John Curtis Kanonendonner in der Todesbucht
1. »Da wird geschossen! Verdammt noch mal, da vorn muß die Hölle los sein!...
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John Curtis Kanonendonner in der Todesbucht
1. »Da wird geschossen! Verdammt noch mal, da vorn muß die Hölle los sein!« Unwillkürlich hatte der Seewolf leise gesprochen. Aber das war völlig unnötig, denn jetzt drang auch lautes Geschrei an seine Ohren, das abermals vom Dröhnen abgefeuerter Musketen durchbrochen und übertönt wurde. Die Männer um Philip Hasard Killigrew verhielten sich mucksmäuschenstill. Es war ihnen rätselhaft, wer da vor ihnen in der Nacht auf der Insel herumballerte. »Das kann nur beim Dorf der Araukaner sein, Hasard«, sagte Carberry schließlich und schob sein Rammkinn vor. »Das aber würde gleichzeitig bedeuten, daß sich Spanier auf der Insel befinden müssen. Denn die Indianer besitzen keine Feuerwaffen.« Der Seewolf nickte, während er angestrengt nachdachte. Carberry hatte recht - eine andere Lösung gab es nicht. Hasards Gruppe, die aus elf Männern bestand, Carberry ausgenommen allesamt aus seiner Crew, verharrte in absoluter Finsternis. Der urwaldähnliche Pflanzenwuchs, der sie umgab, schluckte sogar noch den Schimmer der Sterne. Ferris Tucker, der neben Hasard stand, stieß eine Verwünschung aus. Aber dann überzog ein Grinsen seine Züge, während er seine riesige Zimmermannsaxt fester packte. »Wenn das welche von diesen verdammten Dons sind, dann kommen sie mir gerade recht. Ich habe diese Hundesöhne noch nicht vergessen, ganz besonders nicht die Zeit auf der ›Tortuga‹. Da sind noch ein paar Rechnungen offen. Denen 2
werde ich auf die Zehen treten, bis sie Plattfüße haben!« Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Auch der Seewolf grinste. Mit dieser Teufelsbande ließ sich etwas anfangen. Er dachte flüchtig daran, wie er sie in Spanien von der Galeere heruntergeholt hatte, auf der die Spanier sie in Ketten als Sträflinge monatelang gefangengehalten hatten. Statt Essen hatte es dort oft nur Peitschenhiebe gegeben. Die tiefen Narben auf den Rücken der Männer waren deutliches Zeugnis für die Torturen, die sie auf der ›Tortuga‹ hatten hinnehmen müssen. Und der Seewolf verstand nur zu gut, daß diese Monate bei keinem von ihnen vergessen waren. »Hört zu«, sagte er. »Wir werden erstmal erkunden, was da eigentlich los ist. Seid vorsichtig, wenn die Dons das Dorf der Indianer angegriffen haben, dann befinden sie sich auch in der Übermacht. Ich habe keine Lust, in irgendeine Falle oder irgendeinen Hinterhalt zu laufen. Und vergeßt nicht - auch die Indianer könnten uns die Hölle wieder ganz schön anheizen!« Unwillkürlich tastete er nach der tiefen Wunde, die ihm der Araukanerpfeil mit seiner Knochenspitze gerissen hatte. Von der Augenbraue über die ganze linke Wange. Noch immer brannte sie höllisch. »Los, vorwärts!« kommandierte er, und der kleine Trupp setzte sich in Bewegung. Hinter dem Seewolf brach Carberry durch den Pflanzenwuchs. Voraus stampfte Ferris Tucker. Wo notwendig, hieb er mit seiner Axt den Weg durch Lianen und Unterholz frei - eine andere Möglichkeit gab es nicht. Hasard und Carberry unterstützten ihn dabei mit ihren Entermessern. Es war schwül. Die im Dschungel herrschende Feuchtigkeit trieb ihnen den Schweiß aus den Poren. Irgendwo kreischten Tiere im Dunkel der Nacht, aber immer wieder drangen das Dröhnen der Musketen und das Geschrei der Indianer an ihre Ohren. Hinter Hasard kämpfte sich Dan O’Flynn vorwärts. Ihm folgten der riesige Gambia-Neger Batuti, Ben Brighton, der Kutscher, Stenmark, Smoky, Gary Andrews, Blacky und Al 3
Conroy, der den Schluß der Gruppe bildete. Alle waren bis an die Zähne bewaffnet. Sie arbeiteten sich schweigend vorwärts, bis sie endlich auf einen Pfad der Araukaner stießen, der wahrscheinlich zum Dorf führte. Der Seewolf blieb stehen, und auch der rothaarige Schiffszimmermann ließ seine Axt sinken. Der Kampfeslärm vor ihnen war lauter geworden. Aber dann hörten sie etwas, was ihnen buchstäblich die Haare zu Berge stehen ließ. Eine hohe helle Stimme stieß schrille Schmerzenslaute aus. Laute, die sie nicht verstanden, aber die Männer begriffen trotzdem, was dort knapp hundert oder auch nur fünfzig Yards vor ihnen geschah. Dan sprach es als erster aus. »Da wird jemand gefoltert!« stieß er hervor, und seine Stimme vibrierte vor Zorn. Und wie, um seine Worte zu untermalen, ertönten wieder diese entsetzlichen schrillen Schreie, die gleich darauf von lautem Gelächter aus rauhen Männerkehlen übertönt wurden. Der Seewolf entschloß sich schnell, denn einige der Männer, die gerade gelacht hatten, begannen jetzt auch laut etwas in die Nacht zu grölen. »Das sind Dons!« stieß Ben Brighton voller Grimm aus, der genau wie der Seewolf perfekt Spanisch sprach. »Und ob das Dons sind, Ben!« knirschte Hasard. Er konnte seinen Grimm kaum noch meistern, denn er hatte genau wie Ben verstanden, was der Spanier gegrölt hatte. Weder der Seewolf noch seine Männer waren zart besaitet, aber das, was Hasard da eben gehört hatte, das trieb sogar ihm das Blut in die Wangen. »Ferris, Batuti, Ben - mir nach. Die anderen folgen uns, aber seid vorsichtig, ich weiß nicht, wie viele Dons da vor uns sind. Seht zu, daß ihr sie in die Zange nehmt. Carberry - du 4
übernimmst das Kommando!« Der Profos schob abermals sein Rammkinn vor. »Die Kerle da sind schon so gut wie in der Hölle. Haut ab, ich bleibe mit den anderen dicht hinter euch. Wenn irgend etwas schieflaufen sollte, pauken wir euch wieder ‘raus!« Der Seewolf nickte nur kurz und verschwand auch schon mit Ferris Tucker, Ben Brighton und Batuti in der Dunkelheit.
Sie brauchten nur wenige Minuten, dann erblickten sie vor sich den Schein eines lodernden Feuers. Von fern drang der Kampfeslärm herüber, er war etwas abgeflaut, wahrscheinlich sammelten die Spanier Kraft zum nächsten Angriff. Um so besser verstanden Hasard und seine Männer, was da vor ihnen auf der kleinen Lichtung geschah, die offenbar von den Araukanern rings um einen kleinen, tempelartigen Bau geschlagen worden war. Der Seewolf, der wieder kurz stehengeblieben war, huschte weiter. Nach etwa zwanzig Schritten hatte er den Rand der kleinen Lichtung erreicht - und was er da sah, das sträubte ihm die Haare. Auf der Lichtung, etwa drei Yards vor dem kleinen Tempel, umstanden sechs Spanier ein am Boden liegendes, an vier ins Erdreich geschlagene Pflöcke gefesseltes Araukanermädchen. Einer der Kerle hielt ein glühendes Eisen in der Hand, ein anderer bückte sich gerade und fetzte dem Mädchen mit einem Ruck den letzten Rest der Kleidung vom Körper. Nur im Unterbewußtsein registrierte der Seewolf, daß die Indianerin ein bildhübsches, gertenschlankes und sicherlich noch sehr junges Mädchen war. Auf einem ihrer Oberschenkel hatte die Araukanerin eine häßliche Brandwunde. Der Kerl, der das glühende Eisen in der Hand hielt, trat eben an das Mädchen heran, senkte das Eisen und wollte es auf eine 5
ihrer Brüste drücken, aber dazu kam er nicht mehr. Der Seewolf stieß einen Schrei aus, der fast den hölzernen Tempel erzittern ließ. Dann warf er sich auf den Spanier, rammte ihm sein Entermesser durch das Lederwams in den Leib und katapultierte ihn gleichzeitig gegen die Außenwand des hölzernen Tempels. Im Nu hatte der Seewolf sein Entermesser wieder aus dem Körper des Spaniers herausgerissen, wirbelte herum und schlug die scharfe Klinge dem nächsten in die Schulter. In diesem Moment stürmte Ferris Tucker heran. Mit einem wahrhaft satanischen Gebrüll schmetterte er seine überlange Axt dem nächsten auf den Helm. Der Schlag war mit solcher Kraft geführt, daß der Spanier trotz des Helms mit gespaltenem Schädel zu Boden sank. Batuti und Smoky warfen sich unterdessen auf die anderen drei Spanier, die sie aus weit aufgerissenen Augen anstarrten, unfähig, den Schock zu überwinden, den das plötzliche Auftauchen jener Fremden, die dazu noch Weiße waren wie sie selber, in ihnen hinterlassen hatte. Aber dann griffen sie zu ihren Waffen. Und nun zeigte sich, daß diese Spanier zu einer kampfgewohnten Truppe gehörten, die Tod und Teufel nicht fürchtete. Sie hatten keine Ahnung, wer die Angreifer waren, aber sie rissen ihre Musketen, ihre Degen und ihre Hellebarden hoch. Batuti, der gerade einen von ihnen an der Wand des Tempels mit seinem Entermesser festnageln wollte, wurde von einem mörderischen Hieb in den Rücken getroffen. Sein zum tödlichen Stoß erhobener Arm verharrte in der Luft, dann fiel er kraftlos herab. Ben Brighton fegte den Spanier, der ihn eben mit einem wütenden Ausfall seiner Hellebarde in arge Bedrängnis brachte, mit ein paar wuchtigen Hieben zur Seite und deckte den bewußtlosen Batuti mit seinem Körper. Der Seewolf sprang den beiden zu Hilfe, aber in diesem 6
Moment waren Carberry und die anderen zur Stelle. Ihre Messer blitzten im Schein des lodernden Feuers auf. Einer der Spanier stieß einen schrillen Todesschrei aus, dann herrschte plötzlich wieder Stille. Nur das Keuchen der Männer und Knistern der Flammen waren zu hören. Stumm umstanden die Männer das Araukanermädchen, dann beugte sich Ferris Tucker zu ihr hinunter, zog sein Messer und zerschnitt die Fesseln. Behutsam hob er die Araukanerin auf und trug sie auf seinen starken Armen in den Tempel. Hasard ließ ihn gewähren, aber noch bevor er sich darüber klarwerden konnte, was nun mit der Indianerin geschehen sollte, riß ihn ein lauter Schrei aus seinen Überlegungen. Ferris Tucker erschien totenblaß mit der Araukanerin auf den Armen wieder auf der Lichtung vor dem Tempel. Beim Seewolf blieb er stehen. »Diese Bestien!« stieß er erbittert hervor. Gleichzeitig bettete er die Araukanerin wieder behutsam auf den Boden neben das Feuer. Dann winkte er den Kutscher heran. »Los, kümmere dich um die Brandwunde auf dem Oberschenkel. Und sorg dafür, daß die Kleine etwas anzuziehen kriegt - und wenn einer von uns seine Hosen auszieht. Klar?« Der Kutscher nickte nur und kniete sich neben dem Mädchen nieder. Unterdessen stürmten die anderen in den Tempel. Dort bot sich ihren Augen ein entsetzliches Bild. Ein junger, gutgewachsener Indianer hing dort an einem Seil, das die Spanier offenbar an einem hervorstehenden Balken befestigt hatten, so genau ließ sich das wegen der herrschenden Dunkelheit, die nur von dem draußen brennenden Feuer ein wenig aufgehellt wurde, nicht erkennen. Er war gefoltert worden, aber nicht nur mit glühenden Eisen, sondern auf noch viel schlimmere, unmenschliche Weise. Der Seewolf spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Nur mit Mühe unterdrückte er den Brechreiz. 7
Wortlos verließ er den Tempel. Noch im Ausgang drehte er sich herum. »Nehmt ihn herunter. Legt ihn auf den Boden. Wir haben jetzt keine Zeit, ihn zu begraben, aber wir werden das später tun. Kümmern wir uns erstmal um das Mädchen, vielleicht erfahren wir von ihr noch etwas.« Als der Seewolf an das Feuer trat, hatte der Kutscher gerade die häßliche Wunde auf dem Oberschenkel der Araukanerin verbunden. Das Mädchen war wieder bei Bewußtsein, sie sah den Seewolf aus ihren großen, fast schwarzen Augen an. Ihm kam es vor, als werfe sie ihm einen langen, prüfenden Blick zu. Der Kutscher hatte ihre Blößen notdürftig mit seiner Jacke bedeckt. Die Araukanerin setzte sich auf. Mit einer Hand zog sie die Jacke fest um ihren Körper, so daß sie schließlich wie eine Art kurzer Rock wirkte. Die andere führte sie zur Stirn und verneigte sich leicht gegen Hasard. Dann geschah wieder etwas völlig Überraschendes. Ganz plötzlich sprang sie auf und war in der Dunkelheit verschwunden, noch bevor der Seewolf irgend etwas dagegen unternehmen konnte. Dan, der eben aus dem kleinen Tempel ins Freie trat, sah das. Sofort warf er sich mit einem Riesensatz nach vorn, um die Indianerin noch zu erwischen, aber der Seewolf packte zu und hielt ihn fest. »Laß sie, Dan. Wenn sie das mit angesehen hat, was da drinnen geschehen ist, dann hat sie mehr durchgestanden, als mancher von uns in seinem ganzen bisherigen Leben. Laß sie, sie wird in ihrem Dorf berichten, auf welche Weise sie gerettet wurde, und das kann uns sowie Matt und Pete nur nutzen, falls die beiden in die Gefangenschaft der Araukaner geraten sein sollten.« Die Männer bildeten einen Kreis um den Seewolf. Und in diesem Moment brach beim Dorf der Araukaner wieder der 8
Kampfeslärm los. Musketen donnerten, Menschen schrien, nur daß diesmal alles schon viel lauter war als vorher. Der Seewolf hatte seinen Entschluß sehr schnell gefaßt. »Wir sehen nach, was dort geschieht. Wir werden den Araukanern helfen, wenn das noch möglich ist. Und vor allen Dingen müssen wir wissen, mit wie vielen Dons wir es hier zu tun haben.« Die Männer setzten sich in Bewegung. Der Pfad, der offenbar zum Dorf führte, verbreitete sich. Der Seewolf war sich im klaren darüber, daß die Spanier diesen Pfad vielleicht auch kannten und sie auf diese Weise sehr leicht in eine Falle geraten konnten. Aber er vertraute gleichfalls darauf, daß die Spanier ja von ihrer Anwesenheit gar nichts wissen konnten. Gar nichts wußten, das hatten eindeutig die Reaktionen der sechs getöteten Spanier bewiesen, die das Mädchen und den jungen Indianer gefoltert hatten. Sie brauchten nicht lange, dann hörte der Dschungel plötzlich auf. Vor ihnen, auf einer großen Lichtung, lag das Dorf der Araukaner. Es war umgeben von hohen Palisaden, deren Pfähle in gefährliche Spitzen ausliefen. Vor dem Palisadenzaun befand sich ein breiter Schutzgraben, der mit Wasser gefüllt war. Und überall im Dorf flackerten Feuer, aber auch draußen auf der Lichtung. Hasard und seine Männer verbargen sich am Rande der Lichtung. Die ganze Gegend wimmelte nur so von Spaniern, die eifrig damit beschäftigt waren, Bäume zu fällen, mit denen sie offenbar später den breiten Schutzgraben überbrücken wollten. Der Seewolf knirschte mit den Zähnen. »Diese Kerle wollen das Dorf stürmen!« sagte er. »Wenn ihnen das gelingen sollte, dann wird es keiner der Indianer überleben. Ich habe verdammt den Eindruck, daß es sich bei dieser Aktion um eine Strafexpedition handelt.« Er spähte umher. Es war schwer, die Anzahl der Spanier zu 9
schätzen. Aber je länger er die Dons beobachtete, desto mehr wurden es. Hin und wieder eröffneten sie wütendes Musketenfeuer auf die Palisaden und wurden dafür mit einem Hagel von Pfeilen überschüttet. »Mann, das sind über hundert Spanier!« flüsterte Carberry. »Mindestens, vielleicht sogar zweihundert. Hölle und Verdammnis, woher kommen die bloß? Ganz gleich, was wir auch tun, gegen die haben wir paar Mann nichtdie geringste Chance. Und ich fürchte, die Araukaner auch nicht!« Hasard nickte. Der Profos hatte recht. In diesem Moment zuckte Dan, der neben den beiden lag, heftig zusammen. Vor Aufregung versagte ihm fast die Stimme. »Da, da an den Palisaden!« sagte er. »Pete und Matt! Die kämpfen mit den Araukanern gegen die Dons, sie leben, Hasard!« Dan deutete aufgeregt in eine ganz bestimmte Richtung, und da sahen es die anderen auch: Hinter den Palisaden, wahrscheinlich auf einer Art Wehrgang, standen Pete Ballie und Matt Davies, der Mann mit dem Eisenhaken am rechten Unterarm. Der Seewolf atmete auf. Sie lebten tatsächlich. Zugleich bestärkte ihn diese Entdeckung in seinem Entschluß, den er im stillen bereits gefaßt hatte. Es gab keine andere Möglichkeit, sie mußten Drake verständigen und Hilfe anfordern. Es wäre reiner Selbstmord gewesen, gegen diese Übermacht der Spanier auch nur etwas zu versuchen. Aber wie lagen die Dinge wirklich? Hatten die Spanier noch weitere Truppen gelandet? Konnten sie sich rasch Verstärkung beschaffen, wenn das nötig werden sollte? Gerieten Drake und seine Männer dadurch etwa in eine ausweglose Falle? Hasard überlegte schnell, und ebenso schnell entschloß er sich auch. »Blacky - Smoky! Ihr beide verständigt den Kapitän. Aber 10
beeilt euch, und haltet vor allem die Augen auf. Es könnten noch mehr Trupps von diesen verdammten Dons über die Insel streifen. Lauft ihnen ja nicht in die Finger, vor allen Dingen laßt euch auf keinen Kampf ein. Ich und die anderen bleiben hier, ihr führt die Männer, die Drake uns schickt, hierher!« Blacky und Smoky verschwanden. Sie beeilten sich höllisch, denn sie hatten gesehen, wie schlimm es um das Dorf der Araukaner und damit auch um Pete Ballie und Matt Davies stand.
2. Kapitän Drake hatte seine Kammer im Achterkastell der ›Golden Hind‹ verlassen und stand an der Steuerbordreling. Voller Unruhe horchte er auf das Schießen, auf den Kampfeslärm, der deutlich vernehmbar bis zu ihm von der Mocha-Insel, die etwa zwanzig Meilen nördlich von Valdivia vor der chilenischen Küste lag, herüberdrang. Aber es war nicht allein Sorge, sondern auch Ärger. Natürlich war ihm nicht entgangen, daß der Seewolf und seine Teufelsbraten die ›Golden Hind‹ in geradezu bemerkenswerter Schnelligkeit und Einhelligkeit verlassen hatten, nachdem der Kutscher, der zweite Koch der ›Golden Hind‹, über Bord gefallen war. Obendrein befand sich auch noch Carberry, der Profos, in dem Boot, mit dem die Kerle zur Insel gepullt waren. Seitdem war diese ganze Teufelsbande verschwunden und blieb es auch. Drake lauschte wieder auf das heftige Schießen. Dabei spähte er unaufhörlich über die dunkle Wasserfläche, um eventuell das längst überfällige Boot zu entdecken. Wenn dem Seewolf und seinen Männern etwas passiert war, wenn die Indianer sie überfallen und möglicherweise umzingelt hatten, dann saß auch er, Francis Drake, ganz schön in der Patsche. Denn diese 11
Teufels-Crew war durch nichts zu ersetzen. Zorn stieg in ihm hoch. Er dachte daran, daß er ausdrücklich jede Suche nach den beiden verschollenen Männern Hasards, nämlich Pete Ballie und Matt Davies, verboten hatte. Nicht, weil er diese beiden tapferen und hervorragenden Seeleute einfach ihrem Schicksal überlassen wollte - dergleichen lag Drake fern -, sondern weil das Risiko, das eine Suchaktion auf der Mocha-Insel mit sich brachte, einfach zu groß war. Und nun wurde Drake das Gefühl nicht los, daß dieser Hasard Killigrew, dieser schwarzhaarige Teufel, die ganze Mann-überBord-Geschichte nur inszeniert hatte, um auf diese Weise dennoch ungehindert eine solche Suche durchführen zu können. Drake war normalerweise ein ruhiger Mann, der eher zur Besonnenheit als zu Zornesausbrüchen neigte. Aber in diesem Moment kochte es in ihm. Es war nicht das erstemal, daß der Seewolf sich seinen Befehlen nicht nur widersetzte, sondern ihnen einfach zuwidergehandelt hatte. Allerdings immer mit dem Erfolg, daß Drake an ernstliche Bestrafung gar nicht mehr denken konnte. Schon einmal hatte es schwere Differenzen zwischen ihm und dem Seewolf gegeben, als nach einer blutigen Schlacht am Blackwater Batuti, der riesige Gambia-Neger, vermißt wurde und er, Drake, die Suche nach dem Verschollenen aus Sicherheitsgründen schließlich abgebrochen hatte. Das war sogar so weit gegangen, daß Killigrew und Captain Norris sich fast geschlagen hätten, und er - Drake - einen Kampf zwischen den beiden nur noch mit einem Machtwort hatte verhindern können. Gleichzeitig aber hatte er gespürt, daß der Seewolf im Innern gar nicht daran dachte, nachzugeben. Und verdammt noch mal, wahrhaftig hatten zwei seiner Leute trotz des Verbots diesen Batuti weiterhin gesucht und auch gefunden.
