Stefan Lüddemann Mit Kunst kommunizieren
Stefan Lüddemann
Mit Kunst kommunizieren Theorien, Strategien, Fallbeispiel...
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Stefan Lüddemann Mit Kunst kommunizieren
Stefan Lüddemann
Mit Kunst kommunizieren Theorien, Strategien, Fallbeispiele
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Juli 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15581-4
Inhalt
5 Vorwort ................................................................................................................................................7 1
Einleitung....................................................................................................................................9 1.1 Kunst und Kommunikation: Kreative Potenziale einer fragilen Allianz...................9 1.2 Kunst und Kommunikation: Chancen für das Kulturmanagement .........................11 1.3 Kunst und Kommunikation: Aufbau und Ziele des Buches......................................14
2
Wie Kunst Botschaften verstärkt: Das Beispiel Paris Hilton ..............................................17
3
Theorie.......................................................................................................................................21 3.1 Ebenen eines Kunstwerks: „Hang Thiec Basket #4“ von Winter und Hörbelt........22 3.2 Die Ebenen der Kunst: Objekt, Erfahrung, Diskurs, Institution................................26 3.3 Die Leistungen der Kunst: Wie Welt konstruiert wird ..............................................30 3.4 Von der Kunst zur Kommunikation: Wie Bilder Bedeutung erzeugen ...................33 3.5 Historisches Beispiel: Cézanne und die Dichter..........................................................37 3.6 Der Kontext der Kunst: Kunstwerke in der Medienkultur........................................41 3.7 Kommunikation mit Kunst: Strategien und Funktionen ...........................................49
4
Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint .................................................................53 4.1 Kunst archivieren: Das Museum ...................................................................................54 4.2 Kunst inszenieren: Die Ausstellung..............................................................................58 4.3 Kunst dokumentieren: Der Katalog..............................................................................62
5
Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden ...................................67 5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova.........................69 5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede .................................76
6
Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird .............................85 6.1 Krise und Chance: Der Zustand der Kunstkritik ........................................................85 6.2 Debatte um die Kunstkritik: Drei untaugliche Auswege...........................................87 6.3 Kritik als Produktion: Wie Kunst erprobt wird...........................................................89 6.4 Lesarten einer Ausstellung: Die MoMA-Schau im Spiegel der Kunstkritik............92
7
Kommunikation mit Kunst als Technik des Kulturmanagements ....................................97 7.1 Wie der Arbeitsprozess abläuft: Das Management im Überblick.............................98 7.2 Was Beteiligte können müssen: Merkmale der Qualifikation .................................104 7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken ............................................107
8
Kunstkommunikation: Modell einer Produktion kultureller Bedeutung ......................115
6
Inhalt
9
Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“ ......................................................................................................................121 9.1 Der Kontext: Die Kulturentwicklungspläne der Stadt Osnabrück .........................124 9.2 Das Thema: Felix Nussbaum – Person und Werk.....................................................127 9.3 Die Inszenierung: Das Nussbaum-Haus zwischen Museum und Mahnmal ........132 9.4 Das Event: Die Ausstellung zum 100. Geburtstag Felix Nussbaums .....................137 9.5 Das Ergebnis: Ein Maler als Mittelpunkt kultureller Imagebildung ......................139
10
Kunst und Wirtschaft: Chancen einer Koalition auf Zeit .................................................143 10.1 Was verbindet (und trennt) Wirtschaft und Kunst? .................................................144 10.2 Einsatz von Kunst: Aktionsformen und Ziele ...........................................................151
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Fallbeispiel 2: Firma Dornbracht, Kunstsponsoring und Badkultur ...............................157 11.1 Der Ansatz: Die Firma Dornbracht und die Kunst ...................................................158 11.2 Das Instrument: Das Format der „Statements“ .........................................................162 11.3 Offener Prozess: Die „Statements“ als Werkstatt......................................................168
12
Fallbeispiel 3: Modemesse Igedo, Vivienne Westwood und Kreativität ........................173 12.1 Der Ansatz: Die Modemesse Igedo und ihre Kommunikationsziele .....................174 12.2 Der Kontext: Mode als Paradigma des Kreativen.....................................................176 12.3 Das Thema: Vivienne Westwood und Antoine Watteau .........................................178 12.4 Das Event: Die Ausstellung als Kreuzungspunkt von Mode und Kunst ..............182
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Kunstkommunikation als Kulturmanagement – ein Fazit ...............................................187
14
Literaturverzeichnis...............................................................................................................189
Vorwort
Dieses Buch nimmt Kunst in den Blick – und dies aus der Perspektive der kommunikativen Leistungen, die sich mit ihr erreichen lassen. Damit ist keiner vordergründigen Instrumentalisierung das Wort geredet. Stattdessen wird für eine Evaluation plädiert, die Kunst an den Potenzialen erkennt, die genau dann ermöglicht werden, wenn Kunst in Mischungsverhältnisse eintritt. Solchen Status kritisiert nur der Purist als unzulässige Vermengung. Aus der Sicht einer kulturwissenschaftlichen Hermeneutik bietet sich dagegen nicht allein eine Situation der Überschneidung ansonsten getrennter Sphären dar, sondern vor allem eine produktive Kopplung, die zuvor nicht aktualisierte Potenziale von Bedeutung hervorbringt. Wenn in diesem Kontext mit Kunst kommuniziert wird, erscheint Kunst nicht einfach als Mittel, sondern vor allem als Partner, besser gesagt als Impulsgeber einer Allianz auf Zeit. Zugleich wird erst in diesen Konstellationen richtig klar, was Kunst auszeichnet – ihre Fähigkeit, Themen und Sichtweisen so darzubieten, dass sie sinnlich erfasst und zugleich gedanklich erkannt werden können. Mit genau diesem Material geht dann eine Kommunikation um, die mehr ist als vorgeblich lineare Informationsübermittlung – nämlich eine Instanz, die kulturelle Bedeutungsproduktion betreibt, indem sie Sinnkomplexe arrangiert, deren Geltungsansprüche abklärt, deren Fortdauer wiederholend sichert oder deren innovativen Umbau betreibt. Diesem abstrakt formulierten Programm entspricht in den folgenden Kapiteln ein hoffentlich instruktives Miteinander von theoretischer Reflexion und deren praktischer Erprobung, eine stets doppelte Sicht auf das Thema, eine Sicht, die Analyse und Handlungsanleitung miteinander kombiniert. Das Buch versteht sich so als Problemaufriss wie als Leitfaden gleichermaßen. Es wendet sich an alle, die wie der Autor der Überzeugung sind, dass Nachdenken über Kunst und der – in irgendeiner Weise – praktische Umgang mit ihr nur die bekannten zwei Seiten einer Medaille sind. Das Buch wendet sich deshalb insbesondere an diejenigen, die sich als Grenzgänger begreifen (müssen), also an Kulturmanager, Kunstvermittler, Kulturjournalisten, Museumsleute, Öffentlichkeitsarbeiter, Galeristen, Art Consulter, Dozenten, wobei sich von selbst versteht, dass bei diesen Berufsbezeichnungen, entgegen dem grammatikalischen Geschlecht, Männer wie Frauen gleichermaßen gemeint sind. Die Anlage dieses Buches verdankt sich einem didaktischen Entstehungskontext. Der vorliegende Text ist die überarbeitete und stark erweiterte Fassung eines Studienbriefes, der zunächst für das Institut für Kulturmanagement der FernUniversität Hagen entstand, und demnächst im Studiengang Kultur- und Kommunikationsmanagement am Fernstudienzentrum der Technischen Universität Kaiserslautern zum Einsatz kommen soll. Ich danke deshalb zunächst Prof. Dr. Thomas Heinze (FernUniversität Hagen), der die Studienbrieffassung in Auftrag gab und dann deren Verwendung für die vorliegende Buchversion gestattete. Dank sei auch Margit Jandali (Düsseldorf), die mir in Fragen der Mode und deren Verbindung zur Kunst überaus anregende Gesprächspartnerin war, und Verena Lewinski
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Vorwort
(Herdecke), die mit einem Schaubild dem Managementablauf der Kunstkommunikation grafisch überzeugende Gestalt gegeben hat. Stefan Lüddemann
1 Einleitung 1 Einleitung
1.1 Kunst und Kommunikation: Kreative Potenziale einer fragilen Allianz 1.1 Kunst und Kommunikation: Kreative Potenziale einer fragilen Allianz Mit Kunst kommunizieren – das klingt nach Tricks von Marketingstrategen, die eine als zweckfrei anzusehende Kunst für ihre Ziele einspannen wollen. In der Tat: Anspielungen auf einzelne Kunstwerke, Bildzitate oder künstlerische Verfahrensweisen finden sich immer wieder in Kontexten, in denen es darum geht, bestimmte Botschaften möglichst zielgerichtet zu übermitteln. Dass sich solche Zitate gerade in Bildern der Werbung, der Medien oder der Inszenierung von Popstars und Politikern immer wieder finden, ist kein Zufall. Diese Beobachtung verweist auf einen systematischen Einsatz in kommunikativen Zusammenhängen. Solcher Einsatz soll hier nicht als Instrumentalisierung vorschnell abgeurteilt, sondern als kreative Bedeutungsproduktion analysiert werden. Kunst und Kommunikation sind die Verbündeten einer höchst effektiven Koalition. Ihr Produkt sind komplexe Bedeutungen, mit denen Botschaften übermittelt, aber auch Prozesse gesellschaftlicher, und dass heißt stets diskursiver Selbstverständigung in Gang gesetzt werden. Dabei reicht das Feld von der Herstellung einzelner Bilder, wie das später noch zu analysierende von Paris Hilton bis hin zur Ausgestaltung des Berliner Reichstages mit Kunstwerken und den dadurch ausgelösten Debatten. Kommunikation mit Kunst deckt eine breite Variationsskala ab – von der Werbung mit ihrem instrumentellen Selbstverständnis bis hin zu Formen gesellschaftlicher Repräsentation und Selbstdarstellung. Das Ergebnis sind Bedeutungsfelder, die assoziativ hoch aufgeladen und kommunikativ vielfältig anschlussfähig sind. Diese Bedeutungsfelder bieten komplexe Sinnangebote und fordern deshalb zu kontroverser Diskussion ihrer Geltungsansprüche heraus. Genau darin liegt ihre kommunikative Leistungsfähigkeit. Sie werden in der Kommunikation mit Kunst gezielt, und dass heißt aufgrund präziser Intentionen erzeugt, decken sich in ihren Wirkungen jedoch nicht immer mit diesen Absichten. Kunst und Kommunikation erzeugen turbulente und gerade deshalb besonders aufschlussreiche Konstellationen. Für die Kunst ergibt sich damit der Verdacht einer unzulässigen Instrumentalisierung. Sie wird hier scheinbar aus ihrer gesonderten, also geschützten Domäne herausbefördert und in unzulässigem Maß eingesetzt. Wo Kunst in Kontexten der Werbung oder in zweckhaften Situationen der Übermittlung von Botschaften erscheint, muss eine Verdinglichung vorliegen, die ihren Kunstcharakter zerstört. Solcher Verdacht beruft sich auf die Vokabel der „Kulturindustrie“ (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 192f.), mit der Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ den Verrat an der Kunst zugunsten einer konformistisch durchgeformten Unterhaltungsindustrie feststellten. Wahre Kunst bemisst sich in dieser Sicht dagegen an ihrer Kraft, gesellschaftliche Widersprüche anhand von Brüchen in der ästhetischen Form kenntlich zu machen und so „den Gehorsam gegen die ge-
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1 Einleitung
sellschaftliche Hierarchie“ (Horkheimer/Adorno 1971: 117) aufzukündigen. Gegen diese Position wird hier auf dem produktiven Charakter der Kunst bestanden, die nicht eine vorab gewusste Wahrheit repräsentiert, sondern strukturierte Sinnangebote macht, deren Geltungsansprüche im Diskurs abzuwägen sind. Kunst wirkt so über kommunikative Vermittlungen an den „Wirklichkeitsmodellen“ einer Gesellschaft (vgl. Schmidt 2003a: 357) mit und nimmt so im Blick auf gesellschaftliche Wirklichkeit Einfluss als erzeugende und nicht als abbildende Instanz. Für die Kommunikation ergibt sich folgerichtig ein Design, dass Formen einer simplen Übertragung vorab festgelegter Botschaften übersteigt. Analog zu dem, was eben für die Kunst in ersten Zügen zu klären war, muss auch für die Kommunikation deren produktiver Charakter herausgestellt werden. Kommunikation wird hier verstanden als komplexer Vorgang, in dessen Verlauf Sinnangebote unterbreitet und in vielfältigen Rückkopplungen von Kommunikationspartnern mit dem Ziel bearbeitet werden, zu einer gemeinsamen Orientierung im gesellschaftlichen Miteinander zu gelangen. Solche Orientierung richtet sich nicht nach einer naiv als gegeben angenommenen Wirklichkeit, sondern nach Verabredungen, was als gemeinsame Wirklichkeit verstanden werden soll. Kommunikation besteht darin, Angebote zu gemeinsamer Orientierung zu machen (vgl. Schmidt 2003b: 69) und über deren Akzeptanz Verstehen herbeizuführen. Die besondere Leistung der Kommunikation mit Kunst besteht darin, nicht nur komplexe Bedeutungen zu schaffen, sondern in ihnen auch widersprüchliche Impulse zu integrieren. Das vorliegende Buch spürt also einer Interaktion von Kunst und Kommunikation nach, die mehr meint als herkömmliche Vermittlung, die auch den Rahmen wirkungssicherer Inszenierung hinter sich lässt. Abseits voreiliger Instrumentalisierung werden Möglichkeiten beschrieben, mit Kunst in Kontexten vielfältiger Lebensbereiche zu kommunizieren. Dies schließt beabsichtigte Wirkung ein, richtet sich aber besonders auf komplexe Designs von Bedeutungen, die an Brennpunkten kultureller Wertsetzungen die Debatte über gesellschaftliche Selbstbilder herausfordern. Die Verknüpfung von Kunst und Kommunikation bezeichnet demnach ein Thema der Grenzüberschreitung, die kontrovers strukturierte Szenarien in den Blick nimmt. Die Kommunikation mit Kunst umfasst dabei sowohl die Produktion ästhetischer Arrangements, deren Gestalt zu kontroverser Reaktion herausfordert, wie auch die Rezeption dieser Arrangements in Akten einer raschen Aufnahme augenfälliger Signale wie in der geduldigen Interpretation ihrer komplexen Struktur. Damit umgreift die Kommunikation mit Kunst sowohl den Aspekt eines managerialen Eingriffs in Szenarien und Prozesse gesellschaftlicher Selbstverständigung als auch die hermeneutische Dimension (vgl. Althoff 2000: 395) einer Entzifferung dargebotener Zeichenkomplexe. Beide Aspekte bezeichnen keinen Gegensatz oder gar Grundsatzkonflikt zwischen „Sendern“ und „Empfängern“ einer eingleisig angelegten Übermittlung, sondern einen produktiven, weil von vielfältigen Rückkopplungen gekennzeichneten Prozess. Denn hier gründet sich Produktion auf Interpretation, Wirkungs- und Folgeabschätzung von Kunst wie auf Analyse kultureller Felder und ihrer Dynamik. Rezeption wiederum rechnet mit versteckten Wirkungsabsichten, prüft Anwendungsmöglichkeiten im eigenen Alltag und wägt Geltungsansprüche kritisch ab. Die Ergebnisse dieser Operationen liefern die Grundlagen für die folgenden produktiven Akte einer Kommunikation mit Kunst. So stehen auf der Seite der Produktion Aspekte
1.2 Kunst und Kommunikation: Chancen für das Kulturmanagement
11
der Intention und Planung, auf der Seite der Rezeption Fragen nach einem überschüssigen, nicht im Voraus zu berechnenden Sinn. Während von der einen Seite ein Angebot unterbreitet wird, wird auf der anderen Seite über dessen Annahme oder Ablehnung verhandelt. Beides zusammen bildet ein Szenario der Kommunikation, das Diskursgeschehen erzeugt. Kommunikation mit Kunst wirkt in diesem Sinn hochgradig anregend – auch deshalb, weil in diesem Zusammenwirken sehr unterschiedliche Darbietungsformen gekoppelt sind. So wird die Kommunikation mit Kunst in dem vorliegenden Buch in mindestens doppelter Hinsicht in den Blick genommen. Kunstkommunikation – so soll Kommunikation mit Kunst im Folgenden bezeichnet werden – erscheint als Teil des Kulturmanagements als Technik der bewussten Herstellung von produktiven Kopplungen von Kunst und kommunikativen Zielen. Insofern will die folgende Darstellung Grundlagenwissen und Techniken vermitteln, die dazu verhelfen, Strategien einer Kommunikation mit Hilfe der Kunst an Zielen orientiert zu entwickeln. Kunstkommunikation erscheint aber auch im Horizont einer kulturwissenschaftlichen Hermeneutik als Reflexion auf Kunst und ihre Rezeption – und nimmt deshalb ihren Ausgang immer von der Einsicht, dass jedes Kunstwerk „eine freie und schöpferische Antwort fordert“ (Eco 1998: 31), um sich selbst ganz erfüllen zu können. Insofern kann das Buch als Beschreibung und Analyse eines Wirkungszusammenhanges gelesen werden, der Potenziale von Kunst in der anschließenden Kommunikation entfalten hilft. Diese beiden, aufeinander bezogenen Aspekte machen die kulturwissenschaftliche Perspektive des Buches deutlich, das den Gedanken, dass sich mit jeweils neuer Form kultureller Konkretisierung auch immer Gegenstände und in der Nachfolge kommunikative Szenarien anders ausprägen (vgl. Cassirer 2006: 118), anhand eines konkreten Themas eingehender entwickeln möchte. Die Einsicht, dass „mit der kulturellen Konstruktion von Wirklichkeit immer auch ein potenzieller Kampf um die Durchsetzung von Bedeutungssystemen einhergeht“ (Bachmann-Medick 2006: 36), bildet dabei den Hintergrund der folgenden Analysen. Damit sollte klar gestellt sein, dass bei allem Interesse an der Vermittlung von Techniken eines Managements von Kunst und Kommunikation eine Grenze gegenüber einer einseitig instrumentellen oder gar manipulativen Indienstnahme von Kunst gezogen wird. Umso mehr erscheint es notwendig, sich über Grundlagen, Strategien und Wirkungsweisen der Kommunikation mit Kunst Klarheit zu verschaffen. Gegen derart defensiv anmutende Motivlagen soll jedoch nachdrücklich darauf verwiesen werden, dass Kunstkommunikation als Paradigma der über Kopplungen ablaufenden Bedeutungsproduktion vorführt, wie kulturelle Innovation vorangetrieben werden kann. Damit ist auf einen produktiven Prozess verwiesen, in dem sich die reichen Wirkungspotenziale der Kunst erweisen.
1.2 Kunst und Kommunikation: Chancen für das Kulturmanagement 1.2 Kunst und Kommunikation: Chancen für das Kulturmanagement Das Thema der Kommunikation mit Kunst ist von großer Bedeutung für das Kulturmanagement. Dies betrifft mehrere Dimensionen des Kulturmanagements:
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1 Einleitung
Steuerung: Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass Kunst gezielt für kommunikative Zwecke eingesetzt werden kann. In diesem Sinn eröffnet sich die Möglichkeit einer managerialen Technik, die solche Formen der Kommunikation plant, umsetzt und deren Effektivität evaluiert. Selbstreflexion: Die Untersuchung des Zusammenspiels von Kunst und Kommunikation gibt dem Kulturmanagement aber auch die Möglichkeit, sein eigenes Wirken zu reflektieren und dabei den latenten Konflikt zwischen Praxisorientierung und dem Eigenwert von Kunst und Kultur sichtbar zu machen. Bedeutungsproduktion: Aus den Punkten der Steuerung und Selbstreflexion ergibt sich das Nachdenken über die inhaltlichen Dimensionen eines Kulturmanagements, das nicht nur materielle Ressourcen für Kultur bereitstellen will, sondern auch das Design von kulturell produktiven Situationen anvisiert. Dabei geht es um innovative Formen der Kunst und deren Kopplung mit der Rezeption durch ein Publikum, das in der Lage ist, diese Angebote reflexiv zu verarbeiten.
Die genannten Aspekte sind nicht als Hierarchie gedacht, müssen aber unbedingt in ihrer Kopplung gesehen werden. Damit verabschiedet die hier dargelegte Position ein bloß rezeptologisch verstandenes Kulturmanagement und favorisiert stattdessen ein „reflexives Kulturmanagement“ (Heinze 2002: 16), das in der Steuerung kultureller Prozesse und der kulturellen Sensibilisierung von Organisationen keinen Gegensatz, sondern die notwendige Entsprechung ein und desselben Phänomens sieht. Diese Position ist das Resultat des Reflexionsprozesses, der sich in der theoretischen Ausgestaltung des Kulturmanagements vollzogen hat. Dagegen steht eine Auffassung von Kulturmanagement, die dessen instrumentellen Charakter hervorhebt, ohne das dazu gehörende Verständnis von Kultur zu definieren. „Als Kulturmanagement bezeichnet man alle Steuerungen zur Erstellung und Sicherung von Leistungen in arbeitsteiligen Kulturbetrieben...“ (Heinrichs/Klein 2001: 193). In dieser Perspektive erscheint das Kulturmanagement als Dienst an Kunst und Kultur. Management beschränkt sich darauf, Rahmenbedingungen bereit zu stellen, Prozesse zu steuern und Vermittlung zu ermöglichen (vgl. Heinrichs 1999: 20f, Klein 2004a: 2). Hintergrund dieser Perspektive ist die Überzeugung, dass Management als Instanz der planenden Ausschließung von Risiken und Kunst als Raum spannungsreicher Ambivalenz (vgl. Bendixen 2002: 35) letztlich nicht miteinander vereinbar sind. Kulturmanagement bleibt damit stets im Verdacht, seinen Gegenstand mit wenigstens teilweise ungeeigneten Werkzeugen zu bearbeiten. Viele Vorbehalte gegen manageriale Steuerung von Kultur beruhen auf diesem scheinbar unauflösbaren Widerspruch. Die vorliegende Darstellung geht jedoch im Sinn des oben kurz angesprochenen reflexiven Kulturmanagements über diesen Ansatz deutlich hinaus. Sie meint nicht nur die Rückwirkung der Kultur auf den Charakter des Managements selbst, sondern beschreibt eine Praxis, die Kunst und Kultur unerwartete Wirkungsmöglichkeiten ermöglicht, indem sie diesen ungewohnte Kontakte eröffnet. Kulturmanagement gewinnt so die Dimension einer Produktion von Bedeutungen (vgl. Lüddemann 2002), die sich nicht damit begnügt, die Balance zwischen Ökonomie und Kultur zu finden (vgl. Bendixen 2002: 132), sondern selbst semantisch produktiv ist. Das meint keine vordergründige Sinnstiftung. Allerdings
1.2 Kunst und Kommunikation: Chancen für das Kulturmanagement
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wird gegen alle Vorstellungen von Kultur als isoliertem Sonderbereich (vgl. Hoffmann 1991: 124) darauf bestanden, Kultur gerade die Qualität der Kopplung des scheinbar Heterogenen und damit ihre „Konstruktivität“ (Steenblock 2004: 14) zuzuschreiben. Der Kulturmanager ist demnach nicht nur der „Grenzgänger“ (Heinze 1997b: 56), der disparate Felder in Bezug setzt und die damit verbundenen Spannungen zu verarbeiten versteht. Er ist auch als Katalysator (vgl. Bühl 1986: 133, Klein 2004a: 1) Schöpfer von Situationen, in denen Kunst, Kultur, Wirtschaft, Politik und viele andere Bereiche fragile Koalitionen auf Zeit eingehen und damit innovative Formen von Bedeutung und deren Kommunikation entstehen. Wer so „kulturelle Beobachtungsmöglichkeiten“ (Heinze 1994: 66) steigert, belebt den gesellschaftlichen Diskurs. Der Kulturmanager wird den Künstler nicht ersetzen. Er erbringt jedoch Leistungen, die als kreative Setzungen und Impulse über den Aufbau organisatorischer Prozesse deutlich hinausgehen. Denn hier wird nicht „nur“ Kultur gemanagt, sondern zugleich auch ein Terrain entworfen, das ungewohnte Kontaktformen und die damit verbundenen, meist spannungsreichen Kommunikationen überhaupt erst möglich macht. Der Kulturmanager bleibt nicht in der Rolle des Technokraten hinter der bunten Schauseite der schönen Künste. Er überschreitet auch die Rolle des Brückenbauers zwischen heterogenen Sphären von Kunst und Ökonomie, Kultur und Verwaltung. Er wird zum Designer eines kommunikativen Prozesses, der seine Schwungkraft aus dem meist temporären Zusammenspiel von Kunst mit anderen gesellschaftlichen Bereichen bezieht. Damit ist auch klar, dass es in dieser Perspektive um mehr geht, als um die Fähigkeit, den Eigenwert der Kunst zu respektieren oder die Erwartungen von Publikumsgruppen richtig einzuschätzen. Wer Koalitionen zwischen Kunst und anderen Bereichen schmiedet, muss Wirkungen nicht nur abschätzen, sondern intendieren können, turbulente Konflikte nicht nur beherrschen, sondern produktiv zu nutzen wissen. Dieser Kulturmanager bezieht Risiken nicht nur als unvermeidbar in sein Kalkül mit ein, sondern steuert auf sie zu, sucht Kunst so in Szene zu setzen, dass sich ihre Potenziale in unerwarteten Energieschüben entladen. Damit keine Missverständnisse auftreten: Mit diesem Entwurf wird nicht versucht, den Kulturmanager wieder mit der Aura des Magiers zu umkleiden, dessen Können nur bestaunt, aber nicht reflektiert oder gar erlernt werden kann. Schließlich bestand der Diskussionsfortschritt der letzten Jahre gerade darin, das Bild des Kulturmanagers als Jongleur der Unwägbarkeiten zu verabschieden. Gegenüber Bildern vom heiteren Freund der Musen, dem Technokraten, der Checklisten abarbeitet oder gar vom „Naturwunder“ (Klein 2004a: 2) des visionären Pragmatikers August Everding, soll hier die semantische Dimension des Kulturmanagements stärker als bisher betont werden. Das Spannungsfeld von Kunst und Kommunikation kann genutzt werden, um angehende Kulturmanager für ihren Gegenstand zu sensibilisieren. Darüber hinaus wird es jedoch auch darum gehen, dieses Feld als Gegenstand formender Inszenierung zu begreifen und die Interventionen des Kulturmanagers systematisierend zu beschreiben. Dazu gehört auch der Versuch, diese Operationen als Managementtechnik zu fassen. Insofern gehen technische und semantische Elemente des Kulturmanagements eine enge Verbindung ein. Diese Sicht wird insofern nützlich sein, als sie die Selbstreflexion des Kulturmanagements, seiner Operationen und deren Wirkungen unterstützt. Sie beseitigt auch die Illusion, Managementhandeln bestehe darin, an Stellschrauben von Budget, Organisationsformen,
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1 Einleitung
Marketing und dergleichen mehr zu drehen, ohne sich über die damit verbundenen inhaltlichen Setzungen Klarheit zu verschaffen. Hier ist der Kulturmanager gemeint, dessen Handeln nicht auf den Kontext von Kulturbehörden begrenzt ist. Stattdessen greift er in viele, meist disparate gesellschaftliche Bereiche und Handlungsfelder aus. Sein Metier sind produktive Kontakte von Kunst und Kultur und die damit verbundenen Kommunikationen.
1.3 Kunst und Kommunikation: Aufbau und Ziele des Buches 1.3 Kunst und Kommunikation: Aufbau und Ziele des Buches Das vorliegende Buch gliedert sich in folgende Kapitel: Kapitel 2: Als Einstieg in das komplexe Thema wird zunächst ein Beispiel vorgestellt, das belegt, wie wirkungsvoll mit Kunst kommuniziert werden kann. Das Foto zu einer Fernsehserie mit Paris Hilton ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Es macht deutlich, das auch in der Kunst fern liegenden Kontexten ihr kommunikativer Einsatz zu beobachten ist, es belegt, wie versteckt und zugleich offensichtlich die Verweisformen abgelegt werden – und es macht schließlich klar, wie kommunikative Absichten mit Hilfe der Kunst ebenso zielgerichtet wie komplex gestaltet werden können. Kapitel 3: Daran anschließend geht es darum, für Kunst und Kommunikation einen theoretischen Bezugsrahmen zu entwickeln. Anhand eines Beispiels wird ein Kunstbegriff entwickelt, der die Aspekte von Objekt, Erfahrung, Institution und Diskurs integriert und weitergehend deutlich macht, wie anhand von Kunst Weltsichten entwickelt werden können. Damit ist auch der Ansatzpunkt geschaffen, um Kunst und Kommunikation miteinander in notwendige Beziehung zu setzen. Kapitel 4: Der Aspekt der Kommunikation wird dann weiter differenziert. Mit Vermitteln, Transferieren und Evaluieren werden drei Formen von Kommunikation mit Kunst unterschieden. Vermittlung meint hier als eine dieser Formen die Darbietung von Kunst mit den Mitteln von Museumsbau, Ausstellung und Katalog. Kapitel 5: Transferieren ist die Technik, Kunst in verschiedenen Kontexten einzusetzen, um bestimmte Botschaften zu übermitteln beziehungsweise Arrangements für neuartige Wahrnehmungen zuschaffen. Hier geht es um die Bereiche Kulturtourismus und Musikkultur. Imagetransfer soll in diesem Kontext als gesteuerte Rezeption beschrieben werden. Kapitel 6: Evaluieren meint schließlich die Prozedur der Kunstkritik, Potenziale der Kunst als kontrollierte Rezeption zu erschließen. Kunstkritik wird im Sinn eines Neuentwurfs als Verfahren entwickelt, das Wahrnehmungen der Kunst mit Diskursen in sinnvolle Beziehungen setzt. Diese drei genannten Formen der Kommunikation mit Kunst gehen natürlich auch Mischungsverhältnisse ein. Zugleich verfolgen sie unterschiedliche Ziele und bieten wegen ihrer jeweiligen Absichten höchst unterschiedliche Grade von Transparenz – von der Stellung ihrer Adressaten ganz zu schweigen.
1.3 Kunst und Kommunikation: Aufbau und Ziele des Buches
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Kapitel 7: Auf dieser Basis kann dann die Frage gestellt werden, inwieweit Kommunikation mit Kunst als Technik kulturellen Managements zu begreifen ist. Hier geht es um die Frage, über eine Beschreibung solcher Kommunikation hinaus Möglichkeiten ihrer Anwendung zu prüfen. Anhand einzelner Komponenten und der darauf bezogenen Operationen der Kommunikation mit Kunst wird versucht, einen Ablaufplan zu entwickeln, der sich an die Maßnahmenplanung des Kulturmarketings anlehnt. Zudem wird gefragt, was eine solche Technik von der kunstgeschichtlichen Hermeneutik lernen kann. Da der Buch Verfahren diskutieren, aber keine simplen Rezepte in Form von Checklisten anbieten möchte, muss auch nach den Grenzen einer solchen Managementtechnik gefragt werden. Kapitel 8: Die Ergebnisse der bisherigen Abschnitte werden nun in einem Modell zusammengeführt, das Kommunikation mit Kunst als einen Prozess kultureller Bedeutungsproduktion begreift. Ausgehend von einem Diagramm werden Komponenten, Akteure und Verläufe dieser Kommunikation entwickelt. Ziel ist die Darstellung, mit der Formen und Funktionen der Kunstkommunikation beschrieben und bewertet werden können. Fragen nach der Leistung der Kunst, der Bewältigung der Konflikte zwischen Kunst und anderen Systemen der Gesellschaft, der durch Kunst ausgelösten Kunst sind leitend für zwei beispielhafte Analysen. Kapitel 9: Im ersten Fallbeispiel wird untersucht, wie die Stadt Osnabrück mit dem Werk des 1944 in Auschwitz ermordeten Künstlers Felix Nussbaum ihr Selbstbild als „Friedensstadt“ kommuniziert. Das Beispiel zeigt Möglichkeiten auf, wie mit Kunst im politischen Raum kommuniziert werden kann. Diese Form der Imagebildung soll in ihren produktiven Möglichkeiten, aber auch in ihren einschränkenden Blickverstellungen diskutiert werden. Kapitel 10: Bevor die beiden weiteren Fallbeispiele angegangen werden, soll zunächst das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft näher betrachtet werden. Der Abschnitt wendet sich zunächst Ähnlichkeiten und Unterschieden von Kunst und Wirtschaft zu und beschäftigt sich dann mit Formen des Einsatzes von Kunst in Kontexten der Wirtschaft. Kapitel 11: Das zweite Fallbeispiel wird dann aus dem Bereich der Wirtschaft entnommen. Gegenstand ist die Kommunikationsstrategie des Badarmaturenherstellers Dornbracht, der neue Produktlinien gezielt mit dem Einsatz von Kunst kommuniziert und sich dabei auf den Schnittfeldern von Kunst und Lifestyle bewegt. Kapitel 12: In einem dritten Fallbeispiel wird beschrieben, wie die Düsseldorfer Modemesse Igedo mit dem Sponsoring einer Ausstellung nicht nur allgemeine Kommunikationsziele verfolgt, sondern mit dem spezifischen Gegenstand der Ausstellung auch inhaltliche Botschaften transportiert, mit denen sie ein gewünschtes Image der Kreativität nachhaltig stärken kann. Kapitel 13: Im abschließenden Fazit wird die Frage nach der Kommunikation mit Kunst im Kontext des Kulturmanagements neu gestellt. Kunstkommunikation ist deshalb für Kulturmanagement interessant, weil sie Kunst inszeniert, um einen Bedeutungs- und Imagetrans-
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1 Einleitung
fer zu erreichen. Für Kulturmanagement eröffnet sich die Dimension einer Werkstatt für innovative kulturelle Konstellationen, mit denen neue Konstrukte der Welterfahrung und Lebensbewältigung erzeugt werden. Kulturmanagement steuert diese Prozesse inklusive ihrer nachfolgenden Evaluation in Anschlusskommunikationen. So werden Steuerungskompetenzen des Managements mit reflexiven Dimensionen verbunden. An dieser Stelle muss noch angefügt werden, dass bei den Untersuchungen zur Kommunikation mit Kunst ausschließlich Formen der bildenden Kunst im Mittelpunkt stehen. Literatur, Musik, Theater und andere Formen und Praktiken von Kunst führen jeweils andere Bedingungen ihrer Produktion und Rezeption mit sich. Die Konzentration auf eine Sparte der Kunst erlaubt es, in diesen zentralen Fragen durchgehend stimmig argumentieren zu können. Bildende Kunst kann aber auch eine paradigmatische Position deshalb für sich reklamieren, weil sie im Blickpunkt der Aufmerksamkeit steht. Stark besuchte Ausstellungen, Museumsbauten, Rekordpreise bei Auktionen sowie anhaltendes Engagement von Sponsoren sind nur einige Symptome dafür, dass bildende Kunst besondere Wertschätzung genießt. Weiter wird darauf aufmerksam gemacht, dass in der folgenden Darstellung Kunstkommunikation konsequent von ihren Produkten und damit von objektivierbaren Arrangements aus analysiert wird. Intentionen der Verursacher oder Produzenten von Kunstkommunikation bleiben zwar im Blick, bilden aber nicht die Bezugsgröße für Analyse und Bewertung der einzelnen Kommunikationen mit Kunst. Das vorliegende Buch führt in ein komplexes Thema ein und verfolgt dabei folgende Ziele. Der Leser soll
Kunst als sinnlichen Reflexionsgegenstand beschreiben und in seinen Bezügen zu Begriffen wie Werk, Kontext, Betrachter, Diskurs, Praxis reflektieren können. Kommunikation als komplexe Produktion der Wirklichkeitsmodelle einer Kommunikationsgemeinschaft analysieren und die Produktivität der Kunst für diesen Vorgang erläutern können. Drei grundlegende Formen der Kommunikation mit Kunst beschreiben sowie Chancen und Risiken von Kunstkommunikation als Managementtechnik einschätzen können. Faktoren und Ablaufformen der Kunstkommunikation benennen und die Reflexivität des gesamten Vorgangs beachten lernen. Die Potenziale von Kunstkommunikation in ausgewählten Praxisfeldern anhand einschlägiger Beispiele eigenständig initiieren, analysieren und validieren können.
2 Wie Kunst Botschaften verstärkt: Das Beispiel Paris Hilton 2 Wie Kunst Botschaften verstärkt: Das Beispiel Paris Hilton
Was hat Partygirl und Luxus-Ikone Paris Hilton mit der Kunst zu tun? Wahrscheinlich nicht viel. Zu weit scheinen die Sphären des „Lotterlebens der oberen Zehntausend“ (Kreye 2004) und der Kunst als einem zentralen Bestand der Hochkultur auseinander zu liegen. Während das Wort „Kunst“ mit Bildung und Geschmack assoziiert wird, steht Paris Hilton spätestens nach ihrem Auftritt in der TV-Serie „The Simple Life“, die zunächst 2003 in den USA und 2004 in Deutschland von dem Sender Pro Sieben ausgestrahlt wurde, auf der Seite einer wenig niveauvollen Unterhaltungsproduktion. Wenigstens scheint die Verbindung zum Phänomen der Kommunikation plausibler zu sein. Immerhin positioniert sich die junge Frau, die ihr Leben bislang mit teuren Einkaufstouren und Partys verbracht hat, erfolgreich in der Medienwelt. Neben der TV-Serie, die als „Reality-Sitcom“ (Hupertz 2003) eingeordnet wird, sind auch Reportagen in Glamour-Zeitschriften wie „Vanity Fair“ zu verbuchen. Paris Hilton, längst zur „Pop-Ikone“ (Kreye 2004) aufgerückt, drängte sich mit ihrem ersten Auftritt in „The Simple Life“ 2003 in den Einschaltquoten sogar vor US-Präsident George W. Bush, der in einem Interview immerhin über die Gefangennahme des irakischen Diktators Saddam Hussein Auskunft gab. Wo also bleibt die Kunst? Sie versteckt sich in einem Foto, mit dem der Fernsehsender Pro Sieben für die TV-Serie „The Simple Life“ warb. Oder besser gesagt: Sie fungiert in diesem ungewohnten Kontext als Resonanzverstärker. Das Bild (Hupertz 2003) zeigt Paris Hilton und ihre Freundin Nicole Richie in Jeanskleidung vor einem Hintergrund, auf dem ein Farmgebäude und eine Wiesenlandschaft zu sehen sind. Die beiden Millionenerbinnen rüsten sich für die Handlung von „The Simple Life“: Fernab von Partys und Boutiquen verbringen sie einen Monat auf einer Farm im US-Bundesstaat Arkansas. Dabei stellen sie sich bei ihren Beschäftigungen beim Kühemelken oder als Bedienung im Fastfood-Restaurant denkbar ungeschickt an, spotten über die Landleute, kurz bedienen jedes schlichte „Blondinenklischee“ (Kreye 2004). Hier soll die Handlung der TV-Serie nicht weiter befragt werden. Viel wichtiger ist das Bild, das unmittelbar als Zitat des Gemäldes „Amerikanische Gotik“ (Walther. Bd. 2. 1995: 601) des Malers Grant Wood (1892-1942) zu erkennen ist. Folgende Merkmale sind identisch: Beide Bilder zeigen zwei Figuren in bildparalleler Anordnung. Die rechte Figur hält in ihrer rechten Hand eine Heugabel. Im Hintergrund ist der Giebel eines Farmhauses zu erkennen. Zudem trägt jeweils die rechte Figur eine JeansLatzhose. Neben diesen Übereinstimmungen, welche die Verwandtschaft der Bilder zuverlässig begründen, treten jedoch auch signifikante Abweichungen auf: An die Stelle eines altbacken aussehenden Paares bei Wood treten in dem TV-Werbefoto nun zwei junge Frauen, die nicht für das bei Wood dargestellte, puritanische Landleben stehen, sondern Glamour und Amüsement verkörpern. Die jungen Damen tragen ihre Country-Kluft wie eine Verkleidung, die mit Elementen wie Korsagen und einer roten Blume am Halsband zusätzlich verfremdet ist. Außerdem zeigt Nicole Richie ihre Unterwäsche, indem sie einen Träger
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ihrer Arbeitshose löst – eine Geste der Entblößung, die bei der von Grant Wood dargestellten, traurig dreinblickenden Dame im hochgeschlossenen Kleid Entrüstung auslösen würde. Die motivgleichen Bilder kontrastieren in ihrer moralischen Grundhaltung: Sittenstrenge des Mittleren Westens gegen Luxusleben der Metropolen, Rückständigkeit gegen Modernität – so könnte der Kulturkontrast lauten, der mit diesen Bildern aufgerufen ist. So nimmt das Foto der TV-Serie ein Gemälde zitierend auf. Dabei geht es nicht um irgendein Kunstwerk, sondern um eines, das zumindest in den USA weithin bekannt ist – auch als Ikone des ländlichen Amerika mit seinen gesicherten religiösen und moralischen Grundwerten. Woods Darstellung eines einfachen, aber authentischen Lebens setzt sich ab von den Großstadtbildern Edward Hoppers, die zur gleichen Zeit entstehen und statt der fest verorteten Menschen Woods die orientierungslosen Individuen der Metropolen ins Bild bringt (vgl. Honour 2000: 723). Den gleichen Konflikt wiederholen die Medienleute, welche das Foto mit Paris Hilton und ihrer Freundin konzipiert haben. Das Bildzitat darf als patriotisches Bekenntnis verstanden werden. Zugleich distanzieren sich die Dargestellten jedoch ironisch von der Welt, die mit Woods Gemälde für jeden (amerikanischen) Betrachter sofort aufgerufen wird – die des erdverbundenen, aber rückständigen Landlebens, das jedoch auch mit Blick auf amerikanische Gründungsmythen, etwa die der Siedlertrecks und der Eroberung des Landes im Westen verstanden werden muss. Die Distanznahme wird im Bild fassbar: Während Wood mit dem Farmhaus noch eine reale Lebenswelt inklusive gotischem Giebelfenster ins Bild brachte, posieren Paris Hilton und Nicole Richie nun vor einer Fototapete. Auf der Suche nach versteckten Bildzitaten kommen aber auch noch andere Tiefenschichten zum Vorschein, Zitate, die womöglich von den Arrangeuren der Fotografie nicht bewusst aufgerufen worden sind. Hier sollen zumindest zwei Hinweise gegeben werden. Zum einen fällt auf, dass Nicole Richie ihre rechte, immerhin noch bedeckte Brust zeigt. Eine ähnliche Konstellation zeigt das der Schule von Fontainebleau zugeschriebene Gemälde „Gabrielle d´Estrées und eine ihrer Schwestern im Bad“ (1594-1599) (Walther Bd. 1. 1995: 150). Dort zeigen beide Frauen ihre entblößten Oberkörper. Es ist jedoch auch hier die rechte Brust der rechts dargestellten Frau, die besonders in den Blick gerückt wird – durch die zärtliche Berührung der links zu sehenden Dame. Diese Berührung fehlt auf dem Foto zur Fernsehserie. Dennoch teilt sich in der Darstellung etwas von dem frivolen Lebensgenuss mit, der in dem Gemälde aus dem Frankreich der Renaissance dargestellt ist. Ein zweiter Vergleich ergibt sich mit dem kleinen Hund, den Paris Hilton auf dem Arm trägt. So verfügt auch sie wie ihre Freundin, welche die Heugabel in der Hand hält, über ein Attribut, das ihre Person charakterisiert. Attribute haben in der Kunstgeschichte die Funktion, auf „Wesen und Funktion der jeweiligen Figur, auf deren Eigenschaften oder auf ein Ereignis aus dem Leben des Dargestellten“ (Lexikon der Kunst Bd. 1. 1994: 311) hinzuweisen. Wer ausgerechnet auf dem Land keinen robusten Jagd- oder Wachhund, sondern ein Schosshündchen im Arm hält, setzt ein klares Signal der Distanznahme. Der Hund ist Zeichen des Luxus – wie das Hermelin, das die adlige Dame auf Leonardo da Vincis Gemälde „Dame mit dem Hermelin“ (Wasserman 1990: 104) von 1483-1486 auf dem Arm hält. Als Wappentier ihres Gemahls hat das Hermelin für die Dame auch noch eine ganz andere Verweiskraft. Die Konnotation „Luxus“ liegt aber gerade bei diesem Tier, dessen Fell zu kostbaren Königsroben verarbeitet wurde, sehr nahe.
1.3 Kunst und Kommunikation: Aufbau und Ziele des Buches
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Die beiden zuletzt genannten Vergleiche müssen nicht unbedingt beabsichtigt gewesen sein, als das Foto von Paris Hilton und Nicole Richie entstand. Sie zeigen jedoch, dass zeitgenössische Bildproduktion auf einem umfangreichen Bildgedächtnis aufruht. „Wir wissen jetzt, dass es eine Osmose der Bilder gibt. Auf verborgenen Wegen, in geheimen Kanälen kommunizieren die Bilder miteinander, (...) tauschen ihre Botenstoffe aus“ (Raulff 2004: 11). Dies hat Folgen für die Wahrnehmung der Bilder und für die Kommunikation, welche sie auslösen. Selbst die zum Teil in Stichworten ausgeführte Analyse von Bildvergleichen zu Paris Hilton hat nicht nur gezeigt, dass die Millionenerbin tatsächlich etwas mit Kunst zu tun hat. Es ist auch deutlich geworden, dass mit Kunst erfolgreich kommuniziert werden kann – auch in Bereichen, die der Kunst fern stehen. Zumindest für das Gemälde von Grant Wood muss festgestellt werden, dass es als Bildformel, die im kollektiven Gedächtnis präsent ist und fortwirkt, bewusst für das Werbefoto eingesetzt worden ist. Das Bildzitat erhöht Aufmerksamkeitswert und Komplexität der Fotobotschaft. So funktionieren Bilder der Kunst in ganz anderen Kontexten – etwa Francisco de Goyas „Erschießung der Aufständischen“ von 1814 (Lexikon der Kunst. Bd. 5. 1994: 186) in den Anti-Kriegs-Demonstrationen unserer Tage (vgl. Welsch 1997: 46). Aus diesen Befunden können erste Folgerungen formuliert werden, die auf die Inhalte der folgenden Kapitel voraus weisen:
Kunst stellt ein Reservoir kollektiv verfügbarer Bildformeln bereit, auf das in kommunikativen Akten erfolgreich verwiesen werden kann. Kunst erzeugt in Kombination mit Botschaften aus anderen gesellschaftlichen Bereichen Felder komplexer Bedeutungen. Die Vielschichtigkeit dieser Bedeutungen umfasst auch Kontraste und Widersprüche. Damit wird Kommunikation angestoßen und Interpretation in Gang gesetzt. Kunst erweist sich als anschlussfähig in vielfältige Richtungen, auch in Bezug auf Werbung, Medien, Wirtschaft und anderes mehr. Kunst tritt in Koalitionen ein, die Hoch- und Populärkultur verbinden. Zugleich muss Kunst dabei kenntlich bleiben, um ihre Wirkung entfalten zu können. Diese Wirkung besteht in einem deutlichen Import an Prestige, Exklusivität und nicht zuletzt ästhetischer Qualität. Kunst verleiht Aura. Kommunikation meint dabei zwar Vermittlung, aber keinen Transport eindeutiger Botschaften. Kommunikation setzt Sinnangebote.
Die Aufzählung soll hier abgebrochen werden. Die genannten Folgerungen bezeichnen thematische Felder und ihnen zugeordnete Prozeduren, die im Folgenden beschrieben werden sollen. Mit dem Foto zu einer Fernsehserie ist das erste Beispiel dafür vorgestellt worden, wie Kunst und Kommunikation zusammen wirken können – und welche Bild- und Mitteilungskraft Kunst entfalten kann. Dies trifft besonders auf gesellschaftliche Bereiche zu, in denen die Präsenz von Kunst nicht vermutet wird. Damit eröffnet sich auch der Blick auf Techniken eines gezielten Einsatzes von Kunst in kommunikativer Funktion.
3 Theorie 3 Theorie
Wer nach der Kommunikation mit Kunst fragt, muss zunächst für diese beiden zentralen Begriffe brauchbare Definitionen entwickeln – und sie zueinander in eine notwendige Beziehung setzen, die mehr meint als eine Relation von Mittel und Zweck. Vielmehr geht es zunächst darum, den notwendigen Bezug von Kunst und Kommunikation als wechselseitige Ergänzung darzustellen. Dabei kann es nicht sinnvoll sein, für beide Termini umfassende Bestimmungen vorzulegen. Definitionen haben hier den Sinn, Grundlagen für das eigene Frageinteresse zu schaffen. Wann also wird von Kunst gesprochen? Kunstwerke liegen nach einem landläufigen Verständnis unter anderem dann vor, wenn sie folgende, einander teilweise auch widersprechende Bedingungen erfüllen:
Sie sind Objekte, die eine bewusste Gestaltung und Formqualität aufweisen. Sie entsprechen den Vorstellungen von Schönheit. Sie sind frei von einem unmittelbaren Zweck oder Nutzen. Sie vermitteln eine Botschaft, teilen etwas mit. Sie markieren gegenüber anderen Kunstwerken eine Innovation. Sie befinden sich in Gebäuden, in denen Kunstwerke aufbewahrt und gezeigt werden, vor allem Museen. Sie werden von Experten, also Kunsthistorikern, Museumsleuten, Kuratoren, Galeristen, Kunstkritikern und anderen als Kunstwerke bezeichnet. Sie zeigen eine Wahrheit (geschichtlicher, sozialer oder anderer Natur), die ohne sie nicht sichtbar wäre. Sie geben ein getreues Abbild der außerhalb der Kunst liegenden Wirklichkeit.
Dieser Kriterienkatalog bezeichnet keine notwendigen Bedingungen, um von einem Objekt als Kunst sprechen zu können. Die Liste ist weder abgeschlossen noch in sich kohärent. Sie reflektiert vielmehr den Zustand nach dem „Verlust eines verbindlichen Kunstbegriffs“ (Belting 1995: 19). Dem Verzicht auf eindeutige Definitionen des Kunstbegriffs, der auch in einschlägigen Lexika geübt wird (vgl. Pfisterer 2003: 192-195, Henckmann 2004: 202-205), steht seine Historisierung gegenüber. So erscheint Kunst als Sache des gewählten Blickwinkels (vgl. Schmücker 1998: 13) und als Oberbegriff für eine ständig wachsende Anzahl von Objekten und Situationen, Diskursen und Medien (vgl. Belting 2003: 25). Wer die Vielfalt denkbarer Kriterien anerkennt, muss deshalb nicht gleich einen heillosen Relativismus konstatieren. Übersicht verschafft zunächst der Blick auf die unterschiedlichen Aspekte, denen sich die oben aufgeführte Liste verdankt. Danach ergeben sich Bestimmungsgründe, die sich sogar ausschließen können. Wer von Kunst spricht, bezieht sich demnach auf bestimmte Medien (Objekt, Gegenstand), eine ästhetische Vorentscheidung (Schönheit), eine Position im sozialen Umfeld (Zweckfreiheit), Kontexte von Institutionen
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3 Theorie
(Museen), Vermittlungsleistungen (Botschaft), Erkenntnisfunktionen (Wahrheit), den Abgleich mit kunstgeschichtlicher Entwicklung (Innovation) oder der Wirklichkeit (Nachahmung) oder das Votum bestimmter Personen (Experten). All diese Bestimmungsgründe kommen einzeln oder im Verbund zum Zug. Sie stehen teilweise für einschlägige Positionen in der Geschichte der Ästhetik (vgl. Schneider 1996, Hauskeller 1998, Liessmann 1999). So kann das Kriterium der Zweckfreiheit auf Kants „Kritik der Urteilskraft“, der Aspekt der Innovation auf das Selbstverständnis der Moderne (vgl. Schneede 2001: 18ff) oder der Gesichtspunkt der Erkenntnisfunktion auf Adornos „Ästhetische Theorie“ zurückgeführt werden. Der Widerspruch zwischen definitorischer Bemühung der ästhetischen Philosophie und der ausufernden künstlerischen Aktivität (vgl. Liessmann 1999: 14f) führt uns zu einem Bestimmungsversuch, der von vornherein Raum lässt für unterschiedliche Erscheinungsformen der Kunst sowie für das notwendige Zusammenwirken mehrerer ihrer Kriterien. Wenn dafür im nächsten Abschnitt der Ausgang bei einem konkreten Beispiel genommen wird, soll die Arbeit am Begriff nicht durch einen Akt schlichter Anschauung ersetzt werden. Es geht auch nicht darum, in einer unzulässigen Ableitung Kunst anhand einer ihrer konkreten Ausprägungen zu erklären und damit in die Gefahr eines Zirkelschlusses zu geraten. Vielmehr nimmt dieses Verfahren das Faktum ernst, dass Kunst ohne ihre konkrete Erscheinung nicht zu haben ist und damit jeden Begriff von ihr zu einem nachträglichen Phänomen macht.
3.1 Ebenen eines Kunstwerks: „Hang Thiec Basket #4“ von Winter und Hörbelt 3.1 Ebenen eines Kunstwerks: „Hang Thiec Basket #4“ von Winter und Hörbelt Die „begehbare doppelwandige Gitterrost-Skulptur“ (Wappler 2003: 12) mit dem Titel „Hang Thiec Basket #4“ des Künstlerduos Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt war vom 15. Dezember 2002 bis zum 23. Februar 2003 im Lichthof des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Münster ausgestellt. Das einem Pavillon ähnelnde Objekt bestand aus zwei Schichten konvex und konkav gewölbter Gitterrosten sowie mehreren Türen. Das Objekt war oben mit einem Flachdach abgeschlossen. Ein mittlerer Boden trennte die zwei Geschosse des mit Stühlen ausgestatteten Objekts. Die beiden Künstler haben vor allem die aus leeren Flaschenkisten errichteten, temporären Häuser (vgl. Ullrich 1999) zu ihrem Markenzeichen entwickelt. Dafür bauen sie aus Flaschenkisten komplexe Gebäude auf Zeit, die als Kunstwerke wahrgenommen und als Info-Pavillon, Ruheraum oder Versammlungsort genutzt wurden. Gleich vier solche Häuser/Skulpturen steuerte das Künstlerduo zu der dritten Ausgabe der „Skulptur. Projekte“ 1997 in Münster bei (vgl. Bußmann 1997: 456-461). „Je nach Gegebenheiten kann ein Kunstwerk neue Möglichkeiten des Gebrauchs anbieten und gleichzeitig auf seine Autonomie und Freiheit verweisen“ (Wappler 2003: 23), erläuterte Wolfgang Winter einen Kernpunkt der Philosophie des Künstlerduos. Der Widerspruch zwischen Kunstobjekt und Gebrauchsgegenstand macht bereits deutlich, dass dieses Beispiel nicht gewählt worden ist, um einen bruchlos kohärenten Kunstbe-
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griff zu definieren. Vielmehr überkreuzen und ergänzen sich hier Gesichtspunkte des Kunstbegriffs, der vor allem dahin gehend akzentuiert werden soll, dass künstlerische Form „mehrdeutig wird und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven in unterschiedlicher Weise gesehen werden kann“ (Eco 1998: 156). Vor allem ergibt sich ein erster Hinweis auf die notwendige Verbindung zwischen Kunst und Kommunikation. Der Deutlichkeit halber soll das gewählte Beispiel zunächst anhand grundlegender Aspekte beschrieben und gedeutet werden. Damit wird Material für die folgende theoretische Diskussion gewonnen. „Hang Thiec Basket #4“ kann unter folgenden Aspekten betrachtet werden: Objekt: Der Begriff „Objekt“ umgeht die vorschnelle Festlegung auf den Kunstbegriff, bezeichnet aber einen Gegenstand, der nicht nur unter Gesichtspunkten praktischen Nutzens gesehen wird. Zugleich deckt der Begriff denkbar viele mögliche Kunstgegenstände ab, vor allem jene, die nicht als Skulptur bezeichnet werden können. Insofern ist „Objekt“ die erste Annäherung an das hier gewählte Beispiel, das sich plausibel im Hinblick auf Fragen nach Form und ästhetischer Qualität befragen lässt. Die durch die schwingende Außenhaut gekennzeichnete Gestalt verweist nicht nur auf eine deutlich sichtbare, gestalterische Intention. Sie erlaubt es auch, auf dieses Objekt den Begriff Skulptur zu beziehen. Hinzu kommt die silberne Farbe des Objekts, die Aura, Würde und Eleganz verleiht. Dieses Objekt besitzt nicht nur Kennzeichen künstlerischer Gestaltung, sondern erfüllt mit seiner Glätte, Rundung, Perfektion auch Kriterien von Schönheit (vgl. Henckmann 2004: 328ff). Wahrnehmung: Der Objektcharakter bedingt in diesem Fall zwei unterschiedliche Formen der Rezeption. Wahrnehmung meint zunächst die Betrachtung des künstlerischen Objekts von einem festen Punkt aus. Das Verhältnis von Kunstobjekt und Rezipient ist in diesem Fall als eindeutiges Gegenüber definiert. Der Betrachter nimmt Sinnesdaten wahr. So wird der Museumsbesucher auch das Objekt von Winter und Hörbelt als ein (schönes) Kunstwerk betrachten, es somit für sich realisieren und die Eindrücke nach der Opposition Gefallen/Missfallen ordnen. Erfahrung: Unter Erfahrung wird hier die Aufhebung der statischen Zuordnung Werk/ Betrachter verstanden. Natürlich muss auch die eben geschilderte Wahrnehmung als ästhetische Erfahrung beschrieben werden. Zu der Betrachtung von einem festen Punkt aus kommt hier aber auch notwendig die Bewegung des Betrachters. Da das dreidimensionale Objekt umgangen und zudem durch Türen betreten werden kann, wird der Betrachter zur Bewegung aufgefordert – er wird in diesem Sinn zum Erfahrenden. So fächert sich die statische Wahrnehmung in eine Reihe unterschiedlicher Ansichten und Blickwinkel auf. Dazu gehört vor allem die Opposition Drinnen/Draußen sowie der Gegensatz von Oben und Unten. Der sich bewegende Betrachter erkundet nicht nur unterschiedliche Aspekte des Objekts, sondern nimmt auch sich selbst über die sich verändernde Stellung im Raum wahr. Sozialer Ort: Nicht nur das Material verweist auf Kontexte außerhalb der Kunst. Auch die Einrichtung des Objekts mit Türen und Stühlen gibt ein klares Signal: „Hang Thiec Basket #4“ ist nicht nur als Kunstobjekt gedacht, das aus der Distanz wahrgenommen sein will. Das
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Objekt soll betreten und temporär genutzt werden. Mit den Stühlen auf beiden Etagen wird das Kunstwerk zum Ruhe- und Rückzugsraum für Museumsbesucher. Winter und Hörbelt haben wiederholt betont, dass sie ihre Werke auch als Dienstleistungsangebote konzipieren (vgl. Wappler 2003: 23f). Kunst gewinnt so jedoch eine Dimension, die nach dem weiter oben aufgeführten Kriterienkatalog eigentlich ausgeschlossen sein sollte – sie wird nützlich, erfüllt einen Zweck im Alltag. Winter und Hörbelt haben auch ihre Häuser aus Flaschenkisten als derart doppelgesichtige Objekte entworfen: Sie sollen als Skulpturen wahrgenommen werden, dienen zugleich aber auch praktischen Zwecken, wie etwa dem eines Informationsstandes. Material: Mit den Aspekten von Wahrnehmung und Erfahrung ist die Frage des Materials eng verknüpft. Als „Korrespondenzbegriff der Form“ (Wagner 2001b: 866) bezieht sich Material auf den Aspekt der Formgebung. Mit Gitterrosten verwenden die Künstler ein Alltagsmaterial, das seiner Funktion entkleidet und im Kontext der Kunst mit ästhetischer Qualität ausgestattet wird. Winter und Hörbelt realisieren mit der Wahl von Gitterrosten die Aspekte von Materialverschiebung und Materialgerechtigkeit, die gerade in der Kunst der Moderne besonders wichtig geworden sind (vgl. ebd.: 873, 879). Ähnlich wie die sonst verwendeten Flaschenkisten sind Gitterroste ein industriell hergestelltes Massenprodukt, das im Alltag nützlich ist, ohne selbst wahrgenommen zu werden (vgl. Ullrich 1999: 51). Aspekte von Norm, Eckigkeit und Starrheit sind nach landläufigem Verständnis mit diesem Material verknüpft. Bei ihrem in Münster gezeigten Objekt verwandeln die Künstler das Material. In die ungewohnte Vertikale gewendet – im Alltag werden Gitterroste meist horizontal ausgelegt – zieht das spröde Material nun alle Blicke auf sich. In wechselnden Wölbungen erscheinen die Roste biegsam und leicht. Zudem wirkt die von ihnen gebildete Form je nach Blickwinkel geschlossen oder durchlässig. Die Gitterroste definieren den Umriss des Objekts, lassen jedoch auch Ein- und Ausblicke zu. Im Kontext der Kunst gewinnt das Material eine eigene Qualität von hoher Ausdruckskraft. Praxis: Dieser Aspekt bedingt eine Form des Umgangs mit Kunst, die mit Vorstellungen von Wahrnehmung oder ästhetischer Erfahrung vereinbar erscheint. Dies ist soziale Praxis, für die Kunst mit Werken wie denen von Winter und Hörbelt Orte anbietet. Die bereits als Trend ausgemachte „Dienstleistungskunst“ (Müller 2002: 48) liefert Anlässe für einen neuen Umgang mit dem urbanen Raum der Innenstädte (vgl. Grasskamp 1997: 39f) und schafft zugleich Orte für ein menschliches Miteinander, dass im Alltag oft ausgeblendet erscheint. So wird Kunst zum Ort von Tätigkeiten, die mit ihr eigentlich unverträglich sein sollten, da sie der Lebenspraxis und deren Routinen angehören: Ausruhen, Diskutieren, Informieren, Essen und anderes mehr. Das Objekt, das Gegenstand ästhetischer Wahrnehmung werden kann, erfüllt auch die Funktion eines Schauplatzes geselliger Kommunikation: Der Aspekt der Praxis zeigt besonders deutlich die Mehrdeutigkeit zeitgenössischer Kunst.
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„Hang Thiec Basket =//4“ von Winter und Hörbelt
Kontext 1 – Museum: Da das Objekt von Winter und Hörbelt nicht nur selbst betrachtet werden kann, sondern den Blick des eintretenden Betrachters auch wieder nach draußen lenkt, kommen Kontexte besonders in den Blick. Zu diesen Kontexten gehört zuerst das Museum selbst als Raum, in dem Kunst aufbewahrt und präsentiert wird. Mit dem Museum fällt der Blick auf „die institutionellen und diskursiven Bedingungen (...), die ein Kunstwerk erst als Kunstwerk erkennbar werden lassen“ (Butin 2002: 129). So regt die begehbare Plastik mit der Blickverschiebung vom Kunstobjekt auf seinen Bedingungsrahmen die Diskussion über Kontextbedingungen der Kunst an. Kontext 2 – Ausstellungsgeschichte: Da der Kontext des Museums jedoch keine bloße Hülle ist, sondern ein durch vorangegangene Ausstellungen mit Bedeutung aufgeladener Raum, nimmt jede neue Kunstpräsentation Bezug auf eine ganze Reihe früherer Präsentationen am gleichen Ort. Diese Ausstellungen prägen den Charakter des Ortes, indem sie ihn mit wechselnden Kunstwerken gleichsam interpretieren und ihm damit ein Bedeutungsspektrum einschreiben. Auch wenn sich dieser Aspekt nur durch die persönliche Erfahrung des Besuchers oder entsprechende Studien der Geschichte eines Museums rekonstruieren lässt – Ausstellungsgeschichte als Abfolge von Rezeptionsvorgängen bedingt die ästhetische Wahrnehmung in ihrer jeweiligen Gegenwart. Im konkreten Fall verweist der Pavillon von Winter und Hörbelt auf herausragende Präsentationen von Skulpturen von Joseph Beuys „Tallow Unschlitt“ während der ersten „Skulptur-Projekte“ in Münster 1977 (vgl. Grass-
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kamp 1997: 22f) über eine Bodenplastik von Carl André bis hin zu einer permanenten Installation im zweiten Stock des Umgangs von Rachel Whiteread. Diese Namen markieren nicht nur ein künstlerisches Anspruchsniveau, sondern setzen auch Standards für den Umgang von Künstlern mit Räumen. Kontext 3 – Architektur: Zu dem eben genannten Kontext gehört schließlich die Architektur des Ausstellungsortes selbst. Durch das Raster der Gitterroste des Pavillons fällt der Blick auf die Prachtarchitektur des Lichthofes im Altbau des Landesmuseums, der 1901 bis 1908 errichtet wurde. Mit ihren Umgängen und Bogenformationen erreicht diese Gestaltung in Formen der Neorenaissance die Qualität einer Außenfassade. So wendet der Bau seine Schauseite nach innen und signalisiert damit den hohen Anspruch der Kunst und das Repräsentationsbedürfnis seiner Erbauer. Ohne diese Bezüge hier weiter beschreiben oder deuten zu wollen, wird dennoch klar, in welchem Maße das Objekt von Winter und Hörbelt sein architektonisches Umfeld überhaupt erst sichtbar macht.
3.2 Die Ebenen der Kunst: Objekt, Erfahrung, Diskurs, Institution 3.2 Die Ebenen der Kunst: Objekt, Erfahrung, Diskurs, Institution Der Blick auf das Beispiel des „Hang Thiec Basket #4“ von Winter und Hörbelt hat sich deshalb als instruktiv erwiesen, weil das Werk gleich eine ganze Reihe von Bezügen und Dimensionen des zeitgenössischen Kunstbegriffes zu erkennen gibt. Wer sich auf dieses Beispiel einlässt, muss Abschied nehmen von der Fiktion eines monolithischen Kunstbegriffes – und der Möglichkeit, Kunst heute noch in Wesensdefinitionen begreifbar machen zu können. Dabei darf diese Einsicht nicht als Defizit der Kunst missverstanden werden. Ein Kunstbegriff, der unter den Bedingungen zeitgenössischer Produktion offenbar nur noch aufgefächert und perspektivisch verstanden werden kann, verweist auf die notwendige Verbindung von Kunstwerken und ihrer diskursiven Bearbeitung. Die eben in Stichworten mehr angedeutete als ausgeführte Analyse einer begehbaren Plastik hat entscheidende Dimensionen der Gegenwartskunst aufgezeigt. Mit Objekt, Institution, Kontext, Wahrnehmung, Praxis und anderen Begriffen sind zentrale Termini dieser Kunst mit dem Beispiel angesprochen. Einer solchen Bandbreite entsprechen Praktiken der wahrnehmenden Rezeption, die gleichfalls nur im Plural angemessen verstanden werden kann. Die bloße Betrachtung genügt hier nicht mehr, bleibt aber unabdingbare Basis jeder weiteren Beschäftigung mit der Kunst. Hinzu treten Formen der Auseinandersetzung, die mit passiver Aufnahme nicht mehr abgedeckt sind. Wer die eben angesprochenen Dimensionen der Gegenwartskunst wenigstens in Grundzügen realisieren möchte, sieht sich auf Reflexion und Kommunikation verwiesen. Denn die Kunst konstituiert Problemfelder, die nur in der Kombination von Wahrnehmung und Reflexion, von Betrachtung und Kommunikation bearbeitet werden können. Wer sich vom Erlebnis des Kunstwerkes aus auf Fragen nach Kontexten und Vorgeschichten einlässt, sich von der Kunst ganz buchstäblich in Bewegung setzen lässt und schließlich Formen sozialer Praxis anhand der Kunst neu erfährt, der muss letztendlich mit anderen kommunizieren, um Erfahrungen auszutauschen, Eindrücke zu gewichten und Geltungsansprüche des Kunstwerkes abzuwägen. Kunst und
3.2 Die Ebenen der Kunst: Objekt, Erfahrung, Diskurs, Institution
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Kommunikation scheinen sich in notwendigem Austausch miteinander zu befinden. Mehr noch: Das ausdifferenzierte Profil der Gegenwartskunst ist geradezu auf Leistungsfähigkeit in der Kommunikation angelegt. Die Tatsache, dass Kunst terminologisch schwer fassbar erscheint, ist deshalb kein Ausdruck von Verlust an Verbindlichkeit, sondern Hinweis auf eine spezifische Leistungsfähigkeit, die sich anhand beschleunigter und angereicherter Kommunikation zeigen lässt. Es geht nicht nur darum, dass mit Kunst kommuniziert werden kann. In einer davor gelagerten Dimension verweist Kunst ständig auf Kommunikation als die Instanz, die Kunstrezeption bündelt und validiert. Daneben darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass an diesem Geschehen auch weitere Bereiche wie vor allem die Distribution durch den Kunsthandel beteiligt sind (vgl. Held 2007: 214). Diese Überlegungen sollen in den Dimensionen von Objekt, Erfahrung, Diskurs und Institution systematisiert werden (vgl. Lüddemann 2006: 37f.). Dabei werden diese Begriffe nicht als Hierarchie angeordnet oder als historisches Nacheinander verstanden. Sie sind vielmehr aufeinander bezogene Dimensionen von Gegenwartskunst, die sich gegenseitig bedingen. Diese Anordnung folgt der Einsicht, dass Kunst nicht mit einer Ansammlung von Objekten identisch ist, sondern sich gleichzeitig in ästhetischer Erfahrung aktualisiert, bestimmte Institutionen benötigt und schließlich diskursive Formationen prägt. So ist es sicher richtig, von der „Geschlossenheit des Kunstsystems“ (Bätschmann 2002: 32) zu sprechen. Kunst speist sich aus sich selbst und bildet einen eigenen Fachdiskurs aus – bei ausfransender Vielfalt künstlerischer Praktiken und Orte (vgl. Fricke 1998). Gleichzeitig wird Kunst aber auch zum Anlass für Wahrnehmung und Kommunikation, die über dieses System deutlich hinausreichen. Objekt: Sobald wir von Kunst sprechen, weisen wir diese Eigenschaft bestimmten Objekten zu, die wir so bezeichnen. Der Kunstbegriff ist nicht nur „immanent urteilsbezogen“ (Schmücker 1998: 136) und deshalb in jedem Augenblick wertend. Er kann auch nur an bestimmten Objekten sichtbar werden. Natürlich wird auch auf abstrakter Ebene über Kunst gesprochen, vor allem in der ästhetischen Theorie. Dennoch kann nur an bestimmten Gegenständen deutlich gemacht werden, was denn Kunst genannt werden soll. Allerdings ist der Kunstcharakter diesen Objekten nicht immanent. Objekte werden von Diskursgemeinschaften als Kunstwerke deklariert (vgl. Luhmann 1994b: 98). Es ist Frage der kulturellen Konventionen und Standards, also letztlich diskursiv vermittelter Verabredungen, was als Kunst bezeichnet und unter den Bedingungen des Kunstcharakters betrachtet werden soll. Insofern ist die Frage nach Kunst abhängig von Interpretationen (vgl. Seel 1997: 36). Mit den Objekten verselbständigt sich der Kunstcharakter jedoch auch. Wiederholte Ausstellungen, die Aufnahme in prestigeträchtige Sammlungen und die häufige Thematisierung in Fachdiskursen laden einzelne Objekte mit einer Aura auf, die ihren Stellenwert als Kunstwerke nachhaltig festigen und ihnen den Anschein verleihen, gleichsam aus sich selbst heraus Kunstwerke zu sein. Ganz ohne die Qualitäten der Objekte ist dieser Prozess jedoch nicht in Gang zu setzen. Die Gemälde Paul Cézannes sind nur ein Beispiel für Objekte, deren Kunstcharakter nicht nur eine Frage diskursiver Beglaubigung ist, sondern sich auch an Kriterien wie Bildfindung, innovative Kraft, malerisches Können und anderen festmachen lässt. Allerdings hat erstmals das „Fahrrad-Rad“ (1913) von Marcel Duchamp (vgl. Schneede 2001: 79-85) klar gemacht, dass auch banale Alltagsobjekte Kunstcharakter annehmen können.
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Diese Qualität kann also nicht nur über Eigenschaften von Objekten definiert werden. Bestimmte Objekte verkörpern den Standard dessen, was wir Kunst nennen; andere Objekte brechen diesen Standard auf und bilden selbst den nächsten Maßstab aus. Mit der künstlerischen Moderne hat sich das Tempo dieser Innovationen dramatisch beschleunigt. Objekte sind jedoch nicht nur das notwendige materielle Substrat des ausdifferenzierten Kunstsystems, sie sind auch Anlass und Prüfstein aller über Wahrnehmungen vermittelten Kommunikationen, die an ihre Erfahrung angeschlossen wird. Erfahrung: Deshalb muss den Kunstobjekten mit der ästhetischen Erfahrung (vgl. Maag 2001) ein besonderer Modus ihrer Realisierung in der Rezeption durch Betrachter zugeordnet werden. Da Kunst nicht schlechthin auf einen Begriff gebracht und entsprechend referiert werden kann (vgl. Schmücker 1998: 33) entspricht ihrer angemessenen Aufnahme ein Verfahren, das nicht mit der Alltagspraxis kompatibel ist. Als der Wirklichkeit enthobene Einstellung (vgl. Henckmann 2004: 83) würdigt sie Kunstwerke als Objekte, die außerhalb von Nutzen und Gebrauch stehen (vgl. Piepmeier 1982: 121) und deshalb um ihrer selbst Willen wahrgenommen werden wollen. Ästhetische Erfahrung meint also die Selbstthematisierung der Kunst, den Blick, der sich auf ihre immanente Logik einlässt, ohne diese aus anderen Erfahrungen her ableiten zu wollen (vgl. Kleimann 2001: 44). Ästhetische Erfahrung muss eingeübt werden, ist somit Frage kultureller Sozialisierung, meint aber einen sich selbst konstituierenden Zustand. Wer in dieser Weise etwa ein Bild als „anschauliches System ohne jeden Rekurs auf externe Bedeutungen“ (Boehm 1981: 16) versteht, vollzieht eine Rekonstruktion von Regelsystemen, die allein durch ein Objekt der Kunst gesetzt werden. Kunstwerke bieten Anlässe für Wahrnehmungen, die ohne sie nicht möglich wären. Diese Wahrnehmungen sind, da von Handlungszwängen entlastet, auf ihren eigenen Vollzug gerichtet (vgl. Seel 1997: 31) und erlauben es dem Wahrnehmenden, sich in seiner Wahrnehmung selbst zum Thema zu machen. Insofern kann von ästhetischer Erfahrung dann gesprochen werden, wenn „wir uns auf sinnlich Gegebenes einlassen um der Gewahrung seiner Eigenheit willen“ (Schmücker 1998: 53). Auf diese Weise wird der Wahrnehmende sensibel für Prozeduren und Strukturen. Er muss Wahrnehmungsvorgänge nicht voreilig im Interesse praktisch verwertbarer Ergebnisse abbrechen, sondern kann sich ganz auf die von ihnen bewirkte Sensibilisierung konzentrieren. Genau in diesem Sinn ist ästhetische Erfahrung in den letzten Jahren auch zur Schulung der Wahrnehmung verengt worden. Als Wahrnehmungstraining und Sinnesschärfung findet sie sich zum zentralen Argument kulturpolitischer Begründungsdiskurse ausgemünzt (vgl. Weiss 1999: 11). Basis dieser Position ist die im Gefolge der Postmoderne generierte Einsicht in die ästhetische Verfasstheit der Wirklichkeit selbst. „Wir leben inmitten einer Globalisierung des Ästhetischen“ (Welsch 1997: 66). Diskurs: Doch wohin führt Wahrnehmung ohne Interpretation und Validierung? Die bloße Anschauung degeneriert ohne ihre Ergänzung durch den Diskurs zur reinen Innerlichkeit – oder eben zum Genuss an einem Boom des Ästhetischen, der sich vor allem an der Verhübschung alltäglicher Lebenswelt zeigt (vgl. Welsch 1996: 10ff) und darin auch die Folgenlosigkeit eines Lifestyletrends erkennen lässt. Ästhetische Erfahrung bedarf einer notwendigen Ergänzung: Die besteht im Diskurs, der die Resultate der Wahrnehmung sprachlich
3.2 Die Ebenen der Kunst: Objekt, Erfahrung, Diskurs, Institution
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vermittelt, für Kommunikation bearbeitbar macht und es so erlaubt, ihre Produktivität zu bewerten. Diskurse sind zunächst nichts anderes als Mengen von sprachlichen Aussagen, die sich unter der ordnenden Maßgabe von Themen zu erkennbaren Formationen fügen (vgl. Lüddemann 2004b: 180f). Insofern ist der Diskursbegriff von grundsätzlicher Doppeldeutigkeit: Er meint einmal die Reihe von Äußerungen im Sinn einer bloßen Anhäufung und bezeichnet zugleich Prozeduren zu deren sinnvoller Bearbeitung (vgl. Nünning 2001: 115). Im Kontext der Kunst bezeichnet der Diskurs zweierlei. Diskurs der Kunst meint das Gespräch, in dem die theoretische Arbeit am Begriff der Kunst weiter getrieben wird. Dieser Diskurs läuft nicht nur parallel zur Produktion von Objekten, die als Kunstwerke bezeichnet werden. Dieser Diskurs wirkt auch auf die Kunstproduktion zurück, ja kann sogar selbst den Charakter von Kunst annehmen. Zu der Spannweite des Kunstbegriffs gehört auch – vor allem ausgeprägt durch die von Catherine David geleitete Documenta X von 1997 – die Verlagerung von Kunst in den Diskurs. Kunst kommt dabei mit Theorie zur Deckung. Diese extreme Position ist hier jedoch nicht gemeint. Hier wird als Diskurs vor allem das Gespräch verstanden, in dem von Kunst veranlasste Wahrnehmungen zur Sprache kommen und so überhaupt über die Grenze des individuellen Bewusstseins eines Wahrnehmenden hinaus sichtbar werden. Im Diskurs wird Wahrnehmung greifbar und verfügbar. Dafür kann sie mit dem weiter zur Verfügung stehenden Objekt abgeglichen werden. Über diesen im engeren Sinn an der Kunst orientierten Diskurs hinaus muss auch der Diskurs genannt werden, der außerhalb des Kunstsystems verläuft. Dieser Diskurs wird mit den validierten Wahrnehmungen der Kunst beliefert und erhält so innovative Impulse. Institution: Der Kunst kann heute an vielen Orten begegnet werden. Die Ausweitung des Ästhetischen umfasst sogar generell weitere Bereiche wie Werbung, Design, Mode und anderes mehr (vgl. Liessmann 2004: 16). Dennoch kann das Kunstsystem heute nicht sinnvoll gedacht werden ohne den Blick auf seine Institutionen. Kunst mag im Alltag begegnen, den öffentlichen Raum prägen, in Unternehmen platziert werden: Diese Praktiken im Umgang mit Kunst setzen jedoch meist voraus, dass Kunst ihren festen Ort hat – nämlich das Museum – und bevorzugte Formen ihrer Erscheinung – nämlich in Ausstellung und Katalog. Vor allem an diesen „Orten“ – Kunsthallen, Kunstvereine, Galerien und Auktionshäuser wären anzufügen – lädt sich die Kunst mit der auratischen Kraft auf, die sie später als Element für Prozesse der Kommunikation und des Imagetransfers so leistungsfähig macht. Diese Orte belegen vor allem, welche Objekte einen Prozess der Kanonisierung erfolgreich durchlaufen haben. Tendenzen der Kunst des 20. Jahrhunderts, Kunst im Leben zu positionieren (Happening, Aktion, Fluxus), Orte weitab der Institutionen zu besetzen (Land Art), den Kanon der Hochkultur aufzubrechen (Dada, Futurismus) oder Hoch- und Populärkultur zu vermengen (Pop Art) haben daran wenig geändert. Alle genannten Positionen sind längst selbst zur Museumskunst geworden. Ihre jeweilige Grenzüberschreitung hat lediglich das Spektrum der kanonisierten Kunst um weitere Möglichkeiten bereichert und ihre Abgrenzung zu all dem, was keine Kunst ist, neu justiert. Institutionen sind Voraussetzung für das, was oben als Erfahrung und Diskurs beschrieben worden ist. „Nur das, was als oder wie ein Kunstwerk angesehen wird, genießt das Privileg einer hoch organisierten Wahrnehmung und Einordnung“ (Grasskamp 2004: 115). Vor allem Museen sind die Orte, an denen kunstspezifische Erfahrung und Kommunikation als kulturelle Praktiken einsetzen.
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Umgekehrt befestigen sie den Rang von Museumsobjekten. Auch an diesem Punkt bedingen sich die Positionen von Objekt, Erfahrung, Diskurs und Institution. Ihre Interaktion führt zu einer Kumulation von sozialem Prestige, kultureller Bedeutung und materiellem Wert. Hier muss zunächst festgehalten werden, dass der Kunstbegriff als Konstellation unterschiedlicher Produktions-, Wahrnehmungs- und Kommunikationssphären verstanden werden kann. Damit wird die Verengung des Kunstbegriffs auf ein durch fortlaufende Kommunikation und Leitdifferenzen gekennzeichnetes System im Sinn Luhmanns (vgl. Luhmann 1997) vermieden. Objekt, Erfahrung, Diskurs, Institution: Diese Begriffskombination verklammert die Bereiche der Gegenstände, der Wahrnehmungen, der Diskussion und der Orte zu einem komplexen Feld wechselseitiger Übersetzungen, Rückkopplungen und Beeinflussungen, das auch als „Betriebssystem Kunst“ (Bonnet 2004: 89) bezeichnet worden ist. In diesem Sinn trägt und korrigiert sich das Kunstsystem selbsttätig, weil es die im eigenen Namen geschaffenen Artefakte an bestimmten Orten aufbewahrt und präsentiert, mit Erfahrungen ergänzt und zugleich ein fortlaufendes Gespräch als Meta-Instanz führt. Das alles führt zu einem mehrspurigen Prozess, in dem ständig zwischen Artefakt, Sinneseindruck und Theorie vermittelt wird. Kunst und Kommunikation stehen demnach in einem Horizont der Bedeutungsproduktion.
