McGillens Weg � »Es tut mir leid, Pat, dir nichts Besseres sagen zu können«, murmelt der alte Doc und füllt zwei Wasser...
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McGillens Weg � »Es tut mir leid, Pat, dir nichts Besseres sagen zu können«, murmelt der alte Doc und füllt zwei Wassergläser mit Whisky. »Trink erst mal, Pat. Ich fand längst heraus, daß man manche Dinge auf dieser Welt mit etwas Feuerwasser im Bauch leichter ertragen kann.« »Hör auf mit dem Geschwafel, Doc«, grollt Patrick McGillen, und in seinen rauchgrauen Augen funkelt es. »Sag mir lieber, was ich tun kann, anstatt mir Schnaps einzugießen. Man muß doch etwas tun können – oder?« Der Doc trinkt erst sein Glas aus. Dann wischt er sich über den graugelben Seehundsbart. »Sicher, man könnte ihr vielleicht helfen«, überlegt er. »Doch das kostet ein Schweinegeld. Da mußt du erst mal dreitausend Dollar hinlegen und dann jeden Monat nicht weniger als zweihundert Dollar berappen. Hast du so viel Geld? Wenn ich mich nicht irre, bekommst du als Sheriff sechzig Dollar im Monat und ein paar Spesen, freie Wohnung, freien Mietstall – und eine kostenlose Beerdigung. Na?« Patrick McGillen nickt langsam. »Sicher«, sagt er, »ich bekomme sechzig Dollar im Monat und ein paar Vergünstigungen. Das erschien mir viel. Es gestattete mir, Nancy zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. Ja, ich war dankbar für diesen Job. Und ich verdiente mir mein Geld redlich – oder?« Der alte Doc betrachtete ihn traurig. »Ohne dich«, sagt er dann, »wäre es dieser Stadt schon längst verdammt dreckig ergangen. Fast ein halbes Dutzend unserer Bürger verdanken dir ihr Leben, die Erhaltung ihres Eigentums und … Ach, was rede ich darüber. Das ist doch alles so klar, Pat McGillen.« »Na also«, sagt McGillen. »Ich habe eine Menge Freunde in dieser Stadt. Ich habe nie jemanden ohne Hilfe gelassen. Nun brauche ich Hilfe. Meine Freunde lassen mich nicht im Stich. Und wohin muß ich Nancy bringen, wenn ich das Geld zusammenbekommen habe?« »Ich gebe dir einen Brief mit«, sagt der Doc. »Nach Boston muß sie. Dort gibt es einen berühmten Chirurgen, der Nancy helfen kann. Ich las durch Zufall in einer alten Zeitung von der Möglichkeit einer solchen Operation.« Patrick McGillen nickt. Dann greift er nach dem Glas, leert es in einem Zug und geht. Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe schon als Band 712 und im WesternBestseller als Band 1426.
Es ist früher Mittag. Die kleine Stadt Spanish Springs wirkt friedlich und freundlich. Der Tag ist schön und nicht zu warm. Von der Schmiede klingen Hammerschläge, und in der Hauslücke zwischen Store und »Corbins« Waffenhandlung und Büchsenmacherei spielen Kinder. Patrick McGillen kann sich noch an eine Zeit erinnern, da man die Kinder tagelang in den Häusern hielt und die meisten Bürger aus Furcht selbst in ihren Häusern blieben. Patrick McGillen ist groß, hager und dunkel. Seine langen Beine sind leicht gekrümmt. Er bewegt sich scheinbar lässig, aber in dieser Lässigkeit ist eine Geschmeidigkeit verborgen, die unheimlich schnell reagieren kann. Vor sechs Jahren ritt Patrick McGillen als junger Cowboy in den Krieg. Und als Kriegsheld des Südens kehrte er vor einem Jahr zurück. Spanish Springs war damals ein wildes Nest, in dem sich der Abschaum der Grenze und das Strandgut des Krieges sammelte. Jetzt können Kinder wieder arglos auf der Straße spielen. Pat McGillen betritt die kleine Bank. Er nickt Roswells Angestellten zu und öffnet die Schranke. »Er ist noch drinnen?« fragt er dabei. Der Angestellte nickt. McGillen klopft kurz an und tritt ein. Roswell sitzt bullig hinter seinem Schreibtisch. Durch das Fenster hatte er den Sheriff schon kommen sehen. »Hallo, Patrick!« sagt er herzlich. »Wollen Sie eine Zigarre? Einen Drink? Als ich Sie über die Fahrbahn kommen sah, dachte ich, welch ein Glück es war, daß diese Stadt Sie damals zum Sheriff machte. Ein wirkliches Glück! Ich hörte, daß es Ihrer Frau nicht gutgeht? Vielleicht sollten Sie mal mit ihr nach Santa Fe reisen. Dort gibt es gewiß bessere Ärzte. Auch die Armeeärzte konnten während des Krieges genug Erfahrungen sammeln. Wenn Sie mich fragen, ich würde es in Santa Fe bei einem Armeearzt versuchen, dem auch der Colonel seine Frau anvertraut. – Oder?« McGillen sieht ihn schweigend an und setzt sich. Dann sagt er ernst: »Roswell, ich brauche eine Menge Geld. Ich muß meine Frau zu einem Spezialisten nach Boston bringen. Und selbst nach der Operation wird sie noch einige Monate in dieser teuren Klinik bleiben müssen. – Roswell, ich brauche etwa viertausend Dollar. Und ich bin sicher, daß Sie mir dieses Darlehen günstig geben werden.« Er verstummt. Er wirkt sicher und ruhig. Der Blick seiner hellgrauen Augen ist fest auf den Bankier gerichtet. Aber dieser hält dem Blick nicht lange stand. Er greift vielmehr in die Zigarrenkiste und beschäftigt sich umständlich damit, einer Zigarre die Spitze abzuschneiden und sich wenig später in Rauchwolken einzuhüllen. Aber McGillen wartet geduldig und schweigt. Roswell sagt nach einer Weile: »Wenn ich selbst viertausend Dollar Bargeld besitzen würde – Patrick, ich schwöre es Ihnen –, so würden Sie diese von mir bekommen. Aber ich besitze so viel Bargeld nicht. Und die Bank kann Ihnen keine viertausend Dollar leihen. Sie haben keine Sicherheiten, Patrick. Was Sie und Ihre Frau besitzen, ist ein paar Hunderter wert – mehr nicht. Und schon ein rachsüchtiger Revolverschwinger kann Sie aus dem Hinterhalt abknallen. Ich kann Ihnen wirklich nicht viertausend Dollar
Bankgelder anvertrauen. Dieses Geld gehört mir ja nicht. Es wurde mir von Kunden anvertraut, die von mir dafür Zinsen haben wollen. – Es tut mir leid, McGillen.« Nach diesen Worten pafft er wieder an seiner Zigarre. McGillen beugt sich vor. »Diese Bank«, sagt er, »wurde zweimal überfallen und ausgeraubt. Die Banditen kamen einmal nicht aus der Stadt – und einmal keine dreißig Meilen weit. Ich mußte töten und Blut vergießen. Aber ich brachte einmal siebzehntausend und ein anderes Mal dreiundzwanzigtausend Dollar zurück. Diese Bank wäre schon pleite ohne mich. Wenn es in dieser Stadt und in diesem Distrikt eine Sicherheit gibt, dann bin ich diese Sicherheit. – Oder?« Auch Roswell beugt sich vor. »Ich kann Ihnen keine viertausend Dollar geben«, sagt er. »Sie sind ein guter Sheriff. Diese Bank, diese Stadt und fast alle Menschen hier verdanken Ihnen sehr viel. Aber Sie schufen sich Feinde. Sie müssen ständig mit einer Kugel aus dem Hinterhalt rechnen. – Patrick, Sie sind einer Bank nicht sicher genug. Und halten Sie sich bitte nicht für unentbehrlich. Wir würden in dieser schlechten Situation schnell einen Ersatz für Sie finden.« Patrick McGillen erhebt sich langsam. Er geht wortlos zur Tür und sagt nichts mehr. Sein Weg führt zum General Store. Er ist der größte Store im Umkreis von fast hundert Meilen. Er besitzt eine eigene Frachtlinie und versorgt einige entlegene Minen, die mit Gold zahlen. Dwight Abbot ist glatzköpfig und hager. Er steht neben seiner jungen mexikanischen Frau hinter dem Ladentisch und betrachtet die grüne Seide, die sich die Frau über Schulter und Brust geschickt zurechtlegte. Sie lächelt ihn dabei an. Aber dann nimmt Abbot doch seinen Blick von ihr und nickt dem Sheriff zu. »Was kann ich für Sie tun, Sheriff?« McGillen sieht sich um. Außer ihnen ist niemand im Laden. Da wiederholt er seine Bitte, die er schon Roswell vortrug. Die Augen des Storehalters hinter der Nickelbrille sind fast wimpernlos und wirken starr. »Sie waren schon bei Roswell, nicht wahr?« fragt er. »Ich bin ihm nicht sicher genug«, sagt McGillen. »Der Sheriff von Spanish Springs ist der Bank nicht sicher genug. Sind auch Sie dieser Meinung, Dwight? Oder …« »Wie wollen Sie das Geld jemals zurückzahlen, selbst wenn Ihnen in den nächsten zehn Jahren nichts zustoßen sollte? Patrick, wie wollen Sie viertausend Dollar zurückzahlen?« McGillen schweigt. Er nagt an seiner Unterlippe. Sein dunkles Gesicht wirkt hart und fast ein wenig piratenhaft. Aber der Blick seiner grauen Augen ist zuverlässig. In seinem Gesicht sind ein paar Narben. Der Stern an seiner Weste gibt seinem harten Aussehen eine eindeutige Bedeutung. Man glaubt ihm den ruhigen, zuverlässigen, aber auch harten und gefährlichen Gesetzesvertreter. »Ich weiß nicht, wie ich das Geld zurückzahlen kann«, murmelt er schließlich. »Aber ich dachte mir, daß ich hier Freunde hätte. Ich habe für diese Stadt eine Menge getan. Und damals, als …« »Schon gut, Patrick«, unterbricht ihn Abbot. »Ich weiß genau, was Sie auch für mich taten, als mich die Haggertys erschießen wollten, nur weil ich ihnen keinen Kredit mehr
geben wollte. Sie waren betrunken und kamen in der Nacht zurück, um mich auszurauben. Sie wollten mich erschießen, wenn ich ihnen meinen Geldschrank nicht öffnen würde. Da kamen Sie, Sheriff. Aber das war Ihre Pflicht. Sie waren der Sheriff und sind es immer noch. Es ist ein Job, den man ausfüllen muß. Man kann ihn sich nicht mit viertausend Dollar bezahlen lassen. – Es geht nicht.« Patrick McGillen starrt ihn eine Weile an. Dann geht er. Hinter ihm sagt die junge Mexikanerin: »Er liebt seine Frau sehr. Seitdem sie von der Leiter fiel und gelähmt ist, will sie nicht mehr leben. Es muß für ihn schlimm sein, ihr nicht helfen zu können. Diese Stadt sollte sich zusammentun und viertausend Dollar auftreiben. Denn solch einen Sheriff bekommt sie nicht wieder.« »Das mag sein«, sagt Abbot. »Doch jetzt, so kurz nach dem Krieg, ist ein einziger Dollar so groß wie ein Wagenrad. Die Leute trennen sich nicht gerne von ihrem Geld. Die Zeiten sind zu schlecht. Und er hat keine Sicherheiten zu bieten. Schon heute bei seiner Nachtrunde kann ihn ein wilder Bursche aus dem Hinterhalt abknallen. Dann ist er tot und …« * Patrick McGillen geht weiter durch die Stadt. Er geht in beide Saloons und trifft dort außer den Saloonbesitzern auch drei Besitzer von guten Gold- und Silberminen, die es sich leisten könnten, viertausend Dollar zu verleihen. Seit langer Zeit überfällt man in diesem Distrikt keine Gold- und Silbertransporte mehr. Auch die Lohngelder für die Minen kommen unbehelligt durch. Aber es hat eine Menge rücksichtslosen Einsatzes gekostet, als Begleitmann mitzufahren und immer wieder zu kämpfen. Er wurde zweimal verwundet und tötete wilde Burschen, die an ihr Glück glaubten. Nun geht er durch die Stadt und sucht nach einer Chance für seine gelähmte Frau. Viertausend Dollar braucht er. Am Nachmittag weiß er endlich, daß er sie in ganz Spanish Springs nicht bekommen wird. Nicht mal ein paar kleine Summen bekommt er zusammen. Mit dieser Erkenntnis macht er sich am Nachmittag auf den Heimweg. Er geht an seinem Office vorbei und betritt das kleine Haus daneben, das er mit seiner Frau bewohnt. Es ist kaum mehr als eine Holzhütte, die früher einem Erzprüfer als Büro und Labor diente. Von dem Zimmer, das sie als Schlafzimmer benutzen, geht eine Tür auf eine zum Garten gelegene Veranda. Es ist kein großer Garten, aber er bietet Nancy eine kleine Welt mit engen Grenzen. Sie sitzt in einem Rollstuhl und ist dabei, für Mrs. Roswell einen Umhang zu häkeln. Sie wendet den Kopf und hebt das Gesicht, um Patrick McGillen ansehen zu können. Doch er kniet bei ihr nieder. Sie küssen sich. Als sie ihn danach eine Weile betrachtet hat, sagt sie: »Du hattest Ärger, Patrick. Erzähl mir, welchen Ärger du hattest.« Er zögert, aber er weiß längst, daß er sie an seinen Problemen teilnehmen lassen muß,
mögen sie gut oder schlecht sein. Er kann sie nicht ausschließen. Sie ist ohnehin schon ausgeschlossen genug. Die Zeit, die sie mit ihm um die Wette ritt, leichtfüßig laufen, tanzen und springen konnte, ist noch frisch in seiner Erinnerung. Es ist noch nicht lange her. Mit einemmal war sie von allem ausgeschlossen und dazu verurteilt, hilflos zu warten. Aber sie möchte nicht von seinem Tageslauf ausgeschlossen sein. Jetzt noch weniger als früher, als sie noch für zwanzig Dollar Gehalt im Monat die Kinder von Spanish Springs unterrichtete. Er küßt sie wieder, diesmal auf beide Augen, Nase und Mund. Dann erhebt er sich und tritt an den kleinen Tisch. Er schenkt sich aus dem Tonkrug etwas Limonade ein und trinkt sie langsam. Dabei ertappt er sich, daß er Zeit gewinnen will, während sie auf eine Antwort wartet. Gleichzeitig weiß er, daß sie jetzt unwiderruflich vor einer Entscheidung stehen. Er setzt den Becher ab und sieht Nancy an. »Ich gebe meinen Posten auf, Nancy. Ich muß mir einen anderen Job suchen, der besser bezahlt wird. Der Doc hat sich noch einmal informiert. Er hat eine alte Fachzeitschrift gefunden, die ihm vor einigen Monaten jemand von der Ostküste sandte. Er hatte sich schwach daran erinnert, daß darin etwas stand, was für dich wichtig ist. Gestern hat er den Artikel noch einmal gelesen und danach in seinen Büchern nachgeschlagen. Er war sogar seit mehr als zwanzig Stunden nicht betrunken. – Nancy, er meint, daß es für dich eine Chance gibt, wenn ich dich nach Boston zu einem bestimmten Arzt bringen kann. Aber ich brauche für den Anfang viertausend Dollar. Und niemand in dieser Stadt ist bereit, sie mir zu borgen. – Das sind die Dinge, die mich beschäftigen. Ich gab mir Mühe, damit du es mir nicht ansehen konntest. Aber du kannst bis in mein Inneres sehen, Nancy.« Sie nickt und sieht ihn immer noch fest an. »Es wäre schön«, murmelt sie dann, »wenn es eine Chance für mich gäbe Ich bin erst vierundzwanzig Jahre alt, und wir hatten uns Kinder gewünscht. Wir wollten eine Ranch haben. Was kann ein Mann mit solch einer Frau anfangen? – Oh, Patrick, es wäre schön, wenn ich eine Chance hätte. Doch woher wollen wir viertausend Dollar nehmen? Ebenso könntest du versuchen, mir den Mond vom Himmel zu holen. Du kannst niemals auf ehrliche und redliche Art viertausend Dollar verdienen. Das geht nicht so schnell – Patrick, was willst du tun?« »Mach dir keine Sorgen«, sagt er. »Ich weiß noch nicht genau, was ich tun werde und wie ich es tun soll. Aber ich werde etwas tun. Nancy, ich würde sogar alles tun, alles! Ich verspreche dir, daß wir bald nach Boston zu jenem berühmten Professor fahren können. Auch Geld werden wir dann genug haben. – Und noch eines verspreche ich dir, Nancy. Es wird kein gestohlenes oder geraubtes Geld sein, Ich werde immer innerhalb des Gesetzes bleiben. Aber vielleicht muß ich einige Tage fort. Ich sage dann Dolores Rodriges Bescheid, daß sie sich mehr als sonst um dich kümmert.« Wieder blickt ihn Nancy fast starr an. Und er fühlt, daß von ihr etwas ausgeht, das tief in ihn eindringt. Dann sagt sie: »Patrick, würdest du vielleicht doch etwas tun, was böse und unredlich wäre, nur um das Geld zu beschaffen? – Ehrlich, Patrick!« Da nickt er. »Ich würde ein Dutzend Morde begehen!« sagt er, und es bricht wild aus ihm heraus.
»Ich habe während der vergangenen Monate einige Männer getroffen und Blut vergossen, um die Guten vor den Bösen zu schützen. Ich habe für Recht und Frieden gesorgt und den Besitz der Redlichen geschützt. Ich habe für die menschliche Gemeinschaft, die mir den Stern gab, Blut vergossen und getötet, Warum soll ich nicht auch mal töten, damit meine Frau wieder gesund werden kann?« Er erkennt in ihren Augen eine Mischung von Schrecken und Hoffnung, von Sorge und Freude. Es sind zwei Kräfte, zwei Strömungen, zweierlei Gefühle, die Nancy bewegen. Aber der Wille, die kleinste Chance zu nutzen und alles zu wagen, ist plötzlich riesengroß in ihr. Sie legt die Häkelarbeit wieder zur Seite. »Ich möchte wieder gehen können, reiten, springen, laufen, schwimmen. Ich möchte wieder leben, Patrick! Ich war eine schöne Frau. Wenn ich ging, sah man mir nach und …« »Ich weiß«, sagt er rauh. »Ich beschaffe mehr als nur viertausend Dollar. Wenn es sein muß, viel mehr. Und wenn es hunderttausend Dollar kosten würde, an mir wird es nicht liegen.« Er tritt wieder zu ihr, kniet nieder und küßt sie. Ihre Arme sind weich, geschmeidig und voller zärtlicher Kraft. Sie umfaßt seinen Nacken und klammert sich an seine Schultern. »Ja, Patrick«, sagt sie, »du wirst es schon schaffen. – Das Leben wäre so schön. Ich will arm sein und barfuß gehen, wenn ich nur wieder laufen kann. Ja, verschaff mir eine Chance. Doch paß auf dich auf! Achte auf dich! Was nützt es mir, vielleicht wieder gesund zu sein, wenn ich um dich weinen müßte?« * Wie immer füllte sich die kleine Stadt Spanish Springs gegen Abend. Reiter von entlegenen Ranches oder Siedlungen kommen herein. Erzwagen – mit durstigen Minenarbeitern beladen – kommen von den Minen her. Aus verborgenen Camps in den wilden Hügeln treffen Reiter ein. Ruhelose, Streuner und Tramps, die nach irgendwelchen Chancen suchen wie hungrige Wölfe, tauchen in Spanish Springs auf. Patrick McGillen betritt nach Anbruch der Nacht den Alamo Saloon. Die drei Stadträte und Wahlmänner von Spanish Springs sitzen am Stammtisch. Es sind der Bankier Roswell, der Storebesitzer Dwight Abbot und der Besitzer des Alamo Saloons. Mit jedem hat er heute im Laufe des Tages wegen des Darlehens verhandelt. Es sitzen noch drei andere Männer am Tisch, auch einer der drei reichen Minenbesitzer, die McGillen um Geld bat. Sie sind wie immer an diesem Samstag beim Poker. Als er zu ihnen an den runden Tisch tritt, sehen sie ihn an. Sein Stern blinkt matt im Lampenlicht, und unter seiner Hutkrempe glitzern seine rauchgrauen Augen. Er schiebt den Hut weit zurück, und nun können sie erkennen, wie hart sein dunkles, festgefügtes, piratenhaftes Gesicht ist. »Hallo, Sheriff«, sagt einer von ihnen, aber es klingt etwas verlegen. Im Saloon wird es still. Man hat hier ein feines Gefühl für besondere Strömungen. Und jetzt spürt man eine Strömung wie einen kalten Hauch. Der Sheriff sieht die Tischrunde an, die ihm einst im Auftrag der Bürgerschaft den
Stern gab. Dann wirft er den Stern auf den Tisch – mitten auf die Pokerkarten und zwischen das Geld. »Hier habt ihr euren Stern zurück«, sagt er. Mehr nicht. Er wendet sich um und macht drei Schritte. Da holt ihn die Stimme des Bankiers ein. Roswell sagt scharf: »McGillen, das können Sie doch nicht tun!« Pat McGillen blickt über die Schulter zurück. »Das kann ich«, sagt er. »Diese lausige Stadt bietet mir nicht genug Sicherheiten. Ich denke nicht mehr daran, noch länger für ein lumpiges Gehalt die Guten vor den Bösen zu beschützen und aus diesem Grund Blut zu vergießen. – Nicht mehr!« Nach diesen Worten geht er endgültig. Im Saloon bleibt es still. Aber jeder Mann, der nüchtern genug war, um zuzuhören, weiß nun, daß Spanish Springs und der dazugehörige Distrikt ohne Sheriff sind. Aber das ist noch nicht alles. Patrick McGillen war ein Revolver-Sheriff, ein Revolverkämpfer, der zu der Gilde der ganz Großen gehört. Sein Mut und seine Kühnheit befähigten ihn dazu, sich auch dann noch zu behaupten, wenn andere Männer aufgaben. Für McGillen gibt es keinen Ersatz. Die Bösen werden wieder Oberhand gewinnen. Es sind genügend Böse im Saloon. Sie begreifen in der nächsten Minute, daß alles schlagartig anders wurde. Nun brauchen sie sich nicht mehr zurückzuhalten. Sie haben keinen Revolver-Sheriff mehr zu fürchten. Sie können jetzt wie früher über die Stränge schlagen. Daß Spanish Springs wieder frei ist, wird sich in Windeseile bis in die verborgenen Camps herumsprechen, wo die Geächteten leben mit ihrem Haß gegen das Gesetz und die menschliche Gemeinschaft. Nun werden sie wieder nach Spanish Springs kommen. Denn wovor sollten sie sich fürchten? Einen neuen Sheriff von gleicher Art wird es so bald nicht wieder geben. Vielleicht nie wieder. Während Patrick McGillen im Office ein paar Sachen packt und im Dienstbuch die letzte Eintragung macht – daß er hiermit seinen Dienst beendet –, jagen Reiter durch die Nacht. Denn diese Neuigkeit ist wichtig. * Drei Tage vergehen, und mit jeder Nacht wird Spanish Springs wilder. Jede Nacht verlöschen die Lichter in den Häusern früher, und man verrammelt Türen und Fenster. Nur in den Saloons geht es wild zu. Schlägereien sind nicht mehr selten. Die irischen Minenarbeiter, die von den Minen her in die Stadt kommen, lassen sich auch von Vieh- und Pferdedieben, von Straßenräubern und revolverschwingenden Satteltramps nicht einschüchtern. Selbst die friedlichsten Typen unter den Weidereitern werden in diesen Tagen wilder.
Die Saloonwirte verdienen. Sie finden bei den berufsmäßigen Spielern Unterstützung, und sie werben sich einige Revolverhelden und Schläger als Rauswerfer und Hauspolizisten an. Es ist erstaunlich, wie schnell Spanish Springs eine wilde Stadt wird, in der allein die Stärkeren bestimmen und sich mehr und mehr eine wilde Horde bildet. Vom ehemaligen Sheriff sieht man nicht viel. Patrick McGillen lebt mit seiner Frau in dem kleinen Holzhaus. Bisher zahlte die Stadt die Miete an die Witwe Dolores Rodriges. Nun zahlt McGillen die zehn Dollar selbst. Man sieht ihn oft mit dem leichten zweirädrigen Wagen vorfahren, seine Frau heraustragen und in den Wagen heben. Dann fahren sie zum nahen Creek hinüber. Dort gibt es einen schönen Platz unter schattigen Bäumen. McGillen angelt dort. Nancy sitzt mit einer Handarbeit dabei. Sie verbringen herrliche Tage im Freien. Aber jeder weiß, daß ihre Mittel bald erschöpft sein müssen. Viele Wochen oder gar Monate halten sie dieses Leben nicht durch. Es ist klar, daß Patrick McGillen auf etwas wartet. Darüber beginnen sich einige Leute den Kopf zu zerbrechen. Es sind Männer, die langsam begreifen, daß die Zeit für McGillen arbeitet. Am vierten Tag besucht der Bankier Roswell die McGillens am Creek. Es ist in der Mittagszeit, als die Bank geschlossen ist. Mit seinem Pferd brauchte der Bankier etwa fünf Minuten. Nancy McGillen sitzt in einem bequemen Sessel aus Weidengeflecht im Schatten eines Baumes. Der Creek macht hier einen scharfen Knick, und Nancy hat eine gute Übersicht. Nancy liest aus einem Buch vor. McGillen liegt neben ihr ausgestreckt im Gras. Nancy unterbricht sich, als Roswell absitzt, und McGillen richtet sich auf. Roswell sagt: »Ich bin befugt, Ihnen ein gutes Angebot zu machen, McGillen. Wir verdreifachen Ihr Gehalt. Hundertachtzig Dollar im Monat und alles andere frei. Aber Sie müssen sofort wieder die alte Ordnung schaffen.« »Nein«, sagt McGillen und beginnt, sich eine Zigarette zu drehen. Roswell schnauft, geht zu einem Stein, setzt sich und betrachtet Nancy. Sie erwidert seinen Blick fest. Roswell nickt ihr zu. »Ich kann verstehen, Madam«, sagt er, »daß Sie nach jeder Chance greifen, die sich plötzlich ergibt. Dieser alter Säufer von einem Doc hat euch einen Floh ins Ohr gesetzt. Aber ich sage Ihnen, Madam, daß McGillen dabei schnell zur Hölle sausen könnte. Es ist, als würde er wegen eines augenblicklichen Vorteils seine Seele dem Teufel verschreiben. – McGillen, Sie wissen nicht genau, ob der berühmte Professor in Boston Ihrer Frau helfen kann. Diese Stadt aber bietet Ihnen …« »Keine Sicherheit«, sagt McGillen hart. »Geben Sie es auf, Roswell.« Der Bankier seufzt. »Ich weiß genau, auf was Sie warten, McGillen«, sagt er. »Sie warten darauf, daß die wilde Horde einen Gold- oder Lohngeldtransport überfällt oder meine Bank ausraubt. Mann, soll ich vielleicht vor Ihnen auf den Knien rutschen? Sollen alle Leute, die für Geld oder Gold verantwortlich sind, eine Sammlung für Sie veranstalten und Ihnen ein Vermögen schenken?« »Ich will nichts geschenkt«, sagt McGillen, und seine Stimme klingt spröde und hart. »Ich werde mir jeden Dollar ehrlich verdienen, den meine Frau und ich nötig haben. Bei
unserer bescheidenen Lebensführung reichen unsere Ersparnisse noch ein paar Wochen. – Roswell, ich nehme nur noch Viertausend-Dollar-Jobs an. Und nun gehen Sie bitte wieder.« Roswell geht zu seinem Pferd und sitzt auf. Wortlos reitet er davon. Erst als er außer Hörweite ist, beginnt er böse zu fluchen. * Roswell bleibt an diesem Tag nicht der einzige Besucher, der das Paar an dem Platz am Creek aufsucht. Am späten Nachmittag kommt nochmals ein Reiter. Es ist Carlo Gonzales, ein hartgesichtiger, pockennarbiger Hombre, der einen Hut mit spitzer Krone, einen alten Colt und irgendwo am Körper verborgen ein halbes Dutzend Wurfmesser trägt. Er zieht sie über die Schulter unterhalb des Nackens aus dem Hemd heraus. Dort trägt er – fast wie eine kurze Weste – eine sechsfache Scheide. Gonzales bleibt im Sattel und zieht vor Nancy den Hut. »Hau ab, Gonzales«, sagt McGillen trocken, doch nicht unfreundlich. »Nur eine Frage und eine Auskunft, Señor Sheriff«, grinst Carlo Gonzales. »Wissen Sie, Señor, die ganze Sache ist etwas verwirrend. Was werden Sie eigentlich tun, sollten in diesem Gebiet hier ein paar Bandidos fleißig werden?« McGillen grinst. Dabei verändert sich sein dunkles Gesicht. Es wirkt jungenhafter und nicht mehr so hart. Er ist ein Mann, der auch freundlich aussehen kann. Er sagt: »Carlo, alter Compadre, ich kenne deine Amigos gut. Ich weiß ziemlich genau, wer dich schickt, um mir auf den Zahn zu fühlen. Aber ich sage dir, daß ich kein Sheriff mehr bin und nie wieder einer sein werde.« Gonzales betrachtet ihn nachdenklich. »Aber wir hörten, daß Sie einen Viertausenddollar-Job suchen, Señor.« »Das stimmt, Carlo.« McGillen sagt es immer noch grinsend und lacht Carlo an. Da nickt dieser, zieht vor Nancy seinen Hut und reitet wortlos davon. Nancy sieht Patrick an. »Was bedeutet das?« fragt sie. McGillen ist nun ernst. »Carlo war schon immer ein treuer Anhänger der Stoneman-Brüder. Er dient ihnen als Spitzel, als Koch, als Pferdebursche – und was sie sonst noch von ihm verlangen. Sie wollten sich versichern, wie hoch mein Preis ist. Und sie werden ihn zahlen, wenn ihre Beute nur groß genug ist.« »Und dann?« fragt Nancy etwas spröde und hat große Augen. Sie wirkt irgendwie angespannt und so, als könnte sie nicht mehr atmen. »Dann wirst du in Boston Hilfe eines berühmten Chirurgen bekommen«, sagt McGillen ruhig. »Nur das allein zählt, Nancy. Nichts anderes.« Sie schließt ihre Augen, senkt den Kopf und lauscht in sich hinein. Aber als sie dann den Kopf hebt und die Augen öffnet, nickt sie. »Ich bin keine Heilige«, sagt sie. »Ich will leben und gesund sein. Ich will dir eine richtige Frau sein. Patrick, ich liebe dich und weiß, wie glücklich ich dich machen kann. Ich will, ich will, ich will. – Patrick, du hast für die menschliche Gemeinschaft immer
wieder dein Leben eingesetzt, du hast alles gewagt und warst bereit, alles zu geben. Doch als wir selbst in Not kamen, gab es keine Hilfe. – Wir haben viel gelernt, nicht wahr, Patrick?« Er nickt wortlos. Er sieht Nancy fast mitleidig an, doch sie merkt es nicht. Sie blickt ins Leere und starrt über den Creek hinweg in die Ferne, als könnte sie dort in die Zukunft sehen. Als sie ihn wieder ansieht, wird ihr Gesicht fast hart. Sie sagt: »Ich könnte selbst eine Bank überfallen, wärst du an meiner Stelle, Patrick. Ich würde es für dich tun. Aber du brauchst ja keine Bank zu überfallen, keinen Geldtransport zu rauben. Du brauchst es zum Glück nicht.« Er nickt. Dann beginnt er, ihre Siebensachen einzusammeln und das Pferd an den Wagen zu spannen. * Am nächsten Tag kommt ein großer Lohngeldtransport nach Spanish Springs. Er kommt zwei Tage früher als üblich. Diese Überraschung hat sich die Postgesellschaft in Übereinstimmung mit der Versicherung ausgedacht. Aus diesem Grund gelangt der Transport unbehelligt ans Ziel. Damit hat der Bankier Roswell den Schwarzen Peter. Es sind mehr als achtzigtausend Dollar; denn in den Dutzend Minen, die im Umkreis von zwanzig Meilen in Betrieb sind, arbeiten an die tausend Miner. Sie verdienen vier Dollar die Schicht. Die Männer kommen zur Lohnzahlung nach Spanish Springs. Sie lösen ihre Lohnschecks bei der Bank ein. So einfach ist das. Die Bank verdient daran. Aber dafür trägt sie auch die Verantwortung. Und jetzt muß sie diese Verantwortung sogar zwei Tage und zwei Nächte früher tragen. Bankier Roswell versucht nun seinerseits etwas so vergeblich wie McGillen vor Tagen eine andere Sache. McGillen wollte viertausend Dollar auftreiben. Es gelang ihm nicht. Roswell aber versucht, bewaffnete Männer zu finden, die gewillt sind, in der Bank zu leben und zu wachen. Aber er kann nicht jeden Mann nehmen, den er bekommen könnte. Es stellt sich sogar heraus, daß er keinen Mann von denen, die sich für den Job anbieten, einstellen kann. Dann würde er das Geld gerade von jener Sorte bewachen lassen, die es gerne haben möchte. Und Männer, denen er trauen könnte, kann er nicht bekommen. Sie lehnen seine Bitten, ihm zu helfen, mit zum Teil sehr einfallsreichen Ausreden ab. Der Bankier John Roswell und sein einziger Angestellter sind allein. In der Stadt geht es auch in dieser Nacht wild und verrückt zu. Eine Sonderpost mit Tanz- und Amüsiermädchen kam an. Sie wollten zum Lohn- und Zahltag hier in Spanish Springs sein. In dieser Nacht gibt es zwei Schießereien und ein halbes Dutzend Schlägereien. Als es dann langsam Tag wird, ist es, als wäre die Stadt in Ohnmacht gefallen. Sogar
aus den Saloons klingen nicht mehr die Schreie und das Lachen der Mädchen. In der Bank erhebt sich Roswell aus dem Sessel, in dem er die ganzen Stunden mit der Schrotflinte über den Knien saß und die Vordertür bewachte. Er ruft durch den Gang seinem Gehilfen zu, der die Hintertür bewachte: »Nun ist es wohl gut, Simmons! Ich gehe nach oben und koche Kaffee für uns. Einen guten Kaffee haben wir uns verdient.« »Yes, Sir!« erwidert Simmons laut. Er will sich erheben, um nach vorn in den Schalterraum zu gehen, als er das Papier sieht. Es wird langsam von draußen unter der Tür hindurchgeschoben. Simmons erhebt sich, geht hin und nimmt das Papier. Mach die Hintertür auf. Dann bekommst Du einen Anteil von uns, Du armer Hund. Einen fairen Anteil! Sonst bekommst Du heißes Blei, sobald Du in den nächsten Tagen deine Nase aus der Tür schiebst. Lauf zu uns über, denn das Geld holen wir auf jeden Fall. Simmons liest das alles lautlos. Er ist lang und dünn, krumm und häßlich. Seit einiger Zeit hat er einen bösen Husten, den er nur mit Mühe unterdrückt, wenn Roswell oder Kunden in seiner Nähe sind. Simmons weiß über seinen Husten Bescheid. Schon sein Vater und sein älterer Bruder litten daran. Er müßte in die trockene Hochwüste oder nach Colorado ziehen. Aber dazu gehören mehr als die einhundertsechzig Dollar, die er sich bisher sparen konnte. Simmons denkt auch daran, daß der Sheriff hier Schluß machte, weil es keine Hilfe für seine Frau gab. Es wird auch für Simmons keine Hilfe geben, wenn er sich nicht selbst hilft. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß sie ihn abschießen werden, wenn er nicht zu ihnen überläuft. Gegen diese Banditen, die jetzt wieder die Oberhand bekommen, ist er nur ein Wurm. Simmons steckt das Papier in die Tasche, schiebt den Riegel der Tür zurück und dreht den Schlüssel im Schloß herum. Die Männer, die hereinkommen, sind maskiert. Aber er erkennt sie dennoch. Diese Figuren haben nur die drei Stoneman-Brüder. Ben ist massig, fast dick. Slim ist lang. Und Pete hat die krummsten Beine auf gewiß fünfhundert Meilen in der Runde. Sie schieben Simmons zur Seite und … * Erst eine Stunde später, als die Sonne schon hochkommt, wird in Spanish Springs bekannt, daß die Bank ausgeraubt worden ist. Roswell konnte sich endlich von seinem Knebel befreien und so laut um Hilfe brüllen, daß man es draußen auf der Straße hörte. Es laufen nicht viele Leute zusammen. Selbst jene, die gekommen waren, um Roswell zu sehen und sich dessen Bericht anzuhören, gehen bald wieder. Denn alle haben Angst, in einem Aufgebot reiten zu müssen, das Roswell selbst führen will. Es bleiben fünf Mann übrig, und Roswell weiß, daß diese nur zum Schein ein paar Meilen weit reiten werden. Dann wird er von ihnen zu hören bekommen, daß es ja doch
keinen Sinn hätte, weil sie keine Langreiter wären wie diese Banditen, auf schlechten Pferden säßen und … Oh, er wird dann eine Menge Gründe zu hören bekommen. Sie sagen ihm schon jetzt, daß man einen Sheriff haben müsse, einen erstklassigen Sheriff, so einen wie früher. Der Schmied fügt schwerfällig hinzu: »Aber der war uns nicht sicher genug als Schuldner, nicht wahr? Sonst hätten wir alle zusammengelegt und ihm das Geld beschafft. Selbst wenn wir es nie zurückbekommen hätten, wäre das immer noch kein so großer Verlust gewesen wie alles, was jetzt noch kommen wird. Denn es ist ja wohl allen klar, daß in unserem Land die Banditen das Kommando übernommen haben. Jetzt kann uns nur noch einer der ganz großen Revolverkämpfer helfen. Und er muß dabei auch noch redlich und ehrenwert sein. Wir brauchen einen Mann, wie wir ihn hatten. Wir sollten zu ihm gehen und …« »Ich versuche es noch mal«, unterbricht ihn Roswell müde. Denn er weiß in diesem Moment, daß er kein Aufgebot zusammenbringen kann, mit dem er auch nur eine schwache Chance hätte. Roswell ist auch noch aus einem anderen Grund ratlos. Auf seinen Bankgehilfen Simmons glaubte er sich verlassen zu können wie auf einen treuen Hund. Simmons hätte er alles anvertraut. Dennoch hat ihn Simmons verraten und ist mit den Banditen verschwunden. Was geht in dieser Welt vor, daß sogar Leute wie Simmons zu Wölfen werden? Diese Frage stellt sich Roswell fortwährend. Er winkt plötzlich ab und sagt zu den Männern: »Ein Aufgebot, von euch gebildet und von mir geführt, hätte wohl keine Chance. Also lassen wir das. Ich rede noch einmal mit McGillen. Diesmal mache ich ihm ein nobles Angebot – auch im Namen der gesamten Bürgerschaft. Seid ihr einverstanden?« Sie nicken, denn sie sind die maßgebenden Männer von Spanish Springs. Sie haben begriffen, daß die Gutgearteten diese Stadt schon fast verloren haben. Bisher wollten sie einfach nicht glauben, daß es nur allein von einem einzigen Mann, der hier Sheriff war, abhing. Nun aber dämmert es ihnen. * Patrick McGillen trägt gerade seine Frau aus dem kleinen Holzhaus und setzt sie behutsam in den Wagen, als sich der Bankier nähert. Roswell wartet ungeduldig und tritt von einem Fuß auf den anderen. Als McGillen in den Wagen klettern will, ohne ihn zu beachten, sagt Roswell bitter: »Einen Moment, McGillen!« Jetzt erst sieht McGillen ihn an. »Machen Sie schnell, Roswell«, sagt er. »Die würzige Luft am Creek bekommt meiner Frau sehr gut. Dort ist Ruhe und Frieden. Und die Forellen schmecken uns zum Mittagessen. – Was wollen Sie, Roswell?« »Wir zahlen Ihnen zweihundert im Monat bei freier Station für alles, was Sie brauchen. Und wir geben Ihnen ein zinsloses und nach Belieben zurückzahlbares Darlehen von viertausend Dollar.« Roswell sagt es knirschend, und er ist dunkelrot im Gesicht.