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Aber nicht nur das, Batuti hatte sogar einen Gefangenen mitgebracht und an Bord geschleift. Einen spanischen Capitan, dessen Aussage später sogar entscheidend für den glücklichen Ausgang ihres Kampfes am Blackwater und für die Vernichtung des dort angelegten Waffendepots geworden war. An all das mußte Drake denken, während der Zorn über diesen neuerlichen Ungehorsam des Seewolfs und seiner Teufelsbande mehr und mehr von ihm Besitz ergriff. Stutzig wurde er nach wie vor durch den Umstand, daß diesmal sogar Carberry, der Profos, ein ihm unbedingt treu ergebener Mann, mitgespielt hatte. Das verstand Drake absolut nicht und ließ ihn unsicher werden. Wieder drang das Knattern von Musketen zu ihm herüber. Drake spürte, wie ein Kribbeln seinen Körper überlief. Natürlich konnte er diesen schwarzen Satan und seine Männer nicht dort drüben auf der Insel von den Indianern massakrieren lassen. Das aber zwang ihn zu etwas, was er hatte vermeiden wollen: Er mußte gegen die Araukaner kämpfen, statt sie in ihrem Krieg gegen die Spanier zu unterstützen! Dieser Gedanke war es, der bei Drake endgültig das Faß seines Zorns zum Überlaufen brachte. Er warf einen Blick zum Hauptdeck hinunter, dorthin, wo Mac Pellew, der Koch der ›Golden Hind‹, seine Kombüse hatte. Drake wußte, daß Mac Pellew stets über alles informiert war, was sich an Bord abspielte oder auch nur anbahnte. Mac Pellew gehörte zu jenen Männern, die buchstäblich das Gras wachsen hörten. Er hatte zwar gemeldet, er sei schuld daran, daß der Kutscher über Bord gefallen war, weil er ihn aufs Schanzkleid gejagt hatte, um Abfall ins Wasser zu kippen. Aber irgendwie war die Sache oberfaul. Sein Entschluß war gefaßt. Er würde dem alten Griesgram noch einmal auf den Zahn fühlen. Und zwar gehörig, danach würde er wahrscheinlich wissen, was sich an Bord seines Schiffes abgespielt und sogar ein Mann wie Carberry sich 13
gegen seine ausdrückliche Order aufgelehnt hatte. Drake verließ das Achterkastell. Er registrierte, daß einige Männer der Besatzung an der Steuerbordreling standen, zur nahen Mocha-Insel hinüberstarrten und auf den immer wieder anschwellenden Kampfeslärm horchten. Unter ihnen gewahrte er auch den Bordgeistlichen, Francis Fletcher, der auf ein paar Leute einredete. Drake zögerte einen Moment. Er traute diesem Fletcher nicht. Er. wußte, daß dieser Bursche gegen ihn intrigierte, wo immer es ging. Und Drake war dagegen auch so gut wie machtlos, denn ohne ganz schwerwiegenden Grund konnte er es nicht wagen, Hand an den Bordgeistlichen der ›Golden Hind‹ zu legen. Drake wußte, daß er seit der Hinrichtung Sir Thomas Doughtys in Port St. Julian in Fletcher einen unversöhnlichen Feind hatte. Es war bereits zu mehreren Zusammenstößen zwischen ihm und dem Geistlichen gekommen, die um so gefährlicher waren, weil Fletcher nie mit offenem Visier kämpfte, sondern wahrscheinlich Berichte verfaßte, die er nach der Rückkehr der ›Golden Hind‹ in England gegen ihn, den Kapitän dieses Schiffes, verwenden würde. Der Seewolf hatte Drake schon mehrfach vor Fletcher gewarnt, mehr noch - die Männer Hasards bewachten diesen Mann, belauerten ihn förmlich, um seine Aktivitäten schon möglichst im Keim zu ersticken. Keine leichte Aufgabe bei diesem aalglatten Kerl, der sich ständig hinter seinen Bibelsprüchen und seiner Frömmelei verschanzte! Das brachte Drake wieder zu seinem eigentlichen Problem. Denn Hasards Männer waren von Bord, drüben auf der MochaInsel! Entschlossen setzte er seinen Weg fort, nicht, ohne mit einem zufriedenen Blick aus Fletchers Augen bedacht zu werden. Drake stieß die Tür zur Kombüse auf. Und richtig, wie er vermutet hatte, war auch Mac Pellew noch wach. Er starrte 14
Drake an, und sein Gesicht wurde noch um einige Grade mißmutiger als sonst. Er liebte derartige Besuche in seinem Reich gar nicht. Erst recht nicht, wenn sie Schwierigkeiten versprachen. »Kapitän?« Unüberhörbar lag in diesem Wort, das Frage und Feststellung zugleich war, die ganze Mißbilligung des Kochs über die unerwartete Störung. Unerwartete Störung? Drake mußte unwillkürlich lächeln. Nein, unerwartet kam Mac Pellew sein später Besuch bestimmt nicht. Aber es gehörte zu den Eigenschaften des Kochs, daß er meisterhaft zu schauspielern verstand. Denn dieser hagere, wie ausgemergelt wirkende und dennoch knallharte Bursche war auf seine Weise ein mindestens so schwieriger Fall wie der Seewolf. »Mr. Pellew«, sagte Drake, und sofort begann der Koch, Löcher in die Kombüse zu starren. »Mr. Pellew, ich will von Ihnen wissen, was wirklich mit dem Kutscher passiert ist. Der Mann hat also beim Überbordwerfen von Abfällen die Balance verloren und ist ins Wasser gestürzt. Um ihn zu retten, verschwand Mr. Killigrew mitsamt seiner ganzen Crew. Außerdem noch Carberry. Bis jetzt ist keiner der Männer wieder aufgetaucht, aber statt dessen ist da drüben auf der Insel der Teufel los. Mr. Pellew, wenn Sie mir etwas dazu zu sagen haben, dann ist es Ihre Pflicht, alles, aber auch alles zu sagen. Es geht um das Leben von Mr. Killigrew und seinen Männern. Es geht aber außerdem um die ›Golden Hind‹. Sie wissen so gut wie ich, daß ich Mr. Killigrew und seine Männer nicht entbehren kann, auf keinen Fall.« Mac Pellew stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Kein Muskel in seinem Gesicht zuckte. Er starrte einfach Löcher in die Luft, aber er traf nicht die geringsten Anstalten, Drake überhaupt etwas auf diese Frage zu antworten. Wieder stieg in Drake der Zorn hoch. »Mr. Pellew«, begann er abermals, aber diesmal klang seine 15
Stimme eine Spur schärfer, »tun Sie jetzt bloß nicht so, als wüßten Sie nichts. Sie sind an Bord der ›Golden Hind‹ der Mann, der sogar die Kakerlaken husten hört. Verdammt noch mal, Pellew, Sie müssen mir helfen, verstehen Sie das nicht, oder wollen Sie das nicht begreifen? Also raus mit der Sprache: Killigrew und seine Männer haben die ganze Sache mit dem Kutscher nur in Szene gesetzt, weil sie Pete Ballie und Matt Davies suchen wollten, suchen und befreien. So verhält es sich doch?« Drake trat noch näher an Mac Pellew heran und erreichte damit wenigstens, daß der Koch ihn anblickte. Aber in seinen Augen war keine Spur von Furcht. Im Gegenteil, Drake bemerkte die Aggression, den Trotz, der plötzlich in ihnen funkelte. »Also, Sir, ich hab Ihnen das alles ja schon einmal erklärt. Der Kutscher hätte sich ja nur mit einer Hand am Want festzuhalten brauchen. Aber genau das hat er nicht getan, und deswegen sauste er ins Wasser. Dan O’Flynn und Batuti sind dem Kutscher nachgesprungen. Wie Sie wissen, kann der Kutscher ja nicht schwimmen, Sir. Dann wurde das Boot sofort besetzt. Anschließend sah ich noch, wie dieses Boot unter dem Kommando von Mr. Killigrew hinter dem Heck hervorschoß. Aber inzwischen hatte die starke Strömung Dan, Batuti und den Kutscher schon so weit in die Dunkelheit abgetrieben, daß von ihnen nichts mehr zu sehen war. Bestimmt sind sie den dreien gefolgt und haben sie nicht sofort finden können, zumal Carberry dauernd etwas davon in die Nacht brüllte, daß er dem verdammten Kutscher schon beibringen werde, wie man Abfälle über Bord schütten könne, ohne gleich ins Wasser zu fallen, und daß er ihm die Haut von seinem Affenarsch in Streifen abziehen würde. Natürlich konnte Mr. Killigrew dadurch bestimmt die Rufe der drei nicht hören. Es sollte mich wirklich nicht wundern, wenn sie die drei erst bei der Insel wiedergefunden haben, und dann wurden sie vermutlich von 16
den Araukanern überfallen und mußten um ihr Leben kämpfen. Ja, Sir, mehr weiß ich nicht, und wenn Sie den alten Mac Pellew dafür an der Großrah aufknüpfen lassen!« Mac Pellew klappte den Mund zu. Und das sah so endgültig aus, daß Drake unwillkürlich die Hände ballte. »Mr. Pellew!« stieß er drohend hervor, aber da geriet er gerade an den Richtigen. »Ich will Ihnen noch etwas sagen, Sir!« fauchte der Koch. »Jeder Mann vom Vordeck weiß, daß diese Seewölfe und dieser schwarzhaarige Satan eine ganz verdammte Bande sind, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Wer sich mit einem von ihnen anlegt, der legt sich mit allen an. Und das ist gut so. Jeder Kapitän sollte froh sein und dem Himmel danken, wenn er eine solche Bande von Kerlen an Bord hat. Kein vernünftiger Kapitän kann erwarten, daß ausgerechnet die Seewölfe die Hände in den Schoß legen, wenn zwei von ihnen von den Indianern geröstet und verspeist werden. Die nicht, die ganz bestimmt nicht. Denn wenn sie das täten, dann taugten sie einfach nichts, Sir. Und wenn der Kapitän eines Schiffes eine Anordnung gibt, dann muß er sich von vornherein überlegen, ob er diese Anordnung auch durchsetzen kann. Aber so ein Rudel wie diese Seewölfe, also von denen läßt sich jeder einzelne lieber hängen, als daß er den anderen im Stich läßt. Und das ist richtig so. Denken Sie mal an Blackwater, an Batuti. So, Sir, tun Sie mit dem Mac Pellew, was Sie wollen. Ich weiß gar nichts - was ich Ihnen jetzt gesagt habe, das war meine Meinung, Sir, und auf die hatten Sie ja schließlich ein Anrecht, die wollten Sie doch wohl wissen, oder etwa nicht? Sie sollten wirklich froh sein, Männer wie die Seewölfe an Bord der ›Golden Hind‹zu ...« Drake trat den Rückzug an. So wütend hatte er den Koch noch nie erlebt. Es war völlig zwecklos, weiter in ihn zu dringen. Und wenn selbst ein Mann wie Carberry zu dem Seewolf hielt, dann hatte Mac Pellew vielleicht sogar recht. 17
Er sah nicht mehr, wie Mac Pellew hinter ihm her grinste. Dazu war es zu dunkel, und das spärliche Licht der Deckslaternen reichte dazu auch nicht aus. In diesem Moment erschallte an Steuerbord ein Ruf. »He, Blacky - Smoky! O ihr verdammten Decksaffen, wo kommt ihr denn her? Wo sind die anderen?« Mit einem Satz war Drake an der Steuerbordreling. »Ho - Tim Brewer, du junger Walfisch, rede nicht so dummes Zeug, laß lieber den Kapitän rufen! Da drüben auf der Insel ist der Teufel los. Der Seewolf braucht Hilfe, und zwar schnell, oder die Dons löschen das ganze Indianerdorf aus, mit Mann und Maus. Mindestens hundert schwerbewaffnete Kerle, wahrscheinlich aber mehr, rüsten sich zum Sturmangriff auf die Araukaner. Und bei denen, hinter den Palisaden, sitzen bestimmt auch Pete Ballie und Matt Davies!« Tim Brewer, der im Mars auf Ausguck gesessen hatte, enterte wie der Blitz ab. Andere stürzten an die Reling. Sie erkannten nun ebenfalls das Boot, das von Smoky und Blacky mühsam gegen die starke Strömung herangepullt wurde. Leinen flogen, Patrick Evarts, der Segelmacher, fing eine auf. Dann zogen die Männer das Boot längsseits. Gleich darauf enterte Blacky an Deck. Er erkannte Drake im Schein der Deckslaternen und erstattete sofort Bericht. Nicht nur über die Situation bei dem Araukanerdorf, sondern auch über ihren Kampf bei dem kleinen Tempel, über das gefolterte Mädchen, über den bestialisch hingemordeten jungen Araukaner. Drake hörte Blacky ohne Zwischenfrage bis zu Ende an. Dann wandte er sich an einen stämmigen, breitschultrigen Mann, der neben ihm stand und trotz der ganzen Aufregung die Ruhe in Person zu sein schien. »Mr. Moone!« »Aye, Kapitän?« »Sie nehmen sofort zwanzig Männer und setzen mit der Segelpinasse zur Insel über. Blacky und Smoky werden Sie 18
führen. Sie unterstützen Mr. Killigrew sofort gegen die Spanier. Wir müssen den Araukanern helfen, die Spanier dürfen das Dorf auf keinen Fall einnehmen und die Araukaner abschlachten. Lassen Sie die Männer so schwer bewaffnen wie möglich. Ich selbst werde sofort mit der ›Golden Hind‹ ankerauf gehen und zur anderen Seite der Insel segeln. Ich nehme an, daß die Spanier dort an der Ostseite gelandet sind. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Unternehmen um eine der Strafaktionen, mit der die Spanier aufständische Indianer befrieden. Und befrieden heißt in jedem Fall völlige Ausrottung oder absolute Versklavung. Aber wir werden den Kerlen die Suppe gründlich versalzen! An die Arbeit, Männer!« Thomas Moone, der ehemalige Schiffszimmermann Drakes und der spätere Kapitän der kleinen ›Benedict‹, verlor keine Zeit. Während sich an Bord der ›Golden Hind‹ hektische Betriebsamkeit entfaltete und ein Teil der Männer bereits daranging, eine der Segelpinassen klar zumachen, suchte er zwanzig Männer aus und ließ sie so schwer bewaffnen, wie das eben möglich war. Smoky und Blacky halfen ihm dabei. Die kleine Truppe war in Rekordzeit bereit, von Bord zu gehen. Thomas Moone strich sich über sein braunes Haar, und seine braunen Augen blickten zur Insel hinüber. »Ich gehe jede Wette ein«, sagte er, »daß der Seewolf den Kerlen schon jetzt die Hölle ganz schön angeheizt hat. Er ist nicht der Mann, der wartet, bis Hilfe eintrifft. Also, los, Männer, kaufen wir uns diese verdammten Dons, und jagen wir sie zum Teufel!« Die Segelpinasse wurde abgefiert. Die Männer enterten über hinabgeworfene Taue hinunter. Dann blähte sich auch schon das Segel im Wind, und Thomas Moone rauschte mit seinen Männern in Richtung Insel davon. Auf dem Vorkastell der ›Golden Hind‹ hievten die Männer 19
am Spill den Anker. Laute Kommandos erschallten, die Männer stürzten an die Brassen, enterten die Wanten auf. Ein Segel nach dem anderen wölbte sich im Wind, dann nahm auch die ›Golden Hind‹ Fahrt auf. Auf dem Hauptdeck wurden die Geschütze gefechtsklar gemacht. Stangenkugeln und Kartuschen aus Segeltuch wurden zurechtgelegt, die Drehbassen bestückt, und schließlich enterten noch die Pfeilschützen auf, um den Gegner auch mit ihren Brandpfeilen zu spicken. Unterdessen flackerten irgendwo auf der Mocha-Insel wieder Brände auf. Deutlich sahen die Männer den Flammenschein, der über den dunklen Wäldern aufzuckte. Und viele von ihnen stießen Verwünschungen aus. Sie brannten darauf, den Dons mit Blei und Kanonendonner einzuheizen.
3. Während bereits der Morgen über der Insel heraufdämmerte, dem schon bald die ersten gleißenden Strahlen der rasch aufgehenden Sonne folgten, hatte sich die Lage bei dem Indianerdorf erheblich zugespitzt. Der Seewolf und seine Männer hatten sich eine ganze Weile nicht gerührt, sondern im rasch einsetzenden Tageslicht beobachtet. Und was sie sahen, beunruhigte sie zutiefst. Die Spanier schleppten unablässig gefällte Bäume in die Nähe der Palisaden, nachdem sie aus Zweigen, Lianen und Laub dichte Schirme geflochten hatten, die ihnen Schutz vor den Pfeilen der Indianer boten. Es war klar: Nur eine Frage der Zeit konnte es sein, bis die Spanier genügend Baumstämme gefällt und am Wassergraben vor den Palisaden bereitgelegt hatten. Dann würden sie den Sturmangriff auf das Dorf beginnen. Die Araukaner hatten den Feuerwaffen der Spanier nicht allzuviel entgegenzusetzen, 20
zumal die Dons möglicherweise auch noch Pulverfässer herbeischleppten, um Lücken in den Palisadenzaun zu sprengen. Als Thomas Moone mit seinen Männern an Bord der ›Golden Hind‹ die Segelpinasse zu Wasser ließ, hatte Hasard mit seinen Männern Kriegsrat gehalten. »Irgendwo müssen die Dons eine Art Befehlsstand haben«, sagte der Seewolf. »Ihre ganzen Aktionen werden von einer zentralen Stelle gesteuert. Außerdem haben die Dreckskerle immer so schnell reagiert, wenn die Araukaner einen Ausfall versuchten, daß sie von irgendwoher Einblick in das Dorf haben müssen. Von einem hohen Baum etwa, von dem aus sie ungestört Überblick haben. Ich bin verdammt sicher, daß dieser Baum sich außerhalb der Pfeilschußweite der Indianer befindet, damit also so gut wie unangreifbar ist.« Ferris Tucker spuckte aus. »Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte er. »Und weil sich dieser Baum außerhalb der Pfeilschußweite befindet, sollte es nicht allzu schwer sein, ihn zu finden. Er wird irgendwo da drüben sein, etwas weiter zurück als die Soldaten. Ich habe mir genau gemerkt, wie weit die Pfeile der Araukaner geflogen sind. Gib mir noch einen Mann, dann werde ich diesen Baum finden. Es wird nicht einmal sehr gefährlich sein, weil er sich hinter den Linien befinden muß. Es werden höchstens Melder zwischen der Truppe und dem Beobachtungsstand hin und her pendeln. Mit denen werden wir immer fertig, wenn es sein muß.« »Nimm Batuti mit, Ferris. Er hat die besten Erfahrungen, wie man sich in einem Urwald wie diesem bewegt.« Der riesige Schwarze aus Gambia hatte die Worte des Seewolfs gehört. Mit schlangengleichen Bewegungen kroch er heran. »Batuti Baum finden. Wenn zu Hause früher Krieg, wir 21
genauso feindliches Dorf von Baum beobachten. Immer Häuptling auf Baum, bei Dons bestimmt Offizier dort. Batuti ihn fangen, dann Baum in die Luft sprengen, und alle Dons, die da oben, kaputt, bei Teufel in Hölle!« radebrechte der Schwarze in seinem entsetzlichen Englisch. Dabei entblößte er sein strahlendweißes Gebiß. Hasard mußte grinsen. »Hör zu, Batuti, du wirst den Baum nicht in die Luft sprengen. Du wirst auch den Capitan der Dons nicht fangen, du wirst den Baum nur suchen und uns dann zeigen, wo er ist, klar? Wenn wir den Baum in die Luft sprengen, dann gibt das einen gewaltigen Krach, den alle Dons hören. Das darf erst dann passieren, wenn wir Matt und Pete im Dorf verständigt haben. Denn gleichzeitig mit der Sprengung werden die Araukaner und wir einen Angriff gegen die Spanier unternehmen. Darum müssen wir auch unbedingt mit allem warten, bis uns Drake Verstärkung geschickt hat. Alles klar, Batuti?« Der Schwarze nickte. Ein Schimmer von Enttäuschung huschte über seine Züge. Aber dann leuchteten seine Augen plötzlich wieder auf. »Ah, das herrlich werden! Rums - Baum weg, Capitan weg, Dons rennen herum wie Hühner, und dann Batuti kommen und Freunde, alle erschlagen, ins Meer werfen, ersäufen wie Ratten! Ha!« Der Seewolf lachte leise. Obwohl er wußte, wie ernst es Batuti mit seinen Worten war. Er hatte den Schwarzen oft genug kämpfen sehen. Der nahm es jederzeit mit einer ganzen Rotte von Spaniern zugleich auf. »Also ab mit euch! Aber seid auf der Hut! Es genügt, daß wir Matt und Pete heraushauen, falls sie bei den Indianern festgehalten werden sollten, was ich aber nach Lage der Dinge nicht mehr glaube. Denn die haben vorhin ganz munter mitgemischt, und beide hatten Waffen!« 22
Ferris Tucker griff nach seiner Axt, Batuti nach seinem langen Entermesser. Dann verschwanden die beiden im Dschungel. Der Seewolf winkte Dan zu sich heran. »Wir beide werden jetzt zum Dorf der Araukaner schleichen, Dan. Aber du bleibst bei mir, keine Eigenmächtigkeiten. Verstanden?« Die Augen des Bürschchens leuchteten auf. Das war eine Aktion nach seinem Geschmack. Er nickte nur kurz und griff nach seinem Entermesser. »Warte«, sagte Hasard, dann wandte er sich an die anderen. »Carberry, du übernimmst in meiner Abwesenheit den Befehl. Rührt euch hier nicht weg, wenn es nicht zwingende Gründe dafür gibt. Wartet unter allen Umständen meine und Dans Rückkehr ab. Und vermeidet alles, was unsere Anwesenheit verraten könnte.« Der Profos nickte. »Hol’s der Teufel«, knurrte er dann, »jede ehrliche Seeschlacht ist mir lieber als dies Herumgekrieche in diesem dreimal verfluchten Dschungel. Unsereiner fühlt sich eben nur wohl, wenn er ein vernünftiges Schiff unter den Füßen hat. Die Hölle soll diese plattfüßigen Dons holen!« Hasard grinste. Carberry hatte genau das ausgesprochen, was er auch empfand. Aber es ließ sich nicht ändern. Es galt, Pete und Matt herauszuhauen, außerdem mußten sie die Araukaner vor den Spaniern schützen. »Los, Dan!« kommandierte er daher anstelle einer Antwort. Gleich darauf hatte die beiden der Dschungel verschluckt. Hinter Hasard und Dan hob plötzlich ein lautes Geschrei an. Schüsse lösten sich, spanische Kehlen fluchten und schrien durcheinander. »He - was ist das? Gilt das uns?« fragte Dan, der genauso ruckartig stehengeblieben war wie der Seewolf.
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Der Seewolf wurde der Antwort enthoben, denn in diesem Moment erklang ein durchdringendes, schrilles Geschrei. »Die Araukaner!« stieß Dan hervor. »Sie müssen einen Ausfall unternommen haben, und diesmal haben sie die Dons auch erwischt!« Hasard lauschte den Geräuschen des Kampfes. Dabei verdüsterte sich sein Gesicht. Er dachte an Ferris Tucker und Batuti, die sich genau in der Richtung befinden mußten, aus der der Kampfeslärm, nun durchsetzt mit Todesschreien, zu ihnen herüberdrang. »Verdammt, Dan, das Dorf hat Zeit, los, zurück zu Carberry und den anderen. Ich fürchte, Ferris und Batuti stecken bis über beide Ohren in der Patsche!« Dan und der Seewolf sausten los. Das Bürschchen fluchte dabei wie eine ganze Kompanie von Seesoldaten.
