinkel muss sich aber auch jeder potenzielle neue Anwender die Frage stellen, ab welcher Krankenhaus/OP-Größe sich der Einsatz eines solchen IT-Systems lohnt! Professionelles Management muss sich argumentativ auf Ergebniszahlen stützen. Folglich müssen IT-Systeme hier mehr Möglichkeiten
186
Kapitel 14 · Informationstechnologische Unterstützung in der Praxis
der Auswertung und der Leistungsinterpretation bieten als manuell erstellte Statistiken. Praxistipp Anwender sollten ein Augenmerk auf Auswertungsmodule richten.
Die Möglichkeiten der beschriebenen Lösung in dieser Beziehung sind im Aufbau. Allerdings ist es auch noch notwendig, dass sich Anwender, die im OP-Management tätig sind, auf notwendige Standardauswertungen festlegen können. Die Vielzahl an Anregungen und Verbesserungsvorschlägen hat gezeigt, dass diese Systeme dynamischen Änderungsprozessen unterworfen werden müssen, die vonseiten der Anwender und des Anbieters Arbeits-/Zeitaufwand bedeuten. Dieses muss vom Anbieter gefordert werden. Ob die Leistung vom Anwender in Zeiten der Personalknappheit bzw. Personalreduktion erbracht werden kann, sollte auch rechtzeitig in die Planung einfließen. Fazit
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Zusammenfassend kann aus unserer Sicht und aus den bisherigen Erfahrungen gesagt werden, dass sich IT-Unterstützung im OP-Management als förderlich für die Ablaufprozesse gezeigt hat. Je mehr sich OPManagement als eigenständiger Arbeitsbereich in Krankenhäusern herauskristallisiert, desto mehr müssen die dort verantwortlich Tätigen Leistungen definieren, die derartige IT-Systeme erfüllen sollen.
15
»Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade M. Raetzell, M. Bauer
15.1
Grundsätzliche Überlegungen – 188
15.2
Rahmenbedingungen – 190
15.3
Erarbeitung einer Standard operating procedure – 191
15.4
Die Standard operating procedure im Routinebetrieb – 196
15.5
Die Kür: Klinische Behandlungspfade – 197 Literatur – 198
188
Kapitel 15 · »Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade
15.1 Grundsätzliche Überlegungen
15
Früher geschah die OP-Organisation in der Regel durch die Anordnung des chirurgischen oder anästhesiologischen Chefarztes. Seinerzeit musste auf Kosten weniger geachtet werden; Betrachtungen von Einzelprozessen waren noch nicht erforderlich. Heute ist der OP-Bereich der zentrale Dreh- und Angelpunkt des operativen Krankenhausaufenthalts. Im Spannungsfeld zwischen Kosten-, Risiko- und Qualitätsmanagement sowie Partikularinteressen sieht sich das dort eingesetzte Personal einer maximalen Arbeitsverdichtung mit sehr geringen Fehlertoleranzen gegenüber. Somit ist die eingangs geschilderte Chefanweisung sicherlich nicht das geeignete Steuerungsinstrument, um in diesem hochkomplexen Gebilde allseits zufrieden stellende Resultate zu erzielen. Vielmehr bedarf es eines strukturierten Prozessmanagements, das interdisziplinäre multiprofessionelle Verfahrensanweisungen, »standard operating procedures« (SOPs), erarbeitet, nach denen einheitlich vorgegangen wird. Standard operating procedures können dann wiederum als Bausteine für klinische Behandlungspfade dienen. Klinische Behandlungspfade gehen jedoch in der Regel nicht vom OP-Bereich aus, sondern sind Instrumente des Aufnahme- und Entlassungsmanagements. Dennoch spielt der OP-Bereich für das Erstellen eines klinischen Behandlungspfades eine entscheidende Rolle, da der OP das Nadelöhr ist, an dem sich viele Behandlungspfade kreuzen. Grundsätzlich gibt es 4 mögliche Vorgehensweisen der Prozessveränderung: ▬ »one man show«, ▬ Dienstanweisung, ▬ strukturelle Veränderungen und ▬ kontinuierlicher Verbesserungsprozess/Qualitätsmanagementsystem. Die 4 Möglichkeiten sollen an folgendem Beispiel illustriert werden: Das Medikament »Medicus« soll ab sofort nicht mehr verordnet werden.
