Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER
Hollidays Weg � Der Weg eines Mannes...
21 downloads
1325 Views
627KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER
Hollidays Weg � Der Weg eines Mannes verläuft nach einem unwandelbaren Schema und ist vorgezeichnet bis zum letzten Tag. An diese Worte, die er irgendwann einmal hörte, muss Holliday jetzt denken. Kraftlos, innerlich ausgebrannt und ausgehöhlt liegt er in einem mächtigen Sessel seines Hotelzimmers in Tombstone. Es ist Nacht. Die Stadt ist still und ruhig. Beim O. K. Corral gab es Tote. Und Holliday glaubt nun, dass er seine letzte Aufgabe im Leben noch erfüllt hat. Ja, US Marshal Wyatt Earp blieb Sieger. Für das Cochise County wird nun eine neue Zeit beginnen. Die Anführer der »Wilden Horde«, die lange Zeit das gesamte County beherrschte, sind tot. Die Zeit der Gewalttaten, Überfälle und wilden Revolverkämpfe ist vorbei. Wyatt Earp aber lebt noch. Seine Brüder werden gesunden. Und für Wyatt Earps Sieg, der den Sieg von Recht und Gesetz bedeutet, hat Holliday gekämpft. Nun ist er zufrieden, auf eine bittere, grimmige und dennoch wohltuende Art zufrieden… Er bewegt sich nicht, als sich die Tür öffnet und Marshal Wyatt Earp eintritt. Das Zimmer ist dunkel. Nur von der Straße her fällt ein karger Lichtschimmer durch das Fenster. Die hohe Gestalt des berühmten Marshals tritt neben den Sessel. Holliday spürt die Hand des Freundes auf der Schulter. Sie haben noch nie gesagt, dass sie Freunde sind. Aber sie haben es immer gespürt. Zwischen dem Marshal des Arizona-Territoriums und dem vom Tode gezeichneten Holliday gab es von Anfang an etwas Gemeinsames, was jedoch stets tief in beiden Männern verborgen blieb. »Ich danke dir, Doc«, murmelt Wyatt Earp. »Ohne dich…« »Du hast nichts zu danken, Wyatt, gar nichts! Dankbar bin ich. Es wäre schlimm für mich gewesen, dich tot am Boden liegen zu sehen. Denn du warst immer das für mich, was ich als Mann hätte sein sollen. Mein ganzes Leben ist sinnlos und nutzlos vertan. Die zweiundfünfzig Blätter des Kartenspiels und die beiden Colts waren der Inhalt meines Lebens. Ein heruntergekommener Gentleman aus dem Süden kann mächtig froh sein, wenn er am Schluss seines verpfuschten Lebens ein einziges Mal etwas tun kann, was ihm das Gefühl von Zufriedenheit und Stolz gibt. Ich hätte nicht ertragen können, dich besiegt zu sehen. Denn du bist das, was ich hätte sein können.« »Doc, du bist nicht am Ende«, murmelt Wyatt Earp. »Das Klima in Arizona ist gut für deine Krankheit. Ich habe dir niemals gesagt, dass du in meinem Herzen einen besonderen Platz hast. Aber jetzt bitte ich dich als Freund darum, aufzuhören mit
Kartenspiel und Whisky. Dann wirst du auch eine Chance bekommen.« »Es ist zu spät, mein Freund.« »Versuche es, Doc, mir zuliebe.« »Sicher, sicher, Wyatt. Aber ich bin jetzt müde – mächtig müde. Die Stadt ist heute so ruhig wie der Stiefelhügel dort draußen. Das schläfert ein. Wyatt, ich bin stolz, dass du mich deinen Freund genannt hast.« »Ich werde dich in den nächsten Tagen mit einem Wagen fortbringen, Doc. Irgendwo kenne ich im trockenen Hochland eine prächtige Ranch. Dort sind schon viele Kranke gesundet, die…« »Schon gut, Wyatt, schon gut. Wir werden morgen darüber reden, nicht wahr?« Nach diesen Worten ist es im dunklen Zimmer eine Weile still. Man hört nur die Atemzüge der beiden Männer. Wyatt Earps Druck auf Hollidays Schulter verstärkt sich etwas. Dann geht er langsam zur Tür und murmelt von dort: »Ja, mein Freund, wir reden morgen noch darüber.« Und dann schließt sich die Tür leise. Die Schritte des Marshals verstummen auf dem Gang. Doc Holliday aber beginnt zu husten. Es wird wieder einmal ein schlimmer Anfall, der ihn zum Schluss bewusstlos macht. Er erwacht erst Stunden später, aber es ist immer noch Nacht. Mühsam erhebt er sich und trinkt aus einer Weinflasche. Schwankend tritt er ans Fenster und späht zu den Sternen hinauf. Er atmet rasselnd und legt die Stirn gegen das Fensterkreuz. Nach einer Weile wendet er sich ins Zimmer, entzündet die Lampe und tritt damit vor den Spiegel. Er betrachtet sich lange. »Nun, Freund Wyatt«, murmelt er dann, »wir werden uns in diesem Leben nicht mehr sehen können. Ein Mann wie ich, der sollte seinen Freunden das Zusehen ersparen. Es sieht nicht gut aus, wenn ein Wrack wie ich das Ende erreicht. Jetzt beginnt meine allerletzte Pokerrunde. Die Chips sind verloren. Aber ich habe wenigstens lernen können, jede Entscheidung hinzunehmen.« Nach diesen Worten bewegt er sich mühsam durch das Zimmer. Er öffnet einen Schrank und beginnt sich umzukleiden. Seinen tadellos geschneiderten Anzug und sein vor Stunden noch blütenweißes Seidenhemd vertauscht er gegen die abgerissene Tracht eines Cowboys. Er fand sie bei seinem Einzug in diesem Schrank. Man hatte vergessen, sie zu entfernen. Als er damit vor den Spiegel tritt, kennt er sich kaum wieder. Die Kleidung schlottert um seinen knochigen und abgemagerten Körper. Er blickt in ein hohlwangiges und dunkles Gesicht, in dem die Augen seltsam glühen wie bei einem Fieberkranken. Dann schnallt er die beiden Schulterholster um, schiebt die großen Colts hinein und zieht die alte Cordjacke über. Unbemerkt verlässt er das Hotel. Im Mietstall schläft der Nachtmann in seinem Verschlag. Holliday sattelt ein Pferd, füllt eine Wasserflasche, hängt sie ans Sattelhorn und lauscht nochmals auf die Schnarchtöne des Nachtmannes. Bevor er sich mühsam in den Sattel zieht und aus dem Stall reitet, legt er einen Hundertdollarschein auf die Futterkiste und heftet ihn mit einem alten Hufnagel fest. Dann reitet er langsam aus der Stadt hinaus – weit vorgeneigt, müde, kraftlos und einsam – sehr einsam. Er ist ein Mann, der nach einem stillen Ort Umschau halten will, wo er während der letzten Stunden nicht gestört werden kann. Er hat die feste Überzeugung, dass er nun bald
am Ende seiner Fährte sein wird. Und er verspürt keine Trauer darüber. Alles, was er spürt, ist die tiefe Bitterkeit darüber, dass er aus seinem Leben nichts anderes zu machen vermochte. Und so reitet er in die Nacht hinaus. Es geht niemanden etwas an, so denkt er, wie J. H. Holliday endet. *** Er reitet zwei Tage im Schritt und hält sich zusammengesunken im Sattel. Die kalten Nächte verbringt er an großen Feuern. Es steckt noch ein letzter Rest von Kraft in seinem knochigen Körper. Obwohl er im Sattel manchmal das Bewusstsein verliert, fällt er nie. Und wenn der neue Tag heraufzieht, bleibt er in seinen Satteldecken liegen, bis die Sonne heiß zu brennen beginnt. Am dritten Morgen, glaubt er, sich nicht mehr erheben zu können. Er hat ja die beiden letzten Tage nur von Wasser gelebt. Er wundert sich darüber, dass er überhaupt so weit kommen konnte. Natürlich hat er längst die Poststraße verlassen und ist nordwärts geritten. Nun befindet er sich in einem Nebental des San Pedro Valley. Aber er glaubt immer noch, dass er nicht weit genug von den Wagenwegen oder Ortschaften entfernt ist. Trotz seiner tiefen Resignation und der gleichgültigen Gewissheit, dass es bald mit ihm zu Ende sein wird, möchte er doch einen schöneren Platz finden. Seine Krankheit scheint ihm auch nochmals eine letzte Frist zu geben. Wenn er nicht so lange ohne Nahrung wäre, würde er sich sicherlich besser fühlen als während der letzten Zeit. Mühsam erhebt er sich endlich und schwankt zur Wasserstelle. Er löscht seinen brennenden Durst, und es ist eigentlich schon sehr, sehr lange her, dass er einfaches Wasser getrunken hat. Dann sitzt er eine Weile auf einem Stein in der Sonne. Er hört auf zu frösteln. Etwas Wärme durchströmt seinen ausgemergelten Körper. Man könnte ihn wirklich für einen alten Mann halten, wenn sein Haar nicht noch voll und nur an den Schläfen etwas grau wäre. Er ist nicht älter als vierunddreißig Jahre. Das Pferd kommt herbei. Es ist ein altes, ruhiges Tier. Sanft stößt es ihn an und bläst ihm ins Gesicht. Er überlegt, ob er nochmals den Sattel so hoch heben kann. Aber als er es versucht, gelingt es ihm wider Erwarten gut. Erstaunt denkt er darüber nach. Was ist mit ihm? Ist er gar nicht so krank, dass er es nötig hat, nach einem einsamen Ort zu suchen, an dem er sein Ende erwarten kann? Sollte es wieder einmal – wie schon so oft – so sein, dass in ihm nochmals irgendwelche Kräfte des Widerstandes aufflackern, so wie an jenem Tag, als er mit den Earps zum O. K. Corral schritt? Da war plötzlich auch eine wunderbare Kraft in ihm. Er konnte nochmals kämpfen wie ein Mann. Und wenn sein ganzes Leben auch von Anfang an durch seine Schuld verpfuscht war – kämpfen konnte er immer wie ein Mann. In dieser Hinsicht war er nie ein Schwächling. Nach einer Weile ist er fertig. Er sitzt auf und reitet weiter. Er hält auf die mächtigen Tafelberge zu, die vor ihm liegen. Der kaum erkennbare Weg führt in eine Schlucht. Später erweitert sich diese Schlucht zu einem Kessel. Ein kleiner Wasserfall rauscht von einer Felswand nieder. Viele Tierfährten verraten, dass hier kaum Menschen jagen. Es gibt hier Bäume, Büsche und saftiges Gras. Und zu einer
der Mesas führen sanfte Terrassen hinauf. Sein Blick will schon nach einem Aufstieg zu forschen beginnen, als er die helle Plane eines Wagens zwischen Bäumen und Büschen durchschimmern sieht. Er stößt einen ärgerlichen Laut aus und reitet weiter. Der Weg führt dicht an dem Planwagen vorbei. Der steht einsam und wie verlassen zwischen den Bäumen und dicht an dem kleinen Teich, der vom Wasserfall ständig gespeist wird. Die beiden Zugpferde bewegen sich in den Büschen. Sie müssen sehr hastig ausgespannt worden sein, denn das gesamte Geschirr liegt unordentlich unter der Wagendeichsel am Boden. Holliday will schon weiter, aber dann verspürt er doch ein starkes Interesse. Er wundert sich darüber, folgt jedoch seinem Drang und reitet langsam zum Wagen hinüber. Als er verhält, hört er die gepresste Stimme einer Frau aus dem Wagen heraus sagen: »Wer auch gekommen sein mag – wer es auch sein mag! Wenn dort draußen ein Mensch ist, so wird er wohl barmherzig genug sein und mir helfen. Hören Sie mich?« Holliday antwortet nicht sofort. Aber dann murmelt er. »Ich höre Sie, Ma’am. Was ist mit Ihnen?« »Ich bekomme ein Kind. Ich bin ganz allein in dieser Wildnis und bekomme ein Kind. Oh, wenn Sie ein barmherziger Mensch sind, dann helfen Sie mir.« Holliday sinkt mehr als zuvor in sich zusammen. Ein seltsamer Laut kommt über seine blutleeren Lippen. Es dauert eine Weile, bis er alles richtig begriffen hat. Er reitet langsam zur Hinterseite des Wagens, beugt sich aus dem Sattel und zieht die Plane zur Seite. Die junge Frau, die dort drinnen in den Wehen liegt, erschrickt bei seinem Anblick. Er kann es erkennen. Langsam und schwer sagt er: »Tut mir Leid, dass gerade ich Sie finden musste. Ich hätte Ihnen gewünscht, dass ein besserer Mann Sie gefunden hätte – noch besser eine gute Frau. Aber wenn Sie Vertrauen zu mir haben, so möchte ich Ihnen gerne helfen. Früher war ich mal Doktor der Zahnmedizin. Ich bin also kein richtiger Arzt. Und doch kann ich Ihnen bessere Hilfe leisten als ein zufällig hier vorbeikommender Satteltramp.« Sie betrachtet ihn aus großen Augen. Er kann erkennen, dass sie starke Schmerzen hat und es wirklich allerhöchste Zeit ist. In diesen Sekunden vergisst er alles, was mit ihm und seinem vermeintlichen letzten Weg zusammenhängt. Er hält es für eine tatsächliche Fügung, dass sein Weg ihn hier an diesen Ort geführt hat. Die junge Frau betrachtet ihn trotz aller Not und Schmerzen forschend. Plötzlich lächelt sie auf eine seltsame Art. »Sie sind gut«, murmelt sie gepresst. »Ich spüre, dass Sie gut sind. Und ich vertraue Ihnen! Bitte, helfen Sie mir.« »Danke«, krächzt er. »Ich danke Ihnen, dass ich helfen darf.« Dann sitzt er ab. Eine wunderbare Kraft durchströmt ihn. Es erscheint ihm wichtiger als bisher alles auf der ganzen Welt, dieser Frau zu helfen. Und es erscheint ihm auch ein guter Abschluss zu sein, einem neuen Erdenbürger zu einer Chance zu verhelfen. Er arbeitet sofort umsichtig. Zuerst macht er ein Feuer an. Er findet einen Kochkessel und ein eisernes Dreibein. Als er dafür gesorgt hat, dass bald heißes Wasser zur Verfügung sein wird, klettert er mühsam in den Wagen hinein. Er fürchtet sich davor, husten zu müssen. Aber er muss es nicht. Schon zwei Stunden quält ihn seit langer Zeit kein Husten mehr.
* * * Auch am nächsten Tag, als er nach einigen Stunden Schlaf erwacht, fühlt er sich so wohl wie seit langer Zeit nicht mehr. Er hatte aber auch am Abend zuvor reichlich gegessen. Dann, als er das Kind ins Leben holte und das dünne Stimmchen hörte, wurde ihm bewusst, dass zwei Menschen seine Hilfe brauchen und ohne ihn sicherlich verloren wären. Ein Mann aber, der Pflichten hat, kann nicht einfach aufgeben und an seinen baldigen Tod denken. Es war wie vor wenigen Tagen, als die berüchtigten Revolvermänner und Banditen beim O. K. Corral auf die Earps warteten. Damals brauchten die Earps Doc Hollidays Hilfe. Und er ging mit ihnen und kämpfte, so, als wäre er nicht vom Tode gezeichnet und nur noch ein ausgebranntes Wrack. Er erhebt sich. Das Feuer ist niedergebrannt. Er entfacht es neu und hängt den Kaffeekessel darüber. Dann tritt er zum Wagen und späht hinein. Ann Worth blickt ihn aus ihren großen Augen an und lächelt glücklich und dankbar. Sie hat dunkelblaue Augen. Ihr gelöstes Haar ist etwas wirr. Es ist so gelb wie reifer Weizen. »Wie geht es?«, fragt er sanft. »Prächtig, Jim! Ich bin glücklich und froh. Jimmy hat vor einer Stunde Hunger gehabt und laut gekräht. Ich habe ihn satt bekommen. Jetzt schläft er wieder. Sie sind ein guter Mann, Jim Miller.« Holliday lächelt verlegen. Er hatte ihr nicht seinen richtigen Namen, sondern einen falschen genannt. »Sie gaben Ihrem Sohn meinen Vornamen?« »Ja, Jim. Ich nenne ihn so.« »Nun gut«, murmelt er. »Ich mache Frühstück.« Verwirrt geht er davon. Und wenn er im Laufe des Tages husten musste, entfernt er sich ein Stück, sodass die junge Frau im Wagen es nicht hören muss. Er weiß inzwischen auch darüber Bescheid, wie Ann Worth in diese Situation geraten ist. Vor Monaten ist ihr Mann losgeritten, um eine kleine Ranch zu erwerben. Ann blieb derweil bei ihrer alten Tante. Und dann kam die Nachricht, dass Sam Worth eine Ranch gefunden und günstig erworben hatte. Sein jüngerer Bruder, mit dem er damals fortgeritten war, brachte diese Nachricht und hatte den Auftrag, Ann zu holen. Sie brachen mit diesem Wagen auf und waren sehr viele Tage unterwegs. Aber unterwegs trafen sie auf Banditen, die es auf Geld und Waffen abgesehen hatten. Anns junger Schwager war ein stolzer Texaner. Er kämpfte und wurde getötet. Der jungen, hochschwangeren Frau aber taten die Banditen nichts. Und so war Ann Worth schon eine ganze Woche allein unterwegs. Die schwere und ungewohnte Arbeit mit dem Gespann und all die anderen Mühen, die eine solche Fahrt durch raues Land mit sich brachte, bewirkten dann, dass das Baby früher kam. Aber da kam Doc Holliday wie durch eine Fügung des Schicksals, das Ann Worth gnädig war. Ja, Holliday weiß Bescheid. Und weil das alles so ist, strömt eine neue und fast wunderbare Energie durch seinen ausgemergelten Körper. Er denkt nun nicht mehr daran,
aufzugeben und seiner Krankheit zu erliegen. Dort ist eine junge Frau mit ihrem Kind. Sie brauchen ihn. Sie sind auf seine Hilfe angewiesen. *** Drei Wochen später sind sie am Ziel. Und jener Mann, der sich jetzt Jim Miller nennt, hat sich sehr verändert. Oh, er wirkt immer noch ausgemergelt und krank, hohlwangig und müde. Und doch verrät sein Blick eine gewisse Freude am Leben. Seine knochigen Schultern sind gerader geworden. Er hält sich besser. Und es scheint sogar, als hätte er in den letzten drei Wochen einige Pfund an Gewicht zugenommen. Seit einer Woche quält ihn der Husten nur noch in den kalten Nächten. Aber die trockene Luft und die Wärme des Hochgebirges haben ihm etwas geholfen. Seit drei Wochen hat er nicht geraucht. Er hat keinen Tropfen Alkohol getrunken und jede Nacht geschlafen. Die Bewegung in der guten Luft und sein Wille zum Durchhalten – alles scheint zusammengewirkt zu haben. Ann Worth sitzt neben ihm auf dem Fahrersitz und hält ihr Baby im Arm. Die Blässe ist schon etwas aus ihrem Gesicht verschwunden, und wenn Holliday sie manchmal kurz von der Seite betrachtet, dann wird er sich darüber klar, welchen erfreulichen Anblick diese junge Mutter bietet. Nun, sie sind also am Ziel. Auf der letzten Terrasse eines Passes halten sie an und blicken in ein mächtiges Tal hinunter. Es ist ein gewaltiges Becken mit grünen Weiden, Bächen, Waldstücken und Canyons und Hügeln. »Hier muss es sein«, murmelt Holliday. »Dort liegt eine sehr kleine Stadt. Es sind wohl nicht mehr als zwölf Häuser. Und überall in weiter Ferne liegen Ranches. Es muss das Oase Valley sein, Ann.« »Yeah, Jim! Und bald werden wir angelangt sein. Sam hat seinen Bruder verloren – aber ich bringe ihm einen Sohn mit. Oh, endlich kann ich wieder bei Sam sein!« Holliday nickt. Langsam fährt er zum Tal hinunter. Die Bremsen des Wagens kreischen manchmal. Später, es ist schon Nachmittag, erreichen sie den Talgrund und halten im knietiefen Wasser eines Creeks. Die Tiere trinken, und auch Holliday schöpft für Ann und sich Wasser. Er gießt einige Eimer Wasser auf die noch über dem Wasserspiegel liegenden Bremsen. Als er dann zum anderen Ufer fahren will, tauchen dort zwei Reiter auf. Es sind Männer, die wie Cowboys gekleidet sind. Langsam kommen sie herangeritten, halten neben dem Wagen im Wasser an und betrachten Holliday, die Frau und das Kind. Es sind scharfgesichtige Männer mit wachsamen und kühlen Augen. Sie greifen an die Hutkrempen, und einer fragt lässig: »Wohin?« »Sam Worth hat hier eine Ranch gekauft«, murmelt Holliday. »Es wäre freundlich, wenn Sie mir den Weg beschreiben könnten.« Die beiden Männer betrachten ihn nun noch schärfer. Dann starren sie Ann seltsam an. Endlich fragt einer: »Ist das Sam Worths junge Frau? Er sprach davon, dass sie eines Tages hier eintreffen würde.« »Das ist Ann Worth«, murmelt Holliday, und er hat kein gutes Gefühl. »Tut uns Leid, Lady«, sagt der Mann. Und nun nimmt er sogar den Hut ab. Sein
Gefährte tut es ihm nach. Dann deutet er zu den fernen Hügeln hinüber und murmelt zögernd: »Die Ranch liegt dort drüben. Fünf Meilen von hier zweigt ein schmaler Pfad von dieser Passstraße ab. Aber es lebt niemand mehr auf dieser Ranch.« »Das ist nicht wahr! Sam Worth muss dort sein!«, ruft Ann voller Bestürzung. Die Reiter zögern. Schließlich murmelt einer: »Er ist auch noch dort, Ma’am. Als man ihn fand, begrub man ihn unter dem Baum, an dem er…« Und nun verstummt der Mann jäh, blickt seltsam starr in Anns bleich gewordenes Gesicht und stößt dem Tier die Sporen in die Seiten. Sein Gefährte folgt ihm. Sie reiten schnell davon. Es sieht fast wie eine Flucht aus. Ann Worth aber weint. Sie hält ihr Kind an sich gedrückt und weint auf eine bittere und lautlose Art. Holliday legt den Arm um sie. Mehrmals setzt er an, um etwas zu sagen. Aber es gelingt ihm nicht. Dann fährt er an. Und er ahnt schon, dass Ann und Jimmy jetzt seine Hilfe auch weiterhin sehr, sehr nötig haben. Aber wird er ihnen helfen können? Es sieht nämlich für ihn so aus, als hätte es hier einen schlimmen Verdruss gegeben. Wenn es aber in einem Rinderland erst einmal Verdruss gibt, ist es immer eine schlimme Sache. Holliday kennt sich aus. Seine Wege waren rau und führten mitten durch die Hölle. Indes er das Gespann antreibt und die letzte Strecke des Weges zurücklegt, sind viele Gedanken in ihm. Besonders schlimm für ihn ist jedoch das unterdrückte Weinen der jungen Frau. Unwillkürlich seufzt er. »Ann«, murmelt er, »das Leben kann mächtig schlimm und erbarmungslos sein. Wer sich unterkriegen lässt, ist verloren. Ich, ich ließ mich damals unterkriegen. Und jetzt bin ich ein trauriges Wrack. Du hast einen Sohn, Ann Worth, nicht wahr? Als ich damals meinen Zusammenbruch erlebte, hatte ich nichts, was mir lieber war als das eigene Leben. Ich hatte nichts, was mich dazu zwang, aufzustehen und es nochmals zu versuchen – immer wieder. Ich war ein Schwächling und ließ mich treiben. Wenn ich nochmals beginnen könnte, nun…« Er verstummt bitter und wischt sich über sein hohlwangiges Gesicht. »Zerbrich nicht, Ann«, sagt er dann rau. »Wenn ich noch eine Weile deine Hilfe habe, Jim, werde ich sicherlich nicht zerbrechen«, murmelt sie hoffnungsvoll und sieht ihn an. Ihre Augen sind noch nass. Auf ihren glatten Wangen brennt eine hektische Röte. Ihre Unterlippe zittert. Und Holliday wird sich wieder einmal bewusst, dass sie ihm gefällt. Sie ist nicht ausgesprochen schön – aber sehr anziehend und prächtig. Sie ist eine junge Frau, die einem Mann höchstes Glück schenken kann und seine Jahre zu erfüllen vermag mit allen guten Dingen. »Es ist ein Wunder«, krächzt er, »dass ich noch lebe. Ich habe die letzten zehn Jahre meines Lebens an Spieltischen verbracht. Ich habe Nacht für Nacht in Saloons und Spielhallen gesessen. Mein Leben war ausschweifend, und es hat mich ruiniert. Erwarte nur nicht zu viel von mir, Ann. Ich kann ein Kartenspiel mischen und austeilen. Und ich kann mit einem Revolver umgehen. Wenn ich ein Loch graben müsste oder Holz spalten oder irgendeine leichte Arbeit verrichten, die ein Knabe erledigen könnte, würde ich bald zusammenbrechen. Ann, du hast keinen besonders tüchtigen Freund gefunden. Setze
deine Chips nur nicht auf mich.« »Du bist gut, Jim. Und du wirst gesund werden, ganz bestimmt! Schon jetzt wirkst du besser als vor drei Wochen. Als du damals in den Wagen blicktest, erschrak ich furchtbar. Du sahst aus wie der Tod.« »Und jetzt hast du dich an mich gewöhnt?« »Jim, ich habe dich gern – wie einen großen Bruder.« Dann schweigen sie. Der Wagen rollt seinem Ziel zu. Manchmal fahren sie an grasenden Rinderrudeln vorbei, die zumeist den Hackmesser-Brand tragen. Es sind aber auch Tiere mit anderen Brandzeichen darunter. Holliday richtet sich plötzlich straffer auf und nimmt die Zügel fester in seine knochige, fleischlose und dennoch sehr geschmeidige Hand. »Nun, Ann«, sagt er, »wir werden es schon schaffen. Dein Mann hat hier eine Ranch erworben. Und es ist ein Erbe da, ein Sohn. Wenn Sam im Himmel einen guten Platz bekommen hat, kann er jetzt auf uns niederblicken. Und er soll sich keine Sorgen machen müssen. Er ist nicht mehr da. Aber er hat einen Sohn. Vielleicht kann ich dir noch eine Weile behilflich sein, Ann. Kopf hoch, Mädel! Wer aufgibt und seinem Kummer erliegt, der kommt nicht wieder auf die Beine.« Ann Worth erwidert nichts. Aber sie blickt fest und jetzt mit klaren Augen auf die näher gerückten Hügel. Das Kind in ihrem Arm schläft ruhig und schmatzt manchmal im Schlaf. Als dann der Wagen über eine Bodenwelle rollt, erblicken sie die Ranch zum ersten Mal. Es ist keine große Ranch. Sie besteht nur aus einigen Corrals, einem Blockhaus und Schuppen, Stall und einer erst halb fertigen Scheune. Aber sie liegt an einem Bach und ist von einigen Bäumen umgeben und beschattet. Aus dem Schornstein des Blockhauses quillt etwas Rauch. Die Geräusche des Wagens locken einen Mann ins Freie. Aber als Holliday den Wagen zwischen den Corrals hindurch in den kleinen Hof lenkt, sieht er, dass der Mann nur ein abgerissener, schmutziger und hässlicher Junge von etwa siebzehn oder achtzehn Jahren ist. Dieser Bengel hält ein Stück Fleisch in der Hand, kaut an einem Bissen und starrt die Ankömmlinge aus schwarzen, misstrauischen Augen unruhig an. Holliday hält den Wagen an und blickt auf den Bengel nieder. »Ist das Sam Worths Ranch, Junge?« »Was geht Sie das an?«, fragt der Bengel und reißt mit langen gelben Zähnen ein neues Stück Fleisch von dem großen Stück, das er in der Hand hält. Er trägt auch einen Colt, und er wirkt so verwildert und gefährlich wie ein junger Wolf. »Das ist Mrs. Worth, mein Junge«, murmelt Holliday sanft und geduldig, denn er weiß, dass es zwecklos ist, hier rau zu werden. Er ist ein kranker Mann. Dieser Junge könnte ihn mit einem einzigen Hieb von den Beinen schlagen. Der Lümmel starrt Ann lange an und vergisst dabei sogar das Kauen. Aber dann zeigt er, dass er Frauen gegenüber wohl doch noch jene Art von Respekt und Achtung aufbringt, die in diesem Lande Sitte sind. Er greift langsam an den Hut. »Yeah«, sagt er, »dies ist Sam Worths Ranch. Ich habe ihn dort drüben unter den Cottonwoods begraben.« Ann und Holliday blicken hinüber. Dann klettert Ann langsam mit dem Kind im Arm vom Wagen und geht hinüber. Holliday folgt ihr nicht. Er hat das Gefühl, als möchte Ann erst einmal allein dort drüben sein. Er sieht dann, wie sie niederkniet. Und sie scheint zu
sprechen. Aber sie wirkt gefasst und beherrscht. Ihr Schmerz und ihre Not sind sicherlich sehr groß. Holliday atmet langsam aus. Doch dann überfällt ihn einer jener schlimmen Hustenanfälle. Er wendet sich ab und geht bis zur Ecke des Hauses. Als er vorbei ist, stützt er sich erschöpft an die Hauswand. Der Junge sagt hinter ihm: »Diesen Husten kenne ich, Mister. Mein Vater hatte ihn auch und meine Brüder ebenfalls. Vielleicht werde ich ihn eines Tages ebenfalls bekommen, obwohl dieses Land hier mit seinem trockenen Klima gut für…« »Junge«, keucht Holliday erschöpft, »was tust du hier, und wie ist Sam Worth gestorben?« »Ich bin Cole Twist, Mister. Sam Worth gab mir Arbeit. Er war gut zu mir. Vorher hatte ich es bei allen anderen Ranches hier im Tal versucht. Aber erst hier bei Sam Worth bekam ich eine Chance. Aber dann war es auch damit zu Ende. Als ich vor etwa drei Wochen von der Weide heimgeritten kam, hing Sam Worth dort an jenem Baum.« »Und wer tat es, Cole?« Der Junge zieht die schmalen Schultern hoch. »Das ist eine schlimme Weide hier, Mister«, murmelt er heiser. »Es wird hier viel Vieh gestohlen. Nachtreiter sind manchmal unterwegs. Man erzählt sich, dass die großen Ranches…« Er verstummt und knurrt aufsässig: »Finden Sie doch selbst alles heraus, Mister!« »Stahl Sam Worth Vieh?« Bei dieser Frage lacht Cole Twist bitter und freudlos auf. »Darauf kommt es doch gar nicht an! Hier auf dieser Weide gibt es Burschen, die sich für Halbgötter halten. Und es gibt Vigilanten, die in dunklen Nächten reiten.« Holliday seufzt und setzt sich langsam auf die Bank, die hier an der Hauswand steht. Er legt seine Hände auf die Knie und blickt ins Leere. Der Junge braucht ihm gar nicht mehr zu erzählen. Holliday weiß schon einigermaßen Bescheid. Dieser raue Stil ist ihm nicht neu. Er fragt: »Wer ist denn hier auf dieser Weide der große Bursche, mein Junge?« »Sie denken gut und schnell.« Cole Twist grinst. »Der große Mann ist Joshua Brackett. Gegen ihn sind alle anderen Männer hier so klein wie Mäuseriche. Sie leben in seinem Schatten und führen seine Befehle aus. Und wer das nicht tun will, ist gegen ihn. Verstehen Sie das?« »Genau«, nickt Holliday. »Wer nicht für Joshua Brackett ist oder sich seine Selbständigkeit erhalten möchte, ist sein Feind.« »Da kennen Sie auch schon die ganze Geschichte, Mister.« »Hatte Sam Worth Streit mit Joshua Brackett?« Cole Twists Augen werden nun noch unruhiger als zuvor. Sein Blick irrt zur Seite. »Bracketts Leute fanden ein Kalb, das Sam Worths Brandzeichen trug. Aber das Muttertier trug Bracketts Hackmesser-Brand. Joshua Brackett schickte seinen Vormann Mingo Skip zu Sam Worth. Und als Mingo Skip mit Sam Worth fertig war, lag Sam Worth drei Tage im Bett und konnte sich nicht bewegen. Seine Frau hätte ihn wohl nach zwei Wochen noch nicht wiedererkannt. Später wurde dann auf Joshua Brackett geschossen. Der Schütze hatte sich in die Nähe der Brackett Ranch geschlichen und mit einem guten Gewehr aus dunkler Nacht auf ein erleuchtetes Fenster geschossen, hinter dem Joshua Bracketts Schatten zu erkennen war. Aber er verwundete ihn nur leicht. Einige Tage danach ritten wieder einmal die Vigilanten. Sie zerstörten zwei Siedlerhäuser
am Crook Creek, hängten drei Viehdiebe auf, die sie beim Rinderstehlen erwischten, und kamen dann zu Sam Worth. Jetzt habe ich Ihnen eine ganze Menge berichtet, Mister. Muss ich jetzt meine Sachen packen? Ich bin hier auf der Ranch geblieben, weil hier noch Lebensmittel vorhanden waren und…« »Du kannst bleiben, Cole, wenn du arbeiten willst. Hast du keine Furcht?« »Mächtig«, sagt der Junge. »Bisher war ich Joshua Brackett nicht wichtig genug. Wahrscheinlich hat er mich vergessen. Ich bin ja nur ein Satteltramp. Wenn ich ihm oder seinem Vormann begegnen sollte, werden sie sich wohl wieder daran erinnern, dass es mich hier auf dieser Weide noch gibt. Dann werden sie mich zum Teufel jagen.« »Und du würdest verschwinden?« Die Augen des Bengels werden wieder unruhig. Er hebt die mageren Schultern und lässt sie sinken. »Ich bin mein ganzes Leben lang herumgestoßen worden. Es macht mir nichts mehr aus. Ich weiß nicht, wer Sie sind, Mister. Aber Sie sehen nicht so aus, als könnten Sie mehr tun, als in der Sonne sitzen.« Holliday nickt bitter. Dann erhebt er sich und geht langsam zu Ann hinüber, die mit ihrem Baby jetzt am Fuß des Grabes steht. Er legt ihr sanft die Hand auf die Schulter. »Vielleicht wäre es doch besser«, murmelt er nach einer Weile, »wenn du mit dem kleinen Jimmy in ein anderes Land gingest, Ann. Denn hier müsste Jimmy im Schatten eines Halbgottes aufwachsen, der alles, was nicht auf seiner Seite steht, in den Boden stampft. Wenn Jimmy groß genug ist, um begreifen zu können, wer hier begraben liegt, wird er bald zu hassen beginnen. Dieser Hass wird sein Leben vergiften – und eines Tages wird Jimmy dann…« »Aufhören, Jim!«, sagt Ann scharf und blickt ihn fest an. Er betrachtet sie erstaunt, und dann begreift er, welche Veränderung jetzt in Ann Worth vorgegangen ist. Er kann nichts mehr an ihr erkennen, was weich und schwach ist. Er sieht in zwei feste und kühle Augen und bemerkt den harten, entschlossenen Zug um Anns Mund. Und da begreift er, dass Ann Worth nun genauso hart wie ein harter Mann ist. Das erschreckt ihn und macht ihn traurig. Aber sie sagt fest und spröde zu ihm: »Hier liegt mein Mann – und dies hier ist sein Sohn. Ich bin hier und bleibe hier. Und ich werde einen Weg finden, dass Jimmy eines Tages hier Rancher sein wird. Das ist unser gutes Recht.« Dann geht sie zum Haus hinüber und betrachtet Cole Twist. »Wenn du bleiben und arbeiten willst, dann lade den Wagen ab und schaffe alle Dinge ins Haus.« Cole Twist betrachtet sie seltsam. Dann tritt er einen Schritt vor und blickt auf das Baby in ihrem Arm nieder. »Als ich so klein war«, sagt er gepresst, »war mein Vater wieder einmal schlimm betrunken und fiel in einen Fluss. Und meine Mutter arbeitete zwanzig Stunden am Tag für ihre fünf Kinder. Sie konnte das nicht lange durchhalten. Wenn Sie nicht durchhalten, Ma’am, wird es diesem Kind eines Tages ebenfalls so ergehen wie mir. Mein Name ist Cole Twist. Ich arbeite für Sie, bis der großmäulige Joshua Brackett mich zum Teufel jagen wird.« »Das wird nicht geschehen, Cole. Oder hast du Unrecht getan?« Der Junge zuckt merklich zusammen. Sein Blick wird wieder unruhig. Und auf seiner Stirn erscheinen Schweißtropfen.