Der Seewolf hatte richtig vermutet. Ferris Tucker und Batuti hatten sich durch den Dschungel gekämpft. Irgendwo mußten sie auf das Hauptquartier und auf den Beobachtungsstand der Spanier stoßen. Sie brauchten nur in Gedanken eine Linie zu ziehen, und zwar von der Ostseite der Insel bis zum Dorf der Araukaner. Auf dieser Linie irgendwo mußte der Beobachtungsstand liegen. Hinzu kam außerdem, daß es in der Nähe - jedoch außerhalb der Pfeilschußweite der Indianer - nur eine einzige Gruppe von Bäumen gab, die den Dschungel so hoch überragten, daß sie sich für einen solchen Zweck eigneten. Ferris Tucker hatte das festgestellt, während sie eine größere Lichtung überquerten, auf der der felsige Untergrund jeden Baumwuchs verhindert hatte. Batuti grinste von einem Ohr zum anderen, als Ferris auf die Gruppe von Bäumen deutete, dabei aber immer sorgfältig auf Deckung bedacht. 24
»Klar - dort Spanier sein!« radebrechte er. »Schade, daß nicht dürfen auslöschen, einfach so!« Er vollführte einen sausenden Hieb mit seinem Entermesser durch die Luft. »Aber rangehen, verdammte Dons sehen, auskundschaften, gut?« Ferris Tucker nickte. »Klar, los, Batuti. Ich wette einen alten Schuh gegen unsere ›Golden Hind‹, daß wir dort die Spanier finden.« Er kniff unwillkürlich die Augen zusammen, aber zu sehen war von ihrem gegenwärtigen Standort noch nichts. Sie befanden sich noch zu weit von den Bäumen entfernt. Vorsichtig schlichen sie weiter, und ständig sicherten sie dabei nach allen Seiten. Dabei zeigte es sich, welch ein Meister Batuti im Anschleichen war. Die völlig unverkümmerten Sinne des einstigen Wilden aus dem afrikanischen Busch leisteten ihm hervorragende Dienste. Er wand sich tatsächlich fast wie eine Schlange durch das stellenweise fast undurchdringliche Unterholz. Dabei hieb er sich nahezu lautlos mit seinem Entermesser den Weg frei. Die schwüle, feuchte Hitze schien Batuti nicht das geringste auszumachen, ganz im Gegenteil zu Ferris Tucker, dem der Schweiß über Gesicht und Körper rann und ihm schließlich in den Augen brannte. Der rothaarige Hüne stieß eben wieder eine seiner ellenlangen Verwünschungen aus, als es passierte. Irgendwo vor ihm schien der Dschungel förmlich zu explodieren. Ein wildes, schrilles Geschrei ertönte, bronzefarbene Körper jagten aus dem Dschungel hervor und warfen sich blitzartig auf eine Gruppe von Spaniern, die auf der Lichtung damit beschäftigt gewesen waren, an einer Wasserstelle lederne Schläuche mit dem kostbaren Naß zu füllen. Die Spanier fuhren hoch, ließen die Schläuche fallen und griffen zu ihren Waffen. Einer ihrer Offiziere brüllte Befehle, und dabei zeigte es sich, daß diese Truppe Kampferfahrung besaß. 25
Die Soldaten eilten sofort in Deckung und rissen ihre Musketen hoch, während sie bereits der Pfeilhagel der Araukaner umschwirrte. Einige der Spanier wurden getroffen, brachen schreiend zusammen und wälzten sich mit schmerzverzerrten Gesichtern am Boden. Immer mehr Araukaner drangen auf die Lichtung vor. Viele von ihnen brachen im Feuer der Musketen zusammen, aber dann hatte das Gros der Indianer doch die Spanier erreicht. Mit Streitäxten und Keulen fielen sie über die Spanier her - allen voran ein schlankes, hochgewachsenes Indianermädchen, mit nichts bekleidet als einem Fell um die Lenden. Die Spanier wehrten sich verzweifelt, aber das half ihnen nichts, einer nach dem anderen wurde von den bronzefarbenen Eingeborenen niedergeschlagen und abgeschlachtet. Ferris Tucker und Batuti, die sich weiter und weiter durch das Unterholz an die Lichtung herangearbeitet hatten, sahen das. Als Batuti das wie wild kämpf ende Mädchen entdeckte, blieb ihm förmlich die Luft weg. »O verdammt, das sein - das sein ...« Der Satz blieb ihm im Halse stekken, denn in diesem Moment warf sich eine Gruppe von Araukanern auch auf sie. Von allen Seiten zugleich drangen die Indianer auf Batuti und Ferris Tucker ein, aber die dachten gar nicht daran, sich die Schädel spalten zu lassen. Wie der Blitz war der riesige Gambia-Neger hoch. Er stieß dabei ein derartig entsetzliches Gebrüll aus, daß die Araukaner im ersten Schrecken zurückwichen, zumal ihnen gleichzeitig zwei der ihrigen nur so um die Ohren flogen - weggeschleudert von Batuti. Der Schwarze bückte sich blitzschnell nach seinem Entermesser, das ihm beim Aufspringen und Abschütteln der beiden Angreifer, die sich auf ihn geworfen hatten, entglitten war. Batuti riß die breite Klinge hoch, wollte sich auf die 26
Araukaner stürzen, aber Ferris Tucker, der mit seinen Bärenkräften ebenfalls um sich geschlagen und auf diese Weise die nötige Ellenbogenfreiheit wiederverschafft hatte, fiel Batuti in den Arm. »Nicht töten, Batuti!« brüllte er. »Nur abwehren, die Kerle. Es sind Araukaner, Batuti!« Damit schwang der Schiffszimmermann seine riesige Axt hoch und wirbelte sie drohend um den Kopf. Dabei gab er den Indianern verzweifelt durch Grimassen und Kopfschütteln zu verstehen, daß sie keine Feinde seien. Aber die Indianer verstanden ihn nicht. Ein riesiger Krieger schnellte sich auf ihn zu. Er rammte seinen Speer vor und wollte Ferris Tucker die Spitze in den ungeschützten Leib rennen, aber er hatte seinen Gegner unterschätzt. Die Axt des rothaarigen Hünen sauste herab und fegte den Speer zur Seite. Gleichzeitig packte er die Waffe mit beiden Händen am Schaft und stieß sie dem Araukaner gegen die Brust. Der Stoß war so kraftvoll und mit solcher Gewalt geführt worden, daß er den riesigen Krieger in die Reihen seiner eben wieder angreifenden Gefährten katapultierte. Im Nu bildeten die Indianer ein wirres Knäuel, und das gab Batuti und Ferris die Chance, zum Angriff überzugehen. Sie ließen ihre Waffen einfach fallen, stürzten sich auf die völlig überraschten Araukaner und packten zu. In hohem Bogen flogen die Krieger in den Dschungel, einige von ihnen krachten unsanft gegen Bäume, andere landeten im dichten Gebüsch. Nur den riesigen Kerl, der zuvor auf Ferris Tucker eingedrungen war, streckte der Schiffszimmermann mit einem kräftigen Hieb zu Boden. Dann, als die entnervten Krieger noch benommen um sich starrten, unfähig, dieses böse Erlebnis der beiden wie Berserker kämpfenden fremden Teufel zu verkraften, riß Ferris den Krieger vom Boden empor. Er winkte Batuti zu sich heran, während er den Araukaner wie einen 27
Schutzschild vor sich und Batuti hielt. Aber auch das hätte den beiden Männern von der ›Golden Hind‹ nichts genutzt, denn in diesem Moment drang eine andere Gruppe von Araukanern mit wüstem Gebrüll von der Lichtung her auf sie ein. Doch noch ehe der erste von ihnen seine Waffe gegen Ferris oder Batuti erheben konnte, stoppte sie der schrille Zuruf des Mädchens. Wie erstarrt blieben die Krieger stehen. In ihren Gesichtern malte sich grenzenlose Überraschung, als das Mädchen an ihnen vorbei auf die beiden fremden Teufel zutrat, die Hände an die Stirn legte und sich vor ihnen zum Zeichen der Freundschaft und des Friedens tief verneigte. Unwillkürlich ließen Batuti und Ferris den immer noch bewußtlosen Krieger zu Boden gleiten. Langsam schoben sich auch die anderen Krieger wieder heran. Einige von ihnen hinkten, andere hielten sich die Hüften oder die Köpfe, aber alle lebten, keiner hatte ernstlich Schaden genommen. Das Mädchen sagte wieder ein paar Worte in ihrer Sprache, Befehle, wie Batuti und Ferris sofort erkannten. Dann schien sie den völlig verdutzten Kriegern erregt etwas zu erklären, indem sie immer wieder auf den riesigen Schwarzen und Ferris Tucker zeigte. Die anfänglich finsteren Gesichter der Krieger hellten sich auf. Dann legten auch sie, einer nach dem anderen, die Hände an die Stirn und verneigten sich. Instinktiv vollführten auch die beiden Seewölfe diese Geste. Lächelnd trat das Mädchen, das durch die Brandwunde auf dem Oberschenkel immer noch etwas hinkte, auf sie zu. Ihre dunklen Augen blickten die beiden an, und in ihrem Blick lag neben Freundschaft auch noch tiefe Bewunderung. Behutsam fuhren ihre Fingerspitzen über den dunklen Körper Batutis und tasteten seine Muskeln ab. Der Gambia-Neger grinste. »O Lord!« stöhnte er und verdrehte die Augen, was ihm ein 28
schallendes Gelächter der Indianer eintrug. »Das sein gerade noch gutgegangen. Dieses Lady dürfen nicht kommen später, sonst armes Batuti und armes Ferris abgemurkst wie Dons brrr!« Aber dann sah er das Mädchen an, das immer noch damit beschäftigt war, ihn abzutasten. »He - gefallen dir, was? Frauen in Dorf ganz verrückt nach Batuti, Teufel, aber nix eine so hübsch wie du, schönes Indianerin!« Das Mädchen trat zurück, lächelte den Schwarzen an, und das war der Moment, in dem Hasard und die anderen aus dem Dschungel hervorbrachen. Schon wollten die Indianer zu ihren Waffen greifen, aber wieder stoppte sie die junge Indianerin, während auch Hasard und seine Männer wie vom Donner gerührt verharrten. Dan drängte sich an Hasard vorbei und entwischte ihm, bevor der Seewolf ihn packen konnte. »He, Batuti, du alter Decksaffe, du amüsierst dich hier mit unserer Indianerin vor allen Leuten, während wir uns durch den stinkenden Dschungel kämpfen, um euch herauszuhauen! Du hast wohl eine Eroberung gemacht, wie?« Batuti zog eine grimmige Grimasse. »Was du sagen? Batuti sich amüsieren mit Indianermädchen? Batuti kämpfen mit Ferris Tucker um Leben, du grünes Schnabel, du. So und soundso!« Blitzschnell hatte er sich Dan gegriffen und schwang das Bürschchen um seinen Kopf, daß Dan Hören und Sehen verging. Dann setzte er ihn wieder ab. »Verstanden?« fragte er grinsend. »Kämpfen,nix amüsieren! So ...« Wieder wollte er zupacken, aber Dan hatte sich bereits außer Reichweite des Schwarzen gebracht. »Also, so genau wollte ich das gar nicht wissen, du alte 29
Seekuh!« stieß er giftig hervor, denn die Indianer bogen sich vor Lachen. Doch dann wurden sie plötzlich wieder ernst. Das Mädchen hatte ihnen ein paar Worte zugerufen. Einige von ihnen nickten. Sie gingen zur Lichtung hinüber, hoben ihre Toten auf und verschwanden mit ihnen gleich darauf im Dschungel. Die Spanier ließen sie liegen, von denen lebte keiner mehr. Das Mädchen trat auf Hasard zu. Dann bedeutet sie ihm, ihr zu folgen, aber Hasard zögerte. Nachdenklich blickte er auf die Lichtung. Ihm war klar, daß sie die Suche nach dem Befehlsstand der Spanier verschieben mußten. Dieser Kampf war von den Dons mit Sicherheit bemerkt worden, jeden Moment konnten sie hier mit einem schwerbewaffneten Kommando auftauchen. Die Klugheit gebot, sich schleunigst zu verziehen. Aber ein paar von ihnen mußten zurückbleiben, um Blacky und Smoky, die Verstärkung von der ›Golden Hind‹ holten, einzuweisen und ihnen mitzuteilen, was geschehen war und wohin sie sich wenden mußten. Außerdem gab es noch etwas, was ihn zögern ließ. Zwar traute er dem Indianermädchen durchaus. Aber er hatte weder die Wunde, die ihm der Araukanerpfeil in die linke Augenbraue und Wange gerissen hatte, vergessen, noch die beiden Toten, die der Überfall gekostet hatte. Und schon aus diesem Grunde war es besser, wenn sie nicht alle so mir nichts dir nichts mit ins Indianerdorf gingen. Der Seewolf faßte seinen Entschluß schnell. So rasch, daß sein Zögern den Araukanern und dem Mädchen gar nicht auffiel. »Carberry, Stenmark, Conroy und Andrews, ihr marschiert zur Bucht hinunter und nehmt die Verstärkung in Empfang. Paßt auf, ich mißtraue den Araukanern zwar nicht, aber Vorsicht ist immer noch besser als Leichtsinn.«
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Die vier Männer nickten und nahmen ihre Waffen. Den Araukanern entging das Ganze natürlich nicht, und wieder war es das hochgewachsene Araukanermädchen, das Hasard fragend ansah. Hasard blickte sich um, dann hatte er eine sandige Stelle auf der Lichtung entdeckt. Er winkte das Mädchen zu sich heran und hockte sich nieder. Mit dem Finger malte er kleine Figuren in den Sand, die eine Gruppe bildeten. Dann deutete er auf sich und seine Männer. »Das sind wir«, erklärte er dazu. Wieder malte er mit dem Finger. Diesmal die Umrisse der Insel, so, wie er sie sich vorstellte. Dann das Dorf der Araukaner, das er durch den Palisadenzaun kennzeichnete. Dann die Spanier. Und schließlich die Bucht, in der sie gelandet waren, und vor ihr die ›Golden Hind‹. Dann wieder ein kleines Boot, eine Gruppe von Männern. Das Indianermädchen nickte. Sie hatte verstanden. »Diese Männer hier«, er deutete auf Carberry, Stenmark, Conroy und Andrews, »warten hier. Dann führen sie die Männer vom Schiff zum Dorf, wir greifen die Philipps an und jagen sie über die Insel ins Meer!« Er fegte die in den Sand gemalten Spanier ins Meer. Die Indianerin sprang auf. Ihre Augen blitzten. Gleichzeitig deutete sie auf die Brandwunde in ihrem Oberschenkel, dann auf die Brüste und schließlich auch auf ihren Schoß. Dabei schüttelte sie wie wild den Kopf, daß ihre langen schwarzen Haare nur so flogen. Schließlich riß sie ihre Streitaxt aus dem Fell, das sich um ihre Hüften spannte. »Philipps - tot, alle!« sagte sie und zog sich gleichzeitig die Schneide ihrer Streitaxt über den Hals. Hasard und die anderen glaubten, nicht richtig gehört zu haben. »Philipps - tot, alle?« fragte der Seewolf. »Du sprichst unsere Sprache?« 31
Aber wieder schüttelte das Mädchen den Kopf. Dann nahm sie Hasard an die Hand und zerrte ihn hinter sich her. Wohl oder übel folgte er ihr. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie der Dschungel verschluckt. Ein paar der Indianer führten Carberry und seine Gruppe hinunter zur Bucht, auf einem viel kürzeren Weg, als sie eingeschlagen hätten. Die anderen folgten Hasard und der Indianerin. Die Indianer, die unter dem Befehl des Mädchens gekämpft hatten, bildeten den Schluß. Dem Seewolf schossen die Gedanken nur so durch den Kopf. Was war das für ein merkwürdiger Stamm, in dem Mädchen den Befehl über Krieger führten? Welche Rolle spielte dieses Mädchen bei den Araukanern überhaupt? Er hatte in ihrem Haar einen seltsamen Goldschmuck entdeckt. Einen Reif, der mit sich windenden Schlangen verziert war. War diese Araukanerin etwa eine Priesterin? Hatten die Spanier sie deshalb bei jenem kleinen Tempel zusammen mit dem jungen Araukaner überrascht? Fragen, auf die er keine Antwort fand. Sie hätten nicht viel später von jener Lichtung verschwinden dürfen. Denn knapp zehn Minuten, nachdem sie wieder im Dschungel untergetaucht waren, brach eine halbe Hundertschaft von schwerbewaffneten Spaniern durch das Unterholz auf die Lichtung. Ein alter, kampferfahrener Offizier führte sie an. Sie starrten auf die toten Kameraden. »Madre de Dios!« stieß der spanische Offizier hervor, während seine Männer die Toten untersuchten. »Sie haben alle getötet, keiner ist am Leben geblieben. Diese braunen Teufel sind ja viel mutiger und gefährlicher, als wir bisher gedacht haben«, murmelte er. Er ahnte in diesem Moment, daß sie sich die Strafexpedition gegen die Araukaner zu einfach vorgestellt hatten und ihnen noch ein harter Kampf bevorstand. 32
Er ließ die Wasserschläuche einsammeln, dann nahmen die Spanier ihre Toten auf und wollten schon wieder abrücken, als der Blick des Offiziers auf einen Gegenstand fiel, der sofort sein Interesse erregte. Er ging die paar Schritte zu jener Stelle hinüber, an der das seltsame Ding lag. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er es. Dann hob er es auf und drehte es zwischen den Fingern hin und her. »Ein Pulverhorn!« stieß er hervor. »Eins, wie es nur die Engländer verwenden!« Seine Stirn furchte sich unwillkürlich. »Das begreife ich nicht! Wie kommt dieses Pulverhorn hierher? Keiner meiner Männer hatte so eins bei sich. Hölle und Teufel, dieser Sache werde ich auf den Grund gehen, vor allem aber werde ich dem Capitan Meldung erstatten!« Hasard und die Seinen ahnten nicht, daß dieser Entschluß und die Aufmerksamkeit des Spaniers für sie ungeahnte Folgen zeitigen sollten.
Der spanische Capitan, der sich auf dem Beobachtungsstand im Baum befand und das Dorf der Indianer einsehen konnte, stieß eine ellenlange Verwünschung aus, als er die Meldung seines Leutnants gehört hatte. »Ich werde diese braunhäutigen Kerle hängen lassen, ihre Frauen ebenfalls. Sie sollen lernen, was es heißt, sich mit den Streitkräften Seiner allerkatholischsten Majestät anzulegen! Ich ...« »Capitan, da wäre noch etwas ...« »Sie wagen es, mich zu unterbrechen, Leutnant?« Capitan Don Miguel Lopez de Valdivia starrte seinen Untergebenen drohend an. Aber statt einer Antwort reichte der erfahrene Offizier dem Capitan das Pulverhorn, das einer der Männer 33
Hasards auf der Lichtung verloren hatte. »Was soll das? Wollen Sie mich foppen, Leutnant?« fragte der Capitan und griff nach dem Pulverhorn. »Na, reden Sie endlich!« schnauzte er dann, nachdem er es ratlos und voller Ungeduld zwischen den Fingern hin und her gedreht hatte. »Capitan, das ist ein englisches Pulverhorn, das kann keiner meiner Männer auf der Lichtung verloren haben. Ich rate ...« »Himmel und Hölle, Leutnant, wollen Sie mich veralbern? Wie soll ein englisches Pulverhorn auf diese Insel gelangt sein, wenn es keiner Ihrer Männer verloren hat? Ich will es Ihnen sagen, Leutnant: Solche Dinger haben unsere Soldaten in Seeschlachten massenhaft erbeutet. Außerdem werden sie in den Hafenstädten gehandelt. Ich weiß, daß die Soldaten sie immer wieder gern kaufen, weil sie praktischer sind als unsere. So, das wäre die Erklärung, Leutnant. Also, noch etwas?« Aber der Leutnant gab nicht nach. »Bedaure, Senor Capitan, aber ich muß Ihnen widersprechen,. Von meinen Männern hatte keiner ein solches Pulverhorn. Ich halte es daher für meine Pflicht ...« Don Miguel Lopez de Valdivia schoß in seinem Beobachtungsstand von seinem Sitz. »Was?« brüllte er. »Sie widersprechen mir? Leutnant, ich weiß, daß Sie ein ganz verfluchter Querkopf sind, aber ich warne Sie! Meine Geduld ist bald zu Ende. Und wagen Sie es nicht noch einmal, mir gegenüber von Gefallenen zu sprechen, diese Soldaten wurden von den indianischen Teufeln ermordet, verstehen Sie? Hinterrücks überfallen und dann abgeschlachtet. Aber das werden mir diese Schurken büßen, so wahr ich Don Miguel Lopez de Valdivia bin!« In seinem hageren Gesicht zuckte es unbeherrscht. Mit geballten Händen stand er vor dem Leutnant. »Aber damit wir diese Teufelsbrut gehörig bestrafen können, segeln Sie sofort mit einer der Pinassen nach Valdivia und fordern Verstärkung an. Beeilen Sie sich, Leutnant. Vielleicht 34
stoßen Sie auch schon auf dem Wege dorthin auf eine unserer Galeonen, es sollten ohnehin noch Truppen gelandet werden. Dann kämmen wir diese ganze verfluchte Insel durch. Und wenn wir hier fertig sind, gibt es auf der Mocha-Insel keine Araukaner mehr, haben Sie mich verstanden?« Der Leutnant starrte seinen Vorgesetzten an, als sähe er ihn zum erstenmal. »Keine, Senor Capitan?« fragte er dann leise. »Soll das heißen, daß Sie auch Frauen und Kinder umbringen lassen werden?« »Frauen und Kinder? Haben Sie eigentlich noch nie etwas davon gehört, daß wir es mit ganz verdammten Wilden zu tun haben? Mit Heiden, die man entweder bekehren oder vernichten muß? Vernichten mit Stumpf und Stiel?« Der Capitan brüllte vor Wut. Da verließ der grauhaarige Leutnant den Baum. Unten befahl er ein paar Soldaten zu sich heran, dann rückte er ab. Nicht einen einzigen Blick warf er zurück, obwohl der Capitan irgend etwas hinter ihm herbrüllte.