Bei der One man show greift derjenige, der den Prozess verändern will, selbst in das Geschehen ein. In dem vorgenannten Beispiel würde er also das Medikament persönlich aus den Medikamentenschränken entfernen. Der Vorteil bei der One man show ist, dass sie sehr schnell und effektiv Resultate erzeugt. Sie hat allerdings den Nachteil, dass diese Resultate nur von kurzer Dauer sind. In diesem Beispiel könnte das Medikament bei der nächsten Bestellung sofort durch unwissendes Personal nachbestellt werden. Die nächste Möglichkeit wäre, per Dienstanweisung anzuordnen, dass das Medikament »Medicus« nicht mehr angewendet werden soll. Normale Hierarchiestrukturen vorausgesetzt, würde die Dienstanweisung wahrscheinlich von den meisten Mitarbeitern umgesetzt werden. Gegenüber der One man show hat sie den Nachteil, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis alle Mitarbeiter die Dienstanweisung zur Kenntnis genommen haben. Darüber hinaus geraten Dienstanweisungen nach einer gewissen Zeit wieder in Vergessenheit, bzw. neue Mitarbeiter bekommen sie erst gar nicht zur Kenntnis. Somit ist das Risiko, dass das Medikament wiederbestellt und eingesetzt würde, auch bei dieser Möglichkeit hoch. Eine weitere Option ist die strukturelle Veränderung. Im genannten Beispiel könnte die Apotheke zentral angewiesen werden, dass Medikament nur noch auf Sonderanforderung an das Krankenhaus auszuliefern. Es würde sicherlich eine gewisse Zeit dauern, bis wirklich alle Restbestände aufgebraucht sind. Wenn jedoch die letzte Ampulle verbraucht ist, ist das Risiko, dass das Medikament wieder zum Einsatz kommt, gering. Allerdings besteht immer noch potenziell die Möglichkeit, dass jemand das Medikament wieder in die Bestellliste aufnimmt oder versucht, die strukturelle Veränderung bewusst zu boykottieren. Die letzte Möglichkeit zur Prozessveränderung besteht im Einsatz eines Qualitätsmanagementsystems. Hierbei kommen Mechanismen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses
189 15.1 · Grundsätzliche Überlegungen
Plan
Act
Do
Check ⊡ Abb. 15.1. Deming-Kreislauf
(KVP) zum Tragen. Gemäß dem PDCA-Zyklus nach Deming (⊡ Abb.15.1; Abschn. 3.3) würde es in der Check-Phase auffallen, wenn das Medikament »Medicus« wieder zum Einsatz käme. Der Vorteil dieser Option ist also die Nachhaltigkeit. Sie hat allerdings den Nachteil, dass der Abstimmungs- und der Einführungsprozess am längsten dauern. Die vorherigen Ausführungen zeigen, dass weder die One man show noch die Dienstanweisung aufgrund ihrer geringen Nachhaltigkeit geeignete Instrumente sind, um Prozesse im OPBereich zu verändern. Sicherlich kann man mit strukturellen Veränderungen zunächst Prozesse verändern. Diese Vorgehensweise hat allerdings den Nachteil, dass die Veränderungen in den seltensten Fällen für alle Mitarbeiter transparent sind. Auch können strukturelle Veränderungen auf Widerstände stoßen, die die Umsetzung behindern oder sogar verhindern können. Der OP-Bereich ist heute in den operativen Fächern das Nadelöhr, durch das alle Patienten im Behandlungsprozess geschleust werden müssen. Weiterhin ist er nach Geldner et al. (2002) der teuerste Teil des Behandlungsprozesses. Somit muss dieser Bereich besonders effektiv arbeiten. Darüber hinaus legt ein modernes Risikomanagement Wert auf Komplikationsarmut.
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Alle diese Anforderungen können nur durch die Einführung von Qualitätsmanagementinstrumenten bewältigt werden. Als besonders effektives Qualitätsmanagementinstrument hat sich hier die SOP, eine Verfahrensanweisung, die je nach Inhalt ggf. interdisziplinär und multiprofessionell erarbeitet wird, herausgestellt. Eine SOP wird im Rahmen des KVP in regelmäßigen Abständen überprüft und ggf. angepasst. ! Einerseits sollen SOPs so allgemein gehalten werden, dass sie alle Aspekte des zu betrachtenden (klinischen) Vorgangs abdecken. Andererseits sollen SOPs aber auch so speziell sein, dass sie den spezifischen Umgang eines Prozesses möglichst umfassend und genau regeln.
Somit führen SOPs zu einer Vereinheitlichung von Vorgehensweisen und zu einer Strukturierung der Prozesse eines Arbeitsbereiches bis hin zu Standardprozessen einer Institution und können zur Transparenz von Regelungen beitragen. Hierdurch wird der Arbeitsprozess effektiver, und Risiken durch Unkenntnis werden reduziert. Standard operating procedures sind verbindlich. Sie sollten von dem jeweils zuständigen Verantwortungsträger der Institution (z. B. Klinikdirektor, OP-Koordinator oder Vorstand) explizit abgezeichnet und freigegeben sein. Nur wenn innerhalb einer SOP eindeutig angegeben ist, wann eine Abweichung erlaubt ist bzw. die gesamte SOP nicht gelten soll, ist die Verbindlichkeit aufgehoben. ! Die Grundidee des klinischen Behandlungspfades ist, für gleiche Diagnosen oder ggf. sogar gleiche »diagnosis related groups« (DRGs) einheitliche Vorgehensweisen festzuschreiben.
Hierdurch können Arbeitsabläufe rationeller gestaltet werden. Die Kostenbetrachtung pro DRG kann durch eine solche Vorgehensweise vereinfacht sein. Häufig ist es jedoch nicht möglich, nur ein Vorgehen pro DRG festzulegen. Somit muss es innerhalb eines Behandlungspfades Al-
190
Kapitel 15 · »Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade
ternativen geben. Standard operating procedures können hierbei als Bausteine für klinische Behandlungspfade dienen. Allerdings bedarf es hierzu Verlinkungsbedingungen, die klar regeln, wann welche SOP gilt und wann nicht.
15.2 Rahmenbedingungen Standard operating procedures regeln Teilprozesse des Gesamtprozesses der Patientenbehandlung. Somit ist an erster Stelle die Frage zu klären, welchen Teil des Gesamtprozesses die zu definierende SOP regeln soll. Idealerweise zerlegt man zunächst den Behandlungsprozess in Haupt-, Teil- und Einzelprozesse (Beispiel in ⊡ Abb. 15.2). Anschließend wird bestimmt, welcher Teil- bzw. welche Einzelprozesse für die SOP betrachtet werden sollen. Erfahrungsgemäß sind die Teilprozesse noch relativ gut gegeneinander abgrenzbar. Auf der Ebene der Einzelprozesse kommt es häufig zu Überschneidungen, da ein Einzelprozess oft für mehrere Teilprozesse relevant ist. Somit besteht theoretisch die Möglichkeit, dass der gleiche Einzelprozess in verschiedenen SOPs unterschiedlich gehandhabt wird. Diese Konstellation sollte möglichst vermieden werden.