»Aber Sie müssen sofort wieder Ihre Pflichten als Sheriff erfüllen.« McGillen betrachtet ihn ernst. Dann sagt er ruhig und klar: »Ihr könnt mich mal! Alle könnt ihr mich!« Danach steigt er zu Nancy in den Wagen und nimmt die Zügel. Roswell aber wird plötzlich von einer Panik erfaßt, über die er sich wenig später schämt. Er tritt nahe an den Wagen heran und sagt schnell: »Es waren über achtzigtausend Dollar Lohngelder und mehr als zehntausend Dollar Bankgelder, zusammen fast fünfundneunzigtausend! McGillen, ich zahle zehn Prozent für die Wiederbeschaffung! Zehn Prozent! So wollen Sie es doch, nicht wahr? Deshalb gaben Sie Ihren Sheriff-Posten auf. Das konnten Sie sich alles ausrechnen. Und so wollten Sie uns kleinmachen und bestrafen, nur weil wir Sie Ihrer Meinung nach einfach hängenließen, als Sie Hilfe brauchten. – Nun gut, wir machten einen Fehler. Wir machten etwas falsch. Aber nun …« Er verstummt, denn er wird sich endlich bewußt, daß er bettelt. Außerdem fährt McGillen, ohne ein Wort zu sagen, an. Er schnalzt dem Pferd nur zu. Viele Augen beobachten die Szene. Einer der Herumlungerer ist Carlo Gonzales. Aber auch er kann nur sehen, was alle erkennen: Roswell blitzte beim Ex-Sheriff McGillen offensichtlich ab. * Nancy wartet, bis sie die Stadt hinter sich haben und den schmalen Fahrweg zum Creek befahren. Dann erst fragt sie: »Was wirst du tun, Patrick?« Sie stellt nur diese Frage und spricht nicht darüber, daß er jetzt die Chance hat, fast zehntausend Dollar – zehn Prozent der geraubten Summe – verdienen zu können. Zehntausend Dollar! Was für ein Vermögen! Was für ein Preis! Aber er würde dafür sein Leben riskieren müssen. Doch hätte er es noch vor wenigen Tagen nicht für sechzig Dollar im Monat gemußt? Aber sie gaben ihm kein Darlehen. Sie ließen ihn und seine Frau in Not. Nun denkt auch er nur an sich oder vielmehr an Nancy. Nun ist er nicht anders als die Bürger dieser Stadt. Er läßt Nancy eine Weile auf die Antwort warten. Dann murmelt er: »Ich weiß es noch nicht, Nancy. Ich weiß es wirklich noch nicht. Doch die Entscheidung fällt gewiß in der nächsten Stunde. Daß wir zum Creek fahren, ist heute nur ein Bluff.« Sie sagt nichts mehr. Aber er erkennt in ihren Augen ein Funkeln. Er freut sich darüber, denn es sagt ihm, daß sie Hoffnung hat und in ihr noch eine starke Lebenskraft vorhanden ist. Als sie ihren Lagerplatz am Creek erreichen, wartet Carlo Gonzales schon unter den schattigen Bäumen. Er sitzt noch im Sattel, kommt dicht an den Wagen geritten und wirft ein Paket in Nancys Schoß. »Viertausend Dollar«, sagt er. »Das ist ein feines Honorar fürs Stillhalten, nicht wahr? Diese lausige Stadt hätte dafür bei Ihnen das Gegenteil bewirken können. Wie dumm sind doch die Menschen! Roswell wäre fast vor Ihnen auf die Knie gefallen, Señor. – Ist es nicht ein schönes Gefühl jetzt? Spucken Sie auf die dummen Hammel, Señor. Viel Glück
für Ihre schöne Frau!« Damit will er sein Pferd herumziehen und davonreiten. Aber da handelt Patrick McGillen. Er springt vom Wagen, erwischt den Reiter schon beim ersten blitzschnellen Zugriff und reißt ihn vom Pferd. Carlo Gonzales heult böse und wild auf. Er rollt über den Boden, bis er schmerzvoll gegen den Baumstamm prallt. Einen Moment bleibt er wie betäubt liegen, doch dann schnellt er auf und will im Nacken unter den Hemdkragen greifen. Aber er bringt das Wurfmesser nicht mehr heraus. McGillen ist bei ihm und trifft ihn mit der Stiefelspitze. Wieder rollt Gonzales über den Boden. Als er aufschnellt, ist McGillen abermals bei ihm. Er schlägt ihn zu Boden. Gonzales kann nicht mehr. Er wimmert schließlich: »Warum bist du so gemein zu mir, wo ich dir doch viertausend Dollar für deine kranke Frau brachte? – McGillen, du bist der größte Hundesohn im ganzen Land! Dich werden sie auch noch …« Weiter kommt er nicht, denn McGillen schlägt erneut zu. Er macht diese Sache nicht mit böser Wut. Man sieht ihm an, daß er etwas tut, was ihm wahrhaftig zuwider ist. Er ist unwahrscheinlich schnell. Gonzales hat gegen ihn kaum mehr Chancen als eine Ratte unter den Tatzen eines Berglöwen. Schließlich wirft ihn McGillen in den Creek. Doch als Gonzales nun so weit ins flache Wasser kriecht, daß er nicht ertrinken kann, läßt er ihn einen Moment ausruhen. Dann fragt er: »Wohin sind die Stoneman-Brüder mit der Beute? Wohin, Gonzales? Wo solltest du sie wiedertreffen? Mach das Maul auf und rede! Ich werde wissen, ob du mich anlügst, glaub es mir. Und dann werde ich dich an dein eigenes Lasso binden und mit deinem Pferd eine Meile im Creek stromauf ziehen. Wie willst du es haben, Amigo?« Gonzales stemmt mit den Armen seinen Oberkörper hoch. So starrt er aus zuschwellenden Augenschlitzen auf McGillen. »Du Hundesohn!« ächzt er. »Wir hatten ein Geschäft gemacht. Viertausend Dollar für dein Stillhalten und nun …« »Du irrst dich, Gonzales. Es war lediglich klar, daß ich einen Viertausend-Dollar-Job suche. Es wurde sogar fast ein Zehntausend-Dollar-Job daraus. Ihr habt mich nicht richtig begriffen, Hombre. Ich werde mich niemals von Banditen bestechen lassen. Ich jage Banditen, wie ich sie als Sheriff jagte. Ich lasse mir diesen Job jetzt nur besser bezahlen. – Also, Hombre …« Gonzales starrt zu ihm hoch. Dabei spürt er die Härte dieses Mannes, den die menschliche Gemeinschaft so bitter enttäuschte, daß er nur noch zu seinem eigenen Hüter und dem seiner Frau wurde. Dennoch kann McGillen nicht mit Banditen gemeinsame Sache machen. Seine Ehre und seinen letzten Stolz mag er nicht verlieren. Gonzales begreift, daß er diesen erfahrenen Mann nicht anlügen kann. McGillen könnte es instinktiv wittern. Außerdem kennt er die Stoneman-Brüder und deren Gewohnheiten gut genug. Gonzales hat plötzlich eine heiße Angst davor, McGillen anzulügen. Und so sagt er heiser und kaum verständlich: »Sie wollen jenseits der Grenze in Ramonas Pueblo auf mich warten, um meinen Bericht zu hören.« Als er es ausgesprochen hat, erschrickt er. Erst jetzt wird es ihm bewußt, daß er sie verriet. Er begreift nicht, warum er es tat. Aber er kann es nicht mehr ändern. Er kann auch so nicht mehr. Von einem Atemzug zum anderen wird er bewußtlos.
Patrick McGillen aber tritt zum Wagen. Er zieht die Handschuhe aus, die er trug, als er Gonzales verprügelte. Er wirft sie hinter sich in den kleinen Gepäckkasten und nimmt die Zügel auf. Erst dann blickt er auf Nancy. Sie sitzt blaß und ernst da und hat die Hände im Schoß ineinander verkrampft. Ihre Unterlippe zuckt. Sie beißt noch immer mit den Zähnen darauf. »Es wird noch viel härter werden«, murmelt sie, »wenn du erst bei Ramonas Pueblo bist und die Stoneman-Brüder dort sind. – Patrick, mir wird klar, daß es für dich zu böse, zu schlimm und zu gefährlich wird. Ich denke, wir sollten mit den viertausend Dollar zufrieden sein. Sie ermöglichen vielleicht meine Rettung. Das genügt doch. Und einmal sollten wir nicht danach fragen, woher das Geld kommt. Die menschliche Gemeinschaft verdient es nicht, daß du dich wegen ihr in Gefahr begibst. – Patrick, ich habe Angst.« Aber er erwidert nichts auf ihre Worte. Es ist, als hätte er sie gar nicht gehört. Er sagt vielmehr: »Du mußt ohne mich nach Boston reisen, Nancy. Dolores Rodriges wird dich gewiß begleiten und bei dir bleiben, bis ich komme. Wir haben Geld, und das macht eine Menge möglich, was zuvor unmöglich war. Dolores Rodriges ist auch stark genug, dich auf den Armen zu tragen. Sie spricht englisch wie eine Anglo-Amerikanerin. Als Witwe eines Master-Sergeant ist sie gewöhnt, sich durchzusetzen. Ihr werdet also zurechtkommen. – Es muß sein, Nancy. Denn sonst rächt sich die wilde Horde vielleicht an dir. Es wird in diesem Land hart werden. Doch ich kann eine Menge Geld machen und das Spiel gewinnen, wenn ich dich in Sicherheit weiß und nur noch auf mich zu achten brauche. Wenn ich nicht schnell nach Boston komme, so sende ich zumindest Geld, viel Geld. Es wird euch an nichts mangeln. Vom Doc habe ich die genaue Anschrift und auch einen Begleitbrief. Dort in Boston ist eine berühmte Klinik. Vielleicht mußt du einige Wochen in einem Hotel wohnen, bis du an der Reihe bist. Kauf dir sofort einen Rollstuhl und laß dich von Dolores …« »Patrick!« Mit diesem Ruf, der wie ein Schrei ist, unterbricht sie seine Rede. Er nimmt sie in seinen Arm und lenkt mit einer Hand das Pferd. »Es muß sein, Nancy«, sagt er rauh. »Wir müssen diese Chance nutzen, und vielleicht schaffen wir es, daß du gesund wirst. Ich komme nach, sobald wir Geld genug haben. – Nancy, es muß sein! Es ist ein harter Weg, ich weiß, Aber man bekommt auf dieser Welt nichts geschenkt. Man muß es sich verdienen oder erkämpfen. Kämpf auch du, Nancy!« Sie sagt nichts mehr. Inzwischen haben sie die Stadt erreicht. Und nun kommt in Gang, auf was Patrick und Nancy McGillen in den letzten Tagen warteten, während sie nur dem Anschein nach sorglose Tage am Creek verbrachten. Der Ex-Sheriff Patrick McGillen verläßt zwanzig Minuten später auf seinem zähen, grauen und narbigen Wallach die Stadt. Er reitet nach Süden. Mit der Mittags-Postkutsche aber reisen Nancy McGillen und die Sergeant-Witwe Dolores Rodriges ab. Außer Roswell denken noch einige andere Bürger darüber nach, woher Nancy McGillen plötzlich so viel Geld hat, um mit Dolores Rodriges die lange Fahrt nach der Ostküste anzutreten. *
Während Carlo Gonzales zerschlagen und halb besinnungslos noch am Creek liegt und nicht in der Lage ist, die Stoneman-Brüder zu warnen, reitet der Ex-Sheriff Patrick McGillen auf seinem grauen Wallach nach Süden. Es ist ein mächtiges Tier, vierzehn Hand hoch. Der narbige Wallach bringt seinen Reiter schnell vorwärts. McGillen zweifelt keine Sekunde daran, daß Carlo Gonzales die Stoneman-Brüder verriet. Denn Gonzales war zerbrochen und völlig fertig. Gonzales hatte eine heilige Furcht und spürte instinktiv, daß er einfach nicht überzeugend lügen konnte. Wenige Sekunden später hätte er wahrscheinlich gelogen. Aber McGillen hatte den richtigen Zeitpunkt gewählt. Bis zu Ramonas Pueblo sind es siebzig Meilen durch ziemlich rauhes Land und über wilde Hügel. Ramonas Pueblo ist ein wildes, böses Nest jenseits der Grenze. Diese Grenze zwischen US-Territorium und Mexiko war schon immer fragwürdig. Der Ritt nach Ramonas Pueblo ist auf jeden Fall auch für Langreiter ein harter Tagesritt. Die fünf Männer aus Spanish Springs, die mit Roswell reiten wollten, hätten gewiß fast zwei Tage dafür gebraucht und wären danach krank gewesen. Patrick McGillen reitet wie das unaufhaltsame Unheil durch das Land. Weder er noch sein narbiger Wallach scheinen zu ermüden. Erst nach Stunden, als der Abend kommt, rasten sie kurz an einer kleinen Quelle zwischen roten Felsen. Der Wallach trinkt vorsichtig. Er ist klug genug, um sich selbst die richtige Menge zu bemessen. Der Mann ißt ein paar Bissen vom kalten Proviant. Die Nacht wird hell genug, um den Ritt fortzusetzen. Patrick McGillen kennt das Land und weiß selbst über die verborgenen Pfade gut Bescheid. * Ramonas Pueblo liegt in einem Canyon. Es ist ein kleines Pueblo, in dem einst ein zahlenmäßig nicht bedeutendes Volk lebte. Aber das Bauwerk ist noch gut erhalten. Man hat unten Türen in die Mauern gesetzt und so Zugänge zu einem Gasthaus und zu einem Store geschaffen. Ein paar Korrals gehören zum Pueblo, und in Steinwurfweite entstanden ein paar andere Häuser und Hütten; denn in diesem Canyon fand man einmal Gold und Silber. Es gibt ein paar verlassene Minen. Die Apachen hatten hier immer wieder mit Erfolg die Weißen bekämpft. Und dann waren auch die Gold- und Silbervorkommen erschöpft. Patrick McGillen kommt aus einer Querschlucht in den Haupt-Canyon hinunter und sieht die Lichter in der Nacht. Einen Moment verhält er sein jetzt stark schwitzendes Pferd. Er schaut zu den Lichtern hinüber, die ihm die Lage des Pueblo verraten. Und es scheint fast, als bekäme er von seinem Instinkt bestimmte Zeichen. Dann reitet er weiter. Er versucht erst gar nicht, unbemerkt in den Ort zu gelangen. Er trabt auf seinem Grauen selbstverständlich hinein, so als gehöre er hierher. McGillen reitet an Häusern und Hütten vorbei, in denen Lampen brennen. Eine Gitarre verstummt mit einem wahrscheinlich absichtlich mißtönigen Akkord, der wie ein Signal ist. Ein Fremder kam nach Ramonas Pueblo! McGillen reitet weiter, jetzt nicht mehr trabend, sondern im Schritt. Er durchquert zwei
Lichtbahnen und erreicht endlich den Platz vor dem Pueblo. Er zählt die Sattelpferde an der Haltestange, und er bemerkt drei Sattelpferde und ein Packpferd, die etwas abseits angebunden sind. Neben diese vier Tiere lenkt er sein Pferd, sitzt ab und wirft die Zügelenden lose über den Haltebalken. Bevor er das Pferd verläßt, greift er in die linke Satteltasche, holt dort seinen Reservecolt heraus und schiebt ihn in den Hosenbund. Seinen anderen Revolver, den er links in der Halfter trägt, lüftet er kurz. So geht er hinein, ohne den Staub von siebzig Meilen rauhem Weg abzuklopfen. Die trotz ihrer Fülle erfreulich anzusehende Wirtin Ramona steht selbst hinter dem Schanktisch. Ben und Slim Stoneman sitzen an einem runden Ecktisch. Zwei mexikanische Mädchen sind bei ihnen. Von Pete Stoneman ist nichts zu sehen. Es sind außerdem noch ein halbes Dutzend anderer Gäste da. Ein weiteres halbes Dutzend wird sicher durch die andere Tür hinausgeglitten sein, bis die Männer erst einmal erfahren haben, wer gekommen ist. McGillen weiß, daß die Stonemans ihn anstarren. Aber er beachtet sie scheinbar nicht. Erst tritt er zu Ramona an den Schanktisch und greift an die Hutkrempe. »Du bist schlanker und schöner geworden, Ramona«, sagt er. »Wie machst du das nur? Hast du inzwischen unter den Hombres einen gefunden, der dich den prächtigen Paco vergessen ließ?« Sie sieht ihn mit ihren großen, leicht schräggestellten Augen funkelnd an. Ihr Haar ist blauschwarz wie das Gefieder eines Raben. Diese Haarfülle hat sie im Nacken mit einem roten Band zusammengefaßt. Ihr rotes Samtkleid ist schulterfrei. Sie ist groß wie eine Walküre und wiegt gewiß mehr als hundertfünfzig Pfund. Doch an ihr ist alles richtig, nur eben üppiger als bei normalen Frauen. In ihren funkelnden Blick tritt ein fast vergnügter Ausdruck. »Nein, es war noch keiner hier, der mich Paco vergessen ließ – meinen Paco, der unter Juarez fast General geworden wäre und den die Franzosen an die Wand stellten. Aber du, McGillen, könntest vielleicht besser sein als mein Paco. Du bist ein Hombre wie er. Doch ich hörte, daß du schon eine Frau hast. Sie hatte Pech, nicht wahr? Das habe ich euch nicht gewünscht, obwohl es eine Zeit gab, da ich auf dich zornig war. – Was willst du hier?« Die vier letzten Worte kommen sachlich und fast scharf. Aber sie stellt dabei einen Krug voll selbstgebrautem Bier auf den Schanktisch. McGillen trinkt langsam. Dann sagt er: »Aahh, das tat gut. Ramona, ich hätte dich Paco nicht vergessen lassen können. Ich wäre immer nur die Nummer zwei gewesen. Deshalb kam ich damals nicht wieder. Und jetzt habe ich nur mit den Stonemans zu tun – nur mit ihnen.« Ihre Augen werden schmal. Es sieht einen Moment so aus, als wollte sie böse und wütend werden. Dann ist sie gefährlich wie eine schwarze Pantherkatze. Hier in Ramonas Pueblo würden gewiß ein Dutzend Männer für sie kämpfen. Sie brauchte nur mit den Fingern zu schnippen. Aber sie sieht etwas in McGillens Augen. Es ist jener Ausdruck, den vor ihr schon Carlo Gonzales sah. Und Carlo konnte dann nicht lügen.
Ramona aber kann nun nichts gegen McGillen in Gang bringen – nicht gegen ihn. Wahrscheinlich ist er zur Zeit der einzige Mann, gegen den sie sich nicht stellen kann. Denn er ist ein Mann nach ihrem Herzen, ein richtiger Hombre, der ihrem Paco am nächsten kommt. Nein, gegen McGillen kann sie nichts unternehmen. Er wendet sich den Stonemans zu, die ihn die ganze Zeit beobachteten. Sie sitzen immer noch am Tisch. Doch sie scheuchten die beiden Mädchen fort und warten lauernd. McGillen hält sich dicht an der Wand, während er etwas näher in die Ecke an ihren Tisch tritt. »Carlo«, sagt er in die Stille, »war ein Dummkopf. Jungens, Carlo hat euch völlig falsch informiert. Er taugte nur für kleine Handlangerdienste. Als Unterhändler war er eine Niete.« Sie starren ihn an und denken über seine Worte nach. Dann spannen sie sich innerlich noch mehr an und sind bereit, blitzschnell zu reagieren. Sie spüren dennoch, wie ihnen wärmer wird und der Schweiß auf ihre Stirn tritt. »Carlo wird auch nicht kommen«, sagt McGillen. »Aber er hat dir doch viertausend Dollar übergeben, oder nicht?« fragt der bullige Ben Stoneman grollend. »Er glaubte, mich damit in eurem Auftrag bestechen zu können.« McGillens Stimme ist sehr leise. Sie reicht nur bis zu den beiden Stoneman-Brüdern, keine drei Zoll weiter. Wieder starren sie ihn an. Während sie über ihre Lippen lecken, schlucken und nachdenken, überlegt er, wo ihr dritter Mann stecken könnte – Pete. Der krummbeinige Pete ist vielleicht der gefährlichste Stoneman. Denn wenn er auch längst nicht so stark ist wie der bullige Ben, auch nicht so zäh wie der lange Slim, so ist er doch der Bestman mit dem Colt. Man merkt es McGillen nicht an, daß sich seine Gedanken jagen. Wo steckt Pete Stoneman? Ist er irgendwo hier im Pueblo oder in der Nachbarschaft bei einem Mädchen? Oder hält er sich nur draußen auf, weil er auf Carlo Gonzales wartet? Dann hat er mich kommen sehen und wird versuchen, mir in den Rücken zu fallen, wenn ich mit seinen Brüdern Verdruß bekommen sollte, denkt McGillen. Ben und Slim Stoneman haben nun lange genug überlegt. Slim sagt: »Du bist doch gar kein Sheriff mehr. Also, was willst du?« »Die Bank zahlt mir zehn Prozent«, murmelt McGillen. »Die zahlen wir dir auch«, schnappt Ben Stoneman sofort. »Komm, setz dich zu uns. Wir trinken einen. Pete ist im obersten Stockwerk bei einem von Ramonas Mädchen. Wenn er kommt, werden wir uns einigen. Wir wollen keinen Verdruß mit dir, McGillen. Denn einen oder zwei von uns erwischst du bestimmt. – Komm schon!« Er deutet auf einen Stuhl und gibt sich dabei Mühe, möglichst bieder und gutmütig zu wirken, friedlich und einlenkend. McGillen zögert. Er weiß, daß er mit dem Rücken zum Eingang sitzen würde, nähme er auf dem angebotenen Stuhl Platz. Also muß Pete draußen sein. Vielleicht war er auch dort, um die Pferde zu bewachen. Dann befindet sich die Beute der Stoneman-Brüder gewiß in der Packlast des vierten Pferdes oder ist in den Satteltaschen aller drei Pferde verteilt.