3.3 Die Leistungen der Kunst: Wie Welt konstruiert wird 3.3 Die Leistungen der Kunst: Wie Welt konstruiert wird Die Kopplung von Objekt, Erfahrung, Diskurs und Institution hat ergeben, dass wir Kunst als Ergebnis einer kulturellen Vereinbarung sehen müssen. Kunstwerke sind nicht (allein) anhand der Eigenschaften von Objekten zu bestimmen, sondern gewinnen ihren Status durch ein dichtes Geflecht einander bedingender und stützender kultureller Praktiken. Wenn Kunstwerke offenbar dazu da sind, bestimmte Formen der Erfahrung und Kommunikation anzustoßen, dann fallen einige landläufige Begründungen für den Kunstcharakter offenbar weg oder werden zumindest relativiert. Demnach können Kunstwerke schön sein – sie müssen es aber nicht. Sie können eine Botschaft vermitteln – aber auch dies ist nicht zwingend. Vor allem stützen sie ihre Bedeutung nicht auf den Verweis auf eine außerhalb ihrer selbst liegende Referenz. Kunst bildet also keine Wirklichkeit ab (vgl. Schmücker 1998: 20): Vor allem dies ist die Konsequenz aus der Herausbildung eines sich selbst tragenden Kunstsystems. Damit entfällt die Nachahmung von Wirklichkeit, die so genannte Mimesis (vgl. Pfisterer 2003: 240-244, Henckmann 2004: 246-248), als zentrales Kriterium für die Begründung von Kunst. Die hier vertretene Position verabschiedet damit vor allem jene Positionen der Ästhetik, welche die Qualität von Kunst vor allem an ihrem Wirklichkeitsbezug oder ihrem Belegcharakter für eine vorab erkannte Geschichtsphilosophie festmachen wollten. Musterbeispiel für eine solche Kunsttheorie ist die Ästhetik, mit der Theodor W. Adorno erheblichen Einfluss auf Geisteswissenschaften, deren Interpretationspraxis und den zeitgenössischen Kunstdiskurs ausübte.
3.3 Die Leistungen der Kunst: Wie Welt konstruiert wird
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„Das geschichtliche Moment ist den Kunstwerken konstitutiv; die authentischen sind die, welche dem geschichtlichen Stoffgehalt ihrer Zeit vorbehaltlos und ohne die Anmaßung über ihr zu sein sich überantworten. Sie sind die ihrer selbst unbewusste Geschichtsschreibung ihrer Epoche; das nicht zuletzt vermittelt sie zur Erkenntnis“ (Adorno 1973: 272) Kunst bezieht nach Adorno ihren Status als Erkenntnis aus der Übereinstimmung mit dem jeweiligen Stand geschichtlicher Entwicklung. Aus diesem Stand ergeben sich damit auch zwangsläufig die Anforderungen, die an Kunst zu stellen sind. Sie hat anhand der Friktionen auf der Ebene ihrer Form gesellschaftliche Konflikte zu repräsentieren und Perspektiven des geschichtlichen Fortschritts aufzuzeigen. Solche Erwartung kulminiert in dem Begriff des Utopischen, der immer wieder für die Kunst in Anspruch genommen worden ist. „Der künstlerische Weltentwurf ist als Einheit von Kritik und Utopie nicht nur prinzipiell, sondern geschichtlich konkret auf die (jeweils vorgegebene) Realität bezogen“ (GethmannSiefert 1995: 256). Als Inhalt der Utopie wird konkret die „Erscheinung der Freiheit“ (ebd.: 254) ausgewiesen. Solche inhaltliche Festlegung ist erst kürzlich wieder eingefordert worden. Als Instanz der Vermittlung emanzipatorischer Inhalte habe Kunst „Handlungsanleitungen“ (Hermand 2004: 146) für den Weg zur „Befreiung der Nichthabenden“ (ebd.: 65) zu liefern. Jost Hermand macht auch deutlich, worin die Hypothek besteht, die eine in den Dienst der Utopie genommene Kunst auf sich nehmen muss – sie verliert ihre Freiheit, wird bei nicht hinreichend utopischen Gehalten oder falscher gesellschaftlicher Parteinahme zum Objekt der Zensur. Genau dass fordert nämlich Hermand, um den Auswüchsen des postmodernen, selbstbezüglichen Kunstbetriebes Herr zu werden (vgl. ebd.: 40). Kunst kann jedoch nicht aus externen Begründungen abgeleitet werden. Sie hat mit dem Beginn der Moderne konsequent alle herkömmlichen Funktionen und gesellschaftlichen Situierungen abgestreift. Kunst als religiöser Kult, als Repräsentation, als Symbol von Macht und Herrschaft, Kunst als Dokumentation von Wirklichkeit: Mit Verlust (oder Überwindung) all dieser gesellschaftlichen Aufgabenzuweisungen ist die Kunst in eine Situation scheinbarer Funktionslosigkeit eingetreten – vor allem, seitdem sich auch die Erwartungen der Avantgarden, mit ihrer Kunst das Leben zu reformieren und so Schrittmacher des Fortschritts zu sein, nicht erfüllt haben. Kunst hat „als Fluchtpunkt der größten Sehnsüchte (...) für viele ausgedient – vielleicht auch nur, weil in einer Zeit des Wohlstands kaum noch Wünsche nach einer totalen Änderung der Verhältnisse bestehen“ (Ullrich 2003: 9). Allerdings ist damit nicht gemeint, Kunst sei in den Zustand skandalöser Freiheit ohne Bindungen und Aufgaben eingetreten. Das oben beschriebene selbst tragende System der Kunst ist mit dem Zurückweisen externer Aufgabenstellungen nur in den Stand gesetzt worden, in einer ausdifferenzierten Gesellschaft Entwürfe von Welten zu konstituieren und Anschlüsse für darauf bezogene Kommunikation zu bieten. Zusammenfassend lässt sich der aktuelle Stand der Kunst und ihrer Funktion so beschreiben: „Kunst ist das Medium komplexer Erfahrung wie hoher Reflexionsgeschwindigkeit, Kunst ist das Laboratorium für neue Entwürfe von Weltsichten. Weil die Rücksichten des praktischen Lebens nicht zählen, können in der Kunst ungewöhnliche Wege der Konstituierung von Wirklichkeit erprobt werden. Kunst bürgt nicht mehr für letzte Sinnerfüllungen (...) Die falschen, weil totalen, wenn nicht sogar totalitären Ansprüche sind verabschiedet. Übrig bleibt die Kunst als präzise Artikulation, als sinnlich verfasstes (...) Medium der Reflexion. Die so verstandene Kunst
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ist frei von Möglichkeiten konkreter Intervention, frei aber auch zu jedem die Konvention überschreitenden Experiment.“ (Lüddemann 2004a: 65) Grundlage für diese Beschreibung der aktuellen Funktion von Kunst ist die Einsicht, dass Kunst Wirklichkeit nicht abbildet, sondern überhaupt erst konstituiert. Damit ist sie Teil des symbolischen Universums, in dem sich Menschen als Kulturwesen notwendig bewegen. Ausgangspunkt dieser Konzeption, die in den letzten Jahren zu einer reichen Ausfaltung kulturwissenschaftlicher Forschungsparadigmen geführt hat (vgl. Böhme 2000, Fauser 2003, Nünning 2003), ist die grundsätzliche Umstellung des menschlichen Wirklichkeitsbezuges, die der Kulturphilosoph Ernst Cassirer vorgenommen hat (vgl. Steenblock 2004: 30ff). An die Stelle „passiver Abbilder eines gegebenen Seins“ (Cassirer 2001: 3) setzt er „selbstgeschaffene intellektuelle Symbole“ (ebd.), deren Status sich nicht mehr anhand einer Äquivalenz zwischen Symbol und Wirklichkeit bemisst, sondern allein nach ihrem Erkenntniswert zu bestimmen ist. Daraus folgt, dass es den unmittelbaren Zugriff des Menschen auf die außer ihm liegende Realität nicht geben kann. Jeder dieser Bezüge ist bereits vermittelt – zumindest durch die Sprache. Also besitzt der Mensch die Wirklichkeit nur in Gestalt eines symbolischen Universums. Dies besteht aus einer „autonomen Schöpfung des menschlichen Geistes“ (ebd.: 45): „Durch sie allein erblicken wir und besitzen wir das, was wir Wirklichkeit nennen“. Folglich bilden die kulturellen Symbole eine Welt von eigenem Wert, die dem Menschen als Wirklichkeit gegenüber tritt (vgl. Schwemmer 1997: 64), Kultur erscheint als „produktive symbolvermittelte Aktivität“ (Steenblock 2004: 32). Diese Welt hat der Mensch nicht nur selbst geschaffen, sie knüpft auch jeden Sinn an eine materiale Grundlage. So wie der Mensch Sinn nicht in passiver Rezeption, sondern nur in aktiver Gestaltung findet, so wird auch seine Wirklichkeit für ihn nur in Artefakten sichtbar. Dies gilt ganz besonders für die Kunst, die auch für Cassirer stets mehr war als bloße Abschilderung des Wirklichen (vgl. Cassirer 1994: 31). Kunst ist stattdessen „einer der Wege zu einer objektiven Ansicht der Dinge und des menschlichen Lebens. Sie ist nicht Nachahmung, sondern Entdeckung von Wirklichkeit“ (Cassirer 1996: 220). Denn Kunst baut aus dem Material des Wirklichen eine zweite Realität, welche die Fülle der Eindrücke und Daten in sinnvolle Strukturen bringt – ganz abgesehen von der Fähigkeit, all das sichtbar zu machen, was sich dem Auge eigentlich entzieht. Gerade die Kunst der Moderne hat gezeigt, dass Bilder keine bloßen Abbilder mehr sind, sondern Wirklichkeiten eigener Ordnung konstituieren, deren Akzeptanz historischem Wandel unterliegt. Mit der Kunst und ihren Angeboten an das Sehen verändern sich auch die Verabredungen darüber, was unter einem Bild von der Wirklichkeit verstanden werden soll. Die Differenz zwischen den Skandalen, die Bilder von Malern der Avantgarde einst auslösten, und ihrer heutigen Wertschätzung belegt, wie sich mit der Akzeptanz von Kunstwerken auch das Bild von Wirklichkeit entscheidend verändern kann und die scheinbar unverrückbare Vorstellung von realistischen Darstellungsweisen zu einer Frage der Gewohnheit wird (vgl. Goodman 1997: 47). Der Begriff der „klassischen Moderne“ bezeichnet das Resultat eines solchen historischen Wandels, der eine ganze Epoche der Kunstgeschichte betrifft. Aus der Bewegung von einigen Außenseitern des Kunstbetriebes, die sei-
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nerzeit mit Schmähungen belegt wurden, ist ein regelrechtes Markenzeichen geworden, das im Ausstellungsbetrieb unserer Tage Besucherzahlen in Rekordhöhe empor schnellen lässt. Anschauliches Beispiel für das komplexe Verhältnis von (Kunst)Bild und Wirklichkeit ist der Wandel in der Wertschätzung, den Franz Marcs Bild „Der Mandrill“ (1913) erfahren hat (vgl. Bätschmann 2001: 13-16). Beim Ankauf für die Hamburger Kunsthalle 1919 löste das Bild bei Betrachtern Empörung aus. Es musste mit Glas eigens gegen Angriffe geschützt werden. Zu groß war seinerzeit die Kluft zwischen Marcs Gemälde und etwa der Abbildung eines Mandrill in Brehms „Thierleben“ von 1864 (ebd.: 15), das zeigen sollte, wie ein solches Tier in der Wirklichkeit aussieht. Marcs Intention deckt sich nicht mehr mit dem Konzept eines Bildes als Äquivalent von Realität. Auf seinem Gemälde ist der Mandrill zwar noch zu erkennen. Das Tier erscheint jedoch nur noch als Moment eines abstrakten Formenbaus, der mit seinen Dreiecken und Kreissegmenten, unterstützt von einer Komposition leuchtkräftiger Farben von Gelb und Rot bis zum dunklen Blau kein Abbild mehr liefern will, sondern eine ideale Natur konstruiert. Der Mandrill von Franz Marc verweist nicht mehr auf das in Afrika lebende, reale Wildtier, sondern wird zur Chiffre für ein Leben, das mit der unberührten Schöpfung zur Deckung kommt. Die Pointe dieses Bildes ist nicht nur, dass es als Schöpfung der Kultur einen Idealzustand beschwört, der vor Kultur und Sprache liegt. Die Pointe ist auch, dass heutige Ausstellungsbesucher ein Bild als Meisterwerk würdigen, dass vor einigen Jahrzehnten noch als unerträgliche Provokation gegolten hat. Dieser Wandel ergibt sich mit dem oben angesprochenen Prozess der Kanonisierung, den auch die Bilder Franz Marcs mit dem gesamten Paradigma der „klassischen Moderne“ höchst erfolgreich durchlaufen haben. Das Ergebnis dieses Vorgangs darf nicht als schlichte Gewöhnung unterschätzt, sondern muss als Umbau des kulturell vereinbarten Wirklichkeitsmodells einer Gesellschaft verstanden werden. Zu den Lernschritten dieses Prozesses gehören die Akzeptanz für eine Differenz zwischen Wirklichkeit und Bild, die Wertschätzung künstlerischen Eigenwerts eines Bildes und die Fähigkeit, jenseits bloßer Wirklichkeitsverweise mehrere Ebenen der Bedeutung von Bildern zu realisieren und miteinander in Beziehung zu setzen. Bilder können also nur in den Kanon aufrücken, wenn sich eine hinreichend große Zahl von Betrachtern auf Techniken zu ihrer Rezeption verständigt und eine gemeinsame Akzeptanz für das Wirklichkeitsbild dieser Kunst entwickelt hat. Das Ergebnis ist eine differenzierte Fertigkeit im Umgang mit medialen Angeboten, die vor allem darin besteht, Bilder mit unterschiedlichen Erwartungen zu rezipieren. Wer heute Marcs „Mandrill“ ansieht, blickt auf Kunst. Wer im Fernsehen eine Tierdokumentation verfolgt, will wissen, wie Mandrills in Afrika tatsächlich aussehen und leben. Das eine hat mit dem anderen kaum zu tun.
3.4 Von der Kunst zur Kommunikation: Wie Bilder Bedeutung erzeugen 3.4 Von der Kunst zur Kommunikation: Wie Bilder Bedeutung erzeugen Mit Blick auf die eben beschriebene Differenz der Bilder wäre mit Recht zu fragen, welches Bild „wirklicher“ ist als das andere. Kann die Tierdokumentation einen höheren Realitätsgehalt beanspruchen, weil sie Tiere so zeigt, wie sie tatsächlich aussehen? Oder müssen wir
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nicht die Vision eines glücklichen Lebens im Einklang mit der Natur, die Marcs Gemälde vergegenwärtigt, für ebenso real halten? Auf jeden Fall ist das „Mandrill“-Gemälde in den kollektiven Erfahrungsschatz von Menschen eingegangen und lebt dort weiter. Es wird zur Wirklichkeit in einer medialen Welt und steuert von dort her den Blick von Menschen auf das, was tatsächliche Wirklichkeit genannt wird. Wer Bilder Vincent van Goghs mit Motiven aus der Landschaft Südfrankreichs kennt, wird die Provence mit anderen Augen sehen als jemand, der diese Bilder nicht kennt. Dieses Beispiel (vgl. Fellmann 1991: 133) macht klar, wie Kunst unseren Blick auf die Realität orientieren und fokussieren kann. Kunst lenkt nicht einfach den Blick, sondern formiert als „Lern- und Orientierungsfaktor“ (Luhmann 1994a: 12, vgl. Scholz 2001: 48) auch Erwartungen, an denen wir Lebensentscheidungen orientieren – und wenn es nur die wäre, in der Provence den nächsten Urlaub zu verbringen. Nun war bereits festzustellen, dass Kunst nicht nur einfach mit Objekten identisch ist, sondern zu ihrer Etablierung und medialen Entfaltung vor allem bestimmter Praktiken der Rezeption bedarf. Schon der Blick auf die notwendigen Bezüge zwischen Objekten und Erfahrung sowie Kommunikation deutete bereits die kulturelle Leistungsfähigkeit an, die Kunst für sich reklamieren darf. Da Kunst keine Wirklichkeit abschildert, sondern Angebote für Versionen von Wirklichkeit unterbreitet, also „Weisen der Welterzeugung“ (Goodman 1995) vorführt, müssen diese Angebote erkundet und auf ihren Geltungsanspruch hin untersucht werden, bevor es zu einer möglichen Akzeptanz kommen kann. Nicht alle Kunstwerke schaffen diesen Sprung. Es kommt darauf an, ob sie sich in das bereits vorhandene Ensemble von kulturell vereinbarten Versionen der Wirklichkeit sinnvoll einbauen lassen oder sinnvolle Erweiterungen anbieten, also erfolgreich sind (vgl. ebd.: 31). Kunstwerke tragen wesentlich zur Reorganisation des Weltbildes einer Gesellschaft bei (vgl. Goodman 1997: 223). Damit ist jedoch nicht einfach der Import bislang ungewohnter Themen über neue Bildsujets gedacht. Wie das Beispiel Franz Marc gezeigt hat, geht es nicht allein um Themen, welche die Kunst setzt, sondern auch um die Form ihrer Darbietung. Zur Lebenszeit Marcs mochte es provokant sein, einen Affen in einem Bild zu zeigen, das den Status von Kunst beanspruchte. Zugleich entwarf der Maler jedoch auch eine Bildwirklichkeit, die ihren Charakter als Konstrukt nicht verbirgt, sondern ausdrücklich vorführt. So zeigt Kunst eine eigene Wirklichkeit und gleichzeitig die Weise ihrer Erzeugung (vgl. Lüddemann 2004b: 165). Damit erweitert sie nicht nur potentiell den Vorrat an Weltversionen einer Kulturgesellschaft, sondern macht auch immer wieder darauf aufmerksam, dass alle diese Versionen produktive Erzeugnisse des Menschen sind und ihre Geltung nur auf gemeinsame Akzeptanz von Individuen stützen können. Genau die kann allerdings revidiert und durch eine andere Präferenz ersetzt werden. Die Rezeptionsgeschichte von Kunstwerken liefert für solche Akte der Umdeutung und damit des Umbaus im Vorrat der Weltversionen reichlich Anschauungsmaterial. „Kulturelle Aktivität besteht mithin in der Schaffung und Umdeutung symbolischer Ordnungen“ (Paetzold 1997: 169). Die so beschriebenen Vorgänge haben längst mit dem zu tun, was sich an Kunst notwendig anschließt – mit Kommunikation. Wer Kunstwerke als „Partitur für Anschlusskommunikation“ (Schmidt 2000: 288) versteht, sieht in der Kombination von Kunst und Kommunikation etwas anderes als ein nur instrumentelles Verhältnis. Die weiteren Kapitel dieses Buches werden zeigen, dass man sich der Kunst durchaus als Mittel bedienen kann,
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um in anderen Kontexten erfolgreich zu kommunizieren. Diese Praxis stützt sich jedoch auf den produktiven Zusammenhang, der zwischen Kunst und Kommunikation besteht. Dieser Zusammenhang ist notwendig, weil nur damit der Widerspruch von ästhetischer Erfahrung als einer Sache des Individuums und deren Anspruch auf Allgemeingültigkeit überwunden werden kann (vgl. Baecker 2001a: 389). Kommunikation leistet das angesprochene Geschäft der Übermittlung, in deren Verlauf die Wirklichkeitsversionen der Kunst formuliert und weiter so bearbeitet werden, dass eine sinnvolle Annahme oder Ablehnung möglich wird. Dabei verweist Kommunikation – weiter oben sprachen wir von Diskurs – immer wieder über die ästhetische Erfahrung auf das Kunstobjekt zurück und unternimmt den Versuch, die vom Kunstwerk dargebotene Version der Welt zu erkunden und zu validieren. Kunst versorgt also Kommunikation mit Themen sowie ungewohnten Wahrnehmungen und erlaubt es ihr, aus Routinen auszubrechen (vgl. Kleimann 2001: 45, Lüddemann 2002: 31). Genau dies bestimmt auch Niklas Luhmann als zentrale Leistung der Kunst für die Gesellschaft. Für Luhmann stellt Kunst Wahrnehmungen für Kommunikation bereit (vgl. Luhmann 1997: 21) und überschreitet dabei deren bereits standardisierte Formen (vgl. ebd.: 82). Für diese Leistungsfähigkeit muss sich Kunst nicht allein als eigenes System der Gesellschaft ausdifferenzieren (vgl. Luhmann 1994b), sondern auch die Fähigkeit zum Aushalten großer interner Spannungen und Widersprüche entwickeln, während gleichzeitig Stützen in Form gesellschaftlicher Verankerung über Aufträge, Zuweisung bestimmter Präsentationsorte oder festgelegte Rezeptionsweisen, etwa der Kunst im religiösen Kontext, konsequent abgebaut werden. „Der Außenhalt wird abgebaut, die inneren Spannungen werden verschärft. Die Stabilität muss jetzt aus rein persönlichen Ressourcen heraus ermöglicht werden...“(Luhmann 1994a: 198) Was Luhmann auf die Liebe bezog, lässt sich ohne Umstände auch auf das Sozialsystem Kunst beziehen. Seine Leistungsfähigkeit in der Produktion von Weltversionen, die von Kommunikation weiter bearbeitet werden können, wird mit hoher Unsicherheit erkauft, auf die nur mit der Ausbildung von Arbeitsroutinen und Selektionsmechanismen reagiert werden kann, die Kunst mit keinem anderen System der Gesellschaft teilt (vgl. Lüddemann 2004b: 163). Entsprechend darf Kommunikation nicht mit der landläufigen Vorstellung von der Übertragung von Botschaften von einem Sender an einen Empfänger verwechselt werden, wie dies von Shannon und Weaver konzipiert worden ist (vgl. Baecker 2001a: 408). Kommunikation meint stattdessen den komplexen Prozess, der Wahrnehmung von Kunst mit Versuchen ihrer Verbalisierung kombiniert und die entstandenen Resultate dieser Operation in bereits bestehende Sets von Weltversionen und laufende Diskurse einpasst. So verstanden meint Kommunikation viel mehr als das Anschlusshandeln, dass Luhmann als den vitalen Strom konzipiert, der die Systeme einer ausdifferenzierten Gesellschaft am Leben erhält. Hier geht es nicht um die Frage, ob Kommunikation weiter läuft oder einfach abreißt. Luhmann hält den Erfolg von Kommunikation für unwahrscheinlich, weil die ohnehin höchst instabilen Bewusstseinswelten der an Kommunikation beteiligten Individuen nicht in direkten Kontakt miteinander treten können (vgl. Luhmann 2001: 78). Gegen die Vorstellung einer Kommunikation als Abenteuer mit unsicherem Ausgang wird hier ein Design von Kommunikation als gelingender Operation von hoher Leistungsfähigkeit gesetzt. Denn Kommunikation artikuliert, was Kunstwerke bedeuten können und sorgt damit für Orientierung der an einer Diskurs- und Kulturgemeinschaft beteiligten In-
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dividuen. Wenn sich der Wert von Kunst entsprechend daran bemisst, wie viel sie zu denken gibt (vgl. Schmücker 2001: 31), dann gehört zur Kommunikation sowohl die Offerte wie die Reaktion, die sich als Annahme wie auch als Ablehnung äußern kann. Anders als in dem Modell Luhmanns, das Kommunikation als Trias aus Information, Mitteilung und Verstehen anführt (vgl. Luhmann 2001: 97) und sowohl Annahme wie Ablehnung als gleichermaßen erwünschtes Anschlusshandeln einschätzt, wird hier die an Kunst angeschlossene Kommunikation komplexer gedacht. Denn hier geht es nicht allein darum, dass Systeme der Gesellschaft sich über Kommunikation am Leben erhalten, sondern um einen Prozess der Produktion von Bedeutung, der Annahme oder Ablehnung von Kommunikationsofferten nicht als endgültig hinnimmt, sondern sie in Rückwendung auf die Erfahrung der Kunst weiter bearbeitet. Anfängliche Ablehnung kann sich in Annahme verwandeln – wie auch umgekehrt. Beide Formen der Reaktion können im gleichen Zeithorizont auch nebeneinander bestehen. Dies ist bei Kunstskandalen regelmäßig zu beobachten. Unabhängig von der Frage nach angeblich fortschrittlicher oder reaktionärer Parteinahme für oder gegen die zeitgenössische Kunst zählt die Bereitstellung von unterschiedlichen Offerten für die weitere Kommunikation. Kunst ist für Kommunikation jedoch nicht nur deshalb ein attraktiver Bezugspunkt, weil sie ungewohnte Wahrnehmung bereitstellt. Zugleich führt Kunst beispielhaft für die anderen Systeme der Gesellschaft Prozeduren der Selbstbegründung vor, die auch diese Systeme unablässig leisten müssen. Denn in Luhmanns Gesellschaftstheorie können die Selektionsmechanismen und Arbeitsroutinen eines Systems nicht von anderen übernommen werden. Kunst fungiert als Labor der Ausdifferenzierungsprozesse, welche die gesamte Gesellschaft durchläuft und reflektiert die damit verbundenen Spannungen sowie die möglichen Lösungsmöglichkeiten. Ihre Produkte zeigen, wie wachsender Komplexität mit einer Anreicherung des internen Verweissystems entsprochen werden kann. Das Bild von Franz Marc war dafür ein gutes Beispiel. Kunst weist aber auch noch einen weiteren wichtigen Vorzug auf, der sie für Kommunikation wichtig macht – sie bietet mit Objekten den an Kommunikation beteiligten Individuen gemeinsame Bezugspunkte an. Diese externen Bezugspunkte machen es möglich, Wahrnehmungen abzugleichen und so bei der Konstruktion neuer Wirklichkeitsversionen Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegeneinander abzuwägen. An den Objekten der Kunst lassen sich Geltungsansprüche sinnvoll thematisieren und schließlich auch entscheiden. Zudem kann in mehrfachen Rückkopplungen die anhand der Erfahrung von Kunst gewonnene Version überprüft, angepasst oder verworfen werden. Ausstellungen von Kunst oder Aufführungen von Theaterstücken und Opern sind die konkreten Prozeduren, in denen der Versuch unternommen wird, sich anhand bereits bekannter Kunstobjekte auf neue Versionen von Wirklichkeit, damit auf neue Entwürfe eines gemeinsam geteilten Weltkonstruktes zu verständigen. Dabei werden tradierte Konventionen und innovative Konzepte anhand ein und desselben Objektes miteinander vermittelt. Solche Prozesse erlauben es auch, konfliktträchtige Themen zu bearbeiten, ohne die direkte Konfrontation von Individuen riskieren zu müssen. Kunst liefert mit Objekten die Gelegenheit, Kontroversen um Wirklichkeitsversionen ohne den Handlungszwang praktischer Lebenszusammenhänge und ohne die Gefahr eines Konfliktes mit unabsehbaren Konsequenzen auszutragen. Auch wenn um Kunst und ihre Rezeption immer wieder hitzige
3.5 Historisches Beispiel: Cézanne und die Dichter
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Debatten entbrennen – Kunst entlastet die Alltagswelt von Konflikten, führt ihr innovative Konzepte zu und eröffnet orientierende Wirkung. Das setzt jedoch voraus, Kommunikation als einen zwar offenen, aber doch am Ziel der Übereinkunft orientierten Prozess zu betrachten. Es genügt nicht, Kunstwerke als Medium eines kommunikativen Prozesses zu definieren, diesem Vorgang dann jedoch das Ziel der Verständigung abzusprechen (vgl. Schmücker 1998: 282). Im Gegenteil: Die an Kunst anschließende Kommunikation ist eine Operation, die Deutungen anbietet und versucht, für diese Deutungen Akzeptanz herzustellen. Gelingende Akzeptanz beglaubigt erst den Erfolg von Kunstwerken – sie sind dann fähig, über Zwischenschritte kommunikativer Vermittlung das Wirklichkeitsmodell einer Gesellschaft zu verändern und es dann zu stabilisieren. Kunst und Kommunikation sollen nun wie folgt definiert werden: Kunst besteht aus Objekten und Handlungen, die Wirklichkeitskonstrukte in komplexer Form sinnlich darbieten und aufbewahren. Diese Konstrukte erzeugen insofern neue Welten, als sie für den Menschen als Rezipient der Kunst Instrumente zu seiner Selbstinterpretation sein können. Kunst stößt Kommunikation an, da sie in ihrer sinnlichen Verfasstheit und intellektuellen Präzision reichhaltige Wahrnehmung auslöst und damit die Konstruiertheit von Weltsichten selbst zu ihrem zentralen Thema macht. Kunst benötigt Kommunikation zu ihrer Entfaltung, wird davon in ihrer Substanz jedoch nicht verbraucht. Vielmehr bewahrt Kunst vergangene Kommunikationen zur ihrer erneuten Verwendung auf. Kommunikation ist der Prozess, in dessen Verlauf Sinnofferten dargeboten, bearbeitet und bei Akzeptanz durch die an der Kommunikation Beteiligten in gemeinsam geteilte Sinnkonstrukte überführt werden. Diese Konstrukte stellen die Selbstinterpretationen und -entwürfe der durch Kommunikation verbundenen Gemeinschaft dar und repräsentieren damit die Wirklichkeit dieser Gemeinschaft und weitgehend die der von ihr umfassten Individuen. Kommunikation hat weiterhin die Aufgabe, diese Sinnkonstrukte durch Erinnerung zur weiteren Verfügung zu halten sowie bei Bedarf ihren Umbau zu bewerkstelligen. (Lüddemann 2004a: 178f)
3.5 Historisches Beispiel: Cézanne und die Dichter 3.5 Historisches Beispiel: Cézanne und die Dichter Die eben beschriebene Kopplung von Kunst und Kommunikation kann besonders gut am Beispiel der Kunst Paul Cézannes (1839-1906) und ihrer Rezeption beschrieben werden. Dabei geht es nicht vorrangig um die Frage nach dem für die Avantgarde typischen Künstlerbild, das auch auf Cézanne zutrifft. Dies meint die Stellung des Künstlers als zunächst unverstandenem Außenseiter der Gesellschaft, dessen Werk in seinem Bahn brechenden Rang erst nach seinem Tod erkannt wird und einen neuen Standard der Kunst bildet. In dem viel zitierten Begriff von der „Klassischen Moderne“ ist genau dies enthalten – die zunächst jeden kulturellen Standard überholende Moderne und ihre nachfolgende Anerkennung als neuem Maßstab mit geradezu klassischem Rang. Genau dies trifft auch auf Cézanne zu, der mit seinen Bildern zu Lebzeiten nur einen sehr geringen Erfolg hatte und
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auf sehr kontroverse Reaktionen stieß. Mit der Ausstellung seiner Werke 1907 im Pariser Grand Palais (vgl. Adriani 2002: 30) kommt jedoch eine Rezeption in Gang, die nicht nur bis heute unvermindert anhält, sondern auch den Gemälden dieses Künstlers eine entscheidende Position am Beginn der Moderne zuweist. Reaktionen von Schriftstellern wie Rainer Maria Rilke und Peter Handke haben zudem gezeigt, dass Cézanne auch jenseits der Malerei anregende Kraft entfaltet hat. Dieses Potenzial einer Kunst, Anschlüsse gerade im Medium der Sprache zu erzeugen, ist hier besonders wichtig. Denn die Herausforderung der Bilder Cézannes an Schriftsteller besteht nicht darin, Motive oder Bildinhalte sprachlich zu fassen. Stattdessen vergewissern sich Autoren der Methode Cézannes, im Bild das Verhältnis von Wirklichkeit und Kunst neu zu konstituieren und überhaupt den Bauprozess einer Kunst zum Thema zu machen. Rilke und Handke haben in ihren Texten (vgl. Rilke 1983, Handke 1980) vorgeführt, wie eine Bildwelt dazu anregen kann, eine neue Sprache und damit eine unverbrauchte Weise des Benennens von Dingen zu entwickeln. Doch worin besteht nun Cézannes Beitrag zum Verständnis des Zusammenhangs von Kunst und Kommunikation? Sicher nicht in völlig neuen Bildinhalten. Cézanne beschränkt sich nicht nur auf traditionelle Bildgenres wie Stillleben, Bildnis und Landschaft (vgl. Adriani 2002: 24f), sondern schränkt auch die Zahl seiner Motive derart ein, dass von einzelnen Motiven ganze Serien entstehen. Immer die gleichen Äpfel und Orangen auf den Stillleben, immer wieder seine Frau auf Bildnissen und schließlich immer der gleiche Berg bei Aix-enProvence, der Montagne Sainte-Victoire (vgl. Böhm 1988, Becks-Malorny 2001: 66-79) auf den Landschaftsbildern. Die geringe Bandbreite der Inhalte weist darauf hin, dass es nicht auf das ankommt, was Cézanne zeigt, sondern wie er es zeigt. Cézannes Leistung besteht darin, Gegenstände auf seinen Gemälden nicht abzubilden, sondern ihnen ein bildnerisches Äquivalent entgegenzusetzen, das nur aus den Mitteln der Kunst besteht. Das viel zitierte Wort des Künstlers von der „Harmonie parallel zur Natur“ (Cézanne 1982: 137) meint nichts anderes als eine Kunst, die sich als konsistente Kreation wie eine zweite Schöpfung darbietet und – noch viel wichtiger – den Bezug zwischen Bild und seinen Referenten in der Wirklichkeit entkoppelt. Damit wird das Bild frei für vielfältige Interpretation und für das Erkennen von vielen neuen Versionen dessen, was wir Wirklichkeit nennen. Cézannes Leistung besteht also darin, den Eigenwert des Bildes in einem zuvor nicht gekannten Maß zu erweitern und zugleich unabsehbar viele neue Anschlussmöglichkeiten zu eröffnen, indem der direkte Wirklichkeitsbezug der Malerei suspendiert wird. Cézanne warf mit einer radikal neuen Bildsprache die Frage auf, welche Wirklichkeit die Kunst mit ihren Mitteln erzeugt und wie sie zu begreifen ist. Anders gesagt: Mit der künstlerischen Innovation stellte Cézanne auch jedes vertraute Wirklichkeitsmodell grundsätzlich in Frage. Die Texte von Rilke und Handke sind nichts anderes als der Versuch, diese Herausforderung mit den Mitteln der Sprache beschreibend einzuholen. Die Tatsache, dass zwischen diesen beiden Texten immerhin ein zeitlicher Abstand von mehr als sieben Jahrzehnten klafft, belegt, wie lange die Innovation Cézannes fortwirkte. Es brauchte viel Zeit, bis diese neue Kunstsprache verstanden und zu einem neuen Standard kultureller Selbstverständigung umgeformt war. Die Herausforderung besteht demnach in der Weise, wie ein Künstler das Bild selbst zu seinem Thema machte. Das Bild zeigt keine Welt, sondern ein Konstrukt, das wir für die
3.5 Historisches Beispiel: Cézanne und die Dichter
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Welt halten. „Gerade deshalb, weil Cézanne die Welt nicht für kopierbar hielt, es kein bildhaftes Double für sie gab, musste sie aus den Möglichkeiten der Malerei neu erzeugt werden“ (Böhm 1988: 118). Cézanne bewältigt diese Aufgabe, indem er auf seinen Bildern keine Gegenstände abschildert, sondern ein Gewebe aus Farbflecken, den so genannten „taches“, aufbaut, das in seiner Dichte dem Eindruck der Natur entspricht. Zugleich überführt er das dreidimensionale Bild gezielt in die zwei Perspektiven der planen Bildfläche (vgl. BecksMalorny 2001: 48) und löst so jenen Illusionismus ab, der mit den Gesetzen der Zentralperspektive als kulturelle Konvention das Sehen bestimmt hat und in weiten Zügen bis heute noch prägt. „...bewusst wich er von den Gegenstandsformen und den Farben der Gegenstände (...) ab, stoffliche Differenzierungen verschwanden unter einheitlicher Farbsubstanz: Das Malen war zu einem eigengesetzlichen Prozess geworden“ (Schneede 2001: 47). Ein Bild wie das zwischen 1904 und 1906 entstandene „La Montagne Sainte-Victoire“ (Boehm 1988: Klapptafel) macht diesen Wandel anschaulich. Cézanne schildert keine Landschaft, sondern löst sie in Farbflecken auf, die jeweils für sich genommen, auf keinen Gegenstand in der Wirklichkeit mehr verweisen. Die durch den kurzen senkrechten Zug des Pinsels entstehenden Farbstriche formen sich als Basiselemente zu einer dichten Farbtextur, deren innere Balance und Festigkeit keinen Seheindruck mehr wiedergibt, sondern Konsistenz und der Zeit enthobene Dauer als zentrale Qualität der Natur selbst anvisieren. „Die Natur ist immer dieselbe, aber von ihrer sichtbaren Erscheinung bleibt nichts bestehen. Unsere Kunst muss ihr die Erschütterung der Dauer geben“ (Cézanne 1982: 136), fasste der Maler selbst das Ziel seiner Kunst und grenzte sich damit von den Impressionisten ab, die mit ihren flirrenden Bildoberflächen gerade die Flüchtigkeit des optischen Eindrucks festzuhalten versuchten. Cézanne reduzierte das Bildmotiv auf seinem späten Gemälde von dem Berg bei Aix-enProvence bis an die Grenzen der Abstraktion. Von einer Landschaft bleibt hier nichts anderes übrig als eine gebaute Bildstruktur, die Cézanne aus einer Modulation von Braun-, Grünund Blautönen aufbaut, wobei die Entwicklung von dunklen zu hellen Bildpartien, von einem dominierenden Farbton zum nächsten in genau kalkulierten Übergängen verfolgt werden kann. So entsteht eine „Wirklichkeit im Gleichgewicht“ (Rilke 1983: 59), die das Bild und seine Wirklichkeit zu einer „Angelegenheit der Farben untereinander“ (ebd.: 60) macht. Damit begreift der Betrachter das Wesen einer als überzeitlich und unzerstörbar verstandenen Natur und wird zugleich durch Cézannes Kunst nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass jede Wirklichkeit, über die wir uns verständigen, eine Frage ihrer medialen Repräsentation ist. Wir haben Wirklichkeit niemals direkt, sondern nur als Bild, über dessen Geltung wir uns kommunikativ verständigen müssen – in genau diesem Punkt liegt die Revolution, die Cézanne ausgelöst hat. Damit hat dieser Maler nicht nur ästhetische Standards neu definiert, sondern auch das Bild selbst in seiner Eigenständigkeit thematisiert. Für das Verhältnis von Kunst und Kommunikation hat dies weitreichende Folgen. Denn das Bild, das nun nicht mehr in einem Gegenstandsbezug aufgeht, wird frei für vielfältige Kopplungen mit Wirklichkeiten, die als multipel angesehen werden müssen – und mit deren Evaluation im Raum der Kommunikation. Vor allem entstehen in dieser Situation der medialen Entwicklung vielfache neue Möglichkeiten, Bilder durch Verweise untereinander zu koppeln. Genau dies geschieht dann ja auch in der modernen Kunst. Die sich von externen Beglaubigungen wie Aufträgen, Akademieregeln, allgemein anerkannten Standards der Schönheit und anderem mehr frei machende Kunst entwickelt das Bild konsequent als „autonome
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parallele Wirklichkeit“ (Bonnet 2004: 19) und stützt dieses Konstrukt durch eine neu erfundene „Meistererzählung“ der Moderne als Modell der Selbstbeglaubigung. Bildzitate, Ausstellungen, Kritikermeinungen, Aktivitäten des Kunsthandels, kurz, das sich entwickelnde „Betriebssystem Kunst“ etabliert nichts anderes als eine neue kulturelle Struktur, die verstärkt mit sich selbst kommuniziert, und damit – ganz im Sinn der Systemtheorie Luhmanns (vgl. Luhmann 1997) – ein sich selbst tragendes System „Kunst“ entwickelt. Die hohe Fluktuation und Variabilität der Kriteriensätze, die für Kunst gelten, erzeugen Unsicherheit und Orientierungsprobleme. Auf der anderen Seite setzen sie hohe Potenziale an innovativer Kommunikation als eine zuvor nie gekannte Leistungsfähigkeit frei. Beleg für diese Leistungsfähigkeit sind unter anderem die Texte von Rilke und Handke, welche die Bilder Cézannes zum Anlass für die Suche nach einer neuen poetischen Sprache nehmen. Inwieweit die beiden genannten Autoren in ihrer jeweiligen historischen und (werk)biografischen Situation auf unterschiedliche Formen der Sprachkrise und damit eine Stagnation ihrer poetischen Produktion reagieren, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Sichtbar bleibt dennoch, dass die kompakten Bildwelten Cézannes das Wirklichkeitsverständnis der Autoren nachhaltig irritieren. Sie machen sich auf die Suche nach einem neuen, unverbrauchten Kontakt zu den Dingen und stellen zugleich die bislang geläufige Methode der sprachlichen Welterfassung nachhaltig in Frage. „Ohne ein einzelnes zu betrachten, mitten zwischen den beiden Sälen stehend, fühlt man ihre Gegenwart sich zusammentun zu einer kolossalen Wirklichkeit. Als ob diese Farben einem die Unentschlossenheit abnähmen ein für allemal“ (Rilke 1983: 40), schreibt Rilke über einen Besuch in der bereits erwähnten Cézanne-Ausstellung von 1907. Die Bilder werden für Rilke zum Anlass, die eigene Sprache zu überprüfen, die Wörter wie ein Material der bildenden Kunst sorgsam zu wählen und zu dichten Satzgebilden zu fügen. Schreiben als Äquivalent der Malmethode Cézannes: Diesem Ideal strebt Rilke spürbar nach. Er formt eine neue poetische Sprache unter dem Anforderungsdruck, der von Cézannes Bildern ausgeht. Auf den Spuren Cézannes wie Rilkes wandelt später Peter Handke, der seine Beschäftigung mit den Bildern Cézannes in einen Reisebericht kleidet. Ein Erzähler-Ich macht sich in der Provence auf Spurensuche, erwandert die Bildmotive des Malers und befreit sich dabei von Stereotypen eingeübter Sicht auf Wirklichkeit. Handke verschränkt in seiner Erzählung die Ebenen von fiktivem autobiographischem Bericht, Naturerlebnis und Kunstwahrnehmung zu einer Geschichte sich permanent ausweitender Erfahrung, die dem Begriff Wirklichkeit eine neue Fülle verleiht. Das Nacheinander der Erzählung steht für den Ablauf dieses sich verdichtenden Lernprozesses. Zugleich sucht der Autor erkennbar nach einer Sprache von neuer Welthaltigkeit und Dichte. Wie Rainer Maria Rilke ist Handke auf der Spur einer erneuerten dichterischen Sprache, die auch Dimensionen der nicht sprachlichen Welterfassung in sich aufnimmt. „Es waren die Dinge; es waren die Bilder; es war die Schrift; es war der Strich – und es war alles im Einklang (Hervorhebungen original)“ (Handke 1980: 79). So beschreibt der Erzähler eine neu erreichte Komplexität der Sicht auf Wirklichkeit. Was hier vor allem als neue „Nähe“ (ebd.: 75) erfahren wird, verdankt sich einer Erkenntnis, die erst mit den Bildern Cézannes möglich wird. Wenn Wirklichkeit im Medium der Kunst als „unvermittelt groß“ (ebd.: 76) erscheint, dann hat diese Kunst den Blick geschärft, eine neue Konvention des Sehens etabliert. Deutlich wird zugleich das Zusammenspiel unterschiedlicher Medien – hier Bild und literarischer Text – die produktiv aufeinan-
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der reagieren. Der kulturelle Fortschritt besteht in einem Ausbau der Möglichkeiten, sich verfeinert über das Verständnis von Welt und Wirklichkeit verständigen zu können. Damit kommt Wirklichkeit als Konstrukt einer Kommunikationsgemeinschaft in den Blick. Dieser Exkurs eröffnet für unser Thema der Kommunikation mit Kunst wichtige Schlussfolgerungen. Dies sind:
Bilder der Kunst sind keine Abbilder, sondern Konstrukte von Wirklichkeit. Sie bieten damit Wirklichkeitsversionen, die der Evaluation in der Kommunikation bedürfen. Kunst wird damit mehr als jemals zuvor anschlussfähig für diskursiven Austausch. Wenn Bild und Referent nur noch lose gekoppelt oder – wie in der abstrakten Kunst – ganz voneinander gelöst werden, ergeben sich Irritationen, die durch gesteigertes Interpretationsgeschehen aufgefangen werden müssen. Zugleich ergeben sich jedoch neue Möglichkeiten, Bilder – auch aus unterschiedlichen kulturellen Sphären – miteinander zu koppeln und so innovative Bedeutungen zu erzeugen. Kunst ist daher nicht länger Frage eines Abbildes, sondern Sphäre einer kreativen Bedeutungsproduktion, welche kulturelle Standards unablässig neu zum Thema einer kontroversen Debatte machen. Der unter anderem von Cézannes Kunst markierte Innovationsschritt macht Kunst nicht länger zur Instanz der Repräsentation, sondern der Kreation. Daraus folgt eine Kultur, „deren Aufgabe in fortwährendem Aushandeln von (instabilen) Bedeutungen und Sinn“ (Jamme 2004: 207) besteht. Bedeutung kann damit an Situationen flexibel angepasst werden, bedarf allerdings damit auch eigener Prozeduren der Legitimation.
3.6 Der Kontext der Kunst: Kunstwerke in der Medienkultur 3.6 Der Kontext der Kunst: Kunstwerke in der Medienkultur Das Beispiel eines Gemäldes von Paul Cézanne hat gezeigt, worin der entscheidende Schritt besteht, den Künstler beim Schaffen von Bildwelten am Beginn der Klassischen Moderne vollziehen: Das Bild wird als autonomes System von seinem Referenten gelöst (vgl. Bonnet 2004: 23) und so frei für neue, bis dahin ungewohnte Verknüpfungen und Allianzen. Der Unsicherheit auf der Seite einer Referenz auf faktische Wirklichkeit entspricht auf der Seite der Bedeutungsproduktion mit Bildern eine Multiplikation ihrer Möglichkeiten. Die Analyse der literarischen Texte von Rainer Maria Rilke und Peter Handke zeigte auf, wie Sprache sich nicht in der Aufgabe erschöpft, Äquivalente zu Cézannes Bildwelten zu schaffen, sondern dass sie ausgehend von den Bahn brechenden Gemälden des Künstlers neue Möglichkeiten formulieren, wie Wirklichkeit entworfen werden kann. Oben war bereits betont worden, dass Wirklichkeit niemals direkt erfasst werden kann, sondern immer nur über mediale Vermittlungen in den Blick kommt. Das Zusammenwirken von Kunst und Kommunikation stellt einen besonders wirksamen Funktionszusammenhang dar, der an der Produktion neuer „Wirklichkeiten“ unablässig beteiligt ist. Cézan-
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ne hielt den Referenten seiner Bilder – nämlich die Landschaft Südfrankreichs – noch in seiner Kunst gegenwärtig und machte zugleich das Gemälde als Konstrukt von Wirklichkeit kenntlich. Das Bild gewinnt einen eigenen Stellenwert, der unabhängig von dessen möglichem Verweischarakter besteht. So „bleibt ein Bild auch dann noch ein Bild, wenn es kein Bild von etwas ist, wenn es nichts Gegenständliches abbildet" (Fellmann 1991: 71). Diese besondere Leistungsfähigkeit von Bildern, die zur Kunst gerechnet werden, macht sie geeignet für vielfältige Kombinationen mit anderen Bildern und für den produktiven Anschluss von Kommunikation. Vor allem das Kommunizieren mit (Kunst-) Bildern erhält durch diese Tatsache eine neue Dynamik. Die Befreiung des Bildes (hier im Sinn von „Kunst-Bild“) von einem Referenten hat (unter anderem) folgende Konsequenzen, die über den Stand der Kunst vor der Moderne hinausgehen:
Bilder können mehr als zuvor neue, bisher ungewohnte Realitäten aufbauen. Bilder können für andere Bilder zum Referenten werden. Bilder verbinden sich mit sprachlich vermittelten Informationen. Bilder werden offen für die Kombination unterschiedlicher kultureller Sphären. Bilder wirken an medialen Konfigurationen mit, die im Verbund paradoxe oder gegenläufige Informationen oder Lesarten darbieten. Bilder helfen beim Aufbau von Images. Bilder bringen den Bereich der Kunst mit Werbung, Design, Unterhaltung und anderem mehr zusammen.
Das im zweiten Kapitel analysierte Beispiel eines Bildes aus dem Medienbereich, das auf ein der Kunst zugerechnetes Bild ausdrücklich Bezug nahm, hat gezeigt, wo die Möglichkeiten dieser Kombinationen liegen können. Das als Kunst verstandene Bild schildert nichts mehr, sondern wird frei für vielfältige Bedeutungsproduktionen. Natürlich zeigt die Kunstgeschichte in verschiedenen Epochen Ansätze für eine Entwicklung des Bildes in dieser Richtung. Aber erst mit der künstlerischen Moderne gewinnt dieser Prozess eine Geschwindigkeit und Komplexität, die es bis dahin nicht gab. Heute scheint sich das Bild sogar als kulturelles Leitmedium etabliert zu haben. Jetzt wird in der theoretischen Debatte vom „Iconic Turn“ gesprochen (vgl. Maar 2004), der dem Bild „eine eigenständige kulturelle Symbolisierungsdimension“ (Bachmann-Medick 2006: 340) zuerkennen möchte. Dabei kommen mehrere der Leistungen zum Zug, die gerade in der Aufzählung genannt worden sind. In unserem Beispiel macht das Werbebild der Medienindustrie das Kunst-Bild zu seinem Referenten. Dabei werden ansonsten unterschiedene Sphären der Hoch- und Unterhaltungskultur verknüpft und zugleich widerstreitende Bedeutungen zusammen gebracht – die Sphäre konservativer Werte ebenso wie deren ausdrückliche Negation. Noch in der Fernsehunterhaltung scheinen damit Signale der Hochkultur und ethischer Werte auf. Damit wird das analysierte Bild mit den beiden Millionenerbinnen in gegenläufige Richtungen lesbar. Das macht dieses Bild anschlussfähig für die Kommunikation ganz unterschiedlicher Rezipientengruppen. Das Beispiel verdeutlicht, wie in der Kommunikation mit Kunst neue, also bislang nicht durch kommunikativen Konsens abgesicherte Bedeutungen entworfen und vorgeschlagen werden können. Die Verschränkung des Gemäldes von Grant Wood und des Sze-
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narios der TV-Serie zu einem neuen, komplexen Bild ergibt ein drittes Bild, das seinen Beziehungsreichtum aus der dynamischen Kombination von Vorhandenem und Neuschöpfung bezieht. Kultur bietet generell die Möglichkeit, in der Kopplung von Tradition und Innovation (vgl. Schmidt 2003b: 44) entweder neue Bedeutungen zu kreieren oder den Widerstreit von divergierenden Bedeutungen als Konfliktfeld gesellschaftlicher Sinnorientierungen aufscheinen zu lassen. In jedem Fall wird Kunst für Kommunikation eingesetzt, um widerstreitende Sinn- und Bedeutungsoptionen, die im gleichen diskursiven Feld situiert sind, gleichzeitig aufzurufen und dazu anzuregen, die mit ihnen verbundenen Geltungsansprüche in der anschließenden Kommunikation kontrovers zu bearbeiten. Damit sollte klar sein, dass die Kunstkommunikation, Teil einer Medienkultur ist, mit der sich Menschen ihre gemeinsam geteilte Wirklichkeit entwerfen. Diese gleichsam künstlich geschaffene und damit kontingente Wirklichkeit – hier Wirklichkeitsmodell genannt – umfasst ein Set von Verabredungen über nach ihrer Relevanz hierarchisch abgestufte Themen und ihnen zugeordnete Prozeduren, wie diese Themen im kommunikativen Miteinander bearbeitet werden. Wirklichkeitsmodelle sichern „Verständigung und Vorhersehbarkeit“ (Schulze 2003: 336f), indem sie Themen, Werte und kommunikative Muster zu Komplexen miteinander verknüpfen, die erlernt und dann praktisch angewandt werden können. Ob man Wirklichkeitsmodelle nun versteht als „konzeptionelle Arrangements, mit deren Hilfe individuelle Erfahrungen gesellschaftlich einsehbar und handhabbar gemacht werden können“ (Schmidt 2003a: 357) oder sie kurz als „System der Sinnorientierungsoptionen“ (Schmidt 2003b: 34) beschreibt – wichtig ist die Einsicht in den Verabredungscharakter solcher Wirklichkeiten (vgl. Berger/Luckmann 2004: 24) und ihre grundlegenden Eigenschaften. Die bestehen darin, dass solche Modelle dynamisch und flexibel sind und dass sie, daraus folgend, in der Lage sind, in bestimmten Toleranzen auch widerstreitende Optionen in einem Horizont zu vereinen. So gewährleisten Wirklichkeitsmodelle Rekombination und Gestaltumschlag von Bedeutungen (vgl. Bühl 1986: 126) und erweisen sich gerade in dieser Leistungsstärke als besonders adaptionsfähig. Intakte Wirklichkeitsmodelle ermöglichen innovative Prozesse, wie sie jüngst als „Steigerungsspiel“ (Schulze 2003) beschrieben worden sind. Damit erfüllen Wirklichkeitsmodelle in besonderer Weise Eigenschaften, die der Kultur generell zugeschrieben werden. Als „lose gekoppelte Mehrebenensysteme“ (Bühl 1986: 126) stellen sie funktionierende Routinen bereit und weisen zugleich auf alternative Verfahren hin. So beseitigen Wirklichkeitsmodelle nicht ihre unhintergehbaren Bedingungen von Mehrdeutigkeit und Verabredungscharakter, sondern machen sie überhaupt erst handhabbar – und erhalten sie zugleich. Die Kombination von wahrgenommenen und ausgeschlossenen Möglichkeiten (vgl. Baecker 2001b: 81) der Konstruktion von Wirklichkeit bleibt in andauernder, produktiver Spannung. Eine Gewichtsverlagerung in die eine oder andere Richtung würde die Produktivität des gesamten Arrangements beenden. Eine einseitige Bewegung hin zu eingefahrenen Routinen würde zwar Sicherheit bieten, aber unweigerlich in die Erstarrung gesellschaftlicher Bedeutungsproduktion führen; auf der anderen Seite käme es zu einer Situation von unaufhörlicher Bewegung, der jedoch die verlässliche Orientierung nicht mehr gelingen würde. Also ermöglicht die Bearbeitung der Wirklichkeitsmodelle, was auch der Kultur zugeschrieben wird – sie macht handlungsfähig und koppelt dies mit einer permanent mitlau-
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fenden Selbstbeobachtung (vgl. ebd.: 9). Diese Grundspannung zeichnet auch die Kunstkommunikation aus. Sie vollzieht die Rückkopplung an vertraute Orientierungen sowie kulturelle Praktiken und macht gleichzeitig produktive Neuorientierung möglich. Da in diesen Prozessen Bilder – oder andere Objekte mit Kunstcharakter – eingesetzt werden, könnte man diese Vorgänge als medial vermittelt bezeichnen. Bilder sind die Objekte, auf die sich die an Kommunikation beteiligten Individuen (oder Gruppen) als gemeinsamem Fluchtpunkt beziehen können. Bilder liefern Anlässe für Wahrnehmung und weiter anschließende Kommunikation – und sie bieten ebenso vertraute wie irritierende Konfigurationen von Bedeutungen. Dennoch sollen sie hier nicht allein den Begriff des Mediums ausfüllen. Denn Medium wird in diesem Zusammenhang nicht einfach als Transportmittel für Informationen verstanden, sondern als „Kompaktbegriff“ (Schmidt 2003a: 354), der mehrere, miteinander gekoppelte Positionen umfasst. In einer analogen Weise war bereits die Vorstellung von Kunst über das bloße Objekt hinaus um Dimensionen von Erfahrung, Diskurs und Institution erweitert worden. Entsprechend dazu muss auch der Begriff des Mediums aus mehreren Komponenten aufgebaut werden. Allerdings wird der Begriff hier bereits im Hinblick auf die spezifischen Konfigurationen und Abläufe von Kunstkommunikation modelliert, erhebt also keinen Anspruch auf eine allgemeine Gültigkeit. Medium meint hier dagegen das Arrangement aus Bildern, Bedeutungen und Kontexten, mit dem Kunstkommunikation betrieben wird. Medium meint hier also ein Kompositum und ein Geschehen in mehreren Ebenen. Medium enthält Elemente, die auch den hier vorgestellten Begriff von Kunst ausmachen, geht darüber aber hinaus. Medium meint vor allem nicht den vorab gegebenen Übertragungsweg, der dann mit Information „beschickt“ wird, sondern ein bewusst konzipiertes Angebot, das aus mehreren, teilweise auch heterogenen Elementen besteht, und einer vorab definierten Intention folgt. Denn ein solches Medium wird hergestellt, um besondere kommunikative Zwecke zu erfüllen. Für diesen Begriff des Mediums der Kunstkommunikation werden folgende Elemente unterschieden: Kunst: Dass zur Kunstkommunikation die Kunst gehört, mag eine Selbstverständlichkeit sein. Sie bestimmt wesentlich die besondere Qualität der so bezeichneten Form von Kommunikation, stellt aber auch Risiken für deren Ablauf und Ergebnis her. Kunst bedeutet hier jedoch auch, dass nicht einfach Kunstwerke im Sinn von Objekten beteiligt sind, sondern dass Kunst mit allen vier Komponenten der zuvor entwickelten Definition beteiligt ist. Wer Kunst in Kommunikation wie ein Mittel involviert, baut also nicht nur bestimmte Objekte in einen Kommunikationszusammenhang mit ein, sondern stellt auch eine Verbindung her zur ästhetischen Erfahrung als besonderer Form der Rezeption der Kunst, zu den mitlaufenden Diskursen, in denen Kunst evaluiert wird, und zu den Institutionen, die mit ihrer Rahmung den Stellenwert bestimmter Objekte als Kunst nach außen sichtbar dokumentieren und beglaubigen. Diese Komponenten der Kunst laden Kunstkommunikation erheblich auf, machen ihren Verlauf aber auch in Teilen unwägbar, weil sie in Konflikt mit Intentionen und Partnern dieser Kommunikation geraten können. Meist wird Kunst in der Form der Objekte oder ihrer Zitate beteiligt sein. Ihre spezifische Aura kann aber auch aufgerufen werden, indem Institutionen der Kunst eingesetzt werden. Besonders störanfällig erscheint
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die Komponente der ästhetischen Erfahrung – sie verdeckt den im Kern manchmal instrumentellen Charakter der Kunstkommunikation und schafft jene Atmosphäre einer von Handlungszwängen freigestellten Rezeption, die genutzt werden kann, um die Botschaften zu platzieren, die übermittelt werden sollen. Zugleich steht die Komponente der Erfahrung jedoch auch im Konflikt mit derartiger Instrumentalisierung, denn ihr Sinn besteht gerade darin, solch einseitige Bindungen zu suspendieren. Träger: Der Träger transportiert die Kunst. Dies darf ganz konkret verstanden werden. Denn es gehört zur Kunstkommunikation, dass Bilder, die als Kunst bezeichnet werden, mit Bildern aus anderen Bereichen verknüpft werden. Diese anderen Bilder stammen aus Kontexten der Wirtschaft, Werbung, Politik und so weiter. Diese Bilder anderer Provenienz tragen die Kunst nicht nur, sondern gehen mit ihr dabei auch eine spezifische Verbindung ein. Kunst bleibt in dieser Verbindung – oft nur als Zitat – sichtbar, wird jedoch durch die Kombination mit einem Träger auch in bestimmter Weise lesbar gemacht. Der Träger aktiviert bestimmte Bedeutungspotenziale der Kunst. Das Beispiel aus der Einleitung dieses Textes wies das Gemälde von Grant Wood als (zitierte) Kunst und das Werbefoto als Träger auf. Beide Bilder machen sich in dieser Kombination in bestimmter Weise lesbar und ergeben so eine komplexe Bedeutung, die sie jeweils für sich allein nicht produzieren könnten. Dabei übersteigen die Bedeutungspotenziale der Kunst in aller Regel die des Trägers. In dieser Kombination entfaltet sich nur ein Bruchteil des Bedeutungspotenzials, das Kunst aufzuweisen hat. Das übrige Potenzial wird zwar nicht aktualisiert, versieht das Medium der Kunstkommunikation jedoch mit Komplexität. Träger können neben Fotos auch Plakate, Druckerzeugnisse wie Zeitungen und Zeitschriften, Installationen, etwa auf Messen oder in Ausstellungsräumen, sowie das Internet sein. Kontext: Kunstkommunikation bedient sich bestimmter Kontexte. In der Regel sind damit die räumlichen Gegebenheiten gemeint, in denen sich diese Kommunikation entfaltet. Natürlich darf der Kontext nicht als ein bloßer Behälter oder als eine randständige Bedingung gedacht werden. Kontexte konstituieren gleichfalls die Bedeutung der jeweiligen Kunstkommunikation. Kirchen, Büros oder Parlamente: Solche und andere Kontexte machen Kunst in bestimmter Weise lesbar. Der Kontext kann sich auch mit dem Begriff der Institution decken, wenn Kunstkommunikation in Museen, Kunsthallen oder Galerien situiert wird. Kunstobjekte entfalten dann eine andere Wirkung als in den Kontexten, die nicht als Institutionen im Sinn des Kunstbegriffs angesprochen werden können. Zugleich ist auch denkbar, dass in diese Institutionen der Kunst Objekte eingebracht werden, denen selbst kein Kunstcharakter zugeschrieben wird (zum Beispiel Autos in der Kunsthalle). Dann wirkt die Kunst allein über die als Kontext eingesetzte Institution an dieser Kommunikation mit. Weiterhin wichtig: Kunstkommunikation funktioniert auch dann, wenn entweder ein Träger oder ein Kontext an ihr beteiligt sind. Eine der beiden Positionen muss jedoch vertreten sein. In komplexen Fällen der Kunstkommunikation sind sowohl Träger wie Kontext in spezifischen Kombinationen beteiligt. Botschaft: Kunstkommunikation geschieht niemals ohne Absicht. Mag Kunst selbst ohne Funktion sein und sich keinesfalls in einer Botschaft erschöpfen – die Kommunikation mit
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ihr wird jeweils durch Intentionen angestoßen und gesteuert. Dies gibt der Kunstkommunikation Richtung, entfaltet darin jedoch nur einige Bedeutungspotenziale der involvierten Kunst. Kunst bringt in diese Kommunikation einen Überschuss an möglichen Bedeutungen mit ein. Dominant wird jedoch die Botschaft sein, welche die Initiatoren der Kunstkommunikation übermitteln wollen. Diese Botschaft kann komplex sein und muss nicht einmal ausdrücklich formuliert sein – auch wenn dies den Erfolg der Kommunikation nicht unbedingt sicherstellt. Da Kunstkommunikation oft in Kontexten des Marketings angewandt wird, gibt es jedoch auch häufig explizite Botschaften. Um künftig terminologisch trennscharf und in der Beschreibung konkreter Fälle von Kunstkommunikation differenziert verfahren zu können, werden drei Arten von Botschaften unterschieden. Dies sind: Starke Botschaft: Diese Form der Botschaft entspricht einer Kommunikation mit klarer Zielsetzung. In diesem Fall artikulieren die Initiatoren der Kunstkommunikation deren Intention ausdrücklich. Dies kann auf verschiedenen Wegen geschehen, etwa durch mündliche Verlautbarung, wie Ansprachen oder Pressekonferenzen, durch Texte, etwa für die Presse oder die weitere Öffentlichkeit, und durch andere Textformen, wie Konzeptpapiere, Katalogtexte und dergleichen mehr. Entscheidend ist hier neben der eindeutigen Artikulation auch die öffentliche Wahrnehmbarkeit der Botschaft. Schwache Botschaft: Diese Form der Botschaft artikuliert sich in weniger explizit gefassten Texten oder Handlungen. Meist fehlen hier fassbare Hinweise aber auch ganz. Dann muss die Botschaft aus dem Arrangement des Mediums der Kunstkommunikation erschlossen werden. Damit kommt eine Ebene der Rezeption ins Spiel, die zu jeder Kunstkommunikation gehört, bei der schwachen Botschaft jedoch allein Hinweise auf die Absichten liefert, mit der die Kommunikation motiviert ist. Offene Botschaft: Dieser Extremfall der Botschaft sieht deren Verwirklichung in den Diskursen, die mit der Kunstkommunikation angestoßen werden. Deren Ergebnis wird mit keiner einengenden Intention vorweg genommen. Im Gegenteil: Der angeschobene Diskurs ist die Botschaft dieser Form der Kunstkommunikation. Botschaft bezieht sich hier weniger auf inhaltliche Vorgaben als auf die Prozedur, die in Gang gesetzt wird. Diese Form der Botschaft findet sich weniger in Marketing und Werbung als in öffentlich verantworteten Feldern der Kunstkommunikation, etwa dem von Politik und Kirche. Es muss nicht eigens betont werden, dass diese drei Formen der Botschaft auch in unterschiedlich gewichteten Mischungsverhältnissen vorkommen können. Dies ist sogar meistens der Fall. Begriffe geben (nicht nur) hier keine starren Raster vor, sondern sind Instrumente für eingehende Beschreibungen. Zu denen gehört, dass Anteile und Intensitäten beteiligter Faktoren unterschieden werden. Weiterhin muss an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass die zentralen Begriffe, die hier vorgestellt werden, in der Reihenfolge zunehmender Komplexität und Tragweite angeführt werden. Nachdem der Begriff „Kunst“ als mehrstelliges Konzept eingeführt und mit dem Begriff „Kommunikation“ gekoppelt worden ist, erweist sich nun der Begriff „Medium“ als größere Einheit. In diesem, gleichfalls mehrstelligen Arrangement nimmt Kunst
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nur eine unter mehreren Positionen ein. In einem weiteren Schritt müssen dem „Medium“ drei Formen der Kommunikation mit Kunst vorgeschaltet werden, die mit ihren Ergebnissen jeweils dazu beitragen, ein Medium mit seinen eben benannten Komponenten zu gestalten. Vor das Medium gehört gleichfalls eine als Managementprozess zu konzipierende „Zielprojektion“, während nach dem Medium eine „Rezeption“ erfolgt, die mit ihren als „positiv“ oder „negativ“ zu bezeichnenden Resultaten dann wieder auf Kunst, Kommunikation und Kunstkommunikation zurückwirkt. „Kunst“ und „Medium“ gehen damit in dem komplexeren Prozess der Kunstkommunikation auf. Dieser Prozess wird später natürlich nicht allein als linearer Ablauf, sondern als Prozess mit vielfältigen Rückkopplungen, Chancen selbsttätiger Korrektur wie auch Risiken der Irritation zu entwerfen sein. Kunstkommunikation weist Elemente managerialer Steuerung ebenso auf wie Formen hermeneutischer Interpretation und ist deshalb als Lernvorgang zu begreifen. Nachdem auf diese Weise der Horizont der Kunstkommunikation umrissen und vor allem der zentrale Stellenwert des Mediums innerhalb dieser Form der Kommunikation bezeichnet ist, soll noch einmal in einigen Punkten zusammengefasst werden, worin die Leistungen der Kunst für kommunikative Prozesse, vor allem für Kunstkommunikation bestehen. Kunst hat eine ganze Reihe von Qualitäten anzubieten, die sie zu einem wertvollen Partner in kommunikativen Prozessen machen. Dies beschränkt sich nicht auf instrumentelle Dimensionen, sondern vor allem auf Formen und Wege, Kommunikation komplexer und anschlussfähiger zu machen. Zu diesen Qualitäten der Kunst gehören (ohne Rücksicht auf ihre Reihenfolge): Exklusivität: Kunst entsteht durch vielfältige Prozesse der Produktion, Wahrnehmung, Aufbewahrung und diskursiven Rückkopplung. Im Ergebnis ist Kunst stets ein Ensemble exklusiver Objekte; Kunstwerke erscheinen als „Aristokratie unter den Dingen“ (Groys 1999: 19). Trotz aller Tendenzen, Kunst und ihren Begriff auszuweiten – Kunst ist nur denkbar als minoritärer Bereich, der sich von all dem abgrenzt, was nicht Kunst ist. Damit schließt Kunst immer eine Wertsetzung mit ein, an der alle Kommunikation, die mit Kunst umgeht, teilhat. Exklusivität sorgt nicht allein für einen Zuwachs an Prestige, sondern meint als Resultat vor allem all die vorgeschalteten Filterprozesse, die mittelbar in die Kommunikation eingehen. Aufmerksamkeit: Exklusivität führt zu erhöhten Aufmerksamkeitswerten. Kommunikative Prozesse mit Kunst mögen sich nicht immer für die Breitenwirksamkeit eignen. Dafür erzeugen sie bei sorgfältig ausgewählten Zielgruppen jedoch erhöhte Aufmerksamkeit. Kunst setzt Attraktionen und appelliert zugleich an spezifische Formen entschlüsselnder Rezeption. Dies erhöht die Erfolgsaussichten all der kommunikativen Prozesse, die Kunst mit einbeziehen. Kunst erzeugt soziale Signale und findet deshalb Gehör. Bedeutungsüberschuss: Kunst erzeugt jedoch nicht allein Aufmerksamkeit, sondern bietet auch ein breites Band an möglichen Bedeutungen an. Kunstwerke können niemals nur in einem Sinn verstanden werden. Das macht sie für Kommunikation faszinierend und problematisch zugleich. Faszination geht vom Beziehungsreichtum der Kunst aus, der sich als Überschuss an möglichen Bedeutungen manifestiert. Jedes einzelne Kunstobjekt erlaubt
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unterschiedliche, jeweils für sich plausible Lesarten. Damit liefert es Themen für Kommunikation, die über Kunst an Komplexität und Anschlussmöglichkeiten gewinnt. So gewinnt Kommunikation ein Stück von der Aura, die Kunst auszeichnet. Dieser Vorteil kann allerdings auch zum Hindernis werden. Wo mehrere mögliche Bedeutungen transportiert werden, leidet die Eindeutigkeit. Kommunikation, die sich der Kunst bedient, darf sich niemals auf einfache Botschaften festlegen, weil sie damit den Bedeutungsüberschuss der Kunst unterschlüge und unglaubwürdig würde. Zugleich erwächst aus der Komplexität der Bedeutung ein spezifisches Managementproblem der Kunstkommunikation. Innovation: Kunst ist kreativ. Sie steht deshalb notwendig für Innovation. Ihr Geschäft besteht im Überschreiten gängiger Denkmuster und Sichtweisen. Das verleiht der Kunst eine Aura der Dynamik, gibt ihr das Image, auf Zukunft ausgerichtet zu sein. Diese Sicht auf Kunst verdankt sich der Avantgarden (vgl. Henckmann 2004: 47) und ihrer Lust an Experiment und Bruch mit der Tradition. Heute mag diese einseitige Orientierung an atemloser Überholung des Gewohnten nachgelassen haben. Die Aura der Innovation führt Kunst aber weiterhin mit sich – und dies vor allem im Sinn einer Kraft zu Alternative und Reform. Kommunikation, die sich der Kunst bedient, kann von dieser Anmutung der Innovation unmittelbar profitieren. Reflexivität: Unabhängig von einer manchmal auch als oberflächlich empfundenen Aura des Exklusiven oder dem atemlosen Tempo der Innovation bietet Kunst die Möglichkeit zu reflexiver Wahrnehmung, die weiter oben schon als spezifische Qualität der ästhetischen Erfahrung gefasst worden ist. Damit enthebt die Kunst Rezipienten von den Zwängen pragmatischer Handlungs- und Entscheidungszwänge und eröffnet einen Raum, der Erfahrung und Reflexion miteinander verbindet. Damit öffnet sich überhaupt erst die Möglichkeit zu kulturellen Lernschritten, die immer damit zu tun haben, das Blickrichtungen verändert und scheinbar heterogene Elemente miteinander verknüpft werden. Die reflexive, also auf sich selbst zurück gerichtete Wahrnehmung und Erfahrung macht auf Routinen aufmerksam, bringt Muster des Handelns in den Blick – und öffnet damit die Augen für vereinseitigte Praktiken, die ihre Produktivität verloren haben. In der Reflexivität liegt die Kraft der Kunst, Lernvorgänge einleiten und Reformen anleiten zu helfen. Allerdings wird diese Fähigkeit auch mit Nachteilen erkauft. Kunst öffnet den Blick für Alternativen und neue Dimensionen, liefert aber keine Hilfe für Entscheidungen. Hier ist das Kriterium der Reflexivität verknüpft mit dem Aspekt des Bedeutungsüberschusses. Reflexivität bremst das Handeln. Dies muss auch jede Kunstkommunikation als eigenes Steuerungsproblem begreifen. Moderne als Erfolgsgeschichte: Über diese gleichsam der Zeit enthobenen Qualitäten hinaus bietet Kunst aber auch einen faszinierenden Vorzug, der in ihrem historischen Verlauf der letzten rund 150 Jahre begründet liegt. Kunst liefert mit ihrer Moderne eine wahre Erfolgsgeschichte (vgl. Bonnet 2004: 13ff), weil sie ästhetische Positionen hervorbringt, die zunächst als Protest von Außenseitern gegen das allgemein abgesicherte Verständnis von Kunst erscheinen, sich dann aber immer mehr durchsetzen und ein völlig neues System künstlerischer Formen etablieren. Dieses neue System ersetzt nicht nur weite Teile der Tradition, sondern erlangt selbst eine gleichsam klassisch erscheinende Geltung, die in der
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Vokabel von der „Klassischen Moderne“ ihren terminologischen Niederschlag findet. Diese Moderne etabliert sich als selbst tragende kulturelle Tradition mit ihrer eigenen Meistergeschichte, einem Ensemble von beinahe kultisch verehrten Spitzenwerken und einer Zeitorientierung, die sich als lineare Abfolge innovativer Schritte eines Fortschrittsmodells darbietet. Dieses Schema einer siegreichen Moderne nimmt heute die Position einer kulturellen Konvention ein, die unvermindert Prestige und Prägekraft entfaltet. Dies mag auch an der auffälligen Parallelität von moderner Kunst und ihrer Entwicklung und der Innovationsschübe von Industrie und Ökonomie liegen. Die moderne Kunst liefert das Muster der Erfolgsgeschichte westlicher, entwickelter Gesellschaften mit ihrem Glauben an ökonomischen Erfolg als Vehikel gesellschaftlicher Entwicklung. Kulturelle Akzeptanz: Mit dieser Erfolgsgeschichte der Kunst verbindet sich unmittelbar ihre soziale und kulturelle Akzeptanz. Darin scheint zunächst ein Widerspruch zu liegen, weil Kunst auch als produktive Störung der Routine begriffen und von vielen Rezipienten immer wieder als unverständlich und deshalb anstrengend erlebt wird. Zugleich verbindet sich mit ihr aber die Anmutung sozialen Prestiges, exklusiver Aura und einer Qualität des Innovativen. In der Kombination dieser drei Gesichtspunkte entwickelt Kunst eine starke Binde- und Prägekraft, die in der Summe zu einer heute kaum noch bestrittenen kulturellen Akzeptanz führt. Dies mag mit dem Verlust provokativer Potenz erkauft sein. Zugleich signalisiert diese Akzeptanz einen Erfolg, der heute konkret sichtbar wird: Kunst bewegt über Ausstellungen ein Millionenpublikum, zugleich scheint der seit den frühen achtziger Jahren andauernde Museumsboom kaum an ein Ende zu kommen. Gleichzeitig zeigt der Kunstmarkt trotz temporärer Einbrüche starke Vitalität. Dies alles macht Kunst für Kommunikation interessant. Denn Kunst ist exklusiv und bestens etabliert zugleich, sie erlaubt den Anschluss hoch spezialisierter und differenzierter Kommunikation und stößt gleichzeitig auf eine breite Akzeptanz. Diese zu einem guten Teil miteinander vernetzten und sich gegenseitig bedingenden Aspekte erweisen Kunst als einen wichtigen Partner der Kommunikation. Kunst hat sich als Bezugssystem etabliert, dass sinnliche Erfahrung und diskursive Intellektualität beständig miteinander vermittelt und damit einen Beziehungsreichtum anbietet, der Kommunikation immer wieder mit Energieschüben versieht.