! Ist es nicht möglich, den Einzelprozess für alle betroffenen SOPs einheitlich zu definieren, muss in allen SOPs auf die möglichen Abweichungen hingewiesen werden.
Bevor beschlossen wird, eine SOP komplett neu zu erstellen, ist es ratsam zu überprüfen, ob es nicht bereits im deutschsprachigen Raum eine SOP zu dem gesuchten Prozess gibt, die vielleicht nur geringfügig angepasst werden muss. Praxistipp Der Bund Deutscher Anästhesisten (BDA) bietet eine SOP-Tauschbörse an (Martin et al. 2005).
Ist die Entscheidung getroffen, eine SOP neu zu erstellen, gibt es prinzipiell 2 Möglichkeiten: Entweder geht die Arbeitsgruppe vom Ist-Zustand aus und entwickelt basierend auf dem Ist eine Zieldefinition. Dieses Vorgehen bietet sich immer dann an, wenn es keine oder nur wenige konkrete Anforderungen und Verbesserungswünsche gibt. Wenn Prozesse bereits gut geordnet sind, kann der Ist-Zustand der Endversion der SOP entsprechen. Der zweite Weg ist, eine Zielvision zu erarbeiten und diese dann mit dem Ist-Zustand abzugleichen. Dieser Weg sollte dann beschritten werden, wenn von vornherein deutlich ist, dass
Gesamtbehandlungsprozess
15
Hauptprozesse
Teilprozesse I
Aufnahme
Präoperativ
Vorbereitung
Eingriff
Extubation
Überwachung
Postoperativ
Entlassung
Nachbereitung
Narkoseausleitung
Teilprozesse II
Einzelprozesse
Operation
Saalreinigung
Patientenübergabe
Sterilisation
Gerätereinigung
⊡ Abb. 15.2. Eingliederung des Einzelprozesses Extubation in den Gesamtprozess Patientenbehandlung
191 15.3 · Erarbeitung einer Standard operating procedure
15
der Ist-Zustand nicht die zukünftige Arbeitsweise sein soll. Bei beiden Vorgehensweisen sollten zu Beginn folgende Punkte ermittelt werden: ▬ Wer ist der Auftraggeber? ▬ Kontext (Welche Prozesse sind betroffen?) ▬ Beteiligte Berufsgruppen? ▬ Ablauf der/des Prozesse/s (Ist-Zustand)? ▬ Schnittstellen? ▬ Rahmenbedingungen (Gesetze, Anweisungen, mitgeltende Dokumente etc.)? ▬ Zielvorstellungen (Anforderungen, Verbesserungswünsche etc.) und ▬ Gültigkeit?
der Erarbeitung der SOP. Als letzte Vorarbeit zur Erstellung einer SOP muss ermittelt werden, welche Berufsgruppen von der SOP betroffen sind. Es sollte angestrebt werden, dass mindestens je ein Vertreter pro Berufsgruppe an der SOP mitarbeitet. So wird auf der einen Seite vermieden, dass wesentliche Aspekte keine Berücksichtigung finden und auf der anderen Seite ist später die Akzeptanz der SOP höher.
Standard operating procedures sollten idealerweise als »Top-down-Ansatz« (die Führung etabliert eine Idee) initiiert werden. Prinzipiell können SOPs aber auch als »Bottom-up-Ansatz« (Arbeitnehmer setzen von der Basis aus eine Idee ein) entstehen. Allerdings zeigt sich immer wieder, dass in diesen Fällen die Umsetzung ohne Unterstützung der zuständigen Führungskraft schwierig ist.
Beim ersten Zusammentreffen der Arbeitsgruppe ist es sinnvoll, nach der initialen Vorstellungsrunde Rollen zu verteilen und sich auf einige grundlegende Spielregeln zu verständigen. In jeder Sitzung sollte es einen Moderator und einen Protokollanten geben. Falls pro Sitzung ein festes Zeitlimit gewollt ist, sollte sich auch ein Zeitnehmer zur Verfügung stellen. Diese Rollen können von Sitzung zu Sitzung rotieren. Ein Beispiel für Spielregeln zeigt die folgende Übersicht.
Praxistipp Es empfiehlt sich, einen expliziten Arbeits-/ Projektauftrag zur Erarbeitung einer SOP zu beschaffen. Während der gesamten Arbeitsphase sollte es eine Abstimmung mit der koordinierenden Leitungsebene (z. B. OP-Koordinator, Organisationsentwicklung, Qualitätsmanagement etc.) geben.
15.3 Erarbeitung einer Standard
operating procedure
Gruppenspielregeln
▬ Wir kommen pünktlich ▬ Alle Arbeitsgruppenmitglieder sind gleichberechtigt
▬ Jeder erkennt jeden als vollwertiges Gruppenmitglied an
▬ Jeder fühlt sich für das ArbeitsgruppenSo kann frühzeitig erkannt werden, ob die SOP schlimmstenfalls aus dem Unternehmenskonzept herausfällt, oder ob z. B. zusätzliche Aspekte beachtet oder bearbeitet werden müssen. Inhalt des Projektauftrags sollte auch eine scharfe Abgrenzung des SOP-Kontextes sein. Idealerweise sind die zu betrachtenden Teilprozesse bereits durch den Auftraggeber im Projektauftrag definiert. Eine dezidierte Auflistung der Einzelprozesse kann man hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht erwarten. Die Identifizierung der betroffenen Einzelprozesse ist Bestandteil
ergebnis verantwortlich
▬ Wir führen Diskussionen hierachiefrei ▬ Wir hören einander zu und lassen jeden ▬ ▬ ▬ ▬
ausreden Wir vertreten offen unsere Meinung (nicht verschleiern) Jeder hat das Recht, positive Kritik zu äußern Wir nehmen Feedback ohne Gegenargumentation entgegen Handies sind ausgeschaltet
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Kapitel 15 · »Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade
Folgende Techniken können bei der Erarbeitung der SOP zum Einsatz kommen: ▬ »brainstorming«, ▬ »mind mapping«, ▬ Metaplantechnik, ▬ Fragebogen, ▬ Interview, ▬ Ishikawa-Diagramm und ▬ Flussdiagramm. Brainstorming. Das Brainstorming wird in 2 Phasen unterteilt. In der ersten Phase sagt jedes Arbeitsgruppenmitglied, was ihm spontan zu der vorgegebenen Thematik einfällt. Wichtig ist, dass die Beiträge undiskutiert vom Moderator, z. B. an einem Flipchart, gesammelt werden. Diese Phase sollte nicht zu kurz sein (mindestens 10 min). Häufig kommen die besten Beiträge nicht gleich zu Anfang. In der zweiten Phase diskutiert und bewertet die Arbeitsgruppe gemeinsam die Beiträge.