»Nein, nein, ich tat nichts Unrechtes. Aber darauf kommt es auf dieser Weide nicht an. Es genügt, wenn Joshua Brackett mich ansieht und ich ihm nicht gefalle.« Nach diesen Worten wendet er sich ab. »Bevor ich ablade, muss das Haus erst gesäubert werden, Ma’am.« *** Am anderen Morgen steht Holliday ziemlich spät auf, aber er fühlt sich sehr wohl und irgendwie kräftiger als sonst. Ann setzt ihm ein gutes Frühstück vor und beobachtet ihn. »Cole ist auf die Weide geritten«, sagt sie. »Irgendwo soll eine Milchkuh sein, die er in den Corral zurückbringen will. Er hat sie nach Sams Tod freigelassen. Ich glaube, Cole ist zwar ein wilder Junge, aber bestimmt nicht schlecht.« Holliday nickt kauend. Er wundert sich, wie beherrscht Ann zum Tagesablauf übergehen konnte. Obwohl gewiss der Schmerz tief in ihr brennt, lässt sie davon nichts erkennen. Nur ist sie bleich unter der braunen Hautfarbe. Unter ihren Augen sind dunkle Schatten. Wahrscheinlich hat sie überhaupt nicht geschlafen. »Ich werde mit dem Wagen in die Stadt fahren«, murmelt er. »Es wird gut sein, wenn du einige Hühner hast. Und wir werden auch noch einige andere Dinge nötig haben. Cole hat mir gestern berichtet, dass die Ranch etwa tausendfünfhundert Rinder besitzt. Wenn die Viehdiebe nicht zu schlimm waren, müssen noch eine ganze Menge davon übrig sein. Ich werde noch einen Reiter anwerben, denn ich selbst kann ja keine Cowboyarbeit verrichten. Ich war mein ganzes Leben lang ein Kartenhai und Revolverheld. Ich habe nichts gelernt, was jetzt nützlich wäre.« Er erhebt sich. Wie fluchtartig geht er hinaus. Aber als er den Wagen anspannt, kommt Ann und hilft ihm wie so oft während der langen Fahrt. »Ich habe von meiner Tante etwas mehr als tausend Dollar geerbt«, sagt sie dann. »Und ich glaube, das könnte bis zum nächsten Frühjahr reichen – selbst wenn du einen Reiter anwerben solltest.« Er lächelt seltsam. »Ann«, sagt er dann fest, »ich selbst habe mehr als siebentausend Dollar bei mir. Und ich zahle sie auf Jimmys Namen ein, wenn die Stadt hier eine Bank haben sollte. Das ist mein Patengeschenk. Ruhig, Ann! Ich brauche das Geld bestimmt nicht! Ich habe ein Recht darauf, Jimmy etwas schenken zu können.« »Ohne dich wären wir beide tot«, sagt Ann fest. »Das wollte ich nicht hören«, knurrt er, klettert mühsam auf den Fahrersitz und fährt sofort an. Ann Worth blickt ihm nach. Dann geht sie langsam zum Grab hinüber. Sie hält davor inne und sagt: »Sam, das Leben geht weiter. Ich werde dich immer lieben, Sam. Und du solltest dir keine Sorgen machen. Eines Tages wird dein Sohn hier Rancher sein. Und einen Freund habe ich gefunden, Samuel – einen guten, selbstlosen und treuen Freund. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen um uns zu machen.« Sie verstummt etwas gepresst und wischt sich über die Augen. Dann geht sie zum Haus zurück. Jimmy ist aufgewacht. Sie gibt ihm die Brust. Später bringt sie ihn in einem Korb ins Freie. Eine prächtige Birke spendet Schatten für ihn. Sie selbst aber sieht sich um und holt sich einen Spaten.
Denn sie will einen Garten haben mit viel Gemüse. Sie ist dabei, sich für ein ganzes Leben hier einzurichten. Und wenn eine Frau das tut, dann braucht sie einen Garten. In diesem Land ist das so. *** Es ist eine kleine Rinderstadt mit Holzhäusern und einer staubigen Hauptstraße, von der einige kurze Gassen abgehen. Am Stadteingang steht ein Schild. Oase Valley Die Stadt heißt genauso wie das große Tal hier. Holliday hat fast drei Stunden für die Hinfahrt gebraucht. Es ist nun schon Mittag geworden. Er lenkt das Gespann vor den Tränktrog eines Gemischtwarenstores und versorgt es. Vor dem Store sitzen einige Männer auf Fässern und Ballen. Sie beobachten den Ankömmling. Es sind Städter, und Holliday, der einen guten Blick für Menschen hat, würde jede Wette darauf eingehen, dass er es mit dem Storehalter, dem Bankier, dem Schmied und dem Fracht- und Postlinienbesitzer zu tun hat. Er nickt den Männern zu. »Ich bin Jim Miller, und ich kam mit Mrs. Worth und ihrem Baby. Wir werden die Worth Ranch bewirtschaften. Hier ist eine Liste von Waren und Gegenständen, die ich kaufen will. Und ich möchte mit siebentausend Dollar ein Konto eröffnen.« Die Männer betrachten ihn aufmerksam. Dann sagt einer: »Die Waren bekommen Sie von mir! Ich führe den Store und bin Pat Barley.« Er nimmt den Zettel aus Hollidays Hand. Sein Nachbar erhebt sich. »Ich leite die Bank – Emmet Lester ist mein Name. Das sind Thor Lamm, unser Schmied, und David Loke, der mit seiner Fracht- und Postlinie die Verbindung zur Außenwelt aufrechterhält. Gehen wir also in mein Büro, Mr. Miller.« Holliday betrachtet ihn noch einige Sekunden forschend. Er sieht einen kleinen, drahtigen und eisgrauen Mann mit Falkenaugen und einem listigen Ausdruck im Gesicht. Er ist gut und seriös gekleidet und trägt eine dicke Uhrkette quer über der Weste. Ganz im Hintergrund schlummert Härte in seinem Blick. Er folgt diesem Mann über die Fahrbahn zur Bank hinüber. Die drei anderen Männer sehen ihm nach. Endlich spuckt der Schmied über das Gehsteiggeländer und murmelt dann etwas bitter: »An diesem Wrack wird sich wohl niemand vergreifen. Und das ist wohl gut für Sam Worths Witwe.« Die anderen Männer nicken. Aber dann verzichten sie auf weitere Worte, denn am Eingang der in träger Mittagsruhe schlummernden Stadt tauchen jetzt vier Reiter auf. Der Storehalter zuckt leicht zusammen. »Oh«, sagt er, »da kommen einige Sattelstrolche. Das sind wieder welche von der wilden Horde. Und sie werden immer frecher. Jetzt kommen sie schon in unsere Stadt geritten.« »Es sind die McLane-Brüder und Johnny Powder«, knurrt der Fracht- und Postlinienbesitzer. »Das sind welche von jenen verdammten Burschen, die manchmal meine Postkutsche anhalten. Warum erwischt Joshua Brackett niemals solche Burschen?« Indes sind die vier Reiter bis in Höhe der Bank und des Store gekommen. Einer schwenkt ein und verhält vor den drei Männern. Er grinst scharf und voll böser
Vorfreude. Plötzlich hält er einen seiner beiden Colts in der Hand und lässt die drei Männer in die Mündung blicken. »Bleibt nur ruhig«, sagt er hart. »Es ist nur ein kleiner Spaß. Ihr könnt zusehen. Wenn sich einer von euch Opas bewegt, fange ich an zu schießen.« Die drei Männer, von denen keiner jünger als fünfzig Jahre ist, starren ihn bitter an. Sie sind unbewaffnet und haben sich auch noch nicht von der Überraschung erholt, dass richtige Banditen mit der Absicht in die Stadt gekommen sind, mehr als nur Whisky trinken zu wollen. Sie sehen auch, wie die drei anderen Reiter zur Bank einschwenken und davor absitzen. Mit langen Schritten verschwinden die drei Hartgesottenen durch die offene Tür. »Johnny Powder«, knurrt der Schmied, »das ist doch wohl kein Banküberfall?« »Doch, das ist es«, grinst der dunkeläugige und indianerhaft wirkende Bandit. »Es wird uns allmählich zu heiß auf dieser Weide. Wir haben uns auch mit unseren bisherigen Freunden gestritten und möchten uns verändern. Wir benötigen etwas Reisegeld.« Lässig spielt er mit dem Colt, grinst die drei Männer an und beobachtet dabei immer wieder mit scharfen Blicken die Straße und die Holzhäuser. »Joshua Brackett wird euch einfangen und aufhängen«, knurrt der Storehalter. »Jeder Mann im Land weiß, dass die Bank dort drüben in Wirklichkeit nicht Emmet Lester, sondern Joshua Brackett gehört. Er wird euch mit seinen Reitern bis ans Ende der Welt folgen und…« »Schon gut, schon gut, Opa!« Johnny Powder grinst und blickt über die Schulter zur Bank hinüber. Aber dort zeigt sich noch nichts. Es werden auch keinerlei Geräusche oder Laute hörbar. »Der großmächtige Joshua Brackett wird uns nicht einholen können«, sagt der Bandit dann. »Wir sind tüchtige Jungs, die alles gut vorbereitet haben.« Und dann schweigen die Männer und warten. Es dauert auch nicht mehr sehr lange, da kommen die drei Banditen mit gefüllten Leinenbeuteln aus der Bank heraus und schwingen sich auf ihre Pferde. In der Stadt hat immer noch niemand etwas gemerkt. Es ist so, als schliefe die ganze Stadt. »Komm, Johnny!«, ruft eine heisere Stimme herüber. »Bleibt nur friedlich«, knurrt Johnny Powder die drei Männer an. »Wenn ihr zu früh losbrüllt, schießen wir dieses Nest hier noch in Stücke.« Nach diesen Worten zieht Johnny Powder sein Pferd herum und will sich den drei Kumpanen anschließen. Da sieht er Holliday aus der Bank kommen, groß, hager, knochig und vornüber geneigt. Johnny Powder aber ist ein Mann, der Doc Holliday schon einmal in Tätigkeit gesehen hat und ihn jetzt wiedererkennt. Deshalb ruft er sofort schrill: »He, Jungs, da…« Und während er das ruft, deutet er mit dem Revolverlauf auf Holliday. Das aber hätte er nicht tun dürfen, denn Holliday lässt es nie zu, dass jemand mit einem Revolverlauf auf ihn zeigt. In seinen Händen tauchen plötzlich zwei Colts auf. Und dann beginnt er zu schießen. Die drei Männer vor dem Store sind immer noch erstarrt. Und selbst als die Sache vorbei ist, bewegen sie sich nicht. Aber vier Pferde rasen reiterlos davon.
Und vier Banditen liegen im Staub der Fahrbahn. Die Stadt aber wird nun mit einem Mal lebendig. Thor Lamm, der Schmied, aber ruft immer wieder schrill: »Habt ihr das gesehen? Habt ihr das gesehen? Diese Vogelscheuche dort drüben hat alle vier Hundesöhne von den Pferden geschossen!« *** Vier Stunden später kommt die Nachricht zu Joshua Brackett. Emmet Lester, der Bankier, bringt sie ihm selbst. In seinem leichten und vorzüglich gefederten Zweispänner kommt er in den Hof der großen Hackmesser-Ranch gerast und springt sofort heraus. Joshua Brackett, sein Bruder Hitt und der Vormann Mingo Skip sitzen auf der großen Veranda im Schatten und besprechen irgendwelche Dinge. Sie sehen dem Bankier schweigend entgegen. Der setzt sich, wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und berichtet dann. Und der für Joshua Brackett wichtigste Teil dieses Berichtes hört sich so an: »Die Banditen haben die Vogelscheuche von einem Mann nicht beachtet. Er zählte für sie gar nicht. Er musste nur die Hände heben und in die Ecke treten. Aber als sie das Geld eingepackt hatten und fertig waren, ging er sofort hinter ihnen hinaus. Und noch bevor ich ihm folgen konnte, krachten draußen schon die Schüsse. Er hat gewartet, bis sie in den Sätteln saßen. Weil ihre Pferde sofort zu tanzen begannen, konnten sie nicht so genau zielen. Er hat sie alle schwer angeschossen. Ich hörte die Schüsse unwahrscheinlich schnell krachen – ich meine, es gab kaum eine Pause zwischen den Schüssen. Später hörte ich dann von Pat Barley, Thor Lamm und David Loke, die alles genau beobachtet hatten und sich vor Staunen gar nicht rühren konnten, dass die vier Banditen eigentlich gar keine Chance gegen ihn hatten. Als sie nämlich erkannten, was ihnen drohte, war es für sie schon zu spät. Und jener Jim Miller soll während jener wenigen Sekunden vollkommen verändert gewirkt haben, gar nicht mehr wie ein ausgebranntes Wrack. Wir alle sind der Meinung, dass einer der ganz großen Revolvermänner zu uns ins Oase Valley gekommen ist. Johnny Powder ist dann bald gestorben. Und ob es alle drei McLane-Brüder überstehen werden, ist noch sehr zweifelhaft. Oh, ich stand dann neben diesem Jim Miller, als alles vorbei war und unsere kleine Stadt zum Leben erwachte. Er lud seine beiden Colts neu und dabei wirkte er so kraftlos und krank wie ein vom Tode gezeichneter Mann.« Nach diesem langen Bericht schweigt der Bankier. Er betrachtet Joshua Brackett. »Sam Worths Witwe ist also mit einem Baby ins Land gekommen und hat einen schlimmen Tiger mitgebracht«, sagt der Rancher. »Dein Bericht war sehr interessant, Emmet Lester. Hoffentlich hast du dich bei diesem Jim Miller auch bedankt. Wie viel Bargeld war denn vorhanden?« Emmet Lester schluckt und leckt sich über seine trockenen Lippen. »Außer den siebentausend Dollar, die Jim Miller einzahlte, hatte ich noch etwa Zwölftausend im Schrank.« Joshua Brackett nickt nachdenklich. »Lass dir in der Küche etwas zu essen geben, Lester. Und ich denke, dass ich nächste Woche mal die Bücher der Bank prüfen werde.« »Eine Kontrolle, Brackett?«
»Sicher. Das ist doch mein gutes Recht, nicht wahr? Schließlich gehört die Bank jetzt mir.« »Yeah«, knurrt Emmet Lester. »Du hast mich ruiniert. Du hast fast alle Siedler und Drei-Kühe-Rancher, denen ich Kredite gab, aus dem Land gejagt. Ich hatte keine Chance mehr, Kredite und Zinsen nach und nach zurückbekommen zu können. Du hast mich um meinen Verdienst gebracht. Alles, was ich investierte, war verloren. Und dann konntest du meine Bank übernehmen und mich zu deinem Angestellten machen.« »Ich war fair zu dir, Lester. Zu jedem, der zu mir hält und auf meiner Seite steht, bin ich fair. Ich zahle dir ein gutes Gehalt.« »Yeah«, sagt Emmet Lester tonlos. Er wendet sich ab, geht von der Veranda und quer über den Hof. Er verschwindet im Küchenhaus. Hitt Brackett und Mingo Skip beginnen auf eine harte Art zu grinsen. »Boss, er ist dein Feind«, murmelt der Vormann dann. »Er kann es nicht schlucken, dass er dein Angestellter wurde. Und er ist hergekommen, um uns eine schlechte Nachricht zu bringen. Das hat ihm Freude bereitet.« »Diese Ranch hat mit Sam Worths Tod nichts zu tun«, brummt Joshua Brackett. »Aber jeder Mensch im Tal glaubt es«, mischt sich Hitt Brackett lässig ein. »Wenn es mir zu bunt wird, werde ich selbst nach den Burschen zu suchen beginnen, die Sam Worth aufhängten«, erwidert Joshua Brackett grimmig. Er erhebt sich und tritt an die Verandabrüstung. Nachdenklich verharrt er so eine Weile. Dann wendet er sich plötzlich um. »Jemand hat ein Spiel in Gang gebracht«, sagt er dann trocken. »Jemand hat eine Idee ausgebrütet, wie er vielleicht meinen Skalp bekommen könnte. Der Überfall auf die Bank hat einen anderen Hintergrund, als es den Anschein hat. Aber ich kann warten. Bald werde ich etwas klarer sehen.« Er starrt seinen jüngeren Bruder Hitt an. »Du hast meine Befehle immer auf rauere und rücksichtslosere Art ausgeführt, als es notwendig war. Ich warne dich, Hitt. Ich werde dich nicht mehr decken, wenn du mehr tust, als notwendig ist. Und ich frage dich nochmals: Hast du etwas mit Sam Worths Tod zu tun?« Hitt erwidert seinen Blick ausdruckslos. »Trampel nur nicht zu sehr auf mir herum, Jo«, sagt er dann kalt. »Du hast auf deine Fragen schon eine Antwort bekommen. Ich werde immer tun, was nach meiner Meinung für diese Ranch gut und richtig ist. In diesem Land werden immer dann Vigilanten reiten, wenn ich es für richtig halte. Leite du deine Ranch. Für die anderen Dinge sorge ich. Und du fährst nicht schlecht dabei. Die Viehdiebstähle haben merklich nachgelassen. Und eine Menge Siedler und Drei-Kühe-Rancher haben aufgegeben und sind abgezogen. Ich bin ein Brackett, genau wie du. Unser Vater hat diese Ranch aufgebaut, eine mächtige, große und prächtige Ranch. Damals gab es noch keine anderen Weißen in diesem Land. Unser Vater kam her und nahm es in Besitz. Jo, du kannst Rinder züchten, so viel wie du nur willst. Und Mingo kann die Mannschaft führen. Aber ich wache darüber, dass niemand über unsere Grenzen kommt und dass die kleinen Burschen, die wir in unserem Schatten dulden, auch unsere Befehle annehmen. Ich erhalte unser Rinderreich und weiß, was ich zu tun habe.« Er verstummt. In seinen sonst so ausdruckslosen Augen, die nichts von seinen Gefühlen oder gar von seiner Seele widerspiegeln, ist jetzt ein fast fanatisches Leuchten.