McGillen bewegt sich langsam und setzt sich auf den angebotenen Stuhl. »Wo habt ihr denn das Geld?« fragt er leise. Die Stonemans grinsen. »Hier weiß noch niemand was«, sagt Ben Stoneman. »Draußen auf dem Packpferd«, grinst Slim. »Für so leichtsinnig hält uns niemand. Aber es ist fast alles Kleingeld, nämlich Dollar- und Fünfdollarstücke, auch solche Werte in Scheinen. Die Minenarbeiter, für die das Geld bestimmt war, brauchen ihre Löhnung in kleinen Werten. Eine ganze Packlast voll Geld ist das und …« Weiter kommt er nicht. Obwohl er so freundlich erzählt, um McGillen hinzuhalten, abzulenken und zu täuschen, gelingt es ihm nicht. McGillen wirft sich plötzlich mit dem Stuhl zur Seite. Vielleicht spürte er am feinen Lufthauch im Nacken, daß jemand durch die Tür hereingekommen war oder sie nur einen Spalt öffnete. Vielleicht gehorcht er nur dem scharfen Warnsignal seines Instinktes. Oder er wendet einfach den alten Indianertrick an, so zu tun, als hätte man den Feind entdeckt. Was auch der Anlaß sein mag, daß McGillen so handelt und dann in rasende Tätigkeit tritt – der Erfolg bleibt nicht aus. Pete Stoneman, der die Vordertür zwei Handbreit öffnete und auf McGillens Rücken zielte, wobei er nur auf ein Zeichen seiner Brüder wartete, drückt um jenen wichtigen Sekundenbruchteil zu spät ab, auf den es bei einer Schießerei ankommt. Seine Kugel streift nur noch McGillens Schulterspitze, fährt über die Tischplatte und trifft Ben in den Magen. Slim Stoneman aber, der brüllend aufspringt und den Colt auf McGillen richtet, bekommt es von diesem, bevor er abdrücken kann. Pete Stoneman, der begreift, daß er nicht McGillen, sondern den eigenen Bruder traf, verliert eine kostbare Sekunde. Dann kommt er heulend durch die vollends aufgestoßene Tür. Denn McGillen rollt zu sehr aus seinem Schußwinkel. Als er McGillen endlich am Boden knien sieht und auf ihn zielt, trifft ihn auch schon dessen tödliche Kugel. Und dann gibt es keine Stoneman-Brüder mehr. McGillen erhebt sich. Er gab nur drei Schüsse ab. Und er hat noch drei Kugeln im Revolver und in der zweiten Waffe sechs. Doch niemand von den anderen Gästen bedroht ihn. Hier im Raum gibt es eine Menge Pfeiler, die die oberen Stockwerke des Pueblos abstützen. McGillen paßt scharf auf, ob jemand hinter so einem Pfeiler versteckt ist und auf ihn zu schießen gedenkt. Er muß damit rechnen, daß die Stoneman-Brüder hier Freunde besitzen. Aber es will sich wahrhaftig niemand einkaufen. So nickt er der Wirtin zu. »Es tut mir leid, schöne Ramona«, sagt er. Dann tritt er hinaus. »Komm nicht wieder!« hört er Ramona hinter sich sagen. Aber er achtet nicht darauf. Er ist zu stark darauf konzentriert, jedem Angriff zu begegnen. Für einige Sekunden befindet er sich nämlich im Nachteil. Seine Augen haben sich zu sehr an die Helligkeit
im Gasthaus gewöhnt. Aber sein Glück hält offenbar an. Er gelangt zu den Pferden, befühlt die Packlast und schlägt mit der Faust mehrmals dagegen. Er ist sicher, daß die Beute der Stoneman-Brüder als Packlast auf das Pferd geschnürt ist. Er nimmt die Leine des Tieres, schwingt sich auf seinen müden Wallach und reitet davon. Er reitet im Schritt, lenkt den Wallach mit den Schenkeln und hält immer noch den Colt in der Linken. Aber niemand hier in Ramonas Pueblo bindet mit ihm an. Bald erreicht er das Ende des Canyons und taucht in der Nacht unter. Obwohl sein Wallach nach dem rauhen Ritt eine längere Rast verdient hat, läßt er ihn noch einige Meilen laufen. Er muß erst seine Fährte verwischen und ein Versteck finden. Denn wenn die wilde Horde von Ramonas Pueblo erst herausfindet, warum er mit den StonemanBrüdern kämpfte und was er ihnen abnehmen konnte, dann werden die Banditen einig sein wie nie und versuchen, ihm die Beute wieder abzunehmen. Damit muß er rechnen. Aber er ist der richtige Wolf, um alle anderen Wölfe an der Nase herumzuführen. * Es ist am Abend des nächsten Tages – in Spanish Springs brennen schon die Lampen –, als er auf seinem total erschöpften Wallach hereingeritten kommt und das stolpernde Packpferd an der Leine mitzerrt. In der Stadt selbst, vor allen Dingen vor der Bank, sind Hunderte von Minenarbeitern versammelt. Denn alle Minen im Umkreis von fast zwanzig Meilen wickeln ihre Löhnungen über die Bank von Spanish Springs ab. Es sprach sich schnell herum, daß die Lohngelder geraubt wurden. Und da es sich auch herumgesprochen hatte, warum der Sheriff dieser Stadt seinen Stern hinwarf, sind die Minenarbeiter nun mächtig wütend. Sie wollen ihre Löhnungen und machen die Bank und die Stadt dafür verantwortlich, daß die Banditen so frech ihren Raub durchführen konnten. Man fand auch den Bankangestellten Simmons, der den Stoneman-Brüdern die Hintertür öffnete. Der Hund eines Schafhirten stöberte die Leiche sieben Meilen von der Stadt entfernt in einem dichten Gebüsch auf. Die Stoneman-Brüder wurden also doch noch zu Mördern bei diesem Bankraub. Sie wollten nicht mit Simmons teilen und schossen ihn einfach unterwegs vom Pferd. Patrick McGillen kommt also im rechten Moment nach Spanish Springs zurück, bevor die Minenarbeiter anfangen, die Stadt und die Bank in Stücke zu schlagen. Er hält neben der Menge an, und endlich erkennen ihn einige Leute. Sie rufen: »Hoii, hier ist McGillen! – Hier ist der Ex-Sheriff McGillen! – Seht mal, Jungens, da ist McGillen!« Alle wenden sich um und sehen den staubigen und müden Mann auf dem erschöpften Pferd. Plötzlich ist es still. Er sagt heiser in diese Stille: »Warum regt ihr euch so auf, Jungens? Ich habe das
geraubte Geld hier auf dem Packpferd. Ich bringe es jetzt in die Bank. Und ich denke, daß man in spätestens einer Stunde beginnen wird, eure Lohnschecks einzulösen. Ihr habt noch die Chance, alles in dieser Nacht zu versaufen!« Als er geendet hat, staunen sie. Sie brüllen begeistert. Und dann machen sie ihm eine Gasse frei bis zum Eingang der Bank. Oben im Fenster zeigt sich Roswell. Wieder wird es still, als McGillen zu Roswell mit trockener Stimme sagt: »Öffnen Sie die Bank, Roswell! Ich bringe Ihnen das geraubte Geld zurück. – Aufmachen, Roswell! Die Goldgräber und Minenarbeiter werden drei Vertrauensleute auswählen, die mit mir hereinkommen, damit das Zählen und das Auszahlen schneller geht.« Als er verstummt, brüllen wieder alle begeistert. * Er brachte noch neunzigtausenddreihundertundsiebenundfünfzig Dollar zurück. Die Stoneman-Brüder hatten also außer den viertausend Dollar, mit denen sie Carlo Gonzales zu ihm schickten, noch kein Geld ausgegeben bis auf wenige Dollars für Speise und Trank in Ramonas Pueblo. »Ich bekam schon einen Vorschuß von viertausend Dollar auf die Wiederbeschaffung.« McGillen grinst den Bankier an. »Carlo Gonzales brachte sie mir von den Stonemans. Sie glaubten, daß sie mich damit zu ihrem Freund machen konnten. Es hatte sich sogar bei ihnen herumgesprochen, daß ich nach einem Viertausend-Dollar-Job Ausschau hielt. – Roswell, ich betrachte die viertausend Dollar als einen Vorschuß auf die zehn Prozent, die Sie mir für die Herbeischaffung der geraubten Summe zusicherten. Nun bekomme ich also noch fünftausendfünfhundert Dollar, nicht wahr?« Er sieht Roswell im Lampenschein fest an. Roswell schluckt, leckt sich über die trockenen Lippen und schluckt wieder, als müßte er einen Stein herunterwürgen. Endlich preßt er hervor: »McGillen, Sie sind ein Erpresser! Ja, das ist das richtige Wort! Sie warfen uns Ihren Stern vor die Füße, weil Sie genau wußten, was früher oder später passieren würde. Und dann konnten Sie …« »Sagen Sie nicht noch mal das Wort ›Erpresser‹!« unterbricht ihn McGillen. »Denn dann schlage ich Ihnen dieses Wort ins Maul zurück, daß Sie daran ersticken! Mann, ich habe hier für ein paar Dollars das Gesetz vertreten und jedem Menschen Hilfe gegeben. Ich habe ständig mein Leben riskiert, Blut vergossen und sogar getötet. Doch als ich selbst Hilfe brauchte für meine Frau, war ich allein und verlassen. – Was ist falsch daran, daß ich mir meine Arbeit nun angemessen honorieren lasse? Was ist falsch daran, Mister? Antworten Sie mir? Verschenken Sie Geld? Oder nehmen Sie für Kredite keine Zinsen? Sind Sie ein Wohltäter? Warum soll ich es sein? Für die Ehre? Pah, da pfeife ich drauf, Mister! Jede Versicherung zahlt für die Herbeischaffung geraubter Werte zehn Prozent Belohnung. Jede Versicherung! Zehn Prozent sind also ein von Juristen als fair festgesetzter Preis. Also bin ich kein Erpresser. Ich bin immer noch redlich. – Oder?« Seine Stimme wurde immer leiser, doch dabei schärfer und härter. Roswell erkennt, wie verwundet McGillen von ihm und den anderen Bürgern wurde,
die er um Hilfe bat und die nicht bereit waren, ihm zu helfen. Sie hätten es gekonnt, würden sie alle zusammengelegt haben. Sie hätten ihm helfen können. Nun wird es teuer – vor allen Dingen für die Bank. Alle werden der Bank unter die Arme greifen müssen. Er hatte ihr Einverständnis, als er McGillen das Zehn-ProzentAngebot machte. Roswell nickt. »Nehmen Sie das Geld«, murmelt er. »Nein, ich kann nicht sagen, daß Sie schlechter sind als wir alle, wenn man es vom allgemeinen Standpunkt aus betrachtet. Aber dennoch ist etwas falsch. Denken Sie mal darüber nach, McGillen. Sie sind ein Starker, ein Großer, was das Kämpfen und die Fähigkeit, sich gegen die Bösen zu behaupten, betrifft. Wenn Sie also selbst kein Böser sind, dann gibt es eine Pflicht für Sie. Der gute Starke ist verpflichtet, die Schwachen zu schützen. Das ist in der primitivsten Herde so. Das ist von der Schöpfung so gewollt. Aber Sie entziehen sich dieser natürlichen Pflicht. Es ist noch mehr an Ihrer Handlungsweise falsch. Ich kann es nicht formulieren, aber es muß etwas falsch daran sein. – McGillen, es nimmt kein gutes Ende mit Ihnen.« »Vielleicht«, sagt Patrick McGillen und nimmt das Geld vom Tisch, das ihm seiner Meinung nach zusteht. »Vielleicht ist alles falsch auf dieser Welt.« Er nimmt nur große Scheine, so daß er das Geld gut in den Taschen unterbringen kann. Zwei Geldscheinpacken schiebt er in die Stiefelschäfte. Dann geht er hinaus. Während die Bank also zu dieser Stunde noch öffnet, um die Miner zu befriedigen, geht McGillen mit den beiden müden Pferden zum Mietstall. Im Mietstall versorgt er mit Hilfe des Stallmannes die Pferde, gibt dem Mann ein gutes Trinkgeld und geht langsam in das kleine Haus zurück, in dem er mit Nancy wohnte und glückliche Tage verbrachte, bis sie den bösen Unfall hatte, der sie von der Taille an abwärts lähmte. Er tritt in das Haus, das er als leer empfindet, weil Nancy nicht mehr da ist. Er trinkt einige Schluck Branntwein aus der Flasche. Dann läßt er sich bäuchlings auf das breite Ehebett fallen und schläft sofort ein. Ihm ist es, als fiele er wie ein Stein in bodenlose Tiefe. Gegen Ende der Nacht – draußen wird es schon grau – erwacht er, weil sein Instinkt ihn plötzlich warnt. Seine tastende Hand findet den Colt, den er mit ins Bett nahm und unter das Kopfkissen schob. Er will sich aus dem Bett rollen, aber es ist zu spät. Er bekommt das Messer, fällt aus dem Bett auf den Messergriff und jagt sich das Messer dadurch noch tiefer in den Körper. Carlo Gonzales! Dieser Name durchfährt ihn jäh und scharf. Dann bekommt er einen Tritt, der ihn aus der Bauchlage auf den Rücken wirft, halb unter das Bett. Ihm bleibt die Luft weg, und er wird bewußtlos. Das ist sein Glück. Denn der Bursche – es ist tatsächlich Carlo Gonzales – hält ihn für tot. Er zieht McGillen das Messer aus der Brust. Dann sucht er nach dem Geld und findet es auch. Wenige Minuten später reitet Carlo Gonzales auf einem schnellen Pferd davon. Er hat erreicht, was er wollte. Er hat sich für die schlimmen, mitleidlosen Prügel gerächt und
sich zugleich seinen Anteil, den ihm die Stoneman-Brüder versprachen, doch noch verschafft. Er hatte eigentlich nur auf den erschöpften Patrick McGillen zu warten brauchen. Dieser mußte ja nach einem Hundertfünfzigmeilenritt durch rauhes Land zu überrumpeln sein, jedenfalls von einem Burschen wie Carlo Gonzales. Er nimmt sich aber dennoch vor, fünfhundert Meilen weit zu reiten. Nur so kann er einigermaßen sicher sein, die fünftausendfünfhundert Dollar auch zu behalten. * Als McGillen erwacht, ist es Tag. Er liegt in seinem Blut, das auf seiner Brust schon eingetrocknet ist. Er fühlt sich schwach, und als er sich bewegt, sind böse Schmerzen da. Der Tritt des Mannes – womit dieser ihn auf den Rücken rollte – hat ihn böse getroffen. Patrick McGillen kann ein Stöhnen nicht unterdrücken. Endlich beginnt auch sein Gehirn wieder zu arbeiten. Sein Verstand sagt ihm, daß er verloren ist, wenn es sich herumspricht, wie sehr es ihn erwischt hat. Er hat sich als Sheriff zu viele Feinde gemacht. Und auch danach machte er sich in dieser Stadt und in Ramonas Pueblo Feinde. Vielleicht würde Carlo Gonzales sogar noch einmal zurückkommen, um ihn endgültig zu töten. Das wäre für Gonzales die einzige Lebensversicherung. McGillen weiß ja nicht, daß Gonzales schon viele Meilen geritten ist und erst in einigen Tagen für eine längere Rast anhalten wird. McGillen weiß nur, daß er allein ist wie ein einsamer Wolf und auch so seine Wunden lecken muß. Oder man reißt ihn in Fetzen. Das ist ein trauriges Los. Es kommt ihm bitter zum Bewußtsein. Er hat sich außerhalb der menschlichen Gemeinschaft gestellt und hat sich seine Hilfe teuer bezahlen lassen. Nun aber ist er selbst in Not. Was nun? Noch eine Weile liegt er so, atmet vorsichtig und lauscht in sich hinein. Er achtet auf die Stiche in seiner Brust. Sie sind erträglich, solange er sich nicht bewegt. Aber er wird sich bewegen müssen. Er kann nicht ewig so liegen. Er muß etwas für seine Wunde tun. Wo ist die Schnapsflasche, aus der er trank? Er bewegt den Kopf zur Seite, denn er erinnert sich, daß er die noch halbvolle Flasche auf den Boden stellte, während er bäuchlings auf das Bett sank. Da sieht er sie. Er streckt den rechten Arm aus. Sie war zwar umgekippt, aber sie war verschlossen. Er bekommt sie zu fassen und holt sie heran. Zuerst trinkt er einen Schluck. Der scharfe Schnaps läuft ihm am Kinn herunter und über den Hals. Dann gießt er sich eine Menge Schnaps auf die Wunde und spürt, wie der Alkohol zu brennen beginnt. Hoffentlich wird sich die Wunde trotz des Schnapsbades nicht entzünden. Aber sie hatte ja stark genug geblutet. Patrick McGillen liegt eine Weile still da. Er denkt jetzt intensiv an Carlo Gonzales. Es gibt keinen Zweifel, daß dieser ihn im Schlaf überfiel, um sich zu rächen und einen
Anteil vom Bankraub zu bekommen. Es hätte ihn jetzt fast das Leben gekostet. Und er hat fünftausendfünfhundert Dollar verloren. Sein Ritt nach Ramonas Pueblo war umsonst. Sein Kampf mit den StonemanBrüdern brachte nichts ein. Er hätte den Messerhelden Carlo Gonzales nicht schonen dürfen. Nun erschrickt er doch etwas bei dieser Erkenntnis. Denn er begreift, daß er schon bald wieder vor einem solchen Problem stehen wird, wenn er weiterhin als Kopfgeld- oder Prämienjäger arbeiten will. Denn auf andere Art kann ein Mann wie er nicht genug Geld verdienen. Er ist ein besonders schneller Revolvermann, ein Langreiter, ein erfahrener Jäger, der keine Fährte verliert. Dazu kommt sein feiner Instinkt für Gefahr. Bisher hatte er als Sheriff die Guten vor den Bösen geschützt. Seine Eigenschaften kamen der menschlichen Gemeinschaft zugute. Jetzt will er diese Eigenschaften für sich allein nutzen. Er wird damit ein Wolf sein, der andere Wölfe jagt. Nach diesen Gedanken versucht er endlich, sich zu erheben. Er muß eine Menge für sich tun, und er muß es allein tun, damit niemand erfährt, wie hilflos er für einige Zeit sein wird. Er kommt auf die Beine und muß sich am Bettpfosten festhalten. Doch er schnauft erleichtert, als er feststellt, daß der Messerstich offenbar keine Sehnen oder Muskeln zerschnitt und keine lebenswichtigen Adern verletzt hat. Die spitze Klinge glitt wahrscheinlich dicht am Herzen vorbei. Es ist wie ein Wunder. Natürlich beginnt die Wunde wieder zu bluten. Aber McGillen bleibt mit eiserner Energie auf den Beinen, entledigt sich seines Hemdes und tritt in die Ecke zum Waschtisch, um sich das Blut vom Oberkörper zu waschen. Er findet auch den Verbandkasten, den Nancy stets gut gefüllt hielt, da er ja als Sheriff schon mehrmals verwundet worden war. Als er sich zum Schluß das große Pflaster über die Wunde klebt, zittern ihm zwar die Knie, und in seinem Kopf dreht sich alles. Es wird ihm auch mehrmals dunkel vor Augen. Aber dann geht er noch schwankend in die Küche hinüber, um etwas zu essen. Er findet Rauchfleisch, ein paar alte Biskuits und einen halben Krug Rotwein. Das genügt ihm vorerst. Als er sich später wieder auf das Bett legt, ist er zwar am Ende seiner Kraft, und die Wunde hämmert dumpf in seiner Brust, wenige Zoll unter dem Schlüsselbein. Aber er konnte sich selbst versorgen und etwas Nahrung zu sich nehmen. * Drei Tage bleibt er allein in seinem kleinen Haus. Dann hat er nichts mehr zu essen. Aber er hat das Glück, daß der alte Doc am Abend auf seinem Weg zur Whiskytränke nah genug vorbeikommt. McGillen ruft ihn aus dem Fenster an. Wenig später betrachtet sich der Doc die Wunde und nickt zufrieden. Er brummt anerkennend: »Patrick, mein Junge, du brauchst keinen Arzt mehr. Dieser Wunde kann man ansehen, daß sie gut verheilen wird. Die Messerklinge hätte nur ein paar Millimeter
tiefer treffen müssen, um dich zu erledigen. Du hast Glück, mein Junge – mächtiges Glück. Hoffentlich wird auch Nancy solch ein Glück haben. Wenn sie die Fahrt nach Boston übersteht, muß sie gewiß erst einige Wochen Erholung haben, um für die Operation kräftig genug zu sein. – Was kann ich noch für dich tun, Patrick? Wer fügte dir diese Wunde zu?« »Ach, ich habe mehr als einen Feind«, murmelt McGillen. »Ich wurde im Schlaf überfallen. Es wäre nett, wenn du den Leuten hier in Spanish Springs nichts von meinem Zustand erzählen würdest. Auch nicht, wenn du in einigen Stunden betrunken bist. Und wenn du etwas für mich tun willst, Doc, dann schaff mir Proviant herbei. Du weißt schon, was ich als Genesender am besten essen sollte. Ich möchte mir auch eine gute Fleischsuppe kochen. Darauf habe ich großen Appetit. – Wundert sich schon jemand, daß ich mich bisher nicht sehen ließ?« Der Doc streicht seinen struppigen Bart und nickt. »Bisher glaubte man wohl, daß du den verlorenen Schlaf nachholen müßtest«, murmelt er. »Aber man wird sich bald fragen, warum du nicht zum Vorschein kommst. Es gibt auch noch anderen Gesprächsstoff in der Stadt. Der neue Sheriff ist mit der Mittagspost gekommen. Man konnte hier bei uns keinen geeigneten Mann finden. Deshalb wandte man sich an die Behörden in Santa Fe, und diese handelten umgehend. Sie sandten Jack Hannagan als Sheriff her. Ich denke, daß er dich als seinen Vorgänger besuchen wird. Er muß als erfahrener Gesetzesmann natürlich bald herausfinden, daß die Dinge hier nicht so einfach liegen. Das konnte er sich eigentlich schon vorher denken. Jack Hannagan hat auch gleich ein Problem hier. Tete Kehoe ist in der Stadt. Er wird überall steckbrieflich gesucht. Es gibt fünfzehnhundert Dollar für seine Einbringung. Tete Kehoe fühlt sich hier in Spanish Springs wohl. Er hat an einem Mädchen vom Alamo Saloon besonderen Gefallen gefunden und feiert ein Fest, das drei Tage dauern soll. Ein paar Freunde sind dabei, die auf seine Rechnung trinken. Ich glaube nicht, daß Tete Kehoe von einem Sheriff sein Fest stören läßt. Er weiß zu gut, daß Jack Hannagan hier kein Aufgebot und auch keine Bürgerwehr zusammenbekommt. Und Kehoe hat schon mehr als einen Sheriff auf seiner Abschußliste. Vor einigen Monaten erledigte er in Laredo einen USHilfsmarshal. – Ich habe mir Jack Hannagan schon angesehen. Sein Ruf als Gesetzesmann und Banditenjäger ist groß. Aber er ist alt geworden. Die Jahre gingen nicht spurlos an ihm vorbei. Dem stünde ein Sheriffsamt in einer schönen, friedlichen Stadt zu, in der die Leute zur Kirche gehen und die Frauenliga alle Sünden bekämpft. Daß man ihn aus Santa Fe zu uns sandte, beweist wieder einmal mehr, wie wenig man sich vorstellen kann, was hier im Gange ist. – Nun, ich gehe also. Und wenn es an deine Tür klopft, dann bin ich es oder Jack Hannagan.« Nach diesen Worten geht er. Patrick McGillen sitzt noch eine Weile da und beobachtet die Straße. Das kleine Haus hat einen etwa drei Yard breiten Vorgarten und einen weißen Zaun. Manchmal kommen Männer vorbei. Es sind zumeist durstige Minenarbeiter oder Cowboys, die von einem Saloon zum anderen unterwegs sind. Dann sieht er den Doc durch die Gartenpforte kommen, öffnet das Fenster etwas weiter und sagt: »Hier, Doc.« Der kommt und liefert einige Pakete und Tüten ab. »Ich habe kein Geld«, sagt McGillen. »Doch ich werde bald welches haben. Kannst du dich ein paar Tage gedulden, Doc?« »Sicher«, sagt dieser und geht wortlos davon.
McGillen bringt seine Schätze in die kleine Küche, macht Licht und beginnt sogleich, sich einige Eier mit Speck in die Pfanne zu schlagen. Ich werde mir danach eine Fleischsuppe kochen, denkt er. Dann hört er das Klopfen an der Haustür. Er halt seinen Colt in der Hand, als er öffnet. Aus der Küche fällt genügend Lichtschein in den Vorraum und auch auf den Mann, der gekommen ist. McGillen sieht ihn an, und nicht anders hat er sich den Banditenjäger Jack Hannagan vorgestellt – hager, grau, mit einem sichelförmigen Schnurrbart und scharfen Augen. Irgendwie wirkt er wie ein schon etwas zerzauster Falke, dieser Jack Hannagan. McGillen weiß sofort, wer sein Besucher ist. »Sicher«, sagt er, »es ist nur natürlich, daß Sie mich sprechen wollen, Hannagan. Also kommen Sie. Ich habe auch frischen Kaffee.« Er geleitet ihn in die Küche. Im Lampenschein betrachtet ihn Hannagan genau, während McGillen den Kaffee eingießt. »Sie sind verwundet«, murmelt Hannagan schließlich. »Niemand weiß es, und Sie müssen es geheimhalten, McGillen, nicht wahr? Sie müssen es geheimhalten, bis Sie nicht mehr wehrlos sind. Das kenne ich. Mir ging es in den vergangenen Jahren auch schon so. Denn die wilde Meute stürzt sich gerne auf einen kranken Wolf. Ich kenne das.« Er lächelt hartlippig, dennoch ist es ein nachsichtiges Lächeln. »Ich war noch ein Junge«, murmelt McGillen und rührt dabei in seiner Kaffeetasse, »da hörte ich schon von dem furchtlosen und großartigen Sheriff Jack Hannagan. Ich kenne aber auch Ex-Sheriffs, die längst nicht so gut waren, doch jetzt schon Richter, Abgeordnete oder gar Senatoren sind. Warum sind Sie noch so ein armer Hund, den man in jede wilde Stadt schicken kann, in der gerade mal ein zweibeiniger Tiger gebraucht wird? Warum?« Jack Hannagan lächelt noch nachsichtiger. »Wer könnte denn sonst hier die Arbeit übernehmen, die Sie aufgegeben haben, McGillen?« fragt er. »Einer muß es doch tun. Und ich habe mich noch nie davor gedrückt, einen Job zu übernehmen, den sonst niemand haben wollte. Es gibt immer einen Menschen, der die Dreckarbeit verrichten muß, die kein anderer machen will. – McGillen, ich werde diese Stadt sicher und friedlich machen. Erzählen Sie mir ein wenig über die hiesigen Probleme. Von wem könnte ich es sonst wohl so schonungslos erfahren? Sie haben dieser Stadt den Stern vor die Füße geworfen, weil Sie sich von der menschlichen Gemeinschaft, der Sie selbst dienten, im Stich gelassen fühlten. McGillen, diese menschliche Gemeinschaft ist wie eine Schar Kinder. Und Kinder nehmen zumeist nur, ohne selbst etwas zu geben. Für Kinder muß man sorgen, muß sie behüten, ihnen die Wege öffnen – aber erwarten, für sich selbst etwas erhoffen, das darf man nicht. Man muß geben können, ohne zu nehmen.« »Ich bin kein Heiliger«, grinst McGillen bitter. »Ich habe eine junge, schöne Frau, die krank ist und vielleicht für viel Geld von einem berühmten Arzt geheilt werden kann. Und wenn dieser berühmte Arzt sich nicht scheut, viel Geld zu nehmen, so scheue ich mich nicht, für meine Arbeit das höchste Honorar zu fordern. – Und jetzt will ich Ihnen reinen Wein einschenken, Hannagan, über diese Stadt, über die Leute, über die Banditen und all die anderen zweibeinigen Wölfe, die wir hier an der Grenze haben. Ich will Ihnen
erzählen, wie verdammt allein Sie sein werden und ..« * Als er fertig ist, sitzt Jack Hannagan eine Weile still da. Er scheint ins Leere zu starren oder in sich hineinzublicken. Dann nickt er und erhebt sich. »Ich danke Ihnen, McGillen!« erklärt er. »Sie haben mir wahrscheinlich sehr geholfen, alle Zusammenhänge und Probleme gleich von Anfang an besser erkennen und beurteilen zu können. Ich werde irgendwie zurechtkommen, denke ich.« »Und Sie müssen bei Tete Kehoe anfangen«, entgegnet McGillen langsam. »Muß ich das?« »Ja, Hannagan. Wir wissen das beide. Man muß sich stets den schlimmsten Bullen vornehmen, den größten Wolf, die giftigste Schlange. Das ist die alte Regel für Leute wie uns. Denn das Schema ändert sich nie. Man kann die wilde Horde nur auf diese Art kleinmachen. Also müssen Sie auf Tete Kehoe losgehen, bevor man auf die Idee kommen könnte, daß Sie vor ihm kneifen. Sonst versucht es jeder zweitklassige Wild Bill mit Ihnen, und Sie müssen sich immer wieder mit diesem Kroppzeug abplagen. – Nein, Sie müssen Tete Kehoe jetzt bald angehen. Wie gut sind Sie noch? Schaffen Sie ihn wohl? Hannagan, ich kenne Ihren Ruhm. Aber …« Er spricht nicht weiter. Bei allen Zweifeln möchte er dem alten Jagdfalken nicht den Nerv nehmen, nicht sein Selbstvertrauen verletzen. Der alte Banditenjäger steht sinnend da. Es scheint, als lausche er. McGillen begreift plötzlich, daß Hannagan auf die Zeichen seines Instinktes lauscht. Er weiß selbst, wie untrüglich diese Zeichen oft sind. Sie lassen einen Mann schon vorher ahnen, ob alles gutgehen oder ob es Schwierigkeiten geben wird. »Einmal ist jedes Glück zu Ende«, sagt Hannagan plötzlich. »Einmal erwischt es jeden Jagdhund.« »Weil er von einem gewissen Alter an nicht mehr als Jagdhund verwendet werden sollte«, sagt McGillen hart. Aber da strafft sich Hannagan. »Ich schaffe es noch einmal«, grinst er hartlippig. »Ich bin noch gut genug für diesen Job. In zwei oder drei Jahren wäre es vielleicht zu spät.« Er geht zur Tür. »Und mich bitten Sie nicht um Hilfe?« fragt McGillen hinter ihm her. Hannagan bleibt stehen, aber er wendet sich nicht um. Sein breiter, sehniger Rücken scheint jedoch wie unter einem Kälteschauer zu erzittern. Doch dann ist es auch schon vorbei. »Nein«, sagt er, »ich bitte keinen Mann um Hilfe, der aufgibt, dem Gesetz zu dienen, weil er es nicht mehr als seine Pflicht betrachtet. – McGillen, es steht schlimm hier an der Grenze, wenn Männer wie Sie und ich, die dazu befähigt sind, Ordnung zu schaffen, einfach aufgeben. Denn wir Revolverkämpfer haben Pflichten! Und Pflichten bringen niemals reichen Lohn. Pflichten sind stets schwer erfüllbar. Man muß Opfer bringen. Wenn ich Tete Kehoe nicht schaffe, bin ich für diesen Job nicht mehr gut genug.« Nach diesen Worten geht er. McGillen folgt ihm langsam, schließt die Tür hinter ihm ab und kehrt zurück, um das
Licht zu löschen. Er geht in das Vorzimmer und öffnet das Fenster. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sieht er den grauköpfigen Banditenjäger vor dem Alamo Saloon stehen, noch auf der Fahrbahn, aber offenbar bereit, hineinzugehen. Ein paar Fußgänger halten an. Sogar aus dem Store und dem Hotel treten ein paar Leute. Der Sheriff bewegt sich plötzlich und geht hinein. Nun wartet nicht nur Patrick McGillen im dunklen Zimmer hinter dem offenen Fenster. Er ist sicher, daß die Bürger der Stadt und auch Fremde, Minenarbeiter, Cowboys, Tramps und kleine Banditen warten. McGillen denkt: Ich wünsche ihm, daß er davonkommt. Dieser alte Falke Hannagan soll davonkommen können. Denn er verdient es nicht, von einem Revolverhelden abgeknallt zu werden. Er verdient es nicht! Einige Minuten vergehen, und diese Minuten dehnen sich lang. Dann krachen Schüsse im Saloon – dumpf und schnell hintereinander. Wer auch zuerst gezogen und geschossen haben mag, er hatte nur Sekundenbruchteile gewonnen. McGillen hält es plötzlich nicht mehr aus. Obwohl er noch lange nicht gesund ist, muß er hinaus. Er wirft sich den Waffengurt um und lüftet den Colt. Dann verläßt er sein kleines Haus. Er geht langsam und etwas unsicher wie ein leicht betrunkener Mann. Aber nach einigen Schritten wird es besser. Als er über die staubige Fahrbahn geht, bringen sie drüben beim Saloon einen Mann heraus. Sie müssen ihn rechts und links stützen, halb tragen. Der alte Doc geht vor ihnen her. Man hört ihn rufen: »Schnell, Jungens! Bringt ihn zu mir in die Praxis! Legt ihn auf das Ledersofa! Ich zünde schon die Lampe an!« Dann eilt der Doc voraus. Er ist noch nüchtern genug, um helfen zu können. Er läuft an McGillen vorbei, erkennt ihn, zögert kurz, stößt dann nur einen bitteren Fluch aus und eilt weiter. McGillen sieht, wen sie da zwischen sich führen. Es ist der alte Sheriff, sein Nachfolger. Er ist fast bewußtlos. Aber er bewegt dennoch die Beine und versucht, sich nicht tragen zu lassen. McGillen geht auf den Saloon zu. Dort läuft von der Veranda ein Mann durch die Schwingtür in den Saloon und ruft schrill: »Jetzt kommt McGillen! Aufgepaßt! Jetzt kommt McGillen!« McGillen murmelt einen Fluch, aber er hält nicht an. Er geht weiter, und er denkt in diesen Sekunden verwundert darüber nach, warum er es tut. Mochte er den alten Jagdfalken so sehr? Berührte ihn irgendwie dessen Größe und Pflichtgefühl? Oder hat er einfach nur Mitleid? Er kann es nicht mehr herausfinden. Denn noch bevor er die Veranda des Saloons erreicht, wird die Schwingtür wieder aufgestoßen. Ein Mann kommt heraus. Es ist Tete Kehoe. McGillen bleibt stehen, und Kehoe tritt an den Rand der Veranda.