15
Mind mapping. Die Methode wurde von dem englischen Psychologen Buzan (1993) entwickelt. Mind maps sollen helfen, die Gedanken zu strukturieren, Ideen zu entwickeln und Gesamtzusammenhänge besser zu erkennen, indem durch die spezielle Art der Darstellung sowohl die linke Hirnhälfte (Logik, Zahlen, Sprache) als auch die rechte Hirnhälfte (Bilder, Intuition) stimuliert werden. Die gleichzeitige Stimulation beider Hirnhäften soll die Kreativität steigern. Ein Beispiel für eine Mind map zeigt ⊡ Abb. 15.3. Im Zentrum wird das Hauptthema vermerkt; Hauptgedanken werden als Hauptäste vom Zentrum abgezweigt. Jeder Ast eines Hauptgedankens sollte die gleiche
Farbe tragen. Jeder Untergedanke wird auf einem eigenen Ast vom Hauptast abgezweigt. Das Gebilde kann durch Bilder ergänzt werden. Metaplantechnik. Bei der Metaplantechnik werden Gedanken (z. B. einzelne Prozessschritte) durch die Teilnehmer auf einzelnen Karten notiert. Der Moderator sammelt die Karten, und gemeinsam mit der Arbeitsgruppe werden die Karten an der Pinnwand strukturiert. Fragebogen. Sind nicht alle Fragen innerhalb der Arbeitsgruppe zu klären, kann ein Fragebogen entworfen werden, den die Wissensträger ausfüllen. In einer Einleitung sollte das Ziel der Befragung erläutert werden. Weiterhin sollte ein Abgabezeitpunkt festgelegt sein. Interview. Sind nicht alle Fragen innerhalb der Arbeitsgruppe zu klären und ist davon auszugehen, dass die Wissensträger einen Fragebogen nicht in einem angemessenen Zeitraum ausfüllen werden, empfiehlt es sich, der Arbeitsgruppe das fehlende Wissen über Interviews der Wissensträger zuzutragen. Ishikawa-Diagramm. Das Ishikawa-Diagramm (Beispiel in ⊡ Abb. 15.4) ist auch unter der Bezeichnung »Fischgrätendiagramm« oder »Ursachen-Wirkung-Diagramm« bekannt. Ishikawa hat es in den 1950er-Jahren in der japanischen Stahlindustrie entwickelt. Er behauptet, dass eine bestimmte Wirkung selten auf einer Ursache beruht. Meistens verteilen sich die Ursachen auf die »5 Ms« (Mensch, Maschine, Methode, Material und Mitwelt (Umfeld). Bei der Anwendung der Erweckbar?
Fertig Nachblutung
Operateur
PJ-Naht Träger Krankenwagen
Patient
Transport
⊡ Abb. 15.3. Beispiel für eine Mind Map
Aufwachraum
Nicht erweckbar
Warten Intensivstation
Wach
Narkoseausleitung
Station
Warten
Narkose aus? Anästhesie
Schwester da? 100 % Sauerstoff
BIS? Restgas?
193 15.3 · Erarbeitung einer Standard operating procedure
Mensch
Maschine Maschine defekt
Unzureichende Händesdesinfektion Falsche Operationstechnik Verkehrte Wischtechnik
15
Kontaminiertes Material
Abgelaufenes Verfallsdatum
Methode
OP-Saal mit E. coli kontaminiert Resistenzentwicklung
Material
Mitwelt
⊡ Abb. 15.4. Ishikawa-Diagramm
Methode ist man frei, auch andere Achsenbezeichnungen zu verwenden. Es können durchaus auch mehr als 5 Achsen sein. Zunächst wird die zu untersuchende Wirkung rechts am Ende einer horizontalen Linie aufgetragen. Von dieser Linie zweigen dann fischgrätenartig die Hauptursachengruppen ab. Einzelursachen weisen dann mit Pfeilen auf die Hauptursachenlinien hin. Praxistipp Ishikawa-Diagramme sind besonders gut bei Fehleranalysen einsetzbar.