3.7 Kommunikation mit Kunst: Strategien und Funktionen 3.7 Kommunikation mit Kunst: Strategien und Funktionen Wir hatten Kommunikation als einen Prozess beschrieben, in dem Sinnofferten der Kunst aufgegriffen, bearbeitet und in gemeinsam geteilte Sinnkonstrukte überführt werden (vgl. Lüddemann 2004a: 178). Kommunikation schließt also an Kunst an und wendet sich an Teilnehmer unterschiedlicher Diskurse, die außerhalb oder innerhalb der Kunst verlaufen. Diskurse sind thematisch geordnete Gruppen von Aussagen, sie sind als solche geschlossen und selbstbezüglich (vgl. Henckmann 2004: 72, Lüddemann 2004b: 180f). Sie zeichnen sich nicht nur durch thematische Zentrierungen und einen abgegrenzten Kreis von Mitwirken-
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den aus, sondern müssen auch als Verfahren geordneter Klärungsprozesse verstanden werden. „Diskurse sind intersubjektive Verfahren begründeter Kommunikation mit dem Ziel der Verständigung“ (Kleimann 2000: 128). Demnach weisen Diskurse Wirkungsabsichten auf und müssen, um das eben genannte Ziel zu erfüllen, Kriterien der Wahrhaftigkeit, Transparenz und fairen Teilhabe genügen. Kunst erbringt mit ihren Themen und Verfahren medialer Repräsentation wichtige Anstöße für Diskurse. Allerdings darf dieses Verhältnis nicht als ein umwegloser „Input“ der Kunst in Diskurs und Kommunikation missverstanden werden. Schließlich entzieht sich die Mehrdeutigkeit der (meist) bildlich verfassten Kunst einer vereinheitlichenden sprachlichen Form. Es bedarf komplexer Vermittlungen, um Kunst und Kommunikation zu koppeln. Dazu gehört insbesondere die Einsicht, dass die Kommunikation mit (und über) Kunst sehr unterschiedliche, jedoch meist miteinander vermittelte Formen annehmen kann. Um drei Ausprägungen dieser Kommunikation soll es in den folgenden Abschnitten gehen. Damit soll nicht nur der Begriff der Kommunikation im Interesse folgender Fallanalysen der Kunstkommunikation trennschärfer gefasst werden. Zugleich muss klar gemacht werden, dass Kommunikation in Bezug auf Kunst nicht nur als verbale Aktivität verstanden werden darf. Kommunikation findet auch durch Formen der Präsentation, räumliche Arrangements oder thematische Transfers statt – und natürlich durch sprachliche Verständigung. Als drei Formen der Kommunikation mit Kunst werden im Folgenden beschrieben:
Vermitteln: Kommunikation mit Kunst beginnt mit allen Formen ihrer Präsentation. Schließlich begegnet Kunst in bestimmten Kontexten und Vermittlungsformen, die nicht nur ihre Wahrnehmung maßgeblich prägen, sondern auch ihre Einschätzung als ästhetische Sphäre bedingen. In der andauernden Moderne werden Kunstwerke in Museen aufbewahrt, in Ausstellungen dargeboten und in Katalogen verzeichnet. Die Trias Museum, Ausstellung, Katalog bezeichnet das, was hier als Vermittlung begriffen werden soll. Nicht gemeint sind pädagogische Bemühungen, die erst nach der Präsentation von Kunst einsetzen. Bereits zuvor setzt jedoch eine Form der Kommunikation ein, die sich als Präsentation darbietet und Kunst wesentlich definiert. Transferieren: Dieser Typ der Kommunikation mit Kunst erfüllt weiter gehende Ausprägungen der Kunstkommunikation. Denn hier geht es darum, wie Potenziale der Kunst auf andere Bereiche, etwa Tourismus, Marketing und Unterhaltungs- und Medienindustrie übertragen werden. Der Transfer nutzt Themen und Verfahrensweisen der Kunst, um sie als komplexe Bedeutungspotenziale in anderen Kontexten einzusetzen. Dieser Transfer geht mit Kunst in einem instrumentellen Sinn um, entfaltet einige ihrer Potenziale, adaptiert deren Wirkung jedoch auf die Bedingungen von Kontexten, die außerhalb der Kunst liegen. Hier geht es vor allem um Tourismus und Werbung. Evaluieren: Nur diese Form der Kommunikation mit Kunst operiert ausschließlich im Medium der Sprache und entspricht damit weitgehend einem allgemeinen Verständnis von Kommunikation. Evaluation meint den Transfer zwischen Kunst und Diskurs, der nun Kunst nicht nach Bedürfnissen der Werbung instrumentalisiert, sondern im Gegenteil ihre Bedeutungspotenziale möglichst extensiv und unverstellt wirksam werden lässt. Paradigmatisch erfüllt diese Leistung eine Kunstkritik, die nicht mehr als apodiktische ästhetische Wirkung, sondern als Prozedur produktiver Rezeption verstanden
3.7 Kommunikation mit Kunst: Strategien und Funktionen
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wird. Evaluation meint damit ein Verfahren der Erprobung von Kunst im Hinblick auf Diskurse. Diese drei Formen der Kommunikation stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern bedingen und unterstützen einander. Allerdings treten sie zum Teil auch in Konflikte. So ist bereits jetzt deutlich, dass in der Vermittlung die Grundlage aller weiteren Kommunikation mit Kunst gelegt wird. Indem Kunstwerke in Museen verwahrt, in Ausstellungen zeitlich begrenzt zu Ensembles geordnet und in Katalogen dauerhaft abgebildet werden, entsteht ein dichtes Netz der Beobachtungsmöglichkeiten von Kunst. Mehr noch: Erst in der Vermittlung entsteht eigentlich Kunst im modernen Verständnis als Bereich, der fern pragmatischer Zwänge selbstbezügliche Erfahrung möglich macht. Damit stellt die Vermittlung überhaupt erst die Bühne für jede Evaluation bereit. Kunstkritik als zentrale Form der evaluierenden Kommunikation bezieht sich zu aller erst auf die Objekte, die in Museum, Ausstellung und Katalog dargeboten werden. Sie werden in der Vermittlung als Kunstwerke ausgewiesen. Auf der anderen Seite wirken die Ergebnisse der Evaluation auch auf Formen der Vermittlung ein. Nur erfolgreich evaluierte Kunstwerke nehmen zentrale Positionen in Museen ein, finden sich in dichter Frequenz in Ausstellungen, werden in Katalogen abgebildet. Kunstwerke werden dann vor allem die Objekte genannt, die sich als besonders anschlussfähig für Kommunikation erwiesen haben. Die Instanzen der Vermittlung werden sich immer wieder diesen Objekten zuwenden, weil sie deren Bemühungen in besonderer Weise rechtfertigen. Vermittlung und Evaluation beziehen sich notwendig aufeinander – sowohl als gegenseitige Bestätigung wie als Kritik. Dazu gehört, dass diese beiden Operationen in das oben entwickelte Modell von Kunst eingepasst werden können. Vermitteln ist danach die Tätigkeit, die der Position „Institution“ zugeordnet werden muss, während Evaluieren zu der Position „Diskurs“ gehört. Die Position „Erfahrung“ bringt beide Operationen zusammen. In der Vermittlung erscheinen die Orte, die Erfahrung überhaupt erst ermöglichen, während Evaluation die Erfahrung als wesentliches Ausgangsmaterial benötigt. Dagegen muss das Transferieren abgehoben werden. Diese Form der Kommunikation erfüllt sehr genau die grundsätzlichen Vorstellungen einer Kommunikation mit Kunst, weil sie Kunst instrumentalisiert, um deren symbolische Kraft für Ziele einzusetzen, die außerhalb der Kunst liegen. Dafür muss allerdings vorausgesetzt werden, dass Vermittlung und Evaluation bereits erfolgreich gearbeitet haben. Mit anderen Worten: Das jeweilige Objekt konnte in den Prüfprozeduren von Vermittlung und Evaluation erfolgreich als Kunst bestimmt werden und wurde in der Konsequenz im kulturellen Archiv abgelegt, um für immer neue Aktualisierungen verfügbar zu sein. „Das gesamte valorisierte kulturelle Gedächtnis besteht aus Zeugnissen individueller Innovationen, die exemplarischen Charakter haben“ (Groys 1992: 64). Die Operation des Transferierens gehört zu den möglichen Aktualisierungen, in denen sich das Potenzial der Kunst beweist – in Gestalt ihrer assoziativen Kraft, ihres sozialen Prestiges und ihrer kommunikativen Produktivität. Allerdings wird für den Transfer stets auf die Kunst zurückgegriffen, deren Einlagerung im kulturellen Archiv die genannten Effekte garantiert. Die Wirkungen in der gegenläufigen Richtung können prekär sein. Während Vermitteln und Evaluieren als Operationen notwendig aufeinander bezogen sind und miteinander interagieren, erscheint das Transferieren als eine Operation,
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3 Theorie
die von der Kunst profitiert, ohne ihr dafür etwas zurück zu geben – außer dass Kunst ein Publikum erreicht, dass sich eher selten mit Kunst beschäftigt. Kunst kann jedoch durch den Einsatz für den Aufbau von Images visuell erschöpft und damit in ihrer Ausstrahlung eingeschränkt werden. Dies legt zumindest die Beobachtung nahe, dass Kunst in der Bildung von Images – vor allem der Werbung – einseitig in Anspruch genommen und inflationiert wird. Dass der Gebrauch von Kunst auf ihre Gestalt und kulturelle Stellung zurückwirkt, ist die Einsicht, die Walter Benjamin in seinem legendären Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von 1936 (Benjamin 1977: 136-169, vgl. Henckmann 2004: 40) formuliert hat. Für Benjamin verlor die Kunst in der Reproduktion ihre Aura des kultisch verehrten, singulären Objekts, gewann zugleich aber eine aufklärerische Funktion für die Politik. Was Benjamin als emanzipatorische Qualität begriff, nämlich die Vervielfältigung der singulären Kunstwerke, scheint längst in das Gegenteil umgeschlagen zu sein. Heute wird „die Sinnesüberflutung und die Übersättigung durch die massenhafte Reproduktion“ (Bosse 2004b: 48) beklagt. Zugleich macht der gegenwärtige Trend im Museums- und Ausstellungswesen mit seinen großen Publikumsausstellungen (vgl. Bonnet 2004: 74) deutlich, dass sich Reproduktion und Aura offenbar nicht ausschließen, sondern miteinander gekoppelt sind. Denn die hohen Besucherzahlen belegen, dass die Reproduktion der Kunst die Aura der Werke nicht zerstört, sondern sogar noch erhöht. Ausstellungsbesucher nehmen offenbar gerade die Tatsache massenhafter Reproduktion als Beleg für den Rang eines Kunstwerks und investieren dann erhebliche Wege, Wartezeiten und Kosten, um dem singulären Werk nahe sein zu können. Nach dieser Begegnung mit der Kunst wird ohne weiteres der Museumsshop aufgesucht, wo Reproduktionen in Gestalt unterschiedlichster Produkte erworben werden. Kunst und Kommerz, auratisches Werk und inflationierte Reproduktion können deshalb problemlos unmittelbar nebeneinander bestehen. Sie sind Teil des gleichen Prozesses wechselseitiger Attraktivitätssteigerung. Auf dieser Attraktivität ruht schließlich auch jede Kommunikation mit Kunst auf. Sie wird erst möglich, weil Kunst in Gestalt der klassischen Moderne durchschlagenden Erfolg gehabt hat und nun fest im kulturellen Gedächtnis auch eines breiteren Publikums verankert ist. Wer nun beklagt, dass der „Verweigerungsgestus des Künstlers (...) als ein DesignElement zwischen Mövenpick und Souvenirshop“ (Ullrich 2002: 167) verschwindet, hat mit seiner Diagnose sicher Recht. Aber der Gestus des Protests muss in den kulturellen Archiven als Erinnerung still gestellt werden, um dann für weitere Kommunikation anschlussfähig zu sein. Kunst mag ihr Potenzial unmittelbaren Protests verloren haben. Dafür hat sie eine singuläre Position für eine gesellschaftliche Kommunikation gewonnen, die sich besonders in der Zirkulation der Bilder und Zeichen manifestiert. Darin liegt übrigens auch ihre Funktion in der Gegenwart. Mit ihrem „Anspruch auf Nutzlosigkeit“ (Liessmann 2004: 69) verweigert sich die Kunst vordergründig dem Zwang praktischer Verwertung. In Wirklichkeit befördert sie höchst produktiv die gesellschaftliche Selbstverständigung. Kunstkommunikation ist der Vorgang, in dem dieses Geschehen fassbar wird.
4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint 4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
Wenn jetzt von dem Vermitteln als der ersten Form der Kommunikation mit Kunst gesprochen wird, müssen zwei wichtige Implikationen beachtet werden. Vermittlung meint eine Kommunikation, die sich nicht nur vorrangig verbal vollzieht, sondern in Formen der Präsentation wirksam wird. Außerdem meint Vermitteln hier ausdrücklich nicht all die Aktivitäten, die unter dem Begriff der Museumspädagogik gefasst werden. Stattdessen nimmt diese Form der Kommunikation auf die grundsätzliche Beobachtung Bezug, dass Kunst in einer Gesellschaft immer in bestimmten Kontexten und Formen der Darbietung erscheint. Zur Kunst gehören notwendig ihre Institutionen (vgl. Ullrich 2001: 568-571), die ihrerseits wieder zum kritisch behandelten Gegenstand der Kunst selbst werden können und dann in Formen der „Institutionskritik“ (vgl. Butin 2002: 126-130) behandelt werden. Kunst findet sich heute vor allem in folgenden Institutionen:
Im Museum als zentralem Archiv der Objekte, die als Kunst bezeichnet werden. Museen ordnen Kunstobjekte zu sinnvollen Sammlungen, die ihrerseits den Ablauf der Kunstgeschichte repräsentieren. In der Ausstellung als wichtigster Bühne der Kunst. Ausstellungen ordnen als temporäre Ereignisse eine Gruppe von Kunstobjekten zu einem thematischen Zusammenhang. Ausstellungen sind Archive auf Zeit. Im Katalog als zentralem Dokument der Kunst. Kataloge verzeichnen Kunstwerke, die in Museen oder Ausstellungen zu sehen sind. Sie können die beiden anderen Institutionen ersetzen. Kataloge konditionieren entscheidend die Wahrnehmung von Kunst.
Mit diesen drei Institutionen kommen jene Instanzen in den Blick, die Kunst erfahrbar machen, ihren Wert entscheidend definieren und ihre Betrachtung wesentlich steuern. Diese Institutionen wirken in einem komplexen Bedingungsgefüge zusammen. Sie liefern die Grundlagen, auf der die Kunstkommunikation dann weiter aufbaut. Kunstkommunikation nutzt diese Institutionen auch als wichtige Aktionsfelder. Sie erscheinen in unserer Definition von Kunst als „Institution“, in der Definition der Kunstkommunikation als „Kontext“ oder, was den Katalog angeht, auch als „Träger“. Wenn diese drei Formen der Vermittlung nun weiter analysiert werden, soll dies vor allem anhand eines zentralen Beispiels geschehen, das sich durch alle drei Aspekte hindurch zieht und damit auch die inneren Bezüge zwischen Museum, Ausstellung und Katalog deutlich werden lässt. Dieses Beispiel liefert das Museum of Modern Art (MoMA) in New York, das zunächst im Abschnitt „Museum“ im Blickpunkt stehen soll, und dann in den Abschnitten „Ausstellung“ und „Katalog“ anhand der Ausstellung mit Meisterwerken aus seiner Sammlung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die vom 20. Februar bis zum 19. September 2004 zu sehen war, auch als temporäre Präsentation und als Kataloggestaltung zu behandeln sein wird. Daneben muss ein Aspekt einschränkend betont werden: Gerade
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4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
die Themen Museum und Ausstellung verdienten weitaus eingehendere Darstellungen, als sie im Kontext des vorliegenden Buches geleistet werden können. Hier geht es nicht darum, diese komplexen Themen mit dem Anspruch der Vollständigkeit aufzuarbeiten, sondern um grundsätzliche Bemerkungen, welche die Funktionsweise der Kunstkommunikation erläutern helfen sollen.
4.1 Kunst archivieren: Das Museum 4.1 Kunst archivieren: Das Museum Museen sind nicht nur die ältesten Institutionen der modernen Kunstwelt. Sie stehen auch weiterhin in deren Mittelpunkt – trotz vielfältiger Krisen und Anfeindungen. Denn Museen haben sich in Funktionen und in ihrer Orientierung auf das gesellschaftliche Umfeld hin gewandelt und doch ihre zentrale Aufgabe nie verloren. „Das Museum muss bewahren, konservieren, restaurieren“ (Weissert 2003: 237), werden seine Aufgaben ebenso treffend umschrieben wie mit der viel zitierten Trias des Sammelns, Vermittelns und Bewahrens (vgl. Lepik 1996: 144). Das Museum bezieht seine zentrale Legitimation damit aus einem spezifischen Umgang mit Objekten, die aus der unüberschaubaren Menge aller Objekte als bewahrenswert ausgewählt, präsentiert, erhalten und in ihrer Bedeutung dem Publikum immer wieder vermittelt werden. Das Museum hütet jedoch Objekte nicht nur, es konstituiert auch deren besondere Aura. Was ein Museum aufnimmt, gewinnt an materiellem Wert und kultureller Beachtung – dieser Mechanismus kennzeichnet nicht nur insbesondere das Kunstmuseum, sondern erscheint in der heutigen Situation auch noch besonders gesteigert. „Das Museum ist eine mächtige und produktive Instanz. (...) Tatsächlich produziert es Kunst, den Begriff und die Sache Kunst“ (Kemp 1990: 228). Das Museum stellt damit „Faszination und Aura des Einzelwerks“ (Bock 2001: 63) der Kunst und zugleich einen Kanon (vgl. Bonnet 2004: 62) überhaupt erst her. Der Aufnahme in den Kontext musealer Präsentation geht zunächst ein Funktionsverlust an anderer Stelle voraus (vgl. Weissert 2003: 237, Bonnet 2004: 54). Exponate der Museen waren früher zumeist Objekte in Kontexten kultischer Verehrung, politischer Selbstdarstellung und privater Lebensgestaltung. Große Teile der Schausammlungen von Museen verdanken sich Objekten, die derartige Funktionen verloren haben, ganz zu schweigen von Werken der modernen Kunst, die vielfach schon mit Blick auf eine erwünschte museale Präsentation hin geschaffen werden. Alle diese Objekte vereint, dass sie mit dem Eintritt in das Museum nicht nur Funktionen verlieren, sondern eine zentrale, neue Funktion gewinnen – nämlich die, künftig Exponat und damit Träger einer kulturellen Bedeutung zu sein, die ihnen von Experten zugewiesen und von Besuchern durch den Akt der betrachtenden Rezeption immer neu bestätigt wird. Diese Funktion wird gegenwärtig von anderen Funktionen der Museen überlagert. Denn Museen sind nicht länger nur Archive, die eine Anzahl von Exponaten anhand eines übergeordneten Sinnzusammenhangs, etwa der Abfolge kunsthistorischer Stile, angeordnet aufbewahren. Museen haben sich auch zu Erlebnisräumen gewandelt, in denen auratisch aufgeladene Exponate sinnlich erfahrbare Sensationsanlässe sind (vgl. Klein 1997: 79f.). Diese Leistung erbringen nicht so sehr die ständig vorgehaltenen Sammlungen, die sich wegen ihrer Zeit überdauernden Statik einer am spektakulären Event orientierten Kultur
4.1 Kunst archivieren: Das Museum
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eher versperren. Im Kontext der „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 2000) haben sich Museen zunehmend zu Schauplätzen von Wechselausstellungen gewandelt und damit die Funktion von Kunsthallen teilweise übernommen. Zu einer Funktionsüberschneidung mit Galerien kommt es insofern, als Museen im Zuge ihrer zuletzt explodierenden Ausstellungsaktivität auch immer jüngere Werke in ihren Kontext aufnehmen. Das früher gültige Kriterium des historischen Abstands scheint verabschiedet zu sein. Kunstwerke werden teilweise schon unmittelbar nach ihrer Produktion in den musealen Bereich aufgenommen. Über Privatsammlungen gelangen diese Werke gar in den dauerhaften Bestand eines Museums, wenn nicht gleich neue Museen für große Privatsammlungen gebaut werden. Damit erzeugen Museen auch den materiellen Wert von Kunstwerken und schaffen so die Voraussetzungen für einen lukrativen Handel mit Kunst (vgl. Fricke 1998: 168), die früher ja gerade durch den Eintritt in das Museum als dem Handel entzogen galt. Zur gleichen Zeit wandeln sich Museen zu Orten gegenwärtigen, kulturellen Geschehens. Dies überlagert ihre Funktion als Archiv weitgehend. Ob es damit zu einer „billigen Anbiederung an den Marktgeist“ (Beaucamp 2005) oder einem „Disneyland der Oberflächenreize“ (Vitali 2000: 108) kommt, kann hier offen bleiben. Die Kontroverse um Stellenwert und Funktion der Museen zeigt zumindest, dass diese Institution wieder erheblich in die Diskussion geraten ist. Nachdem in zurückliegenden Jahren vor allem die Wandlung vom Musentempel zum Lernort gefordert worden war (vgl. Weissert 2003: 239, Bonnet 2004: 55), weist die Entwicklung nun in eine andere Richtung. Didaktische Bemühungen werden zwar weiterhin gefordert. Allerdings bilden sie nicht mehr Zielpunkt, sondern nur noch Teilaspekt einer Museumspolitik, die vor allem auf Freizeitattraktivität und ökonomische Effizienz abgestellt ist. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios sollen nun einige Aspekte gegenwärtiger Museumsentwicklung herausgehoben werden. Aura: Trotz aller Abgesänge auf die Aura des einzelnen Kunstwerks muss heute wieder festgehalten werden: Kunst lebt von einer Aura, die sich vor allem ihrer musealen Präsentation verdankt. Dies kann als Reaktion auf eine nivellierende Massenkultur verstanden werden, die keine Erfahrung herausgehobener Wertsetzungen mehr zulässt. Dass gleichzeitig das Erlebnis der auratischen Kunst selbst wieder zu einem Massenphänomen wird, muss dagegen als paradoxer Tatbestand konstatiert werden. Museen werden jedoch spätestens seit der Postmoderne wieder als „implizit religiöser Ort“ (Natrup 1998: 73) erfahren, der imstande ist, diese Aura auch gegen eine wachsende Popularisierung (vgl. Lepik 1996: 141) zu halten. Museen werben wesentlich mit der Qualität ihrer Sammlung und positionieren sich in ihrer Außendarstellung als Schatzhäuser, die außergewöhnliche Erlebnisse bieten. Dagegen treten Funktionen des Archivs und des damit verbundenen kulturellen Gedächtnisses deutlich zurück. Architektur: Museen sind in den letzten Jahren zur herausragenden Bauaufgabe der Architektur avanciert. Sichtbarer Beleg für diesen Stellenwert ist eine ganze Welle von neuen Museumsgründungen (vgl. Weissert 2003: 240) seit den achtziger Jahren, die immer wieder herausragende Beispiele für zeitgenössische Architektur hervorgebracht hat. Zum Leitbild dieser Entwicklung ist das von Frank O. Gehry erbaute Guggenheim-Museum im spani-
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4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
schen Bilbao geworden (vgl. Maier-Solgk 2002: 70-79). Seit der Eröffnung dieses Hauses 1997 wird immer wieder der „Bilbao-Effekt“ zitiert, der in einem Wort die erwarteten Effekte benennt, die heute mit spektakulären Museumsbauten verbunden werden. Diese Bauten sollen nicht nur die klassischen Museumsaufgaben erfüllen, sondern zugleich auch bis dahin unbeachtete Stadtviertel oder gar ganze Städte aufwerten, ihren Einwohnern ein neues Gefühl kultureller Identität vermitteln und zudem ein Anziehungspunkt für den Kulturtourismus sein. Museen werden entsprechend auf diese vielfältigen Erwartungen hin entworfen und geraten in Gefahr, als „kommunale Renommier-Projekte“ (ebd.: 7) überfordert zu werden. Unübersehbar ist abseits dieser kulturpolitischen Aspekte die Tatsache, dass mit einer spektakulären Museumsarchitektur das Museum selbst zu einem Gegenstand des Designs oder mehr noch zu einem Kunstwerk von eigenem Rang geworden ist. Das damit viel beachtete Museum ist mehr als nur ein Behältnis für die Kunstwerke – es tritt jetzt zu ihnen in Konkurrenz. Oft muss die Frage gestellt werden, ob die prachtvolle Formensprache der neueren Museumsarchitektur überhaupt noch an den Aufgaben des Museums orientiert ist oder nicht vielmehr einen Eigenwert gewonnen hat, der von diesen Aufgaben ablenkt. „Der Fall Bilbao zeigt exemplarisch, wie sehr der Inhalt der Museen mittlerweile als sekundär gegenüber ihrer Verpackung erachtet wird“ (Berg 2002: 226). In der Tat kann Museumsarchitektur kritisiert werden, weil sie vielfach die Anforderungen an Funktionalität nicht mehr erfüllt. Vor allem unregelmäßige Raumzuschnitte, eine problematische Lichtführung oder einfach die Überlast ihrer Formensprache macht Architektur oftmals zu einem Hindernis für eine angemessene Rezeption der Kunst. Dagegen darf jedoch nicht übersehen werden, dass gerade die aktuelle Museumsarchitektur den Ort der Kunstpräsentation in einer zuvor kaum für möglich gehaltenen Weise aufwertet und damit überhaupt erst die abgetrennten Areale schafft, in denen Kunst ihre Aura mit neuer Kraft entfalten kann. Damit reagiert das Museum in seiner äußeren Gestalt auf die Entgrenzung des Kunstbegriffs. Nachdem die Moderne gelehrt hat, dass im Prinzip alles Kunst sein kann, hat das Museum eine stärkere Abgrenzungsfunktion zu übernehmen. Eine spektakuläre Architektur weist das Museum als gesonderten Bereich aus und unterstreicht die Bedeutung seines Inhalts. Event, Freizeit, Ökonomie: Mit einer deutlich aufgewerteten Architektur ist das Museum ebenso fähig, vielfältigen neuen Aufgaben und entsprechenden Erwartungen gerecht zu werden. Gegenstück eines neuen Kultes um die Kunst (vgl. Natrup 1998: 80) ist die Orientierung am Kunstevent, das mit ökonomischen Erwartungen verbunden wird (vgl. Bock 2001: 53). Museen versprechen mit ihrem attraktiven Äußeren das besondere Erlebnis, das meist als Kulturevent dargeboten wird. Dabei stehen weniger die ständigen Sammlungen als vielmehr Wechselausstellungen im Mittelpunkt, die als temporäre Attraktionen das Publikum anziehen sollen und damit vor allem zu den gesteigerten Einnahmen beitragen sollen, die Museen heute für ihren Fortbestand benötigen. Ihre Herauslösung aus öffentlicher Lenkung und die Hinwendung zu Methoden privatwirtschaftlich orientierten Managements (vgl. ebd.) führen zu einer veränderten Programmpolitik. Da Museen ihre Ausstellungsprogramme oftmals wesentlich nur über Erlöse, Sponsorengelder und Mittel aus Stiftungen und dergleichen finanzieren können und bei Ankäufen ohnehin schon lange auf private Hilfe angewiesen sind, wird erhebliche Aufmerksamkeit darauf verwandt, Einnahmen zu erzielen. Entsprechend sind in den Museen Bereiche – gerade auch räumlich – an-
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gewachsen, die zuvor nur eine untergeordnete Rolle spielten. Hinter schicken Fassaden sind es nun Museumsläden, Cafés und Restaurants, die das Kunsterlebnis um Dimensionen der Kulinarik und des Einkaufs erweitern. Der Museumsbesuch wird damit zu einer Freizeitgestaltung, bei der das Kunsterlebnis an den Rand treten oder sogar ganz unterbleiben kann. Forschung und Kanon: Neben den eben dargestellten Aspekten darf jedoch nicht übersehen werden, dass Museen weiterhin traditionelle Aufgaben wahrnehmen und zum Teil sogar ausgeweitet haben. Mit ihrer Ausstellungstätigkeit haben Museen die Produktion von Katalogen in den letzten Jahren erheblich gesteigert. Sie sind damit weiterhin in einem nicht zu unterschätzenden Maß Stätten der Forschung, auch wenn Aufgaben der Bestandsforschung und -sicherung über Aufgaben des Managements und der Finanzierung zurückgetreten sind. Wichtigstes Ergebnis der Forschungstätigkeit von Museen ist die Tatsache, dass es gelungen ist, die Moderne als Kanon aus Meisterwerken zu einer verbindlichen kulturellen Norm zu erheben. Auch wenn an diesem Geschehen Ausstellungen, Kataloge und Kritik ihren Anteil hatten – ohne Museen hätte dies kaum mit der durchschlagenden Energie gelingen können, die in den letzten Jahrzehnten in Fragen der modernen Kunst entfaltet worden ist. Alle diese Gesichtspunkte vereinigen sich in dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), das aufgrund seiner exponierten Stellung sicher als herausragendes Beispiel für die aktuelle Museumslandschaft angesehen werden muss. Seine Geschichte verdeutlicht in exemplarischer Weise zudem die enge Beziehung zwischen Museum und Ausstellung. Schließlich ging die Gründung des Hauses auf die „Armory Show“ zurück, die 1913 zum zentralen Forum der Avantgarde in den USA wurde (vgl. Klüser 1995: 48-55). Zuletzt präsentierte das Museum 2004 in Berlin eine Auswahl seiner Meisterwerke und landete einen überwältigenden Publikumserfolg, indem es nicht nur Kunstwerke, sondern auch sich selbst präsentierte. Denn das „MoMA“ steht für die Idee eines Museums als Kollektion von Spitzenwerken und damit als Takt- und Schrittgeber der jüngeren Kunstgeschichte. Das Bild von einem durch die Zeit fliegenden Torpedo (vgl. Hunter 1997: 13) verdeutlicht die Idee einer Kollektion, die ständig auf der Höhe der Kunstentwicklung gehalten wird. Dies ist nur möglich, wenn einem Museum der Status einer letzten, maßgeblichen Instanz zugewiesen werden kann. Dabei gerät genau dies jedoch häufig zur bloßen Behauptung, da die Frage der Museumswürdigkeit bei aktueller Kunst von niemandem abschließend beurteilt werden kann (vgl. Bonnet 2004: 60). Das MoMA verdankte seine Gründung 1929 jedenfalls einer seltenen Koalition – der des Reichtums mit einem strengen fachlichen Qualitätsanspruch. Ausgestattet mit den unerschöpflich erscheinenden Mitteln des Gründerkollegiums machte sich der erste Direktor Alfred J. Barr daran, eine imposante Kollektion von Werken erster Qualität zusammen zu stellen. Es spricht für die Qualität des Hauses, das es nicht nur quantitativ anwuchs, sondern sich über eine ganze Reihe von Erweiterungen und Umbauten (vgl. Hunter 1997, Newhouse 1998: 148-161) auch immer wieder neu erfand. Herzstück des Wandels war die konsequente Erweiterung der leitenden Idee von Kunst. Denn nach einer ersten Beschränkung auf die Meisterwerke einer Moderne, die konsequent in die Abstraktion führte, erweitere das Museum den Kreis der zu sammelnden Kunstwerke um die Berei-
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che von Foto, Video und Film, nahm auch Design und Architektur mit auf in ein Sammlungstableau, das von kaum einem anderen Haus in dieser Form abgedeckt wird. Das New Yorker Haus bezieht seine Faszination dabei weniger aus einer extravaganten Architektur, sondern aus der überragenden Fülle und Qualität seiner Sammlung. Der Erfolg dieses vorbildlichen Museums besteht darin, dass es ihm gelungen ist, das MoMA in der Form der „kompletten Überschau“ (Serota 2000: 84) als Stellvertreterin der ganzen künstlerischen Moderne zu etablieren. Das Museum bietet sich so nicht nur als Hort einer Kunstsammlung dar, sondern entfaltet auch eine maximale kulturelle Definitionsmacht.
4.2 Kunst inszenieren: Die Ausstellung 4.2 Kunst inszenieren: Die Ausstellung Die Ausstellung steht im Zentrum des zeitgenössischen Kunsterlebens. Ihre Entstehung ist eng mit der künstlerischen Moderne verknüpft, deren Takt sie seitdem maßgeblich mit bestimmt. Die Ausstellung als „temporäre öffentliche Präsentation (der Kunst, d. Verf.) an einem geeigneten Ort zur Besichtigung durch das Publikum“ (Bätschmann 2003: 27) setzt voraus, dass Kunstwerke aus fixierten Kontexten herausgelöst werden und in eine Zirkulation der Bilder eintreten (vgl. Grasskamp 1989: 29), die vor allem ihre Verfügbarkeit als Handelsware vorführt. Ausstellungen haben nicht nur das Geschehen der künstlerischen Moderne beschleunigt, sondern auch dem Kunsthandel Impulse gegeben und vor allem das Rollenverständnis des Künstlers entscheidend verändert. Denn mit der Ausstellung erhält er ein öffentlichkeitswirksames, aber besonders unsicheres Forum. Die Ausstellung erhöht die Frequenz der Kontakte mit möglichen Kaufinteressenten, konfrontiert den Künstler aber auch mit einer anonymen Menge, deren Haltung zur Kunst meist unklar bleibt. Der so zum „Ausstellungskünstler“ (Bätschmann 1997) gewordene Maler oder Bildhauer richtet seine Arbeitsrhythmen auf die Ausstellung aus und richtet nach deren Bedürfnissen oft auch Größe, Material und Darbietungsweise seiner Werke. Er stand (und steht) unter dem Druck, mit möglichst wirkungsmächtigen Werken oder Inszenierungsweisen das Publikum und dessen Stellvertreter, die Kunstkritik, zu beeindrucken, um so Verkaufserfolge zu erzielen und Beachtung in der weiteren Kunstgeschichte zu erzielen. Die bietet sich nämlich in der gegenwärtigen Wahrnehmung vor allem als eine Folge von Ausstellungen dar (vgl. Klüser 1995), die mit den vertretenen Künstlern und ihren Präsentationsweisen Begriff und Inhalt von Kunst wesentlich geprägt haben. Die wichtigste Kunstausstellung der Gegenwart, die alle fünf Jahre in Kassel ausgerichtete Documenta (vgl. Kimpel 2002), kann geradezu als Synonym für Gegenwartskunst verstanden werden. Da sie zeitgenössische Kunst nicht allein bilanzierend dokumentiert, sondern immer wieder regelrecht neu erfindet, ist sie zum entscheidenden Musterbeispiel für die Möglichkeiten der Ausstellung geworden. Ausstellungen erzeugen somit maximale Aufmerksamkeit für die Kunst, indem sie Kunstwerke aus anderen, gewohnten Kontexten lösen und gleichsam exklusiv darbieten. Ihre begrenzte Laufzeit macht sie zu einem Phänomen künstlich hergestellter Knappheit. Wer die Ausstellung verpasst hat, sieht sie nie wieder: Dieser Grundzug der Ausstellung erhöht entscheidend ihre Attraktivität für Besucher. In der Gegenwart hat sich dies bis zum Modell der großen Publikumsausstellung gesteigert, die in der Lage ist, eine hohe Zahl von
4.2 Kunst inszenieren: Die Ausstellung
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Besuchern anzuziehen. Ausstellungen führen jedoch nicht nur Kunstwerke vor, sondern bieten auch eine wirkungsvolle Bühne für soziale Kontakte vielfältiger Art. Mit den einrahmenden Ritualen der Vernissage (vgl. Steiner 1996, Thurn 1999) und der Finissage bieten sie ein Forum für Feste, markiert Anfang und Ende ihres begrenzten Daseins. Insbesondere die Vernissage hat sich zu einer virulenten Kontaktbörse entwickelt, die hilft, Beziehungen zwischen Künstlern, Betrachtern, Kritikern, Händlern und Käufern zu knüpfen. Die Ausstellung versammelt also nicht allein Kunst, sondern bietet auch Anlässe für den Aufbau genau des Netzwerkes, welches das Betriebssystem Kunst mit bildet. Zu Ausstellungen gehören jedoch nicht nur Künstler, sondern auch Kuratoren. Denn sie treffen die Auswahl der Werke, die gezeigt werden sollen, stellen sie in einen thematischen oder systematischen Zusammenhang und entscheiden über Formen der Präsentation. Ausstellungsmacher steuern damit entscheidend die Wahrnehmung der Kunst durch das Publikum. Kunstwerke erscheinen so nicht als isolierte Artefakte, sondern als einzelne Momente eines visuellen Kontinuums und meist auch als Beleg für eine These über die Kunst, die mit einer Ausstellung gesetzt wird. Ausstellungen nähern sich damit der Form der Erzählung, zu der Künstler das Material beisteuern, die aber von einer anderen Person erzählt wird. Auch wenn damit das „Curating“ (Butin 2002: 56-58) nicht zu einer eigenen Kunstform erhoben werden muss, steht doch fest, dass mit der Ausstellung als zentralem Forum der Kunstvermittlung nicht nur die Kunstkritik, sondern auch die Vermittlungsfunktion des Kurators neue Bedeutung gewonnen hat. Ausstellungen können natürlich auch sehr unterschiedliche Funktionen haben. Neben der Wechselausstellung in einem Museum oder einer Kunsthalle gibt es auch die Ausstellungen, die sich direkt an potentielle Kunstkäufer richten. Ausstellungen bieten Kunstwerke als Handelsware in Galerien oder in Auktionshäusern an. In diesen Fällen ist ein durchgehender Zusammenhang thematischer Art nicht immer erforderlich. Galerien werden meist nur Arbeiten eines Künstlers zeigen, für den sie Käufer gewinnen wollen. Daneben richten Galerien auch Ausstellungen aus ihren Beständen aus. Auktionshäuser dagegen präsentieren in ihren Vorbesichtigungen Kunstwerke, die zu einem Versteigerungstermin eingeliefert worden sind. Der Blick des Besuchers richtet sich jetzt wieder auf das einzelne Artefakt. Kontexte entstehen dann nur, wenn ganze Sammlungen eingeliefert werden. Mit der anderen Zielrichtung der Präsentation verändert sich auch der Blick. Denn in Galerie und Auktionshaus geht es darum, den materiellen Wert eines Kunstwerkes zu erkennen, das eigene Kaufinteresse abzuwägen. Manchmal werden die dargebotenen Artefakte auch im Hinblick auf einen imaginären Kontext gesehen – nämlich den einer privaten Kunstkollektion, in den sie im Vorgriff auf eine Kaufentscheidung eingepasst werden. Im Folgenden ist jedoch mit Ausstellung allein die Wechselausstellung in Museen und Kunsthallen gemeint. Ähnlich wie in dem Abschnitt über das Museum sollen auch für das Thema Ausstellung einige Aspekte noch einmal gesondert beleuchtet werden: Knappheit: Ausstellungen transponieren Kunstwerke – notfalls vom kaum beachteten „Ladenhüter“ zu einem von vielen Menschen begehrten Kulturgut. Dieser scheinbar allzu direkt formulierte Vergleich trifft sehr genau den Kern der großen Publikumsausstellungen, die in den letzten Jahren mit immer neuen Besucherrekorden auf sich aufmerksam gemacht haben. Die Ausstellung isoliert das Kunstwerk aus dem gewohnten Kontext, in diesem Fall
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4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
aus dem Zusammenhang einer dauerhaften Präsentation oder eines privaten Besitzes. Mit der Ausstellung wird die Aufmerksamkeit für das einzelne Kunstwerk dramatisch erhöht. Denn die Ausstellung bietet die Gelegenheit, Werke aus unterschiedlichen, oft weit voneinander entfernten Museen an einem Ort versammelt erleben zu können. Werke aus Privatbesitz tauchen in Ausstellungen überhaupt zum ersten Mal vor dem Auge des Besuchers auf – sie verbleiben häufig in einem Bereich, der nicht öffentlich zugänglich ist. Damit konstituiert die Ausstellung eine künstlich erzeugte Knappheit. Das Marketing der Museen arbeitet bewusst mit diesem Moment der Wechselausstellung. Immer wieder werden Kunstwerke hervorgehoben, die nur selten verliehen werden. Die Ausstellung wird so zu einem exklusiven Format. Zirkulation: Aus der Ausstellungspraxis folgt jedoch, dass Bilder unablässig reisen. Mögen sie auch zu Dauerpräsentationen in Museen gehören – mit der Intensivierung des Ausstellungsgeschehens sind Bilder und andere Kunstwerke global unterwegs. Die damit verbundenen Belastungen (und Gefährdungen) ihrer materiellen Substanz und konservatorischen Unversehrtheit werden in Kauf genommen, um mit den Kunstwerken Geld zu verdienen. Denn Ausstellungen stellen ein gut gehendes Geschäft dar, in dem Verleihgebühren verdient werden, auf die viele Museen nicht mehr verzichten wollen (oder können). Zum Thema der Zirkulation gehören auch die Gründungen von Dependancen durch große Kunstmuseen. Das im letzten Abschnitt zum Thema des Museums zitierte Guggenheim-Museum in Bilbao ist eine solche Filialgründung, die sich dem Guggenheim-Museum in New York verdankt. Mit der damit verbundenen Vergrößerung der Ausstellungsfläche kommen mehr Werke in den Kreislauf der Ausstellungen und können dabei Besucher anziehen, welche die gleichen Werke in Dauerpräsentationen womöglich kaum beachten würden. Dieser Kreislauf der Filialgründungen hat sich in den letzten Jahren weiter beschleunigt. Er betont ein Moment der beginnenden Moderne – dass Bilder mit dem Ausstellungswesen Teil einer unablässig kreisenden Zirkulation werden. Relevanz: Ohne Ausstellungen sind Kunstwerke unsichtbar. Dieser Satz mag paradox klingen, da schließlich jedes Objekt sichtbar ist. Ausstellungen stellen jedoch eine Bühne dar, auf welche die Kunst und vor allem die Künstler kaum noch verzichten können. Der Weg zur Wahrnehmung durch das Publikum, zum Kauf durch einen privaten Sammler oder, besser noch, durch einen Museumsdirektor führt für die Kunst unweigerlich durch das Medium der Ausstellung. Denn die Ausstellung ist nicht nur einfach Forum. Sie wirkt auch als wichtige Einlasskontrolle in die Welt der wahrgenommenen und damit überhaupt erst existenten Kunst. Kunstwerke, die nicht ausgestellt werden, können nur von minderer oder gar keiner Güte sein – dies ist ein unumstößliches Gesetz der Kunstwelt. Umgekehrt stellen Ausstellungen Relevanz und Wert von Kunstwerken überhaupt erst her: „Bedeutende Ausstellungen machen auch Bilder“ (Chlebowski 2005: 11). Mit jeder neuen Ausstellungspräsentation steigt der Wert eines Kunstwerkes. Nicht ohne Grund haben Galeristen ein großes Interesse daran, Werke aus ihrem Bestand den Weg über eine oder möglichst mehrere Ausstellungen in Museen oder Kunsthallen nehmen zu lassen. Damit steigt automatisch der Wert der entsprechenden Artefakte. Ausstellungsbeteiligungen können also bares Geld Wert sein – auch
4.2 Kunst inszenieren: Die Ausstellung
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dadurch, dass sie notwendige Vorstufe für die Aufnahme eines Kunstwerkes in Museumsbestand sind. Interpretation: Ausstellungen sind keine wahllosen Zusammenstellungen von Kunstwerken. Ausstellungen konstituieren stets einen Zusammenhang, in dessen Kontext das einzelne Werk bestimmte Lesarten entfaltet. Damit bieten Expositionen Kunstwerke nicht einfach dar, sondern setzen Beziehungen, die unterschiedlich begründet sein können. Eine häufig genutzte Struktur ist die der zeitlichen Abfolge von Kunstwerken. Der Überblick über das Werk eines Künstlers ebenso wie die Illustration eines bestimmten Stils kommt hinzu. Ausstellungen konstituieren sich aber auch über thematische Setzungen. Allen diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie Kunstwerke in Hinsicht auf einen Aspekt sichtbar machen, der kontrovers auf seinen Geltungsanspruch hin diskutiert werden kann. Ausstellungen sind damit nicht nur Erzählungen, sondern auch Thesen, die angenommen und abgewiesen werden können. In ihrer Abfolge bilden Ausstellungen Kunstgeschichte – und dies vor allem seit dem Beginn der Moderne. Damit ist aber auch klar, dass Ausstellungen nicht nur Kunstwerke aufeinander beziehen; sie bilden auch untereinander Beziehungen und tradieren so bestimmte Lesarten der Kunst. Ausstellungen bilden einen Verweisungszusammenhang, der bei der Betrachtung der Kunstwerke beachtet werden muss. Diese genannten Aspekte kennzeichnen die Ausstellung mit Meisterwerken des New Yorker Museum of Modern Art, die 2004 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen war. Diese Ausstellung nimmt allein wegen ihrer statistischen Daten einen herausragenden Platz ein (vgl. Chlebowski 2005: 142f.) Mit insgesamt 1,2 Millionen Besuchern stellte die Ausstellung einen Rekord auf. Durchschnittlich sahen 6.500 Besucher diese Schau täglich; längst legendär ist die Schlange der Wartenden, die sich rund um die Nationalgalerie zog. Die längste Wartezeit betrug zwölf Stunden. Alle anderen statistischen Daten von Katalogverkauf bis Anzahl der teuren VIP-Tickets, von Budget bis Posterverkauf markieren Fabelwerte, mit denen trotz des ohnehin schon großen Ausstellungsbooms niemand rechnen konnte. Dass fast jeder Berliner von der Ausstellung gehört hatte, bezeichnet allein schon die Stossrichtung des Unternehmens: Die Berliner MoMA-Schau verwirklichte in idealer Weise eine Ausstellungskonzeption, die das Kunsterlebnis konsequent zum Massenereignis macht und entsprechend auch in der Lage ist, mit einem Gewinn abzuschließen. Diese Schau platzierte die Kunstwerke wie Popstars und setzte ganz auf den überragenden Stellenwert der Bilder und Skulpturen. Die Macher spielten damit das Kriterium der Knappheit voll aus und profitierten dabei von der konkurrenzlosen Reputation des Museums in New York. Berlin war nicht nur die einzige Station der Ausstellung, auch ihre Laufzeit wurde unwiderruflich festgelegt und jede Verlängerung von vornherein definitiv ausgeschlossen. Der besondere Erfolg der Ausstellung erklärt sich aber aus der Tatsache, dass sie eine nicht mehr steigerbare Erfolgsgeschichte als Programm wiederholte – und zwar die vom Siegeszug der künstlerischen Moderne. Mit ihrer Abfolge der Meisterwerke und der mit ihnen verbundenen Stilgeschichte bot die Schau einen Kanon an, dessen Verbindlichkeit offensichtlich keinen Zweifel zulässt. Sie kam damit nicht nur den Kriterien der Eventkultur entgegen, sondern entsprach auch weit verbreiteten Orientierungsbedürfnissen. Die Ausstellung mit Meisterwerken des MoMA wäre aber nicht möglich gewesen, ohne eine bereits lang andauernde Tradition großer Publikumsausstellungen wie einer längst erfolgreich durchgesetzten Avantgar-
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4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
de. Es scheint, als sei mit der Ausstellung die Summe der Moderne gezogen und eine Grenze des Wachstums in diesem Kultursegment erreicht. Die problematischen Kehrseiten solcher Ereignisse dürfen dabei jedoch nicht übersehen werden. Der extreme Erfolg der MoMA-Schau setzt alle anderen Kunstereignisse unter erheblichen Druck. Schließlich sind Rekordmarken für andere Angebote kaum zu erreichen. Zudem war die Ausstellung ein Musterbeispiel dafür, wie Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel ausschließlich auf ein Angebot konzentriert werden. Eine derartige Option benachteiligt automatisch andere mögliche Angebote. Ohnehin setzte die MoMA-Schau auf ein Publikum, das bereit war, die vorgegebene Rolle der Bewunderung ohne Widerspruch zu übernehmen. Ob solche Konstellationen kulturell wirklich produktiv sind, muss sich erst noch zeigen.
4.3 Kunst dokumentieren: Der Katalog 4.3 Kunst dokumentieren: Der Katalog Kataloge sind das Gedächtnis der Ausstellungen, sie geben Übersicht über Sammlungen und ersetzen manchmal die Begegnung mit den Originalen der Kunst, weil sie einen medialen Transfer der Bilder in ein leicht konsumierbares Format ermöglichen, das von einem Nutzer eingesehen werden kann, ohne dass er sich selbst zum Ort der Kunstpräsentation begeben muss. Damit konditionieren Kataloge aber auch erheblich die Kunstrezeption, da Kunstwerke mit ihrer Abbildung bestimmten Gestaltungsprinzipien unterworfen und so tendenziell umgeformt werden (vgl. Bosse 2004b: 37). Kataloge rücken in das Zentrum der Wahrnehmung, werden oftmals selbst zum „eigenständigen Kunstobjekt“ (Mackert 2004: 106). Vor allem aber schieben sie sich vor die Erfahrung der Originale, suggerieren einen leichten Überblick über beliebig viele Bilder und damit die ständige Verfügbarkeit der Kunst (vgl. Wedekind 1996: 33). Dabei wird oft übersehen, dass Kataloge ihrerseits der Interpretation bedürfen. Dies betrifft vor allem die Ordnungsschemata, die sie an die ungeordnete Masse der unabsehbar vielen Bilder herantragen. Kataloge sind demnach auch Archive und darin den Museen ähnlich. Kataloge können zunächst nach ihrer Funktion so unterschieden werden (vgl. RoeslerFriedenthal 2003):
Sammlungskataloge verzeichnen vor allem den Bestand von Privat- und Firmensammlungen. Sie entstehen zunächst als Verzeichnisse der Kollektionen von Fürsten oder Privatleuten in der Frühen Neuzeit. Museumskataloge enthalten den Bestand eines Museums. Sie geben vor allem Auskünfte über die Provenienz der verzeichneten Werke, liefern Angaben zur Forschungsliteratur und vor allem zur Ausstellungsgeschichte des einzelnen Exponats. Ausstellungskataloge führen die in einer Ausstellung temporär versammelten Kunstwerke auf. Neben den Abbildungen enthalten solche Kataloge vor allem erläuternde Texte in Form von wissenschaftlichen Aufsätzen. Werkverzeichnisse enthalten eine Übersicht über das Werk eines Künstlers. Die Aufnahme von Kunstobjekten in ein Werkverzeichnis entscheidet über ihren Wert. Denn
4.3 Kunst dokumentieren: Der Katalog
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das Werkverzeichnis verbürgt die Echtheit der Objekte im Sinn einer originalen Schöpfung des Künstlers (vgl. ebd.: 167). Auktionskataloge verzeichnen schließlich die Kunstobjekte, die für eine Versteigerung eingeliefert wurden.
Abgesehen von den speziellen Anforderungen, die an diese unterschiedlichen Formen des Katalogs gestellt werden, ist festzuhalten, dass sich die Funktion des Katalogs grundsätzlich gewandelt hat. Früher enthielten Kataloge standardisierte Werklisten mit Angaben über Größe und Material, Titel und Entstehungszeit eines Kunstwerks. Abbildungen waren ebenso wenig selbstverständlich wie lange Erläuterungstexte. Unter dem Eindruck eines expandierenden Ausstellungswesens hat nicht nur die Zahl der Kataloge erheblich zugenommen. Zur gleichen Zeit hat sich auch ihr Umfang und Inhalt dramatisch verändert. Kataloge dienen nun nicht weiter nur als Dokument (vgl. Thurn 1999: 145), sondern wandeln sich zu Bildkompendien, die von Texten begleitet werden. Zu langen Bildstrecken gesellen sich im Lauf der Zeit immer mehr wissenschaftliche Texte. Umfängliche Kataloge mit mehreren Aufsätzen, Farbabbildungen von allen Ausstellungsexponaten sowie Künstlerviten und Literaturverzeichnissen sind keine Seltenheit mehr. Der Ausstellungskatalog avanciert so nicht nur zum Repräsentationsobjekt (vgl. Breitenstein 1996: 34), sondern ist immer häufiger auch zeitgeschichtliches Dokument von wichtigen Ausstellungen und wird damit selbst – ähnlich wie Kunstwerke – zu einem Sammelobjekt (vgl. Thurn 1999: 146). Kataloge dürfen deshalb heute nicht einfach mehr als bloße Dokumentation und damit als ein Hilfsinstrument der Beschäftigung mit Werken der Kunst verstanden werden. Ihre zunehmende Emanzipation hat ihnen eine völlig neue Wertigkeit verliehen. Im Zentrum steht dabei der immense Einfluss auf die Wahrnehmung der Kunst, der längst so selbstverständlich ausgeübt wird, dass er oft nicht mehr eigens wahrgenommen wird. Dabei wird die Wahrnehmung des Bildes neu konditioniert. Kataloge halten nicht nur unabsehbar viele Bilder dauerhaft verfügbar. Sie versammeln diese Bilder auch zu imaginären Museen, stellen sie so in einen Zusammenhang, der vielleicht nur noch in der Form des Katalogs existiert, weil die entsprechende Wechselausstellung abgelaufen ist, oder in der Form nie stattgefunden hat. Manchmal bilden Kataloge auch, wie eben beschrieben, die Bestände von Museen ab und versammeln so Bilder zu einem imaginären Durchgang oder zeigen Kunstwerke, die außerhalb des Katalogs niemand zu sehen bekommt, weil sie magaziniert sind. Das Blättern im Katalog ersetzt die Bewegung des Betrachters im Raum. Zugleich schränkt der Katalog ein, weil er ein Werk aus seinem räumlichen Kontext isoliert, es nur in einer Ansicht präsentiert und es vor allem seiner körperhaften Anmutung beraubt. Kataloge errichten immer eine künstliche Welt – insofern, als sie vom einzelnen Werk als konkretem Objekt abstrahieren. Zugleich gewinnt diese Welt der Kataloge eine völlig neue Wirklichkeit, weil sie sich vor die tatsächlichen Werke und ihre Kontexte schiebt. Viele Menschen kennen bestimmte Werke der Kunst überhaupt nur aus einem Katalog. Damit konstituiert sich ein Wissen, das sich seine Herkunft aus einem sekundären Medium kaum noch bewusst macht. Für das Bild der Kunst hat das weitreichende Folgen. Denn der Katalog isoliert in aller Regel das einzelne Exponat (vgl. Bosse 2004b: 53), stellt eine Aura her, die sich vor allem aus dem Katalog speist. Der Katalog kreiert den Mythos des kostbaren Exponats, das dem Betrachter in immer gleicher Güte und optischer Qualität zur Verfügung
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4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
steht. Allerdings verändert der Katalog auch den körperhaften Bezug des Betrachters zum Exponat grundlegend. Denn die Kunstwerke werden nicht nur (meist) stark verkleinert oder (manchmal) deutlich vergrößert: Sie werden analog zum Seitenformat des Katalogs auch in ihren Größenrelationen untereinander angeglichen und treten so in eine homogene Reihe der Abbildungen ein. Für den Betrachter bedeutet dies, dass im Katalog abgebildete Exponate immer in handlicher Kleinheit erscheinen und damit ihre Fähigkeit einbüßen, dem Betrachter als ein starkes Gegenüber Widerstand leisten zu können. Dieser Widerstand ergibt sich mit tatsächlicher Größe und der auratischen Präsenz des Materials, dessen Anmutung durch den Katalog ebenfalls nivelliert wird. So geschieht durch den Katalog ein widersprüchlicher Effekt: Auf der einen Seite ist es der Katalog, der ein Kunstwerk in seinem Wert beglaubigt und ihm über die Abbildung erhöhten Wert verleiht. Auf der anderen Seite wird das gleiche Werk gerade erst durch den Katalog in den Status erhöhter Verfügbarkeit gebracht, weil die Abbildung seine problemlose Handhabbarkeit suggeriert. Für den Zusammenhang der Kunstkommunikation bedeutet dies, dass der Katalog nicht nur erhebliche Bildmengen zur Verfügung stellt, sondern zugleich auch das auf handliches Format und Hochglanz gebrachte Kunstwerk für den kombinierten Einsatz in anderen Medien oder kommunikativen Kontexten überhaupt erst bereitstellt. Das aus allen Kontexten gelöste Exponat wird zum abgelösten Bild, das nun seine Reise durch vielfältige Bedeutungskontexte antreten kann. Im Folgenden sollen einige ausgewählte Aspekte des Katalogs angesprochen werden: Dokument: Kataloge dokumentieren nicht nur Kunstwerke, sondern auch temporäre Präsentationen, also Ausstellungen. Gerade im Blick auf Ausstellungen gewinnen Kataloge herausragenden Rang als historisches Dokument (vgl. Thurn 1999: 145), weil sie nicht nur Formen der Präsentation im Bild zeigen, sondern auch in ihrer äußeren Anmutung Beleg für den Geist einer Ausstellung oder einen bestimmten Zeitgeist sein können. Bestes Beispiel ist dafür der Katalog der legendären, von Harald Szeemann geleiteten Documenta 5 von 1972, der in der Form eines Ringbuches erschien, und so den Werkstattcharakter der Schau unterstrich. Den Charakter eines Dokuments gewinnt der Katalog auch dadurch, dass er bestimmte Formen der graphischen Gestaltung zeigt, die ihn als typisches Zeugnis einer bestimmten Zeit oder Ära erscheinen lassen. Objekt: Mit diesem Aspekt eng verbunden ist der Aspekt des Katalogs als Objekt. Kataloge sind nicht einfach nur Bücher, sondern immer wieder auch bewusst gestaltete Objekte, die schon durch ihr Äußeres oder durch ihren Aufbau genau auf die Kunst abgestimmt sind, die sie dokumentieren. Für diesen Aspekt gibt es vielfältige Beispiele. So gestaltete die Kestner-Gesellschaft in Hannover einen Katalog zu einer Ausstellung mit Werken des Malers Gotthard Graubner als Buchobjekt mit gewölbten, gleichsam aufgepolsterten Buchdeckeln. Dieser charakteristische Zug der Gestaltung erklärt sich durch einen Bezug zu Graubners Bildern, die vom Künstler wie in den Raum hinein gewölbte Farbkissen gestaltet werden. Ein weiteres, gleichfalls markantes Beispiel ist der Katalog des Duisburger Lehmbruck-Museums, der eine Ausstellung mit Werken zum Thema Auto begleitete. Die Kuratoren gaben dem Katalog die Gestalt eines industriellen Musterbuches, dessen Seiten nicht nur
4.3 Kunst dokumentieren: Der Katalog
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durch eine Nut in einer Ecke zusammengehalten, sondern auch durch zwei Deckel aus rotem Blech eingefasst wurden. Im Inneren des Katalogs fanden sich Seiten aus Kunststoffen, wie sie in Innenräumen von Automobilen verarbeitet werden. Höhepunkt der Gestaltung und ironische Anspielung auf Parfumwerbung war eine Seite, von der eine Duftprobe von Motorenöl mit dem Finger abgerieben werden konnte. Allein diese zwei Beispiele zeigen bereits, in welchem Maß der Katalog selbst zum Objekt und womöglich sogar zum Kunstwerk werden kann (vgl. Mackert 2004: 106). Beglaubigung: Kataloge dienen gleich in doppelter Hinsicht der Beglaubigung. Sie bestätigen zunächst einmal die Echtheit eines Kunstwerkes. Werke, die in Katalogen abgebildet werden, gelten damit auch in ihrer Authentizität als verifiziert. Erst recht dann, wenn Kataloge in der Gestalt von Werkverzeichnissen auftreten, übernimmt der Katalog die Funktion einer wertenden Instanz. Entsprechend hoch sind Bemühungen, die Aufnahme von Werken in solche Verzeichnisse zu erreichen. Und ebenso dramatisch diskutiert werden Forschungen von Kunsthistorikern, die dazu führen, dass Kunstwerke aus Werkverzeichnissen wieder entfernt werden. Sie gelten damit nämlich als nicht authentisch und fallen sofort rapide in ihrem Wert. Kataloge beglaubigen aber auch Ausstellungen. Sie erhöhen nicht nur die Wahrnehmungsreichweite einer Ausstellung (vgl. ebd.: 102), sondern repräsentieren auch den Wert einer temporären Präsentation. Denn nur die mit einem möglichst umfangreichen Katalog (vgl. Thurn 1999: 150, Glasmeier 2004: 195) versehene Ausstellung wird als vollwertig anerkannt. Erst mit dem Katalog gewinnt sie Dauer. Zudem belegt die Existenz des Katalogs in aller Regel das Mitwirken von Geldgebern, das wiederum das Prestige einer Ausstellung deutlich anhebt. In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass Kataloge wiederum über ihren Verkauf zur Finanzierung von Ausstellungen erheblich beitragen können. Gewinnträchtig ist der Katalogverkauf in aller Regel bei der Kasseler Documenta. Aber auch die bereits angesprochene Berliner MoMA-Ausstellung wies die beeindruckende Zahl von insgesamt 217.000 verkauften Exemplaren des Katalogs auf (vgl. Chlebowski 2005: 142). Der Katalog zur MoMA-Ausstellung (Elderfield 2004), die bisher schon einige Male als Beispiel herangezogen wurde und auch in dem Abschnitt über die Kommunikationsform des Evaluierens besprochen werden wird, verkörpert in beinahe idealtypischer Weise einige der gerade aufgeführten Merkmale von Katalogen. Das besondere Prestige der Ausstellung erhebt den Katalog zu einem Dokument von besonderem Wert, sein Verkaufserfolg macht ihn zu einem wirtschaftlich bedeutsamen Faktor in der Budgetplanung. Insofern stützt der Katalog die Ausstellung als Kulturveranstaltung, die veranstaltet und finanziert sein will. Zudem dient er als Beleg des persönlichen Besuchs. Darüber hinaus entfaltet der Katalog aber auch erhebliche programmatische Aussagekraft. Dazu gehört nicht allein die Farbe Pink, die den Einband gestaltet und den Katalog damit in die Corporate Identity der Imagekampagne einfügt, die für die MoMA-Ausstellung aufgelegt worden ist (vgl. Chlebowski 2005: 154-156). Dazu gehören auch das klassisch anmutende, klare Schriftbild und die Absetzung der einzelnen Kapitel durch farbig gefasste Randstreifen auf den jeweiligen Einleitungstexten.
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4 Strategie 1: Vermitteln. Wie die Kunst erscheint
Der wichtigste Aspekt dieses Kataloges findet sich jedoch in der Darbietung der Kunstwerke. Analog zur Ausstellung entwirft der Katalog eine Abfolge der Stile und führt die Kunstwerke als deren Belegstücke vor. Die Kunstwerke werden in einer Weise präsentiert, die ihren Rang als Meisterwerke unterstreicht. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Werke aus jedem Kontext isoliert einzeln auf einer ganzen Seite dargeboten. Der Katalog betont damit die Bedeutung des Kunstwerkes als Solitär und entwirft deren Verhältnis als lineare Reihe herausragender künstlerischer Leistungen mit exemplarischem Charakter. Der Katalog bietet damit nicht allein glanzvolle Abbildungen mit hohem Erinnerungswert für die Besucher der Ausstellung, sondern auch eine Deutung der Kunstgeschichte der Moderne. Die erscheint als Resultat der Arbeit vereinzelter Genies. Kontexte sind dabei ausgeblendet, Irritationen des Schemas einer linearen Fortschrittsgeschichte haben keinen Platz. Der Katalog verstärkt diese Deutung schließlich noch durch ein Gliederungselement, das in dieser Form wohl nur das Museum of Modern Art aufbieten kann. Nach dem Abbildungsteil sind die Exponate noch einmal einzeln aufgeführt. Diesmal werden die kleinformatigen Abbildungen von Texten begleitet, die nicht für den Katalog erstellt wurden, sondern frühere Ausstellungen des MoMA zu den Werken der Künstler begleitet haben. Der Katalog synchronisiert damit die linear dargestellte Geschichte der künstlerischen Moderne mit der Ausstellungsgeschichte des Museums. Das Museum erscheint damit als Ort, der selbst Geschichte machte – und womöglich durch die systematisierende Arbeit des Hauses auch die eigentliche Geschichte der Moderne schrieb. Damit macht das Museum der Kunst nicht nur Konkurrenz, sondern hebt sich selbst gar in die dominante Position. Diese Sicht der Dinge entfaltet nicht die Ausstellung, sondern allein der Katalog, der damit durch seine bloße Gestalt und Gliederung eine These von beachtlicher Weite und Wirkung transportiert.
5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden 5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
Von der Kunst zum Image: Dabei denkt kann an die unzulässige Reduktion der reichhaltigen Kunst zu einem flachen Markenlabel gedacht werden. Zugleich deutet die Tätigkeit des Transferierens auf eine höchst produktive Operation. Denn der Transfer meint die Übertragung einer bestimmten Qualität oder eines Inhalts von einem Bereich auf einen anderen. Wer transferiert, der koppelt, was eigentlich nicht in direktem Kontakt miteinander steht. Zugleich werden Eigenschaften von einem Bereich auf einen anderen übertragen und damit Sichtweisen und Bewertungen so verschoben, dass sich die Wahrnehmung des Bereichs, der bei dem Transfer Empfänger ist, nachhaltig verändert. In Kapitel 2 ist ein Beispiel für diesen Vorgang bereits analysiert worden. Mit dem Zitat eines Gemäldes in ein Foto der Fernsehwerbung wurde das Bedeutungsspektrum des TV-Bildes entscheidend erweitert. Der Transfer hat folgende Ergebnisse:
Mit der Kunst wird das Ziel des Transfers mit dem Prestige aufgeladen, das Kunst in der Regel zugeschrieben werden kann. Kunst sorgt für eine allgemeine Aufwertung dadurch, dass mit ihrem Erscheinen die Aura der Hochkultur aufgerufen wird. Mit der Kunst wird die Bedeutung des Transferzieles erheblich ausgeweitet. Dies kann in unterschiedlichen Richtungen geschehen. Dabei wird die Bedeutung entweder unterstützt oder mit einem gegenläufigen Subtext versehen. Wie das eben angesprochene Beispiel gezeigt hat, können beide Tendenzen sogar kombiniert werden. Dadurch entsteht ein Bedeutungspotenzial mit starken Kontrasten. Mit der Kunst wird das Ziel des Transfers für andere als die zunächst angepeilten Zielgruppen zum Gegenstand der Rezeption. Das Beispiel der Fernsehserie „The Simple Life“ hat gezeigt, dass ein Werbebild nicht nur die Klientel anspricht, die für leichte TV-Unterhaltung gewonnen werden soll. Zugleich fordert das Zitat des Gemäldes von Grant Wood den Rezipienten, der nicht nur über das notwendige Wissen verfügt, um das Zitat erkennen zu können, sondern auch in der Lage ist, komplexe Bildbotschaften zu interpretieren. Diese Zielgruppe wird damit gleichfalls mit dem Ergebnis des Kunsttransfers erreicht.
In dieser Perspektive erscheint die Operation des Transfers nicht als vordergründiges Marketing, das die Kunst für bestimmte Zwecke einspannt. Stattdessen kommt der Transfer als Kreation eines komplexen Bedeutungsfeldes in den Blick, das mit dem Import von Kunst und ihren einzelnen Aspekten in ungewohnte Bereiche entsteht. Kern dieser produktiven Tätigkeit ist die Verschmelzung von Bildwelten, die grundsätzlich zueinander in Spannung stehen. Auf der anderen Seite zeigen sie jedoch hinreichend Gemeinsamkeiten, um sinnvoll verknüpft werden zu können. Gerade die Gleichzeitigkeit von Widerspruch und Entsprechung setzt das neu entstehende Bedeutungsfeld unter Spannung. Erst damit erreicht der
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
Transfer als Form der Kommunikation mit Kunst sein Ziel. Dies besteht darin, neue Images zu schaffen. Als affektiv aufgeladene Vorstellungsbilder vermitteln Images komplexe Botschaften der Identität von Personen, Unternehmen, Organisationen, Produkten und dergleichen mehr. Ein Image wird künstlich erzeugt und ist damit Ergebnis eines kreativen Prozesses, der selbst als Management gefasst werden kann. Zu einem Image gehören folgende Faktoren:
Einfachheit: Das Image reduziert eine Vielzahl von Merkmalen auf einen möglichst einfachen Sachverhalt. Images werden daher meist in Zeichen und Symbolen artikuliert. Lesbarkeit: Ein Image ist in der Lage, von vielen Adressaten mühelos verstanden zu werden. Images dürfen deshalb keine Verständnisprobleme aufwerfen. Dennoch können – gerade im Bereich der Kultur – auch komplexere Images aufgebaut werden, die jedoch die erreichbare Öffentlichkeit einschränken oder – im idealen Fall – für unterschiedliche Adressatengruppen anschlussfähig sind. Affektivität: Images müssen verstanden werden und erfordern manches Mal sogar einen Vorgang der Dekodierung. Auf eines können sie jedoch auf keinen Fall verzichten – auf ihre affektive Aufladung. Images sprechen Affekte ihrer Adressaten direkt an. Sie rufen diese (natürlich möglichst positiven) Affekte direkt und unverzüglich auf. Unterscheidbarkeit: Images haben einen zentralen Zweck: Sie sollen ihren Träger kenntlich machen. Images müssen deshalb für Abgrenzung sorgen. Sie funktionieren als Differenzierungsleistung, welche die Aufmerksamkeit von Adressaten zuverlässig bindet. Öffentlichkeit: Dazu gehört, dass Images konsequent für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ausgelegt werden. Ein Image muss von einer möglichst großen, also sozial und kulturell inhomogenen Zielgruppe problemlos identifizierbar sein und zweifelsfreie Zuordnung ermöglichen.
Ein Image stellt sich folglich als ein komplexes kulturelles Zeichen dar. Mit ihm können Kommunikationen und Wahrnehmungen erfolgreich gesteuert werden. Es ermöglicht die Ansprache einer möglichst großen Zielgruppe, erlaubt aber auch die Verständigung mit einer eng umgrenzten Öffentlichkeit. Images sind deshalb ein Design der Bilder und Bedeutungen, das Orientierung im sozialen Raum ermöglicht. Dabei ist die Kultur als ein selbst mit einem generell positiven Image besetzter Partner überaus gesucht (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 137). Daneben darf aber auch nicht die manipulative Kraft der Images übersehen werden. Vereinfachende Darstellung und affektive Überwältigung lähmen die Fähigkeit der Rezipienten zur Analyse und blockieren somit Ansätze der Kritik an den Botschaften der Images. Die als Marken der Konsumgüter erscheinenden Images lenken Wünsche und Erwartungen der Verbraucher und besetzen konsequent den öffentlichen Raum, der damit zur geschlossenen Werbezone wird. In diesem Bild kulminiert längst eine massive Kritik an den Images großer Konzerne (vgl. Klein 2005: 36ff). Images blockieren den freien Diskurs. Deshalb ist der Buchtitel „No Logo!“ (ebd.) zum Slogan einer kritischen Auseinandersetzung mit Marken und Images avanciert.
5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova
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Hier soll die Frage des Images nicht auf das Logo für Konsumgüter verengt werden. Auch wenn Images gerade im Kulturbereich längst zu einem wichtigen Teil des Marketings geworden sind (vgl. Klein 2001: 24), geht es bei der Operation des Transfers darum, komplexe Felder von Bedeutungen aufzustellen, deren Sinn sich nicht in Manipulation erschöpft, sondern Interpretation herausfordert. Dies kann mit dem Interesse an reibungsloser Übermittlung von Botschaften des Marketings durchaus vereinbar sein. Wer Kunst für Transfers einsetzt, erzeugt jedenfalls Produkte, die selbst wiederum Gegenstand ästhetischer Wahrnehmung sein können. Und dies umso mehr, als in letzter Zeit neben klassischen Begriffen der Ästhetik wie Schönheit oder Erhabenheit auch deren lange Zeit vernachlässigte Begriffe neuen Stellenwert erlangt haben. Wer heute etwa nach dem Interessanten oder dem Spannenden fragt, den Stellenwert der lange missachteten Affekte rehabilitiert (vgl. Liessmann 2004), der lässt sich auf Rezeptionsweisen ein, die nicht mehr auf das auratische Meisterwerk und kontemplative Betrachtung fixiert sind, sondern flüchtige Wahrnehmung und die Kombination gegenläufiger kultureller Felder als Praxis für sich entdeckt hat. In diesem Sinn enthält die Operation des Transferierens das Potenzial kreativer Bildschöpfung. Dass Kunst dabei eine gewichtige Rolle spielt, liegt nicht nur an ihrem Prestigewert, der selbst schon imageträchtig ist. Zugleich erweist sich mit dem erfolgreichen Transfer als Form der Kommunikation mit Kunst deren Anschlussfähigkeit und damit eine fortdauernde Produktivität. Obgleich kulturelle Wissensbestände in breiten Teilen der Bevölkerung zu zerfallen scheinen, kann Kunst weiterhin für den Aufbau von Images eingesetzt werden. Das ist nur möglich, weil sie das kollektive Bildgedächtnis offenbar doch so tiefgehend geprägt hat, dass die von ihr ausgehenden Signale verstanden werden. Es scheint deshalb nicht angebracht, der zur Hochkultur gehörenden bildenden Kunst zu attestieren, sie sei „geradezu verzweifelt von allgemeineren Verständnis- und Wirkungsmöglichkeiten abgekoppelt“ (Steenblock 2004: 100). Im Gegenteil: Mit der Hochkultur lassen sich Bedeutungen erzeugen, die an eine breite Öffentlichkeit vermittelt werden können. Wie dies konkret funktioniert, soll nun anhand von zwei Beispielen analysiert werden. Dabei werden nicht die Intentionen von Urhebern, sondern die Ergebnisse in ihren konkreten Gestaltungen analysiert.
5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova 5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova Gegenstand dieses Abschnitts ist das „Salieri-Album“, das die italienische Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli 2003 veröffentlicht hat. Das Album enthält nicht nur die Aufnahmen von Arien des Komponisten Antonio Salieri (1750-1825) sowie die dazu gehörenden Texte. Zugleich weist das Album auch eine Reihe von Fotografien auf, die Details von Marmorskulpturen des italienischen Bildhauers Antonio Canova (1757-1822) zeigen. Zunächst können nur zwei Gründe angeführt werden, die diese Bildauswahl plausibel machen. Zum einen fällt auf, dass beide Künstler zur gleichen Zeit lebten und in etwa die gleiche Lebensspanne durchmessen haben. Beide waren zudem Italiener. Dagegen finden sich die Themen der Plastiken Canovas kaum in den Arien Salieris – von wenigen Anspielungen auf entspre-
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
chende Figuren der antiken Mythologie abgesehen. Wenn sich also die Abbildungen in dem Album nicht als Illustrationen auffassen lassen, die einen ohnehin gegebenen Inhalt veranschaulichen, dann müssen andere Gründe für die Auswahl gerade dieser Bilder ausschlaggebend gewesen sein. Diese Gründe sind nur zu verstehen, wenn das Album der Sängerin als Beispiel eines Transfers aufgefasst wird, bei dem Werke der Kunst eingesetzt werden, um ein bestimmtes Image zu erzeugen. Dieses Image kann, wie gerade eben beschrieben, sehr schnell erfasst werden und ist deshalb unmittelbar wirksam. Erst die sorgsame Analyse führt jedoch alle Aspekte dieses Transfers zu Tage und macht deshalb deutlich, dass mit dieser Operation ein Feld kultureller Bedeutung entsteht, in dem sich die Künste und ihre jeweiligen medialen Äußerungsformen gegenseitig in ihrer Wirkung unterstützen.
5.1.1
Das Thema: Die Diva und der „Bösewicht“ Salieri
Die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli kann zu Recht als internationaler Opernstar bezeichnet werden. Die 1966 in Rom geborene Künstlerin (vgl. Pâris 1997: 52) wurde von ihrer Mutter Silvana Bazzoni ausgebildet und absolvierte sehr rasch eine steile Karriere. Mit 19 Jahren debütiert sie an der Oper Roms, erreicht durchschlagende Popularität mit ihrem Auftritt bei einem Galaabend, der am 16. September 1987 live aus der Pariser Oper zum zehnten Jahrestag von Maria Callas (1923-1977) im Fernsehen übertragen wurde (vgl. Chernin 1999: 181-183). Es folgen die Debüts an der Mailänder Scala (1991), in der New Yorker Carnegie Hall (1992) und bei den Salzburger Festspielen (1993). Cecilia Bartoli konzentrierte sich bei diesen Auftritten vor allem auf Partien aus Opern von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Gioacchino Rossini (1792-1868). Sie artikulierte nicht nur ihre Sehnsucht nach den Komponisten der klassischen und barocken Periode in dem Traum von Begegnungen mit Mozart, Monteverdi und Vivaldi (vgl. Bartoli 2001), sondern entwickelte ihr Repertoire auch konsequent in die Richtung der Musik des 18. Jahrhunderts weiter (vgl. Chernin 1999: 98f), nachdem sie ihren sensationellen Durchbruch im Medium der Schallplatte 1989 mit einer Aufnahme von Rossinis Oper „La Cenerentola“ feierte, bei der sie die Titelpartie verkörperte. In den folgenden Jahren wurde die Sängerin konsequent zu einem Star des Tonträgermarktes aufgebaut, der ähnliche viele CDs wie der Tenor Luciano Pavarotti verkaufte. Als „Madonna der Opernwelt“ (Büning 2001) erreichte Cecilia Bartoli in den letzten Jahren Kultstatus. Probates Mittel bei dieser Karriereplanung war die Strategie, die Sängerin weniger in Opernaufnahmen auftreten zu lassen, als sie vielmehr mit einer Serie von Soloalben als Künstlerin zu positionieren, die von sich sagt: „Ich singe diese Poesie. Und in gewisser Weise lebe ich sie auch“ (Bartoli 2001). Anstatt „auf dem rundum im Abbau befindlichen, sterbenskranken Klassikplattenmarkt“ (Büning 2001) das sattsam bekannte Repertoire noch einmal zu wiederholen oder sich mit sekundären Attributen – wie der „Punkgeiger“ Nigel Kennedy – zu vermarkten, erarbeitete sich die Bartoli Werke von Komponisten, die weitgehend in Vergessenheit geraten waren. Mit dem „Vivaldi Album“ (1999) spielte sie Opernarien eines Komponisten ein, der vor allem mit seinen Violinkonzerten „Vier Jahreszeiten“ Weltruhm erlangte, und fügte dann noch „Gluck Italien Arias“ (2001) an. Das hier im Zentrum der Untersuchung stehende „Salieri Album“ (2003) erscheint vollends als „Plädoyer für
5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova
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einen Unbekannten“ (Kesting 2003). Wie bei den zuvor genannten Alben stützte sich die Künstlerin bei ihren Einspielungen auf Archivstudien von Musikwissenschaftlern. Für das „Salieri Album“ wurden elf der dreizehn Arien überhaupt zum ersten Mal aufgenommen (vgl. ebd.). Damit kultiviert die Bartoli nicht nur das Image der Entdeckerin, sondern begeht bei der Wahl von Kompositionen Salieris auch einen kleinen Tabubruch. Denn der Wiener Hofkomponist, der einst von Mozart in der Gunst der Mächtigen und des Publikums abgelöst worden war, ist in der Folgezeit nicht nur gründlich in Vergessenheit geraten. Bis in die jüngere Vergangenheit stand er auch in dem Verdacht, seinen Rivalen Mozart vergiftet zu haben. Zudem zementierte das 1979 uraufgeführte und 1985 von Milos Forman verfilmte Theaterstück „Amadeus“ von Peter Shaffer das Bild Salieris als einen Vertreter öden Mittelmaßes, dem angesichts des wirklichen Könners nur die Rolle des kleinmütigen Zaungastes und neidischen Rivalen bleibt. Als „Entdeckerin eines alten, vernachlässigten Repertoires, das darauf wartete, wieder ins Leben zurück gerufen zu werden“ (Chernin 1999: 120) nahm sich Cecilia Bartoli damit eines verfemten Komponisten an und sicherte sich so erhebliche Aufmerksamkeit. Zugleich kam sie mit der Folge der aus dem Zusammenhang der Opern Salieris entnommenen Arien ihrer Art des Singens entgegen. Und die besteht in einer ungebremsten Emotionalität, die ihr bei der Kritik auch den Vorwurf des „expressiven Manierismus“ (Kesting 2003) eingetragen hat. Das Publikum honoriert jedoch sichtlich eine Gesangskunst mit erheblichem Erlebniswert.
5.1.2
Der Bezug: Die Diva und die Klassizität Canovas
Hier geht es nicht um die leidenschaftlich diskutierte Frage, ob das Phänomen Bartoli nur als „Produkt geschickter Werbung und des Medienrummels“ (Chernin 1999: 14, vgl. Büning 2001) aufzufassen ist. Ihre künstlerischen Qualitäten stehen sicher ebenso außer Frage wie die Tatsache, dass jede Künstlerkarriere Elemente strategischer Planung enthält. Dazu gehört die Entwicklung eines Images, dass bei Cecilia Bartoli folgende Elemente enthält: ein „aus Künstlichkeit und Natürlichkeit perfekt abgemischtes Charisma“ (Büning 2001), das Bild von der Dienerin einer gediegenen, zu Unrecht vergessenen Tradition (vgl. Bartoli 2001), Kunstfertigkeit, Emotionalität und schließlich die Qualität „ein sexy Popstar“ (Büning 2001) zu sein. Die Fokussierung auf ihre Person wird mit Soloalben unterstützt, die seit dem „Vivaldi Album“ (1999) als Bocklets angelegt sind, bei denen sich die CD in einer hinten angebrachten Tasche eingelegt findet. Das Bocklet erweckt den Eindruck von Prestige des Starkults und eröffnet zugleich mit einem Umfang von durchschnittlich 60 Seiten die Möglichkeit, neben dem Abdruck von Texten auch eine genau gestylte Gestaltung vorzunehmen. Dazu gehören neben Einfärbungen von Seiten und typographischen Elementen vor allem Bilder. Essays zu den Werken der Komponisten spielen nur eine nebensächliche Rolle. Beim „Vivaldi Album“ (1999) unterstützen historische Bilddarstellungen, Einfärbungen der Seiten im Stil historischer Pergamente sowie ein Bild von Cecilia Bartoli mit dem Geistlichen von Vivaldis venezianischer Taufkirche das Image der Sängerin als Spurensucherin. Dagegen zeigt das Bocklet zu den „Gluck Italian Arias“ (2001) ein stilisiertes Foto der Sängerin in historischer Medaillon-Optik. Auf der gegenüberliegenden Seite findet sich das
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
Porträt des Kastraten Caffarelli, der Glucks Arien zu Lebzeiten des Komponisten sang. Diese Inszenierung stützt das Image der Sängerin als authentischer Vertreterin einer vergangenen Musikkultur (vgl. Chernin 1999: 64f). Es ist Cecilia Bartoli, die eine Tradition zu neuem Leben erweckt, die längst abgestorben zu sein schien. Wir hören heute eine Musik nur deshalb wieder, weil es die Bartoli ist, die sie singt (vgl. Büning 2001). Das gefestigte Image erlaubt es dieser Musikerin, in Fragen der Repertoires neue Trends gegen die allgemeinen Markttendenzen zu setzen. Das „Salieri Album“ folgt in Aufmachung und Umfang den beiden früheren Alben, weist bei der Gestaltung jedoch andere Merkmale auf. Das Cover zeigt den Gesangsstar im Großfoto, die inneren Umschlagseiten weisen Abbildungen von Salieri-Noten auf. Dazu wird der Komponist abgebildet – im hinteren Umschlag gemeinsam mit Cecilia Bartoli. Sängerin und Komponist erscheinen wie ein Paar aus längst vergangener Zeit. Bartoli vollzieht damit die Zeitreise in eine ferne Epoche und erscheint als einzig wahre Sachwalterin der Musik Salieris. Doch im Inneren des Bocklets erscheint die Gestaltung nun deutlich reduziert. Die weißen Seiten zeigen keinerlei historisierende Typographie mehr. Neben einem Essay zu Salieri (vgl. Osele 2003) und den Texten der von Bartoli gesungenen Opernarien erscheint eine durchgehende Bildstrecke mit Marmorplastiken Antonio Canovas. Dieser Purismus verbindet sich auf den ersten Blick mit der klassizistischen Glätte, die auch das Werk Salieris kennzeichnet. Dieses kühl anmutende Design kann, wie bereits gesagt, nicht mit der Funktion einer illustrativen Leistung erklärt werden. Die Leistung liegt auf einem anderen Gebiet: Mit den Fotos von Canovas Plastiken wird ein Image erzeugt, dass auf die Sängerin Bartoli wie auf den Komponisten Salieri zurückstrahlt und deren ästhetischkünstlerische Verbindung im Bildmedium überhöht. Die Wahl Antonio Canovas als Bezugspunkt im Medium der Bildenden Kunst ist alles andere als zufällig. Denn Salieri und Canova teilen nicht nur die etwa gleiche Lebenszeit. Sie vereinen auch weitere Merkmale. Denn ebenso wie der Hofkomponist Salieri genoss der Bildhauer Antonio Canova zu Lebzeiten durchschlagenden Erfolg. Beide Künstler teilten jedoch auch das Schicksal, nach ihrem Tod sehr bald vergessen zu werden. Während Salieris Kunst vom Genie Mozarts überstrahlt wurde, geriet Canovas Bildhauerkunst mit den kreativen Schüben der romantischen und später realistischen Kunst ins Hintertreffen. Zudem wurde das Zeichenrepertoire der mythologischen Stoffe sehr bald nach Canovas Tod entwertet. Salieri und Canova – erst prominent, dann Opfer einer Umkodierung ästhetischer Orientierungen. Beide haben sich von diesen Verschiebungen bei der Bewertung künstlerischer Leistungen bis heute nicht mehr erholt. Canova schuf einst Grabmäler für Päpste, machte aus Napoleon in der Gestalt des „friedensstiftenden Mars“ (Le Normand-Romain 1996: 16) sowie aus dessen Schwester Paulina Borghese als „Venus victrix“ (ebd.: 19) Göttergestalten nach dem Vorbild der antiken Plastik. 1946 dagegen verspottete der italienische Kunsthistoriker Roberto Longhi die Kunst Canovas als „Friedhofsplunder“ (Licht 1983: 16, Bürklin 1990: 94). Canova – immerhin der erste Künstler überhaupt, dem schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wurde – gilt noch heute als Inbegriff einer gründlich überlebten Kunst, als Vertreter eines vollständig überwundenen ästhetischen Kanons. Auf diesem Hintergrund erscheint die Wahl der Skulpturen Canovas für eine Bildfolge in einem CD-Booklet ausgesprochen gewagt. Dies nicht nur wegen des negativen Images, das diesem Künstler anhaftet, sondern weil viele Betrachter bei dem Anblick der Plastiken den Namen des
5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova
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Künstlers kaum noch assoziieren werden. Dennoch eignet sich Canova bestens für einen Imagetransfer. An dieser Stelle kann bereits vermutet werden, dass Canova gerade deshalb als ästhetischer Bezugspunkt geeignet erschien, weil sein Name vergessen ist. Frei von allen Kontexten der Zeit- und Wirkungsgeschichte erscheinen die Plastiken des Künstlers in dem Bocklet zu der CD als Inbegriff überzeitlicher Schönheit. An diesem Image wirken mehrere Faktoren mit, die jetzt analysiert werden sollen.