Sie betrachten sich im Lichtschein, der in drei Bahnen aus dem Saloon fällt und den aufgewirbelten Staub der Fahrbahn zu Goldpuder verwandelt. Dann sagt Kehoe schwer: »McGillen, es juckt dich doch wohl nicht danach, ihm zu helfen, nur weil er dein Nachfolger ist?« »Nein«, sagt McGillen. »Mich jucken die tausendfünfhundert Dollar, die es für deinen Skalp gibt!« Und dann zieht er, weil Tete Kehoes Hand nach der Waffe schnappt. McGillen ist nicht so schnell wie sonst. Er ist immer noch ein kranker Mann. Und da er links zieht, durchfährt ihn von der Wunde aus ein gemeiner Schmerz wie ein Messerstich. Dennoch vollendet McGillen seine Bewegung. Denn sein Wille – hart gegen sich selbst – ist ganz und gar auf Überleben ausgerichtet. Selbst unter noch schlimmeren Schmerzen würde er ziehen. Tete Kehoe hat den ersten Schuß. Es ist nur ein winziger Sekundenbruchteil, aber er schießt zuerst. Er konnte den kranken McGillen im Ziehen schlagen. Normalerweise müßte McGillen nun tot sein. Denn wenn ein Mann wie Tete Kehoe seinen Gegner im Ziehen schlagen kann, ist die Sache eigentlich gelaufen. Doch das Schicksal will es heute anders. Es schlägt sich auf die Seite des durch die Wunde behinderten McGillen. Tete Kehoes Kugel fetzt nur dicht über McGillens Gürtel durch das aufgebauschte Hemd. Vielleicht irritierte es den Revolverhelden, daß er auf der Veranda etwas höher steht als McGillen. Vielleicht täuschte er sich auch, weil McGillen zwischen zwei Lichtbahnen verhielt. Es kann auch sein, daß Kehoes Augen noch nicht an das Dunkel zwischen den gelben Lichtbahnen gewöhnt waren. Aber was es auch sein mag – er trifft McGillen nicht. Eine zweite Kugel kann er nicht mehr abfeuern. Denn McGillen, der sich bewußt wird, daß er Kehoe im Ziehen nicht schlagen konnte, und der genau weiß, daß er keine zweite Kugel mehr bekommen würde, zielt sorgfältiger. Er trifft Tete Kehoe ins Herz. Dann geht er vorwärts und sieht auf den Banditen nieder. Die Zuschauer verharren schweigend. Aus dem Saloon kommt eines der Animiermädchen gelaufen, sieht Kehoe liegen und beginnt mit sich überschlagender Stimme, auf McGillen zu schimpfen. Sie ruft immer wieder, daß McGillen ein verdammter Mörder wäre, ein Hundesohn und noch schlimmere Dinge. Aber man führt sie weg. McGillen deutet auf den Saloonbesitzer, der herausgekommen war. »Gibt es einen Zweifel daran, daß ich ihn erledigte?« »Nein, McGillen – keinen Zweifel.« Diese Antwort klingt laut durch die Stille, und jeder Zuschauer hört die Worte. »Dich und den Schmied, den ich dort sehe«, sagt McGillen, »brauche ich morgen als Zeugen bei der Leichenschau. Denn mir steht eine Belohnung zu.« Er wartet keine Antwort ab, wendet sich um und geht in sein kleines Haus, in dem ihm die Wärme von Nancy immer mehr fehlt. Er bringt es noch fertig, so aufrecht zu gehen, als fehle ihm nichts. Vielleicht könnte man ihn für leicht angetrunken halten. Doch sonst merkt man ihm nicht an, wie unsicher
er sich auf den Beinen fühlt. Alle sehen ihm nach. Eine Stimme sagt laut: »Er war hier der beste Sheriff. Er war der einzige Mann, der selbst die größten Tiger zähmen konnte.« Er hört es, aber er kümmert sich nicht darum. Sorgfältig riegelt er die Haustür hinter sich ab. Dann geht er in die Küche. Die Lampe brennt noch. Und auch der Kaffee ist noch warm genug. Er setzt sich, fühlt nur kurz nach seiner winzigen Streifwunde an der Seite und trinkt ein paar Schlucke. Unbeweglich sitzt er dann da. Seine Gedanken eilen. Er hat Glück gehabt. Diesmal war es reines Glück. Er hätte jetzt auch an Kehoes Stelle tot im Staub liegen können. Aber er hat wieder fünfzehnhundert Dollar Belohnung verdient. Der Verlust jener fünftausendfünfhundert Dollar ist für ihn nun nicht mehr ganz so schlimm. Doch er mußte töten! Das ist es, worüber er nachdenken muß. Er mußte töten, um sich die Kopfprämie zu verdienen. Gewiß, diese Prämie wurde vom Gesetz ausgesetzt. Er tat nichts Ungesetzliches. Er blieb innerhalb von Gesetz und Recht. Aber er hat wieder einmal getötet. Wenn er damit der menschlichen Gemeinschaft Gutes erwies, dann wahrscheinlich auf gewalttätige und damit böse Weise. Oder? Doch wie kann ein Mann wie er sonst schnell eine Menge Geld verdienen? Nur als Kopfgeldjäger! Seine Gedanken, die im Unterbewußtsein stets bei Nancy waren, richten sich nun ganz und gar auf sie. Wo mag Nancy jetzt sein? Es sind schon viele Tage vergangen. Vielleicht mußte sie schon in Santa Fe die Reise unterbrechen, um erst einmal wieder zu Kräften zu kommen. Aber vielleicht hielt sie einige Tage und Nächte durch. Dann könnte sie mit den Expreß-Postkutschen schon bei der Kansas-Bahn angelangt sein. Von da an würde sie einige Bequemlichkeit haben, ein ganzes Salonabteil für sich, in dem sie auch liegen könnte. Er hatte Dolores Rodriges alles genau eingeschärft und ihr gesagt, daß sie nicht zu sparen brauchten, denn er würde bald wieder Geld nach Boston schicken. Aber wird er das können? Schon vor zehn Minuten hätte es ihn beinahe erwischt. Und es wird auch in Zukunft immer wieder ein gefährliches, riskantes Spiel sein. Patrick McGillen sieht seinen Weg nun deutlich vor sich. Kopfgeldjäger! Nichts anderes wird er sein. Und eines Tages wird es ihn erwischen. * Drei Tage später ist er fertig zum Abritt. Doch er lenkt sein Pferd noch einmal vor das � Hotel, sitzt ab und geht hinein. Er findet Sheriff Jack Hannagan im Bett, doch schon � damit beschäftigt, selbständig das Frühstück einzunehmen. Er hat alles auf einem Tablett �
vor sich. McGillen tritt an das Fußende. »Sie wollten mich noch einmal sehen, Jack«, sagt er. Hannagan nickt. Seine scharfen Falkenaugen sind prüfend, und in seinem Blick liegt eine Spur von Mitleid. »Patrick, ich könnte zwar nicht dein Vater, doch dein älterer Bruder sein«, beginnt er langsam. McGillen nickt schweigend und wartet. Hannagan betrachtet ihn lange. »Ich weiß, du steckst in der Klemme«, brummt er schließlich. »Du brauchst schnell eine Menge Geld und kannst es dir nicht anders beschaffen, es sei denn, du würdest selbst ein Bandit. Aber ich sage dir, daß …« »Sag nichts, Jack«, unterbricht ihn McGillen. »Ich weiß über meinen Weg schon einigermaßen Bescheid. Ich weiß, was mich als Kopfgeldjäger erwartet. Aber ich pfeife auf die Meinung der Menschen. Du warst immer ein tüchtiger Sheriff. Doch jetzt bist du ein armer Hund. Ich habe dir hier den schlimmsten Burschen aus dem Weg geräumt. Ich glaube nicht, daß du es hier schaffen kannst. Doch weil du mit deinem Stern an der Weste ein armer Hund geblieben bist, mußt du weitermachen. Du kannst dich noch nicht zurückziehen und von deinen Ersparnissen leben. – Ich mache es anders. Selbst wenn ich keine kranke Frau hätte, könnte ich an dir sehen, wie man es nicht machen soll. – Nun, viel Glück wünsche ich! Vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder, wenn ich zufällig auf der Fährte eines Burschen reite, dessen Fangprämie hoch genug ist.« Nach diesen Worten geht er. Jack Hannagan hält ihn nicht mehr auf. Er sah in McGillens Augen das kalte Licht. Er hat es schon bei anderen Männern gesehen, die unbeirrbar ihren Weg ritten. Es wäre zwecklos zu versuchen, solche Männer umzustimmen. McGillen findet draußen bei seinem Pferd den Jungen von der Posthalterei. Dieser reicht ihm einen Brief und sagt dabei: »Sir, dieser Brief kam soeben mit der Morgenpost aus Santa Fe.« McGillen gibt ihm einen ganzen Dollar. Dann lehnt er sich gegen sein Pferd und öffnet den Brief mit etwas zitternden Fingern. Du Lieber! Es ging besser, als wir dachten. Ich verbrachte eine gute Nacht im Hotel. Ich weiß, daß Du Dir Sorgen machst, wie ich die Reise überstehe. Ich schaffe es bestimmt! Patrick, ich halte durch und will wieder gesund werden. Wenn mir der berühmte Professor in Boston helfen kann – an mir soll es nicht liegen. Wir fahren in einer Stunde weiter nach Kansas. Ich denke immerzu an Dich. Patrick, ich liebe Dich! Nancy. Er liest es lautlos, und dann birgt er den Brief wie eine Kostbarkeit in einer Innentasche seiner Jacke über dem Herzen, dort, wo sich ein Stück höher die frische Narbe befindet. Er sitzt auf und reitet aus Spanish Springs. Sein Weg als Kopfgeldjäger hat begonnen. *
Einige Wochen später kommt McGillen nach Golden Gulch. Die wilde Goldgräberstadt im großen Canyon erlebt zu dieser Zeit ihre bösesten und schwärzesten Tage. McGillen kommt von Santa Fe herüber in die San Mateo Mountains. Er war bisher nicht sehr erfolgreich. Zwei Banditen, die er in einem Camp fangen und in Santa Fe dem US Marshal übergeben konnte, brachten fünfhundert Dollar ein. Aber in Santa Fe erhielt er Nachricht von Nancy. Nancy und Dolores waren inzwischen in Boston angekommen, Sie hatten alles gut getroffen. Der Professor wird Nancy in einigen Wochen operieren und … Es ist ein guter und hoffnungsvoller Brief, den McGillen als zweiten von seiner Frau bekam. Er steckt ihn zu dem ersten in die Tasche. So erfreulich auch der Brief war, zwischen den Zeilen sagte er auch, daß inzwischen Wochen vergangen waren und die Klinik, in deren Nähe einige Patienten in Privathäusern leben, sehr nobel und teuer ist. McGillen sandte alles Geld hin bis auf hundert Dollar. Als er nach Golden Gulch kommt, hat er nur noch siebzehn Dollar in seiner Tasche. Er führt in einer seiner beiden Satteltaschen einen Packen Steckbriefe mit, und es sind solche, die zumeist hohe Fangprämien versprechen. Er muß jetzt bald einen großen Fang machen. Darüber ist er sich klar. Er hat die Steckbriefe in seiner Satteltasche immer wieder gründlich studiert. Er könnte jede geringste Einzelheit aufzählen. Daß er in dieser Goldgräberstadt auf steckbrieflich gesuchte Verbrecher stoßen muß, deren Einbringung mit hohen Prämien belohnt wird, ist zu erwarten. Denn hier rollt der Dollar. Hier wird Gold und Silber gewonnen. Hier sammeln sich die zweibeinigen Wölfe inmitten der großen Herde. Es ist schon spät in der Nacht, als er in Golden Gulch einreitet – ein bärtiger Mann, ein zweibeiniger, narbiger Wolf, einer jener Lang- und Rauhreiter. Er bringt sein Pferd in den Hof des Mietstalles und bekommt für das Tier in einer Box unter freiem Himmel Futter und Wasser. Er selbst reinigt sich nur notdürftig und macht sich auf den Weg. Die wilde Stadt empfängt ihn lärmend. Überall brennen Lampen und Laternen. Brennende Teerfässer geben an einigen Ecken besondere Helligkeit. Längs der primitiven Plankengehsteige stehen Sattelpferde und Fahrzeuge. Und überall drängen sich durstige Männer. Die Amüsierlokale, Spielhallen und Tingeltangel reihen sich aneinander, rasch errichtet für schnellen Gewinn. Überall lärmen Musikkapellen. Anreißer stehen vor den Eingängen und rufen ihre unhaltbaren Versprechungen in die Menge. In Golden Gulch rollt der Dollar. Rauswerfer stoßen Betrunkene auf die Straße oder werfen Streithähne aus den Saloons. Schüsse krachen. Es sind Betrunkene, die den Drang haben, Krach und Feuerwerk zu machen. Patrick McGillen kennt dies alles. Er war schon in solch wilden Städten. An einem Bratstand kauft er sich einige Pfannkuchen mit Ahornsirup und trinkt zwei Tassen starken Kaffee. Nun fühlt er sich etwas besser. Er beginnt die Runde durch alle große Tingeltangel, und er verhält sich zurückhaltend
und bescheiden. Er weicht grundsätzlich allen Betrunkenen aus, und als er in einem Saloon einmal von einem wildäugigen Ex-Cowboy angerempelt wird, der sich schon wie ein großer Revolvermann vorkommt, da entschuldigt er sich höflich. Er nimmt es sogar hin, daß der Wild Bill überheblich und großspurig zu ihm sagt: »Na, dann will ich mal nicht so sein, Schwarzbart. Aber beim nächsten Mal mußt du schnell deine Kanone ziehen, sonst mache ich ein Loch in dich.« »Yes, Sir«, murmelt McGillen und macht, daß er weiterkommt. Er möchte hier keinen Ärger. Wenn er diesen Wild Bill ungespitzt in den Boden schlägt, bekommt er es vielleicht mit dessen Freunden zu tun. Und dann hat er schnell eine Menge Sorgen. Nach etwa einer Stunde betritt McGillen den nobel ausgestatteten Spielraum der Golden Gulch Hall. Er hat das Terrain studiert und weiß jetzt einigermaßen Bescheid, wie in Golden Gulch die Straßen und Gassen verlaufen. Er riskiert fünf Dollar beim Black Jack und verdoppelt seinen Einsatz. Aber was sind hier schon fünf oder zehn Dollar? Nichts! An den vielen Spieltischen wird hoch gespielt. Man kann hier alles spielen, was man sich nur denken kann. An einem Spieltisch sieht er plötzlich Rosy Dunn. Und da ist auf einmal die Vergangenheit wieder da. Rosy Dunn! Er sieht sie wieder neben sich im Heu und am Fluß beim Baden. Er erinnert sich, wie sie sich zum ersten Mal küßten. Es war damals eine schöne Zeit mit Rosy. Sie waren Nachbarskinder und wuchsen zusammen heran. Aber ihn hatte sie von allen Jungen am liebsten gemocht. Dann war er als Cowboy fortgeritten, um ein Mann zu werden. Und der Krieg machte aus einem wilden Burschen einen Mann mit Narben auf dem Leib und in der Seele. Er lernte Nancy, seine Frau, erst viel später kennen. Zwischen Nancy und Rosy gab es noch andere Mädchen und Frauen. Aber Rosy war seine erste Liebe, seine Jugendliebe. Jetzt sieht er sie wieder nach fast sieben Jahren. Es ist Rosy, daran gibt es keinen Zweifel. So rotes Haar hatte nur ein Mädchen. Und diese grünen Augen gibt es ebenfalls nicht so schnell wieder. Auch sonst ist an ihr alles richtig. Sie wurde eine Frau – eine schöne, reizvolle und selbstbewußte Frau, eine Spielerin, die hier in einer noblen Spielhalle mit Männern Poker spielt und sie vielleicht sogar am Spieltisch schlägt. Es sitzen besondere Männer an ihrem Tisch, das erkennt man sofort. Minenbesitzer, reiche Geschäftsleute, Männer jedenfalls, denen es nichts ausmacht, an eine Frau ein paar tausend Dollar oder Gold im Werte von tausend Dollar zu verlieren. McGillen, der aus einiger Entfernung zusieht, wie es außer ihm noch andere Gäste tun, erkennt schnell, daß sie den hartgesottenen Burschen die Haut schon fast abgezogen hat. Bei ihr häufen sich die Gewinne. Bei den Männern liegen kaum noch Chips. Und wenn die harten Burschen bisher auch nur an eine Glückssträhne bei ihr glaubten, die irgendwann beendet sein muß, so kommen sie doch langsam zur Einsicht, daß sie ihre Meisterin fanden. Sie lächelt und teilt Karten aus. Dabei schweift ihr Blick in die Runde, bleibt kurz an McGillen hängen, geht weiter und
kehrt schnell zurück. Nun erkennt sie ihn. Ihr Lächeln wird stärker, doch nur für einen Moment. Dann teilt sie die Karten aus und konzentriert sich ganz darauf. Sie ist eine Spielerin geworden, durch und durch, denkt McGillen. Plötzlich sieht er, an wen sie die Karten austeilt. Es sind fünf Männer. Doch einer davon ist bemerkenswert. Der Bursche, der jetzt mit dem freundlichen Grinsen die Karten aufnimmt und dabei sagt: »Madam, wenn Sie wüßten, wie sehr mein Herz vor Ihren Füßen liegt, dann würden Sie mir jetzt einen Flush hingelegt haben, einen Royal Flush«, dieser Bursche ist kein anderer als Early McClusky. McGillen hat seinen Steckbrief in der Satteltasche und weiß, daß es für McCluskys Skalp dreitausend Dollar gibt. Tot oder lebendig. McClusky wurde zum Tode verurteilt, konnte jedoch entkommen. Daß er hier beim Poker sitzt und eine schöne Frau anhimmelt, ist gar nicht so verrückt. Denn in Golden Gulch gibt es kein Gesetz, das Männer für etwas zur Rechenschaft zieht, was sie irgendwo in einem anderen Territorium begangen haben. In Golden Gulch zählt nur das, was hier und im Canyon geschieht. Nichts anderes. Deshalb können auch die schlimmsten Banditen und Deserteure hier in aller Ruhe mit schönen Frauen pokern. Bei dieser Runde geht es ums Ganze. Darum hat Rosy auch nur gelächelt und sich sofort wieder auf das Spiel konzentriert. Sie läßt ihren Instinkt gegen die Männer strömen, als diese ihre Karten aufnehmen und betrachten. McGillen versteht, warum Rosy nur ein flüchtiges Lächeln für ihn hatte. Sie will erst diese letzte Runde durchstehen, die irgendeine Entscheidung bringen muß. McClusky wirft nur einen kurzen Blick auf die Karten, schiebt sie wieder zusammen und sagt: »Schöne Frau, jetzt wird es ernst. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich Ihnen die Welt zu Füßen legen werde, sobald bewiesen ist, daß beim Poker eine Frau – und ist sie noch so schön, so klug und von großem Format – einen Mann nicht schlagen kann. – Ich eröffne mit tausend Dollar!« Als er es gesagt hat, steigen zwei der Mitspieler sofort aus. Aber sie bleiben am Tisch sitzen. Sie sind an diesem Zweikampf interessiert. McGillen wandert langsam um den halben Tisch herum, bis er eine Position hat, die ihm gestattet, Early McClusky besser zu beobachten. Ein gelbäugiger Blick des Mannes trifft ihn kurz und hart. Doch er weicht diesem Blick absichtlich aus. Er möchte nicht gleich als jagender Wolf erkannt werden und freut sich jetzt, daß er staubig, abgerissen und etwas verhungert wirkt. Die beiden anderen Männer bleiben im Spiel. Es sind harte Burschen, wahrscheinlich reiche Minenbesitzer. Ihnen macht dieses Spiel jetzt erst richtig Spaß, und jeder rechnet sich selbst Chancen aus. Sie können es sich außerdem erlauben, einige Tausender zu verlieren. Rosy Dunn bringt den Einsatz und erhöht um achttausend Dollar. Denn sie spielen diese Art von Poker. Man kann nur um das Doppelte erhöhen. Keiner der vier Spieler hatte neue Karten haben wollen. Und keiner sieht noch einmal seine Karten an. Early McClusky ist an der Reihe. Er müßte nun nach den Regeln, die sie hier spielen, tausend Dollar Einsatz bringen und auf sechzehntausend Dollar erhöhen, um im Spiel zu bleiben.
Das ist mörderisch. Seine Chips sind alle. Rosy Dunn sagt spröde: »Mister, ehe Sie mich fragen – ich nehme keine Schuldscheine.« Da lacht Early McClusky laut. Aber es klingt, als brülle er wie ein Löwe. Seine ganze Art ist löwenhaft. Dann hebt er seine Hand und schnippt mit den Fingern. Ein Mann tritt heran und beugt sich zu ihm. McGillen hört McClusky sagen: »Schaffen Sie mir Chips heran, Charly. Ich will diese Schöne ergründen. – Schaff mir hunderttausend Dollar in Chips heran, Charly.« »Die Hälfte«, sagt der Mann, der entweder der Besitzer oder der Manager dieser Spielhalle ist. »Für fünfzigtausend gebe ich dir Kredit, Early.« Dann geht er. McClusky lacht wieder und sieht Rosy Dunn an. Sie lächelt zurück – kühl und rätselhaft. Er sagt: »Madam Grünauge, jetzt wollen wir doch mal sehen, wie weit Sie gehen. Wieviel werden Sie wagen, Schöne? Ich gehe bis in die Hölle und zurück. Ich weiß genau, daß Sie nur bluffen. Und ich lasse mich nicht von einer Frau bluffen, auch nicht von einem Weltwunder, wie Sie eins sind.« Sie lächelt nur und sagt nichts. Der Zuschauerkreis wurde inzwischen dichter. Alle sehen die schöne Spielerin lächeln und warten. Und sie staunen über ihre Nervenkraft. Denn dies ist ein Spiel, wie man es vielleicht nie wieder in Golden Gulch zu sehen bekommen wird. Von diesem Spiel wird man noch lange erzählen. Auch Patrick McGillen staunt über Rosy Dunn. Was ist aus diesem wilden Mädchen geworden, das damals mit Jungen um die Wette ritt, schoß, schwamm und lief? Was haben die Jahre aus ihr gemacht? Die Antwort ist leicht. McGillen sieht es ja deutlich vor sich und erlebt es als Zuschauer mit. Dann bringt man Early McClusky auch schon fünfzig Tausenddollar-Chips. »Neue Runde«, sagt er und lacht wieder brüllend. Er wirft siebzehn Chips zu den anderen in die Tischmitte. »Wer geht mit?« fragt er lachend. Aber dieses Lachen ist mehr ein Gebrüll, warnend und schon etwas böse. Die beiden anderen Mitspieler steigen aus. Sie haben genug und sind wohl der Meinung, daß sie es mit Verrückten zu tun haben. Aber Rosy Dunn lächelt. Sie bringt die tausend Dollar Einsatz, hält die sechzehntausend Dollar Erhöhung – und erhöht um die gleiche Summe. Early McClusky lacht nun nicht mehr. Denn er müßte jetzt tausend Dollar Einsatz bringen, mit zweiunddreißigtausend Dollar halten – und um weitere zweiunddreißigtausend Dollar erhöhen. Aber er hat sie nicht. Er besitzt nur noch dreiunddreißigtausend Dollar in Chips, und selbst diese hat er sich geliehen. »Verdammt noch mal!« sagt er und wendet sich wieder an den Mann, der ihm den
Kredit gab. »Charly«, sagt er, »wenn ich noch einmal erhöhen kann, ist sie draußen. Sie kann keine hundertundneunundzwanzigtausend Dollar auf den Tisch legen, um mich aus dem Spiel zu bringen. Das hat sie nicht und kann sie nicht. – Charly, schaff mir noch einmal Chips her. – Los, Charly, ich kann sie schlagen!« Aber Charly Barrymoore, dem diese Spielhalle gehört, schüttelt nur den Kopf. In seinem Blick liegt etwas Endgültiges. Early McClusky scheint es zu begreifen. Ihm ist, als erwache er aus einem wilden Traum. Er wischt sich heftig über das furchige Löwengesicht. Dann wendet er sich Rosy Dunn zu. »Schöne, Sie haben mich draußen«, sagt er. »Sie haben das gut gemacht. Zuerst muß man genug Geld gewinnen, um den längsten Atem zu haben. Und wenn man dann hinten sitzt, kann man abwarten. – Madam, wenn Sie fair sind, dann verlangen Sie jetzt meine Karten zu sehen und zeigen Ihre. – Dann hören Sie damit auf, mich aus dem Spiel zu bluffen!« »Sie hätten von Anfang an passen können wie die anderen Gentlemen«, erwidert sie kühl. »Niemand zwang Sie, mitzuhalten und zu erhöhen, bis Ihr Geld alle war. – Mister, was würden Sie wohl mit einem Gent machen, der ohne Geld gegen Sie in einer Pokerrunde bleiben will?« Zuletzt wird ihre Stimme noch spröder und härter, sogar höhnisch und verächtlich. Early McClusky lacht nicht mehr. »Richtig, Lady«, sagt er. »Das Spiel ist also beendet. Sie haben mich draußen. Ich passe. Ich kann nicht mehr weiter. In Ordnung. – Und nun zum Spaß, Schöne. Hier sind meine vier Asse. Was halten Sie dagegen? Sind Sie so nett und freundlich, meine Neugierde zu befriedigen?« Sie sitzt still da und zeigt ein kühles Lächeln. Doch ihre grünen Augen funkeln. Der Zuschauerkreis rückt näher. Alle wollen wissen, ob sie McCluskys vier Asse hätte schlagen können. Da dreht sie ihre fünf Karten um. Jeder sieht sie, der seinen Hals hoch genug recken kann. Eine heisere Stimme ruft: »Royal Flush! Jungens, sie hat einen Royal Flush! Er hätte gegen sie immer verloren – immer!« Viele Männer stöhnen. Die Spannung legt sich endlich. Man verspürt jetzt allgemein den Wunsch nach einem scharfen Drink. Und so löst sich der dichte Kreis auf. Charles Barrymoore sagt zu Early McClusky: »Sie hätte meine Spielhalle gewonnen, würde ich dir aus alter Freundschaft und weil wir einmal Partner waren noch mehr Kredit eingeräumt haben.« Nach diesen Worten geht Charly Barrymoore um den Tisch herum zu Rosy Dunn. »Madam«, sagt er, »wenn ich Ihnen alle Chips einlöse, ergibt das einen Berg Geld. Das sind zusammen mehr als hunderttausend Dollar. – Wollen Sie einen Scheck?« Nun betrachtet auch Patrick McGillen, der noch mit einigen Neugierigen ausharrt, Charly Barrymoore genauer. Sein Name stand draußen über dem Eingang. Barrymoore sieht beachtlich aus. Man könnte ihn für einen ehemaligen SüdstaatenOffizier halten, der Spieler wurde und zu einem Spielhallenbesitzer aufstieg. Aber das ist zu einfach.