Flussdiagramm. Das Flussdiagramm stellt komplizierte Abläufe mit unterschiedlichen Zuständigkeiten dar. Im Flussdiagramm werden die Struktur und die Logik des Prozesses mithilfe von Symbolen in Anlehnung an die DIN 66001 dargestellt. Aus dem Flussdiagramm kann jeder Beteiligte dann seine Aufgaben erkennen. Ein Beispiel für ein Flussdiagramm und einige verwendete Symbole zeigt ⊡ Abb. 15.5. Zu Beginn der SOP-Erstellung sollte der Prozessablauf, der der SOP zugrunde liegt, erarbeitet werden. Dieses kann entweder auf der Basis des Ist-Zustands geschehen. Alternativ kann auch versucht werden, sofort den Soll-Zustand darzustellen. Letzterer Weg ist sicherlich schwieriger und nur dann zu empfehlen, wenn gravierend vom Ist-Zustand abgewichen werden
soll. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Arbeitsgruppe zu einem gemeinsamen Verständnis des Gesamtprozesses kommt. Anderenfalls ist die Gefahr groß, dass in folgenden Arbeitssitzungen der grundlegende Prozess erneut diskutiert werden muss. Prozessschritte, die nicht sofort innerhalb der Arbeitsgruppe klärbar sind, sollten als »todos« in der graphischen Darstellung markiert werden. Die Arbeitsgruppe legt fest, mit welcher Technik und bis wann diese Prozessschritte bearbeitet werden. Am Ende sollte der Prozess graphisch visualisiert werden. Gut geeignet sind Metaplan, Flussdiagramm und ggf. Mind map. Praxistipp Die Informationen innerhalb einer SOP sollten nicht nur graphisch dargestellt, sondern auch textlich erläutert werden. Mitarbeitern, die nicht an der Erstellung und am Diskussionsprozess der SOP beteiligt waren, erschließen sich nicht immer alle Informationen aus einer Grafik. Die textlichen Erläuterungen sollten leicht verständlich und an der Zielgruppe ausgerichtet formuliert sein.
Es ist nicht erforderlich, in jeder SOP bereits definierte Prozesse erneut zu definieren und darzustellen. Bewährt hat sich der Rückgriff auf »mitgeltende Dokumente«. Diese werden in der SOP referenziert bzw. in Ablaufdiagram-
194
Kapitel 15 · »Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade
Beispiele für Symbole in einem Flussdiagramm Oval/Dreieck Beginn/Ende
Kreis Schnittstelle zu einem anderen Prozess
Rechteck Prozess, Unterprozess
Raute Verzweigung
Rechteck mit Welle Schriftstück
Pfeil Zeigt Flussrichtung an
Beispiel für ein Flussdiagramm Verantwortlich:
Narkoseeinleitung Einschleusen
Station kontaktieren
Nein
Nein
Befunde komplett
Anästhesist
Patient narkosefähig?
Anästhesist
Zugang
15
Anästhesist
Injektion
Anästhesist
Intubation
Anästhesist
Ausfüllen des Narkoseprotokolls
Anästhesist
Freigabe zur Operation ⊡ Abb. 15.5. Flussdiagrammdarstellung einer SOP
OP-Pflege
Anästhesist
15
195 15.4 · Die Standard operating procedure im Routinebetrieb
men mitangegeben. In dem Flussdiagramm der ⊡ Abb. 15.5 könnte beispielsweise bei dem Prozessschritt »Intubation« auf eine SOP zum Thema Intubation verwiesen werden. Somit wäre es an dieser Stelle nicht erforderlich, die Einzelprozesse der Intubation in dieser SOP auszuführen. Aus der Prozesserarbeitung werden auch die Prozesschnittstellen ersichtlich. Diese werden in einem nächsten Schritt bearbeitet. Es ist zunächst zu klären, ob Schnittstellen reduziert werden können. Nach Greiling u. Hofstetter (2002) gibt es hierzu prinzipiell 2 Ansätze: den ablauforganisatorischen Ansatz und den Ansatz der Aufgabenerweiterung. Beim ablauforganisatorischen Ansatz wird versucht, die Teilprozesse so zu ordnen, dass derselbe Mitarbeiter möglichst viele Teilprozesse hintereinander erledigen kann (z. B. die Pflegekraft führt Mobilisation, Wäsche und Ankleiden als 3 aufeinander folgende Prozesse durch). Bei der Aufgabenerweiterung werden Mitarbeiter so qualifiziert, dass sie möglichst viele Teilprozesse der Prozesskette eigenständig abarbeiten können (z. B. die Anästhesiefachpflegekraft ist in der Lage, den Patienten zu lagern und Zugänge zu legen). Für die Schnittstellen, die nicht reduziert werden können, sind folgende W-Fragen festzulegen. ! Wer muss was wann tun, damit welcher Zustand wann erreicht wird?
Für das Beispiel aus ⊡ Abb. 15.5 (Station) könnte eine Schnittstellendefinition, wie folgt, aussehen: ▬ Wer? Anästhesiepflege. ▬ Was? Station anrufen und Befunde abfordern. ▬ Wann? Sofort. ▬ Welcher Zustand? Fehlende Befunde in den OP. ▬ Wann? Innerhalb von 5 min. Darüberhinaus ist zu klären, was passieren soll, wenn die Schnittstelle nicht funktioniert. Wenn im vorgenannten Beispiel innerhalb von 5 min keine Befunde zu erhalten sind, könnte z. B. definiert werden, dass der Patient zunächst wieder auf die Station zurückverlegt wird. Sind alle Prozessschritte und Schnittstellen definiert, muss
noch überprüft werden, ob gesetzliche Rahmenbedingungen (z. B. Medizinproduktegesetz), Dienstanweisungen, Tarifwerk etc. betroffen sind. Gegebenenfalls ist die SOP an diese Rahmenbedingungen anzupassen. Am Ende erfolgt der SollIst-Abgleich. Folgende Fragen sind zu klären: ▬ Bildet die SOP den Prozess korrekt ab? ▬ Sind alle Anforderungen (z. B. Krankenhausleitung, Chefarzt, Auftraggeber, etc.) erfüllt worden? Erst wenn beide Fragen eindeutig mit Ja beantwortet werden können, sollte mit der Einführung der SOP begonnen werden. Abschließend wird, sofern nicht durch den Auftraggeber bereits festgelegt, der Gültigkeitsbereich (z. B. gesamter OP-Bereich, nur OP-Pflege etc.) bestimmt. Darüber hinaus sollte die Arbeitsgruppe eine Empfehlung abgeben, in welchem Zeitraum die SOP überprüft werden soll (Check-Phase, Deming-Zyklus; Abschn. 15.1). Ein Beispiel für ein Titelblatt einer SOP zeigt ⊡ Abb. 15.6.