5.1.3
Die Wirkung: Canovas Skulpturen in der Fotografie
Zu den Aspekten der Wirkung von Canovas Plastiken im Rahmen des CD-Booklets gehören vor allem vier Faktoren. Dies sind: Thema, Motiv, Material und Fotografie. Diese Aspekte ergänzen sich auf eine zunächst kaum wahrnehmbare Weise und erzeugen ein Idealbild der Schönheit, das Cecilia Bartolis Image als Star des Operngesangs wirkungsvoll unterstützt. Die Aspekte der Wirkung: Thema: Die Folge der Fotografien von Canovas Plastiken nehmen zunächst auf ihre jeweils inhaltlichen Darstellungen keinen Bezug. Keine der Abbildungen weist eine unmittelbar beigefügte Beschriftung auf. Die Bilder werden von den Themen gleichsam getrennt. Erst ein kollektiver Bildnachweis ganz am Ende des Booklets gibt die Titel der abgebildeten Skulpturen an. Nicht ohne Grund eröffnet eine Venus-Darstellung die Bildfolge. Praktisch alle Skulpturen sind Darstellungen der Venus oder von Gestalten, die ihr in der griechischen Mythologie benachbart sind. Die „Venus Italica“, welche die Bildfolge eröffnet, erscheint allein in drei Abbildungen, hinzu kommt die Skulptur „Venus und Adonis“. Cupido und Psyche sind dem Stoff- und Themenkreis der Venus ebenso zugeordnet wie schließlich das Thema der „Drei Grazien“, das mit mehreren Abbildungen einer 1814 entstandenen Skulptur vertreten ist. Als einzige Skulptur wird sie auf einer Doppelseite abgebildet. Diese Skulptur war seinerzeit ein in Europa vielfach bestauntes Kunstwerk (vgl. Bürklin 1990: 92), weil die Figurengruppe als „sinnliche, reich modulierte Verschlingung der Gestalten, voll von aufsteigenden und abwärts führenden Bewegungsrichtungen“ (Licht 1983: 211) einzigartiges ästhetisches Raffinement bot. Wichtig ist hier jedoch nicht allein, was die Bildfolge in dem Bocklet zeigt, sondern auch das, was sie ausspart. Sie thematisiert weder die Darstellungen der Gewalt, die sich auch in Canovas Werk finden, noch nehmen sie auf die Skulpturen Bezug, die für die Mächtigen der Ära Napoleons entstanden. „Mit Ausnahme von Peter Paul Rubens war es keinem Künstler außer Canova je gelungen, sich und seiner Kunst bei so vielen Höfen Europas in Gunst zu bringen“ (Licht 1983: 22). Vor allem der Protektion Napoleons verdankte Canova seine imposante Karriere (vgl. ebd., Le Normand-Romain 1996: 15). Das Bartoli-Booklet reduziert Canova auf eine allen politischen Bezügen enthobenen Schönheit. Motiv: Daraus folgt die Einsträngigkeit der Motive. Die Bildfolge legt Canova auf das Motiv der Umarmung, überhaupt der zärtlichen Zuwendung fest. Kaum eine der abgebildeten Skulpturen zeigt eine einzelne, isolierte Figur. Fast immer dominieren Gruppen mit zwei oder drei Figuren, die bei Kuss und Umarmung gezeigt werden. Die Bildfolge entfaltet nicht
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
nur ein Ambiente der Schönheit, sondern auch der Zärtlichkeit. Dieses zentrale Motiv verweist auf den Begriff der Anmut (vgl. Kleiner 2000: 195, Henckmann 2004: 23f), der als „sinnliche Erscheinung von Natürlichkeit, Einfachheit und Naivität“ (Henckmann 2004: 23) vor allem in dem von Friedrich Schiller geprägten Gegensatz zur Würde als weibliches Gegenstück zu einem männlich geprägten Begriff gesehen wurde. In der 1793 entstandenen Schrift „Über Anmut und Würde“ (vgl. Kleiner 2000: 202f) heißt es: „Anmut ist eine bewegliche Schönheit; eine Schönheit nämlich, die an ihrem Subjekte zufällig entstehen und ebenso aufhören kann“ (Schiller 1980: 434). So wird Anmut bei Schiller zu einem Resultat der Bewegung (vgl. ebd.: 446) und gleichzeitig zu einem fragilen Phänomen, dass sich keinesfalls mit Absicht oder Kalkül verträgt. Anmutig ist nur, wer von seiner Anmut nichts weiß (vgl. ebd.: 450) – solchem Begriff der Schönheit wohnt auch ein Moment spannungsloser Selbstvergessenheit inne. Damit wird auch klar, dass ein solches Ideal einer mit sich versöhnten, konfliktfreien Ästhetik kein Konzept der Moderne sein kann. Der unaufhaltsame Niedergang des Begriffs der Anmut, der mit dem Anbruch der Moderne einsetzte, macht ihn heute ebenso vergessen wie den Klassizismus Canovas. Sichtbares Zeichen dieses Wandels ist die Deformation des Motivs der „Drei Grazien“ in Werken von Pablo Picasso und Francis Picabia (vgl. Kleiner 2000: 207, Henckmann 2004: 24). Material: Der Hinweis auf das Material des Marmors bei Antonio Canova mag zunächst banal erscheinen. Schließlich sind in keinem anderen Material „skulpturale Werke so zahlreich überliefert wie in Marmor“ (Wagner 2002: 176). Zudem wurden Fragen des Materials lange Zeit wenig beachtet (vgl. Wagner 2001a: 11), das Material nur als Träger der Formfindung und damit als unterlegene Ebene der Kunst gering geschätzt (Wagner 2001b: 869, Henckmann 2004: 237). Dies hat sich gründlich geändert. Material wird nun als „Träger einer Information“ (Wagner 2001b: 867) verstanden und entfaltet so einen eigenständigen Verweischarakter, der durch die Verwendungsformen des jeweiligen Materials in der Kunstgeschichte aufgeladen wird. Bei Marmor wird inzwischen von einer regelrechten „Traditionslast“ (Wagner 2002: 179) gesprochen. Denn dieser Stein wurde lange Zeit mit der Antike identifiziert und bildete schließlich das „Dogma der klassizistischen Skulptur“ (ebd.: 178). Einfachheit und Reinheit: Ausgehend von diesen Konnotationen des Marmors verwirklichte Canova seine „marmorweiße Vision edlen Heldentums“ (Schümer 2004), die sich vor allem in technischer Perfektion bewies. Der Künstler, der sich besonders die Politur der Oberflächen seiner Skulpturen ausdrücklich vorbehielt (vgl. Bürklin 1990: 96), faszinierte seine Zeitgenossen mit einer völligen Entmaterialisierung seiner Figuren. Seine Skulptur „Cupido und Psyche“ zeigt gar einen zarten Schmetterling, den die Göttergestalten sacht streicheln – ein Sieg der Kunst über die Härte des Materials. Im CD-Booklet wird diese Figur abgebildet (Bartoli 2003: 29). So wird der Transfer fassbar, der die Eigenschaften eines künstlerischen Materials auf die Sängerin überträgt. Reinheit, Exklusivität, Schönheit, Glätte: All diese Merkmale des Marmors erscheinen auch als Attribute der Sängerin Cecilia Bartoli. Zugleich geschieht der Bedeutungstransfer aber auch in entgegen gesetzter Weise. Denn der Marmor steht auch für eine künstlerische Haltung, die in der Moderne nicht mehr anschlussfähig erschien. Marmor wurde nur noch selten benutzt und wenn, dann in der radikalen Brechung wie bei Walter de Maria, der 1987 für seine „5 Kontinente Skulptur“ 325 Tonnen Marmor in kleinen Brocken in der Stuttgarter Staatsgalerie aufschichtete (vgl. Wagner 2001a: 172-174) und damit die Makel-
5.1 Die Marmorglätte der Musik: Cecilia Bartoli und Antonio Canova
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losigkeit des Materials nachhaltig dementierte. Wie das Werk Canovas so signalisiert auch das Material Marmor eine Ästhetik vergangener Zeiten. Dies deckt sich mit Bartolis Rehabilitierung vergessener Kompositionen eines einst stigmatisierten Meisters und umgibt die Diva mit dem Hauch einer Exklusivität des Gestrigen. Foto: Ebenso banal wie der Hinweis auf das Material Marmor muss die Anmerkung erscheinen, dass die Skulpturen Canovas in einem CD-Booklet natürlich nicht „in natura“ anwesend sein, sondern nur als Fotografie beigegeben werden können. Damit kommt aber mit dem künstlerischen Medium der Fotografie eine neue Ebene ästhetischer Gestaltung und Anmutung hinzu, die von Bildhauern selbst immer wieder wohl kalkuliert eingesetzt wurde, um die Rezeption ihrer Skulpturen zu steuern. Diese Spannung zwischen der dokumentarischen Funktion der Fotografie und ihrer gestalterischen Kraft ist selbst den Fotografen bewusst, die sich nicht als Künstler sehen. David Finn, der den umfangreichen Band von Fred Licht mit opulenten Abbildungen versah, ließ sich seine Fotos von Kunstexperten zwar als „getreue Wiedergaben“ (Licht 1983: 12) beglaubigen, war sich aber dennoch klar darüber, dass seine Abbildungen die „Atmosphäre der Milde und Vergeistigung“ (ebd.) der Skulpturen Canovas verstärkten. Eher Vision als Abbildung (vgl. Brockhaus 1997): Genau so muss die Wirkung der Fotografie in diesem Fall gesehen werden. Fotografien von Skulpturen betonen „ganz entschieden die bildhafte Erscheinung des plastischen Werkes, die Entmaterialisierung des plastischen Materials“ (ebd.: 83) und liefern mit ihrer ausschnitthaften und an eine bestimmte Betrachterposition gebundenen Wiedergabe den „Fantasien und Projektionen des Betrachters“ (Faber 1997: 89) viel freien Raum. Damit entfaltet in dem CDBooklet seine volle Wirkung. Die Fotografien zeigen Canovas Plastiken vor einem einheitlich grauen Hintergrund, entkleiden sie also ihres Kontextes und damit der zeitgebundenen Bedingungen ihrer Präsentation. Fast durchgehend werden die Plastiken in Ausschnitten gezeigt. So werden die Motive von den mythologischen Stoffen abgehoben und auf die Dimension einer überzeitlich anmutenden Liebe und Zärtlichkeit reduziert. Die Fotos entfalten mit den Skulpturen einen Reigen zarter Blicke und Berührungen. Die deutlich gesteuerte Lichtregie mit ihrem zum Teil noch deutlich erkennbaren seitlichen Lichteinfall verwandelt die Oberfläche in einen Wechsel von Licht- und Schattenpartien. So werden die Plastiken im Medium der Fotografie noch einmal modelliert. Zugleich betont die helle Beleuchtung das Material, das nun fast wie Porzellan und nicht mehr wie Marmor erscheint. Die Fotografie inszeniert Canovas Kunst als überzeitliches Reich permanenten Glücks.
5.1.4
Das Image: Eine Sängerin als Botschafterin der Schönheit
Wer die gerade analysierten Ebenen der Kunst Canovas nun wieder miteinander kombiniert, rekonstruiert die Wirkungen, welche die Abbildungen von Kunstwerken im Kontext einer CD-Präsentation entfalten. Abseits einer vordergründig illustrativen Funktion werden die Fotos von Marmorskulpturen eingesetzt, um einen gezielten Imagetransfer und -aufbau zu erreichen. Dabei kommt es nicht zur Artikulation einer starken Botschaft in dem oben definierten Sinn eines Mediums der Kunstkommunikation. Stattdessen muss die Wirkung der vorliegenden Konstellation schrittweise erschlossen werden. Die volle Wirkung entfaltet
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
das vorliegende Arrangement in der sehr komplexen Kombination von Kunst und Träger. Als Träger kann hier das CD-Booklet identifiziert werden. Doch der Faktor der Kunst ist zumindest doppelwertig. Denn hier erscheinen die Marmorplastiken von Canova in der Vermittlung durch die Fotografie. Zudem erscheint das Bocklet mit seiner sorgsam komponierten Bildstrecke selbst als ein ästhetisches Arrangement. Die Trias Skulptur – Foto – Bildstrecke entfaltet zudem die Konnotationen, die sich mit Canovas Kunst verbinden. Dabei wird der Name des Künstlers auf den ersten Blick ebenso wenig sichtbar wie die Titel der Skulpturen, die auf die Stoffe der Mythologie verweisen. An die Stelle historischer Information tritt eine von aller Zeitlichkeit abgehobene ästhetische Ausdrucksqualität, die sich bestens mit dem bislang aufgebauten Image der Opernsängerin Cecilia Bartoli verbindet. Im milden Licht der Marmorplastiken erscheint sie nun vollends als Sachwalterin einer Historie der Kunst, die ihrer Entdeckung noch harrt und als Hüterin einer aller Alltäglichkeit enthobenen Sphäre reiner Schönheit. Die Kombination der Bilder und ihrer Inszenierungen transportiert ein komplexes Image. Im CD-Booklet wird es zur spontanen Erfahrung von großer Suggestivkraft. Kunstkommunikation wirkt im vorliegenden Fall als sanfte Überredung und als genau kalkulierter Transfer, der vor allem in den Situationen wirksam wird, in denen CDs rezipiert werden: In der anonymen Kaufsituation eines Geschäfts ebenso wie in der Mußestunde im Wohnzimmer. Bartolis Gesang soll Erlebniswert mit Entspannung verbinden und so zum Wohlbefinden des Rezipienten beitragen. Genau dies unterstützt die vorliegende Kunstkommunikation in idealer Weise.
5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede 5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede Das eben analysierte Beispiel eines CD-Booklets hat gezeigt, wie mit Kunst das Image eines Musikstars erfolgreich inszeniert und so Wahrnehmung von Rezipienten gesteuert werden kann. Für das Bocklet musste die Kombination zwischen der Sängerin, den Opernarien Salieris und den Marmorskulpturen Canovas erst gefunden werden. Transferieren als Form der Kommunikation mit Kunst kann aber auch dann stattfinden, wenn die entsprechende Kunst nicht erst gewählt werden muss, sondern bereits durch historische Bezüge vorgegeben ist. Genau dies ist bei der Gemeinde Worpswede bei Bremen der Fall. Das rund 9000 Einwohner zählende Worpswede ist als Erholungsort anerkannt, landschaftlich reizvoll im Teufelsmoor gelegen. Doch seinen einzigartigen Ruf bezieht Worpswede von der Künstlerkolonie, die sich 1889 in dem Heidedorf etablierte (vgl. Lexikon der Kunst. Bd. 12. 1994: 296, Bresler 1996: 17). Die ab 1905 zerfallende Kolonie (vgl. Thurn 1997: 107) ist längst in die Kunstgeschichte eingegangen. Bis heute prägt sie jedoch das Image Worpswedes als Ort der Kunst und einer Freizeitgestaltung, die durch ihre kulturelle Dimension geprägt ist. „Kunst verleiht dem Ort Exklusivität“ (Lüddemann 2002: 39): In diesem Sinn kann Kunst in der konkreten Gestalt der Künstlerkolonie unter dem Blickwinkel des Marketings für Worpswede als Alleinstellungsmerkmal angesprochen werden. Diese bis heute fortdauernde Wirkung verdankt sich jedoch nicht nur einer spezifischen kulturgeschichtlichen Konstellation, die bereits zur Zeit der Künstlerkolonie Kunstproduktion, Landschaftserlebnis und literarische sowie bildliche Kommunikation eng miteinander verzahnte und so früh den Mythos
5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede
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Worpswede schuf. Zugleich muss festgestellt werden, dass dieses kunstgeschichtliche Erbe in der Folgezeit bewusst inszeniert worden ist und deshalb heute erfolgreich vermarktet werden kann. Die Baugeschichte von Heinrich Vogelers Domizil „Barkenhoff“ (vgl. Küster 1989), das den Mittelpunkt der Künstlerkolonie bildete, spielt dabei ebenso eine Rolle wie das aktuelle Ausstellungsgeschehen, das 2003 in der Schau „Rilke. Worpswede“ in der Kunsthalle Bremen kulminierte. Diese Ausstellung feierte nicht nur den hundertsten Jahrestag des Erscheinens von Rainer Maria Rilkes Monographie über Worpswede, sondern inszenierte auch die Werke der Worpsweder Künstler mit Versatzstücken der Moorlandschaft und bildete zugleich das Zentrum einer ganzen Reihe von kulturellen Aktivitäten und kulturtouristischen Angeboten (vgl. Herzogenrath 2003: 4f, Weser-Kurier 2003: 2). Mit der Kombination von Kunst und Kommunikation, Ausstellungsinszenierung und Vermarktung entstand 2003 ein komplexes Bedeutungsfeld, das hervorragende Ansatzpunkte für den Kulturtourismus bot – und auch weiterhin bietet. Zugleich stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Authentizität und künstlicher Erlebniswelt (vgl. Heinze 2002: 120) und damit nach der jeweiligen Spielart von Kulturtourismus. Sicher ist richtig, dass im Fall Worpswedes der Kulturtourismus auch dazu führt, dass mit der Pflege eines lokalen Kulturerbes ein neues Regionalbewusstsein aufgebaut wird (vgl. ebd.: 125). Zugleich muss aber auch betont werden, dass Tourismus stets im Kern als „Symbolkonsum“ (Gyr 1997: 259) anzusehen ist. Gerade das Beispiel Worpswede macht deutlich, dass kulturtouristische Angebote Ergebnis einer bewussten „Modellierung“ (ebd.) sind. Wo Kommunikation mit Kunst im Spiel ist, kann dies auch gar nicht anders sein. Denn Kunst liefert Symbolwelten, die niemals mit dem Kriterium des Authentischen bewertet werden können.
5.2.1
Das Thema: Rilke und der Mythos Worpswede
Wer die Inszenierung kulturtouristischer Angebote analysieren will, muss gerade bei dem Beispiel Worpswede die spezifischen Ausgangsbedingungen in den Blick nehmen. Die Elemente des Mythos Worpswede in komprimierter Form: Kolonie: Bei einer Wanderung im Moor fassten Fritz Mackensen, Otto Modersohn und Hans am Ende den Entschluss, in Worpswede eine Künstlerkolonie zu gründen (vgl. Thurn 1997: 93). Später schlossen sich der Kolonie Fritz Overbeck und Carl Vinnen an, 1894 kam Heinrich Vogeler hinzu. Mitglieder der Kolonie waren später die mit Otto Modersohn verheiratete Malerin Paula Modersohn-Becker und die Bildhauerin Clara Westhoff, die den Dichter Rainer Maria Rilke heiratete. 1895 bestritt die Künstlergemeinschaft eine Ausstellung in der Bremer Kunsthalle. Eine große Schau im gleichen Jahr in München brachte den Durchbruch und Bekanntheit in ganz Deutschland (vgl. Bresler 1996: 18). Die Künstlerkolonie zeichnete sich in den ersten Jahren durch engen sozialen Zusammenhalt aus. Gemeinsame künstlerische Arbeit, regelmäßige Zusammenkünfte an Sonntagabenden, sowie Freundschaften und die erwähnten Eheschließungen – gleich drei im Jahr 1901 (vgl. ebd.: 39f) – banden die „Worpsweder“ eng aneinander. Der langsame Zerfall der Gruppe ist durch den Umzug Modersohns nach Fischerhude, den Wegzug Clara Westhoffs nach Berlin und den Tod Paula Modersohn-Beckers 1907 gekennzeichnet.
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
Künstler: Die in der Kolonie vereinigten Künstler suchten mit dem Erlebnis der herben Moorlandschaft eine neue Kunstsprache. Die meisten Mitglieder der Kolonie schufen im Gefolge der realistischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts Landschaftsbilder, Stillleben sowie Bildnisse. Vor allem Hans am Ende und Fritz Overbeck gelangten zu einer Landschaftsmalerei, die mit ihrer hellen Farbpalette und atmosphärisch dichten Lichtwirkungen in die Nähe impressionistischer Bildsprache gelangt. Aus der gerade durch ihre Landschaften relativ homogen wirkenden Gruppe ragten zwei Persönlichkeiten durch dezidiert abweichende künstlerische Projekte heraus. Heinrich Vogeler (1872-1942) entwickelte sich zum Vertreter des Jugendstils (vgl. Losse 1997), der neben Malerei und Grafik auch Buchschmuck, Raumausstattungen und anderes mehr schuf. Der Worpsweder Bahnhof und die Güldenkammer im Bremer Rathaus sind Musterbeispiele von Vogelers Jugendstil-Design. Eine deutlich eigenständige Position entwickelte auch Paula Modersohn-Becker (1876-1907), die expressive Form- und Farbgebungen gestaltete und schließlich auch in Bildnissen und vor allem Stillleben Einflüsse Paul Cézannes verarbeitete. Barkenhoff: Die Künstlerkolonie hinterließ nicht nur Gemälde, sondern prägte auch das Ortsbild Worpswedes nachhaltig. Dazu gehören nicht allein das „Café Worpswede“ (1925) von Bernhard Hoetger und das 1927 erbaute Museum „Große Kunstschau“, mit dem die Kolonie vor Ort musealisiert wurde (vgl. Lüddemann 2002: 39). Bereits zu Zeiten der aktiven Künstlerkolonie bildete vor allem der „Barkenhoff“ das Zentrum der Gemeinschaft. Eine 1895 erworbene Bauernkate baute Heinrich Vogeler schrittweise zu seinem Künstlersitz aus (vgl. Küster 1989: 8ff, Bresler 1996: 30). Zu verschiedenen Anbauten kam vor allem die Gestaltung der markanten weißen Giebelfassade mit Veranda, Freitreppe und den charakteristischen Schmuckurnen. Noch 1908 wurde der Barkenhoff durch den Anbau eines Ateliers wesentlich erweitert. Zugleich gestaltete Vogeler einen Garten mit Zierbeeten, Rondell, Teich und Beeten, der das Bild des Barkenhoffs wesentlich prägte (vgl. Baumann 1997: 124f). Dem Außenraum entsprach eine ausgefeilte Inneneinrichtung mit der Diele als Zentrum. „Für Vogeler war der Barkenhoff mehr als Wohn- und Arbeitsstätte. Er war Ausdruck seines Lebensgefühls“ (Bresler 1996: 30). Zunächst war das Anwesen vor allem Schauplatz der Zusammenkünfte der Künstlerkolonie, er beherbergte Gäste wie Rainer Maria Rilke, der zum ersten Mal 1898 auf dem Barkenhoff zu Gast war (vgl. Drude 2003: 193). 1972 wurde der Barkenhoff von der Gemeinde Worpswede angekauft und 1981 als Zentrum für die Kunst neu eröffnet (vgl. Küster 1989: 191ff.). Zuletzt ist der Barkenhoff 2003/2004 restauriert worden. Dabei wurde der Bauzustand von 1908 wieder hergestellt. Das Gebäude beherbergt nun eine Ausstellung mit Werken Vogelers. Die Baugestalt favorisiert nun eindeutig das Ambiente des Jugendstils. Bilder: Der Barkenhoff war nicht nur Wohn- und Arbeitshaus sowie Treffpunkt der Künstlerkolonie, sondern auch Motiv für eine ganze Reihe von Gemälden und Radierungen Vogelers (vgl. Baumann 1997: 125ff). Vogeler machte Haus und Garten zum Gegenstand seiner Kunst, inszenierte sich selbst und seine Ehefrau Martha inmitten des Gartens, wie auch Photographien zeigen (Herzogenrath 2003: 235). Damit etablierte Vogeler den „selbstbezüglichen Kreislauf von Kunst- und Lebensentwurf, von Inspiration und künstlerischer Realisierung“ (Drude 2003: 199), der den Barkenhoff zum Schauplatz und zugleich Inhalt einer
5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede
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nach außen hin abgeschlossenen Kunstwelt machte. Diese künstlerische Haltung kulminiert in dem großformatigen Bild „Sommerabend“ von 1905 (Baumann 1997: 43), das die Veranda des Barkenhoffs als Schauplatz eines abendlichen Konzerts der Worpsweder Künstler zeigt. Zu den Dargestellten gehören Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, Clara Westhoff und Heinrich Vogeler selbst (vgl. Bresler 1996: 41). Die entrückten Blicke der dargestellten Figuren und der streng symmetrische Bildaufbau unterstreichen den Eindruck einer exklusiven Sphäre der Ästhetik. „Mauer und Pforte umfrieden den Bereich der Auserwählten und noch der vor der Tür lagernde Hund kann als Wächterfigur verstanden werden“ (Lüddemann 2002: 40). Über die Werke Vogelers hinaus machten auch die anderen Künstler der Kolonie die Worpsweder Moorlandschaft zu einem Markenzeichen. Torf und Kanäle, Birken und Moorbauern fügen sich als Motive zu einer regelrechten „Worpswede-Optik“. Rilke: „Es wird nun im Folgenden von diesen Menschen die Rede sein, nicht in der Form einer Kritik (...) Das wäre nicht gut möglich; denn es handelt sich hier um Werdende“ (Rilke 1987: 42). Als Porträt einer Künstlergemeinschaft schuf Rainer Maria Rilke sein 1903 erstmals erschienenes Buch „Worpswede“ und komponierte es als Abfolge von fünf einzelnen Aufsätzen über die Künstler Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler. Dabei fällt nicht nur auf, dass mit Paula Modersohn-Becker eine heute hoch geschätzte Künstlerin fehlt (vgl. Stenzig 2003: 277). Zugleich wird die persönliche Nähe des Autors zu den dargestellten Künstlern spürbar (vgl. Fuhr 2003: 264), die sich in einer affirmativen Diktion niederschlägt. Rilke, der sich später Werken der bildenden Kunst in seinem Buch „Rodin“ und den weiter oben behandelten „Cézanne-Briefen“ zuwandte, legt in dem Worpswede-Buch den Text als künstlerische Parallelaktion zu den Bildern der Worpsweder Maler an. Der ebenso ästhetisierende wie unsicher suchende Ton dieses Buches bleibt ganz dem Jugendstil der Jahrhundertwende verhaftet. „Vieles ist idealisiert, geschönt, Legende“ (ebd.: 267): Rilkes Buch liefert keinen Tatsachenbericht oder exakte biographische Information, sondern einen künstlerischen Text, der bereits das anlegt, das später als „Mythos Worpswede“ (Stenzig 2003: 274) seine Wirkungsmacht entfalten sollte.
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Heinrich Vogeler: „Sommerabend“, 1905. © VG Bild-Kunst, Bonn 2007.
5.2.2
Die Kopplung: Landschaft, Kunst, Kommunikation
Diese Wirkungsmacht verdankt sich bei der Worpsweder Künstlerkolonie nicht der Prominenz ihrer Mitglieder. In der Regel übertraf die Bekanntheit der Barkenhoff-Besucher, zu denen außer Rilke auch Gerhart Hauptmann und Thomas Mann gehörten, den Stellenwert der einzelnen Maler. Viel wichtiger als Prominenz waren die Entwicklung eines konsistenten Gruppenstils sowie die Verschränkung von lokaler Präsenz und überregionalen Kontakten (vgl. Thurn 1997: 93) der Künstler. Es reicht auch nicht aus, einfach auf die Tatsache hinzuweisen, dass die Künstler mit ihren Bildern eine bis dahin vor allem als Schauplatz harter körperlicher Arbeit erlebte Landschaft nun zu einem „Raum der Erholung, ein Motiv für ästhetische Erlebnisse und kontemplative Betrachtung“ (Lüddemann 2002: 38) machten – auch wenn diese folgenreiche Umwertung eine ganze Reihe europäischer Landschaften und Orten zu touristischen Zielen aufgewertet haben, wie die Provence in den Bildern von van Gogh und Cézanne, die Bretagne als Motiv von Gauguin, Fehmarn auf den Gemälden der „Brücke“-Künstler, der Walchensee als Motiv Lovis Corinths oder Murnau auf der Bildern der „Blauen Reiter“ Wassily Kandinsky und Gabriele Münter. Aus den im vorangegangenen Abschnitt kurz analysierten Bausteinen des Mythos Worpswede wird die besondere Qualität dieses Ortes deutlich. Sie liegt in der Tatsache, dass die Künstler frühzeitig nicht nur ein Areal der Arbeit zum Naherholungsgebiet umdefinierten, sondern ihr künstlerisches Bild von Worpswede in ein Konstrukt gegenseitiger medialer Spieglung überführten. Gerade dies wäre ohne das Wirken von Heinrich Vogeler nicht möglich gewesen. Denn erst sein Barkenhoff hob die Künstlergruppe über das soziale Phänomen der Künstlergruppe hinaus auf die Stufe einer Lebensform, die selbst wieder zur Kunst wurde. Diese Lebensform wurde wiederum durch ein Bild wie das bereits erwähnte
5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede
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Gemälde „Sommerabend“ und die Worpswede-Monographie von Rilke zu einem bereits zum Zeitpunkt seiner Entstehung künstlerisch reflektierten und kommunikativ vermittelten Phänomen. Die unablässig arbeitende Verzahnung von Leben, Kunst und künstlerischer wie kunstkritischer Reflexion versah diesen Worpswede-Komplex bereits von Anfang an mit vielfältigen Anschlussmöglichkeiten für weitere Gestaltungen, Diskurse und dergleichen. Die Tatsache, dass Vogeler bereits 1905 in einem Leipziger Hotel mit einem aus Kuchen und Schlagsahne gebauten Barkenhoff en miniature beschenkt wurde (vgl. Stenzig 2003: 283), belegt, wie erfolgreich dieses künstlerische Motiv bereits in andere Sphären populärer Kultur und Lebensführung eingeführt worden war. Ähnliche Anschlüsse hat es später immer wieder gegeben. Vor allem der „Sommerabend“ macht in dieser Hinsicht bis heute Karriere. Eine Briefmarke der Bundespost, eine Nachstellung der Szene mit Schauspielern auf der Veranda des Barkenhoff (vgl. Küster 1989: 197, Lüddemann 2002: 40): Dies sind nur zwei Beispiele für eine Rezeption, die anzeigt, dass hier nicht nur Kunst wahrgenommen, sondern ein durch und durch ästhetisierter Lebensentwurf nachempfunden wird. Die künstlerische Formung macht dies möglich, weil sie die Spuren der lebensweltlichen Konflikte tilgte, die es in der Künstlergruppe natürlich auch gegeben hat. So zeichnet nicht nur Vogelers „Sommerabend“ das Bild bruchloser Harmonie zu einem Zeitpunkt, als die Gruppe schon beginnt, sich aufzulösen. Auch Rilkes Text prägt nicht nur mit der „perfekten Harmonie von Landschaft und Künstler (...) bis heute unsere Vorstellung von der Künstlerkolonie im Moor“ (Fuhr 2003: 267), sondern gibt auch eine bestimmte Rezeptionshaltung vor. „Dieses Buch vermeidet es zu richten“ (Rilke 1987: 8): Rilkes Darstellung enthebt die Worpsweder Maler zeitgeschichtlicher Kontexte, reduziert ihr Wirken auf den einsamen Dialog zwischen Maler und Moor und zeichnet schließlich eine Haltung versonnener Hingabe, die das Worpswede-Erlebnis von Generationen von Touristen geprägt hat. Wer den kleinen Ort aufsucht, betritt eine abgeschlossene Kunstwelt. „Die Reise nach Worpswede als Trip zum besseren Selbst“ (Lüddemann 2002: 39) – genau in dieser Pointe liegt das Geheimnis der Anziehungskraft Worpswedes.
5.2.3
Das Produkt: Die Künstlerkolonie und ihr Markenimage
Das symbolische Kapital Worpswedes wird bei der Vermarktung voll ausgespielt. So zeigen die Schuber mit Unterlagen zur touristischen Information sowie Gastgeberverzeichnissen als Motiv das Gemälde „Sommertag in der Hamme-Niederung“, das Fritz Overbeck 19084 malte (vgl. Worpsweder Touristik und Kulturmarketing GmbH 2004). Das Landschaftsmotiv öffnet den weiten Horizont einer Landschaft, die keinerlei Spuren mehr von der harten landwirtschaftlichen Arbeit zeigt, die hier einmal stattgefunden hat. Ein Ort wird so mit Hilfe der Kunst zum Synonym für entspannende Weite, für einen als schön empfundenen Dreiklang von grünen Wiesen, Kanalläufen und blauem Himmel. Dieses erste optische Signal entspricht voll dem kulturpolitischen Leitbild der „Erlebnis-Gesellschaft“ (vgl. Schulze 2000). „Der kleinste gemeinsame Nenner von Lebensauffassungen in unserer Gesellschaft ist die Gestaltungsidee eines schönen, interessanten, subjektiv als lohnend empfundenen Lebens“ (ebd.: 37). Diesem Ziel kommt man nicht allein mit Erholung näher, sondern auch mit aktiver Freizeitgestaltung. So bietet das Worpsweder Tourismus-Material Angebote für
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Kreativkurse und bebildert die entsprechende Auflistung mit Stiften und Pinseln, die in Behältnissen zum sofortigen Gebrauch bereitgestellt sind. Ein weiteres Bild zeigt Bilder, die direkt auf einer grünen Wiese platziert sind. So verbindet die Werbung unablässig Kunst und Landschaft miteinander. Es bleibt jedoch nicht bei einer Synchronisierung von Wellness und Kreativität. Zugleich machen die Materialien deutlich, dass mit dem Barkenhoff auch auf ein profilscharfes Leitbild für das Marketing gesetzt wird. Der Barkenhoff ziert die Titelseite sowie die Rückseite des Heftes mit den Informationen zu Worpswede. Kurzgefasste Informationen heben die kulturgeschichtliche Bedeutung des Anwesens hervor. Unten auf der Umschlagrückseite findet sich zudem ein Signet, das die prägenden Elemente der Barkenhoff-Fassade aufweist: Weiße Giebelfront, Freitreppe und Zierurnen. So erweist sich die künstlerische Profilbildung, die Heinrich Vogeler im Sinne der Ästhetik des Jugendstils vorantrieb, als anschlussfähig für die Kreation von Logos des gegenwärtigen Kultur- und Tourismusmarketings. In diesen Kontext gehört auch der Hinweis auf das Worpsweder Kunsthandwerk, das weiterhin Entwürfe vor allem von Heinrich Vogeler umsetzt. Mag der utopische Impuls des Jugendstils heute verbraucht sein – das Design dieser Kunstrichtung wirkt nun zeitlos elegant und verleiht einem kleinen Ort die Aura des Besonderen. Zugleich wird mit den Produkten dieses Kunsthandwerks ein gut gehender Handel betrieben, der auch über Verlagseditionen und das Internet betrieben wird. Die Schöpfungen der Kunst erweisen sich somit als doppelt hilfreich: Sie unterstützen ein Image und ermöglichen zugleich Einnahmen. So hat die Ressource Kreativität die Ressource Torf abgelöst – um den Paradigmenwechsel einmal in dieser Formulierung zuzuspitzen. Was einst als von den Moorbauern misstrauisch beäugte künstlerische Aktivität einiger weniger begann, erweist sich heute als tragendes Fundament für regionale Identität und touristische Vermarktung. Dies gelingt mit einem Angebot, dass insofern authentisch ist, weil es die Kulturgeschichte eines Ortes aufnimmt, diese in Form von Angeboten und Zielen strukturiert und schließlich in vielfältige Formen der Freizeitgestaltung umsetzt. So wird ein Prozess des Marketings ausgehend von der Analyse des Ist-Standes, über die Kreation von Leitbildern bis hin zu gezielten Maßnahmen mustergültig umgesetzt (vgl. Heinze 2002: 128ff). Dies kann allerdings nur bewerkstelligt werden, weil bereits zu Zeiten der Künstlerkolonie eine konzise Profilierung Worpswedes stattgefunden hat. Das Ergebnis ist eindeutig: Mit Hilfe der Kunst konnte der Ort mit der Marke „Künstlerdorf“ erfolgreich positioniert werden.
5.2.4
Die Inszenierung: Wie Kunst und Landschaft ausgestellt werden
Dieses Resultat kann nur verstanden werden als Ergebnis erfolgreicher Inszenierung. Das einstmals authentische Worpswede als Ort der Arbeit einer einheimischen Bevölkerung hat sich längst zum Schauplatz für einen Tourismus gewandelt, der Erlebnisse verkauft. In den Sog dieser von der Kunst ausgehenden Inszenierung ist auch die Landschaft geraten. Dies belegt die Ausstellung, die vom 29. Juni bis zum 24. August 2003 in der Kunsthalle Bremen unter dem Titel „Rilke. Worpswede“ stattgefunden hat (vgl. Herzogenrath 2003).
5.2 Der Erholungswert der Kunst: Das Künstlerdorf Worpswede
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Diese Schau setzt Rilkes Monographie um und macht damit ein Buch zu ihrem Gegenstand. Bereits 1997 hatte das Museum im Rahmen einer Ausstellung mit Werken des „Blauen Reiter“ in einem Saal den 1912 von Wassily Kandinsky und Franz Marc herausgegebenen „Almanach des Blauen Reiter“ insofern zum Gegenstand der Ausstellung gemacht, als die in dem Buch abgebildeten Kunstwerke nun als leibhaftige Exponate präsentiert wurden. Ähnlich ist das Verfahren bei der Worpswede-Schau. Nun werden die Werke der Worpsweder Maler gezeigt, die in Rilkes Monographie abgebildet waren. Analog zu der Aufteilung des Buches in fünf Aufsätze zu fünf Malern der Kolonie sind in der Kunsthalle fünf Säle mit den Bildern der von Rilke besprochenen Künstler eingerichtet worden. Der Ausstellungsbesucher konnte so regelrecht durch das Buch wandern. Ihre besondere Prägung erhielt die Schau jedoch dadurch, dass jeder Saal von der Essener Bühnenbildnerin Nicola Reichert mit realen Versatzstücken inszeniert wurde (vgl. ebd.: 10). Hier ging es nicht darum, Gemälde in der Form einer kunsthistorischen Präsentation darzubieten, sondern um die Schaffung von Erlebniswelten, die alle Sinne des Besuchers berühren sollten. Zur Verdeutlichung der konkreten Gestalt der Ausstellung hier ein geraffter Durchgang durch die Räume, deren Wände jeweils in einer an das Werk des jeweiligen Malers angepassten Farbe gehalten waren:
Raum 1: Fritz Mackensen. Zu Gemälden des Künstlers werden Torfsoden, Spaten, eine Lore sowie das Bugteil eines Torfkahns gezeigt. Das große Gemälde zum Thema des Todes eines Kindes wird mit einem Dielenboden, Stühlen, Trauerkleidung, Sarg und Gesangbüchern inszeniert. Die Wandfarbe ist schwarz. Raum 2: Otto Modersohn. In Dunkelrot ist dagegen die Wand des Raumes zu Otto Modersohn gehalten. Zu den Gemälden Modersohns ist ein Wohnzimmer mit Sofa, Sekretär und Teppich eingerichtet. Vitrinen mit Vogelpräparaten beherrschen den Raum. Auf einem Tisch ist ein Foto von Paula Modersohn-Becker zu sehen. Zur Raumausstattung gehören auch Laub und Birkenstamm. Raum 3: Fritz Overbeck. Ganz in Blau ist der Raum für die Gemälde von Fritz Overbeck gehalten. An einem Birkenstamm hängt eine Botanisiertrommel. Ein Lichtspot auf dem Boden entspricht dem Mondlicht auf einem Gemälde Overbecks. Ein geöffnetes Fenster in der Wand bietet keinen Ausblick, sondern das Gedicht „Vorgefühl“ von Rainer Maria Rilke. Raum 4: Hans am Ende. Ein weiteres Rilke-Gedicht, nämlich „Herbsttag“, wird in einem goldenen Bilderrahmen in dem Hans am Ende-Raum präsentiert. Der Raum ist in Grün gehalten. An Birkenstämmen hängen Engelsflügel. Harfe, Violine und Klavier prägen diesen Raum. Raum 5: Heinrich Vogeler. Ganz in Weiß bietet sich schließlich der zentrale Raum der Ausstellung dar, der Heinrich Vogeler gewidmet ist. Der Raum weist in der Mitte ein Gartenrondell mit Besucherbank auf, eine Figurine trägt das Kleid, das dem Kleid auf dem Bild „Fernweh“ nachempfunden ist. In einem Haufen von Rosenblättern steckt ein Birkenstamm, dazu gibt es Möbel im Jugendstil – Schrank, weißes Sofa, Tisch und Kamingitter. In einer Ecke sind auf Rosenblättern Teile einer Ritterrüstung drapiert, wie sie auch auf Bildern Vogelers als Montur des Ritters zu sehen sind.
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5 Strategie 2: Transferieren. Wie mit Kunst Images erzeugt werden
Dieser kurz gefasste Überblick macht deutlich, wie die Ausstellung Kunst, Landschaft und Texte Rilkes verzahnt – zumal der Audioguide der Ausstellung keine Erläuterungen zu den Bildern der Künstler, sondern Texte Rilkes enthält. So wird die Schau zu einem MultimediaEreignis. Ihre eigentliche Pointe besteht jedoch darin, dass sie Landschaft und Lebenswelt Worpswedes selbst zu ihrem Thema macht und in einer Reihe nostalgisch aufgeladener Versatzstücke ausbreitet. So verwandeln sich ein Ort und seine Landschaft selbst zum Exponat. Voraussetzung dafür ist allerdings die Motivwelt der Worpsweder Gemälde, die in der Form von Realien in den Ausstellungsraum zurückkehrt. Die Ausstellungsgestaltung bestätigt insofern den Erfolg der „Marke Worpswede“, die sich anhand von Birkenstamm und Vogeler-Bild, Rilke-Versen und Torfsode eindeutig identifizieren lässt und nur als Resultat einer durchgehenden Identifikation von realer und künstlerischer Welt zu begreifen ist. Besonders deutlich machen dies in der Ausstellung die Rilke-Gedichte, die in Fensterund Bildrahmen angebracht sind. Wer hier durch ein Fenster blickt, schaut nicht auf die Welt, sondern auf einen Text – ein Detail, das die selbstbezügliche Geschlossenheit des „Mythos Worpswede“ noch einmal deutlich macht. Die Ausstellung als „Phantasie über ein Buch“, so der Titel, kehrt zurück zum Ursprung der Künstlerkolonie, die konsequent als Imagination entwickelt worden war und nun als Spiel der Einbildungskraft der Ausstellungsbesucher fortgesetzt wird. Zudem erneuert die Schau die Rezeptionsweise der Worpsweder Kunst, die Rilke in seinem Buch vorgelebt hatte: Es geht um einen identifikatorischen Nachvollzug. In dieser Kommunikation mit Kunst greifen die Komponenten der Kunst von Objekt über Institution bis hin zu ästhetischer Erfahrung und Diskurs permanent ineinander und schaffen ein Mehr-Ebenen-Konstrukt, das sich in seinen einzelnen Bestandteilen fortwährend wechselseitig reflektiert und so hohe Symbolkraft entwickelt. Das Beispiel macht auch deutlich, dass die Kommunikationsform des Transferierens keine unangemessene, weil nur oberflächliche Werbung verhaftete Umgangsweise mit Kunst ist. Vielmehr ist der Kunst selbst diese Bewegung über ihre eigene Sphäre hinaus immer schon eingeschrieben. Kunst drängt auf kommunikative Übermittlung und Reflexion auf ihre symbolisierende Kraft, die imstande ist, ganze Felder realer Erfahrung neu aufzustellen. Nur so ist es heute möglich, dass Touristen in die Erlebniswelt Worpswede eintauchen und innerhalb eines ästhetischen Konstrukts ganz reale Erlebnisse haben. Die Kommunikationsform des Transferierens bemüht sich darum, solche Erfahrungsbereiche zu schaffen und sie mit symbolischer Bedeutung und affektiver Kraft aufzuladen.
6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird 6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird
Mit dem Evaluieren kommt die dritte Form der Kommunikation mit Kunst ins Spiel. Nachdem unter dem Begriff des Vermittelns nach den Formen zu fragen war, in denen Kunst heute überhaupt erscheint und wahrgenommen werden kann, und mit dem Transferieren die Herstellung von Images mit Hilfe von Kunst zu untersuchen war, geht es nun um eine Kommunikationsform, die das bildliche Wahrnehmungsangebot der Kunst für den sprachlich verfassten Diskurs handhabbar machen möchte. Was können wir für unsere Selbstverständigung in der Kommunikation von Kunst lernen? Genau darum geht es einem Umgang mit Kunst, der evaluativ genannt wird. Schließlich meint Evaluation nichts anderes, als eine Sache zu erproben, ihren möglichen Nutzen zu erkunden. Damit ist keine schlichte Brauchbarkeit oder gar der Kurzschluss praktischer Anwendbarkeit gemeint, wohl aber die Möglichkeit, mit Hilfe der Kunst die Routine der Diskurse zu irritieren und ihnen mit einem produktiven Input der Kunst eine neue Richtung zu geben (vgl. Lüddemann 2002: 31). Dabei liefert Kunst Anlässe, nicht nur neue Inhalte für Kommunikation herzustellen, sondern auch, diese Inhalte anhand der Kunst zu diskutieren, sich auf deren Geltung intersubjektiv zu verständigen und dieses Ergebnis für die gemeinsame Erinnerung verfügbar zu halten. Genau dies leistet eine Kunstkritik, die mit dem Konzept der „evaluativen Kunstkritik“ (vgl. Lüddemann 2004a, Lüddemann 2006: 23-32) als Technik einer produktiven Vermittlung zwischen Kunst und Diskurs vorgestellt werden soll. Grundlage dieses Ansatzes ist ein Verständnis von Kultur und Diskurs, das „Kontakt, Verhandlung, Austausch zwischen den Disziplinen und medialen Sphären“ (Baßler 2004: 82) meint.
6.1 Krise und Chance: Der Zustand der Kunstkritik 6.1 Krise und Chance: Der Zustand der Kunstkritik Dieses Konzept von Kunstkritik ist nicht als selbstverständlich und allgemein akzeptiert vorauszusetzen. Schließlich kollidiert das eben knapp umrissene Verständnis von Kritik allzu deutlich mit deren landläufigem Verständnis und mit ihrem aktuellen Stellenwert. Es gehört zum banalen Gemeinplatz der einschlägigen Debatte, den „traurigen Zustand der Gattung Kunstkritik“ (Demand 2003: 11) zu konstatieren oder gar in Sachen Kunstkritik die „Bußpredigt“ (Beaucamp 1994) anzustimmen. Die Gründe für solche Abgesänge sind seit geraumer Zeit bekannt: Der Kunstkritik fehlen die Kriterien, sie macht sich zum Komplizen des Kunstmarktes, hat den Kontakt zu ihrem Publikum verloren oder sich in die einschlägigen Szenezeitschriften und damit in einen hermetischen Fachdiskurs geflüchtet, der Kunst nicht mehr an den Ausstellungsbesucher vermittelt, sondern mit den anderen Vertretern des Kunstbetriebes, also Künstlern, Kuratoren, Galeristen und Sammlern kurzgeschlossen ist – so lauten die Stichworte einer Diagnose, die der Kunstkritik nur noch wenig Kompetenz
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6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird
zutraut. Der Kritiker versteht sich als Experte und betätigt sich als „Richter“, „Lobpreiser“ oder „Verreißer“ (Reus 1999: 48-51), der seine Macht ausspielt, indem er von der abgehobenen Warte aus seine subjektiven Urteile fällt. Solcher Praxis ist heute jedoch der Boden entzogen. Das Resultat: Eine Kunstkritik, die den geschilderten Gestus beibehält, entfaltet kaum noch Erklärungswert für die Kunst der Gegenwart. Im Gegenteil: Kunstkritik erscheint heute „selbst in hohem Maß erklärungsbedürftig“ (Butin 2002: 190). Diese Einschätzung hat ihre guten Gründe, die tiefer reichen als zufällige Zeitkonjunkturen bestimmter medialer Äußerungsformen. Die Krise der Kunstkritik als „wertende Beurteilung von Kunstwerken aufgrund von Maßstäben, die eine Begründung und Überprüfung des Kunsturteils erlauben“ (Henckmann 2004: 209), hat ihren Ursprung in den tiefen Wandlungen, die Kunst und Kritik betreffen. Dies stellt sich im Einzelnen so dar: Kunst: Die Zeiten der linear verlaufenden Avantgarden der Moderne sind an ein Ende gekommen. Spätestens der Beginn der Postmoderne (vgl. Beke 2003: 80ff) scheint der Trendden Stilbegriff abgelöst zu haben. An die Stelle eines jeweils eindeutig avancierten Kunststils sind nicht nur Praktiken beliebiger Aneignung schon bekannter Stile gesetzt, die als „Appropriation Art“ (vgl. Butin 2002: 15-18) zum Begriff wurden. Zugleich hat die Postmoderne auch den Rückgriff auf heterogene Kunststile der Vergangenheit zur Mode gemacht. Für die Kunstkritik entsteht in diesem Szenario Orientierungslosigkeit, weil die einfache Parteinahme für die fortschrittlichste Position der Kunstentwicklung ebenso wenig möglich ist wie deren strikte Ablehnung. Mehr noch: Kunst signalisiert heute, anders als zu Zeiten von Malewitschs „Schwarzen Quadraten“ oder Mondrians rechten Winkeln keinen Aufbruch in eine neue Phase geschichtlicher Entwicklung mehr. Sie steht auch nicht mehr für ein ästhetisches Schockprogramm, das den behäbigen Bürger mit genau kalkuliertem Tabubruch aufrütteln und aus dem Gleis seiner Lebensroutine katapultieren wollte. Heute gibt es nur noch den mediengerecht inszenierten Kunstskandal, der von der Öffentlichkeit nach kurzer Aufregung rasch abgelegt wird. Kunst ist nicht mehr Ärgernis, sondern Mittelpunkt der Eventkultur. Ihr an Museumsbauten und Ausstellungsprojekten ablesbarer Boom zeigt an, dass sich die Avantgarde in ihrem eigenen Erfolg erfüllt hat. Heute hat sich Kunst nicht nur als Teilsystem der Gesellschaft ausdifferenziert, sondern auch ihre interne Pluralisierung ausgebaut. Kunst erscheint – etwa bei der Documenta 10 von 1997 – als Marathon der Diskurse und bietet sich gleichzeitig als Ensemble von Starkünstlern dar, die wie Gerhard Richter, Luc Tuymans und andere vor allem auf dem Gebiet der Malerei neue Spitzenleistungen hervorbringen. Vor allem erscheint Kunst heute als „Medium der von Praxiszwängen freigestellten Reflexion“ (Lüddemann 2004a: 61). Ihre gegenläufigen Tendenzen dürfen nicht verwirren, sondern müssen als Angebote für Wahrnehmungen verstanden werden, die reflektiert und formuliert sein wollen. Kunst ist das Trainingscamp einer Reflexion in Hochgeschwindigkeit. Sie ist Laboratorium für neue Entwürfe von Weltsichten. Dem muss Kunstkritik gerecht werden. Kritik: Der zweite Bestandteil des Wortes Kunstkritik wirft noch weitaus größere Probleme auf als der erste. Während für die Kunst eine irritierende Pluralisierung festgestellt werden muss, hat Kritik einen weitgehenden Bedeutungsverlust erlitten. Während Kritik in den sechziger und siebziger Jahren noch eine Leitvokabel öffentlicher und intellektueller Debatte
6.2 Debatte um die Kunstkritik: Drei untaugliche Auswege
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war, löst sie heute meist nur noch gelangweilte Reaktionen aus. Kritik wird identifiziert mit steriler Besserwisserei, mit einem leer laufenden Diskurs, der ständig den Zustand gesellschaftlicher Wirklichkeit bemängelt, aber nie Wege zu dessen Verbesserung aufzeigt. Kritik ist heute kaum noch einflussreich, weil wesentliche Voraussetzungen für ihre Wirksamkeit geschwunden sind. „Kritik meint die Kunst des Scheidens, auch des Entscheidens, des Trennens, Beurteilens“ (Konersmann 2003: 90). Zur Kritik gehört demnach ein externer Standpunkt, der die Distanznahme vom kritisierten Gegenstand erlaubt. Kritik erfordert zusätzlich die überlegene Einsicht, die den direkt involvierten Akteuren abgeht. Und Kritik benötigt die Courage für kontroverse Debatten, die mit ihrem Erscheinen meist ausgelöst werden. Genau dies hat sich jedoch grundlegend verändert. Kritik wird heute in Gestalt des Tabubruchs in der medial verfassten Gesellschaft routiniert verbucht. Skandale haben bestenfalls noch mittlere Lebensdauer. Zugleich sind Maßstäbe von allgemeiner Geltung zerfallen, Autoritäten generell in ihrer Geltung erschüttert. Dafür ist nicht nur die bereits zitierte Postmoderne verantwortlich zu machen. Zugleich haben weitere Theoriebildungen der Gegenwart die Instanz der Kritik nachhaltig relativiert. Dies sind die Systemtheorie Niklas Luhmanns und die Globalisierungsdebatte. Ihren gemeinsamen Fluchtpunkt haben diese Diskurse in der Überzeugung, dass die Gegenwart als Zeitalter einer alles umfassenden Inklusion den externen Standpunkt der Kritik grundsätzlich nicht mehr zulässt. „Die Gesellschaftskritik ist Teil des kritisierten Systems (...) Es kann unter heutigen Bedingungen schlicht peinlich wirken, wenn sie bessere Moral und überlegene Einsicht für sich reklamiert“ (Luhmann 1999: 1118). Luhmann gliedert die Gesellschaft in verschiedene, voneinander unabhängig, weil mit Leitdifferenzen und selbstbezüglichen Diskursen operierende Systeme. Keines dieser Systeme kann die Funktion eines anderen übernehmen. Dies bedeutet auch, dass es keinen überlegenen Standpunkt mehr gibt, von dem aus Kritik geübt werden könnte. Statt exklusiver Kritik gibt es nur noch eine Vielzahl möglicher Beobachterstandpunkte. Ähnlich fällt die Analyse bei Michael Hardt und Antonio Negri aus. In ihrer Analyse der globalisierten Welt konstatieren sie: „Es gibt kein Außen mehr“ (Hardt/Negri 2002: 198). Das von ihnen so genannte „Empire“ schließt als umfassender Herrschaftsverband alles ein, neutralisiert somit auch jede denkbare Kritik. Da die Autoren nach Wegen gegen die Ungerechtigkeiten der Globalisierung suchen, bringen sie die „Multitude“ als Sammelbecken und Aktionsforum einer beweglichen Praxis der Subversion ins Spiel, die sich mitten im Empire ereignet und die unwirksam gewordene Instanz der Kritik ablöst. Kunst und Kritik: Die Frage nach dem Zustand dieser beiden Bereiche hat zunächst ein ernüchterndes Fazit erbracht. Dies muss jedoch nicht entmutigen. Denn nun geht es nicht um den Verzicht auf Kunstkritik, sondern darum, sie neu zu begründen. Bevor dies unternommen wird, soll jedoch die derzeitige Debatte zum Thema kurz resümiert werden.
6.2 Debatte um die Kunstkritik: Drei untaugliche Auswege 6.2 Debatte um die Kunstkritik: Drei untaugliche Auswege Nachdem über Jahre die Krise der Kunstkritik nur konstatiert worden war, sind auch Alternativen formuliert worden, die Auswege weisen sollten. Hier kommen drei Positionen in
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6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird
den Blick, die eine Antwort auf vielfältige Unentschiedenheit zu geben versuchen. Dazu gehören: Die Rolle des Kunstrichters, der die Qualität von Kunst von erhöhter Warte aus dekretiert, der Ausstieg aus der irritierenden Moderne zugunsten einer gesellschaftlich eindeutig verankerten und deshalb übersichtlichen Kunstszene sowie schließlich der Versuch, die Krisen der Kritik mit Hilfe einer rigiden moralischen Selbstverpflichtung zu kurieren. Alle drei Konzepte weisen entschiedene Schwächen auf. Kunstrichter: „Im Grunde gibt es nur zwei Arten von Kunst: gute und schlechte“ (Greenberg 1997: 309), dekretierte der amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg. Ausgerechnet „Klagen eines Kritikers“ lautete der Titel eines Textes von 1967, in dem Greenberg, Modellfall für den autokratischen Kunstkritiker schlechthin, verkündete, das Werturteil des Kritikers gründe in der Intuition und sei nicht auf Kriterien zu begründen (vgl. ebd.: 373). Greenberg machte Kunstkritik zur Sache individueller Setzung (vgl. Greenberg 1994: 230) und begründete deren Geltung durch den Konsens der Experten. Doch wer ist ein Experte? Auch ohne Verweis auf den immanenten Zirkelschluss dieser Argumentation dürfte klar sein, dass die Zeit für diese Figuren der Kunstkritik abgelaufen ist. Dabei geht es nicht allein darum, dass die charismatischen Vertreter dieses Geschäfts heute fehlen. Solche Figuren gibt es nicht mehr, weil heute das „Urmeter“ fehlt, das Kritiker als unfehlbaren Maßstab an die Kunst anlegen könnten (vgl. Wagner 2001: 249). So wäre jetzt der endgültige Richterspruch über die Kunst nur noch als Posse denkbar, weil er seine Sicherheit mit notorischer Verspätung in den ästhetischen Kriterien erkaufen müsste. Dies mögen manche bedauern: Verunsicherte Ausstellungsbesucher, die wissen möchten, was denn nun gute Kunst ist, Sammler, die sich ihre Kaufentscheidung am liebsten von anderen begründen lassen oder Unternehmen, die ihre Sponsorengelder garantiert werbewirksam angelegt sehen möchten. Ausstieg aus der Moderne: Chronische ästhetische Verspätung ist auch die Strafe für denjenigen, der vor der unübersichtlichen Situation der modernen Kunst resigniert und den Ausweg im Rückzug auf die heile Welt einer Kunst sucht, die über öffentliche Aufträge, allgemein akzeptierte Sujets und eindeutige Formen ihrer Rezeption ihren gesicherten Platz in der Gesellschaft hat. Eduard Beaucamp, ehemaliger Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, glaubte dieses Refugium in der Kunst der ehemaligen DDR gefunden zu haben (vgl. Lüddemann 2004a: 43) und spielte jahrelang die Kunst einer angeblich beliebigen und erschöpften Moderne gegen die Kunst des Ostens aus. Beaucamp versucht, aus der Moderne zugunsten einer gesellschaftlich klar positionierten Kunst auszusteigen. Beaucamp konstatierte früh eine Erschöpfung des Fortschritts der künstlerischen Moderne (vgl. Beaucamp 1976: 146) und kritisierte die angebliche Abkehr der westlichen Kunst von der Geschichte (vgl. Beaucamp 1998: 17). Seine kunstkritische Generalabrechnung mit der Moderne wendete er zur emphatischen Parteinahme für die Kunst der DDR, wo er schon früh ein „mittleres Kunstwunder“ (Beaucamp 1976: 250) auszumachen glaubte. Sein Fazit: Die Kunst der DDR weise eine gesellschaftliche Verfassung auf, sei der sozialen Wirklichkeit zugewandt und verbinde Reflexivität mit Volkstümlichkeit (vgl. Beaucamp 1998: 91ff, 263). Dass dies alles mit der Gängelung der Kunst erkauft wird, mit der Vorgabe von Bildthemen und ästhetischen Verfahrensweisen, steht auf einem anderen Blatt.
6.3 Kritik als Produktion: Wie Kunst erprobt wird
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Moralische Selbstverpflichtung: Demnach kann es keine Lösung sein, dass Kunstgeschehen in irgendeiner Weise still stellen zu wollen, nur um selbst wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Dies gilt auch für jüngste Versuche, eine offensichtlich krisenhafte Kunstkritik mit den Geboten einer rigiden Moral zu kurieren. So hat Sina Najafi vorgeschlagen, Kunstkritiken grundsätzlich anonym zu veröffentlichen und „den Interessekonflikt zwischen Werbung und Kritik zu zerschlagen“ (Schwerfel 2002: 54). Ganz ähnlich geht Hanno Rauterberg hart mit der Verstrickung der Kritiker in den Kunstbetrieb ins Gericht. Der Kritiker sei auch Eröffnungsredner und Kurator, Kritiker wie Freund des Künstlers, bemängelt Rauterberg und hält fest: „Längst ist das Unreine zum Leitbild geworden“ (Rauterberg 2004a: 40, vgl. Rauterberg 2004b). Rauterberg kümmert solch steriler Purismus offensichtlich nicht weiter. Stattdessen möchte er einen „Ehrenkodex“ verordnen, der den Kritiker auf eine Funktion festlegt, um damit mögliche Interessenkonflikte auszuschließen. Nun mag es richtig sein, wie Rauterberg von den Kunstkritikern mehr Mut zur eigenen Meinung und damit auch die Courage zu fordern, in Konflikte mit den Machern des Kunstbetriebes erneut einzutreten. Doch ist es überhaupt möglich, den vielfältigen Rollenwechsel der Akteure des Kunstbetriebes einzuschränken? Sicher nicht. Solche Entwicklungen sind kritisch zu reflektieren, aber nicht einfach zu ignorieren.
6.3 Kritik als Produktion: Wie Kunst erprobt wird 6.3 Kritik als Produktion: Wie Kunst erprobt wird Die eben diskutierten Positionen versuchen, Kunstkritik auf ein sicheres Fundament zu stellen. Sie leiden jedoch an inneren Widersprüchen und dem Nachteil, die Situation einer aktuellen, weit ausdifferenzierten Kunst und ihrer Funktion für unsere Gegenwart nicht hinreichend interpretieren zu können. Diesem Defizit begegnet das Konzept der evaluativen Kunstkritik (vgl. Lüddemann 2004a), der es darum geht, Kunst auf ihre Erkenntnisfunktion für die Gegenwartserfahrung des Menschen hin zu befragen. Dies meint nicht, die Kunst auf für die jeweilige Zeit relevante Themen festzulegen. Viel mehr geht es darum, die Erfahrung der Kunst sprachlich so zu formulieren, dass Diskurse durch diese „Offerte“ kreativ irritiert werden und eine produktive Entwicklung nehmen können (vgl. Lüddemann 2007). Weiter oben war bereits vom Wirklichkeitsmodell die Rede, das die durch Kommunikation miteinander verbundenen Mitglieder einer Diskursgemeinschaft vereinbaren, um sich in ihrer gemeinsamen Wirklichkeit zu orientieren. Die formulierte Erfahrung der Kunst hilft dabei, die Verabredungen und Konventionen, auf denen ein Wirklichkeitsmodell beruht, immer wieder kritisch zu befragen und auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu untersuchen. Dies schließt nicht nur den Umbau des Modells mit ein, sondern auch alle Prozeduren, die dazu dienen, dessen Gültigkeit zu dokumentieren und neue Mitglieder der Gemeinschaft in dessen Gebrauch einzuweisen. Wer Kunstkritik in diesem Szenario eine wichtige Funktion zuweisen möchte, muss eine neue Konzeption von Kunstkritik entwerfen. Sie kann jetzt nicht mehr als intuitive Unterscheidung des Starkritikers verstanden werden, wie es Clement Greenberg vorschwebte (vgl. Greenberg 1994: 231) oder als Geschäft eines Promoters, wie es der Romancier Daniel Kehlmann anhand seiner Romanfigur Sebastian Zöllner entworfen hat (vgl. Kehlmann
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2003). „Manche Anfänger versuchten, sich über wütende Verrisse zu profilieren, aber so funktionierte es nicht. Man musste vielmehr stets und in allen Dingen gleicher Meinung sein wie die Kollegen und unterdessen die Vernissagen nützen, um Kontakte zu knüpfen“ (ebd.: 122). So stellt sich das Geschäft der Kritik in Kehlmanns ironischem Roman über den Kunstbetrieb als wenig subtile Form der Anpassung im Dienst der Karriereplanung heraus. Evaluative Kritik ist etwas anderes. Sie meint eine Form kommunikativer Übertragung, die Kunst mit Diskursen in Beziehung setzt und so einen Transfer in Gang setzt, der Kunst als relevante Instanz für die Orientierung von Menschen in ihrer Gegenwart erweist. Darin zeigt sich die Qualität der Kunst – die natürlich auch in immanenten Kriterien sichtbar wird. Dieser Aspekt darf jedoch nicht zu einem Rückzug allein auf die Kunst und ihren Selbstbezug reduziert werden (vgl. Greenberg 1994: 233). Schon das Modell der Kunst, das weiter oben vorgestellt wurde, hat gezeigt, dass Kunst nicht mit Objekten identisch ist, sondern Ebenen ihrer Präsentation in Institutionen, ihrer Erfahrung durch Rezipienten und ihrer Interpretation in Diskursen mit einschließt. Evaluative Kunstkritik komplettiert dieses Ensemble, indem sie ihre unterscheidende Tätigkeit als kommunikative Operation aufstellt, die Kunst, Erfahrung und Diskurse produktiv miteinander in Beziehung setzt. Derart verstandene Kunstkritik entfaltet sich als komplexe Übermittlung zwischen getrennten Sphären. Ihr Werturteil besteht in erster Linie in der gelingenden Anwendung der Kunsterfahrung auf Diskurse. In diesem Punkt gewinnt das Wort von der Evaluation seinen vollen Sinn. Grundlage dieses Verständnisses von Kunstkritik ist die Überzeugung, dass Kunst und ihre Entwicklung stets als Ausdruck der Wissens- und Diskursformen einer Gesellschaft und deren medialer Repräsentation verstanden werden muss (vgl. Eco 1998: 160ff); Kunst wird als „epistemologische Metapher“ (ebd.: 164) ernst genommen. Die evaluative Kunstkritik wird hier als kommunikative Operation auf mehreren Ebenen verstanden. Sie artikuliert Wahrnehmung, gleicht diese mit thematischen Diskursen ab, reflektiert auf vorausgesetzte Kunstbegriffe wie auf ihr Selbstverständnis als Kritik und unterbreitet schließlich eine Offerte an Diskurse innerhalb und außerhalb dessen, was wir weiter oben als Kunst definiert haben. Diese Konzeption darf nicht als linearer Ablauf verstanden werden – auch wenn die Kunstkritik mit ihrer Wahrnehmung auf die Kunst im Sinne ihrer Objekte bezogen ist und mit der Offerte an Diskursen teilhat. Die genannten Positionen sind miteinander gekoppelt und treiben einander gegenseitig voran. Die Positionen im Einzelnen (vgl. Lüddemann 2004a: 170f): Objekt: Unerlässlicher Bezug der Kunstkritik ist das Objekt der Kunst und die ihm zukommende Wahrnehmung im Sinn ästhetischer Erfahrung als selbstbezügliche Operation. Wahrnehmung der Kunst ist der Ausgangspunkt der Kritik und liefert ihr Material, indem sie diese Wahrnehmung sprachlich artikuliert und so überhaupt erst zum Gegenstand von Kommunikation machen kann. Damit ist keine Bildbeschreibung gemeint, die eine sprachliche Entsprechung der Kunst liefert, sondern eine subjektiv gewählte Artikulation. Die Größe heutiger Ausstellungen und die Fülle abgebildeter Kunst haben der Bildbeschreibung ohnehin den Boden entzogen. Zudem bezieht sich Wahrnehmung auch auf Formen der Präsentation und die individuelle Erfahrung eines Besuchers. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass nur die eingehende und differenziert artikulierte Wahrnehmung eine qualitativ ange-
6.3 Kritik als Produktion: Wie Kunst erprobt wird
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messene Kritik ermöglicht. Die individuellen Gewichtungen der Wahrnehmung lassen Rückschlüsse auf das Kunstverständnis des Kritikers zu. Tradition: Diese Position meint alle Merkmale, mit denen sich eine konkrete Kunstkritik als Textsorte ausweist. Hier kommt ein Instrumentarium der Wertungen, Vergleiche und Schlussfolgerungen zum Zuge, dass sich in der Tradition der Kunstkritik als journalistischer Textform herausgebildet hat (vgl. Reus 1999: 103-111). Der Rückbezug auf diese Tradition signalisiert das Selbstverständnis der jeweils konkreten Kritik. Hier soll dieser Aspekt jedoch nicht weiter ausgeführt werden, da ein Rückbezug auf die Geschichte der Kunstkritik (vgl. Lüddemann 2004a: 19-50) den Rahmen des vorliegenden Textes sprengen würde. Für die Frage nach einer Kommunikation, die evaluativ genannt werden kann, spielt dieser Aspekt eine untergeordnete Rolle. Thema: Dagegen kommt ein hier als „Thema“ bezeichneter inhaltlicher Diskurs meist ins Spiel. Denn Kunstkritik artikuliert nicht nur Wahrnehmung, sondern nimmt auf Fachdiskurse Bezug, die mit der jeweiligen Kunst gegeben sind. Dazu gehören Fragen der Kunstgenres und Bildgattungen, der medialen Darbietung, aber auch der Kontexte und Vermittlungsformen, in und mit denen Kunst dargeboten wird. Solche thematischen Diskurse steuern und beeinflussen die Wahrnehmung („Objekt“), werden aber auch durch die ästhetische Erfahrung des einzelnen Objekts wieder wesentlich angestoßen und verändert. Insofern liegt zwischen den Positionen „Objekt“ und „Thema“ eine wichtige Wechselwirkung vor. Kunst: Wenn hier von „Kunst“ die Rede ist, dann ist nicht (oder nur sehr mittelbar) das Modell gemeint, das weiter oben beschrieben worden ist. Kunst meint hier nichts anderes als das Kunstverständnis, das in der Kritik explizit oder implizit geäußert wird. Mit dieser Position verbindet sich die anspruchsvolle Erwartung, dass keine Kunstkritik von Rang operieren kann, ohne die Maßstäbe offen zu legen, die den Kunstcharakter von Objekten erweisen. Zugleich bestimmt das implizite Kunstverständnis wesentlich die Ausgangssituation und Arbeitsbegriffe der jeweiligen Kunstkritik. Der Kunstbegriff steuert die Wahrnehmung. Er kann als bestimmender Diskurs mit der Position „Thema“ deckungsgleich sein und bezieht selbst wiederum aus den beiden anderen Positionen wesentliche Impulse zu seiner weiteren Klärung oder notwendigen Korrektur. Kunstkritik von hohem Anspruch sorgt für die fortlaufende Neujustierung des Kunstbegriffs. Offerte: Diese Position meint das Ergebnis einer Kunstkritik, die sich evaluativ nennt. Denn das Ergebnis der Erprobung von Kunst, die das Wort „evaluativ“ meint, besteht darin, eine Kommunikationsofferte zu unterbreiten, die in der Kommunikation weiter bearbeitet werden kann. Diese Offerte ist das Ergebnis der produktiven Kombination und des fortlaufenden Abgleichs der bisher aufgeführten Positionen. Hier geht es nicht darum, irgendwelche Inhalte oder Gehalte der Kunst zu transportieren, sondern die Erfahrung der Kunst im Abgleich mit Diskursen oder meist medial vermittelten Gegenwarts- und Zeiterfahrungen (vgl. Lüddemann 2006: 45f.) in der Form eines Erkenntnisgewinns zu formulieren, der dann zur Beipflichtung oder Ablehnung angeboten werden kann. Kritik formuliert den Beitrag der Kunst zu unserem Verständnis von Wirklichkeit und dessen produktiver Fortentwicklung.
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6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird
So verweist die Offerte auf einen kulturellen Lernschritt – meist im Bezug auf die medialen Formen, mit denen wir Wirklichkeit konstituieren. Auf diese Weise werden Kunstwerke von einer so verstandenen Kritik in „haltbare Einträge ins kulturelle Archiv“ (Baßler 2004: 79) umgemünzt und somit in ihrer „Bedeutung für unser Leben und unsere Öffentlichkeit“ (ebd.: 83) jenseits aller Spezialdiskurse sichtbar. „Dies entspricht einer Vorstellung von Kunstkritik als evaluativer Instanz, die Werke nicht einfach nach bereits existierenden Kriterien bewertet, sondern ihr innovatives Potenzial erkundet“ (Lüddemann 2004a: 171). Kunstkritik gibt sich demnach nicht einfach mit der Alternative gelungen/misslungen zufrieden, sondern betreibt eine Operation kulturellen Lernens in der produktiven Verknüpfung unterschiedlicher medialer Sphären und Diskurse.
6.4 Lesarten einer Ausstellung: Die MoMA-Schau im Spiegel der Kunstkritik 6.4 Lesarten einer Ausstellung: Die MoMA-Schau im Spiegel der Kunstkritik Das eben entwickelte Strukturmuster formuliert Anforderungen an Kunstkritik und erlaubt es zur gleichen Zeit, Kunstkritiken zu analysieren und zu beschreiben. Diese Leistungsfähigkeit soll nun anhand von Kritiken zu der bereits mehrfach angesprochenen Berliner „MoMA-Schau“ erprobt werden. Das Beispiel dient der konkretisierenden Illustration des theoretischen Modells der evaluativen Kunstkritik und führt den Ansatz fort, die drei Formen der Kommunikation mit/über Kunst anhand eines prominenten Beispiels durchgehend zu verdeutlichen. Dabei kann es nicht darum gehen, die Reaktion der Medien auf die Ausstellung vollständig in den Blick zu nehmen. Hier sollen anhand hinreichend komplexer Texte Verfahrensweisen der Kritik paradigmatisch beschrieben werden. Die vier ausgewählten Texte nehmen dabei unterschiedliche Positionen im Verhältnis zum Verlauf der Ausstellung ein. Eine Kritik erschien rund eine Woche vor Beginn der Ausstellung (Rauterberg 2004c), zwei weitere zum Start der Schau (Liebs 2004, Wiegand 2004) und eine Kritik gegen Ende der Ausstellungsdauer (Spies 2004). Dies bedingt zu einem guten Teil ihre Ergebnisse – und die Form ihres Zugangs. Die Elemente der evaluativen Kritik werden jeweils in sehr unterschiedlicher Intensität eingesetzt. Die Kunst geopfert: Hanno Rauterberg wählt in seiner Kritik in der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Rauterberg 2004c) einen entschiedenen Einstieg. Er verknüpft die zum Stenogramm verkürzte Wahrnehmung der Kunst („Objekt“) – „Wuselbilder von Jackson Pollock, zerhackte Streifenmenschen von Pablo Picasso“ (ebd.) – mit einem Kunstverständnis („Kunst“), das Kunst als Rätsel und Wagnis fasst. Ein Bild wird zu einem Meisterwerk, weil es seine Zeit herausfordert und eine grundsätzlich neue Möglichkeit, die Welt zu sehen, durch sein Erscheinen definiert. Dem haben nachfolgende Generationen durch einen entsprechenden Umgang mit der Kunst gerecht zu werden. Genau diese Aufgabe – und Chance – wird durch die MoMA-Schau vertan: In dieser Zuspitzung findet Rauterberg die Pointe seiner Kritik und zugleich seine grundsätzliche Wertung von Kunst („Offerte“). Rauterberg fügt eine schlüssige Argumentationskette, die er anhand des einmal bestimmten Maßstabs ent-
6.4 Lesarten einer Ausstellung: Die MoMA-Schau im Spiegel der Kunstkritik
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wickelt. Der Aufwand an Werbung, die fertige Ausstellung als „Komplett- und SorglosPaket“ (ebd.), der Katalog als Indiz für eine Ideologie der Moderne als linear entfalteter Erfolgsgeschichte: Im Bruch mit dem Anspruch der Kunst erkennt Rauterberg sogar den Verrat an ihr. Seine Kritik an der Ausstellung ist eine Kritik an den Kommunikationsofferten, welche die Ausstellungsmacher aus der Kunst ableiten möchten. Rauterberg bezieht Position gegen die Ausmünzung der Kunst zur Werbung, zum marktgängigen Kulturevent und schließlich zu einer leichtgängigen Botschaft von bruchloser transatlantischer Freundschaft. „Im Zeichen der Kunst geht´s zurück in die Zeit der Luftbrücke“ (ebd.): Rauterberg entlarvt die Nostalgie der Ausstellung, indem er auf die Museumsphilosophie des Museum of Modern Art selbst als thematischen Diskurs („Thema“) zurückgreift. In dem Bekenntnis des MoMA zu kreativer Kombination künstlerischer Gattungen und unbedingter Zeitgenossenschaft erkennt er die Prinzipien, die mit der Berliner Ausstellung gebrochen werden. Die Ausstellung ist für Rauterberg negativ zu beurteilen, weil sich das MoMA mit der Form der Präsentation untreu wird – in diesem Punkt kulminiert eine Kunstkritik, die wesentliche Aspekte evaluativer Kritik in enger Verzahnung anwendet. Die „Offerte“ besteht in dem entschiedenen Bekenntnis zu einer Kunst als produktiver Irritation. Ästhetische Unabhängigkeitserklärung: Aus größerem Abstand, dafür aber auch um einiges unentschiedener fällt das Votum von Wilfried Wiegand aus (Wiegand 2004). Zur Eröffnung der Ausstellung gibt sein Text eine Beschreibung des Parcours durch eine Schau, die als Zeichen transatlantischer Parallelentwicklung im Medium der Kunst verstanden wird. Dazu wählt Wiegand einen wenig zupackenden Einstieg. Die Diskussion rund um das Ausstellungsspektakel und seine Vermarktung verfolgt der Autor aus weiter Ferne und ohne eine eigene Position. So greift er weder einen thematischen Diskurs („Thema“) entschieden auf, um daraus einen leitenden Maßstab zu gewinnen, noch gewinnt er Bezüge aus der eingehend beschriebenen Wahrnehmung von Rousseaus Gemälde „Der Traum“ („Objekt“) für seine Kritik. Im Gegenteil: Während Rauterberg eine Wahrnehmung formuliert, welche einzelne Meisterwerke wie im Scheinwerferkegel angeleuchtet fixiert, folgt Wiegand einfach dem vorgegebenen Parcours. So folgt er zugleich den Maßstäben der Ausstellung und ihrer Macher. Die Beschreibung von Gemälden als „unvergleichlich“ und „herrlich“ (ebd.) verweist auf ein Verständnis von Kunst („Kunst“), dass in der Etablierung eines Kanons unvergänglicher Meisterwerke kulminiert. Zu dieser Logik gehört auch die Überzeugung, Kunst vollziehe sich nach dem Muster einer linearen Entwicklung. Während Rauterberg die Moderne noch als „wenig linear und stark verzweigt“ (Rauterberg 2004c) gekennzeichnet hatte, unterscheidet Wiegand zwar „drei Hauptrichtungen“ (Wiegand 2004), bleibt aber einem traditionellen Modell der Kunstgeschichte als sukzessiver Innovation treu. Was Wiegand als „ästhetische Unabhängigkeitserklärung“ (ebd.) Amerikas fasst, meint nicht allein das Erstarken amerikanischer Kunst, sondern insbesondere die Vision des Museum of Modern Art, mit dem selbstbewusst vorgetragenen Kanon und dessen „zwingender Entwicklungslogik“ (ebd.), die als Fortführung einer eigentlich europäischen Kunstphilosophie verstanden wird. In dieser Perspektive erscheint die MoMA-Ausstellung wie eine späte Heimholung – und wie eine Bestätigung der Moderne. Anders als Rauterberg entwickelt Wiegand jedoch keine Offerte, die von derjenigen der Ausstellungsmacher wesentlich abweicht. In seinem Text werden weder explizite Wahrnehmungen artikuliert, noch Diskurse
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6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird
so trennscharf in den Blick genommen, dass eine eigenständige Position der Kritik entstehen kann. Das Votum dieses Textes bleibt der Kunst immanent. Es fehlt eine Offerte, die darüber hinaus weist. Ferngesteuerter Dialog: Wie die Wahrnehmung von Kunst („Objekt“) auch ganz anders artikuliert werden kann, führt Holger Liebs in der „Süddeutschen Zeitung“ vor (Liebs 2004). Dieser Kritik stellt die Wahrnehmung der Ausstellungssituation vor die einzelner Kunstwerke. Zugleich dynamisiert er diese Wahrnehmung, indem er mit dem Modell einer Annäherung in „drei Schritten“ (ebd.) die Bewegung des Betrachters in der Ausstellung in den Text überführt. Anders als Rauterberg, aber in gleicher Weise intensiv, gewinnt Liebs damit eine eigenständige Verknüpfung von Wahrnehmung und thematischem Diskurs, der hier in Fragen der Ausstellungsinszenierung und Vermarktung von Kunst zentriert wird („Thema“). In diesem Punkt kommt Liebs auch im Vergleich zu Rauterberg zu einem abweichenden Ergebnis: Gerade in dem Weg von Architektur über Depot und Kommerz hin zur Kunst erblickt Liebs die symbolische Entsprechung zu der Philosophie des MoMA, das stets die Gattungen von Kunst und Gestaltung gemischt hatte. Allerdings trifft er diese Feststellung um den Preis, die Beschränkung der Werkauswahl in der Ausstellung auf Malerei und Skulptur nicht ausreichend mit einzubeziehen. Allerdings problematisiert Liebs erfolgreich das Selbstverständnis des MoMA und bezieht es auf die Frage, welches Geschichtsmodell sich hinter der Struktur der Sammlung des New Yorker Museums und dessen Präsentation verbirgt. Liebs folgt zwar in seinem Durchgang dem Parcours der Ausstellung, bezieht sich jedoch immer wieder auf den „schlüssigen Königspfad der modernen Kunst“ (ebd.), den das MoMA anbieten möchte. Liebs kritisiert vor diesem Hintergrund die einseitig von den amerikanischen Kuratoren getroffene Werkauswahl und fordert die denkbare Alternative ein – nämlich die Konfrontation von MoMA-Meisterwerken mit Spitzenexponaten aus europäischen Museen. Der Kritiker beklagt den „transatlantischen Dialog“ (ebd.), der mit dieser Schau in Gang gesetzt werden sollte, als „ferngesteuert“. Seine Offerte besteht letztlich darin, die Gestalt der Ausstellung auf das Profil der gegenwärtigen Beziehungen zwischen den USA und Europa zu beziehen. Darin trifft sich Liebs mit Rauterberg. Beide lesen das Kulturereignis als Ausdruck einer politischen Situation und fordern ein Kunstverständnis ein, das Kunst als Anlass für Vergleich und Kontroverse ernst nehmen sollte. Imperiale Arroganz: Werner Spies spitzt nicht nur die Kritik an der MoMA-Schau, die Rauterberg und Liebs geäußert haben, noch einmal zu. Seine These von der „amerikanischen Unfehlbarkeitserklärung“ (Spies 2004) wird auch wie die Summe der konkreten Ausstellungserfahrung formuliert. Der Text von Spies erscheint rund einen Monat vor Ende der Berliner Ausstellung. Zu diesem Zeitpunkt geht es nicht mehr darum, noch die Wahrnehmung der Kunst zu formulieren. Stattdessen wählt Spies seinen Zugang zum Thema über den Diskurs der Ausstellungsgeschichte, indem er die Schau direkt mit Ausstellungsformaten wie der Kölner Sonderbund-Ausstellung von 1912 oder der Kasseler Documenta (seit 1955) in Beziehung setzt. Spies setzt damit den historischen Stellenwert der MoMA-Schau voraus. Genau deshalb geht von ihr auch, nach der Meinung von Spies, eine derartige Signalwirkung aus. Der Kritiker, der selbst als Kunsthistoriker und Leiter des Pariser Centre Pompidou Ausstellungs- und Kunstgeschichte mit geschrieben hat, erkennt in der Ver-
6.4 Lesarten einer Ausstellung: Die MoMA-Schau im Spiegel der Kunstkritik
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sammlung der Meisterwerke aus New York den Anspruch eines Museums – und mit ihm eines ganzen Landes – auf kulturelle Meinungsführerschaft. Dies wird nach der Auffassung von Spies mit einem Kunstkanon durchgesetzt, der mit allen Mitteln eines durch Marketing gestützten Kulturevents inszeniert wird. Spies sieht die Ausstellungsregie als imperialistische Strategie – und das MoMA als deren Instrument. Allerdings entwickelt Spies kein anderes Konzept von Kunst, sondern beschränkt sich ganz auf einen Machtkampf, der zwischen Kultureinrichtungen wie zwischen Kriegsparteien ausgefochten wird. Immerhin ist Spies der einzige der vier Autoren, der sich in seinem Text ausdrücklich auf bestimmte Formen der Kunstkritik bezieht („Tradition“). Spies zitiert den amerikanischen Kunstkritiker Clement Greenberg (vgl. Greenberg 1994, 1997), dessen rigide Parteinahme für bestimmte Kunstrichtungen Spies als „chauvinistische Rechthaberei“ (Spies 2004) geißelt. Spies gesteht damit der Kunstkritik indirekt beträchtlichen Einfluss zu; allerdings um den Preis, sie auf die veraltete Rolle eines Herolds und Propagandisten bestimmter Kunstrichtungen festzulegen. Hier erscheint Kunstkritik als mächtige Instanz, die ein bestimmtes Meinungsklima formt und damit eine einseitige Museums- und Kulturpolitik flankiert. Der Skandal in der Sicht von Spies: Die Ausstellung verdrängt den europäischen Beitrag zur Nachkriegskunst vollständig und gerät damit in die Nähe einer „kolonialistischen“ (ebd.) Haltung, die sich von der Kunst nahtlos auf das Verhältnis von Staaten übertragen lässt. Spies sieht den Anspruch eines einzelnen Museums, welches das MoMA am Ende ja auch nur ist, als überzogen und damit pervertiert an: Für den Autor beansprucht es die alleinige Autorität, das Profil der jüngeren Kunstgeschichte verbindlich festzulegen. Drei der vier versammelten Kunstkritiken haben klare Kommunikationsofferten formuliert und damit produktiv zu einer Debatte um das Kunstangebot der MoMA-Schau beigetragen. Die hier im Überblick analysierten Texte leisten den Transfer von der Kunst zu Fragen gesellschaftlicher und politischer Einstellungen. Das große Kulturereignis wird als Zeichen aktueller politischer Befindlichkeiten gelesen. Noch wichtiger: Die Kritiker sehen Kultur und Kunst nicht allein als Abbild der Politik, sondern erkennen in ihnen auch den Versuch, das Selbstverständnis ganzer Gesellschaften neu zu definieren. Kunst ist nicht nur Sache einiger Experten, sondern Versuchsfeld für den Entwurf von Geschichtsmodellen, die als verbindlich dargestellt werden. Gerade eine Parade der Meisterwerke entfaltet mit Aura und Prestige großer Kunst erhebliche Autorität und besitzt so auch die kulturelle Überzeugungskraft, um eine bestimmte Sicht des Verhältnisses zwischen den USA und Europa und dessen Geschichte zu inthronisieren. Hier soll nicht einer bestimmten Interpretation der Dinge Recht gegeben werden. Es genügt der Hinweis, dass die Kunstkritik von Werner Spies nicht nur eine lebhafte Debatte ausgelöst hat, sondern auch zu Vorschlägen führte, Bestände der Berliner Museen zu einer permanenten Schau der Meisterwerke nach dem Vorbild der MoMA-Ausstellung zusammen zu fassen. Ein weiterer Vorschlag der nachfolgenden Debatte ging in die Richtung, eine europäische Antwort auf die amerikanische Meisterwerk-Parade zu formulieren. Hier muss vor allem festgehalten werden, dass die Kunstkritik sich in drei von vier kurz analysierten Beispielen als fähig erwiesen hat, die eigenständige Wahrnehmung der Kunst produktiv mit thematischen Diskursen zu verknüpfen und eine Offerte für die weitere Kommunikation zu formulieren. Der Transfer führte dabei wesentlich von der Kunst hin
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6 Strategie 3: Evaluieren. Wie Kunst zur Kommunikationsofferte wird
zu Beiträgen zu ganz konkreten politischen Machtverhältnissen. Zugleich stellten die Kritiker die deutliche Frage nach einem Kunstverständnis zwischen avantgardistischem Provokationspotenzial und klassischem Kanon. Mit diesem Ergebnis erweist sich die Instanz der Kunstkritik als wesentlich intakt. Kunstkritik führt so beispielhaft vor, wie Erfahrung von Kunst Diskurse verändern kann und wie Diskurse andererseits auf die Wahrnehmung von Kunst zurück wirken. Vor allem macht dieses Beispiel in Ansätzen klar, wie sich eine Gesellschaft mit Kunst selbst besser verstehen kann. Das Angebot einer Ausstellung wird in seiner Struktur als Lektüreanleitung für das Selbstverständnis einer bestimmten Zeit verstanden – genau in diesem Punkt erweist sich die Definitionsmacht einer Prozedur, die Kunstwahrnehmung in Angebote zu verbaler Kommunikation umwandelt. Zugleich wird auch deutlich, wie das Evaluieren auf die beiden anderen Formen der Kommunikation mit Kunst einwirkt und zugleich von diesen gesteuert wird.