4. Um diese Zeit hatten Hasard und seine Männer unter Führung der Indianer das Dorf der Araukaner erreicht. Fast gleichzeitig landete Thomas Moone in der Bucht mit seinen zwanzig Bewaffneten. Überrascht blieb Hasard stehen, als die indianische Wache das Palisadentor öffnete und die Zugbrücke herunterließ, die an dicken, aus Pfanzenfasern geflochtenen Stricken hing. Ben Brighton, der sich neben Hasard befand, starrte die Brücke an, als könne er es nicht fassen. Ganz gleich, was er sonst über die Bewohner dieses merkwürdigen Landes gehört hatte, dieser Stamm jedenfalls gehörte zu den intelligentesten 35
»Wilden«, die er je kennengelernt hatte. »Verflixt, das ist bald wie bei uns zu Hause!« stieß er betroffen hervor. Viel mehr Zeit blieb ihm allerdings nicht, denn durch das Tor schossen Pete Ballie und Matt Davies. »O ihr dreimal verfluchten Klabautermänner!« grölte Matt Davies und rannte vor lauter Freude beinahe den Seewolf über den Haufen, während Pete Ballie in die Arme Ben Brightons prallte. Aber die Araukanerin ließ ihnen keine Zeit. Mit unmißverständlichen Gebärden drängte sie ins Innere des Dorfes. Der Seewolf vermochte seine Neugier nicht mehr länger zu zügeln. Noch während sie wirr durcheinanderredend weitergingen, während hinter ihnen die Zugbrücke wieder hochgezogen wurde, stellte er Matt Davies seine Fragen. »Matt - wer ist dieses Mädchen? Welche Rolle spielt sie im Dorf?« Matt Davies, der Mann mit dem Eisenhaken am rechten Unterarm, grinste. »Genau wissen wir das auch nicht, aber sie muß so etwas wie eine Hohepriesterin sein, denn sie verfügt beinahe über die gleiche Macht wie der Häuptling. Sie muß es auch gewesen sein, die sich nach und nach für Pete und mich eingesetzt hat. Mir hat ganz besonders meine Hakenprothese geholfen, die Indianer halten mich für eine Art übernatürliches Wesen. Ich bin unantastbar und damit natürlich Pete ebenfalls.« »Dann ist man euch nicht ernstlich ans Leder gegangen?« fragte der Seewolf und wußte doch im selben Moment, wie überflüssig diese Frage war. »Nein, im Gegenteil. Nachdem ihr das Mädchen aus den Händen der Spanier befreit hattet, wurden wir noch mehr respektiert. Der Häuptling erklärte Pete und mir mit Hilfe von Zeichen, was geschehen war, wobei er immer wieder auf Arkana - das ist der Name des Mädchens - wies. Es dauerte zwar eine Weile, aber dann kannten wir die ganze Geschichte 36
genau. Ihr habt ja keine Ahnung, wie geschickt sich diese Kerle durch Zeichen mit einem verständigen können. Und jetzt sind wir hier so eine Art Ausbilder, Oberkrieger. Wir haben den Indianern einiges von unserer Kampftaktik beigebracht, vor allem haben wir ihnen klargemacht, daß es sinnlos ist, unter großem Geschrei ins Feuer der spanischen Musketen zu laufen. Statt dessen haben wir die Dons mit Speeren und Pfeilen bepflastert, wo immer sie sich zeigten. Mit einigem Erfolg, denn ihre Vorbereitungen, den Schutzgraben zu überbrücken, sind ziemlich ins Stocken geraten. Die Verluste, die sie hinnehmen mußten, waren zu hoch.« Der Seewolf nickte. Dann berichtete er von seinem Erlebnis und von dem Ausfall, den die Araukaner unter der Führung Arkanas unternommen hatten. »Die Dons werden kochen, Matt«, sagte der Seewolf und grinste. »Ich habe zur ›Golden Hind‹ geschickt. Der Kapitän mag er auch noch so wütend sein - wird Verstärkung schicken. Er haßt die Dons, er wird zweifellos die Partei der Eingeborenen ergreifen.« Matt nickte, aber dann deutete er auf den Platz, der mitten im Indianerdorf zwischen den Hütten lag. »Der Häuptling«, sagte er nur. Und Hasard erkannte ihn sofort. Aus den Augenwinkeln registrierte er noch, daß sich an den Palisaden gut geschützte Wehrgänge befanden. Auf ihnen standen Araukaner. Bereit, auf jeden Spanier sofort zu schießen, sobald er sich die geringste Blöße gab. Berge von Pfeilen und Speeren und Ersatzbogen lagen sauber geordnet hinter den Palisaden. Bei ihnen standen wieder Krieger, meist ältere Männer, die den Schützen sofort Ersatzpfeile oder Speere zureichten, sobald sie welche benötigten. Alles das hinterließ bei Hasard und seinen Männern einen Eindruck militärischer Disziplin und Organisation. Vollends verblüfft waren sie jedoch, als sie die Jungen und 37
Mädchen im Inneren des Dorfes entdeckten, die zusammen mit ihren Müttern so verteilt waren und bereitstanden, daß sie eventuell von den Spaniern in Brand geschossene Hüttendächer sofort löschen konnten. Überall standen Wassergefäße bereit, und unablässig wurden aus dem Brunnen des Dorfes auch noch neue aufgefüllt und dann ebenfalls nach einem ganz bestimmten System zwischen den Hütten verteilt. Ben Brighton und Ferris Tucker pfiffen durch die Zähne. Batuti grinste und zeigte dabei seine blendendweißen Zähne. »Euer Werk, wie?« fragte Ben Brighton nur kurz, und Pete Ballie nickte. »Die kapieren schnell, das kann ich dir sagen. Wenn sie einmal begriffen haben, um was es geht, dann packen sie auch schon zu und organisieren die Sache sofort. Jeder Bootsmann hätte an denen seine helle Freude, jeder Geschützführer könnte sich nach denen nur so die Finger lecken, das kannst du mir glauben, Ben!« Arkana, die Araukanerin, erstattete dem Häuptling hastig Bericht, wobei sie immer wieder auf Batuti und Ferris Tucker deutete. Sie hatte den Kampf, bei dem diese beiden Seewölfe ihre Kraft, Entschlossenheit, ihren Mut und ihre blitzschnelle Reaktion demonstriert hatten, nicht vergessen. Der Häuptling starrte besonders Batuti immer wieder zweifelnd an. Er hatte in seinem Leben noch nie einen Menschen von schwarzer Hautfarbe gesehen. Dann setzte er sich in Bewegung und ging auf Hasard und seine Männer zu. Genau wie zuvor das Mädchen verneigte auch er sich mit an die Stirn gelegten Händen. Die Männer der ›Golden Hind‹ wiederholten die Geste, dann forderte der Häuptling zum Sitzen auf, aber Hasard stoppte ihn. Statt dessen teilte er seine bewaffneten Männer sofort ein, sich in die Reihen der Krieger auf den Wehrhängen hinter den Palisaden zu mischen und sich dabei so zu verteilen, daß ihre Musketen die Richtung 38
bestreichen konnten, aus der vermutlich der Angriff der Spanier erfolgen würde. Lediglich Ferris Tucker, Batuti und Ben Brighton forderte er auf, sich zu Arkana, ihm und dem Häuptling zu setzen. Der Häuptling sah den Seewolf lange an. Dann die Männer, die sich auf den Wehrgängen verteilten und gleichzeitig dafür sorgten, daß für ihre Musketen genügend Pulver und Kugeln bereitlagen. In seinen Zügen spiegelten sich Respekt und Anerkennung. Mit einer Geste forderte er Hasard auf, ihm zu berichten. Aber wieder mischte sich Arkana ein. Mit einer einzigen Bewegung ihrer Hände glättete sie den Sand vor dem Seewolf, dann sah sie ihn lächelnd an. Der Seewolf erklärte dem Häuptling alles auf die gleiche Weise, wie er es dem Mädchen bereits auf der Lichtung erklärt hatte. Auch der Häuptling begriff sofort, aber dann geschah etwas. Von den Palisaden wurden Rufe laut. Sowohl die Indianer als auch Hasards Männer meldeten sich. Der Seewolf sprang auf. Ebenfalls Ferris Tucker, Batuti und Ben Brighton. »Dons!« stieß der Schwarze hervor, während Ferris Tucker bereits die riesige Axt emporschwang. »Verdammte Dons greifen an!« radebrechte Batuti weiter. Dann flog er in langen Sätzen auf die Palisaden zu. Hasard, Ferris Tucker und Ben Brighton folgten ihm. Der Seewolf schwang sich auf den Wehrgang. Neben Dan richtete er sich auf und registrierte mit Verwunderung, daß das Bürschchen vor Aufregung beinahe stotterte. Jedenfalls brachte er kaum ein vernünftiges Wort heraus. Der Seewolf sprang an die Palisaden, seine zweischüssige sächsische Radschloßpistole in der Faust. Aber was er sah, das verschlug sogar ihm den Atem. Die Spanier waren schneller gewesen, als er angenommen hatte. 39
Jetzt jedenfalls wurde es blutiger Ernst. Philip Hasard Killigrew richtete sich hoch auf. Seine eisblauen Augen blitzten, die langen pechschwarzen Haare flatterten im Wind, der von See her über das Dorf strich. »Mir nach, Männer! Kämpft, wie ihr noch nie in eurem Leben gekämpft habt. Wir müssen die Dons stoppen, oder das Dorf ist verloren!« Mit einem Satz war er von dem Wehrgang herunter. In der Linken die Radschloßpistole, in der Rechten das blitzende Entermesser, so jagte er durch das Dorf auf das Palisadentor zu. Hinter ihm, nicht weniger furchtbar anzusehen, Ben Brighton und der rothaarige Hüne Ferris Tucker. Seine riesige Axt wirbelte er um den Kopf wie ein Kinderspielzeug. Dann die anderen. Batuti, Dan und der Kutscher, der neben seinen Waffen auch noch ein Pulverfaß mit sich schleppte. Dan stimmte den alten Schlachtruf als erster an, dann donnerte er durchs Dorf, daß selbst die Araukaner zusammenzuckten und jene Fremden für die bösen Geister aus den hohen Bergen im Norden ihrer Insel hielten. »Arwenack!« Und wieder und noch einmal tobte der Schlachtruf der Seewölfe durch das Dorf. Das Palisadentor schwang auf, die Brücke klatschte auf den Graben, dann waren der Seewolf und seine Männer auch schon draußen vor den Palisaden. Der Seewolf erkannte mit einem Blick, von wo dem Dorf die größte Gefahr drohte - und genau darauf stürmte er zu.
Capitan Don Miguel Lopez de Valdivia hatte zwar nicht genau erkennen können, was im Dorf der Araukaner vor sich ging, dazu stand die Sonne noch nicht hoch genug über der grünen Mauer von Baumwipfeln, die das Dorf einschloß. Aber er hatte bemerkt, daß dort etwas Besonderes vor sich ging und 40
Fremde ins Dorf geleitet worden waren, möglicherweise sogar Weiße, und von diesem Moment an begriff er gar nichts mehr. Er dachte an die Behauptung, die dieser Leutnant so hartnäckig aufrechterhalten hatte, aber er weigerte sich, zu glauben, daß es auf dieser Insel vor der Küste Chiles, knapp zwanzig Meilen von Valdivia entfernt, Engländer geben könne. Doch je mehr er zum Dorf der Araukaner herüberstarrte, je mehr er die Soldaten, die sich bei ihm auf dem Befehlsstand befanden, anschnauzte, desto wütender wurde er. »Bei allen Teufeln der Hölle!« brüllte er schließlich unbeherrscht, »wie weit sind denn die Kerle da unten? Wann haben sie die Schutzschilde fertig, wann werden denn endlich diese lächerlichen Palisaden in die Luft gesprengt? Ich will sofort den Offizier sprechen, der für diesen Schlendrian verantwortlich ist!« Einer der Soldaten sauste die Leiter vom Befehlsstand zur Erde hinab und salutierte vor einem noch jungen Leutnant, der die Arbeiten an den Schutzschilden befehligte. »Der Capitan wünscht Sie sofort zu sprechen, Senor Leutnant!« sagte er. »Er will wissen, wann Sie zum Angriff bereit sind, er ist denkbar schlechtester Stimmung, Senor Leutnant. Irgend etwas da drüben bei dem Dorf der Indianer stimmt nicht, es sind Fremde dort ...« Der Leutnant sah unwillig auf, aber dann überzog ein Lächeln sein Gesicht, als er den Melder sah. »Richte dem Senor Capitan aus, Juan, daß wir fertig sind und jederzeit angreifen können. Ich kann hier im Moment nicht fort, ich werde mich später beim Capitan melden.« Der Melder erblaßte. »Aber Senor Leutnant, ich muß Sie mitbringen, ich muß ...« »Tu jetzt, was ich dir aufgetragen habe, Juan. Sag dem Senor Capitan, daß ich nur noch auf den Befehl zum Angriff warte. Er selbst wird ja sicher alles vom Befehlsstand aus verfolgen wollen. Nun gut, das ist das Vorrecht des Kommandierenden. 41
Viel Glück für dich, Juan, falls wir uns nicht mehr Wiedersehen sollten. Und grüße Spanien von mir!« Er versetzte dem völlig verdutzten Soldaten einen leichten Schlag auf die Schulter, dann wandte er sich ab und gab dem Trompeter den Befehl, zum Sammeln zu blasen. Noch während der Melder wieder die Leiter aufenterte, blickte er zurück. Es geschah nicht alle Tage, daß ein Offizier mit einem Soldaten wie ihm so freundlich und fast vertraulich sprach. Allerdings, dieser Leutnant Alvarez war schon immer anders gewesen als die meisten Offiziere. Der Melder erreichte den Befehlsstand, dann meldete er. Der Capitan erblaßte zunächst, weil er die Mißachtung spürte, die in dem Verhalten seines Untergebenen lag. Aber dann schoß ihm das Blut ins Gesicht. »Leutnant Alvarez und seine Gruppe sollen sofort angreifen. Sie haben die Palisaden des Dorfes zu sprengen. Sagen Sie dem Leutnant, daß ich jedes Fehlschlagen dieser Aktion unnachsichtlich ahnden werde. Außerdem hat Leutnant Alvarez von mir den Befehl, die Hütten des Dorfes in Brand zu setzen und die Araukaner unseren Soldaten vor die Musketen zu treiben. Wenn er das mit seiner Gruppe allein nicht zu schaffen glaubt, dann soll er sich weitere Soldaten nehmen. Ich werde mit unserer Hauptstreitmacht anrücken, sobald die Palisaden gesprengt sind und das Dorf brennt.« Wieder sauste der Melder die Leiter hinunter. Aber Leutnant Alvarez hatte den Befehl des Capitans gar nicht erst abgewartet. Er hatte seine Männer bereits gesammelt und den Befehl zum Angriff gegeben. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Der Leutnant hatte keine Ahnung davon, daß er es ausgerechnet mit dem Seewolf und seiner Crew zu tun kriegen würde und diese Männer, die Tod und Teufel nicht fürchteten, wie Berserker über ihn und seine Soldaten herfallen und wie die Leibhaftigen kämpfen würden. Und daß sich bereits weitere Verstärkung von Westen her näherte, nämlich Thomas Moone 42
und seine zwanzig schwerbewaffneten Männer, die von Carberry, Blacky, Smoky und ein paar Araukanern angeführt wurden. Leutnant Alvarez vergaß auch die Araukaner selbst, weil er einfach nicht damit rechnen konnte, wie anspornend das Beispiel der Seewölfe auf sie wirken würde. Als die Sonne sich schließlich als gelbrot glosender Ball über den dampfenden Dschungel erhob, begann sie ihre Bahn über einen Tag zu ziehen, der für viele der letzte werden sollte.
Der Seewolf jagte auf den ersten Schutzschild zu, der von einer Gruppe spanischer Soldaten herangeschleppt wurde. Noch im Laufen drehte er sich zu den anderen Männern um. »Zusammenbleiben, nicht aufsplittern lassen!« schrie er. »Wir nehmen uns eine Gruppe nach der anderen vor!« Im nächsten Moment war er heran - fast zugleich mit Ben Brighton und Ferris Tucker. Während die beiden den aus Ästen und Lianen geflochtenen Schutzschild zur Seite rissen, drangen Hasard und die anderen auf die Soldaten ein, die den Schild geschleppt hatten. Das Entermesser des Seewolfs fuhr empor und zischte in einem furchtbaren Hieb wieder nach unten. Gleichzeitig feuerte er mit der Linken seine Radschloßpistole ab. Mit einem Schrei taumelte einer der Spanier zurück, faßte sich an die Brust und sank zu Boden. Die schwere Axt des Schiffszimmermanns fetzte in den geflochtenen Schutzschild. Mit einem Ruck riß der Hüne sie wieder heraus, wirbelte sie um den Kopf und ließ sie dann auf einen der Spanier, der mit gefällter Lanze auf ihn zuraste, niedersausen. Unwillkürlich wandte Dan, der dicht neben Tucker kämpfte, den Kopf zur Seite. Das Bild, das sich ihm bot, war selbst für 43
ihn zu gräßlich. Irgendwo dröhnten Musketen auf, gleichzeitig ertönte hinter Hasard und seinen Männern das schrille Geheul der Araukaner, die jetzt ebenfalls aus dem Palisadentor ins Freie stürzten. Etliche von ihnen trugen brennende Fackeln, andere schwangen ihre Streitäxte und drangen in konzentriertem Angriff auf ihre Gegner ein. Die Krieger mit den Fackeln rammten die Flammen in das Geflecht der Schutzschilde, während sie von den anderen dabei gedeckt wurden, so daß keiner der Spanier an sie heran konnte. Überall schrien Männer, spanische und englische Flüche erfüllten die Lichtung und den Streifen vor den Palisaden des Indianerdorfes. Hasard hatte soeben wieder einen seiner Gegner niedergestreckt, als seine Blicke auf eine Gruppe von Spaniern fiel, die Pulverfässer heranschleppten. Aus den Augenwinkeln gewahrte er den Häuptling der Araukaner und das Mädchen, die eben dabei waren, einen weiteren der Schutzschilde zu zerstören. Überall im Gelände hatten sich zudem die Bogenschützen der Araukaner verteilt. Pfeile zischten durch die Luft und bohrten sich in ihre Opfer. Hasard handelte ganz spontan, denn dies war die Gelegenheit, auf die er schon lange gewartet hatte. »Arkana!« brüllte er in das Durcheinander, und das Mädchen hörte ihn sofort. Sie fegte mit ihrer Gruppe von Kriegern heran, die genau wie sie selbst jenen Goldreif mit den sich windenden Schlangen im Haar trugen. »Uns nach - dort zu den Spaniern mit den Pulverfässern!« Arkana verstand ihn zwar nicht, aber ihr scharfer Verstand erriet sofort, was er vorhatte. Hasard hetzte los, Batuti, Dan, Ferris Tucker, Ben Brighton und der Kutscher, dem Dan das Pulverfaß schleppen half, hinterher. Die Spanier sahen diese wilde Horde auf sich zurasen, sie 44
sahen die geschwungenen Entermesser, die Zimmermannsaxt des rothaarigen Hünen, die Streitäxte der Araukaner, da packte sie das blanke Entsetzen. Sie ließen ihre Pulverfässer fallen und wandten sich zur Flucht. Sogar ihre Musketen warfen sie weg. Arkana und ihre Krieger wollten ihnen nach, aber Hasard bedeutete ihnen, die Pulverfässer aufzuheben. Gleichzeitig packte er einen der spanischen Soldaten, setzte ihm die scharfe Klinge seines Entermessers an die Kehle. »Euer Befehlsstand - wo ist er?« fragte er den Soldaten, und gleichzeitig drückte er die Schneide des Messers ein wenig fester gegen den Hals des Mannes. Der Spanier, in seiner eigenen Sprache - die Hasard und Ben Brighton seit ihrem Spanienabenteuer perfekt beherrschten angesprochen, blickte in diesem Moment überhaupt nicht mehr durch. Die Angst, das Gebrüll, das donnernde Musketenfeuer, das ihn umgab, taten ein übriges. »Dort - dort hinten, Senor. Capitan Don Miguel Lopez de Valdivia hat dort ...« »Führe uns hin, aber du bist ein toter Mann, wenn du versuchst, uns zu täuschen oder wenn du einen Fluchtversuch unternimmst! Vorwärts, Amigo!« Der Seewolf verpaßte dem Spanier, der von Ben Brighton und Ferris Tucker flankiert wurde, einen derben Stoß in den Rücken. Der Mann rannte los. Er begriff zwar noch immer nichts, zumal nun auch Ben Brighton ihn mit spanischen Flüchen energisch anzutreiben begann, aber er spürte, daß sein Leben in diesem Moment an einem hauchdünnen Fädchen hing. In diesem Augenblick, als Hasard mit seinen Gefährten, dem Araukanermädchen und ihren Kriegern und dem gefangenen Spanier im Unterholz verschwand, betrat Thomas Moone mit seinen zwanzig Leuten, Carberry, Smoky und Blacky die Szene. 45
Thomas Moone überblickte die Lage sofort. Er ließ seine Männer ausschwärmen, bildete innerhalb weniger Minuten eine auch für die Spanier undurchdringliche Kette vor dem Dorf der Araukaner und ließ auf die durcheinandergeratenen Spanier feuern. Leutnant Alvarez erkannte die neue Gefahr, die ihm und seinen Männern von dieser Seite her drohte. Wenn er auch die Methoden des Capitans zutiefst verabscheute, er war alles andere als ein Feigling. Sofort begann er, seine Soldaten zu sammeln und zog sie innerhalb einer knappen halben Stunde zu einer beachtlichen Streitmacht zusammen. Dann wies er seine Männer ein und formierte sie zu einem neuen Angriff. Die noch intakten Schutzschilde benutzte er geschickt als Deckung gegen die Pfeile der Indianer, während er sich Schritt um Schritt an das Dorf und den Palisadenzaun heranarbeitete. Und doch stand er bereits auf verlorenem Posten, er wußte es nur noch nicht.