Ein Mann, der einem der gefährlichsten Banditen einen Fünfzigtausend-Dollar-Kredit einräumt und dabei Bemerkungen über die alten Zeiten fallenläßt, muß eine Menge unter seiner Oberfläche verborgen halten. Rosy lächelt den Mann an. »Einen Scheck?« fragt sie. »Natürlich werde ich mir einen Scheck geben lassen. Doch nicht von Ihnen. Von der Bank, die ja hier zum Glück Tag und Nacht geöffnet ist. Ich denke, daß Ihre Angestellten mir helfen werden, das Geld zur Bank zu schaffen. Und deren Gutschrift wird gewiß überall eingelöst. So machen wir es, Mister. – Oder?« Das letzte Wort ist eine klare Herausforderung. Doch Charly Barrymoore nickt. »Sicher«, sagt er. »Und ich lasse sogar den Marshal und dessen Gehilfen herbeirufen.« Er lächelt blitzend. Patrick McGillen möchte gerne noch bleiben und weiter beobachten, wie Rosy Dunn die Lage meistert. Er möchte auch mit Rosy sprechen, denn er freut sich sehr, sie hier getroffen zu haben. Rosy hat ihn erkannt, das ist sicher. Daß sie es noch nicht vor den Leuten zu erkennen gab, lag gewiß nicht daran, weil sie sich auf das letzte Spiel zu sehr konzentrieren mußte. McGillen weiß jetzt, daß Rosy ihn – ihren alten Freund – wie einen Trumpf im Ärmel verborgen halten will. Sie ist erfahren und klug, denkt er. Sie ist eine echte Abenteuerin und Glücksjägerin geworden, eine Spielerin mit kaltem Verstand und nüchterner Berechnung. Erwartet sie Hilfe von mir? fragt er sich in Gedanken. Aber dann fällt ihm ein, daß er nach Golden Gulch gekommen ist, um hier vielleicht einen steckbrieflich gesuchten Banditen zu finden, für dessen Einbringung er eine gute Prämie kassieren könnte. Er fand einen solchen Burschen: Es ist McClusky, Early McClusky. Aber er müßte ihn nach Santa Fe oder nach Denver schaffen. Dort bekäme er die Belohnung, nicht hier in Golden Gulch. Hier gibt es kein Gesetz. Und daß diese Stadt einen Marshal hat, bedeutet nichts. Wahrscheinlich wurde der Marshal nur von den Spielhallen- und Tingeltangelbesitzern unter Vertrag genommen, um innerhalb der Stadtgrenzen in ihrem Sinne für Ordnung zu sorgen. McGillen sieht Early McClusky in den benachbarten Raum gehen, wo sich die Bar befindet. Er folgt ihm bis zum Durchgang. Hier stellt er sich auf und kann nun McClusky an der Bar und Rosy am Spieltisch beobachten. Soll er auf Rosy achten, was diese offenbar von ihm erwartet? Oder soll er sich um McClusky kümmern? Dieser Mann ist für ihn dreitausend Dollar wert. Das ist eine Menge Geld, und McGillen ist fast völlig pleite. Nancy und Dolores aber werden bald wieder Geld benötigen. Selbst wenn er schon morgen Geld absenden könnte, würde es erst nach einigen Wochen in Boston ankommen. Als er sieht, daß McClusky die Bar verläßt und durch einen Seitenausgang verschwindet, entschließt er sich schnell. Er folgt ihm, aber er kann es nicht schnell und auffällig tun. Es muß rein zufällig aussehen, daß er wie McClusky den gleichen Ausgang benutzt. Der Seitenausgang führt in eine dunkle Gasse. McGillen flucht in Gedanken, denn von McClusky ist nichts mehr zu sehen. Wandte er
sich nach rechts zur Hauptstraße oder nach links, wo die Gasse bald in einem Gewirr von Hütten und Zelten am Rande der Gulch endet? McGillen wendet sich nach rechts. Doch als er die Hauptstraße erreicht, ist von McClusky nichts zu sehen. McGillen vergißt Rosy endgültig und macht sich auf die Suche. Er geht in alle in der Nähe befindlichen Saloons und Tingeltangel und verliert dabei eine Menge Zeit. Early McClusky bleibt verschwunden. Er ist irgendwo untergetaucht, vielleicht in einem Hinterzimmer, in einem Privathaus. Oder er hat eine andere Gasse benutzt, um zu verschwinden. Als McGillen das begreift, hört er mit der Suche auf. Er lehnt sich an eine Hauswand und dreht sich in der Hosentasche eine Zigarette. Er kann das blind mit einer Hand in der Tasche. Diese Fingerfertigkeit ist ja nicht zuletzt eine Voraussetzung für überragende Revolverschnelligkeit. Als er die Zigarette anzündet, hört er in der Ferne einen lauten Knall. Es klingt wie eine Explosion. Dann leuchtet auch schon Feuerschein gen Himmel. Überall verharrten die Menschen auf der belebten Hauptstraße. Auch Reiter und Fahrzeuge hielten an. Aus einiger Entfernung brüllt eine gellende Stimme: »Die Bank! Die Golden-GulchBank brennt! Man hat versucht, die Bank in die Luft zu jagen! Kommt, Leute, und helft! Oder das Feuer wird …« Mehr ist nicht zu hören. Denn nun brüllen viele Stimmen. Aus allen Saloons und Amüsierhallen, aus den Geschäften, die während der Nacht geöffnet sind, laufen Menschen. Golden Gulch wird alarmiert und vergißt für eine Weile, daß es sich amüsieren will wie jede Nacht. Feuer in der Bank! Das ist der Alarmschrei, der tausendfach ertönt. McGillen läuft nicht mit der Menge. Für ihn ist plötzlich alles klar. Er hat von McClusky genug gehört und konnte eben erleben, wie dieser ein Vermögen verlor, das er sich zum größten Teil von einem alten Freund und Partner lieh. Ein Bursche wie McClusky kennt in einer wilden Stadt wie Golden Gulch keine Hemmungen. Hier wird McClusky stets aufs Ganze gehen und jedes verwegene Spiel wagen. Wahrscheinlich bekam er die fünfzigtausend Dollar in Chips auch nur unter der stillschweigenden Voraussetzung geliehen, weil es unter den alten Partnern selbstverständlich war, daß er im Falle des Verlierens etwas unternehmen würde. McGillen kehrt in Barrymoores Golden Gulch Hall zurück. Inzwischen ist eine längere Zeit vergangen. Rosy Dunn sitzt allein an dem großen runden Spieltisch, an dem sie gegen Early McClusky und vier andere Männer spielte. Vor Rosy Dunn liegt Geld – viel Geld! Der ganze Tisch liegt voll Geld. Da sind Tausend-Dollar-Säckchen, Fünftausend-Dollar-Säckchen, Stapel von Papiergeldpacken und eine Menge Zwanzigdollarstück-Türme, von denen jeder fünfhundert wert ist. Charly Barrymoore hat ihr alle Chips eingelöst. Das mußte er ja wohl. Er war es dem Ruf seiner Spielhalle – es ist die größte und nobelste in Golden Gulch – schuldig. Er
konnte es sich nicht leisten, eine schöne Frau zu betrügen. Es waren noch zu viele Gäste da – Goldgräber, Minenarbeiter, Spieler, Ex-Cowboys, Ex-Soldaten und Geschäftsleute. Die Erfolgreichsten waren versammelt, denn hier ist der nobelste Spielsaloon. Hier kann man mit wenigen Dollars in der Tasche nichts anfangen. Nun sitzt Rosy Dunn dort mit ihrem Spielgewinn. Was nun? Gewiß hat sie schon gehört, daß die Bank von einer Sprengstoffladung beschädigt wurde und in Flammen steht. Deshalb kann sie das Geld nicht fortbringen. Die Bank – sonst die ganze Nacht geöffnet – kann jetzt keine Einzahlungen annehmen. Man käme wohl auch kaum durch die Menschenmenge. Rosy Dunn sitzt mit ihrem Geldschatz fest. Ein paar Männer sind noch da. Zumeist sind es Angestellte der Spielhalle, Spieler, Kartenausteiler, Croupiers, Hauspolizisten und Rauswerfer. Ein paar Neugierige sind ebenfalls noch da, die sich dafür interessieren, was eine schöne Frau, die sich als eiskalte Spielerin erwies, in dieser neuen Situation machen wird. Rosy sieht Patrick McGillen aufmerksam entgegen. Er begreift plötzlich, daß sie auf ihn gewartet hat. Daß er verschwunden war, hatte sie irritiert. Als dann die Alarmnachricht kam, daß die Bank in Flammen steht, wurde sie gewiß noch unruhiger. Aber sie wartete und wirkt immer noch kühl und beherrscht. McGillen blickt Rosy nur an – mehr nicht. Dann sieht er auf das Geld und wendet sich um. Als er aus der Spielhalle geht, folgt ihm einer der Hauspolizisten. Doch McGillen geht schräg über die Fahrbahn in den General Store. Er kauft einen großen Segeltuchsack. Ferner ein halbes Dutzend Sprengstoffstangen, wie man sie braucht, um in den Minen Bohrlöcher zu füllen. Außerdem kauft er ein paar Zigarren. Eine davon zündet er an. Die Sprengstoffstangen steckt er in die Innentasche seiner Lederjacke. Dann geht er zurück auf die andere Straßenseite. Er entfernt sich jedoch von der Golden-Gulch-Spielhalle. Der Hauspolizist, der immer noch vor dem Eingang steht, wendet sich ab und geht wieder hinein. McGillen erreicht das Postbüro. Der Agent, der die Nachtschicht macht, kommt soeben mit zwei Postsäcken heraus, die er auf den Plankengehsteig stellt und gegen das Geländer lehnt. »Wann fährt die Kutsche ab?« fragt McGillen. Der Mann sieht ihn grimmig an. »Sie müßte eigentlich schon fort sein«, brummt er. »Wahrscheinlich bekommen sie das Gespann nicht schnell genug davor. Sie muß jede Sekunde aus dem Wagenhof kommen und hier vorfahren. Drinnen warten fünf Passagiere. Wollen Sie auch mit?« »Ja«, erwidert McGillen und gibt ihm sein ganzes Geld. Es sind kaum zwanzig Dollar. »Das ist das Trinkgeld«, sagt er. »Halten Sie die Kutsche fest, bis ich mit der Lady komme.« Der Mann sagt nichts mehr. Aber er pfeift leise durch die Zähne und nickt dann. Gewiß hat er schon von dem Pokerspiel gehört und begreift nun schnell. McGillen beeilt sich. Er macht lange Schritte. Als er in den Spielsaloon kommt, hat sich dort nichts verändert. Aber der Rauswerfer,
der ihm nach draußen gefolgt war, interessiert sich sofort wieder für ihn. Doch das tun auch andere Männer. Die Sache ist klar zu erkennen. Denn McGillen kommt mit einem Sack herein. Und einen Sack braucht Rosy bestimmt zum Fortschaffen des Geldes. Bei Rosy Dunn steht Charly Barrymoore. Er hatte gerade gefragt »Soll ich Ihren Spielgewinn wieder in meinen Geldschrank nehmen, Ma'am?« Aber sie hatte den Kopf geschüttelt und an Patrick McGillen gedacht. Nun sieht sie ihn. Er hält wortlos den geöffneten Sack an den Tischrand. Rosy sagt immer noch nichts, aber sie bewegt sich schnell. Sie wischt das Geld einfach vom Tisch in den Sack hinein. Nur einmal greift McGillen nach einigen Scheinen, um sie in die Taschen zu stopfen. Der Sack ist ziemlich voll und schwer. McGillen wirft ihn sich über die rechte Schulter. Die linke Hand ist jetzt stets in der Nähe des Revolverkolbens. Es ist still. Die Männer staunen alle. Erst jetzt sagt Charly Barrymoore: »Madam, ist das Ihr großer Beschützer, dieser Hombre hier?« »Ich bin nur ihr Lastenträger«, erwidert McGillen. »In jeder Stadt trage ich für sie einen Sack voll Geld weg.« Er geht zum Ausgang. Zwei der Rauswwerfer schieben sich ihm in den Weg. Doch Rosy sagt: »Mister Barrymoore, wir möchten hinaus. Es ist alles in Ordnung. Ich brauche die Bank nicht mehr zu behelligen.« Barrymoore nickt seinen Männern zu. Sie geben den Ausgang frei. Patrick McGillen geht hinaus – mit hunderttausend Dollar auf dem Rücken. Rosy hält sich dicht hinter ihm. Sie wenden sich nach rechts. Da steht schon die Kutsche vor dem Post Office. »Los! Los!« Die Stimme des Postagenten drängt. Sie laufen und steigen schnell ein. Dann knallt die Peitsche. Die heisere Stimme des Fahrers ruft: »Braa! Braa! Hoiiyah! Jetzt los, ihr dicken Tanten!« Die Kutsche ruckt an. Rosy sitzt neben McGillen. Er spürt ihren warmen Körper durch seine Kleidung und er hört Rosy flüstern: »Danke, Patrick! Danke! Ich glaubte schon, du würdest mich in der Klemme sitzenlassen. Ich hatte zuletzt eine höllische Angst. – Patrick, dich hat der Himmel geschickt!« Und sie reckt sich und küßt seine stoppelbärtige Wange. * Als sie ihn in der dunklen Kutsche küßte – wenn auch nur dankbar auf die Wange –, denkt er an Nancy. Es ist ein starkes Bedauern in ihm. Nancy ist so fern, und er kann nichts anderes für sie tun, als viel Geld zu beschaffen und zu schicken. Wenn der Professor Nancy nicht helfen kann, wird er sie eines Tages holen und an einen Ort bringen müssen, wo sie ohne materielle Sorgen leben können. Vielleicht würde
sie dann gerne am Meer leben wollen, in einem Haus, von dessen Veranda sie einen weiten Blick hat und die Schiffe fahren sieht. Er verdrängt seine Gedanken an Nancy. Denn Nancy ist weit, doch hier gibt es eine Menge Probleme. Rosy Dunn, seine Jugendliebe, sitzt dicht neben ihm. Sie hat ihn geküßt und schmiegt sich wie schutzsuchend an ihn. Er begreift, daß sie nicht ganz so kühl und kaltblütig ist, wie sie vorhin als Spielerin gegen ein paar hartgesottene Männer erschien. Rosy hat viel von ihrer Nervenkraft verbraucht. Vielleicht steht sie sogar vor einem nervlichen Zusammenbruch. Er legt seinen Arm um sie, so daß sie ihren Kopf gegen seine Schulter legen kann. Dann wird er sich bewußt, daß er immer noch die Zigarre raucht, die er sich im Store anzündete. Er wirft sie aus dem halboffenen Fenster der Kutsche auf den staubigen Wagenweg. Er denkt an die Sprengstoffstangen in seiner Jackentasche und freut sich, daß er sie nicht gebrauchen mußte, um sich den Weg aus der Spielhalle zu öffnen. Mit Sprengstoffstangen kann man allerlei machen. McGillen glaubt, daß Early McClusky ein Bündel davon auf das Dach der Bank warf. Nur so konnte er am leichtesten und mühelosesten verhindern, daß Rosy ihren Spielgewinn dort einzahlte und auf ihren Namen einen Scheck bekam, der auch eingelöst werden würde. Sie wollten ihr das Geld wieder abnehmen, denkt McGillen. Und sie wollen es immer noch. Early McClusky gibt so schnell nicht auf, nachdem er beim Poker von ihr geschlagen wurde und bei einem alten Kumpan Kredit aufnehmen mußte. McClusky sitzt jetzt gewiß auf einem schnellen Pferd und versucht, die Kutsche zu überholen. Der läßt Rosy mit ihrem Spielgewinn nicht entkommen – der nicht! McGillen versucht, die Mitreisenden einigermaßen zu erkennen und einzuschätzen. Aber es ist zu dunkel in der Kutsche. Wohl hat sie an den vorderen Ecken je eine Lampe, doch diese werfen ihren gelben Schein nur nach vorn. Der Fahrer hält das Gespann einfach auf dem grauen, staubigen Band der Poststraße. Fünf andere Mitreisende sind in der Kutsche. Zwei davon sind Frauen. Die drei Männer scheinen nicht zu der Sorte zu gehören, auf die McGillen achten muß. So schwach er sie auch erkennen kann, es genügt ihm, um sie als zwei Goldsucher und einen Handelsvertreter einzustufen. Vielleicht ist dieser Handelsvertreter, der mehr nach der Mode des Ostens gekleidet ist, ein gutgetarnter Spieler. Das gibt es auch. Rosy Dunn zittert immer noch in McGillens Arm. Er beugt sich etwas herunter, so daß sein Mund dicht an ihrem Ohr ist. Die Kutsche macht eine Menge Geräusche, und der Hufschlag des Sechsergespanns ist laut. Man kann sich leise genug unterhalten, so daß die Mitreisenden kaum ein Wort verstehen können. »Sei ganz ruhig, Rosy«, flüstert er. »Ich kann dich beschützen. Early McClusky ist hinter dir und dem Geld her. Ich will dir nichts vormachen, aber ich erledige ihn.« »Du kennst ihn, Patrick?« »Von einem Steckbrief. Ich bekomme dreitausend Dollar für ihn, tot oder lebendig.« Er spürt, wie sie in seinem Arm zusammenzuckt. »Jagst du Menschen, Patrick?« fragt sie rauh. »Das ist eine lange Geschichte«, murmelt er. »Ich erzähle sie dir vielleicht noch. – Aber was wurde aus dir, Rosy? Ziehst du überall herum, um den Hammeln am Spieltisch das Fell zu scheren?«
»Warum nicht?« fragt sie. »Ich hätte auch eine lange Geschichte zu erzählen. Vielleicht bekommst du sie zu hören. – Doch eins ist klar. Ich hatte immer gehofft und es zuletzt instinktiv gefühlt, daß ich am Spieltisch einmal einen ganz großen Coup landen würde. Ich hatte noch nie einen Royal Flush – noch nie! Und ich werde vielleicht auch nie wieder einen bekommen. Deshalb wagte ich alles – einfach alles. Ich wußte nicht, wie ich herauskommen würde. Ich hoffte nur, daß du mir helfen würdest. Patrick, ich danke dir wirklich. Die alten Zeiten sind wieder da. Weißt du noch, wie ich mich immer auf dich verlassen konnte? Bei dir hatte ich immer das Gefühl von Sicherheit. Und damals, als wir uns küßten, da wollte ich es so haben. Ich dachte immerzu: Oh, warum küßt er mich nicht. Dann tatest du es. – Patrick, warum trennten sich unsere Wege?« »Ein junger Wild Bill, wie ich einer war, will die Welt sehen. Und wenn man erst einmal hinter den ersten Hügel sieht, entdeckt man immer neue Hügel. Und man will wissen, wie es dahinter aussieht. Man reitet und reitet. Und dann kam der Krieg …« »Ich weiß«, sagt sie. »Du wurdest mehrmals in den Berichten erwähnt. Du warst das, was man einen Kriegshelden nennt. Aber was brachte dir das ein? Mußt du jetzt als Kopfgeldjäger … Ach, warum sollen wir jetzt Probleme wälzen? Laß mich eine halbe Stunde an deiner Schulter schlafen. Ich bin müde und ausgebrannt, so …« Ihre Stimme wurde immer leiser und schläfriger. Er nimmt sie noch besser in seinen Arm, so daß er das Schütteln und Rütteln der Kutsche abfangen kann. Er weiß, daß sie nach der Anspannung nun eine Pause braucht. Sie war nach dem Spiel einfach erledigt. Sie schläft vor Erschöpfung ein. Aber sie hatte mit harten Männern Poker gespielt und gewonnen. Was für eine Frau wurde aus ihr? Wieviel anders ist sie als Nancy? Die Kutsche rollt, schwankt und springt manchmal mit einem Rad über einen Stein. Das Sechsergespann kann diesen schnellen Trab bis zur nächsten Relaisstation beibehalten und zwischendurch, wenn es notwendig werden sollte, ein Stück galoppieren. Aber Early McClusky, der einer Bank Sprengstoffstangen auf das Dach warf und somit verhinderte, daß Rosy ihren Spielgewinn in Verwahrung geben konnte, wird den ganzen Weg von Golden Gulch bis zur Pferdewechselstation galoppieren. Vielleicht kennt er sogar eine Abkürzung über die Hügel. Wird er allein kommen? Oder mit einer Bande? McGillen und Rosy sitzen auf der hinteren Sitzbank. Neben Rosy in der Ecke steht der mit Geld gefüllte Sack. Diesen Sack wird McClusky haben wollen. Eine Stunde vergeht. Rosy Dunn regt sich plötzlich an McGillens Schulter. Sie setzt sich gerade, seufzt und wischt sich über das Gesicht. Sie dehnt und reckt ihren geschmeidigen Körper und sagt dann: »Jetzt geht es mir besser, Patrick. Es tat gut, so in deinem Arm entspannt zu schlafen. Jetzt bin ich wieder einigermaßen in Ordnung. – Danke, Patrick!« Einer der Mitreisenden lacht. Er hat einige Worte gehört, denn Rosy sprach nicht leise. »Ein starker Männerarm ist was Gutes«, sagt er dann. »Aber meine Frau wiegt zweieinhalb Zentner. Die könnte ich nicht so halten. Ich stellte mir gerade vor, wenn sie sich so an mich …«
Er lacht wieder. Alle lachen. Die beiden Frauen, die in der Kutsche sitzen, lachen auf eine Art, die sie sofort als Saloonmädchen kenntlich macht. »Deshalb waren Sie wohl auch so oft bei uns, Freddy«, sagt eine. McGillen blickt angestrengt aus der Kutsche. Er war diesen Weg im Sattel seines Pferdes gekommen und kann sich einigermaßen daran erinnern, wo die Pferdewechselstation der Postlinie liegt. Einen Moment denkt er daran, daß er Pferd und Sattel zurücklassen mußte, sein Gewehr und einige andere Dinge. Aber auch Rosy mußte ja Hals über Kopf die Flucht ergreifen. Sie trägt noch ihr grünes, ziemlich gewagtes Kleid, das darauf zielt, die Männer am Pokertisch zu verwirren und ihre Gedanken von den Karten abzulenken. Rosy gebrauchte am Spieltisch alle Waffen der Frau. So sitzt sie nun in ihrem dünnen Seidenkleid neben McGillen in der Kutsche. Ohne Mantel und anderes Gepäck. McGillen sieht – als er sich aus dem Fenster beugt – die Lichter der Station in der lauen Nacht. Der Himmel wurde heller. Mond und Sterne leuchten klarer. Die Nebelschleier am Himmel rissen auf. Und die Schwüle des Tages wird sich in den nächsten Stunden endgültig in Nachtkühle wandeln, je klarer die Sterne werden. McGillen schätzt die Entfernung zur Station. Dann wendet er sich an Rosy und bringt seinen Mund wieder dicht an ihr Ohr. »Eine Viertelmeile vor der Station springe ich aus der Kutsche. Schließ hinter mir den Wagenschlag und vertraue auf mich. Wenn McClusky schon dort ist – ob in Begleitung oder allein –, dann bekomme ich ihn auf diese Art leichter. Verstehst du mich?« »Ja, Patrick«, erwidert sie. »Ich begreife genau, daß wir immer noch in einem harten Spiel sind. Ich konnte zwar allein das viele Geld gewinnen, aber ich bringe es ohne deine Hilfe nicht in Sicherheit. – Und noch etwas, Patrick. Ich habe einen kleinen ColtDerringer im Strumpfband und werde ihn auch benutzen, sollte es notwendig sein. Ich möchte, daß du das weißt und einkalkulieren kannst, mag kommen, was will.« Er nickt nur. Sie fühlt seine Bewegung an ihren Wangen. Seine Bartstoppeln kratzen ihre Haut. Dann öffnet er den Wagenschlag. Er springt geschmeidig heraus, hält sich an der Kutsche fest und läuft noch ein Dutzend Sprünge neben ihr her. Er ist unwahrscheinlich schnell und sicher auf seinen langen Beinen und kann laufen wie ein Wüstenapache. Weder Fahrer noch der bewaffnete Begleitmann, die oben auf dem hohen Bock ihre ganze Aufmerksamkeit der Station schenken, merken etwas. Rosy zieht den Wagenschlag sachte zu. * Early McClusky kam mit zwei Begleitern. Einer davon ist ein Halbblut, den man als Navajo-Pete kennt. Zu ihm sagt er: »Wenn die Kutsche da ist, reitest du mit Cash hin und holst den Sack mit dem Geld. Ich bleibe im Hintergrund, und ihr braucht euch wegen des Stationsmannes oder dessen Gehilfen keine Sorgen zu machen.« Navajo-Pete und Cash brummen zustimmend. Sie sind in diesem Geschäft nicht neu und rauben auch nicht ihre erste Überlandkutsche aus. Sie kennen alle Tricks und sind ein eingespieltes Paar. Daß McClusky, der unfehlbar schießen kann, hinter ihnen sein und
aufpassen wird, beruhigt sie sehr. Sie binden sich ihre Halstücher vor die Gesichter. Ihre Pferde sind voller Schweiß. Auch die Reiter schwitzen. Sie sind fast zwanzig Meilen galoppiert und haben den Weg durch einen engen Canyon genommen, der zwei Meilen kürzer ist als die Poststraße. Sie reiten nun im Schritt auf die Station zu und nähern sich ihr von der Rückseite. Als sie noch einmal anhalten, hören sie, wie der Stationsmann und sein Mexikanerjunge das frische Sechsergespann aus dem Corral nach vorn bringen, wo bald die Kutsche halten wird. Dann hören sie die Kutsche kommen. Die drei Männer gelangen zwischen Corral, Stall und Scheune nach vorn zum Stationshaus, als die Kutsche gerade mit kreischenden Bremsen hält. Sie trennen sich ohne ein weiteres Wort. Navajo-Pete und Cash reiten aus dem tiefen Schatten des Hauses heraus. Der Halbblutmann ruft: »Aufgepaßt! Das ist ein Überfall! Wollt ihr heißes Blei oder passen?« Einige Flüche kommen auf. Doch der Fahrer, der Begleitmann, der Stationsmann und dessen Mexikanerjunge sind zu klug, um etwas zu riskieren, bevor sie nicht richtig wissen, was los ist. Dieser Überfall kann ja auch von einer dutzendköpfigen Bande ausgeführt werden, die ringsum im Schutz der Nacht lauert. Der Fahrer sitzt noch auf dem Bock. Er hatte schon die Zügel um die Bremse gewickelt. Nun ruft er laut: »Hoi, Jungens, da habt ihr aber Pech! Wir befördern weder Gold noch Geld, nur ganz gewöhnliche Fahrgäste. Es lohnt sich heute nicht, Jungens! Und es lohnt sich nicht, daß jemand von uns für ein paar Dollars ins Gras beißt. Was wollt ihr denn? Uns die paar Dollars aus den Taschen holen?« »Raus aus der Kutsche! Herunter vom Bock! Stellt euch dort in den Lichtschein des Stationshauses! Macht schnell! Sonst knallt es wirklich!« Navajo-Petes Stimme ist rauh und scharf. Man hört dieser Stimme an, daß Pete sein Geschäft versteht und darin geübt ist. Er bleibt im Sattel und hat in jeder Hand einen schußbereiten Colt. Vom Sattel aus hat er eine gute Übersicht. Sein Partner Cash sitzt ab, geht um die Kutsche herum und sagt von der anderen Seite durch das offene Fenster hinein: »Drüben hinaus! Los, dort drüben hinaus! Und macht keine dummen Sachen! Wir haben ein paar Büffelflinten dabei. Damit schießen wir durch die Kutsche wie mit einem Colt durch eine Keksschachtel!« Die beiden Saloonmädchen klettern zuerst aus der Kutsche, dann die drei männlichen Fahrgäste und zum Schluß Rosy. Eines der Saloonmädchen schimpft mit schriller Stimme: »Oh, ihr lausigen Schufte! Es fehlt nur noch, daß ihr Burschen seid, zu denen wir mal nett waren! Die Pest sollt ihr bekommen, wenn ihr uns die sauer verdienten Dollars abnehmt! Ihr …« »Ach, halt doch endlich dein süßes Maul, Peggy!« ruft Navajo-Pete. »Von euch wollen wir nichts – gar nichts. Ihr könnt gleich wieder in die Kutsche. Wir wollen nur …« Er unterbricht sich und ruft: »He, Cash, ist niemand mehr in der Kutsche? Da muß doch noch ein langer, hartgesottener Indianer sein! Sieh nach! Ist er drüben raus?« »Nein!« ruft Cash. Er hat die Tür geöffnet und ist in die Kutsche geklettert. »Hier ist nur der Sack. Ich bringe ihn raus.« Doch Navajo-Pete ist schlauer, wachsamer und erfahrener als Cash, der wahrscheinlich als williger Handlanger gut zu gebrauchen ist, doch sonst kaum denken kann.
Navajo-Pete begreift sofort. Er ruft über die Schulter in Richtung zu McClusky, den er hinter der Hausecke im Schatten weiß: »Aufgepaßt, Boß! Er ist nicht mehr in der Kutsche!« Aber er bekommt von Early McClusky keine Antwort. Dafür kommt ein anderer Mann hinter der Hausecke hervor. Mit dem Colt in der Hand. Es ist Patrick McGillen. »Jungens«, sagt er, »gebt auf! Ich habe McClusky schon auf die Birne geklopft. Der spielt nicht mehr mit!« Da zielt Navajo-Pete auf ihn. Doch abdrücken kann er nicht mehr. Die Kugel stößt ihn aus dem Sattel. Cash stößt einen bösen Schrei aus. Er gehört zu der dummen Sorte, die eine verlorene Sache nicht erkennen kann. Vielleicht ist seine Treue zu Navajo-Pete auch zu groß. Er gibt einen Schuß auf McGillen ab, doch er trifft ihn nicht. McGillen trifft ihn. Dann fragt er: »Alles in Ordnung, Rosy?« »Alles in Ordnung«, erwidert sie. Er wendet sich an die Männer der Postlinie. »Wir können weiter, Männer. Und wir haben einen neuen Fahrgast. Wir nehmen den dritten Banditen mit, dem ich was auf die Birne gab. Er bringt mir in Santa Fe dreitausend Dollar ein. – In Ordnung?« Die Männer betrachten ihn staunend, auch die Fahrgäste. Eines der Saloonmädchen fragt schrill: »He, was ist denn in eurem Sack? Ist der vielleicht voll Geld?« McGillen gibt keine Antwort. Er kehrt um und holt den Gefangenen. Es dauert eine Weile, bis er mit ihm zum Vorschein kommt. Er mußte ihn wahrscheinlich erst fesseln und aus der Bewußtlosigkeit erwachen lassen. Inzwischen wird ein neues Gespann vor die Kutsche gespannt. Rosy trägt den Sack wieder in die Kutsche und stellt ihn auf den alten Platz neben sich auf die Sitzbank. Der Fahrer steckt den Kopf durch die offene Tür in die Kutsche. »Sie haben noch keine Fahrpreise bezahlt«, sagt er. »Und für diesen Sack müssen Sie wie für eine Person bezahlen. Er nimmt einen vollen Sitz in Anspruch. Für den Gefangenen muß ebenfalls bezahlt werden, wenn er dreitausend Dollar Prämie einbringt. – Oha, was für ein Paar seid ihr denn? Ist wirklich Geld in diesem Sack oder …« »Es geht euch nichts an«, sagt McGillen, der mit dem noch schwankenden und stolpernden McClusky die Kutsche erreicht. Er greift in die Tasche und gibt dem Fahrer einen Hundertdollarschein. »Hier ist Geld genug«, sagt er. »Fahr endlich weiter! Wir haben in der Golden-GulchSpielhalle eine Menge Geld gewonnen. Beim Poker! Und nun sind alle Banditen der Golden Gulch hinter uns her, wenn ihr euch nicht aus dem Staub macht.« Sie staunen alle. Dann drängt der Fahrer zur Eile. »Hölle, dann aber nichts wie los!« Eine Minute später fahren sie auch schon. Rosy sitzt mit ihrem Geldsack neben McGillen auf der hinteren Sitzbank. McClusky sitzt gefesselt McGillen gegenüber. McClusky sagt nichts. Er hat noch zu starke Schmerzen im Schädel. Eine aufgeplatzte
Beule wächst dort. Langsam wird sich Early McClusky darüber klar, daß er gefangen ist, festgenommen von einem Mann, der ihm überlegen war. Er erkennt ihn jetzt. Er erinnert sich, diesen Mann als Zuschauer gesehen zu haben. Aber er wirkte so abgerissen, staubig und verhungert wie ein armer Teufel, der in der letzten Zeit erfolglos war. Diesen Mann, der seinem Blick auswich, hatte er unterschätzt. * Rosy schiebt ihre Hand in die von McGillen. Und sie rückt dicht an ihn, so als gehörten sie zusammen und würden es immer bleiben. Sie fühlt sich in seiner Nähe sicher und geborgen. Sie schweigen bis zur nächsten Pferdewechselstation, die sie in etwa zwei Stunden erreichen. Bei der Station brennen keine Lichter, Alles ist dunkel. Die Kutsche hält ein Stück entfernt an. Der Fahrer flucht halblaut und sagt dann bitter: »Mallone wird doch wohl nicht verschlafen haben? Das hat er schon mal getan. Einfach unsere Ankunft verschlafen.« Nach diesen bitteren Worten ruft er laut hinüber: »Hoiii, Mallone! Hörst du mich? – Ist dort alles in Ordnung, und schlaft ihr nur? Antwortet!« In der Kutsche verhält man sich still. Die Männer haben längst ihre Revolver in den Händen. Dann hören sie von der Station her eine grimmige Stimme: »Kommt nur her, wir leben noch! Aber Pferde könnt ihr nicht bekommen. Unsere Pferde wurden vor einer Stunde von den Apachen geholt.« Nun fluchen die Männer. Nur McClusky und McGillen schweigen. Als sie vor das Stationshaus kommen, tritt ein Mann mit einer Schrotflinte heraus. »Es war eine Apachenbande – nicht groß, doch gewiß gefährlich. Wir haben kein einziges Pferd mehr. Ich sage euch, daß die Armee jetzt alle Hände voll zu tun bekommt. Ich möchte nur wissen, woher die Apachen kommen. Wenn die von Arizona aus dem Mogollon-Land durch die Bunte Wüste herüberkamen, dann haben wir hier ein verdammt gefährliches Wolfsrudel. – Wollt ihr weiter oder umkehren?« Der Fahrer überlegt eine Weile, aber er trifft noch keine Entscheidung. Dann öffnet er den Kutschenschlag und fragt in das dunkle Innere der Kutsche. »Apachen! Sie haben es alle gehört, nicht wahr? Es ist möglich, daß sie sich mit den erbeuteten Pferden aus dem Staub machen und erst mal hundert Meilen reiten. Aber es kann auch sein, daß sie irgendwo lauern. Groß kann die Bande nicht sein, sonst hätte sie die Station überfallen. Apachenbanden, die aus dem Mogollon-Land durch die Painted Desert kommen, sind ausgehungert und abgebrannt. Die können einfach alles gebrauchen. In der Station hätten sie alles bekommen. Aber sie fühlten sich nicht stark genug. Sie wußten wohl auch nicht, wieviel Männer in der Station sind.« »Wir sind vier«, sagt der Stationsmann. Der Fahrer achtet gar nicht mehr auf ihn. Er beugt sich weiter in die dunkle Kutsche und fragt: »Wer will umkehren? Ich frage die Ladies zuerst. Wer will umkehren?« »Wir nicht!« Die beiden Saloonmädchen sagen es wie aus einem Munde. »Wir haben
genug von der Golden Gulch und dieser Stadt, in der nur Wilde leben«, fügt eine noch hinzu. »Ich will auch weiter«, sagt Rosy Dunn kühl. Da schnauft der Fahrer. »Nun«, sagt er, »dann brauche ich ja die Männer gar nicht mehr zu fragen. Wir fahren weiter, sobald wir das Gespann trockengerieben und erfrischt haben. Und dann wird es langsamer gehen.« Er wendet sich ab und erteilt seinem Begleitmann und dem Stationsmann Befehle. Aus der Station kommen nun noch andere Männer. Zwei davon sind junge Burschen mexikanischer Abstammung. Der dritte Mann ist alt. Die Fahrgäste klettern aus der Kutsche. Sie wollen sich die Beine vertreten und sich am Brunnen erfrischen. Rosy Dunn, Patrick McGillen und der an den Händen gefesselte McClusky bleiben in der Kutsche. McClusky lacht plötzlich, doch dann schnauft er schmerzvoll. Denn dieses Lachen hat die Schmerzen in seinem Kopf gewiß verstärkt. Man hört ihn mit den Zähnen knirschen. Dann sagt er: »Also gut, ich gebe auf! Ihr habt gewonnen! Ich schwöre euch, daß ich meine Niederlage jetzt hinnehme wie schlechte Karten in einem Spiel. Deshalb könnt ihr mich wirklich in Frieden laufenlassen. Ich wünsche euch Glück und werde euch keine Steine in den Weg legen. – In Ordnung? Wollen wir Frieden schließen?« Er lacht nun wieder freundlich und ein wenig wohlwollend. Dann schweigt er erwartungsvoll. Auch Rosy Dunn wartet. McGillen spürt es. »Nein«, sagt er hart. »Ich bin ein armer Mann und brauche Geld für einen bestimmten Zweck. Wenn ich dich in Santa Fe abliefere, bekomme ich dreitausend Dollar. – McClusky, ich kam nach Golden Gulch, um einen von euch Vögeln zu finden, für die möglichst hohe Prämien ausgesetzt sind. Daß du gegen eine Frau nicht beim Poker verlieren konntest und dann mit üblen Tricks versuchtest, das Geld wieder in deine Hand zu bekommen, macht es mir leicht, dich abzuliefern. – McClusky, du hast keine Chance, mich umstimmen zu können.« »Dann fahr zur Hölle!« sagt McClusky. »Wer bist du eigentlich, du schwarzer Hundesohn?« »Mein Name ist McGillen, Patrick McGillen.« Da sagt McClusky nichts mehr. Aber er wendet sich an Rosy und lacht noch einmal auf versöhnliche Art. »Schöne«, sagt er, »hat ein Mann, der Sie und mehr als hunderttausend Dollar beschützt, es nötig, sich mickrige dreitausend Dollar als Kopfgeldjäger zu verdienen? Hat er vielleicht noch nicht begriffen, daß ihr zwei reich seid, richtig reich?« »Nein«, erwidert Rosy. »Er hat noch nicht begriffen, daß ihm die Hälfte meines Spielgewinns gehört und er reich ist. – Patrick, du hast es wirklich nicht nötig, Kopfgelder zu kassieren. Oder genügt dir der halbe Gewinn meines einmaligen Coups nicht?« »Nein«, sagt er. »Ich will von dir keinen einzigen Dollar. Ich half dir aus der Klemme, weil … Ach, was geht es McClusky an, warum ich dir half. Es genügt, wenn du es weißt. Schluß jetzt! – Geh bitte hinaus, Rosy, und schaffe uns etwas zu trinken und zu essen herbei.« Sie zögert wie eine Frau, die noch etwas sagen möchte.