Evaluieren und Vermitteln: Evaluation erhält von den Instanzen der Vermittlung Angebote zur Bearbeitung. Kritik bezieht sich auf Museen und insbesondere auf Ausstellungen, welche die Gegenstände der Evaluation liefern. Zugleich wirken die Ergebnisse der Evaluation auf die Instanzen der Vermittlung zurück. Denn nur die Objekte, die im Sinn einer kommunikativen Beipflichtung positiv evaluiert wurden, erhalten Einlass in den prestigeträchtigen Raum des Museums oder sind dort auf Dauer zu halten. Noch dichter ist das Verhältnis der Evaluation zu einer Ausstellung als temporärer Zusammenstellung von Kunstwerken zu einem Ensemble. Evaluation untersucht hier direkt die Tauglichkeit dieses Ensembles im Sinn einer kulturellen Produktivität. Dabei ist die Frage leitend: Welche Ansätze liefern Gestalt und Thema der Ausstellung zu einem besseren Verständnis der Gegenwart? Evaluieren und Transferieren: Gleichfalls komplex, aber keineswegs spannungsfrei ist dieses Verhältnis zwischen Evaluation und Transfer. Zunächst produzieren beide Verfahren „Bedeutungen“ – die Evaluation im Sinn von Vorschlägen für die weitere Kommunikation, der Transfer im Sinn von komplexen Bildern, die Trends sowie Images formen und vermitteln sollen. Während die Evaluation einen Raum der argumentativen Auseinandersetzung öffnet, bildet der Transfer Mittel subtiler Beeinflussung. Der Transfer steuert die Wahrnehmung der Rezipienten, die Evaluation leitet zu einem Diskurs an, der auch offen ist für den mehrfachen Rückbezug auf die Erfahrung der Kunst. Der Transfer wird sich mit Vorliebe auf die Kunstobjekte stützen, die positiv evaluiert worden sind. Umgekehrt könnte die Evaluation in Gestalt der Kunstkritik auch dazu übergehen, die Ergebnisse des Transfers zu ihrem Gegenstand zu machen, also Bilder der Werbung kritisch zu analysieren. Genau in diesem Punkt liegt die kontroverse Spannung zwischen diesen beiden Formen der Kommunikation mit Kunst.
7 Kommunikation mit Kunst als Technik des Kulturmanagements 7 Kommunikation mit Kunst als Technik des Kulturmanagements
Kulturmanagement setzt Einsicht in kulturwissenschaftliche Zusammenhänge voraus, darf jedoch nicht auf der Ebene der Beschreibung verbleiben. Denn Kulturmanagement meint „Steuerungen zur Erstellung und Sicherung von Leistungen in arbeitsteiligen Kulturbetrieben“ (Heinrichs/Klein 2001: 193) und damit eine Technik, die verlässlich gehandhabt werden kann. Insofern muss auch im Kontext der Kommunikation mit Kunst gefragt werden, inwieweit Ansätze zu einem Ablauf von Maßnahmen und Prozeduren entworfen werden können, die den Namen Management verdienen. Hier soll nicht der Eindruck erweckt werden, mit Kunst könne in einem vordergründig dirigistischen Sinn umgegangen werden. Allerdings haben wir in den vorangegangenen Kapiteln nicht nur Resultate und Sachverhalte einer Kommunikation mit Kunst beschrieben, sondern auch immer wieder analysiert, dass ihre Wirkungen planvoll herbeigeführt worden sind. Das setzt konkrete Zielsetzungen ebenso voraus wie einen Ablauf unterschiedlicher Maßnahmen, die dazu dienen, die entsprechenden Ziele auch zu erreichen und dies nach Möglichkeit nachzuprüfen. Dies erfordert ein „rein operatives Handwerkszeug“ (Jürgens 2004: 15), das sich jedoch kaum mit der Kunst und ihren unkalkulierbaren Wirkungen verträgt. Auf den ständigen Konflikt zwischen Kultur/Kunst und Management wird in der Ausgestaltung des Kulturmanagements mit der Forderung nach einer „der Kultur bzw. der Kunst kompatiblen Kultur des Managements“ (Heinze 1997b: 56) reagiert. Auf keinen Fall sollte es dabei bleiben, einfach eine Unverträglichkeit als gleichsam naturgegebene Tatsache festzustellen. „Management ist eine Methode (...) der Kontrollierbarkeit und Steuerbarkeit von Abläufen. Kunst ist (...) ein Spiel mit Ambivalenzen“ (Bendixen 2002: 35). Diese Feststellung ist richtig, darf aber nicht die Suche nach den Abläufen verhindern, die geeignet sind, die Kommunikation mit Kunst aus dem Bereich bloßer Inspiration herauszuholen. Wer Kulturmanagement begreift als „Organisation infrastruktureller Bedingungen der Möglichkeit kultureller Prozesse“ (Fuchs/Heinze 1994: 62) beschränkt Steuerung auf die tatsächlich beeinflussbaren Parameter und macht die Entfaltung der Kultur zum wichtigsten Ziel – und zugleich zum Kriterium seines Erfolges. Operationen auf einem „unreinen Feld“ (Heinze 1997b: 65), das durch das Zusammenwirken von Kunst und Ökonomie gekennzeichnet ist, müssen die Kompetenz managerialen Steuerns mit dem Wissen um Kultur und Kunst zusammenführen. Deshalb gilt für die Kommunikation mit Kunst noch viel mehr als für andere Felder des Kulturmanagements: Der Kulturmanager muss „fähig sein, in unterschiedlichen Kontexten zu denken, durch inkongruente Perspektiven Felder unter Spannung und in Bewegung zu setzen“ (ebd.: 56). Dies meint keine Vermengung der Perspektiven und Optionen, sondern ihre möglichst klare Zuordnung und zugleich die Einsicht in die Grenzen aller rezeptologischen Methoden. Dennoch sollen jetzt Perspektiven des Managements von Kunstkommunikation diskutiert werden. Dies geschieht in folgenden Schritten:
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7 Kommunikation mit Kunst als Technik des Kulturmanagements
Zunächst ist zu fragen nach dem Ablauf eines solchen Managements. Dafür werden Schemata der Managementlehre und insbesondere des Kulturmarketings herangezogen und um Schritte ergänzt, die vor allem für die vorliegende Aufgabe geeignet zu sein scheinen. Dann geht es um die Kompetenzen, die bei einem solchen Management besonders zum Zuge kommen müssen. Hier sind vor allem innovative Fähigkeiten gefragt. Im Rahmen der Managementtechniken soll gezielt nach Methoden gefragt werden, die in diesem Kontext überraschen mögen. Dabei geht es um Kreativitätstechniken ebenso wie um die Bildhermeneutik, die jeweils wichtige Ansätze zur Bearbeitung der Fragen bereitstellen, die sich mit der Kunstkommunikation stellen.
7.1 Wie der Arbeitsprozess abläuft: Das Management im Überblick 7.1 Wie der Arbeitsprozess abläuft: Das Management im Überblick Der Managementprozess ist linear und zielgerichtet, er benennt Arbeitsschritte und die benötigten Ressourcen und bezeichnet auch die Möglichkeiten, die Zielerreichung festzustellen. Grundsätzlich gehören zu einem Managementprozess daher drei Kernbereiche:
Strategische Planung: Zunächst müssen Ziele definiert und entsprechende Strategien entwickelt werden. Dann sind das benötigte Budget abzuklären und der weitere Mittelbedarf zu bestimmen. Operative Planung: Auf dieser Ebene werden die konkreten Schritte zur Zielerreichung festgelegt und deren Ausführung umgesetzt. Kontrolle: In diesem Schritt wird überprüft, inwieweit die im Rahmen der strategischen Planung definierten Ziele erreicht worden sind. Dazu gehört auch die Antwort auf die Frage, warum bestimmte Ziele eventuell nicht erreicht wurden.
Dieses Basismodell des Managementprozesses kann weiter ausgestaltet werden und enthält dann entsprechend weitere Ebenen und Schritte. Ein solches Modell kann dann so aussehen (vgl. Jürgens 2004: 16):
Planung: Der erste Teilschritt der strategischen Ebene des Managements besteht darin, das zu lösende Problem zu definieren, nach möglichen Alternativen zu suchen und eine Prognose über deren Erfolg abzugeben. Entscheidung: Dieser zweite Teilschritt der strategischen Ebene scheint sich von selbst zu verstehen und wird deshalb oft übersehen. Natürlich muss es auch darum gehen, aufgrund der erhobenen Informationen, ermittelten Bedarfssituationen und der prognostischen Abschätzung von gewünschtem Erfolg und möglichem Misserfolg eine abgewogene Entscheidung zu treffen, diese nach außen zu vertreten und entsprechend zu kommunizieren. Realisierung: Mit dieser dritten Stufe ist die operative Ebene des Managementprozesses erreicht. Hier werden die mit der Entscheidung definierten Ziele in konkrete Maßnahmen umgesetzt und dafür entsprechende Arbeitsabläufe aufgestellt.
7.1 Wie der Arbeitsprozess abläuft: Das Management im Überblick
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Kontrolle: Dieser Schritt deckt sich mit dem dritten Punkt in dem eben aufgeführten Basismodell. Führung: Hier handelt es sich nicht um einen Arbeitsschritt, sondern um eine fortlaufende Funktion von Management. Sie meint die nicht abreißende Kommunikation, Zieldefinition und Zuteilung von Verantwortlichkeiten auf allen Ebenen des Arbeitsprozesses. Controlling: Auch Controlling ist als fortlaufende Funktion gedacht. Hier geht es nicht allein um die Ergebnisprüfung am Ende des Prozesses, sondern um eine wiederholte Rückkopplung der Arbeitsschritte untereinander.
Bei der Diskussion von Managementabläufen kann auch vom Kulturmarketing gelernt werden. Im Wesentlichen wird auch in diesem Bereich ein entsprechender Ablauf angesetzt. Er unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten wesentlich von dem bisher vorgestellten Modell – und zwar durch Details, die vor allem für die Gestaltung von Kunstkommunikation wichtig sind. Dies sind:
Normative Ebene: Das Kulturmarketing benennt als erstes Element in seinem Ablaufdiagramm das so genannte „Mission-Statement“ und damit eine normative Ebene des Managementprozesses (vgl. Klein 2001: 95), die der strategischen Ebene vorgeschaltet wird. Dieses „Mission-Statement“ ist „das alles beeinflussende Oberziel“ (ebd.: 99), das die Frage klärt, wie sich eine Organisation selbst verstehen, was sie erreichen und wie sie dies umsetzen will. Ein solches Statement beinhaltet vor allem qualitative Aussagen, die als „Firmenphilosophie“ einen Bezugsrahmen aufziehen, der die strategische Ebene des Managementprozesses weit übersteigt, diese aber natürlich auch wesentlich steuert. Analysephase: Das Kulturmarketing widmet sich besonders intensiv der Analyse der Ausgangssituation des Managementprozesses. Dabei geht es nicht nur um die Erhebung des eigenen Potenzials, sondern vor allem um alle Faktoren, die von außen bestimmend einwirken und vor allem die Zukunft des Managementprozesses beeinflussen können. Im Rahmen der Nachfrageanalyse werden die Motive der Adressaten des Marketings befragt (vgl. Klein 2004b: 390). Dabei geht es vor allem um Erwartungen, Lebensstile und die ihnen zuzuordnenden Milieus (vgl. Schulze 2000: 277ff) der Menschen, an die sich das Marketing richtet. Weiter nimmt diese Phase des Prozesses extensiv bestimmende Umweltfaktoren in den Blick (vgl. Klein 2004b: 391). Solche Faktoren betreffen auch die Parameter, die für Kommunikation mit Kunst relevant erscheinen. Dazu gehören: Medientechnische Entwicklungen, demographische Entwicklungen, kulturelle Werthaltungen sowie insbesondere Trends, Moden und Stile mit ihren vielfachen Verwerfungen und turbulenten Entwicklungsschüben (vgl. Klein 2001: 190194). Qualitative Gesichtspunkte: Weil die Ziele von Kulturmarketing nur zu einem Teil in Zahlengrößen quantifizierbar sind, spielen auch qualitative Gesichtspunkte eine erhebliche Rolle. Dies beeinflusst vor allem alle Formen der Kontrolle von Zielerreichung. Ziele werden im Kulturmarketing auch in Bezug auf Kultur- und Bildungsaufträge definiert. Dazu gehören dann Kontrollverfahren, die nicht als Statistik darstellbar sind,
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7 Kommunikation mit Kunst als Technik des Kulturmanagements
sondern nur in der Form von Befragungen arbeitsfähig sind. Ein Managementprozess kann hier nicht allein mit objektivierbaren Messgrößen arbeiten, sondern benötigt auch eine fortlaufende interpretative Anstrengung und Ausgestaltung. Diese Qualität ist im Zusammenhang von Kunstkommunikation verstärkt gefragt. Der kurze Blick auf Abläufe von Managementprozesses hat gezeigt, dass für Kunstkommunikation ein Ablauf beschrieben werden muss, der zwar wesentliche Elemente der „klassischen“ Arbeitsweise aufweist, in wesentlichen Operationen jedoch anders definiert werden muss. Damit wird auf einen Gegenstand reflektiert, der sich einer instrumentellen Handhabung weitgehend entzieht. Dies kritisch mit einbezogen kann der Managementprozess für die Kommunikation mit Kunst so beschrieben werden:
1.
Normative Ebene
2.
Mission-Statement: Die Organisation, die sich für Kommunikation mit Kunst entscheidet, benötigt unbedingt eine Klärung ihres eigenen Profils, ihrer Ziele, Ansprechpartner und Operationsformen, damit klar klargestellt werden, welche Ansatzpunkte die Organisation grundsätzlich für Kunstkommunikation bereitstellt. Nach außen wird ein Selbstverständnis kommuniziert, das Partner der weiteren Kommunikation über die Organisation unterrichtet und zudem grundsätzliche ethische Kriterien vermittelt. Das Mission-Statement stellt die Glaubwürdigkeit her, ohne die ein ausdrücklich werthaltiger Prozess wie die Kunstkommunikation nicht gelingen kann. Kulturprofil: Das Kulturprofil einer Organisation kann Teil des MissionStatement sein. Dies ist meistens auch dort der Fall, wo der Umgang mit Kunst und Kultur breiteren Raum einnimmt. Wo ausdrücklich mit Kunst kommuniziert wird, sollte deshalb die eigene Haltung zu Kunst und Kultur abgeklärt werden. Dazu gehört die Selbstverpflichtung auf ethische Richtlinien, wie sie auch für das Kultursponsoring festgelegt werden (vgl. Heinze 2002: 82).
Strategische Ebene
Problemanalyse: Da Kunstkommunikation eine vor allem sinnhafte Operation ist, bedarf es zunächst einer eingehenden Analyse des Problems und einer darauf folgenden Festlegung von Zielen. Dabei muss sorgfältig untersucht werden, welche Ansatzpunkte sich für einen Einsatz von Kunst ergeben könnten. Da die Entscheidung für Kunstkommunikation weitreichende Folgen für die Situierung einer Organisation in der Öffentlichkeit hat, muss hier überlegt werden, ob ihr Einsatz grundsätzlich sinnvoll ist oder nicht andere Formen von Kommunikation vorzuziehen sind. Ideenfindung: Zu jedem Managementprozess gehören Methoden der Ideenfindung. Vor allem im Rahmen der Kunstkommunikation sollte jedoch auf diesen Punkt besondere Sorgfalt verwendet werden. Es kommt darauf an, von vornherein einem kreativen Prozess breiten Raum zu lassen und dabei viele denkbare Lösungen für das Problem zuzulassen. Verfahren der Kreativitätstechnik dienen da-
7.1 Wie der Arbeitsprozess abläuft: Das Management im Überblick
3.
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zu, die möglichen Verknüpfungen und kulturellen Transfers zu erzeugen, auf die Kunstkommunikation angewiesen ist. Dabei kommt vor allem die Synektik ins Spiel, auf die weiter unten noch eingegangen werden soll. Umweltanalyse: In den Vorgang der Ideenfindung fließen so viele Umweltinformationen wie möglich ein. Dazu gehören vor allem langfristige Trends der kulturellen Orientierungen und Wertsetzungen, der Themen und Prozeduren, die in der Welt der Kunst in nächster Zukunft bestimmend sein werden und besonders auch der weiteren medialen Entwicklungen. Besonderes Augenmerk sollte bei der Erhebung dieser Informationen auf ihre wechselseitige Verknüpfung gelegt werden. Denn gerade das Feld der kulturellen Entwicklung entwickelt sich mit großer Dynamik. Dazu gehören auch erhebliche Probleme der Vorhersehbarkeit. Validierung: Der Prozess der Kunstkommunikation erfordert äußerste Sorgfalt bei der Abschätzung von Wirkungen und Folgen. Schließlich entfaltet dieser Prozess in aller Regel eine weitreichende kommunikative und damit kulturelle Wirkung, die den Horizont eines Managementprozesses meist deutlich übersteigt. Deshalb müssen die bei der Ideenfindung erzeugten Lösungsvorschläge sorgfältig interpretiert werden, um ihre Wirkung vorhersagen zu können. Diese Ebene des Managementprozesses entspricht dem Controlling, das bei anderen Managementprozessen angewendet wird. Hier wird die Kontrolle nicht nur sehr frühzeitig in den Prozess integriert, sondern auch anders ausgestaltet. Auch wenn das klassische Controlling deshalb seinen Platz behält, weil auch für die Kunstkommunikation natürlich (oft nicht unerhebliche) Geldmittel eingesetzt werden müssen – für die Validierung kommen interpretative Verfahren der Bildhermeneutik zum Zug, mit denen geklärt werden soll, welche objektiven Merkmale und Implikationen die vorgeschlagenen Lösungen aufweisen. Damit kann eine Entscheidung vorbereitet werden, indem vorhersehbare (objektive) Wirkungen mit den eigenen (subjektiven) Absichten abgeglichen werden. Auf die Einsetzbarkeit der Bildhermeneutik wird weiter unten noch eingegangen. Entscheidung: Die gewonnenen Informationen und Einsichten gehen in den Entscheidungsprozeß ein, der hier vor allem eine inhaltliche Option meint. Ziel der Kunstkommunikation ist es, möglichst erfolgreich mit Kunst zu kommunizieren. Dazu wird auf der Ebene der Entscheidung die Frage beantwortet, mit welcher Kunst und welchen damit verbundenen Prozeduren der Präsentation und Kommunikation am besten die zuvor formulierten Ziele erreicht werden können. Dazu gehört auch, die Zielgruppen möglichst genau einzugrenzen. Entscheidung setzt operatives Handeln in Gang, das sich vor allem auf die Bearbeitung einer kommunikativen Frage bezieht.
Operative Ebene
Rekrutieren: Da Kommunikation mit Kunst vielfältiger Partner und Bezugspunkte bedarf, müssen die einzelnen Auswahl- und Kombinationsprozeduren heuristisch unterschieden werden. Da Organisationen selten alle benötigten künstlerischen oder medialen Kompetenzen vorhalten, müssen geeignete Akteure ausgewählt werden, welche die Kunstkommunikation vorantreiben oder unterstützen
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7 Kommunikation mit Kunst als Technik des Kulturmanagements
4.
können. Hier geht es auch um „Teambildung“ insofern, als Akteure unterschiedlicher Profession interagieren müssen. Dies reicht vom Museumsdirektor oder Kurator bis hin zu Öffentlichkeitsarbeitern, Medienvertretern und so fort. Mit Interaktion ist hier nicht die Bildung einer formellen Arbeitsgruppe gemeint. Dem Initiator der Kunstkommunikation wird es darum gehen, das Wirken unterschiedlicher Personen im Sinne des eigenen Managementprozesses wirksam zu konzertieren. Dies darf nicht als Manipulation missverstanden werden. Gerade Kunstkommunikation lebt von der Transparenz des Vorgangs – vor allem gegenüber den Beteiligten. Auswählen: Im Zentrum der Kunstkommunikation stehen in der Regel bestimmte Objekte und / oder Schauplätze, die für den Prozess ausgewählt werden müssen. Ausgehend von den Findungs- und Entscheidungsprozessen, die auf der Ebene der strategischen Planung stattgefunden haben, sind nun Kunstwerke zu bestimmen, die zum Einsatz kommen sollen. Das gleiche gilt für bestimmte Kontexte, die mit den Kunstobjekten gegeben sind. Teilweise können auch nur Objekte oder nur Kontexte zum Einsatz kommen. Kombinationen sind hier nicht nur möglich, sondern in der Regel auch gesucht und besonders wirksam für den Managementprozess. Darbieten: Im Zentrum der operativen Ebene steht das Darbieten dessen, was wir weiter oben als Medium der Kunstkommunikation definiert haben. Hier geht es darum, Akteure sowie Objekte und Kontexte mit Botschaften zu kombinieren und das Resultat den Adressaten zur Rezeption anzubieten. In diesem Arbeitsschritt wird mit dem Medium das eigentliche „Arbeitsinstrument“ der Kunstkommunikation eingesetzt und entsprechend kommunikativ vermittelt. Zum Darbieten gehören deshalb auch alle Formen des Kontakts mit den Adressaten. Da mit Kunstkommunikation Images aufgebaut und Einstellungen geprägt oder verändert werden sollen, muss die Rezeption der Adressaten mit dem Medium gelenkt werden. In diesem Punkt entspricht die Kunstkommunikation vollkommen dem Managementprozess des Marketings. Ausrichten: Da gerade schon von Adressaten die Rede war, muss hier noch angefügt werden, dass zum operativen Bereich natürlich auch die richtige Ausrichtung der Kunstkommunikation auf die Zielgruppen gehört. Dazu gehören vor allem geeignete Formen der Kommunikation, die möglichst viele Kontakte herstellen.
Kontrollierende Ebene
Medienanalyse: Wie bereits angesprochen, entziehen sich die Ergebnisse der Kunstkommunikation weitgehend einer quantifizierenden Erfassung (vgl. Silberer 2000: 23). Natürlich können Absatzzahlen ermittelt und mit dem Kommunikationsvorgang in Beziehung gesetzt werden. Veränderungen von Images sind so jedoch kaum zu erfassen. Also bieten sich vor allem Verfahrensweisen an, die auch beim Kulturmarketing zum Einsatz kommen (vgl. Klein 2001: 501ff). Dazu gehört der klassische Pressespiegel, der hier unter dem Stichwort der Medienanalyse gefasst wird. Zur Evaluation der Kunstkommunikation werden Reaktionen der Medien gesammelt und ausgewertet. Allerdings kann damit nur verifiziert werden,
7.1 Wie der Arbeitsprozess abläuft: Das Management im Überblick
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was die Medien selbst als Resonanz formuliert haben. Die weiteren Medienkontakte der Adressaten außerhalb der Medien müssen eigens erforscht werden. Es gehört zu den gängigen handwerklichen Fehlern solcher Analysen, Erwähnungen in den Medien mit einem erzielten Einfluss auf die Öffentlichkeit gleichzusetzen. Hier geht es jedoch nicht um die pure Häufigkeit der Berichterstattung, sondern auch darum, die Reaktionen der Medien inhaltlich auszuwerten. Expertengespräch: Zu den qualitativen Formen des Controlling gehört das Gespräch mit Experten. Das wird bereits im gesamten hier geschilderten Managementprozess stattfinden. Auf der Ebene des Controllings sollte es aber noch einmal gezielt eingesetzt werden. Zu den Experten gehören in erster Linie die Akteure, die im Rahmen des Rekrutierens für den Managementprozess gewonnen wurden. Ihre Erwartungen und Erfahrungen gilt es zu ergründen, auch um sie zu Partnern zu machen, die motiviert sind, den begonnenen Prozess der Kunstkommunikation fortzusetzen oder in einen neuen Durchlauf als Partner mit einzusteigen. Zu den Experten gehören aber auch alle am Kunstbetrieb beteiligten Personen, die nicht an dem Prozess beteiligt waren. Natürlich müssen auch Medienbeobachter, insbesondere Kritiker mit einbezogen werden. Validierung: Weiter oben ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Validierung einen wichtigen Platz in dem gesamten Managementverlauf einnimmt. Sie hilft, auf der Ebene der strategischen Planung mögliche Ergebnisse und Wirkungen frühzeitig abzuschätzen, indem Intentionen und Wirkungen unterschieden und sinnvoll miteinander in Beziehung gebracht werden. Im Rahmen des Controlling erlaubt es die Validierung, für die wesentliche Teile des Verfahrens der Bildhermeneutik eingesetzt werden, vor allem das für den Managementprozess gestaltete Medium selbst zum Gegenstand einer Interpretation zu machen. Dadurch wird das eigene Arbeitsergebnis auf Distanz gebracht und auf seine objektiven Merkmale hin untersucht. Da Hermeneutik auf Kohärenz der untersuchten Gegenstände abzielt, können fundierte Fragen in Bezug auf Stimmigkeit, gewünschte Spannungsmomente und dergleichen mehr gestellt werden.
Der hier entwickelte Managementprozess bezieht sich nur auf die inhaltlichen Aspekte der Kunstkommunikation. Alle Elemente eines klassischen Managementprozesses, die natürlich auch benötigt werden, wurden nicht berücksichtigt. Denn auch der eben geschilderte Ablauf benötigt Personal und Budget, er ist auf Ablaufpläne und Organisationsschemata angewiesen, um überhaupt funktionieren zu können. Daneben sind einige Managementfunktionen aber auch passend für die Kunstkommunikation abgewandelt und mit neuem Inhalt gefüllt worden. Klassische Instrumente haben unterstützende und ermöglichende Funktion. Die zentralen Operationen dieser managerialen Prozedur können jedoch nur als Arbeit an und mit Inhalten angemessen begriffen werden. Auch in diesem Prozess muss über den Einsatz von finanziellen Mitteln befunden werden. Aber diese Entscheidung bleibt blind, wenn nicht die viel wichtigere Entscheidung über die Kunstobjekte getroffen worden ist, mit der die Kommunikation gelingen soll. Der Prozess dieses spezifischen Managementvorgangs weist darüber hinaus auch erhebliche Parallelen mit dem Kulturmarketing auf. Dies betrifft nicht nur seine genaue Aus-
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richtung auf Zielgruppen und seine Beachtung weitgehend qualitativer Gesichtspunkte bei der Entscheidungsfindung. Wie beim Kulturmarketing geht es auch der Kunstkommunikation im Kern darum, Images zu prägen und zu verändern. Insofern kann Kunstkommunikation auch so angelegt werden, dass sie zu einem Moment des Marketings wird. Dann stellt die Kommunikation mit Kunst nur eines der operativen Mittel dar, mit denen Marketing arbeitet (vgl. Klein 2004b: 394-398). Dies setzt jedoch voraus, dass Kunstkommunikation eng auch bestimmte Ziele begrenzt und zeitlich streng limitiert wird. In aller Regel überschreitet der Horizont der Kunstkommunikation den Rahmen des Marketings jedoch deutlich. Denn nicht immer können die Ziele auf jene des Marketings beschränkt werden. Außerdem kommen Wirkungen zum Zug, die den Rahmen eines Marketingprozesses deutlich sprengen. Wenn etwa Kirchen in ihrem Kontext Kunst einsetzen, dann ergeben sich sicher Effekte eines Marketings. Dabei bleibt es jedoch nicht. Die Wirkungen von Kunst im Kontext der Kirche wirken weit in die Gesellschaft und ihre Diskurse hinein. Diese Ebene der nachgeschalteten Bedeutungsproduktion kann mit dem Begriff des Marketings nicht mehr zureichend beschrieben werden.
7.2 Was Beteiligte können müssen: Merkmale der Qualifikation 7.2 Was Beteiligte können müssen: Merkmale der Qualifikation Der eben beschriebene Managementprozess setzt bei denen, die ihn in Gang setzen und steuern, Qualifikationen voraus, die wiederum insbesondere auf die hier gestellte inhaltliche Aufgabe der Kunstkommunikation bezogen werden müssen. Darüber hinaus gehören sie zu einem Teil aber auch zu den Anforderungen, die an einen Manager generell zu stellen sind. Dabei kann es nicht darum gehen, mit einer Liste solcher Qualifikationen und Fertigkeiten wiederum nur auf die Naturtalente des Kulturmanagements wie den Theaterintendanten, Regisseur und Kulturmanager August Everding (1928-1999) zu verweisen (vgl. Heinrichs 1999: 116) oder gar den idealen Kulturmanager als Alter Ego des Künstlers zu entwerfen. Die Liste dient eher dazu, das komplexe Aufgabenfeld der Kunstkommunikation deutlich zu machen und an die einzelnen Aktivitäten, die in seinem Verlauf anfallen, zu erinnern. In der Praxis wird es ohnehin meist so sein, dass diese Qualifikationen nicht nur von einer Person in sich vereinigt werden, sondern im Verlauf des Managementprozesses von mehreren Personen ausgeübt werden. Allerdings sollten diejenigen, die den Managementprozess verantwortlich steuern, diese Qualifikationen im Blick haben und auch mehrheitlich erfüllen. Der Kulturmanager ist sicher kein Wunderkind, aber eine Person, die fähig sein muss, sich in einem Feld voller Überschneidungen der Themen, Prozeduren, Wertsysteme und Anforderungen gewandt zu bewegen. Zu den Schlüsselqualifikationen des Kulturmanagers, der Kunstkommunikation als Managementprozess steuert, gehören (vgl. Lüddemann 2002: 53-55): Verstehen: Der Kulturmanager braucht die Fähigkeit zu möglichst unverstellter Wahrnehmung, die ihn befähigt, neue Lösungen für Probleme in den Blick zu bekommen. Natürlich muss jeder Mensch, der an Arbeitsabläufen teilnimmt, verstehen können – Aufgaben, Prozesse, andere Menschen. Hier ist jedoch mehr gemeint. Neben der möglichst differenzierten
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Problemwahrnehmung geht es darum, abseits alltäglicher Handlungs- und Wahrnehmungsroutinen ungewöhnliche Sinnkonstellationen wahrnehmen und auffassen zu können. Zu diesem Verstehen gehört auch, das Irritationspotenzial aushalten zu können, das vor allem die Kunst mit ihren Objekten und Erfahrungen bereithält (vgl. ebd.: 54). Verstehen umfasst also die Fähigkeit zur Aufnahme des Ungewohnten ebenso wie die Kompetenz, das Neue mit bereits vorhandenen Wissensbeständen zu verbinden und darin innovative Potenziale zu entdecken. Verstehen als Qualifikation des Kulturmanagers meint nichts anderes als die produktive Vorwegnahme der neuartigen und daher überraschenden Kommunikationsformen, die mit dem Einsatz von Kunst entstehen. Entwerfen: Der Kulturmanager braucht Kreativität, also die Fähigkeit, „aus gewohnten Wahrnehmungs- und Denkmustern auszubrechen und sich etwas Neuem zuzuwenden“ (Bendixen 2002: 147). Vom Einsatz der Kreativitätstechnik Synektik wird später noch die Rede sein. Im Bereich der Qualifikationen geht es darum, dass der Kulturmanager fähig ist, nicht nur Kultur zu ermöglichen, sondern auch innovative Formen ihrer Vermittlung und Rezeption zu entwerfen. Dazu gehört, dass der Kulturmanager die Initiative ergreift (vgl. Heinrichs 1999: 117) und von sich aus Szenarien entwirft, die das kulturelle Geschehen voranbringen, indem sie ihm eine neue Qualität verleihen. Hier muss betont werden, dass der Kulturmanager eben nicht nur Rahmendaten der Kultur herstellt, sondern selbst Bedeutungen produziert, indem er neue Zugänge zur Kunst eröffnet, Themen setzt und Kommunikationsformen antizipiert. Mit dem Angebot einer neuen Sinnofferte entwirft der Kulturmanager ein von Spannungen geprägtes Feld (vgl. Lüddemann 2002: 54). Zum Entwerfen gehört demnach die Bereitschaft zum Konflikt, da der Horizont gewohnter Wahrnehmung und Kommunikation überschritten wird. In diesem Punkt berührt sich die Aktivität des Managers mit der des Künstlers. Während der Künstler jedoch überwiegend Objekte schafft, entwirft der Kulturmanager Szenarien ihrer denkbaren Rezeption. Vermitteln: Wer kontroverse Felder bearbeitet, muss ständig um Vermittlung bemüht sein. Dies beschränkt sich nicht allein darauf, dann aktiv zu werden, „wenn ein Werk nicht mehr selbstverständlich seinen Weg in die Öffentlichkeit findet“ (Bendixen 2002: 152). Mit dieser eingeengten Perspektive wäre Vermittlung auf einen begrenzten Bereich der Kultur eingeschränkt. Fördern, was es schwer hat – unter genau diesem Slogan werden zum Beispiel die öffentlichen Bühnen finanziert. Um den bloßen Ausgleich eines ansonsten schwierigen Marktgeschehens kann es hier jedoch nicht gehen. Vermittlung meint auch nicht die Form der Kommunikation mit Kunst, die weiter oben analysiert worden ist. Stattdessen muss Vermittlung die Irritation auffangen, die dann entsteht, wenn Kunstkommunikation eine neue Sinnofferte darbietet. „Die neue Sinnofferte kann nicht mehr in der Form einer Kommunikationsroutine bewältigt werden. Sie muss eigens dargelegt (...) werden“ (Lüddemann 2002: 54). Dazu gehört zunächst einmal, die neue Offerte als solche kenntlich zu machen und sie dann offensiv zu vertreten, aber auch, kontroverse Rückmeldungen auszuhalten. Durchsetzen: Die Entscheidung wird als eigener Arbeitsschritt des Managementprozesses häufig übersehen. Sie gehört aber auch zu den Qualifikationen, die ein Kulturmanager aufweisen sollte. Entscheidung meint immer, eine Option zu favorisieren und dafür andere zu
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verwerfen (vgl. Heinrichs 1999: 128). Das beinhaltet allein schon die Fähigkeit, Konflikte auszuhalten. Wer mit Kunst kommuniziert, muss noch einmal in besonderer Weise konfliktfähig sein. Dazu gehört Durchsetzungsfähigkeit. Das ist jedoch nicht als Ausübung bloßer Macht gemeint. Viel mehr geht es zunächst einmal darum, sich möglichst klar für eine Option der Kommunikation mit Kunst zu entscheiden. Kunstkommunikation kann nur funktionieren, wenn die Entscheidung trennscharf ausfällt. Falsche Kompromisse oder Rücksichten sind nicht am Platz, wenn ein Szenario dieser Kommunikation wirklich funktionieren soll. Da solche Szenarien ohnehin schon die Mehrdeutigkeiten mit sich bringen, die für Kunst charakteristisch sind, müssen die „Rahmenbedingungen“ so präzis wie irgend möglich gefasst werden. Damit die favorisierte Option durchgesetzt werden kann, müssen aber auch die Voraussetzungen stimmen. Dazu gehört ihre Stimmigkeit ebenso wie die Kalkulation des Provokationspotenzials, das sich wie die Mehrdeutigkeit mit Kunst verbindet. Hier sorgt die angemessene Dosierung für den Erfolg und für gute Chancen, eine Entscheidung auch wirklich durchzusetzen. Erinnern: Schon bei der ersten Position dieser Folge von Qualifikationen des Kulturmanagers, dem Verstehen, musste an Fähigkeiten erinnert werden, die scheinbar selbstverständlich sind, aber gerade deshalb immer wieder vernachlässigt werden. Dies betrifft auch das Erinnern, das nichts anderes meint als die Fähigkeit, der einmal gewählten Form von Kunstkommunikation Nachhaltigkeit und damit so weit als möglich Dauer zu verleihen (vgl. Lüddemann 2002: 55). Dieser Effekt ist bereits mit der Wahl der Kunst als Mittel und Forum der Kommunikation gegeben. Denn Kunst garantiert die Dauerhaftigkeit von angeschlossener Kommunikation, weil sie immer neue Rückkopplungen ermöglicht und so semantische Felder eröffnet, die mit Prestige und Sinn hoch aufgeladen sind. Das weiter oben analysierte Beispiel des „Mythos Worpswede“ hat gezeigt, wie dicht ein solches Feld sein kann – und damit besonders attraktiv für Kommunikation und Marketing. Der Kulturmanager muss sich deshalb darum bemühen, die einmal gewählte Form der Kunstkommunikation möglichst langfristig zu gestalten. Das schließt regelmäßige Wiederholungen mit ein, damit die anvisierte Sinnofferte möglichst viele Adressaten erreicht. Kunstkommunikation entfaltet ihre volle Wirkung überhaupt nicht als einmaliges Ereignis, sondern im Rahmen festgelegter Formate, Aktionsformen und kommunikativer Bemühungen. Erst mit derart nachhaltigen Aktivitäten kann der gewünschte Imageaufbau und -transfer zuverlässig erreicht werden. Der Kulturmanager muss deshalb selbst bereit sein, sich auf eine langfristige Perspektive einzulassen, die nicht nur kontinuierliche Bearbeitung verlangt, sondern auch die Bereitschaft, Kooperationspartnern ein verlässlicher Ansprechpartner zu sein. Zugleich muss es darum gehen, die einmal in Gang gesetzten Kommunikationsprozesse aufmerksam und konstruktiv mit zu verfolgen. Dies betrifft vor allem die Wandlungen, die sich in dem jeweiligen Szenario der Kunstkommunikation unausweichlich ergeben werden.
7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken
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7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken 7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken Der Managementprozess für Entwurf und Durchführung einer gelungenen Kunstkommunikation bedarf vor allem einer gründlichen Ideensuche und einer sichernden Validierung. Dafür kommen mehrere Techniken in Betracht, die jetzt diskutiert werden sollen. Für die Ideensuche sollen die Synektik und die Szenario-Methode als Kreativitätstechniken eingeführt werden. Für die Validierung ist zu fragen, inwieweit die Interpretationsmethode der Bildhermeneutik Ansatzpunkte für den Managementprozess bieten kann. Analog zu einem Managementprozess, der in unserem konkreten Fall der Kunstkommunikation nur zu einem Teil mit standardisierten Bezugsgrößen der klassischen Managementlehre arbeiten kann, erfolgt bei den Methoden ein Import aus Feldern, die dem Management zunächst fern zu stehen scheinen. Dies gilt vor allem für die Hermeneutik.
7.3.1
Geistesblitze gefragt: Die Chancen der Synektik
Für die Kommunikation mit Kunst kommt es vor allem darauf an, die richtigen Bezugspunkte zu wählen. Keine Probleme bereitet dies in den Fällen, in denen Bezüge zur Kunst bereits gegeben sind, etwa durch existierende Firmensammlungen, persönliche Bezüge oder regionale und historische Gegebenheiten, die ohnehin nicht zu ändern sind und gerade deshalb möglichst produktiv aufgegriffen werden sollten. So stellte sich im bereits diskutierten Fallbeispiel der Gemeinde Worpswede nicht die Frage nach der Wahl bestimmter Kunstwerke für die eigene Kommunikationsstrategie. Mit der Künstlerkolonie und ihren Werken waren die bereits vorgegeben. Ähnlich gelagert ist das (noch zu analysierende) Fallbeispiel der Stadt Osnabrück, die ihre Imageentwicklung als „Friedensstadt“ wesentlich an der Figur des in Auschwitz ermordeten Malers Felix Nussbaum festmacht, der in Osnabrück geboren wurde. Aktive Auswahl war jedoch gefragt bei der Kombination der von Cecilia Bartoli eingespielten Arien Salieris mit Photographien von Marmorskulpturen Antonio Canovas. Solche produktiven Verknüpfungen werden am besten mit Hilfe von Kreativitätstechniken vorbereitet. Mehr noch als das klassische Brainstorming (vgl. Knieß 1995: 53-65, Heinrichs/Klein 2001: 43f) verspricht die Methode der Synektik Erfolg bei den spezifischen Anforderungen der Kunstkommunikation, weil sie die jeweilige Problemstellung gezielt verfremdet und Lösungen in zunächst kaum Erfolg versprechenden Richtungen anpeilt. „Künstlich in Verbindung gebracht werden nämlich Bereiche, die normalerweise – ohne gedankliche Übertragung – nichts miteinander zu tun haben“ (Jürgens 2004: 23). Das erhöht den Aufwand dieser Technik, führt jedoch zu genau den kreativen und damit überraschenden Lösungen, die für eine Kommunikation mit Kunst gesucht werden. Diese Kreativitätstechnik arbeitet mit Prozeduren der Analogiebildung und geordneter Übertragungen. Dies entspricht ziemlich genau der Struktur der Kunstkommunikation, die gleichfalls Analogien nutzt, um ihre Botschaften zu vermitteln.
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Synektik gehört zu den intuitiv-kreativen Methoden der Kreativtechniken und setzt wie das Brainstorming voraus, das folgende Grundsätze eingehalten werden (vgl. Knieß 1995: 96, Stolle 1996: 9):
Kurze Beiträge, möglichst in der Form von Stichwörtern. Niemand wird bei der Äußerung von Ideen gestört oder beeinflusst. Alle Vorschläge sind erlaubt. Ideensuche und Ideenkritik werden strikt getrennt. Es gibt kein geistiges Eigentum. Vorschläge anderer werden weiterentwickelt. Verlauf und Ergebnisse der Prozedur werden für alle sichtbar protokolliert.
Die Technik der Synektik besteht aus folgenden Schritten (vgl. Knieß 1995: 95-98, Stolle 1996: 13, Jürgens 2004: 23):
Zunächst wird das Problem so genau wie möglich formuliert, indem alle verfügbaren Informationen gesammelt werden. In der zweiten Phase werden spontane Lösungsansätze geäußert, die helfen sollen, Denkblockaden zu lösen und die Problemstellung klarer zu fassen. In der dritten Phase werden direkte Analogien gebildet. Das gestellte Problem wird mit der Absicht gezielter Verfremdung in andere Bereiche, etwa der Technik, Natur und so weiter, übertragen. Der interessanteste Vorschlag wird ausgewählt und weiter bearbeitet. Durch Bildung persönlicher Analogien werden subjektive Gefühle aktiviert. Die Teilnehmer sollen sich in die fremde Sphäre des Problems und seiner Lösung hineinversetzen. Symbolische Analogien sind für Kunstkommunikation besonders wichtig, weil sie mit Hilfe von verfremdenden Adjektiven, Musikstücken oder Bildern hervorgebracht werden. Hier ist ein bewusst an Konfliktkonstellationen orientiertes Arbeiten angestrebt. Wiederum wird die überzeugendste Analogie zur weiteren Bearbeitung ausgewählt. Auf dem bislang erarbeiteten Hintergrund wird nun wieder eine neue direkte Analogie gebildet, die auf ihre Strukturmerkmale hin untersucht wird. In einem letzten Schritt wird versucht, die gewonnenen Anregungen auf das Grundproblem zu übertragen. „Die hinter dieser Phase stehende Grundfrage lautet: Wie kann die erhaltene neue Struktur zur Lösung unseres Problems genutzt werden?" (Knieß 1995: 98).
Das hier in geraffter Form vorgestellte Modell mag aufwendig erscheinen. Zugleich eröffnet die Synektik anders als das Brainstorming jedoch entscheidende Vorteile. Synektik erlaubt es, die Problemstellung in starkem Maß zu verfremden, um so wirklich überraschende Vorschläge zur Lösung des Problems zu erbringen. Die systematische Bearbeitung einer ganzen Reihe von Analogiefeldern führt zur konsequenten Ausleuchtung des Problems und zu vielschichtigen Lösungsansätzen, die konsequent miteinander verknüpft werden. Das eröffnet vielfältige Bezüge, die von den Teilnehmern allerdings Abstraktionsfähigkeit und die
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Bereitschaft zu hohem Koordinationsaufwand verlangen. Ohne diesen Einsatz dürfte Kunstkommunikation nicht sinnvoll in Gang zu setzen sein. Die im Vergleich mit dem Brainstorming weniger bekannte Synektik ist für den hier diskutierten Zusammenhang auch deshalb bedeutsam, weil sie auf der Ebene der symbolischen Analogie ohnehin schon den Bezug zur Kunst einführt. Die für die Kunstkommunikation gesuchte Analogiebildung ist bereits Bestandteil dieser Kreativitätstechnik. Gegenüber dem Brainstorming weist die Synektik auch eine weitaus höhere Komplexität und methodische Dichte auf. Der ausgefeilte Ablauf ermöglicht es, die Lösungsvorschläge schrittweise abzuarbeiten und dabei auch Hinweise auf zunächst widersinnig erscheinende Analogien aufzunehmen. Genau dies wird für Kunstkommunikation benötigt, die ihre Dynamik oftmals aus dem Konfliktpotenzial bezieht, das sich mit der Wahl bestimmter Kunstwerke für Zwecke der Kommunikation ergibt. Zuletzt muss noch darauf verwiesen werden, dass die Technik der Synektik dem Interpretationsprozess ähnelt, der bei der Bildhermeneutik zum Zuge kommt. Die Entwicklung spontaner Lösungsvorschläge erinnert an die Lesartenentwicklung der Bildhermeneutik, die verschiedenen Stufen der Analogiebildung lassen an die Abarbeitung mehrerer Kontextebenen in der Bildinterpretation denken. Gleichgerichtet sind Synektik und hermeneutische Interpretation auch deshalb, weil sie ihr Resultat in einem streng methodischen Arbeitsgang erreichen, in dem vielfältige Vorschläge schrittweise auf ein Ergebnis hin reduziert werden.
7.3.2
Blick nach vorn: Szenarien entwickeln
Während die Synektik dazu beiträgt, vielfältige Ansätze für Kunstkommunikation zu finden, kann die Szenario-Technik dafür eingesetzt werden, Chancen und Risiken der Kunstkommunikation abzuschätzen. Der hier diskutierte Managementprozess erhält aber die Möglichkeit, die weitere Entwicklung eines komplexen Feldes zu prognostizieren. Schließlich wird Kunstkommunikation nur dann sinnvoll eingesetzt, wenn sie als langfristige Strategie angelegt ist. Genau dann wird jedoch die Folgenabschätzung benötigt, die beim Kulturmarketing als Umweltanalyse bekannt ist (vgl. Klein 2001: 181-196). Bei der Szenario-Technik (vgl. Knieß 1995: 131-135) werden „auf der Grundlage mehrerer plausibler Annahmen verschiedene Zukunftsbilder erzeugt“ (ebd.: 132). Diese Technik läuft in folgenden, hier für die Bedürfnisse der Kunstkommunikation adaptierten Schritten ab:
Definition des Untersuchungsfeldes: Zunächst muss das System, das untersucht werden soll, abgegrenzt werden. Dafür werden seine wichtigsten Elemente bestimmt sowie ein Zeithorizont festgelegt, für den Szenarien erarbeitet werden sollen. Identifikation der Einflussbereiche: Im zweiten Schritt werden die wichtigsten Einflussfelder bestimmt. Dazu gehören bei der Kunstkommunikation Bezugspersonen und Institutionen, Publikums- und Adressatengruppen, Entwicklungen auf den Gebieten von Kunst, Medien, Technologie und dergleichen mehr. Diese Einflussfaktoren werden gewichtet und strukturiert sowie nach ihrer Stärke gruppiert. Ausgehend von
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dieser Analyse wird das „Null-Szenario“ (ebd.: 133) erstellt, das den Ist-Zustand abbildet und den Prüfstein für das Szenario-Modell bietet. Bildung der Deskriptoren: Dieser Schritt macht einige Probleme, weil hier nicht wie sonst in der Szenario-Technik üblich mit quantifizierbaren Kennzahlen gearbeitet werden kann. Anstatt künftige Trends mit Zahlenentwicklungen zu beschreiben, müssen hier die Entwicklungen der verschiedenen Einflussfaktoren deskriptiv und vor allem qualitativ erfasst werden. Alternative Annahmen: Auf der Grundlage der bisherigen Analyse werden nun die Alternativentwicklungen auf ihre Logik hin überprüft. Dabei kommt es darauf an zu ergründen, wie sich die Einflussfaktoren gegenseitig beeinflussen. Diese Faktoren können sich gegenseitig verstärken und in ihrer Wirkung steigern oder sich gegenseitig ausschließen und damit in ihrer Wirkung behindern. Auswahl von Präszenarien: Aus den bislang entworfenen Szenarien werden drei Präszenarien ausgewählt, die hinreichend plausibel und wahrscheinlich sind und sich deutlich voneinander unterscheiden. In der Regel werden dabei jeweils das positive und negative Extremszenario berücksichtigt. Hinzu kommt – gleichsam in der Mitte – das wahrscheinliche Szenario. Analyse von Störereignissen: Absicherung erhält dieses Verfahren durch den Entwurf von Störereignissen, die nicht in den vorhersehbaren Trends liegen, aber vorstellbar erscheinen. Damit sind externe Ereignisse gemeint, die Einfluss auf die Kunstkommunikation nehmen können. Sie werden mit der Kreativitätstechnik des Brainstormings ermittelt und anschließend auf ihre Auswirkungen hin untersucht.
Mit der hier kurz umrissenen Szenario-Technik können Prognosen für Verfahren der Kunstkommunikation in der Form von „Projektionsräumen, imaginären Bühnen“ (Wagner 1999: 80) entworfen werden. Dies hilft, mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Auf der anderen Seite können auch positive Einflussfaktoren bestimmt und ihr möglichst optimales Zusammenwirken herbeigeführt werden. Das zentrale Problem dieser Technik im Bereich der Kunstkommunikation besteht darin, dass Einflussfaktoren nicht ohne weiteres quantifizierbar sind und deshalb keine Trends zuverlässig rechnerisch bestimmt werden können. Szenarien können weitgehend nur als Gedankenkonstrukte errichtet werden und beinhalten damit einige Unschärfen. Dennoch scheint die Technik geeignet, die Wirkungen von Kunstkommunikation rechtzeitig abzuschätzen. Schließlich übt diese Form der Kommunikation erheblichen Einfluss auf kulturelle und kommunikative Felder aus. Dies muss vorher bedacht und ausreichend imaginiert werden – auch um zu analysieren, ob die gewünschten kommunikativen Effekte erreicht werden können.
7.3.3
Lesarten erproben: Möglichkeiten der Bildhermeneutik
Hermeneutik und Management? Eine Koalition dieser beiden Bereiche und ihrer Denkweisen scheint kaum möglich zu sein. Und dennoch wird für den Managementprozess der Kunstkommunikation vorgeschlagen, das Verfahren der Bildhermeneutik in den Prozess zu integrieren. Denn der Arbeitsablauf benötigt Elemente einer fortlaufenden Validierung der
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Arbeitsschritte und -ergebnisse, die nicht auf der Grundlage von quantifizierbaren Messgrößen zu leisten ist. Stattdessen muss eine qualitative Beurteilung vorgenommen werden, für die der Bildhermeneutik, also der Interpretation von Werken der bildenden Kunst, Elemente entnommen werden können. Wir haben bereits gesehen, dass die Kreativitätstechnik der Synektik einige Elemente enthält, die mit der Bildhermeneutik vereinbar sind. Ohnehin erinnert der gesamte Arbeitsprozess der Synektik mit der extensiven Entwicklung von Lösungsvorschlägen sowie mit seiner methodischen Ausrichtung an den Vorgang der Bildinterpretation. Zunächst soll diese Methode hier nun in ihren Elementen kurz vorgestellt werden. Grundlage dieses Abschnitts sind die Vorschläge für eine Abfolge des Analysevorgangs der Bildhermeneutik, die sich ausdrücklich auf die Objektive Hermeneutik berufen (vgl. Heinze-Prause 1996: 32-35, 41-44, Heinze 2001: 213-234, Reichertz 2005) oder versuchen, die Anregungen dieses Verfahrens mit den Einsichten der „Ikonik“ des Kunsthistorikers Max Imdahl zu verbinden (vgl. Lüddemann 1997: 159ff.). Hier das Gerüst der Analyse:
Erster Schritt: Daten zum Kunstwerk Zweiter Schritt: Entwicklung von Lesarten Dritter Schritt: Paraphrase des Bildes Vierter Schritt: Merkmale der Struktur Fünfter Schritt: Erster Rückgriff auf die Lesarten Sechster Schritt: Explikation möglicher Kontexte Siebter Schritt: Zweiter Rückgriff auf die Lesarten Achter Schritt: Interpretation als Entwurf einer generellen Struktur
Im Folgenden wird versucht, die einzelnen Positionen soweit auszuarbeiten, dass sie auch als „Checkliste“ für konkrete Interpretationen genutzt werden können. Dabei richten sich die einzelnen Erläuterungen an den Bedürfnissen einer Interpretation von Gemälden aus. Erster Schritt: Zunächst vergewissern wir uns über das Kunstwerk, das interpretiert werden soll. Die Daten zum Kunstwerk sammeln Angaben über Größe, Abmessungen, Titel, Name des Künstlers, Entstehungsjahr, Aufbewahrungs- oder Installationsort. Auch globale Angaben über die künstlerische Technik gehören hierher. Diese Angaben werden als „objektive“ Daten ohne weitere Vermutungen über Bedeutungen eruiert. „Objektiv“ muss nicht in jedem Fall Eindeutigkeit bedeuten. Zweifelsfragen sollten nicht voreilig entschieden, sondern als solche festgestellt werden – vor allem dann, wenn sie die materiale Gestalt des Werkes betreffen. Zweiter Schritt: „Lesarten“ sind intuitive Vorgriffe auf Sinn und Bedeutung des Kunstwerkes. Sie sind versuchsweise Entwürfe, die noch nicht auf ihre Plausibilität hin überprüft werden. Erlaubt ist auf dieser Stufe alles, was passend erscheint. Auch entlegene Möglichkeiten des Sinnentwurfs sollten unbedingt festgehalten werden. Auf dieser Stufe geht es wie bei Kreativitätstechniken darum, einen weiten Horizont möglicher Bedeutungen aufzuspannen. Dazu dienen auch Fragen, die an das Werk gestellt werden und dabei vor allem die Aspekte thematisieren, die besonders unverständlich erscheinen. Lesarten und solche Fragen können sinnvoll kombiniert werden (vgl. Lüddemann 1997: 160). Wie im Brainstor-
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ming oder in der Synektik üblich werden die Varianten geäußert und nicht sofort bewertet. Hier kommt es auch nicht auf ein Expertenwissen an, sondern auf die Kompetenzen, die Interpreten aus ihrer jeweiligen Lebenspraxis mitbringen. Im Anschluss an diese Sammlung sollten die Lesarten nach übereinstimmenden Merkmalen gruppiert werden. Auch dabei ist nicht erlaubt, Varianten des Sinns sofort auszuschließen. Dritter Schritt: In einer Paraphrase des Bildes wird anschließend versucht, das Werk sprachlich zu fassen, um sich so einer Interpretation weiter auf der Ebene der Sprachlichkeit zu nähern. Das Verfahren macht an dieser Stelle besonders deutlich, dass es der Bildhermeneutik nicht darum geht, die subjektiven Intentionen des jeweiligen Künstlers zu ergründen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die „objektive“ Gestalt des Werkes. Vierter Schritt: Diese Phase der Bildinterpretation hat entscheidende Bedeutung. Denn nun geht es darum, die künstlerischen Strukturen des Werkes eingehend zu erfassen – und zwar unabhängig von Künstlerintention, den Lesarten der Interpretierenden oder irgendeiner Form von Vorwissen. Zur Geltung kommt hier die Gestalt des Werkes selbst – und mag sie noch so fremdartig erscheinen. Besonders wichtig: Auch wenn eine Struktur des Werkes ergründet werden soll, dürfen Brüche und Widersprüche nicht voreilig aufgelöst werden. Hier ist die Reichhaltigkeit künstlerischen Ausdrucks zu ergründen. Im Einzelnen sind folgende Punkte zu bearbeiten: Material, Farbigkeit, Einsatz der Farbe, Pinselführung, Aufbau der Bildstruktur, Lichtführung, Stil etc. Diese Punkte sind gleichsam „abstrakt“ zu erfassen, also ohne Rücksicht auf Motive, Bedeutungen und ähnliches. Nach der Erhebung dieser Merkmale sind sie in einem heuristischen Sinn zu einer Struktur zu verknüpfen. Fünfter Schritt: Jetzt kommt der Interpret auf die vorhin erarbeiteten Lesarten zurück. Die nach gemeinsamen Merkmalen Mutmaßungen über die Bedeutung des Kunstwerks werden nun mit der Paraphrase des Bildes und vor allem seinen „objektiven“ Merkmalen konfrontiert. In dieser Konfrontation erscheinen einige Lesarten plausibler als andere. Entsprechend können einige der Vermutungen favorisiert, andere dagegen als eher unwahrscheinlich zurückgestellt werden. Besonders wichtig: Das dominante Element ist die Strukturhypothese, die sich aus der Werkgestalt und ihren Merkmalen ergibt. Sie bleibt bis zum Ende der Interpretation der Prüfstein aller Auslegungsversuche. Sechster Schritt: Jetzt kommen mögliche Kontexte des Bildes ins Spiel. Dabei geht es um Informationen zum Maler, seinen Lebenslauf und sein Lebensumfeld. Hinzu treten biographische Zeugnisse wie Tagebücher, Briefe, Essays, eigene Interpretationen, Interviews und so weiter. In diesen Bereich gehören auch Zeugnisse von Zeitgenossen aller Art. Auf den Künstler bezogen bleiben auch Informationen zur individuellen Werkgeschichte und die Stellung des Bildes in ihrem Verlauf. Globale Kontexte sind Stile und Epochen, Fragen der Bildgattung, motivgeschichtliche Untersuchungen, vergleichbare Werke anderer Künstler, geistesgeschichtliche Einflüsse aller Art. Da auf dieser Stufe der Interpretation tendenziell unabschließbare Kontexte aufgetan werden können, muss in jedem Einzelfall entschieden werden, welche Informationen wirklich benötigt werden.
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Siebter Schritt: Die jetzt vervollständigte Arbeit an dem jeweiligen Werk wird noch einmal mit den Lesarten konfrontiert. Wir werden nun weitere Lesarten ausschließen können und zu einer vorläufigen Entscheidung gelangen. Wichtig bleibt dabei, dass alle aus Kontexten gewonnenen Informationen die Daten der Werkgestalt nicht dominieren, sondern selbst an ihnen gemessen werden. Entscheidend bleibt die individuelle Struktur des Werkes. Alle anderen Informationen werden nicht im Sinn eines klassifizierenden Rasters, sondern als heuristische Instrumente eingesetzt. Achter Schritt: Diese Stufe der eigentlichen Interpretation vereinigt die Arbeitsergebnisse der bisherigen Schritte zu einem strukturierten Ganzen. Hier werden die Erkenntnisse einer Strukturanalyse mit den weiteren Informationen und Wissensständen zu einem strukturierten Ganzen zusammengefügt. Das bedeutet nicht, alle Widersprüche zu tilgen. Anders als es das Wort von der „Strukturgeneralisierung“ (Heinze-Prause 1996: 44) nahe legt, geht es in einer Interpretation nicht darum, Homogenität um jeden Preis zu erreichen. Brüche im Werk können auch benannt und als seine besondere Produktivität erwiesen werden. Es liegt nahe, dass dieses hier im Überblick vorgestellte Verfahren der Bildinterpretation in einem Managementprozess nicht vollständig eingesetzt werden kann. Es würde den Rahmen eines solchen Prozesses sprengen und muss deshalb wie jeder Umgang mit einer Kreativitätstechnik auf die konkreten Bedürfnisse zugeschnitten werden. Dies bedeutet: Hermeneutik soll die Entscheidungsfindung sinnvoll unterstützen. Gegenstand der hermeneutischen Interpretation können die Kunstwerke sein, die für einen Prozess der Kunstkommunikation in Frage kommen. Weitere Gegenstände dieser Methode sind im Rahmen des Managementprozesses die Medien, die im operativen Teil des Managementprozesses entworfen werden. Das Interpretationsverfahren muss verkürzt werden, um im Rahmen eines Managementprozesses eingesetzt werden zu können. Wichtig sind vor allem die Schritte 2, 4, 6 und 8. Damit werden vor allem Entwicklung von Lesarten, die Erhebung der objektiven Merkmale sowie Sichtung relevanter Kontexte und die synthetisierende Interpretation als Basisgerüst der Interpretation hervorgehoben. Im Managementprozess geht es nicht um die wissenschaftliche Tragfähigkeit eines Interpretationsergebnisses, sondern um die Möglichkeit, relevante Daten und Einsichten zu gewinnen, mit denen Entscheidungen abgestützt werden können. Dazu gehört vor allem, Kunstwerke und Medienentwürfe einem „Check“ zu unterziehen, der mögliche Wirkungen sichtbar macht, auf bislang übersehene Deutungsmöglichkeiten hinweist und schließlich denkbare Inkonsequenzen der Struktur und etwaige kulturelle Unverträglichkeiten aufspürt. Die Bildhermeneutik leistet umfängliche Datenerhebung und führt deren konstruktive Verknüpfung vor. Vor allem „verfremdet“ sie ihre Gegenstände und macht so auf deren tatsächliche Qualitäten aufmerksam. Dies ist wichtig, um im Rahmen des Managementprozesses zwischen guten Absichten und tatsächlichen Wirkungen unterscheiden zu können. Die Bildhermeneutik kann mit ihren Qualitäten sowohl mit Kreativitätstechniken zur Ideenfindung wie auch mit dem Prognoseverfahren der Szenario-Technik kombiniert werden. In diesen Kontexten liefert die Bildhermeneutik Material und schärft zugleich das methodische Bewusstsein für die eigene Arbeitsweise. Sinnvoll wird ihr Einsatz jedoch nur sein, wenn
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das Interpretationsverfahren auf wesentliche Schritte reduziert und in seinen Erkenntniszielen auf den Managementprozess zugeschnitten wird. Da hier keinem MethodenDilettantismus das Wort geredet werden soll, wird darauf verwiesen, dass insbesondere der Einsatz der Bildhermeneutik Übung und methodische Reflexion verlangt. Erst auf dieser Grundlage können die unabdingbaren Verkürzungen der Methode so vorgenommen werden, dass keine verfälschten Ergebnisse produziert werden. Einzelne Schritte wie vor allem die Produktion von Lesarten wie auch von Fragen zu unverständlichen Aspekten des Interpretationsgegenstandes eignen sich gut für die Arbeit in der Gruppe. Das gesamte Verfahren kann jedoch nur von Fachleuten zuverlässig gehandhabt werden. Diese Bedenken berücksichtigt kann jedoch hervorgehoben werden, dass mit diesem Verfahren auch deutlich wird, wie geisteswissenschaftliche Methodik für manageriales Handeln anschlussfähig und produktiv sein kann. Schließlich geht es gerade im Kulturmanagement darum, Methodenkenntnis, Wissensbestände und Management so zu verknüpfen, dass Kultur erfolgreich vorangebracht werden kann.
8 Kunstkommunikation: Modell einer Produktion kultureller Bedeutung 8 Kunstkommunikation: Modell einer Produktion kultureller Bedeutung
Im voran gegangen Abschnitt sind Aspekte der Kommunikation mit Kunst als Prozess eines Managements diskutiert worden. Dabei sollte soweit wie möglich die Frage beantwortet werden, ob Kunstkommunikation als handhabbarer Arbeitsablauf formuliert werden kann. Das oben entworfene Modell gibt eine Abfolge von Schritten vor und weist zudem Positionen auf, an denen Kreativitätstechniken, Methoden der Prognosestellung sowie Interpretationsverfahren als unterstützende Instanzen in den Prozess eingefügt werden können. Der nun folgende Abschnitt leitet zu Beispielen über, mit denen konkrete Verläufe von Kunstkommunikation analysiert werden sollen. Dafür soll Kommunikation mit Kunst hier in einem schematisierten Ablauf dargestellt werden. Dieses Modell hat einen heuristischen Charakter – es ordnet die komplexen Prozesse und Aktivitäten einzelnen Positionen zu einem Parcours und ermöglicht so, ihren jeweiligen Stellenwert zu klären. Dieses Modell ist deshalb nicht nur als Richtschnur gedacht, sondern auch als Veranschaulichung. Zugleich geht es darum, die begrifflichen Vorarbeiten der bisherigen Abschnitte sinnvoll in einer Überschau zu integrieren. Besonders wichtig: Das folgende Modell überschreitet deutlich den Horizont des gerade entwickelten Managementmodells. Mit diesem Modell ist deutlich geworden, dass Kunstkommunikation als zielgerichtetes und evaluierbares Managementhandeln konzipiert werden kann. Daneben muss aber deutlich bleiben, dass dieser Prozess oft nur Teil eines umfassenderen Szenarios ist, in dem Kommunikationen mit Kunst stattfinden. Auch wenn es hier gleichfalls um planvoll inszenierte Abläufe geht – Kunstkommunikation umfasst meist so viele Akteure, Aktivitäten und Dimensionen, dass eher von einem Feld kultureller Aktivität als von einem isolierten Managementprozess gesprochen werden kann. Ein Wirtschaftsunternehmen wird die Kommunikation mit Kunst als Teil seines Managements betreiben. Aber eine Kommune oder auch Institutionen bewegen mit solchen Kommunikationsprojekten weitreichende Kontexte, die nur mit vielfach verzweigten Kooperationen bearbeitet werden können. Gleichwohl bleibt in diesen Bereichen der Prozess eines Managements spürbar. Auch der nachfolgende Überblick entwirft einen solchen Ablauf, der die Bausteine der Kunstkommunikation in eine Ordnung bringt. Danach stellt sich Kunstkommunikation so dar: Ausgangspunkt des Prozesses ist die Kunst mit ihren vier Faktoren: Zu ihr gehören das Objekt in der Gestalt von Werken, die Institution, also Museen, Kunsthallen oder Galerien, die ästhetische Erfahrung als Form der angemessenen Rezeption sowie schließlich der Diskurs als Instanz einer gedanklichen Reflexion. Diese Faktoren der Kunst bieten jeweils gesonderte Ansatzpunkte für den weiteren Prozess.
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Auf der Ebene der Akteure sind die einzelnen Gruppen den Faktoren der Kunst zuzuordnen. So sind Künstler für die Objekte verantwortlich, die sie schaffen. Museumsleute, Galeristen, Kuratoren und andere führen die Institutionen, in denen Kunst präsentiert und aufbewahrt wird. Zugleich beteiligen sich diese Personen zu einem Teil auch an dem Diskurs, der über Kunst geführt wird. Dieser Diskurs wird vor allem von Kunstkritikern, Autoren, Kunsthistorikern und anderen mehr betrieben. Diese Akteure des Diskurses thematisieren auch die Erfahrung der Kunst, die natürlich jedem anderen Rezipienten, also vor allem den Ausstellungsbesuchern, gleichermaßen offen steht. Nicht auf einen Faktor der Kunst bezogen sind schließlich die Akteure, die hier Initiatoren genannt werden. Sie kommen aus Bereichen außerhalb der Kunst, aus der Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen oder Organisationen. Sie setzen den weiteren Prozess in Gang. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass auch Künstler, Kuratoren oder andere diese Funktion übernehmen können. Hier geht es zunächst darum, die einzelnen Rollen, ihr Verhältnis zur Kunst und ihre Aktivitäten zu umreißen. Diesen Akteuren sind idealtypisch Aktivitäten zugeordnet, die Material für den weiteren Prozess der Kunstkommunikation bereitstellen. Die eben angesprochenen Initiatoren planen den Prozess. Sie erteilen Aufträge, wählen Objekte oder Orte aus und rekrutieren Kooperationspartner. Auf dieser Ebene kommt weitgehend der im vorherigen Abschnitt beschriebene Managementprozess zum Zug. Aber auch die anderen Akteure sind nicht untätig. Ihre Handlungen stellen Material für den Prozess bereit, bieten dessen unerlässliche Voraussetzungen und errichten Ebenen seiner Reflexion. Entsprechend kreieren Künstler ihre Objekte, während Kuratoren Kunst bereitstellen und zu Ensembles komponieren und Kritiker die Kunst und ihre Präsentation kommentieren und so den Diskurs bilden, der zum Kompaktbegriff Kunst gehört. Natürlich nehmen diese Aktivitäten vielfach aufeinander Bezug. Sie bilden auch unerlässliche Bedingungen und Grundlagen für das Funktionieren der jeweils anderen Aktivitäten. In einer Linie mit Akteuren und Aktivitäten sind schließlich die Formen der Kommunikation mit Kunst zu nennen, die weiter oben entwickelt worden sind. Auf dieser Ebene ist der Künstler folgerichtig nicht mehr vertreten. Er produziert Objekte, kommuniziert aber nicht mit oder über Kunst, auch wenn dies natürlich möglich wäre. In der Regel bleibt dies jedoch den drei anderen bereits genannten Personengruppen vorbehalten. Während die Kuratoren die Aufgabe des Vermittelns übernehmen, sind Kritiker vor allem mit dem Evaluieren von Kunst beschäftigt. Die für den Prozessverlauf wichtige Kommunikationsform des Transferierens wird von den Initiatoren wahrgenommen. Es sind Wirtschaftsleute, Politiker, PRund Marketingleute und andere Personen mehr, die mit der Kunst Images prägen und verändern wollen. Ebenso wie auf der Ebene der Aktivitäten sind auch die Formen der Kommunikation intensiv miteinander vermittelt und aufeinander bezogen. Darüber hinaus werden sie im Prozess der Kunstkommunikation noch einmal gezielt miteinander kombiniert und in einem eigens hergestellten Wechselspiel auch in ihrer Funktion gewichtet. In der Interaktion der Akteure, Aktivitäten und Kommunikationsformen bildet sich eine Zielprojektion heraus, die dem Prozess der Kunstkommunikation inhaltliche Füllung und
7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken
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strategische Richtung verleiht. Dafür muss ein Wirkungsmodell entworfen werden, in das dann verschiedene Operationen eingehen. Dazu müssen Objekte ausgewählt und Kontexte bestimmt werden. Weiter werden Akteure des Prozesses rekrutiert und Adressaten ins Auge gefasst. Die Prognose der beabsichtigten Wirkung komplettiert einen Vorgang, der so auch im Kulturmarketing vorkommt. Im Rahmen des Verlaufsmodells sind diese Operationen nicht identisch mit den entsprechenden Arbeitsschritten in dem oben beschriebenen Managementprozess. Diese beiden Bereiche können in einen zusammenfallen. In den komplexen Szenarien der Kunstkommunikation muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zielprojektion Ergebnis eines intensiven kommunikativen Prozesses und einer umfangreichen Entscheidungsfindung ist, an der eine ganze Reihe von Akteuren und Instanzen beteiligt sind. Die Zielprojektion wird anschließend in das umgesetzt, was wir weiter oben Medium genannt haben. Das Medium verbindet die Kunst mit einem Kontext, in dem sie präsentiert wird sowie in der Regel einem so genannten Träger, der die Kunst gleichsam transportiert und ihre Wirkung unterstützt oder oft überhaupt erst herstellt. Hinzu kommt schließlich die Botschaft, die explizit formuliert oder in das Ensemble, das die drei anderen Faktoren bilden, eingebettet sein kann. Botschaft ist also nicht allein die Sache einer verbalisierten Message, sondern auch der Wahrnehmung des Zusammenspiels von Kunst, Kontext und Träger. Kunstkommunikation erscheint demnach als kompakte Vermittlung mit mehreren Ebenen, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig stützen und steigern. Im Prozess der Kunstkommunikation kommt dem Medium auch die Funktion eines Maßnahmenkataloges zu. In den Kategorien des Managements gesprochen: Hier geht es um den operativen Teil. Die einzelnen Faktoren des Mediums erfordern jeweils eigene Handlungen und Leistungen sowie Anstrengungen zu ihrer Vermittlung. In der Rezeption wird vor allem die Kommunikationsofferte behandelt, die durch das Medium angeboten wird. Kunstkommunikation übermittelt nicht einfach Botschaften, sondern bietet komplexe Arrangements für kommunikatives Anschlusshandeln. Darauf geht die Rezeption ein, indem sie die dargebotene Offerte entweder annimmt oder ablehnt. Damit führt Kunstkommunikation entweder zu einem erfolgreichen Imageaufbau oder in eine Irritation, die sich als Kunstskandal manifestieren kann. In beiden Fällen findet eine erfolgreiche Übermittlung insofern statt, als dass die Offerte Wirkung zeitigt. Die Konsequenzen sind jedoch höchst unterschiedlich. Sie unterscheiden sich je nach Blickrichtung. Im Fall der Annahme einer Offerte kann der Initiator davon ausgehen, ein gewünschtes Image mit Kunstkommunikation geprägt oder gefestigt zu haben. Für die beteiligte Kunst ergibt sich damit gleichfalls ein Image- und Prestigegewinn. Kunst kann hier sogar in die Rolle einer repräsentativen Instanz aufrücken. Allerdings droht ihr damit auch die Erstarrung und folglich ein Nachlassen kreativer Kraft, die sich zu einem Teil auch an ihrer Fähigkeit zur provokativen Grenzüberschreitung beweist. Anders ist der Fall bei einer Ablehnung der Offerte gelagert. Für den Initiator ergibt sich vordergründig ein Misserfolg, weil das anvisierte Image nicht platziert werden konnte. Allerdings führt Kunstkommunikation in aller Regel zu erheblichen Aufmerksamkeitseffekten und damit auch in jedem Fall
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8 Kunstkommunikation: Modell einer Produktion kultureller Bedeutung
zu kommunikativen Anschlüssen. Selbst die abgelehnte Kommunikationsofferte kann deshalb Effekte auslösen, die aus der Sicht des Initiators als Erfolg zu werten sind. Dies gilt in jedem Fall auch für die involvierte Kunst. Sie entfaltet mit der abgelehnten Offerte beträchtliche Irritation, zeigt sich als Instanz der Provokation, vielleicht sogar der Rebellion und wird damit ihrem Image zu einem erheblichen Teil gerecht. Kunst hat in diesem Fall auch die gute Chance, einen neuen Klassiker etabliert zu haben. Kanonisierte Kunst war zum Zeitpunkt ihres Erscheinens meist umstritten. Insofern geht die Kunst auch aus sehr konfliktträchtigen Szenarien der Kunstkommunikation als Gewinnerin hervor. Diese Ergebnisse markieren zwar das Ende eines Prozesses, zugleich wirken sie jedoch auch auf jede neue Ausgangssituation von Kunstkommunikation zurück. Denn diese Resultate prägen das Bild der Kunst, beeinflussen den Diskurs und verändern die Einschätzung der Initiatoren von Kunstkommunikation. Damit ist der Ablauf von Kunstkommunikation so beschrieben, dass die Analyse von Beispielen angegangen werden kann. Im Rahmen dieser Beispiele wird untersucht, wie eine Kommune und Wirtschaftsunternehmen mit Kunst erfolgreich kommunizieren und dabei Bedeutungen produzieren, die auf anderem Weg nicht erreichbar gewesen wären.