Der Seewolf erreichte jene Baumgruppe, in der sich auch der Befehlsstand des Capitans befand, in Rekordzeit. Und er hatte Glück. Außer ein paar Meldern, die Batuti und die Araukaner abfingen, befand sich in diesem Gebiet kaum noch ein spanischer Soldat. Die Hauptstreitmacht der Spanier, von der der Capitan gesprochen hatte, sammelte sich zu diesem Zeitpunkt zwei Meilen entfernt auf einer Lichtung im Osten der Insel. Ihre vorgeschobenen Beobachter warteten darauf, daß Leutnant Alvarez und seine Gruppe die Palisaden des Indianerdorfes sprengten. Das würde zugleich für sie das Signal zum Angriff sein. Der Seewolf gab das Zeichen zum Halten. Die Araukaner, die die Pulverfässer der Spanier schleppten, schlossen auf. 46
»Welcher Baum ist es?« fragte er den spanischen Soldaten. »Senor, ich - ich ...« »Welcher Baum, Amigo?« Der Spanier riß die Augen vor Schreck weit auf, als er in die funkelnden eisblauen Augen dieses unheimlichen Mannes blickte. Als Hasard noch einen Schritt näher trat, langsam, drohend, da gab der Spanier jeden Widerstand auf, zumal er sich zwischen Ben Brighton und dem Riesen Ferris Tucker befand, deren Fäuste sich wie Stahlklammern um seine Oberarme gelegt hatten. »Der da - der große, dort ...« Er wies durch eine Kopfbewegung in die Richtung, die er meinte. Der Seewolf grinste. »Gut, Amigo. Dein Leben hast du dir mit dieser Auskunft gerettet, aber wir werden dich jetzt für eine Weile ins Land der Träume schicken, damit du nicht doch noch auf dumme Gedanken verfällst.« Blitzschnell schlug der Seewolf zu. Der Spanier verdrehte die Augen, dann sackte er in sich zusammen. »Batuti, Dan - vorwärts. Ihr beide« - er wandte sich Ben Brighton und Ferris Tucker zu - »bringt den Don in Sicherheit. Mein Wort gilt, diesem Mann geschieht nichts. Sagt das auch den Araukanern!« Ben Brighton und Ferris Tucker nickten. Als Tucker den Spanier hochheben wollte, wehrte Ben Brighton ab. »Den schaff ich allein. Du bist Spezialist für Sprengungen, Ferris. Ab mit dir zum Seewolf und den anderen. Ich kümmere mich zusammen mit dem Kutscher um diesen Kerl.« Tucker nickte nur, dann lief er auch schon los. Er gelangte gerade in dem Moment zu jenem Baum, der den Befehlsstand der Spanier bildete, als Arkana und ihre Araukaner die Pulverfässer um den Stamm aufschichteten. Ferris Tucker maß den Stamm mit sachkundigem Blick, dann schob er die Araukaner zur Seite. 47
»So geht das nicht, Leute«, sagte er. »Die Fässer müssen wir verdammen, dieser Stamm hier ist verdammt dick und zäh. So verpufft uns das ganze Pulver in die Luft, und die Dons da oben verbrennen sich höchstens den Arsch.« »Achtung - still!« Hasard legte plötzlich die Finger auf den Mund. Dann deutete er auf die Leiter, die über ihnen aus dem Blätterdach ragte. Sie begann sich zu bewegen, so, als ob ein Mann aus der Baumkrone herabstieg. Auf einen Wink des Seewolfs wichen seine Männer und die Araukaner zurück. Es dauerte nicht lange, und es erschien ein spanischer Soldat - einer der Melder. Aus schmalen Augen beobachtete der Seewolf ihn, und dann, als der Mann schon fast am Boden war, sprang er vor und packte zu. Der Spanier schrie auf, aber sofort preßten sich derbe Fäuste auf seine Lippen. »Wer ist dort oben in eurem Befehlsstand?« fauchte ihn der Seewolf an. Der Spanier versuchte sich loszureißen, aber Hasard erstickte diesen Versuch im Keim. Drohend wiederholte er seine Frage. »Wenn du schreist, stirbst du!« fügte er barsch hinzu und hielt ihm sein Entermesser vor die Nase. Dann winkte er Tucker, und der nahm seine Pranke von den Lippen des Soldaten. »Antworte, Freundchen, oder du kannst was erleben!« ließ sich Ben Brighton vernehmen, der inzwischen mit dem Kutscher auch wieder zu der Gruppe gestoßen war. Dem Spanier erging es nicht anders als seinem Kameraden vorher. Er begriff einfach nichts mehr. Leute, die spanisch mit ihm sprachen, die aber ebenfalls gut Freund mit dem Araukanern sein mußten - das überstieg sein Begriffsvermögen. »Wer seid ihr, warum habt ihr mich ... Was sollen diese verdammten Indianer ...«, stieß er auf Spanisch hervor. Aber Hasard hatte absolut keine Lust, sich lange mit dem Mann zu unterhalten. Er riß dem Spanier mit einem Ruck den Helm vom 48
Kopf, packte ihn an den Haaren und setzte ihm gleichzeitig das Messer an die Kehle. »Wenn du nicht redest, Amigo ...« Der Spanier schrie auf. Dann brach es aus ihm hervor, er sprudelte seine Worte nur so heraus. »Der Capitan und die Offiziere. Der Capitan hat den Angriff der Hauptstreitmacht gegen das Araukanerdorf befohlen, er will den Befehlsstand jetzt räumen lassen, ich soll ein Kommando Soldaten herholen, damit sie ...« Der Seewolf hatte genug gehört. Er nickte Ferris Tucker nur zu, und der Hüne schlug zu. Anschließend schleppten ein paar Araukaner den Mann ins Unterholz. »Rasch, Ferris. Wir haben keine Zeit mehr zu umständlichen Vorbereitungen. Wenn wir den Capitan samt seinen Offizieren in die Luft jagen, dann werden die Spanier kopflos durcheinanderrennen wie aufgescheuchte Hühner. Laß dir jetzt ganz schnell etwas einfallen, Ferris!« Der Schiffszimmermann überlegte nicht lange. »Wir werden die Fässer an den Stamm binden. Wenn sie alle zusammen hochgehen, dann müßte das eigentlich reichen.« Mit ein paar Schritten war er bei der Leiter, packte sie, hob sie unten an und zog, wobei er gleichzeitig zurückging. Die Leiter krachte zu Boden. Ferris Tucker kappte die Tampen, mit denen die Sprossen an den beiden Längsseiten befestigt waren. Dabei hörte er, wie Arkana einigen ihren Kriegern Befehle erteilte. Die Araukaner verschwanden, während der Schiffszimmermann unverdrossen die auseinandergeschnittenen Enden miteinander verknüpfte, wobei ihm Hasard und Ben Brighton schließlich halfen. Als sie fertig waren, tauchten die Araukaner mit frischen Lianen in den Händen auf. Ferris Tucker blickte hoch. »Donnerwetter!« entfuhr es ihm. »Die Kerle kapieren wirklich schnell! Frage das Mädchen doch mal, ob nicht ein 49
paar von ihnen auf der ›Golden Hind‹ anheuern wollen, Hasard!« Der Seewolf grinste. »Also wenn schon - dann das Mädchen, Ferris!« Dröhnendes Gelächter brandete auf, dann banden die Männer die Fässer an den Stamm. Sie konnten das ganz ungeniert tun, denn es war für die Dons unmöglich, von der Baumkrone aus auf den Boden zu blicken. Und schon lange wunderte sich der Seewolf, wie es denn möglich war, daß der Zugang zum Befehlsstand nicht scharf bewacht wurde. Aber das war schließlich nicht sein Problem. Ferris Tucker kramte in seinen Taschen, zog ein Knäuel Zündschnur heraus und präparierte zwei der Fässer damit. Ohne zu zögern, winkte er einen der Araukaner heran, der eine brennende Fackel in der Hand hielt. »Komm her, mein Freund«, sagte er. »Gib dem guten Onkel Tucker mal dein Feuer, damit er den Dons die Affenärsche anwärmen kann!« Gleich darauf setzte er die beiden Zündschnüre in Brand. Dann schleuderte er die Fackel zur Seite und jagte in langen Sätzen davon. »Los, reißt eure Arschbacken auseinander, Freunde!« schrie er. »Die Zündschnüre sind verdammt kurz, und das wird einen ganz schönen Knall geben!« Der Seewolf und die anderen tobten samt Araukanern hinter ihm her. Keuchend warfen sie sich in halbwegs sicherer Entfernung hinter einem Felsen in Deckung.
Don Miguel Lopez de Valdivia kochte. Von seinem Beobachtungsstand aus sah er, daß der Angriff seiner Soldaten, daß die ganze Gruppe Alvarez ins Stocken geraten war. Über sein hageres Gesicht perlte der Schweiß in dicken Tropfen. Es 50
war ihm unbegreiflich, was dort unten geschah. Natürlich war dem Capitan auch nicht verborgen geblieben, daß auf araukanischer Seite ebenfalls mit Musketen geschossen wurde. Wieder dachte er an den alten, kampferprobten Leutnant, der ihm das englische Pulverhorn gezeigt hatte. Don Miguel Lopez de Valdivia stampfte mit dem Fuß auf. Er bemerkte nicht, wie ihm seine Offiziere seltsame Blicke zuwarfen. Gerade von ihrem Befehlshaber hätten sie Selbstbeherrschung und ein klares Urteil über die Lage erwartet. »Ich werde diesen Alvarez vors Kriegsgericht bringen!« schäumte der Capitan, als wieder einer der Schutzschilde in Flammen aufging. »Und Sie, meine Herren«, fuhr er die anderen Offiziere an, »warum hat keiner Ihrer Beobachter und Kundschafter mir rechtzeitig gemeldet, daß die Araukaner offenbar unerwartete militärische Hilfe erhalten haben?« Die Offiziere schwiegen. Der Ton, in dem der Capitan mit ihnen sprach und wie er mit ihnen allen umsprang, verletzte ihr Ehrgefühl erheblich. Ein älterer Offizier, Capitan wie der Don selber, hob unwillig die Brauen. »Wir haben die Ankunft jener Fremden genausowenig bemerkt wie Sie, Senor«, sagte er kühl und vermied es dabei absichtlich, den Capitan mit seinem Titel anzureden. »Wir haben sogar von einer Strafexpedition gegen die Araukaner abgeraten, denn es lag kein Grund zu einer solchen Maßnahme vor. Uns war bekannt, daß die Araukaner sich erheblich von anderen Indianerstämmen dieses Kontinents unterscheiden, sowohl von der Intelligenz als auch von ihrer Kultur her. Wir haben vor dieser Strafexpedition gewarnt, weil es einfach vernünftiger gewesen wäre, die Araukaner als Freunde zu gewinnen. Bei allem Respekt, aber schon Cortez hat hier schwere, kaum wiedergutzumachende Fehler begangen. Er hat die Eingeborenen ausgerottet, statt sie für die spanische Krone 51
zu gewinnen. Er hat nur nach dem Gold gejagt, ohne an die Menschen zu denken, er hat ...« Capitan Valdivia war während der letzten Worte rot angelaufen. Schon öffnete er den Mund, um den Capitan wutschnaubend anzubrüllen, als die Welt um sie herum plötzlich im Inferno einer gewaltigen Explosion zu vergehen schien. Der Capitan taumelte durch den Beobachtungsstand. Sein Mund war weit aufgerissen. Irgendwo unter ihm schoß eine grelle Feuerlohe empor und blendete ihn. Äste knickten, der ganze Baum begann zu wanken, neigte sich und begann zu stürzen. Ein paar der Offiziere waren durch die Gewalt der Explosion aus dem Beobachtungsstand herausgeschleudert worden, andere klammerten sich an der Brüstung oberhalb der Plattform fest. Dann krachte der riesige Baum zwischen die anderen Stämme. Donnernd brach er mannsdicke Äste, walzte kleinere Stämme mit der ungeheuren Gewalt seines Sturzes um. Überall leckten Flammen empor, beißender Qualm wölkte hoch und legte sich erstickend auf die Lungen der Spanier. Der Baum schlug auf den Boden auf. Der Capitan wurde aus dem Korb herauskatapultiert, flog in die Äste eines anderen Baumes und fiel schließlich in das dichte Unterholz, das sich neben der Baumgruppe ausbreitete. Er spürte den Aufschlag, spürte, wie ihm die Zweige seine Uniform zerfetzten, dann verlor er das Bewußtsein. Ein Stück hinter ihm prasselten die Flammen im Dschungel, unablässig regneten noch Trümmer vom Himmel herab. Capitan Don Miguel Lopez de Valdivia war der einzige aus der Gruppe der spanischen Offiziere, die sich zum Zeitpunkt der Sprengung im Befehlsstand befanden, der überlebte. Andere wurden von den um sich greifenden Flammen erfaßt und verbrannten, wieder andere hatten sich beim Sturz des 52
Baumes das Genick gebrochen oder waren auf sonst irgendeine Weise getötet worden. Als Capitan de Valdivia aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, vernahm er lediglich das Prasseln und Fauchen der schon bedenklich nahen Flammen und weiter entfernt das wilde Triumphgeheul der Araukaner. Er arbeitete sich stöhnend aus dem dichten Unterholz heraus, das ihm das Leben gerettet hatte, indem es ihn vor den Araukanern verbarg. Dann taumelte er empor - zerrissen, zerfetzt, soweit es seine Uniform betraf, blutende Schrammen im Gesicht und an den Händen, einen stechenden Schmerz im rechten Oberschenkel, sobald er sich bewegte. Don Miguel Lopez de Valdivia blickte sich um. Und dann kam der Schock, stöhnend sank er abermals zu Boden.
5. Leutnant Alvarez hörte die donnernde Explosion und gleich darauf das triumphierende Geschrei der Araukaner. Er sah den Feuerschein der gewaltigen Stichflamme und die ihr folgende pechschwarze Qualmwolke, die in den hitzeflimmernden, graublauen Himmel emporschoß. Und er sah, wie der Baum stürzte. »Madre de Dios!« Er bekreuzigte sich. »Der Capitan - die Offiziere!« Gleichzeitig begriff er, daß der Kampf verloren war, unwiderruflich. Eben hatte er seinen Männern den Befehl zu einem neuen Angriff geben wollen, und die bereits erhobene Hand sackte wie von selbst wieder nach unten. Es hatte keinen Zweck mehr, er dachte gar nicht daran, die ihm anvertrauten Männer blindlings zu opfern und von den Araukanern massakrieren zu lassen. Bei dem letzten Gedanken lachte er bitter auf. Massakrieren er dachte nur flüchtig daran, was unten beim Tempel geschehen war. Er hatte es nicht verhindern und den beiden 53
Araukanern nicht einmal helfen können. Seine Landsleute hatten sich schlimmer gezeigt als die sogenannten »Wilden«, die diese Insel wahrscheinlich seit Jahrhunderten bewohnten und deren gutes Recht es war, sich gegen Eindringlinge mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Außerdem hatte es sich unter den Indianern dieses Kontinents herumgesprochen, was Cortez mit den Inkas angestellt hatte, und Alvarez wußte, daß die Spanier, die »Philipps«, wie sie von den Indianern wegen des spanischen Königs genannt wurden, in diesem Land nicht nur verabscheut, sondern geradezu gehaßt wurden. Leutnant Alvarez entschloß sich schnell. Es gab nur noch eine einzige Möglichkeit für ihn und seine Männer: Sie mußten versuchen, zu den Segelpinassen durchzubrechen, mit denen sie in der Bucht am Ostufer dieser Insel gelandet waren. Mit lauter Stimme gab er die notwendigen Befehle. Sorgfältig achtete er darauf, daß seine Männer eine gute Flankendeckung aufbauten, ebenfalls ließ er den Schluß seiner Truppe durch eine besondere Gruppe gegen plötzliche Überfälle der Araukaner sichern. Alvarez gab außerdem Befehl, alles was an Ausrüstungsgegenständen entbehrlich war, zurückzulassen. »Wir müssen den Durchbruch in kürzester Frist schaffen, Soldaten!« rief er. »Wenn es unseren Feinden gelingt, vor uns die Boote zu erreichen, dann sind wir den Araukanern erbarmungslos ausgeliefert. Und gerade von ihnen haben wir kein Pardon zu erwarten. Wenn es sein muß, Männer, dann werden wir kämpfen und sterben, wie es sich für einen Spanier gehört, aber lebend sind wir unserem Land nützlicher. Vorwärts, Männer, und seid wachsam. Die Indianer kennen jeden Fußbreit auf dieser Insel!« Die Soldaten jubelten ihm zu, und Alvarez wußte, daß er sich auf seine Männer verlassen konnte. Sie verließen den Schauplatz ihrer Niederlage. Dort, wo der Baum gestanden hatte, auf dem der Capitan seinen 54
Befehlsstand hatte errichten lassen, loderten die Flammen. Das Prasseln des Feuers drang bis zu ihnen herüber, pechschwarzer Qualm stand über der Baumgruppe und begann, die Sonne zu verdunkeln. Manch einer der Soldaten bekreuzigte sich, während sie diese Stätte des Todes im Eilmarsch hinter sich ließen. Sie wußten nicht, daß sie sich mit jedem Schritt, den sie taten, einer anderen, neuen und noch viel schlimmeren Hölle näherten. Genau wie Hasard und seine Männer, die zusammen mit den Araukanern hinter den fliehenden Spaniern herhetzten, um noch möglichst viele von ihnen zu erwischen. Arkana und ihre Schlangenkrieger kämpften nach wie vor Seite an Seite mit dem Seewolf und seinen Männern, während der Häuptling der Araukaner mit seinen Kriegern nach der Hauptstreitmacht der Spanier suchte. Hin und wieder fing Hasard noch im Dahinstürmen ein Lächeln des hochgewachsenen, bildhübschen Mädchens auf. Ihre dunklen Augen blitzten ihn an, aber sie sagte kein Wort. Nur die Muskeln ihres unglaublich ausdauernden und geschmeidigen Körpers spielten unter der bronzefarbenen Haut, während sie und ihre Krieger mühelos das scharfe Tempo von Hasard und seinen Männern mithielten. In ihrem dunklen Haar blitzte hin und wieder der goldene Schlangenreif auf, von dem der Seewolf immer noch nicht wußte, was es mit ihm für eine Bewandtnis hatte. So näherten sie sich dem Ostufer der Insel. Immer wieder stießen sie dabei auf fliehende Spanier, und dann sprachen die Waffen. Ferris Tucker blutete aus mehreren Wunden, einige der Männer aus Thomas Moones Truppe waren gefallen, Carberry, Smoky und Blacky befanden sich längst wieder bei den Seewölfen. Dan hielt sich stets in unmittelbarer Nähe des Seewolfs auf, Hasard hatte ihm alle Höllen auf einmal versprochen, falls er diesen ausdrücklichen Befehl nicht strikt befolgen würde. 55
Dan hatte anfangs gemurrt, sich dann aber gefügt. Er ahnte nicht, daß der Seewolf ihn weniger unter Kontrolle als gegebenenfalls seine schützende Hand über ihn halten wollte, denn er hatte gerade dieses Bürschchen so ins Herz geschlossen wie kaum jemals einen anderen Menschen vorher. Er wußte, daß Dan eines Tages ein hervorragender Kapitän sein würde, und verdammt noch mal, er wollte schon dafür sorgen, daß Dan dazu lange genug lebte! Denn bei aller Tapferkeit - einem harten Mann und einem erstklassigen, erfahrenen Kämpfer mit dem Degen war der Junge weder körperlich noch sonstwie gewachsen. Hinzu kam, daß gerade Dan durch seinen Jähzorn und sein allzu impulsives Handeln schon häufig in Schwierigkeiten geraten war, ja, manchmal sogar, wie auf jener heiligen Insel in der Magellanstraße, die ganze Crew des Seewolfs an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Aber Dan hatte noch einen Beschützer gefunden - wenn man außer acht ließ, daß alle Männer seiner Crew sowieso ein wachsames Auge auf das Bürschchen hatten -, und der Seewolf hatte es mit Erstaunen beobachtet. Eine Beschützerin, genau genommen. Mehrfach hatte der Seewolf während des Kampfes beobachtet, daß Arkana immer gerade dann zur Stelle gewesen war, wenn es galt, Angreifer abzuwehren, die sich dem Jungen von hinten näherten und von Dan im Eifer des Gefechtes nicht bemerkt worden waren. Er warf einen Blick zur Seite, und wieder fing er das Lächeln Arkanas auf, deren Augen ihn anblitzten. Dabei zeigte sie eine Reihe perlweißer Zähne zwischen ihren sonst beinahe streng wirkenden Lippen. Der Dschungelpfad verbreiterte sich, das Unterholz wich vor ihnen zurück, und die offene See bot sich ihren Blicken dar. Im selben Moment, in dem sie das sahen, erblickten sie auch noch etwas anderes. Grellrot zuckende Mündungsblitze schwerer Schiffsgeschütze. 56
»Deckung!« konnte der Seewolf gerade noch brüllen, dann brach um sie herum auch schon die Hölle los.
Die ›Golden Hind‹ war während des auf der Insel tobenden Kampfes mit günstigem Wind um die Insel gesegelt. Drake hatte sich am Strand entlanggepirscht. Auf dem Vorderkastell standen zwei Lotgasten und sangen unablässig die Tiefe aus. Die ›Golden Hind‹ mußte ständig irgendwelchen Untiefen ausweichen, Manöver, bei dem ihm die alte »Isabella«-Crew samt ihrem Anführer, diesem schwarzhaarigen Teufel, sehr fehlte. Auch bei den Geschützen fehlte diese wilde Bande. Selbst Thomas Moone befand sich mit zwanzig der besten Männer auf der verfluchten Insel. Auch Drake hatte die gewaltige Explosion vernommen und den in den Himmel emporschießenden Rauchpilz gesehen. Seitdem war er unruhig, denn er wußte nicht, was auf Mocha vorgefallen war. Die ›Golden Hind‹ war von der Besatzung her zur Zeit unterbesetzt. Jeder Mann, der sich jetzt noch an Bord befand, mußte mit zupacken. Das galt für Mac Pellew, den griesgrämigen Koch, genauso wie für Francis Fletcher, dem Bordgeistlichen der ›Golden Hind‹. Sein eigener Bruder, der zweiundzwanzigjährige Thomas Drake, stand Seite an Seite mit seinem Neffen John Drake und dem Bruder des hingerichteten Sir Thomas Doughty - John Doughty - an den Brassen, oder sie arbeiteten auf den Rahen oder an den Geschützen, wie es sich gerade ergab. Die Schmiede, Seiler, Kalfaterer, sogar ein Schuhmacher, ein Schneider und ein Apotheker waren zum Geschützdienst eingeteilt. Keine sehr glückliche Lösung, Drake wußte das, aber er hatte keine Wahl. Fletcher, der Bordgeistliche, der gegen diese Anordnung 57
Drakes hatte aufmucken wollen, war von Drake so scharf gemaßregelt worden, daß er jetzt zähneknirschend seinen Dienst an den Brassen tat, und zwar so, daß Drake ihn jederzeit im Auge behalten konnte. Unruhig starrte Drake zur Insel hinüber. Was geschah, wenn sie am Ostufer etwa auf eine spanische Kriegsgaleone stoßen würden? Er wagte nicht, diesen Gedanken weiterzudenken. Der Kampf gegen eine der viel stärker armierten spanischen Galeonen war schon bei voller Besatzungsstärke, sogar mit diesen Himmelhunden, den Seewölfen, an Bord ein ganz verdammtes Risiko. Da mußte jede Salve sitzen, jedes Manöver aufs Haar genau klappen. So ein Kampf konnte nur durch die bessere Mannschaft, die bessere Segelführung und die Schnelligkeit der befohlenen Manöver gewonnen werden. Aber jetzt - mit dieser Crew von zum Teil seemännischen Laien? Wieder stieg der Zorn in Drake hoch, daß der Seewolf ihn durch seine ständige Widersetzlichkeit in eine solche Lage hineinmanövriert hatte. Und er nahm sich vor, diesmal auf keinen Fall Milde walten zu lassen. Diesem Adler mußten die Flügel ein für allemal gestutzt werden, und zwar gehörig. Andererseits jedoch ... Drake hieb unwillkürlich mit der Faust auf die Reling. Fange ich schon wieder an? dachte er voller Grimm. Wieder warf er einen Blick zur Küste, dann auf die Segel. Nein, so ging das nicht, wenn sie einen Gegner am Ostufer angreifen wollten, dann mußten sie es von See her tun mit achterlichem Wind. Sie mußten schnell sein, sogar sehr schnell, und durften dem Gegner keine Chance lassen. »Anluven!« gab Drake das Kommando. »An die Brassen, Männer, los, bewegt euch!« brüllte der sonst so beherrschte Drake. Denn in diesem Moment fiel ihm ein, daß sich auch Carberry auf der Insel befand, der Mann, der dafür gesorgt hätte, daß die Kommandos so schnell ausgeführt wurden, wie 58
das nötig war, eventuell sogar noch ein wenig schneller. Die Rahen schwangen quietschend herum, die ›Golden Hind‹ richtete ihren Bug höher an den Wind. Bei aufbrisendem Nordost segelte sie über Steuerbordbug hoch am Wind schräg auf die chilenische Küste zu. Schäumend rauschte die Bugwelle empor, das Schiff krängte unter dem Druck des Windes nach Steuerbord über. Drake beobachtete, wie sie sich von der Insel entfernten. Erst, als sie schon fast ein dünner Strich am Horizont geworden war, gab er neue Segelkommandos. Diesmal fuhr die ›Golden Hind‹ eine Wende und fiel dann ab auf Südwestkurs. So würde sie ganz überraschend und mit hoher Fahrt vor der Ostküste der Insel auftauchen. Jeder Spanier, der sie heransegeln sah, mußte annehmen, ein spanisches Schiff vor sich zu haben. Drake verließ das Achterkastell, nachdem er dem portugiesischen Lotsen, Nuno da Silva, der am Kolderstock stand, letzte Anweisungen gegeben hatte. Drake ging zum Hauptdeck hinunter, wo die Männer bereits mit glimmenden Lunten an den feuerbereiten Geschützen standen. Sorgfältig überprüfte Drake noch einmal persönlich Geschütz für Geschütz, warf einen Blick auf die Kartuschenvorräte, auf die Kanonen- und Stangenkugeln, die zum Nachladen bereitlagen, kontrollierte, ob die Wischer, mit denen die Kanonenrohre nach dem Schuß gereinigt wurden, genügend naß waren. Dann warf er einen Blick zum Hauptmars hoch, in dem schon die Schützen mit ihren Brandpfeilen hockten - eine ganz wichtige Waffe, mit der man die Segel eines Schiffes sehr leicht in Brand zetzen und es damit manövrierunfähig machen konnte. Ebenfalls kontrollierte er den Vormars, und dabei dachte er daran, wie sehr ihm Batuti, der riesige GambiaNeger, fehlen würde, dessen Brandpfeile fast nie ihr Ziel verfehlten und der mit dem Bogen meisterhaft umzugehen 59
verstand. Er kontrollierte die Löschmannschaften, die sich zum sofortigen Eingreifen bereithielten und registrierte, daß das Gesicht des Bordgeistlichen wegen des bevorstehenden Kampfes vor Furcht aschgrau war. Dann stieg er wieder aufs Achterkastell. Von dort hatte er den besten Überblick. Er sah, daß es Zeit wurde, denn die Insel Mocha wuchs aus den blauschwarzen Fluten schneller und schneller hervor. »Klar Schiff zum Gefecht!« rief er den Männern auf dem Hauptdeck zu, als sich wenig später vor ihnen eine langgestreckte Bucht öffnete, in der sich Mastspitzen abzeichneten. Doch dann kniff er die Augen zusammen. Was war denn das? Dort lagen, nebeneinander vertäut, unmittelbar vor dem Strand, fünf große Segelpinassen. Fein säuberlich aufgereiht, so, wie es seinen Absichten gar nicht besser entsprechen konnte. Aber dann stutzte er plötzlich, man gab ihm Blinkzeichen vom Ufer, wahrscheinlich mit Spiegeln. Ein Grinsen überzog Drakes Gesicht. Die hielten ihn tatsächlich für eine spanische Kriegsgaleone, na, die sollten ihr blaues Wunder erleben. Die ›Golden Hind‹ rauschte mit weithin leuchtender Bugwelle heran, passierte die Ausläufer der Bucht, die sich wie kleine Molen in die See erstreckten und die Bucht zu einem geradezu idealen Hafen werden ließen, und glitt in die Bucht, näher, immer näher an die Pinassen heran. Dann, nur rund achtzig Yards von den fünf Schiffen entfernt, gab Drake das Kommando. Die ›Golden Hind‹ schwang herum, und diesmal arbeiteten die Männer an den Brassen so schnell und perfekt, wie es Hasard und seine Seewölfe auch nicht besser gekonnt hätten. Die Stückpforten flogen hoch, die Geschütze wurden ausgerannt. »Feuer!« kommandierte Drake. 60
Donnernd entlud sich die erste Breitseite der ›Golden Hind‹. Sie lag zu hoch, fetzte zwar einigen der Pinassen die Masten ab, aber dann prasselten die Stangenkugeln in das Unterholz des Ufers. Die Männer an Bord der ›Golden Hind‹ schufteten wie die Irren. Abermals schwang das Schiff herum, und diesmal sprang Drake selber ins Geschützdeck hinunter, richtete die Geschütze aus und gab die notwendigen Anweisungen, während die Männer auf der Steuerbordseite die Kanonen bereits wieder nachluden. Dann erbebte das schwere Schiff unter der zweiten Breitseite. Diesmal lag sie im Ziel. Durch die Geschützpforten beobachtete Drake, wie die Pinassen von den Stangenkugeln und den Neunpfündern der neun Geschütze förmlich zerfetzt wurden. Splitter flogen umher, Menschen schrien, stürzten sich ins Wasser und versuchten das rettende Ufer zu erreichen, aber da knatterten die Musketen auf. Hinter die Schanzkleider geduckt, feuerten die Männer der ›Golden Hind‹, während das Schiff, das sich den Pinassen nun bis auf etwa fünfzig Yards genähert hatte, abermals drehte, um die nächste Breitseite abzufeuern. Dann sah Drake plötzlich etwas, was ihm die Haare förmlich zu Berge trieb und ihm eisige Schauer über den Rücken jagte.