Aber dann gehorcht sie. »Wenn ich noch einmal davonkommen sollte«, sagt McClusky, »und diese Chance ist gar nicht klein, weil ich überall Freunde habe, die mich in Santa Fe nicht hängen sehen wollen, werde ich die ganze Welt nach dir absuchen, McGillen. Und ich werde dich bestimmt finden.« »Vielleicht werde ich dich gar nicht lebend abliefern«, murmelt McGillen. »Vielleicht will ich dich nur bis in die Nähe des Zieles leben lassen. Und wenn du jetzt noch einmal ungefragt dein Maul aufmachst, dann knalle ich dir was rein, mein Bester.« Sie schweigen nun, denn die anderen Fahrgäste kommen. Sie halten noch belegte Brote in den Händen, die ihnen die Frau des Stationsmannes bereitete. Auch Rosy bringt belegte Brote und eine Flasche voll Tee, der noch warm ist. Fahrer und Begleitmann klettern auf den Bock. Das Gespann trabt langsam an. Die Station bleibt in der Nacht zurück. Im Osten zeigt sich das erste Grau am Himmel. Die gewundene Poststraße führt durch Canyons und Schluchten. Niemand spricht, aber die Männer halten ihre Waffen bereit und alle Fenster offen, damit sie sofort freies Schußfeld haben. Es ist einfach, die Fenster zu öffnen. Natürlich hat diese Überlandpostkutsche der Firma Abbot keine Scheiben. Die wären zu schnell hin. Hier gibt es nur starkes Segeltuch, das hochgerollt werden muß. Sie kommen in ein Tal und sehen im Morgengrauen die nächste Station. Sie steht in hellen Flammen. Hier wollten die Apachen nicht nur Pferde. Hier griffen sie an und töteten. Sie legten Feuer an und warteten, bis die Leute aus der Station liefen, um nicht in den Flammen umzukommen. Neben dem Brunnen liegen zwei Männer und eine Frau. Wahrscheinlich waren sie schießend aus dem brennenden Haus gelaufen, um lieber kämpfend zu sterben als zu verbrennen. Sterben mußten sie so oder so. Die Kutsche hält an, und jetzt fluchen nicht mal die Männer, deren Flüche sonst leicht über die Lippen kommen. Während sich die Männer um die Toten kümmern, das Gespann versorgen und sich auf eine längere Verschnaufpause einrichten, macht sich Patrick McGillen daran, aus den vorhandenen Spuren etwas herauszufinden. Er schlägt einen großen Kreis um die Station, kniet oft nieder und blickt scharf in die Runde. Dann betrachtet er den Boden. Als er zurückkommt, hat Rosy Dunn ihren kleinen Colt-Derringer aus dem Strumpfband geholt. Sie hält ihn in der Hand, und ihre Augen funkeln. »Was war, Rosy?« fragt McGillen sofort. »Ach«, sagt sie, »dieser McClusky versuchte, nacheinander jeden zu überreden, ihn doch loszubinden. Er sagte, daß sie einen Revolverkämpfer wie ihn nun bald gut gebrauchen würden.« »Er wird nicht frei gemacht«, sagt McGillen so laut, daß es jeder hören kann. »Wer ihn losbindet, bekommt von mir eine Kugel. McClusky würde sich eher mit den Apachen verbünden, als uns helfen.« »Du Schwein!« ruft McClusky böse. Aber dann schweigt er, denn auch er will hören, was McGillen herausgefunden hat. McGillen sagt es laut genug, und er sieht dabei den Fahrer an, der ja die Verantwortung trägt.
»Es waren kaum mehr als ein halbes Dutzend«, sagt er. »Es sind erfahrene Krieger. Sie warteten im Kreisring um die Station, nachdem einer hingeschlichen war und Feuer anlegte. Die Leute in der Station waren sich vielleicht gar nicht darüber klar, daß draußen Apachen lauerten. Sie glaubten wahrscheinlich, daß der Brand entstand, weil aus dem Kamin Funken auf das Dach flogen. Es sind nicht mehr als sieben Rothäute. Aber sie sind nun gut bewaffnet. Oder hatten die Toten die Waffen bei sich?« Der Fahrer schüttelt den Kopf. Sein Begleitmann sagt: »Wenn es nur sieben sind, brauchen wir keine kleinen Brötchen zu backen, nicht wahr? Wir sind ja selbst sechs Männer, drei Frauen und dieser Gefangene.« »Bin ich vielleicht kein Mann?« höhnt McClusky. Doch niemand achtet auf ihn. McGillen sagt: »Wenn sie uns haben wollen, entkommen wir auch dann nicht ohne Kampf, wenn wir jetzt umkehren. Das ist wohl klar. Sie haben gute Pferde und sind gut bewaffnet. Wenn sie diese Kutsche überfallen wollen, haben sie uns schon längst den Rückweg verlegt. Das ist von einem einzigen Mann mit einer Geröllawine in einer Schlucht zu bewerkstelligen.« Sie begreifen, daß er die Sache richtig ansieht. So nicken sie nacheinander. »Also weiter«, sagt der Fahrer. »Vielleicht ließ sich die nächste Station von diesen Wölfen bei Tag nicht überrumpeln. Wir müssen es versuchen. McGillen hat recht. Wenn sie uns erledigen wollen, dann versuchen sie das, in welche Richtung wir auch fahren. Wir haben jetzt schon eine Menge Verspätung, und das ist für jede Station bereits eine Vorwarnung.« Sie klettern in die Kutsche. Das Gespann war inzwischen ausgespannt, abgerieben, gefüttert und getränkt worden. Die Pferde ließen sich nur unwillig wieder anschirren. Aber nun ziehen sie an – im Schritt. Doch nach etwa hundert Yard laufen sie in einem ruhigen Trott. Und dann kommt der Angriff! Niemand kam auf die Idee, daß die Apachen an dieser Stelle, die so harmlos und gar nicht für einen Hinterhalt geeignet schien, angreifen werden. Sie springen plötzlich auf und schießen auch schon. Sie waren mit Buschzeug und Gras gut getarnt. Den Fahrer und dessen Begleitmann trifft es zuerst. Der Fahrer fällt kopfüber herunter, schlägt zwischen den Stangenpferden auf die Deichsel und erschreckt das Gespann, das ohnehin schon nervös ist. Es rast in wilder Panik los, und der Ruck wirft den Begleitmann, der noch seine Schrotflinte abfeuern kann, mit dem Rücken auf das Kutschdach. Von dort stürzt er seitwärts ins Gras am Rand des Wagenweges. Die Kutsche kommt nicht viel weiter. Die Apachen hatten einen möglichen Durchbruch einkalkuliert und einen guten Schützen an der richtigen Stelle postiert. Der Bursche liegt auf einem Felsen und hat ein gutes Schußfeld für seine Büffelflinte. Auf etwa hundert Yard trifft er das rechte Führungspferd in den Kopf. Es bricht zusammen und verursacht ein großes Durcheinander. Auch das zweite Führungstier stürzt. Die anderen Pferde laufen auf, die Stange bricht, Riemen und Seile reißen – und dann schießt der Apache nochmals in das Durcheinander. Die Kutsche schwankt zwar, als sie auf das Gewirr verrückter Pferde aufläuft. Sie
schwankt so, daß sie eigentlich umkippen müßte. Aus irgendeinem Grund bleibt sie auf den Rädern. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß die Menschen im Innern der Kutsche unfreiwillig ihr Gewicht verlagern. Die Kutsche bleibt wahrhaftig stehen. Das ist schlecht für die Apachen. Denn sie kommen nun nicht so leicht heran, wie sie gerne möchten. Aus allen Fenstern wird nun mit Revolvern geballert. Deshalb verschwinden die Apachen wieder im Gras, hinter den Büschen und im Gestrüpp. Sie werden unsichtbar und riskieren nichts mehr. Sie sind zahlenmäßig so wenig, daß sie nicht blindlings in den Tod rennen. Sie lassen sich etwas einfallen. Ihr Scharfschütze auf dem Felsen hat ja eine Büffelflinte. Und diese Sharps-Büchse ist ein unheimliches Ding. Damit kann man auf zweihundertfünfzig Yard noch einen dickhäutigen Büffel fällen. Der Apache beginnt auch sofort zu schießen. Regelmäßig und präzise. Man kann genau mitrechnen, wie er durch Hebeldruck den Verschluß öffnet, eine Messingpatrone einlegt, den Verschluß schließt und den Hahn spannt. Dann kracht der Schuß, und die erste Kugel fährt einem der Männer in den Rücken. Die Frauen werfen sich zu Boden und machen sich klein. Die Männer fluchen und feuern noch wilder aus der Kutsche. Als die zweite schwere Kugel in die Kutsche schlägt und wie durch ein Wunder niemand getroffen wird, ist es allen klar, daß es nur eine Munitions- und Zeitfrage ist, bis dieses Büffelgewehr die Kutsche mitsamt ihrem Inhalt in Fetzen geschossen hat. »Hoffentlich springt dem Hundesohn bald der Lauf in Stücke!« keucht einer der Männer. »Wenn er den Lauf nicht bald mit Wasser ausspült, passiert ihm das bestimmt! – He, wir müssen raus, oder es ergeht uns nicht anders als den Leuten in der brennenden Station.« »Aber die starben auch!« ruft McClusky. »Wollt ihr mich nicht endlich losmachen und mir einen Colt geben?« Bevor jemand etwas sagen kann, kracht der dritte Schuß. Die Kugel trifft Early McClusky. Er bäumt sich auf und fällt über die am Boden kauernden Frauen. Aber er ist noch nicht tot. Er flüstert mit letzter Kraft: »Bleibt nur liegen – auch dann noch, wenn ich tot bin, meine Schönen. Ein toter Mann tut euch nichts. – Ein toter Mann ist der friedlichste Mensch auf dieser Erde. – He, McGillen, ich wette, daß du für mich keine Kopfprämie erhalten wirst. Denn sie killen euch al…« Nun kann er nicht mehr. Er stirbt plötzlich. Dann kommt wieder eine Kugel. Sie schlagen ja in regelmäßigen Abständen in die Kutsche. Abermals trifft diese Kugel McClusky. Und eines der beiden Saloonmädchen beginnt zu schreien. »Halt deinen Mund, Ginger!« sagt die andere schrill. »Dein Schreien lockt höchstens die Apachen noch an. Oder meinst du vielleicht, die mögen uns nicht? Du blökst wie ein Lamm, das die Wölfe anlocken soll.« Da ist sie still und flucht nur noch wie ein alter Cowboy im Blizzard inmitten einer galoppierenden Herde. Einer der beiden Männer öffnet plötzlich den linken Schlag und läßt sich aus der Kutsche fallen. Er fühlt sich draußen sicherer als in dem großen Holzkasten, der in genauen Abständen
von den Kugeln des Büffelgewehres durchlöchert wird. Aber der Mann lebt dort draußen nicht lange. In der Kutsche hören sie einen Schrei und dann das ersterbende Stöhnen. Nun leben nur noch McGillen, ein männlicher Fahrgast und die drei Frauen. Dieser Fahrgast ist der Mann, der den Eindruck eines Handelsreisenden machte. Aber das ist er gewiß nicht. Er holte zwei Revolver aus der Innentasche seiner Jacke und feuerte damit auf alles, was sich draußen bewegt. Aber McGillen hatte die Möglichkeit einkalkuliert, daß dieser Gent ein getarnter Spieler und Revolvermann sein könnte. Sie grinsen sich nun an. »Haben Sie denn keine Idee, Kopfgeldjäger?« fragt der Mann. »Sicher«, sagt McGillen und reicht ihm die Zigarre und drei von seinen sechs Sprengstoffstangen, die er im Store in Golden Gulch kaufte. »Die Roten sind nun gewiß nahe genug an unsere Kutsche herangekrochen«, sagt er dabei. »Wir könnten ihnen die Dinger auf die Köpfe werfen. Man braucht damit gar nicht so genau zu zielen, nicht wahr? Auf welcher Seite möchten Sie denn hinaus, Bruder? Ich lasse Ihnen die freie Auswahl. Vorher sollten wir unsere Colts noch einmal aufladen.« Der Mann grinst ihn an, und während sie sich neue Patronen in ihre Waffen schieben, sagt der Mann: »Wissen Sie, Ihre Absicht, an McClusky Geld zu verdienen, gefiel mir nicht sehr. Ich glaube, ich hätte McClusky zum Schluß doch noch eine Chance verschafft. Jetzt gefallen Sie mir schon besser. Ich gehe dort hinaus, sobald meine Zigarre brennt. Die Lunten der Sprengstoffstangen sind ja schon kurz genug.« Inzwischen schlagen noch zweimal die Kugeln durch die Kutsche. Ein Holzsplitter ritzt McGillens Wange. Die andere Kugel zupft an der Schulter des anderen Mannes. »Mein Name ist Jackson, Jim Jackson«, sagt dieser. »Ich habe einen Bruder in Laredo. Wenn ich …« »Schon gut«, sagt McGillen. Er wendet sich an Rosy, die zu seinen Füßen am Wagenboden hockt. »Rosy«, sagt er, »wenn wir es nicht schaffen sollten, dann denk daran, daß Überleben wichtiger ist, selbst wenn man in die Hände von Apachen gefallen ist. Hast du verstanden, Rosy?« »Sicher hat sie verstanden«, sagt eines der Saloonmädchen. »Diese roten Affen sind auch nur Männer.« »Ihr werdet es schaffen«, sagt Rosy. »Das Schicksal hat uns nicht zusammengeführt, um uns jetzt auf diese Art so schnell wieder auseinander …« McGillen hört nicht länger zu, denn die nächste Kugel des Büffelgewehres reißt ihm ein Büschel Haare von der Schläfe. Er drückt die Tür auf und läßt sich hinausfallen. Sofort rollt er weiter, so daß er von der staubigen Wagenstraße herunter in das Gestrüpp von Buschzeug an den Rand kommt. Als das Büffelgewehr kracht, fährt die Kugel nicht in die Kutsche, sondern schlägt dicht neben McGillen in den Boden. Der Rote auf dem Felsen will ihn also erwischen, wie er schon den Mann erwischte, der zuerst hinausgesprungen war. McGillen kriecht weiter, liegt dann still und wartet, wohin die nächste Kugel fliegt. Aber sie kommt nicht zu ihm. Vielleicht kann ihn der Apache vom Felsen aus nicht mehr sehen. Aber wo sind die anderen Apachen? Gewiß näherten sie sich der Kutsche von allen
Seiten. Es ist damit zu rechnen, daß sie schon im nächsten Moment aus ihrer Deckung springen und über ihn herfallen. Er hält die erste Sprengstange mit ihrer Lunte gegen den Glühpunkt der Zigarre. Dann schleudert er das Ding. Er weiß, daß er niemanden damit verletzen wird. Er wartet nicht auf sichtbaren Erfolg. Vielleicht genügt auch schon die Wirkung der Detonation. Das Ding geht mit mächtigem Krach hoch, schleudert Dreck, Gras, Büsche und kleine Steine durch die Gegend. Ein böser, wilder Schrei ertönt. Drüben auf der anderen Seite kracht es ebenfalls. Dort hat der Spieler Jim Jackson nun auch begonnen, die Teufelseier in die Gegend zu werfen. Als sich McGillen halb aufrichtet, um das zweite Dinge zu werfen, springt nicht weit von ihm ein Apache auf und greift ihn in geschmeidigem Sprung geduckt an. McGillen wirft die Sprengstange nach links und hält den Apachen mit einem Schuß aus dem Colt auf. Obwohl der Apache plötzlich anhält, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gerannt, schleudert er noch mit letzter Kraft sein Messer. Es trifft McGillens Rippe, prallt davon ab und reißt eine böse Wunde. Er fällt auf die Knie und stöhnt. Dann kracht vom Felsen das Gewehr. Aus der Kutsche kreischt eines der Mädchen: »Sie haben Ginger umgebracht! Ginger ist getroffen! Zur Hölle mit euch Männern, warum bringt ihr die roten Schufte nicht endlich um, damit sie nicht länger …« McGillen springt auf die Füße. Er beginnt zu laufen, obwohl die Seite sehr schmerzt. Dabei hört er drüben den berstenden Knall, der ihm sagt, daß Jim Jackson noch die Teufelseier durch die Gegend wirft. Er stürmt genau auf den Felsen zu, auf dem der Rote mit dem Gewehr immer wieder schießt. Die nächste Kugel fliegt zwischen seinen Beinen hindurch und fetzt einen Stiefelschaft auf. McGillen stolpert und stößt einen wilden Ruf aus. Der Rote auf dem Felsen muß jetzt nachladen. McGillen kommt einige Sprünge näher heran und weiß, daß er den Burschen erwischen muß, wenn er die Frauen in der Kutsche retten will. Er weiß, daß der Apache inzwischen nachgeladen hat und auf ihn zielt. Als McGillen in Schußweite ist und feuern will, bekommt er die Kugel. Er spürt sie wie einen Keulenschlag. Dann weiß er nichts mehr. Jäh ist es dunkel um ihn, und er spürt nicht mehr, wie er zu Boden fällt. * Irgendwann erwacht Patrick McGillen aus seiner Bewußtlosigkeit. Die Schmerzen in seinem Kopf sind unerträglich. Er sieht nur helle Schleier. Denken ist ihm unmöglich. Aber er begreift, daß er in einem schwankenden Wagen liegt. Und einmal hört er militärische Kommandos. Dann merkt er, daß jemand ständig an seiner Seite ist, jemand, der ihm das schwitzende Gesicht wäscht und ihn daran hindert, sich im Fieber zu wälzen oder nach dem Kopfverband zu greifen.
Nach einer Weile lichten sich die Schleier, und er kann sehen, wenn auch nur undeutlich. Er erkennt Rosy Dunns Gesicht. Aber dann wird er wieder bewußtlos. Erst nach Stunden sieht er Rosy wieder, diesmal beim Schein einer Laterne, die das Innere eines Armee-Bagagewagens erhellt. Rosy ist bei ihm. Sie lächelt und läßt ihn etwas Tee trinken. Dann sagt sie: »Du wirst es schaffen, Patrick. Der Armeearzt sagte, daß du es schaffen wirst. Die Kugel hat dir nur eine tiefe Schramme gezogen und eine Gehirnerschütterung verursacht. Und damit du dich nicht mit Fragen anstrengen mußt, will ich dir alles kurz berichten. Das wird dich beruhigen. Aber trink erst noch mal etwas Tee.« Er gehorcht, denn der Tee tut ihm gut. »Es waren noch zwei Apachen übrig«, erzählt Rosy dann. »Sie hatten auch Jim Jackson erledigt. Die beiden Apachen kamen zur Postkutsche. Aber Ann Sheldon und ich nahmen die Revolver der Toten und schossen aus den Fenstern. Dann kamen Soldaten. Sie waren hinter den Apachen her und hatten das Krachen und Knallen schon aus der Ferne gehört. Sie kamen zur rechten Zeit. – Morgen sind wir in Santa Fe, Liebster. Morgen werden wir in einem Hotel wohnen, und ich werde dich gesund …« »Nein, Rosy«, unterbricht er sie mit heiserer Stimme. »Ich muß dir endlich sagen, Rosy, daß aus uns nichts werden kann. Ich bin nicht mehr frei. Ich habe eine Frau, die …« »Sie heißt Nancy«, unterbricht ihn Rosy. »Du hast im Fieber von ihr gesprochen. Sie ist krank. Ich fand auch Briefe in deiner Jacke. – Nein, ich habe sie nicht gelesen. Nur den Absender las ich auf den Umschlägen. Deine Frau Nancy ist krank und lebt in Boston im Sanatorium von Professor Warwik. Nachdem ich den Absender las, gaben mir deine Fieberträume keine Rätsel mehr auf. Patrick, ich weiß jetzt auch, warum du als Kopfgeldjäger hinter Prämien her warst. Und ich weiß auch ungefähr, daß du als Sheriff in Spanish Springs von der menschlichen Gesellschaft enttäuscht und auch im Stich gelassen wurdest. Du hast den Glauben an die Welt verloren und fühlst dich wie ein einsamer Wolf. Du hast im Fieber viel geredet. Alles, was du an Bitterkeit und Enttäuschung tief in dein Inneres verbannt hast, wurde frei und kam zum Vorschein. Du hattest dich im Fieber nicht mehr unter Kontrolle. – Aber wir gehören zusammen, Patrick McGillen. Wenn wir auch nicht als Liebespaar zusammengehören, so doch als Partner, die sich aufeinander verlassen können. Denn wir besitzen hunderttausend Dollar. Wir wollen sie verdoppeln und verdreifachen. Dann kannst du deiner kranken Frau jede Hilfe bieten, ohne Kopfprämien jagen zu müssen. Du und ich, wir werden …« Er hört nicht weiter zu, denn er versinkt wieder in dunkle Tiefen. Auch die Schleier sind wieder vor seinen Augen. Rosy Dunns Gesicht verschwimmt und scheint sich in Nebel aufzulösen. * Er erwacht, als sie ihn am nächsten Tag in Santa Fe ins Pueblo Hotel tragen und ins Bett legen. Seine Kopfschmerzen sind immer noch schlimm. Es ist ihm nicht möglich, sich zu bewegen.
Er probiert es, indem er denkt: Jetzt hebe ich den linken Arm und fasse an mein Ohr. Es vergeht eine lange Zeit, bis er diese selbstverständliche Bewegung ausgeführt hat, und ihm bricht der Schweiß dabei aus. Aber es ist keine Schwäche, die ihm alles so erschwert. Es liegt daran, daß die Befehle seines Gehirns nicht sogleich befolgt werden. Wenn das nicht besser wird, denkt er, bin ich erledigt. Ein einstiger Revolverkämpfer mit verzögerter Reaktionsfähigkeit ist erledigt. Er beobachtet Rosy, die draußen oder unten im Hotel noch einige Dinge erledigen mußte. Vielleicht brachte sie auch erst den Sack mit dem Geld in die Bank. Aber nun kommt sie an das Bett und beugt sich über ihn. »Das wird alles wieder«, sagt sie. »Der Armeearzt hat mir versichert, daß du wieder vollkommen in Ordnung kommen wirst. Nimm dir ruhig Zeit. Wir versäumen nicht viel. Deiner Nancy sende ich morgen zehntausend Dollar von deinem Anteil. Ist das in Ordnung?« »Ich habe keinen Anteil bei dir«, erwidert er. »Doch, du besitzt die Hälfte des Geldes«, beharrt sie. »Die Hälfte von einhundertsiebzehntausend Dollar. Solch einen Coup wollte ich schon immer mal landen. Und ich wußte, daß es mir eines Tages gelingen würde. Nur der Ort war übel. Ich war in das böseste Nest gekommen.« »Und warum bist du eine Spielerin geworden?« fragt er mühsam. Aber in seinen Augen erkennt Rosy den Willen, alles hören zu wollen. Sie zögert, aber dann entschließt sie sich. »Wir hatten beide Pech«, sagt sie. »Du wurdest ein Kopfgeldjäger, denn du glaubtest, das wäre für dich die einzige Art, schnell viel Geld zu verdienen. Du brauchtest es für Nancy. Du konntest nur als Kämpfer und Jäger eine solche Menge Geld beschaffen. Es war dein Pech, daß deine Frau so krank wurde. Sonst hättest du gewiß einen guten Sheriff abgegeben und ein glückliches Familienleben geführt. Du hattest deine Nachbarn und Freunde gern gehabt und niemals an der menschlichen Gemeinschaft gezweifelt. – Mit mir war es so: Ich brannte als junges Ding im ersten Kriegsjahr mit einem Mann durch, der dir äußerlich sehr ähnlich war. Und ich mußte mich ihm unentbehrlich machen, sonst hätte er mich in der übernächsten Stadt schon sitzenlassen. Es war ein Spieler und Revolvermann. Er war das, was man einen Kartenhai nennt. Ich wußte, daß ich damals noch zu jung und dumm war, um auf eigenen Füßen stehen zu können. Ich merkte sehr schnell, daß diese Welt viel schlechter und mitleidloser war, als ich bisher vermutet hatte. Ich war gelehrig. Ich wurde schnell eine Spielerin, und wir arbeiteten zusammen in den größten Spielhallen und auch auf den großen Saloondampfern des Mississippi. Mir ging es gut. Ich hatte schöne Kleider, genügend Geld und sah ein Stück von dieser Welt. Der Mann, mit dem ich ging, mußte mich als seine Partnerin respektieren. Ich war nicht mehr das junge, hübsche Ding aus den Hügeln, das froh sein mußte, in der nächsten Stadt nicht sitzengelassen zu werden. Ich brauchte nicht in einem Restaurant zu bedienen oder als Tanzmädchen in ein Tingeltangel zu gehen. Ich wurde in zwei Jahren eine echte Partnerin dieses Mannes. Ich glaube, zuletzt liebte er mich sogar mit dem Herzen und nicht nur …« Sie verstummt und wischt sich über die Augen. Die Worte sprudelten bisher nur so aus ihr heraus. Es war ihr wohl ein Bedürfnis, endlich einmal alles aussprechen zu können. »In Saint Louis wurde er am Spieltisch von einem anderen Kartenhai erschossen«, sagt sie dann rauh. »Das war vor zwei Jahren. Seitdem reise ich als Spielerin durch diese
Welt, um den großen Coup zu machen. Ich habe ihn gemacht und konnte ihn mit deiner Hilfe in Sicherheit bringen.« Er liegt mit geschlossenen Augen da, und sie glaubt schon, daß er vor Erschöpfung eingeschlafen wäre. Aber dann sieht er sie plötzlich an. »Und was soll nun werden?« fragt er heiser. Sie richtet sich gerade auf und hebt ihr Kinn. »Wir gehen nach Colorado hinüber«, sagt sie. »Dort in Denver, Golden, Central City, Mount Vernon und Leadville wird mehr Gold gefunden als anderswo. Wir werden uns einen großen Saloon mit Spielhalle kaufen und eine Goldgrube daraus machen. Mit dir als Partner schaffe ich alles.« Er erwidert nichts. Denn er ist nun tatsächlich vor Schwäche eingeschlafen. Das Zuhören und Nachdenken hat ihn völlig erschöpft. * Drei Tage später ist er wieder auf den Beinen und kann sich schon gut bewegen. Nur das Pflaster an der Schläfe läßt erkennen, daß er am Kopf verwundet wurde. Die Wunde an der Seite ist ebenfalls verheilt und schmerzt kaum noch. Sie bewohnen zwei Zimmer, die durch eine Verbindungstür getrennt sind, damit Rosy nach ihm sehen konnte, wenn er in der Nacht Hilfe brauchte. Aber in der vierten Nacht, als sie aus dem Speiseraum heraufkommen, sagt Rosy: »Jetzt ist es dir wegen Nancy wohl lieber, daß ich die Tür abschließe, oder?« Er sieht sie im Lampenschein an. Rosy läßt aus einer Medizinflasche Tropfen in ein Glas fallen. Als sie ihm das Glas reicht, nimmt er es. »Du bist schön, Rosy«, sagt er. »Aus uns wäre gewiß was geworden, wäre ich damals nicht fortgeritten, sondern schon ein Mann gewesen. Aber ich liebe Nancy. Sie ist krank. Aus uns kann nichts werden, Rosy. Ja, du solltest ab heute stets die Tür abschließen. Das wäre gut.« Er leert das Glas. »Du hast für mich das Geld vorgestreckt, das du Nancy in meinem Namen sandtest«, sagt er. »Ich will mit dir nach Colorado gehen und dir dort helfen, einen großen Spielsaloon zu führen. Ich werde dich beschützen, so daß wir durch dich zu Geld kommen – zu viel Geld! Das wird eine bessere Arbeit sein als Kopfprämie zu jagen. Mir wird es gefallen, wenn wir den Hammeln die Wolle scheren. Ich bin der menschlichen Gesellschaft nichts schuldig, gar nichts. Und du wohl auch nicht, Rosy.« »Gewiß nicht«, sagt sie, und ihr Lächeln ist nachdenklich und fast traurig. Als sie in ihr Zimmer hinübergeht, hört er, wie sie den Schlüssel umdreht. Nun werde ich also der Partner und Leibwächter einer Spielerkönigin sein, denkt er. * Am nächsten Tag ist ein Brief von Nancy da, denn es war ausgemacht, daß sie ihm stets nach Santa Fe postlagernd schreiben sollte.