Klinik für besonders gute Medizin Direktor: Professor Hilftgerne Krankenhausweg 1 90000 Stein
STANDARD OPERATING PROCEDURE TITEL:
Narkoseeinleitung
GÜLTIG AB: VERSIONSNR:
09.11.2003 V1.3
ERSETZT VERSIONSNR: V1.2 VOM: 23.01.2003 GEÄNDERT DURCH:
Dr. Malte Raetzell AM: 20.10.2003
FREIGEGEBEN DURCH: Prof. Hilftgerne Revisionsverlauf: Version Erstellt von 1.0 Dr. Petra Maier 1.1 Dr. Helga Putz 1.2 Dr. Helga Putz
am 1.4.2002 18.10.2002 7.1.2003
⊡ Abb. 15.6. Revisionsverlauf
AM: 08.11.2003
Freigeben durch Prof. Müller Prof. Hilftgerne Prof. Hilftgerne
am 5.5.2002 22.10.2002 23.1.2003
196
Kapitel 15 · »Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade
15.4 Die Standard operating
procedure im Routinebetrieb
15
Nach Fertigstellung der SOP wird diese durch den Auftraggeber durch Unterschrift freigegeben. In Absprache mit dem Auftraggeber sollte zunächst ein überschaubarer Bereich (z. B. ein OP-Saal, ein Einleitungsraum etc.) ausgewählt werden, in dem die SOP für einen definierten Zeitraum (z. B. 3 Monate) erprobt wird. Hilfreich ist es, wenn in dem Erprobungsbereich nur eine geringe Personalfluktuation herrscht. Dieses Vorgehen reduziert den initialen Schulungsbedarf und schafft eine überschaubare Zahl von Ansprechpartnern in der Erprobungsphase. Die Erprobungsphase muss von zu bestimmenden Mitgliedern der Arbeitsgruppe überwacht werden. Erste »Durchläufe« der SOP sollten im Beisein eines Arbeitsgruppenmitglieds erfolgen, das offene Fragen direkt vor Ort mit den Mitarbeitern, die die SOP erproben, klären kann. Später sind wöchentliche bis 14-tägliche »reviews« ausreichend. In diesen Reviews muss geklärt werden, ob die SOP so durchgeführt werden kann, wie sie durch die Arbeitsgruppe definiert wurde. Insbesondere sind folgende Aspekte zu klären: ▬ Stimmt die Reihenfolge der Prozessschritte? ▬ Sind die Verzweigungen ausreichend, oder müssen zusätzliche eingefügt werden? ▬ Funktionieren die Schnittstellen, wie beschrieben? ▬ Gibt es zusätzliche Schnittstellen? ▬ Stimmen Anfangs- und Endpunkt? Hat die Arbeitsgruppe nach Ablauf der Erprobungsphase diese Punkte evaluiert und ggf. nachbearbeitet, kann eventuell eine erneute Probephase mit einer modifizierten SOP erforderlich sein. Geht es anschließend darum, die SOP in den Routinebetrieb zu übernehmen, sind zusätzlich folgende Punkte zu klären: ▬ Wie werden die Mitarbeiter informiert bzw. geschult? ▬ Sind alle betroffenen Mitarbeiter ausreichend qualifiziert?
▬ Ist der Qualitätsmanagementbeauftragte informiert? ▬ Soll die SOP in Behandlungspfade integriert werden? Die Information der Mitarbeiter kann mündlich, durch Schulungen oder schriftlich per Dienstanweisung erfolgen. In einigen Krankenhäusern ist es mittlerweile üblich, dass Mitarbeiter grundsätzlich eine »Holschuld« für Informationen haben. Das bedeutet, dass sich der Mitarbeiter selbstständig nach Neuigkeiten erkundigen muss. In einem solchen Fall könnte es z. B. bestimmte Computerverzeichnisse oder Aktenordner geben, in denen grundsätzlich neue SOPs zur Einsicht abgelegt werden. Vereinzelt sind im deutschsprachigen Raum auch »eLearning-Systeme« zur SOP-Einführung anzutreffen. Diese Systeme vermitteln die (neu) anzuwendenden Handlungsweisen per Computersimulation. Praxistipp Zur Überprüfung, ob alle Mitarbeiter ausreichend qualifiziert sind, empfiehlt sich ein Gespräch mit den Funktionsträgern der Leitungsebene der betroffenen Bereiche (z. B. Pflegediensleitungen, ärztliche Leitungen etc.).
Gegebenenfalls sind in einem solchen Gespräch Qualifizierungsmaßnahmen, einschließlich Zeitplan, zu besprechen. Sollten diese nicht möglich, aber erforderlich sein, müsste die SOP im schlechtesten Fall an den Qualifizierungsstand der betroffenen Mitarbeiter angepasst werden. Der Qualitätsmanagementbeauftragte des betroffenen Bereiches sollte, sofern er nicht selbst Auftraggeber oder Mitglied der Arbeitsgruppe war, über die neue SOP informiert werden. Er kann in Zusammenarbeit mit seinen Kollegen beurteilen, ob die neue SOP in Behandlungspfade integriert werden soll. In diesem Fall sind die Schnittstellen erneut kritisch zu würdigen.