Hasard und seine Männer duckten sich fluchend unter den ins Unterholz prasselnden Stangenkugeln. Sie hatten Glück, daß sie sich nicht unmittelbar in der Feuerlinie befanden, sonst wären sie von dieser Salve glatt in Stücke gerissen worden. Das wurde ihnen spätestens in dem Augenblick klar, als sie sahen, wie die Stangenkugeln das Unterholz zu ihrer Linken regelrecht zerfetzten und breite Lücken rissen, als habe dort ein ganzer Trupp tagelang mit Entermessern gehaust und gerodet 61
Schreie gellten, denn gerade dort tauchten fliehende Spanier auf. Aber der Seewolf hatte nicht einmal die Zeit, das zur Kenntnis zu nehmen, denn er sah, wie die ›Golden Hind‹ zur nächsten Salve drehte. »Zurück, Männer!« brüllte er. »Bei der nächsten Salve zerhacken uns diese verdammten Schlumpschützen, wenn sie weiter so hoch halten!« Sie liefen zurück. Ferris Tucker fluchte mörderisch, und selbst der sonst so beherrschte Ben Brighton machte seinem Grimm deutlich Luft. Hasard spürte, wie sich ein schlanker Körper neben ihn in eine Bodensenke warf. Er blickte zur Seite. »Arkana!« stieß er überrascht hervor, denn das Mädchen schien fast in die Erde zu kriechen. Es war das erstemal, daß er bei ihr so etwas wie Furcht entdeckte. Aber das war nur zu natürlich, wann hätten die Araukaner denn wohl je Gelegenheit gehabt, die vernichtende Wirkung von Schiffsgeschützen kennenzulernen? Die nächste Breitseite der ›Golden Hind‹ dröhnte auf. Aber schon am Geräusch der Einschläge hörte der Seewolf, daß sie voll im Ziel lag. Es krachte mörderisch, dann flogen die Trümmer der getroffenen Segelpinassen hoch und klatschten zum Teil ins Wasser, zum Teil auch in das bis fast zum Wasser der Bucht reichende Unterholz. Dan sprang mit einem Schrei auf und jagte auf das Ufer zu. Hasard wollte ebenfalls aufspringen, aber Arkana, die immer noch neben ihm lag, war schneller. Wie von der Sehne geschnellt sauste sie los, erwischte Dan an der Schulter, riß ihn herum und schleuderte ihn zu Boden. Dan traten fast die Augen aus den Höhlen, da war auch schon der Seewolf heran. »Dan, du verdammter Teufelsbraten, soll dich die nächste Salve der ›Golden Hind‹ in Stücke reißen? Glaubst du, wenn diese Kerle dort an Bord einmal treffen, dann liegen ihre 62
Salven fortan ewig im Ziel? Los, zurück mit dir!« Er warf Arkana einen anerkennenden Blick zu und zog das Mädchen ebenfalls mit sich fort. Wenig später dröhnte die dritte Salve auf, und tatsächlich, sie lag wiederum im Ziel. Die letzte noch schwimmfähig gebliebene Segelpinasse zerbarst unter mehreren einschlagenden Neunpfündern und versank sofort. Von der ›Golden Hind‹ drangen wildes Musketenfeuer und Triumphgebrüll herüber. Da hielt es Hasard und seine Männer nicht mehr. Mit lautem Geschrei sprangen sie auf und jagten zum Ufer hinunter, während die vollends demoralisierten Spanier in den Dschungel zurückflohen, wo sie schon von den Araukanern erwartet wurden. Aber dann blieben Hasard und seine Seewölfe wie angewurzelt stehen. Auch Carberry und die Gruppe um Thomas Moone starrten aus weit aufgerissenen Augen erst auf die ›Golden Hind‹ und dann auf die spanische Kriegsgaleone, die unter vollen Segeln heranrauschte, und genau auf die Bucht zuhielt. Es war ein großes Schiff mit mehr als zweihundert Tonnen Wasserverdrängung und entsprechend bewaffnet. Die ›Golden Hind‹ war in der Bucht gefangen - in Lee des Angreifers. Der Seewolf spürte, wie ihm vor Zorn und Schreck für einen Moment die Knie weich wurden. Aber nur für einen Moment während er auf das herannahende Verhängnis starrte und es nicht fassen konnte.
6. An Bord der spanischen Galeone ›Santa Magdalena‹ herrschte äußerste Verwirrung. Capitan Juan Caballe Ferre stieß eine Verwünschung nach der anderen aus, während er aus schmalen Augen das Durcheinander in der Bucht musterte. »Madre de Dios!« stöhnte er. »Dieser Leutnant, dem wir auf 63
See begegneten und der mit der Segelpinasse nach Valdivia segeln wollte, hatte wahrhaftig recht: ein englisches Schiff! Hölle und Verdammnis, wie kommen die Engländer hierher? Und was haben sie auf Mocha zu suchen?« Capitan Juan Cabballe Ferre war ein kleiner, zierlich gebauter Mann mit pechschwarzem Haar und einem ebensolchen Bart, der Kinn und Wangen umrahmte. Schon diese ungewöhnliche Haartracht, die er sich in Spanien nicht hätte leisten können, ohne das Mißfallen seiner Vorgesetzten herauszufordern, ließ ahnen, daß er sich seit langem in diesen südlichen Breiten aufhielt. So war es auch. Der Capitan kannte sich an der Küste Chiles aus. Wie so viele andere Offiziere verstand er das Vorgehen Capitan Valdivias gegen die Araukaner nicht. Aber das alles spielte in diesem Moment keine Rolle, ein feindliches Schiff hatte die Insel angegriffen und soeben fünf spanische Schiffe zerstört. Und das war genau der Punkt, an dem Capitan Juan Caballe Ferre keinen Spaß mehr verstand. »Klar Schiff zum Gefecht!« befahl er nach einem letzten Blick auf die ›Golden Hind‹. Sofort traten die Trompeter der ›Santa Magdalena‹ in Aktion. Die Geschützbedienungen stürzten in das Kanonendeck, die Stückpforten der dreißig Zwölfpfünder flogen hoch. Selbst am Heck, wo sich dicht unter der Galerie noch zwei Neunpfünder befanden, wurden die Geschütze ausgerannt. Die ›Santa Magdalena‹ war eine spanische Kriegsgaleone neuester Bauart. Sie hatte zweihundertfünfzig Tonnen Wasserverdrängung und war damit zweieinhalbmal so groß wie die ›Golden Hind‹. Schon eine ihrer Breitseiten, sofern sie richtig traf, konnte ausreichen, um die ›Golden Hind‹ zu den Fischen zu schicken. Auch ihre Besegelung, sie hatte vier Masten und eine weitaus größere Segelfläche, war der der ›Golden Hind‹ turmhoch überlegen. Capitan Juan Caballe Ferre wußte das. Er war ein guter Seemann und besaß außerordentlich scharfe Augen. Auf den 64
ersten Blick schätzte er die Kampfkraft des feindlichen Schiffes richtig ein. Nur eins wußte er nicht, konnte er nicht wissen: daß er es nämlich mit ›El Draque‹, diesem verhaßten Engländer, und dem Seewolf und seiner hartgesottenen Crew persönlich zu tun hatte. Der Wind stand günstig für die ›Santa Magdalena‹, und auch das wußte der spanische Capitan. Es war nicht seine erste Seeschlacht. Ein feindliches Schiff, das in Lee vom Angreifer stand, hatte es schwer. Ein feindliches Schiff jedoch, das sich erst noch von einer Leeküste freisegeln mußte, ehe es kämpfen konnte, war schon so gut wie versenkt. Außerdem aber hatte die ›Santa Magdalena‹ eine gut ausgebildete, zahlenmäßig starke Besatzung, die mühelos auch stärkere Verluste verkraften konnte, ohne in ihrer Kampfkraft merklich geschwächt zu werden - ganz im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation auf der ›Golden Hind‹. Das war auch Drake klar, der seinen ersten Schreck sehr schnell überwunden hatte. Ihm blieb nur eines zu tun: den Gegner mit einer gehörigen Breitseite zu empfangen und zu versuchen, ihn sofort empfindlich zu treffen. Das war der einzige Punkt, in dem Drake sich im Vorteil befand. Denn der Spanier mußte, um eine Breitseite auf die ›Golden Hind‹ abzufeuern, erst noch drehen. Das war der Moment, in dem er tödlich verwundbar und so gut wie wehrlos war. Drake spürte, wie Eiseskälte von ihm Besitz ergriff. Er hatte diese eine Chance, und er würde sie nutzen. Er würde noch ein weiteres tun: gleich nach der Breitseite drehen und dem Gegner nur noch die Schmalseite seines Schiffes als Ziel bieten. Drake lief über das Achterkastell. Es war wichtig, daß er selbst im Geschützdeck die Aufsicht führte und die Geschütze richtete. Die erste Breitseite mußte im Ziel liegen - oder alles war verloren. Noch im Laufen, während er den Niedergang hinabturnte, warf er die Jacke ab. Aus großen Augen starrten ihn seine 65
Männer an. Wenn sie den Ernst der Lage bisher noch nicht begriffen hatten, von diesem Augenblick an wußten sie es. Sie erkannten, daß es um Tod und Leben ging, daß ihnen allen ein Kampf bevorstand, der schlimmer sein würde als alles, was sie je zuvor erlebt hatten. Francis Fletcher, der Bordgeistliche, wurde grün im Gesicht vor Angst. Dann erbrach er sich zwischen die Geschütze. Einer der Seeleute sah das, sprang fluchend auf ihn zu und versetzte ihm einen derben Tritt in den Hintern. »Dir werde ich helfen, du Ratte!« brüllte er, während Fletcher quer über das Deck schoß und sich fast den Schädel an einem der Geschütze einrammte. Er hatte diesen Kerl, der überall und dauernd irgendwo versuchte, die Mannschaft gegen Drake aufzuhetzen und sich immer wieder hinter frömmelnden Bibelsprüchen verschanzte, noch nie leiden können. Drake sah das, aber er sagte nichts. Er riß Fletcher lediglich von den Planken hoch. »Gehen Sie sofort zu Ihrem Geschütz zurück, Fletcher. Sorgen Sie dafür, daß Sie die Schweinerei, die Sie dort hinterlassen haben, beseitigen, bevor das Gefecht beginnt. Oder Sie lernen mich kennen. Haben Sie mich verstanden?« Der Bordgeistliche wagte es nicht, auch diesmal einen seiner Bibelsprüche loszulassen. Er las in den Augen Drakes, daß er dessen Geduld in diesem Moment nicht mehr im geringsten strapazieren durfte. Drake ließ ihn stehen, dann ging er an die Arbeit. Ein Blick über das Backbordschanzkleid zeigte ihm, daß die Galeone nur noch Minuten brauchen würde, bis sie auf Schußposition heran war. Drake arbeitete unermüdlich. Aus der Fahrt des Schiffes schätzte er ab, wo die spanische Galeone drehen würde, dorthin richtete er die Geschütze, und die Männer halfen ihm. Es wurde in diesen Momenten an Bord der ›Golden Hind‹ kein überflüssiges Wort gesprochen. Jeder wußte, um was es ging, 66
daß die nächsten Minuten über Tod oder Leben entscheiden mußten. Auch der Seewolf wußte das. Er hatte es im selben Moment erkannt, in dem er die Galeone heransegeln sah. Für einen Augenblick lähmte ihn der Schreck, und sogar Dan brachte diesmal kein Wort heraus. Aber dann löste sich seine Erstarrung. Er warf seine Jacke ab, Arkana, die neben ihm stand, fing sie geschickt auf. Aber Hasard hatte kein Auge für das Mädchen, seine Gedanken rasten. Er hatte einen Plan, geboren innerhalb von Sekunden. Und er wußte, daß er ihn durchführen würde, ganz gleich, ob er überlebte oder nicht. Er sah sich um, sein Blick traf Ben Brighton, der nur ein paar Schritte von ihm entfernt am Ufer stand und ebenfalls zu der heransegelnden spanischen Galeone hinüberstarrte, unfähig, sich zu rühren. »Ben!« Die Stimme des Seewolfs riß ihn aus seiner Erstarrung. Er fuhr herum. »Los, Jacke aus, du mußt schwimmen, Ben!« Und dann erklärte ihm der Seewolf in fliegender Hast, was er vorhatte. Ben Brighton klappte den Mund auf und schloß ihn wieder. »Du bist verrückt, Hasard, total übergeschnappt. Aber ich bin dabei. Ich habe dich in Sevilla schon einmal für völlig verrückt erklärt, und doch klappte dann alles wie am Schnürchen! Los, ab dafür, den Kerlen werden wir es besorgen, so wahr ich Ben Brighton heiße!« Hasard hatte seine letzten Worte schon nicht mehr gehört. Er lief auf eine der beiden molenförmigen Ausläufer der Bucht hinaus und hechtete ins Wasser. Arkana starrte ihm nach, gleich darauf rief sie ihren Schlangenkriegern einen Befehl zu und verschwand ebenfalls. Verblüfft starrten die anderen sowohl Hasard und Ben Brighton als auch den Araukanern und ihrer Schlangenpriesterin nach. Thomas Moone war es, der die atemlose Stille brach. 67
»Drake braucht uns an Bord«, sagte er. »Jeder, der es kann, soll jetzt zur ›Golden Hind‹ hinüberschwimmen. Wenn die Dons entern, wird jede Hand und jedes Entermesser gebraucht Du, Dan, und du, Batuti, ihr nehmt den Kutscher zwischen euch. Die kurze Strecke muß es schon gehen. Vorwärts, ins Wasser mit euch!« befahl er und warf seine Muskete auf den Strand. Die Männer um Thomas Moone zögerten nicht. Sie waren keine Landratten, sondern samt und sonders befahrene Leute. Irgendwie verstand jeder von ihnen, sich schwimmend im Wasser zu bewegen. Auch Dan parierte, er hatte begriffen, wie ernst die Lage der ›Golden Hind‹ war. Dennoch konnte er sich nicht verkneifen, den riesigen Ferris Tucker mit Fragen zu löchern. »Junge, nun halte endlich den Schnabel!« zürnte Tucker schließlich, »Ich weiß es so wenig wie du, was Hasard und Ben vorhaben. Aber was es auch immer sein mag, die beiden werden es schaffen. Das ist für mich so sicher, wie sie uns damals in Spanien von der Galeere geholt haben. Und nun hilf gefälligst Batuti, ich habe im Wasser mit mir selber genug zu tun! Oder willst du Quasselkopp den Kutscher absaufen lassen?«
Der Seewolf, der in punkto Schwimmen und Tauchen besser als jeder andere seiner Crew war, schwamm mit mächtigen Stößen in die Bucht hinaus. Ben Brighton, ebenfalls ein hervorragender Schwimmer, hielt Schritt mit ihm. Die beiden Männer sprachen kein Wort miteinander. Sie sahen die spanische Galeone heransegeln, sahen, wie sie zum Halsen ansetzte, von der ›Golden Hind‹ kaum weiter als hundertfünfzig Yards entfernt. »Tauchen, Ben!« schrie der Seewolf seinem Gefährten zu und 68
war gleich darauf verschwunden. Ben folgte ihm sofort, und dann hörten sie das Wummern der Breitseite, die die ›Golden Hind‹ abfeuerte. Wie der Blitz tauchte Hasard wieder auf gerade zur rechten Zeit. Drake hatte hervorragende Arbeit geleistet Der Großmast der ›Santa Magdalena‹ war unter den einschlagenden Neunpfündern zersplittert, vom Fockmast krachte ein Teil der Rahen an Deck, während der Großmast nach Backbord über Bord ging. Genau ins Schußfeld der Geschütze hinein. Hasard sah, wie die Spanier auf ihrem Schiff herumrannten, wie Männer mit Enterbeilen und Zimmermannsäxten begannen, das laufende und stehende Gut zu kappen, um das Schiff vom über Bord hängenden Mast zu klarieren. Aber dann dröhnten auch die Geschütze des Spaniers auf. Grelle Mündungsfeuer fuhren yardlang aus den Stückpforten hervor - und auch diese Breitseite traf. Hasard zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen, als er sah, wie der Besan in sich zusammenstürzte, noch während die ›Golden Hind‹ herumschwang, um auch ihre andere Breitseite abfeuern zu können. »Schnell, Ben, dieser Spanier ist ein eiskalter, gefährlicher Bursche, der seine himmelhohe Überlegenheit genau kennt!« Der Seewolf schwamm auf die spanische Galeone zu, und Ben Brighton blieb neben ihm.
Drake verlor in diesen kritischen Sekunden und Minuten nicht den Kopf. Er wußte, daß alles nun davon abhing, wer von ihnen zuerst die nächste Breitseite abfeuern würde. Er sah, wie der Spanier durch den über Bord hängenden Großmast aus dem Ruder lief und seine Schußposition immer ungünstiger wurde. 69
Er gewann dadurch kostbare Zeit, denn auch die ›Golden Hind‹ drehte nur noch schwerfällig nach dem Verlust ihres Besanmastes. Aus den Marsen zischten Brandpfeile zu dem Spanier hinüber, hakten sich in der Takelage fest, und erste Flammen züngelten auf. Dann war es soweit, die ›Golden Hind‹ war in Schußposition. Trotzdem überhastete Drake nichts, sondern ließ die Geschütze sorgfältig ausrichten. Er wußte aus Erfahrung, daß man einen Zwölfpfünder nicht so schnell lud wie die kleineren Kanonen seines Schiffes. Außerdem hatte er die andere Breitseite längst vorbereitet, die Spanier konnten gar nicht mehr daran denken, überhaupt noch zu drehen. Noch einmal überprüfte Drake die Richtung der Kanonen. Dann gab er mir lauter Stimme den Befehl zum Feuern. Die Kanonen brüllten auf, der Rückstoß trieb sie in die Brooktaue. Der dichte Qualm, der vor den Stückpforten aufwölkte, nahm den Männern der ›Golden Hind‹ die Sicht, aber dann jubelten sie. Schreien und Fluchen drang von der spanischen Galeone an ihre Ohren. Etwas polterte an Deck des Schiffes, und als der Geschützqualm sich verzogen hatte, sahen sie, daß die zweite Breitseite auch den Kreuzmast über Bord gefegt hatte. Ein heilloses Durcheinander herrschte an Bord des Schiffes, die Spanier rannten an Deck herum wie aufgescheuchte Hühner. Doch dann brüllten auch die schweren Geschütze der ›Santa Magdalena‹ wieder auf. Diesmal erwischte die Breitseite das Steuerbordschanzkleid der ›Golden Hind‹ und riß es in Fetzen. Männer wälzten sich schreiend in ihrem Blut, einige der Geschütze waren aus ihren Brooktauen herausgerissen und rollten über das Deck des unter der Wucht der Einschläge überholenden Schiffes. Irgendwo leckten Flammen hoch. Die Männer des Löschkommandos sprangen mit ihren Wasserfässern und Holzeimern hinzu und erstickten die Flammen im Keim. 70
Das war der Moment, in dem Ferris Tucker, Dan, Batuti, der Kutscher, Thomas Moone und die übrigen die ›Golden Hind‹ erreichten und enterten. Einer der Männer sprang ihnen entgegen, das Enterbeil bereits zum Schlag erhoben, aber dann fiel sein Arm herab. Er starrte die triefenden Gestalten an wie Geistererscheinungen. Erst als Ferris Tucker ihm gutmütig auf die Schulter klopfte und seine eigene riesige Axt absetzte, erwachte der Mann aus seiner Erstarrung. Im Nu waren sie umringt. Drake, genauso vom Pulverdampf geschwärzt wie die anderen, trat auf Thomas Moone zu. Dann blickte er sich suchend um. »Killigrew - wo steckt der Seewolf?« fragte er, und seine Züge verdüsterten sich. »Und Ben Brighton?« fragte er weiter. Dan drängte sich an Ferris Tucker vorbei. Aufgeregt deutete er zur ›Santa Magdalena‹ hinüber. »Dort, Mr. Drake, Sir, mit Ben ist er hinübergeschwommen, ich ...« Tucker schob Dan zur Seite. »Stimmt«, sagte er. »Der Junge hat recht. Aber wir wissen nicht, was er vorhat, keiner von uns weiß das. Aber was es auch sei, er wird es schaffen, Sir. Das ist meine Meinung, und ich lasse mich freiwillig dreimal kielholen, wenn ich nicht recht behalte!« Drake runzelte die Stirn. »Ich werde Sie beim Wort nehmen, Tucker«, erwiderte er, und registrierte, wie Carberry sich nur mühsam das Grinsen verkniff. Dann rannten sie alle wieder zu den Geschützen, lediglich Drake eilte zum Achterkastell hoch, wo noch immer ein Teil der Männer damit beschäftigt war, den von den Geschützen des Spaniers abrasierten Besan zu klarieren. Drake blickte sich um, und erst vom Achterkastell aus erkannte er, daß es auch seine ›Golden Hind‹ ziemlich schwer 71
erwischt hatte. Er warf einen Blick zu dem Spanier hinüber. Die ›Santa Magdalena‹ war ein Stück durch die in der Bucht herrschenden Strömung abgetrieben worden und brachte gerade ihre Anker aus. Drake erkannte die ungeheure Gefahr. Der spanische Kapitän wollte sein Schiff mittels der beiden Anker an Bug und Heck wieder in Schußposition bringen. Anschließend konnte er die weitaus schwächere und ebenfalls angeschlagene ›Golden Hind‹ mit seiner überlegenen Feuerkraft systematisch in Grund und Boden schießen. Drake stieß eine wilde Verwünschung aus. Der Spanier blockierte die Ausfahrt, an der ›Santa Magdalena‹ vorbei konnte er jedenfalls nicht, schon gar nicht bei dem aus Nordost in die Bucht hereinblasenden Wind. Drake suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Falle. Während er das tat, beobachtete er, wie zwei scheinbar total erschöpfte Männer an Bord der spanischen Galeone gezogen wurden. Er kniff die Augen zusammen und rief Dan O’Flynn zu sich heran. Drake besaß ein gutes Sehvermögen, aber die Adleraugen Dans hatte er nicht. Das Bürschchen turnte wie der Blitz den Niedergang zum Achterkastell hoch, gefolgt vom lauthals keckernden Schimpansen Arwenack, der durch das Donnern der Geschütze so verängstigt und verwirrt war, daß er an allen Gliedern zitterte und Dan nicht von der Seite wich, weil er Schutz bei ihm suchte. Was Drake nicht sofort erkennen konnte, sah Dan mit seinen scharfen Augen sofort. Er wurde blaß, dann starrte er Drake an und gleich darauf wieder die Szene, die sich eben an Bord der ›Santa Magdalena‹ abspielte. »Das - das ist Hasard - und da ist auch Ben! Bei allen Stürmen und Unwettern der Hölle, sind die denn total verrückt geworden?« schrie er schließlich außer sich. 72
Dan vergaß in diesem Moment völlig, daß der Seewolf und Ben Brighton die spanische Sprache perfekt beherrschten. Darauf aber hatten sie ihren Plan aufgebaut.