7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken
Abbildung:
Kunstkommunikation
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9 Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“ 9 Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“
Warum sollte ausgerechnet die im Südwesten Niedersachsens gelegene Stadt Osnabrück im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas werden? Als sich die Stadt im Frühjahr 2004 um genau diesen Titel bewarb, stellten nicht nur Pessimisten diese Frage. Osnabrücks damaliger Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip (SPD) selbst sprach die Skepsis mancher Beobachter offen an – und zwar auf der ersten Seite der Zeitung „2000zehn“, mit der sich Osnabrück bei der Niedersächsischen Landesregierung bewarb (vgl. Stadt Osnabrück 2004a). Dass die rund 160.000 Einwohner zählende Stadt schon bei der ersten Runde des Auswahlverfahrens scheiterte, weil sich die Landesregierung unter Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung auf Braunschweig als Kandidaten für die Kulturhauptstadt Europas verständigt hatte, änderte nichts an dem Selbstvertrauen, mit dem Osnabrück seine Ambition artikuliert hatte. Hans-Jürgen Fips Frage war natürlich rhetorisch gemeint. „Ich bin davon überzeugt, dass Europa im Jahre 2010 nicht nur eine Kulturhauptstadt, sondern gerade eine Friedenskulturhauptstadt braucht“ (Stadt Osnabrück 2004a: 1, Hervorhebung original). Diese zentrale Aussage nennt den Grund für das kulturelle Selbstbewusstsein der Stadt: Sie bezieht sich auf das Prädikat „Friedensstadt“ als Marke, als fest gefügtes Image, mit dem nach innen und außen kommuniziert wird. Der Hinweis auf geschichtliche Hintergründe macht klar, wo der offensichtliche Anknüpfungspunkt gefunden werden kann. Es ist der Westfälische Friede, der nicht nur in Münster, sondern auch in Osnabrück ausgehandelt wurde. Am 6. August 1648 erfolgte dort der so genannte „Osnabrücker Handschlag“, bevor am 24. Oktober der Friedensvertrag in Münster unterzeichnet wurde (vgl. ebd.: 1, Geiss 2002: 490, 535). Doch dieses historische Datum würde allein nicht ausreichen, um hinreichend prägende Kraft für ein kulturelles Selbstverständnis zu entfalten, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts als zukunftsweisend gelten soll. Dies vermochte auch nicht der 350. Jahrestag des Friedensschlusses, der 1998 in Münster und Osnabrück mit großem Aufwand gefeiert wurde. Osnabrück beging zudem im gleichen Jahr den 100. Geburtstag des Schriftstellers Erich Maria Remarque (1898-1970). Dem gebürtigen Osnabrücker gelang mit dem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ (1929) ein Welterfolg. Am 18. Juli 1998 wurde aber auch das Felix-Nussbaum-Haus eröffnet. Der Bau des Stararchitekten Daniel Libeskind beherbergt eine rund 180 Exponate umfassende Kollektion des aus Osnabrück stammenden Malers Felix Nussbaum (1904-1944), der im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Dieser Dreiklang wichtiger Ereignisse im kulturellen Leben der Stadt beleuchtet den „Kristallisationspunkt“, der mit dem Begriff „Friedenskultur“ bezeichnet wird (vgl. Sliwka 2004). Dabei steht die Geltung eines epochalen Ereignisses wie das des Westfälischen Friedens ebenso außer Frage wie der Rang Erich Maria Remarques, der einen Weltbestseller schrieb. Seine eigentliche Dynamik bezieht das Image der „Friedensstadt“ dagegen von Felix Nussbaum, dessen Name lange vergessen war. Die Kunst dieses Malers muss weiter
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9 Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“
„darum kämpfen, in den abgeschlossen erscheinenden Kanon der Kunst des 20. Jahrhunderts als singuläre Leistung aufgenommen zu werden“ (Neugebauer 2004: 11), wie Inge Jaehner, die Direktorin des Felix-Nussbaum-Hauses auch heute noch feststellt. Der Name Nussbaums taucht in kunstgeschichtlichen Überblicken zum 20. Jahrhunderts weiterhin eher als Beispiel für eines der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf (vgl. Klotz 2000: 355, Schneede 2001: 170) und wird weniger wegen seiner künstlerischen Qualitäten hervorgehoben. Zur Ausstellung „Zeit im Blick“ (vgl. Neugebauer 2004) betonte der prominente Museumsleiter und Kulturpolitiker Christoph Stölzl Nussbaums Status als Opfer, indem er dessen malerisches Werk dem als Dokument für die Schrecken des NSTerrors weltberühmten Tagebuch der Anne Frank an die Seite stellte (vgl. Stölzl 2004) und damit einen Vergleich wiederholte, der auch schon früher angestellt worden war (vgl. Zerull 1998: 9). Künstler und Opfer, Kunst und Moral: Die Figur Felix Nussbaums befindet sich bis heute in einem Spannungsfeld der Bewertungsmaßstäbe und Geltungsansprüche, damit aber auch an einem Schnittpunkt einander überlagernder Diskurse. Folgerichtig geht es hier nicht um die Person des Künstlers, sondern um den Künstler als Konstrukt eines Diskurses, der mit der historisch gewordenen Gestalt heute das kulturelle Markenzeichen einer Stadt und damit auch ein Stück einer kollektiven Identität formt. Die Gestalt Felix Nussbaums und seine Kunst sind heute unverzichtbare Basis und zentraler Inhalt einer Kommunikation mit Kunst, die längst zu einem konkreten Handeln geworden ist. Zu den Dimensionen dieses Handelns zählt auch der Aufbau einer Eigenidentität, die durch Abgrenzung entsteht. Felix Nussbaum als unterscheidendes Merkmal: Darin liegt der konsequent angesteuerte Zielpunkt einer jahrelangen Entwicklung, die in Osnabrücks Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas kulminierte. „Identitätsmerkmal“ war Nussbaum jedoch nicht von vornherein. Dazu musste dieser Künstler erst gemacht werden. Seine heutige Position im Zentrum der kulturellen Stadtidentität Osnabrücks verdankt sich mehreren Prozessen und Faktoren, die nicht nur zeitlich parallel verliefen, sondern sich auch gegenseitig bedingt und vorangetrieben haben. Diese Prozesse sollen im Folgenden analysiert werden. In diesen Rahmen gehören die Bewertung ihrer gegenseitigen Abhängigkeit, die Probleme, welche die Bewertung Nussbaums heute trotz vieler Anstrengungen immer noch aufwirft, sowie der Hinweis auf die Vor- und Nachteile der Kommunikationsstrategie, die mit Felix Nussbaum operiert. Zu den Prozessen und Faktoren, die in den Blick genommen werden, gehören:
Kulturentwicklungsplanung: Osnabrück verfolgt seit vielen Jahren eine intensive und vielfach beachtete Kulturentwicklungsplanung. Damit verfügt diese Stadt über einen durchgehenden Begründungsdiskurs ihrer Kulturpolitik, der signifikante Wandlungen durchgemacht hat. Person und Werk Nussbaums: Der Maler und seine Bilder mussten erst wieder entdeckt werden. Im Verlauf eines langen Prozesses wurde der Osnabrücker Künstler in seiner Heimatstadt wieder bekannt und rückte von der Position des vergessenen Außenseiters und Opfers in die Position des Repräsentanten und Jahrhundertkünstlers vor.
7.3 Ideen finden, Ergebnisse einschätzen: Drei Techniken
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Museumsbau: Wesentlichen Anteil an der Formung und Präsentation des aktuellen Bildes von Nussbaum und seiner Kunst hat der Museumsbau von Daniel Libeskind. Dieses Museum ist weit mehr als Aufbewahrungsort und Rahmen der Werkpräsentation. Mit dem Museumsbau entstand zugleich eine Mahnmalsemantik, die vielfältige Anschlussmöglichkeiten für den kulturpolitischen Diskurs eröffnete. Jubiläumsausstellung: Die große Ausstellung zum 100. Geburtstag Nussbaums markiert einen aktuellen Höhe- und Wendepunkt im Umgang mit Nussbaum und seinem Werk. Das Opfer Nussbaum sollte endlich auch als Künstler angemessen gewürdigt werden. Dieses Projekt steht für den Versuch, über den kunstgeschichtlichen Fachdiskurs hinaus das Phänomen Nussbaum mit anderen Wertsetzungen zu versehen.
Nach diesem Durchgang muss diskutiert werden, wie diese Faktoren in ihrem Zusammenwirken ein leistungsstarkes diskursives Feld erzeugt haben, das Energien für einen Prozess der Kunstkommunikation bereitgestellt hat. Dies bedeutet aber auch, dass dieser Prozess nicht nur von einem Ergebnis her zu sehen ist, sondern von der Entdeckung Nussbaums her datiert und seitdem planmäßig weiter entwickelt worden ist. Dazu gehörte die Wahl bestimmter Optionen. Anschließend wird zu fragen sein, wo die Schwächen einer solchen Kunstkommunikation liegen – und welche Optionen über der intensiven Beschäftigung mit Felix Nussbaum vernachlässigt worden sind. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Beschäftigung mit Nussbaum auch in erheblichem Maß finanzielle Mittel gebunden und dies schon allein dadurch eine kulturpolitische Schwerpunktbildung erzwungen hat.
Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
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9 Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“
9.1 Der Kontext: Die Kulturentwicklungspläne der Stadt Osnabrück 9.1 Der Kontext: Die Kulturentwicklungspläne der Stadt Osnabrück „Es ist sicher nicht mehr als eine Binsenweisheit, dass Kultur und Kunst nicht zu planen sind“ (Sliwka 2004). Diese Versicherung begleitet jede Erörterung zum Thema Kulturentwicklungsplanung (vgl. Morr 2001: 2, Wagner 2004: 125). Dennoch blicken wir heute auf eine mehr als 25 Jahre lange Geschichte der Kulturentwicklungspläne in Deutschland zurück. Dieses Instrument kulturpolitischer Grundlagenarbeit wird nicht nur in Großstädten angewandt, sondern hat längst auch seine Konjunktur in kleineren Städten, Gemeinden und sogar Landkreisen (vgl. Morr 2001). Dabei hat Osnabrück eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Stadt eröffnete mit ihrem ersten Kulturentwicklungsplan, der 1976 vom Rat beschlossen und in Auftrag gegeben wurde (vgl. Sliwka 2001: 86) eine später weitreichende Entwicklung. Inzwischen wird diese Vorreiterrolle als vorbildlich angesehen (vgl. Wagner 2004: 128). Der damals für den Plan mit verantwortliche Kulturamtsleiter Reinhart Richter hat seitdem als Berater eine ganze Reihe anderer Kommunen bei ihren eigenen Planungen begleitet. Der Umfang von immerhin rund 300 Seiten des ersten Osnabrücker Kulturentwicklungsplans (vgl. Stadt Osnabrück 1979) zeigt bereits an, das es hier um ein kommunalpolitisches Instrument geht, das erheblichen Aufwand erfordert und mit weitreichender zeitlicher Perspektive eingesetzt wird. „Eine Kulturentwicklungsplanung dient dem Ziel, Potenziale für ein künftiges Kulturangebot in einer Stadt (...) zu beschreiben und zu entwerfen“ (Heinrichs/Klein 2001: 184). Entsprechend gehören zu einem Kulturentwicklungsplan folgende Elemente und Aspekte (vgl. Morr 2001: 5, Wagner 2004: 129):
Ausgangspunkt für einen Kulturentwicklungsplan ist die genaue Erhebung eines IstStandes. Dazu gehören Überblicke über die kulturellen Einrichtungen, Schwerpunkte der Kulturarbeit, Stärken und Schwächen des kulturellen Angebots sowie über die eingesetzten finanziellen Mittel. Der Kulturentwicklungsplan enthält auf jeden Fall einen Katalog der kulturpolitischen Ziele, die nach ihrer Relevanz gewichtet und auf ein Oberziel hin ausgerichtet sein sollten. Solche Ziele können auch in der Form von Leitlinien formuliert werden. Ziele allein sind jedoch bloße Absichtserklärung, wenn nicht geklärt wird, wie und in welchem Zeitraum sie verwirklicht werden sollen. Dazu müssen der Bedarf an Personal- und Finanzressourcen benannt und eventuell erforderliche weitere Maßnahmen, zum Beispiel Bauvorhaben, ins Auge gefasst werden. Teil solcher Aufstellungen sind gerade in den letzten Jahren auch Angaben über Formen der administrativen Steuerung solcher Prozesse, vor allem im Rahmen eines „Kontraktmanagement“, das auf Vereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung über zu erreichende Ziele sowie den entsprechenden Mittelbedarf basiert (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 163). Der Kulturentwicklungsplan muss vor allem als fortlaufender Prozess gesehen werden, der Veränderungen mit sich bringt. Dazu gehört auch die Mitwirkung vielfältiger Gesprächs- und Kooperationspartner. Kulturentwicklungspläne sollten also gleichzeitig Ziele beschreiben und Raum für deren Adaption und Veränderung lassen.
9.1 Der Kontext: Die Kulturentwicklungspläne der Stadt Osnabrück
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Dabei sollte zwischen Kulturentwicklungsplan und Kulturpolitischen Leitlinien unterschieden werden. Leitlinien können Teil von Kulturentwicklungsplänen sein, stellen jedoch ein anderes Instrument der kulturpolitischen Steuerung dar. Leitlinien haben folgende Merkmale (vgl. Scheytt 2000: 9ff, Morr 2001: 6):
Sie sind im Umfang wesentlich kürzer als Kulturentwicklungspläne. Sie verbleiben in der Regel auf hohem Abstraktionsniveau bei gleichzeitig geringer Detailtiefe. Sie betonen übergeordnete Ziele, sind damit auch in Gefahr, bei bloßer Absichtserklärung zu verbleiben. Sie verpflichten die handelnden Personen und Instanzen des kulturpolitischen Prozesses auf diese Ziele, machen aber keine Aussagen über Mitteleinsatz und Zeitplan einer Zielerreichung. Sie sind ein Phänomen der letzten Jahre und verdanken sich neuer kulturpolitischer Steuerungsinstrumente, insbesondere der Steuerung mit Zielvereinbarung und Budgetierung.
Die Stadt Osnabrück bietet in diesem Spektrum der Formen kulturpolitischer Steuerung gleich mehrere Elemente an. Die Stadt hat 1979 und 1991 jeweils einen Kulturentwicklungsplan herausgegeben sowie ab 2000 Kulturpolitische Leitlinien formuliert. Außerdem kann die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas als Fortschreibung der Arbeit an kulturpolitischer Planung angesehen werden (vgl. Sliwka 2004). Diese im Vergleich zu anderen Kommunen reichhaltige Materialgrundlage erlaubt es, die gängige Unterteilung der Geschichte der Kulturentwicklungsplanung in drei Phasen (vgl. Morr 2001: 7ff, Wagner 2004: 127ff) durchgehend mit Blick auf die Stadt Osnabrück zu diskutieren. Dabei werden diese Phasen nach Zeiträumen eingeteilt, die mit Jahrzehnten identisch sind. Siebziger Jahre: Das Aufkommen der Kulturentwicklungspläne verdankte sich einem Zeitklima, das auf die Planbarkeit gesellschaftlicher Prozesse setzte (vgl. Morr 2001: 8), und im Zeichen eines erweiterten Kulturbegriffs Kultur als Mittel der Kommunikation und Bildung beschrieb. Im Namen des zum Schlagwort gewordenen Buchtitels „Kultur für alle“ (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 190) wurde Kultur aus dem bis dahin dominierenden Verständnis als Tradition und Erbe herausgelöst und nun als offene Frage der Teilhabe möglichst vieler Menschen neu definiert. „Doch nur der umfassend informierte, aus der Unkenntnis befreite (...) Mensch wird befähigt sein, sich in der ständig weiter technisierten Welt (...) zu behaupten“ (Hoffmann 1981: 249). So erscheint Kulturpolitik als Aufgabe gesellschaftlicher Veränderung im Zeichen der Emanzipation des Einzelnen. Dazu gehörte auch, „Kulturpolitik in das Zentrum kommunaler Politik zu rücken“ (Sliwka 2001: 87) und von ihr einen erheblichen Beitrag zu einem verbesserten urbanen Stadtklima zu erwarten. Der erste Osnabrücker Kulturentwicklungsplan fasste demnach Kultur als „Kultursozialarbeit“ (Stadt Osnabrück 1979: 17), die jetzt entschieden voranzutreiben sei. Kultur soll für vielfältige, vor allem neue Adressatengruppen offen stehen und dafür sorgen, dass Freizeit kreativ gefüllt werden kann (vgl. ebd.: 16). Osnabrück verdankt dieser Phase einen grundlegenden Ausbau seiner
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9 Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“
Kulturszene. Vor allem die „Lagerhalle“ steht als soziokulturelles Zentrum bis heute für das Kulturverständnis der siebziger Jahre. Achtziger Jahre: Die zweite Phase in der Geschichte der Kulturentwicklungsplanung brachte den weitgehenden Abschied von allgemeiner Planungseuphorie und von hochfliegenden Projekten zur Emanzipation durch und mit Kultur. „Kultur wurde zunehmend als Standort-, Image- und Wirtschaftsfaktor mit Kompensations- und Sinnstiftungsfunktionen betrachtet“ (Wagner 2004: 131). Vor allem das Stichwort von Kultur als einem „weichen Standortfaktor“ (vgl. Morr 2001: 8) bestimmte die Diskussion eines Jahrzehnts, in dem Kulturinstitutionen und -angebote in einer Vielzahl von Untersuchungen vor allem mit Blick auf ihre „UmwegRentabilität“ (Heinrichs/Klein 2001: 381) untersucht wurden. Kultur hatte sich nun nicht mehr als Katalysator sozialer Emanzipation, sondern als Schmiermittel in lokalen und regionalen Wirtschaftskreisläufen zu bewähren. Entsprechend nahm in den achtziger Jahren das allgemeine Interesse an Kulturentwicklungsplanung ab. Doppeldeutig nimmt sich im Rückblick der zweite Osnabrücker Kulturentwicklungsplan aus, der noch den kulturpolitischen Geist der achtziger Jahre repräsentiert, aber andererseits auch auf die neunziger Jahre mit ihren veränderten Paradigmen voraus weist. Auch in Osnabrück wird so Kultur mit Ökonomie gekoppelt. Der Kulturentwicklungsplan plädiert für „Wachstumsquellen, die auf den kreativen Umgang mit Informationen (...) aufbauen“ (Stadt Osnabrück 1991: 1). Mit Kultur fit für den wirtschaftlichen Wandel: In diesem Sinn macht der Osnabrücker Plan Kulturangebote zum „Gradmesser eines gelungenen wirtschaftlichen Strukturwandels“ (ebd.: 12) und spricht im Sinn der Umweg-Rentabilität auch von den Rückflüssen der Ausgaben für Kultur in den regionalen Wirtschaftskreislauf (vgl. ebd.: 13). Neunziger Jahre: So wie die „Kultur für alle“ die siebziger Jahre resümierte, so avancierte die „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 2000) zum kulturpolitischen Schlagwort der neunziger Jahre. Wieder lieferte ein Buchtitel die Formulierung, welche die kulturpolitische Debatte prägte. Im Gegensatz zu den an gesellschaftlicher Reform und ökonomischer Nützlichkeit orientierten Diskursen brachte der Trend, den das erstmals 1992 erschienene Buch von Gerhard Schulze zusammenfasste, eine Orientierung der Kultur an der Befindlichkeit des Subjekts (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 92). Kultur ist der Raum, in dem das Subjekt Zufriedenheit über Erlebnisse findet, die es als Produkt eines ästhetischen Designs konsumiert. In der Nachfolge der Postmoderne etablierte diese Position Kultur und Kunst als Verschönerung des Alltags. Wohlgefühl und Glückserfüllung des Individuums standen im Zentrum dieser Auffassung von Kultur. Daneben wurde Kultur in den neunziger Jahren aber auch fassbar als neu definierter Lernort für Unterscheidungsvermögen und Sensibilität. „Kultur ist der Prozess des Selbstbewusstseins (...) einer Gesellschaft, die in unablässigen Diskursen ihre Geschichte und ihr inneres Zusammenleben formt“ (Weiss 1999: 9). Damit erwächst Kultur eine neue Ernsthaftigkeit jenseits reformerischer Überanstrengung und ökonomischer Indienstnahme. Kunst und Kultur erscheinen in dieser Perspektive als Trainingsstätte für Wahrnehmungsfähigkeit und Experimentierfreude (vgl. ebd.: 108). Genau in diesem Sinn formuliert auch der Osnabrücker Kulturentwicklungsplan die Aufgabe der Kulturpolitik. Kultur fördert Wahrnehmung und damit die Fähigkeit der Menschen, ihre Rolle in sich rapide verändernden Umfeldern zu finden (vgl. Stadt Osnabrück 1991: 2, 5).
9.2 Das Thema: Felix Nussbaum – Person und Werk
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Gegenwart: In der gegenwärtigen Situation mischen sich die eben skizzierten Aspekte. Zu einem manchmal auch selbstkritischen Rückblick auf den Reformeifer früherer Jahre gesellen sich die bekannten Argumente: „Aktive Teilnahme am Kulturleben“ (Stadt Osnabrück 2001) als Relikt der emanzipatorischen Debatte der siebziger Jahre, ökonomische Argumente, aber auch die Orientierung an Leitlinien als handfester Konsequenz neuer kommunalpolitischer Steuerungsformen bestimmen jetzt das kulturpolitische Szenario. Mit der Formel von „Kultur als Identitäts- und Identifikationsangebot in einer pluralen Stadtgesellschaft“ (Sliwka 2001: 92) wird auch die Antwort auf die aktuellen Herausforderungen gefunden. Zunehmende Mobilität, Migration sowie ökonomische und soziale Verwerfungen verunsichern das Individuum und setzen ganze Gesellschaften unter Spannung. Kultur ist da wieder mehr als Ästhetisierung, auch mehr als bloße Kompensation – sie wird als neuer Lernort aufgestellt, liefert den „Gestaltungsdiskurs“ (Schulze 2003: 331) für eine Zukunft, in der Kultur konsequent als „Produktionsfaktor“ (ebd.: 332) erscheinen muss. Osnabrück reklamiert diese Qualitäten der Kultur für sich, indem die Stadt in ihren Leitlinien Kultur als Garant der Toleranz, der Teilhabe, der Kritikfähigkeit und Bildungsarbeit verankert (vgl. Stadt Osnabrück 2001). Die Stadt Osnabrück mag mit ihrer Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas gescheitert sein. Die vorgelegte Bewerbungszeitung (vgl. Stadt Osnabrück 2004a) transponiert Kulturentwicklungsplanung jedoch in eine neue Phase. Nun ist nicht nur die im zweiten Kulturentwicklungsplan erstmals formulierte „Marke“ der „Friedensstadt“ (vgl. Stadt Osnabrück 1991: 6f) zum alles beherrschenden Oberziel ausgebaut. Aus dieser Setzung folgen nun auch eine ganze Reihe von Projektideen, die diesen Friedensgedanken aus der lokalen Verankerung heraus für einen geradezu weltumspannenden Transfer handhabbar machen. Ob „Werkstatt (...), in der Großkonflikte beispielhaft bearbeitet werden“ (Sliwka 2004) oder Modell für die Integration eines größer werdenden Europa (vgl. Stadt Osnabrück 2004a: 2) – der Gedanke der Friedenskultur ist Label und thematische Klammer gleichermaßen. Osnabrück verfügt damit über ein Gestaltungs- und Ordnungsinstrument für die städtische Kulturpolitik und zugleich über einen kontinuierlichen Diskurs kulturpolitischer Zielsetzungen. Dies schafft stabile Voraussetzungen für eine Kommunikation mit Kunst, wie sie im Anschluss an Leben und Werk Felix Nussbaums ins Werk gesetzt werden sollte.
9.2 Das Thema: Felix Nussbaum – Person und Werk 9.2 Das Thema: Felix Nussbaum – Person und Werk Felix Nussbaum als Gewährsmann der Kulturpolitik Osnabrücks: Diese Konstellation war anfangs alles andere als selbstverständlich. Denn der Maler Felix Nussbaum, der am 11. Dezember 1904 in Osnabrück geboren wurde, gehörte noch lange nach 1945 zu den verschollenen Künstlern seiner Generation. Nussbaum musste nach künstlerischer Ausbildung in Hamburg und Berlin sowie ersten Ausstellungserfolgen und einem Stipendium für die Villa Massimo in Rom seiner Heimat mit der nationalsozialistischen Machtergreifung endgültig den Rücken kehren. Der Jude Nussbaum führte in den folgenden Jahren ein ruheloses Wanderleben mit Stationen in Oostende und Brüssel sowie einer Inhaftierung in einem
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9 Fallbeispiel 1: Osnabrück, Felix Nussbaum und das Konzept der „Friedensstadt“
französischen Internierungslager. Nussbaum malte während dieser Zeit unter schwierigen Bedingungen weiter, zuletzt in einem Brüsseler Versteck, in dem er und seine Frau Felka Platek dennoch aufgespürt wurden. Am 31. Juli 1944 wurden beide nach Auschwitz transportiert und dort am 2. August ermordet. Im Verlauf seiner Wiederentdeckung erlangte der Maler Nussbaum jedoch neue Geltung. Mehr noch, nun wird offen die Frage gestellt, ob dieser Maler nicht zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gehört. Vor allem trägt sein Name wesentlich das Image der Friedensstadt Osnabrück. Dieser lange Weg von der Marginalisierung zur Repräsentanz soll hier in der Form einer Chronologie nachgezeichnet werden. Die Abfolge einzelner Schritte in ihrer zeitlichen Folge rekonstruiert zugleich einen kulturpolitischen Wachstumsprozess und markiert dessen zentrale Wendepunkte. Die folgende Chronologie versammelt die wichtigen Daten dieses Prozesses (vgl. Berger 1995: 19-32, Schirmer 1998, Jaehner 1999, Neugebauer 2004)
1955: Eine „Gedächtnisausstellung“ mit fünf Osnabrücker Malern in einem Gebäude an der Osnabrücker Hakenstraße enthält einige Bilder Nussbaums, die noch vor 1933 von ihren Besitzern erworben worden waren. 1970: Die schlecht erhaltenen Bilder von Felix Nussbaum gelangen erstmals wieder nach Osnabrück und werden im Kulturgeschichtlichen Museum begutachtet. Diesen Nachlass hatten die Erben des Künstlers nach einem jahrelangen Rechtsstreit von dem Brüsseler Zahnarzt Dr. Grosfils zurückerhalten, dem Nussbaum seine Werke zur Aufbewahrung übergeben hatte. 1971: In einer ersten großen Einzelausstellung werden Werke Nussbaums in der Osnabrücker Kunsthalle Dominikanerkirche präsentiert. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ eröffnet mit dem Aufruf „Wer erinnert sich an Felix Nussbaum?“ die Spurensuche in Sachen Nussbaum (vgl. Stadt Osnabrück 2004b: 9). 1975: Der belgische Antiquitätenhändler Willy Billestraet bietet dem Osnabrücker Kulturgeschichtlichen Museum acht späte Bilder Nussbaums zum Kauf an. In dem Konvolut befindet sich das „Selbstbildnis mit Judenpass“. 1979: Der erste Kulturentwicklungsplan der Stadt Osnabrück erwähnt nur am Rande die „KZ-Visionen“ von Nussbaum (vgl. Stadt Osnabrück 1979: 95). 1980: Der Antiquitätenhändler Billestraet bietet noch ein zweites Konvolut von Werken Nussbaums an, die erworben werden. Dieser Händler war damit im Besitz der Nussbaum-Bilder, die der Künstler seinerzeit nicht mehr dem Arzt Dr. Grosfils zur Aufbewahrung übergeben hatte. In Karlsruhe werden im Rahmen der Ausstellung „Widerstand statt Anpassung – Kunst im Widerstand gegen den Faschismus 1933-1945“ Bilder Nussbaums gezeigt und erstmals weithin beachtet. Nussbaums „Selbstbildnis mit Judenpass“ bildet das Umschlagbild des Ausstellungskataloges. 1982: Peter Junk und Wendelin Zimmer veröffentlichen die erste Monographie über Nussbaum, die auch ein Werkverzeichnis enthält. 1983: In zwei Sälen des Obergeschosses des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück wird eine Dauerausstellung mit Werken Nussbaums eingerichtet.
9.2 Das Thema: Felix Nussbaum – Person und Werk
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1985: In Osnabrück wird der Ankauf der ehemaligen Villa der Familie Nussbaum diskutiert. Nussbaums Werke sollen in seinem Elternhaus präsentiert werden – so lautet der Plan. Nussbaum-Retrospektive im New Yorker Jewish Museum. 1987: Der Rat der Stadt Osnabrück lehnt den Kauf der Nussbaum-Villa aus finanziellen Gründen ab. In Osnabrück wird die „Felix-Nussbaum-Gesellschaft“ gegründet. 1990: Im Kulturgeschichtlichen Museum wird eine große Nussbaum-Retrospektive gezeigt. Der Katalog zur Ausstellung avanciert zum bis heute wichtigsten NussbaumHandbuch (vgl. Berger 1995). Schirmherr der Ausstellung ist der damalige Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker. 1991: Der zweite Kulturentwicklungsplan der Stadt Osnabrück führt die NussbaumPräsentation als überregional bedeutsam auf und fordert eine bessere Präsentation (vgl. Stadt Osnabrück 1991: 22). Später heißt es in dem Plan, die Nussbaum-Sammlung solle zentrales Element für einen Anbau an das Kulturgeschichtliche Museum werden. Die Nussbaum-Bilder werden als „einzigartiges künstlerisches Monument, das sich gegen den Faschismus (...) richtet“ (ebd.: 34) bezeichnet. 1994: Die Nussbaum-Präsentation im Kulturgeschichtlichen Museum wird auf vier Säle ausgeweitet. Die Stadt verkauft die Nussbaum-Sammlung an die Niedersächsische Sparkassen-Stiftung. Das damit erlöste Geld wird für den Bau des Felix-NussbaumHauses verwendet. 1996: Architektenwettbewerb für das Felix-Nussbaum-Haus. Daniel Libeskind erhält den ersten Preis und wird mit der Ausführung des Baus beauftragt. Bilder Nussbaums werden in Jerusalem gezeigt. 1998: Das von Daniel Libeskind errichtete Felix-Nussbaum-Haus wird eröffnet. 2001: In ihren „Kulturpolitischen Leitlinien“ nennt die Stadt Osnabrück Felix Nussbaum als Bezugspunkt für das Image einer „Stadt des Friedens, der Toleranz und Weltoffenheit“ (Stadt Osnabrück 2001). In Osnabrück wird die „Nussbaum-Foundation“ gegründet. Der Kunstsammler und Mäzen Hubert Schlenke bringt ein Konvolut von Nussbaum-Bildern in die Stiftung ein. Im Lauf mehrerer Jahre überlässt er weitere Bilder Nussbaums dem Felix-Nussbaum-Haus. 2004: Ausstellung „Zeit im Blick“ zum hundertsten Geburtstag Nussbaums, die sein Werk in den Kontext der künstlerischen Moderne stellt.
Diese geraffte Übersicht bezeichnet die wichtigsten Stationen eines langen Prozesses der Wiederentdeckung. Dieser Prozess führt von einer ersten Präsentation weniger Bilder Nussbaums in den fünfziger Jahren zur groß angelegten Ausstellung seines gesamten Werkes in einem nur diesem Künstler vorbehaltenen Museum, das als Werk Daniel Libeskinds obendrein Architekturgeschichte schrieb. Dieser rund vierzig Jahre umfassende Prozess kann als Erfolgsgeschichte gelesen werden. Wer genauer hinschaut, erkennt jedoch nicht nur signifikante Phasen dieses Vorgangs, sondern auch die Interaktion von vielfältigen Personen- und damit Einflussgruppen. Felix Nussbaum in Osnabrück: Das ist die Geschichte einer Wiederentdeckung und zugleich die der Kreation einer kulturpolitischen Marke, die nicht frei von Widersprüchen ist. Auf der einen Seite wird Felix Nussbaum als großer Europäer gefeiert (vgl. Stadt Osnabrück 2004a: 5), auf der anderen Seite löst die Frage nach der ästhetischen Qualität seines Werkes weiterhin Unsicherheit aus. Ist seine Kunst nun „bild-
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nerisches Gleichnis aller Verfolgten“ (Stadt Osnabrück 2004b: 4) und „Impfstoff gegen totalitäre Versuchungen“ (ebd.: 9) oder Nussbaum doch vor allem ein „ernstzunehmender Künstler“ (ebd.), der mehr geschaffen hat als Zeitdokumente, wie die Leiterin des FelixNussbaum-Hauses, Inge Jaehner, in einem Interview ausgeführt hat? Damit wird zunächst klar, dass das Bild Felix Nussbaums in Osnabrück trotz aller kulturpolitischen Leitlinien durchaus seine inneren Widersprüche aufweist. Dies kann auch nicht verwundern. Schließlich belegt die Chronologie der Entdeckung von Person und Werk Felix Nussbaums, dass sich dieser Prozess aus vielen divergierenden Antriebskräften gespeist hat. An seinem vorläufigen Ende sind einige Optionen favorisiert worden – andere blieben im Verlauf des Weges zurück, entweder weil sie ihre Funktion erfüllt hatten oder im Verlauf der Herausbildung eines kulturellen Leitbildes fallen gelassen wurden. „Die 40 Jahre Umgang mit Felix Nussbaum in Osnabrück folgen einem Prozess, der von der Verdrängung der Tatsache einer systematischen Ausrottung der Juden über Betroffenheit und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung hin zur Demonstration des Gedenkens und der Anerkennung von Widerstandskunst als Wirtschaftsfaktor führt“ (Schirmer 1998: 375f). Die Implikationen dieses kritischen Resümees muss man nicht teilen. Die Wertung berührt jedoch das grundsätzliche Problem, dass Kunst und Kultur mit ihrer managerialen Gestaltung niemals mehr als vorgeblich authentische Bezugsgrößen gesehen, sondern immer als Ergebnis von planendem Handeln und damit als Konstrukte interpretiert werden müssen. Schließlich hätten auch andere Optionen genutzt werden können, um mit Felix Nussbaum und seiner Kunst heute kulturpolitisch zu kommunizieren. Hinter diesem Erkenntnisstand bleibt jedoch zurück, wer die Kunst Nussbaums als Dokument der Verfolgung immer noch mit der Vokabel der „Authentizität“ (Stadt Osnabrück 2004b: 4) fassen will. Damit wird eine Einschätzung Nussbaums wiederholt, die schon in dem bis heute maßgeblichen Katalogbuch unter Berufung auf den vorgeblichen „Wahrheitsgehalt“ seiner Bilder zum zentralen Bezugspunkt der Nussbaum-Betrachtung erhoben worden war (vgl. Berger 1995: 26). Der oben präsentierte chronologische Durchgang erlaubt es jedoch, die unterschiedlichen Antriebsenergien und Kraftfelder des kulturpolitischen Diskurses rund um Felix Nussbaum unterscheiden zu können. Sie können sogar mit Zeitströmungen der Kulturpolitik der Nachkriegszeit in Beziehung gesetzt werden. So steht die erste Ausstellung von 1955, in der nur lückenhafte Informationen über Nussbaums Schicksal nach 1933 präsentiert wurden, für die Jahre, in denen die Erinnerung an den Holocaust systematisch verdrängt wurde. Ebenso sinnvoll fügt sich aber auch Nussbaums Wiederentdeckung in die siebziger Jahre. Auch wenn der Zeitpunkt, an dem der Rechtsstreit zwischen Nussbaums Erben und dem Arzt Dr. Grosfils zu einem Ende kam, von Zeitläufen nicht beeinflusst war – die siebziger Jahre sind die Zeit gewesen, in denen Schicksale der Verfolgten des Dritten Reiches aufgearbeitet wurden. Jürgen Serkes Buch über die „Verbrannten Dichter“, das zuerst 1977 erschien, markiert den Zeitgeist ebenso zutreffend wie der Trend zu biografisch orientierten Erzählungen und Romanen in der Literatur. Peter Härtling etwa begründete mit solchen Büchern seinen literarischen Ruhm. Seine romanhafte Biografie „Hölderlin“ erschien 1976, Härtlings „Nachgetragene Liebe“ und Christoph Meckels „Suchbild“, Bücher über Väter und ihre Verstrickung im Dritten Reich, erschienen jeweils 1980. In diesen Kontext gehört
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gleichfalls die Spurensuche in Sachen Nussbaum, die per Aufruf in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gestartet wurde. „Geschichte von unten“ lautete die Leitvokabel dieser Jahre. Und dazu fügt sich auch das ehrenamtliche Engagement, das Osnabrücker Bürgerinnen und Bürger in der „Nussbaum-Gesellschaft“ leisteten – und im Rahmen einer Spendenaktion für den Ankauf von Bildern des Malers (vgl. Schirmer 1998: 361f). Doch andere Schritte sprechen auch für eine zunehmende Professionalisierung der Nussbaum-Pflege. Dafür steht die schrittweise ausgeweitete Präsentation der Werke Nussbaums im Kulturgeschichtlichen Museum ebenso wie die zunächst unmerkliche, dann aber konsequente Verschiebung des Schwerpunktes in der lokalen Museumspolitik. Das Bild Nussbaums wandelte sich damit vom Regionalkünstler hin zum Repräsentanten, vom Propheten kommenden Unheils (vgl. Berger 1995: 28) zum Maler, der „zu den Künstlern der Moderne gehört“ (Stadt Osnabrück 2004b: 1, Hervorhebung original). Gegen diesen Trend der zunehmenden Professionalisierung war denn auch der Versuch chancenlos, Nussbaum mit der Präsentation seiner Werke in der Villa seiner Eltern als Teil der Osnabrücker Stadtgeschichte heimzuholen. Das Projekt zerschlug sich wegen der steigenden Kosten, welche die öffentliche Hand nicht übernehmen wollte. Doch die daraus resultierende Weichenstellung war folgenschwer. Im Verlauf der Diskussion um die angemessene Präsentation der Werke Nussbaums gewann auch das Argument, die Persönlichkeiten Erich Maria Remarques und Felix Nussbaums in Konzepte für den Kulturtourismus einzubeziehen, mehr und mehr an Gewicht (vgl. Schirmer 1998: 367). Damit verlor ein Engagement für Nussbaum, das sich als Wiedergutmachung für die Opfer des Dritten Reiches, als antifaschistische Aktivität und als lokalgeschichtliche Spurensuche verstand, zunehmend an Boden. In diesen Komplex gehört auch die Tatsache, dass die Nussbaum-Gesellschaft unter ihrem langjährigen Vorsitzenden, dem ehemaligen Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip, zunehmend Züge einer kommunalen Einrichtung annahm und damit ihre Verankerung im bürgerlichen Engagement zumindest lockerte. Dies führte zu Friktionen mit der „Guernica-Gesellschaft“ rund um die Osnabrücker Kunsthistorikerin Prof. Jutta Held, die sich die Erforschung der antifaschistischen Kunst zum Thema gemacht hatte. Damit kommen aber auch ideologische Spannungen ins Spiel. Während die Position einer Kunstbetrachtung aus antifaschistischen Motiven heraus Kunstwerke als Zeichen eines politischen Kontextes betrachten will (vgl. ebd. 356), verweist die offizielle Nussbaum-Lesart zunehmend auf dessen ästhetischen Stellenwert, wenn es darum geht, „den künstlerischen Rang der Malerei Nussbaums zu verdeutlichen und neu zu bestimmen“ (Neugebauer 2004: 15). Zeitdokument gegen Kunstwerk: In diesem Grundkonflikt scheint auch die Bruchlinie kulturpolitischer Argumentationsstränge durch. Das Zeitdokument dient lokalgeschichtlicher Identitätsfindung und politischem Engagement. Das Kunstwerk jedoch führt aus lokalen Bezügen hinaus in überregional anschlussfähige Geltungsansprüche und liefert zugleich Ansatzpunkte für kulturpolitische Kernargumente der neunziger Jahre. Und die heißen: Erlebniswert sowie Kultur als Anziehungspotenzial für den Städtetourismus. Das HolocaustOpfer Nussbaum als Werbeträger? In dieser heiklen Zuspitzung des Problems wird ein grundsätzlicher Widerspruch im Osnabrücker Nussbaum-Bild deutlich. Ein Widerspruch ganz anderer Art entstand jedoch auch mit dem Verkauf der städtischen Nussbaum-Sammlung an die Niedersächsische Sparkassen-Stiftung. Mit dem Erlös konnte der Bau des Felix-Nussbaum-Hauses in Angriff genommen und so für eine deutlich
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verbesserte Präsentation der Kunst Nussbaums gesorgt werden. Zugleich verblieben die rund 160 Bilder als Dauerleihgabe der Stiftung in Osnabrück (vgl. Rodiek 1999: 15). Damit war jedoch ein Baustein bürgerschaftlichen Engagements weggebrochen. Immerhin hatten seinerzeit Osnabrücker Bürgerinnen und Bürger gesammelt, um Nussbaums Werke ankaufen zu können. „Mit dieser ohne erkennbare Skrupel vollzogenen Vermarktung gewinnt die oben erwähnte pragmatisch-utilitaristische Strategie die Oberhand“ (Schirmer 1998: 371). Entsprechend wird dieser einschneidende Vorgang seitdem mit knappen Formulierungen so kurz wie möglich abgehandelt (vgl. Jaehner 1999: 59). Die Transaktion bezeichnete jedoch ein weiteres Paradox im offiziellen Nussbaum-Bild: Man hatte seine Werke verkauft, um sie dann – dank besserer Präsentation – umso vollständiger besitzen zu können. Bürgerschaftliches Engagement wird seitdem auch nicht mehr in Kategorien von Basisaktionen gefasst, sondern vorzugsweise als mäzenatische Aktivität gewürdigt. Der Notar und Kunstsammler Hubert Schlenke erwarb sich große Verdienste um die Nussbaum-Pflege durch seine Schenkungen und Stiftungen. Zudem erwarb er mehrere Werke Nussbaums bei internationalen Auktionen. Die öffentliche Hand hätte bei diesen Gelegenheiten ohnehin niemals als Bieter auftreten können. Dabei ist gegen die eben geschilderten Zielkonflikte und Bedeutungsverschiebungen im Verlauf der Nussbaum-Pflege in Osnabrück nichts zu sagen. Hier geht es ohnehin darum, solche Veränderungen eher zu benennen als sie vorschnell zu kritisieren. Sie stehen für einen Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik nebst deren einschlägigen Begründungen und bezeichnen weiterhin die schlichte Tatsache, dass im Verlauf einer inzwischen rund 35 Jahre andauernden Beschäftigung mit Nussbaums Werk in Osnabrück bestimmte Aufgaben einfach abgearbeitet sind und danach notwendig ein Strategiewechsel eintreten muss. Heute feiert die Stadt in ihren offiziellen Verlautbarungen die Pflege der Hinterlassenschaft Nussbaums als Rettungstat und wertet dessen Kunst als Handlungsanweisung. Damit sieht sich die offizielle Nussbaum-Pflege in der direkten Nachfolge einer anderen Handlungsanweisung, die der Maler, den sicheren Tod vor Augen, einst den Nachgeborenen auftrug: „Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben“ (ebd.: 14, Neugebauer 2004: 231).
9.3 Die Inszenierung: Das Nussbaum-Haus zwischen Museum und Mahnmal 9.3 Die Inszenierung: Das Nussbaum-Haus zwischen Museum und Mahnmal Dass für die Kunstkonvolute privater Sammler oder das Werk einzelner Künstler Museen errichtet werden, gehört zur kulturpolitischen Routine vor allem der neunziger Jahre in Deutschland. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen. Insofern scheint sich das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück nur in eine Normalität zu fügen, die nach 1998 in zwei Nachbarstädten Osnabrücks bestätigt wurde. In Oldenburg wurde das Horst Janssen-Museum errichtet, in Münster ein Stadtpalais zum „Graphikmuseum Pablo Picasso“ umgestaltet. Museumspolitik als Stadtmarketing: In diesen Trend passen die genannten Kulturprojekte. Für das Osnabrücker Nussbaum-Haus muss dieser vorläufige Befund differenziert betrachtet werden. Denn der Museumsbau erfüllt gleich eine dreifache Funktion. Er ist
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Aufbewahrungsort für eine rund 160 Bilder umfassende Sammlung des Werkes Felix Nussbaums und erfüllt damit museale Funktion. Mahnmal für das Schicksal der Juden in Europa während des Dritten Reiches. Dies ergibt sich aus der expressiven Architektursprache. Attraktion für den Kulturtourismus und geheimer Mittelpunkt der Osnabrücker Kulturlandschaft.
Vor allem hat das Nussbaum-Haus den kulturpolitischen Diskurs über den Umgang mit Nussbaums Werk auf eine völlig neue Qualitätsstufe gehoben und mit Bedeutungen aufgeladen, die bis dahin nur unzureichend artikuliert worden waren. Zuvor setzte das Nussbaum-Konvolut das Sammlungsgefüge des Kulturgeschichtlichen Museums unter gehörige Spannung. Dessen Kollektion dokumentiert bis heute vor allem die Osnabrücker Stadtgeschichte, umfasst aber auch Spezialsammlungen wie ein Münzkabinett, niederländische Meister des 17. Jahrhunderts sowie seit kurzem auch die Liebmann-Stiftung mit der Druckgraphik Albrecht Dürers. Zudem prägt das Museum mit mehreren Gebäuden das Bild der historischen Altstadt Osnabrücks (vgl. Rodiek 1999: 9f). Das 1888/89 im spätklassizistischen Stil errichtete Hauptgebäude bildet den Kern des Museums, zu dem auch die benachbarte „Villa Schlikker“ von 1900/01, das 1817 errichtete, heute als Museumsshop und -kasse genutzte „Akzisehaus“ sowie das „Dreikronenhaus“ in der Altstadt gehören. Das 1998 eröffnete Felix-Nussbaum-Haus ist zwar als Anbau an das Hauptgebäude des Kulturgeschichtlichen Museums errichtet worden. Doch es dominiert das Gebäudeensemble eindeutig durch seine Gestalt als „Bauskulptur“ (ebd.: 28). Zudem steht diese ambitionierte Architektur für den Anspruch, Nussbaums Werk in einem anderen als nur lokalen Bedeutungsrahmen zu präsentieren. Die Wahl eines Architekten mit Weltgeltung – Libeskind errichtete das 2001 eröffnete „Jüdische Museum“ in Berlin und gewann den Wettbewerb für die Neubebauung des „Ground Zero“-Geländes in New York – unterstreicht den Bedeutungswandel, den das Werk Nussbaums bereits in Osnabrück durchlaufen hatte. Zu den Verschiebungen in Sammlungsgefüge und Bauensemble des Kulturgeschichtlichen Museums, das mit dem Libeskind-Bau einen regelrechten Modernitätsschock verkraften musste, gehören auch die administrativen Veränderungen. Das zunächst unter dem Namen „Kulturgeschichtliches Museum“ subsumierte Nussbaum-Haus firmiert längst unter eigenem Namen und verfügt auch über eine eigene Hausleitung. Dabei war der Architekturwettbewerb Anlass für heftige Debatten gewesen. Die Kontroverse spitzte sich in dem scharfen Kontrast der Entwürfe von Daniel Libeskind und Ernesto Grassi zu, die von einer Jury als Sieger und Zweitplatzierter aus dem Wettbewerb hervorgegangen waren. Während Grassi mit einem aus zwei Riegeln bestehenden Baukörper Form und Dimension des Kulturgeschichtlichen Museums aufnahm, lieferte Libeskind mit seinem ersten realisierten Bauprojekt überhaupt (vgl. Libeskind 2004: 138) einen schroffen Kontrast. Wie später beim Jüdischen Museum in Berlin, das auch als Anbau an ein bereits bestehendes Museum entworfen wurde, drehte der Architekt die Rangfolge von Haupthaus und Anbau einfach um. Auch in Osnabrück dominiert nun ein „Anbau“, der so auch den Bedeutungswandel der Nussbaum-Kollektion im Osnabrücker Museumsgefüge dokumentiert. Nussbaum, zunächst im Zeichen einer Wiedergutmachung in die Stadtgeschichte heimgeholt, hat diesen Kontext inzwischen verlassen und sich gleichsam an die
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Spitze der kulturellen Hierarchie seiner Heimatstadt gestellt. Dabei liefert das von Libeskind als „Museum ohne Ausgang“ (Rodiek 1999: 19, Baumann 2002: 315) konzipierte Haus nicht einfach den Sensationswert einer zersplitterten Architektur, die gemeinhin als „dekonstruktivistisch“ (Maier-Solgk 2002: 195) bezeichnet wird. Stattdessen entwarf Libeskind das Gebäude konsequent als Entsprechung zu Werk und Lebensschicksal Nussbaums und zielte damit bei den Besuchern auf „Verdichtung von Erfahrung“ (Libeskind 2004: 139), die „Befremden, Unsicherheit, ja Beklemmung“ (Maier-Solgk 2002: 195) hervorrufen soll. „Dieser Bau (...) verlangt seine eigene Aufmerksamkeit“ (Stadt Osnabrück 2004b: 10). Seine Wirkung verdankt sich einer Baugestalt, die von keinem Punkt aus vollständig überblickt werden kann, und damit den Besucher konsequent in Bewegung setzt (vgl. Rodiek 1999: 21, De Dijn 2004: 145ff). Das Nussbaum-Haus bietet sich dar „in der Form dreier länglicher Baukörper, die gemeinsam ein spitzwinkliges Dreieck bilden. Für diese drei Baukörper wurden unterschiedliche Materialien verwendet: Beton für den langen, schmalen (...) Nussbaum-Gang (...), mit Zinkblech ist der zweite, über der Erde schwebende Trakt verkleidet, der den Nussbaum-Gang mit dem alten Museum verbindet; den dritten, breiteren Hauptflügel dessen durch schmale Fensterritzen zerschnittene Fassaden förmlich aufgerissen wirken, umhüllen Eichenholzplanken“ (Maier-Solgk 2002: 196) Das mit dieser Baugestalt verbundene „Mikado-System der Linien“ (Rodiek 1999: 20) ist in diesem Kontext kein Selbstzweck, sondern das Ergebnis einer konsequenten Methode, der sichtbaren Architektur eine „tiefer gehende Symbolik“ (Baumann 2002: 315) wie einen Subtext zu unterlegen. In einem Maß, wie es nur dem detailliert informierten Besucher deutlich wird, verweist jedes Element dieser Architektur auf Leben und Werk Nussbaums, die von Leerstellen und Diskontinuität geprägt sind. So entsteht ein Gebäude, das nur als skulpturales Gebilde mit starkem ästhetischem Eigenwert angemessen gewürdigt werden kann. Dies entspricht auch der Grundhaltung des Architekten: „Ein kühler Kastenbau hat in dieser Welt keinen Platz – die Welt wird nicht durch Neutralität oder Gleichgültigkeit bereichert, sondern durch Leidenschaften und Überzeugungen“ (Libeskind 2004: 143). Libeskind hat mit dem Felix-Nussbaum-Haus keinen neutralen Container für ein Bilderkonvolut geschaffen, sondern ein Kunstwerk, das heute auf Nussbaums Schicksal antwortet und zugleich den Anspruch erhebt, den Besucher vom passiven Betrachter zum aktiv Mitfühlenden zu machen. „Mir geht es (...) um das Gefühl der Deplatzierung, um die Schockwirkung, die dadurch entsteht, dass man etwas aufrüttelnd Neues oder Unerwartetes sieht“ (ebd.: 126). Zentrale Bühne für diesen Vorgang ist nach der Intention des Architekten der „NussbaumGang“, ein 13 Meter hoher, enger Korridor mit nackten Betonwänden, dessen unmerklich ansteigender Boden Assoziationen an die Rampe des Konzentrationslagers Auschwitz wecken soll. Verbunden mit einer Klanginstallation, die mit ihrem Geräuschen das Gefühl von Deportierten in den Todeszügen auf dem Weg in die Lager nachvollziehbar machen soll, wandelt sich hier Architektur vom bloßen Raum zum Schauplatz einer „Katharsis“ (Rodiek 1999: 26, vgl. De Dijn 2004: 141), die den Besucher als verwandelten Menschen wieder aus dem Museum entlassen soll. Ein Museum auf dem Weg zum begehbaren „Holocaustmahnmal“ (De Dijn 2004: 145): Diese Wirkung wird von einer ganzen Reihe von Merkmalen dieser Architektur unterstützt, deren Anspielungsreichtum hier nicht vollständig ausgefaltet werden soll (vgl. Rodiek 1999:
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19ff). So verweisen die Ausrichtungen der Baukörper und mehrerer gedachter Linien des Entwurfs auf Orte, die mit Nussbaums Schicksal in Verbindung stehen. Das Museum verweist so auf Nussbaums Elternhaus, auf die benachbarte „Villa Schlikker“, die im Dritten Reich örtliche Zentrale der NSDAP war. Nackte Betonwände symbolisieren die leeren Leinwände, die der im Alter von gerade 39 Jahren ermordete Künstler nicht mehr bemalen konnte, in die Wegführung zum Museumseingang eingelassene Eisenbahnschienen auf die Züge, welche die Häftlinge in die Vernichtungslager transportierten. Die wie Blitzschläge in die Außenhaut des Gebäudes getriebenen, schmalen Fensterschnitte erhöhen den Eindruck von Unruhe und Angst. Schwere Eisentüren, die hinter dem Besucher mit Lärm ins Schloss fallen, erwecken Gefühle des Eingeschlossenseins. „Das Innere treibt die Desorientierung auf die Spitze“ (Maier-Solgk 2002: 196). Unregelmäßige Raumzuschnitte mit toten Winkeln und plötzlich sich erweiternden Fluchten, abschüssige Böden, in die teilweise Gitterroste eingearbeitet sind, keilförmig vorspringende Wandflächen, Lichtschienen wie Scharten in den Decken – dies sind nur einige Kennzeichen einer Architektur voller Expression. Besonderer Bedeutung kommt der Wegführung und Raumanordnung zu, die dem Besucher bewusst jede Orientierung nimmt. Der verliert nach kurzer Zeit die Orientierung, gelangt in Räume, die er nicht erwartet hat, stößt auf unvermittelt auftauchende Leerräume, wie sie auch zum Raumprogramm des Jüdischen Museums in Berlin gehören: So wird der Besucher konsequent auf einen Irrweg geschickt und auf diese Weise nicht nur physisch, sondern auch mental unablässig in Bewegung gehalten. Dieses Museumserlebnis richtet den Besucher permanent auf sich selbst zurück (vgl. Damus 2000: 400), weil der gehalten ist, das Erlebte zu reflektieren. Dennoch sorgt das Museum nicht für Distanz, sondern für Identifikation mit dem Opfer Nussbaum. Dieser zunächst in Osnabrück kontrovers diskutierte, nun aber weithin akzeptierte Bau hat signifikante Vor- und Nachteile. Die Vorteile
Völlige Identifikation der Baugestalt mit deren Inhalt. Werk und Schicksal Nussbaums sind als Programm dieser Architektur konsequent aufgenommen. Das Gebäude dient so nicht nur als Museum, sondern erfüllt auch die Funktion eines Mahnmals, das an die Schrecken des Dritten Reiches erinnert. Die Baugestalt hebt das Ansehen der Kunst Nussbaums nachhaltig. Libeskinds Bau hat den Stellenwert Nussbaums als Künstler gesteigert. Mit dem Museum hat die Stadt Osnabrück ein prestigeträchtiges Stück zeitgenössischer Architektur gewonnen. Das Museum belebt mit seinem Erlebniswert den Kulturtourismus. Tatsächlich hat sich das Nussbaum-Haus als kulturelle Attraktion etabliert.
Die Nachteile
Mit seiner allein auf Leben und Werk Nussbaums zugeschnittenen Gestalt erscheint das Museum wenig anpassungsfähig für Werke anderer Künstler.
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Der Zwang zu durchgehendem Kunstlicht, viel ungenutzter Raum, enge Raumschnitte sind expressive Architekturelemente, zwingen aber zu Abstrichen bei der Ausstellungstechnik. Der Charakter des Hauses als Mahnmal relativiert den Stellenwert der gezeigten Kunst, macht das Museum selbst zum Exponat. Die Baugestalt nimmt wenig Rücksicht auf Funktionsräume. Ein düsterer Vortragsraum und ein kaum komfortables Café bedeuten klare Abstriche. Negativpunkt bei einem Museum gerade dieser Thematik: Das Haus sieht keinen eigenen Raum für Aktivitäten der Museumspädagogik vor. Die expressive Baugestalt legt die Lesart der Werke Nussbaums fest. Seine Bilder erscheinen in diesem Bau konsequent als Dokumente des Holocaust, gewinnen aber kaum ästhetischen Eigenwert (vgl. Damus 2000: 399f).
So stehen sich Vor- und Nachteile bei diesem Bauwerk scheinbar unvermittelt einander gegenüber. Die Aufstellung zeigt, welch weitreichende Konsequenzen die Entscheidung für die Gestalt eines Museumsbaus haben kann. Zunächst einmal hat das Bauprojekt innerhalb der Geschichte der Osnabrücker Nussbaum-Pflege einen endgültigen Schritt hin zur Professionalisierung der Nussbaum-Pflege bedeutet. Mit dem Museumsbau stiegen auch die Ansprüche an den kuratorischen Umgang mit dem Werk Nussbaums. Das Gebäude hat aber auch den Diskurs rund um die Marke „Friedensstadt“ angestoßen und der Stadt das gegenwärtig wichtigste Symbol ihrer kulturpolitischen Identität zur Verfügung gestellt. Jüngste Argumentationen zum Thema Frieden und Friedenskultur konvergieren immer wieder in der symbolhaltigen Gestalt des Nussbaum-Hauses, dessen Ansicht auch die Osnabrücker Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas unterstützt hat (vgl. Stadt Osnabrück 2004a: 23). Dieser Museumsbau macht nachdrücklich klar, dass die Kommunikation kulturpolitischer Ziele und Identitäten nicht allein verbal, sondern auch über Orte, Bilder und Symbole bewerkstelligt werden kann. Libeskinds Museumsbau hat diesem Prozess in Osnabrück Schub verliehen, zugleich aber auch den Umgang mit Felix Nussbaum und seinem Werk im Sinne der Mahnmalsthematik vereinseitigt und andere Deutungsansätze blockiert. Die Unverträglichkeit der Baugestalt mit anderen Kunstwerken als denen Nussbaums hat dessen Werk in der allgemeinen Wahrnehmung isoliert und auf Rituale des Gedenkens festgelegt. Das behindert Nussbaums Wahrnehmung als Teil der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sichtbares Zeichen dieser Stagnation ist die Tatsache, dass es immerhin sechs Jahre gedauert hat, bis nach der Eröffnung des Museums eine größere, Nussbaum gewidmete Wechselausstellung ausgerichtet worden ist. Das hoch komplexe und zugleich extrem verpflichtende Symbolprogramm des Nussbaum-Hauses hat den Umgang mit Nussbaums Kunst auf eine Lesart festgelegt – auf die von seinen Bildern als authentischen Zeugnissen des Holocaust.
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9.4 Das Event: Die Ausstellung zum 100. Geburtstag Felix Nussbaums 9.4 Das Event: Die Ausstellung zum 100. Geburtstag Felix Nussbaums War auch mit Libeskinds Museumsarchitektur Felix Nussbaum eindrucksvoll heimgeholt und in seiner Stellung als paradigmatischem Künstler der „verschollenen Generation“ bestätigt worden – die Einschätzung des ästhetischen Stellenwerts seiner Kunst war dennoch weiter von einiger Unsicherheit begleitet. Schließlich gehörte Nussbaum trotz einiger Ausstellungserfolge, Stipendien, lobender Erwähnungen durch Künstlerkollegen wie den Belgier James Ensor (1860-1949) zu Lebzeiten nicht zu den wirklich wichtigen Künstlern. Nussbaum war unbestreitbar ein großes Talent. Dennoch blieb er in der zeitgenössischen Wirkung hinter anderen Künstlern deutlich zurück. Die Frage nach dem künstlerischen Rang Nussbaums wird deshalb bis heute in Osnabrück mit einigem Unbehagen aufgenommen. „Ich bin kein Freund von Rankings innerhalb der Kunstgeschichte“ (Stadt Osnabrück 2004b: 4), reagierte etwa die Leiterin des NussbaumHauses, Inge Jaehner, ausweichend auf diese Frage. Nussbaum als Phänomen der Kunstprovinz, das seine Relevanz allein aus seinem Status als Holocaust-Opfer bezieht? In der provokant zugespitzten Frage wird das zentrale Problem der lokalen Nussbaum-Rezeption deutlich, zumal diese Einschätzung auch dem ironisch formulierten Ruf Osnabrücks als „Stadt der goldenen Mitte“ (Sliwka 2001: 87) zu entsprechen schien. Genau in diesem Punkt bleibt die Rezeption Nussbaums bis heute auch befangen in einer seltsam gemischten Gemengelage aus stolz vorgetragenem Selbstbewusstsein und der leisen Unsicherheit, trotz aller kulturpolitischen Anstrengung aus dem Windschatten größerer Städte einfach nicht heraustreten zu können. Die große Wechselausstellung „Zeit im Blick“, die vom 5. Dezember 2004 bis zum 28. März 2005 im Felix-Nussbaum-Haus stattfand, sollte deshalb den kulturpolitischen Diskurs zum Thema „Friedenskultur“ durch den lange vernachlässigten Aspekt der gesicherten ästhetischen Qualität ergänzen und absichern. Dazu wurden rund 60 Werke Felix Nussbaums mit rund 130 Bildern anderer Künstler des 20. Jahrhunderts zu einer Ausstellung vereinigt. Der Titel „Zeit im Blick“ legte den Maler allerdings wieder auf seine wichtigste, bereits oft festgestellte Leistung fest – die des künstlerischen Zeitzeugen, der, wie Museumsleiterin Inge Jaehner feststellte, „im Auge des Orkans“ (Neugebauer 2004: 12) gemalt habe. Der Ausstellungstitel wiederholt noch einmal diesen Aspekt, der in den Jahren zuvor schon den Diskurs um Nussbaum bestimmt hatte. Als „Jahrhundertmaler“ (Stölzl 2004) wird er nun wieder gefasst, weil er vor allem als Repräsentant eines historischen Schicksals überragende Bedeutung besitzt. Die Osnabrücker Ausstellungsregie dagegen stützt das künstlerische Image Nussbaums, indem sie ihm – neben weiteren, heute weniger bekannten Malern – weitaus prominentere Zeitgenossen und Vorläufer an die Seite stellt. Pablo Picasso und Edvard Munch etwa zählen zu dieser Reihe von Namen. Vor allem Max Beckmann mit neun und Paul Klee mit sieben Werken sind mit größeren Kontingenten in der Ausstellung vertreten. Die Namensliste steht denn auch für den Anspruch des Untertitels der Schau, Nussbaum in den Kontext der Moderne gestellt zu haben. Dabei dürften sich gerade an dieser Frage auch nach der Ausstellung weitere Forschungsfragen entzünden. Denn der vermeintliche Solitär Nussbaum scheint kunsthisto-
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risch nur schwer fassbar zu sein. Keiner Stilrichtung der Kunst des 20. Jahrhunderts zugehörig wird der Maler nun in einem an seiner Biographie orientierten Durchgang einer Reihe unterschiedlicher Betrachtungsweisen unterzogen. Die Ausstellung gliederte sich in folgende Kapitel (vgl. Neugebauer 2004: 16-18):
Umschau und Blick nach vorn: Das erste Kapitel behandelte Nussbaums künstlerische Orientierungsphase bis in die zwanziger Jahre. Neben Nussbaums Bildern hingen Werke von Maurice Utrillo, Max Liebermann und anderen. Der exilische Blick: Das zweite Kapitel behandelte Nussbaums Zeit im Exil und seine Beschäftigung mit abendländischem Kulturerbe und dem Zeitgeschehen. Hier kamen neben Nussbaum Künstler wie Karl Hofer, Karl Schmidt-Rottluff und andere zum Zug. Selbst im Blick: Diese Sektion galt als wichtigste der ganzen Ausstellung. Denn hier wurden Nussbaums Selbstbildnisse gezeigt, vor allem sein „Selbstbildnis mit Judenpass“. Dieses Gemälde traf auf Max Beckmanns „Selbstbildnis mit grünem Vorhang“ und Paul Klees „Gezeichneter“. Sehenden Auges: Die vierte und letzte Sektion vereinigte Bilder der Angst, Klage und Trauer. Als Vorgriff auf den eigenen Tod wurde hier der „Triumph des Todes“ mit Bildern von Zeitgenossen von Fritz Winter bis Jankel Adler konfrontiert. Dieser Durchgang durch das Werk Nussbaums offenbarte jedoch drei Schwächen des Ausstellungskonzeptes, die eine Neubewertung Nussbaums erschwerten: Wie schon in der jahrelang mehr oder weniger unveränderten Dauerausstellung gab die Biographie des Malers den Leitfaden der Schau vor. Diese final auf den Holocaust hin ausgerichtete Entwicklung wurde nicht zugunsten thematischer Zuordnungen verlassen. So konnte auch das Bild Nussbaums nicht aus der alten Justierung auf den Holocaust-Künstler befreit werden. Vor allem die stringente Orientierung hin auf den 1944 gemalten „Triumph des Todes“ (ebd.: 284) bekräftigte nur das Bild Nussbaums als eines Künstlers, dessen Leistung vor allem in der prophetischen Vorwegnahme des Holocaust bestanden habe. Dieser Leitfaden erscheint auch durch die Architektur des Nussbaum-Hauses festgelegt zu sein. Die Dramaturgie der Formensprache des Museumsbaus scheint kaum eine andere Lesart zuzulassen. Müssten deshalb Nussbaums Bilder konsequent in anderen Museumskontexten gezeigt werden, um überhaupt zu divergierenden Ansätzen der Werkinterpretation gelangen zu können? Unklar blieb auch das Verständnis von künstlerischer Moderne. Immerhin ist Nussbaum bis heute nicht von dem Verdacht befreit, ein „Antimoderner“ (Beyer 2004) zu sein. Seine durchgehende Gegenständlichkeit, das fast völlig fehlende Experiment mit künstlerischen Verfahrensweisen, die offensichtliche Unberührtheit durch die bildnerischen Verfahrensweisen der Avantgarden fordern zu der Frage heraus, worin Nussbaum spezifische Modernität bestehen könnte. Da Moderne mit Kriterien wie Abstraktion, Selbstthematisierung der Kunst, Experiment, unablässiger Innovation und dergleichen mehr besetzt ist, müsste für Nussbaum ein Abgleich mit diesen Aspekten der Moderne geleistet werden. Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, im Zeichen einer überholten Kontroverse um Abstraktion und Gegenständlichkeit, Nussbaum als antimodern abzustempeln. Die offene Frage, die sich mit
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diesem Thema verbindet, scheint jedoch durch die Ausstellung nicht hinreichend beantwortet worden zu sein. Damit verbindet sich das Problem der Ausstellungskonzeption, ständig die Kriterien der Werk- und Kunstbetrachtung zu wechseln. Mit jedem der vier Ausstellungskapitel kommt eine andere Blickrichtung ins Spiel. Geht es zunächst um eine Orientierung an der Biographie („Umschau und Blick nach vorn“), wird dann umgeschwenkt auf die kultur- und kunstgeschichtliche Epoche des Exils („Der exilische Blick“). Schließlich folgt in „Selbst im Blick“ mit dem Selbstbildnis eine Bildgattung als Kriterium, bevor mit „Sehenden Auges“ wieder auf einen thematischen Aspekt, nämlich das Thema des Holocaust, umgeschwenkt wird. Da die grundsätzliche Frage nach der Modernität in Nussbaums Werk nicht beantwortet worden ist, bleiben auch alle übrigen Blickrichtungen unverbunden. Damit bleibt auch der Stellenwert dieser Ausstellung für die Kommunikation Osnabrücks mit der Kunst Nussbaums zwiespältig. Auf der einen Seite verzeichnete die Schau viel überregionale Aufmerksamkeit. In überregionalen Zeitungen setzte überhaupt erst Aufmerksamkeit für Nussbaum ein, zudem suggerierte allein die hohe Anzahl von Leihgaben die lang erwünschte Einbettung Nussbaums in die Kunst des 20. Jahrhunderts. Der Umschlag des Katalogs (Neugebauer 2004), der mit der Gestaltung des Ausstellungsplakats identisch war, integriert über das Mittel der typographischen Gestaltung Nussbaums Namen in den Kontext von Größen der Moderne wie Picasso, Munch, Beckmann und anderen. So profitiert die Kommunikation mit dem Werk Nussbaums von dieser Ausstellung, weil sie in der Perspektive dieser Wahrnehmung das Prestige der Kunst Felix Nussbaums gesteigert hat. Zugleich wird jedoch das zentrale Problem der Nussbaum-Rezeption, nämlich die Frage nach dem ästhetischen Stellenwert seines Werkes, nicht zureichend beantwortet.
9.5 Das Ergebnis: Ein Maler als Mittelpunkt kultureller Imagebildung 9.5 Das Ergebnis: Ein Maler als Mittelpunkt kultureller Imagebildung Vom fast vergessenen Holocaust-Opfer zur Zentralgestalt einer Identitätsbildung: Die bislang rund dreieinhalb Jahrzehnte der Nussbaum-Rezeption in Osnabrück müssen als Erfolgsgeschichte betrachtet werden. Mit der Gestalt des Malers hat die Stadt einen Teil ihrer Geschichte aufgearbeitet, Bürgerinnen und Bürger dazu gebracht, sich zu engagieren, Sammlungsbestände des Museums neu gewichtet, einen Museumsneubau initiiert und schließlich die eigene Identität auf höherem Niveau neu definiert. So liest sich die Erfolgsbilanz in Kurzform. Jetzt sollen die eben beschriebenen Elemente des „Konstruktes Nussbaum“ noch einmal mit Blick auf den in Kapitel 8 geschilderten Ablauf der Kunstkommunikation analysiert werden. Kunst: Die leistungsstarke Grundlage bezieht die Kommunikation mit Nussbaum aus der fast gleichmäßigen Aktivierung aller vier Faktoren von Kunst. Die Rettung des Nachlasses
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mit nachfolgender Spurensuche und Forschungsarbeit hat überhaupt erst einen Bestand an Objekten gesichert, die für nachfolgende kommunikative Anschlüsse zur Verfügung standen. Mindestens gleichgewichtig verhält sich das Element Institution, das mit dem Bau des Felix-Nussbaum-Hauses gleichfalls völlig neu aufgestellt wurde. Komplementär dazu verhält sich die Erfahrung, die im Zusammenwirken von Objekten und Institution inhaltlich auf Betroffenheit ausgerichtet wurde. Schwächen zeigt dagegen der Diskurs, weil ästhetische Fragestellungen gegenüber den anderen Elementen zurückgedrängt erscheinen, und das Diskursgeschehen von der machtvollen Koalition von Bildern und Museum dominiert zu sein scheint. Akteure: Bei den Akteuren ist das Kräfteverhältnis sehr viel ungleichgewichtiger. Hier überwiegen die Initiatoren, auch deshalb, weil sich in diesem Element das Gewicht im Lauf der Stadt deutlich zugunsten der Kommune verschoben hat. Zu den Initiatoren der Kunstkommunikation erschienen auch Privatleute, Kuratoren, engagierte Bürger, Mäzene und andere. Doch im Lauf der Zeit hat sich dieses gemischte Feld ausgedünnt. Nussbaum ist keine Sache einer „Kultur von unten“ oder eine Angelegenheit der Kuratoren mehr, sondern zum Kern einer kommunalen Botschaft geworden. Die Kommune treibt deshalb das Geschehen in den letzten Jahren deutlich voran. Gering erscheint der Einfluss der Kuratoren, die bei neuen Projekten zu keinen klaren Thesen finden, welche die Sicht auf Nussbaum auch in der Öffentlichkeit verändern könnte (unklare Anlage der Ausstellung „Zeit im Blick“). Machtvoll dagegen erscheint die Position des einzigen Akteurs, der nicht mehr anwesend ist – nämlich Felix Nussbaum selbst. Die Figur dieses Künstlers hat durch die Objekte und die neue Institution an Wert gewonnen und bewährt sich deshalb als verlässlicher Bezugspunkt immer neuer Kommunikation nach innen und außen. Aktionen: Als Künstler hat Nussbaum seine Bilder geschaffen und deshalb im Bereich der Aktionen eine gewichtige Position vollkommen ausgefüllt. Durch weitere Ankäufe kommen im Lauf der Zeit immer noch weitere Bilder Nussbaums in das Nussbaum-Haus. Die Gefahr: Da in diesem Museum nach derzeitigem Kenntnisstand annähernd das Gesamtwerk Nussbaums versammelt ist, könnte die Faszination in der Zukunft nachlassen. Wer hier gegensteuern will, muss den Kreis der Objekte erweitern – entweder durch Wechselausstellungen oder durch Ankäufe von Werken anderer Künstler. Beide Optionen sind bislang nur teilweise realisiert. Weil die inhaltliche und programmatische Arbeit nicht optimal gestaltet ist, erreichen auch die Aktionsformen des Bereitstellens und Komponierens kaum Gewicht. Gleiches gilt für das Kommentieren: Die Pressereaktionen auf das Werk Nussbaums beschränken sich derzeit auf Kenntnisnahme seines Werkes oder auf kritiklose Zustimmung (vgl. Stölzl 2004). Eine differenzierte Sicht auf Kunst lässt sich so nicht gewinnen. Folgerichtig überwiegt bei den Aktionen das Feld des Initiators Kommune: Aufträge erteilen, rekrutieren, auswählen. Die Kommune gibt die wesentlichen Arbeitsschritte vor und beansprucht damit zwangsläufig die „Deutungshoheit“ in Sachen Nussbaum. Kommunikationsformen: Daraus folgt, dass bei den Kommunikationsformen das Transferieren im Vordergrund steht. Die Stadt Osnabrück legt das Nussbaum-Bild fest und transportiert damit ein Image, das zum Kernbestand der Marke „Friedensstadt“ geworden ist.
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Gestützt wird diese Aktivität durch das Vermitteln, das wesentlich durch die Architektur Libeskinds bestimmt wird. Ungleich weniger Einfluss kann derzeit das Evaluieren beanspruchen. Diese Kommunikationsform beschränkt sich weitgehend darauf, Versatzstücke für einen Diskurs bereitzustellen, der das gewünschte Nussbaum-Bild abstützt. Der Künstler Nussbaum als Zeitzeuge, Prophet und Opfer, die authentische Qualität seiner Kunst als Dokument: Der Diskurs um Nussbaum bleibt klar auf diesen Kern hin zentriert. Das Ensemble der Kommunikationsformen sichert dem Nussbaum-Bild weitgehende Stimmigkeit. Durch die geringe Bandbreite differierender Deutungen droht der Nussbaum-Diskurs jedoch zur ritualisierten Wiederholung bekannter Wissensbestände abzusinken. Verstärkt wird dieser Effekt durch das Felix-Nussbaum-Haus mit seiner Architektursprache, die den Mahnmalcharakter des Werkes Nussbaums unterstreicht, dafür aber alternative Zugänge zu diesem Werk und auch insbesondere die Verlängerung seiner Thematik und ästhetischen Verfahrensweisen tendenziell verstellt. Zielprojektion: Aus der bisherigen Analyse ergibt sich, dass die Kommunikation mit Nussbaum auf einer klaren Zielprojektion aufbaut. Inhalte und Kommunikationsformen sind klar definiert, zudem erscheint der Nussbaum-Diskurs ideal eingebettet in einen fortlaufenden kulturpolitischen Diskurs, der sich in Osnabrück anhand der Kulturentwicklungspläne und in neuerer Zeit anhand der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas nachweisen lässt. Mit Nussbaum für Frieden, Erinnerung und Verständigung – so lässt sich eine inhaltliche Zielprojektion gebündelt fassen, die allerdings so breit angelegt ist, dass Adressatengruppen nicht immer zielgenau erreicht werden können. Nachteil dieser Zielprojektion: Der Diskurs rund um die Brennpunkte Nussbaum und Frieden hat sich in den letzten Jahren selbstbezüglich geschlossen und scheint damit kaum noch befragbar zu sein. Die klare Zielprojektion hat das Bewusstsein dafür getrübt, dass es mit diesem anscheinend so machtvollen Diskurs auch nur eine von mehreren denkbaren Optionen verwirklicht worden ist. Medium: Analog zu den relativ gleichmäßig positionierten und ausgefüllten Elementen der Kunst ergibt sich auch für das gewählte Medium ein entsprechend gut aufgestelltes Bild. Das Medium im Fall der Kommunikation mit Nussbaum zeichnet sich vor allem durch eine ausgesprochen starke Botschaft aus, die mit eindrucksvollen Objekten abgestützt wird und so eine unablässige Rückkopplung zwischen Botschaft und Objekten möglich macht (vgl. Lüddemann 2002: 37). Dieser Zusammenhang erweist sich im Kontext der Kunstkommunikation als besonders leistungsfähig. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Leistungsfähigkeit ist weiter oben am Beispiel der Künstlerkolonie Worpswede analysiert worden. Gelungen erscheint auch die Gestaltung der Komponenten „Kontext“ und „Träger“. Natürlich sind auch Plakate, Kataloge, Broschüren und dergleichen mehr Träger für die Kunst Nussbaums. Zugleich muss aber auch das Nussbaum-Haus selbst als doppelwertig angesehen werden. Der Bau ist natürlich Kontext für diese Kunst, zugleich aber auch insofern selbst ein Träger, weil er die Bilder Nussbaums nicht einfach aufbewahrt, sondern sie mit einer expressiv aufgeladenen Architektursprache eindringlich inszeniert und so mit Bedeutung zusätzlich auflädt.
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Rezeption: Für die Rezeption kann festgehalten werden, dass mit dem geschilderten Medium erfolgreich kommuniziert wird. Die entsprechende Offerte wird weitgehend angenommen und führt so zu positiven Effekten der Bestätigung. Allerdings kommt dieser Effekt weitgehend dadurch zustande, dass von Nussbaums Kunst ein starker moralischer Appell ausgeht, dem sich kaum jemand entziehen mag. Das Gedenken an den Holocaust gehört zum „Konsens der Demokraten“ in Deutschland. Für die Akzeptanz der Offerte spielt die ästhetische Komponente, mit der hier kommuniziert wird, nur insofern eine Rolle, als von ihr Betroffenheit ausgelöst wird. Damit hat die geschilderte Offerte Erfolg, neigt jedoch zur Wiederholung, deren Faszinationskraft mit der Zeit nachlassen wird. Konsequenzen für die Kunst: Das hier umrissene, stringent komponierte Kommunikationskonzept hat einschneidende Konsequenzen für die Kunst. Nussbaums Bilder erscheinen eingespannt in einen festen Rahmen der Rezeption, der kaum Variationen zulässt. Entsprechend bringt diese Anlage Ausblendungen mit sich, die schon auf lokaler Ebene sichtbar werden. Der hohe Einsatz für Nussbaum, einschließlich des prestigeträchtigen Museumsbaus, hat dazu geführt, dass mit dem Andenken an andere berühmte Künstler Osnabrücker Herkunft weniger aufmerksam umgegangen werden kann. Für den Romancier Erich Maria Remarque bleiben immerhin ein Dokumentationszentrum in der Stadtmitte und der alle zwei Jahre vergebene „Remarque-Friedenspreis“. Kaum im Bewusstsein der Stadt präsent ist jedoch Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899-1962), dessen Arbeiten zur Konkreten Kunst gehören und sich aufgrund ihrer geometrischen Abstraktion kaum für den Anschluss inhaltlicher Botschaften eignen. Dabei hat der Künstler im Vergleich zu Nussbaum die ungleich erfolgreichere Karriere aufzuweisen: Nachfolger in El Lissitzkys Hannoveraner Atelier, Mitglied der Gruppe „De Stijl“, Teilnahme an der Documenta 1 von 1955, Lehrer an der berühmten Hochschule für Gestaltung in Ulm. In Osnabrücker Beständen finden sich heute nur wenige seiner Werke. Trotz einer Ausstellung zu seinem hundertsten Geburtstag muss festgestellt werden, dass Vordemberge-Gildewart im Selbstbild der Stadt Osnabrück heute kaum eine Rolle spielt. In der Kulturhauptstadt-Bewerbung reichte es deshalb auch nur für eine Randnotiz (vgl. Stadt Osnabrück 2004a: 5). Ist Kunst also nur genehm, wenn sie im Bezug auf fassbare Inhalte und eingängige Botschaften hin lesbar ist? Im Fall von Vordemberge-Gildewart trifft das wohl zu. Die Kommunikation mit Nussbaum produziert jedenfalls mehr als nur einen blinden Fleck – gerade beim Umgang mit bildender Kunst.