15
197 15.5 · Die Kür: Klinische Behandlungspfade
15.5 Die Kür: Klinische
Behandlungspfade Ein klinischer Behandlungspfad ist ein Steuerungsinstrument. Der klinische Pfad beschreibt den optimalen Weg eines Patientenkollektivs einer bestimmten Fallkonstellation in seiner zeitlichen Abfolge mit seinen diagnostischen und therapeutischen Leistungen. Interdisziplinäre und interprofessionelle Aspekte finden ebenso Berücksichtigung wie Elemente zur Steuerung und ökonomischen Bewertung. Letzteres hat insbesondere seit der Einführung der DRGs an Bedeutung gewonnen, da das Krankenhaus auch im Sinne der Kostenträgerrechnung wissen muss, welche Kosten einem DRG-Erlös gegenüberstehen. Nach Hindle (1997) sind die folgenden 6 Module notwenige Bestandteile eines klinischen Behandlungspfades: ▬ Falltyp (z. B. eine DRG oder eine anders beschriebene Fallgruppe), ▬ Elemente der Diagnostik und Therapie, ▬ Variationsbreite der Behandlungsoptionen, ▬ Qualität der Behandlung, ▬ Ergebnisindikatoren (Was will ich erreichen?) und ▬ Kosten der Behandlung.
ist. Somit ist die Aufgabe des OP-Bereiches im Kontext klinischer Behandlungspfade, sich mit seinen Prozessen in den Pfad zu integrieren und Schnittstellen zu bedienen. Letzlich kann der Behandlungspfad aus Sicht des OPs als eine Verknüpfung unterschiedlichster Prozesse verstanden werden, die über Bedingungen miteinander verbunden sind. Idealerweise sind diese Prozesse bereits als SOPs definiert, sodass man diese nur noch in einen Behandlungspfad einfügen muss. ! Behandlungspfade werden häufig neben der Erwartung der Prozessoptimierung auch mit dem Ziel der Kostenkontrolle aufgestellt.
Somit kann sich die Forderung ergeben, die bereits erstellten SOPs mit Kostenwerten (z. B. Sach- und Personalkosten) zu hinterlegen. Im Übrigen sind Behandlungspfade keine starren Handlungsanweisungen, sondern lassen laut den Leitlinien der Bundesärztekammer (http:// www.bundesaerztekammer.de/30/Richtlinien/ 90Verbindlich.html) dem Arzt einen Handlungskorridor und Entscheidungsspielraum, sodass in begründeten Einzelfällen auch von den Vorgaben abgewichen werden kann. Fazit
Nach Bauer et al. (2004, S. 419) beschreibt ein klinischer Behandlungspfad (»clinical pathway«, CP) den Kernprozess der Patientenkarriere von der Aufnahme bis zur Entlassung. Bauer führt aus: Somit können CPs nur von den prozessverantwortlichen Abteilungen, die den Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung betreuen, entwickelt werden.
Hieraus lässt sich erkennen, dass der OP-Bereich nur in den seltensten Fällen Ausgangsoder Endpunkt eines Behandlungspfades sein wird. Es lässt sich aber ebenso ableiten, dass er sehr häufig Bestandteil eines Behandlungspfades
I
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Dem OP-Bereich hilft der Behandlungspfad dadurch, dass er über die OP-eigenen SOPs hinaus Schnittstellen klar definiert und dafür sorgt, dass OPexterne Ereignisse (z. B. Transportdienst) so gesteuert sind, dass OP-interne Prozesse bestmöglichst ablaufen können. Behandlungspfade sind analog den SOPs regelmäßig auf Effizienz und Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Bei konsequenter Durchführung verschaffen SOPs und klinische Behandlungspfade dem Krankenhaus Sicherheit im Hinblick auf optimierte Prozesse sowie Kosten- und Qualitätskontrolle.
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Kapitel 15 · »Standard operating procedures« und klinische Behandlungspfade
Literatur Bauer M, Hanß R, Schleppers A, Steinfath M, Tonner PH, Martin J (2004) Prozessoptimierung im »kranken Haus«. Anaesthesist 53: 414–425 Buzan T (1993) The mind map book. BBC, London Geldner G, Eberhart LHJ, Trunk S, Dahmen KG, Reissmann T, Weiler T, Bach A (2002) Effizientes OP-Management. Anaesthesist 51: 760–767 Greiling M, Hofstetter J (2002) Patientenbehandlungspfade optimieren – Prozessmanagement im Krankenhaus. Baumann, Kulmbach Hindle D (1997) Clinical pathways: a serious business. Health Manage Bull 1 Martin J, Kuhlen R, Kastrup M, Schlepper A, Spies C (2005) Die Standard-operating-procedures – Tauschbörse Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin. Anaesthesist 54: 495–496
15
Abkürzungsverzeichnis
200
AACD
Abkürzungsverzeichnis