7. Der Seewolf ließ sich scheinbar total ausgepumpt auf eine der herumliegenden Taurollen fallen. »Wasser!« murmelte er auf Spanisch. »Gebt mir Wasser!« Dabei blickte er sich unauffällig um, und Ben Brighton tat das ebenfalls. Im Gegensatz zu Hasard, dessen Wunde auf der Wange wieder aufgebrochen war und dem Blut über das Gesicht lief, lehnte Brighton keuchend an der Reling. Die Geschütze der beiden Schiffe schwiegen. Die Spanier hatten alle Hände voll damit zu tun, das Deck der Galeone aufzuklaren und das Schiff wieder mittels der beiden Anker in eine günstige Feuerposition für die Backbordkanonen zu bringen, mit denen sie zumindest im Augenblick nichts anfangen konnten. Außerdem waren eine ganze Reihe der Seesoldaten damit beschäftigt, die an vielen Stellen schwelenden Brände unter Kontrolle zu halten, nachdem die Segel des Schiffes, immer wieder von neuem in Brand gesetzt durch die von der ›Golden Hind‹ verschossenen Brandpfeile, bereits zum allergrößten Teil ein Raub der Flammen geworden waren. Hinzu kam, daß das Schiff zwei seiner Masten eingebüßt hatte, daß dichter, beizender Qualm sich durch die Decks wälzte und den Spaniern das Atmen zur Hölle werden ließ. Drakes Breitseiten hatten nur zu gut getroffen, aber dennoch blieb dieses große, stark bestückte Schiff für die viel kleinere und wesentlich schwächer bewaffnete ›Golden Hind‹, die in der Bucht gefangen war, eine tödliche Gefahr. Mit seinen halbgeschlossenen Augen beobachtete Hasard zu 73
seiner allergrößten Besorgnis, daß die verfluchten Dons sogar viel rascher wieder Herr der Lage zu werden versprachen, als er zunächst angenommen hatte. Denn das schwere Schiff schwang herum. Die Männer an den Spills taten ihr Bestes, und aus dem noch intakten Teil des Geschützdecks schallten die Befehle. In diesem Moment setzte wüstes Musketenfeuer von der ›Golden Hind‹ ein. Auch Drake hatte die Gefahr erkannt, und er konnte in diesem Augenblick keine Rücksicht darauf nehmen, daß sich Hasard und Ben Brighton an Bord der ›Santa Magdalena‹ befanden. Er mußte die Männer am Spill auf dem Vorderkastell der Galeone in Deckung zwingen, er mußte erreichen, daß die Strömung die spanische Galeone herumdrückte, so daß die ›Golden Hind‹ auch weiterhin im toten Winkel der gefährlichen Zwölfpfünder des Batteriedecks an Backbord verblieb. Und doch wußte Drake, daß er das sichere Ende nur noch etwas hinausschieben konnte, wenn er nicht sofort mit allen Geschützen, über die er verfügte, das Feuer auf den Gegner eröffnete. Denn im Gegensatz zu dem Spanier war seine ›Golden Hind‹ durchaus noch manövrierfähig. Die ›Golden Hind‹ schwang herum, langsam, viel zu langsam, wie es Drake schien. Auch Drake konnte nur noch seine Backbordgeschütze benutzen, denn die letzte Breitseite des Spaniers hatte die Steuerbordseite verheerend getroffen, und noch immer herrschte im Batteriedeck ein wüstes und blutiges Durcheinander, das selbst Ferris Tucker und die übrigen Seewölfe nur nach und nach beseitigen konnten. Der Seewolf wußte, daß er Drake durch sein und Ben Brightons Erscheinen an Deck des Spaniers in eine schlimme Situation gebracht hatte, und deshalb beschloß er, schnell zu handeln. Er warf Ben unter den immer noch halb geschlossenen Lidern einen Blick zu, und Ben Brighton nickte unmerklich. 74
Einer der Seesoldaten brachte Wasser und wollte dem Seewolf etwas zu trinken geben, aber Hasard taumelte von der Taurolle hoch. Seine Züge verzerrten sich, spanische Flüche quollen ihm über die Lippen. Dann starrte er den Soldaten aus weitaufgerissenen Augen an. »Der Capitan«, keuchte er und stützte sich dabei schwer auf Ben. »Wo ist der Capitan? Ich habe eine Meldung für ihn vom Kommandanten der Insel. Die Araukaner, diese Teufel, zusammen mit den Engländern haben sie alle niedergemacht massakriert ...« Er wankte davon, ließ den Soldaten einfach stehen, kümmerte sich auch nicht um einen Offizier, der ihm in den Weg geriet, sondern schob den Mann einfach zur Seite. »Zum Capitan!« murmelte er dabei wieder. »Meldung vom Kommandanten der Insel ...« Der Offizier, der ohnehin alle Hände voll zu tun hatte, ließ Hasard und Ben gehen, nachdem Ben Brighton auch seinerseits noch kräftig Theater gespielt hatte. »Ihr seid zu spät erschienen, die Araukaner und die verfluchten Engländer haben die ganze Insel überrannt und den Befehlsstand in die Luft gejagt. Ein Teil der Unseren hält sich noch am Westufer, wir brauchen Hilfe, sofort, oder wir werden alle abgeschlachtet ...« Damit hatten Hasard und Ben Brighton freie Bahn. Sie bewegten sich aufs Achterdeck zu und sahen die beiden Türen, die ins Innere führten, und nun profitierten sie von ihren Kenntnissen, die sie speziell über spanische Kriegsschiffe gesammelt hatten. Als sie sich unbeobachtet glaubten, richtete sich der Seewolf hoch auf; Er warf einen raschen Blick zur ›Golden Hind‹ hinüber, und es gab für ihn keinerlei Zweifel daran, daß Drake feuern lassen würde, feuern lassen mußte, ohne Rücksicht auf sie. »Schnell, Ben, jetzt gilt’s, oder wir werden von unseren 75
eigenen Geschützen zu den Fischen geschickt!« Der Seewolf lief los, geradewegs auf einen Seesoldaten zu, der ein Entermesser im Gürtel stecken hatte. Mit einem einzigen Hieb fällte er den völlig Ahnungslosen, der den Seewolf für einen Mann der Besatzung gehalten hatte. Ben Brighton fand ebenfalls ein Opfer. Dann drangen sie ins Achterkastell ein. »Nach Backbord, Ben!« zischte ihm der Seewolf zu und verschwand auch schon im Dunkel des Ganges. Er sauste einen Niedergang hinunter, der in den Rumpf der Galeone führte. Ben Brighton folgte ihm nur in wenigen Yards Abstand. Wieder tauchten die beiden in einen engen Gang, dann stoppten sie vor einer dicken, eisenbeschlagenen Bohlentür dem Zugang zur Pulverkammer der ›Santa Magdalena‹. Der Seewolf wußte, daß die Tür nicht verschlossen sein konnte, aber ihm war ebenfalls klar, daß sie hinter jener Tür auf ein Kommando von Männern stoßen würden, deren Aufgabe es war, die Geschützdecks ständig mit Pulver und Kanonenkugeln zu versorgen. Hasard wartete, bis auch Ben zur Stelle war. »Jetzt!« kommandierte er leise und warf sich gleichzeitig gegen die schwere Tür. Unter dem Anprall seines Körpers schwang sie auf, der Seewolf sprang in den hinter ihr liegenden Raum. Die drei Spanier, die im Moment dort arbeiteten, blickten hoch. Aber Hasard ließ ihnen keine Zeit, sich von ihrem Schrecken zu erholen. Mit dem Entermesser drang er auf sie ein. Den Degen des Anführers, den dieser mit einer blitzschnellen Bewegung gezogen hatte, schlug er zur Seite, dann rannte er dem Mann auch schon sein Entermesser in den Leib. Die anderen beiden Spanier begannen zu brüllen. Einer von ihnen, ein riesiger Kerl, stürzte auf Ben Brighton zu, walzte ihn einfach nieder und war wie der Blitz verschwunden. 76
Der Seewolf sah das und erkannte die ungeheure Gefahr, daß dieser Kerl sie in der Pulverkammer einsperrte. Er jagte hinterher, noch im Laufen warf er sein schweres Entermesser, und in diesem Moment brüllten auf der ›Golden Hind‹ die Backbordgeschütze auf. Die Breitseite schlug in die spanische Galeone und schüttelte das Schiff durch. Der Mann, der vor Hasard durch die Pulverkammer floh, schrie auf, stolperte über eins der Pulverfässer, rappelte sich wieder auf und war gleich darauf durch die dicke Bohlentür hindurch. Mit keinem Gedanken dachte er daran, die Tür zu verriegeln, Angst und Panik saßen ihm im Nacken, als er die Stufen zum Deck emporflog. »Verflucht, Ben, der Kerl ist mir entwischt. Wir müssen uns beeilen, und wir können uns keine lange Zündschnur mehr leisten!« Er schleuderte den Spanier, dem Brighton eben sein Messer in die Brust gestoßen hatte, zur Seite. Der Mann war bereits tot, noch ehe er den Boden berührte. Hasard wuchtete eins der angebrochenen Pulverfässer vom Boden empor. »Faß mit an, Ben, dieses verdammte Faß ist ...« Ben war bereits zur Stelle. Er hatte sofort begriffen, was der Seewolf wollte, und bei dem Gedanken daran rann ihm ein eisiger Schauer des Entsetzens über den Rücken. Rückwärts bewegten sie sich auf die Bohlentür zu. Auf den Planken der Pulverkammer hinterließen sie eine breite Pulverspur. Der Seewolf öffnete die Tür, während Ben das Pulverfaß übernahm. Dann bewegten sie sich weiter durch den Gang, zum Niedergang. Gehetzt sah sich der Seewolf um. Weiter konnten sie die Pulverspur nicht legen, der Niedergang und seine Stufen bildeten ein unüberwindliches Hindernis. Hasard stieß eine Verwünschung aus, dann schleuderte er das noch halbvolle Pulverfaß in den Gang zurück, wo es sich ein 77
paarmal überschlug und ganze Berge von Pulver um sich verstreute. »Es hilft nichts, entweder wir werden schneller sein als das Feuer, das auf der Pulverspur in die Pulverkammer rast, oder wir sind tot. Aber Drake und unsere Männer werden leben und diese verdammten Dons zur Hölle fahren sehen. Ho, Ben, das wird vielleicht ein Feuerwerk!« Noch während er das sagte, hatte er eine der glosenden Ölfunzeln von ihrem Haken gerissen. Dann jagte er die Stufen des Niedergangs hinauf und wartete, bis auch Ben neben ihm stand, keuchend, schweißnaß. »Paß auf, Ben, sobald ich die Funzel dort unten ins Pulver schmeiße, ab durch den Gang, durch die Kapitänskajüte, über die Galerie und von Bord. Und dann tauchen, Ben, so tief wie möglich!« Eine Tür wurde aufgestoßen, ein Trupp Seesoldaten mit geladenen Musketen drängte herein. Einen Moment drang helles Tageslicht in den Gang des Achterkastells. Flüche erschallten, die Soldaten wollten durch den engen Gang, aber einer behinderte den anderen. »Da sind sie, faßt sie! Halt, stehenbleiben! Haaalt!« Eine Muskete entlud sich donnernd, die Kugel jaulte durch den Gang, da warf Hasard die Lampe. Sie schlug auf dem Boden auf, direkt unterhalb des Niedergangs. Öl lief aus und entzündete sich. Im nächsten Moment schoß eine bläuliche Stichflamme hoch und fraß sich in rasender Geschwindigkeit zischend durch den Gang auf die eisenbeschlagene Tür der Pulverkammer zu, die der Seewolf mit einem Pulverfaß verkeilt hatte, so daß sie nicht zufallen konnte. Aber das sahen Hasard und Ben schon nicht mehr. Sie hatten das Puffen der Stichflamme gehört, das entsetzliche Gebrüll der Soldaten, dann erreichten sie auch schon die Tür, die in die Kajüte des Kapitäns der ›Santa Magdalena‹ führte. 78
Sie durchquerten die Kajüte in Riesensätzen, so schnell, wie sie noch nie zuvor in ihrem Leben gelaufen waren. Der Seewolf nahm sich nicht erst die Zeit, die vielleicht verriegelte Tür zur Galerie zu öffnen, er warf sich durch eins der großen Fenster, zog sich auf die Brüstung der Galerie und hechtete von dort ins Wasser. Sein Körper schoß ins Wasser. Er registrierte noch, wie Ben Brighton dicht neben ihm die Wasseroberfläche durchstieß und untertauchte, dann raubte ihm der schmetternde Schlag einer gewaltigen Explosion fast die Sinne. Der hintere Teil des Rumpfes der ›Santa Magdalena‹ barst auseinander. Eine gewaltige, grellrote Stichflamme schoß aus dem Schiff empor. Das ganze Achterkastell wurde von der hochgehenden Pulverladung buchstäblich in Stücke gerissen. Der Lateinerbesan zischte wie ein riesiger Speer in den Himmel, Spieren, Spanten, Drehbassen, dicke Bohlen, ganze Ladungen von zwölfpfündigen Eisenkugeln wurden Hunderte von Yards emporgeschleudert und klatschten kurz darauf in das hochaufspritzende Wasser. Von Capitan Juan Caballe Ferre gab es nicht einmal mehr sterbliche Überreste, die Explosion hatte ihn zerrissen. Der Seewolf war wie betäubt. Er verlor die Orientierung im Wasser, der Krach, die Druckwelle, das nicht endende Getöse raubten ihm die Sinne. Er spürte dumpf, wie er einmal an die Oberfläche geriet, von irgendwelchen Gewalten hinaufkatapultiert. Automatisch schnappte er nach Luft und begann mit wilden Stößen zu schwimmen. Er wollte fort von diesem Ort des Grauens - nur fort! Er glaubte zu träumen, als er ein Boot - war es nicht ein Kanu? auf sich zuschießen sah, er fühlte den schlanken biegsamen Körper, der sich an ihn drückte, die Arme und Hände, die nach ihm griffen, ihn aus dem Wasser zerrten, er sah noch die dunklen Augen, den goldenen Reif mit den sich windenden 79
Schlangen im schwarzen Haar, dann verlor er das Bewußtsein. Zur selben Zeit bargen die Schlangenkrieger auch Ben Brighton. Um ihn stand es schlimmer, er war schon weit eher bewußtlos geworden als der Seewolf und wäre ertrunken, hätten die Indianer nicht nach ihm getaucht und ihn schließlich in eins der Kanus gezogen. Hundert Yards hinter den beiden Kanus versank die ›Santa Magdalena‹ zwischen schreienden, blutenden und um ihr nacktes Leben kämpfenden Seeleuten und Seesoldaten. Gurgelnd schoß das Wasser durch ihren Rumpf, ihr Bug richtete sich plötzlich ruckartig steil auf, die schweren Geschütze rissen sich aus ihren Brooktauen, dann war die spanischen Kriegsgaleone verschwunden. Über ihrem Rumpf bildete sich ein riesiger, alles in sich hineinsaugender Strudel. Noch einmal brandeten verzweifelte Schreie auf, Ertrinkende schlugen wie wild mit Armen und Beinen um sich, bevor sie in die Tiefe gerissen wurden, dann herrschte plötzlich Stille über der Bucht.
Drake starrte fassungslos auf das Inferno. Dan, der neben ihm auf dem Achterkastell stand, barg plötzlich das Gesicht in seinen Händen und rannte weg. Drake verstand den Jungen. Auf den Decks der ›Golden Hind‹ war es in diesem Moment totenstill. Weder Drake noch sonst irgendeiner von der Besatzung hatte von der ›Golden Hind‹ aus sehen können, was hinter dem explodierenden Achterkastell der spanischen Galeone geschehen war. Zwar sahen sie die Kanus der Indianer, nicht aber, daß Arkana und ihre Schlangenkrieger Ben Brighton und den Seewolf gerade noch rechtzeitig aus dem Wasser zogen. An Bord der ›Golden Hind‹ wußte nur jeder, daß der Seewolf und Ben Brighton die ›Santa Magdalena‹ in die Luft gejagt 80
hatten, um die ›Golden Hind‹ zu retten. Der Schimpanse Arwenack hatte sich unter die Back geflüchtet. Er zitterte am ganzen Körper. Sobald er auch nur die Schritte eines Menschen hörte, begann er durchdringend zu schreien und die langen, gelben Zähne zu fletschen. Drake riß sich aus seiner Erstarrung. Er wandte sich an Thomas Moone. »Lassen Sie ein Boot aussetzen, Mr. Moone. Sehen Sie nach, ob es in der Bucht noch Überlebende gibt. Das ist unsere Christenpflicht.« Dann winkte er den Profos, Edwin Carberry, zu sich heran. »Geben Sie Rum aus, Profos. Sorgen Sie dafür, daß vor allem die Verletzten welchen erhalten und versorgt werden. Lassen Sie unverzüglich mit den Ausbesserungsarbeiten auf dem Schiff beginnen, wir müssen so rasch wie möglich wieder seetüchtig werden. Mr. Tucker soll sofort das Schiff auf Schäden inspizieren, Meldung unverzüglich an mich. Und, Carberry, sagen Sie den Männern an Bord dieses Schiffes, daß die ›Golden Hind‹ ohne diese selbstlose und mutige Tat Mr. Killigrews und Mr. Brightons verloren gewesen wäre.« Bei den letzten Worten hatte Drake nur noch leise gesprochen, und seine Lippen hatten zum erstenmal, seit Carberry ihn kannte, gezittert.