10 Kunst und Wirtschaft: Chancen einer Koalition auf Zeit 10 Kunst und Wirtschaft: Chancen einer Koalition auf Zeit
Bei der Frage nach den wichtigsten Einsatzgebieten und Anwendungsformen der Kunstkommunikation muss vor allem der Bereich der Wirtschaft genannt werden. Gerade Unternehmen kommunizieren heutzutage mit Kunst. Das ist nicht selbstverständlich. Denn das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft wurde bis vor kurzem nicht immer als unproblematisch angesehen. Noch milde klingt das auf das Verhältnis von Kunst und Geld gemünzte Wort von der „Mischehe“ (Grasskamp 1998), während über Jahre hinweg vor allem der Terminus der „Kulturindustrie“ (Horkheimer/Adorno 1971: 108ff) die Blickrichtung einseitig festschrieb. Jeder Kontakt mit der Wirtschaft erscheint in dieser Perspektive notwendig als Beschädigung von Kunst und Kultur. Grund dafür ist die Verdinglichung, der jedes Kunstwerk unweigerlich anheim fällt, das sich den Gesetzen ökonomischen Denkens ausliefert. In der Folge kann die Kunst dann nicht das kritische Potenzial entfalten, das Horkheimer und Adorno ihr zudachten. Kunst und Wirtschaft erscheinen folgerichtig als Gegner; eine Kooperation scheint ausgeschlossen (vgl. Hentschel 2002: 114). Dass Kunst die Wirtschaft in erster Linie scharf zu kritisieren hat, machte entsprechend Schule. So montierte der Konzeptkünstler Hans Haacke zur Documenta 8 von 1987 in der Rotunde des Kasseler Fridericianums (vgl. Kimpel 2002: 106f, Luckow 2002: 32) aus dem Emblem der Deutschen Bank und dem Mercedes-Stern ein Objekt, das zunächst Werbung nur spielerisch zu zitieren schien. Doch beigefügte Text- und Bildtafeln verwiesen auf die Beteiligung der beiden großen Unternehmen an der Unterstützung der Apartheidspolitik in Südafrika. Wirtschaft als manipulative Kraft, Kunst als Instanz der Kritik: Stillschweigend ist das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft lange als Gegensatz zweier Positionen verstanden worden, die moralisch zu werten waren. Diese Konstellation erneuerte zuletzt Corinne Maier, die Unternehmen als „Kulturverächter“ (Maier 2005: 75) brandmarkte. Die Hinwendung von Unternehmen zur Kultur sollte danach instrumentell und oberflächlich sein. „Solange alles gut läuft, ist die Unternehmenskultur sehr nützlich für das Management, weil sie ein künstliches Identitätsgefühl schafft; wenn alles schief geht, gilt sie als archaisches Relikt“ (ebd.). Trotz aller Tradition dieser kritischen Haltung gegenüber dem Verhältnis von Kunst und Wirtschaft haben sich die Bewertungen in den letzten Jahren verändert. „Die (...) Geschichte von Kunst und Wirtschaft hat an Dramatik verloren seitdem das Verhältnis zwischen den ungleichen Partnern sich entspannt hat“ (Wagner 1999: 12). Schon vor Jahren wurde eine neue „Allianz zwischen Kultur und Wirtschaft“ (Lippert 1990: 13) beschworen. Diese Entspannung verdankt sich den vielfältigen Erfahrungen, die Kunst und Wirtschaft vor allem seit den achtziger Jahren miteinander gemacht haben. Firmen interessierten sich zunehmend für Kunst, um einen Prestigegewinn verbuchen oder einen Kreativitätsschub auslösen zu können. Kunst dagegen sucht bei der Wirtschaft nach finanzieller Unterstützung, seitdem die öffentlichen Etats für Kultur kontinuierlich zurückgehen. Mochten sich
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diese Partner anfangs nicht ganz geheuer sein – inzwischen hat sich nicht nur ihr Verhältnis entspannt. Es darf auch die Frage gestellt werden, ob diese beiden Partner wirklich so ungleich sind, wie es immer wieder gern behauptet worden ist. Bei der Frage nach den grundsätzlichen Leistungen der Kunst für die Kommunikation ist weiter oben bereits darauf hingewiesen worden, dass die Entwicklung der Kunst in der Moderne auffällige Parallelen zur dynamischen Entfaltung einer freien Marktwirtschaft aufweist. Dies zeigt sich auch an konkreten Fällen von Kunstkommunikation in Unternehmen. Die Wirtschaft sucht auf jeden Fall in den letzten Jahren verstärkt den Kontakt mit der Kunst. Die folgenden grundsätzlichen Überlegungen leiten zu den Fallbeispielen 2 und 3 über, die bei allen Unterschieden in einer ähnlichen Perspektive betrachtet werden können. Die Fallbeispiele werden in den Abschnitten 11 (Firma Dornbracht) und 12 (Modemesse Igedo) analysiert.
10.1 Was verbindet (und trennt) Wirtschaft und Kunst? 10.1 Was verbindet (und trennt) Wirtschaft und Kunst? „Kunst und Kultur dürfen weder machtpolitisch vereinnahmt noch wirtschaftlich instrumentalisiert werden“ (Weiss 1999: 153). Über solche Befürchtungen hinaus weist der Blick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede von Kunst und Wirtschaft. Dieser Blick eröffnet die Möglichkeit, Chancen einer Kooperation von vornherein realistisch einzuschätzen. Hier soll das Verhältnis vor allem aus dem Blickwinkel der Kunst betrachtet werden. Demnach gibt es Merkmale, die Kunst in die Nähe der Wirtschaft rücken und wieder andere, welche die Kunst von der Wirtschaft unterscheiden. In diesem Kontext soll das Thema in zwei Schritten angegangen werden:
Kunst und Wirtschaft: Zunächst ist noch einmal genauer nach dem Verhältnis von Kunst und Wirtschaft zu fragen. Wo ergeben sich Parallelen, wo Unterschiede? Erst die Reflexion auf diese Bedingungen schärft den Blick für die Chancen der Kunstkommunikation in diesem Feld. Zudem soll dargestellt werden, was diese beiden Partner von der Kooperation haben. Aktionsformen und Ziele: In einem zweiten Schritt werden mit dem Corporate Collecting, dem Sponsoring und dem Initiieren von Kunst drei grundsätzliche Aktionsformen des Umgangs von Unternehmen mit Kunst benannt und auf ihre Möglichkeiten hin befragt. Da das Gelingen von Kunstkommunikation wesentlich auch von klaren Kriterien für Ziele abhängt, werden mögliche Ziele aus der Sicht von Unternehmen in einem Katalog aufgelistet.
Folgende Merkmale rücken Kunst in die Nähe der Wirtschaft: Produktiv: Kunst ist produktiv. Dies steht sicher außer Frage. Das Kunstgeschehen konstituiert sich durch eine Abfolge fortlaufend entstehender neuer Werke. Künstler ist nur der, welcher neue Werke kreiert. Bloße Nachahmung zählt nicht. Das Schaffen neuer Werke kann allerdings auch darin bestehen, vorhandene Objekte in innovativer Weise zu verwen-
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den (vgl. Groys 1999: 20) und so neue Sichtweisen zu eröffnen. Damit ergibt sich unmittelbar die Nähe zur Ökonomie, die gleichfalls produziert, neue Objekte in die Welt setzt und meist auch veränderte Verwendungsweisen initiiert. Innovativ: Kunst ist innovativ – aber in vollem Sinn erst seit Beginn der Moderne. Davor hatte Kunst meist festgelegten Bildideen zu folgen (vgl. Held 2007: 195f.). Innovation gehört jedoch zu den zentralen Kennzeichen moderner Kunst. Innovation bezieht sich dabei auf Themen wie auf Methoden. Kunst hat den Umkreis ihrer Bildideen vor allem in der Moderne in einem zuvor ungekannten Maß ausgeweitet. Zudem hat sie sich immer neue Materialien und technische Verfahrensweisen erschlossen. Es gibt kaum noch Themen und Verfahren, die nicht kunstwürdig sein können. Damit ergibt sich ein weiterer, unmittelbarer Vergleichspunkt mit ökonomischem Handeln, das gleichfalls auf Innovation ausgerichtet ist. Auch in der Ökonomie bezieht sich Innovation gleichermaßen auf die Produkte wie auf Verfahren. Unternehmerisch: Künstler können kaum angestellt sein. Ihre Position ist der eines Unternehmers vergleichbar, der auf eigenes Risiko produziert und dann Abnehmer für seine Produkte finden muss. Entsprechend ergreift der Künstler von sich aus die Initiative, um sein Handeln in neue Richtungen zu lenken. Dabei schätzt er eigene Möglichkeiten ein, beobachtet mögliche Märkte, sucht Kontaktleute und Kooperationen und entwirft Szenarien für künftige Situationen. All dies macht auch der Unternehmer, der sich sein Arbeitsfeld fortwährend neu entwirft. Zum Bild unternehmerischen Handelns gehört, dass es sich eher weniger auf eingefahrene Routine stützt. Genau dies wäre auch das Ende des Künstlers, der jeden Rückfall in Routine mit dem Verlust seines Ranges und damit seines Marktwertes bezahlen müsste. Auf dieser Ebene sind die Bezüge zum Unternehmer deutlich sichtbar. Self-Made-Man: Eng mit dem Aspekt des Unternehmerischen verbunden ist das Bild des Self-Made-Man, das sich auch unter Künstlern findet. Der Künstler entwirft nicht nur Kunst – er entwirft auch immer wieder sich selbst, bis hin zu der extremen Option, seine eigene Person und das eigene Leben als Kunstwerk zu gestalten und so Person und Werk zur Deckung zu bringen. Das Bild vom Self-Made-Man entspricht nicht nur der Existenzform vieler Künstler, die sich wie Jeff Koons als „smarte Jungmanager“ (Luckow 2002: 36) darstellen. Immer wieder arbeiten Künstler auch ganz bewusst an diesem Bild, um den eigenen Stellenwert zu erhöhen oder sich in eine zentrale Position innerhalb der Kunstentwicklung zu bringen. Berühmte Beispiele für dieses Verhalten sind Ernst Ludwig Kirchner, der sich eine eigene Legende als führender Künstler der Künstlergruppe „Die Brücke“ schuf und dabei mit der historischen Wahrheit nicht immer genau umging und Kasimir Malewitsch, der eine ganze Reihe eigener Bilder vordatierte, um Einflüsse und Abhängigkeiten zu verdecken. Der Künstler schafft sich allein aus sich selbst heraus: Mit diesem klassischen Image des Self-Made-Man entspricht er den Selbstpositionierungen, die auch Wirtschaftsleute immer wieder vornehmen. Markenidentität: Mit den bereits genannten Aspekten verbindet sich eng der Gesichtspunkt der Markenidentität. Natürlich schaffen nicht alle Künstler eine solche Identität. Allerdings
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sorgen die meisten Künstler für eine ihre Werke verbindende Identität, die dafür sorgen soll, dass sich ihr Gesamtwerk aus der Menge künstlerischer Hervorbringungen heraushebt und über bestimmte Merkmale als eigenständiger Korpus erkennbar wird. Das sichert eine durchgehende Wahrnehmung und den entsprechenden Absatz an Kunstwerken. Wie in der Wirtschaft verbinden sich mit gewünschter Markenidentität auch Risiken. Identitäten neigen zu unproduktiver Erstarrung und gefährden dadurch potenziell den dauerhaften Erfolg einer Marke, die jedoch hinreichend konsistente Gestalt benötigt, um als solche überhaupt wahrnehmbar zu sein. Deshalb gehören zum künstlerischen wie zum unternehmerischen Handeln auch wohl kalkulierte Änderungen des Image, welche die Markenidentität neu definieren. Solche Erneuerungsschritte setzen jedoch eine hinreichend gefestigte Identität voraus und müssen zudem mit den Erwartungen von Adressaten und Marktbewegungen abgestimmt sein. In diesem Punkt handelt der Künstler jedoch wie ein Unternehmer – er schafft von Zeit zu Zeit neue Images, um sich besser als zuvor zu positionieren oder einem sich anbahnenden Verlust an Relevanz entgegen zu wirken. In diesen angeführten Punkten sind enge Verbindungen zwischen künstlerischem und unternehmerischem Handeln festzustellen. Das sichert der Kunstkommunikation der Wirtschaft nicht nur ein Fundament, es begründet auch ihr nachhaltiges Interesse an der Kunst. Allerdings gibt es auch einige Punkte, in denen künstlerisches und ökonomisches Verfahren voneinander abweichen. Hier stecken Potenziale gegenseitiger Irritation, die gerade bei der Konzeption kommunikativer Strategien und entsprechender Allianzen zwischen Kunst und Wirtschaft sorgfältig bedacht werden müssen. Demnach weicht die Kunst in folgenden Aspekten vom ökonomischen Handeln ab: Chaotisch: Verläufe in der Kunst sind oft im hohen Grad chaotisch. Kunst kann zwar im Nachhinein beschrieben, aber kaum in ihrem künftigen Verlauf prognostiziert werden. Künstler arbeiten sprunghaft und oft aus Antrieben heraus, die von außen nur schwer nachvollzogen werden können. Künstler widersetzen sich Regeln und Konventionen, nehmen nur selten Rücksicht. Ihre Arbeitsabläufe sind in hohem Maß selbst bestimmt und deshalb mit anderen Verläufen nur schwer zu koordinieren. Künstlerische Arbeit benötigt ihre ganz eigene Struktur. Darin liegen ihr Reiz und zugleich das Problem ihrer Anschlussfähigkeit, auf die gerade in der Ökonomie Wert gelegt werden muss. Regeln verletzend: Die Kehrseite künstlerischer Innovation ist die Verletzung von Regeln. Aus der Sicht der Kunst muss dieser Aspekt unbedingt positiv beurteilt werden. Für Bezugspersonen aus anderen Lebens- und Arbeitsbereichen liegt darin ein ernstes Problem. Denn sie benötigen Regeln, um Kooperation sinnvoll organisieren zu können. Der Künstler kann und darf darauf keine Rücksicht nehmen – solange es sich um seinen Schaffensprozess handelt. Meist gehört die sorgfältig geplante und inszenierte Verletzung von Regeln und Konventionen zum Bild des Künstlers, wie es die Moderne geprägt hat. Da das Publikum solche Grenzüberschreitungen von Künstlern erwartet, kann auch unterstellt werden, dass die Regelverletzung im Fall von Künstlern schon wieder regelkonform ist, sofern auf das gängige Image von Kunst und Künstlern Bezug genommen wird.
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Vergeudend: Künstler arbeiten meist viel und angestrengt, aber sie müssen nicht im Sinn ökonomischen Handelns effizient sein. Künstlerische Produktion besteht zu einem Teil sogar aus ausgesprochener Verschwendung. Denn sie kennt nicht immer stringente Zeitabläufe und sie weist einen Umgang mit Material und anderen Ressourcen auf, der den Maßstäben guten Wirtschaftens nicht entspricht. Aus der ganz eigenen Logik, die sich künstlerische Produktion selbst gibt, folgt unmittelbar, dass ihre Resultate nicht den Gesetzen ökonomischer Effektivität folgen. Künstler verschwenden Zeit, da sie Pausen einlegen, warten, immer neu probieren. Und sie verschwenden Produkte, weil sie fertige Arbeit, die ihren eigenen Kriterien nicht genügt, auch vernichten. Diese Momente der Irritation verhindern den Kontakt zwischen Kunst und Wirtschaft nicht, sondern scheinen die Faszination auf Seiten der Wirtschaft eher noch zu steigern. Denn die Kunst bietet der Wirtschaft zweierlei: Zum einen vielfältige Anknüpfungspunkte, die auf wenn nicht gleiche so doch wenigstens ähnliche Aufgaben, Probleme und Methoden verweisen, und zum anderen die faszinierende Aussicht auf eine Regelverletzung, die Verkrustungen aufbricht und neue Wege weist. Die Beschäftigung mit Kunst suspendiert wenigstens vorübergehend von einer Routine, die als überlebt erkannt ist und erlaubt den „dosierten Regelverstoß“ (Grasskamp 1998: 80). So ist es kein Wunder, das sich die Wirtschaft von der Kunst vor allem Kreativitätsschübe erwartet (vgl. Ullrich 2003: 117), die helfen sollen, Blockaden zu erkennen und zu überwinden. Doch nicht nur die Wirtschaft profitiert von der vorübergehenden Koalition mit der Kunst. Auch die Kunst kann aus dieser Zusammenarbeit Nutzen ziehen. Sinnvoll ist diese Konstellation jedoch nur, wenn darüber reflektiert wird, was Kunst und Wirtschaft jeweils davon haben – und wo jeweils das zentrale Risiko liegt. Für die Wirtschaft ergeben sich folgende Vorteile: Neue Bedeutungen erproben: Kunst eröffnet die Chance, in einer von Handlungszwängen des Alltags entlasteten Sphäre, neue Bedeutungen zu erproben. Denn Bedeutungen sind für Unternehmen meist festgelegt – durch Konventionen des Managements, der Betriebsabläufe, der Definition von Werten und Produkten. Das jeweilige „Set von Wertvorstellungen“ (Wagner 1999: 17), das sich in regelrechten „Weltbildern“ (Antal 1991: 11) von Unternehmen ausprägen kann, ist meist fest gefügt und widersteht Veränderungen, zumal es Orientierung und Halt im turbulenten Alltag bietet. Solche Stabilität behindert jedoch immer wieder kreative Entwicklung. Kunst kann helfen, weil ihre Werke das Feld der Bedeutungen in Fluss bringen. Kunstobjekte erlauben Interpretationen in mehrere Richtungen und weisen deshalb den Weg, Alternativen zu artikulieren und abzuwägen. So bietet Kunst in Unternehmen die Chance auf „kommunikative Unterstützung von Veränderungsprozessen“ (Silberer 2000: 97). Botschaften setzen: Auf das Abwägen unterschiedlicher Wege folgt die Festlegung auf bestimmte Themen und Botschaften, mit denen sich ein Unternehmen identifizieren will. Kunst kann wiederum helfen, weil Kunstwerke mit ihrer Anmutung bestimmte Themen und Botschaften auf sinnliche Weise transportieren. Dabei kann Kunst diese Aufgabe natürlich nicht allein übernehmen. Klassische Formen der Kommunikation und des Marketings sind nicht zu ersetzen. Der Einsatz von Kunst ergänzt jedoch diese Instrumente um ein Feld
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von großer assoziativer Kraft und sinnlicher Ausstrahlung. Vor allem mit der Wahl bestimmter Kunstwerke kann ein Unternehmen gewünschte Selbstbilder und Botschaften effektiv kommunizieren und zugleich glaubhaft machen. Mehr Prestige: Prestige gehört bereits zu den Merkmalen, welche die Wirkung von Kunst selbst auszeichnen. Unternehmen, die Kunst einsetzen, profitieren direkt von diesem Merkmal. Hier findet ein direkter Transfer statt. Dieses Prestige verdankt sich nicht nur der sinnlichen Anmutung der Kunst. Hinzu kommt auch die Aura des Geldes, die sich mit der Kunst verbindet. Wer Kunst kauft, kann Geld erübrigen – diese Botschaft steckt latent in der Beschäftigung von Unternehmen mit Kunstwerken. Denn Kunst macht in den letzten Jahren auch durch den hohen Einsatz von Geld von sich reden – ob bei Kunstauktionen, Käufen privater Sammler oder Neueröffnungen spektakulärer Museen. Zudem sorgt die Kunst für Prestige, weil sie eine Atmosphäre der Neugier und Aufgeschlossenheit vermittelt. Selbst die Irritationspotenziale, die sich vor allem mit zeitgenössischer Kunst auch immer verbinden (vgl. ebd.: 103), stützen die Prestigewirkung. Zeitgemäß sein: Zum Komplex des Prestiges gehört auch die Wirkung, das vor allem bildende Kunst als besonders zeitgemäße kulturelle Äußerungsform erscheint. Wer sich mit Kunst beschäftigt, muss demnach nah am Puls der Zeit sein – soweit die Unterstellung. Allerdings stützen zwei zentrale Gesichtspunkte diesen Ruf der Kunst. Dazu gehört zum einen die Eigenschaft der aktuellen Kunst, erfolgreich heterogene Schauplätze erobert und vielfältigste Medien eingesetzt zu haben. Der Eindruck einer gewissen Unübersichtlichkeit der zeitgenössischen Kunstszene (vgl. Fricke 1998) resultiert aus der Entgrenzung künstlerischer Positionen und Verfahrensweisen (vgl. Bonnet 2004: 144ff.). Zum anderen erweist sich die Kunst deshalb als idealer Auslöser für eine Vielzahl unterschiedlicher Rezeptions- und Reaktionsformen. Gerade die Renaissance einer ganzen Palette von gemischten Empfindungsformen, die sich an Kunst anschließen lassen (vgl. Liessmann 2004), belegt das rege Rezeptionsverhalten, das vor allem zeitgenössische Kunst auslöst. In dieser Pluralität von Empfindungen und Reizen gedeihen neue Moden und Trends besonders gut. Kunst ist deshalb zeitgemäß – und mit ihr das Unternehmen, das seine Kommunikation mit Kunst inszeniert. Abgrenzung: Dass Unternehmen auf Kunst zugehen, hat einen weiteren, guten Grund: Die Produkte von Unternehmen sind sich nicht nur immer ähnlicher geworden, immer mehr müssen Unternehmen auch dafür sorgen, dass sie ein genau definiertes Image aufweisen (vgl. Goodrow 2002: 78), um für Adressaten erkennbar zu bleiben. Dies betrifft vor allem die Unternehmen, deren Produkte oder Dienstleistungen kaum von denen anderer Anbieter unterschieden werden können. Deshalb ist es kein Zufall, dass vor allem Banken und Versicherungen intensiv Kommunikation mit Kunst betreiben. Voll im Trend liegen auch Hotels, die ihre Räume mit Kunstwerken ausstatten, um ihren Gästen ein besonderes Erlebnis zu bieten und sich so von der Konkurrenz abzugrenzen. Kunst liefert wie alle Kultur genau die Differenzen (vgl. Rossbroich 1999: 147), die über das Unternehmen allein nicht mehr ausreichend hergestellt werden können. Die Wahl einer bestimmten Kunst erzeugt nicht nur öf-
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fentliche Aufmerksamkeit, sondern gibt auch ein Image, das sich in der öffentlichen Wahrnehmung auf das gesamte Unternehmen überträgt. Neue Zielgruppen: Mit Kunst grenzt man sich ab, mit Kunst weitet man aber auch den eigenen Horizont. Für Unternehmen besonders interessant: Kunst hilft, bislang entfernte Adressaten- und Zielgruppen ansprechen zu können. Denn Kunst verhilft zu Kontakten in entfernte kulturelle Milieus, weil sie Wahrnehmung auslöst und Kommunikation ermöglicht, ohne bislang bestehende Differenzen oder gar Konflikte direkt ansprechen zu müssen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Kommunikation mit Kunst glaubhaft erscheint und nicht als oberflächlich und instrumentell wahrgenommen wird. Richtig eingesetzt ist Kunst jedoch in der Lage, Kommunikationen über Grenzen hinweg zu initiieren. Der Kunst wird dabei sogar zugetraut, „interkulturelle Dialogfähigkeit“ (Weiss 1999: 172) zu fördern, auf die Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung angewiesen sind. Risikofaktor Skandal: Neben den vielen Möglichkeiten, die der Einsatz von Kunst eröffnet, muss aus der Sicht von Unternehmen jedoch ein zentraler Risikofaktor einkalkuliert werden – der des möglichen Skandals. Anders gesagt: Kunst und ihre Rezeption lösen auch starke Irritationen und Friktionen aus, die kommunikativen Absichten zuwider laufen können. Nicht jedes Unternehmen hat die Möglichkeit – und die Absicht – den durch Kunst verursachten Skandal in die eigene Strategie einzufügen. Dies setzt nicht nur hohe Konfliktbereitschaft voraus (vgl. Gerken 1990: 38), sondern auch einen entsprechenden Sachverstand. Zudem sind derartige Konflikte nur in bestimmten Branchen als produktive Elemente von Kommunikation sinnvoll, etwa in der Werbe- oder Modebranche. Die Skandale, die der Modehersteller Benneton für die eigene Strategie nutzte, können als exemplarisches Beispiel angeführt werden (vgl. Ammann 1999: 44). Diese Liste zeigt die vielfältigen Vorteile, die sich für Unternehmen mit dem Einsatz von Kunst ergeben. Dem steht eine ganze Reihe von Vorteilen auf der Seite der Kunst gegenüber. Zum Teil entsprechen sich diese Punkte. Kunst profitiert von Unternehmen und überhaupt von dem Kontakt mit Wirtschaft in folgenden Punkten: Geld: Das wichtigste Motiv für den Kontakt der Kunst mit der Wirtschaft ist ganz einfach das Geld. Im Zeitalter reduzierter öffentlicher Kulturetats wird das Geld der Wirtschaft für die Kunst immer wichtiger – besonders deshalb, weil kaum noch Kunst aus Mitteln der öffentlichen Hand angekauft werden kann. Seitdem Unternehmen die Kunst als wichtigen Partner erkannt haben, sind neue Felder des Engagements für Kunst expandiert. In erheblichem Maß tätigen jetzt die Sammlungen der Firmen Kunstankäufe. Vor allem Banken und Versicherungen haben zum Teil umfängliche Kollektionen angelegt. Zudem ermöglichen es Unternehmen, ortsgebundene Kunstprojekte zu finanzieren. Künstler können mit Geldern rechnen, die Honorare abdecken und viele Projekte überhaupt erst finanzierbar erscheinen lassen. Lobby: Geld ist die materielle, Lobbyarbeit die immaterielle Unterstützung. Komplementär zur Erschließung einer neuen Geldquelle haben Künstler in Unternehmern und Managern
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auch eine Lobby gewonnen, die sich für ihre Belange einsetzt oder zumindest interessiert. Besonders einflussreich agiert diese Lobby dann, wenn das Kunstengagement eines Unternehmens auf ranghohe Vertreter zurückgeht, die sich mit Kunst aus Leidenschaft beschäftigen. Dieser Personenkreis stellt auch immer wieder Mäzene und Stifter, die sich gleichfalls für Museen engagieren. Es muss allerdings gefragt werden, inwieweit dieser Typ von Kunstunterstützern bereits von der Zeit überholt worden ist. Eine jüngere Generation von Managern schaut wieder mehr auf die harten Fakten, sprich auf die Rendite. Da erscheinen weiche Faktoren des Managements, wie sie seit den achtziger Jahren an Bedeutung gewonnen hatten (vgl. Lippert 1990: 17), in den Hintergrund zu rücken. Kunst und das damit verbundene Engagement initiierten die „nichtmonetären Erfolgsfaktoren“ (Hentschel 2002: 116), die in der letzten Zeit weniger geschätzt zu sein scheinen. Ob sich dies auch auf das Engagement der Unternehmen für die Kunst auswirkt und so zu einer Reduktion der für Kunst eingesetzten Budgets führt, muss sich noch zeigen. Neue Orte: Kunst gehört in Museen. Das trifft sicher zu. Aber Kunst entfaltet ihre Wirkung auch an öffentlichen Orten; manchmal ergibt sich diese Wirkung sogar aus dem ausdrücklichen Kontrast zwischen der Kunst und dem Ort, an dem sie inszeniert wird. Unternehmen bieten auch interessante Orte für die Kunst. Sie trifft dabei auf beides – auf konventionelle Präsentation und auf ungewohnte Schauplätze (vgl. Wagner 1999). Kunst ziert in Unternehmen Foyers ebenso wie Sitzungszimmer, findet sich in Büros oder Kantinen (vgl. Silberer 2000). Die Reaktionen wechseln entsprechend. Kunst wird entweder als repräsentativer Schmuck geschätzt oder als Ärgernis kontrovers debattiert. Auf jeden Fall intervenieren Kunstwerke in Umgebungen, die nicht für die Rezeption von Kunst vorgesehen sind. Jenseits einer ästhetischen Erfahrung, die sich vor allem selbst thematisiert, gerät Kunst mit den Orten in Unternehmen auch in neue pragmatische Zusammenhänge. Das eröffnet ihr neue Möglichkeiten der Rezeption und entsprechender Wirkung. Neues Publikum: Indem Kunst in Unternehmen neue, ungewohnte Orte besetzt, erreicht sie auch neue Publikumsschichten. Insofern realisiert sich für die Kunst ein Effekt, von dem umgekehrt auch die Unternehmen profitieren – beide erschließen sich Adressatengruppen, die sie bislang nur in unzureichendem Maß ansprechen konnten. Für die Kunst sind diese Publikumsschichten besonders wichtig, weil es sich dabei meist um so genannte „Entscheider“ mit gutem Verdienst handelt. Diese Personen kommen selbst als potentielle Käufer von Kunst in Frage wie auch als Unterstützer von Museen und Kunstvereinen etwa als Mitglieder von Fördervereinen. Von diesem Personenkreis aus reichen die Kontakte wiederum zu politischen und administrativen Entscheidern, die über Etats für Kultur bestimmen oder für Kunstprojekte gewonnen werden müssen. Kunst erschließt sich somit ein wichtiges Reservoir an Unterstützern außerhalb einer direkt von ihr beschickten Szene aus Kuratoren, Galeristen und Kritikern. Gesellschaftliche Relevanz: Nicht zu unterschätzen ist auch die neue Relevanz, die Kunst im Umkreis der Wirtschaft gewinnt. Zwar kann der Einsatz von Kunst in Unternehmen vielfach unter dem Vorzeichen einer unzulässigen Instrumentalisierung kritisiert werden. Zunächst kann die Kunst jedoch das Interesse der Wirtschaft an ihren Hervorbringungen als
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Anerkennung und damit als Zeichen zunehmender Akzeptanz (vgl. Ammann 1999: 43) verbuchen. Der Kunst wird zugetraut, als „Entwicklungsabteilung von Gesellschaften“ (Rossbroich 1999: 147) Blockaden zu beseitigen und Reformprozesse in Gang zu setzen. Kunst stellt „ein Reservoir an Kreativität und Problemlösungsverfahren“ (Held 2007: 55) bereit. Damit ist eine neue soziale und gesellschaftliche Relevanz gegeben, die in Zeiten des ungebrochenen Autonomiepostulats nicht zugelassen wurde. Allerdings kann es für Kunst keine Alternative sein, sich in eine neue Instrumentalisierung zu fügen. Stattdessen muss sie sich der Herausforderung stellen, soziale Funktion auszufüllen und doch immer wieder als unabhängige Instanz sichtbar zu bleiben (vgl. Henckmann 2004: 45). Insbesondere wird es für die Kunst darauf ankommen, nicht in einem erneuerten Bedürfnis nach bloßer Repräsentation aufzugehen, sondern als Ideengeber für ökonomische und soziale Prozesse interessant zu bleiben. Von der unersetzlich anregenden Rolle der Kunst in diesen Kontexten handelt letzten Endes das in diesem Buch entwickelte Konzept der Kunstkommunikation. Risikofaktor Instrumentalisierung: Ebenso wie die Wirtschaft muss auch die Kunst auf einen zentralen Risikofaktor bei Kooperationen mit der Ökonomie achten. Sie geht das Risiko der Instrumentalisierung ein, läuft Gefahr, anderen Zwecken untergeordnet zu werden. Dabei gehört zur Kunst, dass sie ausschließlich nach eigenen Gesetzen operiert. Sie bezieht ihre kulturelle Faszination und soziale Anregungskraft vor allem dadurch, dass sie sich unabhängig macht von veräußerlichten Funktions- und Verwertungszusammenhängen. Dies ist jedoch in der Konfrontation mit den Wünschen von Unternehmen nicht immer durchzuhalten. Manche Firmen, die sich mit Kunst beschäftigen, lassen nur Werke zu, die sich als illustrative Dreingabe in eine Kommunikationsstrategie fügen oder von vornherein daraufhin befragt werden, ob sie unerwünschte Irritationen auslösen könnten. Dies beseitigt den Anregungscharakter von Kunst. Aufgeschlossene Unternehmer und Manager respektieren dagegen den Eigenwert der Kunst und versuchen gerade im Gegenteil, das damit verbundene Potenzial für ihre Zwecke sinnvoll zu nutzen. Der Umgang mit dem Risikofaktor Instrumentalisierung stellt eine der wichtigsten Herausforderungen beim Management von Kunstkommunikation dar.
10.2 Einsatz von Kunst: Aktionsformen und Ziele 10.2 Einsatz von Kunst: Aktionsformen und Ziele Nachdem jetzt beschrieben ist, nach welchen Aspekten Koalitionen von Wirtschaft und Kunst betrachtet werden müssen, geht es nun darum, über Aktionsformen und Ziele des Einsatzes von Kunst im Kontext der Wirtschaft zu reden. Ausgehend von den eben entwickelten Reflexionen helfen die genauen Zuordnungen von Aktionsformen und Zielen, das Engagement von Unternehmen für Kunst einzuordnen oder überhaupt erst sinnvoll zu entwerfen. Bei den Aktionsformen werden hier grundsätzlich das Sponsoring, das Sammeln und das Initiieren von Kunstprojekten unterschieden. Natürlich können diese Formen auch in Kom-
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bination auftreten, sofern nicht ohnehin Überschneidungen in der Praxis immer wieder auftreten. Das Sponsoring bezeichnet, wie bekannt, die „Unterstützung von Einrichtungen oder Personen im (...) kulturellen Bereich durch Finanz- und Sachmittel eines Unternehmens“ (Heinrichs/Klein 2001: 352). Dabei zeichnet sich das Sponsoring vor allem als Geschäft auf Gegenseitigkeit aus (vgl. Heinze 2004: 24), bei dem ein Unternehmen die Realisierung von Kunst mit Geld, Sachmitteln oder Dienstleistungen unterstützt, um einen positiven Imagetransfer zu erreichen. Meist wird die Zusammenarbeit zwischen Sponsor und Kultureinrichtung vertraglich geregelt, um Leistung und Gegenleistung genau zu bestimmen. Beim Sponsoring unterstützt ein Unternehmen Kultur, um bestimmte Ziele der eigenen Kommunikationsstrategie zu erreichen. Dazu zählen vor allem ein positiver Imagetransfer, Erhöhung des Bekanntheitsgrades, Kundenbindung und Mitarbeitermotivation (vgl. Heinze 1999: 50, Bortoluzzi Dubach 2004: 330), um nur die gängigsten Zielsetzungen aufzuführen. Der Sponsor wird für seinen Einsatz ein Konzept aufstellen (vgl. Bortoluzzi Dubach 2004: 340f), aus denen dann konkrete Maßnahmen folgen (vgl. Heinze 1999: 59ff). Grundlage dieser Kataloge, die hier nicht im Einzelnen erläutert werden sollen, sind die Identifizierung der gewünschten Adressatengruppen und die Bestimmung von Kommunikationszielen. Kunst und Kultur stellen sich als Übermittler der Firmenbotschaft zur Verfügung. Sie publizieren das Logo der Firma, laden deren Vertreter zu Kontakten mit Medien, ermöglichen Einladungen der Firma an die Orte der Kultur und dergleichen mehr. Kennzeichen dieses Engagements für die Kunst bleibt, das Unternehmen eine Leistung einkaufen, die andere erstellt haben. Das Unternehmen gestaltet das entsprechende Kultur- und Kunstangebot nicht selbst. Außerdem wird die Kunst in der Regel nicht im Unternehmen inszeniert, sondern an einem anderen Ort. Der Sponsor operiert auf einem anderen als dem eigenen Terrain. Das ist genauso gewollt, da sich gerade mit dem Ortswechsel bestimmte kommunikative Möglichkeiten des Imagetransfers ergeben. Zugleich gibt das Unternehmen aber auch Möglichkeiten aus der Hand, selbst Regie zu führen. Dies ändert sich grundlegend bei dem Aufbau einer eigenen Sammlung. Ob Manager damit gleich zu den „neuen Medici“ (Lippert 1990) aufsteigen, darf bezweifelt werden. Die euphorische Formulierung gibt jedoch einen Hinweis auf den starken Boom, den diese Form des Engagements von Unternehmen für die Kunst erlebt hat. Dabei muss auch das Aufkommen der Firmensammlungen, das insbesondere seit den achtziger Jahren zugenommen hat, als Instrument der Firmenkommunikation gesehen werden, das dazu dient, das Image des Unternehmens langfristig zu verbessern (vgl. Goodrow 2002: 78). Der Elektronikkonzern IBM war Vorreiter bei dem Aufbau von Firmensammlungen (vgl. Hentschel 2002: 112), gab aber auch ein unrühmliches Vorbild dadurch ab, das er seine Kollektion 1994 wieder veräußerte (vgl. Silberer 2000: 18). Vor allem Banken und Versicherungen verfügen heute über umfangreiche Sammlungen, die meist nach mehreren Kriterien strukturiert sind: Die Sammlungen haben meist einen inhaltlichen Schwerpunkt nach Kunstgattung, Künstlernamen, Medien und regionaler Orientierung. Meist werden die Sammlungen von eigenen Kuratoren betreut; beim Kauf werden Art Consultants als Berater herangezogen. Der Bestand wird überwiegend in den Firmenräumen präsentiert. Prominentestes Beispiel dafür ist die Kol-
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lektion der Deutschen Bank, mit der die Geschosse vor allem der Zentrale des Kreditinstituts in Frankfurt am Main ausgestaltet sind (vgl. ebd.: 68ff.). An die eigene Kunstsammlung hängen Unternehmen eine Fülle von Aktivitäten. Von der Artothek über Führungen, Seminare oder gar Fortbildungen als „Art-Based-Training“ (vgl. Hentschel 2002: 120): Kunstsammlungen entfalten vielfältige Wirkungen nach innen und außen. Mit einer Kunstkollektion wird das Unternehmen selbst aktiv. Es übernimmt die Verantwortung für eigene Kaufentscheidungen, gestaltet Positionierungen der Kunstwerke, tritt mit Besuchern und Mitarbeitern in einen Dialog über die gesammelte Kunst ein. Sammlungen eignen sich nur als Teil einer langfristigen Strategie. Sie entfalten dabei ihre Stärken, haben als ständig präsente Gestaltung jedoch den Nachteil, dass sie in einem Unternehmen auch zu einer Gewohnheit werden können. Als dritte grundsätzliche Variante des Engagements von Unternehmen für Kunst bleibt schließlich das Initiieren von Kunstprojekten. Diese Form des Engagements ist die anspruchsvollste Variante, die jedoch besondere Chancen im Bereich der kommunikativen Leistungsfähigkeit verspricht. Im Gegensatz zum Sponsoring wird die Verantwortung für das Kunstprojekt nicht an externe Veranstalter abgegeben. Das Unternehmen muss selbst die Initiative ergreifen und insbesondere in den Sachverstand von Experten investieren, die das jeweilige Kunstangebot erstellen. Das Merkmal der eigenen Verantwortung teilt das Initiieren mit der Firmensammlung. Im Gegensatz zur Sammlung erlaubt diese dritte Variante des Kunstengagements jedoch einen temporären Einsatz und eröffnet damit den Vorzug, einzelne Ereignisse zu inszenieren, die jeweils für sich eine erhöhte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen können. Wer Kunst initiiert, gibt in der Regel einen Auftrag. Dabei gibt es denkbar viele Formen. Ob das klassische Tafelbild, eine Skulptur für den Außenraum, Malerei auf der Wand einer Kantine oder eines Sitzungssaales, Rauminstallationen oder schließlich Publikationen oder Projekte in Museen und Galerien – das Initiieren von Kunst kann sich in vielen konkreten Formen manifestieren. Dabei wird der Aufwand für das Management stets hoch sein. Die Firma trägt eine besonders hohe Verantwortung für die einzelnen Entscheidungen. Dem steht ein besonderer Vorteil gegenüber. Wer Kunstprojekte initiiert, kann nicht nur für seine Kunstkommunikation besondere Glaubwürdigkeit und Seriosität in Anspruch nehmen, sondern eröffnet sich auch die Chance, mit der Kunst Trends zu setzen. Dies ist in allen Branchen, die mit Mode, Design und Gestaltung im weiteren Sinn beschäftigt sind, von besonderem Nutzen. Neben diesen drei Aktionsformen des Kunstengagements ist eine ganze Reihe von Zielen zu unterscheiden, die mit dem Einsatz von Kunst erreicht oder zumindest befördert werden können. Dazu gehören: Corporate Identity: Mit Kunst kann die Selbstdarstellung eines Unternehmens wirksam unterstützt werden. Kunst hilft, das stimmige Miteinander von „Erscheinung, Wort und Taten eines Unternehmens“ (Heinrichs/Klein 2001: 62) zu erzeugen und diesem Einklang eine sinnlich fassbare Gestalt zu geben, die sich im Corporate Design manifestiert. Kunst führt auch bei der Corporate Identity eines Unternehmens zu einem positiven Imagetransfer (vgl. Weiss 1999: 164).
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Mitarbeiter motivieren: Der Kunst in Unternehmen wird immer wieder die Kraft zugeschrieben, Mitarbeiter zu motivieren. Dabei dürfen zunächst nicht die Konfliktpotenziale unterschätzt werden, die mit dem Einsatz von Kunst in Unternehmen ergeben. Vor allem aktuelle Kunst eckt an, stößt auf Unverständnis. Dagegen steht die Tatsache, dass Kunst Räume aufwertet, ein Gefühl allgemeiner Wertschätzung verbreitet. Zudem sorgen die Debatten über Kunstwerke in Büros und Fluren für verbesserte Kommunikation – ein Effekt, der sich auch in anderen Bereichen der Arbeit auszahlt. Kreativität fördern: Wenn von Kunst in Unternehmen die Rede ist, fällt immer wieder das Wort Kreativität (vgl. Wagner 1999: 23). Der Einsatz von Kunst in Unternehmen soll die Kreativität befördern und damit positive Effekte für die tägliche Arbeit bewirken. Hintergrund dieser Erwartung ist eine Unternehmenskultur, die nicht mehr auf starre, sondern auf flache Hierarchien setzt und damit an jeden einzelnen Mitarbeiter die Anforderung stellt, Probleme eigenständig zu analysieren und zu lösen. Allerdings wird die bloße Präsenz von Kunst einen solchen allgemeinen Kreativitätstransfer kaum bewerkstelligen können. Dazu bedarf es einer dezidierten Vermittlungsarbeit, die sich an die Kunst anschließt, etwa in Gestalt von Führungen oder Seminaren. Aber auch dann werden die Effekte der Kunst im Bezug auf Kreativität nur schwer zu verifizieren sein. Umbauprozesse fördern: Die Erwartung der Kreativität, die bei dem einzelnen Mitarbeiter gefördert werden soll, richtet sich auch auf das ganze Unternehmen. „Kunst ist (...) zur Orientierungshilfe in Zeiten unternehmerischen Umbruchs geworden“ (Silberer 2000: 37). Wie Kunst allerdings diese Orientierung leisten kann, wird nicht in jedem Fall klar. Denn Kunst transportiert, wie wir weiter oben gesehen hatten, keine einfach lesbaren Botschaften. Also kann die angesprochene Wirkung nur vermittelt auftreten. Die Beschäftigung mit Kunst macht zunächst klar, dass „Kulturen keine unverrückbaren Naturereignisse sind, sondern von Menschen gemacht sind und dynamische Veränderungsprozesse durchlaufen“ (Antal 1991: 12). Wer auf die Kunst und ihre Veränderungen schaut, wird auch der Formbarkeit einer Unternehmenskultur inne. Kunst liefert den Testlauf für eine Haltung, die bereit ist, produktive Konflikte auszuhalten und für die eigene Entwicklung zu nutzen. Dazu bedarf es allerdings einer Kunst, die nicht aus klassisch gewordenen Positionen besteht, sondern einer Kunst, die als aktuelle Kunst auch die zeitgenössischen Konflikte und Reibungen aufnimmt (vgl. Gerken 1990: 43). Für die Umbauprozesse in einem Unternehmen kann von der Kunst nicht in der Form eines direkten Transfers von Botschaften, sondern nur insofern gelernt werden, als die Debatte über Kunst auch das kontroverse und produktive Gespräch über die eigene Unternehmenskultur anstößt und mit Themen versorgt. Neue Produkte finden: Mit dem Thema der Umbauprozesse ist die Frage nach neuen Produkten eng verbunden. Meist gehen beide Themen miteinander einher. Neue Produkte können auch durch den Einsatz von Entwicklern oder Marktforschern gefunden werden. Die Rolle der Kunst kann allerdings darin bestehen, radikale Wechsel der Blickrichtung herbeizuführen und grundsätzlich neue Ideen zuzulassen. Bei diesen Ideen kommt es besonders darauf an, dass sie im Medium der Kunst als zunächst praktisch nicht verwendbar erscheinen und gerade deshalb hohe kreative Kraft entfalten können. Denn gerade in der
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Kunst und Kultur bilden sich neue Trends und Moden besonders früh ab (vgl. Rossbroich 1999: 152). Kunst zeigt, was möglich wäre, und bietet mit definierten Gestaltungen besonders hohe Anreize, auch im Bereich definierter Produktentwicklung Fortschritte zu machen. Zielgruppen erreichen: Bei der Frage nach den Vorteilen von Koalitionen von Kunst und Wirtschaft tauchte bei beiden Partnern ein Gesichtspunkt in identischer Form auf: der Aspekt der Zielgruppen. Wer mit Kunst umgeht, erreicht auch eine spezifische Zielgruppe, die vielleicht vorher in der Form nicht erreichbar gewesen wäre. Unternehmen bietet sich die Chance, mit Hilfe der Kunst, vertraute Zielgruppen fester an sich zu binden und neue Zielgruppen zu erreichen. Diese Zielgruppen können sich vor allem aus Menschen zusammensetzen, die einem Unternehmen vorher eher skeptisch gegenüber standen. Kunst erleichtert nun den Kontakt, weil sie über Bedenken hinweg hilft und Kommunikationsbarrieren beseitigt. Allerdings kann dieser Effekt nur eintreten, wenn der Umgang mit Kunst glaubwürdig erscheint. Oberflächliche oder zeitlich begrenzte Engagements für die Kunst sorgen in diesem heiklen Bereich eher für gegenteilige Wirkungen.
11 Fallbeispiel 2: Firma Dornbracht, Kunstsponsoring und Badkultur 11 Fallbeispiel 2: Firma Dornbracht, Kunstsponsoring und Badkultur
Kunst und Wirtschaft verbindet Faszination und der Aussicht auf gemeinsam zu erreichende Erfolge. Wie wir eben gesehen haben, birgt diese strategische Allianz aber auch Unvereinbarkeiten. Die Folge: Das Engagement für die Kunst erfordert eine gründliche Reflexion und einen Entschluss, der zu einer wirklichen Bindung führt. Von der Qualität strategischer Planung hängt der Nutzen ab, den ein Unternehmen aus der Kommunikation mit Kunst gewinnen kann. Zugleich muss erhebliche Toleranz für die Friktionen aufgebracht werden, die sich unweigerlich einstellen werden. Im zweiten Fallbeispiel geht es um ein Industrieunternehmen, das genau diesen Mut für ein langfristiges Kunstengagement aufgebracht hat und heute als profilierter Vertreter des Kultursponsorings gelten kann. Wie wir noch sehen werden, beschränkt sich die Arbeit dabei jedoch nicht auf das traditionelle Sponsoring. In diesem Kontext kann die Kunstkommunikation der Firma Aloys F. Dornbracht GmbH & Co. KG in Iserlohn als besonders gelungenes und instruktives Beispiel einer Kunstkommunikation im Bereich der Wirtschaft analysiert werden. Dieses Unternehmen erfüllt bei dem Umgang mit Kunst zentrale Anforderungen, die an einen solchen Prozess gestellt werden müssen. Das Engagement des Unternehmens ist konzeptionell durchdacht, langfristig angelegt und von Respekt gegenüber der Kunst geprägt. Vor allem kann anhand dieses Fallbeispiels gezeigt werden, dass es vor allem bei Wirtschaftsunternehmen darauf ankommt, Ziele und Zwecke einer Kommunikation mit Kunst abzuklären. Das Beispiel soll in mehreren Schritten analysiert werden:
Die Firma Dornbracht: Zunächst wird die Iserlohner Firma Dornbracht kurz vorgestellt. Dabei geht es vor allem um die Frage nach den Motiven für die Unterstützung von Kunst. Der Blick auf eine bestimmte Phase der Unternehmensentwicklung und konkreter Probleme bei der Markt- und Produktentwicklung macht den Ansatzpunkt für Kunstkommunikation in diesem Fall einsichtig. „Statements“: Mit den „Statements“ wird schließlich ein zentrales Instrument der Kunstkommunikation von Dornbracht vorgestellt. Vier Ausgaben der „Statements“ sollen kurz beschrieben und analysiert werden, um deutlich zu machen, wo Chancen und Grenzen dieser Form der Kommunikation liegen. Dabei wird es auch um die Frage gehen, wie die „Statements“ im Lauf der Jahre entwickelt und verbessert wurden. Ablauf der Kunstkommunikation: Analog zu dem Kapitel über Osnabrück und Felix Nussbaum soll auch bei der Firma Dornbracht der Ablauf der Kunstkommunikation in seinen einzelnen Schritten dargestellt und kritisch analysiert werden. Dabei werden sich signifikante Unterschiede zu der in der Kommune Osnabrück gewählten Vorgehensweise ergeben. Diese Analyse wird nicht nur die Leistungsfähigkeit des in diesem Buch vorgestellten Schemas erneut zeigen, sondern auch deutlich machen, dass mit
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dem Durchgang durch dessen einzelne Schritte auch eine Planung von Kunstkommunikation sinnvoll unterstützt werden kann.
Statements 1, Photo: J. Teller, Copyright: Dornbracht
11.1 Der Ansatz: Die Firma Dornbracht und die Kunst 11.1 Der Ansatz: Die Firma Dornbracht und die Kunst Dabei schien die Aloys F. Dornbracht GmbH & Co. KG nicht für Kultursponsoring und Kunstkommunikation prädestiniert zu sein. Das Unternehmen liegt mit seinem Sitz in Iserlohn abseits großer Metropolen und Kunstzentren. Mit derzeit rund 570 Mitarbeitern zählt das Unternehmen zur mittelständischen Wirtschaft. Es erreicht bei weitem nicht die Größe der Konzerne, die ansonsten durch Sponsoring oder eigene Kunstsammlungen hervortreten. Schließlich wirft auch die Frage nach den Produkten des Unternehmens Fragen in Bezug auf Kunst auf. Was haben Badarmaturen mit Kunst zu tun? Genau aus diesem Bezug heraus entwickelte das Unternehmen jedoch eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie. Mehr noch: Dornbracht machte Kunstkommunikation auch zur zentralen Schaltstelle der Selbstverständigung über das Leitbild von Unternehmen und Produktlinie. Das Unternehmen wurde 1950 in Iserlohn gegründet. Mit zunächst wenigen Mitarbeitern wurde die Herstellung von Badarmaturen aufgenommen. Heute hat sich das Unter-
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nehmen als Hersteller von Armaturen mit herausragender Designqualität international positioniert. Dabei kam das Engagement für die Kunst erst spät ins Spiel. 1996 begann das Unternehmen, sich für Kunst zu engagieren und mit Kunst zu kommunizieren. Hintergrund war der Ablauf der Unternehmensgeschichte, der von der heutigen Firmenleitung in mehrere, jeweils 15 Jahre dauernde Abschnitte unterteilt wird (vgl. Dornbracht 2007). Leitendes Kriterium für diese Unterteilung sind grundlegende Veränderungen in der Produktphilosophie. Diese Schritte waren:
Raum: Bis Mitte der sechziger Jahre stand danach bei der Frage nach dem Bad das Kriterium des Raumes im Mittelpunkt. Leitend war das Bedürfnis, überhaupt über ein Bad zu verfügen. Das Unternehmen sah sein Ziel darin, ein grundlegendes Bedürfnis erfüllen zu helfen. Technik: In der zweiten Phase standen Fragen nach der Technik der Armaturen im Vordergrund. Nach der Erfüllung grundlegender Bedürfnisse ging es darum, die angebotenen Armaturen technisch zu vervollkommnen. Die Zeit der späten sechziger und der siebziger Jahre stand danach im Zeichen technischer Entwicklung und ständig verbesserter Funktionalität. Design: Nachdem die Möglichkeiten der technischen Optimierung des Produkts ausgeschöpft waren, trat die Frage nach dem Design in den Vordergrund. Die achtziger Jahre wurden von dem Thema schöne Gestaltung beherrscht. Ritual: Seit Mitte der neunziger Jahre scheint dieses Thema jedoch ausgeschöpft zu sein. Nun wurde nach Wegen gesucht, ein Thema für die eigenen Produkte zu finden, das über das gute Design hinausweist. Die Firma Dornbracht fand es im Stichwort „Ritual“ und mit Hilfe der Anregungspotenziale, die Kunst anzubieten hat.
Dieser knappe Überblick verweist nicht nur auf eine unternehmerische Erfolgsgeschichte, sondern auch auf einen Entwicklungsverlauf, der mit den Zyklen von wirtschaftlicher Entwicklung und Zeitgeist exakt synchronisiert ist. Danach standen wenige Jahre nach Kriegsende Fragen der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung im Mittelpunkt. Vor allem in den sechziger Jahren definierten sich Formen des sozialen Status nach dem Grad der Ausstattung eines Haushaltes mit komfortablen Räumlichkeiten und Geräten. Es dominierte der Materialismus der Jahre des Wirtschaftswunders. Unmittelbar anschließend fügt sich das Thema der technischen Vervollkommnung in den Zeitgeist der siebziger Jahre. In einem Klima allgemeiner Planungseuphorie ging es um technische Perfektion und Funktionalität. Pünktlich zu Beginn der achtziger Jahre tritt das Thema Design in Erscheinung. Mitten in der aufkommenden Postmoderne wird nun vor allem nach gestalterischer Qualität gefragt. Dies korreliert mit einer Atmosphäre gesteigerter Suche nach Erlebnisse in einer Zeit, in der die materiellen Bedürfnisse bereits im Übermaß erfüllt sind. Design befriedigt sekundäre Bedürfnisse nach Schönheit und Erlebnis. Wie bekannt haben sich diese Orientierungen der Postmoderne inzwischen wieder überlebt. Ihr folgt eine Ära der Sinnsuche, nach einem Selbstentwurf des Menschen, der über Kriterien hedonistischer Erlebnisorientierung (vgl. Schulze 2000) hinausführt. Das Stichwort „Ritual“ (vgl. Nünning 2001: 558f.) führt mitten in die Frage nach einer erneuerten Lebensorientierung nach der Ära eines zunehmend oberflächlich gewordenen Genusses.
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Es ist ausgesprochen interessant, dass die Firma Dornbracht ihr Engagement für die Kunst nicht mit der Postmoderne beginnt. Demnach folgte sie nicht dem Trend, mit Kunst die hübschen Oberflächen der Postmoderne zu inszenieren, sondern suchte mit der Kunst nach den „fiktionalen, emotionellen, sensuellen und ikonischen Werten“ (Welsch 1993: 216) für eine Zeit nach dem Konsum. Damit schloss sich das Unternehmen nicht dem allgemeinen Trend der Wirtschaft an, bereits in den achtziger Jahren auf die Kunst zu setzen. Stattdessen nahm Dornbracht erst zu einem Zeitpunkt Kontakt mit der Welt der Kunst auf, als gravierende Probleme in der eigenen Firmenphilosophie und Produktentwicklung zu lösen waren. Das Unternehmen startet demnach in das Abenteuer Kunst von einem vertieften Problembewusstsein aus. Dabei geht jedes Kunstengagement eines Unternehmens von einer Sinnkrise aus. Da die Beschäftigung mit Kunst und Kultur in der Regel nicht zu den Aufgaben eines Industrieoder Dienstleistungsunternehmens gehört, bedarf es anderer Begründungen für einen solchen Schritt. Dieser Grund liegt in Blockaden der eigenen Entwicklung, die offenbar nicht mit den gegebenen Methoden des Managements aufgelöst werden können, sondern externe Hilfe erfordern. Sinnkrisen entstehen durch einen schleppenden Umbau der eigenen Organisation, veraltete Produktlinien oder lückenhafte Verankerung im gesellschaftlichen Umfeld. Wie eben gezeigt wurde, kann ein Unternehmen bei diesen Fragen von einem Engagement für die Kunst profitieren. Das Iserlohner Unternehmen geht einen ähnlichen Weg. Dabei sind die Gründe durchaus schwerwiegend. Das Unternehmen sucht nach neuen Produkten, damit nach Abgrenzung von Konkurrenten und der Entwicklung von Alleinstellungsmerkmalen auf einem umkämpften Markt. Da die Auswege in Richtung einer weiteren technischen Perfektionierung und einer drastischen Kostensenkung nicht beschritten werden konnten, kam vor allem in Betracht, das Unternehmen als alleinigen Anbieter eines exquisiten Designs und einer besonderen „Philosophie“ des Baderlebnisses zu positionieren (vgl. Ramge 2005: 89). Der Einsatz von Kunst hatte dabei eine mehr als nur kosmetische Funktion. Der Kunst wurde zugetraut, in diesem Prozess als zentraler Ideengeber produktiv zu wirken und damit relevante Parameter der Unternehmensentwicklung positiv zu beeinflussen. Das Beispiel macht deshalb deutlich, dass in Kunstengagements von Unternehmen oft mehr gesehen werden muss als ein schmückendes Beiwerk für die Zeiten, in denen die Geschäfte ohnehin störungsfrei verlaufen. „In der Auseinandersetzung mit Künstlern möchten wir neue Orientierungen für das Unternehmen gewinnen. Diese Ausrichtung kommunizieren wir auch offensiv“ (Dornbracht 2007). Dieses Selbstverständnis kann nur umgesetzt werden, wenn die Beschäftigung mit Kunst vertieft betrieben, von Sachverstand geleitet und langfristig orientiert ist (vgl. Meiré 2007). Das Kunstengagement von Dornbracht erfüllt diese Kriterien. Das Stichwort des „strategischen Kultursponsorings“ (Dornbracht 2007) deckt dabei nicht einmal alle Aktionsformen wirklich ab. Das leitende Stichwort fokussiert immerhin zwei Punkte. Zum einen verweist das Unternehmen mit dem Stichwort des Sponsorings auf einen Austausch von Leistungen zu einem beiderseitigen Nutzen. Zum anderen betont die Vokabel „strategisch“ die durchdachte Ausrichtung, die in einem umfassenden Reflexionsprozess eingebunden ist. Wichtigstes Ergebnis dieser Reflexion war der Entschluss, sich konsequent mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen. Damit folgte das Unternehmen der selbst gestellten Auf-
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gabe, die eigene Produktlinie und die damit verbundene Firmenphilosophie dadurch konsequent weiter zu entwickeln, dass auf „das Kodieren von Marken“ (Meiré 2007) gesetzt wurde. In diesem Kontext kam die Philosophie des „Brand Coding“ (Danicke 2007: 60) zum Tragen, ein Ansatz, der über das herkömmliche Branding (vgl. Häusler 2004) insofern hinaus geht, als nun versucht wird, eine Marke als kulturellen Code für bestimmte Adressatenkreise und Szenen interessant und anziehend zu machen. In Frage kam demnach vor allem junge Kunst, die nicht nach allgemein ästhetischen Maßstäben des Gefallens ausgewählt wurde, sondern nach ihrer Fähigkeit, einen Beitrag zu der Aufgabe zu leisten, die sich das Unternehmen gestellt hatte. Die Frage lautete: Was kommt nach dem Design? Wie Andreas Dornbracht, Mitglied der Unternehmensleitung, immer wieder betont hat, geht es bei der Auswahl der Kunst und den Künstlern nach ihrem Anregungsgrad. Im Mittelpunkt stand dabei für das Unternehmen der Aspekt der offenen Kommunikation. Die in Zusammenarbeit mit der Agentur Meiré und Meiré (Frechen bei Köln) (vgl. Danicke 2007) ausgewählten Künstler wurden offen mit der Aufgabenstellung konfrontiert, zugleich aber auch in ihren Positionen ausdrücklich ernst genommen. Hintergrund dieser Aktivitäten ist nicht nur das ausgesprochen dialogische Kommunikationsverhältnis zwischen Unternehmen und Künstlern, sondern auch das ausdrückliche Ziel, mit dem Sponsoringprozess für beide Seiten einen ideellen Gewinn zu ermöglichen. Das Kunstengagement eines Unternehmens ist dafür bewusst neu konzipiert worden – nämlich als Aktivität, die Kunst nicht mehr nur sammelt, sondern ihre Schöpfung ermöglicht. Damit öffnet sich ein Unternehmen bewusst der Öffentlichkeit und schließt die Kunst nicht in ihre Büroflure ein. Genau dies entspreche einer Situation des Sponsorings nach den „fetten“ achtziger Jahren, in denen Kunstsponsoring statisch aufgefasst worden sei, lautet die Erläuterung der beratenden Agentur (vgl. Meiré 2007). Hintergrund dieser Entwicklung ist die Verschiebung der Kommunikationsziele des Kunstengagements. Ging es früher um Image und Prestige, regionale Verbundenheit und anderes mehr, steht jetzt die Bildung einer Marke im Vordergrund – und die Einsicht, dass „was die Künstler bewegt, auch tatsächlich das ist, was die Gesellschaft bewegt“, wie Andreas Dornbracht betont hat (Danicke 2007: 64). Dafür reichen weder Sammlungen noch die Unterstützung von Ausstellungen in Museen oder Kunsthallen hin. Gefragt ist aktives Sponsoring, das sich selbst inhaltlich auf die Kunst einlässt, ihre Produktion fördert und nicht nur Geld transferiert. Die Firma Dornbracht hat in diesem Sinn eine ganze Reihe von Aktivitäten entfaltet. Dies sind (vgl. Dornbracht 2007):
Statement Projects: Unter diesem Titel erschienen seit 1997 eine Reihe von Publikationen, in denen Arbeiten von Künstlern zum Thema Bad und Badkultur publiziert wurden. In jeweils wechselnder Gestalt vereinigten die „Statement“-Ausgaben Merkmale von Objekt, Medium, Katalog und Publikation in sich. Die einzelnen Ausgaben enthalten Bilder, Texte, Gespräche und weitere Elemente medialer Vermittlung. Die Reihe wurde 2005 abgeschlossen. Einzelne Ausgaben werden im Anschluss eingehender analysiert. Sponsorchips: Zur Kunstkommunikation des Unternehmens gehört auch das klassische Sponsoring im Sinn einer finanziellen Unterstützung. Erste namhafte Aktion war die Unterstützung einer Ausstellung des italienischen Installationskünstlers Fabrizio
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Plessi in New York. Herausragenden Stellenwert im Rahmen des Sponsorings nahmen die Förderungen der Beiträge von Rosemarie Trockel und Gregor Schneider für den Deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig in den Jahren 1999 und 2001 ein. Der Pavillon von Gregor Schneider wurde mit dem Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon ausgezeichnet. Dornbracht sponserte weiterhin eine Ausstellungstournee des Designkünstlers Alessandro Mendini mit Stationen in Vicenza, Barcelona, Münster und Leipzig. Auf der Liste der Sponsoring-Projekte findet sich weiter das Kunstprojekt „Inside the white cube“, das 2002 in London gestartet wurde und Arbeiten von Künstlern wie Katharina Grosse, Andreas Gursky, Daniel Roth und anderen umfasste. Schließlich förderte Dornbracht die erste Einzelausstellung der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles 2004 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. Installation Projects: Besonderes Profil entwickelte das Kultursponsoring von Dornbracht mit den „Installation Projects“, die als Ausstellungsreihe im Jahr 2000 im Kölnischen Kunstverein gestartet wurde. Erste Arbeit im Rahmen dieser Reihe war „If we are dead, so it is“ von Michel Majerus. In dem 500 Quadratmeter großen Ausstellungsraum installierte der Künstler eine den Raum in seiner gesamten Länge und Breite einnehmende Skaterrampe. Inzwischen wurde die Reihe mit dem Wechsel von Kunstverein-Leiter Udo Kittelmann in das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main verlegt. Dort wurde zuletzt der „Frankfurter Salon“ von Anton Henning unterstützt, eine Installation, die Merkmale von Kunst und Design perfekt miteinander verbindet. Iserlohn – The Dornbracht Culture Projects: In die Reihe der Kunstengagements von Dornbracht gehört inzwischen auch ein Magazin, dass die einzelnen Kunstprojekte dokumentiert und eine opulente Bildstrecke nebst Hintergrundinformationen zu den Projekten bietet. Die erste Ausgabe erschien 2003, die zweite Edition folgte 2005. Performance: Unter diesem Titel firmiert das aktuellste Element des Kunstengagements von Dornbracht, mit dem die Reihe der „Statements“ beendet wird. Die erste Ausgabe der „Performances“ wurde im April 2005 in Mailand präsentiert. Mark Jarecke, ein Schüler des Choreographen Merce Cunningham, präsentierte seine Tanzperformance „Dendron“. Ziel der Reihe ist es, Kunst noch mehr als bisher aus statischen Kontexten zu lösen, sie situativ an ungewöhnlichen Orten erlebbar zu machen. Dabei setzt Dornbracht in den „Performances“ bewusst auf den flüchtigen Charakter des Kunstereignisses und entfernt sich damit noch ein Stück mehr vom Corporate Collecting als einer „klassischen“ Form des Kunstsponsorings.
11.2 Das Instrument: Das Format der „Statements“ 11.2 Das Instrument: Das Format der „Statements“ In diesem Abschnitt werden vier der „Statement“-Ausgaben beschrieben und analysiert, welche die Firma Dornbracht in den letzten Jahren herausgegeben hat. Die erste Ausgabe lag 1997 zur Internationalen Messe für Sanitär und Heizung (ISH) in Frankfurt am Main vor. Wie sehr die „Statements“ inzwischen die Diskussion über Produkte der Badeinrichtung vorangetrieben und vor allem die kulturelle Kodierung des Bades verändert haben, belegt
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die Tatsache, dass zuletzt im Kontext der gleichen Messe avantgardistische Designentwürfe der Badkultur präsentiert wurden (vgl. Vogelsang 2005). Auch wenn hier keine unmittelbar ursächliche Beziehung vorliegen mag, so ist doch deutlich, dass mit dem Engagement der Firma Dornbracht für die Kunst eine kulturelle Energie freigesetzt worden ist, die deutlich wahrnehmbaren Anregungscharakter entfaltet hat. Die auf der Messe prämierten Designentwürfe verändern die landläufige Auffassung des Bades als Komposition aus der „immer gleichen Dreiteiligkeit: Waschbecken, Badewanne und Duschvorrichtung“ (ebd.: 205) nachhaltig. Ob Wasserlauf durch variabel steckbare Rohrsysteme, „Duschsteine“ über die das Wasser fließt oder ein aus Latex geformtes Megakissen, das sich den Körperformen des badenden Menschen anpasst – die Entwürfe bringen nicht nur Raum, Installation und Mensch in ein neues Verhältnis, sondern definieren auch die Funktion des Bades neu. An die Stelle eines Funktionsraumes für normierte Handlungsabläufe tritt eine Oase der Ruhe und Erholung für sehr unterschiedliche Bedürfnislagen und entsprechende Handlungsformen. Der Veränderung der Produkte entspricht somit ein kultureller Umbauprozess, der Lebenshaltungen und Bedürfnislagen neu konstituiert hat. Diesen komplexen Prozess beeinflussten die „Statements“ aufgrund ihrer flexiblen Darbietungsform. Die Publikationsform versammelt keine normierten Ausgaben, sondern Editionen, die jeweils als Solitäre angesehen werden müssen. So verbindet sich in den „Statements“ das durchgehende Konzept mit dem Überraschungsmoment der individuellen ästhetischen Lösung. Dazu gehört der Einsatz unterschiedlicher Medien von Katalog bis CD-ROM, von DVD bis Zeitung. Die hier näher zu betrachtenden Ausgaben gehören zu den Printmedien, weisen aber hinreichend große Differenzen auf, um den Entwicklungsgang der „Statements“ paradigmatisch nachvollziehen zu können. Diese Entwicklung reflektiert sowohl den sich wandelnden Zeitgeschmack ästhetischer Moden und Trends wie auch den Lernprozess, den die „Statement“-Macher selbst durchlaufen haben. Im Rahmen eines bestimmten Formats werden so unterschiedliche Realisierungsformen durchgespielt. Konsequenz dieses Prozesses ist am Ende die Trennung von den „Statements“, nachdem deren Möglichkeiten erschöpft zu sein scheinen. Mit der Reihe hat Dornbracht jedoch nicht allein beispielhaft vorgeführt, wie Kunstsponsoring in Kunstproduktion überführt werden kann, sondern auch einen Teil aktueller Kunstentwicklung dokumentiert. Mit der Ausgabe der „Statements“ Nr. 1 betrat die Firma Dornbracht sichtbar vorsichtig Neuland. Die erste „Statement“-Ausgabe ist als geheftete und in der Mitte gefaltete Zeitung im Format DIN-à-3 gestaltet. Der Titel fügt dem Wort „Statement“ nicht nur die erläuternde Formulierung „Kultur im Bad“ bei, sondern zeigt auch oval geformte Seifenstücke in rosa und hellblau, die jeweils die Aufschrift „Boy“ und „Girl“ tragen. So verbindet das Cover kühles Design mit einem spielerischen Umgang mit Geschlechteridentitäten. Das Heft enthält mehrere in sich abgeschlossene Bilderstrecken und zudem eine Kurzgeschichte. Den Einstieg bildet jedoch ein Editorial, das mit der Frage „Was ist Badkultur?“ die Aufgabenstellung des Kunstengagements der Firma Dornbracht direkt zitiert und den Initiator der „Statement“Reihe, Andreas Dornbracht, im Bild zeigt. „Vollkommen frei“: Diese Worte leiten den kurzen Editorial-Text ein und sollen in dieser Funktion offensichtlich mögliche Vorbehalte der Rezipienten zerstreuen. Die Kunst ist frei – und ihre Resultate werden vom Auftraggeber mit ausdrücklicher Überraschung begutachtet. So beschreibt Andreas Dornbracht die Arbeiten, die Künstler ausgehend von der Aufgabenstellung vorlegten als „provokant-polarisierend“
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11 Fallbeispiel 2: Firma Dornbracht, Kunstsponsoring und Badkultur
(Statement 1: 2) und legt auch dar, welches Segment der Kultur anvisiert worden ist. Die „Statements" suchen den Kontakt zur Jugendkultur und zur Modefotografie, setzen mit ihrer ersten Ausgabe also auf die Bereiche, die am ehesten Tuchfühlung mit jüngsten Trends und Moden erwarten lassen. Dieser Intention folgt vor allem die Fotostrecke von Daniel Josefsohn, der ein junges Paar in einem Bad voller Wandgrafitti zeigt. Das Bad erscheint als Ort der Intimität und Sexualität, auch als Transferraum für flüchtige Begegnungen einer Metropolenjugend auf der Jagd nach dem erfüllten Augenblick. Josefsohn garantiert als Gestalter einer Werbekampagne für den Musiksender MTV den engen Kontakt mit der avisierten Zielgruppe. Dass die „Statement“-Reihe jedoch darauf angelegt ist, möglichst unterschiedlichen Klientelgruppen Identifikationsmöglichkeiten anzubieten, belegt die folgende Bildstrecke mit Designobjekten von Hadrian Piggot, der futuristische Badmöbel in der abgerundeten Form von Seifenstücken oder Wassertropfen kreiert. Die Fotos zeigen nun keine trendigen Jugendlichen, sondern kühl dargebotene Objekte, die zudem durch einen Text in der Form eines kleinen Katalogaufsatzes begleitet werden. Der Text liefert zu den abgebildeten Objekten die Metaebene kulturtheoretischer Einordnung. Nun geht es nicht mehr um Signale für Jugendtrends, sondern um eine auf Kontemplation und ästhetischen Genuss ausgerichtete Rezeptionsform. Die dritte Bildstrecke von Jürgen Teller fügt die Aspekte des Genusses und der unschuldig erscheinenden Sexualität hinzu. Teller zeigt den Körper eines jungen Mädchens in einer gefüllten Badewanne. In scheinbar absichtslosen Drapierungen windet sich der Duschschlauch um den schlanken Körper. Die Schlangenform des Schlauches fügt der Darstellung eine deutlich sexuelle Konnotation bei, das sich kräuselnde Wasser steht für die unabschließbaren Möglichkeiten freier Bewegung, die im Bad als Ort der Selbstverwirklichung möglich sein sollen. Gerade diese Bilder sorgten für heftig ablehnende Reaktionen bei Mitarbeitern und in der Öffentlichkeit (vgl. Danicke 2007: 62). Eine letzte Fotofolge von Nick Knight zeigt das tägliche Ritual des Waschens als Spiel der Wassertropfen und enthebt die Alltagshandlung damit ihrer Banalität. Ergänzt werden die Bilddarstellungen noch von einer Kurzgeschichte, in der Uwe Kopf das Leben eines Sonderlings schildert, der seine gesamte Wohnung zum Bad umbaut, und so zum Ort dauerhafter Ritualhandlungen macht. Da Kopf auch den Hinweis auf den „Fachhändler in Iserlohn“ (Statement 1: 18) einbaut, bei dem seine fiktive Figur ihre Badutensilien kauft, macht er seine Geschichte zum durchsichtigen Werbegag. So erscheint die erste Folge der Statements als Suche nach passenden Zielgruppen und als teilweise deutlich formulierte Darbietung gewünschter Werbebotschaften. Dieses Bild ändert sich mit der zweiten Ausgabe der „Statements“ nachhaltig. Die zweite Edition wird als Ringbuch in handlichem Format dargeboten, dessen Seiten aus glänzendem, Wasser abweisenden Karton gestaltet sind. Der in der ersten „Statement“Ausgabe noch etwas überladene Einsatz von Schriftfarben und -typen wird nun zu einem kühlen Design reduziert, zu dem auch ausklappbare Doppelseiten gehören. Das Ringbuch bietet wieder mehrere Fotostrecken dar, setzt nun aber auf eine Ästhetik, die sich vom schnellen Trendverbrauch der Welt der Musiksender und Jugendkulturen dezent entfernt und den Kontakt zu Modeinszenierung und Gegenwartskunst sucht. So setzt Inez van Lamsweerde eine junge Frau mit silbernem Duschschlauch und offenem Pelzmantel als cooles Model in Szene. Das Badutensil avanciert so zum Bestandteil einer Welt voll Chic und Glamour. Zudem verknüpft diese erste Fotostrecke die zweite „Statement“-Ausgabe sichtbar mit der ersten Edition. Dort war das junge badende Mädchen mit dem silbernen
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Duschschlauch abgebildet worden. In der zweiten Edition jedoch wird die Welt des Bades verlassen. Das einzelne Badutensil wird zum modischen Accessoire, das sich weiter aus seinem Gebrauchszusammenhang gelöst hat und nun einen Eigenwert als kulturelles Zeichen gewinnt. Die Fotostrecke bedient sich damit einer Operation, die in der Kunstgeschichte der Moderne Tradition hat – sie transferiert einen Alltagsgegenstand aus seinem gewohnten Kontext und überführt ihn in eine ungewohnte Umgebung, in der das Objekt seine Funktion abstreift und selbst sprechend wird. In der zweiten Ausgabe der „Statements“ wird so ein kultureller Bedeutungstransfer in Gang gesetzt, der weitaus subtiler wirkt als alle direkt formulierten Werbebotschaften, die noch in der ersten „Statement“-Edition an einigen Stellen direkt angesprochen worden waren. Stattdessen verfolgen die „Statement“Gestalter zwei Strategien konsequent weiter. Zum einen laden sie das Motiv des Bades weiter mit sexuellen Konnotationen auf. Zum anderen wird der Kontakt zur zeitgenössischen Kunst gesucht. Die erste Tendenz zeigt sich in den Fotos Frédéric Lenfant und Micha Klein. Unter dem Titel „Bubbles Shower“ erscheint das doppelseitige Bild eines jungen Mannes in der Dusche, der von schillernden Seifenblasen umgeben ist. Das Bild spielt mit der Ästhetik des perfekten Körpers ebenso wie mit der Optik von Fanpostern. Das zweite Fotomotiv zeigt zwei junge, nackte Frauen in einer futuristischen Badumgebung. Auf ihre Haut aufgebrachte Typbezeichnungen und Strichcodes lassen Körper als Resultate industriellen Designs erscheinen. Der Körper wird so als Designobjekt der schönen Welt des neuen Bads inkorporiert. Darüber hinaus entfaltet das Foto auch subtile Kritik an einem Umgang mit dem Körper, der durch plastische Chirurgie und künstliche Reproduktion gekennzeichnet ist. Diese kurzen Hinweise machen bereits deutlich, dass die „Statements“ auch kritischen Untertönen und Botschaften geöffnet werden. Mindestens ebenso wichtig ist allerdings der Verweis auf avancierte Kunst. Die Fotostrecke „Lifeforms“ von Stefan Hildebrandt zeigt die „Escape Vehicles“ der Künstlerin Andrea Zittel, die 1997 auf der Documenta 10 in Kassel für Furore sorgten. Mit diesem Bildmotiv schließen die Statements nicht nur an das Motiv der Wohncontainer als abgeschlossener Lebenswelten an, das in der Gegenwartskunst immer wieder zu finden ist. Als Beispiele für diesen Trend seien nur Manfred Pernices „Sardinien“ von 1996 (Thomas 2002: 471) und Eberhard Havekosts „Kabine“ von 1998 (ebd.: 481) genannt. Zugleich inszeniert die Fotoserie mit den Wohnkabinen von Andrea Zittel auch das zentrale Motiv der Dornbracht-Kampagne – das des Bades als eines eigenständigen Raumes menschlicher Selbstverwirklichung. Zeitgenössische Kunst beglaubigt im Kontext der „Statements“ die Botschaft des Unternehmens, das sich nun glaubhaft als Vorreiter eines allgemein anerkannten kulturellen Trends positionieren kann. Zusätzliches Gewicht erhält diese Beglaubigung durch zwei Skulpturen der britischen Künstlerin Rachel Whiteread, welche in die Fotostrecke integriert sind. Whiteread wurde durch Abformungen ganzer Häuser international bekannt. In der „Statement“-Ausgabe ist sie mit Abformungen von Badewannen präsent. Das Alltagsutensil wird so durch die verfremdende Negativform zum Kunstobjekt stilisiert. Zusätzlicher Resonanzraum für die Bilder entsteht in der „Statement“-Edition durch Texte von Sybille Berg, die auf jeweils einer Seite das Bad zum Schauplatz einer kurzen Situationsschilderung eines ganzen Lebens macht. Die Autorin beleuchtet knapp Krisen- und Umbruchsituationen und befördert so das Bad von einem kaum wahrgenommenen Raum zum Ort der Selbsterkenntnis. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die „Statement“-Reihe schon mit ihrer zweiten Edition merklich an inhaltlicher Substanz und
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ästhetischer Perfektion gewonnen hat. Dabei geht es nicht allein um eine Glättung der ästhetischen Anmutung, sondern um gelungene Strategien eines kulturellen Bedeutungstransfers, der die direkt ausgesprochenen Werbebotschaften ersetzt. Mit der fünften Ausgabe der „Statements“ ist der bereits angedeutete Trend noch einmal verstärkt worden. Die Edition erscheint nun in der Gestalt eines schlanken, schneeweißen Hochformats, das auf seinem Titel nur den Namen „Statements V“ sowie fünf goldene Stern wie zur Anzeige einer hochwertigen Hotelkategorie trägt. Im Inneren setzt sich die äußere Anmutung in einer puristischen Schwarz-Weiß-Ästhetik fort. Die ersten Seiten tragen jeweils einen Namen der vier beteiligten Modedesigner, die in dieser Ausgabe exklusiv zu Wort kommen. Die Ausgabe verfolgt das Ziel, „neue Bereiche zwischen Design und Kunst“ (Statement 5: 7) auszuloten und so den Transfer zwischen anerkannter Hochkunst und einem Design voranzubringen, das neue Trends markiert. Dazu wird der Gedanke des Rituals als Thema der Badkultur noch einmal unterstrichen. Die Botschaft ist jetzt fast ausschließlich Gegenstand suggestiver Bildkompositionen, die zunächst ganz ohne begleitenden Text auskommen. Veronique Branquinho zeigt in „Phoenix 1“ und „Phoenix 2“ auf jeweils einer aufklappbaren Doppelseite Menschen, die aus einer milchigen Flüssigkeit auftauchen. In der ersten Folge von drei Fotos werden nach und nach die Umrisse eines Gesichts erkennbar. Die zweite Folge von drei Bildern zeigt eine Frau, die gerade einem Bad entsteigt. Ihr Gesicht wirkt in sich gekehrt wie bei einer weihevollen Handlung. Ihr weißes Hemd klebt nass am Körper und lässt so die Brüste der Frau durchscheinen. Beide Folgen verbinden das Thema des aus der Asche erneuert aufsteigenden Vogels Phönix mit dem Motiv des Jungbrunnens und der Symbolkraft der Farbe Weiß (vgl. Lüddemann 2004a: 8286), die als „Farbe der Freiheit und des Aufbruchs“ (ebd.: 83) das gestaltlose Nichts ebenso verkörpert wie den freien Raum künftiger Gestaltung. Das Bad wird so zu einem Ort der Reinigung im gesteigerten Sinn. Das Bad steht für die Reinigung des ganzen Menschen in der Form umfassender Erneuerung. Diesem Anspruch verleihen die Bildstrecken einen ebenso kühlen wie hoheitlichen Ausdruck. „Erinnerungen an eine Zeit, als wir noch Ideale hatten“ (Statement 5: 9): Mit diesem Satz unterstreicht Mike Meiré den Anspruch, nicht nur Produktgestaltungen zu erneuern, sondern auch kulturelle Sinngebungen neu zu kodieren. Marken und Produkte werden so konsequent mit kulturellem Beziehungsreichtum aufgeladen. Allerdings folgt die „Statement“-Ausgabe der Vorgabe der Schwarz-Weiß-Ästhetik, indem auch konsequent gegenläufige gestalterische Positionen dargeboten werden. So wird der Ernst der Bildfolgen von Branquinho durch das „Gehäkelte Badezimmer“ ironisch gebrochen, das Bernhard Willhelm gestaltet hat. Die Fotos dieser künstlerischen Objekte zeigen Gegenstände eines Bades wie Seifenspender oder Brausekopf in der Form gehäkelter Kunstobjekte. Sogar Abflüsse und Stöpsel sind auf diese Weise nachgebildet, ein wenig weiße Häkelwolle stellt abfließendes Badewasser vor. So simuliert Willhelm mit wenigen gleichsam skulpturalen Objekten das Badezimmer und verleiht ihm zugleich Eleganz. In der Doppelung von künstlerischem Objekt und dessen fotografischer Inszenierung entsteht eine Aura perfekter Ästhetik, die erfolgreich mit dem Wiedererkennungswert des inzwischen hinreichend variierten Themas der Badkultur spielt. So reagiert die „Statement“-Reihe auf sich selbst, indem sie ihre eigenen Bildsetzungen als inzwischen zu erinnernden Medieninhalt zitiert. In dieser Form baut die „Statement“-Reihe interne Verweise auf, die deutlich machen, wie erfolgreich kulturelle Kodierung inzwischen betrieben worden ist. So kann sich
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diese Edition auch ein Interview mit Jeremy Scott erlauben, das so auch in einem oberflächlichen Modemagazin stehen könnte. Hart an der Grenze zur Selbstironie liefert Scott eine Selbstcharakterisierung als Trendscout, der ständig den neuesten Moden um einen Wimpernschlag voraus ist. Damit nimmt Scott das Motiv der künstlerischen Avantgarden wieder auf, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ästhetische Provokation mit gesellschaftlichem Reformanspruch verbanden. In dem Interview wird dieses aus der Moderne vertraute Thema nun jedoch zur beliebigen Abfolge immer neuer Moden verkleinert. Das eigene Leben als Abfolge der Images – in diesem Punkt konvergieren die Themen des Gesprächs, das oberflächlich erscheint, dabei jedoch genau die Entwicklung vorwegnimmt, die Dornbracht nach der „Statement“-Reihe einleiten sollte. An die Stelle von Publikationen mit ihrem Objektcharakter treten nun Kunstereignisse als Performances, die konsequent an die Brennpunkte des Trendgeschehens verlegt werden und jeweils nur vorübergehenden Charakter haben. Die vertraute Praxis unablässiger kultureller Erneuerung, die Dornbracht mit seinen „Statements“ vorführte, wird so noch einmal gesteigert. Diese Zukunftsaussicht tritt vor allem in deutlichen Gegensatz zur sechsten Ausgabe der „Statements“, die hier nur mit einem kurzen Blick auf ihre äußere Gestaltung thematisiert werden soll. Denn diese Edition wird in einem Vorsatzblatt der Herausgeber ausdrücklich als Dokument der „Reflektion und Rückbesinnung“ (Statements 6) und damit als Moment der Verlangsamung des kreativen Prozesses benannt. Umgekehrt gewinnt diese Edition aber in besonderer Weise durch ihre ausgefeilte Gestaltung. In einem Schuber sind drei unabhängige Publikationen zusammengefasst, die jeweils als kleiner Katalog mit eigener Gestaltung aufgemacht sind. Innerhalb der „Statement“-Reihe wird damit das klarste Signal der Seriosität gesetzt und ganz der Anschluss an Darbietungs- und Rezeptionsformen des Kunstbetriebes demonstriert. Dies betrifft vor allem das Bändchen mit Arbeiten der Malerin Rita Ackermann, die jeweils als aufwendig gefertigte Reproduktionen auf die einzelnen Seiten aufgebracht sind. Dornbracht gibt mit dieser Ausgabe ein klares Signal: Die „Statements“ sind im Bereich der Hochkultur angekommen und lösen sich weitgehend von einer vorgegebenen Thematik. Zugleich ist damit ein Punkt markiert, der den Machern der Reihe offensichtlich als nicht mehr steigerbar erschien. Deshalb wird nach den „Statements“ auf Performance gesetzt. Mit den „Statements“ stand jedoch eine Form der Kunstförderung und der Kommunikation bereit, die vielfältige Möglichkeiten bot, den angestrebten Prozess der Produktkreation und Markenbildung auf innovative Weise voranzutreiben. Die wichtigsten Merkmale der „Statement“-Reihe sind:
Die Reihe verbindet Einheitlichkeit des Konzepts mit variablen Ergebnissen. Damit ergibt sich die Freiheit, jede Ausgabe individuell zu gestalten. Die Werbebotschaft wird nur am Anfang deutlich formuliert. Sie tritt in den weiteren Ausgaben deutlich zurück und verschwindet zeitweise völlig in der künstlerischen Gestaltung. Ein ausgesprochenes Crossover der Lebensbereiche und medialen Formen. Damit werden Hochkultur und Alltagskultur unablässig verknüpft und so Wege des Transfers zwischen diesen Bereichen aufgezeigt.