American Association of Clinical Directors AG Aktiengesellschaft ArZR Arbeitszeitgesetz ASA American Society of Anesthesiologists BAT Bundesangestelltentarif BDA Berufsverband deutscher Anästhesisten BDC Berufsverband deutscher Chirurgen BIP Bruttoinlandsprodukt CC Komplikation und/oder Komorbidität CCL »complication and comorbidity level«; dt.: Komplikations- und Komorbiditätslevel CIRS »critical incident reporting system« CL »center line« CMI »casemix index« CRM »crew ressource management« CRNA »clinical registered nurse anesthetists« CT Computertomographie DGAI Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin DGS Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen DIMDI Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information DMP »disease management program« DRG »diagnosis related group« EDV Elektrische Datenverabreitung EFQM European Foundation for Quality Management EQA »European Quality Award« FPV Fallpauschalenvereinbarung (g)AG gemeinnützige Aktiengesellschaft (g)GmbH gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung G-DRG »German refined – diagnosis related groups« GKV Gesetzliche Krankenversicherung GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung ICD »International Classification of Diseases and Related Health Problems« ICD-10- »International Classification of Diseases GM and Related Health Problems-10 German Modification«
ICU IMC InEK
»intensive care unit« »intermediate care« Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus IOM Institute of Medicine, USA ISO »International Organization for Standardization« IT Informationstechnologie KHEntgG Krankenhausentgeltgesetz KHG Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze KIS Krankenhausinformationssystem KTQ Kooperation für Transparenz und Qualität KVP kontinuierlicher Verbesserungsprozess LCL »lower control limit« MDC »major diagnostic categories« MPG Medizinproduktegesetz MRT Magnetresonanztomographie OECD Organisation for Economic Co-operation and Development OPS Operationenschlüssel PCCL »patient clinical complexity level«; dt.: PKKS patientenbezogene klinische Komplexitätsstufe PCCL patientenbezogener Gesamtschweregrad PDCAAnwendungs- und Erklärungsmodell Zyklus für die kontinuierliche Verbesserung der Qualität, das in 4 Phasen aufgeteilt ist: »plan«, »do«, »check« und »act« PDK Periduralkatheter POBE perioperative Behandlungseinheit PPP »public private partnership« QCC »quality control charts« RG Relativgewicht SAPS »simplified acute physiology score« SGB V Sozialgesetzbuch V SOP »standard operating procedure« SPC statistische Prozesskontrolle SVR/KaiG Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen TGA Trägergemeinschaft für Akkreditierung
201 Abkürzungsverzeichnis
TISS UCL VD VdAK VdAK/ AEV VOL ZSVA
»therapeutic intervention scoring system« »upper control limit« Verweildauer Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und Arbeiter-ErsatzkassenVerband e.V. Verdingungsordnung für Leistungen zentrale Sterilgutversorgungsabteilung
Stichwortverzeichnis
204
Stichwortverzeichnis
A Anästhesiekosten 28 Anästhesieminute 29, 78, 80 Aktivitätenanalyse 65 ABC-Analyse 67
B base rate 18, 25 Basisfallpreis (s. base rate) Basis DRG 18 Behandlungsfälle 16 Behandlungsfallgruppen 16 Bettenabbau 6 Budgetverteilung-Leistungszahlen 28 Budgetfortschreibung 28
C Case-mix-Index 18, 25 case manager 8 CIRS 46, 48 Cusum-Analyse 68, 72 Controlling 58 Controlling Regelkreis 58 Controlling Kennzahlen 58 Controlling Instrumente 60, 63, 65–67
D DIN EN ISO 9001:2000 37 disease manager 8 DRG-Qualitätsmanagement 17 DRG-Eingruppierung 17, 20 DRG-relevante Begriffe 18
E EDV 156, 176 EFQM 38 Einleitung, überlappende 84 Ergebnisqualität 34, 40, 41
F Fehlermeldesystem 46 Finanzierungsbedarf 9
I Integrierte Versorgung 8 Investitionen 164 Investoren, private 11 ISO 36
K Kennzahlen 98–100 – Auswahl 104 – Erstellung 104 Kodierrichtlinien, deutsche 25 Kommunikation 52, 123 Kompetenzrahmen 142 Konfliktmanagement 122, 127, 130 Kosten-anästhesiologische Versorgung Kosten-Grundlagen, Definition 78 Kosten-Nutzen-Analyse 165 Kosten-Nutzen-Rechnung 86 Kostenkontrolle 7, 58 Kostenrechnungssystem 61 Kostenträgerrechnung 103 Kostentreiber 78 Krankenhausverweildauer 106 KTQ 35
78
205 Stichwortverzeichnis
Prozessanalyse 94 Prozesskostenrechnung 64 Prozessorganisation 92 Prozessqualität 34, 41 Prozesszeiten 40 Public private partnership (s. PPP)
L Leistungsverrechnung, interne Liegezeitverkürzung 6
80
N
Q
Nachmeldungen 155 Naht-Schnitt-Zeit 97 Notfälle 155 Notfallmanagement 155
Qualitätsmanagement-OP 39 Qualitätsmanagement-Rahmenbedingungen 32–34 Qualitätssicherung 32
O OP-Ablaufsteuerung 156, 178 OP-Kommission 142 OP-Koordinator 144 – Aufgaben 144 OP-Management 140 – Kompetenzrahmen 142 – Schwachstellen, organisatorische – Schwachstellen, personelle 150 – Schwachstellen, räumliche 150 OP-Manager 143 – Aufgaben 143 OP-Minute 82, 106 OP-Plan 158 OP-Statut 140, 141
R Rechtsformwechsel 10 Risikomanagement 44 Rüsträume 154
151
P PDCA-Zyklus 33 Personalbedarfsplanung 113, 114, 118 Personalentwicklung 113 Personalkosten 78, 110 Personalmanagement 110, 111, 114 Portfolioanalyse 66 PPP 9, 12
S Schnitt-Naht-Zeit 97 Schnittstellen 39, 41, 93, 142, 181, 195 Selbstbewertungsprozess 39 SOP 196 Strukturqualität 34
T Team 122, 123 Teamentwicklung 126 Teilprozesse 40
A–T
U Umsetzungsprobleme 150
V Vernetzungen 151 Verweildauer 4, 32, 45
W Wartezeiten 41 Wechselzeiten 84, 101, 102, 140, 151 Wettbewerb 9 Workflow-Betrachtung 26
Z Zentrale OP- und Anästhesiepflegedienstleitung, Aufgaben 146 Zusatzentgelte 24