Joshua Brackett betrachtet seinen wilden und hartgesottenen Bruder nachdenklich. »Ich habe dich gewarnt, Hitt. Ich bin der Boss. Alles, was du tust, geschieht in meinem Namen. Ich muss alles decken, was tu tust. Und du bist immer rauer geworden. Jetzt hörst du damit auf. Es wird ab heute nicht mehr geschehen, dass Vigilanten durch die Nacht reiten. Dieser Verein ist hiermit aufgelöst. Ich gebe dir keine freie Hand mehr. Du kannst Mel Larrimer und Kirby Overmile sagen, dass jede Ranch von nun an selbst für sich sorgt. Ich dulde kein Vigilantenkomitee mehr, das aus eigener Machtvollkommenheit richtet und bestraft. Bruder, ich habe dir zuviel Spielraum gelassen, als ich dich damit beauftragte, die Viehdiebstähle zu bekämpfen. Es sind mit den vielen Schuldigen sehr viele Unschuldige bestraft worden.« »Zu unserem Nutzen«, sagt Hitt scharf. »Wir haben die Siedler zum Teufel gejagt. Sonst hättest du bald erleben müssen, wie ihre Pflüge die freie Weide gefressen hätten.« »Ich habe dich gewarnt, Hitt. Mel Larrimer und Kirby Overmile sollen machen, was sie wollen. Aber die Bracketts laden nicht noch mehr Schuld auf sich. Das ist mein letztes Wort. Wenn du irgendetwas tust, wovon ich nichts weiß und wozu ich meine Erlaubnis nicht gegeben habe, dann jage ich dich zum Teufel!« Erst bei Joshua Bracketts letzten Worten schwingt all seine Kraft und Härte mit. Aber Hitt Bracketts Gesicht bleibt ausdruckslos. Er erwidert nichts. *** Zehn Meilen vor der Stadt wird Emmet Lester von der Dunkelheit überrascht. Er fährt vorsichtig durch einen Creek und hält sofort an, als er aus den Uferbüschen einen leisen Anruf hört. Ein Reiter kommt herausgeritten und drängt sein Tier dicht an den Wagen heran. »Lester, ich möchte es von Ihnen genauer hören«, sagt der Mann. »Und ich will auch wissen, warum Sie sofort die Stadt verlassen haben und zu Joshua Brackett gefahren sind.« Es ist eine harte und präzise Stimme, die Emmet Lester hört. Er kennt den Mann sehr gut. Sie sind Partner in einem Spiel – in einem verteufelt bösen Spiel. »Drango, Jack Drango«, murmelt Emmet Lester. »Ich habe aus der Sache gemacht, was ich konnte. Der Überfall auf die Bank hat nicht geklappt, weil deine Männer jenen Jim Miller nicht sonderlich beachtet haben. Gewiss, dieser Jim Miller wirkt wie ein menschliches Wrack und ist vielleicht auch eins. Aber er hat deine Jungs aus den Sätteln geschossen. Es ist ein erfahrener Wolf in unser Land gekommen. Es war ein dummer Zufall, der unser Spiel störte.« Jack Drango schweigt eine Weile. »Wir hatten den Hinterhalt gut gelegt«, murmelt er dann. »Wenn die beiden Bracketts mit ihren Reitern die Bankräuber verfolgt hätten, wären sie in eine Hölle geritten. Nun gut, vielleicht klappt es ein anderes Mal. Aber was nun, Lester?« »Das Spiel muss neu gemischt werden, Jack Drango«, flüstert Lester. »Und ich habe damit schon angefangen. Ich war bei den Bracketts und habe ihnen von dem neuen Mann erzählt, von Jim Miller. Es muss etwas geschehen, dass die Bracketts auf diesen Jim Miller losgehen. Dann wird Jim Miller Hilfe nötig haben. Er wird sie von Ihnen erhalten, Drango – bis es keine Bracketts mehr gibt. Dann besitze ich wieder meine Bank. Sie aber werden sich mühelos alle Rinder von dieser Weide holen. Und wenn alles vorbei ist,
kommen Siedler ins Land geströmt, kleine und fleißige Leute, denen ich Kredite geben kann und deren Arbeitskraft mir Profit einbringen wird. Die Bracketts müssen fallen. Mit ihnen fallen auch die beiden anderen Rancher Mel Larrimer und Kirby Overmile. Das ist unser Spiel, Jack Drango, nicht wahr? Wir brauchen Joshua Brackett nicht mehr in einen Hinterhalt zu locken. Ein Mann ist gekommen, der sich Jim Miller nennt und der in Wirklichkeit ein ganz Großer sein muss. Ich habe ihn kämpfen gesehen. Wenn die Bracketts auf die Idee kommen, Jim Miller wäre hergekommen, um Sam Worths Mörder zu finden, dann wird etwas geschehen. Ich habe die beiden Bracketts heute auf diese Idee gebracht. Joshua blieb ruhig. Aber Hitts Augen begannen zu glitzern. Wir werden sehen, Jack Drango. Das ganze Spiel kommt neu in Gang.« Nach diesen Worten wartet er keine weitere Erwiderung des berüchtigten Banditen und Viehdiebes ab, sondern hebt die Zügel an und fährt davon. Drango starrt ihm nach. Dann reitet er nordwärts auf die Bergkette zu. Dort öffnen sich die dunklen Riesenmäuler vieler Canyons und Schluchten. Irgendwo dort in den Bergen liegt Jack Drangos verstecktes Camp. Seine Unzufriedenheit legt sich etwas. Gewiss, er hat vier seiner besten Männer verloren. Er hat allen Grund, diesen Jim Miller zu hassen. Es wird auch ziemlich schwer für ihn sein, seine raue Mannschaft von Hartgesottenen von Jim Miller abzuhalten. Aber er wird es tun. Er hat Emmet Lesters Plan begriffen. Es ist ein einfacher Plan, und er geht davon aus, dass Jim Miller das Recht auf seiner Seite hat. Es ist ein ziemlich zufriedener Jack Drango, der jetzt wieder zu seinem Schlupfwinkel in den Bergen unterwegs ist. Denn dieser Mann weiß über viele Dinge gut Bescheid. Er ist über einige Vorfälle genauer informiert als Emmet Lester. Und er weiß, wer zuerst auf Jim Miller losgehen wird. Er weiß es, weil er Sam Worths Mörder kennt. Wenn dieser Jim Miller aber mit dem Mann fertig wird, nun, dann wird die Sache gut in Gang kommen. Warum? Nun, auch das ist einfach. Joshua Brackett wird den Tod seines Bruders Hitt bestimmt nicht hinnehmen. Er wird etwas tun, was selbst für einen Mann wie Joshua Brackett gefährlich ist. *** Auch Holliday, der sich jetzt Jim Miller nennt, erreicht erst nach Anbruch der Dunkelheit die kleine Worth Ranch. Ann und Cole erwarten ihn. Als er den Wagen anhält, bleibt er erschöpft und zusammengesunken auf dem Fahrersitz sitzen. Er hat Furcht davor, vom Wagen klettern zu müssen, denn er glaubt nicht, dass seine Beine ihn tragen können. Hinter ihm im Wagen gackern Hühner und schnattern Enten. »Es war ein langer Tag«, murmelt er schließlich gepresst. »Cole, du musst den Wagen ohne mich abladen.« Er versucht nun, vom Wagen zu steigen. Aber wenn Ann und Cole nicht zugegriffen
und ihn gestützt hätten, wäre er zusammengefallen. Sie führen ihn ins Haus und helfen ihm in einen bequemen Sessel dicht am Tisch. Ann bringt ihm Milch. »Wir haben jetzt die Milchkuh«, sagt sie. »Milch wird gut für dich sein, Jim. Du wirst jeden Tag zumindest zwei Liter Milch bekommen.« Ann bringt ihm dann das Abendbrot, aber er isst nicht viel, denn er ist zu erschöpft. Er trinkt noch zwei Glas Milch. Dann legt er die Bankurkunde auf den Tisch. »Das ist Jimmys Bankkonto«, sagt er. »Bevor ihr es vielleicht von anderen Leuten hören werdet, möchte ich euch sagen, dass ich vier Banditen von den Pferden schießen musste, weil sie mir das Geld abnehmen wollten, als ich es gerade einzahlte.« Ann blickt ihn verwundert an. Cole fragt ungläubig: »Vier Banditen?« »Yeah, mein Junge – ich hörte, dass es die McLane-Brüder und Johnny Powder gewesen sein sollen. Powder ist tot. Sie wollten die Bank gerade ausplündern, als ich meine Einzahlung machte. Vielleicht haben mich die Nachwirkungen dieses Kampfes so erschöpft.« Er stemmt sich am Tisch in die Höhe. Die Milch hat ihm wohl etwas Kraft gegeben. Er kann sich auf den Beinen halten und geht mühsam aus dem Raum. Ann und Cole sehen sich an. Dann flüstert der Junge: »Das kann doch nicht sein. Die McLane-Brüder sind so schlimm wie die Hölle. Und Johnny Powder ist ein übler Revolverheld, der schon mehr als ein halbes Dutzend Männer getötet hat. Es kann doch nicht sein, dass…« Er bricht ab und wendet sich zur Tür. Dort hält er inne und späht in den kleinen Hof. Holliday verschwindet soeben schwankend in seinem Quartier. Cole sieht Ann Worth an. »Ma’am, ich reite mal zur Stadt und lasse mir die Sache erzählen.« »Gut, Cole! Wenn du zurück bist, dann wecke mich. Klopfe ans Fenster. Ich will es wissen.« *** Es ist sechs Stunden später, als Ann durch Coles Klopfen geweckt wird. Und dann hört sie den Jungen seltsam schrill sagen: »Es stimmt, Ma’am! Er hat mit vier der schlimmsten Banditen und Revolverhelden gekämpft. Er hat sie aus den Sätteln geschossen, und sie konnten ihm nichteinmal ein Haar krümmen. Oh, wer mag er in Wirklichkeit sein?« »Ein guter Mensch«, erwidert sie schnell. »Cole, er ist ein guter Mensch, der daran glaubt, bald sterben zu müssen. Aber ich will das nicht. Ich will ihn aufrütteln. Er soll gegen seine Krankheit ankämpfen. Ich werde ihm immer wieder sagen, dass ich ihn brauche und ohne ihn verloren bin.« »Er muss ein Großer sein«, murmelt der Junge. »Wenn er gesund wäre, würde er die beiden Bracketts wie Käfer zertreten. Aber vielleicht wird ihn die Hackmesser-Ranch zu fürchten beginnen. Sie duldet keinen Großen innerhalb ihres Bannkreises. Hitt Brackett wird bald hier auftauchen und ihm Befehle erteilen. Wenn er sich beugt, wird er Frieden haben. Beugt er sich nicht – dann wird er zerbrochen. Hitt Brackett ist der Handlanger seines großen Bruders. Er wacht darüber und sorgt dafür, dass es außer Joshua Brackett in diesem Land keinen Großen gibt.«
Er verstummt mit einem pfeifenden Atemzug. Die Nacht ist nicht sehr hell, aber Ann kann die starke Erregung erkennen, von der Cole regelrecht durchgeschüttelt wird. Und weil sie eine Frau ist, deren Gefühle und Instinkt viel feiner als die eines Mannes sind, fragt sie plötzlich: »Cole, warum hasst du die Bracketts so sehr?« Er antwortet nicht gleich, sondern scheint nachzudenken. Vielleicht ist er überrascht oder betroffen darüber, dass man seine Gefühle so leicht erkennen kann. Schließlich knurrt er: »Sie halten sich für Halbgötter. Schon das allein ist Grund genug, sie zu hassen. Sie stoßen jeden anderen Mann aus dem Weg oder treten ihn in den Boden. Sie dulden nur Burschen in ihrer Nähe, die sich unterwerfen. Aber das ist noch nicht alles. Sam Worth war gut zu mir. Ich war nichts anderes als ein Herumtreiber. Nirgendwo fand ich einen Platz, wo ich bleiben konnte. Überall jagte man mich fort. Ich kam in dieses Land, weil ich davon hörte, dass es hier einige starke Banden von Viehdieben gibt. Ich wollte Anschluss an eine solche wilde Horde suchen. Denn ich wollte den Hass dieser Welt gegen mich mit noch böserem Hass erwidern. Ich wollte böse werden, weil niemand mir eine Chance geben wollte, gut zu werden. Aber dann kam ich zu Sam Worth. Er musste mich damals wohl sofort richtig eingeschätzt haben. Er musste erkannt haben, was in mir war. In ihm fand ich nicht nur einen Arbeitgeber, sondern einen fast väterlichen Freund. Bald begann ich ihn zu lieben. Ich fühlte mich hier gut aufgehoben und geleitet. Ich spürte, dass ich einen festen Platz in dieser Welt erreicht hatte, an dem ich verweilen und zu einem guten Mann werden konnte. Für mich war mit einem Mal alles klar und einfach. Der Weg meiner nächsten Jahre erschien mir genau vorgezeichnet. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich glücklich und sah zuversichtlich in die Zukunft. Ich wollte mich bewähren und etwas leisten, Sam Worths Anerkennung erringen und mit ihm und seiner Ranch größer werden. Aber dann zerbrachen ihn die Bracketts. Sie schickten Mingo Skip, der Sam Worth furchtbar zerschlug. Selbst als Sam Worth später wieder aufstehen und sich um seine Arbeit kümmern konnte, war er noch krank – innerlich. Er war zerbrochen worden. Da begann ich die Bracketts zu hassen, Ma’am.« Nach dieser langen Rede bricht er atemlos ab, wendet sich um und stolpert davon. Ann steht noch eine Weile unbeweglich am Fenster. Sie verspürt ein sehr unbehagliches Gefühl. *** Als Holliday sich am anderen Tag nach mehr als vierzehn Stunden Schlaf erhebt, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Er bekommt ein kräftiges Frühstück und fühlt sich danach so kräftig und wohl wie seit Jahren nicht. »Heute helfe ich dir, Ann«, sagt er. Sie nickt und lächelt wieder auf ihre gute Art. Ihr Gesicht ist von der Sonne noch tiefer gebräunt als zuvor. Ihre blauen Augen leuchten. Sie sagt: »Du musst viel Gemüse essen, Jim. Aber so schnell wächst das in meinem Garten nicht. Es gibt jedoch überall hier in der Umgebung Squaw-Kraut. Kennst du es?« Er schüttelt den Kopf. »Ich kenne alle Whisky- und Weinsorten. Ich kenne alle Glückspiele der Welt. Auch alle wilden Städte und ihre Saloons und Spielhöllen kenne ich.« »Ich werde dir das Squaw-Kraut zeigen«, sagt sie. »Man kann damit eine gesunde
Mahlzeit machen. Die Indianer halten es für sehr gesund.« Später wandert er dann wirklich mit einem Korb am Arm in der Umgebung der Ranch umher und bricht die Stängel jenes Krautes ab. Als er es dann ins Haus gebracht hat und wieder ins Freie treten will, sieht er zwei Reiter kommen. Langsam setzt er sich auf die Bank an der Hauswand und wartet. Die leichte Arbeit hat ihn wieder etwas erschöpft. Er wischt sich den Schweiß vom Gesicht und legt dann die Hände in den Schoß. Die beiden Reiter kommen langsam herbeigeritten und verhalten zehn Schritte vor ihm die Pferde. Ann kommt vom Garten her um das Haus herum. Sie hält ihr Baby im Arm. Die Besucher greifen an die Hüte. Sie sehen wie Rinderleute aus, sind bestimmt jedoch keine einfachen Cowboys. Sie sind mittleren Alters und wirken ziemlich hart und ledern. »Es soll ein nachbarlicher Besuch sein, Ma’am«, sagt einer von ihnen sanft. »Dann steigen Sie ab, Gentlemen«, erwidert Ann. »Wenn Sie frische Buttermilch mögen, so bekommen Sie diese.« »Danke, Ma’am, danke«, murmeln die beiden Besucher. Sie sitzen ab. Ann verschwindet im Haus. Die beiden Männer sehen Holliday an. Sie betrachten ihn etwas verwundert und ungläubig. »Sind Sie der Mann, der vorgestern die vier Bankräuber erledigte?«, fragt einer. »Ich hatte eine Menge Glück«, murmelt Holliday sanft. »Ich weiß gar nicht, wieso es kam, dass ich plötzlich so gut schießen konnte. Vielleicht war das nur Zufall.« Die beiden Männer erwidern auf diese Worte nichts. Sie betrachten ihn immer noch sehr scharf und verwundert. Ann kommt mit einem Tablett heraus, auf dem vier Gläser mit Buttermilch stehen. Die beiden Besucher nehmen dankend und trinken. »Ich bin Mel Larrimer«, sagt der eine. »Meine Topfhenkel-Ranch liegt zwanzig Meilen südwärts von hier. Wir wollten uns nur mal vorstellen. Dies hier ist Kirby Overmile. Seine O-im-Viereck-Ranch liegt etwa fünfzehn Meilen westlich. Es hat uns sehr gefreut, Ma’am. Wenn Sie mal irgendwelche Hilfe brauchen…« »Wir kommen schon zurecht, obwohl wir vorerst nur einen Reiter haben. Aber dieser Reiter sagte mir, dass viele von unseren Rindern abgewandert wären und sich auch viele Tiere der benachbarten Ranches auf unserer Weide befänden. Ich wäre den Gentlemen dankbar, wenn etwas Ordnung geschaffen würde.« »Das werden wir veranlassen, Ma’am.« Nach diesen Worten geben die beiden Rancher die leeren Gläser zurück und sitzen wieder auf. Sie betrachten Holliday nochmals sehr scharf und forschend. Dann richten sie ihre Blicke auf Ann. Kirby Overmile ist ein schweigsamer und verschlossener Typ. Mel Larrimer gibt sich offener. Er ist nicht groß, aber sehr drahtig und beweglich. Er trägt einen blonden Bart und hat flinke Augen. Er sagt vom Pferd herunter: »Tut uns Leid, dass Sie Ihren Mann verloren haben, Ma’am. Aber diese Weide ist sehr rau.« »Mein Mann war nie und nimmer ein Viehdieb. Er wurde ermordet.« Sie sagt es mit fester Stimme. Aber die beiden Männer geben keine Antwort mehr. Sie ziehen ziemlich scharf ihre Pferde herum und setzen die Sporen ein. Ihr Abritt ähnelt fast einer Flucht. Es ist, als könnten sie nicht länger in Ann Worths Nähe verweilen.
Holliday sieht ihnen unbeweglich nach. Ann setzt sich neben ihn. »Das war ein sehr merkwürdiger Besuch«, sagt sie. »Yeah«, murmelt Holliday. »Das waren zwei Männer, die Sam Worths Witwe sehen wollten und die überdies noch herkamen, um mich abzuschätzen. Das waren zwei Männer, die sich irgendwelche Sorgen machen und die sich mit Macht dazu zwingen mussten, Buttermilch zu trinken. Es kann sein, dass sie keine Buttermilch mögen. Aber es kann auch sein, dass es sie Überwindung kostete, von dir etwas anzunehmen, Ann.« »Weil Sam ein Viehdieb gewesen sein soll?« Sie fragt es schrill. Holliday betrachtet sie ernst. »Weil sie Scham oder Schuld fühlten«, sagt er dann. »Oh!« Sie will aufspringen. Aber er greift zu und hält sie am Arm fest. »Es hat keinen Zweck, Ann, dass wir uns etwas vormachen. Das waren keine besonders wichtigen Burschen. Aber es gibt nur drei große Ranches in diesem Land. Die Besitzer von zwei dieser Ranches haben wir jetzt gesehen. Aber sie sind unwichtig. Selbst wenn sie etwas getan haben sollten, worüber sie jetzt Scham und Schuld spürten, sind sie unwichtig. Wir können uns erst eine Meinung bilden, wenn wir die Bracketts gesehen haben.« Er sagt es ernst. Ann atmet langsam aus. »Wenn ich wüsste«, sagt sie, »dass sie an Sams Ermordung beteiligt waren, hätte ich die Schrotflinte aus dem Haus, geholt und geschossen.« »So schnell darfst du kein Urteil fällen, Mädel.« Er erhebt sich, nimmt die Angelrute, die an der Hauswand hängt, und geht langsam davon. Ann blickt ihm nach. Sie kann erkennen, dass er jetzt seine Füße besser hebt und nicht mehr so über den Boden schleift. Im Haus beginnt Jimmy zu weinen. Gewiss hat er Hunger. Sie geht schnell hinein. *** Es ist drei Stunden später, und die Sonne steht schon ziemlich tief im Westen, als Holliday Anns lauten Ruf hört. Er legt die Angelrute zu Boden und erhebt sich. Ann kommt von der Ranch herübergelaufen. Sie hält ihre Röcke hoch bis über die Knie und läuft schnell. Er setzt sich in Bewegung und geht ihr entgegen. Aber schon nach zwanzig schnellen Schritten muss er langsamer gehen. Dann ist Ann auch schon bei ihm. Ihre Augen blitzen vor bitterem Zorn. Ihr Gesicht ist gerötet. Und sie sagt atemlos und voller Zorn: »Er hat Cole verprügelt! Ein Mann ist gekommen. Er hat Cole mitgebracht – quer über seinem Pferd lag Cole. Er kann sich kaum bewegen und fiel sofort zu Boden. Dieser Schuft hat Cole…« Der Atem versagt ihr. Holliday geht an ihr vorbei. Sein hageres, hohlwangiges Gesicht verhärtet sich. Es wird düster und kalt. In seinen tief liegenden Augen erscheint ein kaltes Glänzen. Aber er geht langsam und bedächtig. Er weiß zu gut, dass er sich nicht schnell bewegen und seine wenige Kraft nicht verschwenden darf. Er knöpft seine alte Cordjacke auf, die er trotz des warmen Tages immer zugeknöpft trägt, weil er selbst in der Sonne manchmal fröstelt.
Ann bemerkt es. Unter der offenen Jacke ragen nun die beiden Griffe seiner Revolver hervor, die er in zwei Schulterholstern trägt. »O Jim…«, beginnt sie, aber er blickt sie scharf von der Seite her an und sagt fest: »Ann, dies ist die erste Prüfung hier. Wenn du die Absicht hast, in diesem Land zu bleiben und aus deinem Sohn einen stolzen Mann zu machen, der nicht im Schatten eines anderen Mannes aufwachsen muss und deshalb nie ein stolzer Mann werden könnte – nun, Ann Worth, dann lass mich gewähren!« In seinen Augen leuchtet nun eine erschreckende Härte. Nun erst begreift sie richtig, welch einen Beschützer sie hat. Ihr fällt wieder ein, dass er vor einigen Tagen mit vier Banditen kämpfte und sie besiegte. »Jim! Oh, Jim Miller, wer bist du?« »Vielleicht wirst du es eines Tages erfahren«, murmelt er. Und dann erreichen sie zwischen Scheune und Stall hindurch den Ranchhof. »Geh ins Haus, Ann«, sagt er leise, aber scharf und endgültig. Dann kümmert er sich nicht mehr um sie, sondern nähert sich dem Mann, der inmitten des Hofes ruhig im Sattel sitzt und ihm ausdruckslos entgegenblickt. Es steht noch ein zweites Pferd im Hof. Es ist Cole Twists Tier. Cole aber hockt am Boden. Er hat seinen mageren Oberkörper auf die zitternden Arme gestützt und wollte sicherlich auf die Beine kommen. Aber jetzt knicken seine Arme wieder ein. Er fällt aufs Gesicht. Holliday hört ihn verzweifelt stöhnen. Holliday sieht den Mann an, der mit Cole kam und ihn herbrachte. Er sieht Hitt Brackett – aber er weiß es noch nicht. Seine Stimme klingt sehr sanft und ruhig, als er fragt: »Was ist das, Mister? Ihr Pferd trägt den Hackmesser-Brand. Habe ich vielleicht mit einem der beiden Bracketts das Vergnügen?« Hitt Brackett betrachtet ihn scharf. In seinen Augen leuchtet es gierig. Dann blickt er zu Ann hinüber, die vor der Tür des Blockhauses verhalten hat. Als er seinen Blick wieder auf Holliday richtet, öffnet er endlich den schmallippigen Mund und sagt gedehnt: »Yeah, ich bin Hitt Brackett. Ich habe diesen Lümmel dabei erwischt, wie er ein Rudel Rinder trieb, die den Hackmesser-Brand trugen.« »Er hatte den Auftrag, unsere Weide von fremden Rindern zu säubern«, erklärt Holliday. »Er sollte alle Rinder mit fremden Brandzeichen von unserer Weide treiben. Was ist mit ihm geschehen?« Hitt Brackett zögert. Plötzlich aber grinst er. »Es ist verboten«, sagt er, »sich Hackmesser-Rindern näher als bis auf zehn Yards zu nähern. Und es ist auch verboten, sie zu treiben. Wenn jemand glaubt, dass sie auf der falschen Weide sind, dann kommt er zur Hackmesser-Ranch und bittet darum, dass die Rinder entfernt werden. Ist das klar, Mister? Sie sind doch Jim Miller oder nennen sich so?« Holliday nickt. »Ich verstehe«, murmelt er. »Sie wollen uns zurechtstutzen und uns klar machen, wie groß die Bracketts sind. Wenn eure Kühe unser Gras fressen, dürfen wir ihnen das nicht verwehren, sondern müssen als Bittsteller zu euch auf die Ranch kommen. Well! Aber warum wurde der Junge so verprügelt? Taten Sie das?« Hitt Brackett nickt. »Er wurde frech«, murmelt er. »Er sagte zu mir, dass ich auf dieser Weide genauso wenig etwas zu suchen hätte wie die Hackmesser-Rinder. Damit aber machte er das Maß voll. Sein einstiger Boss war ein Viehdieb. Wir dachten, dass diese kleine Ratte nicht
länger auf dieser Weide bleiben würde. Aber er ist noch hier. Und damit er nicht länger den Wunsch verspürt, hierher zurückzukommen, habe ich ihm die Furcht Gottes eingehämmert. Ich habe ihn hergebracht, um Ihnen zu sagen, dass er binnen zwölf Stunden das Land hier verlassen haben muss. Im Oase Valley ist kein Platz für ihn.« Holliday hört es und nickt. »Die Bracketts fühlen sich zehn Yards groß. Ich habe schon davon gehört. Aber wenn ich Sie so ansehe, Hitt Brackett, dann finde ich Sie gar nicht so groß. Cole Twist wird auf dieser Weide bleiben. Er wird weiter für diese Ranch reiten. Kein Brackett ist groß genug, um dies verbieten zu können. Kommen Sie endlich von Ihrem Gaul herunter, Hitt Brackett. Die Worth Ranch nimmt das nicht hin. Sie steht für jeden ihrer Reiter ein. Ich muss Sie etwas zurechtstutzen, Hitt Brackett. Damit Sie Ihre Größe erkennen.« Hitt Brackett bleibt einige Sekunden unbeweglich. Doch im Hintergrund seiner Augen ist ein tiefes Staunen. Er starrt Holliday verwundert an. Dann mustert er ihn nochmals scharf. Aber was er sieht, macht ihm keine besonderen Sorgen. Holliday wirkt wirklich zu ausgemergelt und krank, müde und ausgebrannt. Und doch geht eine düstere Drohung von ihm aus, die einen anderen Mann als Hitt Brackett sicherlich warnen würde. Aber Hitt Brackett ist im ganzen Leben noch niemals von einem anderen Mann zurechtgestutzt oder gar besiegt worden. Er glaubt an seine Unüberwindlichkeit und würde es sogar mit seinem großen Bruder Joshua aufnehmen. Zugleich aber ist er auch böse und gemein. Er nickt. »Ich habe von Ihrem Kampf im Oase Valley gehört, Jim Miller«, murmelt er heiser. »Das war gute Arbeit. Ich war neugierig auf Sie und habe in den letzten Nächten schlecht geschlafen. Ich möchte wirklich herausfinden, ob Sie besser als ein Brackett sind.« Nach diesen Worten sitzt er langsam ab und scheucht sein Pferd mit einer Handbewegung zur Seite. Er rückt seinen Waffengürtel und den rechten Colt zurecht. Dann starrt er Holliday an. »Dieser Cole Twist ist eine Ratte«, sagt er. »Er muss das Valley verlassen, Miller. Vielleicht schicke ich auch Sie fort. Sie gefallen mir immer weniger. Ja, ich sollte auch Sie etwas verprügeln und fortschicken. Hier im Oase Valley widerspricht man einem Brackett nicht. Wenn Sie das nicht begreifen und lernen können, dann wird es rau.« Er senkt die Rechte zum Coltgriff. In seinen Augen glänzt die Gier eines starken Verlangens. Ja, er ist böse und gemein. »Du Narr«, sagt Holliday bitter. »Ich tue es nicht gern, aber es muss wohl so sein, damit die Bracketts uns respektieren. Ihr gehört zu jenen Narren, die es eines Tages auf die harte Art lernen müssen. Los, Mister!« Die beiden letzten Worte stößt er scharf aus. Und obwohl er sich nicht bewegt, gehorcht Hitt Brackett instinktiv diesem Kommando. Vielleicht durchdrang zum ersten Mal in seinem Leben der Hauch einer tödlichen Gefahr den starken Panzer seines Glaubens an die eigene Unüberwindlichkeit. Vielleicht verspürte er für einen Sekundenbruchteil instinktive Furcht. Er zieht den Colt. Und er zieht ihn unwahrscheinlich schnell und glatt. Aber er zieht gegen einen Mann, der zu den wenigen ganz großen Revolvermännern gehört. Er zieht gegen Doc Holliday, der zu den vier ganz großen Revolverkämpfern gehört, die in der kampferfüllten Geschichte des Wilden Westens niemals von anderen Männern
erreicht wurden in ihrer so tödlichen Kunst – nicht einmal von Jesse James, von den berüchtigten Dalton-Brüdern, von jenem sagenhaften King Fisher und anderen, die berüchtigt und auf jene traurige Art berühmt waren. Als er nach dem Colt greift, bewegen sich Hollidays Hände. Und als er abdrücken will, sieht er in Hollidays Mündungsfeuer. Und noch bevor er den Anprall der Kugeln spürt, weiß er, dass er wirklich ein Narr ist, der es nun auf die raue Art lernen muss. Als er stöhnend am Boden liegt, geht Holliday langsam zu ihm hin und stößt den ihm entfallenen Colt zur Seite. Er bückt sich noch langsamer und zieht ihm den zweiten Colt aus dem Gürtel. Dann richtet er sich auf und wendet sich nach Ann Worth um. »Wir müssen ihn verbinden«, sagt er. »Ich werde ihn mit dem Wagen zu seinem großen Bruder fahren.« Ann löst sich aus ihrer Starre. Sie stößt einen wilden Ruf aus und kommt zu ihm. Sie zerrt an seinen Jackenaufschlägen und sagt immer wieder schrill: »Sie werden dich töten, Jim! Sie werden dich töten! Du kannst doch nicht…« »Er blutet! Verbinde ihn! Ich will zu Joshua Brackett. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass auch der andere Brackett solch ein Dummkopf sein sollte. Verstehst du nicht, Ann? Ich bringe Joshua Brackett den Bruder lebend zurück und will zu einer Einigung kommen! Ich muss es versuchen. Denn vielleicht kann ich nicht mehr lange…« Er bricht ab. Aber Ann begreift genau, was er in seiner Erregung sagen wollte. *** Mit dem Wagen braucht Holliday vier Stunden bis zur Hackmesser-Ranch der Bracketts. Er sieht dann die Lichter vor sich in der Nacht auftauchen und fährt nach einer Weile in das Geviert von Holzhäusern, Ställen, Schuppen, Werkstätten und Magazine. Es ist wirklich eine mächtige Ranch, die in ihrem Schlafhaus Platz für mehr als drei Dutzend Reiter hat. Ein Mann tritt dem Wagen entgegen, springt jedoch fluchend zur Seite, als Holliday stur auf ihn losfährt. Holliday lenkt vor das massige Ranchhaus. Dort fällt Licht aus der offenen Tür und den vielen Fenstern. Der Mann läuft neben dem Wagen her und ruft fluchend: »Zum Teufel, du Idiot! Wer bist du überhaupt?« Aber Holliday gibt keine Antwort, denn auf der Veranda des Ranchhauses taucht eine massige Gestalt auf und tritt bis an das Geländer. Holliday hält an und fragt: »Sind Sie Joshua Brackett?« »Der bin ich! Und wer sind Sie?« »Jim Miller von der Worth Ranch. Ich habe Ihren Bruder Hitt hinten im Wagen. Er hat zwei Kugeln aufgefangen und fühlt sich nicht sehr wohl.« Inzwischen sind rings um Hollidays Wagen einige Männer der Ranch aufgetaucht. Jemand klettert hinten in den Wagen hinein. Es ist der Vormann Mingo Skip. Und er ruft wenig später: »Das ist Hitt, Boss!« »Reiche ihn mir herunter, Mingo«, sagt Joshua Brackett gepresst und kommt die Verandastufen herunter. Er hebt die Arme, um den Bruder zu übernehmen. Wenig später trägt er ihn ins Ranchhaus und ruft über die Schulter: »Jemand holt den Doc aus der