Liebster Patrick! Morgen ist es soweit! Morgen will es der Professor wagen, mich zu operieren. Ich glaube dran, daß ich bald gesund sein werde. Ich spüre es. Und dann beginnt das Leben noch einmal richtig. Patrick, ich weiß nicht, wie es Dir geht. Wir sind so weit voneinander entfernt. Wenn Dir etwas zustieße, erführe ich es zu spät. – Ich mache mir Sorgen, denn ich weiß, daß Du gefährliche Fährten reitest, um für meinen teuren Aufenthalt das Geld zu beschaffen. Hier sind so viele reiche Leute, die sich über solche Dinge keine Sorgen zu machen brauchen. Ich beneide sie, weil ich immer mehr begreife, wie sehr doch Geld alle Not wandeln kann. Patrick, wenn ich daran denke, daß Du Banditen jagen mußt, um mir hier den Aufenthalt zu ermöglichen … Ich weine manchmal, aber ich kann mich nicht opfern. Ich liebe das Leben zu sehr, und deshalb bitte ich Dich, trotz allem noch ein wenig auszuhalten. – Ich gelte hier als die Frau eines reichen Rinderzüchters. Dolores umsorgt mich rührend. Sie ist eine gute, treue Seele. Ohne sie wäre es schlimm für mich. – Weißt Du, hier ist alles anders. Von Boston aus wird die Zivilisation der amerikanischen Nation gelenkt, nicht von Washington. Das habe ich schon begriffen. Und ich lerne jeden Tag mehr, wenn Dolores mich im Rollstuhl fährt. Aber ab morgen werde ich nach der Operation einige Wochen liegen müssen. Sobald ich kann, werde ich Dir schreiben. In Liebe! Deine Nancy. Er liest den Brief einige Male, und er begreift instinktiv, daß sich Nancy in Boston mit jeder Woche gewiß weiter von ihm entfernt. Nancy ist jung und schön. Durch ihren Unglücksfall wurde sie lebenshungrig. Der heiße Wunsch, das Leben richtig auszukosten, wurde übermächtig in ihr. Und Boston ist eine schöne, noble Stadt. »Ich werde Nancy bald besuchen müssen«, murmelt McGillen nachdenklich. Ihm wird klar, daß Nancy vielleicht gar nicht mehr in den wilden, primitiven Südwesten zurückwill. Oder doch? Er geht zu Rosy, die in einem Modegeschäft eingekauft hat und nun noch einmal alle Kleider anprobiert. Sie stellt sich ihm in einem Reisekostüm vor, das die gleiche Farbe hat wie ihre Augen. »Na, gefalle ich dir?« fragt sie. »Ist Nancy schöner als ich?« Die letzte Frage rutscht impulsiv aus ihr heraus, und sie bedauert sie auch schon im nächsten Moment. Er kann es an ihren Augen ablesen. Aber sie steht dennoch zu dieser Frage. Mit erhobenem Kinn wartet sie auf eine Antwort. Er zögert. Dann wiegt er den Kopf. »Man kann euch nicht miteinander vergleichen«, sagt er langsam, »denn Nancy ist anders.« »Wie anders?« fragt sie. Er überlegt, und sie begreift, daß er sich bemüht, eine ehrliche Antwort zu finden. Deshalb läßt sie ihm Zeit. »Nancy ist etwa so, wie du warst, bevor du mit jenem Spieler gingst und die Umstände dich zwangen, mehr oder weniger eine Wölfin zu werden, die für sich selbst sorgen kann«, murmelt er. »Vielleicht hätte sich auch Nancy in deiner Situation verändert. Aber sie bekam mich.«
»Ja, sie bekam dich. Und du würdest alles tun, um genug Geld zu beschaffen«, sagt Rosy Dunn. »Du würdest sogar eine Bank ausrauben, nicht wahr?« Er denkt nach. Dann nickt er langsam. Sie kommt nahe zu ihm und sieht ihm aus nächster Nähe in die Augen. Sie hat vibrierende Nasenflügel, und es ist, als wittere sie in ihn hinein. Dann sagt sie: »Du bist unruhig. Hast du einen Brief bekommen? Du möchtest am liebsten nach Boston, nicht wahr? Aber du wirst es vorerst nicht können. Wir gehen nach Canyon City. Dort kenne ich einen Mann, der mir seine Spielhalle zu einem fairen Preis verkaufen wird. Er ist zu alt geworden. Er ist jener Spieler, der damals meinen Mann erschoß. Er erwischte ihn beim Falschspiel. Dennoch glaubt er, mir etwas schuldig zu sein. Wir gehen nach Canyon City.« Patrick McGillen nickt. »Mir ist jede Goldgräberstadt recht«, sagt er. »Wenn nur der Dollar rollt, ist mir alles recht.« Er macht eine kleine Pause. Dann sagt er bedächtig: »Rosy, es wird oft genug auf meinen Revolver ankommen. Ich werde der Tiger sein, der alle anderen unter Kontrolle hält. Canyon City ist schlimm, kaum besser als Golden Gulch, nur reicher, verschwenderischer und größer. Und es sind gewiß noch mehr große Tiger dort. – Rosy, ich werde wahrscheinlich wieder Blut vergießen müssen. Macht dir das nichts aus?« Sie sieht ihn immer noch an. »Wir wollen die fairste Spielhalle westlich der Linie Mississippi-Missouri führen«, sagt sie. »Und wem das nicht paßt, der soll draußen bleiben. Wir wollen nichts anderes als Respekt. Was ist falsch daran, wenn wir im eignen Haus für Ordnung sorgen?« »Du bist hart, sehr hart«, erwidert er. »Doch du bist eine schöne Frau, die gut und zärtlich sein kann. Ich sah schon die Lücke in einem harten Panzer. Nach dem Spiel in Golden Gulch, als wir mit Not in die abfahrende Postkutsche kamen, mußtest du weinen. – Rosy, das macht mir Hoffnung.« * Einige Tage später kommen Rosy Dunn und der Revolvermann Patrick McGillen in die Goldgräberstadt Canyon City, die über dem mächtigen Canyon des Arkansas River liegt, inmitten von Bergen und Schluchten am Fuße des Pikes Peak, dicht bei der ebenfalls nicht weniger wilden Goldgräberstadt Cripple Creek. Obwohl es schon fast Mitternacht ist und sie von der langen Reise müde sind, halten sie sich nicht lange auf. Sie lassen ihr Gepäck bei der Postagentur und gehen zur Players Hall. Rosy, die vor wenigen Monaten hier noch als Spielerin arbeitete, kennt sich aus. Sie wird auch sofort von den Angestellten des Hauses wiedererkannt. Sie wandern langsam durch die Spielräume, schlendern zwischen den Tischen hindurch und bleiben manchmal stehen, um ein wenig zuzusehen. Als sie die Tür zu Joe Spades Büro- und Privaträumen erreichen, sagt Rosy zu dem Revolvermann, der hier Wache hält: »Mister Spade wird sich freuen, mich zu sehen. Also melden Sie mich an, Les Corbin. Sie sind doch Les Corbin, nicht wahr?« Der Türwächter nickt. »Ich freue mich, daß Sie noch meinen Namen wissen, Ma'am«, sagt er. »Aber Pedrow Russian will nicht, daß der Boß gestört wird. Der Boß ist krank und darf nicht gestört
werden. Vielleicht morgen …« »Nein, jetzt!« sagt Rosy scharf. Der Mann lächelt hart und schüttelt den Kopf. Da nimmt Patrick McGillen mit der Rechten Rosys Ellbogen und dirigiert sie einen Schritt von der Tür und dem Wächter weg. Dabei sagt er: »Ach, es kommt doch gewiß nicht darauf an, wann wir Joe Spade besuchen. Komm nur, Rosy.« Sie läßt es geschehen. Er dreht sich mit ihr und wendet dem Wächter schon halb seinen Rücken zu. Der Mann läßt sich täuschen und entspannt sich. Aber da bekommt er auch schon McGillens Linke. Denn McGillen dreht sich unerwartet wieder um und schlägt den Haken kurz aus der Hüfte. Der Wächter bekommt glasige Augen, wird blaß und lehnt sich an die Wand. Dann beugt er sich nach vorn, sinkt auf ein Knie und hält sich die Leberpartie. Inzwischen öffnet McGillen die Tür und läßt Rosy an sich vorbei. Über die Schulter sagt er zu dem stöhnenden Mann, der immer noch am Boden kniet: »Der Wunsch einer Lady ist immer ein Befehl, mein Freund. Das solltest du dir merken.« Dann schließt er die Tür hinter sich. Rosy ist schon drei Schritte voraus. Sie hat den kleinen Vorraum durchquert, klopft an eine andere Tür und öffnet sie auch schon. »Zum Teufel …«, beginnt eine kehlige Stimme, bricht dann aber ab und sagt lachend: »Aaah, wen haben wir denn da? Das ist doch die stolze Schöne, der es hier nicht mehr so recht gefiel. – Rosy, Sie sind noch schöner geworden. Sind Sie gekommen, um mich endlich freiwillig zu küssen?« Er grinst breit. Er ist ein großer, prächtig aussehender, blonder, blauäugiger Mann, der den Akzent eines geborenen Russen immer noch nicht verloren hat, obwohl er die englische Sprache einwandfrei beherrscht. Sein dunkler Tuchanzug ist erstklassige Schneiderarbeit. Aber unter der offenen Jacke trägt er zwei Revolver mit hellen Beingriffen. Es sind russische Revolver. In seiner Seidenkrawatte blitzt eine Brillantnadel. An den Fingern hat er wertvolle Ringe. Die Lippen unter dem blonden Schnurrbart sind hart. Rosy beachtet ihn nicht. Sie sieht den anderen Mann an. »Wenn Sie hier noch der Boß sind, Joe, dann sagen Sie ihm, daß er verschwinden soll«, sagt sie energisch. Der Angeredete sitzt hinter einem mächtigen Schreibtisch, auf dem ein halbvolles Glas Milch steht. Es ist ein müder Mann mit tiefen Furchen um die Mundwinkel, die eine Magenkrankheit verraten. Sein blondgraues Haar ist schütter, und auch in seinen Augen ist bittere Müdigkeit. Aber man erkennt doch, daß er einst ein scharfer Wolf war, der es wie kein anderer verstand, reiche Beute zu machen. Dieser Mann zeigt noch jetzt bei aller Müdigkeit, bitterer Resignation und Gleichgültigkeit, daß er früher Format besaß. »Rosy, es ist schön, dich zu sehen«, sagt er. »Ich habe auch schon von deinem großen Spiel in Golden Gulch gehört. Es kommen manchmal ein paar Spieler von dort herüber. – Ist das der Gentleman, mit dessen Hilfe du aus der wilden Burg herauskommen
konntest?« Er sieht McGillen an. Patrick McGillen erwidert seinen Blick und deutet mit dem Daumen auf den anderen Mann. »Miß Rosy möchte ihn nicht dabeihaben«, sagt er. »Mein Name ist McGillen, Patrick McGillen. Von Ihnen, Mister Spade, hat Rosy mir unterwegs eine Menge erzählt – und auch von einem Burschen mit Namen Pedrow Russian, der sich schon damals hier unentbehrlich machte. Ist er inzwischen der Boß hier?« Joe Spade lacht leise. »Sie gehen aber scharf ran, McGillen«, sagt er. »Ja, dieser Gent ist Mister Pedrow Russian aus Alaska. Ohne ihn könnte ich hier nichts mehr unter Kontrolle halten. Er hat mir gerade mitgeteilt, daß er ab morgen meine Spielhalle übernimmt; denn ich wäre ja ein kranker Mann, der nicht mehr lange zu leben hätte. Er könnte es nicht länger ertragen, von mir Befehle zu erhalten. Er wolle mir zehn Prozent des Reingewinns als lebenslange Rente zahlen. Davon könnte ich gut leben und mir einen Privatarzt und zwei Krankenschwestern halten. Es ist wirklich ein nobles Angebot, denn mit mir geht es immer schneller abwärts. Ich brauche nicht mehr viel, und wenn ich es mir richtig überlege, Rosy, hätte ich damals deinen Mann nicht erschießen, sondern ihn trotz des Kartentricks gewinnen lassen sollen. Was hat es mir schon genützt? Er war nun ein toter Narr mehr auf meinem Weg. – Rosy, ich war dir dankbar, daß du mir das damals nicht übelgenommen hast, sondern fair zugabst, daß dein Mann oft genug einen üblen Kartentrick anwandte. Du warst fair, und du kanntest deinen Mann. – Nun, was kann ich jetzt für dich tun, Rosy?« »Gib mir deine Spielhalle«, sagt sie. »Ich zahle dir hunderttausend Dollar. Gib sie mir und nicht diesem Russian.« Joe Spade sagt nichts dazu. Er nimmt erst das Glas Milch und leert es. Dann stellt er es hart auf den Tisch und sieht Pedrow Russian an. »Auf diesen Tag habe ich gewartet«, sagt er, und nun klingt seine müde Stimme hart und läßt ahnen, was einst in diesem Mann steckte. »Du hast dich schnell gemausert, Pedrow«, spricht er weiter. »Als ich dir damals einen Job gab, hättest du mir fast die Hand geküßt. Ich glaubte mich auf deine Treue verlassen zu können wie auf die Treue eines Sohnes. Aber seit vielen Monaten betrügst du mich mit Hilfe der Croupiers und Bankhalter. Die Abrechnungen stimmen schon lange nicht mehr. Aber das alles genügte dir noch nicht. Soeben wolltest du mich hier praktisch rauswerfen – mich, den Besitzer und den Boß. Du bist einer von jener Sorte, die einem alten Wolf bei lebendigem Leib das Fell abzieht. – Aber jetzt bist du in der Klemme. Ich habe bei Rosy etwas gutzumachen. Sie war fair. Als ich vor zwei Jahren in Saint Louis ihren Mann erschoß, hätte sie gegen mich zeugen können. Dann hätten sie mich vielleicht gehängt. Aber sie war fair. Nun bekommt sie meine Spielhalle. – Und wenn ich mich nicht irre, wird dir dieser Patrick McGillen zeigen, wie groß der Unterschied zwischen einem eitlen Revolverhelden und einem wirklich harten Hombre aus dem Süden ist.« Er erhebt sich langsam. Seine elegante Kleidung schlottert ihm am Körper. »Ich habe gewußt, daß du mit deinem Gewinn herkommen würdest, Rosy«, sagt er, »um mich hier auszukaufen. Ich machte dir damals selbst das Angebot. Morgen lasse ich den Notar kommen. – Pedrow, du bist hier fertig. Und da ihr mich seit Monaten bei der
Abrechnung betrügt, bin ich dir nicht einmal Lohn schuldig.« Er sieht McGillen an. »Getrauen Sie sich, ihn kleinzumachen oder davonschleichen zu lassen?« fragt er. McGillen sieht Pedrow Russian an. Dieser starrt zurück. Sie sind zwei Tiger, von denen einer weichen muß. Es hängt alles von ihnen ab. Gewinnt Pedrow Russian, wird Rosy niemals diese Spielhalle erwerben können. Bleibt McGillen Sieger, hat auch Rosy gewonnen. Er denkt nicht an sie. Er hat sich ganz auf Russian konzentriert. Er weiß, daß er wieder einmal dicht vor einem Revolverkampf steht. Er wird Pedrow Russian töten müssen oder selbst getötet werden. Er könnte jetzt noch mit Rosy davonschleichen. Vielleicht würde Russian sie ziehenlassen. Aber auf jeden Fall würde er Joe Spade die Spielhalle wegnehmen. Pedrow Russian schwieg bisher. Er hörte nur zu. Um seine Lippen lag ein verächtliches Lächeln. Seine Daumen hängen in den Westentaschen seiner Brokatweste. Er wippt leicht auf den Sohlen. Er sagt langsam: »McGillen, geh fort – weit fort! Nimm ein Pferd oder die nächste Kutsche und hau ab! Diese grünäugige Katze ist nur von hier fortgegangen, um einen Mann zu suchen, der es vielleicht mit mir aufnehmen könnte. Sie wollte diese Spielhalle schon immer haben – so wie ich. Und warum auch nicht? Joe Spade macht nicht mehr lange. Der konnte sich ohnehin nur noch mit meiner Hilfe in dieser wilden Stadt behaupten. – Aber ich rede zuviel. Machen wir es kurz. Führen wir dieser Schönen mal vor, wer von uns der bessere Mann ist. Ich warte draußen auf dich, McGillen.« Nach diesen Worten geht er zur Tür. Als er sie öffnet, blickt er noch einmal über die Schulter. Dabei sieht er Rosy an. Dann ist er verschwunden. Auch McGillen sieht Rosy an. »Stimmt es, Rosy? Bist du damals wirklich von hier fort, um eines Tages mit einem Partner wiederzukommen, der ihm im Kampf um diese Spielhalle gewachsen ist?« Sie reckt sich und hebt das Kinn. »Es ergab sich so, Patrick«, sagt sie. »Es ergab sich, weil das Schicksal es so wollte. Pedrow Russian fühlt sich wie ein Hahn auf dem Mist, der immerzu in die Gegend kräht, daß er groß und schön und der Herr über das Hühnervolk ist. – Was ist besser, ihn zum Teufel zu jagen oder Kopfprämien zu verdienen?« Ihre Frage kommt hart. McGillen staunt sie an. Dann nickt er und geht wortlos hinaus. Hinter ihm sagt Joe Spade zu Rosy: »Wenn er dich bisher geliebt haben sollte, so tut er das jetzt nicht mehr. Jetzt glaubt er, du hättest ihn nur …« »Er ist verheiratet und liebt eine andere Frau«, sagt sie heftig. »Und nun geh hinaus, Joe, und achte darauf, daß einer von Russians Hombres ihn nicht in den Rücken schießt.« »Ja, das will ich tun«, murmelt Joe Spade. »Weißt du, Rosy, ich war die letzten
Wochen mehr oder weniger Pedrow Russians Gefangener. Sie haben alle Angst vor ihm – alle! Und wenn er diesen McGillen schlagen sollte, dann wird er ziemlich gemein werden.« Nach diesen Worten geht er schnell hinaus. Aber er ist ein kranker Mann. * Die Players Hall besteht aus mehreren Räumen. Im größten Saal gibt es eine Bar und auch eine Bühne für Darbietungen. Vorhin standen Zecher an der Theke, die sich zwischen den Spielen erfrischten und sich Mut und Optimismus in Form von Feuerwasser einflößen wollten. Nun ist die lange Theke leer. Die Barmänner stehen beschäftigungslos dahinter. Am Ende hält sich Pedrow Russian auf. Er nippt an einem kleinen Glas. Als Patrick McGillen zum Vorschein kommt und langsam ans andere Ende der Bar tritt, stellt er das Glas ab und hebt die Rechte, so, als wollte er die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Aber es ist ein Ablenkungsmanöver. Er will gar nicht mehr reden. Während er versucht, durch die Bewegung der Rechten den Blick von McGillen abzulenken, zieht er links. Nein, er zieht nicht, er zaubert! Anders kann man es nicht nennen. Der Colt mit dem hellen Beingriff erscheint plötzlich in seiner Linken und … Ein paar Dutzend Beobachter sehen zu. Sie sind Sachverständige, was diesen Revolverkampf betrifft. In Canyon City gibt es in jeder Nacht Revolverkämpfe. Der schnelle Pedrow Russian schafft es nicht. Er, der schnellste Schütze von Canyon City, ist heute nicht schnell genug, obwohl er bluffte und den Anschein erweckte, als wollte er noch sprechen. Patrick McGillens Kugel trifft ihn tödlich, während er selbst abdrückt. Wahrscheinlich verfehlt er deshalb den Mann, den Rosy Dunn mitbrachte, um sich endlich hier behaupten zu können, ohne sich ihm unterwerfen zu müssen. Russian fällt krachend vor der Bar zu Boden und wirft einen der Messingspucknäpfe um. Einer der Barmänner holte die abgesägte Schrotflinte hinter der Bar hervor. Aus allen Spielräumen kommen die Hauspolizisten. Sie sehen den Mann, der ihr wirklicher Boß war, am Boden liegen, und sie sehen den Fremden mit dem rauchenden Colt. Aber Joe Spade, der immer noch die Gehälter zahlt, tritt gerade noch rechtzeitig auf den Plan. Spades Stimme klingt noch einmal energisch. Er ruft: »Wer zu Russian gehört, der packt sofort seine Siebensachen!« Das genügt. Es gibt keinen Ärger. Russian ist tot. Und von diesen Revolverschwingern und Rauswerfern hält niemand mehr zu dem Toten. Patrick McGillen sieht die Barmänner an. »Schafft ihn fort! Ich trete an seine Stelle. Und euer neuer Boß heißt Missis Rosy Dunn. Sie kauft dieses Unternehmen von Mister Spade. Ein paar von euch Jungens werfen wir
ganz bestimmt raus – ein paar andere können vielleicht bleiben. Wir kümmern uns in den nächsten Stunden um alles. Los jetzt, Leute!« Sie gehorchen. Sie hörten die Stimmen ihres neuen Herrn. Das begreifen sie schnell. Ein paar Dutzend Gäste liefen aus den anderen Räumen herbei. Die Leute drängen sich. Eine Stimme ruft: »Es war ein fairer Kampf! Russian jagte uns von der Bar weg und wartete. Er zog zuerst! Es war ein Duell unter Revolvermännern!« Man bringt Russian hinaus. Und die zusammengelaufene Menge zerstreut sich wieder. Schießereien sind hier nicht selten. Aber von diesem Kampf wird man sich erzählen. Denn Pedrow Russian galt als der schnellste Revolvermann in Canyon City und auf fünfzig Meilen in der Runde. Nun ist ein noch schnellerer Mann gekommen. * Patrick McGillen kehrt in das Arbeits- und Wohnzimmer Spades zurück. Dort wartet Rosy. Er lehnt sich neben der Tür an die Wand und verschränkt seine Arme vor der Brust. »Er ist tot«, sagt er. »Er zog gegen mich, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich habe ihn töten müssen, sonst hätte er mich doch noch erwischt. – Rosy, bist du nun zufrieden?« Sie kommt wortlos zu ihm. Aus nächster Nähe sieht sie ihn an und läßt sich auch von ihm ansehen. Ihr Blick ist offen und gerade. Sie sagt: »Ich habe dich nicht hergebracht, um mich an ihm für irgendwelche Dinge zu rächen. Gewiß, ich mochte ihn nicht. Er war so selbstgefällig und eitel, was Frauen betraf, daß einem übel werden konnte. Und er hat mich mit ganz primitiven Mitteln bekommen wollen wie all die anderen hier. Ich ging damals nicht zuletzt seinetwegen hier fort. Aber ich glaubte, daß wir ihn hätten rauswerfen können. – Verzeih mir, Patrick, wenn ich etwas falsch gemacht habe.« Er erwidert nichts darauf. Aber er sagt etwas spröder als sonst: »Also kümmere dich um die Geschäfte hier. Du kennst dich aus. Ich werde überall nach dem Rechten sehen und Ordnung halten. Ich werde – was die Geschäftsleitung einer Spielhalle und die Buchführung betrifft – von dir lernen. Fangen wir an, Rosy, damit wir ein Stück weitergekommen sind, bevor der Morgen anbricht und die Halle geschlossen wird.« * Schon eine Woche später haben sie den Betrieb bis in die kleinsten Einzelheiten voll im Griff und können genau voraussagen, was jeder Spieltisch im Schnitt einbringen wird. Sie haben ein paar Kartenausteiler, Croupiers und Hausordner entlassen und andere dafür eingestellt. Das Angebot und die Auswahl sind groß. Aus den weniger noblen Spielhallen drängen viele Kartenausteiler, Croupiers und Spieler nach oben, die darauf aus sind, Spieltische gegen Gewinnanteile zu mieten. In der Players Hall werden nun auch wieder auf der Bühne Darbietungen gezeigt, die den Spielbetrieb etwas auflockern und den Alkoholkonsum fördern. Rosy Dunn ist tüchtig. Sie ist eine glänzende Managerin. Sie sucht die Tanzmädchen
und Künstlerinnen aus. Es treten nur weibliche Künstler auf. Rosy Dunn führt die Bücher und macht mit den Managern der einzelnen Spielräume auch die Abrechnungen. Manchmal hilft ihr McGillen, um Bescheid zu wissen und notfalls die Vertretung übernehmen zu können. Er selbst kümmert sich um den Nachschub an Bier, Schnaps und Spielkarten, um das Instandhalten der verschiedenen Spieltische und überwacht die Spieler, Croupiers und Kartenausteiler, die Hauspolizisten und die Barkeeper. Er sorgt für Frieden und Ordnung. Sie ändern den Namen der Spielhalle in Fair Play Hall um. Die Fair Play Hall wird als fairster Spielsalon in ganz Canyon City bekannt und geschätzt, und das, obwohl es auch hier immer wieder Schießereien gibt. Aber es ist meistens Patrick McGillen, der zuerst schießt. Sein Revolverruhm wird von Tag zu Tag größer. * Rosy Dunn und Patrick McGillen treffen sich fast immer am Vormittag beim Frühstück, das sie sich auf der zum Hof führenden Veranda servieren lassen, die man nur von ihrem gemeinsamen Arbeitszimmer aus betreten kann. Auch an diesem Vormittag ist es so. Seit dem Tag, da sie die Spielhalle übernahmen, sind drei Wochen vergangen. Endlose Wochen für McGillen, der jeden Tag sehnsüchtiger und unruhiger auf eine Nachricht von Nancy wartet. Hat sie die lebensgefährliche Operation überstanden? Das ist die Frage, die immer wieder in ihm ist. Er spürt, wie sich sein nervlicher Zustand mit jedem Tag verschlechtert. Er wird härter, unbeherrschter und unduldsamer. McGillen kommt an den Frühstückstisch, als Rosy schon ihren Teller geleert hat und nur noch die zweite Tasse Kaffee trinken wird. Wie immer hat sie gut gegessen. Das Frühstück ist ihre Hauptmahlzeit. Er nickt ihr zu. Sie war schon mit irgendeiner Abrechnung beschäftigt, die sie nun zur Seite legt. Aufmerksam betrachtet sie ihn. »Dir geht es nicht gut«, sagt sie plötzlich. »Sprich dich aus, Hombre. Sind wir nicht Freunde und Partner? Wir haben versprochen, uns stets die Wahrheit zu sagen und nichts allein mit uns herumzuschleppen. Also mach endlich deinen Mund auf, Muchacho!« In ihrer Stimme ist ein Scherzen. Es soll ihn aufmuntern. Er gießt sich erst Kaffee ein und trinkt eine Tasse in einem Zug leer. »Ich habe noch keine Nachricht von Nancy«, murmelt er. »Das macht mich verrückt. Ich werde nervös.« »Das ist es also!« sagt Rosy. »Aber du wirst Nachricht bekommen, bestimmt. Ich brauche dich hier. Ich wüßte nicht, was ich ohne dich zustandebrächte.« Er grinst etwas schief und bitter. »Dies ist ein verdammtes Leben für einen Mann, der nicht viel mehr kann als reiten und schießen, kämpfen, Fährten verfolgen, ein wildes Rudel bändigen. – Rosy, wie lange willst du das noch durchhalten?« »Wir machen hier im Schnitt jede Nacht tausend Dollar Reingewinn«, sagt sie. »Jeder von uns wird jede Nacht um fünfhundert Dollar reicher. Patrick, du verdienst jetzt in einer einzigen Nacht fast soviel wie ein Cowboy in zwei Jahren. Und wenn deine Nancy gesund ist, dann laß sie herkommen. Auf jeden Fall wäre es dumm von dir, dieses
gewinnbringende Geschäft aufzugeben. Hier können wir beide reichwerden. Oder möchtest du das nicht?« Er sieht sie seltsam an. »Was möchtest du denn?« fragt sie ihn plötzlich. Er hebt seine Hand und wischt sich über das Gesicht. »Ruhe und Frieden«, sagt er. »Vielleicht eine kleine Ranch in der Nähe einer guten Stadt, Rinder und Pferde – und Frieden, nichts als Frieden. Das wäre gut für mich. Denn ich beginne meinen Colt zu hassen. Und ich bringe es bald nicht mehr fertig, auf diese wilden Dummköpfe zu schießen, aus welchen Gründen es auch immer notwendig ist. – Rosy, ich denke fast, daß du dich nach einem anderen Partner umsehen solltest. Ich lasse dich nicht im Stich. Aber wenn du Ersatz gefunden hast, dann laß es mich wissen. Dann gebe ich auf und gehe fort.« »Zu Nancy!« sagt sie hart. Er erschrickt ein wenig, denn es wird ihm klar, daß Rosy gegen Nancy irgendwelche feindlichen Gefühle hegt. »Nancy kann nichts dafür, daß wir uns – du und ich – aus den Augen verloren hatten und deshalb aus uns nichts wurde. Nancy kann nichts dafür. Ich liebe sie, und sie hat ein Recht darauf, daß ich alles versuche, ihr zu helfen.« Rosy nickt langsam. »In Ordnung«, sagt sie und erhebt sich. »Wenn ich einen Mann finde, der dich als Partner ersetzen kann, dann kannst du zu Nancy reisen. Mit dem Geld, das du inzwischen besitzt, kannst du dir sogar eine ziemlich große Ranch kaufen und dort glücklich werden. – In Ordnung, Patrick! Ich wünsche dir, daß deine Nancy bald wieder gesund ist. Ich werde nach einem Mann Ausschau halten, der mir ein guter Freund und Partner sein könnte.« Sie geht zur Tür. Dort wendet sie sich noch einmal um und blickt über die Schulter auf ihn zurück: »Aber ich würde barfuß um die ganze Welt laufen, Patrick, wenn du mal in Not wärst und ich dir helfen könnte – barfuß um die ganze Welt.« Nach diesen Worten geht sie. � Er starrt auf sein Frühstück. � Es schmeckt ihm nicht mehr. � * Eine halbe Stunde später ist er unterwegs zum Mietstall, um sich dort sein Pferd zu holen und auszureiten. Diese täglichen Ausritte braucht er, wenn er seine körperliche Leistungsfähigkeit erhalten, tüchtig auslüften und Sauerstoff für die vielen Stunden in den rauchigen Spielräumen tanken will. Er biegt in den Hof des Mietstalles ein. Einige Wagen sind hier abgestellt. Um einen der Wagen kommt ein junger Mann herum, der wie ein Cowboy gekleidet ist. Ein hübscher, großer, geschmeidiger und verwegener Bursche mit strohblondem Haar und einem Texanerbart, dessen Enden sichelförmig über den Mund hängen. Dieser verwegen aussehende Wild Bill ist kaum älter als zwanzig. Doch er glaubt an sich und seine Fähigkeiten bis in die Hölle und zurück. Dieses Selbstvertrauen geht wie ein starker Strom von ihm aus. Er hebt die Hand und sagt: »Einen Moment, Patrick McGillen!«
Patrick McGillen bleibt stehen. Er weiß schon, was nun kommen wird. Aber er fragt: »Was kann ich für Sie tun, Mister?« Er ist betont höflich und nimmt sich fest vor, sich nicht herausfordern zu lassen und auch dem blonden Wild Bill keine Gelegenheit zu geben, sich beleidigt zu fühlen, »Wir wollen wetten, daß ich Sie schaffen kann«, sagt der blonde Tex. »Meine Brüder und ich können jeden schlagen, jeden Revolvermann auf dieser Erde. Ich habe den längsten Strohhalm gezogen und kann es deshalb zuerst gegen Sie versuchen. Aber auch die beiden anderen Gunnisons können Sie, McGillen, ganz gewiß schlagen.« McGillen hört Geräusche hinter sich. Er blickt über die Schulter. Von der Straße betreten drei Männer den Hof. Zwei sind so jung wie jener, der ihn stellte. Sie sind ihm ähnlich, wie sich Drillingsbrüder nur ähnlich sein können. Der andere Mann ist älter. Aber auch er strömt eine wilde Verwegenheit aus und ist abgerissen wie die Jungens. Doch seine beste Zeit ist längst vorbei. »Es sind meine Brüder Al und Gus Gunnison. Das da ist unser Onkel Frank. Und ich bin Hank«, sagt der blonde Texaner. »Wir sind gekommen, um uns diese Stadt in die Hosentasche zu stecken. Und damit wir uns nicht erst mühsam von unten heraufschießen müssen, fangen wir gleich mit dem größten und schärfsten Tiger an. Das sind Sie, McGillen. Schafft einer von uns den großen McGillen, frißt uns ganz Canyon City aus dem Hut. – Also los! Ziehen Sie! Unser Onkel wird einen Pfiff ausstoßen. Dann müssen Sie schnell sein, McGillen. Denn ich bin schneller als alle, mit denen Sie es bisher zu tun hatten. – In Ordnung?« Er grinst wieder wild und verwegen. McGillen blickt an ihm vorbei auf den älteren Mann, der ihm als Frank vorgestellt wurde. »Pfeifen Sie Ihre Jungens zurück«, sagt er. »Sie wissen sicherlich nicht, was sie da riskieren. Diese Stadt läßt sich nicht von ein paar verrückten Texanern erobern. Von eurer Sorte gibt es Dutzende in Canyon City. Und …« »Ziehen Sie Ihren Colt, McGillen!« ruft der Mann wild und verzerrt dabei sein Gesicht. »Ich werde gleich einen Pfiff ausstoßen, und dann müssen Sie gegen Hank ziehen, McGillen!« Er eilt nach rechts hinüber, um nicht länger hinter McGillen zu stehen, sondern seitlich. Aus dem Mietstall kamen drei Männer. Es sind der Stallmann und zwei andere Männer, die mit bei den Pferden waren. Die drei Männer bleiben stehen und werden Zuschauer. Auch von der Straße kamen inzwischen ein paar Leute in die Einfahrt. McGillen hebt plötzlich beide Hände und ruft: »Ich werde nicht schießen! Ich schieße nicht auf einen verrückten Narren, der berühmt werden möchte.« Doch dann tönt der Pfiff. Und Hank Gunnison zieht wahrhaftig und schießt auch schon. Er ist unheimlich schnell, dieser irregeleitete, wilde Junge aus den Texashügeln. Aber er schießt vorbei. Und bevor er zum zweitenmal abdrücken kann, setzt bei McGillen der Selbsterhaltungstrieb ein. Daß er seinen Colt zieht, ist nur noch ein Reflex, schneller als jeder Gedanke. Erst als er geschossen hat und den Texaner fallen sieht, holt ihn das Denken wieder ein. Er wird sich bewußt, daß er gezogen und geschossen hat und der zweiten Kugel zuvorkommen konnte. Aber dann bekommt er eine Kugel in den Rücken.
Hank Gunnisons Brüder sind nicht fair. Sie wollen jetzt nur noch ihren Bruder rächen, der diesen Kampf erzwang. Sie können wahrscheinlich auch nicht mehr denken, sondern gehorchen nur noch ihrem wilden Instinkt. Der Schmerz in McGillen ist schlimm. Einmal verlieren wir alle, denkt er noch scharf. Dann stürzt er. * Es dauert zwei Wochen, bis sich McGillen überhaupt bewußt wird, daß er noch lebt. Sein Leben ist wie ein schwaches Flämmchen, das immer wieder verlöschen will. Aber Rosy kämpft um ihn. Sie hat schon einmal an seinem Lager gesessen und ihn gepflegt. Damals, als er mit den Apachen kämpfte. Aber damals wurde er sehr schnell wieder gesund. Diesmal dauert es viel länger. Als er nach drei Wochen wieder klar denken und reden kann, fragt er: »Rosy, ist ein Brief von Nancy da?« Sie sitzt an seinem Bettrand und wirkt sehr beherrscht. Ihr rotes Haar hat sie zu einer Krone aufgesteckt. Sie wurde etwas schmaler, und die feinen Linien um ihre Mund- und Augenwinkel wurden etwas tiefer. Ihr Mund wirkt herber, der sonst so lebendig ihre Gefühle ausdrücken konnte. Das ist vorbei. Die letzten drei Wochen waren zu hart für sie. Es war nicht einfach, das große Unternehmen zu führen und zugleich den Kranken zu pflegen. Die Fair Play Hall beschäftigt drei Barkeeper und ein halbes Dutzend Mädchen. Sie hat sieben Hauspolizisten und zwanzig Kartenausteiler, Croupiers und sonstige Spieler unter Vertrag. Dazu kommen Saloonausfeger, Küchenpersonal und nach Bedarf andere Hilfskräfte. Die auftretenden Künstlerinnen sind noch nicht mitgezählt. Rosy Dunn arbeitet hart. Das sieht man ihr jetzt an. Nur Patrick McGillen bemerkt es nicht. Er ist noch zu krank, und außerdem ist alles in ihm auf den Brief von Nancy ausgerichtet. Er öffnet ihn mit schwachen und unbeholfenen Fingern. Rosy läßt ihn allein. Er merkt es gar nicht. Denn er liest: Mein Liebster! Die Welt ist wieder schön! Ich lebe wieder richtig, und jeden Tag geht es besser. Noch kann ich nicht allein laufen, doch ich bewege jeden Tag die Beine, und in ein oder zwei Wochen werde ich ohne Hilfe gehen können. Professor Warwik schwört es mir. Verklemmte Nervenstränge wurden durch die Operation wieder frei. Es ist schön zu leben. Sobald ich kann, werde ich Spazierengehen. Der Hafen ist schön. Ein Tor zur weiten Welt scheint da offenzustehen. Dolores will nicht wieder nach Spanish Springs zurück. Patrick, ich habe lange Zeit keine Post mehr von Dir bekommen. Ich mache mir deshalb Sorgen. Auf welchen gefährlichen Fährten wirst Du wohl jetzt reiten? Bist Du überhaupt noch gesund und am Leben? Und wie lange wird es dauern, bis Du wieder
einmal nach Santa Fe kommst, um Dir diesen Brief dort abzuholen? Wir sind so weit voneinander entfernt, Patrick! Aber jetzt kommt noch eine gute Nachricht. Wir brauchen für die Operation kein Honorar zu zahlen. Der Professor nimmt von mir kein Geld. Ich brauche also nur für den Unterhalt von Dolores und mich aufzukommen. Von den zehntausend Dollar, die ich zuletzt erhielt, ist fast alles noch da. Patrick, es ist vorbei! Du brauchst für mich keine Kopfprämie mehr zu jagen. Ich bitte Dich, dieses gefährliche Leben aufzugeben. Sofort! Das Leben beginnt wieder. Ich weiß jetzt, wie schön es ist, voll und wirklich leben zu können. Ich bin Dir sehr, sehr dankbar! Du hast in der Not für mich getan, was so leicht kein anderer Mann getan hätte. Hättest Du Dich nicht entschlossen, mit Deinem Revolver und unter Einsatz Deines Lebens viel Geld zu verdienen, so wäre ich wahrscheinlich bis zum Ende meines Lebens ein Krüppel geblieben. Wahrscheinlich hätte ich diese Ausweglosigkeit nicht ertragen. Patrick, ich bin Dir so dankbar! Ich weiß noch nicht, wie es hier weitergehen wird. Vorerst will mich der Professor noch mindestens vier Wochen in seiner Nähe behalten. Ich warte auf Deinen Brief. Ich hoffe und bete, daß Du gesund bist und es Dir gutgeht. Ich bete auch dafür, daß Dich dieser Brief schnell erreicht, so daß Du nicht länger auf gefährlichen Fährten reitest. Deine Nancy Er liest den Brief ein halbes dutzendmal, bis sich in seinem Kopf alles zu drehen beginnt. Als er dann die Augen schließt, kennt er jedes Wort des Briefes auswendig. Aber es sind nicht nur die Worte. Dieser Brief enthüllt etwas, was er nur instinktiv spürt. Er murmelt heiser: »Wir sind so weit voneinander entfernt – und Nancy entfernt sich mit jedem Tag weiter. Ich muß zu ihr hin! Ich muß gesund werden und nach Boston. Nancy betrachtet den Hafen von Boston als ein offenes Tor in die weite Welt. Sie wurde gierig nach dem Leben. Sie hat Angst, etwas zu versäumen. Sie hat sich verändert. Und sie schreibt mir von ihrer Dankbarkeit, doch nichts von Sehnsucht und Liebe. Zum Teufel, warum nimmt dieser Professor von ihr kein Geld? Ich will, daß er von ihr Geld nimmt wie von jeder anderen Patientin. – Ich muß nach Boston, komme was will!« * Von diesem Tag an geht es mit McGillens Gesundheit schnell aufwärts. In seinen Augen ist ein wildes Feuer, das jedoch nur etwas von der Energie verrät, die in ihm brennt. Rosy Dunn bleibt es nicht verborgen. Eines Tages reicht er ihr den Brief. »Lies ihn und sag mir als Frau, was du davon hältst.« »Ich will ihn nicht lesen«, sagt sie. »Aber ich brauche deinen Rat, Rosy, deine Hilfe. Und wenn es dir noch so schwerfällt, ich brauche deinen Rat, Rosy. – Hilf mir!« Sie sieht ihn einige Atemzüge lang schweigend an. Dann nimmt sie den Brief und liest ihn zweimal.