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Die einzelnen Gestaltungsformen werden offensiv genutzt. Die „Statement“-Reihe vereinigt die Zeitung mit dem Kunstkatalog, das Ringbuch mit der CD-ROM. So werden nicht nur unterschiedliche Zielgruppen angesprochen. Zugleich manifestiert sich an der Abfolge der Gestaltungsformen auch der Lernprozess, den die Macher der Reihe durchlaufen haben. Unablässig werden Bild und Text aufeinander bezogen. Dabei überwiegt die Wirkung des sorgsam komponierten Bildes. Texte schaffen jedoch immer wieder die Resonanzräume, wie sie nur erzählte Geschichten bieten können. So bringt die Reihe die Literatur mit ins Spiel, greift später aber auch auf andere Formen wie den Essay und das Interview zurück. Alle diese Faktoren zusammen genommen ergibt sich ein Prozesscharakter, der die „Statement“-Reihe als Werkstatt erscheinen lässt. Die einzelnen Ausgaben sind mehr als Botschaft oder Dokumentation. Sie führen die produktive Veränderung von Lebensstilen und Images vor. Damit wird die Reihe selbst zu einem Stück Kultur und erreicht zeitweise sogar Kunstcharakter.
11.3 Offener Prozess: Die „Statements“ als Werkstatt 11.3 Offener Prozess: Die „Statements“ als Werkstatt Die Analyse der einzelnen Schritte der Kunstkommunikation in Bezug auf die „Statements“ von Dornbracht ergibt ein anderes Bild als bei dem oben angeführten Beispiel der Kommunikation der Stadt Osnabrück mit dem Maler Felix Nussbaum. An die Stelle einer starken Botschaft tritt nun eine ungleich offenere Variante, statt einer in jedem Detail vorstrukturierten Kommunikation findet sich ein Prozess mit mehreren Variablen, der durchweg anschlussfähiger erscheint. Allerdings kann es hier nicht darum gehen, ein Beispiel gegen das andere auszuspielen. Die gegensätzlichen Ausprägungen von Kunstkommunikation stehen lediglich für unterschiedliche Optionen und Managementkonzepte. Dies muss zunächst wertneutral betrachtet werden. Jede dieser angesprochenen Varianten hat ihr Recht – sofern sie zu der jeweiligen Situation passt und sinnvolle Effekte zeitigt. Für die „Statements“ von Dornbracht können die einzelnen Positionen der Kunstkommunikation wie folgt analysiert werden: Kunst: Der Einsatz der Kunst erfolgt indirekt und zur gleichen Zeit besonders beziehungsreich. Die Objekte der Kunst scheinen zunächst nur vermittelt anwesend zu sein – als Abbildung in Formaten des Katalogs. Dennoch tritt die Gestalt der Objekte auch ganz direkt auf den Rezipienten zu. Denn die in den einzelnen Ausgaben enthaltenen Photographien sind selbst Objekte im Sinn von Werken; sie zeigen nicht nur andere Werke als eigentliche Objekte. Zudem können auch die einzelnen „Statement“-Ausgaben selbst als Objekte angesprochen werden. Sie zeigen nicht nur Kunst, sondern erreichen aufgrund ihrer Gestaltung zum Teil selbst einen ausgewiesenen Objektcharakter. Dagegen tritt der Bestandteil der Institution weitgehend zurück. Kunst erscheint hier nicht durch Museen oder Galerien vermittelt. Institutionen erscheinen nur als geheimer Bezugspunkt dieser Kunstpräsentation, insofern Ausstellungsräume in Bildern erscheinen oder als Ort der Präsentation genannt
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werden. Dagegen ergeben sich für die Erfahrung vielfältige Möglichkeiten. Ästhetische Erfahrung wird abgekoppelt von konkreten Orten und zur Sache einer beliebigen Rezeption gemacht – beliebig, was Ort und Adressatenkreis sowie den Anlass der Rezeption betrifft. Dadurch ergibt sich eine weitgehende Öffnung für unterschiedliche Zielgruppen, die jeweils unterschiedliche Formen der Kulturnutzung aufweisen. Erfahrung wird zugleich über das Buch- und Zeitschriftenformat zu einer individuellen und beinahe intimen Angelegenheit. Das Kunsterlebnis rückt nahe, vor allem deshalb, weil die „Statement“-Ausgaben, wie eben gesagt, nicht einfach dokumentieren, sondern selbst Objekt- und damit Kunstcharakter haben. Daran angeschlossen muss auch die Stellung des Diskurses als ausgesprochen wichtig angesehen werden. Die vorliegenden Ausgaben breiten ausdrücklich keinen Fachdiskurs aus, sondern liefern vielfältige Spieglungen der Kunst in unterschiedlichen Diskursformen. Die Kunst wird mit Werbeslogans ebenso wie mit Kurzgeschichten und Interviews oder kleinen Katalogessays konfrontiert. Damit entsteht ein Resonanzraum, der multiple Zugangsweisen zur Kunst eröffnet. Umgekehrt stellt die Firma Dornbracht als Initiator dieser Kunstkommunikation Verbindungen zu einer ganzen Reihe von Diskursen unterschiedlicher Milieus und Szenen her und sichert sich damit maximale Resonanz für die eigenen Botschaften. Akteure: Analog zu der sehr deutlich profilierten Verwendung von Kunst ergibt sich auch für die Position der Akteure eine klare Ausrichtung. Unter den vier zur Verfügung stehenden Positionen dominieren ganz deutlich zwei: Initiator und Künstler. Der Initiator greift nicht auf externe Kunstangebote zurück, sondern sorgt für ein eigenes Design der Kunst und Kommunikation, das es erlaubt, die Intentionen des Unternehmens optimal umzusetzen. Dabei geht der Initiator nicht dirigistisch vor, sondern schafft eine Plattform, auf der vor allem die Künstler selbst agieren können. Allerdings steht die Existenz thematischer Vorgaben außer Frage. Offenheit besteht jedoch für die Ergebnisse. Zugleich betont die Darbietungsform in den „Statements“ den offenen Werkstattcharakter des ganzen Vorhabens. So werden Künstler optimal in Szene gesetzt, während sich der Initiator mehr und mehr zurücknimmt und schließlich vor allem durch ein knappes Editorial sowie das Impressum mit Logo kenntlich bleibt. Gegen diese beiden Positionen treten sowohl der Kurator wie auch der Kritiker deutlich zurück. Der Kurator, hier eine Werbeagentur, agiert deutlich im Auftrag des Initiators, während die Position der Kritik bestenfalls indirekt in Form von Diskursen präsent ist. Aktionen: Analog zu den Akteuren können die Aktionen in gleicher Deutlichkeit zugeordnet werden. Auch wenn der Initiator sich in der Gestaltung der „Statements“ zurückhält – seine Aktivitäten dominieren doch deutlich das Resultat der gesamten Strategie. Denn er entwirft das Tableau der Kommunikation durch eine Leistung des Rekrutierens und Komponierens. Der Initiator wählt die beteiligten Akteure aus und koordiniert ihre jeweiligen Aktivitäten. Vor allem überwacht er die Gestaltung der „Statement“-Auftritte und gestaltet damit die Form der Vermittlung und Kommunikation, die in diesem Rahmen überhaupt möglich wird. Der Initiator entfaltet seinen prägenden Einfluss nicht durch inhaltliche Vorgaben, sondern durch strategisches Verhalten. Sein wichtigstes Ergebnis: Er bereitet vor allem den Aktionen der Künstler eine optimale Präsenz und Wahrnehmbarkeit. Faszinati-
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onskraft gewinnen die „Statements“ vor allem dadurch, dass sie den Prozess des Kreierens hervortreten lassen und als ihr eigentliches Markenzeichen betonen. Wo die „Statements“ sind, da entsteht Kunst: Dies ist der zentrale Effekt dieser Strategie. Dagegen treten die Aktionsformen der anderen Akteure zurück. Aktivitäten der Kuratoren, wie das Bereitstellen und Komponieren von Kunst, werden im konkreten Beispiel vom Initiator oder dessen Kooperationspartner in Gestalt einer Werbeagentur übernommen. Das Kommentieren der Kritiker findet in der Gestalt von Essays Eingang in die „Statement“-Ausgaben. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die einzelnen Ausgaben repräsentativ für den Trend stehen, den wissenschaftlichen Katalogtext zunehmend durch Künstlergespräche oder kurze literarische Texte zu ersetzen. Diese Tendenz in der allgemeinen Produktion von Kunstkatalogen kann als schleichende Entwertung von Kritik und wissenschaftlichem Kommentar verstanden werden. In den „Statements“ werden jedenfalls Meta-Ebenen der Textproduktion durch gleichsam nebengeordnete Textbausteine ersetzt. Kommunikationsformen: Dennoch kommt es bei den Kommunikationsformen zu einer aufschlussreichen Umwertung. Denn hier dominiert nicht das schlichte Transferieren, das dem Initiator zuzuordnen wäre, sondern das Evaluieren, das eigentlich durch Kritiker bewerkstelligt wird. Zunächst kann festgehalten werden, das Formen des Transfers nicht als dominante Sinnkonstruktion zum Zuge kommen, sondern aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Kultursphären resultieren, das im Rahmen der „Statements“ sorgsam arrangiert wird. Inhalte sind keine Frage einfacher Setzungen, sondern Resultate von Prozessen, die sich in den einzelnen Ausgaben vor den Augen der Betrachter ereignen. Der Transfer ereignet sich so als Ergebnis von hergestellten Kontakten zwischen Bildern und Botschaften. Damit kommt eine Evaluation im Medium von Bildern und Texten zustande. Evaluation leisten die Textbeiträge, indem sie die bildlich vermittelten Angebote unablässig an bestimmte Lebenswelten ankoppeln und so deren Anwendung sichtbar machen. Der Anregungscharakter der „Statements“ beruht zu einem nicht unerheblichen Teil auf dieser Energie aktiver Kopplungen zwischen Kulturbereichen, zwischen Bild und Text, Kunst und ihren Rezipienten. Zielprojektion: Trotz aller scheinbaren Offenheit der „Statements“ ist bei der Zielprojektion nichts dem Zufall überlassen. Die einsträngige Botschaft ist hier durch eine Strategie der losen und zugleich hoch effektiven Kopplung unterschiedlicher Akteure und Darbietungsformen ersetzt. Damit wird das wichtigste Ziel der Kunstkommunikation erreicht: Mit der Kunst Anregungen für neue Produkte finden. Dazu gehören weitere Teilziele. Es geht zum einen darum, mit dem Begriff des Rituals einen völlig neuen Bezugspunkt zu schaffen, unter dem Bäder wahrgenommen werden können. Daraus folgt unmittelbar die Kreation bislang unbekannter Bedürfnisse. Zum anderen muss gewährleistet werden, dass dieser Entwurf in höchst unterschiedliche kulturelle Milieus transportiert wird. Die „Statements“ sollen für mehrere Milieus und ihre jeweiligen Rezeptionsweisen anschlussfähig sein. Diese Milieus sind jedoch nicht mit klassischen Werbebotschaften zu erreichen, sondern nur durch einen Prozess der Bedeutungsproduktion, der innovative Lesarten erfolgreich platziert. Zu dieser Zielprojektion passen auch wohl dosierte Formen der Irritation durch ungewohnte Bilder, Darstellungen scheinbar abseitiger sozialer Milieus und ungewohnter Formen der Sexuali-
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tät. In den anvisierten Zielgruppen wird all dies nicht als Störung, sondern als Zeichen gewünschter kultureller Offenheit aufgenommen und positiv bewertet. Medium: Wie bei anderen Fallbeispielen ist auch jetzt zu beobachten, dass nicht alle vier Positionen des Mediums der Kunstkommunikation in gleicher Weise ausgefüllt sind und zum Zuge kommen. Im Gegenteil: Das charakteristische Ungleichgewicht kennzeichnet die spezifischen Intentionen der jeweiligen Wirkungsabsicht. Das gilt auch für die Dornbracht„Statements“, die als Medium angesprochen werden müssen. Vor allem die Positionen Kunst und Träger sind in besonderer Weise herausgehoben und dabei eng aufeinander bezogen. Denn die Form der Zeitung oder des Katalogs dient ja nicht allein dazu, die ausgewählte Kunst darzubieten, sondern diese Formen tendieren mit ihrem Objektcharakter dazu, selbst zum Kunstobjekt zu werden. Dennoch bleiben die „Statement“-Ausgaben Träger für die Kunstobjekte, die sorgfältig ausgewählt wurden. Dagegen treten die Positionen Kontext und Botschaft zurück. Kontexte kommen bei den „Statements“ zunächst nicht direkt zum Zug. Kontexte erscheinen in einzelnen Ausgaben als inszenatorische Beigabe. Ihr Stellenwert erhöht sich deutlich mit den „Performances“, die nach den „Statements“ beginnen. Allerdings können sie auch nur deshalb die Führung übernehmen, weil mit den „Statements“ nicht nur ein Lernprozess im Umgang mit Kunst absolviert worden ist, sondern auch deshalb, weil diese Folge ein Diskursfeld abgesteckt hat, das die wesentlich unverbindlicher und flüchtiger gehaltenen „Performances“ trägt. Die schon bei den „Statements“ überwiegend als offen zu bezeichnende Botschaft verliert bei den „Performances“ noch einmal an Verbindlichkeit. Wie bereits betont, kann dabei nicht übersehen werden, dass die Produkte des Dornbracht-Sponsorings natürlich deutliche Wirkungsabsichten erkennen lassen. Das Arrangement der einzelnen Faktoren des eingesetzten Mediums zeigt jedoch, wie Absichten weniger durch strikte Botschaften als vielmehr mit der Ermöglichung von Prozessen erreicht werden können. Dornbracht demonstriert vor allem eine Kompetenz – nämlich die zum Umgang mit Kunst und weist damit Offenheit und Lernfähigkeit nach. Wo Dornbracht ist, da ereignet sich Kreativität: Vor allem diese Botschaft wird mit den eingesetzten Mitteln glaubhaft vermittelt. Rezeption: Der Erfolg gibt der Firma Dornbracht recht. Auf diese einfache Formel muss das Ergebnis der Rezeption offenbar gebracht werden. Der Blick auf die beiden Alternativen der Rezeption erbringt haltbare Resultate. Allein der ökonomische Erfolg des Unternehmens spricht dafür, dass die Kommunikationsofferte der eingesetzten Kunstkommunikation zustimmend aufgenommen worden ist. Denn es ist Dornbracht gelungen, sich mit neuen Produkten und einer kompletten Produktphilosophie – das Bad als Ort des Rituals – neu zu positionieren. Dies konnte ohne glaubhafte kulturelle Transfers nicht gelingen. Die „Statements“ haben geholfen, dem Nachdenken über Produkte frische Impulse zu geben. Zudem schufen sie eine kulturelle Atmosphäre, in der Umwertungen bisheriger Unternehmenshaltungen möglich wurden. Glaubhaft muss vor allem der Umgang mit der Kunst erschienen sein. Immerhin hätte in genau diesem Punkt die Kommunikationsofferte auch abgelehnt werden können – nämlich als unzulässige Instrumentalisierung der eingesetzten Kunst. Der Respekt vor der Kunst ist offenbar jedoch mehr gewesen als nur eine wohlfeile Werbebotschaft. Dies belegen die offenbar intakten Beziehungen zu Künstlern, Kuratoren und Muse-
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en. Insofern kann für die „Statements“ festgestellt werden, dass sie intendierte Botschaften erfolgreich übermittelt haben. Konsequenzen für die Kunst: Das Modell der Kunstkommunikation sieht unter dieser letzten Position des Durchlaufs zwei Alternativen vor, die jeweils durch Verbindung gegensätzlicher Positionen gekennzeichnet sind. Das gefestigte Image des Initiators geht mit drohender Erstarrung der eingesetzten Kunst einher. Umgekehrt profitiert die Kunst bei Irritationen beim Image des Initiators der Kunstkommunikation von der belebenden Wirkung der Irritationen, die von ihr ausgegangen sind. Im vorliegenden Fall der Kunstkommunikation von Dornbracht kommen jedoch zwei Effekte zusammen, die sich nach diesem Schema ausschließen müssten: Das Image der Firma erscheint transformiert und neu gefestigt, während zur gleichen Zeit die Kunst gleichfalls belebt aus ihren Inszenierungen in den „Statements“ hervorgeht. Dieser Effekt verdankt sich einer gleichberechtigten Kopplung beider Bereiche und ihrer gegenseitigen Durchdringung. Denn der Erfolg für den Initiator hing von einem glaubhaften Umgang mit der Kunst ab. Mit einseitiger Instrumentalisierung konnte ihm nicht gedient sein. Gerade die Offenheit des Angebots dieser Kunstkommunikation erzeugte neue Identität.
12 Fallbeispiel 3: Modemesse Igedo, Vivienne Westwood und Kreativität 12 Fallbeispiel 3: Modemesse Igedo, Vivienne Westwood und Kreativität
Die Firma Dornbracht und ihr Projekt der „Statement“-Reihe lieferte ein instruktives und überzeugendes Beispiel dafür, wie Kunst für Kommunikation nicht nur effektiv, sondern auch glaubwürdig eingesetzt werden kann. Im gleichen Horizont wie das Beispiel Dornbracht – nämlich der in Kapitel 10 analysierten Koalition von Kunst Wirtschaft – ist auch das dritte Fallbeispiel anzusiedeln, das nun dargestellt werden soll. Die spezifischen Züge dieses Beispiels sorgen dafür, dass nicht einfach noch ein Fall angefügt, sondern gegenüber der bei Dornbracht zu beobachtenden Strategie andere Bedingungen, Ziele und Aktionsformen ins Spiel kommen, die dazu führen, dass auch die gesamte Strategie der Kunstkommunikation signifikant anders ausgeprägt ist. Das liegt zunächst an den unterschiedlichen Ausrichtungen der beteiligten Unternehmen. Die Düsseldorfer Modemesse Igedo stellt, anders als die Firma Dornbracht, keine Industrieprodukte her, sondern bietet Dienstleistungen an. Während Dornbracht die Badarmaturen als Produkte erst im Verlauf der Kunstkommunikation als Teil des Designs auszuweisen vermochte, bewegt sich der Messeveranstalter mit dem Gegenstandsbereich der Mode von vornherein im Bereich des Designs – mit allen Konnotationen, die das mit sich führt. Dazu gehört vor allem, dass die Modemesse, anders als das Iserlohner Unternehmen, bereits in der Öffentlichkeit steht und damit eine, vor allem medial vermittelte Aufmerksamkeit erfährt, die für Dornbracht nicht erreichbar ist – sofern das für dieses Unternehmen überhaupt ein anzustrebendes Ziel darstellen kann. Weiterer wichtiger Unterschied: Während die Produkte des Armaturenherstellers für den Endverbraucher in den Blick kommen, hat es der Messeveranstalter mit einem anderen Publikum zu tun. Die Igedo ist eine Messe für ein Fachpublikum; Endverbraucher sind nicht zugelassen. Ein für den Zusammenhang dieses Buches besonders wichtiger Unterschied kommt dort in den Blick, wo es um das jeweilige Engagement für die Kunst geht. Bei der Firma Dornbracht war insofern eine außergewöhnliche Situation zu analysieren, als das Iserlohner Unternehmen Kunst nicht einfach nur unterstützt, sondern selbst die Entstehung von Kunst entscheidend anregt. Diese Form des Engagements kann für die Igedo nicht festgestellt werden. Die Modemesse unterstützt von Kuratoren erstellte Ausstellungen und beschränkt sich damit zunächst einmal auf eine klassische Form des Sponsorings. Das zu analysierende Beispiel der Ausstellung mit Modekreationen von Vivienne Westwood, die 2006 im NRW Forum für Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf gezeigt wurde, erweist sich jedoch mit Blick auf Kommunikationsziele als besonders wirkungsvolles Format. Vor dem Einstieg in die Thematik sei hier als redaktionelle Anmerkung festgehalten, dass Informationen zu der Modemesse Igedo und ihren Kommunikationszielen auch wesentlich auf einem Gespräch beruhen, das der Autor am 2. Februar 2007 mit Margit Jandali in Düsseldorf geführt hat. Frau Jandali war zum Zeitpunkt der Westwood-Ausstellung Geschäftsführerin der Igedo.
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12 Fallbeispiel 3: Modemesse Igedo, Vivienne Westwood und Kreativität
12.1 Der Ansatz: Die Modemesse Igedo und ihre Kommunikationsziele 12.1 Der Ansatz: Die Modemesse Igedo und ihre Kommunikationsziele „Interessengemeinschaft für Damenoberbekleidung“: Unter diesem Namen, später als „Wortschlange“ (Igedo 2006) als zu umständlich für kommunikative Kontexte befunden, ging die Modemesse Igedo 1949 an den Start. Mit 24 Ausstellern war die erste Modemesse bestückt, ein Mode-Defilee auf der Düsseldorfer Königsallee war in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Höhepunkt nicht nur für Fachbesucher, sondern auch für die Medienöffentlichkeit. Inzwischen ist die Zahl der Aussteller nicht nur auf rund 1700 angewachsen, zugleich hat die Igedo ihre Aktivitäten auch international ausgeweitet. Als „MarketingDienstleister“ (ebd.) beansprucht der Düsseldorfer Messeveranstalter nach eigenem Bekunden eine weltweite Marktführerschaft. In der Eigendarstellung periodisiert die Igedo ihre Firmengeschichte in folgenden Schritten (ebd.):
Die 50er Jahre: Aufbruch – die Internationalisierung beginnt Die 60er Jahre: Ausbau – die Diversifizierung beginnt Die 70erJahre: Etablierung – die Igedo ist die größte Modemesse der Welt Die 80er Jahre: Offensive – die cpd wird zur bedeutendsten Leitmesse der Mode Die 90er Jahre: Expansion – das Auslandsgeschäft steht auf festem Fundament Das neue Jahrhundert: Alleinstellung – weltweit einmalig präsentiert die cpd zielgruppengenau das gesamte Spektrum der Mode an einem Ort. Womanswear, Menswear, Jeans, Young Fashion, Casual, Street Fashion.
Auch wenn die Diktion dieser Aufzählung als Außendarstellung eines Unternehmens in eigener Sache nach außen hin in Rechnung gestellt werden muss – die Darstellung zeigt zwei auffallende Tendenzen. Zum einen sieht die Igedo ihre eigene Geschichte als linearen Wachstumsprozess, der von Anfang an auf ein Ziel gerichtet ist. Solche Perspektive mag als rückwärts gerichtete Projektion erscheinen. Auf jeden Fall dominiert ein Darstellungsmuster, das jedem Jahrzehnt eine zentrale Aufgabe zuweist und diese Aufgaben fast ausschließlich mit Begriffen von dynamischer Ausstrahlung beschreibt. Dabei geht es vor allem um Schritte zu einer Alleinstellung auf dem entsprechenden Markt. Die einzelnen Entwicklungsphasen können auch als Schritte synchron zur allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung in der Bundesrepublik verstanden werden. Neben dem Merkmal des linearen Prozesses ist aber auch relevant, dass der dargestellte Prozess nicht nur in den quantitativen Bezugsgrößen eines ökonomischen Wachstums, sondern auch mit Blick auf qualitative Entwicklungsschritte interpretiert wird. Der entscheidende Wandel kann für den Übergang von 70er zu den 80er Jahren festgestellt werden: Denn auf die „Etablierung“ folgt als nächster Schritt nicht nur die „Offensive“, sondern auch die Vorstellung von einer „Leitmesse“. Dies bezeichnet nicht allein eine Spitzenstellung im Markt, die sich nach Umsatzzahlen bemisst, sondern auch den Anspruch, bei der Setzung von Trends und Tendenzen eine zentrale Position einzunehmen. In der Verschiebung der terminologischen Valeurs deutet sich an, dass die Modemesse vor allem als Drehscheibe für neue Stilentwicklungen sowie als Katalysator für
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Kommunikation und Austausch einer Klientel gesehen werden muss, die sich selbst gern als „Kreative“ bezeichnet. Somit will die Igedo insbesondere vermitteln, dass sie selbst ein hochgradig effektiver Kommunikator ist, als Treffpunkt einer Szene aus Designern, Modeleuten, Trendsuchern, Medienleuten, Stilkreateuren und anderen mehr nicht zu ersetzen ist. Entsprechend versteht die Igedo selbst ihre eigenen Kommunikationsziele – zumal mit der zunehmenden Internationalisierung der Messe ein wachsender Bedarf besteht, als Schauplatz eines Austausches unterschiedlicher Kulturen wichtig zu sein. Entsprechend können die Kommunikationsziele der Igedo in Stichpunkten so umrissen werden:
Neugier erwecken: Die Kommunikationsstrategie zielt darauf ab, mit hochwertigen Events möglichst weitreichend wahrgenommen zu werden und damit einen bereits erreichten Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit auch für die Zukunft zu erhalten. Internationalität signalisieren: Die Modemesse ist an weitreichenden Kontakten interessiert, die Kulturgrenzen überschreiten und eine uneingeschränkte Kontaktfähigkeit glaubhaft deutlich machen. Künstlerische Komponente der Mode aufzeigen: Mit diesem Ziel will die Igedo den zentralen Gegenstand ihrer Bemühung aufwerten. Es geht darum, eine Qualität der Mode zu unterstreichen, die über bloße, also oberflächlich verstandene Trends hinausgeht. Mode soll in einer besonderen Wertigkeit vermittelt und von Zielgruppen begriffen werden. Den Stellenwert des Standortes Düsseldorf unterstreichen: Die Modemesse begreift ihre Kommunikationsstrategie nicht allein als Management von Firmenzielen, sondern bezieht auch ihren Standort mit ein. Danach profitiert die Igedo nach eigener Einschätzung von Düsseldorfs Stellenwert als Kunststadt, die mit ihren Museen, Kunsthalle, Galerien und einer weithin bekannten Kunstakademie einen ausgewiesenen Ruf behauptet. Diese Reputation will die Modemesse unterstützen und stärken.
Diese Komponenten der Kommunikationsvorhaben kamen in dem Vorhaben zusammen, eine Retrospektive auf das Schaffen der Modeschöpferin Vivienne Westwood (vgl. Wilcox 2006) als Sponsor zu unterstützen. Die Igedo fungierte bei der Ausstellung als Hauptsponsor. Daneben traten Nokia (Mobilfunk) und Bentley (Kraftfahrzeuge) als weitere Sponsoren auf. Die Igedo hatte vor der Westwood-Schau von 2006 bereits andere Ausstellungen sowie Kulturevents unterstützt. Die Entscheidung für Westwood lag nicht nur deshalb nahe, weil die Igedo bereits 1994 eine Werkschau der Kreationen Westwoods im Verlauf der Modemesse gezeigt hatte. Die zuvor im Londoner Victoria and Albert Museum präsentierte Ausstellung stand auch in einer Linie mit früheren Kulturengagements des Unternehmens. Paradigmatischen Stellenwert hatte dabei die Ausstellung „Heaven“, die 1999 in der Kunsthalle Düsseldorf stattgefunden hatte (vgl. Levitte Harten 1999). Die Schau erfüllte die genannten Kommunikationsziele in besonders guter Weise, weil sie Sensations- und Skandalwert der gezeigten Kunst – etwa von Jeff Koons – mit der Thematik des Körpers in der Kunst kombinierte und Positionen ins Spiel brachte, die ausdrücklich Mode und Shopping zum Thema machen. In diesem Kontext ist vor allem das Werk von Sylvie Fleury zu nennen. Den wichtigsten Grenzübertritt markierte die Ausstellung aber mit der Tatsache, dass
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sie Modekreationen, etwa von Thierry Mugler, neben den Kunstexponaten zeigte. Damit entsprach die Konzeption nicht nur einem neuen Trend, nach dem Mode längst „im Moment ihres Entstehens für das Museum produziert“ (Link-Heer 1998: 144) wird (vgl. Heinzelmann 2001: 11, Wehinger 2002: 171f). Zugleich verschob sie auch die Grenze zwischen Kunst und Design und gemeindete das Modeprodukt ebenso wie die Kunst in einen Horizont der Kreation ein, in dessen Optik Intentionen und Haltungen entscheiden, Objekte jedoch ihren Stellenwert je nach Betrachtungsweise wechseln können. „Die neu einjustierte und wesentlich angereicherte Wahrnehmung gestattet den Anschluss von Kommunikationen, die ein gewünschtes Image der Kreativität transportieren“ (Lüddemann 2002: 46). Genau diese neue Flexibilität der Sichtweisen und Zugangswege entspricht den Kommunikationszielen eines Unternehmens, dass Kreativität und Hochwertigkeit, kulturelles Prestige und kommunikative Anschlussfähigkeit so kombiniert sehen möchte, dass ein attraktives Umfeld entsteht, in dessen Fluidum ökonomischer Erfolg und künstlerische Entwicklung miteinander harmonieren können. Diesen Erwartungen entsprach die „Heaven“-Ausstellung vollständig. Ob dies auch für die Stimmigkeit des kuratorischen Konzepts gelten kann, mag an dieser Stelle offen bleiben.
12.2 Der Kontext: Mode als Paradigma des Kreativen 12.2 Der Kontext: Mode als Paradigma des Kreativen Der zuletzt angesprochene Wechsel der Mode in das Museum, ja überhaupt die enge Koalition von Kunst und Mode stellen im Sinn von Imagekampagnen ein wünschenswertes Ziel dar. Zugleich berührt aber genau diese Zielprojektion die Doppeldeutigkeit der Mode, die sie als Thema des Zeitgeistes faszinierend und als Gegenstand der ästhetischen Theorie – bislang zumindest – fragwürdig macht. „Mode ist ein Skandalon“ (Kolesch 1998: 20). Diese Feststellung darf immer noch gelten – und verlangt zugleich nach einer gründlichen Revision. Denn im Kontext einer Analyse von Bedeutungsproduktion und Imagetransfer helfen moralisierende Abwertungen von Kultursegmenten wie der Mode ebenso wenig weiter wie ihre vorgebliche Entlarvung als Agentin des Profitinteresses, wie sie Theodor W. Adorno seinerzeit vorgetragen hat (vgl. Adorno 1973: 467-469, Kolesch 1998: 35f.) Adorno ließ Mode nur insofern gelten als sie den Warencharakter wenigstens offen zur Schau trägt, den die Kunst schamhaft verschleiert. Damit attestiert der Philosoph der Mode Ehrlichkeit und bescheinigt ihr zugleich die Frivolität, die man braucht, um Verworfenheit nicht zu verbergen, sondern offen auszuleben. Solch bitter ernsten Umgang mit einem Sujet, das ohne Leichtigkeit nicht existieren kann, mag man ebenso tragisch wie komisch finden. Abseits solcher Wertung interessiert Mode jedoch gerade als doppelwertiges Phänomen, das vielfältige Anschlüsse und Kontakte ermöglicht. Ihre Dimension der „Übergänge, Veränderungen, Verstöße gegen symbolische Grenzen“ (Wehinger 2002: 175) macht Mode zu einem Medium für Images, die in sich genauso leuchtkräftig wie fluktuierend sind. Dass Kunst und Mode in gleicher Weise eine „Aura von Kreativität, Luxus und Prestige“ (Lüddemann 2005) verströmen (können), steht sicher außer Frage. Darüber hinaus soll aber versucht werden, in Stichworten die Doppelgesichtigkeit der Mode und ihr Verhältnis zur Kunst soweit zu bestimmen, dass ihr Verhältnis
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als gegenseitige Bezugnahme klar werden kann. Damit verbindet sich hier keine Auf- oder Abwertung in irgendeiner Richtung, sondern lediglich die Absicht, ein Feld der Bedeutungsübertragungen zu umreißen, mit denen Kunstkommunikation bestens operieren kann. Kreation und Handwerk: Mode muss unbedingt als „schöpferische Leistung nach eigenem Recht“ (Heinzelmann 2001: 15) gelten. Zugleich ist sie aber auch nicht ohne den Bezug zum Handwerk zu sehen. Dieser doppelte Bezug gilt ebenso für die Kunst, deren Aufspaltung in Idee und manuelle Ausführung immer wieder Gegenstand von Debatten war – bis hin zu der extremen Position, Kunst im Zeichen der Konzeptkunst nur noch als reine Idee zu fassen, die von bloßer Handarbeit nichts mehr wissen muss. Selbst diese Abspaltung vollzieht Mode mit, indem sie den Créateur über den Schneider stellt – und dementiert sie zugleich wieder, indem Modeleute stets Wert darauf legen, dass sich ihre Schöpfungen immer auch einem intensiven Gefühl für Stoff und Schnitt verdanken. Haute Couture und Kollektion: Der eben aufgezeigte Gegensatz kann in diesem zweiten Begriffspaar erweitert und zugespitzt werden. Denn Mode differenziert sich in einen Bereich der reinen Kreation und einen anderen Bereich einer Produktion, die für den Verkauf an eine große Kundschaft vorgesehen ist. Der Gegensatz von kostbarem Einzelstück und Massenware führt zu einem „Spannungsverhältnis von Nützlichkeit und Ästhetik“ (Wehinger 2002: 170) innerhalb der Mode und weiter zu einer Trennung einer Geschichte der Meister der Mode vom Sektor einer entindividualisierten Fertigung. Die Zugehörigkeit zur Haute Couture wird nicht ohne Grund bis heute so streng reglementiert (vgl. Loschek 2005: 256). Denn erst die Abtrennung eines Bereichs der nur kreativen Leistung befähigt die Mode, sich der Kunst dadurch anzunähern, dass sie ihre Zweckgebundenheit transzendiert und eine Abfolge großer Schöpferindividuen sowie erkennbarer Stilhaltungen installiert. Innovation und Konvention: Schon der Sinn des Wortes Mode ist immer doppeldeutig. Mode steht auf der einen Seite für die „Permanenz des Wechsels“ (Bovenschen 1986: 13) und meint auf der anderen Seite eine verbindliche Regel. Dass etwas Mode ist, kann also zweierlei bedeuten – eine Innovation, die alle diejenigen ausgrenzt, die sie nicht mit vollziehen, und ebenso eine Konvention, die etwas als verbindlich vorschreibt. Mode umfasst demnach einen Regelkanon – etwa über angemessene Kleidungsstücke für bestimmte Anlässe – und zugleich den schnellen, kaum vorhersehbaren Wechsel, der veraltet erscheinen lässt, was eben noch Gültigkeit hatte. Das unablässige Innovationsgeschehen teilt die Mode mit der Kunst. Zugleich verbindet beide Bereiche ein Set an Regeln und Konventionen, die als Korrektiv gelten können, an denen sich Innovation zu messen haben – und aus denen sie immer wieder ihre Stoffe und Themen für innovative Lösungen beziehen. Laufsteg und Museum: Die Doppeldeutigkeit der Mode manifestiert sich auch anhand der Orte, an denen sie sich präsentiert. Zugleich erreicht Mode mit diesen Orten ganz unterschiedliche Aggregatzustände. Der Laufsteg ist Ort der Präsentation von Mode, die von Models vorgeführt wird. Auf dem Laufsteg wird Mode als Innovation präsentiert. Da Mode hier getragen wird, erscheint sie in ihrem Bezug zu den Körpern, die sie ausfüllen – und sie erscheint als flüchtiges Phänomen in Bewegung. Im Gegensatz dazu wird Mode in den
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letzten Jahren immer häufiger in Museen gezeigt. Die Modekreationen finden sich dann nicht nur in einem anderen, für sie eigentlich nicht vorgesehenen Kontext wieder. Zugleich wechseln sie nun auch die Bedingungen, unter denen sie wahrgenommen werden. Mode erscheint als Exponat einer Ausstellung. Sie ist nicht mehr – wie auf dem Laufsteg – in Bewegung, sondern an den Ort ihrer Aufstellung fixiert. Zudem entfällt der Bezug zum menschlichen Körper. Die Modekreation wird nur noch als leere Hülle präsentiert. Mit diesen unterschiedlichen Präsentationsorten und -weisen kann Mode ihre Doppelgesichtigkeit voll ausspielen – als unablässige Bewegung wie als still gestellte Klassizität, als Zeichen für den raschen Wandel des Zeitgeistes wie als Stellvertreter einer kulturellen Norm mit überzeitlichem Anspruch. Die Analyse des Phänomens Mode zeigt eine Vielfältigkeit, die sich nicht auflösen lässt. Im Gegenteil: Gerade die wechselnde Gestalt der Mode setzt Bedeutungsstrukturen ebenso wie Rezeptionsweisen immer neu in Bewegung. Mode hält Kontakt in Richtung der Kunst und zugleich in die Richtung des Zeitgeistes, der als vage Bezugsgröße vielerlei Assoziationen Raum gibt (vgl. Poschardt 2002: 159). „Die Grenzen zwischen Kunst und Mode sind fließend. Beide leben von Kreativität und Inspiration und interpretieren den Zeitgeist“ (Jandali 2007). Aus der Sicht der Mode verspricht der Kontakt mit der Kunst eine Aufwertung, die sich gestärktem kulturellem Prestige verdankt. Zugleich werden Modeleute jedoch darauf achten müssen, diese hilfreiche Koalition als lose Kopplung zu inszenieren. Denn Kunst impliziert Grenzsetzungen, die Mode nicht wollen darf, weil sie auch intensiven Kontakt mit den Bereichen halten muss, die sich mit Kunst nicht unbedingt vereinbaren lassen. Auch wenn Kunst wie Mode mit den Oberflächen von Bildern und Bildwelten zu tun haben – Mode kokettiert mit Oberflächlichkeiten, die sich Kunst in diesem Maß nicht leisten darf. Damit wird keine Abwertung der Mode durch die Hintertür wieder eingeführt. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass Kunst und Mode nicht als Geschwister, sondern nur als Partner in einer Koalition gesehen werden dürfen, die ihre Chancen wie ihre Risiken hat und auf jeden Fall immer nur von temporärer Dauer ist. Für die Kunstkommunikation ergeben sich in diesem Feld reiche Ansatzmöglichkeiten – und gleichzeitig Notwendigkeiten, Wertigkeiten und Ansprüche vorab klar voneinander abzugrenzen. Das Miteinander von Kunst und Mode definiert jedenfalls das hier zu diskutierende Fallbeispiel. Die Modemesse Igedo tritt zwar nur als Sponsor auf – richtet ihr Engagement aber auf eine Ausstellung, die ihre Faszination aus der temporären Begegnung von Mode und Kunst bezieht und profitiert so von den reichen kommunikativen Anschlüssen, die diese Konstellation eröffnet – von dem Sensations- und Prestigewert ganz zu schweigen.
12.3 Das Thema: Vivienne Westwood und Antoine Watteau 12.3 Das Thema: Vivienne Westwood und Antoine Watteau „Mode ist angewandte Kunst. (…) Es ist gut, sie im Museum zu sehen, aber noch besser ist es, sie am Körper zu bewundern“ (Thon 2006: 40). Dieses Zitat aus einem ihrer Interviews zeigt, dass Vivienne Westwood (vgl. Schütte 2005: 117-134) Mode als Teil der Kunst betrachtet, zugleich aber auch Distanz wahrt zu der Kunst wie sie uns als Museumsexponat begeg-
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net. Westwood betrachtet ihr Schaffen als „Form von Bildhauerei“ (ebd.); „sie positioniert sich explizit in der Nachbarschaft der bildenden Künste“ (Wehinger 2002: 171). Dies bezieht sich auf ihr Verständnis von Mode, auf ihre Arbeits- wie ihre Präsentationsweise. Westwoods Modekreationen verweisen damit auf einen Bereich der Hochkultur – und verdanken ihr Anregungs- wie Provokationspotenzial zugleich ihrer Herkunft aus der Straßenund Populärkultur der Punkbewegung (vgl. Krell 1997: 11f., Lehnert 1998b: 186, Wilcox 2006: 10ff.). So steht diese Modeschöpferin ebenso für einen „mutigen Nonkonformismus“ (Wilcox 2006: 9), ja sogar für die „Rebellion“ (Lehnert 1998b: 185) und erscheint zugleich als Verfechterin des guten Geschmacks, aus dessen Verlust in der Gegenwart sie Anzeichen für eine allgemeine Kulturkrise ableitet (vgl. Thon 2006: 46). Diese deutliche Polarität ihres Werkes wie ihres persönlichen Auftretens darf nicht als Widersprüchlichkeit missverstanden werden. Vielmehr zeigt sich darin ein durchgehendes Formgefühl, ja eine Stilhaltung, die jede kulturelle Äußerung, und damit auch die Mode, immer nur als persönliches Statement akzeptieren kann, dem äußerste Entschiedenheit in Fragen des Geschmacks innewohnt. Aufruhr und Konvention, Tabubruch und guter Geschmack, dazu das Motiv der Frau, die ihre Karriere selbstbewusst vorantreibt – in Person und Werk von Vivienne Westwood verschränken sich vielfältige Impulse und Motive zu einer kulturellen Position von hoher Faszinationskraft. Allein die Wahl von Vivienne Westwood als Thema einer Ausstellung garantiert besondere Aufmerksamkeit. Als einer der wenigen Namen der Modewelt hat Vivienne Westwood Einzug in die Alltagskultur gehalten, die Medienwelt ebenso wie die Diskussion um Geschmacksfragen vielfach angeregt und es zudem verstanden, sich über alle Wechsel der Kollektionen hinweg die Frische immer wieder kehrender Provokationen zu erhalten. Deshalb muss der Name Westwood als ideale Wahl für eine Kommunikationsstrategie gesehen werden, der es darum geht, ein Image der Kreativität zu festigen und zugleich Adressatengruppen anzusprechen, die sich nicht überschneiden müssen, sich aber auf jeden Fall vom Anregungswert der Modeschöpfungen Westwoods faszinieren lassen. Denn mit Vivienne Westwood wird eine Person aufgeboten, die Anhänger der Popkultur fasziniert und zugleich die Fachwelt der Mode durch ihr Können beeindruckt. Die Kombination von Glamour und Provokation sichert Westwood den hohen Anregungswert, von dem die Modemesse als Sponsor der Ausstellung im NRW Forum profitieren konnte. Die Entscheidung für Westwood implizierte auch eine Entscheidung für die Kunst. Und dies in mindestens dreifacher Hinsicht. Erstens war bereits festzuhalten, dass Westwood ihre Kreationen selbst unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachtet. Zweitens signalisiert nicht erst die Düsseldorfer Ausstellung eine von Westwood intendierte Bedeutungsverschiebung. Denn mit der Präsentation in Museen oder zumindest Ausstellungsforen verändert sich der Blick auf Designprodukte (vgl. Lüddemann 2002), die in der veränderten Umgebung an Wertigkeit und Beziehungsreichtum gewinnen und auch als optische Erscheinungen buchstäblich anders in den Blick kommen. Kleidungsstücke werden nun nicht mehr unter den Aspekten von Tragbarkeit, modischem Trend und dergleichen mehr betrachtet, sondern als skulpturale Gebilde von besonderem Eigenwert wahrgenommen. Rückblickend fügen sich die Kreationen einer Modeschöpferin zu einer Werkentwicklung, wie sie sonst nur bildenden Künstlern zugestanden wird. Drittens findet sich die Kunst in Arbeitsweisen und vor allem inhaltlichen Bezugnahmen Westwoods. Auch wenn das Da-
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tum ihrer ersten eigenen Modekollektion auf das Jahr 1981 (vgl. Krell 1997: 13) und damit mitten in die Postmoderne fiel – Westwood hatte bereits zu Beginn ihrer Beschäftigung mit Mode bewiesen, dass sie sich darauf verstand, vorhandene Mode umzuarbeiten und disparate Stilrichtungen kreativ neu zu kombinieren. „Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, dass die Vergangenheit (…) auf neue Weise ins Auge gefasst werden muss: mit Ironie, ohne Unschuld“ (Eco 1986:78). In dieser Perspektive handelte Westwood schon Anfang der siebziger Jahre postmodern, indem sie Kleidungsstücke der Jugendkultur der fünfziger Jahre neu gestaltete und überhaupt Kleidungsstücke und Accessoires aus unterschiedlichen Provenienzen kombinierte. Später weitete Westwood dieses Verfahren aus, indem sie sich auf bildende Kunst frührer Epochen bezog und über bloße Zitate hinaus vor allem die „ironische Neureflexion“ (ebd.: 80) von Elementen der kulturellen Tradition betrieb (vgl. Schütte 2005: 123). „Sie kopiert die historischen Originale und verändert sie dann entsprechend oder passt sie unserer modernen Zeit an“ (Krell 1997: 13): Dieses grundsätzliche Verfahren wird bei Vivienne Westwood unterschiedlich ausgeprägt. Ihre Hinwendung zur Kunst des 18. Jahrhunderts (vgl. Schütte 2005: 129), die immer wieder Anregungen für Westwoods Kreationen liefert, manifestiert sich in zitathaften Übernahmen wie den Motiven aus berühmten Gemälden, die sie auf Kleidungsstücke aufdrucken ließ (vgl. Loschek 2005: 579). 1990/91 gehörte zur „Portrait“-Kollektion eine Korsage, auf der ein Ausschnitt aus François Bouchers Gemälde „Daphne und Chloë. Schlafende Schäferin“ von 1743/45 zu sehen war (Wilcox 2006: 108, vgl. Krell 1997: 15). Über solche Anleihen hinaus hat Westwood die Historie auch noch viel direkter zum Thema ihrer Mode gemacht – indem sie historische Kleidungsstücke wie Korsett oder Krinoline in ihre Schöpfungen integrierte. Die Modeschöpferin vollzog diesen Schritt vor allem mit der „Mini Crini“-Kollektion (vgl. Wilcox 2006: 19f.) von 1985, mit der sie nachdrücklich einst als einengend disqualifizierte Kleidungsstücke neu etablierte und sie damit im Kontext ihrer Mode zu Erkennungszeichen für das Lebensgefühl der emanzipierten Frau und überhaupt unkonventioneller Lebenskonzepte machte. Solch komplexer Umgang mit künstlerischen Vorbildern und Bezügen geht zugleich über das bloße Zitat deutlich hinaus. Westwoods Methode verrät die Sensibilität der gestalterischen Anverwandlung ebenso wie das differenzierte Denken in historisch vermittelten Analogien. Deshalb muss vor allem ihr Bezug zum künstlerischen Werk von Antoine Watteau (1684-1721) besonders ernst genommen werden. Gerade Watteau vereinigt zwei Aspekte, die Westwood offensichtlich faszinieren. Da ist zum einen „dieser undefinierbare Hauch, der den Frauen den Charme, eine Koketterie und Schönheit verleiht“ (Bauer 1992: 13) und so eine Aura erotischer Inszenierung der Frau schafft. Und zum anderen die Nostalgie einer entrückten Welt, in die sich eigene Wünsche nach einem verlorenen Glück projizieren lassen (vgl. Elias 2000: 59). Allein diese beiden Aspekte sind nicht allein wichtige Merkmale der Bildwelten Watteaus, sondern zugleich auch das Substrat genau der Träume, zu deren Einlösung sich die Mode als Vehikel anbietet. Ob das Rokoko Watteaus oder Westwoods Mode – beide eint die Lust an spielerischer Unverbindlichkeit und das präzise Gespür für Selbstinszenierungen. Westwood hat sich, wie bekannt, ganz direkt auf Watteau bezogen – mit Kreationen wie dem „Watteau“-Abendkleid (Wilcox 2006: 8) und dem Gestaltungselement der „Watteaufalte“ (vgl. Lehnert 1998b: 196, Loschek 2005: 500), die am Rückenansatz eines
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Kleides angenäht wird und dessen Rückenpartie gestaltet. Die Faszinationskraft, die Watteau auf Westwood ausübt, kann in folgende Aspekte gefasst werden:
Erotische Ausstrahlung Inszenierung des Selbst Veränderbare Körpersilhouetten Glücksversprechen Ambivalenz von Gestaltungen und damit verbundenen Konnotationen
Bildwelten, in denen „die Fiktion zum Alltag und die Wirklichkeit zum Theater wird“ (Roland Michel 1984: 359) sowie ein Künstler als Gestalt des historischen Übergangs – solche Unfassbarkeit macht Watteau für die Mode zur anziehenden Figur. Denn dieser Maler ist ein Mann der ambivalenten Situierungen. Als Künstler erfolgreich und zugleich in der Pflege seines Werkes nachlässig, Erfinder einer künstlerische Konvention überschreitenden Bildgattung, der seine Zeit erst den Namen der „Fêtes Galantes“ (vgl. Börsch-Supan 2000: 80) geben muss und obendrein Hauptfigur der kurzen Übergangszeit der Régence, in der seine Hauptwerke wie die „Einschiffung nach Kythera“ entstehen (vgl. Bauer 1992: 57) – Watteau ist ebenso prominent wie schwer greifbar und setzt damit genau das Anregungspotenzial frei, dass kreative Prozesse in Bewegung bringt. Vivienne Westwood teilt mit Watteau das Gefühl für historische Übergänge und Verschiebungen, die sich im Habitus der Menschen ebenso zeigen wie in ihrer Kommunikation. Diese Erfahrung gestaltet Antoine Watteau in seinen Gemälden und es ist sicher kein Zufall, dass sein bekanntestes Gemälde – eben die „Einschiffung nach Kythera“ – ein Musterbeispiel der ebenso suggestiven wie diffusen Wirkungen ist. Seine Mehrdeutigkeit rückt das Bild in die Nähe von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ (vgl. Elias 2000: 17). Wie sehr das generelle Motiv des Übergangs und Szenen transitorischer Verwandlung Watteaus Werk bestimmen, zeigt ein kurzer Blick auf das „Kythera“-Bild. Bevor sich die Wirkung dieser Bildfindung in der spätesten Version, dem heute in Berlin aufbewahrten Gemälde von 1719 (Roland Michel 1984: 226f.) voll entfalten kann, muss der Künstler dem Motiv des Aufbruchs mehrerer Paare zur Venusinsel erst die volle Beweglichkeit verleihen. Die beiden früheren Fassungen sind natürlich nicht einfach als Vorstufen zu verstehen. Besonders das „Frankfurter“ Bild mit seiner steifen Personenregie (ebd.: 219) belegt jedoch, wie groß der Veränderungsprozess war, den Watteau bei seinem wichtigsten Gemälde vollzog. Mit seiner vollen Plastizität gewann das Motiv der Liebeswerbung aber auch die Aura einer verzögerten und damit erst recht verlockenden Erotik (vgl. Held 1985: 68). Watteau arrangiert das Geschehen des Aufbruchs zur Liebesinsel als Abfolge unterschiedlicher Stationen der Liebeswerbung (vgl. Roland Michel 1984: 214) und entwickelt damit ein differenziertes visuelles Vokabular fein abgestufter Gefühlszustände. Vor allem die letzte „Kythera“-Version kann als Reigen von fünf Personengruppen analysiert werden, die den Vorgang des Werbens vorführen – von der zärtlichen Aufforderung über das Zögern, erste Berührungen bis hin zum Besteigen der von Amoretten umschwebten Barke. Zwischen dem Zielpunkt der Barke und dem Ausgangspunkt einer Venus-Statue ordnen sich die fünf Stationen im Bild zu einer kurvigen Linie an, die wie ein Vorläufer jener „Line of Beauty and Grace“ wirkt, die William Hogarth erst 1753 als neues Schönheitsideal ausrief (vgl. Ullrich
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2005: 31ff.). Die gewundene S-Linie als visuelles Zeichen für die Turbulenz der Gefühle wie für eine Wirklichkeitssicht, die vor allem die Veränderbarkeit des Lebens fokussiert – mit diesem Bildkonzept verweist Watteau auf die Welt der Mode, die den Menschen nicht als gegeben hinnimmt, sondern ihn zum Gegenstand immer neuer Inszenierungen macht. Watteau verwirklicht den Gedanken der Inszenierung des Lebens, indem er seine Bildszenen an eigentümlich unbestimmten Orten spielen und den sozialen Stand der Figuren im Ungewissen verschwimmen lässt. Ob es dem Künstler gleich um eine soziale Utopie im Gewand des Themas der Liebe gegangen ist (vgl. Held 1985: 29ff.), mag hier offen bleiben. Watteau erschließt immerhin mit seinen Bildern eine völlig neue, weil in sich fein abgestufte Welt ausgesprochen differenzierter und dabei auch gegenläufiger Empfindungen (vgl. Elias 2000: 23). Den Ausdruck dieser Gefühlswelt legt der Maler nicht in Gesichter und ihr Mienenspiel, sondern in eine Choreographie der Körper. Gefühle zeigen sich darin, wie Menschen ihren Körper positionieren – vor allem im Raum und im Verhältnis zu anderen Menschen. Die Valeurs dieser Körperhaltungen werden in der Kleidung sichtbar, die in der Bildwelt Watteaus eine herausragende Rolle spielt. Nicht nur das Kythera-Gemälde zeigt, das Kleider mit ihrer unablässigen Bewegung Körper modellieren und so eine ganze Skala an Ausdruckswerten eröffnen. Watteau hat diese Wirkungen in vielen Darstellungen minutiös studiert – vor allem anhand der Rückenfalte, die eine Frauenfigur in jedem Augenblick anders erscheinen lässt (vgl. Roland Michel 1984: 129, Held 1985: 20, Börsch-Supan 2000: 19). In dem bereits erwähnten „Watteau“-Abendkleid zitiert Vivienne Westwood diese Silhouette des 18. Jahrhunderts, die ihren subtilen Reiz daraus bezieht, dass sie den Körperumriss mal betont, mal verwischt. Ein weiteres Beispiel für die Adaption der Bildwelten Watteaus ist auch das „Watteau“-Jackett (Wilcox 2006: 167), dessen Vorderseite eine klare Linie mit Ausschnitt und Revers zeigt, während die Rückseite des Kleidungsstückes als freier Faltenwurf gegensätzlich gestaltet ist. Auf diese Weise erscheint die Ambivalenz von Watteaus Figurenkonzept kongenial in die Mode des 20. Jahrhunderts übersetzt. Westwood folgt Watteau in seinem Impetus, die Frau in seinen Bildern nicht einfach nur zu zeigen, sondern sie selbst als Kunstwerke erscheinen zu lassen (vgl. Börsch-Supan 2000: 25). Denn es ist die Kleidung, die der Frau eine neue Bewegungsmöglichkeit gibt, die vor allem eine kulturelle Dimension meint. In der unablässig changierenden Erscheinung liegt eine bislang ungewohnte Vielfalt des Ausdrucks. Vivienne Westwood hat dieses Konzept begriffen und sich bei ihrer Watteau-Adaption vom Klischee des leichtlebigen Rokoko (vgl. Bauer 1992: 10f.) nicht beirren lassen. Ihre Reaktion auf Watteau und weitere Künstler (nicht nur des Rokoko) zeigt stattdessen, wie Positionen der Kunst über das bloße Zitat hinaus in der Mode so adaptiert werden können, dass sie in verwandelter Gestalt neue kulturelle Kraft und Wirkung entfalten.
12.4 Das Event: Die Ausstellung als Kreuzungspunkt von Mode und Kunst 12.4 Das Event: Die Ausstellung als Kreuzungspunkt von Mode und Kunst Mode und Kunst – in der Ausstellung des NRW Forums Kultur und Wirtschaft erschien diese Koalition vordergründig als Kombination aus Modekreationen von Vivienne West-
12.4 Das Event: Die Ausstellung als Kreuzungspunkt von Mode und Kunst
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wood und Reproduktionen einzelner Gemälde von Boucher und Watteau. Wie gerade analysiert, spielt die Bezugnahme auf Kunst in der Mode Westwoods selbst eine herausragende Rolle. Entsprechend schnell haben sich für Westwoods Kreationen auch Museumstüren geöffnet.1983 erwarb das Londoner Victoria and Albert Museum zum ersten Mal ein Kleid von Vivienne Westwood (vgl. Wilcox 2006: 16). Seitdem folgten weitere Ankäufe sowie mehrere Museumspräsentationen. Die Düsseldorfer Schau, die zunächst im Victoria and Albert Museum zu sehen war, versammelte „mehr als 150 Damen-Ensembles aus drei Jahrzehnten“ (Schwarz 2006). Die Präsentation wurde mit der rückwärts laufenden Uhr eröffnet, die auch das Londoner Geschäft der Westwood ziert (vgl. Kaiser 2006). Die Ausstellung vollzog nicht nur die Chronologie einer Modelinie nach, sondern spielte auch mit unterschiedlichen Inszenierungsformen. Mit Fetzenkleidern hinter Maschendrahtzäunen zitierte sie Westwood als „Heroine des Tabubruchs“ (Schwarz 2006), um später Abendroben auf großzügigen Podesten oder Kostüme hinter Glas im Stil des kostbaren Museumsexponats zu zeigen. Trendy wie die Alltagskultur, prestigeträchtig wie die Hochkultur – so bot sich die Ausstellung in beziehungsreicher Doppeldeutigkeit dar (vgl. Hüster 2006). Zugleich wurde dieses Kulturevent auch sehr deutlich als Signal für die Modemesse Igedo interpretiert. Die Westwood-Schau erbrachte einen Imagegewinn für die Stadt, die als Modestandort „nach dem besten Weg aus dem schleichenden Bedeutungsverlust“ (Kaiser 2006) sucht. Dies sahen auch die Igedo-Verantwortlichen so, der Schau vor allem attestierten, für herausragende Aufmerksamkeitswerte gesorgt zu haben. Analog zu der Darstellung der Kunstkommunikation der Firma Dornbracht kann nun auch die entsprechende Strategie der Modemesse Igedo entsprechend des in Kapitel 8 entworfenen Ablaufmodells analysiert werden. Kunst: Kunst kommt in dem gerade dargestellten Prozess vor allem als Objekt und vor allem Institution in den Blick. Die Positionen des Diskurses und der Erfahrung treten dahinter zurück. Denn die Westwood-Ausstellung lebt wesentlich von dem Transfer der Designprodukte in den Kontext der Institution Museum. Die Modekreationen erscheinen in einer Institution, die zunächst einmal der Kunst vorbehalten ist, eine deutliche Aufwertung. Dabei spielt das NRW Forum eine aufschlussreiche Rolle. Dieser 1998 eröffnete Ausstellungsort wird von einem privaten Betreiber betreut, der von einem Trägerverein per Managementvertrag beauftragt ist. In diesem Trägerverein ist neben Stadt Düsseldorf und Land Nordrhein-Westfalen auch die Düsseldorfer Messe vertreten. Das Forum finanziert seine Ausstellungen ausschließlich über Sponsoring und Einnahmen. Zudem versteht sich das Ausstellungsprogramm als permanentes Crossover der Themen und Trends. Die Institution adelt Westwoods Mode demnach mit ihrer Aura des Ausstellungsortes, bindet sie zugleich aber auch in soziale und ökonomische Bezüge ein. Neben der Institution ist der Faktor Objekt deshalb besonders relevant, weil die Modekreationen – wie oben analysiert – den Bezug zu künstlerischen Vorbildern in ihre Gestalt aufgenommen haben. Sie zitieren Kunst und interpretieren sie neu, weil sie deren Formlösungen und Inszenierungsweisen in den anderen Kontext des Designs übertragen. Akteure: Bei den Akteuren dominieren eindeutig Künstler und Kurator. Dagegen treten Initiator und Kritiker klar zurück. Natürlich besteht die Rolle des Initiators darin, sich für
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eine bestimmte künstlerische Position zu entscheiden. Im Fall von Vivienne Westwood stellt diese Wahl jedoch kein besonderes Risiko dar. Die Modemesse wählt eine Position, deren Prominenz und kulturelle Prägekraft vielfach erprobt ist und deshalb als abgesichert gelten darf. Die Künstlerin – die Modeschöpferin Westwood sei hier so angesprochen – prägt die Ausstellung. Ihre gestalterische Kraft steht dabei ebenso im Mittelpunkt wie ihre Fähigkeit, Trends zu setzen und Konflikte auszuhalten, die mit provokanten Modeschöpfungen heraufbeschworen werden. Deshalb setzt dieser konkrete Prozess der Kunstkommunikation zentral auf die ästhetische Qualität der Position Westwoods – und auf deren massenmediale Präsenz. Daneben prägen vor allem die Kuratoren diese Kunstkommunikation Analog zur Position der Institution im Kompaktbegriff der Kunst kann hier festgehalten werden, dass Kuratoren als Gatekeeper entscheidenden Anteil an der heutigen Positionierung der Mode Westwoods deshalb haben, weil sie ihr den Weg in den Kontext der Ausstellungsinstitutionen eröffnet haben. Auf diesem Hintergrund wird klar, dass die Rolle der Kritiker marginal ausfällt. Ihre Funktion beschränkt sich hier – anders als beim Beispiel Dornbracht – auf den Transport der Intentionen der Kommunikationsstrategie in die Medien. Aktionen: Die spezifische Rollenverteilung bei den Akteuren schlägt sich auch bei den zugeordneten Aktionen nieder. Für den Initiator bleibt nur das Auswählen als zentrale Aktivität. Im Fall der Westwood-Ausstellung hatte er keine Aufträge zu vergeben; auch das Rekrutieren war von untergeordneter Bedeutung. Dem Initiator genügte die richtige Wahl einer gewichtigen Position der Modegeschichte. Dagegen liegt das Hauptgewicht im Feld der denkbaren Aktionen auf dem Kreieren. Letztendlich erhält diese Strategie der Kunstkommunikation ihre Schwungkraft allein aus der kreativen Leistung der Künstlerin/Modeschöpferin. Ihre Fähigkeit, Mode und Kunst, Kleidungsstücke und Kunstgeschichte zu verbinden, sichert den Ausstellungsexponaten einen herausragenden Beziehungsreichtum, der vielfältige Sichtweisen möglich macht und es erlaubt, an diese Position der Mode vielfältigste Kommunikationen auf sehr unterschiedlichen Niveaus zu knüpfen. Daneben ist nur noch das Bereitstellen und Komponieren der Kuratoren von Belang. Denn sie stellen ihre Ausstellungsorte als Institutionen bereit, die Westwoods Mode einen neuen Resonanzraum bieten und es ihr erlauben, im Bereich der Kultur auf einer neuen Relevanzstufe wahrgenommen zu werden. Weiter fügen Kuratoren die Modekreationen zu Ausstellungsinszenierungen, bei denen vor allem die Darbietungsweisen eine besondere Rolle spielen. Anders als beim Defilee der Modewelt müssen in der Ausstellungsinstitution Rauminszenierungen gefunden werden, die Mode als Exponate erfahrbar machen. Dem Kommentieren bleibt in diesem Szenario nur geringer Raum. Auf dieser Ebene eröffnet sich nur die Möglichkeit, die Westwood-Darbietung auf ihre kulturellen Konnotationen hin zu analysieren. Ihr Geltungsanspruch kann hingegen kaum in Frage gestellt werden. Kommunikationsformen: Deshalb ist es auch keine Überraschung, dass in diesem Szenario der Kunstkommunikation das Evaluieren kaum eine Rolle spielt. Anders als beim Beispiel der Firma Dornbracht geht es nun nicht mehr darum, neue Arrangements der Bedeutungen erst noch zu entschlüsseln oder innovative Bild- und Gestaltungslösungen zu interpretieren. Vivienne Westwood bedarf solcher, erst noch aufschließender Deutung nicht mehr. Sie ist nicht nur Modelabel, sondern auch Marke der Massen- und Medienkultur. Größere Bedeu-
12.4 Das Event: Die Ausstellung als Kreuzungspunkt von Mode und Kunst
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tung nimmt da schon das Vermitteln insofern ein, als die Mode Westwoods nun zum Gegenstand der Kommunikationsaktivitäten wird, die für den Kunstbereich üblich sind. Modekreationen werden nun ausgestellt, zum Gegenstand von Katalogen gemacht oder gar für den Bestand von Museen angekauft. Sie werden damit in den Kreislauf eingespeist, der aus Objekten Exponate und damit Positionen in einem Prozess der Herstellung von kultureller Bedeutung macht. Noch wichtiger ist hier nur noch das Transferieren einzuschätzen, wobei besonders instruktiv ist, dass dieser Prozess nicht nach der Produktion von Kunst einsetzt, sondern bei Vivienne Westwood bereits Teil ihrer kreativen Arbeit ist. Denn die Modeschöpferin macht mit vielen ihrer Kreationen die Anverwandlung von Kunst zu sichtbarer Gestalt. Der Transfer der Kunst in neue Bereiche von Bedeutung geschieht im Schaffensprozess. Westwoods Mode bezieht aus den Vorbildern der Kunst nicht nur neue gestalterische Ideen, sondern auch einen kulturellen Beziehungsreichtum, der ihr vielfältige Anschlussmöglichkeiten sichert. Zielprojektion: Die Zielprojektion richtet sich nach den Kommunikationszielen der Modemesse Igedo. Die eingesetzte Kunst soll Aufmerksamkeit erregen, international Beachtung für den Standort erzeugen, Kompetenz für Mode und ihre Trends signalisieren sowie ein Zeichen für Kreativität setzen. All dies gelingt nur, weil mit Vivienne Westwood ein Gegenstand gefunden wird, der all diese Bedingungen erfüllt. Die eher unspezifische, weil auf viele Adressatengruppen gleichzeitig gerichtete Zielprojektion kann nur erfüllt werden, weil das Thema der Ausstellung entsprechend viele Faktoren und Eigenschaften glaubwürdig verkörpert – und weil es bereits eine denkbar weiter Wirkung in der Öffentlichkeit garantiert. Insofern ist die Wahl Westwood gelungen. Ihr Nachteil: Eine Wahl dieses Zuschnitts erfordert Themen, die jeweils bereits in der ästhetischen Diskussion durchgesetzt und in der öffentlichen Wahrnehmung gut verankert sind. Nur dann kann eine so weit gefasste Zielprojektion erfolgreich angegangen werden. Damit soll die Zielprojektion des diskutierten Fallbeispiels jedoch nicht voreilig kritisiert werden. Ihre Grenzunschärfe entspricht auch den Erwartungen von Personengruppen, denen es nicht um fest umrissene Botschaften geht, sondern um ein Fluidum im Sinn einer sozialen Atmosphäre. Im Trend liegen, kreativ sein, kulturelle Querverbindungen mit vollziehen können und anderes mehr verbindet sich zu einem Lebensgefühl der „Kreativen“. Diesen Erwartungshaltungen entspricht eine Westwood-Ausstellung vollkommen, die auch deshalb positive Identifikation ermöglicht, weil die Modewelt in ihr findet, was sie sucht: Anregungswert bei gleichzeitiger Selbstbestätigung. Medium: Das spezifische Medium der vorliegenden Kunstkommunikation ist weitaus weniger komplex strukturiert als beim Fallbeispiel 2, der Firma Dornbracht. Die Komponenten des spezifischen Mediums müssen nicht erst gesucht und dann miteinander in Beziehung gesetzt werden. Sie sind bereits in Vivienne Westwood und ihrem Lebenswerk vorhanden. Dabei geht es vor allem um Kunst und Träger, die in den Kreationen der Modeschöpferin zueinander finden und eine unauflösliche Verbindung eingehen. Die Frage nach der Kunst kann hier sogar in doppeltem Sinn beantwortet werden. Auf der einen Seite lassen sich die Modekreationen selbst der Kunst zuordnen, wenn bestimmte definitorische Vorentscheidungen in Fragen des Stellenwertes der Mode entsprechend beantwortet sein sollten. Auf
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12 Fallbeispiel 3: Modemesse Igedo, Vivienne Westwood und Kreativität
der anderen Seite kehrt die Kunst in dieser Mode, wie dargestellt, als Reminiszenz und Zitat, als Aura und Designakzent wieder. In dieser Sicht erscheint das Kleidungsstück als Träger, das die Kunst gleichsam transportiert. Beide Aspekte sind jedoch untrennbar miteinander verbunden – als zwei Seiten eines kulturellen Phänomens, dessen Faszinationskraft unstreitig ist. Dagegen treten die beiden anderen Positionen des Mediums zurück. Einen gewissen Stellenwert behauptet noch die Position des Kontextes. Hier ist zu vermerken, dass die Mode im Bereich einer Ausstellungsinstitution eine deutliche kulturelle Aufwertung mit Beglaubigungscharakter erhält. Unspezifisch ist dagegen die Botschaft gehalten. Sie reduziert sich hier auf einen Namen, der aber eine wichtige Qualität der Berühmtheit erfüllt – er ist selbst Botschaft. Rezeption: Die Rezeption der Ausstellung bot, wie zu erwarten, keine Hindernisse. Da Vivienne Westwoods Tabubrüche zeitlich weit zurückliegen, kann auch der Provokationswert ihrer Persönlichkeit als längst akzeptierter kultureller Wert, also als Teil des Mainstreams angesehen werden. Im Gegenteil: Die Aura der Unkonventionalität sichert Vivienne Westwood sogar besondere Beachtung, die sich in der Rezeption der Ausstellung eindeutig niederschlug. Über unsere Darstellung hinaus kann hier summarisch festgehalten werden, dass die Präsentation das erhoffte, weit ausstrahlende Medienecho erzielte und sowohl national wie international hohe Aufmerksamkeitswerte erreichte. Dies gilt für unterschiedliche Zielgruppen, von der breiten Öffentlichkeit bis hin zu Fachkreisen der Modewelt. Konsequenzen für die Kunst: Anders als im Fallbeispiel der Firma Dornbracht muss hier ein weitaus einseitigerer Effekt der Kunstkommunikation konstatiert werden. Das Image der initiierenden Modemesse erscheint deutlich gefestigt, während die Effekte für die Kunst weitaus diffuser erscheinen – wenn sie denn überhaupt ausgemacht werden können. Die Wahl eines unproblematischen, weil allseits akzeptierten Gegenstandes der Kunstkommunikation garantiert im vorliegenden Fallbeispiel einen intensiven Imagetransfer, setzt aber kaum nachhaltige Effekte frei. Vivienne Westwood steht für eine medial durchgesetzte Marke, aber nicht für eine kontroverse Position der Kunst, die heute noch Reibung erzeugt und zu wirklichen Kontroversen herausfordert. Insofern muss die Konsequenz für die Kunst eher negativ beurteilt werden. Sie erschöpft sich in dem dekorativen Aspekt, der sich mit den Reminiszenzen an die Kunst des Rokoko ergeben. Immerhin zeigt die Kunst in den Modekreationen Westwoods ihre Leistungsfähigkeit, die unter anderem in der Fähigkeit besteht, produktive Reformulierungen ihrer selbst anzuregen. Dies zu erkennen bleibt allerdings einer Minderheit des Ausstellungspublikums überlassen. Ansonsten wirkt auch im Kontext dieser Modeposition die Kunst – auf die Gefahr hin, gar nicht erkannt zu werden.
13 Kunstkommunikation als Kulturmanagement – ein Fazit 13 Kunstkommunikation als Kulturmanagement – ein Fazit
Mit diesen Durchgängen durch unser Modell der Kunstkommunikation anhand mehrerer Fallbeispiele hat sich nicht nur die Leistungsfähigkeit des Modells bestätigt. Zugleich ist auch deutlich geworden, wie in der schrittweisen Analyse eines konkreten Falles die individuellen Gewichtungen der jeweiligen Kommunikation deutlich hervortreten. Das Modell eignet sich somit nicht nur zur Planung eines neuen Prozesses der Kunstkommunikation, sondern auch zu einer Analyse bereits vollzogener Prozesse. Anhand der Analyse können Stärken und Schwächen herausgearbeitet und vor allem Vereinseitigungen aufgespürt werden. Nicht zuletzt machen die Durchgänge durch die Etappen des Modells deutlich, dass Kunstkommunikation tatsächlich als geordneter Managementprozess angegangen werden und damit aus dem Bereich bloßer Inspiration herausgehoben werden kann. Diese Praxis ist danach einer strategischen Planung zugänglich und kann deshalb als Teil des Kulturmanagements ernst genommen werden. Die Beschäftigung mit Kunstkommunikation lenkt aber den Blick auch nachdrücklich auf die Tatsache, dass Kulturmanagement nicht einseitig als instrumentelles Handeln verstanden werden und auf Fragen materieller Ressourcen, organisatorischer Planungen und so weiter reduziert werden darf. In der aktiven Kopplung von Kunst und Kommunikation entstehen neue Potenziale und konkrete Erscheinungen eines sozialen Sinns, der ohne das Handeln des Kulturmanagers nicht sichtbar werden würde. Der Kulturmanager darf sicher nicht mit dem Künstler verwechselt werden. Aber er gestaltet Umfelder und Rezeptionsformen, in denen die Kunst wirken kann. So erzeugt der Kulturmanager über den Prozess der Kunstkommunikation indirekt Bedeutungen. Diese Einsicht verleiht dem Kulturmanagement ein neues Gewicht, verweist aber auch auf Sorgfaltspflichten. Neues Gewicht erhält das Kulturmanagement dadurch, dass ihm mit dem Handling der Kunstkommunikation eine ausgesprochen inhaltliche Dimension zuwächst. Kulturmanagement ist eben doch mehr als ein neutrales Management ohne Rücksicht auf Inhalte. Zur gleichen Zeit erwächst dem Kulturmanager damit aber auch die Verpflichtung, sein Handeln an inhaltlichen Kriterien der Kunst und Kultur auszurichten und seine Eingriffe in diesen Bereich als solche wahrzunehmen und zu bedenken. Kunstkommunikation schärft darüber hinaus die Aufmerksamkeit dafür, dass Kulturmanager Grenzwerker sind. Das erhöht den Reiz ihrer Tätigkeit, beinhaltet aber auch besondere Risiken. Sie sind dort tätig, wo Kunst und Kommunikation nicht voreilig miteinander verwechselt, sondern sorgsam aufeinander bezogen werden. Dies erfordert die richtige Einschätzung von produktiven Potenzialen ebenso wie von Unvereinbarkeiten. Damit ist zugleich klar, dass nicht alle Kunst in jedem beliebigen Kontext einfach so „gemanagt“ werden kann. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass der Kulturmanager unbedingt über inhaltliche Kenntnisse seines Gegenstandes verfügen muss. Zugleich sollte er sinnvoll abschätzen können, welche Bezüge zwischen Kunst und Kommunikation und damit auch
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13 Kunstkommunikation als Kulturmanagement – ein Fazit
zwischen Kunst und gesellschaftlichen Handlungsfeldern sowie Diskursthemen wirklich sinnvoll sind. Da es in diesem Zusammenhang immer wieder um Verknüpfungen und nicht um unzulässige Identifizierungen ging, sind mit „Kunst“ und „Medium“ zwei zentrale Begriffe als mehrstellige Kompaktbegriffe aufgestellt worden. Dies war nicht als Unentschiedenheit zu verstehen, sondern als Komposition zu begreifen. Denn erst mit diesem Begriffsdesign kommt die Vielfalt der Bezüge in den Blick, die der Kulturmanager nicht nur bedenken, sondern auch in ihrem Zusammenspiel steuern muss. Dabei geht es nicht allein um Objekte, sondern auch um Orte und Diskurse, um mediale Kontexte ebenso wie um konkrete Akteure und explizite Botschaften. Kompaktbegriffe schärfen dabei nicht nur den Blick für heterogene Bezüge, sondern machen auch darauf aufmerksam, dass wir es bei der Kunstkommunikation nicht mit einsträngigen Übermittlungen, sondern mit komplexen Feldern zu tun haben, in denen unterschiedliche Faktoren und Energien zusammenwirken. Dieses Arrangement der Kräfte zu gestalten, gehört bei der Kunstkommunikation zu den zentralen Aufgaben des Kulturmanagers. Entsprechend ging es in diesem Buch auch darum, Kommunikation mit Kunst entlang unseres Modells als eine Technik des Managements zu etablieren und zu zeigen, dass diese Vorgänge der Planbarkeit – in bestimmten Grenzen – durchaus zugänglich sind. Dazu gehört vor allem, Potenziale und Risiken solcher Kommunikationsprozesse sinnvoll abschätzen und dabei die Interaktion mehrerer Variablen im Auge behalten zu können. Zu diesen Variablen gehören dann natürlich weitere Praxisfelder des Kulturmanagements, die hier nicht eigens angesprochen worden sind. Wer Kunstkommunikation betreibt, sollte Organisationsformen ebenso im Blick haben wie Fragen der Kulturfinanzierung oder methodische Kenntnisse wie eben die der kunstgeschichtlichen Hermeneutik. Erst aus dem Zusammenspiel dieser Wissensbestände und methodischen Fertigkeiten ergeben sich innovative Lösungen. Von hier aus öffnet sich die Perspektive auf das gesamte Kulturmanagement. Es sollte deutlich gemacht werden, dass Kulturmanager nicht nur Randbedingungen von Kulturproduktion steuern, sondern an ihrer Entstehung einen zentralen Anteil haben können.
14 Literaturverzeichnis 14 Literaturverzeichnis
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