Stadt! Miller, Jim Miller, kommen Sie herein! Ich will mit Ihnen sprechen.« »Deshalb kam ich ja her«, brummt Holliday und wickelt langsam die Zügel um die Bremse. Er klettert umständlich zu Boden und beginnt dann schrecklich zu husten. Nach einer Weile setzt er sich schwankend in Bewegung und erklimmt die drei Verandastufen. Er schafft es bis zu einem der bequemen Sessel hier auf der Veranda und setzt sich. Eine Gruppe von Cowboys steht vor der Veranda. Aber dann kommt Mingo Skip heraus und bleibt neben Hollidays Sessel stehen. Er sagt zu den Männern hinunter: »Es ist gut, Jungs. Hitt hat in Bein und Schulter je eine Kugel bekommen – von vorn. Er ist bewusstlos und hat Blut verloren. Es ist nicht lebensgefährlich. Geht schlafen, Leute. Morgen beginnt das Round-up. Wir brechen vor Tagesanbruch auf.« Die Männer entfernen sich zögernd. Mingo Skip aber fragt zu Holliday nieder: »Haben Sie ihn so zerschossen?« Er fragt es drohend und grimmig, und ein anderer Mann als Holliday hätte gezögert, ihm eine bejahende Antwort zu geben. Aber Holliday sagt: »Yeah, ich war es.« Mingo Skip ist starr vor Staunen. Endlich ächzt er: »Und dann wagen Sie sich noch zu uns?« »Warum nicht?« Darauf weiß der Vormann der Hackmesser-Ranch keine Antwort. Er muss mit den Dingen erst noch fertig werden. Bevor er sich jedoch zu einem Entschluss durchringen kann, kommt Joshua Brackett aus dem Haus. »Warum kommen Sie nicht herein, Jim Miller?« »Die Luft tut mir gut. Es wird eine warme Nacht – trocken und warm. Das tut mir gut.« Holliday murmelt es sanft. In Wirklichkeit fühlt er sich jedoch wieder einmal so erschöpft, dass er sich nicht aus dem bequemen Sessel erheben möchte. Er weiß, dass er seine ganze Kraft noch bei der nun gewiss stattfindenden Auseinandersetzung sehr nötig hat. »Boss«, grollt Mingo Skip heftig. »Dieser Mister war es selbst, der Hitt zusammenschoss. Und ich komme nicht dahinter, warum er ihn selbst hergebracht hat und sich nicht in ein Mauseloch verkroch.« Joshua Brackett atmet schwer ein. Er streckt schon seinen kurzen, aber sehr dicken Arm nach Holliday aus. Aber dann hält er inne und bewegt sich zu einem zweiten Sessel. Er setzt sich schnaufend und fragt dann grimmig und hart: »Was ist das?« Holliday sieht ihn an. Und er wird ebenfalls scharf und aufmerksam studiert und Zoll für Zoll gemessen. Es ist hell genug hier auf der Veranda, denn aus drei Fenstern und der offenen Tür fällt Licht. Er blickt Joshua Brackett fest an und sagt: »Ich hätte ihn töten können, aber ich will keinen Krieg. Ich habe ihn hergebracht, weil ich darauf hoffte, dass der andere Brackett, sein großer Bruder, kein ebenso großer Narr ist. Und bevor wir uns unterhalten über all die Dinge, möchte ich noch eines sagen.« Er macht eine kleine Pause. Dann aber sagt er trocken und schlicht: »Ich bin ein kranker Mann und wundere mich, dass ich immer noch lebe. Der Tod kann mich nicht erschrecken, dazu erwarte ich ihn schon zu lange. Ich bin also furchtlos, vollkommen furchtlos. Es wäre gut, wenn Sie sich
darüber klar wären, Joshua Brackett. Sie können mir also nicht drohen. Es war gar kein so großes Wagnis, wie es Ihrem Vormann erscheint, herzukommen.« Nach diesen Worten verstummt er sehr sanft. Er sprach keine Drohung aus. Er brachte nur klar zum Ausdruck, dass er sich für einen sterbenden Mann hält, der nicht mehr weit vom Tode entfernt und darum furchtlos ist. Aber er drohte nicht. Er sagte nicht, dass er zwei Colts bei sich hat und damit eine kleine Hölle loslassen könnte, wenn jemand hier auf dieser Ranch versuchen würde, Hand an ihn zu legen. Nein, er sagt es nicht. Aber Joshua Brackett und sein Vormann Mingo Skip begreifen es. Sie wissen jetzt genau, was für ein Mann zu Besuch gekommen ist. Und sie brauchen sich gar nicht erst daran zu erinnern, dass er mit vier Bankräubern und jetzt mit dem bisher unbesiegten Hitt Brackett gekämpft hatte. Nein, sie wissen es auch so. Joshua Brackett grollt unwillig. »Nun gut«, knurrt er dann. »Erzählen Sie Ihre Geschichte. Wenn Sie damit fertig sind, werde ich antworten.« Und Holliday beginnt zu erzählen. Er beginnt bei jenem Tag, da er Ann Worth in großer Not in jenem Wagen fand. Und er endet mit Hitt Brackett. Dann macht er eine kleine Pause und sagt dann schlicht: »Ich weiß nicht, ob Sam Worth ein Viehdieb war. Es interessiert mich nicht. Ich bin auch nicht hergekommen, um seinen Mörder zu finden. Aber solange ich lebe, werde ich die Worth Ranch beschützen und alles, was zu ihr gehört. Brackett, alles, was zur Worth Ranch gehört, ist unantastbar für Sie und Ihre Leute. Geben Sie Ihre Befehle in diesem Land, wem Sie wollen – aber nicht uns. Sam Worths Sohn Jimmy wird nicht in Ihrem Schatten aufwachsen. Ann Worth soll nicht in Furcht leben. Und unsere Reiter sollen unbehelligt ihre Pflicht erfüllen können. Haben Sie mich verstanden, Joshua Brackett? Wenn jemand von dieser Ranch nochmals auf uns losgeht, mache ich Sie dafür verantwortlich, Mister. Dann komme ich her und töte Sie.« Den letzten Satz sagt er nicht drohend oder gar überheblich. Er sagt es bitter und schlicht. Und doch klingt es wie etwas Unabänderliches. Mingo Skip beginnt sofort zu fluchen. Und Joshua Brackett springt knurrend auf. Aber dann hält er inne. »Ruhig, Mingo«, sagt er barsch und tritt zum Verandageländer. Dort steht er eine Weile schweigend und unbeweglich und starrt zum langen Mannschaftsschlafhaus hinüber, in dem jetzt die Lichter verlöschen. Endlich wendet er sich langsam um, setzt sich auf das Geländer und schlägt klatschend mit der Hand auf seinen Oberschenkel. »Nein«, knurrt er, »ich bin kein Narr wie Hitt. Und wenn ich einem besonderen Mann begegne, dann erkenne ich das und achte ihn. Hitt hat ohne meinen Auftrag gehandelt. Aber das soll keine Entschuldigung sein, denn ich bin der Boss dieser Ranch und für alles verantwortlich, Jim Miller. Ich würde gerne wissen, wer Sie in Wirklichkeit sind. Wenn Sie gesund und voller Ehrgeiz wären, sodass ich Sie fürchten müsste, würden wir es wohl auskämpfen müssen. Aber ich habe begriffen, was Sie wollen. Und Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich kämpfe nicht gegen eine junge Witwe, die ihren kleinen Sohn zu einem stolzen Mann erziehen möchte. Ann Worth und die kleine Worth Ranch haben meine Achtung und meinen Respekt. Yeah, ich werde sogar noch mehr tun, Mister. Ich verspreche, dass ich Sam Worths Witwe und ihren kleinen Sohn beschützen werde, soweit ich das unauffällig und ohne in Erscheinung zu treten tun kann. Zufrieden,
Mr. Miller?« Holliday erhebt sich langsam. »Ich habe geahnt, dass Sie anders als Hitt sind«, murmelt er. »Wenn er wieder gesund ist, dann halten Sie ihn nur zurück.« Er wendet sich nach diesen Worten an Mingo Skip. »Sie haben damals Sam Worth so schrecklich verprügelt, Cowboy. Hat Ihnen das Freude gemacht?« Der Vormann stößt ein scharfes Knurren aus. »Sam Worth war ein Viehdieb. Eines unserer Kälber trug sein Brandzeichen. Ich würde meinen eigenen Bruder verprügeln, wenn er das Vieh meines Ranchers stiehlt. Und überdies hat Sam Worth später seine Chance gehabt. Er schoss von diesem Hügel dort drüben durch dieses Fenster hier auf meinen Boss. Mr. Brackett hätte ebenso gut von dieser heimtückischen Kugel getroffen werden können.« Holliday späht zu dem bezeichneten Hügel hinüber. Der ist wirklich sehr nahe. Sein Hang endet unmittelbar bei den Ställen der Ranch. Holliday wendet sich auch nach dem bezeichneten Fenster um und denkt sich eine Linie. Der Schütze konnte vom Hügel aus über die Stalldächer hinweg quer über den Hof auf dieses Fenster schießen. Die Entfernung beträgt nicht viel mehr als zweihundert Yards. »Sind Sie sicher, dass Sam Worth es war?«, fragt er schließlich. »Wer sonst?«, fragt Joshua Brackett. »Er wurde beim Viehdiebstahl erwischt. Mingo hat ihn schlimm verprügelt. Sein Hass war also groß.« »Und dann sind Sie hingeritten und haben ihn aufgehängt, Brackett.« »Nein, Mr. Miller, nein!« »Aber wer könnte es sonst gewesen sein?« »Sie sagten, dass Sie nicht hergekommen wären, um nach Sam Worths Mörder zu suchen, Jim Miller.« »Nein«, murmelt Holliday. »Dazu fehlt mir die Kraft. Aber vielleicht kommt dieser Bursche eines Tages zu mir. Und wenn Sie, Joshua Brackett, mit Sam Worths Tod nichts zu tun haben, dann sollten Sie sich von diesem Verdacht reinigen.« Er geht langsam die Stufen hinunter und klettert auf den Wagen. »Sie wollen ein großer Mann sein, Joshua Brackett«, murmelt er von dort. »Die Größe eines Mannes misst man nicht nur an seinen Taten und daran, dass er minderen Männern Befehle erteilt. Wenn Sie groß sein wollen, Joshua, dann müssen Sie gerecht sein – auch gegen die Kleinen. Und ich habe das Gefühl, als fürchteten Sie sich davor, Sam Worths Mörder zu finden. Sie nehmen es lieber hin, dass alle Leute hier im Oase Valley insgeheim glauben, dass Sie den Befehl zu jener Hängepartie gegeben haben.« Nach diesen Worten wickelt er die Zügel von der Bremse und fährt langsam davon. Joshua Brackett bleibt noch sehr lange unbeweglich stehen. In ihm sind viele Gefühle. Er denkt über die letzten Worte seines Besuchers nach. Und plötzlich erkennt er mit deutlicher Klarheit, dass er sich wirklich davor fürchtet, erfahren zu müssen, wer für Sam Worths Tod verantwortlich ist. Er wendet sich zu seinem Vormann um, der unbeweglich an der Hauswand lehnt. »Mingo, die Worth Ranch wird von uns fair und gerecht behandelt.« Dann geht er ins Haus und betritt bald das Zimmer seines Bruders. Hitt ist bewusstlos. Aber es ist schon Wundfieber in ihm. Joshua Brackett setzt sich auf einen Stuhl und betrachtet den jüngeren Bruder. Er verspürt einen kalten Zorn. Und er beginnt darüber nachzudenken, was Hitt dazu
angetrieben haben mag, Cole Twist zu verprügeln und Verdruss mit diesem Jim Miller zu suchen. Nach einer Weile erhebt er sich plötzlich, tritt auf die Veranda und ruft laut über den Hof: »Sego! Sego!« Er braucht nicht sehr lange zu warten. Ein Mann, der nur mit Unterzeug bekleidet ist, kommt bald über den Hof auf die Veranda. Es ist ein schon sehr alter und lederhäutiger Mann. Er hat einen kahlen Kopf und ein sehr hässliches Gesicht. Seine Rechte ist verstümmelt und er hinkt stark. »Boss?«, fragt er. »Jim Miller«, sagt Joshua Brackett zu ihm. »Du hast ihn gesehen, nicht wahr, Sego? Reite nach Süden und finde heraus, wer dieser Jim Miller in Wirklichkeit ist. Seine Fährte muss bis zu ihrem Ausgangspunkt nicht allzu schwer zu verfolgen sein. Bevor du losreitest, gebe ich dir noch Reisegeld mit. Ich will wissen, wer Jim Miller ist.« »All right, Boss«, murmelt Sego und schlurft zum Schlafhaus zurück. *** Holliday erreicht die Worth Ranch kurz vor Morgengrauen. Er hat sich zwei Decken umgehängt, friert trotz der warmen Nacht und hustet immer wieder. Ann Worth erwartet ihn und hilft ihm in sein Quartier. Sie bettet ihn und bringt ihm dann heiße Milch. Aber sie stellt keine Fragen. »Wir werden jetzt Ruhe haben, solange Hitt Brackett krank ist«, murmelt er. »Und dieser Joshua Brackett ist nicht der große Wolf, der jeden beißt. Er hält sich nur dafür und ist so mächtig stolz. Wie geht es Cole?« »Er wird einige Tage nicht reiten können. O Jim, ich bin so froh, dass dir nichts zugestoßen ist und du zurückgekommen bist.« »Darüber bin ich auch froh«, sagt er erschöpft und schläft auch schon ein. Er schläft sechzehn Stunden. Erst am späten Abend des nächsten Tages sieht er nach Cole und setzt sich neben Coles Lager auf eine Kiste. Coles Gesicht ist angeschwollen und zerschlagen. Er kann nur aus einem Auge sehen. Als er zu sprechen beginnt, platzen seine Lippen auf und bluten. Er sagt: »Ich danke Ihnen, Jim. Aber es war nicht nötig, dass Sie für mich mit Hitt Brackett kämpften. Wenn ich gesund bin, werde ich beide Bracketts töten – beide! Diesmal werde ich…« Er bricht heiser ab. »Junge«, murmelt Holliday, »hast du schon einmal versucht, einen Mann zu töten?« »Nein, nein«, keucht der Junge. »Versuche es auch nicht. Und denke immer daran, dass Hass in die Hölle führt, Cole. Rache lohnt sich nie.« Aber Cole gibt keine Antwort. Er dreht den Kopf zur Seite. Holliday geht nachdenklich hinaus. Dann vergehen drei Tage, die ruhig und ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Am vierten Tage aber geschieht allerlei. Und das nicht nur hier auf der Worth Ranch. Aber es soll der Reihenfolge nach berichtet werden.
* * * Am vierten Tag steht Cole Twist auf und erscheint in der Küche. Ann begrüßt ihn mit einem guten Lächeln und setzt ihm das Frühstück vor. Cole schaut dankbar zu ihr auf. »Ich danke Ihnen für alles, Ma’am. Sie sind sehr gut zu mir.« Sie legt einen Moment ihre Hand auf seinen wirren Haarschopf. Cole sieht noch sehr schlimm aus, obwohl die Schwellungen in seinem Gesicht zurückgegangen sind. Aber es hat sich verfärbt. Er sitzt auch sehr schief auf dem Stuhl. Seine Rippen schmerzen sicherlich noch bei jeder Bewegung. »Cole«, sagt sie, »es wird alles gut und richtig werden.« »Sicher«, sagt er seltsam fest und beginnt zu essen. Später geht er dann hinaus und beginnt bei den Corrals schadhafte Stangen zu ersetzen. Er arbeitet sehr vorsichtig. Später kommt Holliday mit seiner Angelrute vorbei und bleibt einen Moment stehen. Die drei Tage, die ruhig verliefen und die er behaglich in der Sonne oder bei leichter Bewegung verbrachte, haben ihm etwas Erholung und Besserung gebracht. Cole hält inne und sieht ihn seltsam an. »Ich glaube nicht, dass die Bracketts uns in Frieden leben lassen«, sagt er heiser. »Sie haben sich täuschen lassen, Jim.« »Nein, Cole. Und du solltest den heißen Wunsch bekämpfen, dich an den Bracketts für die Prügel zu rächen. Still, Cole! Ich weiß, dass du Zorn, Scham und Hass verspürst. Aber vergiss die Prügel. Hitt Brackett hat seine Strafe erhalten.« »Hitt ist nur ein wilder Wolf. Die Befehle gibt sein großer Bruder. Von Joshua Brackett geht aller Verdruss aus«, murrt der Junge störrisch. »Ich werde fortreiten«, sagt er dann fest. »Das werde ich nicht zulassen, Cole. Auf dich achte ich wie auf Ann und Jimmy. Du gehörst zu uns. Reite nur fort, dann hole ich dich zurück.« Nach diesen Worten geht Holliday weiter. Cole Twist starrt ihm nach. Als er sich wieder seiner Arbeit zuwenden will, sieht er einen Reiter kommen. Dieser Reiter kommt nicht auf dem Weg geritten, sondern taucht aus dem Wald auf. Er muss über die Hügel gekommen sein. Wenig später erkennt er den Reiter. Es ist Jack Drango. Bald verhält dieser bei ihm sein Pferd und blickt mit leichtem Spott auf ihn nieder. Drango ist groß und geschmeidig wie eine Raubkatze. Er hat rabenschwarzes Haar und ein kühnes Gesicht. Ja, er wirkt schon äußerlich wie ein Pirat der Weide. Und er ist gefährlich. Der Bandit nickt Cole Twist zu und murmelt lässig: »Komm zu mir in die Berge, Junge. Dann bekommst du viele Gelegenheiten, es den Bracketts zurückzuzahlen. Du wirst die Zeichen von Hitts Fäusten dein ganzes Leben lang im Gesicht behalten. Komm zu mir in die Berge, Junge.« Ohne auf Coles Erwiderung zu warten, reitet der Bandit weiter, denn längst hat er Holliday am kleinen See entdeckt. Er reitet dicht heran, nimmt dann einen Fuß aus dem Steigbügel und legt sein Bein um das Sattelhorn. So sitzt er bequem im Damensitz im Sattel, holt sein Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette. Holliday befestigt einen neuen Wurm am Haken und wirft die Angel wieder aus. Dann sagt er beiläufig: »Mister, Ihr Schatten fällt über das Wasser und vertreibt mir die
Fische.« Jack Drango lacht. »Eigentlich müsste ich Sie erschießen«, sagt er, »denn die McLane-Brüder und Johnny Powder gehörten zu mir. Sie sollten die Bank ausrauben, weil die Bank nicht mehr Emmet Lester, sondern Joshua Brackett gehört. Brackett sollte die Bankräuber verfolgen. Wir hatten einen guten Platz für einen Hinterhalt ausgewählt. Sie haben mir viel Schaden zugefügt, Mr. Miller.« »Es ließ sich nicht vermeiden«, murmelt Holliday. »Denn ich wollte gerne meine siebentausend Dollar behalten.« »Das kann ich verstehen.« Der Bandit grinst. »Und deswegen werde ich Sie nicht erschießen.« Holliday erwidert darauf nichts. Er hält es für unwichtig, darüber zu streiten, ob dieser Mann schnell genug mit dem Colt sein könnte. Er wartet vielmehr darauf, dass der Besucher den Grund seines Kommens vorträgt. Und das geschieht auch sofort. Jack Drango ist ein Mann, der niemals lange herumtändelt. Und so sagt er: »Ich kann Ihnen sagen, wer Sam Worth aufhing, bis er tot war.« Holliday legt die Angelrute auf den Boden und erhebt sich langsam. »Wer sind Sie?«, fragt er. »Jack Drango.« Holliday verrät keinerlei Überraschung. Aber er hat schon von Jack Drango gehört. Dieser Bandit ist mehr als berüchtigt und wird in einem halben Dutzend Staaten von den Sheriffs gesucht. »Sind Sie nicht neugierig, wem Sam Worth zum Opfer fiel?«, fragt der Bandit. Holliday überlegt. »Warum wollen Sie mir diesen Tipp geben, Drango? Was versprechen Sie sich davon?« »Ich habe gehört, dass Sie Hitt Brackett von den Beinen geschossen und dann zu seinem Bruder gebracht haben. Selbst unter der Hackmesser-Mannschaft habe ich meine Leute. Und man hat mir gemeldet, dass Joshua Brackett zu Ihnen nett war und keinen Versuch unternahm, sich Ihren Skalp zu holen.« Drango macht eine Pause, lächelt blitzend und wirft dann den Zigarettenstummel ins Wasser. »Sie hätten Hitt Brackett töten sollen«, sagt er dann. »Dann hätten Sie Sam Worths Mörder getötet. Wenn er wieder gesund ist, wird er es mit Ihnen noch mal versuchen.« »Haben Sie Beweise, Drango?« »Ich habe sie, Mister. Jemand hatte durch ein Fenster der Hackmesser-Ranch auf Joshua Brackett geschossen und ihn nur verwundet. Aber Hitt Brackett wurde mächtig wild und begann eine große Jagd. Sie überraschten einige Freunde von mir beim Viehraub. Es gab Tote. Der Rest meiner Freunde flüchtete in alle Himmelsrichtungen. Hitt Brackett verfolgte einen dieser Flüchtigen. Der Mann war verwundet und verkroch sich hier ohne Sam Worths Wissen in der halb fertigen Scheune. Hitt Brackett hatte die Spur bestimmt verloren, aber er kam auf die Ranch, weil er sich daran erinnert hatte, wie schlimm Sam Worth damals von Mingo Skip verprügelt worden war. Für ihn war Sam Worth der Schütze. Es war für ihn klar, dass Sam Worth sich für die erhaltenen Prügel nicht bei Mingo Skip, sondern bei dessen Boss erkenntlich zeigen wollte. Er kam her, rief Sam Worth heraus. Als er aus der Tür trat, schoss Hitt Brackett sofort. Und damit in
diesem Land niemand mehr auf die Idee kommen sollte, auf einen der beiden großmächtigen Bracketts aus dem Hinterhalt zu schießen, hängte er ihn an einen Baum. Mein Freund, der verwundet in der Scheune lag und sich davor fürchtete, dass Hitt ihn entdecken würde, hat alles gesehen. Später muss sich Hitt Brackett dann wieder mit den anderen Männern der Vigilanten-Mannschaft vereinigt haben. Sie brannten in jener Nacht noch zwei Siedlerhütten nieder und jagten die Nester aus dem Tal.« Drango verstummt hart. Er nimmt sein Bein vom Sattelhorn und schiebt den Fuß wieder in den Steigbügel. »Nun wissen Sie Bescheid, Mister«, sagt er rau und zieht sein Pferd herum. »Warum haben Sie mir das erzählt, Drango?« Der Bandit zögert. Dann deutet er zu Cole Twist hinüber. »Der Junge dort wurde genauso verprügelt wie damals Sam Worth. Und wieder war es jemand von der Hackmesser-Ranch. Es gibt wieder jemanden im Land, dem es zuzutrauen ist, dass er aus einem Versteck heraus auf einen Brackett schießt. Es kann sich also alles wiederholen. Dann beginnt die Jagd aufs Neue. Und Sie sollen eine Chance haben, Miller. Wenn man Sie in einer der nächsten Nächte aus dem Haus rufen sollte, dann wissen Sie, was es zu bedeuten haben könnte.« Nach diesen Worten reitet er davon. Und Holliday wundert sich über die Warnung. Aber dann begreift er, dass er nur eine Nebenfigur in einem schlimmen Spiel ist und Jack Drango nur von ihm erwartet, dass er den Leuten von der Hackmesser-Ranch möglichst großen Schaden zufügt. Holliday blickt zu Cole hinüber. Auch Cole späht hinter Jack Drango her, der sich nochmals umwendet und winkt, bevor er auf seinem grauen Pferd wieder im Wald verschwindet. Plötzlich bewegt sich Cole und eilt zum Corral, in dem sich die Pferde befinden. Er pfeift seinen Schecken herbei, der ihm wie ein Hund gehorcht, nimmt den Sattel von der Stange und wirft ihn auf den Pferderücken. »Cole!«, ruft Holliday laut und setzt sich in Bewegung. Aber er schafft es nicht. Bevor er den Corral erreicht, reitet Cole davon. Er blickt nicht zurück und verschwindet zwischen Stall und Scheune aus Hollidays Blickfeld. Keuchend und erschöpft erreicht Holliday dann den Ranchhof. Er trifft mit Ann zusammen, die aus dem Garten um das Haus gelaufen kam. Sie sehen Cole Twist reiten. Der wilde Junge ist nicht sehr weit. Er muss hier im Hof angehalten haben. Holliday kann auch erkennen, warum Cole anhielt. Denn als Cole nach rechts abbiegt, um im Wald zu verschwinden, sehen Ann und Holliday, dass er sein Gewehr im Sattelschuh stecken hat. Er hat es sich also aus seinem Quartier geholt. »Was ist mit Cole?«, fragt Ann voller Sorge. »Dieser verdammte Jack Drango«, knirscht Holliday und erliegt dann einem Hustenanfall. Er taumelt zur Seite. Als es ihm wieder etwas besser geht, kommt Ann mit einem Becher heißer Milch aus dem Haus. Er trinkt dankbar. »Dieser verdammte Jack Drango«, wiederholt er seine Worte. »Er hat dem Jungen eine Idee ins Ohr gesetzt. Wahrscheinlich hat er ihn dazu aufgefordert, zu ihm in die Berge zu kommen.« »Dann reitet Cole jetzt zu den Banditen in die Berge?« »Wenn er nur das täte, dann wäre es schlimm genug, aber nicht ganz so schlimm«,
seufzt Holliday bitter. »In Cole brennt Hass. Er wurde die ganze Zeit von vielen Gefühlen hin und her gerissen. Aber vielleicht hätte sich in den nächsten Tagen unser Einfluss auf ihn durchgesetzt. Er hätte seine Rachegedanken besiegen können. Aber nun machte Jack Drangos Auftauchen alles zunichte. Ganz gewiss hat er dem Jungen Schutz und Unterschlupf angeboten und Coles Hass angestachelt. Cole weiß jetzt, wohin er reiten kann, wenn die Jagd beginnt.« Ann blickt Holliday ohne Begreifen an. »Was für eine Jagd soll beginnen, Jim?« Er wischt sich übers Gesicht. »Es ist ganz einfach«, ächzt er dann. »Cole ist unterwegs, um sich mit heißem Blei für die erhaltenen Prügel zu bedanken. Wenn er einen oder gar alle beide Bracketts abschießt, wird eine Jagd beginnen. Er wusste das die ganze Zeit sehr genau – und vielleicht hielt ihn dieses Wissen davon ab, uns zu verlassen und sich zu rächen. Aber jetzt hat er sich eine Chance ausgerechnet. Jack Drango hat ihm Aufnahme versprochen. Oh, ich werde diesen Jack Drango das nächste Mal für diese Gemeinheit töten.« Jetzt hat Ann alles begriffen. Und sofort beginnt sie praktisch zu denken. »Schnell, wir werden das Pferd satteln. Ich reite ihm nach und bringe ihn zurück.« »Du nicht, Ann – du nicht. Du hast einen Sohn, und dein Platz ist hier auf der Ranch. Ich werde reiten, Ann!« »Aber du kannst doch nur im Schritt reiten und könntest ihn nie und nimmer einholen, Jim!« »Ich brauche ihn nicht einzuholen, Ann, denn ich weiß ziemlich, wo ich ihn finden kann, wo ich auf ihn warten kann, wenn er wirklich Rache an den Bracketts nehmen will. Ich könnte ihn nicht aus den Bergen holen und Jack Drango wieder fortnehmen. Aber wenn er dorthin reitet, wo ich vermute, dann bringe ich ihn zurück, Ann. Oh, ich werde verhindern, dass er zu einem Mörder wird!« Er sieht nach der Sonne. »Ich lege mich jetzt drei Stunden nieder. Weck mich dann, Ann, und sattle mein Pferd. Und gib mir ein gutes Essen. Es wird ziemlich anstrengend für ein Wrack wie mich werden.« *** Genau um diese Zeit beendet Joshua Brackett in der kleinen Rinderstadt Oase Valley die Prüfung der Bankbücher. Den Bargeldbestand der Bank hat er schon festgestellt. Als er nun das Hauptbuch zuschlägt, weiß er Bescheid, ganz genau. Er starrt Emmet Lester, der ihm gegenüber auf einem Stuhl sitzt, eine Weile grimmig an. Dann sagt er hart: »Lester, Sie sind fertig hier – endgültig fertig. Oder können Sie mir eine vernünftige Erklärung dafür geben, dass fast zehntausend Dollar Bargeld fehlen? Jene Bankräuber hätten außer Jim Millers Geld gar nicht zwölftausend Dollar rauben können. Lester, was haben Sie mit dem Geld gemacht?« »Es war meine Bank«, keucht der Bankier. »Sie gehörte mir und war gesund. Aber Sie haben die Siedler und Drei-Kühe-Rancher aus dem Land gejagt. Die Bankkredite wurden nicht mehr verzinst und getilgt. Dadurch wurde ich ruiniert. Ich wurde Ihr Angestellter. Aber für mich war es immer noch meine Bank. Ich habe mit dem Geld auf meine Rechnung spekuliert und mich an einer Silbermine in Tombstone beteiligt. Aber die Papiere fielen, weil die Silbermine ihre Erzförderung einstellte. Durch diese Spekulation
habe ich das Geld verloren. Zum Teufel damit! Sie sind mir mehr schuldig als die zehntausend Dollar, die ich den Bankeinlagen entnahm. Sie sind mir viel mehr schuldig, Joshua Brackett!« Er ruft die letzten Worte schrill und springt auf. Brackett betrachtet ihn düster. »Sie sind fertig hier«, sagt er nochmals. »Ich werde einen Mann herkommen lassen, der Ihren Posten übernehmen wird. Was ich dann mit Ihnen mache, weiß ich noch nicht, Lester. Aber versuchen Sie nicht, zu entkommen. Ich würde zehntausend Dollar Belohnung auf Sie aussetzen. Dann würden bald mehr als hundert schlimme Burschen nach Ihnen suchen. Sie hätten nicht mehr Chancen als ein Mäuserich, den man mit drei hungrigen Katzen in ein leeres Zimmer sperrt. Sie sind fertig hier, Lester. Aber vielleicht lasse ich Sie laufen – vielleicht.« Er erhebt sich und geht langsam hinaus. Draußen besteigt er seinen mächtigen Rappwallach und reitet aus dem Ort. Er blickt nicht nach rechts und nach links und beachtet auch nicht die vielen fast unterwürfigen Grüße der Städter. Wie ein König reitet er aus der Stadt. Es ist seine Stadt. Denn er hält sich für den großen Boss über dieses Land. Er reitet langsam und hält immer wieder auf erhöhten Punkten der Weide an, um in die Runde zu spähen. Als es dann dunkel wird, sieht er in der Ferne die vielen Feuer eines großen Weidecamps brennen. Er weiß, dass dort seine große Mannschaft mit den kleinen Mannschaften von Mel Larrimer und Kirby Overmile beim Round-up ist. Dort werden die Kälber des vergangenen Jahres gebrändet. Sie bekommen immer das Brandzeichen ihres Muttertieres. Und da die Rinder immer wieder auf eine fremde Weide wandern und sich mit den Tieren der benachbarten Ranches vermischen, veranstalten die großen Ranches im Oase Valley das Round-up gemeinsam. Er verspürt einen Moment den Wunsch, zu diesem gemeinsamen Camp zu reiten und nach dem Rechten zu sehen. Aber dann lässt er es. Er weiß, dass er sich auf seinen Vormann Mingo Skip verlassen kann. Skip ist durchaus in der Lage, die Rechte der Hackmesser-Ranch gegenüber Mel Larrimer und Kirby Overmile mehr als gut zu vertreten. Er reitet weiter seiner Ranch zu und denkt an seinen Bruder Hitt. Die Nacht ist schon angebrochen, als er die Ranch erreicht. Sie liegt still und ruhig in der Nacht, denn bis auf Hitt und einen alten Pferdepfleger befindet sich die gesamte Mannschaft draußen auf der Weide. Der Pferdepfleger kommt aus dem Schatten der Ställe geschlurft und nimmt seinem Rancher das Pferd ab. Joshua Brackett stampft sporenklirrend über die Veranda. In der großen Wohnhalle zündet er die Lampe an und holt sich aus einem Schrank eine Whiskyflasche und ein Glas. Als er den scharfen Stoff getrunken hat, schüttelt er sich kurz und atmet dann langsam aus. Langsam betritt er dann das Zimmer seines Bruders. Hitt hat sein Wundfieber überwunden. Er hat einige Pfund an Gewicht verloren und wirkt noch sehr erschöpft. Es ist aber ziemlich sicher, dass er in einigen Tagen aufstehen wird und bald wieder in den Sattel klettern kann. Er ist wirklich so zäh wie ein Wolf. Joshua Brackett setzt sich schwer. »Ich hatte dich gewarnt, nicht wahr?«, fragt er.