Als sie ihn auf die Bettdecke legt, ist in ihrem Blick eine Spur von Mitleid. »Du wirst sie verlieren«, sagt sie ruhig. »Es ist nicht nur diese Dolores, die nicht in den Südwesten zurückwill. Auch Nancy will es nicht. Sie will hinaus in die Welt. Sie will erregender, schneller und wilder leben. Sie hat als Kranke erkennen müssen, wie schön es doch …« »Schon gut«, unterbricht er sie. »Und was noch?« Sie erhebt sich und geht bis zur Tür. Dort wendet sie sich um und sagt ruhig: »Du bist ein Mann, Patrick McGillen, ein richtiger Mann, der zum Salz der Erde gehört. Es gibt gewiß eine Menge Frauen, die lieber mit einem richtigen Mann in den einsamen Hügeln auf einer Ranch leben als irgendwo durch die weite Welt ziehen. Vielleicht hat Nancy vergessen, was für ein Mann du bist. Vielleicht müßte sie erst mal wieder mit dir durch die Hügel reiten oder im Gras an einem Creek liegen. Vielleicht … Ach, reise zu ihr und laß sie wieder spüren, was es bedeuten könnte, dir eine Gefährtin zu sein. Selbst in der Wüste wäre das immer noch mehr als ein Leben in der verrückten Welt unter irgendwelchen Nieten. Mach dich auf den Weg zu ihr, sobald du kannst. Im Brief steht, daß du ja noch etwas Zeit hast. Wenn dieser Professor sie noch vier Wochen bei sich behalten will, werden es gewiß acht Wochen sein, Und dann … Oha, es wäre interessant zu wissen, was für ein Mann dieser Wunderdoktor ist. – Patrick, es tut mir leid.« Damit geht sie. * Eine weitere Woche später macht er sich endlich auf die Reise. Sein Anzug ist ihm noch viel zu weit. Er nimmt nur eine Reisetasche mit Wäsche mit. Denn er will ohne Gepäck schnell reisen. Rosy küßt ihn zum Abschied. »Ich komme schon zurecht«, sagt sie. »Ich habe einigermaßen Ersatz für dich gefunden. Mach dir keine Sorgen um mich. Den Rest deines Anteils überweise ich dir, wohin du willst. Und laß dir deine zwanzigtausend Dollar nicht von Banditen abnehmen.« Es ist ein schwacher Scherz von ihr. Er lächelt etwas mühsam, klopft an seinen Colt und sagt: »Keine Sorge, Rosy Dunn, keine Sorge.« Dann geht er. Sie folgt ihm nicht auf die Straße und zur Haltestelle der Überlandkutsche. Sie geht auf ihr Zimmer und weint dort eine Weile. Aber nur eine Weile. Denn Rosy ist hart im Nehmen. Ihre Spielhalle verlangt ihr viel zuviel ab. Erst nach einer langen, bösen Nacht – wenn sie bei Morgengrauen vor Müdigkeit nicht einschlafen kann – wird sie wieder an Patrick McGillen denken. * Fast drei Wochen später wandert Patrick McGillen mit seiner Reisetasche in der Hand in � Boston die Beacon Street entlang bis hinauf zum Louisburg Square, der den Beacon-
Hügel beherrscht. Beacon Hill bedeutet soviel wie Signalfeuer- oder Leuchtturm-Hügel. �
McGillen erreicht das große Tor zu einem Park und liest auf dem Messingschild, daß hier das Sanatorium von Professor Warwik ist. McGillen ist an seinem Ziel angelangt. Er ist bei Nancy. Nun wird es sich erweisen, ob er der Mann ist, dem sie wieder in das wilde Land im Westen oder Südwesten folgen wird, in das sie einst als Lehrerin ging, bevor sie ihn kannte. Patrick McGillen wirkt müde und ausgebrannt. Die lange Reise hat seine Gesundung nicht gefördert. Er wirkt älter, als er ist, und die Linien in seinem Gesicht sind tiefer geworden. Doch selbst die Leute hier in Boston brauchen ihn nur einmal anzusehen, um zu begreifen, daß hier ein harter Bursche aus dem tiefsten Süden gekommen ist. Man muß unwillkürlich an einen dunklen, narbigen, großen Wolf denken, der sich in die Zivilisation verirrt hat. Der Pförtner fragt nach seinem Begehr. »Mein Name ist McGillen. Ich will zum Professor und meiner Frau, die hier als Patientin weilt.« Der Pförtner ist ein grauhaariger Mann. Er betrachtet den großen, dunklen und scharfgesichtigen Fremden zurückhaltend. »Der Professor ist gestern mit dem Schiff nach Europa gefahren«, sagt er. »Misses McGillen reiste mit ihm. Aber Señora Dolores Rodriges ist noch hier. Wenn Sie vom Zufahrtsweg zum zweiten Haus abbiegen, müßten Sie …« McGillen wartet nicht länger. Er geht schon auf seinen langen, leicht gekrümmten Reiterbeinen los. Er möchte rennen, aber er zwingt sich, nur schnell auszuschreiten. Was in ihm ist, kann man nur einen Sturm nennen, einen Sturm von Gefühlen. Als er das Haus erreicht, öffnet sich die Tür. Er erkennt Dolores Rodriges kaum wieder, so sehr hat sie sich verändert, so gepflegt und nett wirkt sie in der Bostoner Mode, wie sie von den gehobenen Dienstboten bevorzugt wird. Sie sieht jünger aus und hübscher. Bei seinem Anblick erschrickt sie. »Heilige Maria!« stößt sie hervor. Er schiebt sie vor sich her in das Haus. »Jetzt sprich schnell, Dolores!« sagt er heiser. »Sag es mir schnell und genau! Was ist hier geschehen? Warum fährt meine Frau mit dem Professor nach Europa? Sprich, Dolores!« Sie zittert am ganzen Körper und bringt kein Wort hervor. Aber plötzlich erinnert sie sich, daß sie einen Korb am Arm trägt. Sie öffnet den Deckel und bringt einen Brief zum Vorschein. »Señor, den – den wollte ich soeben zur Post …«, beginnt sie. Er entreißt ihr den Brief und öffnet ihn. Seine langen, geschmeidigen Finger zittern. Dann vergißt er Dolores, der jetzt Tränen über die Wangen laufen. Er vergißt alles auf dieser Welt – nur Nancy nicht. Er liest ihren Abschiedsbrief. Seine Lippen bewegen sich dabei lautlos. Lieber Patrick! Ja, lieber Patrick, lieber, lieber, guter Patrick! Verzeih mir! Oh, bitte, verzeih mir! Ich weiß, daß Du zu mir unterwegs bist. Und deshalb reißen wir aus. Ja wir! Ich werde den
Professor, der mir das Leben zurückgab, nicht so lieben können wie Dich. Aber ich will in die weite Welt. Ich will nicht in die Hügel zurück oder in primitive Städte, wo Du vielleicht wieder den Stern tragen könntest. Ich will nicht zum Anfang zurück. Denn ich weiß jetzt, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Jede Stunde ist kostbar. Ich habe zu lange im Rollstuhl am Hafen gesessen. Verzeih mir, Patrick! Meine Dankbarkeit wird bis zu meinem letzten Tag anhalten. Es tut mir weh, Dir das antun zu müssen. Aber ich muß! Ich will die Welt erleben. Und John Warwik ist noch jung genug, um sie mir zu zeigen. Bitte verzeih mir! Ich kann nicht anders. Vielleicht bin ich wie eine Motte, die in der Flamme verbrennt. Nancy Er wendet sich an Dolores. »Mit welchem Schiff?« fragt er heiser. »Die ›General Washington‹. Nach Frankreich«, sagt sie. Da nickt er nur und geht. Er geht in ein Hotel, läßt sich Whisky kommen und legt sich mit der Flasche ins Bett. Und dann trinkt er, bis er nichts mehr weiß. Als er nach Stunden wieder erwacht und ihm alles wieder einfällt, trinkt er wieder, bis er nichts mehr weiß. Er trinkt eine ganze Woche und ist danach kranker als zuvor. Aber nach einer Woche geht er einigermaßen nüchtern zum Schiffahrtsbüro der Europa-Linie, um eine Passage nach Frankreich zu buchen. Geld genug hat er noch. Denn von den zwanzigtausend Dollar, die Rosy ihm als erste Auszahlung seines Anteils mitgab, ist noch fast alles da. Er könnte ebenfalls nach Europa fahren, das flüchtige Paar suchen und sie umbringen. Ja, diesen Wunsch spürt er wirklich, denn in ihm ist ein einziger tiefer Schmerz. Er ist von Nancy böse verwundet worden. Und daß er eine Woche lang betrunken war, schwächte seine Vernunft. Er findet jetzt vielleicht nicht mehr die Kraft, wieder in Ordnung zu kommen und die schlimmste Enttäuschung seines Lebens zu überwinden. Seine Gesundheit ist durch die Verwundung, die strapaziöse Reise und die Trinkerei sehr geschwächt. Nun glaubt er, sich für einen Verrat rächen zu müssen. Aber als er das Büro der Schiffahrtslinie betritt, trifft dort soeben die Nachricht ein, daß die ›General Washington‹ gesunken ist. Sofort laufen viele Leute im Hafen zusammen. Es stellt sich heraus, daß ein anderes Schiff, das von Europa kam, die wenigen Überlebenden an Bord hat. Auf der ›General Washington‹ war Feuer ausgebrochen. Es gab Kessel-Explosionen, und es war schlechte See. Man konnte nur wenige Boote mit Schiffbrüchigen finden. Das alles erfährt Patrick McGillen in den nächsten Stunden. Er liest die ausgehängte Liste mit den Namen der Geretteten. Nancy ist nicht dabei. Auch der Professor nicht. Aber auf der anderen Liste, die alle Namen der voraussichtlich Vermißten enthält, stehen beide Namen. Professor Dr. John Warwik, Boston. Nancy Emilie McGillen, geborene Traft, Boston.
Einer der Männer, die dicht gedrängt mit ihm vor den aushängenden Listen stehen, sagt bitter: »Vermißt! – Die haben doch keine Chance mehr, aufgefischt zu werden. – Jetzt nicht mehr. – Die sind doch alle ertrunken.« Da geht er. In seinem Kopf ist alles wirr. Er begreift nur eines: Das Schicksal hat mit ihnen allen gespielt. Sein Irrweg, der ihn vom Sheriff zum Kopfgeldjäger und schließlich nach vielen Kämpfen und Abenteuern zu einem Spielhallen-Mitbesitzer werden ließ, verläuft nun im Leeren. Und Nancy, die während ihrer Krankheit so lebenshungrig wurde und ihn verließ, um in die Welt zu fahren, um nun erst das volle, erregende, wilde und bunte Leben auszukosten – Nancy fuhr in den Tod. Patrick McGillen kommt alles nutzlos und unwichtig vor. Er geht zurück in sein Hotel, zahlt die Rechnung und nimmt den nächsten Zug nach Westen. In Boston ist nicht seine Welt. Aber wo ist seine Welt? In den wilden Hügeln? Oder in den wilden Städten? In der Einsamkeit? Was soll er tun? Er besitzt immer noch viel Geld für die jetzigen Verhältnisse. Er könnte sich eine Ranch kaufen. Aber wozu? Er ist zu verbittert, zu verwundet. Und er resigniert. Er weiß nur, daß er nach Westen will, weil er dort daheim ist. Vielleicht tut es ihm gut, durch die Berge zu reiten, zu jagen und zu fischen. Vielleicht ist die Einsamkeit gut für ihn – mag sie in der Arizonawüste oder im Horsemesa-Land am Mogollonrim sein. Er will nach Westen. Denn jeden verwundeten Wolf zieht es in ein Revier zurück, in dem er sich auskennt und wo er geboren wurde. * Es wird eine wirre Zickzackfährte, die Patrick McGillen von Boston aus nach Westen zieht. Aber erst in Laramie beginnt man von ihm zu sprechen. Er gelangte ohne Schwierigkeiten von der Ostküste bis nach Omaha am Missouri, dem Ausfalltor nach Nebraska. Schon in Nebraska hielt er in jedem Saloon an, spielte, trank und ging keinem Händel aus dem Weg. Doch in Fort Laramie trifft er auf die Johnny-Walker-Bande. Und die Walker-Bande findet heraus, daß er eine Menge Geld bei sich führt und in der vergangenen Nacht sogar noch eine Menge beim Poker hinzugewinnen konnte. Sie überfallen ihn an der Brücke beim Laramie Fork. Als er mit ihnen fertig ist, hat er zwei Streifwunden, und es gibt keine Johnny-WalkerBande mehr. Nun spricht man wieder von Patrick McGillen, denn die Walker-Bande war keine Kleinigkeit. McGillens Name gehört schnell zu den Namen der wenigen großen Revolverkämpfer, die man an den Fingern einer einzigen Hand aufzählen kann.
Sein Weg führt weiter hinauf nach Norden, in das Goldland von Montana. Dort im Bozeman- und Gallatin-Land, in den wilden Städten von Livingston bis Butte und Last Chance City wird sein Ruf als Spieler, Revolvermann und Trinker zu einer Legende. Er gehört zu jenen Männern, die sich sinnlos verschwenden. Dabei bleibt ihm das Glück treu, obwohl es ihm gleichgültig ist, ob er gewinnt oder verliert – mag es am Spieltisch oder mit dem Revolver in der Hand gegen irgendwelche Gegner sein. Denn Gegner findet er überall. Es gibt überall einen Mann, der sich von ihm herausgefordert fühlt und sich selbst und der Umwelt beweisen will, daß nicht der legendäre McGillen, sondern er der Größte ist. McGillens Fährte führt in den nächsten zwei Jahren von Montana nach Oregon, nach Kalifornien und Nevada. Irgendwann gelangte er über Utah mit einer Überlandlinie nach Colorado. Die Stadt ist klein. Sie heißt Sundown Pass. Es ist eine Stadt, in der ein Mann nur anhält, um eine Nacht im Hotel zu schlafen und dann die nächste Postkutsche zu nehmen. Es ist eine unwichtige Stadt, die nur von kleinen Ranchern und Siedlern lebt und vom Durchreiseverkehr. Nur eine große Ranch gibt es im Land. Als McGillen aus der Überlandkutsche klettert, erkennt ihn ein Handelsreisender, der hier ist, um dem einzigen Saloon von Sundown Pass ein Klavier zu verkaufen, und nun schon drei Tage mit dem Saloonbesitzer um den Preis feilscht. * Patrick McGillen ist an diesem Abend müde von der letzten Stadt und der Reise, die er hier unterbricht, um auszuschlafen. Morgen will er weiterfahren. Er steht noch vor dem Hotel und sieht sich um, als schräg gegenüber im Saloon der Handelsvertreter voller Wichtigkeit zum Saloonbesitzer sagt: »Heute bekommen Sie einen besonderen Gast. Ich sah ihn soeben drüben beim Hotel aus der Postkutsche steigen und erkannte ihn sofort. Denn ich sah ihn schon in einigen Städten, in denen ich Klaviere verkaufte. Überall sah ich ihn seine Revolverkämpfe austragen. Raten Sie mal, wer gekommen ist! Und wenn Sie es geraten haben, dann denken Sie mal darüber nach, warum solch ein Tiger wie er wohl hier in Sundown Pass absteigt. – Hey?« Außer dem Saloonwirt hören noch einige Gäste zu. Sie werden sofort wachsam, und eine Stimme sagt bitter aus der Ecke: »Ob das der Revolvermann ist, den Big Jim Quade kommen lassen will, um ihn auf uns Kleine zu hetzen wie einen Bluthund? – He, wie ist sein Name? Vorwärts! Heraus damit! Wer kam nach Sundown Pass?« Der Handelsreisende spürt plötzlich die ablehnende Haltung der Gäste. Plötzlich wird er sich darüber klar, daß die Gäste fast alle zu einer Sorte gehören. Es sind Kleinrancher, Heimstätter. Von der großen Quade-Ranch sind keine Reiter da. Der Handelsvertreter möchte sich hier keine Feinde machen. Er sagt: »McGillen kam soeben hier an. Draußen steht Patrick McGillen. Muß ich eigentlich noch erklären, wer McGillen ist?« Sie schweigen. Die Stille ist so lastend, daß man meint, alle hielten ihren Atem an und wären erstarrt. Dann sagt eine bittere Stimme: »Black Pat McGillen? Ja, von dem haben auch wir hier
in Sundown Pass schon gehört. Der zieht überall herum, trinkt und spielt und geht keinem Kampf aus dem Weg. Der gehört zu jener höllischen Sorte, der es nichts ausmacht, Blut zu vergießen. Vielleicht ist er wirklich hier, um unseren neuen Sheriff …« Er verstummt. Während er sprach, erhob er sich vom Tisch und trat an die Bar. Nun sieht er sich um. »Warum ist heute niemand von der Quade-Ranch da?« fragt er. »Es sind doch sonst immer ein paar großspurige Nummern von Big Jim Quades Mannschaft hier und stänkern uns an. Warum fehlen sie heute?« Wieder senkt sich Stille über den Raum. Die Männer denken nach. In diesem Moment wird die Schwingtür aufgestoßen. Patrick McGillen tritt ein. Er hatte sich entschlossen, noch einen Drink zu nehmen. Ein Drink schien ihm erst einmal wichtiger als ein Zimmer im Hotel und ein Abendbrot im Restaurant. McGillen ist viel zu erfahren, um nicht sofort die feindliche Strömung zu spüren, die zu ihm herüberweht. Aber er lächelt nur und sieht sich um. Er erwartet, einen ihm feindlich gesinnten Bekannten zu sehen. Doch er kennt den Handelsreisenden nicht. Langsam und immer noch verächtlich lächelnd, geht er zur Bar und schaut den Wirt an. Es bereitet ihm eine grimmige Freude, unwillkommen zu sein, zu spüren, daß sie ihn fürchten und ablehnen wie einen Tiger, dessen scharfe Witterung sie zu sehr stört. Er mag die menschliche Gemeinschaft nicht. Er liebt es, sie herauszufordern und ihr seine Verachtung zu zeigen. »Den besten Whisky«, verlangt er und wirft einen Dollar auf den Tisch. Der Wirt starrt ihn an, senkt schließlich den Blick und holt eine Flasche unter dem Tresen hervor. Er gießt wortlos ein. Das feindliche Schweigen im Saloon dauert noch an. McGillen nimmt den Whisky und trinkt ihn schweigend. Aber als er das Glas absetzt, blickt er in den Spiegel. »Ihr verdammten Narren!« sagt er laut. »Ihr habt erfahren, wer ich bin. Und weil es gewiß in dieser Stadt oder draußen auf der Weide irgendwelchen Ärger gibt, glaubt ihr, ich wäre nicht zufällig hier. Diese Stadt kann mir den Buckel hinauf- und wieder hinunterrutschen. – Noch einen Whisky!« Er blickt den Wirt an. Dieser gehorcht. McGillen schüttet das Feuerwasser mit einem Ruck herunter und wendet sich mit einemmal um. Er lächelt wieder sein kaltes, verächtliches Lächeln. Als er hinaustritt, gewöhnen sich seine Augen ziemlich schnell an die Nacht, obwohl nicht sehr viel Lichtbahnen auf die Straße fallen. Er sieht sofort den Mann, der unterhalb des Plankengehsteiges steht, der ihm bis zu den Knien reicht. Er erkennt sogar den Mann, als dieser das Messer wirft, und macht eine gedankenschnelle Bewegung mit seinem Körper. Das Messer zischt an McGillen vorbei in den einen Flügel der Schwingtür. Der Messerwerfer greift blitzschnell hinter seinen Nacken, um ein zweites Messer zu werfen. Aber einen Sekundenbruchteil eher erwischt ihn die Kugel. Deshalb trifft er auch mit dem zweiten Messer nicht. Es bohrt sich gleichfalls in einen Flügel der Pendeltür. Der Messerwerfer taumelt nach vorn und fällt über die Treppe, die von der Fahrbahn zum
Plankengehsteig führt. Er stößt sterbend noch einen Fluch aus. McGillen, den rauchenden Revolver noch in der Hand, läßt sich auf ein Knie nieder und sagt bitter: »Carlo Gonzales, du Narr, du dummer Narr! Ich kam nur zufällig nach Sundown Pass. Ich war gar nicht hinter dir her wegen damals in …« Weiter kommt er nicht. Denn sein Kopf scheint zu bersten. * Es hat in seinem Leben schon viele schlimme Situationen gegeben. Er wurde oft verwundet und bekam Zeichen eingeprägt, die als deutliche Narben blieben und die eine Menge von seinem gewalttätigen Leben verraten. Aber noch niemals wachte er hinter Gittern auf. Als er sich trotz seines schmerzenden Schädels darüber klar wird, weiß er, daß dies ein weiteres Zeichen seines Niederganges ist. Er bleibt still auf der harten Pritsche liegen, und nach Stunden lassen die Kopfschmerzen langsam nach. Er fühlt eine aufgeplatzte Beule, und er glaubt, daß ihm jemand eine volle Schnapsflasche gegen den Hinterkopf warf, die wie eine Keule wirkte. Als es Tag wird, kommt der Sheriff an die Gitterstäbe. Sie betrachten sich lange. Der Sheriff ist ein hagerer, mittelgroßer Mann, dem man ansieht, daß er noch vor kurzer Zeit ein kleiner Rancher oder Siedler war. McGillen kennt diese Sorte. »Warum bin ich in der Zelle?« fragt er. Der Sheriff schiebt seine Daumen unter die Hosenträger und läßt diese gegen seine Brust schnappen. »Der Bezirksrichter kommt in einigen Wochen hier durch, um ein oder zwei Tage Gericht zu halten«, sagt er dann. »Sie werden eine faire Verhandlung bekommen, McGillen. Aber es gibt zu viele Augenzeugen dafür, daß Sie einen waffenlosen Mann erschossen haben. Wir wissen von Carlo Gonzales auch, warum Sie hinter ihm her waren. Er wachte noch einmal auf und erzählte uns alles. Gewiß, er überfiel Sie damals in Spanish Springs, verwundete Sie mit dem Messer und raubte Ihnen eine Menge Geld. Aber …« »Ich war nicht hinter ihm her«, unterbricht McGillen den Sheriff. »Es ist reiner Zufall, daß ich in diese Stadt kam, in der Carlo Gonzales lebte. Ich war nicht hinter ihm her. Aber er glaubte das offenbar. Er warf zweimal mit dem Messer auf mich. Ich handelte in Notwehr. Er war ein gefährlicher Messerheld, und man muß noch mindestens vier Messer in seiner Kleidung gefunden haben. Er trug stets eine sechsfache Scheide im …« »Er war unbewaffnet«, sagt der Sheriff und zuckt mit keiner Wimper. »Es gibt mehr als ein Dutzend Zeugen, die aussagen, daß er unbewaffnet war. – Die Anklage wird auf Mord lauten, Mister McGillen.« Patrick McGillen wird nun ganz ruhig. Er erhebt sich von seinem Lager und tritt an die Gitterstäbe der Zellentür. »Die Zeugen lügen. Und warum lügen sie? Was ist hier los? Warum hat dieser Bandit und Messerheld aus Spanish Springs, wo ich selbst einmal Sheriff war, jetzt plötzlich keine Messer geworfen und keine mehr bei sich gehabt? Was bedeutet das, Sheriff?« Dieser tritt näher. In seinen Augen ist ein böses Licht. Sein Mund verzieht sich zu
einem schiefen Lächeln. »Na schön«, sagt er, »wenn Sie es durchaus hören wollen. Die Sache ist doch einfach zu begreifen. Dies hier war ein Land mit freier Weide für Big Jim Quade. Aber dann kamen Kleinrancher und Siedler, die sich von Big Jim Quade und dessen rauher Mannschaft nicht einschüchtern ließen und auch die Bürger der Stadt auf ihre Seite zogen. Als dann ein neuer Sheriff gewählt werden mußte, weil die Amtszeit von Quades Mann abgelaufen war, wählten die kleinen Rancher, die Siedler und Bürger ihren Sheriff. Der bin ich. Doch dann setzte mir Jim Quade ein Ultimatum. Wir hörten, daß er einen Killer kommen lassen würde, der mich erledigen soll. Er wollte damit erreichen, daß niemand von seinen Gegnern hier den Stern zu tragen wagt. Denn man konnte sich ausrechnen, daß immer wieder ein fremder Killer hier auftauchen würde, mit dem der jeweilige Sheriff Streit bekäme. Aber die Sache klappte nicht. Zufällig war Gonzales hier, ein Mann, der Sie aus der Postkutsche steigen sah und glaubte, Sie wären hinter ihm her, um sich zu rächen. Carlo Gonzales. Er betreibt eine kleine Ranch. Er gehört zu uns. Was vorher war, geht uns nichts an. – McGillen, wir warten nur darauf, daß Big Jim Quade dich von seiner Mannschaft hier herausholen lassen will. Dann erledigen wir ihn gleich mit dir, Mister. – Jetzt weißt du Bescheid, ja?« »Genau, ihr Narren«, murmelt McGillen und kehrt zu seiner harten Pritsche zurück. »Quade wird mich nicht rausholen lassen«, murmelt er. »Dieser Quade hat nichts mit mir zu tun. Ihr Narren bildet euch das alles nur ein. Alles, was wahr ist, ist allein die Tatsache, daß ich hier auf der Durchreise war und Gonzales sich von mir verfolgt fühlte und mich in einem Moment angriff, als er glaubte, daß meine Augen sich noch nicht von der Helligkeit im Saloon an die Dunkelheit auf der Straße gewöhnt hatten.« »Dich ließ Quade kommen, um mich zu killen«, sagt der Sheriff. »Und das zahlen wir zurück. Ohne Erbarmen. Du kommst nicht mehr davon, McGillen. Wir werden dich hängen. Und dann wird Quade wissen, daß er mit solchen Tricks bei uns nicht durchkommen kann. Wir schlagen ihn. Er muß die Weide frei machen für all die Kleinen, zu denen auch ich gehörte und die sich viele Jahre vor ihm fürchten mußten. – McGillen, du hast dich diesmal für den falschen Job anwerben lassen.« McGillen sagt nichts mehr. Es hat alles einmal ein Ende, denkt er. Für Nancy hatte alles ein Ende, als sie am hoffnungsvollsten war, als sie auf dem Weg in die weite Welt war. Mich erwischt es jetzt, weil mein Abstieg wohl nicht aufzuhalten war. – Aber zum Teufel, was liegt mir schon an dieser lausigen Welt! * Sie bewachen McGillen – drei Wochen lang. Sie halten eine Bürgerwehr unter Waffen und sind immerzu bereit, jeden Befreiungsversuch zu vereiteln. Aber niemand versucht es. Aber dann, nach drei Wochen, erhält er Besuch. Es ist Rosy Dunn. Sie tritt an die Gitterstäbe seiner Zelle und sieht ihn an. Auch er sieht sie an. »Es war nicht schwer, dich zu finden«, sagt sie. »Ich reise schon fast ein Jahr hinter dir her. Deine Fährte ist deutlich – die Fährte eines Trinkers, Spielers und Revolverhelden.
Ich kam nur immer einige Tage zu spät. Du bleibst nirgendwo lange genug, daß dich die Vergangenheit einholen könnte.« »Richtig«, sagt er. »Aber hier werde ich bleiben. Hier hängen sie mich, und es ist ein Witz, daß sie das Unrecht begehen, nicht ich. Sie haben ganz einfach Angst vor mir und bilden sich eine Menge ein. Aber ich kann es ihnen nicht ausreden. Sie wollen mich erledigen, weil sie dadurch einen Großen erledigen möchten. Sie würden dafür sogar Meineide schwören und es obendrein für eine gute und gerechte Sache halten. – Rosy, diesmal bleibe ich an einem Ort. Ein Toter kann nicht mehr reisen.« Er grinst, und in seinen Augen sind Lichter, die ihr verraten, wie groß die Wunde in seinem Herzen noch ist und daß er sich nicht zu helfen weiß. Sie begreift, daß sein Weg von Boston auch selbstzerstörerisch war. Sie sieht ihn zwingend an. »Vielleicht kann ich Nancy nicht das Wasser reichen«, sagt sie. »Vielleicht würde ich bei dir immer nur Ersatz sein. Aber ich denke mir, daß es sich lohnen könnte, es mit mir zu versuchen. Vielleicht würde ich dich, unter dem Strich zusammengezählt, glücklicher machen, als es drei Nancys gekonnt hätten. – Wie wäre es denn mit einer Ranch in den Antelopehügeln? Das wolltest du doch immer – oder?« »Ich komme hier gegen ein Dutzend Zeugen nicht mehr heraus«, murmelt er und sieht in ihre Augen. Plötzlich spürt er – während er sie ansieht –, daß es schön sein würde, wieder zu leben, etwas anzufangen, eine Aufgabe zu haben. Er glaubt plötzlich, daß Rosy ihn Nancy vergessen lassen könnte. Ja, es müßte schön sein, irgendwo in den Antelopehügeln an einem schönen Creek unter Espen eine Ranch zu haben und in Frieden zu leben. »Wir hätten uns damals nicht trennen dürfen, Rosy«, sagt er. »Hast du keine Spielhalle mehr?« »Nein«, sagt sie. »Nachdem ich vor etwa einem Jahr erfuhr, daß du ohne Nancy aus Boston in den Westen kamst und eine rauchige Fährte zogst, bin ich hinter dir her. – Ich will dich haben, Mister.« »Zu spät«, sagt er. Aber sie schüttelt den Kopf. »Ich bin reich«, sagt sie. »Ich zahle diesen Drei-Kühe-Ranchern und Siedlern ein Vermögen, wenn es sein muß. Es wird niemand gegen dich aussagen können. Mit Geld hole ich dich hier heraus. Zu etwas war es also gut, daß ich mit einer Spielhalle reich wurde. Und ein paar Dollars behalten wir noch übrig für die Ranch.« Sie sieht ihn noch einmal an und geht zur Tür. Sie klopft, und der Sheriff läßt sie aus dem Zellenraum. Patrick McGillen aber legt sich wieder auf die harte Pritsche. Ja, es wäre schön, noch einmal neu anzufangen. Mit Rosy wäre das gut. Sie ist schon ein Jahr hinter ihm her. Sie wußte, daß er Hilfe brauchte. Hilfe, die aus dem Herzen kam, die nur sie ihm geben konnte. Er zweifelt nicht daran, daß es ihr gelingen wird, diese falschen Zeugen mit Hilfe von hohen Geldsummen dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen, nichts als die Wahrheit. Auf Rosy kann man sich verlassen. Und sie will mit ihm in die Hügel auf eine einsame Ranch. *
Patrick McGillen wird am 17. August 1869 aus dem Towngefängnis von Sundown Pass entlassen. Die Jury erkannte aufgrund der Zeugenaussagen berechtigte Notwehr an. Es ist am 28. September des gleichen Jahres, als Patrick McGillen mit Rosy über einen Hügelsattel reitet und auf das schöne Tal zeigt, durch das sich ein Creek windet. »Das ist es, wäre dir das recht?« Sie sieht ihn nur an und lächelt. ENDE