Leutnant Alvarez und seine Gruppe hatten sich mühsam durch den Dschungel zur Bucht durchgekämpft, wo sie ihre Segelpinassen wußten. Aus nächster Nähe hatten sie dann mit ansehen müssen, wie die ›Santa Magdalena‹ in die Luft geflogen war. Wie durch ein Wunder waren Alvarez und seine Männer den über die Insel streifenden Araukanern entgangen, und wo sie wirklich einigen ihrer Krieger begegneten, griffen sie sofort an. 81
Der Leutnant und seine Soldaten wußten, daß es jetzt ums nackte Leben ging. Und deshalb gab es auf keiner der beiden Seiten Pardon. Keuchend hockten der Leutnant und seine Männer in einer grabenartigen Bodenvertiefung. Die Gruppe, die dem Leutnant bedingungslos durch dick und dünn gefolgt war, bestand aus knapp zwei Dutzend schwerbewaffneten Soldaten, mindestens die gleiche Anzahl war unter den Pfeilen und Streitäxten der Araukaner gefallen. Den Soldaten saß die Todesangst im Nacken. Jetzt, nachdem ihre Pinassen von den Engländern zerstört waren und diese Teufelsbrut sogar auf irgendeine ihnen nicht faßbare Weise auch noch die Verstärkung bringende ›Santa Magdalena‹ vernichtet hatten, waren sie gefangen, abgeschnitten vom Festland, ohne jede Hoffnung, den erbarmungslosen Indianern oder auch den Engländern zu entwischen. Wirklich ohne jede Hoffnung? Leutnant Alvarez zuckte plötzlich aus seinen Grübeleien hoch. Seine Rechte fuhr über die schweißnasse Stirn und das wirre, schwarze Haar. Eines war klar: Die Engländer würden sich nach ihrem Sieg in jener Bucht am Ostufer der Insel zusammenziehen, jeder Soldat feierte schließlich seinen Sieg. Das gleiche galt mit Sicherheit auch für die mit ihnen befreundeten Araukaner. Leutnant Alvarez’ Gehirn arbeitete in diesem Moment auf Hochtouren. Auf der Südseite der Insel, also gar nicht sehr weit von ihrem gegenwärtigen Standpunkt, gab es aber noch eine sehr geräumige Bucht, die sich vorzüglich dazu eignete, mit einem Schiff dort zu ankern, Soldaten auszuschiffen und Ausrüstung sowie Proviant zu landen. Ganz bestimmt hatte die englische Galeone dort gelegen, bevor der Kampf mit den Araukanern auf der Insel entbrannt war. Und ebenso logisch war es also auch, daß sich dort noch die Boote befinden mußten, mit denen die Soldaten gelandet worden waren. 82
Andernfalls hätte er sie auf dem englischen Schiff entdecken müssen. Wenn es ihnen gelang, sich dieser Boote zu bemächtigen, dann waren sie gerettet, dann hatten sie eine Chance, nach Valdivia zu entkommen, denn die Engländer konnten sie mit ihrem Schiff nicht verfolgen. Die mußten selber zusehen, daß sie ihre Schäden so schnell wie möglich wieder beseitigten. Alvarez sprang auf. Hastig erklärte er seinen Soldaten, um was es ging, und dann trieb er sie zur Eile an. Es konnte von nun an jede Minute entscheiden, die sie schneller waren als die Engländer oder Araukaner. Die Spanier marschierten los. Sie begingen dabei nicht den Fehler, ihre Waffen fortzuwerfen. Schweiß rann über Gesichter und tränkte ihre Uniformen. Manche bluteten aus Wunden, die der Kampf mit den Indianern ihnen geschlagen hatte. Aber Alvarez behielt recht. Sie erreichten die Bucht am Südufer ungeschoren, keine Menschenseele kümmerte sich um sie. Statt dessen dröhnten jetzt überall auf der Insel die Siegestrommeln der Araukaner. Der Leutnant spürte, wie ihm eisige Schauer über den Rücken rannen. Ruckartig blieb Leutnant Alvarez stehen, als der Pfad, auf dem sie sich bewegten, plötzlich zwischen den Bäumen hindurch den Blick auf die Bucht freigab. Aber dann erschrak er, nicht nur eine Segelpinasse lag dort, sondern auch zwei große Araukaner-Kanus. Sofort gingen der Leutnant und seine Männer in Deckung. Sie verbargen sich zwischen dem dichten Unterholz, das den sandigen, nahezu halbkreisförmig verlaufenden Uferstreifen einrahmte. Aber nichts geschah, in der Bucht schien keine Menschenseele zu sein, nicht einmal eine Wache. So unbegreiflich dem Leutnant dieses Versäumnis war, so sehr begrüßte er es. »Vorwärts, Männer!« befahl er leise. »Zur Segelpinasse und 83
sofort aus der Bucht heraus. Sind wir einmal im offenen Wasser, befinden wir uns außerhalb der Pfeilschußweite der Indianer, dann haben wir es geschafft! Mir nach!« Alvarez sprang auf und lief los. Seine Männer hinter ihm her. Wenige Augenblicke später hatten sie die Segelpinasse, mit der der Seewolf und seine Männer von der ›Golden Hind‹ in die Bucht gelangt waren, erreicht. Sie sprangen an Bord, kappten die Leine, an denen der kleine Stockanker hing, den Hasards Männer tief in den sandigen Boden der Bucht geschlagen hatten, und schoben das Boot ins tiefe Wasser. Andere zogen das Segel am Mast hoch, Alvarez selbst übernahm das Ruder, und gleich darauf nahm die Segelpinasse Kurs auf die offene See. Aber dann geschah noch etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte. Irgendwo im Dschungel erscholl plötzlich wildes Gebrüll, ein paar Schüsse fielen, ein Mann schrie in höchster Todesangst. Wenige Augenblicke später brach er aus dem Unterholz hervor, stolperte völlig erschöpft und verzweifelt nach Atem ringend auf dem Uferstreifen entlang, sah das Boot. Leutnant Alvarez erbleichte. Diesen Mann dort in der total zerfetzten Uniform, mit dem blutverschmierten Gesicht kannte er nur zu gut. »Don Miguel Lopez de Valdivia!« entfuhr es ihm. Unwillkürlich ballte die die Hände. Er hatte diesen brutalen, blutrünstigen Vorgesetzten gehaßt, aber dieser Mann war Spanier wie er. Er mußte ihm helfen, und wenn es das eigene Leben kosten sollte. Niemals würde er einen Kameraden in einer solchen Situation im Stich lassen. Er gab den Befehl, umzukehren. Seine Männer starrten ihn an, ihre Gesichter verzerrten sich. Sie waren schon so gut wie gerettet, und jetzt sollten sie wegen dieses verhaßten de Valdivia auch noch diese allerletzte Chance, den Araukanern und Engländern zu entrinnen, einfach vertun? 84
Nein, das konnte selbst Leutnant Alvarez von ihnen nicht verlangen. Als er das Ruder hart Steuerbord legen wollte, packten die Männer, die neben ihm im Heck des Bootes saßen, zu. Sie hielten seine Arme fest, lösten seine Hände von der Ruderpinne und starrten ihn feindselig an. »Sie wissen, daß wir Ihnen immer gern gehorcht haben, Senor Leutnant«, sagte ein bärtiger Sergeant. »Aber das können Sie von uns nicht verlangen. Da, sehen Sie selbst, es ist zu spät! Dieser dreimal verfluchte Leuteschinder von einem Capitan bekommt jetzt von den Araukanern, was er verdient!« Aus dem Gebüsch stürzten Indianer hervor. Heulend schwangen sie ihre Streitäxte. Der Capitan riß seinen Degen hoch und wich bis zum Wasser zurück. Dann sprang er den ersten der Araukaner mit einem Wutschrei an und rannte ihm die Klinge durch den in einer blitzschnellen Abwehrreaktion hochgerissenen Unterarm. Der Capitan wollte den Degen wieder herausreißen, aber er schaffte es nicht mehr. Eine Streitaxt flog auf ihn zu und zerschmetterte seinen Schädel. Der Capitan kippte nach hinten. Lang schlug er in das aufspritzende Wasser der Bucht, das sich rot färbte von seinem Blut. Die Araukaner verstummten, denn ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen, das einen Goldreif von sich windenden Schlagen im pechschwarzen Haar trug, betrat den sandigen Uferstreifen und ging auf den Toten zu. Vor seinen Füßen, die noch aus dem flachen Wasser ragten, blieb sie stehen und starrte ihn an. In ihren Zügen regte sich kein Muskel, nur in ihren dunklen Augen glomm derHaß. Dann hob sie den Blick und sah zu Alvarez und seinen Männern hinüber, die bereits das offene Wasser gewonnen hatten. Der Leutnant glaubte in diesem Moment, ihre Blicke wie 85
Pfeile zu spüren, die ihn durchbohrten. Er wartete darauf, daß die Indianer zu ihren Kanus stürzten und die verhaßten Philipps angreifen würden, aber nichts dergleichen geschah. Das Mädchen hob die Arme, dann drehte sie sich um und war gleich darauf samt ihren Kriegern zwischen den Bäumen des Dschungels verschwunden. Leutnant Alvarez fuhr sich mit der Hand über die Augen, er begriff das alles nicht Und doch tat er in diesem Moment genau das, was Arkana, die Schlangenpriesterin, von ihm wollte. Er schwor bei der Heiligen Mutter Gottes, in Valdivia beim Alkalden seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, daß mit den Araukanern auf Mocha ein fairer Friede geschlossen würde. Leutnant Alvarez wußte, daß er beim Alkalden ein offenes Ohr finden würde, denn der Alkalde hatte immer - ganz im Gegensatz zu Don Miguel Lopez de Valdivia - behauptet, daß man die Eingeborenen zu Verbündeten haben müsse, wenn man sich auf Dauer in diesem Land, auf diesem gefährlichen Kontinent voller Urwälder und Geheimnisse behaupten wolle. Außerdem seien sie dann - und nur dann - geneigter, nach und nach die Lage ihrer geheimen Goldadern zu verraten und ihre Schätze den spanischen Freunden zu schenken. Schon Cortez hatte in dieser Hinsicht ganz und gar versagt. Die beiden Männer, die den Leutnant noch immer in ihrem Griff hatten, ließen ihn los. »Verzeihung, Senor, Leutnant«, sagte der eine von ihnen, »aber Sie müssen auch uns verstehen, wir ...« Der Leutnant sah die Männer an. »Ich habe nichts gesehen, Männer. Niemand hat mich daran gehindert, umzukehren. Wir sind dem sicheren Tod entronnen, nur das zählt. Selbst wenn wir es noch versucht hätten, dem Capitan hätte keiner von uns mehr helfen können. Gott sei seiner armen Seele gnädig!« Die Soldaten brüllten nicht, kein Freudenschrei brach über 86
ihre Lippen. Sie blieben still. Es war der Moment, in dem sie der vielen Toten gedachten, die der Kampf auf Mocha gekostet hatte. Ein Kampf, der niemals hätte stattfinden dürfen. Die Segelpinasse lief auf Westkurs in die offene See hinaus. Leutnant Alvarez war nicht so borniert, sich den Engländern in der Bucht am Ostufer der Insel zu zeigen. Wer weiß, was diese Kerle dann unternehmen würden. Erst weit draußen, außerhalb der Sicht auch des schärfsten Engländer- oder Araukanerauges würde er Kurs auf Valdivia nehmen. Und es war ihm dabei völlig gleichgültig, wie lange sie bis dorthin segeln würden.
8. Als der Seewolf das Bewußtsein wiedererlangte, beugte sich Arkana über ihn. Ihre dunklen Augen forschten in seinem vom Wind und Wetter gebräunten Gesicht. Behutsam fuhren die Finger ihrer Rechten über die tiefe Wunde, die ihm der Araukanerpfeil von der rechten Stirn über die linke Augenbraue zur Wange gerissen hatte. Als Hasard von seinem Lager hochfahren wollte, durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz von der linken Hüfte zur Brust. Sanft drückte ihn Arkana zurück, dann schüttelte sie den Kopf. Hasard starrte sie an, krampfhaft versuchte er, sich an das zu erinnern, was geschehen war, aber es gelang ihm nicht sogleich. Er befand sich in einem dämmerigen Gewölbe, das nach all der feuchten Schwüle, die im Dschungel geherrscht hatte, angenehm kühl war. Der Schein zuckender Flammen, die in metallenen Schalen loderten, erhellte das Gewölbe. Langsam drehte Hasard den Kopf. Und dann sah er den aus purem Gold getriebenen Schlangengott, der sich in der Mitte des Gewölbes um eine nackte, aus Bronze gearbeitete Indianerin ringelte. 87
Verblüfft blickte der Seewolf die riesige Statue an, denn das Mädchen trug Arkanas Züge: die gleichen Augen - aus dunklen Edelsteinen geschliffen, die gleiche Stirn, die gleichen Lippen und die gleichen Brüste. Hasards Blicke glitten weiter, und Arkana beobachtete ihn dabei aufmerksam. Noch immer ruhte ihre Rechte auf seiner Schulter, bereit, jeden Versuch, sich aufzurichten, sofort zu verhindern. Dann bemerkte Hasard den Ring züngelnder Schlangen, ebenfalls aus purem Gold, die sich in weitem Kreis um die Statue ringelten und eine Anzahl kupferner Schalen einschlossen, in denen blaßblaue Flammen züngelten. Hasard riß seine Blicke von jener unheimlichen Statue los. Fragend blickte er Arkana an. Aber die Schlangenpriesterin strich ihm nur über das Haar und schüttelte den Kopf. Dann rief sie ein paar Befehle in den Tempel, und sogleich erschien ein junger Schlangenkrieger mit einem Gefäß, das eine grüne Flüssigkeit enthielt. Aber Hasard, dem ganz allmählich wieder die Erinnerung an das kam, was geschehen war, wehrte die Hand, die die Schale an seine Lippen führen wollte, ab. »Wo ist Ben Brighton?« fragte er und wußte doch im selben Moment, daß Arkana ihn nicht verstehen konnte. Aber es geschah ein Wunder, denn das Mädchen rief wieder einen Befehl in die Dämmerung des Schlangentempels. Sofort erschienen vier Schlangenkrieger, hoben die Liege, auf die man den Seewolf gebettet hatte, hoch und trugen ihn ins Tempelinnere. Vor einem Vorhang hielten sie an. Arkana zog ihn zurück, und da sah der Seewolf seinen Gefährten. Ben Brighton lag in tiefem Schlaf, sein Körper war in eine dichte Lage von duftenden Krautern gewickelt, regelmäßig hob und senkte sich seine Brust. Arkana trat zu Hasard. 88
»Lebt, bald gesund!« sagte sie in schwer verständlichem Englisch. »Du auch, komm!« Die Krieger trugen ihn fort und legten ihn wieder in jener Nische zu Füßen des Schlangengottes ab. Dann flößte Arkana dem Seewolf, der noch zu schwach war, um sich gegen das Araukanermädchen wirklich wehren zu können, den Trunk ein. Hasard spürte, wie die Umgebung vor seinen Augen verschwamm. Er glaubte noch zu fühlen, wie Arkana neben ihm auf sein Lager glitt und sich an ihn schmiegte, darin versank er in einen abgrundtiefen Schlaf. Jedenfalls empfand er das so.
Die Arbeit auf der ›Golden Hind‹ nahm kein Ende. Der Häuptling der Araukaner hatte Drake eine Gruppe von Kriegern geschickt, die Ferris Tucker und seinen Mannen zur Hand gingen. Der rothaarige Hüne hatte bereits den zerschossenen Besan ersetzt, andere Männer arbeiteten am schwer beschädigten Schanzkleid der Steuerbordseite. Stückpforten wurden erneuert, Geschütze mit neuen Brooktauen versehen, Lafetten repariert. Kalfaterer und Segelmacher schufteten ohne Pause, alle übrigen klarierten das Rigg oder besserten sonstige Schäden aus. Immer wieder starrte Drake sorgenvoll auf die See hinaus. Sie mußten wegsegeln, so schnell wie möglich, denn die Spanier konnten weitere Schiffe schicken. Und dann war es endgültig vorbei mit der ›Golden Hind‹ und ihrem bisherigen schon fast sagenhaften Kriegsglück. Außerdem sorgte sich Drake um den Seewolf und Ben Brighton. Von dem Häuptling hatte er erfahren, daß sie am Leben waren und sich in der Obhut Arkanas im Schlangentempel befanden. Drake wollte sofort zum Tempel, um nach Hasard und Ben 89
Brighton zu sehen, aber der Häuptling hatte abgelehnt. Niemand werde jemals erfahren, wo sich der Schlangentempel befände. Er sei heiliges Gebiet, die Schlangenkrieger würden jeden Fremden töten, der sich ihm nähere. Drake schüttelte unwillig den Kopf. Es war ein äußerst schwieriges Palaver, das er mit dem Häuptling in seiner Kammer führte. »Ich verstehe das nicht«, sagte Drake schließlich und ging zornig in der geräumigen Kammer auf und ab. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann befinden sich Hasard und Ben doch bei Arkana und ihren Kriegern im Schlangentempel. Also wissen sie doch auch, wo dieser Tempel ist!« Es dauerte nicht lange, bis der Häuptling Drake verstanden hatte. Dann schüttelte er den Kopf. »Nicht wissen, nie wissen, auch nicht, wenn wieder hier. Du sehen.« Der Häuptling erhob sich. »Heute abend großes Fest. Meine Krieger kommen, wir entzünden großes Feuer, Mädchen werden tanzen. Du eingeladen, alle eingeladen!« bedeutete er Drake durch Zeichen und spanische Brocken, die Drake fast die Haare zu Berge stehen ließen. »Außerdem ich noch Überraschung für dich, heute nacht, wenn Fest zu Ende. Du sehen.« Damit verschwand der Häuptling und ließ Drake mit reichlich gemischten Gefühlen zurück.
Der Abend senkte sich über die Bucht, das Fest begann. Drake hatte neben dem Häuptling Platz genommen. Er winkte Carberry, den Profos der ›Golden Hind‹, zu sich heran. »Carberry, daß mir nichts mit den Mädchen passiert. Sie sind mir persönlich dafür verantwortlich, Sie wissen, wie ich in diesem Punkt denke. Nehmen Sie sich ein paar kräftige Leute, 90
passen Sie auf. Das ist ein strikter Befehl, Profos!« Carberry zögerte, und Drake nahm das stirnrunzelnd zur Kenntnis. »Carberry ...« Drakes Stimme hatte einen drohenden Unterton. Aber der Profos schüttelte den Kopf. »Sie kennen mich, Kapitän, und Sie wissen, daß ich jederzeit meine Pflicht erfülle. Aber diesen Befehl kann ich nicht ausführen, Sir. Es ist unmöglich, und wenn ich all diesen wildgewordenen Decksaffen persönlich die Haut von ihren Affenärschen abziehen ...« Erschrocken hielt der Profos inne, denn wieder war ihm vor Drake seine Lieblingsredewendung entfahren. »Äh, ich meine, Sir, ich ...« Drake konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Also gut, aber tun Sie wenigstens Ihr Bestes, Profos. Unmögliches verlange ich von keinem meiner Männer. Ich denke, wir haben uns verstanden.« Carberry nickte, dann zog er ab. Er würde sein Bestes tun, darauf konnte sich Drake verlassen. So oder so, das war etwas, worüber die Situation entscheiden würde. Es wurde ein wildes Fest. Die Trommeln dröhnten, die Männer tranken, aßen, sangen und tanzten bis zur Erschöpfung. Die Mädchen des Araukanerdorfes feierten mit, immer wieder verschwanden Paare irgendwo im Dschungel, da war auch der Profos völlig machtlos. Als schon der Morgen graute, wankten dem Profos Dan und Batuti vor die Füße. Der Schwarze strahlte über das ganze Gesicht, während er sich auf Dan stützen mußte. »Batuti bleiben auf Insel, nie mehr gehen weg. Singen, tanzen, trinken, Mädchen - oh, Batuti ganz neues Leben anfangen, nix mehr schuften, kämpfen ...« Dann kippte der riesige Gambia-Neger plötzlich um und begrub den lauthals schimpfenden Dan unter sich. Carberry 91
entwirrte fluchend das Knäuel, aber dann grinste auch er. Batuti hatte verdammt recht -wenn, ja, wenn ... Auch Carberry war nicht mehr in der Lage, sich darüber klar zu werden, warum das mit dem neuen Leben auf dieser Insel nicht so recht hinhaute, aber das war ihm im Moment auch egal. Er wollte schlafen, und so wankte er an Bord der ›Golden Hind‹. Drake verließ den Festplatz als letzter. Es war sinnlos, seine Männer einsammeln zu wollen. Er gönnte ihnen dieses Siegesfest von Herzen. Langsam kehrte er an Bord seines Schiffes zurück, ging zum Achterkastell und betrat dann seine Kammer. Und dort blieb er wie angewurzelt stehen. Auf dem Boden türmten sich kostbare goldene Gefäße, Schalen voller Goldstücke, Edelsteine - er vermochte diese funkelnde, glitzernde Pracht nicht zu überblicken. Aber das war beileibe nicht alles. Denn in seiner Koje, die eher einem bequemen Bett glich, lagen der Seewolf und Ben Brighton. Neben ihnen stand Arkana, die Schlangenpriesterin. Sie deutete auf das Gold und die Edelsteine. »Geschenk von Häuptling«, sagte sie in einem gut verständlichen Englisch, und Drake starrte sie überrascht an. Aber Arkana lächelte nur, deutete auf den Seewolf. »Lehrer, sehr guter Lehrer!« Dabei strich sie dem Schlafenden über die Stirn. Doch dann wurde sie ernst, und ihre schwarzen Augen verdüsterten sich. »Gesund, wenn aufwachen, beide. Werden erinnern an Schlangentempel, an Arkana und Schlangenkrieger. Aber werden niemals wiederfinden Tempel.« Sie trat auf Drake zu. »Segeln morgen, ›El Draque‹. Grüßen Mann, der heißen Seewolf. Glück - Arkana ihn nicht vergessen. Ihm sagen.« Sie griff in das Fell, das sie um die Hüfte trug, holte einen schmalen Reif hervor, streifte ihn um Hasards Handgelenk. 92
Drake erkannte gerade noch, daß er aus jenen sich windenden, züngelnden Schlangen bestand, wie auch Arkana ihn auf ihrer Stirn trug. »Geschenk von Arkana. Ihm sagen, soll tragen, immer, bringen Glück, schützen vor Tod!« Dann war sie mit einem Schritt bei Drake, legte ihm die Hände auf die Stirn und war im nächsten Augenblick verschwunden. Drake starrte ihr nach. Das alles war ungeheuerlich. Er nahm eins der goldenen Gefäße auf, wog es prüfend in der Hand und erkannte zugleich die äußerst wertvolle Arbeit, die Sorgfalt und Liebe, mit der es erschaffen worden war. Er versuchte gar nicht erst, den Wert zu schätzen, den all diese Kostbarkeiten dort auf dem Boden seiner Kammer darstellten. Und ganz am Rande durchzuckte ihn ein Gedanke. Wir konnte es Arkana und ihren Schlangenkriegern nur gelungen sein, Hasard und Ben Brighton unbemerkt von den Wachen in seine Kammer zu bringen? Und die Geschenke? Er nahm sich vor, mit den Betreffenden darüber am nächsten Tag noch ein ernstes Wörtchen zu reden, denn das hätte, wenn hier alles mit rechten Dingen zuging, nie und nimmer passieren dürfen. Er ging zu den beiden Schlafenden hinüber, nahm sich dabei jedoch sehr in acht, nicht gegen die Schätze zu seinen Füßen zu stoßen. Lange sah er sie an. Diese beiden Männer hatten ihm und den anderen zweifellos das Leben gerettet. Mehr noch, sie hatten ihm die ›Golden Hind‹ und all jenes Wissen erhalten, das bereits jetzt schon das wichtigste Ergebnis ihrer Reise war. Drake wandte sich ab. Dann ließ er sich in einen der Stühle sinken und schlief dort ein. Und so fanden ihn am nächsten Morgen der Seewolf und Ben Brighton. Doch als sie obendrein noch die Schätze auf dem Boden der Kajüte erblickten, da verschlug es ihnen glatt die Sprache. 93
Die ›Golden Hind‹ segelte zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Noch immer lagen die Schätze in Drakes Kammer. Er hatte beschlossen, sie von Ferris Tucker und einigen anderen der Schiffszimmerleute sorgfältig verpacken zu lassen. Hasard, Ben Brighton und Thomas Moone standen neben Drake auf dem Achterkastell. Langsam drehte sich der Seewolf um, als die Bucht und die Insel Mocha achteraus versanken. Auf einer der molenförmigen Ausläufer sah er Arkana stehen. Sie blickte dem Schiff nach, und in diesem Moment glich sie jener riesigen Statue im Tempel des Schlangengottes. Hasard hatte plötzlich das Gefühl, dieses Mädchen so gut zu kennen, wie bisher noch kein anderes in seinem Leben. Er konnte wegen der Entfernung nicht sehen, daß die Hände Arkanas ihren Schoß bedeckten, daß ein unsagbar weiches Lächeln ihre sonst so strengen Lippen umspielte. »Er weiß nicht«, murmelte sie. »Er hat keine Erinnerung mehr an jene Nacht im Tempel des Schlangengottes, und er wird es nie wissen. Nur der Schlangengott weiß es, und er hat gutgeheißen, was seine Hohepriesterin tat!« Arkana blickte dem Schiff, dessen Segel sich im Wind wölbten und hell in der Morgensonne leuchteten, nach, bis es kleiner und kleiner wurde. Dann löste sie ihre Hände vom Schoß und breitete die Arme aus. »Vielleicht kehrst du irgendwann zurück, Seewolf«, murmelte sie. »Aber wann das auch sein mag, du wirst Arkana willkommen sein.« Erst als die ›Golden Hind‹ hinter der Kimm verschwunden war, drehte Arkana sich um und ging langsam zu dem Kanu zurück, in dem vier ihrer Krieger auf sie warteten. Dann verließ auch das Kanu die Bucht, und nur die Wellen, 94
die an diesem Morgen Schaumkronen trugen, liefen noch unablässig auf den feinen Sand des Ufers. So wie seit Jahrtausenden - so, als hätte es in dieser stillen, friedlichen Bucht niemals Kanonendonner und Tod gegeben.
ENDE
Der Überfall von Joe Vence
Endlich winkt Beutegold. Die Männer an Bord der ›Golden Hind‹ bekommen lüsterne Augen und lecken sich die Lippen. Im Hafen von Valparaiso liegt ein großer spanischer Kauffahrer mit wertvoller Fracht. Der Überfall gelingt - doch er gelingt zu gut, und das macht Hasard, den Seewolf, mißtrauiscn. Irgendwo haben sich die Spanier versteckt und lauern auf ihre Chance, Rache zu nehmen. Doch die Seewölfe geben sich keine Blöße. Da ändern die Spanier ihre Taktik und schlagen dort zu, wo es Hasard und seine Männer am wenigsten erwarten ...
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