Hitt blickt ihn schnell, aber dennoch ausdruckslos an. »Es ist nicht sehr lange her, da ich zu dir sagte, dass ich dich zum Teufel jage, wenn du irgend etwas tust, wovon ich nichts weiß und wozu ich meine Erlaubnis nicht gegeben habe. Das sagte ich doch zu dir, nicht wahr?« Hitt blickt ihn noch ausdrucksloser an. »Weiter, weiter, sprich nur weiter«, knurrt er dann. »Du hast einen für uns vollkommen unwichtigen Jungen verprügelt, um einen Grund zu bekommen, mit diesem Jim Miller kämpfen zu können.« »Ich werde diesen Jim Miller beim nächsten Mal töten«, erwidert Hitt kalt. Doch jetzt erscheint in seinen ausdruckslosen Augen eine heiße Flamme. Joshua Brackett richtet sich gerade auf und schlägt die Handfläche auf seine muskulösen Oberschenkel. »Du bist fertig hier, Hitt. Du wirst das Land verlassen. Ich werde dir dein Erbteil auszahlen. Du wirst verschwinden.« »Werde ich das wirklich, großer Bruder?« Hitt fragt es mit einem bösen Zähneblecken. Joshua nickt nachdrücklich. »Ich will es dir erklären, Hitt. Es geht nicht nur darum, dass du meinen klaren Befehl missachtet und vergessen hast, dass ich der Boss bin. Es geht um mehr. Dieser Jim Miller ist kein einfacher Mann. Für mich steht es fest, dass er irgendwo einen großen Namen hat. Er hätte dich töten können, schonte dich jedoch. Er ist also kein Killer. Ich denke, dass er ein Mann des Gesetzes ist. Ich halte ihn für einen US Marshal. Wir haben Siedler aus dem Land gejagt. Das war Landfriedensbruch und Terror, und Sam Worth ist von unbekannten Tätern an einen Baum gehängt worden. Oh, ich könnte dir noch eine Menge anderer Gründe aufzählen, die mich zu der Annahme berechtigen, dass ein US Marshal in unser Land gekommen sein könnte. Und deshalb wirst du verschwinden. Ich decke mit meinem Namen nicht mehr deine Taten. Und ich möchte meinen Bruder nicht eines Tages hängen sehen. Dieser Jim Miller ist vielleicht gar nicht krank, sondern sieht nur so aus. Und wenn du ihn getötet hättest…« »Das werde ich bestimmt tun«, unterbricht ihn Hitt. »Wenn er ein Gesetzesmann sein sollte, habe ich umso mehr Gründe dafür.« Joshua Brackett erhebt sich langsam. »Sobald du reiten kannst, wirst du das Land verlassen«, sagt er fest und geht hinaus. In der Wohnhalle will er sich nochmals ein Glas einschenken, da hört er draußen eine Stimme erklingen. Es ist eine wilde, schrille und von Hass erfüllte Stimme. Sie ruft: »Kommen Sie heraus, Brackett! Hier ist Cole Twist. Kommen Sie heraus, und bringen Sie Ihren Revolver mit!« Joshua Brackett stellt langsam das Glas auf den Tisch. Er stößt einen seltsamen Laut aus. Es ist ein unwilliger und bitterer Laut. Dann tritt er nochmals in die offene Tür, die zu Hitt führt. Auch der Bruder hat die Stimme draußen gehört und jedes Wort verstanden. Er grinst böse. Joshua Brackett aber sagt schwer und bitter: »Siehst du, du verdammter Narr, das hat mir noch gefehlt. Du hast einen wilden und stolzen Jungen verprügelt, und weil ich der Boss dieser Ranch bin, fordert der Junge jetzt Genugtuung von mir. Hitt, wenn ich jetzt keinen Ausweg finde und diesem Bengel etwas antun muss, dann wirst du es mir büßen.«
Aber Hitt Brackett grinst unentwegt auf seine böse Art. »Dieser Bengel ist wirklich stolz«, sagt er. »Er ist stolzer als sein einstiger Boss Sam Worth. Denn Worth schoss aus dem Hinterhalt auf dich, Bruder. Der Junge aber kommt offen herbei und fordert dich heraus.« Nach diesen Worten beginnt er sogar zu lachen. Joshua Brackett wirkt einen Moment so, als würde er sich auf den Bruder stürzen wollen. Sein Gesicht ist dunkelrot vor Zorn, und seine Stirnadern sind angeschwollen. Aber dann wendet er sich ab, tritt an den Tisch und legt dort seinen Waffengurt ab. Unbewaffnet tritt er auf die Veranda hinaus. *** Er sieht den Jungen neben seinem Pferd mitten auf dem Hof stehen. Von dem Pferdewächter ist nichts zu sehen. Brackett ahnt, dass Cole Twist den Pferdewächter überwältigt haben muss. Brackett bleibt im herausfallenden Lichtschein stehen und hebt leicht die Hände. »Junge«, sagt er, »ich habe keine Waffe mitgebracht. Komm her zu mir, denn ich will mit dir reden.« »Holen Sie sich einen Revolver, Brackett! Sonst schieße ich Sie so nieder! Sie werden jetzt für Sam Worth und viele andere Dinge bezahlen. Ich weiß genau, dass Ihr Bruder Hitt dort drinnen im Bett liegt. Wenn ich mit Ihnen fertig bin, Brackett, gehe ich zu Hitt hinein und zahle auch ihm etwas zurück. Ich räume jetzt auf mit dieser verdammten Brackett-Herrlichkeit!« Joshua Brackett flucht unterdrückt. Er kann schon an Cole Twists Stimme erkennen, dass der Junge wie von Sinnen ist. Er hört sogar aus der Stimme heraus, dass Cole sich fürchtet. Aber ein Junge, der gerne ein stolzer Mann sein will und dessen Denken verzerrt ist – und der sich überdies auch noch davor fürchtet, nicht durchhalten zu können, solch ein Junge ist gefährlich. Bevor aber Joshua Brackett und Cole noch weitere Worte wechseln können, geschieht noch etwas anderes. Der langsame Hufschlag eines Pferdes erklingt. Ein Reiter kommt durch das Tor geritten. Man kann ihn in der hellen Nacht gut erkennen. Er sitzt vornüber gesunken im Sattel und lässt ein gequältes Husten hören. Der Junge stößt einen bitteren Ruf aus und sagt dann schrill: »Jim Miller, kommen Sie nicht weiter. Bleiben Sie dort! Nein, kehren Sie sofort um!« »Nein, mein Junge«, erklingt Hollidays Stimme gepresst. »Ich komme dich holen. Brackett, schießen Sie nicht. Ich bringe diesen wilden Jungen schon zur Vernunft. Ich nehme ihn wieder mit. Vergessen Sie es, Joshua Brackett!« Der hebt die Hände, um zu zeigen, dass er nicht schießen wird. »Ich bin unbewaffnet, Jim Miller!«, ruft er. »Yeah, bringen Sie ihn zur Vernunft und nehmen Sie ihn wieder mit!« Holliday hat nun Cole erreicht. Er will etwas sagen, aber da erschüttert ihn ein neuer Hustenanfall. Und dann geschieht noch etwas. Von der Terrasse des nahen Hügels beginnt ein Gewehr zu krachen. Die Kugel pfeift über das lange Stalldach hinweg und findet ihr Ziel. Dieses Ziel aber ist Joshua Brackett, der mit leicht erhobenen Händen mitten in der
herausfallenden Lichtbahn auf der Veranda steht. Der heimtückische Schütze hätte sich gar kein besseres Ziel wünschen können. Joshua Brackett wird von der Kugel zwei Schritte zurückgestoßen. Dann bricht er auf die Knie und sagt heiser: »Mein Gott, das ist mein Ende.« Und dann fällt er schwer. Der Schütze auf der Hügelterrasse schießt immer noch. Holliday und Cole sind für ihn jedoch nicht erreichbar. Wahrscheinlich versperrt das Stalldach dem heimtückischen Schützen die Sicht auf sie. Holliday kämpft immer noch mit seinem Hustenanfall. Cole aber ist wie gelähmt. Plötzlich aber bewegt er sich und will zu Joshua Brackett auf die Veranda laufen. Aber als er in die Lichtbahn gelangt, die aus der offenen Tür fällt, kracht aus dem Haus ein Revolverschuss. Die Kugel trifft den Jungen und stößt ihn herum. Er taumelt einige Schritte zur Seite und bricht auf die Knie. Aus dem Haus aber ruft Hitt Bracketts gepresste Stimme: »Oh, ihr Bastarde! Was habt ihr mit meinem Bruder gemacht? Kommt nur ins Haus, dann werde ich euch…« Die Stimme bricht gepresst ab. Holliday reitet vorwärts und späht durch die offene Tür ins Haus hinein. Er sieht Hitt Brackett gegenüber der Eingangstür am Boden liegen. Hitt Brackett hat also sein Bett und sein Zimmer verlassen und ist in die Wohnhalle gekrochen. Als Cole dann die Lichtbahn durchquerte, schoss Hitt Brackett sofort quer durch die Wohnhalle und zur Tür hinaus. Dann rief er seine Worte. Und dann verließen ihn die Kräfte. Holliday rutscht mühsam vom Pferd und tritt zu Cole. Er kniet neben ihm nieder und fragt: »Wo hat es dich erwischt, Junge?« Cole krächzt nur zur Antwort. Dann versucht er aufzustehen. Er schafft es jedoch nicht. Er fällt zur Seite und legt sich auf den Rücken. Nun untersucht Holliday ihn und findet bald die Wunde. Das Einschussloch in Coles Schulter ist klein. Aber in das Ausschussloch im Rücken könnte Holliday mühelos die Faust stecken. Dann geht er an die Arbeit. Er bewegt sich sehr langsam und schont seine Kraft. Sein erster Weg führte quer über den Hof zum Küchenhaus. Er tritt ein und findet eine Schüssel mit Mehl, Handtücher und ein sauberes Tuch. Damit geht er zu Cole zurück. Er schaufelt mit der Hand das Mehl aus der Schüssel und presst es auf die Wunde, bis es vom Blut durchtränkt und zu einem zähen Brei wird. Dann dreht er Cole auf den Rücken. Hier presst er einige Handvoll Mehl in die Ausschusswunde. Später weiß er nicht zu sagen, wie er es schaffen konnte, die Blutung einigermaßen zu stillen und einen Notverband anzulegen. Schwankend und keuchend erhebt er sich und überlegt. Aber dann weiß er auch schon wieder, was er zu tun hat. Er handelt mit der kalten Überlegung eines erfahrenen Mannes, der sich auf seinen rauen Wegen selbst schon oft in ähnlichen Situationen befand. Wieder geht er in das Küchenhaus zurück. Er findet einen leeren Mehlsack. Durch das Fenster fällt genügend Mondlicht, sodass Holliday schnell seine Auswahl treffen kann. Er wirft alles in den Sack – eine halbe Speckseite, Biskuits, Konserven, Beutel mit Zucker, Mehl und Salz und Pfannen. Als er den Sack zubindet und anhebt, ist er so schwer, dass er ihn nur hinter sich herschleifen kann.
Er schleift ihn zu seinem Pferd und hängt ihn mit viel Mühe ans Sattelhorn. Dann muss er sich an das Pferd lehnen, um auszuruhen. Er wartet angstvoll auf einen neuen Hustenanfall – aber dieser bleibt aus. Nach einer Weile setzt er sich wieder in Bewegung und geht zu Coles Pferd hinüber. Es versucht ihm schnaubend auszuweichen, aber dann erwischt er doch die hängenden Zügel. Er führt das Tier dicht zu Cole heran. Als er bei Cole niederkniet, ist dieser schon wieder bei Besinnung. Er starrt Holliday an und keucht mühsam. »Reite, Jim, reite! Jetzt wird bald wieder die erbarmungslose Jagd beginnen. Dort bei den Corrals ist ein alter Mann. Ich habe ihn betäubt, aber er muss schon aufgewacht sein. Und was ist mit Hitt Brackett?« Holliday späht zum Ranchhaus hinüber. Er sieht Hitt Brackett durch die Halle kriechen. Wenn er nicht wieder vor Schwäche bewusstlos wird, wird er bald auf der Veranda sein und zu schießen beginnen. Er spricht vielmehr zu Cole: »Ohne dich reite ich nicht, mein Junge. Aber du musst mir helfen. Ich bin nicht kräftig genug, dich in den Sattel zu heben. Hilf mir, Cole! Hilf mir! Hier steht dein Pferd.« Der Junge stöhnt. Aber dann richtet er sich mit Hollidays Hilfe auf und kommt auf die Beine. Holliday hebt den Fuß des Jungen an und schiebt ihn in den Steigbügel. »Jetzt, Cole!«, keucht er. Und er bekommt ihn schon beim ersten Versuch in den Sattel. Fast sieht es so aus, als würde Cole auf der anderen Seite wieder vom Pferd fallen, aber er hält sich doch noch oben und umklammert das Sattelhorn. Er sinkt vornüber. Holliday überstürzt immer noch nichts. Er begeht nicht den Fehler, so loszureiten. Er nimmt Coles Lasso vom Sattelhorn und schnürt den Jungen fest. Als er sein eigenes Pferd besteigen will, schafft er es erst beim dritten Versuch. Und er hält dabei die Zügel von Coles Tier in der Hand. Hitt Brackett hat nun die Tür zur Veranda erreicht. Aber er ist zu schwach, um den Colt heben zu können. Er lehnt mit der gesunden Schulter am Türpfosten und blickt keuchend herüber. Nicht einmal Worte kann er sagen. Holliday reitet immer noch nicht los. Denn er denkt daran, was vor ihm liegt. Seine Aufgabe erscheint ihm viel zu schwer. Er fürchtet sich davor. Doch dann besiegt er die Furcht und reitet an. Hitt Brackett ist indes etwas zu Kräften gekommen, sodass er Worte sprechen kann. Er ruft hinter ihnen her, und der Staub dämpft die Hufschläge ihrer Pferde, sodass sie jedes seiner Worte verstehen können. »Ich bekomme euch, ihr Bastarde! Ich jage euch mitten in die Hölle. Ich erwische euch! Ihr habt einen Brackett umgebracht!« Holliday seufzt bitter. Ja, er weiß, dass nun eine erbarmungslose Jagd beginnen wird. Er weiß, dass er jetzt nicht zu Ann Worth zurückkehren kann. Cole braucht ihn. Wenn sie ihn erwischen, hängen sie ihn auf, so wie damals Sam Worth. Holliday sieht wieder einmal einen neuen Weg vor sich – einen bitteren, harten und
erbarmungslosen Weg. Und für ihn sieht es so aus, als gäbe es keine Chance, den wirklichen Mörder zu finden. Denn es war ja ein anderer Mann, der auf Joshua Brackett schoss. Vielleicht tat es dieser Mann schon einmal und hatte nur keinen Erfolg beim ersten Versuch. Aber Sam Worth musste damals sterben, weil Hitt Brackett ein Opfer haben wollte. Und nun wird es wieder so sein. Holliday reitet mit dem stöhnenden Jungen auf die fernen Berge zu. Es wird ein harter Ritt werden. *** Die Nachricht, dass Joshua Brackett ermordet worden ist, erreicht eine Stunde nach Mitternacht das Weidecamp der Round-up-Mannschaften. Der Vormann Mingo Skip weckt sofort alle schlafenden Reiter. Dann tritt er vor die beiden Rancher Mel Larrimer und Kirby Overmile. Er starrt sie hart an und sagt noch härter: »Well, Joshua Brackett ist also tot. Der Bote behauptet, es gäbe keinen Zweifel darüber. Aber es ist noch ein zweiter Brackett vorhanden. Die Hackmesser-Ranch hat immer noch einen Boss. Habt ihr das genau begriffen?« Mel Larrimer und Kirby Overmile nicken. Ja, sie haben es genau begriffen. Sie wissen, dass Mingo Skip ihnen soeben gesagt hat, dass sie immer noch im Schatten eines Bracketts leben und sich noch lange nicht als freie und stolze Männer fühlen können. Die nächsten Worte des Vormannes beweisen dies noch deutlicher. Denn er erteilt den beiden Ranchern jetzt Befehle. Er sagt: »Das Round-up wird unterbrochen. Unsere Mannschaften beginnen eine Jagd und bleiben so lange in den Sätteln, bis wir diesen Jim Miller und Cole Twist gefunden haben. Habt ihr mich verstanden?« Das haben Larrimer und Overmile genau. Aber Joshua Brackett ist tot. Von seinem jüngeren Bruder Hitt halten sie nicht sehr viel. Und vor Mingo Skip haben sie zwar Furcht, aber nicht sehr viel Respekt, denn sie sind Rancher, und er ist nur Vormann. Deshalb knurrt Larrimer störrisch: »Wir können das Round-up nicht einfach abbrechen. Die Jagd kann sehr lange dauern, wenn die beiden Flüchtlinge in den Bergen Schutz bei Jack Drango suchen. Und das werden sie bestimmt. Solche Narren sind sie bestimmt nicht, dass sie zur Worth Ranch flüchten. Wir müssten also in die Berge reiten und einen richtigen Krieg beginnen. Das gefällt uns nicht, Mingo. Überdies sind die Kälber schon ziemlich alt geworden und werden bald der Muttertiere entwöhnt sein. Wie aber können wir dann erkennen, zu welchen Kühen die Kälber gehören? Jedes Kalb bekommt das Brandzeichen seines Muttertieres. Aber wenn es entwöhnt ist und seinen Weg allein geht, weiß man nicht mehr, zu welcher Kuh es gehört hat. Wir können das Round-up nicht abbrechen, Mingo.« »Doch«, knurrt der. »Denn ich gebe den Befehl dazu!« »Joshua Brackett ist tot und Hitt liegt im Bett! Und wir sind Rancher, die sich von dem Vormann einer anderen Ranch keine Befehle geben lassen«, muckt Kirby Overmile nun auf. Da sagt der Vormann nichts mehr.
Aber er explodiert und schlägt zweimal rechts und links zu. Es sind wilde Schwinger. Sie fegen die beiden Rancher wie Huftritte von den Beinen. Dann sieht sich Mingo Skip im Kreis um. Er sieht mehr als fünfzig Männer. Mehr als die Hälfte gehören zur Hackmesser-Ranch, und es sind die härtesten und rauesten. »In die Sättel«, knurrt Mingo. »Ihr alle reitet jetzt für die Hackmesser-Ranch, für doppelten Lohn, bis diese Sache erledigt ist. Später können dann einige von euch wieder auf diese beiden Narren hören und wieder für sie ihr Lasso schwingen. In die Sättel mit euch!« Und weder von Larrimers noch von Overmiles gibt es einen Mann, der jetzt im Moment zu widersprechen wagt. Denn die Hackmesser-Ranch hat immer in diesem Land die Befehle gegeben. *** Etwa eine Meile westlich der Hackmesser-Ranch erreicht Holliday mit seinem Schützling einen Creek. Er reitet ins knietiefe Wasser und hält dann an. Cole Twist ist bewusstlos, und es ist nur gut, dass Holliday ihn festgebunden hat. Der Junge wäre sonst längst aus dem Sattel gefallen. Holliday denkt an das Reiterrudel der Hackmesser-Ranch, das bald mit der Jagd beginnen wird. Gewiss, Hitt Brackett ist noch schwach und krank. Aber der Vormann Mingo Skip wird das große Rudel führen. Sie werden jeden Quadratzoll dieser Weide absuchen. Und sie werden auch die Berge dort im Westen durchkämmen. Ja, die erbarmungslose Jagd wird bald beginnen. Holliday seufzt. Aber er ist ein Mann, der nicht zum ersten Mal gejagt wird. Er hat auch selbst schon gejagt. Viele Lektionen hat er gelernt. Die Berge in der Ferne erscheinen ihm sehr weit und, fast unerreichbar, denn er fühlt sich jetzt wieder ziemlich kraftlos. Überdies glaubt er auch nicht richtig daran, dass dort im Westen Schutz und Unterschlupf für ihn und Cole mit Sicherheit zu bekommen sind. Er müsste sich Jack Drango und dessen Banditen anschließen. Aber es ist sicherlich sehr schwer, Jack Drangos Banditencamp zu finden. Wohin also? Das fragt Holliday sich. Zu Ann Worth darf er nicht. Dort wird das Rudel der Hackmesser-Ranch zuerst nachsehen. Auch in die Stadt darf er nicht. Denn Mingo Skip wird sicherlich erfahren, dass Cole Twist verwundet ist. Er wird den Doktor von Oase Valley überwachen lassen. Holliday entschließt sich plötzlich. Er bleibt im Wasser des Creek und wendet sich nach rechts – also nach Nordosten. Er nähert sich somit der Ranch. Und das ist wahrscheinlich richtig und klug. Denn in unmittelbarer Nähe der Ranch wird man nach Cole und ihm wahrscheinlich nicht suchen. Später reitet er dann aus dem Creek. Er reitet zwischen die Bäume und hangaufwärts. Aber bald kann er mit Cole nicht weiter und muss absitzen. Er bindet Coles Pferd an einen Baum und versucht es dann mit seinem Tier allein zu Fuß. Zehn Minuten später hat er es geschafft. Oben auf der flachen Kuppe des Hügels stehen einige große Felsen. Holliday bindet sein Pferd an und geht dann zu Cole zurück. Er bewegt sich stets langsam und vermeidet unnötige Anstrengungen. Immer wieder
bekämpft er seinen Hustenreiz und fürchtet sich ständig vor einem neuen Anfall. Er ist müde und erschöpft. Es ist ein höllisches Stück Arbeit für ihn, auch Cole hinaufzubringen, denn sie müssen durch dichten Wald. Obwohl Cole vornüber gesunken ist und ziemlich flach über dem Pferdehals liegt, gerät er immer wieder in Gefahr, von Ästen und Zweigen gestoßen zu werden oder daran hängen zu bleiben. Als Holliday endlich mit ihm oben ist, da glaubt er, sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Dann überfällt ihn auch schon der längst erwartete Anfall. Er fällt auf die Knie und erträgt seine ganze Not. In dieser Stunde hadert er zum ersten Mal wirklich mit seinem Schicksal. Elend und schwach liegt er hier. Niemand hilft ihm – so glaubt er in seiner Bitterkeit. Aber dann wird er sich darüber klar, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass er überhaupt noch lebt. Es war schon ein Wunder, dass er den Kampf beim O. K. Corral in Tombstone lebend überstehen konnte. Es war ein Wunder, dass er den langen Weg zurücklegen konnte. Und er glaubt daran – jetzt ganz sicher – dass ihn eine bestimmte Macht zu Ann Worth und Cole Twist geführt hat. *** Als er erwacht, fühlt er sich am ganzen Körper wie zerschlagen. Aber die Sonne steht schon hoch am Himmel. Es ist Mittag. Holliday dreht sich zur Seite und betrachtet Cole. Der liegt still und ruhig. Sein mageres Gesicht wirkt bleich und magerer als zuvor. Für einen Moment glaubt Holliday, der Junge wäre tot. Aber dann erkennt er doch, dass Cole nur bewusstlos ist. Er erhebt sich und sieht sich um. Der Platz hier oben ist gut. Sie sind hier zwischen den fast haushohen Felsen und großen Bäumen gut geschützt. Wenn er trockenes Holz findet, wird er unter einem Baum sogar ein Feuer anmachen können. Die vielen Äste, Zweige und das dichte Blätterdach des Baumes werden den Rauch filtern und verteilen, sodass man von unten nichts sehen kann. Er setzt sich langsam in Bewegung und macht eine Runde. Bald kommt er zu einem Windbruch, der ihm einen guten Ausblick ermöglicht. Die große Hackmesser-Ranch liegt am Fuße des Hügels. Sie wirkt so nahe, dass man meint, mit einem Stein eines der Dächer treffen zu können. Aber das täuscht. Die Entfernung beträgt etwas mehr als zweihundert Yards. Dies ist also der Hügel, von dem aus der Mörder mit einem Gewehr über das lange Stalldach hinweg auf Joshua Brackett schoss und diesen tödlich traf. Holliday kann die Veranda und die Fenster des Ranchhauses deutlich beobachten. Er sieht auch die Corrals, kann die Hälfte des Hofes und die Vorderfront des langen Mannschaftsschlafhauses beobachten. Eigentlich kann er alles sehen, was auf der Ranch unter ihm vorgeht. Aber das ist zur Zeit nicht viel. Bei den Corrals bewegt sich ein Mann. Sonst ist alles still. Holliday wendet sich um und geht zu Cole zurück. Dann beginnt er damit, trockenes Holz zu suchen. Er kocht Kaffee und bereitet ein
Frühstück. Als er damit fertig ist, erwacht Cole für einige Minuten. Aber er kommt nicht richtig zur Besinnung. Holliday flößt ihm einige Schluck Kaffee und einige Bissen eines aufgeweichten Biskuits ein. Dann versinkt Cole auch schon wieder in einen tiefen Schlaf. Er hat auch etwas Fieber. Dieses Fieber wird sicherlich bald schlimmer werden. Holliday denkt mit Sorge daran. Später geht er dann wieder zu jenem Punkt, von dem er die Ranch beobachten kann. Und jetzt hat sich dort etwas verändert. Hitt Brackett liegt auf der Veranda in einem Schaukelstuhl und hat die Beine auf einem zweiten Stuhl liegen. Ein Reiter ist gekommen und erstattet Hitt Brackett irgendeinen Bericht. Holliday beobachtet aufmerksam die Hand- und Armbewegungen des Mannes und kommt zu der Erkenntnis, dass dieser Bote oder Melder dem neuen Boss der Hackmesser-Ranch Meldung darüber erstattet, dass Mingo Skip mit dem Aufgebot in die Berge geritten ist, nachdem eine Suche auf der Worth Ranch und in der Stadt erfolglos war. Nun, darüber ist Holliday sehr zufrieden. Er weiß nun, dass Cole und er sicherlich einige Tage Zeit gewonnen haben. Es war eine gute Idee, sich hier in der Nähe zu verbergen, wo doch jeder andere Mensch so weit und so schnell wie nur möglich geflüchtet wäre. Ja, es war eine gute Idee, auf die Mingo Skip und Hitt Brackett sicherlich vorerst nicht kommen werden. *** An diesem Morgen wird Ann Worth durch den Hufschlag vieler Reiter in Angst und Schrecken versetzt. Diese Reiter kommen fast wie eine wilde Indianerhorde herangejagt und besetzen die Ranch. Mit dem Kind im Arm tritt Ann Worth aus der Tür. Äußerlich wirkt sie nun sehr gefasst und ruhig. Sie beobachtet Mingo Skip, der auf einem riesigen löwengelben Wallach sitzt und Befehle erteilt. Dann schwingt sich der Vormann aus dem Sattel und geht mit schussbereitem Colt auf die Tür zu. »Geben Sie mir den Weg frei, Ma’am«, knurrt er. Das tut Ann, denn sie sieht in den Augen des Mannes ein böses Funkeln und begreift, dass Auflehnung keinen Sinn hätte. Sie wartet also ruhig, bis die Reiter die Ranch und deren Umgebung durchsucht haben. In ihrem Herzen aber sind Angst und Verzweiflung. Der Puls schlägt schnell in ihr. Sie spürt ihr Herz bis zum Hals klopfen. Was ist geschehen? fragt sie sich immer wieder. Dann kommt Mingo Skip heraus und starrt sie kalt und mitleidlos an. »Dieser verdammte Drecksjunge«, knurrt er, »und dieser verdammte Revolvermann Jim Miller – sie haben Joshua Brackett umgebracht. Haben Sie mich verstanden, Frau? Sie haben meinen Boss umgebracht. Ich werde die beiden Bastarde finden und ihre Häute zum Trocknen aufhängen. Ihre beiden Leute haben meinen Boss umgebracht. Und deshalb sind Sie hier fertig, Ma’am. Haben Sie mich verstanden? Joshua Brackett wurde
getötet! Und ich lasse jetzt diese Mörder-Ranch dafür abreißen.« Ann Worth verspürt einen heftigen Schrecken. Sie blickt den Mann jedoch fest an. »Mister«, sagt sie dann, »wenn Sie meinen Besitz zerstören, dann fahre ich mit meinem Kind zum Gouverneur von Arizona und sorge dafür, dass man endlich einen Gesetzesmann in dieses Land schickt. Und ich werde vor dem höchsten Richter unseres Staates Anklage gegen Sie erheben. Haben Sie mich verstanden?« Mingo Skip atmet langsam aus. »Sie sind eine Frau«, knurrt er dann. »Und das ist Ihr Glück. Von mir aus können Sie zum Präsidenten der Nation laufen. Mein Boss ist tot. Die Mörder kamen von dieser Ranch. Und ich lasse hier keinen Stein auf dem anderen.« Er wendet sich seinen Reitern zu. »Spannt ihren Wagen an und ladet ihre Habe auf«, sagt er rau. »Macht schnell, Jungs! Bevor wir zur Stadt reiten, will ich diese Ranch anzünden!« Das tut er zwanzig Minuten später auch wirklich. Er tut es selbst. Und er tut es, weil er seinen Boss geliebt hat und sein Denken jetzt vollkommen verzerrt und böse ist. Dann reitet er mit dem starken Rudel davon. Ann Worth aber sitzt auf dem Fahrersitz ihres Wagens. Neben ihr steht der Korb, in dem ihr Kind liegt. Sie beobachtet, wie die Flammen an allen Gebäuden fressen. Gewiss, es sind nicht viele Gebäude. Es war eine kleine Ranch. Aber Ann hat sie schon geliebt. Dort drüben liegt ihr Mann begraben. Und hinter dem Haus hat sie einen Garten angelegt. Rauch wallt gegen die junge Frau. Tränen rollen über ihre Wangen und hinterlassen Spuren. Sie fährt den Wagen aus dem Rauch hinaus und hält nochmals an. »Ich komme wieder«, murmelt sie. »Ich werde mein Recht suchen und komme wieder. Die harte Ranch der Bracketts wird mir jeden Schaden bis auf den letzten Cent ersetzen. Ich komme wieder.« Und dann fährt sie langsam davon. Sie will in die Stadt Oase Valley. Aber bald erscheint ihr der Verlust der Ranch nicht mehr so wichtig. Der Schock in ihr legt sich. Sie beginnt jetzt immer mehr an Holliday und an Cole zu denken. *** Gegen Mittag erreicht sie die Stadt. Und hier ist Joshua Bracketts Tod schon bekannt, denn vor Stunden war Mingo Skip mit seinen Reitern hier. Sie besetzten die Stadt und durchsuchten sie bis auf den kleinsten Winkel. Mingo Skip aber nahm sich den Arzt vor. Aber er konnte ihm beweisen, dass er während der letzten Stunden bei Mrs. Franklin war und ihr half, Zwillinge zur Welt zu bringen. »Ich schwöre, dass ich während der letzten Wochen außer Hitt Brackett und den McLane-Brüdern keine weiteren Patienten mit Kugelwunden behandelt habe«, sagt er keuchend zu Mingo Skip, der ihn an den Jackenaufschlägen gepackt hält. Ja, als Ann Worth mit ihrem Kind in die Stadt kommt, wissen die Bürger schon Bescheid. Sie fährt vor das Hotel, hält an und blickt auf eine Gruppe von Männern nieder, die sie für Bürger dieser Stadt hält.
»Ich bin Ann Worth«, sagt sie. »Mingo Skip hat meine Ranch niedergebrannt. Wissen die Gentlemen vielleicht, wo ich in dieser Stadt ein kleines Haus mieten kann? Es braucht nur eine Hütte zu sein.« Emmet Lester, der Bankier, befindet sich unter den Männern. Er wirft eine Hand hoch und ruft: »Zum Teufel, was ist das? Mingo Skip hat ein Recht darauf, die Mörder seines Bosses zu jagen! Aber er hat kein Recht, einer Frau die Ranch niederzubrennen. Ma’am…« »Ich werde mich an den Gouverneur wenden«, unterbricht ihn Ann fest. »Es wird Zeit, dass es hier in diesem Tal Recht und Gesetz gibt. Wo kann ich…« Der Posthalter tritt vor. »Ma’am, in meinem Frachtwagenhof ist eine zweiräumige Baracke frei. Sie können sie haben. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.« Er tritt auf die Fahrbahn und nimmt die beiden Gespannpferde. So führt er den Wagen zum Frachtwagenhof und vor ein kleines Holzhaus. Er ruft seine Stallhelfer und winkt dann seiner Frau, die aus dem Wohnhaus tritt. »Mary, komm her! Kümmere dich um Mrs. Worth! Mingo Skip hat ihr Heim niedergebrannt. Zum Teufel, das hätte er nicht tun dürfen.« Mrs. Loke ist eine resolute und stämmige Frau. Sie kommt sofort herüber und hilft Ann vom Wagen. »Kommen Sie, Kind«, sagt sie fest. »Ich weiß nicht, warum Joshua Brackett erschossen worden ist. Ich weiß nur, dass Sie bestimmt nichts damit zu tun haben und dieser Steinzeitmensch Mingo Skip zu weit gegangen ist. David, jetzt wird es endlich Zeit, dass der Gemeinderat dieser Stadt etwas unternimmt! Oder wollt ihr warten, bis Mingo Skip auf die Idee kommt, auch diese Stadt einzureißen? Wenn ihr hier keinen Mann habt, den ihr zum Sheriff wählen könnt und der den Bracketts gewachsen und auch groß und tüchtig genug ist, um in diesem Land Ordnung zu schaffen – nun, zum Teufel, dann bittet den Gouverneur darum, dass endlich Recht und Gesetz in unser Land kommen und wir nicht noch länger vom Gesetz der Bracketts beherrscht werden.« *** Als es Abend wird, und die sattelmüde Mannschaft die Pferde nur noch mit Mühe voranbringen kann, ist Mingo Skip am Ziel. Das Halbblut, das sie geführt hat, verhält in einer Canyonmündung und deutet zu einem halben Dutzend Schluchteingängen, die sich gegenüber dem Talkessel auftun. »Alle Schluchten führen zu einem Hauptcanyon«, sagt der Halbblutmann kehlig. »In diesem Canyon liegt Jack Drangos Camp. Es ist eine richtige Ortschaft mit festen Häusern, Schuppen, Scheunen, einem Store, einem Saloon und einem Hotel – jawohl, mit einem Hotel. Von Westen her gibt es viele Wege und Versorgungslinien. Nach Westen werden auch die gestohlenen Rinder getrieben. Es ist eine richtige Banditenstadt geworden, die mit ihrem Hinterland im Westen befreundet ist.« Mingo Skip nickt. Die Worte hat er in ähnlicher Form schon gehört. Er lässt absitzen, stellt Posten aus und versammelt dann den Rest seiner Reiter um sich. Es ist ein großer Rest. Außer den beiden Pferdewächtern und den vier Posten, die sie vor feindlichen Spähern warnen sollen, hat Mingo Skip noch genau vier Dutzend Reiter.
Diese achtundvierzig Reiter starrt er im letzten Abendlicht an und sagt dann rau: »Bis Mitternacht rasten wir hier. Dann reiten wir durch eine der Schluchten und fallen über die Banditenburg her.« Damit hat Mingo Skip alles gesagt. Denn er ist ein Mann, der nicht viel denkt, nicht besonders schlau ist und nur immer wie ein wilder Bulle geradewegs auf sein Ziel losstürmt. Vier Stunden später fühlt er sich größer denn je, denn er ist inzwischen in Jack Drangos Camp angelangt und beginnt mit der Zerstörung. Aber seine Leute stoßen nirgendwo auf Widerstand. Nur einige Reiter sind bei ihrer Annäherung auf schnellen Pferden geflüchtet. Einige Frauen stehen vor dem Store beisammen, und ein stelzbeiniger Mann tritt zu ihnen. Sonst sind keine anderen Männer da. Jack Drangos Camp ist wirklich fast eine kleine Ortschaft, aber es ist leer. Mingo Skip begreift, dass man sein Kommen rechtzeitig gemeldet hatte. Er ist wütend darüber, macht sich aber noch keinerlei Sorgen. Da die Banditen ihre Burg aufgegeben haben, hält er sich nun für noch größer. Er lässt alle Häuser durchsuchen und vor allen Dingen nach dem verschwundenen Cole Twist forschen. Und als ihm klar wird, dass er sozusagen ins Leere gestoßen ist und ein fast verlassenes Camp erobert hat, wird er wütend. Er glaubt nun, dass die Bande in den Bergen hier mit ihm ein Hasch-mich-Spiel beginnen will. Da gibt er den Befehl, alle Häuser anzuzünden und das Banditencamp zu zerstören. Er reitet zu der Menschengruppe hin, die sich vor dem Store versammelt hat. Vom Sattel aus starrt er die Frauen und den stelzbeinigen Mann an. Die Frauen sind mehr oder weniger jung. Viele sind geschminkt. Mingo Skip kennt diese Sorte. Er sagt rau: »Packt euch! Ich lasse dieses Camp zerstören. Spannt eure Wagen an und fahrt fort. Hier gibt es bald nur noch rauchende Trümmer.« Sie starren ihn hassvoll an. »Oh, du verdammter Bluthund«, sagt eine der Frauen dann. »Wo sollen wir denn hin?« Er antwortet nicht, zieht sein Pferd herum und ruft laut die Straße entlang: »Los, Jungs! Fangt an damit!« Ein Reiter kommt zu Mingo Skip und meldet: »Dort in den Corrals sind viele Tiere mit dem Hackmesser-Brand.« »Sicher, das hier ist eine Rustlerburg«, grollt Mingo Skip und wartet darauf, bald die ersten Flammen aus einem der Häuser züngeln zu sehen. Der stelzbeinige Mann und die Frauen verschwinden plötzlich im Store. Mingo Skip fragt sich noch, was das zu bedeuten haben könnte. Sein erster Gedanke ist, dass die Frauen sich noch einige Dinge aus dem Store holen möchten. Aber dann wird dem Vormann schlagartig klar, dass die Frauen und der Krüppel Schutz suchen. Denn plötzlich hört man den Hufschlag vieler Pferde. Er erklingt so plötzlich und ist sofort so laut, dass es nur eine einzige Erklärung dafür gibt: Jene Mannschaft, die da dicht geschlossen herangejagt kommt, muss in einer Seitenschlucht in den Sätteln ihrer Pferde gewartet haben.
Auf was? Nun, Mingo Skip begreift es sofort. Aber es ist zu spät. Ja, er wird sich darüber klar, dass dort Jack Drango mit seiner wilden Horde angebraust kommt. Und Jack Drango hat mit seinen Banditen nur darauf gewartet, bis sich Mingo Skips Reiter überall im Camp verteilt haben. Das war der ganze Trick. Mingo Skip stößt einen wilden Schrei aus und zieht seinen Colt. Dann reitet er der dunklen Masse von Reitern entgegen, die er jetzt schon zwischen den ersten Häusern des Ortes erkennen kann. Die ersten Schüsse krachen, denn einzelne Gruppen von Mingo Skips Reitern nehmen den Kampf auf. Einige andere Cowboys, die noch beritten sind, schließen sich ihrem Vormann an. Aber sie haben keine Chance. Jack Drangos wilde Horde kommt geschlossen. Mingo Skips Reiter aber sind überall verteilt. Sie können sich nicht mehr sammeln. Und deshalb werden sie dem machtvollen Angriff der Banditen nur da und dort schwächeren Widerstand leisten können. Es wird nicht so sein, dass zwei gleichstarke Mannschaften aufeinander prallen. Mingo Skip ist sich darüber klar. Die Masse der Feinde ist nun dicht vor ihm. Er brüllt wild und zornig auf, schießt seinen Colt ab und treibt sein starkes Tier mitten in den Ansturm hinein. Kämpfen kann er wirklich. Mut hat er auch. Seine Treue zur Hackmesser-Ranch ist ohne Zweifel. Er ist wirklich alles das, was ein guter Vormann sein muss. Aber er ist nun einmal kein Boss. Zehn Sekunden später ist er tot. *** Hitt Brackett hätte sich für seinen großen Bruder eine andere Beerdigung gewünscht, aber nicht deshalb, weil er Joshua besonders geliebt hat, sondern weil ein Brackett seiner Meinung nach in diesem Land so etwas wie ein König ist und deshalb auch dementsprechend bestattet werden sollte. Er erinnert sich noch daran, wie der Vater beerdigt wurde. Damals kamen die Menschen aus hundert Meilen in der Runde herbei und erwiesen dem alten Brackett wie einem König ihre letzte Huldigung. Jetzt war es anders, ganz anders. Noch nie wurde in diesem Land ein Mann so ohne jede Teilnahme unter die Erde gebracht. Am Vortag, zwei Tage nach seiner Ermordung, begrub der alte Pferdepfleger seinen toten Boss auf dem kleinen Ranchfriedhof dicht neben den Gräbern der ersten Bracketts, die hier starben. Hitt Brackett war zum ersten Mal aufgestanden und sah zu. Den Rückweg zum Schaukelstuhl auf der Veranda schaffte er dann nur mit Hilfe des alten Pferdepflegers. Ja, es war eine einsame Beerdigung. Und dann verging ein Tag, verging die lange Nacht – und nun geht auch dieser Tag zu Ende. Joshua Brackett liegt nun schon mehr als vierundzwanzig Stunden unter der Erde.
Niemand ist gekommen – aber das lag vielleicht auch daran, dass Hitt Brackett keine Boten ausschickte. Außer dem alten Pferdepfleger und dem Chinakoch, der vor zwei Tagen aus dem Weidecamp zur Ranch zurückkehrte, ist Hitt Brackett ja allein auf der Ranch. Seine Ungeduld und die nagende Ungewissheit setzen ihm von Stunde zu Stunde mehr zu. Er kann nur hoffen, dass Mingo Skip alles richtig macht und Erfolg haben wird. Je länger er jedoch warten muss und je gründlicher er über Mingo Skip nachdenkt, umso stärker werden seine Zweifel. Denn wenn Mingo Skip und die Mannschaft in Jack Drangos Camp Erfolg gehabt hätten, müsste doch inzwischen zumindest ein Bote auf der Ranch eingetroffen sein. Es ist fast Abend, als Hitt Brackett den alten Pferdepfleger ruft. »Setz dich auf einen Gaul und reite in die Stadt«, sagt er. »Ich sitze hier auf dem Mond oder auf einer einsamen Insel. Reite in die Stadt und forsche nach Neuigkeiten. Ich will wissen, was inzwischen in diesem Land geschehen ist. Und wenn du Mingo Skip treffen solltest, dann sag ihm, dass ich seine Haut zum Trocknen aufhängen werde, wenn er mich noch länger in Ungewissheit lässt. Hier!« Beim letzten Wort wirft Hitt Brackett dem alten Cowboy ein Dollarstück zu. »Kauf dir einen Whisky! Reite, Joe! Reite schnell!« Der Alte nickt. Wenig später verlässt er die Ranch. Der Chinakoch bringt Hitt Brackett dann das Abendessen. Er fällt wie ein hungriger Wolf darüber her. Dann starrt er auf die sinkende Sonne im Westen, die den Himmel blutig rot färbt. Und in diesem letzten roten Schein erkennt er einige Reiter. Die blauen Schatten der Nacht senken sich jedoch schon über die Ranch, als die Reiter in den Ranchhof kommen. Sie sitzen vor dem langen Schlafhaus ab. Hitt Brackett richtet sich im Schaukelstuhl etwas höher auf und brüllt zornig über den Hof: »Zum Teufel, hier sitzt der Ranchboss! Will denn keiner von euch Strohköpfen herkommen, um mir einen Bericht zu geben?« Die Reiter sind inzwischen abgesessen. Einige verschwinden gleich im Schlafhaus, kommen aber gleich wieder heraus. Hitt Brackett hört gepresste Stimmen schnelle Worte sprechen. Einige Flüche erklingen. Aber dann ruft eine Stimme: »Wir kommen hinüber, Hitt Brackett.« Brackett kennt diese Stimme. Sie gehört Dan Ritchard, einem hartbeinigen und schnell und sicher schießenden Burschen, der damals von Joshua Brackett für Revolverlohn eingestellt wurde und zu dem halben Dutzend Revolvermänner gehört, die das Rückgrat der Hackmesser-Mannschaft bilden. Dieser Dan Ritchard kommt nun an der Spitze der heimgekehrten Reiter herüber. Hitt Brackett erkennt sie undeutlich in der Nacht. Sie bilden am Fuß der Verandatreppe eine dichte Gruppe. Nur Dan Ritchard kommt die drei Stufen herauf und lehnt sich dann an einen Stützbalken des vorgezogenen Daches. »Warum musste ich euch erst rufen?«, grollt Hitt Brackett. »Wir haben dich nicht in der Dunkelheit bemerkt, Hitt«, murmelt Ritchard spröde. Er macht eine kleine Pause und sagt dann noch spröder als zuvor: »Mingo Skip war ein Narr, ein verdammter, sturer und blöder Narr. Und wenn solch ein Idiot Befehle gibt und in eine Falle rennt, müssen es alle Burschen, die bei ihm sind, mit auslöffeln. Hitt, diese
Ranch hat keine Mannschaft mehr. Wir sind fertig hier. Wir sind nur hergekommen, um unsere Sachen zu packen und zu verschwinden.« Für einen Moment meint Hitt Brackett, dies alles wäre gar nicht Wirklichkeit, sondern er erlebte nur einen bösen Traum. Und selbst als er in den nächsten zwei Sekunden begreift, dass er hellwach ist, kann er die Nachricht nicht fassen. Er kann nicht glauben, dass die Bracketts plötzlich am Ende sein sollen. »He, was sagst du da, Ritchard?«, fragt er scharf. Ritchard erwidert ihm bitter: »Jack Drango und die wilde Horde haben uns geschlagen. Mingo Skip war der erste Tote. Wir waren gerade dabei, Jack Drangos Camp zu zerstören, und hatten uns zu diesem Zweck in viele kleine Gruppen aufgelöst. Und da kam die Horde über uns. Es war gar kein richtiger Kampf. Die Burschen von Overmile und Larrimer ergriffen zuerst die Flucht. Hitt, wir wurden zum Teufel gejagt. Wir hatten Verluste. Bevor wir zur Ranch ritten, schafften wir mehr als ein Dutzend Verwundete in die Stadt zum Doc. Jack Drango ließ uns nämlich großzügig abziehen und die Verwundeten mitnehmen. Und er sagte uns zum Abschied, dass wir aus dem Oase Valley verschwinden sollten, weil er uns beim zweiten Mal keine Chance mehr geben würde.« Dan Ritchard macht nun wieder eine Pause. Hitt Brackett sagt jedoch nichts. Man hört ihn nur gepresst atmen. Und da spricht Dan Ritchard weiter: »Wir reiten aus dem Land. Es hat keinen Zweck mehr. Joshua Brackett ist tot. Würde er noch leben, wäre es anders. Dann würden wir bleiben.« Nach diesen Worten wendet sich Dan Ritchard ab und geht davon. Die anderen Reiter folgen ihm. Drüben im Schlafhaus wird Licht angezündet. Hitt Brackett kann erkennen, wie die Männer bald mit ihren Bündeln herauskommen. Bald reiten sie davon. Ihr Hufschlag verklingt in der Nacht. Hitt Brackett ist allein – denn der Chinakoch im Küchenhaus zählt nicht. Er sieht ihn bald darauf als dunklen Schatten über den Hof und zu den Corrals schleichen. Dann hört er wieder Hufschlag. Also hat auch der Chinamann die Ranch verlassen. Ja, Hitt Brackett ist allein. Er bleibt die ganze Nacht auf der Veranda. Erst am nächsten Morgen, als die Sonne zu wärmen beginnt, erhebt er sich mühsam und hinkt zum Küchenhaus hinüber. Er hat Hunger. Er denkt daran, sich später einen Wagen anzuspannen und zur Stadt zu fahren. Er will in alle Himmelsrichtungen Briefe absenden, in alle wilden Städte, wo es Revolverhelden gibt, die sich für hohen Lohn anwerben lassen. Ja, er will sich eine neue Mannschaft zusammenholen. Das ist die einzige Möglichkeit, wenn er die Ranch erhalten und nach seinem Bruder im Land der große Boss sein will. *** Auch Holliday hat Sorgen. Er hat Angst, dass Cole Twist stirbt, denn der Junge hat schweres Wundfieber bekommen. Die Wunden haben sich entzündet und eitern.
Holliday aber fehlen Medikamente, mit denen er die Entzündungen und das Wundfieber bekämpfen kann. An diesem Morgen, da Hitt Brackett zum Küchenhaus hinkt, kommt Holliday zu der Erkenntnis, dass es für ihn nur zwei Möglichkeiten gibt, wenn er Cole retten will. Die eine Möglichkeit ist, dass es auf der Hackmesser-Ranch vielleicht einen Arzneikasten gibt, der irgendwelche Mittel enthält, mit denen er die eiternden Wunden des Jungen und auch das Wundfieber bekämpfen kann. Er traut sich das zu, denn obwohl er nur Zahnmedizin studiert hat, versteht er doch genug von Wundbehandlung, vielleicht mehr als so mancher schlechte Wundarzt. Das ist also die eine Möglichkeit. Wenn es aber auf der Hackmesser-Ranch keinen Arzneikasten gibt, muss er einen Wagen besorgen und Cole damit zum Arzt in die Stadt bringen. Holliday beobachtet die Hackmesser-Ranch, als er Hitt Brackett zum Küchenhaus hinken und darin verschwinden sieht. Sonst bewegt sich nichts auf der Ranch. Als bald darauf Rauch aus dem Küchenschornstein quillt, kommt Holliday zu der Auffassung, dass Hitt Brackett dort unten allein ist. Und da entschließt er sich. Er will zur Ranch hinunter, Hitt Brackett überwältigen und als Geisel bei sich behalten. Er will einen Wagen besorgen, Cole irgendwie hinunterschaffen und in den Wagen legen. Hitt Brackett will er zu Cole legen. Und wenn er unterwegs auf Mingo Skip und das raue Rudel trifft, dann will er ihnen zurufen, dass Hitt Brackett ein toter Mann sein wird, wenn man ihm und Cole zu nahe käme. Es ist also ein wirklich verzweifelter Plan. Aber Holliday wird es wagen. Er macht sich also zu Fuß auf den Weg zur Ranch. Er wird in knapp fünfzehn Minuten dort sein. Als er durch den Wald hangabwärts zu klettern beginnt, verliert er die Ranch aus seinem Blickfeld. Und deshalb kann er nicht sehen, dass Hitt Brackett Besuch bekommt. *** Hitt Brackett hat sich zum Frühstück ein saftiges Steak gebraten. Er schlingt gerade den letzten Bissen hinunter, als er die Hufschläge zweier Reiter hört. Er nimmt den Colt in die Hand und tritt aus dem Küchenhaus. Die beiden Reiter entdecken ihn sofort und lenken ihre Pferde herum. Langsam sitzen sie dann ab. Es sind Mel Larrimer und Kirby Overmile. Hitt Brackett grinst böse und schiebt den Colt in den Hosenbund. Er fühlt sich trotz des schlechten Gesundheitszustandes diesen Besuchern sehr überlegen und weiß, dass er seinen Colt sehr viel schneller ziehen könnte als sie. Er lehnt sich gegen die Hauswand und starrt die Männer an. Seine Augen sind ausdruckslos. Overmile und Larrimer bleiben drei Schritte vor ihm stehen. Sie betrachten ihn grimmig, und dies hätten sie vor wenigen Tagen nicht gewagt. Hitt Brackett knurrt sofort grimmig: »Passt auf, ihr beiden Hammel! Wenn ihr mich noch länger so anstarrt, dann schieße ich euch die Ohren ab. Nehmt die Hüte herunter
und erweist einem Brackett Respekt! Los, ich will von euch respektvoll begrüßt werden, denn ich bin ein Brackett. Und ihr seid Mäuseriche! Habt ihr das endlich wieder begriffen?« In seinen soeben noch ausdruckslosen Augen brennt nun eine böse Freude. Er ist ein Mann, der jedes Missgeschick gerne an anderen Männern abreagiert. Als sich Overmile und Larrimer nicht bewegen und ihn nur feindlich anstarren, greift er nach seinem Colt. »Hüte herunter! Verbeugt euch!« Da gehorchen sie langsam und tauschen einen schnellen Blick aus. Wahrscheinlich glauben sie, dass Hitt Brackett nun verrückt geworden und übergeschnappt ist. Sie gehorchen also, wie es jeder vernünftige Mann tun würde, wenn er von einem gefährlichen Irren bedroht wird. »Na also«, knurrt Hitt Brackett dann zufrieden. »Es ist euch also wieder klar, dass ihr noch im Schatten eines Brackett lebt. Was wollt ihr?« Die Frage kommt scharf wie ein Peitschenknall. Die beiden Rancher zögern und blicken auf seinen Colt. Er grinst und steckt ihn wieder fort. »Sagt nur ruhig, was ihr wollt«, fordert er sie wieder auf. »Wir sind hergekommen, um dir zu sagen, dass du erledigt bist, Hitt Brackett. Du hast keine Mannschaft mehr. Die Zeit der Bracketts ist vorbei auf dieser Weide.« »Meint ihr?« Sie nicken. »Wer von unseren Reitern am Leben blieb oder nicht verwundet in der Stadt bleiben musste, kehrte zu uns zurück«, murmelt Larrimer. »Wir haben also noch Reiter zur Verfügung. Und wir haben uns zusammengetan.« Er grinst sie noch böser und schärfer an. »Ich sehe zwei Narren, die eine Idee in ihren Dummköpfen haben. Lasst mich diese Idee mal hören.« Sie blicken ihn abermals seltsam an. »Wir hätten auch unsere Reiter mitbringen können«, erklärt Overmile dann trocken. »Aber wir denken, dass du auch so einsehen wirst, dass du erledigt bist. Wir denken, dass du versuchen wirst, dir ein Rudel böser Burschen zusammenzuholen. Aber das werden wir nicht dulden. Jeden Reiter, der auf diese Weide kommt, um sich auf deine Lohnliste setzen zu lassen, jagen wir zum Teufel. Wir werden nicht dulden, dass du schlimme Revolverhelden importierst und wieder stark genug wirst, um uns Befehle geben zu können. Die Zeit der Bracketts ist vorbei. Und es war eine schlechte Zeit. Es werden keine Menschen mehr aus dem Land gejagt. Es werden keine Hütten mehr angezündet. Es wird niemand mehr gelyncht. Und es werden keine Frauen und Kinder mehr von ihren Ranches verjagt. Das wird nie wieder geschehen, Hitt Brackett. Dein Bruder war mächtig hart und rau zu allen Menschen – aber gegen dich war er ein sanfter Mann. Wir wissen genau, was uns bevorsteht, wenn wir dich wieder groß und mächtig werden lassen. Und deshalb sind wir hergekommen. Wir haben zu lange im Schatten der Bracketts gelebt, als dass wir dich jetzt hochkommen ließen. Hast du das alles richtig verstanden, Hitt?« Der bleibt ganz ruhig und nickt. Er greift nicht nach der Waffe, er braust auch nicht auf. Er bleibt ganz kalt und ruhig und nickt nur. Auch in seinen Augen ist nichts zu erkennen. Sie sind kalt und ausdruckslos. Erst nach einer Weile sagt er fast milde: »Ihr seid wirklich Narren. Wer soll denn Jack
Drango und seine Banditen aus den Bergen jagen? Ihr vielleicht? Ihr Mäuseriche? He, das ist eine raue Männerarbeit. Ihr braucht einen Brackett, der euch beschützt.« »Wenn du stark und groß Werden würdest, würdest du schlimm werden. Du gehörst zu jener Sorte, die immer hungriger und schlimmer wird, je weiter sie kommt. Nein, Hitt Brackett, wir lassen dir keine Chance mehr.« »Dann habt ihr selbst keine Chance. Dann wird Jack Drango sich auch eure Herden holen und eure Rinder abschießen.« Zu diesen Worten Hitt Bracketts schütteln die beiden Rancher eigensinnig die Köpfe. »Wir werden es schon schaffen«, erklärt Overmile dann. »Wir werden unsere Mannschaften verstärken. Wir werden gemeinsam mit den Städten eine Eingabe an den Gouverneur machen, dass wir hier einen guten Sheriff und einen Richter bekommen. Und eine Abteilung Staatenkavallerie soll sich um Jack Drango und seine wilde Horde kümmern. Wir beginnen mit einer neuen Ordnung in diesem Land. Auch die Kleinen und Schwachen, die du mit oder ohne deines Bruders Auftrag aus diesem Land gejagt hast, sollen zurückkommen. Aber für dich ist kein Platz mehr, Hitt Brackett. Wenn wir hier erst das richtige Gesetz haben und die Leute sich nicht mehr vor den Bracketts fürchten müssen, wird man sicherlich viele Anklagen gegen dich erheben. Es ist wirklich gut, wenn du hier aufgibst und verschwindest.« »Und die Ranch hier?«, fragt er tödlich sanft. Aber er wartet gar nicht auf eine Antwort. »Schert euch zum Teufel«, sagt er. »Ihr werdet noch von mir zu hören bekommen. Ich werde euch bald mein Brandzeichen aufdrücken. Allen werde ich den Brackett-Brand ins Fell brennen. Fort mit euch, bevor ich wild werde!« Er reißt den Colt heraus und schießt zwei Kugeln dicht vor ihre Fußspitzen in den Boden. Und sie beeilen sich wirklich, in die Sättel zu kommen und fortzureiten. Sie nehmen den Weg zur Stadt. Als sie die Ranch verlassen haben, halten sie neben einem dichten Gebüsch am Fuß eines Hügels an. Es ist jener Hügel, den Holliday herunterkam. Holliday befindet sich in diesem Gebüsch. Und er hört nun die Unterhaltung der beiden Rancher. Mel Larrimer sagt bitter: »Kirby, wir haben uns mächtig getäuscht, nicht wahr? Wir dachten, Hitt wäre noch schwach und krank, und wir könnten ihm unseren Willen aufzwingen. Aber er hätte uns fast erschossen. Er wird sich eine hartgesottene Revolvermannschaft anwerben und schlimmer werden denn je. Oh, fast wünschte ich, dieser Jim Miller hätte ihn getötet.« »Yeah, Mel«, knurrt Kirby Overmile. »Hitt Brackett wird wieder groß und mächtig werden, wenn wir das zulassen. Aber wir werden es nicht zulassen.« Sie wollen weiter, aber Holliday hat genug gehört, um seine Chance zu erkennen. Er hat erkennen können, dass er die beiden Männer als Helfer gewinnen kann. Und das wäre für Cole Twist gut. Er schiebt sich aus dem Gebüsch und ruft halblaut: »Einen Moment, Männer.« Sie fahren zusammen und greifen nach den Waffen. Es hat sie ziemlich erschreckt. »Nur ruhig«, sagt er sanft. Sie wissen sofort, wer er ist, denn sie haben ihn ja einmal besucht und abgeschätzt. Beide beginnen plötzlich zu grinsen und spähen zum Hügel hinauf. »Das ist ein guter Trick«, sagt Overmile. »Sie haben sich mit Cole Twist hier ganz in der Nähe versteckt. Aber es gehören starke Nerven dazu, solch ein Wagnis einzugehen.«
Holliday deutet mit dem Daumen über die Schulter zum Hügel hinauf. »Dort oben liegt Cole Twist. Es hat ihn schlimm erwischt. Wenn er nicht zum Doc in die Stadt gebracht wird, stirbt er mir. Ich habe in meinem Leben noch nie andere Menschen um Hilfe gebeten, aber wegen dieses armen Jungen tue ich es jetzt. Und ich gebe mein Wort darauf, dass wir Joshua Brackett nicht getötet haben. Gewiss, der Junge wollte einen Kampf. Ich hielt ihn jedoch davon ab. Der Mörder schoss von diesem Hügel hier über das Stalldach hinweg auf Joshua Brackett, indes Cole und ich mit Brackett redeten. Und dann schoss Hitt durch die offene Tür aus dem Haus auf den Jungen.« »Und warum sind Sie dann nicht hineingegangen und haben Hitt erledigt?«, fragt Overmile grimmig. Holliday hebt die mageren Schultern. »Es ist nicht so einfach, auf einen Mann zu schießen, der mit letzter Kraft über den Boden kriecht und fest davon überzeugt ist, den Tod seines Bruders rächen zu müssen. Nein, ich konnte Hitt nicht töten. Ich hatte genug damit zu tun, Cole fortzubringen. Ich bitte jetzt um Hilfe.« »Und wie sollen wir helfen?« Holliday deutet zur Ranch hinüber. »Ich brauche einen Wagen und Stroh. Und ich bin auch nicht kräftig genug, um den Jungen vom Hügel herunterzutragen.« Die beiden Rancher spähen zum Hügel hinauf. Dann nickt Overmile bedächtig und sagt: »Den Jungen könnten wir schon herunterholen. Aber den Wagen müssten Sie holen. Dieser Hitt Brackett ist nämlich wieder ziemlich rüstig. Er hat sich so schnell erholt wie ein verwundeter Wolf. Und er hat ständig einen Colt bei sich.« Holliday nickt. »Ich gehe hin zu ihm und sorge dafür, dass er keine Schwierigkeiten machen wird.« Die Augen der beiden Rancher beginnen zu funkeln. Sie erinnern sich daran, dass dieser hagere und bleiche Mann mit Hitt Brackett schon einmal rau umgesprungen ist und ihn auch hätte töten können. Langsam atmen sie aus. Ja, sie fürchten Hitt Brackett immer noch. Und jetzt sehen sie die Möglichkeit, dass es bald keinen Hitt Brackett mehr gibt. Denn sie erkennen in den Augen des vermeintlichen Jim Miller ein kaltes Leuchten. Sie begreifen, dass dieser Mann alles tun wird, um Cole Twist zu einer Chance zu verhelfen. Holliday betrachtet die beiden Rancher fest. »Steigt ab und folgt mir zu Fuß«, sagt er. »Es ist nicht sicher, ob ich noch einen Wagen anspannen und an diesen Ort hier bringen kann, wenn ich mit Hitt Brackett kämpfen musste. Ich weiß, wie schlimm er ist, und ich könnte dieses Mal weniger Glück haben, sodass er mich ebenfalls mit einer Kugel trifft.« Sie sehen das ein und nicken. »Wenn Sie dafür sorgen, dass Hitt Brackett nicht auf uns zu schießen beginnt, werden wir einen Wagen anspannen, den Jungen holen und in die Stadt bringen«, sagt Overmile, und Mel Larrimer nickt dazu. Holliday setzt sich sofort in Bewegung. Als er sich nach einigen Schritten umsieht, sind die beiden Rancher abgesessen. Sie führen ihre Pferde ins Gebüsch hinein. Als Holliday die Stallgebäude erreicht, die ihm die Sicht zum Ranchhof versperren, blickt er sich abermals um.
Die beiden Rancher sind ihm inzwischen gefolgt. Holliday gleitet zur hinteren Ecke eines der Stallgebäude und späht über den Ranchhof zum Ranchhaus hinüber. Und da sieht er etwas, was ihm vorerst einmal gewisse Sorgen bereitet. Hitt Brackett steht nämlich auf der Veranda. Aber er ist nicht allein. Er hat Besuch bekommen. Abermals sind zwei Reiter auf der Ranch erschienen. Es sind Jack Drango und der Bankier Emmet Lester. Sie sitzen gerade ab. Emmet Lester sagt etwas, worüber Hitt Brackett sehr zornig zu werden scheint. Er hat seine Hand an den Colt gelegt und starrt böse auf Jack Drango. Aber Emmet Lester spricht eindringlich auf ihn ein. Er scheint Hitt Brackett etwas zu erklären. Inzwischen sind Larrimer und Overmile bei Holliday angelangt und blicken über seine Schulter zum Ranchhaus hinüber. Sie sehen nun, wie sich Hitt Brackett umwendet und im Ranchhaus verschwindet. Die beiden anderen Männer folgen ihm. Larrimer und Overmile atmen langsam aus. »Was ist das?«, fragt Overmile. »Was hat das zu bedeuten – der Bandit Jack Drango und der Bankier Emmet Lester sind zu Hitt Brackett gekommen. Was hat das zu bedeuten?« Mel Larrimer krächzt es und schüttelt dabei ungläubig den Kopf. »Das können wir herausfinden, nicht wahr«, grinst Holliday und setzt sich in Bewegung. Nach kurzem Zögern folgen ihm die beiden Rancher. Ihre Neugierde ist größer als ihre Furcht. Denn es ist ihnen vollkommen klar, dass dort drüben im Ranchhaus etwas von Bedeutung vor sich geht. Holliday sucht sich zwischen Ställen, Schuppen und Werkstätten hindurch einen Weg zur Hinterseite des Ranchhauses. So erreicht er mit seinen Begleitern unbemerkt die Hintertür. Sie lässt sich öffnen. »Wir ziehen die Stiefel besser aus«, flüstert er. Das tun sie sofort. Dann gleiten sie in das Haus hinein und kommen auf einen Gang, von dem aus einige Türen in Einzelzimmer führen. Der Gang mündet in die große Wohnhalle, und zwar unterhalb der Treppe, die zu den oberen Räumen führt. Sie hören nun auch die Stimmen der Männer, halten an und lauschen. Hitt Brackett sagt gerade: »Was denkt ihr Narren euch? Ich soll meine Ranch an Emmet Lester überschreiben? Haltet ihr mich für einen Idioten? He, Drango, wenn ich gehört habe, was ihr zu sagen habt, dann wirst du gegen mich deinen Colt ziehen müssen. Ich habe meinen Vormann und meine Mannschaft verloren. Es war die schlechteste Idee deines Lebens, dass du zu mir gekommen bist. Ich bin nicht mehr so krank und kraftlos, wie ihr euch das vielleicht gedacht habt. Drango, ich werde dich gleich in Stücke schießen.« »Das hat noch etwas Zeit, Hitt Brackett«, erwidert Jack Drangos Stimme kühl. »Wir sollten wirklich erst miteinander reden, bevor wir unsere Colts ziehen.« »Niemand wird seinen Colt ziehen«, krächzt der Bankier. »Hitt Brackett, wir wollen mit dir ein Geschäft machen und dir eine Chance geben, deinen Hals zu retten.«
* * * Als in der kleinen Stadt Oase Valley bekannt wird, dass Mingo Skip tot ist und die Mannschaft der Hackmesser-Ranch zerbrach, da ist es, als wäre ein Bann gebrochen worden. Gewiss, die Bürger von Oase Valley haben keinen Grund, um jubeln oder besonders glücklich sein zu können, denn die Niederlage der Hackmesser-Ranch bedeutet nichts anderes, als dass jetzt die Banditen in diesem Land mächtiger werden. Und doch atmet man erst einmal auf. Der Schatten der Bracketts liegt nicht mehr über dem Land und über der kleinen Stadt. Das bedeutet viel – sehr viel. Eine Stadt kann nicht nur von sich selbst leben oder nur von drei großen Ranches. Eine Stadt braucht rings um sich herum besiedeltes Land. Aber die Bracketts duldeten keine Siedler im Land. Sie beanspruchten den größten Teil der Weide für ihre Rinderherden, die jedes Jahr mehr und mehr anwuchsen. Und vielleicht wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass auch Overmile und Larrimer um ihre Weide hätten kämpfen müssen und geschlagen worden wären. Dann aber wäre die kleine Stadt gestorben. Eine Stadt kann nicht von einer einzigen Ranch leben. Aus diesen Gründen also sind die Bürger von Oase Valley mit den Ereignissen nicht unzufrieden. Es ist Ann Worth, die ihnen einen Vorgeschmack der kommenden Zeit gibt. Natürlich macht sich Ann Worth die ganze Zeit große Sorgen um Holliday und Cole Twist. Sie denkt daher eigentlich fast immer an sie. Aber trotz dieser Sorgen vergaß Ann Worth ihre Pflichten nicht – die Pflichten gegenüber ihrem Sohn. Als in der Stadt eindeutig klar ist, dass die Hackmesser-Ranch nie wieder Terror und Gewalttaten wird ausüben können, fasst Ann Worth sofort ihren Entschluss. Mit dem Kind auf dem Arm macht sie sich auf den Weg zum Zimmermann dieser Stadt. Sie trifft ihn mitten auf dem Holzhof im Gespräch mit einigen anderen Bürgern. Die Männer ziehen ihre Hüte, denn diese junge Frau dort mit dem Kind hat etwas an sich und strömt etwas aus, was ihnen Anerkennung und Respekt abverlangt. Ann Worth sieht den Zimmermann an. »Ich möchte die Worth Ranch wieder aufbauen«, sagt sie schlicht. »Ich möchte ein vierräumiges Holzhaus, ein Schlafhaus für sechs Reiter, einen Stall, eine große Scheune und ein Küchenhaus mit Speisesaal. Können Sie diese Arbeit übernehmen, Meister?« Der Zimmermann überlegt drei Sekunden. Dann nickt er. »Ich fahre mit meinen beiden Gehilfen morgen hinaus und fange an, Ma’am. Und Sie sind klug, dass Sie gleich gekommen sind. In den nächsten Wochen werden viele Menschen in unser Tal zurückkommen. Es wird viel Arbeit geben.« Ann Worth nickt. »Ich werde zwei Reiter einstellen«, sagt sie. »Wenn die Gentlemen mir zuverlässige Männer empfehlen können, wäre ich dankbar. Bitte, stellen Sie zuerst eine kleine Schutzhütte für mich und mein Kind auf. Ich komme in drei Tagen auf die Ranch und bleibe dort. Ich kann meinen Garten nicht verkommen lassen. Bevor der erste Schnee fällt, habe ich noch viel zu tun. Ich möchte das Christfest mit meinem Jungen auf
der wieder aufgebauten Ranch verleben.« Sie wendet sich schon halb um. Aber dann blickt sie die Männer nochmals der Reihe nach fest an. »Ich bin nur eine Frau«, sagt sie herb. »Und ich möchte mich nicht in Männersachen einmischen. Aber ich meine, dass die Stadt endlich eine Abordnung zur Hauptstadt schicken sollte, damit wir Recht und Gesetz in dieses Land bekommen.« Nach diesen Worten geht sie davon. Die Männer sehen ihr nach. Der Schmied, der zugleich auch Bürgermeister ist, findet zuerst Worte. Und er sagt: »Das ist eine mutige, tapfere und prächtige Frau, die sich nicht unterkriegen lässt. Und sie sieht die Sache richtig an. Ich bin dafür, dass wir eine Bürgerversammlung abhalten und Beschlüsse fassen. Wir haben jetzt eine Chance, diesem Land eine gute Zukunft zu verschaffen. Unser Doc wird mit zwei anderen Beauftragten aus unserer Mitte zur Hauptstadt fahren. Und wir werden beraten, was unsere Abordnung dem Gouverneur sagen soll.« *** »Ihr wollt mit mir ein Geschäft machen?«, fragt Hitt Brackett kalt. »Und nobel wollt ihr auch sein? Ihr wollt mir eine Chance geben, meinen Hals zu retten? He, was bedeutet dieser Unsinn? Lester, du hast meinen Bruder und mich betrogen. Joshua wollte dich aus dem Land jagen. Und jetzt kommst du her und redest großspurige Worte. Zum Teufel mit dir, du Ratte. Wenn dir Jack Drangos Anwesenheit so viel Mut machen sollte, nun, dann wollen wir doch erst einmal klarstellen, wie groß Drango ist und wie schnell er seinen Colt ziehen kann. Los, Drango! Du bist mir einen Vormann und eine Mannschaft schuldig! Rechne nur nicht damit, lebendig von hier fortkommen zu können. Du hast wohl gedacht, ich läge noch krank im Bett?« Er schlägt mit der Linken klatschend gegen den Colt. Seine Rechte hängt in einer Schlinge quer vor der Brust, damit seine noch nicht vollständig zugeheilte Schulter geschont wird. Jack Drango betrachtet ihn sorgfältig, und sein Anblick hat noch nie so sehr einem lauernden Panter ähnlich gesehen wie jetzt. Er presst die Lippen gegen die Zähne und grinst blitzend. »Ich weiß Bescheid über dich, Hitt«, sagt er. »Du bist schnell und gefährlich. Aber dieser Jim Miller konnte dich schlagen. Er hat dir die Schulter zerschossen. Du musst dich auf deine Linke verlassen. Aber du bist kein Linkshänder. Du kannst mich also nicht bluffen, Hitt. Du hättest keine Chance gegen mich. Und wenn wir kein Geschäft mit dir machen wollten, würde ich dir schon zeigen, welch eine Null du bist.« Hitt Brackett erzittert vor Zorn. Er lehnt sich plötzlich schlaff an die Wand und atmet langsam aus. Ja, er hat geblufft. Er gibt dies insgeheim zu. Er weiß plötzlich, dass er diesem Revolvermann und Banditen nicht gewachsen ist. Selbst nicht, wenn er gesund und im Vollbesitz all seiner Fähigkeiten wäre. Ja, Hitt Brackett erkennt plötzlich seine Grenzen. In seinen sonst so ausdruckslosen Augen, die zumeist nichts anderes als Härte und Mitleidlosigkeit verraten, zeigt sich für einen Sekundenbruchteil ein Flackern der Furcht.
Jack Drango erkennt dieses Flackern und grinst stärker. »Siehst du, Hitt«, sagt er, »jetzt schätzt du deine Chance gegen mich wohl nüchtern genug ein. Du warst immer mächtig rau. Aber wirklich groß warst du nie.« Hitt Brackett schluckt. »Was wollt ihr?«, fragt er schließlich. Emmet Lester räuspert sich. »Dein Bruder Joshua nahm mir die Bank weg«, sagt er kalt. »Und jetzt nehme ich dir die Brackett Ranch weg. Hitt, dein Bruder wollte mich aus dem Land jagen. Jetzt jage ich dich aus dem Land.« »Und wie willst du das schaffen, Lester?« »Durch mich«, grinst Jack Drango. »Ich habe einen Mann unter meiner Mannschaft, der zugesehen hat, wie du Sam Worth am Hals aufgehängt hast, bis er tot war. Dieser Mann könnte das vor dem Vater im Himmel selbst beschwören. Und ich könnte diesen Mann dazu bewegen, dass er diesen Eid auch vor einer Jury leistet. Kannst du dir vorstellen, Hitt, was dann mit deinem Hals passiert?« Hitt Brackett erschaudert. »Selbst wenn das alles stimmt«, knurrt er. »Wir haben kein Gesetz in unserem Land. Hier gibt es keinen Richter und keine Geschworenen. Ihr müsstet mich zur Hauptstadt bringen.« »Sicher.« Emmet Lester grinst nun. »Und das würde nicht sehr schwer sein. Denn die Bürger von Oase Valley hatten gestern eine Versammlung. Heute ist eine Abordnung mit der Morgenpost zur Hauptstadt abgefahren. Ich denke, dass wir in etwa einer Woche einen Sheriff begrüßen können, der von einem Kommando US-Kavallerie begleitet wird.« Nun grinst Hitt Brackett schadenfroh. »Das wird nicht mir gelten. Jack Drango wird sich auf die Socken machen müssen. Er wird nicht mal Rinder stehlen können, weil die Kavallerie ihn und die gestohlenen Rinder in wenigen Tagen einholen würde. Wenn ein Sheriff und Soldaten kommen, dann gilt dies nicht mir.« Jack Drango und Emmet Lester nicken. »So ist es wirklich.« Jack Drango grinst erneut. »Ich muss verschwinden. Und deshalb habe ich mich an meinen guten Freund Emmet Lester erinnert. Ich mache mit ihm ein Geschäft. Er übernimmt die Hackmesser-Ranch von dir und zahlt mich aus. Und du wirst ihm die Hackmesser-Ranch für einen Dollar verkaufen, weil ich den Augenzeugen jener Hängepartie sonst zum Sheriff schicke und du dann überall deine Steckbriefe bewundern kannst.« Nun weiß Hitt Brackett alles. Und er ist sich auch sofort klar darüber, dass er erledigt ist, wenn man ihn einmal angezeigt hat und er in einer Gefängniszelle sitzt. Denn dann werden sich auch noch andere Ankläger finden. Er hat eine Menge Dinge getan, die ihm vielleicht nicht den Kopf kosten würden – die aber die Aussage jenes Zeugen glaubhaft machen würden. »Ihr Hundesöhne«, sagt er. »Ich habe Sam Worth erledigt, weil er aus dem Hinterhalt auf meinen Bruder schoss. Das hatte nichts mit Bruderliebe zu tun. Es durfte einfach nicht sein, dass jemand ungestraft auf einen Brackett schießt.« »Sam Worth war unschuldig. Du hast dich an einem Unschuldigen vergangen«, sagt Jack Drango hart.
»Dann sind jener Cole Twist und Jim Miller vielleicht auch unschuldig?«, höhnt Hitt Brackett mit heißer Wut. »Jedes Mal, wenn jemand von der Worth Ranch verprügelt wurde, schoss man auf Joshua, weil er hier der Boss war. Die beiden Mörder sind zu dir geflüchtet, Drango.« »Nein«, sagt dieser. »So dumm war dieser Jim Miller nicht. Ich habe ihn mir angesehen und konnte ihn abschätzen. Ich gehe mit dir jede Wette ein, Hitt, dass Jim Miller mit seinem Schützling in nächster Nähe dieser Ranch geblieben ist, bis deine Mannschaft weit genug fortgeritten war, um ihn in den Bergen zu suchen. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Du fährst mit Emmet Lester zum Bürgermeister in die Stadt und übereignest ihm die Ranch. Und damit sich niemand über deine Großzügigkeit wundert, erklärst du, dass du zu viel Schuld auf dich geladen hättest und den Schaden wieder gutmachen möchtest, den Joshua Brackett damals der Bank zugefügt hat, als er durch dich alle Siedler und Kleinrancher vertreiben ließ. Hast du mich verstanden, Hitt?« Der nickt. Er bewegt sich plötzlich langsam und geht zu einem Schrank. Als er ihn öffnet, zieht Jack Drango den Colt. Er zieht ihn mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung. Aber in dem Schrank befindet sich keine Waffe. Hitt Brackett holt nur eine Whiskyflasche hervor. Er schenkt sich nacheinander zwei Gläser voll und leert sie. Dann starrt er zu Boden. Man kann ihm ansehen, wie sein Verstand arbeitet. Er sucht fieberhaft nach einem Ausweg und denkt über andere Dinge nach, die ihm von Sekunde zu Sekunde einfacher und klarer werden. Jack Drango wartet kühl und wachsam. Emmet Lester aber beobachtet Hitt Brackett immer besorgter. »Was gibt es noch zu überlegen, Hitt?«, fragt er krächzend. »Wir haben dich in der Hand.« Hitt Brackett stellt die Flasche weg. »Sam Worth war also unschuldig, sagt Drango? He, Drango, wer schoss auf meinen Bruder? Sind dieser Cole Twist und Jim Miller vielleicht auch unschuldig? Es war ein Gewehrschuss, und er krachte aus weiterer Entfernung. Miller und Twist aber waren auf dem Hof vor dem Ranchhaus. Wer war jener dritte Mann? Drango, wer schoss auf meinen Bruder? Wer war jener dritte Mann? Drango, ich muss es doch wissen. Sonst würdest du doch nicht behaupten…« Er verstummt plötzlich und starrt Emmet Lester an. Mit ungewohnter Hellsichtigkeit sagt er dann hart: »Du warst der Hundesohn, Lester. Joshua hatte deine Bankkunden durch mich aus dem Land jagen lassen und deine Bank übernommen. Du wolltest dich rächen. Und als es im Land bekannt wurde, dass man Sam Worth verprügelt hatte, erkanntest du eine Möglichkeit. Du versuchtest Joshua zu töten. Wenn es dir gelungen wäre…« »Du redest Unsinn, Hitt«, schnappt Emmet Lester und tastet unter seine Jacke. Aber Hitt Brackett hat sich jetzt in die so plötzlich in seinem Kopf entstandene Idee verbissen. »Man hat Sam Worth für jenen heimtückischen Schützen gehalten, weil er allen Grund dazu hatte, sich für die Prügel zu rächen. Und auch dieser Cole Twist hatte Grund zur Rache. Und wieder schoss man auf Joshua. Diesmal gelang dem Mörder der Treffer. Aaah, der Junge war vor dem Haus und forderte Joshua auf, herauszukommen. Der Junge war stolz. Und auch Jim Miller hätte nicht aus dem Hinterhalt geschossen. Ich war ein
verblendeter Narr.« »Die Bracketts haben viele Feinde«, keucht der Bankier. Seine Hand ist immer noch unter der Jacke verborgen. Sicherlich hat er dort einen kleinen Colt-Derringer versteckt. Und er hat Furcht. Man sieht ihm diese Furcht an, denn er ist bleich, und auf seiner Stirn erscheinen dicke Schweißperlen. »Du warst es, du Bastard«, sagt Hitt Brackett schwer. »Ich spüre es deutlich, wenn ich dich ansehe. Ich spüre deine Schuld wie einen Gestank. Und jetzt fällt mir auch wieder ein, dass du sofort zu uns kamst, um uns die Ankunft von Sam Worths Witwe zu melden. Du erzähltest uns von ihrem Beschützer und sagtest, dass dieser Mann sicherlich Sam Worths Mörder suchen würde. Du wolltest, dass ich die Leute von der Worth Ranch bedrängte und vielleicht aus dem Land jagte. Du wolltest die ganze Sache noch einmal auf ähnliche Art wiederholen, damit du wieder einmal auf Joshua schießen konntest und der Verdacht auf einen anderen Mann fallen musste. Und ich Dummkopf bin auch wirklich losgeritten, habe mir den Jungen vorgenommen und…« Er verstummt pfeifend. Sein Gesicht ist nun verzerrt. »Das war dein Spiel, Lester. Und weil du zwei Eisen im Feuer haben wolltest, hast du dich auch noch mit Jack Drango verbündet. Vielleicht hofftest du immer, dass wir mal in die Berge reiten und in einen Hinterhalt geraten würden. Lester, ich weiß jetzt ziemlich Bescheid. Und du wirst diese Ranch nicht bekommen. Du wirst tot sein – so tot wie Joshua. Du brauchst deine Schuld auch gar nicht mehr zuzugeben. Ich sehe dir an, dass meine Vermutungen richtig sind.« Er wendet sich an Jack Drango. »Ich will diese Ratte töten, Jack. Halte dich raus. Selbst wenn er die Ranch bekäme – er würde dich betrügen. Halte dich raus, denn ich will…« Weiter kommt er nicht, denn Emmet Lesters Furcht hat nun ihren Höhepunkt erreicht. Und weil sich Jack Drango nicht bewegt und auch kein einziges Wort sagt, glaubt er, dass Drango Zweifel spürt und ihm vielleicht doch nicht helfen würde. Lester zieht den Colt-Derringer aus der Innentasche seines Rockes und richtet die Doppelmündung der Waffe auf Hitt Brackett. Dabei knirscht er voller Angst: »Du bist ein Narr, Hitt. Die Ranch gegen dein Leben! Gegen mich gibt es keine Beweise. Aber gegen dich haben wir einen Zeugen, der schwören wird!« Hitt Brackett nickt. Als er nach dem Colt greift, beeilt er sich nicht einmal sehr. »Ich töte dich jetzt, Lester«, sagt er unnatürlich ruhig. Drei Kugeln treffen ihn, bevor er selbst die Waffe gezogen und auf Lester gerichtet hat. Die beiden ersten Kugeln kommen aus Lesters Derringer. Fast zugleich kracht aber auch Jack Drangos Colt, denn der Bandit entschloss sich nun doch, Emmet Lester zu helfen. Obwohl er erst seinen Colt zog, als Lesters Derringer schon krachte, gibt es zwischen Lesters Schüssen und seinem Schuss kaum eine merkliche Pause. Die Kugeln stoßen Hitt Brackett rückwärts gegen die Wand. Und er spürt an den Einschlägen, dass er sterben wird. Aber daran denkt er jetzt nicht. Sein ganzer Wille ist darauf gerichtet, den Mörder seines Bruders zu strafen. Tödlich getroffen drückt er ab. Dann poltert seine Waffe zu Boden. Er selbst atmet langsam aus und rutscht langsam an der Wand hinab. Er ist tot, bevor er den Boden berührt. Jack Drango betrachtet Emmet Lester. Einige Sekunden sieht es so aus, als wäre
diesem gar nichts geschehen. Doch dann seufzt er tief und macht drei unbeholfene Schritte zu einem der Büffelledersessel. Er kann sich jedoch nicht mehr setzen. Seine Beine knicken plötzlich ein, und er fällt über den Sessel und bleibt so unbeweglich liegen. Jack Drango begreift, dass es zwei Tote gegeben hat. »Zum Teufel«, sagt er rau. Und dann wird ihm klar, dass alles nutzlos und vergebens war. Zwei Mörder haben sich gegenseitig umgebracht. Vielleicht sollte das so sein. Die Ranch ist herrenlos. Weil aber bald das Gesetz in dieses Land kommen wird und Emmet Lester tot ist, wird Jack Drango keinen Anteil an dieser Ranch erhalten können. Alles war nutzlos. Er steht einige Sekunden brütend da und überlegt. Ja, es gibt für ihn hier nichts mehr von Vorteil. Die Bracketts sind tot. Sie werfen keinen Schatten mehr über das Land. Die Menschen hier fühlen sich nun frei. Das haben die Bürger von Oase Valley schon bewiesen, denn sie sandten eine Abordnung zur Hauptstadt. Jack Drango weiß es von Emmet Lester. Er erkennt, dass er hier nichts mehr zu suchen hat. Jack Drango schiebt eine neue Patrone in die Waffe. Er steckt den Colt ins Holster, wendet sich um und geht sporenklirrend hinaus. *** Als die Schüsse krachen, will Holliday seine Colts ziehen und aus dem Versteck treten. Es ist ein wirklich gutes Versteck, denn im Gang herrscht Halbdunkel, und die Treppe versperrt von der Wohnhalle her die Sicht in das Halbdunkel des Ganges. Vom Gang hinaus aber kann man gut sehen. Holliday will also mitmachen, weil er sofort begreift, dass ein Mann wie Jack Drango nicht ungeschoren davonkommen sollte. Aber als er die Colts aus den Schulterholstern zieht, schlingt Mel Larrimer, der hinter ihm steht, seine langen Arme um Holliday. Er presst ihm somit die Oberarme gegen die Rippen und keucht leise in Hollidays Ohr: »Ruhig! Der schießt uns sonst alle tot!« Kirby Overmile kommt Larrimer zu Hilfe. Sie halten Holliday fest, und dieser hütet sich jetzt, auch nur ein leises Geräusch zu machen. Aber er verspürt einen grimmigen Zorn gegen die beiden Feiglinge. Dann hören sie, wie Jack Drango sporenklirrend aus dem Haus geht. Die beiden Rancher keuchen nun lauter. Sie lassen Holliday schnaufend los. »Wenn er uns gehört oder bemerkt hätte, wären wir jetzt schon tot«, sagt Overmile heiser. »Sie sind ihm nicht gewachsen, Jim Miller. Sie hätten uns nicht beschützen können«, keucht Larrimer. »Ein Kampf wäre wirklich unnötig gewesen. Jack Drango und seine Bande werden jetzt bestimmt aus dem Land reiten. Ich wette, dass wir von nun an kein einziges Rind mehr verlieren. Die Bande sucht sich jetzt ein anderes Jagdrevier.« »Ihr Narren«, erwidert Holliday. »Das ist ein Bandit. Er hat geraubt, geplündert und gemordet. Wenn er von hier unbehelligt fortreiten kann, wird er in einem anderen Land abermals wie ein Wolf über gute Menschen herfallen. Und überdies ist es noch gar nicht ganz sicher, ob der Gouverneur eine Abteilung US-Kavallerie oder Staatenmiliz
herschicken wird. Vielleicht kommt erst einmal ein Sheriff mit einem oder zwei Gehilfen. Und diese armen Jungs nimmt Jack Drango dann auseinander. Was wisst ihr, was Jack Drango sich alles noch überlegen und wozu er sich entschließen kann. Ihr Narren.« Die beiden Rancher ziehen sich von ihm zurück. Dann wenden sie sich um und eilen zur Haustür. Sie flüchten. Holliday aber verlässt den Gang, geht um die Treppe herum, durchquert die Wohnhalle und wirft einen schnellen Blick auf die beiden bewegungslosen Gestalten. Dann erreicht er die Tür zur Veranda und tritt aus dem Haus. Jack Drango will gerade aufsitzen. Er hatte noch eine Weile neben seinem Pferd gestanden, in die Runde gespäht und nachgedacht. Aber nun will er fortreiten. Als Holliday auf die Veranda tritt, nimmt der Bandit seinen Fuß aus dem Steigbügel und tritt schnell vom Pferd weg. »Hallo«, sagt er scharf und etwas überrascht. »Das ist ja Jim Miller. Nun sagen Sie nur noch, Jim, dass Sie die ganze Zeit mit Cole hier auf der Ranch versteckt waren.« »So ähnlich war es, Drango«, murmelt Holliday. »Wir waren keine halbe Meile von der Ranch entfernt.« Der Bandit nickt. »Nun gut, ihr habt ja jetzt keine Sorgen mehr, nicht wahr?«, sagt er nach einer kleinen Pause. »Die Bracketts sind tot. Der Bankier war ein Schuft. Und ich muss wieder einmal vor dem Gesetz flüchten. Die Städter haben eine Abordnung…« »Ich weiß Bescheid, Drango«, unterbricht ihn Holliday. Der Bandit betrachtet ihn eine Weile bewegungslos. Er ist sich über Hollidays Absichten noch nicht klar. Er kann noch nicht glauben, dass ihn dieser Mann aufhalten will. Und doch verspürt er deutlich den Anprall einer Gefahr. Er blickt schnell in die Runde. Aber außer diesem mageren, hohlwangigen und krank wirkenden Mann erkennt er nichts. Zorn steigt in ihm auf. »Ist noch etwas, Jim Miller?«, fragt er rau. »Ich möchte Sie mit nach Oase Valley nehmen, Drango – und dem ersten Gesetzesbeamten übergeben, der in die Stadt kommt.« »He, Miller, das ist ein schlechter Scherz.« »Es ist kein Scherz. Sie sind ein Bandit, Drango. Wenn Sie Ihre Bande in ein anderes Land führen, geht es guten, friedlichen und arbeitsamen Menschen wieder schlecht. Und ich habe auch noch eine Menge anderer Gründe, um Sie nicht fortzulassen.« Jack Drango grinst blitzschnell. Er spreizt die Beine und legt die Hände leicht gegen die Hüften. Er wirkt sehr selbstsicher und gefährlich. Und er fragt: »Was für Gründe? Persönliche Gründe? Aber wir sind uns doch vorher nie begegnet!« »Ich bin Burschen von Ihrer Sorte oft begegnet, Drango.« »Und meine Sorte gefällt ihnen nicht, Miller?« »Nein. Wie war das übrigens mit Sam Worth? War er wirklich ein Viehdieb? Oder wie kam ein Kalb der Hackmesser-Ranch sonst zu einem falschen Brandzeichen?« Jack Drango grinst noch gefährlicher. »Ich musste in diesem Land etwas Verwirrung stiften«, sagt er dann lässig. »Die
Bracketts und ihre Reiter mussten etwas zu tun bekommen. Ich sorgte dafür, dass man Kälber der Hackmesser-Ranch immer wieder unter den kleinen Herden der Siedler und Kleinrancher fand. Hitt Brackett ging auch immer prompt auf diese Leute los und jagte sie aus dem Land. So setzte sich die Hackmesser-Ranch immer mehr dem Hass der anderen Menschen aus. Ich rechnete immer damit, dass es zwischen mir und den Bracketts zu einem Endkampf kommen würde. Ich sorgte dafür, dass man sie im ganzen Land zu hassen begann wegen ihrer Härte. Sie sollten von nirgendwo Hilfe bekommen. Und das war ja dann auch so. Als Mingo Skip mein Camp angriff, rissen die Reiter von Overmile und Larrimer sofort aus. Die Hackmesser-Mannschaft konnte ich schlagen. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass die Städter plötzlich mutig werden und zum Gouverneur laufen würden. Das kam für mich überraschend, sonst hätte ich die Expresspost angehalten und die Abordnung an den Ohren aus der Kutsche geholt. Noch etwas, Miller?« »Das ist alles – ich wollte nur hören, dass Sam Worth unschuldig war. Drango, Sie sind an all den bitteren Ereignissen schuld. Dadurch wurde auch der Bankier ruiniert und begann die Bracketts zu hassen. Und Sie haben mit Ihrem gemeinen Spiel auch Sam Worths Tod auf dem Gewissen.« »Ich wollte möglichst viele Rinder von dieser Weide holen und musste dafür sorgen, dass sich die Leute hier im Oase Valley gegenseitig das Leben schwer machten. Das ist der alte Trick aller Viehdiebe. Wenn zwei Hunde sich streiten, schnappt sich ein dritter den Knochen. Aber jetzt habe ich lange genug mit Ihnen geschwatzt, Jim Miller. Sie sind ein ziemlich harter Bursche, das haben Sie bewiesen. Aber versuchen Sie nicht, mich aufzuhalten. Hören Sie, es gibt zur Zeit auf unserem ganzen Kontinent vielleicht nur zwei Männer, die gegen mich eine Chance hätten. Und diese Männer sind Wyatt Earp und dieser Doc Holliday. Ich habe von ihnen gehört und kenne die Burschen, mit denen sie fertig geworden sind. Aber auch ich wäre mit diesen Burschen zurechtgekommen. Und Sie, Jim Miller, sind nicht Wyatt Earp und auch nicht Doc Holliday. Und jetzt werde ich fortreiten, Miller!« Er sagt es kalt und hart und will sich zu seinem Pferd wenden. Aber da hört er den vermeintlichen Jim Miller sanft sagen: »Mein Name ist Holliday, Doktor der Zahnmedizin J. H. Holliday. Und ich war zuletzt mit Wyatt Earp in Tombstone. Drango, schnallen Sie den Waffengurt ab und lassen Sie ihn zu Boden fallen. Ich will Sie dem Gesetz übergeben. Ihr wilde Horde wird dann umso schneller in alle Himmelsrichtungen flüchten.« Jack Drango scheint Hollidays weitere Worte gar nicht zu hören. Er starrt ihn nur staunend an. »Holliday? Sie sind Holliday?« Und dann greifen beide Hände nach seinen Waffen. Er zieht gewiss so schnell wie noch nie in seinem Leben. Denn das Begreifen, dass er einem der ganz Großen gegenübersteht, zuckt wie ein elektrischer Schlag durch seinen Körper und lässt ihn handeln. Er gleich einer Sprengladung, in die der Zündungsfunke schlägt. Und indes er zieht, spürt er eine wilde Freude und Zuversicht. Denn er hat sich immer gewünscht, sich mit einem der letzten großen Revolverkönige messen zu können. Er möchte eines Tages als der letzte und größte Revolverkönig in die Geschichte eingehen. Als er abdrückt, sieht er in Hollidays Mündungsfeuer und verspürt zugleich, wie in
seinem Kopf eine Explosion stattfindet. Seine Kugeln fahren dicht vor Holliday in den Erdboden. Aber das kann er schon nicht mehr wahrnehmen. Es gibt keinen Jack Drango mehr. Holliday atmet langsam aus. Er steckt seine Colts weg und setzt sich langsam auf die oberste Treppenstufe der Verandatreppe. Ein schlimmer Hustenanfall überfällt ihn. Als er seine Not überstanden hat und sich erschöpft umsieht, stehen Mel Larrimer und Kirby Overmile vor ihm. »Wir hätten es nie geglaubt, dass jemand mit Jack Drango fertig werden könnte. Jim Miller, wer sind Sie?« Er blickt sie bitter an. »Ist das wichtig? Mir liegt nichts an diesem traurigen Ruhm. Und wenn ihr mir einen Freundschaftsdienst erweisen wollt, so sagt den Leuten, dass Jack Drango von Hitt Brackett getötet worden ist. Hitt Brackett hätte es sicherlich gern getan. Es wird ihm nichts ausmachen, dass man ihn für Jack Drangos Bezwinger hält. Aber ich habe dann wenigstens meine Ruhe.« Die beiden Rancher nicken. Und sie können kaum glauben, dass dieser müde und kranke Mann ein solch gefährlicher Kämpfer ist. »Schafft Cole Twist in die Stadt«, sagt Holliday zu ihnen. »Versprecht mir, dass ihr gut für den Jungen sorgt. Und grüßt mir Ann Worth. Es wäre mir eine große Beruhigung, wenn ich wüsste, dass ihr sie als Nachbarn und Freunde unterstützen würdet.« Sie nicken feierlich. »Das werden wir«, sagt Overmile. »Jetzt beginnt eine neue Zeit«, spricht Larrimer. Aber dann starrt er Holliday erschrocken an. »He, wollen Sie denn nicht zu Ann Worth reiten, Jim?« »Sie braucht mich nicht mehr«, murmelt er. »In diesem Tal gibt es bald Recht und Ordnung für alle Menschen. Ann Worth braucht meinen Schutz nicht mehr. Ich habe euch doch gesagt, dass ich dem Tode sehr nahe bin. Geht nur. Lasst mich allein. Und denkt an eure Versprechen. Ich werde mich aus den Vorräten der Ranch ausrüsten und meinen Weg fortsetzen.« »Wohin?«, fragen Overmile und Larrimer zugleich. Holliday deutet auf die fernen Mesas. *** Achtzehn Monate später. Es ist ein Vormittag, als der Reiter von Norden her die Wasserscheide des Passes erreicht und den Überblick auf das mächtige Tal bekommt, das man Oase Valley nennt. Der Reiter hält an. Es ist ein großer und hagerer Mann, aber seine Hagerkeit ist gesund. Der Mann ist tief gebräunt. Sein Haar ist an den Schläfen grau, und auch durch seinen Spitzbart ziehen sich graue Strähnen. Der Mann ist in Leder gekleidet. Unter der offenen Jacke ragen die Griffe zweier Colts hervor, die in Schulterholstern stecken. Mit einer leichten und elastischen Bewegung schwingt sich der Mann aus dem Sattel, tritt an den Rand eines Abgrundes und späht lange ins Tal hernieder.
Was seine scharfen Augen sehen, erfreut ihn. Zu seinen Füßen fallen mit Zedern bestandene Terrassen zu Tal abwärts. Diese Bäche winden und schlängeln sich weiter südwärts aus den Wäldern heraus und über die weite Weide des Tales. In der Ferne sind Hügel. Sie versperren dem Mann die Sicht auf die südliche Hälfte des Oase Valley. Aber er weiß, dass dort hinter dem Hügel die Worth Ranch liegt. Die Entfernung beträgt in Luftlinie mehr als fünfzig Meilen. Langsam sitzt der Mann wieder auf und reitet den Passweg hinunter. Einmal kommt ihm eine Postkutsche entgegen, deren Sechsergespann schwer zu ziehen hat. Der Fahrer und sein Begleiter erwidern freundlich den Gruß des Reiters. Dieser reitet weiter, arbeitet sich tiefer und tiefer. Die Bäume werden mächtiger. Bald hört er das Summen der Bienen. Es vermischt sich mit all den vielen anderen Lauten und Geräuschen, denn die Bäche rauschen, die Baumwipfel wiegen sich manchmal im leichten Wind. Truthähne kollern, und die Vögel singen und rufen. Der Mann sieht flinke Eichhörnchen und entdeckt viele Tierfährten. Hier gibt es Rehe und vieles andere Getier. Der Mann nimmt das alles mit leuchtenden Augen wahr. Es entgeht ihm nichts. Und eine starke Freude ist in ihm, denn es ist schön, am Leben zu sein. Es ist schön, hier zu reiten und die sehnige und gesunde Kraft in sich zu spüren. Am späten Abend erreicht der Mann den Grund des mächtigen Beckens und den Rand der Waldgrenze. Er bekommt im Licht der untergegangenen Sonne wieder freie Sicht über die prächtige Weide zu den Hügeln. Er macht sein Camp und brät bald über dem Feuer einen Truthahn, den er im frühen Morgengrauen geschossen hatte. Dann legt sich der Mann zur Ruhe. Bei Sonnenaufgang sitzt er wieder im Sattel und reitet quer über die Weide den Hügeln zu. Er trifft immer wieder auf Rinderrudel. Dann entdeckt er kleine Ranches in weiter Runde. Einmal begegnet er einigen Reitern. Es ist ein Vater mit drei Söhnen, die zwischen vierzehn und achtzehn Jahre sind. Der Mann grüßt. Sein Gruß wird freundlich erwidert. Er hat jetzt die ersten Menschen hier aus diesem Tal getroffen. Und sie sind ohne Misstrauen. Das ist ein gutes Zeichen. Er kann erkennen, dass nur der ältere Mann ein Gewehr bei sich führt. Die Jungen sind unbewaffnet. Der Mann freut sich. Es scheint also doch so zu sein, dass Ordnung und Frieden hier im Tal herrschen. Er fragt höflich und sanft: »Gibt es noch die Worth Ranch?« »Sicher«, nickt der Siedler. »Es ist die einzige Ranch, die von einer Frau geleitet wird. Es ist eine prächtige Ranch. Aber noch prächtiger ist die Besitzerin. Sind Sie mit ihr verwandt, Mister?« »Nein«, murmelt der Mann aus der Wüste und greift an den Hut. »Es freut mich sehr, dass es Ann Worth gut geht. Was macht der Junge?« »Ich sah ihn vor drei Wochen, als ich einen Zuchtbullen von der Worth Ranch kaufte«, erklärt der Siedler. »Es ist ein prächtiges Kind. Cole Twist musste ihn auf sein Pferd nehmen und mit ihm im Ranchhof einige Runden reiten.«
»Das freut mich auch«, murmelt der Fremde. Dann reitet er mit einem Gruß weiter. Der Siedler und seine drei Söhne starren ihm nach. Aber dann zuckt der Siedler plötzlich zusammen. Er schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und sagt: »Jetzt hab ich’s, Jungs, dieser Mann kam aus der Wüste, und er trägt zwei Colts in Schulterholstern. Und er hat eine Narbe unter dem linken Mundwinkel. Lasst uns zu Mel Larrimer reiten, Jungs. Mel hat mir doch vor Monaten eine Geschichte erzählt. Hoii…« Der Mann, der aus der Wüste über den Pass kam, reitet den ganzen Tag. Er reitet durch ein aufblühendes Tal, in dem es viele kleine Ranches und Siedlerstätten gibt. Er sieht auch Felder und Äcker. Am Nachmittag blickt er von einem Hügel auf die Stadt nieder. Sie ist gewachsen. Er sieht viele neue Häuser. Die Straße ist besser geworden. Reiter, Wagen und Packtierkarawanen bewegen sich dort unten. Der Mann reitet weiter. Er schlägt einen Bogen um die Stadt, reitet einige Meilen auf der neuen Poststraße und erreicht dann eine schmalere Abzweigung, an der ein Wegweiser steht. Ein Briefkasten ist an den Pfahl genagelt. Worth Ranch, steht auf dem Schild. Und nun reitet der Mann immer langsamer. Manchmal hält er sogar an und zögert. Aber dann treibt er sein Pferd doch immer wieder an. Er kommt durch einige Hügel und sieht dann die Ranch vor sich in der Abendsonne. Es ist eine prächtige Ranch, mit festen Gebäuden, guten Corrals und einem großen Garten hinter dem Haus. In diesem Garten bewegen sich eine Frau und ein Kind. Man kann erkennen, dass sie Erdbeeren ernten. Der Reiter seufzt. Als er die Corrals erreicht, betrachten ihn drei Cowboys aufmerksam. Sie sitzen auf einer Corralstange und haben wohl soeben Feierabend gemacht. Zwischen den Ställen erscheint ein vierter Mann. Er ist noch jung, wirkt aber sehr selbstbewusst und tüchtig. Einer der Cowboys, die auf der Corralstange sitzen, deutet auf den jungen Mann und sagt: »Wenn Sie zur Worth Ranch wollen, Fremder, dann ist dies dort der Vormann.« Der Fremde nickt dankend und reitet weiter. Er verhält vor dem jungen Vormann sein Pferd und faltet die Hände über dem Sattelhorn. Der junge Vormann blickt prüfend zu ihm hoch, zuckt dann zusammen und wischt sich hastig über die Augen. Dann sagt er seltsam schrill: »Jim? Sind Sie Jim? Bei Gott, das ist doch nicht wahr! Jim, bist du endlich gekommen?« Holliday nickt. »Habt ihr denn auf mich gewartet?«, fragt er. Cole Twist nickt eifrig und schluckt mühsam. Er will sich umwenden und fortlaufen. Aber Holliday sagt schnell: »Nein! Ich will mich nicht anmelden lassen. Ich muss ihr in die Augen sehen können, wenn sie mich plötzlich erkennt. Ich muss sehen, ob sie auf mich gewartet hat.« »Wir haben hier die ganze Zeit nichts anderes getan als gewartet und gehofft«, spricht Cole Twist erregt. »Jim, unsere Gedanken und Wünsche waren immer bei dir. Und Ann Worths Glaube war stets unerschütterlich.« Holliday sitzt ab.
»Versorge mein Pferd, Cole«, murmelt er und drückt diesem die Zügel in die Hand. Dann geht er um das große Ranchhaus herum. Cole nähert sich mit dem Pferd dem Corral. Die drei Cowboys sehen ihn neugierig an. »Cole, wer ist dieser Fremde?«, fragt einer. Er grinst sie an. »Das ist Jim Miller – und ich habe euch eine Menge von ihm erzählt, nicht wahr?« Die drei jungen Cowboys bekommen einen ehrfürchtigen Ausdruck in die Gesichter. »Das ist er?«, fragt der eine. »Der Mann, auf den Ann Worth gewartet hat?«, fragt der Dritte. »Er wird hier der Boss sein.« Cole grinst. »Und die Menschen im Tal werden ihn achten. Er wird hier der größte Mann sein, aber auf eine andere Art als die Bracketts.« Indes ist Holliday um das Haus gegangen und hat den Garten erreicht. Der kleine Junge kommt ihm entgegengelaufen, weil er einen Schmetterling verfolgt. Er erwischt den Falter natürlich nicht, stolpert über seine stämmigen Beinchen und fällt vor Hollidays Füße. Der kniet nieder und hebt ihn auf. »Hallo, Jimmy«, sagt er. Der Junge betrachtet ihn staunend und greift dann nach Hollidays Spitzbart. »Wer du? Wer du?«, fragt er. »Wer bin ich wohl, Jimmy?« Der betrachtet ihn ernst. Nach einer Weile bohrt er seinen Zeigefinger in die Nase und kreischt: »Du Big Jim! Big Jim!« Holliday lächelt. Er späht zu Ann Worth hinüber. Die steht starr und unbeweglich zwischen den Erdbeerbeeten. Aber der Korb gleitet ihr aus der Hand. Dann kommt sie Holliday langsam entgegen. Der setzt sich ebenfalls mit dem Jungen auf dem Arm in Bewegung. Als sie sich einander bis auf einen Schritt genähert haben, halten sie beide an. Sie betrachten sich. Jimmy kräht auf Hollidays Arm: »Big! Big Jimmy! Big Jim!« Sie hören es nicht. Aber dann sagt Ann sanft: »Du bist heimgekommen, Jim. Und du bist gesund. Ich habe auf dich gewartet.« Er sieht das gute Leuchten in ihren Augen. Und da weiß er, dass sie wirklich gewartet und gehofft und geglaubt hat. Ein gutes Gefühl breitet sich in ihm aus. »Willst du mich wirklich haben?«, fragt er. »Ich ritt damals fort, weil du mich nicht mehr brauchtest und ich nicht glauben konnte, wieder gesund werden zu können. Du brauchtest einen gesunden Mann, der noch…« »Still«, sagt sie, kommt zu ihm, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn. »Sei still, Jim Holliday. Du bist heimgekommen. Ich will deine Frau werden. Jimmy braucht einen Vater. Wir haben lange gewartet.« »Du kennst meinen richtigen Namen?«, fragt er verwundert und spürt ihren Kuss noch auf seinen Lippen. »Joshua Brackett hatte einen Mann namens Sego nach Süden geschickt, der deine Fährte bis nach Tombstone verfolgte. Dieser Sego kam dann zu mir. Aber er sagte nur mir, wer du bist. Er ist dann fortgeritten und hat mit keinem anderen Menschen über dich
gesprochen.« »Ich möchte Jim Miller bleiben«, murmelt er. »Holliday war krank und vom Tode gezeichnet, und er war nichts anderes als ein Revolvermann, Spieler und Trunkenbold, den ein ausschweifendes Leben ruiniert hatte. Ich bin Jim Miller. Macht dir das etwas aus, Ann?« »Mit ist jeder Name recht, Jim – denn ich kenne dich. Ich kenne dich gut.« ENDE